Die Grafen Harrach und ihre Welt 1884-1945
 9783205206002, 9783205777786

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FRANZ ERNST (Wien 1799-Nizza 1884) Anna Maria Prinzessin von Lobkowicz (Wien 1809-Aschach 1881) JOHANN NEPOMUK (Wien 1828-Wien 1909) Gem. I. Maria-Margarete Prinzessin von Lobkowicz (Prag 1830-Aschach 1870)

ALFRED

Ernst Bretislaw (1830-1837)

(Prag 1831-Abbazia 1914) Anna Prinzessin von Lobkowicz(Wien 1847Aschach 1934)

Gem. II. Maria Theresia Prinzessin von Thurn u.Taxis (Prag 1856-Prugg 1908)

OTTO Karl (Prag 1857-Prag 1920)

Anna (Prag 1858Hrádek 1938)

Gabriele (Prag 1859Wels 1942)

verm. Henn von Henneberg-Spiegel

verm. Marenzi von Tagliano u.Talgate

(Prag 1863-Schloß Hrádek 1935)

Alfred (26.5.186410.6.1864)

Karoline Prinzessin zu Oettingen-Oettingen u. Oettingen-Wallerstein (Prag 1873-Wien 1959)

Ernestine (Rohrau 1903-Bruck a. d. Leitha 1990) verm. Lexa von Aehrenthal

JOHANN (Prugg 1904-Bad Kreuznach 1945) Stephanie Gfn u.Edle zu Eltz (Altaussee 1917Rohrau 2011

Johanna (Königgrätz 1944) verm. Waldburg zu Zeil u.Trauchburg

FERDINAND (Wien 1941-Wien 1961)

FRANZ Maria Theresia (Konarovic 1866Wien 1947) verm. Wisniewski

Johanna (geb. u. gest. 22 .1.1869)

(Traunkirchen 1870-Iglau 1937)

Margarethe

Ernst

(Wien 1870-NeuPernstein 1935)

(Hrádek 1879-Prugg 1971)

verm. WindischGrätz

Gem. I. Gabriele Gfn von Khevenhüller-Metsch (18741896)

Elisabeth Gräfin von Preysing-Lichtenegg-Moos (Moos 1883-Natternberg 1932)

Christiane (Wien 1916)

Gem. II. Sarah Prinzessin zu Hohenlohe- WaldenburgSchillingsfürst (1880-1908)

ERNST LEONHARD (München 1920Bruck a. d. L. 2012) Hermine Neukirchner (Kindberg 1922Wien 2003)

Christiane (geb. Santiago, Chile 1949)

ERNST GEORG (geb. Santiago, 1951) Angela Rojahn (geb. Wien 1954)

Ernst Heinrich (geb. Wien 1979)

Gem. III Alice Gfn zu Hardegg auf Glatz u.Machlande

Josepha (Aschach 1905-Salzburg 2000) verm. PodstatzkyLichtenstein

Anne-Marie (Aschach 1906-Hamburg 2001) verm. Rosty-Forgách de Barkócz

Alice Louise Marie (Wien 1916-2006) verm. DreihannHolenia von Sulzberg am Steinhof

Leopoldine (Wien 1872-Brünn 1917) verm. Serényi

Ludwig (1873-1874)

Maria Theresia (1835-1839)

Ludwiga (Aschach 1876-Brünn 1942) verm. Wambolt von Umstadt

Marianne (Aschach 1880-Sprinzenstein 1912) verm Sprinzenstein u.Neuhaus

Konstantinos Raptis

Die Grafen Harrach und ihre Welt 1884–1945

2017 B Ö H L AU V E R L AG W I E N KÖ L N W E I M A R

Veröffentlicht mit Unterstützung durch das Land Niederösterreich

das Special Account for Research Grants of the National and Kapodistrian University of Athens

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://portal.dnb.de abrufbar. Umschlagabbildung: U1: von links nach rechts: Margarethe (Marga) Gräfin von Harrach mit ihrem Gatten Franz Prinz zu Windisch-Graetz. Foto: Bildarchiv, ÖNB Wien, Pf 14.330:C(1); Franz Graf von Harrach (1909) Foto: Bildarchiv und Grafiksammlung, ÖNB Wien, KOS 3.465 – D; Johann Nepomuk Graf von Harrach, AVA, FAH, Kt. 856 (21.6.2008); Alfred Graf von Harrach mit seiner Gattin Anna Prinzessin von Lobkowitz. Foto: Bildarchiv, ÖNB Wien, Pf 5.770:B(1). Otto Graf Harrach mit seiner Gattin Karoline Prinzessin zu Oettingen-Oettingen und den Kindern Johann Graf Harrach und Ernestine Gräfin von Harrach (um 1907).Foto: Bildarchiv, ÖNB Wien, Pf 35.247:D(1). oben: Schloss Bruck an der Leitha U4: Schloss Hradek

© 2017 by Böhlau Verlag GmbH & Co. KG, Wien Köln Weimar Wiesingerstraße 1, A-1010 Wien, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Korrektorat: Volker Manz, Kenzingen Umschlaggestaltung: Michael Haderer, Wien Satz: Bettina Waringer, Wien Druck und Bindung: Finidr, Cesky Tesin Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier Printed in the EU ISBN 978-3-205-77778-6



Inhalt Die Grafen Harrach und ihre Welt 1884–1945 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 Einleitung .. . . . . . . . . . . . . . . . . . Fragestellung und Forschungsstand. . . . . . . Methodisches – Quellenlage .. . . . . . . . . . Die Grafen Harrach: eine historische Familie.. .

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste . . . . . .

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1.1 Familienoberhaupt und Hausvorstand. . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Vor und in der Ehe: Ehefrauen und ‑männer in Zeiten der Endogamie. . . . . . . . . 1.3 Eltern-Kinder-Beziehungen: Erziehung und Ausbildung. . . . . . 1.4 Familienzusammenhalt und -bewusstsein: Rituale und Solidarität.

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2. Besitz und Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn): Umfang und Entwicklung des Harrach’schen Großgrundbesitzes. . . 2.1.1 Fideikommiss. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Allod. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Bodenreform und Zwischenkriegszeit.. . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe. . . . . . . 2.2.1 Landwirtschaftliche, industrielle und sonstige Betriebe: Größe, Produktion und finanzielle Lage.. . . . . . . . Eigenregie – Verpachtung . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Personal. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Zum Selbstverständnis als Großgrundbesitzer. . . . . .

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2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten. . . . . . . . . . . . . . . 124

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Inhalt

2.3.1 Vermögenswerte und ‑lasten. . . . . . . . Kapitalvermögen. . . . . . . . . . . . . Verlassenschaftsgebühren – Vermögensabgabe. 2.3.2 Einkommen und Konsumverhalten . . . .

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3. Wohnsitz und Mobilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3.1 In Schlössern und Palais. . . . . . . . . . . . Zwischen Land und Stadt: Wohnsitze und Umzüge. . Gastfreundschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Auf Kur und Reisen.. . . . . . . . . . . . . . In Österreich-Ungarn. . . . . . . . . . . . . . . In Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . In Italien, Frankreich und sonstigen Destinationen. .

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. . . . . . . . . . . . . . Reisen aus familiären, beruflichen und sonstigen Gründen. . Reisende und Reisebedingungen. . . . . . . . . . . . . . Profil der Reisenden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . Unterkunft und Transport. . . . . . . . . . . . . . . . Die zeitliche Dimension. . . . . . . . . . . . . . . . . Nach dem Ersten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . .

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 4.1 Privat und im engeren Kreis . . . . . . . . . . . . Klavierspielen, Lesen und Dilettieren. . . . . . . . . . Promenaden und Wintersport.. . . . . . . . . . . . . Reiten und Autofahrten. . . . . . . . . . . . . . . . Tennis und Kinematograf. . . . . . . . . . . . . . . 4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison. Diners, Soireen und Bälle. . . . . . . . . . . . . . . Teegesellschaften, Gabelfrühstücke, Dejeuners. . . . . . . In Theater, Oper und Hotel-Restaurants. . . . . . . . . 4.3 Auf Jagd . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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5. Selbstverständnis und Positionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 5.1 Geschlossenheit, Verbundenheit und Vernetzung.. . . . . . . . . . . . . . 237 5.2 Die Harrach als Adelige und die anderen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242

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Inhalt



Einstellung und Kontakte zum Bürgertum.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 Abgrenzung gegenüber Unterschichten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 Binnendifferenzierung– die feinen Unterschiede?. . . . . . . . . . . . . . . . . . 248

5.3 Werte und Verhaltensideale. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 5.4 Verhältnis zur Vergangenheit und Gedächtniszäsuren. . . . . . . . . . . . 254 6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 6.1 Frömmigkeit und Beziehungen zur katholischen Kirche. . 6.1.1 Wallfahrten und Prozessionen. . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Religiöser Alltag: Messe, Gebet, Andacht, Sakramente. . . . 6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen.. . . . . 6.2.1 Wohltaten und Spenden während des Ersten Weltkriegs.. . . 6.2.2 Weibliche Philanthropie. . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Nach dem Krieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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7. Zwischen kaiserlichem Patriotismus und katholischem Konservatismus: politische Gesinnung und politisches Wirken . . . . . . . . . . . . . . . Unter und bei den Habsburgern. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Im Ersten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . In der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg. . . . . . . . . . . . . . . .

283 283 296 302

Nachwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366



Meiner Familie gewidmet

Vorwort

A

ls mich im Frühling 2002 der Wiener Sozialhistoriker und Universitätsprofessor Hannes Stekl, der meine Dissertation am Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte mitbetreut hatte, ermutigte, das von mir damals begonnene Harrach-Habilitationsprojekt fortzusetzen – als Argument führte er die Originalität der Thematik Adel der Neuzeit an –, ahnte ich nicht, wie bereichernd, selbstbildend und anspruchsvoll diese lange geistige Reise werden würde. Von der Bürgertumsforschung, besser gesagt von meinem Buch über die Kaufleute im alten Österreich ausgehend, betrachtete ich die Beschäftigung mit einer hochadeligen Familie wie den Grafen Harrach als eine große Herausforderung. Obgleich der Adel für die Geschichte Österreich-Ungarns so bedeutend war und in den Nachfolgestaaten weiterlebte, gab es und gibt es bis heute sehr wenige fundierte Familienstudien für den Zeitabschnitt vor bzw. nach 1918. Dieser Mangel ist auf den historiografischen Kontext sowie auf den Zeitgeist bis 1990 zurückzuführen. Mit wenigen Ausnahmen fehlte es im demokratischen Österreich und noch mehr in den jahrzehntelang vom Kommunismus geprägten Nachbarländern an historischen Forschungen über eine national nicht leicht identifizierbare, politisch nicht anerkannte, einst privilegierte Sozialgruppe Zentraleuropas wie den Adel. Doch die Umstände haben sich in den letzten zwei Jahrzehnten grundlegend geändert, und ziemlich viele Historiker aus Tschechien, Ungarn, der Slowakei, Slowenien, Kroatien und Österreich suchen seit den späten 1980er-Jahren nach der verborgenen bürgerlichen und teilweise aristokratischen Vergangenheit vorzüglich ihrer Länder, doch auch mit Blick auf heutige Grenzen überschreitende Strukturen, Kulturen und Mentalitäten. Die jahrhundertelange Geschichte des europaweit vernetzten und familiär miteinander verbundenen altösterreichischen Adels findet übrigens eine „Parallele“ darin, dass nach 1990 Zentraleuropa als eine Region aus miteinander zusammenarbeitenden und in engem Kontakt stehenden Individuen, Gruppen und Ländern wieder Gestalt angenommen hat. Die Untersuchung dieser kosmopolitischen und elitären Gruppe, die überall in Zentraleuropa ihre Spuren hinterlassen hat, trägt gewiss zum besseren Verständnis des Charakters bei, der den lan-

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Vorwort

gen Fortbestand der Habsburgermonarchie und dessen Erbe in den Nachfolgestaaten des 20. Jahrhunderts auszeichnet. Im Rahmen dieser neuen Blüte der Adelsforschung versteht sich also auch die vorliegende Studie über die Grafen Harrach, eine der wichtigsten adeligen Familien, als ein Beitrag dazu, ein Stück österreichischer, böhmischer bzw. tschechischer und letzten Endes zentral- und gesamteuropäischer Geschichte dem wissenschaftlichen, aber auch einem breiteren Publikum bekannt und zugänglich zu machen. Anhand eines reichhaltigen Archivmaterials wird versucht, Kontinuitäten und Brüche in Besitz und Wirtschaft, Alltag und Lebensstil, Familienleben, Selbstverständnis und Positionierung sowie im politischen Verhalten von den 1880er-Jahren bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs aufzuzeigen. Das vorliegende Buch hätte vor einigen Jahren abgeschlossen werden können, da ich bereits Ende 2007 eine erste Fassung meiner Arbeit fertiggestellt hatte. Die Verzögerung der Herausgabe ist der Tatsache geschuldet, dass das meiner Forschung zugrunde liegende umfangreiche, im Allgemeinen Verwaltungsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs deponierte Familienarchiv Harrach durch die Eingliederung von Hunderten neuer Kartons mit bislang unklassifiziertem Archivmaterial im selben Jahr (2007) fertig geordnet wurde und seit dieser Zeit alle Bestände der Forschung zugänglich geworden sind. Wissenschaftsethische Gründe haben mich gezwungen, die Archivgrundlage meiner Arbeit zu erweitern, zumal mir nun in den neu angegliederten Beständen wesentliches Material für meine Arbeit zur Verfügung stand. Es handelte sich in erster Linie um Wirtschaftsakten, Eheverträge, Testamente, Tagebücher, zusätzliche Familienkorrespondenz und vor allem um Archivmaterial zur Zeitspanne 1919–1945, das vor der endgültigen Ordnung des Archivs Harrach spärlich und wenig aussagekräftig war. Darüber hinaus habe ich nach zwei Forschungsreisen nach Mähren und Ostböhmen im Frühling und Herbst 2008 die archivalische Grundlage meiner Arbeit durch die Angliederung von Beständen aus Archiven der Tschechischen Republik, die sich auf Harrach beziehen, ausgeweitet. Es ging um das Familienarchiv Harrach im Mährischen Landesarchiv in Brünn (Moravský zemský archiv v Brně), das Material zu den Familien Alfreds und Franz’ Harrach enthielt, d. h. des Bruders und Neffen von Johann Nepomuk, der von 1884 bis 1909 die Geschicke der Harrach lenkte, sowie um Inventare und ausgewählte Inhaltsverzeichnisse von Wirtschaftsbüchern der Herrschaften (Velkostatek) Jilemnice/Starkenbach und Sadová aus dem ostböhmischen Staatsarchiv Zámrsk (Státni archiv Zámrsk). Im selben Jahr konnte ich zudem das Oral-History-Material meiner Forschung, das bisher aus zwei Interviews mit Stephanie Harrach (1917–2011) im Herbst 2004 im Schloss Rohrau (mit der Anwesenheit und Teilnahme von Ulrich Arco-Zinneberg, dem ich sehr danke) bestand, durch ein Interview mit Ernst Leonhard Harrach (1920–2012)

 Vorwort

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bereichern. Beiden Nachfahren der von mir untersuchten Familie gilt post mortem ein besonderer Dank. Der lange Reifungsprozess für dieses Buch war, wie bei jedem wissenschaftlichen Werk, hauptsächlich ein einsamer Weg, zu dem aber viele Menschen auf verschiedene Art und Weise beigetragen haben. Ihnen allen habe ich zu danken. Mein Dank gilt zunächst zahlreichen Kollegen aus verschiedenen Universitäten und Forschungszentren, die mir seit 2002 auf Tagungen, in Workshops oder durch Vortragseinladungen die Gelegenheit gaben, die Fragestellung, die Thesen und verschiedene Aspekte meiner Arbeit vorzustellen und vor allem mit anerkannten Historikern sowie mit Nachwuchswissenschaftlern zu diskutieren: Aus Deutschland gilt mein Dank Professor Monika Wienfort von der Bergischen Universität Wuppertal für den ersten Kontakt mit der deutschen bzw. internationalen adelshistorischen Forschungsgemeinschaft im Jahr 2002 auf der Tagung des Zentrums für interdisziplinäre Forschung der Universität Bielefeld „Adelsgeschichte als Gesellschaftsgeschichte. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert“ (in Kontakt getreten bin ich mit ihr auf Anregung des 2001 zu Vortragszwecken in Athen eingetroffenen Professors Reinhard Koselleck, dem ich post mortem danken möchte); Professor Markus Denzel (Universität Leipzig) für meine Teilnahme an den Büdinger Gesprächen 2003 über den „Deutschen Adel im 19. und 20. Jahrhundert“; sowie Professor Eckart Conze (Universität Marburg) für meine Aufnahme zur Sommerakademie 2006 am Herder-Institut in Marburg über „Adel und Moderne in Mittel- und Osteuropa“. Aus England und den USA danke ich Jonathan Kwan, Lecturer an der University of Nottingham und dem Austrian Cultural Forum in London, für meine Teilnahme an der Tagung „WW I and Central and Eastern European History“ im September 2014 sowie den Professoren an der University of Minnesota Garry Cohen (Center for Austrian Studies) und Theofanis Stavrou (Center for Modern Greek Studies) für ihre akademische Gastfreundschaft während meines Aufenthalts zu Vortrags- und Forschungszwecken in Minneapolis im April 2012. Aus Slowenien habe ich Dr. Dragica Čeč von der Primorska-Universität für meine Teilnahme an der Mediterranean Summer School of Theoretical and Applied Humanities in Koper im Juli 2013 zu danken. Aus Tschechien bin ich Dr. Luboš Velek (Masaryk Institute and Archives of the Czech Academy of Sciences) zu besonderem Dank verpflichtet für die Einladung zu den Prager Tagungen „Adel und Wirtschaft sowie Adel und Politik“ im Sommer und Herbst 2005 und insbesondere für seine Hinweise auf tschechische Nachschlagewerke und Archivbestände zu den Harrach sowie die Vervielfältigung bzw. Zusendung wertvollen Materials über den böhmischen Grundbesitz der Harrach aus

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Vorwort

der Nationalbibliothek in Prag. Ferner danke ich Miloš Řezník, Professor an der TU Chemnitz und Direktor des Deutschen Historischen Instituts in Warschau, für seine Informationen und Führungen in Sadowa, Hradek bei Hradec Králové in Ostböhmen im April 2008, die für meine Arbeit von großem Nutzen waren. Meine Kontakte zu Tschechien wären ohne Univ.-Dozentin Dr. Dana Cerman-Štefanová, Gastprofessorin am Institut für Geschichte der Universität Wien und Freundin aus der Zeit meines Doktoratsstudiums in Wien, nie zustande gekommen. Darüber hinaus sei ihr für den Hinweis auf die Verfügbarkeit des Familienarchivs Harrach im Allgemeinen Verwaltungsarchiv des Österreichischen Staatsarchivs mein besonderer Dank ausgesprochen. Wenn vom Archiv die Rede ist, dann möchte ich mich mit Blick auf Österreich bei allen Mitarbeitern des AVA, vor allem aber bei Herrn Dr. Jerabek, Dr. Zdislava Röhsner und Dr. Göbl bedanken. Dr. Ernst Langtaler, Professor an der Universität Linz, Dr. Peter Melichar, Universitätslektor am Institut für Geschichte der Universität Wien, und Dr. Waltraud Winkelbauer vom Niederösterreichischen Landesarchiv bin ich ebenfalls für das Heraussuchen, die Vervielfältigung und Zusendung von Material über den Harrach’schen Grundbesitz in Niederösterreich sehr dankbar. Professor Höbelt am Institut für Geschichte der Universität Wien gilt mein Dank für seine mir überreichten Texte über Adel und Politik sowie seine Bemerkungen und Hinweise, ebenso dem amerikanischen Adelsexperten Dr. William Godsey von der Österreichischen Akademie der Wissenschaften für seine Literaturhinweise und nützlichen Ratschläge. Zwei emeritierten Professoren vom Institut für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Wien habe ich ebenfalls zu danken: Michael Mitterauer zeigte großes Interesse an meiner Arbeit und sprach dem Verleger Dr. Peter Rauch (dem Dank für die Annahme meines Buchprojekts gebührt) eine Empfehlung für die Drucklegung meiner Arbeit bei Böhlau aus; Josef Ehmer bot mir sowohl an der Universität Salzburg als auch an der Universität Wien die Gelegenheit, mein Projekt vorzustellen. Zwei Kollegen von der Universität Wien, die zu den Vorreitern der Adelsforschung in Österreich zählen, sei ebenso mein besonderer Dank ausgesprochen: Marija Wakounig, die mir die letzten drei Jahre wiederholt die Möglichkeit bot, Seiten meines Projekts auf Wiener Tagungen über den Adel vorzustellen, und vor allem Hannes Stekl, der den gesamten Manuskriptentwurf sorgfältig durchgelesen und durch seine kritischen Anmerkungen, Korrekturen und Ergänzungsvorschläge im Rahmen unserer wiederholten Gespräche in Wien zur Gestaltung des vorliegenden Buches entscheidend beigetragen hat. Von meiner Stammuniversität Athen danke ich dem Sonder-Forschungsfonds (ELKE) für die Förderung bei der Drucklegung sowie meinen Kolleginnen und Kollegen, Studentinnen und Studenten für ihr Vertrauen und ihren trotz aller Schwie-

 Vorwort

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rigkeiten infolge der seit 2009 anhaltenden Finanzkrise in Griechenland die Wissenschaft fördernden Geist. Meinen ausdrücklichen Dank richte ich an meine liebe Hochschullehrerin und Kollegin Professor Olga Katsiardi-Hering, die mich vor 25 Jahren zu einem Doktoratsstudium in Wien ermunterte und mir seit damals stets mit Rat, Literaturtipps und sonstigen hilfreichen Hinweisen zur Seite steht. Das Buch eines Autors, der kein deutscher Muttersprachler ist, wäre ohne das Lektorat unvorstellbar. Mein besonderer Dank gilt Hiltrud Hartmann, die sich bis 2007 der Sache angenommen hatte, und Mag. Nikol Richter, die seither den Text betreut und mir über die Sprachkorrektur hinaus durch ihre Übersetzung von Material aus dem Tschechischen wesentlich geholfen hat. Nicht zuletzt danke ich Maria Papathanassiou für die Geduld, Ermunterung und Unterstützung.



Einleitung

V

on altösterreichischem Adel handelt diese Studie, von einer gräflichen Familie und ihrer Welt in den letzten Jahrzehnten der Habsburgermonarchie bzw. in der Zwischenkriegszeit in deren Nachfolgestaaten, vor allem in Österreich und in der Tschechoslowakei. Es wird versucht, Kontinuitäten, Anpassungen, eventuell Brüche in Familienstrukturen und ‑beziehungen, im Besitzstand und in der Bewirtschaftung, im Alltag, im Lebensstil und in den Wohnverhältnissen, im politischen Verhalten sowie in der Selbst- und Fremdwahrnehmung der Harrach, einer der ältesten und einflussreichsten Familien des erbländischen bzw. hoffähigen Hochadels, von der Mitte der 1880er-Jahre über den Ersten Weltkrieg und den Zerfall der Monarchie bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs nachzuzeichnen. Wie eigen- und einzigartig eine adelige Familie auch ist, zielt die vorliegende Studie doch darauf ab, mit den Grafen Harrach einen repräsentativen Fall ihrer Welt, der aristokratischen Gesellschaft Österreich-Ungarns und ihrer „Überbleibsel“ nach 1918, darzulegen. Zudem sollen am Beispiel der Harrach die Bedeutung bzw. das Ausmaß des Einflusses, den die Zäsuren von 1918–1919 und 1945 für den Adel Zentraleuropas hatten, aufgezeigt werden. Fragestellung und Forschungsstand

Der Niedergang des Adels seit dem frühen 19. Jahrhundert und sein Kampf ums „Obenbleiben“ bilden auch für diese adelshistorische Studie eine doppelte Fragestellung.1 Die Koexistenz dieser beiden widersprüchlichen Tendenzen bestimmte den Kurs des gesamten europäischen Adels im 19. und frühen 20. Jahrhundert. Obwohl kein Zweifel besteht, dass der Adel während der langen Zeit, in der sich die Moderne durchsetzte, in verschiedenen Ländern beträchtliche Machteinbußen vor allem im politischen Bereich hinnehmen musste, verlief der Niedergang nicht geradlinig und fand nicht gleichzeitig, überall und auf allen Ebenen der adeligen Existenz statt. 1

Vgl. hierzu Eckart Conze, Von deutschem Adel. Die Grafen von Bernstorff im zwanzigsten Jahrhundert, Stuttgart/München, 2000, 11.

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Zahlreiche Historiker sind sich darüber einig, dass der europäische Adel es bis 1914–1918 selbst in Ländern wie Frankreich und Italien geschafft hat, einen Großteil seiner ökonomischen, politischen und vor allem soziokulturellen Macht zu erhalten. Von da an scheint das Sondergewicht dieser Gruppe innerhalb der europäischen Gesellschaften relativ schnell abzunehmen.2 Dies trifft besonders auf den deutschsprachigen bzw. mitteleuropäischen Raum zu, der infolge des Ersten Weltkriegs politisch grundlegend umgestaltet wurde. Der Krieg verursachte den Zusammenbruch des Deutschen sowie des Habsburgerreiches und setzte sowohl der Monarchie als auch den verbliebenen Privilegien der Aristokratie – mit Ausnahme des Fideikommisses in Österreich – ein Ende. Der altösterreichische Adel wurde aufgrund der gesetzlichen Aufhebung und der Abschaffung der Adelsprädikate und sonstiger Titel in Österreich sowie in der Tschechoslowakei offiziell nicht mehr als abgesonderte soziale Gruppe anerkannt.3 Bedeutet dies etwa, dass die Aristokratie in den neu entstandenen Staaten Zentraleuropas als traditionelle Elite ihre Spitzenposition in der sozialen Hierarchie vollkommen eingebüßt hatte? Während der Zwischenkriegszeit gab es in der Weimarer Republik sowie in der Republik Österreich noch einige Adelige, die der sogenannten „Funktionselite“4 angehörten, insofern sie ihre Macht aus ihrer Funktion und Position als Großgrundbesitzer, höhere Beamten, Diplomaten oder Offiziere schöpften.5 In der vorliegenden Arbeit vertrete ich anhand der Grafen Harrach die These, dass es vielen Angehörigen des altösterreichischen Hochadels trotz ihrer politischen Entmachtung ab dem ausgehenden 19. Jahrhundert auf zentralpolitischer Ebene durch die Einführung des allgemeinen Wahlrechts und der Abschaffung der Wahlkurien (1896–1907) in den österreichischen Kronländern, trotz der Krise in der 2

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Siehe Jonathan Dewald, The European Nobility, 1400–1800, Cambridge 1996, 5; David Cannadine, The Decline and Fall of the British Aristocracy, New Haven/London 1990, 35–87; Anthony Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy. The Piedmontese Nobility, 1861–1930, Cambridge 1997, 11–12, 219–220. Vgl. hierzu Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, in: ders., Adel und Bürgertum in der Habsburgermonarchie, Wien/München 2004, 103–106; Ernst Bruckmüller, Sozialgeschichte Öster‑ reichs, Wien 22001, 365; Heinz Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, München 1999, 28–29. Funktionselite ist ein sozialwissenschaftlicher Begriff, der unter anderem von der Leistungsqualifikation bestimmt wird; Gernot Stimmer, Eliten in Österreich 1848–1970, Bd. I, Wien/Köln/Graz 1997, 16–21. Stephan Malinowski relativiert allerdings die Angehörigkeit solcher Adeliger zu den Eliten der 1920er-Jahre. „Der Elitestatus dieser Personen resultierte jedoch aus ihrer Position stärker als aus ihrer Zugehörigkeit zum Adel. Mit dem Blick auf die Gesamtheit des Adels ist der Elitebegriff jedoch nur von sehr begrenztem Wert. Für die Mehrheit des Adels führt er – was das 20. Jahrhundert betrifft – in die Irre“; Stephan Malinowski, Vom König zum Führer. Sozialer Niedergang und politische Radikalisierung im deutschen Adel zwischen Kaiserreich und NS-Staat, Berlin 2003, 42–43.

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Landwirtschaft wegen sinkender Preise bei den Agrarprodukten vor 1914, trotz der Gefährdung durch die Bodenreformgesetze in der ČSR und trotz des Statusverlustes durch die Abschaffung der Titel und Adelsprädikate im Jahr 1919 gelungen ist, einen Großteil ihres Vermögens und ihrer Einkommensquellen zu erhalten bzw. vor verheerenden Verlusten zu bewahren und damit bis in die 1930er-Jahre hinein ein gewissermaßen „standesgemäßes“ Leben weiterführen bzw. sich zumindest als lokale Elite innerhalb der neuen Nationalstaaten weiter behaupten zu können. Es hat aber auch viele unglückliche Adelige sowie Hochbürokraten und Offiziere gegeben, für die der Zusammenbruch des Habsburgerreichs im Herbst 1918 beträchtliche Einbußen an Macht, Einkommen und Ansehen zur Folge hatte.6 Die politischen, ökonomischen und sozialen Verluste des Adels durch den Ersten Weltkrieg sollten jedoch nicht isoliert, sondern im Verhältnis bzw. im Vergleich zu den beträchtlichen Vermögens‑, Status- und Machteinbußen von einigen Angehörigen des Bürgertums betrachtet werden, vor allem von Bildungs- und Besitzbürgern.7 Dann könnte man im weitesten Sinne von einer Abschwächung weiter Teile der traditionellen Eliten Österreichs sprechen und damit die These vom Niedergang des Adels relativieren. Laut Hannes Stekl soll die Geschichte des österreichischen Adels im 20. Jahrhundert „nicht nur als Verlustgeschichte, sondern viel mehr als ein Trachten der Aristokratie nach der Nutzung ihrer formellen und informellen Machtchancen“ betrachtet werden.8 Die Formen, die Strategien sowie die Grenzen der Selbstbehauptung bzw. des „Obenbleibens“ des zentraleuropäischen Adels am Beispiel der Grafen Harrach bilden daher den Hauptgegenstand der vorliegenden Studie,9 die sich in eine fast 25‑jährige adelsgeschichtliche Tradition einbetten lässt. 6 7

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Vgl. hierzu Bruckmüller, Sozialgeschichte Österreichs, 365; Peter Eigner / Andrea Helige (Hg.), Öster‑ reichische Wirtschafts- und Sozialgeschichte im 19. und 20. Jahrhundert, Wien 1999, 132. Vor allem bei den hohen Beamten bzw. den Angehörigen des Bildungsbürgertums und der Hausbesitzer war wegen des Mietschutzrechts, der Geldentwertung und der wertlosen Kriegsanleihen von materieller Depravierung, ja sogar fast von einem Weltuntergang die Rede. Vgl. hierzu Roman Sandgruber, Ökonomie und Politik. Österreichische Wirtschaftsgeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Wien 1995, 357–358 und Ernst Bruckmüller, Das österreichische Bürgertum zwischen Monarchie und Republik, Zeitgeschichte, 20 (3/4), 1993, 67–71. Hannes Stekl / Marija Wakounig, Windisch-Graetz. Ein Fürstenhaus im 19. und 20. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 1992, 265. Unter Selbstbehauptung bzw. „Obenbleiben“ versteht man keine festgelegten Verhältnisse und Maßstäbe, sondern fließende und wechselnde Umstände, die immer wieder tradierte Strukturen, Verhaltensweisen und Normen sowie neue Herausforderungen, Gefahren oder auch Chancen voraussetzen. Das sollte besonders für eine turbulente, von Umwälzungen wie etwa dem Ersten Weltkrieg, der Oktoberrevolution und dem Zusammenbruch Österreich-Ungarns geprägte Zeit berücksichtigt werden.

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Obwohl schon in den 1970er-Jahren einige vereinzelte bahnbrechende Familienund Regionalstudien über den österreichischen, westdeutschen und französischen Adel entstanden sind – die aber jeweils bis 1848, 1860 und 1870 reichten10 –, war es Arno Mayers umfangreiche, jedoch in gewisser Hinsicht willkürlich verallgemeinernde Pionierstudie von 1981 unter dem Titel The Persistence of the Old Regime, die den entscheidenden Anstoß für die Zunahme des internationalen wissenschaftlichen Interesses am Adel vor allem des 19. und teilweise des 20. Jahrhunderts gab.11 Es war kein Zufall, dass das Buch nach drei Jahren auf Deutsch unter dem Titel Adelsmacht und Bürgertum. Die Krise der europäischen Gesellschaft 1848–1914 erschien. Die Thematisierung des Adels als ein systematisches Forschungsfeld trug jedoch frühestens in den 1990er-Jahren die ersten Früchte, als eine Reihe von interessanten Büchern erschien: die ausführliche Monografie David Cannadines über den „Abstieg und Untergang der britischen Aristokratie“ (1990), die Synthese Dominic Lievens über die Aristokratie in Europa und die Familiengeschichte eines altösterreichischen bzw. zentraleuropäischen Fürstenhauses von Hannes Stekl und Marija Wakounig (1992), die Soziologie des zeitgenössischen Adels am französischen Beispiel von Monique de Saint Martin, der „Schülerin“ Pierre Bourdieus, die Monografie Anthony Cardozas über die Aristokraten im bürgerlichen Italien (1997) sowie der enzyklopädische Überblick über den deutschen Adel in den letzten beiden Jahrhunderten von Heinz Reif (1999).12 Dennoch war Adelsgeschichte bis etwa 1990 eine quasi historiografische „terra incognita“, wie in drei vom „Arbeitskreis für moderne Sozialgeschichte“ veranstalteten Tagungen (1988–1989) klargemacht und vom Herausgeber des daraus entstandenen Sammelbandes Hans-Ulrich Wehler festgestellt wurde.13 Nach Eckart Conze gilt diese Feststellung besonders für Deutschland und den deutschen Adel, während Solomon Wank 1992 von einer historiografischen Nachlässigkeit bezüglich des ös10 Siehe vor allem Hannes Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz. Herrschaftsstil und Lebensformen der Fürstenhäuser Liechtenstein und Schwarzenberg, Wien/München 1973; Heinz Reif, Westfälischer Adel 1770–1860. Vom Herrschaftsstand zur regionalen Elite, Göttingen 1979; Claude-Isabelle Brelot, La noblesse réinventée: Nobles de Franche-Comté de 1814 à 1870, Besançon 1972. 11 Das 1985 in Rom veranstaltete Kolloquium über den europäischen Adel im 19. Jahrhundert bildete das erste große internationale Forum über den Adel, zeigte aber zugleich, dass die Adelsforschung noch in den Kinderschuhen steckte. Siehe Les Noblesses Européennes au XIXe Siecle, École Francaise de Rome, Rom 1988. 12 Cannadine, The Decline; Dominic Lieven, The Aristocracy in Europe 1815-1914, London 1992; Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz; Monique de Saint Martin, L’espace de la noblesse, Paris 1993; Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy; Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert. 13 Hans-Ulrich Wehler, Einleitung, in: ders. (Hg.), Europäischer Adel, 1750–1950 (Geschichte und Gesellschaft, Sonderheft 13), Göttingen 1990, 10–12.

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terreichischen Adels nach 1848 sprach.14 Im selben Jahr wies auch Hannes Stekl, seit den 1970er-Jahren der Hauptvertreter der Adelsforschung in Österreich, auf die beschränkte und uneinheitliche Literatur sowie den mangelhaften Forschungsstand über die österreichische Aristokratie hin.15 Während sich aber in Deutschland seit den späten 1990er-Jahren eine kräftige Entwicklung der Adelsgeschichte (teilweise im europäischen Vergleich) sowohl für das 19. als auch für das 20. Jahrhundert abzeichnet,16 ist die Adelsforschung in Österreich verhältnismäßig rückständig geblieben. Darauf verweist Hannes Stekl nochmals in seinem umfangreichen, ausführlichen und richtungweisenden Aufsatz über Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, der 2004 erschien: „Eine zusammenfassende Untersuchung über Privilegienverluste, Identitätskrisen, Neukonsolidierung, Prestigewandel, Selbstbehauptung sowie Auf- und Abstiegswege des österreichischen Adels sieht sich mit einer Reihe von Problemen konfrontiert. Beträchtliche Hindernisse wirft einmal die Forschungslage auf. Die neuere Adelsgeschichte blieb in der österreichischen Historiographie […] lange unbeachtet. […] Von Adelsfamilien selbst gingen, sieht man von den Schwarzenberg und den Windisch-Graetz ab, keine nennenswerten Impulse zu einer bis in die jüngste Vergangenheit reichenden, systematischen Aufarbeitung ihrer eigenen Geschichte aus. Die wenigen weiteren Ansätze für eine Geschichte des Adels im 20. Jahrhundert beschränkten sich lange auf eine um Verständnis werbende, populäre Selbstinszenierung adeliger bzw. adelsfreundlicher Publizisten […] sowie auf Beiträge zu international vergleichenden wissenschaftlichen Tagungen bzw. zu Katalogen historischer Ausstellungen. Erst in den letzten Jahren hat Gudula Walterskirchen mehrere umfangreiche 14 Nach Conze waren die meisten der im Tagungsband versammelten Aufsätze eher „Forschungs- und Literaturberichte mit ausführlichen Verweisen auf Desiderate“. Siehe ders., Von Deutschem Adel, 12; Solomon Wank, Aristocrats and Politics in Austria 1867–1914: A case of historiographical neglect, East European Quarterly, XXVI (2), 1992, 143–144, Anm. 5. 15 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 9–19, 313–315. 16 Das zunehmende Interesse für den deutschen Adel bzw. die blühende Adelsforschung in Deutschland lässt sich an einer Fülle von Publikationen (Monografien und Sammelbände), Projekten und internationalen Tagungen im beginnenden 21. Jahrhundert ablesen. Siehe vor allem Conze, Von deutschem Adel; Heinz Reif (Hg.), Adel und Bürgertum in Deutschland, 2 Bde., Berlin 2000–2001; Silke Marburg / Josef Matzerath (Hg.), Der Schritt in die Moderne. Sächsischer Adel zwischen 1763 und 1918, Wien/Köln/Weimar 2001; Malinowski, Vom König zum Führer; Günther Schulz / Markus Denzel (Hg.), Deutscher Adel im 19. und 20. Jahrhundert, St. Katarinen 2004; Eckart Conze / Monika Wienfort (Hg.), Adel und Moderne. Deutschland im europäischen Vergleich im 19. und 20. Jahrhundert, Köln 2004 (hervorgegangen aus der gleichnamigen Tagung im März 2003 im ZiF Bielefeld); Monika Wienfort, Der Adel in der Moderne, Göttingen 2006; Eckart Conze / Alexander Jendorff / Heide Wunder (Hg.), Adel in Hessen. Herrschaft, Selbstverständnis und Lebensführung vom 15. bis ins 20. Jahrhundert, Marburg 2010, um nur einige zu nennen.

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und vielseitige Studien veröffentlicht, die sich an ein breites, historisch interessiertes Publikum wenden. Einige Thesen und Informationen dieser anregenden und flotten Darstellung bedürften allerdings noch einer präziseren theoretischen Fundierung und einer umfassenden empirischen Absicherung.“17

Man sollte darüber hinaus die ausführlichen und richtungweisenden Veröffentlichungen William Godseys über die soziale Zusammensetzung der Habsburgeraristokratie und die Rolle der Offiziere und Diplomaten in Österreich-Ungarn hinzufügen, die aber nur bis 1914 bzw. 1918 reichen,18 sowie auf die grundlegenden Arbeiten von Lothar Höbelt über Adel und Politik von 1848 bis 1918 und während der Zwischenkriegszeit hinweisen.19 Jüngst haben die Veröffentlichungen von Martina Winkelhofer über Frauenschicksale in der k. u. k. Monarchie, den Kaiser Franz Joseph und seinen Hof sowie ihre Mitherausgeberschaft eines Werks über die Familie Hohenlohe die Publikationslandschaft zum altösterreichischen Adel bereichert.20 Der altösterreichische Adel ist aber nicht nur Angelegenheit der österreichischen Historiografie. Er ist wohl Gegenstand der Historiografie in mehreren Staaten in Mittel‑, Mittelost‑, ja sogar Südosteuropa, die auf dem Territorium des ehemaligen Habsburgerreichs nach dem Ersten Weltkrieg bzw. nach der Wende (1989–1991) und dem Krieg in Jugoslawien entstanden sind. Vor allem der böhmische Hochadel, eine der mächtigsten und einflussreichsten Subgruppen des altösterreichischen Adels (die Harrach gehörten dem böhmischen Adel an), bildet seit den späten 1990er-Jahren in Tschechien gemeinsam mit dem mährischen Adel einen beliebten Forschungs17 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 101–102. Stekl verweist auf folgende Veröffentlichungen Gudula Walterskirchens: Adel in Österreich im 20. Jahrhundert. Privates und öffentliches Leben, Berufswahl, wirtschaftliche Aktivitäten und politische Rolle, Diss., Wien 2000, als populäre Buchversion unter dem Titel Der verborgene Stand. Adel in Österreich heute, Wien 1999; Blaues Blut für Österreich. Adelige im Widerstand gegen den Nationalsozialismus, Wien 2000; Starhemberg oder Die Spuren der „30er Jahre“, Wien 2002. 18 William D. Godsey, Quarterings and Kinship: The Social Composition of the Habsburg Aristocracy in the Dualist Era, The Journal of Modern History, 71 (1), 1999, 56–104; ders., Aristocratic Redoubt: The Austro-Hungarian Foreign Office on the Eve of the First World War, Indianapolis 1999; ders. Officers vs. Diplomats: Bureaucracy and Foreign Policy in Austria-Hungary 1906–1914, Mitteilungen des Österreichischen Staatsarchivs, 46, 1998, 43–66. 19 Siehe andeutend Lothar Höbelt, Nostalgic Agnostics: Austrian Aristocrats and Politics, 1918–1938, in: Karina Urbach (Hg.), European Aristocracies and the Radical Right, 1918–1939, New York 2007, 161–185. 20 Martina Winkelhofer, Adel verpflichtet. Frauenschicksale in der k. u. k. Monarchie, Wien 2009; dies., »viribus unitis«. Der Kaiser und sein Hof. Ein neues Franz-Joseph-Bild, Wien 2008; Alma Hannig / Martina Winkelhofer-Thyri (Hg.), Die Familie Hohenlohe. Eine europäische Dynastie im 19. und 20. Jahrhundert, Wien/Köln/Weimar 2013.

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gegenstand. Trotz der sprachlichen Barriere machen tschechische Historiker durch internationale Tagungen und daraus hervorgegangene sowie sonstige Publikationen ihr Forschungsinteresse bekannt. Sowohl die Tagung über den Adel in Böhmen und Mähren im Jahr 2001 in Olmütz als auch die Tagungen, die von 2004 bis 2006 von der Forschungsgruppe „Adel in den böhmischen Ländern 1749–1948“ an der Philosophischen Fakultät in Prag veranstaltet wurden, sowie zahlreiche Veröffentlichungen über den Adel in den böhmischen Ländern, vor allem im Hinblick auf die Politik bis in die kommunistische Ära der Tschechoslowakei, aber auch Familienstudien sowie Studien über den Neu- bzw. niederen Adel weisen auf eine blühende Adelsforschung in diesem historisch vom Adel geprägten Land Zentraleuropas hin.21 Es ist folglich klar, dass weiterhin Lücken in der Forschung über den zentraleuropäischen Adel bestehen. Vor allem fehlt es bislang an einer ausreichenden Zahl familiengeschichtlicher Detailstudien, die präzise bzw. in die Tiefe gehende Erkenntnisse liefern und dadurch eine umfassende Synthese ermöglichen könnten. Meine Studie versteht sich daher als ein Beitrag zur Minderung der Forschungslücken in Bezug auf den altösterreichischen Adel im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert, zumal mir reichhaltiges Material aus dem Familienarchiv Harrach zur Verfügung stand.

21 Einen Überblick über den Forschungsstand mit Forschungs- und Literaturberichten sowie Verweisen auf Desiderate bieten die in deutscher und französischer Sprache erschienenen Akten der internationalen Tagung in Olmütz mit 18 Beiträgen: Les Noblesses de Bohème et de Moravie au XIXe siècle. Études danubiennes, XIX (1–2), 2003. Siehe auch die Sammelbände Ivo Cerman / Luboš Velek (Hg.), Adel und Wirtschaft. Lebensunterhalt der Adeligen in der Moderne (Studien zum mitteleuropäischen Adel, Bd. 2) München 2009 und Tatjana Tönsmeyer / Luboš Velek (Hg.), Adel und Politik in der Habsburgermonarchie und den Nachbarländern zwischen Absolutismus und Demokratie (Studien zum mitteleuropäischen Adel, Bd. 3) München 2011. Vgl. auch die auf Tschechisch erschienenen Veröffentlichungen: Zdeněk Bezecný, Příliš uzavřená společnost. Orličtí Schwarzenbergové a šlechtická společnost v Čechách v druhé polovině 19. a na počátku 20. století [Eine allzu geschlossene Gesellschaft. Die Worliker Linie der Fürsten Schwarzenberg und die adelige Gesellschaft in Böhmen in der zweiten Hälfte des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts], České Budějovice 2005; Jan Županič, Nová šlechta Rakouského císařství [Der neue Adel des österreichischen Kaiserreichs], Prag 2006; Jiří Georgiev, Až do těch hrdel a statků? Konzervativní myšlení a otázka samosprávy v politických strategiích české státoprávní šlechty po roce 1848 [Bis an jene Kehlen und Güter? Das konservative Denken und die Frage der Selbstverwaltung in den politischen Strategien des böhmischen staatsrechtlichen Adels nach 1848], Prag 2011; Zdeněk Hazdra / Vaclav Horčička / Jan Županič (Hg.), Šlechta středni Evropy v konfrontaci s totalitními režimy 20. století [Der Adel Mitteleuropas in Konfrontation mit den totalitären Regimen des 20. Jahrhunderts], Prag 2011; Zdeněk Hazdra, Šlechta ve službách Ma‑ sarykovy republiky. Mezi demokracií a totalitními režimy [Der Adel im Dienste von Masaryks Republik. Zwischen Demokratie und totalitären Regimen], Prag 2015.

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Methodisches – Quellenlage

Meine Arbeit konzentriert sich auf eine Familie bzw. einen Familienverband, was der Untersuchung und den sich daraus ergebenden Erkenntnissen auf dreierlei Weise dienlich ist: Zum einen war die Familie gerade für den Adel von großer Bedeutung. Durch sie wurde das soziale, ökonomische, politische und symbolische Kapital des Adels und jedes Adeligen gesichert und vererbt, wobei die meisten Angehörigen vor allem des Hochadels, einer per se geschlossenen Gesellschaft, untereinander familiär verbunden bzw. eng oder weit verwandt waren. Zum Zweiten werden konkrete, genaue und in die Tiefe gehende Erkenntnisse ermöglicht. Zum Dritten trägt ein mikrohistorischer Zugang, der das Individuum und seine Erlebnisse bzw. seine Lebenswelt und Mentalität in den Blick nimmt, zur Aufarbeitung der Dialektik und Interdependenz zwischen Gesellschaft und Individuum bei.22 „Der Adel entwickelte im Laufe der Jahrhunderte familiäre und gruppenspezifische Strategien der intra- und intergenerationellen Positionsabsicherung bzw. ‑verbesserung, gerade weil diese Positionen ständig bedroht sind. Dazu gehören Durchsetzungsmechanismen des Connubiums, Haus- und Familiengesetze, differenzierte Ebenbürtigkeitskriterien, Sanktionsmechanismen wie der Verlust von Alimentierungsmöglichkeiten und Standesprivilegien, soziale Ächtung usw.; dazu gehören ferner Familienplanung, generatives Verhalten sowie Sozialisationsformen und Mentalitätsstrukturen zur Sicherung innerfamilialer und gruppenspezifischer Kohäsion, Loyalität, Opferbereitschaft, Konfliktregelung (Ahnengalerien, Stammbäume, Wappen, Familienchroniken, Familientage, Familientraditionen, usw.)“.23

Die von Rudolf Braun skizzierten Strategien des Adels im Kampf ums Obenbleiben waren zum überwiegenden Teil Familienstrategien, denen das Individuum zu folgen verpflichtet war oder die es mitgestaltete. Es handelte sich um Prinzipien und Verhaltensweisen, die den Zusammenhalt der Familie voraussetzten und zugleich verstärkten. Die Familie drang in fast jede individuelle bzw. kollektive Lebenslage und Handlung des Adels ein. Der Großgrundbesitz, gestärkt durch das Fideikommissprinzip, war primär ein Familienbesitz, den das jeweilige Familienoberhaupt im Namen seiner Familie verwaltete und an den bis 1918 die politische Vertretung in einem Landtag 22 Zur Bedeutung der Familie für eine moderne Geschichtsschreibung, die eine familienbiografische Darstellung mit gesellschaftsgeschichtlichen und lebensweltbezogenen Fragen verbindet, vgl. Conze, Von Deutschem Adel, 15–21. 23 Rudolf Braun, Konzeptionelle Bemerkungen zum Obenbleiben. Adel im 19. Jahrhundert, in: Wehler, Europäischer Adel, 87–95, hier 89.

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wie dem böhmischen gebunden war. Ein Großteil der Reisen, der Gastaufenthalte in Landschlössern, Stadtpalais und Wohnungen, aber auch die adelige Geselligkeit vollzogen sich im Rahmen eines Familienkreises, und die Familie scheint sowohl das Selbstbewusstsein und die Identität als auch die Fremdwahrnehmung des mitteleuropäischen Adels geprägt zu haben.24 Die Familie spielt in jeder sozialen Gruppe eine entscheidende Rolle. Sie bindet das Individuum in die Sozialstruktur ein und bildet einen entscheidenden Faktor in der sozialen Positionierung eines Menschen.25 Die Familie war aber vor allem für elitäre Gruppen wie den deutschen bzw. den altösterreichischen Adel besonders wichtig. „Die lange Zugehörigkeit zur Herrenschicht war nicht einholbar. Der Adel postulierte eine zeitlose Elitequalität, die dem Einzelnen schon durch seine Familienmitgliedschaft anhaftete“, behaupten S. Marburg und J. Matzerath mit Blick auf den deutschen bzw. sächsischen Adel im 19. Jahrhundert.26 „Es gibt kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe, für die Familie einen so hohen Stellenwert hat wie der Adel, heute mehr noch als zu Zeiten der Monarchie, da der Adelige unserer Tage einen wesentlichen Teil seiner Identität aus seiner Herkunftsfamilie schöpft. Sie vermittelt ihm die Bestätigung seiner adeligen Geburt, die ihm in der Außenwelt fehlt. […] Nur im Rahmen der Familie kann man im Sinne seiner Traditionen leben“,

so Walterskirchen für den österreichischen Adel im 20. Jahrhundert.27 Die prinzipielle Bedeutung der adeligen Familie lässt sich eindeutig in das Bild der „Kette“ als Metapher für die Verbindung von adeligen Individuen aus unterschiedlichen Zeiten einordnen. Das Gedicht des neuromantischen Balladendichters Börries 24 Im 19. Jahrhundert und noch früher bildete die adelige Familie keine Produktionseinheit (im Gegensatz zu anderen traditionellen Familienformen). „Den Mittelpunkt adeligen Familienlebens bildete die ökonomische und politische Herrschaft über ihr Territorium, deren Sicherung und Ausdehnung die Repräsentation des Hauses und die Organisierung und Pflege von politischen und gesellschaftlichen Kontakten erforderte“; Heidi Rosenbaum, Formen der Familie, Frankfurt a. M. 1990, 19–20. 25 „Man wird in eine Familie hineingeboren, und die Familie steht am Anfang eines Lebensweges einer Person und weist dieser Person bestimmte Chancen zu. Die soziale Position einer Person innerhalb der Gesellschaft wird in erheblichem Maße nicht durch individuelle Befähigungen, sondern durch das familiäre Milieu beeinflusst“; Christoph Franke, Der bayerische und sächsische Adel im 19. und 20. Jahrhundert. Soziales Verhalten und soziale Strukturen, in: Schulz / Denzel (Hg.), Deutscher Adel, 347. 26 Marburg / Matzerath, Vom Stand zur Erinnerungsgruppe. Zur Adelsgeschichte des 18. und 19. Jahrhunderts, in: dies. (Hg.), Der Schritt in die Moderne, 14. 27 Walterskirchen, Adel in Österreich im 20. Jahrhundert, 17–18.

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Freiherr von Mönchhausen, der Selbstmord verübte („Alles ist die Kette – ich bin nur ein Glied“), verweist direkt auf das kollektivistische, familienbedingte adelige Selbstverständnis.28 Darüber hinaus war die adelige Familie „angesichts ihrer grundlegenden Aufgabe der Ausübung und Sicherung von Herrschaft wie des Erhalts des Besitzes über die Jahrhunderte hinweg zu einem Familientypus sui generis geworden“.29 Die Rolle der Familie war nicht nur in Zeiten der Herrschaft bzw. Mitherrschaft des Hochadels, d. h. vor 1918, von Bedeutung. Der Wert der Familie scheint auch in Zeiten der Bedrohungen und der Verluste für den mitteleuropäischen Adel, wie es die Jahrzehnte nach 1918 und vor allem nach 1945 waren, erhalten geblieben zu sein, ja sogar in vielen Fällen zugenommen zu haben. Conze behauptet hinsichtlich des deutschen Adels, stabile Familienstrukturen seien als Widerlager von Wandel und Modernisierung gerade in Zeiten rascher und tief greifender politischer und gesellschaftlicher Veränderungen von erheblicher Bedeutung gewesen.30 Der familiengeschichtliche Zugang erlaubt dem Historiker, die Wechselwirkungen zwischen den historischen Umständen im frühen 20. Jahrhundert und den adeligen Familienstrukturen bzw. der Realität der adeligen Familie in Mitteleuropa zu untersuchen. Dadurch lassen sich die familienbezogenen Möglichkeiten, die Perspektiven sowie die Grenzen im Leben der adeligen Individuen in einer Zeit der Umwälzungen beleuchten. Vor allem geht es aber in dieser familiengeschichtlichen Studie um die Lebensformen, die Kultur und die Selbstwahrnehmung des Adels, letztendlich um die „Adeligkeit“. Adelige Lebensformen und adelige Kultur haben sich als ideales Forschungsfeld erwiesen, wenn es um Fragen des Obenbleibens bzw. der Selbstbehauptung geht, und stellen einen unverzichtbaren Teil mehrerer Studien über den Adel dar,31 der sich mehr als andere soziale Gruppen als Gegenstand einer kulturhistorisch sensiblen Sozialgeschichte anbietet. Wie auch Conze feststellt: „Welche Gruppe könnte geeigneter sein als der Adel, Mechanismen von sozialer Inklusion und Exklusion, von Selbst- und Fremdpositionierung im sozialen Raum, der Produkti28 Vgl. hierzu Malinowski, Vom König zum Führer, 50 und Johannes Rogalla v. Bieberstein, Adelsherrschaft und Adelskultur in Deutschland, Limburg 1998, 174. 29 Vgl. hierzu Conze, Von deutschem Adel, 239. 30 Ebd., 17. „In Zeiten der Bedrohungen des Familienbesitzes, wie es in den ersten Jahren der Weimarer Republik wegen der bevorstehenden Auflösung der Fideikommisse der Fall war, gewann die Familie und ein ‚weit gespanntes Netz familiärer Beziehungen‘ eine zentrale Rolle“, behauptet Conze, ebd., 289. 31 Wie z. B. bei den Studien von Conze, Von Deutschem Adel, von Stekl, Österreichs Aristokratie im Vor‑ märz und Windisch-Graetz (zusammen mit Wakounig), und von Monique de Saint Martin, L’espace de la noblesse.

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on und Reproduktion von Kapital (Schumpeter, Bourdieu) oder die Kontinuität und den Wandel von Lebenswelten am konkreten historischen Beispiel zu studieren?“32

Die „kulturhistorische Erweiterung der Sozialgeschichte“33 liefert eine Erklärung für die in den letzten 20 bis 25 Jahren verstärkte Hinwendung zum Adel der letzten beiden Jahrhunderte seitens der Historiografie. Früher war der Adel des 20. Jahrhunderts bei den herrschenden historiografischen Trends der politischen Geschichte oder der sozialwissenschaftlichen Sozialgeschichte kaum bzw. nur marginal vertreten. Nach der Abschaffung seiner Privilegien und der Einführung des allgemeinen Wahlrechts war der Adel für eine konventionelle politische Geschichte, die die Zentralpolitik und die Protagonisten vor Augen führt, nicht besonders interessant. Auch eine auf sozioökonomische Strukturen und lang andauernde Prozesse gerichtete Sozialgeschichte räumte dem Adel des 19. und vor allem des 20. Jahrhunderts als einer „historisch überständigen“34 sozialen Formation lediglich einen Platz am Rand ein. Die Industrialisierung, die Bürokratisierung, die Verbürgerlichung, der Nationalismus und ähnliche Prozesse der Moderne ließen sich anhand der Forschung der Arbeiterschaft oder des Bürgertums ergiebig ergründen. In dieser Hinsicht kann die verstärkte Hinwendung zum Adel der letzten beiden Jahrhunderte als eine Korrektur der bisherigen Vernachlässigung durch die „kulturhistorische Erweiterung der Sozialgeschichte“ erklärt werden. Die Harrach und ihr Kreis stellen einen sehr interessanten Forschungsgegenstand dar, sowohl in Bezug auf die Abgrenzung gegenüber Nichtadeligen, vor allem Bürgerlichen und Mitgliedern des niederen Adels, als auch mit Blick auf die Reproduktion der das hochadelige Milieu zusammenhaltenden adeligen Kultur, wenn man ihre verschiedenen und zugleich etwas differenzierenden Facetten innerhalb der Familie bzw. des Verwandten- und Bekanntenkreises mitberücksichtigt. Solche Prozesse lassen sich anhand der Mobilität und der Reisen, der Wohnverhältnisse, des Alltags in der Stadt und auf dem Land, der Gastfreundschaft, der Geselligkeit und der Freizeit, der Konsumgewohnheiten, der Religiosität und der Wohltätigkeit des mitteleuropäischen Adels in einer für ihn schicksalhaften Umbruchphase, wie es die ersten drei Jahrzehnte des 20. Jahrhunderts waren, analysieren und identifizieren. Die Bedeutung und Aussagefähigkeit der adeligen Lebensweise zu unterstreichen und zu analysieren, genügt einem Adelshistoriker sicher nicht. Die Neigung zur Ex32 Eckart Conze, Deutscher Adel im 20. Jahrhundert. Forschungsperspektiven eines zeithistorischen Feldes, in: Schulz / Denzel (Hg.), Deutscher Adel, 20–21. 33 Vgl. hierzu Conze, Von Deutschem Adel, 12. 34 Ebd., 11.

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klusivität und die Pflege einer distinkten, meist althergebrachten Kultur seitens der meisten Adeligen sollten in einen historischen Kontext gestellt und entsprechend interpretiert werden. Verschiedene Erklärungen mögen hier genannt werden: die Bestrebungen des Adels, sich gegen ein expansives, finanziell starkes Bürgertum durchzusetzen, das soziale Prämierung und politischen Einfluss forderte;35 ihr Widerstand „gegen das Aufkommen neuer, am praktischen und ökonomischen Nutzen orientierter Wertmaßstäbe“;36 der Bedarf des Adels, sein arbeitsfreies Leben nicht nur auszufüllen, sondern auch schlechthin als „non-industriell“ zu demonstrieren bzw. durch hohen Aufwand und prächtige Repräsentation seine soziale Stellung zu zeigen;37 die strenge Kontrolle der weiblichen Aktivitäten zur Absicherung der Endogamie in aristokratischen Kreisen, vor allem bis 1914;38 der Widerstand gegen Informalisierungsund Individualisierungsschübe.39 Jedenfalls bemerkt Stekl in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Kluft zwischen Habitus und realer Position des österreichischen Adels.40 Es ist kein Zufall, dass Monique Saint Martin auf die äußerst hohe Bedeutung von symbolischem und sozialem Kapital bei den Adelsnachfahren in Frankreich im 20. Jahrhundert hinweist.41 Lebensstil und Kultur wirken also vielfach als Differenzierungsfaktor gegenüber den anderen bzw. als Homogenisierungsfaktor innerhalb der Sozialformation Adel. Die Distanz gegenüber anderen Milieus lässt sich bei verschiedenen Gelegenheiten entdecken: bei religiösen, politischen und sonstigen Zeremonien, bei Festen und Versammlungen oder auf Reisen und Besuchen bei Eltern oder Verwandten.42 Exklusivität und das Bewahren einer eigenen adeligen Kultur waren jedoch bis ins 20. Jahrhundert hinein keine Besonderheit Zentraleuropas und Frankreichs. Vielen Adeligen Englands, der Niederlande und Italiens gelang es, ihre distinkte Kultur und Lebensweise, ja ihr symbolisches Kapital lange nach der Abschaffung ihrer Privilegien zu erhalten.43 35 Ursula Becher, Geschichte des modernen Lebensstils. Essen – Wohnen – Freizeit –Reisen, München 1990, 33. 36 Hans Wilhelm Eckardt, Herrschaftliche Jagd, bäuerliche Not und bürgerliche Kritik, Göttingen 1976, 272. 37 Ebd., 281. 38 Lieven, The Aristocracy in Europe, 135. 39 Hannes Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung. Österreichs Hocharistokratie vom 18. bis ins 20. Jahrhundert, in: Wehler (Hg.), Europäischer Adel, 162. 40 Ebd. 41 Monique de Saint Martin, Der Adel. Soziologie eines Standes, Konstanz 2003, 27. 42 Ebd., 91–92. Über die Kultur des französischen Adels im 19. Jahrhundert siehe David Higgs, Nobles in Nineteenth Century France: The Practice of Inegalitarianism, Baltimore/London 1987, 217–219. 43 Vgl. hierzu Cannadine, The Decline, 557–559; Jaap Dronkers / Huibert Schijft, The Transmission of

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Lebensformen und Kultur dürften übrigens nicht nur auf Exklusivität und Distinktion gegenüber anderen Sozialformationen, sondern auch auf Differenzierungen innerhalb des Adels, zwischen dem Hoch- und dem niederen Adel, ja sogar innerhalb einer gräflichen Familie zwischen Erst- und Nachgeborenen, zwischen Söhnen und Töchtern, Jungen und Alten hingedeutet haben. Malinowski liefert uns das Beispiel des Deutschen Reichs und der Weimarer Republik, wo die Trennlinien zwischen Hoch- und Kleinadel durch die bescheidenen Lebensverhältnisse und die Kultur der Kargheit im Kleinadel, die sich über Generationen hinzog, ziemlich scharf gezogen wurden.44 Selbst im republikanischen Frankreich, wo der Unterschied zwischen Schwertadel und Amtsadel schon seit dem 18. Jahrhundert an Bedeutung verloren hatte, war, so Saint Martin, die Diskrepanz zwischen einer sehr begüterten Hocharistokratie und einem eher verarmten, ländlichen Kleinadel zum Teil bis in die Nachkriegszeit erhalten geblieben und hatte sich durch Unterschiede im Lebensstil ausgedrückt.45 Die Studie erstreckt sich von 1884 bis 1945. In dieser Zeitspanne forderte eine Vielfalt von Situationen, Umwälzungen und Herausforderungen das Leben und die Stellung der Familie Harrach wie ihrer Standesgenossen heraus: die „Belle Époque“ der Oberschichten vor dem Ausbruch des Weltkriegs, die Einführung des allgemeinen Wahlrechts in den österreichischen Kronländern (1896) bzw. die Abschaffung des Kuriensystems bei den Reichsratswahlen (1907), der Erste Weltkrieg, der Zusammenbruch der Habsburgermonarchie und die Entstehung neuer Staaten (1918), das Verschwinden des Hofes, das Verbot der Adelsprädikate sowie die Bodenreform der 1920er-Jahre, der Aufstieg des Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg und der Kommunismus. Der untersuchte Zeitraum ist aber auch konkret für die Harrach von Bedeutung. Im Jahr 1884 übernahm Johann Nepomuk die Führung der jüngeren (der Prugger oder böhmischen) und bedeutendsten Harrach’schen Linie des österreichischen Zweiges, und zwei Jahre später wurde unter ihm die jüngere mit der älteren (Rohrauer) Linie wegen Erlöschens der letzteren mit dem Tod des kinderloElite Positions among the Dutch Nobility during the 20th century, in: Conze/Wienfort (Hg.), Adel und Moderne, 68–69, 78; Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy, 4–5, 9–10, 126–127; Jens Petersen, Der italienische Adel 1861 bis 1946, in: Wehler (Hg.), Europäischer Adel, 253–254. 44 Konkrete Auswirkungen der Kargheitskultur auf die Formen adeliger Geselligkeit sind vor allem nach dem Ersten Weltkrieg festzustellen, wie z. B. billiges Mittagessen für die weniger bemittelten Angehörigen der Deutschen Adelsgenossenschaft im „Kurmärkerklub“ oder winterliche Bälle des Klubs, eine Art „Hofballersatz“ in Kreisen des Landadels. Es geht nämlich bei dieser kleinadeligen Kultur der Kargheit um eine „adelsspezifische Mischung ländlicher, ritterlicher, christlicher und militärischer Leitmotive, die als Ensemble einen konstitutiven Teil der Adeligkeit ausmachen“; Malinowski, Vom König zum Führer, 94, 96, 595. 45 Saint Martin, Der Adel, 15.

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sen Anton Leonhard XI. (1815–1886) vereint.46 Das Jahr 1945 stellte insofern eine bedeutsame Zäsur in der Familiengeschichte dar, als die Harrach aus der Tschechoslowakei vertrieben wurden und ihr dortiger Großgrundbesitz bzw. ihr an die ČSR gebundenes Vermögen konfisziert wurde und zudem der 41‑jährige Familienvorstand Johann Harrach als Kriegsgefangener in Deutschland starb, ohne einen volljährigen Nachfolger zu hinterlassen. Meiner Forschung liegt überwiegend Material aus dem im Allgemeinen Verwaltungsarchiv (Österreichisches Staatsarchiv) in Wien deponierten Familienarchiv Harrach zugrunde.47 Zusätzlich machte ich mir einen Teil des im Mährischen Landesarchiv in Brünn aufbewahrten Schriftguts des Bestands „Familienarchiv Harrach“ zunutze, der unter anderem die persönliche Hinterlassenschaft der Familien von Alfred (Johann Nepomuks Bruder) und seinem Sohn Franz als Eigentümer von Velké Meziříčí und Janovice, nicht aber als Oberhäupter der Harrach, enthält,48 während die Indizes ausgewählter auf tschechisch verfasster Hauptbücher der Herrschaft Jilemnice von 1910 bis 1935 aus dem Staatsarchiv Zarmsk in Ostböhmen im Kapitel über den Besitz und die Wirtschaft der Harrach berücksichtigt worden sind. Der überwiegende Teil des zum Zweck der vorliegenden Studie benutzten Materials aus dem Allgemeinen Verwaltungsarchiv besteht aus Briefen, die an die drei Oberhäupter der Familie von 1884 bis 1945, vor allem aber an Otto Harrach (Oberhaupt der Familie von 1909 bis 1935) addressiert waren.49 46 Die ältere Linie zu Rohrau wurde von Leonhard VII. Karl (1594–1644) und die jüngere Linie zu Prugg an der Leitha von seinem Bruder Otto Friedrich Harrach (1610–1639) gestiftet, während unter Ferdinand Joseph (1763–1841), dem vierten Sohn von Ernst Guido (1723–1783), der Preußische Zweig der Harrach entstand. Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 972 und Gothaischer Genealogischer Hofkalender 1905, 131–132. 47 Es geht um das Archiv der Vorstände der Familie. Wien als Sitz des eigentlichen Familienarchivs Harrach wurde übrigens bereits unter Johann Nepomuk im ausgehenden 19. Jahrhundert gewählt. Mit der Archivverwaltung – und dem Titel Archivdirektor – und zugleich mit der Funktion des Bibliothekars wurde der hervorragende Historiker Prof. Ferdinand Menčík (1853–1916) betraut, der von 1898 bis 1912 in den Diensten der Harrachs in Wien tätig war. Vgl. Oldřich Turčín / V. Bečvářová, Velkostatek [Herrschaft] Sadová 1599–1948, Inventar, I–IV und Erik Bouza / Jarmila Moravcová, Velkostatek [Herrschaft] Jilemnice 1661–1947, Inventar, I–III, beide herausgegeben von Státni archiv [Staatsarchiv] Zámrsk, 1963. 48 Vgl. Anna Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů [Familienarchiv Harrach] 1649–1949, Inventar, Státní oblastní archiv v Brně [Staatsgebietsarchiv in Brünn] (SOAB), 1986. Ich habe dabei 248 an Franz bzw. an seine Eltern Alfred und Anna Harrach von ihren Verwandten Johann, Otto und Ernst Harrach sowie Gabriele Marenzi, geborene Gräfin Harrach, abgesendete Briefe sowie 64 von Franz an seinen Vater Alfred adressierte Briefe untersucht. 49 Dies hängt zum einen mit der Tatsache zusammen, dass die Korrespondenzbestände von Otto die vollständigsten waren, die meiner Forschung zur Verfügung standen, und zum anderen damit, dass Otto die Familienschicksale vor, während und nach dem Ersten Weltkrieg lenkte, was seinem Fall

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Die Korrespondenz gibt Einblick in ein breites Spektrum von Themen wie Familienbeziehungen bzw. Rollen und Angelegenheiten innerhalb der Familie, Wirtschaftsfragen, Reisen und Gastaufenthalte, Alltag und Geselligkeit, Frömmigkeit, Wohltätigkeit und Selbstwahrnehmung. Der Briefverkehr dürfte gewissermaßen auch die Denkweise, die Gefühle, die Ängste und die Werte der Briefabsender und ‑empfänger offenbaren, obwohl diese vermittelt und in einem bestimmten Wert- bzw. Verhaltenskontext zum Ausdruck gebracht werden. Dank der großen Anzahl an Briefen und der Dichte der Korrespondenz kann anhand der auf drei Zeitebenen bezogenen Briefzeit der Lebensablauf der Personen zuverlässig rekonstruiert werden. Die Briefe berichten darüber, was geschehen ist, was gerade stattfindet und was noch kommen wird – sie geben damit Aufschluss in einer Weise, die hilft, die historische Wahrheit besser herauszuarbeiten. Dazu tragen auch die acht zwischen 1892 und 1916 verfassten Tagebücher von Otto Harrach bei, obwohl die Eintragungen einer gewissen Vollständigkeit bzw. Sorgfalt entbehren. Gerade beim Adel ist der Brief zum Teil keine private, sondern eine adelig-öffentliche Angelegenheit, wie die Briefforschung in England gezeigt hat. Familienbriefe wurden oft von anderen Angehörigen gelesen, bevor sie abgeschickt wurden.50 Die ganze Familie Harrach stellt sich als eine stets miteinander korrespondierende Einheit vor. Otto Harrach wurde als Familienoberhaupt und schon früher als Erbanwärter oft von seinen Schwestern über Briefe verschiedener Angehöriger informiert oder nach Nachrichten von den Geschwistern gefragt. Susan Whyman verweist auf die vielfältigen Aspekte der Briefsammlungen von wohlhabenden Familien der englischen upper gentry des 18. Jahrhunderts und die zentrale Rolle des Familienoberhaupts sowohl als Briefschreiber als auch als Adressat.51 In diesem Sinne erweist sich die Familienkorrespondenz als eine ziemlich zuverlässige Quelle. Man konnte nicht leicht lügen, da jede Auskunft von anderen Briefen innerhalb der Familie, der Verwandtschaft bzw. der übrigen adeligen Gesellschaft verifiziert oder falsifiziert hätte werden können. Eine Korrespondenz stellt nicht nur eine wertvolle Quelle dar. Sie bildete auch eine Lebensgewohnheit, um nicht zu sagen eine Alltagspflicht, vor allem für Eheleute bei häufiger Abwesenheit des Ehemannes. Je nach Briefschreiber bzw. Adressat wurden ein paar Stunden täglich dem Schreiben von Briefen gewidmet, die in der Regel drei bis vier, bei Bedarf auch bis zu sechs oder acht kleinformatige A6-Briefpamehr Aussagekraft für die Hauptfragestellung der Arbeit – die Frage nach dem Adel in Umbruchzeiten – verleiht. 50 Vgl. hierzu Rebecca Earle, Introduction: letters, writers and the historian, in: dies. (Hg.) Epistolary Selves. Letters and Letter-Writers, 1600–1945, Aldershot 1999, 7. 51 Susan Whyman, Paper visits: the post-Restoration letter as seen through the Verney family archive, in: Earle (Hg.), Epistolary Selves, 17.

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pierseiten umfassten. Das Versäumen der Korrespondenz rief Beschwerden von allen Seiten hervor, vor allem bei Frauen. Bisweilen wurde der Druck, den Erwartungen an das Briefeschreiben nachzukommen, belastend, wie es für Karoline Öttingen kurz vor ihrer Hochzeit der Fall war: „Ich habe heute so entsetzlich viel zu tun und zu schreiben“52, teilte sie ihrem Verlobten mit. Gabriele Marenzi schrieb im April 1904 an ihren Bruder: „Seit langem nicht etwas direkt von Dir hörend weiß ich eigentlich nicht ob ich Dir oder Du mir einen Brief schuldig bist. Eines weiß ich, dass ich seit langem Deine Schrift nicht gesehen habe außer auf der Postkarte“, während ihre nachrichtenhungrige Schwester Maria Theresia die Schreibfaulheit ihrer Schwägerin (Frau ihres Stiefbruders Ernst) bzw. ihrer Schwester Margarethe mitten im Ersten Weltkrieg kritisierte: „Die verschiedenen Familiennachrichten interessieren mich sehr … Elisabeth ist schreibfaul wie gewöhnlich, Marga ist rasend schreibfaul geworden.“53 Jedenfalls hatte ein gut geschriebener Brief über dessen bildenden Charakter hinaus einen Stabilisierungseinfluss auf die Familienbeziehungen und trug neben der Herstellung von individueller Identität zur Konstruktion einer kumulativen Familienidentität bei.54 Neben der Familienkorrespondenz habe ich im Herbst 2004 zwei Gespräche mit Stephanie Harrach, geborene Gräfin Eltz (verstorben im Jahr 2011), und ihrem Hausverwalter, dem Grafen Arco-Zinneberg, sowie im Herbst 2008 ein Gespräch mit Ernst Leonhard Harrach, dem Sohn von Ottos Stiefbruder Ernst, geführt. Ihre Aussagen, die hier kritisch berücksichtigt werden sollen, sind besonders für die Zwischenkriegszeit, die bezüglich der Harrach spärlicher an Quellen zu sein scheint, sehr wertvoll. Vor allem aber sind diese Interviews für die Selbstwahrnehmung und den Diskurs innerhalb des Adels sowie für die Konstruktion des Selbstbildes bzw. der „ewigen“ und noch heute überlebenden adeligen Identität aussagekräftig. Die Studie stützt sich zusätzlich auf eine Reihe von Dokumenten, Akten und veröffentlichten Quellen, die uns wertvolle Angaben zum Familienvermögen, zum Großgrundbesitz, zur Wirtschaftsführung, zu den Erbangelegenheiten und zum Einkommen der Familienangehörigen liefern: die Wirtschaftskorrespondenz mit Har52 Karoline Öttingen an ihren Verlobten Otto Harrach, Petersburg 12.11.1901, 9. und 12.12.1901, in: AVA, FAH, Kt. 856. 53 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Kolomea, 16.4.1903 und Maria Theresia Wisniewski, Lemberg, 26.6.1916, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 54 Whyman, Paper visits, 20. Siehe auch Christa Hämmerle / Edith Saurer, Frauenbriefe – Männerbriefe? Überlegungen zu einer Briefgeschichte jenseits der Geschlechterdichotomien, in: dies. (Hg.), Briefkulturen und ihr Geschlecht. Zur Geschichte der privaten Korrespondenz vom 16. Jahrhundert bis heute, Wien/Köln/Weimar 2003, 26. Die vorliegende Studie kann auch zur Forschung der Frauenkorrespondenz beitragen, die bisher kaum Gegenstand der Briefkulturforschung gewesen ist; ebd., 11–22.

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rachs Zentraldirektor und Rechtanwalt, Bankunterlagen, Rohbilanzen, Kassa-Konten, Ehekontrakte, Testamente und Verlassenschaften sowie topografisch-statistische bzw. Beamten-Schematismen des Großgrundbesitzes in Böhmen, in Mähren sowie in Nieder- und Oberösterreich. Die Arbeit gliedert sich in sieben Kapitel. Im ersten Kapitel geht es um die Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste innerhalb der Familie Harrach. Dabei werden die Hierarchie, die Verantwortung des Familienoberhaupts und Hausvorstands für die Funktion und den Zusammenhalt, den wirtschaftlichen Rückhalt, die Moralerhaltung sowie die Vertretung der Familie nach außen, aber auch die Bedeutung und die Rolle der übrigen Familienangehörigen angesprochen. Das Heiratsverhalten im Rahmen der adeligen Endogamie, die Stellung der bzw. die Herausforderungen an die Ehefrau, vor allem an jene des Familienoberhaupts, die ehelichen sowie die Eltern-Kinder-Beziehungen, die Zwänge und Möglichkeiten der geschlechtsspezifischen und jedenfalls standesgemäßen Erziehung und Ausbildung, die Familienrituale und die Solidaritätsformen sowie die Schattenseiten werden ebenfalls in diesem Kapitel aufgegriffen. Das zweite Kapitel bezieht sich auf die wirtschaftliche Grundlage der Familie: den Besitz und seine Bewirtschaftung, das Vermögen und das Einkommen. Es wird nach dem Umfang und dem Erwerbsprozess des Harrach’schen Großgrundbesitzes in Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn), dem Anteil und der Bedeutung von Fideikommiss- und Allodbesitz, der Betroffenheit des Harrach’schen Großgrundbesitzes von den Bodenreformgesetzen der Tschechoslowakischen Republik gefragt (2.1). Die Flächenstruktur und -verteilung des Harrach’schen Grundbesitzes, die Art der Bewirtschaftung (Eigenregie vs. Verpachtung), die Größe, die Kapazität und die finanzielle Lage der landwirtschaftlichen, industriellen und sonstigen Familienbetriebe, die Anzahl und Zusammensetzung des Personals sowie das Selbstverständnis der Harrach als Großgrundbesitzer stellen weitere Punkte des Kapitels dar (2.2). Das Familienvermögen sowie die Einkünfte der auf Apanagen angewiesenen Familienangehörigen, vor allem aber des jeweiligen Oberhaupts als Hauptnutznießer werden im letzten Unterkapitel angesprochen (2.3). Das dritte Kapitel befasst sich mit den Wohnverhältnissen der Harrach bzw. den Wohnsitzen in und den Umzügen zwischen ihren Landschlössern und Stadtpalais sowie mit den Reisen und Kuraufenthalten der Harrach innerhalb und außerhalb der Habsburgermonarchie als Zeichen eines äußerst exklusiven Lebensstils. Im vierten Kapitel befassen wir uns mit den übrigen Aspekten ihres Alltags, ihres Lebensstils und ihrer Geselligkeit, sei es auf dem Lande oder in der Stadt, privat, im engeren Kreis oder in breiteren Gesellschaften. Dazu zählen etwa Klavierspielen, Lesen und Dilettieren, Tennis, Reiten und Autofahrten, Soireen und Bälle, Opern- und Theaterbesuche sowie die adelstypische Jagdtätigkeit.

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Das fünfte Kapitel stellt die Frage nach dem Selbstverständnis und der Positionierung: der Geschlossenheit, Verbundenheit und Vernetzung innerhalb der Familie, der Verwandtschaft und des adeligen Standes, der Einstellung zu bzw. Abgrenzung gegenüber den anderen (Bürgertum, Bauern, Volksschichten), der Binnendifferenzierung, den adeligen Werten und Verhaltensidealen sowie dem Verhältnis zur Vergangenheit und Gedächtniszäsuren. Im sechsten Kapitel geht es um Ausdrucksformen der Religiosität und Wohltätigkeit, die als Bestandteile der Identität und des Selbstverständnisses des Adels gelten. Frömmigkeitsaspekte bzw. vielfältige Beziehungen zur katholischen Kirche und zu deren Würdenträgern bis auf höchster Ebene einerseits, das umfangreiche und vielfältige Engagement für Mitmenschen und Spenden für gemeinnützige Zwecke im Krieg und Frieden andererseits kommen zur Sprache. Die politische Gesinnung und Betätigung der Harrach, in erster Linie von Johann Nepomuk (1828–1909), einem der bedeutendsten konservativen Politiker im alten Österreich, der im Rahmen seines kaiserlichen und österreichischen Patriotismus einen ehrlichen deutsch-tschechischen Ausgleich erstrebte, des Weiteren aber auch von seinem Sohn Otto, der sich von 1917 bis 1919 im Bereich der katholisch-konservativen Presse als Mitherausgeber neuer Blätter politisch aktiv erwies, bilden den Gegenstand des siebten Kapitels. Die Grafen Harrach: eine historische Familie

Bei den Grafen Harrach wird uns ein relativ zuverlässiger Einblick in die Welt der altösterreichischen bzw. erbländischen Aristokratie (vor allem Niederösterreichs und der böhmischen Länder) ermöglicht. Es geht um eine hoffähige Familie, die Herrschaften in mehreren Kronländern der Monarchie besaß, die katholisch-konservativ und kaisertreu war. Die Harrach zählten zu den Magnaten Böhmens, Mährens und Niederösterreichs, die den Übergang von der Grundherrschaft zum Großgrundbesitz nach der Grundentlastung von 1848 durch die Investition ihrer Grundentlastungskapitalien in Landwirtschaft, Eisenbahnbauten, Industrieunternehmungen und Banken im Großen und Ganzen erfolgreich bewältigten und trotz der Abschaffung ihrer patrimonialen Rechte sowie ihres privilegierten Gerichtsstandes und gewisser Ehrenvorzüge wie der Befreiung vom Militärdienst ihre Stellung als lokale bzw. regionale Elite – teilweise auch auf Staatsebene – bis zur Auflösung Österreich-Ungarns behaupten konnten.55 55 Über gewisse Merkmale des böhmischen bzw. niederösterreichischen Adels vgl. Wank, Aristocrats and Politics in Austria, 136–140. Insbesondere für die böhmische Aristokratie siehe Otto Urban, Die

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Abb. 1: Säule mit Harrach’schem Wappenschild in Stěžery (bei Königgrätz)

Bei den Harrach handelt es sich um ein uradeliges böhmisches Geschlecht, dessen ununterbrochene Ahnenreihe im frühen 14. Jahrhundert mit dem 1338 verstorbenen Dietrich von Harrach in Oberösterreich beginnt.56 Der große Aufstieg des Hauses begann 1524 nach der Erwerbung der Herrschaft Rohrau in Niederösterreich. Die Harrach erhielten 1550 den österreichischen, 1552 den Reichsfreiherrenstand; 1563 wurden sie ungarische und 1577 böhmische Herren, 1627 schließlich Reichsgrafen.57 tschechische Gesellschaft 1848 bis 1918, Bd. I., Wien/Köln/Weimar 1994 (1. Aufl. auf Tschechisch Prag 1982), 700. Für einen Überblick über den Hochadel in der dualistischen Ära siehe Godsey, Quarterings and Kinship, 56–104. Vgl. auch Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 157–164. 56 Gothaischer Genealogischer Hofkalender 1915, 134. Ulrich Graf Arco-Zinneberg zufolge ist die ursprüngliche Herkunft der Familie Harrach nicht genau geklärt, „dennoch lässt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit sagen, dass das Geschlecht der Harrach über Bayern nach Oberösterreich kam und ein Zweig der Familie sich erst später in Südböhmen ansiedelte“; Schloß Rohrau. Graf Harrach’sche Familiensammlung, hg. von Schloßmuseum Rohrau, Graf Harrach’sche Gemäldegalerie, 2000, 7. 57 Ebd., 1905, 131–132; Adelslexikon, Bd. IV (Genealogisches Handbuch des Adels, Bd. 67), Limburg a. d. Lahn 1978, 448–449; Ernst-Heinrich Kneschke, Deutsches Adels-Lexikon, Bd. 7, Leipzig 1867, 206–208.

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Abb. 2: Harrach’sches Wappenschild von dem Sturz der Patronatskirche der Harrach in Stěžery (bei Königgrätz)

Die Grafen Harrach des späten 19. bzw. frühen 20. Jahrhunderts, die im Zentrum der vorliegenden Studie stehen, hatten bedeutende Vorfahren, die zum sozioökonomischen und politischen Aufstieg des Hauses seit dem 16. Jahrhundert wesentlich beigetragen hatten und dem Familiennamen Ehre, Glanz und Nachruhm bescherten:58 Ritter Leonhard III. von Harrach († 1527) war der Hofkanzler Erzherzog Ferdinands I. und leistete einen wesentlichen Beitrag zur Erwerbung Böhmens und Ungarns im Jahr 1526. 1524 kaufte er die Herrschaft Rohrau in Niederösterreich und erhielt den Herrenstand.59 58 Kurz gefasste Angaben zu Mitgliedern der Familie ab dem 15. Jahrhundert sind zu finden bei: Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 972; Österreichisches Sil‑ bernes Kreuz im Januar 1917, in: AVA, FAH, Kt. 972, Biographisches zur Familie; Heribert Sturm (Hg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. I, München/Wien 1979, 537–539; Deutsche Biographische Enzyklopädie (hg. von Walther Killy und Rudolf Vierhaus), Bd. 4, München/New Providence/London/Paris 1996, 394–395; Georg Heilingsetzer, Die Harrach. Ihre Stellung in Politik, Wirtschaft und Kultur des alten Österreich, in: Palais Harrach. Geschichte, Revit‑ alisierung und Restaurierung des Hauses an der Freyung in Wien, hg. v. Österreichische Realitäten-Aktiengesellschaft, Linz 1995, 81–84. 59 Enkel Leonhards I. von Harrach († 8.1.1461), Stifters der älteren Harrach’schen Hauptlinie in Niederösterreich, erste Hälfte des 15. Jahrhunderts.

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Leonhard IV. von Harrach (1514–1590), kaiserlicher Geheimrat, Obersthofmeister und Oberstkämmerer, wurde durch ein Diplom Kaiser Karls V. vom 4. Januar 1552 mit dem gesamten Geschlecht in den Reichsfreiherrenstand erhoben. 1559 erhielt er von Kaiser Ferdinand I. das Erbland-Stallmeisteramt in Österreich unter der Enns für sich und seine Manneserben, und 1566 wurde er von Kaiser Maximilian II., der ihm und seinem Sohn Leonhard im Jahr 1564 die Herrschaft Prugg an der Leitha in Niederösterreich als Pfand gegeben hatte, in den Herrenstand in den gesamten Erbkönigreichen mit dem Titel „Freiherr zu Rohrau“ erhoben. Karl Max von Harrach (1570–1628) bekleidete hohe Hofämter und wurde 1627 mit seinem ganzen Geschlecht von Kaiser Ferdinand II. in den erblichen Reichsgrafenstand erhoben bzw. erhielt das Erbland-Stallmeisteramt in Österreich ob der Enns für sich und seine Manneserben. Er wurde 1623 Schwiegervater des berühmten Generals Albrecht von Wallenstein. Karls Sohn Ernst Adalbert (1598–1667) wurde mit 25 Jahren Erzbischof von Prag und erhielt 1626 die Würde eines Kardinals. Er machte sich um eine friedliche Rekatholisierungspolitik sowie um den Wiederaufbau der Kirchenverwaltung in den böhmischen Ländern verdient. Ferdinand Bonaventura I. (1636–1706) diente 1673–1697 als Botschafter am spanischen Hof. 1699 wurde er Obersthofmeister und Direktor des kaiserlichen Geheimen Staats-Konferenzrats. Während seiner Amtszeit in Madrid begann er Gemälde bei Auktionen und Kunsthändlern zu kaufen und legte somit den Grundstein für die weltberühmte Gemäldesammlung der Harrach und die bis in das späte 19. Jahrhundert andauernde Sammlertradition durch die Mitglieder des Hauses.60 Sein Sohn Aloys Thomas Raimund (1669–1742) war Landmarschall von Niederösterreich, Generaloberst, ebenfalls lange Zeit Gesandter am Hof von Madrid und von 1728 bis 1733 Vizekönig von Neapel. Als Bildersammler schuf er das beeindruckendste Ensemble neapolitanischer und süditalienischer Barockmalerei nördlich der Alpen, während er 1712 auf seiner sich in Böhmen befindlichen Herrschaft Starkenbach eine Glashütte in Neuwelt errichtete, die für ihre Erzeugnissen weltberühmt wurde.61 Ferdinand Bonaventura II. (1708–1778), Reichshofrats-Präsident, blieb dem hochrangigen Auslandsdienst seines Vaters und Großvaters treu und diente von 1747 bis 1750 als Generalstatthalter der Lombardei in Mailand. 60 Zur Entstehung und Entwicklung der Graf Harrach’schen Gemäldesammlung siehe Schloß Rohrau, 10–22. 61 Ebd., 18, 21. Durch die Heirat des Grafen Aloys Thomas Raimund mit Gräfin Cäcilie Thannhausen, der Erbtochter des letzten Grafen dieses Namens, wurde den Harrach 1708 die Namens- und Wappenvereinigung mit „Thannhausen“ bewilligt.

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Friedrich August (1696–1749) sammelte während seines Dienstes in den Niederlanden als Obersthofmeister und Oberstkämmerer am Hof der Erzherzog-Statthalterin Maria Elisabeth in Brüssel sowie als Statthalter der österreichischen Niederlande Werke von Künstlern des Landes und bereicherte somit die Harrach’sche Familiensammlung durch ein sorgfältig ausgewähltes Ensemble holländischer und flämischer Meister des 17. Jahrhunderts wesentlich.62 Der Vizekönigsenkel Graf Karl Borromäus (1761–1829), Ehrenritter des Johanniterordens und seit 1806 des Deutschen Ordens, war ein hervorragender Gelehrter und Doktor der juridischen und medizinischen Fakultät – zu jener Zeit für einen Angehörigen der Aristokratie eine außerordentliche Seltenheit. Während seiner weiten Reisen knüpfte er Kontakte zu allen wissenschaftlichen Größen seiner Zeit und übte im letzten Vierteljahrhundert seines Lebens seine ärztliche Praxis zugunsten der Armen sowie eingekerkerter und entlassener Sträflinge in Wien unentgeltlich aus.63 Johann Nepomuk Ernst (1756–1829) widmete sich nach seinem Staatsdienst von 1785 bis 1792 als Reichshofrat der Administration seiner Güter, auf denen er die Leinwaren‑, Eisen- und Glasindustrie zur Blüte brachte. Auf den Spuren seines Vaters wandelnd, zeichnete sich auch Franz Ernst Harrach als ein unternehmungsfreudiger Güterbesitzer aus, der 1848 sogar zum Generaldirektor des Vereins zur Ermunterung des Gewerbegeistes in Böhmen ernannt wurde.64 Außerhalb der vorgenannten Harrach, die überwiegend Mitglieder der jüngeren, der sogenannten Prugger oder böhmischen Linie waren, gab es auch zwei nennenswerte Fälle aus dem schlesisch-preußischen Zweig, der sich Ende des 18. Jahrhunderts vom österreichischen abspaltete. Es ging zunächst um eine Frau, die schöne und geistvolle Gräfin Auguste von Harrach (1800–1873), von ihrem Gemahl zur Fürstin von Lignitz erhoben, die mit König Friedrich Wilhelm III. von Preußen in morganatischer Ehe vermählt war, und des Weiteren um einen hervorragenden Maler, den königlich preußischen wirklichen Geheimen Rat Professor Graf Ferdinand Harrach (1832–1915), gleichsam geschätzt als Historienmaler, Landschaftsmaler und Porträtist, der zwischen 1862 und 1892 mehrmals die Berliner Akademie-Ausstellung und ab 1895 die Große Berliner Kunstausstellung beschickte. Die Familie Harrach bot so über vier Jahrhunderte das Bild eines Geschlechts, das berühmte Feldherren, Staatsmänner, Kirchenfürsten, wissenschaftliche Forscher, 62 Ebd., 22. 63 Von 1814 bis 1829 diente er als unbezahlter Primararzt im Institut der Elisabethinerinnen in Wien und vermachte sein Vermögen den Armenanstalten Wiens. Vgl. dazu ÖBL, Bd. II, 191. 64 Ralph Melville, Adel und Revolution in Böhmen. Strukturwandel von Herrschaft und Gesellschaft in Österreich um die Mitte des 19. Jahrhunderts, Mainz 1998, 205–206.

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Künstler und weitblickende Landwirte und Förderer der Industrie umfasste. Was die Grafen und die gebürtigen oder vermählten Gräfinnen Harrach betrifft, die Gegenstand der vorliegenden Studie bilden und zwischen 1884 und 1945 von drei Hausvorständen regiert und vertreten wurden (Johann Nepomuk, Otto und Hans), lassen sich zunächst folgende biografische Angaben der in Frage kommenden Familienangehörigen festhalten: Der berühmteste Harrach des 19. und frühen 20. Jahrhunderts war Graf Johann Nepomuk, der 1828 in Wien als erster Sohn von Franz Ernst geboren wurde. Johann ist zwar ein typischer Vertreter des Hoch- bzw. Hofadels mit standesgemäßen Ehrenämtern, Funktionen und Auszeichnungen wie die meisten seiner Vorfahren gewesen: Er wurde 1856 Kämmerer, 1886 k. u. k. geheimer Rat und 1896 Ritter des goldenen Vlieses, während er überdies k. u. k. Major a. D. sowie Oberst-Erblandstallmeister in Nieder- und Oberösterreich war. Zudem wurde Johann 1865 Landtagsabgeordneter in Böhmen, von 1879 bis 1885 Reichsratsabgeordneter für einige Landgemeinden des Bezirks Königgrätz und war seit 1884 erbliches Mitglied des Herrenhauses des österreichischen Reichsrates. Er war ferner Ehrenritter des souveränen Johanniter-Ordens und Ritter des kaiserlichen russischen Sankt-Anna-Ordens, während ihm das Großkreuz des königlichen spanischen Isabella-Ordens, das Großkreuz des königlichen sächsischen Albrecht-Ordens sowie der Großherzoglich Toskan’sche Zivilverdienstorden verliehen wurde.65 Vor allem aber zeichnete sich Johann Nepomuk durch sein lebenslanges Engagement und seine Pionierrolle als großer Förderer der tschechischen Kultur und Bildung, des Schulwesens und der Wirtschaft in Böhmen und besonders in Wien aus, wo er große Verdienste um die Errichtung tschechischer Schulen erwarb.66 Seine führende Rolle lässt sich an den Spitzenpositionen ablesen, die Johann in verschiedenen Institutionen, Gesellschaften und Vereinen einnahm. In den 1890er-Jahren war er unter anderem Präsident des Landesmuseums im Königreich Böhmen, der k. k. Gartenbau-Gesellschaft, der Modernen Galerie für Böhmen, der Bank Slavia, der Böhmischen Kommerzialbank, des Exportvereins für Böhmen, Mähren und Schlesien und der Lokalbahn Starkenbach-Rochlitz. Er war auch als Mitglied des Kurato65 Ignaz Tittel, Schematismus des Großgrundbesitzes und größerer Rustikalgüter im Königreiche Böh‑ men, Prag 1900, 170; Sturm (Hg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, 539. 66 Sein wichtigstes Verdienst um die Wiener Tschechen war die Gründung des Schulvereins Komenský im Jahr 1872, der zum zentralen Verein des Wiener Tschechentums wurde − sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg. 1883 wurde auf seine Initiative die erste tschechische Komenský-Volksschule mit einem angeschlossenen Kindergarten im 10. Wiener Gemeindebezirk eröffnet. Siehe Karl Brousek, Wien und seine Tschechen, München 1980, 16.

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Abb. 3: Johann Nepomuk Graf von Harrach

riums des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie sowie als Präsident des Brauindustrievereins tätig.67 Johann Nepomuks erste Gemahlin war Maria Margarethe Fürstin von Lobkowitz, Herzogin zu Raudnitz (1837–1870), die bis zu ihrem Tod im Alter von 33 Jahren sechs lebensfähige Kinder zur Welt brachte: 1) Graf Karl (1857–1920), dem das Erbrecht wegen „Geisteskrankheit“ zugunsten Ottos aberkannt wurde; 2) Gräfin Anna (1858–1938), vermählt 1898 mit Gottlieb Freiherr Henn von Henneberg-Spiegel († 1934), Großgrundbesitzer in Hradek bei Schüttenhofen und Hartenberg in Böhmen; 3) Gräfin Gabriele (1859–1942), vermählt 1893 mit Gabriel Graf Marenzi von Tagliano und Talgate († 1934), k. u. k. Kavallerieoffizier (Oberstleutnant), wohnhaft ab 1905 in Lemberg, in Olmütz und in Wels (OÖ); 4) Erbgraf Otto (1863–1935), vermählt 1902 mit Prinzessin Karoline zu Oettingen (1873–1959) (siehe zu ihm weiter unten); 5) Gräfin Maria Theresia (1866–1947), vermählt 1896 mit Graf Stanis67 Sturm (Hg.), Biographisches Lexikon, 539; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 2, Graz/Köln 1959, 190–191; Brousek, Wien und seine Tschechen, 20–21.

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laus Wisniewski († 1940), einem polnischen Großgrundbesitzer und Hausvorstand aus Galizien, der Güter und Schlösser in Krystynopol und Krojnewice Zužel (Galizien) sowie in Rena (Russland), besaß; 6) Gräfin Margarethe (1870–1935), vermählt 1893 mit Prinz Franz Windisch-Graetz (1867–1947).68 Aus seiner zweiten Ehe (1878) mit Maria Theresia Prinzessin Thurn und Taxis (1856–1908) bekam Johann Nepomuk einen Sohn, Ernst Graf Harrach (1879– 1971), k. u. k. Kämmerer und Ritter des bayrischen Sankt-Georgs-Ordens, vermählt 1905 mit Elisabeth Gräfin Preysing-Lichtenegg (1883–1932) aus Niederbayern. Ernst sowie sein männlicher Nachwuchs, d. h. Ernst Leonhard (1920–2012), Ernst Georg (geb. 1951) und der 1979 geborene Ernst Heinrich, waren und sind die einzigen, die nach dem Ableben von Ferdinand Bonaventura Harrach im Jahr 1961 den Namen Harrach im Mannesstamm des österreichischen Zweiges trugen und noch heute tragen.69 Johann Nepomuks Nachfolger war Otto, der nach dem Tod des Hausoberhaupts am 12. Dezember 1909 die Verwaltung von insgesamt zwölf Harrach’schen Großgrundbesitzen und Gütern in Böhmen, Niederösterreich und Ungarn antrat.70 Otto, der die I und II. Gymnasialklasse privat und die III. bis VIII. Klasse vom Jahr 1877 bis 1882 am k. u. k. akademischen Gymnasium in Prag abschloss und maturierte und 1882–1886 Rechts- und Staatswissenschaften an der Juridischen Fakultät der Universitäten Wien und Prag studierte,71 wurde 1888 von Kaiser Franz Joseph zum Kämmerer und 1912 zum „wirklichen Geheimen Rat“ ernannt; 1898 wurde er als Ehrenritter in den Souveränen Malteser-Ritter-Orden aufgenommen.72 Er war Mitglied des böhmischen Landtages (bis zu dessen Auflösung im Jahr 1913) und Mitglied des Herrenhauses (bis 1918). Seit Beginn des Ersten Weltkriegs beteiligte Otto sich bei Hilfsaktionen durch 68 Alle vier Töchter Johanns waren k. u. k. Sternkreuzordensdamen. 69 Ernst Graf Harrach, Ahnenforschung, in: AVA, FAH, Kt. 972, Stammbaum Harrach nach Gotha. 70 Die Liegenschaften der Harrach erstreckten sich über 61 Gemeinden Böhmens bzw. vier Gemeinden Niederösterreichs; Beschluss des Landesgerichts in Wien vom 28.11.1916 betreffend die Bewilligung der Einverleibung des Eigentumsrechtes des Herrn Otto Graf Harrach auf die in die Verlassenschaft von Johann Graf Harrach gehörigen Liegenschaften, in: AVA, FAH, Kt. 875. 71 Maturaprüfungszeugnis, Matrikelschein (23.12.1882 immatrikuliert) und Meldungsbuch des Studierenden Grafen Otto Harrach aus Prag, in: AVA, FAH, Kt. 856, Familiensachen Otto. 72 Die zahlreiche Mitgliedschaft des Adels beim Malteser-Ritter-Orden zeugt nach Leisching von der weit verbreiteten katholischen Gesinnung. Dasselbe gilt für die Damen bei dem Sternkreuzorden, dessen Mitglied Ottos Gattin Prinzessin Karoline Oettingen seit 1902 war. Peter Leisching, Die römisch-katholische Kirche in Cisleithanien, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. IV: Die Konfessionen, 2., unver. Aufl., Wien 1995 (1. Aufl. 1985), 127.

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Abb. 4: Otto Graf von Harrach

reiche und wiederholte Unterstützung verschiedener Fonds und Kriegsfürsorgeeinrichtungen. Nach seinem einmonatigen Dienst (Mitte August bis Mitte September 1914) als Sub-Kommandant des Reserve-Spitals des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens für verwundete Offiziere in Pötzleinsdorf bei Wien nahm Harrach auf seinem Schloss Prugg in Niederösterreich ein unter der Obhut des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens stehendes Militär-Genesungsheim in Betrieb.73 Zu Ottos Auszeichnungen zählten unter anderem seine Ernennung zum Ehrenbürger von Harrachsdorf bei Starkenbach im November 1913 und von Rohrau im Februar 1914 sowie die Verleihung des Ehrenzeichens II. Klasse im Juli 1915 nach Entschluss des Erzherzogs Franz Salvator, Protektor-Stellvertreter des Roten Kreuzes in der Habsburgermonarchie, des Großkreuzes des herzoglich Anhalt’schen Hausordens Albrechts des Bären im Juli 1917 und des Verdienstkreuzes des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens (als Brustkreuz) im Juni desselben Jahres.74 73 Franz Planer (Hg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft. Biographische Beiträge zur Wiener Zeitge‑ schichte, Wien 1929, 229–230; Gothaischer Genealogischer Hofkalender 1915, Gotha 1915, 134–135. 74 Kurzgefasste Lebensgeschichte für die Eintragung in das Festbuch Unsere Stifter und Gründer, Gesellschaft von österreichischem Silbernen Kreuze, Wien, November 1916, und Familiensachen, in: AVA, FAH, Kt. 856, 874.

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Otto Harrachs Gattin, geboren Prinzessin Karoline zu Oettingen, war die älteste Tochter des Fürsten Karl zu Oettingen-Oettingen und Oettingen-Wallerstein (1840– 1905), eines erblichen Reichsrates des Königreichs Bayern, Mitglieds der Kammer der Standesherren im Königreich Württemberg, Ritters des Ordens vom goldenen Vlies und Ehrenritters des Souveränen Malteserordens, und Ernestines, geborene Gräfin Czernin von und zu Chudenitz, Sternkreuzordensdame († 1908). Als verheiratete Gräfin Harrach wurde Karoline Palast- und Sternkreuz-Ordens-Dame und 1914 Ehrendame des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens.75 Aus ihrer Ehe mit Otto gingen Ernestine (1903–1990), 1932 verheiratet mit Johann Graf Lexa von Aehrenthal (1905–1972), und Erbgraf Johann (1904–1945) hervor. Johann, der 1935 die Führung des Hauses übernahm und sich 1940 mit Stephanie Gräfin und Edle Herrin zu Eltz (1917–2011) vermählte, starb am 12. Mai 1945 als Kriegsgefangener in einem amerikanischen Lager in Bad Kreuznach (Deutschland) im Alter von 41 Jahren. Noch früher, gerade einmal 20 Jahre alt, verabschiedete sich sein Sohn Ferdinand Bonaventura, der am 25. August 1961 Opfer eines tragischen Verkehrsunfalls auf dem Weg zur Kaserne in der Nähe von Wien wurde. Nach der Erbteilung verblieben Johanns Witwe und Tochter Johanna, verheiratete Waldburg zu Zeil und Trauchburg, die Bildgalerie und Rohrau, während das Palais auf der Freyung in Wien und die Herrschaft Prugg an den Vetter Ernst Leonhard ging.76 Erwähnenswerte und im Rahmen unserer Studie stark in Betracht kommende Harrach sind noch Johann Nepomuks Bruder Alfred (1831–1914), vermählt 1869 mit Anna Prinzessin von Lobkowitz (1847–1934), und vor allem dessen Sohn Franz (1870–1937), die beide Großgrundbesitzer in Mähren und Oberösterreich waren. Alfred war k. u. k. wirklicher Geheimer Rat und Kämmerer, Erblandstallmeister in Nieder- und Oberösterreich, Ritter des Leopoldordens, des kaiserlichen russischen Sankt-Anna-Ordens und des Eisernen Kronen-Ordens II. Klasse, während Franz, ebenfalls Kämmerer, Ritter des königlichen Preußischen Roten-Adler-Ordens II. Klasse, des Leopoldordens und Ehrenritter des Deutschen Ritterordens war. Über die vorgenannten Auszeichnungen hinaus, die keine Ausnahme für Adelige seines Ranges in der Habsburgermonarchie darstellten, bekundete Franz ein tiefes Interesse an Wirtschaft, Kultur und sozialen Problemen, das auch nach 1918 erhalten blieb. Er widmete sich insbesondere intensiv der Entwicklung der Forstwirtschaft: Ab 1895 war er Mitglied des Mährisch-Schlesischen Forstschulvereins, und nach 75 Trauungsschein, in: AVA, FAH, Kt. 856. 76 Georg Clam-Martinic, Funktion von Burg und Schloss heute, in: Heinz Siegert (Hg.), Adel in Ös‑ terreich, Wien 1971, 162. Das Harrach’sche Vermögen in der Tschechoslowakei wurde bereits 1945 konfisziert.

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Abb. 5: Franz Graf von Harrach (1909)

der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik wurde er Gründungsmitglied des Zentralverbands der tschechoslowakischen Forstwirtschaft sowie Mitglied des Vorstands des Zentralausschusses der freien Vereine der Forstverwaltung. Als Delegierter dieser Organisationen nahm er auch an den internationalen Forstkongressen in Rom (1926) und Stockholm (1929) teil. Parallel zur Forstwirtschaft verfolgte er auch andere Wirtschaftszweige, interessierte sich für die Teichwirtschaft und die Entwicklung der Feldwirtschaft. In seinem mährischen Großgrundbesitz Velké Meziříčí (Groß-Meseritsch) richtete er eine Versuchsstation für Fischerei und Hydrobiologie sowie eine Rinderzuchtstation ein. Seine Verdienste wurden mit einer Ernennung zum ordentlichen Mitglied der Tschechoslowakischen Akademie für Landwirtschaft belohnt. Zudem zeigte er ein ungewöhnlich hohes Interesse an sozialen und humanen Problemen. In Österreich war er ständiges Mitglied der internationalen Liga gegen Mädchenhandel, und als Vorsitzender der österreichischen Zweigstelle saß er Kongressen in Wien, Brüssel und Madrid vor. Des Weiteren war er Vorsitzender des Sankt-Raphael-Vereins in Wien zum Schutz katholischer Auswanderer, eine Funk-

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tion, in der er sich erfolgreich für slowakische Auswanderer einsetzte.77 Weltbekannt ist Franz Harrach aber dadurch, dass er als Begleiter des österreichischen Thronfolgers, des Erzherzogs Franz Ferdinand, in Sarajewo Augenzeuge des Attentats vom 28. Juni 1914 wurde, das zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs führte.78 Darüber hinaus dürften bis heute Schloss Hradek bei Nechanice (als Museum) in Ostböhmen, die verstaatlichte Glashütte der Harrach in Neuwelt (Nový Svět) als eine der bedeutendsten Glashütten Tschechiens, das von Johann Harrach 1892 im westlichen Teil des Riesengebirges (Krkonoše) bei Jilemnice eingeführte Skifahren und der seitdem in der Region florierende Wintersport,79 der 1979 in Bruck a. d. Leitha geborene Rallyefahrer Beppo [Ernst Heinrich] Harrach,80 das Wiener Palais Harrach, vor allem aber die Graf Harrach’sche Gemäldesammlung im Familienstammschloss Rohrau bei Bruck a. d. Leitha (NÖ), die wertvollste und größte Privatsammlung Österreichs, die Familie Harrach in kollektivem Gedächtnis in Tschechien, vor allem aber in Österreich erhalten haben.81 Es gehörte zum jahrhundertelangen Lauf und Schicksal der Familie, die böhmischen Länder mit Österreich zu verbinden.

77 Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 2–3. 78 Ebd., 3–4. 79 Georgiev, Až do těch hrdel, 334. 80 2011 Staatsmeister. Siehe http://www.harrach.at/beppo-harrach/. 81 Schloß Rohrau, 21, 5. Heute sind hier an die 400 Gemälde aus vier Jahrhunderten zu besichtigen, darunter Meisterwerke der spanischen, neapolitanischen und römischen Malerei; Gustav Danzinger, Haydn und Harrach, in: Morgen. Kultur-Niederösterreich-Europa, 5/2011, 40–41.



1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

W

enn der Umfang und die Häufigkeit der Korrespondenz ein starkes Indiz für die Art, die Dichte und die Tiefe interfamiliärer Beziehungen und Bande darstellen, so verweist der umfangreiche Briefverkehr unter den Angehörigen der Adelsfamilie Harrach auf ihre engsten Beziehungen. Die über 2000 untersuchten Briefe aus der Privatkorrespondenz liefern uns neben familienbezogenen Themen zusätzliche Angaben zu verschiedenen Alltagssorgen der Grafen Harrach und weisen ferner darauf hin, dass ihr Leben mit ihrer Familienlage und dem Familienstatus mehr oder minder zusammenhing bzw. im Rahmen der Familie bekannt gemacht und kommentiert wurde. Was aber war im Hochadel mit dem Begriff „Familie“ gemeint und wer wurde in eine adelige Familie miteinbezogen? Die adelige Familie war „in ihrem Selbstverständnis nie nur die auf Eltern und Kinder beschränkte Kernfamilie, sondern primär, als Sippe oder Geschlecht, ein Familienverband, der sich über blutmäßige patrilineare Verwandtschaftsbande und ein gemeinsames Abstammungsbewusstsein definierte“.1 Darüber hinausgreifend bedeutet gerade im Adel Familie stets die Gesamtheit der Personen einer Verwandtschaftsbeziehung, und in diesem Sinne durfte auch die Herkunftsfamilie der Ehepartner mit zur adeligen „Großfamilie“ gerechnet werden.2 Nimmt man also Otto Harrach (1863–1935) als Grundlage, kommen in der vorliegenden Studie vor allem folgende Angehörige bzw. Verwandte der gräflichen Familie Harrach in Betracht: a) Ottos Frau Karoline (ab 1902), geborene Prinzessin zu Oettingen-Oettingen und Oettingen-Wallerstein und seine Kinder Hans und Ernestine, b) Ottos Vater Johann Nepomuk, seine Stiefmutter Maria Theresia, geborene Prinzessin von Thurn und Taxis, und seine Geschwister, d. h. sein Bruder 1

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Eckart Conze, Familie, in: ders. (Hg.), Kleines Lexikon des Adels, München 2005, 84. Vgl. auch Michael Mitterauer, Europäische Familienformen im interkulturellen Bereich, in: ders., Historischanthropologische Familienforschung. Fragestellungen und Zugangsweisen, Wien/Köln 1990, 29. Conze, Familie; Walterskirchen, Adel in Österreich im 20. Jahrhundert, 15.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Karl und sein Stiefbruder Ernst sowie seine Schwestern Anna (ab 17.8.1898 Freifrau Henn von Henneberg-Spiegel), Gabriele (ab 6.5.1893 Gräfin Marenzi), Maria Theresia (ab 20.10.1896 Gräfin Wisniewski) und Margarethe (ab 2.2.1893 Prinzessin Windisch-Graetz), c) Ottos Onkel Alfred und Tante Anna mit ihrem Sohn Franz (Cousin) und ihren Töchtern, d) Ottos Schwäger, Schwägerinnen und Schwiegereltern.3

1.1 Familienoberhaupt und Hausvorstand Eine hochadelige Familie in Mitteleuropa wurde mindestens bis ins frühe 20. Jahrhundert von ihrem jeweiligen Oberhaupt verwaltet sowie politisch und sozial vertreten. Als Fideikommissherr oblag diesem gegebenenfalls die Verwaltung des Familienvermögens, und er war derjenige, der im Wesentlichen „die Geschicke der ganzen Familie lenkte“ und daher durch seine Haltung und seine Handlungen zu ihrer Stärkung, Schwächung oder Selbstbehauptung entscheidend beitrug.4 Der Familienchef war im altösterreichischen Adel eine Institution und sein Wort war für alle Familienangehörige Gesetz. Er musste alle Heiraten seiner Geschwister sowie seiner Neffen und Nichten bewilligen und fungierte bei Familienstreitigkeiten als Schiedsrichter. Er war sogar für das richtige Benehmen aller Familienmitglieder gegenüber dem Kaiser zuständig.5 Im Rahmen der vorliegenden Studie kommen drei Harrach als Familienoberhäupter und Hausvorstände in Betracht: Johann Nepomuk (1884/86–1909), Otto (1909–1935) und Hans (1935–1945). Die Kompetenzen und Aufgaben eines Familienoberhaupts sowie die oft langjährige Vorbereitung eines Anwärters lassen sich aufgrund der Harrach’schen Korrespondenz besonders am Fall Ottos, der erst als älterer, erfahrener Mann am 12. Dezember 1909 als Nachfolger seines Vaters die Führung der Harrach übernahm, beleuchten.6 Obwohl Otto der zweitälteste Sohn war und 3

Es gibt natürlich auch mehrere Hochadelige aus dem Habsburger- bzw. dem Deutschen Reich, die in der Korrespondenz als Ottos Vetter und seltener als Cousinen, Onkel, Tanten unterschreiben. Dies verweist auf nahe bzw. entfernte verwandtschaftliche Verbindungen, die auf Endogamie innerhalb des Adels zurückzuführen sind. Otto wurde von 1893 bis 1923 von Angehörigen folgender Familien als Vetter bzw. Onkel oder Neffe bezeichnet: Attems-Gilleis, Auersperg, Berchtold, Bethmann-Hollweg, Croy, Czernin, Lazansky, Ledebur, Liechtenstein, Lobkowitz, Salm, Schenk von Stauffenberg, Schönborn, Schönburg-Hartenstein, Schwarzenberg, Thun und Hohenstein, Thurn und Taxis und Windisch-Graetz. 4 Vgl. hierzu Walterskirchen, Adel in Österreich, 18–19; Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 49. 5 Winkelhofer, Adel verpflichtet, 78–79. 6 Alt und erfahren war auch Fürst Adolf Josef zu Schwarzenberg, als er 1888 die Familienführung

1.1 Familienoberhaupt und Hausvorstand

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in den meisten altösterreichischen Familien des Adels die Primogenitur herrschte,7 erbte er den gesamten Besitz und übernahm die Verwaltung des Fideikommisses, weil das Erbrecht seinem ältesten Bruder Karl wegen „Geisteskrankheit“ bereits 1884 aberkannt worden war.8 Otto Harrach wurde als Jugendlicher von seinem Vater schon ab den frühen 1890er-Jahren nach und nach mit verschiedenen Aufgaben betraut: Transporte von Gegenständen von einem Schloss zum anderen, An- und Verkauf von Gütern, Veranstaltung von Jagden, Aufsicht über Bauarbeiten im Schloss Rohrau, Geldzuweisungen an seine jüngste Tochter Margarethe, Regelung von Besuchen in bzw. Umzügen und Fahrten zu bestimmten Schlössern sowie Personalangelegenheiten. Verschiedene Hinweise und Anordnungen Johann Nepomuks an Otto sowie Bitten um eine unmittelbare Benachrichtigung gehörten ebenfalls dazu.9 All dies dürfte jedoch für einen jungen Mann im Alter von 30 bis 35 Jahren zu wenig gewesen sein, wie aus den Zeilen seiner ältesten Schwester Anna hervorgeht: „Ich freue mich zu hören dass Papa Dir einen Wirkungskreis gegeben hat, weil ich mir denke, dass es dich freut und Du dich nützlich fühlst“, schrieb sie ihrem Bruder eine Woche nach der Vollmacht, die Otto von ihrem 71‑jährigen Vater am 10. Januar 1899 erteilt worden war.10 Ottos Vollmacht, das Oberhaupt öffentlich zu vertreten und in seinem Namen zu unterschreiben, weist auf das breite Spektrum der Kompetenzen des Hausvorstands hin und offenbart jedenfalls das väterliche Vertrauen in seinen Sohn und künftigen Nachfolger: „Ich ermächtige meinen Sohn Otto Grafen von Harrach zu Rohrau für mich und meine Erben, mich vor allen Gerichts-politischen und kirchlichen Behörden, sowie bei allen Landes‑, Bezirks- und Gemeindevertretungen zu vertreten, in meinem Namen Prozesse anhängig zu machen, die Zustellung von ersten Klagen und von was immer für Namen habenden ersten Verordnungen und Bescheiden und insbesondere von jenen in Grundbuchs- und der Primogenitur übernahm; Fürst Karl zu Schwarzenberg, Geschichte des reichsständischen Hauses Schwarzenberg, Neustadt a. d. Aisch 1963, 249. 7 Christa Diemel, Adelige Frauen im bürgerlichen Jahrhundert. Hofdamen, Stiftsdamen, Salondamen 1800–1870, Frankfurt 1998, 18. 8 Über die Diagnostizierung der Erkrankung und das erstellte Gutachten vgl. Silvia Hölbl, Harrach. Familienangelegenheiten. Eine mikrohistorische Untersuchung zu Familienbeziehungen, Diss., Wien 2010, 108–116. 9 Johann Harrach an seinen Sohn Otto, Wien, 12.3.1882, 22.6.1895, 29.6.1900, 16.1.1903, 1.7.1903, Prugg, 1.6.1891, 19. und 30.6.1895, 22.8.1904, 27.6. und 1.7.1905, Prag, 7.6.1895, Lemberg, 16.6.1903, Hradek (Schüttenhofen), 25.8.1903, in: AVA, FAH, Kt. 857. 10 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 17.1.1899, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Landtafelsachen anzunehmen, Eide jeder Art aufzutragen, anzunehmen, zurückzuschieben, sich zum Eide zu erbieten und deren Ablegung nachzusehen; Grundbuchs- und landtafelmächtige Einverleibungs- und Löschungs-Erklärungen abzugeben. Gelde und Geldwert zu beheben und darüber rechtsgültig zu quittieren, was immer für Sachen und Rechte zu veräußern oder entgeltlich oder unentgeltlich zu erwerben und zu übernehmen, Anlehen oder Darlehen zu schließen, Zahlungen zu leisten, Gesellschaftsverträge zu errichten, sich auf schiedsrichterliche Entscheidungen zu vergleichen und Schiedsrichter zu bestellen, Amortisierungen zu bewirken; bei Verlassenschaftsabhandlungsfällen sich in meinem Namen bedingt oder unbedingt erb zu erklären; in Vertretungen gegen Konkursmassen den Vermögensverwalter und die Kreditorenausschüsse zu wählen und selbst zu solchen Handlungen zu ermächtigen, wozu nach Art. 1008 v. B. G. B. besondere Vollmachten erforderlich sind, nach seinem Befinden einen Substituten mit gleicher oder beschränkter Vollmacht zu bestellen und überhaupt alles vorzukehren, was in meinen Rechts- und sonstigen Angelegenheiten nach seiner Einsicht nötig und nützlich erachten wird. Dafür verspreche ich ihm alle seine und seiner Substituten in Gemässheit dieser Vollmacht unternommene Schritte für genehm zu halten und als von mir selbst geschehen anzusehen. Urkunde dessen meine eigene Fertigung und die zweier Zeugen.“11

Der nächste entscheidende Schritt für die Reifung Ottos war knapp elf Monate nach seiner Heirat die Übernahme der Allodialherrschaft Zeltsch bei Tabor in Böhmen: „Was Du mir in deinem für mich sehr wertvollen Schreiben vorausgesagt hast, ist eingetreten. Papa hat mir Zelč übergeben, und zwar unter für mich sehr günstigen Bedingungen, so dass ich nun freier in die Zukunft blicken kann. Er hat aber gleichzeitig so enorme Lasten selbst übernommen, die mich schwindlich machen, aber ich nehme die Sachen wie sie sind“,

vertraute er sich seinem Onkel Alfred kurz vor Weihnachten 1902 an.12 Johann Nepomuk gab seinem Sohn somit eine große Gelegenheit, sich als verantwortungsvoller Großgrundbesitzer zu betätigen und sich auf die Rolle des künftigen Familienchefs vorzubereiten, obwohl sich Ottos frühere Administration von Zeltsch als erfolglos erwiesen hatte und er sich schon 1896 Vorwürfe gemacht hatte, zur Verschuldung der Herrschaft beigetragen zu haben. Dennoch war der väterliche Wunsch, aus seinem Sohn einen erfahrenen Vorstand zu machen, so stark, dass Jo11 Vollmacht von Johann an Otto Harrach (beim Notar Dr. Wilhelm Reich Edler von Rohrwig abgelegt und unterfertigt), Wien, 10.1.1899, in: AVA, FAH, Kt. 856. 12 Otto Harrach an Onkel Alfred, Zelč, 22.12.1902, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129.

1.1 Familienoberhaupt und Hausvorstand

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hann auf Otto hörte und 1896 statt Zeltsch, wie anfangs geplant, die benachbarte Allodialherrschaft Zinkau verkaufte.13 Johann selbst hatte übrigens als Anwärter auf den Familienvorstand eine generösere Behandlung von seinem Vater Franz Ernst erfahren, als er 1860 mit 32 Jahren die Verwaltung und Nutznießung von Starkenbach (Jilemnice), der größten Herrschaft der Harrach, hatte übernehmen dürfen.14 Wie der Fall Zeltsch zeigt, war die Übernahme von Kompetenzen seitens des angehenden Familienchefs bei den Harrach ein langwieriger Prozess, der nicht immer reibungslos verlief und in dem sich Differenzen zwischen der älteren und der jüngeren Generation bemerkbar machten. Die Ablehnung von Ottos Vorschlägen in Pferde- und Forstangelegenheiten aus dem Jahr 1905 liefert uns dafür zusätzliche Hinweise.15 Die Fronten blieben manchmal so verhärtet, dass die Kommunikation zwischen Vater und Sohn eine Zeit lang auf „Vermittler“ angewiesen war. „Ich sehe es nun als meine Aufgabe an, darin die Vermittlerin zu sein, und Deinen Vater mit Klugheit und Vorsicht darauf zu bringen, dass er lieb und gut für Dich ist“, schrieb Ottos Gattin acht Monate vor dem Tod ihres Schwiegervaters.16 Versöhnend war auch Ottos älteste Schwester Ende November 1908 eingeschritten: „Im Vertrauen teile ich Dir mit, dass Papa es sehr gern sähe, wenn Du zur Kaiserhuldigung kommen würdest.17 Bitte tue es ihm, wenn Du kannst. Er hat mich nicht beauftragt es Dir zu sagen, aber es wäre ihm eine arge Enttäuschung wenn keiner ja nicht gehen kann!“18 Die Familienangelegenheiten mussten, Uneinigkeiten und Missverständnisse hin oder her, behandelt und erledigt werden. Dies ergibt sich gerade aus den Briefen von Ottos Schwestern und seinen Schwägern, die von der Auszahlung ihrer Zinsen aus dem Familienkapital handelten.19 Otto vertrat nämlich den alten und gesundheitlich schwer angeschlagenen Familienvorstand immer häufiger in dessen letzten Lebensjahren. Unter anderem war er mit der (seit Mitte der 1890er-Jahre) schwierigsten Angelegenheit bei den Harrach betraut, nämlich der Verschuldung von Margarethes Gatten Franz Windisch-Graetz, die ernste Familiensanktionen zur Folge hatte. Es ging um ein dunkles Kapitel in der Familiengeschichte vor allem der Windisch-Graetz, in geringerem Ausmaß jedoch auch der Harrach. Dieses Problem hatte 13 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Prag, 1.4.1896, in: AVA, FAH, Kt. 893. 14 Jiří Georgiev, Až do těch hrdel, 306. 15 Johann Harrach an seinen Sohn Otto, Harrachsdorf, 8.8., 13.9. und 1.10.1905, in: AVA, FAH, Kt. 857. 16 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 27.4.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856. 17 Es geht um das sechzigjährige Regierungsjubiläum Kaiser Franz Josephs. 18 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Wien 25.11.1908, in: AVA, FAH, Kt. 857. 19 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Anna und deren Gatten Gottlieb Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 15.9. und 1.8.1908, sowie von seiner Schwester Gabriele Marenzi, Lemberg, 13. und 17.5.1907, 4.1.1909, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

mindestens bis in die späten 1930er-Jahre langwierige Konsequenzen für das Leben des unmittelbar betroffenen Paares und dessen Kinder. Johann Harrach, der dem Prinzen bis 1899 beträchtliche Summen auslieh, auch manche Außenstände beglich und dem Ehepaar einen Teil des Familienschlosses Rohrau als Wohnort zuwies, weigerte sich schließlich, weiterhin offene Rechnungen zu begleichen, und zwang seinen Schwiegersohn somit, das finanzielle Debakel einzugestehen. Der Familienrat der Windisch-Graetz beschloss die Übernahme der Pflichten seitens der Familie; im Gegenzug wurden dem Prinzen, dessen Schulden sich im Jahr 1900 auf 2.320.453 Kronen beliefen, rigorose Maßnahmen und Sanktionen auferlegt. Franz wurde unter Aufsicht gestellt und gezwungen, ins Ausland zu reisen. Bis 1903 blieb er von seiner Familie getrennt, während seine Frau und seine Kinder aus dem Harrach’schen Schloss Rohrau ausziehen mussten.20 Es ist nicht verwunderlich, dass Otto von 1906 bis 1909 immer wieder Bitten um Unterstützung wegen finanzieller Probleme, Danksagungen für sein Entgegenkommen sowie Vorschläge zur Beilegung der Familienkrise von Margarethe empfing.21 Margarethe (Marga), die im Juni 1906 die ganze Familie dringend um 40.000 Kronen bat, um ihre Rechnungen zahlen und ihre Rückreise zu ihrem Mann finanzieren zu können, war in ihrer Verzweiflung bereit, persönliche Sachen wie Silbergegenstände, Spitzen, Schmuck und sogar zwei von ihr angefertigte und nicht mehr gebrauchte Messkleider zu verkaufen.22 Dies war aber nicht so einfach und musste vom Grafen Franz Montecuccoli als Vermögenskurator, der Otto Harrach von 1903 bis 1912 über das unter Aufsicht gestellte Paar auf dem Laufenden hielt, genehmigt werden.23 Mit solchen und noch vielen anderen Themen hatte sich Otto Harrach ab Ende 1909 als Familienvorstand auseinanderzusetzen. Er war nun immer mehr die unumstritten zentrale Figur in der Familie und verkörperte das Vorbild und die Hoffnung für deren Zukunft. Es gab Erwartungen an ihn, die er erfüllen musste. Jeder neue Chef des Hauses bereiste nach seinem „Regierungsantritt“ die Besitzungen. „Wie ich höre, bist Du auf der großen Rundreise […] Du hast also die Leitung der Fideikommisse übernommen“, so Ottos Stiefbruder Ernst Harrach.24 20 Vgl. hierzu Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 147–149. 21 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek, 24.6. und 24.8.1906, Prag, 17.7.1906, Krimitz, 26.12.1906, 27.12.1907, Neu-Pernstein, 1.7.1908, 18.4. und 10.7.1909, in: AVA, FAH, Kt. 858. 22 Ebd., Hradek, 24.6.1906. 23 Franz Montecuccoli an Otto Harrach, Wien, 25.11. und 2.12.1903, 13.11. und 20.9.1904, 23.4., 10.7., 27.3. und 26.9.1906, 4.2., 5.4., 6.4., 4.6., 11.6., 14.6. und 21.6.1907, 15.9., 6.10., 7.10., 16.10. und 23.11.1908, 13. und 23.12.1909, 6.11.1911, 27.11.1912, in: AVA, FAH, Kt. 864. 24 Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Abbazia, 27.2.1910, in: AVA, FAH, Kt. 859.

1.1 Familienoberhaupt und Hausvorstand

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Die Position des Familienoberhaupts war jedenfalls mit hohen Anforderungen verbunden, was von den Geschwistern anerkannt wurde. Maria Theresia schrieb weniger als drei Monate nach dem Tod ihres Vaters an Otto: „Du armer, sollst mit Erbschaftsangelegenheiten ja überbürdet sein“.25 Ottos neue Stellung und Rolle als Vorstand dürfte durch solche Äußerungen seiner Geschwister wahrgenommen und symbolisch bestätigt worden sein. Dabei stand er jedoch unter formloser Kontrolle und blieb von Kritik nicht verschont. Die Beschwerde seiner älteren Schwester, die sich nach Ottos Übernahme der Familienführung beklagte, weil sie sich von ihrem Bruder nicht richtig und standesgemäß behandelt fühlte, deutet darauf hin: „Wie einer Kammerjungfer! Du meinst es nicht so, aber die Leute denken an das und warum sollen sie glauben, dass Du mich als personne négligeable behandelst? Wir sind ja doch Geschwister!“26 Was war der Grund für diese Beschwerde? Eine echte Beleidigung von Anna, eine Enttäuschung und zugleich eine Überraschung über eine gewisse Arroganz des „frischgebackenen“ Familienoberhaupts oder ein Versuch, seinem Verhalten Grenzen zu setzen? Im Hinblick auf die neu gestaltete Familienhierarchie musste ein neues Gleichgewicht gefunden werden. Die Befassung des neuen Familienoberhaupts mit Vermögenssachen und finanziellen Themen setzte sich ab 1910 intensiv fort. Obwohl die Apanagen für seine Geschwister wegen des Testaments und der von seinem Vater für alle seine vier Töchter abgeschlossenen Eheverträge fest geregelt waren, tauchten immer wieder Fragen auf, die mit Zinszahlungen, Kapitalanlagen oder der Unterstützung von Margarethe und ihren Kindern zusammenhingen. Anna und Gabriele lehnten den von Otto vorgeschlagenen Ankauf von „Papieren“ (Aktien oder Staatspapiere) wohl schon vor dem Krieg ab und gaben der Sicherheit der Zinsen aus dem Familienvermögen den Vorzug. Die beiden kinderlosen Schwestern wandten sich während des Ersten Weltkriegs an Otto, um ihre Testamente zugunsten von Margarethes Kindern zu revidieren.27 Margarethe (Marga), deren prekäre finanzielle Lage sich im Krieg deutlich verschlechterte, sandte zwischen 1914 und 1919 mindestens einen Brief pro Monat an Otto, um sich bei ihm für die ordentlichen und außerordentlichen Geldzuweisungen und Lebensmittelsendungen zu bedanken bzw. über ihre Lebensverhältnisse und Bedürfnisse zu berichten und um Hilfe zu bitten. Der Familienvorstand der Harrach war überdies über jede berufliche bzw. finanzielle 25 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 2.3.1910, in: AVA, FAH, Kt. 858. 26 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Görz, 19.1.1910, in: AVA, FAH, Kt. 857. 27 Ebd., Gries (Bozen), 18.12.1912, Hradek (Schüttenhofen), 17.8.1910, 31.8.1912, 30.9.1914, 28.3.1916; Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Olmütz, 10.2. und 2.5.1910, 28.1. und 24.2.1912, Hradek, 22.6.1916, Wels, 9.2.1916, 13.2.1917, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Handlung ihres verschuldeten Gatten Franz Windisch-Graetz auf dem Laufenden, da der gute Ruf der Familie von dieser im Adel nicht seltenen Schuldengeschichte auf dem Spiel stand. Ottos Schwager (Gabrieles Gatte) und Kavallerieoffizier Gabriel Marenzi fühlte sich kurz vor Kriegsausbruch verpflichtet, Harrach über seine Vermittlung bei Erzherzog Josef Ferdinand wegen Wiedererlangung der Offizierscharge für Franz zu informieren. Die positive Entscheidung des Offizierskorps unter der Voraussetzung, dass Franz seine Schulden, wenn auch mit jährlichen Raten von 1000 Kronen, langsam abzahlen würde,28 wurde von Gabriel begrüßt: „Dies wäre günstig da es sich doch um das Schicksal und Glück einer ganzen Familie handelt. Von Marga weiß ich dass Franzi Windisch-Graetz die Absicht hat, den Erbteil seines Vaters, welcher für die Kinder deponiert ist zur Tilgung der Schulden zu verwenden […]. Ich schreibe Dir weil ich nicht will dass etwas ohne Deinen Willen und Wissen geschieht“.29

Zwei Tage später bedankte sich Gabriel für Ottos „liebe Zeilen“ und äußerte sich, er sei sehr glücklich, dass sein Brief von Otto gut angenommen worden sei.30 Als neues Familienoberhaupt setzte sich Otto ab 1910 auch mit einer anderen langjährigen Familienfrage auseinander: jener seines älteren „geisteskranken“ Bruders Karl, der ab 1891 von dem Arzt Dr. Franz Kaucký betreut wurde, eine jährliche Apanage von 6000 Gulden erhielt und für dessen Aufenthalt familieneigene Schlösser und angesichts seiner regen Reisetätigkeit gegebenenfalls auch Miethäuser oder Mietwohnungen zur Verfügung gestellt wurden. Johanns Fürsorge und Bestreben, seinem pflegebedürftigen Sohn eine angemessene und adäquate Lebensform zu gewährleisten,31 setzte Otto in Zusammenarbeit mit seinem Onkel und gerichtlich eingesetzten Kurator Alfred Harrach bzw. dessen Sohn Franz bis 1914 fort, als Alfreds Tod den definitiven Übergang der Vormundschaft für Karl an Otto zur Folge hatte.32 Karls Zustand, seine Reisen, seine Wohn- und Aufenthaltsorte, die damit verbundenen Kosten und die Leistung bzw. die Kontrolle seines neuen, im August 1910 engagierten Gesellschafters, k. k. Major i. R. Karl Borský, waren die wichtigsten Themen in jener Korrespondenz des Familienoberhaupts, die Karl betraf, bis der ältere Bruder im Dezember 1920 verschied. Otto wurde besonders von seiner ältesten 28 Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Karlsbrunn, 14.7.1913, Wels, 7.4.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857. 29 Ebd., Wels, 7.4.1914. 30 Ebd., Wels, 9.4.1914. 31 Hölbl, Harrach. Familienangelegenheiten, 117–118. 32 Ebd., 123; Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 16.4.1911, und an Vetter Franz, Wien, 6.4.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129 und Kt. 76, Fol. 1024.

1.1 Familienoberhaupt und Hausvorstand

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Schwester Anna regelmäßig über Karl unterrichtet.33 Sie war die einzige unter Karls Geschwistern, die sich gut mit ihm verstand und Kontakt zu ihm hatte, während alle anderen einen solchen vermieden. Es ist bezeichnend, dass Otto Karls Vorschlag, ein paar Zimmer in Prugg zu reservieren, zurückwies und stattdessen einige Zimmer in Hradek als permanenten Wohnort auswählte, unter der Bedingung, dass, „wenn wir hierher kommen, er uns Platz machen muss.“34 Das Familienoberhaupt koordinierte auch Familienrituale wie den Ankauf eines Geschenks zu wichtigen Geburtstagen oder Hochzeitstagen, Gedenktagen und Familientreffen und dürfte somit innerhalb der Familie als Bewahrer und Förderer des Familiengeistes und des Zusammenhalts gewirkt haben. Die Verteilung von verschiedenen Erbstücken von Johann Nepomuk unter seinen Kindern und engen Verwandten nach ihren Wünschen bot Otto zudem die Möglichkeit, sich als gerechter Nachfolger und Pfleger des Andenkens an den Vater und des kulturellen Erbes während der Trauerzeit im Bewusstsein seiner Verwandten durchzusetzen. Die Danksagungen seiner Geschwister für den Versand von „Papas Gedenksachen, ‑bildern und ‑büchern“ an sie und durch sie an die übrige Verwandtschaft bestätigen es.35 „Du erhieltest die Kraft die schwierigen Dinge zu tun wie er es gewünscht und getan hätte“, schrieb Gabriele Anfang Februar 1910.36 Geschenke zu einem wichtigen Geburtstag oder Hochzeitstag eines Angehörigen waren oft Familiensache. Dabei war die Rolle des Familienvorstands zentral, indem er das Geschenk auswählte, die Beiträge dafür sammelte und das letzte Wort über die Teilnahme an den Gratulationsfeiern hatte. Ottos Onkel Alfred Harrach war über das Familiengeschenk zu seinem 80. Geburtstag sehr erfreut,37 was auch seine Nichte Maria Theresia bestätigte: „Tante Anna und Onkel Alfred schreiben ganz entzückt über das Geschenk von uns. Du hast es sehr gut getroffen mit der Wahl. Sind dir dankbar. Werde Dir diese Tage unseren Beitrag senden“.38 Im letzten Kriegsjahr erkundigte sich Maria Theresia bei ihrem Bruder nach ihrer Schuld für das „Cadeau“ 33 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 29.6.1910, 5.7., 25.7., 13.8., 15.10. und 11.11.1910, 17.11.1911, 26.5.1912, 8.8., 27.8. und 1.12.1913, 22.6. und 16.10.1915, 23.8.1917, 17.10.1918, Gries (Bozen), 7. und 31.3.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857. 34 Otto Harrach an Vetter Franz, Prugg, 24.5.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 35 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna, Görz, 10.1. und 28.2.1910, Gabriele, Olmütz, 24.3.1910, Maria Theresia, Lemberg, 13.1. und 2.3.1910, und Margarethe, Feldkirch, 5.3.1910, Neu-Pernstein, 2.7.1910, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 36 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Olmütz, 7.2.1910, in: AVA, FAH, Kt. 857. 37 Briefe an Otto Harrach von Onkel Alfred, Aschach 27.10.1911, und seiner Schwester Anna, Hradek (Schüttenhofen), 16.7.1911, in: AVA, FAH, Kt. 859, 857. 38 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 18.10.1911, in: AVA, FAH, Kt. 858.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

zur silbernen Hochzeit von Margarethe sowie zu Annas 60. Geburtstag,39 während ihr Weihnachtsbrief von 1911, in dem sie sich für die Geschenke für ihre Familie in Galizien bedankte, auf das hohe Ansehen von Otto (und seiner Frau) als generösem Schenker innerhalb der Familie hindeutet: „Bin ganz gerührt, dass Du so großmütig an uns alle gedacht, vielen zweiten Dank der guten Line, so schöne Sachen uns geschickt zu haben. Du hast wirklich ein Talent stets so hübsche Geschenke auszusuchen“, so Maria Theresia am Weihnachtstag 1911.40 Die maßgebliche Rolle des Familienoberhaupts kam aber auch bei Trauerfällen der Familie zum Ausdruck. Nach dem Tod von Onkel Alfred am 5. Januar 1914 würdigten Ottos Schwestern die „traurige Pflicht“, die ihr Bruder nun nach dem Tod ihres Vaters abermals zu erfüllen hatte, und befragten ihn über das Trauertragen.41 Otto Harrach war nicht zuletzt das Bindeglied zwischen dem österreichischen und dem preußischen Zweig der Familie Harrach, wie aus einer Todesmitteilung seines Vetters Hans Albrecht Harrach aus dem Jahr 1916 hervorgeht: „Als nunmehriges ältestes Glied des preußischen Zweiges unserer Familie habe ich die traurige Pflicht Dir von dem Ableben des letzten noch überlebenden Bruders meines Vaters Mitteilung zu machen. […] Mit ihm ist die ganze ältere Generation ausgestorben, die in ihrer Jugend noch so viele Traditionen aus der österreichischen Zeit erlebt hat. Wie Du weißt, habe ich den festen Willen diese Traditionen und die guten verwandtschaftlichen Beziehungen mit unseren österreichischen Vettern zu pflegen und weiß dass ich ja bei Dir auf dasselbe verwandtschaftliche Empfinden rechnen kann“.42

Die Verdienste Ottos um die gesamte Familie nahmen vor allem während des Ersten Weltkriegs einen besonderen Stellenwert ein, als namentlich die Familien seiner Schwestern auf verschiedene Weise auf Hilfe angewiesen waren. Gründe waren Lebensmittelknappheit und Geldmangel im Fall von Margarethe (wie bereits oben erwähnt), die Zwangsemigration Maria Theresias mit ihrem Sohn aus dem russisch besetzten Galizien, Krankheit, Operation und Reisen Gabrieles an die Ostfront zu ihrem Ehemann, Not in Böhmen usw. Otto setzte energisch Bekannte, Geld und Familienmittel ein, um seine nächsten Angehörigen physisch, wirtschaftlich und sozial 39 Ebd., Lemberg, 3.2. und 23.4.1918. 40 Ebd., Krystynopol, 25.12.1911. Die Freude Maria Theresias, ihres Gatten und ihres Sohnes über die schönen Geschenke aus Wien brachte sie auch an Weihnachten 1912 zum Ausdruck: Brief an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 26.12.1912, in: AVA, FAH, Kt. 858. 41 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna, Gries, 10.1.1914, Gabriele, Olmütz, 5.1.1914, und Maria Theresia, Krystynopol, 6.1.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 42 Hans Albrecht Harrach an Vetter Otto, Brüssel, 12.9.1916, in: AVA, FAH, Kt. 859.

1.1 Familienoberhaupt und Hausvorstand

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zu unterstützen. Seine Verdienste wurden während des Krieges und in der Nachkriegszeit anerkannt; er wurde auch schriftlich dafür gelobt und ihm wurde gedankt. In jenen schwierigen Zeiten vereinten sich der Familienvorstand und der „liebe Bruder“ in der Person von Otto insofern ideal, als er die Wünsche seiner Schwestern erfüllte. Maria Theresia brachte dies im Mai 1916 bzw. im September 1918 von Lemberg aus in aller Herzlichkeit zum Ausdruck: „Nochmals danke ich […] Du warst so gut für uns, speziell für mich! Ich hab darin meinen guten Bruder erkannt mit seinem goldenen Herzen, der seiner Schwester hilft wo er kann! Gott vergelte es Dir. Eine Bitte, die mir peinlich ist: So lange der Krieg dauert und Du uns Geschenke machen willst tue es bitte in Geldform, denn das braucht man jetzt am meisten. Aber bitte keine Extraausgaben […], nur wenn Du Lust hast. Ich begreife Du hast auch viele Ausgaben und alles ist teuer“.43 „Höre nichts von den übrigen Geschwistern – Bin besorgt […]. Du bist der einzige lieber Otto, der an uns denkt, was sehr lieb und gut ist“.44

Otto fühlte sich aber als Hausvorstand auch dafür zuständig, Fehlverhalten von Familienmitgliedern anzuprangern und Missstände abzustellen, selbst wenn es um die Familie seines Onkels Alfred ging. In einem Brief an Tante Anna übte er zum Beispiel scharfe Kritik an seinem Cousin bzw. seinen Cousinen, die trotz des gesundheitlichen Problems ihres 80‑jährigen Vaters ihre Eltern „im Stich gelassen“ hatten. „Du hast ja ausführlich geschrieben, Du solltest aber wirklich eines deiner Kinder, wenn nicht anders mit Gewalt in Aschach zurückhalten. Ich würde an deiner Stelle alle Tore absperren, bis eines der Kinder verspricht, bei Dir zu bleiben.“45 Otto bestand noch im September 1926 darauf, seinem 56‑jährigen nierenleidenden Cousin Franz (Alfreds Sohn) Ratschläge bezüglich seiner vom Rauchen und Autofahren geschädigten Gesundheit zu geben, obwohl der Betroffene daraufhin gekränkt war und sehr verärgert reagierte.46 Der Familienchef hatte nicht zuletzt in Notfällen das Recht, einen Familienrat einzuberufen. Der Grund für seine Einberufung im Oktober 1923 war die drohende 43 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 26.5.1916, in: AVA, FAH, Kt. 858. 44 Ebd., Lemberg, 14.9.1918. Ottos Frau Karoline war von der brüderlichen Rolle ihres Gatten überzeugt: „Denke an Dich und an die schwere Pflicht, die Du jetzt zu erfüllen hast […] Du musst Dir denken es ist ein Kriegsdienst wie ein anderer. Mitzi, Karl etc. sind halt unsere Kriegsdienste“, und: „Was Du an Marga geschrieben hast, finde ich sehr richtig und gut und dass du betonst dass Du ihr persönlich hilfst während der Kriegszeit. Gott lohne es Dir […] Du hast genug Sorgen mit Deinen Schwestern“, schrieb sie Otto in den zwei ersten Kriegsjahren; Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 9.3.1916, Starkenbach, o. T. 8.1915, in: AVA, FAH, Kt. 856. 45 Otto Harrach an Tante Anna, Prugg, 13.10.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563. 46 Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 6.9.1926, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Aufhebung der Fideikommisse in der Tschechoslowakei. Otto zufolge bestand der Familienrat nur aus den Männern der Familie, die Harrach hießen: ihm, seinem Stiefbruder Ernst, seinem volljährigen Sohn Hans sowie seinem Cousin Franz.47 Die Frauen, ob nun geborene oder eingeheiratete Harrach, blieben nach wie vor von diesem Familiengremium ausgeschlossen.

1.2 Vor und in der Ehe: Ehefrauen und ‑männer in Zeiten der Endogamie Wenn auch ohne gleichwertige Rechte in einer noch stark patriarchalischen Gesellschaftsschicht wie dem Adel, spielten Aristokratinnen als Ehe- und Hausfrauen doch eine wesentliche Rolle für den Zusammenhalt, die Funktion und die Repräsentation der Familie. Als Hausfrauen, als Gastgeberinnen der Familienangehörigen und Standesgenossen, als Begleiterinnen ihrer Männer, als gesellige und korrespondierende Frauen trugen sie dazu bei. Die Gestaltung und Bewahrung des adeligen Lebens wurden durch die Weitergabe kulturellen Kapitals seitens der Frauen wesentlich gefördert.48 Für junge Mädchen des altösterreichischen Adels stellte daher ein „künftiges Dasein als Hausfrau und Mutter einen erstrebenswerten, nahezu konkurrenzlosen Lebensentwurf“ dar.49 Eine wichtige Voraussetzung dafür war die soziale Endogamie, die bis ins frühe 20. Jahrhundert einen wesentlichen Existenzpfeiler des deutschen bzw. altösterreichischen Hochadels darstellte. Das Konnubium zwischen Angehörigen der „ersten“ und der „zweiten“ Gesellschaft, zwischen dem „Blutsadel“ und dem neuen Geld‑, Offiziers- und Beamtenadel, war freilich eine Ausnahme, besonders beim Adel in der Habsburgermonarchie.50 Stekl und Wakounig behaupten, dass „die unstandesgemäße Ehe selbst von Agnaten (für die Oberhäupter war es so gut wie ausgeschlossen) bis weit ins 20. Jahrhundert auf heftigste Widerstände stieß und mit verschiedenen Sanktionen – Erbverzicht, Namensablegung, gesellschaftlicher Ächtung, zumindest aber schwerem Tadel – belegt wurde.“51 Die bevorstehende unstandesgemäße Heirat von Hans Windisch-Graetz, dem zweitältesten Sohn von Franz und Margarethe Windisch-Graetz (geb. Gräfin Harrach), löste 1927 großes Unbehagen bei 47 Ebd., Hradek, 15.10.1923. 48 Vgl. Diemel, Adelige Frauen, 9, 213. 49 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 59. 50 Ebd., 59–60; Conze, Von deutschem Adel, 343. 51 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 68.

1.2 Vor und in der Ehe: Ehefrauen und ‑männer in Zeiten der Endogamie

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Abb. 6: Johann Nepomuk Graf von Harrach mit seiner Gattin Maria Margarethe, geb. Prinzessin von Lobkowitz

seinen Eltern aus,52 obwohl die Zahl der Ehen zwischen adeligen Männern und bürgerlichen Frauen in der Zwischenkriegszeit allmählich zunahm.53 Die Eheschließung einer adeligen Frau mit einem Bürgerlichen war praktisch ausgeschlossen, weil die Übernahme des männlichen Nachnamens die Frau ihren Platz in der adeligen Familie kostete und die Streichung ihrer Personalien aus dem Gothaischen Genealogischen Hofkalen‑ der zur Folge hatte.54 Mit Ausnahme von Hans Windisch-Graetz blieben alle Angehörigen der Familie Harrach mindestens bis zum Zweiten Weltkrieg der sozialen Endogamie treu. Johann Nepomuk Harrach (1828–1909), sein Bruder Alfred, seine Kinder Otto, Anna, Gabriele, Maria Theresia, Margarethe und Ernst sowie seine Enkelkinder (Ottos Kinder) heirateten alle in Familien des Hoch- bzw. Geburtsadels ein. Die Angehörigen der ersten Generation (geb. 1828–1831) und die Hälfte der zweiten Generation (Otto, Anna, Margarethe, geb. 1857–1870) heirateten Angehörige des böhmischen Adels bzw. Mitglieder von Familien mit Gütern in Böhmen. Sie knüpften daher zum Teil an die Tradition der alten hochadeligen Familien Böhmens an, durch Endogamie eng miteinander verbunden zu sein. Es ging dabei um die sozioregionale Endogamie einer äußerst exklusiven Subgruppe innerhalb der Hofgesellschaft.55 52 Ebd., 66–68. 53 Walterskirchen, Adel in Österreich, 22–23. 54 Rüdiger v. Treskow, Adel in Preußen: Anpassung und Kontinuität einer Familie 1800–1918, in: Geschichte und Gesellschaft, 17, 1991, 358. 55 Godsey, Quarterings and Kinship, 76–77; Jean-Paul Bled, La noblesse dans les pays habsbour-

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Abb. 7: Alfred Graf von Harrach mit seiner Gattin Anna Prinzessin von Lobkowitz

Wie aber fanden zwei Jugendliche des Adels zueinander? Der Vorrang von Endogamie und vor allem von einer bestimmten Wahl innerhalb des Standes dürften in der Tat einen Zwang für viele junge Adelige bedeutet haben. Obwohl die Liebesheirat seit dem frühen 19. Jahrhundert vor allem für viele Frauen zum Ideal geworden war, war die Heirat bis ins frühe 20. Jahrhundert niemals nur die Angelegenheit zweier Individuen, sondern immer der beteiligten Familien, ja des Standes.56 Dies wurde vor allem im Fall des künftigen Erben und Familienvorstandes konsequent eingehalten, weil seine Heirat die Zukunft der Familie und des Familienbesitzes betraf. „In den europäischen Adelsfamilien haben die Eltern Jahrhunderte hindurch die eheliche Verbindung ihrer Kinder festgelegt, ohne sie viel um ihre Meinung zu fragen. Als ich ein kleines Kind war (noch vor 1914), wurde in unserer Welt noch munter verheiratet“, so Karl Anton Rohan im Jahr 1971.57 Die Beziehung des Grafen Otto zu seiner künftigen Ehefrau Prinzessin Karoline zu Oettingen vor ihrer Verlobung (6. November 1901) gibt uns interessante Aufschlüsse über Heiratsstrategien, ‑vorzüge und ‑kompromisse seitens der Familien und der betroffenen Individuen im Adel um die Jahrhundertwende. geois: profil et évolution (1815–1914), Études danubiennes, VII (2), 1991, 80. Valerie Windisch-Graetz beklagte sich 1894 während ihrer Suche nach einem passenden Schwiegersohn, dass „die Leute in Wien und Böhmen ihre Partner meist aus ihren Verwandten- und Freundes-Zirkeln aussuchen.“ Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 75. 56 Diemel, Adelige Frauen, 49; Conze, Von deutschem Adel, 330. 57 Heinz Siegert, Der Adel lässt bitten, in: ders. (Hg.), Adel in Österreich, 9.

1.2 Vor und in der Ehe: Ehefrauen und ‑männer in Zeiten der Endogamie

Abb. 8: Anna Maria Gräfin von Harrach mit ihrem Gatten Gottlieb Frh. Henn von Henneberg-Spiegel (um 1900)

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Abb. 9: Gabriele (Vella) Gräfin von Harrach mit ihrem Gatten Gabriel Graf von Marenzi von Tagliuno und Talgate

Wir wissen nicht, ob die Tochter des Fürsten Karl zu Oettingen-Oettingen und Oettingen-Wallerstein (1840–1905) aus dem Königreich Bayern von Johann Harrach als künftige Ehefrau seines Nachfolgers wirklich gewünscht war.58 Wenn auch hochadelig, gehörten die Oettingen nicht der österreichischen Hofgesellschaft bzw. dem böhmischen Hochadel an und waren nicht so begütert wie die Harrach. Für deren Vorstand war Geld eine wichtige Voraussetzung für eine wohlkalkulierte Heirat: „Vielen dank für deine Zeilen. Das neue Projekt ist wohl in jeder Beziehung erstrebenswert, jedoch mit Ausnahme der Rücksicht auf Geld. Dieser Faktor ist leider halt gar nicht vorhanden, und ich weiß nicht, was Papa dazu sagen würde, denn ich glaube nach allen seinen bisherigen Aussagen dass er darauf rechnet, dass ich jemanden mit Geld heirate“,

58 Johanns kühles Verhalten gegenüber dem neuen Paar spricht eher dagegen.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Abb. 10: Maria Theresia (Mitzi) Gräfin von Harrach mit ihrem Gatten Stanislaus Graf von Wisniewski

Abb. 11: Margarethe (Marga) Gräfin von Harrach mit ihrem Gatten Franz Prinz zu Windisch-Graetz

vertraute sich Otto, ein Jahr vor seiner Verlobung mit Karoline, vermutlich über eine andere Kandidatin seinem Onkel Alfred an.59 Obwohl die Ehe von Otto Harrach und Karoline (Line) Oettingen nachträglich als harmonisch betrachtet werden kann, zögerte die junge Frau anfangs, eine Verbindung einzugehen. Karoline scheint drei Wochen vor ihrer Verlobung bzw. drei Monate vor ihrer Hochzeit mit Otto nicht in ihn verliebt gewesen zu sein: „Geehrter Graf. Ich bitte Sie vielmals zu entschuldigen, dass ich erst heute ihre freundlichen Zeilen beantworte, aber da sich meine Ansicht nicht änderte, hätte ich Ihnen früher auch nicht anderes sagen können, als was ich Ihnen bereits mündlich mitteilte. (Heute beantworte ich die beiden Briefe). Leider muss ich Sie bitten Ihren Besuch bei uns in Hlubosch lieber zu unterlassen, da ich fürchte, dass er zu keinem günstigen Resultat führen würde. So 59 Otto Harrach an Onkel Alfred, Zelč, 22.12.1902, Rohrau, 28.11.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. Der erste Brief von Karoline an Otto, erhalten im Familienarchiv, ist auf den 16. Oktober 1901 datiert.

1.2 Vor und in der Ehe: Ehefrauen und ‑männer in Zeiten der Endogamie

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sehr mich Ihre lange Ausdauer und Treue mit Hochachtung gegen Sie erfüllt, bedauere ich von Herzen, an meiner Ansicht festhalten zu müssen, dass ich es für Unrecht halten würde, jemanden zu heiraten, für welchen nicht mein Herz spräche. Meine Eltern bedauern es herzlich, dass diese Sache zu keinem günstigen Endresultat führte, da diese für sie alles angeschlossen hätte, was die Garantie eines Glückes für mich geboten hätte. Sie können versichert sein, dass ich diese Angelegenheit reiflich erwog und immer glaubte einen günstigeren Entschluss fassen zu können, was aber dann leider nicht der Fall war. […] Ich hoffe und wünsche Ihnen von ganzem Herz an, dass Sie bald recht glücklich werden, wovon ich auch ganz überzeugt bin und werde mich in Dankbarkeit an ihre Treue gegen mich erinnern. Ich bitte Sie auch nochmals um Verzeihung, falls ich Sie durch eine Äußerung oder Handlungsweise irgendwie kränkte, was gewiss nicht aus Absicht geschah und auch nochmals, dass ich mit der leider so ungünstig lautenden Antwort so lange zögerte. Mit dem Ausdrucke meiner besonderen Hochachtung, Line Oettingen.“60

Gerade neun Tage nach ihrem enthüllenden und abweisenden Brief sorgt die Änderung von Karolines Haltung für eine Überraschung: „Geehrter Graf. Ihr letztes Schreiben hat mich so gerührt, dass es mir unmöglich ist, dasselbe ganz unbeantwortet zu lassen; es zeigte mir erst so recht deutlich, welch aufrichtige Zuneigung Sie zu mir hegen und erkannte daher auch erst recht meine Undankbarkeit gegen Sie. […] Ich fange aber nun an zu begreifen, dass man mit jemandem zu dem man Achtung trägt, sehr gut auskommen kann, besonders wenn der Betreffende einen edlen und guten Charakter besitzt. Obzwar ich bezweifle je einen Menschen sehr glücklich zu machen, würde ich doch wenigstens danach trachten, es in meinem ganzen Leben zu tun. […] Bei einer so aufrichtigen Kundgebung Ihrer Zuneigung zu mir bedurfte ich nun meine Ansicht ein wenig zu ändern. Bitte dies vielmals zu entschuldigen.“61

Was ist innerhalb dieser so kurzen, doch emotional so dichten Zeitspanne passiert, um bei Karoline einen Sinneswandel herbeizuführen? Galten die oben aufgeführten Argumente wirklich oder unterdrückte die 28‑jährige Frau ihre Gefühle zugunsten einer von den Familien bevorzugten und forcierten Eheschließung? Von ihrem Vater und ihrer Mutter Ernestine, geborene Gräfin Czernin von und zu Chudenitz, dürfte die Heirat ihrer Tochter in eine der wohlhabenden und einflussreichen Familien des böhmischen Adels, wie die Harrach eine war, wärmstens gefördert worden sein, da 60 Karoline Oettingen an Otto Harrach, Schloss Baldern (Baden-Württemberg), 16.10.1901, in: AVA, FAH, Kt. 856. 61 Ebd., Hluboš (Böhmen), 25.10.1901.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

eine möglichst gute Heirat der Schlüssel zu einem standesgemäßen Leben für die adeligen Frauen war.62 Otto hingegen scheint von Anfang an verliebt gewesen zu sein. In einem Brief an Vetter Franz Harrach, in dem er für dessen Verlobungswünsche dankt, schreibt er über sein großes Glück und zweifelloses Bestreben, sein „allerliebstes Linerl nach Kräften glücklich zu machen“, gerade wie sie ihn.63 Karolines rege Korrespondenz nach ihrer Verlobung, also nachdem sie ihren Widerstand aufgegeben hatte, war voll von Liebeserklärungen und manchmal von der Bitte um Verzeihung wegen ihres Verhaltens. Während der Verlobungszeit lässt sich die zentrale Rolle der Familie eindeutig nachweisen. Eine Reihe von Besuchen und Briefen trug zur gegenseitigen offiziellen Vorstellung der ohnehin in adeligen Kreisen nicht unbekannten Verlobten in beiden Familien bei. Eltern, Geschwister, Onkel und Tanten sowie die Großeltern wurden miteinbezogen.64 „Sehr gut von Dir meiner Schwester Sophie zu schreiben“; „famos dass Du an Großpapa geschrieben hast, bin stolz auf Dich […] Dein Vater ist wirklich gut – Du kannst sicher sein, dass ich immer alles tun werde um ihn zufrieden zu stellen und meine Dankbarkeit zu bezeugen“; „Küsse, Grüsse an Eltern und Geschwister“, schrieb Karoline Oettingen unter anderem an Otto Harrach während der Probezeit des Paares.65 Wie beim Adel traditionell üblich, machten erst öffentliche Zustimmung und Anteilnahme der Familie die Heirat legal.66 30 Jahre nach seiner Heirat am 14.1.1902 suchte Otto selbst dringend nach vertrauten Informationen und Empfehlungen aus dem Familien- bzw. Verwandten- und Bekanntenkreis, bevor er seine Zustimmung zur Hochzeit zwischen seiner Tochter Ernestine und dem Grafen Hans Aehrenthal gab: „Kannst Du mir nicht sagen, ob Du irgendetwas aus seiner ziemlich geräuschvollen Vergangenheit gehört hast, das mich zwingen könnte, meine Zustimmung zu verweigern? Er hat ja auch bei Euch öfter verkehrt. Ich sehe es als meine Gewissenspflicht an, jetzt noch binnen 3 Tage mich über sein Vorleben zu orientieren. Vielleicht kannst Du mir wenigstens sagen, an wen ich mich da sicher und ohne Gefahr wenden könnte. Bitte um schleunigste Antwort 62 Vgl. Winkelhofer, Adel verpflichtet, 45. 63 Otto Harrach an Vetter Franz, Wien, 13.11.1901, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 64 Karoline Oettingen an ihren Verlobten Otto Harrach, Hluboš, 17.11, 28.11., 11.12. und 13.12.1901, in: AVA, FAH, Kt. 856. 65 Ebd., Hluboš, 19.11.1901, Petersburg (Böhmen), 12. und 15.12.1901. 66 Václav Bůžek, Die private Welt der böhmischen adeligen Familien in ihren Selbstzeugnissen des 16. und 17. Jahrhunderts, in: Heinz-Dieter Heimann (Hg.), Adelige Welt und familiäre Beziehung. Aspekte der „privaten Welt“ des Adels in böhmischen, polnischen und deutschen Beispielen vom 14. bis 16. Jahrhundert, Potsdam 2000, 18.

1.2 Vor und in der Ehe: Ehefrauen und ‑männer in Zeiten der Endogamie

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und womöglich Telegramm. Mein Herz krampft sich zusammen dass meine einzige Tochter so ganz aus unseren Sphären heraus heiraten soll. Aber es ist höchste Zeit, dass sie einen Mann findet. Was sagst Du vom Standpunkt der Familie aus dazu?“,

schrieb Otto am 19. August 1932 an seinen Cousin Franz. Vier Tage später, nachdem er von Leopold Lobkowitz ein sehr warmes Fürsprachetelegramm erhalten und sich Prinz Alain Rohan angesagt hatte, um sich für den Bräutigam einzusetzen, drückte er seine große Freude über das Glück seiner Tochter aus und bat Franz, seinen letzten Brief zu verbrennen.67 Das von den Familien akzeptierte neue Ehepaar musste finanziell abgesichert werden, damit die Ehe auf Lebensdauer stabil und standesgemäß war. In der Regel schlossen adelige Familien bei Hochzeiten einen Ehevertrag ab, der die Mitgift und Ausstattung der Braut, Eigentumsrechte, Erbangelegenheiten, Vormundschaftsfragen und die eventuelle Versorgung der Witwe regelte.68 So sicherte Johann Nepomuk 1893 bzw. 1896 durch Eheverträge all seinen vier Töchtern und ihren Ehemännern ein jährliches Einkommen von 7500 bzw. 10.000 Gulden aus den ihnen zugewiesenen Heiratsgütern.69 Zwei Wochen vor Ottos Hochzeit mit Karoline zu Oettingen-Wallerstein verpflichtete sich Johann Nepomuk Harrach als Familienoberhaupt schriftlich dazu, während seiner Lebenszeit und während der Dauer dieser Ehe eine Apanage von jährlich 60.000 Kronen zu zahlen sowie seinem Sohn für sich selbst, seine Familie und seine Diener angemessene Wohnungen in den Schlössern Rohrau und Zeltsch bereitzustellen und ihnen ein Wohnrecht im Wiener und Prager Palais einzuräumen.70 Wenn auch finanziell abgesichert, teilten Otto und Karoline (vor allem Letztere) das Schicksal vieler anderer junger Paare in adeligen Familien des alten Österreich und hatten Mühe, sich in ihrer neuen Position innerhalb der Großfamilie des Mannes zu behaupten.71 Selbst Otto hatte Schwierigkeiten, sich gegenüber seinem Vater als frisch verheirateter Mann, der sich auch für seine Frau interessierte, durchzusetzen. Als Otto in Rohrau zwei Zimmer für Karoline herrichten ließ, zog er sich das Missfallen seines Vaters zu. Sein vertraulicher Brief kurz vor Weihnachten 1902 an seinen Onkel Alfred, der als Ratgeber wirkte, gibt uns Einblick in die Gefühle des 67 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 19. und 23.8.1932, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 68 Diemel, Adelige Frauen, 53–54. 69 Testament Johann Graf Harrach, 22.8.1904, Paragr. 1, in: AVA, FAH, Kt. 913 und 654; Zusammenstellung des Heiratsgutes und Ausstattungsauslagen der Erlauchten 4 Comtessen, Hauptkassa, 1. Juni 1900, in: AVA, FAH, Kt. 887. 70 Johann Harrach an seinen Sohn Otto, Wien, 31.12.1901, in: AVA, FAH, Kt. 857. 71 Vgl. Winkelhofer, Adel verpflichtet, 83.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

künftigen Chefs der Harrach, der nach einem Gleichgewicht zwischen väterlicher Autorität und ehelicher Hingabe suchte: „[…] was meine Frau anlangt, trifft mich immer sehr scharf und da bin ich auch sehr empfindlich und werde mir die Empfindlichkeit nicht einmal ausreden lassen, denn ich habe nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht, da sehr empfindlich zu sein. […] Wie du mir rätst bin ich zurückhaltend, nachgiebig und beherrschte mich. So lebte ich bisher, aber als verheirateter muss man halt auch an seine Frau denken […].“72

Zunächst einmal konnte die Enge des Zusammenlebens selbst in einem Schloss Spannungen, Streitigkeiten, ja sogar Hass untereinander erzeugen, wie eine Studie über einige adelige Familien Österreichs im 20. Jahrhundert gezeigt hat.73 Johann Nepomuk Harrach scheint zu Hause eigensinnig gewesen zu sein. Seine Schwiegertochter Karoline war selbst noch während seiner Krankheit in seinem letzten Lebensjahr unsicher, was ihr Verhalten ihm gegenüber anbetraf. „Tante Anna ist mir eine wahre Ratgeberin. Sie weiß wie man Deinen Vater behandeln muss, schwierig“, schrieb Karoline am 21. Februar 1909 aus dem Seebad Abbazia, wo sie mit Ottos Vater und dessen Onkel überwinterte. „Mit Deinem Vater weiß ich jetzt umzugehen“, schrieb sie am nächsten Tag, obwohl sie schon sieben Jahre verheiratet waren.74 31 Jahre danach wurde die künftige Schwiegertochter der verwitweten Karoline wärmstens begrüßt und liebevoll in die Familie aufgenommen: „Meine geliebten Kinder Sehr glücklich über die freudige Nachricht, […] ich kann dem Gott nicht genug danken, dass ich eine so liebe Schwiegertochter bekomme, sehne mich sehr Dich liebe Stefanie, recht bald begrüßen zu können. […] Hoffentlich wird Euer Kommen bald ermöglicht und wird sich Stefanie bei uns recht wohl fühlen und ihr neues Heim lieb gewinnen.“75

Die adelige Ehe war aber letzten Endes primär eine Angelegenheit des Paares, die natürlich von der jeweiligen Familienkonstellation beeinflusst wurde. Es war nicht im72 Otto Harrach an Onkel Alfred, Zelč, 22.12.1902, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol.129. 73 Walterskirchen, Adel in Österreich, 28. 74 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Abbazia, 21. und 22.2.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856. „Froh dass Papa mich braucht um gut zu bleiben und jetzt vor mir Respekt hat. Wie fehlen mir in so schwierigen Augenblicken meine guten Eltern, die mir immer so richtig geraten haben?“, hatte sie am 20.2.1909 geschrieben. 75 Karoline Harrach an ihren Sohn Hans (und seine Verlobte Stephanie Eltz), Strkow, 13.7.1940, in: AVA, FAH, Kt. 912.

1.2 Vor und in der Ehe: Ehefrauen und ‑männer in Zeiten der Endogamie

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mer leicht für den Ehemann und Familienvorstand, gleichzeitig als Ehemann, Sohn, Vater, Bruder, Nachfolger oder Familienoberhaupt zu agieren. Die Verpflichtungen und Anforderungen auf den verschiedenen Gütern, Herrschaften und Schlössern sowie Jagden und Badeaufenthalte führten zu seiner häufigen Abwesenheit vom eigenen Haushalt, der übrigens mindestens 570 Briefe, die Karoline Harrach von 1901 bis 1904 und von 1907 bis 1918 an ihren Gatten Otto sendete, zu verdanken sind. Ottos Reisen nahmen meist drei bis fünf Tage, manchmal sechs bis zehn Tage, seltener bis zwei Wochen und länger in Anspruch. Abwesenheiten des Gatten waren auch bei anderen Familien anzutreffen. Alle Männer des Hochadels pflegten zu reisen, vor allem aber die Familienvorstände blieben für längere Zeit von zu Hause weg, wie die Fälle von Ottos Schwägern Stanislaus Wisniewski und Gottlieb Henn von Henneberg zeigen. Bei den verheirateten Offizieren sieht es bis 1914 anders aus, da sie in Friedenszeiten von ihren Frauen in ihre Dienstorte sowie bei Übungen begleitet wurden. Dies lässt sich am Beispiel eines anderen Schwagers von Harrach, des Kavallerieoffiziers Gabriel Marenzi, gut nachweisen.76 Dutzende Briefe von Karoline Harrach, in denen sie über ihre Einsamkeit bei der Abwesenheit Ottos klagte, vor allem solange ihre Kinder klein waren und ihr kaum Gesellschaft leisten konnten, sprechen für die weibliche Emotionalität, die wegen der Übernahme des bürgerlichen Familienideals im 19. Jahrhundert durch den Adel aufgewertet bzw. anerkannt worden sein dürfte.77 „Fühle mich recht einsam ohne meinen guten Mann“; „schrecklich allein“; „fühle ich mich so entsetzlich verlassen […] Mein Schatz verwöhnt mich“; „sehr traurig ab seiner Abreise. […] Seine Abwesenheit überall fühlbar“; „Das Leben ist sinnlos, wenn Du nicht dabei bist“; „Das Leben ist so kurz und wenn man so viel getrennt ist, hat man wenig davon […]. Das Zusammensein mit anderen ist kein Ersatz dafür. Hätte ich die Goldkinder nicht, wäre mein Leben unausgefüllt“,

sind in Karolines Briefverkehr im ersten Jahrzehnt ihrer Ehe oft vorkommende Formulierungen.78 Gelegentlich wurde die Bedeutung Ottos sehr betont, wodurch sein Selbstverständnis als Mann gestärkt worden sein dürfte. Wie mag sich der 45‑jährige 76 AVA, FAH, Kt. 857–858. 77 Siehe die Briefe von Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 7. und 12.4.1902, 23.5.1903, 8.4.1904, 5.5.1907, 24.4. und 9.5.1908, Prugg, 30.11.1904, Hradek, 14.8.1909, Strkow, 4.9.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856. 78 Ebd., Wien, 3., 7. und 12.4.1902, 3.5.1903, 27.2. und 8.4.1904, 5.5.1907, 9.5. und 12.6.1908, Zelč, 10.7.1902, Rohrau, 14.6.1903, Prugg, 4.10.1911, 4.5.1912.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Otto Harrach gefühlt haben, als er die folgenden Zeilen las? „Das Leben ist sinnlos, wenn Du nicht dabei bist“, oder: „Aber wenn Du mir sehr sehnst, telegrafiere nur und komme. Du bist ja doch der Erste!“79 Auch Otto schrieb während seiner Abwesenheit sentimentale Briefe an seine Gattin, in denen er über sein Leid klagte – ein Indiz für die männliche Emotionalität, die ein Mann mit seiner Frau teilen oder auf diesem Wege konstruieren wollte. „Gestern Abend, als ich ins Bett ging war mir’s so bang um ihn, dass er da vielleicht nicht schlafen kann und ich ihm abgehe dass ich Bissl weinen musste“, schrieb Karoline im März 1903, als Otto wegen seiner Schwester Margarethe in Monte Carlo war. Und nach drei Monaten: „Glücklich über heutige Karte, bin nur desperat dass er nicht schlief und ich ihm fehlte“.80 Ihre Beschwerden über das Alleinsein wurden fast immer von Liebeserklärungen begleitet: „Denke viel an Dich, wie gut und lieb Du jetzt bist; Gott lohne es Dir und war ich noch nie so glücklich mit Dir“ und „Du bist ein gar lieber Mann dass Du so oft an mich denkst“ sind einige davon.81 Kein Verständnis zeigte Karoline jedoch für ungemeldete Abfahrten und abrupte Abwesenheiten.82 Sätze wie „Bin sehr einverstanden mit Deiner Reise nur begreife nicht warum Du mir nicht ein Wort darüber sagtest. Diese Bomben habe ich nicht gerne“ deuten darauf hin.83 Karoline blieb kaum von Depressionen verschont, an denen viele Frauen der „Ersten Gesellschaft“ vor 1914 litten.84 Die fehlende Autorität über das eigene Leben, das einzig nach den Erwartungen und unter Kontrolle anderer – hier der Eltern, des Mannes, des eigenen Standes – geführt wurde, zählte zu den klassischen Auslösefaktoren einer Depression.85 Eine nervliche Zerrüttung zeichnete sich bei Karoline vor allem zwischen 1907 und 1909 ab, d. h. in einer besonders schwierigen Lebensphase für sie und ihre Familie, als nach dem Tod ihres Vaters (1905) ihre Mutter schwer erkrankte und starb. Das offene Eingeständnis ihrer Neurose, die im schweren Fall ihrer Schwester Mettl einen Aufenthalt in einem Sanatorium notwendig gemacht hatte, zeigt, dass so etwas für Frauen des Adels wie übrigens auch des Bürgertums in Österreich akzeptabel war.86 Winkelhofer zufolge zeigen die vielen Hinweise auf 79 Ebd., Wien, 12. und 15.6.1908. 80 Ebd., Wien, 30.3.1903, Rohrau, 12.6.1903. 81 Ebd., Abbazia, 25.2.1910, Prugg, 11.6.1910. 82 Ebd., Rohrau, 14.6.1903, Abbazia, 17. und 20.2.1909, Prugg, 13.6.1909. 83 Ebd., Prugg, 4.12.1916. 84 Winkelhofer, Adel verpflichtet, 227: „Psychische Erkrankungen fasste man unter dem Sammelbegriff ‚Nervositäten‘ zusammen. Obwohl das Leiden weder so bezeichnet noch als solches erkannt wurde, waren Depressionen ein heikles Thema bei den Frauen“. 85 Ebd., 228–229. 86 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, o. O., 4.9.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856.

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Depressionen in den Quellen – von leichten melancholischen Anwandlungen bis zu schweren psychischen Störungen – auch die Schattenseiten jener Zeit und jener Gesellschaft.87 Karolines Unsicherheit und schlechtes Gewissen deuten auf die Einschränkungen und den sozialen Druck hin, denen eine adelige Frau ausgesetzt war. „Bin überzeugt dass alle Menschen mich mit Recht tadeln, dass ich nicht zu Dir eile, aber da Du es mir verbietest […]“, schrieb Karoline im Juni 1908. Am 6. März 1909 fühlte sie sich in Abbazia (Küstenland), wo Karoline mit ihrem kranken Schwiegervater und ihren Kindern die Wintermonate verbrachte, noch schlechter: „Willst Du überhaupt nicht zu Deiner Familie kommen? Mir ist so peinlich, vor den hiesigen Menschen immer allein zu sein, und werden sie natürlich reden und vermuten, dass ich eine bedauernswerte Frau bin.“88 Am selben Tag bereute sie ihre Beschwerde, wie aus einem nachfolgenden zweiten Brief an ihren Gatten hervorgeht: „Verzeihe mir. Manchmal bin ich aufgeregt. Muss ich nicht gleich schreiben.“89 Das Zusammenleben mit dem Hauspersonal und die Aufsicht über den Haushalt, ein traditionelles Aufgabengebiet der Aristokratin, wirkten möglicherweise belastend auf sie.90 Eine adelige Ehe- und Hausfrau fühlte sich oft in ihrem Haus bewacht, eingeschränkt und unwohl. Das zahlreiche Dienstpersonal, das vor allem in Schlössern und Palais der Familienhäupter dem Wohlleben seiner Herrschaften bzw. ihrer Entlastung von jeder Hausarbeit diente, schuf auch Probleme, besonders während der Abwesenheit des Mannes. Karoline Harrach war oft mit Missverständnissen, Konflikten und (Pseudo‑)Krankheiten des Personals konfrontiert.91 „Ich möchte wirklich diese Hausleute im Stich lassen und mit den Kindern fliehen. Von Früh bis Abend wird nur geärgert“, so Karoline Harrach im Dezember 1907.92 Die Ehefrau des Familienchefs, die als solche die erste Stellung innerhalb ihrer neuen Familie hatte, hatte auch mit Kritik von Verwandten zu rechnen, wenn sie ihre gesellschaftlichen Verpflichtungen bei Familientreffen und ‑zusammenkünften,

87 Winkelhofer, Adel verpflichtet, 229. 88 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 20.6.1908, Abbazia, 6.3.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856. 89 Ebd., Abbazia, 6.3.1909. 90 Zumindest wurde ihr als Hausfrau ein Wirkungsbereich zugewiesen. Sie führte die Aufsicht über die Küche und die Personen in Kost, sie beglich die Küchenrechnungen und hatte eine Mitsprache bei der Anstellung von Kinder- und Küchenmädchen. Siehe Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 16.9.1904, o. T. 3.1909, 27.4.1909, Prugg, 20.11.1904, 4. und 7.12.1916, Hradek, 17.8.1909, Strkow, 26.9.1916, in: AVA, FAH, Kt. 856. 91 Ebd., Wien, 31.1.1909; Rohrau, 21. und 23.5.1908. 92 Ebd., Wien, 5.12.1907.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

wöchentlichen Diners usw. nicht wahrnahm. Die Ansprüche waren hoch.93 „Line ist zum haus machen etwas schwerfällig, sie entschließt sich nie zu etwas, es waren schon Konfusionen, die Leute die bei Ottos geladen sind danken oft für die Einladung“, so Ottos Cousin Franz Harrach an seinen Vater während der Wiener Saison von 1911.94 Das Lob des Gatten für die erste Frau des Hauses war jedoch ausschlaggebend im Familienkreis: Sechs Wochen nach dem vorerwähnten Brief seines Sohnes erfuhr der älteste Harrach von seinem Neffen Otto, dass ihr „letztes Fest auf der Freyung“ glänzend gewesen sei. „Line hat alles selbst angegeben und vorbereitet, bewährte sich als vorzügliche Hausfrau, was mich besonders freute“, lauteten die letzten Zeilen in dessen Brief.95 Ottos Frau, die die unzweifelhafte Liebe und den vollen Respekt ihres Gatten, ab 1910 Chef des Hauses, genoss, setzte sich allmählich als erste Frau der Familie durch und fand durch ihre liebevolle und geschickte Haltung bei den Harrach große Anerkennung, was sich natürlich auf das Verhältnis beider Eheleute positiv ausgewirkt haben muss. Die warme und rührende Atmosphäre bei der Feier ihrer silbernen Hochzeit, die „dank der großen Bemühungen ihrer guten Kinder“ und mit Teilnahme der Großfamilie sehr gelungen war,96 spricht für eine glückliche aristokratische Ehe, die ohnehin Konventionen, Einschränkungen und Widersprüche für Männer, vor allem aber für Frauen des Adels mit sich brachte. Obwohl es schwierig ist, Überlegungen zum persönlichen Glück der Ehefrauen der Aristokratie anzustellen, da adelige Ehen das Ergebnis recht hoher Erwartungen seitens der Eltern und der Gesellschaft sowie praktischer Überlegungen über die finanzielle Absicherung der Zukunft waren,97 können zwei Ehen bei den Harrach mit Sicherheit – und zwar auch nach damaligen Kriterien – als unglücklich betrachtet werden. Die eine war die zweite Ehe Johann Nepomuks, der 1878, acht Jahre nach dem Tod seiner viel geliebten Frau Maria Margarethe, geborene Fürstin von Lobkowitz, im Alter von 33 Jahren Maria Theresia, geborene Prinzessin Thurn und Taxis, heiratete. Er war fünfzig und sie zweiundzwanzig Jahre alt. Silvia Hölbl zufolge, die in ihrer Dissertation über ausgewählte Familienangelegenheiten der Harrach diese

93 Zur Stellung und zu den Aufgaben der Ehefrauen der Familienchefs im alten Österreich vgl. Winkelhofer, Adel verpflichtet, 53, 81–82 und 228–29. 94 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 1.3.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 95 Otto Harrach an Onkel Alfred, Rohrau, 17.4.1911, MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 96 Otto Harrach an Tante Anna, Wien, 20.1.1927, und an Vetter Franz, Wien, 16.1.1927, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563 und Kt. 76, Fol. 1024. 97 Vgl. Winkelhofer, Adel verpflichtet, 96.

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Ehe unter die Lupe nahm,98 verweisen Textausschnitte aus den Briefen von 1904 bis 1905 nicht nur auf die Gefühlslage, in der sich die Gräfin befand, „sondern belegen die ständige temporäre Trennung des Ehepaares. Wie wenig Marie Therese über die Aktivitäten ihres Gatten informiert war, wie sehr sie unter der Trennung, der Einsamkeit, dem Unverständnis, aber auch unter der Gleichgültigkeit ihres Gatten litt“.99 Die Verzweiflung von Marie Therese, die ihren Mann verlassen wollte, über die „Lieblosigkeit, Kälte und Gefühlslosigkeit Johann Nepomuks“ ließ sie im Februar 1905 einen emotionalen Brief verfassen, in dem sie, „wiederum ohne Anrede, ihre Empfindungen niederschrieb und gleich am Anfang zum Wesentlichen kam“:100 „Nachdem ich nicht reden darf u. Du mir alles übel nimmst – ob ich rede oder schweige, wir uns absolut nicht verstehen können – so wiederhole ich was ich aber so oft Dir in Jahren schon geschrieben habe – dass es das beste ist ich gehe meine Wege – ich weis nicht wie es andere Menschen machen, ich treffe es absolut nicht mich mit Dir zu vertragen. Ich hatte immer die ehrlichste und beste Absicht und gab mir durch 26 Jahre grosse Mühe diese mir nur durch Kälte u. Härte gelohnt wurde die mich zur Verzweiflung brachte – in diesem Zustand bin ich jetzt – kann nicht so weiter leben, habe so gehofft dass Gott sich erbarmen werde u. Dich und mich befreie und mich v. diesem elenden Leben […] muss aber immer weiter vegetiren – da man sich leider nicht umbringen darf ist nichts zu thun als weg zu gehen – es wird ja irgendwo ein Winkel sein wo ich Niemanden genire wie ich es Dich thue. Diese ewige Komödie vor der Welt ist mir schon zu entsetzlich ich gehe einfach davon zur Stunde. Ich brauche ja so wenig zum Leben – habe gar nichts verlangt als ein […] das mich geliebt hätte – um das bin ich betrogen worden u. schleppe dieses elende Leben […]. Alle Deine Versprechungen dass jetzt alles anders würde – diesen Herbst habe ich dummerweise daran geglaubt – […] so wie damals wo Du mir das erste Mal schriebst – an das ich auch geglaubt habe, zu mein Unglück – jetzt glaube ich Dir gar nichts mehr – sehe zu klar, dass du mich immer nur beruhigen willst u. bestimmt nicht die geringste Absicht hast je anders mit mir zu sein […] deshalb will ich Dich und mich v. diesem Zwang befreien – Du wirst so aufathmen wenn Du mich nicht mehr zu sehen brauchst – ich weis ja wie zuwider ich dir bin – du zeigst es mir weis Gott genug! Du streubst Dich ja nur vor der Welt die Dir Alles gilt […] du kannst ihnen ja sagen wie ich an allem Schuld bin u. Dich unglücklich machte wie Du es mich genügend schon gemacht hast […]. 98 Außer den Ehen Johann Nepomuks mit Maria Margarethe und Maria-Theresia geht es in Hölbls Dissertation um die „Geisteskrankheit“ seines erstgeborenen Sohnes Karl und die schon erwähnte, mit großen finanziellen und familiären Problemen zusammenhängende Ehe seiner jüngsten Tochter Margarethe mit dem Prinzen Franz Windisch-Graetz; Hölbl, Harrach. Familienangelegenheiten, 69–202. 99 Ebd., 104–105. 100 Ebd., 106.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Das Einzige was ich auf der Welt habe, mein Kind, – das Dir ja d. Jahren ganz gleichgültig war und ist – braucht mich nicht mehr […] ich hänge weis Gott an keinen Äusserlichkeiten wie gerne hätte ich lauther Brod und etwas Liebe gegessen – besser als in goldenen Käfig in ewiger Verlassenheit u. Einsamkeit zu Grunde zu gehen.“101

Der hier so geschliffen widergespiegelte unglückliche Eheverlauf, der deutlich aufzeigt, mit welchen Zwängen und konventionellen Mustern Marie Therese umzugehen hatte, „stand stellvertretend für viele Frauen, denen aus Gründen der Familienräson die Bürde eines lieblosen Ehelebens auferlegt wurde“.102 Marie Therese hat letztendlich ihren Gatten nicht verlassen, was auch bei der zweiten unglücklichen Ehe in der Familie der Fall war: jener zwischen Maria Theresia Gräfin Harrach, Johann Nepomuks Tochter, und dem polnischen Grafen Stanislaus Wisniewski aus Galizien.103 Obwohl sich ihre Ehe ziemlich früh als misslungen erwies und ihr Gatte den Harrach unsympathisch war,104 ging es letztlich um die standesgemäße Haltung bzw. das Ansehen der Familie. Maria Theresia fühlte sich gezwungen, diese Ehe ohne Ausweg auf Lebensdauer durchzuhalten: „Du kannst Dir vorstellen wie angenehm das Leben für mich hier ist, da Stas mit mir hauptsächlich nervös ist und überhaupt mit mir gar nicht spricht und ich muss fort da leben in dem verhassten Land, neben einem Menschen, der mich hasst ohne Aussicht dass es je besser wird, und das ist das Leben, das ich mir selbst gewählt habe, das war wohl schon der größte Blödsinn von mir“,

schrieb sie ihrem Bruder Otto kurz vor Weihnachten 1906 aus Lemberg.105 Die Harrach ermutigten sie jedoch nie, sich aus dieser erfolglosen Ehe zu lösen, obwohl sie selbst Zeugen der Eigenwilligkeit des Grafen Wisniewski geworden waren. „Er geht mir so viel auf die Nerven […]. Dann soll er Prugg verlassen“, so Johann Nepomuk im August 1903. Drei Monate später „agitierte“ das zweitägige Zusammenleben der 101 Maria Theresia an ihren Gatten Johann, Gmunden, 8.2.1905, in: AVA, FAH Kt. 890, zit. in Hölbl, Harrach. Familienangelegenheiten, 106–107. 102 Hölbl, Harrach. Familienangelegenheiten, 107–108. 103 Ihre Hochzeit fand am 20. Oktober 1896 in Prugg statt. 104 Missverständnisse zwischen Wisniewski und seinem Schwiegervater tauchten schon vor der Hochzeit auf. 105 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 17.12.1906, in: AVA, FAH, Kt. 858. An Neujahr 1911 schrieb sie aus Krystynopol: „Hier ist es aber wieder so einsam und oft so traurig besonders an finsteren Tagen. Ich hab die Erfahrung gemacht, dass das Leben für mich gewöhnlich immer schlechter wird mit der Zeit. Also muss ich schon froh sein wenn nichts neues Arges dazu kommt.“

1.3 Eltern-Kinder-Beziehungen: Erziehung und Ausbildung

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beiden Männer im Wiener Palais auf der Freyung den Familienvorstand und führte laut Karoline dazu, dass es ihm schlechter ging. „Zum Glück reiste er heute mit Hans (seinen Sohn) ab. – hatte nun einen Einblick in diese Ehe und ist sie wirklich entsetzlich! War stressiert mit ihm“, schrieb Karoline Harrach.106 Die Lage für eine Frau des Hochadels schien im Fall einer unglücklichen Ehe wirklich schwer gewesen zu sein, da Emotionen gegenüber den Sitten- und Anstandsregeln der adeligen Gesellschaft zurückgestellt werden mussten.107 Letzten Endes kann man behaupten, dass die Endogamie und die andauernde soziale Überwachung bzw. Familienkontrolle bis in die Zwischenkriegszeit zur Erhaltung relativ stabiler Familienstrukturen beigetragen haben. Laut Stephanie Harrach hatte es „damals [d. h. noch in der Zwischenkriegszeit] keine Scheidungen gegeben“.108

1.3 Eltern-Kinder-Beziehungen: Erziehung und Ausbildung Die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern in den hochadeligen Familien Mitteleuropas waren noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts von den Lebensverhältnissen, dem Bedarf nach Wahrung der sozialen Vorrangstellung und den Traditionen des Adels geprägt. Die größtenteils getrennten Lebenswelten von Erwachsenen und ihren Kindern und die frühe Erziehung der Kinder durch Kindermädchen gaben Anlass zu der Behauptung, dass es zwischen Eltern und Kindern kaum intensive, emotionale Beziehungen gegeben habe und adelige Eltern in ihren Kindern weniger Individuen, sondern in erster Linie Garanten der Familienkontinuität gesehen hätten.109 Auf der Basis familiengeschichtlicher Studien zum altösterreichischen Adel ist diese verallgemeinernde These inzwischen etwas relativiert worden. Ein von Gefühlsintensität bzw. in modifizierter Form vom Bürgertum der Aufklärung geprägtes Familienideal soll auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern in den adeligen Schichten verändert haben, die seit dem Biedermeier deutlich liebvoller und fürsorglicher wurde.110 Die Zunahme der Kontakte zwischen Mutter und Kindern sowie die Art und Häufigkeit von Liebesbeweisen lässt sich zusätzlich anhand historischer Arbeiten aus verschiedenen Wissenschaftsdisziplinen im deutschsprachigen Raum nachweisen.111 106 Briefe an Otto Harrach von seinem Vater Johann, Hradek (Schüttenhofen), 25.8.1903, und seiner Gattin Karoline Harrach, Wien, 22.11.1903, in: AVA, FAH, Kt. 857 und 856. 107 Vgl. Hölbl, Harrach. Familienangelegenheiten, 107–108. 108 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 109 Vgl. Diemel, Adelige Frauen, 19. 110 Vgl. hierzu Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 20–21; Winkelhofer, Adel verpflichtet, 12. 111 Jochen Martin / August Nitschke (Hg.), Zur Sozialgeschichte der Kindheit, Freiburg 1986, 19. Ade-

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Abb. 12: Otto Graf Harrach mit seiner Gattin Karoline Prinzessin zu Oettingen-Oettingen und den Kindern Johann Graf Harrach und Ernestine Gräfin von Harrach (um 1907)

Auch Karoline Harrach lässt in vielen ihrer Briefe an Otto Anzeichen mütterlicher Einbindung und Emotionalität erkennen. Sie kontrollierte oft das Verhalten und die Gesundheit ihrer Säuglinge.112 Für sie waren Ernestine (geb. am 11. August 1903) und Johann (geb. am 25. September 1904) „große Zerstreuung im Alleinsein“ oder lige Frauen in Deutschland waren von 1890 bis 1939 „als Mütter oder Tanten für die Erziehung besonders der kleinen Kinder verantwortlich, ohne allerdings auf die Hilfe von Gouvernanten und Dienstmädchen zu verzichten“; Monika Wienfort, Adelige Frauen in Deutschland 1890–1939, in: Conze / Wienfort (Hg.), Adel und Moderne, 182. 112 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Rohrau, 21.8. und 27.9.1903, Wien, 18.12.1903, in: AVA, FAH, Kt. 856. „Die Aristokratin des 19. Jahrhunderts gab ihre Kinder nach der Geburt nicht mehr sofort in die Obhut des Personals, um schnellstmöglich ihre Rolle in der Gesellschaft und bei Hof wieder einzunehmen. Säuglinge blieben bei der Mutter, die sich in der Regel für die Entwicklung des Kindes interessierte“; Winkelhofer, Adel verpflichtet, 12–13.

1.3 Eltern-Kinder-Beziehungen: Erziehung und Ausbildung

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„die einzige Freude“ während Ottos Abwesenheit.113 Gemeinsame Spaziergänge, Besuche und Ausflüge mit ihren Kindern von 1907 bis 1916 auf dem Lande wie in der Stadt weisen eindeutig auf eine enge Mutter-Kinder-Beziehung hin.114 Wie uns jedoch der Fall der Fürsten Windisch-Graetz zeigt, setzte der allmähliche Wandel im Binnenraum der adeligen Familie alten Wertvorstellungen und Zwängen, wie dem unverkennbaren Abstand zu den Eltern und der Betonung überkommener Ordnungs- und Disziplinarvorschriften, bis ins 20. Jahrhundert kein Ende, „weil sie als unverzichtbare Voraussetzungen adeliger Exklusivität und damit als Attribute von Herrschaft bzw. Herrschaftsansprüchen galten.“115 Adeliger Exklusivität diente darüber hinaus die Anstellung von Kindermädchen für die Betreuung der Kinder von den ersten Tagen nach ihrer Geburt bis ins schulpflichtige Alter. „Dieses Personal bedeutete eine fühlbare Arbeitsentlastung und ermöglichte den Eltern die Fortführung ihres gewohnten repräsentativen Lebensstils“.116 Diese Feststellung gilt auch für die Grafen Harrach. Wie sonst hätte Karoline ihre Tochter im Alter von drei Monaten fast drei Wochen im Schloss Rohrau lassen und sich nach Wien begeben können? Dies wurde im folgenden Jahr für einige Tage wiederholt, als Ernestine 15 und Johann zwei Monate alt waren.117 Als ein Umzug der Familie von Wien nach Schloss Prugg bevorstand, wurden die mittlerweile elfjährige Tochter bzw. der zehnjährige Sohn vorgeschickt und die Eltern kamen einige Wochen später nach. In dieser Zeit statteten sie ihren Kindern ab und zu einen Besuch ab, blieben aber nicht über Nacht.118 Aber auch wenn die Eltern, vor allem die Mutter, sich gemeinsam mit ihren Kindern im Wiener Palais oder in einem Landschloss aufhielten, verbrachten sie den größten Teil des Tages getrennt voneinander. Dies war noch bis zum Zweiten Weltkrieg in altösterreichischen adeligen Familien, wie etwa bei den Grafen Eltz, die Regel. Stephanie Harrach, geborene Eltz, erinnert sich an die 1920er-Jahre, als sie und ihre Geschwister die meiste Zeit mit „Nannys“ und „Nurses“ verbrachten. Treffen mit den Eltern waren geregelt und kaum spontan. „Es hat bestimmte Zeiten gegeben, in denen die Kinder in den Salon durften“, und „das war bei den Harrach sicher auch 113 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 10.3.1907, in: AVA, FAH, Kt. 856. 114 Ebd., Rohrau, 28.11.1907, Prugg, 20.11.1904, Strkow, 30.7.1915, Prugg, 13.6.1909, Hradek, 23.8. und 16.9.1910 sowie 27.7.1912, Neuwelt, 2.8.1911, Strkow, 1.9.1911, Starkenbach, 22.8.1915, Abbazia, 2.3.1910, Wien, 24.4., 4.5. und 5.5.1908, 24. und 28.4.1909, 12.4.1910, 28.2.1912. 115 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 21. 116 Ebd., 23. 117 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 15.11. und 3.12.1903, Prugg, 18.11.1904, in: AVA, FAH, Kt. 856. 118 Otto Harrach an Onkel Alfred, Prugg, 17.4.1913, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

so“.119 Die Kinder sahen ihre Eltern beim Essen und verbrachten ansonsten den Tag mit der Gouvernante. Wenn es früher ein großes Diner gab, blieben die Kinder mit ihrem Erziehungspersonal zu Hause. Bei längeren Besuchen kam auch die Erzieherin mit und die Kinder waren dadurch „abgeschafft“.120 So lieb und teuer die Kinder ihren Eltern auch waren, im Mittelpunkt des familiären Lebens standen sie nicht.121 Dies konnte bei den meisten Familien nach dem Zweiten Weltkrieg wegen finanzieller Probleme nicht auf dieselbe Weise fortgesetzt werden. „Jetzt ist es anders, weil sie sich keine Nannies leisten können“, behauptete Stephanie Harrach im Jahr 2004.122 Das Elternhaus sollte wichtige Elemente einer adeligen Identität wie bestimmte Verhaltenskodizes, zentrale Ehrbegriffe oder einen distinktiven kulturellen Habitus vermitteln. Väter wie Mütter bevorzugten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein die traditionelle Hauserziehung. Dies betraf vor allem die Töchter, die auf ihre Aufgaben als Hausfrau und Mutter vorbereitet wurden.123 Gouvernanten mit hohen Qualifikationen in kultiviert-geselligen Bereichen wie Musik, Sprachen und Zeichnen übernahmen die Erziehung der Töchter. Dies war ein Muster, das bis in die Zwischenkriegszeit in Österreich nur geringfügige Modifikationen erfuhr.124 Stephanie Harrach erinnerte sich noch im frühen 21. Jahrhundert an Kindheitsund Jugendaufgaben und Beschäftigungen aus den 1920er- und 1930er-Jahren wie Malerei, Sprachen, Literatur, Zeichnen und Tennis.125 Dazu kam das Tagebuch, das „eine Tagesarbeit“ war und in das man „viele uninteressante Sachen“ hineinschrieb.126 Bei einer katholisch erzogenen adeligen Jugend muss das Tagebuch als säkularisierte Form der Beichte fungiert haben.127 Der Stundenplan der Kinder und Jugendlichen des mitteleuropäischen Adels scheint im 20. Jahrhundert sehr intensiv gewesen zu sein. Dies war aber auch in anderen europäischen Ländern wie Frankreich der Fall. „So wenig wie möglich wird dem Zufall überlassen.“128 Zudem wachten die Eltern mindestens bis zum Jahr 1940 über die geschlechtsspezifische Erziehung bzw. Aus119 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 120 Ebd. „Erst ungefähr ab dem 15. Lebensjahr wurden die Heranwachsenden stärker in den ‚öffentlichen‘ Bereich der Familie einbezogen“; Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 25. 121 Winkelhofer, Adel verpflichtet, 16. 122 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 123 Vgl. Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 132. 124 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 34, 114. 125 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 126 Ebd. 127 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 37. 128 Saint Martin, Der Adel, 178. „Unterricht in Lesen, Schreiben, Rechnen und Religion, Klavierunterricht, Zeichenstunden, Handarbeit […] Ausflüge zu bestimmten Zielen, Besichtigungen und Gesellschaftsspiele folgen direkt aufeinander“.

1.3 Eltern-Kinder-Beziehungen: Erziehung und Ausbildung

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bildung ihrer Sprösslinge. Die Mutter von Stephanie Harrach, geborene Eltz, verbot ihrem Sohn Georg, singen zu lernen, obwohl „er eine so gute Stimme hatte“ und sich Gesangsunterricht gewünscht hätte. Einer Fürstin Schwarzenberg wurde abgeraten, Kunstgeschichte zu studieren, weil das Männersache sei.129 Die Rolle der Gouvernanten wurde im Schulalter der adeligen Kinder von jener der Hauslehrer ergänzt, vor allem für die männlichen Kinder. Das Festhalten des österreichischen Adels am Prinzip der Hauserziehung noch bis ins angehende 20. Jahrhundert hängt nach Stekl mit dem „Streben nach sozialer Distanzierung und dem Wunsch nach Aufrechterhaltung eines flexiblen Lebensstils“ zusammen.130 Deswegen wäre es vielleicht etwas naiv zu behaupten, dass die Abgabe von Ausbildungs- und Erziehungsfunktionen an Hauslehrer, Gouvernanten und Internate Gleichgültigkeit und Lieblosigkeit der Eltern offenbarten.131 Gerade der Bedarf an Flexibilität wurde vom ständigen Sitzwechsel des Adels, vorwiegend der Familien der Oberhäupter, diktiert. Entsprechend konnten sich die seit dem späten 19. Jahrhundert florierenden Internate und Eliteschulen bei den adeligen Gymnasiasten nicht völlig durchsetzen. Das Gymnasialstudium der adeligen Kinder konnte bei allen oder einigen Klassen zu Hause mit Prüfungen an öffentlichen Schulen stattfinden. Otto Harrach, sein Sohn Johann und sein Neffe Hans Wisniewski, Maria Theresias Sohn, sind charakteristische Fälle der verschiedenen Ausbildungsvarianten beim Adel. Otto studierte die I u. II. Klasse des Gymnasiums privat, die III. bis VIII. Klasse 1877–1882 am k. k. akademischen Gymnasium in Prag. Am 24. Juni 1882 erhielt er mit Auszeichnung das von sechs Mitgliedern der Prüfungskommission und dem Schuldirektor unterschriebene Maturazeugnis (Vysvědčení Maturitní), das ihm den Weg zu einer Universität eröffnete.132 Die von ihm absolvierten Fächer waren Religion, Lateinische, Griechische, Böhmische und Deutsche Sprache, Geschichte und Geografie, Mathematik, Physik, Naturgeschichte und Philosophische Propädeutik (Proausbildung). Von 1882 bis 1886 studierte er Rechts- und Staatswissenschaften an der Juridischen Fakultät der Universität Wien (I.–IV. Semester) und der Universität Prag (V.–VIII. Semester), ohne sein Studium abzuschließen.133 Auf eine Universitätsausbildung legten übrigens nicht alle adeligen Familien großen Wert, wobei Rechtswissenschaften in der Regel vorgezogen wurden, da sie eine 129 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 130 Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 162. Selbst der standesbewusste französische Adel stand der Schule negativ gegenüber; vgl. Saint Martin, Der Adel, 177. 131 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 21. 132 Maturaprüfungszeugnis, in: AVA, FAH, Kt. 856, Familiensachen Otto. 133 Matrikelschein (23.12.1882 immatrikuliert) und Meldungsbuch des Studierenden Grafen Otto Harrach aus Prag, in: AVA, FAH, Kt. 856, Familiensachen Otto.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

vielseitig anwendbare Qualifikation boten.134 Der nächste Schritt für Otto war die erfolgreich abgehaltene staatswissenschaftliche Staatsprüfung und der Erwerb des Staatsprüfungszeugnisses am 3. Februar 1888 in Prag.135 Danach machte er seine Praxis in böhmischer Statthalterei als Konzepts-Praktikant (1888–1892) und arbeitete von November 1892 bis Juni 1894, nachdem er aus dem politischen Staatsdienst ausgetreten war, als Konzipist beim Ackerbau-Ministerium. Somit rüstete er sich für seine künftige Aufgabe als Familienoberhaupt.136 Auch Johann Harrach, Ottos einziger Sohn und Nachfolger im Vorstand des Hauses, studierte von 1922 bis 1926.137 Im Gegensatz zu seinem Vater war er als Gymnasiast von 1913 bis 1921 durchweg zu Hause unterrichtet worden. Vielleicht brachten Otto die besonderen Verhältnisse jener Zeit – Krieg, Zerfall der Monarchie – davon ab, seinen Sohn in eine öffentliche Schule zu schicken. Das von Otto Harrach angenommene Angebot des Erziehers Franz Josef Emmler, Johann in den Gymnasialfächern zu unterrichten, liefert uns einen Hinweis auf die Hauserziehung des adeligen Jungen: „Ich biete in meinem Haus die Stelle eines Erziehers meines Sohnes Erbgrafen Johann Harrach mit den einem Erzieher im Allgemeinen zustehenden Obliegenheiten und der besonderen Verpflichtung, meinen Sohn in den Gymnasialfächern zu unterrichten und für die Prüfungen als Privatisten in den 8 Klassen des Gymnasiums und zur Matura vorzubereiten und zwar falls der Erbgraf durchwegs als Privatist studiert, in den oberen Klassen eventuell unter Zuziehung einer Hilfskraft an.“138

Auch Johanns gleichnamiger Cousin in Lemberg, Johann Wisniewski, der Sohn Maria Theresias, bekam den Lehrstoff der ersten Klassen des Gymnasiums von einem Hauslehrer vermittelt. Ottos Schwester interessierte sich sehr für die Ausbildung ih134 Hannes Stekl, Der erbländische Adel, in: Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburger‑ monarchie 1848–1918, Bd. IX: Soziale Strukturen, Teilbd. 1/2: Von der Stände- zur Klassengesell‑ schaft, Wien 2010, 959–960. 135 Staatswissenschaftliche Staatsprüfung, Staatsprüfungszeugnis, in: AVA, FAH, Kt. 856, Familiensachen Otto. 136 Laut Qualifikationstabelle wurde Otto Harrach am 3.10.1888 der k. k. Bezirkshauptmannschaft in Wittingau, am 27.5.1890 der k. k. Bezirkshauptmannschaft in Krumau und am 3.9.1891 der k. k. Statthalterei in Prag zugeteilt; Qualifikationstabelle des k. k. Statthalterei-Konzeptspraktikanten Grafen O. Harrach, Prag, 4. Jänner 1891. Siehe auch v. Bezirkshauptmann, Krumau, 17.7.1890 und 8.9.1891, v. Sektions-Chef des Ackerbauministers, Wien, 18.6.1894, in: AVA, FAH, Kt. 856. 137 Otto Harrach an Vetter Franz, Prugg, 4.4.1926, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 138 Otto Harrach an Franz Josef Emmler (Erzieher), August 1913, in: AVA, FAH, Kt. 856, Familiensachen Otto.

1.3 Eltern-Kinder-Beziehungen: Erziehung und Ausbildung

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res Sohnes in Galizien und war stolz auf ihn, wie aus ihren Briefen von 1906 bis 1918 hervorgeht.139 „Diese Tage bekommt Hans seine erste Gymnasium-Uniform. Sie ist so wie die Kalksburger, nur tragen sie hier alle Gymnasiasten auch diejenigen die zu Hause studieren“, schrieb Maria Theresia im Januar 1910. Als sie und ihr Sohn sich in den Jahren 1914 und 1915 wegen der russischen Besatzung Galiziens monatelang zu Gast bei ihren Verwandten in Österreich und Böhmen aufhielten, setzte Johann seine Studien mit Hauslehrern fort. Die Verhältnisse änderten sich mit der Rückkehr 1916 nach Lemberg. „Hans hat nun sein Studium wieder begonnen und zwar öffentlich im Gymnasium nebenan. Er kommt entzückt von der Schule.“140 Selbst die jüngste Schwester Ottos, Margarethe Windisch-Graetz, die wegen der Verschuldung ihres Gatten in eine finanzielle Notlage geraten war, verzichtete sowohl im In- als auch im Ausland kaum auf ausländische Gouvernanten, konnte sich aber auf Dauer keine Hauslehrer leisten und schickte ihre Kinder in ihren jeweiligen Wohnorten in Oberösterreich und Salzburg in die Schule bzw. ins Gymnasium.141 Im Grunde genommen handelte es sich um einen Trend, der sich seit den 1920er-Jahren in Österreich allmählich durchsetzte, als weibliche und männliche Nachkommen aus Adelsfamilien nach ihrer Grundausbildung zu Hause auf Schulen und in Internate geschickt wurden.142 Dies wird von Stephanie Harrach für sich selbst und ihre Geschwister in den späten 1920er- und frühen 1930er-Jahren in Wels bestätigt.143 Ernst Leonhard, der Sohn von Ottos Stiefbruder Ernst, besuchte übrigens nach dem Tod seiner Mutter Elisabeth (1932) das Internatsgymnasium für adelige Kinder im Benediktinerstift Seitenstetten (Niederösterreich).144 Internatsschulen wurden seit dem späten 19. Jahrhundert vor allem in Familien von Agnaten ausgewählt, weil sie durch die Verbindung von sozialer Exklusivität, qualitätsvollem Unterricht und religiöser Formung eine angemessene Vorbereitung für die künftige Berufslaufbahn der Söhne boten.145 139 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 10.1. und 17.12.1906, 9.3.1910, 19.3. und 25.4.1914, 12.6.1916, Krystynopol, 28.9.1918, in: AVA, FAH, Kt. 858. Sie fragte natürlich auch nach dem Fortschritt von Ottos Kindern, vor allem nach jenem von Johann. Die Söhne, besonders die Erstgeborenen, hatten einen hohen Stellenwert im alten Österreich, weshalb ihre sorgfältige Ausbildung durch Hofmeister und Hauslehrer besorgt wurde; siehe Alfons Clary-Aldringen, Geschichten eines alten Österreichers, Wien 1996, 75. 140 Maria Theresia Wisniewski an Otto Harrach, Lemberg, 21.1.1910, Wels, 20.9.1915, Lemberg, 12.9.1916, in: AVA, FAH, Kt. 858. 141 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Neu-Pernstein, 9.6.1908, Hefterhof-Parsch, Salzburg, 17.9.1918, in: AVA, FAH, Kt. 858. 142 Vgl. hierzu Walterskirchen, Adel in Österreich, 47. 143 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 144 Interview mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008. 145 Stekl, Der erbländische Adel, 959.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Die Eltern-Kind-Beziehungen hatten auch eine andere Dimension: die Unterstützung der Eltern im Alter durch ihre Kinder oder zumindest einen gewissen Respekt den älteren Familienangehörigen gegenüber. Das Interesse, die Sorgen, die Gesellschaft und das Engagement, mit denen vor allem die erste und die dritte Tochter von Johann Nepomuk Harrach ihrem Vater in den letzten Jahren seines Lebens begegneten, liefern dafür den besten Beweis.146 Eltern mussten gepflegt und respektiert werden. Wenn dies nicht geschah und das Bild der Familie beschmutzt zu werden drohte, konnte das Familienoberhaupt eingreifen. Aus diesem Grund bemühte sich Ernst Harrach bei seinem Stiefbruder, dass dieser zugunsten ihres Onkels und ihrer Tante intervenierte: „Gestern erhielt ich einen Brief von Gries, die mich bittet Dir zu sagen, dass Onkel Alfred recht elend sein soll und Tante Anna so sehr verlassen […]. Alle Leute scheinen eher verwundert zu sein, dass die Kinder Tante Anna gar nicht helfen […]. Gries meinte, Du hättest einen Einfluss auf Franzi dass er sich etwas kümmert.“147

Otto selbst ist es im Alter vermutlich besser ergangen. Johann Harrach hatte mit acht Jahren seinem Vater, wenn auch vermutlich auf Vorschlag seiner Mutter, einen Vorgeschmack davon gegeben: „Ich aber will Dein daheim jederzeit durch Fleiß und gute Sitten, durch Lieb und Dankbarkeit verschönern. Dein Hans“.148 In einem herzlichen Brief an ihren Sohn kurz vor seiner Hochzeit lobt ihn die verwitwete Karoline für seine tadellose Haltung nach dem Tod seines Vaters, beruhigt ihn bezüglich ihres künftigen einsamen Lebens als alte Frau und ermutigt ihn zu heiraten: „Das Alleinsein trägt nichts. Ich war glücklich diese 5 Jahre bei Dir sein zu können und hast Du mich nur zu verwöhnt. Sonst hast mir gegenüber Deinen lieben guten und edlen Charakter gezeigt. […] Bleib wie Du bist […]. Sei ganz beruhigt und ich verspreche Dir, dass ich nicht viel allein sein werde; Es ist einmal das Los der Alten, allein zu sein und muss man sich da hinein fügen! Die größte Freude bleibt halt da die Familie!“149

Zu guter Letzt sei auf die wichtige Rolle hingewiesen, die Onkel und Tanten für die Kinder sowie für die Jugendlichen bei den Harrach spielten. Durch ihre Gastfreundschaft, Ratschläge und Unterstützung standen sie dem Nachwuchs der Familie bei 146 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 19.1.1905, 20.7.1908, und seiner Schwester Maria Theresia Wisniewski, Krystynopol, o. T. 7.1903, Lopatyn, 28.7.1908, Hradek, 24.9.1908, 18.7.1909, in: AVA, FAH, Kt. 857 und 858. 147 Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Schindelthal, 6.10.1911, in: AVA, FAH, Kt. 859. 148 Hans Harrach an seinen Vater Otto, Wien, 10.2.1912. 149 Karoline Harrach an ihren Sohn Hans, Strkow, 1.10.1940, in: AVA, FAH, Kt.912.

1.4 Familienzusammenhalt und -bewusstsein: Rituale und Solidarität

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und gestalteten – neben den Eltern – ihr Leben und ihre Wertvorstellungen mit. Dies traf vor allem auf Ottos kinderlose Schwestern Anna und Gabriele in Bezug auf die sieben Kinder ihrer Schwester Margarethe Windisch-Graetz zu, aber auch auf Ottos Verhältnis zu seinem Onkel Alfred bzw. zu seiner Tante Anna wie jenes seiner Kinder zu deren Onkel Franz. Ein solches Verhältnis zeigt sich auch in Ottos Danksagung an seinen Cousin, der 1925 seine 22‑jährige Nichte samt seiner fast gleichaltrigen Töchter während einer dreimonatigen Reise nach Italien begleitet hatte: „Nun ist Erni von der Reise glücklich unversehrt und in bester Kondition zurückgekehrt und es drängt mich, Dir von Herzen zu danken, dass Du ihr die ganze Zeit hindurch ein fürsorglicher väterlicher Beschützer warst, sodass sie nur genießen konnte, was ihr geboten wurde und zwar mit großem Nutzen fürs Leben, sowie für die geistige Bildung.“150

1.4 Familienzusammenhalt und -bewusstsein: Rituale und Solidarität Die soziale Dynamik und Ausstrahlung einer adeligen Familie waren unter anderem auf ihren Zusammenhalt zurückzuführen, der durch Rituale und Solidarität manifestiert und gefestigt wurde. Zu diesem Zweck dienten, wie schon oben angedeutet, viele der Handlungen und Entscheidungen des Familienvorstands, der dabei in gewisser Weise die Rolle eines familieninternen Gerichts einnahm. Aber auch gerade Familienrituale wie verschiedene Familienfeiern, religiöse Initiationsrituale oder Ahnengedenktage sowie Geschenke und regelmäßige Treffen der Familienangehörigen, die häufiger in kleinen Gruppen als in großer Gemeinschaft stattfanden, dürften zur Erhaltung bzw. Stärkung der Familienbande sowie zur Bewahrung oder Konstruktion der familialen Erinnerung beigetragen haben.151 Der Geburts- bzw. der Namenstag des Familienvorstands wurde bei den Harrach im engeren oder breiteren Familienkreis gefeiert. Ottos Tagebuchaufzeichnungen aus dem Jahr 1892 berichten diesbezüglich: „16. Mai Montag, Papas Namenstag 8:40 Ankunft in Wien (aus Prag), fuhr ins Haus. Alle waren in Prugg und ich ging nur in die Messe. 10:45 fuhr ich nach Prugg wo ich um 12 ankam. Gespeist, Großmutter Taxis und Karoline waren auch da mit Mama und Ernst aus Abbazia. Ich brachte die Auerhähne mit. Um 5 Uhr war Tennis mit Cappy. Abends im Salon. 150 Otto Harrach an Vetter Franz, Prugg, 23.4.1925, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 151 Vgl. Conze, Von deutschem Adel, 352.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

17. Mai Dienstag. Früh bin ich mit Mitzi geritten und dann war Frühstück. Nachmittag spielten wir im Regen Tennis […]. Nach dem Tee um 6 Uhr fuhren wir mit Papa nach Wien. Mama und Ernst mit Groß. Taxis und Karoline blieben in Prugg. In Wien angekommen, gingen wir zu Alfreds, ich war dann mit Franzi in der Oper.“152

Und im November 1902 schrieb Johann nach seinem Geburtstag an seinen Bruder Alfred: „Es hat mich sehr gefreut Euch alle gesamt hier zu haben“.153 Namens- und Geburtstage der Kinder boten ebenfalls Gelegenheiten für Familienzusammenkünfte. Über Hans und Ernestine Harrach, die 1914 zehn bzw. elf Jahre alt wurden, gibt es im Tagebuch ihres Vaters Otto folgende Eintragungen: „16. Mai (Prugg) Hans Namenstag Messe Kapelle für Hans, dann Beschenkung, hatte große Freude, Sofie Mensdorff angekommen. Nachmittag Kinder gekocht im Kochhaus. 11. August (Prugg) Ernis Geburtstag Messe Kapelle, dann Erni Gratulation, viele Geschenke. Nachmittag kamen Ernste, Mitzi, Hans, Gabi Thun. Line mit Gabi nach Rohrau. Ernste abends Wien. 25. September (Wien–Prugg) Hans Geburtstag Früh 6 Uhr Wien angekommen, Mitzi, Stas, Hans bei uns. 12 Uhr Messe St. Stephan. 4 Uhr nach Prugg, Hansi gratuliert, beschenkt, festiert Kinovorstellung.“154

Auch Weihnachten und Ostern waren vor 1914 gute Gelegenheiten für Familientreffen in Prugg und Wien.155 Jedenfalls hielten die Harrach an einigen den Zusammenhalt der Familie gewährleistenden Bräuchen wie dem Austausch von Geschenken bzw. deren Versendung an Weihnachten sowie an individuellen und gemeinsamen Geschenken an Geburtstagen und sonstigen wichtigen Jahrestagen der Familienangehörigen fest.156 Vor allem die weibliche Frömmigkeit wies gleichfalls einen starken 152 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892, in: AVA, FAH, Kt. 886. 153 Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Prugg, 9.11.1902, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127. 154 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1914, in: AVA, FAH, Kt. 886. 155 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus den Jahren 1912, 1913, in: ebd. 156 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Wien, 3.5.1903, seiner Schwester Anna, Hradek (Schüttenhofen), 15.6.1903, 12.9.1908, 16.7.1911, 7.11.1914, 30.6.1916, 19.12.1917, 3.1. und 9.5.1918, von seinem Schwager Gottlieb Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 1.3., 9.3. und 14.3.1918, seiner Schwester Gabriele, Lemberg, 8.1.1906, Kronstadt, 10.12.1917, und seiner Schwester Maria Theresia, Krystynopol, o. T. 7.1903, 18.10.1911, 25.12.1911, Eberhard, 30.12.1914, Wien, 16.10.1915, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857, 858.

1.4 Familienzusammenhalt und -bewusstsein: Rituale und Solidarität

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Familienbezug auf. Gebete und Andachten am Gedenktag des Todes von Johann Nepomuk Harrach (12.12.1909) waren für alle Familienmitglieder Pflicht und Topos zugleich, wie aus der diesbezüglichen Korrespondenz (mindestens bis 1917) hervorgeht: „Im Gebet für ihn [Papa] alle vereint, wenn auch weit voneinander“; „Zwei Jahre ohne ihn, als ob es gestern war. Heute alle vereint im Gebet für ihn“; „ich lies eine kleine Messe für Papa lesen“; „Im Gedenketag sind wir vereinigt im Gebet“; „Ich war so froh den 2.11. mit Dir in Branna (Familiengruft) verbringen zu können, hatte das Gefühl so näher dem lieben Verstorbenen zu sein“

sind einige typische Wendungen, derer sich Johanns Töchter bedienten.157 Ottos Schwestern berichteten von ihren Gebeten für ihren Bruder Otto und seine Familie, und Karoline informierte ihren Verlobten über ihre Gebete und Andachten für ihn und seine Gesundheit.158 Sie ließ sogar heilige Messen in der Kapelle des Wiener Palais für Ottos Großvater zelebrieren und betete bei der heiligen Kommunion für alle „unsere teuren Verstorbenen.“159 Familienerinnerungen blieben durch die Religion lebendig. Bis in die 1930er-Jahre traf sich die ganze Familie Harrach wenigstens einmal im Jahr in Bruck (NÖ) und Wien.160 „Familientage“ als fixe Institution gab es übrigens im 20. Jahrhundert in vielen adeligen Familien Österreichs.161 Die silberne Hochzeit oder ein wichtiger Geburtstag eines Angehörigen stellten Festtage für die ganze Familie dar und mussten gemeinsam gefeiert werden, wie sich aus dem Briefverkehr bezüglich Johanns silberner Hochzeit im Jahr 1903 ergibt.162 Es mussten ernsthafte Gründe vorliegen, wenn auf ein großes Fest verzichtet wurde. Dies war 157 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna, Görz, 17.12.1910, Gabriele, Olmütz, 23. und 27.12.1909, 12.12.1911 und 1912, Kronstadt, 10.12.1917, Maria Theresia, Lemberg, 12.12.1917, Wien, 12.11.1910, Krystynopol, 2.11.1911, Margarethe, Neupernstein, 21.12.1910, 18.12.1913, und seiner Tante Anna, Aschach, 12.12.1912, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858, 859. 158 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna, Hradek (Schüttenhofen), 4.8.1903, und Maria Theresia, Krystynopol, 3.7.1904, sowie seiner Verlobten Karoline, Hluboš, 19. und 28.11.1901, Petersburg, 8.12.1901, Wien, 27.2.1904, 7.12.1907, Rohrau, 18.6.1908, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857, 858. 159 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 26.4.1909, Strkow, 1.11.1910, in: AVA, FAH, Kt. 856. 160 Interview mit Stephanie Harrach, 5.10.2004. 161 Vgl. Walterskirchen, Adel in Österreich, 19. 162 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 19.6.1903, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

1918 im letzten Kriegsjahr wegen Fahrterschwernissen zweimal der Fall: bei der silbernen Hochzeit von Margarethe Windisch-Graetz und beim 60. Geburtstag von Anna Henneberg.163 Gastaufenthalte und Besuche auf eine Einladung hin oder aus eigener Initiative bildeten während der ganzen Untersuchungszeit (1884–1945) die häufigste Form der regelmäßigen Treffen der Angehörigen der Familie Harrach. Es konnten Treffen von Geschwistern, von Neffen und Nichten mit ihren Onkeln und Tanten, von der Tochter mit ihrem Vater usw. sein. Die jeweiligen Familienoberhäupter hatten als Besitzer und Verwalter des Familienvermögens, folglich auch der Landschlösser und Stadtpalais, vor allem ihre engen Verwandten zu Gast. So hielten sich die während der 1890er-Jahre verheirateten vier Schwestern Ottos regelmäßig mit ihren Ehemännern und selten allein überwiegend in den Familienschlössern Hradek (Nechanic), Strkow, Prugg, Rohrau und Starkenbach sowie im Wiener Palais, seltener im kleinen Prager Palais auf.164 Jeder Aufenthalt erfolgte allerdings stets auf eine Einladung bzw. Anfrage und Genehmigung des Familienoberhaupts hin. Ottos Gattin empfing vor 1914 ihre Eltern, ihre Geschwister und ihre Oettingen-Wallerstein’sche Verwandtschaft anlässlich von Tagesbesuchen oder kurzen Aufenthalten vor allem in Wien, Prugg-Rohrau und Strkow.165 Karoline Harrach, geborene Oettingen-Wallerstein, war aber auch oft bei ihren Geschwistern und Verwandten in Bayern zu Gast, wo sie ihre kranke Schwester besuchte.166 Auch Anna, die älteste Tochter Johann Harrachs, konnte dank ihres Gatten Gottlieb Henneberg-Spiegel, der das Schloss Hradek bei Schüttenhofen in Südböhmen besaß, noch 163 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 17.11.1917, 21.1., 8.2., 4.3. und 9.5.1918, und Margarethe Windisch-Graetz, Parsch (Salzburg), 30.1.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 164 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Rohrau, 29.4.1902, 23.5., 4.6. und 28.8.1903, Prugg, 7.12.1916, Wien, 20.11.1903, 20.4.1911, 4.5.1914, 2.5.1908, 21.9.1912, Hradek, 9.8.1909, seiner Schwester Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 13.8. und 14.9.1910, 9.5., 4.10. und 16.10.1911, 23.8.1917, seinem Schwager Gottlieb Henneberg, Wien, 24.11.1906, seiner Schwester Gabriele Marenzi, Hradek, 18.9.1909, Olmütz, 12.12.1911, 21.6.1913, Wels, 1.6. und 2.8.1914, Hradek (Schüttenhofen), 21.6.1916, Lemberg, 26.9.1907, Johannisbad, 19.7.1906, seinem Schwager Gabriel Marenzi, Hradek (Schüttenhofen), 20.11.1905, Olmütz, 8.8.1912, 29.6. und 30.9.1913, seiner Schwester Maria Theresia Wisniewski, Wien, 13.9.1905, 16.12.1913, Lemberg, 8.6.1917, Krystynopol, 1.9.1903, 17.10.1913, und seiner Schwester Margarethe Windisch-Graetz, Neu-Pernstein, 9.6.1908, 6.6.1913, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857, 858. 165 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Rohrau, 24.5., 5.6. und 28.8.1903, Strkow, 1.9.1911, Wien, 1.5.1908, 21.9.1912, Prugg, 13.5.1911, 4.5.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856. 166 Ebd., St. Blasien, 12.7.1909, Wallerstein (Bayern), 5. und 7.11.1909, München, 15.3.1914; Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna, Hradek (Schüttenhofen), 16.7.1918, und Margarethe, Neupernstein, 7.7.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858.

1.4 Familienzusammenhalt und -bewusstsein: Rituale und Solidarität

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während des Ersten Weltkriegs neben Gottliebs Verwandten häufig ihren Schwestern, Schwägern, Neffen und Nichten (am häufigsten Margarethe Windisch-Graetz und ihren Kindern) Gastfreundschaft gewähren.167 Annas Schwester Gabriele Marenzi sowie ihre Tante Anna Harrach erwiesen sich ebenfalls als sehr gastfreundlich: Erstere hatte als Offiziersfrau ihre Verwandten in verschiedenen Orten (Lemberg, Olmütz und in ihrer Wohnung in Wels) zu Gast,168 während Alfred und Anna Harrach ihre Verwandten in ihren Schlössern in Aschach oder in Janowitz empfingen.169 Nicht selten hat es eine Kombination von aufeinanderfolgenden Familienbesuchen gegeben: „Wir kommen am 24. nach Wien und bitten Dich ob wir im Haus übernachten können. Die Gabriels sollen den 19. zu uns kommen und wir fahren dann mit ihnen fort, da ich in Wien Kommissionen habe, werden wir erst am 26. nach Prugg kommen können“, ließ Anna ihren Vater Johann Nepomuk am 14. Oktober 1898 wissen, während dieser Anfang September 1900 von Prugg aus seinen Töchtern Vella (Gabriele) in Wels, Anna in Hradek bei Schüttenhofen und schließlich seinem Bruder Alfred in Janowitz einen Besuch abstattete.170 Die Kontakte zwischen Familienangehörigen als Gastgebern und meist unerwarteten und eventuell unerwünschten Gästen verliefen nicht immer und überall reibungslos. Es gab gewisse Grenzen. Bei „Platzmangel“ durfte sogar die Bitte einer Schwester abgewiesen werden. Dies konnte während des Advents im Wiener Palais vorkommen, da die Reichshauptstadt wegen der Weihnachtseinkäufe zu dieser Zeit stark besucht wurde. Maria Theresia etwa stieß auf Schwierigkeiten, als sie Anfang Dezember 1913 ihre Reise von Galizien nach Wien plante. „Ich begreife es sehr, wenn ihr vielleicht gerade keinen Platz für mich habt. Mir wäre es sehr angenehm nicht im Hotel wohnen zu müssen, wenn ich allein in Wien bin. Ich habe viele Kommissionen, die einige Tage in Anspruch nehmen werden.“171 167 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna, Hradek (Schüttenhofen), 5.11.1900, 9.6. und 6.9.1903, 16.10.1911, 20.7. und 31.8.1912, 27.8. und 23.10.1913, 7.10.1914, 25.4. und 23.8.1915, 30.5. und 30.6.1916, 17.3., 30.6., 23.8. und 24.8.1917, 3.1., 16.7. und 29.9.1918, und Gabriele, Olmütz, 2.9.1911, in: AVA, FAH, Kt. 857. 168 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 19.6.1903, Olmütz, 2.7.1910, 21.6.1913, Wels, 3.7., 10.7. und 13.11.1914, 11.9.1915, Kronstadt, 9.3.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857. 169 Dort war Otto als junger Mann auch des Öfteren zu Gast, wie es sich aus seinen Dankbriefen ergibt: Otto Harrach an Onkel Alfred, Hradek, 24.7.1882, und an Vetter Franz, Krumau, 9.7.1891, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129 und Kt. 76, Fol. 1024. 170 Anna Henneberg an ihren Vater Johann Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 14.10.1898, in: AVA, FAH, Kt. 891; Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Prugg, 1.9.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127. 171 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, o. T. 11.1913, in: AVA, FAH, Kt. 858.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Unangemeldete Besuche, vor allem wenn dabei Hintergedanken unterstellt wurden, konnten zu Auseinandersetzungen führen, die mühsam brieflich bereinigt werden mussten. Margarethe Windisch-Graetz bat um Verzeihung, um ihren verärgerten Bruder Otto zu besänftigen, als sie im November 1917 mit einigen ihrer Kinder unerwartet in Schloss Rohrau erschienen war: „Was unseren Besuch in Rohrau anbelangt, geschah es gar nicht absichtlich hinter Deinem Rücken, denn wir fuhren als Ausflug mit den Kindern hin, um ihnen ihren Geburtsort zu zeigen. Ich finde es unbegreiflich, dass man nicht einmal ohne um Erlaubnis zu fragen, sein Vaterhaus betreten darf, wie wenn der Bruder ein Fremder wäre! Die Zimmer der Thuns anzusehen war vielleicht unzulässig, deshalb ging ich aber sofort zu Gabi Thun um mich zu entschuldigen. Es fällt mir nicht ein, noch etwas anderes zu verlangen, als was Du mir an Möbel gegeben hast. Tut mir Leid, wenn Du glaubtest, ich wollte in Rohrau etwas suchen und bitte lieber Otto um Entschuldigung, dass ich ohne Dich vorher zu fragen hier fuhr. Danke Dir Otto noch innigst für alles, dass Du mir wirklich so sehr geholfen hast, mir diesen ganz kleinen Haushalt hier zu ermöglichen, der unseren Verhältnissen entspricht in der jetzigen schweren Zeit.“172

Die Regeln mussten ausnahmslos von allen respektiert werden. Die Häufigkeit der Treffen mit manchen Verwandten war übrigens nicht besonders groß. Vor allem während des Krieges waren die Kontakte seltener. „Dein Besuch hat uns sehr gefreut. Komm wieder nach Böhmen mit Line und Kindern. Man kennt einander ja kaum mehr, wenn man sich erst in zwei Jahren wieder sieht“, so Anna Henneberg an ihren Bruder Otto im April 1915.173 Familienbesuche wurden auch während der Zwischenkriegszeit, vor allem in den ersten Nachkriegsjahren, fortgesetzt, wenn auch nicht immer so häufig wie früher. Aus der vorhandenen Familienkorrespondenz ergibt sich, dass Otto mit Line und Kindern bei ihrer Rückfahrt aus Bad Reichenhall in Oberbayern am 6. Juli 1925 für einen Tag ihre Tante in Aschach a. d. Donau besuchte, bevor sie nach Wels zu Gabriele weiterfuhren. Drei Jahre danach erwarteten sie in Schloss Hradek bei Nechanic einen mehrwöchigen Besuch „der Ernste“ (der Familie von Ottos Stiefbruder).174 Ernst bat seine Tante Anna, in Aschach übernachten zu dürfen, bevor er nacheinander seiner Stiefschwester Gabri172 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Parsch, 4.12.1917, in: AVA, FAH, Kt. 858. 173 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 25.4.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857. 174 Otto Harrach an Tante Anna, Reichenhall, 25.6. und 1.7.1925, Hradek, 3.8.1928, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563.

1.4 Familienzusammenhalt und -bewusstsein: Rituale und Solidarität

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ele in Wels (OÖ) und Anna in Hradek bei Schüttenhofen einen Besuch abstattete.175 Die alten Tanten von Hans Harrach, Vella und Mitzi freuten sich im August 1940 sehr, ihren Neffen und seine Verlobte Stephanie Eltz in Wels zu Gast zu haben, während sie Weihnachten 1941 bei Hans und Stephanie im Wiener Palais verbrachten.176 Gastfreundschaft gewann vermutlich für den Zusammenhalt der Familie gerade dann stärker an Bedeutung, wenn Verwandte auf familiäre Unterstützung angewiesen waren und sie als ein Ausdruck der Familiensolidarität betrachtet wurde. Otto bot seiner jüngeren Schwester Maria Theresia Wisniewski und seinem Neffen Johann während der russischen Besatzung Ostgaliziens in den Jahren 1914, 1915 und 1917 generös den Aufenthalt in verschiedenen Familienschlössern an.177 Anna und Gabriele folgten dem Beispiel ihres Bruders und beherbergten Maria Theresia im südböhmischen Hradek und in Wels. Dies wiederholte sich im Zweiten Weltkrieg, als Stanislaus und Maria Theresia Wisniewski als Flüchtlinge nach dem Polenfeldzug bei Gabriele Marenzi in Wels ein Obdach fanden.178 Otto Harrach räumte zudem 1920 der Familie seiner Schwester eine Wohnung im Schloss Rohrau ein, genauso wie seinem unter finanziellen Schwierigkeiten leidenden Stiefbruder Ernst.179 Die Harrach stellten Mitte der 1930er-Jahre der Familie von Margarethes Sohn Hans Windisch-Graetz, dessen Gesundheit sich seit den 1920er-Jahren drastisch verschlechtert hatte, eine Gratiswohnung in ihrem Wiener Palais zur Verfügung.180 Der Krieg ließ die Vielfalt und den Umfang der Familiensolidarität am deutlichsten erkennen. Otto Harrach überwies während des Ersten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsmonaten regelmäßig 1500 Kronen pro Monat sowie zusätzliche Beträge an seine Schwester Margarethe. Er beglich Arztkosten und sonstige dringende Rechnungen, versandte Möbel, Holz- und Kohlevorräte, Nahrungsmittel, Wildbret und Kleidungsstücke. Danksagungen und neue Bitten folgten in Margarethes Briefen unmittelbar aufeinander.181 Ihre kinderlosen Schwestern Anna und Gabriele änderten mitten im Krieg 175 Ernst Harrach an Tante Anna, Salzburg, 7.10.1934, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 33, Fol. 558. 176 Gabriele Marenzi und Maria Theresia Wisniewski an ihren Neffen Hans Harrach, Wels, 25.8.1940 (Maria Theresia auch am 5.1.1942), in: AVA, FAH, Kt. 912. 177 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Prugg, 15.10.1914, Wien, 27.4.1915, 28.2.1917, und seiner Schwester Maria Theresia Wisniewski, Prugg, 27.8.1914, o. T. 9.1914, in: AVA, FAH, Kt. 856, 858. 178 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 179 „Er war sehr nobel mit seinen Geschwistern gewesen“, meinte Stephanie Harrach in ihrem Interview am 5.10.2004. 180 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 219–220. 181 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Neu-Pernstein, 19.7., 17.8., 29.9. und 28.11.1915, 1.8.1916, 7.7. und 7.9.1917, Wels, 8.3.1917, Parsch (Salzburg), 2.12.1916, 29.3.,

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

ihre Testamente, damit ihr Vermögen nach ihrem Tod nur an die Kinder Margarethe und nicht an ihre anderen Neffen und Nichten übergehen konnte.182 Rechtskräftig wurden die Verfügungen erst in den 1930er-Jahren bzw. während des Zweiten Weltkriegs: „Ah ja, wir haben geerbt von ihnen [Marenzis], es muss ja mitten im Krieg gewesen sein. Wir haben von ihnen geerbt, […] und wir haben zu Gunsten der Kinder von Margaretha Windisch-Graetz verzichtet“, erinnert sich die Gattin des ehemaligen Familienoberhaupts Johann Harrach.183 Franz, Margarethe und ihre acht Kinder wurden auch von der Familie Windisch-Graetz unterstützt. Das Familienoberhaupt Alfred III. (1851–1927) überwies monatlich 1000 Kronen an seine Schwägerin für deren Salzburger Aufenthalt und verfügte, dass die Zinsen von 16.000 Kronen nach seinem Tod seinem Neffen Hans zufallen sollten.184 Des Weiteren sorgte Otto in den letzten beiden Kriegsjahren (1916–1918), die besonders schwierig waren, für wiederholte Zucker‑, Mais‑, Mehl- und Grießsendungen nach Südböhmen an seine Schwester Anna.185 „Bin so dankbar darüber, denn die Not ist hier enorm“ und „Im Vorjahr war die Sendung eine Wohltat! Verzeih die Lobkatur aber es ist ja Krieg“ sind typische Aussagen aus jener Zeit.186 Die Harrach’sche Landwirtschaft in Bruck an der österreichisch-ungarischen Grenze ermöglichte regelmäßige Lebensmittelsendungen nach Budapest, Kronstadt und Galizien, wo Ottos Schwager Gabriel Marenzi als Kavalleriegeneral diente bzw. einige Wochen Urlaub mit seiner Frau Gabriele verbrachte, sowie nach Wels, wo man nach dem Zusammenbruch der Monarchie und in den ersten Nachkriegsmonaten Not litt. Danksagungen für Ottos „herrliche“ Sendungen von Milch, Butter, Fasanen, Käse und getrockneten Früchten sprechen dafür.187 Der Familienvorstand erleichterte Ende 1914 die Besorgung von Papieren und Fahrkarten in Richtung Ungarn für seine Schwester Gabriele, und als sie im Frühling schwer erkrankte, finanzierte er ihre Operation, die ärztliche Behandlung und den Aufenthalt im Spital und im Sanatorium in Budapest.188 21.5., 18.10., 24.11., 4.12. und 12.12.1917, 30.1., 22.2., 29.5., 3.6., 17.9., 22.9., 2.10., 10.10., 4.11., 29.11. und 24.12.1918, 13.3.1919, in: AVA, FAH, Kt. 858. 182 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 17.2.1916, 11.3.1916, in: AVA, FAH, Kt. 857. 183 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 184 Alfred Windisch-Graetz an Otto Harrach, Wien, 12. und 27.11.1916, in: AVA, FAH, Kt. 868. 185 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Wien, 18.4.1912, Hradek (Schüttenhofen), 1.7.1912, 17.6. und 1.7.1913, 4. und 21.11.1916, 28.8.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857. 186 Ebd., 30.6. und 17.11.1917. 187 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Gabriele Marenzi, Budapest, 29.4.1915, Wels, 8.2.1919, und von seinem Schwager Gabriel Marenzi, Standort der 21. Brigade (Galizien), 20.2.1916, Kronstadt 21.5., 2.11. und 19.12.1917, Wels, 25.12.1918, 2.3.1919, in: AVA, FAH, Kt. 857. 188 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Wels, 21.11.1914, 24.11. und 6.12.1915, Budapest, 26.4.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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Die finanzielle Unterstützung wurde in der Zwischenkriegszeit fortgesetzt. Margarethe dankte im November 1934 ihrem Bruder Otto im Voraus für dessen finanzielle Hilfe bei der ihr vorgeschriebenen teuren und langen Kur nach ihrem Beinbruch im oberösterreichischem Heilungszentrum Gallspach.189 Ottos Sohn und Nachfolger Hans half seiner Tante Maria Theresia im ersten Jahr des Zweiten Weltkriegs nach besten Kräften: „Ich möchte so gerne Dir meine Dankbarkeit auf irgendeine Weise ausdrücken, dass Du mir gar so herzlich, mein Weiterleben ermöglichtest. Der liebe Gott möge Dir dies in Deinem weiteren Leben vielfach vergelten“, so Mitzi an ihren Neffen im September 1940.190 In Zeiten der Veränderung und der Verluste sollten enge emotionale Bindungen und eine große Familiensolidarität, die das gräfliche Haus Harrach besonders hochhielt und pflegte, Rückhalt bieten.191 Das Familienbewusstsein bei den Harrach, das durch enge Kontakte, Solidarität und einen Zusammenhalt über Jahrzehnte hinweg erhalten bzw. verstärkt wurde, hängt mit der Bewahrung der familiären Erinnerung und Tradition sowie dem fortgesetzten Interesse an der eigenen Geschichte zusammen, die die adelige Identität mitgestalteten.192 Der deutsche bzw. europäische Adel hat dabei „die einzigartige Fähigkeit, die eigenen Vorfahren nicht nur zwei bis drei Generationen, sondern fünf oder mehrere Jahrhunderte zurückverfolgen zu können“, und verfügt noch häufiger als Familien des Bürgertums über Familienarchive, genealogische Dokumente oder von einem Familienmitglied verfasste Familiengeschichten.193 Otto Harrach veröffentlichte 1907, also zwei Jahre vor der Übernahme der Familienführung, die von ihm verfasste Geschichte von Rohrau, die zwar keine vollständige Familiengeschichte war, aber den ersten Versuch in der Familie bildete, Licht in einen Teil ihrer Geschichte im Stammschloss Rohrau zu bringen. Das Buch wurde allen Geschwistern und Familienangehörigen zugeschickt.194 Ein Vetter aus der entfernten (deutschen) Verwandtschaft bedankte sich für die Sendung des Buchs und wies auf die Herkunft der Familie als das Besondere in der Rohrauer Geschichte hin: „[…] eine wirkliche Regenten-Sammlung der Familie.“ Er interessierte sich für das 189 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Gallspach (Grand Hotel), 10.11.1934, in: AVA, FAH, Kt. 858. 190 Maria Theresia Wisniewski an ihren Neffen Hans Harrach, Wels, 17.9.1940, in: AVA, FAH, Kt. 912. 191 Stekl, Der erbländische Adel, 1009; Silvia Hölbl, Harrach. Familienangelegenheiten, 203. 192 Nach Eckart Conze trugen Familienrituale wie verschiedene Familienfeiern oder religiöse Initiationsrituale und Ahnengedenktage zur Erhaltung bzw. Konstruktion der familiären Erinnerung bei. Conze, Von deutschem Adel, 352. 193 Malinowski, Vom König zum Führer, 49; Monique de Saint Martin, Die Konstruktion der adligen Identität, Berliner Journal für Soziologie, 4, 1991, 535; Saint Martin, Der Adel, 115. 194 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 10.1. und 9.2.1907, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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1. Zur Familie: Rollen, Funktionen, Beziehungen und Verdienste

Entstehen einer Familiengeschichte der Harrach, die zur Erhöhung seines bzw. des familiären Prestiges gegenüber den Standesgenossen beitrüge: „Fast alle anderen alten reichsständischen Familien haben eine Geschichte und wir brauchen sie ganz besonders notwendig“, so Hans Albrecht Harrach.195 Die deutsche Adelsgeschichte hat gezeigt, dass das Familienbewusstsein bis ins 20. Jahrhundert hinein neben dem Imperativ des Besitzerhalts einen Kernpunkt der Adeligkeit bildete.196 Der zentrale Stellenwert der Familie für jedes Familienmitglied blieb auch nach 1919 in Österreich erhalten, obwohl die Abstammung von einer adeligen Familie keine „rechtliche, politische oder gesellschaftliche Bevorzugung oder Sonderstellung mehr zur Folge hatte“.197 Es ist vielleicht unzutreffend und schwer nachweisbar, dass es kaum eine andere gesellschaftliche Gruppe gibt, für die die Familie einen so hohen Stellenwert hat wie für den Adel, wie Walterskirchen über den österreichischen Adel im 20. Jahrhundert behauptet. Jedoch spricht einiges für ihre Annahme, die adelige Familie habe „heute mehr noch als zu Zeiten der Monarchie“ einen hohen Stellenwert, da der Adelige unserer Tage einen wesentlichen Teil seiner Identität aus seiner Herkunftsfamilie schöpfe. „Sie vermittelt ihm die Bestätigung seiner adeligen Geburt, die ihm in der Außenwelt fehlt.“198 Stephanie Harrach, geborene Gräfin Eltz, die ihren 1945 verstorbenen Mann Johann Harrach 1940, d. h. fünf Jahre nach dem Tod ihres Schwiegervaters Otto, heiratete, stellt ein gutes Beispiel für den Versuch der Erhaltung der Familienerinnerung, des verbliebenen Familienvermögens und des Identität stiftenden Landschlosses in Rohrau dar. In unserem Interview war sie voll des Lobes, wenn sie von ihrem Schwiegervater sprach: „Was willst du, was willst du denn? Es kann nicht jeder ein Harrach sein. Das war ein Beweis, dass der Harrach, mein Schwiegervater, sehr nobel mit seinen Schwestern und Schwägern gewesen ist.“199 Die alte Idee des einzelnen Adeligen als Glied in der adeligen Kette200 fand bei den Harrach ihre Verkörperung. Otto Harrach soll während der Wirtschaftskrise nach 1929 viel gespart haben, um verantwortungsvoll das Familien‑, nicht das persönliche Vermögen zu erhalten und weiterzuvererben. Stephanie Harrach lehnte trotz der ungeheuren Einbußen durch den Zweiten Weltkrieg den Verkauf von Gemälden, Kunstgegenständen, ja sogar des Stammschlosses (Rohrau) der Familie ab. „Das ist alles Harrach. […] das gehört nicht mir, es ist harrachisch. … Na, na! Das war immer da gewesen und muss da 195 Hans Albrecht Harrach an Vetter Otto, Florenz, 2.2.1907, in: AVA, FAH, Kt. 859. 196 Vgl. Conze, Von deutschem Adel, 20. 197 Walterskirchen, Adel in Österreich, 16. 198 Ebd., 17. 199 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 200 „Alles ist die Kette – ich bin nur ein Glied“; Bieberstein, Adelsherrschaft und Adelskultur, 174.

1.4 Familienzusammenhalt und -bewusstsein: Rituale und Solidarität

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bleiben“, antwortete sie auf den Vorschlag ihrer Tochter hin, doch einiges zu verkaufen. „Das ist so wichtig, sehr typisch für den Adel, dass sie so denken“, behauptete Stephanie im Oktober 2004.201 Der Name als ein die Zeit überdauernder Ausdruck des symbolischen Kapitals der Familie musste erhalten bleiben und geehrt werden.202 „Franzi hat nur seine Pflicht getan [als Beschützer des Thronfolgers Franz Ferdinand beim Attentat in Sarajevo]. Es war mir eine große Satisfaktion den Namen unseren Familienchefs zu loben“, schrieb Tante Anna im Juli 1914 voll Stolz über ihren Sohn und ihre ganze Familie.203

201 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 202 Vgl. Saint Martin, Der Adel, 65. 203 Tante Anna Harrach an ihren Neffen Otto, Frischau, 11.7.1914, in: AVA, FAH, Kt. 859.



2. Besitz und Wirtschaft

2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn): Umfang und Entwicklung des Harrach’schen Großgrundbesitzes Der österreichische Zweig bzw. der Hauptzweig der Harrach besaß im 19. und frühen 20. Jahrhundert Domänen (Herrschaften) und Güter in Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (und angrenzend in Westungarn bzw. nach 1920 im Burgenland). Dies war das Ergebnis eines langen Landerwerbsprozesses (einschließlich Landabtretungen und -verkäufen), der im 16. Jahrhundert begonnen hatte und sich bis in die letzten Jahre des 19. Jahrhunderts fortsetzte.1 Der Erwerb 1524 von Rohrau und 1625 von Prugg in Niederösterreich, 1622 von Stauff-Aschach a. d. Donau in Oberösterreich, 1632 von Branna (Branná), 1650 von Stösser/Stěžer, 1701 von Starkenbach (Jilemnice) und 1829 von Sadowa (Sadová) im nordöstlichen Böhmen sowie 1745 von Janowitz in Mähren und 1870/1896 von Zeltsch (Zelč), Plana (Planá) und Strkow (Strkov) in Südböhmen markierte die wesentlichen Stationen der Entstehung dieses Großgrundbesitzkomplexes, der jahrhunderte- bzw. jahrzehntelang im Eigentum der Harrach blieb.2 Im Vormärz vergrößerte sich der Harrach’sche Großgrundbesitz3 in Böhmen in erheblichem Maße durch den Erwerb von Sadowa und nahe gelegener Güter im 1

2 3

Angaben zum Stand und Erwerbsprozess der Harrach’schen Güter sind vor allem zu finden in Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 972; Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 2–3; Turčín / Bečvářová, Velkostatek [Herrschaft] Sadová, I–IV; Bouza / Moravcová, Velkostatek [Herrschaft] Jilemnice, I–III. Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 972. Als Großgrundbesitz wurde im alten Österreich ein Besitz über 200 Hektar angesehen. Peter Melichar, >200 Hektar, Niederösterreichischer Großgrundbesitz in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in: Peter Melichar / Ernst Langthaler / Stefan Eminger (Hg.), Niederösterreich im 20. Jahrhun‑ dert, Bd. 2: Wirtschaft, Wien/Köln/Weimar 2008, 578–79.

92

2. Besitz und Wirtschaft

Bidschower Kreis. Franz Ernst Harrach, Chef der jüngeren bzw. böhmischen Linie von 1838 bis zu seinem Tod 1884 und einer der bedeutendsten Güterbesitzer Böhmens, nannte kurz vor 1848 in Böhmen ca. 45.000 Hektar sein Eigen. Mit 24.052 Hektar in Starkenbach,4 6917 Hektar in Sadowa und 8293 Hektar in Schluckenau (Šluknov)5 lag die Größe seiner bedeutendsten Herrschaften weit über der Durchschnittsgröße (3900 Hektar) einer Herrschaft in Böhmen.6 Wenn auch die Harrach – wie übrigens alle Hochadelige – infolge der Grundentlastung von 1848 verpflichtet wurden, gegen Entschädigung auf einen beträchtlichen Teil der Fläche ihrer verpachteten Besitzungen (zwischen 30 und 40 Prozent ihres Gesamtbesitzes) zu verzichten,7 gingen sie „materiell kaum geschwächt aus der Revolution von 1848 hervor“,8 da die böhmische Aristokratie Verluste gut verkraften konnte und „in der Regel von der Kapitalisierung der untertänigen Lasten […] durchaus profitierte“.9 Auch in Niederösterreich, wo die Harrach im Vergleich zu Böhmen viel weniger Grund besaßen, zählten die Herrschaften von Prugg unter Franz Ernst und Rohrau unter Anton Leonhard XI. Harrach zu den 600 (und zwar zu den größten 15) landtäflichen Besitzständen, die nach der Grundentlastung aufrechterhalten wurden.10 Im Rahmen dieser Studie werden wir uns überwiegend mit dem Harrach’schen Familienbesitz in Böhmen und Niederösterreich – den in Ungarn bzw. nach 1920 im Burgenland gelegenen angrenzenden und immer von Prugg (Bruck, NÖ) aus verwalteten Besitz miteinbezogen –,11 d. h. mit dem zwischen 1886 und 1945 vom jeweili4 5

Bouza / Moravcová, Velkostatek Jilemnice, II–III. Johann Gottfried Sommer, Das Königreich Böhmen, statistisch-topographisch dargestellt, 16 Bde., Prag 1833–1849, hier Bd. 3, 159–181, 16–28 und Bd. 1, 269–275, zit. nach Melville, Adel und Revolu‑ tion in Böhmen, 206, Die 1745 erworbene Allodialherrschaft Schluckenau (Šluknov) im Leitmeritzer Kreis wurde 1876 von Franz Ernst Harrach verkauft; Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 972. 6 Nach Milan Myška lag „die Durchschnittsgröße einer Herrschaft in Mähren und Schlesien mit fast 2900 Hektar und besonders in Böhmen mit knapp 3900 Hektar höher und zum Teil weit höher als in den anderen Ländern der Monarchie.“ Milan Myška, Der Adel der böhmischen Länder. Seine wirtschaftliche Basis und ihre Entwicklung, in: Armgard von Reden-Dohna / Ralph Melville (Hg.), Der Adel an der Schwelle des bürgerlichen Zeitalters 1780–1860, Stuttgart 1988, 172. 7 Die Größe der Herrschaft Starkenbach (Jilemnice) schrumpfte von 24.052 Hektar auf 13.815 Hektar, während jene der Herrschaft Sadowa von 6917 Hektar auf etwa 4.913 Hektar sank. Bouza / Moravcová, Velkostatek Jilemnice, II–III; Turčín / Bečvářová, Velkostatek Sadová, II. 8 Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 157. 9 Melville, Adel und Revolution in Böhmen, 263. 10 Vgl. Melville, ebd., 258–259 und Sigrid Hanna Knaf, Die Entwicklung des landtäflichen Großgrund‑ besitzes in Niederösterreich von 1848 bis 1908, Diss., Wien 1981, 99–100. 11 Es handelte sich um 3634 Hektar; vgl. Schematismus des landtäflichen und Großgrundbesitzes von Niederösterreich, Wien 1895/1903, 19­/20. und Neuester Schematismus der landtäflichen Herrschaften und Güter in Niederösterreich, III. Aufl. Brünn 1909, 16.

2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn)

93

gen Vorstand des Hauses Harrach verwalteten Besitz beschäftigen. Über die böhmischen und niederösterreichischen Güter hinaus gab es auch Güter in Mähren und Oberösterreich, die männliche Angehörige des Familienvorstands der Harrach selbst als Großgrundbesitzer besaßen und verwalteten. Alfred Karl Harrach (1831–1914), Johann Nepomuks Bruder und Ottos Onkel, erhielt von seinem Vater Franz Ernst 1873 die Domäne Stauff-Aschach a. d. Donau in Oberösterreich zum Kauf und 1883 die Herrschaft Janowitz bei Römerstadt (Janovice u Rýmařova) in Nordmähren zum Geschenk. Beide Domänen, Bestandteile des historischen Kerns des Harrach’schen Besitzes,12 gingen 1914 auf seinen Sohn Franz (1870–1937) über, der schon 1895 die Verwaltung der Herrschaft Janowitz/Janovice übernommen und 1908 die Großherrschaft Groß-Meseritsch/Velké Meziříčí in Mähren von seinem Onkel, Feldmarschall Rudolf von Lobkowicz, geerbt hatte.13 Richten wir unsere Aufmerksamkeit auf die vom jeweiligen Vorstand des Hauses Harrach verwalteten Güter. 1886 kann als Meilenstein der Entstehungsgeschichte des Großgrundbesitzes der Harrach betrachtet werden, da die ältere Rohrauer Linie nach dem Ableben des kinderlosen Anton Leonhard III. (Rohraubesitzer) erloschen war bzw. mit der jüngeren, der sogenannten böhmischen Linie in der Person von Johann Nepomuk (seit 1884 Erbe der jüngeren Linie) vereinigt wurde.14 Eigentlich ging es um die Vereinigung zweier Fideikommisse,15 tatsächlich erlosch jedoch die Linie von Rohrau gänzlich und das Rohrau’sche Fideikommiss fiel der jüngeren Linie zu.16 12 Karl Max, Graf von Harrach zu Rohrau und Pürchenstein (1570–1628), erbte im Jahr 1590 die Herrschaften Stauff und Aschach von seinem Vater, Leonhard IV. von Harrach, während Ferdinand Bonaventura I., Reichsgraf von Harrach zu Rohrau (1636–1706), sie 1688 in das jüngere, das sogenannte Böhmische Fideikommiss einbezog. Die Herrschaft Janowitz in Mähren kam 1749 in den Besitz Ernst Guidos, Graf von Harrach zu Rohrau und Thannhausen (1723–1783), als substituierter Erbe seiner Stiefgroßmutter Maria Ernestine Gräfin von Harrach, geborene Gräfin von Dietrichstein; Nachträge Johann Graf Harrach, Fideikommiss (Auslegung) 1898 /Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 887/972. 13 Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 2–3. 14 Bis 1886 verfügte die jüngere Linie über den überwiegenden Teil des Harrach’schen Besitzes. 15 Das Fideikommiss war „eine Anordnung, kraft welcher ein Vermögen für alle künftigen, oder doch für mehrere Geschlechtsfolger als ein unveräußerliches Gut der Familie erklärt wird“; vgl. Ernst Mayrhofer, Handbuch für den politischen Verwaltungsdienst in den im Reichsrate vertretenen König‑ reichen und Ländern, Bd. V, Wien 1901, 164–165. 16 Aus dem Inhalt der Fideikommiss-Instrumente geht hervor, dass zwei selbstständige gräflich Harrach’sche Fideikommisse bestanden, und zwar beide in forma primogeniturae. „Nach dem Vergleich 1688 ist derzeit nicht eine Verschmelzung der beiden Fideikommisse zu einem Körper sondern lediglich eine Vereinigung derselben in einer Person (analog einer Personalunion) vorhanden, wobei beide Fideikommisse rechtlich voneinander zu halten und jedes nach seinem eigenen Statute

94

2. Besitz und Wirtschaft

Das ältere niederösterreichische Fideikommiss basierte auf dem Testament des Karl Max von Harrach vom 27. Januar 1628 und umfasste die Herrschaft (mit Schloss) Rohrau in Niederösterreich (Bezirkshauptmannschaft Bruck a. d. Leitha). Das zweite, jüngere, auch sogenannte Böhmische Fideikommiss, das auf dem Testament des Grafen Ferdinand Bonaventura von Harrach vom 4. Februar 1697 beruhte, umfasste die Herrschaft Prugg mit einem Schloss in Bruck a. d. Leitha (Niederösterreich), die Herrschaften Starkenbach und Sadowa bei Königgrätz mit den Schlössern Hradek und Starkenbach im nordöstlichen Böhmen sowie das Palais in Wien samt Gemäldegalerie, als Johann Nepomuk die Verwaltung dieses Fideikommisses nach dem Tod seines Vaters Franz Ernst am 26. Februar 1884 antrat.17 Die Fideikommissherrschaft Prugg an der Leitha in Niederösterreich bezog die in Ungarn gelegenen Parndorf und Neudorf mit ein,18 während die Fideikommissherrschaft Starkenbach aus den Herrschaften Branna und Starkenbach19 und dem Gut Zdiar/Žďár20 bestand. Die Fideikommissherrschaft Sadowa setzte sich aus dem Fideikommissgut Stösser/Stěžery (mit den Gütern Boharna, Homile, Radostov und Radikovic) sowie den Gütern Petrowitz (Petrovice), Kundschitz (Kunčice), Stratschov (Stračov), Lhotta (Lhota), Tschernilow (Černilov), Groß-Barchov (Velký Barchov), Zwikow (Zvíkov), Trnawa (Trnava), Hradek (Hrádek), Dohalitz (Dohalice) und Puchlowitz (Puchlovice) zusammen.21 2.1.1 Fideikommiss

Die Größe und Zusammensetzung, der jahrhundertelange Besitzerhalt sowie die historische Entwicklung des Harrach’schen Großgrundbesitzes heben die zentrale Bedeutung des Fideikommisses für die Existenz, das ökonomische Handeln und

17

18

19

20 21

zu beurteilen sind […]“; Nachträge Johann Graf Harrach, Fideikommiss (Auslegung) Johann Graf Harrach 1898, in: AVA, FAH, Kt. 887. Nachträge Johann Graf Harrach, ebd.; Verlassenschaft nach Graf Johann, Vermögen des Erblassers (das Formular der Todfallsaufnahme von Dr. Otto Reich und Dr. Ferdinand Plachy, k. k. Notar als Gerichtskommissär, verfasst und unterfertigt, Wien, 3.1.1910, und dem Landesgericht vorgelegt), in: AVA, FAH, Kt. 913. Leonhard VII. Karl Reichsgraf von Harrach zu Rohrau (1594–1644) erhielt die dazugehörigen Dörfer Parndorf und Neudorf in Ungarn, an der Grenze der Herrschaft Prugg an der Leitha gelegen, käuflich zu Eigentum. Wegen ihrer Nähe zueinander wurden die Herrschaften Branná und Jilemnice (Starkenbach) bereits im 18. Jahrhundert zusammengelegt, wenn auch die Herrschaft das gesamte 18. Jahrhundert über Branná-Jilemnice genannt wurde. Bouza / Moravcová, Velkostatek Jilemnice, I. Im Jahr 1745 von Friedrich August gekauft. Alle diese Güter wurden bis 1895 in der Fideikommissherrschaft Sadowa zusammengelegt.

2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn)

95

Denken der Harrach hervor.22 Die Umsetzung von Harrach’schem Allodial- in Fideikommissbesitz im dritten Viertel des 19. Jahrhunderts liefert uns einen deutlichen Hinweis auf die Aktualität und die Zweckmäßigkeit des Fideikommisses als Garantie für die Absicherung und Langlebigkeit des adeligen Grundbesitzes nach der Bauernbefreiung von 1848. Die 1829 von Graf Ernst Harrach gekaufte Herrschaft Sadowa mit fünf zwischen 1829 und 1854 von ihm bzw. seinem Sohn Franz Ernst erworbenen Gütern (Petrovice, Kunčice, Stračov, Groß-Barchov und Zvíkov) wurde mit den kaiserlichen Entschließungen von Ischl (29.8.1854) und Schönbrunn (17.9.1860) dem jüngeren, dem Böhmischen Fideikommiss, das auf dem Testament des Grafen Ferdinand Bonaventura von Harrach vom 4. Februar 1697 beruhte, einverleibt. Die Fideikommissaugmentierung wurde um die Einbeziehung des Allodialteils der Herrschaft in Starkenbach (Gut Zdiar) ergänzt.23 Die Fideikommissgüter Rohrau und Prugg in Niederösterreich wie jene in Starkenbach und Sadowa in Böhmen machten fast 83,5 Prozent des gesamten Harrach’schen Besitzes aus, der im angehenden 20. Jahrhundert eine Größe von 29.455 Hektar erreichte. Der Besitz in Niederösterreich war fast ausschließlich fideikommissgebunden, während in Böhmen, wo 80 Prozent des Harrach’schen Besitzes lagen, 80 Prozent im Jahr 1902 bzw. 90 Prozent im Jahr 1910 an Fideikommisse geknüpft waren.24 Die Harrach blieben auch nach der gesetzlichen Abschaffung der Fideikommissinstitution in der Tschechoslowakei (1924) und im nationalsozialistischen Österreich (1938) den Prinzipien des unveräußerlichen, nur als Ganzes vererblichen Vermögens treu. In der in seinem Testament miteinbezogenen Korrespondenz (1925–1935) 22 Das Fideikommiss war „ein durch Stiftungsakt geschaffenes unveräußerliches und unteilbares, einer bestimmten Erbfolge unterliegendes Vermögen, das üblicherweise auch nicht belastet werden durfte. Im Wesentlichen nach spanischem Vorbild ausgebildet, verbreitete es sich nach dem Dreißigjährigen Krieg auch im römisch-deutschen Reich.“ A. Erler, Familienfideikommiß, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Berlin 1961–1998. Vgl. Otto Fraydenegg / Monzello Fraydenegg, Zur Geschichte des österreichischen Fideikommißrechtes, in: Berthold Sutter (Hg.), Reformen des Rechts, Graz 1979, 777ff.; Karl Theodor von Inama-Sternegg, Die Familien-Fideicommisse in Oesterreich, Statistische Monatsschrift, Wien 1883, 34ff., unter: http://www.adelsrecht.de/Lexikon/F/Fideikommiss/fideikommiss.html. 23 Nachträge Johann Graf Harrach, Fideikommiss (Auslegung) Johann Graf Harrach 1898/Verlassenschaft nach Graf Johann Harrach, vom Grafen Franz Ernst von Harrach ausgefertigte Fideikommiss-Errichtungs- bzw. Erweiterungsurkunden, Prag, 2.4.1862, und Wien, 5.11.1873, in: AVA, FAH, Kt. 887/913. 24 Johann Procházka, Böhmens landtäflicher Grundbesitz, Prag 1886, 28–29; Ignaz Tittel, Schematismus und Statistik des Grossgrundbesitzes und grösserer Rustikalgüter im Königreiche Böhmen, Prag 1906, 182–189; Rudolf Lustig / František Světnička, Schematismus velkostatků v Čechách [Schematismus des Großgrundbesitzes in Tschechien], Prag 1933, 332–335.

96

2. Besitz und Wirtschaft

instruierte Otto wiederholt seinen Sohn und Nachfolger Johann, auch in Zukunft das Vermögen ungeteilt dem ersten Sohn zu übergeben und von ihm wiederum die Errichtung einer fideikommissarischen Substitution (Quasi-Fideikommiss) zu fordern.25 Das Festhalten am Fideikommiss erwies sich also mindestens bis in die 1960er-Jahre, als der Erbprozess nach Gewohnheitsrecht der Familie in einen Gerichtsstreit zwischen Stephanie (Ottos Schwiegertochter) und Ernst (Ottos Stiefbruder) Harrach mündete und damit die Fideikommisstradition der Harrach beendete, als diachronischer Familienwert.26 Das Fideikommiss, das von den meisten einflussreichen Familien des altösterreichischen Hochadels angenommen worden war,27 stellte keine Eigenart der Habsburgermonarchie im Europa des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts dar. In Verbindung mit dem Primogeniturprinzip erwies sich das Fideikommiss als ein bevorzugter und in gewissem Maße wirkungsvoller Schutzmechanismus für den adeligen Grundbesitz – selbst in kapitalistischen und hochindustrialisierten, wenn auch aristokratisch geprägten Ländern wie Großbritannien und dem Deutschen Reich.28 2.1.2 Allod

Über den an ein Fideikommiss gebundenen Besitz hinaus nannten die Harrach auch Allodialbesitz ihr Eigen, den die Familienchefs bzw. die Erbanwärter oder nicht erb­ berechtigte Söhne für sich erhielten und nutzten, kauften oder verkauften, erbten oder vererbten. Es handelte sich also um einen Besitz, über den dessen Eigentümer frei verfügen konnte. Dieser im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Recht verankerte Besitztypus ermöglichte während der Frühen Neuzeit zahlreichen Herren in 25 Otto Harrach an seinen Sohn Hans, Wien, 7.3.1925, und Hradek, 5.9.1931, in: AVA, FAH, Kt. 971. 26 Der unerwartete Tod Ferdinand Bonaventuras, des Universalerben Hans Harrachs, im Alter von 20 Jahren im Jahr 1961 aktivierte eine im Testament von Hans Harrach miteinbezogene Vereinbarung (laut Stephanie Harrach unter dem Vorwand, am Fideikommissprinzip festzuhalten, von Ernst diktiert) zwischen ihm und seinen Stiefonkel Ernst, laut welcher Ernst Leonhard, Ernsts Sohn, im Fall des Ablebens von Hans’ Sohn als Universalerbe eintrete. Da aber das Fideikommiss in Österreich bereits seit 1938 aufgehoben war, konnte Stephanie Klage erheben und nach einem langjährigen Prozess das Gut und das Schloss Rohrau mit der Gemäldesammlung erwerben. Interview mit Stephanie Harrach, 5.10.2004, und mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008. 27 Vgl. Godsey, Quarterings and Kinship, 81–82: Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 151–152. 28 Vgl. in Bezug auf Großbritannien Peter Mathias, The First Industrial Nation. The Economic History of Britain, 1700–1914, London/New York 22001, 51–53; zu Deutschland Heinz Reif, Adel im 19. und 20. Jahrhundert, 13, 30–31, 91–93; Conze (Hg.), Kleines Lexikon des Adels, 90.

2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn)

97

den östlichen Alpenländern und in den Ländern der böhmischen Krone, ihre mächtige Stellung auf umfangreichen Allodialbesitz zu gründen.29 Wenn er auch nur einen winzigen Teil des Gesamtbesitzes der Harrach ausmachte, stellte allein der Allodialbesitz Johann Nepomuks (fast 4855 Hektar im angehenden 20. Jahrhundert) oder seines Sohnes Otto (ca. 2100 Hektar im Jahr 1909) einen Großgrundbesitz an sich dar. Johann Nepomuk führte im Gegensatz zu seinem Vater Franz Ernst, der bis 1884 der jüngeren Linie vorgestanden hatte, eine relativ verhaltene An- bzw. Verkaufspolitik.30 Johann, der Zinkau und Dražičky neben Plana bei Tábor (Tabor) in Südböhmen von seinem Vater erbte und nach dem Ableben seiner ersten Gemahlin, Maria Margarethe, geborene Prinzessin von Lobkowitz, im Jahr 1870 die Herrschaft Zeltsch (Plana) übernahm, erwarb die Güter Puchlovice (1868), Přím (1879) und Libčany (1889) nahe Sadowa sowie die Herrschaft und das Schloss Strkow (in Plana bei Zeltsch) im Jahr 1896 und das Gut Schindelthal (Oberfranken) im Jahr 1909. Er veräußerte dagegen 1896 (im Jahr des Erwerbs des nahe gelegenen Strkow) Zinkau/Žinkovy und 1908, ein Jahr vor seinem Ableben, Zeltsch und Dražičky.31 Sein Sohn Otto wie auch dessen Nachfolger Hans Harrach (1935–1945) erhielten mit Ausnahme des kleinen Prager Palais, das 1919 verkauft wurde, Johanns gesamten Allodialbesitz, nämlich Plana (Strkow) bei Tabor und die Güter Prim und Libcan bei Sadowa, ohne Güterankäufe und -verkäufe.32 Welche Zwecke und welchen Bedarf erfüllte der Allodialbesitz im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert? Er diente als Investitionsmöglichkeit, als Hypothek für die Aufnahme eines Lehens des jeweiligen Familienvorstandes, als Übungsbesitz für Erbanwärter oder als Absicherungsmittel eines nicht erbberechtigten Sohnes. Der Ankauf oder Verkauf von Allodialbesitz hing also nicht nur mit den individuellen Plänen des jeweiligen Besitzers, sondern auch mit den Strategien und Bedürfnissen 29 Vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Allod (29.1.2013). 30 Franz Ernst Graf Harrach, der am 14.12.1838 seinem Vater nachfolgte, „kaufte 1832 die Güter Kunčice,Trnava und Hradek, 1833 (oder 1838) die Güter Stratschov, Lhotta und Czeniow, 1850 das Gut Gross-Barchov und 1854 das Gut Zvíkov, verkaufte dagegen 1842 das Gut Gross-Priesen in Böhmen an den Grafen Karl von Chotek und 1876 die Herrschaft Schluckenau an Ernst Grumbt. Seinem Sohne Alfred Karl verkaufte er 1873 die Domäne Stauff-Aschach in Oberösterreich und schenkte er 1883 die Herrschaft Janowitz in Mähren“; Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 972. 31 Stammtafel, ebd.; Turčín / Bečvářová, Velkostatek Sadová, II–IV; Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Wien, 9.7.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127. 32 Über die Veräußerung von Zinkau, Zelč und Dražicky hinaus hat es zwischen 1886 und 1910 offenbar auch andere Verkäufe von kleinen Allodialgrundstücken innerhalb der Fideikommissgüter Starkenbach, in Sadowa oder in Prugg und Rohrau gegeben, wie sich an dem Rückgang ihrer Fläche ablesen lässt (siehe Tab. 1).

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2. Besitz und Wirtschaft

innerhalb seiner Familie zusammen. Die verschuldeten Herrschaften Zinkau und Zeltsch wurden von Johann Nepomuk als Last verkauft, während Strkow seinem Sohn und Erbanwärter Otto gleich nach dessen Heirat bzw. sechs Jahre nach dem Gutserwerb geschenkt wurde und das wenige Monate vor Johann Nepomuks Tod gekaufte Gut Schindelthal auf eine gewisse Absicherung von Ernst Harrach, Ottos andernfalls besitzlosem Stiefbruder, abzielte.33 Der Güterankauf und ‑verkauf war wohl keine einfache und schnell abzuwickelnde Angelegenheit, sondern das Ergebnis einer manchmal langjährigen Überlegungsphase: „Es scheint, dass Du die Tatsache, dass Zelč verkauft werden muss schon längst erwogen hast und auch das damit verbundene Unbehagen schon längst überwunden hast. Bei mir ist dieses Stadium noch nicht eingetreten, darum schmerzt es mich noch sehr mich an diesen Gedanken zu gewöhnen. Ich bitte dich verlange nur recht viel dafür. Es tut mir doppelt leid, da ich mir denken muss, dass am Ende auch die teure Wirtschaft, an der ich mit teilgenommen habe, die ich auch durch meine Bitten hervorgerufen und die ich vielleicht nicht genügend beaufsichtigt habe, viel zum Verkaufe beigetragen hat. Das ist ein Makel, der schwer auf mir haften wird, wenn es zum Verkaufe kommt. […] Ich drücke die Bitte und Hoffnung aus, dass Du lieber früher zum Verkaufe von Zinkau schreitest, als dass Du Zelč verkaufst“,

schrieb Otto an seinen Vater Johann Nepomuk am 1. April 1896.34 Die Bitte und die Sorgen Ottos wurden von seinem Vater ernst genommen und der fast beschlossene Verkauf von Zeltsch verzögerte sich um zwölf Jahre. Otto selbst hatte kurz vor dem Tod seines Vaters verschiedene nicht realisierte Ankaufsprojekte von Gütern in Böhmen, in Schlesien und in der Steiermark in Angriff genommen, für die er bereit war, bis zu drei Millionen Kronen auszugeben, wie uns seine reichhaltige Korrespondenz mit dem Generaldirektor Görlich im Jahr 1908 informiert.35 Im Allgemeinen gab es bei den Harrach, wie beim übrigen böhmischen Adel, vor dem Ersten Weltkrieg kaum nennenswerte Verkäufe von Grund und Boden.36 Mit 29.455 Hektar (Fideikommiss- und Allodialgüter) um 1900 war Johann Nepomuk Graf Harrach einer der Hochadeligen mit umfangreichem Großgrundbesitz 33 Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Wien, 9.7.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127. 34 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Prag, 1.4.1896, in: AVA, FAH, Kt. 893. 35 Siehe vor allem die Briefe von Otto Harrach an Zentraldirektor Görlich, Prag, 17.10. und 10.11.1908, Strkow, 9. und 13.12.1908, in: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz. 36 Vgl. Tatjana Tönsmeyer, Grundbesitzender Adel als ländlicher Arbeitgeber. Ein böhmisch-englischer Vergleich, in: Cerman / Velek (Hg.), Adel und Wirtschaft, 255.

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2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn)

im alten Österreich, wenngleich weit hinter Magnaten wie den Schwarzenberg, Esterházy, Liechtenstein, Windisch-Graetz, Hoyos und Fürstenberg, aber mit nur etwas weniger Besitz als den Lobkowitz, Czernin, Kinsky und Waldstein.37 Zählt man die 9409 Hektar dazu, die seinem Bruder Alfred in Mähren (8930 Hektar in Janowitz und Oberösterreich, davon 479 Hektar in Stauff-Aschach) gehörten, betrug der Gesamtbesitz der Harrach um die Jahrhundertwende 38.864 Hektar. Beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs, als die Söhne und Nachfolger, Otto und sein Cousin Franz, die Güter der Familie verwalteten, dehnte sich der Gesamtbesitz der Harrach auf 42.694 Hektar aus, nachdem 1908 Groß-Meseritsch (6561 Hektar) von Franz geerbt bzw. Zeltsch und Dražičky (2731 Hektar) von Johann verkauft worden waren.38 Die Harrach zählten im angehenden 20. Jahrhundert sowohl in Niederösterreich (5023 Hektar) als auch in Böhmen (24.432 Hektar) zu den jeweils zehn größten Grundbesitzern.39 Tab. 1: Besitzstand der Grafen Harrach 1886–1945 (in Hektar) (d. h. der vom jeweiligen Chef des Hauses Harrach verwaltete Besitz)* FK=Fideikommiss, A=Allod

Grundbesitz

Erwerbsjahr Besitzart 1886

1902

1910

1935

1945

In Böhmen 14.253 13.800 13.798 5.748



Sadowa/Stěžer [b]

Starkenbach (Jilemnice) [a] 1632/1701 FK 1829/1650 FK

6.673

6.509

6.547

2.705



Zinkau (Žinkow) [c]

1829

A

3.346









Zeltsch, Planá, Strkow [d]

1870/1896 A

4.103

4.123

1.392

1.103

Gesamtfläche Böhmen

28.375 24.432 21.737 9.556



37 Vgl. die Grafiken für den Großgrundbesitz in Böhmen (1867/1918) und Niederösterreich (1867) in Höbelt, Adel und Politik seit 1848, in: Erwein Eltz / Arno Strohmeyer (Hg.), Die Fürstenberger. 800 Jahre Herrschaft und Kultur in Mitteleuropa, Niederösterreichische Landesausstellung, Schloss Weitra, Korneuburg 1994, 368–370. 38 Angaben zum Großgrundbesitz von Alfred und Franz Harrach in Mähren und Oberösterreich in Neuester Schematismus der Herrschaften, Güter und Zuckerfabriken in Mähren und Schlesien sowie der auf den Gütern bestehenden Brauereien, Brennereien und sonstigen Industrien, deren Besitzer, Pächter und der dabei angestellten Beamten, XII. Ausgabe, Brünn 1912, 62–63, 104–105; Schematismus der Herrschaften und Güter in Oberösterreich sowie der auf den Gütern bestehenden Brauereien, Brenne‑ reien und sonstigen Industrien, deren Besitzer, Pächter und der dabei angestellten Beamten, II. Ausgabe. Brünn 1904, 3–4. 39 Vgl. Knaf, Die Entwicklung des landtäflichen Großgrundbesitzes, 99–101; in Knafs Tabelle rangieren die Harrach mit 2374 Hektar auf dem 27. Platz, doch wurde bei dieser Rangfolge der an Bruck angrenzende, in Ungarn liegende und immer von Niederösterreich aus verwaltete Besitzteil nicht mitgerechnet. Vgl. dazu Schematismus des landtäflichen und Großgrundbesitzes, 19–20.

100

2. Besitz und Wirtschaft

In Niederösterreich [e] Rohrau/Prugg (Bruck a. d. Leitha) Gesamtfläche

1524/1625 FK

5.672

5.023

4.970

4.349

2.521

[f ]

[g]

34.047 29.455 26.707 13.905 2.521

* Der Harrach’sche Grundbesitz in Aschach (OÖ), Janowitz und Groß-Meseritsch (Mähren), der Alfred (Johann Nepomuks Bruder) bzw. dessen Sohn Franz gehörte, wird hier nicht mitgerechnet. [a] Mit Branna und Žďar (1632 bzw. 1745 erworben). [b] Mit den von 1829 bis 1854 erworbenen Gütern Kunčic(e), Zvíkov, Stračov, Petrovic(e) und GrossBarchov sowie mit den 1879 bzw. 1886 erworbenen Allodialgütern Přím und Libčany, die 573 bzw. 159 Hektar umfassten. [c] 1896 verkauft. [d] Die Allodialherrschaft Zeltsch umfasste Planá, Dražičky und ab 1896 Strkow. 1908 wurde Zeltsch mit Dražičky verkauft. [e] Der 1636 erworbene, in Ungarn (ab 1920 im Burgenland: Gemeinde Parndorf, Neudorf und Bruckneudorf ) gelegene angrenzende und immer von Prugg (Bruck a.  d. Leitha) aus verwaltete Besitz von 3.634 Hektar miteinbezogen. [f ] 1915 wurde ein in Ungarn gelegener Grundkomplex von 621 Hektar zwangsweise an das k. u. k. Militär verkauft. [g] 2521 Hektar werden für das Jahr 1953 gerechnet, während es bis 1974 zu einer Reduktion auf 1754 Hektar kam. Quelle: zusammengestellt aus Daten in Schematismus des landtäflichen und Großgrundbesitzes von Niederösterreich, Wien 1895, 19 und 2. Aufl., Wien 1903, 20; Neuester Schematismus der landtäflichen Herrschaften und Güter in Niederösterreich sowie der auf den Gütern bestehenden Industrien, deren Besitzer, Pächter und der dabei angestellten Beamten, III. Aufl. Brünn 1909, 15–16; Jahr- und Adressbuch der Land- und Forstwirtschaft, Ergänzungsband 1930/31, Wien 1930, 95; Günther Michael Doujak, Die Entwicklung des landtäflichen Großgrundbesitzes in Niederösterreich seit 1908, Diss., Wien 1981, 105, 108; Johann Procházka, Böhmens landtäflicher Grundbesitz, Prag 1886, 28–29; Ignaz Tittel, Schematismus und Statistik des Grossgrundbesitzes und grösserer Rustikalgüter im Königreiche Böhmen, Prag 1906, 182–189; Tittel, Schematismus landtäflicher Güter, grösserer Rustikalwirtschaften, Beamten und Pächter, Prag 1910, 121–126; Rudolf Lustig / František Světnička, Schematismus velkostatků v Čechách, Prag 1933, 332–335

Die Konzentration des überwiegenden Teils (etwas mehr als vier Fünftel bis 1918) des Harrach’schen Besitzes in Böhmen40 macht jedenfalls die Bedeutung des Ersten Weltkriegs bzw. des Zerfalls der Monarchie als eine Zäsur für die Größe des Harrach’schen Grundbesitzes (siehe Verringerung des böhmischen Besitzes) durchaus verständlich. 40 Die Liegenschaften der Harrach dehnten sich auf 61 Gemeinden Böhmens und nur auf vier Gemeinden Niederösterreichs aus; Beschluss des Landesgerichts in Wien vom 28.11.1916 betreffend die Bewilligung der Einverleibung des Eigentumsrechtes des Herrn Otto Graf Harrach auf die in die Verlassenschaft von Johann Graf Harrach gehörigen Liegenschaften, in: AVA, FAH, Kt. 875, Biographica Otto.

2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn)

101

2.1.3 Bodenreform und Zwischenkriegszeit

Während der ersten Nachkriegsjahre (1919–1924) befanden sich die Harrach, ebenso wie viele andere ihrer Standesgenossen, in einer denkbar ungünstigen Lage, wenn sie ihren außerhalb „Deutschösterreichs“ liegenden Besitz halten wollten. Die langjährigen Forderungen und Erwartungen der Mehrheit der Bevölkerung, vor allem der Bauern und Landarbeiter, einer umfassenden Bodenreform auf Kosten der überwiegend adeligen Großgrundbesitzer, die oft anderer Nationalität waren als die Einheimischen, als unverzichtbare Voraussetzung für die Gründung eines modernen demokratischen Nationalstaats führten zu einer Flut von Bodenreformgesetzen in den neu gebildeten „Nachfolgestaaten“, insbesondere in der Tschechoslowakischen Republik (ČSR) und im Königreich der Serben, Kroaten und Slowenen (SHS).41 Gerade in der uns mit Blick auf die Harrach besonders interessierende Tschechoslowakei, deren Fläche zu fast einem Drittel aus Großgrundbesitz bestand, bildete die Bodenreform eine der ersten Prioritäten der Regierung nach dem Kriegsende.42 Das Gesetz vom 27. März 1919 über die Sicherung von Grund für langjährige Kleinpächter, dem zufolge alle seit dem 1. Oktober 1901 ununterbrochen verpachteten Grundstücke in das Eigentum der Pächter übergehen sollten,43 war das erste Gesetz, das die Harrach betraf. Infolge des Gesetzes wurden die von Otto Harrach verpachteten 260 Hektar in Strkow, 1043 Hektar in Starkenbach und 2963 Hektar in Sadowa, d. h. 19, 7,5 und 45 Prozent des jeweiligen Besitzes, enteignet.44 Gemäß dem Gesetz erhielten die bisherigen Eigentümer als Entschädigung den (freilich niedrigen) Vorkriegswert, was wegen der stark entwerteten Nachkriegswährung zu weiteren Einbußen für die Grundbesitzer führte.45 Jedoch setzte der Großgrundbesitz „dieser Maßnahme nicht allzu großen Widerstand entgegen, da die Pachteinkünfte relativ gering waren und verschiedentlich bereits vor dem Ersten Weltkrieg mit dem Verkauf von Pachtgründen begonnen hatte“, so Hannes Stekl.46 Dies war auch bei 41 Camillo Worliczek, Die tschechoslowakische Bodenreform, Zeitschrift für die gesamte Staatswissen‑ schaft / Journal of Institutional and Theoretical Economics, 80 (3), 1925/26, 447; Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 124. 42 In Böhmen und Mähren gehörten 33 Prozent des Landes 0,5 Prozent der Grundbesitzer, d. h. dem Adel. Ivan T. Berend, Decades of Crisis. Central and Eastern Europe before World War II, Berkeley 1998, 25. 43 Vorausgesetzt, dass der landwirtschaftliche Besitz des jeweiligen Pächters durch den Erwerb das Ausmaß von acht Hektar nicht überstieg; Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 124; Worliczek, Die tschechoslowakische Bodenreform, 462. 44 Vgl. Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–335. 45 Vgl. Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 124. 46 Ebd., 125.

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2. Besitz und Wirtschaft

den Harrach der Fall, da die Allodialherrschaft Zeltsch mit Dražičky, die 1908 verkauft worden war, fast zur Hälfte aus verpachteten Meierhöfen bestand.47 Während sich Otto Harrach mit den Folgen des Gesetzes über die Kleinpächter, das zur Enteignung etwa eines Fünftels seines böhmischen Besitzes (4266 Hektar) führte, irgendwie abfand, reagierte er besorgt und betroffen auf das Gesetz vom 6. April 1919, das die eigentliche Bodenreform einleitete und fast den ganzen Familienbesitz in Gefahr brachte. Seine Zeilen an seine Tante Anna im April 1922 aus Strkow sprechen für sich: „Bitte verzeihe mir diese Nachlässigkeit mit Rücksicht auf meine […] schweren Sorgen um unseren hierländischen Besitz. Das Bodenamt will die ganze Herrschaft Starkenbach […] enteignen, wogegen ich nun im Begriffe stehe, alle mögliche Mittel anzuwenden, um die Sache wenigstens auf eine spätere Zeit aufzuschieben. Von Sadowa sollen 5 Meierhöfe enteignet werden, und für das kostspielige Hradek dort stehen, das jährlich ½ Million K.Č. an Erhaltungskosten verschlingt. Wir können eigentlich nur hier leben, denn jeder Tag, den wir in Hradek zubringen, verteuert den dortigen Aufwand bedeutend.“48

Die Sorgen des 60‑jährigen Otto waren gerechtfertigt. Durch das sogenannte Bodenbeschlagnahmegesetz vom 6. April 1919, ergänzt um eine Reihe von Durchführungsverordnungen, wurde jeder große Besitz, dessen Ausmaß 150 Hektar Ackerboden oder allgemein 250 Hektar inklusive Wälder, Weiden, Teiche etc. betrug, beschlagnahmt und zur Aufteilung an öffentliche Verbände, Einzelpersonen, den Staat, Gemeinden und landwirtschaftliche Vereinigungen bestimmt.49 Darüber hinaus befand sich die Frage der Entschädigung für eingezogenen Großgrundbesitz bis Anfang 1921 in der Schwebe.50 Selbst das Entschädigungsgesetz vom 21. Januar 1921 war für den Großgrundbesitz sehr ungünstig. Da für den übernommenen beschlagnahmten Besitz eine Entschädigung festgesetzt wurde, die den Bodendurchschnittspreisen der Jahre 1913 bis 1915 – Jahre mit niedrigen Bodenpreisen 47 Vgl. Tittel, Schematismus (1906), 188. 48 Otto Harrach an Tante Anna, Strkow, 23.4.1922, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563. 49 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 125; Franz Freudenfeld, Bodenreformgesetze, Brünn 1922, 9–48, zit. in Jaromír Balcar, Instrument im Volkstumskampf? Die Anfänge der Bodenreform in der Tschechoslowakei 1919/20, Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte, 46 (3), 1998, 405. 50 „Zunächst hatten sich die Parteien des sozialistischen Blocks für eine entschädigungslose Enteignung entschieden, was sich jedoch änderte, weil es mit großen internen, sozialen und wirtschaftlichen Problemen verbunden war (Verlust des Interesses an unternehmerischen Leistungen im Agrarsektor oder Überforderung und Enteignung der Sparkassen und Hypothekenbanken bei hoch verschuldeten Besitzen. Allein bei der Prager Hypothekenbank stünden 791 Großgrundbesitze mit rund 141 Millionen Kronen in der Kreide.“ Balcar, Instrument im Volkstumskampf?, 421–422.

2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn)

103

– entsprach, lagen die Übernahmepreise bei maximal 8 Prozent der Verkehrswerte der Grundstücke.51 In der Praxis war die Situation jedoch eine andere, und die Vorgänge erwiesen sich nicht als so negativ für die Harrach. Die Bodenreformgesetze wurden nicht sofort und nicht vollständig umgesetzt. Trotz des Eifers der Legislative, die Angelegenheit rasch zu erledigen, was sich in der Gesetzgebung von 1919 zeigte, verzögerte sich deren Durchführung seitens der Exekutive. Die Bodenreform wurde erst ab 1923 in größerem Umfang in Angriff genommen und 1926 abgeschlossen.52 Diese Verschiebung hing mit verschiedenen praktischen, juristischen, ökonomischen und politischen Problemen zusammen, die die Regierung und das Bodenamt zu regeln hatten.53 In diesem Zusammenhang schufen die dem Bodenamt zugewiesenen Kompetenzen, vor allem „die Möglichkeit, größere landwirtschaftliche Objekte aus der Beschlagnahme zu entlassen“,54 einen Spielraum für Verhandlungen mit den Großgrundbesitzern, die zu einer Minderung von deren Verlusten führen konnten. Ottos Zeilen „Das Bodenamt will die ganze Herrschaft Starkenbach […] enteignen, wogegen ich nun im Begriffe stehe, alle mögliche Mittel anzuwenden, um die Sache wenigstens auf eine spätere Zeit aufzuschieben“ in seinem schon zitierten Brief vom April 192255 bringen, über seine tiefen Sorgen hinaus, seine Hoffnung auf eine für ihn günstigere Regelung der Angelegenheit zum Ausdruck. Im nächsten Jahr sah die Situation für den Familienbesitz in der ČSR schon besser aus: „Das Bodenamt hat mir nun ein Ultimatum gestellt über die Art der auf der Herrschaft Starkenbach durchzuführenden Enteignung. Es sollen mir 38 % der Wälder und das die allerbesten Bestände genommen werden. Im Fall der Annahme wird mir der ganze übrige Wald auf den übrigen Domänen auch freigegeben“, schrieb Otto an seinen Vetter Franz am 15. Oktober 1923.56 Ottos Optimismus noch unter ungünstigsten Umständen lässt sich übrigens in einem anderen Brief an Franz erkennen, dessen Grundbesitz in Janowitz (Mähren) von der Bodenreform hart betroffen war. 51 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 125. 52 Das Bodenenteignungsgesetz vom 16.4.1919 galt übrigens als Rahmengesetz mit Leitgedanken, das um die Durchführungsgesetze vom 11.7.1919 und 11.3.1921 ergänzt wurde. Auch das Entschädigungsgesetz vom 8.4.1920 wurde durch das Gesetz vom 13.7.1922 abgeändert. Vgl. Worliczek, Die tschechoslowakische Bodenreform, 448, 458. 53 Dazu zählten der Widerstand der bürgerlichen Parteien, fiskalische Probleme, die Schwierigkeit, die Entschädigung abzuzahlen, usw. 54 Balcar, Instrument im Volkstumskampf?, 405; Worliczek, Die tschechoslowakische Bodenreform, 469. 55 Otto Harrach an Tante Anna, Strkow, 23.4.1922, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563. 56 Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 15.10.1923, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024.

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2. Besitz und Wirtschaft

„Ich habe von der Tragödie mit Janowitz gehört und spreche Dir mein herzlichstes Beileid aus, hoffe aber doch, dass es Dir vielleicht gelingen wird, irgendwelche Milderungen und Konzessionen zu erreichen.“57

Was nun den von Otto verwalteten Familienbesitz in Böhmen angeht, sahen die Besitzverhältnisse nach Abschluss der Bodenreform folgendermaßen aus: 8067 von den 13.815 Hektar der Herrschaft Jilemnice (Starkenbach),58 3842 von den 6547 Hektar der Herrschaft Sadowa und 289 von den 1392 Hektar der Herrschaft Strkow,59 d. h. insgesamt 12.198 von 21.737 Hektar bzw. 56 Prozent des böhmischen Besitzes der Harrach wurden enteignet. Demzufolge gelang es Graf Otto, anstelle der 250 Hektar, wie anfänglich von den Bodenreformgesetzen vorgesehen, etwa 9556 Hektar zu behalten.60 Mit 44 Prozent ihres böhmischen Familienbesitzes, die von der Enteignung im Zuge der Bodenreform verschont blieben, kamen die Harrach prozentual gesehen günstiger davon als andere hochadelige Familien Böhmens, wie etwa die Schwarzenberg, die Windisch-Graetz und die Czernin, denen nur 31,5, 30 bzw. 40,5 Prozent ihres Großgrundbesitzes erhalten blieben.61 Die Zeit, der Grad und das Ausmaß der Durchführung der Bodenreform in der ČSR gestalteten sich in den einzelnen Fällen höchst unterschiedlich und hingen von verschiedenen Faktoren und Gegebenheiten ab: „von den wechselnden politischen Konstellationen, der Intensität nationaler Agitation auf beiden Seiten, der Größe und Lage der Grundbesitzungen, dem öffentlichen Ansehen und 57 Ebd., Prugg, 24.11.1924. 58 6712 Hektar der Herrschaft wurden verstaatlicht, 1044 Hektar parzelliert, aus 60 Hektar Grund wurde ein Restgut gebildet, 251 Hektar wurden den Gemeinden zugeteilt und 5748 Hektar durfte der Eigentümer behalten; Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–335. 59 Ebd. 60 Es ist auch wichtig, dass Otto die nicht enteigneten Wälder freigegeben wurden. Die selbst bewirtschafteten Wälder stellten den höchsten Anteil des von der Bodenreform verschonten Besitzes dar, während bei Äckern, Wiesen und Hutweiden, die schon vor 1918 (teilweise parzellenweise) verpachtet worden waren, die Verluste deutlich höher waren, weil laut dem Gesetz vom 27.3.1919 alle seit dem 1.10.1901 verpachteten Grundstücke in das Eigentum der Pächter übergehen sollten; vgl. Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–335 und Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 124–125. 61 Fürst Johann II. Schwarzenberg durfte von den ursprünglich 176.146 Hektar umfassenden Gütern in der ČSR rund 55.000 Hektar als einigermaßen geschlossene Domänen in den verkleinerten Herrschaften Böhmisch-Krumau, Frauenberg, Winterberg und Cheynov behalten, während die Herrschaft Chudenitz-Neuhaus der Czernin von 32.000 auf 13.000 Hektar schrumpfte. Siehe Schwarzenberg, Geschichte des reichsständischen Hauses Schwarzenberg, 255–258; Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 126–128; Vladimir Votýpka, Böhmischer Adel. Familiengeschichten, Wien/Köln/ Weimar 2007 (erste tschechische Aufl. 2001), 169.

2.1 Zwischen Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich (Ungarn)

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dem Paternalismus der Eigentümer, ihrer Einstellung gegenüber dem neuen Regime, vom Verhandlungsgeschick ihrer Anwälte und Beamten, den Loyalitäten der Beschäftigten.“62

Soweit wir den Ausgang der Bodenreform für Otto Harrach beurteilen können, scheinen die vorgenannten Faktoren für die Harrach relativ günstig mitgewirkt zu haben. Vor allem dürften die Größe und Bedeutung ihrer Forstwirtschaft, die überwiegend in Starkenbach angesiedelt war, sowie die zur Familientradition gehörenden guten Beziehungen zum Tschechentum eine ausschlaggebende Rolle gespielt haben. Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass Otto von 1918 bis 1925, d. h. während des Vollzugs der Bodenreform, etwa 400.000 Kčs. (etwa 1,5 Millionen deutsch-österreichische Kronen) für karitative Zwecke in der ČSR gespendet haben soll.63 Darüber hinaus war in jenen unsicheren und für den Adel schwierigen Nachkriegsjahren jede Hilfe seitens des tschechischen Personals der Großgrundbesitzer von unschätzbarem Wert. Dies war zum Beispiel der Fall bei dem 70‑jährigen Herrn Nový, dem ehemaligen Direktor des Grafen Waldstein in Münchengrätz, der sich als Delegierter des Bodenamts im Mai und Juni 1920 in Sadowa befand, um in Angelegenheiten der Bodenreform die Herrschaft zu begutachten. In dem aus Angst vor der Zensur auf Französisch verfassten Brief vom 23. Juni 1920 an seinen Cousin Franz Harrach behauptete Otto, er habe dank der Unterstützung von Herrn Nový seine Sichtweise gegenüber jener der Angestellten- und Arbeitervereine in fast allen Fragen durchsetzen und damit die Zwangsverwaltung seines Besitzes beenden können. Otto empfahl seinem Cousin die Vermittlung des zuverlässigen Begutachters, damit auch in Franz’ mährischem Besitz wieder Ordnung hergestellt werde.64 Wenn auch ein wichtiger Teil des böhmischen Grundbesitzes gerettet werden konnte, standen Otto und sein Stiefbruder Ernst Harrach der Bodenreform empört und verbittert gegenüber, die für sie – wie übrigens für die meisten ihrer Standesgenossen – den Verlust beliebter und historischer Güter und Jagdreviere, die über Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte den adeligen Besitz geprägt hatten, bedeutete. „Nun in meinen so geliebten Bergen soll noch am 5. Mai die Übergabe stattfinden, die schönsten und besten Reviere und zwar Harrachsdorf, Neuwelt, Kaltenberg, Seifenbach und Friedrichsthal mit dem herrlichen Elbegrund […] Du weisst wie das für mich ist wo ich am jeden Platz mit meiner ganzen Seele bange. Mit dem besten Willen kam ich hierher 62 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 126. 63 Laut einem Bericht des Direktors des Harrach’schen Großgrundbesitzes in Nordböhmen (Starkenbach), zit. in: Eagle Glassheim, Noble Nationalists. The Transformation of the Bohemian Aristocracy, Cambridge (Mass.)/London 2005, 96. 64 Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 23.6.1920, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024.

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2. Besitz und Wirtschaft

jetzt aber habe ich nur mehr Abscheu und Verachtung für diese Räuber- und Gaunerbande“,

schrieb im April 1924 der passionierte Jäger Ernst Harrach an seine Tante Anna über den Verlust der oben genannten Wälder der Herrschaft Starkenbach (Jilemnice) im Riesengebirge.65 Drei Jahre später brachte der Hausvorstand Otto seine Empörung über die Teilnahme seines ersten Cousins Franz an Feierlichkeiten im enteigneten Grundbesitz der Fürsten Schwarzenberg in Südböhmen mit folgenden Zeilen zum Ausdruck: „Da Du nur in deiner Eigenschaft als Vizepräsident des Rybářská jednota (Fischerverein) die Einladung zu den Festlichkeiten in Wittingau unterfertigt hast, mein ganzes Innere darüber empört ist, dass solche Feierlichkeiten unmittelbar nach erfolgter Enteignung der Schwarzenbergschen Fischwirtschaft stattfinden, da damit die Ungerechtigkeit, die uns allen durch die Art, wie die Bodenreform durchgeführt wird, glorifiziert wird.“66

Die Enteignungen sowie das ungünstige Klima für den Adel in der ČSR führten in den ersten Nachkriegsjahren zur Aufwertung des niederösterreichischen Grundbesitzes für die Harrach. Im Vergleich zu dem kostspieligen Hradek und der Bodenreform in der Tschechoslowakei wurde Österreich von Otto als ein „Eldorado“ bezeichnet: „Prugg trägt die Ernten ganz schön und der neue Pächter zahlt unberufen für die Meierhöfe ganz gute Pachtzinse, außerdem hört man dort nichts von Enteignung, wie hier.“67

In Österreich sah die Lage für Großgrundbesitzer in der Zwischenkriegszeit günstiger aus als in der ČSR, da Sozialisierungspläne auf dem Lande bereits 1919 aufgegeben wurden und die Fideikommisse trotz mehrerer sozialdemokratischer Enteignungsbzw. Aufhebungsanträge bis 1938 unangetastet blieben.68 Dies gilt auch für die Fläche des Grundbesitzes der Harrach in Niederösterreich – der im Burgenland gelegene, an Bruck angrenzende Besitz galt als Bestandteil des niederösterreichischen Besitzes –, die in der Zwischenkriegszeit unverändert blieb. Mit 4349 Hektar lagen die Harrach’schen Fideikommissgüter in Bruck a. d. Leitha weit über der durchschnittlichen 65 Ernst Harrach an Tante Anna, Starkenbach, 10.4.1924, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 33, Fol. 558. 66 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 31.8.1927, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. Otto war schon in seinem vorigen Brief vom 20.8.1927 verärgert, dass Franz die Einladung zur 6. Fischereitagung und Gedenkfeier von Josef Sušta in Wittingau/Südböhmen angenommen hatte. 67 Otto Harrach an Tante Anna, Strkow, 23.4.1922, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563. 68 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 130.

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Größe von 1300 Hektar bundes- und 1700 Hektar bundeslandweit, während Otto Harrach im Jahr 1930 einer der 27 Eigentümer mit 2000–5000 Hektar in Niederösterreich war.69 Franz Harrach, der andere Großgrundbesitzer des Hauses, konnte ebenfalls seinen freilich kleineren Besitz von 487 Hektar in Oberösterreich halten.70 Was sich im niederösterreichischen Besitz jedoch gleich nach dem Krieg komplett änderte, war die Art der Bewirtschaftung, da 80 Prozent der Gesamtfläche und nahezu 100 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche an A. Goldman & Co. in Bruckneudorf verpachtet wurden.71 Die wichtigste Zäsur für die Grafen Harrach – wie für die meisten altösterreichischen Adeligen und ihren Grundbesitz – liegt eindeutig am Ende des Zweiten Weltkriegs, das für den Adel in der Tschechoslowakei, Ungarn und Polen Vertreibung oder/und Besitzkonfiszierung zur Folge hatte. Für die Harrach verschlechterte sich die Lage bereits während des Krieges, als ihre berühmte und exportorientierte Glasfabrik in Neuwelt (Ostböhmen, Riesengebirge) 1943 von den Nationalsozialisten enteignet wurde und sie im Zuge der Arisierungen für die Zurücknahme ihres österreichischen Grundbesitzes in Bruck a. d. Leitha ans Deutsche Reich Ablöse zahlen mussten, da die Harrach’schen Güter nach der Vertreibung des jüdischen Pächters und der Beschlagnahme von dessen Vermögen vom Deutschen Reich zwangsverwaltet wurden.72 Mit der deutschen Niederlage und der Befreiung der Tschechoslowakei durch die Rote Armee schlug 1945 für die Harrach und ihren Besitz im Land die Stunde null. Nach drei Jahrhunderten ununterbrochener Präsenz in Böhmen mussten sie, wie auch sonst die meisten Großgrundbesitzer des böhmischen Adels, laut dem Dekret des Präsidenten Beneš über die „Konfiskation und die beschleunigte Verteilung des Landwirtschaftsvermögens der Deutschen, Ungarn sowie auch der Verräter und Feinde des tschechischen und slowakischen Volkes“ auf ihren Gesamtbesitz in der Tschechoslowakei verzichten. Ihre Fideikommissherrschaften Sadová und Jilemnice wurden endgültig aufgelöst.73 Selbst der Grundbesitz der sich zum Tschechentum bekennenden Adeligen, der von der Konfiskation von 1945 ausgenommen worden war, wurde 1948 von der kommunistischen Regierung nationalisiert bzw. verstaatlicht.74 69 Jahr- und Adressbuch der Land- und Forstwirtschaft, Wien 1930, 95; Melichar, >200 Hektar, 586, 589. 70 Es handelte sich um die Güter Aschach, Haibach bei Aschach, Hartkirchen, Pupping und St. Agatha; Jahr- und Adressbuch der Land- und Forstwirtschaft, 95. 71 Ebd. 72 Interview mit Stephanie Harrach, Schloss Rohrau (Bruck a. d. Leitha), 28.9.2004. Zu den zahlreichen Arisierungen und Zwangsverkäufen, die zwischen 1938 und 1945 das Eigentum der österreichischen Juden betrafen, siehe u. a. Melichar, >200 Hektar, 599. 73 Bouza / Moravcová, Velkostatek Jilemnice, II; Turčín / Bečvářová, Velkostatek Sadová, IV. 74 Dies war z. B. bei den Lobkowicz, Schlick, Schwarzenberg, Bubna und Lititz der Fall; Votýpka, Böhmischer Adel, 44–45, 115, 137 und 260.

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2. Besitz und Wirtschaft

Die Harrach beschränkten sich also nach dem Krieg auf ihren Grundbesitz in Österreich, der aber durch Güterverkäufe immer kleiner geworden war. Von 4349 Hektar vor dem Krieg schrumpfte der Besitz auf 2521, um schließlich im Jahr 1974 eine Fläche von 1754 Hektar zu erreichen. Dies hing mit verschiedenen Faktoren zusammen: dem Fehlen eines fähigen Chefs wegen des frühen Dahinscheidens von Hans Harrach im letzten Kriegsjahr wie auch seines Alleinerben Ferdinand Bonaventura, der 1961 mit 20 Jahren bei einem tragischen Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, aber auch mit den hohen Steuerbelastungen und den Schulden des Grundbesitzes. Nach der Erbteilung verblieben der Witwe und Tochter von Hans die Gemäldegalerie und Rohrau, während das später an den österreichischen Staat verkaufte Palais auf der Freyung in Wien und die Herrschaft Prugg an Hans’ Vetter Ernst Leonhard gingen.75 Die Harrach zählten zu jenen glücklichen Adeligen, die einen Teil ihres Fideikommisses auf dem Gebiet des heutigen Österreich hatten und nicht ein Betteldasein führen mussten wie viele adelige Ostflüchtlinge in den 1950er- und 1960er-Jahren.76 Noch Ende des 20. Jahrhunderts zählten sie sogar mit zwei Schlössern (in Prugg und Rohrau) sowie 1000 Hektar Landwirtschaft in ihrem Besitz zu den größten privaten Grundbesitzern Österreichs – hinter den Esterházy, Schwarzenberg, Liechtenstein, Habsburg-Lothringen und Hoyos.77

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe Wie andere Vertreter des böhmischen Hochadels verfügten auch die Harrach im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert über einen stattlichen Grundbesitz, den sie intensiv bewirtschafteten.78 Als einer der größten Großgrundbesitzer in Böhmen und Niederösterreich nahm das Haus der Grafen Harrach an dem Umwandlungsprozess teil, der nach 1850 die Herrschaftsbesitzer Zentraleuropas zu großen Agrarkapitalisten transformierte und damit ihre Wirtschaftslage und ihre ökonomische Macht festigte.79 Dank der Größe und der intensiven Bewirtschaftung ihrer Eigengüter waren die Harrach, wie viele ihrer Standesgenossen, kaum von der Grundentlastung von 1848 betroffen. Die Gutswirtschaft, der eigentliche Kern der Grundherrschaft und die wichtigste Rentenquelle in Böhmen, profitierte sogar von der Ablösung des wenig produktiven Robot durch Lohnarbeit sowie von der Reinvestition der riesigen Ent75 Clam-Martinic, Funktion von Burg, 162. 76 Siegert, Der Adel lässt bitten, 7–15. 77 Walterskirchen, Adel in Österreich im 20. Jahrhundert, 72. 78 Vgl. Myška, Der Adel der böhmischen Länder, 169–189. 79 Ebd., 180; Berend, Decades of Crisis, 25.

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

109

schädigungssummen in den Gutsbetrieb und in die landwirtschaftliche Industrie.80 In dieser Hinsicht scheint die Behauptung, die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts sei in Böhmen eine „einmalige Etappe der marktwirtschaftlichen Dominanz des adeligen Großgrundbesitzes“ gewesen, gerechtfertigt.81 Die Oberhäupter der Harrach vertraten als Pioniere den unternehmensfreundlichen Zeitgeist jener Epoche. Franz Ernst (1799–1884), einer der bedeutendsten Güterbesitzer Böhmens, wurde am 10. Mai 1848 (auf Initiative von Leo Thun) zum Generaldirektor des Vereins zur Ermunterung des Gewerbegeistes in Böhmen ernannt.82 Sein Sohn Johann Nepomuk (1828–1909), der berühmteste Harrach der Neuzeit, zeichnete sich ebenfalls durch sein Engagement für die Landwirtschaft, die Industrie und das Bankwesen Böhmens aus. In den 1890er-Jahren fungierte er unter anderem als Präsident der Böhmischen Kommerzialbank, der einzigen tschechischen Bankinstitute in Wien, nämlich der Zweigstelle der Prager „Živnostenská banka“ und der Versicherungsbank „Slavia“, des Exportvereins für Böhmen, Mähren und Schlesien und der Lokalbahn Starkenbach-Rochlitz. Er war auch als Mitglied des Kuratoriums des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie sowie als Präsident (1880–1882) des Brauindustrievereins tätig.83 2.2.1 Landwirtschaftliche, industrielle und sonstige Betriebe: Größe, Produktion und finanzielle Lage

Die Besitzverhältnisse der Grafen Harrach, die, wie jene des böhmischen Adels insgesamt, im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert eine beachtliche Stabilität bewiesen,84 bestimmten ihre Wirtschaftsform und Produktion. Wie bei den meisten adeligen Besitztümern bestanden auch ihre Herrschaften hauptsächlich aus Acker, Wiesen, Weiden und vor allem Wald, während Gärten, Teiche, unfruchtbarer und bebaubarer Boden nur einen winzigen Teil des Grundbesitzes ausmachten. Eine Analyse der Landverteilung, die sich von 1886 bis 1918 kaum oder minimal änderte, ermöglicht einen Überblick über die Flächendiversifikation bzw. das produktive Profil der einzelnen Herrschaften (siehe Tab. 2).

80 Melville, Adel und Revolution, 259–260, 263. 81 Vgl. Milan Hlavačka, Die Modernisierung des Großgrundbesitzes von Georg Christian Lobkowitz in den 1860er und 1870er Jahren, in: Cerman/Velek (Hg.), Adel und Wirtschaft, 198. 82 Melville, Adel und Revolution, 205–206. 83 Sturm (Hg.), Biographisches Lexikon, 539; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 2, Graz/Köln 1959, 190–191; Brousek, Wien und seine Tschechen, 20–21. 84 Vgl. Myška, Der Adel der böhmischen Länder, 171.

110

2. Besitz und Wirtschaft

Der Wald bildete mit 16.420 Hektar, d. h. 56 Prozent des gesamten Grundbesitzes (29.455 Hektar), im beginnenden 20. Jahrhundert den größten Teil der Domänen in Böhmen und Niederösterreich. Der Waldanteil war mit 64 Prozent (15.601 Hektar) in den böhmischen Herrschaften der Harrach deutlich höher als in ihrer Herrschaft in Niederösterreich und Ungarn, wo er mit 819 Hektar nur 16 Prozent betrug. Ihr ausgedehnter Waldbesitz war in einem Land wie Böhmen, wo zwei Drittel der Wälder dem Großgrundbesitz und primär dem Hochadel gehörten, nicht weiter überraschend.85 70 Prozent der böhmischen Waldbestände lagen in Starkenbach, wo der Wald mit 10.837 Hektar 79 Prozent der Herrschaftsfläche bildete, und je 15 Prozent in Sadowa und Plana, wo der Waldanteil 37 bzw. 57 Prozent betrug. Einen großen Waldbesitz von insgesamt 12.993 Hektar (81 Prozent des Gesamtbesitzes) wiesen Alfred und Franz Harrach in ihren mährischen Herrschaften und in ihrem Gut in Oberösterreich auf. Ihre mährische Allodialherrschaft in Janowitz bestand sogar zu 92 Prozent aus Wald (8175 Hektar). Ackerland bildete mit 7932 Hektar, d. h. 27 Prozent des gesamten Grundbesitzes, die zweitgrößte Bodenfläche der Harrach. Es wies sogar mit 3014 Hektar (58 Prozent) und 3141 Hektar (48 Prozent) in Prugg und Rohrau (Niederösterreich-Ungarn) bzw. in Sadowa den höchsten Anteil auf, während es mit 634 Hektar (5 Prozent) für das von Wald beherrschte Starkenbach von geringer Bedeutung war. Die Hutweiden (1999 Hektar) waren mit 7 Prozent und die Wiesen (1591 Hektar) mit 5 Prozent im Gesamtbesitz vertreten. Während es in Herrschaften mit viel Ackerland (Sadowa) einen höheren Prozentsatz an Wiesen gab, verfügten Herrschaften mit viel Wald (Starkenbach) über eine größere Fläche von Hutweiden. Tab. 2: Flächenstruktur und ‑verteilung des Harrach’schen Grundbesitzes [a]

Acker

Wiesen

Hutweide

Wald

ha

%

ha

%

ha

%

ha

%

Herrschaft

Jahr

Sadowa/Stěžer

1886

3.092

46

755

11

256

4

2.408

36

1906

3.141

48

617

10

149

2

2.424

37

1933

214

8

61

2

12

0,5

2.370

88

85 Vgl. Wilhelm Medinger, Grossgrundbesitz, Fideikommiss und Agrarreform, Wien 1919, 13, zit. nach Glassheim, Noble Nationalists, 13–14.

111

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

Starkenbach (Jilemnice)

Zeltsch, Planá, Strkow

1886

647

5

474

3

2.046

14

10.738

75

1906

634

5

470

3

1.498

11

10.837

79

1933

93

2



56

1

5.404

94

1886

1.143

28

363

9

66

2

2.270

55

1906

1.143

28

374

9

49

1

2.340

57

1933

180

16

102

9

11

1

528

48

3.272

58

208

4

327

6

830

15

1903

3.014

60

130

3

303

6

819

16

1904

58

12

33

7

2

0,5

352

74

1930

94

19



356

73

1912

197

2

181

2

325

4

8.175

92

1912

1.348

21

260

4

184

3

4.466

68

Rohrau / Prugg 1895 [b]

(Bruck a. d. Leitha) Aschach a. d. Donau (Oberösterreich) Janowitz Groß-Meseritsch



[a] Der prozentuelle Anteil bezieht sich auf die Gesamtbesitzfläche, wo in der Statistik auch Gärten, Teiche, unfruchtbarer sowie bebaubarer Boden mitgerechnet werden. Da es sich aber um relativ kleine Flächen handelte, die insgesamt zwei bis fünf Prozent der Gesamtfläche ausmachten, wurden sie hier nicht eingetragen. Die einzige Ausnahme bildeten die ausgedehnten Teiche in Plana, die sich zwischen 1910 und 1933 mit 261–271 Hektar auf etwa ein Fünftel bzw. ein Viertel der Gesamtfläche beliefen. [b] 2815 Hektar, d. h. nahezu 100 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche der Harrach’schen Herrschaft in Bruck a. d. Leitha, wurden gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs an A. Goldman & Co. in Bruckneudorf verpachtet. Quelle: wie Tab. 1

112

2. Besitz und Wirtschaft

Eigenregie – Verpachtung

Der überwiegende Teil (ca. 90 Prozent) des Harrach’schen Grundbesitzes wurde bis 1918 sowohl in Niederösterreich und Ungarn als auch in Böhmen in Eigenregie bewirtschaftet.86 In Niederösterreich wurden lediglich kleine, entlegene Parzellen und eine Kunstmühle in Bruck a. d. Leitha verpachtet.87 In Böhmen sah die Situation folgendermaßen aus: Die Wälder und die Forstwirtschaft standen in allen drei Herrschaften komplett unter Eigenregie; was die übrigen Bodenflächen betrifft, wurden 1906 in Sadowa 16 Meierhöfe mit 3100 Hektar in eigener Regie bewirtschaftet und 810 Hektar parzellenweise verpachtet, während in Zeltsch mit Plana, Strkow und Dražičky sieben Meierhöfe mit 1110 Hektar in Eigenregie bewirtschaftet und 365 Hektar (ein Meierhof von 250 Hektar an 3 Pächter und 115 Hektar in Parzellen) verpachtet wurden. In Starkenbach dagegen, wo Äcker und Wiesen 8 Prozent der Gesamtfläche bildeten, wurden die vier Meierhöfe der Herrschaft bis auf einen Teil der landwirtschaftlichen Fläche zum eigenen Bedarf parzellenweise verpachtet.88 Verpachtet wurden darüber hinaus fünf Gasthäuser, ein Restaurant, ein Hotel und eine Villa in Jilemnice sowie in kleinen Städten und Dörfern innerhalb der dortigen Herrschaft.89 Auch Johann Nepomuks Bruder Alfred in Janowitz und dessen Sohn Franz in Groß-Meseritsch wählten für den Großteil der mährischen Allodialherrschaften die Eigenregie.90 Dass die Harrach dem Eigenbetrieb den Vorzug gaben, dürfte mit dem in adeligen Kreisen schon in den 1870er-Jahren verbreiteten Argument der verbesserten „Koordinations- und Absatzmöglichkeiten sowie erhöhter Rentabilitätschancen, welche aus einer etappenweisen Rationalisierung der Administration erwuchsen“, zusammenhängen.91 Der Besitz riesiger Waldbestände in Böhmen (überwiegend Fichte, Tanne und Kiefer) in Verbindung mit deren Bewirtschaftung in Eigenregie erklärt die Bedeutung der Forstwirtschaft für die Harrach, vor allem jener von Starkenbach im Riesengebirge, die übrigens bis in den Zweiten Weltkrieg hinein als der wichtigste Sektor erhalten blieb. Auf der dortigen forstwirtschaftlichen Fläche, die sich auf dreizehn 86 Steuerakten, Beilage zu A des Einkommensteuerbekenntnisses betreffend Einkommen aus Grund- und Forstbesitz im Jahre 1920 (Steuerbezirk Bruck a. d. Leitha), in: AVA, FAH, Kt. 883, Finanzielles Otto. 87 Schematismus des landtäflichen und Großgrundbesitzes, 19–20, 168; Neuester Schematismus der landtä‑ flichen Herrschaften und Güter in Niederösterreich, 15–16. 88 Tittel, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1906), 183–186, 188. 89 Velkostatek (Herrschaft) Jilemnice, Hlavní Kniha pro účty věcné (Hauptbuch für Sachkonten) für das Jahr 1910–11, Index, in: SOAZ, Inv. č. (Inventarnr.) 1340, č. knihy (Buchnr.) 1054. 90 Genaue Flächenangaben sind kaum vorhanden. Wir wissen nur, dass sieben Meierhöfe in eigener Regie bewirtschaftet und vier parzellenweise verpachtet wurden. Neuester Schematismus der Herrschaften, Güter und Zuckerfabriken in Mähren, 62–63, 104–105. 91 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 125.

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

113

Waldreviere verteilte,92 wurden in größeren Mengen Bau‑, Nutz- und Brennholz und in kleineren Mengen Bretter, Kisten, Schindeln, Gerberlohe und Holzwolle zum Verkauf erzeugt. In Sadowa wurden um 1900 500 Kubikmeter Eichenklötze, 1000 Kubikmeter Bauholz, 3500 Kubikmeter hartes Brennholz, 4000 Kubikmeter weiches Brennholz, 5000 Kubikmeter Prügelholz und 1300 Kubikmeter Schnittmaterial als für den Verkauf vorgesehene Produkte aufgelistet, während Holz und Schnittmaterial auch in Zeltsch mit Plana und Strkow erzeugt und verkauft wurden.93 Die Harrach’sche Holzwirtschaft in Böhmen war ziemlich industrialisiert, da schon Anfang der 1880er-Jahre Fabriken in Betrieb waren, die Fertig- und Halbfertigwaren aus der Forstwirtschaft erzeugten, wie etwa drei Brettsägen mit Schindelmaschinen in Starkenbach (Štěpanovic, Johannesberg und Friedrichsthal) und je eine in Sadowa und Plana. Darüber hinaus wurden in den 1890er-Jahren zwei Kistenfabriken sowie zwei Holzstoff- und Pappenindustrien in Starkenbach gegründet.94 Forstwirtschaftliche Industriebetriebe in eigener Regie gab es auch in den mährischen Herrschaften der Harrach, so etwa zwei Dampfsägen und eine Wassersäge in Janowitz und zwei weitere Dampfsägen (eine mit Elektrizitätsanlage) in Groß-Meseritsch.95 Franz Ernst und seine Söhne Johann Nepomuk und Alfred gehörten zu jenen Grundherren, die sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts verstärkt auf die Forstwirtschaft verlegten und vom Anstieg der Holzpreise seit den 1870er-Jahren stark profitierten. Sie waren also nicht so sehr vom Preisverfall der Agrarprodukte nach 1879 betroffen und gingen damit eher gestärkt aus der Agrarkrise hervor. Holz stellte ohnehin den wichtigsten Exportartikel der Monarchie in den späten Jahren des 19. Jahrhunderts dar.96 Das Konto des Forstwirtschaftsvermögens der Herrschaft Starkenbach, das für das Jahr 1910/11 (Juli 1910 bis Juni 1911) 3.944.850 Kronen betrug, liefert uns einen klaren Beweis für die Größe und das Gewicht der Forstwirtschaft in der damaligen Zeit.97 Sadowa, das fast zur Hälfte aus Acker bestand, 92 Es ging um die Waldreviere Benecko, Branná, Harrachsdorf, Hrabačov, Johannesberg, Kruh, Neuwelt, Rezek, Kaltenberg, Vitkovic, Žďár, Seifenbach und Friedrichsthal. 93 Tittel, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1900), 171, 173, 176; ders., Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1906), 184, 186, 188. 94 Tittel, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1900), 171–176; ders., Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1906), 184–188; Procházka, Topografisch-statistischer Schematismus des Grossgrundbesitzes im Königreiche Böhmen, Prag 1881, 214, 217, 220. 95 Neuester Schematismus der Herrschaften, Güter und Zuckerfabriken in Mähren, 62–63, 104–105. 96 Myška, Der Adel der böhmischen Länder, 175; Tönsmeyer, Grundbesitzender Adel, 248–250; Karl Dinklage, Die landwirtschaftliche Entwicklung, in: Adam Wandruszka / Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie 1848–1918, Bd. 1: Die wirtschaftliche Entwicklung (hg. v. Alois Brusatti), Wien 1973, 442. 97 Velkostatek (Herrschaft) Jilemnice, Hlavní Kniha pro účty věcné (Hauptbuch für Sachkonten) für

114

2. Besitz und Wirtschaft

bildete bis 1918 die böhmische Herrschaft mit der stärksten und marktorientierten Landwirtschaft. Um die Jahrhundertwende wurden dort 555.000 Kilogramm Korn, 1.020.000 Kilogramm Weizen, 96.000 Kilogramm Raps, 400.000 Kilogramm Gerste, 420.000 Kilogramm Hafer, 2.200.000 Kilogramm Zuckerrüben, 110.000 Kilogramm Rohflachs sowie 4.000.000 Kilogramm Rohzucker zum Verkauf erzeugt. Die Harrach betrieben in Sadowa bereits vor 1880 eine Rohzuckerfabrik (errichtet im Jahr 1862), zwei Bierbrauereien mit einem Jahresausstoß von je 5000 Hektolitern Bier (gegründet 1652 und 1657), Spiritus- und Branntweinbrennereien, eine Käserei und zwei Wasser-Mahlmühlen. Bis 1900 wurden noch zwei Käsereien und drei Molkereien mit Teebuttererzeugung und eine Ringofenziegelei erbaut, während die 1861 renovierte Brauerei in Sadowa nach einem Brand von 1906 mit einer Dampfmaschinenanlage ausgestattet wurde. Zwei Brauhäuser mit 10.000 Hektolitern Bierproduktion (eines davon wurde in den 1890er-Jahren in ein Maschinenbrauhaus umgewandelt), eine Mälzerei und eine Walzmühle wurden in Starkenbach betrieben, während Zeltsch mit Plana und Strkow über ein Brauhaus mit einem Jahresausstoß von 36 Hektolitern, zwei Spiritusbrennereien und vier Ziegeleien in Eigenregie verfügte und Teebutter wie Käse in großen Quantitäten erzeugte.98 Die bedeutendste Harrach’sche industrielle Unternehmung, im In- und Ausland berühmt für die Qualität ihrer Produkte, war die 1712 gegründete Glashütte in Neuwelt (Nový Svět). Im Grunde genommen handelte es sich um eine große Manufaktur, die Niederlassungen in Wien, in Karlsbad, in Moskau (bis 1917) und St. Petersburg und in Chicago (bis 1909) hatte.99 Der Produktionstand der böhmischen Herrschaften der Harrach von 1880 bis 1914 kann als Folge des Fortschritts in dem Vierteljahrhundert nach der Revolution von 1848 betrachtet werden. Der Agrargroßbetrieb der böhmischen Länder erlebte in jener Zeitspanne „einen erneuten kräftigen Innovationsschub, den vollen Durchbruch der ‚rationellen Wirtschaft‘, den gesteigerten Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen, von Düngemitteln, den Aufschwung der landwirtschaftlichen Industrien“.100 Die Einführung moderner Technologien und der verstärkte Einsatz von Maschinen in den Betrieben der Harrach wie auch bei anderen adeligen Großgrunddas Jahr 1910–11, 154–155, in: SOAZ, Inv. č. (Inv. Nr.) 1340, č. knihy (Buchnr.) 1054. Es ging um die Waldabteile Branná, Jilemnice und Rokytnice. 98 Tittel, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1900), 171, 173, 175–176; Procházka, Sche‑ matismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1881), 214–220; Turčín / Bečvářová, Velkostatek [Herrschaft] Sadová 1599–1948, Inventar, III–IV. 99 Bouza / Moravcová, Velkostatek [Herrschaft] Jilemnice, III–V; Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 100 Melville, Adel und Revolution, 259–260.

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

115

Abb. 13: Auszeichnung für die Harrach’schen Glaswaren aus der Familienfabrik in Neuwelt bei der Weltausstellung 1876 in Philadelphia, USA

besitzern in Böhmen101 kennzeichnete ebenso ihren landwirtschaftlichen Betrieb in Niederösterreich und im anliegenden ungarischen Grenzgebiet. Dort wurden im Jahr 1920 551 landwirtschaftliche Maschinen, vor allem Sä- und Mähmaschinen, Düngerstreuer, Heuwender, Rübenhacker, Benzinmotoren und Motorpflüge gezählt.102 Die niederösterreichische Regie-Landwirtschaft warf von 1890 bis 1894 jährliche Reinerträge im Durchschnitt von 129.153 Gulden ab, während der entsprechende Wert der Kriegsjahre 1914 bis 1918 bedingt durch die Inflation durchschnittlich 809.078 Kronen betrug.103 Die böhmischen Herrschaften wiesen im Jahr 1906 ei101 Myška, The Industrial Revolution: Bohemia, Moravia and Silesia, in: Mikulaš Teich / Roy Porter (Hg.), The Industrial Revolution in national context, Cambridge UP 1996, 259–260; Myška, Der Adel der böhmischen Länder, 179. 102 Beilage zu A des Einkommensteuerbekenntnisses betreffend Einkommen aus Grund- und Forstbesitz im Jahre 1920 (Steuerbezirk Bruck a/L)., No. 9, Ausweis über landwirtschaftliche Maschinen, in: AVA, FAH, Kt. 883, Finanzielles Otto. 103 Reinerträge der Regie-Landwirtschaft, Privates Johann, Fideikomiß (Auslegung), in: AVA, FAH, Kt. 887. Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich, 4) Beilageblatt 1, S. 10, Reinerträge der ganzen Domäne einschließlich Forstwirtschaft, AVA, FAH, Kt. 882.

116

2. Besitz und Wirtschaft

nen „Katastralreinertrag“ von insgesamt 337.623 Kronen auf, wobei dieser aus den Grundbesitzbögen zusammengestellte und eine „fiktive, imaginäre Größe“ bildende Wert 10 bis 20 Prozent des tatsächlichen normalen Reinertrags des Grundbesitzes, vor allem der Wälder, darstellte.104 Der Reinertrag von Sadowa, Starkenbach und Zeltsch mit Plana und Strkow dürfte sich also zwischen 1.688.115 und 3.376.230 Kronen bewegt haben. Auf die Produktionskraft und den Umsatz der Harrach’schen Betriebe deuten unter anderem die Rohbilanzen der Hauptbücher I und II hin. Die Gesamtsumme der Rohbilanz im Dezember 1918 betrug 36.121.890 Kronen (Soll und Haben).105 Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die Vermögenskonten aller Domänen der Harrach, ihrer Glasfabrik samt deren Niederlagen (Zweiggeschäften) im In- und Ausland sowie ihrer Bleiche in Hrabačov und ihrer Zuckerfabrik in Sadowa gleich nach dem Ende des Ersten Weltkriegs. Tab. 3: Rohbilanz für den Monat Dezember 1918 in Kronen

Hauptbuch I

Soll

Vermögens-Konto der Domäne Starkenbach

5.492.410

Vermögens-Konto der Domäne Sadová

8.047.886

Vermögens-Konto der Domäne Prugg-Rohrau

3.482.516

Vermögens-Konto der Domäne Strkov

1.207.588

Vermögens-Konto der Zuckerfabrik Sadová

785.212

Vermögens-Konto der Glasfabrik Neuwelt

291.786

Vermögens-Konto der Glasniederlage Wien

22.464

Prag

146.762

Moskau

395.240

St. Petersburg

451.174

Karlsbad

67.101

Vermögens-Konto der Bleiche Hrabačov

96.466

Quelle: Erlaucht Graf Harrachsche Hauptkassa, Wien, 25.2.1919 (gefertigt v. Wilhelm Kotyl und Otto Hrdlicka), Rohbilanzen 1918–19, in: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz, 1898–1919 104 Tittel, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1906), 182–189; Franz Riebel, Waldwertrech‑ nung und Schätzung von Liegenschaften, 2. Aufl., Wien 1912, 250; Verhandlungen des Österreichischen Forst-Congresses, London 2013 (Original erschienen 1903), 731, http://www.forgottenbooks.com/ readbook_text/Verhandlungen_des_Osterreichischen_Forst-Congresses_1100054033/731. 105 Erlaucht Graf Harrachsche Hauptkassa, Wien, 25.2.1919 (gefertigt v. Wilhelm Kotyl und Otto Hrdlicka), Rohbilanzen 1918–19, in: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz, 1898–1919.

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

117

Die Auflösung der Habsburgermonarchie schuf neue Bedingungen für Otto Harrach und seinen Cousin Franz, die nun ihre Domäne in zwei Nachfolgestaaten – (Deutsch ) Österreich und Tschechoslowakei – mit einer im Vergleich zum Großgrundbesitz anderen Politik bewirtschaften mussten. Die Feststellung Roman Sandgrubers, „der produktionsstarke Großgrundbesitz habe sich nach dem Zerfall der Monarchie überhaupt außerhalb der neuen Grenzen Österreichs befunden“,106 trifft sowohl auf Ottos böhmische (21.737 Hektar) als auch auf Franz’ mährische (15.491 Hektar) Herrschaften zu, die noch im Jahr 1919 ca. 81 bzw. 97 Prozent ihres gesamten Grundbesitzes bildeten. Selbst im Jahr 1932, als die Bodenreform vollzogen war, lagen noch zwei Drittel des Großgrundbesitzes des Oberhaupts der Harrach in der ČSR, einem neuen Staat mit dynamischer Wirtschaft, mit günstigeren Wirtschaftsdaten als (Deutsch‑)Österreich in der Zwischenkriegszeit (vor allem bis 1929) und mit einer zum Großteil marktorientierten Landwirtschaft, die eine wesentliche Rolle in der Volkswirtschaft spielte.107 Die Verlegung der Hauptkasse und der Generaldirektion nach Starkenbach sowie der Erwerb der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft für Otto gleich nach dem Krieg dürften kein Zufall gewesen sein. Die Enteignung von 12.181 Hektar wirkte sich jedoch sowohl auf die Flächenverteilung als auch auf die Produktionsgrundlage, die Produktionsmittel und die Produktionsquantität seiner böhmischen Wirtschaft aus. Die Bodenfläche schrumpfte zunächst nicht gleichmäßig. Am meisten betroffen war der Ackerbestand: Mit einem Schwund sämtlicher Äcker von 4918 auf 487 Hektar zwischen 1906 und 1933 verloren die Harrach 90 Prozent ihrer Ackerfläche in Böhmen. Im Jahr 1906 bildete Ackerland ein Fünftel der Bodenfläche, 1933 waren es dagegen nur noch fünf Prozent. Der größte Wandel fand in der stark an der Landwirtschaft orientierten Herrschaft Sadowa statt, wo der Ackeranteil von 48 auf 8 Prozent gefallen war. Auch der Wiesenbestand schrumpfte um 90 Prozent mit einer Verringerung des Wiesenanteils von zehn auf zwei Prozent. Obwohl der Waldbestand von 15.601 auf 7299 Hektar, d. h. um 47 Prozent zurückging, stieg der Waldanteil in den böhmischen Ländereien von 64 (1906) auf 76 Prozent (1933) an. Der Wald wurde wegen der großen Ackerabtretung sowohl in Sadowa als auch in Starkenbach aufgewertet; der Waldanteil machte 1933 88 bzw. 94 Prozent aus, während die entsprechenden Werte bis 1918 bzw. bis zur Einführung der Bodenreformgesetze 37 und 79 Prozent betragen hatten (siehe Tab. 2). 106 Roman Sandgruber, Die Landwirtschaft in der Wirtschaft – Menschen, Maschinen, Märkte, in: Franz Ledermüller (Hg.), Geschichte der österreichischen Land- und Forstwirtschaft im 20. Jahrhun‑ dert, Wien 2002, 299, zit. nach Melichar, >200 Hektar, 575. 107 Sandgruber, Ökonomie und Politik, 337; Václav Průcha, Continuity and Discontinuity in the Economic Development of Czechoslovakia 1918–1991, in: Alice Teichova (Hg.), Central Europe in the Twentieth Century. An Economic History Perspective, Aldershot 1997, 25–26.

118

2. Besitz und Wirtschaft

Die Bodenverluste und die Umverteilung des Landes in den 1920er-Jahren führten zu einem beträchtlichen Rückgang, ja sogar zu einer Marginalisierung der Landwirtschaft und der Viehzucht innerhalb der Harrach’schen Wirtschaft in Böhmen. Die im Schematismus des tschechischen Großgrundbesitzes von 1933 ohne Mengenangaben verzeichneten Verkaufsprodukte von Sadowa oder Strkow (Korn, Kartoffeln, Milch, Vieh, Fisch, Gemüse, Obst, Wild und Bier) dürften in viel kleineren Mengen als zuvor erzeugt worden sein und Absatz auf lokaler Ebene gefunden haben. Es fehlen hingegen die marktorientierten und hohe Erträge bringenden Produkte wie Weizen, Raps, Gerste, Hafer, Rohzucker, Zuckerrüben und Rohflachs im Fall von Sadowa oder Teebutter und Käse im Fall von Strkow, die bis 1914 in größeren Quantitäten erzeugt worden waren. Ein Produktionsrückgang zeichnete sich auch bei den an die Landwirtschaft gebundenen sowie bei den sonstigen Industriebetrieben der Harrach ab. So wurde eine Reihe von Fabriken aufgelöst, verkauft oder dem Besitz anderer Personen oder Genossenschaften zugeteilt: die einzige Rohzuckerfabrik, zwei Bierbrauereien, Spiritus- und Branntweinbrennereien, eine Wasser-Mahlmühle, zwei Käsereien und drei Molkereien in Sadowa, eine Mahlmühle und eine Ziegelei in Strkow sowie ein Brauhaus, der Kalkofen und die Bleiche, zwei Brettsägen und eine Schindelmaschine in Starkenbach. Über die Glasfabrik und vier an die Forstwirtschaft gebundene Industrien hinaus, die in Starkenbach erhalten geblieben waren, behielt Otto das Maschinenbrauhaus, die Ziegelei und eine Käserei in Sadowa sowie das Maschinenbrauhaus und die Walzenmühle in Starkenbach. Die Spiritusbrennerei in Strkow verpachtete er an die lokale Genossenschaft.108 Doch diese Reduktion der Betriebe wirkte sich nicht unbedingt nur negativ auf die Bewirtschaftung der Harrach in der ČSR aus. Die Grundenteignungen infolge der Bodenreform während der 1920er-Jahre dürften im Zusammenhang mit der Fideikommiss-Aufhebung (1924) günstige Voraussetzungen für die Sanierung, Konsolidierung und Liquiditätssicherung ihrer böhmischen Wirtschaft geschaffen haben. Otto konnte sich der passiven Objekte des Allodvermögens entledigen (Auflösung der Zuckerfabrik 1925, Verkauf der verschuldeten Brauhäuser und Wirtshäuser).109 Zudem dürften die Möglichkeit der Belastung des aktiven Fideikommissvermögens (ab 1924) sowie die freilich geringen Entschädigungen für die Bodenenteignungen ab Mitte der 1920er-Jahre günstigere Verhältnisse für die erhalten gebliebenen Betriebe in Böhmen, vor allem die Forstwirtschaft und die Glasfabrik, geschaffen haben. Ein wichtiges Indiz hierfür ist die Verschuldung des österreichischen Teiles des 108 Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–335. 109 Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–335; Turčín / Bečvářová, Velkostatek [Herrschaft] Sadová, IV.

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

119

Harrach’schen Grundbesitzes in Jilemnice (Starkenbach), die 1936 2.430.581 österreichische Schillinge betrug.110 Mit einem Holzabtrieb von insgesamt 33.256 Kubikmeter (21.043 allein von Starkenbach) und fünf Holzindustriebetrieben im Jahr 1932 scheint die Holzwirtschaft mit Erzeugnissen wie Bau‑, Nutz- und Brennholz, Pappen, Schnittmaterial, Kisten, Schindeln, Lohrinde, Holzwolle sowie Holzstoffen bis zum Zweiten Weltkrieg floriert zu haben.111 Die Bedeutung der Holzfabrikation, vor allem in Starkenbach, war für die deutsche Kriegswirtschaft so groß, dass Hans Harrach als Familienoberhaupt vom Kriegsdienst befreit und erst 1945 in die Wehrmacht einberufen wurde.112 Das Kriegsende brachte nach einem tragischen Zufall nicht nur seinem Leben, sondern auch der in Böhmen drei Jahrhunderte währenden alten Harrach’schen Besitzung und Wirtschaft das Ende. Das Engagement der Harrach für die Förderung der Forstwirtschaft in der ČSR, und zwar auf höchster Ebene, erwies sich besonders im Fall des großen Waldbesitzers in Mähren Franz Harrach, der nach der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik Gründungsmitglied des Zentralverbands der tschechoslowakischen Forstwirtschaft, Mitglied des Jägerverbands und des Vorstands des Zentralausschusses der freien Vereine der Forstverwaltung wurde, als nutzlos.113 Der einzige Grundbesitz, der den Harrach nach 1945 überhaupt geblieben war, waren die Domänen Prugg und Rohrau in Niederösterreich und im Burgenland, den einzigen Bundesländern, wo es Otto Bauer zufolge nach 1918 landwirtschaftliche Großbetriebe in größerer Zahl gegeben hatte.114 Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte jedoch einen radikalen Wandel der Domänenbewirtschaftung, als die Eigenregie aufgegeben wurde. Fast 100 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche wurden während der Zwischenkriegszeit an A. Goldman & Co. in Bruckneudorf verpachtet.115 Die Verluste, die 1919 während der Räterepublik von Bela Kun die noch in Ungarn liegenden Domänenteile erlitten, sowie verschiedene Belastungen des Anwesens und die Ängste vor einer Revolution in Deutschösterreich hatten zur Verpachtung geführt.116 Der Pachtvertrag ermöglichte Otto Harrach, wie übrigens entsprechende Verträge anderen Großgrundbesitzern Niederösterreichs, ein einiger110 Summarische Aufstellung der Aktiven und Passiven, Wien, 1.9.1936, Nachlass Otto Graf Harrach, in: AVA, FAH, Kt. 971. 111 Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–335. 112 Interview mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008. 113 Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 3–4. 114 Melichar, >200 Hektar, 575. 115 Jahr- und Adressbuch der Land- und Forstwirtschaft, Wien 1930 (Agrarverlag), 95. 116 Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich, 4) Beilageblatt 1, S. 10, Reinerträge der ganzen Domäne einschließlich Forstwirtschaft, in: AVA, FAH, Kt. 882.

120

2. Besitz und Wirtschaft

maßen sicheres und stabiles Renteneinkommen, mit dem er sich im April 1922 zufrieden erklärte.117 Darüber hinaus nutzte er um 1920 auch seine Immobilien, indem er 42 von 54 Räumen im Schloss Rohrau vermietete, und zwar 17 davon an den Grafen Thun und die übrigen an verschiedene lokale Verwaltungsstellen und ‑beamte, während 70 von den 87 Räumen des Wiener Palais (Ertragswert von etwa 1.803.152 Kronen) der tschechoslowakischen Gesandtschaft vermietet wurden.118 Die in den 1960er-Jahren von Ernst Leonhard Harrach geerbte Domäne in Bruck a. d. Leitha war schwer belastet. Die Ablöse für die Rückgewinnung der Domäne nach deren Arisierung, Kriegsschäden sowie die schlecht geführte Eigenregie durch ungeeignete Angestellte in den 1950er-Jahre hatten zu einer hohen Verschuldung geführt. Nach einer Sanierung um 1970 ist die Herrschaft Prugg heute eine „modern ausgestattete Landwirtschaft mit Saatzuchtbetrieb“.119 2.2.2 Personal

Die Harrach waren als Großgrundbesitzer wichtige Arbeitgeber. Die Erhaltung einer hohen Anzahl von Beamten und Bediensteten über Jahrzehnte hinweg ist ein zusätzliches Indiz für die Größe ihres Grundbesitzes und den Umfang ihrer Wirtschaft. Otto beschäftigte von 1914 bis 1918 allein im Wiener Palais und in seinen niederösterreichischen Schlössern Prugg und Rohrau 41 fest angestellte Bedienstete.120 Hinzu kamen 12 bis 15 Bedienstete, die die Familie in ihre verschiedenen Residenzen begleiteten (Haus‑, Küchen- und Stallpersonal, Chauffeur). An dieser Gewohnheit wurde auch während der Zwischenkriegszeit festgehalten, als der ganze Haushalt zwischen Prugg und Wien in Österreich und Hradek bzw. Strkow und Starkenbach in der ČSR pendelte.121 Darüber hinaus wurden im ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhundert 16 bis 17 Beamte und Angestellte in der niederösterreichischen Ökonomie und Forstwirtschaft der Harrach beschäftigt (siehe Tab. 4). Im Jahr 1920 waren dort zudem 100 Personen als Tagelöhner oder Saisonarbeiter, jedenfalls Leute ohne Versicherung und permanentes Deputat, registriert. 117 Otto Harrach an Tante Anna, Strkow, 23.4.1922, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563; Melichar, >200 Hektar, 619. 118 Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich (1921), No. 8, Subbeilage D: Übersicht der Wohngebäude und anderer Gebäude, und No. 21, 5. Beilageblatt: Palais mit Garten in Wien, in: AVA, FAH, Kt. 882. 119 Interview mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008; Clam-Martinic, Funktion von Burg, 163. 120 Rekapitulation mit der Summe der monatlichen Gehälter der Bediensteten (1916), in: AVA, FAH, Kt. 881, Finanzielles Otto. 121 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004.

121

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

In den böhmischen Herrschaften wurden 1910 177 Beamte und Angestellte gezählt, die in der Land- und Forstwirtschaft, den Industriebetrieben sowie in der Ökonomie und Zentralverwaltung tätig waren. Franz Harrach beschäftigte vor 1914 54 Personen in der Forst- und Domänendirektion seiner mährischen Herrschaften. Selbst nach der Durchführung der Bodenreform und der Halbierung des Harrach’schen Grundbesitzes in der ČSR beschäftigte Otto noch 104 Beamte und Angestellte (ohne die Angestellten der Industrien und der Glasfabrik). Darüber hinaus gab es Hunderte von Arbeitern bzw. Landarbeitern, die in der Statistik der Schematismen des Großgrundbesitzes kaum erfasst sind.122 Tab. 4: Beamte und Angestellte der Harrach

1886–1887

1906

Generalinspektion

1910

1933

1

Zentralkanzlei

4

5

Oberdirektion (Hradek)

2

2

6

Rechnungsrevision (Böhm.)

8

7

Baukanzlei (Libcan)

1

1

Archiv (Libcan)

1

Strkow, Plana (Zeltsch)

(14)

(45)

(6)

(12)

Landwirtschaft

3

12

3

7

Forstpersonal

10

29

3

5

Industrialien

1

4

Starkenbach

(12)

(63)

(95)

(45)

Ökonomie (Administration)

2

11

4

Forstpersonal (u. sonstiges)

4

14

28

Industrialien

6

12

18

Glasfabrik u. 5 Niederlagen

45

26

45

Sadowa

(56)

(58)

(60)

(47)

Ökonomie (Oberdirektion)

32

30

33

8

Forstpersonal (u. sonstiges)

13

17

17

39

Zuckerfabrik/Dampfbräuhaus

11

11

10

Summe (in Böhmen)

88

182

177

104

122 Tittel, Schematismus landtäflicher Güter (1910), 121–126; Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–335.

122

2. Besitz und Wirtschaft

Niederösterreich (Ungarn)

1895

1903

Prugg und Rohrau

17

16

Ökonomie

8

8

Forstpersonal (u. sonstiges)

9

8

Mähren

1912

Janowitz

(plus 23 Forstwarte)

Forst- und Domänedirektion

24

Groß-Meseritsch

30 1904

Aschach (Oberösterreich)

5

Quelle: wie Tab. 2

2.2.3 Zum Selbstverständnis als Großgrundbesitzer

Für diejenigen Adeligen, die wie Otto Harrach Großgrund- bzw. Fideikommissbesitzer waren, bildete gerade der Landbesitz bzw. die Landbindung einen zusätzlichen Identifizierungspunkt. „Das Selbstbewusstsein, das gesellschaftliche Prestige und die traditionelle Verantwortung für Familie und Personal, die sich aus der Bewirtschaftung von Großgrundbesitzen ergaben, haben sich ziemlich ungebrochen bis in die jüngste Vergangenheit erhalten“, behauptet Stekl über den österreichischen Adel im 20. Jahrhundert.123 Die Bedeutung der Landwirtschaft nahm darüber hinaus durch den Ersten Weltkrieg, den Hunger und die Nachkriegskrise enorm zu.124 „Eigentum von Grund und Boden ist Ziel für vielfache Projektionen, zumal in einem Land, das stark landwirtschaftlich geprägt ist. Vor allem in Krisenzeiten, in denen wie nach dem Ersten Weltkrieg die industrielle Produktion einbrach, die Kurse von Aktien und Wertpapieren abstürzten, Geldwerte der Inflation zum Opfer fielen und Städter am Land ausschwärmten, um bei den Bauern Nahrungsmittel zu bekommen, die sie in der Stadt nicht mehr erhielten oder nicht bezahlen konnten, stieg der Wert der Landwirtschaft, mithin des Bodens insgesamt, im öffentlichen Bewusstsein“.125

123 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 131–132. 124 Ernst Bruckmüller, Vom „Bauernstand“ zur „Gesellschaft des ländlichen Raumes“ – Sozialer Wandel in der bäuerlichen Gesellschaft des 20. Jahrhunderts, in: Ledermüller (Hg.), Geschichte der öster‑ reichischen Landwirtschaft, 42. 125 Melichar, >200 Hektar, 581.

2.2 Wirtschaftsform und -führung: Leistungen und Engpässe

123

Das landwirtschaftliche Engagement wurde von einigen Verwandten und Freunden Ottos als Gegengewicht zum Frontdienst dargestellt, um sein schlechtes Gewissen wegen der Frontabwesenheit zu lindern: „Der wichtigste Mann neben dem Soldaten ist jetzt der Landwirt geworden; gute Felder-Bearbeitung führt zu guter Ernte und dies zum Sieg“, schrieb sein Schwager, der Kavalleriegeneral Gabriel Marenzi, im April 1916 von der Ostfront.126

„Was Deine Ideen anbelangt, wiederhole ich Dir, was ich Dir vor zwei Jahren geschrieben habe. Du bist für das Vaterland viel notwendiger in Deine Stellung als Leutnant. Eine andere Charge käme nicht in Frage, in irgendeiner Kanzlei, oder als Bahnhof-Kommandant in Hütteldorf, vielleicht als Inspektions-Offizier im Spital oder irgendeiner Fabrik für Munition oder Stiefel. Du hast Deine eigene Landwirtschaft, die heute als das allerwichtigste scheint für uns. […] Wer würde sich um die Frauen und Kinder der Eingerückten kümmern? Wer für die Witwen sorgen? Mit einem Worte du gehörst nach Hause“,

so Prinz August Lobkowitz im September 1916.127 Die Identität des Grundbesitzers bzw. des Landwirtes war mit jener des Arbeitgebers eng verknüpft. Empfehlungsschreiben, Bitten um Anstellung sowie Informationen über künftige Angestellte dürften zur Bestätigung des gesellschaftlichen Prestiges sowie der Verantwortung für die von jenem Adel abhängigen Menschen beigetragen haben, der Land, Unternehmen und Schlösser besaß. Otto Harrach erhielt als Familienoberhaupt Dutzende solcher Briefe, die sozialgeschichtlich von hohem Interesse sind und Aufschluss darüber geben, welche Position er einnahm und wie seine Standesgenossen, aber auch andere Schichten ihn wahrnahmen.128 „Heute schrieb mir Therese Schwarzenberg aus Wittingau dass sie hörte Du suchtest jemanden zu Deinen Reitpferden. Sie empfiehlt aufs Wärmste den zweiten Sohn ihres Stallmeisters“, so Ottos Verlobte Karoline Öttingen im Dezember 1901.129 Ottos Nachbar aus Bruck in Niederösterreich, Graf Rudolf Abensperg und Traun, empfahl einen Franz Scholin, der sich im Februar 1910 bei Otto Harrach um eine Stelle als Kutscher bewerben wollte, folgendermaßen: „Er bat mich ihn Dir anzuempfehlen. Ich tue es, da er längere Zeit bei meinen Schwiegereltern war, ein verlässlicher und guter Kutscher. 126 Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Standort der 21. Brigadier (Galizien), 30.4.1916, in: AVA, FAH, Kt. 857. 127 August Lobkowitz an Otto Harrach, Wien, 5.9.1916, in: AVA, FAH, Kt. 864. 128 Siehe etwa Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Gabriele Marenzi, Wels, 17.1.1919 (Kt. 857), Karl Auersperg, Wien, 31.5.1910 (Kt. 860), Alois Liechtenstein, Schloss Groß-Ullersdorf (Nordmähren), 2.10.1912 (Kt. 864), Alphons Mensdorff-Pouilly, Wien, 4. und 9.2.1914 (Kt. 864), Eduard Auersperg, Weitwörth 26.9.1903 (Kt. 860), alle in: AVA, FAH. 129 Prinzessin Karoline zu Oettingen an ihren Verlobten Otto Harrach, Petersburg 13.12.1901, in: AVA, FAH, Kt. 856.

124

2. Besitz und Wirtschaft

Er ist auch viel in Wien gefahren und kennt sich aus“.130 Selbst böhmische Standesgenossen wie Prinz Jaroslav Lobkowitz schätzten die Harrach’schen Parks und Gärten und baten noch in den letzten Monaten vor dem Kriegsende um Rat und Hilfe. „Da Du Besitzer vieler Parks und Gärten bist könntest Du mir einen Gärtner für Krimitz empfehlen da ich meinen entlassen habe, weil er Trinker war?“, so Jaroslav Lobkowitz im letzten Kriegsjahr.131 Auch die Eigenschaft und der Wert Johanns (Hans’) als Großgrundbesitzer fanden kurz nach der Übernahme der Familienführung im Herbst 1935 bei seinen Standesgenossen in Böhmen Anerkennung, als er gebeten wurde, am großen Ausschuss des Verbands der tschechoslowakischen Großgrundbesitzer (Svaz československých velkostatkářů) teilzunehmen.132

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten 2.3.1 Vermögenswerte und ‑lasten

Großgrundbesitz diente als Grundlage und Rückhalt des großen Vermögens der Harrach, das ihnen jahrhundertelang ein standesgemäßes Leben sicherte. Ihr Vermögen, das aus Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, Grund- und Gebäudebesitz, Erwerbsunternehmungen, Kapitalanlagen, Geld, Edelmetallen und Juwelen bestand, brachte zwar Einnahmen und Reichtum, war aber zugleich mit regulären, einmaligen sowie außerordentlichen Steuern und Abgaben belastet.133 Johann Nepomuks Hinterlassenschaft bietet einen Überblick über die geografische Verteilung des Harrach’schen Vermögens vor dem Ersten Weltkrieg. Das Fideikommissvermögen des Erblassers bestand aus den Herrschaften Starkenbach, Sadowa (Königgrätz) und Hradek bei Nechanitz in Böhmen, Rohrau und Bruck a. d. Leitha in Niederösterreich und dem Palais in Wien (I., Freyung 3) samt Gemäldegalerie. Sein Allodialvermögen bildeten die Güter Přim und Libčan bei Sadowa, diverse Rustikalrealitäten in Sadowa, Starkenbach und Bruck a. d. Leitha, das Palais in Prag (Heinrichsgasse), die Zuckerfabrik in Sadowa, die Glasfabrik in Neuwelt (Starkenbach) und „Glasniederlagen“, sprich Niederlassungen in Wien, Prag, Karlsbad, Petersburg und Moskau.134 All dies erbte der neue Familienchef, Johanns Sohn Otto, 130 Graf Rudolf Abensperg und Traun an Otto Harrach, Wien, 10.2.1910, in: AVA, FAH, Kt. 856. 131 Jaroslav Lobkowitz an Otto Harrach, Franzensbad, 8.8.1918, in: AVA, FAH, Kt. 864. 132 Johannes Lobkowitz an Hans Harrach, Prag, 6.2.1936, in: AVA, FAH, Kt. 912. 133 Es handelte sich v. a. um die Grund- und Einkommensteuer, die Verlassenschaftsgebühren und die Erbschaftssteuer sowie die in Österreich eingeführte „einmalige große Vermögensabgabe“ (1920–21). 134 Verlassenschaft des Grafen Johann, Formular der Todfallsaufnahme, Wien, 3.1.1910 (v. Dr. Otto

125

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

der zudem im Jahr 1902 die Herrschaft Plana mit Strkow bei Tabor in Böhmen als Allodialvermögen von seinem Vater geschenkt bekommen hatte. Der Harrach’sche Grundbesitz unterlag der Grundsteuer, die als Substanzsteuer auf landwirtschaftliche, gewerbliche und Wohnzwecken dienende Grundstücke der Familie erhoben wurde. Die Grundsteuer, die ca. 22–23 Prozent des Katastral-Reinertrags der jeweiligen Herrschaft ausmachte, betrug im ausgehenden 19. bzw. im beginnenden 20. Jahrhundert (in Kronen) 5144 für Prugg und Rohrau (Bruck a. d. Leitha), 20.659 für Starkenbach, 42.639 für Sadowa und 13.345 für Plana mit Strkow, insgesamt also 81.787 Kronen.135 Der Wert des Harrach’schen Vermögens vor und nach dem Ersten Weltkrieg lässt sich anhand des Bekenntnisses zur einmaligen großen Vermögensabgabe abschätzen, die die Großgrundbesitzer in Österreich kraft Gesetz vom 21. Juli 1920 einzuzahlen hatten.136 Tab. 5: Das Vermögen der Grafen Harrach im Jahr 1914

in Niederösterreich Vermögensart Land- und Forstwirtschaft Grund- und Gebäudebesitz Erwerbsunternehmungen Kapitalanlagen Geld, Edelmetalle, Juwelen Summe

in Böhmen

Gesamt

Wert in Kronen 564.749

Wert in % Wert in Wert in % Kronen 8,2 36.683.981 82,8

Wert in Wert in % Kronen 37.248.730 72,76

2.392.871

34,7

2.098.822

4,7

4.491.693

8,80

162.647

2,4

3.635.341

8,2

3.797.988

7,40

3.744.549

54,3

1.879.868

4,3

5.624.417

11,00

25.455

0,4

25.455

0,04

6.890.271

100

44.298.012 100

51.188.283 100

Quelle: Zusammengestellt aus Angaben in ÖStA, AVA, FAH, Finanzielles Otto, Kt. 882, Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich (1921), No. 36: Vorkriegsvermögen (Beilageblatt 7) Bekenntnis über das Vorkriegsvermögen nach dem Stande vom 30. Juni 1914 Reich und Dr. Ferdinand Plachy, k. k. Notar als Gerichtskommissär, verfasst, unterfertigt und dem Landesgericht vorgelegt), in: AVA, FAH, Kt. 913. 135 Schematismus des landtäflichen und Großgrundbesitzes, 19–20; Procházka, Böhmens landtäflicher Grundbesitz (1886), 28–29; Tittel, Schematismus des Großgrundbesitzes in Böhmen (1906), 182–189. Ottos Onkel, Graf Alfred Harrach, und sein Cousin, Graf Franz Harrach, hatten vor 1914 10.654 Kronen für Groß-Meseritsch in Mähren und 2145 Kronen für Aschach und Stauff a. d. Donau als Grundsteuer einzuzahlen. Schematismus der Herrschaften, Güter und Zuckerfabriken in Mähren, 104–105; Schematismus der Herrschaften und Güter in Oberösterreich, 3–4. 136 Staatsgesetzblatt Nr. 371.

126

2. Besitz und Wirtschaft

Demgemäß betrug der Wert des Gesamtvermögens am 30. Juni 1914 51.188.283 Kronen, wobei wegen verschiedener Abzüge fast die Hälfte davon als Reinvermögen zu beziffern ist.137 86,5 Prozent des Vermögens waren in Böhmen und der Rest, 13,5 Prozent, in Niederösterreich gebunden,138 was dadurch zu erklären ist, dass 81 Prozent des Grundbesitzes der Harrach in Böhmen lagen. Dass die Land- und Forstwirtschaft mit 72,76 Prozent deutlich an erster Stelle der Vermögensarten steht, ist bei Großgrundbesitzern wie den Harrach nicht weiter überraschend. Auch der Anteil an Kapitalanlagen von 11 Prozent, Grund- und Gebäudebesitz von 8,8 Prozent und Erwerbsunternehmungen von 7,4 Prozent entspricht dem Bild eines Hauses des böhmischen bzw. niederösterreichischen Adels, das über Landschlösser, Stadtpalais und sonstige Gebäude verfügte, Fabriken und Gewerbe einrichtete und besonders nach der Grundentlastung von 1848 in Wertpapiere investierte. Die Verteilung der verschiedenen Sektoren in den beiden Kronländern mit Harrach’schem Grundbesitz und Vermögen ergibt jedoch ein ziemlich uneinheitliches Bild. Während Erwerbsunternehmungen und vor allem die Land- und Forstwirtschaft mit weit höheren Anteilen an dem in Böhmen (je 8,2 und 82,8 Prozent) als an dem in Niederösterreich (je 2,4 und 8,2 Prozent) gebundenen Vermögen vertreten sind, sieht es bei den Kapitalanlagen sowie beim Grund- und Gebäudebesitz mit 4,3 bzw. 4,7 Prozent für Böhmen gegenüber 54,3 bzw. 34,7 Prozent für Niederösterreich umgekehrt aus. Diese Abweichungen lassen sich nach Vermögensarten folgendermaßen erklären: Fast 96 Prozent des Vermögens aus Gewerbebetrieben im Wert von 3.635.341 Kronen lagen in Böhmen, während 66,6 Prozent des Vermögens aus Kapitalanlagen im Wert von 3.744.549 Kronen (gegenüber 1.879.868 Kronen in Böhmen) in Niederösterreich gebunden waren. Wien, bis 1919 Sitz der Harrach’schen Hauptkassa und Zentraldirektion,139 war das Finanzzentrum und der Hauptkapitalmarkt der Monarchie und daher Anziehungspol für Anlagen in Banken- und Sparkassenwertpapiere. Obwohl die absoluten Werte des Grund- und Gebäudebesitzes in Niederösterreich und Böhmen mit 2.392.871 und 2.098.822 Kronen sehr nahe beieinanderlagen, lässt sich die große Differenz zwischen den Anteilen in jedem Land (34,7 gegenüber 137 Das in Österreich gebundene Reinvermögen betrug 3.496.378 Kronen, da Abzüge in Höhe von 3.393.893 Kronen geschätzt wurden. 138 Der in Ungarn gelegene, an Bruck a. d. Leitha angrenzende und immer von dort (Bruck) aus verwaltete Besitz von 3634 Hektar miteinbezogen. 139 Deswegen war das Vermögen aus Geld, Edelmetallen und Juwelen nur in Niederösterreich vertreten. Die Kassabarschaft der Hauptkassa in Wien betrug am 30.6.1914 21.441 Kronen. AVA, FAH, Kt. 882, Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich, E. Für Geld, Edelmetalle und Juwelen – Personenwagen, Nr. 50) Beilage zu E.

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

127

4,7 Prozent) letztendlich durch den sehr niedrigen Anteil Niederösterreichs am Gesamtvermögen erklären. Die Schlösser und die Palais waren die Immobilien mit dem höchsten Wert unter den Gebäuden. So wurde z. B. das Wiener Palais auf 1.251.250 Kronen, das Schloss Prugg mit Park auf 802.000 Kronen und das Schloss Rohrau mit Park auf 206.875 Kronen geschätzt, während die Schlossmühle in Prugg mit 123.450 Kronen und das Wirtshaus in Rohrau mit 9.296 Kronen bewertet wurden.140 Die hohe Bewertung der Schlösser, vor allem aber des Wiener Palais, galt auch für die Zwischenkriegszeit in Österreich, wie sich aus der Bewertungsvereinbarung vom 2. Juli 1936 mit dem Finanzministerium mit Blick auf das Fideikommissvermögen ergibt.141 Das Gesamtreinvermögen der Harrach, das während des Krieges, mit Ausnahme eines 1915 an das k. u. k. Militär verkauften Grundkomplexes von 621 Hektar in Ungarn, quantitativ unverändert geblieben war, betrug am 30.6.1920 rund 148.417.450 deutsch-österreichische Kronen.142 Davon waren 128.317.013 deutsch-österreichische Kronen (34.217.870 tschechoslowakische Kronen (Kč) à 3,75) in der Tschechoslowakei und 20.100.437 deutsch-österreichische Kronen in Österreich gebunden.143 Was die Wertverteilung innerhalb des in der ČSR gebundenen Rohvermögens von 44.464.466 Kč (die Pensionslast der Angestellten in Höhe von 10.246.596 Kč miteinbezogen) betrifft, wurden 1920 die Domäne Jilemnice (Starkenbach) mit 24.240.126 Kč (54,5 Prozent), die Domäne Sadowa mit 16.259.070 Kč (36,6 Prozent), die Domäne Strkow mit 2.253.111 Kč (5 Prozent), die Glasfabrik in Nový Svět (Neuwelt) mit 191.461 Kč sowie die Glasniederlagen in Karlsbad und Prag mit 251.803 bzw. 144.003 Kč bemessen. Die tschechoslowakische Bodenreform der 1920er-Jahre, die Otto Harrach die Enteignung von 12.181 Hektar kostete, brachte erhebliche Vermögenseinbußen mit sich. Dies war vor allem auf die niedrige, laut dem Entschädigungsgesetz vom 140 AVA, FAH, Finanzielles Otto, Kt. 882, Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich, B. Für anderen Grund- und Gebäudebesitz, Bergwerkseigentum Nr. 39) Beilage zu B. 141 Das Palais in Wien wurde mit 300.000, Schloss Prugg mit 50.000, Galerie, Bibliothek und Schmuck mit 62.000 und Schloss Rohrau mit 10.000 Schilling bewertet; AVA, FAH, Kt. 971, Verlassenschaft nach Seiner Erlaucht Grafen Otto Harrach. 142 Der dreifache Wert von 1920 im Verhältnis zu jenem von 1914 ergibt sich aus der Hyperinflation der späten Kriegs- und Nachkriegszeit. 143 AVA, FAH, Finanzielles Otto, Kt. 882, Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich (1921), Nr. 54), Beilageblatt 8, Ausweis über das an das Ausland gebundene Vermögen des abgabenpflichtigen Otto Harrach. Das in Ungarn gebundene Vermögen von 11.527.000 deutsch-österreichische Kronen (ung. K 11.527.000 à 1) wird in das österreichische Vermögen mitgezählt, weil es den stets von Bruck a. d. Leitha aus verwalteten und ab 1921 an das an Österreich angeschlossene Burgenland gebundenen Besitz betrifft.

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2. Besitz und Wirtschaft

21. Januar 1921 auf die Preise der Jahre 1913–1915 fixierte Entschädigung für den beschlagnahmten Besitz zurückzuführen.144 Infolgedessen dürfte der Anteil des in der ČSR gebundenen Vermögens auf 65 bis 70 Prozent des Gesamtvermögens der Harrach geschrumpft sein. Immerhin wurde das Nachlassvermögen, das Johann (Hans) 1935 in Böhmen von seinem Vater Otto erbte, zwecks Verrechnung der Verlassenschaftsgebühren im Einvernehmen mit dem tschechoslowakischen Finanzministerium mit einem Rohwert von 45.857.160 bzw. einem Reinwert von 28.567.145 Kč bemessen.145 Der Rohwert des unbeweglichen Vermögens (Herrschaften Starkenbach, Sadowa, Plana mit Strkow) betrug 21.400.000 Kč, während das bewegliche Vermögen (Wertpapiere, Forderungen, Barschaft und Wertgegenstände auf 23.344.840 Kč geschätzt wurde.146 Hinzu kam das Nachlassvermögen in Österreich, dessen Reinwert auf 723.109 Schilling bestimmt wurde.147 Die Harrach waren ferner verpflichtet, ihren Luxusbesitz in Österreich, d. h. Gegenstände, die mehr als 2000 Kronen wert waren, bei den Steuerbehörden anzumelden.148 Laut Ottos Anmeldung vom 3.7.1919 besaßen sie unter anderem 126 Stücke einer Sammlung altchinesischer Dekorationsschüsseln und Teller, 101 Stücke einer Aquarellsammlung, 314 Stücke der Fideikommissgalerie Graf Bonaventura Harrach in Wien, 281 Stücke der Fideikommissgalerie Graf Karl Harrach in Prugg, je zwei Brillant- und Perlencolliers in Prugg, 314 Perlen, 138 Bilder, ein Billard, sechs Messinglüster und fünf Möbelgarnituren.149 Unter den im Palais Wien (Freyung 3) aufbewahrten Bildern, deren Wert den Betrag von 2000 Kronen überstieg, wurden das „Blumenstück“ von Jan Brueghel, die „Versuchung des Heiligen Antonius“ von Domenico Robusti gen. Tintoretto, die „Erscheinung des Heiligen Jakobus in der 144 Die Jahre 1913–1915 wurden wegen ihrer niedrigen Bodenpreise gewählt, die Mitte der 1920erJahre ca. einem Fünftel der für nicht beschlagnahmten Boden gezahlten Preise entsprachen. Vgl. Worliczek, Die tschechoslowakische Bodenreform, 447–499, 459. 145 Die definitiven Verlassenschaftsgebühren wurden in der ČSR auf eine Höhe von 1.782.720 Kč beziffert. 146 Verlassenschaftsgebühren 1937, Zahlungsauftrag des Berní úřad v Nechanicích (Steueramt Nechanice), Okresní finanční ředitelsví v Hradci Králové (Finanzbezirksdirektion in Königgrätz), Hradec Králové, 15.3.1940, in: AVA, FAH, Kt. 971. 147 AVA, FAH, Kt. 971, Abschrift der Urkunde des Zentraltax- und Gebührenbemessungsamts in Wien an Johann H., Wien, durch Dr. Anton Gassauer, Rechtsanwalt, Wien, 7.10.1937 (eingelangt am 3.11.1937). 148 Mit Luxusbesitz waren 1919 unverarbeitete bzw. ungefasste Edelsteine und Perlen, Gebrauchs‑, Schmuck- und Ziersachen aus Gold, Platin, Silber, Edelsteinen und Perlen sowie Kunstgegenstände und Antiquitäten gemeint, die einzeln oder in einer als Einheit behandelten Mehrzahl mehr als 2.000 Kronen wert waren; Luxusbesitz, in: AVA, FAH, Kt. 886. 149 Luxusbesitz nach Anmeldung bei der Steuerbehörde am 3.7.1919, in: AVA, FAH, Kt. 886.

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

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Schlacht bei Clavigo“ von Salvatore Rosa, die „Ruhe der heiligen Familie“ von Carlo Maratta, „Isaak segnet Jakob“ von Lukas Giordano, „König Karl II. von Spanien“ von Don Juan Carreño de Miranda, „Die sieben Werke der Barmherzigkeit“ von Pieter Brueghel, „Spanischer Prinz“ von Velázquez, „Die Kreuzabnahme“ von Rubens, „Saskia“ von Rembrandt und der „Heilige Laurentius“ von El Greco (Domenikos Theotokópoulos) registriert. Erwähnenswert sind letztlich je eine aus 43 Fauteuils und vier Sofas bestehende Gobelingarnitur im Palais Wien und Schloss Prugg.150 Kapitalvermögen

Wie viele ihrer Standesgenossen verfügten auch die Harrach über ein beachtliches Kapitalvermögen, das aus Staatspapieren und Aktienkapital bestand. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg zählten ihre Kapitalanlagen mit einem Wert von 5.624.417 Kronen sogar zu den größten des erbländischen Adels.151 Ein Teil des Harrach’schen Kapitalvermögens ging auf die Entschädigung für die Grundentlastung von 1848 zurück. Franz Ernst Graf von Harrach zählte zu den Besitzern der 93 größten Dominien in Böhmen, bei denen sich die Entschädigung auf 100.000 Gulden (= 200.000 Kronen) je Herrschaft belief.152 Das aktive Kapitalvermögen des Hauses Harrach betrug im Juli 1918 11.778.563 Kronen und warf Zinsen in Höhe von 277.332 Kronen ab. Mit 4.595.229, 4.125.845 und 1.576.040 Kronen bildeten die Fideikommisskapitalien, die beweglichen Kapitalien der Hauptkassa Wien und die Privatkapitalien Ottos zusammen 87,4 Prozent sämtlicher Aktivkapitalien.153 Zu den Fideikommisskapitalien zählten in erster Linie Barschaft, Einlagen bei der Ersten Österreichischen Sparkasse, der Neuen Wiener Sparkasse und der Prager Städtischen Sparkasse, österreichische Kronen, Noten- und Silberrenten, Pfandbriefe der böhmischen Hypothekarbank und der Österreichisch-ungarischen Bank sowie österreichische Kriegsanleihen. Die beweglichen Kapitalien der Hauptkassa Wien und Ottos Privatkapitalien (mit Zinsen von 67.451 bzw. 52.013 Kronen) waren über die Kassabarschaft bei der Hauptkassa in Wien und der Filialkassa in Prag hinaus in der Wiener Postsparkasse, der Bodenkredit-Anstalt Wien (Živnostenská banka in 150 Beilage zur Anmeldung des Luxusbesitzes des Herrn Otto Harrach am 26.7.1919, in: AVA, FAH, Kt. 886. 151 „Ein Wertpapiervermögen von 100.000 Gulden und mehr bildete als Hinterlassenschaft keine Seltenheit“; Stekl, Der erbländische Adel, 980. 152 Myška, Der Adel der böhmischen Länder, 178. 153 ,Harrach’sche Hauptkasse: Rekapitulation der Aktiv-Kapitalien (gefertigt v. Wilhelm Kotyl und Otto Hrdlicka), Wien, 1.7.1918, in: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz 1898–1919.

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2. Besitz und Wirtschaft

Wien), der Landesbank des Königreichs Böhmen in Prag und in österreichischen Kriegsanleihen angelegt.154 Es ist also ersichtlich, dass die Harrach’schen Anlagen in großen österreichischen und böhmischen Banken und Sparkassen den Löwenanteil ihres Kapitalvermögens bildeten und die Harrach daher relativ abgesichert waren, vor allem in einer kritischen Zeit wie den letzten Monaten vor dem Zusammenbruch der Habsburgermonarchie. Selbst in den dramatischen Nachkriegsmonaten wiesen die Harrach eine stabile und zufriedenstellende Liquidität auf. Ende Februar 1919 verblieb der Hauptkassa ein Gesamtguthaben von 3.568.617 Kronen, während die entsprechende Summe Ende Januar 1919 3.274.971 Kronen betrug.155 Noch kurz vor seinem Tod (1935) deponierte Otto tschechoslowakische, rentensteuerfreie und völlig verlosbare Unifikations-Staatsanleihen in der ČSR im Nominalwert von 1.000.000 Kč zugunsten seines Erben Johann.156 Verlassenschaftsgebühren – Vermögensabgabe

Die Verfügung über Guthaben und Barschaft ermöglichte sowohl vor als auch nach 1918 die Entrichtung verschiedener Steuern und Gebühren. Dies dokumentieren gewisse hinterlassene Zahlungsaufträge und Quittungen für eingezahlte Gebühren wie a) eine Quittung über 27.067 Kronen, welche aus der Verlassenschaft von Herrn Johann Nepomuk Graf Harrach als Beitrag zum Wiener Krankenanstaltenfonds am 1. September 1911 in Empfang genommen wurde,157 b) ein Zahlungsauftrag in Höhe von 1107 Kronen als Jahresbeitrag (1916) in Form einer Pauschalgebühr für die gerichtliche Obsorge über das Ferdinand Bonaventura Graf Harrach’sche Fidei-

154 Ausweis der Gesamt-Aktiv-Kapitalien im Juli 1918 in: ebd. 155 Es ging um die Kassabarschaft und das Guthaben bei der Postsparkassa in Wien, der Allgemeinen Österreichischen Bodenkredit-Anstalt in Wien, der Böhmischen Industrialbank (Filiale) in Wien und der Böhmischen Industrialbank in Prag. Konto-Bilanzen 1918–1919, Stand der Hauptkassa am 28. Februar und am 31. Jänner 1919, Erlaucht Graf Harrach’sche Hauptkassa, Wien, 20.2. und 24.3.1919, in: ebd. 156 Ausweis der čechoslovakischen Staatsanleihen, welche an Ihre Erlaucht in das Depositum bei der Městská spořitelna in Jilemnice als Legat lt. Testament Sr. Erlaucht vom 12.3.1935 erlegt werden sollen (erstellt v. Harrach’schen Hauptkassa in Starkenbach), in: AVA, FAH, Kt. 971, Nachlass Otto Graf Harrach. 157 Aus einem beitragspflichtigen Reinwert der Fideikommissverlassenschaft per 3.262.655 Kronen; Zahlungsauftrag vom Zentraltax- und Gebühren-Bemessungsamt an Dr. Otto Reich v. Rohrwig (Rechtsanwalt) in Wien, 28.7.1911, und Quittung der niederösterreichischen Landes-Hauptkasse, 1.9.1911, in: AVA, FAH, Kt. 913, Verlassenschaft nach Graf Johann Harrach.

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

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kommiss für die Bemessungsperiode 1. Februar 1916 bis 31. Dezember 1930,158 c) Ottos Aufträge an seine Hauptkassa in Wien sowie amtliche Bestätigungen der k. k. Steueradministration für den I. Bezirk aus dem Jahr 1918 für die Zahlung der Verlassenschafts- und Einkommenssteuer in Höhe von insgesamt 1.197.015 Kronen159 und vor allem eine Empfangsbestätigung der Taxamtskasse Wien vom 8. Februar 1922 für Ottos vorzeitige Einzahlung seiner Vermögensabgabe von 3.193.512 österreichischen Kronen.160 Dennoch dürfte die Finanzlage der Harrach, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, nicht allzu gut und sorgenfrei gewesen sein. „Von allen Seiten walzen sich schwere Lasten in der Form von Steuern und Abgaben an mich heran“, schrieb Otto im Frühjahr 1921.161 Tatsächlich führten in der Zwischenkriegszeit die Agrarkrise und der sie kennzeichnende Preisverfall zahlreicher landwirtschaftlicher Produkte in Kombination mit dem Anstieg der Steuern und Abgaben dazu, dass viele Großgrundbesitzer sich verschulden mussten.162 Es war gerade die hohe Verschuldung bei den tschechoslowakischen Banken, die Otto in den frühen 1920er-Jahren große Sorgen bereitete, wie aus seinen Zeilen an seinen Cousin Franz am 21. Oktober 1922 deutlich wird: „Wir sind jetzt daran, ein neues Familienstatut für den Fall der Aufhebung der Fideikommisse aufzusetzen, damit wenigstens intern an der Integrität des Familienbesitzes festgehalten werde. […] Bei dieser Gelegenheit komme ich auf ein von Dir einst lanciertes Projekt zurück, nämlich auf die Zusammenfassung unserer beiderseitigen Vermögensteile unter eine einheitliche Verwaltung. Wegen der Enteignung von Starkenbach sind jetzt Verhandlungen mit dem Bodenamt und dem Landwirtschaftsministerium im Zuge, bei denen ich noch einige Errungenschaften zu erzielen hoffe, nach deren Beendigung der mir verbleibende Stock erst fixiert sein wird. Dein Vermögen wird dann gewiss als das größere angesehen werden müssen, und es frägt sich, ob Du geneigt wärest, überhaupt mit mir in Verbindung zu treten. Solange die Fideikommisse bestehen, bin ich in einer sehr prekären Lage, da mein 158 Zentral Tax- und Gebührenbemessungs-Amt in Wien an Otto Harrach, Wien, 24.5.1916, in: ebd. 159 Otto Harrach an seine Hauptkassa in Wien, Hradek, 30.4.1918 (Erlass No. 173); Zahlungsbestätigungen der k. k. Steueradministration für den I. Bezirk, Wien, 3. und 4.5.1918, in: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz, 1898–1919. 160 AVA, FAH, Kt. 882, Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe, Empfangsbestätigung der Taxamtskasse Wien vom 8.2.1922 und (Rechtsanwalt) Otto Bernhard an Otto Harrach, Wien 22.1.1922. 161 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 6.5.1921, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 162 Über die einmalige große Vermögensabgabe von 1920 hinaus unterlag Otto Harrach der 1923 in Niederösterreich eingeführten Gebäudesteuer, die für Luxusschlösser das Dreifache der für Wohnungen zu entrichtenden Steuer vorsah; Melichar, >200 Hektar, 628, 631.

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2. Besitz und Wirtschaft

Allod sehr klein ist, die Fideikommisssubstanz aber intakt bleiben muss, daher die ganzen großen Lasten, die das Vermögen zu tragen hat, ausschließlich auf dem Allod lasten, das jedoch unzureichend ist, sodass mir eventuell die Banken die Kredite entziehen werden, wenn ich nicht bald einen energischen Schnitt bewerkstellige, durch den ich mich aller Objekte des Allodvermögens entledige, die passiv sind, als da sind: Bräuhäuser, Wirtshäuser, ja wahrscheinlich auch die Zuckerfabrik. Es handelt sich mir darum, die Möglichkeit zu haben, aus einem größerem Allodvermögen schöpfen zu können, was eben nur gemacht werden könne, dass wir unsere beiden Vermögensteile administrativ vereinen, den Ertrag perzentuell, wobei ich Dir die aus Deinem Vermögen fließenden Zuschüsse für mein Allod, aus den Einkünften des Fideikommisses ersetze. Nach außen hin dürfte von einer solchen Verschmelzung nichts ruchbar werden, da wir mit einem so vergrößerten Komplex in eine bedeutend höhere Steuerklasse vorrücken würden. Bei der Zivnobank in Prag habe ich eine Personalschuld von 4 Millionen, die Glasfabrik ist bei derselben Bank mit 3.800.000 belastet, und außerdem habe ich eine noch unbedeckte Pensionsversicherung der Beamtenschaft von 14.000.000. In der nächsten Woche wird hier oder in Prag eine Konferenz abgehalten, bei der unter Zuhilfenahme Dr. Schauers beschlossen werden soll, welche Maßnahmen zur Sanierung des Allodvermögens unternehmen werden müssen um eine Krida zu vermeiden, die mich persönlich natürlich am empfindlichsten treffen würde.“163

Der Ernst der Lage lässt sich jedoch im Rahmen der Argumentation Ottos für eine Verbindung seines Allodialvermögens mit jenem seines Vetters Franz etwas relativieren, da Ottos Verschuldung bzw. die große Belastung des von ihm verwalteten Allodialvermögens vor allem damit zusammenhing, dass das überwiegende Vermögen fideikommissgebunden war und daher keineswegs als Hypothek für eine Darlehensaufnahme infrage kam. Die Situation muss sich nach der Aufhebung der Fideikommisse in der ČSR (1924) und der Auflösung der Zuckerfabrik etwas verbessert haben, was zumindest die Rekapitalisierung der Anleihen betrifft. Der von Otto befürchtete Konkurs seines Allodialvermögens erfolgte jedenfalls nicht. Auch auf dem in Österreich gebundenen Vermögen, wo die Fideikommisse bis 1938 aufrechterhalten wurden, lasteten Schulden. Die summarische Aufstellung der Aktiven und Passiven des österreichischen Nachlassvermögens von Otto am 22. März 1936 ergab theoretisch einen „reinen“ Nachlass von 1.117.116 Schilling (1.808.260 Schilling Aktiva minus 691.144 Schilling Passiva), da die interne Verschuldung von Jilemnice (Starkenbach), der finanziell stärksten Domäne der Harrach, 2.430.581 Schilling betrug.164 163 Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 21.10.1922, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 164 Nachlass Otto Graf Harrach, in: AVA, FAH, Kt. 971.

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

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Die Harrach waren im Gegensatz zu anderen Adeligen oder großbürgerlichen Familien Niederösterreichs mit Sicherheit nicht gezwungen, wegen Vermögensverlusten während des Weltkriegs oder der Inflation ihren Grund und Boden zu verkaufen.165 Allerdings versuchte Hans nach dem Tod seines Vaters durch den Verkauf einzelner Bilder aus seiner Gemäldegalerie eine Reserve für die Nachlassgebühren zu schaffen.166 Er war jedenfalls im Oktober 1937 in der Lage, fristgerecht 30.000 Schilling aus einem Gesamtbetrag von 75.514.40 Schilling als Verlassenschaftsgebühren in Österreich anzuzahlen,167 bevor er angeblich sein Rembrandt-Bild für 200.000 Schilling an einen Amerikaner verkaufte.168 Der Führungswechsel nach dem Tod des jeweiligen Familienoberhaupts, wie es 1884 bei Franz Ernsts, 1909 bei Johanns und 1935 bei Ottos Dahinscheiden der Fall war, ging mit einem langwierigen und komplexen bürokratischen Prozess einher, der die Abschätzung des vererbten Vermögens zwecks Zahlung der Nachlassgebühren zum Gegenstand hatte. Über die vor Ort ausgeführten Vermögensschätzungen durch beauftragte Schätzer hinaus bedeutete dies eine reichhaltige Korrespondenz zwischen den Steueramtsbeamten, der Direktion und den Rechtsanwälten des Grundbesitzers sowie eine Reihe von Sitzungen, bis die genaue Gebührensumme vereinbart werden konnte. Johann Nepomuk, Otto und Johann waren bemüht, einen möglichst niedrigen Nachlasswert auszuhandeln, damit die Gebühren nicht allzu hoch ausfielen. „Die Schätzung in Prugg wird Montag beendet und die wertvollen Gegenstände hier (in Wien) wie dort sind so nieder als nur möglich abgeschätzt worden. Ich bin froh, dass nun das Herumkramen der Schätzleute in den Sachen meines lieben Vaters ein Ende haben wird“, schrieb Otto im Februar 1910 an seinen Onkel Alfred.169 Zehn Monate danach meldete er sich wieder und zeigte sich zufrieden mit den bisherigen Schätzungsarbeiten: „Die Schätzungskommission in Niederösterreich war sehr anständig, auch in Starkenbach ging es glatt nach unserem Wunsch, jetzt bleibt noch im nächsten Jahr Sadowa , aber ich glaube, dass der Pflichtteil nicht über 700.000 Kronen machen wird.“170 Otto musste aber auch mit stattlichen Honoraren des Schätzpersonals und der Rechtsanwälte rechnen, die stets bei einem Führungswechsel im Adel anfielen. Ihm zufolge „kosten jetzt die Schätzungsarbeiten viel Geld. Dr. Reich 165 Melichar, >200 Hektar, 631. 166 Pesek an Hans Harrach, Wien, 28.8.1936, in: AVA, FAH, Kt. 971. 167 Abschrift der Urkunde des Zentraltax- und Gebührenbemessungsamts in Wien an Johann H., durch Dr. Anton Gassauer, Rechtsanwalt, Wien, 7.10.1937 (eingelangt am 3.11.1937), in: AVA, FAH, Kt. 971. 168 Pesek an Hans Harrach, Wien, 7.11.1937, in: AVA, FAH, Kt. 971. 169 Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 14.2.1910, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 170 Ebd., Hradek, 7.12.1910.

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2. Besitz und Wirtschaft

allein erhielt zum Jahresschlusse 60.000 Kronen ausgezahlt und die Schätzmeister erhalten ihre Honorare bis zu 10.000 Kronen per Kopf“, und ein Vergleich mit den Schätzungen aus dem Jahr 1884 ergab, dass „damals eine unnütze Überzahlung von 300.000 Gulden gemacht worden“ sei.171 Während die Familienoberhäupter der Harrach ihren ökonomischen Verpflichtungen bis 1945, als ihr Gesamtvermögen in der Tschechoslowakei konfisziert wurde, regelmäßig und konsequent nachkamen, erwiesen sich die Steuern bzw. die Gebühren und die Schulden im Nachkriegsösterreich für Johanns Erben als untragbar. Daher war Ernst Leonhard gezwungen, nach 1970 das Wiener Palais zu verkaufen und aus Schloss Prugg auszuziehen, um seinen Grundbesitz in Bruck a. d. Leitha zu sanieren und weiter bewirtschaften zu können.172 2.3.2 Einkommen und Konsumverhalten

Dank ihrem Vermögen bzw. Großgrundbesitz verfügten die Harrach über ein hohes Einkommen und konnten sich einen exklusiven Lebensstil leisten. Wie beim Hochadel üblich, verfügte auch im Hause Harrach das jeweilige Oberhaupt und seine Familie über das höchste Einkommen. Johann Nepomuk, Otto und Johann (Hans), die das Haus von 1884 bis 1945 aufeinanderfolgend regierten, waren als Universalerben und Hauptnutznießer des Familienvermögens wesentlich reicher als ihre Agnaten und weiblichen Angehörigen, die überwiegend auf Apanagen und Heiratsgüter bzw. Zinssätze aus festen, meist an Güter gebundenen Kapitalanlagen angewiesen waren. Eine solche Vermögens- und Einkommensschere betraf jedoch nicht Ottos Onkel Alfred und seinen Sohn Franz, die als Großgrundbesitzer selbst sehr wohlhabend waren und deren Lebensweise sich von jener des Oberhaupts der Harrach kaum unterschied. Die Angaben zum Einkommen von Otto Harrach aus dem frühen 20. Jahrhundert sind sehr charakteristisch für die Einkommenshöhe eines Adeligen vor und nach der Übernahme der Familienführung. Am 3. bzw. 4. Mai 1918 zahlte Otto eine Einkommenssteuer von je 132.266 und 144.386 Kronen für die Jahre 1916 und 1917, während sein steuerpflichtiges Einkommen für 1920 auf 6.299.809 Kronen beziffert wurde.173 Dafür wurden ihm im Juni 1923 von der Steueradministration für den I. Wiener Bezirk zwei Millionen Kronen Einkommenssteuer auferlegt, von denen er 656.455 gleich bezahlte.174 Die Zinsen aus Ottos Privatkapitalien (1.576.040 Kro171 Ebd., Wien 15.1.1911. 172 Interview mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008. 173 Amtliche Zahlungsbestätigung vom 3. und 4.5.1918, in: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz 1898–1919. 174 Steueradministration für den I. Bezirk in Wien an Otto Harrach, 14.5., 23.6. und 13.9.1923, in: AVA, FAH, Kt. 883, Steuerakten.

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

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nen) betrugen im Juli 1918 52.013 Kronen und sein Guthaben bei der Landesbank in Prag bzw. der Bodenkreditanstalt Wien war ein Monat nach dem Zusammenbruch der Monarchie je 108.509 und 696.880 Kronen hoch.175 Zieht man in Betracht, dass Otto 1915 Josef Emmler, dem Erzieher seines Sohnes Hans, ein Jahresgehalt von 4800 Kronen in bar anbot und 4049 Kronen an Monatsgehältern für all seine Bedienstete in sämtlichen Schlössern, Palais und Gärten der Familie zahlte, deutet die Einkommenssteuer von 132.266 Kronen für 1916 auf ein sehr hohes Privateinkommen des neuen Oberhaupts hin.176 Otto verfügte jedoch schon vor dem Tod und der Beerbung seines Vaters (1909) über ein relativ hohes Einkommen, vor allem nach seiner Hochzeit im Jahr 1902, als er mit der Allodialherrschaft Zeltsch begütert wurde. „Papa hat mir Zelč übergeben, und zwar unter für mich sehr günstigen Bedingungen, so dass ich nun freier in die Zukunft blicken kann“, bestätigte er in einem Schreiben an seinen Onkel Alfred im Dezember 1902.177 So wurde Otto mit dem Einkommen von 78.216 Kronen und einem Steuersatz von 2964 Kronen für das Jahr 1903 veranlagt.178 Im selben Jahr gab er für Luxusartikel aus Geschäften des ersten Bezirks in Wien hohe Beträge aus, die in gewissen Fällen das monatliche Gehalt eines Angestellten oder eines Beamten übertrafen. Er kaufte nämlich alte Weine (sechs bis 22 Jahre alt) aus Bordeaux für 648 Kronen, Kokos- und Fasermatten von Joh. Bockhausen, k. k. Hof-Lieferant für Möbelstoff, Teppich und Decken (Opernring), für 4423 Kronen, Herrenwäsche, Krawatten und Modewaren von C. H. Berger, k. k. Hof-Lieferant (Kärntnerstr. 31) für 1168 Kronen, Galanteriewaren und Rauchrequisiten von Carl Hiess (Graben 11) für 1156 Kronen sowie Anzüge, Gilet, Sakko, Hemden, Manschetten, Tennisschuhe etc. von Goldmann & Salatsch, Tailors and outfitters, k. k. Hof-Lieferant (Graben 20) für 2509 Kronen.179 Als einer der wenigen Autobesitzer im angehenden 20. Jahrhundert (wie übrigens auch sein Cousin Franz) bezahlte Otto Harrach in den Jahren 1904–1905 9874 Kronen für den Kauf bzw. 1525 Kronen für

175 Rekapitulation der Aktiv-Kapitalien, Harrach’sche Hauptkasse, Wien, 1.7.1918 (gefertigt v. Wilhelm Kotyl und Otto Hrdlicka) und Rohbilanz für den Monat Dezember 1918, in: AVA, FAH, Kt. 885. Im November 1919 verfügte Otto noch über ein Guthaben von 108.509 Kronen bei der Landesbank in Prag und 653.543 Kronen bei der Bodenkreditanstalt Wien. 176 Otto Harrach an Franz Josef Emmler, August, Datum unb., in: AVA, FAH, Kt. 856, und Gesamt-Haushaltsrechnungen, 1915, in: AVA, FAH, Kt. 881. 177 Otto Harrach an Onkel Alfred, Zelč, 22.12.1902, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 178 Nachtrags-Zahlungsauftrag und Empfangsbestätigung, k. k. Steueradministration für den I. Bezirk in Wien, 2.5.1906, in: AVA, FAH, Kt. 881. 179 Otto Harrach, Privatrechnungen 1898–1919, in: AVA, FAH, Kt 881.

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2. Besitz und Wirtschaft

die Reparatur seines Automobils.180 Nach einem Kostenvoranschlag des Hauptkassendirektors für Januar 1911 gab Otto 6.000 Kronen und seine Frau Karoline 1683 Kronen innerhalb eines Monats aus.181 Otto Harrach übernahm zudem die Mitgliedschaft in den meisten wohltätigen Vereinen – und damit auch die Vereinsbeiträge –, deren Mitglied sein Vater bis zu seinem Tod gewesen war. Allein die jährlichen Spenden an jene Städte, in denen Johann Nepomuk Ehrenbürger war, sowie an die Vereine und Korporationen, deren Präsident oder Protektor er war, bezifferte Otto im Januar 1910 auf insgesamt 32.000 Kronen.182 Solche Spenden wie übrigens auch die hohen Ausgaben, die die Veranstaltung von Jagden, Bällen, Diners, Soireen sowie die Reisen, die Kuraufenthalte usw. (siehe Kap. 3 und 4) mit sich brachten, waren mit dem hohen Einkommen der Harrach durchaus kompatibel. Selbst das Einkommen der Agnaten und Frauen der Familie, das viel niedriger als jenes des Oberhaupts war, erlaubte es ihnen, zumindest bis 1918, ein standesgemäßes Leben zu führen. Ernst, der als jüngster Sohn von Johann Graf Harrach ebenfalls erbberechtigt war, wurde ein Betrag von 1.400.000 Kronen vermacht, der ihm von seinem Stiefbruder und dem neuen Familienoberhaupt Otto ausgezahlt werden musste. Bis zur bürokratischen Abwicklung der Fideikommissnachfolge im Jahr 1916 als Voraussetzung für die Auszahlung des Erbbetrags wurde dieser Betrag nach Vereinbarung beider Stiefbrüder mit fünf Prozent jährlich verzinst.183 Ernst bezog also von 1910 bis 1917 eine jährliche Apanage von 70.000 Kronen, die es ihm ermöglichte, sich seiner Jagdpassion zu widmen und einen exklusiven Lebensstil zu führen. Die Übersiedlung mit seiner Frau Elisabeth, geborene Gräfin Preysing, in den Adriakurort Abbazia von Oktober 1910 bis Mai 1911 und eine dreimonatige Reise mit Jagdexkursionen nach Ägypten und in den Sudan (Dezember 1910 bis März 1911) zeigen demonstrativ, was sich ein Agnat der Harrach vor dem Ersten Weltkrieg leisten konnte.184 Otto war überdies verpflichtet, seinem älteren „geisteskranken“ und sukzessionsunfähigen Bruder Karl jährlich 20.000 Kronen (als Kuratelbetrag) auszuzahlen.185 180 Am 1. April 1907 waren in Niederösterreich 1294 Autos und in Böhmen 465 Autos registriert. Vgl. Hans Seper, Österreichische Automobilgeschichte 1815 bis heute, Wien 1986, 163. 181 Bures (Hauptkassendirektor) an Otto Harrach, Wien, 7.1.1911, in: AVA, FAH, Kt. 885. 182 Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 28.1.1910, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 183 Testament Johann Graf Harrach, 22.8.1904, Paragr. 1, 4 und Übereinkommen zwischen Otto und Ernst Harrach, Wien, 24.12.1909, in: AVA, FAH, Kt. 913, 654. 184 19 Briefe von Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, zwischen dem 9.10.1910 und dem 18.5.1911, in: AVA, FAH, Kt. 859; Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Görz, 16.3.1911, in: AVA, FAH, Kt. 857; Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 15.1.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 185 Testament Johann Graf Harrach, 22.8.1904, Paragr. 1, 2, 6, in: AVA, FAH, Kt. 913, 654.

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

137

Im Gegensatz zu seinen erbberechtigten drei Söhnen besaßen alle vier Töchter Johanns nach ihren Hochzeiten in den 1890er-Jahren keinen Rechtsanspruch auf das Erbe ihres Vaters, da sie und ihre Ehemänner ihren Eheverträgen zufolge ein jährliches Einkommen von 7500 bzw. 10.000 Gulden (d. h. 15.000 bzw. 20.000 Kronen) aus den ihnen zugewiesenen Heiratsgütern bezogen. Die 1893 verheirateten Gabriele und Margarethe wurden an ein Heiratsgut von je 150.000 Gulden (300.000 Kronen), verzinst zu fünf Prozent, und die 1896 verheirateten Anna und Maria Theresia an ein Heiratsgut von je 250.000 Gulden (500.000 Kronen), verzinst zu vier Prozent, gebunden.186 Da vier Fünftel der Zinsbeträge für die gemeinschaftliche Verwendung mit dem jeweiligen Ehemann zu Händen des Mannes bestimmt wurden, blieben den Töchtern von Johann Harrach jährlich 3000 bzw. 4000 Kronen zur alleinigen Verfügung.187 Es handelte sich um einen Betrag, der praktisch dem Jahresgehalt eines Privaterziehers gleichkam und ihnen einen gewissen Luxus sowie standesgemäße Ausgaben ermöglicht haben dürfte. Wir wissen in den meisten Fällen nicht, ob gemeinsame (mit ihren Ehemännern) bzw. eigene Ausgaben von Johanns Töchtern aus der „Harrach’schen Kassa“ getätigt wurden, dennoch können wir annehmen, dass die geborenen Gräfinnen Harrach beim Einkaufen (vor allem in Wien), bei der Anfertigung von Ballkleidern sowie bei Reisen und Kuraufenthalten im In- und Ausland und sonstigen Gelegenheiten vom Einkommen ihrer Stammfamilie Gebrauch machten. Dazu muss man auch die Ausstattungsauslagen mit einrechnen, die von Johann für alle seine Töchter anlässlich ihrer Heirat entrichtet wurden und insgesamt 79.211 Gulden (158.422 Kronen) betrugen.188 Über die festgesetzten Summen hinaus hat es aber auch sowohl von Johann als auch von seinem Nachfolger Otto weitere Zuwendungen gegeben, die gelegentlich Anna Henneberg und Gabriele Marenzi, vor allem aber Margarethe Windisch-Grätz in Notfällen finanziell unterstützten.189 Otto bezahlte 1912–1913 einen Teil der Kosten für die Augenbehandlung seiner ältesten Schwester Anna und die damit zusammenhängenden Reisen zum Augenarzt nach Deutschland und deckte zwei Jahre später Gabrieles Operation, die ärztliche Behandlung und ihren Aufenthalt im Spital und Sanatorium in Budapest.190 Es war aber seine jüngste Schwester Margarethe (mit 186 Ebd., Paragr. 1; Zusammenstellung des Heiratsgutes und Ausstattungsauslagen der Erlauchten 4 Comtessen, Hauptkassa, 1. Juni 1900, in: AVA, FAH, Kt. 887. 187 Ehekontrakte Gabriele Marenzi, Maria Wisniewska, Anna Henneberg (1896–1898), in: AVA, FAH, Kt. 887, Nachträge Johann Graf Harrach. 188 Zusammenstellung des Heiratsgutes und Ausstattungsauslagen, in: ebd. 189 Vgl. z. B. Erbverzichtserklärung v. Gabriele Gräfin Marenzi, Wien, 6.1.1903, in: AVA, FAH, Kt. 887, Nachträge Johann Graf Harrach, Ehekontrakt Gabriele Marenzi. 190 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Wien, 18.4.1912, Hradek (Schüt-

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2. Besitz und Wirtschaft

ihren fünf Kindern), der Otto wegen der hohen Verschuldung ihres Gatten Franz Fürst Windisch-Grätz immer wieder Beträge für Weihnachten, für die Bezahlung von Sommerwohnungen und vor allem für die Deckung unbezahlter Rechnungen von 1905 bis 1918 überwies.191 Bereits vor 1900 hatte Johann Nepomuk seinem Schwiegersohn beträchtliche Summen geliehen und auch manche Außenstände beglichen.192 Die festgesetzten Einkünfte der Harrach’schen Agnaten sowie der geborenen Gräfinnen Harrach wurden aber von der Kriegs- und Nachkriegsinflation (1917–1922) ziemlich entwertet. Diese zog gerade die nachgeborenen Söhne und Töchter zahlreicher Familien des altösterreichischen Adels in Mitleidenschaft.193 In jener Zeit, die den führenden Gesellschaftsschichten im Allgemeinen beträchtliche Geldverluste einbrachte, waren vor allem die auf Gehälter, Renten und fixe Einzahlungen Angewiesenen am härtesten betroffen.194 Die Lage erwies sich neben der stets in prekären Verhältnissen lebenden Margarethe vor allem für Ernst Harrach und Gabriele Marenzi (Ehefrau des in den Ruhestand versetzten Kavallerieoffiziers Gabriel) als schwierig. Otto brachte im Mai 1921 seine ernste Sorge angesichts der Zukunft der Familie seines Stiefbruders Ernst nach Verbrauch der ihm zur Verfügung gestellten Kapitalien zum Ausdruck.195 Seine Befürchtungen waren durchaus angebracht. Neun Jahre später schrieb er seinem Vetter Franz, den er um Unterstützung der Familie von Ernst ersuchte: „Er hat nichts, sie hat nichts, ein Sohn ist da, der unseren Namen trägt und einmal auch nichts haben wird. Ich erhalte ja diese Familie, damit sie nicht verhungert, aber irgendwelche Zurücklegungen für die Kinder kann ich bei den großen Lasten und verringerten Einkünften allein nicht leisten. Deswegen wollte ich dich fragen, ob Du mir vielleicht mit Rücksicht darauf, dass du keinen Sohn hast und ein beträchtlicher Teil alt-harrachschen Allodvermögens unserem Hause genommen wird, helfen wolltest, die Zukunft der Familie Ernst zu sichern“.196

tenhofen), 1.7.1912, 17.6. und 1.7.1913, und Gabriele Marenzi, Budapest, 26.4.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857. 191 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Wien, 24.6.1906, 1.7.1908, 9.12.1910, 29.9.1915, 11.1.1916, 5.3.1918, in: AVA, FAH, Kt. 858. 192 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 147. 193 Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 164–65. 194 Bruckmüller, Sozialgeschichte, 359, 364 und 369–70; Ernst Hanisch, Der lange Schatten des Staates. Österreichische Gesellschaftsgeschichte im 20. Jahrhundert, Wien 1994, 74. 195 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 6.5.1921, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 196 Ebd., Prugg, 19.1.1930.

2.3 Vermögen, Einkommen und Konsumverhalten

139

Laut den Kindheitserinnerungen von Ernst Leonhard Harrach, des 1920 geborenen Sohnes von Ernst, war die Apanage, die ihnen sein Onkel und Pate Otto gewährte, „ganz klein, ich weiß nicht, aber es war kaum zu leben“.197 Die Lage dürfte sich für Ernsts Familie nach Ottos Tod (1935) etwas gebessert haben. Nach seinem Testament wurde sein Universalerbe Johann beauftragt, Ottos „geliebtem Bruder“ Ernst Harrach, solange dieser lebte, eine Jahresrente von 100.000 tschechoslowakischen Kronen in monatlichen Vorhineinraten abzugs- und gebührenfrei auszubezahlen, die nach einem Übereinkommen zwischen Johann und Ernst in eine Jahresrente von 20.400 österreichische Schilling umgewandelt wurde.198 Der Agnat lebte jedoch weiterhin in Bedrängnis und konnte mit der neu bestimmten Apanage kaum zurechtkommen, weil er selbst für die Steuer und den Holzbezug aufkommen musste und ihm daher jährlich lediglich 14.586, monatlich 1215 österreichische Schilling verblieben.199 Mit Schwierigkeiten waren auch die 1934 (Gabriele) und 1940 (Maria Theresia) verwitweten Stiefschwestern von Ernst in Wels konfrontiert. Maria Theresia bat ihren Neffen und Familienoberhaupt Hans im September 1940, im Winter in Wien im III. Stock des Wiener Palais unterkommen zu können, da es „in Wels sehr teuer wegen des Heizmaterials sei“.200 Eineinhalb Jahre danach suchte sie aufgrund mehrerer Ausgaben um eine frühere Absendung des Quartals von 300 Reichsmark an Gabriele an.201 Ganz anders sah die Lage bei Hans aus, der besonders als Familienoberhaupt von 1935 bis 1945 über ein hohes Einkommen verfügte und allein oder mit seiner Frau Stephanie, geborene Gräfin von und zu Eltz (nach ihrer Hochzeit im Oktober 1940), ein exklusives und teures Leben führte. 1420 österreichische Schilling für ein „Black Jacket Suit“, ein „Black SB Dinner Jacket“ und ein Paar „Black SB Dinner Trousers“, ein Paar „Grey Flannel Trousers“, Mitgliedsbeiträge von 300 österreichischen Schilling für Jockey Clubs in Österreich und von 120 österreichischen Schilling für den Reit- und Poloklub in Wien, andere Rechnungen Johanns für Luxus- und Galanteriewaren (alle vorgenannten aus dem Jahr 1936) sowie die Rechnung über 1455 tschechoslowakische Kronen für Autoreparatur und Ersatzteile am 24. Juli 1942 wei-

197 Interview mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008. 198 Testament Otto Harrach (Wien, 12.3.1935), Übereinkommen, Wien, 22.1.1936, in: AVA, FAH, Kt. 971. 199 Nach einem Bericht an Hans Harrach, erstattet von seinem Rechtanwalt, Wien, 25.10.1935, in: AVA, FAH, Kt. 971. 200 Maria Theresia Wisniewski an ihren Neffen Hans Harrach, Wels, 17.9.1940, in: AVA, FAH, Kt. 912. 201 Ebd., Wels, 30.3.1942.

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2. Besitz und Wirtschaft

sen auf eine Kontinuität des Konsumverhaltens der Harrach hin.202 Doch auch die Ehefrau des Familienoberhaupts musste repräsentieren, und Anka, das Modell-Haus und Modewarengeschäft in Prag II, Wenzelsplatz (Václavské náměstí) 53, sorgte dafür: am 2.7.1941 mit einem Pelzmantel, einem Pelzmuff, einem schwarzen Seidenkleid, einem schwarzen Mantel, einem blauen Kostüm, einer roten und blauen Bluse, einem gestreiften Kleid für 14.480 Kronen und am 28.6.1943 mit einem Kostüm, einem blauen Wollkleid und einem Imprimé-Kleid für 4690 Kronen.203 Auch Hans’ Mutter und Witwe von Otto, Karoline Harrach, geborene Prinzessin von Oettingen-Wallerstein, wurde ein hohes Einkommen vermacht, das ihr ein standesgemäßes und sorgenfreies Leben sicherte. Nach Ottos Testament wurde ihr als Legat abzugs- und gebührenfrei ein Betrag von 1.000.000 tschechoslowakischen Kronen vermacht, den ihr der Sohn und Ottos Universalerbe binnen vier Jahren nach Ottos Ableben auszuzahlen hatte und der, vom Tag seines Ablebens angefangen, in monatlichen „Vorhineinraten“, und zwar mit 5 Prozent jährlich, zu verzinsen war. Dazu wurde bestimmt, dass Ottos Universalerbe der Gattin des Verstorbenen anstelle des ihr in den notariellen Ehepakten vom 2. Januar 1902 zugesprochenen Witwengehalts von 20.000 Kronen eine Witwenrente von jährlich 30.000 Goldkronen abzugs- und gebührenfrei und zahlbar in monatlichen „Vorhineinraten“ von 2500 Goldkronen bzw. der entsprechenden Summe an tschechoslowakischen Kronen auszahlen sollte. Darüber hinaus sollte Karoline nach Ottos Wunsch eine standesgemäße Wohnung in seinem Schloss Prugg, bestehend aus zehn Zimmern mit Zubehör samt Küche, sowie unentgeltliche Beleuchtung und Beheizung und des Weiteren ein Auto und ein Pferdgespann von ihrem Sohn nach dessen Möglichkeiten angeboten werden.204 Ein Legat von 3.000.000 tschechoslowakischen Kronen vermachte Otto in seinem Testament auch seiner Tochter Ernestine Aehrenthal, geborene Gräfin Harrach. Zwei Drittel des Betrags plus 191.111 tschechoslowakische Kronen als Zinsen wurden von Hans im April 1940 beglichen, während das letzte Drittel bis März 1945 auszuzahlen war.205

202 Johann Graf Harrach, Rechnungen 1936, 1942, in: AVA, FAH, Kt. 917. 203 Stephanie Gräfin Harrach, Rechnungen 1941–43, in: ebd. 204 Testament Otto Harrach (Wien, am 12.3.1935), III–IV, in: AVA, FAH, Kt. 971. Dass Karoline ein eigenes Auto mit Chauffeur behielt, wird in ihrem Brief vom 9.5.1939 aus dem „Savoy Hotel“ in Bad Gastein bestätigt; AVA, FAH, Kt. 912. 205 Testament Otto Harrach, II, in: AVA, FAH, Kt. 971; Hans Harrach an seine Schwester Ernestine Aehrenthal, 6.5.1940, Zahlungsauftrag der Hauptkasse in Starkenbach, 20.4.1940, an Ernestine Aehrenthal, in: AVA, FAH, Kt. 971.



3. Wohnsitz und Mobilität

Ihrem Großgrundbesitz, Vermögen und hohen Einkommen verdankten die Harrach einen „privilegierten“ Bezug zum Raum, was in ihren Wohnverhältnissen und ihrer Mobilität in Form von Reisen zum Ausdruck kam. Der altösterreichische Adel wohnte an mehreren Orten und bewegte sich in einem geografisch ausgedehnten, zugleich aber sozial bestimmten und beschränkten Raum. Der Aufenthaltswechsel zwischen den eigenen Landschlössern und Stadtpalästen, das Reisen in Kurorte, Seebäder, Jagdreviere und zu sonstigen Zielen im In- und Ausland stellten feste Bestandteile des adeligen Lebensstils und Selbstbewusstseins im Zentraleuropa des 19. und frühen 20. Jahrhunderts dar. Es ist kein Zufall, dass diese Themen in Hunderten Briefen der Familienkorrespondenz der Harrach angesprochen werden.

3.1 In Schlössern und Palais Die Harrach bzw. die Oberhäupter der Familie besaßen von 1886 bis 1945 die Schlösser Rohrau (Stammschloss) und Prugg in Niederösterreich (Bruck a. d. Leitha), das berühmte Palais Harrach in Wien (Freyung) sowie Schloss Hradek (Hrádek u Nechanic) und das Sommerschloss (vielmehr ein großes Landhaus) Starkenbach (Jilemnice) in Ostböhmen. Dazu kamen zwei nahe gelegene Landschlösser in Plana bei Tabor (Südböhmen) – das 1908 veräußerte Zeltsch und das 1896 erworbene Strkow – sowie ein kleines Palais in Prag, das 1919 verkauft wurde. Darüber hinaus gab es noch drei Harrach’sche Schlösser, die im Besitz männlicher Angehöriger des Familienvorstands waren: Aschach a. d. Donau in Oberösterreich und Janowitz bei Römerstadt in Nordmähren, die Alfred Harrach, Johann Nepomuks Bruder, von seinem Vater Franz Ernst 1873 zum Kauf bzw. 1883 zum Geschenk erhielt, und Groß-Meseritsch in Westmähren, das Franz Harrach, Alfreds Sohn, 1908 von seinem Onkel, Prinz Rudolf Lobkowitz, erbte.1 1

Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 887, 972; Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 2–3.

142

3. Wohnsitz und Mobilität

Abb. 14: Landschloss Starkenbach (Jilemnice)

Die Harrach’schen Schlösser, vor allem Hradek, Rohrau und Prugg, wie auch das Wiener Palais zählen zu den wichtigsten historischen Stätten und Denkmälern Böhmens und Niederösterreichs. Es handelte sich um weitläufige Gebäude mit vielen nützlichen sowie repräsentativen Räumen, Werke von berühmten Architekten des 17., 18. und 19. Jahrhunderts mit prunkvoller Einrichtung und Sammlungen und Gegenständen von unschätzbarem Wert.2 Das Schloss Prugg (Bruck a. d. Leitha, NÖ), das im frühen 18. Jahrhundert durch einen großzügigen Umbau einer mittelalterlichen Wasserburg als repräsentatives Schloss entstand und 1792 unter Reichsgraf Johann von Harrach erneut stark ausgebaut wurde, erhielt seine moderne Gestalt im Jahr 1858, als der englische Architekt 2

Über die Harrach’schen Schlösser in Niederösterreich und das Wiener Palais siehe Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich (1921), No. 8, Subbeilage D: Übersicht der Wohngebäude und anderer Gebäude, und No. 21, 5. Beilageblatt, in: AVA, FAH, Finanzielles Otto, Kt. 882, Palais mit Garten in Wien. Siehe auch http://www.burgen-austria.com/Archiv.asp?Artikel=Bruck/Leitha%20-%20Schloss%20Prugg, http://www.burgen-austria.com/Archiv.asp?Artikel=Rohrau, http://www.burgenaustria.com/Palais.asp?Artikel=Harrach%20Palais und http://harrach.nwy.at/history_de.html (alle abgerufen am 25.5.2006), die u. a. aus Georg Clam-Martinic, Österreichisches Burgenlexikon: Burgen und Ruinen, Ansitze, Schlösser und Palais, Linz 1992, Maximilian Ludwigstorff, Parks und Gärten in Niederösterreich, Wien 2001, Laurin Luchner, Schlösser in Österreich, Bd. 1, München 1978 und W. Kraus / P. Müller, Wiener Palais, München/Wien/ Blanckenstein 1991 zitieren.

3.1 In Schlössern und Palais

Abb. 15: Schloss Prugg (Bruck a. d. Leitha), Hinterseite

Abb. 16: Schloss Prugg (Bruck a. d. Leitha), Frontseite

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144

3. Wohnsitz und Mobilität

Abb. 17: Schloss Rohrau (bei Bruck a. d. Leitha)

Charles Buckton Lamb im Auftrag von Franz Ernst Harrach den Umbau im englischen Tudor-Stil vollendete. Prugg umgab seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert eine große Parkanlage englischen Typs, die die barocke Gartenanlage Hildebrandts ersetzte.3 Etwa 50 Gärtner waren mit der Betreuung des Parks beschäftigt, der bis zum Ersten Weltkrieg sorgfältig instand gehalten wurde, wobei aus noch erhaltenen Listen hervorgeht, dass es im Park über 6000 verschiedene Baum- und Pflanzenarten gab. Im Jahr 1920 wurden im Schloss Prugg 70 Wohnräume sowie 45 sonstige Räume (Küchen, Magazine, Räume für Archiv, Kanzlei, Bibliothek und Museum, Sakristei, Kapelle, Waffensaal, Ahnensaal etc.) verzeichnet.4 3

4

Naturparks und ausgedehnte Parklandschaften begannen ab den 1780er-Jahren in der Habsburgermonarchie unter englischem Einfluss zu entstehen und den architektonischen Park der Franzosen abzulösen. In England erreichte die ziemlich teure Leidenschaft für Park- und Gartenlandschaften zwischen 1760 und 1820 ihren Höhepunkt. Damit stellten die Aristokraten ihre Pracht und Vornehmheit zur Schau. Vgl. Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 175; Otto Brunner, Adeliges Landleben und europäischer Geist, Salzburg 1949, 333; J. V. Beckett, The Aristocracy in England 1660–1914, Oxford 1986, 335. In der Umgebung (das ungarische Gebiet miteinbezogen) lagen mindestens 80 weitere Gebäude. Es

3.1 In Schlössern und Palais

145

Das in der Nähe gelegene Schloss Rohrau, das auf den Fundamenten einer mittelalterlichen Wasserburg im dritten Viertel des 16. Jahrhunderts als ein Wasserschloss im Stil der Renaissance errichtet und nach der Zerstörung durch die Türkenkriege Ende des 17. Jahrhunderts wiederaufgebaut wurde, erhielt sein heutiges Aussehen durch den letzten großen Umbau von 1776 bis 1777 unter Graf Leonhard IX. von Harrach. Die Schlossfassade ist sogar eines der ganz wenigen Beispiele josephinischer Architektur in Österreich. Das prachtvolle Palais Harrach auf der Freyung, bis heute ein Markstein der österreichischen Hauptstadt, steht am Beginn der Entwicklung des hochbarocken Palastbaus in der Donaumetropole. Der Rohbau des Palais wurde 1692 nach Integration der noch brauchbaren Bauteile der Brandruine vollendet, und 1844 kam es unter Franz Ernst Graf Harrach zu größeren Umbauten, die vor allem Platz für die Gemäldegalerie schaffen sollten. Die 1886 für das Publikum geöffnete Gemäldegalerie, die die bedeutendste private Gemäldesammlung Österreichs im 20. Jahrhundert enthielt, war bis 1969 im Wiener Palais untergebracht und befindet sich seit 1970 im Schloss Rohrau. Die in über 300 Jahren zusammengetragene Sammlung zählt trotz einiger Verkäufe nach wie vor zu den bedeutendsten europäischen Privatgalerien. Das Interieur des Palais umfasste nach dem Umbau um 1850 folgende in der Umbauskizze notierte Räume: Entreé, Tanzsaal, 1. Salon Gräfin, 2. Salon, Frühstückszimmer, Schreibzimmer und Bibliothek Gräfin, Morgensalon Ihrer Erlaucht, Toilettezimmer Ihrer Erlaucht, Schlafzimmer Ihrer Erlaucht, Rasierzimmer, drei Frauenzimmer, Schreibzimmer und Bibliothek Gräfin, Oratorium, Toilettezimmer, Wohnzimmer/ Jagdzimmer, Vorzimmer, Bibliothek, Schreibzimmer Seiner Erlaucht, kleine Bibliothek, Schreib- und Rauchzimmer Seiner Erlaucht, Billardzimmer, Speisesaal, Empfangsgalerie.5 Das um 1600 in seiner ursprünglichen Form erbaute Schloss Aschach an der Donau gelangte 1622 durch den Verkauf der umliegenden Herrschaft in den Besitz des Grafen Leonhard Karl von Harrach. Der „Fürstenstöckl“ genannte Ostflügel wurde 1709 vom Hausarchitekten der Grafen Harrach, Johann Lukas von Hildebrandt, erbaut. Schloss Aschach war ursprünglich von einem weitläufigen Park umgeben, der

5

handelte sich um Häuser und Wohnungen für Angestellte und Diener, um Gesindewohnungen und Arbeiterkasernen, um Heger- und Jägerhäuser, eine Wagenwerkstätte, Weinkeller, Stallhäuser, eine Fabrikmühle, eine Ziegelei usw.; Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich (1921), No. 8, Subbeilage D: Übersicht der Wohngebäude und anderer Gebäude, und No. 21, 5. Beilageblatt: Palais mit Garten in Wien, in: AVA, FAH, Kt. 882. Palais Harrach, 175. Nach der Renovierung zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden der Salon Gräfin als Gobelin-Salon, das Schreibzimmer und die Bibliothek Gräfin als Grünes Kabinett, der Morgensalon Ihrer Erlaucht als Gelber Salon und das Billardzimmer als Roter Salon bezeichnet.

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Abb. 18: Palais Harrach, Wien 1, Freyung 3

Abb. 19: Die Galerieräume im Palais Harrach mit der Hängung von 1960

3. Wohnsitz und Mobilität

3.1 In Schlössern und Palais

147

Abb. 20: Schloss Aschach a. d. Donau

ab 1825 vom gräflich Harrach’schen Gärtner Schanderer zu einem englischen Park umgestaltet wurde und einst zu den bemerkenswertesten englischen Parkanlagen Österreichs zählte.6 Das größte Schloss der Harrach in Böhmen war Hradek in Nechanic (Ostböhmen). 1839–1854 im Stil der romantischen Gotik erbaut, zählte Hradek neben Frauenberg (Hluboká) der Schwarzenberg und Eisgrub (Lednice) der Liechtenstein „zu den prachtvollsten Leistungen des Historismus in den böhmischen Ländern“.7 Die Säle und Räume des vom Wiener Architekten Karl Fischer nach dem Vorbild von Schloss Crewe Hall im englischen Cheshire entworfenen repräsentativen Neubaus sind im Stil der Neurenaissance und Neugotik prunkvoll ausgeschmückt.8 Zur Einrichtung zählten Gegenstände, die aus einer Reihe von österreichischen und 6 http://www.burgen-austria.com/archive.php?id=801 und https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_ Aschach_an_ der_Donau (beide abgerufen am 18.11.2006), die aus Norbert Grabherr, Burgen und Schlösser in Oberösterreich, Linz 1970 zitieren. 7 Joachim Bahlcke / Winfried Eberhard / Miloslav Polívka (Hg.), Handbuch der Historischen Stätten. Böhmen und Mähren, Stuttgart 1998, 205. 8 Ebenfalls im neugotischen Stil ließ Franz Harrach das von ihm 1908 erworbene, 1724–1730 barockisierte Schloss Groß-Meseritsch in Mähren umbauen; ebd., 175.

148

Abb. 21: Schloss Hradek bei Nechanic

Abb. 22: Schloss Hradek bei Nechanic, Frontseite

3. Wohnsitz und Mobilität

3.1 In Schlössern und Palais

Abb. 23: Schloss Hradek bei Nechanic, Hinterseite

Abb. 24: Schloss Hradek bei Nechanic, Speisesaal

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150

3. Wohnsitz und Mobilität

Abb. 25: Schloss Hradek bei Nechanic, Goldensaal

deutschen Schlossgebäuden, aber auch aus Venedig, England und Frankreich im 19. Jahrhundert hierhergebracht wurden.9 Bei solchen Vorhaben, die „romantische Sehnsüchte, Familiensinn, Bedarfssituation, Traditionsbewusstsein, Kunstförderung und Machtambitionen“ vereinten, standen repräsentative Räume und persönliche Milieus in einem ausgewogenen Verhältnis zueinander.10 Den Harrach’schen Schlössern scheint von Verwandten und Standesgenossen der Harrach ein hoher Wert beigemessen worden zu sein. Wir verfügen in Ottos Korrespondenz über einige Zeugnisse der Bewunderung und Anerkennung für die Wohnsitze der Harrach. Prinz Eduard Liechtenstein, Direktor des Kriegshilfsbüros des Ministeriums des Inneren 1915–1916 und Vorsitzender des Komitees für den Roten türkischen Halbmond, wollte Anfang Januar 1916 eine große musikalische Wohltätigkeitssoiree veranstalten, zu der alles eingeladen werden sollte, was „Rang 9

Ebd., 205; vgl. auch Jiří Kuthan, Aristokratická sídla období romantismu a historismu [Aristokratische Residenzen im Zeitalter des Romantismus und Historismus], Prag 1999, 18–27. 10 Stekl, Der erbländische Adel, 967; vgl. auch dazu die Beiträge in: Renate Wagner-Rieger / Walter Krause (Hg.), Historismus und Schlossbau (Studien zur Kunst des 19. Jahrhunderts, Bd. 28), München 1975.

3.1 In Schlössern und Palais

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und Stand im Staat, in der Armee, Industrie, Banken, etc.“ hatte. Seine große Bitte an Otto Harrach war, „diese soirée in Deinem herrlichen Palais (in Wien) zu veranstalten. Minister Baron Burian und Graf Stürgkh (Reichskanzler) sagten mir dass kein Palais sich derart dazu eignet wie Deines“.11 Gabriel Marenzi vermittelte im Februar 1913 seinem Schwager Otto Harrach die Entzückung „aller Herren“, d. h. der Offiziere seines Stabes, angesichts von Schloss Hradek und seiner Gastfreundschaft, während Ottos Cousine Alice Harrach (die Gattin seines Vetters Franz) lobende Worte über Prugg fand, das sie als „hübsch und geschmackvoll eingerichtet“ beschrieb.12 Ein Fund aus der Familienkorrespondenz der Aehrenthals verstärkt den in den vorerwähnten Aussagen gewonnenen Eindruck; die Zeilen Johannas Gräfin von Bylandt an ihre Mutter Maria, geborene Freiherrin Lexa von Aehrenthal, über das Neujahr von 1911 sprechen für sich: „Ich trank den Tee bei Line Harrach, zum ersten Mal in dem wirklich superben Haus Harrach.“13 Wenn man von solchen schriftlichen Indizien ausgeht, dürfen wir annehmen, dass die Schlösser und Wohnsitze der Grafen Harrach ein häufiges und beliebtes Gesprächsthema ihrer Gäste bildeten, wie dies unter den Aristokraten im alten Österreich durchaus üblich war – Größe und Ausstattung der Stadtpaläste und Schlösser zählten schon immer „zu den hervorragendsten Statussymbolen einer Adelsfamilie.“14 „Seine kulturelle Hegemonie demonstrierte und exekutierte der Adel zunächst von seinen Schlössern und Gutshäusern aus. Diese lokalen und familiären Lebenswelten mit ihrer sozialhistorischen Wirkung prägten dann auch adeliges Verhalten auf gesamtgesellschaftlicher Ebene“, so Conze und Wienfort.15 Die Adelssoziologin Saint Martin betrachtet das Schloss als natürlichen Ort, als Markstein der Aristokraten im Frankreich des 20. Jahrhunderts, dessen historische Existenz und Größe nicht nur von den Mitgliedern der Familie und des Geschlechts, sondern auch von anderen Aristokraten und Bürgerlichen anerkannt werden.16 Die Existenz und Funktion eines Schlosses dürfte daher zur Festigung der sozialen Diskrepanz und Bestätigung der führenden Rolle der Adeligen innerhalb der jeweiligen Landgemeinden beigetragen haben, wie es etwa in England und Norditalien der Fall war.17 11 Prinz Eduard Liechtenstein an Otto Harrach, Wien, 1.12.1915, in: AVA, FAH, Kt. 864. 12 Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Hradek, 5.2.1913, in: AVA, FAH, Kt. 857; Franz Harrach an Vetter Otto, Janowitz, o. D. 1906, in: AVA, FAH, Kt. 859. 13 Der Brief wurde am 2. Januar in Vöslau verfasst; Franz Adlgasser (Hg.), Die Aehrenthals. Eine Familie in ihrer Korrespondenz 1872–1911, Wien/Köln/Weimar 2002, 974–75. 14 Stekl, Der erbländische Adel, 967. 15 Conze / Wienfort, Einleitung, in: dies. (Hg.), Adel und Moderne, 6. 16 Saint Martin, Der Adel, 94. 17 Beckett, The Aristocracy in England, 337–338; Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy, 123.

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Ebenso wichtig war es aber auch, ein Stadtpalais in einer Hof- und Residenzstadt wie Wien sein Eigen zu nennen. Stekl unterstreicht die Bedeutung eines Wohnsitzes in Wien für die Adeligen des Vormärz, denn „hier liefen alle Fäden des Gesellschaftslebens zusammen“, und „ein ständiger Wohnsitz in Wien bildete daher für einen Angehörigen der „monde“ eine Existenznotwendigkeit, wenn er in dem engmaschigen Beziehungsnetz der Elite seine Geltung aufrechterhalten wollte“.18 Lievens Behauptung, dass 1914 die Welt der großen Stadtpalais weder in London noch in St. Petersburg vorüber gewesen sei, dürfte wohl auch auf Wien zutreffen.19 Ohne Landschlösser und Stadtpalais hätte es Jagden, Bälle, Soireen und sonstige adelig geprägte gesellschaftliche Veranstaltungen wohl kaum gegeben. Selbst für ein frisch verheiratetes adeliges Paar war es wichtig, dass ihr neuer Wohnsitz (Familienschloss) von den Angehörigen besichtigt und gutgeheißen wurde. Kurz nach seiner Heirat mit Karoline Oettingen führte Otto selbst seine Schwiegereltern und später seinen Cousin Franz durch Schloss Rohrau (mit Besichtigung aller Zimmer), das ihm als künftigem Familienchef von seinem Vater und Oberhaupt Johann Nepomuk zugewiesen worden war.20 Im Dezember 1898 wiederum – dreieinhalb Monate nach der Heirat seiner Schwester Anna mit Gottlieb Henn von Henneberg-Spiegel – informierte Otto seinen Vater über den neuen Wohnsitz des Paares, Schloss Hradek bei Schüttenhofen: „Anna in Hradek ganz hübsch eingerichtet, hat ein sehr hübsches Schreibzimmer und das ganze Schloss macht einen freundlichen Eindruck.“21 Obwohl die Schlösser der Harrach lange vor dem Untersuchungszeitraum erbaut wurden, sind sie nicht als fossile, ganz und gar veraltete Wohnstrukturen zu betrachten. Geht man von einem grundlegenden Prinzip der „neuen“ Kulturgeschichte aus, dass nämlich das Tradierte nicht mit dem Vererbten identisch ist,22 kann man auch die Schlösser und Palais in jeder Zeit neu betrachten. Die eng mit den Wohnsitzen des Adels verbundene Familientradition dürfte von der jeweiligen Generation nicht bloß erhalten, sondern neu definiert, versinnbildlicht und bereichert worden sein. 18 Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 130, 158. Ähnlich sind die Aussagen von Cardoza in Bezug auf die piemontesische Aristokratie, die im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert neben dem Hof in Turin prestigevolle Residenzen als geeignete Sitze für Bälle, Feste, Diners und sonstige Veranstaltungen der dortigen Hochgesellschaft besaßen; Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy, 124–125. 19 Vgl. Lieven, The Aristocracy in Europe, 142. 20 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1902 (5. Februar und 18. Mai), in: AVA, FAH, Kt. 886. 21 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Wien, 5.12.1898, in: AVA, FAH, Kt. 893. 22 Nach den sogenannten „reception theorists“ wurde die traditionelle Annahme von einer passiven Rezeption des Althergebrachten durch die Annahme einer kreativen Adaptierung ersetzt. Vgl. Peter Burke, Varieties in Cultural History, Polity 1997, 195–197.

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Selbst die Schlösser als Gebäude an sich blieben auf die Dauer selten unverändert. Wie schon erwähnt, wurden die Harrach’schen Schlösser Prugg und Rohrau sowie das Wiener Palais vom 17. bis ins 20. Jahrhundert verschiedenen Umbauten bzw. Erweiterungen unterzogen, die oft mit dem Wechsel in der Familienführung zusammenfielen.23 Nach dem Tod Johann Nepomuks (1909) ließ Otto als neuer Chef fast alle Schlösser renovieren und zeitgemäß einrichten.24 Allein im Januar 1911 gab er 10.000 Kronen für Adaptierungen im Wiener Palais und 30.000 Kronen für Adaptierungen im Schloss Prugg aus.25 Den Harrach stand der Sinn nach Bequemlichkeit und Luxus. So wurden 1912 im Wiener Palais sowie in Prugg (das bereits 1900 über ein Bad verfügte) Wasserklosetts und Aufzüge eingebaut, während Strkow im Jahr 1915 (mit neuer Parkanlage seit 1903) als letztes unter den Harrach’schen Schlössern mit einem Telefon ausgerüstet wurde.26 Das schon vor dem Krieg mit einem Badezimmer ausgestattete Landhaus im gebirgigen Starkenbach wurde von den Gästen bzw. Jagdteilnehmern in den höchsten Tönen gelobt.27 Die von der gebürtigen Engländerin Daisy von Pleß geübte Kritik am Familienschloss Pleß im preußischen Oberschlesien, das der „Repräsentation ohne persönliche Bequemlichkeit“ diente – „Große Prachtentfaltung, schwerfälliger Luxus und kein Komfort, keine Bequemlichkeit, nicht einmal ein Bad“28 – verweist auf die Hochschätzung, die der Adel schon vor 1914 einem modernen Bad entgegenbrachte. Die Harrach dürften auch bei der Elektrifizierung ihrer Schlösser unter den Ersten gewesen sein. Trotz einiger Anfangsschwierigkeiten wurden 1910 in Hradek und 1916 in Strkow (in Wien, Prugg und Rohrau schon einige Jahre vorher) elektrische Leitungen verlegt, während die ersten beiden elektrischen Lampen in Schloss Fried23 Umbauten und Erweiterungsarbeiten der Landschlösser waren auch in England üblich, wo die jeweiligen Nachfolger dem Familiensitz ihren Stempel aufdrücken wollten und dabei keine Kosten scheuten. Beckett, The Aristocracy in England, 329–330. 24 Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 21.7.1910, 28.8.1913, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024; im Fall Hradeks waren Garten und Tiergarten miteinbezogen. 25 Bures, Hauptkassendirektor an Otto Harrach, Geldprojekt für Januar 1911, Wien, 7.1.1911, in: AVA, FAH, Kt. 885. 26 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1900 (5. September und 7. Oktober), in: AVA, FAH, Kt. 886; Briefe an Otto Harrach von seinem Sohn Johann, Strkow, 6.8.1916, seinem Schwager Gottlieb Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 16.7.1903 und seinem Stiefbruder Ernst, Schindelthal, 21.10.1912 in: AVA, FAH, Kt. 856, 857, 859. 27 „Großartig dass es in Neuwelt Badezimmer und in Rezek eine Badewanne gibt“, schrieb 1913 Karolines Bruder in einem Dankesbrief an seinen Schwager; Prinz Eugen Öttingen-Wallenstein an Otto Harrach, Berlin, 3.5.1913, in: AVA, FAH, Kt. 865. 28 Wienfort, Adelige Frauen, in: Conze / Wienfort (Hg.), Adel und Moderne, 188.

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richstein (1709–1714), einem der kunstgeschichtlich bedeutendsten Schlösser Ostpreußens, Anfang der 1920er-Jahre brannten.29 Bau-, Renovierungs- und Modernisierungsprojekte, die die Ressourcen und die Anpassungsfähigkeit seitens des neuen Familienvorstands gegenüber den Herausforderungen der Technologie und der Mode offenbarten, stießen innerhalb der Familie auf Bewunderung: „Du hast alles so lieb und hübsch hergerichtet. […] Die Glashäuser fangen schon an schön zu werden“, schrieb Karoline an ihren Gatten, offenbar zufrieden mit seinen Eingriffen in Hradek.30 Ottos Schwester Maria Theresia fuhr im November 1911 von Galizien nach Prugg, um zu sehen, wie Otto alles verschönert und „Prugg bequem gemacht“ hatte.31 Neue Bauprojekte wurden noch bis 1940 verwirklicht. In den 1930er-Jahren gab es in Hradek bereits ein Schwimmbad, während Ottos neuvermählter Alleinerbe Johann 1940 für seine „Angetraute“ Gräfin Stephanie, geborene Eltz, einen Tennisplatz anlegen ließ.32 Die Renovierungen hatten jedoch ihre Grenzen. Schlossherren wurden sich in der Zwischenkriegszeit bewusst, dass der Wunsch nach einem modernen, Individualisierung und Privatheit gewährleistenden Haus33 mit einem großen Schloss alten Stils schwer vereinbar war und jedenfalls größerer Umbauten und einer neuen Raumaufteilung bedurfte. Die Sorgen des 69‑jährigen Otto über die künftige Bleibe seines Sohnes im Sommer 1931 sind charakteristisch. „Es ist die Frage wo man ein richtiges, modernes Haus errichten kann. Strkov[w] ist feucht und es wird sehr teuer das zu entfeuchten, geschweige die nötigen Herrichtungen. Hier (in Hradek) ist Alles an den Schlossstil gebunden, an eine, heutigen Erfordernissen entsprechende Wohnungseinrichtung daher kaum zu denken, wenn auch vielleicht entsprechende Möbel zu haben wäre, aber die ganze Bauart erlaubt keine Anpassung an Erfordernisse einer jungen Menage. Es bliebe nur Rohrau, und das ist in Österreich wo die Verhältnisse so unsicher sind, dass man es kaum wagen kann, etwas herzurichten. So muss ich mir selbst eingestehen, dass mein lieber Hanns mit Recht besorgt ist, wohin er seine Zukünftige einlogieren könnte und daher mit dem Heiraten zögert.“34 29 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Hradek, Ende Juli 1910, und seinem Sohn Johann, Strkow 6.8.1916, in: AVA, FAH, Kt. 856; Marion Gräfin Dönhoff, Kindheit in Ostpreußen, 6. Aufl., München 1998, 11, 88. 30 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Hradek, Ende Juli 1910, in: AVA, FAH, Kt. 856. 31 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 2.11.1911, in: AVA, FAH, Kt. 858. 32 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004. 33 Becher, Geschichte des modernen Lebensstils, 50. 34 Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 30.8.1931, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024.

3.1 In Schlössern und Palais

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Neuinstallationen und Renovierungen hat es auch in anderen Schlössern gegeben, die von Familienangehörigen bewohnt wurden, etwa von Ottos Cousin Franz Harrach, Ottos verheirateten Schwestern sowie den Geschwistern seiner Frau Karoline, geborene Oettingen. Franz Harrach beispielsweise ließ Groß-Meseritsch gründlich renovieren und in Janowitz um 1912 eine Dusche und neue Türen einbauen.35 Auch Ottos Schwager Gottlieb von Henneberg installierte 1917, mitten im Krieg, in seinem Wohnsitz elektrisches Licht. Stanislaus, ein weiterer Schwager Ottos und Oberhaupt des polnischen Geschlechts Wisniewski, ließ im frühen 20. Jahrhundert seine galizischen Landschlösser ebenfalls modernisieren und renovieren. „Krystynopol ist wieder ganz hergerichtet und es können eine Menge Gäste da wohnen“, so Maria Theresia im Juni 1904, die später die 1913 ins Schloss eingeführte Elektrizität für eine große Annehmlichkeit hielt und von dem Bau eines Tennisplatzes schwärmte.36 Sie lobte auch ihre neue Wohnung in Lemberg, die sehr hübsch sei, sehr viel Sonne und ein Badezimmer habe und viel besser als die alte Wohnung sei.37 Zu guter Letzt verdanken wir Ottos Gattin Karoline eine Beschreibung des 1909 fertig renovierten Familienschlosses Wallerstein (Bezirk Schwaben, Westbayern), das bis 1905 ihrem Vater, Karl Fürst zu Oettingen-Oettingen und Oettingen-Wallerstein, gehört hatte. Sie berichtete von größtem Luxus, „Wasserheizung auf allen Gängen, herrlichen Badezimmern und Klosets“.38 Alle oben genannten mehr oder weniger prächtigen Schlösser der Grafen Harrach und ihrer Verwandten gehörten den Familienvorständen bzw. wurden in erster Linie von ihnen bewohnt. Dies war in der Tat eine dünne Schicht innerhalb der ohnehin schmalen sozialen Gruppe des Adels. Die nicht erbenden Söhne sowie die nicht mit Familienchefs verheirateten Töchter einer Familie waren zwar von Familienschlössern nicht ausgeschlossen, wurden dort aber eher als Gäste aufgenommen. In diesem Zusammenhang sind die Erinnerungen von Prinz Alfons Clary-Aldringen aufschlussreich: Er schreibt, dass manche Vettern und Altersgenossen um die Jahrhundertwende „älteste Söhne“ gewesen seien und ihre Väter Schlösser und Paläste, 35 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Groß Meseritsch, 6.5.1912, Janowitz, 29.6.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 36 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 5.6.1904, 23.6. und 17.10.1913, in: AVA, FAH, Kt. 858. 1914 wurde im Schloss Krystynopol anstelle eines Speisezimmers ein Billardzimmer eingerichtet. Auch im vom Einsturz bedrohten Zužel, dem Schlössl einer alten Tante, wurde 1903–1904 Verschiedenes repariert. Nachdem es mit Möbeln aus Lemberg eingerichtet worden war, diente es als Sommerfrische. Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 19.3.1914, Krystynopol, 1.9.1903, 5.6.1904, in: AVA, FAH, Kt. 858. 37 Ebd., Lemberg, o. T. 1.1916. 38 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wallerstein, 5.11.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856.

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3. Wohnsitz und Mobilität

schöne Pferde und große Jagden besessen hätten, während sein Vater als zweiter Sohn nur eine Mietwohnung gehabt habe.39 Mietwohnungen oder gemietete Villen konnten unter den Familienangehörigen dennoch auch Stolz und Bewunderung hervorrufen. Eine Villa oder eine große Wohnung verwiesen ohnehin auf die gehobene soziale Stellung, die Angehörige des Adels und des Bürgertums damals innehatten. Zudem wurden in der Regel nicht die ganzen Schlösser der Familie vom Vorstand in Anspruch genommen. Ottos Schwester Gabriele, verheiratet mit dem Kavallerieoffizier Marenzi, drückte vor 1914 immer wieder ihre Zufriedenheit über ihre jeweilige gemietete Wohnung aus, sei es die „hübsch gelegene“ Wohnung mit großen Zimmern in Olmütz oder die Wohnung mit Garten in Lemberg, sei es die Villa in Wels, die über ein „wunderhübsches Gastzimmer“ verfügte und von Karoline nach ihrem Gastaufenthalt als reizend bezeichnet wurde. Die größte Begeisterung empfand Gabriele, als sie 1917 mit ihrem von der Ostfront beurlaubten Ehemann in einer herrlichen Villa „in einer reizenden Lage mitten im Grünen und sehr bequem“ wohnte.40 Noch in den letzten Kriegsmonaten, als die in Wels gemietete Villa verkauft wurde und ein großer Umzug bevorstand, verhandelte das kinderlose Paar über eine Wohnung mit vier Zimmern. Gabriel Graf Marenzi scheint zu jenen wenigen adeligen Offizieren gezählt zu haben, die bis 1918 über die nötigen Mittel verfügten, luxuriöse Wohnungen zu mieten und in große Städte zu reisen.41 Mit „schwierigsten Wohnverhältnissen“ im Ersten Weltkrieg hatte Ottos jüngste Schwester, Margarethe, zu kämpfen, da sie von ihrem hoch verschuldeten Ehemann Franz Windisch-Graetz keine eigene Familienwohnung zu erwarten hatte. Während sie vor 1914 in Frankreich, in der Schweiz, in England und in Amerika mit ihren Kindern überwiegend in standesgemäßen Wohnungen, Hotels und Villen wohnte, war sie während des Krieges auf die finanzielle Hilfe Ottos angewiesen und musste mit etwas bescheideneren, aber dennoch großräumigen Verhältnissen vorliebnehmen, wie etwa Zimmern im Gasthaus oder in einem kleinen Haus in Parsch, Salzburg. Margarethes Beschwerde im Jahr 1908 an ihren Bruder Otto über die Pläne ihres Vaters, sie mit ihren sechs Kindern auch den Winter über in einer Wohnung mit sechs Zimmern wohnen zu lassen, ist typisch für die Wohnsitzvorstellungen einer Frau des Hochadels, die möglicherweise Angst vor Herabsetzung und sozialer Kritik hatte.42 39 Clary-Aldringen, Geschichten eines alten Österreichers, 62. 40 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Gabriele Marenzi, Czernowitz, 9.5.1906, Olmütz, 13.5.1909, 13.2.1914, Kronstadt, 21.5. und 26.6.1917, sowie von seiner Gattin Karoline, München, 15.3.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857, 856. 41 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Wels, 2.6.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857; István Deák, Der k. (u.) k. Offizier 1848–1918, Wien/Köln/Weimar 21995, 135. 42 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Neupernstein, 17.10.1916, Wels, 8.3.1917, Parsch (Salzburg), 8.3. und 8.6.1917, in: AVA, FAH, Kt. 858.

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„Ich bin in den 3 Schlafzimmern die Du sahst mit allen Kindern zusammengepfercht und habe außerdem nur den kleinen Salon, das Speisezimmer und zwei Gastzimmer und für Leute und das Fräulein zu wenig Möbel, Geschirre, besonders ist so grauslich mit den fremden Leuten zusammen zu sein, die sehr neugierig und boshaft sein sollen“.43

Nach dem Krieg mussten sie und ihre Kinder – wie übrigens auch ihr Stiefbruder Ernst Harrach und dessen Familie – sich mit von Otto zur Verfügung gestellten Wohnungen im Familienschloss Rohrau begnügen. Ein Schloss war nicht immer nur eine Quelle von Muße, Stolz und Freude. In Krisenzeiten, vor allem während eines Krieges, konnte ein Schloss auch Schäden, Kosten und Enttäuschungen bei einer Familie herbeiführen, von finanziellen Sorgen der Erhaltung oder Verlustängsten ganz abgesehen. Dies hing von der topografischen Lage der Schlösser ab. Während die Schlösser der Grafen Harrach in Böhmen, Mähren, Ober- und Niederösterreich intakt blieben, wurden die Objekte von Ottos Schwager Stanislaus Wisniewski in Galizien während des Ersten Weltkriegs arg in Mitleidenschaft gezogen. Schloss Krystynopol wurde von September 1914 bis Juli 1915 von den Russen besetzt, danach bis Anfang 1918 vom österreichischen Militär als Verwaltungsgebäude genutzt (mit Ausnahme von fünf Zimmern) und schließlich Ende 1918 bis Frühling 1919 von Ruthenen in Beschlag genommen, während ihre Wohnung in Lemberg im Zuge der ruthenischen Besetzung von Räubern geplündert wurde und Maria Theresia mit ihrem später getöteten Sohn Hans in ein freundlich gesinntes Schloss in Polen flüchtete. Schloss Zužel wurde im Sommer 1917 von einer Geisteskranken angezündet und brannte völlig ab.44 Was bedeutete es eigentlich unter diesen Umständen, ein Schloss zu besitzen, und um wie viel exklusiver fühlte sich Stanislaus neben Dutzenden Offizieren, die in seinem Schloss einquartiert waren? Inwieweit wirkte das Schloss noch repräsentativ, wenn Ende 1923 lediglich drei kleine Zimmer im ersten Stock mit einer richtigen Heizung ausgestattet waren?45 Die Eltern von Stephanie Gräfin zu Eltz, seit 1940 mit Ottos Sohn Johann Harrach verheiratet, waren gezwungen, ihre Besitzungen im kroatischen Slawonien, ihr Schloss einbezogen, nach Kriegsende zu verlassen und dafür ein kleines Schloss in der Nähe von Wels zu kaufen.46

43 Ebd., Neu-Pernstein, 22.6.1908. 44 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Wien, 6.7.1915, Lemberg, 17.7.1916, 24.9.1917, Krystynopol, 28.5.1917, 14.9.1918, Krosniewice/Polen, 17.2.1919, in: AVA, FAH, Kt. 858. 45 Ebd., Krystynopol, 28.11.1923. 46 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004.

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3. Wohnsitz und Mobilität

Wenn auch Otto und Franz Harrach derartige Schwierigkeiten erspart blieben, hatten sie nach dem Krieg in Österreich und vor allem in der Tschechoslowakei mit Widrigkeiten wegen der hohen Besteuerung und der Instandhaltungskosten ihrer Schlösser zu kämpfen. „Wer weiß, ob es nicht das letzte Mal ist, dass wir hier das Schloss (Hrádek) bewohnen, denn es wird vielleicht bald die Zeit kommen, wo ich nicht mehr imstande sein werde, es zu erhalten und gezwungen sein werde, die Regie bedeutend zu verringern, so dass es nur mehr als Museum für Eintrittsgeld zu besichtigen wäre, ohne bewohnt zu sein“,

schrieb Otto Ende Oktober 1922 an seinen Cousin voller Sorge über die Zukunft seines größten böhmischen Schlosses.47 Dennoch konnte er wie auch die meisten Angehörigen des böhmischen Adels durch die Agrarreform der Zwischenkriegszeit in der ČSR noch auf eine gewisse wirtschaftliche Grundlage bauen, dank der die Schlösser und repräsentativen Residenzen gehalten werden konnten.48 Dies war in den 1920er- bzw. 1930er-Jahren im europäischen Vergleich keine Selbstverständlichkeit. In Frankreich ging die Zahl der privilegierten Aristokraten, die über ein ausgedehntes Netz an Sommerfrischen und Schlössern verfügten, vor und nach dem Zweiten Weltkrieg immer mehr zurück; in London wurden gleich nach dem für Großbritannien siegreichen Krieg viele Stadtpalais von ihren hochadeligen Besitzern verkauft und auch abgetragen, was zum Großteil auch in Berlin der Fall war.49 Das Ende des Zweiten Weltkriegs hingegen hatte fatale Auswirkungen auf die Schlösser der Harrach und ihrer Standesgenossen in den böhmischen Ländern, als die als Feinde der tschechischen Nation bezeichneten Adeligen ausgewiesen (1945) und deren Besitztümer verstaatlicht (1947–48) wurden. Selbst in Österreich, wo der Schlossbesitz erhalten blieb, lastete das Kriegserbe auf den Harrach’schen Wohnsitzen. Schloss Rohrau wurde durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs zerstört und erst in den späten 1960er-Jahren auf Initiative von Stephanie Harrach und ihrer Tochter Johanna Waldburg-Zeil vom Hof bis zum Dach wieder vollkommen instand gesetzt. Die Harrach’sche Bildergalerie, die bisher im Palais auf der Freyung untergebracht war, wurde am 23. Mai 1970 als Harrach’sche Familiensammlung vom Bundespräsidenten Franz Jonas feierlich eröffnet.50 Das benachbarte, nach 1961 von Ernst Leonhard Harrach geerbte Schloss Prugg konnte wegen der hohen Besteuerung 47 Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 30.10.1922 , in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 48 Votýpka, Böhmischer Adel, 45. 49 Vgl. Saint Martin, Der Adel, 97; Cannadine, The Decline, 351–352; Malinowski, Vom König zum Führer, 59, 119. 50 Clam-Martinic, Funktion von Burg, 162.

3.1 In Schlössern und Palais

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auf die Dauer nicht bewohnt werden, und auch das Wiener Palais wurde Anfang der 1970er-Jahre an den österreichischen Staat verkauft. Ähnlich war das Schicksal des Schlosses Aschach a. d. Donau, das 1959 von Alice Dreihann-Holenia, geborene Gräfin Harrach (Franz’ Tochter), an die Donaukraft AG veräußert wurde.51 Zwischen Land und Stadt: Wohnsitze und Umzüge

Der Besitz von mehreren Schlössern bestimmte das Leben und den Alltag der Harrach, da die Familie des Familienvorstands zwischen den verschiedenen Residenzen zu pendeln pflegte. Es handelte sich dabei um ein typisch adeliges Ritual, das sich in eine jahrhundertelange Tradition des europäischen Adels eingliedern lässt und seit dem 17. bzw. 18. Jahrhundert in den Habsburgerländern allmählich konsolidiert wurde.52 Der regelmäßige Sitzwechsel der Harrach stellt ein sehr gutes Beispiel für die Multilokalität des altösterreichischen Adels im späten 19. bzw. im frühen 20. Jahrhundert dar. Der Haushalt und die Familie des jeweiligen Hausvorstands bzw. seines Nachfolgers pendelten bis 1914 zwischen dem Palais Wien und den Schlössern Prugg und Rohrau (Bruck a. d. Leitha), Hradek (Nechanic), Starkenbach, Zelč (bis 1908) und Strkow (bei Tabor) in Böhmen. Der genaue Zeitpunkt des Umzugs war nicht festgeschrieben und wurde jedes Jahr neu beschlossen, da ein verfrühter oder verspäteter Umzug nach oder aus Wien, nach oder aus Böhmen Richtung Niederösterreich vom Wetter und eventuell von anderen Faktoren (z. B. von der Geburt von Ottos Kindern im Sommer 1903 und 1904, die den Umzug nach Böhmen jeweils verhinderte) abhing. Im Großen und Ganzen gab es einen saisonalen Ablauf: Von Dezember/Januar bis Ende April/Mitte Mai wurde das Wiener Palais, von Ende April/Mitte Mai bis Ende Juni/Anfang Juli Schloss Rohrau oder Prugg und Strkow (manchmal aufeinanderfolgend), von Mitte Juli bis Mitte August Schloss Hradek (bis 1908 für einige Tage oder Wochen auch Schloss Zeltsch), von Mitte August bis Mitte/Ende September Starkenbach und von Ende September/Anfang Oktober bis Dezember/ Januar Schloss Prugg bewohnt.53 51 https://de.wikipedia.org/wiki/Schloss_Aschach_an_der_Donau (abgerufen am 18.11.2006). 52 Der ritualisierte Wechsel der Aufenthalte lässt sich z. B. anhand der Familie Schwarzenberg beim böhmischen Hochadel dokumentieren; Milena Lenderová, Pauline, Eleonore, Gabrielle: dames de Schwarzenberg et leurs journaux intimes, in: Les Noblesses de Bohème et de Moravie au XIXe siècle. Études Danubiennes, XIX (1–2), 2003, 173. 53 Die Bestimmung von Ort, Zeit und Aufenthaltsdauer am jeweiligen Wohnsitz der Harrach wird anhand des Ortes und Datums der Briefe der Familienkorrespondenz festgesetzt. Die betreffenden Angaben werden durch Ort und Datum der Eintragungen in Ottos Tagebüchern von 1900, 1902 und 1912–1914 (AVA, FAH, Kt. 886) ergänzt.

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3. Wohnsitz und Mobilität

In der Zeit zwischen Ottos Hochzeit (1902) und dem Tod des Familienvorstands Johann Nepomuk Harrach (1909) fanden eher getrennte als gemeinsame Aufenthalte statt. So weilten etwa Otto und Karoline in Schloss Rohrau, Ottos Eltern hingegen in Prugg; oder Otto hielt sich in den Schlössern Strkow, Zeltsch und Starkenbach auf, Johann Nepomuk in Hradek; und während Letzterer den Winter über in Abbazia weilte, stand Otto das Wiener Palais zur freien Verfügung. Doch auch Ottos Onkel und Cousin, d. h. Alfred und Franz Harrach, pflegten bis 1914 zwischen ihren Schlössern Janowitz und Groß Meseritsch in Mähren sowie Aschach a. d. Donau in Oberösterreich zu pendeln.54 Beim Wechsel des Wohnorts war der Umzug in die Landschlösser besonders wichtig und begehrt. Die Neigung zu Landaufenthalten, zumal zu Frühlingsbeginn, scheint bei Ottos Gattin sehr ausgeprägt gewesen zu sein. In einigen Briefen kommt ihre Sehnsucht nach der Landschaft in Niederösterreich und Böhmen und zugleich ihre Abneigung über das Wohnen in der Stadt mit den Kindern zum Ausdruck: „Bin zu traurig bei diesem Prachtwetter, schon unglücklich in der Stadt“. Es wäre „so ruhig und gemütlich in Rohrau“, schreibt Karoline Anfang Mai 1907 aus Wien. Und zwei Jahre später: „Hier ist nicht gut. Beide Kinder sind blass, und weiß man nicht mehr, wohin man sie spazieren führen soll, denn alle Gärten sind überfüllt. Auch ich sehne aufs Land. Meine Nerven sind herunter“.55 Gab es wirklich keinen freien Platz in Wien oder wollte man sich vielmehr nicht unters „einfache Volk“ mischen? Hohe Temperaturen wie etwa Mitte April 1911 dürften die Übersiedlung von Wien nach Rohrau beschleunigt haben. Die Hitze in Wien („entsetzlich wie im Juni“) und der Bedarf der Kinder an frischer Luft wurden in einem Brief Ottos an seinen Onkel betont.56 Wenn sie zwischen Mitte Juni und Mitte Juli in ihren niederösterreichischen Wohnsitzen eine Hitzewelle plagte, konnten sie dementsprechend früher als geplant ins südböhmische Strkow übersiedeln, wo die Luft „herrlich kühl“ war.57 „Begreife dass ihr jetzt nach Strkow geht, da in Prugg sehr warm sein muss“, schrieb Maria Theresia Ende Juni 1916 aus Lemberg an ihren Bruder Otto.58 Die Sehnsucht der Harrach nach einem Aufenthalt auf dem Land dürfte aber kein 54 Siehe Ortsangaben der Korrespondenz zwischen Franz und seinem Vater Alfred Harrach, MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 55 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 5.5.1907, 12.5.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856. 56 Otto Harrach an Onkel Alfred, Rohrau, 17.4.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 57 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Prugg, 18.6.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856. „Kinder werden bald nach Strkow fahren müssen, die hiesige Luft nicht mehr gut für sie“, schrieb Otto an seinen Onkel Alfred am 14. Juli 1908 aus Rohrau (MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129). 58 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 26.6.1916, in: AVA, FAH, Kt. 858.

3.1 In Schlössern und Palais

161

vereinzeltes Gefühl gewesen sein. Die Übersiedelung auf ihre Herrschaften ab Mitte Mai war seit dem frühen 19. Jahrhundert im Habitus der österreichischen Aristokraten tief verwurzelt.59 Lange Aufenthalte auf den Landschlössern waren jedoch keine mitteleuropäische Eigentümlichkeit. Die Abwesenheit des Adels von der Stadt während der „Sommermonate“ (die sich von Mai bis November erstrecken konnten) war eine noch im frühen 20. Jahrhundert sowohl im entfernten England als auch in den Nachbarländern Österreichs Preußen und Norditalien anhaltende Praxis.60 Der Trend der britischen Aristokraten, der im 16. Jahrhundert eingesetzt hatte, immer längere Zeit in London zu verbringen, scheint sich im 19. Jahrhundert umgekehrt zu haben.61 Auch im Hause Harrach verspürte man wohl eher selten Sehnsucht nach dem Wiener Palais, wie etwa Ende November 1907, als es in Rohrau recht kalt wurde.62 Auf jeden Fall bot die Nähe von Prugg und Rohrau zu Wien die Gelegenheit für Tagesfahrten mit dem Auto nach Wien und zurück oder umgekehrt. Besorgungen zu machen, Verwandte zu treffen, bei einer Gartenparty oder sonstigen gesellschaftlichen Veranstaltungen die Kinder oder den reisenden Gatten kurz zu sehen, das waren einige Anlässe für Karolines Tagestouren, vor allem zwischen Oktober und Dezember und im Juni.63 Diese Ortswechsel zwischen Wien und Prugg/Rohrau ähneln ein wenig dem häufigen Pendeln der englischen Aristokratie zwischen London und den Landhäusern, die im beginnenden 20. Jahrhundert mit dem Auto auch an Wochenenden leichter erreichbar geworden waren.64 Selbst die Ereignisse des Ersten Weltkriegs hielten die Harrach ebenso wenig wie andere Adelige davon ab, weiterhin den Wohnsitz zu wechseln. Dies ergibt sich aus den Ortsangaben der Briefe sowie aus den Orts- und Zeitangaben des Hauskammerdieners von 1915 bis Anfang 1919, nach dessen Aussagen Otto als Hausvorstand 59 Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 158–159. Es gab übrigens auch solche, die den Frühling in ihren Vorstadtvillen um Wien (Kahlenberg, Hütteldorf, Grinzing) verbrachten und die „Vorteile des Städteseins mit den Vorteilen des Landlebens“ kombinierten. Siehe ebd., 150–151. 60 Vgl. Dönhoff, Kindheit in Ostpreußen, 36; Lieven, The Aristocracy in Europe, 152; Cardoza, Aristo‑ crats in Bourgeois Italy, 191, 194. 61 Bessere Verbindungen, die Entwicklung des Landsports und das Gefühl, in den Städten vom Bürgertum herausgefordert zu werden, trugen dazu bei. Die englischen begüterten Klassen gaben offenkundig ihren Standesgenossen auf dem Kontinent eine passende Antwort auf das Verlangen der Aristokratie nach einer Rolle und einem geeigneten Stil, um sich mit der modernen Welt auseinanderzusetzen. M. Girouard, Life in the English Country House, London 1978, 5, zit. nach Lieven, The Aristocracy in Europe, 152. 62 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Rohrau, 27.11.1907, in: AVA, FAH, Kt. 856. 63 Ebd., Rohrau, 2.10.1903, 9.6.1908, Prugg, 4.10.1911, 14.12.1913; Wien, 12.6.1908. 64 Cannadine, The Decline, 359.

162

3. Wohnsitz und Mobilität

und seine Familie je nach Jahreszeit, wie oben erwähnt, abwechselnd in Prugg, Wien, Strkow, Hradek und Starkenbach residierten.65 Schloss Rohrau wurde wahrscheinlich wegen des dortigen Betriebs eines Rekonvaleszentenzentrums für Offiziere während des Krieges nicht von der Familie bewohnt. Über die symbolische Bedeutung des Landesaufenthalts hinaus erhielten im Krieg und in den schwierigen Nachkriegsmonaten Landschlösser bzw. Landaufenthalte eine zusätzliche Bedeutung, da sie in Zeiten der akuten Not, vor allem in den Städten, einen besseren Zugang zur Lebensmittelversorgung gewährleisteten, wie uns der Fall der Harrach zeigt. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie und der Entstehung der Nachfolgestaaten fand der Ortswechsel der Familie Harrach nicht bloß zwischen Wien, Niederösterreich und Böhmen, sondern zwischen zwei Staaten seine Fortsetzung. Das Pendeln zwischen Österreich und der Tschechoslowakei in der Zwischenkriegszeit sowie während des Zweiten Weltkriegs wurde „nicht als Problem empfunden, überhaupt nicht“, so Stephanie Harrach.66 Alle Schlösser wurden regelmäßig wie bis 1918 bewohnt, wobei Starkenbach als Sitz der Zentralkanzlei und daneben als Sommerfrische und Strkow nach der Heirat von Hans im Jahr 1940 als Witwensitz seiner Mutter Karoline Harrach genutzt wurde.67 Die Harrach scheinen also während der Zwischenkriegszeit in Bezug auf den Sitzwechsel kaum Änderungen ausgesetzt gewesen zu sein. Anders erging es Adeligen mit Besitztümern vor allem in Kroatien-Slawonien und Slowenien sowie wegen der Bodenreform und einiger Konfiszierungen und Zwangsverkäufe gegen niedrige Entschädigung teilweise auch in Böhmen.68 Bei den Umzügen von einem Schloss zum anderen wurden die Harrach stets von Dienstpersonal begleitet. Selbst während des Ersten Weltkriegs folgten Otto und seiner Familie durchschnittlich zwölf bis vierzehn Personen an den jeweiligen Sitz, darunter Kutscher, Köchin, Kindermädchen, Chauffeur und sonstiges Hilfspersonal.69 In der Zwischenkriegszeit dürfte sich allerdings wegen der Volljährigkeit von Hans und Ernestine das begleitende Personal verringert haben.70 65 Monats-Hausrechnungen 1914–1919, in: AVA, FAH, Kt. 881. 66 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 67 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 7.7.1920, Prugg, 14.11.1924, 23.4.1925, 26.6.1928, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024; Maria Theresia an Stephanie Harrach, Wels, 3.4.1942, und Karoline Harrach an ihren Sohn Hans, Strkow, 13.7. und 5.10.1940, in: AVA, FAH, Kt. 912. 68 Vgl. hierzu Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 103–112; Mira Kolar-Dimitrijević, Zum Schicksal des Adels in Nordkroatien in der Zwischenkriegszeit, Österreichische Osthefte, 37 (2), 1995, 457– 480; Magdalena Bruckmüller, Nieder mit den fremden Feudalen – Hoch lebe der slowenische Bauer! Aspekte der Agrarreform in Slowenien in der Zwischenkriegszeit, Diplomarbeit, Wien 2003. 69 Monats-Hausrechnungen 1914–1919, in: AVA, FAH, Kt. 881. 70 Stephanie Harrach erzählte mit Blick auf die 1930er-Jahre: „[…] die hatten übersiedelt, mit Pferden, mit Kutscher, mit Tschechin, kein Problem“; Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004.

3.1 In Schlössern und Palais

163

Über den normalen Wohnsitzwechsel hinaus dienten Kurzaufenthalte vor allem des Familienoberhaupts in den Landschlössern der Harrach der Abhaltung von Jagdveranstaltungen. Otto selbst reiste in den ersten zwei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts mindestens fünf bis sieben Mal im Jahr als Gastherr auf die Harrach’schen Reviere, und er dürfte diese Tätigkeit, wenn auch aus Altersgründen etwas weniger häufig, noch in der Zwischenkriegszeit fortgesetzt haben. Um nur einige übliche Strecken zu nennen: im April und Mai von Wien nach Starkenbach, Strkow und bis 1908 nach Zelč, im November/Dezember von Rohrau nach Starkenbach und Hradek. Gastfreundschaft

Neben ihrer Funktion als adelige Wohnsitze stellten Landschlösser und Stadtpalais einen idealen Raum für Gastfreundschaft dar, die vom Adel noch im 20. Jahrhundert als Verpflichtung betrachtet wurde und zur Erhöhung des Ansehens der adeligen Gastgeber beitrug.71 Ausreichende und bequeme Gastzimmer, Hauspersonal, Mittel zur Verköstigung der Gäste und ihrer Diener waren in den Harrach’schen Schlössern selbst für eine große Anzahl an Gästen vorhanden. Die Hochschätzung der guten Gastfreundschaft seitens der Standesgenossen lässt sich anhand der Danksagungen an die Gastherren ablesen. Dem Haus Harrach und seinem Oberhaupt von 1909 bis 1935, dem Grafen Otto, wurde in fast 600 Briefen für Einladungen und Aufenthalte in den Harrach’schen Schlössern gedankt, Jagdaufenthalte einbezogen.72 Derartige exklusive Gastfreundschaften konnten im Mitteleuropa des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts nur von einer dünnen, begüterten Schicht des Hochadels geboten werden, wie die Fälle von Johann Nepomuk, Otto, Alfred und Franz Harrach zeigen. Hat nicht nur der Besitz eines Schlosses, sondern auch das Wohnen in ihm zur Stärkung des Ansehens beigetragen, so dürften auch die „schlosslosen“ Familienmitglieder wie Ernst Harrach, Gabriele Marenzi und Margarethe Windisch-Graetz durch längere bzw. wiederholte Aufenthalte in den Familienschlössern ihr symbolisches und soziales Kapital aufrechterhalten bzw. erhöht haben. Es handelte sich dabei um Schlösser, in denen sie als Kinder und Jugendliche jahrelang gelebt hatten.

71 So die Adelssoziologin Monique de Saint Martin über all jene im Frankreich der Nachkriegszeit, die „den alten Lebensstil des Adels aufrechterhalten und weiterführen wollen“; Saint Martin, Der Adel, 101. 72 Es handelt sich um Briefe, die von Schwestern, Schwagern und anderen Verwandten, Vettern und Freunden aus dem Hochadel, vor allem von 1910 bis 1919, an Otto geschickt wurden.

164

3. Wohnsitz und Mobilität

3.2 Auf Kur und Reisen Das Ritual des Wohnortwechsels war nicht der einzige Grund für die Mobilität der Harrach. Ihre Aufenthalte in den Familienschlössern waren nicht durchgehend, sondern wurden oft von Kuraufenthalten, Dienst‑, Bade- und sonstigen Reisen unterbrochen.73 Solchen Reisen verdanken wir übrigens einen bedeutenden Teil der Familienkorrespondenz der Harrach, wie aus dem Absendungsort sowie dem Inhalt vieler Briefe hervorgeht. Rund 570 Briefe, die Karoline Harrach, geborene Öttingen-Wallerstein, von 1901 bis 1904 und von 1907 bis 1918 an ihren Gatten Otto gesendet hat, waren zum Großteil auf seine, weniger auf ihre individuelle Reisetätigkeit zurückzuführen. Jedoch lassen nur wenige Briefe auf Einzelheiten der Reisen schließen. Dies ist wohl darauf zurückzuführen, dass den Adeligen jener Zeit bewusst bzw. selbstverständlich war, was eine standesgemäße Kur oder Reise beinhaltete. Viel häufiger berichteten die Harrach in ihren Briefen über ihre Reisepläne bzw. die Dauer des Aufenthalts, ihre Unterkunft und in knappen Worten über ihre Stimmung. Die Reisen der Grafen Harrach und ihrer Standesgenossen in Bäder und Kurorte können als Ausdruck der modernen Badekultur betrachtet werden, die im späten 18. Jahrhundert entstand und zwischen dem Wiener Kongress und dem Ersten Weltkrieg ihren Höhepunkt als gesellschaftliches Ereignis erreichte.74

73 Darüber hinaus waren die Jagden vor allem für Männer ein häufiger Grund, den jeweiligen Wohnsitz für einige Tage zu verlassen (siehe Kap. 4). 74 David Blackbourn, Fashionable Spa Towns in Nineteenth-century Europe, in: Susan Anderson / Bruce Tabb (Hg.), Water, Leisure and Culture, Oxford/New York 2002, 10; Gerhard Hickel, Zur Kur im alten Österreich, Wien 1996, 15.

165

3.2 Auf Kur und Reisen

Tab. 6: Reisedestinationen und Reisehäufigkeit der Harrach (Anzahl der Besuche: A = einmal, B = zwei- bis fünfmal, C = mehr als fünfmal)

Destinationen

Personen Johann Otto Ernst Alfred Franz

Karo- Anna line Henneberg

Gabriele Maria Theresia Marenzi Wisniewski

Inland Karlsbad Marienbad

B

B

C

C

Franzensbad

B

B

B

Johannisbad

B

Karlsbrunn

B

Semmering

A

A

Graz

A

Gries (Bozen)

B

Meran

B

Innsbruck

B B

Bad Gastein

B

Balaton

B

Siebenbürgen Abbazia

B C

Grado

B

C

B

B

B

B

B

Görz

C

Triest

B

Dalmatien und Istrien Herzegowina

C

B

B

B

B

B

Ausland Deutsches Reich Baden-Baden

A

Bad Wildungen

A

Reichenhall

B

A

Bad Liebenstein

A

A

Jordanbad Berlin

B B

B

B

166

3. Wohnsitz und Mobilität

Dresden

C

München

B

Norderney

A

Misdroy

A

Heiligendamm

B

B

B

A

Frankreich Paris

B

Calais Cannes

B

A

B

A B

B

A

A

B

Belgien Ostende

B

B

Italien Venedig

B

B

Verona

B

Rom

A

B

Andere Ägypten London

A

Madrid Moskau

B

A

A A

A

B B

Quelle: zusammengestellt aus Angaben, die in der Familienkorrespondenz, und zwar in AVA, FAH, Kt. 856–859, und in MZA, G 393, RAH, Kt. 9, Fol. 124, Kt. 10, Fol. 126, Kt. 11, Fol. 127, Kt. 11, Fol. 129, Kt. 33, Fol. 558, Kt. 35, Fol. 563, Kt. 76, Fol. 1017, Kt. 76, Fol. 1024, sowie in Otto Harrachs Tagebücher, AVA, FAH, Kt. 886, vorhanden sind

In Österreich-Ungarn

Die Harrach reisten überwiegend innerhalb Österreich-Ungarns, wo sich mehr als anderswo das Badeleben zu einer typischen gesellschaftlichen Erscheinung entwickelt hatte und dessen Kurorte als „ein Teil europäischer Kulturgeschichte“ bezeichnet wurden.75 Im Sommer und frühen Herbst besuchten sie große und berühmte Bäder wie Marienbad und Karlsbad in Westböhmen; vor allem Letzteres zog seit den 75 László Kósa, Badenleben und Kurorte in Österreich-Ungarn, Budapest 1999, 5; Hickel, Zur Kur, 9. Über das Aufblühen der Badeorte und des Fremdenverkehrs im alten Österreich siehe auch Sandgruber, Ökonomie und Politik, 284–286.

3.2 Auf Kur und Reisen

167

1820er-Jahren Gäste aus ganz Europa und im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts sogar aus anderen Kontinenten an.76 Johann Nepomuk kurte noch in den letzten Jahren seines Lebens (Ende August 1902 und 1903) in Marienbad, um „seinen Magen in Ordnung zu bringen“.77 Sein Sohn Otto zählte mit seiner Frau Karoline sowohl bis 1914 als auch während des Ersten Weltkriegs zu den regelmäßigen Gästen Karlsbads, wie in der Familienkorrespondenz über die zweite Julihälfte 1904 und 1905 sowie für die erste Hälfte des Septembers 1916 und den Juli 1918 dokumentiert ist.78 Von den Karlsbader Heilquellen machte vor dem Krieg auch Ottos Stiefbruder Ernst gerne Gebrauch. Im Sommer 1902 weilte er zusammen mit seiner Mutter sogar vier Wochen an diesem Ort, um endlich mit seinem „heiklen Magen in Ordnung zu kommen“.79 Neben Karlsbad und Marienbad erfreute sich auch das benachbarte Franzensbad im frühen 20. Jahrhundert bei den Harrach großer Beliebtheit, besonders bei Karoline, Ottos Ehefrau, die dort wie auch in Karlsbad im Alter von 32 bis 45 Jahren jeweils ein bis zwei Wochen zur Kur war, und dies nicht nur in Gesellschaft ihres Gatten, sondern auch allein, freilich wie immer begleitet von einer Dienerin.80 Franzensbad, das sich im späten 19. Jahrhundert eher zu einem Frauenheilbad entwickelte,81 dürfte auf ärztliche Empfehlung als ein provisorisches Refugium für Karoline und viele andere Frauen des Adels gedient haben, die unter anderem unter „Neurosen“ litten.82 Franzensbad wurde aber auch von Männern besucht, wie etwa von Otto Harrach und seinem Schwager Gottlieb Freiherr von Henneberg. Letzterem, der dort in den letzten zwei Kriegsjahren mit seiner Frau Anna (Ottos Schwester) seine Kuren fortsetzte, wurde Franzensbad von seinem Arzt als modernes Herzbad für seine Herzprobleme empfohlen.83 Weniger renommierte, doch um die Jahrhundertwende bekannt gewordene Bäder wie Johannisbad im böhmischen Riesengebirge und Karlsbrunn im österreichischen Schlesien 76 Kósa, Badenleben, 5; Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 152. 77 Anna Henneberg an ihren Vater Johann, Hradek (Schüttenhofen), 30.8.1902, und an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek, 23.8.1903, in: AVA, FAH, Kt. 891, 857. 78 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 13.7.1904, 6.9.1916, und Gabriele Marenzi, Lemberg, 1.7.1905, Neupernstein (Oberösterreich), 14.7.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857. 79 Ernst Harrach an Vetter Franz, Karlsbad, 18. und 25.7.1902, Prugg, 1.7.1904, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1017. 80 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 24.5.1905, und Vetter Franz, Janowitz, 27.8.1906, in: AVA, FAH, Kt. 857, 859; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (28. Juni, 3. und 5. Juli), in: AVA, FAH, Kt. 886. 81 https://de.wikipedia.org/wiki/Franti%C5%A1kovy_L%C3%A1zn%C4%9B (abgerufen am 10. März 2016). 82 Vgl. Winkelhofer, Adel verpflichtet, 229. 83 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 13.3.1917, 9.5.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857.

168

3. Wohnsitz und Mobilität

wurden von Ottos Schwester Gabriele und ihrem Gatten Gabriel Marenzi für jeweils drei bis vier Wochen im Sommer 1906 und 1907 bzw. 1912 und 1913 besucht.84 Otto und Karoline versäumten auch nicht, mindestens einmal (im September 1902) den Semmering, einen Höhenluftkurort und seit dem letzten Viertel des 19. Jahrhunderts im Sommer ein beliebtes Ferienziel der „feinen Gesellschaft“ Wiens an der südlichen Grenze Niederösterreichs zur Steiermark, zu besuchen.85 War der Hauptantrieb für die Reisen des englischen Adels vor allem an die Riviera und in „deutsche“ Badeorte (Böhmen mitgerechnet) das Vergnügen,86 so scheinen im Fall des mitteleuropäischen Adels die Pflege der Gesundheit bzw. die Heilung einer Krankheit und die dazugehörige Kur den (mit‑)bestimmenden Grund für die Entscheidung der Adeligen zu einer Badereise oder einem Kuraufenthalt gebildet zu haben.87 Dies lässt sich an vielen Briefen, die Otto Harrach von seinen Schwestern erhalten hat, deutlich ablesen. „Wie Mama schrieb geht Line nach Franzensbad. Hoffentlich wird es ihr gut tun“, meldet beispielsweise Gabriele im Juli 1905 aus Lemberg. „Tut mir leid zu hören dass ihr beide nach Karlsbad in die Kur müsst und hoffe dass ihr Euch vollständig kuriert“, schreibt Anna im September 1916.88 Chronische oder temporäre Gesundheitsprobleme gab es übrigens bei den kurbedürftigen Harrach genug: Johann quälten Magen- und Nierenprobleme, Otto wiederum litt an Schwächeanfällen, Asthma und Ohrenbeschwerden, Anna hatte Probleme mit den Augen usw. Die Harrach blieben also bis ins frühe 20. Jahrhundert Sommer für Sommer der beim Adel beliebten Tradition des Aufenthalts in einem Kurbad treu, der der Regeneration von Leib und Seele dienen sollte. Der Kuraufenthalt war als ein neuer Reisetypus in Deutschland und Zentraleuropa im 18. Jahrhundert entstanden und erreichte wäh84 Darüber hinaus besuchten sie ab und zu auch den Balaton in Ungarn, wo Gabriels Bruder lebte. Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Gabriele und deren Gatten Gabriel Marenzi, Johannisbad, 19.7.1906, Lemberg, 26.9.1907, Olmütz, 2.7.1912, 29.6.1913, Balaton, 15.8.1913, in: AVA, FAH, Kt. 857. 85 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Rohrau, 21.9.1902, in: AVA, FAH, Korresp. Otto, Kt. 856. Über den Semmering als Kurort siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Semmering_(Nieder%C3%B6sterreich) (abgerufen am 11. März 2016). 86 Cannadine, The Decline, 371. 87 Laut Steward wählten bürgerliche Kurortbesucher im Österreich des 19. Jahrhunderts ihre Badeorte eher wegen ihrer therapeutischen Eigenschaften und weniger der Mode wegen, zit. in Anderson, Introduction: The Pleasure of Taking the Waters, in: Anderson / Bruce (Hg.), Water, Leisure and Culture, 2–3. 88 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Lemberg, 1.7.1905, 16.1. und 8.2.1909, Neupernstein, 14.7.1918, Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 6.9.1916, 24.5.1905, Ballenstadtbad, 11.8.1908, und Maria Theresia Wisniewski, Hradek, 9.8.1909, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858.

3.2 Auf Kur und Reisen

169

rend der letzten Jahrzehnte vor dem Ersten Weltkrieg seinen Höhepunkt.89 Doch auch andere Angehörige des Hochadels hatten sich mindestens bis 1918 der Kur verschrieben. Dafür sprechen die an Otto Harrach adressierten Briefe von seinen gräflichen Freunden und Vettern Maximilian Attems-Gilleis, Franz Czernin, Vincenz Thurn-Valsassina und dem Prinzen Jaroslav Lobkowitz, die Gäste in Karlsbad (Attems und Czernin), Marienbad (Lobkowitz) und Franzensbad (Thurn-Valsassina) gewesen sind.90 Das böhmische Bäderdreieck bildete jedoch nicht das einzige Hauptreiseziel der Harrach und ihrer Standesgenossen. Darüber hinaus scheinen sie ganz modernen Badetrends im Habsburgerreich des ausgehenden 19. bzw. des frühen 20. Jahrhunderts gefolgt zu sein bzw. sie mitgestaltet zu haben, d. h., sie begaben sich an die damals entstandene „österreichische Riviera“, um dort vor allem im Winter und Frühling einige Wochen, ja sogar Monate zu verbringen (dies gilt besonders für die Senioren). „Wer sich’s halbwegs richten und leisten konnte – dies war freilich nur einer dünnen Oberschicht des Adels und des gehobenen Bürgertums vergönnt –, fuhr einmal im Jahr an die Adria. Mit ‚großem Train‘, wie man zu sagen pflegte, und Unmengen von Gepäck, mit Personal zur persönlichen Bedienung und Kinderfräulein ging es in Richtung Süden. Die Coupés waren bereits wochenlang vorher bestellt, wie überhaupt der Abreise eine umfangreiche Korrespondenz vorausging, um das Feriendomizil nur ja auf alle Fälle zu sichern. Auch die günstigste Jahreszeit war sorgfältig eingeplant und meistens sogar ärztlich empfohlen, denn Grado, Abbazia und die anderen Treffpunkte der Hautevolee an der Adria waren nicht nur als sommerliche Seebäder, sondern wegen der milden Temperaturen und der absoluten Staubfreiheit als ideale ‚klimatische Winterstationen‘ geschätzt“,

so Alfred Niel über die k. u. k. Riviera.91 Der Ort Abbazia, der bis in die 1870er-Jahre ein kleines Fischerdorf gewesen war, entwickelte sich Anfang des 20. Jahrhunderts 89 Zu den Kuraufenthalten in den berühmten böhmischen Badeorten im langen 19. Jahrhundert, wo der Wunsch nach Förderung der Gesundheit und Leistungsfähigkeit mit einem neuen Bewusstsein der Körperlichkeit sowie mit einer allgemeinen Freude an Geselligkeit zusammenhing, siehe Christina Florack-Kröll, „Heilsam Wasser, Erd’ und Luft“ – Zu Goethes Badereisen, in: Hermann Bausinger / Klaus Beyrer / Gottfried Korff (Hg.), Reisekultur. Von der Pilgerfahrt zum modernen Tourismus, München 1991, 202–206; Becher, Geschichte des modernen Lebensstils, 202. 90 Briefe an Otto Harrach von den Grafen Maximilian Attems-Gilleis, Karlsbad, 2.6.1913, Wien, 8.6.1916 (Kt. 860), Franz Czernin, Schönhof, 22.10.1912, 6.4.1918, Teplitz, 25.3.1919 (Kt. 861), Jaroslav Lobkowitz, Franzensbad, 2.9.1916, 8.8.1918 (Kt. 864), und Vincenz Thurn-Valsassina, Marienbad, 3.8.1918 (Kt. 867), in: AVA, FAH. 91 Alfred Niel, Vorwort, in: Renate Basch-Ritter, Die k. u. k. Riviera. Nostalgische Erinnerungen an die altösterreichischen Küstenländer, an idyllische Seebäder und mondänes Strandleben, an die Wintersta‑ tionen und Sommerparadiese an der Adria, Wien 2002, 7.

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3. Wohnsitz und Mobilität

zum „größten und vornehmsten Seebad Österreich-Ungarns“, das von einem sehr distinguierten Publikum besucht wurde. Dort war nicht nur der österreichische, sondern vielmehr der europäische Hochadel vertreten, darunter eine Reihe von Königen und regierenden Fürsten vor allem vom Balkan und aus dem Deutschen Reich, und natürlich auch das reisende Großbürgertum, wie aus den Kurlisten von 1893 bis 1905 hervorgeht.92 Infolge seiner Attraktivität für das Großbürgertum rückte Abbazia bis 1908 hinter Karlsbad an die zweite Stelle in der Rangliste der meistbesuchten Kurorte der Monarchie und sollte diesen Platz bis zum Ausbruch des Ersten Weltkriegs behaupten.93 Abbazia wurde bei Anämie und Bleichsucht, Nervenkrankheiten, vor allem bei Neurasthenie und Hysterie, sowie bei Erkrankungen des Herzens, chronischen Leiden der Luftwege und als Kräftigungsstation für Kinder empfohlen. Bücher, Vorträge, Broschüren und sonstiges Werbematerial der Kurorte reproduzierten den ärztlichen Diskurs, der zur Entstehung bzw. Vergrößerung von mehr oder weniger namhaften Bade- und Kurorten wesentlich beitrug. Die Bezeichnung der „österreichischen Riviera“ als Winterstation, heilklimatischer Kurort oder Seebad war vor allem auf den Wiener Laryngologen Dr. Leopold Schrötter zurückzuführen.94 Der 1828 geborene Johann Nepomuk Harrach war von den frühen 1890er-Jahren bis zu seinem Todesjahr 1909 jedes Jahr von Dezember bis März/April in Abbazia anzutreffen, wo er mehrmals Erzherzog Karl begegnete.95 Es war gerade die Zeit, als Abbazia, die „Perle der österreichischen Riviera“,96 zum Inbegriff des Küstentourismus geworden war. Dem Hausvorstand, der als Vorreiter für die ganze Familie wirkte, folgten während der nächsten Jahre sein um drei Jahre jüngerer Bruder Alfred sowie seine Söhne Otto und Ernst und seine Tochter Anna mit ihren Familien. Alfred und Anna (geb. Prinzessin von Lobkowitz) Harrach hielten sich auf ihre alten Tage

92 Basch-Ritter, Die k. u. k. Riviera, 67, 72, 77; Angelika Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und See‑ bäder. Komponenten für die Entwicklung des Fremdenverkehrs im Küstenland, Diplomarbeit, Wien 1992, 67, 81–84. 1904 besuchte Kaiser Franz Joseph Abbazia ein zweites Mal, um mit König Oscar und Königin Sophia von Schweden zusammenzutreffen. 93 Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und Seebäder, 37–38. 94 Vgl. v. a. Basch-Ritter Renate, Die k. u. k. Riviera, 69–70; Hickel, Zur Kur, 138; Paul Cartellieri, Karlsbad als Kurort, Wien/Leipzig 1912, 106–107. 95 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (27. März) und 1900 (12. Januar), in: AVA, FAH, Kt. 886; Otto Harrach an seinen Vater Johann, Wien, 3.1.1896, München, 23.1.1896, Prag, 1.4.1896, in: AVA, FAH, Kt. 893; Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna, Hradek (Schüttenhofen), 17.1.1899, Gabriele, Lemberg, 12.4.1906, und Maria Theresia, Lemberg, o. T. 12.1903, 15.2.1909, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 96 Niel, Die k. u. k. Riviera. Von Abbazia bis Grado, Graz 1981, 32.

3.2 Auf Kur und Reisen

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ebenso wie Johann vor dem Krieg jeden Winter und Frühling in Abbazia auf.97 Die Zeilen Ottos an seinen Onkel Alfred nach einer freilich ermüdenden Reise des Letzteren und seiner Frau von Wien nach Abbazia im Januar 1911 deuten auf die Wahrnehmung der Reise nach Süden in den adeligen Kreisen hin: „Wir haben viel an Euch gedacht mit den besten Wünschen für Eure lange Fahrt. Nun genießt Ihr die warme Sonne von Abbazia, während wir hier in Nebel und Rauch frieren“.98 Abbazia diente den Harrach das ganze Jahr über auch als Basis für lange Ausflüge und Seereisen an die Adria. Johann reiste von 1899 bis 1902 mindestens viermal nach Dalmatien, wo Ragusa (Dubrovnik) und Spalato (Split) die wichtigsten Stationen bildeten.99 Johann hielt sich im entfernten Süden der Monarchie jedoch nicht bloß als einfacher Gast auf. Schon Harrachs erste Reise nach Dalmatien und Bosnien im Jahr 1894 weckte in ihm ein großes Interesse für die wirtschaftlichen Perspektiven der Region, sodass er sogar einen Verein zur Förderung Dalmatiens ins Leben rief und sich für die Gründung einer Aktiengesellschaft zur Errichtung von Hotels und Ausnutzung der dortigen Bäder einsetzte.100 Er förderte auch eine dalmatinische Ausstellung in seinem Schloss Prugg im Juni 1900.101 Auch Johanns Neffe Franz, der begeisterte Reisende unter den Harrach, der neben vielen Belegen seiner Fahrten durch Europa, Vorderasien und Nordafrika das in Druck erschienene „Tagebuch einer Reise um die Adria“ hinterließ, bereiste im Dezember 1912 Dalmatien (und die Herzegowina).102 Johanns älteste Tochter Anna und ihr Gatte Gottlieb Henneberg wiederum erhofften sich in den sonnigen Gefilden der Monarchie eine Linderung ihrer Augen‑, 97 Briefe an Alfred Harrach von seinem Neffen Otto, Rohrau, 21.4.1902, Wien, 17.1. und 30.3.1910, 16.4. und 15.5.1911, und seinem Sohn Franz, Wien, 28.1. und 2.3.1909, Aschach, 27.3.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129 und Kt. 10, Fol. 126. 98 Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 15.1.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 99 Im Winter 1899 wurde Johann Harrach von seinem Sohn Otto und 1900 von seinem „geisteskranken“ Sohn Karl und dessen Gesellschafter begleitet; Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 17.1.1899, in: AVA, FAH, Kt. 857; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1900 (12. Januar), in AVA, FAH, Kt. 886, Privates Otto; Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Abbazia, 9.8.1900, 2.10.1902, Spalato, 14.8.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127; Ernst Harrach an Vetter Franz, Prugg, 15.8.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1017; Anna Henneberg an ihren Vater Johann Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 21.10.1902, in: AVA, FAH, Kt. 891. Im Rahmen seiner Sommerreise nach Dalmatien machte Johann einen kleinen Abstecher ins krainische Römerbad (Rimske Toplice im heutigen Slowenien), das für seine Heilquellen bekannt ist; Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Römerbad, 21.8.1900, in: ebd. 100 Georgiev, Až do těch hrdel, 325. 101 Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Wien, 14.6.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127. 102 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Ragusa, 11.12.1912, Wien, 11.4.1913, in: ebd., Kt. 10, Fol. 126; Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 2–3.

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3. Wohnsitz und Mobilität

Atemwege- und Herzbeschwerden und brachen daher 1900 bis 1914 für mehrere Wochen oder gar Monate dorthin auf. „Wir gehen jedes Jahr über den Winter nach dem Süden“, schrieb Gottlieb an seinen Schwager Otto Harrach im Dezember 1911.103 Die Reise bzw. Übersiedlung in den Süden konnte dabei ganz unterschiedliche Formen annehmen: eine Thermalkur für Gottlieb im April 1901 in Brixen, eine gemeinsame, fast zweimonatige Reise im Februar/März 1903, die unter anderem eine Schiffsreise von Fiume (Rijeka) nach Ragusa, zweiwöchige Aufenthalte in Ragusa und in Abbazia, mehrtägige Aufenthalte in Triest, Venedig, Verona, Meran und Innsbruck beinhaltete, oder die Übersiedlung für drei bis vier Monate im Winter und Frühling (Dezember/Januar bis März/April) von 1908 bis 1914 nach Görz (Küstenland), Gries bei Bozen und Meran.104 Die Luftkurorte Südtirols zählten zu den bevorzugten Kurzentren Österreichs.105 Brixen, Meran und vor allem Gries bei Bozen zogen Adelige wie Bürger an, wobei die Forschung über Gries gezeigt hat, dass eine größere Anziehungskraft von der Präsenz des Adels als von jener des Bürgertums ausging.106 Das Küstenland diente den Hochadeligen nicht nur als Reiseziel und beliebter Aufenthaltsort, vor allem im Winter und Frühling, sondern auch als Zwischenstation für Reisen nach Ägypten, wo das trockene Klima für Personen mit Lungenerkrankungen geeignet war und deswegen von den Ärzten empfohlen wurde.107 Ägypten war seit den 1880er-Jahren das liebste Reiseziel für Adelige aus Großbritannien, die nach einem milden Klima im Winter und prunkvollen Hotels trachteten.108 Diesem 103 Gottlieb Henneberg an seinen Schwager Otto Harrach, Görz, 15.12.1911, in: AVA, FAH, Kt. 857. 104 Gottlieb Henneberg an seinen Schwager Otto Harrach, Brixen, 16.4.1901, Abbazia, o. T. 3.1903, Meran o. T. 5.1909, Görz, 16.3.1910, in: ebd.; Anna Henneberg an ihren Bruder Otto, Görz, 6.1.1909, Wien, 27.1.1902, Hradek (Schüttenhofen), o. T. 11.1912, o. T. 3.1914, und an ihren Vater Johann Harrach, Gries, 8.2.1908, in: AVA, FAH, Kt. 857, 891. Im Rahmen ihres Aufenthalts in Görz begleitete Gottlieb im März 1911 seinen „geisteskranken“ Schwager Karl Harrach samt seinem Gesellschafter auf eine Reise nach Triest, Abbazia, Pola und auf die Insel Brioni; Anna an ihren Bruder Otto, Görz, 5.3.1911, 16.3.1911, in: AVA, FAH, Kt. 857. 105 Ferdinand Tremel, Der Binnenhandel und seine Organisation. Der Fremdenverkehr, in: Wandruszka / Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie, Bd. 1, 396. 106 „Hochadel, Künstler und gekrönte Häupter bildeten ... alleine durch ihre Anwesenheit am neu entdeckten Kurort selbst wieder den Auslöser für neuen Gästezustrom. Sie werden auch mit Stolz in den jeweiligen Ortführern und Kurlisten erwähnt“, Patrizia Peintner, Gries bei Bozen 1838-1914. Vom ländlichen Weindorf zum bürgerlich-mondänen Kurort, Diplomarbeit, Wien 1995, 31, 73 u. 84. 107 Basch-Ritter, Die k. u. k. Riviera, 69–70; Hickel, Zur Kur, 138. Gottlieb Henneberg fuhr von Görz nach Triest, um seine Schwester Hedwig und ihren lungenkranken Gatten Josef vor ihrer Abreise nach Kairo zu verabschieden. Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Görz, 12.3.1912, in: AVA, FAH, Kt. 857. 108 Vgl. Cannadine, The Decline, 372.

3.2 Auf Kur und Reisen

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Trend folgten auch altösterreichische Hocharistokraten wie Karl IV. zu Schwarzenberg, der 1890 eine lange Reise nach Ägypten machte.109 Ernst Harrach, Johanns jüngster Sohn, liefert uns einen interessanten Fall für einen den Süden und Afrika bereisenden österreichischen Adeligen. Wegen der Lungenerkrankung seiner Frau Elisabeth, geborene Gräfin Preysing, die kurbedürftig war, weilten sie im Oktober 1910 in Abbazia. Nach einem zweimonatigen Aufenthalt in der adriatischen Winterstation setzten sie im Dezember nach Ägypten über, wo sie fast vier Monate verbrachten, bevor sie abermals zur Frühjahrskur (April/Mai 1911) nach Abbazia zurückkehrten.110 Ein bei den Harrach weniger beliebter Kurort im Küstenland war das zwischen Triest und Venedig gelegene, 1892 zum kaiserlich und königlichen Seebad ernannte Grado, das hinter Abbazia auf dem zweiten Platz der Adria-Kurorte stand.111 Nach einem ersten Aufenthalt im März 1910 wurde Grado von Otto und Karoline Harrach als Frühsommer-Ferienort für ihre Kinder gewählt, vor allem zur Stärkung des siebenjährigen Hans.112 Ende Juni machte jedoch den Zentraleuropäern die Hitze zu schaffen, sodass der enttäuschte Otto beschloss, die Rückreise ins angenehm kühle Strkow in Böhmen anzutreten.113 In Deutschland

Wenn es um sommerliche Seebäder ging, bevorzugte Otto Harrach die deutschen Nord- und vor allem Ostseebäder. Im Briefverkehr mit seinem Vater wird sein zehntägiger Aufenthalt 1898 auf Norderney, einer der Ostfriesischen Inseln in der Nordsee, die Anfang des 20. Jahrhunderts zum Seebad mit Weltruhm wurde, erwähnt.114 Die 109 Zdeněk Bezecný, Karl IV. zu Schwarzenberg. Das Leben eines Adeligen im 19. Jahrhundert, Les Noblesses de Bohème et de Moravie au XIXe siècle. Études Danubiennes, XIX (1–2), 2003, 98–99. 110 Briefe an Otto Harrach von seinem Stiefbruder Ernst, Abbazia, 21.4.1911, und seiner Schwester Anna Henneberg, Görz, 16.3.1911, in: AVA, FAH, Kt. 859, 857; Ernst Harrach an Tante Anna, Abbazia, 9.10. und 4.11.1910, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 33, Fol. 558. 111 Basch-Ritter, Die k. u. k. Riviera, 14; Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und Seebäder, 81–83 und 128. Über Abbazia und Grado hinaus geben Basch-Ritter und Pozdena-Tomberger auch über andere Seebäder und Reiseziele an der österreichischen Riviera (Küstenland und Dalmatien) wie Triest, Ragusa, Fiume, Pola, Portorose, Lusin und Brioni Auskunft, die im beginnenden 20. Jahrhundert vor allem im Rahmen von Ausflügen aus Abbazia, Grado oder Görz von mehreren Adeligen, den Harrach miteinbezogen, frequentiert wurden. 112 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Maria Theresia, Lemberg, 9.3.1910, Anna, Hradek (Schüttenhofen), 16.7.1911, und seiner Gattin Karoline, Grado, 14.6.1911, in: AVA, FAH, Kt. 858, 857, 856; Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 15.5.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 113 Otto Harrach an Onkel Alfred, Grado, 21.6.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 114 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Norderney, 31.7.1898, in: AVA, FAH, Kt. 893. Zum Seebad

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3. Wohnsitz und Mobilität

letzten Jahre vor dem Ersten Weltkrieg frequentierten die Harrach die Ostseebäder. So verbrachte Otto allein zwei Wochen im August 1909 im vorpommerschen Bad Misdroy (heute Międzyzdroje in Polen) auf der Insel Wollin, einem der führenden deutschen Seebäder um die Jahrhundertwende.115 Als Familiendestination im August 1910 und 1913 fiel Harrachs Wahl auf Heiligendamm (Mecklenburg-Schwerin), den ältesten Seebadeort Deutschlands, bekannt als die „Perle der Ostseebäder“116. Karoline mit Kindern und Otto (ab der zweiten Augustwoche) hatten beim zweiten Aufenthalt in Heiligendamm Ottos Schwester Maria Theresia Wisniewski und ihren Sohn Hans als Gesellschaft, die schon vorher eine Woche im österreichisch-schlesischen Bad Karlsbrunn/Karlova Studánka verbracht hatten.117 Doch auch die kontinentalen Kur- und Badeorte im Deutschen Reich hatten es den Harrach angetan. Bei seiner Rückreise von Paris nach Wien Ende Juni 1900 versäumte Otto nicht, für einen Tag einen Zwischenstopp im berühmten Baden-Baden einzulegen, „um in der dortigen prächtigen Badeanstalt zu baden“.118 Den August 1908 verbrachte er in Bad Wildungen, einem Heilbad von europäischem Rang in Nordhessen,119 während seine Pläne für den Sommer 1912 darauf hinausliefen, sich abermals ohne Frau und Kinder mindestens vier Wochen lang im zum königlich bayerischen Staatsbad erhobenen Bad Reichenhall zu erholen.120 Ottos Frau kurte ihrerseits allein im Juni 1918 in Bad Liebenstein (Sachsen-Meiningen), Thüringens ältestem Heilbad, wohin Ottos Schwester Anna Henneberg im Sommer 1914 für drei Wochen ihrem Augenarzt Dr. Wiser gefolgt war.121 Norderney siehe Richard Pott: Die Nordsee. Eine Natur- und Kulturgeschichte. Norderney – Eine Mod‑ ellinsel für den umweltverträglichen Tourismus, München 2003, 243ff., zit. in https://de.wikipedia. org/wiki/Norderney (abgerufen am 10.4.2016). 115 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek, 9.8.1909, in: AVA, FAH, Kt. 858. Zu Misdroy siehe Die Deutschen Ostsee-Bäder, hg. vom Verband Deutscher Ostsee-Bäder, Berlin 1913, 161–167 und https://de.wikipedia.org/wiki/Mi%C4%99dzyzdroje (abgerufen am 10.4.2016). 116 Die Deutschen Ostsee-Bäder, 65–66. 1912 wurde Heiligendamm von 2157 Gästen aufgesucht. 117 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Margarethe, Neupernstein 25.8.1910, Maria Theresia, Krystynopol, 23.6. und 12.7.1913, Karlsbrunn, 25.7.1913, Prag 31.7.1913, Potsdam, 24.8.1913, Gabriele, Balaton, 15.8.1913 und seiner Gattin Karoline, Heiligendamm, 2.8.1913 in: AVA, FAH, Kt. 858, 857, 856. 118 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Paris, 30.6.1900, in: AVA, FAH, Kt. 893. 119 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wilhelmshöhe, 13.8.1908, in: AVA, FAH, Kt. 856. 120 Otto Harrach an Vetter Franz, Prugg, 25.5.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. Zu Bad Reichenhall siehe https://de.wikipedia.org/wiki/Bad_Reichenhall (abgerufen am 10.4.2016). 121 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Neupernstein, 14.7.1918, und Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 11.7. und 9.8.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857. Mit seiner weltbekannten Augenklinik machte der Augenarzt Dr. Graf Wiser Bad Liebenstein vor dem Ers-

3.2 Auf Kur und Reisen

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Der Bedarf an Konsultation und Behandlung bei qualifizierten und anerkannten Ärzten und des Weiteren an spezialisierten Kurorten (wegen Annas Augenentzündung und Gottliebs Herzproblemen) veranlassten das Ehepaar Henneberg, vor dem Krieg öfters nach Deutschland zu reisen. Sie besuchten im Juni 1905 einen Monat lang Jordanbad in Oberschwaben (Württemberg) sowie im August 1908 Ballenstadtbad, während sie wegen der Nähe zur Praxis von Dr. Wiser fast den ganzen Oktober 1912 in Berlin wohnten.122 Otto begab sich wegen seiner Ohrenprobleme ein- oder zweimal jährlich für fünf bis fünfzehn Tage ins Deutsche Reich, um sich in Dresden ärztlich behandeln zu lassen.123 Auf der Rückfahrt von deutschen Bädern und Kurorten legten die Harrach oft einen Zwischenstopp von ein bis drei Tagen in deutschen Städten wie Berlin, Breslau, München und Nürnberg ein. In Italien, Frankreich und sonstigen Destinationen

Fahrten nach Italien waren von Hochadeligen wie den Harrach durchaus zu erwarten. Sie blieben damit der seit dem 16. Jahrhundert bestehenden Tradition der adeligen Kavalierstouren, die einen festen Bestandteil der Erziehung und humanistischen Bildung der jungen Adeligen darstellten, bis ins 20. Jahrhundert treu.124 So machte sich Franz 1892 im Alter von 22 Jahren und sein Cousin Ernst Harrach 1903 mit 24 Jahren nach Italien auf, während Otto Harrach im Dezember 1900 über Venedig nach Rom fuhr.125 Der böhmische Adel scheint unter den jungen, nach Italien reisenden Adeligen stark vertreten gewesen zu sein, wie der Fall des Prinzen Karl IV. zu Schwarzenberg zeigt, der im Rahmen einer großen Tour durch die Welt der Antike im Jahr 1882 mit 23 Jahren Rom, Neapel, Palermo und danach Athen und Troja besichtigte.126 ten Weltkrieg zum Weltbad; siehe http://www.thueringen.info/bad-liebenstein.html (abgerufen am 18.6.2016). 122 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Anna, Ballenstadtbad, 11.8.1908, Hradek (Schüttenhofen), 28.9.1912, Berlin, 22.10.1912, und deren Gatten Gottlieb Henneberg, Jordanbad, 21.6.1905, in: AVA, FAH, Kt. 857. 123 Dies ergibt sich aus seiner Korrespondenz mit seiner Frau sowie mit seiner älteren Schwester Anna, in: AVA, FAH, Kt. 857. Siehe auch Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1913, in AVA, FAH, Kt. 886, (9.–11. und 13.–14. Dezember). 124 Brunner, Adeliges Landleben, 156–157; Michael Maurer, Italienreisen – Kunst und Konfession, in: Bausinger / Beyrer / Korff (Hg.), Reisekultur, 222. 125 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (2. Januar) und 1900 (6.–21. Dezember), in: AVA, FAH, Kt. 886; Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Prino (Italien), 29.10.1903, in: AVA, FAH, Kt. 859. 126 Bezecný, Karl IV. zu Schwarzenberg, 98–99. Ebenfalls nach Italien, wie übrigens auch nach England,

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3. Wohnsitz und Mobilität

Das südwestliche Nachbarland Österreichs war in Adelskreisen zudem ein beliebtes Ziel von Hochzeitsreisen. So begaben sich Otto und Karoline im Januar 1902 für sechs Tage nach Venedig, während Ernst (Ottos Stiefbruder) mit seiner Frau Elisabeth 1906 eine zweimonatige Winterreise bis Sizilien mit Zwischenstationen in Rom und Florenz unternahm, wo sie seinen Eltern, Johann und Maria Theresia Harrach, einen Besuch abstatteten.127 Die Städte Rom, das bis ins 20. Jahrhundert als Hauptwallfahrtort der Katholiken und die Hauptstadt der Welt der bildenden Künste galt, und Venedig, das die erste große Station der Reise nach Italien war, wurden von den Harrach wie auch von vielen ihrer Standesgenossen am häufigsten besucht.128 Neben Rom, Venedig und Florenz reisten die Harrach auch nach Paris, das bereits vor dem 18. Jahrhundert ein traditionelles Reiseziel des deutschen Adels war. Das Vordringen der französischen Sprache in Literatur und Diplomatie, vor allem aber im höfisch-gesellschaftlichen Umgang, die Verbreitung des Ideals eines „galant homme“ und die Anziehungskraft der Theater, der Opern- und Operettenhäuser sowie der Restaurants dürften nicht nur bei altösterreichischen Adeligen wie den Harrach zur Wertschätzung Frankreichs und seiner Hauptstadt beigetragen haben.129 Otto verbrachte mit seiner Frau und deren Kammerjungfer im September 1910 und Oktober 1912 je zwei Wochen in Paris.130 Bemerkenswert war, dass mindestens drei Mitglieder des Hauses Harrach die Weltausstellung von 1900 in Paris besuchten: Johann Nepomuk besichtigte die Ausstellung bereits im April, sein Bruder Alfred und sein Sohn Otto folgten seinem Beispiel im Juni.131 Sie zählten damit zu den 48 Millionen Besuchern, die bei diesem Weltereignis und den damit verbundenen Veranstaltungen dabei sein wollten.132 Die Harrach hatten aber darüber hinaus weitere Gründe, 1900 nach Paris zu reisen, waren sie doch Großgrundbesitzer, Industrielle und Erzeuger der weltbekannten Glaswaren ihrer Fabrik in Neuwelt (Riesengebirge in Böhmen), reiste Fürst Alois Schönburg-Hartenstein; Holub Elfriede, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, Diss., Wien 1964, 33. 127 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1902 (15.–20. Januar), in AVA, FAH, Kt. 886; Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Peggau, 5.4.1906, in: AVA, FAH, Kt. 859. 128 Maurer, Italienreisen, 221–223 und 226–227. 129 Vgl. Thomas Grosser, Tour de France – Frankreich als Ziel deutscher Reisender, in: Bausinger / Beyrer / Korff (Hg.), Reisekultur, 230, 235. 130 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Maria Theresia Wisniewski, Krystynopol, 28.9.1910, und seinem Schwager Gabriel Marenzi, Olmütz, 22.10.1912, in: AVA, FAH, Kt. 858, 857; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1912 (5.–13. Oktober), in: AVA, FAH, Kt. 886. 131 Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Wien, 14.6.1900, Paris, 26.4.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127; Otto Harrach an seinen Vater Johann, Starkenbach, 29.4.1900, Paris, 23.6.1900, in: AVA, FAH, Kt. 893; Weltausstellung Paris 1900, in: AVA, FAH, Kt. 886. 132 Vgl. Helmut Gold, Wege zur Weltausstellung, in: Bausinger / Beyrer / Korff (Hg.), Reisekultur, 322.

3.2 Auf Kur und Reisen

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die bereits auf älteren Weltausstellungen präsentiert worden waren.133 Dabei waren die Harrach keineswegs die Alleinvertreter der österreichischen Aristokratie in der französischen Metropole. „Onkel Ludwig Windisch-Graetz ist mit Familie auch hier“, schrieb Otto Harrach an seinen sich ebenfalls in Paris aufhaltenden Onkel Alfred Ende Juni 1900.134 Doch Frankreich erfreute sich auch wegen seiner Seebäder, vor allem jener an der Riviera (Côte d’Azur), bei den Harrach wie auch bei zahlreichen anderen Adeligen aus Österreich-Ungarn, Deutschland und Großbritannien vor dem Ersten Weltkrieg großer Beliebtheit.135 In den letzten Jahren seines Lebens wählte Johann Nepomuk nach seiner Kur in Abbazia (von Dezember bis März) häufig Cannes aus, um dort den Monat April zu verbringen. Bei einem solchen Aufenthalt im Jahr 1905 leistete ihm sein Sohn Otto 15 Tage lang Gesellschaft.136 Er und seine Frau verbrachten den Juli 1912 an den Atlantikstränden von Pas de Calais, wo Margarethe Windisch-Graetz (Ottos Schwester) mit zwei ihrer Kinder sich den ganzen Sommer über aufhielt.137 Was die Seebäder am Atlantik betrifft, besuchte Otto mindestens einmal Ostende in Belgien (August 1901).138 Die Reisen der Harrach innerhalb Europas bezogen auch die Weltstadt London sowie Moskau und Madrid mit ein. Johann Nepomuk weilte im Mai 1886 in London und im Herbst 1896 in Moskau, seine Tochter Gabriele begab sich im Herbst 1902 mit ihrem Gatten Gabriel Marenzi nach London, während eine der Reisen von Franz Harrach nach Madrid im Herbst 1910 im Briefverkehr mit seinem Vater Erwähnung findet.139

133 So z. B. auf der Weltausstellung von 1876 in Philadelphia (USA). Prämie der Weltausstellung 1876, in: AVA, FAH, R160. 134 Otto Harrach an Onkel Alfred, Paris, 30.6.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 135 Vgl. Cannadine, The Decline, 372; Blackbourn, Fashionable Spa Towns, 19. 136 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (5. April) und Hotelrechnungen Otto Harrachs von seinem Aufenthalt im Gray d’Albion in Cannes, 13.–29.4.1905, in: AVA, FAH. Kt. 886; Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Abbazia, 19.12.1908, Cannes, 20.4.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127. 137 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Olmütz, 2.7.1912, und Margarethe Windisch-Graetz, Pas de Calais, 28.6.1912, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 138 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Schloss Lehenstiefen (Post Pollak), 21.8.1901, in: AVA, FAH, Kt. 858. 139 Briefe an Alfred Harrach von seinem Neffen Otto, Prag, 8.5.1886, und seinem Bruder Johann, Abbazia, 2.10.1902, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129, 127; Otto Harrach an seinen Vater Johann, Zelč, 29.5. und 4.10.1896, in: AVA, FAH, Kt. 893; Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Groß Meseritsch, 7.10. und 5.11.1910, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126.

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3. Wohnsitz und Mobilität

Reisen aus familiären, beruflichen und sonstigen Gründen

Baden, Kur und Zerstreuung stellten nicht die einzigen Reisemotivationen der Harrach dar. Es gab Reisen aus beruflichen, familiären oder sonstigen Gründen, die einige Tage oder auch Wochen in Anspruch nehmen konnten. Güterinspektionen, Wirtschafts- und Vermögensangelegenheiten, ein Todesfall oder eine Krankheit in der Familie und natürlich die adelstypischen Jagdexkursionen boten Anlass für zumeist kurze, aber bisweilen auch längere Reisen. Diese Art von Mobilität betraf vor allem den jeweiligen Familienvorstand, der die Familie vielfältig vertreten musste. Als Großgrundbesitzer und Fideikommissverwalter oder als Landtags- bzw. Reichsratsabgeordneter waren sowohl Johann Nepomuk als auch sein Nachfolger Otto häufig unterwegs. Der umfangreiche Briefverkehr zwischen Otto und seiner Gattin Karoline spricht jedenfalls dafür. Wenn es um dringende Familienangelegenheiten ging, übernahm Otto auch Reisen ins Ausland, wie etwa im März 1903 nach Monte Carlo, um mit seiner jüngsten Schwester Margarethe über Geldfragen zu beraten. Trotz der Unruhen und schwierigen Verhältnisse fuhren Otto und sein Schwager Gottlieb Anfang Februar 1918 auf die Silberhochzeit Margarethes nach Salzburg.140 Nachdem Margarethes verschuldeter Ehemann (Franz Windisch-Graetz) von dem Familienrat der Windisch-Graetz gezwungen worden war, ins Ausland abzureisen, stand ihm ein umfangreiches Reiseprogramm bevor. Auf der Suche nach einem beruflichen Neueinstieg bzw. in Ausübung von mehr oder weniger standesgemäßen Berufen wie Offizier oder Vertreter des Handelsministeriums im Ausland machte Franz mehrere lange Reisen und hielt sich monate‑, ja sogar jahrelang in verschiedenen Ländern Westeuropas und Amerikas auf, zum Großteil begleitet von seiner Familie. In verschiedenen Briefen wird über mehrere Reisen und Aufenthalte berichtet. So fuhr Margarethe mit Franz und den Kindern im April 1902 nach Südamerika; im Mai 1903 begab sie sich nach Frankreich und dann nach England, in Januar 1905 befand sie sich in Rio de Janeiro (Brasilien) und im Sommer 1907 in der Schweiz. Franz reiste von April bis August 1910 nach New York, San Salvador, Nicaragua, Guatemala, Ecuador, über Peru und Bolivien nach Argentinien und dann nach Chile und 1911 bis 1914 mehrmals nach Paris, wo er auf jeder Reise ein paar Wochen bis 140 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Wien, 30.3.1903, und seiner Schwester Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 8.2.1918, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857. Von 1910 bis 1914 ließ Gottlieb Henneberg seine Frau Anna, geborene Harrach, jährlich zwei bis drei Wochen allein in Görz oder Gries bei Bozen zurück, um seine kranke Schwester im Familienschloss Hartenberg (Böhmen) zu besuchen und dabei auch seine Güter in Hradek (Schüttenhofen) zu besichtigen; Anna an ihren Bruder Otto, Görz, 20.2.1910, 21.1.1911, 27.1.1912, Gries, 13.1. und 20.3.1913, 8.2.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857.

3.2 Auf Kur und Reisen

179

wenige Monate verbrachte.141 Margarethe reiste Ende August 1916 mit Marie, Franz und Ferdinand nach Krakau, um ihren Gatten an der Ostfront zu sehen.142 Ebenfalls an die Ostfront reiste mindestens zweimal ihre Schwester Gabriele, um so viel Zeit wie möglich mit ihrem Gatten, dem Kavallerieoffizier Graf Gabriel Marenzi, zu verbringen.143 Seine dienstlichen Verpflichtungen wie Übungen und Manöver während der letzten Vorkriegsjahre hatten der geborenen Gräfin Harrach die Gelegenheit geboten, ihren Gatten auf kurzen Dienstreisen – meistens per Auto – innerhalb der Monarchie zu begleiten. So unterrichtete Gabriele ihren Bruder (Otto) über die vier bis vierzehn Tage dauernden Reisen und Ausflüge nach Rzeczow und Tarnow (Galizien), nach Laibach, Brünn und an den Balaton.144 Karoline Harrach, geborene Prinzessin Öttingen, ist ein interessantes Beispiel für die weibliche Reisetätigkeit aus familiären Gründen. Wiederholt besuchte sie ihre Schwester Mathilde (Mettl), die sich von 1909 bis 1914 wegen ihres Nervenleidens in verschiedenen Sanatorien und Heimen in Österreich und Deutschland aufhielt. In diesem Zeitraum reiste Karoline mindestens viermal ohne Kinder und Otto nach Meran (Tirol), München, St. Blasien im Schwarzwald und Schloss Wallerstein in Bayern, um ihre Schwester zu sehen.145 Auch Ernst Harrachs Frau Elisabeth, geborene Preysing, reiste von 1915 bis 1918 des Öfteren allein nach München, um ihrer Mutter bzw. ihrer kranken Schwester einen Besuch abzustatten,146 während Maria Theresia Wisniewski, geborene Gräfin Harrach, zwischen 1906 und 1909 große Strecken von Galizien nach Hradek (Nechanic) zurücklegte, um ihrem kranken Vater und Familienchef bis zu zwei Monate lang Gesellschaft zu leisten.147 141 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 9.4.1902, 18.5.1903, 29.1.1905, Gabriele Marenzi, Lemberg, 30.6.1907, Margarethe Windisch-Graetz, Neupernstein, 13.8. und 25.8.1910, 21.5.1913, 6.2. und 26.8.1914, Wien, 12.11.1911, und seinem Schwager Franz Windisch-Graetz, Zürich, 16.11.1909, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 142 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Neupernstein, 3.9.1916, in: AVA, FAH, Kt. 858. 143 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Wels, 24.11. und 6.12.1915, Kronstadt, 26.6.1917, Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 8.2.1917, und seinem Schwager Gabriel Marenzi, Kronstadt, 21.5.1917, in: AVA, FAH, Kt. 857. 144 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Mielec, 8.3.1910, Olmütz, 9.2.1911, 11.5.1912, Laibach, 26.2.1911, Balaton, 15.8.1913, Wels, 1.6.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857. 145 Otto Harrach an Onkel Alfred, Strkow, 11.7.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129; Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Meran, 1.4.1909, St. Blasien, 12.7.1909, Schloss Wallerstein, 5.11.1909, München, 15.3.1914, in: AVA, FAH, Kt. 856. 146 Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Wien, 10.9.1915, 3.12.1919, Schindelthal, 3.12.1917, Landhaus Harrachsdorf, 30.4.1918, in: AVA, FAH, Kt. 859. 147 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 24.9.1906, Lopatyn (Galizien), 28.7.1908, Hradek, 24.9.1908, 18.7. und 8.9.1909, in: AVA, FAH, Kt. 858.

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3. Wohnsitz und Mobilität

Reisende und Reisebedingungen Profil der Reisenden

Viel auf Reisen zu sein, sei es aus gesundheitlichen oder familiären Gründen, sei es zum Vergnügen oder zur Erholung, war vom ausgehenden 19. Jahrhundert bis zum Zweiten Weltkrieg im Gegensatz zu heute keineswegs allgemein üblich.148 Reisen und lange Kuraufenthalte dürften also ein beträchtliches Indiz sozialer Distinktion gewesen sein. Wer außer dem Adel und dem (Groß‑)Bürgertum konnte sich solche langen und wiederholten Abwesenheiten vom heimischen Herd leisten? Und obwohl die Bäder- und Kurreisen vor dem Ersten Weltkrieg kein Privileg des Adels mehr waren, sondern sich auch beim Großbürgertum großer Beliebtheit erfreuten, können sie als ein fixer Bestandteil der Adelskultur betrachtet werden, die eine gewisse Exklusivität gewährleistete.149 Wie wir bereits erfahren haben, bereisten alle Mitglieder der Harrach’schen Familie und Verwandtschaft vor allem Bade- und Kurorte und bildeten damit unter den Familien des mitteleuropäischen Hochadels wohl keine Ausnahme. Doch unser Einblick in die Reisen bringt in Bezug auf die Stellung der Reisenden in der Familie und das Geschlecht nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch feine Unterschiede innerhalb des adeligen Milieus zum Vorschein. Die Führung einer hochadeligen Familie bzw. die Position in ihr, der Fideikommiss- bzw. Großgrundbesitz, die Höhe der Apanagen und des Vermögens dürften in diesem ohnehin exklusiven Milieu dazu geführt haben, dass es gewisse Unterschiede gab, was die Reisemöglichkeiten der einzelnen Familienmitglieder betraf. Das konnte in der Auswahl der Bestimmungsorte, der Unterkunft oder in der Häufigkeit der Reisen zum Ausdruck kommen. Es ist insofern kein Zufall, wenn fast ausschließlich Familienoberhäupter bzw. Fideikommissbesitzer oder zumindest sehr begüterte Söhne und ihre Familien, die den Namen Harrach trugen, wie etwa Johann Nepomuk, Otto, Alfred, Franz und Ernst Harrach, aber auch ihre Verwandten und Freunde im Hochadel, etwa Stanislaus Wisniewski, Karl Öttingen, Maximilian Attems-Gilleis, Franz Czernin, Jaroslav Lobkowitz, Vincenz Thurn-Valsassina und Alois Schönburg-Hartenstein, regelmäßig in namhafte Bäder und Kurorte im In- und Ausland fuhren oder exklusive Reiseziele besuchten.150 148 Vgl. Sandgruber, Ökonomie und Politik, 284–285. 149 Hickel, Zur Kur, 9, 15; Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und Seebäder, 31–32; Niel, Vorwort, 7. 150 Briefe an Otto Harrach von Maria Theresia Wisniewski, Karlsbrunn, 25.7.1913, Prag, 31.7.1913 (Kt. 858), Karl Öttingen, Wallerstein, 27.8. 1908 (Kt. 865), Maximilian Attems-Gilleis, Karlsbad, 2.6.1913, Wien, 8.6.1916 (Kt. 860), Franz Czernin, Schönhof, 22.10.1912, 6.4.1918, Teplitz,

3.2 Auf Kur und Reisen

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Aber selbst weniger reiche Adelige pflegten im Verhältnis zu Mittel- oder Kleinbürgern mindestens bis 1918 ziemlich exklusiv zu reisen. Gabriel und Gabriele (geb. Harrach) Marenzi beispielsweise begnügten sich in der Regel mit Zielen innerhalb der Monarchie, was auf die Militärkarriere Gabriels zurückzuführen ist. Auch suchten sie in der Regel keine erstrangigen Bäder auf. Dennoch hoben sie sich durch die wochenlangen Sommerferien in verschiedenen Kurorten und adeligen Schlössern weitab von Marenzis Regiment von der Mehrheit der bürgerlichen Offiziere ab.151 Reisen war bei den Harrach wie generell im Adel keine geschlechtsspezifische Aktivität. Auch Frauen pflegten, wenngleich etwas weniger, wie ihre Männer auf Reisen zu gehen. Über die gemeinsamen Unternehmungen hinaus kam es oft zu getrennten Reisen und Kuraufenthalten, die freilich infolge der Begleitung der Adeligen, in erster Linie der Frauen, durch mindestens einen Diener oder eine Dienerin gewiss nicht mit „Alleinreisen“ zu verwechseln sind. Wenn auch im Rahmen der Familie geregelt und im aristokratischen Milieu anerkannt, können Frauenreisen als Ausdruck einer gewissen, freilich eingeschränkten Emanzipation und weiblicher Exklusivität gegenüber Frauen aus anderen sozialen Schichten, namentlich bürgerlichen Frauen, betrachtet werden.152 Wir sind auf Fälle gestoßen, in denen zwei Eheleute zeitgleich, noch während des Krieges 1914–1918, in zwei verschiedenen Bädern kurten, wie etwa Otto und Karoline Harrach, Gottlieb und Anna Henneberg, Stanislaus und Maria Theresia Wisnieswski. Karoline und Elisabeth Harrach reisten ohne Otto und Ernst, manchmal auch ohne die Kinder, zu ihrer Verwandtschaft nach Bayern, Maria Theresia, die sich gewöhnlich in Galizien aufhielt, besuchte ihre Geschwister in Böhmen und Niederösterreich, und Gabriele Marenzi wurde als Offiziersfrau während des Krieges nur selten von ihrem Gatten begleitet. Unterkunft und Transport

Reisen und Kuraufenthalte waren mit zwei unabdingbaren Voraussetzungen verbunden: einer Unterkunft und einem Verkehrsmittel. Das Mieten eines bzw. mehrerer Zimmer in einem guten Hotel oder in einer Pension oder auch gleich einer Villa, 25.3.1919 (Kt. 861), Jaroslav Lobkowitz, Franzensbad, 2.9.1916, 8.8.1918 (Kt. 864), und Vincenz Thurn-Valsassina, Marienbad, 3.8.1918 (Kt. 867), in: AVA, FAH; Holub, Fürst Alois SchönburgHartenstein, 117. 151 „Die Armee gewährte ziemlich großzügig Urlaub, und wer es sich leisten konnte, vor allem Aristokraten, verbrachte mehr Zeit weit weg von seiner Einheit als bei dieser. Zum Leidwesen der Offiziere verfügten nur wenige über ein privates Vermögen, und ihre Gage erlaubte ihnen nur einen spärlichen Luxus“, so Deák, Der k. (u.) k. Offizier, 135. 152 Vgl. Diemel, Adelige Frauen, 101, 213–214.

182

3. Wohnsitz und Mobilität

und zwar auf längere Zeit, konnte sich die überwiegende Mehrheit der mitteleuropäischen Bevölkerung bis in die Zwischenkriegszeit nicht leisten. Dies war ein Privileg der Wohlhabenden, zu denen ohne Frage auch Adelige zählten. So wohnten z. B. Otto Harrach im „Fürstlichen Badehotel“ in Bad Wildungen, Hessen, im Hotel Bristol, Unter den Linden, in Berlin, im Hotel Bellevue in Dresden, im Grand Hotel Leinfelder in München oder im Hotel Gray d’Albion in Cannes. Mit Karoline und den Kindern weilte er in der Villa Mauritia in Abbazia, im Kurhaus Heiligendamm (Pommern) und im Hotel Palace in Berlin. Stanislaus Wisniewski nahm Unterkunft im Hotel Kontinental in Karlsbad, Ernst Harrach, Ottos Stiefbruder, und seine Frau Elisabeth wohnten fast zwei Monate lang im Hotel Stefanie und in der Villa Maurelia in Abbazia, im Hotel Semiramis in Kairo sowie im Palace Bellevue in Bern, Schweiz, wie sich unter anderem an der Adresse des Briefabsenders ablesen lässt.153 Das von der Südbahngesellschaft in den 1890er-Jahren in Abbazia erbaute Hotel Stefanie wurde als feudal bezeichnet, während die Wohnqualitäten der dortigen Villen kaum zu unterschätzen sind, da nach Zeitungsberichten selbst die deutsche Kaiserin 1893 in einer Villa wohnte, und zwar der Villa Angiolina.154 Das Niveau der Luxushotels in Paris war so hoch, dass selbst ein viel gereister Aristokrat wie Johann Nepomuk Harrach vom Elysée Palace Hotel schwer beeindruckt war: „Da setze ich als Eremit in das prachtvolle Hotel, das schönste das ich bis jetzt gesehen habe“, vertraute er im April 1900 seinem Bruder an.155 Von Otto an seinen Vater gesendete Briefe zeigen jedoch, dass preisgünstige Unterkünfte gesucht und geschätzt wurden – freilich unter der Bedingung, dass sie standesgemäß waren. „Ich habe jetzt ein sehr gutes, nicht teures Zimmer in einer Villa in Kaiserstrasse gefunden, wo ich nun 8 Tage bleiben will“, schrieb er im Juli 1898 aus dem deutschen Nordseebad Norderney, während er Ende Januar 1900 in 153 Otto Harrach an Onkel Alfred, München, 12.8.1899, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129; Hotelrechnungen Otto Harrachs von seinem Aufenthalt im Gray d’Albion in Cannes, 13.–29.4.1905, in: AVA, FAH. Kt. 886; Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Wilhelmshöhe, 13.8.1908, Hradek, 21.8.1909, Abbazia, 25.2.1910, Heiligendamm, 2.8.1913, von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Lemberg, 16.1. und 8.2.1909, Maria Theresia Wisniewski, Karlsbrunn, 25.7.1913, Prag, 31.7.1913, und seinem Stiefbruder Ernst, Bern, 17.6.1919, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857, 858, 859; Ernst Harrach an Tante Anna, Abbazia, 9.10. und 4.11.1910, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 33, Fol. 558. 154 Basch-Ritter, Die k. u. k. Riviera, 67–70; Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und Seebäder, 74–75. Eine kleine Villa mit Schlafzimmer, kleinem Salon, Dienerzimmer und Speisezimmer im billigeren Görz kostete 1910 für 5 Monate 2500 Kronen; Gottlieb Henneberg an seinen Schwager Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 11.11.1910, in: AVA, FAH, Kt. 857. 155 Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, Paris, 26.4.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127.

3.2 Auf Kur und Reisen

183

München ins Hotel Russischer Hof umzog, um zum selben Preis (20 Mark) wie im früheren Hotel zwei Zimmer und einen Bedienten zu haben.156 Nach einigen Monaten äußerte sich Otto negativ über einen „elenden Gasthof“ in Göggingen, einen Vorort Augsburgs (Schwäbisches Bayern), wo er seines gebrochenen Fußes wegen hingefahren war, um einen berühmten Bandagisten der orthopädischen Heilanstalt aufzusuchen. Da es sich um das einzige Gasthaus im Ort handelte, blieb ihm jedoch keine andere Wahl.157 Verkehrsmittel und Transportbedingungen bestimmten die Reisequalität und sollten zur Bestätigung bzw. Demonstration der hohen sozialen Stellung und Exklusivität der reisenden Adeligen beitragen. Schon seit den 1870er Jahren konnte man, nachdem 1876 die österreichische Schlafwagengesellschaft gegründet worden war, mit dem Zug salonfähig in einen Badeort oder in die Sommerfrische verreisen. Luxus und Bequemlichkeit waren im Zug nur in der ersten Klasse zu finden. Von Karlsbad verkehrten im beginnenden 20. Jahrhundert direkte Wagen, Speisewagen und Schlafwagen in alle Richtungen.158 Es ist merkwürdig, dass in der Korrespondenz von Otto Harrach vor 1914 deutlich weniger über die Reiseverhältnisse bei der Eisenbahn enthalten ist als nach 1914. Es scheint, als ob Luxus und die erste Klasse im Zug vor dem Krieg für die Grafen Harrach und ihre Standesgenossen etwas Selbstverständliches gewesen wären. Aus zwei Briefen Karolines ergibt sich, dass sie bei zwei Frühlingsreisen in den Jahren 1907 und 1914 in einem Halbcoupé bzw. einem Coupé des Orient-Express allein nach München reiste.159 Es behagte ihr bestimmt nicht, als sie sich bei ihrer Rückfahrt von Wilhelmshöhe in Richtung Strkow im August in der Verbindungsbahn auf der Strecke Leipzig–Dresden mit der zweiten Klasse begnügen musste.160 Auch Otto war es sehr wichtig, allein im Coupé zu fahren, wie aus einigen Eintragungen in seinem Tagebuch von 1900 hervorgeht: „6. Oktober Samstag (München–Wien) – 11 Uhr mit Orient Express nach Wien, furchtbar voll mit 1,5 Stunde Verspätung angekommen“. 156 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Norderney, 31.7.1898, München, 27.1.1900, in: AVA, FAH, Kt. 893. 157 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1900 (21. September), in AVA, FAH, Kt. 886. 158 Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und Seebäder, 31; Cartellieri, Karlsbad, 113–114; Becher, Ge‑ schichte des modernen Lebensstils, 211. 159 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 25.4.1907, München 15.3.1914, in: AVA, FAH, Kt. 856. 160 Ebd., Strkow, 14.8.1908; „Hoffe Du hast auch in der II. Klasse geschlafen“, schreibt Karoline an Otto am 4. März 1912, ebd.

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3. Wohnsitz und Mobilität

„6. Dezember (Wien–Venedig) – Vormittag um 11 Uhr fuhr mit dem Nizza-Express ganz allein in meinem Coupe nach Rom ab.“ „21. Dezember Freitag (Rom–Bologna) – Abends Abfahrt von Rom über Florenz nach Wien. Ich hatte mein separates Coupe im Schlafwagen.“161

Welche Bedeutung die adeligen Fahrgäste den Reiseverhältnissen zuschrieben, lässt sich aber erst in der Kriegszeit erkennen, als sich die Reisebedingungen deutlich verschlechterten. Man musste des Öfteren mit Verspätungen, längeren Reisezeiten, überfüllten Waggons und Coupés rechnen. Die Situation scheint im letzten Kriegsjahr und in den ersten Nachkriegsmonaten noch schlimmer geworden zu sein, als die mitteleuropäischen Gesellschaften kurz vor und nach dem Zusammenbruch der Monarchie eine tiefe Krise durchmachten. Unter diesen Umständen lohnte es sich, eine angenehme Reise betont zu erwähnen, während eine durchgeführte bzw. bevorstehende schwierige, gefährliche und für einen Adeligen unvorstellbare Reise Missfallen und Besorgnis erregte oder gar von deren Antritt abgeraten wurde, wie sich aus verschiedenen Briefen an Otto Harrach schließen lässt. Seine Schwester Gabriele etwa schrieb, sie habe im Dezember 1915 Plätze in einem Salonwagen im Zug von Wien nach Budapest reserviert und sei im August 1918 allein in einem großen Coupé von Strkow (Tabor) nach Budweis und mit Gabriel von Wels nach Aschach (OÖ) erträglich, sogar in geheizten Coupés, gereist. Jedoch wies sie die Einladung Ottos, Weihnachten 1918 in Prugg zu verbringen, wegen der widrigen Umstände zurück.162 Maria Theresia dankte ihrem Bruder, da sie auf Zugfahrten mit ihrem Sohn Hans und dem Stubenmädchen seiner Intervention im September 1917 einen Platz in einem separaten Coupé von Starkenbach nach Wien bzw. in einem guten Coupé von Budapest nach Pressburg verdankte.163 Ottos Gattin Karoline zeichnet eher ein negatives Bild. Sie hoffte im Juni 1915, ihr Mann sei „ohne zu überfüllte Coupés in Wien angekommen“. Allerdings konnte sie im Juli 1918 auf einer Reise mit ihren Kindern nach Prag, Tabor und Strkow übervolle Coupés nicht vermeiden. „Bin glücklich nicht nach Hradek reisen zu müssen, da jetzt das Reisen eine Qual ist“, schrieb Karoline im Dezember 1916.164 Eine wahre Zumutung muss die Fahrt von Gräfin Hedwig 161 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1900, in: AVA, FAH, Kt. 886. 162 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Wels, 6.12. und 24.11.1915, 5.12.1918, Hradek (Schüttenhofen), 8.8.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857. „Elisabeth Perreira machte furchtbare Beschreibungen von der Reise von Wien. Wir verloren die Courage“, schrieb Gabrielle am Weihnachtstag 1918. 163 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Wien, 6.9.1917, Lemberg, 19.9.1917, in: AVA, FAH, Kt. 858. 164 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Strkow, 21.6.1915, 16.7.1918, Prugg, 4.12.1916, in: AVA, FAH, Kt. 856.

3.2 Auf Kur und Reisen

185

Wallis, der Nichte von Gottlieb Henneberg, vor Weihnachten 1917 von Linz nach Hradek/Schüttenhofen (Südböhmen) gewesen sein, die zwei Tage und eine Nacht dauerte, ebenso wie die vielen Stunden, die August Lobkowitz im Januar 1919 auf einer Reise im Viehwagen nach Budweis zubringen musste.165 Neun Jahre zuvor, im November 1910, hatte der Stiefbruder Ottos, der ein recht exklusives aristokratisches Leben ohne jegliche berufliche Verpflichtungen führte, seine und seiner Frau Abreise von Triest nach Ägypten im letzten Moment um eine Woche verschoben, weil ihnen „eine mindere Kabine bei der Fahrt nach Port-Said“ gebucht worden war.166 Erste Reisen mit dem Auto, die im frühen 20. Jahrhundert noch vor dem Ersten Weltkrieg in adeligen Kreisen unternommen wurden, waren ohnehin exklusiv. Allerdings diente das Auto in der Regel eher für kurze Fahrtstrecken, für Ausflüge in die Umgebung eines Schlosses usw. Es gibt aber auch Belege für lange Reisen, die wohl wirklich beispiellos waren, wie etwa die Autoreise von Ernst Harrach, der im Herbst 1907 und 1908 auf Jagd nach Siebenbürgen fuhr,167 oder die Reisen des Kavallerieoffiziers Gabriel Marenzi nach Galizien, Mähren, Böhmen bis nach Krain und an die Küste, die jedoch als Dienstreisen von der Armee finanziert gewesen sein dürften.168 Reisen mit dem Zug, mit dem Auto oder per Schiff, auf Kur, in die Sommerfrische oder aus familiären Gründen sowie Aufenthalte jeglicher Art in Hotels, in Villen, Pensionen oder in Schlössern von Verwandten und Bekannten hatten ein gemeinsames Merkmal: Sie fanden stets in Begleitung des Dienstpersonals statt, das sich alle Adeligen leisteten. Fast immer hatten die Herren und Damen auf ihren Reisen und Kuraufenthalten ein bis zwei Dienerinnen und Diener bei sich, und die Anwesenheit von Kindern erhöhte die Zahl der begleitenden Personen. Selbst Gottlieb von Henneberg und seine Frau Anna, geborene Gräfin Harrach, die sich auf Dauer sehr teure Kurorte kaum leisten konnten, wurden bei ihrem fast viermonatigen Aufenthalt im Küstenland vor 1914 von mindestens zwei Dienerinnen oder Dienern begleitet.169 Auch die übrigen Schwestern Ottos hatten stets Dienstpersonal an ihrer Seite, wenn sie allein bzw. mit ihren Kindern während des Krieges auf Reise gingen.170 Die Mög165 Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Anna, Hradek (Schüttenhofen), 3.1.1918, und August Lobkowitz, Wien, 3.1.1919, in: AVA, FAH, Kt. 857, 864. 166 Ernst an Otto Harrach, Abbazia, 18.11.1910, in: AVA, FAH, Kt. 859. 167 Ebd., Hradek, 1.9.1907, Peggau, 12.10.1908. 168 Gabriele schrieb Otto im Juni 1913, dass sie auch in ein kleines Bad in Deutschland wollten, aber die Auslandsreise für Gabriel als Offizier schwierig sei und das Auto zu viel koste. Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Olmütz, 21.6.1913, in: AVA, FAH, Kt. 857. 169 „Heute fahre ich nach Görz mit Diener und Köchin die Wohnung zu übernehmen. Anna fährt nach Wien auf drei Tage in Hotel“, schrieb Gottlieb an Otto am 30. November 1911 aus Budweis, AVA, FAH, Kt. 857. 170 So fuhr Gabriele mit einem Dienstmädchen nach Budapest und Kronstadt, um ihren Mann 1915

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3. Wohnsitz und Mobilität

lichkeit eines Familienchefs wie Otto Harrach, zahlreiches Personal mitzunehmen, lässt sich beim Besuch im Schloss seines Schwagers Gottlieb in Hradek (Schüttenhofen) in Böhmen im Juli 1912 erkennen: Er, seine Frau und ihre Kinder wurden von einem Chauffeur, einer Jungfer, einem Kammerdiener, einem Fräulein sowie einem Kindermädchen begleitet.171 Die zeitliche Dimension

Fast alle bisher genannten Dimensionen der Reisen der Harrach und des mitteleuropäischen Adels im Allgemeinen deuten mehr oder weniger auf eine demonstrativ ausgedrückte Exklusivität hin, für die beträchtliche Summen ausgegeben werden mussten. Reise- und Aufenthaltsausgaben bzw. der damit verbundene Status, also alles, was mit dem Rang des Bestimmungsortes, mit dem Verkehrsmittel und der Zahl der reisenden Personen, das Dienstpersonal mitgerechnet, zusammenhing, dürfte stark von den zeitlichen Bestimmungen geprägt worden sein: Die Dauer, die Häufigkeit und die Jahreszeit der jeweiligen Reisen machten, was das soziale Prestige betraf, gewiss einen erkennbaren Unterschied. Die meisten bisher untersuchten Reisen und Aufenthalte waren lang und dauerten in der Regel ein paar Wochen, in seltenen Fällen sogar einige Monate. Die Badereisen und Kuraufenthalte während der Saison (1./15. Mai bis 15./30. September172) in einem Seebad oder Kurort dauerten zumeist zwei bis drei Wochen, und eine solche Reise war in Adelskreisen nicht die einzige in einer Saison. Otto und Karoline Harrach besuchten im Sommer oft mehr als nur ein Bad. Wie viele Bürgerinnen und Bürger – die übrigen sozialen Schichten waren vor dem Krieg von Sommerfrischen so gut wie ausgeschlossen – konnten sich bis in die Zwischenkriegszeit so lange Aufenthalte leisten? Wohl nur eine dünne Schicht des Großbürgertums in den vornehmsten Badeorten und einige Bürgerliche in eher als bürgerlich angesehenen Bädern. Die Harrach und ihre Standesgenossen, Verwandte oder Freunde zählten sicher nicht zu den Tagesgästen, die seit dem Ende des 19. Jahrhunderts auch in exklusive Bäder zu reisen begannen und aus dem mittel- bzw. kleinbürgerlichen Milieu kamen.173 und 1917 an der Ostfront zu treffen, Maria Theresia hatte auf ihren Reisen in Böhmen, Ungarn und Österreich immer ein Stubenmädchen dabei, während Margarethe trotz der finanziellen Engpässe immer von einer Dienerin und einer Kinderfrau für ihre Kinder begleitet wurde; Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern, 1914–1918, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 171 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 20.7.1912, in: AVA, FAH, Kt. 857. 172 Kósa, Badenleben und Kurorte, 96. 173 Sogar ihre kurze Anwesenheit rief wiederholte Versuche bei den prominenten Gästen hervor, exklu-

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3.2 Auf Kur und Reisen

Der altösterreichische Adel reiste häufig und für längere Zeit, aus unterschiedlichen Gründen, und zwar nicht nur im Sommer. Der Ausbau von klimatischen Winterstationen im Küstenland an der Adria bot im ausgehenden 19. bzw. im beginnenden 20. Jahrhundert den reichen Hochadeligen die Chance, einen guten Teil des Winters weit weg von den eiskalten Gütern und Schlössern Böhmens oder Niederösterreichs zu verbringen. Diese Winteraufenthalte sollten noch exklusiver als eine Kur in renommierten Bädern im Sommer scheinen, und hier fand sich auch kaum das Bürgertum. Die Harrach im Alter, sei es Johann Nepomuk mit Maria Theresia oder Alfred mit Anna, zählten mit über zwei‑, ja sogar über dreimonatigen Aufenthalten von Dezember bis April zum kleinen Anteil (etwa fünf Prozent) der Gäste von Abbazia, die vor 1914 mehr als sechs Wochen dort verbrachten.174 Tab. 7: Reisezeit und ‑dauer (Saison: S = Sommer, H = Herbst, W = Winter, F = Frühling / Dauer: T = Tag, W = Woche(n), M = Monat(e))

Dauer

Dauer

Saison

Saison

Anna Henneberg

Franz Dauer

Saison

Ernst Dauer

Saison

Destinationen

Otto Dauer

Saison

Johann

Inland Karlsbad

S/H

2–3 W

Franzensbad

F/S

1–2 W

Semmering

H

Marienbad

S

S

3–4 W

1–2 W F

1–2W

Graz

W

Gries (Bozen)

W/F

3M

Meran

W/F

1W

W/F

2W

Görz

W/F

3M

Triest

W/F

1W

Siebenbürgen Abbazia Grado

H W/F

3–4 M W/F F/S

1–2 W

2–3W

H/F 3 M

1–2 W

sive Zonen innerhalb der exklusiven Bäder abzugrenzen; vgl. Blackbourn, Fashionable Spa Towns, 17. 174 Vgl. Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und Seebäder, 86.

188 Dalmatien und Istrien Ausland Deutsches Reich Bad Wildungen Reichenhall Bad Liebenstein Jordanbad

3. Wohnsitz und Mobilität

S/H/W 2–3 W

W/F

g

3–4 W

g

1–2 W

München

W

1W

Norderney

S

1W

Misdroy Heiligendamm Frankreich

S

2W

S

4W

F

3–4 W S/H

Calais Cannes

3W

4W

Dresden

Paris

W/F

S

2W

S

3W

S

4W

W/F

4T

W/F

4T

2–4 W

S F

2–3 W F

2–3 W

Italien Venedig

H W

5T

W

2W

1 W/2 M

Verona Rom Ägypten Spanien (Madrid)

W/F 3 M

W/F

3M

W/F

2M

H

3W

Quelle: wie Tab. 6

Nach dem Ersten Weltkrieg

Die Reisetätigkeit des altösterreichischen Adels – und somit auch der Harrach – wurde vom Ersten Weltkrieg ziemlich in Mitleidenschaft gezogen. Die Umwandlung des Küstenlandes und Südtirols zu einem wichtigen Kriegsschauplatz der Südfront setzte „dem noblen k. u. k. Kurbetrieb und dem heiter-sorglosen Ge-

3.2 Auf Kur und Reisen

189

sellschaftsleben an der Adria ein unerwartetes, jähes Ende“.175 „Eine Übersiedlung in den Süden wird natürlich unterbleiben“, schrieb Anna an ihren Bruder Otto Harrach im November 1914.176 Es ist daher kein Zufall, dass in der Harrach’schen Familienkorrespondenz während des Krieges keine Angaben zur Kur an der Adria oder zu Reisen nach Ägypten vorhanden sind. Dasselbe gilt für die deutschen Ostseebäder, zum Teil auch für die Kurorte im Binnenland des Deutschen Reiches und natürlich für Reisen in die feindlichen Ländern Italien und Frankreich. Die böhmischen Bäder Karlsbad, Franzensbad und Marienbad wurden hingegen während des Krieges rege besucht, so etwa von Otto und Karoline Harrach, Gottlieb und Anna Henneberg, Franz Czernin, Alois Schönburg-Hartenstein und Alfons Clary-Aldringen.177 Dennoch wurde die Zäsur, die der Krieg und der Zerfall der Monarchie für die adelige Reisetätigkeit bedeuteten, in den 1920er-Jahre nicht ganz überwunden. Die „goldene Ära“ des exklusiven Reisens der Aristokratie bis 1914 konnte unter den neuen, für die einstigen Eliten der besiegten Habsburgermonarchie eher ungünstigen Nachkriegsumständen nur zum Teil, kaum so glänzend und nicht für alle vorher reisenden Adeligen (und Mitglieder des Hauses Harrach) wiederhergestellt werden. Das bis 1914 vornehmste Adriabad Österreich-Ungarns, Abbazia, nach 1918 italienisch, hatte in der Zwischenkriegszeit trotz des Wiederaufbaus wegen einer vollkommen anderen Gästestruktur seinen ehemaligen Reiz eingebüßt. Die einstigen Aristokraten waren keine betitelten Gäste mehr, und selbst der vornehmste Kurort der Monarchie, Karlsbad, bekam trotz seiner privilegierten Stellung selbst in Kriegszeiten die große Depression nach dem Krieg zu spüren.178 Der Bruch mit Gewohnheiten bei Reisen und Kuraufenthalten des altösterreichischen Hochadels bildete im europäischen Vergleich jedoch keine Ausnahme. Selbst bei der einst mächtigsten und einflussreichsten Aristokratie Großbritanniens sind im Zuge des Krieges und danach gewisse Änderungen zu verzeichnen. Immer weniger ließen sich in der Zwischenkriegszeit die von Cannadine bezeichneten „global nobles“ blicken, die vor 1914 Urlaub an der Riviera und an den Mittelmeerküsten 175 Niel, Vorwort, 7. 176 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 7.11.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857. 177 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Strkow, 15.9.1916, seinen Schwestern Anna, Hradek (Schüttenhofen), 13.3.1917, 9.5.1918, und Gabriele, Neupernstein, 14.7.1918, sowie von Franz Czernin, Schönhof, 6.4.1918, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857, 861; Holub, Fürst Alois Schön‑ burg-Hartenstein, 117; Clary-Aldringen, Geschichten eines alten Österreichers, 250. 178 Pozdena-Tomberger, Die Kurorte und Seebäder, 89; Milan Augustin, Karlsbad – ein weltbekannter Kurort, Karlsbad ²1998, 11.

190

3. Wohnsitz und Mobilität

gemacht, den Winter in Ägypten verbracht hatten und in den USA, in Indien oder in Ostafrika auf Jagd gegangen waren.179 Eine gewisse Kontinuität dürfte sich jedoch bei den Harrach und wohl auch bei anderen adeligen Häusern des ehemaligen Habsburgerreiches in der Zwischenkriegszeit – vor allem ab 1923/24 – bewahrt haben. Die a posteriori getroffene und etwas überspitzte Aussage von Stephanie Harrach, Ottos Schwiegertochter, der Ablauf des Lebens in den 1920er‑, 1930er-Jahren habe sich nicht wesentlich geändert, traf wohl durchaus auf die Reisegewohnheiten der nun zwar titellosen, doch nach Selbstbehauptung strebenden Aristokraten zu, wenn auch die Zahl der reisenden Personen, der Destinationen sowie die Reisehäufigkeit und Aufenthaltsdauer im Vergleich zur Vorkriegszeit deutlich zurückgingen.180 Anhand der etwas spärlichen Familienkorrespondenz der Harrach aus der Zwischenkriegszeit zeigt sich für die Reisen und Kuraufenthalte erstens, dass die auf Apanagen, Pensionen und feste Einzahlungen angewiesenen und daher von der Kriegs- und Nachkriegsinflation am härtesten betroffenen Familienangehörigen, nämlich Ottos Stiefbruder Ernst und seine Schwestern, auf Auslandsreisen und lange Kuraufenthalte verzichteten.181 Zweitens waren diejenigen unter den Harrach, die in den 1920er- bzw. 1930er-Jahren weiter reisten und regelmäßig kurten, nämlich Otto und sein Cousin Franz Harrach mit ihren Familien, Großgrundbesitzer und verfügten über ein großes Vermögen und hohes Einkommen. Drittens fällt auf, dass die Ostseebäder, die Kurorte Istriens (mit Ausnahme Abbazias) und Dalmatiens und die Weltstadt Paris nicht mehr besucht wurden. Schließlich beschränkten sich viertens die wenigen Reisen der Senioren nach Abbazia oder an die französische Riviera nunmehr auf ein paar Wochen und nahmen jedenfalls kürzere Zeit als vor 1914 in Anspruch. Wie aber manifestierte sich die begrenzte Kontinuität bei den Reisen der Harrach, die sich nach dem aufbewahrten Briefverkehr zwischen Otto und seinem Cousin Franz bzw. seiner Tante Anna Harrach teilweise rekonstruieren lässt? Otto, der Asthmatiker war, kurte von 1924 bis 1928 fast jedes Jahr für zwei bis drei Wochen ohne bestimmte Jahreszeit im bayerischen Bad Reichenhall. „Mein Asthma war nach 179 Cannadine, The Decline, 343, 377. 180 Siehe Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 181 Ernst Harrach beschränkte sich auf Jagd- und Gastaufenthalte in den Familienschlössern, wo auch Gabriele, Margarethe und Maria Theresia zu Gast waren. Die Finanzlage ihrer Ehemänner, also des früh in den Ruhestand versetzten Gabriel Marenzi, des nach wie vor verschuldeten Franz Windisch-Graetz sowie des durch den Ersten Weltkrieg in Not geratenen Polen Stanislaus Wisniewski, bedeuteten erhebliche Einschränkungen bei der Reisetätigkeit der geborenen Gräfinnen Harrach. Dasselbe betrifft auch Anna, deren Gatte, der böhmische Grundbesitzer Gottlieb Henn von Henneberg, sich von den Bodenreformverlusten offenbar nicht erholen konnte.

3.2 Auf Kur und Reisen

191

der Reichenhaller Kur viel, ja bedeutend besser. Du solltest nächstes Jahr auch nach Reichenhall gehen“, schrieb er an seinen Cousin vor Weihnachten 1924.182 Ob die Älteren ebenfalls den neuen Trends folgten und in erster Linie nicht das Meer, sondern die Berge vorzogen, besonders die modernen Zentren in den Alpen, ist nicht ausreichend dokumentiert.183 Ottos Witwe wählte jedenfalls im Mai 1939 Salzburgs Kurbad Bad Gastein, um dort ihre Bäder zu nehmen.184 Abbazia und die französische Riviera lagen jedoch wie vor 1914 mindestens bis in die späten 1920er-Jahren in Otto Harrachs Gunst an erster Stelle. Im Februar 1927 stand er mit Blick auf die Eisenbahnverbindungen vor dem Dilemma, ob er nach Italien oder nach Frankreich fahren sollte: „Vielleicht werden wir wagen, eine solche Fahrt zu unternehmen statt nach Abbazia zu reisen. Mir bangt nur die Schlafwägen und die zwei Grenzüberschreitungen in Italien. Das einzig Gute bei einer Reise nach Riviera ist dass man in Wien einsteigt ohne umsteigen zu müssen, in Nizza oder sonst wo aussteigt, wogegen man nach Abbazia umsteigen muss.“185

Ähnliche Pläne, nämlich zur selben Zeit an die französische Riviera zu fahren, schmiedete auch sein Cousin Franz,186 also jener Harrach, der die längsten, fernsten und exklusivsten Reisen in der Zwischenkriegszeit unternahm: im Winter/Frühling 1926 nach Ägypten, im Februar 1930 nach Afrika und im Winter/Frühling 1925 und 1928 nach Italien.187 Auf seinen fast dreimonatigen Reisen nach Italien nahm er außer seinen Töchtern auch Ottos Kinder mit, als eine Art Reminiszenz an die traditionellen Bildungsreisen der adeligen Jugend seit der Frühen Neuzeit nach Italien, vor allem nach Rom. Franz’ Nichte (Ernestine) folgte ihm im Alter von 22 bzw. 25 Jahren auf beiden Reisen, während sein Neffe Hans sich mit 24 nach Rom aufmachte. Otto war seinem Cousin sehr dankbar dafür.188 Vor ihrer gemeinsamen Reise nach Rom Anfang 1928 wurden Ernestine und Hans von ihrem Onkel Franz eingeladen, ihm nach Ostern im April 1926 nach Rom entgegenzukommen.189

182 Otto Harrach an Vetter Franz, Prugg, 13.12.1924, Wien, 17.4.1928, und an Tante Anna, Reichenhall, 25.6. und 1.7.1925, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024 und Kt. 35, Fol. 563. 183 Vgl. Augustin, Karlsbad, 11; Clary-Aldringen, Geschichten eines alten Österreichers, 250. 184 Karoline Harrach an ihren Sohn Hans, Bad Gastein, 9.5.1939, AVA, FAH, Kt. 912. 185 Otto Harrach an Vetter Franz, Prugg, 1.2.1927, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 186 Ebd. 187 Ebd., Prugg, 14. und 24.11.1924, 23.4.1925, 4.4.1926, 15.3.1928, 19.1.1930, Wien, 17.4.1928. 188 Ebd., Prugg, 23.4.1925. 189 Ebd., Prugg, 4.4.1926, 15.3.1928, Wien, 17.4.1928.

192

3. Wohnsitz und Mobilität

Sehr wenige Angehörige des Bürgertums, aber auch des Adels hätten sich in den 1920er-Jahren eine so lange Reise leisten können, die wohl als sehr exklusiv gelten musste. Die Krise der 1930er-Jahre hatte gewisse Einschränkungen, vor allem in Bezug auf Reisen ins Ausland, mit sich gebracht. Abgesehen von Italien und Ägypten bzw. Afrika kommen in der Zwischenkriegszeit in der Familie große Auslandsreisen selten vor. Laut Stephanie Harrach musste ihr Mann und künftiger Familienvorstand Hans Harrach während der Wirtschaftskrise der 1930er-Jahre sparen und eine geplante Reise mit einem Freund in die Vereinigten Staaten absagen.190 Das wäre natürlich bis 1914, eventuell bis zum Ende der 1920er-Jahre unvorstellbar gewesen. Die im Familienkreis noch immer erzählte Anekdote über den verschwenderischen Schwager Franz Windisch-Graetz, der noch bis in die späten 1930er-Jahre, wenn er Schnupfen hatte, unbedingt nach Ägypten fahren wollte, dürfte dazu beigetragen haben, dass die vor 1914 überaus exklusiven Verhältnisse den Nachfolgern im Gedächtnis blieben.191

190 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 191 Ebd.



4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Die Wohnverhältnisse, die Kuraufenthalte und die rege Reisetätigkeit der Harrach und ihresgleichen stellten wichtige, jedoch nicht die einzigen Bestandteile ihrer adeligen bzw. sozial exklusiven Lebensweise dar, die zwar bis 1914 ihren Höhepunkt erreichte, doch trotz Einbußen und Einschränkungen bis in die Zwischenkriegszeit fortgesetzt wurde. Eine Vielzahl individueller, familiärer und geselliger Lebensformen bestimmte ihren Alltag auf dem Land und in der Stadt mit. Es handelte sich um Tätigkeiten, welchen die Harrach, traditionstreu und zugleich anpassungsfähig an moderne Trends, nachgingen, um sich zu amüsieren und auszubilden, ihre eigene adelige Kultur zu pflegen oder schlicht und einfach Muße zu finden: Reiten, Autofahren, Spaziergänge in Parks und Gärten, Lesen, Tennisspielen, die Jagd, Teegesellschaften, Gabelfrühstücke, Diners, Soireen, Bälle und sonstige Feste, Theater- und Opernbesuche. Angaben zum Alltag und zur Lebensweise der Harrach, vor allem der Familie des Oberhaupts Otto, bis 1918 wurden den Briefen der Familienkorrespondenz sowie seinem Briefverkehr mit Freunden oder entfernten Verwandten und seinen hinterlassenen Tagebüchern entnommen, während das bruchstückhafte Material aus der Zwischenkriegszeit durch die Aussagen der 1945 verwitweten Stephanie Harrach bereichert worden ist. Dadurch können wir uns mit der Frage der Kontinuitäten bzw. Brüche der adeligen Lebensführung während der turbulenten Jahre des Ersten Weltkriegs und der Nachkriegszeit auseinandersetzen. Briefe und Tagebucheintragungen liefern uns selten ausführliche Informationen über den Ablauf der individuellen und geselligen Tätigkeiten, und auch Reflexionen darüber sind kaum zu finden. Den Verfassern fehlte offenbar die Zeit, um auf Einzelheiten ihres Alltags einzugehen, die in ihren Kreisen ohnehin mehr oder weniger bekannt und selbstverständlich gewesen sein dürften. Bemerkenswert ist allerdings, dass über Zeit- und Ortsangaben der verschiedenen Tätigkeiten und Veranstaltungen hinaus fast immer die Teilnehmer bzw. Gäste aus den Reihen des Hochadels verzeichnet werden.1 1

Dies trifft nicht auf Veranstaltungen mit einer großen Anzahl von Gästen (über 10–15 Personen) zu, etwa eine Soiree, einen Ball oder ein großes Fest.

194

4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

4.1 Privat und im engeren Kreis Individuell bzw. im engeren Kreis gepflegten Freizeitaktivitäten wie Lesen, Klavierspielen, Malen, Spaziergänge, Tennisspielen und Reiten wurde, zumindest im Fall der Erwachsenen, zwar nicht ausschließlich, aber doch eher auf den Landsitzen, weniger während des äußerst geselligen Wiener Aufenthalts in der Saison nachgegangen. Adeligen wie den Harrach blieb dafür in der Haupt- und Residenzstadt einfach zu wenig Zeit. Was die Beschäftigungen im Freien betrifft, waren sie in Wien auch deswegen beschränkt, weil die Saison zum Großteil mit den kältesten Monaten des Jahres zusammenfiel. Schon im Vormärz lebte der Adelige gerade auf dem Land zeitweise auch als „Privatmensch, der sich aus dem ermüdenden obligatorischen Auftreten in der „Öffentlichkeit“ seiner Gesellschaftsschicht zurückzog und sich persönlichen Neigungen widmete“.2 Klavierspielen, Lesen und Dilettieren

Klavierspielen scheint bei den Harrach ziemlich beliebt gewesen zu sein. Otto spielte regelmäßig Klavier während seines Prager Aufenthalts (1888–1892), wo er seine Praxis als Konzepts-Praktikant bei der böhmischer Statthalterei abschloss, während sein „geisteskranker“ Bruder beim stundenlangen Klavierspiel eine innerliche Ruhe gefunden haben dürfte, wie etwa im herbstlichen Zeltsch im Jahr 1900.3 Kurz vor ihrer Hochzeit mit Otto berichtet Karoline Öttingen von täglichem Klavierspiel in Petersburg (Böhmen), um in Übung zu bleiben und nebenbei Spaß zu haben.4 Auch die Lektüre dürfte zum Alltag der Frauen der Familie, vor allem in den Landschlössern, gehört haben. Einige Briefe lassen darauf schließen. Karoline schreibt Ende November 1904 aus Prugg, sie könne nun wieder viel lesen, und zwar das, was sie in den sechs Wochen seit der Geburt ihres Sohnes Johann versäumt habe.5 Sie war übrigens noch mitten im Krieg mit 42 Jahren regelmäßige Abonnentin der Damenbibliothek in der Wiener Wollzeile und bestellte über Otto „gute, einfache Bücher“ zur Ausleihe, um sie in ihrem südböhmischen Landsitz in Strkow während des Spätsommers zu lesen.6 2 Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 151. 3 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (3., 19.–20. Januar und 7., 23. April) und 1900 (12. September), in: AVA, FAH, Kt. 886. 4 Karoline Oettingen an ihren Verlobten Otto Harrach, Petersburg, 12.12.1901, in: AVA, FAH, Kt. 856. 5 „Ich verschlucke ein Buch nach dem anderen“; Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Prugg, 23.11.1904, ebd. 6 Ebd., Strkow, 30.7.1915; einzelne Berichte über das Lesen im Landschloss haben wir auch von der

4.1 Privat und im engeren Kreis

195

Dilettieren in der Malerei war bei den Harrach, Besitzer einer der größten Gemäldesammlungen Österreich-Ungarns, durchaus zu erwarten. In jungen Jahren befasste Otto sich Anfang der 1890er-Jahre in Prag intensiv mit dem Zeichnen und nahm darin sogar Unterricht, während sich sein Interesse für Malerei und Kunst anhand ziemlich vieler Tagebuchzeugnisse über Ausstellungsbesuche und Kunstwanderungen aus den Jahren 1892 und 1905 dokumentieren lässt: Besuch der Ausstellung des tschechischen Malers Antonín Chittussi im Januar 1892 in Prag, der Ausstellung des deutschen Malers Leonhard Diefenbach im April 1892 im Wiener Kunstverein sowie einer Aquarellausstellung im Künstlerhaus und der Wiener Kunstwanderungen im Palais Lanckoronski, in der Akademie-Galerie (Schillerplatz), im Finanzministerium, im Palais Schöller sowie im eigenen Palais Harrach im März 1905.7 Promenaden und Wintersport

Als Herren über mehrere Landschlösser verfügten die Harrach in unmittelbarer Nähe ihres Wohnsitzes über Parkanlagen, Gärten oder Wald und sicherten somit einen direkten und ausschließlichen Kontakt zur Natur für sich selbst und ihre Gäste. Sie hatten seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zur Hochkonjunktur in der Parkgestaltung und im Gartenbau beigetragen, die neue Dimensionen zur Verstärkung der Privatsphäre des europäischen Adels erschlossen haben dürfte.8 Ottos Tagebucheintragungen von 1902 bis 1914 zufolge pflegte er mit seiner Gattin Karoline im Winter und Frühling zumeist nachmittags in den Parks von Prugg und Rohrau wie auch in den Fasanengärten lustzuwandeln. Bei Besuchen in ihren niederösterreichischen Schlössern schlossen sich ihnen auch ihre hochadeligen Gäste an, so etwa die Familie von Vincenz Thurn am 12. Januar 1913 und jene von August Lobkowitz und Louis Karolyi am 27. September 1914 in Prugg.9 Der Prugger Park war über den Winter auch ideal zum Schlittschuhlaufen, Rutschen und Rodeln und deswegen bei Ottos Kindern im Alter von neun bis vierzehn Jahren besonders beliebt, wie ihre Mutter 1914 und 1915 berichtete und selbst ihre Tante Maria Theresia im

7

8 9

in Galizien verheirateten Schwester Ottos Maria Theresia: „Hier still und einsam. Lese ein sehr hübsches Buch“; Krystynopol, 16.8.1903, in: AVA, FAH, Kt. 858. Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (21. Januar, 19. April) und 1905 (15. Januar und 1., 4., 10., 13. März), in: AVA, FAH, Kt. 886. Darüber hinaus standen Museumsbesuche während Auslandsreisen auf der Tagesordnung, wie im Oktober 1912 in Paris, wo Otto und Karoline Harrach mindestens zweimal den Louvre und einmal das Musée Cluny besichtigten; Tagebuch Otto Harrach, 1912 (8., 9., 11. Oktober), in: ebd. Vgl. Dewald, The European Nobility, 89. Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1902 (13.–15. Mai), 1913 (12., 21. Januar), 1914 (4.–7. Februar, 27. September), in: AVA, FAH, Kt. 886.

196

4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Februar 1917 feststellte: „Ich kann mir vorstellen, dass die Kinder die Wintersporte in Prugg sehr genießen und sich nach Wien nicht sehnen“.10 Was Promenaden in der Umgebung der böhmischen Schlösser der Harrach betrifft, wird über zwei Waldspaziergänge Ottos mit Karoline in Strkow im April 1914 berichtet.11 Während Ottos Abwesenheiten unternahm seine Gattin oft allein oder mit ihren Kindern Spaziergänge, sowohl in Rohrau und Prugg (im Herbst) als auch in Strkow (im Sommer).12 Wohnten sie in Wien, ließen Otto und Karoline es sich nicht entgehen, vor allem im März und April gemeinsam in den Prater zu fahren, um dort lustzuwandeln, während Otto ihn zudem im September 1900 und Januar 1905 aufsuchte.13 Damit knüpften sie an eine seit dem Vormärz bestehende Tradition an, als Ausfahrten in den Prater oder Augarten sowie Spaziergänge im Hofgarten nachmittags auf dem Tagesprogramm der Aristokratie standen.14 Dennoch waren Spaziergänge im Frühling in den oft „überfüllten“ Wiener Parks und Gärten, den Prater miteinbezogen, von Karoline während ihres Alleinseins (mit oder ohne ihre Kinder) nicht immer erwünscht, im Gegensatz zu sozial exklusiven Ausflügen, die private Anlagen wie der Schwarzenberg-Park vor allem den adeligen Kindern boten.15 Reiten und Autofahrten

Die Harrach pflegten aber auch einen Bezug zum Pferd und das Reiten, was für den Adel typisch war. Stephan Malinowski hält Pferde neben der Jagd für einen der zwei zentralen Aspekte des adeligen Kulturmodells im Deutschen Kaiserreich. „Junge Adlige, gleich ob Königssöhne, Offizierstöchter oder Gutsbesitzerkinder, lernen den Umgang mit Pferden bereits als Kinder. Zu Pferd wird das Gut inspiziert, vom Pferd aus spricht der Gutsherr zu ‚seinen‘ Leuten, Pferde scheiden auf Jagden die Reitenden von den Gehenden, beim Heer die ‚edlen‘ von den technischen Waffengattungen“.16 10 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Prugg, 6.1.1914, 28.11.1915, und seiner Schwester Maria Theresia, Lemberg, 5.2.1917, in: AVA, FAH, Kt. 856, 858; vgl. auch Tagebuch Otto Harrach, 1914 (5.–7. Februar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 11 Tagebuch, ebd. (21.–22. April). 12 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Rohrau, 20.9.1902, 27.9.1903, 28.11.1907, Prugg, 20.11.1904, Strkow, 30.7.1915, und seinem Sohn Hans, Strkow, 6.8.1916, in: AVA, FAH, Kt. 856. 13 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1900 (9. September), 1905 (17. Januar), 1913 (19., 25. März), 1914 (20. März, 5., 7, April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 14 Vgl. Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 139. 15 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien 12.4.1902, 31.3. und 1.5.1903, 23.4.1908, 5.3.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856. 16 Malinowski, Vom König zum Führer, 64–65

4.1 Privat und im engeren Kreis

197

Marion Gräfin Dönhoff erinnert sich daran, dass die Betreuung der Pferde für adelige Kinder in Ostpreußen noch im frühen 20. Jahrhundert eine große Passion war, während sich die meisten Unglücksfälle beim Reiten ereigneten.17 Alfons Clary-Aldringen deutet in seinen Lebenserinnerungen auf die gewaltige Rolle hin, die Reiten und Jagd in seiner Kindheit im Böhmen der 1890er-Jahre gespielt hatten.18 Dies traf wohl auch für das angehende Oberhaupt der Harrach zu. Noch als 29‑jähriger Praktikant in Prag pflegte Otto von Januar bis April 1892 regelmäßig (6- bis 11‑mal im Monat) nachmittags in der Reitschule zu reiten,19 während die Wahl eines für ihn passenden Pferdes drei Jahre zuvor ein Kernthema in Ottos Korrespondenz mit seinem Vater und seinem Onkel Alfred gewesen war.20 Am ersten Aprilsonntag im Jahr 1892 fuhren Vater und Sohn zum Prager Offiziersrennen, wo Erzherzog Otto und Gemahlin ebenfalls zugegen waren.21 Otto war bereits Mitglied des 1867 in Wien gegründeten „Jockey-Clubs“, der sich auch als eine Art Dachorganisation der Rennvereine und oberste Rennbehörde verstand.22 Seine Frau Karoline berichtet vor 1914 häufig von Ausritten, die sie, ihre Kinder sowie ihre Schwester und Nichte in Prugg unternommen hatten.23 1905 war Maria Theresia Wisniewski mit 40 Jahren noch fleißig in Lemberg zu Pferde unterwegs, und im April 1917 schrieb sie an ihren Bruder, sie könne sich vorstellen, dass Hans, Ottos damals dreizehnjähriger Sohn, das Reiten besonders in der Hofreitschule in Wien sehr genieße.24 Geritten wurde auch im Ausland. Die jüngste Schwester Otto Harrachs, Margarethe Windisch-Graetz, berichtete Ende Juni 1912 aus Pas de Calais in Frankreich, dass ihre Kinder dort die Gelegenheit hatten, viel Sport zu treiben,

17 Vgl. hierzu Dönhoff, Kindheit in Ostpreußen, 77, 85. „Wieder schlechte Vorkommnisse in Familie Preysing (in Bayern). Wieder ein Schwager bei einem Rennen gestürzt und einen Gehirnschnitt“, schrieb Ernst Harrach am 24.11.1906 aus Peggau an seinen Stiefbruder Otto, AVA, FAH, Kt. 859. 18 Clary-Aldringen, Geschichten eines alten Österreichers, 55–56. 19 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (9., 15.,16., 29. Januar, 3., 5.–6., 8., 18.–19., 26. Februar, 4., 7.–8., 11.–12., 18.–20., 22.–24. März, 1.–2., 5., 8., 23., 27. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 20 „Neulich schrieb mir Papa aus Enns, dass Du für mich ein passendes Pferd hättest oder von einem solchen wüsstest, ich bitte Dich daher mich zu benachrichtigen, wann und wo ich es probieren könnte“; Otto Harrach an Onkel Alfred, Wittingau, 13.8.1889, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 21 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (27. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 22 Ebd. (1. Januar); Stekl, Der erbländische Adel, 965. 23 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Prugg, 11.6. und 7.7.1910, 6.5.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856. 24 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 8.5.1905 und 20.4.1917, in: AVA, FAH, Kt. 858.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

besonders zu reiten, wegen des „herrlichen Bodens für Pony und Eseln“.25 Dem Reiten und der damit verbundenen Geselligkeit gaben sich die Harrach, wie die meisten Angehörigen des böhmischen Adels, auch in der Zwischenkriegszeit hin. Als neuer Familienchef zählte Hans Harrach neben Angehörigen der Adelsfamilien Schwarzenberg, Fürstenberg, Auersperg, Czernin, Aehrenthal, Dobrzensky, Deym und Thurn zu den prominenten Gästen Fürst Kinskys, die dem Wiener Salonblatt zufolge am international anerkannten Hindernisrennen in Pardubice (Böhmen) im Oktober 1937 teilnahmen.26 Die Harrach und andere Hochadelige beschränkten sich im angehenden 20. Jahrhundert nicht nur darauf, spazieren zu gehen oder auszureiten, um die Natur zu genießen und sich zu zerstreuen. Ihre Exklusivität kam ab 1905 zusätzlich durch Fahrten mit einem neuen und sehr teuren Verkehrsmittel, dem Auto, zum Ausdruck. Als einer von rund tausend Autobesitzern in Niederösterreich bzw. einigen Hundert in Böhmen unternahm Otto samt Frau (stets mit Chauffeur) im Winter und Frühling 1905 zahlreiche kurze Automobilfahrten vom Stadtpalais in Wiener Parks und Vorstädte wie den Prater, Schönbrunn, Penzing, Kalksburg und Laxenburg, die mit Spaziergängen und Besichtigungen verbunden wurden.27 Die Nutzung des Autos für kurze Strecken wurde rasch auf die Landsitze der Familie ausgeweitet. So wird für den Aufenthalt in Strkow über Autofahrten in Jagdreviere in der Nähe des Schlosses oder ins benachbarte Dirna, um im Juli bzw. September 1905 Franz Thun zu besuchen, berichtet.28 Aus Prugg in Bruck a. d. Leitha unternahm man Ende September 1912 mit Ferdinand und Mira Trauttmansdorff Tagesausflüge nach Pressburg (Bratislava) sowie im Juni 1914 eine dreistündige Fahrt über Pressburg ins „Prachtschloss“ der Grafen Erdödy in Galgolz.29 In seiner Abwesenheit stellte Otto Harrach seiner Frau oft seine Autos für verschiedene Ausflüge, Besuche und Besichtigungen in und um Wien sowie in der näheren und weiteren Umgebung der Familienschlösser in Böhmen und Niederösterreich zur Verfügung. So ist von 1908 bis 1915 von Autofahrten Karolines mit ihren Kindern und manchmal samt Verwandten und deren Kindern aus Prugg nach Eisenstadt (im 25 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Pas de Calais, 28.6.1912, in: ebd., Kt. 859. 26 Glassheim, Noble Nationalists, 122, 124–125. In seiner Eigenschaft als Präsident des Prager Jockey Clubs übernahm Kinsky während der 1930er-Jahre in Pardubice regelmäßig den Posten des Rennvorstands. 27 Vgl. Seper, Österreichische Automobilgeschichte, 163; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (29. Januar, 28. Februar, 9., 12., 18. März, 2. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 28 Tagebuch ebd., 1905 (25. Juli, 11. September), in: ebd. 29 Ebd., 1912 (28. September), 1914 (20. Juni).

4.1 Privat und im engeren Kreis

199

heutigen Burgenland), aus Hradek (Nechanic) nach Königgrätz (Hradec Králové) zwecks Beichte und Kommissionen sowie nach Olmütz, von der Freyung in Wien nach Schönbrunn, in den Wurstelprater, nach Hütteldorf und Dornbach sowie nach Prugg und Rohrau bzw. aus Strkow (bei Tabor) nach Krumau zu lesen.30 Erwähnenswert ist der viertägige Ausflug Karolines mit dem zehnjährigen Hans und der elfjährigen Ernestine im August 1915 in die Harrach’schen Wälder, nach Elbfall und Schneegraben in der Nähe von Starkenbach, in Begleitung des Forstmeisters und Direktors der Harrach’schen Domäne. „Viel Spaß und famos. […] Wir genießen unsere Ausflüge und lerne ich so auch alles Gut kennen“, schrieb damals die von Anfang an von der Motorisierung begeisterte Karoline.31 Ihre Brüder Öttingen in Bayern waren schon vor 1910 mit Autos vertraut, wie aus Karolines Besuchen in Bayern und ihren dortigen Autofahrten und Ausflügen hervorgeht.32 Auch Ottos Schwester Gabriele hatte ab 1906 die Gelegenheit, zusammen mit ihrem Mann, dem Kavallerieoffizier Gabriel Marenzi, – anfangs in Galizien und Bukowina und später auch in verschiedenen Orten der Monarchie – Autofahrten zu genießen.33 Rundum motorisiert scheinen um 1910 auch Ottos Onkel Alfred und Cousin Franz gewesen zu sein. Neben einem Auto verfügten sie in Abbazia sogar über ein Motorboot.34 Franz unternahm schon vor dem Ersten Weltkrieg Spritztouren von den Familienschlössern, die hin und zurück mehr als 150–200 Kilometer betrugen: Tagesexkursion aus Aschach a. d. Donau über Wels und Schärding nach Passau, ein Besuch bei Otto in Strkow (Südböhmen) von Groß-Meseritsch (Mähren) aus sowie von Janowitz nach Brünn.35 Die Harrach setzten ihre Autofahrten in der Zwischenkriegszeit, und zwar auch auf längeren Strecken als vor 1918, fort. Otto und Karolines Autofahrt vom deutschen 30 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Prugg, 13.6.1909, Hradek, 23.8.1910, 16.9.1910, 27.7.1912, Neuwelt, 2.8.1911, Strkow, 1.9.1911, Starkenbach, 22.8.1915, Wien, 24.4.1908, 4. und 5.5.1908, 24. und 28.4.1909, 12.4.1910, 28.2.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856. 31 Ebd., Starkenbach, 25. und 28.8.1915. Über solche Ausflüge wird nicht nur in Zentraleuropa berichtet. An ein Leben voller Ausflüge und Spiele im Schloss Rochecotte in Tourraine, Frankreich, erinnert sich auch Jean-Louis de Faucigny mit seinen Schwestern und Cousinen im Ersten Weltkrieg. Siehe hierzu Saint Martin, Der Adel, 97. 32 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, St. Blasien, 17.7.1909, Wallerstein, 7.11.1909, in: AVA, FAH, Kt. 856. 33 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto, Czernowitz, 9.5.1906, Lemberg, 26.9.1907, und ihren Vater Johann Nepomuk Harrach, Olmütz, 19.5.1909, in: AVA, FAH, Kt. 857, 892. 34 „Franzi ist jetzt ganz Automobilist. […] Mit meinem Wasserauto sehr zufrieden“; Alfred Harrach an seinen Neffen Otto, Scolio di St. Marco (Dalmatien), 9.5.1911, in: AVA, FAH, Kt. 859. 35 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Aschach, 2.5.1911, Janowitz, 7.8.1913, und Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 20.6.1912 in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126, Kt. 76, Fol. 1024.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Bad Reichenhall (Oberbayern) über Aschach und Wels in Oberösterreich zwecks Besuch bei Tante Anna und Schwester Gabriele zu ihrem tschechischen Schloss Hradek – eine Entfernung von über 500 Kilometern – im Juli 1925, gibt hierfür einen Hinweis.36 Tennis und Kinematograf

Neben der Liebe zum Automobil widmeten sich die Harrach und ihre Verwandten auch dem Tennisspiel, das im ausgehenden 19. Jahrhundert vom europäischen, vor allem aber vom britischen Adel als exklusive Freizeitbeschäftigung entwickelt wurde.37 Über gemischtes Tennis wird bereits 1892 in Prugg und 1905 in Strkow berichtet, während im Mai 1912 in Prugg von „Damen beim Tennis“ und „Herren auf der Jagd“ die Rede ist. In beiden Fällen gab es eigene Schloss-Tennisplätze.38 Es war aber in Galizien, wo die eifrigste Tennisspielerin der Familie das Racket schwang, nämlich Maria Theresia Wisniewski. Sie spielte schon 1905 in Lemberg regelmäßig Tennis, und 1913 wurde in Krystynopol ein eigener Tennisplatz angelegt. Die 47‑jährige Schwester Ottos hatte einen „sehr guten Tennis-Partner“, nämlich ihren dreizehnjährigen Sohn Hans, während im Sommer 1916 ihr in Galizien dienender Neffe Hans Windisch-Graetz und die Tarnowskis in Lemberg die Tennispartie ergänzten.39 Als nächste begeisterte Tennisspielerin in der Familie trat später die Frau von Ottos Sohn, Stephanie, geborene Gräfin zu Eltz, auf. Sie fing in den 1930er-Jahren mit 18 Jahren zu spielen an, und 1940, nach der Hochzeit, soll in Hradek ein Tennisplatz für sie angelegt worden sein.40 Laut Monique de Saint Martin bekundeten Frauen adeliger Herkunft am Ende des 19. Jahrhunderts Neugier und Interesse für sportliche Aktivitäten. „Zu einer Zeit (vor dem Ersten Weltkrieg), in der es für eine Frau praktisch unmöglich war Sport zu treiben, wenn sie nicht über ein beträchtliches soziales, symbolisches und ökonomisches Kapital verfügte, konnten die ersten Frauen des Sportes zweifelsohne nur Aristo36 Otto Harrach an Tante Anna, Bad Reichenhall, 25.6.1925, in: MZA, ebd., Kt. 35, Fol. 563. 37 Saint Martin, Der Adel, 130, 139. 38 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Prugg, 6.5.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (16. Mai), 1905 (22. Juli, 12. September) und 1912 (17.–20. Mai), in: AVA, FAH, Kt. 886. 39 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 8.5.1905, Krystynopol, 17.10.1913, in: AVA, FAH, Kt. 858; „Sehne ich mich eigentlich gar nicht aufs Land von hier fort, da ich hier reiten und Tennis spielen kann“, so Maria Theresia am 26. Mai 1905 aus Lemberg, ebd. 40 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004.

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

201

kratinnen sein. Ihr Auftreten in der Öffentlichkeit war statthaft und allgemein anerkannt, und die Trennung der Geschlechter zeigte sich bei der Aristokratie weniger ausgeprägt als beim Bürgertum.“41

Den Erinnerungen älterer Adeliger zufolge ging die Vermischung der Geschlechter im Sport in den 1920er- bzw. 1930er-Jahren weiter, als Tennisturniere durchgeführt wurden, zu denen junge Herren und junge Damen der Aristokratie eingeladen wurden.42 Zu den sommerlichen Aktivitäten der Harrach zählte auch das Badevergnügen in eigenen Schwimmbädern, die es vor 1914 in Hradek und in Strkow gegeben hatte.43 Die Harrach, Kinder und Erwachsene, kamen zudem privat bzw. im engen Kreis der Verwandtschaft und der Gastfreunde – insbesondere an Festtagen – in den Genuss einer revolutionären Neuheit der Jahrhundertwende: des Kinomatografen. So wird in Ottos Tagebüchern über Kinovorstellungen im Salon des Schlosses Prugg in der Weihnachtszeit 1913/1914 und 1915/1916 oder am zehnten Geburtstag von Hans berichtet.44 Bei Besuchen der Verwandtschaft und der Nachbarschaft in den Landschlössern der Harrach wurde vermutlich oft Bridge gespielt, dem Grammofon gelauscht sowie Teegesellschaften, Reitpartien und Tanzabende veranstaltet, wie es beim zentraleuropäischen und französischem Adel im frühen 20. Jahrhundert üblich war.45

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison Die Geselligkeit der Harrach und ihresgleichen war jedoch – mit Ausnahme der großen Jagden – auf dem Land im Vergleich zu jener in Wien, dem Zentrum der adeligen Öffentlichkeit in Österreich-Ungarn, erheblich eingeschränkt. In Wien schien der Tagesablauf des Hochadels in puncto Vergnügungen und Geselligkeit deutlich reicher und vielfältiger gewesen zu sein. Besonders bis 1914 und vor allem 41 42 43 44

Saint Martin, Der Adel, 147–148. Interview mit Stephanie Harrach und Arco-Zinneberg am 28.9.2004. Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Strkow, 31.10.1910, in: AVA, FAH, Kt. 856. Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1913 (24. Dezember), 1914 (1., 4. Januar, 25. September) und 1916 (2. Januar), in: AVA, FAH, Kt. 886. Umgekehrt waren Otto, Karoline und ihre Kinder bei Vorführungen in adeligen Palais in Wien wie bei Kinsky und bei der Erzherzogin Josefa (im Augarten) im März 1914 zu Gast; Tagebuch, ebd., 1914 (24. und 29. März). 45 Tagebuch, ebd., 1900 (29.–30. Januar); Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 28.12.1910, in: AVA, FAH, Kt. 858. Vgl. dazu Walterskirchen, Adel in Österreich, 19–20, und Saint Martin, Der Adel, 97.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

während der Wintersaison bestimmte eine ununterbrochene Folge von gegenseitigen Besuchen, Teegesellschaften, Diners und Soireen, Konzerten, Kindertänzen und ‑veranstaltungen, Theaterbesuchen und Bällen den Alltag der adeligen Gesellschaft. Die Harrach sowie mehrere Hochadelige des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts schienen dabei an eine lange Kultur anzuknüpfen bzw. sie weiter zu pflegen. Geselligkeit stand im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts im Zentrum adeliger Lebensführung, als Diners, Soireen und Bälle über den Hof hinaus in den Wohnsitzen einzelner adeliger Geschlechter veranstaltet wurden und somit „den adeligen Familien Gelegenheit zur Repräsentation von Status und Reichtum“ boten und gleichzeitig „das adelige Beziehungsgeflecht“ aufrechterhielten.46 Während sich die adelige Geselligkeit nicht eindeutig der privaten oder öffentlichen Sphäre zuordnen lässt, weil sie sich eher in einer Mischzone bewegt, herrscht dagegen Einvernehmen, was die weitgehende Identifizierung der Geselligkeit der Adeligen mit der adeligen Gesellschaft an sich betrifft.47 Diese Behauptung lässt sich anhand mancher Aussagen von Schwestern und Tanten Otto Harrachs durchaus bestätigen. In diesem Zusammenhang nehmen Begriffe wie „Welt“ und „Gesellschaft“ trotz ihrer umfassenden Deutung einen klar begrenzten, sozial bedingten Inhalt an, von dem alle anderen sozialen Gruppierungen ausgeschlossen sind. Eine unzufriedene Maria Theresia Wisniewski schrieb Anfang Januar 1911 vor ihrem jahreszeitgemäßen Umzug von Schloss Krystynopol nach Lemberg an Otto, dass „die Welt sie recht langweilt, besonders die dortige. Hier ist es aber wieder so einsam und oft so traurig“. Einige Wochen später schrieb sie: „Stan geht viel in den Club, Ich mache hier und da einen Besuch. Abends sind wir immer zu Hause und Stan fährt viel nach Krystynopol und auch auf Jagden. Ich bin froh, dass nichts in der Welt los ist und ich nirgends hin gehen muss“. In beiden Fällen handelt es sich nicht um die gesamte Lemberger Welt und Gesellschaft, sondern um diejenige, in der Hochadelige verkehrten. Und diese „Lemberger Welt“ war in den Augen einer aus Wien kommenden Tochter einer kosmopolitischen hochadeligen Familie wie den Harrach eher beschränkt und langweilig. Offenbar meinte sie eine andere, für sie lebendigere und interessantere, aber doch sozial entsprechende adelige Welt, nämlich jene der Wiener Gesellschaft, als sie Otto und Karoline Harrach im Februar 1905 fragte: „Was sind Euere Unterhaltungen? Geht ihr in die Welt?“48 46 Diemel, Adelige Frauen, 169. 47 Ebd., 178–179. 48 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 4.1.1911, Lemberg, 23.1.1911, 11.2.1905, in: AVA, FAH, Kt. 858.

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

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Die höhere bzw. adelige Gesellschaft Wiens wies viele Ähnlichkeiten mit jener anderer Metropolen Europas wie Paris und St. Petersburg auf und scheint etwas reicher, größer und exklusiver als etwa die in Berlin gewesen zu sein. Wenn die deutsche Aristokratie überhaupt eine Hauptstadt hatte, sei dies, zumindest vor 1900, Wien gewesen, behauptete Vizetelly.49 Es sind eher die Werte jener exklusiven adeligen Gesellschaft Wiens, an deren Erhaltung Anna Gräfin Harrach, geborene Prinzessin Lobkowitz, im Februar 1912 appellierte, wobei sie – weniger als sieben Jahre vor dem Zusammenbruch der Monarchie und somit der adeligen Gesellschaft Wiens – nahezu prophetisch anmutete. Otto Harrachs 65‑jährige Tante väterlicherseits brachte ihre Identifizierung mit der aristokratischen Welt des späten 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts zum Ausdruck, als sie ihrem Neffen aus Abbazia, ihrer Winterstation an der Adria, schrieb: „Franzi [ihr Sohn] schrieb mir wie schön das Diner gewesen. Es freut mich, wenn jeder von Euch so nach seinen Kräften und Verhältnissen, ein wenig die Ehre der meinen Gesellschaft aufrechterhaltet“.50 Solche Äußerungen einer hochadeligen Frau, die die adelige Gesellschaft Wiens im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts mitgeprägt haben dürfte, sind insofern wertvoll, als Gräfinnen, Prinzessinnen und Fürstinnen neben den Männern des Hochadels nicht nur in der Welt der Hofgesellschaft, der Palais und der Ballsäle anwesend waren, sondern auch eine überragende Rolle bei der Erhaltung, Absicherung und standesgemäßen Reproduktion der adeligen Gesellschaft im Deutschen sowie im Habsburgerreich spielten, indem sie eine repräsentative, distinkte und stets kontrollierte Geselligkeit pflegten.51 Die Herrin eines Hauses hatte z. B. die Möglichkeit, anhand der Visitenkarten zu entscheiden, ob sie einen Besuch empfangen wollte oder nicht. „Auf diese Weise konnte die Exklusivität adeliger Kreise aufrechterhalten werden“, so Christa Diemel.52 Die adeligen Frauen wurden schon während ihrer Kindheit auf ihr zukünftiges Auftreten in der adeligen Gesellschaft vorbereitet. Die Mädchen und jungen Damen der Aristokratie lernten die Etikette, das fehlerlose Benehmen sowie die Beherrschung ihres Körpers (besonders in den Tanzstunden).53 Die Töchter des österreichi49 H. Vizetelly, Berlin under the New Empire, Bd. 1, London 1979, 95, zit. in Lieven, The Aristocracy in Europe, 145; vgl. dort auch 134. 50 Anna Harrach an ihren Neffen Otto, Abbazia, 8.2.1912, in: AVA, FAH, Kt. 859. 51 Für Deutschland vgl. Wienfort, Adelige Frauen, 182. Die dominierende Rolle der Dame des Hauses im geselligen Leben der österreichischen Aristokratie ist für den Vormärz dokumentiert worden; vgl. Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 162–163. 52 Diemel, Adelige Frauen, 170. 53 „Sie übten anmutiges Stehen, Gehen und Sitzen, wie sie einen Salon zu betreten oder zu verlassen hatten und graziöses Begrüßen von Gästen oder Hoheiten“; ebd., 16, 27–28.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

schen Adels durchliefen bis ins 20. Jahrhundert beim Übergang von der Kindheit zur Jugend einen ausgeprägten „rite de passage“, um in die „Welt“ der aristokratischen Salons eingeführt zu werden. Es überrascht daher nicht, dass adelige Frauen in Europa kritisiert wurden, wenn ihre Neigung zur Mütterlichkeit oder Wohltätigkeit sie davon abhielt, ihren sozialen Pflichten als Hausherrin nachzukommen.54 War es die Angst vor Kritik oder der Bedarf an Anerkennung des standesgemäßen Benehmens, die Karoline Harrach dazu bewegten, in einigen Briefen an Otto während ihrer Schwangerschaft ihre Geselligkeit hervorzuheben?55 Es waren adelige Frauen wie Karoline Harrach, die als Gattinnen von Familienvorständen bzw. Männern des Hochadels aktiv und konsequent eine leitende Rolle als Gastgeberinnen spielen konnten – nicht zuletzt, weil sie über Palais oder großräumige Wohnungen in Wien mit dem dazugehörigen Dienstpersonal verfügten.56 Die Gastgeberin war zuständig für die Zusammenstellung der Gästeliste und die Vermittlung von Kontakten, die Auswahl der Speisen und das Arrangement der Dekorationen. „Ein erfolgreicher Ball oder eine unterhaltsame Soiree konnten den Ruf einer Frau als Gastgeberin und damit ihre Position in der Hofgesellschaft bestimmen“.57 Diners, Soireen und Bälle

Diners, Soireen und Bälle waren die wichtigsten Einladungen während der „Saison“ in Wien, die von Dezember bis April andauerte.58 Sie dürften den Teilnehmern „die beste Möglichkeit“ geboten haben, die eigene Position in der Adelsgesellschaft herauszustreichen.59 Die Harrach nahmen an der gesamten Wiener Saison als Gäste, vor allem aber als prominente Gastgeber teil. Stekl zufolge war „der Stil der Feste bei den Pallavicini, Harrach und anderen […] grandios“.60 54 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 51; Lieven, The Aristocracy in Europe, 136. 55 „Gestern lebte ich sehr gesellig“, „dein Weib ist doch gesellig was?“, schrieb Karoline Harrach an ihren Gatten im April 1903 und 1904, Wien, 15.4.1903, 11.4.1904, in: AVA, FAH, Kt. 856. 56 Verheiratete, vor allem aber verwitwete Frauen des europäischen Adels gestalteten mehr als adelige Männer die Gesellschaftsrituale im langen 19. Jahrhundert und öffneten oder verschlossen die Salontüren; Lieven, The Aristocracy in Europe, 135. Zur Habsburgermonarchie vgl. Stekl, Der erbländische Adel, 963. 57 Diemel, Adelige Frauen, 171. 58 Bled, La noblesse dans les pays habsbourgeois, 81; Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 150; Diemel, Adelige Frauen, 170. 59 Dies behauptet Grillmeyer im Fall der Thurn und Taxis in Deutschland bis 1870; siehe Siegfried Grillmeyer, Zur Symbiose von symbolischem und realem Kapital. Das Beispiel Thurn und Taxis zwischen 1800 und 1870, in: Schulz / Denzel (Hg.), Deutscher Adel, 238. 60 Stekl, Der erbländische Adel, 967.

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

205 Abb. 26: Franz Graf von Harrach mit Braut Alice (1909)

Über hundert von Karolines Briefen an Otto, die ihren Ehemann, wenn auch meistens nicht im Einzelnen, über die gesellige Dimension ihres Alltags während seiner Abwesenheit informieren, Ottos Tagebücher sowie Dutzende Briefe, die Alfred und Anna Harrach von ihrem Sohn Franz und ihrem Neffen Otto geschickt bekamen, gestatten es uns, die Geselligkeit des gräflichen Hauses, vor allem bis 1918, teilweise zu rekonstruieren.61 Den Gewohnheiten der älteren Generation, d. h. der Gebrüder Johann und Alfred Harrach, treu bleibend, boten die Ehepaare Otto und Karoline sowie Franz und Alice vor 1914 ein ziemlich reiches Dinerprogramm in Wien. Das Diner war ein Mittagessen, das sich auch bis in die frühen Abendstunden erstrecken konnte. Es hatte eine lange Tradition, und normalerweise nahmen zwanzig einige Tage vorher schriftlich eingeladene Gäste an ihm teil. Schon vor 1848 bildete es ein wesentliches gesellschaftliches Ereignis im Tagesablauf der Aristokraten in Österreich, wobei die Eröffnung des Diners – bisher 14.00 Uhr – unter dem Einfluss der englischen Aristokratie zunehmend weiter hinausgeschoben wurde.62 Otto 61 Briefe von Karoline Harrach an ihren Gatten Otto aus dem Wiener Palais, von 1902 bis 1917, von Otto Harrach an seinen Vater im Jahr 1898 und Eintragungen aus Ottos Tagebuch von 1892, 1902, 1905, 1912–1914 (Januar bis Mai), in: AVA, FAH, Kt. 856, 893, 886; siehe auch Briefe an Alfred Harrach von seinem Sohn Franz und Neffen Otto sowie des Letzteren an Tante Anna zu den Wintersaisons 1911–1913, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126, Kt. 11, Fol. 129, Kt. 35, Fol. 563. 62 Über Diners in Österreich und Deutschland vgl. Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 140–141; Elise Hohenhausen, Wie geben wir unsere Gesellschaften?, 45–260, zit. in Diemel, Adelige Frauen, 170.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

berichtet von mindestens acht Diners bei seinem Onkel Franz Lobkowitz während der Prager Saison von 1892, die um 18.00 Uhr begannen, während er und Karoline am 4. April 1914 um 20.00 Uhr zwanzig Personen im Saal ihres Wiener Palais zum Diner empfingen.63 Dies war ein „echtes großes Diner“, wie jenes vom 10. Februar 1911, bei dem unter anderen auch Ottos Cousin anwesend war.64 Über die großen Diners hinaus, die für die Gesellschaft ausgerichtet wurden, gab es während der Wintersaison in Wien auch mehrere kleinere Diners, die nur für die Familie gedacht waren und der Stärkung des familiären Zusammenhalts dienten.65 Festliche Familiendiners dürften in dieser Hinsicht einen besonderen Stellenwert gehabt haben. „Gestern hatten wir Familien-Diner mit Menagen August Lobkowitz und Max Hardegg, Nicola Hohenlohe, Tante Fanny Metternich, es war sehr gemütlich. Der Christbaum war sehr gut, die Kinder sangen so herzig und waren voller Freude“, schrieb Franz Harrach an seinen Vater in Abbazia am Stephanstag 1911.66 Einige große Diners gaben die Harrach zu Ehren ausländischer Adeliger, wie der Herzöge Sachsen-Coburg und der Cumberlands aus England, die während der Saison Wien besuchten. Das Coburg-Diner von Franz Harrachs Familie am 11. Januar 1912 „fiel sehr gut aus mit Leo Gudenus, Carla Attems, Max Thuns, Trauns, Otto Harrachs, Philip Sternbergs, Gizina Schlick, Carli Hoyos und Rudi Apponyi“,67 während Otto Harrach drei „internationale Diners“ in kurzer Abfolge veranstalte: „Das Brautpaar Liechtenstein-Öttingen haben wir durch ein prunkvolles Diner gefeiert. Ein zweites Diner gaben wir der Menage August Coburg, dann wollen wir noch die Familie Cumberland feiern“, schrieb Otto an Tante Anne.68 Das Veranstalten eines Diners setzte Vorbereitungen seitens der Gastgeber voraus und verursachte ihnen manchmal große Aufregung. „Wegen unseres Diners gibt es so viel zu tun. Absagen, neue Einladungen etc. und will ich das Diner diesmal mit 20 Personen geben, was ganz gut geht, da noch zwei gleiche Sessel da sind“, so Ottos Frau am 1. März 1912. Zwei Tage danach schrieb sie, dass das Diner sehr gemütlich 63 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (5., 21., 25–26. Februar, 4., 9., 18. März, 1. April) und 1914 (4. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 64 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 10.2.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 65 Winkelhofer, Adel verpflichtet, 81–82. 66 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 26.12.1911, MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 67 Ebd., Wien, 12.1.1912. 68 Otto Harrach an Tante Anna, Wien 3.2.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563. „Abends Diner bei uns mit Coburgs und sonst 18 Personen, Henriette Buquoy, Kufstein, etc.“; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1912 (29. Januar), in: AVA, FAH, Kt. 886.

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

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gewesen sei, jedoch nur mit 10 Personen.69 Wenn Otto dabei war, beteiligte er sich bei der Festlegung der Sitzordnung und den Einladungen.70 Der erfolgreiche Ablauf eines Diners wurde in der Verwandtschaft oder im Freundeskreis gerne kommentiert bzw. positiv bewertet. Selbst von der östlichen Grenze der Monarchie wurden Lob und Glückwünsche zu erfolgreichen neuen Diners ausgesprochen, was zeigt, dass Nachrichten im Familienkreis rasch verbreitet wurden. „Freue mich zu hören, dass Euer Diner gut gelungen hat und hoffe es folgen noch einige solche“, schrieb Maria Theresia Wisniewski Mitte Februar 1911 aus Lemberg an ihren Bruder Otto Harrach.71 Solches Lob muss zur Bestärkung des guten Rufes eines Hauses und somit einer Frau als Gastgeberin in der adeligen Gesellschaft beigetragen haben. Ein guter Ruf führte wohl auch dazu, dass Einladungen zu Diners eines Hauses wie jenes der Harrach von anderen Standesgenossen heiß begehrt waren. Dies wurde jedenfalls für die Saison 1911 von Franz Harrach bestätigt: „Jetzt sind große Route in Feste und Diners. Es ist zum lachen, wie sich die Leute darum reißen bei uns geladen zu werden, sogar Sternberg Larisch baten zu einem Diner kommen zu dürfen“.72 Von jenen Diners, bei denen die Harrach selbst als Gäste anwesend waren, scheint die Teilnahme an einem Hofdiner bemerkenswert gewesen zu sein: „Um 6 Uhr Hofdiner. Der Kaiser war als Jägerbeislinhaber“, notierte Otto am 23. Februar 1905 in seinem Tagebuch.73 An „richtigen Diners“ nahmen Männer und Frauen noch bis in die 1930er-Jahre immer gemeinsam teil, wie sich Stephanie Harrach erinnert.74 Tatsache ist aber auch, dass eine adelige Frau in Wien bei Abwesenheit ihres Mannes in der Lage war, als Hausherrin allein ein Diner zu führen oder „allein“ bzw. in Begleitung eines Bekannten aus dem Hochadel zu einem Diner zu gehen. Das Ansehen sollte auch außerhalb des eigenen Hauses gewahrt werden. Karoline ging zwar während Ottos Reisen oft allein zu Diners von Verwandten und Bekannten, wurde aber meistens von einem ihrem Gatten schriftlich bekannt gegebenen Adeligen begleitet, während sie Otto auch über die Tischnachbarn und über die bei dem jeweiligen Diner anwesenden Männer in Kenntnis setzte. Zu ihren Diner-Begleitern zählten die Auersperg,

69 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 1. und 3.3.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856. 70 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1913 (19.–21. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 71 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 14.2.1911 in: AVA, FAH, Kt. 858. Zwei Jahre später schrieb sie wieder: „Hoffe Euer Diner ist gut gelungen“; ebd., Lemberg, 19.4.1913. 72 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 1.3.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 73 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (23. Februar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 74 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Czernin, Dietrichstein, Metternich, Salm und Sternberg.75 So informierte Karoline ihren Gatten am 16. April 1903. „Gestern das Diner sehr hübsch. Viele erkundigten sich nach meinem Alten, was mich sehr freute. Ich wurde von Hugo Dietrichstein geführt und saß neben Franzi Auersperg. Erzherzog auch da.“76

Neben Diners nahmen die Harrach auch an vielen Wiener Soireen als Gastgeber und Gäste teil. Bei Soireen, die eine viel größere Gästezahl als ein Diner haben konnten, ging es um exklusive Abendgesellschaften oder festliche Abendempfänge, die über ein Festmahl hinaus Trinken, Musizieren, Theaterspiele, Karten- und Gesellschaftsspiele, Vorlesen und Gespräche beinhalten konnten.77 „Unsere Bridge-Soiree (Partie) zu 18 Personen gelang brillant“, informierte Franz Harrach seinen in Abbazia überwinternden Vater Anfang 1911, während die Großräumigkeit des Palais Harrach dem Hausvorstand Otto erlaubte, größere Soireen zu veranstalten, so etwa zum Geburtstag seiner Frau am 22. Februar oder am 11. März 1912 mit 80 Personen.78 Sein Stolz auf eine erfolgreiche Soiree bzw. eine festliche Veranstaltung dürfte groß gewesen sein, wie sich aus den Antwortbriefen von Ottos Schwester Gabriele und seinem Schwager Gabriel Marenzi Ende Januar 1911 bzw. Ende April 1913 aus Olmütz ergibt.79 Otto wurde bereits als junger Adeliger in Begleitung seines Vaters zu offiziellen Soireen eingeladen, beispielsweise im Frühling 1892 in Prag beim Statthalter und beim Oberstlandmarschall, während seine sozialen Verpflichtungen in Wien Abendempfänge in Botschaften beinhalteten, wie sie etwa am 31. Januar 1905 (in Uniform) bei der italienischen und am 8. Januar 1912 bei der deutschen Botschaft stattfanden.80 In Begleitung seiner Frau nahm er von 1902 bis 1914 unter anderen an 75 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien 3.5.1903, 11.4.1904, 16.4.1903, 10.3.1907, 30.4.1909, 3. und 4.3.1911, in: AVA, FAH, Kt. 856. 76 Ebd., Wien, 16.4.1903. 77 Vgl. hierzu Diemel, Adelige Frauen, 170. 78 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 11.1.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1912 (22. Februar, 11. März), in: AVA, FAH, Kt. 886. 79 „Freue mich dass Euer Fest so glänzend ausgefallen ist […] bedauere wirklich da nicht gewesen zu sein“, so Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Olmütz 30.4.1913; „Euere Feste müssen sehr schön gewesen sein“, so Gabriele Marenzi an ihren Bruder, Olmütz 27.1.1911, in: AVA, FAH, Kt. 857. 80 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (1. März, 7. April), 1905 (31. Januar) und 1912 (8. Januar), in: AVA, FAH, Kt. 886.

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Abendgesellschaften bei den Grafen Seilern, Hoyos, Mensdorff, Schlick, Schönburg und Sternberg, bei Erzherzogin Maria Josepha sowie Fürstin Pauline Metternich teil, die zum „Olymp“ der Aristokratie zählte.81 Karolines Brief vom 4. März 1911 zeigt deutlich, wie reich die Saison an Soireen (aber auch an Diners) war. Es handelt sich um ein sechstägiges Programm, das Otto mit Begeisterung angekündigt wurde: „Großartig am 7. Diner Kuefstein und Erzherzogin Josefa, am 8. März ist soirée bei Erzherzog Friedrich, am 9. nach unserem Diner soirée Tschorsky, am 11.3. soirée bei Bienert und 12.3. bei Masel Hardeggs,– Also doch genug für Deine frivole Frau“.82 Diners und Soireen des altösterreichischen Adels wurden nicht nur in Wien abgehalten. Auch Lemberg scheint im beginnenden 20. Jahrhundert eine ziemlich lebhafte Saison mit Diners und Soireen gehabt zu haben. „Gestern Diner beim neuen Corps-Kommandant Brudermann und heute große Soirée bei Betka Potocka [gräfliche Familie Galiziens]. Sie haben sich hier wunderschön eingerichtet, alles aus Paris“, schrieb Maria Theresia im Februar 1906 an ihren Bruder Otto in Wien.83 Es waren aber vor allem die Bälle, die ab Mitte Januar und während der Faschingszeit das gesellige Leben des einheimischen Adels sowie der in regionalen Zentren wie Lemberg (Galizien) und Olmütz (Mähren) als Offiziere und höhere Beamte dienenden Adeligen vor dem Ersten Weltkrieg prägten. „Hier fängt morgen der Fasching an, bei Lubomirski, Mittwoch ist Roman Potocki,84 am 16.2 der Landmarschallball, am 17ten ist ein von Betka Potocka arrangierter Armenball“, schrieb die Frau des Kavallerieoffiziers Gabriel Graf Marenzi im Februar 1908 an ihren Bruder Otto Harrach und an Maria Theresia. Jeden zweiten Tag sollen die Leute bis 7 Uhr früh getanzt haben. Feste mit Musik und Tanz wurden auch im Offiziers-Club gegeben.85 Die mährische Hauptstadt Olmütz, wohin Gabriel im Anschluss an Lemberg versetzt wurde, stand der galizischen Hauptstadt in puncto Feste und Bälle in nichts nach. Ende Januar 1911 standen für die Marenzis drei Bälle auf dem Programm, darunter der große Kranzball, wobei Gabriele als Patronesse fungieren und Gabriel eine Patronage führen musste. Nach zwei Wochen ununterbrochener Geselligkeit schrieb Gabriel an 81 Ebd., 1902 (20. Februar), 1905 (15. Januar, 28. Februar, 13. März), 1912 (14. März), 1913 (8. Februar, 1. April), 1914 (28. Februar, 24. März); Stekl, Der erbländische Adel, 963. 82 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien 4.3.1911; über andere Einladungen zu Soireen, darunter auch zu Hofsoireen, siehe Karolines Briefe aus Wien, 17.4. und 17.12.1903, 27.3.1913, in: AVA, FAH, Kt. 856. 83 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 11.2.1906, in: AVA, FAH, Kt. 858. 84 Die Prinzen Lubomirski und die Grafen Potocki waren Geschlechter der galizischen Aristokratie; vgl. Godsey, Quarterings and Kinship, 99, 101. 85 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 8. und 25.2.1908, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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seinen Schwager: „Es ist jetzt fast alle Tage etwas los, werde froh wenn der Fasching aus sein wird“. Ein Jahr später gestaltete sich die Geselligkeit genauso reich und lebendig. Gabriele musste sich auf zwei bevorstehenden Bällen unbedingt zeigen, und ihr Bruder in Wien wurde darüber informiert.86 Standesgemäßes Auftreten innerhalb des Militärs und in der regionalen Adelsgesellschaft erforderte hohe Mittel, was keineswegs selbstverständlich war, wie der Fall eines anderen Schwagers von Otto, Franz Windisch-Graetz, zeigt, der als Leutnant in Geldschwierigkeiten geraten war.87 Die Repräsentationskraft und symbolische Dimension der Bälle nicht nur für den Adel, sondern für die ganze Gesellschaft als kollektiver Ausdruck der sich amüsierenden Oberschichten lässt sich noch im frühen 20. Jahrhundert in Galizien beobachten. Nach dem Niederschlagen der russischen Revolution von 1905 und wegen der vorherrschenden Trauer um die gefallenen „russischen Brüder“ drohten die Sozialisten in Lemberg, alles zu zerstören, wenn der Adel Bälle geben würde, so die geborene Gräfin Harrach Maria Theresia.88 Als Mitglieder des böhmischen Adels wurden die Harrach während ihrer Anwesenheit in Prag oft zu Bällen von Verwandten und Freunden, die über Paläste verfügten, eingeladen. Otto ging zwischen dem 3. und dem 16. Februar 1892 zu drei Bällen (bei Pálffy, seinem Onkel Georg und Ferdinand Lobkowitz) und begab sich am 27. April desselben Jahres auf einen Ball bei Franz Thun.89 Bälle, die im deutschen bzw. deutschsprachigen Adel eine lange Tradition hatten,90 bildeten die Krönung der adeligen Geselligkeit. Sie boten eine Gelegenheit, Status und Reichtum der Familie zu demonstrieren.91 Wien, Residenzstadt der Habsburger und Wintersitz für die zahlenmäßig größte Gruppe des Hochadels in Mitteleuropa bzw. im deutschsprachigen Raum des 19. Jahrhunderts, bildete daher den idealen Ort für zahlreiche repräsentative und prunkvolle Bälle. Am Wiener Hof wurden jedes Jahr zwei Bälle gegeben, jeder für sich ein großes Ereignis in der Habsburger86 Ebd., Olmütz, 27.1.1911, 28.1.1912; Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Olmütz 11.2.1911, ebd. 87 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 146. 88 „Doch in Warschau wird man sicher zu unterhalten trachten“, ergänzte enttäuscht Ottos Schwester; Maria Theresia Wisniewski an Otto Harrach, Lemberg, 10.1.1906, in: AVA, FAH, Kt. 858. 89 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (3., 10., 16. Februar, 27. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 90 Es gibt Berichte über den fulminanten Abschluss der Karnevalssaison des Jahres 1860 in Dresden, in dessen letzter Woche kein Tag ohne Ball gewesen sei; siehe Silke Marburg, Hochadelige Binnenkommunikation als Voraussetzung für die Generierung von Hochadeligkeit. Das Beispiel König Johanns von Sachsen (1801–1873), in: Schulz / Denzel (Hg.), Deutscher Adel, 314–315. 91 Diemel, Adelige Frauen, 170: „Je glänzender ein Ball ausfiel, desto höher war das Ansehen des Hauses innerhalb der Hofgesellschaft“.

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

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Abb. 27: Maria Theresia Gräfin Harrach, geb. Prinzessin von Thurn und Taxis, im Hofball im Redoutensaal der Hofburg am 8.1.1898 Zasche, Theodor: Cercle während des Hofballes im Redoutensaal der Hofburg am 8.1.1898. Kaiser Franz Joseph begrüßt Franziska Gräfin Sternberg-Larisch (links) und Maria Theresia Gräfin HarrachTaxis (rechts)

monarchie. Die Harrach wurden zu allen eingeladen.92 Die Einladung galt für alle erwachsenen Familienmitglieder. Zum Hofball vom 11. Januar 1892 wurde Johann Nepomuk von seiner Frau sowie von ihrem Sohn Otto und ihren noch unverheirateten Töchtern Maria Theresia und Margarethe begleitet.93 Der Hofball, mehr noch als die übrigen Bälle des Hochadels, dürfte als beste Gelegenheit gedient haben, den Heiratsmarkt zu erkunden. Hochoffiziell wurde der Eintritt in die Welt der Erwachsenen erst mit dem ersten Hofball besiegelt, den die Komtessen besuchten.94 Das Aussehen einer adeligen Frau soll von großer Bedeutung 92 Vgl. Godsey, Quarterings and Kinship, 69. Die Grafen Harrach waren berechtigt, sowohl am Hofball als auch am Ball bei Hof teilzunehmen. Der erste war für alle Hoffähigen bestimmt, ohne dass eine persönliche Einladung erfolgte, im Gegensatz zum zweiten, der exklusiver war und nur die Aristokratie einschloss. 93 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (12. Januar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 94 Winkelhofer, Adel verpflichtet, 43.

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gewesen sein. Unter seinen spärlichen Tagebuchaufzeichnungen zum Thema Bälle notierte Otto Harrach über seine Frau am 28. Januar 1905: „Abends Ball bei Hofe. Line [Karoline] schönes hellblaues Kleid von Samt mit Lila.“95 Das kaiserliche Interesse an einer hoffähigen Dame der Aristokratie wie Karoline Harrach war in Ottos Tagebuch von 1914 genauso erwähnenswert: „Abends 6 Uhr Hofball in Schönbrunn mit Line bis 9 Uhr. Kaiser hat Line angesprochen.“96 Einen Hofball wollte keiner verpassen. Otto Harrach fuhr Mitte Februar 1898 gleich nach den Bällen der preußischen Linie des Hauses Harrach sowie der Hohenthal in Berlin nach Wien, um beim „nächsten Hofball“ am Faschingssonntag dabei zu sein, während der Besuch des Hofballs von Mitte Januar 1904 für Karoline Harrach ein triftiger Grund war, ihre Fahrt zu Ottos Vater nach Abbazia zu verschieben.97 Der Ablauf des Hofballs interessierte ohnehin die gesamte Familie, auch diejenigen Angehörigen, die keine Gelegenheit hatten, persönlich dabei zu sein, wie Ottos Schwestern Anna und Maria Theresia im Januar 1905. Erstere erkundigte sich aus Südböhmen, wie der Hofball gewesen sei, und Letztere vermutete von Lemberg aus, der Hofball sei besonders hübsch gewesen.98 Über die Hofbälle hinaus wurden die Harrach bis 1914 zu mehreren Bällen ihrer Standesgenossen in Wien eingeladen.99 Otto, dem wegen seines Praktikums Prag noch 1892 als Hauptwohnort diente, notierte während seiner Besuche von Ende Februar bis Ende Mai in Wien mindestens fünf Wiener Bälle, die er allein (Bälle bei Mier und Fürstenberg) oder die seine unverheirateten Schwestern in seiner bzw. in väterlicher Begleitung (Bälle bei Erzherzog Ludwig Victor, bei Coburg und bei Hohenlohe) besuchten.100 „Vormittags Bureau [in Prag], nachmittags mit der Staatsbahn nach Wien, wo ich um 10:30 ankam. Papa, Mama, Mitzi [Maria Theresia] und Marga [Margarethe] waren am Balle bei Hohenlohe. Ich sollte auch hinfahren aber weil der Kaiser dort war, wollte ich nicht zu spät kommen und ging nicht hin“,

95 AVA, FAH, Kt. 886. 96 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1914 (16. Februar), ebd. 97 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Berlin, 14.2.1898, in: AVA, FAH, Kt. 893; Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 18.12.1903, in: AVA, FAH, Kt. 856. 98 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 19.1.1905, und Maria Theresia Wisniewski, Lemberg, 22.1.1905, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 99 Wie z. B. bei Trauttmansdorff, Pallavicini, Berchtold und Schönburg; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (27. Februar, 5. März), 1912 (15. Februar) und 1914 (20. Februar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 100 Ebd., 1892 (29. Februar, 1. März, 18., 21. und 25. Mai).

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so Otto am 25. Mai (Prag/Wien).101 Otto machte später für die Saisons von 1912 und 1913 auf die Verdienste seiner Frau Karoline Harrach als Patronesse beim Norica-Ball im Hotel Continental und beim Böhmischen Ball im Beethovensaal aufmerksam.102 Natürlich gab es auch Maskenbälle, die eine Faschingsverkleidung voraussetzten. Karoline Harrach gibt uns ein Bild der Heiterkeit auf einem solchen Ball Ende Februar 1911 wieder, zu dem sie allein ging, sich aber unter Bekannten befand und amüsierte: „War gestern auf der Redouten. Unterhielt mich herrlich. Wäre zu gern hinunter gegangen. Erkannte Joy sofort in einem schwarzen Domino und auch Elvira Wrbna. Franzi Hohenlohe und Wambolt spazierten mit Damen am Arm“.103 Die Harrach gaben auch selbst große Bälle in ihrem prächtigen Wiener Palais, zu denen Hunderte von Gästen geladen waren.104 „Um 10 Uhr begannen die Gäste zu unserem Balle sich zu versammeln, es waren über 200 Personen“, schrieb Otto am 28. Februar 1892.105 Die Bälle der Harrach sollen bis zum Ersten Weltkrieg einen guten Ruf gehabt haben. Es war offenbar kein Zufall, dass Ottos Onkel Rudolf Graf Hardegg bei seinem Neffen die Bitte vorbrachte, Duca Rivera, einen von Erzherzogin Maria Theresia protegierten Tänzer „aus einer sehr guten italienischen Familie aus Rom […] päpstlich gesinnt und österreichischer Ehrenritter“, Ende April 1913 zum Harrach’schen Ball einzuladen.106 Der Bitte wurde stattgegeben, doch der Ball erwies sich als ein „grosses Fiasko“, wie Ottos Cousin seinem Vater Alfred verriet.107 Die Erwartungen an ein Haus wie das der Harrach waren hoch, und mit scharfer Kritik wurde nicht einmal innerhalb der Familie gespart. Franz und Alfred Harrach hatten als Gastgeber selbst gute Erfahrungen gesammelt und müssen in ihrer Wiener Wohnung in der Favoritenstraße erfolgreiche Bälle gegeben haben. „Franzi’s haben mit ihrem Ball großen Success gehabt, die ganze Stadt sprach ungemein lobend darüber“, schrieb Otto Anfang Februar 1912 an seine Tante Anna. 20 Jahre vorher hatte Otto selbst sich auf einem Ball bei Onkel Alfred sehr vergnügt.108 Zwei Angaben scheinen in Ottos kurz gefassten Tagebucheintragungen von Bedeutung und daher in Zusammenhang mit Bällen erwähnenswert gewesen zu sein: 101 Ebd., 25. Mai. 102 Ebd., 1912 (15. Januar, 7. Februar), 1913 (14., 22. Januar). 103 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 1.3.1911, in: AVA, FAH, Kt. 856. 104 So viele Gäste gab es nur bei Bällen, die Gesandte und Diplomaten sowie reiche Adelsfamilien während des Karnevals veranstalteten; Diemel, Adelige Frauen, 170. 105 Tagebuch Otto Harrach, in: AVA, FAH, Kt. 886. 106 Rudolf Hardegg an Otto Harrach, Wien, 26.4. und 28.4.1913, in: AVA, FAH, Kt. 862. 107 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Abbazia, Wien, 7.5.1913, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 108 Otto Harrach an Tante Anna, Wien, 3.2.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (24. Februar), in: AVA, FAH, Kt. 886.

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die Dauer und die Tanzpartnerinnen für den Kotillon. Die meisten Bälle begannen zwischen 21.30 und 22 Uhr abends und endeten nach fünf bis sechs Stunden zwischen 3 und 4 Uhr morgens. Es gab aber auch Ausnahmen, wie beim Harrach’schen Ball am Samstagabend vom 27. auf den 28. Februar 1892 auf der Freyung, als bis 5.30 Uhr getanzt wurde. Prinzessin Fanny Liechtenstein, Gräfin Manny Oberndorf und eine Freiherrin Franckenstein zählten während der Wiener Ballsaison von 1892 zu den Partnerinnen des 29‑jährigen Otto für den Kotillon.109 Für sie wie auch für die übrigen jungen Damen des altösterreichischen Adels dürfte von großer Bedeutung gewesen sein, sich einen Tänzer für den Kotillon zu sichern.110 Bälle gab es nicht nur für die Erwachsenen. Adelige Kinder wurden schon mit fünf und sechs Jahren durch Tanzveranstaltungen und Feste in der adeligen Welt sozialisiert. Ernestine und Johann, die Kinder von Otto und Karoline Harrach, traten sowohl als Gäste, wie bei Esterházy in Abbazia (1909), als auch als Gastgeber im Wiener Palais auf. Franz Harrach berichtet am 10. Februar 1911 von einem bevorstehenden Kinderball mit 60 Kindern bei Otto, zu dem auch seine Kinder und seine Frau Alice als Ballmutter kommen würden. Im Februar 1912 und 1914 werden zwei Harrach’sche Kinderbälle erwähnt, wobei der zweite von 15 bis 19 Uhr ging und 20 Paare zählte.111 „Der gestrige Kinderball war glänzend, und Kinder sowie die Eltern waren entzückt. Man fühlt, wie gerne die Leute herkommen und wie dankbar sie sind“, schrieb Otto an seine Tante nach dem erfolgreichen Kinderball im Jahr 1912.112 Kinderbälle, die nach dem gleichen Muster wie die Bälle der Erwachsenen abliefen, spielten eine große Rolle für die Einübung repräsentativen Auftretens. Sie bildeten ein wichtiges erstes Glied in einer Kette von einander ergänzenden Etappen, die in die „Welt“ der aristokratischen Salons einführen sollten.113 Dies war aber eine Welt, die Ernestine und Johann Harrach (1903 und 1904 geboren) als Jugendliche nie so erleben würden, wie sie sich bis 1914 gezeigt hatte.

109 Tagebuch ebd., 1892 (12. Januar, 24. und 28. Februar, 1. März). 110 Vgl. Winkelhofer, Adel verpflichtet, 43. 111 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Abbazia, 23.2. und 3.3.1909, und seiner Schwester Anna Henneberg, Görz, 8.2.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857; Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 10.2.1911, und Otto Harrach an Tante Anna, Wien, 3.2.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126, Kt. 35, Fol. 563; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1914 (22. Februar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 112 Otto Harrach an Tante Anna, Wien, 9.2.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 113 Diemel, Adelige Frauen, 29; Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 51.

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

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Teegesellschaften, Gabelfrühstücke, Dejeuners

Adelige Geselligkeit äußerte sich auch in Form von weniger repräsentativen, jedoch häufigeren Zusammenkünften wie Teegesellschaften und Einladungen zum Frühstück, zu Matineen und Dejeuners.114 Aus der Korrespondenz von Otto Harrach mit seiner Frau sowie aus seinem Tagebuch geht hervor, dass es sich um relativ kleine Gruppen handelte, die sich je nachdem aus zwei oder drei bis acht, maximal zehn Personen zusammensetzten. Der Kreis bei solchen Zusammenkünften war kleiner als bei Diners und Soireen und die Atmosphäre dürfte intimer und oft familiär gewesen sein. Es ging entweder um gemischte Gesellschaften oder um reine Frauengesellschaften; Letzteres betraf vor allem die Teegesellschaften. Karoline Harrach berichtet von Dutzenden solcher Treffen, bei denen sie von 1901 bis 1915 entweder als Gastgeberin oder als Gast auftrat. Anhand der von Karoline eingeladenen Frauen und Männer des Adels, die nicht der engen Verwandtschaft angehörten, ergibt sich ein vielseitiges Bild, was die Herkunft bzw. die Verortung des Großgrundbesitzes der Gäste betrifft. Die meisten Gäste hatten ihre Besitzungen bzw. Wohnsitze in Böhmen, Niederösterreich, der Steiermark, Mähren und Ungarn. Es kamen Mitglieder von Geschlechtern wie Auersperg, Schönburg, Bellegarde, Colloredo, Czernin, Salm, Ledebur, Lobkowitz, Gudenus, Hohenlohe, Ledochovski, Trauttmansdorff, Serenyi, Thun, Zichy, Kinsky, Clam, Hoyos, Mensdorff und Schönborn.115 Ein ähnliches Bild ergibt sich, was die Zusammensetzung dieser kleinen Adelsgesellschaften betrifft, auch bei den Dejeuners, Gabelfrühstücken und seltener Teegesellschaften, die Otto und Karoline gemeinsam gaben. Ergänzt wurde die Gästeliste von den Chotek, Bethmann-Hollweg, Hardegg, Széchényi, Buquoy, Wambolt und natürlich von den Verwandten Franz Harrach, Marenzi und Öttingen.116 Auf der Basis der Gegenseitigkeit statteten die Harrach den meisten ihrer oben genannten Standesgenossen Tee‑, Dejeuner- und Gabelfrühstückbesuche ab.117 Die Einladungen, die die Harrach von Lady und Earl Cartwright sowie von den Cumberlands, beide Angehörige der bedeutendsten Geschlechter des englischen Hochadels, während deren Wiener Aufenthalt erhielten, 114 Diemel, Adelige Frauen, 170; Marburg, Hochadelige Binnenkommunikation, 309. 115 Über die Gäste von Karoline Harrach siehe ihre Briefe an Otto Harrach, Wien, 27. und 30.12.1901, 2., 6. und 12.4.1902, 29., 30.3., 31.3., 15.4., 16.4., 3.5. und 19.11.1903, 7., 8., 11. und 12.4.1904, 7.12.1907, 26. und 27.4.1909, 4.3. und 8.4.1912, 28.3.1913, 2.5.1915, in: AVA, FAH, Kt. 856. 116 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1902 (18. Mai), 1905 (15., 19., 31. Januar), 1912 (20., 27., 30. Januar, 13. Februar, 16. März), 1913 (10., 12., 16. Februar) und 1914 (16., 19., 28. Februar, 2., 12., 13., 28. März, 5., 8., 12. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 117 Ebd., 1905 (4., 5. Januar, 16. März), 1912 (6. Februar), 1913 (13., 14., 19., 23. Februar).

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weisen wie die entsprechenden Einladungen zu Diners, Soireen oder Bällen auf die internationale Vernetzung der Harrach hin.118 Einen weiteren Treffpunkt für Adelige aus verschiedenen Ländern der Monarchie bildeten seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert die als Winterstationen besuchten Kurorte an der Adria bzw. im Küstenland, die sich wegen der lang andauernden Aufenthalte vor allem der verheirateten Frauen und der älteren Adeligen für die Entwicklung einer gewissen Geselligkeit mit Teegesellschaften, Besuchen, Tänzen, Gartenfesten usw. eigneten. So berichtet Karoline Harrach über Einladungen von Mitgliedern des böhmischen (Lazansky), mährischen (Dalberg) und ungarischen (Esterházy) Adels in Abbazia im Februar und März 1909.119 Die älteste Schwester Ottos, die im Winter 1912 in Görz einen kleinen Kreis von nur zwei, drei „besseren Bekannten“ hatte und eine eher begrenzte Geselligkeit mit wenigen Einladungen erlebte, bezeichnete den für fünf Personen gegebenen Tee als „großartig“, an dem weibliche Vertreter des einheimischen (Coronini) und böhmisch-ungarischen (Pálffy) Adels beteiligt waren. Im Gegensatz zu ihrer Schwester Anna erwies sich Gabriele Marenzi als Offiziersfrau als äußerst gesellig. „Wir haben jetzt täglich Gäste“, schrieb sie ihrem Bruder im Mai 1911 aus Olmütz. Unter ihren Gästen – sehr oft adelige Offiziere – zum Souper, zum Essen oder zum Tee fanden sich Angehörige des böhmischen, mährischen und galizischen Adels wie Lobkowitz, Wambolt und Ledochowski.120 In Theater, Oper und Hotel-Restaurants

Neben adeligen Salons und Palais, Villen und Wohnungen, wo in erster Linie die Reproduktion adeliger Sozietät exklusiv und sozial abgeriegelt erfolgte, wurde die Geselligkeit der Aristokratie auch in öffentlichen Räumen der „guten Gesellschaft“ wie in der Oper, im Theater, im Musikverein und Konzerthaus sowie in Hotel-Restaurants gepflegt. Auch wenn im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert das Bürgertum dort zwar zahlenmäßig überwog, war auch der Adel noch reichlich vertreten. Die Adeligen in Wien waren nicht bereit, im Namen der reinen Exklusivität auf Formen der „Hochkultur“ zu verzichten, die sich in die jahrhundertelange Tradition des Adels einbetten ließen. Ballette, Musik, Opern und Theateraufführungen bildeten in Wien schon im 17. und 18. Jahrhundert einen festen Bestandteil der vom 118 Ebd., 1914 (6. April); Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 4.4.1911, in: AVA, FAH, Kt. 856. 119 Karoline, ebd., Abbazia, 18.2., 19.2., 21.2. und 1.3.1909, ebd. 120 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Görz, 8.2.1912, und Gabriele Marenzi, Olmütz, 11.5.1911, in: AVA, FAH, Kt. 857.

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

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Adel gepflegten höfischen Kultur.121 Die Miete einer Loge an den renommiertesten Bühnen Wiens im Vormärz, wie im Kärntnertor- und Hofburgtheater, trug dazu bei, die eigenen Kontakte zu vertiefen und eine gewisse Überlegenheit des Adels im Theater zu demonstrieren, das unter den zahlreichen Möglichkeiten der Abendgestaltung einen ständigen Anziehungspunkt darstellte.122 Die Situation hatte sich im beginnenden 20. Jahrhundert im Zuge des Aufstiegs des Bürgertums gewiss etwas geändert, dennoch dürften die guten Plätze sowie die standesgemäße Begleitung einer Dame oder eines Herrn der Aristokratie aus der Verwandtschaft oder dem Freundeskreis zur Pflege und Erhaltung des Ansehens in der Öffentlichkeit der Wiener Gesellschaft beigetragen haben. Adelige Frauen ohne männliche Begleitung, die mit dem Pferdewagen oder dem Auto zur Oper oder zum Konzertsaal gefahren, d. h. vom Kutscher oder dem Fahrer bis zum Eingang begleitet wurden, waren in Wien kein seltenes Phänomen. Der 29‑jährige Otto Harrach besuchte von Januar bis April 1892 mindestens 14‑mal, davon 4‑mal in Begleitung seines Vaters, das Böhmische Theater in Prag, um ein Violinkonzert, den „Titus“ von W. A. Mozart, die Opern „Viola“ und „Cavalleria rusticana“, das Ballet „Sylvia“ und Theaterstücke wie das „Friedensmärchen“, „Směry života“ von F. X. Svoboda und „Kolébka“ von A. Jirásek zu sehen.123 Dort hatte er die Gelegenheit, Freunde aus dem böhmischen Adel wie „die Buben Lobkowitz“, die Thuns und Fido Schwarzenberg zu treffen sowie die Loge der Schwarzenberg zu besuchen.124 In Wien ging er in Begleitung seiner Schwester bzw. seiner Frau (ab 1902) ins Burgtheater, ins Carl-Theater, in das Deutsche Volkstheater, das Johann-Strauss-Theater und das Theater in der Josefstadt, um sich bei Stücken wie „Der Schatzmeister“ von Ziehrer, „Die Maskerade“, „Der Schwertbart“, „Die Zarin“ und „Die Präsidentin“ zu amüsieren.125 Otto und Karoline hatten bei ihrem Besuch bei Eugen Öttingen (Karolines Bruder) in Berlin die Gelegenheit, das Lessing-Theater zu besuchen.126 Karoline ging vor 1914 mit und ohne Otto in die Oper.127 Unter anderem sah sie

121 Vgl. hierzu Katrin Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat des 17. Jahrhunderts, Wien/Köln/Weimar 2005, 150; Laetitia Gabriel, Zur Lebenswelt adeliger Frauen am Wiener Hof im 18. Jahrhundert, Diplomarbeit, Wien 1994, 58. 122 Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 146. 123 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (4., 8., 20., 28. Januar, 1., 5., 14., 18., 19. Februar, 7., 16., 19.–20. März, 2., 6. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. 124 Ebd., 1892 (7., 16. März). 125 Ebd., 1892 (18., 21. Mai (Samstag, Wien)), 1905 (2., 11., 20. Januar), 1912 (12. Januar, 10. März), 1913 (15. Januar, 12. Februar) und 1914 (27. Februar, 29. März). 126 Ebd., 1912 (4. September). 127 Ebd., 1905 (25. Februar), 1912 (18. Januar) und 1914 (20. März).

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

„Die lustigen Weiber von Windsor“, „Tiefland“ und „Carmen“ ohne ihren Mann.128 Wie bedeutend die Gesellschaft für eine adelige Frau sein konnte, zeigt sich in einem Brief Karolines vom April 1902, in dem sie betonte, dass sie in einem Konzert neben Baron Otto Walterskirchen gesessen habe.129 Ihre Schwester und Freundinnen wie Mira Trauttmansdorff und Lilian Chorinsky begleiteten Karoline ins Wiedner und Josefstädter Theater in Wien sowie ins Theater in Abbazia (1909).130 Die exklusiven Hotel-Restaurants der Belle Époque stellten ebenfalls Anziehungspole für die Harrach dar, vor allem für die Männer. Otto und Johann Nepomuk speisten bei ihren Prager Aufenthalten gemeinsam oder allein regelmäßig im dortigen Grand-Hotel. In Wien hingegen zählten das Sacher und das Hotel Bristol zu Ottos beliebten Speiseadressen.131 Darüber hinaus hatten Otto und seine Frau während ihres Pariser Aufenthalts im Oktober 1912 die Gelegenheit, Dejeuner und Diner in mehreren Hotels und Restaurants der französischen Hauptstadt zu genießen.132 Bei so vielen gesellschaftlichen Verpflichtungen musste man sich streng an die jeweiligen Zeiten und das Tagesprogramm halten. Während der Saison waren die Tage tatsächlich bis ins Letzte verplant, wie uns der Einblick in das Tagesprogramm von Karoline und Otto Harrach zeigt. Ein paar Abschnitte aus Karolines Briefen an ihren Gatten sowie Ottos Tagebucheintragungen weisen auf einen müßigen, jedoch anstrengenden Tagesablauf in Wien hin, wie widersprüchlich dies auch klingen mag. 6. April 1902 „[…] kehre von einem Concert zurück, […] jetzt bleibe zu Hause denn zum Thee kommen die Cousinen Harrach und Nesti Colloredo. Abends fahre ich in die Jaquingasse zum Diner (von Karolines Eltern)“. 17. Dezember 1903 „War gestern in soirée und nachher bei Maria Brown. Dann zu Hause bei einer Teegesellschaft bei Mama, wo zahllose Damen da waren. Soupierte mit Mama und Caroline Belcredi“. 11. April 1904 128 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien 30.12.1901, 5.4.1902, 24.4. und 5.5.1908, 1. und 3.3.1911, in: AVA, FAH, Kt. 856. 129 Ebd., Wien, 6.4.1902. Über Konzertbesuche siehe auch Karolines Briefe vom 7. und 9.5.1908, ebd. 130 Ebd., Wien, 9.4, 17.4. und 11.1903, 11.4.1907, 30.4.1909, Abbazia 22.–23.2. und 1.3.1909. 131 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (6. Januar, 6., 8., 14. Februar, 2., 5., 6., 7., 12., 17., 31. März, 2.–3., 27. April, 8., 9. September), 1900 (30. Januar, 1. Februar, 7. Oktober), 1912 (4. Januar, 9. Juni ), in: AVA, FAH, Kt. 886. 132 Im Hotel Elysée, Grand Hotel, Hotel Ritz, Restaurant de Paris und Restaurant de Paix; ebd., 1912 (7.–13. Oktober).

4.2 In und mit der „Gesellschaft“ während der Saison

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„Gabeln mit Papa [Ottos Vater], dann Commissionen, um 5 Uhr Tee bei Tante Fanny zu Ehre von Johanna Hartig, die einige Tage hier ist, um 7:00 Dinner bei Großpapa und noch abends Soiree zu Hause, ein reizender Damenkreis (4–5 Frauen)“, so Karoline.133 14. Februar 1905 „Zum Dejeuner kamen Menage Franzi Schönborn, Karoline Lobkovitz, von Onkel Franzi und Ferd. Fedrigotti zu uns, es war ganz lustig. Abends hatten wir zum Diner die Menage Sérenyi und Marie Salm –Wallis. Unten war Coburg-Diner.“ 5. März 1905 „Nachmittag mit Line Promenade. Abends Diner bei Tante Ludwiga mit Thery Fürstenberg und Menage Ferd. Kinsky. 10:30 Ball bei Pallavicini, Line hatte zwei Diademe an, tanzte Cotillon mit Ferd. Chorinsky, ich mit seiner Frau. Wir blieben bis 4 Uhr früh.“ 22. Februar 1912 (Lines Geburtstag) „Früh 9 Uhr Audienz bei Erzh. Franz Ferd. 10 Uhr Messe Kapelle, dann Gratulation für Line. Dejeuner mit Chlodwig Hohenlohe, Eltz, Diner Onkel Franz Czernin, abends Line Soiree bei uns.“134

Auch Franz Harrach beschreibt in zwei Briefen an seinen Vater die Atmosphäre einer grenzenlosen Geselligkeit: „Wir hatten alle möglichen Einladungen und ein Franz Salvator Diner bei uns. Am 12. haben wir ein Musik-Fest zu dem Leopoldine und Töchter kommen. Wir hatten auch […] überall oft Lunch und Diner außer Haus an einem Tag.“ Und weiter: „Jetzt sind restlos Lunche, Diners etc. in alle Formen.“135 Dieser hohe Grad an Geselligkeit, den Franz noch 1912 andeutete, sollte aber nicht lange halten. Die Folgen des Ersten Weltkriegs bekam auch der Adel zu spüren. Die adelige Geselligkeit wurde zwar nicht eingestellt, aber stark beeinträchtigt. Es gab weiterhin Teegesellschaften, Einladungen zum Essen und sonstige Zusammenkünfte, worüber Otto Harrachs Frau im Mai 1915 aus Wien und seine Schwester Maria Theresia im Januar 1917 und Februar 1918 aus Lemberg als Gastgeberinnen berichteten, es mangelte aber deutlich an repräsentativen Festen, wie Soireen und Bällen.136 In vielen Familien trauerte man um gefallene Söhne und Ehemänner oder 133 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien 6.4.1902, 17.12.1903, 11.4.1904 , in: AVA, FAH, Kt. 856. 134 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (14. Februar, 5. März) und 1912 (22. Februar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 135 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 4.3. und 16.4.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 136 „Gestern abends eine Menge Damen bei mir und heute kommt zum essen Irma Lobkowitz mit drei Kindern und nachher Landpartie auch mit Nonon und Alfons“, so Karoline Harrach. „Unter den Gästen war [am 26.2.1918] der Statthalter [Graf ] Huyn mit seiner Frau“, so Maria Theresia Wisniewski. Siehe jeweils Briefe an Otto Harrach, Wien, 2.5.1915, Lemberg, 24.1.1917, 27.2.1918, in:

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

sorgte sich um Verwundete. Auch die Not der letzten beiden Kriegsjahre und der Nachkriegszeit dürften entmutigend gewirkt haben. Schon im März 1917 meinte Ottos älteste Schwester, dass das gesellschaftliche Leben in Wien sehr zurückgegangen sei, „es hat auch wohl niemand Grund und Lust zu großer Heiterkeit“. Mit Blick auf die silberne Hochzeit von Margarethe Windisch-Graetz im Februar und Gabriele Marenzi im Mai 1918 schlug Anna vor, nur Kollektiv-Geschenke zu geben und ein kleines Diner im engsten Kreis zu arrangieren, des Krieges wegen aber „von anderen Festlichkeiten abzusehen“ und im Frieden beide Feste nachzufeiern.137 Was ab 1919 der adeligen Geselligkeit definitiv entging, war das gesellschaftliche Ereignis in Österreich-Ungarn schlechthin, nämlich der Hofball, der schon während des Krieges eingestellt worden war.138 Die adelige Gesellschaft Wiens sowie ihre Saison waren nach dem Zerfall der Monarchie und der Entthronung der Habsburger nie mehr dieselben. Dieses Los traf aber nicht nur Österreich bzw. Mitteleuropa und war keineswegs auf den Adel in den besiegten Zentralmächten beschränkt. Selbst die englische Aristokratie sah sich mit einer Krise der exklusiven Gesellschaft konfrontiert. Cannadine behauptet, die Londoner Gesellschaft sei schon 1914 tot gewesen, da viele junge Männer, die in den 1920er-Jahren den Ton hätten angeben können, nie aus dem Krieg zurückkehrten. Natürlich überlebten einige Geselligkeitsformen des 19. Jahrhunderts bis in die Zwischenkriegszeit, nur waren sie eher bleiche Schatten einer glorreichen Vergangenheit.139 Schon in den frühen 1920er-Jahren lebte die Geselligkeit, vor allem auf den Landschlössern, allmählich wieder auf. Die Schilderung des Grafen Paul Pálffy über den adeligen Lebensstil der Zwischenkriegszeit dürfte auch auf die Harrach zutreffen: „Nicht wenige wohlhabende Aristokraten zogen sich ins Privatleben zurück, pflogen, vielleicht in etwas bescheidener Form als früher, einen privilegierten Lebensstil: Die Wintersaison in Wien, das Landleben auf den Gütern, Besuche bei Verwandten und Bekannten, gelegentliche Kuraufenthalte, die Jagd in all ihren Facetten.“140

Obwohl die spärlichen Archivalien aus der Zwischenkriegszeit keinen systematischen Vergleich mit der archivreichen Zeitspanne vor 1918 erlauben, deuten sie auf die Bemühungen der Harrach hin, ihren Lebensstil aufrechtzuerhalten. „In Hradek soll AVA, FAH, Kt. 856, 858. 137 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 13.3. und 17.11.1917, in: AVA, FAH, Kt. 857. 138 Nach dem Tod des Kaisers Franz Joseph wurde kein Hofball mehr veranstaltet; siehe den Eintrag „Hofball“ in Felix Czeike, Historisches Lexikon Wien, Wien 1994, Bd. 2, 219. 139 Cannadine, The Decline, 344–345, 351 140 Zit. in Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 106.

4.3 Auf Jagd

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dann in August, wenn es die Verhältnisse erlauben, ein Ball für die Jugend der Umgebungsnachbarschaft stattfinden“, schrieb Otto an seinen Cousin Anfang Juli 1920, während sich die Familie Ende April 1922 teilte, um von Strkow aus zu zwei silbernen Hochzeiten zu fahren: Karoline mit ihrer 19‑jährigen Tochter Ernestine nach Schloss Groß Herlitz (Velké Heraltice) im Bezirk Troppau (Opava) zu Graf August von Bellegarde und Otto mit seinem 18‑jährigen Sohn Hans ins Wasserschloss Rothlhotta (nicht weit von Strkow) zum Haus Schönburg-Hartenstein.141 Hans nahm als neues Oberhaupt der Harrach an der ziemlich exklusiven und international ausgerichteten Gesellschaft des böhmischen Adels in den späten 1930er-Jahren in der Tschechoslowakei teil, kurz bevor sie während der deutschen Besatzungszeit (1939–1945) und wegen der nationalistischen Gegensätze untergraben und beinahe aufgelöst wurde.142 Seine Frau sprach 2004 im Rückblick – und wohl eher in Bezug auf Österreich – davon, dass sich der Ablauf des Lebens nach dem Ersten Weltkrieg nicht wesentlich geändert habe.143

4.3 Auf Jagd Eine derartige Behauptung dürfte vor allem auf die Jagd, eine typisch adelige Tätigkeit, die intensiv, regelmäßig und ununterbrochen auch von den Harrach betrieben wurde, zutreffen. Wenn die oben untersuchte Geselligkeit eher die adelige Gesellschaft Wiens, die Welt der Palais, der Bälle, der Soireen und der Frauengesellschaften betraf, lenkt die Jagd den Blick auf die adeligen Güter, Wälder und Landschlösser, auf die Natur und auch eher auf die männliche Geselligkeit. Die meisten vorgenannten Vergnügungs- und Geselligkeitsformen werden zwar prinzipiell mit dem Adel identifiziert, wurden aber zugleich ab der Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend von Mitgliedern des Großbürgertums, zum Teil auch des Bürgertums nachgeahmt bzw. übernommen. Die Jagd scheint hingegen in einem deutlich höheren Grad die Welt des Adels zu verkörpern. „Zusammen mit den Bällen der Saison in den Städten waren diese Jagdeinladungen die wichtigsten gesellschaftlichen Ereignisse zwischen den Schlössern und Herrensitzen. Jagdgesellschaften durchbrachen die Eintönigkeit und Gleichförmigkeit des Lebens auf dem

141 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 7.7.1920, und an Tante Anna, Strkow, 23.4.1922, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024, Kt. 35, Fol. 563. 142 Vgl. Glassheim, Noble Nationalists, 122–127. 143 Vgl. Interview mit Stephanie Harrach und Arco-Zinneberg am 28.9.2004.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Lande; sie waren ein Mittel gegen eine zum Teil existentielle Langeweile. Dem Bläsersignal ‚Jagd vorbei‘ schloß sich die Präsentation der erlegten Strecke an, nicht selten hunderte von Tieren. Festliche Diners, an denen manchmal auch die Frauen der Jäger teilnahmen, beschlossen den Jagdtag“,

so Conze zu den Einladungen zur Jagd auf die Güter von Nachbarn, Freunden und Verwandten überall in Mecklenburg, aber auch in anderen deutschen Ländern.144 Die Jagd als gesellschaftliches Ereignis war keine Erfindung des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, sondern hatte eine jahrhundertelange Tradition. Seit dem Hochmittelalter bildete sie einen wichtigen Bestandteil des adeligen Lebens und fungierte als Symbol adeliger Herrschaft. Die hohe Bedeutung der zum Attribut des adeligen Standes gewordenen Beschäftigung zeigt sich unter anderem anhand der ziemlich hartnäckigen Reaktionen von Adeligen im deutschen Raum gegen die Abschaffung von Jagdrechten und -privilegien im frühen 19. Jahrhundert.145 Auch nach 1848/49, als die Jagd an das Grundeigentum gebunden wurde, blieben „Jagd und Gesellschaftsordnung, Jagdrecht und soziale Hierarchie, Jagdausübung und soziales Verhalten eng miteinander verknüpft“.146 Die Jagd als Symbol politischer, sozialer und ökonomischer Macht bzw. des Anspruchs darauf betonte „die ständische Exklusivität des Adels und diente somit seiner soziokulturellen Distinktion“.147 Die französische Soziologin Monique de Saint Martin behauptet, dass die Jagd sowie der Reitsport den Adeligen Frankreichs, vor allem den Nachkommen des alten Schwertadels, bis ins 20. Jahrhundert zahlreiche Gelegenheiten bot, standesgemäße Werte und Eigenschaften zur Schau zu stellen, wie zum Beispiel den Mut zum Risiko und zur Herausforderung als Ausdruck eines gewissen Heldenkultes, um damit das Gefühl der Überlegenheit zu stärken und die Unterschiede zum Bürgertum zu betonen.148 Auch in den 1970er-Jahren gab es kritische Interpretationen der Wertschätzung, ja sogar „Pervertierung“ der Jagd durch den hohen und niederen Adel, wobei von einer „krisenbedingten Ursache der herrschaftlichen Jagdleidenschaft“ die Rede war.149 In diesem Sinne diente die Jagd dem Adel des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts 144 Conze, Von deutschem Adel, 377. 145 Werner Rösener, Die Geschichte der Jagd. Kultur, Gesellschaft und Jagdwesen im Wandel der Zeit, Düsseldorf/Zürich 2004, 10–12; Conze, Von deutschem Adel, 37; Lieven, The Aristocracy in Europe, 155. 146 Conze, Von deutschem Adel, 373. 147 Ebd., 377–378; Braun, Konzeptionelle Bemerkungen, 95. 148 Saint Martin, Der Adel, 129. 149 So greift Eckardt die These von Otto Brunner auf, nach der sich die Krise der Adelswelt als „Kluft zwischen dem eigenen tradierten Anspruch einerseits und der politischen Wirklichkeit und ihren Möglichkeiten andererseits“ interpretieren lässt. Vgl. Eckardt, Herrschaftliche Jagd, 271.

4.3 Auf Jagd

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als Statussymbol und Selbstbestätigung, als Zuflucht vor der modernen Welt, Mittel gegen existenzielle Langeweile sowie (durch Vermittlung der Illusion eines stets siegreich ausgegangenen Kampfes) im Verhältnis zum Krieg als Ersatzhandlung und Ersatzbefriedigung. Durch eine ausgeprägte ständische Repräsentation, „die betont am Hergebrachten festhielt und sich dabei auch auf die Jagd erstreckte“, wehrte sich der Adel gegen „das Aufkommen neuer, am praktischen, ökonomischen Nutzen orientierter Wertmaßstäbe und gegen die Minderung seiner politischen und sozialen Bedeutung“. Das Ausmaß der Jagdvergnügungen wurde daher für den Adel zum selbst gewählten Wertmesser der gesellschaftlichen Bedeutung.150 Wenn das so ist, dann müssen die Harrach, die mehrmals im Jahr in ihren großen Revieren in Niederösterreich (Ungarn), in Böhmen und Mähren auf Jagd gingen, hoch in der Achtung der adeligen Gesellschaft ihrer Zeit gestanden sein. Die Jagd, um die sich in der Familienkorrespondenz mindestens 280 Briefe (vor allem Ottos) drehten, hatte eine zentrale Stellung im Diskurs der Familienangehörigen inne. Hat die Jagd bei vielen Adeligen in Europa die größte Zerstreuung und das größte Vergnügen im Landleben ausgemacht,151 muss dies in erster Linie auf diejenigen Adeligen zutreffen, die ihren Sitz bzw. ihre Sitze ausschließlich auf dem Land hatten. Einen solchen Typus verkörperte Ottos Schwager Gottlieb Henneberg, der über die von ihm veranstalteten eher kleinen Jagden hinaus regelmäßig an Jagden teilnahm, die Otto von 1900 bis 1918 ausrichtete. Seine Frau Anna schrieb oft an ihren Bruder, um sich ausdrücklich für die verschiedenen Jagdeinladungen zu bedanken und die Freude ihres Gatten über seine Teilnahme und das erlegte Wild zu übermitteln.152 Die Bedeutung der Harrach’schen Jagden für Gottlieb lässt sich unter anderem in einem von Anna Henneberg an Otto Harrach gerichteten Brief Ende September 1915 ermessen. „Bin sehr froh dass Du Gottlieb zu den Hirschen gerufen hast, denn es macht ihm solchen Spaß und er hat ja so wenig Zerstreuung“.153 Der Inbegriff des passionierten und erfolgreichen Jägers und Lebensgenießers in der Familie Harrach war freilich der 1879 geborene Ernst Harrach, der Großvater des heutigen Besitzers der Familiengüter und des Schlosses in Bruck a. d. Leitha Ernst Georg Harrach. Mit ausreichenden Apanagen ausgestattet und ohne die Lasten des Familienvorstands hatte er (vor allem vor 1914) viel Zeit und Geld, um von einer Jagd zur anderen zu fahren. Sein enger Bezug zur Jagd lässt sich anhand seiner 70 Briefe an Otto von 1903 bis 1919 dokumentieren. Es handelt sich bei ihnen um Danksa150 Ebd., 271–273, 277–279. 151 Vgl. Lieven, The Aristocracy in Europe, 155. 152 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 9.4.1902, 7.5.1910, 5.11.1911, 28.9.1912, 6.9. und 20.12.1916, 23.8.1917, Gries, 22.2.1913, in: AVA, FAH, Kt. 857. 153 Ebd., 26.9.1915.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

gungen für die Teilnahme an Jagden, bei denen Otto Harrach Jagd- und Gastherr war, sowie für die Reservierung von guten Revieren in günstigen Zeiten, aber auch um Berichte über erlegte, geschossene und balzende Tiere und generell über die Jagdmöglichkeiten in den verschiedenen Jagdrevieren; es ging um Zeitpläne und Programme, um eventuelle Überlappungen von Jagden verschiedener Adeligen, darum, welche Diener die Jagd als Treiber begleiten etc., um Jagdaufenthalte und Jagdreisen nach Österreich-Ungarn und ins Ausland usw.154 Die Jagd schien für Ernst und offenbar für viele weitere Adelige im HabsAbb. 28: Ernst Graf von Harrach burgerreich in der Tat eine Welt für sich gewesen zu sein. Während bereits ein paar Hähne oder auch nur ein einziges Wildstück für Otto Grund zur Freude über seine eigene Jagdleistung waren, zählte die Jagdbeute seines um 16 Jahre jüngeren Stiefbruders mindestens ein Dutzend erlegter Tiere oder Vögel. Manchmal wird von 20 bis 40, ja sogar von 360 Stück erlegten Wildes berichtet, wie etwa im Oktober 1912 in Starkenbach. „Es war eine der besten Jagden in Starkenbach“, schrieb er damals. Als er mit seiner Frau die Herbst- und Wintermonate 1910/11 in Abbazia (Küstenland) verbrachte, unterbrach er seinen Aufenthalt, um zu den Strkover und Prugger Jagden zu fahren.155 Während ihrer Reise nach Ägypten im selben Winter, die den gesundheitlichen Problemen seiner Frau Elisabeth geschuldet war, ergriff 154 Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Strkow, 27. und 29.4.1903, Prugg, 5.12.1903, 31.10.1906, 14.7.1911, Mariazell, 7. und 9.4.1905, Peggau, 5.4., 1.8., 13.8., 4.10. und 24.11.1906, 17.4. und 13.10.1907, 10.4. und 12.10.1908, 13.4.1910, 19.7.1911, Hradek, 1.9.1907, Au Zillergrund, 9.11.1908, Aschach 16.11.1908, Starkenbach, 3.5.1910, Harrachsdorf, 16.5.1910, 15.8.1912, Janowitz, 5.9.1910, Abbazia, 21.4.1911, Friedrichstal, 27.9.1911, Schindelthal 4., 10. und 13.10.1911, 5.1., 22.7., 1.11. und 7.12.1912, 28.5., 12.7., 3.8., 26.9., 15.10., 19.10. und 29.10.1913, 24.7.1914, 25.7., 23.8. und 9.11.1915, 17.7.1916, 4.10.1917, 9.8.1918, Wien, 9.4.1913, 20.8.1916, 15.7.1917, 12.5.1918, Strkow, 14.4.1916, 2.5.1917, Baden, 27.8. und 6.9.1916, Post Neuwelt, 30.4.1918, Moos (Baiern), 8.12.1918 und 20.3.1919, in: AVA, FAH, Kt. 859. 155 Ebd., Abbazia, 9.10.1910.

4.3 Auf Jagd

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Ernst die Gelegenheit zu einer Jagdexpedition südlich von Chartum (Sudan). Ihre Nilfahrt dauerte 45 Tage, und Ernst Harrach erschoss unter anderem eine Giraffe, „vier Rüssel“, einen Leoparden, 45 Antilopen und Gazellen verschiedener Arten, sieben Schweine, viele Böcke und drei Krokodile.156 Anfang 1912, ein Jahr danach, dankte er Otto vielmals „für alle jagdlichen Genüsse, die Du mir das ganze Jahr zuteil werden ließest“.157 Die Bedeutung der Jagd für die Harrach lässt sich aber auch anhand der Frauenbriefe der Familie aufzeigen. Über ein Viertel aller die Jagd thematisierenden Briefe wurden Otto Harrach von seiner Gattin und seinen Schwestern Anna Henneberg und Maria Theresia Wisniewski gesendet. An solchen Briefen lassen sich das Interesse, die Freude sowie die Besorgnis der Frau des Hochadels über die Teilnahme des Gatten oder des Bruders an der Jagd, über deren Erfolge und Misserfolge ablesen. Wir können mit einer gewissen Sicherheit annehmen, dass die Frauen in ihren Gesellschaften über die Jagd sprachen und somit die Relevanz derselben für die eigene Schicht über die männlichen adeligen Gesellschaften hinaus artikulierten bzw. in der Agenda der ganzen adeligen Gesellschaft hochhielten.158 Die Teilnahme an einer Jagd bzw. erfolgreiche Resultate der Männer scheinen für einige Frauen des Adels eine Ehrensache für die jeweilige Familie gewesen zu sein. So wurde der tüchtigste Jäger der Familie, nämlich Ottos Stiefbruder Ernst Harrach, sehr gelobt und häufig erwähnt. Karoline schrieb im September 1903, dass Ernst einen Hirsch erlegt habe, und Ende Januar 1911, dass Ottos Stiefmutter einen Brief mit der äußerst umfangreichen Schussliste von Ernst von seiner Jagdreise nach Ägypten und in den Nahen Osten an Tante Anna gesendet habe. Er erlegte „Wölfe, Schakale und einen Pelikan und jetzt unternehmen sie mit Paschas einen circa einmonatlichen Jagdausflug auf einer Dalabije“.159 Otto Harrach, ab 1909 Familienvorstand, war dagegen kein passionierter Jäger, obwohl er als Jagdherr sehr gelobt wurde. Seine Gattin Karoline schrieb ihm, sie wäre sehr froh, wenn er auch nur einen Auerhahn bzw. ein paar Birkhähne schießen würde, ja sie wäre schon mit seiner Teilnahme zufrieden. „Ganz besonders freute mich die Nachricht der 4 Birkhähne an einem Morgen. Treib er es nur so weiter“, „hoch erfreut über seinen Auerhahn“, „bin glücklich dass Du etwas erlegt hast und bedauere nicht mitgefahren zu sein“, „Freue mich dass Du wieder etwas erlegt/geschossen hast“, „höchst erfreut über Deine heutige telefonische Nachricht. Trotz schlechten Wetters doch ein Birkhahn“, „Dein gestriges Telegramm 156 Ebd., Kairo, 6.12.1910, 4.2.1911, Khartoum 31.12.1910. 157 Ebd., Schindelthal 5.1.1912. 158 AVA, FAH, Kt. 856–858. 159 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Rohrau, 13.9.1903, Abbazia, 31.1.1911, in: AVA, FAH, Kt. 856.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

erfreute mich sehr und besonders das Jagd-Resultat“ usw. sind einige typische Formulierungen, die Karoline von 1902 (gleich nach ihrer Hochzeit) bis 1914 an ihren Gatten richtete.160 Ein von Otto erlegter Hirsch bei den September-Jagden 1910 in Neuwelt (Starkenbach, Böhmen) dürfte eine Sensation gewesen sein und veranlasste sogar seine in Galizien sesshafte Schwester Maria Theresia, ihm zu diesem Jagderfolg zu gratulieren.161 Misserfolge hingegen wurden nicht toleriert, sondern waren Anlass für Ärger, Sorgen und Kritik, besonders während der ersten Jahre der Ehe von Otto und Karoline Harrach, als Otto die Familienführung noch nicht übernommen hatte und daher weniger belastet war. „Warum bist Du so faul und warst noch gar nicht auf der Balz? Ich dachte mir, dass es Dir so viel Spaß machte. Ernst schrieb heute an Mama dass er bereits einen Hahn erlegte“, schrieb Karoline im April 1902, und einen Monat später: „noch immer nichts geschossen“. Charakteristisch für den sozialen Druck auf standesgemäße Jagdresultate sind die Worte Karolines im April 1903: „Traurig dass er nichts erlegte und möchte auch sehr wünschen dass er bleibt bis er etwas erlegt, denn sonst wäre ich beschämt für mein Altes [sic]“.162 Selbst Ottos älteste Schwester, deren Gatte Gottlieb Henneberg auf Harrach’schen Jagden oft zu Gast war, bringt in einigen Briefen ihr Mitleid über die Misserfolge oder die dürftigen Jagdresultate ihres Bruders sowie ihres Gatten – beide im Jahr 1914 über 50 Jahre alt – zum Ausdruck: „Wie Schade dass Du nichts in Neuwelt erlegen konntest!“, heißt es im Mai 1913, und ein Jahr später: „[H]ast Du in Neuwelt Waidmannsheil gehabt? Der arme Gottlieb nur einen Hahn in Hartenberg erwischt“. Ähnliche Sorgen wurden auch mitten im Krieg (September 1917) geäußert.163 Otto selbst setzte sich schon seit seiner Jugend mit seinen eher bescheidenen Jagdleistungen auseinander, wie wir einigen Schreiben an seinen Onkel Alfred und seinen Cousin Franz oder seinem Tagebuch entnehmen können.164 Die erhaltenen 160 Ebd., Wien, 7.4.1902, 12.4.1904, 5.12.1907, 20.4.1909 und 27.3.1913, Prugg, 15.11.1912. Vgl. auch diesbezüglich Briefe von Hluboš, 18.10.1902, Prugg, 21.11.1904, Hradek, 18.9.1910, Prugg, 2311.1904, Wien, 23.4.1908, 20.4.1911, 29.4. und 14.11.1912, 29.3.1913, 4.5.1914. 161 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 28.9.1910, in: AVA, FAH, Kt. 858. 162 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 6.4.1902, 17.4.1903, Rohrau, 1.5.1902, in: AVA, FAH, Kt. 856. Noch neun Jahre nach ihrer Hochzeit kann sich Karoline nicht mit einer erfolglosen Jagdteilnahme abfinden: „Danke für Deinen Brief, der mir aber leider noch nichts über Jagdresultate mitteilt“, schrieb sie an Otto von Wien am 4.4.1911. 163 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 18.5.1913, 10.5.1914, 3.9.1917, in: AVA, FAH, Kt. 857. 164 Otto Harrach an Onkel Alfred, Prag, 8.5.1886, in: MZA, G 393, RAH, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (10.–11. April aus Zeltsch,

4.3 Auf Jagd

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Schusslisten für die Jagdreviere der Domäne Prugg-Rohrau Anfang November 1902, die nach jeder Jagd vom zuständigen gräflichen Forstamt erstellt wurden, bestätigen dies: So erlegte Otto Harrach am 4. November 1902 im Revier Pachfurt-Rohrau 9 Stück (Haar- und Federwild) gegenüber den 65 seines Vaters, den 79 seines Stiefbruders, den 85 seines Vetters Franz, den 96 des Grafen Kielmansegg, den 102 des Grafen Rudolf Traun und den 103 des Prinzen Hohenlohe, während er mit 40 Stück (39 Hasen und einem Rebhuhn) am nächsten Tag im Revier Prugg bessere Resultate aufwies, aber immer noch deutlich hinter den oben genannten Mitschützen mit 44, 50, 71, 80, 102 bzw. 96 Stück lag. Im September 1905 schrieb er ziemlich stolz in sein Tagebuch, er habe mit Ernst bei ihrer Hühnerjagd in Strkow über 200 Stück geschossen.165 Ottos Frau wollte stets von der Menge des erlegten Wilds in Kenntnis gesetzt werden und drückte in ihren Briefen oft ihre Wünsche und Hoffnungen auf viel Erfolg aus: „Freue mich sehr von baldigen Resultaten zu hören“, „Was treiben die Auerhähne? Wünsche ich ein rechtes Waidmannsheil“, „Hoffe Du hast heute etwas geschossen“, „Hoffe die Hirsche werden brav melden, – Waidmannsheil“, „Hoffe, Du schießt einen Hirschen“ sind einige Abschnitte aus den betreffenden Briefen, die Karoline während der Abwesenheit Ottos, vor allem in den böhmischen Revieren, absendete.166 Es scheint, als ob die Erfolge bei der Jagd eine Art Pflicht und Wertmesser für die Männer des Adels, unabhängig von ihrem Alter, gewesen wären. Die Konkurrenz war immer auch innerhalb einer Familie bzw. eines Geschlechts groß und wurde bisweilen angefacht; „Freue mich nur bald von Seinen Jagdresultaten zu hören und nicht nur von dem was Ernst erlegte“, schrieb Karoline im April 1904.167 Um Ottos Abneigung gegenüber der Jagd zu mindern, schrieb Karoline im November 1912, dass die Jagden für ihren Gatten letztendlich gesund seien.168 28. April bis 2. Mai aus Benecko in Starkenbach, 4.–5. Mai aus Kravin in Plana, 11.–15. Mai aus Harrachsdorf in Starkenbach), in: AVA, FAH, Kt. 886. „Ich mache hier die Hochwildjagd mit dem fürstl. Personale mit, habe aber noch kein einziges Stück erlegt, obzwar die Gelegenheit mehrmals geboten war“, so Otto an Onkel Alfred am 13. August 1889 aus Wittingau, wo er als Gast bei Schwarzenberg auf die Jagd ging, in: ebd. „Von meinem Pech in Janowitz musst du wohl schon gehört haben, es war entsetzlich den Hirschen auf 70 Schritt vor mir zu haben und einen Versagen. Was hat Onkel Alfred noch geschossen?“, gestand er seinem Vetter am 18. Oktober 1891, MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 165 Tagebuch Otto Harrach, 1905 (6.–7. September), ebd. 166 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien 15.4. und 17.12.1903, 7.4.1904, 3.12.1907, 26.4., 28.4., 1.5. und 9.5.1908, 26.4.1909, 28.3.1913, Hradek, 22.9.1913, Strkow, 23. und 27.9.1916, Prugg, 6.5.1912, 4.12.1916, Rohrau, 20.9.1902, in: AVA, FAH, Kt. 856. 167 Ebd., Wien, 8.4.1904. 168 Ebd., Prugg, 18.11.1912.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Es sind auch Briefe aus dem Jahr 1916 erhalten geblieben, in denen der zwölfjährige Erbgraf Hans seinem Vater Otto Waidmannsheil auf „einen schönen Hirschen“ wünscht oder ihn fragt, was er in Neuwelt geschossen habe. Dies zeugt davon, dass das Bekenntnis zur Jagd im adeligen Nachwuchs schon von Kindheit an konsolidiert wurde.169 Maria Theresia, die dritte Schwester Otto Harrachs, schien sehr stolz auf ihren Sohn Hans zu sein, der sich vom elften bis fünfzehnten Lebensjahr intensiv mit der Jagd beschäftigte und altersgemäße Tiere in Krystynopol (Galizien), im Schloss Prugg und in Lehenshofen in der Steiermark schoss und ein paar Hasen, etliche Hühner und Wasserhühner erlegte. Sein Onkel wurde von dessen Schwester auch während des Krieges regelmäßig auf dem Laufenden gehalten.170 Der einzige erhaltene Brief von Margarethe, der jüngsten Schwester Ottos, zum Thema Jagd berichtete vom ersten Bock (gefolgt von zwei weiteren), den ihr zwölfjähriger Sohn Ferdinand Windisch-Graetz Anfang August in Alt-Pernstein (OÖ) geschossen hatte.171 Der Stolz auf Jagderfolge in der Familie kannte wahrhaftig keine Altersgrenze. Wer würde es für möglich halten, dass der kranke und schon alte Johann Harrach mit 80 Jahren noch täglich auf einen Bock nach Hradek fuhr und nach den Berichten seiner Tochter Maria Theresia bis zum 24. September 1908 „bereits sieben Damenböcke erlegt“ hatte? Auch Johanns Bruder Alfred bewies in seinen Revieren im mährischen Janowitz noch mit 79 Jahren Geschick: „Ich hatte heuer wieder Waidmannsheil und 5 Kapitalhirschen erlegt, obwohl die Brunft sehr gekürzt war“.172 Die Harrach zeichneten sich nicht nur als Jäger, sondern auch als Jagdgeber und Jagdherren aus. Dies traf vor allem auf den jeweiligen Familienchef zu, der als Großgrundbesitzer für die Jagdveranstaltung zuständig war und daher gewisse ökonomische, technische, praktische und organisatorische Voraussetzungen erfüllen musste, um erfolgreiche, große und gesellige Jagden veranstalten zu können. Die Häufigkeit der abgehaltenen Jagden, ausgedehnte, geeignete und wildreiche Jagdreviere,173 ausreichendes Forstpersonal für die Fortpflanzung und Erhaltung des Wildbestandes sowie sonstige Arbeitskräfte als Hilfskräfte bei der Jagd, Landhäuser und Schlösser für die Unterkunft der Jagdgäste und letztendlich die Veranstaltung von repräsentativen Jagdfesten setzten eine äußerst solide finanzielle Grundlage voraus. Die Jagd war 169 Hans Harrach an seinen Vater Otto, Strkow, 6.8. und 7.9.1916, in: AVA, FAH, Kt. 856. 170 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Krystynopol, 28.10.1911, 17.10.1913, Prugg, 27.8.1914, Lehenshofen, 16.8.1915, in: AVA, FAH, Kt. 858. 171 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Alt-Pernstein, 8.8.1917, in: AVA, FAH, Kt. 858. 172 Maria Theresia an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek, 24.9.1908, ebd.; Alfred Harrach an seinen Neffen Otto, Janowitz, 11.10.1910, in: AVA, FAH, Kt. 859. 173 Vgl. hierzu Eckardt, Herrschaftliche Jagd, 287.

4.3 Auf Jagd

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Abb. 29: Jagdhütten in Janowitz

eine kostspielige Angelegenheit, und selbst die prominentesten britischen Magnaten versuchten in den 1890er-Jahren, der Zeit der Agrardepression, durch Verkürzung der Jagddauer und der Zahl der Gäste die Kosten zu verringern.174 Johann Nepomuk bzw. Otto Harrach verwalteten von 1886 bis 1935 mehrere ausgedehnte Jagdreviere in ihren böhmischen und niederösterreichischen Herrschaften. Um die Jahrhundertwende besaßen die Harrach allein in Starkenbach (Jilemnice) dreizehn, in Zeltsch und Plana sechs, in Sadowa vier und in Bruck a. d. Leitha (Prugg-Rohrau) sieben Wald- bzw. Jagdreviere, die sich in Starkenbach und Zeltsch über eine Fläche von je 11.100 und 2417 Hektar erstreckten.175 Darüber hinaus 174 Jäger und Jagdgeber hatten mit Ausgaben für Waffen und Ausrüstung, für Pulver und Waffenpässe zu rechnen; siehe Karl Berger, Die volkswirtschaftliche Bedeutung der Jagd in Österreich, Klagenfurt 1911, 21–27. Für den britischen Fall vgl. Cannadine, The Decline, 360–361, 365. 175 Es geht um die Reviere a) Benecko, Branna, Harrachsdorf, Hrabačov, Johannesberg, Neuwelt, Rezek, Witkowitz, Kaltenberg, Žďár, Kruh, Seifenbach und Friedrichsthal in Starkenbach (Ostböhmen), b) Plana, Zeltsch, Oustrasic, Kraviny, Obora und Draziska in Südböhmen bei Tabor, c) Radostov, Přim, Stejskal, Sadová-Stračov in Sadowa (Ostböhmen) und d) Prugg, Pachfurth, Rohrau, Prugg Fasangarten, Pachfurth Auen, Rohrau Fasangarten und Pachfurth-Rohrau, ungar. Seite in der Domäne Prugg-Rohrau um Bruck a. d. Leitha (Niederösterreich-Ungarn). Vgl. Tittel, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1900), 173; ders., Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1906), 184 und 188; Výkaz zastřelené zvěře (Schussliste über das erlegte Wild) Forstamt Přim, 19.–22.11.1900, und Schussliste, Forstamt Rohrau, 4.–8., 13.11.1902 und 2.–4.12.1902, in: AVA, FAH, Kt. 913.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

besaßen Alfred und sein Sohn Franz Harrach bedeutende Jagdreviere in Mähren (in Janowitz und Groß-Meseritsch), wo Otto und Ernst Harrach sowie andere Hochadelige auf Jagd gingen.176 Der Wert eines Jagdreviers hing nicht nur von seiner Größe, sondern auch von seinem Wildbestand ab. Der Großteil der Harrach’schen Reviere lag in Böhmen und Mähren, die vor 1914 als „förmliche Wildkammern“ betrachtet wurden − nicht nur Österreichs, sondern ganz Zentral- und Westeuropas.177 Die Harrach’schen Jagdreviere boten eine reiche Auswahl an Haar- und Federwild wie Rehe, Hirsche, Böcke, Auer- und Birkhähne, Rebhühner, Fasanen und Hasen.178 Sie enthielten somit fast ausschließlich Hochwild, das einen symbolischen Wert als Wild der Aristokratie besessen haben dürfte.179 In Strkow und Starkenbach, in Hradek (Sadowa), Prugg und Rohrau gehörten unzählige Jagden, in größerem oder kleinerem Kreis, zum Jahresablauf. Im April und Mai standen Birk- und Auerhähne (Zeltsch, Strkow und Starkenbach) im Visier, im Juni und Juli Böcke (Prugg), im Juli, August und September Hirsche, Böcke, Rehe und Birkhähne (Strkow und Starkenbach) und im Oktober bis Dezember Fasanen, Hasen, Kaninchen, Rebhühner, Auerhähne, Enten, Rehböcke und Hirsche (Zeltsch, Strkow, Starkenbach, Sadowa und Prugg-Rohrau).180 Die jeweils zu jagende Wildart wurde fast immer in der sich auf die Jagd beziehenden Korrespondenz sowie in den entsprechenden Schusslisten erwähnt. Das von durchschnittlich sechs bis zehn Schützen erlegte Wild konnte rund 300 bis 1000 Stück pro Jagdtag betragen. So wur176 Siehe Danksagungen für die entsprechenden Einladungen: Otto Harrach an Vetter Franz, Krumau, 19.9.1890, Ernst Harrach an Onkel Alfred, Hradek, 23.8.1902, und an Vetter Franz, Hradek, 23.8.1902, Peggau, 16.7.1909, Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Groß-Meseritsch, 31.10.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024, Kt. 9, Fol. 124, Kt. 76, Fol. 1017, Kt. 10, Fol. 126. 177 Vgl. hierzu Berger, Die volkswirtschaftliche Bedeutung, 45. 178 Dies lässt sich aus der die Jagd betreffenden Korrespondenz von Otto Harrach sowie aus den Schematismen des Großgrundbesitzes in Böhmen schließen. Siehe hierzu Procházka, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böhmen (1881), 217–219; Tittel, Schematismus des Grossgrundbesitzes in Böh‑ men (1906), 186. 179 Nach verschiedenen Edikten war übrigens die Hochwildjagd bis ins späte Mittelalter ein königliches bzw. fürstliches Privileg, das in der Frühen Neuzeit dann dem gesamten Hochadel des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation vorbehalten war. In Österreich erwarben die im 13. Jahrhundert aufgekommenen Landherren, die über dem niederen Adel standen, Hochwildjagdrechte. Heinz Dopsch, Der österreichische Adel, in: Erich Zöllner (Hg.), Österreichs Sozialstrukturen in historischer Sicht, Wien 1980, 29; Adolf Adam, Ethik der Jagd, Paderborn 21996, 11; Margot Rauch, Des Landesfürsten Jagd, in: Wilfried Seipel (Hg.), Herrlich Wild. Höfische Jagd in Tirol, Innsbruck, 2004, 15–46; Erich Hobuschl, Von der edlen Kunst des Jagens, Innsbruck/Frankfurt 1978, 125–126. 180 Vgl. hierzu die Jagden der Grafen von Bernstorff als Vertreter des ostelbischen Adels; Conze, Von deutschem Adel, 376–377.

4.3 Auf Jagd

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den z. B. am 19. November 1900 im Revier Přim (Sadowa) 302 Hasen, 38 Kaninchen, 6 Rebhühner, 14 Fasanenhähne, 8 Fasanenhennen (in Summe: 368) erlegt. Am 30. Oktober 1901 wiederum wurden im Revier Prugg vom Haarwild bzw. Rehwild 4 Gämsen, 919 Hasen und 2 Kaninchen sowie vom Federwild 5 Fasanenhähne und 61 Rebhühner (in Summe: 991) zur Strecke gebracht.181 Die Dauer der Jagden variierte. Sie konnten ein bis zehn Tage in Anspruch nehmen, in der Regel dauerten sie aber zwei bis fünf Tage.182 Man konnte am gesamten Programm oder auch nur an einem Teil davon teilnehmen.183 Die Gästelisten der Harrach’schen Jagden setzten sich überwiegend aus Männern des Hochadels bzw. des Geburtsadels zusammen, ergänzt um Mitglieder des niederen bzw. Dienstadels oder Bildungsbürger, die durch ihr Amt als Offiziere, Statthalter, Bürgermeister oder Ärzte auf lokaler Ebene enge Kontakte zu den Harrach gepflegt haben dürften. Bei den Jagden von 1900 in den ostböhmischen Revieren von Sadová zählten vor allem Angehörige des böhmischen Adels wie Bedřich Graf Deym, Eugen Graf Czernin, Jaroslav Prinz Lobkowitz, Jan Graf Dobřenský und Emmanuel Graf Mensdorf zu den „Herren Schützen“, die Johann Nepomuk Harrach auf die Jagd begleiteten. Mitglieder des niederösterreichischen Adels wie der Nachbar Rudolf Graf Abensperg und Traun, Graf Hardegg, Baron Schloissnig sowie prominente Vertreter des deutsch-böhmischen Adels wie die Prinzen Hohenlohe und Thurn und Taxis zählten zusammen mit Johann Nepomuks Söhnen Otto und Ernst ein Jahr später in seinen niederösterreichischen Jagden zu den Harrach’schen Gästen.184 Eine Einladung vom alten Johann Nepomuk Harrach zu den Jagden in Starkenbach scheint bei einigen jungen Männern des böhmischen Hochadels sehr begehrt gewesen zu sein, und der gleichaltrige Erbgraf Otto konnte als guter Vermittler dienen, wenn es galt, eine solche zu erlangen. „Falls Dein Vater wegen Starkenbach an mich denken sollte, stehe ich selbstverständlich zur Verfügung“, schrieb Fürst August Lobkowitz im April 1907, der ein Jahr vorher um die Teilnahme an der von Otto in seinen Allodial-Revieren in Strkow veranstalteten Jagd gebeten hatte. „Falls Du die 181 Výkaz zastřelené zvěře (Schussliste über das erlegte Wild), Forstamt Přim, 19.11.1900, und Schussliste, Forstamt Rohrau, 30.10.1901, in: AVA, FAH, Kt. 913. 182 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1912 (19.–22. September, 12.–22. November, 25. November bis 3. Dezember), 1913 (15.–17., 25.–29. November) und 1914 (2.–5., 7.–9. Mai), in: AVA, FAH, Kt. 886. 183 Adolf Ledebur bedankte sich für die Einladung zur neuntägigen Jagd Ende Oktober 1911, schrieb aber, dass er und seine Frau nur vier Tage mitmachen würden, da neun Tage für sie eine lange Zeit wäre. Adolf Ledebur an Otto Harrach, Obergärtnerhof, Alkoven (OÖ), 14.10.1911, in: AVA, FAH, Kt. 864. 184 Výkaz zastřelené zvěře (Schussliste über das erlegte Wild), Forstamt Přim, 19.–21.11.1900, und Schussliste, Forstamt Rohrau, 20.10., 5.–6. und 19.–21.11.1901, in: AVA, FAH, Kt. 913.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Absicht hast mich heuer wieder nach Strkow einzuladen wäre sympathisch“.185 Die Lobkowitz, eines der bedeutendsten Geschlechter des böhmischen Adels, veranstalteten auch selbst renommierte Jagden mit prominenten Gästen. Zdenko Lobkowitz, ein Freund Otto Harrachs, sagte Mitte Dezember 1911 seine Teilnahme an einem Treffen des Komitees für das katholische Montagsblatt wegen seiner über eine Woche andauernden Jagd in Raudnitz (Böhmen) ab, bei welcher der König von Sachsen sowie Erzherzog Karl und Zita für je ein bis zwei Tage mit von der Partie sein würden.186 Die Grafen Harrach waren in der Lage, neben kleinen, kurzen, von den meisten adeligen Häusern im engen Familien- oder Freundeskreis abgehaltenen Jagden auch große und lang andauernde Jagden mit Dutzenden von Jagdgästen zu veranstalten, die die Kraft, Vitalität und Bedeutung der Familie demonstrieren sollten.187 Johann Nepomuk Harrach berichtet am 5. Juni 1905 von 50 im Schloss Prugg angelangten Personen.188 Ihm folgte als neuer Familienchef Otto, der sich − der Familientradition treu geblieben − trotz bescheidener Leistungen als Jäger einen Namen als Jagdgeber und Jagdherr in Böhmen und Niederösterreich machte. Bestimmte Harrach’sche Jagden, vor allem jene von Prugg und Hradek, dürften zu den bedeutendsten Ereignissen der aristokratischen Gesellschaft gezählt haben. Dort lagen die größten und prachtvollsten Schlösser der Harrach, die für repräsentative Jagdfeste und Diners überaus geeignet waren. Bei solchen Jagden durften auch Mitglieder des kaiserlichen Hauses der Habsburger sowie anderer regierender Häuser aus deutschen Staaten als Gäste nicht fehlen. „Hast Du denn Alle zu den Prugger Jagden geladen? Auch am Ende Erzherzog Leopold? Was ist mit den Coburgs?“, erkundigte sich Ernst Harrach bei seinem Stiefbruder und Jagdgeber Otto am 13. Oktober 1911.189 Über den Ablauf dieser Jagden wurde ihr Onkel Alfred nach einigen Tagen von Otto informiert: „Die hiesigen Jagden mit vielen Gästen haben gestern ihr Ende gefunden, die Gäste waren zufrieden, Menage Coburg sehr nett und angenehm, luden uns für nächstes Jahr auf Gamsjagden nach Steiermark ein. Heute kommt Zdeni Lobkowitz auf kleine Jagd. […] Erzher185 August Lobkowitz an Otto Harrach, Wiener Neustadt, 4.4.1906, Wien, 20.4.1907, in: ebd., Kt. 864. 186 Zdenko Lobkowitz an Otto Harrach, Raudnitz, 12.12.1911, in: ebd. 187 Vgl. Conze, Von deutschem Adel, 378. 188 Johann Harrach an seinen Sohn Otto, Prugg, 5.6.1905, in: AVA, FAH, Kt. 857. Auf den großen Jagden des Vormärz von Johann Fürst Liechtenstein in Feldsberg waren gelegentlich bis zu 80 Personen zu Gast; Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 153. 189 Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Schindelthal, 13.10.1911, in: AVA, FAH, Kt. 859.

4.3 Auf Jagd

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zog Leopold Salvator war mit Erzherzogin und Tochter auch da. Mitte November jage ich in Strkow, dann von 20. bis 27. in Hradek, wo heuer auch Line hinkommen wird.“190

Alfred gratulierte dem Familienoberhaupt zu den gelungenen Jagden und schrieb, dass die Coburgs „wohl sehr zufrieden von der Einladung“ gewesen seien.191 Nicht alle Adeligen konnten sich als Jagdgeber – aus welchen Gründen auch immer – zahlreiche Gäste, große Diners und Festlichkeiten leisten. Karl Graf Abensperg und Traun, ein befreundeter Nachbar aus Petronell (Bruck a. d. Leitha), hätte im Dezember 1913 die glänzende Behandlung bei Otto Harrachs Jagden gerne erwidert, soll aber für so etwas nicht „eingerichtet“ gewesen sein.192 Der Wert der Jagd als Ausdrucksform des aristokratischen Lebensstils lässt sich unter anderem auch an der abgestuften Teilnahme von Kindern und Jugendlichen neben ihren Vätern, Onkeln und sonstigen Verwandten an verschiedenen Jagden erkennen. Während des Ersten Weltkriegs finden sich Danksagungen, Berichte und sonstige auf die Jagd bezogene Briefe, aus denen hervorgeht, dass einige Jagdgäste Ottos mit ihren 16- bis 18‑jährigen Söhnen teilgenommen hatten. „Wir verlassen reizendes Starkenbach, wo wir so lieb empfangen und behandelt wurden. Das Essen, sowohl im Schloss wie in den Forsthäusern war wie es ja nicht anders zu erwarten ausgezeichnet. Der Aufenthalt wird eine schöne Erinnerung sein, insbesondere weil Eduard seine ersten Hirschen und Ferdinand seine ersten Rehböcke schießen durfte. Danke für Einladungen nach Strkow und Rohrau“,

so Vetter August Lobkowitz Mitte August 1916.193 Den jungen Jägern wurden sogar verschiedene Rollen zugewiesen. „Danke unendlich für Einladung. Wenn Du Schützen brauchst, Eduard kann sehr gut schießen. Ich könnte ihm einen Urlaub verschaffen, da er in Wiener Neustadt (Militärische Akademie) ohnehin nichts zu tun hat“, schrieb August Lobkowitz im November 1917.194 Der Dankesbrief seines Sohnes an Otto spricht für sich: „Verehrter Onkel. Herzlichen Waidmansdank für die schönen 190 Otto Harrach an Onkel Alfred, Prugg, 19.10.1911, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 191 Alfred Harrach an seinen Neffen Otto, Aschach, 14.11.1911, in: AVA, FAH, Kt. 859. 192 Karl Abensperg und Traun an Otto Harrach, Wien, 18.12.1913, AVA, FAH, Kt. 860. Alphons Mensdorff-Pouilly lud Otto zu seinen „zwar nicht brillanten zwei Jagden nach Boskovitz“ am 10. und 11.11.1913 ein und bat ihn, 600 Patronen mitzubringen; Alphons Mensdorff-Pouilly an Otto Harrach, o. O., 17.10.1913, AVA, FAH, Kt. 864. 193 Brief an Otto Harrach von August Lobkowitz, Wien 8., 23.12.1915, Starkenbach, 15.8.1916, und von Ferdinand Hildprandt, Blatka, 6. und 15.4.1916, Spindelmühle, 29.4.1916, in: AVA, FAH, Kt. 864, 862. 194 August Lobkowitz an Otto Harrach, Wien, 15.11.1917, in: AVA, FAH, Kt. 864.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Hradeker Jagden. Du warst ja immer in jeder Hinsicht der nobelste Hausherr, den man sich denken kann.“195 Die vielfältige Thematik der die Jagd betreffenden Briefe zeigt, dass die Jagd für die Adeligen keine flüchtige Zerstreuung, sondern eine ernste Angelegenheit war, die entsprechende Vorbereitungen verlangte und auch Folgen zeitigte. So wurden auf der Jagd über das Schießen hinaus enge Kontakte geknüpft, und sie brachte einen reichen Briefverkehr mit sich. Dazu gehörten Berichte, Pläne, Danksagungen, Einladungen, Gratulationen sowie die Bitte um Verzeihung wegen Fernbleibens. Siebzehn von Ottos Jagdgästen verfasste Berichte, die manchmal acht- bis zehnseitig waren und damit den Rahmen eines einfachen Briefs sprengten, sind aus den Jahren 1912–1918 erhalten geblieben.196 „Ich halte es für meine Pflicht Dir als lieben Jagdund Hausherr einen kleinen Bericht zu senden“, ist eine typische Formulierung, die nicht nur von seinem Schwager Gottlieb Henneberg verwendet wurde. Die Berichte sind ziemlich ausführlich und geben bei Jagden, die von 3 oder 4 bis zu 10 oder 12 Tagen dauerten, Auskunft über jede Phase der Jagd, das Balzen der Hähne, die Hirschbrunft, die Schüsse, die erlegten Tiere, die Strecken, die Wetterverhältnisse usw.197 Fast alle Briefe, die von den zu den Harrach’schen Jagden Eingeladenen bzw. den Teilnehmern stammen, enthalten Danksagungen verschiedenster Art an den Jagdherrn und Jagdgeber Otto Harrach, manchmal auch an seine Frau Karoline. Verwandte und Freunde bedankten sich oft in der Jägersprache für die ihnen gebotenen Jagden, die erlegten Auerhähne, Hirsche, Böcke usw., für die große Gastfreundschaft, für das jeweilig reservierte Wild, für die Einladung auf Hirsche und Hirschbrunft usw.198 195 Eduard Lobkowitz an Otto Harrach, Wiener Neustadt, 27.11.1917, ebd. 196 Jagdberichte und ‑schilderungen scheinen noch im frühen 20. Jahrhundert ein fester Bestandteil der Schriftkultur des deutschsprachigen Adels gewesen zu sein. Die Tagebücher Andreas von Bernstorffs sind voll von Jagdberichten und verdeutlichen die herausragende Rolle der Jagd im Alltagsleben dieser preußisch-mecklenburgischen Familie. Vgl. Conze Eckart, Von deutschem Adel, 377. 197 Briefe an Otto Harrach von seinem Schwager Gottlieb Henneberg, Neuwelt, 28.9.1912, Hradek (Schüttenhofen), 4.10.1912, 16.3.1916 (Kt. 857), Ferdinand Hildprandt, Spindelmühle, 29.4.1916 (Kt. 862), August Lobkowitz, Starkenbach, 15.8.1916 (Kt. 864), und Rudolf Salm, Harrachsdorf, 7.–8.5.1915, Rezek, 7.5.1916, Mährisch Budwitz, 26.6. und 2.11.1916, 17.5., 1.8. und 23.8.1917, Starkenbach, 21., 25. und 27.4.1918 (Kt. 866), in: AVA, FAH. 198 Briefe an Otto Harrach von seinem Schwager Gottlieb Henneberg, Hartenberg, 10.2., 14.3. und 25.4.1913, 1.1.1917, Hradek (Schüttenhofen), 10. und 25.11.1907, 19.11.1909, 29.10.1913, 14.9.1915, 3.10.1915, 25.9.1916, 24.8., 8.9. und 13.9.1917, Wien, 24.11.1906, Wössekerbande, 3., 5. und 6.5.1913, Neuwelt, 4.10.1913 (Kt. 857), Vetter Hans-Albrecht, Florenz, 28.10. und 30.12.1906, 23.12.1907 (Kt. 859), seinen Schwägern Eugen Öttingen, Berlin, 3.5.1913, und Karl Öttingen, Hluboš, 24.8.1918 (Kt. 865), Franz Czernin, Schönhof, 12.12.1912, und Rudolf Morzin Czernin, Hohenelbe, 24.10.1912 (Kt. 861), Ferdinand Hildprandt, Harrachsdorf, 8.5.1902, Seifenbach, 14.5.1902, Blatka, 18.11.1904, Spindelmühle, 29.4.1916, Starkenbach, 9.5.1918 (Kt. 862),

4.3 Auf Jagd

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„Waidmannsdank“ und „Waidmannsheil“ kommen als die üblichsten Jägerausdrücke vor.199 Der einzige Fall von einem Missverständnis zwischen einem Jagdgast und Otto Harrach als Jagdherr betraf eine Beschwerde von Ottos Schwager Gottlieb Henneberg Ende 1913, die aber bald beigelegt werden konnte. Der Fall offenbart die Bedeutung der Hierarchie und Rangordnung bei den Jagden, die die feinen Rangunterschiede innerhalb des Adels widerspiegeln sollten. Gottlieb meinte, ihm seien von Otto auf einer Jagd in Hradek zu viele Schützen zugewiesen worden, was er als erniedrigend betrachtete. „In meinem letzten Brief wollte ich Dir gar nicht Ratschläge geben wie viel Schützen Du mit mir laden sollst. Ich habe nur gebeten mich bei der Schützenzahl nach Rangordnung […] zu behandeln, sonst so leid es mir auch tut, lieber nicht zu laden“.200 Die Etikette musste wie bei Bällen und Diners auch auf Jagden streng eingehalten werden. Führte der Erste Weltkrieg zu einem tiefen Bruch in der adeligen Geselligkeit mit ihren Bällen, festlichen Diners und Soireen, von dem sich der ab 1919 titellose Adel nie mehr ganz zu erholen vermochte, schienen die Jagden zumindest der Grafen Harrach, wie einige der oben angeführten Beispiele zeigen, während des Krieges unberührt geblieben und weiter intensiv gepflegt worden zu sein. Die Harrach’sche Jagden wurden dann auch während der Zwischenkriegszeit regelmäßig sowohl im österreichischen Prugg als auch in den um 1924 fast um die Hälfte geschrumpften böhmischen Revieren der Tschechoslowakei betrieben.201 Die Jagd war nach wie vor nicht aus dem gesellschaftlichen Leben auf den Gütern der Landschlösser wegzudenken, und die Veranstaltung von Jagden war eine gesellschaftliche Verpflichtung für die Familienchefs des Hochadels.202 Obwohl Otto Harrach ein „schwerer Asthmatiker“ war und selber nicht mehr jagen konnte, organisierte er noch in den 1920erund frühen 1930er-Jahren große Jagden.203 Damit bildete er unter den größten und reichsten Familien des Adels in Österreich, der ČSR, Ungarn und Deutschland keine

Vincenz Zdenko Lobkowitz, Prag, 17.12.1909, Alphons Mensdorff-Pouilly, Boskovitz, 29.6.1914, Emmanuel Mensdorff-Pouilly, Chotelic, 8.11.1906, 26.5.1911 (Kt. 864), Rudolf und Marie Salm, Mährisch Budwitz, 7.9.1914, 12.10. und 4.5.1918 (Kt. 866), in: AVA, FAH. 199 Nach Conze fungierte Jägersprache als „Distinktionskriterium, als Ausweis gleichartiger Sozialisation und lebensweltlicher Hintergründe“. Bis zu 3000 Jagdbegriffe sind gezählt worden; vgl. Conze Eckart, Von deutschem Adel, 378; Adam, Ethik der Jagd, 57–58. 200 Gottlieb Henneberg an seinen Schwager Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 27.11. und 1.12.1913, in: AVA, FAH, Kt. 857. 201 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 202 Conze, Von deutschem Adel, 375. 203 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004; Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 30.10.1922, Prugg, 24.11.1924, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024.

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4. Alltag, Lebensstil und Geselligkeit

Ausnahme.204 Es scheint, als hätten die Adeligen versucht, ihre sozialpolitischen Statusverluste durch die Jagd zumindest partiell soziokulturell zu kompensieren.205 Die Harrach setzten ihre Jagdtradition auch unter der Führung des neuen Oberhaupts ab 1936 fort. Waidmannsheil-Wünsche, Danksagungen und auf die Jagd bezogene Briefe an Hans von seinem Cousin aus der Öttingen-Wallerstein-Verwandtschaft sowie von anderen Jagdgästen der Harrach, die sich bis Frühling 1943 finden lassen, sprechen dafür.206 „Sehr geehrter Graf Harrach Ich habe etwas Bedenken, ob sie mir böse sein könnten, dass ich heute zwei Hähne schoss, obwohl Ihre Einladung auf einen Birkhahn lautete. Die Passion … Beide Hähne mit Hilfe meines Hundes gefunden. Ich danke für den wunderschönen Jagdtag. Waidmanns Dank und Heil Hitler“,

so der Oberlandrat in Königgrätz – die Zeiten hatten sich geändert. Das analysierte Material macht deutlich, dass eine adelige Lebensführung vor allem viel Freizeit, viel Raum im Heim und einen privilegierten Zugang zur Natur, viel Geld, die Umsorgung durch zahlreiche Bedienstete sowie Aufsichts- und Lehrpersonal für die Kinder voraussetzte. Wir dürfen daher behaupten, dass die überwiegende Mehrheit der ländlichen und städtischen Bevölkerung sowie große Teile des Bürgertums, weniger des mittleren, vor allem aber des Kleinbürgertums und des niederen, generell verarmten und deklassierten Adels in Zentraleuropa in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg vom aristokratischen Alltag und Lebensstil wie jenem der Harrach weit entfernt waren.

204 Vgl. hierzu Holub, Fürst Alois Schönburg-Hartenstein, 126; Glassheim, Noble Nationalists, 122–124. „Noch bis zum Zweiten Weltkriege gab es Adelige in Ungarn, deren ganze Jahreseinteilung sich danach richtete, wann, wo und welches Wild frei für den Abschuss war. Man las, betrieb und sprach natürlich auch viel über Jagd. Jedes Landhaus besaß Jagdwaffen und Jagdhunde“; Vincenz Windisch-Graetz, Der ungarische Adel (in der Zeit 1815–1914), in: La Noblesse dans le pays Habsbour‑ geois 1815–1914. Etudes Danubiennes, VII (2), 1991, 127–128. 205 So Eckart Conze im Fall des deutschen Adels nach 1918; ders., Von deutschem Adel, 378–379. 206 Briefe an Hans Harrach vom Vetter Wallerstein, Wallerstein bei Nördlingen (Bayern), 6.1.1936, Seyfriedsberg (Forst Ziemetshausen, Schwaben), 14.5.1939, Hohenaltheim bei Nördlingen, 15.8.1940, o. N., Horaždovice, 24.11.1940, A. von Heindurch, Prag, 7.5.1942, und Oberlandrat in Königgrätz, 23.4.1943, in: AVA, FAH, Kt. 912.



5. Selbstverständnis und Positionierung

Die Lebensweise und die Kultur des zentraleuropäischen Adels, die in den vorangegangenen Kapiteln am Beispiel der Grafen Harrach dargestellt wurden, hängen mit deren Selbstverständnis und Positionierung eng zusammen. Mehr oder minder exklusive und standesgemäße Lebens- und Vergnügungsformen wie Reisen, Kuraufenthalte, Jagden, Diners, Soireen und Bälle dienten wahrscheinlich der Bestätigung, Reproduktion und möglicherweise der Verstärkung von Abgrenzungslinien gegenüber Nichtadeligen. Der Adel gilt nicht umsonst als eine soziale Gruppe, die besonders dazu geeignet ist, die „Mechanismen von sozialer Inklusion und Exklusion, von Selbst- und Fremdpositionierung im sozialen Raum […] am konkreten historischen Beispiel zu studieren“.1

5.1 Geschlossenheit, Verbundenheit und Vernetzung Geschlossenheit und Exklusivität ist der gemeinsame Nenner im Alltag der Harrach und ihrer Standesgenossen. In allen vorgenannten Geselligkeitsformen und Zerstreuungsarten des Familien‑, Verwandten- und Freundeskreises der Grafen Harrach erscheint zumindest bis in die 1920er-Jahre ein relativ begrenzter Kreis von etwa fünfzig Familien der Aristokratie Österreich-Ungarns.2 Es waren fast ausschließlich Angehörige dieser Familien, die in Korrespondenz und Tagebüchern als Begleiter der Harrach erwähnt werden. Erwartungsgemäß sind Adelige aus Böhmen, Mähren und Niederösterreich, d. h. aus den Kronländern, wo die Harrach’schen Besitzungen la1 2

Vgl. Conze, Deutscher Adel im 20. Jahrhundert, 20–21. Es geht vor allem um die Familien Abensperg und Traun, Auersperg, Belcredi, Bellegarde, Buquoy, Chorinsky, Clam, Clary, Colloredo, Czernin, Esterházy, Gudenus, Hardegg, Hohenlohe, Hoyos, Kinský, Kuefstein, Lazansky, Ledebur, Lanckoronski, Lobkowitz, Lubomirski, Ludwigstorff, Mensdorff, Pálffy, Pallavicini, Potocki, Salm, Schönborn, Schönburg, Schwarzenberg, Sternberg, Thun, Thurn und Taxis, Trauttmansdorff, Waldburg, Walterskirchen, Wambolt, Windisch-Graetz und Zichy.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

gen, am meisten und häufigsten vertreten, gefolgt von Adeligen aus Nachbarländern wie Ungarn und der Steiermark, während die Vertretung Galiziens zum Teil auf die Einheiratung von Maria Theresia Wisniewski, geborene Harrach, in den polnischen Adel zurückzuführen ist. Die Nachbarschaft und die Verwandtschaft spielten bei den Gesellschaften auf dem Land, in den Harrach’schen Schlössern und ihrer Umgebung eine größere Rolle,3 während die Geselligkeit in Wien, in Kurorten und Seebädern viel bunter gewesen zu sein scheint und Adelige aus allen Kronländern der Monarchie und aus Deutschland einbezogen hat. Man verkehrte jedenfalls mit Standesgenossen, die, wenn man einander auch selten traf, einen gemeinsamen Verhaltenskodex und Wertekanon besaßen, was es erlaubte, jederzeit und überall sozial geschlossene Gesellschaften zu bilden.4 Wie im vorigen Kapitel schon angedeutet (vgl. 4.2), waren Begriffe wie Welt und Gesellschaft trotz ihrer umfassenden Bedeutung mit einem deutlich eingeschränkten, rein auf den Adel bezogenen Inhalt belegt, wenn sie von Adeligen ausgesprochen wurden. Sie betrafen nicht die Welt oder die Gesellschaft schlechthin, sondern allein die adelige Welt oder die jeweilige adelige Gesellschaft. Diese enge Sichtweise auf die Gesellschaft als einen begrenzten Kreis hält beim alten wie beim jüngeren Nachwuchs der altösterreichischen Aristokratie bis heute als Klischee an. Die 1917 geborene Stephanie Harrach, geborene Eltz, die Schwiegertochter Otto Harrachs, betonte in einem Interview von 2004, ohne sich an bestimmte Personen zu erinnern, dass ihre Schwiegereltern Kontakte „mit der damaligen Gesellschaft“ gepflegt hätten. Der Dialog zwischen ihr und dem um fast 30 Jahre jüngeren Graf Arco Zinneberg, dem Vertreter der Gräfin Stephanie, anlässlich der Frage nach dem Kreis von Otto Harrach bis in die 1920er-Jahre ist aufschlussreich: „Arco Zinneberg: Sie hat das nicht erlebt […]. Die haben verkehrt mit der Aristokratie damals, es war viel stärker, mit den Eigenen, mit der sogenannten Ersten Gesellschaft, oder? Stephanie Harrach: Im Kreis geblieben. Arco Zinneberg: Im selben Kreis geblieben, mehr oder minder. Es hat Ausnahmen gegeben, 3

4

Laut Stephanie Harrach besuchten die Harrach und Abensberg-Traun einander in den späten 1930er bzw. frühen 1940er Jahren in Prugg und Petronell (Bruck a./L., NÖ) beinahe täglich. Gegenseitige Besuche zwischen Nachbarn hat es damals auch in Hradek, Böhmen gegeben, obwohl man auf Kontakte mit tschechisierten Familien wie den Chlumecky bedacht war; Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. Die Familien des österreichischen Adels waren durch ein ausgeprägtes Standesethos, das Bewusstsein überregionaler Zusammenhänge und das Streben nach elitärer Exklusivität verbunden und „schlossen sich im geselligen Verkehr von den übrigen Bevölkerungsschichten deutlich ab“; Stekl, Der erbländische Adel, 962.

5.1 Geschlossenheit, Verbundenheit und Vernetzung

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aber die Aristokraten haben mehr oder minder untereinander verkehrt, und die bürgerliche Gesellschaft hatte ihren Kreis gehabt, mehr oder minder.“5

Obwohl man annehmen könnte, dass das skizzierte Bild von den Nachkommen des Adels a posteriori konstruiert worden ist, um eine weiter andauernde Geschlossenheit und Exklusivität zu rechtfertigen, wird es von den archivalischen Quellen bestätigt. Die Geselligkeit war nicht das einzige Feld, auf dem sich die Geschlossenheit des Adels manifestierte. Die Endogamie, die bis in die Zwischenkriegszeit fast ausnahmslos von den Harrach wie generell vom Hochadel praktiziert wurde (siehe Kap. 1), bildete auch nach der Abschaffung der Adelsprädikate im Jahr 1919 einen wichtigen Faktor zur Erhaltung der Geschlossenheit und Verbundenheit des altösterreichischen Adels. Es geht um lange bestehende Kontinuitäten, da die Verbundenheit mit den Standesgenossen schon im ausgehenden 18. Jahrhundert als fester Bestandteil des deutschen Hochadels galt: „Der eigene Adelsstand ist Verpflichtung für die nächste Generation in Sachen Partnerwahl und Lebensführung“.6 Die oben skizzierte Geschlossenheit und Verbundenheit der Harrach und anderer Adeliger mit ihresgleichen reproduzierte ein ausgedehntes Netzwerk von familiären, verwandtschaftlichen und freundschaftlichen Beziehungen und Bekanntschaften, das sich von Bayern und Spanien bis nach Galizien und von Berlin bis nach Görz und Triest erstreckte.7 Franz genoss im Oktober 1910 in Madrid die Gesellschaft seiner Standesgenossen („25 Granden mit Gattinnen im Gefolge der Majestäten“) auf einem offiziellen königlichen Bankett, wo er einen Toast auf die spanische Königin ausbrachte.8 Gabriel Marenzi, der gleich zu Beginn des Krieges an die Ostfront berufen wurde, versuchte, die Besorgnis seines Schwagers Otto Harrach wegen Gabrieles Reise in den Osten im September 1914 mit folgenden Worten zu zerstreuen: „Sie wird mit dem Auto soweit mitfahren als eine anstandslose Rückreise mit dem Zug gesichert ist. Wir haben auf der ganzen Strecke Wien–Czernowitz Bekannte“.9 Verwandte, Freunde und Bekannte leisteten nicht nur bei Jagden, Festen und verschiedenen Zerstreuungen Gesellschaft. Sie bewiesen auch in schwierigen Zeiten adelige 5 6 7

8 9

Interview mit Stephanie Harrach und Arco-Zinneberg am 28.9.2004. Grillmeyer, Zur Symbiose von symbolischem und realem Kapital, 239–240. Silke Marburg weist am Beispiel der königlichen Familie Sachsens auf die „Typik hochadeliger Binnenkommunikation aufgrund der Kombination von überregionaler und übernationaler Orientierung, familiärer Signatur und besonderer höfischer Ehrerweisung“ hin; Marburg, Hochadelige Binnenkommunikation, 318. Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Groß-Meseritsch, 5.11.1910, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Wels, 3.9.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

Solidarität und standen einander, wie es zumindest seitens der Grafen Harrach mehrmals der Fall war, vor allem während des Krieges bei. Die Beziehungen und das adelige Netzwerk der Familie Harrach und ihres Umfelds dürften sich aus immer wieder ausgetauschten Nachrichten jeglicher Art, aus kritischen Bemerkungen, Grüßen, Glückwünschen und Kondolenzen, ritualisierten Nachrichten, aber auch aus Klatsch und Tratsch sowie „seriösen“ Diskussionen gespeist haben, die mündlich oder schriftlich artikuliert wurden und die Welt des Adels bestimmten. Wir beschränken uns gezwungenermaßen auf die schriftlichen Belege aus der Korrespondenz, von denen ein kleiner Teil im Folgenden vorgestellt wird. Nachrichten über Unfälle, Selbstmorde,10 Krankheiten,11 Operationen12 und Kuren, über Abfahrten und Ankünfte, Reisen und Aufenthalte,13 über Hochzeiten,14 Verlobungen und Todesfälle,15 Kriegsgefallene und Kriegsverwundete sowie Auskünfte über Geschwister, Ehepaare, Verlobte, Eltern, Kinder, Onkel, Tanten, Vettern, Freunde und Bekannte kommen immer wieder in den Briefen vor, die Otto Harrach empfing. Die adelige Welt war stets präsent, wie die folgenden Ausschnitte zeigen: „Der älteste Sohn Haugwitz, der eher entsetzlich ist, hat sich mit dieser jungen hübschen Gräfin Széchényi verlobt, wie es scheint nur eine Raison-Heirat“; „Franzi Bellegarde mit einer Kielmansegg verlobt, die viel jünger ist“; „Wunderschön finde ich vom alten Louis Liechtenstein, der sich als ordentlicher Offizier meldete. Wie kann er es nur leisten?“, schrieb Karoline 1904, 1909 und 1914 an ihren Gatten.16 10 Nachricht vom Selbstmord von Vincenz Windisch-Graetz in Rom; Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 28.3.1913, in: AVA, FAH, Kt. 856. 11 Beispielsweise von Onkel Karl Schwarzenberg oder von Ferdinand Trauttmansdorff in Warschau; Karoline, ebd., Wien, 25.3.1904, Hradek, 20.9.1915. 12 Wie etwa von Emma Czernin, Karoline, ebd., Prugg, 27.11.1904. 13 „Berta Lobkowitz soll in März nach Lemberg fahren um ihren Sohn zu besuchen und Tante Anna ist zufrieden aus Abbazia“; „Zdenko Lobkowitz, war zwei Tage hier vorige Woche und den sahen wir mehr“, schrieb Maria Theresia aus Lemberg am 26.2.1911 und 23.5.1912, in: AVA, FAH, Kt. 858. 14 Gabriele Marenzi erfuhr bei einem Treffen mit Karl Attems und seiner Frau im Oktober 1917 in Budapest, dass Max Attems am 29.10. seine silberne Hochzeit und Tante Fanny goldene Hochzeit hatten, und teilte dies ihrem Bruder Otto Harrach mit; desgleichen informierte Maria Theresia ihren Bruder über die bevorstehende Hochzeit von Schönborn-Coudenhove in Prag und von Fedrigotti-Waldstein in Wien; Kronstadt, 22.10.1917, Lemberg 8.5.1905, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. „Die junge Witwe von Louis Badeni, eine Schwedin mit einem Sohn, heiratet Johannes Lobkowitz. Marie heiratet schließlich doch Max Sprinzenstein, Sie hat viel Courage gleich all die Kinder zu übernehmen“, so Maria Theresia am 23.4.1918, ebd., Kt. 858. 15 „Der so schnelle Tod des Karl Schwarzenberg hat mich sehr ergriffen – Ida sehr zu bedauern und die Kinder, der jüngste 3 Jahre alt“, so Maria Theresia in einem Brief aus Krystynopol am 17.10.1913, in: AVA, FAH, Kt. 858. 16 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 12.4.1904, Abbazia, 1.3.1909, Strkow, 31.7.1914, in: ebd., Kt. 856.

5.1 Geschlossenheit, Verbundenheit und Vernetzung

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„Der arme Graf Chotek ist noch immer in Gefahr doch etwas kräftiger“; „Susanne Chotek arrangiert wieder ein Fest, zum Geburtstag des Kaisers“; „Heinrich Taaffe in Pilsen Spitalkommandant […] Vari Schönborn leicht verletzt“; „Überall traurige Nachrichten. Die armen Schönborn und Liechtenstein tun mir so leid“; „Man hört von überall traurige Nachrichten. Jetzt wieder vom jungen Robert Nostitz und Hugo Taxis“, teilte die älteste Schwester Ottos, Anna Henneberg, von 1910 bis 1915 mit.17 „Tod des armen Franzi Stauffenberg hat mich sehr frappiert. Dieser Tod ruft alle Jugenderinnerungen und die Erinnerung an Tante Karoline hervor“, schrieb Gabriele Marenzi im Juni 1907.18 Bezeichnenderweise wird im Krieg in der adeligen Korrespondenz fast nur von adeligen Verwundeten und Gefallenen berichtet. War von Personen aus anderen sozialen Schichten die Rede, ging es um Dienstpersonal, Pfarrer, Lehrer usw., die den Harrach und anderen Adeligen gedient hatten. „Arme Illy Auersperg hat ihren zweiten Sohn auch verloren“; „So traurig der Tod von Josef Czernin, besonders für Line“; „Der zweite Sohn meiner Schwägerin Rena in den Gassen von Kiew erschossen, noch nicht 17 Jahre“, schrieb Maria Theresia jeweils 1915, 1916 und 1918.19 Es gab aber auch erfreuliche Nachrichten. Ältere Adelige hatten auch an die Zukunft ihres Standes, an die möglichen Liebesbeziehungen und Ehen „im Kreis“ zu denken; „Der kleine Thurn war zweimal auf Jagd hierher. Er ist ein reizender Bursch, den Ihr Euch warm halten solltet. Indes wünsche ich ihn mehr für die Bellegardsche Hühnerschar“, so Franz Czernin vor Weihnachten 1917.20 Eine besondere Art von Briefen bestätigt die adeligen Netzwerke und zeigt zugleich die höhere Stellung der Adeligen gegenüber ihren früheren oder gegenwärtigen Bediensteten: die Empfehlungsschreiben für eine Bewerbung bei anderen adeligen Arbeitgebern. Otto Harrach etwa empfing solche Schreiben von Verwandten und Freunden. Es handelt sich um Briefe, die das Selbstbild, das Selbstverständnis und die Standessolidarität bestätigt und sogar verstärkt haben dürften. „Heute schrieb mir Therese Schwarzenberg aus Wittingau dass sie hörte, Du suchtest jemanden zu Deinen Reitpferden. Sie empfiehlt aufs Wärmste den zweiten Sohn ihres Stallmeisters“, teilte Karoline Öttingen kurz vor ihrer Hochzeit dem künftigen Gatten Otto mit. Ottos Vetter Eduard Auersperg schrieb 1903 über einen gewissen Lutz, der zwei Jahre für ihn und früher als Sekretär bei Otto Windisch-Graetz beschäftigt gewesen 17 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen) 19.1.1905, 29.6.1910, 31.8.1914, 23.8.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857. 18 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 30.6.1907, ebd. 19 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Lehenshofen, 16.7.1915, Lemberg, 12.2.1916, 27.2.1918, ebd., Kt. 858. 20 Franz Czernin an Otto Harrach, Schönhof, 20.12.1917, ebd., Kt. 861.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

war: „Er war immer sehr ehrlich, praktisch und sehr beschäftigt zu sparen.“ Karl Auersperg verkündete 1910: „In Beantwortung Ihres Schreibens teile ich Ihnen mit, dass ich den Oberstleutnant Friedrich v. Ertl genau kenne. Er diente durch mehrere Jahre als Platzkommandant unter meinen Befehlen. Er ist ein sehr ehrenhafter, braver Mann, pflichtgetreu“, so die Empfehlung. Und Alois Liechtenstein wurde 1912 „von verschiedenen Seiten gebeten, eine hoch gebildete junge Dame für die Archivarstelle im gräflichen Harrach’schen Archiv, die frei wurde“, zu empfehlen.21

5.2 Die Harrach als Adelige und die anderen In der Regel herrschten im Hochadel eine enge Verbundenheit unter den Standesgenossen22 und eine abgestufte Abgrenzung gegenüber den übrigen, „unterlegenen“ Sozialschichten, vom (nobilitierten) Bürgertum bis zu Bauern, Dienern und Unterschichten. Die soziale Identität der Harrach und ihresgleichen dürfte also auf dem Anspruch auf Überlegenheit beruht haben, den John Kautsky als das „offenkundigste Element aristokratischer Weltanschauung“ bezeichnet hat.23 Einstellung und Kontakte zum Bürgertum

Die Abschottung betraf in erster Linie den Konkurrenten des Adels auf dem Gipfel der sozialen Pyramide, das Bürgertum. Trotz der Kompromisse im wirtschaftlichen und politischen Bereich blieben Adel und Bürgertum in Deutschland und noch mehr in Österreich-Ungarn zwei im europäischen Vergleich ungewöhnlich deutlich voneinander getrennte Gruppen.24 21 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Petersburg, 13.12.1901, Eduard Auersperg, Weitwörtl, 26.9.1903, Karl Auersperg, Wien, 31.5.1910, und Alois Liechtenstein, Schloss Gross Ullersdorf (Nordmähren), 2.10.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856, 860, 864. 22 „Verbundenheit – mit diesem Wort wird ein konstitutives Merkmal des Hochadels ausgedrückt. Denn „verbunden“ war der Adel über zahlreiche Heiratsverbindungen, und „verbunden“ fühlte er sich darüber hinaus mit der gesamten europäischen Adelsschicht“, Grillmeyer, Zur Symbiose von symbolischem und realem Kapital, 239. 23 John Kautsky, Funktionen und Werte des Adels, in: Peter Uwe Hohendahl / Paul Michael Lützeler (Hg.), Legitimationskrisen des deutschen Adels 1200–1900, Stuttgart 1979, 11. 24 Malinowski, Vom König zum Führer, 119, 128. Selbst im weniger aristokratischen Norditalien bemerkt man zwischen dem Großbürgertum und der Aristokratie Piemonts bis 1914 trotz der Kontakte und Zusammenarbeit in der Öffentlichkeit kaum Überschneidungen im privaten Leben, bei Empfängen, Festlichkeiten und sonstigen Winter- und Sommervergnügungen; Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy, 192–195.

5.2 Die Harrach als Adelige und die anderen

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Schon im Vormärz hatten die Aristokraten in Österreich die Tendenz, die zweite Gesellschaft zu ignorieren und sich von den nobilitierten Bankiers, Offizieren, Großhändlern und Industriellen abzusondern.25 Dieses Verhalten blieb im Großen und Ganzen bis 1918 unverändert, wie sich bereits an der Zusammensetzung der Gesellschaften, an denen die Harrach als Gäste oder Gastgeber teilnahmen, erwiesen hat (siehe Kap. 4).26 „Die ‚Erste Gesellschaft‘ reagierte auf die Betonung adeliger Gemeinsamkeit und auf die Imitation altadeliger Lebensformen und Repräsentationselemente überwiegend mit sozialer Abschließung“, so Stekl in Bezug auf den erbländischen Adel.27 Vor allem in Wien, der Hauptstadt mit der exklusivsten Hofgesellschaft, wurde eine soziale Vermischung mit dem Großbürgertum bzw. Neuadel abgelehnt. Besonders adelige Frauen – deren Exklusivitätsdenken und ständisches Selbstbewusstsein im Vergleich zum männlichen Adel stärker ausgeprägt waren –, hielten an den überlieferten Standesgrenzen fest und wahrten Distanz zum Bürgertum.28 Diese soziale Abgrenzung scheint auch von den Kindern der Aristokratie wahrgenommen worden zu sein, wie der Fall der 1903 und 1904 geborenen Ernestine und Hans Harrach zeigt: Sie pflegten kaum Umgang mit Gleichaltrigen aus einem anderen Milieu. Für ihre Sozialisation genügte der Verkehr mit ihresgleichen, d. h. mit Kindern von Verwandten und Freunden.29 Das sollte auch während der Jugend fortdauern und im Rahmen der Endogamiestrategie zu einer standesgemäßen Ehe führen (vgl. Kap. 1). Bei den wenigen Ausnahmen, die ohnehin nicht die Erstgeborenen und Erbanwärter betrafen, sahen sich junge bürgerliche Ehefrauen in den Familien des österreichischen Adels bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts mit Vorbehalten und einer fühlbaren Distanz konfrontiert. So erhielten sie kaum Besuch von Verwandten, und auf ihr Erscheinen bei Familienfesten wurde wenig Wert gelegt.30 Der Fall von Hans Windisch-Graetz (Sohn von Franz und Margarethe, geb. Gräfin Harrach), der nach seiner heimlichen Vermählung im Januar 1928 Mühe hatte, seine bürgerliche Frau Lucie Wettel in seiner Familie zu integrieren und dafür zu sorgen, dass sie dort angenommen wurde, ist charakteristisch; er fühlte sich sogar verpflichtet, auf die 25 Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 131–133; Bled, La noblesse dans les pays habsbourgeois, 78. 26 Die Trennungslinien innerhalb des Adels waren vielfältig und unterschiedlich scharf gezogen. Der niedere Adel bildete mit wohlhabenden und gebildeten Teilen des Bürgertums die „Zweite Gesellschaft“. Stekl, Der erbländische Adel, 953. 27 Ebd. 28 Diemel, Adelige Frauen, 180–182, 220. 29 Vgl. Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 29–30. 30 Walterskirchen, Adel in Österreich, 23.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

Ausbildung und die persönlichen Eigenschaften der Braut – Internat in Notre Dame de Sion, Fremdsprachenkenntnisse, Theater- und Konzertbesuche – als Kompensation für die nicht standesgemäße Ehe hinzuweisen.31 In der Zwischenkriegszeit gab es, so Stephanie Harrach, keine sozialen Beziehungen der Grafen Harrach und ihrer Verwandten (wie der Windisch-Graetz) zu Bürgerlichen: „Das war nicht aus Ablehnung, es war so“.32 Ohne die Geschlossenheit des Adels als Ziel und weitgehend erlebte Realität infrage zu stellen, darf man doch annehmen, dass diese Geschlossenheit und Exklusivität nicht absolut war und ihre Grenzen hatte, vor allem was den Nachwuchs der wenig begüterten bzw. von der Kriegs- und Nachkriegsinflation schwer getroffenen nachgeborenen Söhne der Aristokratie betrifft. Ernst Leonhard (Ernsts Sohn) erinnerte sich an mehrere Kontakte zu Bürgerlichen während der späten 1930er-Jahre, während er auf die Anwesenheit einiger Bildungsbürger (Ärzte und Anwälte) bei den von Otto und Karoline Harrach bis 1935 veranstalteten Gesellschaften hinwies.33 Begrenzte und geregelte soziale Beziehungen zu gewissen bürgerlichen Gruppierungen, vor allem aus dem Bildungsbürgertum und den Freiberuflern, hat es schon vor 1918 gegeben. Ärzte, Lehrer und Geistliche werden oft in der Korrespondenz von Otto Harrach mit seiner Frau und seinen Verwandten erwähnt, und es nahmen Angehörige des niederen Adels, Offiziere und hohe Amtsträger an Harrach’schen Jagden teil (siehe Kap. 4.3). Verschiedene Krankheiten, Beratungen wegen der Kur- und Seebäder, Privatstunden der Kinder, heilige Messen und sonstige religiöse Betätigungen und Pfarrangelegenheiten schufen ein engeres Kontaktfeld mit nicht adeligen „Experten“. Ottos Frau und seine Schwestern sowie übrigens die meisten adeligen Frauen müssen vor allem im Ersten Weltkrieg in ihrem Wohltätigkeitsengagement in Spitälern, in Rehabilitationszentren usw. mit bürgerlichen Frauen zusammengearbeitet oder sie zumindest getroffen haben. Es scheint in dieser Zeit zu einem Höhepunkt der allmählichen Annäherung von Frauen des Adels und des wohlhabenden Bürgertums im Bereich der Wohltätigkeit und der Vereine gekommen zu sein, die sich nach Diemel im Laufe des 19. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum vollzog.34 Auch gerade das Militär dürfte eine gewisse Annäherung von Offizieren adeliger und bürgerlicher Herkunft gefördert haben, die im sozialen Feld eher in den Offi31 Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 66–68. 32 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 33 Interview mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008. 34 Diemel, Adelige Frauen, 220–221. Es bleibt die Frage nach dem Ausmaß der symbolischen Führungsposition des Adels in Vereinen im frühen 20. Jahrhundert im Vergleich zu den Vereinen um die Mitte des 19. Jahrhunderts. Vgl. hierzu Marburg Silke, Adel und Verein in Dresden, in: Marburg / Matzerath (Hg.), Der Schritt in die Moderne, 61.

5.2 Die Harrach als Adelige und die anderen

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ziersklubs und -casinos zum Ausdruck kam. Das Leben von Otto Harrachs Schwager, des Kavallerieoffiziers Graf Gabriel Marenzi, deutet darauf hin. Die Adelsforschung liefert uns entsprechende Beispiele für soziale Beziehungen zwischen bürgerlichen und adeligen Offizieren aus Italien und Sachsen im 19. Jahrhundert.35 Unter welchen Bedingungen die gegenseitige Beeinflussung bei dem jeweiligen Kontakt verlaufen ist, ist schwer zu sagen. Wie allgemein bekannt, neigten in der Regel Bürgerliche dazu, den aristokratischen Lebensstil nachzuahmen.36 Die Begegnung mit nicht adeligen Formationen, die den sozialen Abstand zum Großbürgertum nach 1919 allmählich verringerte, stellte einen Prozess dar, der sich nach dem Zweiten Weltkrieg unaufhaltsam und beschleunigt durchsetzte.37 Dies ist bis heute im Gedächtnis der älteren und jüngeren Nachkommen der habsburgischen Aristokratie erhalten, wobei man deutlich dazu tendiert, eine überwiegende Abgrenzung während der Zwischenkriegszeit zu bestätigen.38 Abgrenzung gegenüber Unterschichten

Wenn es bereits Barrieren in den Beziehungen zu den Bürgerlichen gegeben hat, wie hat man sich dann die Kontakte zu den besitzlosen Volksschichten vorzustellen? Hat es eine absolute Abgrenzung gegeben? Wir sollten zwischen zwei Gruppen und Verhaltensweisen unterscheiden. Zum einen geht es um die Armen und Notleidenden im Allgemeinen, die den Harrach fremd waren. Es handelte sich dabei um zwei voneinander völlig getrennte Welten, bei denen, wenn sie überhaupt miteinander in Berührung kamen, der Umgang äußerst vorsichtig verlief. Die Szene, die sich im Schloss Prugg kurz nach dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs bei der Verteilung von Milch und Brot durch Ottos Schwester Maria Theresia Wisniewski, durch den Pfarrer und zwei Männer aus dem Stall an verarmte Flüchtlinge abspielte, spricht für sich. „Die Kinder [Ottos und der Sohn von Maria Theresia im Alter von 10 bis 14 Jahren] und Miss blieben auf gewisse 35 Marburg / Matzerath, Vom Stand zur Erinnerungsgruppe, 11; Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy, 164. 36 Laut Ursula Becher lässt sich die Bourgeoisie nicht ohne Einschränkungen als führender Vertreter des modernen Stils betrachten; dies., Geschichte des modernen Lebensstils, 33. 37 „Eine wachsende Professionalisierung mit formalisierten Bildungswegen, der Besuch öffentlicher Bildungsanstalten und der Eintritt in neue Berufsfelder intensivierten die Begegnung mit nicht adeligen Formationen“; Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 138. 38 „Ja, mit der damaligen Gesellschaft“ oder „im Kreis geblieben“ sind einige Antworten von Stephanie Harrach, die die 1920er-Jahre in Österreich als Kind erlebte, auf meine Frage, ob die Adeligen bis in die 1930er-Jahre ausschließlich miteinander oder aber auch mit Bürgerlichen verkehrten. Siehe Interview mit Stephanie Harrach und Arco Zinneberg am 28.9.2004.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

Distanz und sahen von weitem zu, damit sie nicht in Berührung mit den Leuten kommen.“39 Die adeligen Kinder mussten also einen körperlichen Abstand zu den unbekannten Flüchtlingen wahren. Die Solidarität seitens des Hochadels sollte keinesfalls die Wahrnehmung der Distanz gegenüber sozial unterlegenen Volksschichten verhüllen. Dies war vor 1918 prägend und lässt sich aus einigen Briefen teils offen, teils zwischen den Zeilen herauslesen. Als Prinz Eduard Liechtenstein, Vorsitzender des Komitees für den Roten Türkischen Halbmond, Otto Harrach bat, Anfang Januar 1916 im „herrlichen [Wiener] Palais“ eine große musikalische Wohltätigkeitssoiree zu veranstalten, zu dem alles eingeladen werden sollte, was Rang und Stand im Staat, in der Armee, Industrie, bei Banken etc. hatte, versicherte er ihm den Schutz vor unerwünschten Anwesenheiten: „Die Frage des Eintrittes und Zahlung würde ich sehr rigoros einleiten, so dass man die Sicherheit hätte, dass nicht Menschen hinein kommen, die in solche Räume und in eine solche Gesellschaft nicht gehören“.40 Einige Briefe von Frauen der Familie, sei es von Schwestern, sei es von der Gattin Otto Harrachs, die insbesondere während des Ersten Weltkriegs verfasst wurden, betonten die Armut vor allem der ländlichen Bevölkerung. Wenn diese Beschreibungen auch der Realität entsprochen haben dürften, wurde durch die Betonung der Armut der anderen der Wohlstand oder zumindest die Sicherung der Lebensexistenz der Adeligen in Zeiten der akuten Not begreifbar gemacht. Hier lassen sich klare Selbst- bzw. Fremdwahrnehmungen der sozialen Positionierung erkennen. „Die armen Taglöhner liegen mir so am Herzen“, schrieb Karoline Harrach aus Prugg (NÖ); „den Armen geht es sehr schlecht. Arme Kinder nehmen einen Kessel Kaffee und 1–2 Birnen zum Frühstück“, teilte Anna Henneberg aus Südböhmen im Dezember 1916 mit. „Die armen Leute hier [Krystynopol/Galizien] sehr zu bedauern, die ganze Ernte ist durch das Wasser vernichtet“; „Man wird verhungern. Am Ringplatz [Lemberg] liegen arme Leute aus Entkräftung zusammengebrochen und gestorben“; „Die armen Leute in Böhmen tun mir so leid. Warum ist eigentlich die große Armut beim Volk, nachdem wie Du sagst die Ernte gut war? Hier ist das Gegenteil. Der Bauernstand hat genug Brot und niemand ist härter für die Armen als die reicheren Bauern“, so Maria Theresia Wisniewski im September 1913 und im April und September 1918.41 Gabriele Marenzi war im Oktober 1917 sehr besorgt, weil ihre jüngste und sich in 39 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto Harrach, Prugg, 20.8.1914, in: AVA, FAH, Kt. 858. 40 Eduard Liechtenstein an Otto Harrach, Wien, 1.12.1915, in: ebd., Kt. 864. 41 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 6.9.1916, und Maria Theresia Wisniewski, Krystynopol, 14.9.1913, 28.9.1918, Lemberg, 23.4.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858.

5.2 Die Harrach als Adelige und die anderen

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einer äußerst prekären wirtschaftlichen Lage befindende Schwester Margarethe Windisch-Graetz „wie alle Menschen“ fror, und hoffte auf rasche Lieferung der von Otto Harrach an seine Schwester geschickten Kohlen.42 Zum anderen sind hier die Kontakte mit dem Dienstpersonal und den Land­ arbeitern im landwirtschaftlichen Betrieb relevant, die von adeliger Seite als ziemlich eng und manchmal herzlich dargestellt werden, nichtsdestoweniger aber die soziale Hierarchie und Ordnung widerspiegelten. Die Antwort von Stephanie Harrach auf die Frage über die Beziehungen der Harrach zur bäuerlichen Bevölkerung und zur lokalen Gesellschaft in Bruck a. d. Leitha (NÖ) lautet: „Auf alle Fälle immer ein sehr guter Kontakt, nicht dass wir zusammen Feste gefeiert haben oder was, es war ein sehr herzlicher Kontakt immer gewesen.“43 Der „herzliche Kontakt“ sowie Hinweise auf den Fortschritt und den gegenwärtigen Wohlstand der Bauern in Rohrau (Bruck a. d. Leitha), die – und deren Vorfahren – für die Harrach gearbeitet hatten, passten zu einem eher traditionellen und für den Adel typisch paternalistischen, christlich gesinnten Selbst- und Vorbild, das eng mit der Selbstwahrnehmung der Adeligen als Philanthropen zusammenhing. Stephanie Harrach konnte sich an ein Weihnachtsfest von 1940 (gleich nach ihrer Heirat mit Johann Harrach) erinnern, an dem fast 600 Kinder vom eigenen Betrieb teilnahmen, die Geschenke erhielten. Dann hätten die Nazis diese Feier gestoppt.44 Wenn wir es auch mit einer gewissen Idealisierung und übertriebenen Zahlen zu tun haben mögen, entspricht das Bild des vertrauensvollen Herrn und Hausvorstands als Vater einer umfangreichen Familie einem bekannten Topos des adeligen Selbstbildes. Durch ritualisierte Gaben oder die Teilnahme an religiösen und sonstigen Festen dürften die Rolle, der Rang und das Ansehen des jeweiligen Herrn gegenüber seinen einstigen Untertanen bestätigt und sichergestellt worden sein.45 Wenn Weihnachten 1918 der vor einigen Wochen noch als Kavalleriegeneral dienende k. u. k. Offizier Gabriel Marenzi, der jetzt im Ruhestand, aber noch ohne Pension lebte, sich gewissen Diffamierungen ausgesetzt sah und in Wels (OÖ) in Schwierigkeiten geraten war, seinem Schwager Otto Harrach von den Geschenken schrieb, die er und Gabriele den Kindern ihrer wenigen Bediensteten geschenkt hatten, so dürfte er darin nicht zuletzt eine soziale Bestätigung auch gerade seinem Standesgenossen gegenüber gesehen haben. „Wir verbrachten gestern heilig Abend hier in unserem kleinen Heim, 42 Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, o. O., 22.10.1917, in: ebd., Kt. 857. 43 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 44 Ebd. 45 Noch nach dem Ersten Weltkrieg blieben altadelige Verpflichtungsideen bei der gemeinsamen Erstkommunion aller Kinder des Großhaushalts Windisch-Graetz im Dorf Sáropatak in Ungarn aufrechterhalten; Stekl / Wakounig, Windisch-Graetz, 31.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

hatten einen ganz kleinen Baum und wurden die Kinder vom Kutscher und von Bedienten der aber momentan Nationalgardist ist und der Dienerschaft beschenkt“.46 Selbstbezeichnung und Selbstverständnis als Mitglied der Noblesse ist für die Nachkommen der Harrach etwas wie ein Familienkennzeichen geworden. So verwies Stephanie auf ein Konto, das von ihrem Mann für die von den Nazis ohne Entschädigung aus Bruck (NÖ) vertriebenen jüdischen Pächter der Harrach angelegt worden war.47 „Man muss etwas für Allgemein tun. Wir können unsere Leute nicht verhungern lassen“, schrieb die älteste Schwester Otto Harrachs im August 1914 aus dem südböhmischen Hradek.48 Conze greift bei den Grafen von Bernstorff eine zusätzliche Dimension der Beziehungen von Adeligen zu dem Personal in ihrem Haushalt auf, die auch für die Kinder von Otto Harrach gegolten haben dürfte. Noch im frühen 20. Jahrhundert bestanden oft enge Beziehungen zwischen adeligen Kindern und dem Dienstpersonal (Kutscher, Gärtner, Diener, Förster), wie sie „nie mit Gouvernanten und Hauslehrern zustande kamen“. Die klare Anerkennung der sozialen Hierarchie und Ordnung war jedoch für solche Kontakte unverzichtbare Voraussetzung.49 Binnendifferenzierung– die feinen Unterschiede?

Ein Adeliger konnte sich sehr beleidigt fühlen, wenn er von Standesgenossen vor Dienern und „Unterlegenen“ desavouiert und dadurch sein Status gefährdet wurde. Auch führte unter Umständen eine kleine Unstimmigkeit im Zeremoniell einer Jagd noch bis vor Kriegsausbruch zu Missverständnissen, wie jenes, das Ende 1913 zwischen Otto Harrach und seinem Schwager Gottlieb Freiherr Henn von Henneberg – der zwar dem alten, nicht aber dem höheren Adel angehörte – entstand und schnell beseitigt wurde: „Muss ich sagen, in meinem Brief ist mit keinem Worte erwähnt worden, dass ich nicht gern zu Euch als Gast komme. Im Gegenteil besuche ich sehr gern die Verwandten von Anna. Ich liebe Anna, liebe und schätze auch die Verwandten. Auf die Dauer aber liebe ich nicht Zurücksetzungen wie es mir in Hradek und z. B. auch in Strkow geschehen ist wo ich vor der Dienerschaft aus dem Wagen aussteigen musste um dem Hausherrn und seinem Bruder wie ein Unterlegener gehorsam nachzufahren. Ich entnehme aus Deinem Brief, dass Du nicht die Absicht hattest mich zu verletzen“, 46 Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Wels, 25.12.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857. 47 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 48 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 31.8.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857. 49 Conze, Von deutschem Adel, 365.

5.2 Die Harrach als Adelige und die anderen

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schrieb Gottlieb an Otto Harrach. Und in einem anderen, dasselbe Thema betreffenden Brief: „Du hast mir selbst im Salon vor Grafen […?] gesagt ich sei der letzte. Ich glaube nicht dass Deine Ansicht richtig ist. Ich bin Dein Schwager und älter als Ernst. Ich beanspruche gar nicht dass immer der Hofrang eingehalten wird aber immer als Letzter behandelt zu werden ist mir selbst und anderen Gästen gegenüber nicht angenehm. Du hast ja heuer in Frischau auch einmal die Erfahrung gemacht wie unangenehm es ist zurückgesetzt zu werden“.50

Die oben skizzierte Begebenheit, die in den Kreisen des altösterreichischen Adels wahrscheinlich kein Einzelfall war, weist auf die dünnen sozialen Grenzen hin, die vor 1914 selbst innerhalb einer Familie bzw. eines engen verwandtschaftlichen Kreises gezogen werden konnten. Unterschiede in Vermögen, Geschlecht, Geburtsrang und entsprechender Funktion/Stellung in der Familie dürften wohl zu differenzierten Identitäten geführt haben. Differenzierungen aufgrund des Fideikommissprinzips bzw. der Primogenitur zwischen den erst- und nachgeborenen Söhnen und ihrem Nachwuchs dürften ziemlich prägend gewesen sein.51 Solche am Rand der Sozialformation Adel stehenden Menschen und Angehörige des niederen Adels befanden sich während des Krieges und in den ersten Nachkriegsjahren in einer äußerst schwierigen Situation, die ihre Selbst- und Fremdwahrnehmung offenkundig beeinflusste. Auch Angehörige des Hochadels, die selbst keinen Grund besaßen und teilweise von Apanagen des jeweiligen Familienoberhaupts alimentiert wurden, konnten infolge der Inflation ihren bisherigen Standard oft nicht halten. Ohne ihre adelige Identität infrage zu stellen, dürften sie doch die sich vergrößernde Distanz zu ihren wohlhabenden Verwandten immer mehr und immer schmerzhafter gespürt haben. Wie sich wohl die wegen der Schulden ihres Mannes in immer engeren Verhältnissen lebende Margarethe Windisch-Graetz, geborene Harrach, gegenüber ihrem Bruder fühlte, wenn sie für ihre vielköpfige Familie stets um Unterstützung bitten bzw. sich bei Otto dafür bedanken musste? „Danke Dir Otto noch innig für alles, dass Du mir wirklich so sehr geholfen hast, mir diesen ganz kleinen Haushalt hier zu ermöglichen, der unseren Verhältnissen entspricht in der jetzigen schweren Zeit“, schrieb Margarethe im Dezember 1917, während sie elf Monate später um Kleider für ihren Sohn Hans bat, der tatsächlich, „ärmer als der ärmste Taglöhner, nichts 50 Gottlieb Henneberg an seinen Schwager Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 1.12.1913, o. T. 12.1913, in: AVA, FAH, Kt. 857. 51 Vgl. Clary-Aldringen, Geschichten eines alten Österreichers, 62.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

anzuziehen hat“.52 Wir können uns des Weiteren vorstellen, wie sich Margarethes Kinder gegenüber ihrem Cousin bzw. ihrer Cousine, Ottos Kindern, fühlten, z. B. Antoinette, die im August 1918 im Harrach’schen Schloss Strkow zu Gast war und dank der guten Verpflegung „dick und famos aussehend zurückkam“. „Über ihre Erzählungen von ihrer Ernährung in Strkow sind alle ganz hungrig geworden“, schrieb Margarethe einige Tage nach der Rückfahrt ihrer Tochter an Otto.53 Wir haben keine Hinweise, wie die Gefühle der wohlhabenden Harrach gegenüber ihren ärmeren Standesgenossen ausgesehen haben, können jedoch annehmen, dass sie sich dem niederen Adel bzw. wirtschaftlich degradierten Angehörigen des Hochadels deutlich überlegen wussten, wie es bis Kriegsende und auch nach 1918 in Mitteleuropa und Deutschland üblich war.54 Was mochte Hans Harrach denken, was empfinden, als er im Januar 1936 folgende Zeilen seines „verarmten“ alten Onkels Altgraf Erich Salm las? „Lieber Neffe, Vor einigen Tagen erhielt ich anonymer Weise einen Hasen und einen Fasan zugeschickt. Da Du der Einzige meiner in der Nähe Wiens begüterter Verwandter bist, dem ich solch ein freundliches Entgegenkommen einem alten, verarmten Onkel gegenüber zumute, danke ich Dir auf das Herzlichste für die mir erwiesene Wohltat. Seit etlichen Jahren ist es das erste Mal, dass ich wieder sehe, wie derartige Leckerbissen schmecken.“55

5.3 Werte und Verhaltensideale In Österreich und generell in Zentraleuropa dürfte der Adel des 20. Jahrhunderts trotz seiner Heterogenität und Fragmentierung „nach Adelsrängen, dem Alter des Adelsdiploms, national-politischer Haltung, politischem Einfluss, nach Funktion, Beruf und Vermögen sowie davon abhängig nach Formen der Eigen- und Fremdalimentierung, nach unterschiedlichen Krisen- und Verlusterfahrungen“ von einer 52 Margarethe Windisch-Graetz an ihren Bruder Otto Harrach, Parsch (Salzburg), 4.12.1917, 4.11.1918, in: AVA, FAH, Kt. 858. 53 Ebd., Neupernstein, 7.9.1918. 54 Die teils real bestehende, teils konstruierte große Distanz zwischen Hochadel und dem Landadel in weiten Teilen des Deutschen Reiches lässt sich z. B. anhand der Memoiren der hochadeligen Frau Daisy v. Pleß feststellen, in denen sie sich klar vom preußischen und schlesischen Landadel distanzierte. Zugleich verfügte sie über enge Verbindungen zu österreichischen und böhmischen Adelsfamilien. Siehe Wienfort, Adelige Frauen in Deutschland, 188. 55 Erich Salm an Hans Harrach, Wien, 19.1.1936, in: AVA, FAH, Kt. 912.

5.3 Werte und Verhaltensideale

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gemeinsamen adeligen Identität geprägt gewesen sein, die auf zahlreichen integrierenden Elementen beruhte: „Übergreifendes Standesbewusstsein und Ansätze zu einer neuen Elitenbildung, eine (nur langsam aufbrechende) quasi-ständische Vergesellschaftung über Heirats- und Verkehrsreisen, ein exklusiver, lange sozial normativ wirkender Lebensstil, das Festhalten an distinktiven, traditionellen Werten, vor allem das Vertrauen auf die einigende Kraft eines in die Tiefen der Geschichte zurückreichenden Familiensinns. Diese Momente stärkten das soziale und symbolische Kapital des Adels, nährten aber gleichzeitig eine unterschiedlich argumentierende Adelskritik. Sie trugen jedenfalls dazu bei, dass der Adel in der Außenwahrnehmung vielfach als Einheit gesehen wurde“,

so Stekl.56 Es gibt Werte, die bis heute eine bemerkenswerte Konstanz aufweisen und vor allem für betagte Aristokraten feste Topoi des adeligen Selbstverständnisses zu bilden scheinen.57 Der erste Satz, den die im Jahr 2004 im Alter von 87 Jahren vom Verfasser interviewte Stephanie Harrach auf die Frage „Was haben Sie unter dem Begriff Aristokrat verstanden?“ äußerte, war das auf den gesamten europäischen Adel zutreffende klassische Motto: „Noblesse oblige“.58 Das wiederholte erkennbare Lächeln der Schwiegertochter von Otto Harrach deutete auf die Selbstverständlichkeit, zugleich aber auch auf ihre Sicherheit, was die Tragfähigkeit des als Leitmotiv in der Zwischenkriegszeit wiedergeborenen alten Gedankens betrifft, hin.59 Zum Wahlspruch „Noblesse oblige“ passen noch weitere Konstanten der Adeligkeit: „Treu zum [katholischen] Glauben, die besondere Liebe zum Vaterland, Verbundenheit60 mit den Menschen, mit denen man lebt […], Harmonie in der Familie“.61 Diese Grundelemente des adeligen Wertekanons, die wie ein einst auswendig gelerntes und bei 56 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 102–103. 57 Werte und Tugenden, die die europäische Adelswelt schon seit der Antike bestimmen und den Adeligen strenge, Ehre verheißende Verhaltensmaßregeln auferlegen, stellen auch heute ein wichtiges Aufgabengebiet der historischen Adelsforschung dar. Vgl. Bieberstein, Adelsherrschaft und Adelskultur, 168; Eckart Conze, Totgesagte leben länger. Adel in Deutschland im 19. und 20. Jahrhundert, in: Adel im Wandel. Oberschwaben von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, Ostfildern 2006, 112–113. 58 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 59 Vgl. hierzu Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 108–109. 60 Mit dem Wort „Verbundenheit“ wird laut Grillmeyer „ein konstitutives Merkmal des Hochadels ausgedrückt. Denn ‚verbunden‘ war der Adel über zahlreiche Heiratsverbindungen und ‚verbunden‘ fühlte er sich darüber hinaus mit der gesamten europäischen Adelsschicht.“ Adelige Verbundenheit war aber auch etwas Relatives und wurde nach den eigenen Interessen angewandt. Grillmeyer, Zur Symbiose von symbolischem und realem Kapital, 239, 242. 61 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004 und am 5.10.2004.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

Bedarf wieder abrufbares Gedicht klangen, waren genau dieselben, die von Stephanie Harrach bei einem Interview im ORF Mitte der 1990er-Jahre genannt wurden.62 Solche bis zum ausgehenden 20. bzw. beginnenden 21. Jahrhundert thesenartig formulierten Werte dürften auf den dauerhaften Versuch der Adeligen Mitteleuropas hinweisen, ihre gesamtgesellschaftliche Bedeutung und moralische Überlegenheit zu unterstreichen, ihr Selbstbild zu reproduzieren und letztlich die anderen Menschen davon zu überzeugen. Stephanie Harrach, geborene Gräfin Eltz, wie auch ihr Mann Johann Graf Harrach und die meisten bis etwa Mitte des 20. Jahrhunderts geborenen Söhne und Töchter des altösterreichischen Hochadels müssen mit den oben genannten Werten seit ihrer Kindheit höchst vertraut gewesen sein. Religion, Patriotismus, Pflichterfüllung und Familiensinn stellten neben Disziplin, Tapferkeit, Höflichkeit und Umgangsformen die wichtigsten Grundnormen und Prinzipien ihrer Erziehung dar.63 Werte und Verhaltensideale wurden dennoch nicht nur im Bereich der Familie und der Verwandtschaft gepflegt, sondern auch zumindest im Rahmen einer beschränkten „adeligen“ Öffentlichkeit artikuliert. Seit 1928 stand dafür das Jahrbuch der „Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich“ zur Verfügung. Es handelte sich um eine vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs gegründete und in den 1920er-Jahren vom Grafen Heinrich Clam-Martinic, dem Ministerpräsidenten der Jahre 1916/17, reaktivierte neoständische Vereinigung, die unter anderem die vordringliche Aufgabe hatte, „die Existenzberechtigung des Adels im Volksganzen […] zu bewahren und zu erhalten“.64 Otto und Karoline Harrach zählten selbstverständlich zu den Vereinigungsmitgliedern.65 Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs waren die Bedingungen für den mitteleuropäischen Adel und die Verbreitung seiner Werte ziemlich ungünstig. Dennoch konnte in vielen Familien auf neueste Beispiele aus der Kriegszeit zurückgegriffen werden, wo die Erfüllung von Grundwerten des Adels wie Patriotismus, Dienst und Pflichterfüllung (vor allem im sozialen Engagement) sowie der eng damit verbundene Ehrbegriff zumindest innerhalb der adeligen Welt nachweisbar waren.66 62 „Es war mit dem headline Noblesse oblige, das sagte ich damals bei einem Interview in ORF. Ich war da gesessen und der Mann vom ORF fragte mich, was ich darunter verstehe. Ich musste nachdenken, aber es war sehr gut, was ich damals gesagt habe: Treu zum Glauben war das Erste […]“; Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 63 Vgl. hierzu Walterskirchen, Adel in Österreich im 20. Jahrhundert, 47. 64 Über die „Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich“ und die vom Jahrbuch der Vereinigung propagierten Werte und sozialen Anforderungen an den Adel siehe Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 106–111, hier 107. 65 Jahrbuch der Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich, Innsbruck/Wien 1929, 21. 66 John Kautsky misst dem Dienst und der Pflicht eine zentrale und zugleich eigentümliche, vielleicht etwas übertriebene und idealisierte Funktion bei: „Der einzelne Adlige, zutiefst seinem Dienst und

5.3 Werte und Verhaltensideale

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Otto Harrach selbst bietet der Adelsforschung ein aussagekräftiges Beispiel für die hohen Anforderungen und die Gewissenskonflikte, die die Erfüllung der vier miteinander verflochtenen Werte – Patriotismus, Dienst, Pflicht und Ehre – verursachen konnte. Wie aus einigen Briefen an ihn hervorgeht, dürfte er während des Krieges oft von schlechtem Gewissen geplagt worden sein, dass er nicht an der Front kämpfte. Mag sein, dass er tatsächlich Angst hatte, als feige stigmatisiert zu werden, und dies seinen Angehörigen mitteilte, weil so etwas von ihm erwartet wurde. Die Adressaten der Ängste und Unsicherheiten Ottos wiederum versuchten, diese Befürchtung durch Hinweise auf seine Verdienste zu zerstreuen: „Denke an Dich und an die schwere Pflicht, die Du jetzt zu erfüllen hast […]. Du musst Dir denken es ist ein Kriegsdienst wie ein anderer. Mitzi, Karl […] sind halt unsere Kriegsdienste“, schrieb Ottos Gattin Karoline im März 1916.67 „Lieber Otto, Herzlichen Dank für liebe Zeilen. Ich glaube es ist ausgeschlossen dass Männer über 50 noch einberufen werden sollten. Als Offizier hättest Du bis zum 60. Jahr die Verpflichtung einzurücken. Mein Rat: Du bleibst was Du bist beim Malteserspital […]. Das Vaterland braucht solche tüchtige Männer zu Hause“,

so Prinz August Lobkowitz kurz nach dem Ausbruch des Krieges.68 Und zweieinhalb Jahre später: „Du bist nicht im Alter und Deine Gesundheit ist ja nicht für den Frontdienst geeignet. […] Du hast ja auch ein Spital im Hause. Nach 20 Jahren Leutnant […] man ist ausgelahmt. Mit 53 beruhige Dich und bleibe im Lande.“69

Die Überzeugung, im Gegensatz zu Nichtadeligen Aufgaben und Pflichten gegenüber der Allgemeinheit zu haben, ohne eine Gegenleistung erwarten zu dürfen, war bis weit ins 20. Jahrhundert hinein oft mit einem tief verwurzelten Bewusstsein der Überlegenheit verbunden.70

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seiner Pflicht ergeben, kann seinen Reichtum oder gar sein Leben opfern, um zu erfüllen, was er für seine Verpflichtungen hält“. Er behauptet auch, der Ehrbegriff sei für Nichtaristokraten schwer zu verstehen gewesen. „Die Wahrung der Ehre ist eng mit dem Erwerb von Ruhm, einem weiteren Schlüsselbegriff adligen Denkens verbunden“; Kautsky, Funktionen und Werte, 7–8. Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Wien, 9.3.1916, in: AVA, FAH, Kt. 856. August Lobkowitz an Otto Harrach, Wien, 14.8.1914, in: ebd., Kt. 864. Ebd., 5.9.1916. Vgl. hierzu Kautsky, Funktionen und Werte, 7; Windisch-Graetz, Der ungarische Adel, 132.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

5.4 Verhältnis zur Vergangenheit und Gedächtniszäsuren Der Bezug des altösterreichischen Adels zur Vergangenheit lässt sich unter anderem anhand der Auseinandersetzung mit den Zäsuren, Umbrüchen und Umwälzungen in der eigenen Geschichte darstellen. Der Kommentar des böhmischen Grafen Franz Czernin zu einem Aufsatzentwurf Otto Harrachs von 1917 ist sehr aussagekräftig, weil sich an ihm die spezifische Funktion der historisch ansonsten breit anerkannten Zäsuren wie 1848 und Erster Weltkrieg für die Geschichte, das Selbstverständnis und selbst für die Stellung des Hochadels ablesen kann: „Der Krieg musste kommen, weil die gesamte menschliche Gesellschaft mit wenigen Ausnahmen einer gründlichen Züchtigung bedarf. Leider ist es auch uns beschieden eine jener periodischen, immer wiederkehrenden Epochen zu erleben, wo sich aus dem Schutt und den Trümmern einer entarteten Überkultur ein total neuer Kulturzustand entwickeln muss. Bessere Zeiten werden kommen, davon bin ich überzeugt, ob wir sie aber noch erleben und ob sie, wenn wir sie erleben sollten, auch uns besser scheinen werden, das weiß ich nicht. Es ist doch kein Zweifel daran dass die Zustände nach 1848 1000mal gesündere waren als vor ’48. Trotzdem haben aber die meisten, welche die Sturmjahre erlebten – insoweit sie unsern Kreisen angehörten – die vormärzlichen Tage immer für schöner betrachtet. Das wird sich nun auch bei uns wiederholen.“71

Nach einem Monat schrieb Franz Czernin: „Bin alt […] viel schönes wird ja dabei kaum herauskommen und die junge Generation, welche die guten, alten Zeiten nicht mehr so genau gekannt hat, wird das Hässliche der neuen Zeit weniger empfinden als wir Alte.“72

Es hat natürlich auch andere Meinungen über die historische Entwicklung des Adels seit der Aufklärung gegeben als jene, die sie als eine kontinuierliche Verlustgeschichte auffasste.73 Schon der letzte Satz von Franz Czernin, der noch 1917 vom Weiterbestehen des Adels überzeugt war, zeigt jedoch, dass es für den mitteleuropäischen Adel tatsächlich schwierig war, für die Zeit nach dem Zerfall der Habsburgermonarchie Erfolgsgeschichten ihres Standes zu konstruieren und zu erzählen. Die rechtliche Abschaffung des Adels im Frühjahr 1919 bildete gewiss eine Zäsur in dessen Geschichte, wenn auch für 71 Franz Czernin an Otto Harrach, Teplitz, 7.2.1917, in: AVA, FAH, Kt. 861. 72 Ebd., 9.3.1917. 73 Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 105–106.

5.4 Verhältnis zur Vergangenheit und Gedächtniszäsuren

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einige Angehörige des Hochadels mehr auf symbolischer Ebene. Die Haltung innerhalb der Hocharistokratie war zwar geteilt, sicher war aber, dass die Aberkennung der Titel den ohnehin dienstlich und wirtschaftlich degradierten Offiziers- und Beamtenadel besonders hart traf und für viele Adelige einen partiellen Identitätsverlust bedeutete.74 Bemerkenswert ist, dass Adelige, die das Adelsverbot nicht selbst erlebten und nur aus Erzählungen kennen, wie Stephanie Harrach, davon überzeugt sind, dass die adelige Identität und das Selbstbewusstsein der öffentlich nicht mehr als solche anerkannten Adeligen dadurch nicht beeinträchtigt wurden. Auf die Frage, wie die Harrach und andere Adelige das Adelsverbot 1919 erlebt hatten, antwortete Stephanie Harrach, geborene Eltz: „Es war ganz wurscht“. Sie gab aber gleichzeitig zu: „Die sind schon verärgert für eine Weile gewesen, und meine Mutter war verärgert, als sie unterschrieben hat und sie keine Gräfin Eltz, geborene Gräfin Schönborn schreiben durfte“.75 Im alltäglichen Kontakt in der Zwischenkriegszeit kam es jedoch sehr oft vor, dass ein ehemaliger Adeliger von Leuten aus anderen sozialen Schichten mit dem Adelsprädikat angesprochen wurde.76 Dies setzte sich auch nach dem Zweiten Weltkrieg fort. Als Stephanie Harrach 1945 als Flüchtling aus der Tschechoslowakei nach Wien kam und eine Angelegenheit in Zusammenhang mit ihrer Kennkarte zu erledigen hatte, sagte der zuständige Beamte zu ihr: „Die Gräfin hat es auch geschafft.“ Dabei hatte sie ihren Titel gar nicht angegeben. Die Bewohner von Rohrau sprachen sie noch im Jahr 2004 mit „Gräfin“ an: „Bis heute. Ein Radikaler, ein Sozialist würde es nicht.“77 Selbst nach vier Jahrzehnten sozialistischen Regimes in der ČSR wurde Stephanie bei ihren drei Besuchen in Hradek (das Harrach’sche Schloss ist in ein Museum umgewandelt worden) in den 1990er-Jahren von ehemaligen Angestellten der Harrach mit „Gräfin“ angeredet. „Frau Gräfin, Frau Gräfin ist da! Ich kann nichts dafür. Ich war zwei, drei Mal dort wegen der alten Angestellten, weil sie sich so gefreut haben. Aber jetzt sind sie alle schon tot und ich fahre nicht mehr hin“.78 Ernst Leonhard Harrach wurde noch bis in das erste Jahrzehnt der 21. Jahrhunderts von zahlreichen Einwohnern von Bruck a. d. Leitha als Graf angesprochen.79 74 Ebd. 75 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 76 „Die soziale Anerkennung durch Teile der österreichischen Bevölkerung blieb erhalten, eher weil (wirtschaftliche) Abhängigkeiten Anpassungsleistungen erforderten und – vor allem in Wien – traditionelle Distinktionen als bloße Gewohnheiten und/oder blanker Opportunismus überlebten“, behauptet Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 138–139. 77 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 78 Ebd., 5.10.2004. 79 Interview mit Ernst Leonhard Harrach, 12.9.2008.

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5. Selbstverständnis und Positionierung

Das Prestige und der Ruf der Adeligen sind, wie dies zeigt, zu einem guten Teil auf den Glauben an ihre Existenz, auf die Wahrnehmung oder die Anerkennung anderer zurückzuführen. Obwohl in Österreich und in Tschechien keine ständische Ordnung mehr existiert, wird der Adel von außen, von der Gesellschaft noch immer als solcher wahrgenommen, und auch die meisten Adeligen definieren sich selbst in diesem Sinn.80 Adelige Identität mag nach 1918 in Wirtschaft, Politik und auf gesamtgesellschaftlicher Ebene in zentraleuropäischen Kleinstaaten der Zwischenkriegszeit und danach einen immer weniger tragfähigen Begriff gebildet haben, scheint aber auf lokaler bzw. regionaler Ebene, wo der Adel weiterhin vertreten war und ist, zu wirken und ein gewisses Gewicht zu haben.

80 Vgl. hierzu Saint Martin, Der Adel, 38–40; Walterskirchen, Adel in Österreich, 7.



6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

Religiosität und Wohltätigkeit, die als Bestandteile der Identität und des Selbstverständnisses der Harrach bereits erwähnt worden sind (siehe Kap. 5.3), dürften einen sozial akzeptableren und durchsetzbareren Ausdruck der sozialen Hierarchie und des adeligen Status gebildet haben als andere adelige Geselligkeits- und Lebensformen, da sie auf zwar ungleiche, jedoch auf Geben, Solidarität und einem gemeinsamen Wertesystem beruhende Beziehungen und Kontakte hindeuteten. Frömmigkeit und Wohltätigkeit sollten in ihrer Wechselwirkung zwischen moralischen Voraussetzungen und Imperativen des adeligen Lebens, der standesgemäßen familiären und sozialen Praxis sowie dem Bedarf an Repräsentation und Legitimierung der im Zuge des Niedergangs und Zusammenbruchs des Habsburgerreiches immer mehr infrage gestellten sozialen Überlegenheit und führenden Stellung des Adels betrachtet werden. Der Wunsch, den Menschen nützlich zu sein und zugleich ein führendes Mitglied der christlich-katholischen Glaubensgemeinschaft zu werden, scheint bei den meisten Angehörigen des Harrach’schen Geschlechts bzw. der Harrach’schen Verwandtschaft ziemlich stark ausgeprägt gewesen zu sein.

6.1 Frömmigkeit und Beziehungen zur katholischen Kirche Die Frömmigkeit und die Verflechtungen der Harrach mit der katholischen Kirche, die anhand ihrer religiösen Praxis, ihrer Kontakte mit obersten geistlichen Würdenträgern und der Teilnahme des Oberhaupts der Familie an Prozessionen noch zu skizzieren sein wird, lassen sich in eine jahrhundertelange katholische Tradition Mitteleuropas einbetten, die im Zuge des Dreißigjährigen Krieges und der nachfolgenden Ausweisung des protestantischen Adels beträchtlich verstärkt wurde.1 Es war 1

Die über tausend Jahre anhaltende elitäre Stellung des Adels in Europa ist sicherlich auf seine enge Verbindung mit der Kirche zurückzuführen. Die Adelsherrschaft über die Kirche bot dem Adel poli-

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

übrigens ein Harrach, Ernst Adalbert, der in seinem Amt als Erzbischof Prags von 1623 bis 1667 an der Festigung des Katholizismus in den böhmischen Erbländern wesentlich mitgewirkt hatte.2 Ihre Stellung als Großgrundbesitzer ermöglichte es der hochadeligen Familie – zumindest auf lokaler bzw. regionaler Ebene –, Einfluss auf die Besetzung kirchlicher Funktionen sowie auf das kirchliche Leben im Allgemeinen zu nehmen.3 Das lag am Patronatsrecht, das an eine seit dem späten Mittelalter anhaltende Tradition anknüpfte und in vielen Fällen noch nach dem Zusammenbruch der Monarchie erhalten geblieben ist.4 Bis ins 20. Jahrhundert hinein galt die Hauskapelle als fixer Bestandteil eines Adelssitzes.5 So wie andere Eigentümer von Latifundien in Böhmen, Ungarn und Niederösterreich6 besaßen demnach auch die Harrach eine Reihe von Patronatsrechten über Dorf- und Stadtkirchen. Noch 1933 standen allein in Böhmen 14 Kirchen und eine Kapelle unter dem Patronat Otto Harrachs: acht Kirchen auf dem Großgrundbesitz Sadowa (Hradec Králové/Königgrätz, Nový Bydžov), fünf Kirchen und eine Kapelle in Jilemnice/Starkenbach sowie eine Kirche in Strkow (Tabor).7 Sein Vater Johann Nepomuk hatte bis 1909 19 Patronatskirchen und Pfarren plus drei Kapellen besessen.8 Privatpatronate blieben nach 1918 allen politischen Umwälzungen zum Trotz in Böhmen (ČSR) sowie in Österreich bis hin zum norddeutschen Raum (wie tische und wirtschaftliche Möglichkeiten und zudem eine starke Legitimation, da die Kirche bis ins späte 19. Jahrhundert die höchste und letzte Legitimationsinstanz der jeweiligen Gesellschaft war. Darüber hinaus sicherte „der Einzug des Adels in die Kirche […] ihm schließlich auf Jahrhunderte die kulturelle Führung.“ Gerhard Dilcher, Der alteuropäische Adel – ein verfassungsgeschichtlicher Typus?, in: Wehler (Hg.), Europäischer Adel, 73–76. 2 Georgiev, Až do těch hrdel, 302, Anm. 883. 3 Windisch-Graetz, Der ungarische Adel, 129; Walterskirchen, Adel in Österreich, 40–41. 4 Vgl. hierzu Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 163–164. Die Patronatsrechte in Österreich reichen in einigen Fällen bis ins 13. Jahrhundert zurück, als die Landherren, aufgestiegen vom niederen Adel, entstanden und sie in ihre besonderen Hoheitsrechte einbezogen; Dopsch, Der österreichische Adel, 29. 5 Vgl. hierzu Dopsch, Der österreichische Adel, 33. 6 Vgl. hierzu Windisch-Graetz, Der ungarische Adel, 129. 7 Politischer und Gerichtsbezirk: Tabor, Patronatskirche: Planá; Politischer Bezirk: Jilemnice und Nová Paka, Vrchlabí, Patronatskirchen: Jilemnice (Dechantei), Branna und Unterbranna, Rostok (Roztoky), Hoch Stepanovic (Štěpanice), Kapelle in Neuwelt (Nový Svět); Politischer Bezirk: Hradec Králové (Königgrätz), Nový Bydžov, Patronatskirchen: Dohaličky, Hrádek, Libčany, Nechanice, Petrovice, Probluz, Stěžery und Suchá. Siehe Lustig / Světnička, Schematismus velkostatků, 332–334. 8 Noch zwei Kirchen und zwei Kapellen in Starkenbach und zwei weitere Kirchen und eine Kapelle in Strkow, Plana. Vgl. Tittel, Schematismus und Statistik des Grossgrundbesitzes (1906), 183, 186, 188. Vgl. hierzu auch Procházka, Böhmens landtäflicher Grundbesitz, 28–29.

6.1 Frömmigkeit und Beziehungen zur katholischen Kirche

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etwa in Hannover und Mecklenburg) bestehen.9 Das Mitspracherecht bei der Ernennung der jeweiligen Geistlichen, aber auch bei der Erhaltung von Pfarreien und Gotteshäusern dürfte zur Ausübung eines gewissen Einflusses auf die bäuerliche Bevölkerung bzw. zur Erhaltung des Ansehens innerhalb der lokalen Gesellschaften der Großgrundbesitze beigetragen haben.10 Mindestens bis 1914 wurde dies auch bei Prozessionszügen in den Herrschaftsdörfern zur Schau gestellt: „Der Herrschaft folgt die übrige Dorfbevölkerung“.11 In diesem Zusammenhang legten die Harrach, wie vermutlich zahlreiche andere Adelige in Österreich-Ungarn, großen Wert auf einen Bischofsbesuch ihrer Grundbesitze und Schlösser, wie es im Mai 1896 in Hradek zu Nechanice der Fall war. Otto, der im Namen seines Vaters Johann den Bischof von Königgrätz im Schloss Hradek feierlich empfing und begrüßte, schilderte in einem Brief an den Familienchef einige interessante Einzelheiten des Bischofsempfangs: die Dekorationen und Beschriftungen im Hauptportal und in der Kapelle, den Segen und die Ansprache des Pfarrers, die Schlossbesichtigung, das anschließende Büffet, das Singen der Schulkinder, die Teilnahme aller Beamten, die Zufriedenheit und Danksagung des Bischofs usw.12 Ottos Cousin Franz Harrach und sein Schwager Gottlieb Henneberg hatten den Bischof von Brünn bzw. jenen von Budweis in ihren Landschlössern in Groß-Meseritsch (Juni 1912) und Hradek bei Schüttenhofen (Juni und September 1908) zu Gast.13 „Die Bischoffeste waren gut gelungen ebenso mein Honoratioren Diner für ihn mit 19 Personen“, berichtete Franz seinem Vater Alfred, während Anna Henneberg ihrem Bruder Otto Harrach über ihr „sehr gut ausgefallenes“ Bischofs-Diner mit 16 Personen, darunter zwölf Geistliche, im April 1915 in Hradek (Schüttenhofen) schrieb.14 9 10

11 12 13

14

Vgl. die Fälle der böhmischen Adelsfamilien in Votýpka, Böhmischer Adel sowie Conze, Von deutschem Adel, 109, 120. Die regelmäßige Unterrichtung Ottos von seiner Schwester Anna über Amtseinführung und Ableben von Pfarrern, Kaplänen und Patern in ihrer südböhmischen Residenz weist auf die Bedeutung der persönlichen Beziehungen zu Würdenträgern auf lokaler Ebene hin; Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 20.9.1911, 18.6. und 24.9.1914, 19.12.1917, Gries, 8.2.1914, in: AVA, FAH, Kt. 857. Vgl. Carl Metnitz, Religion in Autobiographien. Bürgerliche Religiosität im 19. und 20. Jahrhundert, Diplomarbeit, Wien 1995, 37. Otto Harrach an seinen Vater Johann, Hradek, 2. und 3.5.1896, in: AVA, FAH, Kt. 893. Briefe an Otto Harrach von seiner Schwester Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 12.9.1908, und Vetter Franz, Groß-Meseritsch, 22.6.1912, in: AVA, FAH, Kt. 857, 859; Anna Henneberg an ihren Vater Johann Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 28.6. und 11.9.1908, in: ebd., Kt. 891. Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Janowitz, 29.6.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126; Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 25.4.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

Gegenseitige Besuche zwischen den Harrach und Vertretern des Hohen katholischen Klerus fanden auch in Wien, Prag und anderen Städten des Habsburgerreiches statt. Otto berichtet von seinen Besuchen vom Januar 1892 beim Kardinal in Prag und vom Januar 1912 beim Kardinal Franz Nagl in Wien sowie von einem Dejeuner mit Letzterem Ende Februar 1912 im Palais Harrach, wo zehn weitere Personen zu Gast waren und die Hauskapelle gezeigt wurde.15 Die Beziehungen zwischen Harrach und dem Erzbischof Wiens waren damals wegen des vom 12. bis zum 15. September 1912 in Wien abgehaltenen 23. Eucharistischen Weltkongresses recht eng. Für die Veranstaltung dieses Mitte der 1870er-Jahre entstandenen internationalen Treffens, das eine eindrucksvolle Manifestation des katholischen Glaubens war und eine Abwehr der damals wachsenden, ausgesprochen kirchenfeindlichen, ja sogar antireligiösen Verweltlichungstendenzen zum Zweck hatte,16 war Kardinal Nagl als Gastgeber auf Adelige wie die Harrach, deren Teilnahme an verschiedenen Feierlichkeiten und vor allem deren Beherbergung ausländischer Würdenträger angewiesen.17 Otto Harrach, der an der „feierlichen Eröffnung“ sowie an der „großartigen Schlussversammlung“ des Eucharistischen Kongresses in der Rotunde“ teilnahm, hatte unter anderen die Erzbischöfe von Besançon aus Frankreich und von Aberdeen aus Schottland zu Gast.18 Otto Harrachs Ruf als generöser Gastgeber für geistliche Teilnehmer am Eucharistischen Kongress reichte bis nach Vorarlberg: „Lieber Otto, […] Ich höre, dein Wiener Palais für den Eucharistischen Kongress für Würdenträger und Mönche Gast bietet. Gäbe es vielleicht ein Zimmer für zwei Geistliche, die ich sehr gut kenne?“, so seine Tante Karoline Thurn und Taxis aus Bregenz.19 Über die Beherbergung von Geistlichen hinaus wurde im März 1911 und 1912 im Wiener Palais Harrach ein Saal für eine Reihe von religiösen Vorträgen zur Verfügung gestellt.20 15 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1892 (7. Januar) und 1912 (9. Januar, 26.– 27. Februar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 16 Vgl. dazu http://www.kathpedia.com/index.php?title=Internationaler_Eucharistischer_Kongress und https://www.wien.gv.at/wiki/index.php/Internationaler_Eucharistischer_Kongress (abgerufen am 5. Juli 2016). 17 Eine der hochadeligen Familien, die beim Eucharistischen Kongress in Wien wesentlich mitgewirkt hatte, war jene von Adolf Josef Schwarzenberg; Schwarzenberg, Geschichte des reichsständischen Hauses Schwarzenberg, 251. 18 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1912 (11.–16. September), in: AVA, FAH, Kt. 886; Otto Harrach an Vetter Franz, Hradek, 14.8.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 19 Karoline Thurn u. Taxis an Otto Harrach, Bregenz, 15.5.1912, in: AVA, FAH, Kt. 867; zu den Bischöfen, die eventuell anlässlich des Eucharistischen Kongresses im Palais Freyung zu Gast waren, siehe auch den Brief von Ernst Harrach an seinen Stiefbruder Otto, Schindelthal, 2.9.1912, in: ebd., Kt. 859. 20 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Wien, 3.3.1911, und seiner Schwester Anna

6.1 Frömmigkeit und Beziehungen zur katholischen Kirche

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Kontakte der Familie Harrach zu hohen Würdenträgern werden bis 1914 auch außerhalb Wiens dokumentiert: Franz Harrach war Anfang Mai 1909 in Linz bei der Inthronisation des Bischofs Hittmair im Dom und beim anschließenden Empfang in der Bischofsresidenz zugegen, während Ottos Schwester Gabriele mit ihrem Gatten Gabriel Marenzi im Februar 1911 ein „sehr gutes großes Kardinals-Diner“ in Olmütz besuchte.21 Wenn schon der Umgang mit Bischöfen die Adeligen innerhalb der christlichen Glaubensgemeinschaft aufwertete, welche Wirkung hatte dann erst eine Audienz beim Papst, die ja die Krönung der Frömmigkeit für jeden gläubigen Katholiken darstellt? Es scheint, dass der altösterreichische Hochadel, darunter auch die Harrach, einen privilegierten Zugang zum Heiligen Stuhl hatten. Ihre Vorfahren zählten immerhin zu den Vorkämpfern des Katholizismus während der Religionskriege des 17. Jahrhunderts. Im Rahmen einer adeligen Wallfahrt im Dezember 1900 nach Rom, die unter anderem eine Führung durch die Vatikanische Bibliothek und durch die gesamten Gartenanlagen des Papstes, Messen in der Hauptkirche und Santa Maria Maggiore, eine Pilgerfahrt zur Basilika San Giovanni in Laterano sowie eine Beichte bei Franz Nagl (der 1911 zum Erzbischof der Erzdiözese Wien ernannte Nagl war damals Rektor des Priesterkollegs Santa Maria dell’Anima in Rom) umfasste, hatten Otto Harrach, Zdenko und Karoline Lobkowitz, die Schönburg, die Chotek, die Zichy und die Familie Karl Trauttmansdorffs Privataudienzen beim Papst.22 Enge Kontakte zum Papst pflegten die Harrach auch nach dem Ersten Weltkrieg, wie sich aus einer Reise des 24‑jährigen Sohnes von Otto in Begleitung seines Onkels Franz Harrach im März 1928 nach Rom ergibt. „Hans schreibt ganz begeistert über die Audienz beim Papste, die ihm unter Deiner Führung zuteil wurde. Ich danke Dir vielmals dafür, dass du so schön dafür gesorgt hast, dass er seine Andacht vorher verrichtet, sodass es für ihn eine religiöse Feierlichkeit wurde, die ihm zeitlebens in schöner Erinnerung bleiben wird. Tut mir ungemein leid nicht dabei gewesen zu sein“, so Otto an seinen Cousin.23 Indirekte Kontakte zu Rom wurden zudem über die Nuntiatur in Wien gepflegt, wie sich am Beispiel der Teilnahme der Familie Harrach an Osterexerzitien beim päpstlichen Gesandten 1912 und 1914 nachweisen lässt.24 Henneberg, Görz, 12.3.1912, in: AVA, FAH, Kt. 856, 857. 21 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Aschach, 3.5.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126; Gabriel Marenzi an seinen Schwager Otto Harrach, Olmütz 11.2.1911, in: AVA, FAH, Kt. 857. 22 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Rom, 12. und 16.12.1900; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1900 (9.–16. Dezember), in: AVA, FAH, Kt. 893, 886. 23 Otto Harrach an Vetter Franz, Prugg, 15.3.1928, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 24 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus den Jahren 1912 (12.–13. April) und 1914 (5.–8. April), in: AVA, FAH, Kt. 886. Franz Harrach war beim Empfang des neuen Nuntius Anfang Januar 1913

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

Die Beziehungen zur katholischen Kirche wurden auch durch die Mitgliedschaft und Betätigung im katholischen Vereins- und Versammlungswesen gepflegt und bestärkt. Otto berichtete in seinem Tagebuch von seiner Teilnahme an der Generalversammlung der Michaelerordenschaft am 15. März 1905 in Wien, von den Festreden von Prof. Willman und Pater Galen sowie vom apostolischen Segen des Heiligen Vaters, während sein Cousin im Rahmen des 1905 zur Förderung der katholischen Presse in Österreich gegründeten Piusvereins in der Ortsgruppe Wieden im Januar 1911 und 1912 (in Anwesenheit des Kardinals Nagl und der Erzherzogin Valerie) eine Rede hielt.25 Das Engagement der Harrach ging während des Ersten Weltkriegs weiter und nahm sogar zu, wie die Danksagung des Theologieprofessors der Universität Wien und künftigen Erzbischofs (1932) Theodor Innitzer im Namen des Präsidiums der Leo-Gesellschaft, eines 1892 gegründeten Vereins „zur Förderung von Wissenschaft und Kunst auf christlicher Grundlage“, an Otto Harrach für seinen Beitritt am 17. August 1918 als förderndes Mitglied mit dem einmaligen Beitrag von 400 Kronen zeigt.26 6.1.1 Wallfahrten und Prozessionen

Hochadelige demonstrierten ihre Frömmigkeit sowohl innerhalb als auch außerhalb ihrer Pfarrei, Pfarrgemeinde und der Patronatskreise. Pilger- und Wallfahrten wurden von Frauen, Männern und gemischten Gemeinschaften des Adels unternommen. Einer von Karoline Harrach auf Französisch verfassten Ansichtskarte entnehmen wir den Besuch einer „charmanten Gesellschaft adeliger Frauen“ um 1907 in Mariazell,27 einem der wichtigsten Wallfahrtsorte Österreichs, der Ottos Tagebuch zufolge im Mai 1914 auch von ihm und seiner Gattin, den Bellegarde und einer Damenkongregation besichtigt wurde.28

25 26 27

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in Wien zugegen; Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 9.1.1913, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (16. März), in: AVA, FAH, Kt. 886; Franz Harrach, an seinen Vater Alfred, Wien, 11. und 12.1.1911, in: ebd. Theodor Innitzer an Otto Harrach, Wien, 23.8.1918, in: AVA, FAH, Kt. 862. Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Mariazell, 1.10.1907, in: AVA, FAH, Kt. 856. Mariazell galt für die adeligen Frauen am Wiener Hof bereits im 18. Jahrhundert als beliebter Wallfahrtsort; vgl. Gabriel, Zur Lebenswelt adeliger Frauen, 48. Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1914 (18.–19. Mai), in: AVA, FAH, Kt. 886. Vor der Abfahrt aus Wien wurde in der Schottenkirche gebeichtet und kommuniziert und am nächsten Tag wurde in der Wallfahrtskirche vor der Besichtigung des Kirchenschatzes mit allen mitgereisten Damen kommuniziert.

6.1 Frömmigkeit und Beziehungen zur katholischen Kirche

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Otto und Karoline Harrach besuchten im Mai 1905 einen der wichtigsten katholischen Wallfahrtsorte europaweit: Lourdes in Frankreich. Es war eine Reise, die nicht jeder Angehörige der Familie Harrach sowie des mitteleuropäischen Adels zu unternehmen in der Lage war. So bedankte sich Anna Henneberg bei ihrem Bruder Otto und seiner Frau Karoline dafür, ihr die Andacht in Lourdes ermöglicht zu haben.29 Otto Harrachs ältere Schwester, so wie viele weitere Frauen des Hochadels, pilgerte selbst während des Ersten Weltkriegs zu leicht zugänglichen Wallfahrtsorten wie dem Heiligen Berg in Böhmen oder Pöstlinberg bei Linz in Oberösterreich.30 Wallfahrten während der schwierigen letzten zwei Kriegsjahre waren keine Selbstverständlichkeit und dürften den adeligen Frauen durch ihre Andachten, in denen sie für den Frieden beteten, in Kreisen der Katholiken auf dem Lande zumindest symbolisch etwas an Ansehen eingebracht haben. Auch die Prozessionen in den Pfarreien der Grundbesitze förderten das Prestige der adeligen Männer und Frauen in Zusammenhang mit der Religion, wurde hier doch die enge Bande zwischen Adel und Kirche dem dortigen Bauerntum vor Augen geführt und bestätigt. Anna Henneberg berichtete im Juli 1918 von einer „großartigen“ Prozession der gesamten Pfarrei in Hradek (Schüttenhofen) in Südböhmen mit sehr vielen Beteiligten sowie von einer dreitägigen Wallfahrt von Gottlieb und 40 Personen nach Pribram auf den Heiligen Berg.31 Ihr Bruder Otto Harrach hielt es für seine Pflicht, sich der Fronleichnamsprozession von 1898 in Nechanic (Sadowa) anzuschließen, und genoss sieben Jahre später die Teilnahme an dieser Prozession in Plana (bei Tabor).32 Nirgends freilich kam die privilegierte Stellung des Adels im Rahmen der katholischen Kirche als Teil einer prunkvollen Inszenierung des Hofes so demonstrativ, zentral und auf höchster institutioneller sowie symbolischer Ebene zum Ausdruck wie bei religiösen Hoffeierlichkeiten in Wien. Hier bildeten die Harrach und andere hofwürdige Aristokraten das Gefolge des Kaisers.33 Otto Harrach wurde vom Oberstkämmerer des Kaisers „in seiner Eigenschaft als Kämmerer zum Ehrendienst bei der am Karfreitag den 28. März 1902 beim Hof stattfindenden kirchlichen Funktion ein29 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 24.5.1905, in: AVA, FAH, Kt. 857. 30 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 10.7.1917, und Gabriele Marenzi, Hradek (Schüttenhofen), 1.7.1916, Wels 2.6.1918, in: AVA, FAH, Kt. 857. 31 Dort wurde nach Gabrieles Erzählungen zwei Jahre davor fleißig an den Blumen für die Fronleichnamsprozession gearbeitet; Briefe ebd., Hradek (Schüttenhofen), 16.7.1918, 21.6.1916, in: ebd. 32 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Hradek, 10.6.1898, in: AVA, FAH, Kt. 893; Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1905 (22. Juni), in: AVA, FAH, Kt. 886. 33 Vgl. Winkelhofer, »viribus unitis«. Der Kaiser und sein Hof, 104–105.

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geladen“.34 Anhand einer Hofkirchen-Ordnung des „während der Karwoche 1903 in der Hofburg-Pfarrkirche abzuhaltenden Gottesdienstes“ lassen sich die Kleidungsvorschriften für Kämmerer (wie Otto) und geheime Räte (wie Johann Nepomuk) zwecks ihrer Hofdienstleistung und Teilnahme an Zeremonien der Karwoche (vom Gründonnerstag bis Karsamstag) ablesen.35 Im Jahr 1912 stand für das Oberhaupt der Harrach so mancher repräsentativer, religionsbezogener Auftritt in Wien auf dem Programm. Neben seiner Teilnahme an Fronleichnam am 6. Juni mit dem Hochamt um 7 Uhr früh in St. Stephan und der anschließenden Prozession mit Erzherzog Franz (der Kaiser war beim Michaeler-Altar) beteiligte sich Otto als Geheimer Rat im eigenen Galawagen am 15. September anlässlich des in Wien tagenden Eucharistischen Weltkongresses zur Verherrlichung des Allerheiligsten Altar-Sakramentes an der feierlichen Auffahrt von St. Stephan über die Ringstraße zum äußeren Burgtor (im Beisein des Kaisers und der Herren Erzherzoge).36 Formen repräsentativer Frömmigkeit wie Besuche in Klöstern, die Teilnahme an Prozessionen und kleineren Wallfahrten lassen sich in eine tief reichende Tradition des altösterreichischen Adels und des Habsburger Hofes einbetten. Sie nahmen übrigens im Tagesablauf der königlichen Familie bereits im 17. Jahrhundert einen erheblichen Stellenwert ein, da sie „gegenüber einem großen, weit über die höfische Gesellschaft hinausgehenden Publikum die enge Verbindung zwischen Kaiserhaus und Kirche signalisieren sollten“.37 Den religiösen Hoffeierlichkeiten und der adeligen Teilnahme an ihnen setzten jedoch die Auflösung Österreich-Ungarns und die Entthronung der Habsburger 1918 ein abruptes und definitives Ende. Noch Ende Mai desselben Jahres war Otto Harrach offiziell über die Dispositionen der Fronleichnamsprozession der Habsburger in Wien benachrichtigt worden, die die letzte sein sollte.38 Es war das letzte Mal, dass sich die Prozession nach der vorgeschriebenen Ordnung der kaiserlichen Zeit bewegte, der zufolge vor dem Monarchen die Hoflivreedienerschaft, die Hofsänger, die Edelknaben, die Truchsessen, die Kämmerer, die geheimen Räte, die Erzherzoge 34 Der Ehrendienst bestand in der Begleitung des hochwürdigsten Gutes neben dem Baldachin; Oberstkämmerer Sr. k. u. k. apostol. Majestät an Otto Harrach, Wien, 11.3.1902, in: AVA, FAH, Kt. 874. 35 Hofkirchen-Ordnung 1903, in: ebd., Kt. 912. 36 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1912 (6. Juni), in: AVA, FAH, Kt. 886; Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 17.9.1912, und an Tante Anna, Wien, 8.9.1912, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129, Kt. 35, Fol. 563; Oberhofmeisteramt (Mitteilung), Wien im Juni 1912, in: AVA, FAH, Kt. 874. 37 Keller, Hofdamen. Amtsträgerinnen im Wiener Hofstaat, 131. 38 Dispositionen der Fronleichnamsprozession am Donnerstag, den 30. Mai 1918, in: AVA, FAH, Kt. 874.

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mit Begleitung, der Pontifikant mit dem Allerheiligsten unter dem Baldachin und der assistierenden Geistlichkeit und letztlich die Edelknaben mit Fackeln und Leibgarden neben dem Baldachin marschierten.39 Vier Jahre später, als der Vorstand der Harrach dem verstorbenen letzten Kaiser Karl fromm und religiös den letzten Tribut zollen wollte, hatte sich die Lage vollkommen geändert. Wie Otto seiner Tante Anna am 23. April 1922 anvertraute: „Der tragische Tod des armen Kaisers erfüllt mit Trauer und Mitleid für seine Hinterbliebenen alle Herzen seiner Getreuen. Ich ließ in Wien bei den Schotten auch eine heil. Messe für ihn lesen, ohne dass das Publikum davon wusste.“40 6.1.2 Religiöser Alltag: Messe, Gebet, Andacht, Sakramente

Der Alltag der Frauen und Männer des Adels und somit auch der Harrach war zum Teil von Messen, Gebeten und Andachten geprägt, die entweder zu Hause, im Schloss bzw. in der Schlosskapelle, im Palais und in einer Wohnung oder öffentlich in einer Stadt- oder Dorf- bzw. Patronatskirche verrichtet wurden.41 Gottesdienste und Messen in Schlosskapellen waren der Inbegriff der Exklusivität, weil sie die Vermischung mit anderen Bevölkerungsteilen ausschlossen. Auf der anderen Seite konnte die adelige Religiosität als Vorbild für das Dienstpersonal wirken. Der religiöse Alltag des Adels war tief im katholischen Ritus verwurzelt, der im Prinzip allen Gläubigen gemein war. Der ritualisierte Kirchgang oder Kapellenbesuch, um einer Messe oder Ähnlichem beizuwohnen, reicht bis ins Wiener Hofritual des 17. Jahrhundert zurück.42 Die Teilnahme an verschiedenen, zwischen 8 und 11 Uhr früh abgehaltenen Messen bildete die häufigste Tätigkeit, die Otto Harrach in seinen Tagebüchern notierte:43 „War um 11 Uhr in der Messe bei St. Heinrich“; Prag, 3. und 10. Januar 1892. „Messen bei St. Niklas“; Prag, 6. Januar, 1892, Dreikönigstag. „8 Uhr las der Kaplan von Plana eine Messe in der Kapelle“; Plana, 5. Mai 1892. 39 Ebd. 40 Otto Harrach an Tante Anna, Strkow, 23.4.1922, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 35, Fol. 563. 41 Über die „überdurchschnittliche“ Frömmigkeit des österreichischen Adels vgl. Erik Kuehnelt-Leddihn, Adel und Kirche, in: Siegert (Hg.), Adel in Österreich, 322. 42 „Der Tag der Kaiserin begann gewöhnlich mit einem Besuch der Messe, am häufigsten in der Hofkapelle oder in der Augustinerkirche“; Keller, Hofdamen, 124, 131–132. 43 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus den Jahren 1892, 1900, 1902, 1905, 1912, 1913, 1914 und 1916, in: AVA, FAH, Kt. 886.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

„Früh war Messe in der Kapelle“; Wien, 18. Mai 1892. „Früh bei den Schotten in der Messe“; Wien, 22. Mai 1892. „Früh war Messe in der Kapelle“; Zeltsch, 14. September 1900. „Vormittag in der Messe im Hof“; Wien, 7. Oktober 1900. „Messe in der Kapelle“; Rohrau, 11. und 18. Mai 1902. „10:30 Messe Minoriten“; Wien, 12. Januar 1905. „Messe Kapelle“; Prugg, 2. Juni, Strkow, 22.–23. Juni, Hradek, 2.–4. August 1912. „Messe für Kinder in der Kapelle, ich Minoriten“; Wien, 9. Februar 1913. „Messe für Kinder zu Hause, ich bei Schotten“; Wien, 16. Februar 1913.

Die sind einige der immer wieder vorkommenden Erwähnungen von Messebesuchen. Egal wohin Otto – allein oder mit Frau und Kindern – sich begab, seine Anwesenheit bei der Messe war Pflicht. Dies galt, wenngleich nicht so häufig, auch für andere Sakramente, vor allem für die Beichte und Kommunion.44 Besonders erwähnenswert waren die Generalkommunionen in den Domänen, wie jene vom 4. Dezember 1913 in Prugg „mit allen Bediensteten, 90 Personen und Pater Zehengruber“.45 Karoline Harrach informierte von 1901 bis 1904 und von 1907 bis 1910 ihren Gatten während seiner bzw. ihrer Abwesenheit in 26 Briefen über Kirchgänge, Andachten und heilige Messen. Ihre Religiosität lebte sie auf fast allen Sitzen der Familie Harrach bzw. ihrer Stammfamilie Öttingen in Böhmen, in Niederösterreich, in Bayern und vor allem in Wien aus. Selbst in der Winterstation Abbazia verzichtete Ottos Frau nicht darauf, an heiligen Messen teilzunehmen und ihrer Frömmigkeit Ausdruck zu geben.46 Sie erfüllte damit das Vorbild einer frommen Frau des katholischen Hochadels. Auch Ottos älteste Schwester war, glaubt man den Briefen, die sie an ihren Bruder adressierte, eine gläubige Frau. Andachten, heilige Messen und Gebete standen auf dem Land im böhmischen Schloss, seltener in Prag und vor 1914 während der Wintermonate in Görz oder in Gries bei Bozen auf der Tagesordnung. Im schwierigen Kriegswinter 1917 schien es ein steigendes Bedürfnis nach Gebeten gegeben zu 44 „Früh habe ich gebeichtet und kommuniziert bei den Jesuiten“; ebd. Prag, 24. Februar 1892. „Früh Schotten kommuniziert“; ebd., Wien, 20. März 1913, Gründonnerstag. „Früh in der Pfarrkirche gebeichtet, dann mit Line in der Kapelle kommuniziert“; ebd., Bruck, 1. Januar 1914 und 1916. 45 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1913 (4. Dezember), in: AVA, FAH, Kt. 886. 46 Karoline Harrach an ihren Verlobten Otto, Hluboš, 17., 19. und 28.11.1901, Petersburg, 8.12.1901, Wien, 29.12.1901, und an ihren Gatten Otto, Wien, 1.5.1903, 19.11. und 8.12.1903, 27.2.1904; Zelč, 10.7.1902, Wien 9.4. und 27.2.1904, 6. und 7.12.1907, 23. und 25.4.1908, 26.4.1909, Prugg, 21.11.1904, Rohrau, 27.11.1907, 18.6.1908, Abbazia, 18. und 22.2.1909, Hradek, 9.8.1909, Wallerstein, 7.11.1909, Strkow, 1.11.1910, in: AVA, FAH, Kt. 856.

6.1 Frömmigkeit und Beziehungen zur katholischen Kirche

267

haben; „Wenn der liebe Gott sich uns erbarmen wollte und uns endlich Frieden gäbe. Vielleicht betet man im Allgemeinen öffentlich nicht genug“.47 Der Tod von Familienangehörigen gab Anlass zur Intensivierung der religiösen Aktivitäten. Am Todestag des Familienvorstands Johann Nepomuk, d. h. am 12. Dezember 1909, waren all seine Kinder und engen Verwandten, wo auch immer sie sich gerade befanden, „im Gebet vereint“, wie sich aus zahlreichen Briefen ergibt.48 Über den intimen Familiencharakter hinaus dürften diesbezügliche Messen, vor allem im ersten Jahr nach dem Tod, im Rahmen des Großgrundbesitzes und der lokalen Dorfgesellschaften ziemlich häufig gewesen sein. Tante Anna soll 20 Kronen ausgegeben haben, um eine dritte Serie von 30 Messen zustande zu bringen. „Papa interessiert sich dafür daß die Messen in allen Patronatskirchen durchgeführt werden“, so Gabriele im Juli 1909. Es ging offenbar um Messen im Namen der am 12.8.1908 verstorbenen zweiten Frau Johann Nepomuks, Maria Theresia, geborene Prinzessin Thurn und Taxis.49 Gabriele schrieb zwei Wochen nach dem Tod ihres Vaters stolz, dass sie mit gekauften Gebetsbildern eine teure Andacht für Papa hielt.50 Im März 1916 war sie sehr erleichtert, von Otto Harrach eine Fuhre Futterheu bekommen zu haben. Es war ihr eine große Freude, mitten im Krieg, „die guten alten Pferde weiterhalten zu können“, die ja auch eine Wohltat für ihre Kirchenfahrten nach Wels waren.51 Eine intensive, eher auf die Familie bezogene Religiosität wurde wohl auch von der dritten Tochter von Johann Nepomuk Harrach, Maria Theresia Wisniewski, bis in die 1920er-Jahre im weit entfernten Galizien gepflegt. Nach dem Verlust ihres achtzehnjährigen Sohnes gegen Kriegsende intensivierte sich ihr religiöses Leben, das Besuche der Familiengruft, Messen und Gebete umfasste. „Das Einzige was einem sicher bleibt ist in Gott zu vertrauen, zu beten und zu trachten“, so Maria Theresia im Oktober 1918.52 Die Angewohnheit der Gattin sowie der Schwester von Otto Harrach, ihn über ihre religiösen Aktivitäten sowie ihre Teilnahme an verschiedenen Sakramenten auf 47 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto Harrach, Hradek (Schüttenhofen), 4.8.1903, 24.5.1905, 13.8.1910, 8.2.1917, Görz, 3. und 17.12.1910, Gries, 9.2.1913, in: ebd., Kt. 857. 48 Siehe andeutend Gabriele Marenzi an ihren Bruder Otto Harrach, Olmütz, 23.12.1909, Kronstadt, 10.12.1917, ebd. 49 Ebd., Olmütz, 12.7.1909. 50 Ebd., Olmütz, 27.12.1909. Zu den sonstigen religiösen Aktivitäten von Gabriele Marenzi siehe ihre Briefe an ihren Bruder Otto Harrach aus Olmütz, 2.7.1910, Hradek (Schüttenhofen), 2.7.1912, Wels, 5.3.1919, in: AVA, FAH, Kt. 857. 51 Ebd., Wels, 18.3.1916. 52 Maria Theresia Wisniewski an ihren Bruder Otto, Krystynopol, 28.12.1910, 17.10.1918, 28.11.1923, Lemberg 20.1.1911, 12.9.1916, 8.6.1917, 12.12.1917, 7.10.1918, in: AVA, FAH, Kt. 858.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

dem Laufenden zu halten, liefern uns zusätzliche Anhaltspunkte für die Rolle und den Stellenwert der Religion in der Familie. Die Korrespondenz enthält Angaben zu Beichten von Karoline Harrach, ihren Kindern und Karl Harrach sowie zu Firmungen der Kinder der Harrach und der Wisniewski.53 Mehrere andere Briefe enthüllen zusätzliche Facetten vor allem der weiblichen Religiosität: die Teilnahme an Exerzitien, den Austausch von Sprüchen und Gebeten, die Absendung von Gebetbüchern, ein kostbares rotes Messkleid als Geschenk Ottos zu Anna Hennebergs Geburtstag im Mai 1918 und die Kontrolle der Glaubenszugehörigkeit der beim Adel angestellten Diener.54 Gabrieles bezeichnende Frage an Otto, der Mitte August 1913 mit seiner Frau im Seebad in Rostock kurte, bezog sich auf die Art des Gotteshauses: „Geht ihr in die Kirche oder ist es eine Kapelle? Hier in Balaton wunderschöne Kapelle mit prachtvoller Aussicht auf den See.“ Die Kapelle dürfte ein Markstein der adeligen Topoi gewesen sein. „Ist die Kapelle Schwarzenberg hübsch?“, erkundigte sich Maria Theresia Wisniewski.55 Über den Inhalt ihrer Briefe hinaus offenbaren auch die Formulierungen und die Redewendungen der Harrach’schen Frauen ihre Frömmigkeit, die auf diese Weise in einer mehr oder weniger einheitlichen Geisteswelt des altösterreichischen Adels zum Ausdruck kommt. In erster Linie bestimmten Gott und einige Heilige die Sprache der Katholiken. „Wenn der liebe Gott sich uns erbarmen wollte und uns endlich Frieden gäbe. Vielleicht betet man im Allgemeinen öffentlich nicht genug!“ „Gott segne beide die lieben Kinder!“ „Waidmannsheil! Gott schütze Dich! Gott bewahre uns vor den Russen!“ „Gott segne sie, dass ein gesundes, herziges Kind daraus wird!“ „Gott schütze uns alle vor der Cholera!“ „Hoffentlich hilft uns der heilige Antonius die Sache zu lösen!“ „Gott befohlen, ich muss schließen!“ „Allerbeste Wünsche und Gottes Segen für Deinen Geburtstag!“ 53 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Hradek, 16.9.1910, Wien, 1.5.1903, 26.9.1904, 27.3.1913, Rohrau, 12.6.1903, Prugg, 19.12.1911, und seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 18.5.1912, Gries, 7. und 31.3.1914, und Maria Theresia Wisniewski, Wien, 3.5.1915, Lemberg, 12.6.1916, in: ebd., Kt. 856, 857, 858. 54 Briefe an Otto Harrach von seiner Gattin Karoline, Wien 1. und 3.3.1912, seiner Schwester Anna Henneberg, Görz, 10.1. und 28.2.1910, Hradek (Schüttenhofen), 8.9. und 2.10.1913, 12.1.1915, 9.5.1918, und seinem Schwager Gottlieb Henneberg, Hartenberg, 10.2.1913, in: ebd., Kt. 856, 857. 55 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Balaton, 15.8.1913, und Maria Theresia Wisniewski, Lemberg, 22.1.1905, 10.1.1910, in: ebd., Kt. 857, 858.

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen

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„Gott gebe, dass Dir das Bad gut tut!“ „Gott behüte ihn und seine Truppen!“ „Gott vergelte Euch tausendfältig was ihr für uns all die Zeit, die wir unter Euerem Dach wohnten, gemacht habt!“56

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen Wohltätigkeit kann in der sozialen Praxis des Adels als ideale praktische Umsetzung katholischer Glaubensinhalte betrachtet werden. Sie hing mit dem standesgemäßen Engagement der Aristokraten für ihre Mitmenschen und das Gemeinwohl durch Unterstützung von Personen auf individueller Basis, vor allem aber durch Spenden an Institutionen, Vereine und Aktionen zusammen. Schon im Vormärz zeichneten sich Angehörige der böhmischen bzw. österreichischen Aristokratie durch ihre Mitgliedschaft in zahlreiche Vereinigungen jedweder Art aus. Es war eine Prestigesache, da großzügige karitative Leistungen ebenso wie Mäzenatentum sichtbarer Ausdruck des adeligen Standesbewusstseins bildeten.57 Der Einsatz für andere bzw. das Bewusstsein, Pflichten und Verpflichtungen gegenüber den Ärmsten und Notleidenden zu haben, scheint noch während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Zentraleuropa, in Deutschland und Frankreich ein fester Bestandteil adeliger Gesinnung gewesen zu sein.58 Die Traditionen fürstlicher Kunstförderung und christlicher Nächstenliebe wirkten innerhalb des erbländischen Adels ebenso weiter wie das Streben nach Selbstdarstellung.59 Dies ist bis heute im Gedächtnis betagter Adeliger wie Stephanie Harrach als etwas Selbstverständliches verhaftet: „Auf alle Fälle, das Wohltätige war immer sehr dabei“.60 Die Wohltätigkeit manifestierte sich traditionell in erster Linie auf lokaler bzw. regionaler Ebene im und um den Grundbesitz. Es ging um den physisch-historischen Wirkungskreis der Adeligen. 56 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 9.4.1902, 30.9.1914, 8.3.1915, 8.2.1917, und Gabriele Marenzi, Lemberg, 7.12.1904, 8.2.1905, 7.7.1908, 21.6.1916, sowie von Ottos Gattin Karoline, Prugg, 19.11.1901, 20.11.1904, 6.5.1912, 11. und 16.9.1914, in: ebd., Kt. 857, 856. 57 Stekl, Österreichs Aristokratie im Vormärz, 205–207. Johann Adolf II. Fürst Schwarzenberg war Mitglied von 145 Vereinigungen (Land, Forstwirtschaft, Wissenschaft, Kunst, Handel usw.), deren Wirkungskreise von wirtschaftlichen über soziale bis hin zu kulturellen Belangen reichten. 58 Vgl. hierzu Walterskirchen, Adel in Österreich im 20. Jahrhundert, 39; Saint Martin, Der Adel, 156; Conze, Von deutschem Adel, 389. 59 Stekl, Der erbländische Adel, 969. 60 Interview mit Stephanie Harrach, 28.9.2004.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

„Jenseits des Dienstes für den Staat […] manifestierte sich der adelige Anspruch, dem Gemeinwohl zu dienen, vor allem in seinem sozialen und karitativen Engagement. Ort dieses Engagements waren in erster Linie die eigenen Güter, Adressaten der adeligen Mildtätigkeit die Leute. Die aus innerer Überzeugung und nicht selten aus tiefer Religiosität erwachsene Wohltätigkeit verband sich so mit dem Bestreben, den patriarchalischen Herrschaftsverband des Gutes und sein hierarchisches Sozialgefüge zu konservieren und zu stabilisieren“,

so Conze über den deutschen Adel am Beispiel der Grafen Bernstorf.61 Stekl weist seinerseits auf die führende Stellung mehrerer Grundbesitzer in Österreich noch während der Zwischenkriegszeit hin. „Die Stellung als Grundbesitzer ermöglichte auch im regional engeren Raum den Aufbau eines Geflechts von informellen Abhängigkeitsverhältnissen: durch Spenden an karitative Einrichtungen, durch Beiträge an Vereine, die Einflussnahme auf die Besetzung kirchlicher Funktionen aufgrund des Patronatsrechtes, die Förderung künstlerischer und kultureller Initiativen. Die daraus erwachsende Vorrangstellung patriarchalischer Prägung überdauerte in vielen Fällen den Zusammenbruch der Monarchie.“62

Die Grafen Harrach entsprachen in jeder Hinsicht dem oben skizzierten Bild und scheinen ihre Wohltätigkeit und ihren Förderungsgeist sogar über ihren Großgrundbesitz hinaus auf Landes- bzw. Staatsebene ausgeweitet zu haben. Als eines der prominenten Geschlechter des böhmischen Adels unterstützten oder initiierten die Harrach schon in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Böhmen viele Vereine und gemeinnützige Aktionen. Johann Nepomuk (1828−1909) erwarb sich große Verdienste um die Gründung tschechischer Schulen in Wien, um die Errichtung eines Landesmuseums und die Förderung von landwirtschaftlichen Vereinen in Böhmen.63 Seine führende Rolle lässt sich an den Spitzenpositionen ablesen, die Johann in verschiedenen Institutionen, Gesellschaften und Vereinen einnahm. In den 1890er-Jahren war er unter anderem Präsident des Landesmuseums im Königreich Böhmen, der k. k. Gartenbau-Gesellschaft, der Modernen Galerie für Böhmen, der Bank Slavia, der Böhmischen Kommerzialbank, des Exportvereins für Böhmen, Mähren und Schlesien. Er 61 Conze, Von deutschem Adel, 389. 62 Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 163–164. 63 Vgl. Sturm (Hg.), Biographisches Lexikon, 539; Österreichisches Biographisches Lexikon, 190–191; Österreichisches Silbernes Kreuz, Festbuch „Unsere Stifter und Gründer“, AVA, FAH, Kt. 872.

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen

271

war auch als Mitglied des Kuratoriums des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie sowie als Präsident des Brauindustrievereins tätig.64 Johann (Jan) Harrach war wie auch die Grafen Eugen Czernin und Heinrich Clam-Martinic bereits in den 1860er-Jahren einer der führenden Repräsentanten und Mäzene des frühen tschechischen Vereinslebens in Wien.65 Der erste Wiener tschechische Theaterverein „Pokrok“ wurde 1863 unter seiner Ägide ins Leben gerufen. Er war 50 Jahre lang (von 1869 bis zu seinem Tod) Präsident der „Slovanská beseda“ (slawische Gespräche oder Begegnungen), die als kultureller Sammelpunkt der Wiener Slawen wirkte.66 Sein wichtigstes Verdienst um die Wiener Tschechen war die Gründung des Schulvereins Komenský im Jahr 1872, der zum zentralen Verein des Wiener Tschechentums wurde − sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg. 1883 wurde auf seine Initiative die erste tschechische Komenský-Volksschule mit einem angeschlossenen Kindergarten im 10. Wiener Gemeindebezirk eröffnet. Kurz vor seinem Tod ermöglichte er überdies die Erwerbung einer Kirche auf der Landstraße für das tschechische Predigtwesen.67 In Prag spendete er für den Bau des tschechischen Nationaltheaters in den 1870er Jahren und war Vorstand des Vereins zur Vollendung des Veitdoms.68 Über 30 tschechische Vereine schickten am 12. Dezember 1909 anlässlich des Todes von Johann Graf Harrach Kondolenzen.69 Der neue Hausvorstand blieb der väterlichen Wohltätigkeitstradition treu, jedoch ohne die führenden Ämter und die großen Verdienste von Johann. Wie Otto kurz nach dem Tod seines Vaters Onkel Alfred, dem ältesten Mann der Familie, anvertraute, übernahm er die Mitgliedschaft in den meisten wohltätigen Vereinen, deren Mitglied sein Vater gewesen war. Die Spenden an die Städte, deren Ehrenbürger er war, sowie an die Vereine und Korporationen, deren Präsident oder Protektor er war, beliefen sich auf insgesamt 32.000 Kronen, worunter das Museum in Prag mit 10.000 figurierte.70 Da Otto auf den Nachruhm seines Vaters bedacht war, ließ er 64 Sturm (Hg.), Biographisches Lexikon, 539; Österreichisches Biographisches Lexikon 1815–1950, Bd. 2, Graz/Köln 1959, 190–191; Brousek, Wien und seine Tschechen, 20–21. 65 Vlasta Valeš, Die Wiener Tschechen einst und jetzt, Prag 2004, 14. 66 Georgiev, Až do těch hrdel, 314–15. 67 Illustriertes Wiener Extrablatt, 13. Dezember 1909; Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach, in: AVA, FAH, Kt. 870; Brousek, Wien und seine Tschechen, 16. 68 F. Menčík, Jan hrabě Harrach, Praha 1898, 10–11, zit. in Georgiev, Až do těch hrdel, 305. 69 Kondolenzen anlässlich des Todes seines Vaters, Johann Graf Harrach, in: AVA, FAH, Kt. 870. 70 Otto Harrach an Onkel Alfred, Wien, 28.1.1910, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. Otto stellte sogar dem böhmischen Museum Johanns in Prag befindliche böhmische Bibliothek zur Verfügung, um einige Werke auszuwählen, die dann in der Bibliothek des Museums unter dem Namen „Bibliotéka Jana hraběte Harracha“ aufbewahrt werden sollten, wie es auch der „Wunsch des teuren

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

für die Benennung eines Platzes in Prag mit „Náměstí hraběti Harracha“ dem Gemeinderat schriftlich eine Anweisung von 4000 Kronen zugunsten der Armen Prags zukommen.71 Wenngleich in geringerem Ausmaß, so förderten die Harrach auch Vereine und Aktionen in ihren österreichischen Besitzungen, nämlich in Bruck a. d. Leitha (Rohrau und Prugg) und in Wien selbst.72 Die Harrach machten im Prinzip keinen Unterschied zwischen deutschen und tschechischen Vereinen und Aktionen und erwiesen sich in Zeiten des angeheizten Nationalismus als ziemlich gemäßigt. Der Stiftungsbeitrag von 1000 Kronen im April 1914 an „Austria Nova“, eine Gesellschaft zur Förderung des nationalen Friedens in Österreich, ist ein starker Hinweis darauf.73 6.2.1 Wohltaten und Spenden während des Ersten Weltkriegs

Die akute Not während des Ersten Weltkriegs und in den ersten Nachkriegsjahren stellte die soziale Position und das soziale Ansehen des mitteleuropäischen Adels auf eine äußerst harte Probe. Als mächtigster Kern innerhalb der dünnen Schicht der Aristokratie zeichneten sich Familienvorstände und Fideikommissbesitzer wie Otto Harrach durch ihr großes Engagement aus. Seit Kriegsbeginn 1914 beteiligte sich Otto durch wiederholte Unterstützung verschiedener Fonds und Kriegsfürsorgeeinrichtungen unermüdlich an verschiedenen Hilfsaktionen. Dutzende von Vereinen, Aktionen, Gruppen und Individuen wandten sich mitten im Krieg an Otto Harrach mit der Bitte um Hilfe und finanzielle Unterstützung. Zwar lässt sich die Beteiligung von Graf Otto im Vergleich zu anderen Mitgliedern des Hochadels praktisch kaum einschätzen, aufgrund der Danksagungen an ihn ist jedoch davon auszugehen, dass er zwischen 1914 und Anfang 1919 in mindestens 70 Fällen Vereinen, Hilfsstellen und Stiftungen einen Geldbetrag zur Verfügung stellte. In 22 Fällen geht es um Spenden bis 100 Kronen, in achtzehn Fällen um Spenden von 100 bis 999 Kronen und in siebzehn Fällen um Spenden von über 1000 Kronen. Die höchsten Beträge wurden für die Behandlung von Kriegsopfern und Soldaten bereitgestellt. Der Witwen- und Waisenfonds der gesamten bewaffneten Macht, das Kriegshilfsbüro des Innenministeriums, die österreichische Gesellschaft vom Roten Kreuz, der Verein „Kriegsblinden-Heimstätten“, das Kriegsfürsorge-Amt verstorbenen war“; ebd., Wien, 17.1.1910. 71 Ebd., Wien, 28.1.1910. 72 Es gibt z. B. Danksagungen für eine Spende von 20 Kronen für den Männer-Gesang-Verein und von 40 Kronen für das Komitee der Wohltätigkeits-Akademie in Bruck a. d. Leitha im Januar 1913 und Dezember 1914. Vgl. Verbände und Vereine, in: AVA, FAH, Kt. 872, 873. 73 Ebd., Kt. 872.

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen

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des Kriegsministeriums sowie entsprechende tschechische Vereine bzw. Landesstellen wurden von Graf Otto Harrach besonders großzügig oder wiederholt unterstützt.74 Der Witwen- und Waisenfonds der gesamten bewaffneten Macht erhielt im August 1914 3000 Kronen, im Dezember 1914 300 Kronen und im Juni 1917 1000 Kronen, das Kriegshilfsbüro des Innenministeriums im August 1914 4000 Kronen und im Dezember 1916 300 Kronen, das Kriegsfürsorge-Amt des Kriegsministeriums im Januar 1917 5000 Kronen, die österreichische Gesellschaft vom Roten Kreuz im August 1914 und Juli 1915 je 4000 Kronen. Der österreichische Flottenverein wurde im Februar 1916 mit 500 Kronen, der Verein Kriegsblinden-Heimstätten im November 1916 mit 1000 Kronen und der Hilfsverein für Lungenkranke „Viribus Unitis“ im Januar 1916 und 1917 mit je 200 Kronen gefördert.75 Die höchste nominelle Spende – 50.000 Kronen im April 1918 – richtete sich aber an den Katholischen Organisationsfonds.76 Bemerkenswert ist, dass die höchsten Beträge eher karitative Vereine und Aktionen betrafen, bei denen Hochadelige Spitzenfunktionen innehatten. So bedankten sich beispielsweise Prinz Franz Liechtenstein als Leiter der österreichischen Hilfsaktion für das Bulgarische Rote Kreuz für den Eintritt Ottos in das Hilfs- und große Komitee für das Bulgarische Rote Kreuz im Oktober 1915, Graf Rudolf Abensperg und Traun als Bundespräsident der österreichischen Gesellschaft vom Roten Kreuz für Ottos Spende von 300 Kronen für die Weihnachtsaktion für verwundete und kranke Soldaten in Frontspitälern im Januar 1916 und Graf Rudolf Morzin Czernin für die „hochherzige Spende“ von 10.000 Kronen an das Wiener Aktionskomitee im März 1918.77 Es gab wohl auch Wohltätigkeitsaktionen, die von Ottos Schwestern initiiert, aber aus Familienmitteln mitgefördert wurden. Charakteristisch ist die Danksagung seiner Schwester Maria Theresia für die Spende von 1000 Kronen für eine Weihnachts-Theatervorstellung in Lemberg zu Weihnachten 1916.78 Über die Spenden hinaus initiierte Otto Harrach aus eigenen Mitteln die Errichtung eines Rekonvaleszenten-Heimes auf seinem Schloss Prugg (Bruck a. d. Leitha, NÖ), nachdem er bereits ab dem 17. August 1914 als Subkommandant des Reserve­ spitals des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens für verwundete Offiziere in Pötzleins-

74 75 76 77

Verbände und Vereine 1900–1919, in: AVA, FAH, Kt. 872, 873. Ebd., Kt. 872. Ebd., Kt. 873. Briefe an Otto Harrach von Franz Liechtenstein, Wien, 21. u. 27.10.1915, Rudolf Abensperg und Traun, Wien, 10.1.1916, und Rudolf Morzin Czernin, Spindelmühle, 13.3.1918, in: AVA, FAH, Kt. 864, 860, 861. 78 Maria Theresia an ihren Bruder Otto Harrach, Lemberg, 23.12.1916, in: ebd., Kt. 858.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

dorf gedient hatte.79 Das unter die Obhut des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens gestellte Genesungsheim für Offiziere und Unteroffiziere wurde im Oktober 1914 eröffnet.80 „Euer Weihnachtsfest war sehr schön und erhebend und ich kann mir vorstellen, wie glücklich und erfreut die armen Verwundeten waren, da sie so reich beschenkt worden sind“, schrieb Ottos Onkel Rudolf Hardegg, Fürst Großprior des Malteserordens von Böhmen und Österreich, gleich nach dem ersten Weihnachtsfest im Krieg.81 Das Heim, das auch von Erzherzogin Maria Josepha im Juni 1916 besichtigt und gelobt wurde, musste mangels Schwestern im September 1918 schließen. „Danke Dir und Line [Karoline] herzlichst für Euer Samariter-Opfer“, schrieb damals Graf Rudolf Hardegg. Otto Harrach war in Sachen Spitalförderung im Hochadel nicht allein. Er vermittelte auch die Unterstellung des Spitals von Prinz Vincenz Thun in Kärnten unter die Obhut des Malteserordens.82 Dank seinem Onkel, der während des Krieges unter anderem für Sanitätszüge zuständig war, setzte sich Otto Harrach auch physisch als Subkommandant (September 1914, Januar 1915 und Juni 1916) und als Kommandant (September 1915 und 1918) bei Malteserzügen für die Heimatsache ein.83 In diesem Zusammenhang wurde im März 1915 auch ein von Otto Harrach initiiertes Projekt zustande gebracht, nämlich die Errichtung eines Spitalzuges durch eine „Hochspende“ von Ehrenrittern aus dem Hochadel.84 Malteserzüge ermöglichten vor Ort, besonders an der Ostfront, Operationen und sonstige ärztliche Dienste, und es gab unter den Hochadeligen mehrere Anwärter für einen Platz als Subkommandant bzw. Kommandant für eine Fahrt, die normalerweise drei bis vier Wochen andauerte. Mitte November 1918 war die Lage jedoch so ernst, dass Otto erklärte, er sei wegen Frau und Kindern nicht mehr bereit, den Samariterdienst anzutreten.85 79 Fürst Großprior von Böhmen und Österreich Hardegg an Otto Harrach, Wien 4.8.1914, in: AVA, FAH, Kt. 874, Souveräner Malteser-Ritter-Orden. 80 Planer (Hg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft, 229–230; Gothaischer Genealogischer Hofkalender 1915, 134–135; Rudolf Hardegg an Otto Harrach, Wien, 23.10.1914, in: AVA, FAH, Kt. 862. 81 Rudolf Hardegg an Otto Harrach, Wien, 29.12.1914, in: ebd. 82 Ebd., Wien, 12.6.1916, 11.9.1918 und 24.3.1915. 83 Ebd., Wien, 2.8., 28.9., 23.12.1914, 4.1.1915, 8.6.1916, 21.9.1918; Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 29.1.1915, und Maria Theresia Wisniewski, Wien, 9.1.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 84 Otto Harrach war mit 5000, Nikolaus Moritz Esterházy mit 5000, Coburg und die Menage Montecuccoli mit je 1000 und Alex Taxis mit 500 Kronen beteiligt; Rudolf Hardegg an Otto Harrach, Wien, 3.12.1914, 26.3.1915, in: ebd., 862. 85 Ebd., 20.11.1918; Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 29.1.1915, und Maria Theresia Wisniewski, Wien, 9.1.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858.

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen

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Harrach setzte sich besonders bei der Sammlung freiwilliger Spenden der Herren Ehrenritter des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens ein. Als Vorstand eines dreiköpfigen Ehrenritter-Komitees wurde Otto in einer am 8. Februar 1915 abgehaltenen Versammlung von in Wien anwesenden Ehrenrittern mit der Aufgabe betraut, wegen des durch das Fortdauern des Krieges erhöhten Aufwands für die bestehenden Unternehmungen dieses Ordens eine Sammlung der Herren Ehrenritter zu veranstalten und des Weiteren aus den Beiträgen der Ehrenritter ein Rekonvaleszentenspital unter Patronage des hohen Souveränen Malteser-Ritter-Ordens (mit zunächst 20 Betten) in einem Ort im Süden der Monarchie zu errichten. Laut Einladung fand die Sammlung im Palais Harrach, Freyung 3, statt. Erbrachte die Sammlung der Ehrenritter eine Summe von 53.445 Kronen, leistete Otto Graf Harrach neben Johann Fürst Liechtenstein und Nikolaus Moritz Graf Esterházy mit je 5000 Kronen den größten Beitrag unter 39 Spendern des Hochadels, gefolgt von Rudolf Prinz Esterházy mit 4000 Kronen, Graf Vincenz Thurn Valsassina mit 3000 Kronen und anderen Grafen und Prinzen mit niedrigeren Beiträgen.86 Die Solidarität und Hilfsbereitschaft Otto Harrachs während des Krieges kam oft nicht nur durch Geld, sondern auch durch Nahrungsmittel zum Ausdruck, die in Zeiten der Not von höchstem Wert waren und deren Lieferung überaus geschätzt wurde. Otto war von 1917 bis 1919 in der Lage, einigen im unterversorgten Wien wohnenden Adeligen Nahrungsmittel wie Mehl, Kartoffeln oder Hasen von seinen Großgrundbesitzen in Prugg und Rohrau zu mäßigen Preisen zu verkaufen.87 Es waren aber vor allem die Lieferungen von Waren und die Versorgung von hungernden Bauern, Kindern und ländlichen Unterschichten auf dem Harrach’schen Grundbesitz und in seiner Nachbarschaft in Nordböhmen, die auf lokaler und regionaler Ebene zur Erhaltung und möglicherweise zur Verstärkung des Profils des Wohltäters beitrugen und den Familienstolz steigerten. Der Nachbar von Otto in Ostböhmen, Graf Rudolf Czernin-Morzin, schrieb im März 1918 von einer „unglaublichen Spende von Mehl, Mais und Gries“ aus Prugg (NÖ) an Starkenbach (Nordböhmen) und merkte an: „[N]iemand verfügt über so große Mengen heutzutage“.88 Die Direktion der Volks- und Bürgerschule Nieder-Rochlitz bedankte sich am 31. Januar 1916 für 1500 Stück Suppenkonserven. Ottos Stiefbruder Ernst 86 Versand des bisherigen Ergebnisses (Anfang März bis 6. Juni) der Sammlung der Ehrenritter für die Sanitätspflege des Ordens durch die Kanzlei des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens an Otto Harrach, Wien, 7.6.1915, in: AVA, FAH, Kt. 874, Souveräner Malteser-Ritter-Orden. 87 Briefe an Otto Harrach von Vincenz Thurn-Valsassina, Wien, 10.11.1917, Max Prinz Croy, Wien, 6.9.1918, und Giuletta Gräfin Berchtold, Wien, 28.2.1919, in: ebd., Kt. 867, 861, 860. 88 Briefe an Otto Harrach von Tante Anna, Aschach, 7. und 15. 11. 1916, und Rudolf Czernin-Morzin, Spindelmühle, 13.3. 1918, in: ebd., Kt. 859, 861.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

Harrach schrieb im August 1917: „Die Einrichtung der Volksküche in Neuwelt sehr schön“, während ihre in Galizien eingeheiratete Schwester Maria Theresia im April 1918 aus Lemberg die Versorgung der Leute in Böhmen mit Mais lobte. „Wie gut von Dir dass Du Kukuruz nach Böhmen brachtest – da hast Du sicher Leute vor dem Hunger gerettet.“89 Zahlreiche Bitten um Spenden oder die Unterstützung von Aktionen und Hilfsvereinen, von denen wir nicht wissen, ob sie genehmigt und gefördert worden sind, zeigen zumindest, dass die Bereitschaft und Liquidität des Familienvorstands vorausgesetzt wurden. Nicht selten gingen die Initiativen und Aktionen von Hochadeligen aus, die sich voller Vertrauen und Erwartungen an Otto wandten. Ottos Vetter Eduard Auersperg bat Otto und andere große Herren im Dezember 1914 um einen Beitrag zur Bereitstellung eines Sanitätszuges mit Operationswagen – er sei dringendst nötig, um viele Verwundete vor Ort zu behandeln und ihnen das Leben zu retten. Für den Familienvorstand der Harrach waren die höchsten Subskriptionen vorgesehen, etwa 10.000 bis 15.000 Kronen. Es handelte sich um Beträge, die nur Magnaten wie Johann Liechtenstein und Zdenko Lobkowitz aufbringen konnten.90 Als Präsident des katholischen Vereins „Beseda“ in Prag, der am Weihnachtsabend arme Kinder mit Kleidungsstücken bescheren wollte, bat Johann Lazansky um die Abdeckung eines Betrags in Höhe von 3000 Kronen, der wegen der Teuerung zusätzlich erforderlich geworden war. Ein gängiger „Trick“, das Engagement eines Standesgenossen zu erreichen, war es, auf die bereits kassierten Beiträge vor allem bestimmter Hochadeliger zu verweisen. So nannte Eugen Ledebur im Juli 1914 die Summen, die andere hochstehende Vertreter des Standes für die Luftflottensammlung aufgebracht hatten, um Otto Harrach für eine Spende zu gewinnen.91 Solche Beispiele zeigen, dass der böhmisch-niederösterreichische Adel bei Wohltätigkeitsaktionen ziemlich stark vertreten war. Otto Harrachs Freunde aus Böhmen wiesen hier ein vielfältiges Engagement auf. So sorgte Graf Rudolf Morzin Czernin im Dezember 1918 in Hohenelbe (beim Harrach’schen Starkenbach) durch seine Vermittlung bei verschiedenen Hilfsstellen sowie bei einigen Müllern aus der Region dafür, dass Lebensmittel für Hunger leidende Waldarbeiter herangeschafft wurden. Graf Rudolf Chotek rechtfertigte im Dezember 1915 seine Abweisung der Bitte Ot89 Briefe an Otto Harrach von seinem Stiefbruder Ernst, Schindelthal, 7.8.1917, und seiner Schwester Maria Theresia Wisniewski, Lemberg, 23.4.1918, in: ebd., Kt. 859, 858. 90 Eduard Auersperg an Otto Harrach, Wien, 6.1. und 15.12.1914, in: ebd., Kt. 860. 91 Für diese Angelegenheit setzten sich Hochadelige wie Adolf Josef Fürst zu Schwarzenberg und Max Egon Fürst zu Fürstenberg (mit 10.000 Kronen), Rudolf Graf Abensperg und Traun (mit 3000 Kronen), Graf Buquoy und Karl Kuefstein (mit je 1000 Kronen) u. a. ein; Eugen Ledebur an Otto Harrach, Milleschau bei Lobositz, 13.7.1914, in: AVA, FAH, Kt. 864.

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen

277

tos um einen Beitrag zu den Malteser Ehrenrittern damit, dass er schon große Spitäler in seinen ungarischen Besitzungen betreibe, „allerhand bei mehreren Hilfsaktionen beigezogen sei“ und durch seine Nähe zum südlichen Kriegsschauplatz schon enorme Schäden erlitten habe.92 Über einen Kern von sehr reichen Angehörigen des Hochadels hinaus soll es mehrere Adelige gegeben haben, die, ihrem Vermögen entsprechend, an weniger – und eher auf lokaler Ebene erfolgenden – Aktionen teilnahmen. So waren z. B. Ottos Schwager Gottlieb von Henneberg im Zweigverein vom Roten Kreuz in Schüttenhofen (Böhmen) sowie Ottos Stiefbruder in Schindelthal aktiv. Es gab aber auch Zeiten, vor allem gegen Kriegsende beim Zusammenbruch der Monarchie, in denen einige Adelige ihre Aufgaben vernachlässigt und den adeligen Status mit einem Makel versehen haben sollen. Otto war wohl alles andere als stolz auf seinen Stiefbruder, als er den Brief seines Onkels, Fürst Großprior des Malteserordens von Böhmen und Österreich, las: „Ernst hat seinen Zug im Stich gelassen! Ein aus der Front Heim­ gekehrter“.93 6.2.2 Weibliche Philanthropie

Es waren aber vor allem die Frauen der Familie, die sich persönlich bei Wohltätigkeitsaktionen engagierten. Besonders im Krieg ergaben sich hier viele Gelegenheiten. Die karitative Betätigung der adeligen Frauen knüpfte im deutschen Raum und in Zentraleuropa dabei an eine lange Tradition an. Wohltätigkeit war eine grundlegende aristokratische Tugend und bildete ein ideales Feld für adelige Frauen, standesgemäß aufzutreten. Schon von Kindheit an wurde die Pflicht zur Wohltätigkeit erlernt. Junge Mädchen und Damen des böhmischen Adels nahmen im Vormärz neben ihren Müttern an philanthropischen Veranstaltungen teil und bereiteten sich auf ihre eigene Wohltätigkeitsarbeit vor.94 Um 1900 wurde adelige Wohltätigkeit in Deutschland in verschiedenen Formen ausgeübt, vor allem durch Vereine. Ehrenamtliches Engagement, die Organisation von Spendensammlungen und die Leitung von Vereinssitzungen gehörten zu den öffentlichen weiblichen Tätigkeiten.95 Es handelte sich 92 Briefe an Otto Harrach von Rudolf Morzin Czernin, Hohenelbe, 31.12.1918, und Rudolf Chotek, Alsokorompa Nagyszombat (Ungarn), 14.2.1915, in: ebd., Kt. 861. 93 Briefe an Otto Harrach von seinem Schwager Gottlieb und seiner Schwester Anna Henneberg, Hradek (Schüttenhofen), 13.9. und 8.2.1917, seinem Stiefbruder Ernst, Schindelthal, 13.11.1914, Wien, 3.12.1915, Strkow, 14.4.1916, und von Rudolf Hardegg, Wien, 20.11.1918, in: ebd., Kt. 857, 859, 862. 94 Vgl. hierzu Diemel, Adelige Frauen, 26, 196, 217; Lenderová, Dames de Schwarzenberg, 173. 95 Wienfort, Adelige Frauen in Deutschland, 183, 203.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

offenbar um ein gesamteuropäisches Verhaltensmuster des weiblichen Adels. Adelige Frauen verschrieben sich besonders auf dem Land im viktorianischen England der Philanthropie, hatten eine leitende Rolle in von Adeligen gestifteten Schulen, Waisenhäusern und Spitälern in Russland inne und betätigten sich beim Roten Kreuz und bei verschiedenen katholischen karitativen Aktionen in Italien.96 In den vorskizzierten Rahmen lassen sich die verschiedenen Wohltätigkeiten der Frauen des altösterreichischen Adels und konkret der Frauen aus dem Hause Harrach einordnen. Engagement in karitativen Vereinen, Mithilfe in Spitälern und Heimen, Errichtung von Stiftungen, Kinderheimen, Aufnahme und Pflege von Verwundeten, Basare, Theatervorstellungen, Verpflegung und Verteilung von Nahrungsmitteln bildeten bis 1914, vor allem aber dann während des Ersten Weltkriegs die Hauptbetätigungsfelder. Maria Theresia Harrach, geborene Prinzessin Thurn und Taxis (Ottos Stiefmutter), engagierte sich bis in ihre letzten Lebensjahre als Präsidentin bei Amateur-Kunstausstellungen in Wien.97 Karoline (Ottos Gattin) berichtete als frisch verheiratete Gräfin Harrach von einer großen Schulkinderjause im Garten des Schlosses Hradek im August 1902, bestimmte im November 1903 das „Verzeichnis der Suppenberechtigten Armen“ in Strkow und nahm im April 1904 an Sitzungen des Tuberkulosevereins in Wien teil. Im Mai 1909 zeigte sie auch Interesse daran, mithilfe eines Paters eine arme kranke Frau auf ihre Kosten nach Wien kommen und pflegen zu lassen, und veranstaltete im April 1910 einen Basar im Schloss Prugg, von dem sie sich einen Reingewinn von 10.500 Kronen erhoffte. Sie war in den ersten zwei Kriegsjahren in ihrem Spital in Prugg und bei Sammlungen von Sachspenden für „unsere Leute“ recht aktiv.98 Ottos älteste Schwester Anna scheint bis 1914, vor allem aber während des Krieges in Hradek, Schüttenhofen (Südböhmen), besonders engagiert gewesen zu sein. In einer Reihe von Briefen an ihren Bruder berichtete sie von Basaren (1912), von der Konstituierung eines Vereins am 9. August 1914 mit Tätigkeit in fünf nahe gelegenen Dörfern, von der Aufnahme von verwundeten Offizieren, von der Wunderkraft der Gräfin Jojonne Chotek, der „Seele des Lazaretts“ in Schüttenhofen (1914–1915), von Aufführungen des Kindertheaters des Lazaren-Vereins Anfang Januar 1916 für die Witwen und Waisen von Gefallenen, von Mais‑, Mehl- und Grießverteilungen an 96 Lieven, The Aristocracy in Europe, 135-136; ders., Russia’s Rulers under the Old Regime, London 1989, 260; Cardoza, Aristocrats in Bourgeois Italy, 128, 166. 97 Tagebuch Otto Harrach, Eintragungen aus dem Jahr 1902 (21. Februar) und 1905 (19. Januar), in: AVA, FAH, Kt. 886. 98 Karoline Harrach an ihren Gatten Otto, Hradek, 19.8.1902, Wien, 19.11.1903, 9.4.1904, 12.5.1909, 20.9.1915, Prugg, 12.4.1910, 14.10.1914, 29.11.1915, in: AVA, FAH, Kt. 856.

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen

279

Bedürftige dank Ottos Sendungen im Winter 1916 und 1917, von der Errichtung eines Familienheims für verwahrloste Kinder durch die Vermietung von drei Zimmern mit Küche und Kleingarten sowie von Weihnachtsverteilungen an Bedürftige im Dezember 1918.99 Es hat auch Enttäuschungen gegeben, wie im Herbst 1916, als nur ein „bescheidenes Frühstück für arme Kinder“ zur Verfügung stand. „Bin schon total ausgesackelt denn für meine Zwecke gibt mir niemand etwas“, schrieb Anna diesbezüglich.100 Die zweite Schwester Gabriele betätigte sich im ersten Kriegsjahr im Spital bei Thollheim sowie im Spital in der Dragoner-Kaserne in Wels, wo sie bei der Versorgung von verwundeten Offizieren mithalf.101 Maria Theresia engagierte sich sowohl im Lazarett in Prugg und bei der Zigaretten‑, Blumen- und Nahrungsmittelverteilung (1914–1915) als auch bei verschiedenen Wohltätigkeitsaktionen in Lemberg in den Jahren 1916–1918. In Lemberg beteiligte sie sich am 18. Dezember 1916 an einer „glänzend gelungenen“ Wohltätigkeitsvorstellung im Theater für die Suppenspeisung der Schulkinder sowie am Nikolo-Basar für hungernde Kinder und am Caritasdienst am Lemberger Bahnhof. Sie war auch in einem Rote-Kreuz-Laden aktiv, wo adelige Frauen selbst verschiedene Waren, darunter auch gespendete Glaswaren aus der Harrach’schen Glasfabrik in Neuwelt, verkauften.102 Es gab auch Frauen des böhmischen Hochadels bzw. der Harrach’schen Verwandtschaft, die führende Funktionen in Vereinen innehatten und Otto um Spenden baten. Ottos Cousine Henriette Lobkowitz fragte im September 1912 um Unterstützung des Vereins für arme Kinder in Prag nach, Anna Berta Lobkowitz, eine weitere Cousine, ersuchte ihn um dringende Hilfe für die Anstalt „Vincenzum“, und Gisella Lobkowitz, ebenfalls eine Cousine Ottos, die als Präsidentin des Vereins „Kinderfürsorge für Böhmen“ eine Aktion für arme verwahrloste Jugendliche leitete, erbat seine Hilfe: „Lieber Vetter, Verzeihe bitte, wenn ich Dich heute mit einem Bettelbrief belästige, obwohl ich weiß, dass Du gewiss mit Schreiben dieser Art täglich überhäuft wirst“.103

99 Anna Henneberg an ihren Bruder Otto, Hradek (Schüttenhofen) 31.8.1912, 9.8., 31.8. und 24.9.1914, 12.1.1915, 14.1.1916, 17.11. und 19.12.1917, 10.10. und 19.12.1918, 5.2. und 15.1.1919, in: ebd., Kt. 857. 100 Ebd., 6.9. und 6.10.1916. 101 Briefe an Otto Harrach von seinen Schwestern Gabriele Marenzi, Wels, 22.8. und 23.12.1914, und Margarethe Windisch-Graetz, Neupernstein, 21.2.1915, in: AVA, FAH, Kt. 857, 858. 102 Maria Theresia Wisniewski an Otto Harrach, Prugg, 20. und 27.8.1914, Lemberg, 17.7., 30.7. und 23.12.1916, 12., 15. und 24.12.1917, 12.1.1918, in: ebd., Kt. 858. 103 Briefe an Otto Harrach von Henriette Lobkowitz, Prag, 24.9.1912, Anna Berta Lobkowitz, Teplitz, 19.8.1918, und Gisella Lobkowitz, Klattau, 16.8.1918, in: ebd., Kt. 864.

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6. Gläubige und Philanthropen: Religiosität und Wohltätigkeit

6.2.3 Nach dem Krieg

Die Harrach setzten ihre Wohltätigkeit auch in der Zwischenkriegszeit fort. In Anbetracht der adelsfeindlichen Zustände der ersten Nachkriegsjahre in Österreich und noch mehr in der Tschechoslowakei (wegen der Bodenreform und des Nationalismus) und der hohen Steuer- und Abgabelasten, die der Adel zu tragen hatte, gewinnt das wohltätige Engagement der Harrach noch mehr an Bedeutung. Otto Harrach soll von 1918 bis 1925 in der ČSR etwa 400.000 Kčs. (etwa 1,5 Millionen deutsch-österreichische Kronen) für karitative Zwecke gespendet haben.104 Ottos Briefverkehr mit seinem Vetter Franz aus dem Jahr 1929 wegen eines Beitrags, den Franz für die Errichtung eines Papstjubiläumsaltars in Rom erbeten hatte (Ottos Spende betrug 1000 Kčs), spricht für den Stellenwert, den die Wohltätigkeit in der Selbst- wie auch in der Fremdwahrnehmung der ab 1919 offiziell titellosen Aristokratie unter den neuen Umständen einnahm: „Besten Dank für Deine Aufforderung zum Beitrag für die Errichtung eines Papstjubiläumsaltars in Rom. Ich beneide dich für die große Agilität, die du trotz deiner körperlichen Gebrechen in hervorragender Weise besitzest und begrüße es besonders, dass du dich in den Dienst dieser erhobenen Sache gestellt hast. Was die Sache selbst anlangt, muss ich dir vorerst vorjammern, dass ich kein Geld habe und trotzdem in diesem Jahre, in dem es lauter Jubiläen gibt, von allen Seiten angegangen wurde. Da ist z. B. schon das Wenzeljubiläumsgeschenk des ehemaligen Hochadels, bei dem ich wohl mit mindestens 10.000 K.Č. bleiben werde, von den übrigen Unternehmungen aus diesem Anlasse gar nicht zu reden. Die Repräsentativfähigkeit des Adels wurde gewaltsam abgeschafft, aber doch wird man immerfort angebettelt. Nun sehe ich ein, dass ich bei deiner Sammlung mit einem anständigen Beitrage garantieren muss, schon des Namens wegen und möchte auch besonders erreichen, dass der Name unseres Hauses, wie es im Prospekte steht, im Altar verewigt werde.“105

Otto sah offensichtlich einen starken Widerspruch zwischen der Abschaffung der „Repräsentativfähigkeit des Adels“ und den ständigen Bitten um Förderung und Unterstützung, die man an ihn richtet. Der Schutz des Namens der Familie hatte jedenfalls für ihn im Kampf um die Selbstbehauptung oberste Priorität und war in diesem Zusammenhang nur mit „anständigen Beiträgen“ vereinbar. 104 Laut einem Bericht des Direktors des Harrach’schen Großgrundbesitzes in Nordböhmen (Jilemnice/ Starkenbach), zit. in Glassheim, Noble Nationalists, 96. 105 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 12.7.1929, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. Zu Ottos Beitrag zur Errichtung des Altardenkmals in Rom siehe ebd., Strkow, 27.10.1929.

6.2 Karitative Tätigkeit und Förderung von Vereinen

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Dass der Namen Harrach Anfang der 1930er-Jahre auch in Österreich immer noch tragfähig war, verrät uns ein anderer Brief von Otto an seinen Cousin über die von der Familie gestiftete und von Honoratioren auf höchster Ebene besuchte Haydnfeier (200. Geburtstag des berühmten Komponisten) im Schloss Rohrau:106 „Am Ostermontag [1932] hatten wir eine schöne Haydnfeier in Rohrau, an der Line [Karoline], Erni [Ernestine] und Hans sich beteiligten, und mit einem Dejeuner der Ehrengäste im Schloss endete, wo ich auch zugegen war. Bundespräsident Miklas legte einen Kranz am Denkmal Haydns im Schlosspark nieder und Kardinal Riffl zelebrierte ein Pontifikantamt in der Pfarrkirche. Im Schloss war auch eine kleine Ausstellung von Andenken an Haydn.“107

Franz Harrach war selbst in Wohltätigkeitsaktionen sowohl in Österreich als auch in der Tschechoslowakei eingebunden, vor allem als Vorsitzender des Sankt-Raphael-Vereins in Wien zum Schutz katholischer Auswanderer, als Freiwilliger des Tschechoslowakischen Roten Kreuzes und als Vorsitzender der österreichischen Zweigstelle der internationalen Liga gegen Mädchenhandel.108 Die „untertänigste“ Danksagung einer Frau an Hans Harrach für die jahrelange Bewilligung, bis September 1942 eine Wohnung im „lieben Schloss Rohrau“ und danach im Schloss Prugg zu halten, sowie für die „so gütige Beihilfe an Bauholz“ deutet ebenso wie die Aussage seiner Witwe über die Verteilung von Geschenken an fast 600 Kinder des Harrach’schen Betriebs im Rahmen des Weihnachtsfestes von 1940 auf eine Fortsetzung der karitativen Tätigkeit auf lokaler Ebene des niederösterreichischen Grundbesitzes durch das neue Familienoberhaupt, Hans Harrach, hin, auch wenn sich nun nur noch verstreut Hinweise finden lassen.109 Obgleich man den Adel entmachtet hatte und ihm in der Öffentlichkeit Grenzen gesetzt waren, scheinen Angehörige dieses Standes, wie die Harrach hier zeigen, noch bis zum Zweiten Weltkrieg einen Teil ihres sozialen und symbolischen Kapitals aufrechterhalten zu haben. 106 Rohrau war der Geburtsort des berühmten Komponisten Joseph Haydn, dessen Mutter Anna Maria als Köchin bei den Grafen Harrach auf Schloss Rohrau arbeitete. Das Denkmal, das Graf Karl Leonhard Harrach im Schlosspark Rohrau 1793, 16 Jahre vor dem Tod Joseph Haydns, errichtete, ist das älteste Haydn-Denkmal. Vgl. Personenlexikon Niederösterreich http://geschichte.landesmuseum. net/index.asp?contenturl=http://geschichte.landesmuseum.net/orte/ortedetail.asp___ID=12175 und https://de.wikipedia.org/wiki/Rohrau_(Nieder%C3%B6sterreich) (abgerufen am 10.7.2016). 107 Otto Harrach an Vetter Franz., Prugg, 5.4.1932, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 108 Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 2–3. 109 Fanny Piwonka an Hans Harrach, Rohrau, 4.9.1942, in: AVA, FAH, Kt. 912; Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004.



7. Zwischen kaiserlichem Patriotismus und katholischem Konservatismus: politische Gesin‑ nung und politisches Wirken

Unter und bei den Habsburgern

Die Harrach machten sich vor allem im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts auch im Bereich der Politik verdient, wenngleich nicht in führenden Ämtern und Regierungspositionen. Der in biografischen Nachschlagewerken als österreichischer Politiker geführte Johann Nepomuk (1828–1909) war einer der bedeutendsten konservativen Politiker im alten Österreich und der berühmteste Harrach der Neuzeit. Er war seit 1865 Landtagsabgeordneter in Böhmen, von 1873 bis 1885 Reichsratsabgeordneter für die Landgemeinden Jermer (Jaroměř), Nachod (Náchod), Opotschno (Opočno), Böhmisch Skalitz (Česká Skalice) und Neustadt (Nové Město) im Bezirk Königgrätz (Hradec Králové) und seit 1884 erbliches Mitglied des Herrenhauses des österreichischen Reichsrates.1 Johann sowie sein Bruder Alfred (1831–1914), Landtagsabgeordneter in Mähren, waren in jungen Jahren Zeugen der Grundentlastung und der Aufhebung der Feudalrechte des Adels von 1848, während ihre Söhne und Erben Otto (1863–1935), Landtagsabgeordneter in Böhmen und erbliches Mitglied des Herrenhauses von 1910 bis 1918, und Franz (1870–1937) auf ihre alten Tage den Zerfall der Monarchie und den Rücktritt der Habsburger am Ende des Ersten Weltkriegs sowie die gesetzliche Aufhebung des Adels im April 1919 mit ansehen mussten.2 Alle der vier vorgenannten Harrach lebten damit in einer Zeit der graduellen politischen Entmachtung des Adels, die im Zuge des Neoabsolutismus der 1

2

Deutsche Biographische Enzyklopädie (hg. von Walther Killy und Rudolf Vierhaus), Bd. 4, München/ New Providence/London/Paris 1996, 395; Sturm (Hg.), Biographisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, 539. Berthold Waldstein-Wartenberg, Das Adelsaufhebungsgesetz von 1919, Mitteilungen des Öster‑ reichischen Staatsarchivs, 25, 1972, 306–14, zit. in Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 103– 104.

284

7. Zwischen kaiserlichem Patriotismus und katholischem Konservatismus

1850er-Jahre begann, während der 1860er- und 1870er-Jahre etwas nachließ, Anfang der 1880er-Jahre zunahm und durch den Weltkrieg in die kollektive Abweisung der Aristokratie von 1918/19 mündete. Die Demokratisierung der österreichischen Politik durch die Erweiterung des Wahlrechts im Jahr 1882 auf Mittelschichten (Bauern, Handwerker und Facharbeiter) und 1896 auf Unterschichten bzw. die allgemeine männliche Bevölkerung (Gesinde, Landarbeiter und ungelernte Arbeiter einbezogen) bedeutete eine Einschränkung der Oligarchie des Adels und des Bürgertums im Parlament sowie ihrer Hegemonie in Landtagen und Gemeinderäten. Empfindliche Einbußen erlitten die adeligen Großgrundbesitzer jedoch durch die Abschaffung des Kurienwahlrechts im Jahr 1907, das ihrer Überrepräsentation im Abgeordnetenhaus, die auf der sozial ungleichen Verteilung der Stimmen und Sitze beruhte, definitiv ein Ende bereitete.3 In der Folge verlor der Adel nach und nach zugunsten anderer sozialer Klassen wie der Bauern, der Arbeiter, des mittleren und des Kleinbürgertums, hauptsächlich vertreten von den Liberalen, den Deutschnationalen, den Christlichsozialen und den Sozialdemokraten, lange vor 1914 politisch an Boden.4 Der Adel versäumte es, eine einheitliche Front zu bilden, und spaltete sich in zwei politische Lager: die liberalen „Verfassungstreuen“, die Zentralisten waren und die Verfassung bzw. den österreichisch-ungarischen Ausgleich von 1867 unterstützten, und die konservativen „Feudalen“, die Föderalisten waren und sich zu dem politischen Katholizismus bekannten.5 Die Harrach gehörten dem zweiten dieser Lager an, den klerikal-föderalistischen Rechten, die Anhänger des „böhmischen Staatsrechts“ waren. Dennoch darf der politische Gang des Adels während der letzten Jahrzehnte vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs nicht nur als reine Verlustgeschichte betrachtet werden. Trotz der Liberalisierung und Demokratisierung konnten die Harrach und ihre Standesgenossen Macht- und Einflussinseln auf lokaler (um und innerhalb ihrer Grundbesitze), regionaler (Landtage und Landesverwaltung) und gesamtstaatlicher Ebene wahren. Als Mitglieder der „Ersten Gesellschaft“ gehörten die Oberhäupter der Aristokratie zur politischen Elite im alten Österreich. Prinzen und Grafen waren vom bis 1907 gültigen Kurienwahlrecht, das den Großgrundbesitz als die erste der vier – je nach Steuerleistung zusammengesetzten – Wählerklassen (Kurien) für die Reichsratswahlen vorsah, äußerst begünstigt: Die Stimme eines Großgrundbesitzers hatte z. B. in Niederösterreich 1896 so viel Gewicht wie die Stimmen von 202 Bür3

Vgl. Helmut Rumpler / Peter Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie, 1848–1918, Bd. VII: Verfassung und Parlamentarismus, 1. Teilbd.: Verfassungsrecht, Verfassungswirklichkeit, zentrale Reprä‑ sentativkörperschaften, Wien 2000, 1233–1240. 4 Stimmer, Eliten in Österreich, 278–293. 5 Höbelt, Adel und Politik seit 1848, 367.

7. Zwischen kaiserlichem Patriotismus und katholischem Konservatismus

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gern oder 335 Bauern.6 Ein bis zwei Prozent der Bevölkerung wählten also von 1867 bis 1896 fast ein Viertel (85 von 353) und von 1896 bis 1907 ein Fünftel (85 von 424) der Abgeordneten des österreichischen Reichsrates, während die Vorherrschaft des hohen und niederen Adels im Parlament, in der Zentralregierung sowie in den Regionalverwaltungen der von der Demokratisierung unberührt gebliebenen ungarischen Reichshälfte bis 1918 unstreitig und unangetastet blieb.7 Bei den Landtagswahlen blieb das Kurienwahlrecht in adelig geprägten Ländern wie Böhmen, Mähren, Galizien und Bukowina sogar bis 1918 erhalten. Daher besaßen die Großgrundbesitzer dort zwischen 1861 und 1914 etwa 15 bis 40 Prozent der Landtagssitze, freilich mit einem abnehmenden Anteil – außerhalb Böhmens und Schlesiens – wegen der Einführung der Allgemeinen Kurie nach 1896 bzw. der Zunahme der Mandate der Städte- und der Landgemeindenkurie. In Böhmen und Mähren, wo die Harrach einen ausgedehnten Grundbesitz hatten und sich politisch betätigten, wies der überwiegend adelige Großgrundbesitz noch 1914 mit 70 von 242 bzw. 30 von 151 Mandaten sehr hohe Sitzanteile auf.8 Die Familie Harrach gehörte überdies in Böhmen einer engeren Gruppe wahlberechtigter Inhaber von Fideikommissgütern an, die 16 eigene Landtagsabgeordnete wählten.9 Der Fideikommissbesitz sicherte dem Oberhaupt der Harrach zudem einen erblichen Sitz in der politischen Hochburg der Aristokratie, nämlich im Herrenhaus des Österreichischen Reichsrates.10 Die Harrach lebten in einem Reich, wo der Adel trotz seines rückläufigen Anteils in Führungspositionen während des 19. Jahrhunderts noch 1918 in den Spitzenrängen der Diplomatie mit 56 Prozent und der Verwaltung mit 57 Prozent vertreten war, während 23 von insgesamt 26 Kanzlern Österreichs zwischen 1867 und 1918 Freiherren, Grafen und Prinzen waren und Statthalter bzw. Landespräsidenten sehr oft aus den Angehörigen des Grund besitzenden erbländischen Hochadels rekrutiert wurden.11 6 7 8

Melichar, >200 Hektar, 578. Wank, Aristocrats and Politics in Austria 1867–1914, 136–137. Vasilij Melik, Zusammensetzung und Wahlrecht der cisleithanischen Landtage, in: Rumpler / Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie, Bd. VII, 2.  Teilbd.: Die regionalen Repräsentativkörper‑ schaften, 1343. 9 Ebd., 1316. 10 Bis 1907 verfügten nur die Fideikommissinhaber über einen erblichen Sitz. 65 davon werden im aus 237 Abgeordneten zusammengesetzten Herrenhaus von 1898 verzeichnet. Es ging um Prinzen, Herzöge und vor allem Grafen. Lothar Höbelt, Parteien und Fraktionen im cisleithanischen Reichsrat, in: Rumpler / Urbanitsch (Hg.), Die Habsburgermonarchie, Bd. VII, 1. Teilbd., 974 und Anhang: Tab. A 7: Mitglieder des Herrenhauses, in: ebd., 1298–1310. 11 N. Preradovich, Die Führungsschichten in Österreich und Preußen 1804–1918, Wiesbaden 1955, zit. nach Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 161–162; Wank, Aristocrats and Politics, 136–137.

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Während des Dualismus (1867–1918) gehörten die Grafen Harrach zum Kern der „Hofgesellschaft“, die nach Hannes Stekl aus 300–400, nach William D. Godsey aus 474 Familien bestand.12 Sowohl Johann Nepomuk und sein Sohn Otto als auch Alfred (Johanns Bruder) und dessen Sohn Franz dienten dem Kaiser Franz Joseph als k. u. k. Kämmerer.13 Den drei Erstgenannten wurde vom Kaiser zudem die Würde eines Wirklichen Geheimen Rates verliehen.14 Johann und Alfred besaßen darüber hinaus das Erbamt des Oberst-Erblandstallmeisters in Nieder- und Oberösterreich. Die Kämmererwürde, die in der Regel vermögende Männer der Aristokratie auf Antrag erhielten, stellte eine als Ehrung verliehene, vor allem aber (nach der Kämmererwürde-Verordnung von 1869) „wirkliche“ Hofdienstleistung dar, während die Ernennung zum Geheimen Rat die höchste Auszeichnung war, die der Kaiser vergeben konnte.15 Es war nur den Hofwürdenträgern gestattet, das kaiserliche Gefolge bei offiziellen Anlässen zu bilden.16 Diese die unmittelbare Nähe zum Kaiser und seiner Familie gewährenden Hofämter dürften daher über die Selbstrepräsentation und das soziale Ansehen hinaus inoffizielle politische Beratungen und Kontakte der hoffähigen Aristokraten auf höchster Ebene begünstigt haben. Eintragungen in Otto Harrachs Tagebüchern sowie seine Korrespondenz mit Hofbeamten aus den Jahren 1905–1914 über Audienzen beim Kaiser und bei Mitgliedern der kaiserlichen Familie gewähren uns zusätzliche Hinweise auf die Nähe der Harrach zum Machtzentrum der Monarchie. Otto hatte im Februar 1905 Audienzen beim Kaiser und beim Thronfolger-Erzherzog Franz Ferdinand (beim Thronfolger auch im Februar 1907), bei Erzherzog Karl und Zita (Februar 1912, April 1913, März 1914), bei Erzherzog Franz Salvator und Valerie (Februar 1905, März 1912) bei Erzherzog Leopold Salvator (Februar 1905) und bei Erzherzog Friedrich (Februar 1912).17 Die Harrach hatten darüber hinaus die Gelegenheit, die Habsburger als Gäste im Schloss Prugg zu empfangen, so etwa Johann Nepomuk den Kaiser Franz Joseph anlässlich der von ihm geförderten 12 Godsey, Quarterings and Kinship, 61–62, 74, 79, 83. 13 Johann wurde 1856, Otto 1888 und Franz 1895 zu Kämmerern Kaiser Franz Josephs ernannt; Verlassenschaft nach Graf Johann, Todfallsaufnahme, in: AVA, FAH, Kt. 913, 874; Otto Harrach an Vetter Franz, Zelč, 4.1.1895, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 14 Johann im Jahr 1886, seinem Bruder Alfred im Jahr 1883 und seinem Sohn Otto im Jahr 1912. 15 Winkelhofer, »viribus unitis«. Der Kaiser und sein Hof, 104–106. 16 Ebd., 104. 17 Tagebücher Otto Harrach, Eintragungen 1905 (12., 13., 21. und 26. Februar), 1912 (13. Februar und 13. März), 1913 (2. April), in: AVA, FAH, Kt. 886; Briefe an Otto Harrach von dem Oberhofmeisteramt des Erzherzogs Franz Ferdinand, Wien, 7.2.1907, dem Kammervorsteher Erzherzogs Karl Franz Joseph, Wien, 7.3.1914, und dem Oberhofmeisteramt des Erzherzogs Friedrich, Wien, 3.2.1912, in: AVA, FAH, Kt. 874.

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dalmatinischen Ausstellung im Juni 1900 und Otto das Erzherzogpaar Karl und Zita zum Gabelfrühstück im Juni 1914.18 Es war aber Franz, Johann Nepomuks Neffe, der im Sommer 1914 wegen seiner engen Beziehungen zu den Habsburgern, genauer gesagt zum Thronfolger Franz Ferdinand, weltbekannt wurde. Harrach, Flügeladjutant des Erzherzogs bei den Militärmanövern in Bosnien, stellte Franz Ferdinand sein sechssitziges Auto (einen Gräf & Stift) für die Schicksalsfahrt des Thronfolgers durch Sarajewo zur Verfügung und war Augenzeuge des Attentats vom 28. Juni 1914, das den Anlass für den Ausbruch des Ersten Weltkriegs bot.19 In seinem Brief vom 3. Juli 1914, den Franz Graf Harrach an seine Frau Alice schickte, überlieferte er der Nachwelt sogar Franz Ferdinands – mutmaßliche – letzte Worte.20 Die vertrauensvolle Beziehung zwischen den beiden Männern entwickelte sich besonders während des Kaisermanövers im September 1909 in Meseritsch (Mähren), an dem – außer dem Thronfolger von Österreich-Ungarn Erzherzog Franz Ferdinand – Kaiser Franz Joseph I. und der deutsche Kaiser Wilhelm II. teilnahmen. Alle drei weilten bei Franz Harrach in seinem Schloss in Groß-Meseritsch, das als Hauptquartier der Manöverleitung diente.21 Der österreichische Kaiser war zudem im Sommer 1911 Franz’ Gast, diesmal in Janowitz, dem anderen Schloss der Harrach in Mähren.22 Die enge Beziehung der Harrach zur Habsburgerdynastie entwickelte sich nicht erst im späten 19. Jahrhundert, sondern reicht bis in das 15. Jahrhundert zurück, als Leonhard I. von Harrach († 1461) den jugendlichen Erzherzog Friedrich von Österreich, den späteren Kaiser Friedrich III., 1436 auf dessen Palästinareise begleitete und 1438 bis 1442 das Amt des Landeshauptmanns in Kärnten innehatte. Seither tauchen die Harrach immer wieder im Umfeld der Habsburger auf, meistens in hochrangigen Ämtern und Stellen. Besonders nennenswert, vor allem während der Frühen Neuzeit, sind folgende Männer der Familie:23 Leonhard III. von Harrach († 1527), der Hof18 Johann Nepomuk an seinen Bruder Alfred, Wien, 14.6.1900, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 127; Tagebücher Otto Harrach, Eintragung 1914 (25. Juni), in: AVA, FAH, Kt. 886. 19 Manfried Rauchensteiner, Der Erste Weltkrieg und das Ende der Habsburgermonarchie, Wien/Köln/ Weimar 2013, 88; Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 3–4. 20 https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_von_Harrach (abgerufen am 17.8.2015). 21 Ebd.; Otto Harrach an seinen Onkel Alfred, Hradek bei Schüttenhofen, 19.7.1909, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 11, Fol. 129. 22 Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Janowitz, 2.8.191, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. Erzherzog Franz Salvator mit Erzherzogin Valerie sowie Erzherzog Franz Ferdinand waren oft Gäste bei Franz’ Diners, Blumenausstellungen und sonstigen Ereignissen in Wien und Janowitz; Franz Harrach an seinen Vater Alfred, Wien, 12.1.1912, 7.5.1913, Janowitz, 7.8.1913, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 10, Fol. 126. 23 Kurz gefasste Angaben zu Ämtern und Diensten der prominenten Harrach sind erhältlich in der

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kanzler Erzherzog Ferdinands I. war und einen wesentlichen Beitrag zur Erwerbung Böhmens und Ungarns im Jahr 1526 leistete; sein Enkel Leonhard V. (1542–1597), Landeshauptmann von Oberösterreich von 1577 bis 1581 und dann über mehrere Jahre kaiserlicher Gesandter in Rom; Karl (1570–1628), der hohe Hofämter, unter anderem als Hofmarschall Kaiser Ferdinands II., bekleidete, Gesandtschaften führte, an der erfolgreichen Wahl Ferdinands II. zum erblichen König von Böhmen und Ungarn (1627) und am Abschluss von Verträgen innerhalb der habsburgischen Familie – der spanischen und österreichischen Linie – beteiligt war und nicht zuletzt den berühmten General Albrecht von Wallenstein, zu dem er sehr enge Verbindungen pflegte und der ab 1623 sein Schwiegersohn war, am Wiener Hof auf vielfältige Weise unterstützte; Karls Sohn Ernst Adalbert (1598–1667), der mit 25 Jahren Erzbischof von Prag wurde und 1626 die Würde eines Kardinals erhielt, 1637 zum außerordentlichen Botschafter am päpstlichen Hof ernannt wurde und sich um seine friedliche Rekatholisierungspolitik sowie um den Wiederaufbau der Kirchenverwaltung in den böhmischen Ländern verdient machte.24 Aus der jüngeren Linie seien folgende Mitglieder des Hauses Harrach genannt: Karls Enkel Graf Ferdinand Bonaventura I. (1636–1706) diente 1673–1697 als außerordentlicher Gesandter am spanischen Hof und bekleidete nach 1698 das Amt des Obersthofmeisters und Konferenzministers. Sein Sohn Aloys Thomas Raimund (1669–1742) war ebenfalls lange Zeit Gesandter am Hof von Madrid und von 1728 bis 1733 Vizekönig von Neapel. Ferdinand Bonaventura II. (1708–1778), Reichshofrats-Präsident, blieb dem hochrangigen Auslandsdienst seines Vaters und Großvaters treu und diente von 1747 bis 1750 als Generalstatthalter der Lombardei in Mailand. Sein älterer Bruder Friedrich August Gervasius (1696–1749), der kaiserlicher Gesandter am Hof in Turin (1726) und beim Reichstag in Böhmen sowie 1733 bis 1741 Obersthofmeister und Oberstkämmerer der Erzherzogin Maria Elisabeth, Statthalterin der Niederlande in Brüssel (nach ihrem Tod 1741–1743 auch interimistischer Statthalter) war, diente während seiner letzten Lebensjahre als Staats-Konferenzminister und oberster Kanzler von Böhmen. Als solcher verteidigte er vergebens die Autonomie Böhmens gegen die von Kaiserin Maria Theresia unterstützte zentralistische Staats- und Verwaltungsreform des Grafen Friedrich Wilhelm von Haugwitz.25 Stammtafel des mediatisierten Hauses Harrach 1886, in: AVA, FAH, Kt. 972; Sturm (Hg.), Biog‑ raphisches Lexikon zur Geschichte der böhmischen Länder, Bd. I, 537–539; Deutsche Biographische Enzyklopädie, 394–395; Heilingsetzer, Die Harrach, 81–84. 24 Georgiev, Až do těch hrdel, 302, Anm. 883. 25 Franz Pichorner, Wiener Quellen zu den österreichischen Niederlanden. Die Statthalter Erzherzogin Maria Elisabeth und Graf Friedrich Harrach (1725–1743), Wien/Köln 1990, 55, 81; Heinrich Benedikt, Die Grafen von Harrach, Alte und Moderne Kunst, 4, 1960, 15, beide zit. in Lisa Simmel,

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Vor diesem Hintergrund lässt sich behaupten, dass der kaiserliche Patriotismus der Grafen Johann und Otto sowie Alfred und Franz Harrach im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert das Ergebnis eines langwierigen Prozesses gewesen ist. Er beruhte auf der Rolle der Habsburger als Dauergaranten der Machtstellung der kaisertreuen Aristokratie als Herrschaftselite, der Aufrechterhaltung ihrer Feudal- und Patrimonialrechte zumindest bis 1848 sowie ihres privilegierten Zugangs zu den höchsten Staatsämtern selbst im bürgerlichen Zeitalter. Der historische Sozialwissenschaftler Perry Anderson verwies in seinem klassischen Werk Die Entstehung des absolutist‑ ischen Staates auf die Gegenseitigkeit in den Beziehungen zwischen dem Adel und dem „absoluten“ Monarchen: Der Anerkennung der königlichen bzw. kaiserlichen Übermacht entsprachen die Privilegien und die Sicherung des sozialpolitischen Vorrangs des Adels gegenüber den anderen Ständen und sozialen Schichten vor allem im 17. und 18. Jahrhundert.26 Die Habsburger erwiesen sich vor allem denjenigen Adeligen als generös, die sie bei ihrem Kampf und ihrer Politik der Gegenreformation in der ersten Hälfte des 17. Jahrhunderts mit Schwert, Rat und Tat unterstützten. So nahm der wohl begüterte, einheimische bzw. aus anderen Erbländern oder dem Ausland stammende böhmische deutschsprachige Hochadel nach und nach die Stelle des eher tschechischen und antikatholischen niederen Adels ein, der weitgehend durch Ermordung, Vertreibung und Landkonfiszierungen in den böhmischen Ländern ausgeschaltet worden war. Die Harrach jener Zeit wurden für ihre langjährigen treuen Dienste reichlich entlohnt: Nach der siegreichen Schlacht am Weißen Berg bei Prag (1620) wurde Karl Harrach Obersterblandstallmeister in Österreich ob der Enns und erhielt besondere Privilegien, wie etwa das Recht, eigene Gold- und Silbermünzen zu prägen, während er 1627 mit seiner ganzen Nachkommenschaft in den Reichsgrafenstand erhoben wurde.27 Die Loyalität und Identifizierung mit dem dynastischen übernationalen Habsburgerreich stellten noch in der Zeit des Dualismus feste Kennzeichen des oft in verschiedenen Kronländern begüterten böhmischen und niederösterreichischen Adels dar, dessen Angehörige die Harrach waren.28 Sie zählten Oszkár Jászi zufolge zu den zentripetalen Kräften Österreich-Ungarns.29

26 27 28 29

Studien zum adeligen Familienbild im 18. Jahrhundert mit besonderer Berücksichtigung eines Porträts der Familie Harrach, Diplomarbeit, Wien 2008, 29–30. Vgl. Perry Anderson, Die Entstehung des absolutistischen Staates, Frankfurt a. M. 1979. Heilingsetzer, Die Harrach, 82–83. Wank, Aristocrats and Politics, 140. Oszkár Jászi, The Dissolution of the Habsburg Monarchy, Chicago 1929, 134.

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Johanns absolute Loyalität gegenüber Kaiser Franz Joseph stand in diesem Kontext nicht im Widerspruch zu seinen Spitzenpositionen und seiner Pionierrolle in verschiedenen die tschechische Bildung, Kultur und Wirtschaft fördernden Gesellschaften und Vereinen, d. h. zu einem – nicht nationalistisch geprägten – böhmischen Patriotismus. Harrach gehörte wie die Schwarzenberg, die Lobkowitz, die Clam-Martinic und viele seiner Standesgenossen aus dem böhmischen Adel zu den Feudalkonservativen bzw. „klerikalen“ Föderalisten oder Rechten des österreichischen Reichsrates, die sich zu den historischen Rechten des Königreichs Böhmen bekannten und eine föderale Struktur der Monarchie auf konservativen Prinzipien befürworteten. Als Anhänger des „böhmischen Staatsrechts“ kam er mit den Interessen der Tschechen in Berührung, im Gegensatz zu den „Verfassungstreuen“ wie den Auersperg, Kinsky oder Waldstein, die zentralistisch waren und sich mehr mit den Interessen der Deutschen an Besitz und Bildung identifizierten.30 Johanns eifriges Engagement für Böhmen und den Fortschritt der tschechischen Nation darf nicht mit einem radikalen antideutschen tschechischen Nationalismus verwechselt werden. Er blieb in diesem Sinne dem von der tschechisch-deutschen Bilingualität begünstigten übernationalen Charakter des böhmischen (und mährischen) Adels treu.31 Johanns Muttersprache war Deutsch, er kommunizierte in seiner Familie sowie im Großteil seiner Korrespondenz auf Deutsch. Des Tschechischen bediente er sich hauptsächlich als Amtssprache in seinen böhmischen Gütern, als Schriftsteller und häufig bei öffentlichen Auftritten. Laut Harrach, der schon 1865 die Krönung Franz Josephs als König von Böhmen sowie das staatsrechtliche Wiederaufleben der historischen Landtage Ungarns, Galiziens, Illyriens, der böhmischen Krone, Transsilvaniens und Österreichs vorgeschlagen hatte, schadete der 1867 beschlossene Dualismus der gesamten Monarchie und bedrohte deren Existenz.32 Johann, der einen passiven Widerstand ablehnte, wurde gleich nach dem österreichisch-ungarischen Ausgleich aktiv (1867) und machte sich unter den Aristokraten sogar als der treueste Verbündete der Alttschechen einen Namen, indem er ihr gemäßigtes nationales Programm im Hinblick auf die böhmische Frage annahm.33 In seiner tiefen Überzeugung, dass die böhmische Frage eine Lebensfrage Österreichs war, setzte sich Johann für eine Lösung im Sinne der „Fundamental-Artikel“ von 30 Höbelt, Adel und Politik, 367–70. 31 Vgl. hierzu Jaroslav Pánek, Der Adel in der böhmisch-mährischen Gesellschaft und Kultur der frühen Neuzeit, in: Opera Historica, 2, 1992, 8–9. 32 Georgiev, Až do těch hrdel, 307. 33 A. Valenta, Politické dějiny českých zemí a habsburské monarchie 1848–1918, Hradec Králové 2002, 141, zit. in: Georgiev, Až do těch hrdel, 303. Siehe auch Georgiev, ebd., 309.

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1871 ein, d. h. für einen tschechisch-deutschen Ausgleich im Rahmen eines „Trialismus“, der den Slawen im Rahmen eines konservativen föderalen Reiches eine gleichberechtigte Stellung neben den Deutschen und den Magyaren sichern würde. In seinem vertraulichen Memorandum an Kaiser Franz Joseph vom 15. Februar 1875, in dem er seine Treue zur „österreichischen Idee“ betonte, zeigte er sich davon überzeugt, dass eine Verschiebung der Lösung wegen der zu erwartenden Verstärkung der radikalen Jungtschechen nur negative Auswirkungen auf die Monarchie und den Konservatismus hätte. Der Graf versäumte es nicht, den Kaiser an die prekäre Lage der fast 150.000 tschechischen Immigranten Wiens zu erinnern, die noch kein Recht auf eigene Schulen und selbst verwaltete Kulturinstitutionen hatten.34 Harrach erwies sich ohnehin durch sein über Jahrzehnte andauerndes Engagement als Präsident der „Slovanská beseda“ (slawische Gespräche oder Begegnungen), des kulturellen Sammelpunktes der Wiener Slawen,35 sowie des Schulvereins Komenský, des zentralen Vereins des Wiener Tschechentums sowohl vor als auch nach dem Ersten Weltkrieg,36 als bedeutendster Förderer der Wiener Tschechen. Er war unumstritten eine vielseitige Persönlichkeit, die auf einzigartige Weise politische Theorie mit kurz- und mittelfristiger politischer Planung sowie mit konkreten Handlungen und Eingriffen auf gesamtstaatlicher, regionaler und lokaler Ebene zu kombinieren vermochte. 1873 wurde Johann Harrach zum Reichsratsabgeordneten der Städte Leitomischl und Böhmisch Trübau gewählt, machte aber bis 1879 wegen der Parlamentsabstinenz der Tschechen von seinem Mandat keinen Gebrauch. Von 1879 bis 1884 vertrat er im Reichsrat, wo er sich dem tschechischen Klub (Český klub) anschloss, den Landgemeindenbezirk Königgrätz. 1870 bis 1893 war er Abgeordneter für den Landgemeindenbezirk Hohenelbe-Rochlitz im böhmischen Landtag.37 Mit seinen Interpellationen und Vorschlägen im österreichischen Reichsrat gelang es ihm, Nationalautonomiefragen zu fördern sowie eine Schulbildung auf Tschechisch für Kin-

34 Georgiev, Až do těch hrdel, 307–313. 35 Ebd., 314–15. Außer Johann Harrach werden die Grafen Heinrich Clam-Martinic, Jan Harrach, Zdenko Kolowrat-Krakowsky, Egbert Belcredi und Sigmund Berchtold sowie die Fürsten Heinrich Lobkowitz und Adolf Schwarzenberg von Krumau als Mitbegründer aus dem Hochadel genannt; Brousek, Wien und seine Tschechen, 14. 36 Brousek, Wien und seine Tschechen, 16; Illustriertes Wiener Extrablatt, 13. Dezember 1909, in: AVA, FAH, Kt. 870, Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach. Alle hier zitierten Ausschnitte wurden von OBSERVER, I. österr. behördl. Unternehmen für Zeitungs-Ausschnitte, Wien I., Concordiaplatz 4, gesammelt. 37 Prager Abendblatt, 13. Dezember 1909, in: AVA, FAH, Kt. 870, Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach.

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der der Wiener Tschechen zu gewährleisten,38 während er im böhmischen Landtag unter anderem wesentlich dazu beitrug, im Jahr 1883 die „Vorarbeitungskosten“ zur Errichtung des neuen Hauptgebäudes des Museums des Königreichs Böhmen in Prag (des heutigen Nationalmuseums) in den Landeshaushaltsplan einzugliedern.39 Johanns Engagement für die böhmische Frage zeigte sich auch beim Mitentwurf der „Wiener Punktationen“ von 1890, einer Initiative der bürgerlichen Alttschechen und des konservativen Großgrundbesitzes, die einen ehrlichen deutsch-tschechischen Ausgleich erstrebten, jedoch ohne Erfolg.40 Auf der Seite der Feudalkonservativen bzw. der Standesgenossen Harrachs führten Heinrich Clam-Martinic, Friedrich Kinsky und Georg Lobkowitz die Verhandlungen.41 Johanns Unterstützung der Rechte der Tschechen richtete sich keineswegs gegen die Deutschen („Landesbrüder“) Böhmens, deren nationale Interessen ebenfalls respektiert werden mussten. Er war stets konsequent für ein friedliches Zusammenleben der Deutschen mit den Tschechen, wie er auch in der Praxis bewies, als er in den 1880er-Jahren dem ethnisch gemischten Obsterzeuger-Verein in Böhmen vorstand.42 Es ist in diesem Zusammenhang nicht verwunderlich, dass er sich nach seiner Niederlage als Kandidat für die Wiederwahl des Bezirksobmannes von Nepomuk gegen einen Jungtschechen im Jahr 1895 von der aktiven Politik etwas distanzierte.43 Der Vorsprung des Jungtschechentums und die Radikalisierung des deutsch-tschechischen Streits, der 1897 in der Badeni-Krise gipfelte, bereiteten Johann erhebliche Sorgen. Den immer härteren antideutschen, antidynastischen und antiklerikalen Kurs der tschechischen Nationalbewegung lehnte er entschieden ab.44 Obgleich er in die Jahre gekommen war, hörte Harrach nicht auf, besonders durch seine Aufsätze in tschechischen Blättern (vorwiegend in Politik) oder seine Reden im Herrenhaus bzw. im böhmischen Landtag seine Meinung und seine Thesen öffentlich zu äußern und zu verbreiten. Je älter er wurde, desto besorgter war er um die Zukunft der Habsburgermonarchie, die, solange die tschechische Nation ignoriert wurde, immer düsterer schien.45 Im böhmischen Landtag sprach er sich 1899 für 38 1883 wurde auf seine Initiative die erste tschechische Komenský-Volksschule mit einem angeschlossenen Kindergarten im 10. Wiener Gemeindebezirk eröffnet. 39 Georgiev, Až do těch hrdel, 316. 40 Frankfurter Zeitung, 14. Dezember 1909, in: AVA, FAH, Kt. 870, Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach; Georgiev, Až do těch hrdel, 321, 325. 41 Georgiev, Až do těch hrdel, 321. 42 Ebd., 305, 311. 43 Tageschronik, Triest, 14. Dezember 1909, in: AVA, FAH, Kt. 870, Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach. 44 Vgl. Höbelt, Adel und Politik, 373–374. 45 Georgiev, Až do těch hrdel, 325.

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eine Versöhnung mit den Deutschen aus und vertrat noch mehrmals öffentlich diesen Standpunkt, während er 1900 in einer Reihe von Artikeln für die Gründung einer österreichischen Patriotenpartei ohne Unterschied der Nationalität und Konfession plädierte.46 In seinem Aufsatz vom 29. September 1900 „Die Bahn ist frei!“ (Politik, Nr. 269) beschrieb er im Einzelnen die Idee des österreichischen Patriotismus und schlug das Programm einer zu gründenden österreichischen Partei vor. Unter anderem forderte er eine Verfassungsreform − den Rechten und den Verhältnissen der Kronländer entsprechend −, Gleichwertigkeit, eine Volkszählung aufgrund der Muttersprache, Schutz der nationalen Minderheiten, Treue zur Dynastie als Bindemittel zwischen den Völkern der Monarchie und als Grundlage des österreichischen Patriotismus sowie Deutsch als Amtssprache der Zentralverwaltung und der Armee.47 1905 wurde das 1865 zum ersten Mal erschienene Essay Österreichs Heil. Gedanken eines österreichischen Patrioten in einer etwas modifizierten Form wieder veröffentlicht. Harrach behauptete in der Einleitung, das Essay sei als eine Art politisches Testament umso aktueller, als keine Lebensfrage der Monarchie in den vorangegangenen Jahrzehnten gelöst worden sei. Sein Hauptargument war, das slawische Elements habe eine wohltuende Wirkung als Grundstein des modernen österreichischen Patriotismus.48 Seine Überzeugung, dass der böhmische Ausgleich und die Versöhnung beider Völker Böhmens die einzige Lösung für Böhmen innerhalb Österreich-Ungarns sei, wurde jedoch seinerzeit von den Nationalisten, vor allem im deutschen Lager, kaum geschätzt und ernst genommen. Vielmehr geriet diese Haltung in Zeiten der nationalistischen Rhetorik weitgehend in Vergessenheit oder wurde bewusst abgewiesen. Die Trauerkundgebungen vieler deutscher Zeitungen gleich nach dem Tod Johanns am 12. Dezember sind hier äußerst aussagekräftig. Für sie war die Perspektive eines funktionsfähigen, auf die gleichen Rechte seiner Nationen angewiesenen Reiches ziemlich fremd und abwegig. Der Verstorbene wurde rücksichtslos angegriffen. Zwar nicht in allen, aber doch in mehreren deutschen Zeitungen wurden ihm − trotz der glorreichen Vergangenheit der Familie im Dienste des Deutschtums und der Habsburger − Verrat an den Deutschen und ein übertriebenes Engagement für die Feinde, d. h. die Tschechen, zu denen er übergelaufen sei, vorgeworfen. „Tschechischer Adel deutscher Nation“ lautete der widersprüchliche Titel eines dem Verstorbenen gewidmeten Artikels der Berliner Zeitung Der Tag. Der Redakteur nutzte die Gelegenheit 46 Tageschronik, Triest, 14. Dezember 1909, und Illustriertes Wiener Extrablatt, 13. Dezember 1909, in: AVA, FAH, Kt. 870, Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach. 47 Georgiev, Až do těch hrdel, 328–329. 48 Ebd., 330, 334; Johann Harrach, Österreichs Heil. Gedanken eines österreichischen Patrioten, 2Prag 1905.

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des Todes von Johann Harrach, um dessen Gesinnungsgenossen insgesamt anzuklagen, also jene, „die zur Bildung des Kabinetts Hohenwart, zu den Fundamental-Artikeln, zum System der Grafen Taaffe und Badeni führten. Die Schwarzenberg, die Lobkowitz, die Nostitz-Rieneck, die Thun und andere kleinere Götter vertraten mit gleich heißem Eifer das Recht der Länder der heiligen Wenzelskrone und suchten Böhmen, Mähren und Schlesien zu einem Bundesstaate Österreichs nach ungarischem Muster auszugestalten. […] so verzichteten die Herren auf ihre Nationalität und vollzogen die wenig sympathische Metamorphose vom deutschen zum tschechischen Uradel.“49

Im Nachruf des Teplitz-Schönauer Anzeigers war zu lesen: „Graf Harrach war eine der hervorragendsten der führenden Persönlichkeiten des konservativen Großgrundbesitzes und bekannte sich vorbehaltlos zu den Gegnern der Deutschen in Böhmen.“50 Die Breslauer Zeitung wiederum glaubte eine Kluft zwischen den deutsch gesinnten Vorfahren und Johann Harrach, dem schwarzen Schaf der Familie, zu erkennen „Er hinterlässt bei seinen deutschen Landsleuten diesseits wie jenseits der Grenze keine freundlichen Erinnerungen. Der Name der Harrachs hatte seit Jahrhunderten einen guten Klang bei den Deutschen Österreichs. Sie alle, die Harrachs, welche die bewegte Geschichte Österreichs ruhmvoll vermerkt, sprachen und fühlten Deutsch, waren stolz auf ihr Deutschtum und wirkten für das Deutschtum. Der letzt verstorbene Graf Johann Harrach aber hat die Deutschen in Österreich mit einer Ausdauer und Entschiedenheit bekämpft wie wenige seiner Zeitgenossen. Freilich war er nicht der einzige Überläufer aus dem Lager des deutsch-böhmischen Adels […]. Der eifrigste Förderer des Tschechentums war aber der jetzt verstorbene, Graf Johann Harrach. Kaum die Lobkowitz, Chotek und Martinic haben ihre tschechisch-nationale Gesinnung derart offen bekundet und betätigt wie Graf Harrach.“51

Wenn die Nationalisten auf beiden Seiten weder Verständnis noch Geduld für die sogenannten Amphibien zeigten und sogar den Adel für seine distanzierte Haltung gegenüber den nationalen Schlachten kritisierten,52 was konnte man dann von deut49 Der Tag, Berlin, 13. Dezember 1909, in: AVA, FAH, Kt. 870, Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach. 50 Teplitz-Schönauer Anzeiger, 15. Dezember 1909, in: ebd. 51 Breslauer Zeitung, 19. Dezember 1909, in: ebd. Der Artikel der Breslauer Zeitung war zum Teil eine Abschrift aus der Reichenberger Deutschen Volkszeitung. 52 Glassheim, Noble Nationalists, 11.

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scher Seite für einen „Vorkämpfer des Tschechentums, insbesondere jenes von Wien“, erwarten?53 Johann, der sich Jiří Georgiev zufolge im Rahmen seines Reformkonservatismus der 1890er-Jahre bemühte, die nationale Idee in das konservative Gedankengut zu integrieren, kann als ein moderner Politiker betrachtet werden, als er deklarierte: „Nationalität und Religion sind die moralischen Grundsteine des Staatsgebäudes“.54 Sehr wenige seiner Standesgenossen unter den böhmischen Aristokraten wären bereit zu behaupten, dass „die Verneinung des Nationalitätenprinzips“ Verblendung sei.55 Johann Harrach kann zusammenfassend insofern als ein führender Reformkonservativer bezeichnet werden, als er sich für eine gemeinsame Vertretung des konservativen Adels mit den Alttschechen sowie für eine Trennung der Selbstverwaltungskörper nach nationalen Kriterien als notwendige Stufe für eine Implementierung der böhmischen historischen Rechte, für eine Föderalisierung und im Endeffekt für eine Aufrechterhaltung der Monarchie einsetzte. Es ging aber in der Tat um ein Postulat, das bei den meisten Aristokraten Angst vor einer nationalen Zersplitterung und Auflösung des Habsburgerreiches hervorrief.56 Johanns Ideen, Prinzipien und Persönlichkeit dürften seinen 1863 geborenen Sohn Otto, seinen Nachfolger im Hausvorstand, tief geprägt haben. Ohne den Glanz seines Vaters zu erreichen, verstand auch er sich als ein kaisertreuer österreichischer Patriot, ein katholischer Konservativer, der für eine Lösung der böhmischen Frage im Rahmen der Aufrechterhaltung der Monarchie eintrat. Otto pflegte sehr gute Beziehungen zu den Tschechen, distanzierte sich jedoch von dem radikalen bzw. offensiven Nationalismus − sowohl dem deutschen als auch dem tschechischen. Er war beispielsweise sehr verärgert, als der Bischof von Hradec Králové (Königgrätz) im Rahmen seines Besuchs in Sadowa und Hradek im Mai 1896, wo Otto und dessen Hausbedienstete ihn gebührend empfingen, von den Tschechen der Stadt Nechanice beleidigt wurde.57 17 Jahre später wurde er von der Redaktion der Österreichischen Rundschau benachrichtigt, dass man bereit wäre, seinen Artikel, den er vorgeschlagen hatte, am 15. August 1913 zu veröffentlichen − unter der Bedingung freilich, dass jene Passagen, wo er „vom Hass der Deutschen gegen die Monarchie“ spreche, ausgelassen würden.58 53 Marburger Zeitung, 14. Dezember 1909, in: AVA, FAH, Kt. 870, Zeitungsausschnitte zu dem Tod von Johann Harrach. 54 Harrach, Österreichs Heil, 20. 55 Ebd. 56 Georgiev, Až do těch hrdel, 348. 57 Otto Harrach an seinen Vater Johann, Hradek, 3.5.1896, in: AVA, FAH, Kt. 893. 58 Redaktion der Österreichischen Rundschau an Otto Grafen Harrach, Wien, 26.7.1913, in: AVA, FAH, Kt. 875.

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Im Ersten Weltkrieg

Der Ausbruch des Ersten Weltkriegs brachte neue Herausforderungen für den Adel und trug dazu bei, dass sich Ottos patriotische Gesinnung, die unter anderem in verschiedenen Wohltätigkeitsaktionen ihren Ausdruck fand, weiter verstärkte und deutlich manifestierte. Seit Kriegsbeginn 1914 (siehe das vorangehende Kapitel) beteiligte sich Otto durch die wiederholte Unterstützung verschiedener Fonds und Kriegsfürsorgeeinrichtungen unermüdlich an mehreren Hilfsaktionen, während er aus eigenen Mitteln die Errichtung eines Rekonvaleszentenheims für Offiziere und Unteroffiziere unter der Obhut des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens auf seinem Schloss Prugg in September 1914 initiierte.59 Den 1897 nach vierzehn Jahren Dienst im k. u. k. Heer und in der k. u. k. Landwehr als Leutnant zum Invaliden erklärten und Ende 1907 bei Ablegung der Offizierscharge nach vollstreckter Dienstpflicht aus dem Verband der k. u. k. Landwehr entlassenen Harrach grämte es, dass er nicht für sein „Vaterland“ an der Front kämpfen durfte.60 Er war als Hausvorstand umso stolzer, dass Franz als Oberleutnant im Freiwilligen Automobilkorps Anfang Dezember 1914 an Frontoperationen teilnahm: „Wie ich höre, bist Du jetzt beritten? Dein Eifer ist wirklich großartig, und macht unserem Namen Ehre“.61 Vor allem während des Krieges war der feudalkonservative Adel darauf bedacht, den Nationalismus nicht aufzuhetzen, wie die Zeilen von Bedřich (Friedrich) Schwarzenberg, der 1896 eine passionierte protschechische Rede im Böhmischen Landtag gehalten hatte, an Otto Harrach im Jahr 1916 zeigen: „Ich war immer der Meinung, dass unsere Partei nicht national werden soll“.62 Otto, der ebenfalls dem Klub der Rechten im Herrenhaus und der Fraktion des konservativen Großgrundbesitzes im Böhmischen Landtag angehörte, war während der zwei letzten Kriegsjahre vor allem im Bereich der katholisch-konservativen Presse als Mitgründer einer Verlagsgesellschaft und Initiator für die Herausgabe neuer Blätter politisch aktiv.63 Seine Beweggründe, nämlich ein neues Sprachrohr für den katholischen Konservatismus zu schaffen, lassen sich an einem Brief, den Otto Ende Juli 1917 seinem Vetter Franz an die Front schrieb, ablesen: 59 Verbände und Vereine 1900–1919, in: AVA, FAH, Kt. 872, 873; Planer (Hg.), Das Jahrbuch der Wiener Gesellschaft, 229–230; Gothaischer Genealogischer Hofkalender 1915, 134–135. 60 Das zeigt sich in Ottos Briefwechsel mit seinen Verwandten sowie seinem Freund Prinz August Lobkowitz während der ersten zwei Kriegsjahre: Otto Harrach an Vetter Franz, Wien, 22.10.1914, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024; Briefe an Otto Harrach von seinem Schwager Gabriel Marenzi, Standort der 21. Brigade (Galizien), 30.4.1916, und August Lobkowitz, Wien, 5.9.1916, in: AVA, FAH, Kt. 857, 864. 61 Otto Harrach an Vetter Franz, Wien, 6.12.1914, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 62 Glassheim, Noble Nationalists, 41. 63 Phönix Verlagsgesellschaft, Gründung einer Zeitung (1914–1918), in: AVA, FAH, Kt. 875–878.

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„Lieber Vetter Seit dem Einstellen des Erscheinens des ‚Das Vaterland‘ hat sich, je länger, desto mehr und dringender, das Bedürfnis nach einem konservativen politischen Organ für ganz Österreich herausgestellt. Weder die ‚Reichspost‘ noch die verschiedenen konservativen in den Kronlandszentren erscheinenden Zeitungsorgane konnten dem Bedürfnis nach einem solchen für ganz Österreich geschriebenen konservativen Organe entsprechen. Die gegenwärtige Zeit mit ihren tiefgehenden politischen, sozialen und wirtschaftlichen Umwälzungen, mit den großen Fragen, welche eine grundsätzliche Stellungnahme und eine dringende Lösung erfordern, machen jedoch das Erscheinen eines konservativen Organs zur unerlässlichen Notwendigkeit. Sollen in einer solchen Zeit die konservativen Grundsätze ungehört bleiben? Sollen die neuen Entwicklungen ohne die Stimme und die Mitarbeit konservativer Kreise vor sich gehen? Sollen wir untätig als Zuschauer zur Seite stehen? Kein konservativer, katholisch, patriotisch denkender Mann wird in solcher Zeit die Hände in den Schoß legen wollen. Ich habe daher die Frage im Kreise enger Freunde einem eingehenden Studium unterzogen und bin im Begriffe die Angelegenheit einer befriedigenden Lösung entgegenzuführen“.64

In Zusammenarbeit mit anderen Hochadeligen setzte Graf Otto Harrach im Herbst 1917 die seit Jahren bestehenden Wünsche und Entwürfe für die Neugestaltung und Bereicherung der konservativen bzw. christlich-katholischen Presselandschaft in die Tat um. Der entscheidende Schritt dafür war die Gründung der „Phönix“ Union-Verlagsgesellschaft m.b.H. am 5. September 1917 in Wien. Gegenstand des Unternehmens waren unter anderem die Herausgabe, der Verlag und der Vertrieb des Montagblattes Wiener Neueste Nachrichten und des Weiteren die allfällige Erwerbung oder Herausgabe eines konservativen Wochenblatts. Das Stammkapital der Union-Verlagsgesellschaft betrug 100.000 Kronen, wovon Otto als Hauptaktionär 40.000 Kronen einlegte.65 Die Wiener Neuesten Nachrichten wurden als Fortsetzung des 1861 mit finanzieller Unterstützung von mehreren hochadeligen Familien erschienenen und 1911 mangels privater Zuwendungen eingestellten bzw. mit der Reichspost fusionierten Blattes Das Vaterland betrachtet, das eines der bedeutendsten katholischen Blätter Österreichs gewesen war.66

64 Otto Harrach an Vetter Franz, Wien, 30.7.1917, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 65 Die übrigen Gesellschafter trugen wie folgt zum Stammkapital bei: Ferdinand Zdenko Fürst Lobkowitz und Dr. Jaroslav Graf Thun-Hohenstein je 20.000 Kronen, Alfons Graf Mensdorff-Pouilly und Dr. Friedrich Freiherr zu Weichs je 10.000 Kronen; Phönix Verlagsgesellschaft, Gesellschafts-Vertrag vom 5.9.1917, in: AVA, FAH, Kt. 877. 66 Stekl, Zwischen Machtverlust und Selbstbehauptung, 160; Stimmer, Eliten in Österreich, 304–305.

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Otto Harrach und seine Mitgesellschafter schienen mit ihrer Wahl der Tradition des böhmischen Feudaladels, und zwar der Fraktion der Föderalisten, die seit den frühen 1860er-Jahren hinter der Zeitung Das Vaterland standen67, treu zu bleiben und sie zu beleben. Als erster Vorsitzender der Phönix Verlagsgesellschaft rief Otto Harrach Ende 1917 Ferdinand Prinz Lobkowitz auf, den Mitgliedern des Klubs der Rechten des Herrenhauses die Neuerwerbung der Wiener Neuesten Nachrichten bekannt zu geben und sie um Unterstützung jeder Art zu bitten.68 Das Montagsblatt, das „aufklärend, aufbauend, beruhigend und versöhnend wirken sollte, im Gegensatz zu den destruktiven Tendenzen der bestehenden Montagblätter“, war vor allem österreichisch-patriotisch und dynastisch ausgerichtet.69 Dieselbe Orientierung galt auch für Die Monarchie, eine Wochenschrift für Kultur, Politik und Volkswirtschaft, die im April 1918 von den Verlagsgesellschaften „Phönix“, vertreten von ihrem Präsidenten, dem Herrenhausmitglied Graf Otto Harrach, und „Tyrolia“, vertreten von ihrem Obmann, dem christlichsozialen Politiker und Reichsratsabgeordneten Prof. Dr. Aemilian Schöpfer70, begründet wurde.71 Wie der Titel verrät, hatte es sich der Herausgeber in erster Linie zur Aufgabe gesetzt, das Weiterleben der Habsburgermonarchie als ein christliches Vielvölkerreich zu unterstützen. Vor allem gegen Ende des Krieges, im Schatten der vorauszusehenden Niederlage der Zentralmächte, nahmen die Unsicherheit und die Ängste des Adels vor einer Niederlage, ja mehr noch vor einem drohenden sozialen Umsturz aufgrund der erstarkenden Kräfte der Revolution (vor allem nach der Oktoberrevolution in Russland) immer mehr zu.72 Nach einem vierseitigen, von Harrach, Schöpfer und dem Chefredakteur Dr. Eberle unterzeichneten Werbeblatt für die Monarchie mit der Überschrift „Ein 67 Vgl. Leisching, Die römisch-katholische Kirche, 126. 68 Otto Harrach an Prinz Ferdinand Lobkowitz, Dezember 1917, in: AVA, FAH, Kt. 875. 69 Phönix Verlagsgesellschaft, Vereinbarung betreffend die redaktionelle Führung des katholischen Wiener Montagblattes, in: AVA, FAH, Kt. 877. 70 Aemilian Schöpfer gehörte einer Gruppe christlichsozialer Politiker an, die sich der Republikanisierung Österreichs widersetzte und im Rahmen ständestaatlicher Konzeptionen und autoritärer Vorstellungen wesentlich zur Zerstörung der parlamentarischen Demokratie 1933 in Österreich beitrug. Anton Staudinger / Wolfgang Müller / Barbara Steininger, Die Christlichsoziale Partei, in: Tálos, Emmerich / Dachs, Herbert / Hanisch, Ernst / Staudinger, Anton (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs. Erste Republik 1918–1933, Wien 1995, 170. 71 Phönix Verlagsgesellschaft, Programm für die redaktionelle Führung der Zeitschrift „Die Monarchie“ (22.4.1918), in: AVA, FAH, Kt. 877. Über die Gründung der Monarchie siehe auch Stefan Hanzer, Die Zeitschrift „Das Neue Reich“ (1918–1925). Zum restaurativen Katholizismus in Österreich nach dem Ersten Weltkrieg, Diss., Wien 1973, 18–20. 72 Zur Radikalisierung der österreichischen Gesellschaft vgl. unter anderen Bruckmüller, Sozialge‑ schichte Österreichs, 360–362.

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neues großes christliches Unternehmen“ zu urteilen, sah sie sich als eine Ergänzung der christlichen Tagespresse, die auf die besonderen Bedürfnisse der gebildeten Kreise zugeschnitten war. Sie strebte eine Vertiefung der politischen Diskussion an und hatte sich zum Ziel gesetzt, eine Kulturbeilage großen Stils zur christlichen Tagespresse Österreich-Ungarns zu sein und zur Aufklärung über Österreich-Ungarn im Ausland beizutragen. Die Verfasser dieser Erklärung waren der Ansicht, dass der Krieg, der Österreich-Ungarn in den Mittelpunkt der welterschütternden Ereignisse gestellt und alle ruhenden Verhältnisse des privaten und öffentlichen Lebens „bis in die tiefste Tiefe“ aufgewühlt habe, eine völlige Neuordnung erforderlich mache, unter anderem durch eine Verfassungs- bzw. Verwaltungsreform in Österreich. Dieser adelige konservative Diskurs deutet auf real existierende Ängste vor einem Weltuntergang sowie den Wunsch nach einem neuen verstärkten Kampf hin, um negative Auswirkungen auf die Mächte der alten Ordnung zu verhindern. Die Mitbegründer der Monarchie wähnten sich in einer Periode des „Übergangs in eine neue Zeit“, wie „die Weltgeschichte seit der Gründung des Christentums keine ähnliche erlebt hatte“. Sie glaubten, durch ihre Vereinigung zur Sammlung aller katholischen Kräfte zu gemeinsamer Arbeit beitragen zu können. Wie dringend sie die Förderung der neuen Wochenschrift einschätzten, zeigt sich an den Aussagen ihrer Mitbegründer über den Niedergang der christlichen Tagesblätter. Der wegen der kriegsbedingten wirtschaftlichen und technischen Schwierigkeiten nur mit Mühe zu haltenden christlichen Presse stehe die „nicht christliche, vor allem die den kapitalistisch-plutokratischen Mächten dienende und von ihnen in besonderer Weise geförderte Presse“ entgegen. Sie stellten auch ein gefährliches Anwachsen der gegnerischen, sprich liberal-sozialistischen Presse fest – seit Kriegsbeginn bis Mai 1918 wurden in Wien nicht weniger als 31 neue Presseorgane angemeldet –, was ihrer Meinung nach ein „Symptom und Ausdruck der ungeheuren, erschreckenden Verschiebung auf kulturellem, wirtschaftlichem und politischem Gebiet zu Ungunsten des christlichen Volksteils bildete“.73 Noch konkreter und aufschlussreicher scheint der journalistische Diskurs der Mitbegründer und Herausgeber der Monarchie bei dem vorstehenden Programm für die redaktionelle Führung der Zeitschrift.74 Die Monarchie sollte sich nicht nur bzw. nicht hauptsächlich mit der tagespolitischen Aktualität, sondern vielmehr mit den großen politischen Fragen und Aufgaben befassen. Wie der Titel verrät, sahen 73 Zeitungsausschnitte, Ein neues großes christliches Presseunternehmen in Wien „Die Monarchie“ (Mai 1918), in: AVA, FAH, Kt. 875. 74 Phönix Verlagsgesellschaft, Programm für die redaktionelle Führung der Zeitschrift „Die Monarchie“ (22.4.1918), in: AVA, FAH, Kt. 877.

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die Herausgeber ihre Hauptaufgabe darin, das Weiterleben der Habsburgermonarchie als ein christliches Vielvölkerreich zu unterstützen. Ferner wurde auf den allerdringendsten Bedarf einer politischen und kulturellen Neuorientierung und einer Rechristianisierung der ganzen Gesellschaft, des privaten und öffentlichen, des wirtschaftlichen und sozialen Lebens durch dieses neue politische Organ hingewiesen. Außenpolitisch setzten sich die Herausgeber der neuen Wochenschrift für die Bewahrung der vollen Parität Österreich-Ungarns gegenüber Deutschland im Rahmen des Bündnisses der zwei Länder im Sinne des „christlichen Völkerrechtes“ ein. Was die wirtschaftspolitischen Einstellungen der Monarchie betraf, bekannte sie sich zu den Prinzipien der christlichen Soziologie. Das Programm erklärte dem wucherischen Kapitalismus, dem Sozialismus und Liberalismus den Kampf und sprach sich für eine Mittelstandspolitik sowie für die Förderung der nationalen Volkswirtschaft gegenüber übertriebener Weltwirtschaft aus. Interessant ist auch die Frage der religiösen Toleranz. Klar formulierten die Herausgeber, dass die Wochenschrift fest auf dem Boden des katholischen Christentums stehe, aber zugleich andere Konfessionen respektiere. Das Verhältnis zum Judentum erweist sich dabei als zwiespältig. Der Verzicht auf jedweden ordinären Antisemitismus schloss nicht in „wissenschaftlich sachlicher Weise gegebene Hinweise auf die übermäßig erreichte große kulturelle, politische und wirtschaftliche Macht des Judentums [aus], das diese Macht auch in zersetzender staats- und religionsschädlicher Weise ausübt“.75 Diese programmatischen Erklärungen der Herausgeber der Monarchie scheinen ein den Kriegsumständen geschuldeter Kompromiss zwischen den zwei Hauptrichtungen des politischen Katholizismus zu sein: der aristokratisch-sozialkonservativen Richtung einerseits, die vom sozial engagierten Hochadel seit den 1860er Jahren hauptsächlich mit der Zeitung Das Vaterland verfochten wurde (siehe Harrach), der kleinbürgerlichen christlichsozialen Richtung andererseits, die parteipolitisch von der 1894 gegründeten Christlichsozialen Partei vertreten wurde (siehe Schöpfer).76 Trotz der Vereinbarung zwischen Otto Harrach und Aemilian Schöpfer vor der Herausgabe der Wochenschrift kam es nach wenigen Monaten (im September 1918) zu einem Streit, der bald schon beigelegt werden konnte, aber gerade die seit Jahrzehnten bestehende Zerrissenheit innerhalb des „christlichen“ Lagers zeigt: die Zurückhaltung vieler hochadeliger Konservativer gegenüber den in gewisser Hinsicht radikalen Christlichsozialen. Prinz Alois Liechtenstein, der Nachfolger Karl Luegers an der Spitze der Christ-

75 Ebd., zit. in Konstantinos Raptis, Auf dem Weg zum Niedergang? Österreichischer Hochadel im Ersten Weltkrieg am Beispiel der Familie Harrach, in: Schulz / Denzel (Hg.), Deutscher Adel, 391. 76 Vgl. Stimmer, Eliten in Österreich, 294–295.

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lichsozialen Partei Österreichs, wurde als „roter Prinz“ bezeichnet.77 Otto Harrachs Forderung, beim Wochenblatt niemals eine christlichsoziale Richtung einzuschlagen, sondern das Blatt streng in katholisch-konservativem Sinn zu führen, wurde vom Obmann der Tyrolia als unannehmbar zurückgewiesen.78 Das endgültige Nachgeben von Otto Harrach brachte eine gewisse Entmachtung des konservativen Hochadels gegenüber den Christlichsozialen zum Ausdruck, die als eine eher moderne politische Partei ohnehin von der Demokratisierung des politischen Systems in Österreich im Jahr 1907 profitierte und danach den Kurs des politischen Katholizismus bestimmte. Der finanzielle Stand der Verlagsgesellschaft Phönix schien im August 1918, ein Jahr nach ihrer Gründung und trotz der immensen Schwierigkeiten des vierten Kriegsjahres, ziemlich stabil und vielversprechend zu sein. Inzwischen war die Auflage der Wiener Neuesten Nachrichten um 4000 auf rund 14.000 Exemplare gestiegen.79 Das Montagsblatt war aber unter den äußerst schwierigen Verhältnissen gleich nach dem Zerfall Österreich-Ungarns auf die Dauer nicht zu halten. Schon Mitte Januar 1919 wurde der Verkauf des Zeitungsunternehmens (d. h. des Verlags der Wiener Neuesten Nachrichten) samt Druckerei der Phönix-Gesellschaft an den katholischen Volksbund Österreichs besiegelt und erfolgte zwei Monate später.80 Der Volksbund der Katholiken Österreichs, ein Dachverband für Dutzende katholische Einzelorganisationen Österreichs in der Zwischenkriegszeit,81 war 1910 als Vereinigung der Marianischen Kongregation und der Leo-Gesellschaft gegründet worden.82 Im Gegensatz dazu wird die Fortsetzung der Beteiligung der Phönix an der Tyrolia mindestens bis September 1920 berichtet. Für das erste Halbjahr der Zusammenarbeit von Phönix und Tyrolia aufgrund der Herausgabe der Wochenschrift Die Monarchie soll die Beteiligung des Adels am Abonnement verhältnismäßig gering gewesen zu sein. Nach der Verzichtserklärung des Kaisers und dem De-facto-Zerfall der Monarchie klang der Titel der Wochenschrift Die Monarchie bereits veraltet, und so einigte man sich kurzerhand auf den neuen Titel Das Neue Reich.83 77 Walterskirchen, Adel in Österreich im 20. Jahrhundert, 139. 78 Dr. Aemilian Schöpfer, Obmann der Verlagsanstalt „Tyrolia“, an Otto Harrach (29.9.1918), in: AVA, FAH, Kt. 866. 79 Bernhard Marschall, Redakteur der „Wiener Neuesten Nachrichten“, an Otto Harrach, 12.8.1918, in: AVA, FAH, Kt. 864. 80 Briefe von Dr. Viktor und Ludwig Fuchs vom 11. und 16.1.1919 und von Dr. Schöpfer an den katholischen Volksbund, 22.3.1919, in: AVA, FAH, Kt. 861 und 877. 81 Detlef Lehnert, Politisch-kulturelle Integrationsmilieus und Orientierungslager in einer polarisierten Massengesellschaft, in: Tálos u. a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems, 436–437. 82 Für einen Überblick über das katholische Vereinswesen in Österreich im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert Stimmer, Eliten in Österreich, 303–304. 83 Briefe an Otto Harrach von Dr. Joseph Eberle, Redakteur des „Neuen Reichs“, 12.8.1920, und

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Graf Otto Harrach betätigte sich in der Presse nicht nur als Verleger und Herausgeber, sondern auch als Essayist für die Wiener Neuesten Nachrichten und Die Monarchie, ebenso wie für das Neue Österreich und Die Information. Er verstand sich in seinen Schriften als Kämpfer für die Monarchie und für die Ideen des Konservatismus und des Katholizismus. Er befasste sich mit dem Krieg, mit innen- und außenpolitischen Themen sowie mit der Existenz und Rolle Österreich-Ungarns, dem Beitrag des Konservatismus und des Katholizismus zu einer eventuellen Neugestaltung des Staates und der Gesellschaft und natürlich mit der nationalen Frage und dem Schicksal Böhmens.84 In den letzten dramatischen Wochen vor dem Zusammenbruch des Habsburgerreichs, als der Adel sich sowohl vom Nationalismus als auch vom Bolschewismus bedroht fühlte, äußerte sich Otto gegen tschechische und deutsche, dem österreichischen Staat Schaden zufügende Nationalisten und sprach sich für eine Art Donau-Konföderation auf der Grundlage einer neuen Verfassung aus. Seine Sympathie für die Tschechen und ihre Rechte führte ihn aber nicht zur Unterstützung der Gründung der Tschechoslowakei. „Da nun Österreich gewillt ist, seine bestehende Verfassung, die das tschechische Volk und die Konservativen niemals anerkannt haben, auf festerer Basis aufzubauen, und die vielfachen Proteste dieser beiden Elemente im Staate zu ignorieren, entschloss sich die Gesamtheit des tschechischen Volkes die Bildung eines tschechoslawischen Staates unter Heranziehung der ungarischen Slowakei zu fordern. Auf diesen Pfaden können die Konservativen Österreichs den Tschechen nicht beistehen“.85

Er plädierte demgegenüber für eine Landesautonomie in Böhmen und für einen autonomen Status der Sudetendeutschen innerhalb Böhmens. Die einzig mögliche Lösung des deutsch-böhmischen Streits war Otto zufolge die Trennung der streitenden Parteien, ohne allerdings die Einheit des Königreiches Böhmen infrage zu stellen. In der Zwischenkriegszeit und im Zweiten Weltkrieg

Harrachs Erwartungen waren fernab der Realität. Es war ein aussichtsloser Kampf in einer für den Adel gänzlich ungünstigen soziopolitischen Landschaft, und es gelang nicht einmal, in den eigenen Reihen weitere Kräfte zu mobilisieren. Das Kriegsende Dr. Schöpfer, 16.11.1918, in: AVA, FAH, Kt. 861 und 866. 84 Ottos Zeitungsaufsätze, in: AVA, FAH, Kt. 875 und 876. 85 Österreich und die Tschechen, Zeitungsaufsätze, in: AVA, FAH, Kt. 876.

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brachte den Zusammenbruch der Monarchie und die Schaffung der Tschechoslowakei. In der konstituierenden Nationalversammlung von Deutschösterreich wurde darüber hinaus am 3. April 1919 das Verbot zur Führung von Adelstiteln beschlossen.86 Das Herrenhaus, Auszeichnungen und Vorrechte gehörten von nun an der Vergangenheit an. Die Aristokraten wurden als Vertreter der alten Ordnung sowohl in Österreich als auch in der ČSR kollektiv abgewiesen und entfremdeten sich in beiden Nachfolgestaaten Altösterreichs von ihrer politischen Umgebung − vielleicht mehr als jede andere adelige Gesellschaft in Europa.87 Trotz der für den Adel enttäuschenden Realität gab Otto seine publizistische Arbeit nicht auf. Im April 1920 kaufte er wie auch andere Adelige (Thun-Hohenstein, Schwarzenberg, Stolberg und Chotek) erneut Aktien zur Beschaffung von finanziellen Mitteln für Das Neue Reich. Die finanzielle Situation blieb aber nach wie vor prekär, sodass selbst der Chefredakteur in einem Schreiben vom 12. September 1920 die Fortsetzung der Tyrolia ohne Subventionierung gefährdet sah. Die Wochenschrift Das Neue Reich hatte damals bei einer Auflage von 4000 Blättern etwa 2100 zahlende Abonnenten und lag damit weit unter dem Ziel von 5000 zahlenden Abonnenten.88 Eine deutliche Verbesserung der Situation trat erst nach 1923 ein, als die Wochenschrift nach Angaben des Schriftleiters Dr. Joseph Eberle mit 12.750 Blättern im März 1924 zur auflagenstärksten Zeitschrift in der katholischen Presselandschaft im deutschen Sprachgebiet aufstieg.89 Harrachs Initiativen und seine Mitfinanzierung trugen dazu bei, dass die Herausgabe von Das Neue Reich bis zum 1. Oktober 1932 erfolgen konnte, um dann mit der im Jahr 1925 von Dr. Eberle (nach seinem Abschied von der Chefredaktion des Neuen Reichs) gegründeten und geleiteten Wochenschrift Schönere Zukunft zu fusionieren. Im Gegensatz zu den Auersperg, Clam-Martinic, Czernin, Czernin-Morzin, Mensdorff-Pouilly und Starhemberg zählte Otto jedoch nicht zu den Mitarbeitern der Wochenschrift aus den Reihen des Hochadels.90 Sein Alter, finanzielle Sorgen sowie sein Engagement dafür, einen möglichst großen Teil seines Grundbesitzes und Vermögens vor der Bodenreform in der ČSR zu schützen, verhinderten vermutlich auch seine Teilnahme am politischen Leben Österreichs, die unter den obwaltenden Umständen ohnehin nur sehr eingeschränkt möglich gewesen wäre. Auch in der Tschechoslowakei enthielt Harrach sich der Politik. Trotz der Verdienste der Familie um die Tschechen, die sich Otto noch wäh86 87 88 89 90

Staatsgesetzblatt für den Staat Deutschösterreich, 71. Stk., Jg. 1919, ausgegeben am 10. April 1919. Höbelt, Nostalgic Agnostics: Austrian Aristocrats and Politics, 161–162. Dr. Joseph Eberle an Otto Harrach, 12.9.1920, in: AVA, Biographica Otto, Kt. 877. Ruth Werner, Die Wiener Wochenschrift „Das Neue Reich“ (1918–1925), Breslau 1938, 13. Ebd., 1, 9–10.

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rend der 1920er-Jahre in Form von Wohltätigkeitsmaßnahmen weiterhin erwarb,91 und ungeachtet der Vermietung von 70 der 87 Räume seines Wiener Palais an die tschechoslowakische Gesandtschaft92 sowie des Erwerbs der tschechoslowakischen Staatsbürgerschaft für sich und seine Familie gleich nach dem Krieg93 waren die Verhältnisse in der ČSR für die politische Betätigung eines „ehemaligen“ Aristokraten94, der während des Krieges seine Abneigung gegen die tschechischen Nationalisten und ihre Unabhängigkeitsansprüche zum Ausdruck gebracht hatte, offenbar ungünstig. Die tschechischen Politiker standen dem gesamten Adel, der als Emblem des Feudalismus und der Autorität der Habsburger, der deutschen Herrschaft und der sozialen Ungleichheit galt, feindselig gegenüber.95 Ottos Abscheu und Verbitterung über die Taktiken und den Stil der tschechischen Politiker und Funktionäre gegenüber dem Adel und seinem Besitz im Rahmen der Bodenreform bestärkten ihn in seinem Willen, der Politik in der ČSR fernzubleiben: „Eine führende Rolle in diesem Staate zu spielen ist absolut nicht meine Ambition. Wer uns einreden will, dass wir unsere Kräfte und Fähigkeiten bedingungslos in den Dienst der Republik stellen sollen, der will eben, dass wir von der Bildfläche verschwinden“.96

Mit diesen Zeilen endet ein Brief an seinen Cousin Franz, dessen Annahme einer Einladung zur sechsten Fischereitagung und Gedenkfeier zu Ehren von Josef Sušta in Wittingau (einer ehemaligen Schwarzenberg’schen Herrschaft) im Sommer 1927 Otto verärgerte, weil sie in gewisser Weise die Enteignungen des adeligen Besitzes rechtfertige.97 Das Familienoberhaupt zeigte aber Verständnis für Franz’ Motive, die aus einem tschechischen Patriotismus hervorgingen: „Ich bin jetzt ganz davon 91 Laut eines Berichts des Direktors des Harrach’schen Großgrundbesitzes in Nordböhmen (Jilemnice/ Starkenbach) soll Harrach von 1918 bis 1925 für karitative Zwecke in der ČSR etwa 400.000 Kčs (in etwa 1,5 Millionen österreichische Kronen) gespendet haben; Glassheim, Noble Nationalists, 96. 92 Bekenntnis zur einmaligen großen Vermögensabgabe in Österreich (1921), No. 8, Subbeilage D: Übersicht der Wohngebäude und anderer Gebäude, und No. 21, 5. Beilageblatt: Palais mit Garten in Wien, in: AVA, FAH, Kt. 882. 93 Politische Landesverwaltung in Prag an Otto Harrach, Prag, 28.6.1920, in: AVA, FAH, Kt. 971. 94 Der Adel und seine Titel wurden in der ČSR nach dem von der revolutionären Nationalversammlung verabschiedeten Gesetz vom 10. Dezember 1918 aufgehoben; Stekl, Österreichs Adel im 20. Jahrhundert, 103–104. 95 Eagle Glassheim, Genteel Nationalists: Nobles and Fascism in Czechoslovakia, in: Urbach (Hg.), European Aristocracies, 149; Glassheim, Noble Nationalists, 3–5. 96 Otto Harrach an Vetter Franz, Strkow, 31.8.1927, in: MZA, G 393, RAH, Kt. 76, Fol. 1024. 97 Josef Sušta war ein bedeutender tschechischer Teichwirt, der als Direktor der Wittingauer Herrschaft zu Diensten von Johann Adolf II. Fürst zu Schwarzenberg tätig war, und Autor von Fachliteratur zum Thema Karpfenzucht.

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überzeugt, dass Deine Handlungen einzig nur von einem strengen Pflichtgefühl als Familienvater und als tschechischer Patriot geleitet sind“, so Harrach, der Franz’ tschechischen Patriotismus als Fortsetzung des adelsgemäßen österreichischen und böhmischen Patriotismus der Monarchiezeit betrachtete.98 Jedenfalls gelang es Franz Harrach, sich irgendwie mit dem neuen Status quo in seiner zweiten Heimat zu arrangieren und führende Positionen einzunehmen, indem er nach der Entstehung der Tschechoslowakischen Republik Gründungsmitglied des Zentralverbands der tschechoslowakischen Forstwirtschaft sowie Mitglied des Jägerverbands und des Vorstands des Zentralausschusses der freien Vereine der Forstverwaltung wurde und als Delegierter dieser Organisationen auch an internationalen Forstkongressen in Rom (1926) und Stockholm (1929) teilnahm.99 Die Enttäuschung von der demokratischen Tschechoslowakei rief jedoch bei dem in die Jahre gekommenen und schweren Asthmatiker Otto − ebenso wenig wie bei anderen Adeligen − keinerlei Sympathien für den deutschen Nationalsozialismus hervor.100 Im Juli 1935, kurz vor seinem Tod, wies Otto eine Einladung seines Vetters Hans Albrecht, ihn und seine Familie in München zu besuchen, wegen der ihn abschreckenden „heutigen Zustände“ in Deutschland zurück.101 Ein Jahr vorher hatte dem autoritären Regime in Österreich ein NS-Putsch gedroht, der jedoch niedergeschlagen werden konnte. Diese Abneigung gegen den Nationalsozialismus brachte sein 1904 geborener Sohn und Alleinerbe Johann (Hans) hingegen nicht mit. Seine Pubertät und Jugend dürften von großen Umbrüchen und Verlusten für den Adel und die Deutschen geprägt worden sein, die der Krieg und der Zerfall Österreich-Ungarns verursacht hatten. Die Mitte der 1930er-Jahre war vor allem für die jungen Adeligen in Böhmen eine Zeit der zunehmenden Identifizierung mit dem Nationalismus − dem deutschen, sprich dem Nationalsozialismus, oder eben dem tschechischen.102 Hans stimmte im Gegensatz zum politischen Erbe seines Vaters und vor allem seines Großvaters für die Deutschen. Die von ihm im Dezember 1936 bei der Buchhandlung Gerold & Co. in Wien gekauften Bücher von Karl Anton Rohan, Schicksalsstunde Europas, und vor allem von Alois Hudal, Die Grundlagen des Nationalsozialismus, weisen auf eine Aneignung des nationalsozialistischen Gedankenguts hin.103 Titularbischof Alois Hudal, Rektor des deutschen Priesterkollegs „Maria dell’Anima“, war bestrebt, die 98 Ebd. 99 Hamerníková, Rodinný Archiv Harrachů, 2. 100 Höbelt, Nostalgic Agnostics, 176–177. 101 Otto Harrach an seinen Vetter Hans Albrecht, Hradek, 28.7.1935, in: AVA, FAH, Kt. 971. 102 Glassheim, Genteel Nationalists, 150. 103 Rechnungen 1936, Johann Graf Harrach (Hans), in: AVA, FAH, Kt. 917.

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Lehren der katholischen Kirche mit den Thesen des Nationalsozialismus vereinbar zu machen.104 Die Unterstützung deutscher Vereinen und die Identifizierung mit den Sudetendeutschen in der Hitlerzeit gehen aus einem Brief von dem Vorsitzenden des Olympischen Ausschusses im Hauptverband der deutschen Wintersportvereine (HDW) Walter Riedele und dem Vorsitzenden des HDW Julius Streitech an Hans Harrach im Januar 1936 hervor, in dem von der Förderung sudetendeutscher Sportler für die „Winter-Olympiade 1936“ in Garmisch-Partenkirchen die Rede ist. „Bei der so oft bewährten Opferwilligkeit von Euer Hochwohlgeboren, als bekannten Förderer aller sportlichen Bestrebungen unserer Heimat, gestatten wir uns hiemit die ergebene Bitte zu unterbreiten, den HDW auch bei der Durchführung dieser anerkannt wichtigen Aufgabe tatkräftigst zu unterstützen und ihm durch Übermittlung einer möglichst großen Spende die würdige, dem Ansehen und der Bedeutung unseres sudeten-deutschen Volkes entsprechende Beteiligung an der Winter-Olympiade 1936 ermöglichen zu helfen.“105

Johann (Hans) hatte auch eine Spende von 500 Reichsmark für die NSDAP in Bruck a. d. Leitha vorgelegt,106 während sich seine Witwe Stephanie Harrach, geborene Prinzessin Eltz, später daran erinnerte, dass sie und Hans in der NS-Zeit eher mit den Deutschen in Kontakt getreten seien, sich von den tschechischen Standesgenossen hingegen distanziert hätten.107 Der wichtigste Hinweis auf diesen Sinneswandel des neuen Oberhaupts der Familie Harrach kann in dem Fehlen des Namens Harrach auf der Liste der 69 im September 1939 unterzeichneten tschechischen Adeligen für die Aufrechterhaltung der Souveränität Böhmens gegenüber NS-Deutschland sowie auf der Liste der zwölf im September 1938 unterzeichneten tschechischen Adeligen zu demselben Zweck gesehen werden.108 Wer hätte mit Blick auf die vorangegangenen Jahrzehnte gedacht, dass der Enkel von Johann Nepomuk Harrach sich nicht an dem Engagement für Böhmen beteiligen und seine Familie gleich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs infolge der Beneš-Dekrete als „Feinde“ und „Verräter“ der tschechoslowakischen Na-

104 Maria Pronay, Österreichischer Hochadel und Nationalsozialismus. Ernst und Maximilian Hohenberg, Diplomarbeit, Wien 2012, 71–74. 105 Walter Riedele (Vorsitzender des Olympischen Ausschusses im HDW) und Julius Streitech (Vorsitzender des HDW) an Hans Harrach, Gablonz, Januar 1936, in: AVA, FAH, Kt. 917. 106 Rechnungen 1942, Johann Graf Harrach (Hans), in: AVA, FAH, Kt. 917. 107 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 108 Glassheim, Noble Nationalists, 237–241.

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tion aus ihrer böhmischen Heimat ausgewiesen werden würde?109 Die Quellenlage ist dürftig und gestattet uns keineswegs, Hans mit Sicherheit als einen überzeugten Nationalsozialisten zu bezeichnen. Mag sein, dass er, um seine Interessen zu wahren, gezwungenermaßen und kompromissbereit die Deutschen wählte, ohne eine offene antitschechische Position einzunehmen. Er hatte kein politisches Amt inne und wurde wohl kaum vom NS-Regime begünstigt. Vielmehr sah er sich gezwungen, seine quasi enteignete Glasfirma an einen Deutschen zu verkaufen und eine Ablösesumme wegen der Zurücknahme seiner an einen jüdischen Unternehmer verpachteten, jedoch von den Nazis arisierten Güter in Bruck a. d. Leitha zu zahlen.110 Laut Stephanie Harrach hat es in den späten 1930er- und frühen 1940er-Jahren einige Angehörige böhmischer Geschlechter − etwa die Schwarzenberg und Kinsky − gegeben, die sich eher als Tschechen empfanden. Die schwierigste Probezeit für die nationale Identifizierung des altösterreichischen Adels in Böhmen sei die Zeit des Nationalsozialismus gewesen. „Der Adel in der Tschechoslowakei war teils österreichisch, also deutsch, hat quasi dann in der deutschen Zeit die deutsche Kennkarte gekriegt, es gibt aber andere, die Tschechen geblieben sind“, berichtete Johanns Frau.111 Es ist bemerkenswert, wie sich damals die unterschiedliche nationale Identifizierung auf die Beziehungen zwischen Nachbarn und Freunden, wie z. B. zwischen den Familien Harrach und Chlumecky, auswirkte: „Wir waren selbstverständlich weiter befreundet, aber wir haben achtgegeben bei gegenseitigen Besuchen, weil sie Tschechen geblieben sind und wir sind Österreicher […], damals schon keine Deutsche mit der deutschen Kennkarte. […] Wir sind Österreicher geblieben, waren doch befreundet, doch im Verkehr, aber mit Vorsicht. In dieser Familie haben sie angefangen, auch innerhalb der Familie tschechisch zu sprechen.“112

Was Stephanie Harrach und Arco Zinneberg emphatisch und kategorisch bestreiten, ist eine Identifizierung des Adels mit dem Nationalsozialismus. Sie beharren darauf, dass es mit Ausnahme einiger weniger „schwarzer Schafe“, wie sie in jeder Gesellschaft vorkämen, im altösterreichischen Hochadel keine Nazis gegeben habe.113 Wenn auch Hans mit dem NS-Regime sympathisierte und sich mit den Deutschen in der ČSR identifizierte, hat er den Tschechen nicht geschadet. Das wird bis heute 109 Hans selbst, der am Kriegsende in die Wehrmacht einberufen wurde, starb am 12. Mai 1945 in Kriegsgefangenschaft im amerikanischen Lager von Bad Kreuznach in Deutschland. 110 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 111 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004. 112 Interview mit Stephanie Harrach am 28.9.2004. 113 Interview mit Stephanie Harrach und Arco-Zinneberg am 28.9.2004.

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von Tschechen in Jilemnice bezeugt.114 Es war gerade der Hinweis des Kastellans im Schloss Hradek auf die „Verdienste der Harrach um die Tschechen“, der im Herbst 1945, wenige Monate nach Johanns Tod, die tschechischen Nationalgardisten überzeugte, die sonst unmittelbar angeordnete Evakuierung des Schlosses und Ausweisung aus dem Land um zwei Tage zu verlängern.115

114 Gespräch mit Vlasta Valeš, Wien, 6.4.2011. 115 Interview mit Stephanie Harrach am 5.10.2004.



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Der Blick auf die Lebensverhältnisse, den Lebensstil und das Vermögen des 1935 die Regierung des Hauses übernehmenden Hans Harrach und seiner Familie während der letzten Jahre seines Lebens als Junggeselle (1936–1940) sowie in den ersten Jahren seiner Ehe (1940–1943) zeugt von Kontinuität und Selbstbehauptung und scheint die 2004 getroffene Aussage seiner 1945 verwitweten Frau Stephanie, der Ablauf des Lebens in den 1920er‑, 1930er-Jahren habe sich nicht wesentlich geändert, zu bestätigen. Wenn auch Privilegien wie Autofahren, Jagden, Bälle, Tennis, elitäres Konsumverhalten und Reisen im Verhältnis zur Elterngeneration etwas eingeschränkt werden mussten, deuten sie dennoch auf eine Spitzenposition der Harrach in der damaligen Gesellschaft hin. Hans hätte sich 1941 oder 1942, als in den ersten Jahren seiner glücklichen Ehe die Kriegsschauplätze von Böhmen, Wien und Niederösterreich noch weit entfernt lagen, wohl kaum das doppelt tragische Jahr 1945 „träumen lassen“, das nicht nur seinem Leben ein frühes und unerwartetes Ende als Gefangener in einem amerikanischen Lager Westdeutschlands setzte und die Harrach am Ende des Zweiten Weltkriegs und in der ersten schwierigen Nachkriegszeit ohne Oberhaupt ließ, sondern nach einigen Monaten die Harrach wie viele andere „deutsche“ Hochadelige im Zuge der Niederlage und Auflösung des Deutschen Reiches physisch – durch Ausweisung – und ökonomisch – durch Konfiszierung jedweden Besitzes und Vermögens – definitiv von den böhmischen Ländern entband. Dies ereignete sich zehn Jahre nach Hans’ Führungsantritt – fast dieselbe Zeitspanne, die seit der Übernahme des Familienvorstands durch seinen Vater vergangen war, bis dieser den Weltumsturz erlebte, den der Erste Weltkrieg in Österreich-Ungarn verursachte, der freilich keine derart dramatischen und verheerenden Auswirkungen auf ihn und seine Familie hatte wie bei Hans. So hart die Aufhebung des Adels in Deutschösterreich im April 1919 diesen herausgehobenen Stand – und somit auch die Harrach – traf, da er seither nicht mehr offiziell als besondere Gesellschaftsgruppe auftreten und wirken konnte, bedeutete dies keineswegs einen radikalen Schnitt, keine entscheidende Zäsur in den ökono-

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mischen und sozialen Grundlagen des Lebens von Aristokraten oder im politischen Bereich. Waren die Harrach wie auch der altösterreichische Adel insgesamt schon vor 1918, vor allem aber danach politisch in Bedrängnis geraten und einem unausweichlichen Verlustprozess ausgesetzt, schienen sie sich sozial und kulturell immer noch und weit mehr als im politischen Leben behaupten zu können. Die vorliegende Studie lässt sich in einem Schema einbetten, wonach ein abgestufter, relativ lang andauernder und makrostrukturell verfolgbarer Prozess des Niedergangs des Adelsstandes vom späten 19. bis Ende des Zweiten Weltkriegs im Gang war. Die Kapitalverluste jedweder Art und die daraus folgenden Macht- und Ansehenseinbußen, mit denen die Hochadeligen Altösterreichs besonders nach 1848, nach 1907, nach 1918 und vor allem nach 1945 konfrontiert waren, zwangen sie zu einer Wiederanpassung ihrer Lebensbedingungen und einer Umgewichtung der verschiedenen Formen ihres Kapitals im Sinne von Bourdieu. Wenn ihr Herrschafts- bzw. politisches Kapital wegen der Grundentlastung, der Demokratisierung des Wahl- und politischen Systems im alten Österreich sowie des Zerfalls der Habsburgermonarchie verschwand bzw. beträchtlich vermindert wurde, blieb ihr wirtschaftliches, soziokulturelles und symbolisches Kapital in unterschiedlichen Lebenszusammenhängen mehr oder weniger stark erhalten. Die zwei letztgenannten Formen des adeligen Kapitals scheinen seit den 1920er-Jahren und vor allem seit den späten 1940er-Jahren, als der Adel wegen der Bodenreform und den Landkonfiszierungen in der Tschechoslowakei und in den kommunistischen Ländern einen Großteil seines Grundbesitzes und Vermögens verlor, weiter aufgewertet worden zu sein. Da jede adelige Familie zwar einen Teil der Sozialformation Adel, doch zugleich einen Sonderfall darstellt, wirft jede Familienstudie einen frischen Blick auf neue Dimensionen des Alltags, Lebens, Selbstbildes und der Reaktionen des Adels auf die Herausforderungen der Umwandlungsprozesse der Moderne sowie der Krisenzeiten. Die vorliegende Studie möchte nicht nur zur Adelsgeschichte während der weniger erforschten Zwischenkriegszeit, sondern auch zu jener vor 1914/1918 beitragen. So lässt sich z. B. anhand der Harrach nachweisen, dass es bei der Selbstbehauptung nicht um eine defensive und lediglich ältere tradierte Lebensformen reproduzierende Haltung, sondern um eine aktive Mitgestaltung der Wirtschaft und des Lebensstils, um eine Anpassung an neue Trends und Herausforderungen der einmaligen Belle Époque vor dem Krieg geht, wie es von der „Ersten Gesellschaft“ des Habsburgerreiches bzw. einem europaweit wegweisenden Adel wie dem altösterreichischen zu erwarten war. Die Lebensformen und die Kultur der Angehörigen der Harrach wie auch anderer Familien des altösterreichischen Adels – in erster Linie der Familien der Oberhäupter – erlauben uns, sie eindeutig der Spitze der Gesellschaftsordnung vor 1918 und, wenn auch in geringerem Maße, während der Zwischenkriegszeit zuzuordnen.

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Dies zeigt sich in einer Vielfalt von Lebensformen. Der Status der Harrach lässt sich zunächst anhand ihrer Schlösser und Stadtpalais belegen, die zu den wichtigsten Hinweisen für ein adeliges Dasein, für Wohlstand und Ansehen zählten und damit als Kontinuitätszeichen wirkten. Ohne sie hätte es Jagden, Bälle, Soireen und sonstige adelig geprägte gesellschaftliche Veranstaltungen wohl kaum gegeben. Die häufig Renovierungs- und Modernisierungsprojekten unterzogenen Harrach’schen Schlösser, vor allem Hradek, Rohrau und Prugg, wie auch das Wiener Palais, das von anderen Adeligen besonders bewundert und gelobt wurde, zählen zu den wichtigsten historischen Stätten und Denkmälern Böhmens, Niederösterreichs und Wiens und sind trotz der Widrigkeiten nach dem Ersten Weltkrieg – infolge der hohen Besteuerung und der Instandhaltungskosten – bis 1945 alle in Besitz der Familie geblieben und wurden bewohnt. Der Umzug der Familie des Familienvorstands von einem Schloss zum anderen, stets in Begleitung eines vielköpfigen Dienstpersonals, stellte bis in die frühen 1940er-Jahre den Inbegriff des jährlichen Reiserituals dar, das in dieser Form nur vom Hochadel gepflegt wurde. Die Harrach zeichneten sich vor allem bis 1914 durch eine rege Reisetätigkeit aus, die unabhängig von der Reisemotivation oder dem Anlass der jeweiligen Reise eine repräsentative Aktivität war und auf soziale Distinktion hindeutete. Über die für den altösterreichischen und europäischen Adel typischen, Sommer für Sommer vollzogenen Aufenthalte in den kosmopolitischen und renommierten Kurorten des böhmischen Bäderdreiecks (Karlsbad, Franzensbad und Marienbad) hinaus begaben sich seit den frühen 1890er-Jahren vor allem die Senioren der Familie an die gerade damals im Süden der Monarchie entstandene „österreichische Riviera“ (Abbazia), um dort im Winter und Frühling einige Wochen, ja sogar Monate zu verbringen und teils auch Ausflüge an die Adriaküste bis nach Bosnien oder längere Reisen nach Ägypten zu unternehmen. Einige Nord- und Ostseebäder sowie kontinentale Kur- und Badeorte im Deutschen Reich, die um die Jahrhundertwende (1900) zu erstrangigen Bädern avancierten, zogen die Harrach ebenfalls an, während traditionelle Adelsdestinationen wie Rom, Venedig und Florenz in Italien sowie Paris, Lourdes und Nizza in Frankreich als Wallfahrtsorte oder im Rahmen von Bildungs‑, Erholungs- und Hochzeitsreisen die beliebtesten Reiseziele Europas außerhalb des deutschsprachigen Raums bildeten. Die wochen‑, wenn nicht monatelange Aufenthaltsdauer, zu der teure Unterkünfte in Hotels und Villen, Zug- oder Schifffahrten in der Ersten Klasse sowie das begleitende Dienstpersonal noch hinzukam, verlieh den Harrach’schen Reisen zusätzliche Exklusivität. Der Erste Weltkrieg bildete zwar für die Reisetätigkeit der Harrach und generell des Adels eine Zäsur, indem die Umwandlung des Küstenlandes und Südtirols zu einem wichtigen Kriegsschauplatz den Reisen in den Süden vorübergehend ein

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abruptes Ende setzte und Auslandsreisen mit Ausnahme von Kuraufenthalten in Bädern des verbündeten Deutschen Reichs eingestellt wurden. Jedoch erlebte die „goldene Ära“ des exklusiven Reisens der Aristokratie aus der Zeit vor 1914 im Fall der Harrach insbesondere ab 1923/24 eine Art Renaissance, wenngleich Abstriche bei der Zahl der Auslandsdestinationen und Reiseteilnehmer sowie bei der Aufenthaltsdauer gemacht werden mussten. Neben den noch während des Krieges frequentierten böhmischen Bädern wurden Kurorte in Bayern (Bad Reichenhall) und moderne Kurzentren in den Alpen wie Bad Gastein für zwei- bis dreiwöchige Aufenthalte ausgewählt, während die Reisen der Senioren nach Abbazia oder an die französische Riviera und vor allem die zwei- bis dreimonatigen Reisen des passionierten Reisenden der Familie Franz Harrach nach Italien und Afrika an die Exklusivität der kaiserlichen Ära erinnerten. Der elitäre Charakter des Lebensstils der Harrach manifestierte sich über ihre Reisen und Wohnverhältnisse hinaus in mehreren Details ihres Alltags in den Landschlössern und Stadtpalais. Ihre adelige, exklusive Lebensführung erreichte zwar vor 1914 ihren Höhepunkt, wurde aber trotz Einbußen und Einschränkungen bis in die Zwischenkriegszeit fortgeführt. Sie setzte vor allem viel Freizeit, viel Raum im eigenen Heim und einen privilegierten Zugang zur Natur, entsprechende Geldmittel sowie die Bedienung durch ein vielköpfiges Dienstpersonal und das Aufsichts- und Lehrpersonal für die Kinder voraus. Neben dem im Adel aus älteren Zeiten verbreiteten Klavierspiel, Briefeschreiben, Dilettieren, Lesen, vor allem aber der Jagd und dem Reiten übernahmen die Harrach im angehenden 20. Jahrhundert das um 1900 unter den adeligen und großbürgerlichen Kreisen Europas immer beliebter werdende Autofahren, Tennisspielen und die Kinematografie, und zwar mit eigenen Autos, auf eigenen Tennisplätzen und in privaten Kinovorstellungen – Privilegien, die sie bis zum Zweiten Weltkrieg genossen. Der Winter- und Frühlingsaufenthalt (Dezember/Januar bis April/Mai) in ihrem Wiener Palais auf der Freyung in Verbindung mit der Wiennähe ihres Schloss Prugg (Herbst- und zum Teil Wintersitz) erlaubte es den Harrach, bis 1914 als Hauptpersonen an einer intensiven, vielfältigen und äußerst geselligen „Saison“ in der Residenzstadt mit der exklusivsten und streng abgeschotteten Hofgesellschaft Kontinentaleuropas teilzunehmen. Ihr Alltag in Wien war von einer ununterbrochenen Folge von Teegesellschaften, Gabelfrühstücken, Diners und Soireen, Konzerten, Theater- und Operbesuchen, Kindertänzen und Bällen bestimmt. Die Harrach vergnügten sich in der Wiener Saison dabei nicht nur als Gäste, etwa auf dem Hofball, dem gesellschaftlichen Ereignis in Österreich-Ungarn schlechthin, sondern waren vor allem als exzellente Gastgeber bekannt. Sie organisierten große Bälle in ihrem prächtigen Wiener Palais, zu denen Hunderte von Gästen geladen wurden. Angehörige der Familie, vor

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allem die geborenen Gräfinnen Harrach wie Gabriele Marenzi und Maria Theresia Wisniewski, genossen die Saison auch in Provinzzentren der Monarchie wie Olmütz und Lemberg, wo die adelige Geselligkeit gut gepflegt wurde. Zusammenkünfte des Adels mit den Harrach als Gästen oder Gastgebern gab es auch noch während des Ersten Weltkriegs, wegen der Trauer in vielen Familien um im Krieg gefallene Söhne und Männer, der Sorge in anderen um Verwundete oder der Not der letzten zwei Kriegsjahre mangelte es aber deutlich an repräsentativen Festen wie Soireen und Bällen. Obwohl die adelige Gesellschaft Wiens und ihre von Festlichkeiten geprägte Saison nach dem Zerfall der Monarchie, der Abschaffung der Titel und der Entthronung der Habsburger nie mehr dieselben waren, führte der weiterhin bestehende Bedarf an einem Zusammentreffen des Adels, insbesondere der Jugend, die zur Reproduktion der Sozialformation bestimmt war, zum allmählichen Wiederaufleben der adeligen Geselligkeit in der Nachkriegszeit, vor allem auf den Landschlössern. Die Harrach waren als Gastgeber und Gäste ebenfalls mit von der Partie, wie Angaben über Bälle für die Jugend oder (silberne) Hochzeiten aus den frühen 1920er-Jahren in verschiedenen Schlössern Böhmens offenbaren. Es war aber eindeutig die Jagd, diese typische und älteste Adelsaktivität und Geselligkeitsform, bei der sich die Harrach als Jäger, in erster Linie aber als Jagdgeber bzw. Jagdherren auszeichneten, die eine ununterbrochene und starke Kontinuität bis in die frühen 1940er-Jahre aufwies. Die Exklusivität in den vorgenannten Geselligkeitsformen und Zerstreuungsarten der Grafen Harrach über die ganze untersuchte Zeitspanne hinweg kam in der Geschlossenheit des Familien‑, Verwandten- und Freundeskreises von etwa fünfzig Familien der österreichisch-ungarischen Aristokratie zum Ausdruck. Für sie waren Begriffe wie „Welt“ und „Gesellschaft“ unerachtet ihrer umfassenden Bedeutung mit einem deutlich eingeschränkten, rein auf den Adel bezogenen Inhalt belegt. Mit Ausnahme einiger Ärzte, Offiziere, Statthalter und Bürgermeister, die durch ihr Amt und ihren Beruf auf lokaler Ebene enge Kontakte zu den Harrach pflegten und gelegentlich an Jagden in den böhmischen und niederösterreichischen Revieren der Familie teilnahmen, blieben die Harrach wie die meisten ihrer Standesgenossen aus dem Geburtsadel gegenüber dem Bürgertum und dem Dienstadel, mehr sogar noch gegenüber den Volksschichten weitgehend abgeschottet. Diese soziale Absonderung wurde unter anderem von einer streng und konsequent eingehaltenen Endogamie seitens der Harrach wie überhaupt der meisten hochadeligen Geschlechter begünstigt. Sie führte jedoch nicht zu sozialer Indifferenz, wie die rege Wohltätigkeit der Familie, freilich mit einem Rückgang der Spenden nach 1918, bis in die Zwischenkriegszeit erkennen lässt. Als eines der prominenten Geschlechter des böhmischen Adels unterstützten oder initiierten die Harrach bereits in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Böhmen

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zahlreiche Einrichtungen und gemeinnützige Aktionen. Insbesondere Johann Nepomuk (1828−1909), der sich große Verdienste um die Gründung tschechischer Schulen in Wien, um die Errichtung eines Landesmuseums und die Förderung von landwirtschaftlichen Vereinen in Böhmen erwarb, hatte in verschiedenen auf Böhmen bezogene Institutionen, Gesellschaften und Vereinen führende Ämter inne. Wenngleich in geringerem Ausmaß, förderten die Harrach auch Vereine und Aktionen in ihren österreichischen Besitzungen, genauer in Bruck a. d. Leitha (Rohrau und Prugg) und in Wien selbst. Diese Solidarität mag von eigenen Interessen motiviert gewesen sein, da der überwiegende Teil des Harrach’schen Vermögens in Böhmen lag. Dennoch war das Engagement für Tschechen wie Deutsche von − im Hinblick auf ihre Muttersprache und Kultur − deutschen Adeligen wie Johann Nepomuk und seinem Sohn Otto für die friedliche Koexistenz beider Nationen und für die Beseitigung nationalistischer Gegensätze wegweisend. Die Hilfsbereitschaft der Familie wurde während des Ersten Weltkriegs auf die Probe gestellt. Der Familienvorstand unterstützte wiederholt verschiedene Fonds und Kriegsfürsorgeeinrichtungen und betrieb aus eigenen Mitteln die Errichtung eines Rekonvaleszentenheims auf seinem Schloss Prugg (Bruck a. d. Leitha, NÖ). Die Solidarität bestand oft nicht nur in finanziellen Zuwendungen, sondern auch in Nahrungsmitteln, während darüber hinaus eine bemerkenswerte karitative Betätigung der Frauen der Familie dokumentiert ist. Die Fortsetzung der Harrach’schen Wohltätigkeit in der Zwischenkriegszeit gewinnt in Anbetracht der adelsfeindlichen Zustände der ersten Nachkriegsjahre in Österreich und noch mehr in der Tschechoslowakei an Bedeutung. Der Einsatz für andere und das Bewusstsein, Pflichten und Verpflichtungen gegenüber den Ärmsten und Notleidenden zu haben, scheint noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts fester Bestandteil adeliger Gesinnung bei den Harrach wie auch bei anderen Adeligen in Zentraleuropa, in Deutschland und Frankreich gewesen zu sein. Das wohltätige Engagement ging mit einer starken Frömmigkeit und einer an eine lange Tradition anknüpfenden Verflechtung der Harrach mit der katholischen Kirche einher. Sie besaßen wie andere Großgrundbesitzer auch in Böhmen, Ungarn und Niederösterreich eine Reihe von Patronatsrechten für Dorf- und Stadtkirchen. Noch 1940 standen allein in Böhmen 14 Kirchen und eine Kapelle unter ihrem Patronat. Über den regelmäßig von (oft in der Schlosskapelle verrichteten) Messen, Gebeten und Andachten geprägten Alltag der Frauen und Männer der Familie hinaus, die unabhängig vom sozialen Rang für jeden Katholiken selbstverständlich waren, verweisen die Kontakte mit Bischöfen, Kardinälen, ja sogar mit dem Heiligen Stuhl sowie die privilegierte Teilnahme an Prozessionen auf ein hohes Niveau der Zusammenwirkung von Klerus, hoffähigem Adel und Kaiser hin. Die Entthronung der Habsburger

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Ende 1918 setzten den religiösen Hoffeierlichkeiten und der adeligen Teilnahme an ihnen jedoch ein definitives Ende. Die Treue zum katholischen Glauben – eine bei den Harrach unverkennbare Kontinuität – war mit ihrem Bekenntnis zum katholischen Konservatismus und zum politischen Katholizismus durchaus kompatibel. Die Harrach, die von einem tief in der Vergangenheit verankerten kaiserlichen Patriotismus gekennzeichnet waren und als Mitglieder der Hofgesellschaft die Würden des k. u. k. Kämmerers und eines Wirklichen Geheimen Rates erhielten, gehörten der Fraktion der klerikal-föderalistischen Rechten bzw. den Feudalkonservativen an, die Anhänger des „böhmischen Staatsrechts“ waren. Im Unterschied zu ihren Vorfahren im 16., 17. und 18. Jahrhundert, die im Dienst der Habsburger zu führenden Staatsmännern und Diplomaten aufgestiegen waren, hatten die Harrach von 1848 bis 1918 keine Spitzenposten mehr inne. Dennoch nutzten sie ihren Erbsitz im Herrenhaus des österreichischen Reichsrates, ihre unter privilegierten Bedingungen als Fideikommissinhaber erfolgte Vertretung im böhmischen Landtag sowie ihre soziale Stellung und ihre Netzwerke, um sich politisch zu betätigen. Johann Nepomuk, ein führender Reformkonservativer im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts, setzte sich konsequent und jahrelang für eine Föderalisierung der böhmischen Länder und ein friedliches Zusammenleben der Deutschen mit den Tschechen als Voraussetzung für die Aufrechterhaltung der Monarchie ein. Sein Sohn Otto wirkte von 1917 bis 1920 im Bereich der katholisch-konservativen Presse als Mitgründer einer Verlagsgesellschaft und Initiator für die Herausgabe von Periodika, um ein neues Sprachrohr für den von Sozialismus und Kapitalismus gefährdeten katholischen Konservatismus zu schaffen und das Weiterleben der Habsburgermonarchie als ein christliches Vielvölkerreich zu unterstützen“. Die politischen Projekte der Harrach und ihrer (nicht gerade zahlreichen) Gesinnungsgenossen aus den Reihen des Hochadels fanden jedoch in jenen für den Adel ungünstigen Zeiten zwischen den beiden Weltkriegen keine Fortsetzung. Sie fielen dem aufgehetzten tschechischen und deutschen Nationalismus, dem Zerfall Österreich-Ungarns sowie der Durchsetzung der Demokratie und der Massenparteien in Österreich und der ČSR zum Opfer. Insofern überrascht es nicht, dass die Harrach in der Zwischenkriegszeit politische Zurückhaltung übten. Die mehr oder minder exklusiven Lebensformen und Wohnverhältnisse, das repräsentative Auftreten bei Hoffeierlichkeiten, die Wohltätigkeit, das Kirchenpatronat und die politische Repräsentation der Harrach hatten eine materielle Basis und ausreichenden Großgrundbesitz zur Voraussetzung. Die Harrach zählten im angehenden 20. Jahrhundert sowohl in Niederösterreich (5023 Hektar) als auch in Böhmen (24.432 Hektar) und Mähren (15.491 Hektar) zu den größten Grundbesitzern bzw.

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zu den nach der Grundentlastung von 1848 und den dazugehörigen Entschädigungen in große Agrarkapitalisten transformierten Grundherren und Gutsbesitzern. Franz Ernst und sein Sohn Johann Nepomuk vertraten sogar als Pioniere den unternehmensfreundlichen Zeitgeist jener Epoche; der Erstgenannte war 1848 zum Generaldirektor des Vereins zur Ermunterung des Gewerbegeistes in Böhmen ernannt worden, Letzterer nahm in den 1880er- und 1890er-Jahren Spitzenfunktionen in Landwirtschafts- und Industrievereinen sowie in Bankinstituten Böhmens ein. Der überwiegende Teil (fast 83,5 Prozent) der Harrach’schen Besitzungen in Böhmen und Niederösterreich, d. h. jener Besitzungen, die vom Oberhaupt der Familie verwaltet wurden, war von der Fideikommissinstitution geschützt, die sich für den jahrhundertelangen Besitzerhalt der Harrach ebenso wie bei anderen Adeligen als zentral und wichtig erwies. Daher blieb die Familie auch nach der gesetzlichen Abschaffung der Fideikommisse in der Tschechoslowakei (1924) und im nationalsozialistischen Österreich (1938) den Prinzipien des unveräußerlichen, nur als Ganzes vererblichen Vermögens treu. Das Gros (ca. 90 Prozent) des Harrach’schen Grundbesitzes wurde bis 1918 sowohl in Niederösterreich als auch in Böhmen in Eigenregie bewirtschaftet. Die Harrach nutzten ihre riesigen Waldbestände in Böhmen und Mähren, vor allem jene von Starkenbach im Riesengebirge, um ab Anfang der 1880er-Jahre, d. h. einer Zeit, in der Holz den wichtigsten Ausfuhrartikel der Monarchie darstellte, eine export- und marktorientierte Forstwirtschaft zu entwickeln, die schon in einem beachtlichen Maße industrialisiert war. Sadowa, fast zur Hälfte aus Acker bestehend, bildete bis 1918 die böhmische Herrschaft mit der stärksten, auf den Markt orientierten Landwirtschaft mit einer Rohzuckerfabrik, zwei Bierbrauereien, Spiritus- und Branntweinbrennereien, einer Käserei und zwei Wasser-Mahlmühlen, während die bedeutendste Harrach’sche industrielle Unternehmung die im In- und Ausland für ihre Qualität berühmte Glashütte in Neuwelt (Nový Svět) war. Die Einführung moderner Technologien und der verstärkte Einsatz von Maschinen in den Betrieben der Harrach – eine Entwicklung, die ebenso bei anderen adeligen Großgrundbesitzern in Böhmen zu beobachten war – kennzeichnete auch ihren landwirtschaftlichen Betrieb in Niederösterreich und im anliegenden ungarischen Grenzgebiet. Der Großgrundbesitz diente als Hauptquelle und Rückhalt des großen Vermögens der Harrach, das ihnen ein hohes Einkommen und ein standesgemäßes Leben sicherte. Sie hatten Einkünfte aus Land- und Forstwirtschaft, verfügten über Grundund Gebäudebesitz, Erwerbsunternehmungen, Kapitalanlagen, Geld, Edelmetalle und Juwelen. Dies brachte ihnen zwar Einnahmen und Reichtum, war aber zugleich mit regulären, einmaligen sowie außerordentlichen Steuern und Abgaben belastet. Die Harrach waren von der Kriegsinflation und sonstigen auf den Krieg zurückzu-

Nachwort

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führenden Widrigkeiten betroffen und hatten Schulden auf ihrem Allod bei Banken, ihre Lage war aber selbst in den dramatischen Nachkriegsmonaten recht stabil und ihre Liquidität zufriedenstellend. Im Gegensatz zu anderen Adeligen oder großbürgerlichen Familien Niederösterreichs waren sie nicht gezwungen, wegen Vermögensverlusten während des Weltkriegs oder der Inflation ihren Grund und Boden zu verkaufen. Das steuerpflichtige Einkommen Otto Harrachs, das für 1920 auf 6.299.809 Kronen beziffert wurde, macht den Wohlstand des Familienoberhaupts deutlich. Das Ende des Ersten Weltkriegs brachte für die Harrach’sche Wirtschaft insofern eine Zäsur, als es zur Gründung der Tschechoslowakischen Republik führte. Die bis 1926 zur Gänze umgesetzten Bodenreformgesetze bedeuteten für die Harrach die Enteignung von 12.198 Hektar, d. h. 56 Prozent ihres böhmischen Besitzes (prozentual immer noch weniger als bei anderen hochadeligen Familien Böhmens wie den Schwarzenberg, den Windisch-Graetz und den Czernin), gegen eine geringe Entschädigung. Die Bodenverluste und die Umverteilung des Landes in den 1920er-Jahren führten zu einem beträchtlichen Rückgang, ja sogar zu einer Marginalisierung der Landwirtschaft und der Viehzucht innerhalb der Harrach’schen Wirtschaft in Böhmen. Doch die Reduzierung wirkte sich nicht nur negativ auf die Bewirtschaftung der Harrach in der ČSR aus. Die Grundenteignungen infolge der Bodenreform dürften im Zusammenhang mit der Fideikommissaufhebung (1924) günstige Voraussetzungen für die Sanierung, Konsolidierung und Liquiditätssicherung ihrer böhmischen Wirtschaft geschaffen haben; dies war unter anderem der Auflösung der Zuckerfabrik und dem Verkauf der verschuldeten Brauhäuser und Wirtshäuser geschuldet. Mit einem Holzabtrieb von insgesamt 33.256 Kubikmeter (21.043 allein von Starkenbach) und fünf Holzindustriebetrieben im Jahr 1932 scheint die Holzwirtschaft mit Erzeugnissen wie Bau‑, Nutz- und Brennholz, Pappe, Schnittmaterial, Kisten, Schindeln, Lohrinde, Holzwolle sowie Holzstoffen neben der Glasfabrik bis zum Zweiten Weltkrieg in Böhmen floriert zu haben. Dort waren noch Mitte der 1930er-Jahre 114 Beamte und Angestellte – 1910 waren es 177 gewesen – in der Ökonomie, der Forstwirtschaft und der Industrie der Harrach tätig. Was sich im niederösterreichischen Besitz gleich nach 1918 komplett änderte, war die Art der Bewirtschaftung, da nahezu hundert Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche gegen zufriedenstellende Erträge an A. Goldman & Co. in Bruckneudorf verpachtet wurden. Die Ablöse für die Rückgewinnung der Domäne nach deren Arisierung während der Nazizeit, Kriegsschäden sowie die schlecht geführte Eigenregie durch ungeeignete Angestellte in den 1950er-Jahren führten zu einer hoher Verschuldung und Schrumpfung des Besitzes. Nach einer Sanierung durch Ernst Leonhard Harrach um 1970 wurde die Herrschaft Prugg in eine moderne Landwirtschaft mit Saatzuchtbetrieb umgewandelt.

318

Nachwort

Die wichtigste Zäsur für die Grafen Harrach – wie für die meisten altösterreichischen Adeligen und ihren Grundbesitz – liegt eindeutig am Ende des Zweiten Weltkriegs. Der Adel in der Tschechoslowakei, in Ungarn und Polen war nun von Vertreibung und/oder Besitzkonfiszierung betroffen. Neben dem Großgrundbesitz galt für die Harrach die Familie als zentrale Institution, starkes Bindeglied und Identitätspunkt, der zur Selbstbehauptung und Erhaltung des sozialen und symbolischen Kapitals der Familienangehörigen beitrug. Der Großgrundbesitz, gestärkt durch das Fideikommissprinzip, war primär ein Familienbesitz, den das jeweilige Familienoberhaupt im Namen seiner Familie verwaltete und aus dem die Agnaten und die verheirateten Frauen in Form von Apanagen und Heiratsgütern Geldsummen bezogen. Dies galt in unserem Fall für Ottos Bruder Karl und Stiefbruder Ernst sowie für seine vier verheirateten Schwestern: Anna, Gabriele, Maria Theresia und Margarethe. Der Harrach’sche Erbsitz im Herrenhaus des österreichischen Reichsrates war für das jeweilige Oberhaupt der Familie reserviert, während die Landschlösser und Stadtpalais als Familienschlösser und -palais betrachtet wurden. Der Wert der Familie scheint für die Harrach auch in Zeiten der Bedrohungen und Verluste, wie es die beiden Weltkriege sowie die Jahrzehnte nach 1918 waren, erhalten geblieben zu sein und sogar in vielen Fällen zugenommen zu haben. Die Familie war im Falle von Ernst Harrach sowie den geborenen Gräfinnen Harrach Gabriele Marenzi, Maria Theresia Wisniewski und Margarethe Windisch-Graetz ein Garant gegen finanzielle Schwierigkeiten und Verarmung, gegen soziale Deklassierung und generell gegen nicht standesgemäße Verhältnisse. Gastfreundschaft gewann vermutlich für den Zusammenhalt der Familie gerade dann stärker an Bedeutung, wenn Verwandte auf familiäre Unterstützung angewiesen waren und sie als ein Ausdruck der Familiensolidarität betrachtet wurde, wie es im Ersten Weltkrieg für die aus dem russisch besetzten Lemberg und Krystynopol geflüchtete Maria Theresia der Fall war. Die Studie zeigte vor allem am Beispiel von Otto Harrach, wie zentral und unabdingbar die Rolle eines fähigen, zuverlässigen, strengen und zugleich hilfsbereiten Familienoberhaupts für die finanzielle Stabilität und den Zusammenhalt der Familie war – eines Familienvorstands, der „die Geschicke der ganzen Familie lenkte“ und eine Fülle von Kompetenzen und Rechte besaß. Diese Zusammenfassung der Ergebnisse der Untersuchung gibt uns zwar einen allgemeinen Überblick über das vielfältige Leben dreier Generationen der Harrach, bedarf aber ergänzender Differenzierungen, die, ohne die grundlegenden Aussagen infrage zu stellen, das Bild eines in jeder Hinsicht homogenen hochadeligen Hauses etwas relativieren und damit methodologisch einen breit gefächerten Zugang zum modernen Adel ermöglichen. Zieht man die familien‑, sozial‑, kultur- und wirt-

Nachwort

319

schaftshistorisch analysierbaren Kategorien des Alters bzw. der Stellung innerhalb der Familie, des Geschlechts und des Erwerbs in Betracht, ergeben sich präzisere Rückschlüsse darüber, wie das Individuum bzw. das Familienmitglied unter historisch wandelbaren Gegebenheiten in den Familienverband eingebettet wurde oder werden konnte. Der Adelstitel Graf und Gräfin wurde von allen Familienmitgliedern getragen, und die Kindheit und Jugend der Geschwister war trotz der geschlechtsspezifischen Ausbildung und der unterschiedlichen Rollen von gemeinsamen Lebensverhältnissen und Erfahrungen geprägt. Dennoch gab es vor allem im Mannes- und Rentenalter sowie bei den Frauen nach ihrer Vermählung – wie etwa bei Johanns Töchtern Anna, Gabriele, Maria Theresia und Margarethe, allesamt Gräfinnen Harrach, ab den 1890er-Jahren –feine oder auch größere Unterschiede. Johann Nepomuk (Jan), Otto und Johann (Hans), die das Haus von 1884 bis 1945 aufeinanderfolgend regierten, waren als Universalerben und Hauptnutznießer des Familienvermögens wesentlich reicher als ihre Agnaten und weiblichen Angehörigen, die überwiegend auf Apanagen, Heiratsgüter oder Zinssätze aus festen, meist an Güter gebundenen Kapitalanlagen angewiesen waren. Eine solche Vermögens- und Einkommensschere betraf jedoch nicht Johann Nepomuks Bruder Alfred und dessen Sohn Franz Harrach, die als Großgrundbesitzer selbst sehr wohlhabend waren und deren Lebensweise sich von jener des Oberhaupts der Harrach kaum unterschied. Mit Ausnahme der Schlösser Aschach a. d. Donau (OÖ) und Janowitz (Mähren), die Alfred und Franz Harrach gehörten, wurden alle anderen Harrach’schen Schlösser (Prugg, Rohrau, Hradek, Strkow und Starkenbach) und Palais (in Wien und bis 1919 in Prag) von den Familienvorständen geerbt und in erster Linie von ihnen bzw. ihren Kernfamilien im Rahmen des jährlichen Wohnungswechsels bewohnt. Die nicht erbenden Söhne Johanns – Ernst und Karl – sowie seine vier Töchter nach ihrer Heirat waren von den Familienschlössern, wo sie aufgewachsen waren, zwar nicht ausgeschlossen, wurden aber in bestimmten Zimmern des von dem Familienchef gewählten bzw. von ihnen ausgesuchten Schlosses eher als Gäste – wenn nötig und mit Erlaubnis des Hausherrn auch über Monate oder Jahre hinweg – aufgenommen. Dies galt z. B. für Ernst Harrachs Familie und für Margarethe, vermählte Windisch-Graetz, mit ihren Kindern, die im Schloss Rohrau – das das Familienoberhaupt selbst nur selten bewohnte – über einen längeren Zeitraum in der Zwischenkriegszeit beherbergt wurden. Obwohl alle Familienmitglieder bis 1914 in Kurbäder fuhren, waren es fast ausschließlich die Familienoberhäupter bzw. Fideikommissbesitzer oder sehr begüterte Söhne und ihre Familien aus dem Hause Harrach wie auch aus anderen hochadeligen Familien, die regelmäßig und für längere Zeit in namhafte Bäder und Kurorte

320

Nachwort

im In- und Ausland fuhren oder exklusive Destinationen der damaligen Zeit wie Paris, Rom, London und Ägypten besuchten. Bei den Harrach traf dies auf Johann Nepomuk, Otto, Alfred, Franz und teilweise auf Ottos Stiefbruder Ernst zu. Mit Ausnahme des Letzteren konnten sich die anderen als prominente Jagdherren in ihren von großen Jagdrevieren umgebenen Schlössern oder als Gastgeber in Wien, vor allem im Familienpalais auf der Freyung oder in Alfreds großräumiger Wohnung im vierten Bezirk, profilieren. Es waren sie, die voll und ununterbrochen an der Wiener Saison teilnahmen und sie mit den von ihnen gegebenen Bällen, Soireen und Diners mitgestalteten. Die Familienangehörigen und Verwandten, die über die Saison in anderen Städten oder auf dem Land lebten, waren von großen Ereignissen der Saison weitgehend abgeschnitten oder konnten sich nur selten, etwa während eines Besuchs in der Hauptstadt, an ihnen beteiligen. Diese familieninternen Unterschiede bedeuten nicht, dass diejenigen Harrach, die nicht die engere Familie des Oberhaupts bildeten, Außenseiter gewesen wären. Obgleich sie nicht so vermögend waren, lebten sie standesgemäß und verzichteten nicht auf adelige Lebensformen. Was die Frauen bzw. die geborenen Gräfinnen Harrach betrifft, sicherte ihnen die Endogamie je nach Beruf, Stellung und Verhalten des jeweiligen Ehemanns ein mehr oder minder standesgemäßes Leben in der Ehe. Maria Theresia, vermählte Gräfin Wisniewski, führte als Ehefrau eines polnischen Familienchefs zwischen Lemberg und den zwei galizischen Schlössern der Familie Wisniewski, wenn auch an der Ostgrenze der Monarchie, ein ziemlich exklusives Leben. Anna, vermählte Freifrau Henn von Henneberg, genoss als Ehefrau eines mittleren Grundbesitzers in Südböhmen im Schloss Hradek (Schüttenhofen) ein standesgemäßes und wohlhabendes, wenngleich im Ersten Weltkrieg und danach etwas bescheidenes Landleben, das bis 1914 durch Kuraufenthalte und Reisen im Deutschen Reich und im Süden der Monarchie sowie durch Aufenthalte in Prag bereichert wurde. Gabriele, vermählte Gräfin Marenzi, war Ehefrau eines adeligen, doch besitzlosen k. u. k. Kavallerieoffiziers, was für sie ein von den Berufsverhältnissen bestimmtes Leben bedeutete, das schöne gemietete Wohnungen und Villen in verschiedenen Kronländern und in Ungarn (und eine eigene in Wels/Oberösterreich), zahlreiche Dienstreisen im Inland, ein repräsentatives Auftreten in Offizierscasinos usw. und natürlich den traumatischen Übergang in einen von der bitteren Niederlage und Auflösung der k. u. k. Armee erzwungenen und demütigenden Ruhestand Ende 1918 umfasste. Margarethe, vermählte Prinzessin Windisch-Graetz, hatte das „Pech“, die Frau eines von ihr innig geliebten, doch tief verschuldeten, vor dem Ersten Weltkrieg von seiner Familie wegen seiner katastrophalen Finanzlage aus Österreich-Ungarn ausgewiesenen Prinzen zu sein und deswegen über Jahre hinweg mit ihren sieben Kindern ein unsicheres, bewegtes, oft armes und immer von den Harrach’schen regelmäßigen

Nachwort

321

sowie außerordentlichen Geldsendungen und sonstigen Gaben abhängiges Leben zu führen, das aber standesgemäß die Unterstützung durch Gouvernanten, mindestens ein Hausmädchen oder anderes Dienstpersonal sowie drei bis vier Zimmerwohnungen einschloss. Der Erste Weltkrieg bildete für die Harrach’schen Agnaten sowie die geborenen Gräfinnen Harrach, die auf fixe Einzahlungen angewiesen waren, insofern eine tiefe Zäsur, als ihre festgesetzten Einkünfte von der Kriegs- und Nachkriegsinflation (1917–1922) deutlich entwertet wurden, was ihre Finanzlage beträchtlich verschlechterte. Die ausgesprochen engen Lebensumstände von Ottos Geschwistern und deren Kindern bis in den Zweiten Weltkrieg hinein ähnelten eher kleinbürgerlichen Verhältnissen. Der Abstand zum Familienoberhaupt wurde noch größer, und es dürften nur Familienfeste und sonstige seltener abgehaltene adelige Zusammenkünfte gewesen sein, die ihre Zugehörigkeit zum historischen Adel sowie ihr Selbstbild bestätigten und sie an ältere bessere Zeiten erinnerten. Auch Alter und Geschlecht dürften zu unterschiedlichen Erfahrungen und feinen Differenzierungen innerhalb der gräflichen Familie geführt haben. War die Lage in der Kindheit noch ziemlich egalitär, da alle Kinder der jeweiligen Kernfamilie des Familienoberhaupts trotz der geschlechtsspezifischen Ausbildung gemeinsam aufgewachsen waren, wichen in der Jugend oder im reifen Alter die Lebenswege und ‑verhältnisse zunehmend voneinander ab. Darüber hinaus zeigt uns der Fall Ottos, der mit 46 Jahre die Führung übernahm, wie ein Erbanwärter als junger oder reifer Mann unter Umständen jahrelang im Schatten und unter den Instruktionen und Befehlen seines Vaters wie ein Agnat leben musste. Das Schicksal der adeligen Frauen des 19. und frühen 20. Jahrhunderts teilten auch die Gräfinnen Harrach, geboren oder vermählt. Von der Wirtschaft und Politik ausgeschlossen, waren sie im sozialen und Familienleben etwas gleichberechtigter als die Bürgerinnen und hatten im intensiven geselligen Leben ihres Standes eine leitende Rolle, besonders als Gastgeberinnen, inne. Auch den sozialen Pflichten der Aristokratinnen wurde ein äußerst hoher Wert beigemessen. Wie der Titel dieses Buches zeigt, ging es in der Studie zwar hauptsächlich um die Harrach, aber nicht ausschließlich. Im Mittelpunkt steht ihre Welt, die aber auch jene ihrer Standesgenossen ist – sei es in Form eines eng definierten Kreises, sei es in Form der gesamten sie umgebenden Gesellschaft in ihren Herrschaften und Schlössern, in Wien und anderen Städten, in der Monarchie und in den Nachfolgestaaten Österreich und der Tschechoslowakei. In dieser Welt der adeligen Familie zeigen sich auf mehreren Ebenen Konvergenzen und parallele Abläufe, vor allem was den Lebensstil, die Wertvorstellungen, das Heiratsverhalten, die Religiosität und die Wohltätigkeit betrifft. Unterschiede sind eher im Bereich der Politik festzustellen.

322

Nachwort

Die Beziehungen zu der übrigen Gesellschaft und die Fremdwahrnehmung des Adels konnte im Rahmen der vorliegenden Studie hingegen nicht ausführlich untersucht werden; sie sind ein Thema für die künftige Forschung. Folgendes lässt sich an dieser Stelle jedoch durchaus behaupten: Das Prestige und der Ruf der Adeligen war zu einem guten Teil darauf zurückzuführen, dass die anderen daran glaubten, dass sie dieses Prestige wahrnahmen und anerkannten. Insofern war es für die offiziell titellosen Harrach nach dem Ersten Weltkrieg sowohl in Österreich als auch in der Tschechoslowakei, wo keine ständische Ordnung mehr existierte, nicht unerheblich, von einfachen Leuten – oft ehemaligen Landarbeitern und Bediensteten – als „Graf“ oder „Gräfin“ angesprochen zu werden – eine Art Anerkennung ihrer einstigen abgehobenen sozialen Stellung.

Anhang

Herrschaft Jilemnice Hauptbuch für Sachkonten für das Jahr 1910–1911 (Juli 1910 bis Juni 1911)

Hb.

Sachkonto

Soll

Haben

Kronen

Kronen

1

Eröffnungsbilanzkonto

5.618.975,58

5.618.975,58

2.

Kapitalkonto

6.021.950,75

6.021.950,75

3.

Kassenkonto

310.918,95

310.918,95

4.

Konto der Gutsverwaltung

20.767,32

20.767,32

5.

Grundstücke

6.

Gebäude

31.728,63

31.728,63

7.

Inventar

3.079,48

3.079,48

8.

Diverses

24.014,03

24.014,03

13.

Konto der Revisionskanzlei

7.713,43

7.713,43

14.

„ des Schlosses, des Lustschlosses und der Gruft Grundstücke 3.332

3.332

15.

Gebäude

57.075,04

57.075,04

16.

Inventar

13.917,31

13.917,31

17.

Diverses

21.217,54

21.217,54

21.

Konto des Krankenhauses, der Stiftung und des Patronats Grundstücke 184

184

22.

Gebäude

10.356,72

10.356,72

23.

Inventar

242.16

242.16

24.

Diverses

14.493,57

14.493,57

27.

Wirtschaftskonto (Jilemnice u. Ja- 81.084,14 vorek) Grundstücke 100.708,64

28.

81.084,14 100.708,64

324

Anhang

29.

Gebäude

58.650,65

58.650,65

30.

Inventar

22.483,13

22.483,13

32.

Feldfrüchte und Vorräte

34.517,43

34.517,43

36.

Nutzrinder

22.424,17

22.424,17

39.

Jungrinder

15.760,40

15.760,40

42.

Lohn

14.388,56

14.388,56

45.

Lohn des Gesindes

4.620

4.620

46.

Verwaltungskosten

3.336,69

3.336,69

47.

Meliorationen

949,52

949,52

48.

Futter

16.759,50

16.759s,50

50.

Steuern und Abgaben

2.743,80

2.743,80

51.

Gebäudeinstandhaltung

997,54

997,54

52.

Inventarinstandhaltung

3.163,93

3.163,93

54.

Gespanne

5.281,50

5.281,50

56.

Versicherungsbeiträge

685,48

685,48

57.

Diverses

4.283,76

4.283,76

61

Pachtkonto

24.692,34

24.692,34

62

Grundstücke

249.387,42

249.387,42

63

Gebäude

811.171,68

811.171,68

64

Inventar

17.683,35

17.683,35

65

Grundstücks- und Gebäudezins

18.116,38

18.116,38

66

Steuern und Abgaben

9.810,71

9.810,71

67

Gasthaus in Arnoštov

1.183,85

1.183,85

68



in Hrabačov

645,60

645,60

69



in Hradsko

981,22

981,22

70



in Jilemnice

2.861,72

2.861,72

71.

Hôtel „Krakonoš“ in Nový Svět

4.114,92

4.114,92

72.

2.865,10

2.865,10

73.

Villa „Harrach“ „ „ Gasthaus in Vítkovice

728,23

728,23

74.

Restaurant in Kozinec

244,92

244,92



75.

Geschäft Nr. 67 in Roztoky

1.024,80

1.024,80

76.



660,29

660,29

77.

Diverses

7.371,54

7.371,54

Nr. 83a in H. Roketnice

325

Anhang

79.

558.166,10

80

Brauereikonto (Brauerei in Jilem- 558.166,10 nice und Roketnice und Bierlager in Branna) Grundstücke 4.295,88

81

Gebäude

358.806,93

358.806,93

82

Inventar und Maschinen

179.748,36

179.748,36

85

Erzeugnisse

441.325,54

441.325,54

89.

Rohstoffe

142.976,05

142.976,05

93

Gagen und Lohn

49.364

49.364

100

Steuern und Abgaben

82.644,51

82.644,51

103

Brennstoff

206.68,63

206.68,63

108

Geschäftskosten

20.045,79

20.045,79

112

Betriebskosten

13.535,96

13.535,96

117

Gespanne

8.615,65

8.615,65

119

Gebäudeinstandhaltung

10.732,69

10.732,69

123

20.824,68

128

Instandhaltung des Inventars und der 20.824,68 Maschinen Versicherungsbeiträge 2.478,09

129

Diverses

2.322,32

133

22.790,05

135

Verzinsung des Grundkapitals und des 22.790,05 Betriebsvermögens Mühlenkonto 10.839,57

136

Grundstücke

3.067,90

3.067,90

137

Gebäude

80.252,38

80.252,38

138

Inventar

8.622,22

8.622,22

139

Getreide und Mahlgeld

8.699,83

8.699,83

141.

Steuern und Abgaben

309,87

309,87

142

Lohn

3.682,88

3.682,88

143

Gespanne

1.061,64

1.061,64

144

Gebäudeinstandhaltung

1.867,76

1.867,76

145

1.072,16

147

Instandhaltung des Inventars und der 1.072,16 Maschinen Betriebskosten 749,73

148

Wirtschaft

510,76

510,76

149

Versicherungsbeiträge

322,30

322,30

150

Diverses

1.051,89

1.051,89

152

Verzinsung des Grundkapitals und des 1.681,61 Betriebsvermögens

1.681,61

2.322,32

4.295,88

2.478.09

10.839,57

749,73

326

Anhang

153

Konto veräußerter Fideikom- 4,80 miss-Grundstücke Konto des Forstwirtschaftsvermögens

4,80

154

Waldabteil Branná

1.158.372,87

1.158.372,87

155

Waldabteil Jilemnice

1.052.619,26

1.052.619,26

154

Waldabteil Roketnice

1.733.857,52

1.733.857,52

156

Zu hohe Aufrechnung

464,06

464,06

158

Almosenkonto

583,62

583,62

160

Zinsenkonto

2.172,36

2.172,36

161

Amortisationskonto

34.286,84

34.286,84

162

Renumerationskonto

2.847,39

2.847,39

163

Verwaltungskostenkonto

1.019,39

1.019,39

165

Konto der Barabgaben

731.802,24

731.802,24

169

Konto der Gewinn- und Verlustrech- 552.363,61 nung Konto der Abschlussbilanz 5.556.908,96

170

552.363,61 5.556.908,96

Quelle: Velkostatek Jilemnice, Hlavní Kniha pro účty věcné, in: SOAZ, Inv. č. (Inventarnr.) 1340, č. knihy (Buchnr.) 1054

327

Anhang

Rohbilanzen 1918–1919: 5–9, Rohbilanz für den Monat Dezember 1918

Hauptbuch II Domäne Starkenbach „ Sadová „ Prugg-Rohrau „ Strkov Zuckerfabrik Sadová Glasfabrik Neuwelt Glasniederlage in Wien „ „ Prag „ „ „

„ „ „

Soll

Haben 558.857,65 364.919,93

Anmerkung Abfuhr v. 1/7–31/12/1918 „

35.218,66 73.957,60

„ „ Guthaben der Hauptkassa

954,25 627.884,92 20.958,20 60.000

Moskau 37.744,47 St. Petersburg 70.019,14 Karlsbad

Bleiche Hrabačov VIII. Kriegsanleihe Bodenkreditanstalt-Konto-Separat Postsparkassa Wien Allgem. Öst. Bodenkreditanstalt Wien (Conto-Corrent) Gartenverwaltung Prugg Zivnobanka (Mühle Rohrau)

Guthaben der Hauptkassa dtto

Belehnte Kriegsanl. 1.387.923.60 23.003.46

Guthaben der Hauptkassa dtto

4.484.736,62 4.827,71 1.645,17

Dienstkautionen der Angestellten Česká průmyslová banka, Filiale 65.180 Wien Hypothekenbank des Königreiches Böhmen In Prag In Prag k. k. Depositenamt Wien

dtto Abfuhr v. 1/7–31/12/1918 dtto

dtto dtto 172.726,24

Guthaben d. Angestellten Guthaben der Hauptkassa Intabuliertes Kapital auf

2.132.471,83 371.051,02

Starkenbach und Sadová dtto auf Strkov

328 „

Anhang



Prag

Rohrauer Pekuniarfideikommiss

177.707,44

Parndorfer Pekuniarfideikommiss Herrschaft. Krankenhaus Nechanic Pfarre in Rumburg Louisenstraßengesellschaft, Wien 8.581,33

433,.20 42.000

Dr. Anton Siegert, Prag Pens. Institut der Zuckerindustrie, Prag Salutierverein, Wien Franz Suchanek, Wien

1.680

46.245 30,93 248,08 225

Pensions-Institut, vormals

250

F. Schreibers Neffen, Wien Gefällsamt, Prag

864,62

Taxamtskassa, Wien Dr. Otto Reich von Rohrwig, Wien J. Voborský, Tabor Otto Zienecker, Harrachsdorf Wr. Neueste Nachrichten, Wien Josef Schicht, Neuwelt

401,75 20 400 375 420 110

Heinrich Schütze, Petersburg Richard Palmer, Weymouth

55 3.916,67

Božena Rothaker Adolfine Tritter Anselles Bas

431,07 3.600

Josefa Wohanka, Luditz

80

Gegenwart der Depurations-Fideikommiss-Kapitalien „ Legat aus dem Jahre 1645 Intabul. Kapital auf Prugg Guthaben der Hauptkassa „ Pensionsbetrag für Gärtner Gruss Guthab. der Hauptkassa Für Rauchfangkehrer-Arbeiten Pensionsbetrag für Verwalter Hikisch Vorschreib. d. Pauschalgebühr per 1918/19 „ Guthaben der Hauptkassa Baukaution Von Sr. Erl. bewilligter Studienbeitrag Guthab. der Hauptkassa Dienstkautionsinteress. „ Fällige Pension für die Kriegsjahre Pensions-Guthaben Fällige Pension für die Kriegsjahre Pensions-Guthaben

329

Anhang

Gehalte der Bibliothek und Ar3.900,65 chiv „ „ Galerie 3.066,78 „ „ Zentralkanz- 35.942,49 lei und Hauptkassa

Gezahlte Gehalte v. 1/7– 31/12/1918 „ „

„ des Wiener Hauses Pensionen und Gnadengaben

„ Gezahlte Pensionen v. 1/7–31/12/1918

6.831,11 100.017,56

Quelle: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz-Finanzielles, 1898–1919 Rekapitulation der Aktiv-Kapitalien 1918 (v. Harrachscher Hauptkasse, Wien, 1.7.1918, gefertigt v. Wilhelm Kotyl und Otto Hrdlicka)

Benennung der Effekten

Kapital einzeln

InteressenBetrag zusammen

Rekapitulation der Aktiv-Kapitalien I. Fideikommiss-Kapitalien

4.595.228,93

108.607,47

II. Allod-Kapitalien

720.210,93

29.355,69

III. Hagelschlag-Kapitalien

452.963,82

13.220,95

IV. Diverse Kapitalien a) Privat-Kapitalien Seiner Erlaucht

1.576.039,61

52.012,54

b) Bewegliche Kapitalien der Hauptkassa Wien c) Kapitalien des Ersatz-Pensionsvertrages Summa der Gesamtkapitalien

4.125,845

67.451,18

308.274,81

6.010.159,42

6.683,61

11.778.563,10

277.331,44

Quelle: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz-Finanzielles, 1898–1919

330

Anhang

Konto-Bilanzen 1918–1919: Stand der Hauptkassa am 28. Februar 1919 Erlaucht Graf Harrachscher Hauptkassa, Wien, 24.3.1919 (gefertigt v. Wilhelm Kotyl und N. unles.) Am 28. Februar 1919 verblieb (in Kronen):

1.

19.526,78

2.

Kassabarschaft und Guthaben bei der Postsparkassa in Wien

3. 4. 5.

allgem. österr. Bodenkredit-Anstalt in Wien Böhm. Industrialbank Filiale in Wien Böhm. Industrialbank in Prag, Sparkonto

3.411.935,87 4.459,28 109.288

Gesamt Guthaben der Hauptkassa

3.568.617,15

23.407,22

Quelle: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz-Finanzielles, 1898–1919

Rohbilanz für den Monat November 1919

Hauptbuch I

Soll

Vermögens-Konto des Palais Wien

489.600



Garten Prugg-Rohrau

200.280,75



VIII. österr. Kriegs-Anleihe

1.387.923,60

Kassa-Konto

14.888,05

Fideikommiss-Kapitalien-Konto

4.858.765,93

Depurationsfideikommiss-Kapitalien

187.940,64

Allod-Kapitalien-Konto

527.552,53

Fideikommiss-Interessen-Konto Allod-Interessen-Konto

Haben

Anmerkung

90.009,23 Interessen v. 1/7–1/11/19 7,56

Effekten-Konto

269.010

Kurs- und Provisions-Konto

344,02

Zinsen-Konto

88.000,91

Ersatzzinsen Angekaufte Kriegsanleihe für das Fideikommiss Postsparkassegebühren Gezahlte Interessen an die Hypothekenbank

Quelle: AVA, FAH, Kt. 885, Wirtschaftskorrespondenz-Finanzielles, 1898–1919

Anhang

331

Trauungsschein des Brautpaares Gabriele Harrach und Gabriel Marenzi

Ausfertigung Notariatsakte, Wien 7. Mai 1893 G.Z. 43660 (Zentral Taxamt, Fritsch) Ehepakt (zwischen Johann und Gabriele Harrach u. Gabriel Marenzi) § 1. Die hochgeborenen Verlobten werden ihre aus inniger Liebe beschlossene eheliche Verbindung nach den Gebräuchen ihrer heiligen Kirche ehestens vollziehen und in der angelobten ehelichen Liebe und Treue bis an ihr Lebensende verharren. § 2. Die Erlauchtige Gräfin Braut wird eine standesgemäße Ausstattung in die Ehe bringen, worüber ein Verzeichnis angefertigt werden soll. § 3. Seine Erlaucht … Johann … verpflichtet sich und seine Erben, seiner Tochter Gabriele … ein Heiratsgut von 150.000 Gulden derart zu geben, dass dieser Betrag auf der ihm eigentümlichen Domäne Zelc sichergestellt und nach seinem Ableben … durch seine Erben ausbezahlt werden soll, bis dahin aber die fünfperzentigen Zinsen öwfl 7.500 in vierteljährigen Raten per 1875 Gulden, … wovon 6.000 für gemeinschaftliche Verwendung mit Gabriel Marenzi, jedoch 1500 zur alleinigen Verfügung seiner Tochter Gabriele Gräfin Harrach als Sperradelgeld ausbezahlt. Demgemäß bewilligt Seine Erlaucht, Herrn Johann Graf Harrach die Einverleibung des Pfandrechtes für das … Heiratsgut samt Zinsen zu Gunsten seiner Tochter auf der Herrschaft … § 4. Sollte die … Gräfin Braut sterben und diese Ehe mit Kindern nicht gesegnet sein, so fällt das vorerwähnte Kapital per 150.000 Gulden sowie der nach ihrer Mutter ererbte Diademteil an den seine Tochter überlebenden … Johann Grafen von Harrach zurück. § 5. Alles was die Braut außer den im § 4. bezeichneten Vermögensobjekten in die Ehe bringt oder aber während derselben durch Schenkung, Erbschaft oder auf irgend eine andere Weise erworben wird, verbleibt ihr unbeschränktes Eigentum. § 6. Nach dem Ehevertrag zwischen Gabriel und Gabriele wird diese im Fall seines Ablebens seine Erbin. … Quelle: AVA, FAH, Nachträge Johann Graf Harrach, Kt. 887, Ehekontrakt Gabriele Marenzi, Stadtpfarre Bruck a. d. Leitha, 14.9.1897

332

Anhang

Erbverzichtserklärung v. Gabriele Gräfin Marenzi, Wien, 6.1.1903

Ich erkläre … dass ich auf jedes mir nach meinem Vater … gesetzlich zustehende Erbrecht verzichte, … weil ich … mit allen meinen Ansprüchen auf seinen zukünftigen Nachlass einerseits durch die mir in meinem Ehepakte (Notariatsakte dto. Wien 5. Mai 1893 G.Z. 43660) von ihm zugewendeten Beträge andererseits durch die mir von ihm später gemachten weiterer Zuwendungen vollkommen befriedigt und abgefertigt worden bin. Quelle: AVA,FAH, Nachträge Johann Graf Harrach, Kt. 887, Ehekontrakt Gabriele Marenzi

Wien, 19. Oktober 1896, G.Z. 50153 (überreicht Zentral Taxamt, Ledl)

Ausfertigung Notariatsakte Heute am 18. Oktober 1896 haben die mir persönlich bekannten Parteien: der hochgeborene Herr Stanislaus Graf Wisniewski, k. u. k. wirklicher Kämmerer und Miteigentümer der Güter Krystynopol, Klusow, u. Novydvor, Bezirk Sokal in Galizien, wohnhaft in Krystynopol und die Gräfin Marie Harrach zu Rohrau, Private in Wien, I. Freiung 3, vor mir Wilhelm Reich, k. k. Notar in Wien nachfolgenden Ehepakt abzuschliessen und der Vater der gräflichen Braut … diesen Ehepakten beizutragen erklärt § 1. Die hochgeborenen Verlobten werden ihre aus inniger Liebe beschlossene eheliche Verbindung nach den Gebräuchen ihrer heiligen Kirche ehestens vollziehen und in der angelobten ehelichen Liebe und Treue bis an ihr Lebensende verharren. § 2. Die Erlauchtige Gräfin Braut wird eine standesgemäße Ausstattung in die Ehe bringen, worüber ein Verzeichnis angefertigt werden soll. § 3. Seine Erlaucht … Johann … überlässt seiner Tochter Marie … und zwar als Heiratsgut und als hiemit vereinbarte vollständige Entfertigung mit ihrem väterlichen Erbteile – ein bücherlich sicherzustellendes Kapital von 250.000 Gulden, welches nach stattgehabtem Eigentumswechsel der Domäne Zinkau und übererfolgte … halbjährige Aufkündigung, … in der Weise zu verzinsen ist, dass S. … Johann Harrach sich und seine Rechtsnachfolger hiemit verpflichtet, von dem Betrag der Jahreszinsen per 10.000 Gulden einen Teilbetrag von 8.0000 Gulden

333

Anhang

in halbjährigen Raten von 4.000 Gulden, seiner gräflichen Tochter und deren Gemahle Stanislaus zur Verwendung im gemeinschaftlichen Haushalte zu Handen des Letzteren, den Restbetrag per 2.000 Gulden zur alleinigen Verfügung seiner Tochter als Spenadelgeld ausbezahlt. Demgemäß bewilligt Seine Erlaucht, Herrn Johann Graf Harrach die Einverleibung des Pfandrechtes für das … Heiratsgut samt vierprozentigen Zinsen zu Gunsten seiner Tochter auf der Herrschaft Zinkau (Schinkau, Zinkow) … mit der Beschränkung, dass von einem Kapitalsbetrag von 250.000 Gulden der obigen Forderung dem Herrn Stanislaus … während der Dauer der ehelichen Gemeinschaft … das Zinsenbezugsrecht zusteht. § 4. Alles was die Braut in die Ehe bringt oder aber während derselben durch Schenkung, Erbschaft oder auf irgend eine andere Weise erworben wird, verbleibt ihr unbeschränktes Eigentum. Quelle: AVA, FAH, Kt. 913, Verlassenschaft nach Gf. Johann 1909–1916

Zusammenstellung des Heiratsgutes und Ausstattungsauslagen der Erlauchten 4. Comtessen

Anna

Gabriele

Margarethe

Maria Theresia

4 %

5 %

5 %

4 %

Heiratsgut der Komtessen in fl. Separatkapital

250.000

150.000

150.000

250.000

Ausstattung

19.155,47

15.115,64

17.357,38

27.583,32

Summa öwf

269.155,47

165.115,64

167.357,38

402.583,32

Weniger als Maria Theresia

133.427,85

237.467,68

236.447,57

Totale Summe öwf

402.583,32

402.583,32

402.583,32

402.583,32

Kronenwährung

805.166,64

805.166,64

805.166,64

805.166,64

125.000

Quelle: AVA, Kt. 887, Hauptkassa, 1. Juni 1900

Testament von Otto Harrach (Wien, 12. März 1935)

Im Namen Gottes des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes! Amen! Ich verfüge für den Fall meines Ablebens nach reiflicher Überlegung Folgendes: I. Vielgeliebter Sohn Johann (Hans) Harrach zu meinem Universalerben ernannt II. Meiner vielgeliebten Tochter Ernestine Aehrenthal geb. Gräfin Harrach verma-

334

Anhang

che ich als Legat abzugs- und gebührenfrei den Betrag von 3.000.000 Kč, tschechoslowakische Kronen. Diese Summe ist meiner Tochter durch meinen Universalerben (abzugs- und gebührenfrei) binnen 10 Jahren nach meinem Ableben auszuzahlen. (auf einmal oder in Teilbeträgen, auch nach den gegebenen Umständen, mit 1 Monat schriftliche Anzeigung) Mein Universalerbe hat meiner Tochter das ihr hiemit vermachte Legat vom Tage meines Ablebens angefangen in monatlichen Vorhineinraten zu verzinsen und zwar mit 4 % jährlich. III. Ich vermache meiner innigstgeliebten Gattin Karoline Harrach, geb. Prinzessin von Oettingen-Wallerstein als Legat abzugs- und gebührenfrei den Betrag von 1.000.000 Kč, tschechoslowakische Kronen, welchen Betrag ihr mein Universalerbe binnen 4 Jahren nach meinem Ableben auszuzahlen. Dieses Legat ist vom Tage meines Ablebens angefangen in monatlichen Vorhineinraten zu verzinsen und zwar mit 5 % jährlich. Weiters bestimme ich hiemit, dass meine innigstgeliebte Gattin anstelle des ihr in den notariellen Ehepakten dto. Wien 2. Jänner 1902 ausgesetzten Witwengehaltes per K. 20.000 – von meinem Universalerben eine Witwenrente von jährlich 30.000 Goldkronen abzugs- und gebührenfrei und zahlbar in monatlichen Vorhineinraten (vom Tage meines Ablebens angefangen) dergestalt erhalten soll, dass meiner Gattin monatlich derjenige Betrag in tschechoslowakischen Kronen auszuzahlen ist, der am Auszahlungstag nach der gesetzlich festgelegten Relation dem Gegenwerte von 2.500 Goldkronen entspricht. Mein Universalerbe hat meiner Gattin die Rentensteuer, welche sie für den Bezug der ihr vermachten Witwenrente zu entrichten haben wird, zu ersetzen. IV. Es ist mein Wunsch, dass mein Universalerbe meiner innigstgeliebten Gattin auf die Dauer ihres Witwenstandes eine standesgemäße Wohnung in meinem Schlosse Prugg bestehend aus 6 Zimmern mit Zubehör im I. oder II. Stock, 4 Zimmer im Parterre samt Küche, sowie unentgeltliche Beleuchtung und Beheizung dieser Wohnung bietet bzw. dass – falls das Wohnen in Prugg meiner Gattin nicht möglich oder nicht erwünscht wäre – seitens meines Universalerben meiner Gattin auf deren Wunsch anderswo auf meinen Herrschaften eine beiläufig gleichwertige Wohnung (samt unentgeltlicher Beleuchtung und Beheizung) geboten wird. Bezüglich Anschaffung eines Automobiles und eines Pferdgespanns für meine Gattin bitt ich meinen Universalerben, zu tun, was ihm möglich sein wird, ohne ihm eine rechtliche Verpflichtung aufzuerlegen. V. Ich bestimme, dass mein Universalerbe meinem geliebten Bruder Ernst Harrach, solange dieser lebt, eine Jahresrente von 100.000 Kč (S. 21.000, mit Bleistift

Anhang

335

drauf notiert) in monatlichen Vorhineinraten abzugs- und gebührenfrei ausbezahlt. Wenn es meinem Bruder Ernst Harrach unmöglich ist, mit diesem Jahresbezuge sein Auslangen zu finden, überlasse ich es meinem Universalerben, ob und wieweit er diese Rente erhöhen will, falls die Ertragsverhältnisse des meinem Universalerben zufallenden Vermögens und die übrigen, meinen Universalerben belasteten Verpflichtungen eine solche Erhöhung nach dem Gutdünken meines Sohnes angängig erscheinen lassen. Ich betone, dass ich bezüglich einer Erhöhung … keine … Verpflichtung auferlege, eine solche Erhöhung dem freien Ermessen meines Sohnes überlasse, auch bezüglich einer Weiterzahlung derselben nach dem Tod meines Bruders an dessen Sohn Ernst Leonhard. VI. Meinem Taufkinde Ernst Leonhard, Sohn meines Bruders Ernst Harrach, vermache ich abzugs- und gebührenfrei einen Betrag von 100.000 Kč und meinem Taufkinde Franz Windisch-Graetz, Sohn meines Schwagers Dr. Franz Windisch-Graetz und meiner verstorbenen Schwester Margarethe, abzugs- und gebührenfrei einen Betrag von 50.000 Kč. Diese beiden Legate hat mein Universalerbe binnen 3 (drei) Jahren nach meinem Ableben auszuzahlen; sie sind von meinem Universalerben nicht zu verzinsen. VII. Die Höhe der im Vorstehenden (ad II., III., V. und VI.) in tschechoslovakischen Kronen festgesetzten Geld- und Rentenlegate bestimmte ich unter der Voraussetzung, dass die tschechoslovakische Krone (Devise Prag, Mittel zwischen Geld und Ware) in Zürich künftig am jeweiligen Vortag der Auszahlungstage der Geldlegate bzw. der einzelnen Raten der Rentenlegate einen Kurs von 12.87 oder höchstens 20 % darüber oder darunter aufweisen wird. Schwankungen des Mittelkurses der Devise Prag in Zürich bis zu 20 % über oder unter 12.87 sollen demnach keinen Einfluss auf die Höhe der vorgenannten Geldlegate bzw. der einzelnen Rentenlegatsraten haben. Im Gegenfall soll mein Universalerbe den einer vollen Valorisierung jeweils entsprechenden … Betrag in tschechoslovakischen Kronen auszuzahlen haben. VIII. Meiner Kousine Eleonore Gräfin Stauffenberg vermache ich abzugs- und gebührenfrei einen Betrag von 25.000 Kč, auszahlbar in einvierteljährigen Vorhineinraten, so wie ich sie meiner Kousine Eleonore Gräfin Stauffenberg zeit meines Lebens gewährte. IX. Allen meinen Haushaltsbediensteten sowie den Zimmerwärtern in meinen Schlössern und in meinem Palais in Wien, die am Tag meines Ablebens mindestens 5 volle Jahre ununterbrochen in meinen Diensten gestanden sind, hat mein Universalerbe binnen eines Halbjahres nach meinem Ableben ein Legat in der Höhe des letzten baren Monats-Grundgehalts abzugs- und gebührenfrei auszuzahlen.

336

Anhang

X. Meine innigstgeliebte Gattin möge für sich und für unsere Tochter Ernestine von den in meinem Nachlasse befindlichen, meinem persönlichen Gebrauch dienenden Wertgegenständen wählen, was ihr beliebt. Meinem Universalerben bleibt es überlassen, nach seinem eigenen freien Ermessen und nach seiner Wahl an Verwandte, Bekannte und Bedienstete Andenken aus den in meinem Nachlasse befindlichen Gegenständen meines persönlichen Nachlasses zu verteilen. XI. Zu meinem Testamentsvollstrecker und Abhandlungspfleger ernenne ich Herrn Dr. Anton Gassauer, Rechtsanwalt in Wien I. Am Hof 13. XII. Ich widerrufe hiemit ausdrücklich alle meine früheren Testamente, Kodizielle und sonstigen letztwilligen Anordnungen, mit alleiniger Ausnahme meines Kodizilles dto. Wien, 12. März 1931. Quelle: AVA, FAH, Kt. 971

Bf. v. Otto Harrach an Hans (Sohn), Hradek, 5.9.1931

Mit meinem Testamente beigeschlossenen Brief v. 7. März 1925 habe ich Dir und allen Deinen Besitznachfolgern meine dringenden letztwilligen Wünsche wegen der künftigen ungeteilten Weitervererbung des Harrachschen ehemaligen Fideikommissvermögens in der Tschechosl. Republik und des Harrachschen Fideikommissvermögens in der Österr. Republik ans Herz gelegt. Der Brief v. 1925 gilt auch für mein neues Testament v. 3. September 1931 Quelle: AVA, FAH, Kt. 971 u. Kt. 856,

Bf. v. Otto Harrach an Hans (Sohn), Wien, 7.3.1925

Lieber Sohn Hiemit lege ich Dir und allen Deinen Besitznachfolgern meinen dringenden letztwilligen Wunsch ans Herz, dass das mit dem tschechosl. Gesetze v. 3. Juli 1924 aufgehobene Harrachsche Fideikommissvermögen in der Tschechosl. Republik auch in der Zukunft stets ungeteilt auf den erstgeborenen Sohn des jeweiligen Erblassers, in Ermangelung einer männlichen Deszendenz auf den nächsten Agnaten übergehe. Ich bitte demnach Dich und Deine Besitznachfolger, bezüglich dieses Vermögens testamentarisch eine dementsprechende fideikommissarische Substitution zu errichten und Deine Besitznachfolger auch Deinerseits zu ersuchen, letztwillig in gleichem Sinne zu testieren. Weiters bitte ich Dich und Deine Besitznachfolger zur Erreichung obigen Zwe-

Anhang

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ckes darin zu wirken, dass die Nachgeborenen, sowie Söhne als Töchter – wie deine Schwester – einen Erbteils und Pflichteils-Verzicht ausstellen, wogegen diesen nachgeborenen Söhnen als Töchtern – nach meinem Beispiele – Legate in bestimmter Höhe zu vermachen wären. … Weiters bitte ich Dich und Deine Besitznachfolger, bei Errichtung der fideikommissarischen Substitution folgende Bestimmungen zu treffen: 1. Das Substitutionsvermögen soll nur unter der Bedingung auf den eingesetzten Vorerben und auf einen Substituten übergehen, dass derselbe entweder römisch-katholischen Glaubens ist oder den römisch-katholischen Glauben annimmt. (Bei nicht Erfüllung dieser Bedingung kommt der nächsteingesetzte Substitut dran, welcher römisch-katholischen Glaubens ist oder den römisch-katholischen Glauben annimmt). Der in Besitz des Substitutionsvermögens gelangte Agnat soll es dem nächstberufenen Substitutionsanwärter übergeben, falls er selbst vom römisch-katholischen Glauben abfällt, bzw. nach Übertritt vom Protestantismus zum Katholizismus neuerlich den protestantischen oder sonstigen anderen Glauben annimmt. Wenn kein solcher Agnat vorhanden ist soll der letzte nur als Vorerbe (Fiduziar) das Substitutionsvermögen erwerben bis ein weiterer Agnat unserer Harrachschen Familie geboren und römisch-katholisch getauft wird, vom römisch-katholischen Glauben nicht abfällt und die gesetzliche Großjährigkeit erreicht hat, sobald dieser nächste Substitut großjährig geworden ist. 2. Weiters soll das Substitutionsvermögen, falls außer Agnaten, welche bloß Töchter haben, noch andere vorhanden sein sollten, auf denjenigen nächsten Agnaten übergehen, der bereits einen Sohn hat bzw. noch kinderlos, sodass also Agnaten, welche bloß Töchter haben, von der Erwerbung des Substitutionsvermögens, falls noch andere Agnaten vorhanden sein sollten, ausgeschlossen sein sollen. Agnaten, die das 50gste Lebensjahr bereits überschritten haben und keinen Sohn haben, sollen denjenigen Agnaten, die bloß Töchter haben, gleichgehalten sein. 3. Ferner sollen wegen Geistesschwachheit oder Geisteskrankheit gerichtlich entmündigte Personen von der Erwerbung des Substitutionsvermögens ausgeschlossen sein. 4. Unter allen Umständen sollen unehelich Geborene von der Erwerbung des Substitutionsvermögens unbedingt ausgeschlossen sein. 5. Schließlich sollen von der Erwerbung des Substitutionsvermögens alle diejenigen Personen ausgeschlossen sein, welche wegen eines auf gemeinen Motiven beruhenden schimpflichen Verbrechens, das den Täter in der öffentlichen Meinung herabzusetzen und verächtlich zu machen geeignet ist, verurteilt wurden. Sollten die Fideikommisse auch in Österreich aufgehoben werden, so haben alle meine vorstehenden Wünsche sinngemäß auch auf das in Österreich liegende Har-

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Anhang

rachsche Fideikommissvermögen Anwendung zu finden. Gott befohlen! Dein Vater Otto Graf von Quelle: AVA, FAH, Kt. 971 u. Kt. 856,

Testament, Johann Graf Harrach, 22.8.1904

Ich verfüge für den Fall meines Ablebens nach reiflicher Überlegung Nachstehendes: Paragr. 1 Alle meine vier Töchter sind mit ihren Erbrechts-Ansprüchen nach mir vollständig entfertigt … sie haben Nichts von mir zu erhalten. Es erscheinen demnach nach mir nur erbberechtigt meine drei Söhne Karl, Otto und Ernst. Paragr. 2 Nachdem mein erstgeborener Sohn Karl wegen Geistesschwäche unter Kuratel stehend nicht successionsfähig ist, so beschränke ich denselben auf den ihm nach mir gebührenden gesetzlichen Pflichtanteil. Paragr. 3 Otto zu meinem Universalerben. Paragr. 4 Für meinen Sohn Ernst nebst dem ihm gesetzlich gebührenden Pflichtteil soll ein Betrag gegeben, so viel dass die ganze Summe 1.400.000 Kronen erreicht. Paragr. 5 Für meine Witwe, laut unseres zu Prag im Jahre 1877 errichteten Heiratskontraktes außer dem Witwengehalt von 12.000 Kronen, der Genuss des zweiten Stockes meines Hauses in Prag gebührt, … wenn dieses Haus verkauft würde als Ersatz für diese Wohnung vom Universalerben ein jährlicher Betrag von 4.000 Kronen für die Dauer ihres Witwenstandes auszuzahlen. Paragr. 6 Otto soll Karl alljährlich 20.000 Kronen auszahlen. Paragr. 7 Die sämtlichen Nachlassgebühren hat mein Universalerbe zu tragen. Paragr. 8 Ich wünsche, dass nach meinem Tode mein Bruder Graf Alfred Harrach und im Fall seines Absterbens mein Neffe Jaroslav Prinz Lobkowitz vom Gericht zum Kurator meines Sohnes Graf Karl Harrach berufen und ernannt werde. Quelle: AVA, FAH, Kt. 913, Verlassenschaft nach Gf. Johann 1909–1916

Anhang

339

Teilnahme der Geheimen Räte und Kämmerer an höfisch-kirchlichen Festlich‑ keiten

Dispositionen der Fronleichnahmsprozession am Donnerstag, den 30. Mai 1918 „Kaiser-König und Kaiserin-Königin sowie Erzherzoge und Erzherzoginnen werden heuer am Fronleichnahmstage um 8 Uhr vormittags einem Hochamte in der Hofburgskirche beiwohnen und sodann an einer feierlichen Prozession des Allerheiligsten zu den vier Altären am äußeren Burgplatze teilnehmen“ Quelle: AVA, FAH, Kt. 874

Teilnahme der Geheimen Räte und Kämmerer

„Die Prozession bewegt sich in nachstehender Ordnung Die Hoflivreedienerschaft Die Hofsänger Die Edelknaben Die Truchsessen Die Kämmerer Die geheimen Räte Die Erzherzoge mit Begleitung Der Pontifikant mit dem Allerheiligsten unter dem Baldachin und der assistierenden Geistlichkeit (die Quasten des Baldachins werden von vier Kämmerern gehalten) Edelknaben mit Fackeln und Leibgarden neben dem Baldachin Seine Majestät (unmittelbar nach dem Baldachin), begleitet von dem Oberstkämmerer, den Gardekapitänen und dem Generaladjutanten Ihre Majestät die Kaiserin und Königin, begleitet von dem Obersthofmeister Die Frauen Erzherzoginnen mit den Obersthofmeistern Die zwölf Palastdamen vom Dienste Eine Abteilung der Leibgarden bildet den Schluss.“ Quelle: AVA, FAH, Kt. 874

340

Quellen und Literatur

Quellen und Literatur Unveröffentlichte Quellen A. Österreichisches Staatsarchiv, Allgemeines Verwaltungsarchiv, Familienarchiv Harrach (AVA, FAH) Otto Johann Nepomuk Bohuslav [im Folgenden Otto] Karton [im Folgenden Kt.] 856, Familiensachen Kt. 856–873, Korrespondenz Kt. 856: Harrach Gfin Karoline, Gattin, geb. Przin Oettingen (579 Bfe.); Harrach Gfen Ernestine u. Johann, Kinder (33 Bfe.) Kt. 857: Harrach Gf. Johann, Vater (36 Bfe.); Harrach Maria Theresia Gfin, Stiefmutter, geb. Przin Thurn und Taxis (50 Bfe.); Harrach Gfin Anna, Schwester, verm. Freifr. Henn von Henneberg-Spiegel u. Gatte Gottlieb (339 Bfe.); Harrach Gfin Gabriele (Vella), Schwester, verm. Gfin Marenzi u. Gatte Gabriel (322 Bfe.) Kt. 858: Harrach Gfin Maria Theresia (Mitzi), Schwester, verm. Gfin Wisniewski u. Sohn Hans (294 Bfe.); Gfin Margaretha (Marga), Schwester, verm. Przin Windisch-Graetz u. Gatte Franz (203 Bfe.) Kt. 859: Harrach Gf. Ernst, Stiefbruder, u. Gattin Elisabeth, geb. Gfin Preysing-Lichtenegg (261 Bfe.); Harrach Gf. Alfred, Onkel, u. Gattin Anna, geb. Przin Lobkowitz (61 Bfe.); Harrach Gf. Franz, Vetter, u. Gattin Alice, geb. Gfin Hardegg (33 Bfe.); Harrach Gf. Hans Albrecht, Vetter (13 Bfe.) Kt. 860: Abensperg und Traun Karl Gf. u. Rudolf Gf. (11 Bfe.); Attems-Gilleis Maximilian Gf. (22 Bfe.); Auersperg Eduard Prz., Franz Prz. u. Karl Gf. (5 Bfe.); Berchtold Leopold Gf., Ferdinandine Gfin u. Giuletta Gfin (5 Bfe.); Bethmann-Hollweg Dietrich v. u. Gattin Renate (13 Bfe.) Kt. 861: Chotek Rudolf Gf. (1 Bf.); Colloredo-Mannsfeld Franz Gf. u. Rudolf Gf. (5 Bfe.); Czernin Eugen Gf., Franz Gf., Morzin Rudolf Gf., Therese Gfin (28 Bfe.); Deym Friedrich Gf. (10 Bfe.) Kt. 862: Hardegg Rudolf Gf. (46 Bfe.); Hildprandt Ferdinand Gf. (65 Bfe.); Hoyos Karoline Gfin (1 Bf.) Kt. 863: Kuefstein Karl Gf. (4 Bfe.) Kt. 864: Lazansky Ida Gfin u. Johann Gf. (10 Bfe.); Ledebur Adolf Gf. u. Eugen Gf. (4 Bfe.); Liechtenstein Alois Prz., Franz Prz. u. Eduard Prz. (10 Bfe.); Lobkowitz Zdenko Fst., Anna Berta Fstin, Jaroslav Prz., Franz Prz., Leopold Prz., Moritz Prz., Gisella Przin, Zdenko Vincenz Prz., August Prz., Irma Przin, Eduard Prz., Paula Przin, Friedrich Fürst (143 Bfe.); Mensdorff-Pouilly Alphons Gf. u. Emmanuel Gf. (37 Bfe.); Montecuccoli Franz Gf. u. Maximilian Gf. (59 Bfe.)

Quellen und Literatur

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Kt. 865: Oettingen-Wallerstein Eugen Prz. u. Karl Prz. (35 Bfe.); Kt. 866: Rohan Alain Prz. v. u. Karl Anton Prz. (10 Bfe.); Salm Rudolf Gf. u. Marie Gfin (43 Bfe.); Schenk v. Stauffenberg Eberhard Gf. (48 Bfe.); Schönborn Hans Gf. u. Anna Gfin (5 Bfe.); Schönburg Hans Prz. (7 Bfe.); Schwarzenberg Friedrich Prz. u. Marie Christine Przin (17 Bfe.); Serenyi Otto (5 Bfe.) Kt. 867: Thun u. Hohenstein Franz Gf., Ernestine Gfin, Jaroslav Gf., Gabriele Gfin, Max Gf., Josef Gf., Karl Gf., (23 Bfe.); Thurn u. Taxis Alexander Prz., Erich Prz., Karoline Przin (35 Bfe.); Thurn u. Valsassina Vincenz Prz., (16 Bfe.) Kt. 868: Windisch-Graetz Alfred Fst., Josef Prz. (17 Bfe.) Kt. 869: Glückwünsche zur Hochzeit Kt. 860–869: weitere ca. 500 Bfe., geschickt von etwa 390 Personen (nicht Adeligen u. zum kleinen Teil vom niederem Adel). Es ging um verschiedene Bitten um Unterstützung bzw. um Danksagungen an Otto Hartrach. Kt. 870: Kondolenzen anlässlich des Todes seines Vaters Johann Gf. v. Harrach Kt. 872–873, Verbände und Vereine Kt. 874, Biographica Kt. 879–883, Finanzielles (Hausrechnungen, Vermögensabgabe, Steuerakten) Nachträge Otto Graf Harrach, Johann Graf Harrach Kt. 885, Wirtschaftskorr. Finanzielles, Briefe von und an Zentraldir. Görlich u. aus der Zentralkanzlei, Korrespondenz Reich-Rohrwig, Bankunterlagen, Rohbilanzen, Kassa-Konten, 1898–1919 Kt. 886, Tagebücher v. Otto Graf Harrach Kt. 887, Ehekontrakt Henneberg u. Beilage, Ehekontrakt Wisniewski (Schuldschein), Erklärung der Töchter bezügl. Losverkauf (Aktien), excl. Marenzi Kindervermögensausweise, Fideikomiss (Auslegung) + Testament Johann Gf. H. Entwurf Heiratskontrakt Wisniewski (+ Schuldschein), Ehekontrakt Vella Marenzi, Notariatsakte Otto u. Caroline zu Oettingen Wallerstein Kt. 889, Verlassenschaft nach Johann Gf. Harrach: Ferd. Bonav. Gf. Harrach’scher Fideikomiss in Niederösterreich u. Ungarn Johann Nepomuk († 1909) Korrespondenz Kt. 891, von Tochter Anna Henn v. Henneberg-Spiegel, 34 Bfe. 1898, 1902, 1908–1909 Kt. 892, von Tochter Gabrielle u. Schwiegersohn Gabriel, Gf. und Gfin Marenzi: 9 Bfe., 1893, 1909 Kt. 893, von Graf Otto, Sohn, 89 Bfe., 1896, 1898, 1900

342

Quellen und Literatur

Johann Graf Harrach (Hans) Stephanie Gräfin Harrach, Otto Graf Harrach Johann Graf Harrach († 1909) Kt. 911–912, Private Korrespondenz Hans, 42 Bfe., 1936–1943 Kt. 911, Finanzielles, Rechnungen, 1931–1940 Kt. 911, 913, Verlassenschaft nach Gf. Johann, 1909–1922 Kt. 913, Jagd, Schusslisten div. Herrschaften, Jagdprojekt, 1891/92–1902 Kt. 913, Verlassenschaft Johann Gf. Harrach, Testament, Erbverzichte, Ehepakte etc. Kt. 971, div. Ausweise, Pässe, Bankpass, Nachlass Otto Graf Harrach (1936), Korrespondenz (1935, 1936, 1938), 1920–1938 Kt. 972, Ernst Graf Harrach, Ahnenforschung B. Moravský zemský archiv v Brně [Mährisches Landesarchiv in Brünn] (MZA), G 393, Rodinný Archiv Harrachů [Familienarchiv Harrach] (RAH) Korrespondenz Kt. 9, Fol. 124, Ernst Harrach an Onkel Alfred, 2 Bfe., 1902, 1910 Kt. 10, Fol. 126, Franz Harrach an seinen Vater Alfred, 64 Bfe., 1908–1913 Kt. 11, Fol. 127, Johann Harrach an seinen Bruder Alfred, 52 Bfe., 1898–1909 Kt. 11, Fol. 129, Otto Harrach an Onkel Alfred, 55 Bfe., 1884–1913 Kt. 33, Fol. 558, Ernst Harrach an Tante Anna, 21 Bfe., 1908–1934 Kt. 35, Fol. 563, Otto Harrach an Tante Anna, 15 Bfe., 1893–1928 Kt. 76, Fol. 1017, Ernst Harrach an Vetter Franz, 13 Bfe., 1899–1909 Kt. 76, Fol. 1024, Otto Harrach an Vetter Franz, 83 Bfe., 1889–1935 Kt. 84, Fol. 1146, Gabriele Marenzi, geb. Harrach an Vetter Franz Harrach, 7 Bfe., 1900– 1932 C. Státní oblastní archiv v Zámrsku (SOAZ), Staatliches Gebietsarchiv in Zámrsk Velkostatek [Herrschaft] Jilemnice Hlavní Kniha pro účty věcné [Hauptbuch für Sachkonten] für das Jahr 1910/11, Inv. č. [Inventarnr.] 1340, č. Knihy [Buchnr.] 1054, Index für das Jahr 1917/18, Inv. č. 1347, č. Knihy 1061, Index für das Jahr 1923/24, Inv. č. 1353, č. Knihy 1067, Index für das Jahr 1934/35, Inv. č. 1360, č. Knihy 1074, Index Lesní oddíl Hlavní Kniha [Forstrentamt Hauptbuch] für das Jahr 1910/11, Inv. č. 2031, č. Knihy 1659, Index [Forstrentamt Jilemnice] für das Jahr 1910/11, Inv. č. 2431, č. Knihy 2037, Index [Forstrentamt Branná]

Quellen und Literatur

343

für die Jahre 1915–1919, Inv. č. 2436, č. Knihy 2042, Index [Forstrentamt Branná] für die Jahre 1919–1924, Inv. č. 2437, č. Knihy 2043, Index [Forstrentamt Branná] für das Jahr 1924/25, Inv. č. 2041, č. Knihy 1669, Index [Forstabteil Jilemnice] Otisky deníku důchodenského [Kopialbücher des Rentenjournals] für das Jahr 1910/11, Inv. č. 1433, č. Knihy 1147 für das Jahr 1917/18, Inv. č. 1440, č. Knihy 1154 für das Jahr 1923/24, Inv. č. 1446, č. Knihy 1160 Hlavní Kniha pro účty osobni [Hauptbuch für Personenkonten] für das Jahr 1910/11, Inv. č. 1234, č. Knihy 948 für das Jahr 1917/18, Inv. č. 1241, č. Knihy 955 für das Jahr 1923/24, Inv. č. 1247, č. Knihy 961 für das Jahr 1934/36, Inv. č. 1252, č. Knihy 966

Gespräche Mit Gfin Stephanie Harrach, geb. Gfin Eltz, am 28.9.2004 und 5.10.2004 im Schloss Rohrau Mit Gf. Ulrich Arco-Zinneberg am 28.9.2004 und 5.10.2004 im Schloss Rohrau Mit Gf. Ernst Leonhard Harrach am 12.9.2008 bei Schloss Prugg, Bruck a. a. Leitha (Schillerstr. 8)

Veröffentlichte Quellen Gothaischer Genealogischer Hofkalender 1905, Gotha 1905 Gothaischer Genealogischer Hofkalender 1915, Gotha 1915 Gothaischer Kalender. Genealogischer Hofkalender und diplomatisch-statistisches Jahrbuch 1920, Gotha 1920 Harrach Johann, Österreichs Heil. Gedanken eines österreichischen Patrioten, Prag 21905 Jahr- und Adressbuch der Land- und Forstwirtschaft, Ergänzungsband 1930/31, Wien 1930 Jahr- und Adressbuch der Land- und Forstwirtschaft, Wien 1926 (hg. v. Österreichische Agrarische Zentralstelle in Wien) Jahrbuch der Vereinigung katholischer Edelleute in Österreich, Innsbruck/Wien 1929 Inama-Sternegg, Karl Theodor v., Die Familien-Fideicommisse in Oesterreich, Statistische Monatsschrift, Wien 1883, 34ff. Lustig, Rudolf / Světnička, František, Schematismus velkostatků v Čechách [Schematismus des Großgrundbesitzes in Tschechien], Prag 1933 Neuester Schematismus der landtäflichen Herrschaften und Güter in Niederösterreich sowie der auf den Gütern bestehenden Industrien, deren Besitzer, Pächter und der dabei angestellten Beam‑

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Quellen und Literatur

ten, III. Aufl., Brünn 1909 Neuester Schematismus der Herrschaften, Güter und Zuckerfabriken in Mähren und Schlesien sowie der auf den Gütern bestehenden Brauereien, Brennereien und sonstigen Industrien, deren Besitzer, Pächter und der dabei angestellten Beamten, XII. Ausgabe, Brünn 1912 Procházka, Johann, Topografisch-statistischer Schematismus des Grossgrundbesitzes im König‑ reiche Böhmen zugleich Adressenbuch sämtlicher bei demselben angestellten Beamten, des Forst‑ personals usw., Prag 1881 Procházka, Johann, Böhmens landtäflicher Grundbesitz, Prag 1886 Procházka, Johann, Beamten-Schematismus des Grossgrundbesitzes im Königreiche Böhmen, Prag 1887 Riebel, Franz, Waldwertrechnung und Schätzung von Liegenschaften, 2. Aufl., Wien 1912 Schematismus der Herrschaften und Güter in Oberösterreich sowie der auf den Gütern bestehenden Brauereien, Brennereien und sonstigen Industrien, deren Besitzer, Pächter und der dabei ang‑ estellten Beamten, II. Ausgabe, Brünn 1904 Schematismus des landtäflichen und Großgrundbesitzes von Niederösterreich, Wien 1895 Schematismus des landtäflichen und Großgrundbesitzes von Niederösterreich, 2. Aufl., Wien 1903 Tittel, Ignaz, Schematismus des Grossgrundbesitzes und grösserer Rustikalgüter im Königreiche Böhmen, Prag 1900 Tittel, Ignaz, Schematismus und Statistik des Grossgrundbesitzes und grösserer Rustikalgüter im Königreiche Böhmen, Prag 1906 Tittel, Ignaz, Schematismus landtäflicher Güter, grösserer Rustikalwirtschaften, Beamten und Pächter, Prag 1910 Verhandlungen des Österreichischen Forst-Congresses, London: Forgotten Books 2013 (Original erschienen 1903), in: http://www.forgottenbooks.com/readbook_text/Verhandlungen_ des_Osterreichischen_Forst-Congresses_1100054033/731

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Personenregister

Harrach Alfred, Graf von Harrach 10, 28, 41, 46, 48, 52, 53, 54, 55, 57, 58, 60, 63, 64, 68, 73, 78, 79, 80, 83, 93, 97, 98, 99, 100, 110, 112, 113, 125, 133, 134, 135, 136, 141, 155, 160, 163, 165, 170, 171, 173, 176, 177, 179, 180, 182, 187, 197, 199, 205, 206, 207, 208, 213, 214, 219, 226, 227, 228, 230, 232, 233, 239, 259, 261, 262, 264, 271, 283, 286, 287, 289, 319, 320, 338, 340, 342 Alice, Gräfin von Harrach, geb. Gräfin von Hardegg 151, 205, 214, 287, 340 Alice, Gräfin von Harrach, verh. DreihannHolenia 159 Aloys Thomas Raimund, Graf von Harrach 35, 288 Anna, Gräfin von Harrach, geb. Prinzessin von Lobkowitz 28, 41, 46, 53, 55, 58, 64, 68, 78, 79, 81, 83, 84, 85, 89, 102, 103, 106, 120, 170, 173, 182, 187, 190, 191, 200, 203, 205, 206, 213, 214, 221, 225, 240, 264, 265, 267, 275, 340, 342 Anna, Gräfin von Harrach, verh. Freifrau Henn von Henneberg-Spiegel 38, 46, 47, 49, 51, 53, 54, 57, 59, 78, 79, 80, 81, 82, 82, 83, 84, 85, 86, 136, 137, 152, 165, 167, 168, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 178, 179, 181, 185, 186, 187, 189, 190,

212, 214, 216, 220, 223, 225, 226, 241, 246, 248, 259, 260–261, 263, 267, 268, 269, 274, 277, 278, 279, 318, 319, 320, 333, 340, 341 Anton Leonhard IX. 28, 92, 93 Auguste, Gräfin von Harrach, verh. Fürstin von Lignitz 36 Cäcilie, geb. Gräfin Thannhausen 35 Dietrich, von Harrach 33 Elisabeth, Gräfin von Harrach, geb. Gräfin von Preysing-Lichtenegg 30, 39, 77, 136, 173, 176, 179, 181, 182, 224, 340 Ernestine (Erni), Gräfin von Harrach, verh. Gräfin von (Lexa von) Aehrenthal 41, 45, 62–63, 72, 73, 79, 80, 140, 162, 195, 199, 214, 221, 243, 281, 333, 336, 340 Ernst, Graf von Harrach 28, 30, 39, 46, 50, 56, 57, 77, 78, 79, 80, 84, 85, 96, 98, 105, 106, 136, 138, 139, 153, 157, 163, 165166, 167, 170, 171, 173, 175, 176, 179, 180, 181, 182, 185, 187–188, 190, 197, 223, 224, 225, 226, 227, 230, 231, 232, 244, 249, 260, 275-276, 277, 318, 319, 320, 334–335, 338, 340, 342 Ernst Adalbert, Graf von Harrach 35, 258, 288 Ernst Georg, Graf von Harrach 39, 223 Ernst Guido, Graf von Harrach zu Rohrau und Thannhausen 28, 93

Personenregister

Ernst Heinrich, Graf von Harrach 39, 43 Ernst Leonhard, Graf von Harrach 10, 30, 39, 41, 77, 96, 108, 119, 120, 134, 139, 158, 244, 255, 317, 335, 343 Ferdinand, Graf von Harrach 36 Ferdinand Bonaventura, Graf von Harrach 39, 41, 96, 108, 128, 130–131, 341 Ferdinand Bonaventura I., Graf von Harrach 35, 93, 94, 95, 288 Ferdinand Bonaventura II., Graf von Harrach 35, 288 Ferdinand Joseph, Graf von Harrach 28 Franz, Graf von Harrach 10, 28, 41, 42, 43, 46, 52, 53, 55, 56, 62, 63, 68, 76, 78, 79, 80, 83, 89, 93, 99, 100, 103, 105, 106, 107, 110, 112, 117, 119, 121, 125, 131, 132, 134, 138, 141, 147, 151, 152, 153, 154, 155, 158, 159, 160, 162, 163, 167, 171, 174, 175, 177, 180, 187, 190, 191, 199, 203, 205, 206, 207, 208, 213, 214, 215, 219, 221, 226, 227, 230, 235, 239, 259, 260, 261, 262, 280, 281, 283, 286, 287, 289, 296, 297, 304, 305, 312, 319, 320, 340, 342, 355 Franz Ernst, Graf von Harrach 36, 37, 49, 92, 93, 94, 95, 97, 109, 113, 129, 133, 141, 144, 145, 316 Friedrich August (Gervasius), Graf von Harrach 36, 94, 288 Gabriele (Vella), Gräfin von Harrach, verh. Gräfin von Marenzi 28, 30, 38, 46, 49, 51, 52, 53, 54, 57, 59, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 123, 137, 138, 139, 156, 163, 165, 167, 168, 170, 174, 177, 179, 181, 182, 184, 185, 189, 190, 199, 200, 208, 209, 210, 216, 220, 239, 240, 241, 246, 247, 261, 263, 267, 268, 269, 279, 313, 318, 319, 320, 331, 332, 333, 340, 341, 342

357 Hans Albrecht, Graf von Harrach 54, 88, 234, 305, 340 Johann (Hans), Graf von Harrach 28, 37, 39, 41, 45, 46, 51, 56, 64, 71, 75, 76, 77, 78, 85, 86, 87, 88, 96, 97, 108, 119, 124, 128, 133, 134, 135, 139, 140, 154, 157, 162, 173, 191, 192, 194, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 221, 228, 236, 243, 247, 249, 250, 252, 261, 281, 305, 306, 307, 308, 309, 319, 333, 336, 342 Johann Nepomuk, Graf von Harrach 10, 27, 28, 32, 37, 38, 39, 41, 45, 46, 47, 48, 49, 52, 53, 57, 59, 63, 64, 68, 69, 70, 78, 80, 81, 83, 93, 94, 95, 97, 98, 100, 109, 112, 113, 124, 130, 133, 134, 136, 137, 138, 141, 152, 153, 160, 163, 167, 168, 170, 171, 173, 174, 176, 177, 178, 180, 182, 187, 197, 199, 205, 211, 218, 219, 228, 229, 231, 232, 258, 264, 267, 270, 271, 283, 286, 287, 290, 291, 292, 293, 294, 295, 306, 314, 315, 316, 319, 320, 331, 332, 333, 338, 341, Johann Nepomuk Ernst, Graf von Harrach 36, 95, 142 Johanna, Gräfin von Harrach, verh. Waldburg zu Zeil und Trauchburg 41, 158 Karl, Graf von Harrach 38, 46, 47, 52, 53, 55, 69, 98, 128, 136, 171, 172, 253, 268, 318, 319, 338 Karl Borromäus, Graf von Harrach 36 Karl Leonhard, Graf von Harrach 281 Karl Max, Graf von Harrach 35, 93, 94, 288 Karoline (Line), Gräfin von Harrach, geb. Prinzessin zu Oettingen-Wallerstein 30, 38, 39, 41, 45, 49, 54, 55, 58–59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 71, 72, 73, 78, 81, 82, 84, 85, 123, 136, 140, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 160, 161, 162, 164, 165,

358 167, 168, 173, 174, 176, 178, 179, 181, 182, 183, 184, 186, 189, 191, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 225, 226, 227, 234, 240, 241, 242, 244, 246, 252, 253, 260, 262, 263, 266, 268, 269, 274, 278, 281, 334, 340, 341 Leonhard I. 34, 287 Leonhard III., Ritter von Harrach 34, 287 Leonhard IV., Freiherr zu Rohrau 35, 93 Leonhard V., Freiherr zu Rohrau 287 Leonhard VII. Karl, Graf von Harrach 28, 94, 145 Leonhard IX., Graf von Harrach 145 Margarethe (Marga), Gräfin von Harrach, verh. Windisch-Graetz 30, 39, 46, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 60, 66, 69, 77, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 137, 138, 156, 163, 174, 177, 178, 179, 186, 190, 197, 198, 211, 212, 220, 228, 243, 247, 249, 250, 279, 318, 319, 320, 333, 335, 340 Maria Ernestine, Gräfin von Harrach, geb. Gräfin von Dietrichstein 93 Maria Margarethe, Gräfin von Harrach, geb. Fürstin von Lobkowitz, Herzogin zu Raudnitz 38, 57, 68, 69, 97 Maria Theresia, Gräfin von Harrach, geb. Prinzessin zu Thurn und Taxis 39, 45, 68, 69, 70, 79, 80, 176, 187, 211, 225, 267, 278, 340 Maria Theresia (Mitzi), Gräfin von Harrach, verh. Gräfin von Wisniewski 30, 38, 46, 51, 53, 54, 55, 57, 60, 70, 75, 76, 77, 78, 80, 81, 82, 83, 85, 87, 137, 139, 154, 155, 157, 160, 162, 165, 168, 170, 173, 174, 176, 177, 179, 180, 181, 182, 184, 186, 190, 195, 196, 197, 200, 201, 202, 207,

Personenregister

209, 210, 211, 212, 219, 225, 226, 228, 238, 240, 241, 245, 246, 253, 267, 268, 273, 274, 276, 279, 313, 318, 319, 320, 332, 333, 340 Otto, Graf von Harrach 28, 29, 30, 32, 37, 38, 39, 40, 41, 45, 46, 47, 48, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 58, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 70, 71, 72, 73, 75, 76, 77, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89, 93, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 112, 115, 117, 118, 119, 120, 121, 122, 123, 124, 125, 127, 128, 129, 130, 131, 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 142, 150, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 189, 190, 191, 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 232, 233, 234, 235, 238, 239, 240, 241, 242, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, 251, 252, 253, 254, 258, 259, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 267, 268, 269, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 279, 280, 281, 283, 286, 287, 289, 295, 296, 297, 298, 300, 301, 302, 303, 304, 305, 314, 315, 317, 318, 319, 320, 321, 333–336, 336-338, 340-341, 342 Otto Friedrich, Graf von Harrach 28 Stephanie, Gräfin von Harrach, geb. Gräfin und Edle Herrin zu Eltz 10, 30, 41, 64, 71, 73, 74, 75, 77, 81, 85, 86, 88, 89, 96, 107, 114, 120, 139, 140, 154, 157, 158,

Personenregister

162, 190, 192, 193, 200, 201, 207, 221, 235, 238, 239, 244, 245, 247, 248, 251, 252, 255, 269, 281, 306, 307, 308, 309, 342, 343 Abensperg und Traun (Familie) 206, 237, 238 Abensperg und Traun, Karl Graf von 233, 340 Abensperg und Traun, Rudolf Graf von 123, 124, 227, 231, 273, 276, 340 (Lexa von) Aehrenthal (Familie) 151, 198 (Lexa von) Aehrenthal, Ernestine (Erni) Gräfin von, geb. Gräfin von Harrach 41, 45, 62-63, 72, 73, 79, 80, 140, 162, 195, 199, 214, 221, 243, 281, 333, 336, 340 (Lexa von) Aehrenthal, Johann (Hans) Graf von 41, 62 Apponyi, Rudi Graf von 206 Arco-Zinneberg, Ulrich Graf von 10, 30, 33, 201, 221, 238, 239, 245, 307, 343 Attems-Gilleis (Familie) 46, 169 Attems, Carla Gräfin von 206 Attems, Karl Graf von 240 Attems-Gilleis, Maximilian (Max) Graf von 169, 180, 240, 340 Auersperg (Familie) 46, 198, 207, 215, 237, 290, 303 Auersperg, Eduard Prinz zu 123, 241, 242, 276, 340 Auersperg, Franz Prinz zu 208, 340 Auersperg, Illy 241 Auersperg, Karl Graf von 123, 242, 340 Badeni (Familie) 294 Badeni, Louis Graf von 240 Belcredi (Familie) 237 Belcredi, Caroline Gräfin von 218 Belcredi, Egbert Graf von 291 Bellegarde (Familie) 215, 237, 262

359 Bellegarde, August Graf von 221 Bellegarde, Franzi Graf von 240 Bernhard, Otto 131 Bienert (Familie) 209 Berchtold (Familie) 46, 212 Berchtold, Ferdinandine Gräfin von 340 Berchtold, Giuletta Gräfin von 275, 340 Berchtold, Leopold Graf von 340 Berchtold, Sigmund Graf von 291 Bernhard, Otto 131 Bernstorff (Familie) 230, 248 Bernstorff, Andreas Graf von 234 Bethmann-Hollweg (Familie) 46, 215 Brown, Maria 218 Bubna und Lititz (Familie) 107 Buquoy (Familie) 215, 237, 276 Buquoy, Henriette Gräfin von 206 Bylandt, Johanna Gräfin von 151 Bylandt, Maria Gräfin von, geb. Freiherrin Lexa von Aehrenthal 151 Chittussi, Antonín 195 Chlumecky (Familie) 238, 307 Chorinsky (Familie) 237 Chorinsky, Ferd. Graf von 219 Chorinsky, Lilian Gräfin von 218 Chotek (Familie) 215, 261, 294, 303 Chotek, Jojonne Gräfin von 278 Chotek, Karl Graf von 97 Chotek, Rudolf Graf von 276, 277, 340 Chotek, Susanne Gräfin von 241 Clam (Familie) 215, 237 Clam-Martinic (Familie) 290, 294, 303 Clam-Martinic, Heinrich Graf von 252, 271, 291, 292 Clary (Familie) 237 (Sachsen-) Coburg (Familie) 206, 212, 219, 232, 233, 274

360 Coburg, August Herzog von 206 Colloredo (Familie) 215, 237 Colloredo, Nesti Gräfin von 218 Colloredo-Mannsfeld, Franz Graf von 340 Colloredo-Mannsfeld, Rudolf Graf von 340 Coronini (Familie) 216 Croy (Familie) 46 Croy, Max Prinz zu 275 Cumberland (Familie) 206, 215 Czernin (Familie) 46, 99, 104, 169, 198, 208, 215, 237, 303, 317 Czernin, Emma Gräfin von 240 Czernin, Eugen Graf von 231, 271, 340 Czernin, Franz Graf von 169, 180, 189, 219, 234, 241, 254, 340 Czernin, Josef Graf von 241 Czernin, Therese Gräfin von 340 Czernin-Morzin (Familie) 303 Czernin-Morzin, Rudolf Graf von 234, 273, 275, 276, 277, 340 Dalberg (Familie) 216 Deym (Familie) 198 Deym, Friedrich (Bedřich) Graf von 231, 340 Diefenbach, Leonhard 195 Dietrichstein (Familie) 208 Dietrichstein, Hugo Graf von 208 Dobrzensky (Familie) 198 Dobřenský, Jan Graf von 231 Dreihann-Holenia, Alice geb. Gräfin von Harrach 159 Eberle, Joseph Dr. 298, 301, 303 Eltz (Familie) 73, 219 Eltz, Stephanie Gräfin und Edle Herrin zu, verh. Gräfin von Harrach 10, 30, 41, 64, 71, 73, 74, 75, 77, 81, 85, 86, 88, 89, 96, 107, 114, 120, 139, 140, 154, 157, 158,

Personenregister

162, 190, 192, 193, 200, 201, 207, 221, 235, 238, 239, 244, 245, 247, 248, 251, 252, 255, 269, 281, 306, 307, 308, 309, 342, 343 Emmler, Franz Josef 76, 135 Erdödy (Family) 198 Ertl, Friedrich von 242 Esterházy (Familie) 99, 108, 214, 216, 237 Esterházy, Nikolaus Moritz Graf von 274, 275 Esterházy, Rudolf Prinz 275 (Bossi-)Fedrigotti, Ferd. Graf von 219 (Bossi-)Fedrigotti, Franzi Graf von 219 Fischer, Karl 147 Fuchs, Ludwig Freiherr von 301 Fuchs, Viktor Freiherr von 301 Fürstenberg (Familie) 99, 198, 212 Fürstenberg, Max Egon Fürst zu 276 Fürstenberg, Thery Fürstin zu 219 Galen, Pater 262 Gassauer, Anton Dr. 128, 133, 336 Görlich, 98, 341 Grumbt, Ernst 97 Gudenus (Familie) 215, 237 Gudenus, Leo Graf von 206 Habsburg, Habsburg-Lothringen (Familie) 108 Ferdinand I., Erzherzog 34, 288, Kaiser 35 Ferdinand II., Kaiser 35, 288 Franz Ferdinand, Erzherzog 43, 89, 219, 286, 287 Franz Joseph I., Kaiser 20, 39, 49, 170, 211, 220, 286, 287, 290, 291 Franz Salvator, Erzherzog 40, 219, 286, 287 Friedrich, Erzherzog 209, 286 Friedrich III., Erzherzog-Kaiser 287

361

Personenregister

Josef Ferdinand, Erzherzog 52 Karl, Erzherzog 170, Kaiser 265 Karl V., Kaiser 35 Karl Franz Joseph, Erzherzog 232, 286, 287 Leopold Salvator, Erzherzog 232, 233, 286 Ludwig Victor, Erzherzog 212 Maria Elisabeth, Erzherzogin 288 (Maria) Joseph(f )a, Erzherzogin 201, 209, 274 Maria Theresia, Erzherzogin 213 Maximilian II., Kaiser 35 Otto Franz Joseph, Erzherzog 197 Valerie, Erzherzogin 262, 286, 287 Zita, Erzherzogin 232, 286, 287 Hardegg (Familie) 209, 215, 237 Hardegg, Alice, Gräfin von, verh. Gräfin von Harrach 151, 205, 214, 287, 340 Hardegg, Max Graf von 206 Hardegg, Rudolf Graf von 213, 231, 274, 277, 340 Haugwitz, Friedrich Wilhelm Graf von 288 Haydn, Anna Maria 281 Haydn, Josef 281 Henn von Henneberg-Spiegel, Anna Freifrau von, geb. Gräfin von Harrach 38, 46, 47, 49, 51, 53, 54, 57, 59, 78, 79, 80, 81, 82, 82, 83, 84, 85, 86, 136, 137, 152, 165, 167, 168, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 178, 179, 181, 185, 186, 187, 189, 190, 212, 214, 216, 220, 223, 225, 226, 241, 246, 248, 259, 260-261, 263, 267, 268, 269, 274, 277, 278, 279, 318, 319, 320, 333, 340, 341 Henn von Henneberg-Spiegel, Gottlieb Freiherr von 38, 49, 59, 65, 80, 82, 83, 152, 153, 155, 167, 171, 172, 175, 178, 181, 182, 185, 186, 189, 190, 223, 226,

234, 235, 248, 249, 259, 263, 268, 277, 340 Hildebrandt, Johann Lukas von 144, 145 Hildprandt, Ferdinand Graf von 233, 234, 340 Hittmair, Rudolph, Bischof 261 Hohenlohe (Familie) 20, 212, 215, 227, 231, 237 Hohenlohe, Chlodwig Prinz zu 219 Hohenlohe, Franzi Prinz zu 213 Hohenlohe, Nicola Prinz zu 206 Hohenzollern Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 36 Hohenzollern, Wilhelm II., deutscher Kaiser 287 Hoyos (Familie) 99, 108, 209, 215, 237 Hoyos, Carli Graf von 206 Hoyos, Karoline Gräfin von 340 Hrdlicka, Otto 116, 129, 329 Hudal, Alois 305 Huyn, Karl Georg Graf von 219 Innitzer, Theodor, Erzbischof 262 Jonas, Franz Bundespräsident 158 Karolyi, Louis Graf von 195 Kaucký, Franz Dr. 52 Kinsky (Kinský) (Familie) 99, 198, 201, 215, 219, 237, 290, 307 Kinsky Friedrich Graf von 292 Kolowrat-Krakowsky, Zdenko Graf von 291 Kotyl, Wilhelm 116, 129, 329, 330 Kuefstein (Familie) 209, 237 Kuefstein, Karl Graf von 276, 340 Kun, Bela 119 Lanckoronski (Familie) 237 Lazansky (Familie) 46, 216, 237

362 Lazansky, Ida Gräfin von 340 Lazansky, Johann Graf von 276 Ledebur (Familie) 46, 215, 237 Ledebur, Adolf Graf von 231, 340 Ledebur, Eugen Graf von 276, 340 Ledochovski (Familie) 215, 216 Liechtenstein (Familie) 46, 99, 108, 147, 241 Liechtenstein, Alois Prinz zu 123, 242, 300, 340 Liechtenstein, Eduard Prinz zu 150, 151, 206, 246, 340 Liechtenstein, Fanny Prinzessin zu 214 Liechtenstein, Franz Prinz zu 273, 340 Liechtenstein, Johann Fürst zu 232, 275, 276 Liechtenstein, Louis Prinz zu 240 Lignitz, Auguste Fürstin von, geb. Gräfin von Harrach 36 Lobkowitz (-cz) (Familie) 46, 99, 107, 215, 216, 217, 232, 237, 290, 294 Lobkowitz, Anna, Prinzessin von, verh. Gräfin von Harrach 28, 41, 46, 53, 55, 58, 64, 68, 78, 79, 81, 83, 84, 85, 89, 102, 103, 106, 120, 170, 173, 182, 187, 190, 191, 200, 203, 205, 206, 213, 214, 221, 225, 240, 264, 265, 267, 275, 340, 342 Lobkowitz, Anna Berta Fürstin zu 240, 279, 340 Lobkowitz, August Prinz zu 123, 185, 195, 206, 231, 232, 233, 234, 253, 296, 340 Lobkowitz, Eduard Prinz zu 233, 234, 340 Lobkowitz, Ferdinand Prinz zu 210, 298 Lobkowitz, Ferdinand Zdenko Fürst zu 297 Lobkowitz, Franz Prinz zu 206, 340 Lobkowitz, Friedrich Fürst zu 340 Lobkowitz, Georg Prinz zu 210, 292 Lobkowitz, Gisella Prinzessin zu 279, 340 Lobkowitz, Heinrich Fürst zu 291 Lobkowitz, Henriette Prinzessin zu 279 Lobkowitz, Irma Prinzessin zu 219, 340

Personenregister

Lobkowitz, Jaroslav Prinz zu 124, 169, 180, 181, 231, 338, 340 Lobkowitz, Johannes Prinz zu 124, 240 Lobkowitz, Karoline Prinzessin zu 219, 261 Lobkowitz, Leopold Prinz zu 63, 340 Lobkowitz, Herzogin zu Raudnitz, Maria Margarethe, Gräfin von, verh. Gräfin von Harrach 38, 57, 68, 69, 97 Lobkowitz, Moritz Prinz zu 340 Lobkowitz, Paula Prinzessin zu 340 Lobkowitz, Rudolf Prinz zu 93, 141 Lobkowitz, Zdenko (Zdeni) Fürst zu 232, 240, 261, 276, 340 Lobkowitz, Vincenz Zdenko Prinz zu 235 Lubomirski (Familie) 209, 237 Ludwigstorff (Familie) 237 Lueger, Karl Dr. 300 Marenzi, Gabriel Graf von 38, 52, 59, 65, 82, 83, 86, 123, 138, 151, 156, 176, 177, 179, 181, 184, 185, 190, 199, 208, 209, 210, 215, 217, 239, 245, 247, 248, 261, 296, 331, 340, 341 Marenzi, Gabriele (Vella) Gräfin von, geb. Gräfin von Harrach 28, 30, 38, 46, 49, 51, 52, 53, 54, 57, 59, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 123, 137, 138, 139, 156, 163, 165, 167, 168, 170, 174, 177, 179, 181, 182, 184, 185, 189, 190, 199, 200, 208, 209, 210, 216, 220, 239, 240, 241, 246, 247, 261, 263, 267, 268, 269, 279, 313, 318, 319, 320, 331, 332, 333, 340, 341, 342 Marschall, Bernhard 301 Mensdorff-Pouilly (Familie) 209, 215, 237, 303 Mensdorff-Pouilly, Sofie Gräfin von 80 Mensdorff-Pouilly, Emmanuel Graf von 231, 235, 340

Personenregister

Mensdorff-Pouilly, Alph(f )ons Graf von 123, 233, 235, 297, 340 Mensdorff-Pouilly, Emmanuel Graf von 235, 340 Metternich (Familie) 208 Metternich, Fanny Fürstin zu 206 Metternich, Pauline Fürstin zu 209 Mier (Familie) 212 Miklas, Wilhelm Bundespräsident 281 Montecuccoli (Familie) 274 Montecuccoli, Franz Graf von 50, 340 Montecuccoli, Maximilian Graf von 340 Nagl, Franz Kardinal 260, 261 Nostitz-Rieneck (Familie) 294 Nostitz, Robert Graf von 241 Oberndorf, Manny Gräfin von 214 Oettingen-Wallerstein (Familie) 59, 66, 82, 215, 236, 266 Oettingen-Wallerstein, Ernestine Prinzessin zu, geb. Gräfin Czernin von und zu Chudenitz 41, 61, 66, 218 Oettingen-Wallerstein, Eugen Prinz zu 153, 199, 217, 234, 341 Oettingen-Wallerstein, Karl Prinz zu 41, 59, 61, 66, 155, 180, 341 Oettingen-Wallerstein, Karoline (Line) Prinzessin zu, verh. Gräfin von Harrach 30, 38, 39, 41, 45, 49, 54, 55, 58-59, 60, 61, 62, 63, 64, 65, 66, 67, 68, 71, 72, 73, 78, 81, 82, 84, 85, 123, 136, 140, 151, 152, 153, 154, 155, 156, 160, 161, 162, 164, 165, 167, 168, 173, 174, 176, 178, 179, 181, 182, 183, 184, 186, 189, 191, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 201, 202, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 221, 225, 226, 227, 234, 240, 241, 242, 244, 246, 252,

363 253, 260, 262, 263, 266, 268, 269, 274, 278, 281, 334, 340, 341 Oettingen-Wallerstein, Mathilde (Mettl) Prinzessin zu 66, 179 Oettingen-Wallerstein, Sophie Prinzessin zu 62 Oscar, König von Schweden 170 Palffy (Familie) 210, 216, 237 Pálffy, Paul Graf von 220 Pallavicini (Familie) 204, 212, 219, 237 Perreira, Elisabeth 184 Plachy, Ferdinand Dr. 94, 125 Pleß, Daisy Fürstin von 153, 250 Potocki (Familie) 209, 237 Potocki, Roman Graf von 209 Potocki(a), Betka Gräfin von 209 Preysing-Lichtenegg, Elisabeth Gräfin von, verh. Gräfin von Harrach 30, 39, 77, 136, 173, 176, 179, 181, 182, 224, 340 Reich von Rohrwig, Otto Dr. 94, 130,328 Riedele Walter 306 Riffl, Kardinal 281 Rivera, Duca 213 Rohan, Alain Prinz zu 63, 341 Rohan, Karl Anton Prinz zu 58, 305, 341 Salm (Familie) 46, 208, 215, 237 Salm, Erich Altgraf von 250 Salm, Marie Gräfin von 219, 235, 341 Salm, Rudolf Graf von 234, 235, 341 Schenk von Stauffenberg (Familie) 46 Schenk von Stauffenberg, Eberhard Graf von 341 Schenk von Stauffenberg, Eleonore Gräfin von 335 Seilern (Familie) 209 Schlick (Familie) 107, 209

364 Schlick, Gizina Gräfin von 206 Schloissnig, Baron 231 Schönborn (Familie) 46, 215, 237, 240, 241 Schönborn, Anna Gräfin von 341 Schönborn, Franzi Graf von 219 Schönborn, Hans Graf von 341 Schönburg (Familie) 209, 212, 215, 237, 261 Schönburg, Hans Prinz zu 341 Schönburg-Hartenstein (Familie) 46, 221 Schönburg-Hartenstein, Alois Fürst zu 176, 180, 189 Schönburg-Hartenstein, Hans Fürst zu 221 Schöpfer, Aemilian Dr. 298, 300, 301, 302 Schrötter, Leopold Dr. 170 Schwarzenberg (Familie) 19, 21, 46, 75, 99, 104, 106, 107, 108, 147, 159, 196, 198, 217, 227, 237, 268, 290, 294, 303, 304, 307, 317 Schwarzenberg, Adolf 291 Schwarzenberg, Adolf Josef Fürst zu 46, 260, 276 Schwarzenberg, Fido 217 Schwarzenberg, Friedrich (Bedřich) Prinz zu 296, 341 Schwarzenberg, Johann II. Fürst zu 104 Schwarzenberg, Johann Adolf II. Fürst zu 269, 304 Schwarzenberg, Karl 240 Schwarzenberg, Marie Christine Prinzessin zu 341 Schwarzenberg, Therese 123, 241 Serenyi (Sérenyi) (Familie) 215, 219 Serenyi, Otto Graf von 341 Sophia, Königin von Schweden 170 Sprinzenstein, Max Graf von 240 Starhemberg (Familie) 303 Stauffenberg, Franzi 241 Sternberg (Familie) 208, 209, 237

Personenregister

Sternberg, Philip Graf von 306 Sternberg-Larisch (Familie) 207 Sternberg-Larisch, Franziska Gräfin von 211 Stolberg (Familie) 303 Streitech, Julius 306 Sušta, Josef 106, 304 Széchényi 215, 240 Taaffe (Familie) 294 Taaffe, Heinrich Graf von 241 Tarnowski (Familie) 200 Thun und Hohenstein (Familie) 46, 84, 120, 215, 217, 237, 294 303 Thun und Hohenstein, Ernestine Gräfin von 341 Thun und Hohenstein, Franz Graf von 198, 210, 341 Thun und Hohenstein, Gabriele (Gabi) Gräfin von 80, 84, 341 Thun und Hohenstein, Jaroslav Graf von 297, 341 Thun und Hohenstein, Josef Graf von 341 Thun und Hohenstein, Karl Graf von 341 Thun und Hohenstein, Max Graf von 206, 341 Thun und Hohenstein, Vincenz, Prinz zu 274 Thurn und Taxis (Familie) 46, 198, 204, 211, 231, 237, 241, 237 Thurn und Taxis, Alexander (Alex) Prinz zu 274, 341 Thurn und Taxis, Erich Prinz zu 341 Thurn und Taxis, Hugo Prinz zu 241 Thurn und Taxis, Karoline Prinzessin zu 79, 80, 241, 260, 341 Thurn und Taxis, Maria Theresia Prinzessin zu, verh. Gräfin von Harrach 39, 45, 68, 69, 70, 79, 80, 176, 187, 211, 225, 267, 278, 340

365

Personenregister

Thurn und Valsassina (Familie) 169, 195 Thurn und Valsassina, Vincenz Prinz zu 169, 180, 181, 195, 275, 341 Trauttmansdorff (Familie) 212, 215, 237 Trauttmansdorff, Ferdinand Graf von 198, 240 Trauttmansdorff, Karl Graf von 261 Trauttmansdorff, Mira Gräfin von 198, 218 Tschorsky (Familie) 209 Waldburg (Familie) 237 Waldburg zu Zeil und Trauchburg, Johanna Gräfin von, geb. Gräfin von Harrach 41, 158 Waldstein (Familie) 99, 105, 240 290 Wallenstein, Albrecht von, General 35, 288 Wallis, Hedwig Gräfin von, geb. Henn von Henneberg-Spiegel 172, 184-185 Walterskirchen (Familie) 237 Walterskirchen, Otto Baron 217 Wambolt (Familie) 213, 215, 216, 237 Weichs, Friedrich Freiherr zu, Dr. 297 Willman, Professor 262 Windisch-Graetz (Familie) 19, 46, 49-50, 73, 82, 86, 99, 104, 177, 178, 237, 244, 247, 317, 319 Windisch-Graetz, Alfred III. Fürst zu 86, 341 Windisch-Graetz, Ferdinand 179, 228 Windisch-Graetz, Franz Prinz zu 39, 49, 50, 52, 60, 69, 77, 86, 138, 156, 178, 179, 190, 192, 210, 335, Windisch-Graetz, Hans 56, 57, 85, 200, 243, 249 Windisch-Graetz, Josef Prinz zu 341 Windisch-Graetz, Lucie Prinzessin zu, geb. Vettel 243

Windisch-Graetz, Ludwig 177 Windisch-Graetz, Margarethe (Marga) Prinzessin zu, geb. Gräfin von Harrach 30, 39, 46, 47, 49, 50, 51, 52, 53, 54, 55, 56, 57, 60, 66, 69, 77, 79, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 137, 138, 156, 163, 174, 177, 178, 179, 186, 190, 197, 198, 211, 212, 220, 228, 243, 247, 249, 250, 279, 318, 319, 320, 333, 335, 340 Windisch-Graetz, Marie 179 Windisch-Graetz, Otto 241 Windisch-Graetz, Valerie 58 Windisch-Graetz, Vincenz 240 Wiser, Graf Dr.174, 175 Wisniewski (Familie) 320 Wisniewski, Hans (Johann) Graf von 75, 76, 77, 85174, 184, 200, 340 Wisniewski, Maria Theresia (Mitzi) Gräfin von, geb. Gräfin von Harrach 30, 38, 46, 51, 53, 54, 55, 57, 60, 70, 75, 76, 77, 78, 80, 81, 82, 83, 85, 87, 137, 139, 154, 155, 157, 160, 162, 165, 168, 170, 173, 174, 176, 177, 179, 180, 181, 182, 184, 186, 190, 195, 196, 197, 200, 201, 202, 207, 209, 210, 211, 212, 219, 225, 226, 228, 238, 240, 241, 245, 246, 253, 267, 268, 273, 274, 276, 279, 313, 318, 319, 320, 332, 333, 340 Wisniewski, Stanislaus (Stas) Graf von 38-39, 60, 65, 70, 80, 85, 155, 157, 180, 181, 182, 190, 332, 333 Wrbna, Elvira Gräfin von 213 Zichy (Familie) 215, 237, 261

Ortsregister

Abbazia 50, 64, 66, 67, 73, 79, 136, 160, 165, 169, 170, 171, 172, 173, 177, 182, 185, 187, 189, 190, 191, 199, 203, 206, 208, 212, 213, 214, 216, 218, 224, 225, 240, 266, 311, 312 Adria 169, 171, 173, 187, 189, 203, 216, 311 Afrika 173, 191, 192, 312 Ägypten 136, 166, 172, 173, 185, 188, 189, 190, 191, 192, 224, 225, 311, 320 Alkoven 231 Alt-Pernstein 228 Amerika 156, 178 Argentinien 178 Arnoštov 324 (Stauff-)Aschach a. d. Donau (Schloss) 53, 55, 81, 83, 84, 91, 93, 97, 99, 100, 107, 111, 122, 125, 141, 145, 147, 159, 160, 171, 184, 199, 200, 224, 233, 261, 275, 319, 355 Athen 175 Augsburg 183 Au Zillergrund 224 Bad Gastein 140, 165, 191, 312 (Bad) Ischl 95 (Bad) Karlsbrunn/Karlova Studánka 52, 165, 167, 174, 180, 182 Bad Kreuznach 41, 307 Bad Liebenstein 165, 174, 175, 188, 355 Bad Misdroy/Międzyzdroje 166, 174, 188

Bad Reichenhall 84, 165, 174, 188, 190, 191, 200, 312, 355 Bad Wildungen 165, 174, 182, 188 Baden 224 Baden-Baden 165, 174 Balaton 165, 168, 174, 179, 268 Ballenstadtbad 168, 175 Baldern 61 Bayern 33,41, 59, 82, 155, 178, 179, 181, 183, 197, 199, 236, 239, 266, 312 Belgien 166, 177 Benecko (Starkenbach) 113, 227, 229 Berlin 36, 153, 158, 165, 175, 182, 203, 212, 217, 234, 239, 294 Bern 182 Blatka 233, 234 Boharna 94 Böhmen 21, 31, 32, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 48, 54, 57, 58, 61, 62, 77, 84, 91, 92, 94, 95, 97, 98, 99, 100, 101, 104, 107, 108, 109, 110, 112, 113, 115, 117, 118, 119, 121, 124, 125, 126, 128, 129, 130, 136, 142, 147, 157, 159, 160, 162, 168, 173, 176, 178, 181, 185, 186, 187, 194, 197, 198, 215, 223, 226, 230, 232, 237, 238, 246, 258, 263, 266, 270, 274, 276, 277, 279, 283, 285, 288, 290, 292, 293, 294, 302, 305, 306, 307, 309, 311, 313, 314, 315, 316, 317, 320, 327

367

Ortsregister

Böhmisch Skalitz/Česká Skalice 283 Bolivien 178 Bologna 183 Boskov(w)itz/Boskovice 233, 235 Bosnien 171, 287, 311 Branna/Branná 81, 91, 94, 100, 113, 114, 229, 258, 325, 326, 342, 343 Bregenz 260 Breslau 175 Brioni, Insel 172, 173 Brixen 172 Bruck a. d. Leitha 4, 43, 86, 94, 100, 106, 107, 111, 112, 120, 124, 125, 126, 127, 134, 141, 142, 143, 144, 159, 198, 223, 229, 233, 247, 255, 272, 273, 306, 307, 314, 331, 343, 355 Bruckneudorf 100, 107, 111, 119, 317 Brünn 10, 28, 179, 199, 259, 342 Brüssel 36, 42, 54, 288 Budapest 86, 137, 138, 166, 184, 185, 240 Budweis 184, 185, 259 Bukowina 199, 285 Burgenland 91, 92, 100, 106, 119, 127, 199 Calais (Pas de Calais, Frankreich) 166, 177, 188, 197, 198 Cannes 166, 177, 182, 188 Chartum (Khartoum, Sudan) 225 Cheynov 104 Chicago 114 Chile 178 Chotelic 235 Chudenitz 104 Czernowitz 156, 199, 239 Dalmatien 165, 171, 173, 188, 190, 199 Deutsches Reich 27, 46, 96, 107, 165, 170, 174, 189, 250, 309, 311, 312, 320

Deutschland 11, 18, 19, 28, 41, 72, 137, 168, 173, 174, 175, 177, 179, 185, 203, 204, 205, 235, 238, 242, 250, 269, 277, 300, 305, 306, 307, 309, 314 Deutschösterreich 101, 119, 303, 309 Dohalitz (Dohalice, Dohaličky) 94, 258 Dornbach 199 Draziska/Dražičky 97, 99, 100, 102, 112, 229 Dresden 166, 175, 182, 183, 188, 210 Ecuador 178 Eisenstadt (Burgenland) 198 England 11, 26, 29, 144, 150, 151, 153 Feldkirch 53 Fiume/Rijeka 172, 173, Florenz 88, 176, 184, 234, 311 Frankreich 16, 26, 27, 74, 150, 151, 158, 163, 166, 176, 177, 178, 188, 191, 197, 199, 222, 260, 263, 269, 314 Franzensbad 124, 165, 167, 168, 169, 187, 189, 311 Frauenberg/Hluboká 104, 147 Friedrichstein (Schloss) 153–154 Friedrichsthal 105, 113, 224, 229 Frischau 89, 249

156, 189, 311, 181,

Gablonz 306 Galgolz 198 Galizien 39, 54, 70, 77, 83, 85, 86, 123, 154, 157, 179, 181, 185, 195, 199, 200, 209, 210, 226, 228, 238, 239, 246, 267, 276, 285, 290, 296, 332 Gallspach (Oberösterreich) 87 Gmunden 70 Göggingen (Schwäbisches Bayern) 183 Görz 51, 53, 81, 136, 165, 172, 173, 178,

368 182, 185, 187, 214, 216, 239, 261, 266, 267, 268 Grado 165, 169, 173, 187 Graz 165, 187 Gries (Bozen) 51, 53, 54, 78, 165, 172, 178, 187, 223, 259, 266, 267, 268 Grinzing 161 Groß-Barchov (Velký Barchov) 94, 95, 97, 100 Großbritannien 96, 158, 172, 177, 189 Groß-Herlitz (Velké Heraltice, Schloss) 221 Groß-Meseritsch/Velké Meziříčí 28, 42, 93, 99, 100, 111, 112, 113, 122, 125, 141, 147, 155, 160, 177, 199, 230, 239, 259, 287 Gross-Priesen 97 Groß-Ullersdorf (Schloss) 123, 242 Guatemala 178 Hannover 259 Harrachsdorf 40, 49, 105, 113, 179, 224, 227, 229, 234, 328 Hartenberg, Schloss 38, 178, 226, 234, 268 Heiligendamm 166, 174, 182, 188 Herzegowina 165, 171 Hlubosch/Hluboš 60, 61, 62, 81, 226, 234, 266 Hohenaltheim bei Nördlingen 236 Hohenelbe 234, 276, 277, 291 Hrabačov 113, 116, 229, 324, 327 Hradec Králové/Königgrätz 12, 33, 34, 94, 124, 128, 199, 236, 258, 259, 283, 290, 291, 295 Hradek bei Nechanitz/Hrádek u Nechanic(e), Schloss 12, 43, 50, 51, 53, 55, 56, 65, 67, 73, 78, 82, 83, 84, 94, 96, 97, 102, 103, 105, 106, 120, 121, 124, 131, 132, 133, 141, 142, 147, 148, 149, 150, 151, 153,

Ortsregister

154, 158, 159, 160, 162, 163, 167, 168, 170, 174, 179, 182, 184, 185, 199, 200, 201, 220, 224, 226, 227, 228, 230, 232, 233, 234, 235, 238, 240, 246, 248, 255, 258, 259, 260, 263, 266, 268, 278, 283, 295, 305, 308, 311, 319, 336 Hradek bei Schüttenhofen, Schloss 38, 47, 49, 51, 53, 71, 78, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 137, 152, 153, 167, 168, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 178, 179, 182, 184, 185, 186, 189, 212, 220, 223, 226, 234, 235, 241, 246, 248, 249, 259, 263, 267, 268, 269, 274, 277, 278, 279, 287, 320 Hradsko 324 Hütteldorf 123, 161, 199 Illyrien 290 Indien 190 Innsbruck 165, 172 Istrien 165, 188, 190 Italien 16, 18, 26, 79, 166, 175, 176, 188, 189, 191, 192, 245, 278, 311, 312 Janowitz bei Römerstadt/Janovice u Rýmařova 28, 83, 91, 93, 97, 99, 100, 103, 104, 110, 111, 112, 113, 122, 141, 151, 155, 160, 167, 199, 224, 227, 228, 229, 230, 259, 287, 319 Jermer/Jaromĕř 283 Johannesberg 113, 229 Johannisbad 82, 165, 167, 168 Jordanbad 165, 175, 188 Jugoslawien 20 Kahlenberg 161 Kairo 172, 182, 225 Kalksburg 198 Kaltenberg 105, 113, 229

369

Ortsregister

Karlsbad 114, 116, 124, 127, 165, 166, 167, 168, 169, 170, 180, 182, 183, 187, 189, 311, 327 Kiew 241 Klattau 279 Klusow 332 Kolomea 30 Kozinec 324 Krain 185 Krakau 179 Kravin(y) 227, 229 Krimitz 50, 124 Kroatien(-Slawonien) 9, 162 Kronstadt 80, 81, 83, 86, 156, 179, 185, 240, 267 Krojnewice Zužel 39 Krosniewice 157 Kruh 113, 229 Krumau 76, 83, 104, 199, 230, 291 Krystynopol 39, 53, 54, 70, 77, 78, 80, 81, 82, 83, 154, 155, 157, 174, 176, 179, 195, 200, 201, 202, 226, 228, 240, 246, 267, 318, 332 Kundschitz/Kunčice 94, 95, 97, 100 Laibach 179 Laxenburg 198 Lehenshofen, Schloss 228, 241 Lehenstiefen, Schloss 177 Leipzig 183 Leitomischl/Litomyšl 291 Lemberg 30, 38, 47, 49, 51, 53, 54, 55, 70, 76, 77, 80, 81, 82, 83, 87, 155, 156, 157, 160, 167, 168, 170, 173, 179, 182, 184, 196, 197, 199, 200, 202, 207, 209, 210, 212, 219, 240, 241, 246, 267, 268, 269, 273, 276, 279, 313, 318, 320 Lhotta 94, 97, 221

Libcan/Libčan(y) 97, 100, 121, 124, 258 Linz 185, 261, 263 Lobositz 276 Lombardei 35, 288 London 152, 158, 161, 166, 177, 320 Lopatyn 78, 179 Lourdes 263, 311 Luditz 328 Lusin 173 Madrid 35, 42, 166, 177, 188, 239, 288 Mähren 10, 21, 31, 32, 37, 41, 91, 92, 93, 97, 99, 100, 101, 103, 109, 119, 122, 125, 157, 160, 185, 199, 209, 215, 223, 230, 237, 270, 283, 285, 287, 294, 315, 316, 319 Mährisch Budwitz 234, 235 Mariazell 224, 262 Marienbad 165, 166, 167, 169, 181, 187, 189, 311 Mecklenburg-Schwerin 174 Meran 165, 172, 179, 187 Mielec 179 Milleschau 276 Mitteleuropa 24, 46, 71, 163, 210, 220, 250, 252, 257 Monte Carlo 66, 178 Moos 224 Moskau 114, 116, 124, 166, 177, 327 München 82, 156, 166, 170, 175, 179, 182, 183, 188, 305 Münchengrätz 105 Nachod (Náchod) 283 Nagyszombat 277 Neapel 35, 175, 288 Nechanic(e)/Nechanitz 128, 258, 263, 295, 328

370 Neudorf 94, 100 Neu-Pernstein/Neupernstein 50, 53, 77, 81, 82, 85, 156, 157, 167, 168, 174, 179, 189, 250, 279 Neustadt/Nové Město 283 Neuwelt/Nový Svět 35, 43, 73, 105, 107, 113, 114, 115, 116, 124, 127, 153, 176, 199, 226, 228, 229, 234, 258, 276, 279, 316, 324, 327, 328 New York 178 Nicaragua 178 Niederbayern 39 Niederlande 26, 36, 288 Niederösterreich 12, 31, 32, 33, 34, 35, 37, 39, 40, 41, 77, 91, 92, 94, 95, 99, 100, 106, 107, 108, 110, 112, 115, 119, 122, 123, 124, 125, 126, 127, 131, 133, 136, 141, 142, 157, 159, 160, 162, 168, 181, 187, 198, 215, 223, 229, 232, 237, 258, 266, 284, 286, 309, 311, 314, 315, 316, 317 Nizza 184, 191, 311 Nordafrika 171 Nordböhmen 105, 275, 280, 304 Norderney 166, 173, 174, 182, 183, 188, 355 Nordhessen 174 Norditalien 151, 161, 242 Nordkroatien 162 Nordmähren 93, 123, 141, 242 Nová Paka 258 Nový Bydžov 258 Novydvor 332 Nürnberg 175 Oberbayern 84, 200 Oberösterreich 31, 33, 37, 41, 77, 91, 93, 97, 99, 107, 110, 111, 122, 141, 160, 16, 200, 263, 286, 288, 320

Ortsregister

Oberschlesien 153 Obora 229 Olmütz 21, 38, 51, 53, 54, 81, 82, 83, 156, 168, 176, 177, 179, 185, 199, 208, 209, 210, 216, 261, 267, 313 Opotschno/Opočno 283 Ostböhmen 10, 12, 28, 43, 107, 141, 147, 229, 275 Ostende 166, 177 Österreich 9, 12, 15, 16, 17, 19, 32, 35, 42, 43, 63, 64, 66, 74, 77, 81, 88, 91, 95, 99, 106, 108, 117, 120, 124, 125, 126, 127, 128, 132, 133, 139, 145, 147, 151, 154, 158, 161, 162, 168, 172, 176, 179, 186, 220, 221, 230, 235, 243, 245, 250, 252, 256, 258, 262, 270, 272, 274, 277, 290, 293, 294, 297, 298, 299, 301, 302, 303, 305, 310, 314, 315, 316, 321, 322, 337 Österreich ob der Enns 35, 289 Österreich unter der Enns 35 Österreich-Ungarn 9, 20, 32, 166, 170, 177, 189, 195, 201, 205, 220, 224, 237, 242, 259, 264, 287, 289, 293, 299, 300, 301, 302, 305, 309, 312, 315, 320 Ostpreußen 154, 197 Oustrasic 229 Pachfurt(h) 227, 229 Palermo 175 Pardubice 198 Paris 166, 174, 176, 177, 178, 182, 188, 190, 195, 203, 209, 218, 311, 320 Parndorf 94, 100, 328 Parsch 77, 82, 85, 86, 156, 178, 191, 250 Passau 199 Peggau 176, 185, 197, 224, 230 Penzing 198 Peru 178

371

Ortsregister

Petersburg, Böhmen 30, 62, 81, 123, 194, 242, 266, 328 Petersburg St., 114, 116, 124, 152, 203, 327 Petronell 233, 238 Petrowitz/Petrovice 94, 95, 100, 258 Philadelphia, USA 115, 177 Piemont 242 Plana/Planá 91, 97, 99, 100, 110, 111, 112, 113, 114, 116, 121, 125, 128, 141, 227, 229, 258, 263, 265, 274 Pleß, Schloss 153 Pola 172, 173 Polen 107, 157, 174, 318 Pommern 182 Portorose 173 Port-Said 185 Potsdam 174 Pötzleinsdorf 40 Prag 35, 39, 47, 49, 50, 75, 76, 79, 92, 95, 98, 102, 109, 116, 124, 127, 129, 130, 132, 135, 140, 170, 174, 177, 180, 182, 184, 194, 195, 197, 206, 208, 210, 212, 213, 217, 218, 226, 235, 236, 240, 258, 260, 265, 266, 271, 272, 276, 279, 288, 289, 292, 304, 320, 327, 328, 330, 335, 338 Prag, Palais Harrach in 63, 82, 97, 124, 141, 319, 338 Prater 196, 198 Pressburg/Bratislava 184, 198 Preußen 36, 161 Prim/Přím 97, 100, 124, 229, 231 Probluz 258 Prugg, Schloss 27, 28, 35, 40, 41, 47, 53, 55, 65, 66, 67, 70, 73, 76, 79, 80, 82, 83, 85, 91, 92, 94, 95, 97, 100, 104, 106, 108, 110, 111, 116, 119, 120, 122, 125, 127, 128, 129, 133, 134, 138, 140, 141, 142,

143, 144, 151, 153, 154, 158, 161, 162, 167, 171, 174, 184, 195, 196, 197, 198, 199, 200, 226, 227, 228, 229, 230, 231, 235, 238, 240, 245, 246, 261, 269, 272, 273, 275, 278, 279, 296, 311, 312, 314, 317, 319, 330, 334, 343, 355 Puchlowitz/Puchlovice 94, 97

159, 191, 201, 232, 266, 281, 327,

160, 194, 224, 233, 268, 286, 328,

Radikovic 94 Radostov 94, 229 Ragusa/Dubrovnik 171, 172, 173 Raudnitz 38, 232 Rena 39 Rezek 113, 153, 229, 234 Riesengebirge/Krkonoše 43, 106, 107, 112, 167, 176, 316 Rio de Janeiro 178 Rochlitz 37, 109, 275, 291 Rohrau (Schloss), 10, 27, 28, 33, 34, 35, 40, 41, 43, 47, 50, 60, 63, 65, 66, 67, 68, 72, 73, 80, 81, 82, 84, 85, 87, 88, 91, 92, 93, 94, 95, 96, 97, 100, 107, 108, 110, 111, 116, 119, 120, 122, 124, 125, 127, 141, 142, 144, 145, 152, 153, 154, 157, 158, 159, 160, 161, 162, 163, 168, 171, 195, 196, 199, 225, 226, 227, 229, 230, 231, 233, 247, 255, 266, 268, 272, 275, 281, 311, 314, 319, 327, 328, 330, 332, 343 Roketnice 324, 325, 326 Rom 42, 166, 175, 176, 184, 188, 191, 213, 240, 261, 280, 288, 305, 311, 320 Römerbad/Rimske Toplice 171 Rostock 268 Rostok/Roztoky 258, , 324 Rumburg 328 Russland 39, 278, 298

372 Rzeczow 179 Sachsen 232, 239, 245 Sachsen-Coburg 206 Sachsen-Meiningen 174 Sadowa/Sadová 10, 12, 91, 92, 94, 95, 97, 99, 101, 102, 104, 105, 107, 110, 112, 113, 114, 116, 117, 118, 121, 124, 125, 127, 128, 133, 229, 230, 231, 258, 263, 295, 316, 327 San Salvador 178 Sarajewo 43, 89, 287 Sáropatak 247 Schärding 199 Schindelthal 78, 97, 98, 153, 179, 224, 225, 232, 260, 276, 277 Schlesien 37, 92, 98, 109, 167, 270, 285, 294 Schluckenau/Šluknov 92, 97 Schönbrunn 95, 198, 199, 212 Schönhof 169, 180, 189, 234, 241 Schottland 260 Schwaben 155, 175, 236 Schweiz 156, 178, 182 Seifenbach 105, 113, 229, 234 Semmering 165, 168, 187, 355 Seyfriedsberg 236 Siebenbürgen 165, 185, 187 Sizilien 176 Slowakei 9, 302 Slowenien 9, 11, 162, 171 Spalato/Split 171 Spindelmühle 233, 234, 273, 275 St. Blasien 82, 179, 199 Starkenbach/Jilemnice 10, 28, 35, 37, 40, 43, 49, 55, 73, 82, 91, 92, 94, 95, 97, 99, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 109, 110, 111, 112, 113, 114, 116, 117, 118, 119, 120, 121, 124, 125, 127, 128, 130, 131,

Ortsregister

132, 133, 140, 141, 142, 153, 159, 160, 162, 163, 176, 184, 199, 224, 226, 227, 229, 230, 231, 233, 234, 258, 275, 276, 280, 304, 308, 316, 317, 319, 323, 324, 325, 326, 327, 342, 343 Steiermark 98, 168, 215, 228, 232, 238 Stejskal 229 Stepanovic/Štěpanovic/Štěpanice 113, 258 Stockholm 42, 305 Stösser (Stěžer(y)) 33, 34, 91, 94, 99, 110, 258 Stratschov (Stračov) 94, 95, 97, 100, 229 Strkow/Strkov 63, 64, 65, 67, 73, 78, 81, 82, 91, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 106, 111, 112, 113, 114, 116, 118, 120, 121, 125, 127, 128, 131, 138, 141, 153, 154, 159, 160, 162, 163, 173, 179, 183, 184, 189, 194, 196, 198, 199, 200, 201, 221, 224, 227, 228, 230, 231, 232, 233, 240, 248, 250, 258, 265, 266, 277, 278, 280, 304, 319, 327 Suchá 258 Sudan 136, 225 Südamerika 178 Südböhmen 33, 82, 86, 97, 106, 141, 185, 199, 212, 229, 246, 263, 278 Südtirol 172, 188, 311 Tabor/Tábor 48, 97, 125, 141, 159, 184, 199, 229, 258, 263, 328 Tarnow 179 Teplitz 169, 180, 254, 279 Thannhausen 35, 93 Thüringen 174 Tirol 179 Triest 165, 172, 173, 185, 187, 239, 292, 293 Trnawa/Trnava 94, 97 Troja 175 Troppau/Opava 221

Ortsregister

Trübau 291 Tschechien 9, 11, 12, 20, 43, 256 Tschechoslowakei/ČSR 15, 16, 17, 21, 28, 41, 56, 95, 101, 103, 104, 105, 106, 107, 117, 118, 119, 120, 127, 128, 130, 132, 134, 158, 162, 221, 235, 255, 258, 280, 281, 302, 303, 304, 305, 307, 310, 314, 315, 316, 317, 318, 321, 322 Tschernilow/Černilov 94 Turin 152, 288 USA 11, 190 Venedig 150, 166, 172, 173, 175, 176, 184, 188, 311 Verona 166, 172, 188 Vitkovic/Vítkovice 113, 324 Vorderasien 171 Vrchlabí 258 Wallerstein (Schloss) 155, 179, 236 Warschau 210, 240 Wels 38, 51, 52, 77, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 123, 139, 156, 157, 162, 179, 184, 199, 200, 239, 247, 248, 263, 267, 279, 320 Westböhmen 166 Westmähren 141 Westungarn 91 Weymouth 328 Wien 36, 37, 39, 40, 41, 42, 47, 48, 49, 50, 52, 54, 55, 58, 62, 63, 65, 66, 67, 68, 71, 72, 73, 75, 76, 78, 79, 80, 81, 82, 83, 85, 86, 94, 95, 96, 97, 98, 100, 108, 109, 114, 116, 119, 120, 123, 124, 126, 127, 128, 129, 130, 131, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 139, 140, 141, 142, 145, 146, 151, 152, 153, 157, 159, 160, 161, 162, 163, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 176,

373 178, 179, 180, 183, 184, 185, 191, 194, 195, 196, 197, 198, 199, 201, 202, 203, 204, 205, 206, 207, 208, 209, 210, 212, 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 224, 226, 227, 232, 233, 234, 238, 239, 240, 242, 243, 246, 250, 253, 255, 260, 261, 262, 263, 264, 265, 266, 268, 270, 271, 272, 273, 274, 275, 276, 277, 278, 281, 286, 287, 288, 291, 292, 295, 296, 297, 298, 299, 301, 302, 304, 305, 308, 309, 311, 312, 313, 314, 319, 320, 321, 327, 328, 329, 330, 331, 332, 333, 334, 335, 336 Wien, Palais Harrach in 41, 43, 63, 71, 73, 81, 82, 83, 85, 94, 108, 120, 124, 127, 129, 134, 135, 139, 141, 142, 145, 146, 151, 153, 158, 159, 160, 161, 199, 201, 204, 205, 206, 208, 213, 214, 246, 260, 265, 275, 304, 311, 312, 319, 320, 330, 335 Wiener Neustadt 232, 233, 234 Wilhelmshöhe 174, 182, 183 Winterberg 104 Witkowitz 229 Wittingau 76, 106, 123, 197, 227, 241, 304 Wollin 174 Wössekerbande 234 Zdiar/Žďár 94, 95, 100, 113, 229 Zeltsch/Zelč 48, 49, 60, 63, 64, 65, 91, 97, 98, 99, 100, 102, 111, 112, 113, 114, 116, 121, 135, 141, 159, 160, 163, 177, 194, 226, 229, 230, 266, 286, 331 Zinkau/Žinkow/Žinkovy) 49, 97, 98, 332, 333 Zürich 179, 335 Zužel (Schloss) 39, 155, 157 Zwikow/Zvíkov 94, 95, 97, 100

JAN GALANDAUER

FRANZ FÜRST THUN STATTHALTER DES KÖNIGREICHES BÖHMEN

Franz von Thun und Hohenstein (1847–1916) zählt zu den bedeutendsten Persönlichkeiten der österreichischen und tschechischen Geschichte. Zwei Mal war er Statthalter von Böhmen (1889–1896 und 1911–1915), einmal Ministerpräsident und Innenminister der im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder (1898–1899). Das Werk des Historikers Jan Galandauer hat die Entwicklungen der politischen Geschichte im Blick und stellt Thun als Repräsentanten des böhmischen Adels vor den Hintergrund des Nationalitätenkonflikts, der (teilweise) ungelösten sozialen Spannungen, wirtschaftlichen Herausforderungen und gesellschaftlichen Neuorientierungen seiner Zeit. Für eine deutschsprachige Leserschaft werden wichtige und erhellende Einblicke anhand des Lebensweges von Fürst Thun vor dem Hintergrund eines um seinen Bestand ringenden und in den Endzügen liegenden Reiches geboten. 2014. 384 S. 79 S/W- UND 20 FARB. ABB. GB. MIT SU. 170 X 240 MM. ISBN 978-3-205-78820-1

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DIE FAMILIE HOHENLOHE EINE EUROPÄISCHE DYNASTIE IM 19. UND 20. JAHRHUNDERT

Die Familie Hohenlohe war eine der einflussreichsten europäischen Dynastien, die ihre herausragende Bedeutung und führende Stellung im Deutschen Kaiserreich und in der Habsburgermonarchie im langen 19. Jahrhundert erlangt hatte. Ihre Familienmitglieder bekleideten wichtige Ämter in der Politik, Diplomatie, Kirche und beim Militär. Zugleich haben sie sich im Bereich der Kunst, Musik und des Sports engagiert. Der vorliegende Sammelband präsentiert Lebensabrisse der bedeutendsten Mitglieder der Familie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Neben den bekannten Repräsentanten wie Reichskanzler Chlodwig und Obersthofmeister Constantin Hohenlohe werden Persönlichkeiten vorgestellt, deren Bedeutung und Einfluss damals unbestritten war, die heute aber fast in Vergessenheit geraten sind. Darunter befinden sich der zweitreichste Mann im Deutschen Kaiserreich“, der Präsident des ersten Deutschen Olympischen Komitees, ein „Duzfreund“ des deutschen Kaisers und des russischen Zaren oder auch ein Freund und Förderer des Komponisten Franz Liszt. 2013. 413 S. 16 S/W-ABB. GB. 155 X 230 MM. | ISBN 978-3-412-22201-7

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