Die Französische Revolution: Herausgegeben:Puschner, Uwe [2 ed.] 3534268075, 9783534268078

Die Französische Revolution bildet eine entscheidende Zäsur für die französische wie auch die europäische Geschichte. Si

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German Pages 164 [165] Year 2016

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Table of contents :
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Titel
Impressum
Inhaltsverzeichnis
Geschichte kompakt
Einleitung
I. Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster
II. Vorgeschichte und Ursachen
1. Frankreich im späteren 18. Jahrhundert
2.Versuche der Lösung der Krise
III. Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie
1. Die konstitutionelle Revolution
2. Radikalisierung
3. Gironde versus Montagne
4. Die Terreur (Schreckensherrschaft)
5. Die Reaktion im Thermidor
6. Das Direktorium
6.1 Innenpolitik
6.2 Außenpolitik
IV. Die napoleonische Zeit
V. Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich?
VI. Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten
1. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation
2. Die Batavische Republik
3. Die Schweiz
4. Italien
5. Republikanismus auf den britischen Inseln
6. Haiti
7. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Spanisch-Amerika
VII. Fazit
Auswahlbibliographie
Namensregister
Abbildungsnachweis
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Die Französische Revolution: Herausgegeben:Puschner, Uwe [2 ed.]
 3534268075, 9783534268078

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GESCHICHTE KOMPAKT Susanne Lachenicht, geb. 1971, studierte in Paris und Heidelberg Geschichte und Germanistik und ist seit 2009 Lehrstuhlinhaberin für Geschichte der Frühen Neuzeit in Bayreuth. Sie ist spezialisiert auf die Geschichte Westeuropas und der Atlantischen Welt der Frühen Neuzeit, d.h. von 1492 bis zur Französischen Revolution. Herausgegeben von Kai Brodersen, Martin Kintzinger, Uwe Puschner, Volker Reinhardt Herausgeber für den Bereich 19./20. Jahrhundert: Uwe Puschner Beratung für den Bereich 19./20. Jahrhundert: Walter Demel, Merith Niehuss, Hagen Schulze

GESCHICHTE KOMPAKT

Susanne Lachenicht

Die Französische Revolution 2., aktualisierte Auflage

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.de abrufbar. Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme. 2., aktualisierte Auflage 2016 i 2016 by WBG (Wissenschaftliche Buchgesellschaft), Darmstadt Die Herausgabe dieses Werkes wurde durch die Vereinsmitglieder der WBG ermöglicht. Lektorat: Christina Kruschwitz, Berlin Satz: Lichtsatz Michael Glaese GmbH, Hemsbach Einbandabbildung: Der Sturm auf die Bastille von Jean-Pierre Hoüel (1789) Einbandgestaltung: schreiberVIS, Bickenbach Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier Printed in Germany Besuchen Sie uns im Internet: www.wbg-wissenverbindet.de ISBN 978-3-534-26807-8 Elektronisch sind folgende Ausgaben erhältlich: eBook (PDF): 978-3-534-74149-6 eBook (epub): 978-3-534-74150-2

Inhaltsverzeichnis Geschichte kompakt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Vorgeschichte und Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Frankreich im späteren 18. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.Versuche der Lösung der Krise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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III. Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 1. Die konstitutionelle Revolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2. Radikalisierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3.Gironde versus Montagne . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Die Terreur (Schreckensherrschaft). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5. Die Reaktion im Thermidor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6. Das Direktorium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6.1 Innenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6.2 Außenpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 IV. Die napoleonische Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 V. Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich? . . . . 117 VI. Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Batavische Republik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Die Schweiz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Italien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Republikanismus auf den britischen Inseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Haiti . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Spanisch-Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . .

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VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 Auswahlbibliographie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 Namensregister. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164

Geschichte kompakt Das Interesse an Geschichte wächst in der Gesellschaft unserer Zeit. Historische Themen in Literatur, Ausstellungen und Filmen finden breiten Zuspruch. Immer mehr junge Menschen entschließen sich zu einem Studium der Geschichte, und auch für Erfahrene bietet die Begegnung mit der Geschichte stets vielfältige, neue Anreize. Die Fülle dessen, was wir über die Vergangenheit wissen, wächst allerdings ebenfalls: Neue Entdeckungen kommen hinzu, veränderte Fragestellungen führen zu neuen Interpretationen bereits bekannter Sachverhalte. Geschichte wird heute nicht mehr nur als Ereignisfolge verstanden, Herrschaft und Politik stehen nicht mehr allein im Mittelpunkt, und die Konzentration auf eine Nationalgeschichte ist zugunsten offenerer, vergleichender Perspektiven überwunden. Interessierte, Lehrende und Lernende fragen deshalb nach verlässlicher Information, die komplexe und komplizierte Inhalte konzentriert, übersichtlich konzipiert und gut lesbar darstellt. Die Bände der Reihe „Geschichte kompakt“ bieten solche Information. Sie stellen Ereignisse und Zusammenhänge der historischen Epochen der Antike, des Mittelalters, der Neuzeit und der Globalgeschichte verständlich und auf dem Kenntnisstand der heutigen Forschung vor. Hauptthemen des universitären Studiums wie der schulischen Oberstufen und zentrale Themenfelder der Wissenschaft zur deutschen und europäischen Geschichte werden in Einzelbänden erschlossen. Beigefügte Erläuterungen, Register sowie Literatur- und Quellenangaben zum Weiterlesen ergänzen den Text. Die Lektüre eines Bandes erlaubt, sich mit dem behandelten Gegenstand umfassend vertraut zu machen. „Geschichte kompakt“ ist daher ebenso für eine erste Begegnung mit dem Thema wie für eine Prüfungsvorbereitung geeignet, als Arbeitsgrundlage für Lehrende und Studierende ebenso wie als anregende Lektüre für historisch Interessierte. Die Autorinnen und Autoren sind in Forschung und Lehre erfahrene Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler. Jeder Band ist, trotz der allen gemeinsamen Absicht, ein abgeschlossenes, eigenständiges Werk. Die Reihe „Geschichte kompakt“ soll durch ihre Einzelbände insgesamt den heutigen Wissensstand zur deutschen und europäischen Geschichte repräsentieren. Sie ist in der thematischen Akzentuierung wie in der Anzahl der Bände nicht festgelegt und wird künftig um weitere Themen der aktuellen historischen Arbeit erweitert werden. Kai Brodersen Martin Kintzinger Uwe Puschner Volker Reinhardt

In der Geschichte, wie auch sonst, dürfen Ursachen nicht postuliert werden, man muss sie suchen. (Marc Bloch)

Einleitung Die Französische Revolution wird bis heute als das Ereignis betrachtet, das die Vormoderne von der Moderne oder die Frühe Neuzeit von der Neuzeit trennt. Sie steht für einen Epochenumbruch, der Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur inklusive der kollektiven Mentalitäten (Michel Vovelle) tiefgreifend verändert haben soll. Aus politischer Perspektive ist die Französische Revolution immer wieder als Geburtsstunde von Freiheit und Demokratie beschrieben worden. Aus dem Untertanen (sujet) sei der (Staats-)Bürger (citoyen) geworden. Gesellschaftlich und wirtschaftlich bedeutete sie – so viele Autoren – das Ende der Ständegesellschaft und damit Rechtsgleichheit und den Aufstieg des Bürgertums in Frankreich. Wirtschaftlich wird mit der Französischen Revolution durch die Abschaffung von ständischen Privilegien, von Zünften und Gilden Unternehmensfreiheit und die allmähliche Durchsetzung des Leistungsprinzips auf dem europäischen Kontinent verbunden. Kulturell bedeutete die Revolution das Ende des alten Europas, in dem Staat und Kirche bis dato ein enges Bündnis eingegangen waren. Neben die christliche Religion bzw. die christlichen Konfessionen trat 1789 eine säkulare Ideologie, die sich in England und auch in Frankreich seit dem 16. Jahrhundert entwickelt hatte: Der Nationalismus, der in Frankreich während der Revolution zum „demokratischen Nationalismus“ werden sollte, verdrängte die Staatsreligion – den Katholizismus – zwar nicht, setzte jedoch an dessen Stelle eine klare Alternative, die bis zum heutigen Tag von vielen Franzosen gelebt wird: Republikanismus und Laizismus. Schon die Revolutionäre selbst sahen in den Ereignissen zwischen 1789 und 1799 etwas Irreversibles; eine Umkehr, eine Rückkehr in alte Zeiten schien ihnen nicht mehr möglich. Nach der Hinrichtung des Königs, Ludwigs XVI. (geb. 1754), am 21. Januar 1793 soll der Abgeordnete des Nationalkonvents Pierre Joseph Cambon (1756–1820) gesagt haben: „Wir sind endlich auf der Insel der Freiheit gelandet und haben das Schiff verbrannt, das uns hinfuhr“ (zitiert nach Vovelle 1985:106). Spätestens mit der radikalen Revolution von 1792 wurde nicht mehr das Alte, das bisher Dagewesene als Legitimation für Reformen, für Veränderung bemüht. Bis dahin waren Revolten wie der Bauernkrieg von 1525, die Englische Revolution der 1640er Jahre sowie die Glorreiche Revolution von 1688/89 von den Revolutionären immer als Rückkehr zum „alten Recht“, zu einem Zustand gesehen worden, der von den Herrschenden gewaltsam verändert worden sei und den die Revolutionäre nun wiederherstellen mussten. Vor dem Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und den Ereignissen in Frankreich von 1789 bis 1799 bezeichnete der Begriff „Revolution“ den immer wiederkehrenden Kreislauf der Gestirne oder politisch die Rückkehr zu altem Recht und alter Ordnung.

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Einleitung

Dies änderte sich mit der Französischen Revolution. Das Neue, die Realisierung einer Utopie, der Fortschritt der Menschheit hin zu neuen Ufern waren nun Legitimation für politisches und gesellschaftliches Handeln. Die Revolution katalysierte die Entwicklung weg vom Alten, zu Bewahrenden, hin zum Neuen, zum Unbekannten; ein Wandel der Mentalitäten, der sich bereits mit der Aufklärung angekündigt hatte. Mit den Ereignissen in Nordamerika, aber vor allem durch die Umwälzungen, die in Frankreich zwischen 1789 und 1799 stattfanden, veränderte sich auch die Bedeutung des Begriffs „Revolution“. Seitdem steht der Begriff „Revolution“ für die mit Aufständen und Gewalt einhergehende Veränderung von staatlichen Institutionen, von Eigentumsverhältnissen, von Zugangsbedingungen zu staatlichen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Eliten, für die Durchsetzung neuer, manchmal staatlich verordneter Ideologien, im Grunde also für die totale, wenn nicht gar totalitäre Umwälzung von Staat, Kultur und Gesellschaft. Aber war die Französische Revolution wirklich ein Epochenumbruch? War es wirklich die Französische Revolution, die langfristig den oben beschriebenen Wandel hervorbrachte? Der vorliegende Band wird sich mit der Frage beschäftigen, was denn diesen Epochenumbruch – wenn er wirklich einer gewesen ist – ausmacht. Im Zentrum der Darstellung stehen dabei nicht nur die Ereignisse in Frankreich selbst. Denn diese sind ohne ihre Vorgeschichte – Aufklärung, Veränderungen in Gesellschaft und Kultur Europas, die Amerikanische Revolution und ihre Auswirkungen auf den europäischen Kontinent und die Britischen Inseln – nicht wirklich denk- und erklärbar. Ebenso wird es um die Auswirkungen der Französischen Revolution auf Europa und den atlantischen Raum gehen: um die Gründung der Schwesterrepubliken in den Niederlanden (Batavische Republik von 1795) und im Rheinland (1792/93 und 1797), um die italienischen Schwesterrepubliken (ab 1796), aber auch um die Atlantischen Revolutionen, die auf die Französische folgten: Haiti (1804) und die spanischen Unabhängigkeitsbewegungen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Innerhalb der französischen Revolutionsforschung besteht weitgehend Konsens, dass die Ereignisse zwischen 1789 und 1799 insgesamt als Revolution oder Revolutionsdekade bezeichnet werden müssen. Viele deutschsprachige Darstellungen hingegen bleiben einer Interpretation verhaftet, die die Revolution mit dem Thermidor, d.h. 1794, oder der Errichtung des Direktoriums (1795) enden lassen bzw. die der Phase zwischen 1795 und 1799 nur wenig Beachtung schenken, so etwa bei Ernst Schulin oder Hans-Ulrich Thamer. François Furet und Denis Richet haben jedoch bereits 1965 gezeigt, dass das Direktorium keineswegs nur eine Art von Interregnum zwischen Jakobinerdiktatur und Kaiserreich darstellte, sondern dass in diesen fünf Jahren zum ersten Mal in Frankreich versucht wurde, eine Republik dauerhaft zu institutionalisieren.

Einleitung

Um die Auswirkungen der Revolution in Europa und im atlantischen Raum zu verstehen, muss nicht nur die gesamte Dekade zwischen 1789 und 1799, sondern letztendlich auch die Ära Napoleon nach 1799 mit in die Darstellung einbezogen werden. Denn nur in den Reaktionen auf die napoleonischen Kriege infolge der Französischen Revolution sind wiederum nationale, Freiheits- und demokratische Bewegungen in Europa (und in Übersee) in der Zeit zwischen 1800 und 1848 zu verstehen. Im Rahmen dieses Buches wird die n Ära Napoleon allerdings nur in einem Ausblick berücksichtigt.

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I. Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster Überblick

B

ereits in der Revolutionsphase selbst entstanden sehr unterschiedliche Deutungen der Französischen Revolution. Bei Mallet du Pan (1749–1800) ist sie v.a. eine Phase der Gräuel, bei Edmund Burke (1729–1797) wird sie als illegitim verurteilt, während Louis Blanc (1811–1882) sie als notwendigen Schritt auf dem Weg zu mehr sozialer Gerechtigkeit interpretierte. Daneben gab es liberale Deutungen der Französi-

schen Revolution wie bei Alexis de Tocqueville (1805–1859). Bis heute stehen sich in der Geschichtswissenschaft eine marxistischleninistische Interpretation, die mit den Namen Albert Mathiez, Georges Lefebvre, Ernest Labrousse und Albert Soboul verbunden ist, und eine revisionistische gegenüber, deren Hauptvertreter François Furet und Denis Richet wurden.

Erste Darstellungen und Erklärungen der Französischen Revolution fallen bereits in die Zeit der Revolution selbst. Neben etlichen anderen Zeitgenossen veröffentlichte Jacques Mallet du Pan (1749–1800), Publizist und Herausgeber einer der national und international wichtigsten Zeitungen des späten Ancien Régime und der Revolutionszeit, des Mercure de France, 1793, nach seiner Flucht aus Frankreich, seine Considérations sur la nature de la Révolution. Diese wurden bereits zur Revolutionszeit in mehrere europäische Sprachen, u.a. ins Deutsche, übersetzt und übten großen Einfluss auf die zeitgenössische Rezeption der Revolution aus. Mallet du Pan hatte der Revolution zunächst durchaus wohlwollend gegenübergestanden, sich dann aber angesichts ihrer Radikalisierung, d.h. der Abschaffung der Monarchie 1792, der Hinrichtung des Königs im Januar 1793 und der Ausschaltung der Gironde im Mai/Juni 1793, von ihr abgewandt. Mallet du Pan forderte die Koalitionsmächte in seiner Schrift auf, energischer gegen die Gräuel im revolutionären Frankreich vorzugehen, also der Terreur von außen ein Ende zu bereiten. Allerdings sah Mallet du Pan die Rückkehr zum Ancien Régime nicht mehr als mögliche Lösung nach der Pazifizierung Frankreichs an, wie dies die Koalitionsmächte intendiert hätten, sondern Letztere sollten an einer politischen Lösung für Frankreich arbeiten, die Monarchie und Freiheit miteinander vereine. Der irischstämmige Brite Edmund Burke (1729–1797) veröffentlichte 1790 seine Reflections on the Revolution of France, die die Umwälzungen in Frankreich aus konservativer Sicht als illegitim und den Lauf der Geschichte radikal verändernd interpretierte. Burkes frühe Deutung der Französischen

Jacques Mallet du Pan

Edmund Burke

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I. Louis Blanc

Jules Michelet

Alexis de Tocqueville

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

Revolution erwies sich für fast das gesamte 19. Jahrhundert als dominant. Allerdings entstanden im Kontext der Demokratiebestrebungen des 19. Jahrhunderts auch andere Deutungen, sowohl von liberaler als auch von frühsozialistischer Seite. Louis Blanc (1811–1882), Mitglied der provisorischen Regierung der Revolution von 1848, interpretierte in seiner Histoire de la Révolution française die Französische Revolution von 1789 bis 1799 neben der Entstehung des Christentums und der Reformation als wichtigste Etappe hin zu den gesellschaftlichen Veränderungen, die die französischen Frühsozialisten in ihrem Fokus hatten: Demokratie und Brüderlichkeit. Allerdings habe die Französische Revolution ihre Versprechen – Abschaffung des Elends und soziale Gerechtigkeit – nicht eingelöst, ein Umstand, der letztendlich zu weiteren Versuchen, diese zu etablieren, habe führen müssen, also den Revolutionen von 1830 und 1848. Wichtigste und positivste Etappe der Französischen Revolution, so Blanc, sei die Phase der Terreur gewesen, d.h. die Einführung des Lohn- und Preismaximums und damit die vom Volk durchgesetzte staatliche Regulierung der Wirtschaft, sowie die Inhalte der Verfassung von 1793. Die Terreur wurde bei Blanc damit zur Apotheose der Revolution. Gleichzeitig entstanden monumentale Deutungen der Französischen Revolution wie die siebenbändige, nationalromantische Histoire de la Révolution française (1847–1853) von Jules Michelet (1798–1874) oder Alphonse de Lamartines (1790–1869) Histoire des Girondins (1847). Jules Michelets Darstellung der Revolution kennt keine Vorgeschichte, keine Ursachenanalyse. Seine Histoire de la Révolution française verherrlicht das Volk, das sich am 14. Juli 1789 erfolgreich gegen Despotismus und Tyrannei zur Wehr gesetzt und mit den Menschen- und Bürgerrechten den vollständigen Sieg errungen habe. Sowohl die Gewalt des Volkes in der Errichtung der Republik 1792 als auch die Revolutionskriege, die letztendlich nur ein Präventivkrieg Frankreichs gegen die Gefahr aus dem Ausland gewesen seien, werden bei Michelet gerechtfertigt und geradezu verherrlicht. Einige der radikalen Revolutionäre wie Georges Jacques Danton (1759–1794) und Camille Desmoulins (1760–1794) werden zu wahren Helden der Revolution stilisiert, andere radikale Montagnards wie Louis Saint-Just (1767–1794) oder Jean-Paul Marat (1743–1793) der Verdammnis preisgegeben. Michelet und auch Lamartine prägen bis heute das Bild der Französischen Revolution in populärwissenschaftlichen Darstellungen und Medien. Sie vertreten eine romantisierende Geschichtsschreibung der Revolution. Von einer heutigen wissenschaftlichen Ansprüchen genügenden, um Neutralität, Komplexität und Multiperspektivität bemühten Interpretation der Französischen Revolution waren diese Autoren allesamt noch weit entfernt. Für erste Gehversuche in Richtung einer wissenschaftlichen Herangehensweise steht bis heute Alexis de Tocqueville (1805–1859), der in seinem L’Ancien régime et la Révolution von 1856, konservativ eingefärbt, eine der

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

Komplexität der revolutionären Ereignisse und Entwicklungen in Ansätzen entsprechende Ursachen- und Verlaufsanalyse projizierte. Tocqueville entstammte dem normannisch-französischen Adel. Sein Großvater war Opfer der revolutionären Terreur geworden. Trotzdem engagierte sich Tocqueville auf liberaler Seite in der Julirevolution von 1830 und in der Februarrevolution von 1848. Er betonte im Unterschied zu vielen Historikern die Kontinuitäten, die Ancien Régime, Revolution und Restauration miteinander verbanden, und integrierte in seine Darstellung der Französischen Revolution eine detaillierte Ursachenanalyse. Tocqueville optierte zwar für die Durchsetzung von Freiheit und Demokratie, aber nicht mit gewaltsamen Mitteln. Demokratie – so Tocqueville – sei ein politisch-gesellschaftlicher Zustand, den die Geschichte in jedem Fall eines Tages erreichen würde. Damit war Tocqueville ganz deutlich Vertreter eines teleologischen (d.h. auf ein bestimmtes Ziel zulaufenden) und utopischen Geschichtsverständnisses. Ihm folgten Heinrich von Sybel (1817–1895) und Hyppolite Taine (1828–1893), die sich als Erste zu Quellenrecherchen in die Archive begaben und ihre Darstellungen mit einem Fußnotenapparat versahen, der ihre Thesen und Befunde nachprüfbar machte. Taines Origines de la France contemporaine, deren erster Band 1875 erschien, hatte einen klar soziologisch-psychologischkulturhistorischen Ansatz. Taines Ziel war es, die langfristige politische Kultur Frankreichs von ihren Anfängen bis ins späte 19. Jahrhundert zu verfolgen. Die Revolution von 1789 bildete dabei eine Krise in der Geschichte Frankreichs, die durch Reformen der Eliten des Ancien Régime hätte verhindert werden können. England ähnlich hätte Frankreich den Weg in die Moderne auch ohne die gewaltsamen Umwälzungen der Revolutionszeit finden können, so Taines Fazit der Französischen Revolution und ihrer Bedeutung für Frankreich. Heinrich von Sybels Interpretation der Französischen Revolution in seiner fünfbändigen, zwischen 1853 und 1872 erschienenen Geschichte der Revolutionszeit 1789 bis 1795 steht am Anfang einer durchaus eigenständigen wissenschaftlichen Perzeption der Ereignisse im deutschsprachigen Raum. Von Sybel hat die deutsche Geschichtswissenschaft jedoch weit über seine Interpretation der Französischen Revolution hinaus geprägt. Als kleindeutsch denkender Nationalliberaler gab er ab 1856 die Deutschen Reichstagsakten heraus; ebenso prägte er ab 1859 die bis heute erscheinende Historische Zeitschrift. Die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom August 1789 lehnte von Sybel als allgemeingültigen Bezugsrahmen für alle Nationen ab, nicht zuletzt, da sie durch ihren Universalitätsanspruch den gewaltsamen Export der Revolution in die Territorien des Alten Reichs begünstigt und damit die Freiheit anderer Völker pervertiert hätte. Freiheit – dies zeige die Französische Revolution – könne sich in ihr Gegenteil verkehren; das habe die Jakobinerdiktatur deutlich gemacht. Von Sybel propagiert statt Revolutionen Reformen, statt Freiheitsstreben der Völker einen starken Staat, dem seine Bürger gehorchen.

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Heinrich von Sybel

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I.

Société de l’Histoire de la Révolution française

Sozialistischjakobinische Schule

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

Erst im Kontext der endgültigen Abschaffung der Monarchie und der Ausrufung der Dritten Republik in Frankreich (1871) wurde die Revolutionsgeschichte zu einem integralen Bestandteil der französischen Nationalgeschichtsschreibung und des französischen Nationalbewusstseins. Nun dominierte in der französischen Historiographie nicht mehr die Angst vor der Revolution, wie sie in der bürgerlich-konservativen Geschichtsschreibung eines Hyppolite Taine typisch gewesen war. Vielmehr entwickelte sich die Französische Revolution bzw. bestimmte Parteien in ihr wie die Gironde oder die Montagne zu einem Identifikationsfeld für unterschiedliche Strömungen innerhalb des französischen Republikanismus des späteren 19. Jahrhunderts. 1881 wurde von republikanischen Intellektuellen die Société de l’Histoire de la Révolution française gegründet, die 1886 den ersten Kurs zur Französischen Revolution an der Sorbonne anbot, dessen Leiter, Alphonse Aulard (1849–1928), auch den ersten Lehrstuhl für die Geschichte der Französischen Revolution an der Sorbonne bekleiden sollte. Zum bis heute wichtigsten Publikationsorgan wurde die 1908 gegründete Zeitschrift Annales révolutionnaires, die 1928 in Annales historiques de la Révolution française umgetauft wurde. Sie besteht bis heute. Aulards Histoire politique de la Révolution française, publiziert zwischen 1893 und 1924, arbeitete vor allem die politischen Institutionen, Ereignisse und Biographien der Revolutionäre systematisch auf. Sozial-, wirtschafts- und mentalitätsgeschichtliche Ansätze finden sich in Aulards Werk noch nicht, da er hierfür die Quellenlage seiner Zeit für nicht ausreichend hielt. Aulard kommt zu dem Schluss, dass die Radikalisierung der Revolution von 1792 nicht hätte verhindert werden können, da in der konstitutionellen Monarchie von 1791 demokratische Elemente gefehlt hätten, wie sie in den Menschen- und Bürgerrechten von 1789 eigentlich angedacht, 1791 nicht realisiert und erst in der Verfassung von 1793 konsequent weiterentwickelt worden seien. Bei Aulard finden sich also deutliche Sympathien für die radikale Revolution von 1792 bis 1794. Gleichzeitig entstand eine sozialistische Interpretation der Französischen Revolution, die auf Karl Marx (1818–1883) und Friedrich Engels (1820–1895) aufbauend die Französische Revolution vor allem als einen Umbruch von Gesellschaft und Wirtschaft Frankreichs verstand: Der Ausbruch bzw. der Verlauf der Revolution seien das Ergebnis eines „Klassenkampfes“ zwischen Adel und Bourgeoisie gewesen, die Radikalisierung der Revolution verdanke sich dem Klassenkampf zwischen Unterschichten und privilegierten Gruppen. Die Unterschichten oder das Proletariat seien nach 1794 von der kapitalistisch agierenden Bourgeoisie sukzessive unterdrückt worden. Erstere seien jedoch die eigentlichen Träger des historischen Fortschritts, der letztendlich in eine Weltrevolution und die Diktatur des Proletariats münden müsse. Diese dem Historischen Materialismus verpflichtete sozial- und wirtschaftshistorische oder auch jakobinische Schule innerhalb der Geschichts-

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

schreibung zur Französischen Revolution reicht von Jean Jaurès (1859–1914) über Albert Mathiez (1874–1932), Georges Lefebvre (1874–1959), Ernest Labrousse (1895–1988) und Albert Soboul (1914–1982) bis hin zu Michel Vovelle (geb. 1933). Nach der Universitätsreform von 1970/71 ist diese Schule mit der Université Paris I, Panthéon-Sorbonne und dem 1937 gegründeten Institut de l’Histoire de la Révolution française verbunden. Lefebvre und Soboul setzen sich ab den 1930er bzw. 1950er Jahren mit den „Massen“ in Frankreich auseinander: Lefebvre 1925 in seinen Paysans du Nord pendant la Révolution française und der Grande Peur (1932/1963), Soboul mit den Sansculotten von Paris (Les sans-culottes en l’an II [1958]). Auch wenn viele Historiker bis heute den ideologischen Implikationen dieser Geschichtsschreibung im Sinne des historischen Materialismus nicht folgen möchten, so haben sich seit Labrousse und Soboul die ökonomische Krise des späten 18. Jahrhunderts und das Missverhältnis der Leistungskraft städtischer und ländlicher Mittel- und Unterschichten und ihrer politischen Partizipationsmöglichkeiten als klassische Ursachen der Revolution etabliert. Doch auch die jakobinisch-sozialistische Schule ist alles andere als homogen. Während Albert Mathiez’ zufolge Reichtum und intellektuelle Eliten Frankreichs die Revolution ausgelöst hätten, war es laut Georges Lefebvre die Armut der französischen Massen. Mathiez Interpretation der Französischen Revolution ist, dass diese eine bürgerliche Revolution gewesen sei, die im Sinne der marxistischen Teleologie die Notwendigkeit einer Revolution des Proletariats nach sich gezogen habe. Diese habe sich dann 1917 in Russland eingestellt. Georges Lefebvre ordnete seine ebenfalls jakobinische Interpretation der Französischen Revolution wesentlich mehr als Mathiez in einen internationalen Kontext ein und etablierte Verbindungslinien zu den englischen Revolutionen der 1640er Jahre und von 1688/89 sowie zur Amerikanischen Revolution von 1776. Mit der marxistisch-sozialistischen Interpretation der Französischen Revolution und ihrer Dominanz in der französischen Revolutionsforschung hatte sich diese scheinbar endgültig von Personenkult und Institutionengeschichte verabschiedet und sich gesellschaftlichem Wandel und schließlich auch den Mentalitäten zugewandt. Stichwort

Historischer Materialismus Der Historische Materialismus ist eine von Karl Marx und Friedrich Engels entwickelte Theorie, die die Geschichte und die Menschen von ökonomischen Prozessen gesteuert sieht. Ausgehend von einer Stammesgesellschaft, die von geringer Produktivität, minimaler Arbeitsteilung und gemeinschaftlichem Eigentum an Produktionsmitteln bestimmt sei, entstehe durch die Steigerung der Produktivität ein Mehrwert, d.h. ein Überschuss an Produziertem, der verwaltet werden müsse. Daraus bilde sich eine neue Klasse, die die produzierenden Klassen oder Schichten zunehmend versklavt (Sklavenhaltergesellschaften der Antike). Auf die Sklaven-

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I.

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster haltergesellschaft folgte in Europa – so Marx und Engels – die Feudalgesellschaft, die von Leibeigenschaft und Akkumulation von Besitz und Privilegien Weniger geprägt gewesen sei. Durch die Förderung von Handwerk sei in ihr eine Klasse von Bürgern entstanden, die mehr Partizipation an der Macht verlangt habe und durch Revolutionen („bürgerliche Revolutionen“, „Klassenkampf“) den Feudalismus abgeschafft und eine kapitalistische Gesellschaft erschaffen habe. Durch die „Ausbeutung“ der produzierenden Klassen im Kapitalismus sei das Proletariat entstanden, das sich in einer Weltrevolution – so Marx und Engels – gegen den Kapitalismus erheben und nach der Diktatur des Proletariats eine klassenlose Gesellschaft herausbilden würde (Kommunismus). Marx und Engels haben ein teleologisches Geschichtsbild: Die Menschheit wird sich – so ihre Theorie – zwangsläufig in Richtung Kommunismus entwickeln. Klassenkämpfe prägen in jeder Phase und Gesellschaftsform die Beziehungen zwischen Besitzenden und Nicht-Besitzenden.

Atlantische Revolutionen

Kritik erfuhr die dominante sozialistische Geschichtsschreibung, zu deren Vertretern neben Lefebvre, Labrousse und Soboul auch der DDR-Historiker Walter Markov (1909–1993) und der Italiener Armando Saitta (1919–1991) gehören, vor allem im englischsprachigen Raum, durch den britischen Historiker Alfred Cobban (1901–1968), der die Französische Revolution interpretiert als „bürgerliche Revolution“ als Mythos bezeichnete. Sie könne keinesfalls im Sinne der jakobinischen Geschichtsschreibung als Klassenkampf oder bürgerliche Revolution gedeutet werden, da alle drei Stände (Klerus, Adel und Dritter Stand) und eine Vielfalt von unterschiedlichen Gesellschaftsschichten in allen politischen Faktionen (vormoderne Parteien) der Zeit vertreten gewesen seien. Cobban zufolge könne man die Französische Revolution keinesfalls aus einem Missverhältnis von Produktionskräften, Produktionsmitteln, mangelnder politischer Partizipation und dem Willen zur Abschaffung des Feudalismus erklären. Letzterer hätte am Vorabend der Revolution so gut wie keinen Bestand mehr gehabt. Für Cobban und viele andere amerikanische und britische Autoren war die Interpretation der Französischen Revolution mit Hilfe des Historischen Materialismus à la Marx hinfällig geworden. Zu einer im Zusammenhang mit dem Kalten Krieg interessanten Verbindung mit der Analyse und Interpretation der Atlantischen Revolutionen kam es, als der französische Historiker Jacques Godechot in den 1950ern als Gastwissenschaftler an der Universität Princeton weilte und dort Robert R. Palmer, Spezialist für die Französische (und Amerikanische) Revolution (1776–1789), traf. 1955 stellten Godechot und Palmer auf dem Internationalen Historikertag in Rom ihr Konzept der Atlantischen Revolutionen vor. Die USA und Frankreich könnten seit dem späten 18. Jahrhundert auf eine gemeinsame Tradition demokratischer Revolutionen zurückblicken, die von den gleichen Werten – Aufklärung, Freiheit und Demokratie – und durch vielfache personelle, militärische und ideelle Verflechtungen geprägt seien. Frankreich und die USA seien die wichtigsten Staaten, die eine gemeinsame „Atlantische Zivilisation“ ge-

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

prägt hätten. Diese gemeinsamen Wurzeln sollten Frankreich nun – in den 1950ern – ins Konzert der atlantischen Mächte, sprich in die North Atlantic Treaty Organization (NATO) führen. Palmer und Godechot wurde vorgeworfen, im Kontext des Kalten Krieges mit ihrer These von den demokratischen Revolutionen im atlantischen Raum eine Ideologie geschaffen zu haben, die der NATO mehr als dienlich gewesen sei. Godechots und Palmers Atlantische Revolutionen waren indes nichts Neues. Bereits Thomas Paine (1737–1809), in England geborener (Mit-)Gründervater der Amerikanischen Revolution und wichtiger Mittler zwischen den jungen Vereinigten Staaten von Amerika und dem revolutionären Frankreich, hatte in seinen Rights of Man (1791) – einer polemischen Antwort auf Edmund Burke – auf die engen Verbindungen zwischen dem amerikanischen Unabhängigkeitskrieg und der Französischen Revolution hingewiesen. Die traditionelle, jakobinische Geschichtsschreibung lehnte meistenteils die Integration der Französischen Revolution in den Komplex der atlantischen demokratischen Revolutionen ab, da diese die Einzigartigkeit und die nationalen Besonderheiten der Französischen Revolution in Frage zu stellen drohten. Heute stellt die Einordnung der Französischen Revolution in das Zeitalter der Demokratischen Revolutionen (Palmer 1959 und 1964) kein Problem mehr da. Es geht letztendlich darum, Parallelen und Analogien der Revolutionen ebenso herauszuarbeiten, wie nationale Unterschiede in Ursachen, Verlauf und Wirkungen. Gerade der Vergleich kann, so Marc Bloch (1886–1944), Besonderheiten schärfen helfen. Ab den 1950er Jahren formierte sich auch in Frankreich Kritik an der sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Deutung der Französischen Revolution. Herausragendste Vertreter der Revisionistischen Schule waren François Furet (1927–1997) und Denis Richet (1927–1989). In ihrem gemeinsamen Werk La Révolution (1965) insistierten beide, dass die Französische Revolution weder ein Ergebnis eines Klassenkampfes zwischen Adel und Bourgeoisie gewesen sei, noch als Sieg des Dritten Standes über das Ancien Régime interpretiert werden könne. Darüber hinaus diagnostizierten sie für die Phase der Radikalisierung der Französischen Revolution ab August 1792 ein „Entgleisen“, ein „Abgleiten“ (dérapage) der Revolution. Furet und Richet zufolge hätten sich die aufgeklärten bürgerlichen, adligen und klerikalen Eliten, die Träger der Revolution zwischen 1789 und 1792 gewesen seien, durchaus auf Kompromisse einigen können, die zu einer Konsolidierung der Verhältnisse und einem langsamen Prozess in Richtung Liberalismus und bürgerliche Gesellschaft geführt hätten – so wie dies auch nach 1689 in England der Fall gewesen sein soll. Lediglich die Volksmassen in den Bauernunruhen in den Provinzen und den Aufständen der Sansculotten in Paris und anderen Städten hätten durch ihr Rückwärtsgewandsein, durch ihre vormoderne „Tendenz zu Raserei und Irrationalität“ die Revolution weiter vorangetrieben und den bürgerlichen Kom-

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Revisionistische Schule

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Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

promiss unmöglich gemacht. Diese These hat Furet allerdings bereits 1980 wieder zurückgenommen und sich damit Michel Vovelle angenähert. Heute sieht die revisionistische Schule in der Französischen Revolution vor allem die Genese einer neuen politischen Kultur (Furet 1980). Stichwort

Sansculotten Als Sansculotten („Ohne Hosen“) werden die Einwohner von Paris bezeichnet, die sich vor allem in den Vorstädten (Faubourgs) Saint-Antoine und Saint-Marcel in städtischen Sektionen und revolutionären Komitees organisierten, um den revolutionären Prozess im Sinne der städtischen Mittel- und Unterschichten zu steuern. Bei den sogenannten journées, beispielsweise am 10. August 1792, dem 31. Mai und 2. Juni 1793, übten die Sansculotten auf die Legislative bzw. den Nationalkonvent von der Straße aus Druck aus, um die Abschaffung der Monarchie bzw. die Säuberung des Konvents von den Girondisten durchzusetzen. Zu den Forderungen der Sansculotten gehörten die Einführung des Lohn- und Preismaximums ebenso wie die Überwachung und Ahndung gegenrevolutionärer Tendenzen im Staat. Die Sansculotten waren keine städtischen Unterschichten, sondern entstammten dem Handwerkertum, waren Ladenbesitzer oder Tagelöhner. Benannt sind sie nach ihren pantalons, d.h. ihren langen Hosen. Sie trugen demonstrativ nicht die culotte, also die Kniehose der bürgerlichen und adligen Eliten. Zu ihrem typischen Kleidungsstil zählten auch ein offenes Hemd, darüber eine kurze Weste (die carmagnole), eine rote Mütze (bonnet rouge), als Waffe diente eine Pike. Sansculotten lehnten das Siezen ab und titulierten sich gegenseitig als citoyen („Bürger“).

Geschichte der Mentalitäten

Aus der jakobinischen Schule erwuchs, beginnend mit den Arbeiten Lefebvres zur Grande Peur von 1789, eine Geschichte der Mentalitäten. Stichwort

Grande Peur Als Grande Peur wird seit Georges Lefebvre die Massenpanik bezeichnet, die fast alle Regionen Frankreichs zwischen dem 20. Juli und dem 6. August 1789 erfasste. Auf dem Land verbreiteten sich Gerüchte, dass Banditen und marodierende Soldaten, die im Dienste der Aristokratie stünden, die Ernte vernichten würden. Bauern und Städter griffen zu den Waffen, plünderten die Schlösser ihrer Herren und setzten diese in Brand. Dabei wurden Besitzurkunden und Pachtverträge verbrannt und damit in einem symbolischen Akt die Überreste der Feudalherrschaft in Frankreich. Erklärt wird die Grande Peur oft als eine Massenhysterie, die durch die Umwälzungen in Frankreich und die Furcht vor der Rückkehr zu vorrevolutionären Verhältnissen ausgelöst worden sei. Beendet wurde sie durch die offizielle Abschaffung der Privilegien des Ersten und Zweiten Standes in der Nacht vom 4. August 1789.

Michel Vovelle

Beeinflusst nicht zuletzt durch die von Marc Bloch und Lucien Febvre 1929 begründete Schule der Annales, die sich mit langfristigem historischem Wandel vor allem auf der Ebene von Gesellschaften, Kulturen und Mentalitä-

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

ten auseinandersetzt, hat sich mit Michel Vovelle ab den 1970er Jahren eine Interpretation der Französischen Revolution gerade auf diesen Ebenen entwickelt. Untersucht werden Veränderungen von kulturellen und mentalen Verhaltensweisen vor, in und nach der Französischen Revolution anhand von Notariatsakten, Testamenten, Eidesformeln und Ähnlichem. Überprüft werden soll hier, inwieweit in Frankreich selbst die Revolution wirklich zu tiefgreifenden Veränderungen im Denken, Handeln und Fühlen der Menschen führte, wie revolutionär die Revolution langfristig tatsächlich war. Neben dem Handeln der Massen werden konkret auch im Sinne Michel Foucaults Diskurse untersucht; typische Sprechweisen der Zeit, die sich in unterschiedlichsten Quellen wie Liedern, Pamphleten, politischen Reden, Zeitungstexten, Gerichtsprotokollen, Testamenten und Eidesformeln manifestieren. Ebenso beschäftigt sich die Mentalitätsgeschichte mit der Bildsprache der Revolution, mit der Verbreitung revolutionärer Symbolik wie der Kokarde oder der Guillotine auf Alltagsgegenständen wie Spielkarten, Geschirr, Möbeln, Kleidung und Wandschmuck. In Verbindung mit quantifizierender Sozial- und Mentalitätsgeschichte sind im Kontext der Revolutionsforschung Begriffe wie „Menge“ oder „Massen“ fragwürdig und letztendlich obsolet geworden. Denn der Historiker ist gefragt, genau zu analysieren, um welche sozialen Schichten, selbst um welche individuellen Akteure es sich bei den Erhebungen der sogenannten Massen handelt. Anhand der seriellen Auswertung von Quellen wie Verhaftungslisten oder Gerichtsprotokollen können „Massen“ genauer identifiziert werden; mittels der exakten Auswertung von Daten der Aufstände (so häufen diese sich an Sonntagen, wo viele Menschen sich zum Besuch der Messe zusammenfanden, an Wochenmarkttagen, zu Zeiten der Weinlese, bei der Kirchweih) konnte die neuere Revolutionsforschung kollektive Verhaltensweisen ebenso wie die Zusammensetzung der „Kollektive“ genauer bestimmen. Für den Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789, dem ersten Sieg der „Massen“ gegen die Reaktion des Königs, fand beispielsweise George Rudé heraus, dass es sich bei den Siegern der Bastille zu einem hohen Prozentsatz um unabhängige Produzenten, d.h. Kleinhändler und selbständige Handwerker handelte, also keineswegs um städtische Unterschichten. Einen neuen Impetus erhielt die Revolutionsforschung weltweit durch die Zweihundertjahrfeiern zur Französischen Revolution im Jahr 1989 (Bicentenaire). Über 540 Kolloquien, Tagungen und Konferenzen zum Thema wurden weltweit gezählt, über 2000 neue Titel erschienen auf dem Markt. Neue Forschungsrichtungen haben sich jedoch daraus nicht ergeben. Neben der die Revolution feiernden jakobinisch-französisch-republikanischen Tradition gab es auch immer wieder Anleihen bei einer sie dämonisierenden Geschichtsschreibung, die von der jakobinischen Forschung oft als konterrevolutionär beschrieben wird. Im deutschsprachigen Raum halten sich bis heute sehr unterschiedliche Deutungen der Französischen Revolution. Die eine – heute repräsentiert

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Bicentenaire

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I.

Rolf Reichardt

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

durch u.a. Helmut Reinalter und Axel Kuhn – vertritt eine teleologische Geschichtsschreibung, die der französischen jakobinischen Tradition in vielen Punkten ähnelnd eine klare, notwendige Entwicklung von der Aufklärung des 18. Jahrhunderts bis zur Durchsetzung von Demokratie und Freiheit in Europa im 19. bzw. weltweit im 20. und 21. Jahrhundert sieht. Die Französische Revolution steht dabei am Beginn der Moderne, d.h. einer Staatenwelt, die von freiheitlichen Demokratien geprägt ist. Was diese Interpretation der Französischen Revolution oft übersieht, ist zum einen, dass es keine zwangsläufige Entwicklung in diese Richtung gab; zum anderen ignoriert oder minimiert sie sehr häufig die Rolle von Terreur und den Export der Revolution mittels Krieg, „auf den Spitzen der Bajonette“ (ein Ausspruch, der dem französischen Revolutionär und späteren Minister Ludwigs XVIII., Charles-Maurice de Talleyrand-Périgord (1754–1838), zugeschrieben wird). Beides prägte die zehn Jahre der Französischen Revolution in Europa und beschwor letztendlich auch Nationalismen herauf, die wiederum zu nicht nur europäischen Kriegen führten. Freiheit und Demokratie, „auf den Spitzen der Bajonette“ importiert, führten auch zu Irritationen über die Exportware selbst und generell zur Ablehnung demokratischer und freiheitlicher Prinzipen. Mit diesem Erbe des Exports von Freiheit und Demokratie befasst sich das internationale Staatensystem bis heute. Die Reaktionen auf Gewalt und Terreur waren – nicht nur in Bezug auf die Französische Revolution – Gegengewalt und Nationalismen, die zu weiterer Gewalt führen konnten. Freiheit und Demokratie stehen damit in einem unlösbar erscheinenden, dialektischen Verhältnis zu Gewalt und negativen Formen von Nationalismus, etwas, das nicht zwangsläufig zu Vernunft und Demokratie weltweit führte. Ein Bewusstsein für dieses der Revolution inhärente Dilemma – Freiheit und Demokratie auf der einen Seite, Gewalt und Zwang zu deren Durchsetzung auf der anderen – mag nicht nur im Kontext der Französischen Revolution zu einem besseren Verständnis von deren Komplexität führen. Zu den Forschern, die sich mit der französischen Historiographie zur Revolution am intensivsten auseinandergesetzt und diese im Sinne eines akademischen Transfers auch in die deutsche Geschichtswissenschaft eingebracht haben, gehört neben Ernst Schulin, Eberhard Schmitt und Hans-Ulrich Thamer vor allem der Mainzer Historiker Rolf Reichardt. Reichardt zeichnet maßgeblich dafür verantwortlich, dass die deutsche historische Forschung zur Französischen Revolution nicht in den 1960er und 1970er Jahren steckengeblieben ist, sondern sich der Französischen Revolution als Kulturrevolution geöffnet und die Frage des Kultur- und Systemtransfers zu einem ihrer wichtigsten Themen gemacht hat. Die in den 1990er Jahren sehr populäre Kulturtransferforschung, gerade für die Bereiche neue politische Kultur, Medien, Bilder, Symbole, Sprache, Kommunikation, wie sie von Michel Espagne und Michael Werner konzipiert, etabliert und in Deutschland breit rezipiert wurde,

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

geht nicht zuletzt auf die Vermittlungen von Rolf Reichardt und Hans-Jürgen Lüsebrink zurück. Es scheint heute Konsens darüber zu bestehen, dass die Französische Revolution eine „Kulturrevolution“ gewesen ist, jenseits der immer noch vorhandenen ideologischen Gräben innerhalb der internationalen Forschung. Die Französische Revolution als Kulturrevolution steht zentral im Werk der amerikanischern Historikerin Lynn Avery Hunt (geb. 1945), die sich mit symbolischen Praktiken und Ritualen in den Machtzentralen der Revolution ebenso auseinandergesetzt hat wie mit revolutionären Festen, Zeremonien und der Reinterpretation klassischer Mythologien im Kontext der „Erfindung“ neuer, republikanisch-revolutionärer Traditionen – Ansätze, die man auch in der französischen Mentalitätsgeschichte wiederfindet. Die Revolutionsforschung sieht sich gegenwärtig vor allem damit konfrontiert, Generalisierungen, die für das gesamte Frankreich der Revolutionszeit immer wieder vorgenommen wurden, anhand von Studien zu einzelnen Dörfern, Städten, Departements bzw. Regionen zu überprüfen, wie dies Michel Vovelle und seine Schüler exemplarisch getan haben. Ebenso steht seit 2008 erneut die Frage der Integration der Französischen Revolution in andere Atlantische Revolutionen des späten 18. und frühen 19. Jahrhunderts im Raum, wie die Neuausrichtung des Pariser Institut de l’Histoire de la Révolution Française zeigt. Dazu kommt – im Sinne einer allgemeinen europäischen Geschichtsschreibung oder Geschichtsschreibung innerhalb eines geeinten Europas – die Fragestellung nach den unmittelbaren Auswirkungen der Französischen Revolution auf freiheitlich-demokratische Prozesse in Europa. Hier stehen die Direktorialzeit (1795–1799) und die napoleonische Zeit (1799–1815) mit ihren Versuchen des Exports der Freiheit durch die Revolutions- bzw. napoleonische Armee und Administration ebenso im Mittelpunkt wie das Ausstrahlen der französischen Frein heitsbewegung in den atlantischen Raum. Auf einen Blick

Bedeutsam in diesem Kapitel ist der Unterschied zwischen der marxistisch-leninistischen und die revisionistischen Schule. Wie grundlegend ist dieser? Wie ist die Haltung Edmund Burkes zur Französischen Revolution zu erklären? Und wie die von Louis Blanc? Michel Vovelle beschäftigte sich mit kollektiven Mentalitäten und regte zahlreiche Studien zur Französischen Revolution auf der Ebene von Regionen, Departments, Städten und Dörfern an. Was heißt „kollektive Mentalitäten“ in diesem Kontext? Inwieweit ist die Geschichte der „Grande Peur“ eine Geschichte der Wahrnehmungen? Rolf Reichardt ebnete in Deutschland den Weg zu einer Interpretation der Französischen Revolution als Kulturrevolution. Was heißt Kulturrevolution in diesem Kontext?

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Kulturrevolution

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I.

Französische Revolution – ältere und neuere Deutungsmuster

Literaturhinweise Aulard, François-Alphonse, Histoire politique de la Révolution française, Paris 1901 (dt. Ausgabe München 1924). Positivistische Darstellung der Geschichte der Französischen Revolution aus der Feder des ersten Inhabers des Lehrstuhls für die Geschichte der Französischen Revolution an der Sorbonne. Burke, Edmund, Reflections on the revolution in France, 1793 (dt. Betrachtungen über die Französische Revolution, übers. von Gentz, Friedrich, Warendorf 2005). Klassisch konservative Interpretation der Französischen Revolution, noch direkt aus der Zeit selbst stammend. Michelet, Jules, Histoire de la Révolution, 7 Bde., Paris 1847–53 (Neue Ausgabe, hrsg. von Gerard Walter, 2 Bde., Paris 1976–77). Das große Masternarrativ. Sehr unkritische, nur in Teilen als wissenschaftlich einzustufende Darstellung zur Französischen Revolution, derer sich populärwissenschaftliche Deutungen bis heute bedienen. Die Geschichte der großen Helden der Revolution. Tocqueville, Alexis de [bearb. und hrsg. von André Jardin], L’Ancien Régime et la Révolution. 2 Bde., Paris 1952–53 (dt. Tocqueville, Alexis de, Der Alte Staat und die Revolution, Bremen 1959). Erste liberale Deutung der Französischen Revolution, die eine detaillierte Ursache- und Verlaufsanalyse beinhaltet.

II. Vorgeschichte und Ursachen Überblick

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u den langfristigen Ursachen der Französischen Revolutionen werden in der Forschung heute demographische Veränderungen, Ressourcenzugangsprobleme für Teile des Dritten Standes und ein Reformstau gerechnet, der sich sowohl auf der Ebene der Massen als auch der Eliten nicht zuletzt auch als ein Wahrnehmungsproblem manifestierte. Die Krise des Ancien Régime wurde von den Zeitgenossen als gravierend wahrgenommen, geschürt nicht zuletzt auch durch den Modernisierungs- und Fortschrittsglauben der Aufklärung und ihre Forderungen, u.a. nach mehr Rationalität und Meritokratie, nach Rechtsgleichheit, Meinungs-, Presseund Religionsfreiheit. Ebenso hatte sich das Königtum in den Augen vieler Untertanen diskreditiert. Tatsächlich befanden sich Feudalismus und Ständegesellschaft schon in einem Zustand der Auflösung, so dass v.a. deren letzten Reste als besonders drückend

empfunden wurden. Inspiriert wurden die Revolutionäre in Frankreich nicht zuletzt auch durch die Unabhängigkeitsbewegung der Vereinigten Staaten von Amerika (1775–1783). Zu den Auslösern der Krise bzw. der Französischen Revolution gehören die scheiternden Reformen der Jahre 1787/ 88 und die Weigerung des Ersten bzw. Zweiten Standes, die Finanzprobleme Frankreichs mit lösen zu helfen, aber auch die Wirtschafts- und Hungerkrisen der späteren 1780er Jahre. Die Finanzkrise bzw. der drohende Staatsbankrott waren nicht zuletzt ein Resultat der Kriege, an denen sich Frankreich im Laufe des 18. Jahrhunderts beteiligt hatte, der Siebenjährige Krieg (1756–1763) und der Unabhängigkeitskrieg der Vereinigten Staaten von Amerika (1775–1783). Als 1789 die Generalstände zusammentraten, um die Probleme der französischen Nation zu lösen, dachte jedoch niemand an eine Revolution.

1775

Mehlkrieg: Unruhen wegen Preissteigerung von Grundnahrungsmitteln in Paris und Umland

1776, 4. Juli

Unabhängigkeitserklärung der Dreizehn Kolonien in Britisch-Nordamerika (ab 1777 Vereinigte Staaten von Amerika)

1785

„Halsbandaffäre“ Königin Marie Antoinettes von Frankreich

1786

Plan des französischen Ministers Calonne zur Sanierung der Staatsfinanzen

1787, 22. Feb. Eröffnung der Notabelnversammlung in Versailles 8. April

Entlassung Calonnes, Loménie de Brienne wird sein Nachfolger

25. Mai

Entlassung der Notabelnversammlung

Juni

Reformgesetze Briennes

16. Juli

Pariser Parlement fordert den König auf, die Generalstände einzuberufen

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II.

Vorgeschichte und Ursachen

1787/88

sogenannte Adelsrevolte

1788

Versorgungskrise und Hungersnot

8. Aug.

Einberufung der Generalstände für den Mai 1789

24./26. Aug.

Brienne wird entlassen, Necker als leitender Minister zurückberufen

Nov./Dez.

Zweite Notabelnversammlung

27. Dez.

Necker setzt die Verdoppelung der Zahl der Abgeordneten des Dritten Standes durch

Die Forschung hat sich – auch in vergleichender Perspektive – immer wieder intensiv mit den lang- und mittelfristigen Ursachen und Auslösern der Französischen Revolution beschäftigt. Ziel einer solchen Ursachenanalyse ist es nicht zuletzt, den Ausbruch von Revolutionen, die immer Unordnung und Gewalt mit sich bringen, wenn nicht genau zu prognostizieren, dann doch zumindest mit gewissen Wahrscheinlichkeiten vorhersagen zu können. Dass dies nicht immer gelingt, zeigt die Überraschung, mit der europäische Medien Anfang 2011 auf den Ausbruch der Revolutionen in Nordafrika reagierten. Völlig unerwartet kamen die Erhebungen gegen die wenig demokratischen Regime für Revolutionsforscher allerdings nicht. Denn hier lag eine Gemengelage vor, die in der vergleichenden Revolutionsforschung durchaus das Potenzial für eine revolutionäre Erhebung hatte: größere Gruppen an gut ausgebildeten jungen Menschen, denen der Zugang zu ihren Qualifikationen entsprechenden Berufen aus ihrer Sicht ebenso verwehrt scheint wie die Partizipation an für ihr Land wichtigen politischen und wirtschaftlichen Entscheidungen, sowie schnell wachsende Preise für Grundnahrungsmittel, die jenseits der gebildeten Eliten auch die sogenannten Massen mobilisieren können. Trotz aller im Folgenden genannten Parameter, die den Ausbruch der Revolution von 1789 sicherlich begünstigten, liegt keine Zwangsläufigkeit der Entwicklungen vor.

1. Frankreich im späteren 18. Jahrhundert Grenzen

Frankreich hatte im Laufe des 18. Jahrhunderts seine Grenzen konsolidieren können. Nord-, West- und Südgrenze standen fest und verliefen ungefähr dort, wo sie heute auch verlaufen, d.h. im Süden an den Pyrenäen, im Westen an der Atlantikküste. 1768 kam Korsika zu Frankreich. Lediglich an der Ostgrenze sollte es noch zu Gebietserweiterungen kommen: 1766 durch die Einverleibung des Herzogtums Lothringen, 1798 durch die Annexion der Republik Mulhouse und des Comtat Venaissin inklusive Avignon (1790) in der heutigen Provence. Dazu kamen die in den 1940er Jahren in Überseedepartements umgewandelten Kolonien, vor allem die Antillen und Französisch-Guyana, 1860 Nizza und das heutige französische Savoyen.

1. Frankreich im späteren 18. Jahrhundert

Frankreich war alles andere als ein zentralistischer Einheitsstaat. Die Staatstheorie des Absolutismus hatte sich nur in Einzelbereichen praktisch durchsetzen können. Statt Herrschaftskonzentration am Hof, in der Hand des Königs, muss für Frankreich eine Fraktionalisierung der Macht konstatiert werden. Navarra bestand immer noch als eigenständiges Königreich. In der Bretagne war Ludwig XVI. lediglich Herzog der Bretagne, in der Provence war er Graf der Provence. Es gab insgesamt sieben Provinzen mit Ständeversammlungen, daneben die sogenannten eroberten Lande (pays conquis), die voll der Autorität des Königs unterstanden und in denen königliche Herrschaft nicht wie in anderen Provinzen durch mächtige Zwischeninstanzen beschränkt war. Insgesamt gab es 40 Provinzen mit sehr unterschiedlichen Sprachen: neben Französisch u.a. Baskisch, Bretonisch, Provenzalisch, Okzitanisch, Moselfränkisch. Eine Homogenisierung des Rechts hatte lediglich in der Île-deFrance, d.h. in der Region um Paris, stattgefunden. In Nordfrankreich wurden unterschiedliche Gewohnheitsrechte praktiziert, in Südfrankreich das geschriebene römische Recht. Das Zollrecht wurde von den einzelnen Provinzen ebenso unterschiedlich gehandhabt wie auch das Steuerrecht. Stichwort

Absolutismus I Absolutismus bedeutet, dass die höchste Souveränität im Staat beim Fürsten oder Monarchen liegt. Verbunden ist dieses Herrschaftsverständnis mit der Idee des Gottesgnadentums. „Absolutismus“ ist kein Begriff des 16. oder 17. Jahrhunderts, sondern wurde erst im England des frühen 19. Jahrhunderts geprägt, d.h. im Kontext einer konstitutionellen Monarchie, die das alleinige monarchische Regime als erledigt ansah. Gleichzeitig wurde der Begriff „Absolutismus“ im 19. Jahrhundert zu einem Epochenbegriff, der die Phase der Frühen Neuzeit in Europa beschreibt, in der in vielen europäischen Staaten bzw. Territorien des Reiches die ständischen Gewalten zugunsten größerer Souveränität des Herrschers ausgeschaltet wurden, was den sogenannten Dualismus von Herrscher und Ständen überwandt. Meist bezeichnet „Absolutismus“ als Epochenbegriff die Phase zwischen 1648 und 1789. In dem Land, das aus deutscher Perspektive das Paradebeispiel absolutistischer Herrschaft darstellt, das Frankreich Ludwigs XIV., des Sonnenkönigs (roi soleil), hat sich der Begriff absolutisme nicht als Epochenbezeichnung durchgesetzt. Hier wird für die Zeit vor 1789 von „Ancien Régime“ gesprochen. Staatstheoretiker des späten 16. Jahrhunderts wie etwa Jean Bodin (1530–1596) in seinen Six Livres sur la République (1576) (mit République ist hier die res publica, also das Gemeinwesen, nicht die republikanische Staatsform gemeint) vertraten die Auffassung, dass der Fürst oder König nicht nur von Gottes Gnaden regiere, sondern absolute Souveränität und Kontrolle über die Gesetzgebung, Steuern, Justiz, Verwaltung, Innen- und Außenpolitik, Religion, Krieg und Frieden und die Wirtschaft haben sollte. Nach Jean Bodin gehört der französische Theologe und Hofprediger Jacques Bossuet (1627–1704) zu den wichtigsten Theoretikern des Absolutismus. Bossuet argumentierte, dass die Monarchie nicht nur die am häufigsten vorkommende, älteste, sondern auch die erfolgreichste Staatsform gewesen sei, da

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II.

Vorgeschichte und Ursachen Könige von Gott eingesetzt seien und sie ihre Souveränität und Legitimation einzig durch Gott erhielten. Könige seien nur Gott verantwortlich, sonst niemandem, keiner Ständevertretung, keinem Parlament. Bossuet glaubte jedoch an einen Unterschied zwischen einem von Gott eingesetzten Monarchen, der dem Naturrecht und Gott verantwortlich ist, und einem Herrscher, der auf der Basis von Willkür regierte. Letzterer verstoße gegen das göttliche Gesetz und sei als gesetzloser Tyrann zu bezeichnen. Auch Thomas Hobbes (1588–1679) entwickelte in seinem Leviathan Ideen, die absolutistische Staatstheorien mit nähren halfen.

Reformen

Demographie

Reformen waren in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts im Sinne eines aufgeklärten Absolutismus auch in Frankreich – von Seiten des Königs – intendiert. Ludwig XVI. aus dem Haus Bourbon, seit 1770 verheiratet mit einer der Töchter der Habsburgerin Maria Theresia, Marie Antoinette (1755–1793), seit 1774 König von Frankreich, war alles andere als ein reformunwilliger König. Seine Politik schwankte jedoch immer wieder zwischen den von seinen Ministern, vor allem Necker, für notwendig erachteten Reformen und seinem traditionellen Verständnis des königlichen Gottesgnadentums bzw. der Sonderrechte von Erstem und Zweitem Stand. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts wurde das Straf- und Prozessrecht humanisiert, die Folter abgeschafft. 1779 verschwand auf den Krondomänen die Leibeigenschaft vollends. Ebenso wurden der Leibzoll für Juden beseitigt und 1787 die Provinzialverwaltungen neu geordnet. Tiefgreifende Reformen – gerade im Steuerrecht – konnten jedoch wegen der fehlenden Durchsetzungsfähigkeit der Krone und ihres Verwaltungsapparates nicht realisiert werden. Sie scheiterten an den Partikularinteressen einzelner Provinzen und Stände. Frankreich hatte im späteren 18. Jahrhundert eine geschätzte Bevölkerung von 27 Millionen Menschen, mehr als andere vergleichbare Staaten und Territorien (England zählte im späten 18. Jahrhundert lediglich eine Bevölkerung von 12 Millionen). Ca. 15% der Bevölkerung Frankreichs lebte in Städten, 85% auf dem Land. Paris nahm unter den französischen Städten mit 600.000 Einwohnern eine exzeptionelle Stellung ein, fünf andere Städte hatten eine Bevölkerung von 50.000 bis 100.000, nämlich Rouen, Straßburg, Lille, Marseille und Nantes. In Lyon lebten ca. 140.000 Menschen. Im späteren 18. Jahrhundert war ein starkes Bevölkerungswachstum zu verzeichnen, und zwar weniger durch eine Erhöhung der Geburtenrate als vielmehr durch eine Steigerung des Durchschnittslebensalters dank verbesserter Hygiene, weniger Seuchen, weniger Hungersnöte und geringerer Bevölkerungsverluste durch Kriege – insgesamt also eigentlich eine Verbesserung der Lebensbedingungen des „gemeinen Mannes“. Die verfügbaren Ressourcen blieben jedoch hinter den steigenden Bevölkerungszahlen zurück und begünstigten ein Ungleichgewicht zwischen demographischen und ökonomischen Ressourcen, also Verknappung und Verteuerung der Lebensmittel, und wachsender Arbeitslosigkeit. Die steigende Lebenserwartung der älteren Bevölkerung führte wiederum dazu, dass die jün-

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gere Bevölkerung weniger schnell Zugang zu dauerhafter Beschäftigung bekam. Die Folge war eine höhere Jugendarbeitslosigkeit. Als besonders drückend wurden diese verringerten Aufstiegschancen vor allem im Bürgertum wahrgenommen, d.h. in den Schichten, die durch Alphabetisierung und eine bessere Schulbildung auch Zugang zu Aufklärungsliteratur hatten. Stichwort

Absolutismus II Für die Frühe Neuzeit werden sehr unterschiedliche Regime als absolutistisch bezeichnet, beispielsweise die Herrschaft Philipps II. von Spanien (1527–1598), die Ludwigs XIV. von Frankreich (1638–1715) und die Friedrichs II. von Preußen (1712–1786), der als sogenannter aufgeklärter Monarch regierte. Der Absolutismus war nicht die einzige Staatstheorie, die im 16. und 17. Jahrhundert entwickelt wurde. Neben absolutistischen Staatsvorstellungen gab es auch republikanische Staatstheoretiker wie Johannes Althusius (1557–1638), der frühe Formen des Prinzips der Volkssouveränität formulierte. Ebenso wurde von den Monarchomachen ein Widerstandsrecht der Stände gegenüber einem despotischen Herrscher eingefordert, das den Tyrannenmord in einigen Fällen mit einschloss. Absolutismus als Staatstheorie koexistierte folglich während der gesamten Frühen Neuzeit mit republikanischem bzw. ständisch geprägtem Gemeinwesen. Während sich absolutistische Staatstheorien – so die ältere Forschung – in Frankreich als Herrschaftspraxis durchsetzten, gab es in Europa auch Staaten, in denen absolutistische Herrschaftsvorstellungen langfristig wenig oder keinen Raum fanden: in England, den Niederlanden, Württemberg oder in Polen. Hier bestand – ebenso wie auf Reichsebene – ein Dualismus fort bzw. verschob sich staatliche Souveränität hin zu den Ständen und Parlamenten. Doch auch in Staaten wie Frankreich, in denen sich absolutistische Staatstheorien wie nirgendwo sonst zu manifestieren schienen, konnte sich absolutistische Herrschaft nicht wirklich durchsetzen. Die potestas absoluta der Krone erweist sich als Mythos. Zwar fanden im Frankreich des 17. und 18. Jahrhunderts durchaus von der Krone gesteuerte Prozesse der Bürokratisierung, Zentralisierung, Verrechtlichung und Vereinheitlichung des Rechts, der Arrondierung des Staatsgebietes durch expansive Außenpolitik statt, außerdem kam es zu Einführung und Ausbau von Merkantilismus, Staatskirchentum und eines königlichen Hofes, der den Adel des Landes durch Verhöfischung unter seine Kontrolle zu bringen suchte. Bei genauerem Hinsehen ist jedoch das Frankreich Ludwigs XIV. weit von einer Realisierung absolutistischer Herrschaftsansprüche entfernt gewesen, wie vor allem Nicholas Henshall in seinem The Myth of Absolutism betont hat (London 1992). Grundsätzlich war ein absoluter Herrschaftsanspruch von drei entscheidenden Faktoren begrenzt: 1.) durch Widerstand gegen die Gesetze des Königs, beispielsweise durch die Parlements, d.h. die obersten Gerichtshöfe, die königliche Dekrete zu registrieren hatten, damit sie in den Provinzen überhaupt zur Anwendung kommen konnten; 2.) durch den Mangel an Kontrolle lokaler und regionaler Verwaltungen durch die Krone bzw. den Fürsten; 3.) durch die Unfähigkeit königlicher Verwalter, Steuern einzuziehen. Selbst die von Ludwig XIV. eingesetzten Intendanten, die in den Provinzen für eine bessere Durchsetzung königlicher Gesetze und Reformen hätten sorgen sollen, mussten mit den regionalen Institutionen wie den Parlements zusammenarbeiten, um überhaupt die Stimme der Krone hörbar zu machen. Auch behielten die Gouver-

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II.

Vorgeschichte und Ursachen neure der Provinzen, denen die Intendanten beigestellt wurden, viele ihrer Privilegien und viel von ihrem Einfluss. Monarchen mit absolutistischem Machtanspruch mussten also mit lokalen und regionalen Eliten innerhalb von deren Vorstellungen von Legalität und Traditionen kooperieren, um ihre königliche Politik zumindest partiell durchsetzen zu können.

Feudalismus

Zu den langfristigen Ursachen der Französischen Revolution zählt die traditionelle französische, von der marxistisch-leninistischen Geschichtstheorie stark beeinflusste Sozial- und Wirtschaftsgeschichte die Krise des Ancien Régime bzw. des Feudalismus. „Kampf dem Feudalismus“ gehörte zu den Parolen, mit denen Revolutionäre ab 1789 das Ancien Régime – ein Terminus, der in den Cahiers de doléances, die zu den Wahlen der Generalstände landesweit angefertigt wurden, ebenso benutzt wurde wie in den Debatten der Generalstände bzw. der Nationalversammlung – beseitigt wissen wollten. „Kampf dem Feudalismus“ hieß vor allem, die Privilegien des Ersten (Klerus) und Zweiten (Adel) Standes abzuschaffen. Doch gab es im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts wirklich noch feudale Strukturen? Feudalismus in Frankreich bedeutet für die Zeit vor 1789 vor allem, dass wir es mit einer noch deutlich agrarisch geprägten Wirtschaft und Gesellschaft zu tun haben. 85% der Bevölkerung Frankreichs waren am Vorabend der Revolution in der Landwirtschaft tätig. Im Unterschied zu England werden die in Frankreich angewandten landwirtschaftlichen Methoden vor 1789 als wenig effizient beschrieben. Krisen waren für die große Mehrheit der Bevölkerung Frankreichs vor allem Hungerkrisen, ausgelöst durch Missernten, Spekulation mit Getreide und Ähnlichem. Die Produktionsmethoden in der Landwirtschaft waren summa summarum – zumindest im Vergleich mit England – in einigen französischen Regionen noch rückständig. Große Überschüsse konnten im Anbau von Weizen und Roggen kaum erwirtschaftet werden, so dass Hungerkrisen auftraten, wenn die Ernten einige Jahre schlechter ausfielen. Daran konnten auch physiokratische Experimente zunächst wenig ändern (landwirtschaftliche Produktion für den Markt, weniger zur Selbstversorgung bzw. im Sinne einer Subsistenzwirtschaft). Kritik lösten bereits vor 1789 die Eigentumsverhältnisse in Frankreich aus. Eigentümer des größten Teils des zur Verfügung stehenden Ackerlandes waren, wie Michel Vovelle 1989 gezeigt hat, der Adel mit 30% und der Klerus mit 6–10%. 30–40% des Bodens war jedoch bereits in der Hand von Bauern, 30% in der Hand des Bürgertums. Franzosen, die ihr Land nicht selbst besaßen, sondern es von einem Seigneur (Grundherr) gepachtet hatten, waren neben der Pacht meist noch mit vielen anderen Abgaben belastet: für die Nutzung von Mühlen, Backöfen oder Keltereien, bei der Vererbung oder beim Verkauf von Besitz. Dazu hatten abhängige Bauern Frondienste zu leisten, in der Regel jedoch nicht mehr als zwölf Tage pro Jahr. Darüber hinaus übte der

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Seigneur über seine abhängigen Bauern die niedere Gerichtsbarkeit aus. Leibeigenschaft gab es in Frankreich im Gegensatz zu vielen Gebieten in Mittelund Osteuropa so gut wie nicht mehr. Insgesamt befand sich die französische Landwirtschaft genau zwischen zwei Extremen: ostelbisches Junkertum und Leibeigenschaft auf der einen Seite, Pachtsysteme und frühkapitalistische Anbaumethoden in der Landwirtschaft in England auf der anderen. Bei der Frage nach der Abschaffung des Feudalismus in Frankreich ging es weniger darum, ein – im europäischen Vergleich – gar nicht einmal so rückständiges System durch ein neues zu ersetzen, sondern letztendlich um eine gefühlte Krise des Ancien Régime, eines Systems, das sich schon, wie dies Michel Vovelle formuliert hat, in einem fortgeschrittenen Stadium der Zersetzung befand und sich nun noch der letzten, als drückend empfundenen Zwänge entledigen wollte. Als ebenso unangemessen wurden von bestimmten gesellschaftlichen Schichten in Frankreich die Überreste der Ständegesellschaft empfunden. Der Erste Stand, der Klerus, rekrutierte sich in den unteren Rängen auch aus der bäuerlichen Bevölkerung, während hohe kirchliche Pfründe meist Angehörigen des Adels vorbehalten waren. Der Zweite Stand, der Adel, war in Schwert(noblesse d’épée) und Amtsadel (noblesse de robe) geteilt. Gerade für den Zweiten Stand, und hier vor allem für den Schwertadel, war Arbeit unvereinbar mit Standesbewusstsein. Körperliche Arbeit galt als gemein und knechtisch, etwas, das dem Dritten Stand vorbehalten sein musste. Bildung bedeutete dem Adel nicht Mittel zum Zugang zu Ämtern, sondern hatte einen Selbstwert, diente der sozialen Distinktion. Zum Klerus gehörten ca. 0,5% der Bevölkerung Frankreichs. Klerus hieß katholischer Klerus. Seit 1516 musste jeder Franzose Katholik sein bzw. wurde es durch das Konkordat de iure, auch wenn es im 1648 bzw. 1681 zu Frankreich gekommenen Elsass Lutheraner und vor allem in Südfrankreich Kryptokalvinisten bzw. die Églises du Désert gab, also heimliche, vom Staat seit 1685 verbotene protestantische Kirchengemeinden. Dazu kamen ca. 400.000 Juden, die vor allem in Südwestfrankreich (Sepharden) und in Lothringen (Ashkenazen) lebten. Finanziert wurden die Institutionen der Kirche in Frankreich, die Gallikanische Kirche, durch den Zehnten: Damit wurden nicht nur Kirchen und Pfarrer, Klöster und Abteien unterhalten, sondern auch das Schulwesen, das nahezu ausschließlich in kirchlicher Hand lag, ebenso das Missionswesen (in Frankreichs Kolonien). Innerhalb des Klerus waren Pfründe jedoch sehr ungleich verteilt. Landpfarrer konnten oft kaum von ihren Einkünften leben, während hochgestellte Pfründeinhaber oft ein sehr luxuriöses Dasein führten. Am Vorabend der Revolution gab es in Frankreich ca. 18 Erzbischöfe und 139 Bischöfe. Zum mittleren Klerus zählten Pröbste, Äbte und Angehörige der Domkapitel. Der Klerus verfügte über ein eigenes Recht und eine eigene Rechtsprechung.

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Ständegesellschaft

Klerus

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II.

Vorgeschichte und Ursachen Stichwort

Gallikanische Kirche Als Gallikanische Kirche wird die katholische Kirche in Frankreich bezeichnet, die ab dem späteren Mittelalter versuchte, mehr Unabhängigkeit von Rom zu erlangen. Wichtigste Bestandteile der Gallikanischen Freiheiten waren die Beschneidung des weltlichen Einflusses des Papstes in Frankreich und die Beschränkung der geistlichen Macht des Papstes durch die Konzilien. Darüber hinaus hatte der französische König seit 1483 (Pragmatische Sanktion von Bourges) ein Mitspracherecht bei der Bestimmung von Bischöfen in Frankreich.

Adel

Dem Adel gehörten in Frankreich maximal 1,5% der Bevölkerung zu, wobei die Masse der ca. 350.000 Adligen eher dem niederen Adel zuzurechnen war. Adlige verfügten über Grundbesitz und finanzierten sich in der Regel aus der Verpachtung von Grund und Boden. Dazu kamen Einkünfte aus staatlichen Ämtern und Pensionen. In der Regel gingen Adlige keiner regelmäßigen Erwerbstätigkeit nach. Dies änderte sich allerdings in den 1780er Jahren, in denen mehr und mehr französische Adlige auch in der Publizistik, als Juristen oder Ärzte tätig wurden oder sich als Unternehmer im Handel, Manufakturwesen und im Bergbau engagierten. Die Privilegien des Adels waren, wie oben erwähnt, fiskalischer Natur, d.h. sie mussten keine Steuern zahlen, waren also von der taille personelle (Personen- oder Kopfsteuer) ebenso ausgenommen wie von der Konsumsteuer. Der Zweite Stand besaß ebenso wie der Erste Stand einen eigenen Gerichtsstand und unterstand bei Strafverfahren den obersten Gerichtshöfen in Frankreich, den Parlements. Adlige durften nicht in Schuldhaft genommen oder nach Verhängung der Todesstrafe durch Hängen gerichtet werden. Ihnen blieb das „Privileg“ der Enthauptung – ein „Privileg“, das in der Französischen Revolution mit der Einführung der Guillotine auf all diejenigen Franzosen ausgeweitet werden sollte, die von der Justiz zum Tode verurteilt wurden. Zu den fiskalischen und jurisdiktionellen Sonderrechten kam der gesellschaftliche Vorrang des Adels in den Universitäten, für Adlige reservierte Kirchenbänke, Jagdrechte, Waffenrechte, Wappenrechte und das Recht auf den Zugang zum königlichen Hof. Ebenso hatte der Adel Anspruch auf eine besondere Anrede und das Führen von Titeln. Zum Adel gehörte man in Frankreich durch Abstammung, was wiederum durch königliche Urkunden nachgewiesen werden musste, oder durch Nobilitierung durch die Krone aufgrund von besonderen Verdiensten oder durch Ämterkauf. Zur Noblesse d’épée konnte man allerdings nicht durch Ämterkauf aufsteigen; dies war nur durch Einheirat oder die Erhebung durch den König zum Herzog, Markgrafen (Marquis) oder Grafen (Comte) möglich. Hoffähig waren nur ca. 600 Adelshäuser in Frankreich, deren Stammbaum bis vor 1400 zurückreichte.

1. Frankreich im späteren 18. Jahrhundert

Dem Dritten Stand gehörten ca. 98% der Bevölkerung an. Der Tiers État (Dritter Stand) war ebenso alles andere als homogen. An der Spitze des Dritten Standes standen bürgerliche Rentiers, die einen quasiadligen Lebensstil führten und versuchten, durch Ämterkauf oder Heirat in den Zweiten Stand aufzusteigen. Eine Stufe unter ihnen waren die höheren bürgerlichen Staatsbeamten, vor allem in den Hafenstädten reiche Kaufleute, sowie Finanziers und Makler angesiedelt, dann die Angehörigen der akademischen Bildungsberufe, Handwerksmeister, Bauern und danach das Proletariat, d.h. die besitzlose Stadt- und Landbevölkerung. Am Ende der Gesellschaftspyramide des Dritten Standes befanden sich Vagabunden und Bettler. Innerhalb des Dritten Standes bestimmte sich die Rangordnung zunehmend durch Einkommen und Lebensstandard. Als bürgerliche Tugenden galten Arbeit, Fleiß, Sparsamkeit und Klugheit. Grundsätzlich strebten die Spitzen des Dritten Standes nach adligen Privilegien und adligem Lebensstil, investierten in Staatsanleihen, Grundbesitz und staatliche Ämter und Titel. Die Bauernschaft machte den größten Teil innerhalb des Dritten Standes aus, ca. 15 Millionen Menschen, d.h. 60% der Gesamtbevölkerung. Es gab eine schmale bäuerliche Oberschicht (laboureurs) und eine breite Schicht an Klein- und Kleinstbauern (ménagers), die oft so wenig Land besaßen, dass sie auf Lohnarbeit (meist im Verlagswesen) angewiesen war, also auf Heimarbeit in den Wintermonaten, deren Produkte (meist Textilien) nach Anfertigung von einem „Verleger“ zentral gesammelt und dann verkauft wurden. Erster (Klerus) und Zweiter (Adel) Stand waren wie erwähnt am Steueraufkommen des französischen Staates so gut wie nicht beteiligt. Der Dritte Stand (Tiers État) trug nach eigener Einschätzung (wie dies der Abbé Sieyès (1748–1836) in seiner Schrift Qu’est-ce que les tiers état? formulierte) die gesamte Last im Staate, ohne allerdings politisch und gesellschaftlich in dem Maße zu partizipieren, wie es Vertreter des Dritten Standes für notwendig gehalten hätten. Stichwort

Abbé Sieyès Emmanuel-Joseph Sieyès wurde am 3. Mai 1748 in Fréjus (Provence) als Sohn eines Postmeisters geboren. Er studierte am Priesterseminar Saint-Sulpice in Paris und wurde trotz der Vernachlässigung seiner Studien und seiner Hinwendung zur Philosophie der Aufklärung zum Priester geweiht. 1780 stieg er zum Generalvikar des Bischofs von Chartres auf, 1787/88 war er Mitglied der Provinzialstände des Orléanais. Nach Einberufung der Generalstände wurde Sieyès publizistisch tätig. Sein bekanntestes Traktat ist „Qu’est-ce que le tiers état“ (Was ist der Dritte Stand?), in dem er für eine gewählte Legislative als Gesetzgeber eintrat. Obwohl er als Priester Mitglied des Klerus war, wurde er als Vertreter des Dritten Standes in die Generalstände gewählt. Er versuchte, an der Ausarbeitung der Verfassung von 1791 zu partizipieren, und unterstützte die Zivilverfassung des Klerus. Politisch hielt er sich in der Auseinandersetzung zwischen Montagne und Gironde im Nationalkon-

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Vorgeschichte und Ursachen vent, in den er gewählt wurde, zurück und trat erst wieder in der Direktorialzeit prominent in Erscheinung, nun als Diplomat der Französischen Republik in Den Haag und Berlin. 1799 wurde er zu einem der fünf Direktoren gewählt. Beim Staatsstreich Bonapartes im November 1799 paktierte Sieyès mit Letzterem und wurde zu einem der drei provisorisch agierenden Konsuln ernannt. Nach dem Ende der napoleonischen Herrschaft ging Sieyès ins Exil nach Brüssel, da er 1793 für die Hinrichtung des Königs gestimmt hatte und somit als Königsmörder verfolgt wurde, kehrte aber nach der Julirevolution 1830 nach Frankreich zurück. Sieyès starb am 20. Juni 1836 in Paris.

Die Diskrepanz zwischen ständischen Prinzipien (Privilegien durch Geburt) und bürgerlichen (Partizipation durch Leistung) war am Vorabend der Revolution unübersehbar. Hinzu kam, dass es gerade in den 1780er Jahren gegenüber dem Dritten Stand zu einer weiteren Abgrenzung von Erstem und Zweitem Stand zu kommen schien. Der Aufstieg in den Zweiten Stand mittels Offiziers- oder höherer Beamtenlaufbahn und anschließender Nobilitierung wurde Bürgerlichen zunehmend verwehrt. Trotzdem ist es auffallend, dass – wie die gerade zitierte Schrift Emmanuel-Joseph Sieyès’ zeigt – die Durchlässigkeit zwischen den Ständen in vielen Bereichen doch größer war, als die marxistisch-leninistische Historiographie lange Zeit angenommen hat. Zu den wichtigsten Kritikern der Überbleibsel des Feudalismus und der traditionellen Ständegesellschaft gehörten nicht nur in der Frühphase der Revolution Vertreter des Ersten (Klerus) und Zweiten (Adel) Standes wie etwa Honoré Gabriel Riquetto, Comte de Mirabeau (1749–1791), Marie-Joseph Motier, Marquis de Lafayette (1757–1834), der Abbé Sieyès und der Abbé Grégoire (1750–1831). Gleichzeitig ist für die französische Bourgeoisie am Vorabend der Revolution die Tendenz zu verzeichnen, durch Erwerb von Grundbesitz und den Kauf von Adelstiteln als Seigneur in den Zweiten Stand aufzusteigen, ein Phänomen, das in gewissen Grenzen mit der Gentryfizierung in England vergleichbar ist. Einen wirklichen Kampf zwischen den drei Ständen bzw. zwischen Erstem und Zweitem Stand auf der einen und dem Dritten Stand auf der anderen Seite stellte die Revolution also nicht dar, schon gar nicht, wie dies die marxistisch-leninistische Forschung deutet, einen Klassenkampf. Stichwort

Mirabeau Honoré Gabriel Riquetto, Comte de Mirabeau, (1749–1791) hatte sich vor Ausbruch der Französischen Revolution einen eher unrühmlichen Namen gemacht. Wegen Verschwendungssucht und Problemen mit der französischen Justiz verbannte ihn sein Vater nach Bignon bei Nemours, den Sitz der Familie, wo Mirabeau 1774 seinen Essai sur le despotisme verfasste. Seine Kritik am Justizwesen in Frankreich führte neben anderen „Delikten“ zu seiner Inhaftierung. Wegen Ehebruchs wurde er in Abwesenheit – Mirabeau war mit seiner Geliebten in die Schweiz geflohen –

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verurteilt. 1782 rehabilitiert, begann nun sein Leben als Diplomat im Dienst der französischen Krone. 1789 wurde er von den Wahlversammlungen des Dritten Standes in die Generalstände gewählt, wo er für eine Reform von Staat und Gesellschaft durch König und Nationalversammlung, also für eine „königliche Demokratie“, eintrat, die den König mit einem suspensiven Vetorecht und der Entscheidungsgewalt über Krieg und Frieden ausgestattet hätte. Ab dem Herbst 1789 diskreditierte sich Mirabeau zusehends, nicht zuletzt durch seine engen Kontakte zum Hof. Im Januar 1791 noch zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt, starb Mirabeau drei Monate später relativ plötzlich.

Abb. 1 Karikatur zum Verhältnis von Erstem, Zweiten und Dritten Stand am Vorabend der Französischen Revolution

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II.

Parlement

Aufklärung

Vorgeschichte und Ursachen

Der sogenannte Absolutismus als Staatsform, der von der neueren Forschung wie beispielsweise bei Nicholas Henshall in seiner Realexistenz in Frage gestellt bzw. als „unfertig“ bezeichnet worden ist, befand sich – so viele Revolutionsforscher – in einer Krise. Zwar war das Gottesgnadentum des Bourbonenkönigs Ludwig XVI. noch relativ unangefochten, wie Jens-Ivo Engels gezeigt hat, doch waren einzelne Institutionen königlicher Herrschaft durchaus in eine substantielle Krise geraten. Der Hof – und an seiner Spitze weniger König Ludwig XVI. als vielmehr seine Gattin Marie Antoinette – hatte sich durch Affären (Halsbandaffäre 1785) bzw. prunkvolle Hofhaltung und Verschwendungssucht in Misskredit gebracht. Allerdings wurde der Hof als Symbol für die Dekadenz der Monarchie wiederum durch einige der Reformminister Ludwigs XVI. neutralisiert. Zu diesen gehörten die Minister Anne Robert Jacques Turgot, Baron von Aulne, (1727–1781, Minister 1774–1776), Jacques Necker (1732–1804, Minister 1777–1783 und 1788–1789), Charles Alexandre de Calonne (1734–1802, Minister 1783–1787) und Étienne Charles Loménie de Brienne (1727–1794, Minister 1787–1788), Erzbischof von Toulouse und Freund Neckers. Jacques Necker, Bankier und eigentlich Bürger der Republik Genf, war dem französischen König als Berater mit exzellenten Referenzen empfohlen worden. Neben dem König als höchstem Souverän, Gesetzgeber und Richter im Staat hatten die Parlements der einzelnen Provinzen entscheidende Kompetenzen. Sie mussten die königlichen Gesetze registrieren und damit erlauben, dass sie angewendet werden konnten. Zusammengesetzt waren die Parlements von Paris, Bordeaux, Toulouse u.a. Städten aus Vertretern der Noblesse de robe, die dort vor allem ihre eigenen Standesinteressen vertraten, also die des aufstrebenden Adels. Sie waren eine entscheidende Kraft, die ebenso wie die weitgehend unabhängigen lokalen Selbstverwaltungen von Provinzen, Städten und Dörfern vom König angestoßene Reformprozesse mittragen oder eben blockieren konnten. Höchstes Repräsentationsorgan neben dem König waren die von ihm einberufbaren Generalstände, États généraux, die nationale Vertretung aller drei Stände, die allerdings seit 1614 nicht mehr zusammengetreten waren. In der Forschung wird seit der Epoche der Französischen Revolution immer wieder die Aufklärung (franz. Lumières) als wichtigste Ursache für den Ausbruch der Revolution benannt. Die Revolution sei die Vollendung der Aufklärung, manche würden sagen, die „Vollstreckung“ der Aufklärung gewesen. Erst die Aufklärung hätte ein Denken möglich gemacht, das es erlaubt hätte, Altes radikal über Bord zu werfen und Legitimation für politisches Handeln zu erlangen – durch die Realisierung einer Utopie bzw. des dem Menschen vorherbestimmten Weges aus der vorrationalen Finsternis hin zum Licht der Vernunft. Etliche Elemente der Philosophie der Aufklärung wie Rechtsgleichheit, persönliche Freiheit, Gewaltenteilung, Sicherheit des Eigentums, Meinungsund Pressefreiheit seien in der Revolution zumindest partiell umgesetzt bzw.

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als nachrevolutionärer Zustand formuliert worden (siehe die Verfassung von 1793). Negativ formuliert wurde schon zur Zeit der Revolution von Gegenrevolutionären die Auffassung vertreten, die Französische Revolution sei das Ergebnis einer Verschwörung der Aufklärer (philosophes) oder der Illuminaten gewesen, die bereits ab der Mitte des 18. Jahrhunderts zu einem radikalen Umsturz der politischen und sozialen Ordnung aufgerufen hätten. Zwar gibt es durchaus Gedankengut der Aufklärung, das von Revolutionären rezipiert und weiterentwickelt wurde; es wurde in der Revolution beispielsweise bei der Überführung der sterblichen Überreste Voltaires und Rousseaus ins Pantheon ein direkter Bezug zu den philosophes durch die Revolutionäre selbst hergestellt. Stichwort

Illuminaten (lat. Illuminati, „die Erleuchteten“) Am 1. Mai 1776 gründete der Philosoph und Kirchenrechtler Adam Weishaupt (1748–1830) in Ingolstadt den Illuminatenorden, eine Geheimgesellschaft, die in Bayern bis 1785 Bestand hatte. Der Geheimorden hatte zum Ziel, mittels Aufklärung und allgemeiner Verbesserung der Sitten und Moral – d.h. ohne Anwendung von Gewalt – die Herrschaft von Menschen über Menschen überflüssig zu machen. Dies stellte einen Angriff auf jegliche weltliche und geistliche Obrigkeit im Europa des späten 18. Jahrhunderts dar, was zum Verbot des Ordens durch den bayerischen Kurfürsten Karl Theodor (1724–1799) führte. Zu den prominentesten Mitgliedern zählten Adolph Freiherr von Knigge (1752–1796), der dem Orden eine dem der Freimaurer ähnliche Struktur gab, die Prinzen Karl von Hessen (1744–1836) und Ferdinand von Braunschweig (1721–1792), die Herzöge Ernst von Sachsen-Gotha (1745–1804) und Carl August von Sachsen-Weimar (1757–1828) sowie dessen Geheimrat Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832), deren Aufnahme von Weishaupt allerdings mit Misstrauen verfolgt wurde, da er in diesen Vertretern der Obrigkeit „Spitzel“ vermutete.

Trotzdem kann man die Aufklärung nicht als wichtigste oder gar alleinige Ursache der Revolution beschreiben oder 1789 bis 1799 als Umsetzung der Ideen der Aufklärung interpretieren. Die Aufklärung diente vor allem in der Frühphase der Revolution den Revolutionären in der Nationalversammlung zur Rechtfertigung der radikalen und revolutionären Reformen, die sich ab dem Juni 1789 anbahnten. Aufklärung und die Ereignisse in den USA waren rhetorische Mittel und Legitimation für die Selbsternennung des Dritten Standes zur Nationalversammlung. Die Revolutionäre selbst begründeten den Mythos, sie wollten die von den Aufklärern formulierten Utopien in politische und gesellschaftliche Wirklichkeit umsetzen. Tatsächlich gingen viele Revolutionäre mit dem Erbe der Aufklärung recht eklektisch, wenn nicht gar freizügig um und deuteten die Ideen Montesquieus, Voltaires und Rousseaus nach ihren eigenen Bedürfnissen.

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II.

Vorgeschichte und Ursachen Stichwort

Aufklärung Als Aufklärung (franz. Lumières, engl. Enlightenment) wird in Europa die Epoche zwischen dem Ende des 17. Jahrhunderts und ca. 1789 verstanden, die unterschiedliche Geistesströmungen hervorbrachte. Den meisten Vertretern der Aufklärung (franz. Philosophes) gemein ist die Überzeugung, dass der Mensch durch Vernunft Wahres und Falsches unterscheiden und durch die Erkenntnis des einzig Wahren in ein Goldenes Zeitalter gelangen könne. Der Mensch sei seiner Natur nach gut und nur durch die Entfernung vom Naturzustand verderbt worden. Durch die Rückkehr zur Natur, angeleitet von Vernunft könne der Mensch vervollkommnet und in ein freiheitliches und glückliches Dasein überführt werden. Ziel der Aufklärung war es, den Mensch von Aberglauben und Irrationalem zu befreien, Naturwissenschaften und Technik zu fördern, damit diese dem Menschen in seinem Emanzipationsprozess dienen konnten. Häufig findet sich auch ein Plädoyer für religiöse Toleranz; die Moral- und Rechtsphilosophie berief sich zunehmend auf das Naturrecht, d.h. Gesetze, die bereits vor der Gründung der Staaten vorhanden gewesen seien, wie sie dann in den Menschen- und Bürgerrechten von 1789 formuliert werden sollten. Forderungen der Aufklärung schlossen Pressefreiheit, Freiheitsrechte des Einzelnen (Schutz vor willkürlicher Verhaftung, Schutz des Eigentums, Redefreiheit) und eine neue Pädagogik zur Herausbildung des vernünftigen Menschen mit ein. Fortschrittsglaube und Optimismus, dass die Menschheit durch Aufklärung und Vernunft im Diesseits (und nicht mehr im Sinne christlicher Traditionen im Jenseits) in ein neues Arkadien, ein Goldenes Zeitalter geführt werden könne (Perfektibilitätsglaube), ist fast allen Aufklärungsphilosophen eigen. Zu den wichtigsten Aufklärern zählen in Frankreich Voltaire (eigentlich François Marie Arouet, 1694–1778), Charles de Secondat, Baron de Montesquieu (get. 1689–1755), Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) und Denis Diderot (1713–1784), in England John Locke (1632–1704) und David Hume (1711–1776), in Deutschland Christian Wolff (1679–1754), Gotthold Ephraim Lessing (1729–1781) und Immanuel Kant (1724–1804). Die Aufklärung war geprägt durch den unerschütterlichen Fortschrittsglauben der philosophes (Perfektibilität). Durch Vernunft oder Rationalismus, durch das Finden der einen, allgemein gültigen Wahrheit sollte die Menschheit in ein Goldenes Zeitalter geführt werden, einen paradiesischen Zustand im Diesseits. Viele Aufklärer verwarfen mit dieser säkularen Heilsgeschichte die religiöse Offenbarung, waren nicht nur antiklerikal, sondern bekämpften Religion generell als Aberglauben und Vorurteil; beide müssten für immer beseitigt werden. An die Stelle des Dogmatismus der katholischen Kirche trat der Dogmatismus der Aufklärung, der radikale Glaube an Vernunft, Wissenschaft, Technik und den ewigen Fortschritt der Menschheit. Wichtigstes Werk der Aufklärung war die zwischen 1751 und 1785 von Diderot und JeanBaptiste de Rond d’Alembert (1717–1783) herausgegebene Encyclopédie, die sämtliche philosophes und ihre wichtigsten Thesen umfassen sollte. An ihr arbeiteten über 200 Mitarbeiter, neben Diderot und d’Alembert auch Voltaire, Montesquieu, Jean-Jacques Rousseau (1712–1778) und Paul Henri Thiry d’Holbach (1723–1789).

Jean-Jacques Rousseau

Den Zeitgenossen galt vor allem die Philosophie des Genfers Jean-Jacques Rousseau als Wegbereiterin der (radikalen) Revolution. Oft wird im Gesellschaftsvertrag (Contrat social) (1762/63) und der Schrift Über den Ursprung

1. Frankreich im späteren 18. Jahrhundert

der Ungleichheit unter den Menschen die ideologische Grundlage für die direkte Demokratie der Verfassung von 1793 und die Wirtschaftslenkung bzw. andere totalitäre Maßnahmen der Zeit der Terreur gesehen. Doch auch dies ist nur ansatzweise korrekt. Rousseau formulierte Vorstellungen von Gleichheit, d.h. Rechtsgleichheit, die die Aufhebung von ständischen Privilegien implizierten. Er entwickelte in seinem Werk die Idee, dass der Wille des einzelnen, freien und autarken Individuums sich im Gemeinwillen (volonté générale) ausdrücken müsse. Rousseaus idealer Staat ist derjenige, in dem der freie Mensch dem Gesetz gehorcht, sich dem Gemeinwillen, dem Souverän, also der gesamten Nation, unterwirft und individueller Wille und Gemeinwille identisch sind. Gesetze werden dem Souverän, d.h. dem Volk, durch die Repräsentanten zur Abstimmung vorgelegt. Rousseau hat durchaus Formen einer direkten Demokratie angedacht. Ebenso ist Rousseaus Tugendideal, das er im Émile formulierte, Inspiration für die Herrschaft der Montagne und für republikanische Tugend geworden. Jenseits seiner Gesellschaftsutopie steht Rousseau jedoch sehr kritisch jeder Form von staatlicher Gewalt gegenüber. Für etliche Revolutionäre, u.a. Louis Sébastien Mercier (1740–1814), Jacques Pierre Brissot (1754–1793) und auch Louis Saint-Just, galt Montesquieu als Gegner jeglichen Despotismus. Sein Vom Geist der Gesetze (De l’esprit des lois) wurde in der Französischen Revolution vor allem im Kontext des Neuaufbaus des Rechtswesens rezipiert, aber auch in der Definition von republikanischer Tugend, die sich vor allem als „Liebe zu den Gesetzen und zum Vaterland“ artikulieren sollte. Populärwissenschaftlich wird Montesquieu in der Regel auch mit dem Prinzip der Gewaltenteilung, der klaren Trennung zwischen Exekutive, Legislative und Judikative, in Zusammenhang gebracht. Das ist jedoch nicht ganz richtig. Montesquieu kennt zwar drei Gewalten im Staat, die Exekutive, die Legislative und die Judikative. Diese sind jedoch bei Montesquieu nicht mit bestimmten staatlichen Organen verbunden, sondern stellen Funktionen dar. Montesquieus Vom Geist der Gesetze formuliert keine radikale Gewaltenteilung, sondern am Beispiel des englischen Systems eine wechselseitige Kontrolle der Institutionen, die mit exekutiven, legislativen und judikativen Funktionen betraut sind. Dabei verteidigt Montesquieu das englische Modell, das im legislativen Bereich aus Ober- und Unterhaus besteht, gleichzeitig aber im Vetorecht des Königs, der wiederum hauptsächlich mit der Exekutive in Verbindung gebracht wird, diesem auch legislative Funktionen überträgt. Ober- und Unterhaus sind nicht an der Exekutive beteiligt, dürfen aber die Ausführung der Gesetze kontrollieren. Die Judikative ist bei Montesquieu kein Staatsorgan, sondern muss mittels (Schöffen-)Gerichten letztendlich durch Vertreter aller Stände ausgeübt werden. Die Ideen der Aufklärung vermögen nicht allein zu erklären, warum es zu einem Bruch der Mentalitäten bereits im Vorfeld der Revolution kam. Damit die Ideen der Aufklärung überhaupt ein weites Publikum zu erreichen ver-

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Montesquieu

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II.

Vorgeschichte und Ursachen

mochten, bedurfte es der Herausbildung einer öffentlichen Kultur, die sich als Vorläufer der revolutionären politischen Kultur vor allem in Freimaurerbünden, Lesegesellschaften und -kabinetten, Akademien, Debattierklubs, Kaffeehäusern, Illuminatenbünden, also in Sozietäten aller Art, manifestierte. Aus diesen fast ausschließlich von Männern frequentierten Orten des Austauschs über Wirtschaft, Politik, Philosophie und Kultur im weitesten Sinne entwickelten sich letztendlich die politischen Klubs in den einzelnen Städten Frankreichs, die zu Trägern, wenn nicht zu Motoren der Revolution in den Départements werden sollten. In den Akademien mischten sich Vertreter von Erstem, Zweitem und Drittem Stand. Die königliche Zensur war 1787 de facto kaum mehr existent, was im Vorfeld der Revolution den Zeitungs- und Pamphletmarkt bereits explodieren ließ. Wichtigste Zeitung war die Gazette de France, das wichtigste gelehrte Journal das Journal des Savants. Ebenso wenig sollte übersehen werden, dass der Großteil der Bevölkerung Frankreichs nie mit den Ideen der Aufklärung in Berührung kam. Zwei Drittel der Bevölkerung waren Analphabeten. Die Aufklärung wurde hauptsächlich von Bildungseliten rezipiert, in Form von Pamphleten und Flugschriften auch in den Mittelschichten, d.h. unter Handwerkern und Gewerbetreibenden. Der bereits erwähnte Thomas Paine, in England geborener (Mit-)Gründervater und wichtiger Mittler zwischen den jungen Vereinigten Staaten von Amerika und dem revolutionären Frankreich, wies bereits 1789 auf die engen Verflechtungen zwischen Amerikanischer und Französischer Revolution hin. Zu den prominentesten Protagonisten eines atlantischen Transfers von Ideen wie Freiheit und Demokratie, Menschenrechten, Widerstandsrecht und Republikanismus, von Soldaten, Waffen und militärischem Knowhow einschließlich der Organisation von Propaganda gehörten – so Paine – Charles Gravier, Comte de Vergennes (1717–1787), Außenminister Ludwigs XVI. und verantwortlich für die Unterstützung der Amerikaner im Unabhängigkeitskrieg, Benjamin Franklin (1706–1790), einer der Gründerväter der Vereinigten Staaten von Amerika und Diplomat der Vereinigten Staaten in Frankreich, de Lafayette (1757–1834), General der französischen Armee, u.a. im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, und Thomas Paine selbst. Indem Frankreich den Unabhängigkeitskrieg der Kolonisten in Nordamerika gegen das Mutterland ab 1778 mit Subsidien und auch mit französischen Truppen (unter Lafayette) unterstützte, hätten die nach 1783 zurückkehrenden Soldaten Ideen der Amerikanischen Revolution und revolutionäre Praktiken mit nach Frankreich gebracht und dort den Widerstand gegen das Ancien Régime mit stimuliert. Für Thomas Paine, der bereits im Vorfeld der Amerikanischen Revolution den atlantischen Transferprozess in der Verbreitung der Ideen der französischen Aufklärung in den Britischen Kolonien Nordamerikas beschrieb, war klar, dass sich Frankreich und die Vereinigten Staaten von Amerika mit ihren Revolutionen gegen Monarchie und Despotismus erhoben hatten.

1. Frankreich im späteren 18. Jahrhundert Stichwort

Amerikanische Revolution Als Amerikanische Revolution wird die Loslösung der Dreizehn Kolonien in Nordamerika von Großbritannien bezeichnet. Seit dem späten 16. Jahrhundert hatte England die Kolonisierung von Teilen der Karibik und des nordamerikanischen Kontinents vorangetrieben. Bis 1732 entstanden hier Kolonien unter englischer (ab 1707 britischer) Oberhoheit, die als Kronkolonien, Eigentümerkolonien oder Charterkolonien mit unterschiedlich weit gehenden Rechten gegenüber dem Mutterland ausgestattet waren, u.a. Virginia (erster Versuch 1586, erfolgreich(er) 1607, seit 1624 Kronkolonie), Plymouth Colony (1620), Massachusetts (1629), Connecticut (1633), Rhode Island (1636), Pennsylvania (1681), die Carolinas (ab den 1660er Jahren) und 1732 Georgia. Nicht nur in ihren Rechten und Privilegien gegenüber dem Mutterland, sondern auch in wirtschaftlicher und konfessioneller Hinsicht unterschieden sich die Kolonien erheblich voneinander. Fast allen gemeinsam war die Herausbildung von Repräsentantenhäusern (Assemblies), die ähnlich dem Parlament in England die Belange der Kolonisten gegenüber dem König und seinen Gouverneuren bzw. den Eigentümern der Kolonien vertreten sollten und Steuerbewilligungs- und Selbstverwaltungsrechte innehatten. Seit dem Ende des Siebenjährigen Krieges und dem Frieden von Paris 1763 waren zunehmend Konflikte zwischen Großbritannien und seinen Kolonien in Nordamerika und der Karibik zu verzeichnen. Zum einen, weil die britische Regierung den Siedlern der Dreizehn Kolonien verbot, in den neu hinzugewonnen Gebieten, vor allem dem Tal des Ohio, neue Siedlungen zu errichten. Zum anderen beschränkte das englische Parlament in Westminster immer mehr die Kompetenzen der Repräsentantenhäuser in den Kolonien und beschnitt wirtschaftliche Privilegien und Freiheiten. Prominenteste Gesetze im Ringen von Mutterland und Kolonien um die Freiheiten der Kolonisten waren der Stamp Act von 1765 und der Tea Act von 1773. Die Kolonisten, die sich in patriotischen Gesellschaften als „Sons of Liberty“ zu formieren begannen, protestierten gegen diese Einschränkungen: „No taxation without representation!“ Ab 1774/75 kam es zu kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen amerikanischen Kolonisten und Truppen Großbritanniens. 1776 erklärten sich die Dreizehn Kolonien für unabhängig von Großbritannien und gründeten mit den Articles of Confederation 1777 die Vereinigten Staaten von Amerika (USA). Zu den wichtigsten Schriften, die die Unabhängigkeitsbewegung der amerikanischen Kolonien entscheidend fördern halfen, gehörte die von dem Briten Thomas Paine (der 1774 nach Pennsylvania übergesiedelt war) im Januar 1776 publizierte Schrift Common Sense. Paine rief die Amerikaner dazu auf, sich vom Mutterland zu lösen, eine Republik auszurufen, deren Führer durch Gesetze gebunden und die als Repräsentanten von allen (männlichen) Amerikanern gewählt und legitimiert werden sollten. In vielen Pamphleten wurde die Korruption der britischen Monarchie ebenso angeprangert wie deren Herrschaft über ihre Kolonien als Tyrannei. Unterstützt wurden die Amerikaner in ihrem Unabhängigkeitskampf von Frankreich, den Vereinigten Niederlanden und Spanien. Frankreich hatte im Siebenjährigen Krieg seine Kolonien in Nordamerika an Großbritannien verloren. Von der finanziellen und militärischen Unterstützung der „Rebellen“ der Dreizehn Kolonien erhoffte sich die französische Regierung eine Schwächung des britischen Rivalen, wenn nicht sogar die Rückgabe Kanadas und Louisianas an Frankreich. Unter der Führung eines Veterans des Siebenjährigen Krieges, des aus Virginia

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II.

Vorgeschichte und Ursachen stammenden George Washington, dem späteren ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, gelang es den Amerikanern, den Krieg gegen das Mutterland zu gewinnen. 1783 musste Großbritannien die Unabhängigkeit der Dreizehn Kolonien anerkennen. Ab 1776 entwarfen die Einzelstaaten ihre eigenen Verfassungen, 1789 trat die Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika in Kraft. Die USA wurden zu einem föderalen, republikanischen Gemeinwesen mit Zweikammernsystem (Kongress), unterteilt in Senat und Repräsentantenhaus, und einer starken Exekutive (Präsidialsystem).

So sehr Paines Analyse des Ausbruchs der Revolutionen in Amerika und Frankreich in vielen Punkten zu kurz greift, da sie die radikalen Unterschiede zwischen Amerikanischer und Französischer Revolution nicht hinreichend beschreibt, so sehr stehen trotzdem die Ereignisse in Frankreich ab 1789 in einem engen Zusammenhang – auf diskursiver und auf handlungspraktischer Ebene – mit den Ereignissen im atlantischen Raum, und zwar nicht nur mit der Amerikanischen Revolution. Thomas Paine brachte mit seinem 1791 in Frankreich veröffentlichtem Republikanischen Manifest eine Alternative zur konstitutionellen Monarchie in die öffentliche Diskussion ein, die in den kommenden Monaten kontrovers diskutiert und im September 1792 in die Realität umgesetzt werden sollte. Die im September 1792 in Frankreich realisierte Idee einer Convention nationale (des Nationalkonvents) war nicht nur eine Weiterentwicklung des amerikanischen Modells. Der französische Nationalkonvent steht auch im Zusammenhang mit den englischen Convention Parliaments von 1660 und 1689, die nach der Ära Cromwell bzw. zur Vorbereitung der Glorreichen Revolution (1688/89) ebenso wie der Nationalkonvent in Frankreich revolutionäre Maßnahmen ergriffen hatten, in dem sie sich selbst einberiefen (was eigentlich zu den Prärogativrechten der englischen Krone gehört hätte) und neue Verfassungsgesetze schufen (1689 Bill of Rights). Der französische Nationalkonvent von 1792 war indes keine Kopie der englischen Convention Parliaments des 17. Jahrhundert oder des amerikanischen Konvents (Kontinentalkongress), sondern eine Weiterentwicklung, bedeutete also institutionelle und ideelle Evolution im Kontext der Französischen Revolution. Was die Französische Revolution grundsätzlich von der Amerikanischen unterschied, war weniger der Grad an Radikalität – hier hat die neueste Forschung mit alten Vorurteilen aufgeräumt (Wellenreuther 2006) –, sondern der Universalitätsanspruch der Französischen Revolution, wie er bereits in den Menschen- und Bürgerrechten von 1789 anklang. Während die amerikanischen Verfassungen altes Recht bewahren wollten bzw. die vom englischen Parlament usurpierten Rechte für sich erneut in Anspruch nahmen, ließ die Französische Revolution in ihren Ansprüchen das Althergebrachte hinter sich und intendierte, das Neue, Freiheit und (Rechts-)Gleichheit, auch allen anderen Völkern zu vermitteln. Zweitens unterschieden sich amerikanische und französische Verfassung in der Frage des Vorrangs von Volkssouveränität und Gesetz. Die amerikani-

2. Versuche der Lösung der Krise

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sche Unabhängigkeitserklärung geht von einem natürlichen, von Gott geschaffenen Gesetz aus, das durch vom Volk gewählte Regierungen geschützt werden müsse. Die französische Erklärung der Menschenrechte bevorzugt stattdessen die natürlichen Rechte des Individuums. Wenn alle Individuen an der Gesetzgebung beteiligt wären, so bildete sich eine volonté générale (Gemeinwillen) heraus. Der Souverän, das Volk, legitimiert die Regierung, die die vom Souverän beschlossenen Gesetze zur Ausübung bringen muss. So sehr Amerikanische und Französische Revolution miteinander „verflochten“ waren, also ein gutes Beispiel für die sogenannten „entangled histories“ darstellen, so sehr macht ein Vergleich der Revolutionen deutlich, dass sie nicht gleichzusetzen sind, sondern sich in vielen essentiellen Elementen unterschieden.

2. Versuche der Lösung der Krise Zu den mittel- bzw. kurzfristigen Ursachen der französischen Revolution gehört insbesondere die hohe Staatsverschuldung Frankreichs. Ausgelöst nicht zuletzt durch die Kriege Frankreichs und Englands im gesamten 18. Jahrhundert setzte die finanzielle und militärische Unterstützung des Unabhängigkeitskampfes der englischen Kolonien in Nordamerika Frankreich einer finanziellen Belastung aus, der es nicht mehr gewachsen war. Taille (Einkommenssteuer für den Dritten Stand), capitation (Kopfsteuer), vingtième (eine weitere Einkommenssteuer), indirekte Steuern wie Verbrauchssteuern (aide), städtische Eingangszölle (octrois), Binnen- und Außenzölle (traites) und die Salzsteuer (gabelle), Erlöse aus Ämterverkauf und freiwillige Abgaben des Klerus reichten nicht mehr aus, um die Ausgaben des Staates und die Einnahmen in einer Balance zu halten. 1788 betrugen die Einnahmen des Staates ca. 505 Millionen Livres, die Ausgaben lagen bei 604 Millionen Livres. Unter Ludwig XVI. hatte sich die Staatsschuld verdreifacht. 26% der Ausgaben flossen in Diplomatie und Militär, 23% in zivile Ausgaben, 6% in den Hof. 50% der Ausgaben wurden für Schuldentilgung aufgewendet. Nach zeitgenössischen Einschätzungen stand Frankreich damit vor dem Staatsbankrott. Allein für den Unabhängigkeitskrieg in Amerika hatte Frankreich über eine Million Livres gezahlt. Versuche des Ministers Calonne, mittels einer Notabelnversammlung die Finanzkrise zu lösen, indem er eine alle Stände betreffende Grundsteuer durchzusetzen versuchte, scheiterten 1787 am Widerstand von Teilen des französischen Adels. Calonne wurde am 8. April 1787 entlassen. An seine Stelle trat Loménie de Brienne, der im Juni, nach der Auflösung der ersten Notabelnversammlung, Reformedikte durchzusetzen suchte. Auch eine zweite Notabelnversammlung, die von 1788, konnte die Probleme nicht lösen. Die sogenannte Adelsrevolte von 1787/88, ein reaktionärer Widerstand

Staatsverschuldung

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II. Wirtschafts- und Hungerkrise

Einberufung der Generalstände

Vorgeschichte und Ursachen

der privilegierten Stände gegen Reformversuche der französischen Krone, stand somit am Beginn der Französischen Revolution. Zur hohen Staatsverschuldung kam eine Wirtschafts- bzw. Hungerkrise. Nachdem 1786 durch einen Handelsvertrag mit England die französische Tuchindustrie die englische Konkurrenz deutlicher zu spüren bekam und allein in Lyon 20.000 Textilarbeiter arbeitslos wurden, folgten 1788 Missernten in Frankreich, die durch den harten Winter von 1788/89 in eine Hungerkrise mündeten. Aufstände gegen die hohen Brotpreise, die die Pariser Bevölkerung besonders deutlich zu spüren bekam, waren die Folge. Loménie de Brienne bemühte die Parlements, Frankreichs höchste Gerichtshöfe, die zwischen 1787 und 1788 immer wieder Reformversuche von Seiten der Regierung blockiert hatten, für eine Lösung der nationalen Probleme. Diese schlugen die Einberufung der nationalen Ständeversammlung, der Generalstände (États généraux) vor, ein Ereignis, das seit 1614 nicht mehr stattgefunden hatte. Traditionell wurden auch in Frankreich bis 1614 nationale Krisen durch die Versammlung aller drei Stände (Adel, Klerus und Dritter Stand), also von deren Repräsentanten aus allen Regionen Frankreichs, gelöst, sowohl auf nationaler als auch auf regionaler (bzw. provinzieller) Ebene. Ebenso waren die Generalstände bis zur Einführung der taille eigentlich für die Bewilligung von Steuern zuständig gewesen, v.a. in Kriegszeiten. Am Beginn der Französischen Revolution stand damit nicht nur eine Adelsrevolte, sondern die Rückkehr des absolutistischen Staates zum dualistischen Ständestaat. Doch bereits in der Verdoppelung der Zahl der Abgeordneten des Dritten Standes, die in die Generalstände gewählt werden sollten, lag letztendlich ein revolutionärer Akt, den der im Dezember 1788 leitende Minister Ludwigs XVI., Jacques Necker, durchzusetzen vermochte. Politische Krise, Finanzkrise, Wirtschaftskrise und Legitimationskrise überlappten sich folglich und kulminierten 1788 in dem scheiternden Versuch, mittels der traditionellen Institutionen Frankreichs – König, Parlements und Ständevertretung (Generalstände oder États généraux) – diese Krise zu n lösen. Auf einen Blick

Das Kapitel nimmt die Zeit vor 1789, das „Ancien Régime“ in den Blick. Was ist das Ancien Régime? Wie hängt die „Krise des Feudalismus“ mit der Französischen Revolution zusammen. Und war Frankreich 1787 noch ein Ständestaat? Es wird die Bedeutung der Aufklärung in Bezug auf den Ausbruch der Französischen Revolution analysiert und erklärt, warum die Parlements und Notabelnversammlungen bei dem Versuch scheiterten, eine Lösung für den Reformstau zu finden. Zudem werden die wichtigsten Zusammenhänge zwischen der Amerikanischen und der Französischen Revolution erläutert.

Literaturhinweise

Literaturhinweise Baker, Keith, On the problem of the ideological origins of the French Revolution, in: Dominick LaCapra, Steven L. Kaplan (Hrsg.), Modern European Intellectual History: Reappraisals and New Perspectives, Ithaca 1982, S. 197–219; ebenso in: Christoph Conrad, Martina Kessel (Hrsg.), Geschichte schreiben in der Postmoderne, Stuttgart 1994, S. 251–281. Grundlegende Studie zu den intellektuellen Ursachen der Französischen Revolution. Chartier, Roger, Die kulturellen Ursprünge der Französischen Revolution, Frankfurt/Main u.a. 1995. Noch immer eine der wichtigsten Studien zu den kulturellen Ursachen der Französischen Revolution. Vovelle, Michel, Die Französische Revolution. Soziale Bewegung und Umbruch der Mentalitäten, Frankfurt/Main 1993. Eine der differenziertesten Darstellungen zu den Ursachen und Auslösern der Französischen Revolution.

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III. Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie Überblick

Z

ur unmittelbaren Vorgeschichte der Französischen Revolution gehören die Wahlen zu den Generalständen 1789. Als sich im Juni 1789 der Dritte Stand zur Nationalversammlung erklärt, um eine Verfassung für Frankreich auszuarbeiten, und sich die Pariser im Sturm auf die Bastille am 14. Juli 1789 erheben, ist der Bruch mit dem Ancien Régime vollzogen. Zum neuen Souverän wird das Volk. Die konstitutionelle Revolution wird 1792 durch eine republikanische ersetzt, das Königtum beseitigt, der Monarch des Hochverrats angeklagt und 1793

Revolution in drei Phasen

hingerichtet. Inner- und außerhalb Frankreichs kommt es ab 1792 zum Widerstand gegen die sich radikalisierende Revolution. Bürgerkrieg und erster Koalitionskrieg mit den europäischen Mächten bringen die Terreur hervor, die in den Thermidor mündet, aus dem eine gemäßigte republikanische Verfassung, die der Direktorialzeit, hervorgeht. Ab 1792/93 überzieht Frankreich Teile Europas mit Krieg und gründet im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, den Niederlanden und Italien so genannte Schwesterrepubliken.

Grundsätzlich wird die Französische Revolution in mindestens drei Phasen unterteilt: die konstitutionelle Revolution (1789–1791), die jakobinische Revolution (1792–1794) und die Direktorialzeit (1795–1799). Die Forschung hat sich dabei bis in die jüngste Zeit vor allem mit der Phase der konstitutionellen Revolution, ihrer Radikalisierung und der Jakobinerdiktatur befasst. Die Direktorialzeit ist trotz grundlegender Studien hierzu immer ein Stiefkind der Forschung geblieben.

1. Die konstitutionelle Revolution 1789 März

Wahlen zu den Generalständen

5. Mai

Eröffnung der Generalstände durch den König

6. Mai

Erster und Zweiter Stand lehnen die Abstimmung nach Köpfen (und nicht nach Ständen) in den Generalständen ab

17. Juni

Der Dritte Stand (Communes) erklärt sich zur Nationalversammlung, Erster und Zweiter Stand werden aufgefordert, sich der Nationalversammlung anzuschließen

1. Die konstitutionelle Revolution

20. Juni

Ballhausschwur

Juli

Aufstand in den Südlichen Niederlanden (heutiges Belgien) gegen die österreichische Herrschaft

9. Juli

der Dritte Stand erklärt sich zur verfassungsgebenden Nationalversammlung

11. Juli

Ludwig XVI. entlässt Necker

12. Juli

Bildung einer Bürgermiliz in Paris, Unruhen wegen des Vorgehens des Königs

14. Juli

Sturm auf die Bastille

Juli

Munizipalrevolten: Aufstände gegen Stadtobrigkeiten in etlichen Provinzen Frankreichs

Juli/August

Grande Peur und Bauernunruhen in etlichen Provinzen Frankreichs

4./5. August

Abschaffung der Privilegien des Ersten und Zweiten Standes

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10./11. Sept. Vorbereitungen zur Verfassung Frankreichs, Nationalversammlung votiert für Einkammernparlament, König soll suspensives Vetorecht erhalten 17. Sept.

König lässt Truppen in Richtung Versailles zusammenziehen

5./6. Okt.

Zug der Frauen nach Versailles, königl. Familie, Hof und Nationalversammlung müssen nach Paris „umziehen“

2. Nov.

Säkularisierung und Verstaatlichung der Kirchengüter

19. Dez.

Gesetz über die Ausgabe der Assignaten (zunächst quasi als Staatspapiere)

1790 13. Februar

Klöster und Orden werden in Frankreich aufgehoben

26. Februar

Départementsverfassung: Frankreich wird in 83 Départements eingeteilt

17. April

Assignaten erhalten Geldwert

27. April

Gründung des Clubs der Cordeliers

19. Juni

Abschaffung der Adelstitel in Frankreich

12. Juli

Zivilverfassung des Klerus wird beschlossen

14. Juli

Jahresfeier des Sturms auf die Bastille, Föderationsfest auf den Champs de Mars

6. Sept.

Auflösung der Parlements in Frankreich

31. Okt.

Abschaffung der Binnenzölle in Frankreich

21. Nov.

Lilienbanner wird durch Trikolore ersetzt

Nov.

Österreich wirft Aufstände in den Südlichen Niederlanden nieder

Bevor die Generalstände am 5. Mai 1789 in Versailles zusammentraten, forderte der König, Ludwig XVI., seine Untertanen auf, in Beschwerdeschriften (Cahiers de doléances) ihre Kritik bzw. ihre Probleme und Bedürfnisse zu formulieren. Die 60.000 Wählerversammlungen, die die Wahlen zu den Generalständen vorbereiteten, bündelten die Gravamina der Untertanen der Krone.

Cahiers de doléances

48

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

Die Cahiers de doléances gehören zu den wichtigsten und interessantesten Quellen dieser Frühphase der Revolution, da sie uns Aufschluss geben über die Einschätzungen und Mentalitäten unterschiedlichster Gruppen im Frankreich der späten 1780er Jahre. In den meisten dieser Beschwerdeschriften lässt sich erkennen, dass die Person des Königs noch sakrosankt war, die Monarchie als Staatsform nicht in Frage gestellt wurde. Grundsätzlich ging es um die Beseitigung von Gravamina, d.h. von lokalen und je nach gesellschaftlicher Gruppe sehr unterschiedlichen Klagen und Beschwerden: Begrenzung der Steuerlasten, Aufhebung von gewissen Feudallasten, Einschränkung der Macht der Beamten des Königs, Vereinheitlichung des Rechts in Frankreichs, teilweise auch die Ausarbeitung einer Verfassung für Frankreich. Die Inhalte der Beschwerdehefte waren je nach Region und ständischer Zugehörigkeit ihrer Verfasser durchaus widersprüchlich, in jedem Fall alles andere als homogen. Quelle Beschwerdeschrift der Pfarrgemeinde Letteguives vom 29. März 1789 (Bezirk Rouen) Aus: Behschnitt 1978:30f.

(1.) Der König wird demütig gebeten, allen Eigentümern zu verbieten, mehrere Pachten an denselben Pächter zu verpachten, denn daraus ergibt sich vielerlei Missbrauch wie der, dass die Großbauern, die mehrere Pachten haben, nicht soviel Vieh halten; folglich gibt es weniger Fleisch, Milch, Butter und andere Lebensmittel, weniger Dünger und schlechter bearbeitete Felder; man braucht auch weniger Knechte und Mägde; und die Armen haben keine Arbeit und können keine Nahrung bekommen, weil die gewöhnlichsten Fleischsorten, Rind- und Schweinefleisch, seit mehreren Jahren 10 und 12 Sous das Pfund von 16 Unzen und Butter desselben Gewichts 20 und 30 Sous kosten. … (2.) Diese Großbauern, die so viele Pachten haben, selbst ganze Pfarrgemeinden, haben alle Weiden der Pfarrgemeinden und selbst der Gemeinden. Schließlich werden sie auch Herren der Lebensmittelpreise und des Schicksals der Allgemeinheit und verkaufen ihr Getreide erst, nachdem sie es mehrere Jahre aufbewahrt haben, und sie halten es sogar zurück, wenn sie können, was zu dem Preis führt, wie er ist … Dieser hohe Preis ist die Ursache der Zerstörung des ganzen Handels, weil man keine andere Ware mehr kaufen kann, nachdem man Brot gekauft hat: … Diese große Teuerung wird nicht vom Erntemangel verursacht, denn die vorhergehenden Jahre waren überreich, und das letzte Jahr war ein Durchschnittsjahr. Um diesen Missständen abzuhelfen, möge es der Güte des Königs anheimgestellt sein zu befehlen, dass die Pachten weniger groß seien und jeweils einzeln an Einzelpersonen verpachtet werden. … (5.) Wir bitten den König noch um Folgendes: Er möge das Getreide festsetzen lassen auf 7 Livres den Pariser Zentner, bei dem 16 Unzen auf das Pfund kommen. … (6.) Alle Arten von Bannrechten zu verbieten, weil es Schikane ist und oft zu ruinösen Prozessen führt, die die Müller den Vasallen, die den Bannrechten unterworfen sind, machen und sie sogar so weit bringen, dass sie ihre Möbel verkaufen. Für diese Schikane möge der gütige König eine Reform finden, die geeignet ist, diesen großen Missstand abzuschaffen. (7.) Die Stimmberechtigten der Pfarrgemeinde Letteguives sind instruiert worden, dass gewisse Handwerker Maschinen erfunden haben, die für die Baumwollspin-

1. Die konstitutionelle Revolution

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nerei von großem Übel sind; und wenn sie weiter bestehen, sind sie verheerend für die Unglücklichen ohne Arbeit. Es möge im Wohlgefallen des Königs liegen, diese Arten von Maschinen zu verbieten. … (12.) Wenn es dem König gefällt: Aufhebung des Vertrags, der mit den Engländern gemacht worden ist und ihnen den Handel in Frankreich erlaubt. … (14.) Dass die Salzsteuer abgeschafft werde und der Verkauf von Salz frei sei. (15.) Teilreform der Verordnung über die Wahl der Mitglieder der Munizipalversammlung, die besagt, dass man nur unter denen wählen kann, die dem König 30 Livres bezahlen. Der König möge befehlen, dass man eine niedrigere Summe nehme, um Missbrauch zu vermeiden. (16.) Die drei Stände mögen dem König im Verhältnis zu ihren Einkünften zahlen. … (18.) Der König wird demütig gebeten, die Generalstände alle fünf Jahre einzuberufen, um von unserem Unglück zu erfahren.

Mit der Einberufung der Notabelnversammlung 1787 war bereits eine Flut von Pamphleten auf Frankreichs Straßen geströmt. Im Juli 1788 hatte Loménie de Brienne ein Dekret erlassen, das von vielen Intellektuellen als Freigabe der Zensur gewertet wurde. Im Winter 1788/89 kollabierte das Zensursystem in Paris fast vollständig. Nicht nur Pamphlete, sondern auch von der Regierung nicht autorisierte Zeitungen und Bücher kamen nun auf den Markt. Zu den einflussreichsten dieser Pamphlete gehört sicherlich die Schrift des Abbé Sieyès, der in seinem Qu’est-ce que le tiers État? (Was ist der Dritte Stand?) die Meinung vertrat, dass der Dritte Stand alles leiste, aber keine politischen Partizipationsrechte habe, die ihm eigentlich zustehen würden. Dort hieß es: „Was ist der Dritte Stand? Alles. Was ist er bisher in der staatlichen Ordnung gewesen? Nichts. Was will er? Etwas darin werden.“ Die eigentliche Nation würde also – so Sieyès, der selbst dem Ersten Stand, dem Klerus, zugehörte – durch den Dritten Stand gebildet. Der Adel als die Nation belastender Stand müsste in seiner Macht beschränkt, der Dritte Stand mit der Ausarbeitung einer Verfassung für Frankreich betraut werden. Nicht nur in Paris, sondern auch in den Provinzstädten begannen sich politische Gesellschaften oder patriotische Klubs herauszubilden, die die Ereignisse in Paris mittels der neuen Zeitungen zur Kenntnis nahmen, debattierten, mit dem 1789 in Paris gegründeten Pariser Jakobinerklub und anderen Klubs in der Provinz in stetiger Korrespondenz standen und Leserbriefe in den nationalen und regionalen Zeitungen veröffentlichten. Stichwort

Jakobinerklub Benannt nach dem Hauptkloster der Dominikaner in der Rue St. Jacques in Paris, auch wenn der Klub eigentlich im Bibliothekssaal der Dominikaner in der Rue St. Honoré in der Nähe der Tuilerien tagte, wurde der „Jakobinerklub“ am 30. April 1789 zunächst als „Bretonischer Klub“ ins Leben gerufen. Im Dezember 1789

Abschaffung der Zensur

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie wurde er durch die „Gesellschaft der Freunde der Verfassung“ von Claude-Christophe Gourdan neu begründet und fortan als Jakobinerklub bezeichnet. Überall in den Provinzstädten Frankreichs wurden politische Klubs nach dem Vorbild des Pariser Jakobinerklubs gegründet. Sie standen in regelmäßigem Kontakt mit der „Muttergesellschaft“ in Paris. Während es den Mitgliedern des Klubs zunächst um die Ausarbeitung einer Verfassung für Frankreich ging, radikalisierte sich der Klub nach der Flucht des Königs nach Varennes und wurde zu einem wichtigen Faktor in der Radikalisierung der Revolution nach 1791, die in die Terreur mündete. Der Pariser Jakobinerklub wurde offiziell am 11. November 1794 geschlossen.

Pressefreiheit

Die Politisierung von Teilen der französischen Bevölkerung erfolgte also zum einen mittels der seit 1789 bestehenden Pressefreiheit und einer bis dahin nicht gekannten Flut von Zeitungen und Zeitschriften. Waren zu Beginn des Jahres 1789 in Paris nur sechs politische Zeitungen in Umlauf gewesen, so drängten in den folgenden Monaten dort weit über 130 neue Zeitungstitel auf den Markt. Darunter befanden sich Blätter wie Panckouckes Moniteur universel (Mai 1789), Louise Kéralios Journal des débats et des décrets (August 1789), Jean-Paul Marats Ami du Peuple (seit September 1789), Jean-Louis Carras Annales patriotiques et littéraires (Oktober 1789), Camille Desmoulins Révolutions de France et de Brabant (November 1789), Jacques Héberts Père Duchesne (seit November 1790) oder der Ami du Roi des Abbé Royou (seit Juni 1790). Zwischen Januar 1790 und September 1791 erschienen allein in Paris 600 weitere, meist kurzlebige neue Zeitungstitel. In der französischen Provinz kamen im gleichen Zeitraum einige hundert neue Blätter heraus. Quelle Jean Paul Marat, Ami du Peuple, Nr. 1 S. 11f. Aus: Französische Revolution 1989: 99–100.

Ab jetzt verteidigen sollst du, Die Freiheit unerschütterlich. Streichen sollst das Wort „adlig“ du Aus deinen Schriften zukünftig. Die Zahl der Geistlichen sollst du halbieren, das ist notwendig. Von Mönchen reinigen sollst du Ganz Frankreich unwiderruflich. Und ihnen abnehmen sollst du, Was sie geraubt, unweigerlich. Schneiden sollst den Juristen du Die Nägel kurz und ordentlich. Den Financiers sollst geben du Den Abschied, und das endgültig. Kennen sollst von den Steuern du Grund und Verwendung eindeutig. Und niemals mehr sollst schenken du

1. Die konstitutionelle Revolution

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Den Faulpelzen verschwenderisch. Gesetze sollst erlassen du Gut, doch für alle einsichtig. Achtung schuldest der Tugend du, und nicht dem Gelde sicherlich. Zu Würden sollst berufen du ehrliche Leute sorgfältig. Strafen sollst ohne Gnade du Alle Korrupten einheitlich. Auf diese Art zerstörest du Die Missbräuche ganz endgültig. Glücklich und frei wirst werden du, Und nicht mehr der Sklave sicherlich.

Zum anderen entstand eine neue politische Kultur durch die Verbindung von Presseboom und politischen Klubs. Aus den Debattierklubs und Lesekabinetten der Aufklärungszeit entwickelten sich politische bzw. patriotische Klubs, in denen die städtischen Eliten inklusive der Mitglieder der Zünfte und Gilden Neuigkeiten aus Paris und der Provinz nicht zuletzt mittels der abonnierten und ausliegenden Zeitungen und Zeitschriften zur Kenntnis nahmen, debattierten und das Diskutierte gegebenenfalls wiederum in Aktionen umsetzten (Petitionen an den Pariser Klub, lokalpolitische Aktivitäten etc.). Zum wichtigsten Klub wurde der Pariser Jakobinerklub, der mit Hilfe von Korrespondenten ein enges Netzwerk mit den patriotischen Klubs der Provinzen aufbaute. Ca. 15 bis 30% aller erwachsenen Männer Frankreichs gehörten in den ersten Jahren der Revolution einem Revolutions- oder patriotischen Klub an. Neben dem elitären Jakobinerklub entstand bereits im April 1790 ein weit basisdemokratischerer Klub, der der Cordeliers, zu deren führenden Mitgliedern Jean-Paul Marat und Camille Desmoulins zählten und der auch Frauen in seine Reihen aufnahm. Zu den Tätigkeiten der patriotischen Klubs oder Volksgesellschaften (sociétés populaires) gehörten Aufklärungskampagnen für die illiteraten Franzosen unter der Landbevölkerung, die Organisation von prorevolutionären Festen und Feiertagen, die Durchsetzung der Gesetze der Zeit der Jakobinerdiktatur und Ähnliches. Eine Analyse der unterschiedlichen Tätigkeiten der patriotischen Gesellschaften und späteren Jakobinerklubs in den einzelnen Départements und Städten liegt nur in Teilen vor, wie u.a. die Arbeiten von Rolf Reichardt und Daniel Schönpflug zeigen. Auch hier muss vermerkt werden, dass die Revolution kein bloc war, sondern in den einzelnen Städten und Gemeinden auf sehr unterschiedliche Art und Weise rezipiert und weiterentwickelt wurde. Die patriotischen Klubs waren jedoch in jedem Fall ein wichtiges Element, wenn nicht Ferment der Revolution und Institutionen einer grassroots-Bewegung. Wichtigstes Zentrum der Revolution war und blieb Paris mit seinen über 600.000 Einwohnern. Die Generalstände, die am 5. Mai 1789 in Versailles zusammentraten, wurden folgendermaßen gewählt: Erster und Zweiter Stand

Politische Kultur und politische Klubs

Wahlen zu den Generalständen

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III.

Politische Revolution

Volksrevolution

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

führten Wahlen in den Bezirksversammlungen durch. Angehörige von Adel und Klerus, männlich und mindestens 25 Jahre alt, konnten gewählt werden, d.h. auch einfache, oft den notwendigen Reformen aufgeschlossene Pfarrer. Als Abgeordnete des Dritten Standes waren Bürgerliche und Bauern wählbar, die ebenfalls männlich, älter als 25 Jahre und in die Steuerrolle eingetragen sein mussten, also ein steuerpflichtiges Mindesteinkommen aufzuweisen hatten – ein Zensuswahlrecht. Diese Vertreter des Dritten Standes wählten wiederum Wahlmänner, die aus ihrer Mitte die Repräsentanten des Dritten Standes für die Generalstände ernannten. Die in die Generalstände gewählten Vertreter der drei Stände waren nicht nur innerhalb des Dritten Standes reformwillig. Rund ein Drittel der Repräsentanten des Zweiten Standes, des Adels, galt als liberal und reformoffen, unter den Abgeordneten des Ersten Standes betrug dieser Anteil sogar zwei Drittel. Eine revolutionäre Entwicklung entstand aus der Einberufung der Generalstände, als sich im Kontext des Wahlprüfungsverfahrens bzw. der Debatte um die Abstimmung nach Köpfen in Versailles die Abgeordneten des Dritten Standes am 17. Juni 1789 zur Assemblée nationale (Nationalversammlung) erklärten und am 20. Juni 1789 im Versailler Ballhaus versammelten und schworen, nicht eher auseinanderzutreten, bis eine Verfassung für Frankreich ausgearbeitet worden sei. Am 19. Juli beschloss eine Mehrheit des Ersten Standes, sich dem Dritten Stand anzuschließen, der Adel verweigerte sich. Der Versuch des Königs, diese Entwicklung zu stoppen, endete am 23. Juni 1789 mit der Erklärung des Sprechers des Dritten Standes, der König – bis dato Herrscher über Frankreich und damit Souverän nach Gottes Gnaden – habe der Nation keine Befehle zu erteilen. Da sich die Versammlung des Dritten Standes nicht auflösen ließ, befahl der König dem Ersten und Zweiten Stand am 27. Juni 1789 der „Nationalversammlung“ beizutreten. Am 9. Juli 1789 erklärte sich die Assemblée nationale zur verfassungsgebenden Nationalversammlung. Aus den Generalständen, dem die Krone beratenden Organ, war nun ein Gremium geworden, das sich selbst zur Stimme der Nation erkoren hatte, sich zum Repräsentantenhaus des eigentlichen Souveräns, des Volkes, erhob. Der Reaktion des Königs, Truppen in Versailles zusammenziehen zu lassen und den populären, aus dem Bürgertum stammenden Minister Necker zu entlassen (11. Juli), begegneten die Versailler und Pariser Massen durch einen Volksaufstand, der der Nationalversammlung im entscheidenden Moment zur Hilfe kam. Am 14. Juli 1789 eroberte das Pariser Volk die Bastille, Staatsgefängnis und Symbol der Unterdrückung des französischen Volkes. Unterstützt wurde diese Aktion durch die am 12./13. Juli gegründete Bürgermiliz. Der Gouverneur der Bastille, de Launay, wurde am selben Tag ermordet. Am 15. Juli 1789 musste Ludwig XVI. Jacques Necker erneut zu seinem Minister berufen, dazu die blau-weißrote Kokarde, das Symbol der Revolution, tragen. Der Druck der Straße war damit von Beginn an ein Moment, das entscheidend auf den Verlauf der Revo-

1. Die konstitutionelle Revolution

lution Einfluss nahm. Der Sturm auf die Bastille wurde zum Symbol des erfolgreichen Widerstands des Volkes gegen die Tyrannei. Bis heute ist der 14. Juli in Frankreich Nationalfeiertag. Quelle Brief Camille Desmoulins (Mitglied des Klubs der Cordeliers und Herausgeber der Révolutions de France et de Brabant) vom 16. Juli 1789 an seinen Vater Aus: Behschnitt 1978:43ff.

Wie hat sich in drei Tagen das Gesicht aller Dinge verändert! Am Sonntag [12. Juli] war ganz Paris bestürzt über die Entlassung Neckers [11. Juli]; so sehr ich versuchte, die Geister zu erhitzen, kein Mensch wollte zu den Waffen greifen. Ich schließe mich ihnen an; man sieht meinen Eifer; man umringt mich; man drängt mich, auf einen Tisch zu steigen: In einer Minute habe ich sechstausend Menschen um mich. „Bürger“, sage ich nunmehr, „ihr wisst, die Nation hatte gefordert, dass Necker ihr erhalten bliebe, dass man ihm ein Denkmal errichtete: man hat ihn davongejagt! Kann man euch frecher trotzen? Nach diesem Streich werden sie alles wagen, und noch für diese Nacht planen sie, organisieren sie vielleicht eine Bartholomäusnacht für die Patrioten.“ Ich erstickte fast vor der Menge Gedanken, die auf mich einstürmten, ich sprach ohne Ordnung. „Zu den Waffen“, sagte ich, „zu den Waffen!“ … Und indem ich eine Pistole erhob: „Wenigstens“, rief ich, „sollen sie mich nicht lebendig in die Hand bekommen, und ich werde verstehen, ruhmvoll zu sterben; es kann mich nur noch ein Unglück treffen: dass ich sehen muss, wie Frankreich zur Sklavin wird.“ … Ich sagte: ich wollte keinen Befehl haben, ich wollte nichts weiter sein als ein Soldat des Vaterlandes. Ich nahm ein grünes Band und befestigte es als Erster an meinem Hut. Mit welcher Geschwindigkeit griff das Feuer um sich! Das Gerücht von diesem Aufruhr dringt bis ins Lager vor; die Kroaten, die Schweizer, die Dragoner, das Regiment Royal-Allemand langen an. Fürst Lambese an der Spitze dieses letzten Regiments zieht zu Pferd in die Tuilerien. Er säbelt selbst einen waffenlosen Mann von der Garde-française nieder und reitet über Frauen und Kinder. Die Wut flammt auf. Nun gibt es in Paris nur noch einen Schrei: Zu den Waffen! Es war sieben Uhr. Er wagt es nicht, die Stadt zu betreten. Man bricht in die Läden der Waffenhändler ein. Am Montag [13. Juli] Morgen wird Sturm geläutet. Die Wahlmänner hatten sich im Stadthaus versammelt. Mit dem Vorsteher der Kaufmannschaft an der Spitze gründen sie ein Bürgerwehrkorps von 78000 Mann in 16 Legionen. Mehr als hunderttausend waren schon schlecht und recht bewaffnet und liefen nach dem Stadthaus, um Waffen zu begehren. … Ich bin, auf die Gefahr, zu ersticken, unters Dach gestiegen. Ich sah dort, will mir scheinen, mindestens hunderttausend Flinten. Ich nehme eine ganz neue, an der ein Bajonett steckte, und zwei Pistolen. Das war am Dienstag [14. Juli], der ganze Morgen verging damit, dass man sich bewaffnete. Kaum hat man Waffen, so geht’s zur Bastille. Der Gouverneur, der gewiss überrascht war, mit einem Schlag in Paris hunderttausend Flinten mit Bajonetten zu sehen, und nicht wusste, ob diese Waffen vom Himmel gefallen waren, muss sehr in Verwirrung gewesen sein. Man knallt ein oder zwei Stunden drauflos, man schießt herunter, was sich auf den Türmen sehen lässt; der Gouverneur, Graf von Launay, ergibt sich; er lässt die Zugbrücke herunter, man stürzt drauf los; aber er zieht sie sofort wieder hoch und schießt mit Kartätschen drein. Jetzt schlägt die Kanone der Gardes-françaises eine Bresche. Ein Kupferstecher steigt als Erster hi-

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie nauf, man wirft ihn hinunter und bricht ihm die Beine entzwei. Ein Mann von der Garde-française ist der Nächste, er hat mehr Glück, er packt die Lunte eines Kanoniers und wehrt sich, und binnen einer halben Stunde ist der Platz im Sturm genommen. Ich war beim ersten Kanonenschlag herbeigeeilt, aber, es grenzt ans Wunderbare, um halb drei Uhr war die Bastille schon genommen.

Munizipalrevolution

Revolution auf dem Land

Im Juli 1789 erhoben sich nicht nur in Paris die Volksmassen; Munizipalrevolutionen gegen die „alte Ordnung“ gab es in der zweiten Julihälfte auch in etlichen anderen französischen Provinzen, so im Elsass, wo in Straßburg die alte Stadtregierung durch eine neue, revolutionäre ersetzt wurde. Dort, wo neue Munizipalregierungen entstanden, übernahmen diese oft sämtliche Aufgaben der ehemaligen Stadtobrigkeiten: Bürgerwehr, Polizei, Lebensmittelversorgung, Verwaltung, Justiz. Auch die Landbevölkerung begann im Juli 1789 gegen Repräsentanten und Symbole das Ancien Régime gewaltsam vorzugehen, nachdem es bereits zwischen März und Mai Bauernaufstände in einigen Provinzen gegeben hatte. Agrarrevolten sind für Nordfrankreich, hier vor allem die Normandie, das Oberelsass, die Franche-Comté und das südliche Burgund (das Mâconnais) zu verzeichnen. Schlösser wurden geplündert und niedergebrannt, Adelsarchive mit den Urkunden seigneurialer Macht zerstört. Die lokalen Repräsentanten des Ancien Régime, die Seigneurs, blieben bei diesen Revolten noch weitgehend verschont: Für ganz Frankreich sind für den Sommer 1789 drei Morde an Seigneurs zu verzeichnen. Angefacht wurde diese Agrarrevolution durch die sogenannte Grande Peur, eine Massenhysterie oder -panik, die Georges Lefebvre meisterhaft analysiert hat. Gerüchte von Übergriffen von Räuberbanden, Truppen des Königs, die die Aufstände der Bauern niederschlagen sollten, von ausländischen Söldnern im Dienste der französischen Krone und Ähnlichem verbreiteten sich in unterschiedlichen Regionen Frankreichs. Bauern und Handwerker schlossen sich gegen die imaginäre Gefahr zusammen; ihre bewaffneten Haufen richteten sich dann, als sich herausstellte, dass sich die imaginären Feinde – oft Feinde der Vergangenheit, wie Engländer an der Westküste Frankreichs oder Piemontesen in den Alpen – nicht einstellten, gegen die Schlösser ihrer Herren. Die antifeudalen Bauernunruhen der Revolutionszeit stellten für viele Regionen zunächst nichts Neues dar. Sie gingen auf ältere, altrechtliche Traditionen der Erhebung gegen unrechtmäßige Belastungen durch den Seigneur zurück. Letztendlich wollten die Bauern 1789 nur das gute alte Recht wiederherstellen. Neu war in der Französischen Revolution allerdings der Impetus, der meist aus Paris kam: Die Abschaffung der Privilegien des Ersten und Zweiten Standes in der Nacht des 4. August 1789 veränderte die Legitimationsgrundlage bäuerlicher Erhebungen nach 1789. Sie forderten ihre Rechte nun nicht mehr nur auf der Grundlage ihres alten Rechts ein, sondern auf der Basis der Errungenschaften der frühen Revolution.

1. Die konstitutionelle Revolution Quelle Abschaffung der Privilegien in der Nacht vom 4. August 1789. Sie erhielten als sogenannte Augustdekrete am 11. August 1789 Gesetzescharakter. Aus: Grab 1973: 33–36.

Art. 1. Die Nationalversammlung vernichtet das Feudalwesen völlig. Sie dekretiert, dass von den Feudal- wie Grundzinsrechten und -pflichten sowohl jene, die sich aus unveräußerlichem Besitz an Sachen und Menschen und aus persönlicher Leibeigenschaft herleiten, als auch jene, die an ihre Stelle getreten sind, entschädigungslos aufgehoben werden; alle übrigen Lasten werden für ablösbar erklärt, die Summe sowie die Art und Weise der Ablösung wird die Nationalversammlung festlegen. Die durch dieses Dekret nicht aufgehobenen Abgaben sollen dessen ungeachtet bis zu ihrer Rückzahlung weiter erhoben werden. … Art. 3. Ebenso wird das Sonderrecht der Jagd und offenen Wildgehege abgeschafft. Art. 4. Jede grundherrliche Rechtsprechung wird entschädigungslos abgeschafft. Dessen ungeachtet sollen die Beamten dieser Gerichte bis zur Einführung einer neuen Justizordnung durch die Nationalversammlung ihre Funktionen weiter ausüben. Art. 5. Alle – gleichgültig, unter welchem Rechtstitel festgesetzten und erhobenen, auch durch Vorauszahlung abgegoltenen – Zehnten oder dafür eintretenden Grundzinsabgaben, in deren Genuss weltliche oder geistliche Körperschaften, Pfründeninhaber, Kirchenvorstände und alle Einrichtungen der toten Hand …kommen, … werden abgeschafft, mit dem Vorbehalt, dass für die Mittel zur Bestreitung der Kosten für Gottesdienst, Unterhalt der Priester, Armenpflege, Reparatur und Wiederaufbau von Kirchen und Pfarrhäusern sowie für alle Einrichtungen, Seminare, Schulen, Kollegiengebäude, Spitäler, Klöster und andere Gebäude zu deren Unterhaltung diese Mittel gegenwärtig bestimmt sind, anderweitig gesorgt wird. … Art. 10. Da eine nationale Verfassung und die öffentliche Freiheit den Provinzen mehr Vorteile bringt als die Privilegien, die einige bisher genossen, und da deren Opfer zu einer engen Verbindung aller Teile des Staates unumgänglich ist, werden alle besonderen Privilegien von Provinzen, Fürstentümern, Ländern, Bezirken, Städten und Siedlungen, seien sie finanzieller oder sonstiger Art, für unwiderruflich abgeschafft und in dem für alle Franzosen gleichen gemeinsamen Recht aufgegangen erklärt. Art. 11. Alle Bürger sollen, ohne Unterschied ihrer Geburt, freien Zugang zu allen kirchlichen, zivilen und militärischen Ämtern und Würden haben; niemand, der einem Erwerbsberuf nachgeht, soll dadurch seines Adelsprädikates verlustig gehen.

In der Nacht vom 4. auf den 5. August 1789 beschloss die Nationalversammlung, die Privilegien des Ersten und Zweiten Standes abzuschaffen – nicht zuletzt unter dem Eindruck der Agrarrevolten in den französischen Provinzen. Mit dem Einverständnis vieler Repräsentanten der beiden privilegierten Stände wurde in dieser Nacht der Feudalismus zumindest in Ansätzen beseitigt, das Ancien Régime nominell zu Grabe getragen. De iure wurden jedoch lediglich die persönlichen Vorrechte des Ersten und Zweiten Standes beseitigt,

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III.

Menschen- und Bürgerrechte

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

d.h. Privilegien bei der Vergabe von staatlichen Ämtern, das Jagdrecht, das Recht, Taubenschläge aufzustellen, und die Patrimonialgerichtsbarkeit. Abgesehen von Leibeigenschaft und Frondienstbarkeit sollten alle Abgaben, die an den Besitz von Grund und Boden durch den Ersten und Zweiten Stand gebunden waren, jedoch „freigekauft“ werden müssen – eine Einschränkung, die vor allem ärmere Pächter nicht realistisch von ihren traditionellen feudalen Abgaben zu befreien vermochte. Zwischen 1789 und 1791 wurde die erste Verfassung Frankreichs, die einer konstitutionellen Monarchie, erarbeitet. Die konstituierende (verfassungsgebende) Nationalversammlung verkündete als deren wichtigsten Bestandteil bereits am 26. August 1789 die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte (Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen). Die Menschen- und Bürgerrechte beinhalteten Freiheit, Gleichheit (verstanden als Rechtsgleichheit), die Sicherheit des Eigentums, ein Widerstandsrecht gegen tyrannische Herrschaft und Religionsfreiheit. Brüderlichkeit, das dritte Element der revolutionären Trias, gehörte zu diesem Zeitpunkt noch nicht zu den Errungenschaften der konstitutionellen Revolution. Zu den wichtigsten Bausteinen der Menschen- und Bürgerrechte gehörte Artikel 11: Meinungs- und Pressefreiheit, d.h. die endgültige Aufhebung der königlichen Zensur. Ebenso wurde in der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte bereits das Prinzip der Volkssouveränität im Sinne Rousseaus und das der Gewaltenteilung im Sinne Montesquieus formuliert. Quelle Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789 Übersetzung aus: Tulard, Fayard, Fierro 1987: 770–771.

Die Vertreter des französischen Volkes, als Nationalversammlung konstituiert, haben unter der Berücksichtigung, dass die Unkenntnis, die Achtlosigkeit oder die Verachtung der Menschenrechte die einzigen Ursachen des öffentlichen Unglücks und der Verderbtheit der Regierungen sind, beschlossen, die natürlichen, unveräußerlichen und heiligen Rechte der Menschen in einer feierlichen Erklärung darzulegen, damit diese Erklärung allen Mitgliedern der Gesellschaft beständig vor Augen ist und sie unablässig an ihre Rechte und Pflichten erinnert; damit die Handlungen von Legislative und Exekutive in jedem Augenblick mit dem Ziel jeder politischen Einrichtung verglichen werden können und dadurch mehr respektiert werden; damit die Ansprüche der Bürger, fortan auf einfache und unbestreitbare Grundsätze begründet, sich immer auf die Erhaltung der Verfassung und das Allgemeinwohl richten mögen. Dementsprechend anerkennt und erklärt die Nationalversammlung in Gegenwart und unter dem Schutze des höchsten Wesens folgende Menschen- und Bürgerrechte. Art. 1: Die Menschen [Männer] werden frei und gleich an Rechten geboren und bleiben es. Gesellschaftliche Unterschiede dürfen nur im allgemeinen Nutzen begründet sein. Art. 2: Der Zweck jeder politischen Vereinigung ist die Erhaltung der natürlichen und unantastbaren Menschenrechte. Diese sind das Recht auf Freiheit, das Recht

1. Die konstitutionelle Revolution auf Eigentum, das Recht auf Sicherheit und das Recht auf Widerstand gegen Unterdrückung. Art. 3: Der Ursprung jeder Souveränität liegt ihrem Wesen nach beim Volke. Keine Körperschaft und kein Einzelner kann eine Gewalt ausüben, die nicht ausdrücklich von ihm [dem Volk] ausgeht. Art. 4: Die Freiheit besteht darin, alles tun zu dürfen, was einem anderen nicht schadet: Die Ausübung der natürlichen Rechte eines jeden Menschen hat also nur die Grenzen, die den anderen Mitgliedern der Gesellschaft den Genuss ebendieser Rechte sichern. Diese Grenzen können nur durch das Gesetz bestimmt werden. Art. 5: Das Gesetz darf nur solche Handlungen verbieten, die der Gesellschaft schaden. Alles, was durch das Gesetz nicht verboten ist, darf nicht verhindert werden, und niemand kann gezwungen werden zu tun, was es [das Gesetz] nicht befiehlt. Art. 6: Das Gesetz ist der Ausdruck des allgemeinen Willens. Alle Bürger haben das Recht, persönlich oder durch ihre Vertreter an seiner Gestaltung mitzuwirken. Es muss für alle gleich sein, mag es beschützen oder bestrafen. Da alle Bürger vor ihm gleich sind, sind sie alle gleichermaßen, ihren Fähigkeiten entsprechend und ohne einen anderen Unterschied als den ihrer Eigenschaften und Begabungen, zu allen öffentlichen Würden, Ämtern und Stellungen zugelassen. Art. 7: Niemand darf angeklagt, verhaftet oder gefangen gehalten werden, es sei denn in den durch das Gesetz bestimmten Fällen und nur in den von ihm vorgeschriebenen Formen. Wer willkürliche Anordnungen verlangt, erlässt, ausführt oder ausführen lässt, muss bestraft werden; aber jeder Bürger, der kraft Gesetzes vorgeladen oder festgenommen wird, muss sofort gehorchen; durch Widerstand macht er sich strafbar. Art. 8: Das Gesetz soll nur Strafen festsetzen, die unbedingt und offenbar notwendig sind, und niemand darf anders als aufgrund eines Gesetzes bestraft werden, das vor Begehung der Straftat beschlossen, verkündet und rechtmäßig angewandt wurde. Art. 9: Da jeder so lange als unschuldig anzusehen ist, bis er für schuldig befunden wurde, muss, sollte seine Verhaftung für unumgänglich gehalten werden, jede Härte, die nicht für die Sicherstellung seiner Person notwendig ist, vom Gesetz streng unterbunden werden. Art. 10: Niemand soll wegen seiner Anschauungen, selbst die religiöser Art, belangt werden, solange deren Äußerung nicht die durch das Gesetz begründete öffentliche Ordnung stört. Art. 11: Die freie Äußerung von Meinungen und Gedanken ist eines der kostbarsten Menschenrechte; jeder Bürger kann also frei reden, schreiben und drucken, vorbehaltlich seiner Verantwortlichkeit für den Missbrauch dieser Freiheit in den durch das Gesetz bestimmten Fällen. Art. 12: Die Gewährleistung der Menschen- und Bürgerrechte erfordert eine öffentliche Gewalt; diese Gewalt ist also zum Vorteil aller eingesetzt und nicht zum besonderen Nutzen derer, denen sie anvertraut ist. Art. 13: Für die Unterhaltung der öffentlichen Gewalt und für die Verwaltungsausgaben ist eine allgemeine Abgabe unerlässlich; sie muss auf alle Bürger, nach Maßgabe ihrer Möglichkeiten, gleichmäßig verteilt werden. Art. 14: Alle Bürger haben das Recht, selbst oder durch ihre Vertreter die Notwendigkeit der öffentlichen Abgabe festzustellen, diese frei zu bewilligen, ihre Verwendung zu überwachen und ihre Höhe, Veranlagung, Eintreibung und Dauer zu bestimmen.

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Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie Art. 15: Die Gesellschaft hat das Recht, von jedem Staatsbeamten Rechenschaft über seine Amtsführung zu verlangen. Art. 16: Eine Gesellschaft, in der die Gewährleistung der Rechte nicht gesichert und die Gewaltenteilung nicht festgelegt ist, hat keine Verfassung. Art. 17: Da das Eigentum ein unverletzliches und geheiligtes Recht ist, kann es niemandem genommen werden, es sei denn, dass die gesetzlich festgestellte öffentliche Notwendigkeit dies eindeutig erfordert und vorher eine gerechte Entschädigung festgelegt wird.

Frauenrechte

Frauenrechte waren in der Déclaration des Droits de l’Homme et du Citoyen noch nicht inbegriffen. Sie galten nur für Männer, bis 1794 auch nur für weiße Männer. Schwarze, Mulatten, die indigene Bevölkerung in den französischen Kolonien in der Karibik und Südamerika sowie Mestizen waren bis 1794 ebenso von den Menschen- und Bürgerrechten ausgeschlossen wie Frauen. Weibliche Sansculotten wie Marie Olympe de Gouges (1748–1793) versuchten vergeblich, ihre Rechte bei Legislative und Regierung einzufordern. Demokratie und Menschenrechte im modernen Sinne gehörten in der Französischen Revolution noch nicht zum offiziellen Diskurs der Zeit. Ein aktives bzw. sogar passives Frauenwahlrecht, also ein allgemeines Wahlrecht, gab es lediglich für kurze Zeit im späteren US-Bundesstaat New Jersey (1776–1807). In den meisten anderen Staaten der westlichen Hemisphäre wurde das Frauenwahlrecht erst im Laufe des 20. Jahrhunderts eingeführt. Stichwort

Olympe de Gouges Olympe de Gouges, eigentlich Marie Gouze, (1748–1793) wurde im heutigen Département Tarn-et-Garonne als Tochter einer Wäscherin geboren. Sie war wahrscheinlich die natürliche Tochter Jean-Jacques Lefrancs, des Marquis de Pompignan, der sich allerdings nicht um Erziehung und Wohlergehen seiner unehelichen Tochter kümmerte. Bereits 1774 veröffentlichte Marie Gouze, die sich einen großen Teil ihrer Bildung autodidaktisch aneignete, ein Traktat gegen die Sklaverei, publizierte zum Eherecht und sexuellen Beziehungen zwischen Mann und Frau. 1789 reichte sie ein Theaterstück bei der Comédie française ein. Unterstützt von einem der wenigen männlichen Revolutionäre, die sich für Frauenrechte einsetzten, Nicolas Condorcet, setzte sich Gouze unter ihrem Künstlernamen Olympe de Gouges für die BürgerInnenrechte in Frankreich ein. 1791 verfasste sie die Erklärung der Rechte der Frau und Bürgerin. Zur Zeit der Terreur wurde die den Girondisten nahestehende Gouze als „suspekt“ eingestuft, konterrevolutionärer Umtriebe angeklagt und am 3. November 1793 mittels Guillotine hingerichtet.

Auch wenn sich das französische Verfassungsdenken in Auseinandersetzung mit den amerikanischen Verfassungen bzw. englischen Verfassungstexten entwickelte, so sind trotz dieses atlantischen Austauschs fundamentale Unterschiede im Verfassungsdenken Frankreichs und der Vereinigten Staaten

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von Amerika zu verzeichnen, wie ein Vergleich der Menschenrechtserklärung von Virginia vom 12. Juli 1776 und der französischen Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 zeigt: Nicht nur enthielten die französischen Menschen- und Bürgerrechte einen viel klareren Passus zur Garantie der Menschenrechte, sie erhoben auch sehr viel deutlicher die Volkssouveränität, von der alle Gewalt ausgehen sollte, zum höchsten Prinzip. Quelle Virginia Bill of Rights vom 12. Juni 1776 Aus: http://www.archives.gov/exhibits/charters/virginia_declaration_of_rights.html, letzter Zugriff 1. August 2016.

Art. 1: Alle Menschen [Männer] sind von Natur aus in gleicher Weise frei und unabhängig und besitzen bestimmte angeborene Rechte, welche sie ihrer Nachkommenschaft durch keinen Vertrag rauben oder entziehen können, wenn sie eine staatliche Verbindung eingehen, und zwar den Genuss des Lebens und der Freiheit, die Mittel zum Erwerb und Besitz von Eigentum und das Erstreben und Erlangen von Glück und Sicherheit. Art. 2: Alle Macht ruht im Volke und leitet sich folglich von ihm her; die Beamten sind nur seine Bevollmächtigten und Diener und ihm jederzeit verantwortlich. Art. 3: Eine Regierung ist oder sollte zum allgemeinen Wohle, zum Schutz und zur Sicherheit des Volkes, der Nation oder Allgemeinheit eingesetzt sein; von all den verschiedenen Arten und Formen der Regierung ist diejenige die beste, die imstande ist, den höchsten Grad von Glück und Sicherheit hervorzubringen, und die am wirksamsten gegen die Gefahr schlechter Verwaltung gesichert ist; die Mehrheit eines Gemeinwesens hat ein unzweifelhaftes, unveräußerliches und unverletzliches Recht, eine Regierung zu verändern oder abzuschaffen, wenn sie diesen Zwecken unangemessen oder entgegengesetzt befunden wird, und zwar so, wie es dem Allgemeinwohl am dienlichsten erscheint. Art. 4: Kein Mensch oder keine Gruppe von Menschen ist zu ausschließlichen und besonderen Vorteilen und Vorrechten seitens des Staates berechtigt, außer in Anbetracht öffentlicher Dienstleistungen; da diese nicht vererbt werden können, sollen auch die Stellen der Beamten, Gesetzgeber oder Richter nicht erblich sein. Art. 5: Die gesetzgebende und die ausführende Gewalt des Staates sollen von der richterlichen getrennt und unterschieden sein; die Mitglieder der beiden Ersteren sollen dadurch, dass sie die Lasten des Volkes mitfühlen und mittragen, von einer Unterdrückung abgehalten werden und deshalb in bestimmten Zeitabschnitten in ihre bürgerliche Stellung entlassen werden und so in jene Umwelt zurückkehren, aus der sie ursprünglich berufen wurden; die freigewordenen Stellen sollen durch häufige, bestimmte und regelmäßige Wahlen wiederbesetzt werden, bei denen alle oder ein gewisser Teil der früheren Mitglieder wiederwählbar oder nicht sind, je nachdem es die Gesetze bestimmen. Art. 6: Die Wahlen der Abgeordneten, die als Volksvertreter in der Versammlung dienen, sollen frei sein; alle Männer, die ihr dauerndes Interesse und ihre Anhänglichkeit an die Allgemeinheit erwiesen haben, besitzen das Stimmrecht. Ihnen kann ihr Eigentum nicht zu öffentlichen Zwecken besteuert oder genommen werden ohne ihre eigene Einwilligung oder die ihrer so gewählten Abgeordneten, noch können sie durch irgendein Gesetz gebunden werden, dem sie nicht in gleicher Weise um des öffentlichen Wohles willen zugestimmt haben.

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Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie Art. 7: Jede Gewalt, Gesetze aufzuschieben oder auszuführen durch irgendeine Autorität ohne Einwilligung der Volksvertreter, ist ihren Rechten abträglich und soll nicht durchgeführt werden. Art. 8: Bei allen schweren oder kriminellen Anklagen hat jedermann ein Recht, Grund und Art seiner Anklage zu erfahren, den Anklägern und Zeugen gegenübergestellt zu werden, Entlastungszeugen herbeizurufen und eine rasche Untersuchung durch einen unparteiischen Gerichtshof von zwölf Männern seiner Nachbarschaft zu verlangen, ohne deren einmütige Zustimmung er nicht als schuldig befunden werden kann; auch kann er nicht gezwungen werden, gegen sich selbst auszusagen; niemand kann seiner Freiheit beraubt werden außer durch Landesgesetz oder das Urteil von seinesgleichen. … Art. 10: Allgemeine Vollmachten, durch die ein Beamter oder ein Beauftragter ermächtigt wird, verdächtige Plätze zu durchsuchen, ohne dass eine begangene Tat erwiesen ist, oder eine oder mehrere Personen, die nicht benannt sind, oder solche, deren Vergehen nicht durch Beweisstücke genau beschrieben ist oder offensichtlich zutage liegt, festzunehmen, sind kränkend und bedrückend und sollen nicht genehmigt werden. … Art. 12: Die Freiheit der Presse ist eines der stärksten Bollwerke der Freiheit und kann nur durch despotische Regierungen beschränkt werden. Art. 13: Eine wohlgeordnete Miliz, aus der Masse des Volkes gebildet und im Waffendienst geübt, ist der geeignete, natürliche und sichere Schutz eines freien Staates; stehende Heere sollen in Friedenszeiten als der Freiheit gefährlich vermieden werden; auf alle Fälle soll das Militär der Zivilgewalt streng untergeordnet und von dieser beherrscht werden. Art. 14: Das Volk hat ein Recht auf eine einheitliche Regierung; daher soll keine Regierung gesondert oder unabhängig von der Regierung Virginias innerhalb dessen Grenzen errichtet oder eingesetzt werden. Art. 15: Eine freie Regierung und die Segnungen der Freiheit können einem Volke nur erhalten werden durch strenges Festhalten an der Gerechtigkeit, Mäßigung, Enthaltsamkeit, Sparsamkeit und Tugend und durch häufiges Zurückgreifen auf die Grundprinzipien. Art. 16: Die Religion oder die Ehrfurcht, die wir unserem Schöpfer schulden, und die Art, wie wir sie erfüllen, können nur durch Vernunft und Überzeugung bestimmt sein und nicht durch Zwang oder Gewalt; daher sind alle Menschen gleicherweise zur freien Religionsausübung berechtigt, entsprechend der Stimme ihres Gewissens; es ist die gemeinsame Pflicht aller, christliche Nachsicht, Liebe und Barmherzigkeit aneinander zu üben.

Zug der Marktfrauen nach Versailles

Bereits zwischen 1789 und 1791 war in Frankreich die Harmonie zwischen Krone und Nationalversammlung, die vor allem von Letzterer immer wieder beschworen wurde, alles andere als real. Ludwig XVI. verweigerte zunächst nicht nur seine Zustimmung zur Inkraftsetzung der Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, sondern auch zu den Augustdekreten. Im Kontext einer massiven Preissteigerung für Brot und der Zusammenziehung von Truppen um Versailles marschierten am 5. Oktober 1789 7000 Pariser Frauen nach Versailles, um den „Bäcker, die Bäckerin und den Bäckerjungen“ (König Ludwig XVI., Königin Marie Antoinette und den Dauphin, den Thronfolger) nach Paris zu holen, unter die Kontrolle des Volkes. Unterstützt vom Präsiden-

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ten der Nationalversammlung Mounier gelang es den Pariser Frauen, den König zu zwingen, mit seiner Familie nach Paris in den Louvre umzuziehen. Abb. 2 Zug der Pariser Marktfrauen nach Versailles am 5. Oktober 1789

Innerhalb der verfassungsgebenden Nationalversammlung, die im Oktober 1789 ebenfalls ihren Tagungsort nach Paris verlegte, entstanden in Frankreich die Vorläufer moderner politischer Parteien: Auf der einen Seite gab es die Aristokraten um den Abbé Jean Maury (1746–1817), die am Ancien Régime festhielten, dann die Monarchisten, die eine konstitutionelle Monarchie nach mehr oder weniger englischem Vorbild anstrebten. Auf der anderen Seite standen die Patrioten, die wiederum in unterschiedliche Lager gespalten waren, und die zwischen 1789 und 1790 in Mirabeau, Sieyès, Lafayette und Talleyrand ihre prominentesten Vertreter fanden. Auch Letztere hingen durchweg noch dem Ideal einer konstitutionellen Monarchie mit weitgehenden Rechten des Parlaments und einem Vetorecht der Krone an. „Links“ von dieser Gruppe bildeten sich weit radikalere „Faktionen“ im Jakobinerklub und im Klub der Cordeliers heraus, die aber zunächst in der Nationalversammlung nicht lautstark tätig waren. Trotz dieser Bildung von „Faktionen“, wie man diese frühen Parteien nannte, kam es am 14. Juli 1790 noch zur Beschwörung der Einheit der Revolution. Auf dem Marsfeld (Champs de Mars) in Paris wurde des Bastillesturms des Jahres 1789 gedacht; die Revolution feierte sich selbst, in strahlender Einheit und Einigkeit. Im April 1790 wurde aufgrund der andauernden Finanzkrise eine Finanzreform vorgenommen. Die königlichen Livres („Pfund“) wurden durch das revolutionäre Papiergeld der Assignaten ersetzt. Finanzielle Grundlage hierfür war der Verkauf der säkularisierten Kirchengüter: Am 2. November 1789 hatte die Konstituante (d.h. die verfassungsgebende Nationalversammlung) be-

Faktionen

Enteignung der Kirche

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III.

Départements

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

schlossen, dass die Kirche enteignet und ihre Güter an französische Bürger verkauft werden sollten. Die Kirche als Institution blieb zunächst bestehen, doch wurden Pfarrer und Bischöfe ab dem 14. April 1790 nicht mehr von der Kirche, sondern vom französischen Staat besoldet. Klöster wurden aufgehoben (13. Februar 1790), Pfarrer und Bischöfe sollten nun gewählt werden, die Zahl der Bistümer wurde von 135 auf 83 reduziert. Um diese neue Kirchenordnung zu regeln, wurde am 12. Juli 1790 die Zivilverfassung des Klerus (Constitution civile du clergé) erlassen. Alle Mitglieder des Klerus wurden zu französischen Staatsbeamten und wurden verpflichtet, den Eid auf die am 3. September 1791 verabschiedete (und vom König am 13. September 1791 gebilligte) französische Verfassung zu leisten. Bereits ab November 1790 hatten Angehörige des Klerus einen Schwur à la Nation, à la Loi et au Roi zu leisten gehabt. Der Aufruf Papst Pius’ VI. vom 10. März 1791, Widerstand gegen diese Regelungen zu leisten, führte dazu, dass die prÞtres réfractaires, d.h. diejenigen katholischen Pfarrer, die sich weigerten, den Eid auf die französische Verfassung zu leisten, zu Konterrevolutionären erklärt wurden. Besonders im Norden und Osten Frankreichs war der Widerstand des Klerus gegen die Zivilverfassung des Klerus groß. Die Finanzkrise Frankreichs führte damit letztendlich zur Entstehung eines klerikalen konterrevolutionären Lagers. Wichtige, heute noch bestehende Reformen der Zeit der konstitutionellen Revolution waren u.a. die Neueinteilung des Landes in Départements, die an die Stelle der alten, historisch gewachsenen Provinzen treten sollten. Frankreich bestand ab dem Februar 1790 aus 83 (ab 1795 aus 89) Départements. In den 1940er Jahre wurden auch die französischen Überseekolonien auf den Antillen (Karibik) und im Indischen Ozean (La Réunion) zu französischen Départements. Dazu kam die Abschaffung der Adelstitel (19. Juni 1790), der Parlements (6. September 1790), der Binnenzölle (31. Oktober 1790), der Zünfte (2. März 1791, endgültig) und die Begründung eines neuen Steuersystems (23. November 1790/13. Januar 1791). Ebenso wurden die lokalen Verwaltungen zunehmend demokratisiert und die Voraussetzungen für ein neues, einheitliches Zivil- und Strafrecht geschaffen. Die konstitutionelle Revolution vollzog sich damit auf unterschiedlichen Ebenen bzw. wurde von unterschiedlichen Gruppierungen getragen; durchaus auch von Mitgliedern der beiden ersten Stände, Klerus und Adel, hauptsächlich jedoch von Angehörigen des Dritten Standes, von Städten bzw. Munizipalitäten, von Teilen der Landbevölkerung und der städtischen Mittel- und Unterschichten. Eigentlich gab es 1789 mindestens drei Revolutionen: eine politische, die sich mit der Erklärung des Dritten Standes zur Nationalversammlung anbahnte und dann in der Säkularisierung der Kirchengüter und der Ausarbeitung der Zivilverfassung des Klerus kulminierte, eine städtische bzw. munizipale, nämlich die Beseitigung der alten Obrigkeiten in den Städten inklusive

2. Radikalisierung

des Aufstandes der städtischen Mittel- und Unterschichten gegen die eklatant steigenden Brotpreise, und eine ländliche, die sich u.a. in der Grande Peur und ihren Folgen artikulierte. Alle drei Revolutionen vollzogen sich nicht unabhängig voneinander, sondern standen in einem engen Zusammenhang bzw. halfen sich gegenseitig. Die drei Revolutionen von 1789 zeigen, dass die Nation in ihrem Veränderungswillen von unterschiedlichen Motiven und Zielen geprägt war. Inspiriert von Ideen der Aufklärung war vor allem die politische Revolution, die immer wieder auch Anleihen bei den Ereignissen und Verfassungstexten der USA aufnehmen sollte.

2. Radikalisierung 1791 Februar

Aufbau einer Armee von Émigrés durch den Prinzen von Condé in Worms

2. April

Zunft- und Gewerbefreiheit in Frankreich

13. April

Papst Pius VI. protestiert in einem Schreiben an König Ludwig XVI. von Frankreich gegen die Zivilverfassung des Klerus

20./21. Juni

Flucht der königlichen Familie nach Varennes

16. Juli

die Feuillants treten aus dem Jakobinerklub aus

17. Juli

Massaker auf den Champs de Mars

17. August

Wahl der 745 Abgeordneten der Legislative

21. August

Sklavenaufstand auf Haiti

27. August

Erklärung von Pillnitz

3. Sept.

Verabschiedung der ersten (konstitutionellen) Verfassung Frankreichs

13. Sept.

Ludwig XVI. sanktioniert die Verfassung

14. Sept.

Ludwig XVI. leistet den Eid auf die Verfassung

1. Okt.

erste Sitzung der Assemblée Nationale Législative

9.–11. Nov.

Veto Ludwigs XVI. gegen Gesetze gegen die Emigranten

7. Dez.

Bildung eines Kabinetts aus Feuillants

1792 6. Februar

Bündnis zwischen Preußen und Österreich

9. Februar

Beschlagnahmung der Besitzungen von Emigranten in Frankreich

22. Februar

Berufung der Girondisten Roland und Clavière zum Innen- bzw. Finanzminister

20. April

Kriegserklärung Frankreichs an Österreich

12. Juni

Entlassung des Kabinetts Roland, Verfassungskrise

11. Juli

Proklamation der Legislative: „Das Vaterland ist in Gefahr“

63

64

III.

Dérapage

Konterrevolution

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

25. Juli

Manifest des Herzogs von Braunschweig

10. August

Sturm auf die Tuilerien

13. August

Internierung der königl. Familie im Temple

14. August

Beschluss zur Aufteilung von Gemeindegütern, Verkauf der Besitzungen von Emigranten

August

Rouget de Lisle verfasst den Text der Marseillaise

23. August

Eroberung von Longwy durch alliierte Truppen

2.–6. Sept.

Septembermassaker in Pariser Gefängnissen

3.–15. Sept.

Wahlen zum Nationalkonvent auf der Basis eines allgemeinen Wahlrechts

20. Sept.

Kanonade von Valmy, Zusammentreten des Nationalkonvents

21. Sept.

Abschaffung der Monarchie in Frankreich, Jahr I der Republik

22. Sept.

Ausrufung der ersten Republik in Frankreich

Wie oben bereits erwähnt, ist die revisionistische Schule innerhalb der französischen Revolutionsforschung für die Zeit nach dem Juli 1791 von einem „Abgleiten“ der Revolution ausgegangen. François Furet und Denis Richet hielten die Radikalisierung der Revolution, nachdem im September 1791 die konstitutionelle Verfassung in Kraft getreten war, nicht für unausweichlich. Eigentlich, so Furet und Richet, hätte sich die Revolution nach 1791 konsolidieren können, ähnlich wie nach 1689 in England sich die sogenannten Revolutionäre langfristig mit einer konstitutionellen Verfassung, an deren Beginn die Bill of Rights stand, begnügt hätten. Panik vor der Konterrevolution, vor einer Verschwörung der Aristokratie und des Auslandes, archaische Ängste und Verhaltensmuster der Massen hätten – so Furet und Richet – dazu geführt, dass die Revolution „abglitt“ bzw. „durchdrehte“. Michel Vovelle geht davon aus, dass bereits 1791/92 die Differenzen zwischen den einzelnen revolutionären, auch den unterschiedlichen bürgerlichen Lagern so groß waren, dass ein Ende der Revolution unwahrscheinlich wurde. Ebenso vertritt Vovelle die These, dass die konterrevolutionäre Gefahr real gewesen sei, d.h. keine Chimäre des Volkes, und die Existenz der konstitutionellen Monarchie sowie aller Errungenschaften der Revolution einschließlich der Menschen- und Bürgerrechte bedroht hätte. Die Konterrevolution sei – so Vovelle – bereits 1791 mittels des Aufbaus einer Armee von Émigrés durch den Prinzen von Condé in Worms vorbereitet worden, vor allem aber mit dem Plan zur Flucht des Königs und seiner Familie: Nachdem der „Mob“ von Paris am 5. und 6. Oktober 1789 wegen der raschen Teuerung der Brotpreise mit seinem Marsch auf Versailles erzwungen hatte, dass die königliche Familie, König Ludwig XVI., Marie Antoinette und ihre Kinder sowie ein Großteil des Versailler Hofstaates nach Paris in die Tuilerien „umziehen“ mussten, wurde im Frühjahr 1791 deren Flucht

2. Radikalisierung

ins Ausland vorbereitet. Ludwig XVI. hatte den von der Nationalversammlung erzwungenen Errungenschaften der Revolution nur widerwillig zugestimmt und mit seinem Veto etliche Entscheidungen blockiert. Beraten von dem Marquis de Bouillé sah die königliche Familie ihr Heil in der Flucht. Im Ausland sollte eine Koalition gegen die Revolution geschmiedet werden, die Ludwig XVI. wieder in seine alten Rechte, als König von Gottes und nicht von Volkes Gnaden, hätte einsetzen sollen. Am 20. Juni 1791 verließ die königliche Familie den Louvre. Einen Tag später wurde die Flucht des Königs in Varennes, nahe der Grenze zum Heiligen Römischen Reich, beendet. Auch wenn in Paris das Gerücht verbreitet wurde, der König sei von ausländischen Mächten entführt worden, so galt Ludwig XVI. den radikalen Revolutionären von nun an als Verräter der Revolution, des Vaterlandes und der französischen Nation. Zur Flucht des Königs und seiner Familie kam bereits ab Juli 1789 die Auswanderung von französischen Aristokraten, der mit der Verabschiedung der Zivilverfassung des Klerus vom Juli 1790 die Emigration von Geistlichen folgte, die sich weigerten, den Eid auf die französische Verfassung zu leisten. Zu den prominentesten Émigrés gehörten der Prinz von Condé und die Conti. Insgesamt emigrierten, so François Furet und Mona Ozouf, während der Revolutionszeit ca. 0,6% der französischen Bevölkerung, keine sehr hohe Zahl, aber dafür einflussreiche Schichten des Frankreichs des Ancien Régime. In London, Turin, Koblenz, Berlin, Rom und Madrid schürten diese Émigrés die Sorge der Fürsten Europas, dass es auch bei ihnen zu einem politischen Umsturz, zur Revolution, zur Beseitigung ihrer Macht und Herrschaft kommen könne. Nach dem Sturz der Monarchie 1792 wurden die Güter der Emigranten von der revolutionären Regierung in Paris eingezogen und als Nationalgüter verkauft, die ehemaligen Besitzer ab 1793 mit dem Tode bedroht, sollten sie nach Frankreich zurückkehren. Stichwort

Prinz von Condé Louis Joseph de Bourbon, Prinz von Condé, (1736–1818), Prinz von Geblüt, gehörte zu den ersten Mitgliedern der französischen Hocharistokratie, die bereits nach dem Fall der Bastille am 14. Juli 1789 Frankreich verließen. Condé ließ sich in Worms nieder, wo er eine Armee aufzubauen begann, die der Niederschlagung der Revolution in Frankreich dienen sollte. Bis 1793 blieb Condé weitgehend unter der Kontrolle Österreichs und Preußens, wurde ab 1794 aber dem Oberkommando Englands, dann Österreichs und dann Russlands unterstellt. Nach dem Frieden von Campo Formio 1797 ging Condé nach Russland. 1801 löste er seine Armee auf und ließ sich in England nieder. Nach der Restauration 1815 kehrte Condé nach Frankreich zurück und wurde erneut Großmeister der Maison du Roi. Louis François Joseph de Bourbon, Prinz von Conti (1734–1814), emigrierte ebenfalls bereits im Juli 1789, kehrte aber 1790 nach Frankreich zurück. Obwohl er

65

Flucht nach Varennes

66

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie nicht in konterrevolutionäre Aktivitäten verwickelt war, wurde er zur Zeit der Terreur ins Gefängnis geworfen, man konfiszierte seine Güter. Er wurde erst im August 1795 wieder freigelassen, verließ daraufhin Frankreich und ließ sich in Barcelona nieder, wo er 1814 verstarb.

Spaltung der Revolution

In etlichen Regionen Frankreichs – im Vivarais, in Lyon, Arles, Marseille, in den protestantisch geprägten Regionen der Gascogne – kam es bereits zwischen 1790 und 1792 zu militärischen Konfrontationen zwischen Anhängern der neuen und der alten Ordnung. Neben den Missernten der Jahre 1791/92 förderte die zunehmende Politisierung der Massen durch die seit 1789 weitgehend freie Presse die Herausbildung von patriotischen Gesellschaften in den Départements und damit die Bereitschaft, die Revolution und ihre Errungenschaften notfalls mit Gewalt zu verteidigen bzw. das Erreichte durch weitere revolutionäre Veränderungen zu „vervollständigen“. Zur Spaltung des Lagers der Patrioten kam es, als wenige Tage nach dem zweiten Jahrestag des Sturms auf die Bastille, am 17. Juli 1791, die Cordeliers eine antimonarchische Kundgebung auf den Champs de Mars initiierten und gleichzeitig eine neue, demokratischere Verfassung forderten. Die Demonstration der Cordeliers wurde durch die von Lafayette geführte Nationalgarde auseinandergejagt; es gab Tote auf Seiten der Radikalen und der Nationalgarde. Das Bündnis der revolutionären Faktionen war zerbrochen. Stichwort

Marquis de Lafayette Marie Joseph Paul Yves Roch Gilbert Motier, Marquis de Lafayette, (1757–1834), wurde 1771 Mitglied der Schwarzen Musketiere (Teil der Haustruppen des französischen Königs) und blieb als solcher bis 1776 im Dienst der französischen Armee. 1777 bildete er ein Freiwilligencorps, mit dem er den Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg unterstützte. 1789 wurde er in Frankreich als Mitglied des Zweiten Standes in die Generalstände gewählt, wo er die Proklamation der Menschen- und Bürgerrechte unterstützte und die Ideen der Amerikanischen Revolution zu verbreiten suchte. Am 13. Juli 1789 erfolgte die Wahl Lafayettes zum Präsidenten der Nationalversammlung. Er gründete im gleichen Jahr den Klub der Feuillants in Paris und organisierte das Föderationsfest am 14. Juli 1790 auf den Champs de Mars. Nach der Flucht des Königs und dem Massaker auf dem Marsfeld 1791 musste Lafayette als oberster Kommandeur der Nationalgarde zurücktreten. Bis zum Sturz der Monarchie in Frankreich im August 1792 verlor Lafayette seine Popularität und Anhängerschaft. Um den französischen Gefängnissen der radikalen Phase der Revolution zu entgehen, lieferte sich Lafayette selbst den Österreichern aus. Erst nach dem Staatsstreich Bonapartes kehrte Lafayette nach Frankreich zurück. Während der Restaurationszeit war Lafayette Mitglied des Geheimbundes des Carboneria und spielte während der Julirevolution 1830 erneut eine bedeutende Rolle beim Sturz der Bourbonen und der Errichtung der Julimonarchie.

2. Radikalisierung

Das erste Föderationsfest (FÞte de la Fédération) wurde am 14. Juli 1790 anlässlich des Jahrestages des Sturms auf die Bastille (14. Juli 1789) gefeiert. Alle 83 neugeschaffenen Départements Frankreichs entsandten Vertreter nach Paris. Volk, Krone und Altar sollten in einem symbolischen Akt die Revolution und ihre Errungenschaften in nationaler Einheit feiern. Eingeladen hatte die Constituante (verfassungsgebende Nationalversammlung). Charles Maurice de Talleyrand-Périgord, Bischof von Autun, feierte die Messe, Lafayette hielt Einzug auf einem Schimmel; rund 60.000 Franzosen sollen sich an diesem Tag auf dem Marsfeld versammelt haben, zu Füßen des Königs, der auf einem Thron die Ereignisse verfolgte und einen Schwur leistete, dass er die in Ausarbeitung befindliche Verfassung anerkennen werde. Ein Jahr später war die nationale Einheit zerbrochen. Am 17. Juli 1791 wurde eine Demonstration der Cordeliers durch von Lafayette kommandierte Abteilungen der Nationalgarde auf dem Marsfeld niedergeschossen. Die im September 1791 erlassene Verfassung, die eine konstitutionelle Monarchie an die Stelle der absoluten Gewalt (potestas absoluta) des Königs setzte, war Ende 1791/Anfang 1792 schon längst überholt. Nach der Erklärung der Menschenrechte und der Abschaffung der Feudallasten hatte die Nationalversammlung bereits am 10. Oktober 1789 dekretiert, dass König Ludwig XVI. von Frankreich nun nicht mehr als „Ludwig von Gottes Gnaden König von Frankreich und Navarra“, sondern als „Ludwig von Gnaden Gottes und der Staatsverfassung König der Franzosen“ zu titulieren sei. Mit dieser Formulierung sollte deutlich gemacht werden, dass Ludwig XVI. nicht mehr allein Gott, sondern seinem Volk, vertreten durch die Nationalversammlung, verantwortlich war, abgesetzt werden konnte und dass die eigentliche Souveränität sich vom König in Richtung „Nation“, d.h. „Volk“, verschoben hatte. Zwar durfte der König weiterhin die Minister seiner Regierungen ernennen, doch waren diese der Nationalversammlung verantwortlich. Der Weg in Richtung einer konstitutionellen Monarchie, die Anleihen beim englischen Vorbild aufnahm, war 1789/90 klar beschritten. Das Wahlrecht der Verfassung von 1791, verabschiedet bereits am 2. Dezember 1789, war ein Zensuswahlrecht. Aktive Wahlbürger, also diejenigen, die die Wahlmänner wählten, die wiederum die Repräsentanten des Einkammernparlaments bestimmten, mussten über 25 Jahre alt und männlich sein und ein direkte Steuer von ca. zwei bis drei Livres jährlich zahlen. Die Wahlmänner sollten eine jährliche Steuer von sieben bis zehn Livres jährlich zu zahlen im Stande sein, um als Wahlmänner fungieren zu können. Die Abgeordneten der Legislative hatten eine Steuerleistung von 50 Livres im Jahr vorzuweisen. Insgesamt waren von ca. 25 Millionen Franzosen 4,3 Millionen Aktivbürger, 50.000 durften als Wahlmänner agieren. In der 745 Abgeordnete zählenden gesetzgebenden Versammlung, die am 1. Oktober 1791 an die Stelle der Konstituante oder verfassungsgebenden Nationalversammlung trat, standen sich nun Feuillants (d.h. moderate Royalisten

67 Föderationsfest

Verfassung von 1791

Feuillants

68

III.

Brissotins

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

und Anhänger einer starken, aber durch die Nationalversammlung begrenzten konstitutionellen Monarchie), die am 16. Juli aus dem Jakobinerklub ausgetreten waren, und Brissotins (auch Rolandisten, später dann auch Girondisten genannt) gegenüber. Letzteren ging die konstitutionelle Monarchie nicht weit genug. Einige ihrer Mitglieder setzten sich für eine Verurteilung des Königs (wegen Hochverrats durch seine Flucht) ein. Zu den Führern der Feuillants gehörten Antoine-Pierre-Joseph-Marie Barnave (1761–1793), Abgeordneter des Dritten Standes von Grenoble bei den Generalständen von 1789, Adrien Duport (1759–1798), ein ehemaliger Rat des Parlement von Paris, und Alexandre de Lameth (1760–1829), ein junger Obrist, der wie Lafayette im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte. An der Spitze dieses „Triumvirats“ stand Barnave, der im Oktober 1790 zum Präsidenten der Nationalversammlung gewählt wurde; er vertrat nicht nur eine moderate proroyalistische Haltung, sondern gehörte auch zu den Abgeordneten, die sich gegen die Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien aussprachen. Zu den Brissotins gehörten neben dem Namensgeber der Gruppe, JacquesPierre Brissot de Warville, auch Pierre-Victurnien Vergniaud (1753–1793), Marguerite-Élie Guadet (1758–1794), Jean-Marie Roland de la Platière (1734–1793) und Marie-Jean-Antoine-Nicolas de Caritat, Marquis de Condorcet (1743–1794). Unter den Brissotins befanden sich aber auch einige der späteren „Demokraten“, nämlich Lazare-Nicolas-Marguerite Carnot (1753–1823), Antoine-Christophe Merlin de Thionville (1762–1833) und der Priester François Chabot (1756–1794). Stichwort

Jacques Pierre Brissot Jacques Pierre Brissot wurde 1754 in Chartres als Sohn eines Lebensmittelhändlers geboren. Er erhielt eine juristische Ausbildung bei einem Anwalt und ging 1773 nach Paris, um dort selbst als Anwalt tätig zu werden. Neben zahlreichen Schriften zum französischen Strafrecht trat Brissot vor allem als Journalist hervor, u.a. in London. Nach Frankreich zurückgekehrt, wurde er kurze Zeit in der Bastille inhaftiert, da man in ihm den Autor einer Schrift gegen die Königin Marie Antoinette vermutete. Durch einen Aufenthalt in den jungen Vereinigten Staaten von Amerika, die er als Mitglied der von ihm, Mirabeau und Lafayette gegründeten Société des Amis des Noirs bereiste, avancierte er ebenso wie Lafayette zu einem kulturellen Mittler zwischen den USA und Frankreich. Seine Kandidatur für die Generalstände scheiterte. Allerdings wurde Brissot in die Pariser Commune gewählt, nachdem er im April 1789 bereits eine neue Zeitung, den Patriote français, lanciert hatte. Im August 1791 wurde Brissot in die Legislative gewählt, wo er sich der Gruppe der Girondisten (den später nach ihm benannten Brissotins) anschloss. Zu ersten Konflikten mit den späteren Montagnards kam es bereits 1792, da ihm u.a. Robespierre eine zu große Nähe zu Lafayette und Condorcet vorwarf. Trotzdem wurde Brissot im September 1792 in den Nationalkonvent gewählt. Beim Schlag der Montagne gegen die Gironde Anfang Juni 1793 war Brissot unter den Inhaftier-

2. Radikalisierung

69

ten. Ihm wurde der Prozess wegen Hochverrats gemacht, da er in einer Schrift die Auflösung der Pariser Commune und des Jakobinerklubs gefordert hatte. Am 31. Oktober 1793 wurde Brissot auf der Place de la Concorde hingerichtet.

Stichwort

Marquis de Condorcet Marie-Jean-Antoine-Nicolas de Caritat, Marquis de Condorcet (1743–1794), ist nicht nur als eines der profiliertesten Mitglieder des Nationalkonvents in die Geschichte eingegangen, sondern machte sich auch einen Namen als Mathematiker und Philosoph. Bereits in den 1770er Jahren verfasste er Studien zum Freihandel und zur Abschaffung des Frondienstes, in den 1780ern folgten Arbeiten zu Religionsfreiheit und einer Modifizierung des Strafrechts. 1791 in die Legislative gewählt, wurde Condorcet vor allem im Bereich Erziehung und Bildung tätig. Aus dem Anhänger einer konstitutionellen Monarchie wurde nun ein überzeugter Republikaner, der allerdings weder den Girondisten noch den Montagnards zugehörte. Sein Entwurf für eine Konstitution der ersten französischen Republik wurde von der Montagne abgelehnt; im Juni 1793 veranlasste diese die Verhaftung Condorcets, da er die montagnardische Verfassung öffentlich kritisiert hatte. Auf der Flucht entstand Condorcets wichtigste Schrift, das Tableau historique des progrès de l’esprit humain, das sowohl den Frühsozialisten Auguste Comte (1798–1857) als auch Hegels Geschichtsphilosophie stark beeinflusste. Im März 1794 gefangen gesetzt, starb Condorcet wahrscheinlich durch Selbstmord im Gefängnis.

Beide Lager, Brissotins und die später sogenannten Montagnards, vertraten in der Legislative jedoch nicht die revolutionären Massen von Paris, die Sansculotten, die sich aus den Schichten der Kleinhändler, Handwerksmeister, Manufakturarbeiter, Gesellen und Tagelöhner rekrutierten. Ebensowenig waren alle späteren Führer der sogenannten Jakobinerdiktatur, die Montagnards, in der Legislative vertreten. Maximilien Robespierre (1758–1794), Jean-Paul Marat und Jean-Marie Collot d’Herbois (1749–1796) agierten vor dem September 1792 noch von außerhalb des Parlaments und gingen mit den radikalen Sansculotten immer wieder Zweckbündnisse ein. Die Situation in Frankreich radikalisierte sich nicht nur durch die Spaltung des revolutionären Lagers, sondern auch durch die Bedrohung von außen. Die Angst vor der Ausbreitung der Revolution in Europa, geschürt durch die Émigrés, führte am 27. August 1791 zur Erklärung von Pillnitz: Die Koalitionsmächte in Europa – allen voran Preußen und Österreich – drohten dem revolutionären Frankreich mit Krieg, sollte es nicht die alte Ordnung, das Ancien Régime, restaurieren. Während die Brissotins und der König (in der Hoffnung eines Sieges der Koalition gegen Frankreich) für den Krieg votierten, warnte Robespierre im Dezember 1791 vor dessen Folgen: Frankreich sei auf keinen Krieg vorbereitet; er könne die Konterrevolution im Inneren schüren und einen militärischen Diktator hervorbringen.

Montagnards

Erklärung von Pillnitz/Émigrés

70

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie Quelle Robespierre spricht vor den Jakobinern gegen den Krieg, 12. Dezember 1791. Aus: Lautemann 1981: 281.

Mir scheint, dass die Leute, die den Krieg provozieren möchten, nur deshalb so denken, weil sie sich über die Art des potentiellen Krieges und über unsere derzeitige Lage nicht genügend im klaren sind. … Um nun eine Entscheidung zu treffen, haben wir uns zu fragen, von welcher Art denn der bevorstehende Krieg ist: ist es der Krieg einer Nation gegen eine andere? Ist es der Krieg eines Königs gegen andere Könige? Nein, es handelt sich um den Krieg aller Verfassungsgegner gegen die französische Revolution. Wer aber sind diese Feinde? Hier gibt es zwei Gruppen: die inneren und die äußeren Feinde. Ob man logischerweise zu den inneren Feinden den Hof und die Handlanger der Exekutive zählen muss, vermag ich nicht zu sagen. Ich sehe jedoch, dass die äußeren Feinde, nämlich die französischen Rebellen und alle, die man dazurechnen muss, da sie ihnen zu helfen bereit sind, behaupten, dass sie nur die Verteidiger des französischen Hofs und der französischen Aristokratie seien … Wem also werdet ihr die Führung dieses Krieges anvertrauen? Etwa den Handlangern der Exekutive? Damit würdet ihr die Sicherheit des Staates denjenigen anvertrauen, die euch verderben wollen. Von daher ergibt sich die Einsicht, dass wir vor nichts so zurückschrecken müssen wie vor einem Krieg. Der Krieg ist die größte Geißel, die unsere Freiheit unter den gegenwärtigen Umständen bedroht … Es handelt sich hierbei nicht um einen Krieg, der aus der Feindschaft der Völker entflammt, sondern es ist ein mit den Feinden der Revolution abgesprochener Krieg, und aus dieser Perspektive heraus muss man die wahren Absichten analysieren … Man will vor allem den Adel wieder in seine Rechte einsetzen. … Man glaubt, mit uns fertig zu werden, indem man uns einschüchtert … und man wird nur soviel Macht gegen uns aufbieten, wie nötig sein wird, uns zur Kapitulation bereit zu machen. … Statt eines vernünftigen Gesetzes [gegen die Rebellen] will man einen Scheinkrieg beginnen … Ein Krieg aber ermöglicht Terror, bringt Gefahren mit sich, zudem beiderseitige Anstrengungen, Verrate und schließlich Verluste. Das Volk wird müde. …

Beginn des ersten Koalitionskrieges

Trotz der Warnungen aus dem „linken“ revolutionären Lager erklärte Frankreich am 20. April 1792 dem „König von Böhmen und Ungarn“ (dem erst im Juli 1792 zum Kaiser gewählten Habsburger Franz II.) den Krieg. Ludwig XVI. blockierte folgerichtig durch sein Veto die Beschlüsse der Legislative zur Vorbereitung des Krieges, d.h. zur Aushebung von Rekruten. Am 12. Juni 1792 entließ er das Kabinett, das zu diesem Zeitpunkt neben Roland von radikalen Brissotins dominiert wurde. Der Beginn des Krieges wurde zu einem Desaster für das revolutionäre Frankreich. Die Koalition drohte am 25. Juli 1792 im Manifest des Herzogs von Braunschweig mit der Vernichtung von Paris, sollte das französische Volk sich nicht wieder dem rechtmäßigen König, Ludwig XVI., unterwerfen. An den andauernden militärischen Niederlagen der Revolutionsarmee änderte auch das landesweite Aufgebot der Nationalgardisten vom Juli/August 1792 zunächst wenig, das die von Rouget de Lisle verfasste Marseillaise (heute die Nationalhymne Frankreichs) singend nach Paris zog, um die Koalition zu besiegen.

2. Radikalisierung

71

Quelle Das Manifest des Herzogs von Braunschweig vom 25. Juli 1792 Aus: Donath, Markov (1954).

Ihre Majestäten der Kaiser von Österreich und der König von Preussen haben mir den Oberbefehl über ihre an der Grenze Frankreichs vereinigten Heere übertragen; …: Diejenigen, welche sich die Regierung in Frankreich angemaßt haben, sind, nachdem sie die Rechte und Besitzungen der deutschen Fürsten im Elsass und in Lothringen diesen willkürlich entrissen; nachdem sie im Inneren die gute Ordnung und die rechtmäßige Regierung gestört und umgestürzt und nachdem sie gegen die geheiligte Person des Königs und seiner erlauchten Familie Gewalttätigkeiten begangen haben, die sich noch täglich erneuern, endlich so weit gegangen, dass sie Sr. Majestät dem Kaiser einen ungerechten Krieg erklärten und in seine niederländischen Provinzen einfielen; … Se. Majestät der König von Preussen, mit Sr. kaiserlichen Majestät durch ein enges Schutzbündnis vereinigt und selbst ein mächtiges Mitglied des deutschen Reiches, konnten somit nicht unterlassen, seinen Verbündeten und seinen Mitständen zu Hilfe zu ziehen; aus diesem doppelten Grunde übernimmt Se. Majestät die Verteidigung des Kaisers von Deutschland. Diesem großen Interesse schließt sich noch ein gleich wichtiger Zweck an, welcher den beiden Monarchen sehr am Herzen liegt, nämlich der, der Gesetzlosigkeit im Inneren Frankreichs ein Ende zu machen, die Angriffe auf Thron und Altar aufzuhalten, die gesetzliche Gewalt wieder aufzurichten, dem Könige seine Freiheit und Sicherheit wieder zu erstatten und ihm in den Stand zu setzen, die gesetzmäßig ihm zukommende Gewalt auszuüben. Überzeugt, dass der gesunde Teil des französischen Volks die Ausschweifungen der herrschenden Partei verabscheut und dass der größere Teil der Bewohner mit Ungeduld den Augenblick der Hilfe erwartet, um sich offen gegen die verhassten Maßregeln seiner Unterdrücker zu erklären, fordern ihre Majestäten dieselben auf, ohne Verzug zur Vernunft, zur Gerechtigkeit, zur Ordnung und zum Frieden zurückzukehren. In dieser Hinsicht erklärt der Unterzeichnende, Oberbefehlshaber der verbündeten Heere, Folgendes: dass die beiden verbündeten Höfe durch unwiderstehliche Gründe zu dem gegenwärtigen Kriege bewogen wurden, dass sie dadurch nur das Heil Frankreichs beabsichtigen, aber keineswegs sich durch Eroberungen bereichern wollen; dass sie nicht die Absicht haben, sich in die innere Regierung Frankreichs zu mischen; sondern dass sie nur den König, die Königin und die königliche Familie aus der Gefangenschaft befreien und Sr. allerchristlichen Majestät die Mittel verschaffen wollen, ohne Gefahr und Hindernis die Einberufungen vorzunehmen, die sie für notwendig finden sollte, um für das Wohl ihres Volkes nach den Versprechungen und so viel von ihr abhängig wird, zu arbeiten; … Gegeben im Hauptquartier, Koblenz am 25. Juli 1792. Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig-Lüneburg.

In Paris formierte sich ab Juni 1792 der Widerstand gegen den König, dem konterrevolutionäre und hochverräterische Handlungen vorgeworfen wurden und dessen Rücktritt immer lauter gefordert wurde. Bereits Ende 1791 hatte es eine Radikalisierung in der Stadtverwaltung (Commune) von Paris ge-

Sturm auf die Tuilerien

72

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

geben, als der bisherige Bürgermeister Bailly durch den Jakobiner Jérôme Pétion ersetzt wurde. Bei Volksaufständen in Paris konnten sich nun weder Parlament noch Krone auf die Niederschlagung der Revolten durch die unter der Verwaltung der Stadt stehende Pariser Nationalgarde verlassen. In etlichen der 48 Wahlsektionen (sections) von Paris sammelten sich zunehmend radikale Befürworter der Revolution, die sich meist aus den lokalen Eliten rekrutierten: Handwerksmeister, Ladenbesitzer, Juristen, Journalisten, die sogenannten Sansculotten. Am 10. August 1792 stürmten Sektionen von Pariser Sansculotten und Nationalgardisten die Tuilerien, die Residenz des Königs, und nahmen Ludwig XVI. und seine Familie gefangen. Die Aufständischen erzwangen die Einberufung eines Nationalkonvents (auf der Basis von allgemeinen Wahlen, d.h. alle Männer ab 21 Jahren durften wählen), die Abschaffung der konstitutionellen Monarchie (21. September) und am 22. (bzw. 25.) September 1792 die Ausrufung der ersten französischen Republik. Außenpolitisch brachte der Sieg der französischen Revolutionäre am 20. September 1792 bei Valmy zunächst das Ende des Weiteren Vordringens der antirevolutionären europäischen Koalition. Stichwort

Valmy Die Kanonade bei Valmy am 20. September 1792 gilt als Wendepunkt im ersten Koalitionskrieg zwischen dem revolutionären Frankreich auf der einen und Preußen und Österreich auf der anderen Seite. 50.000 Franzosen unter dem Kommando des Generals Charles François Dumouriez (1739–1823) standen 35.000 preußische Truppen unter dem Kommando des Herzogs von Braunschweig gegenüber. Am Abend des 20. September kehrten die preußischen Truppen nach Deutschland zurück. Paris und die Revolution schienen zunächst gerettet. Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) kommentierte die Kanonade von Valmy mit den Worten: „Von hier und heute geht eine neue Epoche der Weltgeschichte aus, und ihr könnt sagen, ihr seid dabei gewesen.“

Septembermassaker

Zum grausamen Höhepunkt des Aufstandes der Revolutionäre gegen die Konterrevolution gerieten die Septembermorde: Pariser Sansculotten drangen in die Gefängnisse ein und ermordeten dort 1000 bis 1400 sogenannte Konterrevolutionäre: eidverweigernde Priester, Aristokraten, Frauen, Kinder und Strafgefangene. Die Angst vor der Konterrevolution mündete mit den Septembermorden in Ausbrüche kollektiver Gewalt. Für die bürgerlichen Revolutionäre bedeutete die Ausrufung der Republik im September 1792 entweder den Bund mit den revolutionären Teilen der Pariser bzw. französischen Bevölkerung (und damit die mögliche weitere Radikalisierung) oder aber die Konsolidierung der Revolution ohne die Volksmassen.

3. Gironde versus Montagne Quelle Septembermassaker: Bericht des Journalisten Louis Prudhomme über eine Begegnung von Vertretern der Nationalversammlung mit einem Scharfrichter des Volkes vor dem Gefängnis der Abbaye, 2. September 1792. Aus: Lautemann 1981: 316.

Da tritt ein Mann aus der Menge und baut sich vor ihnen auf. Er trägt eine eiserne Lanze, von der das Blut auf seine Hände hinuntertropfte. „Das Blut,“ ruft er, „ist das von Montmorin und Genossen. Wir stehen auf unserem Posten, geht ihr auf den euren zurück. Wenn all jene, die wir mit der Rechtsprechung betraut haben, ihre Pflicht erfüllten, wären wir nicht hier. Wir tun ihre Arbeit und wir gehen noch der unseren nach. Doch, je mehr Schuldige wir töten, desto mehr bringt sie uns ein.“ Das Volk empfindet ganz menschlich, aber es kennt keine Schwäche; überall, wo es Verbrechen wittert, zerrt es sie ans Licht, ohne dabei auf Alter, Geschlecht und Stand der Schuldigen zu achten… Richter! Das Blut, das am 2. und 3. September vergossen wurde, soll auf Euch kommen. Ihr seid es, die mit eurem strafbaren Schlendrian das Volk zu solchen Ausschreitungen getrieben habt, ihr allein seid dafür verantwortlich zu machen. In seiner Ungeduld hat das Volk euch das allzu lange untätig geblieben Schwert der Gerechtigkeit entrissen und ist nun dabei, eure Aufgaben wahrzunehmen.

3. Gironde versus Montagne 1792 24.–29. Sept. Einmarsch französischer Truppen in Savoyen und Nizza 1./23. Okt.

Eroberung von Speyer, Worms, Mainz und Frankfurt/Main durch franz. Truppen, Gründung des Mainzer Jakobinerklubs, erste „Republik auf deutschem Boden“

6. Nov.

Sieg der französischen Truppen bei Jemappes

27. Nov.

Frankreich annektiert Savoyen

11. Dez.

Beginn des Prozesses gegen Ludwig XVI. wegen Hochverrats

1793 14.–17. Jan. Abstimmung über das Urteil gegen Ludwig XVI. 21. Jan.

Hinrichtung Ludwigs XVI. auf der Place de la Révolution (mittels Guillotine)

23. Jan.

zweite Teilung Polens

28. Jan.

Manifest von Hamm

1. Febr.

Frankreich erklärt England und den Niederlanden den Krieg, Entstehung der ersten Koalition

24. Febr.

Levée en masse

7. März

Frankreich erklärt Spanien den Krieg

10. März

Schaffung des Pariser Revolutionstribunals

10./11. März Beginn der Aufstände in der Vendée

73

74

III. Nationalkonvent

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

Der Nationalkonvent, in den Frankreich 754 Abgeordnete und die französischen Kolonien weitere 28 entsandten, wurde beauftragt, eine neue, republikanische Verfassung auszuarbeiten. Die die Republik tragenden Revolutionäre, bis 1792 meist wenig differenziert als „Jakobiner“ bezeichnet, spalteten sich spätestens mit den Ereignissen der zweiten Jahreshälfte 1792 in die politischen Lager der Gironde und der Montagne. Während sich ein Großteil der Girondisten im Nationalkonvent aus den großen Hafenstädten Frankreichs rekrutierte – aus Marseille, Nantes und Bordeaux – stammte die Mehrheit der Montagnards aus Paris und den Hochburgen des radikalen Jakobinismus in der Provinz wie der Côte d’Or oder der Picardie. Zum wichtigsten Führungspersonal der Gironde avancierten nun Brissot, Vergniaud, Roland, Guadet und Armand Gensonné (1758–1793). Die Montagne stützt sich auf Führungspersönlichkeiten wie Robespierre, Saint-Just, Georges Auguste Couthon (1755–1794), Danton und Marat. Von der älteren Revolutionshistoriographie sind vor allem Robespierre, Danton und Marat immer wieder als besonders prominent hervorgehoben und in ihren Persönlichkeiten, Charaktereigenschaften und Motiven für ihr revolutionäres Handeln in schillerndsten Farben beschrieben worden. Psychologisierende Persönlichkeitsbeschreibungen und Motivanalysen der nun schon lange toten Revolutionäre erweisen sich jedoch aus Sicht des Wissenschaftlers als hochproblematisch. Allzu oft fehlen die quellengestützten Nachweise, bzw. die Art unserer Quellen erlaubt es nicht, zuverlässige Urteile über Persönlichkeiten und die Motive ihres Handelns zu fällen. Stichwort

Robespierre Maximilien Marie Isidore de Robespierre, 1758 als Sohn eines Advokaten in Arras geboren, studierte Jura und wirkte zunächst als Strafverteidiger in Arras, bevor er 1789 als Abgeordneter des Dritten Standes in die Generalstände gewählt wurde. 1790, als Vorsitzender des Jakobinerklub, erwarb sich Robespierre bereits in der Frühphase – im Gegensatz zu Danton – den Ruf, ein unbestechlicher Anwalt und Verteidiger der Interessen des „Volkes“ zu sein (L’Incorruptible). Bereits 1789 vertrat Robespierre demokratische Ideen, die er im Nationalkonvent und vor allem im Wohlfahrtsausschuss präzisierte und die in Form eines allgemeinen Wahlrechts für Männer über 21 Jahre Eingang in die Verfassung von 1793 finden sollten. Robespierre lehnte den Krieg zunächst ab, da er eine Schwächung der Revolution bzw. Bürgerkrieg in Frankreich befürchtete – eine Einschätzung, die sich bewahrheiten sollte. Trotzdem gehörte er im Wohlfahrtsausschuss zu den führenden Organisatoren der Terreur, also diktatorischer, antidemokratischer Maßnahmen im Kampf gegen den „inneren und äußeren Feind“. Erst wenn diese besiegt seien, so Robespierre, sei das französische Volk reif für Freiheit und Demokratie. Anfang Juni 1793 war er maßgeblich an der Ausschaltung der Gironde im Nationalkonvent beteiligt, im Frühjahr 1794 an der der Hébertisten und Dantonisten. Im Mai 1794 führte Robespierre den „Kult des Höchsten Wesens“ ein.

3. Gironde versus Montagne Im Zenit der Macht angekommen, erfuhr Robespierre die Einsamkeit des Diktators. Nachdem er sich geweigert hatte, die Terreur zu beenden und einige Zeit dem Nationalkonvent ferngeblieben war, forderte er am 26. Juli 1794 die Säuberung des Wohlfahrtsausschusses und des Nationalkonvents. Einen Tag später, am 9. Thermidor des Jahres II der Republik, wurde er jedoch von seinen Gegnern, den sogenannten Thermidorianern, verhaftet. Robespierres Hinrichtung erfolgte einen Tag später, am 28. Juli 1794.

Stichwort

Danton Georges-Jacques Danton wurde 1759 in Arcis-sur-Aube (Champagne) geboren. Er entstammte einem kleinbürgerlichen Milieu, genoss eine Ausbildung zum Advokaten (kein Studium der Jurisprudenz) und war von 1785 bis 1791 Anwalt im Conseil du Roi (königlicher Rat). Danton war Mitglied des Klubs der Cordeliers, von dem aus er die Pariser Massen, zunächst in seiner Sektion, zu begeistern wusste. Zum Republikaner wurde Danton nach der Flucht des Königs im Juni 1791. Den Sturz der Monarchie unterstützte er tatkräftig durch seine publizistische Propaganda. 1792 stieg er in das Amt des Justizministers auf und war maßgeblich am Aufbau des Revolutionstribunals beteiligt. Vom Nationalkonvent wurde er als Kommissar (Représentant en mission) ins (heutige) Belgien geschickt, kehrte aber kurze Zeit später nach Paris zurück. Zusammen mit Camille Desmoulins, dem Herausgeber der Zeitung Révolutions de France et du Brabant bildete Danton die Gruppe der Dantonisten oder Indulgents im Nationalkonvent und im Wohlfahrtsausschuss, eine Gruppierung, die politisch als moderater galt als die Montagnards. Ab November 1793 trat Danton immer häufiger in Opposition zur Terreur, versuchte die Vollstreckung des Todesurteils gegen Marie Antoinette zu verhindern und einen Ausgleich mit den Girondisten zu erreichen. Ebenso führte er Verhandlungen mit dem preußisch-österreichischen Kriegsgegner, um den Krieg zu beenden. Käuflichkeit und Hochverrat sind die wichtigsten Anklagepunkte, die nach Dantons Verhaftung am 31. März 1794 das Todesurteil begründeten und am 5. April 1794 zu seiner Hinrichtung mittels Guillotine führten.

Stichwort

Marat Jean Paul Mara (Marat), 1744 in Boudry (bei Neuchâtel) in der Schweiz geboren, war der Sohn eines sardischen Einwanderers. Zwischen 1759 und 1762 war er als Hauslehrer in Bordeaux tätig, studierte dann in Paris und London Medizin. Von 1777 bis 1784 wirkte Marat als Militärarzt unter dem Grafen von Artois (1757–1836). 1789 begann Marat in der Zeitungspublizistik tätig zu werden und veröffentlichte den Ami du Peuple (Der Volksfreund), der bis 1793 erschien. Spätestens 1793 avancierte Marat zu einem der radikalsten Revolutionäre, der im Nationalkonvent und im Ami du Peuple radikale Maßnahmen zur Rettung der Revolution befürwortete und durchsetzte: Säuberungen von Armee und Verwaltungen, die Unterstützung von Aufständen der Sansculotten im Dienste der Ausschaltung

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie des politischen Gegners bzw. – in Marats Diktion – des „Revolutionsfeindes“. Von Charlotte Corday d’Armont am 13. Juli 1793 als Ikone der Blutherrschaft der Montagne ermordet, wurde Marat zu einem Märtyrer der radikalen Revolution. Seine Gebeine wurden ins Pariser Pantheon überführt.

Danton wurde immer wieder als Volkstribun mit Hang zum ausschweifenden Luxusleben beschrieben, Marat, Gründervater und Herausgeber der Zeitung Ami du peuple, als nervös, durch Migräne und Hautkrankheit und als Mordhetzer gegen alles Konterrevolutionäre gezeichnet. Robespierre, ebenfalls Jurist, ging als der rationale, tugendhafte Revolutionär, als der Incorruptible, der Nichtkorrumpierbare, in die Geschichte ein, der erst nach der Errichtung der Republik im September 1792 als Politiker wirklich in Erscheinung zu treten begann. Während die Gironde die bürgerlichen Interessen der Revolutionäre wie etwa Schutz des Eigentums, Verhinderung von Preisfestsetzungen und Zwangsanleihen gegen Forderungen der Volksmassen zu verteidigen suchte, verbündete sich die Montagne phasenweise mit den Pariser Sansculotten. Für die Montagne standen der Erhalt der revolutionären Errungenschaften und die Beseitigung der konterrevolutionären Gefahr an erster Stelle. Für die Gironde ging es um Konsolidierung, darum, eine weitere Radikalisierung der Revolution zu verhindern. Da die Montagne den Sansculotten in ihrer Politik nicht weit genug ging, entstand links von der Montagne ein weiteres politisches Spektrum, das von schillernden Persönlichkeiten wie Jacques Roux (1752–1794), dem „roten Priester“, Jacques Hébert (1757–1794), Pierre Gaspard Chaumette (1763–1794) und anderen geprägt wurde. Während die Enragés unter Jacques Roux bis September 1793 die Massen in Paris in Bewegung zu setzen vermochten, übernahm nach dem Zerfall der Enragés die Gruppe der sogenannten Hébertisten bis zum März 1794 diese Funktion. Stichwort

Enragés Als Enragés wird eine Gruppe von radikalen Revolutionären bezeichnet, die sich ab 1792 um den Priester Jacques Roux (1752–1794) zu formieren begann und die die Interessen der Sansculotten auf ihre Fahnen schrieb. Am 25. Juli 1793 präsentierte Roux die Forderungen der Gruppe offiziell im Nationalkonvent: eine zentralistische Wirtschaftssteuerung durch den Konvent, Enteignungen und die „gerechte“ Verteilung von Land, d.h. soziale und ökonomische Gleichheit, gehörten zu den wichtigsten Forderungen der Enragés. Spätestens im Frühjahr wurde die Gruppierung Robespierre und anderen Mitgliedern der „Faktion“ der Montagne im Nationalkonvent zu radikal. Roux wurde des Hochverrats angeklagt. Er beging am 10. Februar 1794 Selbstmord.

3. Gironde versus Montagne

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Stichwort

Hébertisten An der Spitze dieser sozialrevolutionären, radikalen Gruppierung, die sich aus Mitgliedern des Nationalkonvents, der Pariser Commune und des Clubs der Cordeliers zusammensetzte, stand der Publizist Jacques René Hébert (1757–1794), der mit seiner Zeitung Le Père Duchesne vor allem die Sansculotten zu erreichen wusste. Diese „Ultrarevolutionären“ waren maßgeblich am Sturz der Girondisten am 2. Juli 1793 beteiligt, am Erlass des „Gesetzes über die Verdächtigen“ vom 17. September 1793 und des Allgemeinen Maximums vom 29. September 1793. Ebenso gehörten sie zu den radikalsten Verfechtern der Dechristianisierung von 1793/4. Mit ihren radikalen Positionen gerieten sie ähnlich den Enragés in Opposition zu Robespierre, der die Hébertisten im März 1794 ausschaltete. Im Gegensatz zu den Enragés fordeten die Hébertisten keine Aufhebung des Privateigentums.

Im August und September 1792 waren sich Gironde und Montagne noch weitgehend einig bezüglich der Abschaffung der konstitutionellen Monarchie und der Ausrufung der Republik gewesen. Im Verlauf des Spätjahres 1792 und der ersten Monate des Jahres 1793 zerbrach diese Einigkeit. Zur entscheidenden Frage wurde neben dem Umgang mit Preissteigerungen, Massenprotesten und einer Hungerkrise das Schicksal des Königs. Ludwig XVI., seiner Titel verlustig gegangen, als Louis Capet im Temple (dem Kloster des Templerordens im heutigen Pariser Viertel Marais) gemeinsam mit seiner Familie gefangen gehalten, wurde zwar von beiden Parteien des Hochverrats angeklagt, doch wandte sich die Gironde größerenteils gegen die Verhängung der Todesstrafe. Der Nationalkonvent, der sich damit auch zum Höchsten Gericht Frankreichs machte, beschloss schließlich mit 387 von 718 Stimmen, Louis Capet wegen Hochverrats zum Tode zu verurteilen. Am 21. Januar 1793 wurde Ludwig XVI. öffentlich hingerichtet, seine Frau Marie Antoinette, Schwester des Kaisers Franz II., folgte Ludwig am 16. Oktober 1793 auf die Guillotine. Der Dauphin starb am 8. Juni 1795 im Temple. Die eigentliche Exekutive der Ersten Republik wurde zunächst von einer Reihe von Ministern gebildet, die nach und nach durch revolutionäre Ausschüsse, die eigentliche Revolutionsregierung, ersetzt wurden. Die Exekutive war eng an den Nationalkonvent gebunden. Eine wirkliche Trennung von Legislative und Exekutive lag in der „vorläufigen Regierung Frankreichs, die bis zum Frieden [mit dem Ausland] revolutionär“ sein sollte (Dekret des Konvents, 10. Oktober 1793), nicht vor. Außenpolitisch war die Zeit zwischen der Gründung der Republik und dem Sturz der Gironde nicht nur von der erfolgreichen Verteidigung der Grenzen Frankreichs geprägt, sondern auch von Expansion und Versuchen eines Transfers des politischen Systems. Ab dem 24. Februar 1793 kam es zu Zwangsaushebungen von Soldaten in allen Provinzen Frankreichs, dem Be-

Prozess gegen den König

„Bis zum Frieden revolutionär …“

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

ginn der Levée en masse, bei der über 300.000 sogenannte Freiwillige aus allen Départements zu Verteidigern des revolutionären Frankreichs erklärt wurden. Stichwort

Levée en masse Als Levée en masse wird in der Regel das Dekret vom 23. August 1793 bezeichnet, mit dem der Nationalkonvent bestimmte, dass alle unverheirateten oder verwitweten und kinderlosen Männer zwischen 18 und 25 Jahren zu den Waffen greifen sollten, um das Vaterland vor dem inneren und äußeren Feind zu retten. Verheiratete Männer sollten auf der Basis dieses Gesetzes dazu gezwungen werden, Waffen herzustellen, Frauen sollten Zelte nähen und in den Hospitälern aushelfen. Ca. 300.000 sogenannte Freiwillige sollten für den aktiven Militärdienst gewonnen werden. Bereits im Februar 1793 war es zu Versuchen der „freiwilligen Zwangsaushebung“ von republikanisch gesinnten Soldaten gekommen.

Mainzer Republik

Am 29. September 1792 brach ein Teil der französischen Rheinarmee unter dem Kommando des Generals Adam Philippe Custine (1740–1793) von der französischen Festung Landau aus auf zum Feldzug gegen die geistlichen Fürstentümer des Heiligen Römischen Reiches am Rhein. Anfang Oktober eroberte Custine die Reichsstädte Worms und Speyer, am 21. Oktober 1792 wurde Mainz eingenommen. Während in Paris der Nationalkonvent noch über die Frage debattierte, ob man der Bevölkerung in den von der Revolutionsarmee eroberten Gebieten Souveränität und Selbstbestimmungsrecht zuerkennen oder ihnen die französischen Errungenschaften oktroyieren sollte, proklamierte Custine bereits am 23. Oktober 1792 in Mainz das unbeschränkte Selbstbestimmungsrecht für die Bevölkerung der linksrheinischen besetzten Gebiete. Die Entscheidung über die künftige Staatsform dieser Territorien wurde den Zünften der Stadt als dem einzigen bestehenden Gremium der Bürgerschaft übertragen, die wiederum den Mainzer Handelsstand mit der Ausarbeitung eines Verfassungsentwurfs betrauten. Parallel dazu hatte der gerade gegründete Konstitutionsklub, der Mainzer Jakobinerklub, der sich zunächst vorrangig aus Angehörigen der Mainzer radikalen Aufklärung zusammensetzte (den später sogenannten Präjakobinern), Initiativen ergriffen, um die Bevölkerung für einen eigenen Verfassungsentwurf zu mobilisieren. Nachdem sich der Mainzer Handelsstand mit seinem Votum für eine dualistische Ständeverfassung gegen Volkssouveränität und Republik entschieden hatte, ging der Mainzer Klub – an seiner Spitze der Mainzer Jakobiner und Professor der Mathematik Mathias Metternich (1747–1825) sowie der Mediziner Georg Wedekind (1761–1831), dann auch der Philosoph Andreas Joseph Hofmann (1752–1849) und der Naturforscher und Weltumsegler Georg Forster (1754–1794), vereint mit Mitgliedern des Custine’schen Generalstabs – nun seinerseits in der Verfassungsfrage in die Offensive. Für die erste Schwester-

3. Gironde versus Montagne

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republik Frankreichs (auf dem Boden des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation) wurde eine provisorische Regierung ernannt. Zwischen dem 17. und 23. Dezember 1792 stimmten 29 von 40 befragten Orten der neu gegründeten Mainzer Republik für die Annahme einer republikanischen Verfassung. Quelle Dekret des zu Mainz versammelten Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents vom 18. März 1793 Aus: http://www.landeshauptarchiv.de/fileadmin/blick/images/18.03.0.4.full.jpg, letzter Zugriff 1. August 2016

Der rheinisch-deutsche Nationalkonvent dekretiert: Art. 1 Der gesamte Strich Landes von Landau bis Bingen, welcher Deputierte zu diesem Konvent schickt, soll von jetzt an einen freyen, unabhängigen und unzertrennlichen Staat ausmachen, der gemeinschaftlichen, auf Freyheit und Gleichheit gegründeten Gesetzen gehorcht. Art. 2 Der einzige rechtmäßige Souverän dieses Staates, nämlich das freie Volk, erklärt durch die Stimme seiner Stellvertreter allen Zusammenhang mit dem deutschen Kaiser und Reiche für aufgehoben.

Doch bereits am 15. bzw. 17. Dezember 1792 entschied ein Dekret des französischen Nationalkonvents, den Mainzern ihr Selbstbestimmungsrecht abzuerkennen. Am 30. März 1793 wurden die Gebiete annektiert. Zur gleichen Zeit wurde das besetzte Gebiet von den preußischen Truppen überrannt, die französischen Truppen räumten die linksrheinische Region, Mainz wurde von den Preußen eingekesselt und kapitulierte nach langer Belagerung am 23. Juli 1793. Das Ende der Mainzer Republik und damit des Versuchs, das revolutionäre französische Gemeinwesen, die Republik, anderen Völkern auf den Spitzen der Bajonette zu überbringen, war damit gescheitert. Die Hinrichtung des Königs im Januar 1793 hatte der europäischen Koalition weitere Verbündete zugeführt: Frankreich befand sich ab 1793 nicht mehr nur im Krieg mit Preußen, Österreich und dem Königreich Piemont-Sardinien, sondern seit dem 1. Februar 1793 auch mit Großbritannien und den Niederlanden, ab dem 7. März 1793 mit Spanien und dem Königreich Neapel. Der Siegeszug der Revolutionsarmee, der 1792 zur Eroberung der österreichischen Niederlande (weite Teile des heutigen Belgien) und von Teilen des Rheinlandes (Gründung der Mainzer Republik) geführt hatte, kehrte sich nun ins Gegenteil um. Zwischen 1793 und 1794 verlor Frankreich seine Eroberungen in den südlichen Niederlanden und im Rheinland. Innenpolitisch löste die Hinrichtung des Königs konterrevolutionäre Aufstände aus, ab März 1793 zunächst in der Vendée, d.h. der südlichen Bretagne, in der nicht nur die revolutionäre Regierung in Paris, sondern vor allem die Zwangsrekrutierung von Soldaten strikt zurückgewiesen wurde. Führer der Vendéens oder Chouans, die statt der blau-weiß-roten eine weiße Kokarde als Symbol ihrer Königstreue trugen, waren unter anderen François-Athanase de

Erste Koalition

Vendée

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

Charette de la Contrie (1763–1796), aber auch einfache Jagdpächter wie Nicolas Stofflet (1751–1796). Auf die Vendée folgten Ende April 1793 konterrevolutionäre Aufstände in Marseille und Lyon. Stichwort

Charette de la Contrie François-Athanase de Charette de la Contrie (1763–1796) entstammte dem Landadel der Vendée. Er diente im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg unter Toussaint-Guillaume Picquet de la Motte (1720–1791). Nach Ausbruch der Revolution verließ de Charette Frankreich in Richtung Koblenz, kehrte aber nach Paris zurück und stand Ludwig XVI. und seiner Familie beim Sturm auf die Tuilerien am 10. August 1792 bei. Die ersten Zwangsrekrutierungen von Soldaten in der Vendée lösten bereits im Frühjahr 1793 Aufstände aus. In die Führungsriege der royalistischen Truppen der Vendée gelangte de Charette allerdings erst nach der ersten Niederschlagung des Aufstandes im Dezember 1793. Der Guerillakrieg, den die Aufständischen nach 1793 gegen die Truppen des Nationalkonvents führten, wurde im Februar 1795 beendet. Nachdem die Engländer den Vendéern ihre Unterstützung zugesagt hatten, brach Charette jedoch bereits fünf Monate nach Unterzeichnung des Vertrags von Jaunaye den Frieden mit der Revolutionsregierung. Die Direktoriumsregierung konnte de Charettes im Februar 1796 habhaft werden und ließ ihn am 29. Februar 1796 in Nantes hinrichten.

4. Die Terreur (Schreckensherrschaft) 1793 18. März

militärische Niederlage Frankreichs bei Neerwinden

3. April

alle Franzosen müssen nun die blau-weiß-rote Kokarde tragen

6. April

Gründung des Wohlfahrtsausschusses (Comité de Salut Public)

4. Mai

Erlass über das Kleine Maximum

29. Mai

Föderalisten übernehmen die Macht in Lyon

31. Mai–2. Juni

Journée der Pariser Sansculotten, zwingen den Nationalkonvent zur Verhaftung von 29 Girondisten

24. Juni

Verabschiedung der ersten republikanischen Verfassung Frankreichs, die jedoch nicht in Kraft tritt (Verfassung des Jahres I der Republik)

12.–21. Juli

Föderalisten übernehmen die Macht in Toulon

13. Juli

Charlotte Corday d’Armont ermordet Jean-Paul Marat

17. Juli

sämtliche noch bestehenden Feudalrechte werden abgeschafft

23. Juli

Mainz wird von den preußischen Truppen zurückerobert

27. Juli

Robespierre wird Mitglied des Wohlfahrtsausschusses

4. Die Terreur (Schreckensherrschaft)

1. August

Nationalkonvent beschließt Vernichtungskrieg gegen die Vendée

8. August

Belagerung von Lyon

27. August

Toulon kommt an England und Spanien

17. Sept.

Gesetz gegen die Verdächtigen (Loi sur les suspects)

29. Sept.

Einführung des Großen Maximums

5. Oktober

Einführung des Revolutionskalenders

10. Oktober

provisorische Regierung wird errichtet („bis zum Frieden revolutionär“)

16. Oktober

Hinrichtung Marie Antoinettes, Frankreich siegt über Koalition bei Wattignies

17. Oktober

erster Sieg über aufständische Vendée

30./31. Okt.

Hinrichtung von Girondisten

19. Dez.

Räumung Toulons durch England und Spanien, Ende des Krieges in der Vendée

25. Dez.

Einführung der allgemeinen Schulpflicht in Frankreich

1794 4. Februar

Abschaffung der Sklaverei in den französischen Kolonien

24. März

Hinrichtung der Hébertisten

5. April

Hinrichtung der Dantonisten/Indulgents

4. Juni

Robespierre wird Präsident des Nationalkonvents

8. Juni

Fest des Höchsten Wesens in Paris

10. Juni–27. Juli Grande Terreur 26. Juni

Sieg Frankreichs bei Fleurus

27. Juli

9. Thermidor: Staatsstreich und Sturz Robespierres und seiner engsten Anhänger

28. Juli

10. Thermidor: Hinrichtung Robespierres, Saint-Justs und anderer

Die Regierung in Paris und der Nationalkonvent reagierten auf die Aufstände in der Vendée und die föderalistischen Revolten in Südfrankreich mit der Errichtung eines speziellen Revolutionstribunals (10. März 1793), das konterrevolutionäre Verbrechen schnell aburteilen und die Delinquenten auf die Guillotine schicken sollte. Stichwort

Guillotine Joseph Ignace Guillotin (1738–1814) setzte sich als Abgeordneter der Assemblée constituante (verfassungsgebende Nationalversammlung) für eine Strafrechtsreform ein, die an die Stelle des Hängens (Diebe), des Vierteilens (Hochverräter), des Verbrennens (Ketzer) oder des Todes durch das Schwert (Adligen bei Kapitalver-

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie brechen vorbehalten) eine „humanere“ Vollstreckung des Todesurteils setzen sollte. Ein deutscher Mechaniker, T. Schmitt, und ein Doktor der Medizin, Antoine Louis, entwickelten eine Maschine, die spätere Guillotine, die gleichermaßen für alle zum Tode verurteilten Delinquenten unabhängig ihres Standes oder gesellschaftlichen Status angewendet werden sollte. Der „Gleichheitsgrundsatz“ der Revolution sollte auch bei Hinrichtungen von Straftätern angewendet werden. Während der Terreur wurden allein in Paris über 16.000 sogenannte Konterrevolutionäre mittels der Guillotine hingerichtet.

Wachsamkeitskomitees

In ganz Frankreich wurden sogenannte Wachsamkeitskomitees (Comités de surveillance) gegründet, die zum Zweck hatten, konterrevolutionäre Aktionen in Paris und der Provinz zu denunzieren und ihre Protagonisten zu verhaften und hinzurichten. Getragen von den Radikalen des Nationalkonvents, vor allem von Vertretern der Montagne, versuchte die Gironde, diese Radikalisierung zu verhindern, was ihr nicht gelang. Die Terreur der Montagnards geriet, wie dies Michel Vovelle formuliert hat, zum Versuch, der Angst vor konterrevolutionären Verschwörungen durch eine kontrollierte Angst zu begegnen; die Angst, die man allen Feinden der Revolution zur Abschreckung einflößen wollte. Gerüchte, Verschwörungsängste und daraus resultierende Aktionen von Führern der Revolution wie Saint-Just oder Robespierre, aber auch die der Massen gehörten immer wieder zu den dynamisierenden Faktoren der Radikalisierung der Revolution. Am 6. April 1793 wurde zunächst unter Leitung Georges-Jacques Dantons der Wohlfahrtsausschuss (Comité de salut public) aus dem Nationalkonvent heraus gebildet, der die Überwachung politischer Gegner und Zwangsmaßnahmen zur „Rettung der Revolution“ anordnen durfte. Stichwort

Wohlfahrtsausschuss Der Wohlfahrtsausschuss (Comité de salut public) wurde am 6. April 1793 eingerichtet und sollte ursprünglich der besseren Kommunikation zwischen Nationalkonvent und Ministern der Revolutionsregierung dienen. De facto übernahm der Wohlfahrtsausschuss die Regierungsgeschäfte und schaltete die Kompetenzen der regierenden Minister weitgehend aus. Nach dem Fall der Girondisten Anfang Juni 1793 bestand der Wohlfahrtsausschuss aus sechs Sektionen: Korrespondenzen, Außenpolitik, Krieg, Marine, Innenpolitik, Petitionen. Zu den prominentesten Mitgliedern des Wohlfahrtsausschusses zählen Georges Danton, Jacques Nicolas Billaud-Varenne (1756–1819), Jean Marie Collot d’Herbois, Georges Couthon, Maximilien Robespierre und Antoine de Saint-Just. Bis zum 27. Juli 1794, dem Tag des Sturzes Robespierres, führte der Wohlfahrtsausschuss sämtliche Regierungsgeschäfte.

Der Wohlfahrtsausschuss stellte nun die eigentliche Exekutive des revolutionären Frankreichs dar. Am 4. Mai 1793 wurde das Gesetz über das Kleine

4. Die Terreur (Schreckensherrschaft)

Maximum erlassen, ein erster Anlauf zur staatlichen Reglementierung von Preisen bzw. der gesamten Wirtschaft. Gegen diese staatliche Kontrolle, erste Anzeichen von Zwangsherrschaft und Diktatur, liefen Vertreter der Gironde Sturm: Maximin Isnard prägte den berühmten Satz, dass Paris im Falle eines erneuten Volksaufstandes und der weiteren Radikalisierung der Revolution dem Erdboden gleichgemacht werden würde. Die Pariser Sansculotten reagierten am 2. Juni 1793 mit eben diesem Volksaufstand. Vom Konvent wurde gefordert, 29 girondistische Abgeordnete der Wut des Volkes auszuliefern, diese aus dem Konvent auszuschließen und ihnen den Prozess zu machen. Die Montagne hatte gemeinsam mit den Pariser Sansculotten gesiegt. Doch inner- und außerhalb Frankreichs war dieser Sieg über die Konterrevolution bzw. die antifranzösische Koalition zunächst ein Pyrrhussieg. Nach dem Sturz der Gironde erhoben sich neben den Chouans der Vendée auch Lyon, Bordeaux, Marseille, Toulon und Toulouse, die Städte, aus denen ein Großteil der Girondisten stammte. Ebenso kam es zu konterrevolutionären Aufständen und einem Marsch auf Paris aus der Normandie. Der Widerstand formierte sich jedoch nicht nur in Gruppen. Charlotte Corday d’Armont, eine junge Adlige aus der Normandie, machte sich nach Paris auf, um am Vorabend zum 14. Juli 1793, dem vierten Jahrestags des Sturms auf die Bastille, den bei Adel und Bürgertum verhasstesten Vertreter der Montagne zu ermorden: Jean-Paul Marat. Jacques-Louis David hat den von Corday erdolchten Volkstribun in einem meisterhaften Gemälde 1793 festgehalten. Stichwort

Jacques Louis David Der in Paris geborene Historienmaler Jacques Louis David (1748–1825) war vor Ausbruch der Revolution als Hofmaler im Dienste König Ludwigs XVI. tätig. Er schuf bis 1789 vor allem Gemälde mit Motiven aus der griechischen und römischen Antike. 1784, nach einem längeren Aufenthalt in Rom, wurde er in die Académie royale de peinture et de sculpture aufgenommen. Die Revolution begrüßte

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Abb. 3 Der Tod des Marat von Jaques Louis David

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie David „mit offenen Armen“ und stellte seine Kunst ganz in deren Dienst. Ab 1792 war er Abgeordneter im französischen Nationalkonvent, wo er für die Hinrichtung des Königs stimmte. Zu seinen berühmtesten Gemälden aus der Revolutionszeit zählen der unvollendet gebliebene „Schwur im Ballhaus“ (heute im Louvre), der „Tod des Marat“ (1793, Königlich-Belgisches Kunstmuseum, Brüssel), die Sabinerinnen (1799, heute Louvre) und der Tod Le Peletiers de Saint-Fargeau. Die Stilisierung Marats zum Märtyrer der Revolution ist nicht zuletzt Davids Darstellung der Ermordung Marats im Bade zu verdanken. Robespierre nahe stehend, wurde David im Thermidor kurze Zeit ins Gefängnis geworfen. In napoleonischer Zeit entstanden dann Davids monumentale Darstellung der Krönung Napoleons I. und der Kaiserin Josefine in der Kathedrale Notre-Dame in Paris am 2. Dezember 1804 (heute Louvre) und weitere Darstellungen Napoleons. Nach dem Sturz Napoleons wurde Jacques-Louis David als Königsmörder von 1793 aus Frankreich verbannt und emigrierte nach Brüssel, wo seine letzten Werke entstanden, wie etwa der Zorn des Achilles (1819, heute Kimbell Art Museum, Fort Worth/Texas). David starb 1825 in Brüssel.

Gesetz gegen die Verdächtigen

Zum eigentlichen Motor der Revolution wurden nach den Ereignissen vom Juni 1793 die Sansculotten, die im Laufe des Herbstes 1793 gemeinsam mit der Montagne die Terreur (Schreckensherrschaft) durchsetzten: Die Loi sur les suspects (Gesetz gegen die Verdächtigen) erlaubte ab dem 17. September 1793 den Revolutionären, alle der Konterrevolution Verdächtigen zu überwachen, zu denunzieren und in Schnellverfahren zu verurteilen. Auf der heutigen Place de la Concorde (aber auch an anderen Plätzen in Paris) wurden mit dem Herbst 1793 Hinrichtungen mittels der Guillotine zum Dauerspektakel. Nicht nur Aristokraten, eidverweigernde Priester und sonstige „Konterrevolutionäre“ bestiegen das Schafott. Ab dem Herbst 1793 wandte sich die Terreur auch gegen Faktionen, die die Revolution bis 1793 mit gestützt hatten. Am 30. Oktober 1793 wurden Vertreter der Gironde hingerichtet, im März 1794 die Hébertisten, Anfang April 1794 die Dantonisten. Die Revolution begann, so der dem Girondisten Vergniaud zugeschriebene Ausspruch, „ihre Kinder zu fressen“. Quelle Gesetz gegen die Verdächtigen/Loi sur les suspects (17. September 1793) Aus: Behschnitt 1978:82f.

Artikel 1. Sofort nach Verkündung des vorliegenden Dekrets werden alle verdächtigen Personen, die sich auf dem Territorium der Republik aufhalten und noch in Freiheit befinden, in Haft genommen. Artikel 2. Als verdächtige Personen gelten: 1. alle, die sich durch ihr Verhalten oder ihre Beziehungen oder durch ihre mündlich oder schriftlich geäußerten Ansichten als Parteigänger der Tyrannen, des Föderalismus und Feinde der Freiheit zu erkennen gegeben haben; 2. alle, die sich nicht auf die durch das Gesetz vom 21. März dieses Jahres vorgeschriebene Weise über ihre Existenzmittel und die Erfüllung ihrer Bürgerpflichten ausweisen können; 3. alle, denen das Bürgerzeugnis verweigert worden ist; 4. die durch den Nationalkonvent oder seine Kommissare

4. Die Terreur (Schreckensherrschaft)

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von ihren Ämtern suspendierten oder abgesetzten und nicht wiedereingesetzten Staatsbeamten, insbesondere diejenigen, die kraft des Gesetzes vom 12. August dieses Jahres abgesetzt worden sind oder noch abgesetzt werden müssen; 5. alle diejenigen vormaligen Adligen, ob Männer, Frauen, Väter, Mütter, Söhne oder Töchter, Brüder oder Schwestern sowie Bevollmächtigten der Emigranten, die nicht dauernd ihre Verbundenheit mit der Revolution unter Beweis gestellt haben; 6. alle, die in dem Zeitraum zwischen dem 1. Juli 1789 und der Verkündung des Gesetzes vom 8. April 1792 emigriert sind, auch wenn sie in der durch dieses Gesetz gesetzten Frist oder auch früher nach Frankreich zurückgekehrt sind. Artikel 3. Die gemäß dem Gesetz vom 21. März dieses Jahres eingesetzten Überwachungsausschüsse bzw. die … an ihre Stelle getretenen Ausschüsse werden beauftragt, jeweils für ihren Amtsbereich eine Liste der verdächtigen Personen aufzustellen, Verhaftungsbefehle gegen sie auszustellen und ihre Papiere amtlich zu versiegeln. Die Militärkommandanten, denen die Verhaftungsbefehle ausgehändigt werden, sind, bei Strafe ihrer Absetzung, verpflichtet, sie auf der Stelle auszuführen. Artikel 4. Die Mitglieder des Ausschusses können die Verhaftung irgendeiner Person nur anordnen, wenn mindestens sieben von ihnen versammelt sind und der Beschluss mit absoluter Mehrheit der Stimmen gefasst wurde. Artikel 5. Die als verdächtig verhafteten Personen werden zunächst in das örtliche Untersuchungsgefängnis eingeliefert; in Ermangelung eines solchen werden sie in ihrer Wohnung unter Hausarrest gestellt. Artikel 6. Innerhalb der darauffolgenden 8 Tage werden die Verhafteten in die staatlichen Gebäude überführt, welche die Departementsverwaltungen sofort nach Erhalt des vorliegenden Dekrets zu bestimmen und für ihren Zweck herzurichten verpflichtet sind. … Artikel 9. Die Überwachungsausschüsse übersenden unverzüglich dem Allgemeinen Sicherheitsausschuss des Nationalkonvents eine Liste der von ihnen in Haft genommenen Personen, unter Angabe der Haftgründe und Beifügung der bei ihnen sichergestellten Papiere. Artikel 10. Die Zivil- und Kriminaltribunale können bei Personen, welche wegen Vergehen angeklagt sind, betreffs derer eine Anklage für unstatthaft erklärt worden ist, oder welche von der gegen sie erhobenen Anklage freigesprochen worden sind, eine Aufrechterhaltung der Haft aus Verdachtsgründen und die Einlieferung in die obengenannten Haftanstalten verfügen, falls dies erforderlich erscheint.

Zu den Maßnahmen der Terreur gehörte auch die Festsetzung der Preise und Löhne, die die Sansculotten am 29. September 1793 mit dem Allgemeinen Maximum durchsetzten. Für die wichtigsten Grundnahrungs- und Verbrauchsmittel wurden Höchstpreise benannt, Wucherer und Hamsterer konnten auf der Basis des Gesetzes mit dem Tode bestraft werden. Nach der Ausrufung der ersten Republik im September 1792 hatte der Nationalkonvent eine neue, republikanische Verfassung in Auftrag gegeben, die am 24. Juni 1793 verabschiedet, aber nicht in Kraft gesetzt wurde. Die Verfassung des Jahres I war die demokratischste Verfassung, die die Französische Revolution zwischen 1789 und 1799 hervorbringen sollte. Sie enthielt als Grundlage die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte vom 26. August 1789. In der Verfas-

Lohn- und Preismaximum

Verfassung des Jahres I

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III.

Représentants en mission

„Säuberungen“

Revolutionäre Zeitrechnung

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

sung enthalten waren darüber hinaus sowohl das Recht auf Eigentum („Es bedeutet, dass jeder seine Güter und seine Einkünfte, den Ertrag seiner Arbeit und seines Fleißes nach freiem Belieben besitzen und darüber verfügen kann.“) wie auch das Widerstandsrecht gegen eine tyrannische Herrschaft („Verletzt die Regierung die Rechte des Volkes, ist der Aufstand für das Volk und für jede Gruppe des Volkes die heiligste und unbedingte Verpflichtung.“). Sie sah zum ersten Mal ein allgemeines und gleiches Wahlrecht (für Männer über 21 Jahre) vor. In den französischen Kolonien wurde die Sklaverei am 4. Februar 1794 abgeschafft. In Kraft trat die Verfassung deshalb nicht, weil die Montagne erklärte, dass die Situation in und an den Grenzen Frankreichs es nicht erlaubte, freiheitlich-demokratische Gesetze umzusetzen, da diese von den Konterrevolutionären gegen Frankreichs Freiheit missbraucht werden könnten. Frankreich sollte bis zum Frieden innerhalb und außerhalb seiner Grenzen revolutionär sein. Erst wenn alle Gegner der Revolution vertrieben, verurteilt und/oder hingerichtet seien, sollte die Verfassung des Jahres I implementiert werden. Regiert wurde Frankreich in der Zeit der Terreur hauptsächlich durch den Wohlfahrtsausschuss, dem neben Robespierre, Saint-Just, Couthon, Carnot, Jeanbon Saint-André (1749–1813), Collot d’Herbois, Claude-Antoine PrieurDuvernois (1763–1832) und Jean-Nicolas Billaud-Varenne (1756–1819) angehörten. Die eigentliche Regierung hatte nur noch wenige Entscheidungskompetenzen. Zur Kontrolle bzw. Verhinderung konterrevolutionärer Aktivitäten in den Provinzen entsandte der Nationalkonvent vom Wohlfahrtsausschuss kontrollierte Agenten in die Departements, die Représentants en mission. Diese sollten vor Ort für die Einhaltung aller revolutionären Gesetze sorgen. Sie errichteten in einigen Départements spezielle Revolutionstribunale, die der Schnellverurteilung und Hinrichtung von sogenannten Konterrevolutionären dienten. In Paris kulminierte die Terreur am 10. Juni 1794 in der Ausrufung der Grande Terreur. Insgesamt wurden ca. 50.000 Menschen in Frankreich unter der Terreur hingerichtet, 0,2% der Gesamtbevölkerung. Zwischen Mai und Juni 1794 kam es nach grundlegenden Reformen und Säuberungen in der Armee zu entscheidenden Siegen der französischen Revolutionsarmee unter den Generälen Jean Charles Pichegru (1761–1804) und Jean-Baptiste Jourdan (1762–1833) bei Tournay (Hennegau) und bei Fleurus (östliche Niederlande). Bereits am 8. September 1793 hatte die französische Revolutionsarmee in Flandern bei Hondschoote (September 1793) und am 16. Oktober 1793 bei Wattignies gesiegt. Gegen die „Konterrevolution“ in Frankreich selbst gelang es den Revolutionären, die Vendéer am 12. Dezember 1793 bei Le Mans zu schlagen; am 19. Dezember wurde Toulon zurückerobert. Annähernd ein Viertel der Bevölkerung der Vendée wurde in diesem Bürgerkrieg getötet. Die Frage, ob die Französische Revolution eine Kulturrevolution war, wird vor allem im Kontext der Terreur immer wieder gestellt. Im Oktober

4. Die Terreur (Schreckensherrschaft)

1793 wurde nach einigen Anläufen definitiv der christliche (gregorianische) Kalender durch eine neue, revolutionäre Zeitrechung ersetzt. Der 22. September 1792 stellte nun den Beginn des Jahres I der Republik dar. Statt Wochen gab es Dekaden; ein Ruhe- bzw. Feiertag für die Nation war nur noch alle zehn Tage vorgesehen. Die nach römischen Göttern und Zahlen benannten Monate des Jahres wurden durch republikanische Monate ersetzt, die jeweils aus 30 Tagen bestanden und nach klimatischen Besonderheiten der Jahreszeiten benannt waren: Brumaire (Nebelmonat), Frimaire (Frostmonat), Thermidor (Hitzemonat). Die fehlenden fünf (bzw. in einem Schaltjahr sechs) Tage des Jahres wurden als Sansculottides an das Ende des Jahres angehängt. Aus dem 24. Dezember 1793 wurde beispielsweise der 4. Nivôse II. Der Revolutionskalender hatte bis Ende 1805 Bestand. Ebenso wurden statt der alten Maßeinheiten für Strecken, Gewichte und Volumen am 1. August 1793 nach dem Dezimalsystem orientierte Maße eingeführt, die zum Teil bis heute in Europa und in vielen anderen Teilen der Welt Bestand haben: Meter, Gramm, Liter etc. Auch sollten die Tage in jeweils zehn Stunden bestehend aus jeweils 100 Minuten eingeteilt werden. Letzteres setzte sich allerdings nicht durch. Zwischen 1793 und 1794 kam es in ganz Frankreich zu Wellen einer Dechristianisierung: Heiligenstatuen von Kirchen wurden zerstört, Kirchen geplündert und geschlossen, Priester – mittlerweile Beamte des französischen Staates – drangsaliert, gefangen genommen und ermordet. Die Dechristianisierung ging von Zentralfrankreich aus und erreichte im November 1793 auch Paris. Hier wurde am 10. November 1793 (20. Brumaire II) in der Kathedrale Notre Dame das Fest der Freiheit und Vernunft gefeiert. Getragen wurde die Dechristianisierungskampagne weniger von der Pariser Führung der Montagne, die darin einen Akt der Konterrevolution vermutete, als von radikalen Sansculotten in ganz Frankreich, die von einigen der Représentants en mission wie André Dumont im Département Somme oder Joseph Fouché in Nevers unterstützt wurden. An die Stelle des christlichen, d.h. in Frankreich nach wie vor katholischen Kultus, von den Dechristianisierern als Aberglaube bezeichnet, sollte der Kult der Vernunft, eine atheistische, revolutionäre Religion, treten. Stichwort

Joseph Fouché Joseph Fouché, Herzog von Otranto (1759–1820) war der Sohn eines Kapitäns der Handelsmarine. Seine Ausbildung erhielt er zunächst im Priesterseminar der Oratorier in Nantes. Nach Jahren als Professor der Logik und der Physik u.a. in Arras, wo er Maximilien Robespierre und dessen Familie kennenlernte, wurde Fouché 1790 Mitglied der Société des amis de la Constitution (Gesellschaft der Freunde der Verfassung). 1792 wurde er als Abgeordneter des Départements Loire-Atlantique in den Nationalkonvent in Paris gewählt, wo er für die Hinrichtung Ludwigs XVI.

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Dechristianisierung

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie stimmte. Als Kommissar des Konvents (Représentant en mission) wurde er zunächst in der südlichen Bretagne und Vendée tätig, dann auch in Zentralfrankreich und den östlichen Départements. Ab September 1793 wurde Fouché zu einem der radikalsten Vertreter der Dechristianisierung, vor allem im Département Nièvre. Im Oktober 1794 entsandte man Fouché gemeinsam mit Collot d’Herbois ins aufständische Lyon, wo eine Sonderkommission mehr als 2000 sogenannte Konterrevolutionäre zum Tode verurteilte. Ebenso wurden unter Fouché und Collot d’Herbois in Lyon Formen der Zwangswirtschaft inklusive einer Sondersteuer auf Vermögen der „Reichen“ eingeführt. Seine exzessive Praxis der „Schreckensherrschaft“, die Fouché an die Seite der Ultrarevolutionäre wie Jacques Hébert stellte, setzte ihn in Opposition zu Robespierre, der Fouché am 11. Juli 1794 der Verschwörung gegen die Revolution anklagte. Der Verhaftung und Hinrichtung entkommen, verbündete sich Fouché mit den Feinden Robespierres, trat aber bei dessen Verhaftung und Hinrichtung nicht offen in Erscheinung. Zur Zeit des Thermidors paktierte Fouché mit den Frühsozialisten bzw. Neojakobinern um Gracchus Babeuf, wofür er bis Ende Oktober 1795 ins Gefängnis geworfen wurde. Nach dem Staatsstreich vom 18. Fructidor (4. September 1797) wurde Fouché rehabilitiert und als Diplomat des Direktoriums nach Mailand und Den Haag entsandt. 1799 von den Direktoren Barras und Sieyès zum Polizeiminister ernannt, stellte sich Fouché im Brumaire, beim Staatsstreich Bonapartes, trotzdem auf dessen Seite. Unter Napoleon entwickelte Fouché ein effizientes Überwachungssystem, das die Militärdiktatur aufbauen und unterstützen half. Allerdings widersetzte sich Fouché 1802 dem lebenslangen Konsulat Bonapartes und wurde zur Demissionierung gezwungen. 1804, mit Beginn des Kaisertums, wurde Fouché als Polizeiminister zurückberufen und 1809 zum Herzog von Otranto ernannt. Geheimverhandlungen Fouchés mit der britischen Regierung führten zu seiner „Versetzung“ als Gouverneur von Rom. Nach der Restauration der Bourbonen 1814/15 gelang es Fouché zunächst, auch für die Monarchie als Polizeiminister tätig zu werden. Im September 1815 abgesetzt, wurde ihm ab Januar 1816 als „Königsmörder“ der Aufenthalt in Frankreich verboten. Seine letzten Lebensjahre verbrachte Fouché in Prag und Triest.

War nun die Dechristianisierung auf die Phase zwischen 1793 und 1794 beschränkt? Sicherlich nicht. Der Kritik am Ancien Régime am Vorabend der Revolution hatte bereits eine deutlich antiklerikale Stoßrichtung innegewohnt. Die Kritik orientierte sich an der Dekadenz und den Privilegien des Klerus und entzündete sich bereits zur Zeit der Aufklärung am Kultus bzw. am Ritus der Katholischen Kirche. Die Einführung der Zivilverfassung des Klerus 1790 hatte letztendlich auch ein antiklerikales und antirömisches Element enthalten. Trotzdem war die Dechristianisierungswelle des Winters 1793/94 qualitativ etwas Anderes. Die katholische Kirche sollte nun nicht mehr dem Staat einverleibt, sondern als Aberglauben, als Relikt aus „dunkler Vorzeit“ abgeschafft werden, so die radikalen Dechristianisierer. Wenn man im Kontext der Französischen Revolution von Dechristianisierung spricht, dann gab es einerseits eine allmähliche Dechristianisierung – oder besser einen lang sich hinziehenden Prozess der Säkularisierung und Laizisierung – und eine kurze radikale Phase, die des Winters 1793/94, die bereits ab dem Frühjahr 1794 wieder um-

4. Die Terreur (Schreckensherrschaft)

gekehrt wurde und dem langsamen Prozess der Laizisierung wieder Platz machte, wie Michel Vovelle deutlich gemacht hat. Maximilien Robespierre ging die Dechristianisierung zu weit. Sein Ziel war weitgehende Religionsfreiheit. Katholische Priester allein für ihren Glauben zu verfolgen, hielt er für einen Akt des Fanatismus. Dem Deismus der radikalen Aufklärung verpflichtet, entwarf Robespierre einen eigenen revolutionären Kult, den des „Höchsten Wesens“ (Être suprÞme). Am 8. Juni 1794 (20. Prairial II) feierte Frankreich das Fest des Höchsten Wesens. Der revolutionäre Kult, eine neue revolutionäre Religion, wurde jedoch nur von einer Minderheit der Franzosen angenommen. Die meisten verweigerten langfristig die Dechristianisierung ihres Alltags, feierten also weiterhin den Sonntag (und nicht die Dekadi des neuen revolutionären Kalenders), gingen in die Messe, ließen ihre Kinder taufen und heirateten nach katholischem und nicht nach republikanischem Ritus. Allerdings vermischten sich in manchen Départements katholischer und republikanischer Kultus. Neben der Madonna wurden auch Marat und Robespierre nach ihrer Ermordung bzw. Hinrichtung als Heilige verehrt. Ab dem Winter 1793 begann die Montagne verstärkt gegen die Opposition von „links“, die Volksbewegung, vorzugehen. Robespierre und seine Anhänger witterten konterrevolutionäre Verschwörungen nun auf allen Seiten. Im Frühjahr 1794 erfolgte die Gleichschaltung der Pariser Commune, ebenso wurden die Volksgesellschaften als Horte der Radikalen geschlossen. Einer der Wortführer der Bewegung der Sansculotten, Jacques Hébert, wurde im März 1794 des Hochverrats angeklagt und zusammen mit etlichen Anhängern hingerichtet. Auch die Indulgents, moderatere Vertreter der Montagne wie Georges Danton und Camille Desmoulins, gerieten Ende März/Anfang April 1794 ins Visier Robespierres und Saint-Justs. Die Indulgents wurden am 5. April 1794 als innermontagnardische Opposition „beseitigt“. Die Schläge nach rechts und links führten zu einer immer weiter verkleinerten Machtbasis der verbleibenden Führungsriege der Montagne. Ihre Politik wurde nur noch von wenigen Anhängern getragen. Gegen Robespierre, Saint-Just und Couthon formierte sich ab Juni 1794 eine Verschwörung aus verbliebenen Indulgents und Terroristen, unter ihnen Collot d’Herbois, Billaud-Varenne und Fouché, Letzterer allerdings nicht offiziell, die dem Regime der Robespierristen ein Ende zu bereiten suchten. Robespierre, der nach langer Abwesenheit am 8. Thermidor II (26. Juli 1794) die Verschwörer anklagte und zu entlarven versuchte, wurde einen Tag später zusammen mit Saint-Just und Couthon auf Geheiß der später sogenannten Thermidorianer verhaftet (9. Thermidor) und einen weiteren Tag später ohne Gerichtsverhandlung und -urteil öffentlich hingerichtet. Der Thermidormoment, d.h. das Ende der Radikalisierung der Revolution und die darauf folgende Verbreiterung der Machtbasis eines neuen Regimes, führte die Revolution in das von 1795 bis 1799 währende Direktorium.

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Kult des Höchsten Wesens

Hébertisten und Indulgents

Sturz Robespierres

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie Quelle Auszug eines Privatbriefes aus Basel, vom 2ten August 1794, abgedruckt in Vossische Zeitung, Berlin 1794, Nr. 96. Aus: Böhme-Kuby 1989: 352–353.

Schon lange war es höchst wahrscheinlich, dass Robespierre sich in der despotischen Gewalt, deren er sich zu bemächtigen gewußt hat, nicht erhalten könnte, und nunmehr ist er wirklich gestürzt. Der Moniteur vom 28sten Jul. enthält folgende sehr interessante Nachricht: „… In der Sitzung am 9ten (27sten Jul.) sind Robespierre der ältere, Robespierre der jüngere, und Lebas (einige nennen auch Couthon) in Verhaftstand gesetzt worden; ebenso Henriot, General-Kommandant der bewaffneten Macht in Paris, Dumas, Präsident des Revolutions-Tribunals, und der Generalstab der bewaffneten Macht.“ Wie man versichert, sind Privatbriefe in Hüningen mit der Nachricht, dass alle Arrestanten schon guillotiniert sind. Noch sagt das Gerücht: es sey auf die Verhaftnehmung Robespierre’ns und seiner Genossen eine schreckliche Insurrektion in Paris entstanden, und mehrere (vier bis fünf) Partheien mordeten jetzt einander. Wir erwarten nun mit Ungeduld die nächste Post; aber wenn ein solches Blutbad in Paris Statt findet, so ist zu fürchten, dass sie ausbleiben wird.

5. Die Reaktion im Thermidor 1794 31. Oktober

Gründung der École normale supérieure

12. Nov.

Schließung aller Jakobinerklubs in Frankreich

24. Dez.

Abschaffung des Maximums

1795 Januar

Eroberung der Niederlande durch Frankreich

17. Februar

Friedensvertrag zwischen Aufständischen der Vendée und Nationalkonvent

21. Februar

Beschluss zur Trennung von Staat und Kirche in Frankreich

1. April

Journée der Sansculotten in Paris, Besetzung des Nationalkonvents

5. April

Friede von Basel zwischen Frankreich und Preußen

16. Mai

Proklamation der Batavischen Republik in den Niederlanden

20.–23. Mai

erneuter Aufstand der Sansculotten von Paris für „Brot und die Verfassung von 1793“

31. Mai

Abschaffung des Revolutionstribunals

Mai/Juni

Terreur blanche : Massaker an Jakobinern, vor allem in der Provence

8. Juni

Tod Ludwigs (XVII.), des Sohns Ludwigs XVI. und Marie Antoinettes

23.–27. Juni Landung von Émigrés in Quiberon (Bretagne) mit Hilfe Englands, erneuter Bürgerkrieg in der Vendée 24. Juni

Deklaration von Verona

22. Juli

Frieden von Basel zwischen Frankreich und Spanien

5. Die Reaktion im Thermidor

91

Nach dem Sturz Robespierres, Saint-Justs und Couthons kam es innerhalb der Gruppe der Thermidorianer zunächst zu „Säuberungen“: Den „linken“ Verschwörern, Collot d’Herbois, Barère und Billaud-Varenne wurde im März 1795 der Prozess gemacht, dem die Deportation auf die „trockene Guillotine“, also nach Französisch-Guyana, folgte. Im Laufe des Jahres 1794 und mit Beginn des Jahres 1795 wurden nach und nach die Instrumente der „Jakobinerdiktatur“ beseitigt, d.h. im August 1794 die Ausschüsse der Revolutionsregierung aufgelöst und durch 16 neue Komitees ersetzt, am 12. November 1794 der Jakobinerklub in Paris geschlossen, am 8. Dezember 1794 die noch lebenden, im Juni 1793 vom Konvent ausgeschlossenen Girondisten wieder in den Nationalkonvent aufgenommen und am 24. Dezember 1794 das Maximum aufgehoben. Quelle Brief aus Paris vom 17. September 1794, abgedruckt in Vossische Zeitung, Berlin 1794, Nr. 128. Aus: Böhme-Kuby 1989: 365–366.

Man fängt allgemein an einzusehen, dass die Nation, wenn alles auf dem bisherigen Fuße bliebe, nothwendig in Barbarei und gänzliches Elend versinken müsste. Daher ist im National-Konvent dieser Tage dekretiert worden, dass die Mitglieder der Versammlung und der Volksgesellschaften so bald als möglich Mittel vorschlagen sollen, Handel, Ackerbau, Künste und Wissenschaften, welche bisher durch die Stürme der Revolution und gleichsam durch den Vandalismus vernichtet worden, wieder in Aufnahme zu bringen. Bourdon de l’Oise äußerte sich bei dieser Gelegenheit: „… Die revolutionären Maaßregeln müssten nun ein Ende nehmen, und es sey Zeit, das System der Oekonomie und einer guten Staatsverfassung wieder zu befolgen.“ Weil man die Richtigkeit dieser Behauptungen anerkennt, fand auch der Vorschlag, die Nationaldomainen itzt gleich zu vertheilen, lebhaften Widerstand. Lozeau sagte: ein solches Projekt würde den Verlust des öffentlichen Credits, einen National-Bankerott, und die Unmöglichkeit den Krieg so lange zu führen, bis die Republik von den alliirten Mächten anerkannt sey, zur Folge haben. Es sey unmöglich, behauptete er ferner, dass der größere Theil einer aus 24 Millionen Menschen bestehenden Nation Eigenthum erhalten könne. Die Theilung der großen Domainen sey allerdings wünschenswerth; aber sie müsse dem öffentlichen Wohl untergeordnet seyn ….

Ruhe kehrte in Frankreich trotzdem nicht ein. Im Winter 1794/95 kam es abermals zu einer Hungerkrise, ausgelöst durch Missernten und Preisspekulationen. Radikale Teile der französischen Bevölkerung erhoben sich am 1. April und 20. Mai 1795 erneut gegen die Regierung. Geführt wurde der Aufstand durch den ehemaligen Représentant en mission, Joseph Fouché. Unter seiner Führung umstellten die Sansculotten von Paris den Versammlungsraum des Nationalkonvents. Der Aufstand scheiterte. Fouché wurde zusammen mit anderen Aufständischen verhaftet und bis Oktober 1795 inhaftiert. Der Nationalkonvent war weder bereit, die Politik der Preis- und Lohnfestsetzung der Montagne fortzusetzen, noch, wie die Aufständischen dies forderten, die Verfas-

Aufstand vom 20. Mai 1795

92

III.

Landung in Quiberon

Marais

Außenpolitik nach 1794

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

sung von 1793 in Kraft treten zu lassen. Stattdessen wurden die Hochburgen der Volksbewegung in Paris (u.a. Faubourg Saint-Antoine) und in der Provinz entwaffnet. Die Revolution mündete in eine Phase der Reaktion. Vor allem in den südlichen Départements bzw. Regionen Frankreichs – in der Provence und Lyon – kam es zu Massenhinrichtungen von Jakobinern durch die reaktionären Vertreter der Terreur blanche („weißer Terror“), den Compagnons de Jésus und den Compagnons du Soleil, und zu Massakern an in Lyon und Marseille inhaftierten Jakobinern. In dieser Phase der Revolution, bei der das politische Pendel von extrem links nach extrem rechts ausschlug, versuchten auch einige der Émigrés nach Frankreich zurückzukehren. Im Juni 1795 landeten Emigranten in Quiberon und lösten in der Vendée und in der Bretagne erneut bürgerkriegsähnliche Zustände aus. Im Thermidorkonvent hatten nach der Hinrichtung der Robespierristen die Abgeordneten der politischen Mitte, des Zentrums (la plaine oder pejorativ le marais) das Ruder übernommen. Rechts von ihnen formierten sich die Royalisten, links die (Neo-)Jakobiner. Zu den wichtigsten Führern des Thermidors gehörten auch ehemalige Vertreter der Terreur wie Paul François Jean Nicolas, Vicomte de Barras (1755–1829), und Stanislas Louis Marie Fréron (1754–1802), aber auch moderatere Republikaner wie Paul François Antoine Boissy d’Anglas (1756–1826), Pierre Claude François Daunou (1761–1840) und der Abbé Sieyès. Nach den Siegen der französischen Armee bei Fleurus (26. Juni 1794) hatte sich erneut eine Wende in der französischen Außenpolitik abgezeichnet. Mit dem Konventsdekret vom 6. Januar 1795 setzte Frankreich wieder auf Expansion und die Befestigung seiner „natürlichen“ Grenzen. 1794/95 besetzte Jourdan trotz einiger Rückschläge erneut das linke Rheinufer (ausschließlich Mainz, das erst 1797 eingenommen wurde) und Pichegru die Niederlande. Am 5. April 1795 wurden in Basel Friedensverträge zwischen Preußen und Frankreich, am 22. Juli 1795 zwischen Spanien und Frankreich geschlossen. In den Niederlanden wurde bereits am 16. Mai 1795 die Batavische Republik gegründet, nach dem Vorbild der französischen Republik. Quelle Friede von Basel, 5. April 1795 Aus: Demel/Puschner 1995: 28f.

Art. 1 Es soll Friede, Freundschaft und gutes Einverständniß seyn zwischen der fränkischen Republik und dem Könige von Preussen, sowohl als solchem, als in seiner Eigenschaft eines Kurfürsten von Brandenburg und MitStandes des teutschen Reiches. Art. 2 Dem zu Folge sollen alle Feindseligkeiten zwischen den beiden contrahierenden Mächten, von der Genehmigung des gegenwärtigen Vertrags an, aufhören, und keine von beiden soll, von dem gleichen Zeitpunkt an gerechnet, gegen

5. Die Reaktion im Thermidor

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die andre, in welcher Eigenschaft und unter welchem Namen es auch sey, einige Hilfe oder Contingent, es sey an Mannschaft, Pferden, Lebensmitteln, Geld, KriegsMunition, oder sonst etwas leisten. … Art. 4 Die Truppen der fränkischen [französischen] Republik werden, innerhalb vierzehn Tagen nach der Ratification des gegenwärtigen Vertrags, den Theil der Preussischen Staaten, welchen sie auf dem rechten Ufer des Rheins besezt haben könnten, räumen. Die Contributionen, alle Arten von Lieferungen und KriegsLeistungen, sollen innerhalb 14 Tagen, nach der Unterzeichnung dieses Vertrages, aufhören …. Art. 5 Die Truppen der fränkischen Republik werden den Theil der Staates des Königs von Preussen, der am linken Ufer des Rheins liegt, noch ferner besezt halten. Alle endliche Uibereinkunft im Betref dieser Länder soll bis zur allgemeinen FriedensVerhandlung zwischen Frankreich und dem teutschen Reiche ausgesezt bleiben.

Da der Großteil der Thermidorianer die Verfassung des Jahres I als zu demokratisch ablehnte, beauftragte der Thermidorkonvent eine Kommission von elf Parlamentariern mit der Ausarbeitung einer neuen Verfassung, der sogenannten Direktorialverfassung. Im August 1795 wurde eine neue Verfassung vorgelegt, die des Jahres III, die etliche demokratische Elemente der nie in Kraft gesetzten Verfassung von 1793 eliminierte. Diese Verfassung orientierte sich an den Interessen der liberalen und moderaten gehobenen Bourgeoisie. Sie beinhaltete kein allgemeines Wahlrecht für Männer ab 21 Jahren. Eine neue Legislative wurde geschaffen, die sich am antiken römischen und am US-amerikanischen Vorbild orientierte. Sie bestand aus einem Rat der Fünfhundert und einem Rat der Alten (Senat), der 250 Mitglieder zählte und der die vom Rat der Fünfhundert ausgearbeiteten Gesetze anzunehmen, zur Überarbeitung an den Rat der Fünfhundert zurückzugeben oder Gesetze abzulehnen hatte. Jedes Jahr sollte ein Drittel dieser beiden Kammern durch Wahlen neu bestimmt werden. Als Exekutive, also als Regierung Frankreichs, wurde ein Direktorium von fünf Männern geschaffen. Jedes Jahr wurde ein Mitglied des Direktoriums neu gewählt. Dafür wurden zehn Männer vom Rat der Fünfhundert auf der Basis geheimer Wahlen vorgeschlagen, von denen der Rat der Alten einen für das Direktorium bestimmte. Direktoren konnten erst nach Ablauf von fünf Jahren außerhalb ihrer Amtszeit erneut in das Direktorium gewählt werden. Aus der Mitte des Direktoriums wurde alle drei Monate ein neuer Präsident bestimmt. Nach diesem Direktorium benennt sich die Zeit zwischen 1795 und 1799 in Frankreich als Direktorialzeit. Auch in der Direktorialverfassung waren die drei Gewalten nicht klar voneinander getrennt, da beispielsweise die beiden Räte neben dem Direktorium Kompetenzen in der Außenpolitik hatten.

Direktorialverfassung

Rat der 500/ Rat der Alten

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III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie Quelle Aus Paris vom 26. Oktober 1795, abgedruckt in Vossische Zeitung, Berlin 1795, Nr. 135. Aus: Böhme-Kuby 1989: 381.

Heute Mittag hört der Konvent und mit demselben die Revolution auf. Nachmittag erfolgt die Einrichtung des Raths der Alten. Sobald man damit fertig ist, schlägt der Rath der 500 dem Rath der Alten die Kandidaten zum Vollziehungs-Direktorium vor, und dieser ernennt die 5 Direktoren. Jedermann scheint zu wünschen, dass schon alles beendigt und zugleich die konstitutionelle Regierung in Gang gebracht seyn möchte.

Gesetz der zwei Drittel

13. Vendémiaire IV

Kontinuität mit der bisherigen Revolution wurde dadurch hergestellt, dass jeweils zwei Drittel des neuen Rats der Fünfhundert bzw. des Rats der Alten automatisch durch Mitglieder des Thermidorkonvents besetzt werden sollten, d.h. nur 250 Mitglieder neu gewählt würden. Dieses Dekret der zwei Drittel wurde am 5. Fructidor III (22. August 1795) ebenso wie die neue Verfassung vom Thermidorkonvent angenommen und am 23. September 1795 durch Plebiszit bestätigt. Hintergrund dieses staatsstreichähnlichen Elements war die Angst der Thermidorianer vor den Royalisten, die 1795 eventuell mehrheitlich in den Rat der Fünfhundert bzw. den Senat gewählt worden wären, dann die Republik abgeschafft und die Revolution beendet hätten. Die Royalisten reagierten am Staatsstreich vom 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) mit einem Aufstand, der von den bürgerlichen Vierteln von Paris getragen wurde. Unter der Führung von Barras gelang es dem Konvent, den Aufstand mit Hilfe des Generals Napoléon Bonaparte niederzuschlagen. Am 31. Oktober 1795 wurde das erste Direktorium als neue Regierung Frankreichs gewählt. Die Zeit des Direktoriums begann damit mit einem Aufstand der Royalisten und einem Staatsstreich der Legislative. Quelle Aus Paris vom 12. Juni 1795, abgedruckt in Vossische Zeitung, Berlin 1795, Nr. 77. Aus: Böhme-Kuby 1989: 375f.

Das Absterben des Sohnes Ludwigs XVI. hat zu einer Menge seltsamer Gerüchte Anlass gegeben. Einige halten diesen Todesfall für eine Erdichtung und fügen hinzu, dass sich der angebliche Todte schon seit langer Zeit nicht mehr im Tempel befunden habe; andere sagen, der Prinz sei schon vor einem Jahre durch Gift getödtet worden, ja einige Übelgesinnte gehen sogar so weit, das Gehässige jenes Vorgehens auf die jetzige Regierung zu werfen. Um diese Gerücht zu widerlegen und den nachtheiligen Folgen vorzubeugen, ist in dem gestrigen Messager du Soir folgendes eingerückt worden. „Der wirkliche erfolgte und natürliche Tod eines Kindes, welches man nicht als gewöhnliches Kind ansehen kann, weil es nicht wie der Sohn eines Sanscülotten frei in den Straßen umherlaufen konnte, sondern Tag und Nacht von einer ansehnlichen bewaffneten Macht bewacht wurde, musste, wir wollen nicht sagen zur Ehre des Konvents, sondern zur Erhaltung der öffentlichen

6. Das Direktorium Ruhe und zur Beschämung der Uebelgesinnten durch die Eröfnung des Leichnames feierlich erwiesen werden. Der Konvent darf keinesfalls den Argwohn aufgeklärter Bürger fürchten; allein die Uebelgesinnten sind rastlos beschäftigt, die Schwachen auf Irrwege zu leiten, und diese bedürfen einer Aufklärung.“ Zu der Eröfnung des Leichnames, die gestern Abend erfolgte, hatte der Wohlfahrtsausschuss den Toskanischen Gesandten Grafen von Carletti ersuchen lassen, seinem Sekretär aufzutragen, bei derselben zugegen zu sein. Gestern wurde die Leiche auf dem St. Margarethen-Kirchhofe beigesetzt. Die Schwester des Verstorbenen, die sich noch immer im Tempel befindet, und daselbst von 50 Mann bewacht wird, ist seit einiger Zeit kränklich.

Bereits vor der Errichtung des ersten Direktoriums hatten die Thermidorianer in der Zeit der Jakobinerdiktatur entworfene politische und kulturelle Reformen umgesetzt. Mit der Einrichtung der École Normale Supérieure am 30. Oktober 1794 wurde jenseits der traditionellen Universitäten wie der Sorbonne in Paris oder in Toulouse oder Montpellier die erste der später sogenannten Grandes Écoles geschaffen, Kaderschmieden für die Eliten der Nation. Am 21. Februar 1795 erließen die Thermidorianer ein Gesetz zur Trennung von Staat und Kirche, worin sie der Verfassung der Vereinigten Staaten von Amerika von 1789 folgten. Quelle Artikel der Verfassung des Jahres III zu Kirchenfragen, 22. August 1795 (5. Fructidor des Jahres III). Aus: Lautemann 1981: 463.

Art. 354: Niemand darf daran gehindert werden, den Kult auszuüben, den er gewählt hat, wenn er sich in den Grenzen der Gesetze hält. Niemand kann gezwungen werden, Ausgaben für einen anderen Kult zu leisten. Die Republik zahlt für keinen Kult.

6. Das Direktorium 6.1 Innenpolitik 1795 22. August

Verabschiedung der Verfassung des Jahres III durch den Konvent, Dekret der zwei Drittel

5. Oktober

royalistischer Aufstand in Paris, Niederschlagung durch Napoleon Bonaparte

26. Oktober

Auflösung des Nationalkonvents, Inkrafttreten der Direktorialverfassung

26. Oktober

„Place de la Révolution“ wird zur „Place de la Concorde“

31. Oktober

Wahl des ersten Direktoriums

16. Nov.

Gründung des jakobinisch-babouvistischen Club du Panthéon

95

96

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

1796 19. Februar

Abschaffung der Assignatenwährung, wird durch die Territorialmandate ersetzt

28. Februar

Schließung des Club du Panthéon durch das Direktorium

10. Mai

Aufdeckung der Verschwörung der Gleichen, Verhaftung Babeufs und seiner Anhänger

1797 4. Februar

Ende der Territorialmandate

27. Mai

Hinrichtung Babeufs

4. Sept.

18. Fructidor: antiroyalistischer Staatsstreich

1798 11. Mai

Staatsstreich vom 22. Floréal

5. Sept.

Einführung der allgemeinen Wehrpflicht

1799

Direktoren

Club du Panthéon

März/April

Wahlen zum Corps législatif

18. Juni

30. Prairial VII: Staatsstreich des Rats der 500 gegen das Direktorium

28. Juni

Zwangsanleihe auf das Vermögen der Reichen

9./10. Nov.

18. Brumaire: Staatsstreich Bonapartes; Auflösung der Direktorialverfassung

Die Verfassung des Jahres III war zwar weniger demokratisch als die nie in Kraft gesetzte Verfassung des Jahres I der Republik. Trotzdem erlaubte ihr Zensuswahlrecht weit mehr männlichen Franzosen den Zugang zu den Wahlurnen als die konstitutionelle Verfassung von 1791. Die Direktorialverfassung enthielt eine Déclaration des droits et devoirs de l’homme et du citoyen (Erklärung der Rechte und Pflichten der Menschen und Bürger), die der Verfassung als Präambel vorgeschaltet war. Diese entsprach den Menschen- und Bürgerrechten, wie sie auch der Verfassung von 1793 vorangestellt worden war. Allerdings fehlte ihr der Hinweis auf die sozialen Rechte des Staatsbürgers. Die Sklaverei blieb indes abgeschafft. Zu den neu eingeführten devoirs, d.h. Pflichten des männlichen französischen Staatsbürgers, gehörten die folgenden: „Der gute Staatsbürger ist ein guter Sohn, ein guter Vater, ein guter Bruder, ein guter Freund und ein guter Ehemann“, eine Verpflichtung auf traditionelle familiäre Rollen und Werte. Die ersten fünf Direktoren waren Jean-François Reubell (1747–1807), Barras, Louis Marie de La Révellière-Lépeaux (1753–1824), Carnot und Louis François Honoré Letourneur (1751–1817), alles Mitglieder der gemäßigten Plaine, aber durchweg Republikaner, keine Royalisten. Ihren Sitz bekamen die Direktoren im Palais du Luxembourg. Auch wenn die Volksbewegung, die revolutionäre Kraft der Straße bzw. der Pariser Sansculotten, mit dem Thermidor scheinbar zu Ende gegangen war

6. Das Direktorium

und mit der Abschaffung des Maximums die staatliche Regulierung von Preisen und Löhnen beendet wurde, so waren sozialrevolutionäre bzw. frühsozialistische Experimente mit dem Jahr 1794 doch nicht erledigt. Am 16. November 1795 öffnete der Club du Panthéon seine Pforten, der neojakobinische und sansculottische Ziele auf seine Fahnen geschrieben hatte und unter der Führung von Gracchus Babeuf (eigentlich François Noël, 1760–1797) nicht nur die Umsetzung der Verfassung von 1793, sondern die Etablierung weitgehender sozialer und ökonomischer Gleichheit umzusetzen suchte. Der Klub wurde am 2. März 1796 von Bonaparte geschlossen. Trotzdem bildete sich am 30. März 1796 ein Komitee bestehend u.a. aus Gracchus Babeuf und Filippo Michele Buonarroti (1761–1837), das nichts weniger als eine erneute Revolution und die Errichtung einer agrarkommunistischen Gesellschaft zum Ziel hatte: die Abschaffung von Privateigentum, die gleiche Verteilung aller Produkte unter den Bürgern Frankreichs und die Etablierung größtmöglicher Demokratie – eine revolutionäre Sozialutopie, die nicht zuletzt Anleihen bei Thomas Morus’ Utopia, aber auch bei den antiken Agrarreformen der Brüder Gracchus (Rom, 2. Jh. v. Chr.) machte. Stichwort

Babeuf François Noël Babeuf (nannte sich selbst Gracchus Babeuf) (1760–1797) war der Sohn eines Steuerbeamten. Ab 1784 arbeitete Babeuf als Grundbuchverwalter in Roye (Picardie), wo er mit den wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen der französischen Bauernschaft in intensiven Kontakt trat. Erste Reformvorschläge zur Besserung der Lage der Bauern entstanden bereits vor Ausbruch der Revolution. 1790 publizierte Babeuf seinen Cadastre perpétuel, in dem er ein kollektivistisches Wirtschaftsmodell und eine Steuerreform entwarf. Babeuf gehörte zu den frühesten Republikanern der Revolutionszeit. 1792 wurde Babeuf in die Verwaltung des Département Somme gewählt, geriet jedoch sehr schnell in Konflikt mit Gesetz und Kollegen, da er bei der Verteilung der Nationalgüter immer wieder kleine Bauern bevorzugte. Verhaftung und Gefängnis entzog sich Babeuf durch die Flucht nach Paris, wo ihm Sylvain Maréchal (1750–1803) eine Stelle in der für die allgemeine Versorgung von Paris zuständigen Behörde (Commission des subsistances de la ville de Paris) verschaffte. Trotzdem entging Babeuf nicht der Verhaftung und dem Gefängnis. 1794 freigelassen, gab er ab Juli 1794 die Zeitung Le Défenseur de la liberté de la presse (später unter dem Titel Le Tribun du peuple erscheinend) heraus. In seiner Funktion als Journalist nahm Babeuf zum ersten Mal öffentlich den Namen Gracchus Babeuf an, in Anlehnung an die von Gaius und Tiberius Gracchus im 2. Jahrhundert vor Christi Geburt intendierte Agrarreform zugunsten der Bauernschaft. Nach dem Sturz Robespierres erneut inhaftiert, lernte Babeuf im Gefängnis den italienischen Adligen Filippo Buonarotti (1761–1837) kennen. Aus dem Gefängnis entlassen, begannen beide gemeinsam mit weiteren Mitgliedern des Club du Panthéon die Verschwörung der Gleichen für den März 1796 vorzubereiten, die, wie das „Manifest der Gleichen“ deutlich macht, den Sturz des Direktoriums, die Auflösung der beiden Räte und die Errichtung einer agrarkommunistischen Gesellschaft zum Ziel hatte. Nach der Schließung des Pantheonklubs am 27.

97

98

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie Februar 1796 kam es am 9. und 10. Mai 1796 zur Verhaftung seiner Mitglieder. 65 Verschwörer wurden im Mai des Hochverrats angeklagt, Babeuf und Augustin Alexandre Darthé (1769–1797) 1797 zum Tode verurteilt. Nach Verkündigung des Urteils erdolchten sich beide vor den Richtern, wurden aber dennoch posthum auf der Guillotine hingerichtet.

Stichwort

Filippo Michele Buonarroti Filippo Michele Buonarotti (1761–1837) entstammte dem florentinischen Adel, musste das Land aber aufgrund seiner Sympathien für die Französische Revolution verlassen. 1792 wurde er vom französischen Nationalkonvent naturalisiert und in zahlreichen Missionen zur Gewinnung von Anhängern für die Revolution im italienischsprachigen Korsika und Sardinien eingesetzt. Während des Thermidors in Gefangenschaft geraten, wo er Babeuf kennenlernte, engagierte sich Buonarotti 1796 im Pantheonklub und der Verschwörung der Gleichen. Im Prozess gegen die Babouvisten wurde er zur Deportation verurteilt, verbüßte seine Strafe jedoch in einem französischen Gefängnis. Seine Histoire de la conspiration pour l’égalité, dite de Babeuf (1828) sollte sich als wichtiges Manifest für die Entwicklung frühsozialistischer Theorien und revolutionärer Praktiken (beispielsweise in der Julirevolution von 1830) in Frankreich erweisen.

Verschwörung der Gleichen

Die Verschwörung der Gleichen wurde allerdings bereits am 10. Mai 1796 aufgedeckt, Babeuf und seine Mitverschwörer gefangen gesetzt, angeklagt und Babeuf 1797 zum Tode verurteilt. Auch die Unterstützung der Verschwörung der Gleichen durch Soldaten im Lager von Grenelle schlug fehl. Eine Rückkehr zu früh- oder protosozialistischer Politik, wie sie zeitweise 1793 und 1794 auf Druck der Sansculotten bzw. der Commune von Paris realisiert worden war, konnte durch das Direktorium verhindert werden. Quelle Babeuf über das Eigentum, 24. März 1796 (4. Germinal des Jahres IV). Abgedruckt in einem Artikel der Zeitung Journal des hommes libres. Aus: Lautemann 1981: 459–460.

Anscheinend kann man, wie du sagst, die wirkliche Abschaffung des Eigentums und die Herstellung von Gütergleichheit nur mittels Raub und Bürgerkrieg erreichen. … Ich sage es noch einmal, ich bin überzeugt, dass es nur dieses Festen Glaubens bedarf, um eine Garantie für die Möglichkeit zu schaffen, und ich sehe nicht, dass es außerordentlicher Tugenden bedürfe, um eine Ordnung der Dinge anzuerkennen, die als einzige ausgewiesen ist, in der man das bessere Dasein, das nonplusultra des Glücks findet. Es bedarf für so etwas nur der Selbstliebe, der Liebe zur eigenen Ruhe, zu dauerhafter und ungestörter Behaglichkeit in jeder Hinsicht; man braucht nur die größte mögliche Summe von persönlichen Genüssen zu lie-

6. Das Direktorium ben; und diese Tugend, – die Natur hat sie mit der größten Sorgfalt in das Herz der Menschen eingepflanzt. Das ist, weil sie mit äußerster Zähigkeit daran festhält, dass blinde Leidenschaft auf einen falschen Weg geführt hat, so dass die Eigenliebe jeden dazu gebracht hat zu arbeiten, um maßlos sein Haben zu vermehren; man hätte glauben können, dass dies das einzige Mittel sei, die größte Zahl von Menschen zu einem glücklichen Zustand zu bringen. Zeigt, dass dies ein Irrtum ist, überzeugt jeden, dass es einen anderen Weg gibt, auf dem die Mehrheit den Gipfel des Glücks erreicht; ihr werdet sehen, dass die Masse, ohne eine andere Tugend als die Eigenliebe nötig zu haben, sich nicht lange bitten läßt, euer Mittel anzunehmen.

Zwischen 1795 und 1797 schien, abgesehen von der babouvistischen Verschwörung, Ruhe in das politische System Frankreichs eingekehrt zu sein. Man leitete wirtschaftspolitische Maßnahmen zur Stützung der Direktorialregierung ein. Am 19. Februar 1796 wurden die Revolutionsassignaten abgeschafft und durch die Territorialmandate ersetzt. Diese wurden jedoch weniger als ein Jahr später in einer erneuten Währungsreform abgeschafft, auf die die Einführung des Francs folgte. Stichwort

Revolutionsassignaten Als Assignaten wird das 1790 offiziell eingeführte Papiergeld der Revolutionszeit bezeichnet. Nachdem im Dezember 1789 die Kirchengüter verstaatlicht worden waren, gab die Regierung ihren Gläubigern Assignaten als zunächst verzinste Staatsanleihpapiere aus. Assignaten konnten gegen Landbesitz getauscht werden, kamen aber neben der Livre zunehmend auch als Zahlungsmittel in Umlauf. Im Laufe des Jahres 1790 wurden in immer kürzeren Abständen immer mehr Assignaten von der Regierung in Umlauf gebracht und damit die Geldmenge im Land radikal erhöht, was eine Inflation in Gang setzte und den Kurs der Assignaten (im Verhältnis zur Livre) einer Zwangsregulierung durch die Regierung unterwarf. Im Februar 1793 hatten die Assignaten nur noch 50% ihres ursprünglichen Wertes. Viele Kaufleute und Großgrundbesitzer weigerten sich zunehmend, Assignaten als Zahlungsmittel anzunehmen. Um Bevölkerung und Armee durch Aufkäufe von Lebensmitteln ernähren zu können, erließ die Revolutionsregierung ein Preismaximum. Bis 1795 sank der Wert der Assignaten weiter, so dass sich das Direktorium im Februar 1796 entschloss, die Assignaten gegen die Territorialmandate auszutauschen, eine Maßnahme, die die Inflation nicht verhindern konnte. Bereits im Februar 1797 wurden die Mandate wieder abgeschafft, das Direktorium kehrte zum Metallgeld zurück und begann den Franc an die Stelle der alten Livre zu setzen.

Auch die Royalisten schienen zunächst weitgehend ausgeschaltet worden zu sein. Die letzte der großen Pariser journées vom 13. Vendémiaire IV (5. Oktober 1795) führte zunächst zu einer Unterdrückung des antirevolutionären, d.h. des royalistischen Lagers. Doch die royalistische Faktion erholte sich schnell von diesem ersten Staatsstreich der Direktorialzeit.

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100

III. Neojakobinische Presse

Staatsstreich vom 18. Fructidor V

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

Die Presse spielte nicht nur in den ersten Jahren der Revolution eine große Rolle im politischen Machtkampf zwischen Royalisten, Plaine und (Neo-)Jakobinern. 1797 intensivierte sich die Furcht der Direktoren vor der wachsenden royalistischen Opposition, die vor allem mit Hilfe rechtsgerichteter Zeitungen im Kontext der Ergänzungswahlen im Frühjahr 1797 ihren Einfluss auf die Mehrheiten in Frankreich auszuüben suchten. Das Kalkül der Royalisten ging auf. Der rechte, also royalistische Flügel gewann im Frühjahr 1797 an Dominanz. Die sich verhärtenden politischen Fronten wurden durch eine Allianz zwischen drei der fünf Direktoren, Barras, Reubell und La Révellière, mit General Charles Pierre François Augereau (1757–1816) gelöst. Mit Hilfe des Militärs wurden der royalistischen Kreisen nahestehende Direktor Balthazard François Marquis de Barthélémy (1747–1830) und royalistische Abgeordnete aus den beiden Räten entfernt, wegen Hochverrats angeklagt und nach Französisch-Guyana deportiert. Dem fünften Direktor, Carnot, der sich gegen den antiroyalistischen Staatsstreich mit Hilfe des Militärs ausgesprochen hatte, gelang die Flucht. Der Coup d’État vom 18. Fructidor V (4. September 1797) setzte dem Ersten Direktorium ein Ende. Die Republik wurde nun durch das Triumvirat Barras, Reubell und La Révellière regiert, das die Wahlen vom Frühjahr 1797 annullieren ließ. Quelle Der Staatsstreich vom 18. Fructidor V (4. September 1797) in der Zeitung Le Moniteur Nr. XXVIII, 1797, S. 792. Aus: Lautemann 1981: 465.

Paris, am 18. Fructidor In der letzten Nacht wurde um drei Uhr morgens die Alarmkanone abgefeuert, die Sitzungssäle der beiden Räte wurden besetzt und die Schranken geschlossen. Um sieben Uhr wurde der Befehlshaber der Grenadiere des Gesetzgebenden Körpers des Kommandos enthoben und verhaftet, und die Grenadiere folgten mit den Rufen: „Es lebe die Republik!“ dem General Augereau, der sie bis dicht an das Hauptquartier der 17. Militärdivision führte. Die Truppen besetzten den Pont-au-Change, den Pont-Neuf, die Tuilerienbrücke und die Revolutionsbrücke [Pont de la Concorde]. Mehrere Geschütze sperrten den Weg über jede dieser Brücken. Plakate, die in allen Straßen angeschlagen wurden, enthielten [General] Pichegru zugeschriebene Briefe, in denen er mit Vertretern Ludwigs XVIII. und dem Prinzen Condé Gedanken über die Mittel austauschte, den Prätendenten auf den Thron zu setzen. Diese Briefe schienen nach den Einzelheiten, die sie enthielten, in der Zeit geschrieben zu sein, da Pichegru an der Spitze der Armee stand, denn er schlug vor, den Rhein an einem Punkte, den man nennen würde, mit soviel Truppen zu überschreiten, wie man wünschte, sich mit dem Prinzen von Condé zu vereinigen und gemeinsam mit ihm auf Paris zu marschieren, nachdem österreichische Garnisonen nach Hüningen und anderen französischen Festungen verlegt worden wären.

6. Das Direktorium

Die (neo-)jakobinische Presse war nach dem Staatsstreich vom Fructidor V zunächst vom Direktorium gefördert worden, um eine breitere republikanisch fundierte politische Öffentlichkeit aufzubauen. So hatten jakobinische Zeitungen den Schlag des Direktoriums gegen die rechtsgerichtete Presse und die Royalisten in den beiden Räten unterstützt, ohne dabei zu bedenken, dass das hierfür geschaffene Instrumentarium auch gegen sie selbst verwendet werden könnte. Vor allem bei den Ergänzungswahlen im Frühjahr 1798 hatte die neojakobinische Presse eine durch das Direktorium geförderte wichtige Rolle gespielt, indem sie ihre Leser zu Loyalität gegenüber der Verfassung und zur Akzeptanz der repräsentativen Regierung aufforderte. Durch diese Kooperation von Regierung und neojakobinischer Bewegung wuchs die Zahl der neojakobinischen Blätter im Winter 1797/98 stark an. Als die neojakobinische Faktion jedoch zunehmend an Einfluss und Macht gewann, setzte das Direktorium noch vor den Wahlen im Frühjahr 1798 Verbote gegen deren Presseprodukte durch. Die Wahlen vom Mai 1798 wurden, da viele Neojakobiner in die Legislative gewählt worden waren, vom Rat der Ältesten annulliert. Am 18. Juni 1799 kam es zu einem weiteren Staatstreich (30. Prairial VII). Mit Hilfe des Militärs wurde die Demissionierung zweier Direktoren, La Révellière und Merlin de Douai (im September 1797 zum Direktor gewählt), erzwungen. Das Direktorium bestand nun aus Barras, Sieyès, Gohier, Ducos und Moulin. Sieyès, neu in das Direktorium gewählt, wollte den Einfluss der Neojakobiner auf die Regierung Frankreichs ein für alle Mal beenden. Dafür suchte er die Unterstützung des Militärs für einen weiteren Staatsstreich. Zum wichtigsten Verbündeten Sieyès’ wurde Napoleon Bonaparte. Am 18. Brumaire VIII (9. November 1799) führte Bonaparte dann einen Staatsstreich gegen das Direktorium und beide Kammern der Legislative (Rat der Fünfhundert und Rat der Alten), die er nach Saint Cloud beorderte. Die Direktoren in Paris wurden von Bonapartes Truppen zur Demissionierung gezwungen, der Rat der Fünfhundert aufgelöst und seine Mitglieder daran gehindert, nach Paris zurückzukehren. Der Rat der Alten und 50 Sieyès und Bonaparte unterstützende Mitglieder des Rats der Fünfhundert votierten für die Auflösung der Direktorialverfassung. Im Dezember 1799 wurde das provisorische Konsulat, bestehend aus Bonaparte, Sieyès und Ducos, etabliert.

6.2 Außenpolitik 1795 1. Oktober

Annexion der österreichischen Niederlande durch Frankreich

Dezember

Waffenstillstand zwischen Österreich und Frankreich

1796 2. März

Ernennung Bonapartes zum Kommandierenden General der Italienarmee

101

Staatsstreich vom 30. Prairial VII

Staatsstreich vom 18. Brumaire VIII

102

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

5. August

Schlacht bei Castiglione

16. Oktober

Proklamation der Cispadanischen Republik

21. Oktober

Räumung Korsikas durch die Engländer

15.–17. Nov. Sieg Bonapartes bei Arcole 1797 19. Februar

Vertrag von Tolentino mit dem Papst

7. April

Waffenstillstand mit Österreich

5. Juni

Gründung der Ligurischen Republik (Genua)

9. Juli

Gründung der Cisalpinischen Republik (Mailand)

Oktober

Napoleon wird mit der Kriegsführung gegen England betraut

17. Oktober

Friede von Campo Formio mit Österreich

1798 5. Februar

Besetzung Roms durch Frankreich

9. Februar

Errichtung der Helvetischen Republik (Schweiz)

15. Februar

Errichtung der Römischen Republik

19. Mai

Beginn der Ägypten-Expedition Bonapartes

22. Juli

Einnahme Kairos

1. August

Schlacht bei Abukir, Vernichtung der französischen Flotte durch die Briten unter Admiral Nelson

16. Nov.

Bildung der zweiten Koalition gegen Frankreich

1799 23. Januar

Proklamation der Republik Neapel

März

Einnahme Jaffas, Belagerung von Akka (Syrien)

März–August französische Niederlagen in Deutschland und Italien 15. August

Schlacht von Novi, Verlust Italiens

25.–27. Sept. Sieg Frankreichs bei Zürich über Österreich und Russland 9. Oktober „Natürliche Grenzen“

Schwesterrepubliken

Landung Bonapartes in Fréjus

Außenpolitisch lautete das Ziel der französischen Politik, nicht nur Frankreichs „natürliche Grenzen“, d.h. im Osten bis an den Rhein, im Norden bis zur Schelde, im Süden bis zu den Pyrenäen und im Südosten bis an die Alpen, „wiederherzustellen“, sondern um den französischen Staat herum einen Gürtel aus Satellitenrepubliken, sogenannten Schwesterrepubliken, zu errichten, die Übergriffe der noch bestehenden antirevolutionären Koalitionspartner erschweren, wenn nicht unmöglich machen sollten. In Italien geschah dies ab 1796 unter dem Oberbefehl Napoleon Bonapartes, der am 2. März 1796 zum General der Italienarmee ernannt worden war.

6. Das Direktorium

103 g

Frankreich 1797 Gebietsaneignungen durch Frankreich Schwesterrepubliken

BATAVISCHE REP.

Hamburg

[1795]

K

de

r

Breslau

Köln

(Vertrag von Campo Formio)

ein Rh

Brüssel

Preußen Schlachten

Amiens

Krakau Prag

Würzburg

HEILIGES RÖMISCHES REICH

Paris Straßburg

Lunéville Nantes

Wien

ire

Lo

Ofen

REPUBLIK FRANKREICH

Bordeaux

Orange

CISALPINISCHE R E P . [1797]

HELVET. REP.

Genf

Mailand PIEMONT 1796 besetzt

1 Po

3

Genua REP. LUCCA GRHZM. [1799] TOSKANA Fstm. LIGURISCHE Piombino R E P . [1797] Korsika

1797 österr.

ro

Eb

KGR. SPANIEN Madrid

Barcelona

Mittelmeer

KGR. UNGARN

Belgrad

1796

Rep. Andorra

Pest

Campo Formio (17. Okt. 1797)

2

1796

Rhône

Lyon

[1798]

Donau

Basel

Atlantischer Ozean

Warschau O

Venezianische Gebietsabtretungen an Österreich

1 Lodi 2 Rivoli 3 Arcole

SSEN

Berlin

Amsterdam London

[mit Gründungsdatum]

PREU

. GR

1797 österr.

OSMANISCHES REICH

Tolentino

Adria

Rep. Ragusa

Montenegro

Rom

PARTHENOP. REP. RÖMISCHE [1799] Neapel R E P . [1798]

Nach den Siegen Bonapartes in Montenotte, Millesimo und Mondovi wurde am 16. Oktober 1796 in Oberitalien die Cispadanische Republik (Bologna) ausgerufen. Am 7. April 1797 erfolgte der Waffenstillstand mit Österreich, am 5. Juni 1797 die Gründung der Ligurischen Republik (Genua),am 9. Juli 1797 die der Cisalpinischen Republik (Mailand). Nach weiteren Siegen Bonapartes in Ober- und Mittelitalien wurde am 15. Februar 1798 die Römische Republik und am 23. Januar 1799 die Republik Neapel errichtet. Das außenpolitische Abenteuer der ersten Französischen Republik, die nach dem Frieden von Campo Formio (1797) nur noch mit Großbritannien und Russland im Krieg lag, kulminierte in der Landung Bonapartes in Ägypten im Frühsommer 1798, wo er gegen das Osmanische Reich bei den Pyramiden vor den Toren Kairos einen Sieg erlangte (22. Juli 1798). Letztendlich ging es darum, die Vormachtstellung Großbritanniens im Mittelmeerraum zu brechen. In Europa formierte sich unterdessen ab dem 16. November 1798 die zweite europäische Koalition gegen das revolutionäre Frankreich. Zwischen März und August 1799 fügte diese Frankreich Niederlagen im Reich und in Italien zu. So konnte Bonaparte weitere Siege in Ägypten und Syrien nicht verfolgen, da Frankreich neben den militärischen Niederlagen in Deutschland und Italien bei Abukir auch die Vernichtung der französischen Flotte durch Admiral Nelson hinnehmen musste. Dies führte zur Rückkehr Bonapartes nach Europa. Zur weiteren Finanzierung

Abb. 4 Frankreich und seine „Schwesterrepubliken“ (1797)

Ägyptenfeldzug

104

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

des zweiten Koalitionskrieges erhob das Direktorium am 28. Juni 1799 eine Zwangsanleihe auf die Vermögen der Reichen in Frankreich. Stichwort

Ägyptenfeldzug Auch wenn der Ägyptenfeldzug (1798–1801) militärisch und politisch ein Fiasko wurde, so kann seine Bedeutung für die Altertumswissenschaften nur unterschätzt werden. Im Gefolge Bonapartes befanden sich französische Gelehrte wie der Chemiker und Arzt Claude-Louis Berthollet (1748–1822), der Mathematiker und Physiker Gaspard Monge (1746–1818) oder der Chemiker, Maler und Erfinder Nicolas-Jacques Conté (1755–1805). 1798 wurde in Kairo das Institut d’Égypte gegründet, das sämtliche geologischen, zoologischen, botanischen, archäologischen und historischen Forschungen zu Ägypten dokumentieren und koordinieren sollte. Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Ägyptenexpedition Napoleons wurden in einem mehrbändigen Text- und Bildwerk gesammelt (Description de l’Égypte), das zur Grundlage der systematischen Ägyptologie avancierte. Zu den wichtigsten Funden zählte der des Steins von Rosetta, der die Entzifferung der Hieroglyphen ermöglichte.

Helvetische Republik

Südwestdeutsche Republik

Campo Formio

Nördlich der Alpen konnten Schweizer Republikaner mit Hilfe Frankreichs am 9. Februar 1798 die Helvetische Republik errichten. Auch im Heiligen Römischen Reich bemühte sich das französische Außenministerium bereits seit 1794, nach dem Vorbild der 1793 gescheiterten Mainzer Republik, Schwesterrepubliken aufzubauen, und zwar mit Hilfe deutscher Sympathisanten der Französischen Revolution, sogenannter Jakobiner, wie dem 1788 nach Basel emigrierten Badener Illuminaten Georg Friedrich List oder Pierre Claude Poterat. Vor allem Anfang Mai 1796 unterstützte das französische Außenministerium bei der geplanten Sommeroffensive die Bildung einer Südwestdeutschen (heutiges Baden und Württemberg) Republik. Letztendlich scheiterten diese Pläne jedoch. Durch das Vorrücken der französischen Armee im Juli 1796 nach Württemberg ergab sich erneut eine Chance, hier eine französische Schwesterrepublik zu errichten. Revolutionäre deutscher Provenienz wie der Bruder des Stuttgarter Verlegers Johann Cotta, Friedrich Cotta, versuchten nun, die sich entwickelnde radikale ständische Reformbewegung Württembergs für ihren Traum einer südwestdeutschen Republik zu gewinnen. Mit den militärischen Rückschlägen, die die französische Armee ab September 1796 in Deutschland erlitt, wurde die Lage für die Verwirklichung dieser Pläne jedoch immer prekärer und schließlich vom französischen Außenministerium zu den Akten gelegt. Der Frieden von Campo Formio (17. Oktober 1797) brachte Frankreich im November 1797 zunächst de facto die in den Geheimartikeln von Öster-

6. Das Direktorium

reich gebilligte Annexion des linken Rheinufers (erst 1801 wurde diese im Frieden von Lunéville de jure besiegelt). Während der Friedensverhandlungen begann sich jedoch abzuzeichnen, dass die Neugestaltung Deutschlands sich nicht auf der Basis der von deutschen Jakobinern gewünschten Revolutionierung der „alten Ordnung“ bzw. einer Bewegung „von unten“ realisieren lassen würde, sondern allein durch die Absprachen zwischen Bonaparte und den deutschen Fürsten bestimmt wurde. Der Traum einer südwestdeutschen Republik war damit 1797 endgültig ausgeträumt. Die Rückeroberung des Rheinlandes durch die französischen Truppen im Sommer 1794 führte in den Jahren 1794 bis 1797 zur Einsetzung von neuen Verwaltungen in Aachen, Bonn, Koblenz, Trier, Kreuznach und Zweibrücken. General Lazare Hoche, der im Februar 1797 nicht nur das Oberkommando über die Sambre- und Maas-Armee, sondern auch über die Zivilverwaltung im Rheinland übernommen hatte, zeigte sich zwar einerseits an der Errichtung einer Schwesterrepublik im Rheinland interessiert, primär ging es ihm jedoch um die Nutzung der besetzten Territorien zur Versorgung der französischen Truppen. Mit der erneuten Besetzung des Rheinlandes ab 1794 begannen sich nach dem Vorbild der Mainzer Republik auch in den 1792/93 nicht von Frankreich okkupierten Gebieten politische Klubs zu konstituieren, die teilweise die Vereinigung der besetzten Gebiete mit Frankreich, teilweise aber auch die Errichtung einer Cisrhenanischen Republik forderten. Die Cisrhenanenbewegung wurde zwar theoretisch von einigen der französischen Direktoren unterstützt, kollidierte jedoch sowohl mit der Politik der reaktionären Unterbehörden als auch mit den Interessen der Militärverwaltung an der Fortsetzung der Kontributionszahlungen. Aufgrund dieser schwierigen Situation organisierten sich die Cisrhenanen in einem geheimen, konspirativen Zellensystem. Im September 1797 wurde von rheinischen „Patrioten“, d.h. deutschen Jakobinern, die Cisrhenanische Republik ausgerufen. Quelle Die in Straßburg erscheinende Rheinische Kronik kommentierte die Ausrufung der Cisrhenanischen Republik wie folgt: Aus: Rheinische Kronik, Nr. 5 vom 28. September 1797:

Aus Bonn schreibt man: jede Burg, jedes Dorf, und jeder Fleken um uns her, erklärt sich für die Freiheit; wir sind in der besten Hoffnung, dass Aachen bald gemeinschaftliche Sache mit uns machen werde. – Die fränkischen [französischen] Kommissare haben Befehle, die Volks=Stimmen zu sammeln. – Das Volk ist von Duisburg bis an den Speirbach durch eine Proklamation eingeladen, die rheinisch teutsche Republik zu formieren.

Mittlerweile hatten sich jedoch in Paris durch den antiroyalistischen Staatsstreich vom 18. Fructidor V die politischen Rahmenbedingungen verän-

105

Cisrhenanische Republik

106

III.

Die Französische Revolution – Ereignisse und Chronologie

dert. Durch den Sturz Carnots und Barthélémys wurde die im Direktorium zuvor vorhandene Mehrheit für die Errichtung einer Cisrhenanischen Republik gekippt. Frankreich annektierte die Gebiete der Cisrhenanischen Republik provisorisch und teilte sie in vier neue Departements ein: Roer, Donnersberg (Mont-Tonnerre), Rhein-Mosel und Saar. Mit der Annexion durch Frankreich kam es mit der Abschaffung der ständischen Privilegien, der Aufhebung der Feudallasten, der Einführung von Gewerbefreiheit und mit der Einführung des französischen Verwaltungs- und Justizsystems zur Beseitigung des Ancien Régime. Die tiefgreifenden Veränderungen der „Franzosenzeit“ überdauerten n teilweise sogar das Ende der französischen Besatzung (1814/15). Auf einen Blick

Der Verlauf der Französischen Revolution wird hier in verschiedenen Phasen behandelt; von der konstitutionellen Revolution bis zur Direktorialzeit, wobei Letztere in der Forschung oftmals wenig beachtet wurde. Zwischen 1789 und 1791 entstand die erste Verfassung Frankreichs, mit ihr wurde die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte verabschiedet und das Prinzip der Volkssouveränität durchgesetzt. Doch was bedeutete Volkssouveränität? Was unterscheidet eine konstitutionelle von einer republikanischen Verfassung? Sind die Menschen- und Bürgerrechte mit den heutigen universellen Menschenrechten gleichzusetzen? Ab 1791 radikalisierte sich die Revolution, 1793 setzten die Sansculotten die Terreur um. Welche Rolle spielten die Jakobiner dabei? Was ist mit Grande Terreur gemeint? Schließlich: Was sind die wichtigsten Errungenschaften der Französischen Revolution? Was ihre größten Probleme? Welcher Zusammenhang besteht zwischen Französischer Revolution und Sklaverei? Inwieweit lässt sich die Französische Revolution durch einen strukturanalytischen Ansatz erklären?

Literaturhinweise

Literaturhinweise Bouloiseau, Marc, La République jacobine 1792–1794, Paris 1989. Wichtige Überblicksdarstellung zur Zeit der so genannten Terreur bzw. zur ersten Republik in Frankreich. Furet, François, La Révolution française, Paris 2007. Wichtige Gesamtdarstellung zur Französischen Revolution in revisionistischer Perspektive. Godechot, Jacques, La prise de la Bastille, 14 juillet 1789, Paris 1965. Auch wenn schon über 50 Jahre alt, liest sich Godechots Darstellung zum Sturm auf die Bastille noch immer als eine packende Geschichte. Soboul, Albert, Les sans-culottes parisiens en l’an II. Mouvement populaire et gouvernement révolutionnaire. 2 juin 1793–9. Thermidor an II. Paris 1962. (deutsch: Französische Revolution und Volksbewegung: Die Sansculotten, Frankfurt/Main 1989). Zum Verständnis der Volksbewegung als Motor der Französischen Revolution ein nach wie vor wichtiges Werk. Woloch, Isser, Jacobin Legacy, The Democratic Movement under the Directory, Princeton 1970. Klassische Darstellung zur Zeit des Direktoriums.

107

IV. Die napoleonische Zeit Überblick

M

it dem letzten Staatsstreich der Direktorialzeit am 9./10. November 1799 wurde die napoleonische Zeit eingeleitet, die 1804 in das Kaisertum des Korsen mündete. Zwischen 1801 und 1815 wurde Europa neu geformt. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation löste sich auf, in den von Napoleon eroberten Gebieten entstanden von Frankreich abhängige Königreiche bzw. Fürstentümer. Das Vordringen Napoleons wurde erst im Russlandfeldzug ab 1812 allmählich gestoppt, mit der Völkerschlacht bei Leipzig 1813 die französischen Truppen aus Deutschland vertrieben. Doch die napoleonische Zeit hatte nicht nur Krieg und Verheerung über weite Teile Europas

gebracht, sondern Reformen in Wirtschaft, Militär, Verwaltung und Recht, wie beispielsweise die Einführung des Code civil zeigt. Nach den Niederlagen Napoleons 1814 bzw. endgültig 1815 musste Europe neu geordnet werden. Die Restaurationszeit stellte jedoch nicht exakt die Staaten- und Gesellschaftsordnung wieder her, wie sie in der Zeit vor der Französischen Revolution bestanden hatte. Etliche Neuerungen, die sich in großen Teilen Europas erst im Laufe des 19. Jahrhunderts endgültig durchsetzten, Verfassungsstaat, Rechtsgleichheit, Wirtschaftsfreiheit, blieben in einigen, der von Napoleon ehemals besetzten Gebieten erhalten.

1799 10. Nov.

Ernennung der drei (provisorischen) Konsuln: Bonaparte, Sieyès, Ducos

15. Dez.

Proklamation der Konsulatsverfassung, Napoleon wird Erster Konsul

1800

Gesetze zur Neuordnung des Heereswesens, Verwaltungsreformen, Gründung der Banque de France

1801 9. Februar

Friede von Lunéville zwischen Frankreich und Österreich

15. Juli

Konkordat mit dem Papst

1802 25. März

Friedensschluss zwischen Frankreich und Großbritannien in Amiens

1803

Währungsreform

25. Februar

Reichsdeputationshauptschluss

1804

Einführung des Code civil, neue Verfassung für Frankreich, Proklamation des Kaiserreichs

2. Dez.

(Selbst-)Krönung Napoleons zum Kaiser der Franzosen

Die napoleonische Zeit

1805 2. Dez.

Sieg Frankreichs bei Austerlitz

1806 12. Juli

Errichtung des Rheinbundes

6. August

Abdankung Kaiser Franz’ II., Auflösung des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation

14. Oktober

Sieg Napoleons bei Jena und Auerstedt

21. Nov.

Kontinentalsperre gegen England

1807 7./9. Juli

Friede von Tilsit

1810

Hochzeit Napoleons mit Marie-Luise von Habsburg, Tochter des (ehemaligen) Kaisers Franz II.

1812

Russlandfeldzug Napoleons

1813 16. März

Kriegserklärung Preußens an Frankreich

16.–19. Okt. Völkerschlacht bei Leipzig, Vertreibung der französischen Truppen aus Deutschland 1814 31. März

Besetzung von Paris durch die Koalitionstruppen

6. April

Abdankung Napeleons

20. April

Verbannung Napoleons auf die Insel Elba

18. Sept.

Beginn des Wiener Kongresses (bis 9. Juni 1815)

1815 1. März

Landung Napoleons bei Antibes

20. März

Ankunft Napoleons in Paris

18. Juni

Niederlage Napoleons bei Waterloo, Ende der Herrschaft der Hundert Tage

22. Juni

zweite Abdankung Napoleons, Verbannung auf die Insel Sankt Helena (Südatlantik)

1821 5. Mai

Tod Napoleons auf Sankt Helena

Napoleon Bonaparte wurde 1769 in Ajaccio auf Korsika geboren. Er besuchte als Jugendlicher die Militärschulen in Brienne und Paris. Nachdem die Familie zunächst die korsische Separatistenbewegung unter Paoli unterstützt hatte, verließ sie Korsika nach dem Bruch mit Letzterem. Napoleon Bonaparte unterstützte nun die Französische Revolution. Sein erster größerer militärischer Erfolg 1793 bei Toulon brachte den Aufstieg zum Brigadegeneral. Wei-

109

110

IV.

Friede von Lunéville

Konkordat

Die napoleonische Zeit

tere wichtige Etappen waren der erfolgreiche Staatsstreich zu Beginn des Direktoriums 1795 und seine militärischen Erfolge in Italien 1796. Einfluss bei den Eliten des Direktoriums verschaffte sich Bonaparte über Joséphine de Beauharnais und ihren Salon, seine erste spätere Frau, die 1795/96 mit einem der Direktoren, Barras, liiert war. Nach dem erfolgreichen Staatsstreich vom 18. Brumaire 1799, dem Erlass der Konsulatsverfassung am 15. Dezember 1799, mit der das Ende der Revolution proklamiert wurde, und dem Frieden von Lunéville 1801 setzte eine kurze Friedensphase in Europa ein. Diese nutzte Bonaparte für tiefgreifende Reformen in Frankreich. Um die katholische Kirche daran zu hindern, weiterhin in Frankreich die Sache der Royalisten zu unterstützen, forcierte Napoleon die Unterzeichnung eines Konkordats mit Papst Pius VII. Dieses stellte am 15. Juli 1801 den Religionsfrieden in Frankreich wieder her. Die Republik und einige der Errungenschaften der Revolution sollten dauerhaft erhalten bleiben, dafür die katholische Kirche in einen Teil ihrer vorrevolutionären Rechte wieder eingesetzt werden. Die Kirche wurde staatlicher Oberaufsicht unterstellt, die Geistlichen zu Staatsbeamten, die der Erste Konsul ernannte. Der Verkauf der Kirchengüter der Revolutionszeit wurde nicht rückgängig gemacht. Auch wurde der katholische Glaube zunächst nicht wieder offizielle Staatsreligion. Papst und Kurie erhielten jedoch die geistliche Oberaufsicht über die katholische Kirche in Frankreich. Quelle Konsulatsverfassung, Frankreich, 1799. Aus: http://www.verfassungen.eu/f/fverf99.htm, letzter Zugriff 2. August 2016.

Art. 39. Die Regierung ist dreien Consuln, welche auf 10 Jahre ernannt werden und unbeschränkt wählbar sind, anvertraut. … Die Verfassung ernennt zum ersten Consul den Bürger Bonaparte, gewesenen provisorischen Consul; zum zweiten den Bürger Cambracères, gewesenen Minister der Gerechtigkeitspflege; und zum dritten Consul den Bürger Lebrun, gewesenes Mitglied des Rats der Alten. Für dieses Mal ist der dritte Konsul auf 5 Jahre ernannt. Art. 40. Der erste Consul hat besondere Amtsverrichtungen und Befugnisse, in welchen er, falls es nöthig ist, augenblicklich durch einen seiner Amtsgenossen ersetzt werden kann. Art. 41. Der erste Consul verkündet die Gesetze; er ernennt und entsetzt nach Willkühr die Mitglieder des Staatsrates, die Minister, die Gesandten und andere auswärtige Oberbeamten (Agents en Chef), die Offiziere der Land- und Seemacht, die Mitglieder der örtlichen Verwaltungen, und die Regierungscommissarien bei den Gerichtshöfen. Er ernennt alle Criminal- und Civilrichter, ausgenommen die Friedens- und Cassationsrichter, ohne jedoch sie absetzen zu können. Art 42. In den übrigen Verhandlungen der Regierung haben der zweite und dritte Consul beratende Stimmen; sie unterzeichnen die Protokolle dieser Verhandlungen, um ihre Gegenwart zu beweisen, und können, wenn sie wollen, ihre Meinung darin eintragen, worauf die Entscheidung des ersten Consul hinreichend ist. …

Die napoleonische Zeit

111

Art. 44. Die Regierung schlägt die Gesetze vor, und macht die nöthigen Verordnungen, um ihre Vollziehung zu sichern.

Die Konsulatsverfassung war eine Art von Militärdiktatur, die sich durch eine Legislativversammlung und die Möglichkeit der Durchführung von Plebisziten einen pseudodemokratischen Anstrich gab. Eigentlich war sie auf die Person Napoleons und die Akkumulierung aller Gewalten in seiner Hand zugeschnitten: Er hatte die Gesetzesinitiative, ernannte und kontrollierte alle staatlichen Beamten, hatte das Recht, über Krieg und Frieden zu entscheiden, und verfügte über den militärischen Oberbefehl. Außenpolitisch führte die Besetzung von großen Teilen der linksrheinischen Gebiete des Alten Reichs 1803 zum sogenannten Reichsdeputationshauptschluss (25. Februar 1803). Die deutschen Fürsten, die durch den Frieden von Lunéville ihre linksrheinischen Gebiete an Frankreich verloren hatten, sollten nun durch diesen vorletzten Akt des Alten Reiches entschädigt werden. Im Reich wurden die geistlichen Fürstentümer aufgehoben, d.h. säkularisiert, der Großteil der Reichsstädte, Reichsritterschaften und kleineren weltlichen Territorien in größere Territorien des Reiches eingegliedert (Mediatisierung) und die linksrheinischen Fürsten durch die Übertragung geistlicher Besitzungen kompensiert. Nach 1803 gab es nur noch ca. 30 reichsunmittelbare Herrschaften im Reich. Vor allem Baden, Württemberg, Bayern und Preußen profitierten von diesen Veränderungen. Nachdem sich in Frankreich 1803 eine royalistische Verschwörung gegen das Konsulat formiert hatte, nutzte Napoleon diese, um seine Macht in Frankreich weiter auszubauen. Am 2. Dezember 1804 krönte er sich in der Kathedrale Notre Dame von Paris zum erblichen Kaiser der Franzosen. Am 12. Juli 1806 setzte Napoleon die Gründung des Rheinbundes durch, der gemeinsam mit dem Reichsdeputationshauptschluss zu den wichtigsten Etappen in der Auflösung des Reiches 1806 zählt. 16 west- und süddeutsche Fürsten traten dem Rheinbund bei und damit aus dem Heiligen Römischen Reich deutscher Nation aus. Der Rheinbund sollte ein politisch-militärisches Gegengewicht zu Österreich und Preußen schaffen. Kaiser Franz II. legte daraufhin die Kaiserkrone nieder, das Reich wurde als politische Einheit formal aufgelöst. Quelle Das Ende des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, 6. August 1806: Abdikationsurkunde Kaiser Franz’ II. Aus: Lautemann 1981: 550f.

Wir Franz der Zweite, von Gottes Gnaden, erwählter Römischer Kaiser, zu allen Zeiten Mehrer des Reiches, Erbkaiser von Österreich etc. König in Germanien, zu Hungarn, Böheim, Croation, Dalmatien, Slavonien, Galizien, Lodomerien und Jeru-

Reichsdeputationshauptschluss

Kaiserkrönung

Rheinbund/Ende des Alten Reiches

112

IV.

Die napoleonische Zeit salem, Erbherzog von Österreich etc. Nach dem Abschlusse des Pressburger Friedens [1805] war Unsere ganze Aufmerksamkeit und Sorgfalt dahin gerichtet, alle Verpflichtungen, die wir dadurch eingegangen waren, mit gewohnter Treue und Gewissenhaftigkeit das vollkommenste Genüge zu leisten und die Segnungen des Friedens unseren Völkern zu erhalten. … Die Forderungen, welche mehreren Artikeln des Pressburger Friedens gleich nach deren Bekanntmachung und bis jetzt gegeben worden, und die allgemein bekannten Ereignisse, welche darauf im deutschen Reiche Statt hatten, haben Uns aber die Überzeugung gewährt, dass es unter den eingetretenen Umständen unmöglich sein werde, die durch den Wahlvertrag eingegangenen Verpflichtungen ferner zu erfüllen: … Bei der hierdurch vollendeten Überzeugung, von der gänzlichen Unmöglichkeit, die Pflichten Unseres kaiserlichen Amtes länger zu erfüllen, sind Wir es Unsern Grundsätzen und Unserer Würde schuldig, auf eine Krone zu verzichten, welche nur so lange Werth in Unsern Augen haben konnte, als Wir dem von Churfürsten, Fürsten und Ständen und übrigen Angehörigen des deutschen Reichs Uns bezeigten Zutrauen zu entsprechen und den übernommenen Obliegenheiten ein Genüge zu leisten im Stande waren. Wir erklären demnach durch Gegenwärtiges, dass Wir das Band, welches Uns bis jetzt an den Staatskörper des deutschen Reichs gebunden hat, als gelöst ansehen, dass Wir das reichsoberhauptliche Amt und Würde durch die Vereinigung der conföderierten rheinischen Stände als erloschen und Uns dadurch von allen übernommenen Pflichten gegen das deutsche Reich losgezählt betrachten, und die von wegen desselben bis jetzt getragene Kaiserkrone und geführte kaiserliche Regierung, wie hiermit geschieht, niederlegen. Wir entbinden zugleich Churfürsten, Fürsten und Stände und alle Reichsangehörigen, insonderheit auch die Mitglieder der höchsten Reichsgerichte und die übrige Reichsdienerschaft, von ihren Pflichten, womit sie an Uns, als das gesetzliche Oberhaupt des Reichs, durch die Constitution gebunden waren. Unsere sämtlichen deutschen Provinzen und Reichsländer zählen Wir dagegen wechselseitig von allen Verpflichtungen, die sie bis jetzt, unter was immer für einem Titel, gegen das deutsche Reich getragen haben, los, und Wir werden selbige in ihrer Vereinigung mit dem ganzen österreichischen Staatskörper, als Kaiser von Österreich, unter den wiederhergestellten und bestehenden friedlichen Verhältnissen mit allen Mächten und benachbarten Staaten, zu jener Stufe des Glückes und Wohlstandes zu bringen beflissen sein, welche das Ziel aller Unserer Wünsche, der Zweck Unserer angelegensten Sorgfalt stets sein wird.

Code Napoléon

Ziel des Rheinbundes war, aus einem bloßen Militärbündnis einen Staatenbund zu schaffen, der in enger Anlehnung an Frankreich Reformen ähnlich derer, die Napoleon 1801 eingeleitet hatte, durchführen sollte: die Einführung des Code Napoléon, eine grundlegende Reform des Bildungs- und Heereswesens (Einführung der allgemeinen Wehrpflicht für alle Franzosen zwischen 20 und 25 Jahren, 1798 und 1800; keine Berufssoldaten) und bereits 1800 die Errichtung einer neuen Zentralverwaltung in Frankreich, die die Selbstverwaltung der Departements aufhob und eine Zentralisierung der Macht zum Ziel hatte. 1800 wurde die Banque de France gegründet und 1803 eine Währungsreform durchgeführt.

Die napoleonische Zeit

Kaiserreich Frankreich Rheinbund Preußen Illyrische Provinzen Schlachten

K G R . Kopenhagen DÄNEMARK

Nordsee

Ostsee

Schwed.Pommern

Hamburg

KGR. GROSSBRITANNIEN UND IRLAND

Rhein

R.

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Posen

Dresden

GAL I Z I EN

Austerlitz

KAISERREICH ÖSTERREICH

ne

Pest UNGARN

KGR. ITALIEN Mailand Turin

Rhô ro

Eb

1812 franz. KATALONIEN Barcelona

Ofen

SCHWEIZ Genf

Rep. Andorra

Wien

Zürich Innsbruck

KAISERREICH FRANKREICH

Bordeaux

Madrid

Warschau

GHZM. WARSCHAU

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München

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Saragossa

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Krakau

Straßburg Lo

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LIT

Breslau

RHEINBUND

Paris

KGR. SPANIEN

W

W

Prag

Frankfurt

Atlantischer Ozean

SSEN

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Brüssel

Hannover KGR. WESTFALEN Köln Fsm. Kassel Erfurt

Tilsit Königsberg Friedland

Rep. Danzig

U PRE

Berlin

Amsterdam

London Ärmelkanal

KG

Bremen

113

Venedig Po

Nizza

Illyrische Provinzen Belgrad

BOSNI EN

Parma

Genua

Kr

SERBI EN

Sarajewo

Fsm. Lucca Florenz

Marseille

Adria Korsika

Elba

Ajaccio

Mittelmeer

KGR. SARDINIEN

MONTENEGRO

KGR. NEAPEL

Rom Neapel

Wichtigstes Element der napoleonischen Reformen war die Einführung des Code Napoléon, unterteilt in Code civil (1804) und Code pénal (1810), d.h. eine Reform des Rechts und des Rechtswesens. Ein neues Zivil- und Strafrecht wurden in Frankreich und den von ihm besetzten bzw. dominierten Gebieten eingeführt. Die bereits in der Revolutionszeit initiierte Vereinheitlichung des Rechts wurde weiter vorangetrieben. Wichtigste Errungenschaften des Code Napoléon waren die Gleichheit eines jeden Bürgers vor dem Gesetz, persönliche Freiheit für jeden (u.a. die Abschaffung von Leibeigenschaft), der Schutz des Privateigentums, die Trennung von Staat und Kirche, Gewerbefreiheit und Freiheit der Berufswahl, die Schaffung der rechtlichen Basis für frühe Formen von Marktwirtschaft und die Verpflichtung zur Anlage von Personenstandsregistern. 1802 wurden in Frankreich staatliche Gymnasien eingeführt. Unterricht und Bildung sollten nun allein durch den Staat kontrolliert werden. Ebenso wurde 1806 eine kaiserliche Universität geschaffen, die ein Bildungsmonopol erhielt. England wurde durch die ebenfalls 1806 eingeführte Kontinentalsperre vom Warenaustausch mit dem europäischen Kontinent abgeschnitten, was nicht

Tarent

Korfu

(1807–1814

Abb. 5 Frankreich und der Rheinbund

O

114

IV.

Die napoleonische Zeit

nur die wirtschaftliche Stärkung Englands, sondern letztendlich auch ein mögliches antifranzösisches militärisches Eingreifen von englischer Seite verhindern sollte. Stichwort

Kontinentalsperre Als Kontinentalsperre wird die von Napoleon am 21. November 1806 in Berlin verfügte Wirtschaftsblockade gegen Großbritannien bezeichnet, die zum Ziel hatte, England vom Export seiner Rohstoffe und Waren nach Kontinentaleuropa abzuhalten und damit Großbritanniens Handel in den Ruin zu treiben. Die Folge davon hätte – so Napoleon – sein sollen, dass Großbritannien keine finanziellen Mittel mehr gehabt hätte, um gegen Frankreich und Napoleon Krieg zu führen und den von Napoleon besetzten Staaten in Kontinentaleuropa Beistand zu leisten. Die Kontinentalsperre war eine Reaktion auf die von Großbritannien gegen Frankreich verhängte Seeblockade, dem Versuch der Engländer, Frankreichs Schiffe am Verlassen der französischen Atlantikküste zu hindern. Besonders nach der von Napoleon verlorenen Seeschlacht von Trafalgar am 21. Oktober 1805 verschärfte sich die Blockade kontinentaleuropäischer Häfen, die Konfiszierung britischer Waren in den von Napoleon besetzten Gebieten und die Verfolgung von britischen Händlern durch die Polizei Napoleons. Die Kontinentalsperre dauerte bis 1814, war jedoch nicht wirklich effektiv. Sie verschärfte Schmuggel und Unzufriedenheit der Bevölkerung der von Frankreich besetzten Gebiete, da das Beschaffen von Grundnahrungsmitteln und Holz zumindest schwieriger und teurer wurde.

Austerlitz/Jena und Auerstedt

Russlandfeldzug

Völkerschlacht bei Leipzig

Nach dem Wiederausbruch des Krieges mit der Koalition gelang es Napoleon 1805 in der Dreikaiserschlacht bei Austerlitz (2. Dezember 1805) und in der Schlacht bei Jena und Auerstedt (14. Oktober 1806), entscheidende Siege über Russland, Preußen und Österreich zu erringen. Wien war bereits am 13. November 1805 von Napoleon eingenommen worden. Berlin wurde 1806 von Napoleon besetzt. Gemäß der Vereinbarungen des Friedens von Tilsit (1807) zwischen Frankreich, Russland und Preußen blieb Preußen von französischen Truppen besetzt und zahlte hohe Kontributionen an Frankreich. Napoleon befand sich auf dem Höhepunkt seiner Macht in Europa. 1812 kam es zum Bruch des Friedenvertrags mit Zar Alexander von Russland. Mit Unterstützung fast aller deutscher Staaten, die er in ein Militärbündnis mit Frankreich gezwungen hatte, begann der Russlandfeldzug Napoleons, der im Winter 1812 vor Moskau zu einer desaströsen Niederlage führte, die wiederum den Niedergang Napoleons einleiten sollte. Nur geschätzte 100.000 der 600.000 Soldaten Napoleons kehrten aus dem russischen Winter nach Westeuropa zurück. Mit dieser Niederlage Napoleons begannen die sogenannten Freiheitskriege in Europa, d.h. die Versuche der von Napoleon beherrschten Staaten,

Die napoleonische Zeit

ihre Unabhängigkeit zu erlangen. 1813 erklärte König Friedrich Wilhelm III. von Preußen Frankreich den Krieg und vereinigte seine Armee mit der russischen. In der Völkerschlacht bei Leipzig unterlag Napoleon im Oktober 1813 den Koalitionstruppen, 1814 musste Napoleon abdanken und wurde auf die Mittelmeerinsel Elba verbannt. Die französischen Bourbonen unter Ludwig XVIII. kehrten auf den französischen Thron zurück. Offiziell wurde das Ancien Régime restauriert. Nach den grundlegenden territorialen und politischen Veränderungen, die die napoleonische Zeit in Europa hervorgebracht hatte, sollte es zu einer Neuordnung kommen. Hierfür tagte zwischen dem 18. September 1814 und dem 9. Juni 1815 der Wiener Kongress. Russland, Preußen, Österreich und England und als fünfte Macht das bourbonische Frankreich unter seinem Vertreter Talleyrand stritten hier mit lang anhaltenden Unterbrechungen über die Neuordnung Europas. Die wichtigsten Ergebnisse des Wiener Kongresses waren die Gründung des Deutschen Bundes unter österreichischem Vorsitz, die Anerkennung der Schweiz in ihren neuen Grenzen und die Garantie ihrer Neutralität, Gebietsvergrößerungen Russlands und Preußens und der Erhalt Bayerns und Württembergs als neue Königreiche. Das restliche Polen wurde Russland einverleibt. Im September 1815 wurde auf Initiative Zar Alexanders I. die Heilige Allianz, ein Schutzbündnis zwischen Österreich, Russland und Preußen, gegründet, dem später alle christlichen Mächte Europas und der Papst, d.h. der Vatikan, beitraten. Ziel war die Restauration christlicher Prinzipen in Europa und der gegenseitige militärische Schutz derselben.

115

Wiener Kongress

Heilige Allianz Abb. 6 Zeitgenössischer Kupferstich über den „Aufstieg und Niederfall Napoleons“

116

IV. „Hundert Tage“

Die napoleonische Zeit

Im März 1815 kehrte Napoleon von Elba nach Frankreich zurück, musste aber nach seiner Herrschaft der „Hundert Tage“ bei Waterloo (südlich von Brüssel) vor den englischen Truppen unter Wellington kapitulieren. Er wurde auf Druck Englands auf die südatlantische Insel St. Helena verbannt, wo er am n 5. Mai 1821 starb. Auf einen Blick

1799 begann in Frankreich die napoleonische Zeit. In den darauffolgenden Jahren wurde ganz Europa durch Napoleon neu geformt. Inwieweit wurde die Revolution von Napoleon zu Grabe getragen? Wurden ihre Errungenschaften durch den Code Napoléon in ganz Europa verbreitet? Die napoleonische Zeit hatte Auswirkungen auf die Entstehung von Nationalismen und Nationalstaaten in ganz Europa. Welche waren die wichtigsten Ergebnisse des Wiener Kongresses?

Literaturhinweise Bertaud, Jean-Paul, Napoléon et les Français. 1799–1815, Paris 2014. Aktuellster Forschungsüberblick zum napoleonischen Zeitalter. Emsley, Clive, Napoleon. Conquest, Reform, Reorganisation, London 2. Auflage 2015. Zweite Auflage eines wichtigen Handbuchs zum napoleonischen Zeitalter. Lignereux, Aurélien, L’Empire des Français, 1799–1815. Histoire de la France contemporaine, Bd. 1, Paris 2012. Akteurs- und handlungszentrierte Interpretation des napoleonischen Kaiserreichs, eingebettet in die Geschichte der europäischen Imperien. Tulard, Jean, Napoléon, chef de guerre, Paris 2012. Eine der eindringlichsten biographischen Darstellungen zum Kaiser der Franzosen.

V. Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich? Überblick

E

in Teil der politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Neuerungen, die die Französische Revolution zwischen 1789 und 1799 hervorbrachte, setzte sich in Frankreich bzw. in Europa nur allmählich im Laufe des 19. Jahrhundert durch. Viele revolutionäre Experimente wie die von Gracchus Babeuf oder Filippo Buonarotti wurden politisch und gesellschaftlich nicht realisiert, sondern blieben Sozialutopie (oder -dystopie). Langfristig setzten sich Verfassungsprinzipen wie Gewaltenteilung, Volkssouveränität, ein allgemeines Wahlrecht, Menschen-

und Bürgerrechte als Fundamente der europäischen Moderne durch – Wahlrecht und Menschenrechte zunächst jedoch nur für Männer. Die Revolution siegte im Bereich Politik über die Restauration. In Gesellschaft und Wirtschaft waren die Umbrüche wesentlich weniger dramatisch als im Bereich von Politik und Verfassung. Als Kulturrevolution war die Französische Revolution in ihren langfristigen Auswirkungen nicht zuletzt eine Medienrevolution, die Bevölkerungsschichten eine Stimme gab, die diese vor der Revolution nicht gehabt hatten.

Ist nun die Zeit der Französischen Revolution zwischen 1789 und 1799 wirklich als Epochenumbruch zu bezeichnen? François Furet hat 1978 (dt. 1980) völlig zurecht gesagt, dass man eigentlich das gesamte 19. Jahrhundert in Frankreich (und letztendlich auch im Übrigen Europa) als eine historische Phase begreifen müsse, in der Revolution und Restauration miteinander „rangen“: Die Jahre 1815, 1830, 1848, 1851 und 1870 seien als wichtigste Stationen in diesem „Kampf“ zu begreifen. Den endgültigen Sieg der (politischen) Revolution sieht Furet letztendlich mit der Etablierung der Dritten Französischen Republik 1871 erreicht. Dieser war jedoch keineswegs zwangsläufig. Von einer teleologischen Geschichtsschreibung à la Marx ist Furet weit entfernt. Furet begreift die Revolution als Prozess, als Prozess mit offenem Ausgang, in dem mehrere Konfliktebenen miteinander verbunden waren. Langfristig setzten sich in Frankreich also auch Verfassungsprinzipien durch, die sich ab dem 17. Jahrhundert in England allmählich etablierten und von den britischen Kolonien in Nordamerika bzw. den Vertretern der Lumières in Frankreich allgemein gefordert wurden: Gewaltenteilung, das Steuerbewilligungsrecht der Legislative, das Prinzip der Volkssouveränität sowie das allgemeine Wahlrecht für Männer. Das Frauenwahlrecht, in US-Bundesstaaten wie New Jersey bereits 1776 eingeführt, wurde in Frankreich erst 1945 zugestanden.

118

V.

Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich?

Der „Epochenumbruch“, radikale Veränderungen von Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur, vollzog sich in Frankreich also nicht im Revolutionsjahrzehnt selbst. Dieses brachte etliche neue politische, soziale und kulturelle Optionen hervor, die im Revolutionsjahrzehnt selbst jedoch sehr kurzlebig waren: neben dem 1792 für kurze Zeit geltenden allgemeinen Wahlrecht für Männer auch die staatliche Lenkung der Wirtschaft durch ein Lohn- und Preismaximum, ein neuer, republikanischer Kultus und vieles mehr. Viele zwischen 1789 und 1799 angestoßene, in der politischen Praxis getestete Veränderungen brauchten ein ganzes Jahrhundert, bis sie sich wirklich durchsetzten, bis Frankreich dort ankam, was wir heute als Moderne bezeichnen. Andere revolutionäre Experimente wie frühsozialistische Bestrebungen der Sansculotten und der Babouvisten konnten sich langfristig in Frankreich nicht etablieren, auch wenn sie ideologisch immer wieder weiterentwickelt (französischer Frühsozialismus) und als Alternativen zum bestehenden Staat und zur Gesellschaft verstanden wurden. Stichwort

Frühsozialismus Als französischen Frühsozialismus bzw. utopischen Sozialismus bezeichnet man zwischen ca. 1770 und 1848 entstandene Gesellschafts- und Staatstheorien, die in der Regel die folgenden Elemente beinhalten: Formen des Gemeineigentums, Ideen von einem „gerechten“ Staat, Gleichheitsvorstellungen, die über bloße Rechtsgleichheit hinausgehen. Zu den wichtigsten Frühsozialisten gehören Gracchus Babeuf und Filippo Buonarotti und ihre Verschwörung der Gleichen (1796), Henri de Saint-Simon (1760–1825), Charles Fourier (1772–1837), Louis-Auguste Blanqui (1805–1881), Pierre-Joseph Proudhon (1809–1856) und Louis Blanc (1811–1882).

Wenn, wie dies die Vertreter des Historischen Materialismus immer wieder formuliert haben, die Französische Revolution wirklich den Übergang von Feudalismus zum Kapitalismus bedeutet hätte, dann müssten für die Jahre nach 1799 eigentlich tiefgreifende Veränderungen in der Gesellschaft und Wirtschaft Frankreichs nachweisbar sein. Dies ist jedoch nicht der Fall. Frankreichs Rückständigkeit in Bezug auf die Industrialisierung war weniger der „Fesselung“ der kapitalistischen Produktivkräfte durch den Feudalismus geschuldet, als in einer außerfranzösischen Konkurrenz (England, Schlesien, die Niederlande) und der mangelnden Kaufkraft der Mittel- und Unterschichten in Frankreich begründet. Dies änderte sich auch nicht mit bzw. nach der Französischen Revolution. Stattdessen ist für die Revolutionszeit gerade unter der Jakobinerdiktatur, die von Soboul u.a. immer als Inkarnation der Abschaffung des Feudalismus wahrgenommen wurde, staatlicher Dirigismus und Innovationshemmung nachzuweisen. Die Revolutions- bzw. napoleonischen Kriege

Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich?

trugen mit dazu bei, dass sich industrielle Kräfte in Frankreich auch nach 1799 zunächst nicht durchsetzten. Wirtschaftshistoriker sehen die Industrialisierung und eine Entwicklung hin zu kapitalistischen Produktions-, Finanz- und Handelsverhältnissen in Frankreich zwischen 1730 und 1830/40 langsam in Gang kommen. Die Französische Revolution stellte hier, so Rolf Reichardt und Eberhard Schmitt, aber insgesamt ein eher retardierendes Element dar. Durch die Aufhebung der Privilegien des Ersten und Zweiten Standes in der Nacht vom 4. August 1789 kam es in der Revolutionszeit selbst zu tiefgreifenden Veränderungen im Bereich Gesellschaft, vor allem was den Besitz der beiden privilegierten Stände anbelangte. Durch die Abschaffung der Privilegien des Ersten und Zweiten Standes verschärften sich allerdings vor allem soziale Gegensätze innerhalb der Bauernschaft. Schon vor Beginn der Revolution war es hier zu einer Polarisierung zwischen reichen Großbauern (fermiers généraux) und Parzellenbauern bzw. Tagelöhnern gekommen. Letztere konnten sich, so Gerd van den Heuvel, in der Regel kaum von ihren Feudallasten freikaufen, während die Großbauern zu einem erheblichen Teil vom Verkauf der Nationalgüter profitierten und als coqs de village Funktionen der Seigneurs während und nach der Revolution übernahmen. Revolutionäre Veränderungen gab es zwischen 1789 und 1799 vor allem für den Zweiten Stand, den Adel. De iure verlor dieser seine Standesprivilegien, niedere Gerichtsbarkeit und Feudalrechte in der Nacht vom 4. August 1789. Am 5. November 1789 und 19. Juni 1790 wurden zudem die rechtliche Ständeordnung und der Erbadel abgeschafft, Karriere- und Steuerprivilegien beseitigt. Durch Emigration, Abschaffung der Monarchie 1792 und Verfolgung des Adels in Frankreich zur Zeit der Terreur büßte der Adel zumindest während der Revolution seine traditionellen Privilegien in Frankreich ein. Die Mehrheit des Adels konnte sich allerdings bereits nach dem Ende der Terreur 1794 erholen, vor allem aber nach der Restauration der Bourbonen 1814/15, als etliche Standesprivilegien des Adels erneut in Kraft traten. 1825 fanden zudem große Entschädigungszahlungen an während der Revolutionszeit enteigneten Adelsfamilien statt. In einer longue durée-Perspektive kam es nicht nur zu einer Restauration des Adels und etlicher seiner Standesprivilegien, sondern zu seiner Stärkung im 19. Jahrhundert. Auch wenn es aufgrund der neueren und neuesten Forschungen nicht mehr sinnvoll ist, von einer bürgerlichen Revolution im Sinne des Historischen Materialismus zu sprechen, so gehörten bürgerliche Mittel- und Oberschichten zu den größten Profiteuren der Revolution in Frankreich. Dies betraf zum einen das Beamtentum, Juristen, Mediziner und den neu aufkommenden Beruf des Journalisten. Die Familien, die während der Revolution Bedeutung erlangten, setzten sich bis 1830 langfristig als führende Familien in der Verwaltung und als politische Elite des Landes durch, wie Werner Giesselmann in seiner Brumairianischen Elite deutlich gemacht hat. Städtische Mittel-

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V.

Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich?

und Unterschichten jenseits der genannten Gruppen veränderten sich während der Revolution allerdings kaum. Insgesamt kam es sozial gesehen langfristig zu einer Verschmelzung von großbürgerlichen und adligen Eliten, d.h. letztendlich zu einer Art Gentryfizierung von vor allem früherem Amtsadel und Großbürgertum – ein Prozess, der bereits vor Beginn der Revolution eingesetzt hatte. Nicht nur lebten viele Großbürgerliche im 19. Jahrhundert in Frankreich ähnlich wie Nobilitierte, sondern Mitglieder des Adels nahmen Berufe an, die vor der Revolution der Bourgeoisie zugerechnet worden waren: im Überseehandel, als Bergwerksbesitzer oder als Anteilseigner von Kapitalgesellschaften. Die Trennlinie verlief weniger zwischen Adel und Drittem Stand als zwischen altem Erbadel und nouveaux venus oder homines novi. Die Rolle der Frau blieb traditionell Ungleichheit und Unterdrückung verhaftet. Die in der Revolutionszeit aufkeimende Frauenbewegung, wie sie sich in den Forderungen einer Marie Olympe de Gouges nach der Ausweitung der Menschen- und Bürgerrechte auf Frauen oder der Gründung von politischen Frauenklubs widerspiegelt, wurde zunächst nicht gehört. Formuliert wurden allerdings in der Revolutionszeit Forderungen nach Rechtsgleichheit von Mann und Frau, nach Schutz von Frauen und Kindern jenseits der Institution Ehe sowie nach der Freiheit, jedwede Arbeit ausüben zu dürfen. Diese Forderungen erfüllten sich langfristig in Europa, allerdings zum Teil erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die Mentalitätsforschung hat sich zu Recht die Frage gestellt, wie stark die Bevölkerung des revolutionären Frankreichs tatsächlich von der Revolution durchdrungen war. Oder anders gefragt: Wie viel Prozent der Bevölkerung Frankreichs waren wirkliche Revolutionäre, d.h. Bürger, die die Revolution und ihre Ereignisse aktiv mitgestalteten? Für Paris hat Albert Soboul 1958 in seiner Studie zu den Sansculotten herausgearbeitet, dass lediglich ein Zehntel der erwachsenen Männer in den Sektionen politisch aktiv waren. Wichtigste Berufsgruppen, die in den Städten die Revolution vor allem zwischen 1792 und 1794 mittrugen, waren Handwerker und Kleinhändler, Bürgerliche und Lohnarbeiter. Für die Pariser Sektionen konnte Michel Vovelle ermitteln, dass die meisten Revolutionäre verheiratet waren, Kinder hatten und im Durchschnitt über 40 Jahre alt waren. Eine Politisierung der Bevölkerung Frankreichs und der eroberten, dann besetzten Gebiete in Europa fand jedoch auch jenseits des revolutionären Aktivismus einer Minderheit statt. Bereits im Vorfeld der Einberufung der Generalstände, zwischen 1788 und 1789, formulierten Untertanen des französischen Königs ihre Beschwerden, Sorgen und Wünsche. Jenseits der Sektionen versammelten sich Menschen in politischen Clubs und Volksgesellschaften und tauschten sich aus über die Ereignisse, Ziele und Fehlschläge der Revolution. Orte der Politisierung der Massen wurden auch die zahlreichen Volksfeste, angefangen vom Föderationsfest 1790 auf den Champs de Mars in Paris, hin zu den vom National-

Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich?

konvent bzw. den Départementsverwaltungen organisierten revolutionären Festen, wie vor allem Mona Ozouf gezeigt hat. Auch wenn zunächst nicht die Mentalitäten aller Franzosen in der revolutionären Dekade tiefgreifend verändert wurden, war die Revolution nicht nur im Bereich Politik und Wirtschaft ein Ferment für Umbrüche der Mentalitäten in einer longue durée-Perspektive. Sie war vielmehr auch ein Ferment für Transformationsprozesse – so Michel Vovelle und Rolf Reichardt –, die zum Teil bis heute anhalten, so beispielsweise auch für die Entwicklung von Öffentlichkeiten, Pressewesen bzw. Medien generell. Mit der Aufhebung der Zensur 1789 entwickelte sich eine Presselandschaft in Frankreich, nicht nur in Form von Zeitungen und Pamphleten, sondern auch als eine überaus wirksame Bildpublizistik, die trotz späterer Zensurmaßnahmen vor allem in den Städten nicht nur alphabetisierte und lesehungrige Schichten erreichte. Der Hunger nach Informationen, nach Austausch über die Ereignisse war enorm, wie dies z.B. die Arbeiten von Hugh Gough und Jeremy D. Popkin deutlich machen. Die Französische Revolution war so nicht zuletzt eine Medienrevolution, die oft durch die Revolutionsregierungen gesteuert eine tiefgreifende, wenn nicht totale oder gar totalitäre Veränderung der Kultur und Mentalitäten der französischen Staatsbürger zu erreichen suchte. Nicht nur Zeitungen und Zeitschriften, auch Theater und Musik (vor allem revolutionäre Lieder), Religion und Erziehung, Sprache und Literatur, Architektur, Mode und alltägliche Gebrauchsgegenstände sollten im Sinne der jeweils führenden politischen Faktionen funktionalisiert werden, um die Bevölkerung von der allein seligmachenden Mission der Revolution zu überzeugen. Einen „Umbruch der sozialen und politischen Kultur“ (Reichardt 1999: 189) stellte die Revolution langfristig aber auch dar, weil hier mittels Medien Öffentlichkeiten geschaffen wurden. Diese gaben politischen Fraktionen und wenig privilegierten Bevölkerungsschichten wie den Sansculotten eine Stimme, ermöglichten es ihnen, sich nicht nur mündlich oder mittels der Verbreitung von Gerüchten, sondern in Texten und Bildern öffentliches Gehör zu verschaffen. Zwar erreichten diese oft nicht ihre Ziele – wie beispielsweise Forderungen nach mehr Demokratie im Sinne der Durchsetzung eines allgemeinen Wahlrechts –, doch wurde eine basisdemokratische politische Kultur geschaffen. Sie bestimmte die Ereignisse der Revolutionszeit in Frankreich und auch die politischen Umwälzungen des 19. und 20. Jahrhunderts nachhaltig. Die Revolution war die Phase, in der letztendlich in Frankreich das entstand, was wir heute als Printmassenmedien bezeichnen: Flugschriften, Pamphlete, aber auch Periodika wie Zeitungen und Zeitschriften wurden in einer bis zum Ausbruch der Revolution nicht gekannten Zahl und Auflagenhöhe gedruckt (von ca. 3000 bis 5000 Exemplaren einer Zeitung im späten 18. Jahrhundert auf bis zu 100.000 Exemplare, die bspw. unter den Soldaten der Revolutionsarmee verteilt wurden – Maßnahmen, die es in England bereits im 17.

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V.

Die Französische Revolution – Epochenumbruch oder Kontinuität in Frankreich?

Jahrhundert, in Nordamerika seit 1774 gegeben hatte). Im Revolutionsjahrzehnt erschienen mehr Druckschriften als im gesamten Jahrhundert zuvor (Reichardt 1999: 191). Ebenso wurden Monopole von Verlegern, den librairesimprimeurs, durch eine Vielzahl kleiner Druckereien gebrochen. Vertreter aller drei Stände und unterschiedlichster Schichten gehörten nicht nur zu den Konsumenten, sondern zu den Produzenten von Druckschriften, Bildern und Texten. Gedruckt wurden die Reden der Repräsentanten der Nationalversammlung bzw. aller folgenden Legislativen, Reden von Politikern im Jakobinerklub oder im Klub der Cordeliers, Bilder vom Hof, von Mitgliedern der Nationalversammlung und von den folgenden Legislativen. Karikaturen der politischen Gegner bzw. des Ersten und Zweiten Standes prägten von Anfang an politische Diskurse in der Französischen Revolution, nicht nur in Frankreich, sondern nach und nach in ganz Europa. Neuigkeiten wurden täglich in den Affiches de la Commune de Paris überall in Paris bekannt gegeben. Die Presse wurde einerseits Propagandainstrument der unterschiedlichen politischen Faktionen, fungierte andererseits aber auch als Organ der Kontrolle der Politiker durch Journalisten und Publizisten. Die Presse entwickelte sich in der Französischen Revolution vom „Palladium politischer Freiheit“ (Gough 1988: 83) zur vierten Macht im Staat. Zwar versuchten die Revolutionsregierungen spätestens ab 1791, die fast uneingeschränkte Pressefreiheit rückgängig zu machen und damit die Nutzung von Printmedien für basisdemokratische, aber auch konterrevolutionäre Forderungen, Propaganda und Aktionen zu unterbinden, die den bürgerlichen Revolutionären zu weit gingen: Oppositionelle Journalisten wurden in Haft gesetzt, ihre Zeitungen verboten. Die Verfassung von 1791 enthielt Beschränkungen der Pressefreiheit – wie etwa das Verbot, zu illegalen Aktivitäten aufzurufen, oder auch das Verbot der Unterstützung von Widerstand gegen die Staatsgewalt. Doch die Versuche der Legislative, ab 1792 die Macht der royalistischen und damit gegenrevolutionären Presse in Frankreich einzudämmen, scheiterten. Die Maßnahmen der Zeit der Terreur gegen die gegenrevolutionäre Presse konnten ebenfalls weder in Paris noch in der Provinz die royalistische und girondistische Presse und ihren Einfluss ausschalten. Die Methoden zur Repression unliebsamer Blätter veränderten sich während der ersten Jahre der Revolution. Das Zensursystem des Ancien Régime, die Notwendigkeit einer Erteilung eines Privilegs für Zeitungen sowie die Vorzensur, kehrten nicht wieder. Während der Revolutionszeit versuchten die Regierungen, die Blätter der Opposition durch Ermahnungen und Einschüchterung der Zeitungsmacher und durch Verbote zu kontrollieren, unter der Terreur auch durch Hinrichtungen von Journalisten sowie Subventionierungen eigener Blätter – eine Pressepolitik, die sich auch das Direktorium ab 1795 zunutze zu machen suchte. Da viele oppositionelle Blätter von bekannten Politikern produziert worden waren, führte in vielen Fällen die Verurteilung und Hinrichtung

Literaturhinweise

des politischen Gegners wie die Brissots, Carras, Gorsas, später auch die Héberts zu einer Krise, oft auch zum „Aus“ der politisch unliebsamen Zeitungen. Der Staatsstreich vom 18. Brumaire VIII setzte zunächst einen Schlussstrich unter die Dekade weitgehender Pressefreiheit. Bereits im Januar 1800 verboten die Konsuln 60 von 73 politischen Pariser Zeitungen, das Polizeiministerium bekam weitere Kompetenzen zuerkannt, Zeitungen durften nur noch mit einer Lizenz in Umlauf gebracht werden – eine Methode, die sich schon während des Ancien Régime als probates Mittel zur Kontrolle der Presse erwiesen hatte. Unter dem Konsulat und dem Empire gab es dann wiederum neben der Nach- auch eine Vorzensur. Darüber hinaus wurden Umfang und Inhalt von Nachrichtenmeldungen streng reglementiert, Journalisten und Verleger mit schweren Sanktionen bedroht. Offiziell kannte das napoleonische Frankreich keine Zensur, doch die „nicht existenten“ Zensurmaßnahmen führten zu einer effizienten Kontrolle des Pressewesens. Die Knebelung der Presse in napoleonischer Zeit, auch immer wieder angeprangert von Demokraten und Liberalen im europäischen Vormärz, wurde nach der Revolutionszeit zu einem der wichtigsten Gravamina im Prozess der Demokratisierung bzw. Herausbildung von Nationalstaaten in Europa. Politische Faktionen und größere Teile der Bevölkerung der Staaten Europas hatten die Wirkungsmächtigkeit und Macht der Printmedien spätestens in der revolutionären Dekade n erkannt und zu nutzen gelernt. Auf einen Blick

Die Zeit der Französischen Revolution zwischen 1789 und 1799 wird oftmals als Epochenumbruch bezeichnet. Das Kapitel hinterfragt diesen Umbruchcharakter der Revolution: Schließen sich Kontinuität und Umbruch aus? Wie lassen sich beide Begriffe gerade an einer Betrachtung der Französischen Revolution in ein komplementäres Verhältnis zueinander bringen? Inwieweit kann man von einem „Erfolg“ der Französischen Revolution sprechen?

Literaturhinweise Desan, Suzanne, The Family on Trial in Revolutionary France, Berkeley 2004. Interessante sozialgeschichtliche Arbeit zur Frage der gesellschaftlichen Veränderungen, die die Französische Revolution mit sich brachte. Koselleck, Reinhart, Reichardt, Rolf (Hrsg.), Die Französische Revolution als Bruch des gesellschaftlichen Bewusstseins, München 1987. Ältere, aber noch immer wichtige Arbeit zur Frage von Umbruch und Kontinuität im Zeitalter der Französischen Revolution. Woloch, Isser, The New Regime: Transformations of the French Civic Order, 1789–1820, New York 1994. Wichtige Studie zur Frage der Durchsetzung der Prinzipien der Französischen Revolution.

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VI. Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten Überblick

U

nter dem Stichwort der Atlantischen Revolutionen werden Unabhängigkeitsund Freiheitsbewegungen europäischer Staaten bzw. der ehemaligen Kolonien Spaniens, Portugals, Frankreichs und Großbritanniens in der Zeit zwischen 1775 und den 1830er Jahren gefasst. Ein gemeinsames Konzept von „Demokratie“ gab es nicht, bzw. „Demokratie“ spielte in den Atlantischen Revolutionen oft gar keine Rolle. Die Atlantischen Revolutionen sind mit dem Begriff der Moderne verbunden. Sie brachten Verfassungsstaaten in Europa und auf dem amerikanischen Dop-

pelkontinent hervor, zum größeren Teil republikanische Gemeinwesen, zu deren Grundlage nicht zuletzt auch die in der Französischen Revolution formulierten Menschenrechte wurden. Das „Joch der Tyranney“ abzustreifen, hieß auch – zumindest für Frankreich und seine Kolonien, später dann auch für Großbritannien – die Abschaffung der Sklaverei. Ebenso sind die Atlantischen Revolutionen mit der Herausbildung des modernen Nationalstaats verbunden – der sich wie in Deutschland nicht zuletzt in Opposition zum französischen Nachbarn formierte.

So sehr die Atlantischen Revolutionen personell und ideell zusammenhängen, so sehr unterscheiden sie sich trotzdem in Ursachen, Auslösern, Verlauf und Wirkungen. Das Konzept „Demokratie“ – wie Robert R. Palmer dies in The Age of Democratic Revolution beschrieb – war nie dasselbe, doch inspirierten die Ideen von Freiheit und Demokratie, wie sie 1775 bis 1789 in den USA und zwischen 1789 und 1799 in Frankreich entwickelt wurden, Freiheits- und Unabhängigkeitsbestreben anderer Nationen und Staaten. Allerdings waren nicht überall in Europa und im atlantischen Raum Freiheit und Demokratie die (alleinigen) Motive, die zu Unabhängigkeitsbewegungen, Bürgerkriegen und letztendlich zu staatlicher Unabhängigkeit in Haiti (1804) und den spanischen Kolonien in Mittel- und Südamerika führten.

1. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation Hoffnungen auf mehr Freiheit und Demokratie in den Territorien des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation bzw. auf eine Reichsreform hatte es bereits vor Ausbruch der Französischen Revolution unter Vertretern

1. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

der deutschen Spätaufklärung bzw. unter deutschen Staatsrechtlern wie beispielsweise dem Stuttgarter Friedrich Cotta gegeben. Neuen Impetus erhielten Vorstellungen von einer föderalen deutschen politischen Nation durch die Ereignisse in Frankreich ab 1789. Vor Ausbruch der Revolution war Frankreich von den intellektuellen Eliten im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zwar als Hort von Aufklärung und verfeinerter Kultur wahrgenommen worden. Ebenso herrschten jedoch nationale Stereotype vor, etwa dass Franzosen „eitel, leichtfertig und oberflächlich sowie verdorben“ seien, Charakterzüge, die den „gesunden und damit dem französischen überlegenen germanischen Volkscharakter“ zu gefährden drohten (Lachenicht 2004: 11). 1789, mit dem Ausbruch der Revolution, veränderten sich diese Perzeptionen grundlegend. Berichte deutscher Frankreichreisender dokumentieren die Begeisterung nicht nur für die Ereignisse von 1789, sondern auch für den Wandel des Charakters des französischen Volks. Frankreich wurde zum Hort der Freiheit. Deutsche Sympathisanten der Französischen Revolution, die in zeitgenössischen Quellen mit dem schillernden Begriff „Jakobiner“ belegt wurden, entwickelten in der Frühphase der Revolution Ideen von einem geeinten deutschen Staat, der durch eine konstitutionelle Monarchie gelenkt werden sollte. Der Prozess dorthin hatte, so viele deutsche Jakobiner, evolutionär zu verlaufen, nicht vom revolutionären Frankreich oktroyiert zu werden. Selbstbefreiung der Deutschen und ein innerdeutscher Reformprozess waren intendiert. Dies schien unter den Vorzeichen eines sich kosmopolitisch gebärdenden revolutionären Frankreichs, das bereit war, allen Völkern die Freiheit zu importieren, wenn diese dies ausdrücklich verlangten, zumindest bis 1791/92 möglich zu sein. Quelle Georg Forster an Christian Wilhelm Dohm (1751–1820), Brief aus Mainz vom Sommer 1790: Aus: Günther 1985: 651.

Auf dem schnellen Fluge durch Frankreich – wir waren nur 3 Tage in Paris – glaube ich doch bemerkt zu haben, dass die Revolution mehr, als man in Deutschland glaubt, konsolidiert sei. Alles ist bereits neu organisiert, und der Landmann ist wirklich in der Lage der öffentl. Angelegenheiten zu wohl unterrichtet, hat zu klare Begriffe vom Staatsbedürfnis, um zu erwarten, was man von ihm gesagt hat, dass er jetzt von allen Abgaben frei bleiben werde. … so scheint es doch, als ob die politischen Gewitter, die der jungen französischen Freiheit drohen, wohl zerpuffen könnten, ohne einzuschlagen.- Hier [in Mainz] freilich räsoniert man so strohdumm über die Revolution, dass man sich mit Ekel wegwenden muss; und die Furcht, welche dieses Deräsonnement mit der Dummheit erzeugt, ist doch im Grunde eine leere Furcht. Deutschland ist noch weit von der Nachahmungsperiode, was diesen Punkt betrifft, denn wo sind die Köpfe und ist das Geld?

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VI.

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

Zu den bekanntesten deutschen Jakobinern zählt der Mainzer Georg Forster (1754–1794), Gelehrter, Weltumsegler, Reisebegleiter James Cooks bei dessen Südsee-Expedition und Bibliothekar der Universität Mainz, 1790 Augenzeuge der Revolution in Paris und ab dem Herbst 1792 einer der wichtigsten Akteure der Mainzer Republik. Aber auch weniger politisch aktive „Jakobiner“ wie Georg Friedrich Rebmann (1768–1824) und norddeutsche Jakobiner wie Wilhelm von Schütz (1776–1847) gehörten zu den Revolutionsfreunden, die durch ihre Publizistik in der periodischen Presse, aber auch in Flugblättern, Briefen und Büchern eine neue politische Kultur im Reich schufen. „Jakobiner“ gab es nicht nur in den Frankreich nahen Gebieten des Alten Reichs, sondern auch in Hamburg und Wien, wo Andreas Freiherr von Riedel (1748–1834) und Franz Hebenstreit (1747–1795) für ihre „revolutionären Umtriebe“, d.h. ihre Veröffentlichungen zur Herausbildung eines demokratisch-republikanischen Österreichs, angeklagt und Letzterer hingerichtet wurde. Stichwort

Georg Forster Johann Georg Adam Forster (1754–1794) wurde bei Danzig als Sohn des lutherischen Pastors und Naturforschers Johann Reinhold Forster (1729–1798) geboren. 1765 begleitete Georg seinen Vater auf eine Forschungsreise nach Russland, 1766 nach England, wo er Lomonossows „Kurze Geschichte Russlands“ aus dem Russischen ins Englische übersetzte. 1772 begleiteten Vater und Sohn Forster James Cook auf seiner zweiten Weltumseglung, die sie in den Südatlantik, den Indischen Ozean, in die Antarktis und in den Südpazifik führte. Sie erkundeten dabei u.a. Neuseeland, Tahiti und die Osterinseln. Beide Forsters widmeten sich nicht nur der Beschreibung von Flora und Fauna, sondern auch von Gesellschaften und Kulturen des Südpazifiks. 1777 erschien Georg Forsters A Voyage around the World (Reise um die Welt). Forster wurde Mitglied der Royal Society in London, lehrte in Kassel und Wilna Naturkunde und -geschichte, wechselte dann aber als Bibliothekar nach Mainz. In Kassel wurde er auch Mitglied einer Freimaurerloge. Bei Ausbruch der Revolution sympathisierte Forster wie viele deutsche Gelehrte mit den Ereignissen in Frankreich und war spätestens ab Anfang 1793 an der Errichtung der Mainzer Republik beteiligt. Er war Mitglied des Mainzer Jakobinerklubs und des Rheinisch-Deutschen Nationalkonvents in Mainz. Als die Mainzer Republik im Juli 1793 von preußisch-österreichischen Truppen überrannt wurde, befand sich Forster als Teil der Mainzer Delegation in Paris, wo die Aufnahme der Mainzer Republik in die Französische Republik beantragt werden sollte. Da Forster als Mainzer Republikaner in die Reichsacht erklärt wurde, konnte er das revolutionäre Paris, das in die Phase der Terreur eingetreten war, nicht mehr verlassen. Er starb im Januar 1794 in Paris an einer Lungenentzündung.

Mit der Gründung der ersten „demokratischen“ Republik auf deutschem Boden, der Mainzer Republik vom Oktober 1792, waren ab dem Winter 1792/ 93 auch Zwangsmaßnahmen der französischen Truppen gegenüber der eigentlich vom „Joch der Tyrannei“ zu befreienden deutschen Bevölkerung verbun-

1. Das Heilige Römische Reich deutscher Nation

den. Die „Freiheit“ wurde den besetzten Gebieten zunehmend von den Revolutionstruppen oktroyiert und war mit Kontributionen und Requisitionen verbunden. Dies führte im Reich – ebenso wie der Ausbruch der Terreur in Frankreich – zu einer immer geringeren Akzeptanz der Revolution und ihrer Errungenschaften. Abgesehen von einer sich radikalisierenden Gruppe von deutschen Jakobinern, die durch ihre politische Presse aus dem französischen Exil im Elsass heraus immer wieder versuchte, die Bevölkerung der von Frankreich eroberten deutschen Gebiete zur Gründung von Schwesterrepubliken wie der Badischen, der Württembergischen oder der Cisrhenanischen Republik aufzurufen, wurden Freiheit und Demokratie in Deutschland in Ablehnung der Französischen Revolution neu definiert. Gerade nach der Terreur finden sich auch bei früheren Sympathisanten der Revolution kritische Töne gegenüber Frankreich, bzw. wurde erneut die geistige und moralische Überlegenheit der Deutschen beschworen. Die Franzosen hätten die Freiheit durch Krieg und Terreur pervertiert. Die „ächten Republikaner“ waren – so einige deutsche Jakobiner – eigentlich die Deutschen. Quelle So schrieb der Mannheimer Jude Abraham Lembert in der in Straßburg erscheinenden Zeitung Der Republikanische Wächter: Aus: Der Republikanische Wächter, Nr. 11 vom 28. Oktober 1795: 219.

Man erwäge auch hier, wieviel Frankreich gewinnen wird, durch die Menge der Gelehrten, von Künstlern und Kaufleuten und von ächten Republikanern, die uns vom Übrigen Deutschland vom linken Rheinufer zuströmen werden.

Die „teutsche Republik“, wie sie in deutschsprachigen Texten nach 1796 entworfen wurde, sollte ein in eine europäische Republik eingebundener föderaler Staat sein, dessen Verfassung zum Garanten der Freiheit Europas werden sollte. Das zentralistische, nationalistische französische Modell der Republik diente deutschen Freiheitsfreunden nicht als Vorbild. Sie wollten dem Partikularismus der Einzelstaaten des Reiches Rechnung tragen, der Traum einer Weltbürgerrepublik wurde konzipiert. Quelle In der ebenfalls in Straßburg erscheinenden Rheinischen Zeitung, an der u.a. der Mainzer Jakobiner Georg Wedekind mitarbeitete, hieß es im Februar 1796: Aus: Rheinische Zeitung, Nr. 11 vom 2. Februar 1796: 48.

Dann wird der Frieden allgemein und dauerhaft sein, dann wird die europäische Republik nur durch Geseze regiert werden. Jener Bund erwekt den deutschen Fürsten=Bund wieder, und die teutsche Reichs=Konstitution kann dadurch in die Gewährleistung der Freiheit Europas umgeschaffen werden. Der Kosmopolit sieht den ewigen Glücks=Tag der Menschheit anbrechen; die Morgenröte derselben ist Frankreichs Revolution.

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VI.

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

Dass das revolutinäre Frankreich den revolutionswilligen Deutschen und den erklärten Republikanern unter ihnen – eine kleine Minderheit im Alten Reich – nicht den ersehnten Frieden, Souveränität und damit verbunden das Selbstbestimmungsrecht der Völker brachte, mündete auf Seiten etlicher deutscher Jakobiner in eine massive Anklage der französischen Regierung. Sie habe nicht nur Deutschlands Ruf nach Freiheit nicht gehört, sondern das Ansehen von Revolution und Republik so weit diskreditiert, dass eine Republikanisierung und Demokratisierung Deutschlands nun nicht mehr nur an den deutschen Fürsten, sondern auch an der Ablehnung des Exports der Revolution durch das deutsche Volk scheitern würde. Mit dem Ende der Revolution in Frankreich 1799 war die „Franzosenzeit“ in den besetzten linksrheinischen Gebieten des Heiligen Römischen Reiches ebenso wenig beendet wie das Streben deutscher Revolutionäre bzw. Reformer, Freiheit und Demokratie dauerhaft im Reich umzusetzen. Eine kleine Gruppe deutscher Jakobiner und ihrer Nachfahren engagierte sich nicht nur in der Franzosenzeit für den Erhalt revolutionärer Errungenschaften wie der Abschaffung der Privilegien der ersten beiden Stände, der Einführung des Code civil, der Aufhebung von Zünften und Gilden, sondern wurde als sogenannte revolutionäre Demokraten auch im deutschen Vormärz tätig. Dies war vor allem im linksrheinischen, ehemals französischen Raum der Fall, also in der bayerischen Rheinpfalz und in Rheinhessen, aber auch im Badischen und Württembergischen. Zu den Einladern des Hambacher Festes 1832, auf dem die Einheit der deutschen Nation beschworen wurde, gehörte der Mannheimer, dann Straßburger Jakobiner Abraham Lembert. Der Sohn des Mainzer Jakobiners Mathias Metternich, Germain Metternich (1811–1862), war 1832 unter den Verfassungskämpfern des deutschen Vormärz. Als solcher nahm er nicht nur 1832 am Hambacher Fest teil, sondern war auch im Frühherbst 1848 an den Barrikadenkämpfen in Frankfurt sowie 1849 am badischen Aufstand beteiligt. Antifranzösische Ressentiments unter den „deutschen revolutionären Demokraten“, wie Walter Grab die deutschen Jakobiner nannte, waren nicht nur durch die Besatzung der Revolutionszeit, sondern vor allem in der napoleonischen Zeit geschürt worden und gehörten u.a. bei Johann Gottlieb Fichte (1762–1814) zum politischen Diskurs. Die Weiterentwicklung von Diskursen zu Freiheit und Demokratie im Reich inspirierte sich so einerseits an den Idealen der Französischen Revolution, gleichzeitig aber in Ablehnung der „despotischen“ Praktiken der französischen Armee zwischen 1792 und 1799 und zur napoleonischen Zeit. Transfer revolutionärer Kultur und eines republikanischen Systems ja, so ein Teil der deutschen revolutionären Demokraten der Revolutionszeit und des Vormärz, aber nicht auf den Bajonetten der französischen Armee, sondern durch einen Eklektizismus „wünschenswerter“ freiheitlich-demokratischer Ideen und Praktiken, der von den Deutschen selbst gesteuert wurde.

2. Die Batavische Republik

1832, auf dem Hambacher Fest, wurden so, ähnlich wie in der Frühzeit der Französischen Revolution, auch die „Befreiung und Verbrüderung aller Völker“ und ein „vereintes Europa“ beschworen. Die Diktion stellt hier eindeutig eine Nähe zum großen Föderationsfest von 1790 auf den Champs de Mars in Paris her. Doch spielte hier nicht nur das Erbe der großen Französischen Revolution eine Rolle, sondern ebenso die Solidarität mit der Julirevolution von 1830 in Frankreich, mit deren Akteuren deutsche „Volksfreunde“ in engem Kontakt standen. In der Tradition der Französischen Revolution sandte nun, 1832, die Gesellschaft der Volksfreunde (La Société des Amis du Peuple, Comité de Strasbourg) eine Adresse an die Assemblée Patriotique Allemande réunie à Hambach (den patriotischen Bundesverein Deutschlands in Hambach). 1832 waren es die französischen Freiheitsfreunde, die den deutschen Freiheitsfreunden zum Hambacher Fest als möglicher Etappe auf dem Weg zu deutscher Freiheit und Einheit gratulierten und sie aufforderten, diesen Weg hartnäckig zu beschreiten. Quelle Adresse der Gesellschaft der Volksfreunde (La Société des Amis du Peuple, Comité de Strasbourg) an die Assemblée Patriotique Allemande réunie á Hambach (den patriotischen Bundesverein Deutschlands in Hambach) von 1832 Aus: 150 Jahre Hambacher Fest 1982: 36.

Deutsche Männer! Der Cultus der Freiheit ist allen gebildeten Völkern gemein. Es ist die Religion der Männer, deren Herz für Vaterland und für die Menschheit schlägt. … Schließet den Bund der Völkereinheit unter Euren getrennten Fürstenstaaten. Zernichtet die Fesseln, die der Absolutismus zu Eurer Trennung geschmiedet. … Das Frankenvolk jauchzet Euerem muthvollen Streben Beifall zu, es theilt Eure Wünsche. Obgleich es in den Julitagen diesem Geiste der Freiheit den ersten Aufschwung gegeben, der die Welt jetzt in Bewegung setzt, so seufzt es nichts destoweniger unter den Folgen der bittersten Täuschungen, als Opfer seines Vertrauens in gewisse Menschen, die ihm keine andere Bürgschaft darboten, als ihre falschen und prahlerischen Versprechungen. Möchte sein Beispiel Euch zur zweifachen Lehre dienen! Empfanget nun, besonders, die Versicherung des biedern Brudersinns, den Euch Straßburgs Patrioten auf alle Zeiten weihen. … Auch sie sind bereit, gleich Euch und mit Euch mit Blut und Leben das Interesse Aller, das Interesse der Freiheit zu befordern und zu wahren.

2. Die Batavische Republik Während sich die nördlichen Provinzen der Niederlande 1579 in der Union von Utrecht zusammengeschlossen und sich 1581 von der spanischen Herrschaft für unabhängig erklärt hatten und als solche im Westfälischen Frieden von 1648 anerkannt worden waren, kamen die auch nach 1581 spanischen Niederlande (das heutige Belgien) 1713/14 an die österreichischen Habsburger.

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VI.

Batavischer Klub

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

Anders als im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, wo Initiativen zur Gründung von Schwesterrepubliken sehr stark von Frankreich aus gesteuert wurden und die Gruppe der deutschen Revolutionsanhänger bzw. Jakobiner nicht sehr groß war (in Mainz lag sie bei ca. 500; so zumindest die Zahl der Mitglieder der Mainzer Gesellschaft der Freunde der Freiheit und Gleichheit 1792), wurde die freiheitlich-demokratische Bewegung in den Niederlanden und im heutigen Belgien von dortigen bzw. im französischen Exil lebenden „Patrioten“ initiiert. Die Forschung schätzt ca. 5000 Exilniederländer – aus den Vereinigten Niederlanden, aus den Österreichischen Niederlanden und aus der Enklave Lüttich stammend –, die mit Hilfe der französischen Revolutionäre eine Republik in den Niederlanden und im heutigen Belgien zu errichten gedachten. Versuche in den Vereinigten Niederlanden, die Herrschaft des Erbstatthalters Wilhelms V. zu brechen, waren 1787 ebenso gescheitert wie die Bemühungen 1789 in den österreichischen Niederlanden, einen revolutionären Prozess gegen die habsburgische Herrschaft in die Wege zu leiten. Die niederländischen Exilrevolutionsfreunde standen mittels eines Netzwerks an Korrespondenzen in engem Kontakt mit Gleichgesinnten in ihrer Heimat. Allein in Amsterdam soll ein patriotisch-batavischer Klub über 5000 Mitglieder gehabt haben. Erst im April 1792 bildete die Legislative jedoch auf Drängen der batavischen Patrioten ein Comité batave, dass die „Freiheitsbewegungen“ der Niederländer (d.h. in den heutigen Niederlanden und im heutigen Belgien) unterstützen sollte. Aus den österreichischen und den Vereinigten Niederlanden sollte ein einziger Staat mit einer „modernen“ Verfassung werden, also mit dem Prinzip der Volkssouveränität und einem weitgehenden Wahlrecht ausgestattet. Als die französischen Truppen unter Dumouriez im Herbst 1792 in Richtung österreichische Niederlande vorrückten, wurde die Bevölkerung aufgerufen, sich selbst vom „Joch der Tyrannei“ zu befreien und sich im Sinne des Selbstbestimmungsrechts der Völker eine Verfassung zu geben. Ebenso wie in Mainz scheiterte die Souveränität der „Belgier“ jedoch an dem Konventsdekret vom Dezember 1792, das der Bevölkerung der von Frankreich besetzten Gebiete das Selbstbestimmungsrecht aberkannte. Darüber hinaus unterlag die französische Armee den Österreichern in Neerwinden am 18. März 1793, was der „Selbstbefreiung“ der „Belgier“ ein vorläufiges Ende setzte. Mit der Rückeroberung von Teilen des heutigen Belgien ab dem Frühsommer 1793 hatte sich die Politik Frankreichs gegenüber den okkupierten Gebieten jedoch grundlegend gewandelt. Es ging nicht mehr um den freiwilligen Import der Revolution, um einen Systemtransfer, bei dem die zu gründende Schwesterrepublik ein gleichberechtigter Partner gewesen wäre. Am 1. Oktober 1795 wurden die belgischen Gebiete von Frankreich annektiert, die Wünsche und Ziele der „Patrioten“ in den habsburgischen Niederlanden ignoriert.

3. Die Schweiz

In den Vereinigten Niederlanden wurde am 16. Mai 1795 die Batavische Republik proklamiert, nachdem Frankreich hier im Winter 1794/95 Gebiete besetzt und den Erbstatthalter ins englische Exil geschickt hatte. Eine demokratische Verfassung nach Vorstellungen der niederländischen Patrioten wurde jedoch auch hier nicht erlassen, sondern die Direktorialverfassung Frankreichs oktroyiert und das Land zu hohen Kontributionszahlungen an Frankreich gezwungen. Gemäß dem französischen Vorbild wählten die Niederländer im Frühjahr 1796 eine neue Legislative, die sich aus Föderalisten (die auf eine auf weitgehende Autonomie der Provinzen setzende Verfassung drängten) und Zentralisten (die für eine starke Zentralregierung der Batavischen Republik eintraten) zusammensetzte. Bei den zweiten Wahlen zur Legislative bekam letztere Faktion nur noch eine Minderheit der Stimmen, was sie veranlasste, das französische Militär um Hilfe zu bitten. Ähnlich den Staatsstreichen der Direktorialzeit in Frankreich wurde die Legislative mit Unterstützung der Armee von Föderalisten „gesäubert“, die Provinzen der Niederlande in acht Départements aufgeteilt. Doch auch die Zentralisten weigerten sich, die Legislative nach vollzogener Zentralisierung aufzulösen, was zu einem weiteren vom französischen Militär geführten Staatsstreich führte. Napoleon machte aus der Batavischen Republik ein Königreich unter Herrschaft seines Bruders Louis Bonaparte (1806–1810) und „integrierte“ die Niederlande später in das französische Empire. 1814 wurden die Niederlande wieder unabhängig. Als Entschädigung sprach man den Vereinigten Niederlanden die ehemals habsburgischen südlichen Niederlande zu, die sich jedoch 1830 für unabhängig erklärten und sich als Staat Belgien (mit parlamentarischer Monarchie) etablierten.

131 Batavische Republik

3. Die Schweiz Seit dem 13. Jahrhundert waren die Gebiete der heutigen Schweiz zunehmend unabhängig vom Heiligen Römischen Reich deutscher Nation geworden; bis 1789 hatte sich die Schweizer Eidgenossenschaft herausgebildet, in der die Kantone weitgehende Autonomie behielten. In etlichen Kantonen fand im 16. und 17. Jahrhundert eine „Aristokratisierung“ von Herrschaft statt. Frühe demokratische Elemente in den Kantonen (die Wahl der Räte etc.) wichen oligarchischen Formen von Herrschaft. Als Defizit sahen einige Schweizer Aufklärer und Reformer auch die mangelnde Zentralisierung, den föderativen Charakter der Schweiz, an. Auch in der Schweizer Eidgenossenschaft gab es inspiriert durch die Ereignisse in Amerika und Frankreich eine zunächst von Frankreich politisch unabhängige Freiheitsbewegung, die beispielsweise 1792 in Genf zu einer radikalen Republikanisierung des Stadtregiments führte. Während der Koalitions-

Eidgenossenschaft

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VI.

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

kriege bestand die Schweiz auf ihrer Neutralität, ließ aber zu, dass Frankreich 1797 das Veltlin aus dem Kanton Graubünden herauslöste, um es der neu gegründeten Cisalpinischen Republik einzugliedern. Militärische Unterstützung erfuhren die Helvetischen Patrioten jedoch erst ab dem Frühjahr 1798, als Bonaparte und Reubell entschieden, dass die Gründung eines helvetischen Einheitsstaates die gesamteuropäische Militärstrategie Frankreichs stützen könnte: Die Schweizer Pässe waren eine wichtige Verbindung für die Versorgung der französischen Truppen in Italien. Vom Waadtland aus wurden die Schweizer Kantone überrannt und mit Hilfe der Schweizer Patrioten Peter Ochs (Basel) und Frédéric César de La Harpe die Helvetische Republik gegründet, die ähnlich wie in den Niederlanden die Direktorialverfassung Frankreichs annehmen sollte. Quelle Verfassung der helvetischen Republik, vom 12. April 1798 Aus: Quellenbuch zur neueren Schweizerischen Geschichte 1992: 126.

1. Die helvetische Republik macht einen unzertheilbaren Staat aus. … 2. Die Gesamtheit der Bürger ist der Souverän oder Oberherrscher. … Die Regierungsform … soll allzeit eine repräsentative Demokratie sein. 3. Das Gesetz ist die Erklärung des Willens des Gesetzgebers, welchen er auf eine durch die Constitution festgesetzte Art kundgemacht hat. 4. Die zwei Grundlagen des öffentlichen Wohls sind Sicherheit und Aufklärung. Aufklärung ist besser als Reichthum und Pracht. 5. Die natürliche Freiheit des Menschen ist unveräußerlich. Sie hat keine anderen Grenzen als die Freiheit jedes andern und gesetzmäßig erwiesene Absichten eines allgemein nothwendigen Vortheils. Das Gesetz verbietet jede Art von Ausgelassenheit; es muntert auf, Gutes zu thun. 6. Die Gewissensfreiheit ist uneingeschränkt; jedoch muss die öffentliche Äußerung von Religionsmeinungen den Gesinnungen der Eintracht und des Friedens untergeordnet sein. … 7. Die Pressefreiheit ist eine natürliche Folge des Rechtes, das jeder hat, Unterricht zu erhalten. 8. Es giebt keine erbliche Gewalt, Rang noch Ehrentitel. Jeder Gebrauch oder jede darauf zielende Einsetzung soll durch Strafgesetze verboten werden. 9. Privateigenthum kann vom Staat nicht anders verlangt werden als in dringenden Fällen oder zu einem allgemeinen, offenbar nothwendigen Gebrauch und dann nur gegen eine gerechte Entschädigung.

Obwohl Frankreich eigentlich die Unverletzlichkeit der Grenzen der Helvetischen Republik garantiert hatte, wurden Mulhouse (Oberelsass), Basel, die Täler des Jura und Genf aus der Eidgenossenschaft herausgelöst, um sie Frankreich anzugliedern. Ähnlich wie in den Niederlanden kam es auch in der Helvetischen Republik zu Konflikten um das Maß der Autonomie der einzelnen Kantone, kurz um die Frage Föderalismus oder Zentralismus. Es folgten bürgerkriegsähnliche Zustände, die 1802 in einen allgemeinen Aufstand münde-

4. Italien

133

ten. 1803 wurde eine neue Verfassung erlassen, die den Staatenbund der einzelnen Kantone wieder herstellte. Nach 1815 wurden erneut aristokratische Regierungsformen in den einzelnen Kantonen eingeführt. Eine Demokratisierung der Kantone bzw. eine Verfassungsreform wurde in der Schweiz erst 1848 mit der Bundesreform erreicht.

4. Italien Italien war in der Frühen Neuzeit von „Kleinstaaterei“ und „Fremdherrschaft“ geprägt. Über Mailand, Neapel, Sizilien und Sardinien hatten bis 1701 die spanischen Habsburger geherrscht; 1713 kamen diese Territorien (bis auf Sizilien) an die österreichischen Habsburger. Das Haus Savoyen erhielt neben dem Piemont auch Sizilien. Letzteres tauschte es 1720 gegen Sardinien und erlangte somit die Königswürde. Die Toskana kam 1737 nach dem Aussterben der dort regierenden italienischen Medici an Habsburg, das dort eine Sekundogenitur einrichtete. Als einzige „italienische“ Macht herrschte in Italien im 18. Jahrhundert das Haus Savoyen über das Königreich Sardinien-Piemont. In Italien gab es schon vor Ausbruch der Revolution in Frankreich Bestrebungen, aus den von unterschiedlichen europäischen Staaten regierten Territorien einen italienischen Einheitsstaat zu erschaffen. Zu den italienischen „Patrioten“, die die Französische Revolution zum Anlass nahmen, ihre eigenen, von Frankreich sich diametral unterscheidenden Vorstellungen eines neuen Italien in die Realität umzusetzen, gehörten der Piemonteser Giovanni Antonio Ranza, aber auch der Toskaner Filippo Michele Buonarroti, der 1796 gemeinsam mit Gracchus Babeuf die Verschwörung der Gleichen in Paris initiiert hatte und aus dem französischen Gefängnis heraus die Republikanisierung Italiens zu betreiben suchte. Von den Regierungen im Piemont, in Mailand und in Rom als „Jakobiner“ denunziert, lehnten diese italienischen Patrioten fast durchweg jedoch die Jakobinerdiktatur in Frankreich, die Zentralisierung und vor allem die Dechristianisierung kategorisch ab. Der Katholizismus sollte unabdingbarer Bestandteil des italienischen Patriotismus bleiben. Ähnlich wie in Mainz oder in der Batavischen Republik ergriffen Mailänder Patrioten die Gelegenheit, beim Abzug der österreichischen Truppen im Mai 1796 den Prozess von einem von einer ausländischen Macht beherrschten Kleinstaat hin zu einer eigenständigen Republik, der Cisalpinischen, vorzubereiten. Ein Freiheitsbaum wurde aufgepflanzt und ein revolutionärer Klub gegründet. Doch ähnlich wie 1792/93 in Mainz erfüllten sich auch 1796/97 in Mailand nicht die Hoffnungen der italienischen Patrioten. Anstatt eine Schwesterrepublik zu unterstützen, die die Vorstellungen der Mailänder Republikaner realisiert hätte, wurde unter der Ägide Bonapartes und der französi-

Fremdherrschaft

Cisalpinische Republik

134

VI.

Cispadanische Republik

Patriotische Gesellschaften

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

schen Armee ein Satellitenstaat geschaffen, der Frankreich Kontributionen zu leisten und vor allem als Puffer bzw. als potentielles Tauschpfand im Krieg mit der antifranzösischen Koalition dienen sollte. Weder durften die Lombarden ihre eigenen Regierungs-, Justiz- und Verwaltungsbeamten wählen – diese wurden durch die französische Besatzungsmacht ernannt – noch wurde die von den lombardischen Patrioten ausgearbeitete Verfassung in Kraft gesetzt. Parallele Erfahrungen sind auch für die Gründung der Cispadanischen, der Römischen, der Ligurischen und der Parthenopäischen Republik (Neapel) zu verzeichnen. Die Akzeptanz der „Franzosenzeit“ in Italien war so gut wie nicht vorhanden. Vor allem in Neapel, in Rom und in Genua kam es zu Aufständen gegen die französische Besatzungsmacht. Als die antifranzösische Koalition die von Frankreich kontrollierten Gebiete Italiens ab dem Frühjahr 1799 zurückeroberte (Napoleon befand sich mit seiner Armee in Ägypten), setzte die italienische Bevölkerung der Rückkehr der alten Obrigkeiten so gut wie keinen Widerstand entgegen. Freiheits-, Einheits- und Demokratiebestrebungen, wie sie die italienischen Patrioten für die italienischen Schwesterrepubliken eigentlich intendiert hatten, waren in Italien mit der Rückkehr der alten Mächte jedoch alles andere als beendet. Ähnlich der London Corresponding Society – allerdings von den Unterschichten weit weniger stark frequentiert – hatten sich schon vor der „Franzosenzeit“ patriotische Klubs in Italien gebildet wie der Circolo Costituzionale in Bologna oder der Circolo degli Emuli di Bruto in Rom. Diese hatten versucht, die politischen und gesellschaftlichen Umstürze, die durch die französische Besatzung verursacht wurden, nach eigenen Bedürfnissen zu lenken, waren aber an der französischen Besatzungsmacht gescheitert. Letztere versuchte energisch, jedwede patriotische grassroots-Bewegung in den italienischen Satellitenstaaten zu unterbinden, und verbot 1798 alle italienischen patriotischen Gesellschaften. Wie die patriotischen Gesellschaften in Frankreich oder England versuchten auch die italienischen, durch eine eigene Publizistik, durch Initiativen zur Volksbildung vor allem im ländlichen Raum die Basis für ihre Ideen von nationaler Einheit, italienischem Republikanismus und Freiheit für größere Schichten der Bevölkerung akzeptabel zu machen, also eine demokratische Kultur zu entwickeln, die zu freiheitlich-demokratischen Reformen bzw. einem Umsturz des Ancien Régime in Italien führen sollte. Ziele waren u.a. die Abschaffung von Feudalrechten, aber vor allem der nationale Einheitsstaat, der Fremdherrschaft und Kleinstaaterei überwinden sollte. Während der Revolutionszeit wurde letztendlich eine freiheitlich-nationale politische Kultur geschaffen, die in den Geheimgesellschaften der Carboneria bis ins frühe 19. Jahrhundert fortbestand, derer sich die Vorkämpfer der nationalen Einheit im italienischen Risorgimento, Giuseppe Mazzini und Giuseppe Garibaldi, bedienen sollten und aus der 1861 die nationale Einigung Italiens hervorging.

5. Republikanismus auf den britischen Inseln

Zwar war Frankreich, die Grande Nation, une et indivisible, Vorbild für die nationale Einheit Italiens. Nach französischem Vorbild sollte im Risorgimento der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein italienischer Einheitsstaat mit einer Sprache, einer Kultur und einer Literatur geschaffen werden. Nationalismus und Republikanismus italienischer Patrioten unterschieden sich jedoch trotz aller Inspiration, die das revolutionäre Frankreich bot, grundlegend vom französischen Republikanismus. So gehörte der Katholizismus bei vielen italienischen Patrioten des frühen 19. Jahrhunderts wie etwa Vincenzo Gioberti unabdingbar zur italienischen Freiheit, Identität und zum italienischem Patriotismus. Darüber hinaus geriet Frankreich als der Staat, der das republikanische System exportieren wollte, auch in Italien in Misskredit. Nach den Erfahrungen der italienischen Schwesterrepubliken mit der französischen Besatzungsmacht wurde Frankreich als Partner im Prozess der Herausbildung des italienischen Staates ebenso vehement abgelehnt wie in Deutschland.

135 Risorgimento

5. Republikanismus auf den britischen Inseln Um eine innereuropäische koloniale Freiheits- und Unabhängigkeitsbewegung handelt es sich bei der Bewegung der United Irishmen in Irland. Irland wurde seit 1603 in Personalunion mit England und Wales unter der Krone der Stuarts bzw. als 1714 der Hannoveraner regiert. Bis 1800 hatte Irland allerdings ein eigenes Parlament, das aber zunehmend von englischstämmigen Protestanten und nicht von den mehrheitlich katholischen Iren dominiert war. Seit 1652 (mit Unterbrechung von 1662 bis 1691) wurde den katholischen Iren das passive Wahlrecht, d.h. ihre Wählbarkeit ins irische oder englische Parlament, untersagt. Bereits zur Regierungszeit Königin Elisabeths I. von England hatten sich in Irland Kolonialisierungsversuche abgezeichnet. Diese wurden allerdings erst unter den Stuarts, ab 1609, intensiv vorangetrieben. Die Ulster Plantation geriet zu einem der größten, von englischer Seite geplanten Projekte, irische Katholiken zu enteignen und auf ihrem Land Engländer und Schotten anzusiedeln. Unter der Regierung König Karls I. von England kam es im Verlauf der Puritanischen Revolution 1641 zu einem Aufstand der katholischen Mehrheit Irlands gegen die Regierung in Dublin bzw. London. 1641 wurden wahrscheinlich einige Tausend Protestanten von irischen Katholiken massakriert. Mit der Thronbesteigung des Katholiken Jakob II. von England 1685 wurde 1687 ein katholischer Ire zum Vizekönig über Irland ernannt: Richard Talbot, Earl of Tyrconnell, der Hauptinitiator der sogenannten Catholic Revolution in Irland. Zwischen 1686 und 1688 wurde Katholiken in Irland nicht nur Religionsfreiheit zuerkannt, sondern sie durften nun auch wieder öffentliche Ämter bekleiden. Eine katholische Staatskirche wurde jedoch nicht etabliert. Ebenso wenig wurden die Landenteignungen rückgängig gemacht.

United Irishmen

Kolonialismus

136

VI. Glorreiche Revolution

Penal Laws

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

Die Glorreiche Revolution von 1688/89 sollte die Situation für Katholiken in Irland in den späten 1680er Jahren radikal und dauerhaft verändern. Nach der Landung Wilhelms und Marias in England, der Absetzung des Katholiken Jakob II. und der Thronbesteigung von Wilhelm und Maria versuchte der noch amtierende Vizekönig, Tyrconnell, Irland für den mittlerweile exilierten katholischen König Jakob II. zu retten. In den jakobitischen Kriegen (1688–1691) gelang der Streitmacht Wilhelms III. von England am 12. Juli 1691 ein entscheidender Sieg gegen die Jakobiten, d.h. gegen die vom katholischen Frankreich unterstützten Anhänger Jakobs II. Ab 1695 traten die Penal Laws, die Strafgesetze gegen Katholiken in Irland, in Kraft: Katholische Iren wurden entwaffnet (1695) und von allen staatlichen Ämtern (Verwaltung, Universitäten, Parlament, Armee) ausgeschlossen (1704 und 1728), was katholischen Iren auch ihre Wählbarkeit ins irische Parlament kostete. Sie wurden zudem von Landbesitz und Residenzrechten in einigen Städten (1728) ausgeschlossen. Zu den politischen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Eliten des Landes stiegen so in der Regel englischstämmige Protestanten in Irland auf, die sogenannte Anglo-Irish Ascendancy. Der Widerstand gegen die protestantisch-britische Herrschaft in Irland, der Streit um den freien Zugang katholischer Iren zu staatlichen Ämtern inklusive eines Sitzes im irischen Parlament bzw. der Streit um die Reform und Aufhebung der Penal Laws, kurz der konfessionelle und politisch-wirtschaftliche Konflikt mit seiner langen Vorgeschichte erhielt durch die Französische Revolution einen entscheidenden Impetus. Ähnlich dem Vorbild der patriotischen Gesellschaften in Frankreich bildeten sich in Irland politische Klubs heraus, die sich unter dem Namen United Irishmen formierten und über Mitglieder bzw. Korrespondenzen irische Städte untereinander verbanden und eine eigene Publizistik (beispielsweise die Zeitung Northern Star in Belfast) hervorbrachten. Unterstützt von zahlreichen englischstämmigen bzw. anglikanischen Iren wie Theobald Wolfe Tone, einem Juristen, erreichten die United Irishmen, dass Reformgesetze erlassen wurden. Im Catholic Relief Act von 1793 wurde Katholiken der Zugang zu Universitäten erlaubt und das Zensuswahlrecht auch auf Katholiken ausgeweitet. Die Gleichberechtigung der katholischen Iren, wie beispielsweise der Zugang zu allen staatlichen Ämtern bzw. ihre Wählbarkeit zu Mitgliedern des irischen Parlaments, wurde allerdings nicht konzediert. Im Februar 1793 forderten die United Irishmen das allgemeine und gleiche Wahlrecht für alle Iren und jährliche Parlamentssitzungen in Dublin. Die Anglo-Irish Ascendancy und die Regierung in London reagierten. Sie versuchten, die Bewegung zu zerschlagen. Als Reaktion hierauf verbündeten sich die United Irishmen unter Wolf Tone mit den Defenders, einer paramilitärischen bäuerlichen Miliz, und forcierten die Abschaffung der „englischen Tyrannei“ in Irland und die Gründung einer von England unabhängigen irischen Republik. Diese Bewegung sollte im Dezember 1796 durch die Landung

5. Republikanismus auf den britischen Inseln

von Teilen der französischen Flotte (14.000 Mann) unter General Lazare Hoche (1768–1797) in Irland unterstützt werden, ein Plan, der an schlechtem Wetter und heftigen Winden scheiterte. Anfang 1798 standen für den irischen Republikanismus ca. 280.000 Männer unter Waffen. Die meisten rekrutierten sich aus bäuerlichen Schichten. Paris sollte erneut mit der Landung von französischen Soldaten die Widerstands- bzw. Unabhängigkeitsbewegung in Irland unterstützen, ein Vorhaben, das nicht nur scheiterte, weil französische Schiffe nicht rechtzeitig in Irland eintrafen, sondern auch, weil die Freiheitsund Unabhängigkeitsbewegung der Iren starke konfessionelle, d.h. prokatholische Motive hatte und nur wenig Unterstützung in Frankreich erfuhr. Die Bewegung der United Irishmen wurde bereits im Mai 1798 blutig niedergeschlagen. Zur Republik wurde Irland erst 1916. Nicht nur in Dublin, sondern auch in London war es zu Solidaritätsbekundungen angesichts der Ereignisse vom Juni/Juli 1789 gekommen. In England, das sich mit der Bill of Rights von 1689 in Richtung einer konstitutionellen Monarchie zu entwickeln begonnen hatte, entfachte die Französische Revolution eine lang anhaltende Debatte über Verfassungsfragen (vor allem eine Änderung des Wahlrechts), eine Parlamentsreform und die Einführung der Menschen- und Bürgerrechte. Der bereits erwähnte Edmund Burke unterstützte mit seinen Reflections on the Revolution in France von 1790 das politische Lager um den Premierminister William Pitt den Jüngeren, das wenig an einer Demokratisierung des Wahlrechts in England interessiert war. Die Whigs unter der Führung Charles James Fox’ bzw. ein noch weit radikalerer demokratischer Flügel, der sich die Inhalte von Thomas Paines Rights of Men auf die Fahnen geschrieben hatte, optierten für mehr Partizipation des Volkes an den Parlamentswahlen. Ähnlich den patriotischen Klubs in Frankreich entwickelten sich Reformgesellschaften in England wie die London Corresponding Society, deren Mitglieder sich auch aus den unteren Mittelschichten, also aus Handwerkern und kleinen Gewerbetreibenden und Besitzern von kleineren Geschäften, rekrutierten. Ziel war die Organisation disziplinierter Massen, damit diese wirksam ihre Forderungen nach mehr politischer Partizipation, aber auch nach staatlich organisierter Lenkung der Wirtschaft (Lohn- und Preismaximum) durchsetzen konnten. Auch wenn diese Reformgesellschaften keine Revolutionierung von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft zum Ziel bzw. zur Folge hatten, so stellten sie doch die ersten Formen einer politischen Organisierung der unteren Mittel- und Unterschichten in England dar; sie schufen mittels einer eigenen periodischen Publizistik eine eigene „plebejische Öffentlichkeit“, wie Günther Lottes gezeigt hat.

137 Unterstützung durch Frankreich

Reformen in England

Reformgesellschaften

138

VI.

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

Abb. 7 Das „Logo“ der United Irishmen mit der ungekrönten (republikanischen) Harfe und der Jakobinermütze: „Equality – It is new strung and shall be heard“ („Gleichheit – Es ist neu besaitet und sollte gehört werden“)

Quelle Gründung der London Corresponding Society am 24./25. Mai 1792. Ihr Sekretär und Schatzmeister Thomas Hardy (1752–1832), ein schottischer Schuhmacher, wurde zusammen mit einigen Mitgliedern 1794 verhaftet, vor Gericht gestellt, dann aber frei gesprochen. Aus: Lautemann 1981: 508.

In der Gewissheit, dass der Mensch, der einzelne Mensch, das Recht hat, die Freiheit als sein Geburtsrecht zu verlangen, ziehen wir den natürlichen Schluss, dass er als Mitglied der Gesellschaft die unabdingbare Pflicht auf sich nimmt, diese Freiheit als kostbares Gut seiner Mitbürger für seine und ihre Nachkommen unverletzt zu erhalten. … Unter diesen erbittet die Londoner Korrespondierende Gesellschaft bescheiden, aber fest die Aufmerksamkeit des Landes für folgende Beschüsse: Beschluss, dass I. Jedes Individuum ein Recht hat, an der Regierung der Gesellschaft teilzunehmen, deren Glied es ist – ausgenommen die Rechtsunfähigen; … III. es nicht weniger das Recht als auch die Pflicht eines jeden Bürgers ist, ein wachsames Auge auf die Regierung seines Landes zu haben, dass nicht die Gesetze durch Vervielfachung ihrer Zahl zur Unterdrückung ausarten, und dass nicht diejenigen, die mit der Regierung betraut sind, ihre Privatinteressen für öffentlichen Nutzen ausgeben. … VII. eine faire, gleiche und unparteiische Repräsentation nur dann möglich ist, wenn alle Privilegien abgeschafft sind;

6. Haiti

139

VIII. diese Gesellschaft ihren Abscheu vor Tumult und Gewalt kundtut – sie strebt nach Reform, nicht nach Anarchie – Vernunft, Stärke und Einigkeit sind die einzigen Waffen, deren sie sich bedienen wird. Gegen den Mißbrauch der Gewalt sie zu gebrauchen, will sie ihre Mitglieder gewinnen.

6. Haiti Nach den ersten Entdeckungsreisen unter französischer Protektion wie die Giovanni da Verrazanos von 1524 oder die Jacques Cartiers von 1534 hatte Frankreich im Laufe des 17. und der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts eine Reihe von Kolonien in Amerika, Afrika und Asien erworben. Nach dem Siebenjährigen Krieg ging im Frieden von Paris ein Großteil der französischen Besitzungen in Übersee verloren: Kanada, Louisiana und Französisch-Indien (bis auf vier Handelskontore). Frankreich behielt nach 1763 lediglich die westliche Hälfte der Insel Hispaniola (Saint-Domingue), Martinique, St. Lucia, Guadeloupe, Tabago, Französisch-Guyana, Saint-Pierre und Miquelon in Amerika bzw. in der Karibik und Gorée, Saint-Louis, Ouidah, Île de France und Île de Bourbon in Afrika. Carolina ppi ssi ssi Mi

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Abb. 8 Die Französischen Kolonien im 18. Jahrhundert

englische Besitzungen vorübergehend in engl. Besitz französische Besitzungen selbstständige karibische Inseln

engl. 1670

Co

Französische Kolonien im atlantischen Raum

franz. 1670

(Dominica und St. Vincent)

Alabama-Delta New Orleans Mississippi-Delta

spanisches Kolonialreich

franz. 1670

Florida

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Golf von Mexiko

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Atlantischer Ozean

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engl. 1670

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franz. 1697

Santo Domingo

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Black River

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JungfernS. Juan inseln Bautista (Puerto St. Croix Rico)

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engl. 1632

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MoskitoKüste

Providencia engl. 1635–1641

Pazifischer Ozean

K L E I N E

franz. 1648

franz. 1650

engl. 1628

Montserrat

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St. Bartholomew Barbuda engl. 1648 Antigua engl. 1632 Guadeloupe

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engl.

franz. 1638

engl. 1680

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Halbinsel Campeche Yucatán

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Martinique St. Lucia franz. 1635 engl. 1640

St. Vincent selbst.

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200

400

600 km

Barbados engl. 1628

Grenada franz. 1650

Bluefieldswater

Trinidad

engl.

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franz. 1635

selbst.

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Wilde Küste engl.

140

VI. Saint-Domingue

Nativismus

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

Saint-Domingue war gegen Ende des 18. Jahrhunderts eine der reichsten, wenn nicht die reichste Kolonie der Welt. 40% des weltweit produzierten Zuckers und 50% des Kaffees wurden in dieser französischen Kolonie vor allem durch schwarze, aus West- und Zentralafrika stammende Sklaven (ca. 466.000 allein in Saint-Domingue im Jahr 1788) produziert und von französischen Plantagenbesitzern hauptsächlich in Europa, aber auch auf dem nordamerikanischen Festland vertrieben. Die wichtigsten Häfen in Frankreich für den Handel mit Saint-Domingue waren Bordeaux, Nantes und La Rochelle. Bereits in den 1760er Jahren kam es in Saint-Domingue zu ähnlichen „nativistischen“ bzw. auf wirtschaftliche und politische Autonomie von Frankreich zielenden Protesten der Pflanzer vor Ort, wie sie im gleichen Zeitraum auch für die britischen Kolonien in Nordamerika nachweisbar sind. In den 1770er und 1780er Jahren wuchs in Saint-Domingue der Anteil an befreiten Sklaven: 1789 war der Prozentsatz an nicht-weißen Freien in der Kolonie fast ebenso groß wie der der weißen (petits und grands blancs). Ab 1769 begannen freigelassene Sklaven in Saint-Domingue Forderungen nach Rechtsgleichheit mit freien Weißen zu stellen. Als Inspirationsquelle hierfür diente u.a. die Schrift eines französischen Aufklärers: die Histoire philosophique et politique des deux Indesdes Abbé Raynal (1713–1796). Unterstützt wurden diese Forderungen durch Klubs in der Metropole, d.h. in Paris, etwa durch die Gesellschaft der Freunde der Schwarzen (Société des amis des noirs), die über Abolitionismus (die Abschaffung der Sklaverei) ebenso diskutierte wie über die Gleichstellung von Weißen und Nicht-Weißen. 1789 wurden in den französischen Kolonien in Übersee keine Wahlen zu den Generalständen durchgeführt. Trotzdem entsandte Saint-Domingue, das sich selbst nicht als Kolonie Frankreichs, sondern als franko-amerikanische Provinz verstand, ihre eigenen Repräsentanten nach Versailles, gewählt aus dem Kreis der Pflanzereliten. Diese sollten die französische Regierung um die Liberalisierung des Handels zwischen Saint-Domingue und den Vereinigten Staaten von Amerika ersuchen. Gleichzeitig fürchteten die weißen Eliten SaintDomingues, dass der „Funke der Freiheit“ auf die Kolonien – was hieß, auf die nicht-weiße Bevölkerung, vor allem die Sklaven – übergreifen könne. Als besonders gefährlich wurde die Deklaration der Menschen- und Bürgerrechte eingestuft, da diese von der mehrheitlich schwarzen Bevölkerung Haitis als Legitimiation für die Befreiung vom „Joch der Sklaverei“ verstanden werden konnte. Im April 1790 hatten weiße Siedler auf Saint-Domingue eine Nationalversammlung einberufen, die jedoch Mulatten und andere nicht-weiße Freie bzw. Weiße, die mit Nicht-Weißen verheiratet waren, von jeglichen Rechten ausschloss. Ein großer Teil der europäischstämmigen Siedler schloss sich der Nationalversammlung von Saint-Domingue allerdings nicht an. Zwischen beiden Faktionen kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen. Im Juli 1790 versuchte Vincent Ogé, ein reicher, in Paris lebender Mulatte, die Macht in SaintDomingue zu übernehmen. Er scheiterte mit seinen Plänen.

6. Haiti

Sklavenrevolten brachen in Reaktion auf die Nachrichten, die in den Kolonien aus dem revolutionären Frankreich ankamen, 1790 zunächst auf Martinique und Guadeloupe aus. Auf einigen Plantagen verbreitete sich das Gerücht, dass die Regierung in Frankreich die Sklaverei abgeschafft hätte, die lokalen Plantagenbesitzer in den Kolonien sich jedoch weigerten, die Abolition durchzusetzen. Auch in Saint-Domingue verbreiteten sich 1791 Gerüchte, die Regierung in Frankreich habe die Sklaverei per Gesetz verboten. Da Plantagenbesitzer und Pflanzer es ablehnen würden, das entsprechende Dekret umzusetzen, sahen sich Sklaven in Saint-Domingue legitimiert, das „Joch der Sklaverei“ selbst abzuschütteln. Am 22. August 1791 brach die größte Sklavenrevolte aus, die die Neue Welt bis zu diesem Zeitpunkt gesehen hatte. Bis Ende September wurden 1000 Franzosen in Saint-Domingue ermordet, 161 Zucker- und 1200 Kaffeeplantagen gingen in Flammen auf. In Frankreich schnellten die Preise für Zucker und Kaffee in die Höhe. Im Frühjahr 1792 entschied die Legislative in Paris, Kommissare zur Lösung der Probleme vor Ort in die Kolonien zu entsenden. In den Auseinandersetzungen zwischen weißen Siedlern, freien Nicht-Weißen und Sklaven setzten Léger Félicité Sonthonax und Étienne Polvorel im Sommer 1793 die Abschaffung der Sklaverei in Saint-Domingue durch. Die ehemaligen Sklaven sollten allerdings weiterhin auf den Plantagen arbeiten. Auspeitschen oder Brandmarkung sollten nun ebenso wie jede andere Form von Züchtigung verboten werden, die Plantagenarbeiter sollten durch Löhne besoldet werden und sich ihre eigenen Vorarbeiter wählen dürfen. Darüber hinaus war ein Rat der Plantagenarbeiter vorgesehen, der Einfluss auf den Arbeitsablauf, die Verteilung von Löhnen und Ähnliches nehmen sollte. Am 4. Februar 1794 setzte der Nationalkonvent in Paris die Abschaffung der Sklaverei in allen französischen Kolonien durch.

141 Sklavenaufstand

Quelle Dekret des Nationalkonvents vom 16. Pluviôse II (4. Februar 1794) Aus: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:D%C3%A9cret_d’abolition_de_l’esclavage_du_16_pluvi%C3%B4se _an_II.png, letzter Zugriff 2. August 2016.

Der Nationalkonvent erklärt die Sklaverei der Neger in allen Kolonien für abgeschafft. Demzufolge dekretiert er, dass alle Menschen ohne Unterschied der Hautfarbe, die in den Kolonien ihren Wohnsitz haben, französische Bürger sind und sämtlich durch die Verfassung garantierte Rechte genießen.

Diese Konzessionen führten jedoch nicht zur Beendigung der Sklavenaufstände in Saint-Domingue. Toussaint Louverture, ein 1743 auf einer Zuckerplantage auf Saint-Domingue geborener, 1773 befreiter Sklave, der Sohn des Erben des Allada-Throns (im heutigen afrikanischen Staat Benin), der selbst versklavt worden war, warnte vor der Funktionalisierung von Saint-Domin-

Toussaint Louverture

142

VI.

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

gues Sklaven durch die Kommissare des Pariser Konvents. Toussaint setzte sich an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegung in Saint-Domingue, paktierte phasenweise mit den Briten, dann wieder mit den Franzosen (1795–1801). Quelle Verfassung von Saint-Domingue, 9. Mai 1801 Aus: Buch 1976: 124–127.

Art. 1 St. Domingue und die angrenzenden Inseln bilden das Territorium einer einzelnen Kolonie, die zwar Teil Frankreichs ist, aber ihren eigegen Grenzen unterliegt. … Art. 3 Es gibt keine Sklaven mehr auf diesem Territorium; die Sklaverei ist für immer abgeschafft. Alle Menschen hier werden geboren, leben und sterben frei und als Franzosen. Art. 4 Jedermann, gleich welcher Hautfarbe, hat Zugang zu allen Berufen und öffentlichen Ämtern; das Gesetz ist für alle gleich. … Art. 6 Die einzige Religion, die öffentlich ausgeübt werden darf, ist die römischkatholische. … Art. 28 Die Verfassung beruft als Gouverneur den Bürger Toussaint Louverture, obersten General der Armee von St. Domingue; in Anbetracht seiner Verdienste um das Wohlergehen der Kolonie, in der kritischen Phase der Revolution, wird ihm die Leitung der Regierungsgeschäfte für die gesamte Dauer seines ruhmreichen Lebens übertragen. … Art. 30 Um Ruhe und Ordnung zu sichern, welche die Kolonie der Festigkeit, Entschlossenheit und unermüdlichen Tatkraft des Generals Toussaint Louverture verdankt, verleiht ihm die Verfassung das außerordentliche Recht, seinen unmittelbaren Nachfolger selbst zu bestimmen. … Art. 34 Er erlässt und bestätigt alle Gesetze, nimmt Berufungen auf alle zivilen und militärischen Posten vor. … Art. 39 Er überwacht und zensiert, durch seine Kommissare, alle auf der Insel gedruckten Schriften: er beschlagnahmt alle ausländischen Druckerzeugnisse, die geeignet scheinen, die Sitten zu verderben oder die Ruhe der Kolonie stören; er bestraft die Verfasser oder Verbreiter solcher Schriften gemäß der Schwere ihres Vergehens. Art. 40 Sollte dem Gouverneur zu Ohren kommen, dass eine Verschwörung gegen die Sicherheit der Kolonie im Gange ist, lässt er sofort alle Personen festnehmen, die als Urheber oder Komplizen verdächtig sind und übergibt sie, nachdem sie einem außergerichtlichem Verhör unterzogen worden sind, dem zuständigen Gericht.

Republik Haiti 1804

1802 unterzeichnete Toussaint einen Vertrag mit Frankreich, wurde dann jedoch von General Charles Victor Emmanuel Leclerc, einem Schwager Napoleons, gefangen gesetzt und nach Frankreich deportiert, wo er 1803 starb. Als unter Napoleons Regime das Plantagensystem in Saint-Domingue wieder eingeführt werden sollte, kam es erneut zu einer Sklavenrevolte, die 1804 die Ausrufung der unabhängigen Republik Haiti durchsetzte und sämtliche Weiße vertrieb bzw. massakrierte. Inspiriert von den Umwälzungen in Frankreich, den Rufen nach Freiheit, Gleichheit und Demokratie entstand in der französischen

7. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Spanisch-Amerika

143

Kolonie Haiti jedoch keine Schwesterrepublik, kein französischer Satellitenstaat nach Vorbild der Mainzer Republik oder der Cispadanischen. Hier wurde ein von Frankreich und allen anderen Kolonialmächten unabhängiger, von befreiten Sklaven geführter Staat, eine unabhängig gewordene Kolonie und Republik von Schwarzen und Mulatten geschaffen, die allerdings bald in die autoritäre Herrschaft von Henri Christophe und Alexandre Sabès Pétion mündete. Haiti bezahlte Frankreich für die Anerkennung seiner Unabhängigkeit horrende Summen, die das Land zusammen mit fehlenden Versuchen, das Plantagensystem wieder in Gang zu bringen, in die Armut trieb.

7. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Spanisch-Amerika Das Imperium, das Spanien seit 1492 in Übersee zu errichten begann und das unter der Herrschaft Kaiser Karls V. (1500–1558, reg. von 1519–1556) von den Philippinen über Spanien bis nach Peru und Mexiko reichte, wurde von einem König regiert. Die Teilgebiete der spanischen Monarchie unterstanden Vizekönigen; in seinen Entscheidungen wurde der spanische König durch den Indienrat (Consejo de Indias) unterstützt. Den Vizekönigen oblag die zivile und militärische Regierung der Teilkönigreiche. Die audiencias fungierten als Beratungsgremien, oberste Gerichtshöfe und oberste Verwaltungsbehörden. 1535 war Neuspanien als Vizekönigreich geschaffen worden, mit Mexiko-City als Hauptstadt, 1543 folgte Peru (Lima), 1717 Neugranada inklusive Venezuela (mit Santa Fé de Bogotá als Sitz des Vizekönigs), 1776 Río de la Plata mit Buenos Aires als Hauptsitz. Dazu kamen Spaniens karibische Besitzungen Cuba, Puerto Rico und Santo Domingo. Die Bevölkerung der Vizekönigreiche in Amerika setzte sich vor allem aus Indios zusammen, in Venezuela, an der Küste Neugranadas und Teilen Perus auch aus schwarzen Sklaven. Im heutigen Paraguay und in Zentralamerika gab es so gut wie keine aus Afrika stammenden Sklaven. Spanier (peninsulares) bzw. in den Überseeterritorien geborene spanischstämmige Untertanen (criollos) der Krone waren in allen Vizekönigreichen in der Minderheit. Die Gesellschaft in den spanischen Überseegebieten war nach strengen rassi(sti)schen Kriterien organisiert. Der „Grad der Reinheit des Blutes“ bestimmte, welche administrativen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Funktionen die unterschiedlichen Untertanen der Krone in den kolonialen Gesellschaften einnehmen durften. Erst gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann die spanische Regierung nach und nach, freigelassenen Sklaven afrikanischer Herkunft Rechte zuzugestehen, eine Initiative, die auf Widerstand bei der weißen Bevölkerung stieß. Nicht nur Rechtsgleichheit von Weißen und Nicht-Weißen, sondern auch die zunehmende mestizaje, d.h. die Mischung von Weißen und Nicht-Weißen, wurde von den spanischstämmigen Eliten in Amerika als Übel wahrgenommen. Dazu

Spanisches Imperium

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VI.

Reformversuche

Simón José Bolívar

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

kam es immer häufiger zu Spannungen zwischen den in Spanien geborenen peninsulares, die in der Regel an der Spitze der kolonialen Gesellschaften standen, und den in Spanisch-Amerika geborenen criollos (weißen Kreolen). Letztere forderten mehr wirtschaftliche, administrative und politische Unabhängigkeit von Spanien. Die Vizekönigreiche in Amerika waren im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts ökonomisch, aber auch in ihrer Verwaltung unabhängiger von Spanien geworden. Vor allem im Bereich Handel hatten sich durch Schmuggel (v.a. in Kolumbien und Venezuela) und Freibeuterei eigene Ökonomien entwickelt, die von Spanien nicht mehr zu kontrollieren waren. Unter den Bourbonen setzte sich nicht nur auf der iberischen Halbinsel, sondern auch in Mittel- und Südamerika ein aufgeklärter Absolutismus in Form von rationalistischen Reformen durch, der die bestehenden Strukturen und Identitäten, die ethnische und religiöse Diversität in Übersee weitgehend ignorierte: 1767 wurden die Jesuiten, die vor allem in den Städten Schulen und Universitäten bzw. in allen Vizekönigreichen die Mission kontrolliert hatten, aus allen spanischen Teilen Amerikas verbannt. Visitationen wurden in den Administrationen der Vizekönigreiche zur Regel. Neue Verwaltungsbeamte ersetzten alte Strukturen oder wurden diesen zur Seite gestellt. Cádiz musste das Monopol für den Handel zwischen Spanien und Amerika aufgeben. Um diese Reformen zu finanzieren, wurden in den Vizekönigreichen neue Steuern eingeführt und eingetrieben, die gleichzeitig auch dem Mutterland zugute kamen. Einzelne Revolten gegen die bourbonischen Reformen wie in Peru (1780–1783) oder in Neugranada (1781) konnten jedoch durch die Truppen der spanischen Vizekönige niedergeschlagen werden. Unabhängigkeitsbewegungen, die bei der Amerikanischen, aber auch bei der Französischen Revolution Anleihen machten, begannen in Spanisch-Amerika, nachdem Napoleon 1807 Portugal erobert hatte und der Hof von Lissabon nach Rio de Janeiro emigriert war. Ein Jahr später, 1808, setzte Napoleon den spanischen König Ferdinand VII. gefangen und inthronisierte an dessen Stelle seinen Bruder Joseph. Großbritannien versuchte in dieser Situation, die Schwäche Spaniens zu nutzen und Teile des spanischen Imperiums in Mittelund Südamerika unter britische Kontrolle zu bekommen, eine Provokation, die Napoleon seinerseits mit der Entsendung von profranzösischen Agenten nach Spanisch-Amerika beantwortete. Die Ereignisse in Spanien führten in den Vizekönigreichen zunächst zu Treuekundgebungen gegenüber dem abgesetzten spanischen Monarchen Ferdinand VII. Ab 1809 begannen jedoch koloniale Eliten gegen die spanische Herrschaft zu opponieren, indem sie in den Haupt- aber auch in kleineren Städten juntas (Räte) einsetzten, die die Interessen der Kolonisten gegenüber Spanien besser vertreten sollten. An die Spitze der Unabhängigkeitsbewegungen im heutigen Venezuela setzte sich Simón José Bolívar (1783–1830), Sohn

7. Die Unabhängigkeitsbewegungen in Spanisch-Amerika

einer der reichsten Familien des Vizekönigreiches und Bewunderer Rousseaus, Lockes und Montesquieus. Mit Hilfe von Francisco Miranda (1750–1816), der zusammen mit spanischen Truppen im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg auf der Seite der rebellierenden Kolonisten gekämpft und dann in der französischen Revolutionsarmee gedient hatte, setzte Bolívar am 5. Juli 1811 die Unabhängigkeit Venezuelas von Spanien durch. Diese währte zunächst nur ein Jahr. In Spanien selbst wurden 1810 die Cortes einberufen, eine Versammlung ähnlich der der Generalstände in Frankreich, die in Spanien seit 1789 nicht mehr zusammengetreten war. Auch Deputierte aus Spanisch-Amerika sollten repräsentiert sein. In Cádiz, das noch nicht von Frankreich besetzt war, wurde über die Zukunft Spaniens und der Vizekönigreiche in Amerika beraten. Während zunächst die Einheit des spanischen Imperiums in Sprache, Religion und Politik beschworen wurde, kam es zum Streit über die Frage der Repräsentation von Spaniens Überseegebieten: Ein Deputierter aus Spanien repräsentierte 50.000 Einwohner; für Spanisch-Amerika kam lediglich ein Repräsentant auf 100.000 Einwohner. Da die (geschätzten) Bevölkerungszahlen Spanisch-Amerikas fast 50% höher lagen als die Spaniens, wurde für die Überseegebiete entsprechend eine größere Zahl an Repräsentanten gefordert. Ebenso heftig diskutierten die Delegierten, ob freigelassene Sklaven und Mestizen zur Bevölkerung von Spanisch-Amerika gerechnet werden müssten. Darüber hinaus wurde über wirtschaftliche Fragen, wie das Produzieren von Fertigwaren in SpanischAmerika, freien Handel und die Aufhebung von königlichen Monopolen, debattiert. Die wenigsten Forderungen der Repräsentanten für Spanisch-Amerika erfüllten sich. Doch gelang es allen Repräsentanten der Cortes am 19. März 1812, eine Verfassung auf den Weg zu bringen, die zu den fundamentalen Gesetzen der unabhängig werdenden Staaten in Mittel- und Südamerika werden sollte. Die Inquisition wurde abgeschafft, ebenso die Tributzahlungen der Indios und die Zwangsarbeit. Darüber hinaus wurde die Macht des Königs eingeschränkt, Provinzvertretungen eingerichtet, die als koloniale Legislativen dienen sollten. Ebenso wurde ein Staatsrat geschaffen, der zum Beratungsgremium des Königs werden sollte. Alle zwei Jahre sollten Wahlen zu den Cortes abgehalten werden, die die gesamte Legislative erneuern sollten. Das hierfür erlassene Wahlrecht sah folgende Regelungen vor: Männer, die in Spanien, SpanischAmerika oder irgendeinem Teil des spanischen Imperiums geboren worden waren, hatten ein aktives Wahlrecht. Ausgeschlossen waren Diener, Kriminelle, Schuldner und Männer afrikanischer Abstammung. Auch Indios und Mestizen hatten ein Wahlrecht. All diese Reformen wurden jedoch rückgängig gemacht, als Ferdinand VII. 1814 auf den spanischen Thron zurückkehrte, nachdem Napoleon besiegt und ins Exil nach Elba gegangen war. Ferdinand VII. versuchte das 1813 wieder an die Rebellen gekommene Venezuela, für das Bolívar am 6. August 1813 die Zweite Republik ausgerufen

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Cortes in Spanien

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VI.

Französische Revolution, Europa und Atlantische Welt – Auswirkungen und Kontinuitäten

hatte, nach seiner Rückkehr auf den spanischen Thron zurückzuerobern, scheiterte langfristig jedoch an der sich immer stärker auch militärisch formierenden Widerstandsbewegung, die die heutigen Staaten Venezuela, Kolumbien, Panama, Ecuador, Peru und Bolivien zu umfassen begann. Bolívar, nach einer Reise durch Frankreich und Italien 1804 zum Bewunderer Napoleons geworden, setzte sich erneut an die Spitze der Unabhängigkeitsbewegungen. 1815 kurzfristig ins Exil auf Jamaika gezwungen, verbündete sich Bolívar spätestens 1818 mit dem seit 1804 von Frankreich unabhängigem Haiti, das ihm Waffen und Kämpfer für den Unabhängigkeitskampf in Südamerika zur Verfügung stellte. Von Haiti aus schiffte sich Bolívar erneut nach Venezuela ein, eroberte Angostura (heute Ciudad Bolívar), um von dort aus regionale Befreiungsbewegungen militärisch zu unterstützen. Quelle Rede Simón Bolívars vor dem Kongress in Angostura am 15. Februar 1819 Aus: Rinke 2010: 26f.

Meine Herren! Glücklich der Bürger, der unter dem Schutz der Streitkräfte, die unter seinem Befehl stehen, die nationale Souveränität einberufen hat, damit sie ihren unumschränkten Willen ausführe! Ich jedenfalls rechne mich zu den von der göttlichen Vorhersehung begünstigten Wesen, weil ich die Ehre hatte, die Vertreter des Volkes von Venezuela zu diesem erlauchten Kongress, Quelle der rechtmäßigen Autorität, Hort des souveränen Willens und Herr über das Schicksal der Nation, zu versammeln. Wenn ich nun die mir bisher anvertraute höchste Gewalt den Volksvertretern übertrage, erfülle ich die Wünsche meines Herzens, die meiner Mitbürger und die unserer künftigen Generationen, welche von Eurer Weisheit, Geradlinigkeit und Klugheit alles erwarten. Mit der Erfüllung dieser süßen Pflicht befreie ich mich von der ungeheuren Machtfülle, die mich erstickte, und von der grenzenlosen Verantwortung, die auf meinen schwachen Schultern lastete. Nur notgedrungen und dem gebieterischen Willen des Volkes gehorchend hatte ich mich dem schrecklichen und gefährlichen Amt des Diktators und Oberbefehlshabers der Republik gestellt. Aber nun atme ich auf und gebe Euch diese Autorität zurück, welche ich mit so viel Risiko, unter Schwierigkeiten und Schmerz inmitten der grauenhaftesten Widrigkeiten, die eine Gesellschaft quälen könnte, behauptete …. Der Verbleib der Autorität bei ein und demselben Individuum war häufig das Ende demokratischer Regierungen. Wiederkehrende Wahlen sind in den Volksherrschaften wesentlich, weil nichts so gefährlich ist, wie die Macht über lange Zeit bei ein und demselben Bürger zu belassen. Das Volk gewöhnt sich daran, ihm zu gehorchen, und er gewöhnt sich daran, ihm zu befehlen. Hieraus entspringt die Usurpation und Tyrannei. Gerechter Argwohn ist die Garantie der republikanischen Freiheit, und unsere Bürger müssen mit nur allzu großer Berechtigung fürchten, dass derselbe Regierende, der sie lange regiert, sie auf ewig führen wird.

1821 gründete Bolívar die Republik Großkolumbien (Venezuela, Ecuador und Neu-Granada). 1822 verbündete er sich mit dem argentinischen General José de San Martín, der Argentinien und Chile von der spanischen Herrschaft

Literaturhinweise

befreit hatte. Bolívar und San Martín führten zusammen die Unabhängigkeit Perus herbei. Im August 1824 wurden die letzten spanischen Armeen aus Südamerika vertrieben. Die republikanischen Bestrebungen Bolívars als Präsident von Groß-Kolumbien scheiterten in den späten 1820er Jahren an den divergierenden Interessen zwischen liberalen und konservativen criollos, ebenso seine Versuche, eine allgemeine Befreiung der Sklaven in den unabhängig werdenden Staaten Südamerikas durchzusetzen. Auch die von Bolívar erlassenen Gesetze zum Schutz des Grundbesitzes der Indios wurden von den Regierungen der neuen Staaten sukzessive torpediert. Bolívars zentralistische panamerikanische Vorstellungen konnten ebenso wenig umgesetzt werden. Nach seinem Tod zerfiel Großkolumbien in die Einzelstaaten Ecuador, Venezuela und Kolumbien, 1822 Neu-Spanien in Mexiko und die Zentralamerikanische Föderation. Anstelle von von Freiheit, Demokratie und Gewaltenteilung geprägten Republiken entstanden zwischen den 1820er und 1870er Jahren in den unabn hängig gewordenen Staaten Mittel- und Südamerikas etliche Diktaturen. Auf einen Blick

Das letzte Kapitel nimmt eine globale Perspektive ein: Die Revolutionen außerhalb Frankreichs stehen hier im Mittelpunkt. Die Ideen von Freiheit und Demokratie, wie sie in den USA und in Frankreich entwickelt wurden, inspirierten Freiheits- und Unabhängigkeitsbestreben anderer Nationen und Staaten. Doch inwieweit kann man die Auswirkungen der Französischen Revolution in anderen Teilen der Welt als Freiheitsbewegungen verstehen? Welche Gemeinsamkeiten hatten beispielsweise die Atlantischen Revolutionen und die Französische Revolution?

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VII. Fazit Insgesamt hatte Frankreich im Revolutionsjahrzehnt von anfänglichen Lippenbekenntnissen abgesehen nicht bzw. nur für kurze Phasen die Intention, Europa und der westlichen Hemisphäre Freiheit, Selbstbestimmungsrechte und Demokratie zu exportieren. Freiheitsbestrebungen anderer Nationen mündeten sehr schnell in die Unterdrückung von Freiheit und Demokratie in den eroberten, dann meist besetzten und oft auch annektierten Gebieten. Diese dienten Frankreich in der Regel dazu, hohe Kontributionszahlungen zu leisten; sie sollten eine Armee am Leben erhalten, die weniger die Errichtung von gleichberechtigten Schwesterrepubliken als vielmehr der Herausbildung von Frankreich schützenden und es finanzierenden Satellitenstaaten in Europa zum Ziel hatten. Das militärische Engagement Frankreichs in Übersee, vor allem in napoleonischer Zeit, hatte dabei die Funktion, die europäischen Mächte zu schwächen bzw. ein Faustpfand für kommende Friedensverträge zu sein. Zwar gab es Stimmen in Frankreich während der Revolutionsdekade, die allen Völkern Europas und der gesamten Welt Freiheit und Demokratie versprachen, doch wurden diese immer wieder von den geopolitischen Interessen Frankreichs übertönt. Zuerst in Begeisterung für die Praktiken des revolutionären bzw. napoleonischen Frankreichs, später in Ablehnung derselben, entwickelten sich in Europa und im atlantischen Raum eigenständige revolutionäre Bewegungen, die das Erbe der Revolution aufnahmen und freiheitlich-demokratische Traditionen, eine demokratische Kultur oder besser Kulturrevolution hervorbrachten, so Rolf Reichardt: in Form der Gründung von patriotischen Gesellschaften, der Herausbildung von vormodernen Parteien oder Faktionen, der Entstehung einer republikanischen, auch periodischen Publizistik und durch Initiativen einer breiten Volksaufklärung. Träger dieser Kulturrevolutionen waren im Reich, in Italien, England, Haiti, Irland und in Spanisch-Amerika nicht allein bildungsbürgerliche Eliten, die wie in der Mainzer Republik mit einer effizienten Revolutionspublizistik die Bevölkerung für die Revolution zu gewinnen suchten (Reichardt 1999: 275–303). Vielmehr waren es durchaus auch wenig privilegierte Schichten, die den von Frankreich ausgehenden revolutionären Impetus, Freiheit und Demokratie ihren Bedürfnissen entsprechend interpretierten und umzusetzen suchten, nicht zuletzt Sklaven, Indios und Mulatten. Die Pervertierung von Freiheit und Demokratie durch das Mutterland der Revolution – Frankreich – förderte im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation, in Haiti und in den Niederlanden die Entstehung nationaler, de-

Fazit

mokratischer und freiheitlicher Bewegungen, die sich letztendlich spätestens mit den Freiheitskriegen im napoleonischen Europa gegen Frankreich richten sollten. Die von der Französischen Revolution inspirierten Freiheits- und nationalen Bewegungen wiederum brachten die im 19. Jahrhundert entstehenden, „verspäteten“ Nationalstaaten wie etwa Italien, Belgien oder das deutsche Kaiserreich ebenso hervor, wie die damit verbundenen Kehrseiten nationaler Freiheitsbewegungen: die zunehmende Diskriminierung von sprachlichen und ethnischen Minderheiten. Denn auch dies war nicht zuletzt ein Erbe der Französischen Revolution, die in der Unterdrückung der Sprachen und nichtfranzösischen Kulturen in Frankreich selbst ein Paradigma etabliert hatte. Die Forschung hat im Kontext der Atlantischen Revolutionen immer wieder von „seismischen Wellen“ gesprochen (Klooster 2010:158), die unterschiedliche Freiheits-, Revolutions- und Unabhängigkeitsbewegungen in Europa und im atlantischen Raum hervorbrachten, die personell, ideell und wirtschaftlich miteinander verbunden waren, aber trotzdem keinen „bloc“ darstellten. Bei allen Ähnlichkeiten – wie sie im Folgenden aufgezeigt werden – überwiegen trotzdem die Unterschiede in Ursachen, Verlauf und Wirkungen. Parallelen und „entangledness“ sollten nicht suggerieren, dass es sich hier um ein homogenes Phänomen oder einen einzigen revolutionären Prozess handelt. Allen Unabhängigkeitsbewegungen in Nord-, Mittel- und Südamerika gemeinsam war, dass die staatliche Unabhängigkeit vom Mutterland zunächst nicht das eigentliche Ziel war, sondern größere administrative und wirtschaftliche Unabhängigkeit unter dem Schirm des Mutterlandes gesucht werden sollte. Ebenso wenig war die Französische Revolution in ihren Anfängen auf die Abschaffung der Monarchie und einen politischen, kulturellen, sozialen und wirtschaftlichen Umsturz ausgerichtet gewesen. Allen genannten Revolutionen ging ein Verlust des Vertrauens in die Person des jeweiligen Herrschers voraus: Georg III. von England, Ludwig XVI. von Frankreich und Ferdinand VII. von Spanien verloren das Vertrauen ihrer Untertanen in den Kolonien, bzw. im Fall Ludwigs XVI. in Frankreich selbst, da ihre Politik nicht mehr den Interessen der Eliten des Landes entsprach. Diese fühlten sich – in Frankreich der Dritte Stand, in den britischen Kolonien die vom Parlament in Westminster zunehmend entmündigten Repräsentantenhäuser, in Mittel- und Südamerika die criollos – nicht genügend, d.h. nicht ihren Leistungen entsprechend, an der politischen und wirtschaftlichen Gestaltung des Landes beteiligt. Verstärkt wurde die Unzufriedenheit der Eliten durch in etlichen Fällen kurzfristig steigende Preise der Grundnahrungsmittel, durch Hungerkrisen infolge von Missernten und durch zu hohe Preise. All dies sicherte den reformwilligen Eliten bis zu einem gewissen Grad die Unterstützung der „Massen“, was sie aber auch – wie im Fall der Montagne in Frankreich – abhängig, wenn nicht sogar erpressbar von „Volkes Stimme und Volkes

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VII.

Fazit

Wut“ machte. Die Revolutions- und Unabhängigkeitsbewegungen in Europa und Amerika wurden von Patrioten unterstützt, die von der Revolution bzw. Unabhängigkeit langfristig nur wenig oder kaum profitierten: Sansculotten und Bauern in Frankreich, Indianer bzw. Indios in Nord-, Mittel- und Südamerika, Mestizen und Schwarze, vor allem freigelassene Sklaven, die in der Armee der jungen Vereinigten Staaten zu Tausenden kämpften. Zur Revolution wurden politische und wirtschaftliche Krisen in Europa und im atlantischen Raum meist in den Momenten, in denen gemeinsam vom Herrscher und Teilen der Eliten geplante Reformen, die eine Revolution hätten abwenden können, durch eben diese Eliten massiv torpediert wurden oder die alte Regierung überreagierte: Beispiele sind das Zusammenziehen der Truppen in Versailles im Juli 1789 oder das Schließen des Bostoner Hafens nach der Boston Tea Party 1773. Gemeinsam ist vielen der Atlantischen Revolutionen auch, dass sie trotz der Partizipation vieler unterschiedlicher Gruppen von großen Teilen der Bevölkerung abgelehnt wurden. In Frankreich nicht nur von eidverweigernden Priestern und dem Adel, sondern auch von der Mehrheit der ländlichen Bevölkerung – zumindest nach 1792. In Nordamerika entstand während des Unabhängigkeitskrieges eine große Gruppe an Loyalisten, loyal zum englischen Mutterland, die während und nach der Amerikanischen Revolution mehrheitlich in Großbritanniens verbliebene Kolonie in Nordamerika auswanderten: nach Kanada. Ebenso waren als unmittelbare Folge der Atlantischen Revolutionen keine freiheitlich-demokratischen Republiken zu verzeichnen mit allgemeinem Wahlrecht für alle – also für erwachsene Männer, Frauen, Weiße und NichtWeiße –, sondern in der Regel mehr oder weniger elitär regierte (USA) oder von Diktaturen geprägte Staaten (das napoleonische Frankreich, Venezuela, Ecuador u.a.), in denen die Masse der Bevölkerung keine oder nur wenige Mitspracherechte hatte. Trotzdem wurden während der Revolutionen demokratische Praktiken eingeführt oder waren intendiert gewesen (französische Verfassung von 1793), die sich langfristig, d.h. im Laufe des 19. und 20. Jahrhunderts, in all diesen Staaten durchsetzen sollten. Die „entangled histories“, der Zusammenhang oder das „Ineinander-verwoben-Sein“ der Atlantischen Revolutionen untereinander, zeigt sich – trotz aller Unterschiede – nicht zuletzt auf personeller Ebene: in den militärischen Erfahrungen Lafayettes im Amerikanischen Unabhängigkeitskrieg oder denen Mirandas ebenfalls in den USA und im revolutionären Frankreich, im deutschen Jakobinismus und deutschen Vormärz, der vom französischen Jakobinismus zunächst inspiriert wurde und wichtige revolutionäre Akteure in den Grenzprovinzen bzw. den von Frankreich besetzten Gebieten hervorbrachte. Der französische Republikanismus wurde von diesen deutschen Jakobinern, als deutsche Republik und Demokratie unter französischer Ägide gescheitert

Fazit

waren, deutschen Interessen entsprechend weiterentwickelt und fand als solcher Eingang in die freiheitlich-demokratischen Bewegungen des Vormärz. Ideell zeigen sich die „entangled histories“ in den amerikanischen und französischen Verfassungstexten sowie in Thomas Paines Common Sense oder Rights of Men, die in etliche Sprachen übersetzt und in unzähligen Kopien die westliche Hemisphäre „überschwemmten“ und als wechselseitige Inspirationsquellen und Vorlagen für eigene Verfassungen dienten – nicht nur in Europa, sondern auch in Mittel- und Südamerika. So nahm beispielsweise die Unabhängigkeitserklärung von Venezuela ganze Passagen der Unabhängigkeitserklärung der Dreizehn Kolonien von 1776 auf. In Europa wurden in einigen Staaten über die Franzosenzeit hinaus Leibeigenschaft, Folter, Zunftwesen und Privilegien des Ersten und Zweiten Standes abgeschafft und Religions-, Meinungs- und Pressefreiheit eingeführt. Der Code Napoléon blieb auch nach der endgültigen Niederlage Bonapartes 1815 erhalten, so u.a. in den linksrheinischen Gebieten Preußens (Herzogtum Kleve), in der bayerischen Pfalz, in Rheinhessen, im oldenburgischen Fürstentum Birkenfeld, in Baden (Badisches Landrecht) und im heutigen Luxemburg und Belgien. Der Code Napoléon diente etlichen Staaten nach deren Unabhängigkeit bzw. erfolgreichen nationalen Einigungsbewegungen als Vorbild, so 1865 in Rumänien, 1825 in Haiti, 1830 in Bolivien, 1845 in der Dominikanischen Republik, 1869 in Argentinien, 1870 in Mexiko und 1876 in Paraguay. Nicht zuletzt hatte die Revolution nach der Gründung der „Schwarzen Republik“ in Haiti großen Einfluss auf die Abolitionismusdebatte in Europa, vor allem in Großbritannien, wo 1807 die Sklaverei abgeschafft wurde. Auf Drängen Großbritanniens wurde das Verbot des Sklavenhandels zudem als globale Forderung in die Schlussakte des Wiener Kongresses 1815 aufgenommen. Ursachen und Erbe der Französischen Revolution sind vielfältig. Einerseits nahm sie ältere, vorrevolutionäre Forderungen nach mehr Mitspracherechten der Stände auf, Forderungen beispielsweise nach mehr Kontrolle der Krone in Finanzen, Außenpolitik und Wirtschaftslenkung. Andererseits transformierte die Revolution altrechtliche Gravamina und gab ihnen eine neue, als modern wahrgenommene rechtliche Grundlage: Volkssouveränität und Demokratie, die nicht nur in Europa, sondern im gesamten atlantischen Raum in unterschiedlichen Kontexten eigene Dynamiken entfalteten. Die Französische Revolution steht insgesamt jedoch weniger am Beginn eines Prozesses, der vor allem von Historikern des 19. und 20. Jahrhunderts als Epochenumbruch und als Weg der westlichen Hemisphäre in die Moderne definiert wird. Vielmehr ist die Französische Revolution als Katalysator zu verstehen, der bereits bestehende Transformationsprozesse beschleunigte, teilweise aber auch wieder verlangsamte. Nach dem Ende der Französischen Revolution hatte viel „Vormodernes“ weiter Bestand. Politische, gesellschaftliche, wirtschaftliche und kulturelle Transformationen dauerten Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte.

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VII.

Fazit

Auch heutige Gesellschaften weisen nach wie vor „vormoderne“ Elemente auf, vor allem auf der Ebene der Mentalitäten (beispielsweise im Kontext von Geschlechterbildern und -rollen). Vielleicht wäre es fruchtbarer, die Französische Revolution oder Geschichte generell weniger als einen Prozess des Fortschritts oder als einen Weg in die Moderne zu begreifen, wie dies oft in unbewusster Fortschreibung des aufklärerischen Perfektibilitätsgedankens getan wird, sondern Geschichte als offenen Prozess zu verstehen, in dem es weniger um eine Wertung „modern“/„nicht modern“ geht, als vielmehr um die Analyse von Kontinuität und Wandel und ihren Ursachen und Auswirkungen auf uns heute.

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159

Namensregister Alembert, Jean-Baptiste le Rond de 38 Alexander I., Zar von Russland 114f. Althusius, Johannes 29 Arouet, François Marie, siehe Voltaire Augereau, Charles Pierre François 100 Aulard, Alphonse 16 Babeuf, François Noël Gracchus 88, 95–98, 117f., 133 Babouvisten 98, 118 Bailly, Jean-Sylvain 72 Barère de Vieuzac, Bertrand 91 Barnave, Antoine-Pierre-Joseph-Marie 68 Barras, Paul François Jean Nicolas, Vicomte de 88, 92, 94, 96, 100f., 110 Barthélémy, Balthazard François, Marquis de 100, 105 Beauharnais, Joséphine de 110 Berthollet, Claude-Louis 104 Billaud-Varenne, Jean-Nicolas 81, 86, 89, 91 Blanc, Louis 13f., 118, Blanqui, Louis-Auguste 118 Bloch, Marc 7, 19f. Bodin, Jean 27 Boissy d’Anglas, Paul François Antoine 92 Bolívar, Simón José 144–147 Bonaparte, Joseph 144 Bonaparte, Louis 131 Bonaparte, Napoleon 11, 84, 88, 94f., 101f., 104, 108–116, 118, 134, 142, 144, 146, 150 Bossuet, Jacques 27f. Bouillé, François-Claude-Amour de 65 Bourdon de l’Oise, François-Louis 91 Bretonischer Klub, siehe Jakobiner Brissot de Warville, Jacques Pierre 39, 68f., 74 Brissotins 68–70 Buonarroti, Filippo Michele 97f., 133 Burke, Edmund 13, 19, 23, 137 Calonne, Charles Alexandre de 25, 36, 43

Cambon, Pierre Joseph 9 Cambracères (eigentlich Cambacérès), Jean-Jacques Régis de 110 Capet, Louis, siehe Ludwig XVI., König von Frankreich Carl August, Herzog von Sachsen-Weimar-Eisenach 37 Carletti, Graf von 94 Carnot, Lazare-Nicolas-Marguerite 68, 86, 96, 100, 105 Carras, Jean-Louis 50, 123 Cartier, Jacques 139 Chabot, François 68 Charette de la Contrie, François-Athanase 80 Chaumette, Pierre Gaspard 76 Chouans, siehe Vendéens Christophe, Henri 143

Cisrhenanen 105 Clavière, Étienne 63 Club du Panthéon 95–98 Cobban, Alfred 18 Collot d’Herbois, Jean Marie 69, 82, 86, 88f., 91 Compagnons de Jésus 92 Compagnons du Soleil 92 Comte, August 69 Condé, Louis Joseph de Bourbon, Prinz von 63–65, 99 Condorcet, Marie-Jean-Antoine-Nicolas de Caritat, Marquis de 58, 68f. Conté, Nicolas Jacques 104 Conti, Louis François Joseph de Bourbon, Prinz von 65 Cook, James 126 Corday d’Armont, Marie Anne Charlotte 76, 80, 83 Cordeliers 47, 51, 53, 61, 66f., 75, 77, 122 Cotta, Friedrich 104, 125 Cotta, Johann 104 Couthon, Georges Auguste 74, 82, 86, 89–91 Cromwell, Oliver 42 Custine, Adam Philippe 78

Danton, Georges Jacques 14, 74–76, 81f., 84, 89 Dantonisten 74f., 81, 84 Darthé, Augustin Alexandre 98 Daunou, Pierre Claude François 92 David, Jacques-Louis 83f. Defenders 136 Desmoulins, Camille 14, 50f., 53, 75, 89 Diderot, Denis 38 Dohm, Christian Wilhelm 125 Ducos, Roger 101, 108 Dumas, René-François 90 Dumont, André 87 Dumouriez, Charles François 72, 130 Duport, Adrien 89 Elisabeth I., Königin von England 135

Emigranten, siehe Émigrés Émigrés 63–65, 69, 90, 92 Engels, Friedrich 16–18 Engels, Jens-Ivo 36 Enragés 76f. Ernst II., Herzog von Sachsen-Gotha 37 Espagne, Michel 22

Febvre, Lucien 20

Ferdinand, Herzog von Braunschweig Wolfenbüttel Bevern 37 Ferdinand VII. von Spanien 144, 146, 149 Feuillants 63, 66–68

Namensregister Fichte, Johann Gottlieb 128 Forster, Johann Georg Adam 78, 125f. Forster, Johann Reinhold 126 Foucault, Michel 21 Fouché, Joseph 87–89, 91 Fourier, Charles 118 Fox, Charles James 137 Franklin, Benjamin 40 Franz II., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 77, 109, 111 Fréron, Stanislas Louis Marie 92 Friedrich II., König von Preußen 29 Friedrich Wilhelm III., König von Preußen 115 Frühsozialisten 14, 69, 88, 118 Furet, François 10, 13, 19f., 64f., 117

Garibaldi, Giuseppe 134

Gensonné, Armand 74 Georg III., König von England 149 Gesellschaft der Freunde der Verfassung 49, 87 Giesselmann, Werner 119 Gioberti, Vincenzo 135 Gironde 13f., 16, 20, 33, 58, 63, 68f., 73–77, 80–84, 91, 122 Girondins, siehe Gironde Girondisten, siehe Gironde Godechot, Jacques 18f. Goethe, Johann Wolfgang von 37, 72 Gohier, Louis-Jérôme 101 Gorsas, Antoine-Joseph 123 Gouges, Marie Olympe de 58, 120 Gough, Hugh 121f. Gourdan, Claude-Christophe 49f. Gouze, Marie, siehe Gouges Grab, Walter 128 Gracchus, Gaius 97 Gracchus, Tiberius 97 Graf von Artois (Karl X. von Frankreich) 75 Grégoire, Henri Jean-Baptiste, Abbé 34, 141 Guadet, Marguerite-Élie 68, 74 Guillotin, Joseph Ignace 81

Hardy, Thomas 138 Hebenstreit, Franz 126 Hébert, Jacques René 50, 76f., 88f. Hébertisten 74, 76f., 81, 84, 123 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich 69 Henriot, François (eigentlich Hanriot) 90 Henshall, Nicholas 29, 36 Heuvel, Gerd van den 119 Hoche, Lazare 105, 137 Hofmann, Andreas Joseph 78 Holbach, Paul Henri Thiry de 38 Hobbes, Thomas 28 Hume, David 38 Hunt, Lynn Avery 23

Indulgents 75, 81, 89 Isnard, Maximin 83

Jakob II., König von England 135f. Jakobiner 10, 15–22, 46, 49–51, 61, 63, 68–74, 78, 88, 90–92, 95f., 99–101, 117, 122, 150 – Deutschland 105, 125–128, 130, 150 – Italien 133, – Schweiz 104 Jaurès, Jean 17 Jourdan, Jean-Baptiste 86, 92 Kant, Immanuel 38

Karl I, König. von England 135 Karl V., Kaiser des Heiligen Römischen Reiches 143 Karl, Landgraf von Hessen-Kassel 37 Karl Theodor, Kurfürst von Bayern 37 Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig 64, 70–72 Kéralio, Louise-Félicité de 50 Knigge, Adolf Freiherr von 37 Kuhn, Axel 22

Labrousse, Ernest 13, 17f. Lafayette, Marie Joseph Paul Yves Roch Gilbert Motier, Marquis de 34, 40, 61, 66–68, 150 La Harpe, Frédéric César de 132 Lamartine, Alphonse de 14 Lambese, Karl Eugen Fürst von 53 Lameth, Alexandre de 68 La Révellière-Lépeaux, Louis Marie de 96 Launay, Bernard-René Jordan de 52f. Le Bas (auch Lebas), Philippe-Franois-Joseph 90 Lebrun, Charles-François 110 Leclerc, Charles Victor Emmanuel 142 Lefebvre, Georges 13, 17f., 20, 54 Le Peletier de Saint-Fargeau, Louis Michel 84 Lembert, Abraham 127f. Lessing, Gotthold Ephraim 38 Letourneur, Louis François Honoré 96 List, Georg Friedrich 104 Locke, John 38, 145 Loménie de Brienne, Étienne Charles 25, 36, 43f., 49 Lomonossow, Michail Wassiljewitsch 126 Louis, Antoine 82 Lottes, Günther 137 Lozeau, Paul Augustin 91 Ludwig XIV., König von Frankreich 27, 29 Ludwig XVI., König von Frankreich 9, 27f., 36, 40, 43f., 47, 52, 60, 63–65, 67, 70, 72f., 77, 80, 83, 87, 90, 94, 149 Ludwig (XVII.) 90, 94 Ludwig XVIII., König von Frankreich 22, 100, 115 Lüsebrink, Hans-Jürgen 23 Mallet du Pan, Jacques 13

Marat, Jean-Paul 14, 50f., 69, 74–76, 80, 83f., 89

161

162

Namensregister Maréchal, Sylvain 97 Maria II., Königin von England 136 Maria Theresia, Kaiserin des Heiligen Römischen Reiches 28 Marie Antoinette 25, 28, 36, 60, 64, 68, 75, 77, 81, 89 Marie-Luise von Habsburg 109 Markov, Walter 18, 71 Marx, Karl 16–18, 117 Mathiez, Albert 13, 17 Maury, Jean 61 Mazzini, Giuseppe 134 Merlin de Douai, Philippe Antoine 101 Mercier, Louis Sébastien 39 Merlin de Thionville, Antoine-Christophe 68 Metternich, Germain 128 Metternich, Mathias 78, 128 Michelet, Jules 14 Mirabeau, Honoré Gabriel Riquetto, Comte de 34f., 61, 68 Miranda, Francisco 145, 150 Monge, Gaspard 104 Montagnards, siehe Montagne Montagne 14, 16, 33, 39, 68f., 73–77, 82–84, 86f., 89, 91, 149 Montesquieu, Charles de Secondat, Baron de 37–39, 56, 145 Montmorin Saint Hérem, Armand Marc de 73 Morus, Thomas 97 Moulin, Jean-François 101 Mounier, Jean-Joseph 61

Necker, Jacques 26, 28, 34, 44, 47, 52f. Nelson, Horatio 102f. Neojakobiner 88, 96, 99, 101 Ochs, Peter 132 Ogé, Vincent 140 Ozouf, Mona 65, 121 Paine, Thomas 19, 40–42, 137, 151

Palmer, Robert R 18f. 124 Panckoucke, Charles-Joseph 50 Paoli, Pascal 109 Pétion, Alexandre Sabès 143 Pétion, Jérôme 72 Philipp II., König von Spanien 29 Pichegru, Jean Charles 86, 92, 100 Picquet de la Motte, Toussaint-Guillaume 80 Pitt, William der Jüngere 137 Pius VI., Papst 62f. Pius VII., Papst 110 Plaine 92, 96, 99 Polvorel, Étienne 141 Pompignan, Jean-Jacques Lefranc, Marquis de 58 Popkin, Jeremy D. 121 Poterat, Pierre Claude 104

Prieur-Duvernois, Claude-Antoine 85 Proudhon, Pierre-Joseph 118 Prudhomme, Louis 73

Ranza, Giovanni Antonio 133 Raynal, Guillaume Thomas François, Abbé 140 Rebmann, Georg Friedrich 126 Reichardt, Rolf 22f., 51, 119, 121, 148 Reinalter, Helmut 22 Reubell, Jean François 96, 100, 132 Richet, Denis 10, 13, 19, 64 Riedel, Andreas Freiherr von 126 Robespierre, Maximilien Marie Isidore de 68–70, 74–77, 80–82, 84, 86–91, 97 Robespierristen 89, 92 Roland de la Platière, Jean-Marie 63, 68, 70, 74 Rolandisten 68 Rouget de Lisle, Claude Joseph 64, 70 Rousseau, Jean-Jacques 37–39, 56, 145 Roux, Jacques 76 Royalisten 67, 80, 92, 94–96, 99f., 105, 111, 122 Royou, Thomas-Marie 50 Rudé, George 21 Saint-André, Jeanbon de 86

Saint-Just, Louis 14, 39, 74, 80f., 85, 88, 90 Saint-Simon, Henri de 118 Saitta, Armando 18 San Martín, José de 147 Sansculotten 17, 19f., 58, 69, 72, 75–77, 80, 83–85, 87, 89–91, 94, 96, 98, 118, 120f., 150 Schmitt, Eberhard 22, 119 Schmitt, Tobias 82 Schönpflug, Daniel 51 Schulin, Ernst 10, 22 Schütz, Wilhelm von 126 Sieyès, Emmanuel Joseph, Abbé 33f., 49, 61, 88, 92, 101, 108 Soboul, Albert 13, 17f. 118, 120 Société des amis de la constitution, siehe Gesellschaft der Freunde der Verfassung Sons of Liberty 41 Sonthonax, Léger Félicité 141 Stofflet, Nicolas 80 Sybel, Heinrich von 15

Taine, Hyppolite 15f.

Talleyrand-Périgord, Charles-Maurice de 22, 61, 67, 115 Thamer, Hans-Ulrich 10, 22 Thermidorianer 75, 89, 91, 93–95 Tocqueville, Alexis de 13–15 Toussaint Louverture, François-Dominique 141f. Turgot, Anne Robert Jacques (Baron von Aulne) 36 Tyrconnell, Richard Talbot, Earl of 135

United Irishmen 135–138

Namensregister

Vendéens 79–83, 86, 90

Vergennes, Charles Gravier, Comte de 40 Vergniaud, Pierre-Victurnien 68, 74, 84 Verrazano, Giovanni da 139 Voltaire 37f. Vovelle, Michel 9, 17, 20f., 23, 30f., 64, 82, 89, 120f.

Washington, George 42 Wedekind, Georg 78, 127

Weishaupt, Adam 37 Wellington, Arthur Wellesley I. Herzog von 116 Werner, Michael 22 Wilhelm III., König von England 136 Wilhelm V. von Oranien, Staathalter der Vereinigten Provinzen der Niederlande 130 Wolff, Christian 38 Wolfe Tone, Theobald 136

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Abbildungsnachweis Alle Karten: Peter Palm, Berlin Titelei: Freiheitsbaum mit Jakobinermütze. Zeichnung von Goethe, 1792 i ullstein bild / Archiv Gerstenberg S. 35: A faut esperer q’eu s jeu la finira bentot. Karikatur eines unbekannten Zeichners mit den Initialen M. P., 1789 i Bibliothèque nationale de France / wikimedia commons S. 61: Zug der Pariser Marktweiber nach Versailles am 5. Oktober 1789. Zeitgenössische Radierung eines unbekannten Künstlers i akg-images S. 83: Der Tod des Marat. Gemälde von Jaques Louis David, 1793 i Königliche Museen der Schönen Künste, Brüssel / wikimedia commons S. 115: Aufstieg und Niederfall Napoleons. Zeitgenössischer kolorierter Kupferstich von Johann Michael Voltz, 1814 i Deutsches Historisches Museum / wikimedia commons S. 138: Seal of the United Irishmen, 1791 i wikimedia commons