Die Feiertage der evangelischen Kirche: Vierzig Festpredigten in den Jahren 1850–1861 vor der St. Jakobigemeinde zu Greifswald gehalten 9783111684871, 9783111297736


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German Pages 478 [480] Year 1865

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Borwort
Inhalt
I. Wie es die schönste Feier des neuen Kirchenjahrs ist- wenn wir mit Petrus von Herzen sprechm können: Du bist Christusder Sohn des lebendigen Gottes.
II. Das Geborenwerden Christi in uns- als die Vollendung der Weihnachtsfeier.
III. Die erste Weihnachtspredigt.
IV. Das erste Weihnachtslied
V. Das Warten des Christen aus dir Erscheinung der Herrlichkeit Gottes und unters Heilandes Jesu Christi.
VI. Der Besuch der Hirten zu Bethlehem
VII. Wie wir das neue Jahr im Namen Jesu beginnen sollen- und welch ein Segen damit verbunden ist
VIII. Der rechte Segenswunsch des Christen zum neuen Jahr
IX. Das Ewigbleibende in der Vergänglichkeit alles Irdischen
X. Mache Dich auf, werde Licht; denn Dein Licht kommt!
XI. Wie es gleich der Maria der Wahlspruch jeder christlichen Frau oder Jungfrau sein soll: Siehe, ich bin des Herrn Magd!
XII. Das Verlangen Jesu nach dem letzten Essen des Osterlammes
XIII. Der Christ unter dem Kreuze Jesu
XIV. Der Tod Jesu Christi als Versöhnungstod für die Welt
XV. Das Wort vom Kreuze als eine Kraft Gottes zur Seligkeit
XVI. Wie sieht der Gläubige den Kreuzestod Jesu an?
XVII. Der Herr ist auferstanden!
XVIII. Die erste Feier der Auferstehung Jesu
XIX. Der Weckruf des Sohnes Gottes zur Auferstehung
XX. Die Auferstehung Jesu Christi, wie sie der Evangelist Matthäus beschrieben hat
XXI. Die Bitte an den Auferstandnen: „Bleibe bei uns, denn es will Abend werden."
XXII. Die Antwort auf die Frage: Wie kommen wir zur Versöhnung- und was müssen wir dazu thun?
XXIII. Der Ruf des Herrn zur Buße
XXIV. Die Bekehrung zu dem lebendigen Gott, als das einzige Mittel des Heils
XXV. Was steht ihr und sehet gen Himmel?
XXVI. Der trostreiche Gedanke, daß Christus durch seinen Hingang zu Gott uns selbst eine Stätte im Hause des Vaters bereiten wollte
XXVII. Wie wir auch unserm Heimgänge von der Erde als einer Erhebung in den Himmel entgegensehen können
XXVIII. Die feurigen Lungen der Apostel
XXIX. Wie uns Christus mit dem heiligen Geiste und mit Feuer tauft
XXX. Wie uns Christus mit dem heil. Geiste und mit Feuer tauft.
XXXI. Wie der heilige Geist nur auf Die herabkommt, die einmüthig bei einander sind, und wie er in ihnen wirkt
XXXII. Wie wir den Geist als den Herrn zu erkennen haben, der uns zur Freiheit führt
XXXIII. Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist
XXXIV. Das Gebot Jesu Christi: das Evangelium aller Welt zu verkündigen
XXXV. Das göttliche Wort als das Wort des Lebens
XXXVI. Wie wir nicht in das Himmelreich kommen Annen, ohne nmzukehren nnd zn werden wie die Kinder
XXXVII. Das Gericht, wie es der Apostel hauptsächlich von der innern Seite beschreibt
Resorrnationspredigten.
XXXVIII. Der Tod des Christen als cm Tod der Liede
XXXIX. Wie der Tod für uns ein Engel des Friedens sei
XL. Der Tod als ein Kommen des Herrn
XLI. Gedächtmßpredigt zur dreihundertjährigen Todesseier D. Martin Luthers
XLIL Gedächtnißpredigt auf den Hintritt des Königs Friedrich Wilhelm in.
XLIII. Gediichtnißpredigt bei dem Heimgänge Friedrich Wilhelms IV.
XLIV. Gedächtnißpredigt am 300jährigenJubelfeste der Augsburg gifchen Konfession
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Die Feiertage der evangelischen Kirche: Vierzig Festpredigten in den Jahren 1850–1861 vor der St. Jakobigemeinde zu Greifswald gehalten
 9783111684871, 9783111297736

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Die

Feiertage -er evangelischen Kirche. Vierzig Festpredigten in den Jahren 1850—1661 vor der St. Jakobigemeinde zu Greifswald gehalten

von

Dr. A. G. F. Schirmer, weil. Konsistorialrath, Superintendent. Professor der Theologie und Pastor zu St. Jakobi in Greifswald.

Anhang: Vier Gedächtnißpredigten.

Berlin, Druck und Verlag von Georg Reimer.

1865.

Borwort. Sie überaus günstige Ausnahme und wissenschastliche Beurtheilung, die des Herrn Konsistorialraths D. Schirmer unlängst erschienenen „Zwölf Reformationö- und Gedächtnißpredigten, Berlin 1863", in den weitesten Kreisen und den geachtetsten theologischen Zeitschriften gefunden haben, verdanken sie zunächst ihrem bleibenden innern Werthe und der erschöpfenden und geistvollen Behandlung ihres Gegenstandes.

Jenen reihen sich als zweite Gabe die vorlie­

genden Festpredigten würdig an, die mächtig dazu beitragen werden, die Zahl der Verehrer des fei. Verfassers zu vermehren und ihm die Anerkennung und Würdigung zu zollen, die ihm im vollsten Maße gebührt. mationspredigten

Dursten die Refor­

den engbegränzten Kreis ihrer Aufgabe: die evange­

lische Kirche nach ihrem Grund und Wesen und nach ihrer innern und äußern Gestalt und Stellung zu würdigen, nicht überschreiten: so umfassen diese Festpredigten dagegen nicht allein die hohen Festtage der Kirche, sondern alle heilige Zeiten des evangelischen Kirchenjahrs, welches die großen Tha­ ten und Offenbarungen Gottes feiert.

Wol kann man jedes der hohen christlichen

Feste ein Ofsenbarungssest Christi nennen; denn es ist der Gottessohn Jesus Christus, der Herr des Heils und der Seligkeit, dessen göttliches Lebensbild sich uns in den heiligen Festen des Kirchenjahrs darstellt.

In dem W ei h nachts -

feste feiert die Kirche nur die menschliche Geburt des Gotteskindes, in welchem sich das Leben des Heils der Welt offenbaren sollte.

In der Todesseier Jesu

tritt uns die vollendete Liebesthat vor die Seele, womit er das Werk vollbracht, welches ihm der Vater gegeben: das Erlösungswerk, wofür er lebte und starb. In dem Osterfeste schauen wir die siegende und unbesiegbare Macht seines Le­ bens, das selbst den Tod überwindet und nimmermehr sterben kann.

Die Him­

melfahrt zeigt uns seine Verklärung zu Gott, wie er nach seinem Hingange wieder ausgenommen ist zu dem Vater, und mit ihm lebet und herrscht in der Macht seiner Herrlichkeit.

In dem Feste der Pfingsten feiern wir die Sendung

rv deS h. Geistes, der das in Christo erschienene Heil durch die Stiftung der Kirche, als einer Gemeinde des Herrn, für alle Zeit und Zukunft gesichert hat. — Ist das Fest der Geburt Jesu gleichsam das Fest des Vaters, ist das Fest der Auferstehung Christi vorzugsweise das Fest des Sohnes, sowie Pfingsten das Fest des h. Geistes: so find diese drei Feste in ihrer höchsten Beziehung doch Eins, und jedes derselben gilt dem Einen und lebendigen Gott, und das Fest der Dreieinigkeit schließt sie selbst wie in Einen Gedanken zusammen. An der Hand des göttlichen Worts werden wir hier nun durch das heilige Gebiet der Kirchenfeste geführt. Welch ein unermesslicher Reichthum von Betrachtungen, Ge­ danken und Anschauungen erschließt sich hier dem Auge des Geistes! Eine Fülle des mannigfaltigsten Lebens ergießt sich hier in die Gefäße der mannigfaltigsten Lagen und Bedürfnisse. Das Beste und Vollendetste Dessen, was der hohe Geist des verklärten Verfassers gedacht und geschaffen, die reifsten Früchte seines Wissens und Glaubens, werden uns hier geboten. Die reichste, reinste und edelste Blüte seines geistigen Lebens tritt hier an das Licht des Tages. Eö wäre nicht schwer, die seltenen Vorzüge nachzuweisen, welche Schirmers Predigten in Beziehung auf Form, Inhalt und Wirkung darbieten, sowol im Verhältniß zu Dem, was mit Recht von der evangelischen Predigt nach ihrer Aufgabe in der Gemeinde kann verlangt werden, als auch im Vergleich mit vielen andern Kanzelreduern früherer oder gegenwärtiger Zeit, welche durch diese oder jene Seite ihrer Predigten zu einer anerkannten Bedeutung gelangt sind. Doch könnte dadurch leicht der Schein hervorgerufen werden, als wollte man die vorliegenden Predigten als solche dar­ stellen, denen nie und zu keiner Zeit andere zu vergleichen wären. Das aber würde dem eignen Urtheil Schirmers über seine Predigten geradezu widersprechen, der ungeachtet seiner ausgezeichneten Begabung dennoch in der aufrichtigsten Her­ zensdemuth und Bescheidenheit, das Bewusstsein in sich trug und aussprach, daß seine Predigten keineswegs frei von Mängeln, auch gar nicht dazu angethan und daraus berechnet seien, als Musterpredigten zu gelten. Dennoch ist der Gesammteindruck seiner Predigten, die einen Karakter, einen Mann in Christo aus­ weisen, ein so gewaltiger und großartiger, und er wird eS bleiben, so lange daS Wort der Träger evangelischer Wahrheit und evangelischen Geistes fein wird. Das ist der bedeutungsvolle Karakter aller Predigt Schirmers, daß stets in ihr Christus der lebendige Mittelpunkt ist, und selbst da, wo er nicht gerade über Christum predigt, dennoch im Geiste Alles von ihm ausgeht und Alles zu ihm hinführt. Die lebensvolle Erfassung und Darstellung der Person Christi bildet daS kräftige Einheitsband nicht etwa nur für die Festpredigten, welche wie von selbst auf die Betrachtung der Person und des Werkes Christi führen, sondern auch für alle, welche irgend ein Moment des christlichen Lebens behandeln. In der Ursprünglichkeit und Kräftigkeit seines evangelischen Bewusstseins fühlte Schir­ mer sich berufen und der hohen Aufgabe vollkommen gewachsen, in seiner Predigt einerseits die volle Freiheit des protestantischen Gewissens, des evangelischen

V Glaubens und Forschen- zu wahren; andernseilS die Klarheit christlicher Er­ kenntniß und damit die Einstimmigkeit des christlichen Handelns auf dem Grunde des unzerstörbaren Bewusstseins der Gemeinschaft mit Gott und getragen von seiner allmächtigen Liebe, zu begründen und zu fördern; endlich aber auch das Gefühl der Zusammengehörigkeit zu lebendiger kirchlicher Gemeinschaft, und des Berufes des Einzelnen zu gemeinsamer Mitwirkung an dem ganzen Leibe der evangelischen Kirche zu erwecken und zu beleben.

Freiheit,

Wahrheit und

Liebe: das sind die drei Grundtöne, welche überall mit neuerfrischendem Hauch aus Schirmers Predigten uns entgegenklingen; daö sind die Gottesmächte, welche durch ihn, als von Gott auserseheneö Rüstzeug, in der Gemeinde neues Leben er­ weckten, Viele zu neuem frischen Geistesleben emporhoben, und die verborgenen Schätze des Wortes Gottes in vorurtheilsfreier Forschung Allen zugänglich mach­ ten.

Und was Schirmers Bedeutung erhöht und gleichsam erst die rechte Weihe

ihr gibt: es ist, daß dieser ächtprotestantische Karakler seiner Predigt nicht etwas Gemachtes und Berechnetes, nicht die mühevolle Errungenschaft einer vorher gefundenen und aufgestellten Theorie der geistlichen Beredsamkeit ist. ist der natürliche kunstlose Ausdruck seiner

Seine Predigt

ganzen Persönlichkeit, eine lebendige

Selbstdarstellung seines innersten Wesens, in welcher Alles, waS er selbst durchlebt, durchdacht, durchkämpft, durchempsunden hat, aber auch nur dies, nichts von Außen Angeeignetes, von fremdem Einfluß Getragenes, als reise Frucht seiner eigensten Geistesarbeit zu Tage kommt

Daher der wohlthuende Eindruck der innern Ein­

heit und Uebereinstimmung mit sich selbst, der Eindruck der Ruhe und Sicherheit, der Zuversicht und Klarheit, der Kraft nnd Ueberzeugung, des Friedens und der Seligkeit eines vom Geiste Gottes wahrhaft erfüllten Gemüths, den stets seine Predigt aus uns macht.

Das Predtgtamt war ihm neben seinem akademischen

Beruf, die heiligste Angelegenheit seines Lebens.

Seine Zuhörer sah er

an,

als von Gott ihm zugesendet und ihm anvertraut; seine Kirche als ein Feld, das ihm Gott zubereitet und angewiesen hatte.

Darum erschien ihm Bei­

des tu einem höheren heiligen Lichte, nicht als ein bloß menschlicher, irdischer Be­ ruf, sondern als ein Dienst des Herrn, in enger Beziehung aus die Ewig­ keit, und als ein Gegenstand großer Verantwortung.

Und das war der Grund

der nicht geringen Foderungen, die er darüber an sich selber stellte.

Schon bei

der Wahl des Gegenstandes, den er abhandeln wollte, und bei der Vor­ bereitung auf seine Predigten, ging er mit seltner Gewissenhaftigkeit zu Werke. Er wollte seine Zuhörer weiterführen, und zwar weiterhin zu ihrem Erlöser und zu ihrer heiligen ewigen Bestimmung.

Jede Predigt sollte ihm ein Beitrag

zu diesem Zwecke sein; er wollte bauen, indem er erbaute.

Darum wählte

er die Gegenstände seiner Vorträge mit Rücksicht auf die Zeit, die Umstände und jSebütfniffe seiner Zuhörer sorgfältig aus, weil er nicht bloß ein tönend Erz !und eine klingende Schelle sein

wollte.

Mit großem Fleiße arbeitete

er dann seine Predigten aus und schrieb sie in zterlichster Handschrift wörtlich

VI

nieder. Jede war ihm ein Stück ans seinem innern christlichen Leben, die Frucht eines anhaltenden Denkens und tiefer Empfindung, und nicht bloß das flüchtige Erzeugniß eines Augenblicks. Man hört es einer jeden an, daß sie ein ganzes Leben enthält und daß der Geist, aus dem sie hervorging, sein bestes Leben mittheilte. Daher auch das ganz eigne Wesen, das sie athmen und das sie er­ füllt: es ist kein andres, als daß Wesen fester Ueberzeugung. Dies ist das Erste und das Tiefste, was wir in seinen Predigten fühlen und empfangen. Das geht auch hervor aus der Ansicht, die er von der Predigt Halle. Sie war ihm eilte Ueberzeugung, die aus dem Innersten de« Geistes gefühlt und ebenso ge­ geben rombe Man liest sie, man hörte sie als solche, und konnte nicht zwei­ feln. Er hätte mögen seine unerschütterliche Ueberzeugung in die Seelen aller sei­ ner Zuhörer gießen, um sie mit sich zu Gott und zu Christo zu führen. Ihm lag nur daran, daß da« wahre und lebendige Christenthum als die Eine Lehre des Heils immer mehr zur Freiheit und Herrschaft komme. Er hat den Geist des Christenthums in feiner ursprünglichen Wahrheit erkannt, und in diesen Pre­ digten, die nur ein Zeugniß sein wollen des christlichen Geistes, der allein wahr­ haft Geist ist, ein reines und klares Bild desselben gezeichnet. Da sein Zweck kein bloß homiletischer, sondern ein reinpraktischer ist: so möchte daher auch die gewöhnliche Homiletik nicht der rechte und genügende Maßstab zur Würdigung dieser Predigten fein. Er hat sich daher auch an manche der homiletischen Regeln nicht so streng und genau gebnnden, sondern ist mehr nur Dem gefolgt, was ihm nach Maßgabe des Gegenstandes jedesmal das Entsprechendste schien; und in Rück­ sicht auf die innere Anordnung und Entwickelung hat nur das in dem ausgestell­ ten Gedanken selbst liegende Gesetz, nicht aber eine vorher schon festgestellte Form ihn bestimmt. Die rechte Predigt des göttlichen Worts legt dasselbe auS, und fasst es nicht in die Formeln einer Dogmatik und Symbolik, sondern in das Herz und Leben der Hörer. Jede Predigt soll ein Zeugniß von Christo, dem Gekreu­ zigten, sein, soll ihn gleichsam vor Augen malen, wie er für uns hienieden gelebt und gelitten hat, und für uns gestorben, und dann zum Vater verklärt ist. Denn haben wir ihn nicht in seiner geschichtlichen Gestalt gesehen: so fehlte unserm Glau­ ben auch noch der lebendige Grund. Um dieses Zeugniß richtig und kräftig ab­ legen zu können, muß der Prediger selbst die erweckende und beseligende Kraft des Evangeliums an sich erfahren, daß er den Frieden, den die Welt nicht geben und auch nicht nehmen kann, aus der Fülle der Gnade empfangen habe: dann erst kann er wahr reden von dem Einzigwahrhaftigen, und von dem großen Heil, das in Christo Jesu angeboten ist. Eine Predigt, die nicht ans Gott ist und nicht aus der Anschauung der himmlischen und göttlichen uns in Christo erschlossenen Welt ihren Ursprung har, ist auch keine christliche. Eine Predigt, die nur von Dem handelte, was dem irdijchen und zeitlichen Leben noch angehört, ist keine Predigt des Heils, keine Erlösungsbotschaft, und brächte uns keinen Trost, der ja nur vom Himmel kommt, wo kein Wandel und Wechsel, wo die Fülle des Frie-

VH

bette ist und die ewige Liebe wohnt. Sowie vom Himmel, muß aber eine christ­ liche Predigt auch eine Predigt zum Himmel sein, d. h, eine Predigt, die unsÜber die Erde erheben, und aus der irdischen Armuth und Niedrigkeit uns erhöhen und den Weg zum Himmel, zum seligen Leben bei Gott, zum Leben im Himmel­ reiche nns weisen will; eine Predigt, die uns durch die Macht der sie beseelenden Liebe zum Himmel zieht. Wer sollte nun in den Predigten eines Mannes, der im tiefsten Sinne ein Christ, und im Himmel kein Fremdling war, der im rechten LebenSgrunde selbst wurzelte, der mit Ernst um der Seelen Seligkeit rang, und dessen heiligster Beruf und höchste Freude es war: Christum zu predigen,— wer wollte in ihnen nicht wahrhaft christliche Predigten, nicht lebendige Zeug­ nisse von Christo erkennen? Obwol aber eine christliche Predigt eine Predigt vom Himmel und auch zum Himmel ist: so dürfen wir doch nicht meinen, als wenn sie uns dem Leben auf Erden entfremden und abwenden wolle von der wirklichen und sichtbareu Welt. Nein, wir haben ja auch hier unser Tagewerk, wozu Gott uns berufen hat, und was wir für ihn und in seinem Namen vollbringen sollen. Und die Predigt des Evangeliums, das ja keine andre Bestimmung hat, als die Welt zu erlösen und zu beseligen und nur darauf gerichtet ist, daß sie aus dem göttlichen Worte erbauet werde, varf auch die Zustände der Zeit nicht aus dem Auge lassen. Denn sonst ist es nicht möglich, sie umzubilden und zu verklären; und die Predigt, die -neben dem Leben hergeht und sich um die Verhältnisse der Welt nicht kümmert, wäre keine lebendige und bliebe auch wirkungslos. Fragen wir nun aber: ob die Gegenwart, ob unsre Zeit dem Geiste ausgethan und für sein Wirken empfänglich ist, ob wir von der Macht des Geistes, der die Menschen in unsern Tagen ergriffen hat, den Ausbau einer schöneren Zukunjt erwarten dür­ fen: jo können wir daraus schwerlich eine befriedigende und tröstliche Antwort fle­ hen. Vielleicht hat nie eine Zeit von dem Prediger des Evangeliums mehr gefodert und weniger entgegengebracht, als die gegenwärtige. Soll nun. aber die Predigt des göttlichen Worts dem Verständniß der Zeit nahegebracht werden: so darf der Geistliche der allgemeinen Bildung und Denkweise seiner Zeit nicht fremd sein; er muß alle Stufen weltlicher Bildung durchschritten haben und die geistige Welt seiner Zeit verstehen, wenn er auf sie wirken und sie beherrschen und den Weltkindern auch in Dem, was ihnm als das Höchste gilt, überlegm sein will. Daß dem sel. D. Schirmer eine seltene Welt- und Menschenkenntniß, sowie ein tiefes Verständniß der Zeit und ihrer Bedürfnisse zu eigen gewesen: davon legen seine überaus zeitgemäßen Predigten genügendes Zeugniß ab. Sein unab­ lässiges Streben ging dahin, alles äußere Leben mit jenem ewigen Gehalte zu durchdringen, der allein jeder menschlichen Bestrebung einen festen Bestand zu ver­ leihen vermag. Er kannte das Menschenherz bis in die geheimsten Falten, auch der verschiedensten Stände irrige Grundsätze und Ansichten. Er wusste aus die befangnen Gemüther zu wirken und die in den Herzen vorhandenen Einwände gegen das Evangelium zu überwinden. Er verstand es, wider die Sünden der

vm Zeit mit dem Schwerte des Geistes kräftig und entschieden zu kämpfen, aber auch mit zarter Schonung die edlen und für's Reich Gottes anzueignenden Elemente der Zeit zu pflegen. Wenn zur Erweckung des geistlichen Lebens freilich allezeit das: „ich glaube, darum rede ich," das Erste ist: so kommt eS nicht weniger darauf an, daß die BehandlungS- und Darstellungsweise der Predigt, die vor die Gemeinde tritt, allgemein verständlich ist, nicht nur in Beziehung auf die Ausdrücke und Redeweisen, sondern auch, was den ganzen Gedankenkreis der Predigt betrifft; eS handelt stch nicht bloß um ein äußerliches, sondern um ein innerliches Ver­ ständniß, da daS Evangelium die lösende Antwort aus die innersten Fragen un­ sers Herzens gibt.

Es ist unendlich wichtig, daß das Wort der Predigt in allen

Formen daS rechte Wort sei, das Wort, welches dem Geiste des Zuhörers ebenso verwandt ist, als dem Geiste des Verkündigers, dem es entspringt.

Dieses

allezeit rechte Wort, diesen Karakter der Popularität, der allerdings ein noth­ wendiges Erforderniß einer Predigt ist, werden gewiß in den vorliegenden Pre­ digten Die nicht vermiflen, die einen frommen, zn dem Höheren und Göttlichen hingewendeten Sinn in stch tragen und nicht bei einem Gewohnten und Herge­ brachten nur stehen bleiben, und Denen die reinchristliche Welt- und Lebensansicht nicht fremd und zuwider ist, und die sich von der Lehre: daß unser Leben hienieden schon ein Leben im Geist, ein Wandel im Himmel sein soll, nicht wegwen­ den.

Da die Mitglieder der hiesigen Universität sich zu Schirmers Gemeinde

hielten: so war seine Stellung als Prediger während der ganzen Dauer seiner Amtsführung eine solche, daß sie ihm gestattete, gemäß der ganzen Anlage seiner geistigen Organisation, das Evangelium vorzugsweise in der höheren und gebil­ deten Sphäre der menschlichen Gesellschaft zu verkündigen.

Und ist es nun ein

unläugbareS Bedürfniß der höheren Bildungsstltfen, daß ihnen die Verkündigung des göttlichen Worts nicht in abstoßender und ungenießbarer Form, nicht in einer Weise entgegentrete, welche hinter der fortgeschrittenen Kultur des Geistes

und

der Wissenschaft zurückbleibe: so gebührt unserm Schirmer das große Verdienst, vermöge der von Gott empfangenen hohen und ausgezeichneten Begabung dieses Bedürfniß vollständig befriedigt, und so nicht nur Dank und Anerkennung in diesen Kreisen gefunden, sondern auch, wie dies in ähnlichen Fällen immer ge­ schieht, dadurch dem freieren geistigen Standpunkt des Christenthums auch zu den niedrigern Bildungsschichten die Bahn gebrochen zu haben.

Seiner Predigt legt

er die Worte der h. Schrift mit einer Liebe und Begeisterung, mit einer so geiüitnb lebensvollen tiefeindringenden Auffassung zum Grunde, welche ein unwider­ legliches Zeugniß davon ablegen, daß er mit diesem Grunde der Schrift innerlich verwachsen sei.

Freilich überladet er seine Predigt nicht mit einzelnen Stellen

und Aussprüchen der Bibel, als sei dies gleichsam das auszeichnende Merkmal einer gläubigen oder christlichen Predigt.

Ihm ist vielmehr die Schrift in ihrer

Gesammtgeschichte und Lehre Ein untrennbares Ganzes, das nur in seinem or-

IX

ganischen Zusammenhange, nicht aber in einzelnen aus diesem Zusammenhange gerissenen, und dann allerdings jeder beliebigen willkürlichen Deutung und Aus­ legung fähigen Stellen, will verstanden und in die Tiefe des Gemüths aufge­ nommen sein. Darum führt er in seinen Predigten nur solche Schriststellen an, welche dem eben vorliegenden Zusammenhange angehören und dazu dienen kön­ nen, den bezüglichen Gegenstand dem geistigen Auge anschaulicher, dem innern Ohr vernehmlicher und behaltbarer zu machen. Nach solcher Bezeichnung einiger Eigenthümlichkeiten in der Behandlungs­ weise der Predigt Schirmer's, bescheide ich mich gern, ihre sonstigen Vorzüge: ihre Einfachheit in der Form der Darstellung ohne alles Beiwerk oratorischen Schmuckes, ohne alle falschberühmte Kunst logischer Disposition und Eintheilung; ihre Kraft und Klarheit in der siegreichen Macht des Wortes der Wahrheit; ihre Gründlichkeit und Bestimmtheit, ihre Tiefe und Gedankenfülle, ihre Würde und Wärme; ihre edle, klassischgebildete, ernste und weihevolle, und in ihrer Anspruchlosigkeit oft so herzlich und tiefbewegende Sprache und Ausdrucksweise dem Urtheil Derer anheimzugeben, welche unbefangen diese Eindrücke und Vorzüge auf sich wirken zu lassen im Stande sind. Wie Schirmer's ganzes Wesen und Leben, ferne von allem Schein und Gepränge, die lauterste Wahrheit und Demuth war: so erschien der theure Gotlesmann auch an geheiligter Stätte. Seine kräftige und wohlklingende Stimme drang mit wunderbarer Gewalt in die Herzen der Hörenden ein. Alles was er redete wär gediegen, gedankenreich, aber evangelisch klar und wahr. Er sprach mit der Iugendkraft und Begeisterung eines Jünglings und mit der Weihe und Erhabenheit eines Propheten. Nur das Göttliche sollte wirken und heilige Ge­ sinnungen erregen. Er wollte nicht Thränen erpressen, nicht erschüttern, sondern nur belehren, überzeugen und rühren. Die Flamme hoher Begeisterung, die aus seinem von heiliger Liebe zu Gott und zu allen Menschen erfüllten Herzen so mild Hervorstralle, wehte jedem Hörenden göttliche Weisheit und Kraft zu; man fühlte sich so wohl, während er voll heiliger Salbung vom Reiche Gottes sprach, daß man sich in eine höhere Welt verseht glaubte Seine äußere Erscheinung war einnehmend und herzgewinnend. Die Freude seines Geistes und das Glück seiner Seele stralten aus seinen leuchtenden Augen, wie aus seinem freundlichen Antlitz hervor. Er hatte ein ehrwürdiges apostoli­ sches Ansehn. Die seinen geistreichen Züge seiner zartgebauten Gestalt verriethen einen sanften und milden Karakter, sowie einen scharfen und durchdringenden Geist. Einfachheit und Anspruchlosigkeit waren der äußere Stempel seiner Per­ son. In seiner Haltung waren liebevolles Wesen mit ernster Würde, eine gewisse Lebhaftigkeit, die das natürliche Ergebniß überströmender Geister ist, mit der fried­ lichsten Seelenruhe verbunden. In seinem Verhalten war er liebenswürdig und gefällig, voll Freundlichkeit und Überfließender HerzenSgüte gegen Jedermann, voll Erbarmen und Mitleid für die Armen und Leidenden. Er bewahrte die

X edle Perle des Christenthums, das ächte Kleinod der Menschheit tief im Herzen, und trug einen Schatz von himmlischen Gesinnungen in sich, dessen Reichthum sich in seinem ganzen Leben und Wirken zeigte.

In ihm erschien das Alter an-

muthig. gleich einem unbewölkten Abend, und es war unmöglich, ihn zu betrach­ ten, ohne den inbrünstigen Wunsch zu hegen: möchte doch der Spätherbst meines Lebens dem feinigen gleichen. Für die Freunde und Verehrer des Heimgegangenen Mannes lassen wir hier einige Nachrichten über den äußeren Gang seines Lebens folgen: August Gottlob Ferdinand Schirmer, geb. am 14. Mal 1791 zu Hartmannsdors bei Grünberg tu Schlesien, erhielt von seinem Vater, dem hochverdienten Pastor des Orts, der über ein halbes Jahrhundert mit großem Segen gewirkt, den ersten Unterricht, besuchte dann das Pädagogium zu Züllichau, widmete sich 1810 in Frankfurt a. O. und seit 1811 in Breslau der Theologie und Philosophie,

war einige Jahre

Hauslehrer bei einem Grasen v. Kalkreuth, promovirte zum Doktor der Philosophie und begann 1818 in Breslau seine akademische Wirksamkeit zunächst als Privat­ dozent

und seit 1819 als a. o. Professor der Theologie.

Große Anerkennung

fanden seine beiden ersten literarischen Arbeiten: „Versuch einer wiffenschastlichen Würdigung des Supranaturalismus

und Rationalismus (Breslau 1818)", wo­

rin er den Widerspruch der Vernunft und der Offenbarung zu lösen suchte, und: „Das Verhältniß der biblischen Dogmatik zu der Gesammtwissenschaft der Theo­ logie (Breslau 1820)",

worin

er

und systematischen Theologie sodert.

eine

lebendige Vermittelung

der

biblischen

Nach Erlangung der theologischen Doktor­

würde folgte er 1827 einem Ruse nach Greifswald als o. Professor der Theo­ logie und Pastor zu St. Jakobi. erscheinen, nämlich:

Im Jahre 1829 ließ er zwei Schriften anonym

„Kirchenrechtliche Untersuchungen (Berlin 1829— gegen

Krug's natürliches Knchenrecht gerichtet — des

KtrchenrechtS aus

welche

eine ethische Begründung

der christlichen Idee heraus, fodern

— Schleiermacher

wurde mehrfach als deren Verfasser angesehu —; die andre: „Der ursprüngliche Entwickelungsgang der religiösen und sittlichen Bildung der Welt (Greifswald 1829)." -- Ein schönes Denkmal seiner freisinnigen protestantischen Denkweise, mit welcher er auch in seinem ganzen Wirkungskreise stets für die Union auf der freiesten Grundlage eingetreten ist, bleibt sein in der Bruno Bäuerischen Sache abgesasstes Gutachten im Interesse der akademischen Lehrfreiheit.

Schirmer ver­

trat von ;eher in seiner theologischen Stellung die freiere, im ursprünglischen Geiste

der Reformation

begründete evangelische Richtung.

Der Grundgedanke

seiner Theologie und praktischen Wirksamkeit war die Verklärung der Welt zu einem Bilde des göttlichen Lebens, zu einem Reiche geistigsitt­ licher Freiheit und Liebe auf dem Grunde der in Christo erjchienenen Erlösung.

Wenn Schirmer unstreitig

einer der gedankenreichsten, tief­

sinnigsten evangelischen Theologen unsrer Zeit ist, gleichausgczeichnet durch seltene wissenschaftliche Bildung, wie durch ächte Frömmigkeit und edlen Freimuth des

XI

KarakterS: so erscheint er doch am bedeutendsten in seinen Predigten, in denen alle Kräfte des reichbegabten Geistes angespannt scheinen, um von dem gött­ lichen Lebensgrunde, in dessen-Tiefe er sich versenkte, ein thatkräftiges Zeugniß zu geben. Gleichsehr die Frucht einer ernsten Gedankenarbeit, wie der tiesinnerlichen Bewegung des Gemüths, sind sie von einer geheimuißvollen, wunderba­ ren Anziehungskraft, von durchsichtiger Klarheit und seltener Schönheit. Der Mittelpunkt der Predigt ist Christus, als der lebendigmachende Geist. Unter dem Titel: „Die Anbetung Gottes im Geist und in der Wahrheit" gab er 1830 einen Band mit 22 Predigten heraus. Seitdem hat er nur einzelne Predigten unv Reden in den Druck gegeben, indem er bei seinen vielfachen Berufsgeschästen keine Muße für literarische Arbeiten fand. 1842 wurde er Konsistorialrath, 1847 Superintendent der Stadtsynode Greifswald; im Herbst 1861 ließ er sich aber wegen zunehmender Körperschwäche von seinem Predigtamte und seiner Superintenbentiir entbinden und behielt nur die Professur, bis ihn am 29. März 1863 im säst vollendeten 72sten Lebensjahre ein sanfter Tod abrief. Ihn betrauern vor Allem feine würdige zweite Gemahlin, eine geborne v. Bock, emes höheren Offiziers Tochter, nnd seine beiden hochverdienten Söhne ans erster Ehe mit einer Baronesse v. Richthofen, von denen der altere als Professor der Rechts­ wissenschaft in Königsberg (früher in Breslau), und der jüngere als akademischer Dozent und Arzt in Greifswald, mit großer Anerkennung wirkt. Allen, die Gottes Wort lieb haben, übergeben wir hier nun die Fe st pre­ digten dieses reichgesegneten Mannes; sie werden den Heilsbegierigen eine er­ quickliche Speise, insbesondere aber der theuren Iakobigemeinde in Greifswald und den ehemaligen Zuhörern des Lerewigten eine erfreuliche Gabe sein, die den Eindruck des unlängst gehörten Wortes erneuern und zur lebendigen Erinnerung bringen soll. Gewiß wird man aus ihnen die ganze Eigenthümlichkeit des Ver­ klärten wiedererkennen, wie er bei seiner hohen GabL der Lehrhaftigkeit in edler eindringlicher Weise das Wort Gottes auszulegen, mit großer Klarheit und Kraft die Schätze des Himmelreichs zu entfalten wußte, also daß die ihm anvertraute Gemeinde von Stufe zu Stufe in christlicher Erkenntniß gefördert wurde, und daß Viele der Wahrheit die Ehre gaben, die sie vorher verkannt hatten, oder Denen sie in ihrer Tiefe noch unerkannt geblieben war. So trieb er in Wahr­ heit das Werk des Friedens unter uns, weil er Gottes Frieden im Herzen trug, der chu allezelt in Gott stark und fröhlich machte in bösen wie in guten Tagen. Wir hoffen, daß auch Manche von Denen, die den Heimgegangenen einst als ihren Seelsorger gekannt und geliebt haben, an den Lehrer, der ihnen und ihren Vätern das Wort Gottes verkündlgt hat, in Liebe und Verehrung gedenken, sein Ende anschauen und seinem Glauben nachfolgen werden. Mit Dank gegen Gott bekennt hier der Herausgeber, daß die Beschäftigung mit diesen Predigten ihm einen reichen Segen gebracht hat, und er für seine nicht geringe Mühe

xn den köstlichsten und seligsten Lohn in dem Gedanken findet: daß noch viele Müh­ selige und Beladene aus ihnen Trost und Erquickung schöpfen werden. Sen dem Palmsonntage 1863 ist der geweihete Mund verstummt, der das Wort der Wahrheit in der Freiheit des Geistes und im Drange der Liebe Christi so gewaltig und so segensreich austheilte, und wehmüthig gedenken der unvergess­ lichen Stunden Diejenigen unter uns, welche an den Tagen des Herrn heilsbe­ gierig um den theuren Lehrer sich sammelten. Aber es hätte von seiner Bedeu­ tung als Prediger gar nicht die Rede sein können, wenn diese Predigt nicht auch nach dem Heimgang des Predigers forttönte und fortzeugle von der Kraft Got­ tes in ihm. Sein Geist ist mit der Verkündigung des Evangeliums nicht mit ihm von uns geschieden; er lebt fort in seinen Schülern und Verehrern, überall, wo evangelisches Wesen und evangelische Gesinnung sich findet, ertönt verschieden nach Gabe und Eigenthümlichkeit, aber Eins im Grunde der Wahrheit, Freiheit und Liebe, Eins im Bekenntniß zu Christo als dem alleinigen Meister, Eins im Geisteökampfe gegen die finstern Mächte der Welt — ertönt das Evangelium von der Erlösung und Versöhnung durch Christum. Aber noch ein anderes Gut von unvergänglichem Werth hat der Verklärte uns hinterlassen, in welchem sein Geist fortlebt unter uns: das ist der Schatz seiner gedruckten Predigten, ein Schatz, so mannigfaltig, groß und gewaltig, daß er dem Namen Schirmer fortan eine bleibende Bedeutung in der Geschichte der christlichen Predigt geben wird. Mögen denn auch diese Predigten dazu dienen, daß des unvergesslichen Mannes Gedächtniß in Ehren unter uns bleibe, als das eines treuen Haushalters über Got­ tes Geheimnisse. Mögen sie jedesmal das Herz der Leser so rühren, daß sie mit neuem Muthe belebt werden, sortzuwandeln aus dem schmalen Pfade, der zum Leben führt, bis sie durchgedrungen sind durch die enge Pforte und die Pal­ men tragen vor dem Angesichte des Königs im himmlischen Jerusalem. Aus den beigefügten vier Gedächtnißpredigten wird man nicht nur mit Genugthuung erkennen können, wie groß Schirmer von unserm theuren Kir­ chenvater Luther dachte, und wie er die Augsburgische Konfession nach ihrem vollen Werthe zu würdigen wußte, sondern auch mit welcher rührenden Liebe er für König und Vaterland erfüllt war. Mills Gott so werden im Laufe des nächsten Jahres als dritte Gabe noch 24 Evangelien- und Epistelpredigten und endlich als Schluß eine Auswahl seiner geistlichen Amtsreden im Druck er­ scheinen. Und so übergeben wir denn diese Festprcdigten des theuren unvergeßlichen v. Schirmer vor Allem den Herrn mit der demüthigen Bitte: Er selbst wolle sie an recht vielen Seelen gedeihen lassen zur Stärkung des Glaubens, zur Kraft in der Gottseligkeit, zur Geduld in dem Leiden, und zu einer seligen Hoffnung des ewigen Lebens. Greifswald, den 24. Junl 1865, Dr. Karl Schütze, Pastor. am Tage Johannis, des Täufers.

Inhalt. Seite

I.

Wie es die schönste Feier des neuen Kirchenjahrs ist- wenn wir mit Petrus von Herzen sprechm können: Du bist Christusder Sohn des lebendigen Gottes. Predigt am Anfang des Kirchenjahrs 1860 üb. Matth. 16,14—19. Das Geborenwerden Christi in uns- als die Vollendung der Weihnachtsfeier. Predigt am ersten WeibnachtSfeiertage 1853 üb. Ev. Luk. 2,1—14.

11

III.

Die erste Weihnachtspredigt. Predigt am ersten Weihnachtsfeiertage 1856 üb. Ev. Luk. 2,1—14.

24

IV.

Das erste Weihnachtslied. Predigt am ersten Weihnachtsfeiertage 1857 üb. Ev. Luk. 2,1—14.

34

V.

Das Warten des Christen aus dir Erscheinung der Herrlichkeit Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi. Predigt am ersten Weihnachtsfeiertage 1858 üb Titus 2,11—14.

44

VI.

Der Besuch der Hirten zu Bethlehem. Predigt am zweiten Weihnachtöfeieuage 1858 üb. Ev. Lut. 2,15—20.

55

VII. Wie wir das neue Jahr im Namen Jesu beginnen sollen- und welch ein Segen damit verbunden ist. Predigt am ersten Tage des neuen Jahrs 1852 üb. Ev. Luk. 2,21.

65

II.

1

VIII.

Der rechte Segenswunsch des Christen zum neuen Jahr. Predigt am ersten Tage des neuen Jahrs 1856 üb. Ps. 121,7 -8.

76

IX.

Das Ewigbleibende in der Vergänglichkeit alles Irdischen. Predigt am ersten Tage des neuen Jahrs 1859 üb. Ies. 40, 6—11.

86

X.

Mache Dich auf- werde Licht; denn Dein Licht kommt! Predigt am Feste der Erscheinung Christi 1852 üb. Ies. 60,1—6.

97

XIV XI.

toie es- gleich der Maria- der Wahlspruch jeder christlichen Frau oder Jungfrau sein soll: Siehe- ich bin des Herrn Magd! Predigt am Feste der Verkündigung Mariä 1857 üb. Luk. 1,26—38.

106

XII.

Das Verlangen Jesu nach dem letzten Essen des Esterlammes. Predigt am Palmsonntage 1857 üb. Ev. Luk. 22,14—22.. . .

116

XIII. XIV.

Der Christ unter dem Kreuze Jesu. Predigt am Charfreitage 1855 üb. Ev. Ioh. 19, 16—30. . . . 125 Der Tod Jesu Christi als Verjohnungstod für die Welt. Predigt am Charfreitage 1856 über Römer 5, 10...................... 136

XV. Das Wort vom Kreuze als eine Kraft Gottes zur Seligkeit. Predigt am Charfreitage 1859 üb 1. Korinth. 1, 17—18. . . XVI.

Wie sieht der Gläubige den Kreuzestod Jesu an? Predigt am Charfreitage 1861 über Ev. Matth. 27, 31—54.

148

.

157

XVII. Der Herr ist auferstanden! Predigt am ersten Osterseiertage 1854 über Markus 16, 1—8.

167

XVm. XIX. XX.

Die erste Feier der Auferstehung Jesu. Predigt am ersten Osterfeiertage 1856 über Lukas 24, 1—12.

.

Der Weckruf des Sohnes Gottes zur Auferstehung. Predigt am ersten Osterseiertage 1858 über Ev. Ioh. 5, 25 . . Die Auferstehung Jesu Christi- wie sie der Evangelist iHaU thäus beschrieben hat. Predigt am ersten Osterseiertage 1860 über Matth. 28, 1— 10.

177 188

198

XXI.

Die Sitte an den Auferstandnen: Steide bei uns- denn es will Abend werden. Predigt am zweiten Osterseiertage 1857 über Lukas 24, 13—35.

XXII.

Die Antwort auf die Frage: Wie kommen wir zur Versöhnung- und was müssen wir dazu thun? Predigt am Bußtage 1857 über Micha 6, 8................................ 218

XXIII.

Der Äuf des Herrn zur Susze. Predigt am Bußtage 1858 über Offenb. Ioh 2, 4u.5. .

.

208

.

229

XXIV. Die Sekehrung zu dem lebendigen Gott- als das einzige Mit^ tel des Heils. Predigt am Bußtage 1861 über Apostelgesch. 14, 15 u. 17. . .

238

XXV. was stehet ihr und sehet gen Himmel? Predigt am Feste der Himmelfahrt Christi 1855 über Apostel­ geschichte 1, 1 11..............................................................................248 XXVI. Der trostreiche Gedanke- daß Christus durch seinen Hingang zu Gott uns selbst eine Stätte im Hause -es Vaters bereiten wollte. Predigt am Feste der Himmelfahrt Christi 1858 üb Ioh. 14,2— 3.

258

XV XXVII

töte wir auch unserm Heimgänge von der Erde als einer Erhebung in den Himmel entgegensehen können. Predigt am Feste der Himmelfahrt Jesu Christi 1860 üb. Apostel­ geschichte 1, 1—11...................................................................................... 267

XXVIII.

Die feurigen Lungen der Apostel. Predigt am ersten Pfingstfeiertage 1856 üb. Apostelg. 2, 1—13.

XXIX.

wie UNS Christus mit dem heil. Geiste und mit Feuertauft. I.

Die GeisteStau fe.

Predigt am ersten Pfingstfeiertage 1857 üb. Matth. 3, 11. XXX.

.

.

288

Wie uns Christus mit dem heil. Geiste und mit Feuer tauft. II

Die Feuertaufe.

Predigt am zweiten Pfingstfeiertage 1857 üb. Matth. 3, 11. XXXI.

276

.

298

wie der heilige Geist nur auf Die herabkommt- die emmiithig beieinander sind- und wie er in ihnen wirkt. Predigt am ersten Pfingstfeiertage 1858 üb. Apostelg. 2, 1—13.

XXXII.

308

wie wir den Geist als den Herrn $u erkennen haben- der uns {uv Freiheit fuhrt. Predigt am zweiten Pfingstfeiertage 1861 üb. 2. Korinth. 3, 17.

XXXIII.

318

Niemand fährt gen Himmel- denn der vom Himmel hernieder^ gekommen ist. Predigt am Feste der Dreieinigkeit 1861 üb. Ev. Ioh. 3, 1—15.

XXXIV.

328

Das Gtboi Jesu Christi: das Evangelium aller Welt {U verkündigen. Predigt am Missionsfeste 1850 über Matth. 28, 18 —20.

XXXV.

.

339

Das göttliche Wort als das Wort des Gebens. Predigt am Bibelfeste 1852 über Matth 4,4..............................353

XXXVI.

wie wir nicht in das Himmelreich kommen können, ohne- um­ zukehren und {u werden- wie die Kinder. Predigt am Michaelisfeste 1854 üb

Matth. 18, 1-11.

.

.

363

XXXVII. Das Gericht- wie es der Apostel bauplfächlich von der in­ nern Seite beschreibt. Predigt am Erntefeste 1860 über Galater 6, 7—10 Aeformationspredigten.

.

.

.

.

.

372

........................................................... 382

XXXVIII. Der Tod des Christen- als ein Tod der Liebe. Predigt am Todtenfeste 1855 über Römer 8, 38—39. XXXIX.

Predigt am Todtenfeste 1858 über Hebräer 4, 9—11. XL.

.

.

382

.

.

392

.

.

401

Wie der Tod für uns ein Engel des Friedens sei.

Der Tod- als ein Kommen des Herrn. Previgt am Todtenfeste 1860 üb. Markus 13, 35—37.

XVI

Anhang. XLI.

Gedächtnißpredigt ptr 300jährigen Todesfeier D. Marlin Luthers. gehalten am Sonntage Estomihi, den 22. Februar 1846 über Lukas 18, 31-43.................................................................................. 411

XLIL

Gedächtnißpredigt auf den Hintritt des Königs Friedrich Wilhelm in. gehalten am 5. Sonntage nach Trinitatis, den 19. Juli 1840 über JakobnS 1, 12...............................................................................424

XLIII.

Gedächtnißpredigt bei dem Heimgänge Friedrich tüiU Helms IV. gehalten am Sonntage Jnvokavit, den 17. Febrnar 1861 über Matth. 10,32...................................................................................

437

XLIV.

Gedächtnißpredigt am 300jährigenJubelfeste der Augsburg gifchen Konfession. gehalten den 25. Juni 1830 über Matth. 10, 18—20 . . .

448

I. Wie es die schönste Feier des neuen Kirchenjahrs ist, wenn wir mit Petrus von Herzen sprechen können:

Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Predigt am Anfang des Kirchenjahrs 1860 üb. Matth. 16,14-19.

Jesus Christus, gestern und heute und Derselbe auch in Ewigkeit! Ja, laß auch heute unsere Herzen von dem Worte deS Heils lebendig durchdrungen werden, daß Du ewig Derselbe bist, der Sohn der himmlischen Liebe, die nicht aufhört, uns, die Verlornen, zu suchen, um uns zum Vater zurückzuführen und uns den Frieden zu schen­ ken, den uns die Erde nicht geben kann; — laß es uns auch heute empfinden, daß Du, sowie Du bisher uns liebend gepflegt und getragen hast, auch uns immerdar nahe bist und bei uns sein willst alle Tage bis' an der Welt Ende! — Erfülle aber auch unsre Seele mit dem Ernst deS Gedankens, daß wir ohne Dich keine Hoffnung der Zukunft haben und daß Du der Herr bist, der Tod und Leben in seiner Hand hat. — Komm darum selbst mit Deiner Gnade zu uns, komm zu uns auch in dem neuen heiligen Kirchenjahr, und offenbare Dich uns immer reicher als den Herrn unsrer Seligkeit, und ziehe durch die Macht Deiner Liebe uns zu Dir hin, daß wir ewig die Deinen sein, und als Sieger über die Welt Dich in Deiner Herrlichkeit schaun und mit Dir ein­ gehn in das selige Reich des Vaters! Amen.

2 Mit dem heutigen Tage, Geliebte in dem Herrn, treten wir in ein neues christliches Kirchenjahr ein, und das soll allerdings ein fest­ licher und heiliger Tag für uns sein.

Doch wird er auch nur Denen

als Festtag gelten, die sich der Bedeutung der Kirche Christi bewußt ge­ worden, und die sich als lebendige Glieder fühlen am Leibe des gött­ lichen Heilands, der die Gemeinde ist.

Denn nur Diese erkennen es, welch

eine Gnade durch die Kirche des Herrn ihnen zugeflossen und welchen Dank sie dem Gottessöhne schuldig sind, der mit jedem neuen Kirchenjahr auch den Ruf seiner Liebe von Neuem an uns ergehen läßt, damit wir schon hier im Lichte des Lebens wandeln und einst da sein sollen, wo Er ist, und feine Herrlichkeit bei dem Vater schaun.

Die Theilnahme an der

Feier des Kirchenjahrs kann daher wol als ein Zeichen gelten, in welcher Achtung und Schätzung die Kirche Christi

unter uns steht.

Und tritt

uns bei Vielen nicht eben ein lebendiges Interesse entgegen, spricht sich darin vielmehr ein gleichgültiges Wesen aus, so können wir den Schmerz darüber nicht bergen.

Doch wir wollen uns um so tiefer in den Fest­

gedanken versenken, um, von dem Lichte des Herrn erleuchtet, mit Trost und mit Freudigkeit das neue Kirchenjahr anzutreten; aber zugleich auch von Herzen bitten, daß Niemand unter uns dieses Trostes entbehre und daß Allen die Stätte der Zuflucht aufgethan sei, die allein in dem Sohne Gottes zu finden ist. Woher aber rührt es denn, daß so Viele das neue Kirchenjahr nicht beachten und gleichgültig daran vorübergehn, während sie das neue Erdenjahr nicht ungefeiert lassen?

Das hängt allerdings

mit einer irdischen Ansicht der Welt zusammen, die den Menschen ver­ blendet, daß er nur sieht, was sichtbar und zeitlich ist, und sein Herz an das Vergängliche hängt,

aber es nicht weiß oder nicht wissen will,

daß wir Nichts von den Jahren unsers Lebens zu hoffen haben, wenn es nicht auch Jahre des Herrn sind, Jahre, in welchen der Herr mit seiner seligen Herrschaft uns näher kommt und reicher und herrlicher sich an uns offenbart.

Schaun wir nur in Christo das Bild des gött­

lichen und himmlischen Lebens, das Bild des Gottesreiches, wonach wir, als dem Höchsten, zu ringen haben: so empfängt jedes neue Jahr feinen wahren Inhalt und feine Aufgabe auch nur aus ihm, — und soll das Neue, dem wir entgegensetzn, nicht vergänglich sein, soll uns in ihm das Licht einer neuen und ewigen Zukunft aufgehn, soll es das Heil des Friedens uns näher bringen: so kann es auch nur vom Herrn uns kommen, in welchem das Alte vergangen und Alles zum Neuen ge­ worden ist, und kann nur ein Werk seines Geistes sein. — So mahnt

3 uns denn also ^>as neue Kirchenjahr, nns hinzuwenden zum Herrn, der uns allein die Macht eines neuen und seligen Lebens der Zukunft zu ver­ leihen im Stande ist.

Darum stellt auch das Kirchenjahr uns das Gottes­

bild Jesu Christi in einer heiligen Reihe der christlichen Jahresfeste vor Augen, und Christus ist die himmlische Sonne, um die sich unser ganzes Leben bewegen soll, daß es in ihm verklärt und verherrlicht werde.

Und

scheint nun diese Himmelssonne, die Sonne der ewigen Liebe in Christa auf uns herab, und dringt sie in unsre Herzen ein: wie sollten wir das Licht dieser Liebe nicht auch wieder aus uns hervorleuchten lassen, indem wir nur Werke der Liebe thun, wodurch der Bau des in Christo ge­ stifteten Himmelreichs immer höher steigt! Ja, möchte dies doch die selige Frucht unsrer heutigen Festfeier sein! Dazu aber gelangen-wir nur, wenn wir in dem Glauben an Christum, als den Sohn des lebendigen Gottes, immer fester geworden sind.

So habe ich denn auch für unsre Festbe­

trachtung einen Text erwählt, der vorzugsweise uns darauf hinführt. Wir lesen ihn im 16. Kapitel der evangelischen Geschichte des Matthäus, vom 13—19. Verse also:

„Da kam Jesus . . . auch im Himmel los sein." Gebe Gott, daß auch für uns das Himmelreich offen stehe und Erde und Himmel nicht noch von einander geschieden sei.

Dazu segne,

o Vater, auch diese heilige und festliche Stunde, und sei mit Deinem Geiste bei uns, um Deines Sohnes Jesu Christi willen! Amen.

Da Jesus dem Ausgange seines Wandels auf Erden immer näher gerückt, und es ihm selbst nicht verborgen war, daß sein Ende nicht ferne sei: so kam es zur Durchführung seines Erlösungswerks immer mehr darauf an, daß er erkannt werde als der Gottessohn. von ihm dachte, das wußte er wol.

Was die Welt

Die Frage danach, die er an seine

Jünger thut, sollte nur dazu dienen, daß sie selbst um so lebendiger es erkennen und in ihrem Herzen erwägen möchten, wer er sei.

Darum

legt ihnen auch Jesus, nachdem sie die mancherlei Gedanken und Vor­ stellungen der Menschen über ihn angegeben, alsbald die offne und ent­ scheidende Frage vor:

Wer saget denn ihr,

daß ich sei?

Da

nimmt nun Petrus, hoher Begeisterung voll, im Namen der übrigen Jünger das Wort und spricht es mit zweifelloser Zuversicht aus: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes! — und be1

*

4 kennt es damit freudig und frei, daß er in Christo den göttlichen Hei­ land gesehn und gefunden habe.

Gilt nun Christus auch unS als der

wahrhaftige Gottessohn: dann vermögen wir erst die Feier des neuen Kirchenjahrs im

Geiste des Herrn zu begehn.

Ja,

es ist selbst

die schönste Feier des neuen Kirchenjahrs, wenn wir mit Petrus von Herzen sprechen können: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes. Dies wollen wir uns denn auch heute noch etwas näher vor Augen stellen.

Zuerst müssen wir es uns aber vergegenwärtigen, was es mit

dem Bekenntniß: daß Christus der Sohn des lebendigen Gottes sei, auf sich habe, und wie die Kirche nur auf dem Grunde dieses Bekennt­ nisses ruht, und wir selbst nur als solche Bekenner wahrhaft ihr angehören;— woraus dann auch unmittelbar und von selbst sich ergeben wird, daß die Feier des neuen christlichen Kirchenjahrs sich nur durch dieses Bekenntniß vollenden kann.

Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes!

So

ruft Petrus mit voller GlaubenSgewißheit und in freudiger Begeisterung aus.

Davon fühlt er sich tief und mächtig ergriffen, das erleuchtete jetzt

auf einmal seine innerste Seele, und er schaute hinein in die Herrlichkeit des lebendigen Gottesbildes, was ihm in Christo vor Augen stand. Wir dürfen nun freilich nicht meinen, als vermöchten wir durch den bloßen Gedanken, oder durch das beschreibende Wort es zu fassen, welch eine Hoheit und Herrlichkeit der lebendige Gottessohn in sich hat, und als reiche der bloße Verstand dazu hin.

Nein, das hat noch bis heule keine

menschliche Weisheit durchdacht, und mit ihr dringen wir in den himm­ lischen und seligen Reichthum nicht ein, der in Christo umschlossen liegt. Ist ja seine Herrlichkeit nur die des in ihm erschienenen, barenden, und mit dem Vater einigen Lebens.

Gott offen­

Also kann sie uns auch

nur durch das Leben zum Anblick kommen, und nur, wenn das Gottes­ bild Jesu Christi in uns selber lebendig wird, und der Herr in uns selbst seine Wohnung nimmt: dann erst werden wir

es klar im Geiste

erkennen, daß er der Sohn des lebendigen Gottes ist.

Freilich kommen

wir auch dazu nicht auf einmal hinan, sondern es kann auch dies nur die Frucht eines allmäligen und fortschreitenden Wachsens

an Christo

sein. — Steht es uns aber nicht schon im Glauben fest, und wir durch diesen Glauben,

wenn

tragen

auch zunächst noch in Schwachheit,

5 Christum nicht in uns: so sind wir auch nicht im Stande, zu ihm, als zu unserm Haupte hinanzuwachsen, und vollkommen zu werden in ihm. Stammt aber der Glaube doch aus dem Geist, aus dem Geiste Gottes: so ist er auch nicht ohne ein göttliches Licht, und so.muß das Bild des Sohnes Gottes uns auch im Geiste erkennbar .sein.

Jesus selbst sucht

ja ebenfalls durch die Predigt des Evangeliums uns ein Zeugniß zu geben, daß er der Gottessohn ist — und es war ja auch die Frucht seiner Verkündigung des in ihm lebendigen Gottesworts,

daß Petrus

ausrufen konnte: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn! Ja, er ist Christus, der verheißne himmlische König, den die Propheten vorhergesagt, der Schöpfer einer neuen göttlichen Welt, die das Ziel der heiligsten Sehnsucht der Vorzeit war, und wonach auch wir, als nach dem höchsten himmlischen Erbe, zu trachten haben.

Denn die neue in

Christo erschienene Welt ist Eins mit dem Gottesreich, worin nur die Wahrheit, die Gerechtigkeit und die Liebe wohnt, die uns in Christo le­ bendig entgegenstralt, — der ja

selbst nur gekommen ist, daß er die

Wahrheit zeuge, der alle Gerechtigkeit erfüllt hat, und so wie er in der Liebe gelebt, auch in ihr, der weltüberwindenden und weltversöhnenden Liebe gestorben ist.

Ja, er ist der Herr, der Herr der Gegenwart und

der Zukunft, dem keine Macht der Welt sich entziehen kann.

Was nicht

für ihn, was nicht für sein Reich geschieht, ist umsonst und verloren, kann vor dem Herrn nicht bestehn, und zieht das Strafgericht Gottes auf sich herab.

Denn eS kommt der Herr, der feine Tenne fegen und

die Spreu — die nichtigen Werke der Eitelkeit und der Selbstsucht — mit ewigem Feuer verbrennen wird.

Und doch ist er der Herr nicht

durch äußerliche Macht und Gewalt, sondern durch die Macht des Geistes, des Geistes Gottes, der in ihm wohnte und waltete, und womit er auch in das Innere der Menschen dringt, sie zu richten.

In dem Sohne ist

es aber auch selbst nur der Vater, welcher zu uns herabgekommen, der in ihm uns liebt, der durch die Macht seiner Liebe uns zu sich ziehn und seinen himmlischen Frieden uns schenken will.

Denn Christus ist

unS auch wieder von Gott so nahe gestellt, daß wir durch ihn um so stärker unS zum Vater gezogen fühlen.

Denn sowie Gottes Sohn, ist

er ja auch des Menschen Sohn, ist der Unsrige; es ist das wahre Menschenbild, was wir in ihm schaun, und was wir als unser Eigen­ thum aus ihm ergreifen sollen; und wahre Menschen sind wir auch nur, wenn wir unser Leben in Gott gefunden, und durch Christum die Kindschaft empfangen haben.

Es gibt keine wahre menschliche Bildung, die

6 nicht ausgeht vom Geiste des Gottessohns. ist allein J^esus Christus.

Der wahre Menschenbildner

So hätten wir denn wol gesehn, was es

sagen will: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Got­ tes, wenn auch freilich das volle Licht seiner Herrlichkeit uns erst am Ende der Tage erscheinen wird, wenn aller Trug der Welt zerstreut und verschwunden ist.

Sowie aber dieses Bekenntniß nur dann und zum

Heile hilft, wenn es das Bekenntniß des lebendigen Glaubens ist: so muß es ebenso ein Bekenntniß der Liebe und Hoffnung sein — der Liebe, womit wir uns zu Christo, als dem göttlichen Welterlöser ge­ zogen fühlen, und nach ihm verlangen, als nach dem Herrn unsrer Se­ ligkeit, — und der Hoffnung, die uns in ihm die gottverherrlichte Zukunft zeigt, die auch uns, wenn wir bis ans Ende beharren, beschieden sein wird. Steht es nun aber im Glauben uns fest, daß Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist: so ist es uns auch dadurch ge­ wiß, daß seine Kirche, daß die Gemeinde der Erlösten und der Begna­ digten auch nur auf dem Grunde des Glaubens an ihn, als den Gottes­ sohn, beruhn und bestehen kann.

Und das bezeugt uns ja das eigne

Wort Jesu Christi in unserm Texte, indem er zu Petrus spricht: „Ich sage dir, du

bist Petrus, und auf diesen Felsen will

meine Gemeinde bauen."

ich

Denn mit diesem Felsen meint Jesus

keineswegs nur die Person des Petrus, wie die römische Kirche zur Recht­ fertigung ihrer päpstlichen Herrschaft es deuten will.

Jesus hat dem

Petrus kein Vorrecht vor den andern Aposteln verliehn, und sagt ihnen vielmehr: Der Größeste unter euch soll euer Diener sein. Denn im Gottesreiche gilt kein Ansehn der Person, und nur die Größe des Dienstes, welchen wir Christo weihen, ist das Maß unsrer Ehre bei Gott, wie er es ebenfalls ausspricht: wird mein Vater ehren.

wer mir dienen wird,

den

So ist denn nur der Glaube, den Petrus

mit freudiger Entschiedenheit bekannte, der Fels, auf welchen Christus seine Gemeinde erbauen will.

Und wenn er ihn selig preist, weil nicht

Fleisch und Blut, sondern der Vater im Himmel ihm dies offenbaret habe: so sieht er auch damit nur auf den Glauben hin, der selbst nur von Gott ist und einen göttlichen Ursprung hat, der uns von Oben kommt und' uns auch nur göttliche Dinge kund thut. •— Auf dem Grunde dieses Glaubens, wodurch Christus selbst in uns lebt, steht nun auch die Kirche unerschütterlich fest, und keine feindliche Macht vermag gegen sie etwas

7 auszurichten.

Selbst die Pforten der Hölle, spricht Jesus, sollen

sie nicht überwältigen.

Darum darf ihr nicht bange sein.

Ist ja

der Glaube der Sieg, der die Welt überwunden hat, und dieser Sieg ist auch der Kirche gesichert, wenn sie ihren göttlichen Grund und Bo­ den nur nicht verläßt.

Lebt aber der Glaube doch nur in den Gläu­

bigen: so müssen diese freilich für ihn zu stehn und zu kämpfen und im Kampfe zu siegen wissen, wenn sich die Verheißung Jesu Christi er­ füllen soll.

Aber wir können gewiß sein, daß sie sich erfüllt.

Denn eS

ist Christus, der in den Gläubigen lebt und sie selbst vertritt.

Und

dann ruht ja in diesem Glauben eine Beseligung, die über alles Irdische uns erhebt, so daß wir bei allem Kampfe des Lebens doch in uns einen Frieden tragen, der uns eine himmlische Ruhe des Herzens schenkt, -— einen Frieden, den wir um Nichts hingeben möchten; denn mit ihm hätten wir den seligen Trost der göttlichen Liebe verloren.

Es ist der

Friede Jesu Christi, der Friede des mit Gott versöhnten und gott­ begnadigten Lebens.

Und in diesem Frieden haben wir auch eine höhere,

heilige Macht, die nicht bloß auf die sichtbare Welt sich erstreckt, sondern die selbst in den Himmel reicht.

„Ich will dir des Himmelreichs Schlüssel geben, spricht Jesus.'

Alles, was du auf Erden binden wirst, soll auch im

Himmel gebunden sein, und Alles, was du auf Erden lösen wirst, soll auch im Himmel gelöst sein."

Geht dieses Wort nicht

aber auch bloß den Petrus an? Nein, m.Gel., sowie Jesus an einer andern Stelle dasselbe Wort an alle seine Jünger gerichtet hat: so dürfen auch wir es uns zueignen. Nicht bloß dem Petrus, nicht bloß seinen Jün­ gern, sondern auch uns will Jesus des Himmelreichs Schlüssel geben. So­ wie Jesus mit dieser Verheißung nur die Rede vom Glauben fortsetzt, und die verheißne Macht nur auf dem Grunde des Glaubens ruht: so sind die genannten Schlüssel nur die Schlüssel des Glaubens.

Nicht

Petrus, sondern die Macht des Glaubens, und in ihm die Macht Jesu Christi,

erschließt uns das Himmelreich.

Nur durch den Glauben an

Christum, als Gottessohn, mit wenn wir im Geiste und in der Wahr­ heit ihm huldigen, als dem Herrn, und ihm nachfolgen im Gehorsam der Liebe, dringen wir in das Himmelreich ein.

Von Außen thut sich das

Himmelreich uns nicht auf, und ein Andrer, als Christus, kann es uns nicht erschließen.

Nur die Gewalt thun, spricht Jesus, die reißen

8 es an sich, und diese Gewalt ist auch nur die Gewalt des Glaubens. Was nun aber JesuS noch weiter sagt, daß Alles, was auf Erden ge­ bunden wird, auch im Himmel gebunden sein soll, und Alles, was auf Erden

gelöst wird,

auch

im Himmel gelöst sein soll, — das ist nur

eine weitere Ausführung des Gedankens, den schon das Bild von den Schlüsseln des Himmelreichs in sich schließt. Jesus hier

Zugleich aber eröffnet uns

einen tieferen Blick in das Leben

im Himmelreich.

Das

Himmelreich, als ein Reich des göttlichen Friedens, kommt nur herbei, wo die trennenden und

feindlichen Gegensätze des Lebens sich aufgelöst,

wo das Aeußere und das Innere, das Sichtbare und das Unsichtbare, das Zeitliche und das Ewige sich geeinigt hat, und Eins wie das Andere ist. sein.

Da

sollen auch Himmel und Erde nicht von einander geschieden

Wir stehen im ununterbrochenen und seligen Verkehre mit Gott.

Da knüpfen wir überall an den Himmel an, und Alles, was wir thun und beginnen, ersehen wir nur in Gott.

Nur von ihm gehen wir aus

und beziehen Alles auf ihn zurück.

Nur der Wille des himmlischen Va­

ters ist für uns der entscheidende.

Alles waö geschieht, geschieht für das

Himmelreich, und so können es auch nur Werke der himmlischen Liebe sein.

Und so steigt auch der Himmel zu uns herab, und es kehrt eine

Seligkeit in uns ein, die sich nicht beschreiben, erfahren läßt.

sondern nur im Herzen

Das ist das Geheimniß des Lebens, waö mit Christo

verborgen ist in Gott, und was sich uns nur erschließt, wenn wir mit Christo gestorben, und nun auch in ihm zum neuen Leben erstanden sind. Da sehn wir die Himmelsleiter, die von der Erde zum Himmel reicht, und an welcher die Engel Gottes auf- und niedersteigen, nicht bloß wie Jakob im Traum, sondern im wirklichen und wahrhaftigen Leben.

Wir

sehen sie in Christo, der den Himmel uns aufgethan und uns den Weg zum Vater gewiesen hat.

Und dies Alles ist die selige Frucht des Glau­

bens an Christum, als den Sohn des lebendigen Gottes. — Wie sollte es da nicht die schönste Feier.des neuen Kirchenjahres sein, wenn auch wir mit Petrus von Herzen sprechen können: Du bist Christus, der Sohn des

lebendigen Gottes!

Dann gehören wir

von ganzem Herzen als ihre lebendigen Glieder an.

auch seiner Kirche Dann leben wir

selbst in Christo, der mit jedem neuen Kirchenjahr uns auch näher,zu seinem Reiche führt, und wir stehen auf dem lebendigen Grunde, worin die Kirche gefestigt ist

und außer

welchem kein

andrer sich legen läßt,

den aber auch keine Macht und Gewalt des Feindes zu zertrümmern im

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Stande ist, und wogegen kein listiger Anlauf des Bösewkchts etwas aus­ zurichten vermag. Und ist dies nicht die beste und freudigste Zuversicht, die und bei der Feier des neuen Kirchenjahres erfüllen kann, auch eben jetzt, wo wir die Gefahren uns nicht verbergen können, die uns bedrohn? Haben wir nur den Glauben, der uns den Sieg verbürgt, da dürfen wir vor der Zukunft nicht bange' sein, und ein hoher und heiliger Muth erfüllt unsre Seele, -— und mit diesem Muthe kehrt auch eine höhere Kraft in uns ein, die Kraft Jesu Christi, der Mitleid mit unsrer Schwach­ heit hat, und sie von uns nimmt. Haben wir ihn zum Herrn, der selbst den Tod überwunden hat, so können wir auch getrost sein, und bleiben wir ihm nur getreu, so will er uns auch aushelfen zu seinem himmlischen Reiche. Mag unsre Kirche hienieden auch noch eine bedrängte sein, und gehören wir auch noch zu der kleinen Herde, sind wir nur eine Herde Christi, und haben wir ihn zum Hirten: so wissen wir ja, daß er bei uns bleibt und uns nie verläßt, und auch durch Kampf und Sieg uns zum Vater führt. Und lebt der Glaube an Christum, als den Sohn des lebendigen Gottes, wahrhaft in uns: so schließen wir in diesem Glauben auch uns Alle immer enger und fester zusammen, und so er­ höht sich auch die Macht unsrer Kirche, — und sie rüstet auch ihre Be­ kenner mit höheren Kräften aus. Je weniger wir an uns selbst sind, und nur den Herrn in uns wirken lassen, so richten wir auch noch größere Werke aus, Werke, die uns nachfolgen, auch wenn es hier Abend für uns geworden ist, und wir zum Vater versammelt werden; denn sie sind in Gott gethan, und werden uns aufbehalten zur Ernte des ewigen und himmlischen Lebens. So wächst die Kirche Jesu Christi selbst in den Himmel hinein, wo auch die bereits Heimgegangnen, als Miterben deS Sohnes Gottes, nicht von uns geschieden sind. Auch die Todten sind Lebende, und gehören der Gemeinde der Heiligen als die Verklärten an. Und sowie sie schon hier in der Liebe die Unsern bleiben, so feiern wir dann mit ihnen in der himmlischen Kirche den Sieg, in welchen der Tod auf immer verschlungen ist, und wo alles Sterbliche angezogen hat die Unsterblichkeit. Können wir nun in solchem Glauben, in solcher Hoffnung mit Petrus von Herzen sprechen: Du bist Christus, der Sohn des lebendigen Gottes, — dann zieht auch heute schon eine stille und unvertilgbare Freudigkeit in unsre Seele, und wir feiern das neue Kirchenjahr mit einer Erhebung des Herzens, die nicht wieder von uns weicht. Wir geben dem Herrn uns zu eigen, vor dem tausend

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Jahre sind, wie ein Tag, und der die Jahre der Erde in das Gottes­ jahr uns verwandelt, das nimmer ein Ende nimmt, und wo wir ewig­ lich bei ihm sind und seine Herrlichkeit schauen sollen. So sei es denn heute, wie unser erstes, auch unser letztes Wort: Jesus Christus, gestern und hellte, und Derselbe auch in Ewigkeit! Amen.

II.

Das Geborenwerden Christi in uns, als die Vollendung der Weihnachtsfeier. Predigt am ersten Weihnachtsfeiertage 1853 üb. Ev.Luk. 2,1-14.

Ehre sei Gott in der Höhe, und Friede auf Erden, und den Menschen ein Wohlgefallen! Ja, Friede, Friede, — in diesem seligen Worte, m. Gel., ruht die Fülle der himmlischen Güter und Segnungen, die uns der GotteSund Menschensohn, der als der Heiland der Welt uns geboren ist, und dessen Geburtsfest uns heute hier in hoher und heiliger Freude versam­ melt hat, vom Vater herabgebracht, und die in ihm selber verborgen liegen. Denn Er ist unser Friede, und wir schauen diesen Frieden in ihm als den lebendigen, indem Gott und Mensch in ihm Eins geworden, und sein ganzes Leben nur die Offenbarung der göttlichen Liebe war, die nicht will, daß Jemand verloren gehe, sondern nur danach sucht, daß wir Alle leben und selig sein. Selig aber sind wir nur, wenn der Friede in unsrer Seele wohnt, und unser Leben das Leben des Friedens ist. Es gibt aber keinen Frieden für uns, wenn wir nicht zu Kindern Gottes, zu Kindern seiner Liebe geworden sind und in der Hingebung an ihn unser Leben gefunden haben. Und diesen Frieden haben wir nur in dem Sohne, welcher Eins mit dem Vater, und selbst vom Himmel zu uns gekommen ist. Nur. in ihm sind wir die Versöhnten und die Be­ gnadigten. Wohnt nun aber dieser selige und himmlische Friede nicht schon in uns, haben wir es empfunden, wie schmerzlich seine Entbehrung ist, und lebt das sehnsuchtsvolle Verlangen nach-ihm in unsrer Brust:

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wie sollten wir nicht dem neugebornen Heiland entgegenjauchzen, in wel­ chem uns dieser Friede bereitet und aufgethan ist, der Friede, ohne welchen das Leben von aller wahren Freude verlassen ist, indem unsre Freude auch nur vollkommen wird, wenn die Freude Christi in uns ein­ kehrt und in uns bleibt! Wie sollten wir darum nicht über das gött­ liche Wunder seiner Geburt, über das Wunder der Erbarmung und Gnade Gottes in unsrer innersten Seele ergriffen sein! Ja, Preis und Anbetung Dir, Du Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, der Du uns in unsrer Armuth und Niedrigkeit angesehn und Deinen einigen Sohn uns gesendet hast, daß wir durch ihn, erlöst von der' Knechtschaft der Welt und von den Banden der Finsterniß, zur herrlichen und seligen Freiheit Deiner Kinder erhoben sein, und das Licht Deiner himmlischen Klarheit unser ganzes Leben erleuchte. O welch eine Liebe hast Du uns erzeigt, daß wir Deine Kinder heißen und Dich als unsern Vater umfaffen sollen. Ja, Du bist ein Gott, welcher Wunder thut und hast auch Großes an uns gethan! Gelobet sei Dein heiliger Name immer und ewiglich! Hilf nur, daß wir als die Deinen Dir danken. mögen, daß unser, Dir in Christo geheiligtes und Dich verkün­ dendes, Leben der Dank sei, den wir Dir weihn und den Du allein zu Dir aufnimmst. Laß auch heute die Freude im Herrn lebendig aufgehn in unsern Herzen, und aus dem Herzen töne es überall als der seelen­ vollste und heiligste Festgesang von der Erde zum Himmel hin: Gott ist die Liebe in seinem Sohne Jesu Christo! Amen. Fest-Evang. Luk. 2, 1—14. „Es begab sich aber . . . und den Menschen ein Wohlgefallen." Ja, dieser himmlische Preisgesang sei auch der unsrige. Aber er dringt zu Gott nur hinauf und erhebt uns zu ihm, wenn er nicht bloß von den Lippen, sondern aus dem innersten Herzen kommt. Das gebe uns seine Gnade! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird. Das ist die Stimme, die in der heiligsten Nacht, die sich je auf die Erde herabgesenkt, in der Nacht der wundervollsten göttlichen Offenbarung, vom Himmel zu den Menschen herniederkam und ihnen das große Ereigniß verkündigte, was in dieser Nacht sich begeben hatte, das größte unter allen, wovon die Geschichte der Welt zu berichten hat, — um so größer, in je einfacherer und selbst armer Gestalt eS in die Erscheinung trat. Es war die Geburt des Heilandes der Welt,

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die der Engel des Herrn zu verkünden hatte. Und damit läßt sich doch kein andres geschichtliches Ereigniß zusammenstellen, von so mächtiger Wirkung eS auch gewesen sei. Die Geburt Jesu Christi, wenn wir sie irgend in ihrer ganzen und hohen Bedeutung faffen und würdigen, steht unvergleichlich in der Geschichte da, und ist selbst nur ihr lebendiger Mittelpunkt, so daß sie nur in ihm sich wahrhaft zusammenschließt. Und doch finden wir das neugeborne Jesuskind, den Heiland der Welt, gleich dem Aermsten und Geringsten der Menschenkinder, in einer Krippe, in­ dem nicht einmal Raum in der Herberge war, um das Himmelskind darin zu empfangen und aufzunehmen. Es sollte dies aber schon ein Bild sein, wie die göttliche Hoheit und Herrlichkeit eine ganz andere ist als die irdische, wie sie allen Glanz und Schimmer der Welt verschmäht und ihren Ursprung nur aus der stillen und verborgenen Tiefe des Geistes nimmt, aber fortschreitend eine Macht gewinnt, die unzerstörbar und unüberwindlich ist, die Macht des Lebens, das unsterblich und ewig ist und einen unerschöpflichen und seligen Reichthum schasst an Gütern, die uns Niemand entreißen kann. — So gilt nun auch das Weihnachts­ fest, die Feier der Geburt des göttlichen Welterlösers, vor^ Allem als das Fest hoher und heiliger Freude, wie wir ja auch die Eindrücke dieser Freude schon in den Jahren der Kindheit empfangen haben, und die Christgeschenke schon in dem kindlichen Herzen die Liebe zum Herrn erwecken und es hinziehn sollen zu ihm, der uns Alle'zu seiner himm­ lischen Freude erheben will. Ja, es ist eine große Freude, die vom Engel des Herrn uns verkündigt wird, eine Freude, die das^ganze Le­ ben durchdringen und es selbst in Freude verwandeln soll, in eine Freude, die nimmer stirbt. Es ist eine Freude, nicht die der Einzelne nur für sich haben oder in sich verschließen will, sondern die wir ohne herzliche Mittheilung, ohne den Geist der Liebe, womit wir Alle umfassen, die zu seinem Frieden berufen sind, selbst nicht empfinden und fühlen können. Es soll eine Freude sein, wie es auch in der göttlichen Stimme heißt, die allem Volk widerfahren wird, und die nur dann eine voll­ endete ist und die Fülle der Seligkeit in sich hat, wenn wir sie mit Allen theilen, wenn sie das Eigenthum aller Völker ist, und wir Niemand sehn, der von ihr ausgeschlossen und der Trauer und dem Schmerz noch überlassen bliebe. Denn für die Gemeinde Gottes gilt es, was Paulus sagt: So ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit, und die Freude ist eine verkümmerte und getrübte. So aber ein Glied herrlich gehalten wird, so freuen sich alle mit. Und diese Freude,

14 sowin sie auS der Liebe stammt, die selbst ewig ist, nimmt auch Niemand mehr von uns.

Wir erlangen sie aber nicht, denn allein durch den

Gottessohn, der selbst das Leben der Freude, der göttlichen Freude ist, die durch den Geist des Vaters,

ver in ihm wohnte und mit dem er

die Welt überwunden hatte, die seine war.

So hoch und herrlich nun

aber die Freude ist, die das Christfest uns vor die Seele stellt, so dür­ fen wir uns dabei doch der Betrachtung der Gegenwart und ihrer Zu­ stände nicht entziehen, und das innere göttliche Wesen dieser Freude, die danach sucht, daß die ganze Welt erlöst uyd verherrlicht sei, führt uns noch mehr darauf hin.

Können wir es uns nun nicht verbergen, wie

unsre Zeit so arm an wahrer und rechter Freude ist, und während die Einen, hingerisien von dem Leichtsinn der Welt, sich in sinnlicher Freude betäuben und dadurch in sich nur immer ärmer und leerer werden, und die Andern, über die Ungunst der Zeit und ihrer Verhältnisse, sich von einer dunkeln und düstern Stimmung ergreifen lassen und das Licht des, Himmels, in dem "kein Wechsel und Wandel ist, und der uns immer das Bild der Klarheit und Liebe Gottes zeigt, aus dem Auge verloren haben; sehen wir leider, wie so Manche in ihrem ungöttlichen und feind­ lichen Sinne es selbst hindern, daß die Menschen zur Freude des Lebens kommen und sie ihnen zu rauben trachten: da kehrt das Gefühl des Schmerzes auch in unsere Seele wol ein, und dieser Schmerz trübt unsre Weihnachtsfeier.

Leuchtet uns aber das Licht der Freude im Herrn auch

durch das trübe Gewölk unsrer Tage hindurch, ist es im eigenen Herzen nur aufgegangen und halten wir unsern Blick fest und sicher darauf ge­ richtet, und wiffen wir, wie dieses Licht, nachdem es einmal in Christo erschienen ist, nie wieder verlöschen kann: so werden wir auch die Trauer, die uns umfangen will, durch die Macht dieses Lichts überwinden, und der Schmerz

über den freudenlosen Anblick, der uns von Außen ent­

gegentritt, muß uns um so mehr dazu drängen, so viel an uns ist, Alles zu thun, damit Raum für die Freude werde, die in Christo uns aufgegangen, die Freude des himmlischen Friedens, und die Erde zur Stätte dieses Friedens verwandelt sei.

Da aber nur Christus selbst die

lebendige, göttliche Freude ist, so zieht sie auch nur mit ihm in uns ein und er muß selbst unser Leben geworden sein, wenn seine Freude uns beseligen soll.

Unser Leben aber wird Christus nur, wenn seine Geburt

auch in uns geschieht, und ohne dieselbe haben wir auch nimmer das volle Heil, was ja selbst nur sein Leben ist.

Die menschliche Geburt

Jesu Christi geht daher nur darauf hinaus, daß er in uns selber ge-

15

boren werde, und ohne dies bleibt das Ziel seiner Menschwerdung uner­ reicht, weil wir auch nur wahrhaft Erlöste sind, wenn er selbst in uns lebt. Seine Geburt in uns ist erst die vollendete Weihnachtsfeier. Auch in unserm Festevangelium ist eine Hindeutung auf diese Geburt verbor­ gen. Denn wenn es in der Verkündigung des himmlischen Boten heißt: Euch ist heute der Heiland geboren, — so haben wir dies nicht bloß auf den Tag der Vergangenheit zu beziehn, an welchem Maria die Mutter des Heilands ward, sondern das heute gehört auch der Gegen­ wart an und hat seine Geltung noch jetzt und in aller Zukunft. Denn die Geburt Jesu Christi in uns ist nicht durch Zeit und durch Raum bedingt, sondern kann immerdar und an jedem Tage geschehn, wo der Geist des Herrn, der Geist seiner Wahrheit und Liebe in uns den Sieg gewinnt. Das Geborenwerden Christi in uns ist nun aber auch ge­ wiß der bedeutungsvollste Gedanke, den wir zum Gegenstände unsrer Festbetrachtung zu machen im Stande sind. Und so wollen wir denn

Das Geborenwerden Christi in uns, als die Vollendung der Weihnachtsfeier uns in seinen Hauptzügen vor die Seele stellen. Möge der Herr nur selbst mit uns sein und uns erleuchten mit seinem Geist, um in das Geheimniß seiner Geburt, die er auch in uns feiern und selbst in uns wohnen will, hineinzuschauen. Aber freilich kommt das Geheimniß zu seiner vollen Lösung erst durch die That. — Hilf darum, daß Deine lebendige Gottesmacht uns ergreife und Du also geboren werdest in uns, daß Du selbst in uns lebst und wir in Dir, und unser ganzes Leben zu einer himmlischen Weihnachtsfeier ver­ klärt und verwandelt sei. Dazu segne das Wort dieser heiligen und festlichen Stunde um Deiner Gnade und Wahrheit willen.

Christus soll also selbst geboren werden in uns. Dazu mußte er freilich erst selbst geboren sein in die Welt, gleichwie dieser seiner Geburt die ewige vorangehen mußte, wodurch er von Anfangher bei dem Vater und in ihm war. Er ist aber darum nur Mensch ge­ worden, daß er auch Mensch werde in uns, und wir selbst dadurch erst zu wahren Menschen, zu Gottesmenschen geworden sein, was aber nicht möglich ist, wenn Christus nicht in uns selber geboren wird, weil er nur der wahrhaftige Gottmensch ist. Da denken nun aber wol Manche, daß

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es nur ein Bild sei, eine bildliche Ausdrucksweise, wenn vom Geboren­ werden Christi in uns die Rede ist, und daß wir dies nicht nach der eigentlichen Bedeutung des Wortes zu nehmen hätten; oder sie sehen dies nur für eine schwärmerische Vorstellung an. Der irdische und welt­ liche Mensch, der Alles nur von der sichtbaren und sinnlichen Seite faßt, kann sich freilich nicht darein finden; und wo der Hergang nur ein inner­ licher und geistiger ist, da sieht er nur menschliche Einbildung, aber nichts von der Wahrheit. Denn er hält nichts für wahr, was er von Außen nicht sehn und mit seinen Händen betasten kann. Aber es han­ delt sich hier nimmer bloß um ein Bild, sondern es ist wirklich eine Ge­ burt, die jedoch inwendig geschieht, eine Geburt, wodurch Christus in uns lebendig werden und selbst unser Leben sein soll. Es soll ein neues Leben eintreten in uns, was uns vorher noch fremd und verborgen war, und was nur durch eine uns ergreifende und in uns wirkende und schaffende Gottesmacht unser wird. Diese Geburt ist nicht etwa mit einem bloßen Befferwerden des Menschen im gewöhnlichen Sinne des Worts voll­ bracht, sondern das ganze Leben soll, von seinem tiefsten und innersten Grunde aus, ein andres und neues sein, und sowie Christus selbst nur das wahre Leben ist, das Leben des Lichts und der Liebe, daS Leben der göttlichen Freiheit und Herrlichkeit: so soll durch seine Geburt in unS auch eben dieses Leben, das Lebender Kindschaft Gottes das unsere werden und in uns selbst erstehn. Er soll selbst die Macht unsers Le­ bens sein. Da dürfen wir nun auch nicht meinen, daß dies ein zwei­ faches Leben, oder zwischen uns und Christo noch ein getheiltes sei. Ist unser Leben nicht in sich Eins, da ist auch die Geburt Jesu Christi in uns nicht geschehn. Sowie Er durch sie in uns lebt, so leben wir auch in ihm, und das Leben ist nur das Eine, oder wie Paulus sagt: Ich lebe, aber doch nun nicht ich, sondern Christus lebet in mir. Wie aber kommt denn nun diese Geburt Jesu Christi in uns zu Stande? Denn sie macht sich doch nicht so von selbst. Allerdings ist sie Gottes Werk, — aber sein Werk in uns; — und obwol sie nicht denkbar ist, wenn Christus nicht persönlich erschienen wäre, obwol sie nur durch ihn und durch die Macht seines lebendigen Gottesbildes ge­ schieht, so tritt sie doch nicht von Außenher in uns ein, sondern es ist eine Geburt aus dem Geist, eine That des inwendigen Lebens, die also auch nicht erfolgen kann ohne uns. Wer ihr thatlos entgegenharrt, dessen Hoffen ist ein vergebliches. Allerdings ist es nur Gottes Geist, aus welchem Christus in uns geboren wird. Aber dieser Geist ruht ja

17

auch verborgen in uns und ist selbst unser Eigenthum. Also schließt sich die Geburt Jesu Christi in uns auch an ein ursprüngliches gött­ liches Lebensgut an, was wir selbst in uns tragen, dessen wir aber ohne Christum nicht mächtig werden, und was wir nicht wahrhaft und le­ bendig inne haben, denn nur in ihm. Ja wir haben Christum selbst verborgenerweise schon in uns. Denn das Gottesbild, welches wir in ihm als das vollendete und lebendige schauen, ist ja dasselbe, wozu auch uns der himmlische Vater geschaffen hat, was aber durch die Welt in uns zurückgedrängt und gebunden ist, so daß es darum auch nicht wirken kann und wir selbst es nicht sehn und das Bewußtsein desselben verloren hatten, bis es dann in Christo in seiner ganzen Fülle und Herrlichkeit offenbar geworden. Was können wir nun aber in unsrer Schwachheit denn thun, daß der Heiland in uns geboren werde? Wenn es doch nicht unser, sondern das Werk Gottes und seines Geistes ist, was bleibt uns denn? Wir sollen dem Herrn uns nur aufthun, daß er den Weg zu uns offen finde und eine Stätte seiner göttlichen Macht in uns aufschlagen und in uns wirken könne, und also sein Gottesbild wieder in uns er­ wache und eine freie und eigene Gestalt gewinne. Aufgethan aber sind wir ihm nur, wenn wir lebendig nach ihm und nach seinem Heile ver­ langen und unser Herz ihm voll Sehnsucht entgegenschlägt. Solch ein Verlangen aber steigt nur in uns auf, wenn wir uns erkennen als die Armen und die Bedürftigen und es inne geworden sind, was uns fehlt, und wie wir Alles, allen Frieden und alle Freude entbehren und in uns verlassen sind, wenn die Kindschaft Gottes, die uns Christus von Neuem entgegenbringt, nicht unser ist. Zieht doch auch ein geheimer Zug des Vaters uns selbst schon zu Christo hin, und wir dürfen diesem Zuge nur folgen, damit Christus uns näher komme und in uns seine Woh­ nung nehme. Das Verlangen nach Christo aber reicht doch nicht hin, daß Er selber in uns geboren werde, wenn es nicht auf dem Grunde des lebendigen Glaubens ruht, daß in Niemand Heil ist, denn nur in ihm, daß Er allein uns erlösen, und den himmlischen Frieden, nach dem wir uns sehnen, uns schenken kann. Ohne diesen Glauben wird die Macht der Geburt Jesu Christi in uns nicht frei, und das Wort des Johannes: „Wer da glaubt, der ist von Gott geboren", gilt auch von dieser Geburt, vie ja auch nur eine Geburt von Gott ist. Wie der Glaube aber sein Leben nur in der Liebe hat, so kann die Geburt Jesu Christi in uns auch nur durch die Liebe vollendet wer­ den, womit wir ihn umfassen als den Stifter der himmlischen Seligkeit, Schirmer, Festpredigten.

2

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und uns ihm hingeben mit Allem, was in uns ist. Und wenn das Leben Christi selbst nur das Leben der Liebe ist, wie vermöchte es ohne sie in uns einzukehren? Ja, die Liebe ist die geheimnisvolle und heilige Macht, aus der alles neue und höhere Leben entspringt. Und wäre Christus durch den Glauben auch in uns, hätten wir aber die Liebe nicht, so würde er doch nicht in uns bleiben. Denn nur die Bande der Liebe sind es, die uns unauflöslich mit ihm verbunden halten, so daß uns Nichts von ihm scheiden kann. Und das Licht der Hoffnung, die uns hinschauen läßt in eine Zukunft der göttlichen Herrlichkeit, geht auch nur aus der Liebe auf, die in sich ewig und unerschöpflich ist und eine unendliche Aussicht hat. Wären wir aber von Hoffnung leer und sähen wir nichts vor Augen, als die vergängliche Gegenwart, so könnte auch Christus, das ewige Leben, nicht in uns geboren werden. Jede Geburt kommt aber nur dadurch zu Stande, daß das neue Leben, was an's Licht treten will, aus der Macht des alten entbunden werde. So verhält es sich auch mit der Geburt Jesu Christi in uns. Der neue Mensch soll heraus aus dem alten und irdischen Menschen geboren werden, so daß dieser abgestreift und abgethan wird. Der alte Mensch aber ist der von den Banden der Welt des Scheines noch ge­ fesselte und verblendete. Diese Bande müssen durchbrochen werden, wenn das neue und freie Leben erscheinen soll. Erkennen wir nun nicht unsre Gebundenheit, fühlen wir nicht die Fesseln, in welchen die Welt uns gefangen hält, und trachten und arbeiten wir nicht, aus ihnen heraus­ zukommen, macht das ungöttliche und sündige Wesen, was noch in unsern Gliedern ist und das ganze Leben verkümmert, uns keine Sorge, und ist es uns'nicht darum zu thun und ringen wir nicht, davon frei zu werden: so tritt auch die Geburt Jesu Christi nicht in uns ein. Und sowie keine Geburt ohne Schmerz und Wehen ist, so ist es auch mit dieser derselbe Fall. Wer den Schmerz, wer die Arbeit des Kampfes scheut, der ist auch nicht fähig, daß Christus in ihm geboren werde. Der alte Mensch, der Mensch der Wellliebe und der Selbstsucht, hat eine zähe Natur und hält sich fest, so lange er kann, und will aus seiner Stätte nicht weichen. Nur durch Kampf treiben wir ihn hinaus. Tre­ ten wir ihm nicht fest und entschlossen entgegen: so werden wir auch das Licht deS neuen Lebens nicht sehn. Die Welt muß überwunden werden, soll das neue Leben in und zum Siege kommen. Wäre uns aber bange, wie wir denn diesen Kampf führen und woher wir die Waffen zu demselben entnehmen sollen: so können wir auch darüber ge-

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tröstet sein. Freilich richten wir es mit menschlichen Waffen nicht aus: es muffen g öttliche sein. Aber sie fehlen uns nicht. Es sind die Waf­ fen des Glaubens; denn der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat, und mit dem Schilde des Glaubens vermögen wir alle feurige Pfeile des Bösewichts auszulöschen. Ja, Christus selbst tröstet uns damit, daß Er die Welt überwunden hat, und halten wir im Glau­ ben nur fest an ihm, so dürfen wir an dem Siege nicht zweifeln, und können gewiß sein, daß er seine Geburt auch in uns vollbringt und immer stärker und mächtiger in uns wird. Hätten wir nun aber durch diese Geburt Christum auch in uns, trügen wir sein himmlisches Bild in dem Herzen, begnügten wir uns aber, nur für unsere Person mit ihm verbunden zu sein, so wäre sein Leben in uns doch nicht schon das vollendete. Im bloßen Gefühl oder im Gemüth, so daß wir es noch wie einen Genuß ansehn, wenn auch geistiger Art, haben wir nicht schon den vollen Christus. Denn er ist nicht das Einzelleben, er ist der Herr und das Haupt der Gemeinde, und trug sie in seinem Herzen, und schloß Alle in seine Liebe ein. Und sowie er nur für die Welt gelebt und sich selbst zur Erlösung für Viele dahingegeben, so dürfen wir uns nicht rühmen, daß er wahrhaft in uns geboren sei, wenn er nicht als die allumschließende Liebe, die Alle zur Freiheit und Erlösung erheben möchte, auch in uns lebt. Sein Leben in uns ist mehr, als das der bloß persönlichen Frömmigkeit. Da kommt es nicht schon zum Reich. Die Macht seiner Geburt in uns muß auch eine nach Außen wirkende und darauf gerichtet sein, daß die Welt zu ihm bekehrt und das ganze sichtbare Leben, was ihm noch so unähnlich ist, immer mehr in sein Bild verklärt und verwandelt werde. Lebt Christus in uns als der Herr, so wird es auch uns am Herzen liegen, daß seine Herrschaft .immer weiter und tiefer dringe, und alles ungerechte und unheilige Wesen ein Ende nehme. Denn er soll herrschen mit sei­ ner Gerechtigkeit und der König sein, dem auch die Könige huldigen und ihm ihre Herrschaft zu Füßen legen. Denn so lange die Herrschaft der Welt eine andre sein und ein andres Recht haben will, als was uns in Christo gewiesen ist, da ist das Trachten nach dem Reiche Gottes umsonst. Da tritt uns nun eine große Aufgabe, eine große und schwere Arbeit hin, die das ganze Leben in Anspruch nimmt, wenn wir wahr­ haft beweisen wollen, daß Christus in uns geboren sei. Steht es nun aber also mit der Geburt Jesu Christi in uns, sind die Foderungen, welche sie an uns richtet, so hoch und schwer, da denkt 2

*

20 und fragt man vielleicht: ,06 es nicht möglich sei, auch ohne dies durch­ zukommen?

Wer aber also fragt,

der würde sich dadurch nur das

traurige Zeugniß geben, daß er Christum nicht von ferne gesehen hat, und seine Geburt in die Welt für ihn vergeblich gewesen ist.

Durch

die Geburt Jesu Christi in uns werden wir selbst erst zum wahren Leben geboren, und nur soweit er in uns geboren wird, sind wir im Besitze des Heils.

Denn wir haben es ja nur in und mit ihm, nicht

aber, wenn er außer uns ist.

Geben wir es auf, nach dieser Geburt

zu ringen, so lassen wir damit auch das ganze Christenthum fallen, was ja selbst nur das Leben ist aus und in ihm, das Leben, was nur in ihm daS Bild der Vollendung sieht.

Was aber den Kampf und die

Arbeit betrifft, ohne welche Christus nicht in uns geboren wird, so ge­ denke ich des schönen und herrlichen Worts, was er selbst gesprochen, und was hier seine unmittelbare Beziehung leidet: Ein Weib, wenn sie gebiert, so hat sie Traurigkeit, denn ihre Stunde ist ge­ kommen.

Wenn sie aber das Kind geboren hat, denkt sie

nicht mehr an die Angst, um der Freude willen, daß der Men sch zur Welt geboren ist.

Welch eine Freude aber muß das wol sein,

wenn Christus in uns geboren ist!

Wie muß aller Schmerz und alles

Weh, was wir empfunden haben, gegen diese Freude verschwinden!

Es

ist ja Christus selbst bei dieser Geburt der mächtigste Helfer, und hallen wir ihm nur stille, so verwandelt sich alT unsre Schwachheit in seine Kraft, in die Kraft seiner Herrlichkeit. Sehen wir aber noch auf die traurigen und gefahrvollen Zustände mt|rer Zeit, und seufzen wir danach,

aus diesen Gefahren herauszu­

kommen: so ist es auch das einzige Rettungsmittel, daß Christus in uns geboren werde, und wir haben keine Macht, den Feind zu bewältigen, wenn der Herr nicht in uns geboren wird und gegen ihn auftritt.' Mei­ nen wir es durch uns allein auszurichten, so werden wir seine Beute. Darum wollen auch Viele, die der Herrschaft Christi entgegen sind, weil ihre eigne Herrschaft damit nicht bestehen kann, es zur Geburt Jesu Christi in den Menschen nicht kommen lassen. uns geboren wird, da herrscht er auch.

Denn wo Christus in

Seine Herrschaft aber ist die der

göttlichen Freiheit, die aller Menschenknechtschaft ein Ende macht.

Kommt

es aber zur Geburt Jesu Christi im Menschen nicht, was kann das Le­ ben wol für eine Gestalt gewinnen, wie steht es dann mit dem Christen­ thum?

Ich weiß es wol, daß Viele, die ferne sind von dem Gedanken

dieser Geburt, sich dennoch für rechte Christen halten, und sogar den

21 Anspruch machen, treue Glieder der Kirche zu sein.

Geht man aber mit

dieser Geburt nicht um, und wendet sich das Auge, statt nach Innen, nach Außen hin, da setzt man das Christenthum auch mehr nur in eine äußere, für christlich gehaltene Form, will eine todte und starre Rechtgläubigkeit geltend machen, als sei diese das Evangelium, und meint, als wenn mit der Herstellung eines äußerlichen und nur gesetzlichen Kirchen­ wesens Alles geschehen sei.

Wol thut es Noth, daß auch die sichtbare

Gestalt der Kirche schöner und herrlicher werde, als sie leider in unsern Tagen sich darstellt.

Bauen wir sie aber nicht von Innen und aus dem

Geiste des Herrn, sehen wir die Wahrheit, die in Christo uns offenbar geworden,

nur für einen Glaubenssatz an, und steht es uns nicht vor

der Seele, wie sie selbst nur das Leben, das erkannte und durchschaute göttliche Leben ist: da verliert die Kirche auch ihre Kraft und Freiheit, und da droht uns selbst die Gefahr, knechtisches Joch zu kommen.

unter ein unevangelisches und

Was uns aber davor bewahrt, ist nur

das Geborenwerden Christi in uns. Ja, m. Gel., es thut uns Noth und wir bedürfen es Alle, daß Christus in uns geboren werde.

Das Bedürfniß ist dasselbe für

jedermann, und es ist kein Stand davon ausgenommen.

Was wir mit

dem Namen der innern Mission bezeichnen, hat selbst nur dieses Ge­ borenwerden Christi in uns zum Gegenstände, und die Erfahrung, daß Christus in den Meisten erstorben ist, die tiefe Versunkenheit, in die so Viele gefallen sind, ruft mächtig uns dazu auf.

Da

ist es nun aber

auch ein Irrthum, zu glauben, als bedürfe es dieser Mission nur für die Armen und Niedrigen in dem Volk. der Gegenstand unsrer Sorge sein.

Wol sollen diese besonders

Aber wir dürfen es nicht vergessen,

daß es eine Mission an uns Alle ist, und daß sie, wie an den Armen, auch an den Reichen, an den Vornehmen und Hochgestellten wie an den Niedrigen, an den Gebildeten wie an den Ungebildeten geübt werden soll.

Denn daö Verderben ist bei Jenen vielfach kein geringeres, als

bei Diesen, und unter dem Firniß der weltlichen und vornehmen Bil­ dung verbirgt sich oft nur eine um so größere innere Auflösung.

Vor

der glatten äußern Hülle sieht man oft nicht den geistigen Tod, der das Leben ergriffen hat.

Die wahre Bildung des innern Lebens, die wir

nur aus Christo erlangen können, ist überhaupt in den Meisten zurück­ getreten, und an der wahren christlichen Bildung des ganzen Volks man­ gelt es überall.

Wol hatte man in der Reformation einen schönen und

mächtigen Anlauf dazu genommen.

Aber das

begonnene Werk blieb

22 liegen und ward in dem Geiste Luthers, der vor Allem das Volk auf seiner Seele trug, nicht fortgesetzt.

Wird das Christenthum nicht zur

bildenden Macht, die das ganze Leben des Volks durchdringt: so bringt es nur eine geringe und schwache Frucht.

Da liegt uns eine große

Aufgabe vor, und der Herr hat sie besonders an unsre Zeit gestellt, und selbst den Stürmen und Erschütterungen der Gegenwart liegt das ver­ borgene Suchen und Sehnen der Kreatur nach dem Fortschritt des Heils, nach der Freiheit der Kinder Gottes, die nur Christus gewähren kann, zum Grunde.

Aber die Aufgabe kann nur zur Lösung kommen, wenn

Christus in uns geboren wird.

Dies sei also auch das höchste Ziel

unsers Strebend.

Danach laßt uns unter dem Beistände Christi ringen

mit aller Kraft, so

viel an uns ist, damit auchdie Weihnachtsfeier eine

vollendete für und sei.

Wie aber die Geburt Jesu Christi in uns als

die Vollendung dieser Festesfeier zu achten ist, das können wir in wenig Worte zusammenfassen, weil es das einfache, klare Ergebniß unsrer gan­ zen Betrachtung ist.

Es kommt nur darauf an, die wesentlichen Punkte

dieser Feier hervorzuheben. Zur Weihnachtsfeier rechnen wir es denn doch, daß wir mit einer Christgabe beschenkt werden.

Diese Gabe soll aber selbst nur ein Bild

Christi und seiner

Liebe sein,

Wir kommen aber

zu dieser Gabe nicht, und

womit er sich selber uns schenken will. haben sie nicht als die

volle und himmlische, wenn nicht Christus in uns geboren wird.

Wir

würden aber die Feier auch nicht in rechter festlicher Stimmung begehn, wenn die Freude über die Christgabe nicht unser Herz bewegt und er­ hebt.

Soll nun diese Freude doch auch die

wahre Weihnachtsfreude

sein, so wissen wir, daß dies nur die Freude im Herrn ist.

Haben wir

aber die Quelle dieser Freude, die nur aus Gott ist, nicht in uns, geht sie nicht aus unserm eignen und innersten Leben auf, so ist sie auch nicht wahrhaft die unsrige.

Solche Freude schafft uns aber auch nur Christus,

als der in uns geboren und selbst unser Leben ist. freude ist keine

Die Weihnachts-

einsame und verschlossne, sondern will sich Allen mit­

theilen und verkündigen, und wird dadurch selbst immer reicher und se­ liger.

Diese Mittheilung aber macht sich auch nur von Christo aus,

als dem in uns Lebendigen.

Nur in ihm ist die Freude eine gemein­

same, die Aller Herzen durchdringt und sie in ihm zusammenschließt. Es muß eine Freude der Christusgemeinde sein, welche die Geburt Jesu Christi feiert, die in ihr selbst geschehen ist und die das ganze Leben zu einem seligen Weihnachtsfeste erhebt, was kein Ende nimmt, und sich

23 in der himmlischen Zukunft vollendet.

Es ist die Freude über das Wieder­

sehn des Herrn, der durch seine Geburt in uns erst wahrhaft zu unS gekommen ist, und von dem keine Macht der Welt uns mehr scheiden kann, eine Freude, die alle Traurigkeit überwunden hat, und

wo die

Verheißung Jesu in Erfüllung gegangen ist: Ihr habt nun Traurig­ keit, aber ich will Euch Wiedersehn, und Euer Herz soll sich freuen, und diese Freude soll Niemand von Euch nehmen. Das thue Du, o Herr, auch an und! Ach mache Du mich Armen AuS Güte und Erbarmen Zeuch in mein Herz hinein; Ich harre Dir entgegen,

in dieser Gnadenzeit, Herr Jesu, selbst bereit! o formn mit Deinem Segen! Dein ewig mich zu freun!

Amen.

HI.

-Die erste Weihnachtspredigt. Predigt am ersten Weihnachtsfeiertage 1856 üb. Ev. Luk. 2,1-14.

Freue dich, Tochter Zions, und sei fröhlich im Herrn deinem Gott! Die Finsterniß, die dich umfing, ist vergangen, und das Licht ist erschienen, das Licht aus der Höhe, das Licht der Herrlichkeit Gottes, das Licht, waS dein Leben ewig erleuchten und nimmer verlöschen soll.

Es ist das höchste und heiligste der Wunder, was unS heute verkündigt wird, ein Wunder der nicht auszudenkenden Gnade und Barmherzigkeit Got­ tes. Der Herr, der ewige Gottessohn kommt vom Himmel zu uns herab, und kleidet sich in unsre Gestalt nnd wird Mensch wie wir, und ver­ kündigt uns den Frieden, der alle Trennung und Feindschaft hinweg­ nimmt, der Himmel und Erde versöhnt, und das Leben verklärt und beseligt, daß es eine Feier der göttlichen Liebe sei. Darum werfen wir uns nieder vor Dir, dem gnädigen und barm­ herzigen Gott, der Du nicht willst, daß jemand verloren gehe, der Du uns in Deinem Sohne die Macht der Kindschaft gegeben hast. Aus der Tiefe unsers bewegten Herzens steigt die Stimme des Lobes und Prei­ ses zu Dir empor. Wir weihen Dir unfern Dank. Aber Du begehrst keinen Dank als den des in Liebe Dir geheiligten Lebens, den Dank der Erlösten und der Beseligten. Wir bitten daher, gib uns Deinen Geist, den Geist des freudigen Glaubens, daß der neugeborne Heiland auch einziehe bei uns und in unsre Herzen, und das Weihnachtsfest uns

25 zum Feste werde der eignen neuen Geburt, der Geburt zum Leben in Deinem Reich!

Amen.

Das Fest der Geburt Jesu Christi, m. Gel., was die Gnade GotteS uns wiederum hat erleben lassen, ist ein Fest der höchsten Erleuchtung, die vom Himmel über die Erde kam.

Denn der Gottessohn ist das

Licht der Welt, was nie wieder untergeht, und bei allem Kampf, den es noch mit der Finsterniß zu bestehen hat, immer weiter dringt, bis daß die ganze Erde von ihm verklärt und erleuchtet ist.

Und doch trägt

das Fest seinen Namen von der Nacht, und wir nennen es das heilige Weih nachts fest, und möchten auch diesen alten und lieben Namen nicht misten.

Wol gilt es nicht die Feier der Nacht, die noch finster ist.

Ihre Weihe hat sie nur von dem Licht, was in ihr als das ewige auf­ gegangen, so daß

sie

selbst leuchtet, gleichwie der Tag.

Zwar wird

auch der Wechsel von Tag und Nacht, so lange die Erde steht, wie Gott selbst es zugesagt hat, kein Ende nehmen.

Aber die Nacht soll

Denen, die in Christo sind und den Heiland in ihm gefunden, doch nicht finster sein.

Denn es ist helle in ihrem Herzen, und das Licht des

Herrn geht immer vor ihnen her.

Ja, die GeburtSnacht des Gottes­

sohns ist wahrlich eine geweihte Nacht, und wir dürfen darin nicht bloß ein Bild der heidnischen Finsterniß sehen, die von dem Gotteslichte in Christo durchbrochen ward.

Das Evangelium deutet selbst auf die hei­

lige Stille der Nacht, in welcher die Hirten von der himmlischen Klar­ heit umleuchtet wurden.

Zieht doch auch das

nächtliche Dunkel

uns

selbst mächtiger nach den leuchtenden Sternen des Himmels hin, von wo uns der Friede kommt, wonach unsere Seele sich sehnt.

Und so knüpfen

sich an den Weihnachtsnamen bedeutungsvolle Beziehungen an, die aber doch in dem Gedanken des ewigen, in Christo erschienenen Lichts sich zusammenschließen.

Und allerdings soll das heilige Fest nur eine Feier

des Lichts, eine Feier der welterleuchtenden und welterlösenden Liebe sein, die in dem Gottessöhne zu uns gekommen ist.

Und so wenden wir uns

auch zu dem Evangelio hin, um zu vernehmen, wie sich das Wunder dieser Liebe begeben hat.

Das theilt uns nun Lukas im 2ten Kapitel

V. 1—14 seiner evangelischen Geschichte folgendermaßen mit: „Es begab sich aber'. . . und den Menschen ein Wohlgefallen." Ja, dieser himmlische Lobgesang ist auch der unsrige und dringt auch aus unserm Herzen zu Gott hinauf!

Möchte nur bald die ganze

26 Welt darein einstimmen und, durch den Frieden Gottes in Jesu Christo beseligt,

die

Freude im Herrn

unsre Freude vollkommen werde.

allewege die

ihre sein,

damit auch

Dazu segne, o Vater, auch diese Weih­

nachtspredigt, und schenke mir den Beistand Deines heiligen Geistes, daß sie nur Deine Ehre verkündige!

Segne das schwache Wort, segne uns

Alle durch Deinen lieben Sohn Jesum Christum!

Amen.

Unser Festevangelium, nt. Gel., gibt uns zwar nur den einfachsten Bericht, wie es mit der Geburt des Heilandes der Welt sich begeben habe, ohne irgend einen Schmuck der Rede hinzuzuthun.

Wo aber die

Begebenheit selbst so groß und so herrlich ist, da bedarf es nicht hoher Worte, da vermag das menschliche Wort nichts hinzuzuthun, da liegt das mächtig Ergreifende nur in dem wunderbaren Ereigniß, was da berich­ tet wird.

Zugleich aber ist es der bedeutsame Gegensatz der geringen

und unscheinbaren äußern Gestalt mit der innern geistigen Hoheit und Herrlichkeit,

der sich uns

in der

Menschensohns vor Augen stellt.

Geburtsgeschichte des Gottes- und Arm und niedrig tritt er in diese

Welt; und indem die Mutter des Herrn nicht einmal Raum in der Herberge finden konnte, ward eine Krippe die erste Lagerstätte des Got­ teskindes, auf dessen Schultern die Herrschaft ruht, die ihm der Vater im Himmel beschieden hat.

Doch blieb seine Geburt auch nicht unge­

feiert, und ob es gleich keine Feier im irdischen Glanze war, so war es vielmehr der Himmel selbst, der die Feier beging.

Eine himmlische

Erscheinung verherrlichte die heilige Nacht, in welcher Christus geboren ward.

Zwar sind es nur Hirten, die sich auf dem Felde befanden, und

die sich auf einmal von der Klarheit des Herrn umleuchtet sahn.

Aber

sie scheinen eben als schlichte Hirten mit ihrem lautern und einfachen Sinne, mit ihrer kindlichen Gottesfurcht, für himmlische Verkündigungen vor Allen empfänglich und besonders erwählt gewesen zu sein, es zuerst zu vernehmen, daß der ewige Hirte geboren sei, der und Alle in seine Arme nimmt und zum Vater führt, und selbst sein Leben für seine Schafe läßt.

Sie waren die erste Weihnachtsgemeinde nnd haben die

erste heilige Weihnachtspredigt gehört. kann

nur

ein

Nachklang

himmlischerleuchteten dem Felde

dieser

Nacht

gehalten wurde.

Jede Weihnachtspredigt aber

ersten sein,

vom Engel des Es

die in

Herrn

kann daher

der heiligen,

den Hirten

auf

auch keinen heiligeren

Gegenstand für unsre festliche Andacht geben, als diese erste Predigt

27 so recht ins Herz zu fassen.

Das gebe uns Gott!

So wollen wir

denn also nun auf

Die erste Weihnachtspredigt zurückgehn, und um sie unsre Gedanken sammeln.

Wir werden viel

mehr darin finden, als man wol glaubt, und es wird sich uns ein Reichthum der Beziehungen aufthun, der uns noch tiefer hineinschaun läßt in das selige Geheimniß der Offenbarung Gottes in seinem Söhn.

Die

erste

Weihnachtspredigt!

Wer

möchte nicht auf

sie

hören wollen, in wem noch ein Verlangen nach der Erlösung lebt! Das ist keine Predigt, wie sie nur aus dem Munde eines sterblichen Men­ schen kommt.

Nein, das war eine Predigt vom Himmel her, und der

Engel des Herrn, ein von Gott gesendeter Bote, war der Prediger, der zu den Hirten sprach und ihnen

das geschehene Wunder verkündigte.

Der Tempel, in welchem er predigte, war nicht von Menschenhänden erbaut.

Wie er selbst nur vom Himmel kam, so ertönte auch seine

Stimme unter dem freien Himmel über die Erde hin, und drang mit wunderbarer Gewalt in die Herzen der Hörenden ein.

Auch trug dieser

Prediger kein irdisches Priesterkleid, sondern er war mit einem himm­ lischen Gewände angethan und die Klarheit Gottes leuchtete um ihn her. Auch predigte er nicht, wie es menschliche Prediger thun, in längerer Rede, sondern nur in wenigen, mächtigen Worten, die aber doch nur das Zeugniß der Liebe waren, der unendlichen, rettenden Liebe, die ihn gesandt, sprach er die hohe und heilige Kunde aus.

Doch soll diese

erste Weihnachtspredigt nicht bloß ein Gegen bild, sondern auch ein Vorbild für jede christliche Predigt sein.

Eine Predigt, die nicht vom

Himmel kommt, die nicht aus Gott ist und aus der Anschauung der himmlischen und göttlichen uns in Christo erschlossnen Welt ihren Ur­ sprung hat, ist auch keine christliche.

Eine Predigt, die nur von der

Erde wäre, nur von Dem handelte, was der Erde, was dem irdischen und zeitlichen Leben noch angehört, ist keine Predigt des Heils, wie es uns von dem Engel verkündigt wird, keine Erlösungsbotschast, und brächte uns keinen Trost, der ja nur von Oben, vom Himmel kommt, wo kein Wandel und Wechsel, wo die Fülle des Friedens ist, und die ewige Liebe wohnt.

28 Sowie vom Himrkel, muß aber eine christliche Predigt auch eine Predigt zum Himmel sein, d. h. eine Predigt, die uns über die Erde erheben und aus der irdischen Armuth und Niedrigkeit uns erhöhen und den Weg zum Himmel,

zum seligen Leben bei Gott, zum Leben im

Himmelreiche uns weisen will, eine Predigt, die uns durch die Macht der sie beselenden Liebe zum Himmel zieht. Und die erste Weihnachtspredigt war gewiß auch .eine Predigt zum Hirtimel hin, und ihr Ziel ist ja nur, daß wir Alle in dem Gottessöhne den Himmel geöffnet sehen, und selbst mit ihm darein eingehn.

Ja, zum

Himmel weisen uns auch die himmlischen Heerscharen, die um den Engel, nachdem er die Predigt gethan, sich gesammelt und nach dem heiligen Lobgesange, dem ersten himmlischen Weihnachtsliede,

sich wieder zum

Himmel emporgehoben. Sowie eS aber ein Engel war, ein Bote Gottes, der die erste Weihnachtspredigt gehalten hat: so kann auch eine rechte christliche Pre­ digt nur gehalten werden von Dem, der im Himmel kein Fremdling ist. Das ist nun wahrlich nichts Geringes und Kleines.

Da fühle ich in

meiner innersten Seele, wie viel mir fehlt; da fühle ich mich für eine Weihnachtspredigt so schwach, und erkenne es wol, wie sie zu hoch für mich ist, und ich es nicht schon erreiche, so wie ich möchte und sollte, das Geheimniß des Himmelreichs zu verkündigen. Verlangen trage ich wol in dem Herzen.

Doch das himmlische

Und der Herr will ja auch

mit dem Schwachen sein und seine Kraft in ihm wirken lassen.

So

sei denn, o Herr, auch mit mir, und laß den Trost Deiner Gnade nicht von mir weichen! ■— Zu einer rechten Weihnachtspredigt gehört es aber auch, daß. ihr eine Weihnachtsgemeinde entgegenkomme, 'wie die Hir­ ten im Evangelio, mit einem gleichen frommen und himmlischen Sinn, mit einem gleichen kindlichen Gottverlangen.

Der Bote des Evange­

liums will auch von der Gemeinde getragen sein, und ist die Weihnachtssreude nicht auch die Gütige, so kommt es auch zu keiner lebendigen Weihnachtsfeier. Obwol aber die erste Weihnachtspredigt eine Predigt vom Him­ mel und auch zum Himmel ist, so dürfen wir doch nicht meinen, als wenn sie uns dem Leben auf Erden entfremden uyd abwenden wolle von der wirklichen und sichtbaren Welt, um nur einem Gedankenbilde und einem getrennten Jenseits uns hinzugeben.

Nein, Geliebte, wir

haben ja auch hier unser Tagewerk, wozu Gott uns berufen hat, und was wir für ihn und in seinem Namen vollbringen sollen.

Und der

29 Gottessohn ist vom Himmel zu uns herabgekommen, und hat in unser Fleisch und Blut sich gekleidet,

daß er auch hier bei uns Wohnung

nehme und durch seine Gegenwart uns beselige.

Indem er Eins mit

dem Vater war und nur in ihm und aus ihm gelebt, so hat er in sei­ ner eignen Erscheinung den Himmel zu uns

gebracht, und die Erde,

das Menschenleben, worin der Geist Gottes seine Stätte gefunden hat, soll selbst eine Offenbarung des Himmels und zum Himmel verwandelt sein.

Und thun wir den Willen und das Werk des himmlischen Vaters,

leben wir nicht für uns, sondern in seiner Liebe, da ist auch der Him­ mel der unsrige.

Die erste Weihnachtspredigt verkündigt es also nur,

daß die Trennung zwischen Himmel und Erde ein Ende genommen, und beide nicht noch feindlich geschieden sind; sie verkündigt uns die Versöh­ nung, die der Gottessohn zwischen Himmel und Erde gestiftet hat. — Der Friede soll ein Friede auf Erden, aber doch der Friede Gottes im Himmel sein. So haben wir hier nun schon Manches über die erste Weihnachts­ predigt gehört, und doch ihren eigentlichen Inhalt noch nicht näher be­ trachtet.

„ Fürchtet euch nicht!" — das ist nun das erste Wort, was

der Engel des Herrn zu den Hirten spricht.

Aber auch dieses Wort

leitet die eigentliche Predigt, die himmlische Verkündigung erst ein, und soll die Hörenden erst bereiten, sie aufzunehmen.

Furcht und Staunen

hatte ihre Gemüther über die himmlische Erscheinung ergriffen, so daß sie

es nicht schon wagten, aufzuschaun.

Diese Furcht soll ihnen nun

erst benommen werden, damit sie ihre Herzen der wundervollen Kunde erschließen möchten.

Das hängt nun noch mit einem Verhältniß des

natürlichen Lebens zusammen.

Der natürliche Mensch, der sich der Macht

der Natur gegenüber sieht, und sein Leben noch nicht im Geiste gefunden hat, der ja höher ist, denn alle Natur, und über sie gebietet und herrscht, fürchtet sich.

Es ist die Furcht, die daraus entspringt, daß man das

Leben in Gott nicht hat, und also auch von seinem Schutze nichts weiß, nichts weiß von dem Schutze seiner Allmacht und seiner Gnade.

War

aber auch die Furcht der Hirten keine heidnische Furcht, keine Furcht des heidnischen Unglaubens, so stand ihnen das Bild Gottes doch noch in dunkler Ferne, und den Gedanken seiner Gegenwart, seiner lebendigen Offenbarung, vermochten sie nicht schon zu fassen.

Da sie nun plötzlich

ihnen näher tritt, so übernimmt sie ein heiliger Schreck, der sich erst lösen muß, um die himmlische Stimme zu hören und zu verstehn. er löste sich.

Und

Denn das erste Wort, was ihnen der Engel zuruft:

30 ,Fürchtet euch nicht!" — ist schon ein Wort der Liebe, die alle Furcht austreibt.

Und hat die Furcht ein Ende, und tritt ein heiliges

und liebendes Verlangen an ihre Stelle: da thut das Herz sich auch willig der himmlischen Offenbarung auf. Und nun erst folgt die Predigt, die vorher noch von Niemand gehört und vernommen war, die Wunder­ predigt, die wol

viele Propheten und Könige gern hören wollten, und

doch nicht gehört, und die nun zuerst an die Hirten auf dem Felde kommt.

Siehe, ich verkündige euch große Freude, di.e allem

Volk widerfahren wird; denn ewch ist heute der Heiland ge­ boren, welcher ist Christus der Herr in der Stadt Davids. Zuerst also bezeichnet der Engel den Inhalt seiner Weihnachts­ predigt als eine große Freude, als eine Freude, die allem Volk widerfahren

werde, und will es damit beschreiben, welch eine hohe und

herrliche Kunde dies sei, und welch eine Beseligung darin umschlossen liege.

Eine große Freude aber ist nur die, die uns also durchdringt,

daß sie Eins mit dem Leben, und das ganze Leben zur Freude ge­ worden ist.

Solch eine Freude aber kann auch nur göttlich, es kann

nur die Freude des Lebens sein, was wir leben in und aus Gott. Denn jede andre, wäre eine vergängliche. muß bleibend sein. ten vorübergeht,

Eine große Freude aber

Es ist keine Freude, die mit dem Wechsel der Zei­ oder

beschlossen

Dann wäre sie auch nicht reich.

wäre

in

der

endlichen Gegenwart.

Wol soll sie uns immerdar gegen­

wärtig sein, aber als eine große und göttliche Freude reicht sie in die Zukunft hinüber, und schaut schon hier in die Vollendung hinein, die noch künftig ist.

Es ist keine Einzelfreude, keine Freude, die noch selbstisch

wäre oder das Ihre sucht, sondern obwol wir ganz in ihr leben, so ruht ihre Beseligung doch nur darin, daß es eine Freude ist, die zu Allen hindurchdringen und allem Volk widerfahren soll.

Denn eine

vollkommne Freude ist doch nur die, die Alle mit uns theilen, und die Keinem unsrer Brüder versagt ist.

Eine vollkommne Freude kann

nur die Freude der Liebe sein, die Niemand ausschließt und die sich mit Allen vereinigt weiß. Solch eine Freude aber, in die sich das Leben verklären soll, solch eine

Gottesfreude geht uns nicht aus dem bloßen Gedanken 'auf, ist

nicht die Sache

eines bloß menschlichen Entschlusses und Willens, wie

wir überhaupt diese Freude uns auch nicht geben können nur aus unS selbst, in welchen die Sünde noch wohnt, und die noch dem ungöttlichen Wesen ergeben sind.

Nein, wir empfangen sie nur von Gott als eine Gabe

31

seiner ewigen Liebe; nur seine Macht ist's, die sie unS schafft und schenkt. Ohne den Glauben an diese Macht kann sie nicht unser werden. Und ruht auch ein Grund dieser Freude verborgen in uns, in dem Geiste, den Gott in uns selbst hineingesenkt, so vermögen wir es doch nicht, sie zu erwecken durch eigne Kraft. Auch wäre es dann nicht eine reine Freude in Gott, die ohne frommen und heiligen Dank nicht sein kann. Doch reicht es auch nicht hin, nur die Möglichkeit eines solchen Lebens der Freude uns vorzustellen. Da würde uns doch die Macht der Freude noch fehlen. Es muß der Glaube an die Wirklichkeit dieses Lebens sein. Da kommt nun Gott selbst wunderbar uns zur Hülfe, indem die Macht seiner Liebe uns das Leben der Freude, das Leben des himm­ lischen Friedens, das gottbeseligte mit dem Vater einige Leben uns in That und Wahrheit geoffenbaret, und den Sohn uns gesendet hat. Und so verkündigt uns nun der Engel: „Euch ist heute der Hei­ land geboren, welcher ist Christus der Herr." Ja, das ist das Wunder der Gnade, was wir zu preisen haben. Davon geht alles Heil und alle wahre himmlische Freude aus. Zur Freude dringen wir doch nur hindurch, wenn die Last, die uns bisher noch drückte, von uns genommen ist, und wir von den Banden erlöst sind, die uns noch fessel­ ten. Wahre Freude haben wir nur alsdann, wenn die Trennungen, die unser Leben noch spalteten, aufgehört, und wir uns nicht mehr ge­ schieden wiffen vom Vaterhause, wo unsre ewige Heimat ist. Da hat nun aber der Gottessohn, der uns zum Heiland geboren ist, alle Feind­ schaft hinweggenommen, und den Trost der Gnade uns vom Himmel heräbgebracht, und den Weg zum Vater uns aufgethan, daß wir selig würden in ihm. Da verstehn wir nun erst das Wort des Engels: Siehe, ich verkündige Euch große Freude!" da wird uns der himmlische und ewige Reichthum dieser Freude erst offenbar, da dringen wir in das gottselige Geheimnjß erst ein, da werden wir es inne, daß nur der Glaube an den göttlichen Heiland uns selig macht und zur Freude führt, die allen Schmerz überwunden hat und die Niemand mehr von uns nimmt. Ja, ein großes und seliges Wort: „Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr!" Er ist geboren und lebt immerdar, und ist als der Gegenwärtige bei uns alle Tage, bis an das Ende der Welt. Euch ist der Heiland geboren, Ihr seid es, wir sind es Alle, für die er erschienen und vom Him­ mel gesendet ist, uns zu retten. So ergeht nun auch der Ruf an uns Alle, ihm zu folgen, daß wir nicht verloren sein, sondern hindurch-

32 bringen zur herrlichen und seligen Freiheit der Kinder Gottes.

Darum

säume Niemand, sondern eile, eh' es zu spät ist, und nehme seine Zustucht zu dem Felsen des Heils, der nie zu zertrümmern ist. ist Euch heute geboren. bloßen Vergangenheit,

Der Herr

Denn seine Geburt ist keine Geschichte der

sondern

täglich und mit

jeder wiederkehrenden

Feier seiner Geburt kommt er von Neuem zu uns, und will einziehen in unsre Herzen, daß er selbst in uns lebe und wir in ihm.

Er ist

der Herr und will auch herrschen in uns, aber nimmer durch äußer­ liche Gewalt, sondern durch die Macht der Liebe. unsrer Seligkeit sein und in uns

Er will der Herr

wohnen mit seiner Freude.

Hören

wir aber nicht auf die Weihnachtspredigt, nehmen wir ihn nicht auf, weisen wir ihn von uns,

so bleibt er dennoch der Herr, aber der

Herr des Gerichts, und für Die, die seine Hülfe verschmähn, wird er zum Falle werden.

Wer möchte da nicht beten und flehn, davor

bewahrt zu bleiben; wer sich nicht sehnen, daß er uns vielmehr zum Auferstehn gesetzt

sei, zur Auferstehung des Lebens von dem Tode

des vergänglichen Wesens, zum Lichte der ewigen Wahrheit in Gottes Reich!

Glauben wir aber nur an Christum als unsern Herrn, über­

winden wir mit

diesem Glauben die Welt und huldigen wir ihm in

Gehorsam und Liebe: so werden wir auch in ihm auferstehn, zum Leben erstehen, was nimmer stirbt. Hier hat die eigentliche Predigt des Evangeliums, die Verkün­ digung des göttlichen Wunders,

ein Ende.

deutsames und mahnendes Wort sich

an.

Nur schließt noch ein be­ Denn was er den Hirten

zum Zeichen gibt, daß sie das Kind finden würden, gewickelt in Windeln und in einer Krippe liegend, damit mahnt er sie nur, daß sie selbst hingehen möchten, den neugebornen Heiland zu schauen, wie sie es dann auch thun.

Aber dies ist auch eine Mahnung an uns.

Freilich nach Bethlehem können wir nicht gehn und das Kind in der Krippe sehn.

Aber

Hirten gesehen haben.

wir sollen und können noch mehr sehn, als die Wir sollen den Heiland sehn, wie er gelebt und

auch für uns gelitten hat, und uns das heilige und welterlösende Wir­ ken seiner Liebe vor Augen stellen.

Wir sollen ihn sehn, wie seine Ar­

muth, die er um unsertwillen auf sich genommen, zum unendlichen Reich­ thum für uns geworden ist.

Wir sollen ihn sehn, wie er von seiner

irdischen Niedrigkeit im Kampfe mit der Welt, zur Macht und zur Herr­ lichkeit hindurchgedrungen, Erden

die seine

ist.

Mir

und

alle

sollen

Gewalt

ihn

sehn,

im

Himmel

wie

er

in

und der

auf Kraft

33 wie er in der Kraft seines Geistes fortgewirkt, und in der Geschichte der Kirche, die er gegründet, nun bald zwei Jahrtausende lang sich als der Herr derselben erwiesen, wie er sie regiert und geleitet hat, und mit seinem Schutze bei ihr gewesen ist immerdar.

Und so wird er es

auch sein, und wird vollenden, was er verheißen hat, und wird wieder­ kehren in der Herrlichkeit seines Vaters in seinem Reich. Wir sollen ihn aber auch sehn und finden, wie er zu einem Jeden von uns ge­ kommen und seine heilige Nähe uns hat erfahren lassen; wie er sich uns in geheimnißvoller Stimme des Herzens, oder auch in den Schickun­ gen unsers Lebens kund gethan hat.

Und gewiß, Gel., er ist bei Kei­

nem von uns vorübergegangen, und hat die Mahnungen seiner Liebe oder auch seines Ernstes oft wol an uns gerichtet, um uns zu sich, zu seinem Frieden, zu seiner Freude hinaufzuziehn.

Wie sollten wir da

nicht niederfallen und ihm danken, daß er unser Retter, unser Freund und Bruder geworden ist! •— Der wahre Dank aber ist uur der, wenn wir Alles, was wir haben und was wir sind, ihm zum Dienste weihn und ihm uns hingeben in voller und reiner Liebe, so daß und Nichts von ihm scheiden kann.

Und so stimmen wir auch aus der Tiefe

des Herzens, aus begeisterter Seele und mit heiliger Freude in den Lobgesang der himmlischen Heerscharen ein: „Ehre sei Gott in der Höhe,

Friede auf

fallen."

Amen.

Erden und

den Menschen

ein Wohlge­

IV.

Das erste Weihnachtslied. Predigt am ersten Weihnachtsfeiertage 1857 üb.Ev.Luk.2,1-14.

Bom Himmel hoch, da komm ich her,

und bring euch neue gute Mähr,

Der guten Mähr bring ich so viel,

davon ich singen und sagen will!

Ja, ein Bote des Himmels war es, der in der heiligen Nacht, umleuchtet von der Klarheit des Herrn, die Kunde der großen Freude, die allem Volke beschieden sei, den staunenden Hirten gebracht: Euch ist heute der Heiland geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids.

Sowie der Gottessohn selbst nur vom Him­

mel kam, so konnte auch die Verkündigung seiner Geburt nur vom Himmel sein: — eine Kunde des göttlichen Heils, wie sie noch in keines Men­ schen Herz gedrungen.

Die ganze Welt soll eine selige Feier des himm­

lischen Friedens in Christo sein und Alles voll werden von seiner Herr­ lichkeit.

Wie sollten wir daher nicht niederfallen und anbeten ob des

Wunders, was da geschehen ist! Ja, Preis und Anbetung Dir, Du Gott und Vater unsers Herrn Jesu Christi, der Du uns in unsrer Armuth und Niedrigkeit angesehn und Deinen Sohn uns geschenkt, und das Licht der Welt hast über uns aufgehen lassen, daß wir, los von den Banden der Finsterniß und 'von dem Dienst des vergänglichen Wesens, zur herrlichen Freiheit im Him­ melreiche erhoben sein.

O welch eine Liebe hast Du uns erzeigt, daß

wir sollen Deine Kinder heißen!

Ja, Du bist ein Gott, welcher Wunder

35 thut; Du hast Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich. sei Dein heiliger Name immer und ewiglich! danken für solche Gnade!

Wie sollen

Gelobet wir Dir

Aber Dir gefällt nur der Dank deS neuen

in Christo Dir geheiligten Lebens.

Dazu stärke uns mit Deinem Geist,

und laß auch heute die himmlische Freude aufgehn in unserm Herzen, und aus dem Herzen töne es überall als der heiligste und herrlichste Festgesang von der Erde zum Himmel hin: Ehre sei Gott in der Hohe,

Friede auf Erden und

fallen!

den Menschen

ein Wohlge­

Amen.

Die Geburt unsers Herrn Jesu Christi, m. Gel., zu deren Feier wir hier im heiligen Festschmuck versammelt sind, ist das größte und heiligste Wunder, was jemals geschehen ist. Wunder aber thut auch nur Gott; und die Geburt Jesu Christi ist ein Wunder, weil sie die heiligste und unerforschliche That Gottes ist.

Sie ist ein Wunder der

Macht, aber auch der Liebe und Gnade Gottes, sowie zugleich seiner Herrlichkeit.

Sie ist ein Wunder der Macht, aber nicht einer sinn­

lichen- sondern der Macht des Geistes, aus welchem Christus geboren war, und der in ihm lebte und waltete; — ein Wunder der

L-iebe

und Gnade Gottes, der den eingeboruep Sohn für uns hingegeben, daß wir in ihm die Erlösung fänden, die ewig ist, und der Weg von der Erde zum Himmel, zum ewigen und seligen Leben durch ihn uns geöffnet sei; — ein Wunder der Herrlichkeit, denn 'es ist selbst der Vater,

den wir im Sohne schaun, und der in ihm zu uns herabge­

kommen.

Ja, es ist eine neue Schöpfung, die in Christo geschehen, die

Schöpfung einer neuen, geistigen und gottverherrlichten Welt. — Dieses Wunder aber, dem wir Preis und Anbetung schuldig sind, sollen wir nicht etwa bloß von Außen beschaun, wo dann die Klarheit des Herrn uns doch nicht umleuchtete, und das wahre, göttliche Wunder uns noch verborgen

bliebe.

Als

Wunder der Erlösung muß es auch in uns

selbst geschehn, und wir müssen es selbst erleben; — das ist aber nur möglich, wenn Christus selber in uns geboren wird. Darin besteht nun auch die Vollendung der Weihnachtsfeier, dann erfahren wir erst ihre höchste Beseligung.

Möchte doch das hohe und heilige Fest

uns dieser Beseligung näher führen. ■— Da wollen wir nun zuerst ver­ nehmen, was uns das Festevangelium von dem göttlichen Wunder sagt, und durch die

himmlische Verkündigung

unsre Herzen erheben.

3*

DaS

36 Evangelium, wie es uns Lukas mittheilt, lautet nun aber im 2. Kapitel vom 1—14. Berse also: „Es begab sich aber . . . und den Menschen ein Wohlgefallen." Ja, dieser himmlische Lobgesang ist auch der unsrige, und dringt auch aus unserm Herzen zu Gott hinauf.

Möcbte nur bald die ganze

Welt darein einstimmen, und durch den Frieden Gottes in Jesu Christo beseligt, die Freude im Herrn allewege die ihre sein, damit auch unsre Freude vollkommen werde.

Dazu segne, o Herr, auch das Wort, was

Du heute auf meine Lippen legst, daß es das Deine und eine Verkün­ digung Deiner

Ehre sei!

Segne es

durch

den Beistand Deines h.

Geistes, segne uns Alle durch Deinen Sohn Jesum Christum!

Amen.

Die Erzählung unsers Evangelisten von der Geburt Jesu Christi trägt ein so einfaches und reinmenschliches Gepräge an sich, daß man es den Worten nicht anhört, wie es so hohe und himmlische Dinge sind, die hier berichtet werden.

Nur was nicht sein Wort ist, was der En­

gel vom Himmel spricht und das große Wunder verkündigt, welches auf Erden geschehen, da klingt etwas Hohes und UeberirdischeS hindurch, — da ist es die Gottesthat selbst, die auch dem Worte einen mächtigen Schwung verleiht.

Denn hier ist mehr, als nur Menschliches.

Fürch­

tet euch nicht; siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird; denn euch ist heute der Hei­ land geboren, welcher ist Christus der Herr, in der Stadt Davids. — Das ist die Stimme vom Himmel her, die in der heiligen Nacht an die Hirten auf dem Felde erging, die Plötzlich von der Klar­ heit des Herrn umleuchtet, nicht wußten, was dies zu bedeuten habe, und sich fürchteten, bis nun der Engel es ihnen kund gethan, und ihre Furcht in heiliges Staunen und in Freude verwandelte.

Die ganze

Herrlichkeit unsers Festevangeliums liegt in diesen Worten des Gottes­ boten umschloffen.

Darum klingen sie auch so hoch und so wunderbar.

Das war die erste Weihnachtspredigt, die auf Erden gehalten ward. Diese erste Weihnachtspredigt haben wir im vorigen Jahr zum Gegen­ stand unsrer Festbetrachtung gemacht, und vielleicht ist noch ein Nach­ klang davon in Eurer Seele zurückgeblieben.

Zu einer Predigt aber

gehört doch auch, daß sie von einem Gesänge begleitet sei; und ebenso verlangt eine Weihnachtspredigt auch ein WeihnachtSlied.

Das hat

37 nun aber auch bei der ersten Weihnachtspredigt nicht gefehlt; und unser Evangelium theilt uns ja auch dieses erste Weihnachtslied mit. — Zu dem Engel, der die Predigt gehalten, trat die Menge der himmlischen Heerscharen, die lobeten Gott und sprachen: Ehre sei Gott in der Höhe, fallen.

Friede auf Erden, und den Menschen

ein Wohlge­

Das war, m. Lieben, das erste Weihnachtslied.

Haben

wir nun im vorigen Jahre von der ersten Weihnachtspredigt gehan­ delt, so liegt es uns wahrlich sehr nahe, heute

Das erste Weihnachtslied zu betrachten, und so die Deutung unsers Festevangeliums erst zu vollen­ den. Sowie die Predigt hat auch das Weihnachtslied seine besondre und hohe Bedeutsamkeit, und wie alle Weihnachtspredigten von jener ersten ihren Ausgang nehmen, so haben wir auch das erste Weihnachtslied als den Text aller folgenden anzusehn.

Und dringen wir wahrhaft in

den Inhalt und Geist dieses Liedes ein, reichen Gewinn

bringen für unsre

so wird unS dies auch einen

eigne Feier

des Weihnachtsfestes.

Nach den drei Abschnitten, die das erste Weihnachtslied hat, zerlegt sich übrigens unsre Betrachtung desselben ebenfalls in drei Theile. Es kann wol scheinen, m. Gel., als gehe es nicht wol an, in einer Predigt, die doch nur die Verkündigung des Evangeliums sein soll, ein Lied zu feiern und zu betrachten.

Aber das Lied, daS erste

Weihn achtslied, hat ja auch keinen andern Text, als die Predigt, und ist aus demselben Boden entsprungen.

Es ist ja nur der Preis

der Verkündigung, die in der Predigt geschehen ist, und die sie zum In­ halt hat.

Die Predigt ist die fromme und andachtsvolle Betrachtung

des göttlichen Wunders der Geburt des Heilands der Welt, so daß wir eS tief und lebendig erfassen und aufnehmen sollen in unser Herz.

Das

Weihnachtslied ist der Ausdruck des von der Freude durchdrungenen und in den begeisterten Lobgesang nun die

ausbrechenden Herzens.

Predigt nicht die Herrlichkeit des

Warum sollte

Weihnachtsliedes

rühmen und es sich zur Aufgabe machen können, seinen hohen und hei­ ligen Inhalt, worin, vor Allem die weltbeseligenden Folgen der Geburt des Sohnes Gottes gepriesen werden, uns vor Augen zu stellen, und im Geist darein einzustimmen. •— Ein

Lied,

seinem

geistigen Wesen

nach, nimmt aber noch eine höhere und gehobne Stimmung der Seele in Anspruch, und so ergeht freilich auch an die Weihnachtspredigt, die dieses erste Weihnachtslied sich zum Texte nimmt, eine höhere Foderung,

38 als solle es eine Predigt noch in höherem Schwünge sein.

Da fühle

ich nun wol, wie ich selbst zu schwach dazu bin und meine Kraft nicht genügt, so wie ich gern möchte und wollte, das Wunder der himmlischen Liebe, das in dem Weihnachtsliede gefeiert wird, würdig zu preisen. Da kann ich nur bitten, daß die Kraft des Herrn mir zu Hülfe komme, die ja auch mächtig sein will in dem Schwachen. — So sei denn, o Herr, auch mit mir, und stärke das schwache Wort meines Mundes!

Treten wir nun dem ersten Weihnachtsliede selbst näher, so stellt es sich uns in jeder Beziehung dar als ein Lied aus einem höheren Chor.

Ebenso wie die erste Weihnachtspredigt von einem Engel, von

einem Gottesboten gehalten wurde, so wird auch das erste Weihnachts­ lied von himmlischen Heerscharen angestimmt; — es ist ein Lied der Engel, die da ausbrechen in den Lobgesang Gottes: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohl­ gefallen.

Mögen nun aber die Weihnachtslieder bei uns auch nur

von menschlichen Stimmen gesungen werden, so sollen sie doch auch vom Himmel kommen, sollen von der himmlischen Liebe bewegte und begeisterte Lieder sein. Sonst sind es auch keine wahren und rechten Preislieder Gottes. Ja es gilt dies von jedem Liede, worin Christus gefeiert wird. Denn sowie der Sohn Gottes selbst nur vom Himmel, vom Vater, zu uns gekommen ist, so geht auch der rechte, ihn feiernde Lobgesang nur vom Himmel, vom Geiste Gottes aus, der den Sänger ergriffen hat. — Wer nun die Geburt Jesu Christi würdig besingen will, muß selbst in den Himmel hineingeschaut haben, und ihn offen sehn, damit sein Lied auch eine Stimme vom Himmel sei.

Ja es gilt dies auch

nicht bloß den heiligen Dichter, sondern auch die singende Gemeinde, die ihre himmlischerhobene Seele in den festlichen Klängen des Liedes aus­ strömt.

Wol erscheint uns das Weihnachtslied der Engel als der himm*

lische Chor.

Aber indem die himmlischen Heerscharen,

die das Lied

anhoben, nur hinzutraten zu dem Engel, der die erste Weihnachtspredigt gehalten hatte, so bilden sie selbst die Gemeinde ab, die lobsingend sich zu Gott erhebt.

Auch

erscholl jenes

erste

himmlische Weihnachtslied

nicht in einem Tempel, der mit Mauern umschlossen war, sondern unter dem Himmel, der über die ganze weite Erde ausgestreckt ist, wie zum Vorbilde, daß die ganze Welt in dieses Weihnachtslied einstimmen und ihre Beseligung durch den Gottessohn feiern soll.

Da dringt nun dann

39 aber daS Lied um so mächtiger und freier zum Himmel hin; — und so soll denn auch jedes Weihnachtslied, jedes Christuslied ein Lied sein, was sich zum Himmel schwingt, und als die Stimme des heiligsten Gott­ verlangens die Seele nach Oben zieht, und dem seligen, mit Gott ver­ einigten Leben uns näher bringt.

Es soll ein Lied sein der Freude im

Herrn, der Freude des Herzens, das frei von allem irdischen Bangen, los von dem Schmerze der Welt, seine wahre und ewige Heimat in Gott gefunden, der in dem Sohne zu ihm gekommen ist. — Doch soll, dies auch nicht etwa eine bloße Entzückung der Seele zum Himmel sein, die uns das Weihnachtslied gibt, und die doch keine Wahrheit hätte die, sowie sie gekommen, auch wieder verschwindet, und wobei der Him­ mel oft noch in weiter Ferne liegt.

Nein, m. Lieben, ist das Weih­

nachtslied der Preisgesang des Friedens, den uns Christus vom Himmel herabgebracht, ist in ihm der Gottmensch erschienen, der unsre Armuth an sich genommen, und doch das Bild der göttlichen Herrlichkeit trägt, — der Mensch ist wie wir, und doch Gottes Sohn, der Alles mit und theilt und Nichts von dem Seinen uns vorenthält: so muß auch die Trennung zwischen Himmel und Erde ein Ende haben, und unser Schaffen und Wirken hienieden soll selbst ein Wandel und Leben im Himmel sein. Wir feiern im Weihnachtsfest die Versöhnung, die der Sohn Gottes gestiftet, und das Sichtbare und das Unsichtbare geeinigt hat.

Soll das

Weihnachtslied doch ein Lied aus der innersten Tiefe des Herzens, deS durch die Liebe Gottes, der seinen Sohn uns gesandt, beseligten Herzens sein: so können wir uns auch Himmel und Erde nicht noch als geschieden denken. — Feiern wir die Geburt des Gottessohns in uns, da ist auch der Himmel uns aufgethan, und wir leben in ihm.

Das erste Weihnachtslied nun aber, wie wir eS im Evangelium lesen, ist, sowie die erste Weihnachtspredigt, nur kurz, aber um so ge­ drängter und inhaltsvoller, und besteht nur aus drei Strophen: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen. fassen.

Wir werden nun auch jede für sich in das Auge

Doch wollen wir den Inhalt jeder Strophe und auch nur in

aller Kürze vergegenwärtigen, und die Grundgedanken des Liedes sind auch so einfach und klar, daß sie wol einem Jeden, dessen Inneres nicht für den Himmel verschlossen ist, von selbst zum Herzen dringen; — und doch ist es auch wieder das Höchste, was darin zum Ausdruck kommt,

40

und zu dessen Preis sich die dankerfüllte und lobsingende Seele erhe­ ben kann. Ehre sei Gott in der Höhe! Mit diesem Preisruf beginnt das Lied, und der Gegenstand dieses Preises ist nur die Geburt des Heilands der Welt, die der Engel verkündigt hat. Diese Geburt Jesu Christi, die Sendung des Gottessohns in die Welt, ist nur durch Gott' geschehen; es ist die höchste und heiligste Gottesthat, es ist das höchste Werk seiner Gnade, es ist die Stiftung eines neuen, erlösten Lebens, und wir haben in ihm die Gewähr der künftigen Vollendung der Welt. Die alte Finsterniß hat ein Ende. Denn in Christo ist das Licht der Welt aufgegangen, das in Ewigkeit leuchten wird, und immer weiter dringt, bis die Welt in dasselbe verklärt ist. Die alte Knechtschaft ist durch den Heiligen Gottes gebrochen, und die Freiheit ist aufgegangen, die in dem Leben der göttlichen Liebe wohnt. Gott selbst ist uns er­ schienen in seinem Sohn, und hat die Fülle seiner Liebe, seiner retten­ den und erbarmenden Liebe uns kundgethan. Da gebührt nun die Ehre auch Gott allein, der sich in Christo zu uns Herabgelasien, und mit ihm Wohnung machen will bei uns und in unsern Herzen. Das ist das himmlische Bewußtsein, was unsrem Weihnachtsliede die Worte gibt; eS ist die höchste und freudigste Begeisterung, die sich in ihm ausspricht, — das tiefste und innigste Dankgefühl, was sich in dem Ausruf hervor­ drängt: Ehre sei Gott in der Höhe! Ja, die Ehre und Herrlich­ keit Gottes ist in Christo erst offenbar geworden, weil wir in ihm nur das lebendige Bild Gottes in seiner Wahrheit und Liebe schaun. Darum konnte auch die Ehre Gottes noch nie in solcher Weise gepriesen werden als jetzt, wo er in einer Klarheit erschienen war, wie noch nie, und wie es eine größere auch nicht geben kann, als wenn er selbst Mensch ge­ worden, und wir im Sohne den Vater sehn. Gott in der Höhe der Eine, der Ewige, der Allmächtige und der Allliebende, der ift% der in Christo zu uns gekommen, und sich uns erschloffen hat in dem Reich­ thums seiner Herrlichkeit, der ist's, den das Weihnachtslied preist. — Und etwas Höheres, als worauf die Erscheinung Christi hinausgeht, daß alles Leben der Welt in die Offenbarung Gottes verwandelt werde, erreichen auch unsre Gedanken nicht.

Nachdem nun also die himmlischen Heerscharen die Ehre Gottes gepriesen haben, der seinen eingebornen Sohn uns gesandt, so folgt

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weiter in dem Weihnachtsliede der Ausruf: Friede auf Erden! Das ist nun aber nicht etwa ein bloßer Wunsch des himmlischen Weihnachtschor's, als sei damit nur gesagt: möchte doch Friede auf Erden sein, was es dann selbst nur in sich schlösse, daß er nicht schon bestehe und nicht lebendig sei; nein, es ist nur der Preisgesang des Friedens, den der Gottessohn vom Himmel herabgebracht, und der in ihm begründet ist. Das Weihnachtslied preist den Herrn, als der selbst dieser Friede ist, — der die Feindschaft hinweggenommen, der aus Zweien Eins ge­ macht und' einen neuen Menschen in sich geschaffen, den Menschen Got­ tes, indem er Eins mit dem Vater, und sein ganzes Leben nur daS Leben der himmlischen, die Welt versöhnenden Liebe war. Es ist der Friede mit Gott, den Christus gestiftet, und Himmel und Erde mitein­ ander geeinigt hat. Er ist der himmlische und ewige Friedensstifter, weil er das Gotteslamm ist, das leidend und sterbend für uns die Sünde hinweggenommen, und uns*die Vergebung geschenkt hat. Und wir missen ja, daß nur die Sünde uns um den Frieden gebracht und das Leben zerrüttet hat. Wäre die Sünde nicht, so würde auch alles Unheil und Verderben ein Ende haben. Ist die Sünde aber in Christo nun auf­ gehoben, hat er die Welt mit Gott versöhnt, so ist auch eine Macht des Friedens von ihm ausgegangen, die immerdar fortwirkt, bis der Friede auch die ganze Welt erfüllt und durchdrungen hat. Und daS soll auch nicht bloß ein Friede im Innern des Lebens sein, obwol er in ihm seine Heimat hat, und seine Beseligung nur in dem neuen Gott liebenden Herzen empfunden wird. .Es soll auch ein Friede unter den Menschen sein, die sich in der Liebe GotteS umfassen, und allen Haß und alle Feindschaft von sich hinweggethan, — ein Friede also, der auch das sichtbare Leben verklärt, und die Erde zu einer Stätte der Liebe verwandelt hat. Darum heißt er auch der Friede aufErden, weil die ganze sichtbare Welt das Bild dieses Friedens trägt. — Sehen wir nun aber in der Welt um uns her, so ist dieser Friede freilich noch nicht offenbar geworden und durchgeführt. Aber er ist doch in Christo wahrhaftig da, er ist in ihm begründet, und wir stehen auf diesem Grunde, und es handelt sich nur darum, daß er in uns lebendig wird, und wir unser Leben auf diesem Grunde erbaun. Da enthält nun das himmlische Weihnachtslied eine mächtige und ergreifende Mahnung. Es soll Friede' auf Erden sein, und wir sind berufen zu diesem Frieden, und Christus hat uns die Macht dieses Friedens verliehen; — und je schmerzlicher wir ihn noch vermissen, so sollen wir umsomehr arbeiten.

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daß er zur lebendigen Wahrheit werde und das volle selige Eigenthum unsers Lebens sei. Das ist ein Friede, der durch alle Verhältnisse des Lebens sich offenbaren soll. Wohnt die Gottesliebe Jesu Christi in un­ serm Herzen, so wird auch das Haus, das Leben in der Familie ein schönes, heiliges Bild dieses Friedens sein. Und die beste und herrlichste Weihnachtsgabe, die Christus auch an diesem Feste uns schenken will, ist nur die Liebe, in welcher wir uns immer enger und inniger zusammen­ schließen und als die Seinen umfassen sollen. — Da steht nun aber auch Jeder, der das Ebenbild Gottes trägt, uns als Bruder nah, und vom Hause soll der Strom der Liebe sich auch nach Außen immer weiter ergießen, so daß Niemand ausgeschloffen ist von dem Frieden Gottes in Jesu Christo, daß wir Alle Eins sind in ihm — eine einige GotteSfamilie. Und wir sollen auch nicht meinen, als sei dieser Friede nur ein Gebilde der Fantasie. Dann hätten wir auch nicht den lebendigen Glauben an Jesum Christum, als der selbst dieser Friede ist. Wir haben ja sein heiliges Wort, und mag auch alles Andre vergehn, seine Worte vergehen nicht. Es wird Eine Herde und Ein Hirte werden. Liegt dies auch in entfernter Zukunft, es bleibt nicht unerfüllt. Und was Er als der ewige Hohepriester, aus der Fülle seiner weltüber­ windenden Liebe gebetet hat: „daß sie Alle Eins sein, wie Du, Väter, in mir und ich in Dir, daß sie Eins sein in uns," das wird und das muß geschehn. Und kommt auch unser irdisches Auge nicht schon zu diesem Anblick der Herrlichkeit: wir schaun sie im Glauben, und leben in der Hoffnung, die nicht zu Schanden wird. Von dieser glaubensvollen Hoffnung aus, geht die Mission des Evangeliums in die Welt, und sie nur ist es, die den Frieden Gottes in Jesu Christo immer mehr vom Himmel zur Erde zieht, — mag es auch nicht ohne Kampf geschehn, — denn der wahre Friede will auch erkämpft und errungen sein. Ist Christus der lebendige Friede, da muß aber auch seine Kirche eine Stätte des Friedens sein, und lebt Christus in ihr, ehren wir ihn als den Herrn, als den Herrn der Gnade, da muß auch die Zwietracht in der Kirche ein Ende haben, und ein Verdammen und Verfolgen Derer, die sich doch zu dem Einen Namen bekennen, darinnen wir können selig werden, ist nur ein trauriges Zeichen, daß man Christo nicht angehört, und ihn nicht erkennt, als der nur die Wahrheit und Liebe ist. Friede auf Erden: das ist die Losung, die uns durch Christum gegeben ist; Boten des Friedens zu sein, den er uns verkündigt hat, und für ihn

43 zu arbeiten und zu wirken, so lange eS Tag für uns ist, ehe die Nacht kommt, da Niemand wirken kann.

Das erste heilige und

himmlische Weihnachtslied schließt nun mit

den Worten: den Menschen ein Wohlgefallen.

In diesen Schluß

ist die erste und zweite Strophe nur zusammengefasst, und es ist darin nur ausgesprochen, was die selige Frucht des die Ehre Gottes der» kündenden Lebens und des Friedens auf Erden ist.

Das Wohlgefallen,

was dann den Menschen zu eigen wird, ist nur das Wohlgefallen Got­ tes; und das Leben der Menschen wächst immer mehr in dieses Wohl­ gefallen hinein.

Jemehr nur die Ehre Gottes in Christo für uns

ihre Geltung hat, jemehr wir unsre Herzen von dem Frieden Christi durchdringen lasten, und mit immer festeren Banden uns ihm anschließen als dem Herrn, desto reicher kommt auch die Gnade Gottes dann über uns, und wir werden immer reicher an allerlei geistlichem Segen in himmlischen Gütern durch Jesum Christum.

Wir kommen immer

näher der Seligkeit, der ewigen Seligkeit, die uns keine Macht der Erde entreißen kann, der Seligkeit, die selbst im Tode uns das Leben ergreifen läßt, das nimmer stirbt. So das

hoch und

herrlich ist also der Inhalt des Weihnachtsliedes,

die himmlischen Heerscharen bei der Geburt des Gottessohns an­

gestimmt.

Es soll nun aber auch unser Lied, das Lied unsrer Seele

sein, und auch heute sollen wir es im Geiste mitgesungen haben, und eS mitsingen immerdar, bis wir selbst zu den himmlischen Chören ein­ gehn, und das ewige Hallelujah ertönt in der Gemeinde der Heiligen. Ja, Herr unser Gott, hilf uns, daß unser ganzes Leben ein Lob­ gesang Deiner Ehre sei; gib uns Deinen Frieden, den Frieden in Jesu Christo, und wenn wir das Tagewerk hienieden vollbracht, so nimm in Deinem Sohne uns an zu Deinem ewigen Wohlgefallen.

Amen.

V.

Das Warten des Christen aus die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes und unsers Heilandes Predigt am ersten Weihnachtsfciertagel858 üb. TituS 2,11-14.

Zu Dir, Du Gott der Macht und der Herrlichkeit, Du Vater der ewigen Liebe, schwingt unsre Seele sich auf, voll Lob und voll Preis, über das Wunder der Gnade, dessen Feier uns heute in hoher und hei­ liger Freude vor Dir versammelt hat. Wir lobsingen Dir am Feste der Geburt Deines einigen Sohnes, den Du vom Himmel her uns zum Retter und Heiland gesendet hast. Hilf nur, daß auch wir durch den Trost des Friedens, den Du uns verkündigen lässest, beseligt sein, hilf, daß die dunkle Nacht der Sünde immer mehr von uns weiche, und das Licht, was in Christo erschienen ist, auch unser Leben erleuchte, und daß wir als die Erlösten, mit ihm eingehen mögen in das Reick Deiner Herrlichkeit! Amen. So haben wir denn, m. Gel., durch Gottes Gnade das schöne und herrliche Weihnachtsfest, — die Feier der heiligen Nacht, in welcher die Klarheit des Herrn die Erde erleuchtete und die selige und wunder­ bare Botschaft vom Himmel kam: „Euch ist heute der Heiland ge­ boren, welcher ist Christus der Herr" — wieder erlebt, und

45 wir dürfen einstimmen in den Preisgesang der himmlischen Heerscharen: Ehre sei Gott in der Höhe, Friede auf Erden und den Men­ schen ein Wohlgefallen! — Zwar sind es nur sterbliche Lippen, die Euch heute das große Ge­ heimniß verkündigen: Gott ist geoffenbaret im Fleisch.

Nehmen

wir aber nur dieses Geheimniß an, so redet Gott in dieser Verkündi­ gung auch zu uns, und in den Worten des Engels hören wir auch noch heute die Stimme Gottes vom Himmel her, die Stimme der unendlichen Liebe, womit er seinen einigen Sohn und, den Verlornen, zum Retter schenkt.

Ja, es ist ein hohes und herrliches Fest, dessen Feier uns heute

zum Hause Gottes gerufen hat, ein Fest, wie wir als Christen es nicht schöner begehen können.

Denn wir feiern in ihm den Aufgang einer

neuen, göttlichen Welt, die in dem Gottessöhne Jesus Christus an's Licht gekommen.

Und bedenken wir, was dies sagen will, haben wir

hineingeschaut in die neue, gottbeseligte Welt, so wird daS Fest, so oft es uns wiederkehrt, uns nicht etwa geringer dünken, sondern tritt uns umsomehr in seiner unendlichen Bedeutung hin, und erscheint uns noch immer größer und herrlicher. Da darf aber, m. Gel., unser Blick nicht bloß hingewendet sein auf Das, was geschehen ist; — und betrachten wir die Geburt Jesu Christi nur als ein Ereigniß der Vergangenheit,

so hätten wir das

wahre und ewige GotteSlicht, was uns in ihr entgegenleuchtet, nicht schon gesehn.

Wol ist es die größte und wundervollste That Gottes, die in

der Geschichte der Welt sich begeben hat; aber in der irdischen Erschei­ nung des Herrn ist sie nicht beschlosien; und gilt es die Schöpfung einer neuen, himmlischen Welt, so kann ja diese nicht schon in dem Anfange, den sie von Christo genommen, vollendet sein, — und wir sehen uns hingewiesen auf eine Zukunft, wo ihre volle Herrlichkeit sich erst offen­ baren soll.

Das gehört auch zum Wesen des Christenthums, daß eS

das Leben einer seligen Hoffnung ist, die nimmer zu Schanden wird, sondern die durch die unvergängliche Macht Jesu Christi, durch die Macht der Wahrheit und Liebe gewiß in Erfüllung geht.

Die Gnade Gottes,

die uns in Christo erschienen, ist ja auch keine solche, die mit seinem Wandel auf Erden zu Ende wäre, oder auf demselben Punkte nur stehen bliebe, sondern umschließt eine Fülle des himmlischen Reichthums, die unerschöpflich ist, und wird selbst immer mächtiger, und durchdringt das Leben mit einer stets höheren Beseligung.

Ist doch auch Christus, der

das ewige Leben in sich hat, der Herr der Zukunft, die sich, sind wir

46 die ©einigen,

auch vor unsern Augen enthüllen soll.

Doch dies Alles

nt. Gel., darf nicht bloß eine Lehre fein, die wir annehmen von Außen her, sondern wir müssen es selbst in unserm Glaubensbewußtsein er­ fahren haben, was der Gottessohn, der ja will, daß wir da sein, wo er ist, uns bei sich bereitet hat, so daß die Hoffnung der künftigen Herr­ lichkeit das Licht unsres Lebens ist.

Das Bild dieser Herrlichkeit tritt

uns nun auch in der heutigen Festepistel entgegen.

Zugleich aber stellt

der Apostel Paulus es uns vor die Seele, wie auch wir uns dazu be­ reiten müssen, zum Anblick dieser Herrlichkeit zu gelangen.

So wollen

wir denn mit ernster Andacht das apostolische Wort vernehmen.

Wir

lesen es in dem Briefe an den Titus, und zwar im 2. Kapitel vom 11—14. Verse, wo es also lautet: „Denn es ist erschienen . . . fleißig wäre zu guten Werken." Ja, erhöhe auch uns, o Gott, dieses Volk Deines Sohnes zu sein, dem die Erscheinung seiner Herrlichkeit

aufgegangen.

Vater, auch diese festliche Stunde, und hilf, kräftig werde

Dazu segne, o

daß Dein Wort an uns

zur Geburt in’S ewige und himmlische Leben durch Je­

sum Christum.

Amen.

Wir warten, — spricht der Apostel Paulus in unserm Text — auf die selige Hoffnung

und Erscheinung

der Herrlichkeit

des großen Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi.

Die­

sen inhaltsvollen Gedanken haben wir, m. Gel., schon in dem Eingänge unsrer Predigt uV$ Auge gefasst und auf eine Zukunft der Herrlichkeit hingewiesen, die sich durch Christum uns einst offenbaren soll.

So soll

denn nun auch:

Das Warten des Christen auf die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes und unsres Heilandes Jesu Christi der wichtige Gegenstand unsrer als

festlichen Betrachtung sein.

Wie wir

Christen auf die Erscheinung der Herrlichkeit Gottes und unsres

Heilandes Jesu Christi zu warten haben: darauf wollen wir also heute unser Nachdenken richten, seines heiligen Geistes!

und dazu verleihe uns Gott den

Beistand

47 Wie aber, — das ist wol die erste Frage, welche uns hier be­ gegnet, — wie sollen wir auf die genannte Erscheinung erst noch zu warten Haben, da ja der Gottessohn, in welchem wir selbst nur den Vater sehen, schon in die Welt gekommen, und die heilsame Gnade Got­ tes in Jesu Christo allen Menschen erschienen ist?

Wir feiern ja das

Fest der Geburt des Heilandes der Welt, der auf Erden unter den Menschen gewandelt, und durch sein Leben der Liebe bis in den Tod eine ewige Versöhnung gestiftet hat, und wieder hingegangen ist zu dem Vater, um uns nach sich zu ziehen in die himmlischen Wohnungen, in die Wohrtungen des himmlischen Friedens.

Hat er das Werk vollendet,

das ihm der Vater gegeben, und ihn auf Erden verklärt: was wäre es denn, was er künftig erst zu vollbringen hätte?

Und hat uns der Auf­

gang aus der Höhe in ihm besucht, schaun wir in Christo das leben­ dige Gottesbild: so ist dies doch auch wol eine Erscheinung der Herr­ lichkeit, die als die göttliche in ihm wohnt. Und doch haben wir das klare, apostolische Wort, daß wir darauf, als auf eine künftige warten sollen.

Und das ist auch nicht etwa

bloß eine Vorstellung des Apostels, sondern Jesus selbst redet von einem Kommen in der Herrlichkeit seines Vaters, was erst in der Zukunft ge­ schehen wird, und was sich von dem ersten Kommen in der Zeit, die nun schon über achtzehn Jahrhunderte zurückliegt, denn doch unterscheiden muß.

Erschien der Gottessohn zunächst in der Gestalt der menschlichen

Armuth und Niedrigkeit, — worin das himmlische und göttliche Wesen verborgen war, — so muß allerdings sein Kommen, was wir noch zu erwarten haben, höher und machtvoller sein.

Doch dürfen wir es von

seiner ersten Erscheinung nicht trennen, und diese geht auf das Kommen in der Zukunft nur hinaus als auf das Ziel der Vollendung. Apostel fasst auch die

Unser

künftige Herrlichkeit nur in unmittelbarem Zu­

sammenhange mit der Erscheinung des Gottessohns, die wir im Weih­ nachtsfeste feiern, und dem Jesuskinde huldigen, das von geboren ward.

der Maria

Es ist erschienen, spricht er, die heilsame Gnade

Gottes allen Menschen, und diese Gnade besteht nur darin, daß in dem Gottessohn Jesus Christus das volle Leben der göttlichen Liebe er­ schienen ist, der Liebe, die sich für uns hingegeben bis in den Tod. Denn diese Liebe nur ift% die uns selig macht, und durch sie nur sind wir die Seligen.

Darum nennt Paulus die Gnade auch eine heil­

same, weil sie allein die Quelle des Heiles ist, und wir das Heil nicht erlangen können, denn nur aus ihr.

Aber die bloße Erscheinung der

48 Gnade in Jesu Christo reicht freilich nicht hin, um das selige Leben zu haben als unser Eigenthum.

Denn sie zieht auch nur ein in Die, die

sich ihr aufthun, und die sich von ihr ergreifen und ziehen laffen. an uns selbst, und nach unsrer irdischen Natur,

Denn

stehen wir mit der

Gnade noch in einem feindlichen Gegensatz, und wollen nur uns selbst leben und unsern sündlichen Neigungen.

Tritt uns nun das Bild des

Gottessohns, des Gerechten und Heiligen, nicht als ein Spiegel hin, worin wir uns selbst beschaun, erkennen wir uns nicht in unsrem gott­ entfremdeten Wandel, und tragen wir kein Verlangen, die Bande der Knechtschaft zu brechen, die uns gefangen hält: so kann auch die Gnade nicht in uns Eingang finden.

Sind wir aber in unsrer Seele von ihr

berührt, wenden wir im Gefühl unsrer Armuth und unsrer Erlösungs­ bedürftigkeit uns ihr zu, und beginnt sie in uns zu wirken, so duldet sie uns.

auch das alte, sündige Wesen nicht und übt eine heilige Zucht in Sie züchtigt uns, sagt der Apostel, daß wir verläugnen

sollen das ungöttliche Wesen und die weltlichen Lüste, und züchtig, gerecht und gottselig leben in dieser Welt. So sehen wir, daß die Gnade, die uns wol in Christo erschienen ist, uns erst zu einer höheren Vollendung bereiten soll, wo wir nach einem guten Kampfe des Glaubens die Welt überwunden haben, und der Gottessohn mit der Fülle seiner Liebe und Seligkeit, mit seinem himmlischen Frieden in.uns Wohnung nimmt.

Da

erscheint es

Ms

nun wol schon hier nicht so fremd, daß wir nach dem Ausspruch unsers Apostels zugleich noch warten auf die selige Hoffnung und Er­ scheinung

der Herrlichkeit des

großen Gottes

und unsers

Heilandes Jesu Christi. Wir haben dies aber freilich nicht zu beziehn nur auf die Person Jesu Christi, Augen.haben.

wie wir sein Bild nach seiner

ersten Erscheinung vor

Sie muß allerdings eine andre und eine höhere sein.

Aber sehen wir auch nur auf

die Verwandlung hin, wenn das volle

Leben des Heils in uns aufgegangen, und wir durch Jesum Christum, der uns die Macht der Gotteskindschaft gegeben hat, zu neuen Menschen geboren sind: — in welch einem höheren und helleren Licht muß dann der Gottessohn uns vor Augen stehn!

Wir schauen ihn, nicht bloß von

Außen und in der leiblichen Gestalt, die er auf Erden an sich getragen hat, — sondern durch unser eignes Leben hindurch — wir schauen ihn im Geiste und in der Wahrheit, wir schauen ihn als den Verklärten, — und die Liebe, in welcher wir mit ihm Eins sind und aus ihr leben,

49

ist das sehende Auge, was uns ihn erkennen läßt in seiner göttlichen und unvergänglichen Herrlichkeit. Aber doch ist sie uns hier nicht schon in ihrem ganzen Umfange offenbar. Die heilsame Gnade Gottes ist ja erschienen für alle Menschen, und geht nur darauf hinaus, daß Alle durch sie erlöst und beseligt sein, und sie vollendet sich nur, wenn sie zu allen Menschen gekommen ist. Also kommt auch die volle Herr­ lichkeit unsers Heilandes Jesu Christi erst dann zur Erscheinung, wenn das Heil zu Allen hindurchgedrungen und die ganze Welt ihm zu Füßen liegt. Denn was wir seine Herrlichkeit nennen, ist ja auch nichts Andres, als die Vollendung seiner Herrschaft, so daß alle Feinde durch seine Macht, durch die Macht seiner Gnade überwunden sind, und in Liebe ihm dienen. Nur in dem seligen Leben der Liebe leuchtet uns der volle Glanz seiner Herrlichkeit. Es ist das vollendete Gottesreich, worin sich diese Herrlichkeit offenbart. Ist aber uns in der Bereinigung mit dem Herrn die Seligkeit aufgegangen, tragen wir den Frieden Gottes durch Jesum Christum in unsern Herzen, lebt seine Liebe in uns: so findet diese Liebe auch erst dann ihre volle Befriedigung, wenn sie Alle erlöst und beseligt weiß, — wie ja auch Jesus in seinem hohenpriesterlichen Gebete bittet, „daß sie Alle Eins'sein, gleichwie Du, Vater, in mir, und ich in Dir, daß auch sie in uns Eins sein, wie wir Eins sind, ich in ihnen und Du in mir." Und wo bliebe denn da die Liebe, wenn wir selig sein könnten, während so Biele, die doch Alle als Brüder uns angehören, von Gott verstoßen und ein Raub der Verdammniß sind? Die Liebe will nicht, daß ir­ gend Eins verloren gehe, und leidet Schmerz, wenn sie die Ihrigen von sich, und dem himmlischen Vater geschieden sieht. Sind wir nun von dieser Liebe bewegt, sind wir von dem Bilde des seligen Lebens in Jesu Christo begeistert: so wird die künftige Erscheinung der Herrlich­ keit Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi gewiß auch für uns ein Gegenstand der seligsten Hoffnung sein, und wir werden es- selbst für das Höchste achten, darauf zu warten. Begreift sie doch die höchste Vollendung der Welt, die wir uns zu denken und vorzustellen im Stande sind, wo das Licht des Herrn die ganze Erde bis in ihre verborgensten Tiefen erleuchtet, und alle Finsterniß vor diesem Lichte gewichen ist, wo die Seligkeit der göttlichen Liebe die Welt umschlingt. Und wir warten auch nicht als aufs Ungewisie. Hat die in Christo erschienene Gnade Gottes nur in uns Raum gefunden, tragen wir das Bild des Gottes­ sohns in unsrer Seele: so haben wir auch die Gewißheit, daß die ErSchirmer, Festpredigten.

4

50 scheinung

seiner Herrlichkeit nicht ausbleiben kann.

Wenn

aber

der

Apostel Paulus diese in Zukunft erscheinende Herrlichkeit mit einem dop­ pelten Namen nennt, als die Herrlichkeit des großen Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi, so ist sie doch in sich nur die eine.

Die Herr­

lichkeit des Sohnes ist ja nur die des Vaters, der in dem Sohne zu uns herabgekommen und in ihm verklärt ist, gleichwie der Sohn ihn verklärt hat.

In der Benennung Christi als

unsers

Heilandes liegt

aber noch dies, daß die künftige Vollendung der Welterlösung, so daß sich Alle unter dem Einen Hirten gesammelt haben, auch die Erscheinung seiner Herrlichkeit ist.

Was dann der Apostel in unserm Text noch hin­

zufügt und der Hingabe Jesu Christi für uns gedenkt, uns von aller Ungerechtigkeit zu erlösen, und sich selbst ein Volk zum Eigenthume zu heiligen, das fleißig wäre zu guten Werken — damit weist er vorzüg­ lich nur darauf hin, daß alles ungerechte Wesen zuvor ein Ende genommen haben und ein Volk tn’6 Leben getreten sein muß, was Christo zu eigen geworden — und nur Werke thut, die in Gott gethan und Bausteine an seinem Reiche sind, — wenn es zur Erscheinung der Herrlichkeit des Gottessohns kommen soll.

Das Volk des Eigenthums aber, was der

Apostel meint, ist nicht etwa ein einzelnes, sondern das einige Gottes­ volk, was alle Völker umschließt, die sich als Eins erkennen in Jesu Christo.

Ist also das Leben der Völker und Menschen nicht ein ver­

herrlichtes, und geheiligt im Herrn, so erscheint auch die Herrlichkeit Christi nicht. Wenn wir nun aber auf die Erscheinung seiner Herrlichkeit nur zu warten haben als eine künftige, verliert da nicht unser Weihnachts­ fest an seiner Bedeutung?

Wer dies dächte, m. Gel., dem wäre es

selbst noch verborgen, was es mit jener künftigen Erscheinung der Herr­ lichkeit Christi für eine Bewandniß hat, und wie sie nur die Vollendung des Werkes ist, was Christus bei seiner ersten Erscheinung begonnen hat. Ohne die Geburt Jesu Christi gäbe es ja auch künftigen Herrlichkeit.

keine Hoffnung der

Das Licht, was uns in dem zur Welt gefronten

Gottessohn aufgegangen, ist ja dasselbe, was sich künftig in der Fülle seiner Herrlichkeit offenbaren soll, indem die ganze Menschheit zum Spie­ gel derselben geworden ist, und alle Verhältnisse deS menschlichen Lebens in das Bild des Herrn verklärt und verwandelt sind.

Das Weihnachts­

licht, was eine heilige Freude in unsre Herzen senkt, leuchtet schon hin auf die Herrlichkeit der Zukunft des Gottessohns.

Da kann also nimmer

davon die Rede sein, als wenn die Feier des Weihnachtsfestes einen

51 Eintrag leide, weil wir noch auf eine höhere Herrlichkeit warten sollen. Vielmehr straft von dieser Hoffnung einer göttlichen Zukunft auch schon ein volleres Licht herein in die Gegenwart, und das Fest erscheint uns dadurch in seiner Bedeutung selbst noch höher und herrlicher.

Wir sehn

und erkennen, wie es nichts Geringeres ist, als eine neue Schöpfung der Welt, die von der Geburt Jesu Christi ausgeht.

Es soll sich er­

füllen, was Paulus sagt, und zwar im umfassendsten Sinne: das Alte ist vergangen, siehe, es ist Alles neu geworden.

Da verstehen

wir auch erst das Wort des Herrn: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, die Gewalt, die Macht einer neuen Welt, die Macht eines neuen Himmels nnd einer neuen Erde, worin Gerechtigkeit wohnt.

Wie sollte da der Dank für die heilsame Gnade Gottes, die uns in

Christo erschienen ist, und die wir in dem schönen Weihnachtsfest feiern, nicht um so lebendiger, nicht um so größer und inniger sein?

Haben

wir die Seligkeit des Friedens gekostet, den uns Christus vom Himmel herabgebracht, so muß ja der Gedanke, daß einst Alle zu diesem Frieden eingegangen, unsre Herzen noch höher heben und unsre Freude erhöhn. Äber es knüpft sich daran auch eine gar ernste und ergreifende Mahnung, die wir bei einer christlichen Weihnachtsfeier nicht unbeherzigt lassen dürfen.

Schließt die Zukunft der Herrlichkeit Jesu Christi doch

auch eine Aufgabe in sich, die uns Alle in Anspruch nimmt, und uns aufruft zur treuen und unablässigen Arbeit an Gottes Werk.

Denn

wir wissen ja, daß die Herrlichkeit Christi auch nur erscheinen wird, wenn unser Leben in das Bild des Gottessohns

verklärt ist.

Diese

Zukunft baut sich nur auf, wenn der Gottessohn zuvor in uns selber geboren ist, wenn wir ihn also bei uns empfangen und aufgenommen, daß er in uns waltet und lebt.

Schauen wir aber in uns selbst hin­

ein, so werden wir bei allem Verlangen der Liebe, was in und ist, es uns doch nicht verbergen können, wie viel uns noch daran fehlt, daß die Geburt Jesu Christi in uns vollbracht und vollendet sei.

Denn

wir werden es ja Alle wol täglich inne, wie sich noch immer eine andre und irdische Liebe dazwischen drängt, die das Bild des Herrn uns ver­ dunkelt, und oft trübe und bringt.

schmerzliche Stimmungen in unser Leben

Da thut es wol Noth, fleißig zu sein, um die Gnade Gottes

nicht zu versäumen.

Drängt sich aber auch das Gefühl der Schwäche

uns auf, so sind wir doch nicht ohne Trost.

Steht die Zusage der

Erscheinung der Herrlichkeit Christi fest, so wird es auch uns an dem Beistände des Herrn nicht fehlen, .der die ©einigen nicht vergißt, und —

4*

52 vertrauen wir nur auf ihn — uns ausrüstet mit seiner Kraft. bei euch, spricht er, alle Tage, bis an der Welt Ende.

Ich bin Und er er­

füllt es auch, was er verheißen hat, — und das Ende der Welt, der irdi­ schen Welt des Scheins und des Truges, trifft auch wieder zusammen mit seiner Zukunft der Herrlichkeit.

Ja, wir haben den Trost der Hoffnung,

die nicht untergeht, und diese Hoffnung muß uns um so mächtiger trei­ ben und uns begeistern, so viel an uns ist, zu dem Ziel der Vollendung hinanzuringen, die in Christo uns aufgethan

ist, und uns seine volle

Herrlichkeit offenbaren soll. Wenn wir uns nun aber, m. Gel., denn doch auch sagen müssen, daß wir die Erscheinung dieser Herrlichkeit nicht erleben werden, daß sie einer Zukunft angehört, die über unser zeitliches Dasein hinausreicht, kommt dadurch nicht auch wieder ein trüber Zug in unser Leben hinein? Nein, Gel., das darf es nicht.

Dann hätten wir auch wieder das

geistige Wesen dieser Herrlichkeit nicht erkannt. Enthüllung Dessen,

was

Ist sie nur die volle

in dem Gottesbilde Jesu Christi verborgen

liegt, und haben wir dies erfasst, ist der Inhalt dieses Bildes uns klar, sind'wir eingedrungen in seine unendliche Liebe, die Keinen zurücklassen will, und die nicht rastet und ruht, bis sie alle Verlornen gefunden und heimgeführt, ist unser Leben ein steter heiliger Umgang mit Jesu Christo: so sind auch wir von dem Anblick der künftigen Herrlichkeit nicht ge­ schieden.

Wir haben Theil an ihr, und im Geiste, im Geist des Glau­

bens, für den es keine Trennung der Zeiten gibt, erleben wir sie schon mit, und das Bild der Zukunft erscheint uns als Gegenwart.

Und

sehen wir sie auch nicht von Außen her und in äußerlicher Gestalt, fehlt nur der Gewißheit im Geiste nichts,

so

liegt auch darin schon eine

hohe Beseligung. Und dann, Gel., unser Leben ist ja ein Leben im Ewigen; — und scheiden wir auch aus dieser Zeitlichkeit, so wird sich ja auch jenseit des Grabes eine Welt uns austhun, wo wir einst erfahren werden, was Gott bereitet hat Denen, die ihn lieben.

Haben wir nur daS Bewußt­

sein der Kindschaft Gottes, und ist uns auch, wie Johannes sagt, noch nicht erschienen, was wir sein werden, und welcher Gestalt unser Leben sein wird: so wissen wir doch, wann es erscheinen wird, daß wir ihm ähnlich sein und ihn sehen werden, wie er ist.

Und das ist doch wol

Eins mit dem Erscheinen der Herrlichkeit Gottes und unsers Heilandes Jesu Christi, wovon Paulus in unsrer Weihnachtsepistel spricht.

53

Ja, m. Lieben, sind wir dem Gange dieser Betrachtung gefolgt, — die uns allerdings in die göttliche Tiefe des Evangeliums, in das wunder­ volle Geheimniß des Lebens Christi, des Gottes- und Menschensohns hineingeführt, aber uns auch gezeigt hat, wie das Ende der Wege des Herrn nur Licht und nur Klarheit ist, und Alles in Herrlichkeit sich vollenden soll, — da werden wir wahrlich nicht sagen wollen, als sei bei dem Warten darauf das Weihnachtsfest ein geringeres. Nein, auch als Wartende sind wir selig; — und es ist selbst schon ein Werk der göttlichen Gnade, daß wir auf die Erscheinung der Herrlichkeit warten dürfen. Sind wir doch in den Weg zu ihr schon hineingestellt, und schließen wir uns in hingebender Liebe dem göttlichen Hirten an, und folgen wir in fester Treue ihm nach, so leitet er uns sicher zum Ziel und nimmt uns mit sich in sein himmlisches Reich, daß wir seine Herr­ lichkeit sehen sollen. Tragen wir Schmerz in uns, sind wir Leidende, haben wir hienieden zu kämpfen mit Noth und Trübsal, trifft uns ein hartes Ge­ schick, nimmt der Herr die Theuersten von uns, und stehn wir verein­ samt da: ist es da nicht ein Trost, warten zu dürfen auf die Erscheinung der Herrlichkeit Jesu Christi, wo ja auch die Macht seiner Liebe, die alles Getrennte vereinigt und allen Schmerz von uns nimmt, und alle Wunden heilt, sich, offenbaren wird? Die Leiden dieser Zeit, sagt ja auch Paulus, sind nicht werth der Herrlichkeit, die an uns soll offenbaret werden. Ja, in aller Unruhe und Sorge des Lebens, wo­ von wir hier noch umgeben sind, bringt das gläubige Warten auf die künf­ tige Herrlichkeit einen stillen Frieden in unser Herz, der uns stärkt und tröstet und uns alles Ungemach überwinden läßt. Ja auch als Wartende feiern wir ein schönes und herrliches Weihnachtsfest. Wir feiern ein dreifaches Fest; wir feiern die Geburt des Gottessohns in die Welt, und beten in dankbarer und heiliger Freude das Jesuskind an, was uns so reiche Gaben vom Himmel bringt und den Weg zum Vater uns aufgethan. — Damit soll nun aber auch die Feier der Geburt Jesu Christi in uns sich vereinigen, und so erst begehn wir ein Weihnachtsfest, wovon die Kinder der Welt nichts wissen, und was weit über ihre Gedanken hin­ ausliegt. Es wird Weihnachten in uns selbst, und der äußere Kerzen­ glanz ist nur ein Abbild des Lichtes, waö unser inneres Leben erleuchtet. Ein Christbaum ist angezündet in unsern Herzen, der nicht wieder aus­ gelöscht w,ird, sondern fortbrennt in das ewige Leben. Wol ist es auch etwas Unendliches, daß Christus also in uns lebendig werde, daß wir

54 mit unserm Apostel sprechen könnten: Ich lebe, aber nicht ich, sondern Christus lebt in mir.

Aber es muß doch unser heiligstes Ringen

sein, und wir wollen den himmlischen Vater bitten, daß er uns dazu helfen möge. DaS Dritte und Höchste aber ist die himmlische Weihnachtsfeier, wo wir, mit Christo vereint, leben in seinem Frieden, der durch Nichts gestört und getrübt wird, weil das ganze Leben eine selige Feier der Liebe ist.

Da erscheint dann auch

die Herrlichkeit Gottes und Jesu

Christi, die sich ja nur in der Liebe vollendet, und sich auch nur offen­ baren kann, wo der Friede wohnt.

Liegt nun aber diese himmlische

Weihnachtsfeier für uns Alle noch in der Zukunft, so können wir sie jetzt nur als eine Glaubensfeier begehn, d. h. als eine Feier, wo die Zuversicht des Glaubens, daß wir auf ein Weihnachtsfest im Himmel zu warten haben, was nicht vorübergeht, sondern ewig währt, — unsre Seele erhebt, und wir schon hier von einer himmlischen Freude durch­ drungen sind.

So reicht denn die Feier des Weihnachtsfestes selbst hin­

ein in die Ewigkeit, — und zieht uns von der Erde zum Himmel hin. Gebe Gott, daß auch unsre gegenwärtige Weihnachtsfeier sich in der himmlischen endige! Amen.

Das verleihe der Herr aller Gnade uns Allen.

VI.

Der Besuch der Hirten zu Bethlehem. Predigt am 2. Weihnachtsfeiertage 1858 üb. Ev. Luk. 2,15-20.

ES jauchze heut die weite Welt, Ein Mittler kam der Sünderwelt, Gott in der Höh' sei Ehre! Froh war der Tag da er erschien, Dom Himmel her besang man ihn, Gott in der Höh' sei Ehre! Friede, Friede soll auf Erden wieder werden; Wohlgefallen bringt der Menschensohn uns Allen!

Amen. Ja, Ehre sei Gott in der Höhe! So rufen wir, m. Gel., auch heute, voll Preis und Dank für die unendliche^ und erbarmende Liebe, die uns der Vater erzeigt und seinen einigen Sohn uns gesandt, daß wir sollen seine Kinder heißen, und Gnade und Vergebung erlangen in ihm. Wie er aber selber die Liebe ist, so will er auch nur den Dank und den Preis der Liebe, und ein andrer dringt auch nicht zu ihm hin. Sonst sind wir auch nicht mit dem rechten Festkleide ange­ than und finden den Zugang zum Himmel nicht, den der Gottessohn uns geöffnet hat. Es ist ein Fest großer Freude, was wir begehn, der Freude, daß der Heiland der Welt uns geboren ist, der die Macht der Finsterniß überwunden und die Fesseln der alten Knechtschaft gebrochen hat, und uns zur Freiheit führt, zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

56 Ist es aber nicht die Freude des Herzens, so daß unser ganzes Lebens­ gefühl und Bewußtsein von dieser Freude bewegt und durchdrungen ist, und unsre Herzen dem neugebornen Heiland in Liebe entgegenschlagen: so feierten wir auch nicht schon ein wahres, heiliges Weihnachtsfest. Das ist aber das Schöne und Herrliche bei diesem Feste, daß es uns das Höchste zum Anblick bringt, was wir zu schauen im Stande sind, und doch tritt uns darin auch das Reinmenschliche wieder so nahe, daß wir uns umsomehr dazu hingezogen fühlen als zu Dem, was auch unser ist. Es ist der Heilige Gottes, dessen Geburt wir feiern, und ein Wunder vor unsern Augen, und doch erkennen wir in ihm unser eignes Bild; und von der Krippe in Bethlehem an, ist er alle Stufen der mensch­ lichen Entwickelung mit uns

durchgegangen, und

hat Alles mit uns

getheilt. Haben wir nun gestern

besonders

seine

göttliche

Hoheit und

Herrlichkeit in's Auge gefasst und zu erkennen gesucht, wie sie in Zu­ kunft noch voller und leuchtender sich offenbaren, und wie seine Heilands­ macht der ganzen Welt sich erweisen werde: so wollen wir heute mehr der Betrachtung

der

menschlichen Seite des Herrn uns zuwenden.

Dürfen wir doch auch das Eine von dem Andern nicht trennen, und haben wir in Christo nicht den wahren Menschen gesehn, der auch unser Fleisch und Blut an sich trug: so kommen wir ihm als Erlöser nicht näher, und er bleibt ferne von uns.

Auf diese Betrachtung leitet uns

nun auch das heutige Festevangelium hin.

Denn es sind vorzugsweise

menschliche Beziehungen, die uns darin begegnen, die aber doch alle sich zusammenschließen in dem Gedanken des Lobes und Preises über die Geburt des Gottessohns Jesus Christus.

Unser Evangelium, was wir

bei Lukas im 2. Kapitel von V. 15—20 lesen, lautet nun aber fol­ gendermaßen : „Und da die Engel von ihnen . . . wie denn zuvor gesagt war." Ja, möge dieses Lob und dieser Preis Gottes nie in unsern Herzen verstummen, sondern immerdar sich verkündigen

bis zu

unsers Lebens

Vollendung, wo wir den Herrn schauen sollen in seiner Wahrheit und Herrlichkeit.

Dies schaffe in uns, o Herr,

das Wort meines Mundes!

Segne es,

durch den Beistand Deines heiligen Geistes!

und segne dazu auch jetzt und laß es kräftig werden Amen.

57 Nachdem die Engel, die himmlischen Gotlesboten, welche den Hirten auf dem Felde in der heiligen Nacht es verkündigt hatten, daß der Hei­ land in der Stadt Davids geboren sei, — wieder von ihnen gewichen und vor ihren Augen verschwunden waren, kehrten die Verwunderten, die zunächst wol selbst nicht wußten, wie ihnen dabei geschehen, gleich­ sam erst zu sich, und zu einer stillen und ruhigen Erwägung der ver­ nommenen göttlichen Kunde zurück.

Nun erst dachten sie über ihren

wunderbaren und heiligen Inhalt nach, sich damit vertraut zu machen, und ihn innerlich aufzunehmen.

Da galt ihnen nun auch die Kunde,

die ihnen vom Himmel geworden,

als zweifellos und

gewiß.

Da sie

aber die Weisung empfangen halten, daß sie zum Zeichen der Wahrheit das Kind finden würden

in Windeln gewickelt und

liegend in einer

Krippe, — und da ihre Seele von einem heiligen Verlangen ergriffen war, das GotteSkind mit eignen Augen zu sehn: so waren sie bald ent­ schlossen, nach Bethlehem hinzugehn, was ja schon die Propheten als Geburtsort deö Heilands genannt, und sich durch eigne Anschauung von dem wundervollen Ereiguiß zu überzeugen.

„Lasset uns nun gehen

gen Bethlehem, sprechen sie, und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kund gethan hat." Können wir sie nun freilich auf ihrem Wege nicht in sichtbarer Weise begleiten, und leiblich mit ihnen wandeln: so können wir doch auch heute noch im Geiste mit ihnen nach Bethlehem gehn.

Und lebt

die Freude über die Geburt Jesu Christi in uns, erfüllt uns ein lebendiges Verlangen nach ihm: da schließen wir ihnen auf

uns wol gern an die Hirten an,

dem Wege zum Jesuskinde zu folgen und es zu finden, —

und zu sehn und zu hören, wie sich das göttliche Wunder begeben hat. — Lassen wir nur Nichts unbeachtet, und merken wir auf Alles, was sich uns dabei darbietet und zu erkennen gibt: so wird es auch für uns er­ hebend und trostreich sein, und wir werden einen heiligen Gewinn davon haben, einen solchen Festgang zu thun.

Ist der Bericht unsers Evange­

listen auch ziemlich kurz, so enthält er doch gar manche sinnvolle An­ deutung, die uns weiter führt.

Das

göttliche Jesuskind auch in den

äußerlichen Verhältnissen seiner Geburt zu betrachten, und so das Bild Desselben

noch frischer und lebendigerin das Herz zu fassen: wem von

uns sollte

Dies nicht

erwünscht sein! Steht doch Alles in Beziehung

zu dem Gottesbilde, was in Christo erschienen ist, als dem Herrn des Heils,!

Der Evangelist erzählt uns aber auch noch von dem ersten und

unmittelbaren Eindruck, den die Kunde, daß der Heiland geboren sei,

58 auf die Gemüther hervorgebracht, und wie Maria die Huldigung auf­ genommen, die ihrem Gotteskinde erwiesen ward. noch das Gebiet für unsre Betrachtung.

Und so erweitert sich

Wir wenden uns nun aber

zu dem ersten Gegenstände zurück, und knüpfen daran an, was uns der Evangelist

von dem Besuche der Hirten in Bethlehem sagt.

So wollen wir denn also mit ihnen jetzt im Geiste nach Beth­

lehem gehn, und in dieser heiligen Stunde gleichsam eine Festreise mit ihnen machen.

Wir werden

uns aber dabei ganz schlicht und einfach

an die Worte des Evangeliums halten, und jeden Zug der Erzählung betrachten. „Und sie kamen eilend — so beginnt der Evangelist die Er­ zählung von den nach Bethlehem wandernden Hirten, — und fanden beide, Maria und Joseph und dazu das Kind in der Krippe liegend." — Sie kamen eilend, heißt es, und wir sehen daran, welch ein lebhaftes Verlangen sie trieb, und wie sehr sie wünschten, bald am Ziel ihres Weges zu sein, und zum ersehnten freudigen Anblick zu kommen. Schon in diesem kurzen Worte dürfen wir ein Vorbild sehen für uns, und es tritt uns darin eine Mahnung entgegen: daß auch wir nicht zögern und säumen, wenn es den Weg gilt zu Christo, sondern uns be­ eilen sollen,

aufs Schnellste zu ihm zu kommen und ihn zu schaun.

Wir sollen nicht träg und nicht lässig fetit,^ und nicht etwa mit leeren Ausflüchten uns entschuldigen, wie es die Gäste gethan, die vom Herrn zur Hochzeit geladen waren.

Nein, Gel., ist es uns verkündigt worden,

daß wir Christum finden können, den Heiland der Welt, und erkennen wir uns irgend als Erlösungsbedürftige: da sollen wir selbst keine Mühe und Schwierigkeit scheuen, sondern Alles, was uns aufhalten, was uns hemmen und hindern könnte,

sorgsam entfernen und aus dem Wege

räumen, um desto früher beim Herrn zu sein.

Fühlen wir uns aber

nur innerlich zu ihm hingezogen, da werden wir auch nicht rasten und ruhn, sondern unsre Schritte beflügeln, um die Sehnsucht zu stillen, die in uns ist. In Bethlehem angelangt, fanden die Hirten dort nun die Eltern des neugebornen Gotteskindes, und das Kind dazu in der Krippe liegend. Sie fanden beide, Maria und Joseph.

Erwähnt der Evangelist den

Joseph hier auch nur mit einem einzigen Worte, so

ist es doch nicht

bedeutungslos, daß er ihn zugleich mit der Maria nennt, — und daß

59 die Hirten beide hier so beisammen und vereinigt gefunden haben.

Ist

dies doch auch eine schöne Hinweisung auf das Band der Liebe, was sie fest umschlingt, und sehen wir doch daran, welch eine herzliche und innige Gemeinschaft zwischen ihnen bestand.

Wir sehen hier das Bild

einer heiligen Familie, über welcher der Geist des himmlischen Friedens schwebt, und aus deren Augen uns eine stille, selige Gottesfreude ent* gegenleuchtet.

Wol mußte die Reise von Nazareth nach Bethlehem be­

schwerlich und lastvoll für sie gewesen sein.

Aber die Liebe, die Alles

gemeinsam trägt, und die göttliche Verheißung, die ihnen geworden war, und in deren hoffnungsreichem Lichte sie wandelten, machte sie ihnen leicht.

Und da nun hier in Bethlehem selbst die Maria, welche Gnade

bei Gott gefunden und das Pfand des h. Geistes empfangen hatte, — von der Geburt des Jesuskindes überrascht ward, — und zwar in einer so armen Umgebung und entblößt von jeder Bequemlichkeit, indem sie nicht einmal Raum in der Herberge fand, und sich mit einer Krippe zur Lagerstätte für den Neugebornen begnügen mußte —: da achtete sie der Entbehrung und Armuth nicht, war nicht etwa verzagt und be­ trübt, sondern ein freudiger Muth erfüllte ihr dankbares Herz.

Er­

kannte sie sich doch als die gottbegnadigte; — und die Hoffnung, zwar nicht auf eine irdische Herrlichkeit, sondern auf ein höheres, himmlisches Erbe, -- der Gedanke, die Mutter des Herrn zu sein, den die Liebe Gottes des Vaters zum Retter der Welt gesandt, der Gedanke, daß alle Kindeskinder sie selig preisen würden, erhob ihre feiernde Seele. Sie feierte hier an der Krippe, mit ihrem Jesuskinde in den Armen, tut Weihnachtsfest, wie sie es nicht schöner und seliger feiern konnte. Fehlte auch aller äußere und irdische Glanz, so war sie doch von der Klarheit des Herrn umleuchtet, die nie erlischt, und es war ein Licht des Lebens ihr aufgegangen, was alles Irdische überstralt. Möchten doch alle christliche Mütter, im Anblick der geliebten Klei­ nen, die ihnen von Gott zur heiligsten Sorge vertraut sind, — ebenso wie Maria, und im Andenken an die ihr geschenkte göttliche Gnade, — solch ein seliges Weihnachtsfest feiern in ihren Herzen, — und die Freude über das Christuskind mit ihrer Freude verbinden, damit )>iefe verklärt und geheiligt, und selbst eine christliche Freude sei.

Von dem Gottes­

sohn geht ja auch die Stimme der rettenden Liebe aus, womit er schon die Kindlein umfasst, und sie zu sich ruft und sie segnet, weil das Gottes­ reich ihrer sei.

Diese Stimme sollte nun auch wol die Mütter, deren

Liebe zu ihren Kindern eine fromme und erleuchtete ist, um so mehr

60 hinziehn zu Jesu Christo, der ihnen nicht bloß irdische, sondern himm­ lische Schätze schenkt.

Möchtet Ihr Alle, Eure Kinder aufnehmen im

Namen des Gottessohns, damit auch Ihr von ihnen geliebt werdet um Christi willen, mit demselben kindlichen Gehorsam, wie selbst das Gottes­ kind ihn seinen Eltern bewiesen hat.

Lasst Euch die Maria ein Vor­

bild sein und erzieht die Kleinen für das himmlische Reich, damit nicht einst durch den Schmerz, sie versäumt und verloren zu haben, Eure Herzen gebrochen werden. Richten wir nun unser Auge selbst auf das Jesuskind, wie die Hirten es zu Bethlehem fanden, in der Krippe liegend, wie sollten wir von diesem Anblick nicht tief bewegt und ergriffen sein?

Hat doch auch

die irdische Armuth und Niedrigkeit, von welcher wir den neugebornen Gottessohn umgeben sehn, nicht bloß etwas Rührendes, sondern es zeigt sich darin schon ein eigenthümlicher Zug der ganzen Lebensgeschichte des Herrn, wie er in alles Irdische eingeht, und auch die niedrige Gestalt nicht verschmäht, um das Göttliche und Himmlische uns dadurch um so näher zu bringen, und es darzuthun, daß alle wahre Herrlichkeit nur des Geistes ist. ein

Ansehn

Denn was hoch ist unter den Menschen, und was nur

hat vor der Welt, das ist verworfen vor Gott.

Was

schwach ist vor der Welt, das Unedle und Verachtete sagt der Apostel Paulus, das hat Gott erwählt, damit das Starke, —

was für stark

und für mächtig gilt und doch nichts ist — zu Schanden werde. sehen das Jesuskind in der Krippe;

Wir

und doch ist das Heil von ihm

ausgegangen, und wir Alle sollen uns vor ihm beugen und ihm hul­ digen als dem Herrn;

und wer nach

nirgend, als nur bei ihm.

der Erlösung sucht,

lische Reichthum und die göttliche Hoheit hindurch! willen ist er ürm geworden, würden.

findet sie

Leuchtet doch durch seine Armuth der himm­ auf daß wir

Denn nur um unsert­

durch seine Armuth reich

Reich werden wir aber nicht etwa dadurch, daß wir seine Ar­

muth nur von Außen beschaun, sondern wir müssen durch dieselbe hin­ durchgehn, und alles Scheinwesen und alle Eitelkeit von uns ablegen, um nur das Wahre und Bleibende zum Eigenthum zu gewinnen, und also reich zu sein, reich und selig in Gott.

Ja, es ist eine unendliche Gnade und Liebe,

die uns der himmlische Vater in seinem Sohne erwiesen hat. sie uns Allen lebendig vor Augen stehn!

Möge

Auch zu uns will der Vater

kommen und mit dem Sohne bei uns Wohnung machen und uns mit seiner Liebe beseligen. an die Krippe des

Er kommt heute zu uns und führt uns im Geist göttlichen Kindes in Bethlehem.

Wie sollten wir

61 nicht von ganzem Herzen ihm

danken wollen!

Er will aber keinen

andern Dank und wir haben auch keinen andern, als wenn wir dem Sohn uns zu eigen geben, uns ihm also zu eigen geben, daß wir ganz die Seinigen sind und uns Nichts von ihm scheiden kann; — daß wir mit ihm gehn und ihm nachfolgen bis an das Ende, bis wir mit ihm zum Siege hindurchgedrungen, der die Welt überwunden hat, und er uns aufnimmt in das Reich des himmlischen Friedens.

Da nun die Hirten es gesehen hatten, — so berichtet uns der Evangelist noch weiter — da sie den freudigen Anblick des Jesus­ kindes gehabt, breiteten sie das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war, und was ihnen selbst vom Himmel her kund geworden.

Ja, Geliebte, wovon das Herz erfüllt ist, davon

kann auch der Mund nicht schweigen.

Die Freude des Herzens, daß

sie den Heiland gefunden, das selige Gefühl der ihnen geschenkten Gnade, drängt sie, sich anszusprechen, damit auch Andere die Freude mit ihnen theilen, und von einem gleichen Eifer, ihm zu dienen, entbrennen möchten. Haben nun auch wir den neugebornen Heiland gesehen, bewegt uns eine heilige Freude, hat sich die Liebe in unser Herz gesenkt: so werden wir nicht im Stande sein, es in uns zu verschließen, und es ist uns selbst ein heiliges Bedürfniß, das Wort des Lebens immer weiter zu tragen, und ihm immer freiere Bahn zu schaffen.

Ueber wessen Lippen in die­

sem heiligen Feste kein Weihnachtswort, kein Wort von dem Heilande kommt, — wer nur von eitlen Dingen der Welt zu reden weiß, und die faden Gespräche fortsetzt,

wie man sie alltäglich unter den Welt­

menschen zu hören pflegt, und also einer geistigen Erhebung entfremdet ist, in wem kein höheres Verlangen sich regt und mittheilt: der kennt und feiert kein Weihnachtsfest. Da gibt es aber leider nicht Wenige, über die man wol trauern mag, bei welchen Nichts von der Freude und Liebe, Nichts von dem Glauben zu finden ist, wie die Hirten im Evangelio ihn an den Tag gelegt; — wo Nichts von der seligen Befriedigung laut wird, in Christo gewonnen hätten.

die sie

Wenn ihnen vielleicht auch in ihrer Kind­

heit und ersten Jugend eine Liebe zum Jesuskinde von den schönen fest­ lichen Weihnachtsabenden her hV6 Herz gesenkt ward: so ist diese Zeit des kindlichen Glaubens für sie dahin; sie haben dem kalten Verstände Raum gegeben, und so den heiligen Grund, den Gott in uns selbst ge-

62 legt, und auf dem wir allein unser Leben erbauen können, zerstört; der Himmel, den sie offen gesehn, hat sich für sie verschlossen, und sie haben nur die Wüste der irdischen Welt vor den Augen;

und so gibt es auch

kein Fest für sie, worin wir die Versöhnung von Hintmel und Erde feiern, und die Botschaft des Friedens ist für sie eine verlorne. Haben Manche aber auch

noch in spätern Lebenstagen den Trost

der Gnade empfunden, und den Heilandsruf, die Stimme des Gottes­ sohns in ihren Herzen gehört: so haben sie doch die Gnade nicht fest­ gehalten, und den Umgäng mit dem Herrn nicht gepflegt; und so hat der Fürst der Welt sie bethört und von dem Erlöser sie abgewandt. Da dürfen wir ihnen wol zurufen, umzukehren, wie es die Hirten ge­ than, und die selige Zeit der kindlichen Liebe zurückzurufen. Keiner von uns,

Weiß doch

ob es ihm beschieden sein wird, das Christfest noch

einmal zu feiern. Darum säume Niemand, den verlornen Kindesgeist, dem Christus ein Heiland ist, in sich zu wecken, eh' es zu spät ist und Gott ihn von hinnen ruft.

Und wer schon die höheren Altersstufen betreten hat, dem

sei es ein heiliger Ernst, und Der bedenke es heute in seiner Seele, nach Christo zu suchen und ihn zu

erschaun, daß er wie Simeon im

Tempel dann sprechen könne: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren; denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen. —-

Unser Evangelist gedenkt aber auch noch des Eindrucks, den die Mittheilung der Hirten auf Alle gemacht, an die sie gelangte. Alle,

„Und

vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen

die Hirten.gesagt hatten/' — Und es ist ja auch ein Wunder, was da geschehen war, ein göttliches Wunder; — und als ein solches sollen wir es auch annehmen und erfassen.

Aber freilich sollen wir nicht

bei einer äußerlichen Verwunderung stehen bleiben, sondern dem Wunder Raum geben in uns selbst,

daß auch unser Leben durch Christum ver­

wandelt und neugeboren sei.

Und dann dringt auch wol aus dem neuen

Leben das neue Wort, das Wort des Geistes hervor, was Christo die Ehre gibt, und auch Die, welche es hören, zu Christo zieht. „Maria aber behielt alle diese Worte und bewegte sie in ihrem Herzen."

Sie hielt fest und

bewahrte Alles,

Gotteskind anging, und was sie über dasselbe vernahm.

was ihr

Darin sehen

63 wir nicht bloß die gewöhnliche Achtsamkeit, die eine Mutter ihrem Kinde schenkt, sondern einen Zug der heiligen Treue und des frommen himm­ lischen Sinnes, womit sie die empfangn? göttliche Gnade gewürdigt hat. So erscheint und die Maria auch außerdem, wo sie uns in der heiligen Geschichte begegnet.

Und als Jesus,'da seine Eltern den schmerzlich ver-

misiten Sohn im Tempel wiedergefunden, zu ihnen sprach: wisset ihr nicht, daß ich sein muß in Dem, was meines Vaters ist? — da lesen wir auch von der Maria, daß sie alle diese Worte in ihrem Herzen behalten habe.

Sie bewegte sie aber auch in ihrem Herzen,

dachte in der Stille ihnen nach, und erwog sie bei sich, um sich mit ihnen vertraut zu machen, und sich durch dieselben zu stärken und Muth zu fassen, um das schwere Geschick zu ertragen, was schon Simeon ihr geweissagt hatte, daß ein Schwert durch ihre Seele gehen werde. So wollen auch wir, Gel., dem Vorbilde der Maria folgen, und was wir in diesem Feste, was wir auch heute vernommen haben, das wollen wir auch behalten und in unserm Herzen bewegen, daß es fest darin bleibe und in ihm wachse und Früchte bringe, — und wir selbst durch die himmlische Weihnachtsverkündigung immer mehr erbaut werden zu einem geistlichen Hause, zum heiligen Priesterthume, zu opfern geistliche Opfer, die Gott angenehm sind durch Jesum Christum. Ja, Gel., müssten wir nur die Gnade, die uns Allen durch die Sendung des Gottessohns widerfahren ist, so recht in uns zu bewah­ ren und in unserm Geiste zu bewegen: da würde es auch uns nicht an dem Frieden der Seele fehlen, den wir so oft noch entbehren, — und es würde uns nicht an dem Muthe gebrechen, auch die Last Jesu Christi zu tragen. lasse,

sondern

daß

So wie Er gekommen ist, nicht, daß er sich dienen er

diene und gebe sein Leben zur Erlösung für

Viele: so würden auch wir Kraft finden, zu dienen, den Brüdern'in Liebe zu dienen und auch Thaten zu thun, die der Herr zu sich auf­ nimmt, und die uns nachfolgen uV$ ewige Leben. Ja, möge der Segen dieses Weihnachtsfestes, der Segen der Liebe des Gottessohns für uns nicht vergehn, daß wir, reicher geworden an dieser Liebe, auch die Unsrigen reich zu machen im Stande sind. wie wir am Schluffe unsers Evangeliums

lesen:

daß

Und

die Hirten

wieder umkehrten, und Gott priesen und lobten um All,es, was sie gehört und

gesehen

hatten:

so wollen auch wir von

diesem heiligen Feste heimkehren zu uns und in unsre Häuser, mit Lob und Preis Gottes, doch also, daß das Fest, daß der Geist und Ge-

64 danke desselben fortlebe in uns, und unser ganzes Leben in eine Weih­ nachtsfeier, in eine Feier der ewigen Erlösung verwandelt sei. können wir erst mit Gott

in

der

vollem und seligen Entzücken ausrufen:

Höhe!



aber

Ehre

und

Preis

sei

Dann

Ehre sei auch

dem

Herrn, der in Bethlehem geboren ward; Ihm sei Ehre und Preis, jetzt und in Ewigkeit!

Amen.

VII.

Wie wir das neue Jahr im Namen Jesu be­ ginnen sollen und welch ein Segen damit ver­ bunden ist. Predigt am ersten Tage des neuen Jahrs 1852 üb.Ev. Luk. 2,21.

Allmächtiger, allbarmherziger Gott, der Du Alles in Allem, der Du der Anfang und das Ende bist aller Dinge, der da war, der da ist und der da kommt, — der Du als der Heilige und Gerechte re­ gierest und herrschest von Ewigkeit zu Ewigkeit, — Du der Unendliche, vor dem wir Nichts, und in welchem wir doch auch wiederum Alles sind, zu Dir schauen'wir heute, am ersten Morgen des neuen Jahres hinauf und flehen mit tiefer Inbrunst des Herzens Dich an: Bleibe bei uns mit Deinem Schutz, und verlasse unö in der Noth und Trübsal des Lebens nicht! Leite uns durch die Stürme und Gefahren dex Zeit zu der Stätte des Friedens bei Dir! Nimm die bange Sorge, die uns noch umfängt, von uns und löse sie auf in eine heilige und freudige Zuversicht. Laß die Finsterniß um uns her vertrieben werden von Dei­ nem Licht, und es hell hineinleuchten in unsre Seele, und verwandle atP unsre Schwachheit in Deine Kraft, Dir zu dienen und das Werk zu thun, wozu Du uns in Deinem Sohne berufen hast, das Werk des Heils. Sei auch im neuen Jahre in ihm uns nah und segne uns, und Schirmer, Festprediglen.

5

66

laß Deine Gnade und Liebe über uns walten, daß wir als die Er­ lösten Dir danken und Dich Preisen mögen in Ewigkeit! Amen.

Der erste Gedanke, m. Gel., der dem religiösen und frommen Menschen bei dem Beginn einer neuen Zeit und eines neuen Lebens­ abschnittes vor die Seele tritt, ist der Gedanke Gottes, in welchem wir Alle unser Leben und Dasein haben, und der uns die Aussicht, auf eine neue vor uns liegende Zukunft zeigt. Wenn schon jeder neue Mor­ gen uns mahnt, unser Auge und Herz emporzuheben zu Dem, der uns noch wieder zum Leben erwachen ließ: wie viel mehr müssen wir beim Beginn eines neuen Jahrs, das noch in dem Schoße Gottes verborgen liegt und vor unsern Blicken verhüllt ist, uns dazu gedrungen fühlen! Darum sind wir auch heute, am ersten Jahresmorgen hier im Hause des Herrn erschienen, um uns in den Gedanken Gottes zu sammeln und uns zu bereiten für den weiteren Lebensgang, so lange wir hienieden noch wandeln sollen, bis der Ruf zur ewigen Heimat — und wer weiß wie bald — auch an unS ergeht., Dieser Gedanke aber, gehen wir wahrhaft und innerlich in ihn ein und durchdringen wir ihn, hat etwas Ueberwältigendes. Denn sowie unser ganzes Leben nur Gottes ist: so ist auch das neue Jahr nur das seine und nur bestimmt, daß sein Rath und sein Wille in ihm zur Ausführung kommen soll. Wir sind Nichts vor ihm. Er nur hat die ewige Macht. Aber Alles, was er thut, und was er für die Zukunft ersehen hat, soll doch durch uns ge­ schehn, und wir sollen seine Werkzeuge sein, die in der Hingebung an ihn das freie Leben der Kindschaft zu eigen haben, und mit welchen er alle Güter des Himmels theilen und uns selbst zu Erben seiner Herr­ lichkeit machen will. Mag nun auch beim Eintritt in ein neues Jahr die Aussicht bedenklich und trübe sein: da senkt der lebendige Gedanke Gottes als unsers himmlischen Vaters doch eine heilige Ruhe und einen höheren Frieden in unsre Seele. Denn wir wissen, daß wir in der Hand Gottes sind, die uns nicht sinken läßt, und daß wir als die Sei­ nen nichts fürchten dürfen. — Gar Viele wol sehen ein beginnendes neues Jahr also an, als sei die Zeit eine für sich bestehende Macht, die mit ihren Schickungen nur von Außen komme, — und diese Vor­ stellung liegt auch meist ihren Wünschen zum Grunde, die das neue Jahr für sie oder für Andre gewähren soll. Aber die Zeit an sich ist ja nur die leere Unendlichkeit, die dem Menschen gegeben ist, daß er sie

67 mit Thaten erfüllen soll. ihr thut.

Sie ist nichts, ohne was der Mensch in

Allerdings hängen die Ereignisse der Zukunft, und ebenso

auch eines jeden neuen Jahrs zusammen mit der Vergangenheit und der Gegenwart, und was in ihr geschehen ist und geschieht, führt mit einer gewissen Nothwendigkeit auch das Künftige herbei. So scheint es frei­ lich, als komme es wie durch eine fremde Macht über uns, und leiten wir es auch ab als von Gott, so wird es doch meist übersehn, wie der eigne Sinn und Wille des Menschen zugleich die Werkstatt ist, aus der die Zustände der Welt und des Lebens entspringen.

Der Einzelne zwar

vermag den Gang der Dinge, wie die allgemeine und herrschende Rich­ tung der Welt ihn herbeiführt, nicht aufzuhalten und darein einzugreifen. Aber dennoch dürfen wir im Hinblick auf die Zukunft nicht meinen, als wären wir einer blinden Gewalt Unterthan. keine christliche,

Diese Ansicht wäre auch

— indem es in der christlichen Welt keinen Zufall

gibt, und Alles einen tieferen Zusammenhang in dem Geiste hat, dem, als dem ewigen, zuletzt doch die Herrschaft über alles Zeitliche bleiben muß.

Und wollte nur Jeder in seinem Kreise, und an der Stelle, wo­

hin Gott ihn gesetzt, seinen himmlischen Willen thun, und geschähe dies überall und in jedem Gebiet, von Oben her bis zu dem Niedrigsten und Geringsten: dann würde auch die Zukunft, über die uns eine bange Sorge im Herzen wohnt, bald eine andere und bessere Gestalt gewin­ nen.

Darum dürfen wir zu Gott nicht bloß bitten, daß er im neuen

Jahre uns allerhand Gutes schenke, — was er nach seiner Vaterliebe wol immer thut, — sondern unser Gebet muß vielmehr und besonders darauf sich richten, daß er uns dazu tüchtig mache, Werkzeuge seiner Gnade zu sein, und mitzuwirken, damit das neue Jahr auch durch uns zu einem Jahre des Heils werde.

Zwar ist unsre Neujahrsfeier kein

eigenthümlich christliches Fest, — insofern es keine Bedeutung hat, die aus der Geschichte des Heiles in Christo entnommen wäre.

Denn auch

der Inhalt unsers Evangeliums weist uns nur auf eine Feier des ge­ setzlichen Judenthums hin.

Dennoch dürfen wir auch den heutigen

Tag um Christi willen nicht ungefeiert lasten.

Denn insofern das

neue Jahr auch von Innen ein neues, und aus dem Geiste geboren sein soll:

so kann dies auch nur das Werk Jesu Christi sein, durch Den

das Alte vergangen und Alles zum Neuen geworden ist.

Also können

wir die Feier des neuen Jahrs auch nur im Geiste des Herrn begehn, —. und obwol uns das heutige Evangelium von keiner Erlösungsthat Meldung thut, so schließt doch der Name, der dem neugebornen Hei5*

66 land gegeben wird, verborgnerweise schon Alles in sich, worum die rechte Neujahrsfeier sich wenden muß.

Darum haben wir auch das alte und

hergebrachte Evangelium, — so unscheinbar es auch ist, — zum Text behalten.

Wir lesen es nun aber in dem evangelischen Berichte des

Lukas, Kap. 2, Vers 21 also: „Und da acht Tage um waren, daß das Kind beschnitten würde, da ward sein Name genannt Jesus, welcher genannt war von dem Engel, ehe denn er im Mutterleibe empfangen ward."

Möge das in diesem Namen ruhende Heil auch das unsrige sein. Dazu hilf Du uns selbst, o Herr, durch Deinen Geist, und segne das Wort dieser heiligen Stunde, daß es die rechte Weihe unserer andäch­ tigen Betrachtungen sei für das neue Jahr.

Amen.

Das Gewicht unsers heutigen Evangeliums, m. Gel., liegt wesent­ lich auf dem Namen, den der neugeborne Heiland der Welt empfing, und der Evangelist will es als besonders merkwürdig hervorheben, daß die Bedeutung des Namens mit der ganzen seines Lebens zusammentrifft. Erretter.

Bestimmung Jesu und

Denn Jesus heißt schon Heiland oder

DaS war nun aber Jesus im höchsten und vollsten Sinn,

und was der Name sagt, daS hat Jesus auch durch die ganze That seines Lebens und Sterbens vollbracht, und eine Erlösung gestiftet, die ewig ist.

An diesen Gedanken schließt sich nun aber die Feier des neuen

Jahrs auf eine sehr einfache und natürliche Weise an. — Bei dieser Feier, bei dem Hinblick auf die ungewissen Tage der Zukunft, der wir entgegengehn, drängen sich unwillkürlich die Wünsche hervor, die wir für uns und für Andre im Herzen tragen, und auch Ihr,

nt. Lieben, er­

wartet wol, daß ich selbst ein Dollmetscher Eurer Wünsche sei.

Da

kommt es nun aber vor Allem doch darauf an, daß diese Wünsche nicht leere sein, sondern daß sie auch in Erfüllung gehn.

Das können sie aber

nur, wenn sie in Christo gegründet sind, und das Heil, — nicht bloß das unsre, sondern das Heil Aller — zum Ziele haben.

Dürfen wir

nun auch das Sichtbare nicht davon ausschließen — denn das Heil soll ja auch in der Welt zur Erscheinung kommen, und daS wirkliche sicht­ bare Leben soll das Leben des Heiles sein —: so haben wir doch nur auf das Unsichtbare und Himmlische, als die Quelle des Heils, zurück­ zugehn, und die rein christlichen Wünsche sind keine andern, als daß die Erde zum Bilde des Himmels werde, der uns in Christo aufgethan ist.

69 Und daß diesem himmlischen Ziel unS das neue Jahr näher bringe: das wünschen und hoffen wir.

Wir haben aber keine Gewähr dieser Hoff­

nung, wenn wir das neue Jahr nicht in dem Namen beginnen, den unser heutiges Evangelium feiert.

Nur wenn es im Namen Jesu

begonnen wird, kann es ein Jahr des Heils für uns sein.

So soll

denn auch der Beginn des neuen Jahrs im Namen Jesu noch der Gegenstand unsrer heutigen Betrachtung sein, und wir wollen eS uns nur in seinen wesentlichsten Beziehungen vor die Seele stellen:

Wie wir das neue Jahr im Namen Jesu beginnen sollen und welch ein Segen damit verbunden ist.

Es mag wol scheinen, m. Gel., als sei der Gegenstand

unsrer

Betrachtung ein sehr gewöhnlicher, und in alter Zeit ist wol gar häufig am Neujahrstage darüber gepredigt worden.

Seltner ist eS in neuerer

Zeit geschehn, weil zum Theil die Entfremdung von dem Geiste des Evangeliums eS nicht erkennen ließ, welch ein himmlischer Reichthum in dem' Namen Jesu umschloffen liegt.

Ob aber der Gegenstand, über

welchen wir sprechen wollen, ein gewöhnlicher oder ungewöhnlicher sei, das thut eS nicht, und auch Ihr verlangt nicht von mir zu hören, was nach menschlicher Ansicht ein Neues ist.

Wir suchen nur nach

einem göttlichen Halt und Trost für das neue Jahr, und da kommt es nur darauf an, daß der Gedanke ein Gedanke der Wahrheit GotteS ist. Sei er

aber auch schon oft vor einer christlichen Gemeinde behandelt

und ausgesprochen, so tritt er doch in jeder Zeit und im Verhältniß zu ihr auch stets in einem neuen und volleren Lichte hin, so daß er auch unser Leben höher erleuchten soll.

Jemehr man aber vergeffen hat, was

eS sagen will, daS neue Jahr anzufangen im Namen Jesu, destomehr thut es Noth, eS uns itV8 Bewußtsein zurückzurufen.

In alter Zeit

wurde fast jede schriftliche Uebereinkunft und Festsetzung auch in weltlichen Dingen mit diesem Namen begonnen, und fast jedes Dokument trug den Namen des Herrn an der Spitze; dagegen jetzt diese heilige Sitte verschwunden ist.

Eine bloße Redeform, wofür geistlose Seelen dies

nehmen, war es freilich nicht. nichts.

Die hilft auch zum Heile des Lebens

Mag man aber auch den tiefen Inhalt des Namens nicht

immer erkannt und erwogen haben, war es auch zum Theil eine Form, so war es doch eine Glaubensform, die man ohne Gefahr für den Glauben auch nicht zerbrechen darf.

Wol soll die Form keine todte

70

sein, sondern eine lebendige, die vom Geiste erfüllt und getragen ist. Aber wir müssen es wol bedenken, daß es ohne Form auch kein Wesen gibt, und das Wesen auch nur in ihr und mit ihr lebt. Bei der Nen­ nung des Namens Jesu gilt es ja nur ihn selbst und die Anerkennung des göttlichen Lebens, das in ihm erschienen ist; und so ist es auch der einfachste und ewiggültige Ausdruck der Beziehung alles Lebens zu ihm, zu sagen: das Etwas gethan und begonnen werde in seinem Namen oder um seinetwillen, d. h. für ihn und zu seiner Ehre. Es handelt sich aber hier darum, daß wir das neue Jahr im Namen Jesu beginnen sollen. Da ist eS nun doch eine alte Erfah­ rung, wie viel zum Gelingen einer Sache davon abhängt, daß der An­ fang der rechte sei; und so können wir auch von dem neuen Jahr, was uns Gott als eine neue Lebensaufgabe vorgelegt, nur Gutes hoffen, wenn wir eS recht beginnen, wenn wir mit dem rechten Geiste an's Werk gehn, wozu wir mit dem neuen Jahre berufen sind. In dem rechten Anfang ruht auch schon die Bürgschaft eines guten und glücklichen Endes. — Warum aber dieser Anfang im Namen Jesu geschehen soll, so fragt Ihr wol als gläubige Christen nicht. Soll der Anfang doch christlich sein, so kann er auch nur geschehn in und mit Jesu Christoso daß uns sein himmlisches Gottesbild als das Ziel unsers Strebend und Trachtens vor Augen steht. Und es gehört doch wol Niemand un­ ter uns zu den Thörichten und Verblendeten, die das neue Jahr be­ ginnen wollen in ihrem eignen Namen oder im Namen der Welt; die selbstsüchtig nur das Ihre suchen, und ohne einen Blick nach Oben, ohne zum Himmel hinaufzuschaun, nur das Niedere und Irdische in dem Auge haben. Da kann von gar keinem Anfang die Rede sein. Denn da sie sich nur umhertreiben in dem Leeren und Nichtigen: so trägt Alles, was sie scheinbar beginnen, auch schon die Zerstörung und den Untergang in sich. Solch eine Ansicht gehört noch in's Heidenthum, — und es spricht sich nur der Leichtsinn der Welt darin aus. Ohne den Ernst der Betrachtung kommt Niemand zu einem wahren An­ fang des neuen Jahrs, und die es itfi Rausche des sinnlichen Vergnü­ gens erwarten, die sprechen sich selbst das Urtheil, wie sehr sie von allem Ernste des Lebens verlasien sind. Das ist nicht die Wachsamkeit und Besonnenheit, die der Herr von uns fodert, und wonach wir immer bereit sein sollen, wenn er uns ruft. Aber genügt es denn nun nicht, wenn wir das neue Jahr nur anfangen mit Ueberlegung und mit Besonnenheit und uns darüber klar

71

sind, was wir wollen und was wir thun? Ist es aber nur unsre eigne Vernunft, mit der wir zu Rathe gehn, lassen wir von unsrer zeitlichen Erkenntniß uns leiten, so haben wir das neue Jahr doch nicht im Lichte des Rathes Gottes gesehn und den Willen des Herrn nicht erkannt, den er mit uns durchführen will. Da vermögen wir auch nicht den rechten Anfang zu finden, dem nachher auch die Vollendung nicht fehlen soll. Die wahre Besinnung ist nur die auf den Gottessohn als den Herrn der Zukunft, der sich immer mehr und herrlicher in ihr offen­ baren will. Beginnen wir aber nicht mit ihm, so kann uns auch diese Zukunft nicht näher kommen. Wol soll das Bild derselben auch in un­ serm Geiste erleuchtet sein. Kommt diese Erleuchtung aber nur aus uns selbst, ■— haben wir selbst uns das Ziel der Aussicht gesteckt, ohne uns ergriffen zu fühlen vom Geist und Willen des Herrn: so fehlt uns noch die vollendete Hingebung und somit auch die Macht, einen Anfang zu schaffen, der sich innerlich schon mit dem Ende zusammenschließt. — Warum reicht es denn aber nicht hin, das neue Jahr zu beginnen im Namen Gottes, der ja auch nur der Vater unsers Herrn Jesu Christi ist? Ohne den Anfang im Namen Gottes kann es freilich , auch keinen Anfang geben im Namen Jesu, und dieser schließt auch jenen mit ein. Aber weil wir den Vater nur im Sohne als den lebendigen schaun: so wird auch der Anfang mit Gott erst in dem Anfange mit Jesu zum wahrhaft lebendigen, und gewinnt dadurch erst feine wahre Macht. Erst in der Beziehung zu Christo wird er zum wahren Anfang am Gottesreich, was nur mit Christo, als dem göttlichen Stifter, wahrhaft begonnen hat. Jedes neue Jahr soll doch aber auch ein Jahr des Gottesreichs sein, und es selber uns näher bringen.

So ist es uns, m. Gel., nun wol nicht zweifelhaft, daß es einen wahren Anfang des neuen Jahrs für uns nicht gibt, wenn wir eS nicht beginnen im Namen Jesu. Denn in diesem Namen finden wir erst den festen göttlichen Grund für das neue Jahr, und darin sehen wir erst seinen Zusammenhang mit der Geschichte, die als eine neue mit der Erscheinung des Gottessohnes begonnen hat, und einst in seiner Wiederkehr sich vollenden wird, indem es auch nur seine Macht ist, die als die beherrschende durch die Geschichte der Welt hindurchgeht. Nur der Anfang im Namen Jesu zeigt uns den wahren göttlichen Inhalt des neuen Jahrs, das göttliche Bild, was sich in ihm offenbaren soll.

72 Darin erkennen wir ringen haben.

erst das Ziel, wonach wir als dem höchsten zu

Ist der Name Jesu nicht der himmlische Stern, der

uns im neuen Jahre den Weg erleuchtet: so haben wir keine Aussicht und keine Hoffnung.

Erst in diesem Namen gewinnen wir die Stärke

und Macht, ohne die wir nicht tüchtig sind, das Werk Gottes im neuen Jahre zu thun.

Denn der Herr nur ist'S, der uns tüchtig macht. In

diesem Namen haben wir erst den heiligen Schirm und Schutz, der uns in jeder Gefahr bewahrt und behütet.

Das ist der Name, der allein

unS gegeben ist, darinnen wir können selig werden.

Und lebt er in

uns, beginnen wir wahrhaft in ihm, und beseelt von seinem Geiste, das neue Jahr: so kommt auch der Friede Gottes, der ja daß höchste aller Güter des Lebens ist, und den keine Macht der Welt uns entreißen kann, in unsre Herzen. Da ist aller Zwiespalt in uns gelöst, alle Un­ ruhe aufgehoben, uüd eine Stille der Seele ist in uns eingekehrt, die uns auch unter den Stürmen des Lebens nicht zagen läßt, sondern uns fest und standhaft macht, uns dem Rath des Herrn mit wantelloser Entschiedenheit hinzugeben. — Wollen wir nun das neue Jahr beginnen im Namen Jesu, da fühlen wir und gewiß auch gedrungen, die Feier befleißen itn Hause des Herrn zu begehn, und in seinem Namen uns zu versammeln, und seinen Segen auf uns herabzuflehn.

Wer sich heute, und an diesem

Morgen nicht gezogen fühlt zum Heiligthume des Herrn, dem kann eS auch mit dem Beginne des neuen Jahres im Namen Jesu nicht Ernst sein.

Freilich wird damit noch mehr gefodert, und eS handelt sich dabei

nicht bloß um eine Ansicht und Gesinnung, die etwa nur innerlich bleibt, sondern es liegt darin ein Gesetz und Gebot, was unser ganzes Lrbensvermögen und den festen und thatvollen Entschluß des Lebens h An­ spruch nimmt.

Denn der Anfang, wie wir ihn meinen, als einen An­

fang im Geist, kann auch nicht ohne Fortgang fein, und der eine ist unausbleiblich mit dem andern verbunden.

Für wen es aber nichts

auf sich hat, heute daheim zu bleiben und kein Opfer deS Danks und Gebets an heiliger Stätte dem Herrn darzubringen: der hat wol schwer­ lich den Geist, durch den der Anfang deS neuen Jahres im Namen Jesu bedingt ist.

Ist nun aber noch etwa die Frage: was wir denn thun ollen, um das neue Jahr zu beginnen im Namen Jesu, und sucht mar noch

73

nach einer Bestimmten! Antwort auf diese Frage, so ist daS Gebot an uns allerdings im Ganzen kein anderes, als den Willen Gottes zu thun, wie er in Jesu uns offenbar geworden. Dieser Wille aber, obwol in sich gleich, hat doch seine besondern Aufgaben, die nach dem Verhältniß der Zeit zu ersehen sind. Lebt aber das Bild des Gottessohnes in unS: so werden wir auch diese Aufgaben zu erkennen im Stande sein, und auch die Zeiten und ihre Gebote zu unterscheiden wiffen. — Was wir im Namen Jesu thun und beginnen sollen, kann allerdings nur das Gute sein. Aber auch dies besteht nicht in festen und von Außen gemeffnen Leistungen, die für immer dieselben wären, und obwol der In­ halt nur göttlich, und die Liebe Jesu die Quelle ist, aus der es ent« springt: so bestimmt eS sich doch erst an dem Verhältniß der Zeit und ihrer Bedürfniffe. Und vermöchten wir nur die Hinderniffe hinwegzu­ räumen, die dem Guten im Wege stehen und es nicht dazu kommen laffen, daß die Jahre den Namen Jesu als Aufschrift führen und sich verwandeln zu Jahren deS Herrn: so wäre damit schon viel geschehn, und wir könnten uns glücklich preisen, wenn die Macht dazu uns ge­ geben wäre. Zu dem Allen aber sind wir nicht tüchtig, wenn wir das neue Jahr nicht selbst im Namen Jesu begonnen haben. Wäre uns aber hier eine längere Wirksamkeit nicht vergönnt, und wäre das neue Jahr das letzte unsers irdischen Daseins, und erginge in ihm an uns der ewige Heimatsruf: so hätte es eine noch weit ernstere Bedeutung für uns, das neue Jahr zu beginnen im Namen Jesu, um uns da­ durch zum Hingang geschickt zu machen. Denn was wir nicht im Na­ men-des Sohnes thun, nimmt auch der Vater nicht zu sich auf. Und haben wir nichts in Jesu Namen gethan: so können wir auch dem Va­ ter nichts übergeben. Wir kommen mit leeren Händen, und so finden wir auch den Zugang zum Himmel nicht. So ist es in der That nichts Geringes, das neue Jahr zu be­ ginnen im Namen Jesu, und es ruht darin allein unsre Hoffnung, die uns nicht täuschen kann. Das Gebot ist nun auch für Alle dasftlbe, und Jeder findet den Trost des Lebens und die Hülfe, die er bedarf, nur in dem Bewußtsein, daß er das Jahr im Namen Jesu begonnen hat. Der Arme, -— denn er weiß, daß Jesus, der um seinetwillen arm geworden, durch seine Armuth ihn reich gemacht; — der Geringe und Niedrige, der die wahre Erhöhung in Dem nur sieht, der vom Himmel gekommen und zum Himmel erhöhet ist und die Niedrigen, die sich ihm nur zu Füßen legen, erhöhen will; — der Leidende, denn

74

wenn er das Leid nur in Christo trägt, ist er selig und hat die Ver­ heißung, daß alles Leid um Jesu willen sich in ewige Freude verkehren soll; — der Glückliche, der durch Jesum es innegeworden, daß alles wahre Glück nur von Oben kommt, und daß nur der Friede Gottes in Christo uns selig macht; — der Reiche, der im Gefühl der Nich­ tigkeit alles Irdischen nach den Schätzen im Himmel sucht, die unvergänglich sind, und sie in Jesu gefunden hat; — der Hohe und Mäch­ tige, dem es in dem Bilde des Gottessohnes vor Augen fleht, daß Gott auch nur den Demüthigen, die in Christo ihm dienen und hul­ digen, Gnade gibt. Ja, Gel., wer mit dem neuen Jahre nicht auch ein neues Leben im Namen Jesu beginnt und ihm sich glaubensvoll hingibt, der kommt auch zum Ende, zum ewigen Leben beim Vater nicht. Denn Niemand kommt zum Vater, denn durch den Sohn. Wir können aber auch nicht im Namen Jesu beginnen, wenn wir Jesum nicht in uns haben. Wir haben ihn aber in uns, nur wenn er in uns geboren ist. Und so sehen wir uns hier auf die Weih­ nachtsgedanken, auf die Geburt Jesu Christi in uns zurückgewiesen. Und sowie wir darin das einzige Mittel gesehn, was aus den Gefahren der Zeit, aus dem uns drohenden Unheil erretten kann: so gilt dies auch vom Beginnen im Namen Jesu. Trachten wir nicht nach seiner Ge­ burt tu uns: da werden wir auch das neue Jahr nicht im Namen Jesu beginnen können. Ich muß es daher heute noch einmal aussprechen, und Euch in die Herzen- rufen, daß eö einen anderen Weg des Heils nicht gibt. Betreten wir ihn nicht, so haben wir keine Hoffnung, und müssen fürchten, daß eine Barbarei über uns einbricht und unsern Welttheil mit Finsterniß bedeckt, mit der Finsterniß einer Knechtschaft, worin die Freiheit in Christo vernichtet ist, und das Dunkel des Todes herrscht. Und wenn auch das Licht des Evangeliums auf Erden nicht ausgelöscht werden kann, so wandert es, wenn es keine Stätte mehr bei uns findet, hinüber in ein andres und fernes Land. Will man das GotteSwort in Christo sich nicht mehr weisen und richten lasten, meint man, daß es nicht nöthig sei, die Thaten der Menschen — und zwar auch der Hohen und Mächtigen sowie der Niedrigen und Geringen — an diesem ewigen Maßstab zu messen, achtet man es für nichts, daß alle Wahrheit und alle Treue vernichtet wird, und will die geistige Blindheit dies sogar zu Mitteln der Hülfe machen, als wäre Gott nicht der Heilige, der alles Unheilige mit Abscheu von sich weist, und löst man so die innersten Fundamente des Lebens auf: da muß es ja zerfallen und auseinander-

75 gehn.

Und käme das Verderben nur von der einen Seite, dann woll­

ten wir nicht so bange sein.

Aber die Selbstsucht und Gottentfremdung

ist überall eingerissen und es fehlt uns das Glaubensheer, was der Ge­ walt des Feindes zu widerstehn im Stande wäre.

Doch als Christen,

die in Christo die Hoffnung der Herrlichkeit sehn, dürfen wir nicht ver­ zweifeln, und der Herr kann ja aus den Wenigen, die ihm treu ge­ blieben, Viele machen, und das Licht wieder uns leuchten lasten auch aus der Finsterniß.

Aber Gel., wir müssen ein Jeder das Seine thun,

und das thun wir nur, wenn wir das neue Jahr beginnen im Namen Jesu.

Das nur ist der Name des Heils.

Alle unsre Wünsche für

das neue Jahr lasten sich daher in dem einen zusammenfaffen: dieser Name wiederum

das Panier

erhoben

eS von Neuem unter

wird.

Möge

daß

sei, was überall und von Allen uns

wehn und weithin

gesehen werden, daß sich Alle zu ihm versammeln können!

O möchten

doch Alle ihm folgen, als dem einigen Zeichen des Heils, •— die Ein­ zelnen sowie die Gemeinden, die Jugend sowie das Alter, die Dienenden wie die Herrschenden und Regierenden, das Haus und der Staat. Möch­ ten es doch alle Stände beherzigen, daß sie Eins sind in Jesu Christo, und daß wir nur in dieser Einigung, in dem liebenden Zusammenschließen mit unserm Erlöser, das Ziel des Glaubens, die göttliche Welt, auf welche wir hoffen, zu erringen im Stande sind.

Das ist der schönste

und reichste Wunsch für unsre Stadt, daß sie sich wahrhaft zurückwende zu dem Herrn, und im neuen Jahr Alles in ihr geschehe im Namen Jesu.

Dann wird sein Schutz und sein Segen

auch mit uns sein.

Ja, wir bitten für alle Obrigkeit, daß sie dem Namen Jesu die Ehre gebe, und

ihr Amt nur führe

für ihn und in seinem Dienst.

Wir

bitten für unsern König, daß er ein König von Gottes Gnaden sei, und der Trost ihn beselige, sein Regiment zu führen im Namen Jesu, des Königs der Könige, — damit er mächtig auf Erden und groß im Him­ mel sei!

Ja, gib uns Allen, o Herr, daß wir in Deinem Namen

anfangen und vollenden, leben und sterben, und also das ewige Erbe erlangen mögen in Deinem Reich! Amen.

VIII.

Der rechte Segenswunsch des Christen zum neuen Jahr. Predigt am ersten Tage des neuen Jahrs 1856 üb. Psalm 121,7-8.

Herr Gott, Du bist unsre Zuflucht für und für. Ehe denn die Berge waren und die Erde und die Welt geschaffen ward, bist Du Gott von Ewigkeit zu Ewigkeit. Schwindet auch ein Jahr unsers Le­ bend nach dem andern unwiederbringlich dahin: so bleibst Du, o Gott, doch immer Derselbige, und Deine Jahre nehmen kein Ende. So er­ heben wir nun auch heute, am ersten Morgen des neuen Jahres, — tiefbewegt durch den Anblick der Vergänglichkeit alles Irdischen und voll Sehnsucht nach Dem, was unvergänglich und bleibend ist, — unsere Seele zu Dir, o Gott, dem Ewigen und Allmächtigen, der Du allein uns schirmen und schützen, der Du nur uns retten und segnen kannst. Ja, Du bist unser einiger Trost, wenn uns bange wird, unsere Stärke, wenn wir schwach sind, aber auch unsre Hoffnung. Wie Du mit uns gewesen und bisher Deine Gnade an uns erwiesen, und auch selbst in Schmerz und Leiden durch Deine Liebe mf8 wohlgethan: so wirst Du auch in der Zukunft mit uns sein und uns führen und leiten an Deiner Hand, und Denen, die Dich suchen und zu Dir körnmen mit Flehn und Gebet, Deine Hülfe nicht fehlen lasten. Ja hilf, daß der Himmel, den Du in Deinem Sohn Jesu Christo und auf-

77

gethan, das Leben des Friedens mit Dir, daS selige Leben in Deinem Reich, das eine und höchste Ziel unsers Glaubens sei, und erleuchte uns 'mit dem Lichte der Hoffnung, die nimmer zu Schanden wird. Segne uns, himmlischer Vater, auch im neuen Jahr mit Deinem Heil; und ist es Dein Wille, daß wir unsre irdischen Tuge in ihm beschließen sollen: so mache nur unser Ende zum seligen, und nimm uns als Deine Kinder zu Ehren an! Amen.

Gewiß fühlen wir uns Alle, m. Gel., heute am ersten Margen des neuen Jahres von einer tiefen innerlichen Bewegung ergriffen, und diese Bewegung durchdringt auch hier im Hause des Herrn unser Herz und hat selbst uns hierher geführt, uns in heiliger Stille hier zu sam­ meln vor unserm Gott. Wol liegt zwischen dem alten und neuen Jahr, wie zwischen jedem Wechsel von gestern und heute, nur die Nacht, die vergangen ist, und die Zeit geht in ihrem endlosen Laufe ununterbrochen fort. Aber die an ein heiliges Gesetz der Natur geknüpfte Reihenfolge der Jahre ist nicht bedeutungslos. Es sind Abschnitte in der Zeitrech­ nung Gottes, deS Herrn der Welt, und in diese Zeitrechnung sind wir mit unserm Leben hineingestellt, und sie ist selbst ein Maß, wonach wir gemessen werden. Jedes zu Ende gehende, sowie jedes neubeginnende Jahr weist auf das heilige Ziel uns hin, dem wir nachzujagen berufen sind, und ist eine dringende Mahnung, keine Zeit zu versäumen, zumal wir nicht wissen, wann die Stunde der Rechenschaft für uns schlägt. Wie sollte uns nicht schon bei dieser Betrachtung der Ernst des Ge­ dankens entgegentreten, den der Eintritt in ein neues Jahr in Anspruch nimmt! Dann aber ist es auch die besondre Gestalt des Lebens und seiner Berhältniffe in der Gegenwart, die heute unsern Blick auf sich zieht und unsre Seele ergreift. Was wir erlebt und erfahren, was an Freude oder Schmerz uns begegnet ist, was wir zu hoffen oder zu fürch­ ten haben: das stellt sich heute lebendig vor unser Auge und bewegt und bedrängt unser banges Herz. Wir leben in einer bedeutsamen und schweren Zeit, deren Druck sich uns Allen wol fühlbar macht, — und wir gehen einer Zukunft entgegen, die große Entscheidungen bringen und über die Anschläge und Werke der Menschen, die den Rath Gottes nicht hören mögen, und in verdammlicher Selbstsucht nur das Ihre suchen, oder in strafbarem Leichtsinn dahingehn, ein strenges Gericht halten wird.

78 Aber bei dieser gerechten Sorge um die Zukunft dürfen wir doch nicht vergessen, was Gott auch in den bisherigen Tagen uns Gutes gethan, und 'uns noch immer seine Gnade erwiesen hat.

Da ist wol Keiner

unter uns, der ihm nicht zu danken, und zwar für unverdiente Wohlthat zu danken hätte. Denn wir haben ja Nichts ohne ihn, und Alles, was wir empfangen, ist sein Geschenk.

Ja selbst das Leid, was uns trifft,

schließt sich dem Rath seiner Liebe an, und eS ist auch dies nur ein Gottesruf, womit er uns zu sich ziehn und uns enger mit sich verbinden will.

Wer daher heute nicht auch ein Dankgefühl in sich hat und dem

Herrn hier mit keinem Opfer des Dankes naht, der beginge auch keine gottgefällige Neujahrsfeier,

der

käme auch

nicht mit der rechten Ge-

müthsverfaffung tn’8 neue Jahr und würde selbst auf den Segen der himmlischen Gnade für die Zukunft nicht hoffen können.

Denn sie er­

schließt sich nur Dem, der es mit dem Apostel Paulus im Herzen zu sprechen weiß:

Bon Gottes,Gnaden bin ich, was ich bin, und

seine Gnade ist nicht vergeblich an mir gewesen. — Werden wir es ja auch wol Alle, gehn wir nur mit uns selbst tn’d Gericht, unS eingestehn müssen, daß so manches Leid, so mancher Kummer, ein selbstverschuldeter und nur die Folge unsrer eignen Vergehung ist.

Und

dies zu bedenken und uns selbst zu prüfen, das thut umsomehr uns Noth, wenn es uns für die Zukunft, die so dunkel und so derhängnißvoll vor uns liegt, nicht am Troste gebrechen soll.

Denn dieses Dunkel

kommt nicht allein nur von Außen her, sondern hängt damit zusammen, daß es im Innern der Menschen, daß es in uns selbst oft noch so dunkel und

finster ist; — und so lange diese Finsterniß noch in uns

eine Stätte hat, kann auch aus der Zukunft kein Licht uns entgegen­ leuchten, — und wir haben kein Licht der Hoffnung, wenn wir nicht in uns selbst, in unserm eignen Lebensbewußtsein erleuchtet sind.

Das

ist aber auch nur die Erleuchtung durch Gottes Geist, das Licht des Friedens, den wir in Gott gefunden, das Licht seiner Liebe.

In

diesem Frieden, in dieser Liebe, ruht auch allein der Trost, der unter allen Schickungen der Zukunft uns aufrecht hält, der Trost, den keine Macht der Erde, den weder Tod noch Leben uns rauben kann.

Da

müffen wir aber auch Alles, was diesen Frieden stört und verkümmert, und uns zur Ruhe des Herzens nicht kommen läßt, alles unheilige Wesen der Welt, alle Selbstsucht und allen Hochmuth, der vor Gott nicht be­ stehen kann, immer mehr von uns thun.

Das Heil, wonach wir ver­

langen, kommt uns nickt, wenn wir nicht vor Gott uns demüthigen,

79 und mit dem Zöllner im Evangelio auch an unsre Brust schlagen und sprechen: Gott sei mir Sünder gnädig! Wenden wir nicht einzig zu Gott uns hin, ist er nicht unsre Stütze: so haben wir Nichts; was in diesem irdischen Leben uns halten kann. Wir haben sonst keinen Trost, keinen Schutz für das neue Jahr. Da werden wir aber auch alle die eitlen Wünsche, womit die Weltmenschen heute umgehn, und nur nach irdischem Glücke suchen, von uns weisen, weil es uns um bessere und höhere Güter zu thun ist. Das Eine nur wünschen wir, daß Gott mit uns sei und uns in seine heilige Obhut nehme. Und solch einen einfachen Segenswunsch, wie die h. Schrift ihn uns gibt, haben wir denn auch für unsre Neujahrspredigt zum Text erwählt. Es ist der Wunsch eines alttestamentlichen Psalmensängers für sein in der Ver­ bannung lebendes und gedrücktes Volk, daß Gott ihm Hülfe senden und es behüten und schützen möge mit seiner Macht. Wir lesen das Segens­ wort im 121. Psalm, und es lautet im 7. und 6. Verse also: „Der Herr behüte dich vor allem Uebel; er behüte deine Seele. „Der Herr behüte deinen Ausgang und Eingang von nun an bis in Ewigkeit."

Wer möchte nicht, daß dieser Segenswunsch auch an uns sich erfülle und wahr werde, auch im neuen Jahr. Aber er erfüllt sich auch nur an Denen, die chn erfassen und sich seinen Inhalt im Geiste zu eigen machen, und die Gott um seinen Segen zu bitten wissen. Dazu stärke Du selbst, o Herr, uns mit Deinem Geist, und laß auch das Wort, mit welchem Du mich hier sendest, nicht verloren sein und thue die Herzen ihm auf und bereite sie zu einer seligen Wohnung des Friedens, wozu Du uns durch Deinen Sohn Jesum Christum berufen hast! Amen.

Unser Text, nt. Gel., ist ein Segenswunsch, ein Flehen der Seele zu Gott, daß er sein Volk behüten und segnen möge. Einen höheren Wunsch kann es nun aber auch für uns zum neuen Jahre nicht geben, als daß Gott uns segnen wolle mit seinem Heil. So wollen wir denn auch im genauen Anschluß an unsern Text uns den rechten Segens­ wunsch des Christen zum neuen Jahre, vor Augen stellen. Es kann zwar scheinen, als bedürfe es keiner weiteren Deutung der Segens­ worte des Psalms, die ja uns Allen so wol bekannt sind. Aber so einfach ihr Inhalt ist, so fassen ihn doch die Jrdischgesinnten, die dem

80

Herrn sich entfremdet und von der Welt Gottes sich abgewandt, nicht, und gehen an dem Reichthum vorüber, der darin verborgen liegt. Also

Der Segenswunsch des Christen zum neuen Jahr, wie der fromme Psalmensänger ihn ausspricht, soll der Gegenstand un­ sers Nachdenkens und unsrer Andacht sein.

Wol ist es nur ein Gedanke, der dem Segenswunsche in unserm Texte zum Grunde liegt, nämlich: daß Gott uns behüten möge. Aber doch will jedes Wort auch für sich betrachtet und im Geiste von uns erwogen sein, wenn uns das volle Gotteslicht aufgehen soll. — „Der Herr behüte Dich," so lautet nun das erste Wort der zu Gott ge­ richteten Segensbitte. Der Herr behütet aber doch nur die Seinen, die sich ihm hingeben und zu ihm aufschauen als dem Herrn. Denn wie will er auch Die behüten, die ihn verlassen und von ihm gehn? Also kann auch sein Segen nur zu uns kommen, wenn wir die Sei­ nen sind, wenn wir ihn wahrhaft erkennen und an ihn glauben als unsern Herrn, und in diesem Glauben ihm huldigen und ihn erfassen und aufnehmen, als der selbst unser Leben ist. Wollen wir, daß der Herr uns behüten soll: so müssen wir auch in dem rechten Verhältnisse zu ihm stehn, und in That und Wahrheit ihm angehören. Aber ohne Gott als den Herrn, zu bestehn, in diesem Irrwahn wird doch Keiner befangen sein. Denn in Gott leben, weben und sind wir, und ohne ihn sind wir nichts. Haben wir Gott nicht zum Herrn, so werden wir dem Fürsten der Welt zur Beute, der uns in die Knechtschaft des Todes bringt. Wer möchte nicht davor bewahrt und behütet sein! Gott aber, der die ewige Liebe und in seinem Sohne selbst zu uns ge­ kommen ist, will nicht, daß wir Knechte, sondern seine Kinder und als Kinder auch seine Erben sein, die Alles mit ihm theilen und selbst bei ihm leben sollen in seinem Reich. Darum, Gel., lasset uns hineilen zu Gott, dem Herrn, der unser Vater ist, und die Zuflucht nehmen zu ihm, als dem Fels unsers Heils. Werden wir behütet von solch einem Herrn, da darf uns nicht bange sein. Und er will uns behüten, er will mit uns sein unser Lebenlang, wenn wir nur mit ihm sind, und er will sich stets von uns finden lassen, wenn wir ihn nur suchen und zu ihm kommen. Ja er geht selbst mit seiner Liebe uns nach, und sucht, was verloren ist, und reicht uns die rettende Hand, wenn wir sie nur

81 ergreifen wollen.

Und in Christo hat er uns den guten himmlischen

Hirten gesandt, der uns nie verläßt, der bei uns ist alle Tage bis an der Welt Ende, der uns Alle, wenn wir seiner Gottesstimme nur fol­ gen, zum Vater führt. unerhört.

Da bleibt unser Bitten und Wünschen nicht

In dem Sohne haben wir auch den Vater, und wir dürfen

nicht zweifeln, daß der Herr uns behüten, daß er uns vor allem Uebel behüten werde.

Ja, auch diese unsre Bitte weist Gott nicht von sich,

und selbst die irdische und leibliche Noth will er von uns nehmen, und will nicht, daß wir unser Leben hier führen sollen in Schmerz und Pein. Ich weiß wol, ruft er ja selber uns zu, was für Gedanken ich über euch habe, nämlich: Gedanken des Friedens und nicht des Lei­ des, daß ich euch gebe das Ende, worauf ihr wartet. hier aber noch immer so manches Weh,

Tragen wir

beugt uns manche Trübsal

danieder, sind wir von Kummer und Noth umgeben, presit der Schmerz des Lebens uns Thränen aus und blicken wir mit schwerer und banger Sorge auf die kommenden Tage hin: o welch ein Trost ist es da für uns, den Herrn anrufen und zu ihm beten zu können, der uns von allem Uebel erlösen will.

Reicht aber unser Wiffen und Verstehen doch nie

an die Weisheit Gottes hinan, geht seine Liebe weit über unsre Gedan­ ken hinaus, so daß wir ihren Rath nicht durchdringen können: so werden wir doch nichts bitten nach unsrem Willen, sondern nur nach dem seinigen,

und es demuthsvoll ihm anheimstellen, was er uns nach seiner

Gnade verleihen will.

Und wenn Jesus selbst, der sündlose Gottessohn­

in seinem Leidenskampf zu Gethsemane, den Tod am Kreuze vor Augen, in himmlischer Ergebung betet:

Mein Vater, ist’6 möglich, so

gehe dieser Kelch von mir; doch nicht, wie ich will, sondern wie du willst! — wie könnten wir in unsrer Schwachheit etwas Andres bitten wollen, als was der himmlische Vater, der uns als seine Kinder im Herzen trägt, unS geben will. Und sei auch der Kampf, den wir hier noch zu kämpfen haben, nicht leicht, ist es ein Kampf in dem Herrn, ein Kampf in der Liebe und Geduld Jesu Christi: so hilft er uns auch, und führt durch den Kampf uns hindurch zum Siege der Herrlichkeit.

Gott hört

doch nicht auf, über uns zu wachen mit seiner Obhut und er ist und bleibt unser Erlöser, sowie von Altersher, auch in Ewigkeit.

Das Uebel,

der äußere und zeitliche Schmerz, der uns oft wol klagen und trauern lässt, haben.

ist

aber nicht das Höchste, um dessen Abwendung wir zu bitten

Darauf deutet auch selbst der Segenswunsch unsers Psalmen-

texts hin, indem es weiter heißt: „Der Herr behüte deine Seele!" Schirmer, Feftpredigten.

6

82 Da geht der erste Wunsch, daß uns der Herr vor dem Uebel behüten möge, in den noch höheren auf, der das Innerste des Lebens, das wahre Heil desselben umschließt, was doch nur im Geiste ruht, und in ihm sein Wesen und seine Wurzel hat.

Denn unsre Seele

ist ja nur der inwendige Mensch, der des in ihm verborgnen göttlichen Lebensguts inne wird, und in diesem Besitze sich selig weiß.

Darum

erscheint sie als das theuerste Kleinod, das wir selbst mit heiliger Sorge zu hüten und zu bewahren haben. Und so spricht auch Jesus: Was hülfe es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewönne, und nehme doch Schaden an seiner Seele. Denn damit, will er sagen, wäre Alles für ihn verloren, ein Verlust, den uns nichts zu ersetzen im Stande ist.

Ja, Gel., eS gibt keinen köstlicheren Wunsch, als daß es

wohl mit unsrer Seele bestellt, und unser Geistesleben in der rechten Verfassung sei, und wir also Ruhe und Frieden, den Frieden Gottes im Herzen tragen.

Denn fehlt es uns nur an diesem Frieden nicht, und

wissen wir mit Gott uns versöhnt, gibt der h. Geist uns Zeugniß von seiner Liebe, und erfahren wir sie in uns selbst, sind wir stille zu Gott: dann zieht auch eine neue göttliche Kraft in uns ein, und ob wir auch in der Welt noch leiden und dulden müssen, so überwinden wir in dem Allen weit, um desswillen, der uns geliebet hat.

Die Erlösung aber

von allem Uebel, erringen wir sie auch hienieden auf Erden nicht, bleibt uns doch gewiß, nur daß sie der himmlischen Zukunft noch angehört, auf die wir hoffen.

Und freilich kann das Ende alles Uebels, das

aus der Sünde der Menschen kommt, auch erst eintreten im Gottesreich. Aber jemehr wir wachsen und zunehmen an Liebe und Gottesfurcht, und stärker werden in der Wahrheit und in der Gerechtigkeit, jemehr wir wachsen in allen Stücken an Dem, der das Haupt ist, Christus:

so

wird auch des Uebels in der Welt immer weniger werden, und so be­ hält'auch wieder das Gebet und der Segenswunsch, daß Gott uns vor allem Uebel behüten möge, seine Stelle; und beten wir nur im Namen Christi, so bleibt unser Gebet auch nicht unerhört.

Das Größere aber ist es freilich, daß Gott unsere Seele be­ hüten möge und das ist der heiligste Segenswunsch, den wir uns gegenseitig zurufen können zum neuen Jahr. auch alles Andre das Unsre sein.

Denn dann wird zuletzt

Gott kann aber auch nur die Seele

behüten, die sich ihm hin gibt, und so mahnt uns dann das göttliche

83 SegenSwort auch an diese Hingebung.

Der Herr behütet die Seele,

die mit ihm umgeht und sich rein und unbefleckt erhält von der Welt. Wer aber, der in seiner Armuth und Bedürftigkeit sich erkannt, sollte nicht nach diesem, seligen Umgang verlangen, der und einen ewigen und unerschöpflichen Reichthum schasst!

Wollen wir, daß der Herr unsre

Seele behüte: so dürfen wir auch an der eignen Wachsamkeit es nicht fehlen lassen; und behüten wir nicht auch uns selbst, haben wir Gott nicht vor Augen und im Herzen, und wandeln wir nicht vor ihm: so gehn wir zuletzt auch seiner Obhut verlustig.

Aber freilich sollen wir

auch nicht meinen, mit der eignen Klugheit und Vorsicht es auszurichten. Sind doch die Weltverhältniffe oft so verworren, daß wir sie gar nicht durchschauen können, und vertrauen wir da nicht der Leitung Gottes, lassen wir uns nicht führen allein von ihm, von dem Licht seiner Wahr­ heit und seiner Gerechtigkeit: so finden wir auch die gewünschte Rettung, und Hülfe nicht, So sehn und erkennen wir wol, was eS heißt und sagen will, daß Gott unsre Seele behüten möge.

Geschieht dies durch Gottes

Gnade an uns: dann werden wir auch im neuen Jahr für alle Fälle geborgen, wir werden nie verlassen und rathlos sein.

Denn der Herr

ist mit uns, und das Licht der Hoffnung der künftigen Herrlichkeit leuch­ tet in unser Leben.

Dem Segenswunsche in unserm Psalm schließen nun aber noch die Worte sich an: gang

von

„Der Herr behüte deinen Ausgang und Ein­

nun

an

bis

in Ewigkeit;" — und damit soll das

ganze Leben, der ganze Lauf des Lebens bezeichnet sein, das dem liebenden und mächtigen Schutze Gottes empfohlen wird.

Und wir be­

dürfen seiner schützenden Obhut, ohne die uns Nichts im Leben gelingen kann.

Jedes Werk, das wir beginnen, jede Arbeit, welche wir thun,

Alles, was wir unternehmen: es ist umsonst, wenn Gott nicht darüber sein Auge hat, und es von seiner Gnade nicht beschirmt und behütet wird.

Wohin wir uns wenden und welche Wege wir wandeln mögen:

wacht nicht Gott über uns, und ebnet er uns nicht die Bahn, so gerathen wir. in die Irre und finden den Rückweg nicht.

Wie sollten wir darum

nicht inbrünstig zu ihm flehn: daß er unsern Ausgang und Ein­ gang behüten wolle!

Ja möge Gott, wie er uns heute durch seine

6

*

84

Gnade den ersten Tag des neuen Jahrs erleben lässt, uns auch ein gutes Ende deffelben schenken, also daß wir ihm dafür danken können. Möge das Licht seines Heiles uns leuchten, heute und immerdar! Und je dunkler und verhängnißvoller die Zukunft ist — und es an Zeichen nicht fehlt, daß uns schwere Gottesgerichte bevorstehn —, um so heißer ist unser Gebet, daß Gott uns bewahren wolle bis, an daS Ende und uns hindurchhelfe.durch jede Gefahr und uns errette von allem Bösen. Aber wir bleiben auch nicht bloß stehen bei der zeitlichen Gegenwart, die ja bald vorüber eilt, sondern richten unfern Blick dorthin, wo unsre ewige Heimat ist. Denn wir haben hier keine bleibende Stätte, sondern die zukünftige suchen wir. DaS wollen wir, m. Lieben, auch heute bedenken, daß der Herr, wenn an uns sein Ruf ergeht, unS nicht unbereitet finde, und wir ihm folgen können in glauhensvoller Hoffnung und in kindlicher Zuversicht. Darum beten wir, daß er uns behüten wolle von nun an bis in Ewigkeit.

Da denken wir nun aber heute ein Jeder auch nicht bloß an unS, und nehmen wir nicht Alle, die gleich uns Kinder Gottes, Kin­ der desselben himmlischen BaterS sind, in unser Gebet mit auf: so wäre unser Segenswunsch auch kein christlicher. Der Herr, der die Liebe ist, kann uns nicht behüten, wenn wir nicht auch von seiner Liebe be­ seelt sind und in ihr leben. Denn die behütende Gottesmacht ist selbst nur die Macht der Liebe. Sie nur ist's, die uyS errettet und uns das ewige und selige Leben schenkt. — Darum, Gel., wollen wir uns auch heute von Neuem in der Liebe zusammenschließen, die uns stark macht, so daß uns nichts überwinden kann in der Liebe, die nimmer auf­ hört, und die nicht stirbt, wenn auch alles Andre ein Ende nimmt, in der Liebe, die Alles, und selbst den Tod verklärt in das Licht des Lebens. Möge die Macht dieser Liebe, der- Gottesliebe, das ganze Leben immer tiefer durchdringen, und unser Schutz sein im neuen Jahr! Möge Gott den Trost dieser Liebe uns Allen schenken!-— Ja behüte uns, Herr, durch sie. Behüte Deine Kirche, daß sie zur Liebe Christi er­ stehen möge, und Allen den Weg erschließe zum Himmelreich! Richte auch unser Vaterland durch die Macht dieser Liebe auf, daß Alle nur

85 arbeiten schafft,

und bauen mögen an dem einen Werk, was allein Segen an dem Werk des Friedens,

und stärke auch unsern theuren

König für dieses Werk. — Bewahre auch unsre Stadt und auch diese Gemeinde, daß

sie zunehme und wachse in Deiner Liebe.

Laß diese

Liebe den Hort jedes Hauses sein, und knüpfe durch sie alle Bande immer fester und inniger.

Tröste in ihr alle Schwachen, alle Kranken

und Leidenden, daß sie in Dir den Heiland sehn, der sie nicht verläßt. Ja segne uns Alle mit dieser Liebe, daß wir Dir danken und Dich preisen mögen in Ewigkeit!

als die Erlösten

Amen.

IX.

Das Ewigbleibende in der Vergänglichkeit alles Irdischen. Predigt am ersten Tage des neuen Jahrs 1859 üb. Jesaias 40, 6-11.

Herr, unser Gott, Du allein bist würdig zu nehmen Ehre und Preis! Denn nur Deine Macht trägt die Welt, und Du erfüllst alle Zeiten mit Deiner ewigen und himmlischen Kraft. Wir aber, wir Men­ schenkinder, können uns der Gewalt der Zeit, die alles Bestehende mit sich fortreißt, nicht entwinden. Unsre Tage sind bald verschwunden und jedes neue Jahr bringt uns dem Ziel unsers Lebens näher. Doch Du warst es ja, der uns ins Dasein rief, es war der Ruf Deiner Liebe, mit der Du nicht von unS weichst; — und Deine Wahrheit, die Du auch in unsre Herzen gesenkt, bleibt für und für. Mag daher auch der Anblick der Vergänglichkeit aller Dinge uns niederbeugen: so erhebt nns doch der Gedanke, daß Du der Herr unsers Lebens bist und uns, Deine Kinder, nicht sinken lässest, wenn wir nur das Werk Deiner Liebe thun. Darum kommen wir auch heute mit Anbetung und Preis vor Dein Angesicht und blicken voll Glauben und Hoffnung zu Dir hinauf. Gib uns nur Kraft, daß wir Alles beginnen und auch vollenden mögen mit Dir, und laß Dein Wort unsre Leuchte sein. Stärke uns, der Zukunft, die noch vor unsern Augen verborgen ist, mit getrostem Muthe ent-

87 gegenzugehn und sei unS nahe mit Deiner Hülfe, wenn uns Leiden und Schmerzen treffen.

Hilf uns zum Siege, zum Siege des Lichts und

des Lebens, und führe uns, wenn wir das Tagewerk hienieden vollbracht, durch Deinen Sohn Jesum Christum in Dein seliges Reich, in das Reich des ewigen und himmlischen Friedens!

Amen.

Der Uebergang in ein neues Jahr, nt. Gel., an dessen erstem feierlichen Morgen wir uns hier im Hause Gottes versammelt haben, hat wol für Jeden etwas Ergreifendes.

Es ist denn doch ein bedeu­

tungsvoller Abschnitt des Lebens, der mit dem alten Jahr sich geschlossen hat, und das neue, was wir heute beginnen, liegt noch dunkel vor un­ sern Augen und wir wissen nicht, was eS uns bringen wird.

Mit der

Flucht der Zeit, woran der Jahreswechsel uns mahnt, tritt auch die Flucht des eignen Lebens uns vor die Seele, — und wer sagt es uns, ob daS Jahr, an deffen Schwelle wir stehn, nicht vielleicht das letzte unsrer kurzen irdischen Wallfahrt ist! Wer sollte sich da nicht von einer ern­ sten Stimmung ergriffen fühlen? Der wahre und inhaltvolle Ernst aber kommt uns nicht bloß durch die äußerliche Betrachtung der Zeit und ihres rastlosen Wechsels, womit auch unser Leben seinem Ziele entgegen­ eilt, sondern einzig von Oben her, von Dem, der der Herr aller Zeilen ist und uns Alle in seiner Hand hat. Jahrs

irgend eine Bedeutung

haben:

Soll daher die Feier des neuen so muß es

eine religiöse und

christliche Feier sein, die wir begehen int Aufblick zu unserm Gott, dem Ewigen, deffen Jahre kein Ende nehmen, der auch uns zu einem himmlischen Erbe berufen hat und uns leitet nach seinem Rath.

Zwar

schließt sich die Feier des heutigen Tages an keine von den großen Er­ lösungsthaten des Christenthums an, die den andern hohen Festen zum Grunde liegen.

Ist aber der Glaube an Christum als den göttlichen

Erlöser, der unsrige, ist unser wahres Leben uns aufgegangen in ihm: so können

wir auch nur christliche Feste begehen, Feste, die durch

Christum geheiligt sind, und nur in ihm erheben wir uns zu Gott, dem Lebendigen.

Denn nur im Sohne ist der Vater uns offenbar,

und Niemand kommt zum Vater, denn durch den Sohn.

Gilt es nun

heute vor Allem die Erhebung zu Gott, unserm Vater, und kann die Feier des neuen Jahrs ohne das Bewußtsein der Kindschaft Gottes uns keinen Trost verleihn: so muß eS auch eine Feier im Geiste Christi sein. Da ist es nun zuerst wol der innige Dank, wozu beim Rückblick auf

88 das verflossene Jahr unser Herz gegen Gott sich gedrungen fühlt.

Denn

nur seine Gnade war es ja, die uns bis hierher geführt und geleitet hat.

Hat es auch wol Manchen unter uns an schmerzlichen Erfahrun­

gen nicht gefehlt, hat Euch manches trübe Geschick betroffen und tragt Ihr, statt des Frohsinns, Leid und Trauer in Eurer Seele: so werdet Ihr doch Alle Gott für die Gnade zu danken haben, die er auch Euch erwiesen und wovon er'Keinen unter uns leer gelasien hat.

Sind wir

doch Alle von Gottes Gnaden nur, was wir sind, und Niemand wird sagen können,

daß er von seinem himmlischen Vater nicht auch eine

Gabe, der Liebe empfangen hätte.

Ja, wir Alle haben wol Ursache,

mit Jakob zu sprechen und auszurufen:

Herr, ich bin zu geringe

aller Barmherzigkeit und aller Treue,

die Du an Deinem

Knechte gethan hast." — Werfen wir nun aber heute, wie es sich ziemt, auch einen Blick auf die Zukunft, die noch vor unsern Augen verhüllt ist, da drängt sich unwillkürlich eine bange Sorge uns auf. Denn die Zustände der Gegenwart sind bedenkliche, und eben jetzt be­ denklicher und drohender als zuvor, und es scheint, als wenn die Zeit der Entscheidung für so Vieles, was man fortwährend nur vertagt und dessen Lösung man am liebsten umgehen möchte, — als wenn die Zeit des Gerichts, dem wir in unsern Tagen entgegengehn, eines Gottes­ gerichts, wenn auch nicht schon des letzten, aber doch eines Gerichtes über die Völker, — noch früher eintreten sollte, als may geglaubt.

Da

wissen wir nicht, was für Noth und Trübsal und begegnen kann.

Aber

als Christen sollen wir doch nicht verzagt und nicht muthlos sein.

Den

Muth und Trost aber finden wir nicht, wenn wir nur bei der zeitlichen Ansicht der Dinge stehen bleiben, und unser Blick sich über die kurze Spanne der Tage, die uns hier auf Erden beschieden sind, nicht erhebt. Denn die Fürcht und das Bangen des menschlichen Herzens rührt haupt­ sächlich her voü dem Mangel der Einsicht in den innern Zusammenhang unsers Lebens mit Dem, was über die Schranken der Zeit und des Raumes hinausliegt.

Und

so

fehlt uns,

bei dem Unbestande aller

menschlichen Dinge, der feste und sichere Halt, der und allein zu tragen im Stande ist,' —- und wir sehen uns hingegeben einer fremden Macht und Gewalt, die als eine fremde uns feindlich ist.

Wer aber möchte

nicht gern die beengende und ängstliche Sorge zerstreut und die Hoff­ nung, von der wir denn doch nicht lassen können, befestiget und begrün­ det sehen? Wer wünschte nicht, einen Standpunkt zu gewinnen, der über den beunruhigenden Gegensatz von Furcht

und Hoffnung hinaus ist?

89 Wer möchte nicht einen helleren Blick in die Zukunft thun, um für die­ selbe gerüstet und bereitet zu sein?

Da kommt nun aber Alles darauf

an, daß wir einen festen Grund und Boden gefunden haben, von dem keine Macht der Welt uns hinwegzudrängen vermag.

Das ist nun aber

nur der Grund Gottes, der ewige Lebensgrund, in den auch wir hineingestellt sind.

Es ist der Grund, der in Christo uns offenbar

geworden, in ihm, der als das lebendige Gotteswort, ja auch der Herr unsrer Zukunft ist, vor Dessen heiliger Macht alles Irdische verschwindet und untergeht, und durch Den eine neue himmlische und unvergängliche Schöpfung geschehen wird, die Schöpfung einer neuen, gottverherrlichten Welt.

Zu diesem ewigen und lebendigen Gotteswort wenden wir jetzt

uns auch hin, und wir wollen die Stimme desselben vernehmen, wie sie durch den Mund des Propheten IefaiaS an uns ergeht; wir finden sie aufgezeichnet im 40. Kap. deS Buchs seiner Weissagungen, wo sie vom 6.-11. Verse also lautet:

„Es spricht eine Stimme . . . führen." Ja sei, o Herr, auch unser Hirt, und sammle und um Dich und zu Dir, daß wir bei Dir die Weide des ewigen und himmlischen Lebens finden.

Dazu segne auch diese festliche Stunde, und stehe mit Deinem

heiligen Geiste uns bei, und ziehe durch die Macht Deines Wortes uns zu Dir hin, daß uns Nichts von Dir scheiden könne!

Amen.

Die Worte unsers Textes, m. Gel., gehören zu einer Trostrede des Propheten an Israel.

Das Volk war gefangen hinweggeführt und lebte

in der Verbannung.

Da verkündigt der Prophet das weissagende gött­

liche Wort:

Jehova werde selbst sein Volk zurückführen in das Vater­

land und seine Herrlichkeit offenbaren.

Und nun theilt er die an ihn

ergangne göttliche Stimme mit, die Predigt, welche Gott ihm befohlen und die wir in unserm Texte gehört. Predigt sein.

Und daS soll denn auch unsre

Denn indem ich darüber nachdachte und bei mir fragte,

was ich predigen solle, und in der heiligen Schrift danach suchte,

da

gab mir unser Text die Antwort darauf, und sie ist gewiß die beste und reichste.

Fassen wir nun den Inhalt unsers Textes im Allgemeinen

zusammen, so wird uns darin besonders das Ewigbleibende in der Vergänglichkeit alles Irdischen vorgehalten.

90 Und so soll dies auch der Gegenstand unsrer Betrachtung sein:

Das Ewigbleibende in der Vergänglichkeit alles Irdischen. Wir werden aber diesen Gedanken am besten entwickeln können, wenn wir den Worten des Textes folgen, und die Aussprüche des Propheten im Zusammenhange zu deuten suchen.

Der Inhalt der Predigt, die dem Propheten befohlen ist, geht we­ sentlich hinaus auf die Vergänglichkeit alles Irdischen und be­ sonders auch des menschlichen Lebens in seiner äußerlichen Erschei­ nung.

Alles Fleisch ist Heu,

Schönheit

ist wie Gras,

und alle seine

und Herrlichkeit ist wie die Blume des Feldes.

Das Gras verdorrt, die Blume verwelkt; und eben so unser Leben.

Dem Allen aber wird das Wort Gottes als das Unver­

gängliche gegenübergestellt. bleibt ewiglich."

„Das

Wort unsers Gpttes

aber

Warum hebt denn aber, fragt man vielleicht, der

Prophet die Vergänglichkeit alles Irdischen in so starker Weise hervor? warum legt er denn ein so großes Gewicht darauf?

Wir würden eine

falsche Beziehung hineinlegen, wenn wir glaubten, als sei es der Sinn des Propheten, allem Zeitlichen und Sichtbaren seinen Werth abzusprechen, und als sehe er es mit Geringschätzung und Verachtung an. nicht!

Wahrlich

Ist doch die Wiederherstellung des jüdischen Volkes und Staates

zum sichtbaren Glanz und zur Herrlichkeit, ein Gegenstand seiner freu­ digsten Hoffnung, und entwirft er ein solches Bild der im Geiste ge­ schauten Zukunft, worin auch der Reichthum der Natur und der irdischen Schöpfung

eine bedeutende Stelle einnimmt und ihm keineswegs als

etwas Geringes gilt.

Hier aber ist es ihm vor Allem darum zu thun,

die Gedanken und die Herzen des Volks nur auf das Bleibende hin­ zurichten und Diesem, als dem Ersten und Einen, sich zuzuwenden, und alles Zeitliche und Sichtbare nur an ihm zu würdigen und zu messen, wie es seinen Werth nur im Zusammenhang mit dem Ewigen hat.

Denn

wurde das jüdische Volk nicht im Geiste und Worte Gottes von Neuem gegründet und wiederhergestellt, so ließ sich nicht hoffen, daß es wieder aufblühn und seine Macht und Stärke wieder gewinnen werde.

Das

Leben baut sich ja nur von Innen und auf dem Grunde des göttlichen Worts fest und dauerhaft auf.

Und so nennt denn auch der Prophet

nachdrucksvoll und entschieden nur das Wort Gottes als das ewiglich

91 Bleibende, wogegen Alles, was in ihm nicht begründet ist, in seiner Leerheit und Nichtigkeit untergeht.

Und bedarf es denn etwa dieser

Mahnung und Warnung nicht? Bleiben nicht Biele bei der Außenseite des Lebens stehn und wenden nur dem vergänglichen Wesen der Welt sich zu, und lasten sich um das Wahre und Ewige unbekümmert, als gehe es sie nichts an? Nicht, als sollte der Mensch über die Vergäng­ lichkeit des Irdischen nur klagen und jammern, und nichts als sie vor den Augen haben.

Das würde nur das Zeichen eines ungöttlichen Sin­

nes fein, der keinen tieferen und bleibenden Inhalt des Lebens gefunden hat.

Da würde uns selbst die Thatkraft des Lebens verloren gehn, und

Schwachheit und Ohnmacht wäre die traurige Folge. Ewige nicht in uns frei und lebendig werden.

Da könnte das

Aber alles Zeitliche soll

uns nur ein Mittel sein für das Ewige, und alles Irdische ein Mittel für's Himmlische, aber keine Geltung haben für sich allein. in allem Sichtbaren nur das Unsichtbare erkennen

Wie wir

und sehen sollen,

ebenso muß all' unser Streben darauf gerichtet sein, daß Dieses in Je­ nem zur Offenbarung komme, und der Himmel nicht bloß ein Gedanken­ bild sei, sondern sich immer voller auf Erden verkündige.

Und darum

lehrt uns ja Jesus beten: Zu un$ komme Dein Reich! — Legen nicht aber noch Viele einen ganz falschen Werth auf das Irdische und Vergängliche? Ist es nicht Vielen nur um Reichthum und Ehre, um Ansehn und Glanz vor der Welt, um Macht und Herrschaft zu thun?

Sind sie nicht darauf eingebildet und stolz, als wären dies

Güter, die ihnen Niemand entreißen könne? In dieser Verblendung sehen sie von der ewigen Wahrheit nichts, und mit ihr geht ihnen das Leben selber verloren.

Und indem sie sich verkästen auf menschliche Größe und

'Macht, und die Stärke die allein in Gott ist, nicht achten, so kommen sie unausbleiblich zum Fall und gehen ihrem Sturze entgegen. — Darum thut es auch jetzt, und eben in unsern Tagen, wo eine verkehrte und verblendete Lebensrichtung so überhand genommen, wo das Göttliche mit dem Ungöttlichen, das Heilige mit dem Unheiligen so vielfach vermischt und verwechselt wird, wo man sich als Kämpfer hinstellt für Gottes Recht und doch nur eine unheilige und gotteswidrige Herrschaft im Auge hat, — auch jetzt noch, sage ich, thut es wol Noth, es der Welt ein­ zuschärfen, daß nur das Wort unsers GotteS ewiglich bleibt; und wir mögen es wol Alle beherzigen und unser Vertrauen nicht auf das Eitle setzen, wo uns nur Trug und Täuschung zum Lohne wird.

Ja beson­

ders heute wollen wir uns dies in die Herzen schreiben, um für das

92 neue Jahr nicht auf Sand zu baun, sondern unser Haus auf einen Fel­ sen

zu gründen,

den kein Sturm

und

keine Flut

zu erschüttern im

Stande ist. Das Wort Gottes aber, welches ewiglich bleibt, ist das leben­ dige, das Wort, was schon im Anfange war, — das Wort, was die Welt geschaffen und

aus dem wir selber geboren sind; — das Wort, was

Gott auch in uns gepflanzt, und worin das Band unsers Lebens mit ihm beruht; — das Wort, was in Christo lebendig erschienen ist, daß es die Welt erlöse und selig mache.

Leben wir also aus diesem Wort

und bauen wir unser Leben auf dem Grunde desielben auf, ist der in ihm verkündigte Gotteswille der mistige, und erfüllen wir ihn mit Treue und Liebe: so hat die Macht der Vergänglichkeit nichts an uns und das ewige Leben ist uns bewahrt.

Denn wer den Willen GotteS thut,

der bleibet in Ewigkeit. Das ist der Grundgedanke der göttlichen Stimme, die der Pro­ phet vernahm, und so werden nun auch Zion und Jerusalem von Gott mit dieser Predigt beauftragt.

Zion, du' Predigerin, steige auf einen

hohen Berg! Jerusalem, du Predigerin, du Verkündigerin des Friedens, erhebe Leine Stimme mit Macht, erhebe sie und fürchte dich nicht, sage den Städten Judä:

Siehe, da ist euer Gott. — Wenn auch hier zu­

nächst an die Propheten zu denken ist, welchen der Herr sein Wort und seinen Rath anvertraut und die er zu Boten des kommenden Heils ge­ macht: so ist doch auch die Beziehung auf das ganze jüdische Volk nicht auszuschließen, und es kann mit Recht auch ein Prediger und Bote des Heils heißen.

Denn das Heil ist ja ausgegangen von ihm.

Es predigt

unS aber dies Volk auch durch seine ganze Geschichte, sowie durch seine Zerstörung; und es fleht uns als ein erschütterndes und warnendes Bei­ spiel da, daß Niemand dem Rathe Gottes ungestraft widerstreben kann und daS göttliche Gericht ihn unausbleiblich ergreift. gehalten, waS ihm zugerufen wird:

Hätte es sich daran

Siehe, da ist euer Gott, —

hätte es auf die Stimme des Herrn, auf den Ruf seiner Liebe und Gnade, die in Christo, dem Gottessöhne zu ihm kam, gehört, hätte es den Frieden, den ihm der göttliche Erlöser verkündigte,

angenommen:

so würde es dem schrecklichen Schicksal, was über dasselbe einbrach, ent­ gangen sein.

Da ist nun aber das Wort des Propheten:

Fürchte

dich nicht, wol nicht in Erfüllung gegangen? Wer könnte dies sagen? Als das Wort GotteS bleibt es nie unerfüllt. erfüllt, da Gott das

Es hat sich zunächst

jüdische Volk auS der ersten Verbannung zurück?-

93 geführt, und ihm seinen Tempel wiedergegeben hat. kehr sieht der Prophet ohne Zweifel hin. nicht stehen bleiben.

Und auf diese Rück­

Doch wir dürfen auch dabei

Die Geschichte des jüdischen Volks ist auch mit der

letzten furchtbaren Zerstörung Jerusalems, die ihm Jesus vorhergesagt, und wonach es zerstreut ward in alle Welt, und in unsägliche Knecht­ schaft, in Schmach ijnd Elend gefallen ist, nicht geschloffen, und auch seiner wartet noch eine Zukunft, die uns freilich jetzt noch verborgen ist, wo dann aber die Weissagung des Propheten sich noch in höherer Weise erfüllen wird. Was nun aber die göttliche Stimme spricht: Siehe, da ist euer Gott, ist auch gesprochen zu uns.

Es ist ein Wort der ernstlichsten

Mahnung, daß wir Gottes nimmer vergessen sollen, als hätten wir ihn nicht mehr.

Er ist da, der alte und lebendige Gott, der sich uns zu

keiner Zeit unbezeugt gelaffen, der überall mit seiner Macht uns ent­ gegenkommt, und diese Macht auch von Neuem erweisen wird.

Er ist

da mit seinem Warnungsruf, daß wir ihn nicht verlassen möchten, damit wir nicht verlaffen werden von ihm, und er seine Hand nicht von uns abzieht.

Wir dürfen aber auch nicht glauben, als sei seine Macht ver­

kürzt, weil wir so viele böse und feindliche Mächte gegen ihn sich er­ heben sehn.

Sie werden dem Sturz nicht entgehn, und der Fürst der

Welt ist ja auch durch Christum gerichtet, der die Welt überwunden hat; und dieses Gericht fetzt sich noch immerdar fort

bis an das Ende der

Tage, bis der böse Feind in allen seinen Dienern bezwungen ist.

Gott

ist da, als die lebendige Wahrheit und die Gerechtigkeit, und diese ewigen Grundlagen der Welt sind unzerstörbar.

Er ist aber auch da mit dem

Schutz seiner Gnade und Liebe; — und wollte in der Noth und Trüb­ sal der Welt uns bange werden, so tröstet er uns ja mit seinem heiligen Wort:

Ich will dich nicht verlassen und versäumen; und er

will unser Helfer sein.

Er ist da, er ist unser Gott, und weichen wir

nur selbst nicht von ihm, stehen wir fest auf dem Grunde, den er ge­ legt, geben wir seiner Wahrheit die Ehre und huldigen wir der Liebe, womit er uns zuerst geliebt, und lassen wir uns leiten von seinem Geist: so werden wir es auch erfahren, daß er uns nahe, und mit seiner ret­ tenden und seligen Gegenwart bei uns ist.

Er wird es aber auch sein,

und er ist unsre Zukunft, er ist die Hoffnung der Herrlichkeit. das Wort des Propheten

auch uns:

Fürchte dich nicht!

Furcht, die vorher uns eingenommen, weicht von uns. lichkeit des Irdischen thut uns nichts.

Da gilt und alle

Die Vergäng­

Denn das Bleibende ist unser

94

Eigenthum. Wir fürchten uns nicht vor der Arbeit und Mühe des Le­ bens. Denn wir arbeiten ja für Gott, und seinen Willen zu thun, das ist unsre Liebe, wovon wir nicht lassen können. Und was wir auch dabei tragen und dulden müssen, es ist unS eine leichte Last, eine Last, die uns nicht niederdrückt. Denn wir fragen sie nicht allein. Der Va­ ter trägt sie mit uns; und er hat ja auch den Sohn uns gesandt, der die Mühseligen und Beladnen zu sich ruft und sie ewig erquicken will. Wir fürchten uns nicht vor der Zukunft und vor den Kämpfen, die uns etwa bevorstehn. Sind es nur Kämpfe um Gotteswillen: so streitet der Herr ja für uns; — und kämpfen wir unter seiner Führung, und folgen wir ihm nur nach: so ist der Sieg und gewiß, und auch der Lohn des Sieges wird uns behalten bleiben in Gottes Reich! Wie sollten wir da nicht auch beim Eintritt in’d neue Jahr voll Muth und voll heiliger Zuversicht sein! Hst Gott mit und für uns, wer kann wider uns sein! Wir haben den Trost seiner Zukunft und sehn ihr mit Verlangen entgegen. Denn siehe, spricht der Prophet, der Herr kommt gewaltiglich, und sein Arm wird herrschen; eine Herrschaft, auf welche die Seinen hoffen. Siehe, sein Lohn ist bei ihm, und seine Vergeltung geht vor ihm her. — Dieser prophetische Ausspruch hat seine Beziehung nicht bloß auf das jüdische Volk, das gilt auch uns, das ist eine Verkündigung auch für unsre Zeit, und wir dürfen auch jetzt wol sprechen: der Herr kommt gewaltiglich. — Es steht uns eine neue Zukunft des Herrn bevor. Und verstehen wir die Zeichen der Gegenwart, sehen wir um und her, thun wir das geistige Auge auf: so kann es sich uns nicht verbergen, daß große Dinge sich vorbereiten und eine neue und höhere Lebensschöpfung geschehen soll. Da fürchten wir auch die Entscheidung, der wir entgegengehn, nicht, und bad Dunkel der Gegenwart muß sich endlich auflösen in die Klarheit des Herrn. Der Herr will zu uns kommen in einem höheren Licht und sich voller und herrlicher offenbaren, daß wir in seiner Verklärung ihn schauen möchten. Er will zu uns kommen in einer höheren Macht, in der Macht seiner Herrschaft, die nur eine Herrschaft der Wahrheit und der Gerechtigkeit ist. Darum ist auch sein Lohn und seine Vergeltung bei ihm und er theilt einem Jeden das Seine zu. Denn er will einem Jeden geben nach seinen Werken, jenachdem er gehandelt hat, es sei gut oder böse. Und so geht, bei allen Verirrungen der Gegenwart, die Bewegung, wovon wir das Leben ergriffen sehen, in ihrem verborgnen

95

geistigen Grunde denn doch hinaus auf das Reich einer h'öhern Gerech­ tigkeit. — Die Gerechtigkeit aber vollendet sich nur in der Liebe, und das Bild dieser Liebe, der Liebe Gottes, zeichnet uns noch der Prophet aufs Schönste und Herrlichste: Er wird seine Herde weiden wie ein Hirte, und die Lämmer in seine Arme sammeln und in seinem Busen tragen. Schöner und rührender läßt diese Liebe sich nicht beschreiben. Es ist das Bild der höchsten und vollendeten Selig­ keit, das Bild des göttlichen und himmlischen Friedens, wozu sich das Leben erhoben hat. Sichert also auch heute der Vater uns seine Liebe zu, wenn wir ihn nur zum Hirten haben und Schafe sind seiner Herde, die ihm überall folgen, wo seine Stimme sie ruft: — wie sollte er da nicht auch mit uns sein, — nicht mit uns sein auch im neuen Jahr? Ja das ist der hohe und selige Trost, den wir heute aus dem göttlichen Worte empfangen und mit uns nehmen. — Und der Vater ist ja auch bei uns, und sucht und sammelt uns in seinem Sohn Jesu Christo, und der göttliche Hirte ist in ihm zu uns herabgekommen. Das Wort des Sohnes ist auch des Vaters Wort: Meine Schafe hören meine Stimme und ich kenne sie und sie folgen mir. Und ich gebe ihnen das ewige Leben, und sie werden nimmermehr umkommen und Niemand wird sie aus meiner Hand reißen. Der Vater, der sie mir gegeben hat, ist größer denn Alles, und Niemand kann sie aus meines Vaters Hand reißen. Ich und der Vater sind Eins. — Wer sollte da nicht getröstet sein! Und so können wir getrost in Christo uns und Alle Gott dem Vater befehlen, für die wir auch heute Fürbitte zu thun uns im Herzen ge­ drungen fühlen. Wir empfehlen ihm jedes Alter und jeden Stand, die Hohen und die Geringen, die Reichen sowie die Armen. Denn Alle bedürfen des Beistands von Oben her, und sind Nichts ohne ihn. Be­ sonders aber bitten wir für die Leidenden und Gedrückten, für die Trauernden und Gebeugten, für die Kranken und Schwachen, daß Gott sie aufrichten wolle durch sein Wort und sie zum Heile und. zur Erlö­ sung führe. Wir beten für unsern König, daß Gott ihm die Gesund­ heit bald wieder schenken und uns zum Vorbilde ihn noch lange erhal­ ten wolle; wir beten für den Prinzregenten, daß Gott mit seiner Weisheit und Kraft bei ihm sein und ihn in sejnem Regimente erleuchten und unterstützen möge. Wir beten für das Vaterland, das ihm anvertraut ist, daß sein redlicher Wille gesegnet sei und Alles ihm wohl gelinge,

96 daß wir unter, seiner Herrschaft ein geruhiges und stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und Ehrbarkeit, und das theure Gut des Friedens uns noch länger erhalten bleibe.

Wir befehlen dem Schutze

des Allmächtigen auch unsre Stadt, daß er nach seiner Gnade und Barmherzigkeit über sie wachen und sie vor Unglück behüten möge.

Vor

Allem aber bitten wir, daß sein theures Wort immer reichlicher in ihr wohnen möge, und sie eine Frucht der Gerechtigkeit trage, die ihm ge­ fällt.

Sei, o Herr, auch mit mir, und stärke das schwache Wort Dei­

nes Dieners, daß es nicht leer zurückkehren möge, sondern in den Her­ zen der Gemeinde lebendig werde. Laß Dir aber auch die Kirche Jesu Christi empfohlen und an's Herz gelegt sein.

Bewahre und schütze sie,

schütze unsre evangelische Kirche und verherrliche Dich in ihr, und führe durch Jesum Christum uns Alle zum- Heil und zum seligen Leben in Deinem Reiche!

Amen.

X.

Mache Dich auf, werde Licht; denn Dein Licht kommt! Predigt am Feste der Erscheinung Christi 1852 üb. Jes.60,1-6.

Licht, daS in die Welt gekommen, komm und mehre Deinen Schein, Bis wir, öder Nacht entnommen, Alle Lichtes Kinder sein! Komm, verkläre Gottes Ehre, bis durch aller Erde Grenzen Deiner Gnade Stralen glänzen. *

*

*

Laß uns Herr im Lichte wandeln, das Du uns noch gönnen willst, Lehr in Deinem Licht uns handeln, weil Du uns mit Licht erfüllst, Hilf die Flecken uns entdecken, die sich in des Herzens Falten Noch so gern verborgen halten. *

. *

*

Ja, vollende Deine Kriege mit der Macht der Finsterniß; Nimm ihr bald- im letzten Siege, was ihr Fürst noch an sich riß! Leuchte heller, siege schneller, bis der Nächte Dunkel schwindet Und Dein Tag sich hell verkündet.

Amen.

Mit dem heutigen Sonntage, m. Gel., schließt sich die Reihe der festlichen Zeit, die mit dem Advente

begonnen hat.

Heute aber feiern

wir selbst noch ein Fest, das Fest der Erscheinung Christi.

Man

hat diesem Feste verschiedene Beziehungen gegeben, die jedoch wesentlich Schirmer, Festpredigten.

7

98 darin zusammenstimmen, daß man das öffentliche Wirken Christi, wie er als der von Gott gesendete Lehrer auftritt, und das in ihm erschie­ nene Gottesreich verkündigt durch Wort und That, und in unbezwinglicher Kraft

und Liebe dem Werke des Heils

Grundgedanken des Festes üV$ Auge fasst.

sich hingibt,

als

den

Und wenn man besonders

die Offenbarung an die Heiden hervorhebt, über welche das Licht und die Herrlichkeit des Herrn aufgegangen: so schließt auch dies der Be­ trachtung des welterl'ösenden Wirkens Christi sich an, wonach alle Völker der Erde Heil und ewigen Frieden durch ihn gewinnen sollen.

Daß

aber dieses Fest dem Geburtsfeste Christi so nahe gerückt ist, darf uns wol nicht befremden.

Denn über die Zeit, während welcher IesuS all-

mälig zum Heiland der Welt herangereift, ist ein Dunkel verbreitet, das wir nicht schon zu erhellen im Stande sind, und der Gang, den seine göttliche Bildung hat, ist, — vielleicht selbst durch eine Fügung der göttlichen Weisheit — unsern Augen verborgen.

Erst, als er im Na­

men Gottes zu lehren, und das himmlische Evangelium zu verkündigen begann, tritt er mehr in das Licht der Geschichte.

Für uns aber, und

für den Zweck der Welterlösung ist die Zeit seines sogenannten Lehr­ amts doch auch bei Weitem die wichtigste und bedeutendste, und wenn wir nur sein Bild wahrhaft erfassen, wie es sich uns, — seitdem er durch die Taufe zur Stiftung des Gottesreichs feierlich sich weihen ließ — als das lebendige Gottesbild dargestellt: so ist dies das höchste und herrlichste Eigenthum, das wir erlangen

können.

Darum sollen wir

denn auch bei der Beschauung Jesu, wie er als der Stifter des Heils, als der Sohn des himmlischen Vaters durch Geist und Leben sich wun­ derbar dargethan, hauptsächlich und länger verweilen; und das heutige Fest erscheint

daher gewiffermaßen als

Weihnachtsfestes.

der Höhepunkt des gefeierten

Denn was uns dies in dem Bilde des neugebornen

Jesuskindes noch als ein Unenthülltes zeigt, und was sich erst aus der göttlichen in ihm verborgnen Tiefe entfalten soll: das sehen wir heute in Christo, der als der göttliche Herr und Erlöser uns hintritt, zum vollen Licht und Leben hervorgegangen.

Und sowie Jesus der Gottes­

sohn selbst nur das Licht ist, das Licht der Welt: so stellt sich auch daS heutige Fest vorzugsweise als das Fest des Lichtes und der Er­ leuchtung dar. epistel.

Das ist auch der Grundgedanke der heutigen Fest­

Wir lesen sie in dem Buche des Propheten Jesaia, wo sie

Kap. 60, V. 1—6 folgendermaßen lautet: „Mache dich auf ... des Herrn Lob verkündigen."

99 Möchte die Welt nur bald die Verkünderin dieses Lobes und da­ durch zum Heil und zum seligen Frieden des Himmels in Christo er­ hoben sein.

Nur als die den Herrn loben, haben auch wir ein Lob,

was uns bleibt, ein ewiges Lob bei Gott.

Möge auch diese Stunde

heiliger Andacht uns dahin führen, immer mehr im Besitz dieses Lobes und also Kinder Gottes zu sein!

Amen.

Ein begeistertes Gemälde einer schöneren und herrlicheren, einer himmlischerleuchteten und in Gott beseligten Zukunft, was Jesaia in dem vorgelesenen

Abschnitte

seiner

prophetischen

Gesichte

entwirft.

Seine

weissagende Rede gilt übrigens zunächst dem israelitischen Volke, was eben damals die traurigen und strafenden Folgen seiner Sünde zu tra­ gen hatte und sich darum in einem unglücklichen Zustande der Unter­ drückung befand.

Nachdem nun Jesaia zuvor das ernste Wort der Rüge

gesprochen und gleichsam Gericht gehalten hat über das Volk: so wendet er sich dann zu einer besseren und erhebenderen Aussicht hin und ent­ wirft ein Bild einer zu erwartenden neuen, glücklicheren und herrlicheren Zukunft.

Diese Zukunft nimmt aber ihren Ursprung nur von der Er­

scheinung eines höhern und himmlischen Lichtes, das, während noch die übrigen Völker in Dunkel und Finsterniß sind, im vollen Glanze über Israel aufgehen werde, und dem dann auch alle Völker huldigen und ihre Anerkennung ihm nicht versagen würden.

So fodert er denn das

bisher noch trauernde Jerusalem auf, sich zum Empfange dieses Lichts anzuschicken.

Mache dich auf, werde Licht, ruft er ihm zu; denn

dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht auf über dir.

Um das Licht nämlich aufzunehmen, soll das Volk auch

selber zum Lichte werden.

Denn die Finsterniß, der noch Unerleuchtete,

nimmt das Licht nicht auf.

Es ist daher ein sehr bedeutsamer Zuruf,

den der Prophet an Jerusalem hier ergehen läßt, ein Zuruf, der zu aller Zeit und auch jetzt für uns seine Geltung hat.

Darum soll er

auch heute der Mittelpunkt und Gegenstand unsrer Betrachtung sein.

Mache Dich auf, werde Licht, Dein Licht kommt!

Mache dich auf! Prophet uns zuruft.

Das ist, m. Gel., das erste Wort, was der

Das sagt nun aber soviel als: stehe auf oder

erhebe dich, und ist eine Ermunterung,

wach oder lebensrüstig zu rj

*

100

sein. Wer aber ermahnt wird, aufzustehn oder sich zu erheben, den haben wir uns vorzustellen, als der noch in einem Zustande des Schlafes ist, oder der noch daniederliegt. Der Prophet denkt hier aber freilich nicht an einen leiblichen Schlaf, sondern sieht auf ein Ver­ hältniß des innern Lebens hin, was sich noch als ein schlafendes oder unerwachtes ihm darstellt, ein Verhältniß des Lebens, wo der Mensch nicht schon zur wahren geistigen Besinnung gekommen ist, wo es ihm noch an dem vollen Selbstbewußtsein gebricht, wo er also auch die ihn umgebende Welt nicht wirklich erkennt, oder sie doch unrichtig fasst und sie von falschen und irrigen Seiten betrachtet, und sie als eine andre sieht, als sie in Wahrheit ist. Da sind es Trugbilder und Schein­ gestalten, die sich ihm vor das Auge stellen, aber die wahre Welt ist ihm verhüllt und verborgen. Er hat das Leben im Geiste nicht. So geht nun der Zuruf des Propheten: Mache dich auf! darauf hin, von der innern und geistigen Gebundenheit sich zu befrein und sich los­ zumachen von Trug und Wahn, um das Licht der Wahrheit, das Licht des wahren Lebens zu schaun. Das prophetische Wort gilt aber nicht bloß Denen, deren Erkennt­ niß und Wissen verkehrt und verfinstert ist, oder die um die Wahrheit sich ganz unbekümmert lassen und in todter Gleichgültigkeit dahingehn: sondern ebenso ruft er auch Denjenigen zu, sich aufzumachen, die in sittlicher Beziehung Verschlossne oder Schlafende sind. Zwar ist auch dies ein Mangel des Lichts, des Lichts, das im Geiste uns aufgegangen sein soll. Denn wo dieses leuchtet und als ein lebendiges wirkt, da erfasst es auch den Menschen, so daß er sich einem trägen und lässigen Wesen nicht hingeben kann. Da sind nun aber leider gar Viele, die an der Schlaffheit des Willens daniederliegen, die nur der blinden Ge­ wohnheit oder ihrer natürlichen Neigung folgen und sich zu einem freien und selbständigen Handeln nimmer ermannen mögen. Zu einem festen und entschiednen Entschluß, auch wo es darauf ankommt, und wo sie höhere Rechte vertreten sollen, bringen sie es nicht, sondern sehen am liebsten zu, und lassen die Dinge gehen oder lassen sich selbst forttreiben, wie eben der Strom seine Pichtung nimmt. Derer aber, die in dem Sinnenleben begraben und durch niedere Triebe gefesselt sind, wollen wir nicht erst gedenken. Bei solcher Schlaffheit und Erstorbenheit, bei solchem Mangel an aller sittlichen Kraft, tritt nothwendig Verderben und Unheil ein. Auch treffen wir nicht selten eine Bewegung des Lebens an, die nur scheinbar

101

ist, weil sie nur dem Aeußerlichen sich zuwendet, aber nicht in das Innere des Lebens dringt und dies unberührt lässt. Da greift man die Sache nie bei der Wurzel an, und soviel man auch dem Anschein nach'thut und schafft, bleibt es dennoch beim Alten, und von einem wahren Fort­ schritt kann nicht die Rede sein. Bon Außen her und durch äußerliche Mittel lässt sich das Leben nicht baun. Wenn der Mensch nicht in sich ersteht und keine neue Geburt in sich selbst vollbringt, sondern von demselben Sinne und Geiste getrieben wird, wie vorher: so ist. auf eine neue und bessere Lebenssch'öpfung auch nicht zu hoffen. — So ist nun das Wort des Propheten: Mache dich auf! an Alle gerichtet, die sich in sich selbst nicht zusammen nehmen, und die wahre Arbeit des Lebens scheun, und von dem alten nichtigen Wesen der Welt sich beherrschen lassen. Dabei legt der Prophet ein besonderes Gewicht darauf, daß er sagt: Mache dich auf, und also den Menschen selber in Anspruch nimmt, das Werk mit sich zu beginnen und von den alten Banden sich loszu­ reißen. Sonst kann es auch nicht Licht werden in ihm selber.

Das ist nun aber die andre Mahnung die der Prophet uns zu­ ruft: Werde Licht! — die aber mit der ersten genau und innerlich zusammenhängt. Damit spricht er eS nämlich erst deutlich and, wozu^ der Mensch sich aufmachen und aufthun soll, sowie er damit auch zu­ gleich das wahre Wesen des Lichts hervorhebt. Das Licht selbst aber ist nur daS Licht des Lebens, und ist nur da, wo das Leben in sich er­ leuchtet und zur Klarheit gekommen ist über sich selbst, und sich durch­ schaut in seinem Grunde sowie in seinem Ziel. Diese Klarheit kann aber auch keine andre sein als die Klarheit Gottes, aus dem ja alles Leben seinen Ursprung hat und in ihm umschlossen liegt. — Also ist daS Leben sich auch nicht klar, denn in Gott und in der Erfassung Gottes als des himmlischen Vaters. Haben wir das Leben nicht im Bunde mit ihm gesehen, so geht und daS Licht nicht auf. Und hätten wir auch alle Weisheit und Wissenschaft, und glaubten wir alles Hohe und Tiefe er­ forscht zu haben, und in alle Geheimnisse eingedrungen zu sein, — aber ohne Gott, ohne daß unsere Erkenntniß in ihm sich schließt und voll­ endet, — so wandelten wir dennoch in Finsterniß, und daS wahre Licht deS Lebens wäre uns noch verborgen. Da herrscht nun aber im Leben auch noch eine gar große und viel­ fache Dunkelheit. Denn verneint man auch Gott und sein Dasein nicht —

102 obwol es auch an GotteSläugnern nicht fehlt, von welchen wir hier aber nicht reden wollen — so

geht man doch bei der Würdigung und Be­

handlung des Lebens von ihm

nicht aus, und wenn man auch seinen

Namen nennt, so ist man doch ferne davon, alle Verhältnisse und Zu­ stände des Lebens an der Beziehung zu ihm zu messen, so daß es sich im Ganzen und Großen, sowie im Kleinen und Einzelnen nur aus ihm und aus seinem Worte gestalten und bilden soll.

Da bleibt eS bei dem

Gedanken Gottes; aber er kommt nicht zur lebendigen und thalvollen Anwendung.

Es ist eine Lehre, aber die Durchführung fehlt; es fehlt

daran, das Werk Gottes zu

thun.

in uns lebt und regiert; und

so machen sich für das Leben immer noch

Es ist nicht der Geist GotteS, der

andere und ungöttliche Rücksichten geltend, und so

vermögen wir

die

Zwecke und Aufgaben, um die es sich in der Gegenwart handelt, auch nicht aus Gott zu erkennen und zu ersehn.

Wir verstehen die Zeiten

nicht, und wandeln also auch nicht im Licht, und können das Heil des Lebens nicht schaffen. Werde Licht! spricht der Prophet, und weist damit bedeutungs­ voll darauf hin, daß wirdas Licht nicht haben, wenn wir zum Lichte geworden sind,

nicht selbst

wenn nicht daS ganze Leben vonInnen und

Außen, in seinem innern und geistigen Bau, sowie in seiner Erscheinung die That dieses Lichtes ist.

Es verhält sich

der Wahrheit, die selbst nur

der Inhalt des Lichtes ist, und die wir

damit eben

so, wie

mit

auch nicht als unser Eigenthum haben, wenn wir dieselbe nicht thun. Wer die Wahrheit thut, spricht Jesus, der kommt an das Licht. So nimmt also der Prophet mit dem Zuruf:

werde Licht, die ganze

That unsers Lebens in Anspruch, und wer nicht Werke des Lichtes thut, der darf sich der Erleuchtung nicht rühmen und steht auch nicht im Bunde mit Gott.

Nur wenn wir im Lichte wandeln, so wie er im

Lichte ist, haben wir

Gemeinschaft mit ihm. —

Gottes aber ist auch nur

das Licht seiner Heiligkeit. Und heben wir

daher nicht alle Finsterniß, uns

auf:

alles

so können wir auch

Das

Licht

unheilige und ungöttliche Wesen in

nimmer zum Lichte werden.

Ist das

Leben nicht auch in seiner Sitte ein reines und heiliges: so ist es auch nicht erleuchtet. schauen.

Nur die reinen Herzens sind werden Gott

DaS Licht Gottes ist das Licht seiner Liebe, und wo es

an dieser Liebe

gebricht,

da sind wir

Liebe hebt alle Trennungen auf. auch noch Finsterniß.

auch

nicht

im Licht.

Nur die

Wo aber noch Trennung ist, da ist

Wer da saget, er sei im Licht, und hasset

103

seinen Bruder, der ist noch in Finsterniß. DaS Licht Gottes ist nur das Licht seiner lebendigen Nähe und Gegenwart.

DaS Licht aber, wozu wir werden sollen, ist auch kein anderes, als das Licht des Herrn; — und von diesem Lichte redet auch nur der Prophet, wenn er sagt: Dein Licht kommt, und die Herrlich­ keit des Herrn geht auf über dir! Der Herr aber ist nur der Gottessohn JesuS Christus, dessen Zukunft Jesaia weissagt, und den Ausspruch Gottes verkündigt. Ich habe dich zum Licht der Heiden gemacht, daß du seist mein Heil bis an der Welt Ende. Und so ist er dann auch erschienen als das wahrhaftige Licht, weil sein ganzes Leben nur von Gott erleuchtet, und die That seiner Liebe war. So können nun auch wir nicht zum Lichte werden, denn nur durch ihn. Nur wer ihm nachfolgt, der wird nicht wandeln in Finsterniß, sondern wird das Licht des Lebens haben. Die Nachfolge Christi aber hängt von dem Glauben ab. Darum ruft uns auch Jesus zu: Glaubet an das Licht, dieweil ihr es habt, auf daß ihr des Lichtes Kinder seid. Aber wir dürfen nun auch nicht meinen, als wären wir dadurch, daß wir uns zum Glauben an Christum bekennen, schon ein Licht, ohne es erst werden zu dürfen. Da hätten wir das Wesen des wahren Glaubens, sowie den eignen Lebenszustand nicht schon erkannt. Denn der Glaube ist auch nicht ein fertiges Werk, sondern nimmt die vollste Arbeit des Lebens in An­ spruch. Der Glaube ist der Sieg, der die Welt überwunden hat. In dieser Ueberwindung der Welt tritt uns aber eine große und schwere Aufgabe hin, mit deren Lösung wir zu thun haben unser Lebe­ lang. Denn wir werden eS uns Alle wol eingestehn, daß wir den Sieg über die Welt, die als die ungöttliche auch die Finsterniß an sich hat, bei Weitem noch nicht vollbracht, und noch manches Dunkle und Unerleuchtete in uns und an uns ist, was unser Leben trübt und ver­ kümmert, und uns das wahre Licht in die Ferne rückt. Sind wir aber durch den Glauben auch Siegende: so haben wir hienieden doch immer­ dar zu kämpfen, es treten uns immer neue zu überwindende feindliche Mächte hin, — und nur wenn wir im Kampfe treu gewesen sind und ausgeharrt haben bis an das Ende, dann können wir erst von dem Siege sprechen, der uns den Lohn des ewigen Lebens bringt. Doch liegt in dem Worte des Propheten: Dein Licht kommt,

104

auch ein hoher und heiliger Trost. Denn in dem Glauben an dieses Licht haben wir den Herrn auch zum Beistand, der uns kämpfen, und durch die Macht seiner Liebe die Hindernisse -überwinden hilft. — So öffnet sich uns hier auch eine hohe und heilige Aussicht, die unsern Muth auch in der Gegenwart, und unter den Leiden und Gefahren der Zeit beleben und stärken muß, — und der Herr erscheint uns als die Hoff­ nung der Herrlichkeit. Er ist das Licht der Zukunft, und wir könnengewiß sein, daß er alle Mächte und Gewalten der Finsterniß überwin­ den wird. So darf uns für den Ausgang nicht bange sein. Indem aber das Wort des Propheten: Dein Licht kommt, auch den Ge­ danken der Zukunft Christi in sich schließt, wie sie auch unS noch be­ vorsteht: so haben wir eS wol zu bedenken, daß diese Zukunft auch eine richtende ist. Das Licht des Herrn ist eine Macht, welche die Finsterniß von sich scheidet. Und so dürfen wir es nicht übersehn, und die ernste Betrachtung der Zeit führt uns wol selbst darauf hin, daß wir das Kommen deS Lichts auch auf das Scheidungswerk zu beziehen haben, was schon begonnen hat, aber dem größten Theil nach sich erst noch vollbringen soll, — und waö wir noch zu erwarten haben.. Das Licht deS Herrn kommt, um Gericht zu halten, und das Werk der Finsterniß auszutilgen. Denn das ist das Gericht, daß das Licht in die Welt gekommen ist. Und das ist zugleich auch ein Strafgericht, und das Licht wird zum Feuer, um alles Falsche und Nichtige zu verbrennen und auszutilgen. Da wird noch Vieles, was wir für bestehend halten, aber von der Wahrheit leer und verlassen ist, zu Grunde gehn. Denn wir können es nicht verneinen, daß ein großer Stoff des Gerichts sich aufgehäuft hat, und die Macht der Finsterniß auch in unsrer Zeit groß und gewaltig ist. Wol ist ein mächtiges Verlangen nach dem Lichte in allen Bessern und Edlern erwacht. Aber ihrer sind Wenige; — und eine Masse von Elementen der Finsterniß hat sich hervorgedrängt. Da ist es die alte ungöttliche Herrschaft, die nicht weichen und nachgeben will, und die das- Licht als ein lebendiges nicht begreift, und es nicht fassen will, daß es sich um eine neue Schöpfung des Lebens handelt, worin sich das Veraltete und Abgestorbene nicht hallen kann. Sie begreifen es nicht, daß Christus, als der Herr, wann er kommt, nicht zusehen, sondern selbst herrschen und die Zügel der Herrschaft er­ greifen will. Ebenso ist aber die Verkehrtheit nicht minder eine ver­ derbliche, die das Licht, dessen sie sich rühmt, und wofür sie kämpfen und streiten will, nur als ein menschliches, nur als Menschenwerk an-

105

sieht, und sich damit auch ein unseliges Widerstreben gegen daS Göttliche und gegen die wahre Herrschaft deffelben verbindet. Da kann auch nur trauriges Unheil die Folge sein, und sie arbeiten an der Zerstörung, statt aufzubaun. Wir sollen ein Licht sein, aber ein Licht in dem Herrn, und ohne vor ihm uns zu demüthigen, werden wir nicht zum Licht, und auch der Welt geht das Licht nicht auf. — Darum, Geliebte, wollen wir in der Zukunft des Herrn bestehn: so müssen wir mit dem Lichte der Wahrheit, der Gerechtigkeit und der Llebe uns waffnen, und alle Finsterniß von uns thun. Die Stunde ist da, aufzustehn vom Schlaf. — Ja, lasset uns ablegen die Waffen der Finsterniß, und an­ legen die Waffen des Lichts, daß es auch von uns heiße: Ihr wäret weiland Finsterniß, nun aber seid ihr ein Licht in dem Hern, und daß wir also durch Christum zur seligen Gemeinschaft kommen mit dem himmlischen Vater. Darum danksaget dem Vater, der unS tüchtig gemacht hat zum Erbtheil der Heiligen im Licht, daß wir mit ihnen in dem Reiche des himmlischen Lichtes wohnen und ewig beim Vater sein. Amen.

XL Wie es gleich der Maria der Wahlspruch jeder christlichen Frau oder Jungfrau sein soll:

Siehe, ich Mn des Herrn Magd. Predigt am Feste der Verkündigung Mariä 1857 über Ev. Luk. 1, 26-38.

Herr unser Gott, sei auch heute mit uns, und weihe unsre Herzen und Lippen, daß wir geheiliget seien in der Wahrheit, und Dir in Liebe und freudiger Hingebung dienen mögen, um mit Dir zu leben und zu herrschen in Deinem Reich!

Amen.

Ev. Lukas 1, 26—38. „Und im sechsten Monat . . . und der Engel schied von ihr." Ja, geben auch wir nur in gleicher Demuth und Liebe dem Willen des himmlischen Vaters uns hin: da ist auch unser Leben ein seliges, da wird auch unser Geist sich Gottes, unsers Heilandes freuen können. Dazu hilf uns, o Vater, durch Deines Geistes Kraft und Gnade, und laß auch dieses Wort durch den Mund Deines Dieners gesegnet sein! Amen.

DaS hohe und heilige Fest, meine Andächtigen, das wir nach dem Inhalte des vernommenen Evangeliums

heute feiern,

das Fest

der

107 Verkündigung der Maria, der höchsten und herrlichsten Verkündi­ gung, die jemals geschehen ist, steht in dem engsten Zusammenhange mit dem Weihnachtsfest,

und erscheint seiner wesentlichen Beziehung

nach selbst als Eins mit ihm.

Denn es ist doch auch nur der Gedanke

der Sendung Christi, des SohneS Gottes und deS Erlösers der Welt, der demselben zum Grunde liegt, und der beherrschende und erklärende Mittelpunkt dieses Festes ist.

Nur wenn uns das heutige Fest den

Anfang der Ausführung des göttlichen Rathes zeigt,

und unS an die

natürliche Ordnung des menschlichen Geborenwerdens erinnert, und wie die zur Mutter des Heilands ertönte Maria schon vorher ihrer hohen Bestimmung inne ward

und

zum Bewußtsein derselben kam:

tritt

dieser Rath in der Geburt Jesu Christi und schon als verwirklicht hin, und die Verheißung ist eine erfüllte, wenn auch das Leben des GotteSkindes sich in seiner Hoheit und Herrlichkeit und in seiner erlösenden und weltbesiegenden Macht erst noch entfalten.sollte. —

Die Erzählung des

Evangeliums aber wendet sich vorzugsweise um die Maria. scheint uns

Sie er­

hier vor Allem als die Gefeierte und Verherrlichte,

und so- stellt sich uns hier noch eine andere Beziehung vor Augen, die sich freilich auch von dem welterleuchtenden Bilde deS verkündigten Gottes­ sohnes nicht trennen läsit, desien Licht aber hier besonders auf die Maria zurückstralt.

Sie empfängt einen Gruß vom Himmel: Gegrüßet seist

du Holdselige,

der Herr ist mit dir, du Gebenedeite unter

den Weibern.

Und als sie, die niedrige menschliche Jungfrau, über

diesen Gottesgruß bei sich erschrocken war, ward sie von Neuem durch das himmlische Wort ermuthigt: Fürchte dich nicht, Maria, du hast Gnade bei Gott gefunden.

Musite sie sich schon durch diese feier­

liche Zusage der Gnade Gottes, mächtig ergriffen und in ihrem Herzen erhoben fühlen:

so

höher,

mußte eine ungekannte Begeisterung und Beseligung in

und es

stieg das Gefühl dieser Erhebung gewiß noch weit

ihr aufgehen, als ihr nun die göttliche Erwählung, die Mutter deS Erlösers zu werden, klar verkündigt ward.

Du wirst einen Sohn

gebären, deß Namen sollst du Jesus heißen; der wird groß und ein Sohn des Höchsten genannt werden; und er wird ein König sein über das Haus Jakob,

und seines Königreiches

wird kein Ende sein. — Es ist aber auch nicht bloß als eine persönliche Erhebung anzusehn, die hier der Maria zu Theil wird, sondern, indem sie als ein menschliches Weib

gewürdigt wird, Den, der von gleicher

Herrlichkeit als der Vater und selbst mit ihm Eins war, auch ihren Sohn

108

nennen zu dürfen: so erscheint sie hier zugleich als die Stellvertreterin des ganzen Geschlechts, welchem sie angehörte; — und ihre höhere Würde ist auch die des gestimmten Geschlechts der Frauen, die sich Christi als ihres Erlösers freuen, und dernuthsvoll an ihn glauben; — in ihr und durch sie sind alle erhöht, die in der Kirche Christi sich heimisch fühlen, und ihn wahrhaft ehren als ihren Herrn. Das ganze Verhältniß des Weibes ist durch daS Christenthum ein verwandeltes und veredeltes. In der vorchristlichen Zeit, im Heiden- und Judenthum sehen wir, wie das Weib im Allgemeinen noch eine niedrige Stellung einnimmt, und gegen den Mann zurückgesetzt ist. Da erscheint sie nicht als ihm gleich, sondern mehr nur als seine Dienerin. Das Recht ist ihr als ein anderes und ungleiches zugemessen, und auch die gleiche Achtung war ihr ver­ sagt. Der Grund aber solcher Erniedrigung und Zurücksetzung des weiblichen Geschlechts lag vorzugsweise darin, daß die Liebe, die Mann und Weib miteinander verbinden, soll, nicht als eine religiöse gefasst, und nicht in der Liebe Gottes geweiht und geheiligt, daß es keine Liebe war indem Herrn. Wol soll auch im Christenthume der Mann das Haupt des WeibeS und der Familie sein, und die Leitung und Zucht des Hauses, als eine christliche und im Glauben erkannte, soll von ihm ausgehn. Aber eine Herrschaft in irdischer Weise, als sei die Frau seine Untergebene, ist ihm nicht eingeräumt, sondern er nimmt sie zu sich als die gleiche auf; — und sie wiederum, obwol in heiliger Liebe dem Mann als dem Führer sich hingebend, hat doch dasselbe persönliche Recht, wie eS ja auch schon darin sich ausspricht, daß Beide nur Eins sein sollen. Solche Einheit aber kommt nicht zu Stande, wo das Verhältniß Beider ganz ungleich ist.' — Sowie aber jedes Lebensverhältniß nur an -der Erfassung deS Bildes GotteS wahrhaft klar werden kann: so ist auch das wahre Ver­ hältniß, in welchem die beiden Geschlechter zu einander stehen sollen, erst durch die lebendige Beziehung zum wahren und einigen Gott, erst durch das in Christo offenbar gewordene Bild Gottes, durch die Er­ scheinung deS Lebens der vollendeten göttlichen Liebe zu erkennen und einzusehn. — So muß also daS ganze weibliche Geschlecht, auch inBe­ ziehung auf seine irdische und sichtbare Stellung im Leben, sich Christo zum höchsten und heiligsten Danke verpflichtet fühlen. Und indem von dieser Stellung auch selbst wieder die Aneignung des Höheren, und die Hinanbildung zu der geistigen und himmlischen Welt abhängt: so handelt eS sich auch hier nicht bloß um ein irdisches, sondern um ein höheres Gut. Die Gnade, welche Maria bei Gott gefunden, gilt nicht bloß

109 ihr, sondern allen christlichen Schwestern, die durch die Geburt Jesu Christi auch sich

als die Begnadigten sehn.

Um

aber

der höheren

und edleren Stellung, die dem Weibe durch Christum geworden ist, auch wirklich würdig zu sein, und sie zu behaupten, um die Frucht derselben zu ernten,

so

müssen auch Alle wie die Maria zu sprechen wissen:

Siehe,' ich bin des Herrn Magd! und von einem gleichen Sinn der Demuth und Hingebung beseelt und durchdrungen sein.

Und indem

wahrlich nicht bloß für den Einzelnen, sondern für die ganze sittliche Lebensbildung gar viel davon abhängt, daß solch eine Gesinnung und Ansicht sich überall geltend mache, so siegt es uns wol nahe genug, eben von jenen Worten Veranlassung zu nehmen, es darzustellen:

Wie eS gleich der Maria der Wahlspruch jeder christlichen Frau oder Jungfrau sein soll: Siehe, ich bin des Herrn Magd. Haben wir zunächst den Inhalt dieses Wortes noch etwas näher er­ fasst und erwogen, und wenden wir einen Blick auf das entgegengesetzte Bild, was uns die Gegenwart zeigt: so wird uns dann auch die Noth­ wendigkeit der Rückkehr zu der Gesinnung, wie sie in den Worten der Maria sich ausspricht, umsomehr vor die Augen treten.

Siehe, ich bin des Herrn Magd, spricht Maria, mir ge­ schehe wie du gesagt! ich gebe dem göttlichen Willen,den du mir kund gethan, und den ich nur als den Willen der

himmlischen Gnade er­

kenne, die mich, die Geringe und die Niedrige, erhöhen und beseligen will, mich demuthsvoll hin.

Gewiß, dieses Wort ist der volle und reine

Ausdruck einer wahrhaft frommen Gesinnung, einer freudigen Ergebung in den Willen des himmlischen Vaters. sich Maria nennt, ist nur Gott.

Denn der Herr, dessen Magd

Für die Anwendung aber, welche von

diesem Worte auf jede christliche Frau und Jungfrau zu machen ist, dürfen wir die Beziehung auf Christum auch nicht hinwegweisen. da Christus ja selbst nur das lebendige Bild Gottes,

Denn

und Gott in

Christo erschienen ist, und wir Alle als den Herrn ihn zu ehren haben, vor dem Aller Kniee sich beugen sollen: so ist auch jedes gläubige und christliche Weib berufen, eine Magd und Dienerin Christi zu sein, und ihm zu huldigen als Dem, der durch seine Liebe sie selig macht. — Ist nun aber das Wesen des WeibeS, und die Eigenthümlichkeit seines Lebens vorzugsweise in der Liebe gegründet, und ruht die wahre Liebe doch nur in Gott und in der ergriffenen bindenden Beziehung zu

110 ihm: so gehört auch die Frömmigkeit, die gläubige Erfassung des ganzen Lebens aus Gott, die liebende uftb demuthSvolle Hingebung an

ihn als

den Vater, nothwendig zum Wesen und Begriffe des Weibes, und die fromme Gesinnung muß ein beherrschenderGrundzug desselben sein. Sowie den Vater, liebt sie dann auch den Sohn, und fühlt sich mit ihm, der ihr den Vater und seine Gnade geoffenbart, in Liebe als dem Heiland verbunden.

Ist das Leben der Liebe in Christo ihr aufgegangen: so

will sie auch nur von ihm die Speise ihrer Seele empfangen und an seinem göttlichen Herzen ruhn.

Obne einen demüthigen und

frommen Sinn

kann das Weib keine Tugend haben, weil in diesem Sinne alle weibliche Tugend und die wahre geistige Schönheit des Weibes umschlossen liegt. Mit der Frömmigkeit und Demuth geht auch aller Werth und alle Würde deS Weibes verloren. an ihr entfalten soll.

Sie ist die schönste Blüte, die sich

Eine christliche Frau oder Jungfrau erkennt sich

also in ihrem Geist und betrachtet sich nur

als eine Dienerin Gottes

und Jesu Christi, und sieht sich nur in diesem Dienste als frei, findet nur in ihm ihren Frieden und ihre Beseligung. Spricht sie nun aber bei sich und in ihrem Herzen:

Siehe, ich

bin des Herrn Magd, so wird auch ihre eigne Rede der Ausdruck dieses sie beseelenden Gedankens sein, und sich darin zu erkennen geben. Da wird sie

auch das Wort zum Zeugniß der höheren und heiligen

Liebe machen, die in ihr lebt.

Denn wovon das Herz wirklich voll und

bewegt ist, davon kann der Mund auch nicht schweigen.

Wovon wir

erwärmt und begeistert sind, das können wir nicht in uns verbergen, sondern theilen es freudig mit.

Da wird eS die christliche Frau und

Jungfrau nicht scheuen, über Gott und göttliche Dinge und Über das Heil in Christo sich auszusprechen;

und wenn sie auch das Wort der

Liebe zum Herrn nicht immer in ihrem Munde führt, und weit davon fern ist, sich damit nur äußerlich zeigen, und vor der Welt nur fromm er­ scheinen zu wollen — denn das Heilige will auch in. der Stille des Herzens gepflegt sein —: so wird sie doch auch, wo es angemessen und nicht gegen die Bescheidenheit ist, von ihrem Bekenntniß und Glauben als ihrem schönsten und heiligsten Besitzthume sprechen und es zu rühmen wissen, welche Beseligung für sie darin ruht. Sowie das Wort, wird aber auch noch mehr die That davon Zeugniß geben, daß es der Wahlspruch ihres Herzens ist: bin des Herrn Magd.

siehe, ich

Da wird ein frommer und heiliger Wandel

es herrlich bestätigen, daß dieses Wort nicht bloß von ihr gedacht oder

111 gefühlt, sondern zur lebendigen Wahrheit an ihr geworden ist.

Zurück­

gezogen von dem eitlen und leeren Treiben der Welt, und abgewendet von ihrer Lust, sucht und liebt sie vielmehr die stillen Räume des Hauses als ihr zugewiesen vom Herrn, drängt sich nicht vor, tritt überall mit Bescheidenheit und mit Zartsinn auf, und ist mit Keuschheit und Züchtig­ keit angethan als mit ihrem schönsten Gewände.

Ihr Schmuck ist nickt

auswendig mit Haarflechten, mit Goldumhängen und mit Kleideranlegen, sondern

der

verborgene Mensch

und stillem Geist:

des Herzens unverrückt, mit sanftem

das ist köstlich vor Gott, sowie sich

auch vor

Zeiten die heiligen Frauen geschmückt haben, die ihre Hoffnung auf Gott gesetzt. — Sowie sie aber trachtet, ein Vorbild der Tugend zu sein: so wird wirken

sie auch in ihrem Kreise für den Herrn zu schaffen und zu bemüht

sein

was sie vermag,

und wird es

an Werken der

Frömmigkeit und der Liebe nicht fehlen lassen. — Sie liebt das Haus des Herrn, und versäumt die Andacht in den heiligen Versammlungen nicht, um sich durch das göttliche Wort zu erbaun, und in dem Dienst ihrer Liebe zu stärken, daß sie von Dem nicht weiche, der auch sie ge­ liebt hat bis in den Tod, der die Niedrigkeit von ihr genommen und sie so hoch gestellt, und von der alten Knechtschaft sie zur Freiheit der Kinder Gottes erhoben hat.

Und aus inniger Dankbarkeit beeifert sie

sich auch wohlzuthun, und freut sich in ihrem Herzen, wenn sie Hülfe zu bringen, wenn sie zu trösten und zu erfreuen im Stande ist. Siehe ich bin des Herrn Magd, so denkt, thut sie zu jeder Zeit. Jugend geschmückt sein:

so spricht und so

Mag sie mit der Blüte und mit dem Reiz der so will sie doch damit nimmer bestechen und

blenden, und ist wol bei sich eingedenk, daß der wahre und schönste Schmuck nur der des göttlichen Ebenbildes ist, was sie an sich trägt und an ihrem Leben offenbar werden lässt.

Ist ihr auch ein heitrer

und freudiger Sinn nicht versagt, und soll der Jungfrau der unschuldige Lebensgenuß nicht benommen sein: so ist ihre Freude

doch nicht bloß

eine weltliche oder irdische, sondern hält sich an einem liefern und heiligern Grunde des Lebens, ist von der Beziehung zu Gott, der uns allein Freude gibt, nicht leer, und trachtet

eine Freude im Herrn zu

sein, die sie nicht wieder aufgeben, sondern bei allem Wandel der äußer­ lichen Gestalt festhalten und bewahren kann, eine Freude, der kein Schmerz und keine Reue folgt. dienen.

Auch

in der Freude will sie dem Herrn nur

Und ist sie zu einem höheren Lebensalter vorgeschritten, so wird

sie umsomehr auch den Ernst

und die Würde des Lebens an

sich er-

112 scheinen lassen, wird es um so voller bestätigen und bezeugen, daß sie eine Magd sei des Herrn, und den Geist einer heiligen Liebe, die von Neid und von Selbstsucht nichts weiß, und von jeder niederen und unreinen Rücksicht frei ist, um so reicher an sich verkündigen. Magd des Herrn soll buch fortdauernd in ihm fester und inniger sich mit ihm vereinigen,

Denn die

wachsen, soll immer

so daß sie nur in ihm ihr

Leben findet, und als seine Magd zugleich auch in ihm die Freie und Beseligte ist.

So wird sie nun auch unter allen Verhältnissen und in jeder Lage und in jedem Stande des Lebens von ihrem Wahlspruch nicht weichen: Siehe, ich bin des Herrn Magd. Siesei Jungfrau oder Gattin, oder auch Mutter: überall erkennt sie sich und beweist sich als eine Dienerin Gottes

und Jesu Christi.

Als Jungfrau ist es ihre heiligste Sorge,

ein reines und unbeflecktes Herz zu bewahren, und Alles von sich zu weisen, was nicht keusch und nicht züchtig ist.

Nur in der Tugend sieht

sie ihren höchsten und schönsten Schmuck, und trachtet, daß sie ihre jung­ fräuliche Krone mit Ehren trage und Niemand sie schmähen könne. Hat aber ihre Seele einen edlen und achtungswürdigen Mann gefunden, — denn wo der Leichtsinn und ein unheiliges unkeusches Wesen am Manne sichtbar geworden: und

da

wendet die christliche Jungfrau mit Verachtung

Unwillen sich davon ab, und nimmt die Huldigung solcher Un­

würdigen und Achtungslosen nicht an, weil dies ja selbst nur' ein Zeichen ihres gleichgültigen und unfrommen Sinnes

sein,

fördern würde, sondern zieht sich in sich zurück, — mit einem

christlichgestnnten Manne

und das Unheilige hat sie aber Gott

zusammengeführt: so will sie nun

auch nur in der Liebe zum Gatten und für ihn leben, und die Krone und der Schmuck seines Hauses sein.

Er

sei reich oder

arm: sie ist

ihm ein Trost und macht ihn allezeit fröhlich und erquickt sein Herz. Des Mannes Herz kann sich auf sie verlassen, und es wird ihm nicht mangeln.

Sie thut ihm Liebes und kein Leides sein Lebenlang.

arbeitet zwar mit ihren Händen und schauet, wie

Sie

es in ihrem Hause

zugeht, und hält alle Hausgenossen in frommer Liebe und Zucht zu­ sammen, und sucht Allen durch ihren heiligen Wandel vorzuleuchten.

Und

dies Alles thut sie zugleich in ihrem frommen Sinne als Gottesdienst, und ihr tägliches Leben und Wirken ist eine Andacht zum Herrn.

Un­

verbrüchlich hält sie fest an der Treue, die sie nicht bloß dem Gatten,

113

sondern Gott selbst gelobt; sie weiß, daß ihre Ehe im Himmel geschloffen ist, und so trachtet sie auch, ihr Haus zu einet Hütte des Herrn zu er­ baun. — Und hat Gott sie gewürdiget und gesegnet, Mutter genannt zu werden, so gilt ihr auch dies nur als göttlicher Beruf. Da lässt sie in ihrer Mühe und Sorge für die Kleinen, welche ihr Gott zur Obhut anvertraut hat, nicht ab, wird nicht müde und matt, für sie zu wachen; aber so ämsig und treu sie ihr leibliches Wohl in Acht nimmt, so liegt es ihr doch noch mehr an dem Herzen, sie in der Zucht und Vermahnung zum Herrn aufzuziehn. Freue dich nicht, spricht sie mit Sirach, daß du viel Kinder hast, wenn sie nicht Gott fürchten. Sie sucht den Keim der göttlichen und himmlischen Liebe schon von dem ersten Beginn ihres Lebens an in sie zu pflanzen. Denn nur in dem kindlichen Herzen, das ja auch schon von einer himm­ lischen Sehnsucht bewegt wird, schlägt der Glaube die tiefsten und lebendigsten Wurzeln, und es ist eine traurige Verirrung, damit warten zu wollen bis zu sogenannten reiferen Jahren, wo die Welt schon das Herz der Kinder eingenommen und mit ihrer Lust befleckt hat. Da ist es zu 'spät, da dürfen wir auf keine guten und herrlichen Früchte hoffen. Für Gott und für die Eindrücke seiner Liebe ist der Mensch auch schon in seinen frühesten kindlichen Tagen reif und empfänglich. Denn Gott hat ja sein eignes Bild in die Kinderseelen gepflanzt, und ihre Engel, sagt Jesus, sehen allezeit das Angesicht ihres himm­ lischen Vaters. Der Glaube muß gleichsam mit dem leiblichen Leben erwachsen, wenn er gedeihen soll. Denn er ist ja das Leben. Darum wird die christliche Mutter Alles thun, für ihre Kinder auch die geistige Bild­ nerin und Führerin zu sein, daß sie den Weg zum Himmel wol finden mögen. Sie sucht sie vor dem Wesen der Welt zu bewahren und rein zu erhalten, freut sich nicht, wenn sie schon früh nur allerhand welt­ liche Anlagen an sich blicken lassen, sondern hält sie in Ordnung und Zucht, wenn sie dem Gebote Gottes nicht folgen,- und dem Leichtsinn und der Zerstreuung sich hingeben wollen. Sie trachtet nur danach, in ihren Kindern Christum zu sich aufzunehmen, und sie nicht für die Erde nur, sondern vielmehr für den Himmel und für das Reich Gottes geschickt zu machen. ■— Siehe, ich bin des Herrn Magd, spricht sie allezeit, und welches ihr Beruf auch' sei, so ist sie nur beeifert, dem Herrn zu dienen. Wie sich daher auch die Berhältniffe um sie gestalten mögen, in welcher äußeren Lage sie sich auch befinden mag: sie weicht Schirmer, Feftpredigten.

8

114

von der Treue in ihrem heiligen Dienste nicht, und das Wort der Maria ist ihr auch ein heiliger Trostspruch. Im Glück wird sie nicht über­ müthig, und im Unglück verzagt sie nicht. Wenn auch schwere und harte Tage über sie kommen, wenn auch Drangsal und Leiden sie treffen: sie verliert nicht den Muth und verzweifelt nicht. Denn mit dem Glauben an Christum, mit der Liebe zu ihm, hat sie ja auch die Hoffnung der himmlischen Zukunft und Herrlichkeit zu sich aufgenommen, und fühlt sich durch sein Wort: Selig sind, die da Leid tragen, denn sie sollen getröstet werden, ermuthigt und aufgerichtet, und erhebt sich durch das Bewußtsein, daß die Leiden der Zeit nicht werth sind der Herrlichkeit, die an uns soll offenbart werden. Ja, schon oft sind fromme Frauen durch ihr heiliges Gottvertrauen, durch die Kraft, die sie zu bewähren, und mit ihrer rastlosen Mühe und An­ strengung auch Mittel und Wege zu finden wussten, die Retter der Ihrigen geworden, und sahen sich belohnt nnd gekrönt. — Solchen Vorbildern, christliche Frauen und Jungfrauen, folget nach! Es ist wahrlich ein schönes, ein erhebendes und begeisterndes Lebensbild, was uns hier durch die Betrachtung des Wortes der Maria: Siehe, ich bin des Herrn Magd, aufgegangen ist. Aber wie unähnlich erscheint die Gegenwart größtenteils diesem Bilde. Fehlte uns auch nicht die Zeit, dieses Gegenbild weiter auszu­ führen: so möchten wir es selbst scheuen, auf eine nähere Betrachtung desselben hier einzugehn, um jenes heilige Lebensbild einer christlichen Frau, das uns vor die Seele getreten, nicht zu verdunkeln, und uns in seiner Beschauung nicht stören zu lassen. Aber wir thun wol kein Un­ recht, wenn wir behaupten, daß statt jenes heiligen und gottesfürchtigen Sinnes, statt jener Demuth und Hingebung, im Allgemeinen weit mehr eine weltliche Gesinnung auch int weiblichen Geschlecht herrschend ge­ worden. Da denken Wenige daran, wahrhaft dem Herrn zu dienen, sondern nur sich selbst wollen sie dienen, und vor der Welt sich hervor­ thun; wollen gesehen sein und mit eitlen irdischen Vorzügen glänzen, und jagen der Vergnügungs- und Zerstreuungssucht nach. Nur auf den Schein sind die meisten ihrer Künste berechnet, sie wollen blenden und sich huldigen lassen, auch von Denen, die selbst werthlos sind. Damit hängt eine leidige Hausscheu, eine verderbliche Prunksucht und Ver­ schwendung zusammen, die nicht selten durch ihr Uebermaß alle Verhält­ nisse zerrüttet und auflöst und in’$ Elend stürzt. Da herrscht ein un­ genügsames und leidenschaftliches Wesen, da sehen wir, wie der Leicht-

115 sinn immer mehr überhand nimmt, und es an dem Ernste des Lebens gebricht, weil die tiefere geistige und sittliche Bildung fehlt, weil die fromme Gesinnung so schwach geworden oder auch fast erloschen ist. Da hat man die Hähern und himmlischen Lebensbeziehungen fallen lasten und nur dem weltlichen Wesen sich hingegeben.

Da sieht man nicht selten,

wie die Jungfrau ihre schönste Zierde nicht achtet, und die Züchtigkeit und die Scham verletzt.

Da sind die Frauen und Mütter oft ihrer

heiligsten Pflichten nicht eingedenk, und

lasten sich um das Haus,

oder auch selbst um ihre Kleinen, unbekümmert und unbesorgt, um nur kein Vergnügen zu entbehren und von der Welt mit ihrem irdischen Glanze bewundert zu sein.

Kirche und Gotteshaus haben auch für

sie ihre Bedeutung verloren, und allerhand leere nichtige Sorge hält sie davon ab, wenn man sie auch an den Stätten der Freude nicht fehlen sieht, und sie dort der Sorge um die Gesundheit nicht achten. — Ein trauriges Bild!

Umsomehr wollen wir Diejenigen ehren und sie aner­

kennen, und sie rühmen und ihrer uns freuen, die als christliche Frauen und Jungfrauen es mit der Maria zum Wahlspruch ihres Herzens ge­ macht:

Siehe, ich bin des Herrn Magd. — Ohne Rückkehr von

diesem eitlen und nichtigen Wesen der Welt, ohne Hingebung auch des weiblichen Geschlechts in den heiligen Dienst der Liebe Gottes, kann es nicht bester werden.

Es muß ein anderer und heiliger Einfluß auf das

kommende und heranwachsende Geschlecht übergehn, und dieser Einfluß geht besonders auch von den Frauen aus.

Sie sollen den heiligen

Sinn in ihren Kindern pflegen, und sie für den Himmel erziehen. Erst wenn der Geist der Liebe das ganze Menschengeschlecht erfüllt, wenn die Ehen heilig gehalten werden und Haus und Kirche nicht mehr getrennt, sondern Eins sind, erst dann wird es anders und besser auf Erden. Dann dürfen wir hoffen, auch ewigen und seligen Hause Gottes.

einst unsre Heimat zu finden in dem Amen.

XII.

Das Verlangen Jesu nach dem letzten Essen des Osterlammes. Predigt am Palmsonntage *) 1857 üb. Luk. 22, 14—22.

Komm herein, Haupt der Deinen, komm herein. Sprich den Frieden Deines Mundes über uns, wir harren Dein. Komm, Du Stifter unsres Bundes, Halte selbst mit Deiner Glieder Zahl, Abendmahl! Amen.

Die Feier des heutigen Tages, m. Gel., ist dem Gedächtniß an die Einsetzung des h. Mahles geweiht, das Jesus noch am Abend vor seinen Leiden und vor seinem Tode am Kreuze gestiftet hat. Ist nun dieses Mahl des Herrn die bedeutungsvollste und heiligste Handlung, die wir als Bekenner Jesu begehen können, ist das ganze Christenthum darin zusammengefasst, als in einem lebendigen Bilde, kommt die Macht und Fülle des göttlichen Heils uns ganz besonders in ihm entgegen: so muß es uns gewiß auch am Herzen liegen, den Geist des Sakraments, den Geist der himmlischen Gnade zu fasten, die darin ruht. Denn ist dieser Geist uns fremd, so stehn wir noch außerhalb des gottseligen Ge*) An diesem Sonntage ist in Greifswald immer der Gedächtnißtag der Stif­ tung des h. Abendmahls, der sogenannte Gründonnerstag, gefeiert worden.

117 heimnisses, das darin umschlossen liegt, und gehen deS daran geknüpften himmlischen Segens verlustig. Denn sowie Luther von der heiligen Taufe sagt: Wasser thut's freilich nicht: so thut eS auch beim heiligen Abendmahle nicht bloß das Brot und der Wein. Ist Gottes Wort nicht dabei, da kann uns auch keine göttliche und himmlische Gabe zu eigen werden. Das h. Mahl soll- uns auch nur dem Gottesreich näher bringen. Sowie nun aber dieses Reich, nach deyr Ausspruch des Apostels Paulus, nicht Essen und Trinken ist, sondern Gerechtigkeit, Friede und Freude in dem h. Geist: so besteht auch das Wesen des h. Abendmahles nicht in dem Genusse einer leiblichen Speise und eines sinnlichen Tranks, sondern es ist ein geistiges und göttliches Gut, ein himmlisches Lebensgut, was wir in ihm empfangen sollen. Es ist Christus selbst, daS Leben des Gottessohns, welcher Eins mit dem Vater war, das Leben der Freiheit und Seligkeit, das in uns Wohnung nehmen und unsre Herzen mit dem seligen Frieden GotteS erfüllen will. ES ist das Mahl der Liebe, in welchem wir Eins werden sollen mit dem Erlöser, daß er in uns bleibe und wir in ihm, und wir seine Herrlichkeit sehen, die ihm der Vater gegeben hat, die Herrlichkeit deS Eingebornen, voller Gnade und Wahrheit. Ja, wer noch Glauben und Liebe hat, wer noch eine himmlische Sehnsucht in seinem Herzen trägt, wer sich arm und bedürftig fühlt, wer sich seiner Schwäche und Schuld bewufft ist: der verlangt auch nach dem heil. Mahl und nach der Ver­ söhnung, die uns der Gottessohn darin entgegenbringt. Wie sollten wir aber nicht auch heute mit lebendiger Theilnahme unsern Blick hinwen­ den auf Jesum Christum, wie er schon im Angesichte des Todes daS heilige Vermächtniß gestiftet und die Fülle seiner Gnade und Liebe hin­ eingelegt hat. So wollen wir denn zunächst den Bericht vernehmen, den uns Lukas darüber in seinem Evangelium mittheilt. Wir lesen ihn Kap. 22, V. 14—22. „Und da die Stunde kam . . . verrathen wird." Ja wehe ihm, und wehe allen Denen, die von ihrem Heiland und von seiner Liebe sich scheiden. Stellt sich uns dieses Wehe doch auch in dem schrecklichen Ende vor Augen, das der Verräther genommen hat. Wir sehen darin die Macht des göttlichen Strafgerichts. Denn wer an den Sohn Gottes nicht glaubt, wer in ihm nicht den Heiland sieht, und im Hochmuth seines Herzens ihn verachtet, oder ihn meistern will: der ist schon gerichtet, denn er ist geschieden von Dem, der allein das

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wahrhaftige Leben ist. Wer aber an ihn glaubt, und sich glaubensvoll zu ihm wendet, der kommt nicht m’5 Gericht, denn er gehört ihm als ein Glied seines Leibes an und Jesus lässt ihn nicht von sich. Möge es auch einem Jeden von uns durch den Glauben beschieden sein, in der Feier des h. Mahles Eins zu werden mit ihm, der das Brot des Le­ bens ist, das vom Himmel kommt, auf daß, wer davon ifset, nicht sterbe. Dazu segne Gott auch diese Stünde heiliger Andacht und sei bei uns mit seinem Geist! Amen.

Mich hat herzlich verlangt, spricht Jesus, als er sich mit sei­ nen Jüngern zum Passahmahl niederließ, das Osterlamm mit euch zu essen, ehe bettn ich leide. Diese Worte haben etwas so Rührendes und Ergreifendes, daß wol Niemand dabei unbewegt bleiben kann. Sie sind schon ein Ausdruck der hohen göttlichen Liebe, die in ihm lebte und ihn durchdrang. Es ist aber auch nicht bloß das Gefühl einer persön­ lichen Rührung, das sich darin ausspricht, sondern es verlangte ihn nach diesem Mahl, weil ihm schon eine tiefere und bedeutungsvolle Beziehung, nicht bloß auf die Vergangenheit, sondern auf die Zukunft und auf eine höhere Errettung, als eS die des Volkes Israel aus Egypten war, zum Grunde lag, weil er schon die heilige und gnadenreiche Stiftung im Auge hatte, die er damit verbinden, und den ©einigen ein Bermächtniß zurück­ lassen wollte, was bleibend und unvergänglich, und worin er selbst mit seiner Liebe und Heilandsmacht gegenwärtig sei. Der Gedanke dieser Stiftung aber trat ihm nicht bloß so zufällig vor die Seele, sondern steht mit seiner ganzen Lebensaufgabe, mit seinem göttlichen Erlösungs­ werk, das er durch den Tod am Kreuze vollenden sollte, im genauen innern Zusammenhange. Darum ist es auch gar wichtig, den Sinn und Geist jener Worte, die Jesus hier als die ersten, und mit tiefer Be­ wegung zu seinen Jüngern sprach, klar und bestimmt zu erfasien, und auch über das heil. Abendmahl wird sich dadurch noch ein helleres Licht verbreiten. So soll denn also

Das Verlangen Jesn nach dem letzten Esten des Osterlamms der heilige Gegenstand unsrer Betrachtung sein. Wir wollen zuerst den Sinn und Inhalt dieses Verlangens noch näher darzulegen und zu

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entwickeln suchen, und es dann noch hervorheben, wozu und dieses Ver­ langen auffoderq und bewegen muß.

Mich hat herzlich verlangt, spricht IesuS, das Osterlamm mit euch zu essen, ehe denn ich leide. Und allerdings war es ihm dringend darum zu thun, diese heilige Feier mit seinen Jüngern noch zu begehn, eh' er von ihnen scheide, und sie ihn in seiner irdischen Gestalt nicht mehr sehen würden. Doch galt es ihm bei diesem Verlangen nach dem Essen des Osterlamms nicht bloß das Andenken an die rettende Gottesthat, welche die Juden aus der Knechtschaft Egyptens herausgeführt, und ihnen das alte theure Verheißungsland öffnete. Als der Stifter einer neuen göttlichen Welt, einer Welt der himmlischen Freiheit und Seligkeit, als der Gründer eines ewigen und herrlichen GotteSreichs, schaute er vor Allem mit verlangender Seele in die Zukunft hin, daß dieses Reich in ihr erscheinen und der Friede Gottes die Erde verklären möge. Wol mochte Jesum, durch den Gedanken an die Nähe seiner Todesleiden in seinem Innersten bewegt und erschüttert, auch nach dieser letzten Stunde eines stillen und ungestörten Beisammenseins mit seinen Jüngern verlangen. Aber die weitere und Höhere Beziehung, welche er dabei nimmt, verbirgt sich nicht, und die unmittelbar folgenden Worte geben uns davon Zeugniß. Denn ich sage euch, fügt Jesus hinzu, daß ich hinfort nicht mehr davon essen werde, bis daß es er­ füllet werde im Reiche Gottes. Und ebenso, nachdem er den Kelch genommen und ihn den Jüngern gereicht, spricht er: Ich werde nicht trinken von dem Gewächs des Weinstocks, bis das Reich Got­ tes kommt. Wir sehen also, daß der Gedanke des Gottesreichs auch jetzt seine^ Seele erfüllt, und das höchste Ziel seiner Aussicht war, worauf sein ganzes Trachten sich richtete, und worin er das Licht der Vollen­ dung schaut. Da nun Jesus nach dem Essen des Osterlamms das hei­ lige von ihm gestiftete Bundesmahl sogleich folgen lässt, und dieses hei­ lige Mahl unverkennbar hinweist auf das Leben im Gottesreich: so steht auch das herzliche Verlangen des Herrn nach dem ersteren in offenbarer Beziehung auf die Stiftung des Abendmahls. Darauf werden wir auch schon hingeführt, wenn wir die Worte Jesu: ehe denn ich leide, schärfer in's Auge fassen. Von dem Gedanken an seine Leiden dürfen wir die Betrachtung nicht trennen, wofür er gelitten hat. Es waren Leiden zur Versöhnung der Welt, und er hat sich selbst für und in den

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Tod gegeben, auf daß er von aller Ungerechtigkeit uns erlösete und das Leben der Kindschaft das unsre sei. Ist aber Jesus nicht erkannt als der Gottessohn, als der Sohn der göttlichen Liebe, außer welchem kein Heil ist, hat er nicht erst Eingang gefunden in den Herzen der Gläu­ bigen: so ist es auch nicht möglich, daß der Welt das selige Leben zu eigen werde. Ohne die Aufnahme Jesu Christi sind wir auch nicht er­ löst, und wo Christi Geist nicht lebt, da gibt's keine Seligkeit. Wäh­ rend seines Wandels auf Erden aber hatten sich erst gar Wenige ihm innerlich angeschlossen, und es gehörte selbst zu seinen schmerzlichsten Lei­ den, sich so verkannt und verschmäht zu sehn. Die Hoffnung einer gött­ lichen Zukunft, die Durchführung des Erlösungswerks, das der Vater in seine Hand gelegt, war nun aber einzig darauf gebaut, daß er bei den Menschen, daß er bei uns eine Wohnung finde und liebend empfangen werde. Dieser Gedanke, der ja nur in seiner Heilandsliebe gegründet war, erfüllte gewiß auch, eben jetzt seine Seele. Darum hatte er ja auch die Jünger erwählt, daß sie als seine Boten hingehen sollten in alle Welt, das Evangelium zu verkündigen, und die Macht der Erlösung hin­ zutragen zu allen Völkern. Wol erkannten sie nun auch in ihm ihren Meister und Herrn. Aber doch waren sie nicht schon ganz in ihn ein­ gedrungen und von seinem Gotteslichte erleuchtet. Wie hätte sonst wol ein Petrus fallen und Christum verläugnen können? Und so musste es Christo als die heiligste Sorge am Herzen liegen, daß er in seinen Jün­ gern noch ein volleres Leben gewinnen möge, daß sein GotteSbild noch fester und tiefer in ihnen begründet werde. Darum reicht er ihnen Brot und Wein als die Zeichen seines Leibes und Bluts, womit sie ihn selbst und sein Leben empfangen, und es stets als ein neues in sich erwecken und es immer mehr in sich stärken sollen. — Doch hat Jesus bei der Stiftung des h. Abendmahls nicht bloß seine Jünger im Auge, sondern Alle, die auch künftig durch ihr Wort an ihn glauben würden. Denn in Allen soll sein göttliches Leben aufgehn und mächtig werden, um ihn zu preisen als den Herrn des Heils und der Seligkeit. Ja, Gel., wer ein wahres Abendmahl feiert, zu Dem geht Christus ein, und er zu ihm. Denn es ist das Mahl der Liebe, die unauflöslich ist und nicht sterben kann, der Liebe, in welcher Christus nicht von uns lässt, und auch wir nicht von ihm zu lassen im Stande sind, der Liebe, die uns einen himmlischen Reichthum, eine Fülle des Lebens ausschließt, die un­ erschöpflich ist. Wie ich lebe, spricht Jesus, um des Vaters wil­ len, also, wer mich isset, derselbige wird leben um meinet-

121 willen, ein Leben, das in eine ewige Zukunft hinüberreicht.

Denn

wer mein Fleisch isset und trinket mein Blut, spricht Jesus­ für wen ich selbst die himmlische Speise bin, der bleibet in mir und ich in ihm, der hat das.ewige Leben. So ging das herzliche und liebende Verlangen Jesu nach dem Essen des Osterlamms darauf hinaus, daß die Welt das Brot des Lebens von ihm empfange, und durch die Macht seiner sie durchdringenden Liebe be-' seligt sei.

Es war das höchste Ziel seiner Liebe, daß wir Alle Eins

sein mit ihm, gleichwie er mit dem Vater, und daß diese Liebe uns auch Alle miteinander unzertrennlich vereinige, daß wir, ihm huldigend als dem Herrn, der ja selbst uns nur dienen will und sich für uns geopfert hat, von der Knechtschaft der Welt erlöst und zur herrlichen und seligen Freiheit der Kinder Gottes erhoben sein.

Darum wollte er für die

©einigen in dem heiligen Mahl ein Vermächtniß der Liebe stiften, wo­ durch sie immerdar Zugang hätten zu ihm und sich seiner himmlischen Gegenwart trösten könnten.

Es

verlangte ihn nach dem Kommen des

GottesreichS,' worin es sich erst erfüllt, was die Engel bei seiner Ge­ burt den Hirten verkündigten, daß Friede auf Erden sei und alle Zwie­ tracht unter den Menschen ein Ende habe, indem nur der eine und heilige Gotteswille in ihnen lebt.

Denn wovon Brot und Wein, was

uns Jesus im heiligen Mahle reicht, das bedeutsame Bild ist, das Bild der seligen Bereinigung mit ihm selbst, die wol schon jetzt einem Jeden, der nur wahrhaft ynd im lebendigen Glauben zu seinem Tische kommt, bereitet ist: daS soll doch erst in dem Reiche, wo die ganze Welt zu dem Gottessohn eingegangen und ihn zum Hirten hat, zur vollendeten Wahrheit werden.

Denn es ist dann sein Leben, was in Allen sich

offenbart, sein heiliges Gottesbild, was in

der ganzen Welt zur Er­

scheinung kommt. Indem nun seine Seele von diesem mächtigen Verlangen durch­ drungen war, da muffte ihn ein um so tieferer Schmerz ergreifen, Den mit sich bei Tische zu sehn, der in unheiliger Selbstsucht darauf sann, ihn zu verrathen.

Darum hält er den Ausdruck dieses Schmerzes auch

nicht zurück, und bricht in die Worte aus:

Doch siehe, die Hand

meines Verräthers ist mit mir über Tische. schen-Sohn,

fährt er fort,

geht hin,

Aber des Men­

wie es beschlossen ist.

Jesus erkannte es als den Willen des Vaters, sich hinzugeben zur Er­ lösung der Welt, und selbst den Tod am Kreuze

für uns zu sterben.

Dem will er sich nun auch keineswegs entziehn.

Denn seine Liebe ist

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eine unüberwindliche, eine Liebe bis in den Tod. Aber auf dem 95er* räther lastet doch eine furchtbare Schuld, eine Schuld, die er, als er derselben hüte geworden, nicht tragen kann, und die ihn in die schrecklichste Verzweiflung trieb, so daß er in ihr zu Grunde ging. Darum ruft auch Jesus zuletzt noch ein Wehe über ihn aus. Und dieses Wehe hat noch jetzt seine Geltung für Alle, die, obwol sie seinen heiligen Na­ men führen, doch treulos sind und zu Verräthern werden an seiner Wahrheit, an seinem Werk. Gebe Gott, daß dieses Wehe Keinen unter uns treffen möge.

Haben wir nun aber das herzliche Verlangen Jesu nach dem Essen des Osterlammes erkannt, und steht es uns vor der Seele, was es bedeutet und sagen will: so müssen auch wir uns mächtig be­ wegt und getrieben fühlen ihm zu entsprechen. Schauen wir in die Liebe Jesu hinein: wie sollte es nicht auch unser Verlangen sein, nach demselben Ziele zu ringen; wie sollte nicht auch unser Herz von seiner Liebe entzündet werden, ihn zu umfaßen und aufzunehmen, daß er in uns wohne, und mit seiner Gnade immerdar bei uns sei! Wie sollten wir ihm für seine Liebe nicht danken wollen! Wir haben aber nichts als uns selbst, und können ihm kein andres Opfer des Dankes bringen, als ihm unser Leben zu weihen und zu heiligen, und uns hinzugeben an ihn und an seine Liebe. — Mit dieser Liebe aber, die nur himm­ lisch und göttlich ist, verträgt sich nicht die Liebe der Welt, und ziehen wir diese nicht von uns aus, thun wir nicht alles eitle Wesen, allen leeren und nichtigen Schein von uns ab, trachten wir noch nach Dem, was auf Erden ist, suchen wir noch Etwas für uns, wollen wir noch ein Andres, als was daö Seine ist: so findet seine Liebe auch keinen Raum in uns. Wir sind nicht die ©einigen. In der Liebe zu Jesu Christo umfassen wir aber auch Alle, die er zu sich berufen hat, und die er durch seine Liebe erquicken will. Er will aber, daß Niemand verloren gehe, daß Alle den Frieden finden möchten in ihm. Wir stehen Alle seinem Herzen gleich nah. Wir sollen Alle Brüder und Schwestern in Christo sein; und so sollen wir uns auch immer fester und inniger unter dem Einen göttlichen Haupte zusammenschließen. Waltet aber der Geist seiner Liebe nicht erst in den engeren Kreisen des Hauses und der Familie, sind wir nicht ein Haus in dem Herrn, ist die Eltern- und

123

Kindesliebe, die Geschwisterliche nicht ein Bild der Liebe des Gottes­ sohnes, hat die Liebe Christi nicht ihre Heimat und ihren Herd bei Denen, die Gott zunächst aneinander gewiesen, und durch die heiligsten Bande, durch die Bande des Blutes verknüpft hat: da wird die christliche Bruder­ liebe, die sich Alle gleich nahe stellt, um so weniger Eingang finden. — Sowie aber das Verlangen der Liebe Jesu, das Verlangen nach dem Gottesreich war, und er bis zum letzten Athemzuge dafür gelebt und gewirkt: so soll es auch das höchste Ziel unsers Strebens sein, zu wir­ ken für dieses Reich, das ja Alle aufnehmen und zu dem Einen himm­ lischen Hirten als Eine Herde versammeln soll. Das Verlangen Jesu nach dem Esten des Osterlamms war zu­ gleich das Verlangen nach der Stiftung des h. Abendmahls, und so tritt uns hier noch eine ergreifende Mahnung hin, in Beziehung auf dieses heilige Mahl. . Haben wir es erkannt, was Jesus in diese hei­ lige Feier hineingelegt, und welche Segnungen an sie geknüpft sind, wenn wir sie würdig begehn: wie sollten wir da nicht auch nach diesem Mahle der Liebe, nach dem himmlischen Versöhnungsmahle verlangen! Ja, Gel., wer gleichgültig an diesem Mahle vorübergeht, und kein Bedürf­ niß fühlt, zum Tische des Herrn zu kommen; wer der Einladung des Gottessohns sich entzieht: der kann auch kein lebendiges Glied seiner Kirche sein und kennt das Band mit seiner Gemeinde nicht. Zwar hilft unö die bloß äußerliche Feier des Sakraments zum Heile nicht. Tragen wir aber das Verlangen Christi in unsern Herzen: da sollten wir uns doch auch hingezogen fühlen zu diesem Mahle, worauf Christi Verheißung ruht und worin er sich selber und sein Leben uns schenken will. Wer das heilige Sakrament verachtet: der hat auch den vollen Glauben an Chri'stum nicht, der glaubt nicht an seine erlösende Göttesmacht. Das heil. Mahl ist aber eine Feier des vollen Glaubens, der unser ganzes Leben verwandeln, und aus dem alten zum neuen, zum Leben Christi gestalten soll. Der Glaube aber setzt auch die Buße voraus, und nur die schmerzliche Reue über das alte, gottentfremdete, und der Sünde noch dienende Leben, bahnt uns den Weg zur Erlösung. Nahen wir daher dem Altare des Herrn nicht mit einem reuigen und betrüb­ ten Herzen: so finden wir auch den Zugang zu Christo nicht. Wol soll das heil. Mahl ein Mahl zur Vergebung der Sünde sein; aber vergeben wird sie nur Dem, der ein wahres Leid über die Sünde fühlt und sich von ihr wendet. Wer das Kreuz Jesu Christi nicht auf sich nimmt, wer sich nicht selbst verläugnet und ihm demuthsvoll nach-

124 folgt:

der ist

auch

sein

Jünger

nicht,

und kommt nicht

zum

ewigen

Leben. Möge darum das heilige Mahl,

so oft wir es feiern,

ein Mahl

des lebendigen Glaubens, der sich hingebenden Liebe und der freudigen Hoffnung sein, daß wir vereint mit Christo und gezogen von ihm, zum neuen und seligen Leben erstehen mögen in seinem Reich. — Das gebe Gott uns

Allen um seiner Gnade und Erbarmung willen

durch unsern Herrn Jesum Christum.

Amen.

XIII.

Der Christ unter dem Kreuze Jesu. Predigt am Charfreitage 1855 üb. Ev. Ioh. 19, 16-30.

Herr, der Du uns hier unter Deinem Kreuze versammelt hast, — schmerzvoll und tiefgebeugt schauen wir auf zu Dir, den wir um unsert­ willen leiden und sterben sehn. Denn die Sünde der Welt, die Dich an's Kreuz gebracht, lastet ja auch auf uns. Doch auch in diesem Schmerz nimmst Du Dich unsrer an, und kommst mit dem Trost Deiner Gnade zu uns, und selbst von Deinem Kreuze herab leuchtet uns ein himmlisches Licht, das Licht des Friedens, den Du sterbend für uns ge­ stiftet, und uns mit dem Bater versöhnt hast. — Dank Dir, Du hei­ liger Gottessohn! Dank Dir, der Du bis in den Tod uns geliebet hast! Darum fallen wir anbetend vor Dir nieder und flehen zu Dir, daß Du uns Kraft schenken wollest, Deine Liebe zu fasten und Dir lebend und sterbend uns hinzugeben. Mit heiligen Gelübden im Herzen nahen wir zu Dir. Stärke uns in unsrer Schwachheit, sie zu erfüllen, und Dir treu zu bleiben bis an das Ende. Ja hilf, daß wir Deinen Frie­ den erringen mögen, den Frieden des Lebens in Deinem Reich, des ewigen und seligen Lebens bei Dir! Amen.

126



Ist es, m. Gel., stets etwas Schweres, bei einer Todesfeier das Wort zu nehmen, schwer um des Ernstes und der Bedeutung willen, die der Gedanke und der Anblick des' Todes für Jeden unter uns haben muß; ist es noch schwerer, das rechte und gotteswürdige Wort zu fin­ den, wenn ein besonders segensreiches und thatenvolles Leben geendet hat: so erscheint es wol als das Schwerste, am Tage der Todesfeier Jesu Christi, des göttlichen Welterlösers, der sich am Kreuze für uns geopfert hat, zu predigen. Wie soll ich in meiner Schwachheit im Stande sein, das Bild dieses Todes, der keinem andern vergleichbar, und aus dessen geheimnißvoller Tiefe eine unüberwindliche Macht, eine Macht des ewigen Lebens erwachsen ist, also zu zeichnen, daß es sich unvertilgbar in unsre Herzen präge und selbst eine Kraft werde zur Seligkeit. Wenn ich nun doch hier auftrete, Euch den Tod des Herrn zu verkündigen, so thue ich es nur in dem Vertrauen, daß er selbst bei mir sein und mich stärken werde 'mit seinem Geist, aber auch in der Hoffnung, daß ein heiliges und himmlisches Verlangen mir von Eurer Seite entgegenkomme, und Ihr mit mir darum bittet und fleht, daß die Frucht des Todes Jesu Christi uns Allen zu eigen werde, und wir als die Erlösten ihn preisen mögen in Ewigkeit. — Wir wollen nun aber auch nur die Worte der Schrift, die uns den Kreuzestod des göttlichen Heilands beschreiben, und die in ihrer Einfachheit um so ergreifender sind, für unsre Betrach­ tung zum Führer nehmen und uns anschließen an den Bericht des vor Allen geliebten Jüngers, der selbst unter dem Kreuze Christi gestanden hat und ihn verscheiden sah. Wir lesen ihn im Evangelium des Jo­ hannes Kap. 19, V. 16—30. „Da überantwortete er ihn...und neigte das Haupt und verschied?'

So verschied also der Gottessohn. Sowie er starb, starb noch nie ein Mensch. Denn sein Tod ist der Tod der Versöhnung mit Gott, die er gestiftet und Friede gemacht hat durch sein Blut am Kreuz. Möge der Geist der Liebe, womit er den Tod für uns auf sich nahm, auch mächtig werden in uns, daß seine Todesfeier aüch die Feier unsrer ewi­ gen Versöhnung mit dem himmlischen Vater sei! Dazu lasi, o Vater, auch diese ernste Stunde mit Deiner Gnade und Erbarmung willen durch Deinen Sohn Jesum Christum gesegnet sein. Amen.

127 Soll die Todesfeier Jesu Christi uns einen wahren und bleibenden Segen schaffen, wollen wir Theil haben an der Versöhnung, an dem Gottesfrieden, den der Gekreuzigte uns vom Himmel herabgebracht: so müssen wir das Bild seines Todes uns lebendig vergegenwärtigen, müssen mit ihm gehen nach Golgatha und selbst unter seinem Kreuze stehen, und in seinen Todesleiden ihn sehn. und sinnliche Anblick nicht hin.

Wol reicht der äußerliche

Denn sonst hätten ja Alle, die ihn bei

seinem Todesgange begleiteten, auch den Segen ererben müssen.

Aber

wir wissen ja, wie die Meisten keine Ahnung davon hatten, wer es war, der hier den schmachvollen Tod am Kreuze erduldete, und wie auch die Feinde Christi, die nur Haß und Verachtung gegen ihn in dem Her­ zen trugen, seiner Kreuzigung zugeschaut, deren Schuld ihr eignes Ge­ wissen belastete.

Ja wir finden hier selbst Priester und Schriftgelehrte,

die es über sich brachten, ihren gottlosen Spott und Hohn über den ge­ kreuzigten Gottessohn auszuschütten. auch seine Mutter, versunken

Aber es stand bei dem Kreuze Jesu

in den tiefsten Schmerz, der als ein

Schwert durch ihre Seele drang, wie es schon Simeon ihr geweiffaget hatte; und mit ihr noch andre wehklagende und weinende Frauen.

Und

auch Johannes, der Jünger, den Jesus lieb hatte, und der nicht von seiner Seite gewichen war, schaute in heiliger Sehnsucht hinauf zu dem Herrn, der am Kreuze hing, und als das höchste Vermächtniß seiner Liebe, seine Mutter ihm übergab.

Wie sollten wir einem Johannes

nicht folgen wollen? wie sollte es uns nicht darum zu thun sein, daß auch wir in dem Geist seiner Liebe das Bild des Gekreuzigten in unsre Herzen fassen, und wir zu ihm gestellt sein möchten, wie dieser Jün­ ger? Ja, nt. Gel., wollen wir die Tod esse ier Jesu recht und wahr­ haft begehn, so daß sie uns zur Erlösung hilft: so müssen wir auch heute hinantreten zum Kreuze Christi und bei ihm stehn.

Was dies

aber bedeutet und sagen will, und in welchem Sinne wir dies zu fassen haben: das wollen wir uns jetzt noch näher vor Augen stellen.

Der Christ unter dem Kreuze Jesu, — das soll der einfache, aber doch gar inhaltsschwere Gegenstand unsrer Charfreitagsbetrachtung sein. Wol gehört der Kreuzestod Jesu in eine entlegne Vergangenheit, und die Stätte, wo das Kreuz aufgerichtet ward, Golgatha, liegt ferne von hier bei Jerusalem.

Es gilt nun auch keine Wallfahrt, die wir

dorthin zu machen hätten, und Biele, die nach den heiligen Stätten ge-

128

pilgert sind, haben doch nicht unter dem Kreuze Christi gestanden und den Herrn nicht geschaut. Nein, hier und in diesem Gotteshause, wo wir zur Feier des Todes Jesu versammelt sind, ja überall, wo wir zu dem sterbenden Heilande beten, sollen wir unter seinem Kreuze stehn. Aller­ dings kann dies nur im Geiste geschehn. Da geschieht es aber auch erst wahrhaftig, weil das Leben nur im Geiste seine Wahrheit hat und in ihm bei sich selbst ist. Daher handelt es sich auch nicht etwa bloß darum, die Schrecken des Kreuzestodes Jesu und seines letzten großen Leidenskampfs in einem äußerlichen Bilde uns vorzustellen. Wol wird bei dem Gedanken an diese Todesleiden unsre Seele tief be­ trübt und erschüttert sein, — und wie könnten wir die Feier des Todes Jesu begehn, ohne mitzufühlen was er gefühlt, und ohne in die Tiefe des Schmerzes uns zu versenken, den er erduldete. Mit einer Bewegung nur des Gefühles aber ist's auch nicht gethan. Das bloße Gefühl geht vorüber und es ist nichts Bleibendes in ihm. Soll uns der Schmerz eine Frucht des Friedens bringen: so muß er auf einem tieferen Grunde ruhn. Sind wir uns nicht bewusit geworden, welche Bedeutung, welchen geistigen und göttlichen Inhalt der Kreuzestod Jesu hat, haben wir nicht erkannt, wer es war, der hier am Kreuze verschied-, schauen wir nicht zu ihm auf, als dem vom Vater Gesendeten, als dem Sohn des höchsten göttlichen Wohlgefallens, steht es uns nicht vor der Seele, was ihn zum Tode gebracht: so würde auch seine Todesfeier für uns umsonst und vergeblich sein. Wir können seinen Tod nicht feiern, wenn wir nicht an ihn glauben, als den Herrn des Heils, und ohne dies ständen wir auch gar nicht als Christen unter seinem Kreuze. Da tritt nun aber der Anblick des gekreuzigten Gottessohns uns erst in seinem ganzen schweren Gewicht vor die Seele. Da sehn wir den Gerechten und Heiligen Gottes wie einen Missethäter an's Kreuz ge­ schlagen. Ihm, der nichts als Gutes gethan und der Welt nur Heil und Frieden verkündigte, der die lebendige Liebe war, ward der grau­ samste Tod zum Lohn. Ja eine Unthat, die unsre Herzen erbeben lässt. Da greift nun aber auch der Schmerz noch tiefer in unsre Seele. Es ist der Schmerz über die Sünde der Welt, welche die Schuld dieser Unthat trägt. Thun wir nun aber einen Blick in uns selbst, und er­ kennen wir uns vor dem Gottesbilde des Herrn als die Schuldigen: so muß es auch der Schmerz über die eigne Sünde sein, die uns unter dem Kreuze Jesu ergreift. Wir fühlen uns tief gebeugt und getroffen von seinem strafenden Blick. Doch indem es ja nur die Liebe war,

in welcher er für uns starb und sterbend nichts suchte, als uns zu be­ seligen: so" ist es zugleich sein heiligstes Verlangen, die Strafe von uns hinwegzunehmen; — und er bittet ja selbst den Vater um Vergebung für uns. Denn wenn er noch am Kreuz für die Feinde, die das grause Todesuriheil über ihn ausgesprochen und an ihm vollziehen ließen, be­ tet: Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun: wie konnten wir zweifeln, daß auch das Kreuz Jesu Christi für uns eine Stätte der Vergebung ist. Schauen wir daher nur mit schmerz­ licher Sehnsucht und voll inniger Reue zu ihm hinauf: so dürfen wir das Wort der vergebenden Liebe auch uns wol zueignen, und so senkt sich auch vom Kreuze herab und aus dem Munde des Gottessohns ein stiller und seliger Trost in unser trauerndes und bekümmertes Herz. Wir stehen aber unter dem Kreuze Jesu als die also Getrösteten auch nur dann, wenn wir der Liebe der Welt entsagt, und allem eitlen und leeren Schein den Abschied gegeben haben, wenn wir nicht mehr trach­ ten nach Denl, was auf Erden, sondern was droben ist, wo Christus ist, sitzend zur Rechten Gottes. Ist unsre Liebe noch eine zwiefache, und wenden wir noch dem vergänglichen Wesen der Welt uns zu, wol­ len wir noch theilen zwischen ihr und Gott: so haben wir noch gar keine feste Stellung unter dem Kreuze Christi; und glauben wir es auch vielleicht, so werden wir nur zu bald davon hinweggedrängt sein. Denn diese Stellung beruht nicht etwa im Wissen nur, oder in der Annahme einer bloßen Lehre des Heils, was von Christo kommt, son­ dern obwol sie nur im Glauben gefestigt ist, muß es doch eine Stel­ lung des ganzen Lebens sein, so daß wir von der Macht' des Kreuzes Christi getragen sind, und die Hingabe Jesu in den Tod die bewegende und schaffende Kraft unsers Lebens ist. Denn es reicht auch nicht hin und hätte keine Wahrheit, wollten wir nur vorübergehend unter dem Kreuze Jesu stehn und es wieder verlassen, sobald die Todesfeier ge­ schlossen ist. Nein, Gel., das muß unser bleibender Standpunkt sein unter allen Zuständen und Verhältnissen, so daß wir das Kreuz immer vor Augen sehn. — Ja noch mehr; — stehen wir wahrhaft unter sei­ nem Kreuze, so müffen wir auch Theil haben an seinem Tode, und selbst mit ihm zu sterben wissen. Freilich handelt es sich dabei nicht um eine gleiche äußerliche Todesgestalt, sondern wir sollen innerlich im Tode ihm ähnlich werden. Der Geist der vollendeten Hingebung an den himm­ lischen Vater, in welcher er für uns starb, der Hingebung, die alles Andre zu opfern bereit ist, soll auch der unsere sein, wie es auch der Schirmer, Festpredigten.

9

130

Apostel Paulus in diesem -Sinne als seinen Ruhm nennt, den er habe in Christo Jesu: ich sterbe täglich, — und uns bezeugt, daß er allezeit das Sterben des Herrn Jesu an seinem Leibe trage. Wir sollen mit Christo der Sünde gestorben sein, indem unser alter Mensch mit ihm gekreuzigt ist. Dieses Gekreuzigtsein, dieses Sterben mit ihm, schließt aber auch schon die Macht eines neuen und höheren Lebens in sich; und wie Christas erweckt ist von den Todten durch die Herrlichkeit des Vaters: so sollen auch wir mit ihm in einem neuen Le­ ben wandeln. So wird freilich der Christ, der unter dem Kreuze Jesu steht und in sich selbst, in sein innerstes Leben eingekehrt und der Liebe des gekreuzigten Sohnes Gottes inne geworden ist, stets von einem ho­ hen und heiligen Ernste durchdrungen sein und Nichts an sich dulden, was dem Herrn nicht gefällt, ohne jedoch einem trüben und düstern Wesen sich hinzugeben. Denn wenn auch die Selbstbesinnung unter dem Kreuze Christi zunächst Schmerz und Traurigkeit in uns hervorruft: so soll diese Traurigkeit, ist sie nur in sich eine göttliche, in Freude verwandelt, und selbst eine Kraft werden zur Seligkeit, die über menschliche Gedanken hinausliegt. Wol sollen wir als Jünger Jesu, auch das Kreuz auf uns nehmen. Aber lernen wir nur von ihm, so wird auch dies eine leichte und liebe Last für uns sein, und er will uns erquicken, daß wir eine himmlische Ruhe finden für unsre Seelen! Ja selbst das Sterben mit Christo, wie es uns Paulus beschreibt, das volle Sichversenken in sei­ nen Tod, so daß der alte Mensch nicht mehr ist, lässt ja zugleich einen neuen Menschen in uns geboren werden, schafft in uns ein neues Herz und einen neuen gewissen Geist. Da weicht auch die Schwachheit, die uns vorher noch umgibt, und unsre Herzen mit Furcht und Bangen vor den Kämpfen des Lebens erfüllt, immer mehr von uns, und es zieht ein neuer heiliger Muth, eine neue Kraft in uns ein, die als von Gott durch die Welt nicht gebrochen wird. Sowie Jesus selbst sterbend die Welt überwunden und durch die Macht seiner unbezwinglichen Liebe einen ewigen Sieg, den Sieg des ewigen Lebens errungen hat: so füh­ len auch wir unter dem Kreuze Jesu uns gestärkt und gekräftigt, in den Kampf zu gehn und das Werk zu thun, was der Herr uns befohlen hat. Ist er ja doch selbst die Hoffnung der Herrlichkeit, und hat er durch seinen Hingang zum Vater auch uns eine Stätte bereitet, wohin er uns aufnehmen will, daß wir da sein, wo er ist. Kommt daher auch der Tod über uns, stehen wir nur unter dem Kreuze Jesu, und ist er selbst bei uns: so leuchtet auch noch in dem Dunkel der Todes-

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stunde das Licht der heiligsten Hoffnung, das Licht des Himmels in unsre Seele. Denn jedes Wort, was Christus aus der Diese seines Gottesbewusstfeins noch am Kreuze sprach, weist ja zum Himmel uns hin. Und fühlten wir bei dem Gedanken, daß er als der Gerechte und Hei­ lige Gottes auch unser Richter ist, noch ein Bangen in uns: so dürfen wir ja wol auch uns der Zusage trösten, die er dem reuigen Mit­ gekreuzigten gibt: Heute sollst du mit mir im Paradiese sein! Haben wir nur ihn nicht verläugnet, ging der Zug der Sehnsucht nach ihm nur durch unser Leben hindurch: so lässt er sie auch sicher nicht ungestillt; — und er wird auch unsrer gedenken in seinem Reich. — So stehen wir denn, m. Gel., unter dem Kreuze Jesu nicht bloß als die Gebeugten, sondern auch getröstet und aufgerichtet, indem wir den festen Grund eines neuen Lebend gewonnen haben, und in dem Gekreuzigten uns die Aussicht einer ewigen Herrlichkeit ausgethan ist. Ist uns der Tod Jesu Christi doch selbst ein Zeichen des Heils, was der Welt in der Finsterniß, in die sie versunken war, aufgegangen ist und uns von allem Uebel erlösen soll. Sowie wir in dem Tode Jesu den schneidenden Gegensatz zwischen Gott und der Welt auf die höchste Spitze gesteigert sehn: so bricht auch eben hier die Macht Gottes hin­ durch als die siegende. Dem Gipfel der Bosheit, die den Heiligen Gottes, der nie eine Sünde gethan, an das Kreuz gebracht, tritt nur die unermessliche Liebe entgegen, die für die Feinde noch um Vergebung zu bitten weiß, und diese Liebe wird die Schöpferin einer neuen seligen Welt. Während die in der Sünde verlorne Welt der Verzweiflung zum Raube wird und rettungslos untergeht, erschließt der geschmähete und verachtete Menschensohn vom Kreuze herab dem um Gnade flehenden Schächer das verborgne und vergessne Paradies, — zum offenbaren Zeugniß, daß Zöllner und Sünder, wenn in ihnen nur das geheime Verlangen nach der Barmherzigkeit Gottes erwacht, eher m’9 Himmel­ reich kommen, als die durch den Dünkel der irdischen Weisheit Ver­ blendeten. Während der Weltmensch in der äußersten Armuth ver­ sinkt und sich gänzlich verlassen sieht, theilt der Gekreuzigte den suchen­ den und bedürftigen Seelen die Fülle des himmlischen Reichthums mit, der sich nie aufzehrt, und der uns in Ewigkeit bleibt. Während die Nacht der Finsterniß die Erde bedeckte und die Völker in Todesschatten gefangen saßen: da reißt in dem Augenblick des Verscheidens Jesu der Vorhang im jüdischen Tempel, der das Allerheiligste vor dem Volke ver­ schlossen hielt und ihm den Zugang wehrte, mitten entzwei, zum Zei9

*

132 chen "des Sieges, den das Lickt der Welt, Jesus Christus, sterbend errungen hatte über die Finsterniß, so daß es durch alle seine Feinde doch nie mehr ausgelöscht werden kann, — ein Siegeszeichen der Frei­ heit, zu der wir als Kinder Gottes berufen sind, und die uns, stehn wir nur unter dem Kreuze Jesu, stehen wir fest im Glauben an die in seinem Tode ruhende Macht, niemand entreißen kann.

Es ist voll­

bracht! spricht Jesus, und verkündigt mit diesem Worte auch'nur die Vollendung des Erlösungswerks, was der Vater ihm aufgetragen und

was er jetzt noch durch seinen Tod auf ewig besiegelte.

nun

aber heim zu demVater geht, so übergibt er ihm

selbst und sein ganzes Leben, indem er ausruft: meinen Geist in Deine Hände. nur

Vater, ich befehle

Dabei denkt er aber nicht etwa

an seine Person. Auch in diesem letzten Worte

lösung der Welt, die

Da er

zuletzt noch sich

ihm am Herzen liegt. Außer

ist es die Er­ seinen Jüngern

waren es ja kaum einige Wenige, die er in Liebe mit sich verbunden sah und die als die Seinen ihm angehörten, — und noch war auch der heil. Geist auf sie nicht herabgekommen.

Da nun aber das Fortwirken

und die Aneignung der Erlösung von Seiten der Welt und Menschheit doch nur durch das Lebendigwerden seines Geistes bedingt war, und dies nur durch die Macht des Vaters geschehen konnte, — denn der Geist Jesu Christi ist auch nur des Vaters Geist —: so bittet er darum den Vater in diesem seinem letzten Worte, daß er seinen Geist zu sich aufnehmen und ihn fortwirken und mächtig werden lasse auf Erden, damit alle Kreatur erlöst von dem Dienste des vergänglichen Wesens und zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes erhoben sei.

Nur in dieser Welt-

erlösung sieht er sein eignes Leben, seine eigne Verherrlichung. das Ziel seiner Liebe, in welcher er lebte und starb.

Däs ist

Möge dieses

Wort Jesu Christi auch uns den Segen bringen, den er als der ewige Hohepriester auf uns herabsieht, und immerdar für uns bittet! Möge uns ein gleiches himmlisches Bewusstsein beseligen beim Scheiden von die­ ser Welt.

Dazu aber gelangen wir nur, wenn auch wir in Christo,

und schaffend und wirkend mit ihm und in seinem Geist, ein Eigenthum haben, was wir sterbend Gott übergeben können, um dann mit Jesu zu sprechen: Vater, ich befehle meinen Geist in Deine Hände! — Haben wir nun aber unsre Lebensstellung unter dem Kreuze Jesu, der für die Erlösung der Welt sich hingegeben bis in den Tod: so dürfen wir nun auch bei der Beziehung auf uns selbst und auf unser

133

persönliches Leben nicht stehen bleiben, als fei eS nur um die persönliche Seligkeit uns zu thun. Sehen wir bloß auf uns, und meinten wir auch mit Jesu noch so viel umzugehn: so kommen wir gar nicht zur wahren und vollen Beseligung. Darum sagt auch Jesus: wer nur seine Seele, sein Leben zu erhalten sucht, der wird es verlieren. Die wahre Seligkeit ist nur das Leben der Liebe, welche die Welt umfasst, und nur für die Brüder lebt und nichts sucht als ihr Heil. In dieser Weihung für sie geht uns erst der volle göttliche Reichthum des Lebens auf, da schauen wir erst im Geiste das Himmelreich. Und das ist der Sinn, den Jesus mit den Worten verbindet: Wer sein Leben ver­ liert um meinetwillen, wer nicht das Seine sucht, sondern was Christi ist, der wird eö finden, das Leben, was unsterblich und selig ist. Darum dürfen wir unsern Blick nicht abwenden von der Welt, in welcher wir leben, und uns der Zeit und Gegenwart nicht entfremden oder entziehn. Wo bliebe denn sonst die Liebe, die der wahre und einige Dank für das unermeffliche Opfer ist, was uns Jesus gebracht? Da trügen wir auch das Bild des Himmelreichs, um welches wir immer* dar bitten sollen, nicht in dem Herzen. Und ist unser Leben nicht auch ein Werk dieser der Menschheit zugewendeten Liebe: so gewinnen wir auch kein Eigenthum, was wir sterbend Gott übergeben könnten, daß es fortwirke und eine Frucht in's ewige Leben bringe. Wie sehr aber die Welt auch in unsrer Zeit der rettenden und hei­ lenden Liebe bedarf: das lehren uns wol genügend die traurigen Zu­ stände um uns her, das sagt uns wol deutlich genug die Zerrissenheit, in welche wir die Menschen und Völker nach Innen, sowie nach Außen zerfallen sehn. Es geht ein Zug des Schmerzes und des Bangens jetzt durch die Welt, und es ist wol Keiner unter uns, der von diesem Schmerz nicht auch in seiner Seele berührt und getroffen wäre. Die Mittel aber, von diesem Schmerze frei zu werden und ihn zu lösen, findet die Welt bei sich nicht, und Alles was sie versucht, und womit sie von Außenher helfen und bessern will, ist umsonst und vergeblich und hat keine Macht. Man kennt die Quelle des Schmerzes nicht, oder will sie auch nicht kennen. Lässt die Welt nicht von sich, gibt sie nicht alles selbstische Trachten auf, sucht sie immer nur was das Ihre, aber nicht was Gottes ist, geht ihr die eigne Ehre über die Ehre des Herrn, thut sie nicht alles unheilige und unlautre Wesen mehr und mehr ab: so kann es nicht bester werden. Baut daß zerrüttete Leben nicht auf dem eini­ gen Grunde sich auf, außer welchem Niemand einen andern zu legen

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vermag: so ist es nicht wieder herzustellen. Ohne die Umkehr dort­ hin, von wo allein alle Hülfe kommt, ohne und wieder hinzuwenden zu dem emigen Felsen des Heils, haben wir keine Hoffnung. Stellen sich Die, welche für das Wohl des Volkes arbeiten und die Leiden desselben heilen und eine schönere Zukunft uns schaffen wollen, nicht unter das Kreuz Jesu Christi, so sind sie auch nicht dazu tüchtig und richten nichts aus. Nur unter dem Kreuze und im Anblick des sterbenden Gottes­ sohns wird uns das wahre himmlische Wesen des Gottesreichs klar. Wem aber das Gottesreich nicht als das höchste Ziel des Strebend und Trachtens vor Augen steht, wem es nicht an dem Herzen liegt, daß uns dieses Reich näher komme, und alle Herrschaft verwandelt werde in die selige Herrschaft Christi, des himmlischen Friedensfürsten: der kann auch für vas Heil der Brüder nichts thun. Denn das Heil besteht nur in der Erbauung des Lebens zum Gottesreich. Da fehlt es aber auch nicht an Solchen, die zwar auf die Umkehr zu Christo dringen, aber Alles nur herstellen wollen, wie es gewesen ist; die nur den Schein der Gottselig­ keit haben, aber seine Kraft verläugnen, und von einer neuen Schöpfung aus Christo nichts wissen mögen, weil es ihnen nicht wahrhaft um den Herrn, sondern noch um irdische Interessen zu thun ist, die sie am besten gesichert glauben, wenn nur das Alte in Geltung bleibt. Wol ist Jesus Christus gestern und heute und derselbige auch in Ewigkeit. Aber ebenso wisien wir, daß in Christo das Alte vergangen und Alles zum Neuen geworden ist, daß das Leben aus ihm nie stille steht, und sich immer höher vollenden und die Herrlichkeit des Sohnes Gottes stets reicher und leuchtender offenbaren soll. Die Herstellung alter Satzun­ gen, die doch nicht wieder lebendig werden, führt nicht zum Heil, und statt der Einigkeit im Geiste, die unsrer evangelischen Kirche im Anblick der Gefahren, die sie bedrohen, so Noth thut, und die allein ihre Schutzwehr ist, weckt man dadurch nur den alten Haß und die un­ seligen Spaltungen wieder auf, die uns noch mehr tn’d Verderben brin­ gen. War es doch eben das todte jüdische Satzungswesen, was Jesum an’8 Kreuz gebracht, und durch seinen Tod, den Tod der heiligsten Liebe, hat er das ewige Verdammungsurtheil darüber ausgesprochen. Das Kreuz ist ja darum auch die Macht einer neuen Welt, die, sowie die ganze Schöpfung ein Werk der göttlichen Liebe ist, auch nur aus der Liebe erstehen kann, und in dieser Liebe ruht auch der geheime und wunderbare Zusammenhang, in welchem der Tod Jesu Christi mit seiner Auferstehung steht, und wodurch alles Dunkel sich verklärt in das Licht des ewigen

135

Lebens. Die nur rückwärts sehn, stehen nicht unter dem Kreuze Jesu, was uns nach Oben, in eine göttliche Zukunft weist. Darum, Gel., wollen wir unter dem Kreuze des sterbenden Gottessohns in seiner Liebe uns immer fester vereinigen und zusammenschließen und Alles, was uns trennen und scheiden kann, von uns thun. Sowie Jesus noch am Kreuz seiner Mutter gedenkt und sie dem geliebten Johannes empfiehlt, daß sie den Sohn in ihm wieder finde: so will er auch uns damit mahnen, daß wir die Bande der Liebe zunächst in den engeren Kreisen des Hau­ ses und der Familie unauflöslich festhalten und bewahren. Denn diese Liebe ist der natürliche Uebergangspunkt zu der Liebe, die alle Glie­ der des Herrn zu Einem Leibe, zu einer großen Gottesgemeinde gestalten soll. Wo das Haus nicht in Liebe zusammensteht, da steht es auch nicht zusammen mit Jesu Christo. Gehören wir aber in wahrer Liebe uns an, lieben wir uns in dem Herrn: so nehmen wir zu dieser Liebe auch Alle auf, welche die Seinen sind. Und so sollen wir auch das Wort Jesu zu Herzen nehmen: Wer den Willen thut meines Vaters im Himmel, der ist mein Bruder, meine Schwester und meine Mutter. Möchte doch auch heute sein Blick vom Kreuze herab uns verkündigen, daß wir seine Brüder und seine Schwestern sind! Dann darf uns nicht bange sein. Er lässt uns nicht verwaist; er kommt zu uns und nimmt uns mit sich in das Reich seines himm­ lischen Vaters. Wer aber irgend noch von ihm ferne ist, wer sich nicht als Bruder und Schwester mit ihm verbunden weiß: o, der eile herbei unter das Kreuz Jesu Christi, und lasse durch ihn sich versöhnen mit Gott, daß er in ihm den Frieden finde, den die Welt uns nicht geben, aber auch nicht nehmen kann, den Frieden, ohne welchen unser Leben voll Jammer und Elend ist. Darum, Gel., kommt Alle zu ihm, die Ihr mühselig und beladen seid, und er wird Euch nicht unerquickt von sich laffen. Ja haben wir hier unter dem Kreuze Christi gestanden, und glaubensvoll zu ihm aufgeschaut, als von wo allein uns die Rettung kommt, ist sein Kreuz unser Ruhm: so wird es auch in der letzten Stunde noch unser seliger Trost sein. Denn sterben wir mit Christo, so werden wir auch mit ihm leben, und als die Begnadigten und Erlösten, Dem, der für uns gestorben, und nun himmlisch verklärt und verherrlicht, aber mit seiner Liebe immerdar bei uns ist, auch danken und Preisen in Ewigkeit. Amen.

XIV.

Der Tod Jesu Christi als Versöhnungstod für die Welt. Predigt am Charfreitage 1856 über Römer 5, 10.

Tiefgebeugt erscheinen wir heute vor Dir, Du unser Herr und Er­ löser, und der schmerzliche Anblick, Dich, den Heiligen Gottes, am Kreuz zu sehn, ergreift unsre innerste Seele. Denn die Sünde der Welt, die Dir den Tod gebracht, lastet auch noch auf uns und auch wir fühlen und bekennen uns als die Schuldigen. Wo sollen wir da den Trost fin­ den für diesen Schmerz? Doch Du nahmst ja den Tod auf Dich nur für uns und um unsertwillen, und nur die heiligste himmlische Liebe war es, die Dich für uns sterben ließ und den Frieden mit Gott uns zurück­ gebracht. So stralt uns auch von Deinem Kreuze herab das Licht eines neuen, versöhnten und seligen Lebens, und anbetend stehen wir still vor dem Wunder der göttlichen Erbarmung, die durch Deinen Tod uns vom Tode und von der Verdammniß erretten will. Sende uns nur den Geist vom Väter, den Du zum Tröster und zugesagt und entzünde in uns die Sehnsucht, die uns zum Himmel zieht, wohin Du uns voran­ gegangen, und hilf, daß wir uns in das Geheimniß Deiner Liebe ver­ senken mögen, um in ihr zu sterben mit Dir, und also durch den Tod

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zum Leben hindurchzudringen, was nimmer stirbt, zum Leben der ewigen Freiheit und Herrlichkeit bei Dir und in Deinem Reich! Amen.

Der Kreuzestod Jesu Christi, m. Gel., dessen ernste und hochheilige Feier wir heute begehn, hat zwar seine gleiche und unvergängliche Gel­ tung für alle Zeit, und die Kraft der Versöhnung, die der Sohn Gottes durch sein Leiden und Sterben gestiftet hat, ist und bleibt dieselbe heute und immerdar, wie für jeden Einzelnen unter uns, ebenso für die ganze Welt, und es kann Niemand, weder jetzt noch in Zukunft, zum Frieden mit Gott, zum wahren Lebensfrieden gelangen, der seine Zuflucht nicht zu dem gekreuzigten Heiland nimmt. Und in diesem Frieden ruht für uns Alle, die wir den Schmerz empfunden haben, den die Sünde in unser Leben bringt, der höchste und heiligste Trost; nach ihm sehnt sich unser banges und krankes Herz, unsre geheimste und innerste Sehnsucht geht auf in ihn. Aber es gibt Zeiten, wo das Bedürfniß der Ver­ söhnung noch stärker und mächtiger als sonst uns entgegentritt. Und zu diesen Zeiten gehört ganz besonders die unsrige, — die Gegenwart, in welcher wir leben. Wir mögen unsern Blick nach Außen oder nach In­ nen richten, so sehen wir, wie Alles in traurige Gegensätze zerfallen ist und feindlich sich gegenübersteht, und wie nach allen Seiten und Be­ ziehungen hin ein tiefer Zwiespalt durchs Leben geht. Und es rührt dies nicht bloß von der Zerrüttung der irdischen Verhältnisse her, son­ dern kehrt zurück auf die widerstreitenden Stellungen in der geistigen und sittlichen Welt, — darauf, daß die Menschen sich untereinander nicht anerkennen und würdigen, wie sie Alle zum Bilde Gottes berufen sind, und ein gleiches göttliches Lebensrecht für sich haben, — vielmehr Einer über den Andern herrschen und ihn zum Mittel für seine selbstischen Zwecke gebrauchen will. Das hängt aber doch nur damit zusammen, daß die Liebe Gottes aus den Herzen so Vieler gewichen und ein ge­ setzliches pharisäisches Wesen an die Stelle getreten ist, was man zum Christenthum machen will und an der Gerechtigkeit, womit man allein das Gottesreich bauen kann, vorübergeht. — Da thut wahrlich Ver­ söhnung Noth, und wir fühlen und erfahren es Alle wol in uns selbst, daß auch unser eignes Leben in den feindlichen Zwiespalt der Welt ver­ flochten ist und daran zu leiden hat. Den Schmerz der herrschenden, unseligen Trennungen tragen wir auch in uns. Ist nun aber die Frage: wie denn der Zwiespalt zu lösen sei, und was die getrennten Gemüther

138 versöhnen, und die so schmerzlich entbehrte Eintracht wieder herstellen könne: so erreichen wir dies freilich auf nur menschlichem Wege und durch Mittel der irdischen Klugheit nicht.

Liegt den feindlichen Verhältnissen

unsrer Zeit doch zuletzt nichts Andres zum Grunde, als. daß die Gottes­ furcht nicht mehr in den Herzen der Menschen lebt und dagegen die Selbstsucht in ihnen regiert: so kann es auch nur durch die Rückkehr zu Gott zur Versöhnung kommen.

Ist es aber nur der Gottessohn

Jesus Christus, der uns zum Vater führt, so lässt sich auch für die zer­ fallnen und zerrütteten Zustände unsrer Zeit keine Versöhnung und Hei­ lung finden, ohne zu Christo uns hinzuwenden, der durch seinen Tod am Kreuz eine ewige Versöhnung gestiftet und alle Feindschaft hinweg­ genommen hat.

So sehn wir uns hier also

auf den Kreuzestod

Jesu Christi zurückgewiesen und wollen ihn von der Seite ins Aüge fassen, worin seine höchste Bedeutung ruht, wie er nämlich ein Ver­ söhnungstod ist

für die Welt, und alle wahre Versöhnung auch

der Menschen untereinander nur in ihm geschieht.

Wir haben nun auch

einen Ausspruch des Apostels Paulus zum Text erwählt, worin er den Tod Jesu Christi preist als der mit Gott uns versöhnt hat, uns aber noch zu einer höheren Seligkeit führen werde durch die Macht seines Lebens.

Wir lesen diesen Ausspruch in dem Briefe des Apostels an die

Römer und zwar im 5. Kapitel, wo er im 10. Verse also lautet: „So wir Gott versöhnet sind durch den Tod seines Sohnes, da wir noch „Feinde waren, wieviel mehr werden wir selig werden durch sein Leben, „so wir nun versöhnet sind."

Ja gebe Gott, daß das Wort unsers Apostels sich auch

an uns

erfülle und die versöhnende Kraft des Todes Jesu uns lebendig zu eigen werde, um also hindurchzudringen zu dem himmlischen Frieden in seinem Reich.

Dazu laß, o Herr, auch diese ernste Betrachtung, heute unter

Deinem Kreuze, durch den Beistand des heil. Geistes für uns Alle ge­ segnet sein.

Amen.

Unser Text, m. Gel., enthält zwar keine nähere Beschreibung von dem Tode Jesu, wie er ihn am Kreuz als den grausamsten und marter­ vollsten gestorben ist.

Doch wir wissen ja, welch ein Tod dies war,

und wie furchtbare Schmerzen Jesus erdulden musste, ehe er ausrufen könnte:

Es ist vollbracht! Vater, ich befehle meinen Geist in

139 Deine Hände! Steht doch wol das Bild dieses Todes auS der Leidens­ geschichte des Herrn schon von Kindheit her uns Allen lebendig vor Augen und hat unsrer Seele unauslöschlich sich eingeprägt.

Es ist ja

der göttliche Erlöser, den wir am Kreuz für uns sterben sehn.

Und

heute, an seinem Todestage, ergreift uns dieser Anblick gewiß um so mächtiger.

Wenn uns daher der Apostel auch nur mit einem Worte

den Tod des Gottessohns nennt, als durch den wir mit dem Vater ver­ söhnet sind: so schließt dies Alles in sich, was uns der erschütternde An­ blick des Gekreuzigten lehren soll.

Auch waren die Leiden Christi nicht

etwa bloß die leiblichen, größer noch war der geistige Schmerz, daß für die himmlische Liebe, die er der Welt entgegenbrachte, um sie vom Ver­ derben zu retten und Jedem nur wohlgethan, nur der Tod am Kreuz ihm zum Lohne ward.

Darum ist es auch nur mit einer schmerzlichen

Bewegung des menschlichen Mitgefühls nicht ausgerichtet, sondern wir müssen die Todesleiden Christi im Herzen tragen, daß wir tief ergriffen von dem Gedanken, wie Jesus

für

uns gelitten und sich um unsrer

Sünde willen dahingegeben, nun auch, soviel an uns ist, danach ringen, die Frucht dieser Leiden zu ernten und als die Versöhnten zu leben im seligen Frieden Gottes.

So soll denn auch heute nach dem Inhalte

unsrer Textesworte

Der Tod Jesu Christi als Versöhnungstod für die Welt der ernste und heilige Gegenstand unsrer Betrachtung sein,

und wir

wollen ihn zu erkennen suchen in seinem Wesen, sowie in seiner Macht, woraus sich dann auch ergeben wird, wie wir selbst der Versöh­ nung gewiß sein und derselben uns trösten können. Um den Bersöhnungstod Christi wollen wir also heute in stiller Andacht unsre Gedanken sammeln.

Die Frage, m. Gel., wen der Gottessohn durch sein Leiden und Sterben versöhnen wollte, wird wol Niemand von uns noch' thun. wissen es ja.

Wir

Es ist die von Gott abgefallne und durch die Sünde

verlorne Welt, wir Alle sind es, die er zu ihrem himmlischen Vater zurückführen und mit ihm versöhnen will. Und haben wir einen Blick in uns selbst gethan und unsre Schwachheit erkannt, beugt das Gefühl der eignen Schuld uns danieder: da sehnt sich wol unser armes und banges Herz nach der rettenden Gnade Gottes und nach seiner Barm-

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Herzigkeit. Diese Gnade und Barmherzigkeit. Gottes ist unS tum aber erschienen in Jesu Christo, den das tiefste und heiligste Mitleid trieb, sich für uns hinzugeben bis in den Tod, bis zum Tode am Kreuz, daß wir in ihm die Versöhnung fänden und wieder aufgenommen würden als Kinder Gottes. Wie aber ist denn diese Versöhnung geschehen durch Christi Tod? Wie ist es möglich, daß sein Tod uns versöhnen kann? Darüber müssen wir doch uns klar sein. Denn verbinden wir damit eine falsche und irrige Vorstellung, dächten wir dabei nur an ein äußer* lich vollbrachtes und fertiges Werk, so würde es um unser ganzes Christen­ thum, um das wahre Heil unsers Lebens, was doch nur aus dem Geiste des Herrn sich erbauen kann, gar misslich stehn. Jede Versöhnung geht von der Liebe aus, welche die bisher Getrennten wieder vereint und zu­ sammenführt. Nur die Liebe ist die versöhnende. Das gilt nun auch von der Versöhnung mit Gott, und sie kann selbst nur das Werk der höchsten und heiligsten Liebe sein. Ist nun der Tod Jesu Christi am Kreuze der Tod, den er zur Versöhnung der Welt gestorben: so stammt seine versöhnende Kraft doch auch nur aus der Liebe, aus der unendlichen himmlischen Liebe, worin der Gottessohn sein Leben gefunden hatte und womit er die Menschheit, womit er uns Alle in seinem Herzen trug. Wir dürfen den Tod des Erlösers von seinem Leben nicht treuneu. Wäre nicht sein ganzes Leben eine That der Liebe gewesen: so hätte es der Tod allein nicht vermocht. Nur weil sein Tod die Voll­ endung, die höchste Spitze der Liebe war, die sich selbst hingibt und opfert, so schließt sich in ihm die versöhnende Kraft zusammen und kommt uns darin zum Anblick. Sowie Gott nur die Liebe ist und Jesus nur das Leben in Gott gelebt, in dem Vater, mit dem er Eins war: so konnte auch sein Tod nur ein Tod der in Gott sich versenkenden und in ihm ruhenden Liebe sein, der Liebe, die bis zum letzten Athemzuge des Lebens nicht davon loslässt, zu retten, was da verloren ist. Und er hatte auch nichts, als die unerschöpfliche und unbezwingliche Gottesliebe, um die Versöhnung der Welt zu schaffen. — So war es auch nur diese Liebe, die in seinem Todesleiden sich offenbarte, und wovon jedes Wort, was er noch am Kreuze gesprochen, ein wundervolles und rührendes Zeugniß gibt. Wenn er für seine Feinde, die ihn ans Kreuz gebracht und ihn die grausamsten Martern erdulden ließen, Gott um Vergebung bittet: so lässt uns diese Bitte gleichsam in den tiefsten und innersten Grund der Versöhnung hineinschaun, die er gestiftet hat. Denn eine Liebe, die so zu bitten und zu beten weiß, muß zuletzt aller Treu-

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nung ein Ende machen. Und welch eine Macht der Versöhnung in die­ ser Liebe des sterbenden Gottessohns ruht, das sehen wir an dem einen Mitgekreuzigten, der einen solchen Eindruck von Christo empfangen hatte, daß eine schmerzliche Reue in ihm erwachte und er selbst an ihn glaubte als an den Herrn. Denn da er nun zu ihm fleht: Herr, gedenke an mich, wenn du in dein Reich kommst: da gibt ihm Christus die Versicherung: wahrlich, ich sage dir, du wirst heute mit mir im Paradiese sein, — und nimmt so alle Last der Sünde von ihm hinweg und thut ihm eine himmlische und selige Zukunft auf. Solch eine Liebe kann aber auch Niemand als nur der Gottessohn in sich haben, der von keiner Sünde gewusst; und wäre Christus nicht der Heilige und Gerechte Gottes, so hätte er auch durch seinen Tod die Versöhnung nicht stiften können. Nur weil er die lebendige Versöhnung, weil es sein Leben, seine Speise war, nur den Willen des Vaters zu thun und er keinen ungöttlichen Gedanken in seiner Seele trug, ist auch sein Tod zur Versöhnung geworden. Darum sagt auch unser Apostel, daß Gott, der in Christo war, dje Welt mit sich selber ver­ söhnt hat, indem er in ihm, der ja auch des Menschen Sohn ist und Fleisch und Blut an sich trug, sowie wir, das Leben erscheinen ließ, worin wir und selbst der alten Feindschaft entnommen und dem Vater zurückgebracht sehn. Ist es aber nur die Macht der göttlichen Liebe, in welcher Christus für uns gestorben und wodurch sein Tod zum Versöhnungs­ tode geworden ist, — ist es selbst nur die Liebe Gottes, der dies Alles in ihm gethan: so dürfen wir freilich nicht meinen, als habe er nur den Zorn Gottes gebüßt und als sei sein Tod nur ein Strafgericht ge­ wesen über ihn selbst, so daß Gott den Schuldlosen für die Schuldigen die Strafe hätte erdulden lassen, und er sich damit zufrieden gestellt, wenn nur die Straft vollzogen worden, sei es auch nicht an Denen, die sie verdient. — Gott straft keinen Unschuldigen. Dann wäre ja nicht die Liebe der innerste Grund der göttlichen Versöhnung, die uns in Christo geschenkt ist, und wir wären nicht die durch Liebe Begnadigten. Das wäre auch nicht die heilige Gerechtigkeit Gottes. Nein, Gott ist es nicht, der dem Sohne, der ja im Schoße des Vaters ist und den er von Ewigkeit her geliebt, als Strafe die Todespein zugefügt. Wir hiel­ ten ihn für Den, sagt schon der Prophet, der von Gott geschla­ gen und gemartert wäre; — und so sahen allerdings die Juden, die ihn zum Tode am Kreuz verurtheilt, ihn an. Aber er ist es nicht.

142 Er ist um unsrer Missethat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. schaft ist es, die

Die Sünde der Welt, die Gottesfeind­

ihn ans Kreuz gebracht, und sein Tod trug nur die

äußerliche Gestalt, als sei es der eines Uebelthäters, an Strafe vollzogen werde.

welchem die

Indem er aber nur aus erbarmender Liebe

den Tod auf sich nahm und sich zum Opfer für uns gegeben hat, um durch die Macht dieser Liebe uns zu sich, zu Gott zu ziehn, daß wir Frieden hätten: so ist uns die Strafe erlassen, wenn wir uns in diese Liebe versenken und geheiligt durch sie, uns glaubensvoll hinwenden zu dem Gekreuzigten.

Wir schauen in dem Opfertode des Herrn die un­

endliche und barmherzige Gnade Gottes, die Jeden, der in Christo ihr naht, zu sich aufnehmen und der früheren Sünde nicht mehr gedenken will.

Wir sind versöhnt, nicht weil Christus für uns gestraft ist, son­

dern weil es die Liebe, die weltüberwindende Liebe war, die ihn für uns sterben ließ. — Dafür gibt auch das eigne Wort Jesu Christi, was er nicht lange vor seinem Hingange sprach, uns Zeugniß: „Darum liebt mich mein Vater, sagt er, daß ich mein Leben lasse.

Denn

Niemand nimmt es von mir, sondern ich lasse es von mir selber?'

Der Vater liebt ihn, weil er nicht etwa nur in gezwungnem

Gehorsam, sondern in freier Liebe dem Tode sich hingab. Sowie es nun schon von der Liebe im Ganzen gilt, daß sie nicht aufhört, so kann nun auch die Liebe Christi, seine Liebe bis zum Tode am Kreuz, kein Ende nehmen, und die versöhnende Macht seines Todes ist unsterblich und

wirkt fort in alle Zukunft und immerdar.

Sein Tod als der Tod der rettenden Liebe ist die heiligste Gottesthat, die nicht ausgelöscht werden kann, so lange Himmel und Erde steht. Solche Liebe, die sich überall verstoßen sieht, die nichts erntet als Spott und Hohn, der nur Haß und Verfolgung zum Lohne wird, welche die schmachvollsten Mißhandlungen erdulden muß und zuletzt das Kreuz, — und die in alledem ausharrt und ihr heiliges Ziel ohne Wanken fest­ hält: — die kann nicht vorübergehn und verschwinden, ohne eine Macht ihres verborgnen und unzerstörbaren Lebens zurückzulassen.

Es ist ja

die Liebe, welche sterbend die Welt und selbst den Tod überwunden hat, und diesep Sieg kann nicht folgenlos sein, und von ihm geht eine fortwirkende und bleibende Macht der Versöhnung aus, eine Macht, die als gegründet in Gott und in seiner ewigen Liebe, nachdem sie einmal zur That geworden und durch Christum, in der Kraft seines Geistes,

143 in das Leben der Menschheit eingegangen, nicht gebrochen und umgestürzt werden kann; eine Macht der Liebe, die,

sei es im Stillen und Ver­

borgnen, oder zu Zeiten auch mehr sichtlich und offenbar, nicht nachlässt und nicht aufhört zu trachten und zu ringen, bezwungen und

dem

bis sie zuletzt die Welt

himmlischen Vater zu Füßen legt;

eine Macht,

woraus endlich eine Herrschaft erwachsen muß, die alle Trennungen löst, die von der Erde zum Himmel reicht und beide miteinander im ewigen Frieden zusammenschließt. lebendige Friede ist und den er gestiftet hat durch

Da enthüllt es sich

erst, wie Christus der

uns den Frieden zurückgelassen, den Frieden, sich selbst, durch seinen blutigen Kreuzestod.

Da wird eS in der Vollendung der Zeiten erst offenbar, wie ihm alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist,

— und diese

Gewalt ist keine andre als die der Liebe, welche die Welt besiegt. Ja

er hat sein Blut am Kreuz für Dich nicht umsonst vergossen, nicht

umsonst für Dich

gefleht und gerungen.

Wie sollte bei dem Anblicke

solcher wunderbaren und unergründlichen Liebe, wenn nicht alle besseren und edleren Gefühle in uns erstorben sind, wenn in uns noch eine höhere und himmlische Sehnsucht lebt, — nicht auch unsre Liebe erweckt und entzündet werden?

Wie sollten ihm, der sein ganzes Leben für uns

geopfert und auch am Kreuze uns nicht aus dem Herzen ließ, nicht unsre Herzen verlangend entgegenschlagen, bei ihm zu sein, daß wir ruhen möchten in seiner Liebe? Wie sollten wir ihm für das Liebeswerk, was er

heute sterbend für

uns vollbracht hat, nicht danken wollen, danken

mit unserm Leben? Denn was wir hier leben, wahrhaft leben, leben als Kinder Gottes, das leben wir allein in dem Herrn, und wir haben es nur von ihm.

Wo der Schmerz über den Tod des Gottessohns, selbst

in der Natur seinen geheimnißvollen Ausdruck gefunden hat,

wo die

Sonne ihren Schein verlor und das Land sich in Finsterniß hüllte, wo die Erde erbebte und die Felsen zerrissen, wie sollten wir uns da nicht in der innersten Seele erschüttert fühlen und in uns gehn, daß wir den alten Menschen, den Menschen der Sünde, dem durch den Kreuzestod Jesu Christi zugleich sein Urtheil gesprochen ist, auch in uns kreuzigen und das neue Leben der versöhnenden Liebe in uns erwache! Wir dür­ fen nun aber auch beim Anblick solcher Liebe, der Liebe Christi bis in den Tod, nicht zweifeln, daß Christus unser Versöhner, und die Ver­ söhnung für unsre Sünde in ihm uns geschenkt und bereitet ist, und wir sie immerdar in ihm finden können.

144

Doch müssen wir hier noch die Frage beantworten: wie wir denn nun auch der Versöhnung durch Christi Tod für uns selbst gewiß sein und derselben uns trösten können? — wie die Ver­ söhnung, die Jesus gestiftet hat, nun auch wirklich und wahrhaftig in die Welt übergeht und zu ihrem Eigenthum wird, so daß sie nicht bloß ein Gegenstand unsrer Gedanken und Vorstellungen, sondern zur leben­ digen und seligen Erfahrung für uns geworden ist. Denn darauf kommt ja doch Alles an. Wären wir darüber noch ungewiß, so hätten wir noch nicht mit voller Klarheit in das Geheimniß des Versöhnungstodes Jesu hineingeschaut. Dieser Tod ist nicht bloß eine Geschichte, an die wir zu glauben haben, sondern es liegt darin zugleich ein großes und gewaltiges Gebot/was an uns ergeht und ohne deffen Erfüllung der himmlische Friede Christi, der selige Trost der Versöhnung doch nicht in unsre Herzen kommt. Wir haben auch schon vorher darauf hingedeutet, indem wir die Liebe des sterbenden Gottessohns als eine Macht be­ schrieben, uns zu ihm hinzuziehn, und davon redeten, wie der Tod Jesu Christi uns mahne, den alten Menschen in uns zu kreuzigen. Aber wir müssen dies noch schärfer ins Auge fassen, damit wir des vollen Segens der göttlichen Versöhnung theilhaftig werden. Diese Versöhnung, obwol aus Gnade, ist doch nicht bedingungslos. Nehmen wir die Gnade nicht an, lasten wir sie nicht in uns wirken, folgen wir nicht dem Rufe der Botschafter Christi, die da bitten an Christi Statt: Lasset Euch ver­ söhnen mit Gott! — so erlangen wir auch die Versöhnung nicht. Sie ist geschehen in Christo als eine 'ewige Gottesthat, und wir sind versöhnt mit Gott, wie auch Paulus in unserm Texte sagt, durch den Tod seines Sohnes, da wir noch Feinde waren. Die Ver­ söhnung ist durch Christum vollbracht, indem er durch die Macht seiner in den Tod gehenden und für uns sterbenden Liebe die trennende Scheide­ wand zwischen Gott und Menschen hinweggenommen und die Feindschaft ertödtet und den Zugang zum Vater uns aufgethan hat. Wir sind ver­ söhnt durch ihn, da wir noch Feinde waren, indem seine erbarmende Liebe uns armen Sündern entgegenkommt und uns die Gewißheit gibt, daß uns der Vater in seinem Sohne vergeben hat und uns nicht von sich stößt, wenn wir in Christo nur zu ihm kommen. Haben wir den Glauben an die Versöhnung als die durch Christum vollbrachte, nicht, wenden wir und nicht glaubensvoll zu ihm hin, meinen wir ?ttoa, als könnten wir uns durch uns selbst und durch unser eignes Verdienst zu Versöhnten machen: so werden wir nie zur Versöhnung kommen, die sich

145 nur auf dem Grunde des Glaubens an den göttlichen Versöhner erbauen kann. fein.

Aber freilich darf dieser Glaube, dieses Vertrauen kein todtes Da wäre es vergeblich und brächte uns keine Frucht.

Der Glaube

an den Versöhnungstod Jesu Christi ist ja selbst nur der Glaube an sein Leben der göttlichen Liebe, die in der Hingebung in den Tod ihre Vollendung feiert.

Also nimmt die Versöhnung, die Christus für uns

vollbracht, doch auch uns selbst, unser eignes Leben in Anspruch, und thun wir unsre Herzen der versöhnenden Liebe Christi nicht auf, lassen wir sie nicht auch in uns lebendig werden, so daß sie selbst die Macht unsers Lebens wird: so erlangen wir auch die wahre und volle Ver­ söhnung nicht.

Wir stehn noch außer ihr und entbehren noch die Be-

seligung, die uns das Bewusstsein derselben gibt.

Soll uns dieses Be­

wusstsein, daö Bewusstsein des Friedens mit Gott durch unsern Herrn Jesum Christum beseligen: so müssen wir auch mit Christo zu sterben wissen, sterben der eitlen und sündigen Welt, deren Freundschaft ja Gottes Feindschaft ist.

Sonst geht das Licht der Liebe, worin alle Versöhnung

ruht, uns nicht auf und wir sind noch fern von dem neuen versöhnten Leben. — Versöhnt sind wir nur als die Geheiligten; und uns zu dieser Heiligung hinzuführen, das ist das Ziel der Versöhnung, die Jesus gestiftet hat; das stellt auch unser Apostel als ihre Frucht und Vollendung dar.

Er hat euch versöhnt durch den Tod, schreibt

er an die Kolosser, daß er euch darstellte, heilig und unsträf­ lich und unbefleckt vor ihm selbst, so ihr anders bleibet im Glauben gegründet und fest und euch nicht abwendig machen lasset von der Hoffnung des Evangeliums, von der Hoffnung der durch die Liebe Christi verklärten Zukunft, von der Hoffnung des Gottesreichs, wo sich Christus in seiner Herrlichkeit offenbaren wird. Damit bezeichnet uns aber der Apostel auch die Bedingungen, die von uns zu erfüllen sind, damit die Versöhnung unser wahres und seliges Eigenthum sei. — Jesus hat uns versöhnt, nicht daß wir in den alten Wegen dahingehn, sondern ergriffen von

der Macht seiner Liebe ihm

nachfolgen und in der Liebe wandeln, gleichwie er uns geliebet hat.

Er

hat unsre Sünden selbst geopfert an seinem Leibe auf dem Holz, nicht daß wir uns wieder mit neuen Sünden beladen und dem Gottessöhne neue Schmerzen bereiten, sondern daß wir der Sünde abgestorben, der Gerechtigkeit leben sollen und durch seine Wunden geheilet sind.

Das

Wort des Apostels in unserm Text aber ist besonders bedeutungsvoll. Wir sind mit Gott versöhnet, sagt er, durch den Tod seines Schirmer, Festprediglen.

10

146 Sohnes, da wir noch Feinde waren; vielmehr aber, setzt er hinzu, werden wir selig werden durch sein Leben, so wir nun versöhnet sind.

Die Versöhnung durch Christi Tod ist nur der vor­

ausgehende und gottgegebne und ewigwirkende Grund, auf dem sich das Leben der Versöhnung erbauen soll.

Erst diesem neuen Leben, worin

wir als die Versöhnten wandeln, schreibt Paulus die volle und höhere Seligkeit zu.

Denn es ist selbst der göttliche Versöhner, der dann wahr­

haft erst in uns lebt und unser ganzes Leben durchdringt mit der Macht seiner Liebe. — Wir werden selig durch sein Leben.

Es ist nicht bloß

der schmerzvolle, am Kreuze für uns sterbende Gottessohn, sondern der Erhöhte und Verklärte, der in den Versöhnten lebt und sie selbst immer mehr erhöht zu sich und zu seiner himmlischen Gnade.

So hätten wir, m. Gel., die große und ewige Bedeutung des Versöhnungstodes Jesu uns vor Augen gestellt, und stehen still vor dem Wunder der Liebe, das in ihm geschehen ist.

Das Bild des sterbenden

Gottessohns, das Bild seiner Liebe hat von Neuem unsrer Seele sich eingeprägt und soll unser Lebenlang uns begleiten und unser Trost sein auch in Schmerz und Leid.

Wir haben aber auch die Macht, die ver­

söhnende Macht gesehn, die von seinem Kreuz ausgegangen ist und kein Ende nimmt.

Das ist die Macht, die auch unsre zerrüttete Zeit allein

zu heilen und die feindlichen Trennungen unter den Menschen allein zu versöhnen im Stande ist.

Wäre nur die wahre christliche Liebe, die

Bruderliebe, — ohne die eine gesegnete Feier des Todes Christi, der sich für Alle und auch für die Feinde dahingegeben, nicht möglich ist, — in einem Jeden lebendig, und ginge Jeder in seinem Thun und Trach­ ten von dieser Liebe aus: so würde auch unsre Zeit bald eine andere Gestalt gewinnen und die Noth und Gefahr, wovon wir umgeben sind, würde von uns weichen. uns leider das Gegentheil.

Aber viele Erscheinungen unsrer Tage zeigen Statt zu versöhnen und sich gegenseitig ein­

ander zu nähern, lässt man in trauriger Selbstsucht die Spaltungen nur noch größer werden und will dem Uebel nur wehren, indem man die Schranken stets enger und härter zieht.

Da geschieht es auch wol noch

jetzt, daß Christus in Denen verfolgt wird, die dem Recht und der Wahrheit Gottes die Ehre geben, und dagegen manche Ungerechte und Uebelthäter als Freie ausgehn. — Möchten darum doch heute, am Todes­ tage des Herrn, Alle die von der Welt noch verblendet und in ihrem

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Herzen verfinstert sind, es inne werden, daß das Kreuz, an welchem Christus für uns gestorben, die Stätte ist, von wo Gnade herabkommt auf Die, so sich noch bekehren und Buße thun, aber auch das Gericht über Die, so nicht glauben wollen, daß Er der Herr ist, der über die Welt regiert. Möchten doch heute unter dem Kreuze Christi Alle, welche die Hoffnung auf das Gottesreich noch nicht weggeworfen, zu dem eini­ gen Retter und Versöhner aufschaun und sich von der Liebe Christi durchdringen lassen, um den Brüdern die Hand zu reichen zum gemein­ samen Gotteswerk, und so eine Versöhnung zu stiften, die auch uns in der Gegenwart das Licht eines neuen Lebens bringt, das Licht des Frie­ dens, den Christus den ©einigen zugesagt und den Niemand mehr von uns nimmt. Ja das ist auch heute unser heißes Flehn und Gebet für unser Volk, für das Vaterland, — für die Welt. — Wir beten zu Dir, o Vater, im Namen des Gekreuzigten, des Sohnes Deiner göttlichen Liebe! Hilf, daß wir Alle den Frieden Christi, den Trost Deiner Gnade in unsern Herzen haben, um auch für den Kampf des Lebens gestärkt zu sein. Hilf, daß wir ohne Bangen der Stunde entgegengehn, wo Du uns von hinnen rufst und im Augenblicke ves Scheidens, in heiliger und freudiger Zuversicht mit Christo sprechen können: Vater, ich befehle meinen Geist in Deine Hände! Amen.

XV.

Das Wort vom Kreuze als eine Kraft Gottes zur Seligkeit. Predigt am Charfreitage 1859 über 1. Korinth. 1,17—18.

Jetzt gehet das Gericht über die Welt. — Der Gottessohn, der nie eine Sünde gethan, bessert ganzes Leben nur Liebe war, unser Herr und Erlöser, Jesus Christus, stirbt den Tod der Missethäter am Kreuz. Das ist eine That, womit die Welt sich selbst das Todesurtheil ge­ sprochen hat.

Und gehören wir, m. Lieben, auch noch zur Welt, ist die

Sünde auch noch in uns: da erbeben wir wol beim Anblick deö Kreuzes Jesu in unsrer innersten Seele, und erkennen uns selbst als die Schul­ digen. — Darum flehn wir, o Herr, in unserm Schmerz um Deine Barmherzigkeit.

Und Du hörst unser Flehn, und sendest uns auch vom

Kreuze herab Deinen Trost, und bittest ja selbst den Vater, daß er die Schuld uns vergeben wolle. bist: so willst Du

Ja, wie Du in Liebe für unS gestorben

auch, daß wir in Deinem Tode das Leben fänden

und Frieden hätten mit Gott.

So wandelt sich Dein Kreuz zum Throne

der Gnade um, und glauben wir nur an Dich und an Deine göttliche Macht: so sollen auch wir nicht gerichtet, sondern begnadigt sein.

Dank

und Preis Dir, o Herr, der Du Dich also für uns geopfert und eine ewige Versöhnung für uns gestiftet hast!

Laß auch heute den Geist

Deiner Liebe mächtig werden in uns, daß wir sterbend mit Dir auch

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erwachen mögen zum Leben, was nimmer stirbt, zum Leben der ewigen Herrlichkeit. Amen.

Keine Todesfeier, m. Gel., kann so erschütternd und tiefergreifend sein, als die wir heute begehn, weil der Tod unsers Herrn und Hei­ landes Jesu Christi, sein Kreuzestod, mit keines andern Menschen Tode vergleichbar ist. Und obwol diese Feier in jedem Jahre uns wieder­ kehrt: so kann ihre Bedeutung doch nimmer abnehmen, sondern erhöht sich vielmehr immerdar. Denn jemehr wir den Tod deS Herrn im Geiste durchdringen, desto lebendiger muß auch die Theilnahme unsers innersten Herzens sein, desto stärker erweist sich die Kraft, die in diesem Tode verborgen liegt und die unser heiligstes Eigenthum werden soll. Es ist nicht bloß der Schmerz über das furchtbare Leid, was Jesus, der Heilige Gottes, erdulden muffte, so daß schon vorher seine Seele betrübt war bis in den Tod; — es ist nicht bloß der Schmerz über die Bosheit der Welt, die den Gottessohn, den Gerechten, zum Tode am Kreuz ge­ bracht. Wol sollen wir diesen Schmerz in uns tragen und von ihm durchdrungen fein, — und beim Anblick des Gekreuzigten haben wir Alle wol Ursache, an unsre Brust zu schlagen und zu sprechen: Gott sei mir Sünder gnädig! — Aber es ist doch weit mehr und viel Größeres, was sich uns in dem Tode Jesu vor Augen stellt, und seine Todesfeier soll nicht im Schmerze sich endigen. Sowie sein ganzes Le­ ben nur Liebe war, so starb er auch nur in ihr, und eS that sich in seinem Tode nur die unbezwingliche Liebe kund, die sich selbst zur Erlösung für Viele hingibt. Diese Liebe aber ist eine unsterbliche, und auS ihr geht immerdar ein neues und höheres Leben auf, und so ruht auch in ihr eine Macht, die selbst den Tod verwandelt und auf­ hebt. Und das ist eben das Wunderbare beim Tode Jesu, daß er selbst ein Sieg ist über den Tod. Es ist die Macht einer neuen Welt, die aus dem Tode Christi hervorgegangen, — und das ganze Christenthum wendet sich um ihn. Wenn man vorher den Halt des Lebens von Au­ ßen suchte: so ist jetzt das ganze Leben nach Innen, auf seinen göttlichen Grund gestellt, und auf seine tiefste Quelle, auf die Liebe zurückgeführt. Die Todesfeier Jesu, können wir sagen, ist der Mittelpunkt aller Christusfeier, und in seinem Tode, — erfassen wir ihn im Geist, drin­ gen wir in die Tiefe der Liebe ein — schließt sich uns das innerste Geheimniß des Lebens auf. Ja gewiß, m. Gel., solch einen Tod ist

150 noch Keiner gestorben und kann auch Niemand sterben, denn der Gottes­ sohn, der in sich das ewige Leben hat.

Mag auch Mancher in alter

Zeit für hohe Entschlüsse gestorben sein: es ist nur Einer, der in reiner Hingebung an den himmlischen Vater, und nur in der Liebe Gottes den Tod auf sich genommen hat, Jesus Christus, und darum ist nun auch eine Kraft zur Seligkeit von ihm ausgegangen, die nie versiegt. Kraft

Diese

wiffen nun auch die Apostel vor Allem zu rühmen, und preisen

sie um so höher, jemehr sie dieselbe in sich erfahren haben. ist der Apostel Paulus von diesem Preise erfüllt.

Besonders

So legen wir nun

auch einen gewichtvollen Ausspruch desselben zum Grunde unsrer Be­ trachtung.

Wir lesen ihn im ersten Brief an die Korinther, im 17* und

18. B. des 1. Kap., und er lautet also: „Christus hat mich gesandt, das Evangelium zu predigen, nicht mit klugen Worten, auf daß nicht das Kreuz Christi zu nichte werde.

Denn das

Wort vom Kreuz ist eine Thorheit Denen, die verloren werden; uns aber, die wir selig werden, ist es eine Kraft Gottes."

Christus hat mich gesandt, das Evangelium zu predigen, spricht der Apostel Paulus, — und seit er dieser Sendung inne gewor­ den und wunderbarer Weise auS einem Verfolger zu einem demüthigen Jünger Christi verwandelt war, ging sein ganzes Leben in diese Sen­ dung auf, und kein Apostel hat das Evangelium mit solcher Kraft und Gewalt verkündigt, als er. Evangelium zu predigen.

Auch mich, o Herr, hast Du gesandt, Dein Da überwältigt mich aber das Gefühl meiner

Schwachheit, und eS ist mir bange, wie ich es vermögen soll, das hei­ lige Werk zu thun, und in Deinem Dienste zu bestehn.

Darum rufe

ich zu Dir, daß Du bei mir sein und mich unterstützen wollest mit Dei­ nem Geist.

Lege Du selbst mir Dein Wort auf die Lippen, Dich und

Deine Gnade zu rühmen, die Gnade, womit Du für uns Dich geopfert hast.

Oeffne aber auch die Herzen der hier Versammelten, das Wort

der Gnade zu empfangen und aufzunehmen, daß es ihr Trost im Le­ ben nnd auch im Tode sei! Ja, hilf uns Allen, o Herr, daß wir die, Frucht Deines Todes gewinnen mögen, und selig sein in Dir und in Deiner Liebe!

Amen.

Der Apostel stellt in unserm Texte die Erklärung voran, daß er von Christo gesendet worden, das Evangelium zu predigen.

Das Wort

vom Kreuze Christi aber, worauf Paulus im unmittelbaren Zu-

151

sammenhange seines Gedankens hinweist, ist selbst nur eine Predigt des Evangeliums, insofern es sich in der Verkündigung des Todes des Herrn, des Versöhnungstodes, als in seinem höchsten Punkte zusammen­ schließt. Auf das Kreuz Christi, auf seinen Kreuzestod, legt nun auch der Apostel das höchste Gewicht, und er achtet es daher für seine heiligste Sorge, daß die Kraft dieses Kreuzes nicht geschwächt oder zu Schanden werde. Diese Kraft aber leidet Eintrag, wenn das Evangelium nur in der Gestalt einer weltlichen W'eisheitslehre gepredigt wird. Denn fern davon, nur ein Lehrgebäude menschlichen Wissens zu sein, was uns ja nimmer erlösen kann, ist es vielmehr nur die lebendige, reitende Lie­ besmacht, die in Christo vom Himmel zu uns gekommen ist, und die wir aus ihm ergreifen sollen. Darum sagt nun auch Paulus, daß er das Evangelium predige, nicht mit klugen und hohen Worten, wie die verbildeten und an den Glanz und an die Feinheit der Rede gewöhnten Korinther eS haben wollten, und die einfache, schmucklose, aber doch geisteskräftige Weise des Apostels verachteten, und das Wort vom Kreuze für Thorheit hielten. Denn sie begreifen nicht, daß das Höchste nimmer das Wissen, sondern das Lebendst, das Leben als Gottes­ thal. Daher will daS Evangelium auch nur mit Worten des Le­ bens gepredigt sein. Die lernen wir aber durch keine menschliche Wissenschaft, sondern allein von Christo, und auch nur alsdann, wenn er als der Gekreuzigte in uns lebt, und die Predigt aus dem Bewusstsein der Gnade kommt, die wir in ihm gefunden haben, auS dem Bewusstsein des Heils, was in Niemand ist, denn in ihm. So vermag auch nur Der das Wort vom Kreuze lebendig zu predigen, der in ihm seine eigne Versöhnung gefunden hat. Diese Versöhnung trug unser Apostel in seinem Herzen. Und so war ihm das Wort vom Kreuze auch eine Kraft Gottes zur Seligkeit. Und das soll es für uns Alle sein. Darin vollendet sich die Todes fei er des Herrn. So wenden wir und denn auch diesem Gedanken zu, und wollen uns heute das Wort vom Kreuze vor Augen stellen als eine Kraft Got­ tes zur Seligkeit.

Das Wort vom Kreuze als eine Kraft Gottes'zur Seligkeit — soll also der ernste Gegenstand unsrer Betrachtung sein.

152 Unter dem Worte vom Kreuz,

m. Gel.,

versteht der Apostel

nichts Andres, als die Predigt vom Kreuzestode des Herrn, die Verkündigung, was es mit diesem Tode auf sich habe, was seine Be­ deutung und Wirkung sei. Christi

mit

keines

weit darüber hinaus.

Denn allerdings lässt sich der Tod Jesu

andern Menschen Tode zusammenstellen und ragt Es ist ein Tod, der nicht etwa bloß in dem en­

geren Kreise der ©einigen eine tiefe,

schmerzliche Theilnahme hervor­

gerufen: sondern eS ging von ihm eine mächtige und immer fortschrei­ tende Bewegung aus über die ganze Welt.

Sowie es ein Tod ist für

die Welt: so kann sie auch der in diesem Tode verborgnen göttlichen Macht sich nicht entziehn; und sowie in ihm das Alte von dem Neuen sich scheidet: so ist er auch für das ganze Leben der Welt, für die Welt­ geschichte ein Wendepunkt.

Wie die Todesfeier des Herrn nun bei­

nahe seit zwei Jahrtausenden als die heiligste Feier der christlichen Kirche begangen wird: so wird sie dies auch bleiben bis an das Ende der Tage, bis zur. Wiederkehr Jesu Christi in seiner Herrlichkeit, wo die Todes­ feier sich in die Feier des Lebens verwandelt hat, was der ganzen Welt aufgegangen, des seligen Lebens der Kinder Gottes. Die Bedeutung deS Todes Jesu, die darin ruhende Gotteskraft wird uns aber nur offenbar, wenn wir sein Leben, den Geist seines Lebe.ns ersassen und den Zusammenhang sehn, in welchem sein Tod mit dem Leben steht, was sich ja nur in seinem Tode vollendet hat.

Wir

können also nur von dem Leben ausgehn, um zu erkennen, welch eine Kraft in dem Worte vom Kreuze liegt.

Das Leben Jesu Christi,

des Sohnes Gottes, ist nun aber nur das Leben vom Vater, der ihn gesendet und mit welchem 'er Eins war.

Sowie er aus Gott gelebt, lebte

er auch nur mit ihm und für ihn, und von einem andren Werke, als was ihm der Vater gegeben hatte, daß er es thue, wusste er nicht. Nur diesem Werke war sein ganzes Leben geweiht und geheiligt. atV sein Streben und Trachten auf.

Darin ging

Das war seine geistige Welt; das

war der Gedanke, der sein ganzes Leben erleuchtete.

Damit ist es auch

Eins, wenn er sagt: Ich bin dazu geboren und in die Welt ge­ kommen, daß ich.die Wahrheit zeugen soll.

Denn diese Wahr­

heit ist ihm nicht etwa ein bloßes Wissen von verborgnen Dingen einer überirdischen Welt, sondern das wahrhaftige Leben, was sich in Gott erfasst und sich

erweist durch die That.

Das ist auch der Sinn des

Ausspruchs Jesu: Ich bin der Weg, die Wahrheit und das Le­ ben.

Sowie aber Gott selbst nur die Liebe ist: so vollendet sich auch

153

das Leben allein in ihr. Und so ist nun auch daS ganze Leben deS Herrn nur eine einige und ununterbrochne Liebesthat. Seine Liebe ist eine unendliche und hört nie auf. Sie hat keine Grenze, und schreckt daher auch vor keinem Opfer zurück. In dieser Liebe gibt Jesus dem Vater sich hin, gibt für uns sich hin bis in den Tod. — So hat er das Werk, was der Vater ihm aufgetragen, nur in Liebe vollbracht, und er konnte es auch nur vollbringen durch diese Liebe, die selbst für die Geliebten zu sterben weiß. Das ist aber doch das Höchste, was die Liebe vermag; — und eine größere Liebe hat Niemand, denn daß er sein Leben lässet für seine Freunde. Und Die, für welche er starb — und er starb für und Alle —, waren doch nicht etwa so liebenswerth? Auch wir haben ihm durch unsre Sünde Schmerz gemacht; und doch hat er auch uns geliebt. Wahrlich, eine wunderbare Liebe! eine Liebe, die nur denkbar ist, weil die Liebe Gottes den Sohn und gesendet hat, weil die Liebe des Vaters im Sohne lebt. — Aber es gibt auch keinen andern Weg der Rettung, als den der Liebe. Nur die Liebe ist die rettende und erlösende. Nur sie vermag das Getrennte zu einigen, und die Feindschaft hinwegzunehmen, die durch die Sünde ge­ stiftet ist zwischen und und Gott. Nur die Liebe heilt die Wunden, woran wir leiden. Sie nur ist die vergebende. Aber es muß dies auch die Liebe sein, die selbst den Tod auf sich nimmt. Und so ist der Tod Jesu Christi, als der Tod der Liebe zum Versöhnungstode gewor­ den, und der am Kreuze sterbende Gottessohn hat die sündige Welt mit Gott versöhnt. Jesus erduldete willig den Tod, indem er den Willen des Vaters erkannt hatte und ihm gehorsam war. Wäre es aber nicht der Gehorsam der Liebe gewesen: so hätte er das Gotteswerk der Er­ lösung auch nicht vollbracht. Nun aber steht es als ein ewiges da, un­ vergänglich für alle Zeit, und keine Macht der Welt vermag es zu zer­ stören und aufzulösen, ein Werk, deffen fortwirkende lebendige Kraft immer höher steigt, und woraus eine Fülle des Heils und Segens entspringt, die sich nie erschöpft.

DaS wäre also das Wort oder die Predigt vom Kreuze Christi, und wir hätten auch wol erkannt, daß eö eine Gotteskraft ist, die darin ruht, und die hohe Bedeutung seines Todes wäre uns klar ge­ worden. Es ist eine Gotteskraft, die vom Kreuz Christi ausgeht, weil Christus selbst nur in der Kraft Gottes, die in ihm mächtig ge-

154 worden, in der Kraft seiner Liebe gestorben ist.

Und ist sein Leben

und Sterben nur Gottes Werk: so bleibt auch die Kraft Gottes in ihm immerdar und erweist sich als eine lebendige und schließt sich auch an die Predigt vom Kreuze an. Wir haben nun aber nach dem Inhalte unsers apostolischen Textes das Wort vom Kreuze Christi eine Kraft Gottes genannt zur Seligkeit.

Wie es nun eine Kraft zur Seligkeit ist, das müssen

wir hier noch näher darlegen und tn’6 Auge fassen. — Die Frage ist also die: wie die Kraft Gottes, die im Kreuze Christi umschlosien liegt, uns zur Seligkeit helfen kann, wie es uns gegeben ist, selig zu werden durch sie. so

Geht die Seligkeit aber doch nur aus von der Gott es kraft,

muß die Kraft selbst uns zu eigen geworden und in uns sein, um

zur Seligkeit durchzudringen.

Fragen wir nun noch weiter, wie dies

geschehen könne: so ist es allein der Glaube, durch den diese Kraft in uns übergeht.

Wir können sie nur gewinnen in Jesu Christo, der in

der Kraft Gottes, in der Kraft seiner ewigen Liebe lebte und starb. Wir müssen die Seinen sein. nur durch den Glauben.

Mit Christo Eins aber werden wir

Nur der Glaube allem macht uns stark,

und verwandelt all' unsre Schwachheit in seine Kraft.

Wer aber fühlt

sich nicht schwach? Wenn selbst ein Apostel Paulus ausruft: Darum will ich mich am allerliebsten rühmen meiner Schwachheit, auf daß die Kraft Christi bei mir wohne; wenn ich schwach bin, so bin ich stark: wie sollten wir im Bewusstsein unsrer Schwach­ heit, im Bewusstsein unsrer Armuth, im Schmerz über unsre Gebrechen uns nicht glaubensvoll hinwenden zu Dem, der uns allein heilen kann, und unsre Schwachheit hinwegnimmt, indem er uns den Trost seiner Liebe schenkt und sein Tod für uns zur Versöhnung geworden ist? Ja wir wissen, an wen wir glauben, und sind wir nur in diesem Glauben gegründet, und stehen wir fest in ihm: so haben wir eine zweifellose und heilige Zuversicht.

Mögen die Wege, die Gott uns führt, uns auch

dunkel sein, wir wissen, daß der Ausgang ein Ausgang zum Lichte ist. Will es auch einsam werden um uns her, wir wissen, daß der Vater nm Christi willen bei uns ist, und mit seinem Schutze uns nicht verläsit.

Sehn wir in Trübsal und Noth auch keine Hülfe vor unsern

Augen, wir verzagen nicht.

Denn der seinen Sohn für uns dahin­

gegeben : wie sollte der uns mit ihm nicht Alles schenken? doch der Heiland und der Erlöser der Welt, für uns.

Ist er ja

und er will es auch sein

Unser Glaube an Jesum Christum ist ja der Glaube an seine

155 heilige und himmlische Gegenwart, an die Gegenwart Dessen, dem alle Macht und Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist, der den Fürsten der Welt überwunden hat, und aus dessen Hand uns Niemand zu reißen im Stande ist.

Und wäre vor dem Tode uns bange, und

zweifelten wir im Gefühl unsrer Schuld an der Gnade Gottes: in Christo, glauben wir nur an ihn, ist uns ja die Gnade geworden, und durch seinen Tod hat er uns Vergebung geschafft.

Der Zugang zu Gott

ist durch den ewigen und himmlischen Hohenpriester uns aufgethan. Scheidewand ist hinweggenommen.

Wir wissen, wohin wir gehn.

Die Denn

Christus ist ja selbst hingegangen, die Stätte uns zu bereiten, und will auch wiederkommen und uns zu sich nehmen, daß wir da sein, wo er ist.

Unsre Schuld ist getilgt.

getragen.

Das Lamm Gottes hat sie hinweg-

Wer will verdammen? Christus ist hier, der gestor­

ben, ja vielmehr, der auch auferwecket ist, welcher ist zur Rechten Gottesund vertritt uns.

Wer will uns scheiden von der Liebe

Gottes, sprechen wir mit unsrem Apostel, Trübsal oder Angst, Noth oder Verfolgung, oder selbst der Tod?

In dem Allen

überwinden wir weit um desswillen, der uns geliebet hat. Wir haben überwunden in ihm.

Sein Sieg ist der unsrige.

Seid

getrost! ruft er uns zu, in der Welt habt ihr Angst; aber ich habe die Welt überwunden.

Und sind wir die Seinigen, so führt

jeder Kampf uns zum Siege, und das Erbe im Reiche Christi kann uns nimmer verloren gehn. Schon hier, nt. Gel., tritt es uns wol vor die Seele, daß die in dem Kreuze Christi, in seinem Tode ruhende Gottes kraft, — hat sie Wohnung genommen in uns — auch eine Kraft ist zur Seligkeit, eine Kraft des Friedens, den uns Christus vom Himmel herabgebracht. Die volle Seligkeit aber ist nur das Werk der Liebe, und nur die Liebe ist's, die uns selig macht.

Wie Jesus nur durch die Macht seiner Liebe

bis in den Tod die Versöhnung gestiftet hat: so können auch wir nur Versöhnte sein, wenn diese Liebe in uns lebendig geworden ist.

Das

kann nun aber auch nur die volle Liebe zu Christo sein, dem für uns Gekreuzigten.

Der sich selbst für uns hingegeben und im Tode für uns

geopfert hat, daß wir leben und selig sein: dem sind wir doch wol ver­ pflichtet zum heiligsten Dank? Und wessen Herz sollte nicht voll sein von diesem Dank? Wir haben aber keinen andern Dank, den wir ihm darbringen könnten, und er nimmt auch einen andern nicht an, als den der Liebe, der Liebe, die uns immer enger und inniger zu ihm zieht,

156

und womit wir unser ganzes Leben ihm weihen und heiligen. Lieben wir aber Christum, so soll er auch allein unsre Liebe sein. Er will unS ganz. Wo die Liebe noch eine getheilte ist, da zieht auch seine Gnade nicht in und ein; da sind wir nicht schon erlöst, und wir haben ihn nicht zum einigen Herrn, zum Herrn unsrer Seligkeit. Wohnt noch eine fremde Liebe in und, hängt unser Herz noch an dem Eitlen und Irdischen, gehört noch'der Welt unsre Liebe an: so erkennt und Christus nicht als die Seinigen und wir haben auch seinen Frieden nicht, den Frieden,, den die Welt und nie geben kann, und den wir auch nur erringen, wenn wir entschieden sind für den Gottessohn, und die Unruhe der Welt von und gewichen ist. Darum, Gel., ergeht auch heute vom Kreuze Christi herab an und dad Gebot, und selbst und alle fremde Liebe zu überwinden. Wad wir lieben: cd soll eine Liebe in Christo sein, und sich in ihm verklären zu seinem Licht. Dünkt Dich aber diese Ueberwindung zu schwer, dünkt cd Dich zu schwer, um seinetwillen zu leiden und ein Opfer für ihn zu bringen: schaue hin auf den Gottessohn, der am Kreuze hängt, und der so unendlich für Dich gelitten, daß all Dein Leiden um ihn doch nur ein kleines ist. Der Kelch, den er um Deinetwillen getrunken, ist ein so bitterer, wie Du ihn, auch als Jünger Christi nicht trinken wirst. Dad Opfer, was Du ihm zu bringen im Stande bist, reicht nicht von ferne hinan an bad, was er für Dich gebracht. Er, der wol hätte Freude haben mögen, achtete um Deinetwillen, um Dich zu retten, der Schande nicht. Darum sieh nicht zurück, und versenke Dich in den Tod Jesu Christi, versenke Dich in seine versöhnende Liebe. Darum überwinde, über­ winde Dich, laß Dich überwinden von Jesu Christo, daß sein Sieg über Dich zur Feier ded Sieged werde, den Du selbst in ihm er­ rungen hast. Wer überwindet, — so lautet die Stimme der Offen­ barung — dem will ich geben, mit mir zu sitzen auf meinem Stuhl, — dem soll kein Leid geschehn vom Tode, und er hat bad ewige Leben im Reiche Gotted. Dann ist bfe Fülle der Seligkeit unser; denn wir leben in ihm,' der die Seligkeit ist. Dann haben wir ed erkannt, daß das Wort vom Kreuze Christi eine Kraft Gotted ist zur Seligkeit, ja nicht bloß erkannt, nicht bloß im Gedanken gesehn, sondern wir erfahren cd in und selbst. Wir sind selig im Herrn; — wir leben oder wir sterben: wir sind sein, und Nichts kann und scheiden von ihm und von seiner Liebe. Preis und Anbetung dem Gekreuzigten von nun an bis in Ewigkeit. Amen.

XVI.

Wie sieht der Gläubige den Kreuzestod Jesu an? Predigt am Charfreitage 1861 üb. Ev. Matth. 27, 31—54.

Der Du durch den h. Geist Gott Dich geopfert, und durch Dein eigen Blut in das Allerheiligste eingegangen bist, Dir, unserm Herrn Jesu Christo, den wir heute am Kreuz für uns sterben sehn, damit wir nur leben möchten und selig sein, Dir und Deiner unaussprechlichen Liebe sei Preis und Dank von uns dargebracht. Im Gefühl unsrer Schuld werfen wir uns nieder vor Dir und geben Deiner Gnade uns hin, der Du noch am Kreuze für die Sünder gebetet hast. Laß den Geist Deiner Liebe auch mächtig werden in uns, um nur Dir zu leben und Dir zu sterben, und also durch Dich mit dem Vater versöhnt zu sein. Ja, sei Du unser einiger Hoherpriester, und mache auch uns zu Erben der zukünftigen und ewigen Güter, daß wir Dich als den Herrn der Herrlichkeit schauen mögen in Deinem Reich! Amen.

Geliebte in Christo! Wer an dem heutigen Tage, wer bei der Todesfeier Jesu nicht in seiner Seele tief bewegt und ergriffen wäre, der müsste von allem menschlichen. Gefühl, von jeder edleren Gesinnung verlassen sein. Trauern wir doch und tragen wir Leid bei dem Tode

158 und Hingang der Unsrigen, und eines Jeden, der uns irgendwie näher steht und sich des Andenkens werth gemacht.

Und wir sollten bei dem

Gedanken an den Kreuzestod Jesu Christi, der keine Sünde ge­ than, der nie ein unwahres Wort geredet und nur Liebe geübt und in dieser Liebe sich aufgeopfert, nicht mächtig erschüttert sein? Doch um den Tod unsers Herrn würdig und recht zu feiern, dazu reicht freilich eine bloße Bewegung unsers' Gefühls oder die Theilnahme des menschlichen Mitleids nicht hin.

Wer in die heilige und göttliche Bedeutung dieses

Todes nicht eindringt, wer ihn nicht würdigt als Versöhnungstod, der begeht auch diesen Tag nicht im Geiste des sterbenden Gottessohns, und es kann ihm daraus keine Frucht der Erlösung erwachsen.

Finden

wir in dem Tode Jesu, außer dem Schmerze, der uns dabei durchdringt, nicht auch einen Trost, der uns aus unsrer Gebeugtheit erhebt, kehren wir von dem erschütternden Anblicke seines Kreuzes nicht auch mit einem stillen Frieden im Herzen zurück: so ist auch für uns der Segen dieser Feier verloren.

Dazu aber hilft uns allein der Glaube, und

nur wenn dieser in uns lebendig ist, wenn wir in Christo unsern einigen Heiland sehn, sind wir zu seiner Todesfeier geschickt.

So wollen wir

denn auch heute uns im Geiste versenken in diesen Tod, damit die darin wirkende göttliche Liebe auch eingehen möge in uns, und zur Macht werde unsers neuen erlösten Lebens.

Wir wollen uns mit Christo, wie Pau­

lus sagt, begraben in seinen Tod, daß auch wir das nahe Osterfest feiern können als Auferstandne.

Da -müssen wir nun zunächst das

Bild des Todes, das Bild des sterbenden Jesu uns vor die Augen stel­ len, aber also, daß es auch eindringe in unser Herz. Und so lasst uns den Bericht des Evangelisten Matthäus von der Kreuzigung unsers Herrn vernehmen, wie wir im 27. Kap. vom 31—54. Verse ihn also lesen: „Und da sie ihn verspottet hatten . . . wahrlich, dieser ist Got­ tes Sohn gewesen." Ja, er ist Gottes Sohn, — und nur dieser Glaube ijl% der uns selbst vom Tode erlösen kann.

Ja wir glauben, lieber Herr,

hilf unserm Unglauben, der in's Gericht und in dieVerdammniß führt, und laß ihn fern von uns sein! Stärke dazu durch die Kraft Deines h. Geistes auch das Wort dieser ernsten Stunde und gib, daß es uns eine Frucht bringe zum ewigen Leben.

Amen.

159 In dem Worte des römischen Hauptmanns: Wahrlich, dieser ist Gottes Sohn gewesen, — mag auch diese Benennung noch mit heidnischen Vorstellungen zusammenhängen — spricht sich doch schon ein gewisser Glaube an Christum aus, der sich freilich erst durch den h. Geist zu seiner Wahrheit verklären soll. Aber in den wundervollen Er­ eignissen, von welchen die Kreuzigung Jesu begleitet war, in der Finster­ niß, die über das Land sich verbreitete, und worein sich die Sonne ver­ hüllte, als wolle sie den furchtbaren Frevel nicht sehn, — in dem Zerreißen des Vorhangs im jüdischen Tempel, als Jesus verschied, — was es uns andeuten soll, daß nun erst das bis dahin unzugängliche Allerheiligste aufgethan ist, ■— in dem Erbeben der Erde, in dem Zusammenbrechen der Felsen, — als einem Bilde der mächtigen Um­ gestaltungen und der neuen Schöpfungen, welche das Leben auf Erden verwandeln und selbst die Todten aus den Gräbern erwecken sollten, •— liegt ein unverkennbares göttliches Zeugniß für Christum als Got­ tes Sohn. Auf der andern Seite stellt uns nun aber der Bericht unsers Evangelisten auch den Unglauben an das in Christo lebendige Gottesbild in erschütternden Zügen vor Augen; und der bittere Hohn und Spott, womit man ihn noch am Kreuze verfolgte, das frevelnde und aus gottlosem Hasse stammende Urtheil, was man über ihn auSsprach, bezeugt uns dies nur zu stark. Entscheidet sich nun an dem Glauben unsre Seligkeit, schließt der Unglaube zugleich das Ur­ theil der Verdammniß des Lebens in sich: so ist es wol von dem höchsten Gewicht, uns darüber klar zu werden, wie wir in dieser Be­ ziehung zu dem Gekreuzigten stehn, und in uns selber hineinzuschaun, und es zu erkennen, ob auch wir im Tode Jesu Christi die Versöhnung und den Frieden mit Gott unserm Vater gefunden haben. Da handelt es sich nun aber vor Allem darum, uns bewusst zu werden: wie der Gläubige den Kreuzestod ansieht, und mit welchem Auge und Herzen er zum Kreuze des Herrn hinaufblickt. Denn nur daran können wir unsre eigne Herzenöstellung ermessen. So wollen wir denn also auf die ernste Frage uns heute noch eine nähere Antwort geben:

Wie sieht der Gläubige den Kreuzestod Jesu an? Die Antwort aber wird eine dreifache sein, und wir werden finden, daß der Kreuzestod Jesu dem Gläubigen 1) ein Zeichen des Gerichts, 2) ein Zeichen der Vergebung und 3) ein Siegeszeichen ist.

160

1.

Die Ansicht des Gläubigen von dem Kreuzestode JesuChristi, kann, m. Gel., nur davon ausgehn, daß Christus der Sohn des lebendigen Gottes ist. Wer an ihn nicht als den Sohn Gottes glaubt, vermag auch die innere Bedeutung seines Todes nimmer zu erkennen und einzusehn, und ebenso hängt auch die Macht und Wirkung desselben von diesem Glauben ab. Nur durch ihn, durch die neue geistige und gött­ liche Welt, die aus diesem Glauben uns aufgeht, dringen wir tn das Gehkimniß seines Todes als des erlösenden ein. Nur der Geist des Herrn — den wir aber ohne den Glauben auch nicht empfangen können —, der Geist seiner Wahrheit und Liebe führt in sein Sterben uns ein, was ja nicht bloß ein Leiden, sondern die heiligste Gottesthat ist. Auch hat der Tod Jesu seine hohe Bedeutung doch nur im Zu­ sammenhange mit dem vorangegangnen göttlichen Leben. Das war aber nur das Leben des Gottessohns, der von sich sagen konnte: Ich und der Vater sind Eins. Das also steht für uns fest, daß es der Herr der Herrlichkeit, der Herr vom Himmel war, der von den Juden gekreuzigt ward; und damit sprechen wir nicht bloß einen Namen, sondern die göttliche Macht aus, die ihm zu eigen, und vermöge deren ihm das Gericht der Welt über­ tragen ist. Diese Macht hat ihm nun auch zu keiner Zeit seines Lebens gefehlt, und es würde eine ganz falsche Vorstellung sein, als sei er der­ selben im Tode beraubt gewesen. Vielmehr hat er sie sterbend noch im höheren Grade geübt, als während seines sichtbaren Lebens; und es war dies in gewisser Beziehung die erste mächtige und ergreifende That seines Richteramts über die Welt. Wol hatte er schon vorher das rich­ tende Wort gesprochen und es erklärt: das Wort, was ich ge­ redet habe, das wird Den, welcher mich verachtet, richten am jüngsten Tage. Aber in seinem Tode kam die richtende Macht zuerst zur Vollziehung. — Wie aber können wir denn sagen, daß der Gekreuzigte, den wir doch hier einer richtenden Gewalt unterliegen sehn, selbst ein Gericht gehalten? Wol mag dies beim ersten Anblick, und für Den, der nichts von dem Walten des Geistes sieht, befremdend sein. Und doch ist es so; — und es ist unsre erste Behauptung, daß der Gläu­ bige in dem Kreuzestode Jesu ein warnendes Zeichen findet eines ernsten Gottesgerichts. Denn sehen wir darauf hin, waS Christum zum Tode gebracht: so war es doch nur die Sünde der Welt, welche

161 die Schuld seines Todes trägt.

Ist nun aber die Kreuzigung Jesu, des

Heiligen Gottes, die größte frevelnde Unthat, die je auf Erden geschah, — wie selbst das heidnische Bewusstsein dies ahnte — und bleibt schon nach einem ewigen göttlichen Wellgesetz kein Frevel und Unrecht straflos: so fällt auch hier die Strafe desselben nothwendig auf die Frevler zurück. Da nun die Juden Christum an's Kreuz geschlagen: so war sein Tod zunächst ein Gericht über sie, und die geistige Macht des Gekreuzigten und seines weltbeherrschenden Lebens, musste vor Allem sie als die rich­ tende treffen,

und für sie zur Verdammniß werden.

Denn sowie zum

Auferstehn, ist Christus zugleich auch gesetzt zum Falle Vieler in Israel. — Er ist zum Eckstein gesetzt, der fortan den Bau der Welt tragen soll.

Und wer auf ihn fällt, sagt schon Jesus selbst, der

wird zerschellen, und auf den er fällt, den wird er zermal­ men.

So ist nun der Todestag Jesu für das jüdische Volk, das ihn

verworfen und selbst getödtet hat, zum entscheidenden Gerichtstag ge­ worden, und dieses Gericht hat sich furchtbar an ihnen erfüllt, und ihre ganze folgende Geschichte predigt uns dasselbe unwiderleglich. das Wort sich erfüllt:

Es hat

Sie sollen wissen, in wen sie gestochen

haben. — Im Bewusstsein dieses von ihm ausgehenden Gottesgerichts sprach auch Jesus zu den ihn nach Golgatha begleitenden und beweinen­ den Frauen:

Weinet nicht über mich, ihr Töchter von Jeru­

salem, sondern weinet über euch und über eure Kinder! Und von demselben Gedanken bewegt, weinte er selbst, als er das letztemal nach Jerusalem ging, und die Stadt vor sich sah, und sprach:

Wenn du

es wüsstest — was dich in Folge deines Unglaubens treffen wird—, so würdest du bedenken, zu dieser deiner.Zeit, was zu dei­ nem Frieden dient — und du könntest, will er sagen, dem drohen­ den Unheile noch entgehn. verborgen.

Nun aber ist es vor deinen Augen

— Der Wendepunkt des sie treffenden Strafgerichts

war also der Unglaube, den sie doch selbst nur verschuldeten.

Denn

wenn ich nicht kommen wäre und hätte es ihnen gesagt, spricht Jesus, — und

ihnen das Evangelium nicht verkündigt — so hätten

sie keine Sünde.

Nun aber

können sie nichts vorwenden,

ihre a$ Leben einer göttlichen Macht und Gewalt^ die kein Feind zerstören und brechen kann.

Er ist hindurchgegangen durch das schwerste und här­

teste Leid, hat alle Noth des Lebens erfahren, hat den Kelch aller Schmer­ zen und Trübsale

bis

auf den Grund ausgeleert, und ist doch bestanden

in sich und in seinem Gott, ist dem Feinde nicht unterlegen, hat selbst sterbend den höchsten und herrlichsten Sieg errungen, und ist auch eben jetzt als dieser triumphirende Sieger in ^seiner Auferstehung uns offenbar geworden, und hat es dargethan, wie er durch Leiden zu seiner Herrlich­ keit eingegangen.

Da reicht doch nichts, was wir hier zu erdulden haben,

an die Leiden des Herrn hinan.

Wie sollten wir uns nun in Zeiten

der Noth und Trübsal nicht zu ihm wenden und von Herzen ihn bitten: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden! sich uns nicht.

Alle erlösen und retten will. sehnen.

Und er entzieht

Denn seine Macht ist ja die Macht der Liebe, die uns Er bringt uns die Hülfe, wonach wir uns

Denn er ist ja der Herr des Heils, er ist das Licht der Welt,

und dieses Licht zerstreut auch die dichteste Finsterniß.

Denn er ist auch

die Hoffnung der Herrlichkeit, die Hoffnung, die nicht zu Schanden wird, weil sie in sich selbst, in dem Grunde Gottes, worauf sie ruht, ihre Gewiffheit hat.

So gibt der Gottessohn auch Denen, die nur an ihn glau­

ben und ihm nachfolgen in Demuth und in Geduld, und sein Kreuz auch zu tragen wissen, noch vom Kreuze herab die herrliche und trost­ reiche Zusage: Heute sollst du mit mir im Paradiese seir. sie bleibt auch nicht unerfüllt.

Und

Sind wir mit ihm, so sind wir such im

Paradiese, in der Welt des himmlischen Lichts.

Denn durch ihn sind

wir errettet von der Obrigkeit der Finsterniß, und er hat uns in seinen heiligen Schutz genommen, in den Schutz der Liebe. himmlische Hirte, der uns nie verlässt. und

Er ist drr gute

Er reicht uns stets seine Hand,

auch aus der Tiefe zieht er uns empor, und lässt das Licht uns

schaun, das Licht seiner Liebe, und versetzt uns in das Land der Leben­ digen.

Haben wir doch auch seine Verheißung: Ich will Euch nicht

verwaist lassen.

Ich komme wieder zu Euch, und will Euch

zu mir nehmen, auf daß Ihr da seid, wo ich bin. zu uns noch immerdar.

Ja erkommt

Und so können wir auch gewiß sein, daß er

215

uns erhört, wenn wir ihn bitten und zu ihm rufen: Bleibe Bei unS, denn es will Abend werden. Er will sich auch an uns verherr­ lichen mit seiner rettenden und erlösenden Macht. Aber wir müssen uns ihm auch hingeben, von ganzem Herzen und ungetheilt, und dem ungött­ lichen und trügerischen Wesen der Welt zu entsagen wisien. Kommt aber auch die Hülfe uns nicht, sowie wir sie wünschen, wird sie uns nicht als eine sichtbare und äußerliche zu Theil, sie bleibt doch nicht aus, und als die Jünger des Herrn, die in ihm ihr Leben gefun­ den haben, das Leben, was nicht stirbt und nicht sterben kann, was in sich unendlich und unerschöpflich ist, dürfen wir nicht hoffnungslos fein. In dem Auferstandnen haben wir eine Aussicht, die hinausreicht über die vergängliche Gegenwart, die Aussicht des Himmelreichs, das er uns bescheiden will, wie es ihm sein himmlischer Vater beschieden hatte. In dem Gottessohn, der immerdar lebet und für uns bittet, ist eine ewige Zukunft uns aufgethan, die auch wir schauen sollen, wenn wir nur ihm, dem Herrn der Zukunft, die Treue bewahren bis in den Tod. Da dür­ fen wir nun aber freilich auch selbst den Tod nicht scheuen. Der selbst den Tod überwunden hat, bleibt auch im Dunkel des Todes bei uns, spricht uns mit seinem himmlischen Troste zu, und führt uns auch aus dem Grabe zu einem Licht, das nie verlischt, zum Licht des ewigen Le­ bens. Sterben wir mit, so werden wir auch mit leben, und sowie er auferwecket ist durch die Herrlichkeit des Vaters: so sollen auch wir mit ihm in einem neuen Leben wandeln. —Er verleiht uns auch den wahren und rechten Todesmuth. Ohne diesen Todesmuth aber vermöchten wir auch nicht, sein Werk zu thun und sein Gebot zu erfüllen. Da würden wir in der Hitze des Kampfes doch nicht bestehen, kämen nicht zu dem heiligen uns gewiesenen Ziel und könnten also auch nicht die Krone gewinnen, die er uns geben und den ewigen und seligen Lohn der himmlischen Liebe uns schenken will. — Wären aber etwa Zweifel in unsrer Seele, wäre die himmlische Hoffnung nicht in uns lebendig, wollte der Glaube an die Zukunft des Herrn, an die Zukunft der Herrlichkeit uns entfallen und dunkel werden: so hätten wir freilich den festen unzerstörbaren Grund in ihm nicht gefunden, und hät­ ten auch die Bande der Liebe nicht schon unauflöslich geknüpft. Denn in diesem Glauben, in dieser Liebe ist das Geheimniß des ewigen Le­ bens verborgen, und sowie der Glaube der Sieg ist, der die Welt überwunden hat: so ist auch die Liebe das Licht, was nie un­ tergeht.

216 Fühlten wir uns aber doch schwach: so flehn und bitten wir dann um so inbrünstiger: den!

Bleibe bei uns, denn es will Abend wer­

Und er bleibt bei uns, nimmt unsre Schwachheit hinweg, kommt

mit seiner Kraft uns zu Hülfe, und das Dunkel was uns umfangen will, löst er auf und wir schauen in ihm die Klarheit Gottes.

Misten wir

nur wahrhaft und aus voller Seele zu beten: so führt er auch uns durch die TodeSnacht zum Anblick der ewigen Lebenssonne.

Will eS

daher

auch Abend werden für uns, naht uns das Ziel unsrer Tage: so haben wir doch kein Bangen und wir fürchten unS nicht.

Der Tod erscheint

uns als ein Bote deS himmlischen Friedens, der uns die Ruhe bringt, wonach wir uns hier gesehnt, die wir aber nicht schon bleibend erringen konnten.

Beugt uns nur nicht eine Last, die uns mit dem Tode stets

in eine unselige und feindliche Stellung bringt und den Trost uns hin­ wegnimmt, den Trost der göttlichen Gnade, der auch den Tod für uns verwandelt und ihn uns freundlich erscheinen lässt; — beugt uns nur nicht die Last eines sündigen und gottentfremdeten Lebens: so fürchten wir uns nicht. — Drückt aber eine solche Last uns danieder, und seuf­ zen wir unter ihr: dann könnte auch die Zukunft nur Finsterniß für uns sein.

Wir hätten keinen Theil an Christo, und gingen hoffnungs­

los aus der Welt und könnten nicht zu ihm aufschaun, als dem Herrn unsrer Seligkeit. Möge darum, m. Gel., sich doch ein Jeder von dem Irrthume seines Wandels bekehren, da es noch Tag ist, ehe die Nacht kommt, da Niemand wirken kann, und wir nicht mehr gut machen kön­ nen, was böse war.

Regt sich daher in uns die sündige Lust, sind wir auf

unrechtem Wege, und mahnt uns eine warnende Stimme, erwacht in uns der Gedanke an den Ernst der ewigen Zukunft und an die Ent­ scheidung, der wir entgegengehn: o, da wollen wir zu Christo fliehn und ihn bitten:

Bleibe bei uns, denn es will Abend werden.

Nimm die Verdunkelung, die uns umfängt, von uns und führe uns zum Licht, zum Licht Deines göttlichen Lebens hin,- und laß den Weg uns finden, der uns zum Himmel führt.

Ja, Christus ist ja gekom­

men, die Sünder zur Buße zu rufen, und hören wir nur diesen Ruf, nehmen wir die Zuflucht zu ihm, eh' es zu spät ist: so weist er uns nicht zurück.

Denn die Freude

im Himmel über einen Sünder der

Buße thut, ist auch die seinige, ■— und dann wird auch unsre Freude vollkommen werden. Ja, Geliebte, wir wollen mit ihm sterben, uns sterben und dem

217 eitlen und vergänglichen Wesen der Welt und immer mehr Alles Hin­ wegthun, was uns noch von ihm scheidet, um auch mit ihm aufzu­ erstehn zum Leben der Herrlichkeit.

Ja, bleibe bei uns, o Herr,

wenn es Abend wird, daß wir mit Dir eingehen in daS Reich Dei­ nes Lichts, wo die Sonne der göttlichen Liebe uns leuchtet in Ewigkeit!

Bleibe bei und, wenn auch uns sich neiget Unser Tag! — Ach, wann? — weißt Du allein! — Daß im Todesdunkel sich uns zeiget Hell und herrlich Deiner Gnade Schein! Wenn uns Herz und Augen sterbend brechen, Dann laß unser Seufzen zu Dir sprechen, Unser Bangen, unser letztes Weinen: „Bleibe bei uns, Herr, bleib' bei den Deinen!" Amen.

XXII. Die Antwort auf die Frage:

Wie kommen wir zur Versöhnung und was müssen wir dazu thun? Predigt am Bußtage 1857 über Micha 6, 8.

Barmherziger Gott, mit inniger Betrübniß kommen wir heute zu Dir! Denn wir erkennen unS als die Schuldigen, die Deiner Gnade nicht werth sind, und Schmerz erfüllt unsre Seele, daß wir so oft Deine Wege verlassen haben und für Deine Liebe Dir nicht gedankt. Gebeugt von der Last unsrer Sünde und voll Sehnsucht nach Deinem Heil, flehen wir Dich um Erbarmung und Hülfe an. Denn wir haben ja keine Zuflucht, als nur bei Dir, der Du unser Vater bist und nicht willst, daß wir verloren gehen. Du willst Dich ja finden taffen von Allen, die Dich nur suchen, die Dich suchen von ganzem Herzen. Darum trösten wir unS, daß Du uns von Deinem Angesicht nicht verstoßen wirst, wir trösten uns der Versöhnung, die Du ja auch uns in Deinem Sohne Jesu Christo bereitet, und im Glauben an ihn uns den.Zugang zu Deiner ewigen Gnade geöffnet hast. Hilf nur, daß die Erkenntniß unsrer Sünde in uns eine Traurigkeit wirke, aber nicht die der Welt, sondern eine göttliche Traurigkeit, die eine Reue zur Seligkeit schafft, die Niemand gereut, eine Reue, die in uns zur Macht eines neuen heiligen Lebens

219

wird, und aus dem Kampf dieser Welt uns zum himmlischen Frieden führt! Amen.

Der Bußtag, m. Gel., der uns heute zum Gotteshause gerufen hat, schließt sich, seiner innern Beziehung nach, nahe an den Charfreitag, an den Todestag Jesu Christi an, der ja nur zur Versöhnung der Welt am Kreuze für uns gestorben ist, um durch sein Opfer die Sünde von uns hinwegzunehmen und uns zum Vater zurückzuführen. Bei der Buße aber gilt es ja nur, von der Sünde sich zu bekehren, die den Stachel des Todes in unser Leben bringt und die Quelle alles Leides und Schmer­ zes ist, womit wir hienieden zu kämpfen haben. Wie nun der Char­ freitag der wahre christliche Bußtag ist, und die Frucht des Todes Jesu uns nimmer zu Theil werden, kann, wenn wir nicht in uns gehen und mit Christo der Welt, .der Sünde zu sterben wissen: so müßen wir auch heute eine Charfreitagsstimmung im Herzen tragen, und ergreift uns nicht auch heute der Schmerz, daß die Sünde, der wir noch dienen, dieselbe ist,, die Christum ati’S Kreuz gebracht, steht das Bild der unendlichen Liebe des für uns sterbenden Gottessohns uns nicht vor der Seele, und fühlen wir uns nicht hingezogen zu ihm: so fehlt unsrer Buße auch noch der rechte Geist, es fehlt uns noch die innerste heilige Macht, die uns von der Erde zum Himmel zieht, die Macht eines neuen erlösten Lebens. Vernehmen wir nicht den Zuruf aus dem Munde des Herrn: „Thut Buße, denn das Himmelreich ist nahe," — schauen wir nicht in Christo eine neue himmlische Welt, wohin die Buße den Weg uns bahnt, oder meinen wir, daß es mit einer Besierung unsers Lebens gethan sei, die nur auf menschlichem Grunde ruht und die wir ansehn als unser Werk: da geht das Heil uns nicht auf, was nur Gottes ist und wir finden den Frieden nicht, den wir suchen. Ist es uns nicht um die Versöhnung mit Gott zu thun, sehnen wir uns nicht nach dem Be­ sitz der Gnade, die uns in Christo gegeben ist, als nach dem heiligsten Lebensgut: da entbehrt auch die Buße noch der erlösenden Kraft, und wir dringen nicht hindurch zu der herrlichen Freiheit der Kinder Gottes. — Zur Versöhnung mit Gott zu kommen: das ist es, was wir auch heute vor Allem bedenken müssen; das ist das Ziel, was die Buße des Christen vor Augen hat, und worin sie sich erst vollendet. Wie sehr wir aber dieser Versöhnung bedürfen, wie Noth sie uns thut, das darf ich Euch, m. Gel., wol nicht erst sagen. T)as lehrt einem

220 Jeden von uns wol der Blick in das eigne Herz, was noch immer den seligen Frieden Gottes nicht in sich hat und eine unbefriedigte schmerz­ liche Sehnsucht fühlt. noch in

Und müssen wir es bekennen, daß die Sünde

uns wohnt, beugt ihre Last uns danieder: wie sollten wir da

nicht nach dem Troste suchen, den nur die Versöhnung mit unserm himmlischen Vater uns geben kann.

Und soffen wir die Zustände um.

uns her in das Auge, sehn wir den tiefen Zwiespalt, in den das Leben zerfallen ist und den ein bloß menschlicher Friede nicht heilen kann; sehn wir die Zerrüttung der Welt, die doch nur aus der Gottentfremdung und aus der Erkaltung der Liebe hervorgegangen: da kann es sich uns wol nimmer verbergen, daß nur die Rückkehr zu Gott, daß die Ver­ söhnung mit ihm das einzige Mittel der Rettung ist.

Das wollen

wir denn auch heute beherzigen. Fragen wir nun aber — und darauf kommt es freilich vor Allem und wesentlich an —: wie wir denn uns mit Gott zu versöhnen im Stande sind: da gibt uns ein bedeutsamer Ausspruch eines alttestamentlichen Propheten eine klare und einfache Antwort. Dieser Ausspruch soll uns nun auch heute zum Texte dienen.

Wir lesen ihn im prophetischen Buche des Micha im 6. Verse

des 6. Kapitels folgendermaßen:

„ES ist dir gesagt, Mensch, was gut ist und was der Herr von dir fodert, nämlich: Gottes Wort halten, Liebe üben und de­ müthig sein vor deinem Gott." Ein ernstes und gewichtiges Wort, ein Gottesgebot an uns. es in uns Allen nur zur Erfüllung kommen.

Möge

Doch wir richten eS auch

nicht aus, wenn der Herr nicht selbst bei uns und mit uns ist.

Denn

wir sind und haben ja nichts ohne ihn und seine Gnade nur ist's, die uns mächtig macht. — Darum bitten wir Dich, stehe Du selbst mit Deiner Gnade und mit Deinem Geiste uns bei, daß wir als die Ver­ söhnten Dich preisen und im Himmel Dir danken können.

Dazu laß

o Herr, auch diese Betrachtung gesegnet sein, daß sie uns eine Frucht schaffe uV$ ewige und selige Leben!

Amen.

Womit soll ich dem Herrn versöhnen? phet in unserm Text.

So fragt der Pro­

Und das ist, m. Gel., auch die Frage, die uns

am Herzen liegt, wenn wir heute an unsre Sünde gedenken, und im Gefühl des Schmerzes, den sie in unser Leben bringt, danach suchen,

221

daß sie von uns genommen sei. Die Antwort des Propheten aber auf diese Frage schließt Alles in sich, was zur rechten Buße gehört. Denn halten wir Gottes Wort, üben wir Liebe und sind wir demüthig vor unserm Gott: dann hat das alte Leben ein Ende und die Sünde muß von uns weichen. Dann ist auch Gott der Herr uns nicht fern, wir sind mit ihm versöhnt und sein Friede^ beseligt uns. Der wahre Friede aber ist doch nur der Friede Gottes in Jesu Christo, und wir haben auch die wahre Versöhnung allein in ihm. Steht da das Wort des Pro­ pheten nicht zurück gegen die Offenbarung, die uns in dem Sohne Gottes gegeben ist? Allerdings ist der Welt erst in Christo das volle Himmels­ licht aufgegangen. Aber der Prophet hat in dieses Licht auch hinein­ geschaut und hat im Geiste den Herrn gesehen, der das Ziel seiner Hoff­ nungen war. Also ist auch sein Wort von dem Geiste des Herrn getragen, und was er von der Versöhnung sagt und die Mittel nennt, wodurch wir sie zu erlangen im Stande sein, das stimmt auch mit dem Evan­ gelium überein, das weist uns selber auf Christum und auf seine Versöhnung hin. Denn er ist ja nur das lebendige Gotteswort, er ist die vollendete Liebe und 'von Herzen demüthig, wie kein Mensch es jemals gewesen ist. In dieser Demuth, in dieser demuthsvollen Hingebung starb er auch für uns den Versöhnungstod, den Tod der Liebe, worin er unauflöslich Eins mit dem Vater ist. So sind wir nun auch schon in Christo mit Gott versöhnt und dürfen nicht zweifeln, daß der Vater in seinem Sohne uns jederzeit zu sich aufnimmt. Soll aber doch unser Leben versöhnt, soll unser Leben aus dem alten ein neues geworden und in sich beseligt sein: so ist die Versöhnung auch nicht bedingungslos, und ringen wir nicht selbst, soviel an uns ist, dem Frieden nach, den Christus durch sein Leiden und Sterben gestiftet hat, verlassen wir nicht das ungöttliche Wesen der Welt, um in den Wegen des Herrn zu wandeln, bannen wir nicht alle Feindschaft aus unsern Herzen und thun wir uns der göttlichen Liebe nicht aus: so haben wir auch den Trost der Versöhnung nicht, und es fehlt uns das Zeug­ niß des Geistes, was uns erst die selige und volle Gewissheit gibt. — Da lehrt uns nun der Prophet, was auch von unsrer Seite zu thun ist, wenn wir der Versöhnung uns trösten wollen. Es ist dir gesagt, spricht er, was gut ist und was der Herr von dir fodert, näm­ lich: Gottes Wort halten, Liebe üben, und demüthig sein vor deinem Gott. So soll denn also auch dies unsre Antwort auf die Frage sein:

222

Wie kommen wir zur Versöhnung und was müssen wir dazu thun? Wir wollen nun auch die drei Punkte, die der Prophet uns vorlegt, nacheinander betrachten und zu erkennen suchen, was es damit auf sich hat, und was der wahre Inhalt der an und ergehenden Foderung Gottes ist.

1. Gottes Wort halten, — das ist also das Erste, m. Gel., was der Prophet uns nennt, um zur Versöhnung mit Gott zu kommen, und darin liegt genau genommen alles Andre umschloffen und folgt daraus. Mit Gott versöhnt können wir aber doch nur sein, wenn wir wissen, wer er und was er ist. Denn ist das Wesen Gottes uns fremd, machen wir uns von ihm ein falsches Bild: so tritt uns auch nur eine Truggestalt von der Versöhnung hin, und mag der Mensch sich auch noch so sehr abmühen und noch soviel vermeinte Werke der Sühne thun: er findet doch die Ruhe des Herzens, den göttlichen Frie­ den nicht. Gott ist Geist, er ist der Unsichtbare und Ewige, er ist die Liebe, die in geheimnißvoller Weise das ganze Leben, ja die uns Alle trägt. Darum können wir nun auch von Außenher und durch sinnliche Mittel zu Gott nicht kommen. Aeußerliche, leibliche Opfer helfen uns zur Versöhnung nicht, und schon der gotterleuchtete Prophet verkündigt es seinem Volk, daß alle'solche Opfer vergeblich sind und Gott an ihnen keinen Gefallen hat. Ist Gott Geist, so muß auch die Versöhnung im Geiste geschehen, sie muß eine innere und im innern Leben vollzogen sein, da, wo Gott selbst seine Stätte hat, und durch Das, womit wir ihm angehören; — eine Versöhnung im Geist, so daß wir im Geist zu Gott eingehn und unser ganzes Lebensbewufftsein sich mit ihm zu­ sammenschließt. Der Geist ist aber auch nicht ein Inwendiges, was von dem Aeußern getrennt und geschieden wäre, und offenbart er sich nicht in der That des Lebens: so ist er auch selbst nicht da, ist nicht der wahre und der lebendige. Darum hat auch Gott sich in seinem Worte uns kund gethan, und ein Gebot des Lebens uns aufgestellt, daß wir ihm folgen und danach wandeln sollen. Es ist die Verkündigung seines Willens, dem Niemand ungestraft widerstreben wird; — und ehren wir das Wort nicht als das seine: so ehren wir auch ihn nicht als unsern Gott, und stehen feindlich ihm gegenüber. Darum bezeichnet es nun auch unser Prophet als die erste Foderung Gottes, wenn wir mit ihm versöhnt

223 sein wollen, sein Wort zu halten.

Das ist nun freilich nichts Ge­

ringes und Kleines, denn es lässt sich nicht in eine einzelne Satzung fasten, es

trägt einen unerschöpflichen Reichthum in sich, ja es ist die

ganze Fülle Gottes

und .seines Geistes, die in ihm wohnt.

Doch be­

steht das Wort Gottes auch nicht in einer Menge von Vorschriften und Geboten, durch die wir gebunden sein und die wir nun als eine äußer­ liche Richtschnur befolgen müssten.

Das wäre ja nur ein Gesetz in der

Weise des Judenthums, was wir ebensowenig zu halten vermöchten, als es die Juden im Stande waren, und was uns also auch nur verdam­ men könnte und Micha nicht.

Gott uns nicht näher bringt.

So versteht es auch

Das Gotteswort ist das Wort des Geistes, was wir

also auch nur dem Geiste nach, aber nicht wie einen todten Buchstaben halten können.

Es ist nicht etwa ein fremdes und nicht ferne von uns;

— es ist der Grund und Boden, auf dem wir stehen und wir sind aus ihm gezeugt und geboren, und es ist selber unser Eigenthum, unser gött­ liches Eigenthum;

es

ist das Bild des göttlichen Lebens, wie wir es

als das vollendete in dem Gottessohn schauen, der im Schoße des Va­ ters ist; — es ist das ganze Leben, was wir als das seine bewahren sollen.

Wir vermögen also daö Gotteswort auch nur zu halten, wenn

es das unsere, wenn es in uns lebendig ist; — und wir halten es, wenn wir in ihm und aus ihm leben, wenn unser Leben in That und Wahrheit zur Offenbarung desselben geworden und nur darauf gerichtet ist, daß die ganze Welt ein Bild und Spiegel deS Gottesworts sei und in Gottzur Vollendung komme. halten wir also

Indem wir das Gotteswort halten,

auch an uns selbst und an unsrem wahren göttlichen

Eigenthum; — und weichen wir von ihm, so verlasten wir auch uns selbst und geben unser wahrhaftiges Leben und damit auch unsre Stütze auf.

Denn wir haben keine Stütze und keinen Halt, als daß Gott mit

seinem Worte auch in uns eine Stätte hat und wir mit ihm verwachsen sind.

Aus diesem Worte wird uns erst kund,

zu welchem Werke ein

Jeder von uns mit seinem Leben berufen ist, und was wir vollbringen sollen.

Halten wir nun aber nicht Gottes Wort, so bleibt auch der

Auftrag Gottes an uns unausgeführt und wir leben umsonst und ver­ geblich.

Unser Theil an Gott geht verloren.

Wir sind getrennt,

wir

haben den Frieden nicht. — Doch ergeht mit dem Worte Gottes, wir mögen zu dem oder zu jenem besondern Werke berufen sein, auch an uns Alle ein gleiches Gebot.

Denn wir sollen Alle doch Gott nur dienen

und jede uns verliehene Gabe nur verwenden zum Bau seines Reichs.

224 So soll eS denn auch nur ein Geist sein, der mittelst des göttlichen Wortes in Allem lebet und wirkt, was wir schaffen und was wir thun. — Gottes Wort ist das Wort der Wahrheit, der Heiligkeit und Ge­ rechtigkeit.

Lassen wir uns nun aber nicht von dem Geiste der Wahr­

heit leiten, so daß sie das Licht unsers Lebens ist, folgen wir vielmehr noch dem Truge und Schein der Welt, hält uns noch die Lüge gefangen, nimmt ein unheiliges Wesen unsre Herzen und Sinne ein, gehen wir der Lust der Welt nach und ist eS nur um den irdischen Lebensgenuß uns zu thun, — ist die Gerechtigkeit nicht das Maß unsrer Thaten und Werke, üben wir Unrecht an unsern Brüdern, halten wir zurück, was wir ihnen um Gotteswillen doch schuldig sind: da halten wir auch das Wort Gottes nicht, wir sind ferne von ihm und können zu keiner Ver­ söhnung kommen.

Ja, eS ist etwas Großes um das Halten deS Wortes

Gottes! Denn von ihm hängt unser Leben, das Heil unsers Lebens ab. Es ist daS Wort des ewigen Lebens, und eignen wir es uns an, so daß es in uns kräftig und mächtig wird: so ist auch das ewige Leben das unsrige und wir schauen schon hier durch das uns beseelende Gotteswort in eine Zukunft der göttlichen Herrlichkeit, die auch uns aufgehen und uns ewig erleuchten wird.

Das ist eine Macht der Beseligung, die von

dem Worte Gottes aus, unser Leben durchdringt und einen Trost in unsere Herzen senkt, den Niemand uns rauben kann. — Es ruht aber in dem Worte Gottes auch eine richtende Macht.

Denn obwol es

auch in uns ist und uns selbst zugehört: so reicht es doch als das Höhere auch über uns und über unsre Persönlichkeit weit hinaus; — und sowie es uns gegeben ist, in freier Hingebung ihm zu dienen: so sind wir, wenden wir uns von ihm ab, auch wider unsern Willen ihm Unterthan, und eben weil wir es zugleich in uns tragen und von ihm nicht loszu­ kommen im Stande sind, können wir um so weniger seinem Gericht entgehn.

Es richtet uns in uns selbst.

So wird es auch in dem Briefe

an die Hebräer beschrieben, wie es lebendig und kräftig sei und schärfer als ein zweischneidiges Schwert und hindurchdringt, bis daß es scheidet Seele und Geist, auch Mark und Bein, und ist ein Richter der Gedanken und Sinnö des Herzens und ist Alles bloß und entdeckt vor seinen Augen.

Ja wahr­

lich, m. Gel., es ist etwas Großes um das Halten des Wortes Got­ tes, und der Gedanke an seine Macht, an seine richtende Macht, die auch in unserm eignen Bewufftsein sich kund thut, ruft wol den tiefsten und innersten Ernst unsers Lebens auf und mahnt uns, uns selbst zu

225 prüfen, tote eS mit dem Holten des Wortes Gottes bei uns steht.

Da

gibt es wol Manche, die ihres Eifers um Gott sich rühmen, und auch in der Meinung stehen, als hielten sie Gottes Wort.

Aber es ist nicht daS

lebendige, was sie vor Augen haben; sie sehen nur tote auf ein fremdes darauf hin, es ist ihnen nicht ans Herz gewachsen, sie verhalten sich nur in äußerlicher Weise zu ihm und stehen ihm so gegenüber.

Und so kommt,

toaS sie halten, doch nicht zu Gott hinan, weil es nicht göttlich, nicht aus Gott gethan ist, und also kann es auch nicht zur Versöhnung helfen.

Zum Halten des Wortes Gottes gehört mehr, als ein bloß ge­

setzlicher Wandel.

Halten wir es also, tote es Gott von uns haben will:

da soll auch unser Leben ein neues sein, da suchen wir nicht mehr das Unsere, und los von der sündigen Selbstsucht, haben wir unser ganzes Leben in Gott gefunden, — und leben selbst nur aus ihm und aus seinem Wort, so daß unser Denken, unser Reden und Thun nur von ihm beseelt und getragen ist und wir ihm nur die Ehre geben, und also ein Werk schaffen, was nicht vergänglich, sondern was bleibend und ewig ist.

Halten wir Gottes Wort: so sind wir auch selbst in ihm und er

ist mit uns, also, daß und nichts von ihm scheiden kann. — Sein Wort aber also zu hallen, das vermögen wir auch nicht durch uns allein, sondern nur durch Jesum Christum den Gottessohn, der selbst das lebendige Gottestoort, das Wort des ewigen Lebens ist, und der uns selbst erst die Kraft verleiht, daß es in unö lebendig werde. — Ist es uns also um das Wort Gottes zu thun, wollen wir, daß es der Schutz und Schirm unsers Lebens sei: so müssen wir uns auch hinwenden zu Jesu Christo, und ihm uns im Glauben zu eigen geben.

Dann dürfen

wir auch nicht zweifeln, daß wir in ihm die Versöhnung haben und unserm himmlischen Vater wiedergegeben, und im Besitz seines Frie­ dens sind.

2. Als das Zweite, um zur Versöhnung mit Gott zu kommen, nennt der Prophet nun aber die Liebe.

Liebe zu üben, das ist das

Andere, was uns nicht fehlen darf, um in der Gnade Gottes zu leben. — Das Halten des Wortes Gottes aber schließt dieses Andere auch selbst schon in sich und ist nicht davon zu trennen. gar nicht halten, wo noch die Liebe fehlt.

Ja, wir können es

Gott ist die Liebe, und sein

Wort, wie es uns zumal als das lebendige in Christo erschienen und zu uns gekommen ist, ist ja auch nur das Wort der Liebe, die uns beSchirmer, Festpredigren.

15

226 seligen und von dem Verderben der Well, von ihrem ungöttlichen Wesen uns retten will. — Dieses Verderben liegt nun aber besonders auch darin, daß die Menschen untereinander zerfallen sind und in unselige feindliche Trennungen auseinander gehn und sich nicht gegenseitig erken­ nen,

als die

ja Alle das

göttliche Ebenbild an

sich tragen und ja

Alle zur Kindschaft berufen sind. — Ist Gottes Wort nicht zu hal­ ten ohne die Liebe zu ihm, so wäre diese Liebe auch wieder ein leeres Wort, wenn wir in ihr nicht Alle umfassen, die Gott als die Semen am

Herzen liegen

und die

also

auch

die

Unsrigen

sind.

Nur

die

Liebe ist's, die uns mit Gott versöhnt; das darf nun aber auch keine beschränkte Liebe sein und sie darf nichts von sich weisen, was Gottes ist. — Aber indem es auch nur eine Liebe um Gotteswillen und in ihm, — indem es eine heilige Liebe ist, so unterscheidet sie sich freilich auch von der Liebe, der nur eine persönliche Neigung zum Grunde liegt. Thut die Liebe nicht was sie an den Mitmenschen thut, als an Kindern Gottes, — sucht sie nicht danach, daß sie alle Eins sein in ihm, daß die Gottesliebe Alle immer enger und fester zusammenschließt: so ist sie auch nicht rechter und gottgefälliger Art und kann also keine heilende und versöhnende Liebe sein; — sie trägt keine himmlische Frucht und schafft auch uns selbst keine Beseligung, denn sie ist keine reine und göttliche. Da dürfen wir auch nicht meinen, als könne die Liebe nicht in allen Berhältniffen des Lebend sich geltend machen.

Denn kann sie auch nicht

überall dieselbe Gestalt an sich tragen, und., schließt sie auch wol den Ernst und die Strenge nicht von sich aus, und muß es auch selbst eine strafende Liebe geben, um die Verirrten zurückzuführen zum Herrn: so ist's doch die Liebe, die Allem zum Grunde liegt, und die sich in der Behandlung aller Kreise des Lebens erweisen soll, und worauf Alles, als auf seine Vollendung hinausgeht.

Solche Liebe zu üben, daö

vermögen wir aber auch nur durch Jesum Christum, der uns gelte* bet hat bis in den Tod.

Steht uns nicht das Bild der Liebe Christi

vor Augen, ist es nicht in unsern Herzen lebendig, lieben wir den Vater nicht in dem Sohne: so erlangen wir auch nicht die Kraft, in der Liebe zu den Brüdern ihm nachzufolgen.

3. Zuletzt aber hebt der Prophet noch ein Drittes hervor, was die Versöhnung mit Gott bedinge und was uns zu ihr helfen soll, nämlich: demüthig zu sein vor unserm Gott. DaS liegt nun auch schon in der Liebe, die wir von dem Halten des Wortes nicht trennen dür-

227

feu. Denn wo keine Demuth ist, da ist auch die Liebe nicht, die nur in der Hingebung lebt und von aller selbstischen Einbildung ferne ist. Das ist das Wesen der Liebe, daß sie sich nimmer genug thut und sich also nie über sich selbst verblendet. In der Liebe, welche die Demuth vor Gott schon in sich hat, sind wir uns auch immer bewusit, wieviel unS noch fehlt und mangelt. Wir stellen uns nicht zufrieden mit Dem, was wir etwa gethan oder was wir sind; wir stehen nicht stille und überheben uns nicht. Denn wir erkennen ja unsre Schwachheit und wissen, daß, wenn wir auch Alles gethan hätten, was wir glaubten schuldig zu sein, wir doch unwerthe Knechte sind. Darum treibt uns die demüthige Liebe, immer weiter zu streben, und indem uns die große und unerschöpf­ liche Aufgabe vor die Seele tritt, die in der Liebe ruht und die nur im Reiche der Liebe ihre Bollendung sieht: so tritt uns ein immer Höheres als das Ziel unsers Trachtens hin, und wir suchen nur immer tüchtiger zu werden für die Arbeit am Himmelreich; — wir suchen immer mehr erfüllt zu werden vom Geiste des Herrn und von seiner Kraft, ihm zu dienen bis zum letzten Hauch unsers Lebens, bis er uns abruft in eine höhere Welt, wo wir ernten sollen, was wir hier ausgesäet, und wo wir den Frieden finden werden, den Niemand mehr von uns nimmt. Steht uns ja doch auch Christus als das heiligste Vorbild der Demuth da, die Alles willig erduldete, um nur der Liebe des Vaters genug zu thun, und die nicht ruhte und rastete und auch den härtesten Kampf nicht von sich wies, bis sie das Werk der Welterlösung am Kreuze vollendet hatte. Lernet von mir, ruft er uns darum zu, denn ich bin sanftmüthig und von Herzen demüthig, so werdet ihr Ruhe finden für eure Seele. — Schauen wir nun auf das Bild Jesu Christi hin, wie das Gotteswort selbst nur sein Leben war, wie er Liebe geübt und in dieser Liebe selbst für uns starb, und auch demüthig war vor Gott und zu ihm flehte und betete, daß er ihn nicht verlassen möge: — da werden wir wol Alle es inne und können es uns nicht verbergen, wieviel uns noch daran fehlt, Dem zu genügen, was der Herr, nach dem Ausspruch unsers Propheten von uns fodert. Ja, wir müssen es wol Alle uns eingestehn, wie oft und wie sehr wir es noch daran fehlen lassen, das Wort unsers Gottes zu halten, wie mangelhaft noch unsere Liebe ist, und wie eS uns oft auch noch an der Demuth gebricht, und wir gegen den Herrn unsern Gott uns versündigen und ihm nicht gehorsam sind. Kommen wir aber ohne dies zur Versöhnung nicht: so möge das Wort des Propheten für Euch und Alle, auch eben an dem heutigen Tage eine 15*

228 ernste erschütternde Mahnung sein, in uns zu gehen, uns zu bekehren zu unserm Gott und uns ergreifen zu lassen von der Macht der Liebe Jesu Christi, daß wir uns aufraffen von dem alten Wandel der Welt und erstehen möchten zu einem neuen gottbegnadigten Leben.

Ja auch

der Anblick der Gegenwart zeigt eS unS, wie Noth die Buße thut.

Denn

für die vielfach zerrütteten Zustände unsrer Zeit gibt es kein Mittel deS Heils und der Rettung, als die Rückkehr zu unserm Gott.

Wenden wir

uns nur wahrhaft im Glauben und in der Liebe wiederum zu ihm hin, da ist unS geholfen, und da stellt das Leben durch die Macht des Herrn stch wiederum her, aber nicht etwa bloß als das alte, sondern als ein neues, als das Leben neuer Gnade und neuer heiliger Offenbarungen Gottes, der in dem Sohne uns immer näher kommt, und uns neue höhere Aussichten öffnet in sein heiliges und himmlisches Reich. — Ja, Geliebte, vernehmet die Bitte Christi und seiner Boten, und lasset Euch versöhnen mit Gott.

Dann fürchten wir weder Welt noch Tod.

Denn als die Versöhnten, als die zum Vater Zurückgeführten und mit ihm Vereinigten sind und bleiben wir ja auch bei ihm in Ewigkeit. Amen.

XXIII.

Dn Ruf des Herrn pr Buße. Predigt am Bußtage 1858 über Offenb. Joh. 2, 4-5.

Herr Gott, barmherzig und gnädig, geduldig und von großer Huld und Treue, der Du nicht willst den Tod deS Sünders, sondern daß er sich bekehre und lebe, — möge doch Keiner den Ruf der rettenden und vergebenden Liebe, womit Du auch heute uns zu Dir ladest, von sich weisen, sondern die Hand ergreifen, die Du ihm reichst, um ihn aufzu­ richten! Möchte doch heute für jeden Verirrten die selig.e Stunde schlagen der Rückkehr zu Dir, unserm Vater, und Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße thut. Dazu hilf uns auch Du, unser Herr Jesus Christus, der Du gekommen bist, uns zum Vater zu führen, und die Mühseligen und Beladenen zu Dir rufst, sie zu erquicken; — schaffe in uns ein reines Herz, damit ein neues Leben, das Leben der Gnade und des himmlischen Friedens das unsre sei; — und laß den h. Geist in unS mächtig werden, daß er Zeugniß gebe unserm Geist, daß wir Gottes Kinder sind! Amen.

Ich taufe Euch, spricht Johannes, der Vorläufer unsers Herrn Jesu Christi — ich taufe Euch mit Wasser zur Buße, der aber nach mir kommt, ist stärker denn ich, der wird Euch mit dem

230 h. Geist taufen.

Wir sind nun aber, m. Gel., doch getauft nicht mit

der Taufe des Johannes, sondern mit der Taufe Jesu Christi, und be­ kennen ihn, als den Sohn des lebendigen Gottes, der uns das Himmel­ reich aufgethan und uns das neue selige Leben der Kindschaft erschlossen hat.

Sollten wir da nicht über die Buße hinaus sein, die zwar von

dem alten Leben sich innerlich abgewandt, aber des neuen doch nicht schon mächtig geworden und nicht hindurchgedrungen ist zur vollen Freude im Herrn?

Aber diese^Vollendung, m. Gel., wie sie uns in dem Bilde

Christi entgegenleuchtet, ist immer noch eine künftige; und leben wir auch im Glauben an den Heiland der Welt, so ist die volle Macht dieses Glaubens

doch

nicht schon die unsrige, und von der Welt her drängt

noch immer ein ungöttliches Wesen sich ein.

Wir werden Alle als Die

natürlichen Menschen geboren, und von der Neigung'zur Sünde ist Nie­ mand frei.

Darum müssen wir auch Alle mit der Buße den Anfang

machen, und sie ist der erste nothwendige Schritt, damit uns das Him­ melreich näher komme;

— wie denn auch der Weg zum Glauben nur

durch die Buße geht.

Wer der Buße sein Herz verschließt, kann auch

nicht gläubig sein, und wir erlangen das

neue Leben des Heiles in

Christo nicht, wenn wir eS nicht in uns selbst erbaun, und der alte Mensch der Sünde in uns ertödtet wird. — Der Taufe mit dem heil. Geist muß die Iohannestaufe vorangehn, und der h. Geist zieht auch nur ein in ein reines Herz.

Wir empfangen ihn nicht als eine Gabe

von Außen her, und nur die Macht der neuen Liebe ist es, die ihn in uns erweckt und zum Leben ruft.

Aber auch, wo diese Liebe Wurzeln

geschlagen hat, ist sie doch noch manchen Trübungen ausgesetzt, und wir dürfen daher auch nicht meinen, als wenn wir den Kampf mit der Welt zu irgend einer Zeit schon also vollendet hätten, daß uns Nichts von ihr übrig bliebe, was noch zu besiegen sei; und die Stimme des eignen Ge­ wissens sagt es uns wol, wie wir noch immer zu wachen und zu käm­ pfen haben, daß der alte böse Feind uns nicht schade.

Ja uns Allen,

in. Lieben, thut die Buße noch immer Noth, und ist unser Verlangen nach dem Heile ein ernstliches: so müssen wir auch umsomehr uns zur Buße getrieben fühlen.

Und betrachten wir die Zustände um uns her,

und sehen wir, wie der Leichtsinn und der Unglaube unter den Menschen herrscht, sehen wir, wie das Leben vielfach zerrüttet und in einen tiefen Zwiespalt zerfallen ist, und verschließen wir nicht unsre Augen gegen die Gefahren, die uns bedrohn: so müssen wir um so ernstlicher bedenken, daß nur

eine wahre Buße uns retten kann.

Ist eS doch der Herr

selbst, der unS zur Buße ruft.

So soll denn auch eine mahnende Stimme

des Herrn uns heute zum Texte dienen.

Es ist eine Stimme der Offen­

barung, ein Wort aus dem Briefe, den der Herr durch seinen Jünger Johannes an die Gemeinde zu Ephesus, schreiben lässt.

Wir lesen

das betreffende Wort im 4. und 5. V. des 2. Kap. der Offenbarung, wo es also lautet:

„Aber ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest. Gedenke,, wovon du gefallen bist, und thue Buße, und thue die ersten Werke. Wo aber nicht, werde ich dir kommen bald, und deinen Leuchter wegstoßen von seiner Stätte, wo du nicht Buße thust." Hilf o Herr, daß dieses drohende Wort nicht über uns in Erfüllung gehe, sondern Jeder, eh' es zu spät ist, die Zuflucht nehme zu Dir, der Du allein unS heilen und retten kannst.

Starke dazu uns Alle durch

Deinen h. Geist, und segne dazu auch diese ernste und stille Stunde um Deiner Gnade und Erbarmung willen.

Amen.

Eine mächtige und gewaltige Stimme des Herrn, m. Gel., die wir soeben aus dem Buche des Lebens vernommen haben, eine Stimme, die wie vor Zeiten, auch Bußtexl,

noch

heute an unS ergeht!

Gewiß ein rechter

ergreifend für einen Jeden, der nicht in sich verhärtet ist.

Der Mahnung aber schließt sich zugleich eine Drohung an, und zwar eine Drohung, die wir nimmer bezweifeln dürfen.

Denn sie kommt von

dem Lebendigen, der die Schlüsiel des Lebens und des Todes hat.

Fol­

gen wir aber nur dem Rufe zur Buße, und wenden wir uns wahrhaft zrrm Herrn zurück: dann dürfen wir auch die Drohung nicht fürchten; sie trifft uns nicht. — So wollen wir denn nun auch heute

den Ruf des Herrn zur Buße zu Herzen nehmen, und jedes seiner Worte, wie unser Text sie uns vor­ legt, erwägen, daß sie in uns zur Kraft werden mögen eines neuen er­ lösten Lebens.

Das gebe Gott!

Das Mahnungswort des Herrn hebt nun zunächst davon an, daß er Etwas wider Ephesus habe. er.

Ich habe wider dich, spricht

Schon darin liegt ein hoher und ergreifender Ernst.

Denn hat

der Herr Etwas wider uns: so besteht eine Feindschaft zwischen ihm und uns, — eine Trennung, die uns zum Verderben führt.

Denn gibt

eö kein Heil für uns als in ihm, ist untz kein andrer Name gegeben,

232 darinnen wir können selig werden, denn nur der feinige: so ist auch Alles für uns verloren, wenn wir ihn nicht zum Freunde haben.

Die

Feindschaft aber gehl nicht etwa aus von ihm, der ja die lebendige Liebe und Gnade ist, der sich ja selbst für uns hingegeben, daß wir in seinem Tode das Leben fänden und Frieden hätten mit Gott.

Nein,

hat der Herr etwas wider uns: so sind wir nur die Schuldigen, indem wir von ihm uns undankbar abgewandt und seine Wege verlassen haben. Was er aber auch wider uns haben mag, es kann nichts Geringes sein; — denn es gilt das Leben, es gilt unsre Seligkeit.

Hat der Herr dom

Himmel, der für uns gestorben und auferstanden ist, einen Unwillen gegen uns und weicht das Bewusstsein der Versöhnung aus unsrer Seele: so ist auch die Ruhe und der Trost des Lebens dahin.

Darum haben wir

eS wol zu bedenken: ob der Herr etwas wider uns habe, damit wir eS von uns thun, und uns wieder hinwenden zu ihm und zu seiner retten­ den Gnade. Was ist es denn aber, was der Herr gegen die Gemeinde zu Ephesus hat?

Ich habe wider dich, so spricht er, daß du die erste Liebe

verlässest.

Da fragt es sich nun aber von Neuem, was unter dieser

Liebe verstanden wird.

Da dürfen wir nun freilich nicht bloß an die

Barmherzigkeit denken gegen Arme und Dürftige, die zwar nie fehlen wird, wo die christliche Liebe lebt.

Hier kann es aber nur die Liebe

sein, aus der alle wahre Liebe entspringt und die das ganze Leben des Christen durchdringen soll.

Es ist die Liebe zu Christo, dem Gottes­

söhne, der uns die Fülle der Liebe geoffenbart, der göttlichen Liebe, in der er für uns gelebt und gelitten hat, es ist die Liebe, womit wir ihn umfassen als den Herrn unsers Heils, als den Freund unsrer Seele, den wir nicht missen und ohne den wir nicht leben mögen, weil er selbst nur das Leben uns schenkt, das Leben des Friedens, den er uns vom Himmel herabgebracht, — und weil Niemand als er uns zum Vater führt.

Nur in dieser Liebe zum Herrn, in der Liebe, die sich nicht von

ihm scheiden lässt, ist das Leben das erlöste und selige.

Wenn der Herr

aber diese Liebe die erste heißt: so ist damit an eine frühere Zeit ge­ dacht, wo die Ephesier die Liebe zu ihm so recht als eine lebendige und frische im Herzen trugen, wie sie durch die Predigt von Christo, durch das himmlische Evangelium in ihnen erweckt und entzündet war.

Es

war die Liebe der ersten frischen Begeisterung, wie sie zur Zeit der Apostel in den ersten Christengemeinden uns so schön und herrlich entgegentritt. Es ist die erste Liebe, welche die Gläubigen, sowie mit ihrem Herrn

233 und Heiland, auch untereinander um so inniger und fester zusammenschloß, als sie sich reich und selig fühlten in ihm, und los von den Banden der heidnischen Finsterniß, sich dem neuen Lichte der Welt mit freudigem Her­ zen zu eigen gaben.

Wol hätten sie nun diese Liebe in gleicher Stärke

und Kraft auch für die Folge bewahren können.

Denn das Bild Jesu

Christi war ihnen ja eingeprägt, und sie entbehrten auch die Gabe des h. Geistes nicht. suS:

Es ist nun aber doch das Wort des Herrn über Ephe-

Ich habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest.

Sie hielten also doch, so hoch sie durch den Herrn auch begnadigt wa­ ren, die erste Liebe nicht fest.

Sie ließen nach; — die Liebe verlor

ihre Stärke und Innigkeit, und so nahmen auch ihre Werke der Liebe ab, und die Kraft des neuen Lebens wich zurück.

Fragen wir aber, wie

dies denn möglich war, da die Liebe ihre Herzen doch einmal ergriffen hatte, und da der Herr, selbst vorher der Gemeinde das rühmende Zeug­ niß gibt:

Ich weiß deine Werke und deine Arbeit und deine

Geduld, und was du um meines Namens willen getragen hast und nicht müde geworden bist, — fragen wir, wie da ihre Liebe ermatten konnte: so werden wir den Grund nur darin zu suchen haben, daß sie doch nicht genügend gerüstet waren, um unter allen Ver­ hältnissen fest zu stehn und nicht zu wanken und der Welt und ihrem Truge nicht nachzugeben.

Das Irdische und Schwache drängle sich all-

mälig noch wieder in ihre Seele ein und lockerte die Bande, die sie mit dem Gottessöhne geknüpft. Wie steht es denn nun aber mit uns, m. Lieben? wie steht es mit unsrer Liebe zum Herrn?

Haben wir es auch auf uns zu beziehen,

was der Herr zur Gemeinde in Ephesus spricht: Ick habe wider dich, daß du die erste Liebe verlässest? In dem Sinne, in welchem die erste Liebe der ephesinischen Gemeinde zu fassen ist, war sie wol nicht schon die unsrige, und wir dürfen uns in dieser Beziehung mit Ephe­ sus nicht zusammenstellen.

Denn wo hätten wir wol schon die Werke

gethan, wo hätten wir die Arbeit und die Geduld bewiesen, die der Herr an Ephesus rühmt? Fasten wir aber unser eignes Leben tn’6 Auge und betrachten wir unsre Zeit im Verhältniß zu der unsrer Väter: so werden wir es wol nicht verneinen können, daß es mit der Liebe zu Christo und seiner Kirche auch hier unter uns einst anders und bester bestellt war.

Denn mag es auch an Zeichen der Menschenliebe nicht

fehlen, mag auch ein Sinn des Wohlthuns unter uns nicht erstorben sein: so

234

ist eS doch mehr nur eine Aeußerung des bewegten Gefühls. Aber es ist nicht der Geist des Herrn, der dies thut, es geschieht nicht um Gottes- und Christi willen. Da begegnet uns vielmehr eine große Gleichgültigkeit, ja selbst eine schmerzliche Verachtung, die von dem Hei­ land und von seiner Kirche nichts wissen will und sie nicht zu bedürfen meint. Wir haben es ja täglich vor Augen, wie sehr das kirchliche Leben gesunken ist. Wol ist die Kirchlichkeil nicht allein daS Maß, woran die Liebe zu Christo zu messen ist, und e&- kann Manche geben und gibt eS auch, die. bei aller äußeren Kirchlichkeit doch die wahre Christusliebe nicht in sich haben und vom Geiste des Herrn verlassen sind. Aber darum darf man doch die Liebe zum Herrn von der Liebe zu seiner Kirche nicht scheiden wollen, als könne jene ohne diese bestehn. Wol sehen wir nicht bloß auf eine zeitliche Gestalt dieser Kirche hin, wovon man nicht'weichen dürfe, als sei sie selber daS Ewige, wobei es am Ende ge­ schieht, daß man die Kirche höher stellt, als den Herrn. Ist die Kirche aber doch nichts Anders, als die Gemeinde, deren Haupt Christus ist, und lebt und wirkt er vor Allem doch nur in ihr, — ist die Ge­ meinde sein Leib, und will er selbst nur der Heiland sein seines Lei­ bes: so kann es auch keine Liebe zu Christo geben, wo die Liebe zu seiner Gemeinde fehlt, und wir können auch nur als Glieder feines LeibeS lebendig mit ihm verbunden sein. Ohne das Band milder Gemeinde können wir auch für den Herrn, für das wahre Heil des Lebens nichts thun und schaffen. Lieben wir also den Herrn als das Haupt: so wer­ den wir unS auch gedrungen fühlen, uns als Glieder seines Leibes auch äußerlich darzustellen, und werden unS auch der gemeinsamen Anbetung im Hause des Herrn nicht entziehn, und die heiligen Gottesdienste und Versammlungen, worin uns der Herr ja selbst die Speise des Lebend reicht, nicht verlassen. Auch verlangt ja Jesus namentlich, daß wir chn vor den Menschen bekennen sollen, und nur dann will er uns auch be­ kennen vor seinem himmlischen Vater. Unser Bekenntniß vor den Men­ schen muß aber auch ein Bekenntniß vor der Gemeinde und in ihr sein, daß eS sich auch dadurch verkündige, wie wir allzumal Einer in Christo sind, und wie Er uns mit seiner Liebe zusammenschließt. Ja gewiß, nt. Gel., für wen die Kirche Christi, für wen seine Gemeinde keine Bedeutung hat, und wer an der heiligen Feier, die uns in’8 Got­ teshaus ruft, den Herrn der Liebe zu preisen, vorübergeht: der wird auch der Liebe zu ihm sich nicht rühmen dürfen. Wer den Gottessohn liebt, der liebt auch sein Wort und die Verkündigung desselben in der

235 Gemeinde.

Wer aber sein Wort verachtet, verachtet auch ihn, der es

uns als das Gebot des Lebens gegeben hat.

Wir werden nun aber

auch wahrlich nicht sagen dürfen, als wenn die Liebe zum Herrn sich etwa in andrer Weise darthue und bethätige. in

ihrer reinen Gestalt,

zu erkennen geben.

und

als die

Sie muß sich denn doch

persönliche Liebe zum Erlöser

Und wo finden wir wol das lebendige Jnteresie

für die geistige und göttliche Welt, die unS Christus erschlosien hat? Wo finden wir das lebendige und begeisterte Trachten nach dem Reiche Gottes und nach seiner Gerechtigkeit? Lebt es auch wol in den Einzelnen, so weiß die große Menge doch nichts davon und glaubt auch nicht an dieses Reich.

Nur die engherzigen Beziehungen des selbstischen und ir­

dischen Lebens sind es, die Jeder hegt.

Nur das gewaltige Treiben der

Welt ist eS, was die Menschen in Anspruch nimmt, aber um daS Himm­ lische und Ewige lassen sie sich unbekümmert.

Aber es kann auch nicht

anders sein, wo man den Grund nicht festhält, außer welchem kein andrer gelegt werden kann; wo man die Quelle vergifft, aus der allein das Leben des Heils und des Friedens zu schöpfen ist. auch die wahre und rechte Liebe.

Da erstirbt dann

Denn geht sie nicht von dem leben­

digen Gottesbilde in Christo aus, und lebt dieses Bild nicht in ihr: so ist sie auch unerleuchtet, und hat keine Wärme und keine Kraft.

Sie

wird matt und schwach und löst sich in der Zerstreuung der Welt immer mehr auf.

Sie geht unter in einer fremden und falschen Liebe, die

nichts schaffen kann, als was vergänglich und nichtig ist, und statt des Trostes und Friedens nur Schmerz und Trauer in unser Leben bringt. Da erlischt auch das Licht der Hoffnung, das in Christo uns aufgegan­ gen.

Denn ohne die Liebe, ohne die Christusliebe, die uns in die Zu­

kunft hinüberträgt, können wir dieses Licht auch nicht schauen; — dies Alles aber, was die Hoffnung der.Herrlichkeit Christi in sich schließt, dieser unendliche selige Gottesreichthum geht uns verloren, wenn wir die Liebe, die erste Liebe verlassen habeü. — Und wer von uns könnte sich rühmen, daß er diese Liebe bewahrt, und treu geblieben dem Herrn? Denken wir an unsre Väter, was sie um ihrer Liebe zum Evangelium willen gekämpft und geduldet, und uns die Freiheit des Christusglaübens errungen haben: wie sollten wir da beim Anblick des lauen und todten Wesens in unsrer Zeit nicht tief beschämt und ergriffen sein!

Müffen

wir es also bekennen, daß auch wir die Liebe verlaffen haben, und ist es eben dies, was der Herr auch wider uns hat: wie sollten wir uns

236 da nicht erschüttert fühlen und einen bittern Schmerz in der Seele tra­ gen!

Da kann wol vor der Zukunft uns bange sein! Darum gedenke, spricht der Herr, wovon du gefallen bist.

Denn die Liebe, die Christusliebe ist ja selber die Seligkeit.

Sie ist

das Höchste, und verlaffen wir sie, so sinken wir von der seligen Höhe, auf die sie und erhoben hat, herab; — der Friede, den uns die Liebe gibt, ist und geraubt, und Unseligkeit und Verderben ist unser LooS. Gedenke also, wovon Du gefallen bist, und erkenne es tief und lebendig, stelle es Dir klar vor die Seele, was Du mit der Liebe ver­ loren hast.

Nichts Geringeres, Geliebte, als Alles.

Ohne die Christus­

liebe sind wir arm und bloß, leer und verlaffen, und wir haben Nichts, was im Leide uns trösten kann.

Ja auch im Tode ist der Trost uns

genommen, der Trost des ewigen Lebens, das nur in der Liebe ruht, die nicht sterben kann.

Das einzige Mittel aber, daß wir wieder er­

langen, was uns verloren war, ist nur die Buße.

Nur die Rück­

kehr zum Herrn, die Rückkehr zur ersten Liebe ist die einzige Rettung, die uns vom Verderben erlösen kann.

Darum ruft nun der Herr, sowie

der Gemeinde in Ephesus, Dir auch zu: Thue Buße und thue die ersten Werke.

So ruft er auch heute Dir zu; und liebst Du Dein

Heil: so gehe nicht an diesem Rettungsrufe vorüber und thue nicht bloß das leibliche Ohr, sondern das Herz ihm auf, und laß das Wort des Herrn in Dir zur Macht werden des neuen erlösten Lebens. Dich

Wende

ab von der Liebe der Welt, die Dir die Ruhe der Seele raubt

und Dich in ihre unselige Knechtschaft gefangen nimmt.

Wer die Welt

lieb hat, in Dem ist nicht die Liebe des Vaters, und ebensowenig die Liebe des Sohnes,-der uns zuruft:

In der Welt habt ihr Angst;

aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden.

Wollen wir

also Christi, wollen wir im Besitz seiner Liebe sein: so müssen wir mit ihm auch die Welt überwunden haben.

Wir überwinden sie aber nur,

wenn wir ernstliche Buße thun und Raum geben der göttlichen Traurig­ keit, die zur Seligkeit eine Reue wirkt, die Niemand gereut. Buße kommen wir auch zum Glauben,

Ohne die

zum lebendigen Glauben nicht,

der uns den Sieg über die Welt verbirgt und allein die Kraft dieses Sieges hat.

Darum ermanne Dich, und laß Dich aus dem Schlafe

erwecken, der Dich gebunden hält.

Es ist Zeit, aufzustehn, sinte­

mal unser Heil, wie auch wir mit dem Apostel Paulus wol sprechen können, jetzt näher ist, denn wir's glauben, und ein.Tag der Ent­ scheidung heranrückt.

Da müssen nun aber wir auch entschieden sein,

237 entschieden für den Herrn und für sein ewiges Evangelium.

Darum

mache Dich los von den Banden, worin Du noch gefangen bist, und erhebe Dich zur Freiheit in Jesu Christo, zur herrlichen Freiheit der Kinder Gottes.

Lege ab die Werke der Finsterniß und thue an die

Waffen des Lichts, die Dich siegen lassen über alle Mächte der Welt. Thue die ersten Werke, spricht der Herr.

Das sind aber nur die

Werke der Liebe, die Werke des Geistes, womit wir allein daS Himmel­ reich bauen können.

Denn das Himmelreich ist nur das Reich der Liebe,

— ist nur Friede, Freude und Gerechtigkeit im h. Geist. — Ja lasst uns Buße thun, eh' es zu spät ist, ehe die Nacht kommt, da Niemand wirken kann.

Lasit uns Buße thun, da wir noch leben, daß wir der

Berdammniß entrinnen mögen. Bedenket, Gel., die Drohung, die der Herr noch seinen Worten hinzufügt.

Wo aber nicht: so komme ich schnell über dich, und

will deinen Leuchter wegstoßen nicht Buße thust.

von seiner Stätte,

wo du

Ja, es naht und, m. Gel., eine entscheidende Zeit,

eine Zeit der Prüfung, die immer mehr an's Licht bringen wird, was verborgen ist, — die Zeit einer neuen machtvollen Wiederkehr Jesu Christi.

Sorget, daß wir in ihr bestehen mögen, und der Herr und

nicht von sich weise, als die er nicht erkannt.

Auch wir, m. Gel., sollen,,

wie die sieben Gemeinden der Offenbarung, ein Leuchter sein, den der Herr gesetzt.

Der Leuchter aber ist nur zu denken mit einem leuchten­

den und brennenden Licht.

Und der Herr hat auch uns, hat unser

Volk berufen, ein Licht zu

sein, das hineinleuchtet in die Finsterniß.

Gebe Gott, daß wir diesen hohen und herrlichen Beruf nicht zu Schan­ den machen und unsrer Stelle im Reiche Gottes verlustig gehn. Gel., das darf

nicht sein.

Wir wollen Buße

Nein,

thun und dem Herrn

uns zu Füßen legen, daß er uns wieder aufrichte mit dem Trost seiner Gnade, und uns ausrüste mit neuer Kraft, mit der Kraft des die Welt überwindenden Glaubens, damit die hohe Verheißung, die er zuletzt noch der Gemeinde in Ephesus zuruft, auch an uns sich erfüllen möge: Wer überwindet, dem will ich zu essen geben von dem Holze des Lebens, das im Paradies Gottes ist! Ja,.das gib Du uns, o Herr, nach Deiner Barmherzigkeit, — das gib Du uns, o himmlischer Vater, um Deines Sohnes Jesu Christi willen, daß wir mit ihm in Deinem Reiche leben und herrschen und Dich preisen mögen in Ewigkeit!

Amen.

XXIV.

Die Bekehrung zu dem lebendigen Gott, als das einzige Mittel des Heils. Predigt am Bußtage 1861 üb. Apostelgesch. 14, 15 u. 17.

Herr, handle nicht mit uns nach unsern Sünden, und vergilt uns nicht nach unsrer Missethat! In tiefer und schmerzlicher Beschämung stehn wir vor Dir und hoffen auf Deine Vergebung. Gib und Kraft zur Besserung. Schaff in uns ein reines Herz und gib uns einen neuen ge­ wissen Geist! Verwirf uns nicht von Deinem.Angesicht, und nimm Deinen h. Geist nicht von uns! Tröste und wieder mit Deiner Hülfe und Dein freudiger Geist unterstütze und! Amen. Es ist kein Festtag, m. Gel., wozu die Glocken Euch heute zum Gotteshause gerufen haben; auch gilt es nicht der Feier einer der großen Erlösungsthaten des Herrn, wie wir sie an den hohen christlichen Festen begehn, und das Gefühl einer heiligen Freude unsrer Seele durchdringen soll. — Statt einer freudigen Erhebung ist es vielmehr eine gebeugte Stimmung, die heute zunächst unsre Herzen bewegt. Geht diese Stim­ mung aber von dem wahren und rechten Grunde aus: so wird der Ruf der Glocken Euch doch mächtig ergriffen, und Euch selbst gedrungen haben, hier zu erscheinen vor Eurem Gott; freilich nicht, um die Gebeugten zu bleiben, sondern um die Gebeugtheit aufzulösen, und einem andern und freudigeren Lebensgefühl Raum zu schaffen. Das steht aber auch

239 wieder im Zusammenhange mit dem Erlösungswerke deS Herrn und so schließt auch die ernste Feier, zu welcher wir hier versammelt sind, doch dem einen und höchsten Gedanken sich an, der durch alle unsre Gottes­ dienste hindurchgeht. Was ist es denn aber, was Euch heute zum Gotteshause gezogen hat? waS ist das Anliegen, womit Ihr zu Gott hierher kommt? was ist es denn, was Euch niederbeugt? Ist es der Druck des äußern Lebens und seiner Verhältniffe, ist es zeitliche Trübsal und Noth, die Euch traurig macht? Wol fehlt eS uns daran nicht, und gar Viele wehklagen unter der Last, die ihnen auferlegt ist, und sehnen sich davon 'befreit zu werden.

Haben

wir doch Alle an dem Schmerz des Lebens zu tragen, und er lässt wol Keinen von uns unberührt.

Genössen wir aber auch persönlich eine grö­

ßere Gunst: wie könnten wir, wenn die christliche Liebe noch in uns ist, die Noth der Zeit unbeachtet lassen, die uns von vielen Seiten entgegen­ tritt? wie sollten wir über die Drangsale, unter welchen Biele unsrer Brüder seufzen, oder auch selbst erliegen, nicht schmerzlich ergriffen sein? wie könnten wir uns der bangen Sorge entziehn über die zerrütteten und zerfallnen Zustände der Gegenwart?

Da dürfen wir auch wol im

Gebete zu Gott uns wenden, daß er daö Licht feiner Gnade von Neuem uns leuchten lasse, und die Trauer hinwegnehme, die uns umfängt. — Die Sehnsucht, daß eS auch im sichtbaren und zeitlichen Leben anders und besser werde, ist eine natürliche und gerechte, und Christus will ja auch ein Retter fein von leiblicher und irdischer Noth.

Aber freilich

dürfen wir dabei nicht stehen bleiben, und wäre es uns nur um irdisches Wohlbehagen zu thun, trauerten wir nur über die Entbehrungen im Zeitlichen und über die Leiden, die uns von Außen kommen: da wäre unsre Hoffnung auf bessere Zeiten umsonst.

Das wäre nicht die Stim­

mung der Seele, womit wir heute zu Gott uns nahn, und vor ihm, dem Heiligen und Gerechten uns beugen sollen.

Das wäre nicht der'

Schmerz, für welchen wir bei ihm Heilung finden, nicht der Schmerz deS inwendigen Menschen, der sich selbst erkennt und sich bewusst ist der eignen Schuld,

und demuthsvoll aufschaut zu dem himmlischen Vater,

bei dem viel Vergebung ist.

Denn Gott hilft Denen, die zer­

schlagenen Geistes sind, und erquickt dasHerz derGedemüthigten. — Ist unsre Traurigkeit aber nur die der Welt: da wüssten wir von der Buße nichts, wozu heute der Herr uns aufruft; da wäre es uns verborgen, woher alle Noth und Trübsal des Lebens entspringt, und wie sie ihren letzten und tiefsten Grund in der Sünde hat, wie

240 auch die Schrift es bezeugt: Die Sünde ist der Leute Verderben. Wissen wir aber die Quelle der Noth nicht zurückzudrängen: so nimmt die Noth selbst auch kein Ende. — So muß es denn,

nt. Gel., nur

die Sehnsucht und das Verlangen nach dem wahren göttlichen Heile sein, nach dem Heile in uns und außer uns, waS heute Eure Seele bewegt und was Euch

hierher geführt.

DaS wahre Heil aber

schaffen wir nicht aus uns selbst; — und bloß auf menschlichem Wege, nur durch menschliches Sinnen und Denken kann es nicht zu uns kom­ men.

Ist Gott selbst das Heil: so kann es auch nur das Werk Gottes

sein, und es gilt hier das Wort Jesu Christi:

Was bei Menschen

unmöglich ist, das ist möglich bei Gott.

Doch das Heil kommt

uns auch nicht ohne unser Zuthun, und ist es nicht der Gegenstand unsrer ernstlichsten und heiligsten Sorge, ist nicht unser höchstes und einiges Trachten ihm zugewandt, wollen wir thatlos und lässig warten: so wer­ den wir es nicht sehn, und sind auch desselben nicht werth und fähig. Das Heil ist das Leben, welches zu seiner Wahrheit erstanden ist, zur Wahrheit in dem ewigen und lebendigen Gott.

Das Leben aber besteht

allein in der That, in der That um Gottes willen, und wir haben es nicht, wir. haben die Wahrheit nicht, wenn wir sie nicht thun. wer die Wahrheit thut, kommt an das Licht, spricht Jesus.

Nur So

ist das Heil allerdings ein Werk Gottes, ein Werk was Gott zum Grunde und Inhalt hat, und sich aus ihm nur

erbauen kann, — aber ein

Werk Gottes in uns, ein Werk, was er durch seinen Geist in uns schaf­ fen und wirken will, und uns selbst als die Bauleute dazu berufen hat; — ein Werk, was also auch nicht zu Stande kommt, ohne uns in freier und thatvoller Liebe ihm hinzugeben.

Ja dieses Heil, das ist das Eine,

was uns Noth thut und worin alles Andre, was wir begehren können, umschlossen liegt.

Denn ringen wir nach ihm, als nach dem Einen und

Höchsten, mit aller Kraft die Gott uns verliehen hat; ist unser ganzes Leben von dem Gedanken des Heiles erleuchtet, und wird Ls auch in der Welt mehr und mehr aufgerichtet: so dürfen wir dann auch die äußere Noth nicht fürchten.- Wo das ganze Leben auf dem Grunde des Heiles ruht: da geht nicht bloß innerlich ein hoher und heiliger Trost uns auf, der uns über die Leiden der Zeit erhebt, sondern da gewinnt auch das sichtbare Leben eine andre Gestalt, und verklärt und verwandelt sich. Macht des ungöttlichen Wesens,

woraus alles Verderben

und

Die Elend

stammt, ist dann gebrochen und der Gnade Gottes in Christo der Weg gebahnt.

Trachtet am ersten nach dem Reiche Gottes und nach

241 seiner Gerechtigkeit, — sagt ja auch Jesus, — so wird alles Andre das Eure sein. — Ist nun aber alle Noth und Gefahr, die uns auch jetzt umgibt und bedroht,

aus der Gottentfremdung her­

vorgegangen: so gibt es auch für uns keine Hülfe und Rettung, als in der Rückkehr zu dem

lebendigen Gott.

Dies müssen wir uns heute

recht lebendig vor Augen stellen; und wollen wir rechtschaffne Buße thun: so muß diese Rückkehr zum Entschluß unsers Lebens werden.

Darauf

weist auch das göttliche Wort uns hin, welches wir heute zum Grunde unsrer Betrachtung legen.

Es ist ein Ausspruch deS Apostels Paulus

.im 14ten Kapitel der Apostelgeschichte, und wir lesen ihn dort im löten Verse also: „Wir predigen euch das Evangelium, daß ihr euch be­ kehren sollt von diesen falschen Göttern zu dem leben­ digen Gott, welcher Himmel und Erde gemacht, und sich nie unbezeugt gelassen und uns viel Gutes gethan

hat." Möchte doch auch diese Predigt eine Frucht der Bekehrun'g schaf­ fen zu dem lebendigen Gott!

Dazu segne Du selbst,

o Herr, auch

das Wort, was Du heute auf meine Lippen legst, und rüste es mit der Kraft Deines Geistes aus, daß es nicht leer zurückkehre, sondern daß ihm gelingen möge, wozu Du es sendest.

Bereite die Herzen, es auf­

zunehmen und sei bei uns mit Deiner heiligen und himmlischen Gegen­ wart !

Amen.

Auf der ersten Missionsreise, m. Gel., die der Apostel Paulus von Antiochren aus in der Begleitung des Barnabas unternahm, kam er auch nach einer Stadt Kleinasiens, Namens Lystra. einen Lahmen,

Da stellte er

der von dem Worte seiner Predigt ergriffen war und

Glauben an Christum gefasst hatte, wunderbar wieder her.

Da dachte

das Volk, es wären Götter zu ihnen herniedergekommen, die den Men­ schen gleich geworden, und sie wollten ihnen als Göttern opfern.

Da

wehrte ihnen Paulus und rief: Ihr Männer, was macht ihr da? Wir sind auch

sterbliche Menschen, gleichwie ihr.

Und nun

spricht er unmittelbar mit den Worten unsers Textes den Zweck ihrer Sendung aus:

Wir predigen euch das Evangelium, daß ihr

euch bekehren sollt von diesen falschen Göttern

zu dem le­

bendigen Gott. — Ist nun zwar der Glaube an die falschen Götter, wie ihn die Heiden in Lystra hatten, bei uns gefallen: so fehlt doch noch Schirmer, Festprevigten.



242 viel, daß wir Alle bekehrt sein zu dem lebendigen Gott, und diese Bekehrung begreift so Großes und Hohes, daß wol nur Wenige sich dessen bewusst sind, was darin liegt, und welch ein Gebot auch damit an uns ergeht.

Ist nun aber diese Bekehrung das einige Mittel

des Heils, auch in unsrer Zeit: wie sollte das Wort des Apostels nicht auch mächtig in, unsre Herzen schlagen! Darum sei es denn auch heute der ernste Gegenstand unsrer Betrachtung.

Nur

die Bekehrung zum lebendigen Gott ist das einzige Mittel des Heils. Je heller uns dies vor die Seele tritt, je tiefet wir in diesen Gedanken eingehn,, desto inhaltschwerere und ergreifendere Mahnungen wird die Stimme des Herrn auch für die Gegenwart uns vernehmen lassen.

Ohne

aber zu wissen und zu. bedenken, was es heißt und sagen will, daß Gott der Lebendige ist, würde uns auch nicht klar werden, was eS milder Bekehrung zu dem lebendigen Gott auf sich hat, und dadurch können wir auch erst zu der vollen Einsicht kommen, daß diese Bekehrung das einzige Mittel des Heils ist.

Wir predigen euch das Evangelium,

spricht der Apostel

Paulus, duß ihr euch bekehren sollt von diesen falschen Göt­ tern zu dem lebendigen Gott, und nennt ihn, im Gegensatz- mit den nichtigen Götzen, als Den, der Himmel und Erde gemacht hat und Alles, was darinnen ist.

Er ist der Lebendige, weil er die

ewige geistige Macht ist, von welcher die ganze Welt und alles Leben getragen wird, und mit dieser Macht auch Alles durchdringt und erhält, so daß es auch nur aus ihm und in ihm besteht und bestehen kann. Er ist der Lebendige, weil die ganze von ihm untrennbare Welt in allen ihren Werken und Schöpfungen nur ihn offenbart und verkündigt, und das sichtbare Bild seines unsichtbaren und ewigen Wesens ist.

Er

ist der Lebendige, weil auch das ganze Leben der Menschheit keinen Inhalt, kein Ziel hat, als nur ihn, weil die ganze Geschichte der Welt nur darauf hinausgeht, daß die Herrlichkeit Gottes zur Erscheinung komme in seinem Reich. — Und er hat sich nicht unbezeugt ge­ lassen, und durch alle Zeiten vom Anbeginn dargethan, daß er der Herr ist, der mit seinem Walten die Welt regiert.

Und sowie alles

Gute, was wir empfangen haben, das Seine ist: so muß auch Jeder,

243

der ein geistiges Auge hat, es erkennen, daß Gott der Richter auf Erden ist, der Nichts unvergolten lässt, und kein Mensch, kein Volk sei­ nem Gericht sich entziehen kann, daß er die Stolzen erniedrigt und die Demüthigen erhöht. Unser Christenglaube ist aber seinem Inhalte nach doch der Glaube an den lebendigen Gott, — an ihn, der in seinem Sohne zu und ge­ kommen ist, und als das Licht aus der Höhe uns besucht hat nach seiner Barmherzigkeit. Allerdings wird dieser Glaube als das Panier der Erlösung uns vorgehalten, und das Evangelium predigt uns auch nur Gott, den Lebendigen. Hier aber fragt es sich: ob dieser Glaube in uns zur lebendigen Wahrheit, ob er zur Macht unsers Lebens geworden ist. Wäre er dies, dann bedürfte es freilich nicht erst der Bekehrung zu dem lebendigen Gott, und wir wären schon die Bekehrten. Da müsste es aber auch anders mit uns und mit der Gegenwart stehn; da könnten wir keine Ursache haben, über die Zerrüttung zu klagen, die das Leben im Großen und Kleinen ergriffen hat. Hätte daS Geschlecht unsrer Zeit noch seinen festen Halt in dem lebendigen Gott, und wäre es sich dessen gewiß: woher wol dann die Furcht, die Fürsten und Völker bei dem Gedanken, daß der Weltfriede in Gefahr ist, erzittern lässt? — die Furcht, daß dann alles Bestehende umgestürzt und zertrümmert werde? woher das bange und unheimliche Gefühl, das sich der Menschen be­ mächtigt hat, .daß Nichts mehr sicher sei, und wir einer Umwälzung aller Dinge entgegengehn? Und doch gehen so Viele in dem Dienste des ver­ gänglichen Wesens, in ihrer trägen Genußliebe hin, und treiben nur das Werk ihrer Selbstsucht, die nur zerstören, aber nicht bauen kann. Sie gehen hin in der Finsterniß dieser Welt, und schlagen ihr Auge nicht zum Lichte der Wahrheit auf, und gedenken nicht der Gerichte Gottes, welche uns drohen. Das sind deutliche und unverkennbare Zeichen, daß die Welt dem lebendigen Gotte entfremdet ist. Wol fehlt es nicht an dem Glanz der Kultur, an dem Schimmer der geistigen Bildung; aber sehen wir auf die schrecklichen und furchtbaren Gegensätze des Elends unter den Menschen hin, sehn wir die tiefe Versunkenheit ganzer Klassen, so daß sich nichts von dem Ebenbilde Gottes an ihnen erkennen lässt: da kann eS sich nicht verbergen, daß der Kern des Lebens vergiftet ist. Mag auch im Einzelnen nicht mehr des Bösen geschehen als sonst; aber die ganze Entwickelung und Richtung des Lebens hat einen Punkt erreicht, und die sich entgegenstehenden feindlichen Mächte sind bis dahin heran­ gewachsen, daß sich das drohende Verderben nicht abwenden läfft, wenn 16

*

244 der einige Weg des Heils nicht mit aller Entschiedenheit, mit der Ent­ schiedenheit des in Gott gefestigten Willens betreten wird.

Mit halben

Mitteln, mit menschlicher Klugheit, die nur abwarten, und die Ereignisse zu ihrem Vortheil benutzen will, die aber nur die eigne Rathlosigkeit zu erkennen gibt, richten wir es nicht aus.

Da gibt's keine Hülfe, als die

Bekehrung zu dem lebendigen Gott.

Diese Bekehrung aber, meine

Gel., ist nicht darin beschlossen, daß man nur eine Lehre von Gott als die rechtlich gültige herstellen will und sich zu dieser Lehre bekennt. Pharisäer hielten mit

doch spricht Jesus das Wehe über sie aus. dem Geiste Gottes Gottesreich. rechtigkeit

Die

strengem Eifer auf alle ererbten Satzungen, und Denn sie hatten Nichts von

in sich, und ihr Leben trug keine Frucht für das

Von diesem Reich, als dem Reich der Wahrheit, der Ge­

und

Liebe

mochten

ihm innerlich ferne standen:

sie selbst

nichts

wissen, und sowie sie

so schlossen sie es selbst vor den Menschen

zu, und ließen die Verlangenden nicht hinein. leerer Schein und gleißende Heuchelei.

Ihr ganzes Wesen war

Und so- kam dann auch über sie

und über das ganze jüdische Volk das Strafgericht des Verderbens.

Ja,

Gel., ist Gott ein bloßer Gegenstand unsrer Vorstellung, oder wollen wir uns zu ihm nur in ein äußerliches Verhältniß setzen,

meinen wir,

daß es mit einem äußerlichen Dienste gethan sei, wobei wir selber die Alten bleiben, oder glauben wir es mit bloßen Worten zu schaffen:

so

sind wir noch ferne von dem lebendigen Gott. — Wir haben ihn nicht als den Lebendigen, wir wissen nichts von seiner Lebendigkeit, wenn er nicht selbst unser Leben ist, und wir auch in ihm lebendig sind.

Unser

Leben muß zu ihm bekehrt, muß in ihm als ein neues erstanden sein. Ist Gott für uns der Lebendige, lebt er in uns, und wir in ihm: so sind wir dann auch ungetheilt sein, und Gott als unser himmlischer Vater, theilt

auch Alles mit uns, und aus

seiner Fülle nehmen wir

Gnade um Gnade, und alle Schätze des Himmels thun sich uns auf. Sind wir wahrhaft zu Gott bekehrt, haben wir unser Leben in ihm ge­ funden: so sind es

dann

auch

nicht bloß einzelne und vorübergehende

Gedanken an ihn, womit wir umgehn, sondern unser ganzes Leben ist ein seliger Umgang mit ihm. Bewufftsein Gottes.

Unser Lebensbewusstsein ist Eins mit dem

Dann suchen und wollen wir auch Nichts als das

Seine, und fein Rath und Wille ist auch der unsrige, und all unser Vermögey und unsre Kraft ist nur ihm geweiht.

Wir leben in seinem

Dienste, in dem Dienste seiner Wahrheit und seiner Gerechtigkeit, und dieser Dienst ist ein Dienst der Liebe.

Da richten wir aber auch ganz

245 andre und höhere Dinge aus.

Denn es ist eine neue und höhere Macht,

die Gott in unsre Hände gelegt, so daß wir nicht unterliegen können. Wirken und schassen wir nur mit ihm, und ist es sein Werk, was wir thun: so dürfen wir auch nicht zweifeln, daß er eS herrlich hinausführt, und wir haben an seinem Siege Theil. — Schon die Stimme Gottes im alten Bunde verheißt es uns, daß er alle Werke unsrer Hände ge­ lingen lässt, so wir uns zu ihm bekehren und auf seine Stimme hören, womit er uns ja immerdar nahe ist, und ihn lieben von ganzem Her­ zen und von ganzer Seele. — Wissen wir nun aber, was die Bekeh­ rung zu dem lebendigen Gott bedeutet und sagen will, und bekom­ men wir durch diese Bekehrung ein neues Herz und einen neuen gewissen Geist, schauen wir tiefer in den göttlichen Gang und in die ewige Ord­ nung des Lebens hinein: so werden wir auch die volle Gewissheit haben, daß diese Bekehrung das einzige Mittel des Heiles ist, was uns nicht täuschen kann. — Bekehren wir uns zu dem lebendigen Gott und zu seinem Licht: dann löst sich die Finsterniß auf, in welcher das nichtige und ungöttliche Wesen der Welt die Sinne der Menschen gefangen hält, und wird überwunden;

dann weichen durch

die Macht der göttlichen

Liebe, die in die Herzen zieht, die feindlichen Trennungen, und der un­ selige und gottverläugnende Haß, der aus der sündigen Selbstsucht stammt, nimmt ein Ende, und die leidige Schwachheit, die Alles duldet und zu­ lässt, macht der Entschiedenheit Raum, die den Kampf für Gott und sein Reich nicht scheut und sich mit allen Kräften ihm hingibt. — Da dür­ fen wir auch für die Zukunft, so dunkel und drohend die Aussicht ist, nicht ohne Hoffnung sein, und Gott wird auch durch die Kämpfe der Zeit den Weg des Lebens uns finden lassen.

Und haben wir in Gott

einen neuen und festen Grund gelegt, find die ewigen Stützen wieder aufgerichtet, und ersteht in uns ein anderer und neuer Mensch: dann wird auch das Bild einer höhern Vollendung, was die edleren Seelen im Herzen tragen, nicht untergehn, und auch für unser Vaterland und für unser Volk bricht dann eine. neue Zeit, eine neue und höhere Schöpfung des Lebens an, und Gott schlägt wieder unter uns seine Wohnung auf, daß wir ein Volk seiner Ehre sein und seinen Ruhm verkündigen und seinen Namen in der Gemeinde preisen. Namens ein Ende.

Da hat aller Mißbrauch dieses

Das Christenthum steht nicht bloß als Lehre da,

sondern wird mehr und mehr zu einer heiligen Macht, zu einer Macht, die alle Verhältniffe des Lebens durchdringt und eS verwandelt zu einem

246 Reich der Gerechtigkeit.

Das Evangelium feiert neue und höhere Siege,

wie wir sie nicht schon geschaut.

Soll nun aber die Bekehrung zu dem lebendigen Gott eine Wahrheit werden: so muß es uns auch Ernst um die Buße sein, und es muß mit uns zu einer Entscheidung kommen. — ,Das Wort des Herrn ergeht auch heute an uns und dringt erschütternd in unsre Seele. Ich habe dir, spricht der Herr, heute vorgelegt Leben und Tod. Wandelst du in den Wegen des Herrn deines Gottes, und hältst du sein Recht: so wirst du von ihm gesegnet, und das Heil wird das deine sein.

Wendest du aber dein Herz nicht um, und gehorchst du nicht der

Stimme des Herrn, und schließest dich ihm nicht an und lässest dich ver­ führen von den Götzen der Welt, und gehst deine selbstgemachten und eignen Wege: so verkündige ich dir, daß du umkommen und im Lande deines Gottes nicht bleiben wirst. — Ich nehme, spricht der Herr, Himmel und Erde zu Zeugen an; — ich habe Leben und Tod, Segen und Fluch heute dir vorgelegt, daß du das Leben er­ wählest und dir noch eine Zukunft Gottes befchieden sei. — O Land, Land, höre des Herrn Wort und thue Buße, da er noch mit seinem Gerichte verzieht! — Thut Buße, Ihr Fürsten der Völker, und demüthigt Euch vor Dem, der der König aller Könige ist, und die Throne in seiner Gewalt hat! Haltet nicht Fleisch für Euren Arm, und wisset, daß nur Gerechtigkeit die Reiche erhalten und die Völker erhöhen kann. — Ihr Völker, lasst von Euren eitlen Gedauken und von Euren nichtigen Plänen, und huldigt in neuer Treue dem Herrn Eurem Gott, und haltet die schützenden Bande mit den Vätern des Landes fest, die Gott Euch gegeben hat.

Fallet nieder und betet an, daß der Schutz

Gottes nicht von Euch weiche.

Erbaut Euch durch Christum zu einem

heiligen Volke, zu einem Volke des Eigenthums, daß Ihr verkündigen sollt die Tugenden Dessen, der Euch von der Finsterniß zu seinem wun­ derbaren Lichte berufen hat. — Ihr Hirten der Kirche, vergesset nicht, daß der Erzhirte nur Christus ist, der sein Leben für die Schafe ge­ lassen hat, und daß Ihr von ihm bestellt und berufen seid, nicht, um über dieSeelen nach menschlicher Weise zu herrschen, sondern Alle nur hinzuführen zum Herxn, daß sie in ihm dje Erlösung finden, und zur herrlichen Freiheit kommen der Kinder Gottes.

Nur das Evangelium

soll Eure Vollmacht sein. — Alle, die Ihr über Andre gebietet, Ihr

247 Obrigkeiten und Richter, gedenket daran, daß Gott Euch in Eure Aemter gesetzt hat, und Ihr ihm verantwortlich seid, daß es auch ein göttlicher Haushalt ist, worüber Ihr walten sollt, und daß der Herr Euch richten wird, nachdem Ihr treu erfunden werdet in seinem Dienst.

Recht und

Gerechtigkeit um Gotteswillen: das muß Eure Losung sein. — Ihr Familienhäupter, Ihr Hausväter und Mütter, sagt es Euch heute, daß Ihr Euren Beruf nur erfüllen könnt, wenn Christus Euer Haupt ist, und Ihr Glieder an seinem Leibe seid, und Ihr Alle in Christo zusammen­ haltet.

Stellt Euch Euren Hausgenossen zum Vorbild hin, und erzieht

Eure Kinder in der Zucht und Vermahnung zum Herrn, und bewahrt sie vor der Eitelkeit und der Lust dieser Welt, damit ihnen nicht das göttliche Erbe

verloren gehe,

sondern der Segen Gottes über Euch

komme und über sie. — Ihr Ehegatten, seid Ihr durch Zwietracht Euch fremd geworden, ist Eure "Liebe erkaltet, heute reicht Euch die Hände, und legt Euch nicht zur Ruhe, bis das Band des Friedens Eure Herzen von Neuem umschlungen hat. — Ihr Jünglinge, habt nicht lieb die Welt, noch was in der Welt ist.

So Jemand die Welt lieb hat, die

irdische. Welt, in dem ist nicht die Liebe des Vaters.

Alles, was

in der Welt ist, des Fleisches Lust, der Augen Lust und hoffärtiges Leben ist nicht vom Vater, sondern von der Welt.

Und die Welt vergehet

mit ihrer Lust; wer aber den Willen Gottes thut, der blei­ bet in Ewigkeit. Darum seid stark, daß das Wort Gottes bei Euch bleibe, und Ihr den Bösewicht überwunden habt. — Ihr Jungfrauen, bewahrt das Euch anvertraute köstliche Kleinod, bewahrt Euch die Un­ schuld der Seele; — bannt die Eitelkeit und Gefallsucht aus Euren Her­ zen, damit der himmlische Vater an Euch sein Gefallen habe, und der selige Trost seines Friedens und seiner Gnade immerdar bei Euch sei. Euer Schmuck sei nicht auswendig mit Golvumhängen und Kleiderpracht, sondern der verborgne Mensch des Herzens mit sanftem und stillen Geist: das ist köstlich vor Gott. — Ja, Ihr Alle, wer Ihr auch seid, und welchem Stande und Alter Ihr angehört, — hoch und niedrig, reich und arm —: bekehrt Euch Alle zu dem lebendigen Gott, damit das Heil des Lebens uns wiederkehre.

Ja wir weihen uns Dir, o Vater,

mit Alleck was wir haben und was wir sind. an nach Deiner Gnade und Barmherzigkeit.

Nimm Du uns nur

Nimm uns an in Deinem

Sohne Jesu Christo, daß uns von Dir und von Deiner Liebe nichts scheiden könne, und wir Dein sein und bleiben in Ewigkeit! Amen.

XXV.

Was stehet ihr und sehet gen Himmel? Predigt am Feste der Himmelfahrt Christi 1855 über Apostelgeschichte 1, 1—11.

Heiliger Gottessohn, göttlicher Erlöser der Welt, der Du nun, nach­ dem Du Dein Werk auf Erden vollbracht, als der zum Himmel Er­ höhte ewig beim Vater bist, und mit ihm herrschest und regierest in seinem Reich: vor Dir fallen wir anbetend nieder, und beugen uns vor dem Glanz Deiner Herrlichkeit. Ja, Dank und Preis Dir, unsrem Herrn Jesu Christo, der Du für uns Dich erniedrigt und zum Vater gegangen bist, um auch dort für uns zu bitten und eine Stätte uns zu bereiten. Sieh gnädig auch von Oben zu uns herab, und ziehe durch die Macht des Geistes, den Du uns zum Tröster verheißen hast, uns nach zu Dir, daß wir da sein, wo Du bist, und l.os von den Banden der Erde, Dich im Lichte des Himmels, im Lichte der ewigen Wahrheit und Liebe schaun! Amen.

Die festliche Feier, m. Gel., die wir heute hier im Hause des Herrn begehn, die Feier der Erhebung des uns geschenkten Gottes- und Men­ schensohnes zum Himmel, ist die Vollendung des Osterfestes. Denn der Erstandne ist auch der zum Himmel Erhöhete, und die wunderbare

249 Verklärung, in welcher er den Seinen erschienen ist, weist uns überall schon zum Himmel hin.

Christus ist aus dem Grabe emporgestiegen,

nicht, daß er das beschränkte irdische Leben führe, sondern daß er im Himmel mit dem Vater lebe und herrsche in seinem Reich.

Der heiligste

Gedanke aber, worauf diese Feier uns hinweist, ist der, daß Christus zum Vater gegangen ist, uns selbst zum Himmel zu ziehen.

Doch wie

er bei seinem Hingang verheißen hat, bei und zu sein alle Tage, bis an das Ende der Wett: so sollen wir auch schon hier nicht von dem Him­ mel geschieden sein. Der Himmel, obwol er hinausliegt über Alles, was zeitlich und irdisch ist, .soll doch nicht bloß jenseits bleiben, sondern der erhohete Gottessohn hat den Himmel uns aufgethan und zieht zum Himmel uns hin, der sich auch auf die Erde und in unsre Herzen herab­ senkt, daß wir den Frieden hätten, der über alle unsere Gedanken hinausliegt, den Gottesfrieden, den Niemand mehr von uns nimmt.

Jesus

will uns zum Himmel ziehn, dessen Macht das ganze Leben durchdringen und die Erde verherrlichen und verklären soll.

Das ist aber nicht mög­

lich, m. Gel., wenn nicht alle unsre Sinne und Gedanken zum Himmel gerichtet sind, wenn nicht auch der Zug unsrer Herzen uns hinzieht zu Dem, der im Himmel ist, zu dem Gottessohn, der von dannen ja auch immerdar zu uns kommt, und uns zu sich nehmen will, daß wir ewiglich bei ihm sein.

Ja, Gel., wäre unser Beruf hienieden nicht auch ein

himmlischer, hätten wir kein andres Leben als das irdische: so wären wir elend und arm, hätten kejne Hoffnung und keine Zukunft, und ver­ laßen von aller Wahrheit, wandelten wir in der Finsterniß, worin der leere nichtige Schein die Menschen gefangen hält.

Denn das Licht der

Wahrheit leuchtet uns nur vom Himmel her, und von Dem, der im Himmel und Eins mit dem Vater ist.

Sehen wir im Leben nichts, als

was irdisch und zeitlich ist, haben wir kein Bild einer höhern und himm­ lischen Welt geschaut: so kann es nicht besser werden.

Denn das wahre

Heil, das Heil des göttlichen Lebens, kommt ja auch nur vom Himmel zu uns herab.

So schauen denn unsre Augen heute mit sehnsuchtsvollem

Verlangen zum Himmel auf, zu dem ewigerhöheten Gottessohn.

So

wollen wir denn auch andachtsvoll das heilige Bild betrachten, was uns Lukas in seiner Apostelgeschichte von der Ausfahrt Christi zum Himmel gezeichnet hat.

Wir lesen das apostolische Wort gleich im ersten Kapitel

der genannten Geschichte V. 1 — 11 folgendermaßen:

„Die erste Rede . . . gen Himmel fahren." Gebe Gott, daß die Zukunft Jesu Christi, die eine himmlische Stimme

250 uns hier verheißt, auch für uns nur die Offenbarung der Seligkeit, der Aufgang des Himmels sei, der in ihm, dem Gottessöhne zu schauen ist. Dazu segne o Herr, auch das Wort, was ich hier in Deinem Namen verkündigen soll, segne es um Deiner Gnade willen, und sei bei uns mu Deinem Geist!

Amen.

In dem Evangelium, nt. A., hatte Lukas die Beschreibung der Werke und Lehren Christi bis dahin fortgeführt, wo der Herr nach seiner Auf­ erstehung, und nachdem er seinen Jüngern zu wiederholtenmalen wunder­ barerweise erschienen war, wieder aufgenommen ward zu dem Vater. Daran knüpft er nun auch in dem ersten Kapitel der Apostelgeschichte wieder an, geht von der letzten Erscheinung Jesu in Bethanien aus, theilt die trostreichen hohen Verheißungen, die er vor seinem Scheiden hier noch den versammelten Jüngern gegeben hatte, besonders mit, und spricht es dann in schlichten und einfachen Worten aus, wie Jesus vor den Augen

der Jünger

verhüllt und

ihrem Anblick

aber nichts weiter zur Erklärung hinzu.

entzogen ward;

fügt

Da sind nun auch wir nicht

im Stande, in das Geheimniß einzudringen, was sich hier mit Christo begeben hat, und es wäre eine unheilige Anmaßung, den Schleier hin­ wegnehmen

zu wollen, der die

Auffahrt Jesu bedeckt. — Was hier

geschah, vermögen wir nur im Glauben zu fasten, der uns allein die geistige und himmlische Welt erschließt, zu, der Jesus erhoben ward.

Und

was uns Lukas von den zwei Männern in weißen Kleidern, von er­ schienenen Engeln sagt, von welchen himmlische Reden vernommen wur­ den: auch dies weist uns hin in die Welt, die wir mit sinnlichen Augen nicht schauen können.

Die Worte der Engel aber, die der Evangelist

uns berichtet, haben einen gar gewichtvollen Inhalt, den wir nicht über­ sehen dürfen.

Ihr Männer von Galiläa, sprechen sie, was stehet

ihr und sehet gen Himmel? — Das sind Worte, nicht bloß an die Jünger, sondern zugleich an uns.

Und die hohe Zusage, daß der

von ihnen gen Himmel aufgenommene Jesus auch kommen werde, wie sie ihn gesehen hätten gen Himmel fahren, — deutet zugleich auf das Band zwischen Himmel und Erde hin, auf das Band, das eben Jesus geknüpft und die Scheidewand hinweggenommen hat, die sie auseinander­ hielt.

Wir fasten nun aber vor Allem die Frage ins Auge:

Was stehet ihr und sehet gen Himmel? — eine Frage, die sich in vielfache Beziehungen setzen lässt und einer reichen

251

und bedeutsamen Anwendung fähig ist. Zuerst wollen wir sehen, was die Frage in ihrer Beziehung auf die Jünger Jesu bedeutet und sagen will; — und dann, in welchem Sinne sie auch an uns und an die Mitlebenden gerichtet ist, und was für eine ernste Mahnung sie in sich schließt.

1.

Was stehet ihr und sehet gen Himmel? Mit diesen fragen­ den Worten redet also hier eine göttliche Stimme zunächst die Jünger Jesu an, die von mächtigem Staunen ergriffen zum Himmel sahn, wohin ihr Herr und Meister aufgehoben und vor ihren Augen verschwunden war. Darin liegt nun auch ohne Zweifel für sie eine Abmahnung, nicht also geyHimmel zu sehn, wie es hier von ihnen geschah. Wol müssen wir es natürlich finden, daß ihr Blick gen Himmel sich richtete, wohin der perklärte Gottes- und Menschensohn ihnen entrückt war. Da waren zuerst ihre Augen und Sinne gefesselt, und sie vermochten es nicht zu fassen, was sich hier vor ihnen begeben hatte, und wussten nicht schon, was sie thun und wohin sie sich- wenden sollten. Sie standen staunend still, und unentschloffen harrten sie Dessen, was kommen solle. — So war ihr Sehen zum Himmel allerdings nicht schon das wahrhaft erleuchtete, nicht ein Sehen des Lichtes, was selbst nur vom Himmel kommt, wohin sich Jesus erhoben hatte. Die Verheißung Jesu von seiner Wiederkehr, die Verheißung von der Sendung des h. Geistes, den sie empfangen sollten, der Gedanke an das Werk, was der Herr ihnen aufgetragen und sie zu seinen Zeugen berufen hatte, war unter dem Staunen, was sie zuerst überwältigte, in ihrem Bewusstsein zurückgetreten. Das Bild des Scheidens Jesu hatte ihre Seele mit Schmerz erfüllt, und sie erschienen sich im ersten Augenblick wie verlassen, und dachten sich das Wiedersehn qls in weite Ferne gerückt. Aber es war doch das lebendige und heiße Verlangen nach ihrem Meister und Herrn, was sie gen Himmel sehen ließ. Und als sie nun die mahnende Stimme der Gottesboten vernah­ men: was stehet ihr und sehet gen. Himmel? da erwachten sie aus ihrer Benommenheit, und die ernste Frage ging durch ihre Seele hindurch. Sie gedachten wieder an Alles, was der Herr ihnen gesagt und,befohlen hatte, und die Verheißung seiner Wiederkehr ward von Neuem in ihnen lebendig, und begeisterte sie, daß sie nicht ruhen konnten. Sv war ihr Sehen zum Himmel doch kein vergebliches, und neben der

252 Mahnung empfingen sie nun auch zugleich einen hohen und heiligen Trost, den Trost der Gewissheit, den ihnen die Goltesstimme bezeugte, daß der Herr doch nicht von ihnen geschieden sei.

Da kehrten sie nun entschlossen

und mit heiligem Muthe, dem Herrn zu leben und sich seinem Werke zu weihn,

zurück nach Jerusalem, und waren hier Alle einmüthig bei

einander mit Beten

und Flehn, bis am Tage der Pfingsten die Fülle

des heiligen Geistes über sie kam, und sie anfingen, mit neuen Zungen zu predigen. — Sie kehrten zurück nach Jerusalem, nicht als die Trau­ rigen, sondern wie uns sagt,

auch Lukas

am Schlüsse seines

Evangeliums

mit großer Freude, und waren allewege im Tempel, priesen und

lobeten Gott.

Sie waren es inne geworden, daß die Macht des Herrn,

nach seinem Hingang zum Vater, nicht aufgehört hat, sondern sich viel reicher entfaltet und offenbart, als während er auf Erden noch mit ihnen wandelte.

Sie zweifelten nicht, daß er jetzt auch bei ihnen sei und hat­

ten die Siegesgewiffheit in ihm. — Da hatte sein Wort sich erfüllt, daß ihre Traurigkeit über seine schmerzliche Trennung sich in Freude verwandeln cherde.

euch

wiedersehen, spricht er,

und euer Herz soll sich freuen, und

Denn ich will

eure Freude soll Nie­

mand von euch nehmen. — Diese Freude war in ihre Hrrzen nun eingekehrt und verließ sie nicht.

2. Fassen wir nun aber die Frage: was stehet ihr und sehet gen Himmel? als gerichtet an uns, und an Alle in unsrer Zeit: da tritt erst das ganze große und ernste Gewicht dieser Frage uns vor die Seele. Leidet denn aber dieses zu den Jüngern Jesu, bei seinem Hingang zum Vater gesprochne Wort, eine Anwendung auch auf uns? dies

wol verneinen."

Wer könnte

Das ist ja eben die Hoheit und Herrlichkeit der

heiligen Schrift, daß ihr Wort, als das lebendige Gotteswort für alle Zeit seine Geltung hat und sich erweist in seiner ewigen Wahrheit.

Hat diese

Frage doch eine allgemeine Beziehung auf das Leben der Welt, was sich hier auch in den Jüngern noch zu

erkennen gibt, die das irdische

Bangen noch nicht überwunden hatten und darum mit beklommenen Her­ zen gen Himmel sahen. — Und so sollen wir an dieser Frage uns selbst und nnser Verhältniß zum Himmel prüfen, woran sich ja unser ganzes Leben entscheidet. — Möchten nur erst Alle ebenso wie die Jünger Jesu,^ mit demselben heiligen Verlangen gen Himmel sehen, möchte die Frage für Alle eine solche Lösung gewinnen, wie bei den Jüngern des Herrn, und

253 es stände bester um uns und um die Welt! Da sind aber leider gar We­ nige, die sich ihnen vergleichen lasten.

Ja die Meisten haben nur die

Erde vor ihren Augen, und missen von dem Zuge zum Himmel nichts, nichts von dem Herrn, der auch für sie zum Himmel gegangen ist.

Den

sinnlichen Himmel, der über uns ausgebreitet ist mit seinen Sonnen und Sternen, sehen sie wol.

Aber den wahren Gotteshimmel, worauf das

sichtbare Bild uns hinweist, die geistige und göttliche Welt, die unsre wahre und ewige Heimat ist, die Wohnungen bei dem himmlischen Vater, erkennen sie nicht, und ihre Augen und Herzen sind dafür blind.

Sie

glauben an keinen Himmel, sie verachten ihn, und weisen *als eine leere Einbildung ihn hinweg, und darum ist er auch für sie ein unsichtbares und verborgnes Land.

So ist nun aber auch mit ihrem irdischen Dasein

Alles für sie dahin, und ihre Seele hat nichts als die Eitelkeit und die Selbstsucht in sich, die das ganze Leben zerstört und vernichtet, und Nichts zurücklästt,

als Noth und Pein.

Für solche Ungläubige, die nur den

Schein der Sinne für Wahrheit halten, deren Verläugnung des Himmels auch eine Verläugnung Gottes ist, liegt nun in den Worten der Frage: wasstehetihrundsehetgen Himmel? eine Androhung des Gerichts. Was seht ihr äußerlich nach dem Himmel, wohin starrt ihr mit euren Augen und gewahrt doch Nichts von der überirdischen und ewigen Gotteswelt, die allein bleibt und besteht, Wenfalles Andere zu Grunde geht? Der Himmel den ihr nicht seht und nicht sehen mögt, ist eine ewige und lebendige Gottesmacht;, das ist Gott, dessen Gericht wahrhaftig über euch kommt, und die Spötter zu Schanden macht und sie ewig von sich ver­ stößt.— Darum, Gel., nur als Gläubige, mit dem Glauben an Gott in den Herzen sollen wir gen Himmel sehn, und zu ihm, als dem Vater aufschauen. — Haben wir den Schatz unsers Herzens nicht in dem Himmel, da hilft es uns Nichts, nach ihm hinaufzuschaun; denn es kommt doch kein Lebensgut von Oben zu uns herab.

Denn wir begehren es nicht, unv

es ist auch für die Ungläubigen gar nicht da, und sie können es nicht empfangen. — Da sind Andre, die zwar eine unsichtbare Welt nicht verneinen, und also gen Himmel sehn, und auch wol nach Aufschluß suchen über verborgne Dinge und eine geheimnißvolle Geisterwelt. aber ist auch nicht der wahre Gotteshimmel. ihrer eignen Gedanken und Vorstellungen.

Dieser Himmel

Es ist nur ein Gebilde

Ihr Himmel ist nicht leben­

dig, und sie sehen auch nur darauf hin, als der selbst nicht der ihre.

254 ist, und ihrem Leben getrennt gegenübersteht.

Es ist nicht der Himmel,

worin wir allein unser Leben haben, und der unser ganzes Leben und Dasein umschlingt; — und sie wissen Nichts von dem lebendigen Bande, das Himmel und Erde zusammenschließt.

Es ist nicht der Himmel, wo­

nach wir trachten sollen, als nach dem Einen und Höchsten, ohne welches unser Leben gar keine Wahrheit hat.

Der Himmel, den die Menschen

hier sehn, hat keine sittliche Macht, ist nicht der Himmel, der Über uns herrschen und

unser Leben gestalten soll.

Das Leben wird durch ihn

nimmer zum himmlischen, und vom Wandel im Himmel ist nicht die Rede,

Da ist ihr Sehen gen Himmel ein müßiges und bringt nimmer­

mehr eine Frucht.

Da wird die Frage: was stehet ihr und sehet gen

Himmel? auch für sie zum Vorwurf.

Denn sie schaffen.nichts Himm­

lisches, und der Himmel Gottes bleibt in gleicher Ferne, sowie vorher. Ist eS aber auch nicht bloß die eingebildete Geisterwelt, womit sie umgehn und doch nur auf Erden sind, — sehen sie gen Himmel, worin Gott der Herr und Gebieter sei, so steht ihnen auch dieser Himmel nicht schon lebendig und wahrhaft nahe.

Es ist auch noch mehr nur ein Him­

mel, der ein Gegenstand ihres Wiffens, aber nicht ihr inneres und eignes Leben ist, — den sie vielleicht mit einer gewissen Scheu betrachten, aber sich ihm doch nicht zuwenden als der wahren Heimat. nicht gesehn als Den, aufgethan hat.

Sie haben Christum

der in den Himmel gegangen ist und ihn uns

Sie haben ihn nicht gesehn als das wahre himmlische

Leben, worin der Himmel selbst zu uns gekommen ist.

Sie haben ihn

nicht erkannt als den Herrn, dem alle Macht im Himmel und auf Erden gegeben ist,, — und so glauben sie doch auch an sein Kommen vom Him­ mel nicht, glauben nicht an seine Wiederkehr zum Gericht, wozu ihn der Vater bestellt hat, und meinen in ihrem Wahn, als wenn es damit doch nicht soviel auf sich habe, und gehen in ihrem alten und irdischen Wesen hin und wiegen sich in falsche und gefahrvolle Sicherheit ein.

Sie glau­

ben nicht an die Macht, an die weltrichtende Macht, die von dem Leben des Herrn ausgegangen und unbesiegbar hindurchgeht durch die Welt, bis ihm Alles zu Füßen liegt.

Da hat die Frage: was stehet ihr und

sehet gen Himmel? auch für sie einen strafenden Inhalt.

Denn sie sind

doch noch gebunden im falschen und unlebendigen Schein, und über den wahren Himmel, über seine lebendige und machtvolle Gegenwart sehen' sie hinweg.

Sie sehen den Erlöser im Himmel nicht.

Und so wird die

Mahnung an die Wiederkehr Deffen, der als der Ueberwinder der Welt gen Himmel aufgenommen ist, zu einer Drohung für sie:

Denn die

255 Zukunft des Herrn bleibt nicht aus, und sie können sie nur erwarten mit Furcht, und können vor des Menschen Sohn nickt bestehn. So, m. Gel., wollen und dürfen wir nicht gen Himmel sehn.

Un­

ser Sehen gen Himmel, als ein gläubiges, muß auch von dem lebendigen Verlangen begleitet sein nach dem erhöheten Gottessohn.

Da sehen wir

nicht bloß von Außen zum Himmel hin, sondern wir schauen mit der vollen Sehnsucht des Herzens zu ihm hinauf, wir fühlen in Liebe uns hingezogen zu dem ewigen Hohenpriester, der zur Rechten Gottes im Himmel ist,

und

selig machen kann immerdar, und allezeit für uns

kittet, daß wir mit dem Vater versöhnet sein.

Sehen wir, Gel., also

gen Himmel und ist unser Herz bei dem Gottessohn-, dann zieht schon hier ein himmlischer Friede in unsre Brust, und die Sorge und Furcht, und die Unruhe, die uns noch vielfach auf Erden plagt, weichen von uns. Da sehen wir auch ohne Bangen und selbst mit Freudigkeit auf die Wiederkehr Christi hin, und diese Hoffnung wird uns zum Trost, zum Trost in der Trübsal des Lebens, — und im Schmerz über das ungöttlicke Wesen der Welt verlangen wir und sehnen uns, daß der Got­ tessohn erscheine, und der widergöttlichen Herrschaft ein Ende mache und von Neuem seine Macht und Herrlichkeit offenbare. — Da ist es nicht möglich, daß wir noch gleichgültig gen Himmel sehn.

Denn nicht mit

dem äußerlichen Auge, sondern mit dem innern Auge des Geistes schaun wir zu ihm hinauf.

ES ist das Bild des Himmels in unserm Herzen,

womit wir zum Himmel sehn, und dann ist auch unser Sehen nicht noch ein dunkles und trübes, sondern ein helles und erleuchtetes.

Es ist

das Licht Jesu Christi, das uns vom Himmel leuchtet, und wir schauen zugleich in seine Klarheit hinein.

Da darf dann aber auch unser Sehen

gen Himmel, wenn auch die Aussicht der Zukunft bedenklich und drohend ist, wenn wir hienieden auch leiden und dulden müssen, doch nicht ent* muthigt sein.

Denn wir sehen ja im Himmel den Herrn des Heils, der

auch immerdar bei uns ist und zu uns kommt, daß. er uns Hülfe bringe, wenn wir ihn nur annehmen, und ihm uns hingeben und ihm huldigen als dem Herrn, dessen Reich allein ewig ist.

Die Hülfe des Herrn er­

langen wir aber auch nur, wenn er selbst mit uns, und unser Leben ist. Er kann aber auch nicht mit uns sein, wenn wir nicht mit ihm sind, und in ihm und für ihn leben, und alles Vermögen und alle Kräfte ihm weihen. nicht.

Im bloßen Harren und Warten kommt uns die Hülfe

Ddran mahnt uns nun auch das Wort: was stehet ihr und

sehet gen Himmel? Wir dürfen nicht rathlos und thatlos gen Himmel

256 sehn, wiewol auch in unsren Tagen es Viele gibt, die gen Himmel sehend nicht wiffen, was sie thun und beginnen sollen.

Das rührt aber auch

nur davon her, daß der wahre Himmel ihnen doch nicht schon offenbar geworden, daß es doch nicht der lebendige Gott, nicht der Herr im Him­ mel ist, zu welchem sie aufgeschaut, und dessen Werk sie als das Eine, was Noth thut, als die einige Aufgabe ihres Lebens ersehen hätten. Sonst könnten sie nicht zweifelhaft und bedenklich sein.

Es ist noch ein

falsches Bild, was sie vor Augen haben, und sie tragen vieles Menschliche noch hinein, Vieles, was nicht himmlisch und göttlich ist.

Ihr Blick ist

getheilt, und sie haben noch nicht die volle Entschiedenheit, es fehlt ihnen noch der wahre himmlische Wille. Oder es ist auch die leidige Schwäche, die sie noch einnimmt und selbst ihr Auge verhüllt, und sie zu einem festen entschiednen Handeln nicht kommen lässt.

Da kommt aber auch

der Himmel, da kommt das Gottesreich uns nicht näher.

Da wird die

Frage: was stehet ihr und sehet gen Himmel? auch zum Borwurf für sie.

Denn es ist nicht der Himmel, für den sie gelebt, und sich hin­

gegeben hätten für ihn.

So soll es aber nicht sein.

Gehören wir nicht

mit unserm ganzen Leben dem Himmel an: so können wir auch den vollen Eingang in ihn nicht gewinnen.

Darum lasset uns suchen und trachten

nur nach Dem, was droben ist, wo Christus ist, und nicht nach Dem, was auf Erden ist: so wird alles Andre das Unsre sein, und wix werden nicht schwanken und zweifeln, was wir zu thun und zu lassen haben, und werden wie die Jünger uns umwenden zur kräftigen, dem wahren gött­ lichen Leben, dem Leben im Herrn geweiheten That.

Und was es für

ein Schmerz auch sei, den wir in uns tragen: der Blick zum Himmel zeigt uns das Licht Jesu Christi, was nie verlischt, und wir sind nicht hoffnungslos.

Sehn wir im Schmerz über die Heimgegangnen, die uns

entnommen sind, zum Himmel: so soll es auch kein thalloses Nachgehen sein, sondern die Liebe soll uns umsomehr dazu drängen und treiben, ihnen nachzuringen, damit auch unser Hingang eine Aufnahme in den Himmel sei, — und nachdem wir das Tagewerk hienieden treu vollbracht, Christus uns dann zu sich aufnehme

in sein ewiges und himmbsches

Reich, daß wir den Himmel, wonach wir uns gesehnt, dann,schauen mögen in lebendiger und unvergänglicher Gegenwart.

Ja Herr, nohin

Du uns vorangegangen, zieh uns Dir nach, daß wir ewiglich bei Dir in dem Himmel seien. Die Frage: was stehet ihr und sehet gen Himmel? erzreife nun auch unsre Herzen.

Sie ist zugleich ein mächtiger Ruf zur Buße

257 in unsrer Zeit, ein Gottesruf, umzukehren von dem vergänglichen irdischen Wesen und sich zum Himmel zu wenden, so daß er allein das Ziel un­ sers heiligsten Trachtens ist. Sonst finden wir auch die Rettung nicht, nach welcher wir suchen. Mit Menschenmacht und Menschenansehn ist's nicht gethan. Stellen wir nicht die Macht des Himmels, die Macht und das Ansehn des lebendigen Gottes als das einige her: so ist Alles umsonst und vergeblich. Da kann es nicht besser werden. Nur wenn wir Gott allein in Jesu Christo die Ehre geben: dann wird er auch unser Helfer sein. Ja, Geliebte, mit dem halben Christenthum, mit dem Scheinchristenthum hat es ein Ende, und bald bricht das Gericht des Herrn darüber herein. Darum wachet, Gel., kauft die Zeit aus, da sie Euch noch zu Gebote steht. Sehet auf und hebt Eure Häupter auf, darum daß sich Eure Erlösung naht. Ja lasst uns Alle wacker sein, daß wir würdig werden mögen, zu entfliehen diesem Allen, was da geschehen soll, und zu stehen vor des Menschen Sohn. Ja er stehet selbst vor der Thür und klopfet an. Auch heute klopft er mächtig an unsre Herzen. Lasst sie uns ihm aufthun und seine Stimme hören, wo­ mit er uns ruft. So Jemand die Stimme hören wird, spricht er, und die Thüre aufthun: zu dem werde ich eingehn und das Abendmahl mit ihm halten, und er mit mir. Das ist das Abendmahl, das wir mit ihm feiern sollen im Himmel, im Reich des Vaters. Dazu erhöhe uns, o Herr, mache uns los von den Banden der Welt, daß wir in der Freiheit der Kinder Gottes bei Dir leben mögen in ewiger Seligkeit. Amen.

XXVI.

Der trostreiche Gedanke, daß Christus durch seinen Hingang zu Gott uns selbst eine Stätte im Hause des Vaters bereiten wollte. Predigt am Feste der Himmelfahrt Jesu Christi 1858 über Ev. Joh. 14, 2—3.

Preis Dir, o heiliger Gottessohn, Du unser Herr Jesus Christus! Dein ist der Sieg und die ewige Herrlichkeit! Nachdem Du das Werk, was Dir der Vater gegeben, vollendet und Gott auf Erden durch die Liebe verklärt hast, bist Du hingegangen zu ihm, daß er Dich verkläre mit der Klarheit, die Du bei ihm hattest vom Anbeginn. Darum fallen wir ehrfurchtsvoll vor Dir nieder und beugen vor Dir unsere Kniee, und unsere Zungen bekennen es, daß Du der Herr bist, zur Ehre Gottes des Vaters. Wenn auch Himmel und Erde vergehen, Deine Worte ver­ gehen nicht, — und so wird es sich ja auch erfüllen, was Du uns zu­ gesagt: wo ich bin, da soll mein Diener auch sein. Du aber lebst ja in ewiger Herrlichkeit! Stehe nuv mit Deinem Geiste uns bei, daß wir als Deine Diener erfunden werden, die Dir nachfolgen immer­ dar. Wir sehnen uns nach den Wohnungen tat Hause Deines Vaters; aber wir trösten uns auch Deiner Verheißung: ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten, und will wiederkommen und euch zu mir

259

nehmen, auf daß ihr da seid, wo ich bin. So komme denn, uns zu Dir zu nehmen, auf daß uns keine Macht der Welt von Dir und von dem Vater scheiden könne in Ewigkeit! Amen.

Das heutige Fest, m. Gel., welches der Feier des Hinganges Jesu zum Vater oder seiner Auffahrt zum Himmel gewidmet ist, weist uns auf den Schlußpunkt seines Wandels auf Erden hin. Nur eine kurze Reihe von Tagen waren, seit er aus dem Grabe erstanden, vorübergegangen, und nachdem er zuletzt noch einmal den versammelten Jüngern sich offenbart, und ihnen seinen letzten himmlischen Auftrag ge­ geben und sie gesegnet hatte, ward er emporgehoben gen Himmel. Zwar lebte Jesus als Gottessohn, welcher Eins mit dem Vater war, in einem andren Slnne schon immerdar und auch während seines Wandels hienieden im Himmel, wie er selbst von sich in der Unterredung zu Niko­ demus sagt, daß des Menschen Sohn, der vom Himmel herniedergekom­ men, auch im Himmel sei. In ihm selbst, in seinem göttlichen Leben war die Trennung zwischen Himmel und Erde innerlich aufgehoben. Er lebte im Ewigen. Seitdem er aber von hinnen gegangen und die sicht­ bare Welt verlassen hat, war die Gestalt seines Lebens doch eine ver­ wandelte, und nun erst hebt sein Wallen und Wirken als des Herrn seiner Kirche, als des zur Rechten Gottes Erhöheten an, das Wirken, das von der unbesiegbaren Macht seines Geistes getragen ist. Jede irdische Schranke ist von ihm hinweggenommen und es ist das Bild des Verklärten und Verherrlichten, was uns in dem heutigen Feste entgegenleuchtet. Wir schauen darin aber zugleich die Vollendung des göttlichen Er­ lösungswerks Jesu Christi. Das ganze Christenthum schließt sich in der Erhebung zur Gotteswelt, und der Christ, der in Christo sein Leben ge­ funden hat, geht auch mit ihm in den Himmel ein, und sein ganzer Wandel hienieden soll selbst nur der Weg zum Himmel, als in seine wahre und ewige Heimat sein. Und wir tragen doch wol Alle eine Sehnsucht nach dem Himmel in unserm Herzen, und wir verlangen nach einer festen und sichern Wohnung, nach einer unzerstörbaren und ewigen Hütte, die wir in der irdischen Welt nicht erbauen und finden können. Denn wir haben hier keine bleibende Stadt, sondern die zu­ künftige suchen wir. In kurzer Zeit zerfällt unser irdisches Haus, und haben wir da kein Haus von Gott erbaut, was nicht mit Händen gemacht ist, halten wir uus nur an Das, was sichtbar ist: so gehn wir 17*

260 im vergänglichen Wesen zu Grunde und sind hoffnungslos.

Das Haus

von Gott ist aber selbst nur der Himmel, wie eS auch Paulus das ewige nennt, was im Himmel ist.

Es ist daö Leben bei Gott.

Wol

liegt der wahre Himmel auch für uns noch in der Zukunft, und darum heißt es auch, daß wir suchen sollen nach der zukünftigen Stadt. Wäre er aber von der Erde völlig geschieden, gäbe es für uns gar kein Band mit ihm: so könnten wir auch nicht danach suchen.

Nein, Gel.,

dann würden wir ja hier mit unserm Leben auf Erden die Verstoßenen sein.

Aber so ist es nicht.

Zst es doch auch nur ein Gotteswerk, was

uns hienieden befohlen ist.

Und sollen wir von nun an, seitdem der

Gottessohn uns erschienen ist, in ihm selbst den Himmel als einen offnen sehn: so muß der Himmel auch schon hereinreichen in die Gegenwart. Indem er

aber eine unendliche Herrlichkeit,

eine unerschöpfliche Fülle

neuer und immer höherer Offenbarungen in sich schließt: so liegt er freilich auch noch in der Zukunft und steht uns als das heiligste Ziel unsers Strebend und Ringens da.

Und haben wir redlich getrachtet nach Dem,

was droben ist, war unser Leben ein Leben im Herrn, und kommt dann der Tod und nimmt jede Verhüllung von uns: so werden wir auch den Himmel in ganz andrer seliger Klarheit schauen und selbst in ihm, im Hause des Vaters unsre bleibende Wohnung finden.

In dieser Hoffnung

bestärkt uns auch das eigne Wort Jesu Christi, und er gibt uns darüber einen hohen und herrlichen Trost. — Dieses verheißungsvolle Wort, ein Wort Jesu an seine Jünger, — was aber auch jeder Gläubige sich zu­ eignen darf, soll uns nun auch zum Texte für unsre Betrachtung dienen, ein Text der auch wol für

das heutige Fest besonders entsprechend ist.

Wir lesen ihn im Evangelium des Johannes, Kap. 14, B. 2—3 also: „In meines Vaters Hause sind viele Wohnungen. Wenn es nicht so wäre, so wollte ich zu euch sagen: Ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Und ob ich hinginge, euch die Stätte zu bereiten, will ich doch wiederkom­ men, und euch zu mir nehmen, auf daß ihr da seid, wo ich bin." Wer möchte nicht da sein, wo Christus ist, bei dem Vater in seinem Reich! Aber nur Christus selbst ist es, der uns dahin einzuführen ver­ mag, wenn wir ihm als dem himmlischen Hirten folgen.

Möge auch

heute der h. Geist mit uns sein und in uns den Glauben erwecken, daß wir in Christo das Leben haben und also durch ihn auch eine Stätte

261 bereitet finden im Hause des Vaters.

Und Du, o Vater, erhöre unser

Gebet um Deiner Gnade und Liebe willen.

Amen.

Die Worte Jesu Christi, Gel., die wir soeben vernommen haben, sind der Ausdruck der höchsten, ihn beseelenden Liebe, wonach er will, daß die ©einigen auch ewig mit ihm vereinigt beim Vater sein und den himmlischen Frieden hätten.

Offenbar aber sieht Jesus in unsern Textes­

worten auf seinen nahen Hingang zum Vater hin.

Ich gehe hin, sagt

er — nämlich in das Haus des Vaters, wo viele Wohnungen sind — euch die Stätte zu bereiten.

Und so sehen wir denn auch hier, wie sich

das Werk des Heils erst durch den Hingang Christi vollendete.

Was

aber Jesus hier seinen Jüngern sagt, gilt auch Allen, die an ihn glau­ ben.

Und was könnte für uns wol erhebender und trostvoller sein, als

die von ihm hier ausgesprochene Verheißung, auch uns eine Stätte be­ reiten zu wollen beim Vater und uns zu sich zu nehmen, wo er ist.

So

soll denn auch:

Der trostreiche Gedanke, daß Christus durch seinen Hingang zu Gott uns selbst eine Stätte im Hause des Vaters be­ reiten wollte — der Mittelpunkt unsrer Festbetrachtung sein.

Wir wollen die Zusage und

Verheißung Jesu ganz einfach nach den Worten unsers Textes ins Auge fassen, um ihren hohen Inhalt uns klar zu machen, daß auch wir durch die Macht des Herrn zum Himmel uns ziehen laffen.

In meines Vaters Hause find viele Wohnungen, spricht Jesus.

Die Rede ist wol eine bildliche und von menschlichen Verhält-

niffen hergenommen; aber sie hat etwas so Anziehendes und Liebliches, und die verborgne Wahrheit tritt uns darin so klar und einfach entgegen, daß wir es wol in uns selbst erfahren und inne werden, wie dies Worte des Gottessohnes sind.

Das Haus des Vaters ist nur der Him­

mel, den wir freilich an keinem einzelnen Orte zu suchen haben.

Denn

Gott ist ja

Sein

allgegenwärtig und ihn fasst kein endlicher Raum.

ist die Welt, und er

ist

nirgends ferne

von uns,

spricht der

Apostel Paulus, denn in ihm leben, weben und sind wir.

Mit

dem Hause des Vaters und mit den Wohnungen, die sich darin befinden,

262 soll aber doch schon eine größere Nähe Gottes bezeichnet sein.

Nur ist

das Maß dieser Nähe kein äußerliches, sondern ein inwendiges und gei­ stiges.

Auch denkt Jesus bei diesen Wohnungen im Hause seines Vaters

nicht bloß an Gott, sondern vorzugsweise an Die, welche Gottes sind. Es ist ein Haus, was Gott schon ursprünglich bestimmt hat zu Woh­ nungen für die ©einigen, und in der Benennung:

Vater, bezeichnet

es sich auch schon, daß in seinem Hause auch Diejenigen wohnen sollen, welchen er Vater ist.

Das sind aber doch nur seine Kinder, die in

Gehorsam und Liebe ihm angehören. Das Haus des Vaters, der Himmel, begreift also selbst die Welt, worin Gott nur waltet und lebt und mit ihm Die, die von dem Geiste Gottes bewegt und getrieben sind, und allein seine Ehre suchen und ihr ganzes Leben in ihm gefunden haben.

Im Hause des Vaters sind Die,

an welchen, wie Jesus so schön von sich selbst es sagt, die Engel Gottes auf- und niedersteigen, und die im steten und seligen Verkehr mit dem Himmel stehn; wo jede Beziehung, jeder Gedanke ausgeht von Gott und wieder zurückkehrt zu ihm.

Sie sind im Himmel, indem sie die Wahr­

heit und Herrlichkeit Gottes schauen, und die selige Freiheit der Kinder Gottes die ihre ist.

Und sowie sie selbst sich nicht von ihm wenden,

so lässt sie auch der Vater nicht von sich und aus seiner Hand. In dem Hause meines Vaters, sagt Jesus, sind viele Woh­ nungen.

Im Hause meines Vaters, sagt er, weil dieses Haus

selbst seine Heimat, weil er im Schoße des Vaters war, weil noch Nie­ mand also in Gott in voller seliger Einheit mit ihm gelebt, als der eingeborne Sohn, den der Vater liebte von Ewigkeit. Vaters sind viele Wohnungen, sagt er.

In dem Hause des

Indem Jesus hier zu seinen

Jüngern spricht, so hat er zunächst auch sie dabei im Auge, die er in diese Wohnungen aufgenommen und mit sich beim Vater vereint sehen will, wie er sie ja auch eben darum zu seinen Jüngern gemacht, daß sie als seine Boten ausgingen in die Welt, aber auch Theil haben sollen an seiner Herrlichkeit.

Doch ist die Beziehung der Rede Jesu auf seine

Jünger nicht die alleinig?. Auch wir sind nicht ausgeschlossen.

Indem

Hause des Vaters sind viele Wohnungen, weil Gott Alle berufen hat und Keinem den Zugang versagt, der sich nur mit dem himmlischen Fest­ kleide angethan, mit dem Kleide der Gerechtigkeit Jesu Christi.

Durch

ihn ist Raum da für Alle, und wer ihm nur nachfolgt, der wird auch mit ihm in die himmlischen Wohnungen eingehn.

Aber wir dürfen auch

nicht meinen, als wären diese Wohnungen 'vorher völlig leer gewesen.

263 Gott kann nicht der Einsame sein.

Er hat sich ja nie unbezeugt gelaffen;

und ist seine Offenbarung durch alle Zeiten hindurchgegangen: so hat es auch immer eine verborgne Gottesgemeinde gegeben, eine Gemeinde der Heiligen, die ihm geehrt und gedient und um ihn gesammelt war. Aber die ganze Welt soll nun zum Hause des Vaters werden und zum himmlischen Frieden kommen im Reiche Gottes. Wenn es aber nicht so wäre, fährt Jesus fort, so wollte ich zu euch sagen: ich gehe hin, euch die Stätte zu bereiten. Damit nimmt er aber denn doch nicht an, als könne es möglicherweise keine Wohnungen im Hause des Vaters geben. Wohnungen nicht.

Nein, es fehlt an diesen

Aber es kommt dabei freilich erst darauf an, daß

wir über diese Wohnungen nicht im Irrthum, daß wir selbst zum Ein­ zug bereitet sein.

Denn dächten wir, als wären sie wie ein irdisches

Haus für uns fertig, und als kämen wir so von selbst hinein, ohne daß es eines Zuthuns von uns bedürfe, als könnten wir sie finden, auch wenn wir sie nicht gesucht, und nicht nach der himmlischen Heinrat ge­ trachtet hätten: so wäre dies eine schlimme Täuschung.

Solche Vor­

stellungen weist nun Jesus zurück und will sagen: Könnt ihr freilich auch nicht so von selbst und mühelos in die Wohnungen einziehn, ist der Ein­ zug dadurch bedingt, daß ihr euch im Geiste geschickt gemacht und euer Leben zum Himmel gerichtet war, ist es euch nicht schon klar, wie die Aufnahme zu erlangen sei, oder zweifelt ihr, ob ihr auch wol den Ein­ gang gewinnen werdet: so dürft ihr darum doch nicht besorgt und nicht bange sein; ich werde euch nicht verlaffen und mit meiner Hülfe, mit meinem Beistand euch nahe sein; traut nur auf mich und mein Wort; denn freilich bin ich es nur, der euch zum Vater führt und die Woh­ nungen bei ihm auszuschließen vermag; — wie er deshalb auch im Fort­ gange derselben Rede den bedeutsamen Ausspruch thut: Weg, die Auferstehung

und das Leben.

Ich bin der

Niemand kommt

zum Vater, denn durch mich; — denn in ihm allein ist der Vater uns offenbar.

Wer mich siehet, spricht er, der siehet den Vater,

weil ich im Vater bin und der Vater in mir. Wie aber soll denn der Hingang Jesu, das Scheiden von seinen Jüngern, das Mittel sein, sie in die Wohnungen bei dem Vater einzu­ führen?

Sollen wir uns seiner Hülfe und seines Beistandes getrösten

können, so bedarf es denn doch seiner Gegenwart.

Hier aber sagt er:

Ich gehe hin, ich gehe von euch, die Stätte euch zu bereiten. Wie erklärt sich dies? Wie hängt dies zusammen? Auf diese Frage, die

264

uns hier entgegentritt, müssen wir doch eine Antwort suchen. Hat uns Christus den Vater durch sein ganzes Leben geoffenbart: so hat er ja auch Alles gethan, uns zum Vater hinanzuführen. Ist der Himmel selbst in ihm offen: so hätten auch wol die Jünger, da er noch mit ihnen wandelte und ihnen sein Himmelslicht leuchten ließ, den Weg zu den himmlischen Wohnungen sehen und finden sollen. Aber ihr Auge hatte sich doch nicht schon völlig erschloffen, das Gottesbild in Christo, den Himmel in ihm zu schauen. Und eben von Außen her, und so lange sie den Herrn noch in irdischer Gestalt und mit leiblichem Auge sahen: so traten ihnen noch manche Verdunkelungen entgegen, und es mischte sich noch diese und jene irdische Hoffnung von dem Messias und von dem messianischen Reiche, wie es die Juden in ihrem unerleuchteten Glau­ ben sich vorgestellt, noch mit ein. So lange aber nicht jede Hoffnung der Art, die ihre Blicke nach Außen lenkte, aus ihrer Seele gewichen war: so konnte auch der vollendende Geist, der Geist, der in alle Wahr­ heit führt, nicht schon der ihre sein. Jesus musste erst von ihnen schei­ den, damit das volle Gotteslicht ihre Seele erleuchtete. Darum sagt ja auch Jesus: Es ist euch gut, daß ich hingehe. Denn so ich nicht hingehe, so kommt der Tröster nicht zu euch. So ich aber hingehe, will ich ihn zu euch senden. An denselben Gedanken schließen nun auch die Worte Jesu in unserm Texte sich an: Ich gehe hin, die Stätte euch zu bereiten. Und wir verstehn es nun wol, was er damit sagen will und es wird uns klar, wie sich ohne seinen Hingang das Erlösungswerk nicht vollenden konnte. Erst dadurch, daß er zum Vater ging, wurde die letzte Hülle, die noch das Auge der Jün­ ger umschloß und verdunkelte, von ihnen abgestreift. Erst nach seinem Hingange, als jede irdische Erwartung für sie verschwunden war, und sie mit ihrer Liebe zum Herrn sich in das Innerste ihrer Seele zurückgedrängt sahen, vermochten sie ihn im Lichte Gottes zu schauen. Erst jetzt sahen sie ihn als den Verklärten und den Verherrlichten, und er­ kannten ihn im Geiste als Gottes Sohn. Erst jetzt schloß der Himmel in Christo sich für sie auf; erst jetzt wurden sie tüchtig, als die Boten des Herrn mit dem Evangelium von dem Himmelreich in die Welt zu gehn. Auch wir, m. Gel., so lange unser Auge noch nach Außen ge­ wendet ist, so lange wir von Außen und durch äußerliche Mittel den Himmel erbauen wollen und Christus noch eine irdische Gestalt für uns an sich trägt, so lange wir ihn nicht im Geiste als Herrn gesehen: da finden wir auch die Wohnungen im Hause des Vaters nicht. Da sind

265 wir noch die Verblendeten,

und gar Manchen, soviel sie auch meinen

im Dienste des Herrn zu thun, fehlt doch das demüthige, zum Himmel gewendete Herz, und es ist nicht die Liebe Christi, welche sie treibt.

Die

Himmelfahrt Christi ist nicht für sie geschehen und das Reich, um welches es ihnen zu thun ist und wozu sie den Namen Christi gebrauchen, ist selbst noch ein irdisches. Indem nun also, Erden

solange Jesus noch in menschlischer Gestalt auf

gewandelt, die Erlösung sich

nicht vollenden und seine rettende

Gottesmacht nicht zur Wirksamkeit kommen konnte, und der Weg zum Himmel noch ein verhüllter war:

so ist er hingegangen, um im Hause

des Vaters die Stätte uns zu bereiten.

Er ist hingegangen in den Him­

mel, zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns, und seine Erlösung sagt es auch uns, daß wir nur im Himmel, in der ewigen Gotteswelt, unsre Heimat zu suchen haben.

Er ist uns selbst nur vorangegangen,

damit auch für uns der Himmel das höchste Ziel unsers Strebens sei. Doch nicht der Himmel, wie die selbstische Liebe ihn fassen möchte, son­ dern der — gleichwie Christus selbst nur durch Leiden und Tod in ihn eingegangen — sich

nur

durch das Leben der Liebe erringen lässt, die

sich hingibt für ihn. Er ist hingegangen, er ist von der Erde geschieden, um die Woh­ nungen im Hause des Vaters uns zu bereiten. nicht aufgehoben,

daß er

Doch wird es dadurch

nur als der Gegenwärtige uns beisteht mit

seiner Hülfe und Macht und uns zum Vater führt.

Was er den Jün­

gern zugesagt: Ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende, — das geschieht auch hier, und es ist dieselbe Verheißung, die er in den Worten unsers Textes uns gibt:

und wenn ich nun hingegangen

bin, euch die Stätte zu bereiten, will ich wiederkommen und euch zu mir nehmen, auf daß ihr

da seid, wo ich bin.

Auch

als der Hingegangne ist er doch nicht von uns geschieden, und ist mit seiner Gnade und Liebe uns immer nahe. zu einem Jeden von uns, der nur

Er kehrt zurück und kommt

mit sehnsuchtsvollem Verlangen ihm

nach in den Himmel schaut, und den seine Liebe zu ihm in den Himmel zieht.

Es ist seine geistige Wiederkehr, ohne die auch seine Kirche nicht

bestehen und sich nicht vollenden kann. durch die Macht seiner Wiederkehr.

Er ist nur der Herr der Kirche

Er kommt, und nimmt die ©einigen

in den Himmel auf, wenn sie mit ihm der Eitelkeit dieser Welt gestorben, und durch den Tod in dem Herrn alles Irdische von sich abgestreift. Welch ein Wunder seiner göttlichen Heilandsliebe! Er eilt den Freunden in

266 die Heimat voraus, er bereitet die Stätte, kommt ihnen entgegen irnb holt sie ein, und nimmt sie zu sich, auf daß sie da sein, wo er ist. Ja, wir verlangen und sehnen uns nach den himmlischen Wohnun­ gen, und jemehr wir es inne geworden, daß die Welt uns den Frieden, wonach wir suchen, nicht gibt und nicht geben kann, jemehr wir den Schmerz in uns erfahren haben über alle die Täuschungen, die sie uns bringt und und treulos verlässt: so muß unsre Sehnsucht um so stärker und mächtiger sein.

Aber der Herr führt uns in die himmlischen Woh­

nungen nur als die Freien ein.

Denn er will keinen gezwungnen Dienst,

und im Himmel, im Reiche der göttlichen Liebe, hat aller knechtische Zwang ein Ende.

Frei aber sind wir nur, wenn wir den himmlischen Sinn

in dem Herzen tragen, und von der Liebe gezogen werden. — Wohnt diese Liebe in uns, so laffen wir uns auch durch das Leid, was das Leben hienieden noch immer mit sich führt, nicht irren und wankend machen.

In der Liebe ist der Herr auch schon mit uns und stärkt uns

mit seiner Kraft.

Denn die Liebe hoffet und duldet Alles.

Sie

ist der Gottesengel, der uns durchs Leben und auch durch den Tod in die himmlische Heimat trägt. weit um

Denn in dem Allen überwinden wir

deßwillen, der uns geliebet hat.

Und so ist es uns

auch gewiß, daß unS von seiner Liebe nichts scheiden kann, und harren wir nur in der Treue auS: so wird der zum Himmel Aufgenommne auch zu unS kommen, und uns mit sich nehmen, daß wir da sein, wo er ist und seine Herrlichkeit schauen.

Ja,- das ist unser Glaube, das ist

unser Trost, womit der erhöhte Gottessohn auch heute, am Feste der Himmelfahrt uns tröstet und uns eine Hoffnung schenkt, die nimmer zu Schanden wird. Darum, Geliebte in dem Herrn, lasst uns ihm nur leben und ihm nur sterben! Ihm sei Lob und Preis und Anbetung in Ewigkeit! Amen.

XXVII.

Wie wir auch unserm Heimgänge von der Erde als einer Erhebung in den Himmel entgegen­ sehen können. Predigt am Feste der Himmelfahrt Jesu Christi 1860 über Apostelgesch. 1, 1—11.

Mit Dank und Preis schauen wir heule hinauf zu Dir, unserm Herrn und Erlöser, der Du eingegangen bist in das Heilige, was nicht mit Händen gemacht ist, — in den Himmel, um zu erscheinen vor dem Angesicht Gottes für uns, daß Du immerdar für uns bittest und uns Dir nach zu dem Vater ziehst. Aber auch wir sehnen uns in unsrer irdischen Armuth und Niedrigkeit, daß wir im Himmel sein und Dich schauen möchten in Deiner Hoheit und Herrlichkeit. Darum bitten wir: sende o Herr, uns den Geist, den Du uns vom Vater verheißen hast, daß er unsre Augen erleuchte und uns Kraft verleihe, Dir nachzuringen. Gib, daß wir das Fest Deiner Himmelfahrt als das Fest unsers eignen, von der Erde zum Himmel erhöheten und durch Dich verklärten Lebens begehen mögen. Laß die Freude unsers Herzens vollkommen werden in Dir, und sei bei uns alle Tage bis an der Welt Ende! Amen. In dem heutigen Feste, m. Gel., in dem Feste der Himmel­ fahrt Jesu Christi feiern wir die Vollendung seines göttlichen und erlösenden Lebens. Denn dessen Leben nur das Leben der höchsten himm-

268 lischen Liebe war, der Gottessohn, der vom Himmel zu uns herabgekom­ men, konnte auch nur im Himmel seine Vollendung haben.

Nachdem

er das Werk, was ihm der Vater gegeben, hienieden vollbracht, und ihn auf Erden verkläret hatte durch seine Liebe bis in den Tod: so muffte er dann auch selbst zur Verklärung kommen, und als der Verklärte er­ kannt und gesehen sein, damit die Welt ihm huldige als dem Herrn, und seine selige Herrschaft, die Herrschaft seiner Gnade und seines Frie­ dens bis an die Enden der Erde dringe.

Diese Verklärung konnte nun

auch keine andre, als die beim Vater im Himmel sein. er in seinem hohenpriesterlichen Gebet:

Und darum bittet

Und nun Vater, verkläre

mich bei dir selbst mit der Klarheit, die ich bei dir hatte, ehe die Welt war.

Mit dieser Verklärung ist die Vollendung seines

Lebens im Himmel, wohin er nach Kampf und Leiden eingegangen, uud zur rechten Hand Gottes mit ihm herrscht und regiert, wesentlich Eins. — Die Erhöhung Jesu zum Himmel steht aber auch in einem engen und innerlichen Zusammenhange mit seiner Auferstehung.

Denn nur als

der Erstandne, der alles Irdische von sich abgestreift, ward er auf­ gehoben gen Himmel, und die Auferstehung muffte vorangehn, eh' die Auffahrt zum Himmel erfolgen konnte.

Und so gibt es auch für uns

keine Himmelfahrt,, wenn wir nicht in Christo zum Leben der Wahrheit Gottes im Geiste erstanden sind. — Doch ist Christus, der zum Himmel Erhöhete, darum nicht von uns getrennt und geschieden.

Denn er ist

ja nur hingegangen zum Vater, der auch unser Vater ist, — ist uns nur zum Himmel vorangegangen, um uns nach sich zu ziehn, dorthin, wo auch wir unsre Heimat haben. Und ob ich auch hinginge, spricht er, die Stätte Euch zu bereiten, will ich doch wiederkommen und Euch zu mir nehmen, daß Ihr da seid, wo ich bin. — Wol ist er auch hier, wie er es uns zugesagt, alle Tage bei uns bis an der Welt Ende, und

begleitet uns mit dem Schutz seiner Gnade.

Aber wir erreichen es hier doch nicht schon, ganz und völlig mit ihm vereint zu sein, und es treten noch immer ■— wenn auch das Bild des Gottessohns uns vor der Seele steht — Trübungen unsers Lebens ein. Darum hätten wir auch, wie der Apostel Paulus sagt, wol vielmehr Lust,

außer dem Leibe zu wallen, und daheim zu sein bei dem Herrn.

Solch' ein Verlangen wird aber auch wol besonders durch das Fest der Himmelfahrt Jesu Christi in; und erweckt und hervorgerufen, und es zieht uns mächtig nach Oben hin.

Da können wir nun dem Gedanken an

das Ende unsers irdischen Lebens uns nicht entziehn.

Und wenn wir

269

Jesum sehn, wie er aus der scheinbaren Niedrigkeit seines Wandels auf Erden erhoben ward zur himmlischen und ewigen Herrlichkeit: wie sollten wir uns nicht sehnen, daß der Tod auch für uns der Eingang zu einer solchen Herrlichkeit werde? — Lebt aber in uns nur ein zu Gott ge­ wendeter heiliger Sinn, und schauen wir glaubensvoll hin auf den erhöheten Gottessohn: so erscheint uns dann auch der Tod in einem andern und freundlicheren Bilde, und statt der Furcht und des Bangens, tragen wir eine stille und freudige Zuversicht in uns, und gehen dem Ziel, das unsrem Leben aus Erden gesetzt ist, verlangend entgegen. Wir sehnen uns nach dem himmlischen Baterlande und nach dem Frieden in ihm. Gebe Gott, daß sich diese Sehnsucht erfüllen möge! Von dieser Sehn­ sucht bewegt, wenden wir uns nun zu dem Bericht von der Himmelfahrt Jesu Christi, wie uns Lukas denselben in seiner Apostelgeschichte K. 1 V. 1—11 gibt; er lautet also: „Die erste Rede habe ich . . . gen Himmel fahren."

Hätten wir ihn aber nicht gesehn und erkannt, als der im Himmel lebt und uns zu sich zieht: so würde auch seine Wiederkehr für uns keine Wiederkehr zur Seligkeit sein. Dann dürften wir auch nicht hoffen, daß unser Hingang von der Erde ein Hingang zum Himmel sei! Leite darum, o Vater, — das ist unser Gebet zu Dir — auch durch unsre heutige Festbetrachtung und dazu hin, Jesum Christum, den Du zu Deiner Rechten erhöhet hast, zu schaun als den eingebornen Sohn Deiner Liebe, und ihm zu folgen, als der uns allein zu Dir in den Himmel führt. Amen.

Der vorgelesene Abschnitt, m. Gel, bildet den Eingang der Apostel­ geschichte und Lukas knüpft darin unmittelbar an sein Evangelium an, und nimmt den Schluß desselben hier wieder auf. Er erwähnt zunächst der Erscheinungen, wodurch der Auferstandne seinen Jüngern sich offen­ barte, und wie er mit ihnen vom Reiche Gottes geredet, es ihnen selbst um so näher zu bringen, und sie noch tüchtiger zu machen, als seine Boten in die Welt zu gehn. Er wiederholt die Verheißung des heil. Geistes, und befiehlt ihnen, Jerusalem nicht zu verlasseu, bis der heilige Geist auf sie gekommen sei. Und als sie, noch befangen in sinnlichen Erwartungen, die Frage thun: Herr, wirst Du auf diese Zeit wie­ der aufrichten das Reich Israel? so lehnt er diese Frage als eine

270 ungehörige ab, weil der Vater dies seiner Macht vorbehalten habe, in­ dem die Zeit nicht feststeht von Außenher, und das Reich nur kommen kann, wenn die Welt im Geist dazu reif geworden.

Darum weist Jesus

seine Jünger auch nur auf die Kraft des h. Geistes hin, den sie em­ pfangen würden, um seine Zeugen zu sein bis an das Ende der Welt. Und als er Solches gesagt, ward er aufgehoben vor ihren Augen und ihrem Anblick entrückt.— Sie sahen ihm nach.

Darin

spricht sich offenbar das Verlangen, der Sehnsucht aus nach ihrem Meister und Herrn, den sie nicht missen wollten.

Da kam ihnen wol eine Stimme

des Trostes von Oben her, daß Jesus, sowie sie ihn gesehen gen Him­ mel fahren, auch kommen werde, kommen in seinem Reich. Kommen im Reich

Aber das

gehört noch einer entfernteren Zukunft an, die sich

hier nicht schon für uns aufthut. Christi uns nicht versagt.

Doch darum ist das Wiedersehn Jesu

Schließen wir uns nur im Glauben und in

der Liebe immer enger und inniger an ihn an, und folgen wir als seine Diener ihm nach:

so wird es auch uns beschieden sein, ihn zu schaun.

— Der aber im Himmel ist,

offenbart sich uns auch nur, wenn wir

selbst nicht vom Himmel geschieden sind. unser Leben

Nun sind wir zwar auch durch

auf Erden vom Himmel nicht ausgeschloffen.

Aber durch

die irdischen Schranken ist der Anblick des Himmels hier doch noch viel­ fach

für uns getrübt.

Und sehen wir nun Christo gen Himmel nach,

und denken wir an die Herrlichkeit, zu welcher er eingegangen, nachdem er das Werk, was ihm der Vater gegeben,

hienieden vollendet hatte:

wi; sollten wir da nicht wünschen, auch im Tode ihm gleich zu werden, und sterbend mit ihm zum Himmel, zum Frieden Gottes und zu seiner Seligkeit einzugehn? Doch ist dies freilich auch nicht bedingungslos.

Denn

der Tod nur an sich thut es nicht, und es muß auch ein Sterben sein in dem Herrn, ein Sterben, in gleicher hingebender Liebe, wie sie uns in Christo entgegenleuchtet. — So sehen wir uns hier auf den Gedanken zurückgeführt, den wir schon im Eingänge in's Auge fassten.

Und so

wollen wir es denn also in dieser festlichen Stunde uns klar zu machen suchen:

Wie wir auch unserm Heimgänge von der Erde als einer Erhebung in den Himmel entgegensehen können. Bei dem Heimgänge von der Erde denken wir, m. Gel., allerdings an den Tod, der einem Jeden von uns bevorsteht, und der unsrem zeit-

271

lichen und irdischen Leben ein Ende macht. Doch weist uns der Name des Heimganges nicht bloß auf die äußerliche Erscheinung des Todes, sondern auf ein innerliches Verhältniß hin, was schon über den Tod hinausreicht. Der Name sagt es uns, wie wir den Tod zu fassen und zu würdigen haben, daß er uns nicht bloß als Tod erscheine, sondern als Uebergang zu einer andern und höheren Stufe des Lebens. Er soll ein Heimgang sein, und das heißt doch nichts Andres, als daß er ein Weg zur Heimat sei. Führt uns aber der Tod in die Heimat, so ist es damit allerdings ausgesprochen, daß hier auf Erden nicht unsre Heimat ist, wie daher auch die Schrift uns sagte wir haben hier keine blei­ bende Stadt, sondern die zukünftige suchen wir. Nur wie durch eine Wallfahrt gehen wir durch unser zeitliches Leben hindurch. Wir sind nur Gäste und Fremdlinge auf Erden, wie es in demselben heiligen Buche heißt, und suchen das Vaterland. Eine Heimat, ein Vater­ land gibt eS doch aber auch nur für uns, wenn wir wirklich von ihm ausgegangen, oder in ihm geboren sind, so daß der Tod auch nur eine Rückkehr ist. — Sind wir aber doch nur ausgegangen von Gott: so kann dann auch unser Heimgang nur ein Heimgang zu Gott sein, und sowie Gott seine Stätte im Himmel hat: so werden wir unsre Heimat auch nur bei ihm im Himmel zu suchen haben; und ruft uns Gott wieder von der Erde hinweg, so will er dann uns nur zu sich nehmen, daß wir ewig die Seinen und im seligen Besitz seines Friedens sein. Hat aber Gott der Lebendige, — bei dem unsre Heimat, und der unser himmlischer Vater ist, — uns ausgesandt, daß wir eine Zeit, sie sei eine längere oder kürzere, hienieden wandeln sollen, bis die uns gesetzte Stunde verronnen ist: so haben wir damit doch auch einen Auftrag von ihm empfangen, den er von uns ausgerichtet und vollbracht sehen will. Er hat uns denn doch nicht ausgesandt, die Tage unsers Erdenlebens in träger Lässigkeit hinzubringen, und £)em, was um uns her vorgeht, nur thatlos zuzusehn. Weist doch schon die Natur und das natürliche Bedürfniß uns darauf hin, die Hände nicht in. den Schoß zu legen. Seid nicht träge, was ihr thun sollt, ermahnt uns schon der Apostel Paulus. Aber freilich gilt es nun nicht gleich, was wir thun, und eS ist uns nicht überlassen, wie wir unsre Zeit hier ausfüllen und gebrauchen wollen. Und ständen auch die Mittel uns zu Gebote, so daß wir ohne Arbeit bestehen und leben könnten, und wäre es uns nur um den irdischen Genuß, um die Lust und Freude der Welt zu thun: dann wäre unser Leben auch ein verlornes und aller Lohn desselben dahin.

272 Da könnte von einer Gotteskindschaft nicht weiter die Rede sein, denn das Band mit Gott wäre aufgelöst. — Hat Gott uns ausgesendet als seine Kinder, so hat er uns auch berufen, sein Werk hienieden zu thun, das Werk seiner Liebe.

Das Leben

im Himmel aber ist ja auch nur

der Lohn der Liebe, die wir geübt, der Liebe, womit wir für das Him­ melreich gearbeitet und gewirkt.

Haben wir aber Gottes Werk nicht ge­

than, ist die Liebe uns fremd geblieben, haben wir nicht für den Himmel gelebt: so dürfen wir auch bei unserm Heimgänge auf die Erhebung in den Himmel nicht hoffen. land

suchen.

Wir sollen, sagt uns die Schrift, das Vater­

Dieses Suchen muß doch

und gehört unser Streben

aber auch ein thätiges sein,

und Trachten diesem Vaterlande nicht an,

haben wir kein Opfer für dasselbe gebracht, und uns selbst von ihm abgewendet, haben wir nur irdischen Interessen uns hingegeben und nur Das gesucht, was unser, aber nicht, was des Vaters ist: wie sollen wir das Vaterland, das doch ganzes Leben hienieden

nur beim Vater ist, finden können?

muß ein Suchen

himmlischen Vaterlande, indem seinem heiligen Dienste steht.

sein nach dem ewigen

Unser und

all' unser Schaffen und Thun nur in

So verknüpft uns wol hier schon ein Band

mit ihm, und ohne ein solches geistiges Band, ohne daß wir vom Geiste des Vaters gezogen sind, werden wir das himmlische Vaterland auch nicht schauen.

Betrachten wir nun dieses Vaterland als ein Land der Zukunft,

in welches wir erst eingehen sollen: so erscheinen wir allerdings auf Erden als Gäste und Fremdlinge, deren Sehnsucht und Verlangen nach Oben, nach dem Himmel gerichtet ist.

Aber dennoch sollen wir hier auch nicht

wie in der Fremde und in der Verbannung sein.

Denn hat Gott hier

die Stätte des Wirkens uns angewiesen: so müssen wir auch mit den Verhältnissen des irdischen Lebens vertraut sein, und mit den Dingen der Welt umzugehn und sie zu handhaben wissen, aber doch also, daß wir überall nur den Willen des himmlischen Vaters thun, und das Bild der himmlischen Vollendung uns vor den Augen steht.

Denn sonst er­

schließt sich uns auch im Tode der Himmel nicht. — Treten wir aber mit leeren Händen vor Gott, haben wir Nichts gethan und ausgerichtet, was wir ihm, wenn wir von hinnen gehen, übergeben und in seine Hände befehlen können, daß er es weiter führe und zur Vollendung bringe: so möchte auch uns keine Stelle im Himmel bereitet sein.

Denn der leib­

liche Tod allein schafft uns die Erhebung zum Himmel nicht.

Sind

wir nicht vorher schon gestorben, uns selbst und der Welt gestorben, rnd tragen wir das Sterben unsers Herrn Jesu Christi, auch während vir

273 hier noch wallen, nicht allezeit an uns; wissen wir nicht, wie Paulus sagt, täglich zu sterben, aber also, daß dieses Sterben uns noch höhere Kräfte des Lebens für Christum gibt: so bringt der Tod allein uns dem Himmel nicht näher und führt uns nicht in ihn ein.

Darum haben wir

auch den Heimgang von der Erde genannt, dem wir als nner Erhebung in den Himmel entgegensehn.

Zum seligen Heimgänge kann aber der Tod

nur werden, wenn wir erkannt haben, daß nur bei Gott unsre Heimat ist, wenn das Bild dieser Heimat unser Leben erleuchtete, und unser Stre­ ben und Trachten lebendig auf sie gerichtet war.

Und begleitet uns die

Liebe zu der ewigen Heimat, und das Verlangen nach ihr immerdar, bis Gott uns von hinnen ruft, haben wir den Frieden mit ihm gefun­ den durch unsern Herrn Jesum Christum: so trägt dann auch der Tod uns in das himmlische Leben, in däs Land des ewigen Friedens hinüber.

So hätten wir wol gesehen, wie unser Heimgang von der Erde uns zur Erhebung in den Himmel führt.

Aber nun möchten wir noch

einen näheren Blick in diese Erhebung thun, um daraus auch für das Leben in dieser Zeitlichkeit noch einen volleren Trost zu gewinnen über so Manches, was uns hier auf Erden noch, bekümmert und niederbeugt. Mit voller Klarheit schauen wir freilich nur dann in den Himmel hinein, wenn wir selbst in ihm sind und leben.

Und so geht uns auch, so

lange wir noch im irdischen Leben sind, das volle und höchste Licht nicht schon auf.

Denn wir wandeln hier doch immer nur im Glauben,

und nicht im Schauen, und es ist noch nicht erschienen, was wir sein werden.

Der Himmel aber, als der höher ist, denn die Erde, schließt

denn doch eine göttliche Vollendung des Lebens in sich, und sind wir durch Jesum Christum gewiß, Kinder Gottes zu sein, lebt das Bewusst­ sein der Kindschaft in unserm Herzen: so wissen wir auch, wie Jo­ hannes sagt, wenn es erscheinen wird, wenn das Künftige kommt und uns hintritt als gegenwärtig, daß wir ihm gleich sein wer­ den; denn wir werden ihn sehen, wie er ist.

Und das Licht

dieser Zukunft leuchtet doch auch schon herein in die Gegenwart, und nimmt das Bangen aus unsrem Herzen.

Mag daher uns auch Man­

ches noch dunkel sein, bleibt es uns hienieden unaufgelöst, haben wir nur das Verlangen nach dem Himmel bewahrt und mit Ernst getrachtet nach Dem, was droben ist, haben wir nur ausgeharrt im Glauben und in der Liebe, und die Treue festgehalten gegen den verherrlichten und erSchirmer, Festpredigten.

lg

274 h'öheten Gottessohn: so erscheint uns gewiß auch die Zeit, wo Gott uns alles Verborgene offenbaren wird,- und wo es sich dann erfüllt, was Jesus für uns zu dem Vater bittet: daß wir da sein, wo er ist, und die Herrlichkeit sehen sollen, die ihm der Vater gegeben hat. Das ist die Zeit, wo Christus nach seiner Verheißung nicht mehr im Bilde nur mit und spricht, sondern wo er uns Alles frei heraus ver­ kündigt vom Vater, und wir dann nichts mehr ihn fragen dürfen, weil wir selbst in ihm leben und er in uns, weil der Geist, den er vom Vater uns sendet, der Geist der Wahrheit, der allen Schein und Trug von uns nimmt, auf Alles uns Antwort gibt. — Beugt uns hier aber auch noch der Schmerz des Lebens danieder, und sind wir traurig in unserm Herzen: so finden wir im Hinblick auf die himmlische Vollendung der wir entgegengehn, einen reichen und seligen Trost, den Trost, den Jesus auch seinen Jüngern gibt, als sie trauerten, daß er ihnen von seinem nahen Hingang gesagt:

Ihr habt nun Traurigkeit, aber

ich will euch wiedersehen und euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll Niemand von euck nehmen.

Ja, dieser Trost

gilt auch uns; — das ist der Trost der Erhebung in die himmlische Welt, wo alle Trennung ein Ende hat, und wo Alles sich wiederfindet im seligen Frieden Gottes, und das Band der göttlichen Liebe uns Alle unauflöslich zusammenschließt.

Das ist die Freude des Wiedersehns, die

Freude, worein sich alles Leid aufgelöst, und die Niemand mehr von uns nimmt, weil wir Alles, was noch endlich und vergänglich ist, von uns abgestreift, weil das Verwesliche angezogen hat das Unverwesliche, und alle Klage verwandelt ist in den ewigen Dank und Preis Gottes. — Mögen wir auch hienieden noch kämpfen und streiten müssen, sind wir nur treu gewesen in diesem Kampf, sind wir dem Fürsten des Lebens, dem Herzog der Seligkeit glaubensvoll nachgefolgt: so wird auch die Siegeskrone uns im Himmel nicht fehlen, wie ja auch die Stimme der Offenbarung spricht: Sei getreu bis in den Tod, so will ich Dir die Krone des Lebens geben. — Da dürfen wir dann nicht zwei­ feln, daß der Hingang auch im Tode uns mit Christo zur Erhebung in den Himmel führt.

Und fühlen wir uns auch noch schwach, will die

Kraft des Lebens ermatten: so gibt die Hoffnung der himmlischen Herr­ lichkeit uns neue und höhere Kraft.

Denn der im Himmel ist, der ver­

klärte und verherrlichte Gottessohn, nimmt die Schwachheit von uns hinweg. Und wie er zu dem Apostel Paulus spricht:

Laß dir an meiner

Gnade genügen, denn meine Kraft ist in-d-en Schwachen mäch-

275

tig: so wird sich dieses Wort auch an uns erfüllen, und die Zuversicht auf seine Gnade macht uns stark und lässt uns selbst den Tod über­ winden. — Der zum Vater gegangen und immerdar für uns bittet, zieht uns selbst mit der Macht seiner Liebe sich nach, daß wir mit ihm im Himmel sein, und mit ihm herrschen sollen in seinem Reich. — Wie sollten wir da, m. Gel., noch bange sein, wenn der Tod uns naht? Denn er ist verwandelt, und wird zum Heimgänge, wonach sich unsre Seele gesehnt, zum Heimgänge, der uns hinüberführt in die Wohnungen des himmlischen Vaters, in die ewigen Friedenshütten, in die Heimat, wo wir, wenn auch das Haus dieser Hütte zerbrochen wird, einen Bau haben, von Gott erbauet, ein Haus was ewig ist, im Himmel. Dahin nimm uns auf, o Vater, nach Deiner Gnade und nach Deiner Barm­ herzigkeit; nimm uns auf durch Deinen Sohn Jesum Christum, daß wir mit ihm bei Dir sein und bleiben in Ewigkeit! 'Amen.

XXVHL

Die feurigen Zungen der Apostel. Predigt am er ste n Pfingstfeiertage 1856 üb. Apostelgesch. 2,1-13.

O heiliger Gottesgeist, der du einst am Tage der Pfingsten in der Fülle der Kraft auf die Apostel herabgekommen, und sie tüchtig gemacht, als Boten des Heils und des Friedens Jesu Christi in alle Welt zu gehn und in neuen Zungen zu predigen, und zu kämpfen und zu siegen in seinem Namen, — komm auch heute auf uns und ergieße Dich auch in unsere Herzen. Wir verlangen im Gefühl unsrer Schwachheit nach Dir und nach Deinem Trost. Ja, hilf Du unsrer Schwachheit auf, und wiffen wir nicht, was wir beten sollen, wie sich's gebührt: so ver­ tritt uns mit unaussprechlichen Seufzern! Stärke und heilige uns, richte in der Trübsal uns auf und erfülle uns mit Deiner Freude. Entzünde auch in uns das Feuer Deiner göttlichen Liebe, erleuchte uns mit dem Lichte des neuen himmlischen Lebens, und gib Du selbst unserm Geiste das selige Zeugniß, daß wir Gottes Kinder und durch die Gnade Jesu Christi Erben des ewigen Lebens sind! Amen.

Das schöne und heilige Pfingstfest, m. Gel., das die Gnade Gottes uns heute wieder erleben lässt, ist das Stiftungsfest der christlichen Kirche. Denn sowie das Leben des Gottessohns nur das

277 Leben des Geistes, und dieser Geist die Macht seines Lebens war: so ist es auch nur der durch Christum vom Vater gesendete Geist, der Geist der Wahrheit, der Kraft und Liebe, der die Kirche gestiftet hat. Denn bevor die Jünger Jesu nicht selbst zu dem neuen in ihm erschie­ nenen Leben geboren waren, bevor es nicht auch in ihnen frei und leben­ dig geworden, konnte es auch zur Gründung einer Kirche, einer Gemeinde des Herrn nicht kommen. Diese neue Geburt aber geschah in ihnen an dem ersten christlichen Pfingstfest, als der heilige Geist wunderbar sie ergriff und erleuchtete, und sie Christum in seiner Verklärung sahn und die Macht seines Gottesbildes sie überwältigte, und sie angethan wurden mit Kraft aus der Höhe, Christum zu predigen und ihr ganzes Leben nur seinem Dienste zu weihen und für ihn in den Kampf, ja selbst in den -Tod zu gehn. Die Kirche Jesu Christi ist aber auch nur dazu ge­ stiftet, damit das von ihm verkündigte und in ihm. selbst lebendige Got­ tesreich uns immer näher komme. Die Verwirklichung dieses Reichs ist ihr wahres und höchstes Ziel. Das Gottesreich aber erscheint nur da, wo das ganze Leben nach allen Seiten und Beziehungen hin, und in allen seinen Verhältnissen nach Innen, sowie nach Außen, eingegangen ist in die selige Herrschaft Gottes. Und so soll auch das Wirken der Kirche vor Allem nur darauf gerichtet sein, daß der Geist des Herrn zum einigen Regenten des Lebens werde und die ganze Welt sich hinein­ bilde in Jesum Christum. Das Christenthum soll nicht bloß Lehre blei­ ben, die ja immer nur ein schwacher Schalten der lebendigen Wahrheit ist, sondern zur Verfassung des Lebens werden. Sonst kommt es nie zur Vollendung. Als eine solche heilige Lebensmacht stellt es sich nun auch in den vom Geiste ergriffenen Aposteln dar, und unsre Festepistel gibt uns ein inhaltreiches und herrliches Bild dieser Macht. Unsre Epistel lesen wir nun aber im 2. Kap. V. 1 —13 der Apostelgeschichte, und LukaS erzählt uns dort das Pfingstwunder folgenderweise: „Und als der Tag der Pfingsten ... sie sind voll süßen Weins."

Es war aber nur der heilige Geist, der sie ergriffen hatte, und dessen Macht sich in ihnen und in ihren Reden verkündigte. Gib nur, o Gott, daß auch wir die Sprache des Geistes verstehn und Dich preisen mögen in Wort und That. Dazu segne auch unsre festliche Andacht, segne sie durch Deine himmlische Gegenwart! Amen.

278 Geliebte in dem Herrn!

Wol waren die Jünger nicht unbereitet,

den Geist von Oben her zu empfangen.

Trugen sie doch das Bild ihres

göttlichen Herrn und Meisters, mit dem sie als die Seinen gelebt hatten und gewandelt waren, nachdem er nun von ihnen geschieden und wieder aufgestiegen war zu dem Vater, unauslöschlich in ihrem Herzen; halten sie doch den Glauben an ihn als den Gottessohn in ihrer Seele bewahrt, und sahen ihm nun mit der Sehnsucht der Liebe gen Himmel nach.

In

dieser Liebe aber schlossen sie sich auch um so enger und inniger aneinander, und zurückgekehrt nach Jerusalem, waren sie stets einmüthig beisammen mit Beten und Flehn. dem Erhöheten.

Sie lebten im stillen und heiligen Umgänge. mit

Und so geschah es nun, als sie am Tage der Pfingsten

versammelt waren und ihr ganzes Herz zu Christo erhoben war: da brach

die volle Macht

des Geistes auf einmal in ihnen hindurch und

erfasste sie mit wunderbarer Gewalt.

Denn es war die Macht Gottes,

eS war wie ein Tönen und Brausen vom Himmel her und alle Kräfte des Himmels kamen in ihnen zur Bewegung.

Sie wussten selbst nicht,

was mit ihnen geschah und fühlten sich hingerissen von dem Strom eines neuen Lebens. ist.

So ist es mit einem Jeden, der aus dem Geiste geboren

Du hörst das Sausen des Windes wol, sagt Jesus zu Ni­

kodemus, aber du weißest nicht, von wannen er kommt und wo­ hin er fährt. Und eS war eine neue Geburt, die mit den Aposteln hier vor­ gegangen.

Als ein besonders merkwürdiges Zeichen aber des sie über­

wältigenden Geistes hebt es Lukas hervor, daß die Zungen an den Aposteln gesehen wurden, als wären sie feurig.

Ist dies auch nur

eine bildliche Darstellung: so liegt darin doch ein hoher und bedeutungs­ voller Gedanke.

Es ist daher wol der Mühe werth, zu sehn und zu

finden, waS es mit den Feuer zu ng e n der Apostel für eine Bewandtniß habe.

Und so sollen denn

Die feurigen Zungen der Apostel — der Gegenstand unsrer Festbetrachtung sein.

Es wird sich uns ein grö­

ßerer geistiger Reichthum aufthun, als man wol meint, und eS fehlt dabei auch an einer ernsten Lehre und Mahnung nicht für uns und für un­ sere Zeit.

Lukas sagt uns also, nt. Gel., daß man die Zungen der Apostel zertheilt gesehen, als wären sie feurig.

Mit dem Zertheiltsein aber

279 ist nach den Worten des Grundtextes nur daS Leuchten und ©traten bezeichnet, was gleich wie Flammen an ihnen erschienen sei.

Eine bloß

sinnliche Erscheinung aber ist freilich damit nicht gemeint, und der Geist offmbart sich auch nur in geistiger Weise.

Was Lukas von den feu­

rigen Zungen sagt, steht in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Folgenden, und bildlichen

es

ist

dies nur

Schilderung.

Wenn

er

die Ausdeutung der vorhergegangnen nun fortfährt:

Und sie wurdey

Alle voll des heiligen Geistes und fingen an zu predigen mit andern Zungen, nachdem der Geist es ihnen gab aus­ zusprechen: so weist uns dies darauf hin, daß er mit dem Bilde der Feuerzungen auch nur die wunderbare Macht und Wirksamkeit des heiligen Geistes in den Aposteln, ihre himmlische Erleuchtung und Ent­ zückung gleichsam

sichtlich

sind dieselben, die

beschreiben will.

er dann

Die feurigen Zungen

auch andre oder neue nennt, womit die

Apostel, voll vom heiligen Geiste, gepredigt hätten.

Haben wir nun bei

den Zungen nur an die Sprache zu denken, deren Werkzeug sie sind: so sind die Feuerzungen auch nur ein Bild der geistigen Macht, die in den Flammenworten, der Apostel sich kund gethan. _ Ja, der Geist ist selbst eine feurige, das innerste Leben durchdringende und entzündende und auch nach Außen hin gewaltig-wirkende Macht.

Darum ist die

Taufe mit dem heiligen Geiste, womit uns Christus tauft, zugleich auch eine Taufe mit Feuer. des spricht der Herr:

Und schon durch die Propheten des alten Bun­ Ist mein Wort nicht wie ein Feuers was

Felsen schmilzt, — was selbst ein steinernes Herz zu erweichen weiß? Was aber die vom heiligen Geist ergriffnen Apostel predigten, war'ja nur das göttliche Wort.

So konnten denn auch die Zungen der Apostel

nur feurig sein durch den heiligen sie bewegenden Gottesgeist. Feurigsein

Dieses

ihrer Zungen aber hat eine doppelte Seite, wovon die eine

nach Innen, die andre nach Außen gewendet ist, die aber beide sich von einander nicht trennen lassen.

Das Feuer, was durch ihre Zungen sich

offenbarte, ging von der innern Bewegung aus, die sie als eine neue und ungekannte ergriffen hatte und wunderbar ihre Seelen durchdrang, so daß sie selbst nicht wufften,

woher sie ihnen gekommen und wie sie

auf einmal in ihnen mächtig geworden war. Innersten

ihres Lebens hervorbrach:

nicht in ihnen selbst. Bewegung aus Gott.

Denn obwol sie aus dem

so hatte sie ihren Ursprung doch

Es war eine Bewegung vom Himmel her,

eine,

Wol hätte sie diese Bewegung nicht fassen können,

wären sie nicht die Jünger des Herrn gewesen, die das Band des Glau-

280 bens und der Liebe mit ihm zusammenschloß.

Aber sowie Jesus zum

Vater gegangen war und ihnen von dort den Geist zu senden verheißen hatte: so war eS auch nur der Geist vom Vater, der sich auf sie herabgesenkt und seine Werkstatt in ihnen aufschlug, und sie verwandelte und zu einem neuen Leben erstehen ließ.

Da löste alles Dünkel, was sie

vorher noch umgab, in eine himmlische Erleuchtung sich auf, und Vjeles, was der Herr zu ihnen geredet und was sie früher nicht eingesehn, ward erst jetzt ihnen offenbar.

Alle beengenden Bande hatten sie abgestreift

und fühlten sich von dem Odem der göttlichen Freiheit emporgehoben. Nun erst sahen sie Christum als den Verklärten, nun erst erkannten sie ihn im Lichte Gottes und als den Herrn der himmlischen Herrlichkeit. Indem aber Christus also im Geiste ihr Herr geworden und sie nur in ihm ihr Leben gefunden hatten: so war nun auch eine ganz andre und höhere Kraft in sie eingekehrt.

Die frühere Schwachheit war von ihnen

genommen und die Kraft Jesu Christi die ihrige.

Da fühlten sie keine

Furcht und kein Bangen mehr, und es lebte in ihnen ein unbezwinglicher Muth, und eine heilige Zuversicht, eine große unzerstörbare Freudigkeit war ihr Theil.

Sie waren begeistert von der zweifellosen Hoffnung des

Sieges der Sache Christi, sie sahen den Himmel in Christo sich aufgethan. Waren die Apostel nun aber vom heiligen Geiste also bewegt und getrieben: wie hätten sie diese Bewegung in sich und in ihrem Innern verschließen können?

Dann wäre es auch nicht der heil. Geist gewesen,

der ja nicht rastet und ruht, sondern den Menschen immerdar drängt, was er in sich hat, kund zu thun und sich zu erweisen und zu wirken in seiner Macht.

Waren die Apostel durch den heiligen Geist ihres

göttlichen Berufes gewiß geworden, ging ihr ganzes Bewufftsein in den Gedanken auf, die Boten des Herrn zu sein: so konnten sie nun auch nicht zögern und säumen, an das heilige Werk zu gehn.

Sowie sie in

sich von dem Feuer des Geistes erwärmt und entzündet waren: so ent­ zündete sich auch ihr Wort und sie

vermochten es nicht zurückzuhalten.

Der Geist gebot es ihnen, zu zeugen von Dem, der ihr Leben war. Und so begannen sie alsbald, zu predigen mit andern und neuen Zun­ gen, nachdem der Geist es ihnen gab auszusprechen.

Sie predigten mit

feurigen Zungen, indem auch in ihrem Wort eine eigenthümliche Macht und Gewalt stch verkündigte; — und ihr Wort war gewaltig, weil es das Wort des Geistes, weil es aus dem lebendigen Gottesbewufftskin gesprochen war; — wie wir deshalb

auch von Christo lesen, daß er

281

gewaltig gepredigt habe und nicht wie die Schriftgelehrten. Ihr Wort war ein feuriges, weil es nur die lebendige, in Christo erschienene Wahrheit verkündigte, und aus der innersten gotterleuchteten Seele ge­ redet, und eine wunderbare Klarheit darüber auSgegossen war. Die Rede der Apostel war eine feurige, weil sie von der tiefsten und reinsten Begeisterung für den Heiland der Welt getragen und der Ausdruck der innersten sie durchdringenden Freude war, daß Gott in Christo uns sei­ nen Sohn geschenkt und in ihm der Friede vom Himmel zu uns herab­ gekommen. So rief auch der Apostel Petrus im Hochgefühl dieser Freude aus: Es ist in keinem Andern Heil, ist auch kein andrer Name den Menschen gegeben, darinnen sie können selig werden, denn der Name Jesu. Und so schreibt auch ein Apostel Paulus an die Korinther, wie er ihnen vertraue und hoffe, daß seine Freude ihrer Mer Freude sei. — Es sind feurige Zungen, womit die Apostel gepredigt, weil die gewiffe Zuversicht des Sieges über die Welt sie be­ geisterte, und auch die Kämpfe, die sie vor Augen sahn, sie doch in ihrer himmlischen Hoffnung nicht wankend machten. Hatten sie doch Christum, der ihnen zurief: Wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe. Waren sie doch nur gesandt von dem Herrn, der da versichert, daß er gekommen sei, ein Feuer anzuzünden auf Erden, und dieses Feuer war in den Aposteln bereits aufgegangen und brannte in ihrem Herzen. Die wahre und volle Begeisterung, die GotteSbegeisterung bleibt freilich nicht stehen beim Wort, sondern greift mächtig in'S Leben ein, und das Wert war ihnen auch nur gegeben, um den Gottes­ bau, den Bau des Himmelreichs in den Herzen der Menschen zu grün­ den und die Welt zu diesem Reich zu erbauen. Das Wort und die Predigt der Apostel aber war selbst eine That, die kräftigste That, womit sie unerschrocken und ohne Scheu als Christi Zeugen hingingen in die Welt und Spott und Schande nicht achteten, und alle Schmach und Verfolgung im Dienste des Evangeliums willig erduldeten, und allen Leiden und selbst bent Tode in freudigem Heldenmuthe entgegengingen. Ja, ihre Predigt des Evangeliums ist eine größere That, als die der Gewaltigen, die mit dem Ruhm ihrer Waffen die Welt erfüllen. Wäh­ rend Jene ewig leuchten bei Gott, ist das Andenken Dieser gaj? oft ein ungesegnetes, und sie haben der Welt nicht selten nur Unheil und Ver­ derben zurückgelaffen. Die Macht des Worts der Apostel offenbarte sich aber auch in der Wirkung, die ihre Predigt hervorgebracht. Und so waren die

282 Zungen der Apostel auch feurige, weil sie mit ihrer Gottesstimme die Herzen wunderbar zu

entzünden mufften und eine mächtige Bewegung

hervorgebracht, die nicht vorüberging, sondern fortgewirkt hat bis jetzt, und fortwirken wird bis an das Ende der Tage, in Christi Reich.

Als

bis zur Vollendung

am Pfingstfeste die Stimme vom Himmel ge­

schehen war, und die in Jerusalem zum Fest versammelten Juden und Judengenossen, gotteSfürchtige Männer aus allerlei Volk, um die Apostel zusammenströmten und ein Jeder sie reden hörte in seiner Sprache: da geriethen sie in ein heiliges Staunen, da verwunderten und entsetzten sie sich.

Sie hörten, was noch nie in ihr Ohr gekommen, und doch fanden

sie nichts Fremdes darin, sondern es war ihnen, als würde nur ihr Innerstes darin aufgeschlossen, und sie erkannten darin ihr höchstes gei­ stiges Eigenthum.

Sie verstanden die neue Sprache, weil es die Sprache

Gottes war, und Gott selbst zu ihnen darin geredet.

Sie hörten mit

ihren Zungen die großen Thaten Gottes preisen, und so wunderbar ihnen dies Alles war, und sie sich nicht schon zu sagen wussten, wohin dies führen und wo dies hinausgehen werde: so blieb

es ihnen doch nicht

verborgen, daß es eine göttliche Gewalt sei, wovon sie gezogen würden. Nur die Gottvergessnen, die ungläubigen Weltmenschen, die von der Erde sind und vom Himmel nichts wissen mögen, die hatten es ihren Spott, als wäre es nur eine irdische Flamme, die in den Aposteln brenne, und sahen ihre himmlische Begeisterung nur für ein trunknes Wesen an.

Als

aber-dann Petrus auftrat und seine Stimme erhob und dem zuhören­ den Volk, den Männern von Israel, den Auferstandenen predigte und das Bild des zum Himmel erhöhten Gottessohns, das Bild des Welt­ erlösers begeistert vor ihnen entfaltete und die Erfüllung der .alten Ver­ heißungen Gottes ihnen verkündigte: da ging es ihnen durchs Herz und sie sprachen: Ihr Männer, lieben Brüder, was sollen wir thun?

Und

als nun Petrus ihnen erwiederte: Thut Buße.und lasse sich ein Jeder taufen auf den Namen Jesu Christi zur Vergebung der Sünde, so werdet ihr empfangen die Gabe des heiligen Geistes: so fielen sie seinem Worte zu, und wurden an dem Tage an dreitausend Seelen hinzugethan, und sie beugten ihre Kniee vor Jesu Christo.

So war die erste Gemeinde und mit ihr die Kirche Christi

gegründet, — die Kirche, die auf einem unzerstörbaren Felsen ruht, die Kirche, wovon Christus der Eckstein ist und die immerdar wachsen wird, bis sie zu

einem heiligen Tempel im Herrn sich vollendet hat, bis die

283 Welt zu einem lebendigen Bilde Gottes und seiner Liebe verherrlicht und verklärt ist in Gottes Reich.

Wer von uns, m. Gel., wollte es nun nicht dankbar preisen, daß der Herr durch seine Apostel mit feurigen Zungen zu uns geredet und durch sie auch uns den Weg zum Vater, zum Leben der göttlichen Freiheit und Herrlichkeit aufgethan hat!

Das Wunder der Feuerzungen

begegnet uns nun zwar in derselben und gleichen Weise, wie es am Tage der Pfingsten an den Aposteln geschah, nicht wieder.

Denn nur sie hatten

im seligen Umgänge mit dem Gottessohn gelebt, der sie zu seinen Freun­ den erwählt, und Alles, was er vom Vater gehört, ihnen kund gethan. Und so strömte nun auch der Geist, der den Zungen das Feuer gibt, ihnen unmittelbar zu von dem Herrn, in einer Fülle und Kraft, wie sie keinem Andern zu Theil geworden. — Doch ist die Macht dieser Feuer­ zungen nicht mit den Aposteln erstorben; — sie hat mit dem heiligen Geiste auch in der Folgezeit fortgewirkt und wir dürfen sie für keine Erscheinung halten,

die nur der Vergangenheit angehöre utib nun für

immer verschwunden sei.

Wie der Vater im Himmel den heil. Geist

noch immerdar Allen gibt, die im Namen Jesu ihn darum bitten: so soll die Gabe der feurigen Zungen auch uns nicht vorenthalten sein, und auch wir sollen mit feurigen Zungen zu sprechen wiffen.

Soll ja

doch auch unsre menschliche Pede und Sprache immer eine Sprache des Geistes sein und dem Geiste dienen; — und die wahre Macht des Worts ist immer daran geknüpft, daß es zugleich ein feuriges und feurigbewegtes sei.

So bleibt uns nun für unsre Pfingstbetrachtung noch das Wort

der Lehre und Mahnung übrig, die durch die Feuerpredigt der Apostel an uns ergeht.

Ja, Gel., die Apostel mit ihren Feuerzungen stehen uns

selbst nur als Vorbild da, was nicht ohne Nachfolge bleiben soll.

Und

reichen wir auch freilich an diese Boten des Herrn nicht hinan, und war das Feuer ihrer Zungen ein größeres: so soll es doch auch uns, wenn wir

vom Geiste getrieben sind,

nicht an feurigen Zungen gebrechen,

das Wort der Wahrheit zu predigen und die großen Thaten Gottes zu preisen. Hat es doch Christus seiner Kirche auch in spätern Zeiten an feu­ rigen Zungen nicht fehlen lassen, und immer noch Boten gesandt, die das Wort des Geistes gewaltig zu siegreich für ihn gestritten haben.

führen wussten, und mächtig und Traten freilich

auch Perioden ein,

284 wo die alte Finsterniß mächtig ward und das Licht vom Herrn fast gänzlich erloschen schien, wo die Kirche furchtbar entartet und von ihrer ursprünglichen Herrlichkeit tief herabgesunken und vom Feinde verwüstet war: so hat es doch an Glaubenshelden auch nicht gefehlt, die ihre Feuerstimme erhoben, tim das Unwesen zu bannen und auszutreiben, urid die verirrte und verführte Herde zu Christo, dem wahren göttlichen Hirten zurückzuführen.

Und unser Dr. Martin Luther, der unerschrockne und

unbezwingliche Gottesmann, der von den Wogen der feindlichen Flut um­ braust, doch wie ein Fels im Meer unerschüttert stand: der hat doch wol mit feurigen Zungen gepredigt?

Und wie seine gewaltige Stimme

vor mehr denn drei Jahrhunderten die Welt durchdrang: so tönt sie auch jetzt noch zu uns herüber.

Und wenn die Mächte der Finsterniß auch

eben in unsern Tagen von Neuem gegen ihn aufstehn, und sein Werk, was er im Herrn vollbracht, unsre evangelische Kirche bedrohn, und mit nichts Geringerm umgehn, als sie zu vernichten, toemVS möglich wäre: so thut es wahrlich hoch Noth, seine Stimme zu hören, damit die evangelische Freiheit, die er uns erstritten hat, und wofür unsre Väter Gut und Blut hingegeben, die Freiheit, in der wir erst wahrhaft bei Christo sind, uns nicht verloren gehe.

Es ist eine Stimme, nicht bloß für seine

Zeit, sondern auch für die unsrige, für die Zukunft.

Denn es ist

das Wort der Wahrheit, das Wort des Herrn, was in ihr spricht, und woher sie ihr Feuer empfangen hat. Gehen nun aber die feurigen Zungen etwa nur die Diener des göttlichen Wortes an, die allerdings vorzüglich berufen sind, das Feuer des Geistes zu hüten und zu bewahren?

Sollen sie allein mit

feurigen Zungen zu reden wissen? Nein, Gel., niemand ist davon aus­ geschlossen.

So haben ja schon die Propheten geweiffagt, und auch Pe­

trus hebt seine Pfingstpredigt von dieser Weissagung an: „Es soll ge­ schehen in den letzten Tagen, spricht der Herr, ich will ausgießen von meinem Geiste auf alles Fleisch und eure Söhne und eure Töchter sollen weiffagen, und eure Jünglinge sollen Gesichte sehen und eure Aeltesten sollen Träume haben.

Auf meine Knechte und Mägde will ich in den-

selbigen Tagen ausgießen von meinem Geiste und sie sollen weissagen." — Sollen aber Alle zum Erbe des Geistes kommen: so soll es auch Keinem benommen sein, mit feurigen Zungen zu reden.

Und so lesen

wir auch in der Apostelgeschichte, daß der heil. Geist nicht bloß auf die gläubigen Juden, sondern auch auf die Heiden ausgegossen worden, und daß sie mit Zungen geredet haben.

Ja, wir Alle sollen Ausleger des

285 Geistes sein, welcher in und wohnt, — sollen Alle die Ehre des Herrn verkündigen, und der Liebe, die wir für ihn in den Herzen tragen, auch durch unser Wort einen Ausdruck geben. Feurig aber können die Zungen nur sein durch den Geist.

Nur

wo der Geist in uns lebt als der heilige, der Geist der Wahrheit, der Gerechtigkeit und Liebe, — wo sie uns als die heiligsten Güter des Lebens gelten, wo wir dafür begeistert und unsre Herzen erwärmt sind, wo das Licht des Herrn unsre Seelen erleuchtet, wo wir uns vom Vater gezogen fühlen, gezogen zu Jesu Christo, und unsre Seele nach dem Heile der Welt sich sehnt und das Gottesreich das Ziel unsers Trachtens ist: nur da werden wir im Stande sein, mit feurigen Zungen zureden.

Wo

der Geist aber todt, wo das Licht verdunkelt, wo die Liebe erstickt ist: da können auch die Zungen nicht feurig sein, denn sie haben nichts aus­ zusprechen. Wie steht es denn nun aber in unsern Tagen mit-dem Geist? Da sind wol nur Wenige, die in Wahrheit ihm dienen und huldigen.

Wir

sehen vielmehr, wie statt des heil. Geistes, in den Meisten der Geist der Welt

hat; und

die Erfüllung der prophetischen

Weissagung liegt noch in weiter Ferne.

seine Herrschaft

Die Menschen schließen sich dem,

heil. Geiste nicht auf, weil die Weltliebe sie gebunden hält.

Er kann

keinen Eingang finden, weil der Unglaube in ihnen noch mächtig ist und sie noch Knechte der Sünde sind.

Sie haben keinen Raum für den Geist,

weil nur ein irdisches Sinnen und Trachten ihr Herz erfüllt.

Brennt

also in ihnen kein heiliges Feuer, sind sie vielmehr kalt für das Gött­ liche, hat ein laues und gleichgültiges Wesen sie eingenommen, suchen sie nur, was das Ihre ist, weisen sie alle höheren Interessen von sich, und leben sie nur für die Erde: da können auch ihre Zungen nicht feurig sein.

Denn ihre Worte sind ja leer, und haben keinen Inhalt für wel­

chen sie sich begeistern könnten.

Statt des Ernstes ist es wol selbst der

Spott, statt des Heiligen das Gemeine, was sie aussprechen und wozu sie das Wort entwürdigen.

Oder sie wollen es auch nur gebrauchen,

um sich selbst damit zu verbergen, und sie reden Worte des Scheins und der Heuchelei.

Oder sie verkehren auch selbst das Wort und verwenden

es zum Dienste der Lüge, heißen Böses gut und Gutes böse, machen aus Finsterniß Licht und aus Licht Finsterniß.

Wehe ihnen! Sie mei­

nen wol in ihrem Wahn, als habe es nichts damit auf sich.

Aber das

Wort richtet sie, und wie es selbst auS dem Tode kommt, bringt es auch ihnen den Tod.

Aus deinen Worten,

spricht Jesus, wirst

286 du gerechtfertigt und aus deinen Worten wirst du verdammt werden. Es gibt aber auch Andere, die sich dünken, mit feurigen.Zun­ gen zu reden.

Aber

es ist ein falsches Feuer, was in ihnen brennt.

Wir meinen Solche, die von einem blinden Eifer besessen sind, und die sich rühmen, für Gottes Ehre zu kämpfen, während

es doch

nur der

todte und t'ödtende Buchstabe ist, für welchen sie streiten und der sie ge­ fesselt hält.

Und noch schlimmer und trauriger, wenn sich unheilige Ab­

sichten, ^irdische Herrschaftszwecke damit verbinden.

Alle Religionsverfol­

gungen und Glaubenskriege entspringen aus dieser Quelle.

Wer um des

Glaubens willen verfolgen kann, hat den Gottessohn, hat das Licht Jesu Christi nie erkannt und ist noch ein Diener der Finsterniß:

Gebe Gott,

daß solche Zeilen nicht wiederkehren! Aber gegen Die, die auch jetzt noch aus Haß der Wahrheit zum Kampfe rufen, thun feurige Zungen Noth. Die Zungen können aber auch keine feurigen sein, wo die Be­ geisterung, die Jemand haben will, doch noch irdisch, und persönliche Eitel­ keit dahinter verborgen ist; wo man nur den Schein des Geistes und eines geistreichen Wesens haben, und damit glänzen und Ehre ernten will vor der Welt.

Sich selbst nur wollen sie dienen, aber nicht dem Geist.

Das Feuer was sie zu haben meinen, ist wie von Stroh, was, sowie es aufgeht, auch bald wieder in sich selber zusammensinkt. Sehen wir aber, m. Gel., zuletzt noch auf die Verkündigung des göttlichen Wortes hin, wie es die Apostel mit feurigen Zungen ge­ predigt und wie es Denen, die eö hörten, durchs Herz gegangen, und wenden, wir nun unsern Blick auf die Gegenwart, und welche Aufnahme die Predigt unter uns findet: da tritt uns leider ein trübes Bild vor das Auge.

Da gehen die Meisten, als hätten sie genug an dem Men­

schenwort, an dem Gottesworte vorüber und mögen es nicht auf sich wirken lassen.

Zwar kann nicht jede Predigt eine Predigt mit feurigen

Zungen, wie die der Apostel, sein.

Legt sie aber nur das göttliche Wort

an das Herz: so ist doch auch ein Feuer darin verborgen, was in der empfänglichen

Seele wol zünden kann.

Wären es aber auch feurige

Zungen, womit der Prediger redete, und achtete man dieses Feuer nicht: so wäre nichts damit ausgerichtet.

Ist die Predigt auch ein Preis der

großen und herrlichen Thaten Gottes, — wird aber die Geschichte nicht als eine Geschichte Gottes und seiner Offenbarungen erkannt,^sieht man sie als eine- bloße Menschengeschichte an, ohne ein ewiges Ziel: so schafft auch dies keine Frucht für das Gottesreich.

Da wünschte auch ich wol,

267 jemehr ich meine Schwachheit erkenne, mitFeuerzupgen reden zu kön­ nen, um das Todte zu wecken und was erstorben ist, zu beleben; und ich kann den Herrn nur bitten, daß er meiner Schwachheit zu Hülfe komme durch seine Kraft. eine feurige Bewegung

Aber kommt dem Diener Christi nicht auch

entgegen, findet er keine warme und brennende

Herzen: so kann es auch das feurige Wort nicht thun und es dringt nicht ein, oder bleibt auch nicht. So aber, Gel., soll es nicht unter uns sein.

Darum bitte und

ermahne ich Euch: gebet Raum dem heiligen Geiste und thut Eure Herzen dem göttlichen Worte auf, daß in Euch, daß in uns Allen ein heiliges, unauslöschliches Feuer der Liebe entbrennen möge, die uns mächtig zum Himmel zieht, und so unser ganzes Leben zum Frieden und zur Freude im heiligen Geiste verwandelt sei.

Amen.

XXIX.

Wie uns Christus mit dem heiligen Geiste und mit Feuer tauft. I. Die

G

e i st e S t a u f e.

Predigt am ersten Pfingstfeiertage 1857 über Matthäus 3,11.

Der Geist ist eS, der da lebendig macht, und Du, o Vater, hast ihn zu uns gesendet und die Verheißung Deines SohneS erfüllt, daß wir in ihm, in dem Geiste der Wahrheit und Liebe das Leben hätten, das Leben der Freiheit und Herrlichkeit, das Leben bei Dir und in Deinem Reich.

Hilf darum, hilf uns durch Jesum Christum, der nur aus dem

Geiste gelebt und aus ihm geboren war, daß dieser h. Geist auch herab­ komme zu uns und in uns lebendig werde.

Ja rüste uns mit ihm aus,

daß er in alle Wahrheit uns leiten möge, und auch unserm Geiste das selige Zeugniß gebe, daß wir Deine Kinder sind.

Amen.

Sowie das heil. Pfingstfest, m. Gel., das die Gnade Gottes uns heute wieder erleben lässt, die Reihe der hohen christlichen Feste schließt: so erscheint auch die That des Heils, die darin gefeiert wird, in dem Pfingstfeste erst vollendet. Vollender des Christenthums.

Denn der h. Geist ist erst der

Denn geht das Leben, wie es in Christo

als das wahre Leben aus Gott, als das erlöste und erlösende offenbar

289

geworden, uns nicht innerlich und im Geiste auf: so ist es auch nicht unser Eigenthum und vermag uns nicht zu beseligen. Ist die Erschei­ nung des Gottessohns, ist die Stiftung des Christenthums doch nur das Werk des Geistes: so kann es sich in uns auch nur aus dem Geiste erbaun, und trachten wir nicht dem Geiste nach, dem Geiste des Herrn, suchen wir in der Welt ihm nicht Bahn zu schaffen: so fördern wir auch das Werk Jesu Christi nicht, und die herrliche Freiheit der Kinder Gottes kommt uns nicht näher. Denn diese Freiheit lebt nur da, wo der Geist des Herrn ist; und gebricht uns an diesem Geiste, so ge­ hören wir auch Christo nicht an. Denn wer Christi Geist nicht hat, der ist nicht sein, und das Reich, welches man ohne den Geist, nicht von Innen, sondern von Außen her bauen will, ist noch ein Reich der Welt, aber nicht Gottes Reich. Das Gottesreich, das in Christo unS nahe gekommen, ist ein Reich deS Lichts, gleichwie er selber das Licht der Welt ist. Die nun dem Geiste entgegen sind, die wenden auch vom Lichte sich ab und neigen sich noch der Finsterniß zu, die mit Christo und mit seinem Evangelium streitet. Denn der Geist ist nur daS gotterleuchtete Leben, und nur im Geiste können wir das Gottes­ bild Jesu Christi in vollendeter Klarheit schauen, wie Jesus selbst es auch sagt: derselbige wird mich verklären. So soll das heilige Fest der Pfingsten auch für uns ein Fest der Verklärung werden^ der Verklärung Christi. Doch beschränkt sich diese Verklärung nicht auf ein Erkennen und Wissen.- Denn bei aller Einsicht ist doch oft das Leben kein von Christo erleuchtetes. Der Geist, in welchem Jesus verklärt sein will, begreift das innerste Lebensbewufftsein, das den ganzen Men­ schen durchdringt, das nicht bloß vom Gedanken, sondern von der That des Lebend erfüllt und getragen ist. Wir können Christum nicht wahr­ haft als den Verklärten schaun, wenn nicht auch unser Leben in ihm verklärt, und er das Licht unsers Lebens ist. So soll denn auch das Pfingstfest, das Fest des heil. Geistes für uns zu einem Feste werden der Verklärung des Gottessohns; und wir sprechen damit das Höchste aus, was die Welt, die christliche Welt jemals erringen kann. Diese Verklärung Christi ist Eins mit der Vollendung in seiner Wiederkehr. Da muß nun aber erst der Geist unser eigen und die Macht unsers Lebens sein. Sehen wir nun aber, wie so Biele dem Geiste entfremdet und selbst ihm zuwider sind, sehen wir die herrschende Richtung der Welt, die statt auf den Geist, vielmehr auf das Fleisch säet, wovon nur eine Frucht des Verderbens erwachsen kann: da thut es wahrlich um so Schirmer, Festpredigten.

19

290 mehr Noth, daß die Verheißung Christi auch an uns und in unsrer Zeit sich von Neuem erfülle, und der h. Geist uns zum Tröster gesendet werde, daß wir in ihm wandeln und wirken mögen, und das Licht des Herrn, das Licht seiner Herrlichkeit aufgehe über uns. aber an unS nur zur Erfüllung geben hat.

Diese Verheißung kann

kommen durch Den, der sie uns ge­

Wir haben nun auch ein Wort der Schrift zum Texte er­

wählt, was eS uns deutlich sagt, daß wir die Gabe des h. Geistes nur durch Christum empfangen können, worin aber zugleich eine bedeutsame Hinweisung liegt auf die Macht, die der h. Geist an uns üben soll. Es ist ein Wort Johannes des Täufers, worin er seine Taufe mit der Taufe Christi vergleicht und es ausspricht, wieviel höher und mäch­ tiger diese vor jener sei.

Wir lesen das Wort in der evangelischen Ge­

schichte des Matthäus, und zwar im 11„ Verse des 3. Kap. also: „Ich taufe euch, spricht Johannes, mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker denn ich, dem ich auch nicht genugsam bin, seine Schuhe zu tragen; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen." So wollen wir und bentt auch hinwenden zu Dem, der allein der wahrhaft Starke und Mächtige ist, zu dem Sieger über Tod und Welt, zu dem Gottessohn Jesus Christus, der uns ewig erretten kann, der uns nicht bloß mit Wasser, sondern mit dem heiligen Geist und Feuer tauft.

mit

Segne Du selbst, o Herr, dazu auch das Wort dieser

festlichen Stunde, segne es durch Deine heilige und lebendige Gegenwart. Amen.

ES ist, m. Gel., ein schöner Zug der Demuth Johannes des Täu­ fers, der in seinen Worten, die wir soeben vernommen haben, sich kund gibt.

Er spricht es offen aus, daß Christus bei Weitem der Höhere

ist, und hält sich selbst nicht für werth, sein geringster Diener zu sein. Und allerdings ist Johannes, so

groß auch der sittliche Ernst und die

Strenge seines Strebend und Wirkens war, in das Wesen des Himmel­ reichs, das Christus verkündigte, nicht schon eingedrungen, wie denn auch Christus selber sagt, daß der Kleinste im Himmelreich größer sei, denn er.

Er gehörte dem alten Bunde noch an, und war nur der Letzte

der Propheten, der die unmittelbare Nähe des verheißnen Messias ver­ kündigte, und seine Volksgenossen nachdrucksvoll auf ihn hinwies,

und

291

als der Herold des Kommenden Buße predigte, um dem Herrn den Weg zu bereiten. Zn den neuen Bund, in den Bund des Geistes aber, in die neue geistige und göttliche Welt, die in Christo sich aufgethan, war er doch nicht schon eingedrungen. Er stand noch außerhalb, und das Geheimniß des Himmelreichs war ihm doch nicht schon offenbar. Seine Taufe nennt er nun auch bloß eine Wassertaufe, im Gegensatz mit der Taufe Christi, als der Taufe deö Geistes. Und das ist freilich ein großer und bedeutsamer Unterschied. Es sei denn, daß Jemand von Neuem geboren werde, spricht JesuS, so kann er das Reich Gottes nicht sehn. Das Wasser aber, die Wasserlaufe, reicht zu dieser neuen Geburt nicht hin. Wer nicht auch aus dem Geiste geboren wird, kommt nicht in's Gottesreich. Und so muß auch die Taufe zugleich eineTaufe mit dem heiligen Geist sein. Ist zwar das Waffer ebenfalls das äußere und sichtbare Element der christlichen Taufe, wie Jesus sie eingesetzt hat, so thut's doch, wie auch Luther sagt, freilich das Waffer nicht; und kommt nicht die Kraft Jesu Christi, die Kraft seines Wortes und Geistes und des neuen aus ihm strömenden Lebens hinzu, werden wir von ihr nicht ergriffen: so kommen wir nicht schon zur Seligkeit. Wol ist die Buße, die Johannes gepredigt und worauf er getauft, eine unumgängliche Bedingung des Heils. Schließt sich aber der Glaube nicht daran an, der Christum ergreifende und die Welt überwindende Glaube, der ein neues göttliches Leben schafft: so geht die herrliche und selige Freiheit der Kinder Gottes uns nicht schon auf. So preist Jesus den Petrus selig, nachdem er es glaubensvoll aus­ gesprochen: Du bist Christus, des lebendigen Gottes Sohn; und so ist auch die heilige Taufe eine Taufe auf diesen Glauben. Von diesem Glauben aber war Johannes, obwol der Vorläufer Jesu, doch nicht schon wahrhaft erleuchtet, und nur in der Weise eines alten Pro­ pheten schaute er zu ihm, als dem Höheren hinan. So verkündigt er nun auch im prophetischen Geiste, daß, der nach ihm komme, stärker denn er sei, und taufen werde mit dem heiligen Geist, und — setzt er noch hinzu — auch mit Feuer. Da ist es nun aber eine bedeutsame Frage: was es mit dieser Taufe für eine Bewandtniß habe, und in­ wiefern sie eine Taufe mit dem heiligen Geist und mit Feuer sei. Gewiß ein wichtiger Gegenstand für unsre Festbetrachtung! Gilt es doch das höchste himmlische Lebensgut. Da reicht es nun aber auch nicht hin, bloß oberflächlich davon zu reden, sondern wir müffen tiefer einzudringen suchen, um es ganz zu erfassen, was mit diesem Taufen gemeint ist, und 19

*

292 wie es geschieht, wie Jesus mit dem h. Geist und mit Feuer tauft. Die Frage ist offenbar eine doppelte: zuerst nach der Taufe mit dem h. Geist, und dann nach der Taufe mit Feuer.

Zwar hängt bi* eine

mit der andern durch eine innerliche Beziehung zusammen; aber jede Frage bedarf doch einer besondern Beantwortung.

Der Inhalt des Gedankens

ist zu reich, um unsre Aufgabe schon heute vollenden zu können.

Darum

wollen wir heute nur das Erste:

Die Taufe mit dem heiligen Geist — hVS Auge fassen, der Taufe mit Feuer aber, so Gott will, morgen unsre Betrachtung widmen.

Wer es nicht weiß, m. Gel., was er vom heiligen Geist zu hal­ ten hat, kann es auch nicht verstehn, was die Taufe mit dem hei­ ligen Geist besagen will.

Doch wollen wir hier keineswegs eine Lehre

darüber geben, was der h. Geist denn sei.

Wer an den heiligen Geist

nicht glaubt, hat auch den christlichen Glauben nicht, und kann zum Leben des Heils in Christo nicht kommen.

Nur darauf wollen wir hinweisen,

daß der h. Geist dem Geiste der Welt gegenüber steht; und begreift die Welt, im Sinne der h. Schrift, nur das in die irdische Liebe nnd Lust versunkene, der Selbstsucht dienende, ung'öttliche und gottesfeindliche Leben: so ist auch der Geist der Welt nur der unheilige, der Geist des Menschen, der nur trachtet nach Dem, was auf Erden, aber nicht nach Dem, was droben, im Himmel ist, der sein Wesen nur im Eitlen und Nichtigen hat, und Nichts sucht, als die Befriedigung seiner selb­ stischen Neigungen.

Es ist der Geist der Sünde, der für sich bestehn

und in der Trennung von Gott sich behaupten will, aber in seiner eignen Nichtigkeit untergeht.

Der h. Geist aber ist der Geist aus Gott,

der Geist des gottbewussten und gottbeseligten Lebens, des Lebens, das sein Eigenthum nur in Gott gefunden, das ihm nur lebt, und in That und Wahrheit sich ihm geweiht und geheiligt hat.

Der h. Geist ist die

in uns wirkende göttliche Macht eines neuen sich zum Bilde Gottes er­ bauenden Lebens, der Geist der Wahrheit, der Freiheit und Herrlichkeit, der Geist der Kraft und Liebe, der Geist des göttlichen Trostes und einer himmlischen Freudigkeit.

Das Taufen aber, oder das Getauftwerden mit

diesem Geiste bedeutet nichts Andres, als daß er in uns eingeht und uns durchdringt, daß er uns trägt und bewegt, daß er die Macht unsers Lebens ist,

und wir also auch Friede und Freude im heiligen Geiste

293 haben.

Wir dürfen also bei diesem Taufen nicht, bloß an die sakrament-

liche Handlung denken, wie sie Jesus gestiftet hat, und wie sie unter uns an den Neugebornen verrichtet wird, sondern wir fassen die geistige und göttliche Lebensmacht in das Auge, die von Christo ausgeht und Denen gegeben wird, die feine wahren Bekenner, und in Glauben und Liebe mit ihm verbunden sind.

Zwar knüpft auch diese Macht an die

h. Taufe sich an, wenn der Glaube, auf den sie geschieht, in den Ge­ tauften zur Kraft und Wahrheit wird.

Es ist eine göttliche Gnade, die

in ihr wirkt, und sich Denen mittheilt, die sie nicht von sich weisen. Die Geistestaufe aber, von der wir hier sprechen, beschränkt sich nicht auf einen einzelnen Punkt der Zeit, worin sie vollendet oder beschlossen wäre, sondern geht durch das ganze Leben hindurch; und müssen wir freilich auch einmal zuerst von dem Geiste berührt und ergriffen werden: so ist dies doch nur der Anfang, dem eine stets größere Fülle der himm­ lischen Gaben erst folgen soll.

Ja wir- müssen immerdar noch getauft

werden mit dem heiligen Geiste: sonst können wir auch nicht wachsen an Jesu Christo. — Diese Geistestaufe ist nur zu vergleichen mit der Ausgießung des h. Geistes auf die Apostel, die wir am Tage der Pfing­ sten

auch

nicht

als

beendet zu

denken haben, und die sich fortsetzte

durch ihr ganzes Leben und Wirken bis in den Tod, den sie in der Kraft deS Geistes, dem Herrn gestorben sind, gleichwie sie ihm auch gelebt. — Wie aber vermag denn Christus uns zu taufen mit dem heiligen Geiste? Worin beruht seine Macht dazu? Er tauft uns mit dem heil. Geiste,

weil er aus dem Geiste geboren ist und die Fülle des Geistes

hat; weil fein ganzes Leben nur die That dieses Geistes und nur dar­ auf gerichtet war, daß auch die Welt mit ihm erfüllt, und durch ihn beseligt und erleuchtet" werde.

Christus tauft uns mit dem heil. Geist,

weil er auch nur Worte des Geistes, Worte der Kraft und deS Lebens zu uns geredet und gewaltig gepredigt hat, mit der Gewalt, die ihm als dem Sohne Gottes gegeben war. Gotteswort, was in ihm predigte.

Denn es war selbst das lebendige

Er tauft uns mit dem h. Geist, weil

dieser in ihm lebendige Geist auch nur der Geist der göttlichen Liebe ist, die in der Hingebung an den Vater auch uns umschließt und nur danach sucht, uns, die Verlornen, zum Vater zurückzuführen, und sich dafür zum Opfer bringt.

Aus der Fülle der in ihm sich ergießenden

Liebe, strömt auch der Geist uns zu, womit er uns taufen will.

In

dieser Liebe, in der weltüberwindenden Liebe ruht aber auch eine ganz

294 neue göttliche LebenSmacht, die von ihm ausgegangen, eine Macht, wo­ durch die ganze Welt sich soll.

verwandeln und zur Welt Gottes verklären

Diese Macht Jesu Christi umschließt aber auch die Macht,

mit

dem h. Geiste zu laufen, der ja selbst nur der Geist des neuen gott­ verherrlichten Lebens ist.

Die Zusage Jesu aber, die er zunächst seinen

Jüngern gegeben, und die sich auch zuerst an ihnen erfüllt hat, gilt auch unS;

auch uns hat er den h. Geist zum Tröster und Beistand ver­

heißen, und sendet ihn uns vom Vater noch immerdar, so wahr er selbst der Lebendige und mit seiner Gegenwart bei uns ist; er sendet ihn unS, wenn unsre Herzen ihm nur aufgethan und erschlosien sind.

Es ist ein

lebendiges Vermächtniß, was er mit dem h. Geiste uns hinterlassen hat, ein Vermächtniß, welches

auch im Fortgange der Zeit nicht abnimmt,

sondern uns einen immer größeren himmlischen Reichthum schenkt.

Wie aber kommen wir nun dazu, von Christo mit dem heiligen Geiste getauft zu werden? Was bedarf es von unsrer Seite? Denn diese Taufe geschieht doch nicht ohne uns, dazu thun, sie zu empfangen.

und wir müssen auch selbst

Das Erste, m. Gel., ist dies, daß wir

unS taufen lasten wollen und wirklich danach verlangen.

Das kann

aber nur das Verlangen nach dem Geiste sein, der in Christo zu uns herabgekommen.

Meinen wir, den Geist schon zu haben und zu besitzen,

halten wir uns selbst schyn für reich: dann sind wir für die Gabe des Geistes auch nicht empfänglich. suchen

ihn nicht.

Denn wir geben uns ihm nicht hin und

Aber nur dem Suchenden wird gegeben;

wer da anklopft, dem wird aufgethan.

nur

Erkennen wir uns nicht

in uns selbst für arm, sehnen wir uns nicht nach einem höheren und besseren Gut: so zieht auch der himmlische Reichthum nicht bei uns ein. Darum preist auch Jesus die Armen am Geiste selig; und ihnen, die der Gabe des Geistes am nächsten stehn, verheißt er daS Himmelreich. Soll aber die Sehnsucht, soll das Verlangen von Christo mit dem h-. Geist getauft zu werden, zu seiner Erfüllung kommen: so muß es auf dem Grunde des Glaubens an Christum ruhn, deS Glaubens an das rettende Gottesbild, das in ihm unS erschienen ist.

Denn da

unS doch nur Christus, der Gottessohn, den Geist vom Vater verleiht und verleihen kann: so müssen wir auch selbst zu Christo kommen, um von ihm mit dem Geiste getauft zu werden. haben wir Zugang zu ihm.

Nur im Glauben aber

Nur durch den Glauben, welcher uns zu

295 ihm zieht, durch den glaubensvollen Anblick feines erlösenden Lebens, durch den Anblick seiner Hoheit nnd Herrlichkeit, sowie seiner göttlichen Macht, wird der Funke des Geistes, der doch verborgen schon in uns ist und den Gott schon ursprünglich in uns eingesenkt hat, erweckt und entzündet. nicht ein

Wer keinen Glauben hat, in Den zieht auch der h. Geist und kann in ihm nicht mächtig werden.

Der h. Geist aber

haucht dem Menschen, um so zu sagen, eine neue göttliche Seele ein, reinigt und läutert ihn, und nimmt alles Unreine und Unheilige aus dem Herzen hinweg. Soll uns aber Christus mit dem heiligen Geist taufen: muß mit dem Glauben auch die Liebe verbunden sein.

so

Ohne die Liebe

ist der Glaube gar nicht der wahre und lebendige Gottesglaube, und hat auch keine weltüberwindende und seligmachende Kraft.

Sowie Christus

selbst nur das Leben der Liebe ist: so können wir auch ohne die Liebe nicht zu ahm kommen, und ebenso führt auch nur sie uns in daS volle Leben des Geistes, in die Tiefe seines göttlichen Reichthums ein.

Denn

das innerste Wesen des Geistes ist auch nur Liebe, die Liebe, welche auS Gott entspringt und uns zu ihm zieht; wie auch der Apostel Pau­ lus sagt: daß wir einen kindlichen Geist empfangen haben, durch welchen wir rufen: Abba, lieber Vater.

Tragen wir nun ein Ver­

langen nach der Geistestaufe in unsrer Seele, möchten wir gern der irdischen Schwachheit entledigt sein und die Bande von uns genommen sehn, in die wir oft durch den Geist der Welt noch verstrickt sind: so wollen wir auch

jetzt als die demüthig Bittenden mit gläubigem Gebet

und mit pem Flehen der Liebe zu Christo kommen, daß er mit dem h. Geist uns taufen wolle.

Und zweifeln wir nur nicht, haben wir eine

volle und feste Zuversicht: so wird er unsre Bitte nicht von sich weisen und uns die Taufe nicht vorenthalten.

Und tauft er uns mit dem hei­

ligen Geiste: dann werden wir auch von dem Lichte der Wahrheit er­ leuchtet sein, und von der Macht eines heiligen nichtwankenden Willens ergriffen fühlen, und es fehlt uns auch nicht an Muth und Entschloffenheit, die Werke des Herrn zu thun und für ihn zu wirken, so lange es Tag ist, und uns in Liebe ihm hinzugeben.

Wir sind mit dem h. Geist

getauft, wenn daS Bild der gottverherrlichten Zukunft, die uns in Christo aufgethan ist, unsre Seele erfüllt, und wir uns auch durch Kampf und Leiden nicht irren lassen, nach ihr zu ringen, bis der Herr uns von hinnen ruft.

Sind wir mjt dem h. Geist getauft: dann hat alle Gleich­

gültigkeit gegen das Evangelium Jesu ein Ende, die alte Trägheit und

296 Lässigkeit ist gewichen, und ein mächtiger und heiliger Drang treibt unS immer

weiter und höher,

und lässt unS nicht stillestehn.

Denn sowie

der h. Geist in sich selbst unendlich ist und einen unerschöpflichen Reich­ thum in sich hat: so schreitet auch das Leben aus ihm zu einer immer höheren Vollendung fort; unv wir selbst, wenn wir auch die Taufe des Geistes empfangen haben, müssen doch an ihm wachsen, oder er ist nicht in uns als der lebendige, und wir, stehen in Gefahr ihn zu verlieren. Auch kehrt die Taufe mit dem h. Geiste, ihrer inneren Beziehung nach, nicht bloß auf unsre eigne Person zurück.

Der h. Geist ist ja der

Geist des Herrn, der Geist Jesu Christi, der daS Haupt seiner Kirche, und dessen Leib die Gemeinde ist.

So werden wir mit dem Geiste auch

zu Gliedern der Gemeinde getauft, und

der h. Geist ist daS Band,

daS uns Alle zusammenhält und uns zu einem einigen und geschloffnen Ganzen verbinden soll.

Ein Leib und Ein Geist, wie wir auch

berufen sind auf einerlei Hoffnung unsers Berufs.

Die Taufe

mit dem h. Geiste ist eine Taufe für Gottes Reich; und sind wir mit dem Geiste getauft und steht uns in ihm daS Bild des Herrn und Königs in diesem Reiche, des Heilands der Welt, vor den Augen, ist er unser Leben und unsre Liebe:

dann lassen wir auch nicht ab, soviel an uns

ist, danach zu trachten, daß uns das Gottesreich immer näher komme, und Christus in ihm verherrlicht werde.

Diese Verherrlichung tritt aber

nur ein in der Macht seiner Wiederkehr, und glauben wir nicht an diese Wiederkehr: so sind wir auch nicht fähig zur Arbeit für GotteS Reich und es gebricht uns

auch

an der Kraft dazu.

Kehrt er nicht

wieder: so ist er auch nicht der wahrhaft Lebendige und vermöchte nicht zu erfüllen, was er uns Zugesagt: Ich bin bei Euch alle Tage bis an der WeltEnde. gegenwärtig sein.

Denn nur als der Wiederkehrende kann er auch

Ja es ist selbst der wiederkehrende Christus, der unS

mit dem h. Geiste tauft. unS. ferne,

Denn er tauft uns doch nicht als der von

sondern als der und nahe und

bei uns ist.

Aber die

Kraft, in welcher er bei uns ist, geht von dem Leben aus, daS in sei­ nem Wandel auf Erden uns offenbar geworden, es ist die Kraft Dessen, der für uns gelitten hat und gestorben ist.

Nur als der Wiederkehrende

ist Christus der Herr der Zukunft, der Zukunft in seinem Reich; und glauben wir nicht an seine Wiederkehr: so

erkennen wir auch die Auf­

gaben nicht, die für die Zukunft gestellt sind, und der Fortschritt der Zeiten, die höhere Vollendung der Welt-, worin Christus immer mehr seine Herrlichkeit offenbaren will,

bleibt unS unbekannt und verborgen.

297 Wir haben dann die christliche Hoffnung nicht. in uns, sind wir

getauft mit ihm:

Lebt aber der h. Geist

da müssen wir auch von einer ge­

wissen und lebendigen Hoffnung erfüllt und getragen sein, von einer Hoffnung, deren Licht nicht verlischt, wenn eS auch dunkel und finster ist um uns her. sal zu

Mögen wir auch Leidende sein, und mit Noth und Trüb­

kämpfen haben: wir verzagen nicht.

Denn der Geist ist mit

unS, der stärkt und tröstet uns, der hilft unsrer Schwachheit auf, und gibt unS Muth in das bange Herz.

Denn wir halten mit dem Apostel

Paulus dafür: daß die Leiden der Zeit nicht werth sind der Herrlichkeit, die auch an uns soll offenbaret werden, und mit heiliger Zuversicht harren wir auf unsre Erlösung.

Und vermöchten wir

nicht mehr zu beten, und wollen unsre zum Himmel gerichteten Augen brechen: da vertritt uns der Geist aufs Beste mit Seufzern, die unaus­ sprechlich

sind.

Ja

selbst sterbend

erringen wir den Sieg des Lebens,

des Lebens, das über den Tod hinausliegt.

Ja gewiß, m. Lieben, sind

wir mit dem h. Geiste getauft: dann lebt in uns eine Hoffnung, die uns Niemand entreißen kann und deren Licht uns in Christo entgegenstralt, in ihm, der selbst die Hoffnung der Herrlichkeit ist.

So schließen

wir denn auch mit dem demuthsvollen und inbrünstigen Gebete zu Jesu Christo, der den Geist vom Vater und senden will. Ja Herr, wir kom­ men bittend zu Dir, mit dem

und flehen um Deine Gnade.

heiligen Geiste,

daß wir

Taufe auch uns

hoffnungsvoll und ausgerüstet mit

Deiner Kraft, mit der Kraft Dir nachzufolgen,

durch den Kampf hie-

nieden hindurchdringen mögen zum ewigen Leben und da fein, wo Du bist, im Reich Deiner Herrlichkeit.

Amen.

XXX.

Wie uns Christus mit dem heiligen Geiste und mit Feuer taust. II. Die Feuertaufe. Predigt am zweiten Pfingstfeiertage 1857 üb. Matthäus 3,11.

Der heilige Geist, der ein Geist der Herrlichkeit und GotteS ist, ruhe auf Euch und wirke in Euch und uns Allen, daß wir frei werden von dem Dienste deS vergänglichen Wesens, und also geheiligt vor dem Herrn, auch bestehen mögen in seiner Zukunft. Amen.

Dieselbe Stelle der h. Schrift, die wir unsrer gestrigen Betrachtung zum Grunde legten, soll uns auch heute zum Texte dienen. Es ist ein Ausspruch Johannes des Täufers. Wir lesen ihn in der evangelischen Geschichte des Matthäus 3, 11 also: „Ich taufe euch mit Wasser zur Buße; der aber nach mir kommt, ist stärker, denn ich, dem ich auch nicht ge­ nugsam bin, seine Schuhe zu tragen; der wird euch mit dem heiligen Geist und mit Feuer taufen." Hilf uns, o Herr, daß wir, mit dem h. Geiste von Dir getauft, auch die Taufe mit dem Feuer nicht fürchten dürfen. Dazu segne auch diese festliche Andacht und laß das Wort, welches ich hier in Deinem Namen

299 und als das Deine verkündigen soll, nicht verloren sein,

sondern eine

Frucht bringen zum ewigen und seligen Leben! Amen.

Die Taufe Christi mit dem heiligen Geist und mit Feuer: das ist, m. Gel., der Gedanke, der uns vor Allem in unsrem Texte entgegentritt, und dessen Gewicht schon in den mächtigen Worten sich kund thut.

So haben wir es denn auch zum Gegenstände unsrer Festbetrach­

tung gemacht:

Wie Jesus mit dem heiligen Geist und mit Feuer tauft. Da aber der Inhalt dieses Gedankens so groß und reich ist: so konnten wir gestern unsre Aufgabe nicht vollenden, der Taufe mit dem

und haben daher nur von

heiligen Geist gesprochen, und es darzulegen

gesucht, was es damit für eine Bewandtniß habe, und in welchem Sinne sie

zu verstehen ist.

Wir sahen, wie Christus nur die Macht dieses

Taufens hat, weil sein ganzes Leben, in Gedanken, in Wort und That, nur das Leben aus dem h. Geiste, aus dem klaren und innersten Gottes­ bewusstsein war, und also auch nur er uns die Gabe des Geistes ver­ leihen kann.

Wir kommen aber zu dieser Taufe nicht, wenn kein Ver­

langen nach ihr in uns lebt und wir uns nicht nach dem Geiste sehnen; und Christus taust uns mit dem heil. Geiste, nur wenn wir uns als Gläubige zu ihm wenden und unsre Herzen der Liebe aufthun.

Und

wir sind getauft, wenn das Licht der Wahrheit in Jesu Christo auch unS erleuchtet, wenn der Wille des BaterS unsre geistige Speise ist und wir Nichts suchen, als das Werk des Sohnes Gottes zu thun, und seine Zukunft, die Zukunft in seinem Reiche das höchste und heiligste Ziel unsers Strebens

ist.

Wie aber der h. Geist einen unendlichen Reich­

thum in sich schließt, und die unerschöpfliche Quelle göttlicher Güter ist: so ist auch die Taufe mit dem heil. Geist in einem besondren Zeit­ punkte nicht vollendet,

sondern sie soll sich

fortfttzen durch das ganze

Leben hindurch, so daß der Geist immerdar und immer reicher uns zu­ strömt, bis

sich Christus in seiner ganzen Herrlichkeit offenbaren wird.

Die Taufe mit Feuer aber haben wir nicht schon näher betrachtet, und es bleibt uns für heute noch übrig, es uns klar zu machen und zu beschreiben:

Wie Christus auch mit Feuer tauft. Ist nun die Taufe mit Feuer

allerdings nicht dieselbe, als mit dem

300

heiligen Geiste: so dürfen wir doch einen Zusammenhang, in welchem die eine mit der andern steht, nicht verneinen. Wir müssen nun aber genauer zusehn: wie eS sich damit verhalte.

Die Taufe mit dem h. Geist und mit Feuer hat man nicht fetten in eine solche Verbindung gebracht, daß das Eine nur eine nähere Be­ stimmung deS Andren sei, und damit entweder der Geist als feurig, oder das Feuer als geistig bezeichnet werde. Nun hat allerdings der h. Geist auch ein Feuer in sich, und ist zugleich eine feurige, das innere Leben entzündende und die Menschen hinnehmende und ergreifende Macht. Darum begannen auch die Apostel, als sie am Tage der Pfingsten er­ füllt wurden von dem h. Geist, mit feurigen Zungen zu predigen. Und ebenso geht auch das Feuer, mit welchem Christus taust, von dem Geiste aus, und es ist des Geistes Macht, die darin waltet und wirkt. Doch hat jedes von beiden, der Geist sowvl als das Feuer, auch seine eigne Bedeutung, und es ist jedes für sich zu nehmen. Darauf führt uns auch unverkennbar der Fortgang der Rede des Täufers hin. -In den auf den Ausspruch unsers Textes unmittelbar folgenden Worten stellt er nämlich Christum dar, die Wurfschaufel in der Hand, und schildert uns ihn, wie er seine Tenne fegen und den Weizen in seine Scheuren sammeln, die Spreu aber mit ewigem Feuer verbrennen werde. Offenbar ist hier das Feuer genannt, als wo­ durch ein Strafgericht sich vollzieht. Ohne Zweifel aber hat der Ge­ danke, den er schon vorher, als er von der Taufe mit Feuer sprach, im Sinne hatte, ihn auf diese Schilderung hingeführt. Und so lässt sich wol nicht bestreiten, daß Johannes mit der Feuertaufe auf die rich­ tende Macht Jesu Christi hinsieht. Das Feuer ist gedacht als ein schei­ dendes und verzehrendes Element, durch deffen Gewalt das Unreine einer Maffe aufgelöst und ausgebrannt wird, gleichwie eS auch die Metalle schmilzt und dadurch die Schlacken von ihm geschieden werden. Welcher Art soll dann aber der Zusammenhang mit der Taufe des Geistes sein? Geht nicht vom h. Geist nur eine wohlthuende Wirkung aus? — und als die von Christo mit dem h. Geist Getauften sind wir doch auch wol die Erlösten und die Beseligten. Faffen wir nämlich daS Leben als in den Geist ganz hineingestellt, als in ihn eingegangen, als nur von ihm erfüllt und bewegt: so muß es auch ein Leben deS Heils und des Friedens, ein Leben der Freiheit sein. Denn der h. Geist

301

macht uns zu Kindern Gottes; durch ihn ist die Liebe ausgegoffen in unser Herz, und wo der Geist des Herrn ist, da ist auch Freiheit. Aber die Zahl Derer, die von dem Geiste getrieben, ihm nur dienen und leben, ist nicht eben groß, und bei den Meisten drängt sich neben den Trieben und Regungen des h. Geistes noch ein andrer und entgegengesetzter ein, der die Wirkungen des ersteren verkümmert und unselige und schmerzliche Gefühle in's Leben bringt. In dem h. Geist, in dem Geiste Gottes, in dem Geiste, von dem der Apostel Paulus sagt: daß er der Herr sei, und der allen menschlichen Geist überragt, ruht aber auch eine rich­ tende Macht, und wo ihm ein feindliches und unheiliges Wesen entgegen­ tritt, wo der Geist der Welt gegen ihn aufsteht: da übt er auch ein strafendes Recht. So erhebt der Herr schon in dem ältesten Buche der h. Schrift seine klagende Stimme, daß die Menschen, als die Sünde in der Welt überhand genommen, sich durch den Geist Gottes nicht mehr strafen lassen wollen. Und wenn uns der Apostel Paulus ermahnt, den hei­ ligen Geist Gottes nicht zu betrüben: so will er uns damit nur be­ wahren, daß die Strafe des Geistes uns nicht treffen möge. Indem er aber von einem Betrüben des h. Geistes spricht: so liegt darin eine Andeutung, daß auch der h. Geist in-seinem tiefsten und innersten Wesen ein Geist der Liebe, und es ein schmerzliches Amt für ihn ist, zu strafen, dem er gern überhoben wäre. Das Gericht aber, waS als Gottes Ge­ richt aüch nicht bloß als ein äußerlicher Hergang zu denken ist, sondern auf einem innern und ewigen Grunde ruht, geschieht und vollzieht sich nicht ohne den Geist. Das Gericht Gottes geht ebenfalls vom Geiste aus. Es ist keine fremde Macht, die als die richtende über das Leben kommt; es ist ein heiliges Gesetz, was Gott selbst in das Leben hinein­ gelegt, und was von ihm untrennbar ist. Darum kann sich Niemand dem Gerichte entziehn, und wir gehen ihm unausbleiblich entgegen. Gott spricht das Urtheil in uns selbst, und es trifft uns dadurch um so stärker und schlagender. Insofern es aber ein Gericht ist, was sich von Innen vollzieht: da hat es Gott nach seiner Liebe und Gnade also geordnet, daß wir dem Strafgericht nicht verfallen dürfen, wenn wir den richten­ den Geist in uns wirken fassen, wenn wir selbst uns richten und von uns ausscheiden, was vor dem h. Geiste nicht bestehen kann. So wir uns selber richteten, spricht darum der Apostel Paulus, so wür­ den wir nicht gerichtet, und die Berdammniß käme nicht über uns. Ruht also in dem h. Geist selbst eine richtende Macht: so werden

302 wir das Feuer, womit Christus uns taufen will, das Feuer des Gerichts, auch wol als ein Feuer des Geistes uns denken dürfen.

Die Taufe

aber, auch die mit Feuer, geschieht durch Christum, weil dieses Feuer sich nur an dem Geiste entzündet, der sich in Christo geoffenbart.

Und

gilt es bei diesem Feuer eine richtende Macht: so wissen wir ja, daß der Vater dem Sohne das Gericht übergeben hat, weil das Licht, das durch und durch von Gott erleuchtete Leben, in ihm erschienen.

Denn

das ist das Gericht, sagt Jesus selbst, daß das Licht in die Welt gekommen, was alle Finsterniß von sich scheidet.

Haben wir hier aber' das Feuer, womit Christus tauft, erkannt, als selbst zum Geiste gehörig und von ihm ausgegangen: so würden wir es nur als ein bezeichnendes und bedeutsames Bild zu verstehen haben von seiner Macht und Gewalt, und zwar nicht als einer zerstörenden, sondern, wie wir schon angedeutet, die sich des Lebens bemächtigen, die die Welt mit sich fortreißen, und sie mit göttlichen Schöpfungskräften durchdringen und sie verklären will.

Der h. Geist hat allerdings, wie

wir sagten, auch in sich selbst ein Feuer, und seine Kraft, als aus (Sott, verzehrt sich nicht, sondern bricht stets mit neuer Stärke hervor und er­ greift die Welt, und entzündet die Seelen der Menschen, so daß sie nicht widerstehen können.

Es ist ein Feuer, worin sich der Geist auch als

ein Geist der Herrlichkeit offenbart.

Der heilige Geist aber als Got­

tes Geist, will der einige Herrscher sein und seine Herrschaft mit keinem Andren theilen, und kann es auch nicht, weil er sonst gegen sich selbst streiten und sein Wesen verläugnen müsste.

Denn was neben dem Geiste,

als dem heiligen herrschen will: das könnte nur ein Ungöttliches und Unheiliges sein.

Das wäre, um es mit einem Wort zu bezeichnen, wie

es die Schrift nennt, das Fleisch, Alles, was nur nach Dem trachtet, was auf Erden ist, und der Eigenliebe und Selbstsucht nur dienen will. Denn das Fleisch gelüstet wider den Geist, und will nichts von ihm

wissen.

Das wäre die Welt.

Die Welt aber hat auch nur das

Ihre lieb und ist dem Geiste nicht hold.

Ließe der Geist noch einen

andern Herrn neben sich zu: so wäre sein Leben, seine Herrschaft ge­ brochen.

Darum sieht er nicht gleichgültig zu und duldet das ungöttliche

Wesen nicht, was sich neben ihm hinstellen will, sondern bekämpft es mit aller Macht.

Doch sind seine Waffen immer nur geistige.

der endliche Sieg kann ihm nicht gebrechen.

Aber

Denn es ist ja der Geist

303 aus Gott, dem allein Gewaltigen, und er ruhet und rastet nicht, bis ihm alle seine Feinde zu Füßen liegen. er, daß

Als der Geist des Lebens will

alles Todte vernichtet werde, will Alles in das Gebiet seiner

heiligen und seligen Herrschaft ziehn.

So ist er auch in Christo, dem

Gottessöhne der siegende, und der Fürst der Welt vermag nichts ge­ gen ihn. Sind wir nun durch Christum mit dem h. Geist getauft: er zunächst in uns selbst seine richtende Macht, nicht sein ist.

so übt

und scheidet aus, was

Denn wir wißen, daß wenn auch durch Christum der

Geist in uns aufgegangen, er doch nicht auf einmal uns ganz durchdringt. Sind wir dem Geiste auch zugewendet: so ist von der Seite des natür­ lichen Menschen doch noch Manches in uns verborgen, was vor ihm nicht bestehen kann, was vor seinem Lichte noch dunkel, was vor seinem hei­ ligen Auge noch unrein ist.

Und indem in der Welt, in welcher wir

leben, noch vieles Ungöttliche uns immer von Neuem berührt und oft unmerklich und ungesehen in uns Raum gewinnt: da

bedarf es auch

fortgesetzt eines scharfen und sichtenden Auges, um diese unreinen Mi­ schungen zu entfernen

und. sie von uns abzuthun.

Hat uns Christus

aber mit dem h. Geist getauft: da werden wir dann fortgesetzt ein Ge­ richt hallen mit uns selbst, damit wir nicht gerichtet werden. der h. Geist verzehrt

in uns selber ein Feuer sein,

Da soll

was alles Unreine in uns

und hinwegnimmt, so daß sich keine unheilige Beziehung noch

halten kann.

Da weisen wir allen Trug und allen falschen Schein, der

noch an uns haftet,

hinweg, und trachten, uns

nichtigen Werken zu reinigen. Buchstaben nicht noch täuschen.

von allen todten und

Da laßen wir uns auch von dem todten Der Geist der Wahrheit löst alles leere

und nichtige Wesen auf, macht von aller Menschenknechtschaft sich los, und

will dem

Herrn nur dienen in Freiheit

in der Finsterniß, sondern

und Gerechtigkeit, nicht

im Licht, im Lichte der Liebe.

Der Eifer

des Buchstabens aber ist ein blinder, und in seinem finstern vom Haffe des Geistes erfüllten Wahn,

meint er durch Verfolgung der Brüder,

Gott einen Dienst zu thun, und artet nicht selten in wilde Grausamkeit aus.

Von der Bekehrung mit dem Worte der Wahrheit weiß er nichts.

Schwert und Scheiterhaufen: das sind die. Waffen, womit er die Geg­ ner, die Gegner seiner unheiligen Tirannei bezwingen will.

Nein, das

Amt des Neuen Testaments ist nicht das Amt des Buchstabens, sondern des Geistes; und als Christen wollen wir nur im Dienste des Geistes stehn.

Hat uns Christus mit dem h. Geist getauft: da geben wir dann

304 auch nur ihm, als dem Herrn uns hin, daß er selbst mit der Macht feines Lebens, mit der Macht seines lebendigen GottesbildeS uns reinige und hinwegnehme, was ihm an uns nicht gefällig ist.

Denn wie schon

ein Prophet des alten Bundes uns sagt: Er ist wie das Feuer eines Goldschmiedes

und

wie die Seife

der Wäscher;

er

wird sitzen und

schmelzen und das Silber reinigen, er wird die Kinder Levi reinigen und läutern, wie Gold und Silber, daß sie dem Herrn Opfer bringen in Gerechtigkeit, die Opfer eines heiligen und gerechten Lebens.

So

wollen wir denn auch Christum, den Gottessohn, Gericht in und halten lasten, daß auch wir am Tage seiner Zukunft vor ihm leuchten möchten, wie Silber und Gold.

Die richtende Macht des Herrn tritt uns aber auch von Außen entgegen, und mit dem Feuer, was auf und eindringt, bezeichnet die hei­ lige Schrift auch nicht selten das Feuer der Trübsal, Alles, was wir um des Geistes willen und zu seiner Bewährung auf uns nehmen und dulden müssen, um uns zu beweisen, als die in ihm gegründet sind und fest stehen in dem Bekenntniß der Wahrheit.

Wir meinen die Leiden,

die um des Herrn willen in dem Kampfe mit der Welt und treffen, und die wir, wollen wir ihm die Treue bewahren und als die Seinen erfunden werden, nicht scheuen dürfen.

Nur die Getreuen aber em­

pfangen den Lohn des Herrn, den Lohn des ewigen und seligen Lebens. Kämen

aber die Drangsale auch nicht in Folge des Evangeliums über

uns, und hätten sie eine andre äußere Veranlassung, doch nicht so, daß wir durch eigne Schuld sie herbeigeführt, und nur die Strafe dulden müssten für unsre Sünde — denn da könnten wir gar nicht mit dem h. Geist getauft sein —: so würden wir sie doch willig zu tragen haben als eine Last, die uns zum Besten dient, und sie auch in Beziehung setzen zum Herrn, der uns dadurch prüfen und in Geduld und Erfahrung uns stärken und zu einer höheren Vollendung uns führen will.

Wie Jesus

es selbst gewesen: so sollen auch wir sanftmüthig und von Herzen demüthig sein.

Da werden wir Ruhe finden für unsre Seelen. Wir

müssen durch das Feuer der Trübsal hindurchgehn, um bewährt zu sein, wie selbst schon Sirach sagt: wie das Gold durchs Feuer, so werden, die Gott gefallen, durch daS Feuer der Trübsal bewährt.

So ermahnt

und ermuntert uns auch der Apostel Petrus, wenn wir in mancherlei Anfechtung traurig sein, doch festzustehn im Glauben, daß derselbe recht-

305 schaffen und viel köstlicher erfunden werde, denn das vergängliche Gold, das durchs Feuer bewähret wird, zu Preis, Ehre und Lob, wenn nun Jesus Christus geoffenbart wird.

Und auch der Apostel Paulus schreibt

an seinen Timotheus: die da gottselig leben wollen, müssen Ver­ folgung leiden. Es kommt nun aber Alles darauf an: wie wir in solchem Feuer bestehn, und daß wir durch dasselbe nicht Schaden leiden, sondern dar­ aus hervorgehen als die Geläuterten, die dann leuchten wie die Sonne, wie die Gerechten in ihres Vaters Reich.

Haben wir aber eine solche

Hoffnung, die Hoffnung der Herrlichkeit, eine Hoffnung die uns nicht zu Schanden werden lässt: wie sollten wir da nicht unerschrocken und muthig sein, und auch durch das Leid des Lebens, durch den Schmerz der Welt, durch Kummer und Traurigkeit, wenn sie Gott uns schickt, uns nicht beugen lassen, und bei allem Ungemach nicht verzagen und nicht weichen von Dem, der Alles für uns erduldet, Leiden zur Herrlichkeit führen will.

und uns durch

Ist er doch mit seinem himmlischen

Trost, mit dem Beistände seines Geistes immer bei uns.

Haben wir

doch in ihm den Frieden, den Frieden des Herzens, den Niemand uns rauben kann, und wohin wir uns flüchten können als in unsre himmlische Heimat.

Ruft der Herr ja auch selbst uns zu:

Den Frieden lasse

ich euch, den Frieden Gottes, der das köstlichste Gut unsers Lebens ist.

Meinen Frieden lasse ich euch, den Frieden den er gestiftet

hat und den wir in ihm als den lebendigen schaun, als den Frieden, den uns das Leben der Liebe gibt.

Nicht gebe ich euch, wie die

Welt gibt, die uns nur irdische und vergängliche Güter schenkt,, und im Tode uns treulos verlässt.

Nein, was uns Christus gibt, das bleibt

uns auch, und kann durch keine Macht der Welt uns entrissen werden. Die Gabe Gottes ist das ewige Leben in Christo Jesu unserm Herrn. Darum spricht Jesus:

Euer Herz erschrecke nicht und fürchte

sich nicht.

In seinem Frieden ist alles Bangen und Zagen hinweg­

genommen.

Wir sind getröstet im Herrn und eignen daS Wort uns zu,

was

er noch kurz vor seinem Hingang den Jüngern sagt:

In der

Welt habt ihr Angst; aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden; und wir, sind wir die ©einigen, überwinden sie auch mit ihm.

Wir halten fest an der Hoffnung, und das Bild der gött­

lichen Zukunft leuchtet erhebend in unser Leben herein, und verklärt unser Dasein im Lichte Gottes. Aber, — und das ist noch die ernste und erschütternde Mahnung, Schirmer, Fefipredigten.

20

SOG die wir von der Betrachtung der Taufe mit Feuer

nicht trennen

dürfen — wir sind nun auch immerdar eingedenk, daß wir dem Ge­ richt, dem letzten Gottesgericht nicht entgehen können, und mit jedem Tage unsers Lebens seiner Entscheidung entgegengehn.

So wird, spricht

der Apostel Paulus, eines Jeglichen Werk offenbar werden, der Tag wird's klar machen.

Denn es wird

durchs Feuer offenbar werden,

und welcherlei eines Jeden Werk sei, wird das Feuer bewähren.

Wird

Jemandes Werk bleiben, was er auf dem Grunde gebauet hat, außer welchem kein andrer gelegt werden kann: so wird er Lohn empfangen. Wird aber Jemandes Werk verbrennen: so wird er deß Schaden lei­ den. — Gebe Gott, daß Keiner unter uns das Feuer des Gerichts in solcher Weise erfahren möge. Wenn wir aber durch Christum mit dem heiligen Geist uns nicht taufen lassen, wenn wir ihm widerstreben, und uns auch nicht strafen lassen mögen durch Gottes Geist:

so tauft uns der Herr dann

mit

Feuer, mit dem Feuer seines göttlichen Strafgerichts. Von dieser Feuertaufe ist nun auch in unserm Texte die Rede, und es schließt sich dies an Aussprüche des Alten Testaments an, die es uns kund thun, daß der Herr auch mit Feuer kommt, und die Un­ gehorsamen, die Feinde Gottes auch von sich scheidet, und sie verstoßen bleiben von seinem Frieden, selbst von ihm geschieden. So wir

muthwillig

von seinem Heil.

Denn sie haben sich

Die Sünde ist es, die sie geschieden hat.

sündigen —

so lautet das

drohende Wort der

Schrift —, nachdem wir die Erkenntniß der Wahrheit empfangen ha­ ben: so haben wir kein andres Opfer mehr für die Sünde, sondern ein schreckliches Warten des Gerichts und des Feuereifers, der die Wider­ wärtigen verzehren wird.

Wo.l will Christus uns Alle beseligen; wer

sich aber nicht zu ihm wendet, wer ihn verachtet und von sich weist: den erfasst auch die richtende Macht, die das Leben des Gottessohns als des Lichts der Welt in sich hat, und die in unser Leben hinein­ reicht.

Wer nicht glaubt, und in diesem Unglauben, wo er Nichts hat,

als die vergängliche Welt, beharrt: der ist schon gerichtet; denn er glau­ bet nicht an den Namen des eingebornen Sohnes Gottes. Gott sei mit uns, m. Gel.,

dqß dieses Gericht uns nicht treffe.

Aber wir müssen uns auch selbst bewahren dadurch, daß wir den Schild des Glaubens ergreifen,

womit wir

auslöschen können alle

feurigen

Pfeile des Bösewichts. ^Denn gehören wir in Glauben und Liebe dem Sohne an, und folgen wir dem Zuge des Geistes, weichen wir nicht

307 von dem lebendigen Gotteswort, harren wir in Geduld und in Treue aus: dann vermag auch keine irdische Gewalt uns von Christo zu tren­ nen.

Wir sind die Begnadigten, wir sind durch den Sohn bei dem

Vater-, und werden ihn schauen in seiner ewigen Herrlichkeit! Amen.

I. Tauf mich mit der Geistestaufe! Ziehe mich, damit ich laufe! Taufe mich mit Geistesflammen, Die aus Deinem Himmel stammen, Daß ich glühe wie ich sollte; gieb’ ich doch nicht, wie ich wollte! Gib den Geist, der mich erneure, Daß ich wahre Pfingsten feite! Taufe mich mit Deiner Taufe; Ziehe mich, damit ich laufe! Gib den Geist, mir zu bezeugen, Daß ich Dir auf ewig eigen, Ja Dein Tempel, Deine Wohnung! — Du, der mit so großer Schonung Und Geduld mich hat getragen, Wollst mein Flehn mir nicht versagen. II. Tapf mich mit der Feuertaufe! Ziehe mich, damit ich laufe! Ach wie bin ich kalt und träge! Treibe mich, daß ich mich rege; Gib Dein Licht, das mich verkläre, Deine Glut, die Das verzehre, Was nicht durch und durch gereinigt, Noch sich fest mit Dir vereinigt. Taufe mich mit Deiner Taufe; Ziehe mich, damit ich laufe! Stärke meine schwachen Kräfte Zu dem Heiligungsgeschäste, Daß ich Dir, dem Ewigtreuen Leib und Seele möge weihen, Und in Deines Geistes Gaben, Lebensvolle Genüge haben!

XXXI.

Wie der heilige Geist nur auf Die herabkommt, die einmüthig bei einander sind, und wie er in ihnen wirkt. Predigt am ersten Pfingstfeiertage 1858 üb. Ap.gesch. 2,1-13.

Geist des Herrn, Du heiliger GotteSgeist, der Du der Schöpfer des wahren, seligen Lebens bist und uns das Himmelreich schauen lässest, das in dem Gottessöhne und erschlossen ist: komm herab auf uns, und erleuchte uns mit dem Lichte der ewigen Wahrheit, und gieße die Liebe Gottes in unsre Herzen, daß wir uns hingeben an Dich und an Deine Macht, und erfüllt von Dir auch nur Dein Werk schassen mögen, das Werk des Heils, welches nie untergeht und in eine ewige Zukunft hin­ überreicht.

Mache uns loS von den

schenke uns die herrliche Freiheit, Kinder Gottes.

unseligen Banden der Welt, und

die in Dir wohnt, die Freiheit der

Nimm alle Schwachheit von uns hinweg und rüste mit

Deinen Waffen uns aus, daß wir auch im Kampfe gegen die Feinde bestehen können und der Sieg des Lebens der unsere sei.

Kommt aber

Leid und Traurigkeit über uns, will uns bange werden: so erquicke uns mit Deinem Trost; richte und auf durch die Hoffnung auf die Erschei­ nung der Herrlichkeit unsers Heilandes Jesu Christi, und verwandle die Traurigkeit in Freude, die Niemand mehr von uns nimmt! Amen.

309 Niemand, spricht der Apostel Paulus, kann Jesum einen Herrn heißen, ohne durch den heil. Geist. das

Besteht nun, m. Gel.,

wahre und lebendige Christenthum nur in der

Christi, des Sohnes Gottes, sind wir

seligen Herrschaft

erlöst, nur wenn Christus als

daß lebendige Gottesbild in uns lebt und herrscht, und ist es nur der heil. Geist, der uns dazu verhilft, und durch welchen Christus als der Herr in uns mächtig wird, weil er selbst nur der Geist, das volle gott­ bewusste und gottgeheiligte Leben ist: so haben wir ohne den heil. Geist auch kein wahres und lebendiges Christenthum.

So war es auch der

heil. Geist, der die ersten lebendigen Christen schuf und durch dessen Aus­ gießung die Jünger Jesu erst tüchtig wurden, als seine Boten, als die Boten des göttlichen Heils in die Welt zu gehen. der Pfingsten

einmüthig

bei einander waren,

himmlische Gotteskraft, die das

Erst seit sie am Tage

ergoß sich über sie die

ganze Leben erneuen und verwandeln

und die Welt zum Reiche Gottes verklären soll. So

feiert denn die christliche Kirche in dem Feste der Sen­

dung des Geistes ihr Stiftungsfest.

Sowie sie aber in dem hei­

ligen Geiste begründet ist: so besteht sie auch nur in der Kraft des h. Geistes fort und kann nur durch ihn zur Vollendung kommen. Geist mehr ist, da erstirbt auch das Christenthum.

Wo kein heiliger

Aber durch den heil.

Geist hat das Christenthum auch in sich eine ewige Dauer, eine unzer­ störbare Lebensmacht.

Das Christenthum, als das Leben des Geistes

Gottes, der in sich selbst unsterblich und ewig ist, kann nicht veralten. Das Alte

ist vergangen, sagt daher auch der

Apostel Paulus,

Alles ist neu geworden und dieses Neue kann nicht wieder vergehn. Und so reicht auch das Christenthum, indem es aus dem h. Geiste immer neue und höhere Offenbarungen der göttlichen Liebe an's Licht bringt, in eine unvergängliche Zukunft hinüber und erschließt unS den Blick in die ewige Gotteswelt.

Kann nun das Christenthum, kann der Friede

Gottes in Jesu Christo ohne die Gabe des h. Geistes nicht in uns le­ bendig werden, gewinnen wir Christum nicht zum Herrn unsrer Selig­ keit ohne durch den h. Geist: so muß es uns nun auch aufs Höchste am Herzen liegen, daß der h. Geist auch herabkomme auf unS und in uns seine Wohnung nehme. gelangen wir dazu?

Wie

aber, — das

ist die wichtige Frage —

Wie sind wir fähig und was macht uns dazu ge­

schickt, den h. Geist zu

empfangen?

Denn so von selbst und ohne all'

unser Zuthun wird er doch nicht der unsrige.

Da gibt uns nun unsre

heutige Festepistel eine erwünschte Antwort auf diese. Frage und gleich

310

die ersten Worte weisen uns darauf hin. Wir legen also die Epistel, worin uns Lukas das Pfingstwunder in begeisterten Worten erzählt, zum Grunde unsrer Betrachtung. Sie lautet im 2. Kap. vom 1. bis 13. Verse der Apostelgeschichte also: „Und als der Tag der Pfingsten ... sie sind voll süßen Weins."

Sie redeten, weil der h. Geist sie ergriffen hatte. Es waren keine irdische, sondern himmlische Stimmen, die sich in ihnen vernehmen ließen. Gebe Gott, daß heute auch zu uns eine Stimme vom Himmel komme, die uns wieder zum Himmel zieht. Dazu, heiliger Vater, segne auch unsre festliche Andacht, und gieße die Kraft des h. Geistes auch aus über uns, daß unser ganzes Leben ein Preis Deiner Wahrheit und Liebe sei! Amen. Seitdem Jesus, m. Gel., von seinen Jüngern geschieden und zum Vater heimgekehrt war, war ihre Seele in verlangender Liebe ihm zu­ gewandt und sie waren stets einmüthig bei einander und warteten mit Beten und Flehn, daß die Verheißung, die er ihnen vom Vater gegeben hatte, sich erfüllen werde. Und so geschah es auch. Als der Tag der Pfingsten gekommen und sie ebenfalls Alle einmüthig bei einander waren: da trat eine gewaltige und. erschütternde Bewegung vom Himmel ein, und feurige Stralen leuchteten um sie her und sie wurden Alle voll des h. Geistes. So beschreibt es Lukas, wie der h. Geist plötzlich auf sie herabkam und sie von himmlischen Kräften ergriffen wurden und sie zu predigen begannen mit neuen Zungen, und die neue in ihnen aufgegan­ gene GotteSwelt mit wunderbarer Gewalt verkündigten. — Da dürfen wir nun aber nicht übersehen, daß dies geschah, da sie Alle einmüthig bei einander waren. So gering diese Worte auch scheinen mögen: so haben sie doch eine besondere Bedeutsamkeit; denn sie enthalten eben die wesentliche Antwort auf die Frage: Was uns geschickt und fähig macht, den heil. Geist zy empfangen? Nach dieser Antwort suchen wir ja; und eS ist uns ganz besonders um diese Antwort zu thun, weil ohne den h. Geist auch das Christenthum nicht in uns lebendig ist. Die gedachten Worte sagen es unS nun, daß der heil. Geist nur auf Die herabkommt und in ihnen wirksam wird, die einmüthig bei einander sind. Das wollen wir nun aber/noch etwas näher ins Auge fassen, und es wird uns dabei auch der übrige Inhalt unsrer Pfingstepistel zu Hülfe kommen. —

311 Wie der heil. Geist nur auf Die herabkommt, die eiumüthig bei einander sind, und wie er in ihnen wirkt — das soll also der Gegenstand unsrer Betrachtung sein; — das wollen wir, soviel an unS ist, zu erkennen suchen und Gott selbst bitten, daß er uns auch dabei mit seinem heil. Geiste erleuchten möge.

Der heil. Geist kommt nur auf Die herab, die einmüthig bei einander sind.

Das sehen wir an der wunderbaren Pfingst-

begebenheit, wie sie uns von Lukas berichtet wird.

Wir würden aber

den innern Grund und Zusammenhang nicht einzusehen im Stande sein, wenn uns das Wesen des heil. Geistes verborgen wäre. Nun ist es freilich nicht möglich, ihn von Außenher zu beschreiben, und mit dem bloßen Wissen dringen wir in den heil. Geist nicht ein. Haben wir ihn nicht irgeydwie in uns erfahren, sind wir in uns selbst von ihm leer: so würde auch jede Lehre uns unverständlich bleiben.

Aber

Gott hat ihn schon ursprünglich in unsre Herzen gesenkt, und vermöchte ich nicht hinzuweisen auf Das, was uns das eigne Lebensbewusstsein be­ zeugen muß und was wir durch unsre göttliche Abkunft verborgen scholl in uns tragen: so würde auch meine Rede unternommen an Euch vor­ übergehn und in Euch keine Stätte finden.

Der heilige Geist ist das

innere Band, welches unser Leben schon ursprünglich mit Gott verknüpft; eS ist der geheime Zug, womit der Vater, von welchem wir ausgegan­ gen^ uns zu sich zieht.

Wenn der h. Geist aber schon in uns ist: wie

können wir denn davon sprechen, daß er erst auf uns Herabkommen soll? Er ist in uns, m. Lieben, aber noch verborgen und unerkannt, und ver­ deckt von dem Geiste der Welt, von dem selbstischen Geiste, der zuerst und von Natur in uns Raum gewinnt.

Wahrhaft inne haben wir den

h. Geist erst alsdann, wenn er in und frei und lebendig, wenn er die Macht unsers Lebens geworden ist.

Darum müssen wir auch, obwol er

in uns ist, doch erst nach ihm trachten und ringen, und wir können seiner nicht mächtig werden, so lange wir nicht den Geist der Welt überwun­ den haben.

Als von Gott kommt er aber auch immer nur von Oben

auf uns herab, und wirkt Gott nicht auch in uns mit seiner Kraft: so können wir für uns allein ihn uns auch nicht zu eigen machen. wäre es auch wieder nicht Gottes Geist.

Sonst

Schauen wir nun aber auf

ihn hin, wie der Gottessohn Jesus Christus, dessen ganzes Leben das Leben des h. Geistes war, ihn uns verkündigt hat: so ist eS uns auch

312 nicht vorenthalten, vom h. Geiste zu predigen und zu lehren. langen wir nur nach ihm, wenn

Und ver­

auch in Schwachheit, haben wir nur

seine''Erstlingsgabe gekostet und sind wir es

inne geworden, daß der

Geist der Welt uns den ersehnten und schmerzlich entbehrten Frieden nicht geben kann: so wird die Predigt vom h. Geist uns doch keine fremde sein und uns zum Herzen dringen.

Der heilige Geist ist.der Geist der

Wahrheit, der Wahrheit Gottes, womit keine Lüge und kein ung'öttliches Wesen bestehen kann.

Es ist der Geist, der in alle Wahrheit leitet;

denn er redet nicht von sich selbst, sondern nur, was er hören wird, was er von Gott vernimmt, das wird er reden und verkündigen, und so führt er uns in die wahre Welt Gottes

ein, und so wirket und schafft er auch

nichts Anderes als Gottes Werk.

Es ist der Geist, der Christum ver­

klärt und ihn im Lichte der Wahrheit erkennen lässt als den Sohn des lebendigen Gottes.

Er nimmt es selbst von dem Seinen, weil Alles

was der Vater hat, auch das Seine ist und verkündigt es uns, daß wir in ihm auch unser Eigenthum sehen sollen.

Der h. Geist ist der Geist

der Freiheit, der aller Knechtschaft ein Ende macht und uns erlöst von den Fesseln, womit die Welt uns gefangen hält.

Das ist aber nicht

etwa die Freiheit, die da Raum gibt dem Eigenwillen und noch das Ihre sucht, sondern die himmlische Freiheit der Kinder Gottes, die sich nur frei und selig fühlen, wenn sie beim Vater und im Besitz seiner Liebe und Gnade sind.

Der h. Geist ist der Geist der Liebe, die alle

Trennungen aufhebt und die uns Alle als Kinder des Einen himmlischen Vaters zusammenschließt; der Geist der Liebe, die aller Selbstsucht ein Ende macht und allen Haß und alle Feindschaft hinwegnimmt; der Liebe, die nur den Frieden sucht, den Frieden um Gotteswillen, die aber auch für diesen Frieden zu dulden weiß, die durch Nichts sich erbittern lässt, sondern willig sich hingibt und doch Alles glaubet und Alles hofft. — Der h. Geist ist der Geist der Stärke und Herrlichkeit, wo alle Schwach­ heit von uns gewichen ist und wir uns angethan fühlen mit der Kraft aus der Höhe, die uns nie unterliegen lässt, und auch im Kampfe des Lebens den Sieg verleiht, den Sieg, der selbst den Tod überwindet. Da ist es nun, m. Gel., wol offenbar, daß dieser heilige Gottesgeist der Schöpfer des Lebens, des wahren seligen Lebens ist. wir

im Besitz dieses

Geistes

sind,

geht

das wahre Leben

Nur wenn uns

auf.

Ohne den h. Geist erlangen wir auch den Eingang in das Reich Got­ tes nicht.

Denn dieses Reich ist ja nur Friede, Freude und Ge­

rechtigkeit im h. Geiste; und kommt das Leben nur im Gottesreiche

313 zu seiner Vollendung: so wären wir von dieser Vollendung auch aus­ geschlossen, wenn wir keinen Theil haben am h. Geiste.

So erkennen

wir hier aber auch, wie es uns aufs Höchste darum zu thun sein muß. den h. Geist zu erlangen, und wie alles wahre und ewige Lebensgut uns verloren geht, wenn wir vom heil. Geiste verlassen sind. Wir haben es nun aber schon ausgesprochen und unsre Psingstepistel sagt es uns einfach und klar, daß er nur auf Die herabkommt, die einmüthig bei einander sind.

Das ist also die Bedingung, ohne

die wir auf die Gabe des h. Geistes nicht hoffen dürfen. alles Gewicht.

Darauf liegt

Nur das einmüthige Beieinandersein schließt unsre

Herzen dem h. Geiste auf.

Diese Einmüthigkeit, denken wir sie in

ihrer höchsten Vollkommenheit, ist wol selbst wieder das Werk des heil. Geistes, wie auch der Apostel Paulus deshalb ermahnt:

fleißig zu

halten die Einigkeit im Geist durch das Band des Friedens. Um aber des Geistes theilhaftig zu werden, muß doch auch eine Ein­ mütigkeit,

ein Band der Liebe bereits vorhanden sein, wenn es auch

dann durch die Macht des h. Geistes noch höher erleuchtet und stärker befestigt wird.

Was war es denn aber für eine Einmüthigkeit, in welcher

die Jünger des Herrn bei einander waren, als sie vom h. Geiste er­ griffen wurden?

Es war die gleiche Gesinnung, die gleiche Liebe, die

sie gegen ihren Herrn und Meister, der von ihnen zum Vater gegangen, im Herzen trugen.

Nur der Gedanke an ihn erfüllte ihre verlangende

Seele; nur zu ihm, dem Erh'öheten schauten sie auf, und harrten der Verheißung, die er ihnen gegeben hatte, entgegen.

Sie waren einmüthig

bei einander mit Beten und Flehn und stärkten und trösteten sich durch die gemeinsame Anbetung.

Sie waren einmüthig bei einander; denn sie

waren Eins in dem Glauben an den gekreuzigten und auferstandenen Gottessohn, in dem Glauben an die Gotteswelt, die in Christo sich ihnen ausgethan.

Und so erfüllte sich nun auch, was ihnen Christus vor sei­

nem Hingange zugesagt, und der Geist Gottes kam über sie. Sowie auf die Apostel kommt der h. Geist aber auch nur auf uns herab, wenn wir einmüthig bei einander sind.

Können

wir nun auch nicht in derselben Weise wie sie, bei einander sein: so ist es doch innerlich kein verschiednes.

Einmüthig bei einander sind wir

auch nur, wenn uns ein Band der Liebe zusammenhält; und soll diese Liebe uns für die Gabe des h. Geistes empfänglich machen: so muß sie auch eine dem himmlischen Vater zugewendete und in der Andacht zu ihm sich stärkende Liebe sein.

Aber auch die Liebe zu Christo darf nicht

314 fehlen, wenn wir einmüthig bei einander sind.

Denn ist es selbst nur

der Gottessohn, der den h. Geist vom Vater uns senden will: so wer­ den wir dazu nur bereitet sein, wenn unsre Herzen auf ihn gerichtet sind und wir in dem hoffenden Verlangen nach ihm uns auch unter einander zusammenschließen.

Wir sind einmüthig bei einander, wenn uns Allen

nur Eins vor der Seele steht, wonach wir suchen und trachten als nach dem besten zu erringenden Lebensgut, und uns gegenseitig stärken und stützen, nicht müde und matt zu werden; wenn wir den besten Lohn darin finden, uns immer nahe zu

sein mit dem Dienste der helfenden Liebe.

Es waren heilige Versammlungen, in welchen die Apostel und alle die Ihrigen sich vereinigten.

Da dürfen wir es nun aber auch nicht für

gleichgültig ansehen, daß wir diese Versammlungen lieben und zusammen­ kommen im Hause des Herrn, wo wir umgehen mit seinen Verheißungen, wo wir abgezogen von der irdischen Zerstreuung der Welt in uns ge­ sammelt, und unsre Herzen aufgethan sind den Offenbarungen Gottes. Ist uns das Haus des Herrn nicht auch eine liebe Wohnung, und zieht es uns nicht zu ihm hin, das Wort des Lebens, das Wort der göttlichen Liebe in uns aufzunehmen: da fehlt uns auch die Empfänglichkeit für den h. Geist.

Sind wir aber einmüthig bei einander und erbauen wir

uns an dem Bilde der Liebe deö Herrn: so zieht uns dies selbst nach dem h. Geist hin, und unsre Herzen erschließen sich ihm und er wird zu uns herabkommen und unS beseligen; denn er ist ja selbst nur der Geist der Liebe, und er zieht auch nur in liebende Herzen ein. — Kommt er nun aber auf unS herab: so erfüllt sich dann erst die Sehnsucht, die in dem einmüthigen Beieinandersein und treibt und bewegt.

Dann haben

wir erst gefunden, wonach wir suchten, und in dem h. Geiste, in dem Geiste, der alles Bangen und alle Dunkelheiten auflöst, der uns mit dem ewigen Lichte erleuchtet und uns, neue himmlische Kräfte schenkt, geht uns ein Friede und eine Freude auf, die Niemand mehr von uns nimmt.

Unsre Pfingstepistel weist nun

aber noch näher uns darauf hin,

daß der h. Geist nur vom Himmel kommt, und jeder Zug der Beschrei­ bung des göttlichen Wunders führt uns tiefer in das selige Geheimniß hinein.

Es geschah ein Brausen vom Himmel als eines ge­

waltigen Windes und erfüllte das ganze Haus.

Das ist die

mächtige innere Bewegung, die dem Kommen deö Geistes vorangeht, die innerste Bewegung der Seele, die aus dem Gottverlangen entspringt, was

315

immer mächtiger uns ergreift und uns hungern und dürsten lässt nach der Gerechtigkeit Jesu Christi, eine Bewegung, die wir uns selbst nicht zu deuten wissen, weil sie uns unmittelbar und plötzlich erfasst, gleichwie der Wind, dessen Sausen du wol hörst, aber nicht weißt, von wannen er kommt und wohin er fährt. Das Kommen des Geistes ist Eins mit der neuen Geburt, die auch kein Werk unsers Erkennens und Denkens ist, sondern unmittelbar aus Gott geschieht und aus seiner Macht, mit welcher er in uns wirkt und uns seine himmlische Gnade erfahren lässt. Das Brausen des Windes erfüllte das ganze Haus. Denn ist es der h. Geist, der auf uns herabkommt: so geht die Bewegung auch durch Alle hindurch, die einmüthig bei einander sind, und sie fühlen sich Eins als eine Gemeinde des Herrn. Denn der h. Geist ist kein vereinzelter oder für Einzelne, sondern der Geist der Gemeinde, die sich Eins weiß in ihm. Darum wurde er auch der Stifter der Kirche Christi, worin ja auch alle Glieder unter dem Einen göttlichen Haupte zu Einem Leibe geschloffen sind, und auch nur wirken mit einander und für einander. Kommt aber der h. Geist auch wol herab auf Einzelne, ja auf Jeden, der den Vater darum zu bitten weiß: so ist es doch nur der Geist der Gemeinschaft, der Gemeinschaft der Heiligen und die ihn empfangen, fühlen auch dem Ganzen sich zugewendet, umfassen im Geiste Alle, die der Herr zu seinem Heile berufen hat und leben und wirken für sie. Sie sind die Bauleute am Reiche Gottes. Unsre Pfingstepistel lässt uns aber auch noch in das himmlische Walten und Wirken des h. Geistes hineinschauen. Man sah an den Aposteln die Zungen, als wären sie feurig. Das sind nun freilich nicht die leiblichen Zungen. Was damit gemeint ist, das sagt uns das Folgende. Sie wurden Alle voll des h. Geistes und predig­ ten mit andern Zungen. Der heilige Geist ist selbst der feurige und erfüllte sie mit dem Feuer der himmlischen Liebe. Dieses sie durchdrin­ gende Feuer sprach aber in flammenden Worten, in begeisterter und macht­ voller Rede sich aus. Sie predigten mit andern Zungen, in wunder­ barer Weise, wie man noch nie es vernommen hatte, jenachdem der Geist es ihnen gab auszusprechen. Der Geist ließ sie nicht ruhen. Was ihnen offenbar geworden und sie mächtig durchdrang: das mussten sie auch verkündigen und zeugen von dem Herrn, der sie mit der Kraft aus der Höhe nun angethan. Das waren Worte nicht des Wissens, sondern des Lebens, des neuen Lebens, das im Geiste ihnen aufgegangen und sie unwiderstehlich fortriß. So Viele sie nun aber auch höreten und

316 aus so vielen Nationen hier um sie versammelt waren: so verstanden sie doch Alle die Predigt der Apostel, weil es die Predigt der ewigen Wahrheit und Liebe war.

Es war die Eine Sprache des Geistes die,

obwol mit neuen Zungen, doch in die Herzen dringt; die sich selbst deutet und auslegt und von Allen vernommen wird, in welchen ein himmlisches Verlangen noch nicht erstorben ist. verwundert.

Aber

Sie waren wol Alle entsetzt und

indem es die großen Thaten Gottes waren, welche

sie preisen hörten, die Thaten, die auch an ihnen geschehen und die auch sie auS ihrem Leben

bezeugen

mussten: da ging es ihnen durchs Herz

und sie sprachen: was will daS werden? Sie fühlten und ahneten, daß eine neue Welt über ihnen aufgegangen, die neue Welt der himmlischen Gnade und Herrlichkeit, die auch zu neuen Thaten begeistern muß. So ergeht nun, nt. Lieben, heute auch an uns die heilige Mah­ nung deS Herrn:

einmüthig bei einander zu sein, um die Gabe

des h. Geistes zu empfangen.

Wir sollen einmüthig bei einander sein,

und alles Trachten der Selbstsucht, die nur zerstören und trennen kann, aus unsern Herzen Hinwegthun, damit Raum werde für den h. Geist und für den himmlischen Frieden, den er uns schenkt.

Ohne einmüthig

bei einander zu sein, kann auch keine neue Geistessendung geschehn.

Wir

sollen einmüthig sein in der Wahrheit, die wir aber nicht in menschlichen Satzungen suchen dürfen, sondern in dem Einen und ewigen Evangelium. Lasten- wir die Scheidewände nicht fallen, die doch nur menschlichen Ur­ sprungs sind, soll die bloße Lehre uns selig machen: so bauen wir an unsrer evangelischen Kirche nicht. von uns;

wir

Wol sei alles gleichgültige Wesen ferne

sollen entschieden sein, aber nur entschieden für Jesum

Christum, der nicht das Wiffen, sondern die That, die erleuchtete Glau­ bensthal preist, als die uns selig macht. er, selig seid ihr,

so ihr's thut.

So ihr Solches wisset, spricht

So sollen wir denn auch einmüthig

sein int Gehorsam gegen den Herrn und nicht weichen von seinem Wort und von seinem Gebot.

Denn sein Gebot ist das ewige Leben.

Wir

sollen einmüthig sein in seinem Dienst, in dem Dienst seiner Liebe, und er verheißt es uns ja:

wo ich bin,

da soll mein Diener auch

sein; und wir ernten den himmlischen Lohn, den uns Niemand entreißen kann.

Der

Dienst der Liebe fodert aber auch unsre Hingebung und

Entsagung, und

sind

wir

rechte Diener deS Herrn: so sind wir auch

bereit, uns für ihn aufzuopfern.

Wir müssen einmüthig sein im Kampfe

gegen die Welt, im Kampfe gegen alles Böse und Schlechte in uns und außer uns.

Sind wir nur einmüthig: so fehlt es uns ja an dem Bei-

317 stände des heil. Geistes nicht, und wissen wir nur zu flehen und zu beten: so kommt er auch heute auf uns herab und rüstet uns mit himm­ lischen Kräften aus, und hilft unS zum Siege, zum Siege des Lebens; und haben wir das Tagewerk hienieden in Treue vollbracht, haben wir das Werk des Geistes gethan, haben wir gekämpft, gearbeitet und ge­ litten um Christi willen': so nimmt er uns dann auch mit sich in sein himmlisches und ewiges Reich, in das Reich seiner Herrlichkeit. Dazu hilf uns, o Herr, um Deiner Gnade willen durch die Kraft des hei­ ligen Geistes! Amen.

XXXII.

Wie wir den Geist als den Herrn zu erkennen haben, der uns zur Freiheit führt. Predigt am zweiten Pfingstfeiertage 1861 üb. 2. Kor. 3, 17.

Geist des Allmächtigen, Du heiliger Gottesgeist, der Du allein alles Gute schaffst und der Schöpfer bist einer überirdischen und un­ vergänglichen Welt, schaffe Dein Werk auch in uns, und hilf durch Deine Kraft unsrer Schwachheit auf! Löse die Bande des Truges, der unsre Sinne verblendet, und erleuchte uns mit dem Lichte von Oben her, und leite uns in alle Wahrheit, die uns allein freimacht. Heilige unsre Herzen, und schlage Du selbst darin Deine Wohnung auf, und reinige uns von aller Untugend! Erquicke uns in dem Leide der Erde mit Deinem Trost, mit dem Troste des himmlischen Friedens, und führe uns durch den Kampf hienieden zum Siege des ewigen und seligen Le­ bens! Amen.

Das Fest, m. Gel., zu deffen Feier wir auch heute versammelt sind, ist das Fest des Geistes, den der auferstandne und zum Himmel erhöhete Gottessohn, nach seiner Verheißung, den über seinen Hingang trauernden Aposteln vom Vater gesendet hat, daß sie tüchtig würden, als seine Boten in alle Welt zu gehen und das in ihm erschienene Heil

319

zu verkündigen. Diesen Geist sendet er aber auch noch immerdar Allen, die ihn darum zu bitten missen. Und nur durch die Kraft dieses Geistes hat auch das Christenthum, hat auch die Kirche Jesu Christi fortgelebt und sich fortgestaltet. Denn der Geist nur ist's, welcher leben­ dig macht, und wo er gewichen oder entschwunden ist: da ist auch die Kirche verkümmert und abgestorben, oder es ist nur ein nichtiges Schein­ leben, womit sie ihr Dasein gefristet hat, und es geht von ihr kein ret­ tendes und erlösendes Wirken aus. Wer Christi Geist nicht hat, — und das ist nur der Geist vom Vater — der ist nicht sein. Denn Niemand kann Christum einen Herrn heißen, ohne durch den h. Geist. Wo es an diesem Geiste gebricht, wo er verkannt und verläugnet wird, haben wir auch keine Hoffnung auf eine göttliche Zukunft, auf die Zeit der Vollendung deö Christenthums, dessen Ziel nur das Reich Gottes ist. Denn das Reich Gottes kommt nicht mit äußerlichen Geberden, sondern ist Gerechtigkeit, Friede und Freude im h. Geist, und geht nur von Innen, aus der Tiefe des lebendigen Gottesbewusitseins uns auf. — Fragen wir nun aber: ob die Gegenwart, ob unsre Zeit dem Geiste aufgethan und für sein Wirken empfänglich ist; ob wir von der Macht des Geistes, der die Menschen in unsern Tagen ergriffen hat, den Auf­ bau einer schöneren Zukunft erwarten dürfen: so können wir darauf schwerlich eine befriedigende und tröstliche Antwort geben. Fassen wir die geistige Gestalt unsrer Zeit, fassen wir die sittlichen Lebenszustände genauer in's Auge: so sehen wir die wahre Herrschaft des Geistes, als des heiligen Geistes Gottes, vielmehr zurückgedrängt. Sonst könnte die sündige Selbstsucht, die feindselige Parteilichkeit und daö persönliche Jntereffe, wo Jeder nur daS Seine sucht, aber nicht, was des Andren ist, sich nicht in dem Grade äußern und geltend machen, als es leider der Fall ist. Das hat aber seinen Grund doch vor Allem darin, daß man den Geist nicht mehr als den heiligen, als den Geist Gottes erkennt und ehrt, und auch nicht an ihn glaubt. Statt ihm nun zu huldigen als dem höheren, und sich zu demüthigen vor seiner göttlichen Macht, wollen die Menschen über ihn herrschen, und er soll nur ein Werkzeug ihrer selbstischen Zwecke sein. Da ist es auch nicht möglich, das Gött­ liche in ihm zu erfassen, und er verkehrt sich selbst in sein Gegentheil. Denn was wir nicht denken und thun, als aus dem Vermögen, waS Gott darreicht: das gehört Gott auch nicht an, und da thun wir auch nicht sein Werk. Da gerathen wir in eine traurige und unselige Knecht-

320 schast.

Der Mensch wird ein Knecht seiner selbst, und die Welt der

wahren göttlichen Freiheit verschließt sich ihm.

Da kann auch von

keinem Troste die Rede sein, den der Geist uns geben, und in dem Kampfe des Lebens uns stärken und aufrichten soll. der uns bei Gott vertritt.

Das ist nicht der Geist,

Da sind wir arm und verlassen.

Da ist

alle Hoffnung und Zuversicht uns geraubt. — So aber, m. Gel., soll es nicht sein.

Wo bliebe da die Feier der Pfingsten?

Nein, wir Alle

suchen und sehnen uns nach dem Trost, den allein der Geist Gottes uns schenken kann.

Möge darum das Wort der h. Schrift, das wir heute

zum Grunde unsrer festlichen Betrachtung legen, uns dazu helfen, daß der verheißene Tröster auch zu uns komme, und uns durch das Zeugniß erquicke, daß wir GotteS Kinder sind.

Wir haben nun aber einen Aus­

spruch deS Apostels Paulus zum Text erwählt, kurz, aber doch inhalt­ schwer und

bedeutungsvoll.

Wir lesen ihn

im zweiten Briefe deS

Apostels an die Korinther, wo er im 17. V. des 3. Kap. also lautet: „Der Herr ist der Geist; wo aber der Geist des Herrn ist, da ist Freiheit." Hilf uns, o himmlischer Vater, zu dieser Freiheit, daß wir in ihr Deine Herrlichkeit schauen mögen; — hilf, daß der Geist in uns mächtig werde, der uns allein zu der Freiheit führt. — Dazu laß auch diese festliche Andacht um Deines Sohnes Jesu Christi willen gesegnet sein.

Amen.

Der vorgelesene Ausspruch des Apostels Paulus, m. Gel., schließt sich an eine Vergleichung des Christenthums mit dem Judenthum.

Nur

jenes, sagt er, habe volle und überschwängliche Klarheit, dagegen dieses noch ein verhülltes sei.

Ueber dem Alten Testament liege bis auf

den heutigen Tag eine Decke, wie sie schon Moses vor sein Antlitz ge­ hängt, so daß die Juden das vergängliche Wesen ihres Gottesdienstes nicht schauen konnten.

Diese Decke hänge vor ihrem Herzen, und es

liege an ihrem verstockten Sinne, daß sie dieselbe, die in Christo auf­ hört, nicht abgethan.

Wenn sie sich aber bekehrten zu dem Herrn: so

würde auch die Decke hinweggenommen. — Die Klarheit fleht aber im genauen Zusammenhange mit der Freiheit, weil die Freiheit nur aus dem Lichte der Wahrheit aufgeht.

In die Wahrheit leitet und aber auch

nur der Geist Gottes, wie er in Christo gelebt und die Macht seines Lebens war. — So kommen wir denn ohne den Geist des Herrn auch

321 zur Freiheit

nicht.

So thut nun der Apostel den inhaltschweren und

bedeutenden Ausspruch:

Der Herr

ist der Geist;

Geist des Herrn ist, da ist Freiheit.

wo aber der

Das führt uns auf den

Gedanken zurück, der uns schon im Eingänge unsrer Rede entgegentrat. — Die wahre Herrschaft gehört nur dem Geiste an, und nur wo der Geist, der Geist Gottes herrscht, da blüht auch die Freiheit auf.

So

soll es nun auch der Gegenstand unsrer Festbetrachtung sein:

Wie wir den Geist als den Herrn zu erkennen haben, der uns zur Freiheit führt. Dieser Ausspruch zerfällt mit seinem Inhalt in zwei Theile.

Zuerst

werden wir es uns klar zu machen haben: daß der Herr nur der Geist ist, woraus dann zweitens auch bald sich ergeben wird: daß nur der Geist uns zur Freiheit führt.

1. Fast zu keiner Zeit, m. Gel., hat das Streben und Trachten nach Freiheit so stark und gewaltig sich kund gethan, als in der jetzigen. Alles ist von dem Gedanken der Freiheit voll,

und alle Kräfte der

Menschen sind

Alles erhebt sich für

darauf gerichtet, sie zu erringen.

sie, und von allen Seiten sind heftige Kämpfe entbrannt, in welchen man die Fahne der Freiheit voranträgt. wort, worauf man hört.

Freiheit: das ist das Losungs­

Wol ist dieses Wort auch eine Stimme vom

Himmel her, eine Stimme Gottes, der uns selbst zur Freiheit berufen hat; und auch das Evangelium ist eine Predigt der Freiheit, wozu und der Gottessohn Jesus Christus erhöhen, und von aller Knechtschaft er­ lösen will.

Es gibt aber auch eine Freiheit, die ihr Wesen nur in der

Lüge hat, die nur eine Verkehrung ihres himmlischen Bildes ist, die nur zerstören, aber nicht bauen kann und die Welt in's Verderben stürzt. Die wahre Freiheit ist nur die des wahrhaftigen Lebens, d. h. die Freiheit, wodurch das Leben aus Gott sich in seiner Herrlichkeit offen­ baren soll, so daß alles nichtige und ungöttliche Wesen hinweggethan ist, und wir im Lichte der

Wahrheit wandeln.

Die Freiheit besteht nicht

in der Willkür, wo der Mensch durch Nichts gebunden sein will, und sich durch seine Neigungen und Leidenschaften beherrschen lässt; da geht sie vielmehr zu Grunde, und wir werden Knechte der Welt, die und in ihre unseligen Fesseln schlägt, und statt der Freude uns Angst bringt. Schirmer, Festpredigten.

21

322 Wer die Freiheit zum Deckel der Bosheit macht, spricht ihr Hohn und zerstört das in ihn gepflanzte göttliche Ebenbild.

Frei sind wir nur,

wenn wir nicht mehr unter der Botmäßigkeit fremder Gewalten stehn, die sich selbst widerstreiten, und uns bald dahin bald dorthin ziehn, und uns zum Frieden nicht kommen lassen, den uns die Welt in ihrer Zer­ streuung nicht geben kann, sondern nur, wenn ein Gedanke, ein Geist in uns waltet und herrscht; — und das ist der Geist Gottes, uns regieren soll, und unser Leben zur Einheit zusammenschließt.

der

Darum

thut eS nun auch Noth, es zu erkennen und zu beherzigen, daß nur der Geist der Herr ist, der unS zur Freiheit führt. Der Herr ist der Geist, spricht Paulus.

Das können wir aber

nur verstehn, wenn das Wesen des Geistes uns klar dringt in die Tiefen des Geistes ein? durch den Geist. vom Vater.

ist.

Wer aber

Das vermag Niemand, denn

Dieser Geist ist freilich nur Gottes Geist, der Geist

Aber Gott hat ihn auch in unsre Herzen gesenkt, und das

ist der geheime Zug, womit der Vater uns zu sich zieht.

Und folgen

wir nur diesem Zuge: so ist es auch uns nicht versagt,

vom Geiste

Gottes zu wissen, indem Gott Alles, was sein ist, auch mit uns thei­ len will.

Der Geist ist's, spricht Jesus, welcher lebendig macht.

Denn alles Leben

strömt nur aus ihm, und die ganze Welt ist des

Geistes Werk, und wird auch nur getragen durch seine Macht.

Fassen

wir aber den Geist von seiner inwendigen Seite: so ist er auch nur das Leben, was seiner selbst inne wird, und sich erkennt und findet in (Sott, — das Lebensbewusstsein, was Denn in Gott leben,

mit

dem Gottesbewufftsein sich

weben und sind wir.

einigt.

So leitet auch nur

der Geist uns in alle Wahrheit, die nur die Wahrheit des aus Gott gebornen und ihn verkündenden Lebens ist.

Wer

sie anderswo sucht,

wem ihr Bild aus Gott nicht entgegenstralt: der erblickt nur eine leere und nichtige Truggestalt.

Wir haben Nichts von uns selbst, und so

mannigfach auch die uns verliehenen Gaben sind: so ist der Geist, woraus sie entspringen, doch nur der eine, und ihm nur sollen wir damit dienen. Nur durch ihn können wir der höchsten und herrlichsten Güter des Le­ bens theilhaftig werden; und nur der Geist, nur die Macht der Liebe, die in ihm wohnt, verhilst uns zur Kindschaft Gottes, worin die höchste Beseligung und die Vollendung des Lebens ruht. Gottes treibt, die sind Gottes Kinder.

lichen Geist empfangen, durch den wir rufen: und der uns den himmlischen Frieden schenkt.

Nur die der Geist

Wir haben einen kind­ Abba, lieber Vater,

Dieser Geist, seine Hoheit

323

und Herrlichkeit, 'fotoie auch die Seligkeit, die Allen Bereitet ist, die von ihm erfüllt und getrieben sind, seine göttliche und heilige Macht, hat sich uns aber nur in Christo, dem Sohne Gottes, welcher Eins mit dem Vater, und dessen ganzes Leben nur die That dieses Geistes war, vollen­ det geoffenbart. Darum können wir ohne den Glauben an Christum auch des Geistes nicht inne werden, der in uns Allen noch durch die Sünde getrübt ist. Nur in Christo tritt der Geist als der Herr uns hin. Sehen wir ihn aber nicht als den Herrn: so bleibt und auch sein wahres Wesen und seine Hoheit verborgen. Der Geist ist der Herr. Denn da er das ewige Leben, was vom Vater ist, in sich hat: so geht auch eine schöpferische Macht von ihm aus, die unzerstörbar ist. Was in ihm verborgen liegt, das will er zur Offenbarung bringen durch die lebendige That, und das Leben erbaun, daß es Zeugniß gebe von seiner herrlichen Gottesmacht. Er will und soll in uns herrschen, daß er alles Todte und Nichtige, alles falsche und ungöttliche Wesen von uns nehme, und in uns selbst uns bereite, ein Tempel des Geistes zu sein. Alle unsre Gedanken sollen aus ihm ge­ schöpft, und all' unser Streben und Trachten durch ihn geweiht und ge­ heiligt sein, der die Liebe Gottes ausgießt in unser Herz. Auch in unsrem Wirken nach Außen ist es nur der Geist, der uns lehret, was recht ist, und was uns Heil bringt. Wol müssen wir, m. Gel., die Zu­ stände der Well und die Verhältnisse der Zeit zu erkennen suchen, so wie sie sind. Denn fassen wir sie nicht in's Auge und knüpfen wir nicht an sie an: so richten wir auch nichts aus, und unsre Mühe und Arbeit ist umsonst und verloren, weil uns die Weisheit fehlt. Die Weisheit' gibt uns aber auch nur der h. Geist, der ein Geist des Raths und der Weisheit ist, wie sie auch in Christo gewohnt, vor welchem alle Klugheit der Welt zu Schanden wurde. Der heilige Geist verleiht uns auch allein das rechte göttliche Maß, woran wir Alles zu messen ha­ ben, woran wir aber auch selber gemessen werden. Denn als der Herr ist der Geist auch der richtende, und das Gericht des Lebens geht von ihm aus und vollzieht sich durch ihn. Darum täusche sich Nie­ mand, der dem Geist widerstrebt und entgegenhandelt, als könne er seiner richtenden und strafenden Macht entgehn, als könne der Geist, der da ferne sei, ihn nicht erreichen. Wir haben ihn ja in uns selbst, und er ist uns immer nahe und gegenwärtig. Wo soll ich hingehen vor deinem Geist, — so ruft schon der königliche Psalmensänger ergreifend aus — wo soll ich hinfliehen vor deinem Angesicht? Führe 21

*

324 ich gen Himmel, so bist du da; bettete ich mir in die Hölle, so bist du auch da. — Ja, der Herr ist der Geist, und haben wir ihn nicht zum Herrn: so sind wir Knechte und Unterthan einer feind­ lichen Gewalt, die uns den Tod bringt. Wem es daher um das Heil des Lebens zu thun ist: der huldige dem Geist als dem Herrn.

Denn er ist auch nur unser Herr, der

Herr unsers Heils, wenn wir als solchen ihn anerkennen.

Ich sage,

anerkennen; denn die Erkenntniß für sich allein reicht nicht hin.

Es

muß sich die Anerkennung mit ihr vereinigen, in welcher die Erkenntniß erst lebendig und kräftig wird.

Es muß unsre innerste und durchdrin­

gende Ueberzeugung sein, daß wir nur, wenn der Geist unser Herr ist, zum wahren Eigenthum des Lebens kommen, Und daß dadurch auch uns eine Herrschaft verliehen wird, die unS über jede fremde Botmäßig­ keit erhebe und uns selbst verherrlicht und selig macht.

Lebt diese Ueber­

zeugung in uns, ist dies der zweifellose Glaube, der uns beseelt: dann werden wir uns auch gedrungen fühlen, den Geist selbst anzurufen und zu ihm zu beten, daß er uns durchdringen möge mit seiner Kraft. Denn soll der Geist und wirklich zu eigen werden, wollen wir erhoben sein zu ihm als dem Herrn: so müssen wir ihm auch verlangend ent­ gegenkommen; und der Ausdruck dieses Verlangens ist das Gebet.

De­

müthigen wir uns nicht vor ihm, erkennen wir nicht unsre Armuth und unsre Bedürftigkeit, lebt nicht in unsern Herzen die Sehnsucht nach dem himmlischen Reichthum, nach den ewigen Gütern, die im Geiste verbor­ gen sind, und die nur er uns verleihen kann, geben wir uns nicht ungetheilt und von ganzer Seele ihm hin: so zieht er auch nicht bei uns ein.

Darum kann ihn auch Niemand erlangen, der nicht dürum zu

beten weiß.

Das wahre Gebet aber ist nur das Gebet des innersten,

nach Gott verlangenden und nach ihm ringenden Lebens.

Und solch ein

Gebet bleibt auch nicht unerhört. •— Fühlen wir nun aber uns vom Geiste erfasst und ergriffen, werden wir es nute, wie er uns erhöhet und selig macht: so mögen wir dann auch nicht noch Etwas haben und schaffen für uns, sondern weihen und heiligen uns ihm ganz, geben mit all' unsrem Vermögen und unsrer Kraft uns ihm nur zum Dienste hin, und suchen Nichts, als sein Werk zü thun, und soviel an uns ist, zu arbeiten und zu bauen am Reiche Gottes, was ja auch nur das Reich des h. Geistes ist, und nur in ihm und durch ihn auch zu uns kommt.

325 2. So hätten wir, nt. And., den Geist nun wol erkannt als den Herrn, und in das Wesen seiner Herrschaft hineingeschaut. der Geist des Herrn Paulus.

ist,

Wo aber

da ist Freiheit, spricht der Apostel

Nur der Geist des Herrn ift% der uns zur Freiheit führt.

Dies ist das Zweite, was wir noch darzuthun und zu erläutern haben. Haben wir es aber eingesehn, daß der Geist der Herr ist: so muß es schon daraus hervorgehn, daß das himmlische Gut der Freiheit nur aus dem Geiste erwachsen kann.

Wir sind nur frei unter Einem Herrn,

der mit uns Eins ist, und wir mit ihm.

Sollen wir aber einer Menge

von Herren dienen, wovon wir doch keinem innerlich angehören, und in uns selbst zertheilt und zerriflen sind: da hat alle Freiheit ein Ende, und wir sind nur Knechte, die gar nichts zu eigen haben, und die ein fremder Wille bald dahin, bald dorthin treibt.

So ist eö aber, wenn

die Welt noch über uns herrscht, die irdische Welt mit ihrer Zerstreuung und Vielfachheit, nimmt.

wo bald diese, bald jene sündige Lust uns gefangen

Der Herr als der Eine, der immer derselbe bleibt, dem es nur

darum zu thun ist, die Seinigen zu erhöhen und zu beseligen, ist nur der heilige GotteSgeist. — Frei, im vollen Sinne des Worts, sind wir aber auch nur, wenn wir uns selbst angehören, und dem Herrn nicht als einem fremden noch dienen.

Der Herr aber, der uns in kei­

ner Beziehung ein fremder ist, ist nur der Go.ttesgeist.

Denn

Gott hat ihn auch in unsre Herzen gesenkt, und so will der Geist auch nur in uns und mit uns herrschen, und, wir sollen herrschen mit ihm. Es ist der Geist Jesu Christi, der Geist, der in Christo lebte und waltete und die Macht seines Lebens war.

Und ebenso ist es auch nur Chri­

stus, der durch den Geist, den er vom Vater uns sendet, in uns leben und herrschen will.

Christus aber hat ja nur in der Hingebung für

uns Alle gelebt, und will Alles nur mit uns sein, und ist nur zu uns herabgekommen, um uns zu sich zu erhöhn.

„Ich sage nicht, spricht er,

daß ihr Knechte seid, die nicht wissen, was der Herr thut, und nur einem fremden Gebote zu folgen haben; ich habe euch gesagt, daß ihr Freunde seid; denn Alles, was ich von meinem Vater gehört, habe ich euch kundgethan; und das soll auch euer Eigenthum sein."

Denn es

schließt sich nur daran an, was der Vater auch uns durch, den Geist als ein göttliches Erbe verliehen hat. — Frei sind wir nur, wenn wir im Lichte der Wahrheit wandeln uhb die Bande der Finsterniß sich gelöst. Wissen.wir von der Wahrheit nichts: so haben wir auch keinen Blick

326 in die Zukunft, und das Ziel des Lebens bleibt uns verborgen.

Wer

aber nicht weiß, wohin er sich wenden, und welche Richtung er nehmen soll: der ist auch nicht frei, und der Zufall oder nur ein Anstoß von Außen herrscht über ihn.

Sagt es doch auch schon Jesus, daß nur

die^ Wahrheit unS frei machen wird.

Nur sie kann den Trug des Scheins

von uns nehmen, und die Verblendung der Welt weicht nur vor ihrem Licht.

Die Wahrheit aber geht uns nur aus dem Geiste auf, der selbst

nur der Geist der Wahrheit ist.

Also werden wir auch nicht frei, wenn

der Geist nicht in uns zur Herrschaft kommt. Die härteste Knechtschaft aber, die uns gefangen hält,

ist die der

Sünde, wo ein gottentfremdetes und gottwiderstrebendes Wesen uns dem Fürsten der Welt unterwirft, der den Tod uns zum Lohne gibt.

Die

Erlösung aus dieser Knechtschaft aber erlangen wir auch nur, wenn der Geist des Herrn, der heilige Gottesgeist in uns mächtig wird, der alle Ungerechtigkeit von uns nimmt.

So bezeugt es auch der Apostel Pau­

lus im Gefühl des lebendigen Danks für seine Bekehrung zu Jesu Christo, den er vorher so heftig verfolgt hatte: das Gesetz des Geistes, das da lebendig

macht in Jesu Christo, das hat mich frei ge­

macht von dem Gesetz der Sünde und des Todes.

Und das ist

doch wahrlich der höchste und herrlichste Sieg, den wir durch die Macht des Geistes erringen können, selbst den Tod zu überwinden und von ihm erlöst zu sein.

Das ist der Gipfel der Freiheit in Jesu Christo.

Frei­

lich kostet es Arbeit und Kampf, zu solcher Freiheit hinanzukommen.

Und

sehn wir uns an in uns selbst: so erscheint es wol unerreichbar.

Aber

der Geist Gottes ist ja der Geist der Kraft, und zieht er nur in uns ein: so nimmt er alle Schwachheit von uns, und erfüllt unS mit freu­ digem Muth und mit heiliger Zuversicht.

Auch unter Leiden und Schmerz

wird uns nicht bange, und wir verzagen.nicht.

Denn der Geist ist ja

auch der Tröster, der uns von Oben gesendet wird und uns erquickt mit himmlischem Troste, den Niemand uns rauben kann.

Denn im h.

Geiste haben wir ja das Zeugniß der Liebe und Gnade Gottes.

Und

der Geist ist selbst auch der Geist der Liebe, und in der Liebe kommt die Freiheit zu ihrer Vollendung.

Denn die Liebe durchbricht alle Fesseln,

und keine feindliche Machi richtet gegen sie etwas aus. ker,

als selbst der Tod.

Die

Trost über den Trost der Liebe.

Liebe ist Seligkeit.

Ja sie ist stär­ Darum geht kein

Das ist der Trost des Friedens, den

uns Jesus auch in dem heutigen Evangelium zusagt,

und diese Zusage

mit der Verheißung, uns den Geist vom Vater zu senden, verbindet.

327 Den Frieden lasse ich euch, spricht er; meinen Frieden gebe ich euch.

Nicht gebe ich euch, wie die Welt gibt;>euer Herz

erschrecke nicht und fürchte sich nicht. — Und gewiß, wer den Frieden Jesu Christi, wer den Frieden seiner himmlischen Liebe hat: den erschrecken auch die Sorgen und die Trübsale des irdischen Lebens nicht. Die Liebe kennt keine Furcht, weil sie in sich selbst das ewige und selige Leben hat.

Wer da lieb hat, der ist von Gott geboren, der ist in Wahr­

heit ein Gotteskind.

Das Leben der Kinder Gottes aber ist ein Leben

der himmlischen Freiheit.

Und werden die Kinder Gottes doch auch mit

aus dem Geiste geboren: so ergibt sich auch daraus, daß der Geist allein uns zur Freiheit führt. — Darum, m. Ge!., lasst uns Alle dem Geiste huldigen als dem Herrn, daß er die heilige und unüberwindliche Macht unsers Lebens sei, und uns, erlöst von allen unheiligen Banden, erhöhe zu der hohen und herrlichen Freiheit der Kinder Gottes in seinem Reich. Amen.

XXXIII.

Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel hernieder gekommen ist. Predigt am Feste der Dreieinigkeit 1861 üb. Ev. Ioh. 3, 1-15.

Preis und Ehre fei Gott, dem Vater, der Alles in Allem ist, und in welchem wir leben und sind; — Preis sei dem mit ihm einigen Gottessohn, der uns allein den Vater in seiner ewigen Wahrheit und Herrlichkeit geoffenbart und das ewige und selige Leben an's Licht ge­ bracht hat; — Preis fei dem heil. Geiste, der als von Gott auch die Tiefen Gottes erforscht und den Himmel in voller Klarheit unS schauen lässt, und unS selbst in ihn einführt; — Preis sei dem drei ei­ nigen Gott jetzt und in Ewigkeit! Amen.

Das Fest, m. And., zu dessen Feier der heutige Sonntag bestimmt ist, das Fest der Dreieinigkeit, schließt sich dem vorangegangnen Pfingstfeste, als dem letzten der hohen christlichen Feste, durch einen engen und inneren Zusammenhang an. Das Fest der Geburt Jesu Christi, als das erste des christlichen Kirchenjahrs, ist gleichsam das Fest des VaterS, der den Sohn uns gesendet und sich selbst in ihm unS geoffenbart, und uns als das Leben der Wahrheit und Liebe er­ schienen ist. Das Fest der Auferstehung Christi ist vorzugsweise

329 das Fest des Sohnes, daS Fest des Sieges,

den er über die Well

errungen und das ewige, den Tod überwindende Leben an'6 Licht ge­ bracht.

Und in dem schönen

Feste der Pfingsten feiern wir die Sen­

dung des h. Geistes, der das

in Christo

erschienene Heil durch die

Stiftung der Kirche als einer Gemeinde des Herrn, für alle Zeit und Zukunft gesichert hat.

Denn der Herr ist der Geist, und die selige

Herrschaft Christi geht nur vom Geiste aus.

Diese drei Feste sind

aber in ihrer höchsten Beziehung Eins, und jedes derselben gilt dem Einen und lebendigen Gott.

Denn von dem Vater ist auch der Sohn

nicht hinwegzudenken; er ist von Ewigkeit her mit ihm Eins, er ist sein ewiges und lebendiges Bild, ohne welches er uns nicht offenbar werden kann.

Das Band aber zwischen Vater und Sohn ist der heil. Geist,

die lebendige Gottesmacht, die der Schöpfer des wahren Lebens ist und es zur freien Einheit mit Gott erhebt. Das Einssein von Gott dem Vater, dem Sohn und dem Geist, ist ein Grund- und Wesengedanke des Christenthums, — und das Christen­ thum, als das Heben des Heils, ist selbst in diesem Gedanken, als in der Wahrheit Gottes gegründet.

Und so folgt auch das Fest der Drei-

einigkeit unmittelbar auf das Pfingstfest, als das letzte der drei hohen Feste des christlichen Kirchenjahrs, und schließt sie selbst wie in Einen Gedanken zusammen. — Die Lehre von der Dreieinigkeit ist nun allerdings keine Lehre, bis mit dem bloßen Verstände zu fassen wäre, und nur um einen Begriff Gottes, um ein bloßes Wiffen von ihm und von seinem Wesen handelt es sich dabei nicht.

Auf diesem Wege kom­

men wir auch nimmer zum wahren und höchsten Licht.

Wol soll uns

auch der Gedanke erleuchtet sein; aber sowie Gott nur das Leben ist: so ist auch nur das Leben das wahre und volle Licht, und wer das Leben nicht hat, kommt auch zum Lichte nicht.

Soll nun der Glaube

an den Dreieinigen uns doch einführen in das Christenthum, in das Leben des Heils — denn darum befiehlt er ja seinen Aposteln, die Völ­ ker zu taufen im Namen des Vaters, des Sohnes und des h. Geistes —: so gehört auch die Lehre von der Dreieinigkeit mit ihrem Inhalt nothwendig dem L e b e n an, und es liegt ein L e b e n s g e b o t, ein Gebot des wahren gött­ lichen Lebens in ihr umschloffen.

Wer sie zu einem Geheimniß macht, und

zwar zu einem Geheimniß, das unauflöslich sei: der versteht sie nicht, und dies wäre auch dem Evangelium, als der Lehre der göttlichen Offenbarung ent­ gegen. Eine Lehre, als die Lehre der Wahrheit — und hier gilt es die Wahr­ heit Gottes — soll nimmer verborgen bleiben, sondern ist nur bestimmt,

330 sie zu erkennen und einzusehn.

So hat auch Christus das Wort von

der Dreieinigkeit ausgesprochen, Geiste durchdringen sollen.

nur damit wir es lösen und

im

Aber die Lösung ist die höchste Aufgabe für

das Leben, und das Leben vollendet sich nur in ihr.

Halten wir nur

daran fest, daß Gott der Vater der Grund alles Lebens ist und das Leben, um zur Wahrheit zu kommen, auch mit ihm verbunden sein, und sich zu seinem Bilde, zum Leben des Sohnes gestalten muß, welcher Eins mit dem Vatex war, und daß dies nur geschehen kann durch den heil. Geist, durch die Heiligung unsers ganzen Sinnes und Wandels: so ist auch die heilsame Frucht dieser Lehre für uns nicht verloren; und sie wird uns immer heller und klarer werden, jemehr unser Leben auf Gott als auf seinem einigen Grunde sich aufbaut, jemehr wir Christum als den Herrn unsers Lebens ergreifen, und von dem gottgeheiligten Geiste erfüllt und durchdrungen sind.

Dann werden wir es sehen und

erkennen, wie der Vater im Sohne und der Sohn in dem Vater ist, und

wie Beide durch den h. Geist zu uns kommen und in uns Woh­

nung machen.

Denn unser Leben ist dann selbst ein Zeugniß dieser

Dreieinigkeit und wir leben in ihr. DaS heutige Evangelium handelt nun zwar nicht näher von der Dreieinigkeit.

Doch steht die Wiedergeburt oder die neue Ge­

burt, die Jesus als eine nothwendige Bedingung des Eingangs in das GotteSreich nennt, auch in Beziehung zu jener Lehre, indem die neue Geburt ohne den Geist, den uns Christus, vom Vater sendet, gar nicht 'geschehen kann.

Wer aber aus dem h. Geist geboren wird, der erkennt

auch Christum als den Sohn des himmlischen Vaters, ihm.

Das

und erstehet zu

heutige Festevangelium aber lautet beim Evangelisten Jo­

hannes Kap. 3, V. 1—15 also:

„Es war aber ein Mensch unter den Pharisäern, mit Namen NikodemuS . . . nicht verloren werden, son­ dern das ewige Leben haben." Möge dieses Wort unsers Herrn Jesu Christi sich auch erfüllen an und; möge Niemand von unS

aus der

Zahl der Verlornen sein,

sondern Allen das ewige Leben zu eigen werden!

Darum schenke, o

Herr, unS den Glauben, und hilf uns durch ihn zur Geburt auS dem Geiste, damit wir Dich in Deiner ewigen Herrlichkeit schauen im Reiche deS Vaters.

Amen.

331 Die Lehre von der neuen Geburt oder von der Wiedergeburt ist, m. 91., der Grundgedanke unsers inhaltsvollen und tiefsinnigen Evan­ geliums.

Ohne diese neue Geburt, erklärt IesuS, vermag Niemand das

Reich Gottes zu sehn; einzugehen.

ohne dies ist es nicht möglich, in dieses Reich

Das Reich Gottes aber ist das höchste zu erstrebende Ziel;

es ist die Vollendung deS Lebens, wie wir sie in Christo, dem Sohne Gottes,

dem Stifter des Himmelreichs schauen.

Das Christenthum ist

selbst nur das Leben im Reiche Gottes, und die neue Geburt umschließt daher eine Bedingung des lebendigen Christenthums.

Auch der Apostel

Paulus beschreibt es als eine neue göttliche Lebensschöpfung.

Ist Je­

mand in Christo, spricht er, so ist er eine neue Kreatur. wiro das Leben

Neu

aber nur dann, wenn das alte vergangen, wenn an

die Stelle des alten und vergänglichen Wesens die Kraft eines neuen und unvergänglichen Wesens getreten ist. burt aus dem Geiste, der unsterblich

Die neue Geburt ist die Oes

und unerschöpflich ist.

Als aus

dem Geiste geboren, erfaffen wir das Leben nur im Gedanken Gottes und seiner Wahrheit, und unser ganzes Lebensbewufftsein geht in das GotteSbewufftsein auf, so daß wir auch nur den Willen und die Werke des BaterS thun. Dg sind nun wol Biele, die ebenso wie Nikodemus im Evangelium fragen:

Wie mag solches zugehn? und die Geburt auS dem Geist

nicht begreifen können, weil ihnen nur die Sinnenwelt sichtbar ist, und die Liebe zu ihr sie gefesselt hält. lassen

was vom Fleische auch

Sie haben den göttlichen Grund ver­

und ihr HauS auf den Sand gebaut. geboren

auf sie seine Anwendung.

nur Irdisches und Vergängliches.

Der Ausspruch Jesu:

wird, das ist Fleisch, leidet daher Denn der irdische Sinn schafft auch Wollen wir dagegen Werke des Gei­

stes schaffen: so müssen wir auch aus dem Geiste geboren sein. — Jesus beruft sich nun aber für seine Behauptung von der neuen Geburt, ohne welche man das Reich Gottes nicht sehen könne, nicht auf ein Ergebniß seiner Gedanken, sondern vielmehr auf die Erfahrung seines eignen und innersten Lebens.

Wahrlich, wahrlich, ich sage dir, spricht er zu

Nikodemus^ wir reden, das wir wissen, und zeugen, "das wir gesehen haben.

Sein ganzes Leben war nämlich aus dem Geiste

geboren, war des Geistes That, und so bezeugt Jesus auch nur, was er lebendig und auS Gott selber erfahren hatte.

Um so größer ist nun

aber auch das Unrecht, dieses Zeugniß nicht anzunehmen.

Denn es ist

eine Berläugnung der lebendigen Erscheinung Gottes in Jesu Christo. —

332 Ließ aber Nikodemus sich nicht überzeugen, da Jesus ihm daS Verhält­ niß der Geburt aus dem Geist durch die Vergleichung mit dem Winde klar machen will, dessen Sausen man wol höre, aber doch nicht sagen könne, woher er komme und wohin er gehe: so war freilich noch weniger zu erwarten, daß er es saften werde, wenn Jesus ihm tiefere Aufschlüsse über den verborgnen innern Zusammenhang, Aufschlüsse über die göttliche und himmlische Welt hätte geben wollen.

Glaubt ihr nicht, spricht er

deshalb zu ihm, wenn ich euch von irdischen Dingen sage, wie würdet ihr glauben, wenn ich euch von himmlischen Dingen sagen würde, wenn ich euch tiefer einführen wollte in das himmlische Geheimniß des göttlichen Lebens, was von Außen her, und auf dem Wege des bloßen Wissens nimmer zu lösen ist. Weshalb aber die gewöhnlichen Menschen nicht fassen und nicht durchdringen können:

die himmlischen Dinge

das sagt uns Jesus selbst

noch näher im Folgenden, und gibt uns einen bedeutsame^ Grund davon in dem Ausspruch

an:

Niemand fährt gen Himmel, denn der

vom Himmel hernieder gekommen

ist.

Die Menschen sind des

göttlichen Grundes und Bodens, auf welchem ihr Leben ruht, gar nicht inne geworden, und erkennen ihren eignen himmlischen Ursprung nicht. Sie haben mit ihrem Sinn gewendet,

und

mit ihren Gedanken

sich davon ab­

und indem sie nur von dem Irdischen ausgehn,

und von

ihm sich beherrschen lassen: so erheben sie sich auch nicht zu dem Höheren und Himmlischen, und der Eingang in die Gotteswelt bleibt ihnen ver­ schlossen.

Der letztgedachte Ausspruch Jesu ist nun aber so bedeutsam

und inhaltreich, daß es wol uns Allen daran liegen muß, ihn ganz zu verstehn, und die darin ausgesprochne Wahrheit, die unser innerstes Leben angeht, zu erkennen und einzusehn. zum Himmel hinanzukommen:

Verlangen wir doch wol Alle danach,

so müssen wir auch danach ringen, daß

uns der Grund und Boden nicht fehle, von wo aus wir allein uns zum Himmel zu erheben im Stande sind.

So soll denn also der Ausspruch

Jesu:

Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel her­ niedergekommen ist —, der Gegenstand unsrer Betrachtung sein, und wir wollen unsre Gedanken sammeln um den GotteSgedanken Christi.

333 Niemand fährt gen Himmel, denn der vom Himmel her­ niedergekommen ist.

Das gilt nun allerdings zunächst und vorzugs­

weise von Dem, der dieses Wort sprach, von Christo selbst, wie er deshalb auch Himmel ist.

hinzusetzt:

nämlich

des Menschen Sohn, der im

Denn kein Andrer kann in gleichem Sinne und in un­

bedingter Wahrheit dies von sich sagen als Der, dessen ganzes Leben nur von dem Vater und mit ihm Eins war, der Gottes- und Menschen­ sohn Jesus Christus.

Sowie sein ganzes Leben innerlich und dem Geiste

nach nur von Gott ausgegangen, und er nichts Andres suchte, als den Willen und das Werk des Vaters zu thun, und nun auch den seligen Frieden Gottes in seiner Seele trug, und vom Himmel sich nicht ge­ schieden muffte: so war ihm auch die Erhöhung seines Lebens zu Gott für alle Zukunft gewiß, und sie ist schon begründet in seiner Abkunft vom Himmel her. — Der Ausspruch Jesu enthält aber eine Wahrheit, die auch sür Uns ihre Bedeutung und Geltung hat.

Jesus spricht näm­

lich darin eine allgemeine Bedingung aus, ohne deren Erfüllung nie­ mand zum Himmel kommt, eine Bedingung, die an das innere Leben und an die freie, geistige Fassung desselben gestellt ist.

In dem vom

Himmel Gekommensein liegt zugleich' ein Gebot, das der Mensch erst vollbringen soll, damit er fähig werde, zum Himmel hinauf zu. steigen. Jesus will ja doch auch uns Alle nach sich ziehn.

Aber er nimmt auch

nur die vom Vater Gezogenen zu sich auf; und das vom Vater Ge­ zogenwerden hängt auch zusammen mit unsrer Abkunft vom Himmel her. — Und dann haben wir Christum, den Gottessohn uns auch nicht vor­ zustellen, als der nicht auch mit uns in Gemeinschaft stehe, und desien 'Verhältniß zu Gott ein ganz entgegengesetztes

sei

mit dem unsrigen.

Ist er ja doch auch des Menschen Sohn, und hat alles Menschliche mit uns getheilt, und ist uns gleich geworden als seinen Brüdern.

Ist die

Aufnahme in den Himmel, die Erhebung des Lebens zu Gott uns doch nicht versagt; und ist Jesus selbst nur erschienen, den Himmel uns aufzuthun: so muß das vom Himmel Gekommensein, wovon das Aufsteigen zu ihm abhängt, auch eine Beziehung haben auf uns, und Jesus schließt uns durch seinen Ausspruch keineswegs davon aus. Zunächst aber wollen wir sehen: was es mit dem zum Himmel Fahren, was auch uns beschieden sein soll, und was Jesus auch als das Erste nennt, für eine Bewandtniß habe.

Eine Veränderung nur,

oder ein Wechsel des Orts ist allerdings nicht damit gemeint. suchen doch nach dem Himmel

Wir

und verlangen nach ihm, als nach der

334 Stätte der Seligkeit. selig machen.

Die äußerliche Umgebung aber

kann uns nicht

Nur Gott, von welchem wir ausgegangen und der uns

in’6 Dasein gerufen hat, ist die Quelle der Seligkeit, und nur in der Bereinigung mit ihm sind wir die Seligen und haben den Frieden, der

auch nur im Himmel zu

finden

ist.

Als mit Gott vereint leben

wir auch im Himmel, leben frei von aller Knechtschaft des irdischen und vergänglichen Wesens nur in der Liebe zum Ewigen.

Darum schauen

wir auch in Christo, der nur in der Liebe zu Gott gelebt, den Himmel als

einen offnen.

Auch

dürfen wir ihn nicht bloß in einem entlegnen

Jenseits suchen, obwol die himmlische Vollendung allerdings in der Zu­ kunft ruht. — Haben wir das Leben in Gott erfasst, wohnt in unsrem Innern ein reines Herz,

lebt die göttliche Liebe in und: so wird der

Himmel uns auch hier nicht ein fremder sein, und selbst als Leidende sind wir von dem Himmel nicht ausgeschlossen.

So spricht auch Jesus in

dem heutigen Evangelium von sich als des Menschen Sohn, der auch während seines Wandelnd auf Erden doch im Himmel sei. Das zum Himmel Fahren, das sich Erheben in die himmlische Gotteswelt, kann aber auch nur die Frucht der treuen Arbeit des Lebens sein. sowie

Im bloßen Wissen geht uns der Himmel nicht auf; und

die Seligkeit nur der Lohn der gottgeweiheten That, der That

der Liebe ist,

wie auch Jesus sagt:

So ihr solches wisset, selig

seid ihr, so ihr's thut: so dringen wir auch durch das bloße Zusehn und Harren nicht in den Himmel ein.

Das Himmelreich leidet

Gewalt, spricht Jesus, und die Gewalt thun, die reißen es an sich.

Ohne die Macht eines heiligen und

wir den Eingang zum Himmel nicht.

begeisterten Wirkens finden

Darum ererben wir ihn

auch

nicht, wenn wir uns in uns selbst und auf die eigne Person zurückziehn. Wol sollen wir uns mit unsrem persönlichen Bewusstsein zum Himmel erhoben fühlen.

Leben wir aber nicht in der Gottesgemeinde, schließen

wir uns nicht an die Mitwelt an, schlägt nicht unser Herz für die Brü­ der, gilt unsre Liebe nicht ihrem Heil: so wird sich auch der Himmel nicht für uns aufthnn, und wer bloß für sich darin leben will, wird ihn nicht schaun.

Der Himmel ist nicht ein Leben der Einsamkeit, und die

Freude, die in ihm

wohnt,

geht nur aus der Gemeinschaft der Liebe

auf, womit sich Alle in Gott umfassen. — So geschieht nun aber die Erhebung in den Himmel auch nicht so von selbst, sie tritt nicht etwa nur von

Außen her für uns ein, so daß wir wie auf einen äußern

Hergang darauf warten und harren könnten: sondern die göttliche Macht

335 die uns zu ihm erhöht, ist auch nur eine geistige, eine Macht, die das ganze Leben von Innen ergreift und es verwandelt, daß es in sich in That und Wahrheit im Himmel sei. geistiger Gewalt,

Wir dringen auch nur mit Gewalt, mit

mit der Gewalt der lebendigen Gottesliebe in den

Himmel ein.

Damit hängt es nun auch zusammen, daß nach dem Aussprucke Jesu:

Niemand gen Himmel fährt, denn der vom Himmel

herniedergekommen ist.

Zwar geht dieses vom Himmel Gekommen­

sein von einem Verhältnisse aus, was wir nicht schaffen können, sondern was uns gegeben, von Oben gegeben sein muß.

Es begreift den gött­

lichen Grund, auf dem wir mit unsrem ganzen Leben und Dasein stehn. Denn haben wir unser Leben doch nicht von uns selbst, sondern allein von Gott, haben wir Alle einen Auftrag von ihm empfangen, wozu er in die Welt uns gesendet hat: so ist dies auch ein Ausgegangensein von ihm, der im Himmel ist.

Aber dies ist doch nur der Grund, auf

dem sich unser Leben erbauen soll, und kommt es zu diesem Baue nicht, lassen wir den Grund und Boden unbearbeitet liegen: so verkümmert er, das Band unsers Lebens mit Gott löst sich auf, und unser Theil am Himmel geht uns verloren.

Soll die in dem Grunde ruhende Got-

teSkraft frei und lebendig werden: so müssen wir zunächst von dem festen Glauben an diesen Gottesgrund unsers Lebens durchdrungen sein, so daß wir uns ohne diesen Grund gar

nicht denken und fassen können.

Wir müssen die innerliche Gewissheit haben, daß auch unser Ursprung vom Himmel ist, daß wir in Gott nur gegründet sind, und ohne dies unser Leben haltungslos auseinandergeht.

Denn was kann uns tragen

und halten, wenn wir Nichts haben, als was sichtbar und zeitlich ist, wenn wir gleichsam nur Geschöpfe des Tages sind, der, sowie er er­ scheint, auch wieder verschwindet.

Tragen wir nicht ein unvergängliches

Lebensgut in uns, was Gott vom Himmel uns mitgegeben, und womit er uns ausgestattet, daß wir seines himmlischen Reichthums uns freuen könnten: woher soll da unsrem Leben die Wahrheit kommen, die doch nur als eine ewige besteht und bestehen kann?

Woher sollen wir die

Ruhe der Seele haben, wenn uns nicht ein unverlierbares, himmlisches Erbe verliehen ist, was wir nur pflegen müssen, daß wir immer mehr seiner Fülle theilhaftig werden. Die Erfassung des göttlichen Grundes, auf dem wir stehen, macht

336 sich aber auch nicht bloß durch die Erkenntniß, sondern nimmt unser ganzes Lebensgefühl und die innerste Gesinnung in Anspruch.

Nicht,

daß wir von unsrer göttlichen Abkunft nur wissen sollen: sondern wir müssen sie in uns selbst lebendig erfahren und inne werden, indem auch unsre Gesinnung nur himmlisch ist, und eine Sehnsucht nach dem Him­ mel unsre Seele bewegt. — Mit der himmlischen Gesinnung meinen wir aber auch nicht eine bloße Empfindsamkeit, die nur in einer gewissen Ueberschwänglichkeit der Gefühle sich ergehen will.

Die himmlische Ge­

sinnung muß auch eine reine sein, die nur göttliche Gedanken, Gedanken des Heils und der Liebe im Herzen trägt und von ihnen erfüllt und getrieben ist.

Denn die wahre christliche Gesinnung ist nicht eine bloße

Ansicht der Welt, sondern nimmt die ganze Fassung und Führung des Lebens in Anspruch. Lebt also das Bewusstsein in uns, daß wir vom Himmel oder von Gott gekommen sind, daß wir bei ihm unsre Heimat haben, und er unser Vater ist: so wird auch unser ganzes Wirken und Thun davou Zeugniß geben.

Es wird sich durch die That unsers Lebens erweisen, daß wir

Kinder des himmlischen Vaters sind.

Wären wir aber nicht von ihm

ausgegangen: so könnten wir auch nicht seine Kinder sein und der Kindschaft nicht inne werden.

Denn der göttliche Auftrag kommt uns auch

nicht von Außen her, sondern wir entnehmen ihn nur aus dem Geiste, den Gott selber in uns gepflanzt, und der uns unsre himmlische Abkunft erkennen lässt. — Sind wir aber vom Himmel: so sind wir auch für den Himmel, und das Trachten nach ihm, das Verlangen, daß die Erde immer mehr zum Bilde des Himmels werde, damit nur Gott in ihr sich verkündige, und überall seine heilige Herrschaft walte, muß die Seele unsers Lebens sein. — Als gesendet von Gott, sind wir auch nur be­ rufen zur Arbeit an seinem Reich, und so treibt es uns dann, mit all' unsrer Kraft zu ringen, daß es uns näher komme, und also es darzuthun, daß wir Kinder und Genossen des Reiches sind.

Das Gottesreich

ist aber auch selbst nur das Himmelreich, und gehören wir dem Reiche nicht an, stehn wir noch außerhalb: so werden wir auch eine Erhebung in den Himmel nicht hoffen dürfen. Sind wir vom Himmel her, und ist das Bewusstsein unsrer Ab­ kunft von dem himmlischen Vater in uns lebendig: so wird sich dies dann auch durch unser ganzes Leben und Wirken aussprechen und zu erkennen geben.

Was wir thun, thun wir dann auch nur im Geiste

der göttlichen Liebe, und geben uns mit dem vollen Gehorsam des Kindes

337 dem

Vater

hin,

um

sein

wozu er uns gesendet hat. Zweifel in unsrer Seele.

Werk

zu

vollbringen,

und

auszurichten,

Da tragen wir nicht noch Bedenken oder Wir fragen nicht nach dem äußerlichen Er­

folge, nicht danach, was uns etwa wol werden möchte, sondern sind wir nur des Willens des Vaters gewiß, und haben wir diesen tn’$ Herz gefasst: so geben wir auch mit all' unsern Kräften, von

ganzer

Seele und von ganzem Gemüthe nur ihm uns hin, und vertrauen nur seinem Schutze, der. immerdar mit uns ist. — Da werden wir- aber auch weit mehr zu erreichen und auszurichten im Stande sein. selbst eine höhere Macht die unsrige,

Da ist

und auch in unsrer Schwachheit

werden wir größere Werke thun, weil wir uns nicht bloß von der Erde, sondern von der Kraft des Himmels getragen fühlen, und ihn als einen geöffneten vor uns sehn. windet.

Wir haben den Glauben, der die Welt über­

Da verfehlen wir, mag auch der sichtbare Erfolg unsers Stre-

bens ausbleiben, das himmlische Ziel doch nicht, und dürfen nicht bange sein, daß uns Gott zu sich

in den Himmel aufnimmt. —

Ist diese Ueberzeugung, — die ihren Grund in dem Glauben hat, daß wir vom Himmel gekommen sind — die unsrige, wird unser ganzes Leben von ihr getragen: so wirkt dies auch wieder auf die ganze innere LebenSfaffung mächtig zurück, und ein höherer Friede, der Friede vom Himmel her, der Friede Gottes und seiner Liebe zieht in uns cm; — und von dem seligen Bewusstsein dieses Friedens aus, steigen wir dann auch höher zum Himmel auf, und die erhebende Aussicht der himmlischen Zukunft erfüllt unsre Seele.

Wir wissen es, und die Stimme Gottes

in unsrer Brust sagt es uns, daß wir unsre Heimat im Himmel haben, und daß diese Heimat durch

die unbezwingliche Kraft der Liebe Gottes

uns nicht verloren gehen, und Niemand aus der Hand des Vaters uns reißen kann.

Wir haben eine feste und heilige Zuversicht, und sehen in

ihr auch der Zukunft getrost und freudig entgegen, die uns von allem irdischen Leide erlösen und zum Vater uns führen wird, in das Reich der himmlischen Freiheit und Seligkeit. So ist uns

nun auch wol nicht noch

dunkel und zweifelhaft,

daß

Niemand zum Himmel fährt, der nicht vom Himmel hernieder­ gekommen ist, und wir verstehen das Wort Jesu Christi, der auch durch diesen Zuruf uns nach sich ihn der Himmel uns

ziehen will.

auch nicht uuf.

Doch schließt sich ohne

Denn er ist auch ein Herr des

Himmels, weil er wie kein Anbrer vom Himmel herabgekommen. allein ist der Fürst des Lebens; Schirmer, Feftpredigten.

Er

er ist der gute Hirte, der uns in den 22

338 Himmel vorangegangen und dessen Rufe wir folgen sollen. mand kommt zum Vater, denn durch den Sohn.

Denn Nie­ Nur in Christo

ist der Himmel uns aufgethan; wir schauen in ihm das Leben, das ewig und selig ist. Aber wir müssen ihn auch als den Erhöheten sehn, als den der Vater erhöhet hat; — und steht uns sein Gottesbild nicht als das Licht des Lebens vor Augen, ist er nicht der himmlische Stern, der uns leuch­ tet: so werden wir auch den Weg nicht finden, der von der Erde zum Himmel geht.

Christus nur ist der Weg; denn er hat die Scheidewand

zwischen Himmel und Erde hinweggenommen, und ist durch sein eignes Leben, durch das Leben der Liebe bis in den Tod, in das wahre Aller­ heiligste eingegangen. — Machen wir und mit ihm nur von den irdischen Banden los, und ergreifen wir glaubensvoll die Macht seiner Liebe, hei­ ligen wir uns in seiner Wahrheit, der Wahrheit Gottes, suchen wir nur in ihm die Gerechtigkeit: so wird sich auch seine Verheißung an uns er­ füllen: Ich will euch nicht verwaist lassen, ich komme zu euch, und will euch zu mir nehmen, daß ihr da seid, wo ich bin.— Christus aber ist nur bei Gott, bei dem himmlischen Vater, und regiert und herrscht mit ihm als der Höchste in seinem Reich. Ja, hilf uns, o Vater, daß auch wir mit ihm ewig bei Dir in dem Himmel sein; hilf uns dazu um Deiner unendlichen Liebe und Gnade willen!

Amen.

XXXIV.

Das Gebot Jesu Christi: das Evangelium aller Welt zu verkündigen. Predigt am Missionsfeste 1850 über Matth. 28, 18—20.

Zu unS komme, o Gott, Dein Reich, daS Reich der Wahrheit, der Macht und Herrlichkeit, das Reich der Liebe und Seligkeit, was unS in Deinem Sohne, unserm Herrn und Heiland Jesu Christo erschienen ist! Dein Reich komme zu uns, zu Allen, welchen Du Dein göttliches Ebenbild aufgeprägt, und auch ste berufen hast, Deine Kinder zu sein. Denn nur in dem Gedanken der uns mit Allen, welchen Du Vater bist, zu einem großen heiligen Bunde mit Dir vereinenden Liebe, erfassen wir Dein Bild, das Bild des seligen und himmlischen Lebens, des Lebens in Deinem Reich. Zu uns komme Dein Reich! So flehn wir besonders heute mit heißer Inbrunst zu Dir, die wir hier das Fest feiern der höchsten und heiligsten Hoffnung, die Du selbst durch daS Wort Dei­ nes Sohnes unauslöschlich in unser Herz gesenkt, und die heute unsre ganze Seele erfüllt und uns erhebt und begeistert, — das Fest der Hoff­ nung, daß die ganze Welt voll werden soll Deiner Herrlichkeit, daß alle Heiden zu Dir kommen und alle Könige Dich anbeten und Dir danken werden. Ja, Preis Dir o Vater, der Du uns den ewigen Grund dieser seligen Hoffnung gegeben, aber auch schon gezeigt hast, wie Du sie erfüllst und erfüllen willst. Aber soweit auch schon durch Deine Bo22*

340 ten das Licht Deines Namens gedrungen,

und

die kleine Herde, der

Christus zurief, sich nicht zu fürchten, weil es Dein Wille sei, ihr daS Reich zu geben, wunderbar und mächtig gewachsen ist: so schmachtet die Menge der Heiden doch noch in den Banden der Finsterniß, und die Macht des Todes herrscht über sie.

Darum bitten wir, daß Du über

Alle, die Du mit dem Heile in Christo begnadigt hast, den Geist aus­ gießen mögest, den Geist der Liebe, den Geist des Raths und der Stärke, der da Mittel und Wege findet, und nicht rastet und ruht, dem Evan­ gelium überall Bahn zu machen und ihm den Sieg zu schaffen, bis die ganze Erde verklärt und erleuchtet, und zum Bilde Deines Sohnes ver­ herrlicht ist.

Ja,

erlöse Alle, die noch unter der Knechtschaft seufzen

des Fürsten der Finsterniß,

und

erhebe sie zur seligen und herrlichen

Freiheit in Deinem Reich, wo Friede und Freude die Fülle, und wo das ganze Leben zur seligen Feier der Liebe verwandelt ist.

Die heilige Sache der Mission,

Amen.

gel. christl. Freunde,

die Ver­

breitung des Evangeliums unter den Heiden, welcher die schöne und er­ hebende Feier, die uns heute hier im Hause des Herrn vereinigt hat, gewidmet ist, geht auf nichts Andres und Höheres hinaus, als das durch Christum gestiftete Werk der Erlösung der Wett, zu seiner Vollendung hinanzuführen.

Denn vollendet ist es nur dann, wenn das Evangelium

zum Glauben der Welt geworden, vollem Herzen im Geiste und

und

alle Bewohner der Erde aus

in der Wahrheit bekennen: daß Christus

der Sohn des lebendigen Gottes, daß er ihr Herr und Erlöser ist, und sie ihm gehuldiget haben als dem Herrn deö Heils und der Seligkeit. — Nur dann wird die himmlische Herrlichkeit Jesu Christi in ihrer ganzen Fülle erst offenbar.

Also kann auch die Sache der Mission nur

in Christo selber begründet sein, und nur als die Sache Christi nehmen wir sie zu uns auf; nur in ihm, nur in seinem Leben und Wort ruht die sichre Gewähr des göttlichen Erfolges, welchen wir davon hoffen dürfen, sowie auch die Bedingungen dieses Erfolges nur in Christo gegeben sind. Dies nun aber nicht bloß so unbewusst anzunehmen, sondern es klar zu erkennen und einzusehn, wenn wir im Geiste leben und wirken wollen, daran muß uns aufs Höchste gelegen sein.

Nur wo Licht und Klarheit

ist, ist auch das Wirken ein sichres und kräftiges. führt uns aber auch vorzugsweise nur das

eigne

Zu dieser Einsicht Wort Jesu Christi,

als das Wort des Geistes und der Wahrheit, als das Wort des ewigen

341 Lebens.

Welches Wort Jesu könnte nun aber wol bedeutsamer, gewicht­

voller und ergreifender für uns sein, alö das letzte Wort, was er un­ mittelbar vor seinem Scheiden von dieser Erde zu seinen Jüngern ge­ sprochen, und ihnen damit die letzten göttlichen Aufträge und Zusagen gegeben hat.

Gewiß hat doch Jesus eben in dieses Wort das Höchste

hineingelegt, wovon seine Seele erfüllt und durchdrungen, und worauf sein heiliger Wille gerichtet war.

Dies konnte aber auch nur der Ge­

danke an die Vollendung des Werkes

fein, was der Vater ihm auf­

getragen, wofür er einzig gelebt und wofür er auch in den Tod gegan­ gen.

Ja mit Recht können wir dieses letzte Wort Jesu als ein heiliges

Bermächtniß betrachten, was er den ©einigen hinterlassen hat.

Wir

lesen dasselbe nun aber am Schlüsse des Evangeliums Matthäi, und zwar in den letzten drei Versen des 26. Kapitels folgendermaßen: „Und Jesus trat zu den Jüngern, redete mit ihnen und sprach: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und lehret alle Völker und taufet sie im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes; und lehret sie hal­ ten Alles, was ich euch befohlen habe. Und siehe, ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende." Sei denn auch also, göttlicher Erlöser, bei uns, und laß auch uns Deine selige Gegenwart immer mehr inne werden!

Sei bei uns mit

der Kraft Deines Geistes, und hilf, daß Dein Wort, das nur Geist und Leben ist, zur vollen Herrschaft komme über die Welt und die Macht alles Lebens sei! Laß auch heute Dein Licht uns aufgehn, daß wir Deine Herrlichkeit schauen mögen, die Dir der Vater gegeben hat!

Amen.

DaS Wort Jesu, nt. And., welches wir soeben vernommen haben, enthält Alles, wonach wir suchen, und gibt uns, wenn wir den reichen und tiefen Inhalt desselben nur zu erfassen und zu durchdringen im Stande sind, den schönsten und herrlichsten Aufschluß über den wichtigen Gegenstand, dem die heutige Festfeier gilt.

Das Gebot:

das Evan­

gelium aller Welt zu verkündigen, ist einfach und klar darin aus­ gesprochen.

Gehet hin, spricht er, und lehret alle Völker und

taufet sie! oder wie dasselbe Wort in der evangelischen Geschichte des Markus lautet: Gehet hin in alle Welt, und prediget das Evan­ gelium aller Kreatur.

Aber noch mehr:

Jesus deckt uns zugleich

342 den ewigen Grund und die göttliche Wahrheit und Nothwendig­ keit dieses'Gebotes auf; lässt es ferner auch nicht an einer Anweisung fehlen, wie dieses Gebot zur Ausführung zuletzt

kommen soll, und deutet

auch den Erfolg, den die Predigt deS Evangeliums in aller

Welt haben werde, zweifellos an. — Nach dieser dreifachen Beziehung soll also

DaS Gebot Jesu Chtisti: das Evangelium aller Welt zu verkündigen — der Gegenstand unsrer Betrachtung sein, und wir dürfen uns dabei nur an die eignen Worte Jesu anschließen, wie sie unS in unserm Texte ge­ geben sind.

1. Fragen wir nun zunächst nach dem Grunde und nach der Wahr­ heit dieses Gebots: so könnte es uns wol genügen, daß Christus, dessen Wort oder der selbst nur die Wahrheit ist, dieses Gebot gegeben. Christus will

Aber

auch, daß wir sein Wort durchschaun und die Wahrheit

desselben erkennen sollen.

Denn nur so wird uns daö Wort deS Herrn

zum geistigen und lebendigen Eigenthum und im höheren Sinne beseligend. Christus

zeigt uns nun aber auch selbst den Grund und die Wahrheit

seines Gebots auf; indem er ihm die bedeutungsvolle Erklärung vorauschickt: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Er­ den.

Diese Erklärung

steht

nämlich

in

einem genauen innern Zu­

sammenhange mit dem Folgenden, und Jesus will damit das Gebot: in alle Welt zu gehn und zu lehren, — nur bezeichnen, als hervorgegan­ gen auS dieser Gewalt und in ihr begründet. welcher Art diese Gewalt sei?

Nun aber ist die Frage:

Als eine sinnliche oder wie eine weltliche

Herrschermacht haben wir sie uns nimmer zu denken. sie auch nicht göttlich gegeben sein.

Denn

Denn dann könnte

und himmlisch, sie könnte ihm nicht vom Vater gleichwie Gott Geist

ist,

und seine Größe und

Herrlichkeit sowie seine schrankenlose und unendliche Macht nur im Geiste ruht und begründet ist: so kann auch die Macht und Gewalt seines Soh­ nes nur die des Geistes sein.

Und das

bezeichnet auch Jesus selbst,

indem er sie eine Gewalt nennt im Himmel, d. h. in der Welt Gottes, die nur die Welt ist des Geistes. gründeten und mit ihm einigen, vollziehenden Lebens.

Es ist die Gewalt des in Gott ge­ und nur aus ihm sich erfassenden und

Jesus nennt sie aber nicht bloß eine Gewalt in

343

dem Himmel, sondern zugleich auch auf Erden. Ja wol, eS ist eine Gewalt, deren Heimat der Himmel ist, die erfasste überirdische, unsicht­ bare und ewige Welt, die aber doch nicht unsichtbar bleiben, sondern sich auch auf Erden, in dem wirklichen und sichtbaren Leben darstellen und verkündigen soll. Gott ist Herr über die unsichtbare und über die sicht­ bare Welt. Und ebenso gilt auch die Herrschaft des Geistes der einen, sowie der andern; — und was die unsichtbare Welt in sich trägt, die in ihr ruhenden himmlischen Schätze, die ewige und unerschöpfliche Wahr­ heit Gottes, soll nicht verborgen bleiben, sondern in der sichtbaren Welt, in der Gestaltung und Bildung aller Leben-verhältnisse zur lebendigen Erscheinung und Offenbarung kommen; — die Herrlichkeit Gottes soll offenbar werden in ihr; die Erde soll zum Spiegel des Himmels wer­ den, und selbst in den Himmel verwandelt sein. Das Wort Jesu Christi spricht zugleich den hohen Gedanken der Einheit zwischen Himmel und Erde aus; und die Christo gegebne Gewalt ist selbst auf diese Einheit gegründet, sowie auch die uns in Christo bereitete Seligkeit nur eine Frucht der Ineinsbildung von Himmel und Erde ist. Diese Gewalt, die Christo als eine göttliche allerdings vom Vater gegeben ist, kann ihm aber auch nicht etwa nur von Außen oder als eine fremde gegeben sein, sondern er hat und besitzt sie wahrhaft in sich als die seine. Er ist sie selbst, weil er Eins mit dem Vater ist, und der Vater selbst in ihm lebt. Sie ist in ihm lebendig, weil er selbst die Wahrheit und das Leben ist, weil er das Leben aus Gott in seine ungeteilte Gewalt ge­ bracht. Dadurch ist nun aber auch Christus der Erlöser und Hei­ land der Welt, und ist nur dazu erschienen, daß sein Leben, als das Leben des einigen Heils, zum Leben der Welt und der Menschheit werde, und die Welt dadurch erlöst und errettet sei. ' Dafür nur lebte und starb er, und so trug er auch die ganze Menschheit in seinem Herzen. Nur durch mich, will er daher mit der vorangestellten Erklärung sagen, durch die von meinem Leben ausgehende geistige und göttliche Macht soll die Welt und das Leben ein neues, ein Leben der Freiheit und Seligkeit, ein Le­ ben des himmlischen Friedens sein. Er nimmt mit dieser Erklärung all­ erdings die Herrschaft der Welt für sich in Anspruch, weil nur mit der Vollendung und Durchführung seiner Herrschaft das Heil der Welt erreicht und vollendet ist, eine Herrschaft aber, die nur die Herrschaft der Wahr­ heit und Liebe, und also zugleich die höchste Freiheit und Seligkeit ist. Von dieser Chrrsto gegebnen göttlichen Gewalt, als einer lebendigen und fortwirkenden — denn Christus ist ja bei uns qlle Tage bis an

344 der Welt Ende — lässt sich nun aber auch das Gebot der Verkün­ digung des Evangeliums in aller Welt nicht trennen, und dieses Ge­ bot folgt unmittelbar und nothwendig aus dieser Gewalt.

Denn die

Verkündigung des Evangeliums Jesu ist auch selbst wieder das äußere Mittel, wodurch das Fortwirken seiner Gewalt bedingt ist, und ohne dies kann es auch zur Vollendung der Herrschaft Christi nicht kommen. Denn sie ist auch nur die Herrschaft des Wortes, aber als des leben­ digen.

Christus ist die That, die schöpferische That des neuen göttlichen

Lebens, welches durch ihn an das Licht gekommen, des Lebens der Liebe und Seligkeit.

Dieses Leben aber, wo es nur wahrhaft aufgegangen,

kann nicht ruhen und rasten, sondern wirkt nach Innen und Außen immer weiter und unaufhaltsam fort; und sowie es sich im Geiste immer tiefer erfassen und reicher entfalten wird: so strebt es auch, sich nach Außen zu stärken und immer weiter sich auszubreiten, und Alles in seine seligen Kreise hineinzuziehn.

Denn es ist selbst eine lebendige göttliche Macht.

Ohne die stets weitergehende Verkündigung des Evangeliums ist daher das wahre und lebendige Christenthum nicht zu denken.

Die Mission

ist mit dem Christenthum Eins, und nothwendig in ihm begründet. Die ganze Geschichte des ursprünglichen Christenthums ist nur eine Geschichte der Mission, und nur durch die Mission hat sich die christliche Kirche gebildet.

Ohne sie besteht daher auch die christliche Kirche nicht, und

ihr eignes, inneres Leben würde ersterben. der Offenbarung Gottes.

Das Christenthum ist das Leben

Gott hat aber seiner Offenbarung keine Schran­

ken gesetzt, sondern will, daß sein Licht die ganze Erde erleuchte. will, daß Allen geholfen werde und Alle der Wahrheit kommen.

Er

zur Erkenntniß

Gehen aber kerne Boten des Evangeliums

in die Welt: so ist dies nicht zu erreichen. Und so tritt uns die Mission hier zugleich als ein Gebot GotteS, als ein Gebot seiner unendlichen Liebe hin.

Wer die Mission nicht will, hat das Christenthum nicht schon

erkannt in seiner Hoheit und Herrlichkeit, kann der Wahrheit und Selig­ keit, die es in sich hat, nicht schon inne geworden sein, und es nicht er­ fasst haben, daß eS bestimmt ist, Weltreligion zu sein.

Wem dies

aber noch verborgen ist, oder nicht vor der Seele steht, der hat das innerste Wesen des Christenthums, der hat seine Würde und Macht nicht schon durchschaut, der hat den Glauben an das Reich Gottes nicht, und auch die höchste Aufgabe seines Lebens in ihm nicht gesehn.

Wer die

Mission nicht will, kann nicht in Wahrheit beten: Zü uns komme Dein Reich! — und er versteht auch die Bitte nicht.

Was wir hier aus-

345

gesprochen, behaupten wir aber auch von dem Standpunkte der christlichen Wissenschaft, und je weiter Jemand in seiner Erkenntniß gekommen ist, eine je höhere wissenschaftliche Einsicht er sich erworben hat: umso­ mehr muß ihm auch die hohe Bedeutung und Wichtigkeit des Missions­ werks klar sein. Das Evangelium, der Geist der Wahrheit, der sich in Christo geoffenbart, ist auch die Quelle der wahren Wissenschaft; und nur aus diesem Geiste, aus bent Geiste des Herrn kann sie ihre leben­ dige Nahrung schöpfen. Wer diese Quelle verschmäht, verschließt sich selbst die heiligsten Tiefen der Wissenschaft, und dringt auch in ihre Wahrheit nicht ein. Es ist daher das Zeichen einer schwachen und utv verstandnen Erkenntniß und einer bloß scheinbaren, oberflächlichen Bil­ dung, wenn man um die heiligsten Angelegenheiten der Kirche Christi sich nnbekümmert lässt. Doch von Denen, für welche die Kirche über­ haupt außer dem Kreise ihres Wissens und Lebens liegt, und die das Interesse an ihr, der sie doch Alles, was sie geistig noch sind verdanken, verloren haben, darf man auch nicht erwarten, daß die Verbreitung des Evangeliums für sie ein. Gegenstand der Beachtung ist. Lebt aber die Wahrheit in uns, die göttliche Wahrheit des Evan­ geliums, und wissen wir, daß diese Wahrheit dem durch die Sünde ver­ finsterten Menschen von selbst nicht aufgeht, sondern nur durch die Pre­ digt des Evangeliums in ihm erwachen kann, ist diese Wahrheit die Macht und das Licht unsers Lebens, das alle Finsterniß um sich her zu zerstreuen und zu vertreiben trachtet, lebt.der Glaube in uns, ist die feste und unerschütterliche Ueberzeugung, daß in Niemand, denn nur in Christo das Heil ist, die unsrige, und wird unser ganzes Leben von ihr beherrscht, lebt die Liebe in uns, die Alle errettet und beseligt wissen will, die heilige und begeisterte Liebe zur Freiheit, die den Anblick der schmachvollen Knechtschaft der unchristlichen Welt nicht zu ertragen vermag, ist Christus selbst unsre Seligkeit, ist er unsre höchste und hei­ ligste Hoffnung, und erkennen wir, daß die Vollendung der Welt nur durch die Herrschaft Christi erreichbar ist: so muß uns auch die Ver­ kündigung des Evangeliums in der Welt an dem Herzen liegen und ein Gegenstand unsrer treusten und eifrigsten Sorge sein. Fassen wir aber den traurigen und bejammernswürdigen Zustand der Heidenwelt in das Auge, sehn wir, welch eine Finsterniß über derselben gelagert, und wie alles Leben in ihr erstarrt und erstorben ist; sehen wir die furchtbare und grausame Tirannei, unter deren schmählichem Joch fast alle heid­ nischen Völker seufzen, oder sehen wir auch ihre tiefe Versunkenheit in

346 die niedrigsten und unmenschlichen Lüste, sehen wir, wie daS göttliche Eben­ bild in ihnen entstellt ist und fast erloschen erscheint, wie sie also ver­ loren und ohne Hoffnung des Heiles sind, und schlägt in uns ein füh­ lendes Herz: wie sollten wir dem heiligen Werke ihrer Bekehrung unsre Kräfte nicht widmen und dazu mitwirken wollen, so viel es von dem Herrn uns verliehen ist?

2. Nachdem nun Jesus durch den vorangestellten Aussprnch: Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden, die Wahr­ heit und Nothwendigkeit des Gebots: das Evangelium aller Welt zu verkündigen, zu erkennen gegeben hat: so ertheilt er nun seinen Jüngern den bestimmten und ausdrücklichen Auftrag: Gehet hin, und lehret

alle Volker, und taufet sie im Namen des Va­

ters, und des Sohnes, und des heiligen Geistes, und lehret sie halten Alles was ich euch befohlen habe.

Darin liegt nun

zugleich eine inhaltsvolle Anweisung: wie das Gebot zur Ausfüh­ rung kommen, und wie die Verbreitung und Verkündigung des Evan­ geliums in der Welt geschehen soll.

Wollten wir aber Alles, was sich

aus diesen Worten Jesu entnehmen lässt, darlegen und entwickeln: fp würde uns dies Stoff noch zu mehr als einer Betrachtung geben.

Wir

werden uns daher hier mehr nur auf Andeutungen beschränken müssen. — Gehet hin, spricht Jesus, und lehret alle Völker und tau­ fet sie.

Das Lehren also ist das Erste, womit man an die Heiden

sich wenden, und sie innerlich zur Taufe bereiten muß.

Nur wo der

Grund im Geiste gelegt, wo durch das erkannte Bild der Wahrheit Gottes das höhere Lebensbewusstsein im Menschen erwacht, wo der Mensch durch das erfasste göttliche Wort in sich selbst hineingeführt, und daS Verlangen nach Christo in ihm geweckt und das Bedürfniß der Erlösung lebendig von ihm empfunden ist: da erst soll er durch die heilige Taufe das Siegel empfangen der Gnade Gottes und des Bundes mit ihm; da erst soll die Aufnahme in die Kirche Christi ihm gewährt und ge­ stattet sein. kehrung.

Ohne die Erkenntniß des Heils gibt es auch keine Be­ Mit dem bloßen Namen des Christen aber, oder nur mit

dem äußern Schein ist es nimmer gethan, und es ist dies selbst eine Herabwürdigung des Christenthums, das nur daS Leben des Geistes ist. Wo es nicht im Geiste seine Wurzeln geschlagen hat, wo man mit einer leeren gottesdienstlichen Form sich begnügt: da ist noch kein Christen-

347 thum, da hat das Evangelium kein Bestehen und keine Dauer, und die Spuren desselben werden nach kürzerer oder längerer Zeit wieder erlöschen. Knüpfen andre irdische Beziehungen, knüpfen Rücksichten einer weltlichen Herrschaft sich an, geht das Streben der Boten des Herrn nicht bloß darauf hinaus, die Welt zu erleuchten und zur geistigen und sittlichen Freiheit hinanzuführen: da kann das Evangelium nickt gedeihen, da wird die Kirche des Herrn nicht gebaut.

Das sehen wir auch an den Missio­

nen der katholischen Kirche in der neueren Zeit, wo besonders die Je­ suiten als Glaubensboten thätig gewesen sind.

Ihre Predigt des Evan­

geliums war nicht rein; ein hierarchisches Interesse hatte sich beigemischt und herrschte selbst vor.

Sie begnügten sich, dem Heidenthum oft nur

eine christliche Form umzuhängen, ließen den alten Aberglauben bestehen oder wandelten ihn auch nur in einen neuen um.

Obwol sie daher bei

ihren Unternehmungen weit mehr durch äußere Mittel unterstützt wur­ den: so haben sie doch gar wenig damit erreicht, ihr Einfluß ist größtentheils wieder vernichtet, und wo sie auch bereits schon einen ziemlichen Umfang gewonnen hatten, da sind sie meistens wieder verdrängt. Denn sie standen nicht auf dem Boden des Geistes.

Dagegen haben die

evangelischen Missionen doch schon andre und frucktreichere Ergebnisse hervorgebracht.

Es ist daher von der größten Wichtigkeit und Bedeu­

tung, daß der wahre evangelische Geist, der Geist des Protestantismus, der selbst nur ein Geist der Freiheit und der Erkenntniß ist, festgehalten -werde) und der bloße leblose Buchstabe nirgend zur Herrschaft komme. Denn der Buchstabe tödtet, nur der Geist macht lebendig. Ist nun aber die Lehre, oder die Einführung in die Lehre des Heils, in das Wort der göttlichen Wahrheit, die erste und nothwendige Bedingung einer wahren Bekehrung der Heiden zum Evangelium, da­ mit die Taufe nicht bloß eine Taufe mit Wasser, sondern eine Taufe mit dem heil. Geiste sei: so müssen nun auch die Boten des Evan­ geliums wahrhaft zum Himmelreich gelehrt sein, damit sie das Wort der Wahrheit auch recht mitzutheilen, und gleich einem Hausvater aus ihrem Schatze Neues und Altes hervorzutragen wissen.

Es bedarf für sie ganz

besonders einer vollen und klaren Erkenntniß des Evangeliums, nicht bloß an sich, sondern im Zusammenhange auch mit dem Ganzen der menschlichen und göttlichen Wissenschaft.

Die Anfoderungen an die zu

den Heiden gehenden Glaubensboten sind nicht etwa geringer, als an einen Prediger des Evangeliums unter uns, sondern vielmehr größer und schwerer.

Da reicht auch der bloße fromme und gute Sinn und Wille

348 nicht hin, um das Werk des Herrn unter den Heiden zu schaffen; und so nothwendig und unerläfflich auch die Liebe zum Evangelium und die Begeisterung für daffelbe ist, um es den Heiden zu predigen: so darf es doch auch an Weisheit und an einer durchgebildeten Erkenntniß, an einer hellen und scharfen Einsicht nicht fehlen.

Sowie das Evangelium daS

ganze Lebensbewusstsein der Heidenboten durchdringen muß: so soll eS auch im Geiste von ihnen durchschaut und in allen Beziehungen zur Welt und zu ihrer zeitlichen Bildung eingesehn sein.

Denn sie haben eS ja

nicht bloß mit rohen und unkultivirten, sondern auch mit gebildeten heid­ nischen Völkern zu thun, die zum Theil ihre eignen

alten religiösen

Systeme haben, und im Besitze von Schriften sind, die ihnen als hei­ lige gelten.

Wie sollen sie diesen zu begegnen, wie sollen sie ihre Ein­

würfe überzeugend aufzulösen im Stande sein, wenn sie nicht mit ihren religiösen Vorstellungen genau bekannt sind, wenn sie daS Evangelium bloß im Glauben haben, aber es nicht zu rechtfertigen wissen int Geist? Insofern aber auch die heidnischen Religionen nicht ohne einen Stral der göttlichen Wahrheit sind — denn Gott hat sich auch ihnen nicht unbezeugt gelaffen —: so müssen es die evangelischen Prediger auch ver­ stehn, daran anzuknüpfen, und die verborgnen Keime der Wahrheit hervorzuziehn, um den Heiden den Uebergang zum Evangelium, als zu der Wahrheit, worauf Gott schon in ihrer bisherigen Religion sie dunkler oder deutlicher hinweist, innerlich möglich zu machen und zu erleichtern. Das Missionswerk fodert wahrlich vorzügliche Geistesgaben, und außer einer unerschütterlichen Festigkeit und einem göttlichen GlaubenSmuth, der sich durch keine Schwierigkeit schrecken lässt und jede Aufopferung auf sich nimmt, bedarf es auch einer ausgebreiteten und umfassenden Wissen­ schaft; und wären alle Boten also ausgerüstet gewesen, so würden gewiß oft größere und bedeutendere Erfolge durch sie herbeigeführt worden sein. Wol hat es auch an herrlichen und großartigen Erscheinungen in der Geschichte der evangelischen Mission nicht gefehlt, und wir dürfen unter Andern nur die Namen eines Schwarz, Schmid, eines Egede nennen.

eines Ziegenbalg,

eines

Das sind leuchtende Muster für Alle,

welche dem Werke der Heidenbekehrung sich widmen wollen.

Aber das

höchste Muster der Weisheit in der Verkündigung des Evangeliums ist Christus selbst und seine Apostel, und zu ihnen vor Allen müssen die christlichen Glaubensboten hinaufschaun.

Mit welcher Weisheit weiß

Christus sein Evangelium überall an das Alte. Testament und an die in ihm verborgnen Hinweisungen auf die Offenbarung des Gottessohns, oder

349 auch an die mosaische Sittenlehre anzuknüpfen, und jedes Gebot zu erhöhn und zu vergeistigen? Wie weißer seine göttlichen Verkündigungen, obwol neu, doch immer durch die Schrift zu bestätigen?

Christus aber muffte wol,

daß nur der Geist dazu tüchtig macht, sein Bote zu sein, und so sendet er seinen Jüngern auch zuerst den h. Geist, der zugleich ein Geist der Weisheit und der Erkenntniß ist, zu befähigen.

um sie dadurch erst zum Apostelamt

Wenn der Tröster kommen wird, spricht er, den

ich euch senden werde vom Vater, der Geist der Wahrheit, der euch in alle Wahrheit leitet: der wird zeugen von mir, und ihr werdet auch zeugen.

Die Mission ist aber wesentlich nur

das Zeugniß von Jesu Christo,' und so können wir mit Recht auch sagen: daß nur der Geist der wahre Missionar ist.

Dieses Geistes

war auch der Apostel Paulus voll, und die Weisheit, womit er das Evangelium predigte, ist bewundernswerth.

Wiewol ich frei bin von

Jedermann, schreibt er an die Korinther, — wiewol das Evangelium in ihm das Leben der höchsten Freiheit gewonnen hatte — habe ich doch mich selbst Jedermann zum Knechte gemacht, — und mich ihnen und ihrer Vorstellungsweise, aber unbeschadet der Wahrheit, angeschloffen — auf daß

ich ihrer Viele gewinne;

den Juden bin ich geworden als

ein Jude, auf daß ich die Juden gewinne.

Denen, die unter dem Ge­

setz sind, bin ich geworden als unter dem Gesetz, auf daß ich Die, so unter dem Gesetz sind, gewinne.

Denen, die ohne Gesetz sind, bin ich

als ohne Gesetz geworden, auf daß ich Die, so ohne Gesetz sind, ge­ winne, so

ich doch — fügt er bedeutsam und herrlich hinzu — nicht

ohne Gesetz bin vor Gott, sondern bin in dem Gesetz Christi — der die wandellose und lebendige Richtschnur in seinem Apostelamt war —. Den Schwachen bin ich geworden als ein Schwacher, auf daß ich die Schwachen gewinne.

Ich bin Jedermann allerlei geworden, auf daß ich allethalben

ja Etliche selig mache.

Solches aber thue ich um des Evangelii willen,

auf daß ich seiner theilhaftig werde; — daß ich, will er sagen, ein Ge­ nosse seines immer mächtiger fortschreitenden und stets reicheren Lebens sei.

Diese inhaltvolle Erklärung des Apostels Paulus aber hier noch

weiter zu deuten und anzuwenden, dazu fehlt uns die Zeit. Wol wäre auch noch darüber zu sprechen, daß die Lehre des Evan­ geliums nur in Verbindung mit der ganzen übrigen Lebensbildung, mit Kultur und Sitte, festen Fuß fassen kann.

Denn ohne dies würde dem

Evangelium das Band mit der lebendigen Wirklichkeit fehlen, und es würde gleichsam uls außer dem Leben dastehn.

Aber es soll das ganze

350 Leben durchdringen.

Darum sind auch die Missionen der Brüdergemeinde,

die eben diesen Punkt besonders in's Auge gefasst und überall für Bil­ dung und Gesittung zu wirken gesucht, meist von einem glücklichen Er­ folge begleitet gewesen. Bildung des Staats

Nur da, wo die bürgerliche Berfasiung und die von der Kirche nicht mehr getrennt ist, oder als

außerchristlich ihr nicht noch gegenübersteht, kann das Evangelium erst seine vollen und herrlichsten Früchte tragen.

Doch auch darauf können

wir hier nicht weiter eingehn, und wollen den Herrn der Ernte nur bitten, daß er treue Arbeiter in seine Ernte sende, die ihres hohen und schweren Berufes wahrhaft inne geworden sind, die sich innerlich und äußerlich dazu tüchtig gemacht; wollen den Herrn bitten, daß er es ihnen an dem Beistände und Trost seines Geistes nie fehlen lasse, und sie leite in alle Weisheit. Lehret alle Völker, spricht Jesus; und da ist nun auch jetzt noch ein großes und unermessliches Feld für die Boten des Evangeliums aufgethan.

Denn von den Bewohnern der Erde bekennt sich ungefähr erst

der vierte Theil derselben zum Christenthum, und unter diesen beträgt wieder die Zahl der evangelischen Christen noch kaum den dritten Theil. Ist nun aber die Bekehrung Aller zu gleicher Zeit unerreichbar, und liegt dies wol selbst außer dem Gebiete der Möglichkeit: so würde es besonders darauf ankommen, die Ordnung zu finden und zu erkennen, in welcher die Völker zum Gottesreiche berufen sind.

Denn daß auch

in dieser Rücksicht eine höhere göttliche Ordnung oder ein Rath Gottes besteht, ist wol nicht zu verneinen.

Finden aber lässt er sich nur durch

eine klare Einsicht in den Zusammenhang aller Weltverhältnisse, sowie in die Stellung, die jedes der Völker einnimmt.

Denn wol kann es auch

noch völlig Unempfängliche geben, wo zunächst, bis ihre Zeit gekommen, alle Mühe verloren ist, und wo dann das Wort Christi gelten würde: Wo euch Jemand nicht annehmen, noch eure Reden hören will, so gehet heraus von derselbigen Stadt Staub von euren Füßen.

Wir wollen

und schüttelt den

aber hoffen,

daß solcher

Widerstrebenden immer weniger werden, bis sie nicht mehr zu finden sind. Nun sollten wir erst zur Betrachtung der Worte Christi übergehn: und taufet sie im Namen des Vaters, und des Sohnes, und des heil. Geistes, und auch darin liegt noch ein reicher Inhalt, der über die Art der Ausführung des Gebotes Christi auch noch ein eigen­ thümliches Licht verbreitet.

Doch auch dies können wir hier nur an­

deuten, aber nicht weiter entwickeln.

Die Völker sollen getauft werden

351 im Namen des Vaters.

Nun hat aber wol jedes der Völker vom Vater

eine eigenthümliche Gabe, eine besondre Bestimmung empfangen, und jedes nimmt in der allgemeinen göttlichen Weltordnung wol seine Stelle ein, wobei wir aber vorzugsweise die Zukunft tn’d Auge fassen. mittelbar vom Vater Empfangne, dieses Besondre

Dieses un­

und Eigenthümliche

soll nun durch das Evangelium nicht aufgehoben werden und untergehn, sondern vielmehr erst zur Anerkennung und zum Bewusstsein kommen, aber auch nur zum Bewusstsein in Jesu Christo, in dem Lichte des in ihm erschienenen lebendigen Gottesbildes.

Ohne dies kommt das Volk

auch zur Einsicht seiner besondern, wahren Bestimmung nicht. soll verklärt werden in dem Sohne.

Der Vater

Und so sollen die Völker auch die

Taufe empfangen im Namen des Sohnes, aber zugleich auch im Na­ men des heil. Geistes, insofern sich das Leben in ihnen auch als ein wahrhaft eignes und freies, als ein innerlich aufgegangnes Leben des Lichts entfalten soll.

Dies führt uns aber vorzugsweise auf Das zurück,

was wir vorhin von der Nothwendigkeit der christlichen Erkenntniß be­ hauptet haben.

3. Nun aber bleibt uns noch übrig, hervorzuheben, wie Jesus in un­ serm Texte auch den Erfolg, den die Predigt des Evangeliums in aller Welt haben werde, zweifellos andeutet.

Diese Andeutung liegt in dem

letzten herrlichen Ausspruch: Siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.

Hätten wir auch nur dieses Eine Wort:

könnten wir des herrlichen Erfolges und Ausgangs gewiß sein.

so

Christus

ist mit seiner lebendigen Gegenwart, mit seinem Worte und Geiste bei uns alle Tage bis an der Welt Ende, d. h. bis die irdische und un­ göttliche Welt, die Welt des bloßen sinnlichen Scheins aufgelöst und durchschaut ist in ihrer Leerheit und Nichtigkeit,

und dagegen die Welt

der Wahrheit und Herrlichkeit Gottes an die Stelle getreten ist.

Das

ist die Erscheinung des Gottesreichs, zu welcher Christus wiederzukehren verheißen hat. Kirche,

Das ist seine Zukunft.

Christus selbst, der Herr seiner

führt die Verkündigung des Evangeliums bis zum letzten und

höchsten Ziel, bis es sich erfüllt was er vorhergesagt: Ich habe noch andre Schafe, die sind nicht aus diesem Stalle, und dieselbigen muß ich herführen, und sie werden meine Stimme hö­ ren, und wird Eine Herde und Ein Hirte werden.

Herrliches

und begeisterndes Wort, ein Wort der ewigen Wahrheit! Himmel und Erde werden vergehen, aber Christi Worte vergehen nicht.

352 Wer sollte nicht anbetend niederfallen und in einen Preisgesang ausbrechen ob der hohen und heiligen, und zugleich gewissen Hoffnung und Aussicht, die uns hier aufgethan wird!

Ist die Aufgabe auch scheinbar maßlos:

so ist doch auch schon Großes geschehn.

Der Arbeiter im Dienste der

evangelischen Mission sind doch schon über viertausend, und die Zahl der Stationen ist weit über tausend gestiegen, und die verwendeten jährlichen Einnahmen belaufen sich auf etwa fünf Millionen Thaler.

Erscheint uns

aber auch diese Summe schon groß, so ist sie doch im Verhältniß zu der Aufgabe noch eine geringe, und zur Förderung der heiligen Sache bedarf es immer reicherer Gaben. gegeben.

Gebet, ruft Jesus uns zu, so wird euch

Iemehr unser Leben ein Leben in und mit Christo ist, und

wir wirken und schaffen mit ihm: so geht auch das selige und himmlische Leben uns immer reicher und voller auf.

Ihm aber, der überschwäng­

lich thun kann über Alles was wir bitten oder verstehen, nach der Kraft, die da in uns wirkt, Dem sei Ehre in der Ge­ meinde, die in Christo Jesu ist zu aller Zeit, von Ewigkeit zu Ewigkeit!

Amen.

XXXV.

Das göttliche Wort als das Wort des Lebens. Predigt am Bibelfeste 1852 über Matthäus 4, 4.

Theures Wort aus Gottes Munde, der Frommen Trost im alten Bunde, Ein Stab, dem Pilger in die Hand Vom dreieinigen Gott gegeben als einiger Weg zum ew'gen Leben, Als Führer in das Vaterland, Mein Herz sei auch ein Platz für diesen edlen Schatz! Ja ich flehe, o Lebenshort, mir sei Dein Wort Die Glaubensnahrung immerfort! Amen.

Die festliche Feier, m. christl. Fr., welche uns andachtsvoll hier ver­ sammelt hat, gilt dem göttlichen Wort, dem höchsten und herrlichsten Kleinod, was uns der himmlische Vater schon hienieden geschenkt und unS durch dasselbe erhöhet hat, seine Erben, Erben des ewigen Lebens zu sein, das selbst in diesem Worte umschlossen liegt.

Wir feiern das ewige Wort

welches in Christo als das lebendige uns erschienen ist und uns allein selig zu machen vermag; das Wort, was uns Gott auch in der h. Schrift als den köstlichsten Schatz zu eigen gegeben hat, in der Schrift, die als ein Werk des heil. Geistes das Buch der Bücher, und so selbst eine unversiegbare Quelle der Weisheit und des Heiles geworden ist.

So

führt denn das Fest, welches wir heute begehn, den Namen des Bibel­ festes, und ist dem Buche geweiht, worin uns Gott den ewigen Rath Schirmer, Festpredigten.

23

354 seiner Liebe und die heiligen Führungen der Seinen vor Augen gelegt und verkündigt hat.

Möge es uns auch heute lebendig werden, w a s wir

an diesem Buche besitzen! Möge das Wort dieser festlichen Stunde uns erwecken, immer mehr dahin zu wirken, daß Keiner des Segens dieses Besitzes entbehre, sondern Jeder die himmlische Frucht ernte, die Allen beschieden ist, die durch die-Schrift sich unterweisen lasten zur Seligkeit im Glauben an Jesum Christum. — Das leitende Wort aber, woran unsre Festbetrachtung sich anschließen soll, kann natürlich nur selbst aus der Schrift entnommen sein, wofür wir heute Gott danken und im Geiste durch sie uns stärken und bitten wollen: daß sie an uns und an Allen immer mehr sich erweise als eine Kraft Gottes zum wahren und ewigen Leben.

Wir haben nun ein Wort zum Texte erwählt, wodurch wir vor­

zugsweise das innerste Wesen der h. Sckrift und ihre wahre hohe Be­ deutung zu fasten und zu erkennen im Stande sind.

Wir lesen daffelbe

in der evangelischen Geschichte des Matthäus Kap. 4, V. 4 also: „Der Mensch lebet nicht vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Got­ tes gehet." Möge dieser Gottesgedanke auch unsre Seelen erleuchten, und uns dahin führen, zu wandeln in dem Lichte des Herrn. durch den Beistand Deines h. Geistes.

Dazu hilf unö, o Vater,

Amen.

Ein wohlbekanntes Wort, and. Fr., das wir soeben vernommen ha­ ben, ein göttliches Wort, welches schon im Alten Bunde geschrieben steht, was aber. Jesus, welcher in unserm Texte redet, zu dem seinigen macht, und eS als das Wort der ewigen Wahrheit zu sich aufnimmt, und eS durch die Beziehung auf sich als den Gottessohn noch verklärt.

Dieses

Wort erscheint nun auch. dadurch als besonders geeignet für die heutige Feier, weil es uns auf den innern Zusammenhang hinweist zwischen den Schriften des Alten und Neuen Bundes, als die beide, wenn auch auf verschiednen Stufen der Entwickelung und der Offenbarung, doch aus demselben göttlichen Geiste entsprungen sind.

Auch ist es wol nicht un­

bekannt, daß dieser Ausspruch Jesu in die Geschichte seiner Versuchung gehört, und daß er damit den Versucher, der ein zweckloses Wunder von ihm verlangte, — daß er nämlich Steine in Brot verwandle — zurückwies.

Ihm fei es, will Jesus sagen, nicht um die Befriedigung

355 eines irdischen, sondern eines himmlischen Bedürfnisses zu thun, wodurch allein das wahre Leben bestehen kann.

Dem nur trachte er als dem

Ersten und Höchsten nach, und sei Gott nur mit ihm, so habe er Alles; und so werde es ihm auch außerdem an dem Nöthigen nicht gebrechen; denn der himmlische Vater wisse ja, waS wir bedürfen.

Sei nur das

göttliche Leben ihm aufgegangen: so verschwinde ihm dagegen jede andre Sorge

als eine geringe und kleine.

Denn der Mensch lebt nicht

vom Brot allein, sondern von einem jeglichen Worte, daS durch den Mund Gottes gehet.

Und damit spricht der Herr die

göttliche in ihm lebendige Weltanschauung, die zugleich die erlösende Macht seines Lebens war, klar und entschieden aus, lässt uns aber auch nicht in Zweifel über die Quelle, aus welcher das wahre erlöste Leben einzig zu schöpfen ist und woraus es sich nährt. andre, denn daS göttliche Wort.

Und diese Quelle ist keine

Ist aber das Leben aus ihm: so muß

es auch in sich lebendig und selber das Leben sein; es ist die himmlische Macht, durch die das Leben allein zum Heil und zur Wahrheit kommt. So schließt nun auch der Ausspruch unsers Textes den inhaltvollen Ge­ danken in sich: daß das göttliche Wort das Wort des Lebens ist.

Dies gilt aber auch von der heil. Schrift, als die das göttliche

Wort in sich fasst.

Daher ist der bezeichnete Gedanke gewiß vor Allem

geeignet, der Mittelpunkt unsrer heutigen Festbetrachtung zu sein.

Und

so wollen wir denn unsre Andacht um diesen Gedanken sammeln, und

Das göttliche Wort als das Wort des Lebens — uns vor die Seele stellen.

Möge es uns gelingen, in diesen Gedanken

einzudringen im Geiste und in der That, daß sich das göttliche Wort auch an und als das Wort des Lebens verkündige.

Die Einsicht in das göttliche Wort als das Wort des Lebens kann aber nur davon auSgehn, daß es uns klar ist: was das göttliche Wort an sich selbst oder seinem Wesen und seiner Wahrheit nach sei, und was wir unter demselben zu denken haben.

Doch die Hoheit und Herrlichkeit

dieses Worts, sein Reichthum und seine Tiefe ist zu groß, als daß wir dies hier ganz zu entwickeln und zu beschreiben im Stande wären.

Und

wäre dieses Wort Euch ein fremdes, wäret Ihr nicht von ihm in Euch selbst berührt: so würde ich doch nicht vermögen, es durch meine Rede an Euch zu bringen.

Nein, ich setze voraus, daß die Anerkennung dieses

23

*

356

Worts und seine ewige Wahrheit Euch hierhergeführt, und Euch zur Theilnahme an dieser festlichen Feier gedrungen hat. Denn was wären wir ohne das Wort? Hat doch Alles seinen Anfang genommen von ihm, und ist durch dasselbe geworden und kann auch nur in und mit ihm zur Vollendung kommen! Wie sollten wir ohne daS Wort mit dem himm­ lischen Vater, mit ihm, dem Ewigen und Unsichtbaren verbunden sein? Und waS wäre das Leben ohne das Band mit Gott, dem Lebendigen, der allein Wahrheit und Seligkeit hat? Nur in dem ewigen Worte aber ist Gott mit und bei uns; nur in ihm und durch dasselbe kommen die ewigen und himmlischen Güter auf uns herab; nur in ihm hat sich Gott unS verkündigt und sich selber uns mitgetheilt. Denn gleichwie der Geist nur im Worte sich außzusprechen und nur in ihm erfasst zu werden ver­ mag: so wird auch Gott, der da Geist ist, nur im Worte und offenbar. Nur im Worte geht der Gedanke Gottes uns zum Licht und zur Wahrheit auf. Das Wort nämlich, bad, wie Johannes sagt, schon int Anfang oder ursprünglich und von Ewigkeit her bei Gott und Eins mit ihm war, und wodurch alle Dinge gemacht sind — was selber die Welt geschaffen —, ist die geistige die Welt durchdringende und sie tra­ gende und haltende Gottesmacht, ist das in die Welt hineingeborne, in ihr" waltende und sie ihrer Vollendung und Verklärung entgegenführende Gottesbild, es ist Gott selber als der in der Welt sich Offenbarende und als der Lebendige. Das Wort ist es, worin die Welt ihr göttliches Wesen, worin sie allein ihr Bestehen und ihre Wahrheit hat. Nur in ihm, in der Kraft und Macht dieses Wortes hängt sie unauflöslich mit Gott zusammen und ist seine Welt. Und so erklärt denn Johannes mit Recht: daß in diesem Worte daS Leben, und alles Leben aus ihm ist. Ja wir sind selbst, wie Jakobus sagt, aus diesem Worte gezeugt, und es ist schon verborgnerweise in uns, und indem der himmlische Vater und nach seinem Bilde geschaffen und dasselbe in uns gepflanzt: so hat er mit diesem Bilde auch sein Wort uns geschenkt — und das Wort ist fein Bild —, und wir haben es schon ursprünglich empfangen, daß aus ihm unser Leben in That und Wahrheit zum göttlichen und gott­ verkündenden Leben aufgehen und erblühen soll. So stellt sich uns das göttliche Wort wol schon hier als das Wort des Lebens vor Augen. Doch wir hätten eö nicht schon wahrhaft als solches erkannt und es nicht schon in seiner ganzen hohen Bedeutung ge­ sehn, wenn wir darunter nur dies verstünden: daß es der Grund unsers' Lebens ist und unser Leben aus ihm zum Dasein kommt. Das Wort,

357 von welchem wir sprechen,

ist ja deS Geistes Wort, ist eine geistige

Macht, und erfahren wir diese Macht nicht auch in uns selber, wirkt sie nicht auch in unS, und sind wir nicht von ihr ergriffen: so ist auch daS Wort als das lebendige uns noch ein fremdes, und wir wissen von dem Leben desselben nichts. Es zieht sich ja nicht, nachdem wir aus ihm her­ vorgegangen, wieder von uns zurück, sondern als lebendig ist und bleibt eS ja in und, wie es in diesem Sinne auch heißt: weben und sind wir.

In Gott leben,

Wir sind auö dem Wort, weil es als Wort

deS Geistes sich erst in uns offenbaren, und seinen verborgnen göttlichen Reichthum in

uns

enthüllen will.

Es enthüllt sich

zur Entfaltung nur durch die freie That,

aber und kommt

durch die That des Geistes,

die durch uns selbst als die freie, aber nur aus der Kraft des göttlichen Worts, aus dem göttlichen Vermögen, das in unS ist, vollzogen sein muß, die wir aber auch nicht vollziehen können, wenn wir uns nicht hin geben an die Macht dieses Wortes, und voll Verlangen nach seinem Heil, von ihm unS ergreifen lassen.

Denn eS wirkt auch nur mit und durch uns.

DaS göttliche Wort ist also das Wort deS Lebens, weil eS selber daS Leben und das wahre Leben die That dieses Wortes, und von ihm allein bewegt und getragen ist.

Es ist

das Leben, daS sich zum Be­

wusstsein Gottes und so erst zum wahren Selbstbewusstsein erhoben hat, und aus diesem Bewusstsein, aus dem Gedanken und Willen Gottes nur lebt, und also auch nur daS Werk Gottes thut, und nur ihn und sein Bild offenbart, das Bild seiner ewigen Wahrheit und Herrlichkeit. so ist das Leben selbst das verherrlichte,

Und

verherrlicht in Gott, und zu

seinem höchsten göttlichen Eigenthume hindurchgedrungen.

Denn nur in

Gott sind wir auch bei uns selbst, im Besitze deS höchsten und heiligsten Friedens, sind die himmlisch Beseligten.

Wie sollte solch ein gottverherr­

lichtes und gottbeseligtes Leben, wie es das Leben aus dem Wort GotteS ist, nicht der Gegenstand unsrer geheimsten Sehnsucht, nicht das Ziel un­ sers höchsten begeisterten Strebend sein! Wer möchte sich noch mit einem Leben begnügen wollen, das der Erde nur angehört, und und nichts bietet, als was vergänglich und eitel ist?

Der Mensch lebt ja nicht vom Brot allein.

Aber das ist

leider die gemeine und niedrige Ansicht so Vieler auch noch in unsrer Zeit, die Nichts suchen als die Befriedigung ihres sinnlichen und natür­ lichen Menschen, oder die doch nur von einem irdischen Sinne, von der Lust und Liebe der Welt sich beherrschen lassen, und nur nach den Gü­ tern der Erde, nach Reichthum

und Ehre trachten und nur äußerlich

358 glänzen wollen, aber von einem Streben nach h'öhern und göttlichen Din­ gen, von einer Begeisterung für Recht und Wahrheit, von einem Wirken der reitenden Liebe, von Aufopferungen zum Heile der Welt, von einer Arbeit für Gottes Reich, worin das Leben allein feine Bestimmung hat, nichts wiffen mögen und dies Alles, als fei es eine Thorheit, verachten. So leeren sie das Leben durch und durch aus, und rauben ihm seinen göttlichen Inhalt und machen es zu einem nichtigen und bedeutungslosen, und zerstören eS in sich selbst, so daß uns aus solch' einem Leben nur der Hauch des Todes entgegenweht, wie es denn auch selbst der Gewalt des Todes anheimfällt. Wie sollte daher das traurige und abschreckende Bild Derer, die vom Brote allein leben wollen, unS nicht um so mächtiger drängen, Alles zu thun, um das göttliche Wort zu ersassen und aus ihm zu leben das Leben der ewigen Wahrheit und Seligkeit! Und fühlten wir und zu schwach, uns aus uns selbst zu ihm zu erheben, obwol das Wort als eine ursprüngliche Gabe Gottes schon in uns ruht und nur durch die Sünde, durch das ungöttliche Wesen, dem wir uns hingegeben, in uns zurückgedrängt und verdunkelt ist: so hat es ja Gott uns lebendig erscheinen lasten in seinem Sohn Jesu Christo, und wir schauen es in ihm in seiner vollen Wahrheit und Herrlichkeit. DaS Wort ward Fleisch, ruft Johannes begeistert aus, und eS wohnete unter uns und wir sahen seine Herrlichkeit, eine Herr­ lichkeit als des eingebornen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. Das Wort ist in Christo zur That geworden, und das ganze Leben des Herrn ist nur die That dieses Worts, und waS bisher in ihm noch verborgen war, verborgen in Gott, ist in Christo, als dem lebendigen Worte, uns offenbar. Wir schauen in Christo daS wahrhaftige Gottesbild. Und so ist auch von ihm eine neue welterlösende Macht ausgegangen, die Macht eines neuen, von aller unheiligen Knecht­ schaft erlösten und zur herrlichen Freiheit der Kinder GotteS. erhöheten Lebens, des Lebens der seligen Herrschaft des Wortes GotteS. Haben wir nun aber nur den Glauben an Jesum Christum, — und wer wahr­ haft an den Vater glaubt, glaubt auch an den Sohn, an daS im Sohne geoffenbarte lebendige Gottesbild — und wenden wir in diesem Glauben zu Christo uns hin, und nehmen wir ihn, nehmen wir sein Wort zu uns auf: so werden wir auch das Leben aus ihm empfangen, und indem durch den gläubigen Hinblick auf ihn, das in uns selbst verborgne, und vorher noch schlummernde göttliche Wort zur Bewegung kommt, und in uns erwacht und sich zu einer heiligen Flamme entzündet: so wird auch

369 das Heil in Christo daS unsre sein, und wir leben mit ihm auS dem Worte, das in ihm Fleisch geworden, daS Leben der Freiheit und Se­ ligkeit.

Können wir aber Christum, das lebendige Gotteswort, nicht mehr im sichtbaren Leben sehn: so ist dieses Wort durch die Gnade Gottes doch für alle Zeiten uns nahe gebracht,

und wir können fortgesetzt mit

ihm umgehen in der heiligen Schrift, die selbst nur das Werk des h

Geistes ist und das Wort Gottes zum Inhalt hat.

ten und gottbegeisterten Männern geschrieben,

Von gotterweck­

die in den Rath Gottes

hineingeschaut, zeigt sie und selbst nur ein Bild der göttlichen Offenbarung und zwar in dem Verhältnisse ihres Fortschritts, von ihrem Anbeginn biS zu ihrer Jesu Christo.

höchsten Vollendung,

bis zur Menschwerdung Gottes in

Haben schon die Propheten des Alten Bundes und daS

Wort der Verheißung verkündigt: so predigen und die Evangelisten und die Apostel seine Erfüllung, sie predigen uns die Erscheinung deS Heilandes der Welt; — und als der Gottessohn schon wieder hingegan­ gen war zu dem Vater: da zeichneten sie sein Evangelium für die Nach­ welt auf, daß cd Zeugniß gebe von ihm, daß auch künftige Geschlechter daS Bild des Erlösers, darin erkennen und sich an seinem Worte erquicken möchten.

So ist und in der h. Schrift das reitende GotteSwort für

alle Zukunft gesichert und aufbewahrt, daß eS der Welt nicht wieder ent* rissen und auch nicht entstellt werden kann, und sowie das GotteSwort an sich selbst unvergänglich ist, und wie daher auch JesuS sagt:

Him­

mel und Erde werden vergehen, aber meine Worte vergehen nicht: so gilt dieS auch mit Recht von dem heiligen Buch, daS dieses Wort in sich schließt, und wir können wol gewiß sein, daß auch dieses Buch auf Erden nicht untergehn wird. Was wir aber der h. Schrift als dem geschriebnen Worte GotteS verdanken: davon hätten wir viel zu sagen.

Hat doch die Kirche Christi

sich nur durch sie, als die Urkunde von der Stiftung des Reiches Got­ tes, befestigt, und ist mit ihrer Hülfe nur das Evangelium immer weiter getragen worden in alle Welt.

Und als Zeiten der Finsterniß gekom­

men waren, und eine unheilige Tirannei dem armen hungernden Volke mit der Schrift das Brot deS Lebend entzogen und die Gewissen in Feffeln geschlagen hatte: da war es nur das dem Volke zurückgegebne und vor ihm aufgeschlagne göttliche Wort, wodurch ein neues Leben in

360 die erstarrte Kirche kam, und eine wunderbare geistige Bewegung die Welt durchdrang und die alten Fesseln gebrochen wurden.

Und was der

heldenmüthige GotteSmann Dr. Martin Luther mit dem Schwerte des göttlichen Worts ausgerichtet und damit erstritten, wie er mit dem Worte der Schrift, die durch ihn nun in deutscher Zunge ihre Stimme erhob, die Gemüther ergriffen und für die Sache Christi begeistert hat: das wissen wir.

Ja, ohne die heilige Schrift wäre schwerlich das Werk

der evangelischen Freiheit vollendet worden. — Auch noch jetzt ist sie eine herrliche und unentbehrliche Stütze des Christenthums und wird es auch ferner sein.

Mag auch der menschliche Vorwitz undUnverstand an

ihr geklügelt haben, ist auch sie vom Mißbrauch nicht frei geblieben: so kann dies doch ihrem hohen göttlichen Werth keinen Abbruch thun. Und wie viel Einzelne haben zu allen Zeiten aus dem göttlichen Worte der Schrift Trost und Beruhigung, Heil und Frieden geschöpft! Wie viele Gebeugte haben sich an ihr aufgerichtet und zu neuem Lebens­ muth sich gestärkt, und sich aus der Trübsal der Gegenwart erhoben zur Hoffnung der Herrlichkeit!

Wie gar Manche sind durch sie, durch die

Macht der Gottesstimme des Herrn aus dem Tode der Welt zum neuen Leben erwacht! Wie Viele hat sie zur Erkenntniß der ewigen Wahrheit geführt, so daß sie bezeugen mussten: daß nur hier der Weg, die Wahr­ heit und daS Leben fei!

Ja, die h. Schrift war zu allen Zeiten ein

Licht, das hineingeleuchtet hat in die Finsterniß.

Wie sollte sie daher

nicht auch ein Gegenstand unsrer frommen Verehrung sein? Sowie das göttliche Wort eine unerschöpfliche Fülle des himmlischen Reichthums umschließt: so hat auch die h. Schrift an diesem Reichthum Theil, und jemehr wir mit ihr umgehn, je fleißiger wir in ähr suchen: so entfalten sich in ihr immer neue geistige Schätze; und je tiefer man in sie eindringt: so tritt die göttliche Wahrheit und Weisheit von immer neuen Seiten darin hervor.

Wie sollten wir es daher nicht für eine

heilige Sorge achten, diesen Reichthum Allen, die noch desselben entbeh­ ren, mitzutheilen und auszuschließen? wie sollten wir an dem Werke der Bibelverbreitung nicht gerne theilzunehmen und es nach Kräften zu fördern und zu unterstützen geneigt sein?

Wer möchte nicht gern Andern zum

Heile helfen? Das ist doch wol nur eine Christenpflicht. Doch reichen äußer* Mittel, obwol sie nicht zu entbehren sind, allein nicht hin. ben.

Wir federn mehr.

ES bedarf hier auch geistiger Ga­

Denn wo es an diesen fehlt: da würde der wahre heilige Zweck

nicht zu erreichen sein.

Die geistige Gabe aber, die wir in Anspruch

361

nehmen, ist vorzugsweise der Glaube, den wir dem Werke entgegen­ bringen, und die Liebe, womit wir daran arbeiten sollen. Denn bliebe daS Herz dabei kalt, und wären wir selbst noch gleichgültig gegen daS göttliche Wort: wie wollen wir Andre dafür zn erwärmen und die Liebe zur Bibel zu erwecken im Stande sein? Schließt sich uns doch die heil. Schrift auch nur durch den Glauben auf, und ohne ihn, ohne den Glauben an Christum, kann sie uns nichts zum Worte des Lebens wer­ den. Wo aber keine Liebe zur Kirche ist, und wir in ihr das göttliche Wort nicht hören mögen: da lebt auch der Glaube nicht, und so hängt das Gedeihen der Bibetfache, so hängt die Frucht, welche die heil. Schrift bringen soll, auch von der Liebe zur Kirche und von der lebend digen und freudigen Theilnahme an der Predigt des Evangeliums ab« Soll aber die Schrift uns ein Führer zum Leben und zur Seligkeit sein: so dürfen wir auch nicht beim bloßen Buchstaben stehen bleiben, als hätten wir das Heil schon in ihm. Denn daS göttliche Wort ist nur daS Wort des Geistes. Der Buchstabe aber tobtet, nur der Geist macht lebendig. Bleibt das Wort unverstanden, erschließt es sich uns nicht im Geist, finden wir nicht in der Schrift auch unser wahres geistiges Eigenthum, wissen wir nicht in ihr den ewigen Inhalt des Gotteswortes von seiner zeitlichen Umhüllung zu scheiden, und ver­ mischen wir so das Aeußere mit dem Innern, das Zeitliche mit dem Ewigen, und pochen wir auf den todten Buchstaben, während wir an dem Geiste vorübergehn: da treiben wir das Werk Jesu Christi nicht, da bleibt uns die Wahrheit verborgen, und das herrliche und selige Le­ ben der Freiheit in Christo geht uns nicht auf. Da würde Jesus ebenfalls zu uns sagen: Ihr irret und wisset die Schrift nicht, noch die Kraft Gottes. Sollen wir doch auch, wie die Christen zu Thessalonich, in der Schrift forschen, ob es sich also verhalte! Und die h. Schrift scheut auch die schärfste Betrachtung nicht, und daS wahre göttliche Licht leuchtet nur um so Heller in ihr hervor. Möge es darum Niemand unter uns an sich fehlen lassen, daß die Schrift ihm zum Segen werde, daß sie das Wort seiner Liebe sei, um Licht und Leben aus ihr zu gewinnen. Ja, lasset daS Wort Jesu Christi immer reichlicher unter Euch wohnen in aller Weisheit, daß Ihr verkündiget die Tugenden Dessen, der Euch berufen hat von der Finsterniß zu seinem wunderbaren Lichte, und Ihr Euch selbst zu einem geistlichen Hause, zu einem heiligen Priesterthume erbaut und geistliche Opfer bringt, bie Gott angenehm sind durch Jesum Christum, daß durch

362

ihn auch Euer Leben daS-Opfer sei, waS wahrhaft aufsteigt zu Gott und Euch den Himmel erschließt. Nehmet- daS Wort der Wahrheit, das in Euch durch Christum gepflanzt ist, mit Sanftmuth an, daß es aufwachse zu einem Baum, der bis zum Himmel reicht, und unter desien erquickendem Schatten Ihr ewig geborgen seid; nehmet das Wort an, daS Eure Seele ewiglich selig macht. Du aber, o Herr, sei mit uns, sei mit Deinem Geiste bei uns, damit das Werk, waS wir thun in Deinem Namen, gelingen möge, und die ganze Welt durch Dein lebendiges Wort immer mehr zum Bilde Deiner Ehre verherrlicht, und verwandelt werde in Dein ewiges und seliges Reich! Laß Dein Wort uns einen Spiegel Jenes ewigen Lebens sein! Drück' es als ein Gnadensiegel Göttlich uns in's Herz hinein, Daß wir fest im Glauben stehn, Bis wir dort zum Schauen gehn!

Amen.

XXXVI.

Wie wir nicht in das Himmelreich kommen Annen, ohne nmzukehren nnd zn werden wie die Kinder. Predigt am Michaelis feste 1854 üb. Matthäus 18,1—11.

Gepriesen sei Gott, der Bater unsers Herrn Jesu Christi, der unS tüchtig gemacht zum Erbtheil der Heiligen im Licht, und uns errettet hat von der Obrigkeit der Finsterniß und uns versetzet in daS Reich feines lieben Sohnes. Amen. Ev. Matthäi 18, 1—11. „Zu derselben Stunde traten die Jünger zu Jesu . .. ist gekommen, selig zu machen, das verloren ist." Möchte doch nur erst Alles, was verloren ist, durch ihn selig geworden sein! Verlorne, Verirrte aber sind wir Alle, so lange die irdische Selbst­ liebe und die Herrschaft der Sinnenwelt uns gefangen hält, und wir nicht demuthsvoll uns hingeben an den Gottes- und Menschensohn Jesum Christum, an ihn, der allein der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, und außer welchem Niemand uns retten und zur Seligkeit helfen kann. Möge darum diese Hingebung doch in uns Allen zur That werden, zur That der Liebe, um mit Christo zu leben und zu herrschen in seinem Reich! Dazu segne, o Herr, auch das Wort, das ich hier in Deinem

364 Namen verkündigen soll; Kraft des h. Geistes.

segne eS um Deiner Gnade willen durch die

Amen.

Die Festfeier, m. Gel., welche wir heule begehn, gilt der Aner­ kennung einer höheren göttlichen Geisterwelt.

Und wenn wir uns selbst

und unser Leben beschaun, wenn wir es erkennen und inne werden, wie fern wir noch von dem göttlichen Bilde sind, wozu uns der himmlische Vater berufen hat, und daS in dem Sohne Gottes uns lebendig entgegenstralt: so können wir nicht daran zweifeln, daß es Engel, daß es Gottgesendete gibt, die auf einer höheren und vollendeteren Stufe der göttlichen Lebensentwickelung stehn, und dadurch auch Gott näher getreten sind und eine höhere Stelle Wirken für ihn.

einnehmen in seinem Dienst und in dem

Ihr Leben ist eine vollkommnere Offenbarung Gottes.

Vollendet offenbar aber ist Gott nur in seinem Reich, und Glieder oder Erben dieses Reiches zu

sein und wahrhaft in ihm zu leben:

das ist

denn doch das Höchste, was geschaffne Geister zu erringen im Stande sind.

Dieses von Christo verkündigte und gestiftete Reich, das Reich deS

himmlischen, mit Gott vereinigten seligen Lebens, ist daher auch die höchste und heiligste Stätte der Geisterwelt.

In unsrem heutigen Festevangelium

ist nun auch der Gedanke des GotteSreichs

der beherrschende, und

die ganze Rede des Herrn geht nur darauf hinaus,

den Jüngern zur

klaren Einsicht in dieses Reich zu verhelfen. Die Jünger hatten die Frage ihm vorgelegt:

Wer ist doch der

Größeste im Himmelreich? — und gaben freilich damit zu erken­ nen, daß ihnen das wahre Wesen des Himmelreichs, das nur ein Reich deS Friedens und der Liebe ist, und wo keine Unterschiede des Ranges oder menschlicher Ehre gelten, noch verborgen sei.

IesuS weist sie nun

auch mit ihrer Frage entschieden zurück, und stellt ihnen den Irrthum, worin sie befangen waren, in einem lebendigen Bilde vor Augen.

Er

rief ein Kind zu sich, stellte eS mitten unter sie und sprach: Wahrlich ich sage euch, es sei denn, daß ihr euch umkehret und wer­ det wie die Kinder: so werdet ihr nicht in das Himmelreich kommen.

Wer sich nun selbst erniedriget, wie dies Kind,

der ist der Größeste im

Himmelreich.

So spricht denn Jesus

mit diesen Worten eine entscheidende und gewichtvolle Bedingung aus, ohne deren

Erfüllung der Eingang

itV$ Himmelreich uns verschlossen

bleibt., Ist dieses Reich aber das Eine und höchste Ziel, wonach wir

365 als Kinder Gottes zu trachten haben, ist es die höchste Aufgabe, woran wir zu arbeiten mit unsrem ganzen Leben berufen sind, ruht die Hoff­ nung der Zukunft für uns einzig in diesem Reich, dessen lebendiges Bild uns in dem Sohne Gottes entgegenleuchtet, gibt es kein Heil für uns, kein Heil in der Gegenwart, wenn wir noch etwas Andres suchen, als dieses Reich, und unsre Augen nicht von der Erde zum Himmel, als zu der Heimat gerichtet sind, wohin Christus uns Alle als die Seinen ver­ sammeln will, daß wir bei ihm sein allezeit, und seine Herrlichkeit sehen sollen, die ihm der Vater gegeben hat: so muß es uns umsomehr an dem Herzen liegen, das Wort des Herrn von dem Himmelreich zu erfassen. Je einfacher aber die von ihm ausgesprochne Bedingung ist, desto bedeut­ samer ist sie, und eö liegt darin weit mehr, als es beim ersten Anblick erscheinen möchte.

So soll es denn heute der Gegenstand unsrer Be­

trachtung sein, und wir wollen es uns klar zu machen suchen:

Wie wir nicht in das Himmelreich kommen können, ohne umzukehren und zu werden wie die Kinder.

Diese Bedingung, m. Gel.,

steht im engsten Zusammenhange mit

dem Wesen des Himmelreichs, und empfängt dadurch erst ihr volles Licht.

Das Himmelreich oder das Gottesreich ist aber nur das Reich

des wahrhaftigen und seligen Lebens, worin Gott allein waltet und herrscht als der Eine und Ewige, das Reich seiner Wahrheit, seiner Liebe und Gerechtigkeit, das Reich, worin das ganze Leben in allen seinen Ver­ hältnissen zum Bilde Gottes verklärt und verwandelt ist, so daß nur sein Wille und sein Werk, das Werk seiner ewigen Gnade, in ihm zur Er­ scheinung kommt.

Es ist das Reich, wo Alle, die darin leben, vom Geiste

Gottes beseelt und getragen sind und sich ihm nur zum Dienste weihn. Ist dieses Reich nun aber doch nur das Reich des Vaters: so können auch nur wahre Kinder Gottes darin den Eingang finden; wie darum auch Christus der Sohn des lebendigen Gottes zur Rechten seines Va­ ters im Himmel sitzt, und in seinem Reich mit ihm herrscht und regiert. Jedes Menschenkind nun, das die Gnade Gottes iiV6 Dasein ruft, wird auch mit einem Anrecht geboren an dieses Reich, wie daher auch Jesus sagt:

Lasset die Kindlein zu mir kommen und wehret ihnen

nicht; denn solcher ist das Reich Gottes.

Und wenn er ferner

in unsrem Evangelium spricht: daß niemand Eins dieser Kleinen ver­ achten solle; denn ihre Engel im Himmel sehen allezeit das

366 Angesicht meines himmlischen Vaters: so schließt dieser schöne und liebliche Ausspruch denselben Gedanken in sich, und die Engel, die Boten Gottes, die ja selbst nur Vermittler deS Bandes sind, wodurch unser Leben mit dem Himmel verknüpft ist, sollen auch für die Kleinen nur die Führer zum Himmel oder zum himmlischen Reiche sein.

Doch

bildet sich ihre Berufung zum Himmelreich auch schon in der Eigen­ thümlichkeit ihres ganzen kindlichen Wesens ab, und ihre natürliche Sin­ nes- und Handlungsweise — wenn ste noch unverbildet und unverdorben sind —, ihre unbefangne Natur ist schon ein Ausdruck ihrer Anlage und Befähigung zu dem Himmelreich, die sie von ihrem himmlischen Vater empfangen und mitgebracht haben von ihm. Seele

geht ein himmlischer Zug hindurch.

Schon durch ihre kindliche Denn die Natur als von

Gott, steht an sich auch nicht im Widerspruch mit dem Geist, sondern ist selbst vom Geiste getragen, als ihrem Herrn, und ihm zum Dienste bestimmt.

So zeigen sich schon in der Natur und im Wesen deS Kindes

gewisse Eigenschaften, fähigen.

die dem Himmelreich angehören und zu ihm be­

Das ist es nun

ein Kind vor die Jünger

auch, was Jesus im Auge hat, indem er stellt und sie ermahnt:

umzukehren, und

zu werden wie die Kinder, um in das Himmelreich einzugehn. Zur Aufnahme in dieses Reich kommen doch aber auch nur, die gerecht und die heilig sind. mand den Herrn sehn; werden Gott schauen.

Denn ohne Heiligung wird Nie­

und nur die reinen Herzens

sind,

Denkt denn nun aber Jesus die Kinder als

die wirklich geheiligten; sieht er sie denn als völlig rein und als schuldlos an? Das will er freilich damit nicht sagen, und wir können es

nicht verneinen, daß die Sünde auch schon in dem Kinde ihre Stätte

hat, und böse und unheilige Neigungen schon früh in ihm sichtbar wer­ den.

Alle müssen von Neuem geboren werden, wenn sie das Gottesreich

sehn sollen.

Jesus spricht nun auch den Kindern das GotteSreich nicht

in

dem Sinne zu, als wären sie schon wirklich ihm einverleibt, sondern

er

sieht in

ihrer

unverdorbnen Natur nur die Bedingungen dazu vor­

gebildet und sieht auf die Empfänglichkeit hin, womit die kindliche Seele sich dem Bilde des Himmelreichs zuneigt. — Das wahre Leben in diesem Reiche als dem Reiche des Geistes, ist aber auch nur das gottbewusste, und muß von dem Gedanken Gottes erleuchtet, muß selbst ein Leben im Geiste sein.

Denn wer nicht aus dem Geiste geboren ist, spricht

JesuS, wird das Reich Gottes nicht sehn.

Das unmündige harm­

lose Kind lebt aber mehr noch unbekümmert und unbewusst.

Wenn nun

367 Jesus uns auffodert: umzukehren, und zu werden wie die Kin­ der, damit wir in's Himmelreich kommen mögen: so soll dies doch keine Umkehr zur Kindheit und Unmündige

zu einem vergangnen Lebenszustande sein.

sind doch auch zum Bau des Himmelreichs nicht geschickt.

Nur jene Eigenthümlichkeiten, die mit dem reinen kindlichen Wesen ver­ bunden sind, sollen wir uns znm Vorbilde nehmen und in die Unbefan­ genheit eingehn, die dem Kinde zu eigen ist, aber doch so, daß der Geist der Herr unsers Lebens ist. Ohne die Umkehr aber gibt's für uns keine Möglichkeit, in daS Himmelreich einzugehn.

Darum hebt Jesus dies als das Erste hervor,

und macht dies zur unumgänglichen Bedingung, wenn es wahrhaft um daS Himmelreich uns zu

thun ist.

Mit dieser Umkehr aber meint er

nur die Umkehr von dem eitlen und nichtigen Wesen der Welt, die dem Gottesreich widerstrebt und ihm feindselig gegenübersteht.

In dieses We­

sen der Welt sind wir nun Alle noch mehr oder minder verstrickt, und wenn wir auch wol das Verlangen und die Sehnsucht nach dem Him­ melreich im Herzen tragen: so wirkt die Macht der Welt doch noch oft auf unS ein, und ihr Trug und Schein blendet und feffelt und. wir uns aber von diesen Banden nicht los,

Machen

wandeln wir noch immer

die alten gewohnten Wege: so finden wir auch den Eingang in das Reich Gottes, in das Reich der himmlischen Freiheit nicht.

Wer die Welt

noch liebt: in dem ist nicht die Liebe des Vaters; — und ohne diese Liebe nimmt der Vater uns nicht zu sich in den Himmel auf, und der selige Gottesfriede zieht

in unsre Herzen nicht ein.

Die lebendige

und kräftige Gottesliebe aber lebt nur in Dem, der die Welt überwun­ den hat.

Wir sollen nun aber werden wie die Kinder, damit uns das Him­ melreich offen stehe. Wir sollen an ihrem ganzen kindlichen Wesen, wie eö in der ihnen angebornen Natur uns entgegentritt und göttliche Züge erkennen lässt, uns

ein Vorbild nehmen.

Worin aber dieses kindliche

Wesen vor Allem bestehe: das deutet uns Jesus klar genug an durch den Ausspruch, den er unmittelbar

hier noch folgen lässt:

Wer sich

nun selbst erniedriget, wie dies Kind, der ist der Größeste im Himmelreich, dem ist vor Allem der Eingang in's Himmelreich aufgethan.

Diese Selbsterniedrigung, die Jesus auch in andern Stel­

len gebietet und Denen,

die sich selbst erniedrigen, die Erhöhung ver-

368 heißt, begreift nun aber nichts Andres, als die Aufhebung aller Selbst­ sucht, womit Niemand tn’6 Himmelreich kommen kann.

Denn die Selbst­

sucht, die nur das Ihre sucht und keine Hingebung kennt, bringt unselige Trennungen in das Leben und hebt allen Frieden auf. zel der Sünde, deren Sold nur der Tod welches Gott uns gibt.

Sie ist die Wur­

statt des ewigen Lebens ist,

Mit dem selbstischen Ich, was nur sich selbst

leben will, und nur trachtet nach Dem, was auf Erden ist, gehn wir nicht in den Himmel, in das Reich Gottes ein. — Die Selbsterniedri­ gung findet Jesus nun aber in der Anspruchlosigkeit abgebildet, die dem Kinde nach seiner Natur eigenthümlich ist

Das unverbildete

Kind weiß von den trennenden Unterschieden des Standes und Ranges, wie sie später im Leben sich geltend machen, noch nichts.

Es sieht alle

seine Altersgenossen als gleich mit sich an, und eine persönliche Ueberhebung gegen sie ist ihm fremd.

Selbst das Fürstenkind, sind nicht schon

andre Vorstellungen ihm eingepflanzt, schämt sich des Umganges und des Spiels mit dem Kinde des Geringen und Armen nicht.

DaS Kind

weiß nichts von Vorrechten und Ansprüchen, wonach man Andre zurück­ setzt und sie verachtet, als wären sie von Gott selbst tiefer gestellt, und als hätten sie nicht dasselbe göttliche LebenSrecht.

Die falsche Sucht nach

Ehre und Ruhm, die so vielen Zwiespalt unter die Menschen bringt, liegt ihm fern, und eS will nicht mehr als die andern sein. — So sollen nun auch wir wie die Kinder werden, und geben wir nicht allen Hoch­ muth, alle eitlen und irdischen Ansprüche auf, ist es uns noch um An­ sehn und Ruhm vor der Welt zu thun, wollen wir mit unsrer Person uns nur geltend machen, halten wir mehr von uns, als zu halten ist, sind wir auf vermeinte persönliche Vorzüge eingebildet, und sehn wir stolz auf unsren Nächsten herab: so sind wir zum Himmelreich, wo wir Alle nichts mehr und nichts weniger sind als die Kinder Gottes, und Alle in Einem Geist nichts Anders schaffen sollen als Gottes Werk, und nichts suchen, als die. Welt- zur Seligkeit zu erbauen: — da sind wir, sage ich, zum Himmelreich nicht geschickt und kommen auch nicht hinein.

Das an­

spruchlose Kind dünkt sich nichts; — und so müssen auch wir jeden Dün­ kel, welcher Art er auch sei, von uns ferne halten.

Denn der Dünkel,

der mit der Demuth streitet, entfremdet unö Gott unsrem Vater, und steht der Hingebung im Wege, die er von uns als seinen Kindern in Anspruch nimmt

Auch der Wissensdünkel gehört hierher, und das

von Christo vor die Jünger gestellte Kind soll zugleich eine Hinweisung darauf sein, daß es das Wissen allein nicht thut, und die bloße Erkenntniß

369

uns zum Himmelreich nicht helfen kann. Wol bedarf es auch der Erkenntniß und Einsicht, und wir können sie nicht entbehren, um den Trug der Finsterniß aufzulösen. Sie hat ihren hohen und unläugbaren Werth. Aber für sich allein macht sie nicht selig, wenn sie nicht zur lebendigen That, zur That der göttlichen Liebe wird. Wer sich mit ihr noch brüsten will: der hat ihr wahres göttliches Licht nicht gesehn und ist nicht von ihm erleuchtet. So sich Jemand dünken lässt, er wisse etwas, der weiß noch nichts, sagt der Apostel Paulus, wie er wissen soll. Es ist nur ein Schattenbild, was ihm vor Augen steht und in das wahre Geheimniß des Reichs, das in der Liebe ruht, ist er nicht eingedrun­ gen. Denn wenn Jemand alle Erkenntniß hatte und allen Glauben, und hätte die Liebe nicht: so wäre er nichts. Das bloße Wissen bläht auf, aber die Liebe bessert. Auch die Erkenntniß soll den Kindesgeist in sich haben, und Jesus will uns hier auch zur Hingebung mahnen an das reine einfache Gotteswort. Da dürfen wir nichts von mensch­ licker Weisheit hinzuthun, und von menschlicher Fassung der Lehre, die mit der Schärfe des bloßen Verstandes Alles bestimmen und für immer festsetzen will, hängt das Heil des Lebens nicht ab. Glauben wir nur an Christum als unsern Herrn, als den Sohn, der Eins mit dem Vater ist, und uns allein den Weg zum Vater gewiesen und das Himmelreich uns erschlossen hat, wenn wir ihm nur nachfolgen und in Treue und Liebe mit ihm gehn und nicht von ihm lassen: so dürfen wir auch nicht zweifeln, daß der Vater, der ihn für uns dahingegeben, mit ihm Alles uns schenken wird. An die Anspruchlostgkeit aber, die uns in dem kindlichen Wesen entgegentritt, knüpfen sich auch noch andre damit zusammenhängende Züge an, die für das Streben nach dem Gottesreich von Bedeutung sind, und die wir daher nicht übergehen wollen. Das Kind ist offen und rück­ haltlos, und verbirgt oder verschließt sich nicht. Diese Offenheit, die jeden Schein und jede Verstellung verschmäht und womit Jeder sich gibt und erkennen lässt, wie er ist, ist ein christliches Lebensgebot. Denn wo sie fehlt, wo der Mensch mit der Wahrheit zurückhält und seine wahre Gesinnung nicht offenbart: da herrscht noch der falsche Schein. Das Himmelreich aber ist nur das Reich der Wahrheit, und thut nur dann sich uns auf, wenn die Macht des Scheines gebrochen ist. Wo keine Offenheit ist: da kann es auch zu keinem Vertrauen kommen, und ohne das Vertrauen gibt es auch keine Gemeinsamkeit und die Menschen schlie­ ßen sich einander nicht an. Das Kind aber, das die Täuschungen der Schirmer, Festpredigten.

24

370 Welt noch nicht erfahren hat, kommt Allen mit Vertrauen entgegen und gibt sich ihnen unbesorgt hin.

So sollen wir von dem Kinde auch das

Vertrauen lernen, nicht bloß das Vertrauen, das uns untereinander ver­ binden soll, sondern auch das Vertrauen zu Gott, unsrem himmlischen Vater, der durch Christum uns zu sich ladet, daß wir seiner Gnade theilhaftig und bei ihm sein allezeit.

Nur in solchem kindlichen. Ver­

trauen, das jeden Zweifel hinweggethan, haben wir Zugang zu ihm und zu seinem Reich. Ein Kind ist nach seiner Natur dem Frohsinn und der Heiter­ keit aufgethan, und obwol es den Schmerz empfindet, den es etwa in der Gegenwart leiden muß: sobald

so denkt es doch des

Schmerzes nicht mehr,

er gewichen ist, genießt die Gegenwart, welche Gott ihm gibt,

und weiß nichts;

von einer

und

bangen und

ängstlichen Sorge

um die Zukunft

wenn auch etwas Widriges ihm begegnet: so ist es doch,

jederzeit hoffnungsvoll.

Auch dieser Zug des kindlichen Lebens soll

uns ein Vorbild ans dem Wege zum Himmel sein.

Denn das Gottes­

reich ist ja selbst nur Friede und Freude im heil. Geist.

Wol mögen

wir auch auf die Zukunft sehn, und die christliche Hoffnung weist uns ja auch darauf hin.

Aber wir sollen doch durch kein ängstliches Sorgen

die Gegenwart uns verkümmern lassen.

Denn unser himmlischer Vater

weiß ja, was w.ir bedürfen, und der gläubige Christ wirft alle Sorge auf ihn.

Wir wissen aber auch, daß unsre Traurigkeit, wenn sie nur

nicht die der Welt, sondern eine göttliche Traurigkeit ist, sich in eine Freude verwandeln soll, die Niemand

mehr von uns nimmt.

Auch

ruft uns Jesus ja zu: fröhlich und getrost zu sein, denn im Him­ mel werde es uns wohlbelohnet werden.

Denn der Schmerz, den wir

leiden um Christi willen und im Aufblick zu ihm, trägt den verborgnen Grund der Freude schon in sich und löst sich zuletzt in sie auf. dürfen wir, auch selbst als die Leidenden,

Darum

für die himmlische Freude

doch nicht verschlossen sein. — So gilt es also auch hier, zu werden wie die Kinder, und wer das Reich Gottes nicht als ein Kindleiu em­ pfängt, kommt nicht hinein. Stellt nun aber Jesus die Kleinen so hoch, und verheißt er ihnen das Himmelreich: so

müssen auch

unsre Kinder ein Gegenstand unsrer

größten und heiligsten Sorge sein.

Wir sollen sie aufnehmen in Christi

Namen.

Das vermögen wir aber nur, wenn wir selbst Christi sind,

wenn wir den Herrn in den Herzen tragen und die Kleinen ihm dar­ bringen

und zu ihm führen,

daß er sie segne und sie mit der Gabe

371 seines Geistes begnadige. — Und wer ein solches Kind aufnimmt in meinem Namen,

spricht Jesus, der nimmt mich auf.

Und

dies ist doch das beste und höchste Gut, das wir empfangen können. Denn haben wir Christum: ewige und

so haben wir in ihm Alles, und das

selige Leben ist unser Eigenthum.

Sorgen wir aber nicht,

unsre Kinder aufzunehmen in Christi Namen, wäre es möglich, daß wir ihnen ein Aergerniß geben könnten: so spricht Jesus ein schmerzliches Wehe über uns aus. — Gebe Gott, daß Niemand unter uns von die­ sem Wehe getroffen werde! Nein Gel., trachtet soviel an Euch ist, daß Ihr Denen, die der Herr Euch anvertrauet hat, auch das Bild desselben entgegenbringt, daß sie Euren Glauben und Eure Liebe zu Christo sehn, um Euch darin nachzufolgen. Christus uns zugesagt,

Dann wird es sich auch erfüllen, was

und er wird ewiglich bei uns und selbst unser

Theil sein; — und wie werden ihn vereint mit den Unsrigen, in seiner ewigen Herrlichkeit bei dem Vater im Himmel sehn; und seine Freude wird in uns bleiben und unsre Freude vollkommen sein. — Dazu helfe uns Gott auch durch den Kampf dieser Welt, bis wir vollendet werden. Dazu helfe er Euch und uns Allen um seiner ewigen Gnade und Erbarmung willen!

Amen.

XXXVII.

Das Gericht, wie es der Apostel hauptsächlich von der innern Seite beschreibt. Predigt am Erntefeste 1860 über Galater 6, 7—10.

Dank und Preis Dir, o Herr, denn Du bist freundlich und Deine Güte währet ewiglich! Du hörst nicht auf, uns zu segnen und wohlzu­ thun. Du lässest Deine Sonne aufgehn über Böse und über Gute und lässest regnen über Gerechte und Ungerechte. Auch in diesem Jahre hast Du Deine milde Hand aufgethan, uns mit Deinem Gute zu sättigen. Möchten nur Alle Deine Gnade erkennen und den Dank Dir darbrin­ gen, den wir Dir schuldig sind, den Dank des Dir geheiligten Lebens, damit das himmlische Erbe uns nicht verloren gehe, und wir den seligen Lohn der Liebe ernten mögen in Deinem Reich! Amen.

Das Erntefest, m. Gel., zu dessen Feier wir hier versammelt sind, ruft uns vor Allem zum Danke auf gegen Gott, der auch in die­ sem Jahre seine Verheißung erfüllt hat: So lange die Erde steht, soll nicht aufhören Same und Ernte, Frost und Hitze, Som­ mer und Winter, Tag und Nacht. Er will es nach seiner Gnade an Dem, was wir nun einmal für unser leibliches Leben bedürfen, nicht fehlen lassen, und auch die Bedingungen unsers irdischen Daseins sind ein Gegenstand seiner Fürsorge, womit er Alle liebend umfasst. Wol

373 tritt die Ernte nur ein, wenn der AckerSmann das Feld vorher bear­ beitet und besäet hat.

Aber es ist doch nur Gott, der das Gedeihen

gibt und die Früchte zur Reife bringt, trägt, ist nur sein Geschenk.

und jedes Gut, waS die Erde

Auch die Kräfte in der Natur sind ja nur

Gottes, und es ist seine Macht, die Macht seines Willens, welche in ihnen

wirkt.

So gebührt denn auch bei der zu begehenden Erntefeier,

nur ihm der Dank, und wir müssen uns

um so lebhafter zu diesem

Danke gedrungen fühlen, indem die Felder, mag ihr Ertrag auch Man­ ches vermissen lassen, doch noch bessere und reichere Frucht gebracht, als die Ungunst der Witterung es erwarten ließ.

Werden wir eS doch Alle

bekennen müssen: daß wir zu geringe sind aller Barmherzigkeit und Treue, die Gott an uns, seinen Knechten, gethan hat.

Ja er meint es immer­

dar gut mit uns, und lässt es uns an dem Nöthigen nicht gebrechen, wenn wir nur auch jederzeit bereit und willig wären, das Gute zu thun, und in seinen Wegen zu wandeln.

Und der Dank, den wir ihm schul­

dig sind und der ihm allein gefällt, ist doch nur der Dank des Lebens, das wir ihm heiligen und Nichts suchen als seine Ehre, und nur danach trachten, sein Werk zu thun und die Erde immer mehr zu verklären in das Bild seiner Herrlichkeit.

Gewährt uns doch Gott die Mittel des

irdischen Daseins auch nur um eines Andern und Höheren willen, und weist zu Zeiten selbst durch darauf hin.

ein geringeres Maß der Erntegaben unS

Unser Leben soll ja das Leben des Geistes sein, und Alles

was wir empfangen, soll dem Geiste dienen und Frucht bringen für ihn. Bleiben

wir bei dem Sichtbaren und Sinnlichen stehen: so feiern wir

kein christliches Erntefest, und aller Gewinn verkehrt sich in sein Gegen­ theil, das Wahre geht uns verloren, und wir leiden einen Schaden, der unersetzlich ist.

Gott verleiht uns den irdischen Erntesegen nur, um uns

dadurch zu sich und zum Himmel emporzuziehn, wo wir eine Ernte hal­ ten sollen, die nimmer endet, die Ernte des ewigen und seligen Lebens. Der Mensch lebt

nicht vom Brot allein, sagt der Herr, son­

dern von einem jeglichen Wort, das durch den Mund Gottes geht; und damit spricht er zugleich die rechte christliche Würdigung der jährlichen Ernte aus.

Sowie wir für unser Leben der leiblichen Speise

bedürfen: so können wir auch der geistigen nicht entbehren, und diese ist nur das ewige Gotteswort, das wir in Christo als das lebendige schaun, voller Gnade Leben.

So

und Wahrheit. ergeht

Nur aus ihm erwächst uns das

ewige

nun auch durch die Ernte eine mächtige Mahnung

an uns, unsrer ewigen Lebensbestimmung eingedenk zu sein und ernstlich

374 zu sorgen, daß wir hier einen Samen ausstreun, wonach wir eine himm­ lische Ernte halten, die nimmer aufhört, und von welcher die irdische nur eilt Abbild ist. Diese Ermahnung legt uns auch der Apostel Pau­ lus nachdrucksvoll an das Herz, und wir habendeshalb eine inhaltreiche Stelle aus seinem Briefe an die Galater zum Text unsrer heutigen Erntepredigt erwählt. Wir lesen sie im 6. Kapitel, wo sie von Vers 7 bis 10 folgendermaßen lautet: „Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten. Denn was der Mensch säet, das wird er ernten. Wer auf sein Fleisch säet, der wird von dem Fleisch das Ver­ derben ernten. Wer aber auf den Geist säet, der wird von dem Geiste daS ewige Leben ernten. Lasset uns aber Gutes thun und nicht müde werden; denn zu sei­ ner Zeit werden wir auch ernten ohne Aufhören. AlS wir denn nun Zeit haben, so lasset uns Gutes thun an Jedermann, allermeist aber an deS Glaubens Ge­ nossen." Ja lastet uns Gutes thun, damit die himmlische Ernte uns nicht verlorengehe. Alles Gute aber kommt von Oben herab, von dem Vater des LichtS und der Liebe. Darum bitten und flehn wir zu Gott: sei unS gnädig und segne unS, und schenke uns auch in dieser festlichen Stunde den Beistand Deines h. Geistes, damit Dein Wort kräftig werde in unsern Herzen. Amen.

Was der Mensch säet, das wird er ernten! Das ist, m. Gel., der Grundgedanke, worin sich der gesammte Inhalt unsers Textes zusammenschließt, und der Apostel spricht damit eine ewige Wahrheit aus. Alles Uebrige ist nur eine weitere Ausführung dieses Gedankens, woran er eine ergreifende Folgerung und Ermahnung anknüpft. , @6 ist ein richtendes Wort, und der Gedanke des Gerichts zieht sich durch die ganze apostolische Rede hindurch. Die Ernte aber ist auch ein Gericht, und eS spiegelt darin auf eine bezeichnende Weise das Gericht des Le­ bens sich ab. Wir können daher auch nur

Das Gericht, wie es der Apostel, und zwar hauptsächlich von der inneren Seite beschreibt —, zum Gegenstand unsrer Betrachtung machen. Es ist das Gericht» wie es innerlich und im Menschen selbst sich vollzieht, — aber doch ein

375 Gottesgericht, worin von der einen Seite der unendliche Reichthum der Gnade Gottes,

von der andern aber die Ungnade und der Zorn

gegen Alles, was unheilig und böse ist, sich offenbart.

Von diesem Ge­

richt soll nun auch unsre Predigt handeln, und wir werden dabei kein Wort unsers Textes unberücksichtigt lassen dürfen. inhaltschwerer Gegenstand. eine Entscheidung,

Wol ein ernster und

Aber es gilt ja auch daS Höchste, es gilt

es gilt das Heil unsers Lebens nicht bloß für die

Zeit, sondern für die ewige Zukunft.

Und da haben wir wol Noth zu

bedenken, auch eben zu dieser unsrer Zeit, was zu unsrem Frieden dient. Gebe Gott, daß es nicht vor unsern Augen verborgen bleibe, und das drohende Strafgericht uns nicht treffe, weil wir die Zeit der- Heimsuchung nicht erkannt!

Irret euch nicht, Gott lässt sich nicht spotten! So beginnt der Apostel in unserm Text, und stellt absichtlich diese ernstliche War­ nung voran, und will dadurch seinen Nachdruck geben.

Worten

einen um so

größeren

Er will damit hinweisen auf die Gefahr, seiner apo­

stolischen Verkündigung nicht zu glauben.

Denn was er ihnen predige,

sei ja nur daS Wort Gottes, des Wahrhaftigen und Lebendigen, das Wort, welches zweifellos zu seiner Erfüllung kommt, weil eS daS Wort der ewigen Wahrheit ist; wie ja auch der Gottessohn, der uns den Va­ ter geoffenbaret hat, eS verkündigt: Himmel und Erde werden ver­ gehen, aber meine Worte vergehen nicht. — Irret euch nicht, spricht unser Apostel, Gott lässt sich nicht spotten, — und eS soll dies eine Warnung sein vor dem Leichtsinn, den er in der Welt herr­ schen sah, und der es für gleichgültig achtete, wie man auch hier leben und wandeln möge, ob man Gutes oder auch Uebles thue.

Denn mit

dem Gerichte GotteS habe es nicht viel zu bedeuten, und soweit erstrecke sich auch sein Walten nicht. Wer aber also denkt, der spottet Gott, der spottet seiner heiligen Macht, und solch ein Sport bleibet nicht ungestraft und zieht unausbleiblich daS Gericht Gottes auf sich herab.

Das ist der Leicht­

sinn des Unglaubens, der die Bethörten in ihr Verderben stürzt.

Be­

darf es nicht aber auch noch in unsern Tagen der Warnung vor solchem Leichtsinn? Fehlt es doch leider auch nicht an Solchen, die um das Ge­ richt Gottes sich keine Sorge machen, weil sie nicht daran glauben, und eS für eine beschränkte und veraltete Vorstellung ansehn, die

Schwachen sich schrecken ließen,

wodurch nur

worüber aber die starken Geister

376 hinaus seien.

Denn eS komme nur auf die menschliche Klugheit nn, und

wie Jemand am besten die Verhältnisse der Welt zu behandeln wisse. Denn eine andre Welt als die irdische und sichtbare kennen sie nicht. So gehen sie in der Eitelkeit ihres Sinnes und in ihren eignen und falschen Wegen dahin, und sind unbekümmert um den Ausgang, der denn doch ein ganz andrer sein wird, als sie es in ihrem Wahne gedacht. Denn Gott lässt sich nicht spotten. Was der Mensch säet, das wird er ernten.

Damit spricht

nun der Apostel die gewichtvolle Behauptung aus, die der zusammenfaffende Mittelpunkt unsers Textes ist. wird er ernten.

Was der Mensch säet, daS

Das Wort ist ein bildliches.

Aber wir wisien wol

Alle, was mit diesem Säen und Ernten gemeint ist. Der Apostel spricht damit nur die nicht zu bestreitende Wahrheit aus, daß jede menschliche That ihre unausbleiblichen Folgen hat, und jenachdem sie gut oder böse ist,

uns Heil oder Unheil bringt.

Sowie wir gelebt und gewandelt

haben, danach wird auch der Lohn sein. Werth unsrer Thaten war.

Wir empfangen nur, was der

Das ist ein Gesetz, was durch das ganze

Leben hindurchgeht, und dem sich Niemand entziehen kann.

Doch kehrt

dies nicht bloß auf den äußerlichen Zusammenhang von Ursach und Wir­ kung zurück, sondern es geht von einem tieferen, geistigen Grunde aus. DaS Gesetz, das darin waltet, ist Gottes, es ist seine heilige Macht, die darin wirket und lebt, es ist die Macht seines Geistes, wodurch er auch in des Menschen Brust sich vernehmen lässt, und, sein richtendes Urtheil spricht.

Es ist Gott, der das Verhältniß von Saat und Ernte

geordnet hat, und was auch ewig bestehen und gelten wird.

Wie die

Saat, so die Ernte. Der Apostel führt nun aber diesen Grundgedanken unsers Textes noch weiter aus, und zeigt uns den großen und gewaltigen Unterschied, jenachdem die Aussaat auf das Fleisch oder

auf den Geist geschieht.

Wer auf sein Fleisch säet, spricht er, der wird vom Fleisch daS Verderben

ernten; wer aber

auf den Geist säet,

der

wird vom Geiste das ewige Leben ernten. — So ist hier Tod und Leben einander gegenübergestellt, und das Eine schließt das Anhre nothwendig aus.

Da sollte nun wol Niemand zweifelhaft sein, wohin

er sich zu wenden habe.

Und doch sind so Viele, die statt aus den

Geist, auf ihr Fleisch säen und so tn'S Verderben rennen. Wie haben wir denn aber den Gegensatz von Fleisch und Geist zu verstehen, und was heißt es: auf Pas Fleisch säen, oder auf den

377 Geist? Die h. Schrift lässt uns darüber nicht in Zweifel.

Zieht doch

der Gegensatz durch die ganze h. Schrift sich hindurch! Fleisch und Geist stehen sich gegenüber wie das Niedere und das Höhere, wie das Ir­ dische und das Himmlische, wie die Welt und Gott.

Das Säen

auf das Fleisch ist aber nicht in dem beschränkten Sinne zu nehmen, wonach nur die sogenannten fleischlichen Sünden, die Sünden der Fleischeslust damit gemeint sein.

Freilich sind auch

diese darunter be­

griffen; denn sie stammen aus der Liebe der Welt, der ungöttlichen und unheiligen, und tobten das Leben des Geistes. nicht allein

Aber sie sind es doch

und die Vorstellung, die man nicht selten damit verbindet,

als wenn die Sünde ihren Ursprung nur in dem irdischen Leibe habe, ist eine falsche und irrige.

Soll ja der Leib doch auch der Tempel des

h. Geistes sein, und ist von Gott uns gegeben, weil wir ohne ihn auch nach Außen nicht wirken können, Leiblichkeit an sich hat.

und das persönliche Leben

auch die

Auch nennt der Apostel unter den Werken des

Fleisches nicht bloß die sinnlichen Ausschweifungen, sondern auch Feind­ schaft, Neid, Zorn, Zwietracht, Haß und Mord.

Und diese Leidenschaf­

ten kommen doch nicht von leiblichen Trieben her, sondern eS sind Nei­ gungen des bösen und sündigen Herzens, woraus sie hervorgehn.

Auf

ihr Fleisch säen Alle, die ihr Ich zum Mittelpunkt ihres Lebens machen, die nur daS Irdische suchen und nur von selbstsüchtigen Interessen ge­ trieben sind; die da herrschen wollen in dieser Welt und nur nach der Ehre bei Menschen trachten.

So

hat das Säen auf das Fleisch ein

viel größeres Gebiet, als man denkt, und wir haben wol Alle uns davor zu hüten und zu bewahren, und dürfen nicht glauben, darüber hinaus zu sein.

Die falsche sündige Eigenliebe bringt uns noch allezeit in Ge­

fahr, auf das Fleisch zu säen.

Wer aber auf das Fleisch säet, der

wird von dem Fleisch das Verderben ernten.

Das der Welt

zugewendete Leben

ist ein eitles und nichtiges und geht zu Grunde in

seiner Nichtigkeit.

Und nicht bloß dies, sondern der Jrdischgesinnte, der

fleischliche

Mensch findet auch in

sich

keine Ruhe und keinen Frieden,

und kommt er zur Selbstbesinnung: so kann er über sich selbst nur ein verdammendes Urtheil sprechen.

Er hat zerstreuet, aber nicht ge­

sammelt, und bringt nichts hinüber in jene Welt.

Und schon hienie-

den, indem er alle wahren Stützen des Lebens verloren und dem Dienste des vergänglichen Wesens sich hingegeben hat, zieht er vielfach Schmerz und Elend auf sich herab, ser Welt.

und verzehrt sich

in der Traurigkeit die­

378 Wer aber auf den Geist säet, spricht der Apostel, der wird vom Geiste das ewige Leben ernten.

Der Geist im Gegensatz

mit dem Fleische ist nur der göttliche, und wer auf den Geist säet, nimmt die Richtung seines Lebens zu Gott.

Nur um göttliche Güter

ist'S ihm zu thun, und fein Trachten und Streben geht nicht nach Dem, was auf Erden ist, sondern wendet dem Himmel sich zu.

Doch wendet

er darum keineswegs von dem wirklichen Leben sich ab, und geht nicht etwa nur mit der Beschauung göttlicher Dinge um.

Nein, wer auf den

Geist säet, der muß auch Thaten des Geistes thun, und führt sein Le­ ben nur umsomehr in des Geistes Kraft, und ringt um so mächtiger nach höheren, göttlichen Zielen hin.

DaS Bild der Wahrheit und der

Gerechtigkeit in Jesu Christo steht erhebend und begeisternd vor seiner Seele, und die Welt diesem Bilde näher zu bringen: das ist sein heilig­ ster Wunsch, und so lange es Tag ist, lässt er nicht ab, zu arbeiten und zu bauen an Gottes Reich.

Da fehlt es ihm aber nicht an den heiligen

Tugenden, die vor Allem zur Förderung dienen des Werkes GotteS. Das sind die Früchte des Geistes, die unser Apostel nennt, nämlich: Liebe, Freude, Friede, Geduld, Freundlichkeit, Gütigkeit, Glaube, SanftMuth, Keuschheit.

Wer aber mit solchem Sinne und Geiste dem Him­

melreich seine Kräfte weiht: Dem bleibt auch der himmlische Lohn nicht aus, der wird vom Geiste das ewige Leben ernten.

Und ruht

er, nachdem er im Herrn gestorben, von seiner Arbeit: so folgen seine Werke ihm nach, nnd sein Name stehet im Buche des Lebens und wird nimmermehr ausgelöscht.

Er schaut hinein in die göttliche Herrlichkeit,

worein die Welt sich vollenden soll.

Wohnt nun das Verlangen nach

dem ewigen und seligen Leben noch in unsrem Herzen: so möge ein Jeder sich ernstlich

prüfen: ob er auf sein Fleisch oder auf den Geist

gesäet, und ob er die Ernte des Verderbens zu fürchten, oder auf die des ewigen Lebens zu hoffen hat.

Und wer nur scharf in sich selbst

hineinschaut, der kann eS wol erfahren und inne werden, auf welchem Wege er fei.

Gebe Gott,

daß wir Alle auf dem Wege des Gei­

stes sind!

Wann tritt denn aber die Ernte ein? Welches ist denn der Zeit­ punkt, wo das Verderben über Die, welche auf das Fleisch säen, ein­ bricht, oder wo Denen, die auf den Geist säen, das ewige Leben auf­ geht? Wir haben wol gesehen, daß das Gericht, wovon die Ernte ein

379 Bild ist,

schon mit dem gegenwärtigen Leben zusammenhängt und sich

nicht von ihm trennen lässt.

Es ragt herein in die Gegenwart, aber

reicht auch hinüber in die ewige Zukunft.

Das Leben deS Fleisches

ist schon in sich selbst das gerichtete, weil es von Gott und von sei* nem Heil sich geschieden hat; — und ebenso ist Geistes in sich os in sich

trägt.

beseligt, beseligt durch

auch das

Leben des

den Frieden mit Gott, den

Aber sowie jenes für alle. Zukunft verworfen bleibt:

so ist auch die Beseligung deS letzteren

ohne Ende; denn es ruhet in

Gott. — Jesus sagt nun aber in seiner Auslegung des Gleichnisses von dem Unkraut unter dem Weizen,

welches beides wachsen soll bis zur

Ernte: die Ernte ist das Ende der Welt, und hat dabei eine Zu­ kunft im Auge, wo daS Leben der Welt zu seiner Vollendung heran­ gereift ist.

Mit dem Ende der Welt meint er aber nicht eine Vernich­

tung aller sichtbaren Dinge, sondern das Ende der Welt deS Scheins. Denn solange die Welt des Scheins und deS Truges noch besteht, kann die Welt

der Wahrheit Gottes nicht aufgehn,

DaS ist nun aber auch

die innerliche Bedingung für einen Jeden von uns, um zum wahren Le­ ben hindurchzudringen.

Denn haben wir die Bande deS leeren Scheins

nicht durchbrochen, und die Knechtschaft des vergänglichen Wesens nicht von uns abgestreift: so bleibt uns das wahre und ewige Leben verbor­ gen.

Doch gilt es bei diesem Ende der Welt auch eine große Entschei­

dung, wo eS sich offenbart, wie die Bösen von den Guten geschieden sind, und die Finsterniß sich vor dem Lichte nicht halten kann, sondern vertilgt und vernichtet ist.

Darum sendet des Menschen Sohn seine

Engel, und sie vertilgen aus seinem Reich alle Aergernisie und die da Unrecht thun.

Das sind nun auch Die, so auf ihr Fleisch gesäet und

von dem Fleisch das Verderben ernten.

Die aber auf den Geist

gesäet: das sind die Gerechten, die da leuchten werden wie die Sonne in ihres Vaters Reich.

Es ist die Macht des Menschensohns, die dies

bewirkt, die Offenbarung des Sieges, den das Licht Gottes davonträgt über die Finsterniß. — Die Engel sind die Schnitter, und nur durch die Gottesboten, die Christus sendet, und die da wirken in seiner Kraft, wird die Scheidung vollbracht.

Wer Ohren hat zu hören,

der

höre. — Eine ernste und erschütternde Mahnung, die an uns ergeht auch in dieser Zeit.

Darum sei es unsre heiligste Sorge, uns zu be­

reiten, vor des Menschen Sohn zu bestehn. So

mahnt uns nun auch unser Apostel:

thun, und nicht müde werden.

Lasset und Gutes

Das. Gute kostet Arbeit und An-

380 strengung,

und macht sich nicht so von selbst.

Wir müssen daS träge

Herz überwinden und den Kampf mit der Welt nicht scheun.

Sehen wir

aber nur auf Jesum, auf den Anfänger und Vollender des Glaubens, der, da er wol hätte Freude hab-en mögen, das Kreuz erdul­ dete und der Schande nicht achtete, und ist gesessen zur Rech­ ten auf dem Stuhl Gottes: so dürfen wir nicht bange werden, und wir gewinnen einen heiligen Muth, den Siegesmuth, der uns nicht un­ terliegen lässt.

Das Gute ist ja nur das Seine, und so hilft er es

auch uns vollbringen, und will mit uns sein alle Tage bis an daS Ende der Welt. Seele.

Leuchtet ja auch daS Licht der himmlischen Hoffnung in unsre

Denn zu seiner Zeit werden wir ernten ohne Aufhören, und er

nimmt uns

mit sich zum Vater in sein himmlisches Reich.

Lasset uns

Gutes thun, als wir denn nun Zeit haben.

So legt uns der Apostel

die Mahnung noch dringender an daS Herz.

Denn die Zeit ist kurz.

Darum müffen wir eilen, Gutes zu thun, eh' eS zu spät ist, und ehe die Nacht kommt, wo

Niemand mehr wirken kann. — Lasset uns Gu­

tes thun an Jedermann.

Denn Alle

sind unsre Brüder; Alle sind

berufen zum Gottesreich; und das ist ja daS höchste und herrlichste Ziel, was der Herr unsgewiesen hat, daß wir Alle EinS in ihm und er in

fein, wie der Vater

dem Vater; daß wir Eins sein in ihm, und Eine

Herde und Ein Hirte werde.

Da stellt es sich aber auch als eine hohe

und heilige Pflicht für und hin, daß daS Evangelium vom Reiche geprediget werde in aller Welt,

zum Zeugniß über alle Völker, — und

dann wird das Ende kommen, und wir sollen die Vollendung, die volle Herrlichkeit deS SohneS Gottes im Himmel schaun. Ja lasset uns Gutes thun an Jedermann, allermeist aber an deS Glaubens Genossen.

Das ist das letzte Mahnungswort

deS Apostels in unserm Text, und möge Niemand von unS es unbeherzigt laffen.

Das gilt zugleich unsrer theuren evangelischen Kirche.

Denn

der wahre rettende ChristuSglaube ist nicht der, der es noch mit todten Satzungen und Werken zu thun hat, der von Außen die Seligkeit schaffen will, und Christo die Ehre nicht gibt, der nur den h. Geist zu seinem Stellvertreter

verheißen,

und seine Herrschaft nicht in die Hände eines

fehlbaren Menschen gelegt hat.

Nur der Christum ergreifende, lebendige

Glaube ist's, der uns selig macht führt.

und zur Freiheit der Kinder Gottes

So ruft denn der Apostel uns auf, mit aller Treue festzuhalten

an unsrer evangelischen Kirche und

das heilige Erbe zu hüten und zu

bewahren, daS uns in ihr vertrauet ist.

Ja lasset sie uns pflegen und

381

baun, soviel an uns ist, daß sie eine neue und höhere Kraft gewinne, und den Angriffen des alten bösen Feindes zu widerstehen im Stande sei. Da müssen wir aber auch das Schwache zu stärken suchen, und der armen und verlassnen evangelischen Brüder uns annehmen. Dazu ruft die Liebe Christi uns auf. Solche Saat wird uns eine himmlische Ernte bringen. Und wenn es uns auch hienieden, in der Welt deS Kampfs beschieden sein soll, mit Thränen zu säen — sind es nur Thränen der göttlichen Traurigkeit, Thränen der Liebe zum Gottessohn: so werden wir doch mit Freuden ernten, und die Freude Christi wird die unsre sein und unsre Freude vollkommen werden. Das gebe Gott, und helfe uns durch >en Beistand seines h. Geistes zur Ernte des ewigen und seligen Lebens in seinem Reich. Amen.

Resorrnations-redigten. *)

xxxvni. Der Tod des Christen als cm Tod der Liede. Predigt am Todtenfeste 1855 über Römer 8, 38-39.

Dein sind wir, o Gott, jetzt und in Ewigkeit! Wir mögen leben oder sterben: so sind wir Dein; und Du bist und bleibst unser Vater, bei Dem wir ewiglich wohnen sollen. Das ist die Stimme der Liebe und Gnade, die uns auch in Deinem Sohne, der den Himmel uns aufgethan und das ewige Leben an's Licht gebracht, trostreich entgegen­ tönt. Das ist der hoffnungsreiche Glaube, der uns durch dieses irdische Leben trägt und das Leid und den Schmerz desselben uns überwinden lässt. Schenke uns, o Vater, in diesem Glauben den wahren und rech­ ten Trost, auch wenn das Andenken an die geliebten Heimgegangnen unsre Seele mit Wehmuth und unser Auge mit Thränen füllt; — schenke uns den Trost der Liebe, die nimmer aufhört und worin auch die Abgeschiednen doch bei und sind. Gib aber, daß diese Liebe, die Liebe in Jesu Christo, worin ja alle Seligkeit ruht, uns Alle, die wir hienieden noch wallen, bis zum letzten irdischen Ziele geleiten möge, und noch in *) Eine Auswahl derselben ist bereits früher unter dem Titel: „Zwölf Reformations- und Gedächtnißpredigten," von K.-R. vr. Schirmer, Berlin, 1863 (Friedr. Schulze) im Druck erschienen, auf die wir die Freunde des sel. Verfassers Hinweisen.

383 der Stunde des Todes das Himmelslicht sei, das unS hinüberleuchtet in die ewige und selige Heimat bei Dir!

Amen.

Es ist, m. Gel., der letzte Sonntag im christlichen Kirchenjahr, der uns heute im Haufe des Herrn hier versammelt hat.

Dieser Schluß

des Kirchenjahrs mit seinem zeitlichen Maß, weist uns aber auch auf die Zeitlichkeit, auf das Ende unsers irdischen Lebens hin, und so steht die Todtenfeier, welche wir heute begehen, auch mit der kirchlichen Be­ deutung deS Tages in einem innern Zusammenhange.

Wol dürfen wir

bei dem Gedanken der Endlichkeit aller sichtbaren Dinge nicht stehen bleiben, und das Bild des Gottessohnes, welches uns in dem Kirchen­ jahre als die Himmelssonne entgegenleuchtet, um die unser ganzes Leben sich wenden soll, lässt uns auch schon hineinschaun in die ewige und selige Gotteswelt, die auch uns zur Wohnung bereitet ist, wenn wir nur ihm nachfolgen, der sich selbst für uns hingegeben und uns allein zu dem Vater führt.

Wir wollen ja aber auch den Tod nicht feiern, als der

nur die Vernichtung des Lebens sei und uns dem Grabe zur Beute lässt. Dann wäre.freilich, hier nur für die Klage Raum, und eS gäbe für uns keinen Trost, wenn der Tod die Unsrigen von uns nimmt, und um uns her lagerte sich eine undurchdringliche Finsterniß.

Wo bliebe dann aber

unser Glaube an den Auferstandnen, der den Tod überwunden hat und auch einem Jeden von uns die hohe Verheißung gibt: wer an mich glaubt, der wird leben, ob er gleich stürbe? unS doch hier nur versammelt in seinem Namen.

Und wir haben

Nein, auch uns leuch­

tet über das Grab hinaus in Christo das Licht eines Lebens, das nim­ mer stirbt.

Nehmen wir nun aber den Gedanken des ewigen Lebens,

wozu wir Alle berufen sind, zu uns auf: so ist der Ernst, den der Tod, den das Scheiden von dieser Welt für uns mit sich führt, gewiß kein geringerer.

Hat der äußerliche Anblick schon für das menschliche Gefühl

etwas Erschütterndes: so muß der Gedanke an die große Entscheidung, welcher wir mit dem Tode entgegengehn, wenn wir uns irgend bewusst sind, was es damit auf sich hat, noch viel tiefer und gewaltiger uns er­ greifen.

Da kommt es wahrlich darauf an, daß der Tod seine Schrecken

für uns verliere und sich in ein Bild des Friedens verwandle, der doch das Ziel unsrer heiligsten Sehnsucht ist. auch Besieger des Todes fein.

Wol sollen wir mit Christo

Doch dem Tode des Leibes entgehen wir

freilich nicht, und wir müssen ihn Alle sterben, die wir in dieses irdische Leben geboren sind.

Der mit Christo zu erringende Sieg über den

384 Tod ist ein geistiger, ein Sieg, den wir erkämpfen sollen auch als die Sterbenden,, wie ja auch der am Kreuz für und sterbende Gottessohn selbst, durch seinen Tod der ewige Ueberwinder des Todes geworder ist. Um aber diesen heiligen und himmlischen Sieg davon zu tragen und seine Macht zu gewinnen, müssen wir doch tiefer hineinschaun in seinen innern Zusammenhang und es zu erfassen suchen: wie und womit wir denn zu siegen, und das bange Dunkel der Todesstunde in das Licht des seli­ gen Lebens zu verklären im Stande sind.. Glaube zu solchem Siege

Allerdings wird nur der

uns tüchtig machen, und wer nicht auf dem

festen Grunde des Glaubens steht, deS Glaubens an den Sohn Gottes, dem alle Gewalt im Himmel und auf Erden gegeben ist: der kommt auch zu diesem Siege nicht.

Was den Tod aber innerlich verwandelt

und den Zug eines himmlischen Friedens über ihn verbreitet: das ist doch nur die Liebe, die dem Glauben erst seine Bewährung und dem Leben die Wärme gibt, ohne die Niemand sich wahrhaft wohl fühlt. Auch die Seligkeit, die der Glaube schafft, ist doch nur das Werk der Liebe, die auf seinem Grunde sich aufgebaut, und das ganze Leben nach allen Seiten und in jeder Beziehung durchdrungen hat. nur die. Liebe es ist, die dem Tode.

Sowie

alle Furchtaustreibt: so gilt dies auch von

Nur in demLicht der Liebe, die alle

Fernen durchdringt

und alle Trennungen aufhebt, löst sich auch das Dunkel des Todes auf. Soll nun dieses Licht auch im Tode uns nicht verlöschen: so müssen wir auch in der Liebe zu sterben wissen, so daß sie uns bis zum letzten Hauche des Lebens beseelt und uns von der Erde in die ewige Heimat hinüber­ trägt.

Ja, die Liebe ist's, welche die Welt und auch den Tod über­

windet.

Das verkündigt uns auch der Apostel Paulus, der wie kein

andrer die Liebe zu preisen weiß.

So wollen wir denn auch einen Aus­

spruch dieses Apostels, worin er uns die Macht dieser Liebe beschreibt, die auch über den Tod hinausgeht, unsrer Betrachtung zum Grunde legen. Wir lesen diesen Ausspruch im 8. Kapitel des Briefes an die Römer und zwar im 38. und 39. Verse also: „Ich bin gewiß, daß weder Tod noch Leben, weder Macht noch Gewalt, weder Gegenwart noch Zukunft, weder Hohes noch Tiefes, noch irgend eine andere Kreatur mag uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christo Jesu ist, unserm Herrn." Möge diese selige Gewissheit auch uns begleiten und bei uns sein, sowie im Leben, bis in den Tod.

Dazu stärke, o Herr, auch das Wort,

385 das ich in Deinem Namen hier verkündigen soll und laß eS kräftig wer­ den in unsern Herzen, daß es auch uns durch die Macht der Liebe zum Leben helfe bei Dir!

Amen.

Der Apostel Paulus, m. Gel., spricht in. unserm Texte vor Allem die lebendige Gewissheit aus, wovon er erfüllt und in seinem Bewusstsein durchdrungen

ist, daß keine Macht der Welt und selbst nicht der Tod

von der Liebe Gottes in Christo ihn scheiden könne.

Da redet er nun

zwar nicht namentlich davon, wie der Christ den Tod zu sich aufnehmen und ihn sterben soll.

Dennoch lässt er uns auch darüber nicht in Zwei­

fel, und weist uns deutlich genug darauf hin, in welchem Verhältniß die Liebe zum Tode steht.

Auch der Tod, sehen wir, hebt die Liebe nicht

auf, sondern ihre Macht überwindet Liebe, als die auch

ihn.

Also

fasst der Apostel

die

im Tode noch waltet und den sterbenden Christen

beseelen soll, und so muß auch sein Tod selbst nur ein Tod der Liebe sein.

WaS dies nun in sich schließt und bedeutet, und wie der Christ

den Tod als einen Tod der Liebe zu sterben vermag: daS wollen wir in dieser ernsten und heiligen Stunde und noch etwas näher vor Augen stellen.

Der Tod des Christen als ein Tod der Liebe, — soll also der Gegenstand unsrer Betrachtung sein.

Tritt das Bild dieses

Todes uns klar und durchsichtig vor die Seele und werden wir der Liebe nute, die auch int Tode uns trägt und nicht sterben kann: so wird dann auch der Tod

sich für uns verwandeln und alles Bangen löst sich auf

in den unsre Herzen durchdringenden Gottesfrieden.

Wenn wir hier von einem Tode der Liebe sprechen: so meinen wir damit nur, daß die Liebe auch bis zum Tode und in ihm auch in der Stunde des Scheidens von dieser Welt, uns nicht verlässt und mit ihrem Licht uns den Weg des Heimgangs erleuchtet; daß sie in uns lebt, so lange wir noch das Auge des Geistes aufzuschlagen im Stande sind, und sie unS auch als die Sterbenden mit ihren Armen umschließt; oder daß unser Tod ein Tod in der Liebe sei. denken wir freilich nicht.

Denn an ein Ende der Liebe

Die Liebe hört nimmer auf, sagt ja auch

unser Apostel, wenn auch alles Andere ein Ende nimmt; und eine Liebe, Schirmer, Festpredigten.

25

386 die verlöschen.und sterben kann, könnte auch nicht die wahre himmlische Liebe sein.

Hat doch die Liebe ihr wahre- Wesen eben darin, daß ste

unvergänglich und ewig ist.

Denn sie stammt ja aus Gott, der die Liebe

ist, auS ihm, dem Ewigen und Unsterblichen.

Und besteht und beruht

das ganze Leben nur in der Liebe, ist sie seine Trägerin: so ist es auch deshalb undenkbar, daß sie jemals vergehen könnte. Wir haben nun aber auch nur den Tod deS Christen einen Tod der Liebe genannt, weil nur in Christo das Leben uns offenbar geworden als daS Leben der Liebe Gottes, und ohne ihn, der nur in der Liebe gelebt und die Seinen geliebt hat bis an das Ende, und auch in ihr für uns gestorben, den Tod am Kreuze gestorben ist, Niemand dazu ge­ langen kann, daß auch sein Tod zu einem Tode der Liebe werde.

So

ist denn die Liebe daS Höchste deS Christenthums und nur in ihr kommt es zu seiner Vollendung.

Doch können wir nun freilich nicht sagen,

daß der Tod eines Jeden, der den heiligen Christennamen führt, ein Tod der Liebe sei.

Ach nein, das ist etwas gar Großes und Hohes,

waS sich ohne die vollendete Hingebung an den Gottessohn nicht erreichen lässt und als köstlicher Siegespreis nur Denen zu Theil wird, die daS Kleinod der Liebe zu bewahren wisien, so lange ihnen daS Herz in dem Busen schlägt.

Die Liebe, in welcher wir sterben sollen, und die den

Tod zu verwandeln vermag, ist ja selbst nur die Gottesliebe, die Liebe, die uns immerdar zu Gott unsrem Vater zieht, und womit wir ihn um­ fassen als der selbst unser Leben, ist und auch im Tode nicht von unS weicht,

Daß wir uns nun auch sterbend noch von dieser Liebe getragen

fühlen: dazu gehört freilich weit mehr als die Meisten es wol denken und meinen.

Die Liebe zu Gott lebt nur in uns, wenn die eitle und

irdische Liebe der Welt ein Ende genommen hat.

Denn so. Jemand

die Welt lieb hat, in dem ist nicht die Liebe des Vaters, wie auch Johannes sagt:

Alles, was in der Welt ist, ist nicht vom Va­

ter, sondern von der Welt.

Die Welt vergehet mit ihrer Lust,

wer aber den Willen Gottes thut, der bleibet in Ewigkeit. Dieses Bleiben, daS Bleiben beim Vater aber ist es ja nur, was unS daS Sterben in der Liebe gewähren soll.

Den Vater aber lieben wir

nur wahrhaft in seinem Sohn, und wer den Sohn nicht hat, wer nicht auch ihm seine Liebe, sein Herz geschenkt und ihn als seinen Erlöser liebt: der hat auch den Vater nicht.

Ohne die Liebe zu Christo, der sich für

unsre Sünde dahingegeben und ihre Last von uns genommen hat, kann auch der Trost der Liebe int Tode nicht unser sein, und es fehlt und

387 die stille und freudige Zuversicht, die und den Tod als einen Engel des Friedens empfangen lässt*

Da reicht nun aber auch die letzte Stunde

nicht hin, um unsere Seele der Gottes- und Christusliebe aufzuthun. Hat sie vorher keine Stätte in ihr gefunden: so zieht sie schwerlich noch in uns ein, wenn die Zeit nun verronnen und der Abend herangekom­ men ist, wo Niemand mehr wirken kann.

Liegt das Leben wie ein liebe­

leeres Feld hinter uns: so haben wir ja auch das Bewusstsein der Liebe nicht, die uns auch im Tode allein beruhigen und erheben kann, wenn sie beim Hingang zum Vater uns vor ihm Zeugniß gibt, daß unser Le­ ben eine Arbeit der Liebe war.

Unser Tod kann nicht ein Tod der

Liebe sein, wenn nicht auch das Leben, das ihm voranging, ein Leben der Liebe war und wir diese Liebe mitbringen in den Tod.

Nur aus

dem Leben geht die Liebe auch ein in den Tod und schafft ihn zu einem Tode der Liebe um.

Sonst hat sie auch keine Macht den Tod zu ver­

wandeln, so daß er uns nicht noch in einem düstern, sondern in einem freundlichen Bilde entgegentritt.

Ist das Christenthum selbst nur das

wahre mit Gott einige Leben, wie es uns in dem Sohne erschienen ist: so dürfen wir auch den Tod nur im Zusammenhange mit dem Leben fassen, so daß er uns nicht als Tod stehen bleibt, sondern wir in ihm nur die Vollendung des Lebens sehen.

Sonst wäre unsere Ansicht auch

keine christliche. — Wenn wir nun den Tod des Christen einen Tod der Liebe genannt: so dürfen wir dies nimmer mit einer Liebe des Todes verwechseln, wo der Mensch nur zu sterben und die Welt zu verlassen wünscht.

Solch ein Verlangen nach dem Tode, das nur aus einem

Ueberdrusse des Lebens entspringt und sich der Last desselben entziehen will, ist nicht ein christliches.

Das rührt meistens von einer Schwäche

her, welche die Mühe und Arbeit des Lebens scheut.

Denn freilich lebt

das Leben sich nicht von selbst, sondern es bedarf der Kraft und der Anstrengung, um das Werk zu vollbringen, was Gott uns hier aufge­ tragen und dem wir uns nicht entziehen sollen, bis der Herr und von hinnen ruft.

Wol zieht uns oft eine geheime Sehnsucht nach der himm­

lischen Welt, wo die Leiden und Gebrechen der Erde nicht mehr sind, und Schmerz und Jammer ein Ende hat. spricht diese Sehnsucht aus und sagt:

Und selbst unser Apostel

Ich habe Lust abzuscheiden

und daheim zu sein bei dem Herrn, was auch viel besser wäre. Und solch eine Sehnsucht ist auch nicht verdammlich an sich und hat im Leben wol ihre Stelle, damit wir von Nichts uns fesieln lassen, was noch irdisch und zeitlich ist.

Aber sie darf doch der sittlichen Aufgabe,

26

*

388 die uns mit dem Leben geworden ist, nicht Eintrag thun. auch Paulus hinzu:

aber

Und so setzt

es ist nöthiger, im Fleisch zu blei­

ben um euretwillen, euch zur Förderung und zur Freude des Glau­ bens.

Denn daran hatte er ja, seit der Herr ihm erschienen war, sein

ganzes Leben gestellt und in dem Dienste am Evangelium ging sein Stre­ ben und Trachten auf.

Und so sollen auch wir ausharren in dem Be­

rufe, worein Gott uns gesetzt und auch in Schwachheit wirsen, uns gegeben ist.

so viel

Ja die Liebe, auch die und noch im Tode beseelt, die

Gottes- und Christusliebe muß selbst eine Liebe des Lebens, des zu er­ bauenden göttlichen Lebens sein, eine Liebe, der es am Herzen liegt und welcher es

als die schönste und seligste Aussicht vor Augen steht, daß

die Welt und Menschheit immer mehr in das Bild Gottes und seiner Liebe verklärt werde und der Friede Gottes in Jesu Christo Alle beselige. Es ist die Liebe zum Reiche Gottes, die uns Himmel verlangen lässt.

auch im Tode nach dem

DaS Leben der Liebe aber, das dem Tode

vorangehen muß, daß er zum Tode der Liebe werde, kann nun auch kein andres sein, als ein Leben um GotteS willen, dessen Werke nur Werke der Wahrheit, und in Gott gethan sind; — Werke, um die Macht und Liebe deS Gottessohns zu verkündigen und seiner seligen Herrschaft immer mehr Raum zu schaffen.

Begleitet uns nun das Bewufftsein eines sol­

chen in der Liebe vollbrachten Lebens auch in den Tod: dann kann auch unser Blick in die Zukunft nicht trübe sein. heim zu dem Vater, der schon hier

Denn wir kehren ja nur

an seiner Hand uns geleitet hat.

Hätten wir aber hier nur uns selbst gelebt und nichts für den Himmel gethan: wie könnten wir da wol der Zukunft uns trösten wollen? Wir haben ja nichts, was wir Gott übergeben könnten, und sind arm und bloß. Todten

Der begeisterte Seher der Offenbarung

preist ja auch nur die

selig, die da ruhen von ihrer Arbeit und denen ihre Werke

nachfolgen,

die im Herrn

sterben,

nachdem sie im Herrn gelebt.

Darum möge Jeder wol dafür sorgen, daß die Erinnerung an die Ver­ gangenheit

für ihn nicht schmerzlich und strafend sei,

wo er dann die

Zukunft auch fürchten und vor dem Gedanken des Gerichtes Gottes er­ beben müsste.

Ohne den Frieden mit Gott kann unser Tod doch auch

kein Tod der Liebe sein.

Den Frieden Gottes aber haben wir auch

nur, wenn unser Gewiffen uns nicht verdammt und der Geist uns Zeug­ niß gibt, daß wir Gottes Kinder sind.

Nur das Leben,

heiligt war, nimmt er auch zu sich auf.

Haben wir hier nichts gesäet:

da können wir auch auf keine Ernte im Himmel hoffen.

das ihm ge­

Die Sünde

389 aber ist die Saat des Verderbens.

Wol werden wir niemals und rühmen

können, den Willen Gottes in allen Dingen vollbracht zu haben.

Da

bleiben wir immer hinter dem Bilde zurück, das uns die himmlische Be­ rufung in Christo vorhält; — und mit Allem waS wir thun, sind wir doch nicht gerecht vor Gott.

Es ist immer nur seine Gnade, die uns

das Gute vollbringen lässt.

Suchten wir aber doch in den Wegen deS

Herrn zu wandeln,

folgten wir nur, wenn auch in Schwachheit, denn

doch in Liebe den Fußtapfen Christi nach, und sind wir über uns selbst nicht verblendet und erkennen wir, was wir gefehlt: so dürfen wir doch an der Gnade Gottes nicht zweifeln, und auch im Tode ist er mit dem Trost seiner Liebe bei nnS. Hat uns aber auch mancher Kampf im Leben hier heimgesucht, ist es durch Schmerz und Leiden und schwer geworden, und beugte manche Last uns danieder: so werden wir doch, wenn der Tod und naht, nicht trauern, daß uns kein größeres Maß der Freude beschieden war.

Haben

wir nur Alles aufgenommen als Gottes Rath, und fehlte es uns an der Ergebung und Demuth nicht, und tragen wir auch das Leid nur als das sanfte Joch Jesu Christi: so lässt er uns auch nicht ohne Er­ quickung, die uns seine Liebe gibt.

Und durch den Kampf, ist es ein

Kampf in dem Herrn, dringen wir auch selbst tiefer in das wahre gött­ liche Leben und in das Geheimniß desselben ein, und werden schon vorher in der Arbeit der Todesüberwindung geübt, so daß es uns dann umso leichter wird, auch durch die letzte dunkle Stunde hindurchzugehn.

Wir

erkennen es umsomehr, daß der Tod und Nichts nehmen kann, was das wahre göttliche Eigenthum unsers Lebens ist.

Steht uns doch auch in

dieser Beziehung unser Apostel als das herrlichste Vorbild da.

Denn

was wäre köstlicher, als wenn wir im Angesichte des Todes mit ihm zu sprechen im Stande wären: Ich habe einen guten Kampf ge­ kämpft, ich habe den Lauf vollendet, ich habe Glauben ge­ halten; hinfort ist mir beigelegt die Krone der Gerechtig­ keit, die der Herr, der gerechte Richter mir geben wird; aber nicht mir allein, sondern Allen, die seine Erscheinung lieb haben. Wol ist die Liebe, welche den Tod verwandelt, selbst nur die Gotteöliebe, die Liebe zu Christo, der aber als daS Haupt der Seinen Alle beim Vater versammeln will, daß wir da feien, wo er ist, und seine Herrlichkeit schauen sollen, die ihm der Vater gegeben hat.

Trügen wir

390 nun die Unsrigen nicht in dem Herzen, wären wir mit ihnen nicht in der Stefa Eins: so könnte unser Tod auch nickt ein Tod der Liebe sein; da könnten wir

mit keinem seligen Gefühle von hinnen scheiden.

Die

Liebe aber, womit wir die Unsern umfassen, als die Gott uns gegeben hat, ist auch nur die Liebe zu ihrem Heil.

Denn lieben wir sie in Gott:

so können wir uns auch dieser Liebe nur freuen, wenn wir wissen, daß Gott sie liebt.

Und sind uns, wie bei unsern Kindern, ihre Seelen noch

besonders vertraut, waren wir zu

ihren Hütern und Wächtern bestellt:

so hat ' es mit dieser Liebe noch viel mehr und Größeres auf sich.

Hätten

wir nun, nickt durch Gottes Ruf, sondern durch traurige Verirrung eines derselben verloren und müssten wir uns Vorwürfe machen, nickt treu im elterlichen Berufe gewesen zu

sein und die nöthige Zucht und

Bermahnung versäumt zu haben: dann trügen unö, der uns nachfolgt auch in den Tod.

wir einen Schmerz in

Möge doch Keinem von uns

die Ruhe des Sterbens durch solch einen Schmerz geraubt und verbit­ tert werden. Unsere Liebe aber gehört nicht bloß den Unsern im engern Sinne, sondern Allen an, die als Kinder des Einen Gottes und als Brüder uns nahe stehen.

Soll unser Tod nun ein Tod der Liebe sein: so dür­

fen wir auch gegen Niemand eine Feindschaft im Herzen tragen, und der Gedanke, daß auch nur Einer unsrer Brüder einen Anlaß hätte uns zu hassen, hebt das Gefühl der Beseligung auf.

Wäre aber eine Trennung

eingetreten, weil wir Gott mehr geliebt, als die Menschen:

so werden

wir dieS wol beklagen, aber uns doch nicht kümmern dürfen, wenn die Liebe nur- in uns lebt und wir mit einem Stephanus sprechen und beten:

Herr behalte ihnen die Sünde nicht!

den Tod der Liebe sterben: so

Wollen wir daher

dürfen wir es auch an der Vergebung

nicht fehlen lassen gegen unsre Beleidiger, gleichwie unö Gott auch in Christo vergeben hat.

Ohne den Trost der Vergebung Gottes kann ja

unser Sterben nicht selig sein. Unser Tod wird aber auch dadurch ein Tod der Liebe sein, wenn die Liebe zu den Heimgegangnen auch in uns lebt und wir ihnen zuge­ wandt sind als den Vollendeten, die uns zum Vater vorangegangen, dort­ hin, wo

auch unsre Heimat

ist.

Diese Liebe erhebt unsre Seele schon

in die künftige Welt, und wir sehen uns im Geiste schon in der Ge­ meinde der Heiligen.

Da zieht biei Sehnsucht auch im Tode uns umso

stärker zum Himmel hin,

und

eö ist uns, als wenn durck sie, die in

Christo gestorben sind, auch uns schon eine Stätte bei ihm bereitet wäre.

391

Da erscheint uns daS Jenseits nicht mehr als fremd. Denn wir finden ja Die, die auch uns in Liebe entgegensehn, dort wo kein Tsd, keine Trennung mehr ist, und der selige Friede Gottes uns Alle ewig um­ schließt. Ist solch eine Liebe noch im Tode die unsrige: da werden wir dann in trostvoller Zuversicht sprechen: Es ist genug, nimm Herr meine Seele! Denn die Gewissheit beseligt uns, daß auch der Tod uns nicht scheiden kaun von der Llebe Gottes, die in Jesu Christo ist, unserm Herrn. Wie wird mir dann, ach dann mir sein, Wann ich, mich ganz des Herrn zu freun, Ihn dort anbeten werde, Von keiner Sünde mehr entweiht, Ein Mitgenoß der Ewigkeit, Nicht mehr der Mensch von Erde! Heilig, Heilig, Heilig singen Wir und bringen Deinem Namen Preis und Ehr' auf ewig! Amen.

XXXIX.

Wie der Tod für uns ein Engel des Friedens sei. Predigt am Todtenfeste 1858 über Hebräer 4, 9—11.

bedenke deinen Tod! Bedenke, Mensch, das Ende, die bittre Sterbensnoth! Wie kommt so oft behende Schon morgen, und geschwinder, kannst du gestorben fein; Drum bilde dir, o Sünder, ein täglich Sterben ein! Bedenke, Mensch, daö Ende, Damit kein Trug dich wende Dort wird vor Gottes Throne Dort wird die Lebenskrone

bedenke doch die Zeit, von jener Herrlichkeit! die Liebe nur bestehn, nur der G e r e ch t e sehn. Amen.

Ja, an unser Ende, m. Gel., mahnt und die ernste und heilige Feier, die wir heute hier im Hause deS Herrn begehn, •— eine zwiefache Feier, die sich aber doch in einem Gedanken zusammenschließt, in dem Gedanken des ewigen Lebens, daö in Christo an's Licht gekommen, deS Lebens, das den Tod überwunden hat. DaS Andenken an die Gelieb­ ten, die uns in die Heimat vorangegangen, weist unS ja nur hin auf daS Ziel, dem wir Alle entgegengehn, und woran sich eine Entscheidung schließt, die unwiderruflich ist. Der heutige Sonntag aber, als der letzte des Kirchenjahrs, bezieht sich auch auf die letzten Dinge, die uns am Ende der Zeilen bevorstehn und deren Vollendung uns noch verborgen

393 ist. — Doch das Himmelslicht, das schon unsern irdischen Wandel er­ leuchtet und in die ewige Zukunft hinüberstralt, ist auch nur der Gottes­ sohn Jesus Christus, der Herr des Heils und der Seligkeit, dessen Bild, dessen

rettendes Lebensbild

Kirchenjahres vor die Augen stellt.

sich uns in den heiligen Festen des Nur wenn wir von Christo erleuchtet

sind: dann löst sich uns selbst das Dunkel des Todes auf.

Da tritt

nun aber Christus, der nicht aufhört, sein Evangelium uns zu predigen, eben heute, am Schlüsse des Kirchenjahrs, vor uns hin mit der ernsten Frage: ob wir auch auf den Ruf seiner rettenden Liebe gehört und ihm gehorsam gewesen sind;

ob sein Evangelium auch wol in uns zu einer

Kraft Gottes geworden ist, die da selig macht Alle, die daran glauben; oder ob

wir daran vorübergegangen sind, und im Dünkel der eignen

Weisheit, und verblendet von der eitlen Liebe der Welt seine göttliche Hülfe verschmäht und und hingegeben haben dem alten nichtigen Wan­ del?

Er tritt zu uns mit der Frage hin: ob wir an ihm, als unsrem

Haupte gewachsen sind, oder nicht;

ob wir dem Leben, oder dem Tode

uns zugewendet? Möchten nur wir Alle auf diese Frage uns eine gute Antwort zu geben im Stande sein, damit kein Bangen vor der Zukunft uns niederbeuge, sondern das Licht der Hoffnung uns in Christo ent* gegenleuchte.

Die Stimme, womit eben heute der Herr zu uns spricht,

und und mahnt, das Ende zu bedenken, ist auch eine richtende und Niemand von uns kann dem Gerichte Gottes entgehn.

Der Leichtsinn

zwar will von einem solchen Gerichte nichts hören, und der Unglaube weist es spöttisch zurück.

Aber es kommt auch nicht bloß von Außen

her, sondern durch die Macht des göttlichen Wortes, auS dem wir ge­ boren sind, ist das Gericht mit uns und mit unsrem eignen Leben ver­ wachsen, und . erhebt sich zuletzt aus unS selbst viel schmerzlicher noch, als wenn es nur von Außen an und vollzogen würde.

Denn daS ist wahr­

lich das Traurigste, wenn der Mensch sich selber verdammen muß.

Auch

ist daS Gericht Gottes nicht bloß ein künftiges, sondern reicht herein in die Gegenwart, und geht durch das ganze Leben hindurch, bis daß es vollendet ist.

Denn der Tod ist freilich auch ein Gericht, ein Ge­

richt des Herrn, vor dem wir erscheinen müssen.

Zum Tode aber sind

wir jeden Augenblick reif, und dieser Gedanke muß uns wol Alle zum heiligsten Ernste stimmen und und Rechenschaft.

mahnen,

uns bereit zu halten zur

Sind wir aber vor vielen Andern verschont geblieben: so

dürfen wir ja nicht meinen, als verdankten wir dies unsrer Gerechtigkeit. DaS wäre eine schlimme Verblendung über uns selbst.

Wir Alle sind

394 viel zu geringe aller Barmherzigkeit und Treue, die Gott an uns ge­ than, und mit seiner Gnade hat er unS mit eine Frist geben wollen zur Besserung. So sollen wir uns denn demüthigen vor dem Herrn und uns niederbeugen vor ihm, daß seine Kraft in uns mächtig werde. Wol ist er ein geduldiger Gott; aber wir müssen es uns leid sein lassen und seine Gnade mit Thränen suchen. Auch waltet seine Gnade nur über Die, die von den unseligen Fesseln der Selbstsucht sich losgemacht und in der Liebe Gottes ihr Leben gefunden haben. Daun gewinnt auch der Tod für uns eine ganz andre Gestalt, und wir sehen auch auf unsre Lieben, die der Herr schon zu sich genommen hat, mit einem ganz andern Auge hin. Haben wir nickt unsre Heimat bei Gott gefunden, haben wir nicht den Glauben an eine ewige und himmlische Welt: so ist auch unser Andenken an die geliebten Entschlafenen nicht rechter Art, nicht das wahrhaft lebendige. Denn es fehlt das heilige und himmlische Band, waS uns mit ihnen verknüpfen soll, und wodurch sie noch immer unS angehören, und vbwol unsichtbar, doch nicht von unS geschieden sind. Auch sind sie ja nur dorthin vorangegangen, wo unsre ewige Heimat ist, die auch hier.uns nicht fremd sein soll. Und so wird unS ja auch in der heil. Schrift der Tod Derer, die in dem Herrn gelebt, nur als die Aufnahme in die ewigen Hütten beschrieben, wo ihnen nach der Unruhe dieser Welt eine heilige und himmlische Ruhe beschieden ist. So leidet auch ein Ausspruch in dem Briefe an die Hebräer hier seine Anwen­ dung und wir wollen ihn daher auch unsrer heutigen Todtenfeier zum Grunde legen. Wir finden ihn im 4. Kapitel von BerS 9—11, wo er folgendermaßen lautet: „Es ist noch eine Ruhe vorhandeu dem Volke Gottes. Denn wer zu seiner Ruhe gekommen ist, der ruhet auch von seinen Werken, gleichwie Gott von den seinigen. So lasst uns nun Fleiß thun, einzukommen zu dieser Ruhe." Ja, möchte diese Ruhe doch auch unser Theil und unser himmlisches Erbe sein! Dazu segne, o Gott, auch unsre heutige Andacht, segne sie durch die Kraft des heiligen Geistes, daß sie uns eine Frucht zum ewigen Leben bringe. Amey. Mit der Ruhe, nt. Gel., von welcher der postalische Verfasier in Unserm Texte spricht, sieht er zunächst auf einen göttlichen Ausspruch der mosaischen Bücher hin, wonach Gott den Juden, die auf ihrem Zuge

395 durch die Wüste sich gegen ihn aufgelehnt, ankündigt, daß sie zu seiner Ruhe, zum ruhigen und friedlichen Besitz deS verheißnen Landes nicht kommen sollen.

Die wahre Ruhe, der himmlische Friede GotteS hängt

aber nicht bloß von einem irdischen und Äußerlichen Besitze ab, sondern umschließt ein höheres, geistiges und ewiges Lebensgut.

Darum denkt

nun auch der Apostel nimmer daran, als sei mit dem Einzug der Israe­ liten in Kanaan die verheißne Ruhe erreicht gewesen. Herrn waS er durch David zu ihnen geredet: Stimme höret,

DaS Wort des

Heute, so ihr meine

so verstocket eure Herzen nicht! — weise viel­

mehr darauf hin, daß diese Ruhe für sie noch eine künftige sei. Christus ift% der diese höhere Ruhe uns schenken kann.

Nur

Vollendet aber

offenbare sie sich erst dann, wann das Gottesreich kommen werde in seiner Wahrheit und Herrlichkeit.

So sieht er sie selbst zu seiner Zeit

— also nach der Erscheinung Christi — noch als eine künftige, und so haben wir nun auch die Worte in

unserm Text zu verstehen: eS ist

noch eine Ruhe vorhanden dem Volke Gottes.

Ja er stellt sie

erst an das Ende des gegenwärtigen zeitlichen Lebens, und sie hebt ihm erst jenseits an.

Darum spricht er:

wer zu seiner Ruhe gekom­

men ist, der ruhet auch von seinen Werken, und vergleicht dies mit dem Bilde der Ruhe Gottes nach der Schöpfung der Welt.

Doch

trennt er diese Ruhe auch nicht von dem Zusammenhange mit der Ge­ genwart.

Denn wenn er ermahnt, mit allem Fleiße danach zu trachten,

in diese Ruhe einst einzugehen: so denkt er doch die Gegenwart als die Zeit, worin wir uns dazu geschickt machen und bereiten sollen und stellt dies als ein Lebensgebot uns hin.

Das zeitliche Leben auf Erden sieht

er noch als Mühe und Arbeit an, der die vollendete Ruhe erst folgen soll.' Den Uebergang aber in diese Zukunft bildet der führt

auch der Tod erst

in diese Ruhe uns ein.

Tod, und so

Diese Ruhe begreift

aber nur den göttlichen und himmlischen Frieden, den Frieden des Lebens bei Gott.

So erscheint uns der Tod als ein Bote, als ein Got­

tesbote, der uns den Frieden bringt.

Einen Boten aber, den Gott uns

sendet, nennt die Schrift einen Engel.

Und so dürfen wir mit Recht

den Tod auch einen Engel des Friedens nennen.

Und es soll dies auch

nicht etwa ein bloßer Name sein, sondern eS ist eine christliche Anschauung, ein christlicher Heilsgedanke, der dabei zum Grunde liegt.

Auch stimmt

es wesentlich damit überein, wenn uns der Tod als die Rückkehr in die ewige Heimat beschrieben wird.

Denn die Heimat, wonach wir unS

sehnen, muß auch eine Wohnung des Friedens sein.

Sonst föhnen wir

396 uns auch nicht heimisch fühlen.

Tragen wir aber doch wol Alle eine

tiefe und innige Sehnsucht nach dem Frieden in unsrem Herzen: so ist es gewiß ein entsprechender Gegenstand für unsre heutige Betrachtung, eS uns klar zu machen:

Wie der Tod für uns ein Engel des Friedens sei. Wir haben de.n Tod einen Engel oder Boten des Friedens ge­ nannt.

Dabei geht man allerdings von einem Gegensatz mit dem Leben

auS, worin wir diesen Frieden nicht schon zu erlangen im Stande seien. Denken wir uns aber

das Leben als vom Frieden leer und verlassen,

wohnt die Zwietracht statt des Friedens in ihm, geht eS in feindliche Trennungen auseinander: so ist dies der traurigste und unseligste Zustand, den es nur geben kann.

Dann trüge eS ja nur Schmerz und Elend

in seinem Schoße und es wäre besser außer dem Leben, oder' gar nicht zum Leben geboren und erwacht zu sein. was uns in Christo

gepredigt wird?

Wo bliebe denn da das Heil, Wo

bliebe denn da der Friede,

den uns Christus vom Himmel herabgebracht?

Nein,

Geliebte, wenn

der Tod ein Engel des Friedens heißt und allerdings eS auch ist:

so

dürfen wir doch das Leben ihm nicht so unbedingt entgegensetzen,

als

sei ihm aller Friede versagt. — Doch es kommt hi/r zunächst darauf an, zu wissen, waS für ein Friede dies sei, zu dem uns der Tod verhilft? Es gibt nur einen wah­ ren Frieden, m. Gel., und daS ist nur der Friede Gottes. Friede kann aber auch nicht bloß eine

Gabe des Todes sein.

Dieser Denn

Gott ist ja der Lebendige, und sowie in ihm nur die Fülle des Lebens ruht: so ist auch Alles, waS er uns schenkt, nur ein Lebensgut, und wir empfangen eS nur aus dem Leben und in ihm.

Dächten wir aber

bei dem Frieden, den der Tod uns bringt, nur an die stille Ruhe deS Grabes, das uns

allem Kampfe entnommen habe,

sollte dieser Friede

nur darin bestehen, daß unser Leben zu Ende und Alles vergessen sei: so höben wir ja damit allen

christlichen Glauben auf, und es stünde

dieS in vollem Widerspruch mit dem Evangelium Jesu Christi, der ja dem Tode die Macht genommen und Leben und unvergängliches Wesen an’$ Licht gebracht.

Dann wäre der Tod auch kein Friedensengel, son­

dern nur eine feindliche zerstörende Macht. den, als nur bei Gott.

Soll er uns

Wir finden also keinen Frie­

aber wahrhaft zu eigen sein: so

muß unser Leben sich selber in diesen Frieden verwandelt haben und ein Leben des Friedens sein.

Zum Frieden Gottes aber wird unser Leben

397 nur dann, wenn wir es aus Gott und in ihm erfasst, und auch nichts suchen, als was das Seine ist.

Da ist unser Verhältniß zu Gott nicht

bloß ein äußerliches, sondern wir stehen im seligsten Umgang mit ihm, als der bei uns und in uns ist, und von dem uns Nichts scheiden kann. Der Friede Gottes ist das

Leben der Liebe, die nicht noch für sich sein

oder etwas haben will als

für sich, sondern die nur in Gott sich gefun­

den und in ihm ihr Eigenthum hat, und auch nur danach trachtet, sein Werk zu thun.

So war Christus der lebendige Gottesfriede; und aus

dem seligen Bewusitsein dieses Friedens bezeugt er es:

Ich und der

Vater sind Eins; was mein ist, das ist Dein, und was Dein ist, das ist mein. Soll nun

aber doch der Tod

erst der Engel des Friedens sein:

so hängt dies freilich damit zusammen, daß wir vorher nicht schon zum vollen Frieden gekommen sind, und erst

der Tod

alle Störungen von

uns nimmt, die den Frieden hier noch getrübt und verkümmert haben. Doch kann der Tod uns auch den Frieden nicht bringen, wenn wir hier ohne Frieden gelebt. genwart.

Denn

die Zukunft erwächst auch nur aus der Ge­

Wessen Herz sich

hier der Liebe nicht aufgeschlosien, und von

dem himmlischen Vater sich abgewendet: dem kann auch in der Zukunft nicht der Friede Gottes zum Lohne werden. ernten, sagt der Apostel Paulus,

Wir werden ja auch nur

was wir hier ausgesäet.

Nur der

Weizen, nicht aber die Spreu kann in die himmlischen Scheuren gesam­ melt. werden. Aber freilich, m. Gel., gehört die Vollendung nicht dem gegenwärtigen Leben an, und haben wir hier auch wol nach dem Frieden gestrebt und getrachtet, war unser Herz auch nicht friedeleer und haben wir es empfunden, wie köstlich er sei: so zieht er doch in seiner ganzen Fülle nicht schon bei uns ein, und wir vermögen auch nicht, ihn immer gleich­ mäßig zu bewahren und festzuhalten.

Fehlt es uns auch an dem Troste

nicht, durch Jesum Christum mit dem Vater versöhnt zu sein, und zwei­ feln wir auch an seiner Erbärmung und Gnade nicht: so ist der vollendete Friede doch noch der künftige.

War auch unser Wollen ein gutes und

redliches: so bleibt das Vollbringen doch immer

dahinter zurück, und

wir haben nie ganz erreicht und errungen, was uns in dem Bilde des himmlischen Friedens vor Augen stand, und die Schwäche, die uns noch immer umgibt, wirkt vielfach hemmend und hindernd ein.

Und so ver­

dunkelt sich auch das Licht des Friedens in unsrer Seele, und schmerz­ liche Gefühle durchdringen uns.

398 Und fassen wir die Zustände der Welt und die äußerlichen Lebensverhältniffe in das Auge, wie Alles um uns her noch so unvollkommen ist und der Gebrechen und Leiden im Leben so viele sind; sehn wir uns durch den feindlichen Widerstand, den wir auch, wenn es uns um das Wahre und Gute zu thun ist,

vielfach erfahren müssen, in harte und

schwere Kämpfe hineingezogen, sehn wir die Zwietracht, die noch unter den Menschen herrscht, sehn wir das ungöttliche Wesen der Welt und wie so oft das Schlechte und Böse den Sieg gewinnt und die feindliche Selbstsucht das Gute wieder zerstört: wie sollten wir darüber nicht Be­ trübniß und Trauer im Herzen tragen?

Sind wir aber voll Traurig­

keit: da ist auch der Friede Gottes nicht schon völlig der unsrige.

Und

wenn wir uns auch in uns selbst der Gnade Gottes getrosten: so weist uns der Anblick der Welt doch auf die Zukunft hin, wo wir den vollen Frieden erst finden sollen. —

So haben wir nun den Tod

einen Engel deS Friedens ge­

nannt, und inwiefern er dies sei:

das ist uns wol schon hier nicht

verborgen, und die bisherige Betrachtung weist uns schon darauf hin.. — Den Tod aber fassen wir nur als den Heimgang zum Vater, und der wahre christliche Gedanke, der unsrer Predigt vom Tode als einem Engel des Friedens, zum Grunde liegt, ist also nur der: daß dieser Heimgang uns erst den vollendeten himmlischen Frieden zu schenken im Stande ist. Denn

erst als die Heimgegangnen

sind

wir ganz

bei dem Vater und

ruhen in seinem Frieden, dagegen wir auf Erden noch Gäste und Pil­ grime sind.

So sagt ja

auch Jesus, daß er hingegangen sei in das

HauS des Vaters, die Stätte uns zu bereiten, daß wir da sein sollen, wo er ist. Soll nun aber der Tod

uns der Heimgang zum Vater sein: so

müssen wir auch hier auf dem Wege zur Heimat gewandelt haben, wie uns Jesus diesen Weg gebahnt und

gewiesen hat.

Denn er ist selbst

dieser Weg. er ist ihn vorangegangen und wir dürfen nur mit ihm gehn. — Wer aber die Erde ansieht als seine Heimat, und seine Wohnung nur in dem Lande der Vergänglichkeit aufgeschlagen: der findet auch die selige Heimat beim Vater nicht.

Wol sollen wir auch auf Erden zu

Hause sein, d. h. wir sollen mit dem irdischen Berufe vertraut sein, den Gott uns verliehen hat; — wir sollen das Werk, was der Vater, uns aufgetragen, auszurichten und zu vollbringen wissen, und sollen eS auch

399 mit Liebe thun.

Und diese Liebe, in welcher wir daran arbeiten und so

viel an uns ist, thun, daß die Welt immer mehr zu einer Offenbarung des göttlichen Friedens werde, soll auch schon hier unsre Heimat sein.

Und

nur s o werden wir auch den Uebergang in die ewige und himmlische Heimat finden. Sonst könnte uns auch der Tod nickt ein Heimgang zum Vater, nicht ein Engel

des Friedens sein.

die Arbeit

des irdischen Lebens vollbracht ist und wir die Werke gethan,

Er führt uns aber zum Frieden, weil

die uns nachfolgen in die Ewigkeit.

Der Tod ist ein Engel des Frie­

dens, weil er von aller Unruhe der Welt uns erlöst, und wir den Kampf vollendet, den wir hier noch Alle zu kämpfen haben. — Der Tod ist ein Engel des Friedens, weil er unS von allen Leiden und aller Trübsal befreit, die hier uns noch niederbeugen, weil er alle Mühseligkeit und Beladenheit dieser Welt von uns nimmt und alle irdische Schranken auf­ hebt und . uns zur himmlischen Freiheit führt; weil dann alle Dunkelheit und aller nichtige Schein von und weicht, und das Gotteslicht uns leuch­ tet in seiner ewigen Klarheit. lige Ruhe

Wie sollte da nicht eine höhere und hei­

die unsre sein undder volle selige Friede Gottes einziehn in

unsre Herzen?

Was wir hier

im Namen des Herrn gethan: das über­

tragen wir nun ihm und legen es in seine Vaterhand.

Und wir wissen

ja, daß Nichts verloren ist, und daß.-er Alles herrlich hinausführt.

Wir

haben alles Leid überwunden; er trocknet selbst die Thränen von unsern Augen, und aller Schmerz hat in Freude sich aufgelöst, in die Freude im Herrn, die Niemand mehr von uns nimmt. auch die Stunde des Todes nicht.

Da fürchten wir dann

Christus hilft und hindurch, und so

wie Er den Tod überwunden hat: so führt er auch uns zum Siege, zum Siege des ewigen und himmlischen Lebens.

Können wir nur mit dem

Apostel Paulus sprechen: Ich habe einen guten stampf gekämpft, ich habe den Lauf vollendet,

ich habe Glauben

gehalten:

dann wird es sich auch an uns erfüllen, was er in freudiger Glaubens­ gewissheit hinzusetzt: hinfort ist mir beigelegt die Krone der Ge­ rechtigkeit, die mir der Herr, der gerechte Richter an jenem Tage geben wird, nickt aber mir allein, sondern Allen, die seine Erscheinung lieb haben. — Ja thue dies, o Herr, nach Dei­ ner Barmherzigkeit,

und wenn unsre Pilgrimschaft hier zu Ende geht:

so nimm uns auf in Deine himmlischen Wohnungen. Wie sollten wir aber durch diese Betrachtung nicht auch über den Hingang unsrer Lieben getröstet sein? Haben wir den Tod als den Engel des Friedens gesehn: so wissen wir ja auch die frommen Heimgegangnen

400 beim Vater und im Besitz seines Friedens, der über Alles hinausliegt, waS die Erde uns geben kann.

Wie auch ihr zeitliches Loos hienieden

gewesen sei: dort

und herrlicher.

ist es höher

Denn kein Glück der

Welt reicht an die Seligkeit des himmlischen Friedens.

Und waren sie

Leidende, haben sie hienieden geduldet und in demuthsvoller Ergebung nur ausgeharrt: so haben sie ja nun überwunden und sind eingegangen in das Land der Vollendung, wo Alle, die nur treu gewesen bis in den Tod, die Krone des Lebens empfangen sollen. hat sich erfüllt, und daS nimmer stirbt. gen und trauern.

Ihr heiligstes Sehnen

sie sind vom Tode hindurckgedrungen zum Leben, Darum wollen wir über ihren Hingang nicht kla­

Sind sie doch in der Liebe auch jetzt nicht von uns

geschieden und wir gehen mit ihnen um.

Es ist nicht bloß ihr Anden^

ken, das wir in uns bewahren, — nein: sie selbst sind eS, die wir im Herzen tragen, und die in Spanne der Zeit:

der Liebe auch

bei uns sind.

Eine kurze

und wir sehn sie auch wieder von Angesicht dort,

wo jede Trennung ein Ende hat! Ja wer wollte denn nicht gerne sterben, Und den Himmel für die Welt ererben? Wer wollt hier bleiben, Sich den Jammer länger lasten treiben? Komm, o Christus, komm uns auszuspannen; Lös uns auf und führ uns bald von dannen; Bei dir, o Sonne, Ist der frommen Seelen gfceW und Wonne!

Amen.

XL.

Der Tod als ein Kommen des Herrn. Predigt am Todtenfeste 1860 über Markus 13, 35—37.

Zu Dir, der Du der Herr über Todte und Lebende, und doch voll Gnade und Barmherzigkeit bist, zu Dir erhebt sich in dieser ernsten und heiligen Stunde unsere tiefbewegte und nach Dir verlangende Seele. Denn wenn der Schmerz über die Vergänglichkeit alles Irdischen, wenn die Trauer über die Geliebten, die von uns geschieden sind, uns ergrei­ fen will: wo vermöchten wir Trost zu finden, als nur bei Dir, der Du den Tod überwunden und das Leben an's Licht gebracht hast. Und die Quelle dieses Trostes ist ja in Deinem Worte reichlich uns aufgethan. Laß darum, o heiliger Gottessohn, auch heute Dein Wort in uns mächtig werden, daß wir in ihm das Leben Deiner Liebe ergreifen mögen, und in ihr, mit den Verklärten vereinigt, zu Dir und zu Deinem Frieden, zum ewigen und seligen Gottesfrieden erhoben sein! Amen. Das höchste und beste Gut, m. Gel., wonach wir als Christen stre­ ben und ringen sollen, besteht nur darin, des Herrn zu sein. Denn nur in ihm, in unsrem Herrn und Heilande Jesu Christo, dem Sohne des lebendigen Gottes, ist uns das Leben erschienen, das Leben der Wahr­ heit und Seligkeit, das Leben der rettenden Liebe. Wer also Christo nicht angehört und das Heil in ihm nicht gefunden hat: der hat auch das Leben nicht. Sowie aber Christus als das göttliche Haupt seiner Kirche, worin er mit der Fülle seiner Gnade lebet und herrscht, uns nur in ihr als die Seinen umschließt: so können auch wir nicht des Herrn, nicht wahre und lebendige Glieder Jesu Christi sein, wenn wir nicht Schirmer, Festpredigten.

26

402 mit seiner Kirche verbunden sind.

Und

da genügt es nun auch nicht,

'daß wir etwa nur innerlich oder nur für unsre Person in einem gewiffen Verhältniß zu Christo stehn.

Denn die Kirche, obwol als eine Gemein­

schaft der Heiligen unsichtbar, zur Erscheinung kommen.

soll doch auch in einer sichtbaren Gestalt

Und das Heil,

was Christus der Welt ge­

bracht, vollendet sich auch nur durch eine Verklärung des Lebens auf Erden in’$ himmlische.

Thun wir es daher nicht auch äußerlich kund,

daß wir zur Kirche Christi gehören, achten und ehren wir ihre heiligen Stiftungen nicht,

schließen wir uns als eine Gemeinde im Herrn nicht

auch untereinander und nach Außenhin immer fester zusammen, spricht sich die Liebe zu Christo nicht auch durch die freie und freudige Theil» nähme aus an den festlichen Gottesdiensten: so erkennt er uns auch nicht als die ©einigen.

Dies mit Ernst zu bedenken, daran mahnt uns nun

aber wol besonders der heutige festliche Tag, womit sich die Reihe unsrer heiligen Versammlungen in diesem Kirchenjahr schließt. Wie sollten wir uns da nicht gedrungen fühlen, die Frage uns vor­ zulegen: ob die Gnade

des Herrn, der auch

in diesem jetzt zu Ende

eilenden Kirchenjahr die Botschaft des Friedens mit Gott uns immerdar verkündigen und und bitten ließ: Lasset Euch versöhnen mit Gott — auch

an

uns nicht vergeblich gewesen ist;

Liebe nicht von uns gewiesen haben,

ob wir den Ruf seiner

sondern uns losreißend von den

Banden der Welt, ihm nachgefolgt sind, der uns allein zu dem Himmel führt.

Möchten wir doch Alle auf diese Frage eine beruhigende Ant­

wort uns geben können, und auch heute aus dem Hause des Herrn ein trostvolles Zeugniß mit uns

nehmen, um so auch einen freudigen und

lichtvollen Blick in die Zukunft zu thun, die uns in dem Gottessöhne als die Zukunft des ewigen Lebens entgegenleuchtet,

wo es keinen Tod und

kein Sterben gibt, und wo jede zeitliche Trennung ein Ende hat. Da hört auch

die Gemeinschaft mit den Geliebten, die der Herr

von uns nahm, doch nicht auf.

Obwol sichtbar von uns geschieden: so

bleiben sie doch in der Liebe, worin das Geheimniß seligen Lebens verborgen liegt, die Unsrigen. bunden und gehören uns

des ewigen und

Sie bleiben mit uns ver­

selbst noch enger und inniger an, weil jede

irdische Trübung aufgehört hat und das geistige Bild um so heller und klarer uns vor die Seele tritt.

Wer dies aber etwa von der bloßen

Erinnerung an die Heimgegangnen verstehen wollte, die wir im Herzen trügen, oder von dem Verlangen der Seele, was uns zu ihnen hinzieht, obwol sie als die Hingeschiedenen uns doch nicht mehr angehörten: der

403 hätte in das Wesen der Liebe, die ja, wie Paulus sagt, nimmer auf­ hört, und eine unerschöpfliche Quelle des Lebens ist, nicht schon hinein­ geschaut.

Nur von diesem Grunde der ewigen Liebe aus dürfen wir

auf ein höheres Wiedersehn hoffen in einer verklärten himmlischen Welt, worauf auch Jesus mit der Verheißung uns hinweist, die er dem buß­ fertigen Schächer am Kreuze gibt: Heute sollst du mit mir im Pa­ radiese sein.

Dieser Zurufest ein hohes und herrliches Zeugniß seiner

Siegesmacht über den Tod, woran Alle theilhaben sollen, die an ihn. glauben und ihr Leben aus diesem Glauben erbaun.

Wer an mich

glaubt, spricht er, der wird leben, ob er gleich stürbe; -— wer mein Wort hält, der wird den Tod nicht sehen ewiglich.

Auf diesem

Worte aber, dem Worte des ewigen Lebens, ist auch seine Kirche ge­ gründet, und jene Siegesmacht ruht auch in ihr.

Da tritt nun am

Schluffe des Kirchenjahrs auch wol das Bild der Geliebten uns vor die Seele, die uns in die ewige Heimat vorangegangen sind, und für die es der innigste Wunsch unsers Herzens ist, daß sie beim Herrn sein. — So schließt nun auch die Todtenfeier, die wir heute begehn, der kirchlichen Bedeutung des Tages sich nahe an. uns einen Trost schaffen, der nicht stirbt.

Möge diese Feier auch

Diesen Trost gibt uns aber

auch nur der Herr, und will ihn uns geben bei seiner Zukunft, die wir uns aber nicht bloß vorstellen dürfen, als liegend in weiter Ferne, son­ dern womit er uns nahe ist immerdar, aber vorher es uns doch nicht wiffen lässt, wann er kommt.

Empfangen wir nun aber ihn nicht als

die Wachenden: so bleibt auch sein Trost uns aus.

So wollen wir denn

auch durch ein ergreifendes Wort des Herrn, das wir heute für unsre Todtenfeier zum Text erwählt, uns zur Wachsamkeit mahnen lassen.

Wir

lesen es in der evangelischen Geschichte des Markus, Kap. 13, B. 35 bis 37, wo es also lautet: „So wachet nun, denn ihr wisset nicht, wann der Herr kommt, ob er kommt am Abend, oder zu Mitternacht, oder um den Hahnenschrei, oder des Morgens; auf daß er nicht schnell komme und finde euch schlafend. WaS ich euch aber sage, das sage ich Allen: Wachet!" 3a, lasset uns beten und wachen, bis daß der Herr kommt!

Du

aber, o Gott, rüste selbst mit der Kraft Deines Geistes uns dazu aus, daß wir bereit sein mögen, wann die Stimme Deines Sohnes uns ruft. Dazu laß auch in dieser feierlichen Stunde unsre Andacht gesegnet sein! Amen.

404 Wie aber soll denn, fragt man vielleicht, die Rede Christi von seiner Zukunft, deren Zeit uns verborgen sei und die schnell und Plötzlich ge­ schehen könne, uns einen Trost gewähren bei dem Tode der Unsrigen? Dieser Trost liegt aber auch tiefer, und wir finden ihn nur, wenn wir der Zukunft Christi im Geiste inne geworden und von ihrem Lichte er­ leuchtet sind.

Dann tritt das ganze Leben uns als ein andres und neues

hin, und so erscheint uns auch der Hingang heren Lichte.

Der Unsrigen in einem hö­

Die Ansicht des Todes ist eine verwandelte, und das bange

Dunkel, was ihn umgibt, weicht von uns.

Es ist uns aber nicht bloß

um eine persönliche Beruhigung, sondern vor Allem darum zu thun, daß wir vor des Menschen Sohne bestehen mögen.

Und das hat freilich

seinen großen Ernst und gibt uns viel zu bedenken.

In diesem Ernste

aber, der auf dem Grunde einer heiligen Liebe ruht, und uns um so stärker hinzieht zu dem Herrn des Heils, gewinnt auch die Trauer um die Entschlafnen eine andre Gestalt.

Denn wir lieben sie dann nicht

bloß in uns, sondern in Jesu Christo; und was wir in ihnen lieben, ist nicht das Sterbliche, sondern das Unsterbliche.

Und so stellt

sich in ihrem Bilde uns nur das Leben hin, das kein Tod zu tobten im Stande ist.

Und wie sollte dieser Anblick nicht erhebend und trostreich

fein? — Der Tod steht aber auch in einer eigenthümlichen Beziehung zur Zukunft Christi.

Zwar gilt sie an sich nur dem Leben, und je näher

uns Christus kommt und wiederkehrt in der Kraft seines Geistes: so kommt auch das Christenthum mehr und mehr zur Vollendung. er aber

Wie

vor seinem Hingang zum Vater den Seinen verheißen hat:

Ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende: so geht auch sein Kommen durch unser ganzes Leben hindurch.

Er kommt in jedem

Ereigniß und in jeder Schickung des Lebens zu uns, und klopft bei uns an, daß wir die Thüre unsers Herzens ihm aufthun möchten.

Wie sollte

er daher nicht auch im Tode, der für einen Jeden von uns so entschei­ dend ist, zu uns kommen? Herrn, und es

Ja, auch der Tod ist ein Kommen des

geht nur von einer wahrhaft christlichen Fassung des

Todes aus, ihn als ein Kommen des Herrn zu betrachten.

Der Tod als ein Kommen des Herrn; — inwiefern er dies sei: das wollen wir uns jetzt noch etwas näher vor die Seele stellen.

Dabei haben wir aber die doppelte Beziehung in's

Auge zu fassen, zunächst auf den Tod der Unsrigen, und dann auf den eignen Tod.

In dem einen aber wie in dem andern ist es

Christus, der zu uns kommt und seine Gottesstimme uns hören lässt.

405 1. Sehen wir nun zuerst und vor Allem auf die Unsrigen hin: so kommt der Herr in ihrem Tode zu und, zunächst als ein Lehrer der Nichtigkeit und V ergänglichkeit alles Irdischen. Denn stärker und erschütternder kann sich uns das Bild dieser Vergänglichkeit nicht vor Augen stellen, als in dem Anblick des Todes.

Was in der sichtbaren Welt

das Edelste der Schöpfungen Gottes ist, das Leben des Menschen, der das göttliche Ebenbild an sich trägt: das sehen wir durch den Tod zer­ stört und vernichtet. der Menschenkinder.

Wol zeigt uns dies schon der Tod eines Jeden Aber die Meisten gehen bei dem Tode Derer, die

ihnen nicht näher angehören, mit einer gewissen Gleichgültigkeit vorüber, geben sich keinen ernsten Todesgedanken hin, und so bleibt auch der heil­ same Eindruck aus.

Sehen wir aber Diejenigen sterben und in den Tod

sinken, mit welchen wir durch innige Familienbande, durch Bande per­ sönlicher Liebe vereinigt sind: so fühlen wir uns doch stärker und tiefer ergriffen, und die Vergänglichkeit alles Irdischen tritt uns weit erschüt­ ternder und gewaltiger hin.

Ist es aber der Ruf des Herrn, dem die

Sterbenden folgen müssen: so ist es auch seine Stimme, die in ihrem Tode an uns ergeht; er ist es, der es und vorhält, daß alles Sichtbare zeitlich ist und vergeht.

Denn steht uns dies nicht vor der Seele: so

geht auch die geistige Welt uns nicht auf. tritt immer verdunkelnd dazwischen.

Denn der verblendende Schein

Wer aber die geistige Welt nicht

sieht, der schaut auch Christum und seine Erlösung nicht. Erkennen wir aber in dem Tode der Unsrigen eine Stimme des Herrn: so kommt er darin auch zu uns als der Verkündiger eines ewi­ gen und unsterblichen Lebens. eine Predigt vom ewigen Leben.

Wol ist das ganze Evangelium Jesu

Aber bei den Meisten tritt der Gedanke

desselben in dem unruhigen Treiben der Welt und in der Liebe zu ihr zurück, und sie werfen den Glauben von

sich.

Erfüllt uns aber der

Schmerz über den Tod der geliebten Unsrigen mit dem Gedanken der Nichtigkeit alles irdischen Lebens, und zieht die Liebe uns mächtig zu ihnen hin, tragen wir zugleich eine höhere und heilige Sehnsucht in uns: so drängt und treibt uns dies zur Erfassung der übersinnlichen Welt und des ewigen und unsterblichen Lebens.

Die wahre, in Gott gegründete

Liebe hat in sich selbst schon ein Zeugniß, daß sie nicht sterben kann, und so ist es ihr auch unerträglich zu denken, daß das Leben der hingeschiednen Geliebten zerstört und vernichtet sei. der den Tod überwunden hat.

Wir haben ja Christum,

Lebt nur der Glaube an ihn in und:

406

so kommt er auch in dem Tode der Unsrigen zu UNS mit der Macht eines neuen Lebens, daS nimmer stirbt. Ja, der Herr kommt in dem Tode bet Unsrigen zu uns auch mit einem heiligen und himmlischen Trost. Wir sehen den Tod nicht mehr, weil er uns Nichts von dem wahren Eigenthum rauben kann. Denn was er hinwegnimmt und auf­ hebt, ist nur das Irdische und Vergängliche. Aber dem wahren gött­ lichen Leben hat er nichts an. Die heimgegangnen Geliebten sind keine Todten, sondern vielmehr Lebende, indem der Tod nur die Hülle ab­ gestreift hat, die ihnen noch das wahre Leben verdeckte. Sie sind dahin eingegangen, wohin wir den Weg erst noch nehmen sollen, und wonach wir uns sehnen. Als die in dem Herrn gestorben, sind sie auch bei dem Herrn, und das Reich des ewigen Lebens hat sich für sie aufgethan. Und empfinden wir, wie unser Leben hienieden voll Gebrechen und Män­ gel ist, und haben wir unsre Stätte auf Erden, nicht um die Freude der Welt zu genießen, sondern um das Werk zu thun, was der Vater uns aufgetragen, wird die Arbeit und Mühe des Lebens uns oft zu schwer, müssen wir hier kämpfen und ringen, um das himmlische Ziel festzuhal­ ten: wie könnten wir da die Unsrigen beklagen wollen, die schon früher diesen Kämpfen entrückt und aufgenommen sind in das Reich des Frie­ dens? Nein, wir trauern nicht über sie, als die uns entrissen sein. Sind sie bei Gott, und haben wir selbst unsre Heimat in Gott gefunden: so sind sie auch jetzt noch int Geiste mit uns vereint; und haben wir einst alles Sterbliche von unS abgethan: so wird auch unsre Vereinigung noch eine engere sein und wir werden sie Wiedersehn vor dem Angesicht Gottes in einer höhern und himmlischen Klarheit. Wie sollte in dieser hohen und heiligen Hoffnung unser Leid um die Entschlafnen nicht schon jetzt sich auflösen und verwandeln? — wie sollten wir nicht getröstet sein? Ja, der Herr ist's, der in dem Tode der Unsrigen zu uns kommt und uns selbst immer mehr zu sich ziehn will. Er naht sich uns, daß wir zu ihm kommen, und als die Beseligten mit allen Frommen leben möch­ ten in seinem Reich. Der Herr kommt in dem Tode der Unsrigen zu uns mit einer ern­ sten und ergreifenden Mahnung. Denn gedenken wir, wie sie schon jetzt vor dem Angesicht Gottes stehn, und ihr Leben ganz vor ihm offen liegt, und wie sie den Lohn empfangen, der ihnen zukommt: wie sollte uns dieS nicht mahnen, uns immer bereit zu halten, dem Rufe Gottes zu folgen und diese Welt zu verlassen und heimzugehn? Bereit aber sind wir nur, wenn wir ernstlich trachten, unS einen Schatz zu gewinnen im

407 Himmel, daß wir dann vor dem Herrn nicht leer erscheinen und unS getrost in die Hände des himmlischen Vaters befehlen können.

In dem

Tode der Unsrigen ruft und ladet der Herr uns zu sich, uns von Herzen ihm hinzugeben, eh' er einst als der Richter der Welt uns erscheinen wird, und uns das letzte und entscheidende Urtheil spricht.

Sind wir

sein: so werden wir nicht gerichtet und sind über alle Furcht und über alles Bangen hinaus.

Da sprechen wir mit dem Apostel Paulus:

Christus ist mein Leben und

Sterben 'ist

mein Gewinn. —

Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn.

Darum, wir leben oder wir sterben, so sind

wir des Herrn.

2. Hier tritt es uns nun aber wol schon klar vor die Seele: wie wir auch den eignen Tod zu fassen haben als ein Kommen des Herrn. Kommt er schon in dem Tode der Unsrigen zu uns:

so muß sein

Kommen in unsrem eignen Tode um so gewaltiger sein.

Wollte etwa

auch Jemand über das erstere hinwegsehn, und die Stimme des Herrn, die sich darin vernehmen lässt, leichtsinnig überhören: so geht dies bei dem Tode, den wir selbst zu sterben haben, nicht an.

Die Stimme

seines Kommens dringt in unser Innerstes ein und es ist unmöglich, sie nicht zu vernehmen.

Geht das Kommen Christi zu uns durch unser

ganzes Leben hindurch, und bringt jeder Tag seiner göttlichen Zukunft uns näher: so erscheint der Tod dann als ein Abschluß seines Kommens für uns, weil es eine Entscheidung mit sich führt, die unwiderruflich ist. Wol wird diese Entscheidung verschieden sein, je nach dem Verhältniß, worin wir bisher zu Christo gestanden sind.

Haben wir im Glauben

an ihn und aus seinem Geiste gelebt, haben wir mit Ernst und mit Liebe nach

ihm und nach seinem Heile getrachtet, sind wir ihm selbst

entgegengegangen, und suchten und verlangten wir selbst nach seiner himm­ lischen Wiederkehr: dann darf uns nicht bange sein; dann kommt er selbst, um uns zu sich zu nehmen, daß wir da sein, wo er ist und seine Herrlichkeit schaun.

Er hat uns erkannt als die ©einigen, und Niemand

vermag uns aus seiner Hand zu reißen.

Sein Kommen ist ein Kom­

men seines Friedens und seiner Freude. — Waren wir ihm aber nicht zugewendet, haben wir nicht gewandelt nach seinem Wort und ihm nicht Glauben gehalten, sind wir unsre eignen falschen Wege gegangen, haben wir nicht gesammelt mit ihm, sondern zerstreut und unser Leben aus­ geleert und vergeudet, haben wir gethan, was dem Herrn nicht gefällt

408 und vor ihm nicht bestehen kann: so werden wir auch das Urtheil em­ pfangen, waS unsre Thaten werth sind.

Denn wir müssen Alle

offenbar werden vor dem Richterstuhl Jesu Christi, auf daß ein Jeder empfange, nachdem er gehandelt hat bei Leibes Leben, es sei gut oder böse.

Wir sind geschieden von ihm, geschie­

den von seinem Frieden, von seiner Seligkeit.

Und das ist das Ge­

richt. — Möge dies Jeder von uns bedenken, eh' es zu spät ist! Möge Niemand von uns die Gnade Gottes versäumen! Lasset uns ringen, so­ viel an uns ist, daß er uns erscheine als der Herr unsrer Seligkeit, der den Lohn seiner Liebe uns schenken will. — Darum wachet! denn Ihr wiffet nicht, wann er kommt, daß er Keinen unter Euch schlafend finde. Wachet und sorget, daß Ihr reich seid in Gott, und Euch Schätze sam­ melt, die Euch der Tod nicht entreißen kann: Schätze im Himmel. Schaf­ fet und arbeitet, daß unsre Werke, wann wir von hinnen gehen, uns nachfolgen, und wir dann ruhen können von unsrer Arbeit.

Denn der

Herr kommt auch im Tode zu uns, daß er unser Werk übernehmen und eS fortführen und höher vollenden könne.

Kommen wir aber leer zu

ihm, haben wir Nichts, was wir ihm übergeben könnten: so wird er unS von sich weisen.

Sei getreu bis in den Tod, ruft seine Gottes­

stimme uns zu, so will ich Dir die Krone des Lebens geben. Haben wir aber sein Werk nicht gethan: so waren wir auch nicht treu. Nur die Todten, welche die Arbeit ihres Lebens vollbracht, und die also sterben im Herrn, nachdem sie im Herrn gelebt, die preist er selig, die ruhen im Frieden Gottes. Darum ist es auch mit dem bloßen Verlangen, aus diesem Leben hinwegzugehn, nicht gethan.

Wol dürfen wir uns sehnen, daheim zu sein

bei dem Herrn; aber so lange wir hienieden noch wallen, uns doch nicht abwenden von dem Werke, wozu wir berufen sind.

Lastet uns nur wür-

diglich wandeln des Evangeliums Jesu Christi, daß er durch uns gepriesen werde, es sei durch Leben oder durch Tod, und daß auch uns der himm­ lische Preis dann beschieden sei, der Preis des ewigen Lebens! Ja, lasset in dem Lichte des Herrn uns wandeln, und nicht weichen von seiner Liebe, womit er uns zu sich zieht, damit, wann Er, unser Leben sich offenbaren wird, wir auch mit ihm offenbar werden in der Herrlichkeit und mit ihm leben und herrschen in seinem Reich! — Dazu hilf uns, Du treuer Herr, um Deiner ewigen Gnade und Barmherzigkeit willen! Amen.

Anhang. Vier Gedächtnißpredigten: 1) zur 300jährigen Todesfeier D. Martin Luthers; 2) auf den Hintritt deS Königs Friedrich Wilhelm III; 3) bei dem Heimgänge des Königs Friedrich Wilhelm IV; 4) am 300jährigen Jubelfeste der Augsburgischen Konfession.

Da- Gedächtniß der Gerechten bleibt im Segen.

Sprüche Salomonts 10, 7.

XLL

Gedächtmßpredigt zur dreihundertjährigen Todesseier D. Martin Luthers, gehalten am Sonntage Estomihi den 22. Februar 1846 über Lukas 18, 31-43.

Mitten wir im Leben sind von dem Tod umfangen; Wen suchen wir, der Hülfe thu, daß wir Gnad' erlangen? Das bist Du, Herr, alleine. Uns reuet unsre Missethat, die Dich, Herr, erzürnet hat. Heiliger Herre Gott, heiliger starker Gott! Barmherziger Heiland — Du ewiger Gott! Laß uns nicht versinken in des bittern Todes Noth! Laß uns nicht entfallen von des rechten Glaubens Trost! Herr, erbarme Dich unser! Amen.

So flehte und betete, m. Gel., unser ehrwürdiger D. Marlin Luther, und es tönt uns darin die Stärke und Kraft des ihn durch­ dringenden Glaubens klar und mächtig entgegen, des Glaubens an den Gottessohn Jesum Christum, an den Herrn und Erlöser, außer welchem kein Heil ist, des Glaubens, der selber sein Leben, der die Macht seines Lebens war, und durch den er allein so große Dinge gethan, und daS große Werk ausgerichtet, in welchem er selbst unsterblich fortlebt. Und daneben spricht sich darin zugleich die innigste und herzlichste Demuth auS, die nie auf sich selbst baut, sondern sich der eignen Schwachheit bewusst ist und Alles vom Herrn empfängt. In Christo, dem Bezwin-

412 ger des Todes, hatte er aber auch alle Todesfurcht überwunden, und der Trost des

ewigen LebenS erfüllte ihn mit heiliger und freudiger Zu­

versicht. Was mich aber darauf hingeführt, von jenem herrlichen Lutherschen Liede hier anzuheben: das ist die 300jährige Gedächtnißfeier

des

Todes unsers großen Reformators, wozu wir uns heute in diesem Got­ teshause versammelt haben, und die unsre Herzen gewiß tief und mächtig bewegt.

Der Grundgedanke jenes Gesanges, der nur ein Gebet um das

Heil des Lebens in Christo

ist, schließt sich

auch dem Inhalte unsers

heutigen Evangeliums an, und dieses Evangelium lässt sich auch

sehr

wol in Verbindung bringen mit dem besondern Gegenstände unsrer heu­ tigen ernsten und bedeutsamen Feier.

Denn Jesus weist darin seine Jün­

ger zuerst hin auf den Tod, den er für die Welt sterben sollte, und die Erzählung von dem Blinden, der zu ihm um Hülfe flehte, und dem er das Licht seiner Augen gab, dung.

leidet ebenfalls eine entsprechende Anwen­

Wir haben daher nicht nöthig,

nach einer andern Stelle der

Schrift zu suchen, sondern können das Evangelium des heutigen Sonn­ tags, des Sonntags Estomihi — nach welchem unmittelbar die dem Andenken an die Leiden Christi gewidmete kirchliche Zeit beginnt — recht wol auch unsrer heutigen Betrachtung zum Grunde legen.

Wir lesen

es nun aber in der evangelischen Geschichte des Lukas, wo es Kap. 18, V. 31 — 43 also lautet: „Er nahm aber zu sich die Zwölfe . . . und alles Volk, das solches sahe, lobte Gott." Ja wir wollen ihn preisen, der uns den Sohn zum Reiter gegeben hat, und der Jeden, der an ihn glaubt, sehend macht; wir preisen ihn, der uns durch Christum auch heldenmüthige Männer gesendet und mit seinem Geiste ausgerüstet hat, um die Welt mit dem Lichte des Evangeliums — auch wenn es eine feindliche Macht verdeckt und verdunkelt hatte — von Neuem und immer höher und herrlicher zu erleuchten. nur auch wahrhaft und würdig danken!

Möchten wir ihm

Wir haben aber keinen Dank,

als uns selbst dem Lichte zu weihn, und ihm nachzufolgen, der selbst das Licht der Welt, das Licht des Lebens vom Himmel ist.

Dazu stärke

uns, o Vater, stärke uns durch den Glauben, und laß auch diese feier­ liche und festliche Stunde durch den Beistand Deines h. Geistes für uns gesegnet sein!

Amen.

413 Der Tod, m. Gel., den Christus, der Sohn Gottes, erduldete und den er auf dem Wege nach Jerusalem — wie das Evangelium uns be­ richtet — seinen Jüngern vorher verkündigt, liegt freilich seiner innern und ewigen Bedeutung nach, als der Tod zur Versöhnung der Welt, über alle Vergleichung hinaus; und wenn wir davon die Beziehung nehmen auf den Tod des großen und geschichtlichen Mannes, dem die Feier des Tages gewidmet ist: so bleibt uns doch der Gedanke fern, ihn neben Christum zu stellen. Dann trügen wir auch nichts von Luthers Sinn und Geist in uns und vermöchten auch nicht seinen Tod zu feiern. Denn nur in Christo sah er die Quelle aller Macht und Gewalt; für den Herrn nur lebte und wirkte er, und ihm nur hatte er zum Dienste sich hingegeben. So singt er auch in hoher Kraft und Begeisterung: Mit unsrer Macht ist nichts gethan, wir sind gar bald verloren; Es streitet für uns der rechte Mann, den Gott selbst hat erkoren. Fragst Du, wer er ist? er heißt Jesus Christ, Der Herr Zebaoth, und ist kein andrer Gott; Das Feld muß er behalten!

Aber grade bei Luthers Hingebung für Christum, bei der begeisterten Liebe, womit er gern jede Arbeit auf sich nahm um desswillen, der für ihn gestorben sei und jeden andern Lohn von sich wies, dürfen wir mit der Hinweisung des Evangeliums auf den Tod Jesu Christi auch wol die Erinnerung an den vor 300 Jahren erfolgten.Heimgang unsers Got­ tesmannes verbinden. Ist doch auch das Werk, wozu er von Oben be­ rufen war, durch ihn vollendet worden, hat er doch auch dafür gekämpft und gelitten und bis zum letzten Athemzuge seines Lebens nicht davon abgelassen. Und so kann wol nicht erst die Frage sein: ob wir auch ein Recht haben, den Tag seines Todes zu feiern. Wir müssten nicht wissen, wer und was er gewesen, und wie ja auch nur der Herr ihn gesendet hat, uns von den Banden und Mächten der Finsterniß, die sich über seine Kirche gelagert hatten zu befrein; wir müssten nicht wissen, was wir der evangelischen Kirche, die er in's Leben rief, verdanken, und welche hohe und heilige Güter uns durch ihn wiedergegeben und hergestellt wor­ den sind, wenn wir daran zweifeln wollten. Feiert man nicht bloß die Geburts-, sondern auch die Todestage andrer berühmter und bedeutender Männer, zumal nach größeren Zeitabschnitten: wie sollte es nicht in viel höherem Grade Luther verdienen, der nicht bloß der Reformator der Kirche, sondern auch der Stifter ist einer neuen Zeit, indem die Ge­ schichte durch ihn eine ganz neue und höhere Richtung genommen hat.

414 Wollten wir

seinen Tod

ungefeierl lassen: so würden wir nicht etwa

bloß an ihm ein Unrecht begehn, sondern

ebenso an uns selbst, indem

bei solcher Gleichgültigkeit auch der Geist des Evangeliums in uns ver­ kümmern müsste, und wir statt des Reichthums

und der Freiheit in

Christo, die uns Luther von Neuem heldenmüthig erkämpft und

er­

schlossen hat, in die alte Knechtschaft und Armuth versinken würden. — Freuen wir uns denn doch, daß der Schluß des dritten Jahrhunderts, seit der ehrwürdige und theure Mann von hinnen gegangen, in solche Zeiten gefallen ist, wo wir das Gedächtniß seines Todes doch viel freu­ diger und hoffnungsreicher begehen können, als es unsern Vorfahren mög­ lich war.

Denn die erste hundertjährige Wiederkehr dieses merkwürdigen

Tages fiel noch in die traurige Zeit des schrecklichen 30jährigen Krieges, wo das Fortbestehen der ganzen evangelischen Kirche in Frage stand.

Und

daS zweitemal, jetzt vor hundert Jahren, war bei der damaligen, einer gewissen Flachheit zugewendeten Richtung, das lebendige und klare Be­ wusstsein der durch Luther geschehenen That und ihrer unvergänglichen und weltgeschichtlichen Bedeutung zurückgetreten; und so konnte die Feier auch nicht den Anklang finden, der ihrem Inhalt entsprochen hätte.

Aber

jetzt, m. Gel., wo es Allen, welche nur Augen haben, wo es dem deut­ schen Volke immer klarer geworden und immer mehr zur Einsicht gekom­ men ist, was wir an Luther gehabt und noch an ihm haben, und wie selbst die Hoffnung der Zukunft und einer höheren und herrlicheren Ent­ wickelung des wahren evangelischen Lebens nur darin begründet ist, daß wir festhalten an dem Geiste, der.durch Christum in Luther erstanden, und dem er selber muthvoll das Recht erstritten, an dem Geiste der Wahr­ heit und Freiheit, der die Reformation tn’S Dasein gerufen und worin sie auch nur fortgelebt hat —: wie wäre es uns möglich, zu schweigen, wie sollten wir nicht mit um so größerer innerlicher Bewegung und mit der lebendigsten Theilnahme die Feier des Todes unsers Glaubenshelden begehn? Wie sollten wir nicht danach verlangen, durch diese Feier auch uns im Glauben zu kräftigen und zu stärken, und auf dem Grunde der evangelischen Wahrheit uns zu

befestigen, um für die Zukunft geschickt

und gerüstet zu sein, und das Gotteswerk, das wir von ihm überkommen haben,

zu vertreten und fortzuführen?

Denn freilich darf diese Todes­

feier als eine christliche nicht bei der Betrachtung seines Todes nur stehen bleiben, sondern es muß selbst eine Feier des Lebens sein, welches in ihm gewohnt und das von ihm ausgegangen, und das sich uns in seinem Tode nur darstellt als abgeschlossen für

die Erscheinung und

als vollendet.

415 Schließt doch auch solch eine Gedächtnißfeier die Bedeutung der Begeben­ heit in sich, die ihr Gegenstand ist, und wird dadurch selbst um so be­ deutungsvoller; und in diesem Gedächtniß als einem lebendigen, lebt auch das Werk, welches Luther durch die That seines Lebens begründet hat, und das mit seinem Tode nur in eine neue Periode der Entwickelung ein­ getreten ist, selbst nur fort. Wol hätten wir diese Feier schon am 16. Februar, als dem eigent­ lichen Todestage Luthers begehen sollen. ist nicht ungeeignet.

Aber auch der heutige Tag

Denn eben heute vor 300 Jahren, heute am 22. Fe­

bruar wurde Luther, der zu Eisleben entschlafen war, in der Schloß­ kirche zu Wittenberg feierlich bestattet und zu seiner letzten Ruhestätte gebracht, wo Johannes Bugenhagen aus unserm Pommern, die Leichenpredigt gehaltert hat.

Wie nun damals die Gemüther von tiefer

Trauer durchdrungen waren, da sie ihr Haupt,

ihn, der als Rüstzeug

Gottes die Sache des Evangeliums bisher geführt und gehalten hatte, von sich genommen sahn. und bei der Kunde von seinem Tode eine große Bewegung durch ganz Deutschland ging, und Alle, die des neuen evan­ gelischen Lichtes inne und froh geworden, sich aufs Tiefste erschüttert fühl­ ten, und die lebendige Theilnahme des ganzen Volks, sowol der Höchsten wie der Geringsten, sich aller Orten so schön und herrlich bezeugte: so dürfen auch wir, wenn wir uns das Ende des seligen Gottesmannes vergegenwärtigen und uns das Bild seines Todes vor Augen stellen, uns wol noch heute von Schmerz und Wehmuth ergriffen fühlen, und möch­ ten gern so manche Züge seines Lebens und besonders seiner letzten Tage und Stunden auch hier mittheilen, wenn es nur die Kürze der Zeit. uns gestatten wollte. Schon seit einiger Zeit fühlte Luther sich krank und schwach. Denn die große und schwere Arbeit seines Lebens, die unermüdete und wunder­ bare Thätigkeit, die er bewies, und immerdar geprediget,

gelehrt und

geschrieben hat, die vielfachen Kämpfe und Streitigkeiten, in die er sich unaufhörlich verwickelt sah, und dabei nicht selten auch Schmerzen des Leibes erduldete, hatten seine Kräfte doch allmälig erschöpft, so daß er schon mit dem Gedanken umging, sich von dem Schauplatz seines Wir­ kens zurückzuziehen und Wittenberg zu verlaffen.

Doch gab er den drin­

genden Bitten seiner Freunde und besonders auch seines Kurfürsten nach und ließ sich noch halten.

Aber ein gewisses Verlangen nach der Ruhe

der ewigen Heimat trug er denn doch schon in sich; — und in der letz­ ten Predigt, die er zu Wittenberg hielt, eh' er die Reise nach Eisleben

416 unternahm, bat er in einem eigenthümlichen Borgefühl seines nahen En­ des, seine Zuhörer: wenn sie höreten, daß er krank sei, so sollten sie Gott für ihn nicht um ein langes Leben, sondern um ein gnädiges Stündlein bitten.

Ich habe, sprach er, die Welt satt und die Welt meiner,

sei also leicht zu scheiden, wie ein Gast die Herberge gerne verlässt. — Und obwol er seines Glaubens gewiß war: so erfasste ihn doch im Hin­ blick auf die Zukunft, und indem er den Krieg und die Kämpfe voraus­ sah, die um des Evangeliums willen ausbrechen würden, eine bange und schmerzliche Sorge; und so sagte er unter Anderm auch nicht lange vor seinem Tode, als er mehre seiner nächsten Freunde um sich hatte: „So lange ich lebe wird es, ob Gott will, keine Gefahr haben und Friede bleiben.

Wenn ich aber sterbe: so betet.

Es wird wahrlich Betens brau­

chen, und unsre Kinder werden müssen nach den Spießen greifen, und wird in Deutschland übel stehen: Betet fleißig nach meinem Tode!" Da trat er nun auf Ansuchen der Grafen und Herrn zu Mansfeld, um man­ cherlei Irrungen beizulegen, die unter ihnen entstanden waren, am 23. Ja­ nuar des Jahres 1546 mit .seinen drei Söhnen die Reise nach Eisleben an, und nach einem durch eine Ueberschwemmung veranlassten Aufenthalt von etlichen Tagen zu Halle, wo er auch noch in der Frauenkirche ge­ predigt, traf er am 28sten zu Eisleben ein, wo er mit einem großen fürstlichen Gefolge empfangen ward.

Schon vor der Ankunft ergriff ihn

ein heftiger Krankheitsanfall, so daß man für sein Leben schon fürchtete. Doch ward es wieder besser mit ihm.

Er nahm nun bis zum 16. Fe­

bruar an allen Verhandlungen Theil, hat daneben viermal gepredigt, und feierte wiederholt das h. Abendmahl.

Man hörte viele herrliche Trost­

reden von ihm, und er dachte auch oft seines Alters und wie er sich zur Ruhe zu legen wünsche. heit.

Am 17ten aber ergriff ihn eine größere Schwach­

Doch erst nach dem Abendessen, als er in sein Stüblein gegangen,

und wie immer, gebetet hatte, sagt er: mir wird weh und bange um die Brust.

Zwar genoß er noch eine Stunde ruhigen Schlafs, und als er

erwacht war und aufgestanden, und eh er sich wieder zur Ruhe legte, gab er Allen, die um ihn versammelt waren, die Hand und sprach: „Betet für unsern Herrn Gott und sein Evangelium, daß es ihm wohl­ gehe; denn das Konzilium zu Trient und der leidige Papst zürnen hart mit ihm."

Auch danach schlief er bis ein Uhr, als die Beklemmung

heftiger wiederkehrte, und über seinen Zustand befragt, erwiederte er: „Ach, ich achte, ich werde hier zu Eisleben, wo ich geboren und getauft bin, bleiben."

Es geschah nun wol Alles zu seiner Erleichterung, aber

417 das Weh- und Angstgefühl nahm fortwährend zu. Und indem er sein Ende herannahen sah, brach er in ein inbrünstiges Gebet aus: „O mein himmlischer Vater, du Gott alles Trostes, ich danke dir, daß du mir deinen lieben Sohn Jesum Christum geoffenbaret hast, an den ich glaube, den ich gepredigt und bekannt, den ich geliebt und gelobt. Ich bitte dich, Herr Jesu, laß dir meine arme Seele befohlen sein! Himmlischer Vater, ob ich gleich diesen Leib lasten und aus diesem Leben hinweggeristen wer­ den muß: so weiß ich doch gewiß, daß ich bei dir ewig bleiben und aus deinen Händen mich niemand reißen kann/' Wiederholt rief er: „Vater, in deine Hände befehle ich meinen Geist, du hast mich erlöset du treuer Gott." Und dann ward er stiller. Und auf die Frage, die man noch an ihn richtete: ob er auch auf Christum und die Lehre, die er geprediget, sterben wolle, sprach er ein deutliches Ja. Und nach einem kurzen Schlummer, erbleicht er sehr, that noch einen tiefen und sanften Odemzug und entschlief in dem Herrn, kurz vor 3 Uhr, im Alter von 62 Jahren, 3 Monaten und 8 Tagen. — So beschloß er denn also an demselben Orte, wo er, der Sohn eines armen Bergmannes, in nie­ driger Gestalt geboren, und doch von Gott berufen war, der Welt eine andre Gestalt zu geben, nachdem er sie mit der Stimme des göttlichen Wortes erfüllt und in Bewegung gesetzt, und er eine Größe errungen hatte, womit die aller Kaiser und Könige nicht zu vergleichen ist, so beschloß er denn also auch in Eisleben seine Tage, und gab nun das Werk, was ihm Gott aufgetragen, in seine Hände zurück, daß er es fortführen möge in noch höherer Kraft und immer mehr zur Vollendung bringe. Zunächst aber war der Schmerz und die Wehklage über den plötzlichen Verlust dieses Gottesmannes gar groß. Wol hätte man seine irdische Hülle gern in Eisleben auch behalten. Aber auf Anordnung des Kurfürsten von Sachsen sollte sein Leichnam nach Wittenberg gebracht werden, welches der Schauplatz seines mächtigen Wirkens gewesen war. Wol beging man schon in Eisleben am 19. Februar in der Hauptkirche der Stadt, eine große und öffentliche Leichenfeier, woran außer her Menge des Volks auch die anwesenden Fürsten und Herren sämmtlich Theil ge­ nommen, und wo v. Justus Jonas aus Halle die Trauerpredigt hielt. Auch am folgenden Tage fand noch eine gottesdienstliche Feier mit Pre­ digt statt. Aber um Mittag führte man seinen Leichnam, auch unter großer Begleitung aus der Stadt. In allen Dörfern, durch welche der Weg genommen ward, wurde geläutet, und das Volk strömte herbei. Gegen Abend kam man nach Halle. Im feierlichen Zuge empfing man Schirmer, Festpredigten.

27

418

die Leiche und brachte sie in die Frauenkirche, die ganz angefüllt war. Da stimmte man das Lied an: „Aus tiefer Noth schrei ich zu dir;" aber mit kläglicher Stimme wurde es mehr herausgeweint, denn gesun­ gen. Am 21ften ging der Zug über Bitterfeld bis nach Kemberg, und am 22sten kam man nach Wittenberg, wo am Elsterthor die ganze Uni­ versität und die Stadt schon versammelt war, um den Leichnam feierlich in die Schloßkirche einzuholen. — Da dürfen wir aber auch wol seiner tiefgebeugten Gattin Katharina von Bora gedenken. Sie, die Alles mit ihm getheilt, und für deren Besitz Luther oft Gott gedankt, stand mit ihren Kindern weinend am Wege, um den Unvergesslichen nur im Gewände des Todes wiederzufehn, und ihn zu seiner letzten Ruhestätte zu begleiten. In der Schloßkirche hielt nun v. Bugenhagen die Leichen­ predigt. Aber bei den Thränen, die er vergoß, war er kaum im Stande zu sprechen. „Ich soll jetzt, beginnt er, und will gern bei dem Begräbniß unsers herzlieben Vaters D. Martini, eine Predigt thun. Was aber, oder wie soll ich reden, da ich für Weinen nicht wol kann ein Wort machen? Wie können wir das Trauern und Weinen lassen, da Gott diesen hohen Lehrer und Propheten, durch welchen Christus wider das Reich der Finsterniß obgesiegt, von uns genommen hat? — Er war, sagt er, ohne Zweifel der Engel, davon in der Offenbarung steht, der da geflogen ist mitten durch den Himmel und hatte ein Evangelium zu verkündigen Denen, die auf Erden wohnen und sprach mit lauter Stimme: Fürchtet Gott, und gebet ihm die Ehre. Und ein andrer Engel folgete nach, der sprach: Sie ist gefallen, sie ist gefallen, Babylon, die große Stadt." — Hierauf hielt noch Philipp Melanchthon Luthern eine herrliche Leichenrede in lateinischer Sprache, und alsdann wurde sein Leichnam nahe bei der Kanzel, wo er so gewaltig gepredigt hatte, m’$ Grab gesenkt. Nachdem wir ihn nun im Geiste zu seinem Grabe begleitet haben, so möchten wir wol gern noch ein Bild seines Lebens uns vor die Seele stellen, und das heutige Evangelium könnte uns auch dabei leiten. Denn es weist uns auf gewisse Hauptabschnitte hin, wonach sich auch das Leben Luthers betrachten lässt. Doch wie sollen wir hier diese große Auf­ gabe lösen? Nur andeutende Morte können hier eine Stelle finden. — Der Blinde im Evangelium rief zu Jesu: Du Sohn Davids, er­ barme dich mein. Auch Luther rief zu dem Herrn um Gnade und um Erbarmung. Denn schon früh ist er durch schwere Seelenkämpfe

419

hindurchgegangen. Obwol er schon in seiner Jugend mit der rauhen Seite des Lebens vertraut geworden, und beseelt von einem frommen und sittlich-kräftigen Sinn, womit er in seinem Streben nach geistiger Bildung alle Hindernisse zu überwinden wusste, überfiel ihn doch nach einer gefährlichen Krankheit, noch auf der Universität zu Erfurt eine tiefe Schwermuth. Es ward ihm bange um die Gnade Gottes; und als er einen seiner besten Freunde durch einen gewaltsamen Tod verloren hatte: da ergriff ihn selbst eine innere Todesangst, und in der Verzweiflung um sein Heil, fasste er den Entschluß der Welt zu entsagen, und ungeach­ tet alles Widerspruchs, auch von Seiten des eignen Vaters, begab er sich in das Kloster und ward Mönch, um sich ganz dem Dienste Gottes zu weihn. Doch auch hier fand er die gesuchte Ruhe und den Frieden des Herzens nicht. Demuthsvoll unterzog er sich zwar auch den niedrig­ sten Diensten, die man ihm auferlegte. Aber seine Betrübniß wollte nicht weichen, und den einzigen Trost fand er in seiner Bibel, die ihm schon jetzt das theuerste Kleinod geworden war. Er studirte mit eifrigem Fleiß, und so betete er auch mit Inbrunst und fastete und rief zu dem Herrn, daß er ihn von der Berdammniß erretten möge. Und er rief nicht um­ sonst. Denn als ein alter und frommer Klosterbruder mit ihm redete: es sei Gottes Gebot, an die Vergebung der Sünde zu glauben und die­ ses Glaubens gewiß zu sein: da fiel zuerst ein Licht in seine bekümmerte Seele, und es kehrte ein neuer Muth und eine. freudige Zuversicht in ihn ein. So erfuhr er schon jetzt die Wirkung der Gnade Gottes, und er vernahm in seiner Seele die Stimme des Herrn: Was willst du, daß ich dir thun soll? Und indem die heiligste Sehnsucht nach dem Lichte des Lebens, nach dem Lichte Gottes in ihm lebendig war, — und ja auch das Bangen der Finsterniß ihm nicht fremd geblieben — so war es auch seine inständige Bitte: Herr, daß ich sehen möge. Und das Licht und das Heil kam ihm auch nur aus dem Glauben, der in ihm mächtig geworden war. So hatte er bereits die feste innere Richtung gewonnen, als der Kurfürst von Sachsen, Friedrich der Weise, dem er durch den Ordens­ general Staupitz empfohlen worden, ihn in seinem Lüsten Lebensjahre an die neue Universität in Wittenberg zum Professor berief. — Gewiß eine höhere Fügung Gottes. Es musste aber auch die Universität, von welcher sein Lehren und Wirken ausgehn sollte, eine neue sein. Denn ohnedies hätte er auch hier die Stellung nicht finden können, die er be­ durfte, und schon in seiner nächsten Umgebung würden ihm die größten 27

*

420 Hindernisse entgegengetreten sein. Auf einer alten Universität wäre der Reformator schwerlich zur Macht gekommen. Die volle Klarheit aber, wozu Gott ihn bestimmt und berufen habe, hatte Luther freilich im Anfange noch nicht, und sein Gedanke war fern davon, der Kirche, die bis dahin alle Macht und Herrschaft gehabt, entgegenzutreten und sich von ihr trennen zu wollen. Da wirkten noch eine Menge von Ereig­ nissen mit, die erst später sich zugetragen, und Luther lernte auch die Verderbtheit, in welche die römische Kirche versunken war, erst allmälig kennen. Da war besonders die Reise nach Rom, wohin er im Aufträge seines Ordens gesendet wurde, von großer Wichtigkeit. Denn da sah er den Gräuel der Verwüstung mit eignen Augen. Und als er zum Doktor der heil. Schrift war ernannt worden: da achtete er sich durch den ge­ leisteten Eid unwiderruflich gebunden, das Wort der Scbrift treulich und lauter zu predigen und ihre Wahrheit immer mehr zu erforschen. „Ueber solchem Lehren — so äußert er sich in einer merkwürdigen Stelle — ist mir das Papstthum in den Weg gefallen und hat mir es wollen wehren. Darüber ist's ihm gegangen, wie es vor Augen liegt und soll ihm immer ärger gehn und soll sich meiner nicht wehren. Ich will in Gottes Namen und Beruf auf Löwen und Ottern gehn, und das soll bei meinem Leben anfangen und nach meinem Tode ausgerichtet sein." — Ein herrliches, ein prophetisches Wort. So befestigte er sich immer mehr in der Wahrheit des Evangeliums und in der Lehre von der Recht­ fertigung durch den Glauben. Da kam dann der schnöde Unfug hinzu, den der Ablaßkrämer Tetzel unter seinen eignen Augen trieb, und für Geld die Vergebung der Sünden verkaufte. Da entbrannte Luther im heiligen Unwillen, und schlug am 31. Oktober 1517 die 95 Sätze an die Schloßkirche in Wittenberg, womit er gegen das Unwesen zu Felde zog und es bewies, daß kein Mensch, sondern Gott allein die Sünde ver­ geben kann. Da man aber in Rom von der Abstellung solchen und andern Mißbrauchs, was Luther zunächst nur wünschte, nichts wissen und hören wollte, und ihn weder durch Schmeichelei noch durch Dro­ hung zum Widerruf zu bewegen im Stande war: da schleuderte man eine Bannbulle gegen ihn und verdammte seine Schriften zum Feuer. Und das Feuer war auch ihm selbst zugedacht, hätte man ihn nur er­ reichen können. Nun war auch Luther entschieden. Es blieb ihm nichts übrig, als mit der Kirche zu brechen, welche ihn aus Haß gegen die Wahrheit des Evangeliums von sich stieß. Sein Muth wuchs immer mehr, und die päpstliche Bulle verbrannte er öffentlich, indem er sprach:

421 „Weil du den Heiligen des Herrn betrübet hast: so verzehre dich das ewige Feuer!" Seine Erscheinung auf dem Reichstage zu Worms, wovon keine drohende Gefahr ihn zurückzuschrecken vermochte, ist das größte und fol­ genreichste Ereigniß in der neuen Geschichte. Er soll erklären: ob er widerrufen will oder nicht. Da sehen wir Luther in seiner Helden­ größe. -Zwei Stunden lang redete er vor Kaiser und Reich: — das herrlichste Bekenntniß Christi und seines Evangeliums. Und als man zuletzt eine kurze und einfache Antwort von ihm begehrte, da sagte er: „Es sei denn, daß ich mit Zeugnissen der heil. Schrift oder mit klaren und hellen Gründen überwunden und überwiesen werde: so kann und will ich nicht widerrufen, weil es weder sicher noch gerathen ist, etwas wider das Gewissen zu thun. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir, Amen." Das war der größte Augenblick seines Lebens. Hätte Luther hier eine andre Erklärung gegeben: so wäre freilich auch Alles anders geworden. Aber die Freiheit des Evangeliums wäre dahin; die neue Zeit wäre nicht erschienen. Aber sie musste erscheinen; die Refor­ mation konnte nicht unterbleiben. Die Wahrheit musste zum Siege kom­ men. Darum lebte in Luther auch Gottes Geist. Mit dem Worte, das er in WormS gesprochen, ist das Gericht über das Papstthum er­ gangen; es hat seinRecht verloren, weil es in sich selbst die Wahrheit verloren hat. Wol sprach man noch die Acht über Luther, als über einen Verbrecher, aus. Aber sie wirkte nicht mehr. Und indem Luther wol wusste, daß er unter einem andern und viel höheren Schutze stehe, als sein Kurfürst ihm geben könne: so verließ er auch die Wartburg, wo ihn zur Sicherheit der Kurfürst verborgen hielt, ohne seine Geneh­ migung, und ging nach einem Aufenthalte von zehn Monaten zurück nach Wittenberg, um das SSd’d, das der Herr ihm auf die Seele gelegt, in kräftiger That wieder aufzunehmen. Und so wirkte und lebte er, ohne je davon abzulassen. Das Wort war das Schwert des Geistes in seiner Hand, womit er Schlachten geschlagen und Siege errungen hat, die man feiern und wofür man ihm danken wird, solange die evangelische, die christliche Kirche lebt. Er war der herrlichste und heldenmüthigste Mann, den Deutschland hervorgebracht, ein Deutscher im vollsten Sinne des Worts, in welchem der Geist seines Volks sich in seiner ganzen Fülle geoffenbart. — Wol könnten wir noch viel von seinen Werken und Tha­ ten sagen, was er durch seine deutsche Bibel, durch seine Kraftlieder, durch seine Schriften, womit er das Innerste der Seele zu treffen wusste, ausgerichtet und das ganze Volk für die Sache der evangelischen Freiheit

422 begeistert hat.

Seitdem aber der

Kurfürst Johann, der Nachfolger

Friedrichs des Weisen, die Reformation in seine Lande förmlich einge­ führt hatte: so stand er doch nicht mehr allein; und blieb er auch immer das Haupt, von welchem das Leben ausging: so waren es doch nun zu­ gleich die deutschen, evangelisch gewordnen Stände, durch welche das Recht des Evangeliums gegen seine Gegner vertheidiget und vertreten wurde. Darum wollen wir hier auch nicht weiter von den großen Ereignissen reden, die in der Geschichte der Reformation noch vor Luthers Tode geschehen sind, und woran er auch jederzeit Theil genommen, und unter welchen die Protestation auf dem Reichstage zu Speier (1529), die Uebergabe des

denkwürdigen Bekenntnisses auf dem

Reichstage zu

Augsburg (1530), dem dann der erste Religionsfriede zu Nürnberg folgte, die wichtigste Stelle

einnimmt.

Luther selbst

aber stand unter allen

Verhältnissen fest und unerschütterlich, wie ein Fels im Meer unter Un­ gewittern.

Es wohnte aber in ihm auch nicht bloß eine heldenmüthige

Kraft, die bisweilen wol zur Heftigkeit ward, — doch hätte er auch mit der Sanftmuth nichts ausgerichtet — sondern auch und Gefühl, eine zarte und innige Liebe.

ein tiefes Gemüth

Darum richtete ihn auch die

Tonkunst oft in seiner Traurigkeit auf, und es ist rührend, in seinem großen Herzen die Züge seiner Liebe zu sehn, wie er so kindlich sein konnte, und wie es für ihn zuletzt doch Alles war, bei Gott zu sein. — Wollte man aber etwa die Kriege, die nachher aus der Reformation sich entzündeten, ihm zum Vorwurf machen: so wäre dies dasselbe, als wollte man Christo die Schuld

der Kriege aufbürden, die durch das Heiden-

thum gegen das Evangelium ausgebrochen.

Nein, Geliebte, die Schuld

trägt nur die Lüge, die für sich das Recht der Wahrheit behaupten und ihre Gegner vernichten will.

Liegt doch auch im Hintergründe der Kämpfe

immer die selige Aussicht des Gottesfriedens, der sich nur aus der Wahr­ heit und Liebe erbauen kann.

Woran mahnt uns denn nun aber der Tod unsers Martin Lu­ ther?

Da hätten wir, m. Fr., noch eine große Predigt zu thun, um

dies vollständig auszusprechen.

Ich vermag es nicht.

Vergebt mir daher,

wenn ich heute von dem Stoss überwältigt, auch hier nur ein schwaches Bruchstück Euch geben kann. begleitet.

Wir haben Luthern heute zu seinem Grabe

Aber er soll nicht im Grabe bleiben, sondern er soll wieder

auferstehn, — er soll auch jetzt auferstehn unter uns. der Nachwelt sein Werk übertragen,

es fortzuführen.

Hat er doch selbst Wir sollen ihm

423 nachfolgen zu Christo hin, wir sollen fortwirken in seinem Geist, um, was er begonnen, immer mehr zn vollenden.

Ist doch der Protestantis­

mus keine fertige Lehre, wobei wir beruhen könnten, sondern das fort­ schreitende Leben im Geiste des Evangeliums, um stets näher zum Reiche Gottes hinanzukommen, die Welt zu diesem Reich zu erbaun.

Wol ha­

ben wir festzuhalten an dem Grunde, wie ihn auch Luther aufgedeckt und sein Werk darauf gegründet hat.

Denn der Grund ist ein ewiger.

Das göttliche Wort der Schrift ist ein ewiges, und kann nicht zu Grunde gehn; und ebenso

ist es die Lehre der ewigen Wahrheit, daß nur der

lebendige Glaube uns selig macht, daß nur das Leben, welches sich auf dem Grunde dieses Glaubens erbaut, selig ist. — Das ist der schaffende Grundgedanke, woraus sich das Leben, nicht bloß in religiöser Beziehung, sondern

woraus sich das Leben der Welt zur Wahrheit entfalten und

zum Lichte GotteS verklären soll.

Nur damit allein werden wir auch

jetzt jede feindliche Macht, die sich der evangelischen Kirche entgegenstellt, überwinden können.

Nicht aber, daß wir stehen bleiben bei einer zeitlichen

Form, — sondern aus dem Geiste des Evangeliums, wie es auch Lu­ ther gepredigt, immer tiefer eindringen in die himmlischen Schätze, die uns Christus verkündigt hat, und von seinem Lichte erleuchtet, immerdar wachsen an ihm, der das göttliche Haupt ist.

Luther hat einem Jeden

von uns das Recht des freien Lebens erstritten.

Aber dies ist doch nur

das Recht der Freiheit in Jesu Christo, und Christus ist das Haupt der Gemeinde.

Ohne an ihr, ohne an der Kirche zu baun, und in ihr und

für sie zu leben, schaffen wir daher auch nicht unser Heil; und da bauen wir

auch nicht fort an dem Werke der Reformation.

Dazu aber uns

tüchtig zu machen: dazu ruft uns auch heute der Todestag Luthers auf.

Lasst uns ihm nachfolgen in Kraft, in Muth und Liebe, damit

wir uns die Güter nicht rauben lassen, wofür er gekämpft und gerungen hat.

Sein Grab mahne und, alles Todte und Nichtige immer mehr

von uns abzustreifen, und zum vollen Lichte des Lebens hindurchzudrin­ gen.

Sowie, er trachtete, allen Schein zu vernichten und aufzuheben:

so wollen auch wir alle irdische Fesseln immer mehr von uns thun, um zur seligen Freiheit

in Christo

hinanzukommen.

Wir wollen mit ihm

kämpfen den Kampf des Lebens, damit wir einst auch so freudig und selig wie Luther abscheiden aus dieser Welt, und wie er, mit derselben Wahrheit rufen können: Vater, in Deine Hände befehle ich mei­ nen Geist.

Du hast mich erlöset, Du treuer Gott! Amen.

XLH.

Gedächtnißpredigt auf den Eintritt des Königs Friedrich Wilhelm III. (geboren den 3. August 1770, gestorben den 7. Juni 1840)

geh. am 5. Sonnt, n. Trinit., 19.Juli 1840 üb.Jakobus 1,12, am Todestage der hochseligen Königin Luise.

Allmächtiger Gott, der Du ein Herr aller Herren, ein König aller Könige bist, vor dem Alles, was Leben und Odem hat, sich beugen muß, vor dem die Mächtigsten wie die Geringsten ihre Ohnmacht bekennen, und dessen Ruf: Kommt wieder, Menschenkinder! die Höchsten wie die Niedrigsten folgen und sich aller irdischen Hoheit entkleiden und den Tod schmecken müssen: laß es auch heute bei dieser ernsten und ergrei­ fenden Todtenfeier uns inne werden, daß Du allein unsre Zuflucht bist, daß Du nur das Leben, die Herrlichkeit und die Seligkeit hast. Eine tiefe Trauer hast Du über Dein Volk verhängt. Denn durch den Du auch uns gesegnet, und für dessen Leben und Herrschaft wir Dir gedankt, den theuren und edlen König, der nur Deine Ehre gesucht und auf Dich gehofft, hast Du wieder von uns genommen und ihn zu seinen Vätern versammelt. Mit Thränen im Auge blicken wir auf zu Dir, und aus unsren Herzen steigt der Laut der Klage zu Dir empor. Aber Du hast es gethan, der Du das Licht und die Liebe bist! So laß uns über den Tod Deines Gesalbten auch im Schmerze Dich preisen, und erhebe uns zur Anbetung Deines Heils! Du hast ihm Deinen Frieden

425 geschenkt und ihn aus dem Vergänglichen eingeführt in das Unvergäng­ liche, ihn von der Erde aufgenommen zu Dir und zu Deinem Reich. Laß ihn in Deinem Licht den Lohn seiner Thaten schaun und sich des Anblicks Deiner Herrlichkeit freun! Unter uns aber lebe sein Gedächtniß im Segen fort bis auf die späteste Zeit.

Und sowie Du seine Hoffnung

warst und sie nicht unerfüllt gelaffen: so erfülle uns auch heute mit Dei­ ner Hoffnung! Ja, laß den Stern der Hoffnung, den uns Deine Gnade gegeben,

in seinem vollen stralenden Lichte über und aufgehn und hilf,

daß auch unsre Zukunft eine Zukunft des Heils und des Lebens sei. — Sei mit Deiner Gnade bei uns und walte über uns jetzt und in Ewig­ keit!

Amen.

Als nach vorangegangner banger Besorgniß die Trauerkunde erscholl, daß Friedrich Wilhelm der Dritte, unser verehrter und geliebter König, von und geschieden und an dem heiligen Psingstfeste, an dem Feste des Geistes, der uns

zum Vater zieht, hingegangen sei in die ewigen

und himmlischen Hütten: da ertönte, m. Gel., ein Ruf der Klage durch's ganze Land, und von allen Seiten sprach der tief empfundne Schmerz unverkennbar und ungeheuchelt sich aus; — ja selbst weit über die Grän­ zen des Staates

hinaus ist die lebhafteste Theilnahme laut geworden,

und zeugt für die Größe des Verlustes, den wir erlitten haben.

Sind

wir uns dieses Verlustes bewusst, erkennen wir, was der verklärte König, der auf eine 43jährige, wenn auch zunächst von Kampf und schwerer Sorge nicht freie, dann aber von Gott umsomehr gesegnete und ruhm­ gekrönte Regierung freudig zurücksehen konnte, der nur danach getrachtet, Vater seiner Völker zu sein und sie.zu beglücken; erkennen wir, was er auch und gewesen: wie sollte unsre Trauer nicht auch eine wahre Trauer des Herzens sein? Zwar gelangte diese Provinz erst später zur Vereini­ gung mit dem preußischen Staat.

Aber ein Vierteljahrhundert, seitdem

Ihr Friedrich Wilhelm 111. auch Euren König genannt und Zeugen seines weisen und gerechten Waltens gewesen seid, und es zu Tage liegt, was auch diese Provinz durch seine Regierung gewonnen und ihm zu danken hat, hat die Bande mit ihm doch wol nicht bloß von Außen, sondern zugleich von Innen geknüpft, und auch Eure Verehrung und Liebe ihm zugewendet.

Doch beruht die ernste und heilige, einem mäch­

tigen Könige gewidmete Todtenfeier nicht bloß in der Anhänglichkeit an seine Person, und es ist auch nicht etwa nur eine ehrwürdige und fromme

426 Sitte, der wir damit Genüge thun.

Durch den genauen Zusammenhang,

in welchem das ganze Leben des Staats und Volks, seine Fortbildung und Entwickelung, mit den Regenten steht und in ihm von allen Seiten sich schließt und zusammenfasst, hat der Tod desselben eine weit höhere Bedeutung und Wichtigkeit.

Und diese Bedeutung gehört, zumal in einem

evangelischen Staate, zugleich auch der Kirche

an, und die evangelische

Kirche, die mit dem Staat im engeren Bunde, das Gottesreich will,

bauen

und in dem Fürsten auch ihren Schutzherrn ehrt, nimmt daran

noch innigern Theil.

Ist nun Preußen der erste evangelische oder pro­

testantische Staat, ruht in den Händen seines Königs vorzugsweise das Schutzherrnamt der evangelischen Kirche: so wird der Tod auch unsers gefeierten Königs um so bedeutungsvoller, und wir können ihn mit Recht als ein Weltereigniß betrachten, dessen Folgen sich nicht in der vorüber­ gehenden Gegenwart endigen. — Ist nun aber ein König, wie der von uns heute Betrauerte, noch besonders durch seine persönlichen Tugenden nnd Verdienste, sowol als Mensch, wie als Herrscher ausgezeichnet, und kommt die persönliche Verehrung

und Liebe hinzu: so nimmt die ihm

geweihte Gedächtnißfeier noch einen heiligern und schönern Karakter an, und wird zum Ausdruck der innersten uns bewegenden Seelenstimmung. An den heutigen Tag schließt sich aber auch eine wehmuthsvolle Erinnerung an, die diese Feier für uns noch ergreifender werden lässt. Es ist der Todestag der hochgesinnten und vielbeweinten Königin Luise, die heute vor 30 Jahren, in der Blüte ihres schönen Lebens durch ein hartes Berhängniß, von der Seite des sie innigliebenden und tieferschüt­ terten — und nun ebenfalls heimgegangnen und mit ihr wieder ver­ einigten — Königs gerissen ward.

Die mit ihm den

Kummer

und

Schmerz über die Unglückstage unverzagt und heldenmüthig getragen, und auch die Hoffnung wol festgehalten, sollte doch das Heil und die Freude des neuen Siegs nicht sehn und musste noch vorher von hinnen scheiden. So begehen wir heute gleichsam eine doppelte Todtenfeier; und wer sollte das Andenken an die edle verklärte Frau nicht gern erneuen?

Es ist

aber auch ein schönes Zeichen der kindlichen Verehrung des jetzt regieren­ den Königs, der eben den heutigen Tag zu dieser Gedächtnißfeier aus­ ersehn und ihr dadurch noch eine höhere Bedeutung gegeben hat.

Ebenso

konnte aber auch der allerhöchstverordnete Text nicht entsprechender und besser gewählt sein, und er erscheint schon wie ein dem hochseligeu Kö­ nige gesetztes HeiligesDenkmal.

Er ist entnommen aus dem Briefe Ja­

kobi, und wir lesen ihn Kap. 1, V. 12 folgendermaßen:

427 „Selig

ist der

Mann, der die

Anfechtung

erduldet;

denn nachdem er bewähret ist, wird er die Krone des Lebens empfangen, welche Gott verheißen hat Denen, die ihn lieben."

Dieser Ausspruch des Apostels Jakobus, sowie er an sich auf dem Grunde der Wahrheit ruht,

und

zugleich

uns das Bild eines wahren

und lebendigen Christen zeigt, der für den Herrn zu dulden, zu kämpfen und

auch

gewiß

zu siegen

sein kann,

weiß, — dann aber auch des himmlischen Lohnes

leidet

die natürlichste und treffendste Anwendung auf

unsern hingeschiednen König, und wir finden darin nur den wahren christ­ lichen Nachruhm desselben ausgesprochen.

Und so soll denn auch unser

Nachdenken nun um diesen einfachen Gedanken sich sammeln, und:

Der christliche Nachruhm unsers in Gott entschlafnen Königs, der Inhalt unsrer Betrachtung sein.

Du sollst Niemand rühmen, spricht schon der weise Sirach, vor seinem Ende. und als

Denn eh' das Leben in seiner Erscheinung geschloffen ist

ein vollendetes Ganze

vor uns liegt,

ist gleichsam sein Ruhm

nicht schon sicher; und wenn auch der innere Grund desselben schon be­ stehn und gegeben sein muß: so wißen wir doch nie, was dem Menschen, eh' er den zeitlichen das Leben

Lauf vollendet hat,noch begegnen kann.

über den

zeitlichen

Ruhm keinem Wandel mehr fest.

Können

wir

nun

Wechselemporgehoben: so

ausgesetzt und

ist

Ist aber auch der

das Gebiet desselben

steht

auch das Leben unsers verklärten Königs nach

dem Schluffe seiner irdischen Pilgrimschaft ganz übersehn, ist sein Thun und Wirken uns

vom Anbeginne

offenbar:

so

fehlt

bis

es uns

zu seinem schönen und auch

seligen

Ende

an dem Grunde und Rechte des

Nachruhms nicht, und wir dürfen uns freun, diesen Nachruhm hier aus­ zusprechen. In

dem Nachruhm

liegt

aber selbst schon eine Entscheidung über

den Werth des Lebens, welchem er folgt, und er ist gleichsam schon ein Gericht über das Leben, — und wenn auch nur menschlich, d. h. wenn auch nicht unbedingt

und das höchste —denn dies steht nur beiGott —:

so soll es in sich doch auch ein

wahres

sein.

Und so ist es

allerdings

428 um den Nachruhm,

den ein Hingeschiedner zurücklässt, ein Großes und

Hohes, und eS ist von der höchsten Bedeutung, welches der Nachruhm sei. Wir haben nun den Nachruhm unsers heimgegangnen Königs einen christlichen Nachruhm genannt und damit den Inhalt desselben schon bezeichnet und ausgedrückt.

Unter einem christlichen Nachruhm aber

verstehen wir den, der sich nicht etwa nur an dem äußern Scheine hält, sondern der gegründet ist in dem Herrn.

Wer sich rühmen will,

spricht der Apostel Paulus, der rühme sich des Herrn.

Nur der

Ruhm in dem Herrn ist der wahre; und sei der Gegenstand des Ruhms auch noch so mannigfach und verschieden, und erstrecke er sich auf ein Verhältniß oder Gebiet des Lebens, wie es auch heißen möge: so darf eS ihm doch an der Beziehung zu Christo nicht fehlen, es muß ein Ruhm sein,

der sich in seinem tiefsten und innersten Grunde an Christo hält,

— ein Ruhm, der aus dem heiligen Streben nach dem in Christo er­ schienenen göttlichen Lebensbilde erwachsen ist.

Und auf diesem Grunde,

können wir freudig bezeugen, ruht der Nachruhm unsers entschlafnen Kö­ nigs, der nur danach gestrebt, den Rath und den Willen des Herrn zu thun, soweit er ihn erkannt und gesehen hatte.

Nicht in seinem, son­

dern in Gottes Namen, der allein seine Hoffnung und an dessen Se­ gen > ihm Alles gelegen war, und zum Heile des ihm anvertrauten Volks, wollte er über dasselbe regieren,

und hatte es wol gefasst, was es be­

deute und heiße: ein König von Gottes Gnaden sein. darin

Nicht fand er

etwa den Grund einer persönlichen Erhebung, sondern vielmehr

der Demuth vor Gott, dessen mächtiger Beistand sein Gebet und sein Flehen war. Der Nachruhm begreift aber auch nicht bloß das gute und günstige Urtheil, was den Heimgegangnen begleitet und ihm zuerkannt wird, und was nur bestehe in der Form der bloßen Erinnerung.

Es ist ein tieferes

und lebendiges Band, wodurch der Nachruhm dem Leben Dessen, wel­ chem er gilt, sich anschließt.

Er ist die geistige Hinterlassenschaft des

Verklärten, und dieser lebt selbst in den Nachruhm fort, und sein Fort­ wirken ist mit

an den

Nachruhm geknüpft.

Und so beginnt der dem

sichtbaren Dasein Entnommene, mit dem Nachruhm, welcher ihm folgt, noch ein neues geistiges Leben, indem der von der leiblichen Hülle be­ freite Geist, wenn auch unsichtbar, dennoch freier und mächtiger und in neuen und höheren Formen auch hienieden fortwirkt, als noch vorher. Und so lebt auch Friedrich Wilhelm 111. durch seinen Nachruhm fort; — und gleichwie diese ihm geweihte Gedächtnißfeier durch diesen Ge-

429 danken noch erhöht und verherrlicht wird: so tritt es hier auch als eine bedeutungsvolle Aufgabe dieser Feier hin, dieses Fortlebens uns im Geiste bewusst zu werden. Sollen wir nun aber versuchen, das Bild des Nachruhms unsers in Gott entschlafnen Königs zu zeichnen: so stellt sich hier ein so reiches und umfassendes Gebiet der Betrachtung dar, daß wir nicht daran den­ ken dürfen, -es erschöpfen zu wollen, und es würde dies auch über das geringe Maß meiner Kraft hinausgehn, und ich bescheide mich gern, daß ich solcher Aufgabe nicht gewachsen bin.

Um das Bild Friedrich Wil­

helms III. vollständig und in allen Beziehungen und nach allen Seiten hin in der Fülle seiner Wahrheit darzustellen: dazu bedarf es einer so hohen, und erleuchteten, alle Verhältnisse des Lebenö durchdringenden Ein­ sicht, wie sie mir nicht zu Gebote steht.

Auch begränzt sich unsre Auf­

gabe wol schon dadurch, daß wir hier nur die höchste religiöse Beziehung, die Beziehung zum Herrn, in welchem der christliche Nachruhm unsers Königs gegründet ist, festzuhalten haben.

Nur im Lichte des Herrn wol­

len wir das Bild unsers Königs sehn.

Es können daher nur die all­

gemeinsten Züge seines seelenvollen und reichen Bildes sein, die sich hier von uns zeichnen lassen, die uns aber auch so klar und lebenskräftig entgegentreten, daß wir sie wol Alle zu erkennen im Stande sind. Wir wollen dabei aber auch auf die einfachste Weise zu Werke ge­ hen und uns nur an die Folge des Textes halten, der uns von selbst auf die wichtigsten Lebenserfahrungen und auf die herrlichsten Seiten unsers verklärten Königs hinführt.

Selig ist der Mann, spricht der

Apostel Iakobus, der die Anfechtung erduldet und in ihr sich be­ währt; und er verheißt ihm damit das höchste und heiligste Gut und Erbe, was der Mensch je zu erringen im Stande ist: das selige und gottverherrlichte Leben, das

Leben in Gottes Reich. Denn nur das Le­

ben in diesem Reich kann

auch ein wahrhaft und ewig

Es ist der Lohn der Liebe

zu Gott, von der das Leben des bewährten

Mannes lebendig beherrscht und getragen ist.

gekröntes sein.

Mit dem Erdulden der

Anfechtung ist nyn aber kein bloßes über sich Ergehenlassen gemeint, so daß der Mensch die Leiden, welche ihn treffen, nur ohne Widerstand auf sich nimmt und sich ihrer Uebermacht hingibt.

Das wäre auch nicht

schon das Zeichen eines im Geiste starken und gekräftigten Mannes, der zwar jede von Gott ihm beschiedne Last trägt, aber ihr nicht unterliegt, und auch unter dem äußern schweren Druck dennoch in sich der Freie ist, und frei und muthig zu Gott hinaufschaut.

Der Apostel denkt bei

430 dem Erdulden an ein Ausharren und Bestehen, so daß der Mann auS der Anfechtung, die er zu erfahren und christlich zu ertragen hat, den­ noch unbeschadet und selbst mit neuem Leben und neuer Kraft hervorgeht, und

also sich als

bewährt erweist.

Iakobus

setzt also bei diesem

Erdulden schon einen festen geistigen Grund, den der Mensch für sein Leben gewonnen hat und auf welchem er steht, voraus. —'Sehen wir nun auf unsern verklärten König hin: so verbirgt sich uns dieser eigen­ thümliche geistige Lebensgrund, der ihn zum tüchtig machte, wol nicht, hatte,

christlichen Erdulden erst

und schon eh' er die Anfechtung zu erfahren

war dieser Grund offenbar.

Schon vom Anfange feinet Regie­

rung hat sein reiner und edler Wille, sein einfacher und bescheidner Sinn, sein frommer und christlicher Geist sich kund gethan, und die hohe Be­ deutung seines Herrscherberuss erfüllte ihn ganz. in Gerechtigkeit und in Liebe sein.

Er wollte ein König

Da schrieb er noch vor seiner Hul­

digung an seine Minister, daß er jede leere Pracht entfernt und vermie­ den wünsche, damit für Niemand

daraus eine Last entstehe,

und das

Andenken an die feierliche Stunde, die ihn so innig mit seinem Volke verbinde, welches er glücklich zu machen hoffe, störter sei.

um so reiner und unge­

„Ich selbst, schreibt er, werde kein königliches Gepränge, aber

ein treues landesväterliches Herz meinen guten Unterthanen entgegenbrin­ gen, und ihre Liebe und Anhänglichkeit wird mich um so inniger rühren, je prunkloser sie sich äußern wird." — Er ging Allen mit dem schönen und erhebenden Beispiel eines wahren Familienlebens voran, und die Tugen­ den des Hauses und die fromme christliche Sitte waren ihm heilig.

Der

Geist der Frömmigkeit lebte in ihm, aber als ein Geist der christlichen Frei­ heit, und ebenfalls bald nach dem Antritt seiner Regierung, sprach er in einer denkwürdigen Verordnung darüber sich aus. „Ich ehre die Religion und folge gern ihren beglückenden Vorschriften, und möchte um Vieles nicht über ein Volk herrschen, das keine Religion hätte.

Aber ich weiß auch, daß sie

Sache deS Herzens, der eignen und freien Ueberzeugung sein und blei­ ben muß und tncht durch Zwang zu einem gedankenlosen

Außenwerke

herabgewürdigt werden darf, wenn sie wahre Tugend und Rechtschaffen­ heit fördern soll."

So trefflich waren die Grundsätze, die unsern edlen

König schon von Anfang her leiteten. Dennoch kamen nach

wenigen Jahren heftige Stürme

Reich, die es tief und in seinem Grunde erschütterten.

über das

Es waren harte

und schwere Anfechtungen, die der nur das Wohl seines Volks suchende König erfahren musste. — Bei der Anfechtung eines Christen dürfen wir

431 aber auch wol die Frage nicht von uns weisen: woher sie ihren Ursprung genommen hat.

Denn ist sie eine selbstverschuldete, hat der Christ sie

durch eigne Vergehung herbeigeführt: so ist das Verhältniß nicht gleich, und auch die Beurtheilung desselben wird eine verschiedne sein.

Dürfen

wir nun auch die Quelle des Unglücks, das im Jahre 1806 über Preu­ ßen hereinbrach, nicht bloß von Außen suchen, und lag dies zum Theil wol darin, daß die das innere Leben des Staats zusammenhaltenden Fäden ihre Kraft und Spannung verloren halten, oder auch der Geist aus den alten Formen gewichen war: so ist dies dem verklärten König nicht beizumesien, sondern kehrt in eine frühere Zeit zurück.

Oder wir

wollen auch lieber und besser sagen, daß die göttliche Vorsehung, die das Geschick der Staaten und Völker, sowie der einzelnen Menschen leitet, durch die Stürme des Krieges ein neues Leben im Staate erwecken und ihn auf eine höhere Stufe der sittlichen und geistigen Bildung erheben wollte. — Aber wie hat Friedrich Wilhelm IN. diese Anfechtung zu erdulden und zu tragen gewusst? ein christlicher König.

Er hat sie erduldet als Christ, als

Er ging dem Angriff des Feindes im Gefühl der

Nothwendigkeit entgegen, nahm das plötzliche Ungemach als eine göttliche Fügung auf, leistete aber auch mit geringen Mitteln noch einen tapfern männlichen Widerstand, trug das Unglück im Bewusstsein des guten Rechts, gab den Muth und das Vertrauen zu Gott nicht auf, und wenn auch in dem ungleichen Kampfe von Außen besiegt, war er doch in sich selbst unbezwungen, und ging mit neuer und höherer Kraft, gestärkt durch den Trost und die Macht der Liebe, daraus hervor.

Denn er stand auf dem

Grunde des Geistes, dem zuletzt der Sieg nicht entgehen kann.

Das

Licht der Hoffnung leuchtete ihm auch in die trüben und dunkeln Tage seines Lebens hinein, und er hielt die bessere Aussicht, das zu erstrebende höhere Ziel, fest in dem Auge. — Und so ist er auch wahrhaft bewährt erfunden, und auch dieses Wort des Jakobus leidet die treffendste An­ wendung.

Kaum war der Friede, so große Opfer er auch gekostet, zu­

rückgekehrt: so war es die eifrigste Sorge des edlen Königs, einen neuen geistigen Bau aufzuführen, und was der Staat an der äußern Stärke verloren hatte, durch eine höhere Entwickelung seiner innern geistigen Kräfte zu ersetzen, und das ganze Volk zu einer höheren Bildungsstufe, zu einem höheren Lebensbewusstsein emporzuheben.

Er hatte den Rath

Gottes in den Unglücksjahren wol gefasst und verstanden, und es ent­ ging ihm nicht, daß nur in der Macht des Geistes die Gewähr des künftigen Sieges ruht, und nur das Volk, dessen Leben im Geiste ge-

432 gründet ist, und aus ihm sich frei nach allen Seiten entfaltet, keine Feinde zu fürchten hat, sondern unüberwindlich ist.

Denn es lebt in dem Schutze

Gottes. — So brach der weise König die Fesseln, die einer freieren Bewegung des Lebens im Wege standen, hob unwürdige Beschränkungen, hob die Erbunterthänigkeit auf, schenkte dem Landmann die entbehrte per­ sönliche Freiheit, und gab den Städten eine Verfassung, die lebendige Theilnahme Aller an dem Gemeinwesen zu erhöhn, und fuhr unermüdet fort, alle innern Zustände seines Landes zu vervollkommnen.

Und wieviel

hat er schon in jenen Jahren auch für Schule und Wissenschaft gethan, und keinen Aufwand für die Bildung des Volkes gescheut; — und nicht bloß die Residenz, sondern auch die Hauptstadt meines Vaterlandes Schle­ sien mit neuen und großartig ausgestalteten Hochschulen geschmückt. Und die Frucht dieser neuen

Schöpfungen blieb auch nicht aus.

Denn schon wenige Jahre nachher ging der preußische Staat aus den Wellkämpfen der Jahre 1813 bis 1815 mit neuem Glanze hervor, und gewann auch nach Außenhin eine Macht, wie er sie vorher noch nicht besessen. Und in Folge dieser Kämpfe, zu deren siegreichem Ausgang auch Friedrich Wilhelm III. nicht bloß durch seine persönliche Tapferkeit, sondern auch durch seine Einsicht,

durch seine Ausdauer und Festigkeit

in den Tagen der Gefahr entscheidend mitgewirkt hat, ward auch diese Provinz Pommern dem deutschen Vaterlande wiedergegeben, und durfte dem gefeierten Könige huldigen. Siege bewährt.

Sowie im Unglück, hat er sich auch im

Nur Gott dem Allmächtigen gab er die Ehre und de­

müthigte sich vor ihm, als dem Herrn, der allein Sieg verleiht, und fiel selbst noch auf dem Schlachtfelde auf seine Kniee, Gott zu danken und seine Gnade zu preisen.

Und ebenso hat auch zarte Schonung und Liebe

auch in Feindes Land überall seine Spuren bezeichnet. Werfen wir dann noch einen Blick auf die folgende Zeit des Frie­ dens, dessen wir nun seit 25 Jahren uns freun: wie hat sich Friedrich Wilhelm auch da als derselbe bewährt? Das Glück seines Volks war auch jetzt der höchste Gegenstand seiner Vatersorge, und er hat ununter­ brochen zum Heil des Landes gewirkt, und alle Verhältnisse immermehr zu befestigen und fortzubilden gesucht.

Wo Hülfe Noth war, da hat er

es an seiner Freigebigkeit und Milde nicht fehlen lassen, und Gutes ge­ than und gesegnet, soviel er gekonnt. keit.

Er war ein Hort der Gerechtig­

Alles Schöne und Edle ist durch ihn unterstützt und ermuntert

worden, und er hat nicht aufgehört ein Pfleger der Künste und Wissen­ schaften zu

sein.' Aber

auch

selbst die Dauer

des Friedens, dessen

433 Segnungen der Himmel über uns ausgegoffen, ist sein Verdienst, und wir verdanken ihn vor Allem der Friedensliebe und weisen Mäßigung un­ sers gepriesenen Königs.

Denn obwol der Friede schon mehr als einmal

gefährdet war: so wurde besonders durch das Gewicht seines Worts das Schwert in der Scheide zurückgehalten, und zwar zu einer Zeit, wo sich der Kampf vielleicht bald überallhin entzündet hätte, und wo sich auch für den Fortschritt des Lebens nur die schlimmsten Folgen hätten er­ warten laffen.

Sowie Friedrich Wilhelm III. früher für die Frei­

heit in's Feld gezogen: so ist er später durch die Erhaltung des Frie­ dens ihr Schutz und ihr Schirm gewesen. In den Jahren des Friedens wendete er seine Sorge auch noch besonders der Kirche zu und hat seinen frommen und kirchlichen Sinn, seine Liebe zum Herrn aufs Herrlichste dargethan.

Nicht bloß, daß eine

Menge von Kirchen und Gotteshäusern durch ihn und durch die Sum­ men, welche er dazu angewiesen, erbaut oder auch erneut und ausgeschmückt worden sind, sondern auch das innere Leben der Kirche neu zu erwecken: darauf ging sein redliches Bemühen hinaus, und er leuchtete Allen mit seinem Beispiele vor.

Wofür schon mehre seiner Vorfahren thätig gewesen,

aber was sie nicht schon erreicht: die Vereinigung der reformirten und lutherischen Kirche, das hat Friedrich Wilhelm III. durchgeführt und vollendet, und sich auch dadurch einen bleibenden Ruhm erworben. Und welch ein Zeugniß seines erleuchteten Sinnes ist das königliche Wort was er gesprochen,

als er bei der Feier des Reformationsfestes zuerst

dazu aufforderte, seinem eignen Beispiel zu folgen.

„Eine solche Ber­

einigung, heißt es, sei den großen Zwecken des Christenthums gemäß, sie entspreche den ersten Absichten der Reformatoren, sie liege im Geiste des Protestantismus und befördre den kirchlichen Sinn.

Aber sie habe

auch nur dann einen wahren Werth, wenn sie aus der Freiheit der eig­ nen Ueberzeugung hervorgehe und nicht eine Vereinigung sei bloß in der äußern Form, sondern in der Vereinigung der Herzen ihre Lebenskräfte und Wurzeln habe." — Aber auch selbst über die katholische Kirche hat er sein segnendes Wirken ausgebreitet und viel für ihre Erhebung ge­ than, obwol er von dieser Seite den verdienten Dank nicht geerntet hat. Und mit welcher bewundernswürdigen Geduld und Nachsicht ist er auch hier gegen die Übertreter zu Werke gegangen, und ist nicht müde ge­ worden, durch seine Liebe feurige Kohlen auf das Haupt der Gegner zu sammeln.

434 Wie int Leben hat sich Friedrich Wilhelm III. auch noch im Tode bewährt.

Sein Tod war ein schöner Tod.

Nachdem er noch

dem Gedächtniß und der geistigen Macht seines großen Ahnherrn durch die Gründung eines Denkmals gehuldigt und seine Regierung mit diesem bedeutungsvollen Akte gleichsam geschlossen hatte: da erwartete er in stiller Hingebung den Ruf seines himmlischen Vaters, und ordnete, wie ein treuer Hausvater, Alles mit Sorgfalt an.

Er sah alle die theuren Sei-

nigen auch von weiter Ferne her noch um sich versammelt, und ihre Ge­ genwart erheiterte ihm die letzten Tage und Stunden; und über Jeden Derselben sprach er sein segnendes Wort; — und jedes Wort war nur der Ausdruck der Liebe.

Er starb im festen Glauben an seinen Erlöser,

in inniger Liebe zu ihm, nachdem er noch das Mahl der Versöhnung gefeiert hatte.

Ja, in vollem Sinne des Worts können wir sagen: daß

er in Gott entschlafen ist. — Und welch ein theures Vermächtniß hat er seinem Volke auch in seinem letzten Willen noch hinterlassen!

Auch

darin stellt sich das ergreifende und rührende Bild eines Christen dar, der in dem Herrn zu sterben weiß.

Wie er Allen, die dem Staate und

ihm mit Einsicht und Treue gedient und ihm mit Liebe ergeben gewesen, seinen herzlichen Dank bezeugt: so vergibt er auch selbst seinen Feinden. Er bittet: Gott möge ihm ein gnädiger und barmherziger Richter sein, und befiehlt seinen Geist in die Hände des Vaters. Ja gewiß, nachdem er also im Leben und im Tode bewährt ward, wird er auch die Krone des Lebens empfangen, die Gott ver­ heißen hat Denen, die ihn lieben.

Er hat in der Liebe Gottes

gelebt, ist in dieser Liebe gestorben, und nun auch hingegangen zum Vater, wo er den Lohn dieser Liebe ernten, und in der ersehnten Wiederver­ einigung mit den geliebten Seinigen sich des Anblicks der ewigen Herr­ lichkeit freuen wird. Selig ist der Mann, ruft Jakobus, der die Anfechtung er­ duldet und in ihr bewährt ist; — und diese Seligpreisung gilt auch unserm verklärten Könige. — Aber wie sein Leben jenseits gewiß ein seliges, ein Leben des Friedens ist: so lebt er auch fort unter uns, und wir wollen sein Bild bewahren und . in dem Herzen tragen, daß es nim­ mer erlösche.

Auch unsre Liebe gehört ihm auf ewig an.

Er lebt fort

in Friedrich Wilhelm IV., der in den Wegen des Vaters zu wandeln verheißen hat.

Diese Wege aber sind nur die Wege der Wahrheit und

Gerechtigkeit.

Es sind die Wege des Fortschritts, welchem uns der er­

leuchtete königliche Nachfolger sicher entgegenführt.

Und so ist in ihm

435 unsre feste Hoffnung gegründet, die Hoffnung der Zukunft, welcher wir unter einem solchen Herrscher, wie unS ihn Gott in Friedrich Wil­ helm IV. befchieden hat, mit freudiger Zuversicht entgegensetzn. Sein Bild ist ja auch Euch Allen kein fremdes, und Ihr kennt die Huld seiner persönlichen Erscheinung, und so fühlen wir uns auch dadurch schon zu ihm hingezogen. Er bittet selbst, daß die Liebe des Volks, die seinen Vater in den Tagen der Gefahr getragen, ihm sein Alter erheitert und die Bitterkeit des Todes versüßt, nun auch auf ihn, seinen Sohn und Nachfolger übergehe! Und wie sollten wir ihm, der auch der geistige Erbe des Vaters, der Erbe seiner Tugenden, seiner Frömmigkeit und Gottes­ furcht, dessen Herz und Geist gleich hochgesinnt und gebildet ist, diese Liebe nicht weihn? In dieser Liebe, und in dem Gehorsam der aus der Liebe stammt, und in dem lebendigen festen Vertrauen zu ihm wollen wir ihm huldigen. Aber wir wollen auch mit ihm beten, daß die lebendige Gnade und der Schutz Gottes mit ihm sei und seine Regierung segne und sie verherrliche, und sie auch für uns, für sein Volk eine Quelle des Heiles werde, um auf der von Gott für Preußen vorgezeichneten hohen Bahn, immer weiter vorzudringen zu dem heiligen Ziel, stark und frei zu werden im Geiste des Herrn und mit seinem Lichte der Welt zu leuch­ ten. Ich bedarf, spricht er im tiefen und lebendigen Gefühl, daß aller Segen von Oben kommt und Gott der Herr aller Herren, der König aller Könige ist, und keine Herrschaft bestehen und fortgehen kann die nicht aus Gott, unb in seinem Worte gegründet ist, und in dem in Christo erschienenen göttlichen Lebensbilde, in dem Bilde der Wahrheit, der Frei­ heit und Gerechtigkeit Gottes, in dem Bilde des GotteSreichs das höchste und herrlichste Ziel alles Strebend sieht, — ich bedarf, spricht er, der­ selben Hülfe und derselben Gebete von einem getreuen und frommen Volk. Und so beten wir für ihn, daß Gott ihn in seinem schweren Berufe stärke und kräftige, daß er ihn ausrüste mit seiner Weisheit, und ihn umgebe mit seinem heiligen Rathe; — daß er auch unsrer evangelischen Kirche ein mächtiger Schutzherr sei, und ihr göttliches Recht, das Kleinod ihrer Freiheit in Jesu Christo zu wahren wisse. Wir wollen mit ihm beten für die Erhaltung des theuren Friedens, um das Vaterland zu einer stets höheren Blüte emporzuheben, und so den Frieden Gottes auch in der Welt immer weiter getragen zu sehn. Gott behüte und segne ihn und sein theures Haus und sei bei ihm mit seinem heiligen und himm­ lischen Schutz; er segne ihn und seine Gemahlin, die Königin mit den süßesten und edelsten Lebensfreuden und verlängre ihre Tage bis zu dem 28*

436 fernsten und höchsten Ziel. Und wenn Gott einst den Stab auch aus seinen Händen und die Krone von seinem Haupte nimmt: so schmücke er auch ihn mit einer unvergänglichen Krone, und lege ihm die Krone der himmlischen und ewigen Gerechtigkeit bei. Dem Gott alles Trostes aber, dem ewigen Könige, dem Herrn aller Herren, dem Unvergänglichen, dem Unsichtbaren «nd allein Wei­ sen, sei Ehre «nd Preis in Ewigkeit! Amen.

XLIII.

Gediichtnißpredigt bei dem Heimgänge Friedrich Wilhelms IV. (geboren 15. Oktober 1795, gestorben 2. Januar 1861)

geh.amSonnt.Invokavit,17.Febr.1861 üb. Matth. 10,32.

Herr, unser Gott, der Du Tod und Leben in Deiner Hand hast, dessen Gedanken über uns aber doch nur Gedanken des Friedens und nicht des Leides sind: sei auch in dieser Stunde der Trauer bei uns mit Deinem Trost, und richte durch Dein Wort, durch daS Wort des ewigen Lebens uns auf, und erleuchte uns mit dem Lichte der Hoffnung, die nimmer zu Schanden wird! Amen.

Wol schon länger, m. Gel. in Christo, durften wir der Todeskunde entgegensetzn, um deretwillen wir heute zu diesem Trauergottesdienste ver­ sammelt sind, und die schmerzliche Theilnahme an den großen und schwe­ ren Leiden, die unsern theuren und geliebten König schon seit drei Jah­ ren daniederbeugten, — und von welchen keine Genesung zu hoffen war —, bewegte uns wol selbst, Gott zu bitten, daß er durch ein seliges Ende ihn von solcher Trübsal erlösen möge. Aber doch, da es nun geschehen und Gott ihn zu sich gerufen hat, sind wir Alle tief erschüttert und Schmerz durchdringt unsere Seele. Wol sollten wir dem Herrn auch danken, daß er den königlicken Dulder aus dem irdischen Jammerthal aufgenommen hat in die ewigen und himmlischen Hütten, wo kein Tod, kein Leid und

438 fein Schmerz mehr ist, — und wir erkennen auch die Gnade des barm­ herzigen Gottes, der mit dem Beginne deS neuen Jahres aus dem Dun­ kel, das ihn zuletzt umhüllte, das Licht ihm hat aufgehen lasten eines neuen und unsterblichen Lebens in seinem Reich.

Aber wenn wir ge­

denken, was wir in ihm verloren haben, was er seinem Volke und Staate gewesen ist und wie wir ihn nicht mit Unrecht einen König nennen durf­ ten nach Gottes Herzen: da können wir doch auch dem Schmerze über seinen Hingang nicht wehren, und die Trauer um ihn ist eine gerechte. Allein auch mit dieser Trauer soll der Dank gegen Gott sich verbinden, daß er uns solch einen König gegeben hatte, der Dank, daß wir ihn ge­ habt, und daß uns Gott durch seine Regierung gesegnet hat.

Auch soll

die Gedächtnißfeier, die wir heute begehn, nicht bloß der Trauer den Ausdruck geben.

Das wahre christliche Gedächtniß muß ein Lebens­

gedächtniß sein, das uns das Bild des verklärten Königs vor Augen stellt.

In diesem Bilde aber, dem Bilde des Geistes, der in ihm war,

wollen wir nicht sehen, was vergänglich und sterblich, sondern waS un­ sterblich ist und was fortlebt, und woraus selbst neues Leben hervor­ wächst. Wie aber vermöchten wir es wol, bei der Fülle des geistigen Reich­ thums, der unsrem entschlafenen König zu eigen war, bei dem Glanz seiner Vorzüge, bei dem Adel seiner Gesinnung und seines Karakters ein würdiges und entsprechendes Bild Desselben zu zeichnen? Dazu reichen meine schwachen Kräfte nicht hin.

Es kann aber auch nicht unsre Aufgabe sein, das Leben

des seligvollendeten, sei es als Mensch, sei es als König, nach allen Seiten und Beziehungen hin zu beschreiben und darzustellen.

Unsre Feier soll nur

eine religiöse und kirchliche sein, die wir im Aufblick zu Gott begehn. Nur im Lichte des Herrn wollen wir das Bild unsers Königs sehn.

Und

wahrlich, m. Gel., es war ja besonders auch dieses Licht, was in ihm leuchtete und worin er den Trost seines Lebens sah.

Dieser Gedanke

liegt offenbar auch der Wahl deS Textes für die heutige Gedächtnißpredigt zum Grunde.

Es ist ein Wort Jesu Christi, das wir im Evangelium

des Matthäus im 32. Verse des 10. Kapitels lesen und was also lautet: „Wer mich bekennt vor den Menschen, den will ich be­ kennen vor meinem himmlischen Vater."

Ein inhaltschweres, ein mächtiges Wort, nt. Lieben; ein Ausspruch des Herrn, woran sich der Werth eines jeden Menschenlebens entscheidet,

439 und wonach wir gerichtet werden.

Nur wer Christum bekennt als den

Sohn deS lebendigen Gottes, in welchem

allein uns das wahrhaftige

Leben erschienen ist, wird in diesem Gericht bestehn.

Denn Niemand

kommt zum Vater, denn durch den Sohn, und nur wenn Er uns als die Seinen

vor Gott bekennt, gehen

wir mit ihm ein in die Herrlichkeit.

Wie dürfen wir denn aber dieses Wort Jesu Christi in Beziehung brin­ gen zu unsrem verklärten König?

Es kann doch nur dann der Text

unsrer Predigt sein, wenn wir glauben, daß es an ihm zur Erfüllung gekommen

ist.

Sollten wir dies denn aber bezweifeln wollen?

Wol

reicht kein Mensch an die göttliche Vollendung hinan, die in dem wahr­ haftigen und ungelheilten Bekennen Jesu Christi umschlossen liegt. es ist wahrlich

etwas

gar Großes damit ausgesprochen.

Denn

Es ist nicht

etwa ein Bekennen nur mit dem Wort, sondern das ganze Leben soll dieses Bekenntniß sein, und es erweisen im Geiste und in der That, daß wir in Christo unsern Herrn und Heiland gefunden haben, und Nichts suchen, als ihm zu dienen und sein Werk, das Werk seiner Liebe zu thun. Das will auch Jesus nur damit sagen, wenn er es in Anspruch nimmt, daß wir ihn vor den Menschen bekennen sollen.

Denn das heißt

doch nur, daß dieses Bekennen durch unser ganzes Walten und Wirken auch nach Außenhin, in der Welt sich bezeugen und offenbaren soll.

Und

das ist eine Aufgabe, die Jeder nur annähernd zu lösen vermögen wird. Da werden wir auch von unsrem heimgegangnen geliebten König , nicht sagen wollen, daß diesem Bekenntnisse in keiner Weise irgend Etwas ge­ mangelt habe.

Das würde selbst seiner Demuth, womit er sich wol er­

kannte, als bedürftig der vergebenden Gnade Gottes, entgegen sein.

Aber

der Zug dieses Bekenntnisses Jesu Christi ging doch durch sein Leben hindurch, und nach dem Maße, welches Gott ihm gegeben hatte, hat daö Wort des Herrn auch an ihm sich erfüllt.

Sowie es aber das Trach­

ten seines Herzens war, Christum vor der Welt zu bekennen: so dürfen wir auch wol der Gnade des Herrn gewiß sein, daß Er ihn vor seinem himmlischen Vater bekennen werde.

Nach dem uns gegebnen Texte kann

nun unsre Gedächtnißpredigt nur davon handeln:

Wie das Wort Jesu Christi: Wer mich bekennet vor den Men­ schen, den will ich bekennen vor meinem himmlischen Vater — sich auch an unsrem verklärten Könige erfüllt hat. Gleichwie der Text, kann auch unsre Predigt nur aus zwei Thei­ len bestehn.

Zuerst wollen wir es uns zu vergegenwärtigen suchen:

wie Friedrich Wilhelm IV. Christum vor den Menschen be-

440

sannt hat. Das Andre aber: wie nun auch Christus ihn be­ kennen will vor seinem himmlischen Vater, kann theils nur ein Herausschauen auS dem bekennenden Leben des vollendeten Königs sein, theils ein Hineinschauen in den Reichthum der Gnade des Gottessohns. Denn Beides ist nicht zu trennen, und was hier der Gottessohn thut, steht auch wieder im innern Zusammenhange mit dem Leben des Heimgegangnen und reicht in dasselbe hinein. Du aber, o Gott, stehe mit Deinem Geiste uns bei, diese Gedächtnißfeker also zu begehn, daß sie auch Dir gefalle und unS Allen Trost und Erbauung bringe!

Der Zug des Bekenntnisses Jesu Christi, sagten wir, gehe durch das ganze Leben des verklärten Königs hindurch. Und gewiß, m. Gel., es fehlt dafür nicht an Zeichen und Zeugnissen, und sie liegen selbst offen vor unsern Augen. Eine bloße Bekenntnißform ist freilich keineswegs damit gemeint. Hier gilt es überall nur das Leben, welches Zeugniß für Christum gibt. Wol stand Friedrich Wilhelm IV. nur auf dem Grunde und Boden des Evangeliums, und der in seinem Innersten ihn bewegende Geist war der evangelische. Christum aber hat er be­ kannt, indem die höchste Beziehung seines Denkens und seines ThunS in Christo sich einigte und zusammenschloß. Daß eS aber so sei, und daß dieser Ruhm ihm gebühre: das können wir nur auS einem Bilde feines Christum bekennenden Lebens sehn. Dieses Bild hier vollständig aus­ zuführen: das vermögen wir freilich nicht, — um so weniger, als sein Bekennen des Gottessohns in alle Gebiete seines Wirkens hineinreicht und sie geistig durchdringt. Es können daher nur die bedeutsamsten Züge jenes Bildes sein, die wir zu zeichnen suchen. Wovon aber sollen wir wol beginnen, und wie wollen wir unsre Rede ordnen? Da möchte man vielleicht unterscheiden wollen: wie Friedrich Wilhelm als Mensch, oder als König sich als den Bekennenden dargestellt. Doch lässt sich dies von einander nicht trennen, und eS wäre dies sowol der religiösen Natur des Bekennend Christi, als auch dem ganzen Karakter Friedrich Wilhelms entgegen. Seine Haltung als Mensch war mit seiner Haltung als König Eins. In dem Menschen war der König, und in dem König der Mensch zu sehn. Das Bewusstsein seines königlichen Berufs begleitete ihn überall, und sein königliches Walten trug stets daS Gepräge seiner menschlichen Eigenthümlichkeit. Am einfachsten fassen wir drei Punkte Auge,

441 worin das den Herrn bekennende Leben eines jeden Christen sich erweisen und offenbaren soll.

Alles Bekennen Christi geht nur vom Glauben

aus, der aber in der Liebe thätig sein und sich auch im Leiden be­ währen muß.

So wollen wir denn auch unsern heimgegangnen König

betrachten: wie er Christum bekannt hat im Glauben, in seinem Le­ ben und Wirken, und in seinen Leiden. Der Glaube war es, worin er den Grund und Halt, sowie die Hoffnung seines ganzen Lebens gefunden hatte, und eine fromme und religiöse Gesinnung

erfüllte ihn.

Die Religion war ihm Herzenssache,

und seine Frömmigkeit gehörte nicht etwa nur der äußerlichen Gestalt seines Lebens an, sondern lebte in ihm als sein innerstes Eigenthum. War sie doch als ein theure- Vater- und Muttererbe in seine Seele ge­ pflanzt, und er erkannte es in kindlicher Dankbarkeit, welch ein Segen ihm dadurch zu Theil geworden.

Seine Frömmigkeit war der himmlische

Schutzgeist, der ihn immer begleitete und nicht von ihm wich.

Sie zer­

floß aber auch nicht etwa nur in dunkle und vorübergehende Gefühle, sondern war gefestigt in dem bewussten Glauben an den Gottessohn Jesum Christum, und erleuchtet in ihm.

Für seinen forschenden und nach Wahr­

heit ringenden Geist bedurfte eS aber auch eines festeren und tieferen Grundes, dessen er nur im Glauben ansichtig ward, der sein ganzes Ge­ müth durchdrang.

Es ist aber auch wunderbar, wie mit einer so reichen

geistigen Begabung, die sich auch in der seltnen Macht seiner Rede ver­ kündigte, wie mit seinem hohen Gedankenfluge und seiner Bildung, eine solche Demuth vor Gott verbunden war, und jede Ueberhebung ihm ferne blieb.

Doch schon in früher Jugend hatte er die lieferen Seiten des

Lebens erfasst und — so schreibt er im Alter von 14 Jahren — als die Grundpfeiler des menschlichen Lebens erkenne er nur Wahrheit und Recht, und die standhafte Liebe zu beiden. sich trenne, da fehle die christliche Bildung.

Wo aber Wissen und Thun Dazu kamen dann die Er­

fahrungen der Unglücksjahre des preußischen Staats, sowie nachher auch seiner Erhebung; — und Eins wie das Andre stellte ihn nur noch fester in seinem Glauben: daß alles Heil nur in Christo ruhe.

Er war fromm,

und ein Zeichen seiner Frömmigkeit ist auch seine Liebe zum Gotteshause und zur Predigt des Evangeliums. So ging er seinem Volke nicht bloß mit einem leuchtenden Beispiel voran, sondern es war ein innerliches Bedürfniß das er damit befrie­ digte.

Und gewiß steht uns noch heute sein erhebendes Bild vor den

Augen, — als wir bei der Jubelfeier der Universität im Oktober 1856

442 uns zum letztenmal seiner Gegenwart zu erfreuen hatten, — mit welcher Andacht er dem festlichen Gottesdienste beigewohnt, und mit dem Beginn deS Gebets sich alsbald von seinem Sitze erhob, und vor Gott sich beugte. Seiner frommen Gesinnung ging aber sein frommer Wandel zur Seite.

Er hat das Gelöbniß erfüllt:

Ich und mein HauS wollen

dem Herrn dienen. — Da leuchtet uns das schönste Vorbild einer wahrhaft christlichen Ehe vom Thron herab, einer Ehe, die nicht bloß im Himmel geschloffen, sondern auch im Himmel geführt war.

Welch

eine innige Liebe des Königs zu seiner Gemahlin spricht sich in der Auf­ zeichnung seines letzten Willens über seine Bestattung aus, wo er Gott auf den Knieen bittet, daß seine Elisabeth ihn überleben möge. Ueberhaupt ist dieses Schreiben, welches am Tage der Verklärung Christi des Jahres 1854, als wie in Sehnsucht nach ihr, verfafft ist, der Ausdruck einer tiefen Frömmigkeit und eines festen christlichen Glaubens.

Auf

dem Marmorstein über seinem Grabe soll nur das Zeichen stehn, daß Christus für ihn das A und O, Anfang und Ende war, mit der In­ schrift: „Hier ruht in Gott seinem Heilande, in Hoffnung einer seligen Auferstehung und eines gnädigen Gerichts, allein begründet auf das Ver­ dienst Jesu Christi, weiland Friedrich Wilhelm." — Und im dankbaren Gedächtniß deS Trostes der Versöhnung im h. Abendmahl hat er jeder Kirche, auch jeder Dorfkirche, in welcher er das heilige Sakrament ge­ feiert, eine Liebesgabe für die Armen bestimmt, daß sie fürbittend seiner gedenken möchten.

Daß er nichts ohne den Beistand Gottes vermöge,

dessen war er sich zu allen Zeiten bewusst und spricht dies bei vielen Gelegenheiten in rührender Weise aus, wie er z. B. bei seiner Huldigung in Königsberg Gott um den Fürstensegen bittet, der dem Gesegneten die Herzen der Menschen zuneigt und aus ihm einen Mann nach dem gött­ lichen Willen macht.

„Ich bedarf, spricht er — im Hinblick auf die

Hülfe, die Gott seinem frommen vielgeprüften, aber auch bewährten Va­ ter geschenkt — ich bedarf derselben Hülfe, derselben Gebete von einem getreuen und frommen Volk." — Ja, er war auch ein betender König, der sein Volk auf seinem betenden Herzen trug. Auf solchem Glauben erbaute Friedrich Wilhelm IV. nun auch sein Leben, und aus diesem Glauben waren die Grundsätze geschöpft, die unverbrüchlich ihn leiteten. — Seine Anschauungen von Staat und Volk und von seinem königlichen Berufe gingen nur von dem Geist dieses Glaubens aus.

Nicht, daß er etwa nach seinem Wohlgefallen regieren

wollte, sondern danach nur suchte er, ein treuer Verwalter des königlichen

443 Amtes zu fein.

Sein ganzes Denken, Dichten und Trachten war nur

darauf gerichtet, den hohen Pflichten dieses Amtes genug zu thun.

Ein

christlicher König zu sein, ein barmherziger Fürst, und Recht zu üben ohne , Ansetzn der Person und das Gedeihen und das Wohl aller Stände mit gleicher Liebe zu pflegen und zu umfassen: das stand ihm als das schönste und herrlichste Ziel vor der Seele.

Und wir werden das Zeug­

niß ihm nicht versagen, daß er danach gerungen hat, soviel an ihm war. Allen Seiten des staatlichen Lebens wendete er mit hohem Interesse sich zu.

Seine Liebe zum Vaterlande war unbegränzt; und

alle tüchtigen

Elemente zu kräftigen, alles Gute und Edle zu fördern, und jedes höhere Streben zu unterstützen: das hatte er sich zur Aufgabe gestellt, die er nach Vermögen zu lösen suchte.

Er hatte ein Herz, nicht bloß für Preu-

ßens, sondern auch für Deutschlands Größe, und wir wissen ja, wie ihn der Gedanke einer Einheit Deutschlands begeisterte, und wie er auch dafür gearbeitet, aber freilich nicht die gehoffte Unterstützung gefunden hat.

Da­

bei leitete ihn aber auch das strengste Gewissen, und es wäre ihm nicht möglich gewesen, je von dem Boden des Rechts zu weichen. fehlte eS ihm in

entscheidender

Darum

Stunde auch nicht an Entschiedenheit.

Und wir werden ihm auch dafür zu danken haben. Doch ging bei dem Antritt seiner Regierung von dem Einfluß seines Geistes und von der Kraft seines Worts eine neue Bewegung der Geister aus, und die Fortschritte, die durch ihn sich angebahnt, sind nicht hoch genug anzuschlagen, und ihre Bedeutung reicht in die Zukunft hinein. viel guten und edlen Samen bringen wird.

ausgestreut,

Er hat

der künftig erst noch Frucht

Wie viel er für Wissenschaft und für Kunst gethan, dür­

fen wir auch hier nicht verschweigen, und es ist dies nicht sein geringster Ruhm. sammen.

Hängt doch auch damit die Blüte eines Volks und Staats zu­ Denn wo Wissenschaft und Kunst verachtet sind und danieder­

liegen: da fehlt es an den höheren Interessen, da verdunkelt sich der gei­ stige Blick, und das Leben, auch das christliche Leben schreitet nicht vor. Penn es gedeihet auch nur im Licht, aber nicht in der Finsterniß, und -ebenso wenig im blutigen Kampf, wo nur grause Zerstörung herrscht und die rohe Gewalt alle menschlichen Gefühle ert'ödtet. — DaS Evangelium Jesu Christi ist das Evangelium des Friedens, und als ein solches hatte es auch unser verklärter König gefasst.

Darum war auch die Liebe zum

Frieden die f einige, und das Wort Jesu Christi:

„Selig sind die

Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen," war shm ein theures und heiliges.

Wol soll der Christ

auch zu kämpfen

444 wissen, wo

es die höchsten Güter deS Lebens gilt; und das war auch

Friedrich Wilhelm wol nicht verborgen.

Aber ebenso erkannte er auch,

daß der Entschluß, sein Volk in den Kampf zu führen, ernst bedacht und erwogen sein will.

Und darum war eS ihm auch ein Gewissen, den Frie­

den so lange wie möglich zu bewahren und festzuhalten, und er verdient auch dafür wol unsern Dank, und durch die Segnungen deS Friedens hat er auch um uns sich verdient gemacht.

Wollte er doch nur ein König

von Gottes Gnaden sein; und er sah diese Gnade nicht an, als bezeichne sie nur die Fülle der Macht, die ihm übertragen sei, sondern er dachte sich, als der durch die Gnade Gottes und in ihr regieren solle. war er denn auch ein milder Herrscher,

So

der durch sein liebenswürdiges

Wesen die Herzen der Menschen gewann, und es nicht verschmähte, auch dem Geringsten und Niedrigsten freundlich zu begegnen. Bei allen seinen Bestrebungen aber war es ihm doch vorzugsweise um ein christliches Volk zu thun.

Denn er wusste, daß nur eine christ­

liche Bildung ein Volk glücklich und frei machen kann, und darin allein auch das Heil seiner Zukunft ruht.

So fehlte es denn atV seinem Wal­

ten auch an einer Beziehung auf Christum nicht, und ein Bekennen des Gottessohns.

eS war dies auch

Darum lag ihm auch die Kirche am

Herzen, und es war sein innigster Wunsch, daß sie zu einem frischen, freien und kräftigen Leben komme. dies

Aber er erkannte zugleich, daß ihr

nicht von Außen entgegengebracht werden könne, sondern daß sich

dies nur von Innen heraus und müsse.

aus

ihrem eignen Geiste entwickeln

Diese Entwickelung zu fördern, und die ihr entgegenstehenden

Hindernisse hinwegzuräumen, lösenden und Bemühn.

aber sie auch vor der Gefahr eines auf­

glaubenslosen Geistes zu bewahren: das war sein treues

Habe die Kirche nur sich selbst erst wieder gefunden, und sich

in Christo verfasst: dann wolle er gern sein Bischofsamt aus den Hän­ den geben. — Alles engherzige und ausschließliche Wesen aber war ihm zuwider, weil er darin etwas Unevangelisches sah, was die Kirche von ihrem wahren Ziele entferne; und sowenig er irgend einer Ueberzeugung zu nahe trat: so erkannte er es doch als eine heilige Pflicht, das segens­ reiche von Friedrich Wilhelm III. gestiftete Werk der Vereinigung der protestantischen Kirchen, die ja auf demselben Grunde des Glaubens ruhen, nicht zerstören zu lassen. lichen Haupte,

und

Daß wir Alle Eins' sein in dem einigen gött­

keine Menschensatzung

uns

trenne:

das

erschien

auch ihm als die herrlichste Aussicht, die uns in Christo geöffnet ist. — So übernahm er

eS auch gern, der Beschützer der Gustav-Adolf-Stif-

445 tung zu sein,

und

er hat es nicht daran

fehlen lassen, zum Baue

evangelischer Kirchen seine milde Hand aufzuthun, und alle Stiftungen christlicher Liebe zu unterstützen.

Die Stiftung des evangelischen BiS-

thums in Jerusalem ist vorzugsweise durch ihn vollbracht, und er hat es auch nicht verschmäht, den katholischen Glaubensgenoffen freigebig wohl­ zuthun.

Möge ihm nur der Dank dafür nicht entgehn!

Aber oft hat er für fein redlichstes Streben und Wirken, und für seine aufopfernde Hingebung den gebührenden Dank nicht geerntet und in mehr als einer Beziehung schmerzliche Erfahrungen machen müssen. Er hat auch geduldet und gelitten, sich vielfach verkannt zu sehn, — und der größte Schmerz war es ihm, am eignen Volke traurige Verirrungen zu erleben.

Ist es doch, als hätte er in einer Vorahnung bei der Hul­

digung in Berlin es gesprochen: „die Wege der Könige sind thränenreich und thränenwerth, wenn Herz und Geist ihrer Völker ihnen nicht hülfreich zur Hand gehn."

Ja, gewiß.

tiefen Kummer über ihn gebracht.

Jenes unvergeffne Jahr hat einen Und doch ist er fest geblieben in der.

Liebe; und in ihr, in der Kraft, die ihm die Liebe und das Bewusstsein der Gerechtigkeit gab, das Bewusstsein, daß auch hier ein höherer Schutz ihm zur Seite stehe, hat er gesiegt, und siegend auch sich selbst überwunden. Ein großes Leid aber war ihm für die letzten Jahre noch aufbehal­ ten, ein Leid, das uns Alle mit tiefem Schmerze erfüllt hat.

Denn wer

hätte es nicht beklagen sollen, den geliebten König von der Gewalt einer unheilvollen Krankheit also ergriffen zu sehn, daß sein Leben nicht bloß körperlich, sondern auch geistig gebrochen, und ihm die Kraft des Wir­ kens versagt war.

Ein schweres Verhängniß; — aber die Wege Gottes

sind nicht die unsrigen, und wir durchdringen sie nicht; — doch endlich füh­ ren sie alle zum Heil.

Und mit welcher Ergebung trug der Seligvollendete

auch dieses Leid; und der Aufblickzu seinem Heiland hat ihm hindurchgehol­ fen.

Wie sollten wir aber nicht auch die Liebe segnen, mit welcher seine

hohe Gemahlin ihm unermüdet und aufopfernd beigestanden, und nicht von ihm gewichen ist? Hat diese Liebe doch auch den leidenden König innig erquickt! Möge Gott diese Liebe ihr danken! Wir wollen ihn aber auch bitten, daß er die trauernde verwittwete Königin in ihrem tiefen Schmerz aufrichten wolle mit seinem Trost, mit dem Trost seiner Gnade, mit dem Troste des ewigen Lebens! Haben wir nun ein Bild zu zeichnen gesucht:

wie der vollendete

König ein Bekenner Jesu Christi durch Gottes Gnade gewesen sei,

446 so hätten wir noch davon zu sprechen: wie nun auch Christus nach seiner Zusage ihn bekennen werde vor seinem himmlischen Va­ ter.

Ja, m. Gel., wir haben die Zuversicht.

Wol kann es in gewisiem

Sinne nur ein Gegenstand unsers Glaubens sein, der aber nicht zwei­ felt.

Insofern aber dieses Bekennen von Seilen Christi, auch wieder

mit dem Leben des Heimgegangnen zusammenhängt und aus demselben hervorwächst: so kann auch darüber wol ein helleres Licht uns aufgehn. Sowie das Leben Jesu Christi zu einer Macht der Weltgeschichte ge­ worden ist: so dürfen wir das genannte Bekennen auch damit, daß Fried­ rich Wilhelm nach seinem Hingange doch in der Geschichte fortlebt — die ja nicht bloß eine Menschengeschichte, sondern eine Geschichte Gottes ist — wol in Beziehung setzen.

Der Nachruhm also, das geschichtliche

Gedächtniß unsers verklärten Königs gehört mit hierher.

Wie es schon

im A. T. heißt: daß der Name der Gerechten nimmer vergessen werde, sondern ewiglich bleibe: so soll und wird auch der Name Friedrich Wilhelms IV. unvergessen sein und auch fortleuchten in der Zukunft.

Ist Christus aber der Herr der Zukunft, und hat Friedrich Wil­

helm auch für die Zukunft gelebt, für die Zukunft des GotteSreichs: so weist uns auch dieß darauf hin, daß Christus ihn vor seinem himmlischen Vater bekennen werde.

Es ist aber auch nicht bloß der Name, nicht

bloß die geschichtliche Erinnerung, die hier in Betrachtung kommt.

Se­

lig sind die Todten — so spricht im Buche der Offenbarung eine Stimme vom Himmel her, — selig sind die Todten, die in dem Herrn sterben von nun an.

Ja der Geist spricht, daß sie ru­

hen von ihrer Arbeit, und ihre Werke folgen ihnen nach. Wir heben hier das letzte Wort zuerst heraus, daß Denen, die in dem Herrn sterben, und die da gearbeitet haben für ihn, auch ihre Werke nachfolgen. Das Sterben unsers Königs war nun worein Sterben im Herrn, und ebenso war seine Arbeit nach dem Verlangen seines Herzens auch ihm geweiht.

Eine solche Arbeit aber geht nicht zu Grunde; und was

er gethan und vollbracht: das wirkt fort in alle Zukunft, und bringt eine Frucht, die da bleibt.

Dieses Nachfolgen der Werke aber, dieses

Fortwirken geschieht auch wieder nur durch Christum und durch die Macht seines Geistes, weil es Werke sind, die ihr Maß haben an Jesu Christo und die vor ihm, des Menschen Sohne bestehn.

Wer aber mit

seinen Werken vor ihm besteht: den wird er auch bekennen vor seinem himmlischen Vater. Die Todten aber, die in dem Herrn sterben, und selig sind

447 — spricht die himmlische Stimme — ruhen auch von ihrer Ar­ beit.

DaS ist die selige Ruhe in Gott,

— eine selige und ewige Ruhe,

die Ruhe in seinem Frieden,

aber doch keine todte, sondern eine

himmlisch-lebendige, eine Ruhe, die wir nicht weiter beschreiben können. Denn obwol unsre innerste Sehnsucht

ihr angehört: so vermöchte doch

nur Der sie zu schildern, der in sie eingegangen ist.

Friedrich Wilhelm

ruht in der Friedenskirche, und wer möchte nicht darin ein Bild der himmlischen Ruhe sehn, zu welcher er aus der Unruhe dieser Welt nun gekommen ist.

Das ist aber auch nur die Ruhe, die Jesus selbst Denen

verheißt, welche sanftmüthig und von Herzen demüthig sind; und so liegt auch darin ein Zeichen, daß Christus den Vollendeten, den er zu sich rief, auch vor seinem himmlischen Vater bekennen werde. Und

so wird uns auch hier am Schluffe unsrer Betrachtung ein

hoher und heiliger Trost zu Theil, der Trost des Lebens, welches den Tod überwunden hat, der Trost der Hoffnung, die nimmer zu Schanden wird.

Aber auch schon für die Gegenwart ist ein Stern der Hoffnung

uns aufgegangen in dem Bruder und Nachfolger des Verklärten, in unsrem Könige Wilhelm. . Hat er sich doch schon als Regent des Landes be­ währt, und kennen wir die Grundsätze, wonach er auch ferner zu regie­ ren verheißen hat.

Der

Geist der Hohenzollern ist auch der seinige.

Sowie er nur das Heil seines Volks und Landes im Auge hat: so ge­ höre auch ihm unsre Liebe und Treue an!

Wolle Gott ihn leiten nach

seinem Rath und ihn erleuchten mit seinem Geist.

Er umgebe ihn mit

seinem heiligen Schutze, und segne ihn und seine hohe Gemahlin, die Kö­ nigin mit der edelsten Lebensfreude bis in die späteste Zeit. — Und wenn Gott einst den Stab auch aus seinen Händen, und die Krone von seinem Haupte nimmt:

so schmücke er auch ihn mit einer himmlischen Krone,

mit der Krone der Gerechtigkeit. Gott aber, dem ewigen Könige, dem Herrn aller Herren, dem allein Weisen sei Ehre und Preis in Ewigkeit! Amen.

XLIV.

Gc-lichMißprcdigt am BOOinfjrigcn Jubelfeste der Augsbiiigischen Konfession, gehalten den 25. Juni 1830 über Matthäus 10, 18—20.

Preis Dir, o Vater im Himmel, ja ewiger Preis und Dank, der Du uns so hoch begnadiget und gesegnet hast, dieses herrliche und hei­ lige Fest, das Fest des herrlichsten und glänzendsten Zeugnisses für die durch Deinen Sohn verkündigte Wahrheit und für das Recht und die Freiheit der von ihm gegründeten Kirche feiern zu können. Ja, eine heilige Freude, ein himmlischer Jubel durchdringt unsre innerste Seele im Gedanken an Deine und Deines Sohnes Verherrlichung, die sich in dem gefeierten Bekenntnisse der Welt dargethan. Laß diese Verherr­ lichung uns nur tief und lebendig erkennen und erfülle uns mit Deinem Geist, um zur heutigen Jubelfeier geschickt zu sein. Darum, heiliger Gott, heilige uns durch und durch, Herz, Mund und Ohren, auf daß wir mit Freuden Dir dienen. — Jauchzet dem Herrn, alle Lande, ver­ kündiget seine Ehre unter dem Himmel! Gelobet sei Gott, der allein Wunder thut, gelobet sei sein herrlicher Name jetzt und in Ewigkeit! Amen. Das ist ein Tag, den der Herr gemacht hat. Der Herr hat Großes an uns gethan, deß sind wir fröhlich. Ja wer,

449 m. And., noch ein lebendiges Glied der evangelischen Kirche ist, wer das Bewusstsein der in ihr ruhenden hohen Güter und Segnungen noch in sich trägt, und wer je des Heils inne geworden ist, was sie schafft, wer es weiß, daß er, was er wahrhaft lebt, nur in und aus dieser Kirche lebt: wie sollte der nicht von Herzen einstimmen in solchen Jubelruf; wie sollte der nicht aufs Freudigste in seiner Seele bewegt und ergriffen sein an dem Jubelfeste des Glaubensbekenntnisses, das heute vor 300 Jahren auf dem Reichstag zu Augsburg von den evangelischen Fürsten und Ständen dem deutschen Kaiser 'öffentlich und feierlich über­ geben ward, und das nächst der h. Schrift die Grundlage unsrer evan­ gelischen Kirche geworden und auch jetzt noch als solche zu achten und als ein theures Kleinod der Glaubenskraft unsrer Väter zu ehren ist. Ohne dieses Bekenntniß möchte es schwerlich zu einer rechtlichen Geltung und Anerkennung unsrer Kirche gekommen sein, und sie hat sich nur un­ ter dem Schirm und Schutz, den ihr daffelbe gewährt, entwickelt und fortgebildet. Wir können dieses Fest im eigenthümlichen Sinne das Pfingst­ fest, d. h. das Stiftungsfest der evangelischen Kirche nennen.

Denn

sowie das Christenthum überhaupt, obwol die Geburt Jesu die erste und nothwendig vorausgehende Bedingung desselben war, ohne das Zeugniß des Geistes, welches die Apostel zuerst am Pfingstfest gegeben, ohne die sie hier ergreifende göttliche Macht, sich doch nicht zu einem festen und lebendigen Bestehen erhoben, sich nicht zu einer wirklichen Kirche gestal­ tet hätte: so würde auch die reinere evangelische Kirche, die wir im Ge­ gensatz einer entstellten und verunstalteten, die sich als die allein wahre behaupten wollte, mit diesem Namen bezeichnen müssen, und deren erstes Entstehen allerdings schon in die vorangegangnen Jahre zurückreicht und zunächst in dem entscheidenden Angriff, den Luther durch seine Sätze auf die unchristliche päpstliche Macht gewagt, zu suchen ist, weshalb auch dws der bestimmende Punkt für das Reformationsfest geworden, das wir schon vor dreizehn Jahren mit freudiger Begeisterung feierten, es würde, sage ich, auch unsre evangelische Kirche ohne das zu Augsburg überreichte und geltend gewordne Glaubensbekenntniß, und

ohne die bedeutenden

Wirkungen, die von ihm ausgegangen, nicht zur Dauer und zur festen sichern Gestaltung gekommen sein.

Und so ist es wahrlich ein Großes,

was wir diesem Bekenntniß verdanken und gewiß nicht minder eines Ju­ belfestes werth. Und dieses Fest und die Feier deffelben muß uns um so bedeutungsSchirmer, Festpredigten.

29

450 voller und theurer sein, wenn

wir es auch

jetzt noch. so oft an einer

wahren und dankbaren Schätzung der evangelischen Kirche, an der Ein­ sicht in ihre Hoheit und. Herrlichkeit gebrechen sehn, wenn uns nicht selten eine kalte Gleichgültigkeit gegen dieselbe begegnet und also auch ihr Leben zu einem matten und schwachen wird, so daß man fürchten möchte, verlieren, was uns die Väter

zu

durch schwere Kämpfe errungen haben.

Ein solches Fest aber mit den großen und herrlichen Erinnerungen, die mit ihm verbunden sind, ist doch vor Allem geeignet, den evangelischen Sinn von Neuem zu beleben und

zu

erhöhn und die schlummernden

Geister, wenn sie nicht schon erstorben sind, wiederum zu erwecken und zu erwärmen.

Wenn uns das hehre Bild der Entstehungsgeschichte unsrer

Kirche vor Augen tritt, wenn wir die Großthaten unsrer Väter sehn, die uns das Recht und die Freiheit des evangelischen Glaubens heldenmüthig errungen haben: wie sollten wir durch diesen Anblick nicht mäch­ tig ergriffen und für den Glauben unsrer Kirche, der das neue herrliche Leben hervorrief, begeistert sein? — Ja die Zeit der christlichen Krrcheuverbesserung ist die merkwürdigste

und bedeutungsvollste,

die eS seit

Christi Geburt nur gegeben hat; sie ist die Schöpferin einer neuen Welt und eines neuen Lebens geworden, und die Welt hat mit ihr eine höhere Stufe in ihrer christlichen und göttlichen Bildung betreten. Ziele des Gottesreichs näher gerückt. mächtige That der Regierung Gottes.

Sie ist dem

Die Kirchenverbefferung ist eine Und so muß uns wol jeder Punkt

ihrer Geschichte von besondrer Wichtigkeit sein.

Wir dürfen keinen der­

selben übersetzn, und nur in ihrer Verbindung haben die einzelnen Be­ gebenheiten die große und unvergängliche Wirkung hervorgebracht.



Wir sind nun schon mehre kirchliche Jubelfeste zu feiern gewürdigt wor­ den, und fast jedes Jahr hat uns eine denkwürdige Erinnerung aus der Geschichte der Kirchenverbefferung vorgeführt.

Doch

das gegenwärtige

Jubelfest, waS gewiffermaßen die Reihe schließt, steht den andern an Ho­ heit des Ursprungs, sowie überhaupt an Wichtigkeit und Bedeutung- und auch in Rücksicht seiner Folgen nicht nach, sondern prägt den frühern im gewiffen Sinne erst das Siegel auf. Die gegenwärtige Zeit muß uns aber auch dieses Jubelfest um so theurer machen, und wir

sehen dasselbe dadurch verherrlicht, daß eine

Spaltung, die nicht bloß der äußern, sondern auch der innern und geilügen Macht unsrer Kirche Eintrag gethan, und die leider bis auf die letzten Zeiten fortgewährt hat, ich meine die Trennung zwischen Luthe­ ranern und Reformirten, nun größtentheilS aufgehoben ist, und wo

451 sie nicht schon vollendet worden, gewiß auch durch den Einfluß dieses Jubelfestes zur Durchführung kommen wird.

Lasten wir es aber auch

nicht unbeachtet, wie es auch noch jetzt an Angriffen und Befeindungen, unsrer Kirche nicht 'fehlt, wie man sie noch jetzt von Seiten der Gegner verläumdet und schmäht, wie man ihr Abbruch zu thun und ihre Rechte zu schmälern und zu kränken bemüht ist, wie der Geist der päpstlichen Herrschaft noch immer derselbe unchristliche

und verfolgungssüchtige ist,

als er von jeher gewesen, und es also noch immer einer kräftigen Schutz­ wehr bedarf, um nicht von Neuem in das knechtische Joch gefangen zu werden: so

wird uns auch dadurch das Jubelfest unsers evangelischen

Glaubensbekenntniffes um so ernster und ergreifender sein, und wir wer­ den uns mächtig gedrungen fühlen, um so fester zu halten an dem Be­ kenntniß, dem das heutige herrliche Jubelfest gilt. Niemand der Jetztlebenden wird.

gefeiert

hat

Es ist ein Fest, das

und auch nicht wieder feiern

Bevor das Fest wiederkehrt, sind wir längst zu unsern Vätern

schon eingegangen. — Laß, o Vater im Himmel, diese herrliche Feier für uns Alle gesegnet sein!

Darum flehen wir im Gebete des Herrn:

Vater Unser —. Aus dem höhern Orts uns zur Auswahl überlassnen Texten, heben wir einen besonders herrlichen und bedeutungsvollen Ausspruch Jesu her­ aus und legen ihn zum Grunde unsrer Festbetrachtung.

Wir lesen ihn

im Evangelium des Matthäus 10, 18—20, und eine christliche Gemeinde vernehme ihn andachtsvoll.

Er lautet also:

„Und man wird euch vor Fürsten und Könige führen um meinetwillen, zum Zeugniß über sie und über die Heiden. Wenn sie euch nun überantworten werden, so sorget nicht, wie oder waS ihr reden sollt; denn es soll euch zu der Stunde gegeben werden, was ihr re­ den sollt. Denn ihr seid es nicht, die da reden, son­ dern eures Vaters Geist ist es, der durch euch redet." Ja er war es, der durch unsre Väter geredet hat.

Gib, o Gott,

daß wir diesen Geist, der durch fle gesprochen, erkennen, daß er auch rede durch uns, und daß die Welt von ihm erfüllt und geheiliget sei. Dazu hilf uns durch Deinen Sohn Jesum Christum!

Der

vorgelesene Ausspruch Jesu ist aus

seine Jünger entnommen,

einer Rede desielben an

als er sie zunächst aussendete, die Nähe des

Himmelreichs oder das Evangelium zu verkündigen, und ihnen besondre Anweisungen und Belehrungen gibt, wie sie sich dabei zu verhalten hät29 *

452 ten.

Zugleich deutet er aber schon auf die Gefahren und Verfolgungen

und auf die Gewaltthätigkeiten hin, die ihnen begegnen werden.

Doch,

hat er dabei wol nicht bloß die nächste, sondern auch die spätere und künftige Zeit im Auge, wo sie nach seinem Scheiden von der Erde fort­ wirken und predigen sollten in seinem Namen.

Und allerdings hat sich

auch für sie, was Jesus hier vorhersagt, erfüllt unv sie haben nicht bloß durch erduldete Plagen und Martern, sondern zum Theil auch wol selbst durch den Tod Zeugniß für Christum gegeben.

Bedeutungsvoll ist aber

auch besonders der Rath, wenn man sie vor Fürsten und Königen zur Verantwortung zöge, nicht Sorge zu tragen, wie und was sie reden sollten,

oder im Voraus ängstlich darauf zu sinnen; denn wenn sie

nur von lebendiger Liebe zu seiner Sache als der Sache Gottes durch­ drungen wären und ihr sich geweiht: so würde es ihnen dann auch an dem Wort nicht gebrechen, was-sie reden sollten.

Denn ihr seid es

nicht, sagt er, die da reden, ihr sprecht nicht aus und für euch, nicht aus eurem persönlichen Erkennen und Wissen, oder für Zwecke, die nur zurückkehren auf euch selbst, sondern da es hier nur die Wahrheit und das Recht Gottes gilt, und ihr für dieses nur wirkt: so ist es auch eures Vaters Geist, der durch euch redet, und was ihr dann sprechen werdet, sprecht ihr aus diesem in euch lebendig gewordnen Geiste. — Wie nahe uud wie natürlich bietet sich uns hier nun aber die An­ wendung dieses Ausspruchs Jesu auf den Gegenstand des heutigen hoch­ herrlichen Jubelfestes dar.

Ja auch die äußerlichen Verhältnisse tragen

eine solche Aehnlichkeit an sich, als hätte Christus zugleich das Bild des Reichstags zu Augsburg vor Augen gehabt.

Das gefeierte Glaubens­

bekenntniß ward abgelegt vor Kaisern und Königen, es war ein Bekennt­ niß für Christum und zum Zeugniß für ihn, ein Zeugniß, wodurch den in die Finsterniß des Papstthums versunkenen Völkern ein göttliches Licht aufgehen und sie erleuchten sollte.

Auch vertheidigte man dieses

Bekenntniß und das göttliche Recht desselben nicht mit menschlicher Weis­ heit, sondern nur gestützt auf das Gotteswort und vertrauend auf die Kraft seines Geistes sprach und kämpfte man für die Wahrheit, die nur in Jesu erschienen war.

Der Text gibt es uns nun auch unmittelbar

an die Hand, und es bleibt uns selbst keine andre Wahl für unsre heu­ tige Festbetrachtung als:

Das Augsburgische Glaubensbekenntniß darzustellen: als ein herrliches vor Königen und Fürsten für Christum abgelegtes Zeugniß.

453 Wir gedenken dies klar zu machen 1) aus dem Abriß der Ge­ schichte, und 2) ans dem Inhalt und Geist dieses Glaubensbekennt­ nisses, und wollen dann 3) noch mit Beziehung auf die herrlichen Fol­ gen und Wirkungen, die aus diesem Bekenntniß erwachsen sind, es bemerklich machen: wie wir dasselbe nun auch als etn Zeugniß für Christum.zu ehren haben, damit die gegenwärtige Feier selbst die Feier eines neuen evangelischen Lebens werde.

1. Daß es uns klar und lebendig werde, wie das Augsburgische Glaubensbekenntniß in der That ein für Christum abgelegtes herrliches Zeugniß sei, müssen wir nothwendig zunächst einen Blick auf die gesch ichtlich cn Verhältnisse thun, unter welchen es zur Ab­ legung dieses Glaubensbekenntnisses kam.

Denn das darin für Christum

ruhende Zeugniß steht doch im engsten Zusammenhange mit dem ganzen Gange, den die Geschichte der sich bildenden evangelischen Kirche ge­ nommen hat, und das reingeschichtliche Bild jener Zeit und die Einsicht in

die sie bewegenden geistigen Elemente zeigt uns dieses Zeugniß noch

im helleren Lichte. Die erste Anregung zu der Verbesserung der durch Unwissenheit und Aberglauben und besonders durch die Herrschsucht der Päpste, die selbst über Gewissen und Geister gebieten und alle christliche Freiheit vernich­ ten wollten, so entstellten christlichen Kirche ging, wie wir wissen, von dem Anschlag der 95 Sätze aus, die Luther zunächst wider den schreien­ den Mißbrauch des Ablasses und überhaupt wider das Reich des Anti­ christs richtete.

Aber das verhärtete Rom wollte nichts von einer Ab­

stellung der groben Mißbräuche wissen, und foverte in seinem Hochmuth nur Luthers unbedingte Unterwerfung und den Widerruf seiner Lehren. Aber das duldete nicht der in ihm wirkende Gottesgeist, sondern sein christlicher Glaubensmuth entflammte nur um so höher.

Er ward von

dem Papste in den Bann gethan, aber er verbrannte öffentlich diesen Bannbrief mit den Worten: Weil du den Heiligen des Herrn be­ trübet hast: so betrübe und verzehre dich das ewige Feuer. Man rief ihn (1521) als einen angeklagten Empörer zur Verantwortung auf den Reichstag nach Worms, und keine drohende Gefahr hielt ihn ab.

Und wenn sie, sprach er, ein Feuer machten, das zwischen

Wittenberg und Worms bis an den Himmel reichte: so wollte ich doch im Namen des Herrn erscheinen, Christum bekennen

454 und ihn walten lassen. Und furchtlos erschien er, ließ sich in feinen Widerruf ein, und gab zuletzt die entschiedene Erklärung: Es sei denn, daß ich mit Beweisen aus der h. Schrift, oder mit öffent­ lich en, hellen, klaren Gründen überwunden und überwiesen werde, so kann und werde ich nicht widerrufen, weil es we­ der sicher noch gerathen ist, etwas wider das Gewissen zu thun. Hier stehe ich, ich kann nicht anders, Gott helfe mir! Amen. — Hierauf hielten ihn seine Freunde, um sein Leben zu schützen, einige Zeit auf der Wartburg verborgen, er begann hier die Neb ersetzung der h. Schrift, daß Jeder in deutscher Zunge sie lese; und als er nach zehn Monaten nach Wittenberg zurückgekehrt war, setzte er das Reformationswerk mit aller Kraft und mit allem Nachdrucke fort, und verbreitete sie besonders auch durch seine Katechismen unter dem ganzen Volk. Um womöglich diesem siegreichen Fortgang des Evan­ geliums Einhalt zu thun und das ganze neue Leben zu unterdrücken, berief der Kaiser im Jahre 1529 einen Reichstag nach Spei er, deffen Endbeschluß dahin ging: daß jede weitere Verbreitung des evangelischen Glaubens verboten sein, und außer dem Gebiet, wo man ihn bereits angenommen, sich Niemand weiter zu demselben bekennen sollte. Aber dagegen traten die evangelischen Fürsten und Stände feierlich auf und reichten eine Protestation ein, des Inhalts, daß sie durchaus keiner Beschränkung ihrer Glaubens- und Gewissensfreiheit, die im göttlichen und menschlichen Rechte gegründet sei, sich un­ terwerfen würden. Dieser Protestation verdanken wir unsern herrlichen Namen: Protestanten. Da schrieb auf Andringen des Papstes, der die Evangelischen mit Gewalt vernichtet wissen wollte, der Kaiser Karl im Anfang des Jahres 1530, wo er selbst mehre Monate mit dem Papste beisammen gewesen war, einen andern Reichstag nach Augsburg aus, und befahl zugleich den Evangelischen, ihr Glaubensbekenntniß schriftlich aufzusetzen und ihm zu Augsburg zu übergeben. Da bereitete sich auch alsbald der Kur­ fürst Johann von Sachsen mit seinen Gottesgelehrten vor, dem Befehle des Kaisers Genüge zu leisten, und Luther verfertigte zunächst einen Auf­ satz, der aber nachher von Melanchthon, dem unzertrennlichen und weisen Gehülfen Luthers, zu Augsburg selbst noch überarbeitet und wei­ ter ausgeführt ward; und diese Bearbeitung, wobei er aber alle Gottes­ gelehrten hinzuzog, ist eben das Bekenntniß, welches wir das Augs­ burgische nennen, und was der Gegenstand unsrer Jubelfeier ist. Der

455 Reichstag alsbald

sollte den 8. April beginnen, und Sachsens Kurfürst schickte

zur Reise sich an.

Man wollte ihn wol abmahnen,

auf dem

Reichstage zu erscheinen, und die Gottesgelehrten baten ihn nur um die Erlaubniß, selbst hingehn und von ihrem Glauben Rechenschaft geben zu dürfen.

Aber der glaubenstreue Kurfürst rief:

Da sei der liebe

Gott für, daß ich aus eurer Mitte ausgeschlossen sein sollte. Ich will mit euch meinen Herrn Christum bekennen. — Luther, als ein Gebannter, durfte nicht mit nach Augsburg genommen werden, sondern blieb in Koburg zurück, um feine treuen Freunde von hier aus mit seinem Rath und mit seiner Belehrung zu unterstützen.

Der Kur­

fürst von Sachsen kam unter allen Fürsten am ersten in Augsburg an. Die Evangelischen predigten viel.

Doch bei der Ankunft des Kaisers,

die sich bis zum 15. Zum verspätet hatte, wurde es ihnen verboten. Kaiser ward feierlich eingeholt.

Der

Schon am folgenden Tage muthete er aber

den Evangelischen zu, am Frohnleichnamsfeste dem katholischen Umgänge beizuwohnen.

Doch schon hier bewährten die Evangelischen ihren festen

und standhaften Sinn und lehnten die Theilnahme ab, als unverträglich mit ihrem Gewissen.

Als dann gleich bei der ersten Versammlung die

feindliche Gesinnung des Kaisers gegen die Evangelischen ersichtlich war: da ermahnte

der genannte Kurfürst seine Glaubensgenossen,

als er sie

nachher bei sich versammelt hatte, in dem Bekenntniß der Sache Gottes getrost und standhaft zu sein,

und sich durch keine

Drohungen zur Verläugnung ihrer Religion bewegen zu las­ sen; denn die gute Sache müsse doch endlich das Feld behal­ ten.

Am 23. Juni

hatten die evangelischen Fürsten und Städte die

ihnen vorgelegte Konfession bereits in allen Stücken gebilligt und unter­ schrieben, von dem unerschütterlichen Grunde ihres Glaubens fest über­ zeugt.

Auch Luther, dem sie mitgetheilt worden,

friedenheit ausgesprochen und

er schreibt auch

hatte seine volle Zu­

unter Anderm um diese

Zeit an Melanchthon: „Ich gehe Tag und Nacht mit der Sache um, ich denke, betrachte,

visputire und durchsehe die ganze

Schrift: so wächst mir auch je mehr und mehr der gewisse Grund unsrer Lehre.

Dazu werde ich von Tag zu Tag be­

herzter, daß ich mir, so Gott will-, nichts werde nehmen las­ sen,

es gehe drüber,

wie es wolle." — Schon am 24. Juni

baten die Evangelischen um die Verwllligung, ihr Bekenntniß in der Reichs­ versammlung vorlesen zu dürfen. Der Kaiser aber wollte es nur schrift­ lich übergeben haben, und war, da der Kurfürst von seiner Bitte nicht

456 abließ, nur mit Mühe dahin zu bringen, die Vorlesung für den folgen­ den Tag zu gestatten. Da geschah sie nun aber auch wirklich am 25. Juni, und daS Bekenntniß wurde des Nachmittags von 3—5 Uhr in der Ka­ pellstube deS Kaisers von dem sächsischen Kanzler Baier mit lauter und vernehmlicher Stimme und zwar in deutscher Sprache verlesen. Schon der Eindruck, den dieses Vorlesen nicht bloß auf die evan­ gelischen, sondern auch auf die katholischen Zuhörer machte, war ein bedeutender. Auch die letzteren gewannen zum Theil eine andre und beffere Ansicht von der evangelischen Lehre, und man gestand es sich ein, daß das Bekenntniß pure lautere und unläugbare Wahrheit enthalte. Und bei der Menge der versammelten Fürsten verbreitete sich nun auch das Bekenntniß bald überall hin, und mit ihm die Kunde der evangelischen Lehre. Luther schreibt mit freudiger Begeisterung: „Mich freuet, zu einer solchen Zeit zu leben, da Christus von so theuren Bekennern in einer so ansehnlichen Versammlung durch diese herrliche Konfession öffentlich ist verkündigt, und der Spruch ist erfüllt worden: Ich rede von deinen Zeug­ nissen vor Königen. Ja, es wird auch erfüllt werden, was darauf folgt: und ich werde nicht zu Schanden. Denn wer mich bekennet vor den Menschen, den werde ich auch beken­ nen vor meinem himmlischen Vater." Bei den weitern Verhand­ lungen zwischen den Evangelischen und Katholischen kam es nun zwar zu einer Vereinigung nicht, was auch, da man katholischerseits in der Hauptsache dock nichts nachgab, nicht möglich war. Die Katholischen ar­ beiteten selbst eine Widerlegung des evangelischen Bekenntnisses aus, die aber natürlich des innern und göttlichen Grundes ermangeln muffte und auf die Schrift nicht gebaut war. €>ie ward auch verlesen, aber hatte selbst den Beifall des Kaisers nicht. Dennoch sollte sie als eine nicht zu ver­ werfende gelten, und die von Melanchthon nachher verfaffte.Verthei­ digungsschrift der Konfession nahm der Kaiser nicht an, verwarf die evangelische Lehre als eine falsche, und der Beschluß des Reichs­ tages lautete dahin, daß alle Evangelische sich wiederum der katholischen Kirche unterwerfen sollten, oder der Kaiser werde zu gewaltsamen Mitteln schreiten. Nur bis zum Aprtl des nächsten Jahrs ward ihnen Bedenkzeit gegönnt. Da sahen sich die Evangelischen zu einem Bunde genöthigt, den sie zu Schmalkalden schloffen, um einem Angriffe mit vereinten Kräften zu widerstehn. Da ließ sich dann der Kaiser, da er zumal von den Türken heftig bedroht

457 war, auch williger finden, und im Jahr 1532 ward der sogenannte erste Religionsfriede zu Nürnberg geschloffen, worin festgesetzt ward, daß Kei­ ner den Andern in Religionssachen beunruhigen und angreifen, und bis zu

einer künftigen

allgemeinen Kirchenversammlung Alles in dem

gegenwärtigen Verhältniß verbleiben solle.

So wurde schon durch diesen

Frieden dieAugsburgischeKonfession die Grundlage und der sichernde Boden für die evangelische Kirche.

Nachher, wurden zwar dennoch die

Evangelischen von dem Kaiser und seinen Verbündeten mit Krieg über­ zogen, aber durch die glückliche Wendung, die später dieser Krieg für die Evangelischen nahm, sah stch der Kaiser im Jahr 1555 zu dem Augs­ burgischen Religionsfrieden

genöthigt,

wodurch die

evangelische

Kirche ebenfalls auf dem Grunde der Augsburgischen Konfession das an­ erkannte Recht ihres Daseins, freie Ausübung ihrer Religion und ihres Gottesdienstes erhielt, mit der Zusicherung, daß kein Fürst oder Stand des Reichs sie in diesem Recht kränken solle; — und auch in dem west­ fälischen Frieden,

der dem

schrecklichen dreißigjährigen Kriege

ein

Ende machte, ward doch der Augsburgische Religionsfriede wieder bestä­ tigt. — Das find nur die wichtigsten Züge der Geschichte des Bekennt­ nisses, das uns heute zu dieser Jubelfeier versammelt hat, und schon aus diesem gedrängten Bilde sehen wir wol, daß das Augsburgische Glaubensbekenntniß

in der That ein herrliches, vor Fürsten

abgelegtes Zeugniß für Christum sei.

2. Doch wir müssen noch einen Augenblick auch den Inhalt dieses herrlichen Bekenntnisses näher beschaun, um es auch aus ihm zu ersehn, daß es wahrhaft ein Zeugniß für Christum sei.

Nur die h. Schrift

wird als der einige Grund dieses Bekenntnisses, und Christus als

der einige Herr der Kirche anerkannt,

dies

besagt.

Abtheilungen.

Das Bekenntniß In der

selbst

besteht

wie schon die Vorrede

aus 28 Artikeln in zwei

ersten sind die Hauptpunkte der

evangelischen

Lehre im Gegensatz gegen die Irrthümer und Satzungen der katholischen Kirche zusammengefasst, in der zweiten aber die von den Evangelischen abgeschafften Mißbräuche

der

katholischen Kirche dargelegt.

Die Lehre

von Gott dem Dreieinigen ist dem ganzen Bekenntniß an die Spitze ge­ stellt.

Der Mensch, so wird ferner gelehrt, leidet an einem ursprüng­

lichen Hange zur Sünde, und kann sich aus seinem natürlichen Verderben nicht retten ohne die Wiedergeburt, die aber ohne Christum, den Erlöser

458 nicht möglich ist.

Und dieser Christus ist Gottes Sohn- und Gott ist

in ihm Mensch geworden, sowie er auch wahrer Mensch ist, gestorben als ein Opfer

für unsre Sünde und auferstanden und aufgehoben gen

Himmel zur Rechten Gottes.

Nur durch den lebendigen Glauben an

ihn, aber nicht durch unsre zeitlichen Werke können wir Vergebung der Sünde,

und Gerechtigkeit und Gnade

Glauben zu

bei Gott erlangen.

Zu diesem

kommen, hat Gott das Amt der Verkündigung des

Evangeliums eingesetzt und die Sakramente gegeben, um dadurch den h. Geist zu erlangen, welcher den Glauben schafft.

Nur auf dem

Grunde dieses Glaubens sollen gute Werke als seine Früchte erwach­ sen; doch nicht um auf sie unser Vertrauen zu setzen, sondern nur auf den Glauben an Christum. die Kirche, nicht.

Die Bereinigung solcher Gläubigen ist

und es bedarf dabei der Gleichheit der äußern Gebräuche

Die Wirksamkeit der Sakramente hängt auch nicht von der Fröm­

migkeit Derer ab, die sie reichen. — Die Taufe wird für nothwendig und auch die Kindertaufe als recht erkannt.

Im h. Abendmahl ist

der Leib und das Blut Jesu Christi unter der Gestalt des Brots und Weins gegenwärtig.

In der Beichte bedarf es einer Aufzählung aller

einzelnen Sünden nicht, doch soll man die Versicherung der Sünden­ vergebung nicht fallen lassen.

Doch ist

diese Vergebung auch wieder

nicht möglich ohne die Buße, die Reue und Schmerz ist über die Sünde, aber dennoch den Glauben der Vergebung durch Christum hat«

Die Sa­

kramente sind nicht bloß äußerliche Zeichen, sondern Zeugnisse des göttlichen Willens, unsern Glauben zu wecken und zu befestigen, wes­ halb auch der Glaube die Bedingung für ihre Feier ist« — In der Kirche lehren und die Sakramente verwalten darf Niemand ohne ordentlichen Berus.

Alle

durch welche

nur von Menschen

gemachte Satzungen und Gebräuche,

man Gott versöhnen und Vergebung der Sünde erlangen

will, streiten mit dem Evangelium und mit dem Glauben an Christum. Dem weltlichen Regimente gebührt Gehorsam in Allem, soweit es ohne Sünde geschehen mag.

Denn sonst muß man allerdings Gott mehr ge­

horchen, als den Menschen. — Christus kehrt einst wieder zur Aufer­ weckung und zum Gericht.

Die natürliche Freiheit des Willens erstreckt

sich bloß auf das äußerliche ehrbare Leben, aber die wahre Freiheit, um Gott gefällig zu werden, ist nicht möglich ohne den h. Geist. der verkehrte

und böse Wille aber ifV$, der die Sünde schafft.

Werke sollen

und müssen geschehn;

Nur Gute

aber ohne den wahren Glauben,

durch den der h. Geist erst verliehen wird, sind sie nichtig und leer und

459 kommen nicht über ein äußerliches und zeitliches Verhältniß hinaus. was nicht aus dem Glauben kommt, das ist Sünde. Glauben und außer Christo ist, gehört noch dem Bösen an. ben ist keine Liebe zu Gott,

Denn

Wer ohne

Ohne Glau­

und also auch kein Gefallen bei ihm. —

Der Heiligen sollen wir gedenken, um unsern Glauben durch ihr Bei­ spiel zu stärken;

aber sie anzurufen und um Hülfe zu bitten, lehrt

die Schrift nicht.

Wir haben nur einen Fürsprecher bei Gott,

der gerecht ist, Jesum Christum. In den Artikeln von den Mißbräuchen, wird zunächst die Ver­ stümmelung des h. Abendmahls, wonach man den Kommunikanten den Kelch entzog, als gegen Christi Gebot, verworfen.

Das den Geist­

lichen gewaltsam entzogne Recht der Ehe wird, als gegen Gottes Ord­ nung, zurückgefodert, und auch der schnöde Handel mit Messen verdammt, sowie überhaupt die Lehre, als wäre das h. Abendmahl ein Opfer für Lebendige und für Todte, in ihrem Ungrunde dargestellt wird, Christus das alleinige Opfer für unsreSünde sei. für bestimmte Zeiten, daß Unterscheiden der Speisen, eine der andern nickt gleich, und als sei dies Alles

indem

DasFasten als sei die

ein Gottesdienst,

wodurch man Gnade und Vergebung erlange, hat keinen Grund und ist daher zu verweisen; und ebenso werden auch die Klostergelübde für geltungslos und nichtig erklärt.

Zuletzt wird die allerdings nothwendige

Sonderung der geistlichen und der weltlichen Macht dargelegt, weil aus einer Vermischung von beiden nur Verwirrung und Unheil ent­ springt.

3. Dies ist, m. Gel., ein kurzer Abriß von dem alten und ehrwür­ digen Bekenntnisse unsrer Kirche, von welchem schon der Kurfürst Jo­ hann der Beständige vor dem Kaiser versicherte, daß es ein solches sei,

was mit Gottes Hülfe auch wider der Höllen Pforten

bestehen könne.

Und gewiß einem Jeden von uns, dem die h. Schrift

und die Lehre des Evangeliums nicht ein Fremdes ist, meine Uebereinstimmung

wird die allge­

mit dem göttlichen und ewigen in der Schrift

enthaltenen Grunde nicht verborgen geblieben sein.

Nur das göttliche

Wort ist den Bekennern Alles in Allem, und überall spricht sich dre feste und lebendige Ueberzeugung aus, daß einen andern Grund Niemand legen könne, Christus.

außer dem,

der gelegt ist,

welcher ist Jesus

Einen andern Herrn als Christum, der doch nur geistig

460 regiert, erkennt die Konfession nicht, und spricht damit die Freiheit von allem menschlichen Ansehen aus.

So lange die evangelische Kirche nur

feststeht auf diesem Grunde, und nicht von ihm weicht: so wird sie nicht untergehn, und mit vollem Rechte können wir

die Verheißung Christi

uns aneignen: daß die Pforten der Hölle sie nicht überwäl­ tigen werden. Schauen wir nun aber auf die herrlichen und ewigen Güter hin, die den lebendigen Bekennern und Gliedern dieser Kirche, die keine andre, als die wahre und reine Kirche Christi zu sein und zu werden begehrt, — bereitet sind, die aber vorher den Christen gleichsam geraubt und entrissen waren, indem man sie 'das Licht und Leben in Christo nicht schauen, und sie statt aus dem Evangelium, nur aus den trübsten und unreinsten Quellen menschlicher Satzungen schöpfen ließ, indem man, statt sie zur christlichen Freiheit, zur Freiheit der Kinder Gottes emporzuheben, sie in geistige Fesseln und Bande schlug, um über die Gewissen zu herrschen, und für unheilige und irdische Zwecke die Menschen sich dienst­ bar zu machen; — sehen und erkennen wir, wie jene Güter, ohne welche das Leben ein freudenloses und erstorbnes ist, erst durch die Kirchen­ verbesserung uns wieder zurückgebracht, und eben durch das Augsbur­ gische Glaubensbekenntniß bewahrt und gesichert worden, wie durch sie, durch die Wirkungen, die von ihr ausgegangen, und durch die recht­ liche Geltung, die sie für die Folge gewonnen hat, uns die Befreiung von dem päpstlichen Joche errungen ist: wie sollten wir nicht von dem höchsten und lebendigsten Danke durchdrungen sein gegen Gott, der durch unsre Väter, und durch seinen in ihnen wirkenden Geist so Großes an uns gethan! Wie sollten wir nicht dieses herrliche für Christum abgelegte Bekenntniß nach Würden schätzen und ehren wollen, und uns auch heut, an dem Jubelfest seiner Uebergabe, in dem Entschlüsse vereinigen, an ihm und an den darin ausgesprochncn Grundsätzen festzuhalten, und nichts aufzunehmen, was seinem Geiste, und besonders auch den Be­ stimmungen

entgegen ist, wodurch sich die evangelische Kirche als eine

von der katholischen geschiedene und auch für immer zu scheidende dar­ stellt.

Lasst uns von Neuem

an dieses Glaubensbekenntniß uns

schließen als an den Einheitöpuukt, von dem wir uns nimmer ent­ fernen dürfen, zu bleiben.

um evangelische und protestantische Christen zu sein und

Ohne dies stehn wir nicht sicher, und wir müssten, zumal

bei so manchen besorglichen Erscheinungen unsrer Zeit, und bei den nicht undeutlichen Bestrebungen, die alte Herrschaft und Knechtschaft zurückzu-

461

fähren, mit Bangigkeit der Zukunft entgegensehu. Aber sind wir nur evangelische Christen, leuchtet uns das Licht des göttlichen Worts: so wird es uns auch an Freudigkeit und Zuversicht nicht gebrechen. Lasst uns fortschreiten auf der Bahn, die unsre Väter betreten haben, und fortsetzen, was sie so muthvoll begonnen. Denn sie selbst haben ihr Werk nicht schon als ein geschlossnes und vollendetes angesehn, son­ dern die Bahn nur gebrochen und den Weg bezeichnet, worauf wir fortschreiten sollen, um zu einer h'öhern Vollendung hinanzuklimmen. Sie haben uns nicht ein neues Joch auflegen, uns nicht an Worte und Buchstaben binden wollen, um nie darüber hinauszugehn. Unsre Väter erkannten es wol, daß der Buchstabe tobtet und der Geist nur lebendig macht. Darum dringen sie auch in ihrem Bekenntniß überall auf den Geist und auf die Wiedergeburt durch ihn. Nur das Wort Gottes wollten sie frei machen, und alle Hemmungen und Hindernisse hinwegräumen, die dem Streben nach dem Reiche Gottes entgegenstehn. Ueberhaupt meine man nicht, als könne sich der evangelische Glaube nur so forterben vom Vater zum Sohn und nur festgehalten werden in seiner äußern Gestalt. Wer ihn nicht in sich selber zum Leben ruft und durch Geist und That seines Lebens ihn inne hat: der besitzt ihn nicht. Wir sollen, wie unsre Väter, stets weiter forschen in dem Buche des Lebens, und es soll unser eifriges Streben sein, daß unsre Er­ kenntniß immer Heller und erleuchteter, das Evangelium in der Welt im­ mer blühender und kräftiger werde. Sowie unsre Väter aber durch ihr Glaubensbekenntniß und durch die Treue, mit welcher sie es bewahrt und geschützt, ein herrliches Zeugniß für Christum vor der Welt ab­ gelegt: so sollen auch wir gleich ihnen und nach ihrem Vorbilde Zeu­ gen für Christum sein und es darthun, daß Niemand als er unser Herr sei, und daß die Welt nichts mehr an uns habe, und lhre Gewalt auch von uns besiegt und gebrochen sei; daß wir für Christum zu strei­ ten und zu kämpfen wissen, wenn es sein Werk und die ewige Wahrheit gilt. Lasit uns festhalten an dieser Wahrheit, die durch ihn uns ver­ kündigt ist, daß kein Wind fremder Lehre uns je abwendig mache von unserm Glauben. Ohne einen wahrhaft evangelischen Sinn und Wan­ del können wir nicht Zeugen für Christum sein. Lasst den guten Kampf des Glaubens uns kämpfen, um das ewige Leben zu ergreifen, wozu auch Ihr berufen seid, wie Paulus sagt, und bekannt habt ein gut Bekenntniß vor vielen Zeugen. Wohl dann Allen, welche Glauben gehalten, daß ihnen die Krone der ewigen Gerechtigkeit bei-

462 gelegt werde. — Möchte doch auch diese Jubelfeier uns dem Ziel, wo diese Krone winkt, näher führen; möchten wir Alle zu lebendigen Gliedern der evangelischen Kirche verwandelt sein!

Du aber, o Vater

im Himmel, schirme und schütze Dein Reich; führe die Kirche Dei­ nes SohnS zu einem immer vollern und herrlichern Leben, und wache über Alle, die an ihr bauen, Fürsten und Könige, Prediger und Lehrer und alles Volk, und laß Deinen Geist auf ihnen ruhn!

Gib, daß bald

nur Ein Hirt und Eine Herde sei! Ja Herr, wir sinken betend nieder Für uns und die getrennten Brüder; Erhöre gnädig unser Flehn! Laß es Deinem Reich gelingen, Zu allen Völkern muß eS dringen, Sein helles Licht nie untergehn. Und wenn in kurzer Zeit Uns ruft die Ewigkeit, Und wir ruhen, — ein fromm Geschlecht Durch Licht und Recht, Laß dann auf unsern Gräbern stehn!

Amen.