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German Pages 291 Year 2002
KATHARINA KOLLMANN
Die fehlerhafte Konstruktionsentscheidung
Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts herausgegeben von
Heinz Grossekettler, Münster · Bernhard Großfeld, Münster Klaus J. Hopt, Harnburg · Christian Kirchner, Berlin Dieter Rückle, Trier · Reinhard H. Schmidt, Frankfurt/Main
Band44
Die fehlerhafte Konstruktionsentscheidung Eine Untersuchung zur Auslegung von § 3 ProdHaftG unter Berücksichtigung des US-amerikanischen Rechts
Von
Katharina Kollmann
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Biblklthek- CIP-Einheitsaufnahme
Kollmann, Katharina:
Die fehlerhafte Konstruktionsentscheidung: eine Untersuchung zur Auslegung von § 3 ProdHaftG unter Berücksichtigung des US-amerikanischen Rechts I von Katharina Kollmann. - Berlin : Duncker und Humblot, 2002 (Schriften zur wirtschaftswissenschaftlichen Analyse des Rechts ; Bd. 44) Zug!.: Berlin, Humboldt-Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10110-3
Alle Rechte vorbehalten
© 2002 Duncker & Humblot GmbH, Berlin
Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0935-5065 ISBN 3-428-10110-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706@
Meinen Eltern
Vorwort Die Juristische Fakultät der Humboldt-Universtität hat die vorliegende Arbeit im Wintersemester 2000 als Dissertation angenommen. Die Grundzüge dieser Arbeit entstanden unter der Betreuung von Professor Dr. Schmidt-Salzer, der mir nicht nur eine Vielzahl von fachlichen Anregungen und Denkanstößen gab, sondern auch durch sein Wohlwollen und seinen Enthusiasmus mein Vertrauen stärkte, dieses Vorhaben auch zu Ende bringen zu können. Professor Dr. Dr. Kirchner danke ich herzlich nicht allein dafür, daß er sich nach dem überraschenden Tod von Professor Dr. Schmidt-Salzer als Doktorvater zur Verfügung gestellt hat, sondern auch für die vielfältigen Diskussionen und weiterführenden Hinweise. Mein Dank gilt auch Professor Dr. Schwintowski für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Meine Freunde und Eltern haben mich durch Zuneigung und Zuspruch unterstützt- besonders möchte ich Anna Deutelmoser, Björn Gehde, Julia Albrecht und meiner Mutter Barbara Kollmann für ihre Bereitschaft zum Gespräch und ihre konstruktive Kritik danken. Die Arbeit ist meinen Eltern gewidmet, die mein Studium und meine Promotion mit Rat und Tat begleitet haben.
Katharina Kollmann
Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Explodierende Kleinwagen - das Dilemma der bewußten Konstruktionsentscheidung ... . . . . ... . . ......... .. .... . .. . . . . . .. . ..... . .. . . ... . .. ...... .. ... . .. .. .. . . . . . .
19
II. Risikomanagement im Produkthaftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
20
1. Offene Fragestellungen im deutschen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
21
2. Dasamerikanische Produkthaftungsrecht als source d' inspiration des deutschen Rechts . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . .
22
3. Modelle zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von Konstruktionen im deutschen und amerikanischen Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
III. Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
23
TeilA
Der Produktfehler als Tatbestandsmerkmal in den Systemen von Verschuldens- und Gefährdungshaftung
26
1. Kapitel Entwicklung des Produkthaftungsrechts in Deutschland und den Vereinigten Staaten
26
I. Entwicklung in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
1. Rechtslage bis 1968 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
a) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die frühe Rechtsprechung des BGH . . . .. . ... .. . .. . . . . ........ . .. . . . .. . . .. ..... . ... . . . . . ... .. . . . . . .. .. ... .. .
26
b) Diskussion in der Literatur: Modelle zur vertraglichen und quasivertraglichen Haftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
27
2. Rechtsentwicklung zwischen 1968 und 1990 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
a) Rechtsentwicklung zwischen 1968 und 1990: Rechtsprechung unter dem Eindruck der Hühnerpestentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
29
b) Ausarbeitung der EG-Richtlinie über die Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
10
Inhaltsverzeichnis 3. Rechtslage seit 1990: Umsetzung der EG-Richtlinie im Produkthaftungsgesetz und seine Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
31
II. Entwicklung in den Vereinigten Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
1. Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Die "Entdeckung" der strict liability - von MacPherson v. Buick Motor Co. zu Greenman v. Yuba Power Products . . . . . . . . .
32
2. Die 60er Jahre: Die Entstehung des § 402 A und sein ursprünglicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
3. Von 1964-1976: Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des§ 402 A . . . . . . .
36
4. 1976 bis Mitte der 80er Jahre: Die Diskussion um die Produkthaftungskrise und ihre Behandlung im Zusammenhang mit Konstruktionsentscheidungen . . . . . . . . .
38
5. Die "stille Revolution" in der Produkthaftung - Trends in Gesetzgebung und Rechtsprechung seit Mitte der 80er Jahre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
39
2. Kapitel Die Diskussion des Fehlerbegrilfs: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
42
I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Funktionen des Fehlerbegriffs . . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . . . .. .. . .. . .. . . .. . . . . . . . . . . .. .
42 42
2. Produktfehlerhaftigkeit bei der Verletzung von Verkehrspflichten gemäß § 823 I
43
a) Maßgebliche Prinzipien bei der Ausfüllung der Verkehrspflichten . . . . . . . . . . .
43
b) Konkretisierung dieser Pflichten im Konstruktionsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
49
c) Konkretisierung dieser Pflichten im Instruktionsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
3. Die Diskussion über die Auslegung des § 3 I ProdHaftG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
a) Leitender normativer Ansatz bei der Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
b) Produktfehlerhaftigkeit als Ausdruck enttäuschter Verbrauchererwartungen
56
aa) Orientierung an den tatsächlichen Erwartungen der Allgemeinheit . . . . . .
56
bb) Informationeller Fehlerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
56
c) Kosten-Nutzen-Analysen als alleiniger Maßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
58
d) Vermittelnde Lösungen zwischen Verbrauchererwartungen und KostenNutzen-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
59
e) Offene Fragen bei informationellem Fehlerbegriff und Kosten-NutzenAnalysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
62
4. Berücksichtigung der in § 3 I normierten tatsächlichen Umstände . . . . . . . . . . . . . . .
63
Inhaltsverzeichnis
11
5. Der Sonderfall der Haftung für Arzneimittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
66
II. Vereinigte Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
67
1. Funktionen des Fehlerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
68
2. Definition von Konstruktionsfehlern im Rahmen der negligence . . . . . . . . . . . . . . . .
69
a) Produktfehlerhaftigkeit bei Verstoß gegen die duty . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
69
b) Konkretisierung der duty in Hinblick auf Konstruktionsentscheidungen
70
c) Konkretisierung der duty in Hinblick auf Instruktionen und Warnungen
72
3. Definitionen des Konstruktionsfehlers unter strict liability . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
a) consumer expectation test . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
76
b) Kosten-Nutzen-Analysen und ihre Ausformung in § 2 tentative draft No 2 Restatement of Torts (Third) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
77
4. Die Behandlung von consumer expectation test und risk-utility-analysis in der Rechtsprechung und Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
80
a) Staaten, die in ihrer Rechtsprechung oder Gesetzgebung einem consumer expectation Test im Sinne des § 402 ARestatement (Second) of Torts folgen
81
b) Staaten, die in ihrer Rechtsprechung oder Gesetzgebung Kosten-NutzenAnalysen folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
83
c) Auslegung von§ 402 ARestatement (Second) ofTorts, comment g, i . . . . . . .
85
aa) "consumer expectations" als tatsächliche Verbrauchererwartungen . . . . . .
86
bb) Parallelen zum informationeilen Fehlerbegriff in der deutschen Literatur
88
cc) consumer expectations als fiktive Erwartungen eines idealtypischen Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
89
d) Staaten, die sowohl den consumer expectation test als auch Kosten-NutzenAnalysen anwenden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
90
5. Der Sonderfall der Haftung für Arzneimittel und Medizinprodukte . . . . . . . . . . . . .
92
6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
96
3. Kapitel Die Abgrenzung von Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängiger Haftung
I. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
98 99
1. Herstellerhaftung für Konstruktionsfehler als reine Fahrlässigkeitshaftung . . . . . . 100
a) Deliktische Verschuldenshaftung, Gefahrdungshaftung und Verkehrspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100
12
Inhaltsverzeichnis b) Funktion der Verkehrspflichten in einem modernen Deliktsrecht
101
c) Verkehrssicherungspflichten in der Systematik§ 823 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 d) Fahrlässigkeit; Verstoß gegen die innere und äußere Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . . 104 aa) Verstoß gegen die Verkehrspflichten und äußere Sorgfalt . . . . . . . . . . . . . . . 104 bb) Einhaltung der inneren Sorgfalt .. . .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. .. 106 2. Haftung für Konstruktionsfehler als Gefährdungshaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 a) Das Tatbestandsmerkmal der spezifischen Gefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 b) Das Kriterium der Gefahr in der Produkthaftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 3. Abgrenzungsversuche zwischen Gefährdungs- und Verschuldenshaftung bei Konstruktionsentscheidungen . . . . .. . . .. . . . .. . . . . . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 a) Keine Haftung des Herstellers bei Einhaltung der inneren Sorgfalt? . . . . . . . . . 109 b) Entwicklungsrisiken als Grenze der Verkehrspflichten und der Fahrlässigkeitshaftung . . . .. . . .. . . .. . .. . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . 111 c) Abgrenzung über die Frage der Beweislastverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 112 d) Differenzierung zwischen der Haftung nach § 1 ProdHaftG und der Haftung nach § 823 I BGB unter Beriicksichtigung der Besonderheiten des europäischen Binnenmarktes . . . . . . . . .. . .. . . . . .. . . . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . . .. . . 113 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 II. Vereinigte Staaten . .. . . . . . . .. . . . . .. .. . . .. . . .. . . . . .. .. . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . .. .. .. .. . 115 1. Das Delikt der negligence . . . . . .. . . . .. . . .. . . . . .. . . . .. . . . . .. . . .. . . .. . . . . . . .. . .. . . 116
a) Die haftungsbegrundenden Elemente der negligence . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 b) Rechtlich anerkannte Pflicht, einen anderen vor unangemessenen Risiken zu bewahren .. . . .. .. .. . . .. .. . . . . . . . .. . . . . . .. . . . . .. . . .. . . .. .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . . 117 c) Standard of conduct for protection of others against unreasonable risks . . . . . . 119 aa) Verhaltensgebote: Der reasonable man standard . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 bb) Das Erfordernis des unvertretbaren Risikos . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Strict liability . . . . . .. . . .. . . .. .. . . . .. . . .. . . . .. . .. .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . .. . . . 123 a) Allgemeine Konzepte der strict liability . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 b) Haftung des Herstellers nach den Grundsätzen der strict liability . . . . . . . . . . . . 124 3. Abgrenzung von negligence und strict liability . . . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . . . . . . . . . .. . 125 a) Die Konzentration auf die Produktbeschaffenheit anstaU auf das Verhalten des Herstellers . . . .. . . . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . .. . . . . . . . . .. . . .. .. . . .. . 126
Inhaltsverzeichnis
13
b) Beschränkungen der Einwendungen des "comparative I contributory fault" und der "assumption of risk" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 c) Strict liability durch Haftung des Herstellers für Entwicklungsgefahren . . . . . 132 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137
Teil B
Ökonomische Analyse von informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen
138
4. Kapitel Pfeiler der Ökonomischen Theorie des Rechts: REMM-Hypothese und Effizienzkriterium
140
I. Die REMM-Hypothese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 I. Die REMM-Hypothese in der Entscheidungslogik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142
2. Die Modifizierung der REMM-Hypothese in der Neuen Institutionenökonomik 143 11. Das Effizienzkriterium . . . . . . . . . . . . . . . . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. .. . .. .. . .. .. . . . .. . .. . .. 144
5. Kapitel Ökonomische Theorie des Rechts von Gef'ährdungs- und Verschuldeoshaftung im Produkthaftungsrecht
147
I. Ziele des Haftungsrecht . .. . . . . . . . . . .. . .. .. . .. .. . . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . .. . . .. . . . . .. 150 I. Aufgaben des Haftungsrechts aus der Perspektive der Ökonomischen Theorie des Rechts . . . . . .. .. . . . . . . . . . . . .. . . . . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . .. . . .. . . . . .. .. . . . . . . . . 150
2. Aufgaben des Haftungsrechts nach deutschem Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 3. Aufgaben des Haftungsrechts nach amerikanischem Zivilrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 II. Pigou gegen Coase: Das Konzept der unilateralen Schadensverursachung gegen das Konzept der widerstreitenden Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 I. Die wunderbare Welt von Coase . . .. . . . . . .. . . . . . . . . . . . .. .. . . .. . . .. .. . . . . . .. .. .. . 156
2. Übertragung des Coase-Theorems auf das Haftungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 111. Anreize zur Schadensvermeidung durch informationellen Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 I. Natur der zu beriicksichtigenden Informationsdefizite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159
14
Inhaltsverzeichnis 2. Anreize zur Senkung von Primärschäden an den Hersteller
161
a) Informationeller Fehlerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 aa) Warnungen und Instruktionen als verkappte Haftungsfreizeichnungen . . 161 bb) Das Problem der Verletzung von "bystandern" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 b) Kosten-Nutzen-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 aa) Problem der Informationsdefizite auf Seiten des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . 165 bb) "The Market for Lemons" - Das Problem der heterogenen Schadenspotentiale bei Kosten-Nutzen-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 c) Vermeidung von Primärschäden durch Haftung für Entwicklungsrisiken? . . . 168 d) Anreize zur Senkung von Primärschäden an den Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . 170 aa) Berücksichtigung der konkreten Produktsicherheit im Rahmen des informationeilen Fehlerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 bb) Berücksichtigung der konkreten Produktsicherheit im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 e) Zwischenergebnis........ . ...................... . ..................... .. .. . . 174 3. Das Ziel der Vermeidung von Sekundärschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 175 a) Sekundärschadensvermeidung bei Annahme des informationeilen Fehlerbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 aa) Tatsächlich existierende Möglichkeiten für Verbraucher, sich gegen produktbedingte Schäden selbst zu versichern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 bb) Effizienz der Selbstversicherung durch den Verbraucher . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Sekundärschadensvermeidung bei Annahme von Kosten-Nutzen-Analysen.. 181 aa) Tatsächlich existierende Möglichkeiten für Hersteller, Versicherungsschutz für Konstruktionsfehler zu erwerben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 bb) Effizienz der Versicherung von Konstruktionsrisiken durch den Hersteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (1) Problem der adversen Selektion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 (2) Problem der "Überversicherung" durch die Erfassung von nichtmateriellen Schäden durch Kosten-Nutzen-Analysen . ... . ... . . .. . . . . 184 c) Das Sonderproblem der Herstellerhaftung für Entwicklungsrisiken . . . . . . . . . . 185 d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 186 4. Das Ziel der Vermeidung von Tertiärschäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 5. Informationeller Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen jenseits ihrer wirtschaftlichen Vor- und Nachteile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 IV. Zusarnrnenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191
Inhaltsverzeichnis
15
Teil C
Anwendbarkeit von informationeHern Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen
195
6. Kapitel Probleme der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs
196
I. Mechanismen des zentralen Nervensystems bei der menschlichen Informationsaufnahme und -Verarbeitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 li. Prozeß der Aufnahme von Informationen . . .. . . . .. .. .. . . .. . . . . .. . .. .. .. .. .. .. .. . .. 200 1. Absichtslose Rezeption .. . . . . . . . .. .. .. .. . .. .. . . . . . . . . . .. . . .. . . . . . .. .. .. .. .. . . . . . 200
2. Aktive Informationssuche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 3. Schlußfolgerungen für den informationeilen Fehlerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 III. Wahrnehmung und Beurteilung von Produkten . . .. . .. . . . .. . . . . . . . . . . .. .. . .. .. . .. . . 204 1. Klassische Multiattributrnodelle: Bewertung von Produkten unter der Annahme der uneingeschränkten Rationalität . .. . . . .. . . . . . . . . . . . .. . . . . .. . . .. . . .. . . .. . .. . . . 204 2. Berücksichtigung des Phänomens der eingeschränkten Rationalität: Produktbeurteilung durch die subjektive Psycho-Logik des Verbrauchers . . . . . . . . . . . . . . . 205 a) Selektive Informationsverarbeitung durch den Rückgriff auf Schemata . . . . . . 206 b) Selektivität bei der Auswertung von Produktinformationen zur Vermeidung von Informationsüberlastung I information overload . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 3. Verzerrungen bei der Auswertung der Informationen unter besonderer Berücksichtigung der irreführenden Produktdarbietung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 IV. Informationen über das Sicherheitsrisiko von Produkten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 1. Warnungen über die abstrakte Produktsicherheit .. . .. .. .. . .. .. .. .. .. .. . .. .. .. .. . 211
a) Einschätzung von Risiken ohne produktbegleitende Informationen . . . . . . . . . . 212 b) Auswertung von statistischen Wahrscheinlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 c) Entscheidung unter "informierter Unsicherheit" - Warnungen ohne Rückgriff auf Wahrscheinlichkeitswerte . . . .. . . . .. . . .. . . .. .. .. .. . . .. . . .. . . . . . . .. .. 216 2. Instruktionen über die konkrete Produktsicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 3. Bedeutung für die Anwendbarkeit des informationeilen Fehlerbegriffs . . . . . . . . . . 220 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221
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Inhaltsverzeichnis 7. Kapitel Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen im gerichtlichen Verfahren
223
I. Das Problem der Bestimmung von "Kosten" und "Nutzen" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223 1. Kostenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 223
2. Nutzenberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 II. Kostenberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 1. Grundsätze des deutschen Schadensersatzrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 227 a) Berechnung von materiellen Schäden anhand der dargestellten Grundsätze . . 229 aa) Schadensberechnung bei Beschädigung des Eigentums durch fehlerhafte Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 bb) Berechnung von Vermögensschäden bei Beschädigung von Leib und Leben durch fehlerhafte Produkte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . 231 2. Berechnung der immateriellen Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 a) Kompensationsfähige Schäden gemäß § 847 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 b) Bemessung der ersatzfähigen Schäden nach§ 847 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 3. Berechnung immaterieller Schäden nach dem amerikanischen Schadensersatzrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 241 a) Ersatzfähige immaterielle Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 aa) Ansprüche des Verletzten selbst: pain and suffering; survival actions .. . . 243 bb) Ansprüche von Dritten: wrongful death actions . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 b) Berechnung der immateriellen Schäden . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 246 c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248
111. Der "monetäre Wert des Menschen" versus "Schadensverhütungsaufwendungen": Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive . . . . . . . . . . . . . . . . 249 1. "Wert der Todesverhütung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. . .. . . . 250 a) Berechnung aus der ex-post Perspektive . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . 251 b) Berechnung aus der ex-ante Perspektive . . . . . . . .. . . . . . . . .. . . . . .. . . . . . . . . . . . . 251 aa) Schadensvermeidungsaufwendungen zur Risikosenk:ung: "willingness topay" .. .. .......... . .. .. ... . ............. .. .. . . ......... . ....... . ... . . 252 bb) Risikoprämien zugunsten des potentiell Geschädigten: "willingness to sell" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 253 c) "willingness to pay I sell" im Zusammenhang mit Körperverletzungen . . . . . . . 254
Inhaltsverzeichnis
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d) Stellungnahme zum "willingness-to-pay" Ansatz . . .. ............ . .. . .. . . ... . 255 aa) Methodische Schwächen des "willingness-to-pay" Ansatzes . . . . . . . . . . . . 255 bb) Die Unersetzbarkeit des menschlichen Lebens durch finanzielle Aufwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 258 2. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 IV. Nutzenberechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 260 1. Bewußte Konstruktionsentscheidungen als "polyzentrische Probleme" . . . . . . . . . . 262 2. Nutzenbestimmung als Teil einer "Rechtsregel" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 3. Verallgemeinerungsfähigkeit der Nutzenbestimmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 a) Nutzenfunktionen privater Haushalte............ . ... . .. . ............ .. . . . . .. 265 b) Kosten-Nutzen-Analysen als Planungsinstrumentarium der Exekutive . . . . . . . 266 4. Nutzenermittlung als Bestandteil der Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit nach § 3 ProdHaftG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269
Resurne ................... . ...... . ... . .... ........ . ....... . ... . ............... .. .. . . .. 271 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274
Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287
2 Kollmann
Einleitung I. Explodierende Kleinwagen - das Dilemma der bewußten Konstruktionsentscheidung
In den 70er Jahren dominierte das ModellPintoder Firma Ford den amerikanischen Markt für Kleinwagen. Der Erfolg des preisgünstigen Kompaktmodells fand ein jähes Ende, als Informationen über ein Detail der Konstruktion dieses Wagens an die Öffentlichkeit gelangten. Der Benzintank des Pinto befand sich weniger als 20 cm vor dem hinteren Kotflügel des Autos, wodurch die Gefahr einer Explosion im Fall eines Auffahrunfalls erheblich erhöht wurde. Die Konstrukteure der Firma Ford hatten dieses Risiko erkannt, von einer Alternativkonstruktion jedoch mit der folgenden Begründung abgesehen. Nach ihren Berechnungen war aufgrund dieser Besonderheit der Konstruktion mit jährlich 180 Todesfällen und 180 Fällen von Schwerstverletzungen durch Verbrennungen zu rechnen. Die Veränderung der Konstruktion hätte Kosten von ll $pro Auto und damit von 137,5 Millionen$ bezogen auf die Gesamtheit der produzierten Pintos verursacht. Nach den Berechnungen von Ford hätte das Unternehmen in dem Fall, daß die Gesellschaft für alle verursachten Schadensfalle haftbar gemacht worden wäre, mit einer Schadensersatzsumme von 49, 6 Millionen$ rechnen müssen. Die Verwirklichung der Alternativkonstruktion wurde als "wirtschaftlich ineffizient" abgelehnt'. Das Fordsche Rechenexempel verursachte nicht nur einen Aufschrei von Verbraucherverbänden, den Tadel einer verstörten Öffentlichkeit und die nüchterne Feststellung, daß die Fordsche Berechnung der Schadensseite offensichtlich zu niedrig angesetzt sei2 . Vielmehr stellte sich auch die Frage nach einer zivilrechtliehen Inanspruchnahme der Firma Ford für die unfallbedingten Schäden. Trotz der Einhelligkeit der Reaktionen ist die Beurteilung des Pinto-Falles aus produkthaftungsrechtlicher Sicht keineswegs eindeutig. Illustrativ für das Problem der Beurteilung von bewußten Konstruktionsentscheidungen wirft er vielmehr eine Reihe von Fragen auf, die sich gleichermaßen für die deutsche wie auch die arnerikanische Rechtsordnung stellen: Hätte Ford eine Veränderung an der Konstruktion auch dann vornehmen müssen, wenn das "Mehr" an Sicherheit pro Wagen 100 oder 1000 $ gekosten hätte? Hätte Ford die Position des Benzintanks mit dem Hinweis auf damit verbundene Vorteile nichtfinanzieller Natur wie z. B. einen geräuI Zum Pinto-Fall und seinen Hintergründen V gl. K. W. Viscusi, Reforming Products Liability Law, 1991, S. 111 ff. 2 Viscusi, Reforming, S. 112.
2*
20
Einleitung
migeren Kofferraum oder einem geringeren Bezinverbrauch rechtfertigen können? Hätte sich die Frage nach der Herstellerhaftung ebenso gestellt, wenn Ford den Käufer eines Pintos unmißverständlich auf die Risiken hingewiesen hätte, die aus dieser Konstruktion erwachsen? Und wie wäre ein solcher Hinweis zu werten, wenn durch den explodierenden Tank nicht nur die Insassen eines Pintos, sondern auch des auffahrenden Autos zu Schaden gekommen wären?
II. Risikomanagement im Produkthaftungsrecht
So spektakulär das Vorgehen Fords auch erscheinen mag, ist es doch nur der Ausdruck eines Problems, das Hersteller bei der Entwicklung ihrer Produkte ebenso beschäftigt wie Gerichte, wenn Verbraucher bei einer produktbedingten Schädigung einen Anspruch gegen den Hersteller des schadensverursachenden Produktes geltend machen. Die Tatsache allein, daß Menschen beim Gebrauch von Produkten an Leben, Gesundheit oder Eigentum geschädigt werden können, reicht zur Begrundung eines produkthaftungsrechtlich relevanten Vorwurfs gegen den Hersteller nicht aus. Sowohl die amerikanische, als auch die deutsche Gesellschaft ist bereit, ein gewisses Maß an produktbedingten Risiken in Kauf zu nehmen - sei es, weil sie nach dem Stand von Wissenschaft und Technik unvermeidbar sind, sei es, weil die Eliminierung des Risikos mit finanziellen Aufwendungen oder mit Abstrichen an sonstige wünschenswerte Eigenschaften des Produkts verbunden ist. Die Rechtsordnung kann steuernd in den Umgang mit produktbedingten Risiken eingreifen. Es besteht die Möglichkeit, bestimmte Produkte zu verbieten oder hinsichtlich ihrer Konstruktion und Beschaffenheit verbindliche Vorgaben zu machen. Oder sie kann über eine deliktsrechtliche Haftung für eine Entschädigung der Opfer produktbedingter Unfälle sorgen und den Hersteller so dazu zwingen, die Kosten, die sich aus der Realisierung des deliktsrechtlich relevanten Risikos ergeben, in seine Preiskalkulation aufzunehmen. Die Festlegung einer deliktischen Haftung des Herstellers erfordert, daß die Rechtsordnung einen normativen Standard formuliert, nach dem im Einzelfall das erlaubte von dem verbotenen Risiko durch richterliche Wertung geschieden werden kann. In Produkthaftungsprozessen stellt sich die Frage nach dem übergeordneten normativen Standard nicht immer mit der angesprochenen Schärfe. Dies liegt daran, daß das Gericht bei der Frage, ob ein im deliktsrechtlichen Sinn unangemessen gefährliches Produkt vorliegt, auf Standards zuriickgreifen kann, die vom Hersteller selbst, durch Ge- oder Verbotsgesetze oder durch die Praxis der produzierenden Industrie vorgegeben werden und deren Nichteinhaltung die Haftung indiziert. Derartige Standards existieren bei Fabrikationsfehlern, bei dem der "Ausreißer" bereits nicht die Sicherheit bietet, die vom Hersteller für seine gesamte Konstruktion vorgesehen ist und bei den von Henderson als "inadvertent design errors" bezeich-
II. Risikomanagement im Produkthaftungsrecht
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neten Konstruktionen 3 , deren Sicherheitsniveau hinter dem zurückbleibt, was nach den Erkenntnissen von Wissenschaft und Technik und dem Standard von Konkurrenzprodukten ohne erheblichen Aufwand möglich ist, oder gegen verbindliche gesetzliche Vorgaben verstößt. Solche Produkte zeichnen sich dadurch aus, daß der Hersteller selbst dieses Risikopotential der Konstruktion eliminiert hätte, wenn er es nur gesehen hätte. Verbleiben die Fälle, in denen das mit der Konstruktion verbundene Risiko zwar vom Hersteller nicht beabsichtigt, aber für andere finanzielle und nicht-finanzielle Vorteile in Kauf genommen wird. Die Beschaffenheit des Produkts ist hier das Ergebnis eines Abwägungsprozesses, dessen Angemessenheit im rechtlichen Sinn nicht durch den bloßen Hinweis auf faktische Standards beurteilt werden kann. Die rechtliche Bewertung von bewußten Konstruktionsentscheidungen aus einer rechtsvergleichenden Perspektive ist der Gegenstand dieser Arbeit. 1. Offene Fragestellungen im deutschen Recht
Die Frage nach dem normativen Standard für die Bewertung von Produktrisiken gehört noch immer zu den umstrittensten Fragen des deutschen Produkthaftungsrechts. Die deutsche Rechtsordnung hat sich diesem Problem in zwei Weisen angenähert. Zum einen leitet die Rechtsprechung aus der Verschuldenshaftung des § 823 I BGB umfassende Pflichten des Herstellers ab. Zum anderen wurde durch die Umsetzung der EG-Richtlinie zum Produkthaftungsrecht im Jahre 1990 eine als Gefährdungs- I bzw. verschuldensunabhängig konzipierte Haftung des Herstellers eingeführt. Weder die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Produzentenhaftung, noch das Spezialgesetz haben bisher eine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem normativen Standard gefunden. Die Rechtsprechung zu den Verkehrspflichten des Herstellers im Rahmen von § 823 I BGB hat zwar aufgrund der Fülle der Entscheidungen zu einer Konkretisierung der Pflichten bis in kleinste Einzelheiten geführt. Aufgrund dieser Entwicklung aus dem Fallrecht ist es aber auch problematisch, die maßgeblichen Grundsätze zu identifizieren und aus ihnen ein in sich geschlossenes Modell zu entwerfen. Das Produkthaftungsgesetz hat nicht zur einer Vereinfachung und Vereinheitlichung der Rechtslage geführt. Der als auslegungsbedürftig empfundene Wortlaut des § 3 ProdHaftG hat eine heftige Diskussion in der Literatur entfacht. Diese kreist zum einen um die Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit in Anlehnung an international diskutierte Fehlerbegriffe und zum anderen um die Natur der Herstellerhaftung im System von Verschuldenshaftung, verschuldensunabhängiger Haftung und Gefährdungshaftung. Ergebnis dieser Diskussion sind zwei Ansätze zur 3 J.A. Henderson, Judicial Review of Manufacturer's Conscious Design Choices: The Limits of Adjudication, 73 Columbia Law Review, 1973, S. 1531, S. 1548.
22
Einleitung
Frage der Produktfehlerhaftigkeit, die die internationale Diskussion um die Produktfehlerhaftigkeit aufnehmen, sowie der Versuch, aussagekräftige Kriterien zur Abgrenzung von Verschuldens- und verschuldensunabhängiger Haftung zu entwikkeln. Erläuternde Stellungnahmen der Rechtsprechung zur Auslegung von § 3 ProdHaftG fehlen bisher weitgehend aufgrund der Übergangsregel des § 16 ProdHaftG, so daß diese Frage bisher als offen behandelt werden muß. 2. Das amerikaDisehe Produkthaftungsrecht als source d'inspiration des deutschen Rechts
Amerika wird zu Recht als das "Mutterland des Produkthaftungsrechts" bezeichnet, ohne dessen Einfluß das deutsche ebenso wie das europäische Produkthaftungsrecht in der jetzigen Form nicht denkbar wäre. Die Auswirkungen, die die Entwicklung des amerikanischen Rechts auf die Fehlerdefinition hatten, sind erheblich. § 402 A Restatement (Second) of Torts diente als maßgebliches Vorbild bei der Formulierung des Fehlerbegriffs in Art. 6 der EG Richtlinie zur Produkthaftung, also des heutigen § 3 ProdHaftG. Nach einer anfänglich unangefochtenen Aufnahme des § 402 A durch die amerikanische Rechtsprechung erwies sich der "consumer expectation test" des § 402 A sowie die Annahme der "strict liability" des Herstellers im Bereich von Konstruktionsfehlern als problematisch. Als Ergebnis einer intensiven Diskussion zwischen Literatur und Rechtsprechung wurde der consumer expectation test weitgehend durch sogenannte Kosten-Nutzen-Analysen verdrängt und eine Rückkehr zum Standard der "negligence" gefordert. Die Entscheidung des American Law Institute (ALl), § 402 A Restatment (Second) of Torts zu reformieren, ist der Ausdruck dieser Entwicklung. Im Bereich von Konstruktionen soll die Fehlerbestimmung nunmehr durch Kosten-Nutzen-Analysen vorgenommen und die Haftung des Herstellers nach den Grundsätzen der negligence beurteilt werden. Die Verdrängung des consumer expectation tests in der Mehrheit aller Staaten beruht darauf, daß das Kriterium der Verbrauchererwartungen durch die amerikanische Rechtsprechung nur in Ausnahmefällen als aussagekräftig angesehen wird. In der Regel, so wird argumentiert, habe der Verbraucher gar keine Vorstellung über die Beschaffenheit der Konstruktion, so daß sich die Frage nach dem adäquaten Sicherheitsniveau nur durch die Abwägung von Kosten und Nutzen der Konstruktion beantworten lasse. Die Veränderungen, die durch die Reform des § 402 A festgeschrieben werden, sind demnach erheblich. Es soll im Rahmen dieser Arbeit überprüft werden, inwieweit die amerikanischen Erfahrungen bei der Auslegung von § 3 ProdHaftG berücksichtigt werden können.
III. Gang der Untersuchung
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3. Modelle zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von Konstruktionen im deutschen und amerikanischen Recht
Ein Vergleich zwischen deutschem und amerikanischem Recht zeigt, daß in beiden Ländern zwei ähnliche Modelle zur Lösung des Problems fehlerhafter Konstruktionen entwickelt wurden, wobei der amerikanische Rechtskreis im Gegensatz zum deutschen Recht auf umfassende Erfahrungen bei der Anwendung dieser Modelle durch die Rechtsprechung zurückgreifen kann. Zu nennen ist zum einen der an Verbrauchererwartungen orientierte Test des § 402 A, der in der deutschen Diskussion durch die Vertreter der ökonomischen Theorie des Rechts konsequent zum "informationellen Fehlerbegriff' weiterentwickelt wurde. Kennzeichnend für diesen Fehlerbegriff ist, daß die Entscheidung darüber, ob ein Risiko adäquat ist, den Trägern der durch den potentiellen Schaden bedrohten Rechtsgüter überlassen wird4 • Voraussetzung für eine derartige ,,Einverständniserklärung" ist, daß der Verbraucher das Risiko kennt und zutreffend bewerten kann und daß bei Verwirklichung des Risikos nicht in den Rechtskreis eines Dritten eingegriffen wird. Bezogen auf das Eingangsbeispiel bedeutet dies, daß eine Entscheidung des Käufers eines Pinto, das Risiko der Anbringung des Benzintanks in Kauf zu nehmen, die Firma Ford nur dann entlasten kann, wenn sie in vollem Verständnis der damit verbundenen Risiken zustande kommt und nicht unbeteiligte Dritte wie Beifahrer oder Fahrer anderer Wagen einem Risiko aussetzt, in das sie nicht eingewilligt haben. Zum anderen sind dies Kosten-Nutzen-Analysen. In der deutschen Literatur wird dieses Modell bisher nur- ungeachtet seiner weiten Verbreitung in den Vereinigten Staaten - von einer Mindermeinung als maßgeblicher Lösungsansatz gesehen. Allerdings finden sich Parallelen zu diesem Fehlerbegriff in der Rechtsprechung zu § 823 I. Kennzeichnend für diesen Fehlerbegriff ist der "paternalistische Ansatz". Anstelle der vom Risiko Betroffenen legt die Rechtsordnung unter Berücksichtigung von Kosten und Nutzen der in Frage stehenden Aktivität ein Sicherheitsniveau fest, dessen Unterschreitung haftungsbegründend wirkt. Das schränkt zwar die Autonomie der Beteiligten ein, trägt aber dem Phänomen von Risikofehlwahrnehmungen und Eingriffen in die Rechtssphäre Dritter Rechnung. Im Fall des Ford Pinto würde das Gericht die Konstruktionsentscheidung des Herstellers daraufhin überprüfen, ob die mit der Anbringung des Benzintanks verbundenen Risiken in einem angemessenen Verhältnis zu ihren Vorteilen finanzieller und nicht-finanzieller Natur stehen. III. Gang der Untersuchung Die vorliegende Arbeit nähert sich dem Problem der Fehlerhaftigkeit bewußter Konstruktionsentscheidungen in drei Abschnitten. Der erste Teil der Arbeit ist 4
V gl. dazu A. Teuber. Justifying Risk, Daedalus, Bd. I, 1990, S. 235 ff.
24
Einleitung
einer Bestandsaufnahme des aktuellen Diskussionsstandes gewidmet. Es werden hier die angesprochenen Lösungsmodelle in beiden Ländern und ihre Anwendung durch die Rechtsprechung dargestellt. Daneben wird die Bedeutung des Produktfehlers bzw. der Verletzung von Verkehrspflichten im Deliktsaufbau untersucht. Es geht hierbei um die Frage, ob jenseits der inhaltlichen Ausfüllung des Fehlerbegriffs Kriterien gefunden werden können, die eine sinnvolle Abgrenzung der Verschuldenshaftung des § 823 I BGB von der als verschuldeusunabhängig bzw. als Gefahrdungshaftung konzipierten Haftung des § 1 ProdHaftG zulassen. M.E. gibt es solche Kriterien nicht, so daß beide Anspruchsgrundlagen dann deckungsgleich sind, wenn der Fehlerbegriff des § 3 ProdHaftG ebenso ausgelegt wird wie die Verkehrspflichten. Diese Untersuchung ist nicht nur für die dogmatische Einordnung des Tatbestandsmerkmals "Produktfehler" entscheidend, sondern sie stellt eine wichtige Voriiberlegung für die Untersuchung der Fehlermodelle im zweiten Teil der Arbeit dar. Die dogmatische Einbettung des Produktfehlers in die Institute von negligence und strict liability des amerikanischen Rechts weist eine weitgehende Übereinstimmung zum deutschen Recht auf, so daß die Vergleichbarkeit auch in dieser Hinsicht gegeben ist. Der zweite Teil der Arbeit untersucht die dargestellten Fehlermodelle unter Zugrundelegung der Erkenntnisse der ökonomischen Analyse bzw. der ökonomischen Theorie des Rechts. Dieser methodische Ansatz bietet sich bei der Beurteilung produkthaftungsrechtlicher Fragen besonders an. Die Frage nach der gesamtwirtschaftlichen "Effizienz" der Haftungsregel liegt nicht nur im Interesse von Herstellern, sondern auch von Verbrauchern, die eine Überspannung der Produktsicherheit über erhöhte Produktpreise finanzieren müssen. Es ist dariiber hinaus der Verdienst der ökonomischen Theorie des Rechts, ein komplexes System von Zielsetzungen entwickelt zu haben, die durch haftungsrechtliche Sanktionen über die bloße Entschädigung von Unfallopfern hinaus erreicht werden können. Zu nennen ist hier das Ziel der Prävention von Unfallen sowie die Senkung von Tertiärschäden, die z. B. durch die durch die gerichtliche Geltendmachung des Anspruchs entstehen. Die ökonomische Analyse des Rechts ist nicht unumstritten. Selbst von ihren Vertretern wird die Betonung des Effizienzziels ebenso wie einige als unumstößlich behandelte Grundannahmen wie die REMM-Hypothese zunehmend in Zweifel gezogen. Der zweite Teil der Arbeit setzt sich daher zum einen mit den methodischen Bedenken, die gegen die ökonomische Analyse des Rechts vorgebracht werden in Abgrenzung zur ökonomischen Theorie des Rechts auseinander, bevor sie auf die Beurteilung der zur Diskussion stehenden Fehlermodelle unter Anwendung des methodischen Ansatzes der ökonomischen Theorie des Rechts eingeht. Bei der Anwendung sind die Ergebnisse des ersten Teils der Arbeit zu beriicksichtigen. Eine wirtschaftswissenschaftliche Untersuchung, die sich auf einen Vergleich zwischen Verschuldens- und Gefahrdungshaftung stützt, ist wenig sinnvoll. Geboten ist vielmehr der Vergleich der beiden konkurrierenden Modelle zur Bestimmung des Konstruktionsfehlers. Die gewonnenen Erkenntnisse lassen eine Aussage dar-
III. Gang der Untersuchung
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über zu, welche Fehlermodelle dann zu den wirtschaftlich vorteilhafteren Ergebnissen führen, wenn ihre Anwendbarkeit unterstellt wird. Der dritte Teil der Arbeit beschäftigt sich schließlich mit den Anwendungsproblemen beider Fehlermodelle. Im Rahmen der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs stellt sich hier die Frage nach den Grenzen der menschlichen Informationsverarbeitungskapazitäten und nach einem effizienten Umgang mit der Aufmerksamkeit, die Verbraucher Informationen entgegen bringen können. Es handelt sich hier nicht um Fragen, die durch den Rückgriff auf juristische Wertungen oder wirtschaftswissenschaftliche Modelle beantwortet werden können, sondern die unter Beriicksichtigung der Ergebnisse von kognitiver Psychologie und Marktforschung zu behandeln sind. Im Rahmen der Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen ist die inhaltliche Ausfüllung des Kosten- und des Nutzenbegriffs problematisch. In der Terminologie des Zivilrechts versteht man unter "Kosten" die zu erwartenden Schäden. Es wird daher untersucht, ob die Regelungen des Schadensersatzrechts in Deutschland und den Vereinigten Staaten zur Ausfüllung des Kostenbegriffs herangezogen werden können oder ob auf andere Lösungsansätze zuriickzugreifen ist. Schließlich wird die Problematik der Ermittlung eines rechtlich verbindlichen "Produktnutzens" im Rahmen eines Produkthaftungsprozesses behandelt.
TeilA
Der Produktfehler als Tatbestandsmerkmal in den Systemen von Verschuldens- und Gerahrdungshaftung 1. Kapitel
Entwicklung des Produkthaftungsrechts in Deutschland und den Vereinigten Staaten I. Entwicklung in Deutschland Das deutsche Produkthaftungsrecht ist ein Kind der Rechtsprechung. Erst mit dem Erlaß des Produkthaftungsgesetzes im Jahre 1990 wurde diese Materie in einem Spezialgesetz geregelt, dessen Auswirkungen aber im Bereich der Frage der Fehlerhaftigkeit von Produkten bis zum heutigen Tage noch offen sind. Die Entwicklung kann in drei Phasen unterteilt werden: Die Zeit von Beginn dieses Jahrhunderts bis ins Jahr 1968, in der erste Entscheidungen zu produkthaftungsrechtlichen Fragestellungen ergingen, die Zeit zwischen 1968 und 1990, die einerseits durch die Hühnerpestentscheidung des BGH und andererseits durch die Umsetzung der EG-Produkthaftungsrichtlinie markiert wird und schließlich die Zeit nach dem lokrafttreten des Produkthaftungsgesetzes bis zum heutigen Tage. l. Rechtslage bis 1968
a) Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und die frühe Rechtsprechung des BGH
Die Rechtsprechung des Reichsgerichts und der Oberlandesgerichte zur Verletzung von Rechtsgütern von Verbrauchern durch Produkte sieht den klägerischen Anspruch im Deliktsrecht begründet - so in der Holzssägemaschinen-Entscheidung1 des OLG Stuttgart aus dem Jahre 1907 sowie in der bekannteren Brunnensalz-Entscheidung2 des Reichsgerichts aus dem Jahre 1915 3 . Damit werden die I 2
OLG Stuttgart OLGE 1818, 69. RGZ 87, I.
I. Entwicklung in Deutschland
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Grundzüge für eine deliktische Haftung des Produzenten vorgegeben, indem zum einen auf die besonderen Sorgfaltspflichten des Herstellers eingegangen, zum anderen der ungünstigen Beweissituation des Verbrauchers über das Institut des Allscheinsbeweises Rechnung getragen wird. Eine ausdrückliche Auseinandersetzung mit der Frage, welche Kriterien die Fehlerhaftigkeit von Produkten bestimmen sollen, findet nicht statt, vielmehr wird diese Problematik im Rahmen der Frage der Sorgfaltspflichten des Herstellers behandelt. Diese Grundsätze bestimmen die Rechtsprechung des Reichsgerichtes der folgenden Jahrzehnte - so z. B. in der Obstpflückleiter-Entscheidung4 aus dem Jahre 1916 und in den beiden BremsenUrteilen5 des Jahres 1940, die die besondere Rechtspflicht des Herstellers als Ausdruck der allgemeinen Verkehrs-(sicherungs)pflicht behandeln. Demgegenüber spielt eine vertragliche Haftung des Herstellers gegenüber dem Endverbraucher nach der Rechtsprechung des Reichsgerichts keine Rolle. Eine vertragliche Haftung wird lediglich für die Rechtsbeziehung zwischen geschädigtem Verbraucher und Händler angenommen6 , jedoch in der zweiten Seltersflaschen-Entscheidung7 durch eine deliktsrechtliche Lösung auch für diese Rechtsbeziehung abgelöst. Der BGH folgt dieser Rechtsprechung in weiten Zügen. b) Diskussion in der Literatur: Modelle zur vertraglichen und quasivertraglichen Haftung
Das Problem der "Produkthaftung" wird als solches in der Literatur zu Beginn der 60er Jahre erkannt und vertieft diskutiert8 . Abweichend von der Rechtspre3 In der Holzsägenentscheidung war die von der Beklagten hergestellte fahrbare Holzsägemaschine abweichend von der Bestellung nicht mit einer vorgeschriebenen Schutzvorrichtung ausgestattet. In der Brunnensalzentscheidung war das von der Beklagten hergestellte und in Originalverpackung in einer Apotheke erworbene Heilsalz mit feinen Glassplittern durchsetzt. Beide Entscheidungen bejahten einen deliktischen Anspruch der Kläger, während sie einen Verstoß gegen Vertragspflichten verneinten. In der Holzsägemaschinenentscheidung sah das OLG Stuttgart in dem Unterlassen, die Schutzvorrichtung einzubauen, eine Verletzung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt. In der Brunnensalzentscheidung hatte die Klägerin bewiesen, daß die Ursache für die Verunreinigung der Salze in der Fabrik der Beklagten gesetzt worden war. Um den Entlastungsbeweis nach§ 831 I S. 2 BGB zu führen, hätte die Beklagte nicht nur beweisen müssen, daß sie nur zuverlässige Arbeiter eingestellt habe, sondern auch, daß sie die ihr obliegende, nicht übertragbare Oberaufsicht wahrgenommen habe. 4 RG LZ 1916 Sp. 1025. Vgl. dazu ausführlich A. Pfeifer, Produktfehler oder Fehlverhalten des Produzenten, 1987, S. 23. 5 RGZ 163,21 (Bremsen I) und DR 1940, 1293 (Bremsen II). 6 Vgl. dazu die erste Seltersflaschenentscheidung (RG NW 1908, 236), die Sauerbrunnenflaschenentscheidung ( RG NW 1910, 748) sowie die Gurtwarenapparat-Entscheidung (RG NW 1912, 682). 7 RGZ 97, 116. s H. J. Kulimann I E. Pfister, Produzentenhaftung, (Loseblattsarnrnlung, Stand 27. Lfg. I I 91), Bd 1, Stichwort 1310 C (S. 9) weist darauf hin, daß es zwar vereinzelt schon früher
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1. Kap.: Entwicklung des Produkthaftungsrechts
chung lenkt die Literatur den Blick auf das Schuld-, besonders auf das Vertragsrecht. Dabei werden im wesentlichen Lösungen vorgeschlagen, die von einer Haftung des Verkäufers für ein Herstellerverschuldtügeen über § 278 BGB über die Haftung nach dem Institut der Drittschadensliquidation bis hin zu einer Haftung aus Garantievertrag oder einer analogen Anwendung des§ 122 BGB reichen 9• Untersuchungen zu produkthaftungsrechtlichen Fragestellungen (z. B. W. Grau, Zusammenhängende Rechtsverhältnisse; Gedenkschrift Seckel 1927; H. Such, Wirtschaftsplanung und Sachrnängelhaftung, 1949) gegeben habe, diese aber das Problern in seiner ganzen Tragweite nicht erfaßt hätten. Ausgangspunkt für die Diskussion dürfte die grundlegende rechtsvergleichende Arbeit von W. Lorenz, Rechtsvergleichendes zur Haftung des Warenherstellers und Lieferanten gegenüber Dritten, In: Festschrift für Herrmann Notarp, (1961), S. 59 ff. sein. 9 Bei den diskutierten Lösungen handelt es sich im wesentlichen um die folgenden: - Haftung des Verkäufers über § 278 BGB für ein Herstellerverschulden, da der Verkäufer aus Vertrag zur Prüfung der Ware verpflichtet sei und sich des Herstellers zur Erfüllung dieser Pflicht bediene (vgl. J. Esser (Begr.)IE. Schmidt, Schuldrecht, 2. Aufl. (1960), §50, 5b und§ 204, 5c; anders bereits in der 3. Auflage, Bd. I 1968, § 43 I 2 a.E.). - Haftung über das Institut der Drittschadensliquidation: Das Institut der Drittschadensliquidation wird in seinem Anwendungsbereich erweitert, indem es auf den für das Produkthaftungsrecht charakteristischen Fall der Verlagerung des Gläubigerinteresses auf einen Dritten angewandt wird, der aber seinerseits eines unmittelbaren Anspruchs gegen den Schädiger bedürfe (vgl. J. Gemhuber; Haftung des Warenherstellers nach deutschem Recht, Karlsruher Forum 1963, S. 11, 3 ff., 41 f.). - Haftung aus Garantievertrag analog § 463 BGB, der auf der "Benennung der Urheberschaft des Herstellers auf der Ware", wie sie sich etwa in der Verpackung, in Warenbeschreibungen, Gebrauchsanweisungen oder Marken- und Warenzeichen ausdrückt, beruht (vgl. K. Müller; Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Endverbraucher, AcP 165, 1965, S. 304 ff., 308, 319 ff. Für andere Versuche, einen direkten Haftungsvertrag zu begründen Vgl. auch Grau, FS Seckel, 359 ff.; F. Keßler; Die Fahrlässigkeit im nordamerikanischen Deliktsrecht unter vergleichender Berücksichtigung des englischen und des deutschen Rechts, 1932, llO ff., 116 Fn. 2; F.A. Müllereisert, Juristische Grundbegriffe aus dem Vertrags-, Schuld-, Urheber- und Sachenrecht 1936, S. 109 ff.; K. Markert, Haftung des Warenherstellers ohne Verschulden?, BB 1964, 322.). - Haftung analog § 122 BGB: Der Hersteller nimmt durch Waren- und Gütezeichen, sowie durch die Werbung für seine Produkte das Vertrauen des Endverbrauchers in die Ungefährlichkeit seiner Waren in Anspruch, so daß eine Vertrauens- und Anscheinshaftung nach dem Rechtsgedanken einer Verantwortlichkeit für den eigenen Geschäftskreis gemäߧ 122 BGB angernessen erscheint (Lorenz, Karlsruher Forum 1963, 14 ff.; FS Nottarp 87; anders aber in Länderbericht 51 f. Lorenz ist selbst von dieser Ansicht mit dem Argument abgerückt, daß ein Abgehen vorn Verschuldeosprinzip und eine Haftung für Vermögensschäden zu weit gehe, vgl. RabelsZ 334 1970, 29. Zur Haftung analog § 122 BGB vgl. auch E. Rehbinder; Zur Haftung des Warenherstellers gegenüber dem Verbraucher ohne Verschulden, BB 1965, S. 439,442 f.; ZHR 129 1967, 171, 180 ff.). - Haftung aufgrund von Warenvertrauen als Institut richterlicher Rechtsfortbildung: Die Vertragskette zwischen Endverbraucher und Hersteller wird als einheitlicher Vorgang interpretiert, bei dem die dem einzelnen Kaufvertrag zukommende Funktion von der Gesamtheit der Verträge erfüllt werde und dem Zwischenhändler daher keine eigenständige Rolle zukomme. Das Prinzip des individuellen Verschuldens, das die deliktische Haftung charakterisiert, versage angesichts der industriellen Fertigstellung des Produkts. Die Schaffung eines eigenen Rechtsinstituts, das eine vorn Verschulden gelöste Haftung des Herstellers gegenüber dem Endverbraucher aufgrund dieser besonderen Vertragsbeziehung postuliert,
I. Entwicklung in Deutschland
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Die vertrags- I schuldrechtliche Lösung kann sich auch in der Literatur nicht durchsetzen. Eine breite Strömung tritt für eine Haftung nach deliktsrechtlichen Grundsätzen ein, die gegebenenfalls in Hinblick auf die Besonderheiten der Massenproduktion modifiziert werden soll 10. Die zivilrechtliche Abteilung des 47. Deutschen Juristentages folgt dies(;!m Ergebnis, indem sie unter anderem den Beschluß faßt, daß die Grundlagen für die Weiterentwicklung des Produkthaftungsrechts in erster Linie in den Grundsätzen der deliktsrechtlichen Verkehrssicherungs- und Sorgfaltspflichten zu suchen seien 11 • Mit der Hühnerpestentscheidung des BGH werden die diskutierten vertragsrechtliehen Lösungen bedeutungslos. 2. Rechtsentwicklung zwischen 1968 und 1990
a) Rechtsentwicklung zwischen 1968 und 1990: Rechtsprechung unter dem Eindruck der Hühnerpestentscheidung
Einen entscheidenden Markstein in der Entwicklung der Rechtsprechung zum Produkthaftungsrecht stellt die Hühnerpestentscheidung des Jahres 1968 dar12 • Der BGH setzt sich vertieft mit den in der Literatur entwickelten vertragsrechtliehen Modellen, insbesondere mit dem Institut des Garantievertrages sowie der strikten Vertrauenshaftung, auseinander und lehnt diese ab. Statt dessen wird die Ersatzerscheine daher angemessen (U. Diederichsen, Die Haftung des Warenherstellers, 1967, S. 49 ff., 297 ff., 310, 330 ff., 352 f. ; D. Giesen, Warenherstellerhaftung ohne Verschulden, NJW 1968, S. 1402, ders. Die Haftung des Warenherstellers, NJW 1969, 583 f.; Simitis, Gutachten 33, sowie BGHZ 51, 91,98 (Hühnerpest). - Haftung aus einem gesetzlichen Vertrauensschuldverhältnis, das aus der besonderen Natur der Rechtsbeziehung zwischen Hersteller und Endverbraucher erwächst, da der Verbraucher das Produkt im Vertrauen auf die Sorgfalt des Herstellers benutze (C. W. Canaris, Die Produzentenhaftpflicht in dogmatischer und rechtspolitischer Sicht, JZ 1968, S. 494, 501 ff.). Eine ausführliche Darstellung und kritische Diskussion findet sich bei Kulimann I Pfister· Pfister, Bd. 1 1310 C. (S. 9) und Pfeifer, S. 42 ff. 10 E. v. Caemmerer, Festschrift zum hundertjährigen Bestehen des DJT, Bd. 2 1960, S. 49, 72 f.; S. Simitis, Grundfragen der Produzentenhaftung, 1965, S. 49 ff.; F. Hauß, Diskussionsbeitrag, Karlsruher Forum 1963, 38; Oiesen NJW 1969,582 ff. li Vgl. dazu ausführlich F. Graf von Westphalen (Hrsg), Produkthaftungshandbuch. Bd. 1: Vertragliche und deliktische Haftung, Strafrecht und Produkthaftpflichtversicherung, 2. Auf!. 1997; Bd. 2: Das deutsche Produkthaftungsgesetz, Internationales Privat- und Prozeßrecht, Länderberichte zum Produkthaftungsrecht, 1991, Bd. I,§ 18, Rn 13 (S. 266). 12 BGH Urteil vom 28. 11. 1968, BGHZ 51, 91 = NJW 1969, 269 = JZ 1969, 387. Der Tatbestand der Hühnerpestentscheidung dürfte bekannt sein: Die Klägerin, die eine Hühnerfarm betrieb, hatte ihre Hühner von einem Tierarzt gegen Hühnerpest impfen lassen. Der Impfstoff, den der Tierarzt von der Beklagten bezogen hatte, war mit Bakterien verunreinigt, die die Hühnerpestviren verunreinigt hatten. Es brach daher die Hühnerpest aus und über 4000 Hühner verendeten. Die Beklagte trat für die Arbeiter und die Leiterin ihrer Virus-Abteilung den Entlastungsbeweis an.
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1. Kap.: Entwicklung des Produkthaftungsrechts
pflicht der Herstelleein allein mit § 823 I, II BGB begründet. Zum anderen trägt der BGH der häufig ungünstigen Beweissituation des Verbrauchers Rechnung und nimmt eine Beweislastumkehr vor. Da die Ursache des Produktfehlers in der Produktionssphäre liege und der Produktionsprozeß vom Hersteller bestimmt sei, sei dieser "näher dran", den Sachverhalt aufzuklären und die Folgen der Beweislosigkeit zu tragen. Er müsse daher beweisen, daß auch der Betriebsleitung kein (Organisations-)Verschulden vorzuwerfen sei. In den folgenden Jahren weitet der BGH diese Rechtsprechung aus und konkretisiert den Inhalt der Verkehrspflichten in Hinblick auf die Fabrikation und Konstruktion von Produkten und die Instruktion über deren Risiken weiter. b) Ausarbeitung der EG-Richtlinie über die Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produkte
Im Jahre 1968 werden die ersten Vorarbeiten der Kommission zur Harmonisierung des Produkthaftungsrechts aufgenommen, die im Jahre 1985 durch die Verabschiedung der EG-Richtlinie über die Haftung für fehlerhafte Produkte ihr Ende finden. Die maßgeblichen Gründe für die Erarbeitung eines europäischen Spezialgesetzes ist der Wunsch nach Vereinheitlichung des Rechts innerhalb der Gemeinschaft und der Gedanke der Verstärkung des Verbraucherschutzes unter dem Eindruck der Contergan Katastrophe in Deutschland und Großbritannien. In der Zeit von 1973 bis 1976 entstehen zwei von der Kommission erarbeitete Vorentwürfe, sowie der "Vorschlag einer Richtlinie", in dem die Kommission die Einführung einer vom Verschulden gelösten, auf zehn Jahre begrenzten Haftung des Produzenten für Personen- und Sachschäden an privat genutzten Sachen vorschlägt, wenn diese durch einen Produktfehler ausgelöst wurden. Es zeigt sich, daß über Art und Inhalt des Produkthaftungsgesetzes innerhalb der Gemeinschaft unterschiedliche Vorstellungen bestehen. So manifestieren sich die unterschiedlichen Ansichten unter anderem bei der Frage, ob der Hersteller auch für Entwicklungsrisiken haften solle. Nach dem "Vorschlag einer Richtlinie" ist eine derartige Haftung vorgesehen und wird auch nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses 13 sowie des Europäischen Parlaments 14, das sich gegen eine Haftung für Entwicklungsrisiken ausspricht, im "Kommissionsvorschlag 1979" beibehalten. Im Jahre 1980 nimmt der Rat seine Arbeiten auf. Die Beratungen gestalteten sich aufgrund der weit auseinandergehenden Vorstellungen der Mitgliedsländer schwierig. Gegenstand der Diskussion ist neben der erwähnten Auseinandersetzung um die Haftung für Entwicklungsrisiken auch die Frage einer Haftungsbegrenzung. Nach vierjährigen Beratungen zeichnete sich ein Kompromiß ab, nach 13 Stellungnahme am 13. Juli 1978 nach zweijähriger Beratung in einer Arbeitsgruppe der Sektion "Industrie". 14 Stellungnahme in der Plenarsitzung am 26. April 1979 nach vorangegangenen intensiven Beratungen im Rechtsausschuß.
I. Entwicklung in Deutschland
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dem die von der Kommission vorgeschlagene verschuldeusunabhängige Haftung für Körper- und Sachschäden unverändert angenommen, für Entwicklungsrisiken jedoch ein Haftungsausschlußgrund, der vom Hersteller zu beweisen ist, aufgenommen wird. Die einzelnen Mitgliedsstaaten erhalten die Möglichkeit, bei der Transformation der Richtlinie diesen Haftungsauschlußgrund nicht aufzunehmen. In Art. 6 der Richtlinie wird der Produktfehler definiert. Angesichts des Zieles, den Hersteller auch ohne Verschulden haften zu lassen, gilt es, den Produktfehler als Korrektiv gegen eine "uferlose" Haftung beizubehalten. Als "source d'inspiration" dient der consumer expectation test des § 402 A Restaterneut (Second) of Torts 15 , obwohl sich die dogmatischen Schwierigkeiten, die mit einem Einheitstest und der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs der "vernünftigen" bzw. "berechtigten" Verbrauchererwartungen im Bereich des Konstruktionsfehlers verbunden sind, bereits gegen Ende der 70er-Jahre in der amerikanischen Diskussion und Rechtsprechung abzeichnen. Amerikanische Beobachter nehmen die Übernahme des consumer expectation test in die Richtlinie mit Erstaunen zur Kenntnis 16• Die Fehlerdefinition des Art. 6 ist auch innerhalb der europäischen Gemeinschaft nicht unumstritten. Angesichts der Tatsache, daß die Definition auslegungsbedürftig ist 17, wird teilweise die Forderung erhoben, die Landesgesetzgeber sollten untereinander eine Einigung über die weitere Konkretisierung des Art. 6 in den Umsetzungsgesetzen treffen 18, um so eine eigene Ausformung des Fehlerbegriffs in jedem Land zu verhindern.
3. Rechtslage seit 1990: Umsetzung der EG-Richtlinie im Produkthaftungsgesetz und seine Auswirkungen
Seit dem 1.1. 199019 gilt das deutsche Produkthaftungsgesetz. Die EG-Richtlinie wird im wesentlichen unverändert übernommen. Der deutsche Gesetzgeber macht von der Möglichkeit des Entlastungsbeweises für Entwicklungsrisiken zugunsten des Herstellers in § 1 II Nr. 5 Gebrauch; daneben verändert er den Wortlaut des Art. 6 der Richtlinie in § 3 ProdhaftG dahingehend, daß § 3 von der Sicherheit, die "berechtigterweise erwartet werden kann" anstelle von der entsprechenden Wendung "die man ( ..... ) zu erwarten berechtigt ist" spricht. Die Transformation führt ebenso wie die Verabschiedung der Richtlinie zu einer kontroversen Diskussion in der Literatur, wobei die Auslegung des in § 3 ProdHaftG normierten Fehlerbegriffs als ein Hauptproblem des neuen Gesetzes identifiziert wird.
15 E. Lorenz, Europäische Rechtsangleichung auf dem Gebiet der Produzentenhaftung, ZHR 151, 1987, I, 27. 16 Vgl. A. Cortese, Fehlerhafte Richtlinie?, PHI 1989,54, 55. 17 Vgl. dazu ausführlich unten 2. Kapitel, I. 18 Kullmann/Pfister-Kullmnnn Bd. 1, 3604 C.l. 19 Vgl. § 19 ProdHaftG.
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1. Kap.: Entwicklung des Produkthaftungsrechts
Die Stellungnahmen der Rechtsprechung zum ProdHaftG sind hingegen spärlich. Die Entscheidungen zu produkthaftungsrechtlichen Fragestellungen sind bisher überwiegend nach den Grundsätzen des § 823 I, II BGB ergangen. Dies liegt zum einen an der Übergangsregel des § 16 ProdHaftG, nach der das ProdHaftG nicht auf Produkte anwendbar ist, die vor Inkrafttreten des Gesetzes in den Verkehr gebracht wurden und zum anderen am Anwendungsbereich des § 1 I ProdHaftG, der die Haftung auf Produkte für den privaten Ge- und Verbrauch beschränkt. Die erste Entscheidung, bei der der BGH das ProdHaftG angewandt hat, ist die am 5. Mai 1995 ergangene Entscheidung zum produkthaftungsrechtlichen "Klassiker" einer Schädigung des Klägers durch eine zerberstende Mineralwasserflasche20. Im Diktum der zweiten Gewindeschneidemittel-Entscheidung21 finden sich Ausführungen zu den Haftungsvoraussetzungen, der Fall wurde aber, da es sich um ein gewerblich genutztes Produkt handelte, nach § 823 BGB entschieden.
II. Entwicklung in den Vereinigten Staaten Die Entwicklung des amerikanischen Produkthaftungsrechts kann grob in fünf Phasen untergliedert werden, nämlich die Zeit vom Beginn des Jahrhunderts bis zur "Entdeckung" der strict liability in § 402 A Restatement (Second) of Torts im Jahre 1964, die Erarbeitung von§ 402 ARestatement (Second) of Torts, die Zeit zwischen 1964 bis in die 70er Jahre, die durch den erheblichen Einfluß von § 402 ARestatement (Second) gekennzeichnet ist, die Zeit zwischen 1976 und 1985/ 1986, in denen unter dem Eindruck der sogenannten "Produkthaftungskrise" Gegenmodelle zu§ 402 A entwickelt werden und die Zeit von 1986 bis zum heutigen Tage, die durch den Ruf nach einer Abkehr von den Grundsätzen der strict liability und von der in § 402 A niedergelegten Fehlerdefinition bei Konstruktions- und Instruktionsfehlern geprägt ist. Am Ende dieser Entwicklung steht der Entschluß des ALl, § 402 A zu reformieren. 1. Erste Hälfte des 20. Jahrhunderts: Die "Entdeckung" der strict liability - von MacPherson v. Buick Motor Co. zu Greenman v. Yuba Power Products
Das frühe amerikanische Produkthaftungsrecht ist dadurch gekennzeichnet, daß Verbraucher für produktbedingte Schäden nur dann entschädigt werden, wenn sie mit dem Hersteller in einer direkten Vertragsbeziehung stehen. Dieses Prinzip gilt auch für deliktische Ansprüche, da der Kreis der Anspruchsberechtigten durch die BGH NJW 1995, 2161. 21 BGH, NJW-RR 1995,342.
2o
II. Entwicklung in den Vereinigten Staaten
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sogenannte "doctrine of privity" begrenzt wird22. Die privity rule wird schon friih in einer Vielzahl von produkthaftungsrechtlichen Entscheidungen durchbrochen23 und im Jahre 1916 durch die Entscheidung MacPherson v. Buick Motor Co24 aufgehoben. Damit wird das Fundament für eine feste Verankerung der Schadensersatzpflicht des Herstellers unabhängig von einer vertraglichen Abrede der Parteien gelegt - nach den Ausführungen von Judge Cardozo: "We have put aside the notion that the duty to safeguard life and limb, when the consequences of negligence may be foreseen, grows out of contract and nothing else. We have put the source of the obligation where it ought tobe. Wehave put it in the source of the law25 ." Allerdings bleiben die Auswirkungen von MacPherson auf die Entwicklung der gerichtlich geltend gemachten Anspriiche vergleichbar gering. Konsumenten sehen sich bei der Geltendmachung ihrer Anspruche immer noch erheblichen Schwierigkeiten ausgesetzt. Die Fahrlässigkeit des Herstellers kann häufig selbst unter dem Gesichtspunkt der res ipsa loquitur-Lehre26 nur schwer bewiesen werden und dem Hersteller stehen gegen den Anspruch viele Einwendungen zu27 . Will der Konsument nach den verschuldeosunabhängigen Konzepten der express oder implied warranty28 vorgehen, so greift die Schranke der doctrine of privity grundsätzlich auch weiterhin zugunsten des Herstellers ein29• Die Stellung des Verbrauchers wird durch zwei Entscheidungen der 60er Jahre entscheidend verbessert: Durch Henningsen v. Bloomfield Motors30 wird die 22 Die privity-rule geht auf eine englische Entscheidung aus dem 19. Jahrhundert zurück, vgl. Winterbottom v. Wright, 10M. & W. 109 (Exch. 1842). 23 Vgl. z. B. Thomas v. Winchester, 6 N.Y. 307, 1852. 24 111 N.E. 1050 (1916). Zu den Abweichungen von der privity doctrine in Fallrecht und ihrer Kritik in der Literatur siehe ausführlich G.T. Schwartz, New Products, Old Products, Evolving Law, Retroactive Law, 58 New York University Law Review, 1983, S 796, 797 ff. mit weiteren Nachweisen. Schwartz weist darauf hin, daß nach der Ansicht Cardozos MacPherson keine Reform des geltenden Rechts darstellte, sondern lediglich Ambivalenzen des existierenden Fallrechts auflöste (S. 797 mit Verweis auf B. Cardozo, The Growth of the Law, 40-41 [1924]). 25 111 N.E. 1050, 1053 (1916). 26 Die res-ipsa-loquitur Doktrin ist folgendermaßen definiert: "Rebuttable presumption or inference that the defendant was negligent, which arises upon proof that instrumentality causing the injury was in defendants exclusive control, and that the accident was one which ordinarily does not happen in absence of negligence.", vgl. Hillen v. Hooker Const. Co., Tex. Civ. App., 484, S. W. 2d 113, 115. 27 Vgl. R. E. Epstein, The Unintended Revolution in Product Liability Law, 10 Cardozo Law Review, 1989, S. 2193, 2200. 28 Das Instrument der warranty beruht auf der vertraglichen Beziehung zwischen Käufer und Verkäufer einer schadhaften Sache. Der "breach of warranty" führt zu einer erfolgsbezogenen Einstandspflicht des Verkäufers unabhängig von Pflichtverletzung und Verschulden (siehe dazu auch Pfeifer, S. 40 f.). Ihre gesetzliche Grundlage findet die warranty heute im Uniform Commercial Code, der mit geringfügigen Abweichungen in allen Jurisdiktionen gilt (siehe dazu PfeiferS. 41). 29 Vgl. dazu ausführlich PfeiferS. 57 ff. 3o 32 N. J. 358, 161 A. 2d 69 (1960).
3 Kollmann
I. Kap.: Entwicklung des Produkthaftungsrechts
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Schranke der "vertical privity" aufgehoben, so daß nicht nur der Käufer selbst einen Anspruch geltend machen kann, sondern auch alle anderen Personen, die bestimmungsgemäß mit dem Produkt in Kontakt kommen. Greenman v. Yuba Power Products Co. 31 führt zu einer verschuldeosunabhängigen deliktsrechtlichen Haftung des Herstellers - der Haftung nach den Grundsätzen der strict liability. Justice Traynor, der bereits in seiner concurring opinion in Escola v. Coca-Cola Bottling Co. of Fresno 32 für eine "absolute liability"33 des Herstellers eingetreten war, führt zum "Tod des Vertragsrechts" aus: "The recognition that liability is not assumed by agreement but imposed by law, and the refusal to permit the manufacturer to define the scope of its own responsibility for defective products make clear that the liability is not goverened by the law of contract warranties but by the law of strict liability in tort34. Greenman führt zu einer massiven Ausdehnung des Anwendungsbereiches der strict liability, da diese nur im Zusammenhang mit Nahrungsmitteln anerkannt war und die Haftung für sonstige produktbedingte Schäden stets auf negligence gestützt wurde, auch wenn die Bereitschaft der Gerichte, die Anforderungen an die Sorgfalt des Herstellers auszuweiten, groß gewesen sein mag35 • Als Wegbereiter für die Annahme der strict liability durch Greenman und der Schwächung des Vertragsrechts in Henningsen können in der Literatur insbesondere die Veröffentlichungen von Friedrich Kessler und Fleming James36 sowie die Reformbestrebungen William Prossers identifiziert werden. James tritt dafür ein, das Deliktsrecht als Instrumentarium zur Schaffung einer "social insurance" zu benutzen, durch die eine gerechte Verteilung produktbedingter Risiken erzielt werden sollte. Ein Haftungssystem, das auf das Verschulden des einzelnen abstellt, erscheint dazu ungeeignet, insbesondere da im Bereich von Unfallschäden die Frage einer moralischen Schuld selten bestimmend ist37 • Der Aspekt von Kesslers Arbeiten, der für die Entwicklung des Produkthaftungsrechts einflußreich ist, wendet sich gegen das geltende Vertragsreche8 . Kess59 Cal. 2d 57, 377 P. 2d 897,27 Cal. Rptr. 697 (1963). 150 P. 2d 436 (Cal. 1944). 33 Der Begriff der absolute liability ist m.E. mißverständlich. Die Begriindung der concurring opinion läßt darauf schließen, daß es Traynor nicht um eine "absolute", sondern lediglich um eine verschuldeosunabhängige Haftung ging. So heißt es zur notwendigen Eingrenzung der Haftung: "The manufacturer's liability should, of course, be defined in terms of safety of the product in normal and proper use, and should not extend to injuries that cannot be traced to the product as it reached the market. (150 P. 2d. 436, 444). 34 59 Cal2d at 61,377 P. 2d at 901,27 Cal. Rptr. at 701. 35 Siehe dazu im einzelnen Schwartz, 58 N.Y. U. L. Rev. 796, 797-802 (1983). 36 Zur Person Fleming Jarnes siehe G.L. Priest, The Invention of Enterprise Liability: A Critical History of the Intellectual Foundations of Modem Tort Law, XIV Journal of Legal Studies, 1985,461,470. 37 F. James, Contribution arnong Joint Tort Feasors: A Pragmatic Criticism, 54 Harvard Law Review, 1941, S. 1156, 1157 (1941). 31 32
li. Entwicklung in den Vereinigten Staaten
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ler sieht das Prinzip der Vertragsfreiheit als notwendige Maxime eines freien Unternehmertums. Vertragsfreiheit stellt sich nach Kessler jedoch im Zusammenhang mit Massenproduktion und -Verteilung von Gütern als Illusion heraus. Verträge träten nur noch in standardisierter Form auf und würden als Instrument der stärkeren Partei mißbraucht, der schwächeren ihren Willen aufzuerlegen. Kessler selbst sieht Verträge als "die wichtigste Quelle des Rechts"39, so daß seine Reformvorschläge grundsätzlich auf die Regulierung und nicht auf die Verdrängung des Vertragsrechts abzielen40 • Tatsächlich wird seine Kritik jedoch anders umgesetzt, als sie die Gerichte davon überzeugt, daß das Vertragsrecht des 19. Jahrhundert durch ein Rechtssystem ersetzt werden müsse, das den Fragestellungen des 20. Jahrhunderts mit den Phänomenen der Massenproduktion und den notwendigerweise schwächeren und schlecht informierten Konsumenten Rechnung tragen könne41 • In seinem beriihmten Artikel "Assault upon the Citadel"42 aus dem Jahre 1960 greift Prosser die Thesen von James und Kessler auf, verbindet die Kritik am Vertragsrecht mit dem Ruf nach einem stärkeren Schutz des Konsumenten durch das Deliktsrecht und weist eine entsprechende Tendenz in der Rechtsprechung nach43 . Nur zwei Monate nach dem Erscheinen dieses Artikels wird Henningsen entschieden und Prossers Standpunkt damit bestätigt. 2. Die 60er Jahre: Die Entstehung des § 402 A und sein ursprünglicher Anwendungsbereich
Im Jahre 1960 beginnt das A.L.I. mit der Erstellung des Restatement (Second) of Torts und ernennt Prosser zum Reporter. Die Posten der adviser werden mit Fleming James und Justice Traynor sowie weiteren Befürwortern einer strict liability besetzt44 • Die Veränderungen, die der Text von § 402 A in den laufenden Entwürfen erfährt, spiegelt das Erstarken der strict liability im amerikanischen Produkthaftungsrecht wider. Im Tentative Draft No 6 aus dem Jahre 1961 ist die strict liability noch auf die Bereiche "food for human consumption" beschränkt und erfahrt 38 Zu Person und Werk Kesslers siehe Priest, XIV J. Leg. Stud. 461, 484 ff. Priest weist darauf hin, daß Kesslers Arbeiten sich nicht in erster Linie mit produkthaftungsrechtlichen Fragen beschäftigten. 39 Priest XIV J. Leg. Stud. 461, 487 (1985) mit Verweis auf F. Kessler; Contracts of Adhesion - Some Thoughts about Freedom of Contract, 43, Colum. L. Rev. 629, 630, 641 (1943). 40 Priest XIV J. Leg. Stud. 461, 488. 41 Priest XIV J. Leg. Stud. 461,495. 42 W L. Prosser; The Assault upon the Citadel, Strict Liability to the Consumer, 69 Yale Law Joumal1099, 1960. 43 Für eine Stellungnahme zu Prosser; 69 Yale L. J. 1099 (1960) siehe Priest XIV J. Leg. Stud. 461, 506. 44 So z. B. Wex Malone, Clarence Morris, Page Keeton und John Wade, die die Entwicklung des Produkthaftungsrechts in den folgenden Jahren durch ihre Arbeiten vorantreiben sollten, vgl. dazu im einzelnen Priest, XIV J. Leg. Stud., 461, 512.
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1. Kap.: Entwicklung des Produkthaftungsrechts
im Tentative Draft No 7 aus dem Jahre 1962 eine Ausweitung auf "food for human consumption or other products for intimate bodily use" bis hin zur Endfassung des § 402 A im Jahre 1964, die jedes Produkt unter die strict liability fallen läßt. Prosser begründet die Ausweitung der strict liability damit, daß sich das Fallrecht mit einer "fast explosiven Kraft" entwickelt habe45 . Zum Beweis für diese Behauptung führt Prosser 40 Fälle aufl6 , deren Mehrheit jedoch nicht geeignet ist, eine breite Akzeptanz der strict liability zu untermauern. Tatsächlich postulieren nur acht der 40 Fälle einen von der Vergangenheit abweichenden Haftungsstandard, unter denen neben Greenman nur Goldberg v. Kollsmann Instrument Co. 47 den Rang einer Leitentscheidung erreicht48 . Entsprechend argumentieren Kritiker des Restatement-Projekts, daß das bestehende Fallrecht den von Prosser behaupteten Trend zur strict liability nicht erkennen lasse49. Zeitgleich mit der Arbeit am Restatement Projekt veröffentlichen Prosser und einige durch ihre Stellung als advisors maßgeblich am Projekt des Restatement (Second) beteiligte Wissenschaftler Aufsätze zur Einführung der strict liability und zur Definition des Produktfehlers. Diese lassen ausnahmslos erkennen, daß § 402 A ursprünglich allein auf den dogmatisch unproblematischen Fall des Fabrikationsfehlers abzielte, während Konstruktionsfehler nach dem geltenden negligence Maßstab beurteilt werden sollten50• Die heute im amerikanischen Recht anerkannte Unterscheidung zwischen Fabrikationsfehlern (manufacturing defects/flaws), Konstruktionsfehlern (design defects) und Instruktionsfehlern (failure to warn) spielt bei der Entstehung von Restatement (Second) noch keine Rolle und wurde in ihrer Bedeutung auch nicht erkannt. 3. Von 1964-1976: Die Ausweitung des Anwendungsbereichs des § 402 A
Mitte der 60er Jahre wird die Ausdehnung der Anwendung des§ 402 A auf den Bereich des Konstruktionsfehlers eingeleitet, der bis dahin im amerikanischen Fallrecht eine eher untergeordnete Rolle gespielt hatte. Den Nährboden für diese Entwicklung bilden gesellschaftlichen Wandlungen, die eine stark an Konsumen45 Priest, XIV J. Leg. Stud., 461, 513 f. mit Verweis auf American Law Institute, Fortyfirst Annual Meeting, Proceedings 1964, S. 349-351 (1965). 46 Priest, XIV J. Leg. Stud., 461, 514. Mit Verweis auf Restatement (Second) of Torts, Tentative Draft No. 10, 20. Apri11964, S. 2-4. 47 12 N. Y. 2d 432, 191, N.E. 2d 81 (N.Y. 1963). 48 Priest, XIV J. Leg. Stud., 461,516. 49 Z. B. Smyser, J. M., Products Liability and the American Law Institute: A Petition for Rehearing, 42 University of Detroit Law Journal, 1965 S. 343, 345 ff. so Maßgeblich mit dem Thema des Produktfehlers beschäftigten sich Keeton (vgl. Keeton 40 Tex. L. Rev. 193 (1961); 49 Va. L. Rev. 675 (1963); 41 Tex. L. Rev. 855 (1963).), Wade (Wade 19 Sw. L. J. 5 (1965) und Traynor (J. Traynor, The Ways and Meanings of Defective Products and Strict Liability, 32 Tennessee Law Review, 1965, S. 363 ff. Allen Artikeln ist gemeinsam, daß sie sich in erster Linie mit dem Fall des Fabrikationsfehler beschäftigen.
II. Entwicklung in den Vereinigten Staaten
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teninteressen ausgerichtete Rechtsprechung begünstigen. In einer bisher nicht bekannten Weise wird die amerikanische Gesellschaft durch produktbedingte Schädigungen von Konsumenten erschüttert. Als Beispiel für eine Veränderung des rechtlichen Klimas kann die Diskussion um den ,,Ford-Pinto-Fall" genannt werden. Im Zusammenhang mit dem Ford-Pinto-Fall stehen die Angriffe Ralph Naders, der Bekanntheit als "Anwalt der Verbraucher" erlangt, auf die amerikanische Automobilindustrie51, durch die die consumerism-Bewegung Eingang in die amerikanische Gesellschaft findet52. Konsumenten sollen nunmehr nicht allein vor Unfällen, die durch fehlerhaft produzierte Produkte verursacht werden, geschützt werden, sondern Produzenten sollen für die Schäden, die auf ihre Konstruktionsentscheidung zurückgehen, in stärkerem Umfang einstehen müssen. Ebenso soll durch eine Ausdehnung der Aufklärungspflichten des Herstellers die Souveränität des Verbrauchers gestützt werden - das "informed choice movement" erfaßt das Produkthaftungsrecht Deliktsrecht erscheint ein angemessenes Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Es stellt sich nun in zunehmendem Umfang die Frage, wie die Konstruktions- und Aufklärungspflichten beschaffen sein sollen. Seit der Verabschiedung des zweiten Restatements wird die Forderung nach einer verschärften Haftung des Herstellers für seine Konstruktionsentscheidung und die produktbegleitenden Informationen in die Tat umgesetzt. Neben Law-Review Artikel, die sich mit diesem Thema auseinandersetzen, treten Gerichtsentscheidungen. Es können im wesentlichen zwei Tendenzen identifiziert werden, wobei berücksichtigt werden muß, daß eine einheitliche Linie für das "gesamtamerikanische Recht" nicht existiert, da Produkthaftungsrecht grundsätzlich unter die Jurisdiktion der einzelnen Staaten fällt. Das Fallrecht einiger Staaten folgt der "Einladung" der offenen Formulierungen des § 402 A. Der consumer-expectation test wird zum Ausgangspunkt für die Bestimmung des Konstruktionsfehlers. Den dogmatischen Schwierigkeiten bei seiner Anwendung auf den Konstruktionsbereich werden teilweise durch die Übernahme von Kosten-Nutzen-Kriterien begegnet. In anderen Staaten wird die von John Wade und Page Keeton entwickelte Übertragung des Learned Hand Tests zum maßgeblichen Standard für die Bestimmung des Konstruktionsfehlers.
51 R. Nader. Automobile Design : Evidence Catching Up with the Law, 42 Denver Law Center. Journal Incorporating Dicta 32, 1965. 52 Siehe dazu auch J. Schmidt-Salzer. Verbraucherschutz, Produkthaftung, Umwelthaftung, Untemehmensverantwortung, NJW 1994, S. 1305, 1306 und Viscusi, Reforming Products Liability Law, S. 111.
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1. Kap.: Entwicklung des Produkthaftungsrechts
4. 1976 bis Mitte der 80er Jahre: Die Diskussion um die Produkthaftungskrise und ihre Behandlung im Zusammenhang mit Konstruktionsentscheidungen
Bereits in den 70er Jahren weisen Kritiker auf eine "Krise" des amerikanischen Produkthaftungsrechts hin. Im Jahre 1976 setzt die Bundesregierung unter der Leitung von Professor Victor Schwartz eine interministerielle Arbeitsgruppe53 ein, die die Situation untersuchen und Lösungsvorschläge unterbreiten soll54. Die Arbeitsgruppe identifiziert drei Hauptursachen für die problematische Lage, nämlich die Entwicklung von Versicherungsprämien, die Produktionsbedingungen und die Rechtsunsicherheit im Bereich von produkthaftungsrechtlichen Rechtsstreitigkeiten55. In Reaktion auf den Abschlußbericht erarbeitet das Commerce Department unter Leitung von Victor Schwartz den sogenannten Model Uniform Products Liability Act (MUPLA), der 1979 veröffentlicht wird. Der MUPLA ist als Model zur freiwilligen Annahme durch die einzelnen Bundesstaaten konzipiert. Eine vollständige oder teilweise Adaption des MUPLA durch einzelne Staaten erfolgt jedoch nie, was wohl darauf zurückzuführen ist, daß anders als im Falle des Uniform Commercial Code zwischen den Staaten und betroffenen Interessentengruppen kein breiter Konsens bestand, wie das Produkthaftungsrecht beschaffen sein sollte56. Allerdings können die Vorschläge des MUPLA als Indikator für die wachsenden Bedenken gegen das Einheitsfehlerkonzept des § 402 A herangezogen werden. Anstelle des consumer expectation tests sieht der MUPLA für den Bereich des Konstruktionsfehlers eine Kosten-Nutzen-Analyse vor, die anhand von einer Abwägung von fünf Faktoren erfolgen soll, die jedoch keinen abschließenden Kriterienkatalog darstellen57 . 53 U. S. DEP'T OF COMMERCE INTERAGENCY TASK FORCE ON PRODUCT LIABILITY: FINAL REPORT OF THE LEGAL STUDY ( 1977). 54 Siehe dazu Pfeifer, S. 125 f. 55 Vgl. dazu auch Pfeifer S. 125 unter Bezugnahme auf Duintjer Tebbens, International Product Liability - A Study of Comparative and International Aspects of Product Liability S. 43, Interagency Task Force, Final Report I 21 ff., 24 ff., 26 ff. 56 Vgl. dazu Henderson/Twerski, Products Liability, Chapter 8, 1. c., S. 744 ff. 57 Für den Bereich des Konstruktionsfehlers sieht der MUPLA folgende Fehlerdefinition vor: § 104: BasicStandards of Responsibility for Manufacturers A product manufacturer is subject to Iiability to a claimant who proves by a preponderance of the evidence that the claimant's harm was proximately caused because the product was defective. A product may be proven defective if, and only if: .... (2) it was unreasonably unsafe in design (Subsection B) (B) The Product Was Unreasonably Unsafe in Design. (1) In order to detennine that the product was unreasonably unsafe in design, the trier offact must find that, at the time of manufacture, the likelihood that the product would cause the claimant's harm or sirnilar harms, and the seriousness of those harms outweighed the burden on the manufacturer to design a product that would have prevented those harms, and the adverse effect that alternative design would have on the usefulnes of the product.
II. Entwicklung in den Vereinigten Staaten
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Ihren Höhepunkt erreicht die Diskussion um die Produkthaftungskrise in den 80er Jahren, in denen das Thema auch von einer breiten Öfentlichkeit wahrgenommen und erörtert wird58• Die Ursachen der Krise bleiben umstritten. Während die Befürworter einer Reform des Produkthaftungsrechts auf Unzulänglichkeiten der in den meisten Staaten geltenden Grundsätze hinweisen, entwickeln Gegner einer Reform andere Theorien für die Ursache der Krise, darunter eine Verschwörung unter den Versicherern, die Prämien in kollusivem Zusammenwirken zu erhöhen oder das Ansteigen des "Versicherungszyklusses" aufgrundeines Sinkens der Zinsraten seit Anfang der 80er Jahre59• Es kann offen bleiben, welche Theorie die beste Erklärung für die "Krise" liefert. Tatsache ist, daß seit Mitte der 80er Jahre ein Trend im amerikanischen Recht auszumachen ist, der den konsumentenfreundlichen Entscheidungen der 70er und frühen 80er Jahre entgegenläuft. Die Bemühungen um eine "Reform" des Produkthaftungsrechts zeigen sich sowohl im gesetzgeberischen Bereich, als auch in einer größeren Zurückhaltung der Gerichte, den Klagen von Konsumenten stattzugeben. Im Bereich des Konstruktionsfehlers ist ein deutlicher Trend zu beobachten, den consumer expectation test des § 402 A zugunsten einer risk-utility Analyse zurückzudrängen. 5. Die ,,stille Revolution'.oo in der Produkthaftung Trends in Gesetzgebung und Rechtsprechung seit Mitte der 80er Jahre
Unter dem Eindruck der "Produkthaftungskrise" erlassen in den 80er Jahren eine Vielzahl der Staaten Gesetzgebung zum Produkthaftungsrecht Diese Gesetze setzen überwiegend am haftungsausfüllenden Tatbestand an. Der Ausweitung der Herstellerhaftung soll z. B. durch die Einführung von Haftungshöchstsummen im Bereich der Nichtvermögensschäden und der punitive damages, die Abschaffung oder Beschränkung der collateral source rule, nach der eine Kompen(2) Examples of evidence that is especially probative in making this evaluation include: (a) Any warnings and instructions provided with the product; (b) The technological and practical feasibility of a product designed and manufactured so as to have prevented the claimant's harm while substantially serving the likely user's expected needs; (c) The effect of any proposed alternative design to the usefulness of the product: (d) The comparative cost of producing, distributing, selling, using, and maintaining the product as designed and as alternatively designed, and (e) The new or additional harms that might have resulted if the product had been so alternatively designed. 58 Siehe Priest, 22 Valparaiso L. Rev. I, 2 mit zahlreichen Nachweisen für die Behandlung der Produkthaftungskrise in der amerikanischen Tagespresse. 59 Siehe dazu ausführlich K.S. Abraham., Making Sense of the Liability lnsurance Crisis, 48 Ohio State Law Journal, 1987, S. 399 ff. 60 So Henderson/Eisenberg in ihren Untersuchungen aus den Jahren 1990 und 1992, vgl. 37 U.C.L.A.Rev. 479 (1990) und 39 U.C.L.A.Rev. 731 (1992).
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1. Kap.: Entwicklung des Produkthaftungsrechts
sation des Klägers durch Dritte, etwa eine Versicherung, keinen Einfluß auf die Höhe des ihm zu gewährenden Schadensersatzes haben darf, durch die Beschränkung der Erfolgshonorare, sowie durch die Möglichkeit, offensichtlich unbegriindete Klagen im Vorfeld des Prozesses abzuwehren, eingedämmt werden61. Die Schaffung eines für alle Staaten verbindlichen Produkthaftungsgesetzes ist bis heute erfolglos geblieben, zuletzt scheiterte der sogenannte "Common Sense Product Liability and Legal Reform Act" am Veto Präsident Clintons. Eine umfassende gesetzliche Regelung des Produkthaftungsrechts ist auch in der Zukunft nicht zu erwarten. Eine "Reform" des Produkthaftungsrechts ist im Bereich der Rechtsprechung62 seit Mitte der 80er Jahre auszumachen. Empirische Studien belegen, daß die Gerichte grundsätzlich im Vergleich zur Aufbruchstimmung der 60er und 70er Jahre zuriickhaltender werden, wenn es um die Ausdehnung der konsumentenfreundlichen Rechtsprechung auf weitere Bereiche des Produkthaftungsrechts geht63 . Der Wandel betrifft nicht allein die Frage von Art und Umfang des zu gewährenden Schadensersatzes, sondern löst auch eine Grundsatzdiskussion darüber aus, ob die in § 402 A niedergelegten Prinzipien geeignet sind, die Schwierigkeiten zu lösen, die sich bei der gerichtlichen Überpriifung von Produktkonstruktionen und -instruktionen ergeben. Die Meinung in Rechtsprechung und Literatur, die für eine Ablösung der strict liablity durch negligence und des consumer expectation tests durch Kosten-Nutzen-Analysen eintritt, gewinnt an Gewicht. Der Wandel im Verständnis des Fehlerbegriffs in Rechtsprechung und Literatur führt schließlich dazu, daß das American Law Institute im März 1992 den Entschluß fasst, § 402 A des Restatement (Second) of the Law of Torts zu reformieren. Die Entscheidung, mit den Regelungen des Produkthaftungsrechts zu beginnen, begrundet der Präsident des ALl, Roswell B. Perkins folgendermaßen: "Wenn wir es unterlassen, die Formulierungen des Restatement (Second) im Lichte der veränderten Bedingungen und nachfolgenden Entscheidungen zu untersuchen, würden diese Formulierungen im zunehmenden Maße irrelevant und unzureichend für die jetzigen Bedürfnisse werden. Die beratende Versammlung des ALl hat daher beschlossen, daß die Zeit reif ist, eine erneute Untersuchung durch das Institut zu beginnen"64. Zwei Monate später beruft das ALl die Professoren James Henderson 61 Für eine tabellarische Auflistung der in den Jahren 1986 bis 1991 in den verschiedenen Staaten verabschiedeten Gesetze siehe Henderson, Products Liability, S. 859 ff. 62 Diese Tendenz zeigt sich in den Jurisdiktionen der meisten amerikanischen Staaten, so daß es hier zulässig erscheint, von einem Trend in "der Rechtsprechung " zu sprechen. 63 Vgl. dazu Henderson/Eisenberg, 37 UCLA L. Rev. 479 ff. und Eisenberg/Henderson, 39 UCLA L. Rev. 731 ff.. Siehe aber auch die Untersuchungen bei Viscusi, Reforming Products Liability Law, S. 20 ff., die zu einem anderen Ergebnis kommen. Die unterschiedlichen Ergebnisse dürften sich dadurch begründen lassen, daß Vicusi die Produkthaftungsprozesse im Zusammenhang mit Asbest-Unfällen, die einen Sonderfall darstellen, nicht gesondert betrachtet. 64 Vgl. Toxics Law Reporter vom 18. März 1992.
II. Entwicklung in den Vereinigten Staaten
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von der Cornell Law School und Aaron Twerski von der Brooklyn Law School als Reporter für die Formulierung des Entwurfs der neuen Fassung des § 402 A. Der Prozeß der Neufassung des § 402 A erfolgt - wie auch schon im Fall des Restatement (Second)- über die Erstellung verschiedener Entwürfe65 , deren Abschluß die Verabschiedung eines "Final Draft" als Ergebnis der Diskussionen in den zuständigen Arbeitsgruppen, Ratgeberausschüssen und schließlich der Abstimmungen durch die Mitglieder des ALl bildet. Durch die ständige Überarbeitung des Textes anband der Kommentare aus den Arbeitsgruppen und der Jahreshauptversammlung soll gewährleistet werden, daß die Neufassung einen breiten Konsens zwischen den betroffenen Interessengruppen widerspiegelt, der für eine erfolgreiche Aufnahme des Restatement durch die Gerichte und auch die Literatur erforderlich ist.
65 Ausgangspunkt ist die Erstellung eines preliminary drafts, auf den ein council draft und schließlich ein tentative draft folgt. Der council draft wird dem Beraterausschuß vorgelegt, über den tentative draft wird auf der Jahreshauptversammlung des ALl abgestimmt. Wird der Entwurf angenommen, erhält er die Bezeichnung " proposed final draft", der dem ALl Council zur Annahme als "final draft" vorgelegt wird. Es folgt dann eine Erprobungsphase durch die Gerichte, in der aber maßgebliche Veränderungen nicht zu erwarten sind. Nach dieser Phase wird der "final draft" zur endgültigen Neufassung des Restatement.
2. Kapitel
Die Diskussion des FehlerbegritTs: Zur Definition des Konstruktionsfehlers Die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs des Konstruktionsfehlers ist sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten umstritten. In beiden Rechtsordnungen werden im wesentlichen zwei Ansätze diskutiert, die teilweise auch ergänzend angewandt werden. Dies sind Kosten-Nutzen-Analysen und Fehlerbegriffe, die sich an den Kenntnissen und Erwartungen des Verbrauchers über die Produktsicherheit orientieren. Die Ursprünge beider Fehlerbegriffe liegen im amerikanischen Recht. In Deutschland übernehmen Vertreter von Kosten-Nutzen-Analysen dieses Konzept ohne Veränderungen, während das an Verbrauchererwartungen orientierte Modell des § 402 A in Form des "informationellen Fehlerbegriffs" eine erhebliche Weiterentwicklung durchlaufen hat.
I. Deutschland 1. Funktionen des Fehlerbegriffs
Die Fehlerhaftigkeit des Produkts wird als Kernfrage der Herstellerhaftung für produktbedingte Schäden angesehen. Dies gilt sowohl für die Haftung nach dem allgemeinen Deliktsrecht des BGB als auch für die Haftung nach § I ProdHaftG in Verbindung mit der Legaldefinition des Produktfehlers in § 3 I ProdHaftG. Zwar steht in der Herstellerhaftung nach § 823 I BGB 1 nicht der Begriff des Produktfehlers im Zentrum der Betrachtung, sondern die Haftung wird auf die Verletzung einer Verkehrspflicht des Herstellers gestützt. Gleichwohl hat es sich in der Praxis eingebürgert, bei der Verletzung dieser Pflichten fallbezogen von einem Fabrikationsfehler, einem Konstruktionsfehler, einem Instruktionsfehler oder einem Entwicklungsfehler I-risiko zu sprechen2 • Verletzt der Herstellers seine Verkehrspflicht bei Herstellung, Konstruktion und Instruktion, so führt dies spiegelbildlich dazu, daß das in Frage stehende Produkt mit einem "Fehler" im untechnischen Sinn behaftet ist. • Auf die Haftung gemäß § 823 li BGB soll nicht vertieft eingegangen werden, da sich die Pflicht des Herstellers - und damit die Fehlerhaftigkeit des Produktes - aus den Bestimmungen des einschlägigen Spezialgesetzes ergeben, deren Untersuchung im einzelnen den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. 2 Frietsch, DB 1990,29,29.
I. Deutschland
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Im Rahmen der Haftung nach dem ProdHaftG dient der Produktfehler im Sinne des § 3 ProdHaftG dazu, die als "verschuldensunabhängig" konzipierte Haftung des § 1 von einer reinen Kausalhaftung für produktbedingte Unfälle abzugrenzen, indem er das zentrale Element der "Gefährdungshaftung", nämlich das spezifische Risiko inhaltlich ausfüllt3 . Der Produktfehler spielt damit nach beiden Anspruchsgrundlagen eine entscheidende Rolle, sei es in seiner untechnischen Verwendung im Rahmen des§ 823 I BGB, sei es bei der Auslegung des§ 3 I ProdHaftG. Im folgenden soll die Ausfüllung des Begriffs der "Verkehrspflicht" des § 823 I BGB für die Konstruktion und Vermarktung von Produkten vertieft untersucht werden. Die dargestellten Grundsätze sind das Ergebnis einer über Jahre ausdifferenzierten Rechtsprechung. Im Anschluß sollen die in der Literatur diskutierten Modelle zur Ausfüllung von Konstruktionsfehlern gemäß § 3 ProdHaftG dargestellt werden. Eine Auseinandersetzung mit der Rechtsprechung erübrigt sich mangels aussagefabigen Fallrechts. 2. Produktfeblerhaftigkeit bei der Verletzung von Verkehrspflichten gemäß § 823 I
a) Maßgebliche Prinzipien bei der Ausfüllung der Verkehrspflichten
Die Verkehrspflichten4 des § 823 I BGB stellen Handlungsgebote an den Hersteller dar, deren Nichteinhaltung eine Voraussetzung des haftungsbegründenden Tatbestandes ist. Gleichzeitig wird indirekt eine Aussage über die Produktfehlerhaftigkeit getroffen. Erfüllt der Hersteller seine Verkehrspflicht nicht und kommt ein Verbraucher dadurch in seinen Rechtsgütern zu Schaden, so ist das Produkt mit einem Fehler behaftet5 • Eine ausführliche Untersuchung und dogmatische Einordnung der Verkehrspflichten schließt sich im folgenden Kapitel an. Zum Verständnis der folgenden Ausführungen soll nur festgehalten werden, daß sich der Inhalt und Umfang von Verkehrspflichten danach bestimmt, was im konkreten Fall zur Beseitigung einer Gefahr erforderlich und auch zurnutbar ist6 . Es gilt der Grundsatz, daß 3 Vgl. dazu G. Brüggemeier, Die Gefährdungshaftung des Produzenten nach der EGRichtlinie- ein Fortschritt der Rechtsentwickung? In: C. Ott/H.B. Schäfer, Allokationseffizienz in der Rechtsordnung. Beiträge zum Travemünder Symposium zur ökonomischen Analyse des Zivilrechts. 23.-26. März 1988, 1989, S. 235. 4 Für eine ausführliche Untersuchung der Verkehrspflichten des Herstellers siehe unten unter 2. Kapitell.2.; 3. Kapitell.l.b). 5 Andererseits muß nicht jeder Produktfehler auch einen "Produzentenfehler", d. h. einen Verstoß gegen die Verkehrspflicht indizieren. Das prominente Beispiel für das Auseinanderfallen von objektiven Sicherheitsmängeln des Produktes und Herstellerverschulden stellt der sogenannte Ausreißer dar, vgl. dazu T. Wiekhorst, VersR 1995, 1005, 1005. Im Bereich des Konstruktionsfehlers wird diese Fallkonstellation allerdings nicht relevant, vgl. dazu die Ausführungen im 3. Kapitel.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
nur solche Produkte für den Vertrieb hergestellt werden dürfen, die von ihrer Konstruktion bzw. Zusammensetzung gewährleisten, daß sie der durchschnittliche Benutzer gefahrlos verwenden kann7 . Dieser Grundsatz ist wenig aussagekräftig, so daß die Frage nach Art und Ausmaß der Herstellerpflichten im Konstruktionsbereich nur unter Berücksichtigung des Fallrechts ermittelt werden kann. In den letzten Jahrzehnten ist dazu eine Fülle von Entscheidungen ergangen, die fast jeden denkbaren Aspekt der Herstellerverantwortung konkretisieren. Aus der Masse der Rechtsprechung haben sich im Laufe der Jahren einige leitende Prinzipien herauskristallisiert. Bei der folgenden Darstellung ist zu berücksichtigen, daß diese Grundsätze nicht aus einem abstrakten Rechtssatz abgeleitet, sondern das Ergebnis eines organisch ablaufenden Prozesses sind. Das erschwert die Systematisierung und führt dazu, daß die Aufzählung nicht abschließend ist. Unter Berücksichtigung dieses caveats sind die folgenden, gleichberechtigt nebeneinander stehenden Grundsätze zu nennen: - Die Erwartungen des betroffenen Verkehrskreises: Der Anspruch an die Sicherheit von Produkten bestimmt sich aus den Erwartungen des Verbraucherkreises, für den das Produkt bestimmt ist. Nach dem BGH genügt der Hersteller dann den Erfordernissen, "wenn im Ergebnis derjenige Sicherheitsgrad erreicht ist, den die in dem entsprechenden Bereich herrschende Verkehrsauffassung - konkret ein vernünftiger Angehöriger eines bestimmten Verkehrskreises8 - für erforderlich erachtet"9 • Im Einzelfall kann dies zu einer Senkung 10 oder zu einer Steigerung der Anforderungen führen 11 . Die unvermeidbar gefährliche Natur bestimmter Produkte wie Arzneimittel 12, Tabak und alkoholhaltiger Getränke 13 ist von der allgemeinen Verkehrserwartung urnfaßt. Unter Umständen- aber nicht zwangsläufig - kann auch die Offensichtlichkeit des Produktrisikos zu einer Verneinung des Verstoßes gegen Verkehrspflichten führen 14. Fehlt es an solchen Anhaltspunkten für die bestehenden Erwartungen in dem betroffenen Verkehrskreis, so stellt sich die Frage, wie diese bestimmt werden können. Nach der ganz 6 BGH NJW 1981, 1603, 1606- Derosal I; BGH NJW 1988, 26ll f. - Mehrwegflasche II; Kultmann-Pfister, Bd I, 1520 F III 1 a)bb)- Kza. 1520, S. 22, Canaris, JZ 1968, 494, 497 Fn. 23, Foerste in v. Westphalen/ Foerste, § 24 Rn1. 7 Kultmann I Pfister, Bd I, 1520 F III 1 a)bb)- Kza 1520. 8 BGH VersR ll96, 1197. 9 BGH VersR 1972,559 (Förderkorb). lO So im Fall von einer ausschließlich gewerblichen oder ausschließlich auf Fachleute begrenzten Nutzung, vgl. BGH VersR 1972, 149, 151 - Förderanlage. II Im Fall des Gebrauchs durch gänzlich unerfahrene Personen (BGH NJW 1981, 2514, 2515 - Kältemittel) oder durch Kleinkinder (BGH NJW 1988, 48, 49 und 2667 - Spielgeräte). 12 Foerste in v. Westphalenl Foerste, § 24 Rn 6; Kultmann in Kultmann I Pfister, Bd. III, F. I 2b)- Kza. 1520, S. 2 f. 13 Foerste in v. Westphalen/ Foerste, § 24 Rn 6. 14 Kultmann in Kultmann!Pfister, Bd. III, F. I 2b) - Kza. 1520, S. 3.
I. Deutschland
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überwiegenden Praxis in der Rechtsprechung wird bei der Ermittlung der Verkehrserwartungen in der Regel auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens- das die Verbrauchererwartungen dann anband einer demoskopischen Untersuchung ermitteln könnte - verzichtet. Meines Wissens nach stellt die Backofen-Entscheidung des AG Gelsenkirchen 15 einen Einzelfall dar, der in der Literatur kritisch beurteilt wird 16. Die Praxis scheint dahin zu tendieren, die Ermittlung der bestehenden Verkehrserwartung den Intuitionen und Vorstellungen des ermittelnden Gerichts zu überlassen, welche Kenntnisse die betroffenen Verbraucher von dem Produkt haben sollten. Damit wird das Kriterium der Verkehrserwartungennicht als faktische, sondern als normative Frage behandelt. Der Stand von Wissenschaft und Technik: Der "Stand von Wissenschaft und Technik" ist schon in seiner Begrifflichkeit nicht unproblematisch. Da von einem einheitlichen Kenntnisstand nicht ausgegangen werden kann, wird teilweise in Anlehnung an die gesetzlichen Termini der §§ 16, 24 IV GewO, 3 IV BlmSchG und 7 II Nr. 3 AtomG zwischen den "allgemeinen Regeln der Technik" als Mindestsorgfalt über den "Stand der Technik" bis hin zum "Stand von Wissenschaft und Technik" als Maximum der einzuhaltenden Sicherheit unterschieden17. Eine Differenzierbarkeit dürfte im Einzelfall nicht immer gegeben sein. Es kann aber grundsätzlich danach unterschieden werden, ob die Erkenntnisse dem letzten, gesichertem Forschungsstand entsprechen oder aber ob es sich lediglich um in der Praxis bewährte und erprobte Verfahren handelt 18 • Der "Stand von Wissenschaft und Technik" markiert demnach die Obergrenze der im Rahmen einer Verschuldeoshaftung einzuhaltenden Sicherheitsanforderungen, eine weitergehende Haftung stellt sich als Haftung für Entwicklungsrisiken dar. Mindestens sind die anerkannten Regeln der Technik selbst einzuhalten oder auf andere Weise ein entsprechendes Sicherheitsniveau herbeizuführen 19• Welche Anforderungen der Hersteller im Einzelfall einzuhalten hat, richtet sich in erster Linie nach der Größe des mit dem spezifischen Produkt verbundenen Ge15 Entscheidung vom 14. 6. 1973, J. Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung: mit einer Einführung und Urteilsanmerkungen. Band I, 1976; Band II, 1979; Band III, 1982, III 24, S. 597, 599 f.: "Diese Feststellung [d. h. die Frage, ob es für Verbraucher erkennbar ist, daß die Glasscheibe eines Backofens so heiß wird, daß es bei der Berührung zu erheblichen Verbrennungen kommen kann, Anmerkung der Verfasserin] kann nur aufgrund einer geeigneten Meinungsumfrage bei der Bevölkerung getroffen werden. Diese Meinungsumfrage ist entgegen der Ansicht der Beklagten ein zulässiges Beweismittel, das in diesem Rechtsstreit der Sachverständige B anhand der von ihm erarbeiteten Feststellungen erstattet hat. In der Befragung der nach wissenschaftlich gesicherten Gesichtspunkten als repräsentativer Querschnitt ausgewählten Personen liegt keine Zeugenvernehmung durch dritte Personen, sondern das Abfragen eines ausgewählten Bevölkerungsteils nach für alle gleichen Fragen und die Registrierung ihrer Antworten." 16 Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 236 f. 17 Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 15 m.w. N. 18 Foerste in v. Westphalen/ Foerste, § 24 Rn 15. 19 MüKo-Mertens, § 823 Rn 23 c.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
fahrenpotentials 20, aber auch nach der Verkehrserwartung, die sich in der Regel nicht allein auf die Einhaltung von Mindeststandards - etwa der reinen Erfüllung von DIN-Normen oder VDE-Bestimmungen, die rasch veralten könnenbeschränkt, sondern davon ausgeht, daß Hersteller "auf der Höhe der Zeit" sind21 . - Die ökonomischen Grenzen des Sicherheitsaufwandes: Die Pflichten des Herstellers werden von den Geboten der Erforderlichkeit diktiert und finden ihre Grenze im Zumutbaren. Unter Berücksichtigung der aufgezeigten Pflichten könnte man vermuten, daß "schon im Konstruktionsbereich alle möglicherweise auftretenden Gefahrenquellen beseitigt werden müssen"22. Diese Formulierung ist aber zumindest irreführend. Es ist anerkannt, daß Produkte keine absolute, sondern lediglich eine angemessene Sicherheit bieten müssen. Sicherheit hat ihren Preis. Dieser Tatsache kann einerseits über das Korrektiv der Verkehrserwartungen Rechnung getragen werden - wer Billigprodukte kauft, soll nur eine Mindestsicherheit erwarten23 - andererseits kann die Zumutbarkeit über eine ausdrückliche Anerkennung der Begrenzung der Anforderungen an den Konstrukteur unter dem Gesichtspunkt der Kosten zusätzlicher Produktsicherheit ausgefüllt werden. Die Einbeziehung wirtschaftlicher Überlegungen in die Bestimmung des Sicherheitsstandards ist umstritten. Die in Rechtsprechung und Literatur ganz h.M. läßt sich so zusammenfassen, daß Kostenargumente angesichts des Risikos für Rechtsgüter wie Leben und Gesundheit keine -maßgebliche -Rolle spielen dürften24• Die Anforderungen an die Sicherheit müßten sich an der Bedeutung des gefährdeten Rechtsguts ausrichten25 und Kostengesichtspunkte dann zurücktreten, wenn die Bedeutung der geflihrdeten Rechtsgüter die Einhaltung der viel beschworenen, aber nicht präzisierten "Basissicherheit" zwingend erscheinen ließe26• Sofern die Einhaltung der Basissicherheit positiv festgestellt sei, wird die Relevanz von Kostenerwägungen eingeräumt27 • Es wird anerkannt, daß es für die Feststellung der Foerste in v. Westphalen/ Foerste, § 24 Rn 32. BGH VersR 1977,543, 545; Kulimann in Kullmann/Pfister, Bd. III, F. III l.cc)- Kza. 1520, s. 10. 22 So Kulimann in Kulimann I Pfister, Bd I, F III 1 b), Kza. 1520, S. 2. 23 Kulimann in Kullmann/Pfister, Bd I, F Ili 2 a)bb), Kza. 1520, S. 7. 24 MüKo-Mertens § 823 Rn. 293, ähnlich Wiekhorst, VersR 1995, 1005, 1007; Foerste in v. Westphalenl Foerste, § 24, Rn. 53. 25 Kullmann, VersR 1988, 656. 26 Zum Problem der Basissicherheit, die weder in der Literatur noch in der Rechtsprechung präzisiert wird, siehe unten unter II. 1.3.4. Die Rechtsprechung hat den Verstoß gegen Verkehrspflichten bei besonders augenscheinlichen Sicherheitsmängeln mit dem lapidaren Hinweis auf die Nichteinhaltung der Basissicherheit begründet, vgl. dazu OLG Celle VersR 1978, 258, 259 (Hocker), OLG Köln, Urt. v. 20. 1. 1972 in Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung II, li 30 , S. 322 ff. (Speiseeisbereiter). 27 OLG Celle VersR 258,259. 20 21
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für den Konstruktionsfehler relevanten "gesteigerten Gefährlichkeit" einer Güterabwägung bedürfe, bei der die mit der spezifischen Konstruktion verbundenen Risiken gegen ihre Vorteile abgewogen werden28 . Die Rechtsprechung differenziert zwischen solchen Zumutbarkeitserfordernissen, die sich auf die betriebswirtschaftliche Belastbarkeit des Herstellers beziehen, und den Grenzen der Steigerung der Produktsicherheit, die sich aus den damit verbundenen Abstrichen an die Vorteile der Konstruktion ergeben. Im ersten Fall ist die Anerkennung von derartigen Schranken umstritten. Einerseits gibt es eine Reihe von Entscheidungen, die die Kosten einer erhöhten Produktsicherheit bzw. die betriebswirtschaftliehen Schwierigkeiten des Herstellers im Rahmen der Abwägung berücksichtigen. Beispiele für derartige Argumente sind z. B. die Einhaltung einer "verkehrsüblichen und wirtschaftlich allgemein vertretbaren Herstellungsweise"29 durch den Hersteller, die ,,Absatzchancen für ein entsprechend verändertes Produkt" bei der "Beurteilung des wirtschaftlich Zumutbaren"30 oder die "technischen und absatzmäßigen Schwierigkeiten und (die) starke[n] Erhöhung der Gestehungskosten der Beklagten"31 . Grundsätzlich warnt der BGH bei der deliktischen Haftung vor einer Überspannung der betrieblichen Organisationspflichten entgegen den "wirtschaftlichen ( .... ) Gegebenheiten"32. Andererseits besteht Zurückhaltung bei der Anerkennung des Kosten-Arguments, wenn die Gefahr erheblich ist und die gefährdeten Rechtsgüter besonders schützenswert sind. Beispiele für eine strikte Auslegung der Pflichten des Herstellers sind die Septummeißel-Entscheidung des OLG- Düsseldorf und die Estil-Entscheidung des BGH. In der Septummeißel-Entscheidung führt das Gericht aus: ,,Die Beklagte ist als Herstelleein von medizinischen Operationsinstrumenten verpflichtet, mit größter Sorgfalt sicherzustellen, daß die von ihr in den Verkehr gebrachten Instrumente fehlerfrei sind. Materialfehler, die die Tauglichkeit eines Instruments beeinträchtigen, führen stets zu einer erheblichen Gefährdung des Patienten, können seinen Tod zur Folge haben und müssen deshalb, soweit dies überhaupt möglich ist, ausgeschlossen werden. ( . . .. ) der Ansicht der Bekl., eine zusätzliche Röntgenkontrolle sei wegen der damit verbundenen Kosten unzumutbar, kann nicht gefolgt werden ( .... ) Mit Rücksicht auf die großen Gefahren, die von einem fehlerhaften Operationsinstrument für den Patienten ausgehen, können und dürfen die Kontrollen zur Venneidung von Produktfehlern nicht unterbleiben, um die Kosten möglichst gering zu halten'm. Auch nach der Estil-Entscheidung müssen monetäre Interessen angesichts drohender Gesundheitsgefahren zurücktreU. Diederichsen, NJW 1978, 1281, 1284. BGH JZ 1971,63- Druckfehler 30 BGH NJW 1988,2611,2612- Mehlwegflasche II. 31 BGH vom 17. 5. 1957 - Gelenkschutz, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung 1.28, s. 113. 32 BGH NJW-RR 1987, 147- Gasversorgungssystem. 33 OLG Düsse1dorf, NJW 1978, 1693 f . 28
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ten: "An die Aufklärung über mögliche Gefahren, die von Arzneimitteln ausgehen, sind besonders strenge Anforderungen zu stellen. Das Berufungsgericht geht mit Recht davon aus, daß sich gegenüber diesem Grundsatz insbesondere jede Rücksichtnahme auf die Absatzinteressen des Herstellers verbietet"34. Nach der Rechtsprechung spielen ökonomische Überlegungen daher in gewissem Umfang eine Rolle, treten aber dann zurück, wenn besonders gravierende Rechtsgutsverletzungen zu befürchten sind. Hingegen besteht eine größere Bereitschaft, gewisse Risiken des Produktes als akzeptabel anzusehen, wenn sie durch entsprechende Vorteile ausgeglichen werden. Derartige Überlegungen werden bereits in der Haartonicum-Entscheidung des BGH angedeutet, indem die allergene Beschaffenheit des Präparates für einen kleinen Patientenkreis mit seiner umfassenden therapeutischen Wirksamkeit für das zu behandelnde Krankheitsbild gerechtfertigt wird35 . Diese Überlegung wird in der Entscheidung des OLG Karlsruhe zu den Gesundheitsgefahren von Holzschutzmitteln zu einer Kosten-Nutzen-Analyse ausgeweitet: "Daß XYLADECOR wegen des PCP-Gehalts beim Einatmen sowie bei Augen- und Hautkontakt Vergiftungserscheinungen hervorrufen kann, stempelt diese zwar, wie dem Kläger einzuräumen ist, zu einem gefährlichen Produkt. Zu einem- vom Kläger zu beweisenden -Konstruktionsfehler würde diese Gefährlichkeit aber nur führen, wenn sie so hoch wäre, daß im Rahmen einer Güterahwägung die mit seinem zweckentsprechenden Gebrauch verbundenen Vorteile dahinter zurücktreten müßten" 36. Die festgestellten Gesundheitsrisiken werden mit dem Hinweis auf den "erheblichen Vorteil" der holzschützenden Funktion der Lasur gerechtfertigt, "der ökonomisch wie ökologisch auch im Allgemeininteresse liegt'm. Ausführungen darüber, nach welchen Grundsätzen dieser im Allgemeininteresse liegende Nutzen ennittelt werden soll, fehlen in dieser Entscheidung. Die Frage der Nutzenbestimmung wird auch von solchen Ansätzen, die explizit ftir eine solche Güterahwägung eintreten, nicht thematisiert38.
BGH NJW 1972,2217,2220. BGH VersR 1975, 539. 36 OLG Karlsruhe vom 19. 3. 1986, Schmidt-Salzer; Entscheidungssammlung 110.174 S. 1. 37 OLG Karlsruhe vom 19. 3. 1986, Schmidt-Salzer; Entscheidungssammlung 110.174 S. 2. 38 Teilweise läuft die Zurückhaltung bei der Nutzenbestimmung darauf hinaus, daß der Faktor "Nutzen" überhaupt nicht in die Kalkulation aufgenommen wird, vgl. dazu z. B. die Formel Schmidt-Salzers, daß die "Offensichtlichkeit der Gefahr und I oder die wirtschaftlichfinanziellen Auswirkungen der in Betracht kommenden Gefahrabwendungsmaßnahme ( .... ) mit der Größe und I oder Wahrscheinlichkeit der Gefahr, der Zahl der Betroffenen der Bedeutung der gefahrdeten Rechtsgüter usw. abzuwägen" seien; Schmidt-Salzer; Produkthaftung Rz. 68, kritisch dazu Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn. 53. 34 35
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b) Konkretisierung dieser Pflichten im Konstruktionsbereich
Aus dem Zusammenspiel zwischen dem nach dem Stand der menschlichen Kenntnis Machbaren, dem unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Gegebenheiten Zurnutbaren und den Erwartungen des betroffenen Verkehrskreises ergeben sich im Konstruktionsbereich konkrete Pflichten, die einerseits auf die Beschaffenheit des Produkts abzielen, andererseits aber schon ein Element der Informationspflichten in den Konstruktionsbereich hineintragen. Im Einzelfall führt dies zu den folgenden, beispielhaft genannten Pflichten: Der Hersteller muß die Materialien unter dem Gesichtspunkt auswählen, daß sie den Sicherheitsanforderungen genügen. Die Materialien des Produktes müssen den Ansprüchen an Druck- und Reißfestigkeit39, Splittergefahr40, sonstige Belastbarkeit41, Verschleißzeit, insbesondere Korrosionsanfälligkeit und Materialermüdung42, Temperaturbeständigkeit43 , Wasserdichtigkeit44 sowie Ungiftigkeit45 genügen. Gegebenenfalls müssen die Materialien durch fachkundiges Personal einer Materialprüfung nach den herrschenden Grundsätzen von Sicherheit und Technik unterzogen werden, wobei beim Einsatz von neuartigen Materialien oder beim Verdacht eines mit der bestimmten Konstruktion verbundenen Gefahrenpotentials diese Grundsätze unter Umständen durch den Hersteller fortzuentwickeln sind46. Die Bearbeitung und Anordnung der Materialien muß in einer Weise geschehen, die Gefahrdungen - zumindest weitgehend - ausschließt. So müssen z. B. stromführende oder (notwendige) giftige Teile isoliert werden. Naheliegenden Bedienungsfehlem beispielsweise bei Pressen oder automatischen oder rotieren-den Schneidewerkzeugen ist durch entsprechende Schutzvorrichtungen zu begegnen47 . 39 BGH VersR 1960, 1095 f.- Kühlanlage; OLG Harnberg VersR 1986, 997, Bodenfliesen; LG Hanau VersR 1955, 785 - Mineralwasserflasche; OLG Karlsruhe VersR 1978, 550 - Colaflasche; OLG Frankfurt VersR 1980, 144 - Limonadenflasche; OLG Frankfurt VersR 1985, 890- Mehrwegflasche I; OLG Frankfurt VersR 1987, 469- Mehrwegflasche II; BGH NJW 1988, 2611 - Mehrwegflasche II; BGH VersR 1967, 498 f.- Plastikrnassebehälter. 40 BGH VersR 1984, 270- Flachmeißel; OLG Harnburg VersR 1984, 793- Hüftgelenksprothese III. 41 BGH NJW 1977, 379, 380- Schwimmschalter; OLG Düssseldorf NJW 1978, 1693Septummeißel; OLG Saarbrücken NJW-RR 1988,611- Venenkatheter; BG NJW 1979, 2148 - Kartonmaschine. 42 OLG Harnburg VersR 1983, 882- Korrosionsschutz. 43 OLG Koblenz VersR 1981, 740, 741 - Grillgerät 44 BGH NJW 1985, 194 - Dachabdeckfolie; OLG Oldenburg VersR 1986, 1003 f.- Dichtungsbahnen. 45 OLG Frankfurt NJW-RR 1987, 1386 ff.- Weintank; OLG Köln NJW-RR 1987, 541 ff. -Holzschutzmittel II; BGH VersR 1977, 918, 920- Erdheerplantage I. 46 BGH BB 1955, 1109- Insektenvertilgungsrnittel; BGH VersR 1977, 918, 919 f. - Erdbeerplantage I; BGH VersR 1971, 80, 81- Bremsen III. 47 Vgl. OLG Köln in Schmidt-Sa[zer, Entscheidungssammlung II, II 30- Speiseeiszubereiter; BGH VersR 1957, 584 f.- Gelenkwellenschutz; OLG Frankfurt in Schmidt-Salzer, Ent-
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Bei der Verbindung von Materialien ist zu beachten, daß die Verschraubung, Vernietung oder Verklebung die erforderliche Festigkeit bietet48 . Die Mechanik der Konstruktion darf weder unnötige Risiken bergen, noch darf sie so kompliziert oder störanfällig sein, daß schon kleinere Bedienungsfehler zu einer Gefährdung des Benutzers führen49. Schließlich sind Produkte so zu verpacken, daß ein gefahrloser Transport gewährleistet ist50. Stellt sich nach Fertigstellen der Serie, aber vor dem Inverkehrbringen heraus, daß die Produktsicherheit nach dem Stand von Wissenschaft und Technik durch einen konstruktiven Zusatz verbessert werden könnte, so muß der Hersteller zunächst prüfen, ob die serienmäßige Montage möglich und zurnutbar ist. Unter Umständen muß er eine entsprechende Sonderanfertigung herstellen und die Verbraucher auf deren Existenz hinweisen. Besteht diese Möglichkeit unter dem Gesichtspunkt der wirtschaftlichen Zumutbarkeit, so darf er sich nicht auf bloße Warnungen beschränken51 . Die Einhaltung des Standes von Wissenschaft und Technik bzw. der allgemeinen Regeln der Technik verpflichten jeden Hersteller, die inländischen Fachzeitschriften auszuwerten52, Fachtagungen zu verfolgen53 , Kontakt zu wissenschaftlichen Instituten aufzunehmen54 und die Fortentwicklung von Konkurrenzprodukten zu beobachten55 . Ob darüber hinaus auch die Kenntnis von ausländischen Fachzeitschriften erforderlich ist, hängt neben dem abstrakten Gefahrenpotential auch vom Operationsfeld des Herstellers ab - so wird es einem Weltkonzern eher zurnutbar sein, auf Fachpublikationen aufmerksam zu werden, die weder auf deutsch noch auf englisch publiziert werden56. Geheimes Know-how des Konkurrenzunternehmens muß der Hersteller nicht kennen57, es kann sich aber nach der Vermarktung eines Konkurrenzproduktes eine Scheidungssammlung III, II 72, S. 425 f. - Wandfertiger; OLG Karlsruhe VersR I98I, 643Obstbaumleiter. Für weitere Beispiele siehe ausführlich Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24, Rn. 106. 48 OLG Frankfurt BB I986, I1I7 - Ö!schlauch. 49 Vgl. ausführlich die Rechtsprechung zu Bremsen in Kraftfahrzeugen (RGZ 163, 2I Bremsen I; RG DR I940, I293- Bremsen II, BGH VersR I97I, 80- Bremsen III), sowie die Rungenverschluß-Entscheidung (BGH VersR I952, 357) und die Raupen-Entscheidung (OLG Celle, VersR I984, 276). 50 Vgl. dazu ausführlich Foerste in v. Westphalenl Foerste, § 24, Rn. 1I6. 51 BGH VersR 1957, 584- Gelenkwellenschutz; Schmidt Salzer; Produkthaftung, Rz. 49, Foerste in v. Westphalen!Foerste, § 24, Rn. 106. 52 BGH NJW I98I, I606, I608 - Benomyl; OLG Schleswig, zitiert nach BGH VersR 1960, 1095, I096- Kühlanlage. 53 BGH NJW I98I, I606, I608- Benomyl. 54 Schmidt-Salzer, Bd. I, Art. 7, Rn 136 ff. 55 BGH NJW I981, I606, I608- Benomyl. 56 Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 26. 57 Foerste in v. Westphalenl Foerste, § 24 Rn 26; Simitis, Verhandlungen des 47. DJT, C 47; v. Westphalen, WiR I I 1972,67,76.
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Pflicht zur Übernahme dieser Konstruktion - ggf. auch durch die Übernahme fremder Patente - ergeben, wenn diese einen wesentlichen Sicherheitsvorteil aufweist und dieser Befund sich nach einer angemessenen Zeit zur Beobachtung als gesichert erweist58. Die Haftung des Herstellers ftir Risiken, die von der Verkehrserwartung nicht gedeckt sind, konkretisiert sich dahin, daß Verbraucher bei der bestimmungsgemäßen Verwendung der Waren uneingeschränkten Schutz verdienen59 . Ob die Verwendung dem Bestimmungszweck entspricht, ergibt sich zum einen aus den im betroffenen Benutzerkreis bestehenden Kenntnissen und Erwartungen, zum anderen aus den Verwendungshinweisen des Herstellers. Hier ist der Übergang zwischen Konstruktions- und Instruktionsfehlern fließend, so daß die Instruktionshaftung teilweise als "Sonderbereich der Konstruktionshaftung" charakterisiert wird60 • Eine wirksame Bestimmung des zulässigen Gebrauchs durch den Hersteller setzt voraus, daß der Verbraucher in verständlicher und klarer Form darauf hingewiesen wird, daß der vom Bestimmungszweck abweichende Gebrauch mit Gefahren verbunden ist, wobei diese - besonders bei erheblichen Risiken - konkret benannt werden müssen61 . Hinweise des Herstellers können auch zu einer Erweiterung des von der Verkehrserwartung getragenen Verwendungszwecks führen, wenn der Verbraucher aufgrund der Angaben das Produkt in der nahegelegten Weise gebraucht, die er ohne die Angaben unterlassen hätte. Zu denken ist hier nicht nur an Gebrauchsanweisungen, sondern auch an Produktanpreisungen durch Prospekte oder in der Werbung. Angesichts der Natur der Werbung, der, wie jedem Verbraucher bewußt ist, ein Element der Übertreibung innewohnt, wirken allgemeine Anpreisungen nicht haftungsbegründend. Eine Haftung kann demgegenüber eintreten für konkrete Aussagen, die Verbrauchern Anlaß gibt, das Produkt für Zwecke zu verwenden, durch die es zur Ursache eines Personen- oder Sachschadens wird62, weil die Grenzen der Verwendungsmöglichkeiten nicht klar aufgezeigt sind, weil der Verkauf des Produkts in einer überzogenen Weise angeheizt wird (overpromotion)6 3 oder die Gefahren des Produkts mit gegenteiligen Angaben verschleiert oder verharmlost werden64 •
Kulimann in Kullmann/Pfister, Bd. III, F. III l.cc)- Kza. 1520, S. 13. Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 63 ff. 60 J. Schmidt-Salzer; Urteilsanmerkung zum Urteil des BGH vom 11. 7. 1972 (Estil), NJW 1972, s. 2219. 61 OLG Koblenz vom 14. 7. 1969 - Holzschutzmittel, Schmidt-Salzer-Entscheidungssammlung Bd. II, II. 26, S. 324. 62 BGH vom 5. 11. 1955 - Insektenvernichtungsmittel, Schmidt-Salzer-Entscheidungssammlung 1.22- S. 90. 63 Anmerkung von Schmidt-Salzer zu BGH vom 30. 4. 1963 - Auftau-Transformator, Schmidt-Salzer-Entscheidungssammlung 1.48, S. 173. 58
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Jenseits des bestimmungsgemäßen Gebrauchs muß der Hersteller durch konstruktive Maßnahmen sicherstellen, daß der Verbraucher auch bei einer naheliegenden Überschreitung des bestimmungsgemäßen Gebrauchs nicht geschädigt wird. Die Pflicht findet ihre Grenze im Mißbrauch, wobei die Abgrenzung sich nach der Rechtsprechung im einzelnen nach der Häufigkeit und Seltenheit und dem Maß der Schuld, das den Geschädigten an dem eingetretenen Schaden trifft, richtet65 . Zunehmend dürfte auch der Gedanke der Beherrschbarkeit des Risikos bei der Abwägung, ob Hersteller oder Verbraucher eine bestimmte Vorsorgemaßnahme zu treffen haben, eine Rolle spielen. Der Inhalt der Pflicht bestimmt sich daher auch aus dem Zusammenspiel dessen, was von Hersteller und Verbraucher geleistet werden kann. Die Verkehrspflicht des Herstellers findet ihre Entsprechung und ihre Grenze in der Pflicht des Verbrauchers, sich seinerseits um einen sorgfaltigen Umgang mit dem Produkt zu bemühen. c) Konkretisierung dieser Pflichten im Instruktionsbereich
Angesichts der fließenden Übergänge von Konstruktions- und Instruktionsfehlern stellt sich Frage nach dem eigenständigen Anwendungsbereich von Warnungen und Herstellerinformationen. Im Rahmen des § 823 I BGB stellt sich die Haftung für Instruktionsfehler nach der h.M. als subsidiäre Haftung dar, die für den Fall eingreift, daß ein von Fabrikations- und Konstruktionsfehlern freies Produkt mit einem Restrisiko behaftet ist, das der Hersteller bei der Konstruktion oder Fabrikation nicht auf zurnutbare Weise hätte ausschließen oder reduzieren können66• Nur nach der Minderansicht soll der Hersteller ein Wahlrecht zwischen der Verbesserung der Konstruktion und der Warnung vor ihren spezifischen Gefahren haben 67 . Dieser Streit wird insbesondere dann relevant, wenn es um den Entscheidungsspielraum des Herstellers hinsichtlich des Sicherheitsniveaus im Rahmen einer bewußten Konstruktionsentscheidung geht, da der Hersteller hier aufgrund seiner Kenntnis von einem - unter Umständen durch eine signifikant veränderte Konstruktion vermeidbaren - Risiko vor der Entscheidung steht, ob er dieses Produkt gleichwohl mit einer entsprechenden Produktinformation vermarkten soll.
64 BGH vom 30. 4. 1963 - Auftau-Transformator, Schmidt-Salzer-Entscheidungssanunlung 10.48 S. 169; OLG Koblenz vom 14. 7. 1969 - Holzschutzmittel, Schmidt-Salzer-Entscheidungssanunlung II. 26, S. 311 f. 65 BGH VersR 1967, 498, 499 - Plastikmassebehälter, vgl. auch ausführlich Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 78. 66 Kulimann in Kullmann/Pfister, Bd. III, F. III l.c) aa)- Kza. 1520, S. 33, Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 98, 163. 67 Vgl. dazu Schmidt-Salzer; Produkthaftung Rn. 54,74: Warnungen sind "im allgemeinen ausreichend." vgl. auch Rn. 86, 131.
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Art und Umfang der Warnpflichten bestimmen sich aus der Natur des Risikos und den Vorkenntnissen des Verbrauchers. Der Hersteller muß vor jeder Gefahr warnen, die sich aus dem bestimmungsgemäßen Gebrauch des Produkts ergeben kann68 . Er muß dabei die Besonderheiten des betroffenen Verkehrskreises berücksichtigen, so die Frage, ob das Produkt nur von Personen mit Sonderwissen oder auch von Laien verwendet wird, ob es in die Hände von besonders schutzbedürftigen Verbrauchern oder Dritten wie Kindern oder alten, kranken und gebrechlichen Personen gelangen kann. 69
Über die Notwendigkeit und den Umfang der Warnungen entscheidet der Hersteller nach eigenem Ermessen, insbesondere erfüllen öffentlich-rechtliche Normen, DIN-Vorschriften oder sonstige Empfehlungen nur Mindestanforderungen oder stellen eine Orientierungshilfe dar70. Ob eine Warnung auch vor entfernteren Gefahren, die etwa nur bei einer Überempfindlichkeit auf Seiten des Verbrauchers auftreten können, notwendig ist, ist im Einzelfall unter Berücksichtigung der drohenden Schäden zu entscheiden71 . In welcher Form Warnungen und Instruktionen gefaßt werden müssen, bleibt ebenfalls dem Hersteller überlassen, "solange diese nur effizient ist72" . Er hat grundsätzlich das Wahlrecht zwischen einer Bedienungsanleitung, einem Beipackzettel, einer direkt auf dem Produkt plazierten Warnung oder aber einem Aufdruck auf der Verpackung, wobei zu berücksichtigen ist, daß die Warnung nicht nur gegenüber dem Endabnehmer fabrikneuer Warnungen gilt, sondern jeden Verbraucher erreichen muß, von dem anzunehmen ist, daß er in den Gefahrenbereich des Produkts gerät. Dies kann eine feste Verbindung von Produkt und Warnung erforderlich machen73 • Angesichts der Tatsache, daß Verbraucher Gebrauchsanweisungen und Beipackzettel häufig nicht oder nur flüchtig lesen, müssen Hinweise, die der Gefahrenvermeidung dienen, durch räumliche Sonderung wie eine Textrahmung, eine Überschrift, eine gesonderte farbliehe Kennzeichnung, einen Sperr- oder Fettdruck und bei besonderen Gefahren durch die Anbringung eines Gefahrensymbols am Produkt selbst kenntlich hervorgehoben werden74. Keinesfalls dürfen sie zwischen 68 BGH BB 1959, 1109- lnsektenvertilgungsmittel; BGH VersR 1960, 342 f.- Fußbodenklebemittel; BGH NJW 1975, 824- Haartonikum; BGH NJW 1975, 1827, 1829- Spannkupplung; BGH NJW 1981, 2514, 2515- Kältemittel; BGH NJW 1987, 372- Verzinkungsspray; OLG Koblenz VersR 1981, 740- Grillgerät; OLG Hamm VersR 1984, 243 - Reinigungsmittel I; OLG Celle VersR 1985, 148 - GichtmitteL 69 Zur reichhaltigen Kasuistik siehe Foerste in v. Westphalen/ Foerste, § 24 Rn 166 ff. 70 BGH NJW 1972, 372, 373- Verzinkungsspray. 71 Foerste in v. Westphalenl Foerste, § 24 Rn 187; OLG Celle VersR 1985, 148 f. -Gichtmittel. 72 Foerste in v. Westphalen/ Foerste, § 24 Rn 188. 73 Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 188, 189; Kulimann in Kullmann/Pfister, Bd. III, F. 111 l.c) aa) - Kza. 1520, S. 35. 74 Foerste in v. Westphalen/Foerste, § 24 Rn 189.
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Anwendungsvorschriften, Garantiebedingungen u.ä. verschwinden75 • Ihrem Inhalt nach müssen Warnhinweise klar und allgemein verständlich formuliert sein. Das spezifische Risiko ist zu nennen, ein Handlungsgebot allein reicht insbesondere bei schwerwiegenden Risiken nicht aus76 . Ein gutes Beispiel für die Rechtsprechung zu Gebrauchsanleitungen und Warnungen sind die Kindertee-Entscheidungen, in denen sich BGH und Oberlandesgerichte detailliert mit der Frage der Gestaltung von Warnungen auseinandersetzen 77 . Angesichts dieser weitreichenden Warn- und Informationspflichten stellt sich die Frage nach dem Schlechten des Guten. Bei einer Überspannung der Instruktionspflichten besteht die Gefahr, "daß der protegierte Verbraucher sie resigniert ignoriert" 78 . In der Rechtsprechung spielen die Gefahren, die sich aus einem Informationsüberfluß ergeben, bisher eine untergeordnete Rolle. "[I]n Grenzen kann ein Zuviel an detaillierter Instruktion dieses Ziel [d. h. das Ziel einer möglichst eindringlichen Gestaltung von Warnungen, Anmerkung der Verfasserin] verfehlen"79, räumt der BGH in seiner Verzinkungsspray-Entscheidung ein. Dieser Befund mündet aber nur in die allgemeine Warnung von einer Überspannung der Instruktionspflichten. Bisher fehlen in der Rechtsprechung Entscheidungen, in denen die Phänomene von Informationsüberlastung, Selektivität der Wahrnehmung etc. vertieft angesprochen und Rückschlüsse für die rechtliche Beurteilung gezogen werden. Die Rechtsprechung scheint sich auf ihre eigene Sachkenntnis zu verlassen, wie Warnungen und Instruktionen gestaltet sein müssen, während die Erkenntnisse der kognitiven Psychologie und Marktforschung hier keine Rolle zu spielen scheinen. 3. Die Diskussion über die Auslegung des § 3 I ProdHaftG
a) Leitender normativer Ansatz bei der Auslegung
Bei Verkehrspflichten handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, der von den Gerichten im Einzelfall ausgelegt wird. Der inhaltlichen Ausftillung des untechnischen Fehlerbegriffs des § 823 BGB sind daher kaum Grenzen gesetzt. 1s BGH VersR 1960, 342, 343 - Fußbodenklebernittel; BGH NJW 1987, 1009, 1012Lenkerverkleidung; OLG Köln vom 20. 1. 1972, Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung II, II 30 - Speiseeisbereiter, S. 324. 76 BGH VersR 1960, 342, 343- Fußbodenklebernittel; BGH NJW 1972, 2217- ESTIL; BGH NJW 1987, 1009, 1012 - Lenkerverkleidung; BGH NJW 1987, 372, 373 - Verzinkungsspray; OLG Karlsruhe VersR 1984, 544, 545 - Trockenputzrnischer. 77 Siehe dazu die Entscheidungen aus den Jahren 1991(vgl. BGH NJW 1992, 560- Kindertee I), 1994 (vgl. BGH NJW 1994, 932- Kindertee II) und 1995 (vgl. BGH NJW 1995, 1286 - Kindertee III; OLG Frankfurt VersR 1996, 861), die ausführlich auf die Frage von Größe, farblicher Hervorhebung und inhaltlicher Formulierung von Warnungen eingehen. 78 Foerste in v. Westphalen/ Foerste, § 24 Rn 194. 79 BGH NJW 1987, 372, 373.
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Fraglich ist, ob § 3 ProdHaftG einer Auslegung zugänglich ist. Der Wortlaut des § 3 I ProdHaftG ist nach h.M. nicht eindeutig. Dies liegt nicht nur an der "extrem unbestimmten Formulierung"80, den "Luftblasen"81 in § 3 I ProdHaftG, sondern an dem Verzicht auf die Offenlegung des normativen Maßstabes, an dem die Berechtigung der Sicherheitserwartungen festgemacht werden soll. Schubert faßt dies folgendermaßen zusammen: "Die in § 3 Abs. 1 ProdHaftG bzw. Art. 6 Abs. 1 EGRichtlinie im übrigen beispielhaft genannten Umstände, die bei der Fehlerbeurteilung zu berücksichtigen sind, beinhalten gerade keinen normativen Abwägungsmaßstab, sondern geben nur tatsächliche, für die Abwägung maßgebliche Gesichtspunkte wieder. Ohne übergeordnete Abwägungsmaßstäbe aber kann man solche Gesichtspunkte nicht rational im Sinne von sachlich bewerten"82. Die Rechtsprechung hat zu dieser Problematik bisher noch nicht eingehend Stellung genommen. Dies ist mit der Übergangsvorschrift des § 16 ProdHaftG zu erklären, nach der das Spezialgesetz nicht auf Produkte anzuwenden ist, die vor der Verabschiedung des Gesetzes auf den Markt gekommen sind. Für die Auslegung des § 3 I ProdHaftG ist daher die Diskussion in der Literatur heranzuziehen, die sich im wesentlichen im Anschluß an international diskutierte Fehlerbegriffe vollzieht83. In der Literatur können im wesentlichen drei Ansätze für die inhaltliche Ausfüllung des § 3 ProdHaftG identifiziert werden, nämlich die Orientierung an den tatsächlich existierenden Verbrauchererwartungen, die ausdrückliche Zugrundelegung von Kosten-Nutzen-Analysen sowie Mischlösungen, die sich an fiktiven Verbraucher- bzw. Herstellererwartungen orientieren, zugleich aber konkludent für eine Abwägung eintreten, die einer Kosten-Nutzen-Analyse stark angenähert ist. Diese ,,Leitprinzipien" für die Auslegung von § 3ProdHaftG sind dadurch geprägt, daß § 3 von dem Konzept eines Einheitsfehlerbegriffs ausgeht. Eine ausdrückliche Unterscheidung zwischen den drei Fehlergruppen findet nicht statt, wird jedoch bei der konkreten Anwendung relevant. Bedeutung gewinnt die Unterscheidung nur bei der Abgrenzung von Instruktions- und Konstruktionsfehlern. Bei Fabrikationsfehlern ist die Frage der Fehlerhaftigkeit eine rein faktische und keine normative, da es lediglich darauf ankommt, ob das Sicherheitsniveau eines konkreten Produktes den vom Hersteller selbst vorgegebenen Sicherheitsstandard nicht einhält. Bei der Frage der Bestimmung von Konstruktions- und Instruktionsfehlern führen die unterschiedlichen Prinzipien hingegen zu unterschiedlichen Anforderungen an die Konstruktionsentscheidung des Herstellers. 80 Brüggemeier; Deliktsrecht S. 367, ebenso Hülsen RIW I AWD 1979, S. 365, 375 und 1981 S. 1, 9, R. Lukes, Produkthaftung, 1980, S. 249. SI A. Lüderitz, Gefährdung und Schuld im Produkthaftpflichtrecht - Versuch einer Synthese, in: Eyrich, H.l Odersky, W I Säcker; F.J.: Festschrift für Kurt Rehmann zum 65. Geburtstag, 1989., S. 762. 82 Schubert, Pm 1989,74, 76. 83 Lüderitz, S. 762.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
b) Produktfehlerhaftigkeit als Ausdruck enttäuschter Verbrauchererwartungen
aa) Orientierung an den tatsächlichen Erwartungen der Allgemeinheit Auf die tatsächlich bestehenden Erwartungen als alleiniges Kriterium stellt nur eine Mindermeinung in der Literatur ab84• Hier wird zunächst klargestellt, daß der maßgebliche Anknüpfungspunkt für die Erwartungen nicht die tatsächlichen Erwartungen des geschädigten Individuums sind85, sondern die in der Allgemeinheit bestehenden und von ihr getragenen Erwartungen86. Diese bestehenden Erwartungen hat der Richter unter Beriicksichtigung der in § 3 I genannten Umstände festzustellen 87 . Hier dient das Korrektiv der "Berechtigung" dazu, die unter Umständen überzogenen Erwartungen des betroffenen Verbrauchers von den durchschnittlichen Erwartungen innerhalb des betroffenen Verkehrskreises zu trennen. Unklarheit herrscht, wie diese Erwartungen identifiziert werden sollen. Taschner vertieft diese Frage nicht und beschränkt sich auf den lapidaren Hinweis, daß "der Fehlerbegriff in der Praxis den Gerichten der ganzen Welt keinerlei Schwierigkeiten"88 bereite. Hollmann, der seine Ausfüllung des Fehlerbegriffs nicht uneingeschränkt auf die bestehenden Verbrauchererwartungen stützt, sondern diese nur als eine Facette der Priifung ansieht89, tritt dafür ein, "im Einzelfall demoskopische Untersuchungen der "Sicherheitserwartungen des Verbrauchers" zwecks Eingrenzung des Interpretationsspielraums" anzustellen 90. Nach diesem Verständnis von Produktfehlerhaftigkeit ist das Vorhandensein oder Nichtvorhandensein bestimmter Sicherheitserwartungen lediglich eine Tat-, nicht aber eine Rechtsfrage, deren Ergebnis allein von der Durchführung einer Beweiserhebung abhängt91 • bb) Informationeller Fehlerbegriff Die maßgeblichen Vertreter der Ökonomischen Analyse des Rechts (ÖAR) in Deutschland stellen ebenfalls auf bestehende Verbrauchererwartungen ab und er84 H.C. Taschner; Die künftige Produzentenhaftung in Deutschland, NJW 1986, 611, 614; E. Frietsch, Das Gesetz über die Haftung für fehlerhafte Produkte und seine Konsequenzen für den Hersteller, OB 1990, 29, 33 (Gleichsetzung der Sicherheitserwartungen eines vernünftigen idealtypischen Verbrauchers mit denen der Allgemeinheit). 85 H. Hol/mann, Die EG-Produkthaftungsrichtlinie, OB 1985, S. 2389, 2392. 86 Taschner; NJW, 611, 614. 87 Taschner; S. 611, 614.
Taschner; S. 611, 614. Vgl. dazu die Ausführungen zu den "Mischmodellen". 90 Hol/mann, DB, 2389, 2392. 91 v. Westphalen-Westphalen, § 62, Rn.; H.C. Taschner/ E. Frietsch, Produkthaftpflichtgesetz und EG- Produkthaftungsrichtlinie, Kommentar, 2. Auflage 1990., S. 268. 88
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weitem diesen Ansatz zum Konzept eines "informationellen Fehlerbegriffs". Zu nennen sind hier die Arbeiten von Finsinger I Simon92, Schäfer I Ott93 und - mit Einschränkungen- Wiekhorst94 . Derinformationelle Fehlerbegriff greift die häufig geäußerte Kritik an einer Orientierung an Verbrauchererwartungen auf - nämlich daß weder die Allgemeinheit noch der individuell betroffene Verbraucher in einer Vielzahl der Fälle überhaupt eine präzise Vorstellung über das Sicherheitsniveau des von ihm benutzen Produkts habe -, indem sie dem Hersteller die Pflicht auferlegen, die mit seinem Produkt verbundenen Risiken an den Verbraucher zu kommunizieren. Diese Pflicht findet ihre Entsprechung in der Obliegenheit des Verbrauchers, die ihm zu Verfügung stehenden Informationsquellen auch zu nutzen. Daraus ergibt sich der folgende Fehlerbegriff: ( 1) Der Hersteller kann die Haftung für Produktrisiken ausschließen, wenn er auf die seinem Produkt innewohnenden Gefahren unmißverständlich hinweist und ein verständiger Benutzer diese Hinweise verstehen kann. Eine beschönigende oder irreführende Werbung dagegen führt automatisch zur Haftung. (2) Die Käufer können auch weiterhin grundsätzlich unnötig gefährliche Produkte kaufen. Wenn sie auf die Risiken unmißverständlich hingewiesen werden und sich trotzdem zum Kauf entschließen, dann tragen sie auch die Konsequenzen. (3) Produktions- und Instruktionsfehler führen zur Haftung des Herstellers, weil eine Divergenz zwischen Benutzererwartungen und tatsächlichen Eigenschaften des Produkts vorliegt. (4) Gefährliche Konstruktionen führen dann zu einer Haftung des Herstellers, wenn der verständige Benutzer die Gefahren unterschätzt. (5) Der Käufer oder Benutzer von Produkten ist gehalten, sich über Produktrisiken zu informieren, da es bei der Haftungszuweisung nicht auf seinen individuellen Informationsstandard, sondern auf den Informationsstand eines verständigen, sich um sorgfaltigen Einsatz bemühenden Verbrauchers ankommt95 • (6) Der Hersteller haftet für Produktgefahren auch dann, wenn die Benutzer die mit derartigen Produkten verbundenen Gefahren zwar kennen, die Gefahr jedoch nicht allen, sondern nur den Produkten einiger Hersteller anhaftet, ohne daß die Benutzer erkennen oder erkennen können, welches die gefahrliehen Produkte sind96. 92 J. Finsinger/ J. Simon, Eine ökonomische Bewertung der EG-Produkthaftungsrichtlinie, des Produkthaftungsgesetzes und der Umwelthaftung, in: Müller, W. (Hrsg): Haftpflichtrisiken in Unternehmen, 1989., S. 49. 93 H.B. Schäfer I C. Ott,: Lehrbuch der ökonomischen Analyse des Zivilrechts, 2. Auflage 1995,9. Kapitel, 1.13, S. 291 f. 94 Wiekhorst, VI, 1.2. S. 164 ff.: insbesondere, 1.2.3., S. 172. 95 Finsinger!Simon, S. 49. 96 Es handelt sich bei (6) um eine Erweiterung des informationeilen Fehlerbegriffs nach Finsinger!Simon durch Schiifer!Ott, vgl. Lehrbuch 9. Kapitel, 1. 13, S. 291.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
Die Ausfüllung des § 3 I ProdHaftG durch die Orientierung an den bestehenden Erwartungen der Allgemeinheit bzw. durch die Vorgaben des informationeilen Fehlerbegriffs führt zu einer Neuformulierung des Schutzzwecks von §§ 1, 3 ProdHaftG. Es ist nicht das Ziel, den Verbraucher in seinen Rechtsgütern per se vor der Produktion und Vermarktung von solchen Produkten zu schützen, die anband bestimmter Kriterien als unangemessen gefährlich eingestuft werden. Das Anliegen des informationeilen Fehlerbegriffs ist vielmehr, dem Verbraucher bei der Entscheidung für oder gegen den Kauf und Gebrauch eines bestimmten Produktes eine möglichst umfassende Kenntnis über die damit verbundenen Sicherheitsrisiken zu vermitteln. In der Terminologie der ökonomischen Analyse des Rechts, mit der ich mich im vierten und fünften Kapitel der Arbeit auseinandersetzen werde, bedeutet dies, daß es allein um die Überwindung von Informationsdefiziten auf Verbraucherseite geht. Der Frage, ob die Konstruktion per se hätte sicherer sein können, kommt keine Bedeutung zu. Vielmehr bleibt es dem Verbraucher selbst überlassen zu entscheiden, ob das mit dem Produkt verbundene Risiko durch einen entsprechenden individuellen Nutzen aufgewogen wird. Der informationeile Fehlerbegriff führt, wenn er konsequent durchgehalten wird, dazu, daß die traditionelle Unterscheidung zwischen Konstruktions- und Instruktionsfehlern aufgegeben wird und der Konstruktions- im Instruktionsfehler aufgeht. c) Kosten-Nutzen-Analysen als alleiniger Maßstab
Für eine ausdrückliche Ausrichtung der Frage der Fehlerhaftigkeit von Produkten an Kosten-Nutzen-Überlegungen treten Kötz und Pfeifer ein. Kosten-NutzenAnalysen gewinnen eine besondere Bedeutung bei der Frage, welche Anforderungen an die Konstruktionsentscheidung des Herstellers zu stellen sind. Kötz beschränkt die Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen auf den problematischen Fall der bewußten Entscheidung des Herstellers für eine bestimmte Konstruktion in Abgrenzung zu einer realisierbaren Alternativkonstruktion. Am Beispiel der Entscheidung eines Flugzeugherstellers zwischen der Ausstattung des Flugzeugs mit einem Vergaser oder mit einem Einspritzmotor führt Kötz aus, daß die Risiken und Vorteile beider Konstruktionen ermittelt und in Relation zueinander gesetzt werden müssen. 97 Ebenso tritt Pfeifer dafür ein, in Abkehr von dem Kriterium der Verbrauchererwartungen die "Angemessenheit der Entscheidungs- und Herstellungsprozesse im Unternehmen und eine Abwägung der Handlungsalternativen des Herstellers" zum maßgeblichen Kriterium für die Entscheidung über die Produktfehlerhaftigkeit zu machen, das durch eine ,,rechtlich fundierte Risiko-Nutzen-Analyse" präzisiert werden so1198 • 97 Kötz, Ist die Produkthaftung eine vom Verschulden unabhängige Haftung? in Festschrift für Wemer Lorenz zum 70. Geburtstag, 1991, S. 109, 115. 98 Pfeifer, S. 236.
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Eine Formel für derartige Kosten-Nutzen-Analysen könnte folgendermaßen lauten: "Nach dem vollen Optimalitätstest ist diejenige Konstruktion optimal, welche zu einem maximalen Saldo an Gebrauchsnutzen und Prävention von Schadenskosten führt. Als Fahrlässigkeitsschwelle ist diejenige Konstruktion i zu wählen, für die Ni - Ki - Si maximal wird. Jede Konstruktion, die eine geringere Sicherheit aufweist, ist als fahrlässig zu klassifizieren" 99. Si bezeichnet dabei die der Konstruktion zugeordneten erwarteten Schäden, Ki die Produktionsstückkosten und Ni den mit der Konstruktion verbundenen Nutzen 100. Wie kann die Forderung nach Kosten-Nutzen-Analysen unter den bestehenden Wortlaut des § 3 I ProdHaftG subsumiert werden? Pfeifers Ausführungen dazu stellen sich als Kritik an der Ausgestaltung des § 3 ProdHaftG bzw. von Art. 6 der Produkthaftungsrichtlinie dar. Eine Einführung von Kosten-Nutzen-Analysen in das Produkthaftungsrecht wäre nach seiner Ansicht nur de lege ferenda zu erzielen. Nach Kötz kann eine Einführung von Kosten-Nutzen-Analysen über eine entsprechende Auslegung des § 3 I ProdHaftG erreicht werden. Da der Richter an den Wortlaut des § 3 I ProdHaftG gebunden sei, könne die Einführung von KostenNutzen-Analysen in den Entscheidungsprozeß darüber erreicht werden, daß "der verständige Benutzer von einem Produkt gerade diejenige Sicherheit erwarten darf, die ein Hersteller, dessen Verhalten den dargestellten Sorgfaltsanforderungen genügt, dem Produkt verliehen hätte" 101 . Das Tatbestandsmerkmal der "berechtigten Sicherheitserwartungen" bezieht sich demnach nicht auf tatsächlich bestehende Erwartungen der Allgemeinheit oder eines bestimmten Verkehrskreises, sondern auf die fiktiven Erwartungen eines idealtypischen Verbrauchers, wenn er die dem Hersteller obliegende Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen könnte. Kötz räumt ein, daß dies einen Umweg darstellt, der aberangesichtsdes von ihm als inadäquat empfundenen Kriteriums der Verbrauchererwartungen eine zulässige Auslegung des § 3 I ProdHaftG darstelle 102.
d) Vermittelnde Lösungen zwischen Verbrauchererwartungen und Kosten-Nutzen-Analysen Eine Vielzahl der vorgeschlagenen Auslegungen des § 3 I ProdHaftG verbindet eine Orientierung an Verbrauchererwartungen mit Elementen der Kosten-Nutzen-Analysen. Die Sicherheit, die berechtigterweise erwartet werden kann, wird durch die Figur des ,,rechtlich-normativen Idealtypus im Sinne Max Webers" 103 , Finsinger/Simon, S. 33. Finsinger/Simon, S. 33. 101 Kötz, FS, 109, 117. Vergleichbare Überlegungen finden sich auch im amerikanischen Recht, vgl. dazu Phillips v. Kimwood Machine Co., 525 P.2d 1033, 1036, 1037, 1038 (1974). 102 Kötz, FS, 109, 117. 103 Schmidt-Salzer, BB 1988, 349, 350. 99
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
den "Erwartungshorizont des objektiven idealtypischen Verbrauchers oder Benutzers"104 bzw. die "berechtigten Sicherheitserwartungen eines verständigen Produktnutzers" konkretisiert. Bei der inhaltlichen Ausfüllung dieser Denkfigur fließen tatsächliche und normative Elemente zusammen. Schmidt-Salzer erreicht dieses Ergebnis auf zweierlei Weise. Zum einen beschränkt er die "berechtigten Sicherheitserwartungen" nicht auf den Verbraucher, sondern erweitert sie um das Element der "Herstellerbenutzererwartungen" durch eine entsprechende Auslegung von§ 3 I b) ProdHaftG (Gebrauch, mit dem billigerweise gerechnet werden kann) 105 . Diese "wechselbezügliche(n) Risikosphären von Hersteller und Verbraucher" 106 müssen gegeneinander in einer Gesamtbeurteilung ("Berücksichtigung aller Umstände") abgewogen werden. Damit ist aber noch nichts über den normativen Auslegungsmaßstab, der diese Gesamtbeurteilung bestimmen soll, gesagt. Schmidt-Salzer stützt sich hier- in Anlehnung an das "unreasonably dangerous" Erfordernis des § 402 A Restaterneut (Second) of Torts - auf die "unnötige Gefährlichkeit (des Produkts) unter den gegebenen Umständen 107. Bei der Ermittlung der unnötigen Gefährlichkeit fließen Elemente, die sich auf die tatsächlich bestehenden Sicherheitserwartungen des "durchschnittlichen Produktnutzers" beziehen, mit Erwägungen zusammen, die zwar nicht ausdrücklich als Kosten-Nutzen-Analysen bezeichnet werden, jedoch inhaltlich mit diesem Ansatz übereinstimmen 108 . Am Beispiel der Konstruktion eines PKW wird erläutert, daß die Frage nach der "Unnötigkeit" des Sicherheitsrisikos nur vor dem Hintergrund von Kostenfaktoren, Preis und vorhersehbarer Benutzungssituation beurteilt werden könnte. Daneben betont Schmidt-Salzer die Möglichkeit des Herstellers, bei der Neuvermarktung von Produkten auf die Sicherheitserwartungen Einfluß zu nehmen, indem er den bestimmungsgemäßen Gebrauch präzisiert109. Kosten-Nutzen-Analysen und informationeller Fehlerbegriff fließen hier also zusammen. Ein vergleichbares Wechselspiel zwischen tatsächlichen Erwartungen - auch in ihrer Beeinflussung durch Anpreisungen I Garantien oder Warnungen des Herstellers110 und Kosten-Nutzen-Elementen- findet sich bei Lüderitz unter dem Stichwort der "Vertretbarkeit" 111 , bei Rollmann in der Forderung nach einer Abwägung
Frietsch, DB 1990,29, 33, ähnlich Hollmann, DB 1985, 2389, 2392. Schmidt-Salzer; BB 1988, 349, 349. 106 Schmidt-Salzer; BB 1988, 349, 349. 107 Schmidt-Salzer; BB 1988, 349, 350. 108 Vgl. dazu das von Schmidt-Salzer in BB 1988, 349, 351 gewählte Beispiel der Konstruktion eines "Spar-PKWs", in dem Schmidt-Salzer den "Zielkonflikt zwischen technisch möglichen Lösungen und kostenmäßigen Auswirkungen" in Hinblick auf die "Summe von Tausenden Konstruktionsentscheidungen" illustriert. 109 Schmidt-Salzer; BB 1988, 349, 355. 110 Vgl. dazu Liideritz, FS Rebmann, S. 762,764. 111 Liideritz, FS Rebmann, S. 762, 764. 104
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zwischen bestehenden "allgemeinen" Sicherheitserwartungen, die im Einzelfall durch demoskopische Untersuchungen ermittelt werden sollen 112, und der Forderung nach einer "Kosten-Nutzen-Analyse über alternative Konstruktionsmöglichkeiten und Vermarktungsmöglichkeiten" 113 und schließlich bei Wiekhorst in seinem Eintreten für einen Fehlerbegriff, der sich im wesentlichen auf den informationeilen Fehlerbegriff im Sinne Finsinger I Simons stützt, den Hersteller aber gleichwohl zur Einhaltung einer nicht weiter definierten Basissicherheit verpflichten will 114, bei der es auf die Verbrauchererwartungen nicht ankommen soll. Die Forderung nach der Einhaltung einer "Basissicherheit" ist "zumindest irreführend"115, da eine generelle Aussage darüber, wann diese erfüllt sein soll, nicht möglich ist 116• Nach der Ansicht von Kötz verbirgt sich hinter diesem Mindesterfordernis lediglich ein Fall, "bei dem die geschilderte Kosten-Nutzen-Abwägung besonders eindeutig zugunsten der dem Hersteller möglichen, aber von ihm tatsächlich nicht gewählten Alternativkonstruktion ausfällt" 117 . Schubert 118, Hager119, Kullmann 120 und v. Westphalen 121 legen den Fehlerbegriff des § 3 I ProdHaftG schließlich in ausdrücklicher Übertragung der von der Rechtsprechung entwickelten Ausfüllung der Verkehrspflichten im Konstruktionsbereich aus. Die Fehlerhaftigkeit stützt sich damit auf ein Fehlverhalten des Herstellers, so daß die berechtigen Sicherheitserwartungen des Verbrauchers nach Hager und Kulimann identisch mit dem sind, "was dem Hersteller unter Berücksichtigung der sonstigen Erwartungen der Verbraucher und der Allgemeinheit nach objektiven Maßstäben zurnutbar ist122", während Schubert hinsichtlich der Konstruktion auf den "pflichtgemäß handelnden Hersteller abstellt" 123 • Bei den berechtigen Sicherheitserwartungen handelt es sich demnach um einen normativen Standard, der den Hersteller- in Übereinstimmung mit der Judikatur des BGH zu § 823 I BGB - verpflichtet, "diejenigen Maßnahmen zu ergreifen, die nach den Hollmann, DB 1085, 2389, 2392. Hollmann, DB 1085, 2389, 2392. 114 Vgl. dazu Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 167. 11s Kötz, FS, S. 109, 115. 116 v. Westphalen, Bd. II, § 62 Rn. 22. 117 Kötz, FS, S. 109, 115. 118 Vgl. M. Schubert, BR Deutschland/EG: Verschuldenselemente im Fehlerbegriff des neuen Produkthaftungsrechts, Produkthaftpflicht International 1989, 79, 84. 119 Hager, PHI 1991, 2, 4. 12o Kulimann in Kulimann I Pfister, Kza 3004 2b). 121 v. Westphalen, Bd. II, § 62, Rn. 5 ff. 122 Hager, PHI 1991,2, 4; Kulimann in Kulimann I Pfister, Kza 3004 2b)- widerspriichlich ist in diesem Zusammenhang die Aussage Kullmanns, daß es nicht gerechtfertigt sei, "darüber hinaus noch darauf abzustellen, wie ein "pflichtgemäß handelnder Hersteller" das Produkt konstruiert hätte, da Verschuldensgesichtspunkte im Rahmen des § 3 ProdHaftG keine Rolle spielen dürfen." 123 Schubert, PHI 1989, 74, 84. 112
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
Gegebenheiten des Falles zur Gefahrenbeseitigung objektiv erforderlich und nach den objektiven Maßstäben zurnutbar sind 124." e) Offene Fragen bei informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen
Weder der informationeile Fehlerbegriff noch Kosten-Nutzen-Analysen vermögen eine befriedigende Antwort auf jeden Aspekt der Konstruktionsfehlerproblematik zu geben. Der informationeile Fehlerbegriff ist m.E. in zweierlei Hinsicht problematisch: Er geht zwar auf das Phänomen ein, daß Verbraucher insbesondere bei komplexeren Produkten keine ausgeprägte Vorstellung von deren Sicherheitsniveau haben. Dazu bedient er sich aber einer überaus optimistischen Annahme in Bezug auf die Fähigkeit des Herstellers, produktbedingte Risiken zu kommunizieren und des Verbrauchers, diese Informationen auch zu verarbeiten. Unterliegt der Prozeß der lnformationsübermittlung und -Verarbeitung systematischen Verzerrungen, so kommt es zu Informationsdefiziten auf Seiten des Verbrauchers, die eine Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes produktbedingtes Risiko als Ausdruck von Verbrauchersouveränität unmöglich machen. Zum anderen beruht der informationeHe Fehlerbegriff auf der Vorstellung, daß ein hinreichend informierter Verbraucher in die Gefahrdung durch bestimmte Produkte einwilligen kann, diese Einwilligung wird dann konkludent durch den Kauf des Produktes erteilt. Jenseits der Frage, ob man in die Gefahrdung von Leib und Leben wirksam einwilligen kann, stellt sich die Frage nach der Gefahrdung von Personen, die ihre Einwilligung nicht durch den Kauf des Produktes erteilt haben. Dies können beispielsweise die Angehörigen des Verbrauchers sein, die mit dem Produkt in Kontakt kommen. Wichtiger erscheint noch die Verletzung eines sogenannten "bystander", d. h. eines unbeteiligten Dritten, der das Produkt nicht gekauft hat und auch zu dem Verbraucher, dem es gehört, in keiner besonderen Nähebeziehung steht. Zwar ist die Verletzung von bystandem, wie Wiekhorst ausführt, relativ selten 125 , dieses tatsächliche Argument kann jedoch über die dogmatische Schwäche des informationeilen Fehlerbegriffs nicht hinwegtäuschen. Auswirkungen und mögliche Lösungen für diese Problematik werde ich im fünften Kapitel untersuchen. Bei der Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen stellt sich die Frage, wie Kosten und Nutzen eines Produktes ermittelt werden sollen. Kötz und Pfeifer lassen diese Frage ebenso wie die Rechtsprechung in den oben angesprochenen Fällen offen. Die Praktikabilität von Kosten-Nutzen-Analysen hängt daher m.E. davon ab, ob es gelingt, Grundsätze für die Bestimmung und Berechnung von Kosten und 124
v. Westpfw1en, Bd. li, § 62, Rn. 13.
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Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 93 f.
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Nutzen eines Produktes aufzustellen. Finsinger und Sirnon sehen den Grund für die fehlende Präzision bei der Benennung von Kosten und Nutzen in praktischen Schwierigkeiten, diese zu ermitteln: "In der Praxis fallt es den Gerichten schwer, den vollen Optimalitätstest durchzuführen und ideale Sorgfaltsniveaus festzulegen. Deshalb begnügen sich Gerichte mit Teilabwägungen. Einerseits orientieren sie sich am Stand von Wissenschaft und Technik, andererseits stellen sie auch die Kosten von Sicherheitsvorkehrungen in Rechnung. Die Abwägung von Kosten und Nutzen kann jedoch nur sehr unvollkommen sein" 126 • Nach dieser Auffassung stellt die Präzisierung der Verkehrspflichten durch die Rechtsprechung lediglich eine Annäherung an Kosten-Nutzen-Analysen dar. Träfe diese Beobachtung von Finsinger und Sirnon zu, so wären "Kosten-NutzenAnalysen" nur auf einen Teilaspekt der Konstruktionsfehlerproblematik anwendbar - nämlich einerseits auf die Frage der "inadvertent design errors", bei denen der Produktfehler in der Nichteinhaltung der Anforderungen an Sicherheit und Technik besteht, und andererseits auf die Überprüfung von Produktkonstruktionen nach der sogenannten "Leamed Hand Formel 127", bei der die zu erwartenden Schadenskosten den Schadensvermeidungskosten gegenübergestellt werden, die Frage des Nutzens einer Konstruktion jedoch keine Rolle spielt. Der Frage der Berechtigung dieses Befundes soll im siebten Kapitel nachgegangen werden, in dem methodische Ansätze zur Bestimmung von Kosten und Nutzen vertieft untersucht werden. 4. Berücksichtigung der in § 3 I normierten tatsächlichen Umstände
Die oben angesprochenen Grundsätze werden im Einzelfall durch alle für die Beurteilung maßgeblichen tatsächlichen Umstände ausgefüllt, wobei die in § 3 I ausdrücklich normierten Umstände der Darbietung, des Gebrauchs, mit dem billigerweise gerechnet werden kann, und des Zeitpunkts, in dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde, lediglich als besonders wichtige Beispiele zu verstehen sind. Unter Berücksichtigung der oben dargelegten normativen Prinzipien dienen sie als Kriterien dafür, welche faktischen Umstände bei der Ermittlung der Produktfehlerhaftigkeit eine besondere Rolle spielen sollen. Je nachdem, welcher der aufgezeigten normativen Grundsätze bei der Beurteilung der Fehlerhaftigkeit zur Anwendung kommt, werden die unterschiedlichen Kriterien an Gewicht gewinnen oder verlieren. 5. Der Sonderfall der Haftung für Arzneimittel
Die Haftung für Schäden, die durch Arzneimittel verursacht werden, nimmt eine Sonderstellung in der Produkthaftung ein. Die Regelungen des ProdHaftG sind ge126 127
Finsinger/Simon, S. 33. Zur Learned Hand Formel siehe ausführlich in diesem Kapitel unten unter II. 2.1.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
mäß § 15 I ProdHaftG unanwendbar. Statt dessen greift die Haftung nach § 823 I, § 823 II iVm § 5 AMG und nach § 84 AMG. Anders als das ProdHaftG geht das AMG nicht von einem Einheitsfehlerbegriff aus, sondern definiert in § 84 Nr. 1 den Konstruktionsfehler, der auch Entwicklungsrisiken ohne Entlastungsmöglichkeit für den Hersteller einschließt, und in § 84 Nr. 2 den Instruktionsfehler. Bezüglich der Haftung nach § 823 I BGB kann im wesentlichen auf die Ausführungen unter 1.2. dieses Kapitels verwiesen werden 128• Hinsichtlich der dort ausgeführten Pflichten des Herstellers in Hinblick auf Fabrikation, Konstruktion und Instruktion bestehen keine Besonderheiten. Angesichts der Langzeitwirkung von Arzneimitteln dürfte die Produktbeobachtungspflicht eine besondere Rolle spielen, da der Hersteller nach den Grundsätzen des § 823 BGB für Entwicklungsrisiken nicht einstehen muß. Eine Sonderregelung für Arzneimittel treffen § 84 AMG sowie § 823 II BGB iVm § 5 AMG. Kernfrage für die Fehlerhaftigkeit der Zusammensetzung des Arzneimittels stellt dabei der Begriff der "Bedenklichkeit" dar, der sich als Richtschnur für die Abgrenzung von vertretbaren und unvertretbaren Risiken von Arzneimitteln durch das AMG zieht. Die Legaldefinition der Bedenklichkeit findet sich in § 5 II AMG 129. Das Tatbestandsmerkmal wird bei der Entscheidung über die Zulassung in§ 25 II Nr. 5 AMG130 und schließlich in§ 84 AMG aufgenommen, da das Erfordernis der "schädlichen Wirkungen, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen" eng an § 5 II AMG angelehnt ist und die Gefahrdungshaftung mit dem Arzneimittelsicherheitsrecht verknüpfen solLHinsichtlich der Fehlerhaftigkeit des Arzneimittels unterscheiden sich§ 84 I AMG und § 823 II BGB iVm § 5 AMG inhaltlich nicht 131 • Vgl. dazu auch Foerste in v. Westphalen, Bd. I,§ 24 li 3 c) cc), Rn 224. § 5 li AMG hat den folgenden Wortlaut: "Bedenklich sind Arzneimittel, bei denen nach dem jeweiligen Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse der begründete Verdacht besteht, daß sie bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen haben, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen. 130 § 25 li Nr. 5 AMG hat den folgenden Wortlaut: "Wird infolge der Anwendung eines zum Gebrauch bei Menschen bestimmten Arzneimittels, das im Geltungsbereich dieses Gesetzes an den Verbraucher abgegeben wurde und der Pflicht zur Zulassung unterliegt oder durch Rechtsverordnung von der Zulassung befreit ist, ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen nicht unerheblich verletzt, so ist der pharmazeutische Unternehmer, der das Arzneimittel im Geltungsbereich dieses Gesetzes in den Verkehr gebracht hat, verpflichtet, dem Verletzten den Schaden zu ersetzen. Die Ersatzpflicht besteht nur, wenn 1. das Arzneimittel bei bestimmungsgemäßem Gebrauch schädliche Wirkungen hat, die über ein nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft vertretbares Maß hinausgehen und ihre Ursache im Bereich der Entwicklung oder Herstellung haben oder 2. der Schaden infolge einer nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechenden Kennzeichnung, Fachinformation oder Gebrauchsinformation eingetreten ist. 131 Die dogmatischen Unterschiede zwischen den beiden Anspruchsgrundlagen liegen im haftungsbegründenden Tatbestand darin, daß § 823 II BOB über den Nachweis des Produkt128
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Die folgenden Ausführungen gelten daher für beide Anspruchsgrundlagen, auch wenn sie im übrigen nicht inhaltsgleich sind. Das unvertretbare Risiko, das die Fehlerhaftigkeit des Arzneimittels in seiner "Konstruktion", d. h. in seiner Rezeptur begründet, wird durch eine Kosten-NutzenAbwägung ermittelt. Der Nutzen des Arzneimittels wird durch den Indikationsanspruch, die Bedeutung der Indikation und schließlich die Wirksamkeit des Arzneimittels im Vergleich mit anderen Arzneimitteln und Behandlungsmöglichkeiten im gleichen Indikationsgebiet ermittelt. Die Risiken des Arzneimittels werden durch die Schwere, Intensität, Häufigkeit und Dauer der Nebenwirkungen- wiederum im Vergleich zu anderen Arzneimitteln und Therapieformen (einschließlich des Risikos der "Null-Strategie", also der Entscheidung, überhaupt nicht zu behandeln)- charakterisiert. Schließlich ist eine Gesamtabwägung von Kosten und Nutzen vorzunehmen, bei der der Hersteller dann nicht haftet, wenn diese Abwägung zu einer positiven Bilanz führt. Es ist problematisch, ob sich der Begriff der Kosten-NutzenAnalyse gemäߧ 84 Nr. 1 AMG mit dem Begriff einer Kosten-Nutzen-Analyse des § 3 ProdHaftG nach den oben dargestellten Grundsätzen deckt. Wäre dies der Fall, so könnten diese Prinzipien zur inhaltlichen Auslegung der noch offenen Frage, wie Kosten und Nutzen bestimmt werden können, herangezogen werden. Dieser Frage soll im siebten Kapitel dieser Arbeit nachgegangen werden. § 84 Nr. 2 AMG legt dem Hersteller eine Haftung für die alle nicht unerheblichen Schäden auf, die dem Patienten nicht durch entsprechende Kennzeichnung des Produkts, Fachinformation oder Gebrauchsinformation offengelegt werden, wenn die produktbegleitenden Informationen nicht den Anforderungen der§§ 10, ll und lla AMG entsprechen. Kennzeichnung, Fachinformation und Packungsbeilage sind demnach fehlerhaft, wenn sie nicht den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft entsprechen, d. h. die bestimmungsgemäße Anwendung nicht klar festlegen und I oder nicht auf alle Nebenwirkungen, Kontraindikationen oder Wechselwirkungen des Arzneimittels hinweisen 132• Dabei kommt es auf die Frage der Vertretbarkeit der Nebenwirkungen nicht an, so daß die Haftung auch bei fehlender Offenlegung solcher Schäden eintritt, die nach § 84 Nr. I AMG keine Haftung auslösen würden. Zu beachten ist, daß § 84 Nr. 2 AMG allein die Herstellerinformationen in der erwähnten Form erfaßt, während sonstige Formen der Fehlinformation- etwa durch irreführende Werbung- keine Haftung nach dem AMG auslösen. In der Praxis hat§ 84 Nr. 2 eine größere Bedeutung als § 84 Nr. 1, was damit zusammenhängen mag, daß die Zulassung eines Arzneimittels an eine umfangreiche Vertretbarkeitsprüfung gebunden ist 133 . fehlers hinaus noch ein Verschuldenselement voraussetzt, wobei allerdings zweifelhaft ist, inwieweit sich dieser Unterschied praktisch auswirkt, und dadurch, daß § 84 AMG eine Haftung des Herstellers auch für Entwicklungsrisiken normiert, vgl. dazu ausführlich die Ausführungen im 3. Kapitel. 132 A. Sander; Arzneirnittelrecht, Stand: Januar 1997 (30. Lieferung)., Er!. § 84, S. 20. 133 Zur Rechtsprechung siehe Sander; Entscheidungsband zum Arzneimittelrecht unter Er!. § 84, S. 20 f. 5 Kollmann
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
6. Zwischenergebnis
Die maßgeblichen Kriterien für die inhaltliche Ausfüllung von Verkehrspflichten im Bereich der Konstruktion nach § 823 I BGB und Konstruktionsfehler nach § 3 I ProdHaftG sind zum einen die Verbrauchererwartungen, zum anderen Zumutbarkeitserwägungen aus Sicht des Herstellers, die von den jeweiligen Kommentatoren mehr oder weniger eindeutig auf Kosten-Nutzen-Erwägungen bzw. Fragen der Umsetzbarkeil der Verhaltensanforderung aus einer wirtschaftlichen Perspektive gestützt werden. In welches Verhältnis die beiden Aspekte zueinander gebracht werden, ist eine Frage der Gewichtung. Bei der inhaltlichen Ausfüllung der Verkehrspflichten nach § 823 I BGB spielen Verbrauchererwartungen und Zumutbarkeitsüberlegungen eine weitgehend gleichberechtigte Rolle. Es wird anhand der konkreten Umstände im Einzelfall entschieden, welche Rolle die beiden Prinzipien spielen sollen. Allerdings ist ein gewisser Vorrang des Zumutbarkeitsprinzips festzustellen, der sich darin niederschlägt, daß Warnungen und Instruktionen gegenüber der Pflicht des Herstellers zur sorgfaltigen Konstruktion als subsidiär behandelt werden. Extrempositionen bei der Auslegung des § 3 ProdHaftG bilden der informationeile Fehlerbegriff, bei dem die Frage, ob es zur Konstruktion in der vorliegenden Form eine sicherere und (wirtschaftlich) angemessene Alternative gab, dann keine Rolle spielt, wenn die Risiken der gewählten Konstruktion durch den Hersteller in vollem Umfange offen gelegt wurden, und der rein auf Kosten-Nutzen-Analysen gestützte Ansatz, bei dem gerade diese Frage im Zentrum der Entscheidungstindung steht. Dazwischen stehen all diejenigen Ansätze, die eine Ausbalancierung der beiden Aspekte anstreben. Hier besteht eine - gewollte oder zufällige - Übereinstimmung zwischen der Auslegung der Verkehrspflichten des § 823 I BGB durch die Rechtsprechung und den durch Teile der Literatur entwickelten Modellen zur inhaltlichen Ausfüllung des § 3 I ProdHaftG. Einen Sonderfall bildet die Haftung für Arzneimittel gemäß § 84 Nr. 1 AMG. Der für die Feststellung der Produktfehlerhaftigkeit maßgebliche Bedenklichkeitsbegriff wird allein durch Kosten-Nutzen-Erwägungen ausgefüllt, so daß der Hersteller dann für Gesundheitsschäden des Patienten haftet, wenn die Abwägung von Nutzen und Risiken eines Medikaments nicht zu einer positiven Bilanz führen. Es ist zu priifen, ob dieser Kosten-Nutzen-Begriff mit dem für § 3 ProdHaftG vorgeschlagenen identisch ist. § 84 Nr. 2 AMG normiert umfangreiche Aufklärungspflichten des Herstellers. In der Praxis kommt dieser Anspruchsgrundlage die größere Bedeutung zu. Die Unterscheidung zwischen Kosten-Nutzen-Analysen und informationeHern Fehlerbegriff ist keine rein akademische, sondern hat erhebliche Auswirkungen. Die fundamentalen Unterschiede zwischen beiden Modellen beruhen darauf, daß jedes Modell einen anderen Schutzzweck hat. Der informationeHe Fehlerbegriff möchte den Verbraucher vor Fehlinformationen schützen, ansonsten sieht er aber
II. Vereinigte Staaten
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von einer Regulierung des Marktes, die durch produkthaftungsrechtliche Sanktionen erreicht werden könnte, bewußt ab. Das geschützte Rechtsgut ist die Verbrauchersouveränität, denn nach dem informationeilen Fehlerbegriff bleibt es dem Verbraucher unbenommen, auch höchst risikoreiche Produkte zu erwerben, deren Sicherheitsniveau uU durch eine geringfügige Konstruktionsänderung hätte verbessert werden können, solange diese Risiken nur offenliegen 134• Kosten-Nutzen-Analysen zielen dagegen in erster Linie auf den Schutz von Leib, Leben und Eigentum des Verbrauchers ab. Durch eine entsprechende Auslegung des § 3 ProdHaftG wird der Richter ermächtigt, die Konstruktionsentscheidung des Herstellers nachträglich daraufhin zu überpriifen, ob Kosten und Nutzen des Produktes in einem angemessenen Verhältnis stehen. Unterschreitet der Herstellers das als angemessen angesehene Sicherheitsniveau, so hat er die Kosten für die durch das fehlerhafte Produkt verursachten Unfalle zu tragen. Die Erwägung, ob der Verbraucher das geringe Sicherheitsniveau des Produktes erkannt hat oder hätte erkennen können, tritt dabei zuriick. Die Rechtsordnung geht damit von einer Vorstellung des Verbrauchers aus, der aufgrund fehlender Kenntnisse und Einsichtsfähigkeit nicht die Entscheidung treffen kann, sich bestimmten Risiken auszusetzen. Es handelt sich daher um einen "patemalistischen Ansatz" 135 . Sowohl der informationeile Fehlerbegriff, als auch Kosten-Nutzen-Analysen sind nicht unproblematisch. Der informationeHe Fehlerbegriff beruht auf einer optimistischen Annahme über die Fähigkeiten von Herstellern und Verbrauchern, Informationen zu übermitteln und auszuwerten. Er läßt die Frage nach der Haftung für die Schädigung von Rechtsgütern von sogenannten "bystandern" offen. Die Praktikabilität von Kosten-Nutzen-Analysen leidet darunter, daß ihre Vertreter die Frage, wie Kosten und Nutzen eines Produktes bestimmt werden sollen, nicht beantworten. II. Vereinigte Staaten Die im deutschen Recht aufgezeigten Modelle zur Fehlerbestimmung existieren auch amerikanischen Recht. Kosten-Nutzen-Analysen sind in den Vereinigten Staaten mittlerweile zum gängigen Maßstab für die Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit geworden, so daß es seit ihrer Entwicklung durch die Literatur eine Vgl. dazu ausführlich K.A. Sen, Collective Choices und Social Welfare, 1970, S. 155 ff. Vgl. dazu auch Calabresi, The Costs of Accidents, S. 55. Ein interessanter Ansatz für die Begründung von Kosten-Nutzen-Analysen findet sich bei Leonard und Zeckhauser. Nach ihrer Ansicht führen Kosten-Nutzen-Analysen zu einer besseren Risikosteuerung als dies aufgrunddes Phänomens von Informationsdefiziten und-fehlwahrnehmungenbei einer Aufklärung von Verbrauchern der Fall sein kann. Rationale Verbraucher würden sich daher für eine Kosten-Nutzen-Analysen entscheiden, praktisch läge eine "hypothetische Einwilligung" in die Delegation von Kosten-Nutzen-Analysen an einen Dritten vor, vgl. dazu H.B. Leonard/ R.J. Zeckhauser,: Cost-Benefit-Analysis Applied to Riks: lts Philosophy and Legitimacy. in: MacLean, D. (Hrsg): Values at Risk, 1986, S. 31, 35 f. 134 135
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
Fülle von Rechtsprechung gibt, die § 402 A Restatement (Second) of Torts entsprechend auslegt. Mit der Reform des § 402 A werden Kosten-Nutzen-Analysen ausdrücklich zum Maßstab für die Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von Konstruktionen gemacht. Die Gegenposition nehmen Stimmen ein, die für eine Bestimmung der Fehlerhaftigkeit anband von Verbrauchererwartungen eintreten. Sie legen § 402 A so aus, daß es auf die tatsächlichen Verbrauchererwartungen ankommt. In der Literatur wird dieser Ansatz aufgenommen und mit der Forderung nach einer Haftung des Herstellers für die Produktdarbietung verbunden. Dieser Ansatz erreicht allerdings nicht das Maß an Ausdifferenzierung, das den informationeilen Fehlerbegriff in der im deutschen Recht diskutierten Form auszeichnet.
1. Funktionen des Fehlerbegriffs
Die Definition des Konstruktionsfehlers stellt auch im amerikanischen Recht eine zentrale Frage des Produkthaftungsprozesses dar. Eine Systematisierung, die im deutschen Recht durch die Abgrenzung der unterschiedlichen Anspruchsgrundlagen von§§ 1, 3 ProdHaftG einerseits und§ 823 I BGB andererseits vorgegeben ist, gestaltet sich im amerikanischen Recht schwieriger. Es bestehen nebeneinander vier mögliche Anspruchsgrundlagen - express und implied warranty als Instrumentarien des Vertragsrechts sowie negligence und strict liability als Instrumentarien des Deliktsrechts -, deren Anwendungsbereiche jedoch in der Praxis verschwimmen. Der Grund dafür mag zum einen darin liegen, daß der Kläger in seinem Rechtsstreit nicht nur die relevanten Tatsachen vortragen, sondern auch angeben muß, auf welche Anspruchsgrundlage er sich stützt. Folge ist häufig die Geltendmachung von allen denkbaren Ansprüchen - "if you don't use it, you Joose it" 136. Zum anderen ist die Unterscheidbarkeil der verschiedenen Institute in der Rechtsprechung umstritten - dies gilt insbesondere für die Abgrenzung von strict liability und negligence 137, aber auch für die Haftung aus strict liability und implied warranty 138 und aus negligence und implied warranty 139 . Dennoch gibt es 136 Vgl. Madden, §. 8.1., S. 287; Lamon v. Mc Donnel-Douglass, 576 P.2d 426, 428 (1978): .,Products liability cases are usually predicated on one or more of three legal theories: strict tort liability, negligence and breach of warranty." Ein gutes Beispiel für die Pflicht des Klägers, nicht nur die Tatsachen substantiiert vorzutragen, sondern auch die Anspruchsgrundlage zu benennen, stellt McPhail v. Municipality of Culebra, 598 F.2d. 603 (C.A. 1, 1979) dar, in dem die Klägerin zunächst nur aus negligence klagte und die Behauptung eines Verstoßes gegen die Pflichten aus strict liability bei unverändertem Tatsachenvortrag in der zweiten Instanz nicht mehr zugelassen wurde. 137 Vgl. z. B. Garrison v. Rohm & Haas Co., 492 F.2d 346 (1974). 138 Vgl. z. B. Dawson v. Chrysler Corp., 630 F.2d 950, cert. den. 450 US 959 (1980, applying New Jersey law); Iones v. Lederte Laboratories, Div. of American Cyanamid Co., 695 F. Supp. 700 (1988, applying New York law). 139 Vgl. z. B. Grangerv. FruehaufCorp., 412 N.W. 2d 199 (Michigan 1987); Clark v. Seagrave Fire Apparatus, lnc. 427 N.W. 2d 913 (Michigan 1988).
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einen maßgeblichen Unterschied zwischen den vertragsrechtliehen und den deliktsrechtlichen Instituten. Die Herstellerhaftung aufgrund von warranties beruht auf einer subjektiven Vereinbarung zwischen den Parteien - sei es, weil der Hersteller ausdrücklich für eine bestimmte Produkteigenschaft einstehen möchte (express warranty), sei es, weil der Verbraucher besondere Vorstellungen hinsichtlich des Produkts hat und diese dem Hersteller auch kommuniziert (implied warranty)140. Der deliktsrechtliche Fehlerbegriff orientiert sich demgegenüber an einem objektiven, vom Parteiwillen gelösten Standard, auch wenn dieser Grundsatz bei der Anwendung des consumer expectation tests durch die Rechtsprechung und in seiner Auslegung durch die Literatur bisweilen durchbrochen wird. Da sich die Untersuchung auf die deliktsrechtlichen Anspruchsgrundlagen des deutschen Rechts beschränkt, bleiben die Institute der express und implied warranty im folgenden unberücksichtigt. 2. Definition von Konstruktionsfehlern im Rahmen der negligence 141
a) Produktfehlerhaftigkeit bei Verstoß gegen die duty
Im Delikt der negligence gibt die "duty requiring the person to conform to a certain standard of conduct for protection of others against unreasonable risks" ähnliche Verhaltensgebote vor wie das deutsche Institut der Verkehrspflicht im Rahmen von § 823 I BGB. Ohne Natur und Inhalt der duty, deren Untersuchung Gegenstand des folgenden Kapitels ist, an dieser Stelle zu vertiefen, soll zur Verständlichkeit der folgenden Ausführung nur folgendes vorausgeschickt werden. Die duty bestimmt sich durch zwei aufeinander bezogenen Elemente, nämlich durch das "unreasonable risk" und durch den Verstoß gegen den ,,reasonable man standard". Das unvertretbare Risiko stellt dabei einen relativen Begriff dar, der nicht ohne Rückgriff auf den reasonable man standard konkretisiert werden kann. Dieser stellt den Bezug zur Lebenswirklichkeit in der konkreten Situation her, wie sie sich in den Kenntnissen, Fähigkeiten und Erwartungen des betroffenen Verkehrskeises ausdrückt. Wann aber stellt sich ein Risiko als unvertretbar dar? In der reichen Kasuistik zu dieser Frage nimmt die Entscheidung United States v. Carroll Towing Co. 142 eine herausragende Stellung ein. Nach der von Richter Learnded Hand entwickelten Learned Hand Formel ist ein Verhalten dann fahrlässig, wenn der Schaden, der Vgl. dazu Henderson, S. 81 f., 93 f. Anders als bei der Bestimmung von Konstruktionsfehlern im Rahmen der Haftung aufgrund von strict liability besteht in den verschiedenen Jurisdiktionen ein breiter Konsens, wie die Haftung des Herstellers für die Verletzung von Konstruktions- und Instruktionspflichten im Rahmen der negligence ausgestaltet sein muß, so daß auf die Differenzierung zwischen den einzelnen Staaten verzichtet wurde. 142 159 F. 2d, 169 (2d Cir. 1947). 140 141
2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
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durch das Verhalten verursacht wurde, multipliziert mit der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts die Kosten der Vorsorgemaßnahmen übersteigt, die der Verursacher hätte ergreifen müssen, um den Schadenseintritt zu vermeiden. Der Learned Hand Test ist damit ein erstes Beispiel für eine wirtschaftlich motivierte Interpretation von Haftungsregeln, indem er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt als volkswirtschaftlich erforderliche Sorgfalt begreift 143 . Bei aller Abstraktion der Learned Hand Formel muß berücksichtigt werden, daß sie situationsbezogen angewendet werden muß, daß also ein Risiko, das unter bestimmten Umständen angemessen erscheinen kann, unter anderen Bedingungen unvertretbar wird. Es ist hier die Verkehrsanschauung zu berücksichtigen, wie sie sich durch den reasonable man standard ausdrückt. b) Konkretisierung derduty in Hinblick auf Konstruktionsentscheidungen
Die Pflichten des Herstellers konkretisieren sich bei der Konstruktion von Produkten dahin, daß nach der Verkehrsanschauung unvertretbare Sicherheitsrisiken der Konstruktion eliminiert werden müssen. Spiegelbildlich kann auch hier von einem "defect" gesprochen werden. Die Nichterfüllung der duty führt zur Fehlerhaftigkeit des Produkts. Erläuterungen dieser Pflichten, die sich ausdrücklich auf eine Haftung des Herstellers nach den Grundsätzen der negligence beziehen, finden sich in § 395 Restatement (Second) of Torts und den begleitenden comments 144 und sind durch die Rechtsprechung weiter konkretisiert worden. Der Hersteller hat zunächst die grundsätzliche Pflicht, sich die notwendigen Fähigkeiten und Kenntnisse, die zur Produktion seiner Produkte notwendig sind, anzueignen 145 • Fehlende individuelle Fähigkeiten oder Beschränkungen, die auf den wirtschaftlichen Möglichkeiten des Betriebes beruhen, entlasten den Produzenten nicht. Seine weiteren Pflichten gelten der Steuerung des Risikos, das sich in dem Produkt verkörpert. Es müssen insbesondere gravierende Schäden an den Rechtsgütern der Benutzer und auch Dritter vermieden werden. Die Konstruktion muß
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Schulz, VersR, 608, 613.
§ 395. Negligent Manufacture of Chattels Dangerous Unless Carefully Made A manufacturer who fails to exercise reasonable care in the manufacture of a chattel which, unless carefully made, he should recognize as involving an unreasonable risk of causing physical harm to those who use it for a purpose for which the manufacturer should expect it to be used and to those whom he should expect to be endangered by its probable use, is subject to liability for physical harm caused by them by its lawful use in a manner and for a purpose for which it is supplied. 145 Vgl. Schulz v. Consumer Power Co., 443 Mich. 445, 451 N.W. 2d 175, 178:" Those who undertake particular activities or enter into special relationships, such as product manufacturers, assume a distinctive duty to proeure knowledge and experience regarding that activity, person, or thing." 144
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alle vorhersehbaren Risiken berücksichtigen und entsprechende Sicherheitsmaßnahmen treffen, wenn das Risiko unter Berücksichtigung der Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts und der Schadenshöhe unvertretbar erscheint 146• Die Pflicht, bestimmte Risiken zu eliminieren, findet dann ihre Grenze, wenn die Ausschaltung des Risikos dazu führt, daß der Nutzen des Produktes beeinträchtigt wird 147• Im Einzelfall ergeben sich hieraus die folgenden Pflichten: Der Hersteller hat die Pflicht, Bestandteile, die er nicht selbst herstellt, von angesehenen Unternehmern zu erwerben. Er muß das fertige Produkt und die Bestandteile hinreichenden Sicherheitskontrollen unterziehen 148• Er muß die Bestandteile und Rohmaterialien, aus denen das Produkt gefertigt wird, mit hinreichendem technischen Sachverstand auswählen 149 und dabei die Umstände, unter denen das Produkt benutzt werden soll, berücksichtigen 150. Der Grundsatz, daß es sich bei der duty nur um eine relative und nicht um eine absolute Rechtspflicht handelt, spielt bei der Haftung des Herstellers nach den Grundsätzen der negligence praktisch keine Rolle. Die Pflicht bezieht sich nicht nur auf den Verbraucher, der das Produkt erworben hat und/ oder selbst benutzt, sondern auch auf sogenannte bystander, also unbeteiligte Dritte 151 . Bei der Konkretisierung der duty sind die Erwartungen des betroffenen Verkehrskreises zu berücksichtigen. Hier zeigen sich Überschneidungen zwischen Konstruktions- und Instruktionspflichten. Auch im amerikanischen Recht kann der Hersteller den bestimmungsgemäßen Gebrauch seiner Produkte über entsprechende Instruktionen umschreiben und begrenzen 152 . Die Produktinformationen stellen dann einen Teil der sorgfaltigen Konstruktion dar 153 . Problematisch ist, ob von 146 Vgl. Ogletree v. Navistar Intern. Transp., 194 Ga. App. 41, 390 S. E. 2d 61, 68 (1989) (Pflicht des Konstrukteurs eines Lastwagens, diesen so zu konstruieren, daß der Fahrer beim Zurückstoßen einen hinter dem Wagen stehenden Fußgänger wahrnehmen kann). 147 Hagans v. Oliver Machinery Co., 576 F.2d 97, 104 (C.A. 5 1978) (Keine Pflicht des Herstellers, den Sicherheitsschutz einer Kettensäge so fest mit dieser zu verbinden, daß bestimmte Sägearbeiten nicht mehr möglich sind). 148 Vgl. § 395 Restatement ofTorts (Second), comment e. 149 Vgl. § 395 Restatement ofTorts (Second), comment g. 150 Vgl. Williams v. Beechnut Nutrition Corp., 185 Ca!. App. 3d 135, 229 Cal. Rptr. 605, 608 (1986) (Pflicht, eine Nuckelflasche für Kleinkinder aus einem bruchfesten Material zu fertigen). 151 Vgl. § 395 Restatement of Torts (Second), comment i; Eagle-Picher v. Balbos, 64 Md. App. 10, 578 A. 2d 228, 251 (1990) (Einbeziehung der Angehörigen von Benutzern asbesthaltigen Produkte in den Kreis der von der duty erfaßten Personen). 152 Vgl. dazu Henderson, Chapter 9, A. - S. 493 ff. und Chapter 9 A 1. c.- S. 563 sowie Travers, § 32:12 für eine Differenzierung zwischen Instruktionen und Warnungen. 153 C & S Fuel, lnc. v Clark Equipment Co., 552 F. Supp. 340 (applying Kentucky law 1982); Byrd v. Procter & Gamble Mfg.Co., 629 F.Supp. 602 (applying Kentucky law 1986); Taylor v. General Electric Co., 208 N.J.Super 207, 505 A.2d 190,cert. den. 104 N.J. 379, 517 A.2d 388 (1986); Ulrich v. Kasko Abrasives Co., 532 SW 2d 197 (Ky 1976); Leonard v. Uniroyal, Inc. 765 F.2d 560 (applying Kentucky law 1985); Bloxom v. Bloxom 512 So.2d 839 (La 1987).
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einer grundsätzlichen Subsidiarität der Instruktionen auszugehen ist, so daß auch bei einer umfassenden Information des Verbrauchers eine Haftung aufgrund eines Verstoßes gegen Konstruktionspflichten anzunehmen wäre. Diese Frage stellt einen Teilaspekt des Problems der "patent danger rule", das im folgenden Kapitel ausführlich untersucht wird 154, so daß an dieser Stelle nur festgehalten werden soll, daß der Hersteller in der überwiegenden Mehrheit der Staaten der Haftung für unnötig gefährliche Konstruktionen nicht durch entsprechende Warnungen entgehen kann. Der Hersteller hat somit eine weitreichende Pflicht, sowohl den Verbraucher als auch Dritte vor Schäden an ihren Rechtsgütern zu schützen. Im Konstruktionsbereich bleibt ihm zwar ein Kernbereich, der der Überpriifung durch die Gerichte entzogen ist, die Voraussetzung dafür ist aber, daß die von ihm gewählte Konstruktion auf einer vertretbaren Abwägung von Nutzen und Sicherheitsrisiken beruht. Erwartungen der betroffenen Verbraucher werden als solche des betroffenen Verkehrskreises beriicksichtigt. c) Konkretisierung der duty in Hinblick auf Instruktionen und Warnungen
Die Instruktionspflichten des Herstellers im Rahmen der negligence richtet sich darauf, daß der Hersteller diejenigen, die vorhersehbar in Kontakt mit einem Produkt kommen, vor solchen Gefahren warnen muß, die ihm selbst bekannt sind oder es sein müßten und den betroffenen Produktbenutzern nach seinem Wissen unbekannt sind, vgl. § 388 Restatement (Second) of Torts 155 . Ob die Warnung angemessen ist, richtet sich im wesentlichen nach dem Adressaten der Warnung und der 154 Vgl. dazu unten im 3. Kapitel II. 3. b) Beschränkungen der Einwendungen des "comparative I contributory fault" und der "assumption of risk". 155 § 388 postuliert eine Instruktionspflicht für jeden, der einem anderen ein Produkt zur Verfügung stellt, also nicht nur für den berufsmäßigen Hersteller von Produkten (vgl. dazu comment c zu § 388). In der Rechtsprechung wird die in § 388 aufgestellte Regel häufig auf das zwischen Hersteller und Verbraucher bestehende Rechtsverhältnis angewandt. Der Wortlaut von § 388 lautet: § 388. Chattels Know tobe Dangeraus for Intended Use One who supplies directly or through a third person a chattel for another to use is subject to liability to those whom the supplier should expect to use the chattel with the consent of the other or to be endangered by its probable use, for physical harm caused by the use of the chattel in the manner for which and by a person whose use it is supplied, if the supplier (a) knows or has reason to know the chattel is likely tobe dangeraus for the use for which it is supplied, and (b) has no reason to believe that those for whose use the chattel is supplied will realize its dangeraus condition, and (c) fails to exercise reasonable care to inform them of its dangeraus condition or of the facts which make them dangerous.
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Gefährlichkeit des Produktes aufgrund seiner Natur und/ oder Konstruktion. Der betroffene Verkehrskreis bestimmt, wie weit die Warnung reicht. Grundsätzlich muß der Hersteller jeden warnen, der vorhersehbar das Produkt gebraucht oder mit ihm in Kontakt kommt 156, d. h. nicht nur den Endverbraucher, sondern auch Dritte, die mit dem Produkt in Berührung kommen. Diese Pflicht wird grundsätzlich nicht dadurch erfüllt, daß der Hersteller eine Mittelsperson wie den Endverkäufer mit der Ausführung der Warnung betraut 157. Von dieser Regel gibt es zwei bedeutsame Ausnahmen: Problematisch ist, ob der Hersteller eine selbständige Warnpflicht gegenüber Angestellten des Käufers seiner Produkte hat, die diese Angestellten im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses benutzen. Das Fallrecht ist hier nicht eindeutig. Zum Teil wird argumentiert, daß der Hersteller eine eigenständige Warnpflicht auch gegenüber den Arbeitern und Angestellten seiner Güter habe, insbesondere dann, wenn von den Produkten eine erhebliche Gefahr ausgehe 158. Nach der Gegenansicht soll es ausreichen, daß dem Arbeitgeber die produktimmanente Gefahr bekannt ist 159. Weitgehend anerkannt ist die sogenannte "learned intermediary rule", nach der der Hersteller von verschreibungspflichtigen Arzneimitteln eine Warn- und Instruktionspflicht nur gegenüber dem verschreibenden Arzt, nicht aber gegenüber dem Patienten hat 160. Diese Regel wird durch Ausnahmen161 durchbrachen, wenn Grund zur Annahme besteht, daß das Medikament ohne vorherige ausführliche Konsultation eines Arztes in die Hände des Patienten gelangt, so z. B. bei Präparaten zur Empfangnisverhütung 162 und bei Impfstoffen 156 Vgl. T. E. Travers (Hrsg), American Law ofProducts Liability, 3. Auflage 1987, Pokket Part 1993, § 32:23 m.w. N. 157 Vgl. Travers,§ 32:5 m.w. N. 158 Dougherty v. Hooker Chemical Corp., 540 F.2d 174, 177 ff., 181 f. (C.A. 3, 1976)Lebensgefahr beim Umgang mit bestimmten Chemikalien; Russel v. G.A.F. Corp., 422 A.2d 989, 992, 994 (D.C. App. 1980)- keine ausreichende Warnung vor den Risiken von Asbest, wenn der Arbeitgeber eine entsprechende Broschüre erhält; Gordon v. Niagara Mach. & Tool Works, 574 F.2d. 1182, 1185, 1188 ff. (C.A. 5 1978), reh. denied 578 F.2d. 871 (C.A. 5, 1978) - Pflicht, Warnungen fest mit dem Produkt zu verbinden, wenn von einer hinreichenden Warnung durch den Arbeitgeber nicht ausgegangen werden kann. 159 Wilhelm v. Globe Sovent Co, 373 A.2d 218, aff'd in part and rev'd in part without op 411 A2d 611 (1977); Temple v. Wean United, Inc. 50 Ohio St. 2d 317 (1977); Beale v. Hardy 769 F.2d 213 (applying Virginia law 1985); Plante v. Hobard Corp., 771 F.2d 617 (applying Maine law 1985). 160 Stone v. Smith, Kline & French Lab., 447, So. 2d 1301, 1305 (Ala. 1983) - keine Pflicht, den Patienten mit der Muttersprache Spanisch direkt zu warnen, wenn Instruktionen in Englisch beim behandelnden Arzt vorliegen; Hawkins v. Richardson.Merrel, Inc., 147 Ga. App. 481, 249 S.E.2d. 286, 288 (Ga. App. 1978)- keine Pflicht, den allergischen Patienten direkt vor allergenen Substanzen zu warnen; Dunn v. Lederle Laboratories, 121 Mich. App. 73, 328 N.W. 2d 576, 580 (Mich. App. 1982); keine Pflicht, den Patienten direkt vor den Risiken eines Herzschrittmachers zu warnen, Brooks v. Medtronic, Inc., 750 F.2d 1227, 1231 (C.A. 4 ,1984). 161 Vgl. dazu ausführlich Travers,§ 17:42- § 17:47. 162 Vgl. zur Gesetzgebung 21 C.F.R. §§ 310, 501 (a), April 1, 1986 und zur Rechtsprechung Stephens v. G.D. Searle & Co., 602 F. Supp. 379 (E.D. Mich. 1985).
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zur Polio-Schluckimpfung 163 . Der Adressat der Warnung spielt schließlich auch für den Inhalt der Warnung eine Rolle. Ist das Produkt nur für Verbraucher bestimmt, die das Produkt in einem professionellen Rahmen gebrauchen, so darf der Hersteller von einem Minimum an Vorkenntnissen ausgehen 164. Der Umfang der Warnung bestimmt sich nach der Gefährlichkeit des Produktes. Die Pflicht enthält genaugenommen zwei Pflichten. Instruktionspflichten beinhalten Informationen über den bestimmungsgemäßen Gebrauch und die Vermeidung von Schäden 165. Warnpflichten legen die Gefahren eines Fehlgebrauchs offen 166 und identifizieren die produktimmanenten Risiken, die auch durch einen sorgfältigen Gebrauch nicht eliminiert werden können (unavoidably dangerous products)167. Die Warnpflichten sind nicht erfüllt, wenn allein Instruktionen gegeben werden, da dem Verbraucher das Risiko des Verstoßes gegen die Instruktionen unmißverständlich vor Augen geführt und die spezifischen Risiken des Produktes dargelegt werden müssen 168. Der Hersteller muß nicht vor offensichtlichen Risiken169, aber vor einem naheliegenden Fehlgebrauch warnen 170• Die Warnpflichten enden beim Produktmißbrauch I7I. Die Einhaltung von gesetzlichen Vorgaben entlastet nicht automatisch, da diese nur als Minimalvorgaben aufgefaßt werden 172, 163 Reyes v. Wyeth Laboratories, Inc., 498 F.2d 1264 (5th Cir. ), cert. denied, 419 U.S. 1096 (1974). 164 Martinez v. Dixie Carriers Inc., 529 F.2d 457, 464 f. (C.A. 5. 1976) - hinreichende Kenntnisse über die Giftigkeit chemischer Dämpfe bei Chemiefacharbeitern; Mays v. CibaGeigy Corp., 233 Kan. 38, 661 P.2d 348, 362- keine Pflicht, Facharbeiter bei der Legung von Pipelines vor Explosionsgefahr zu warnen. 165 Vgl. Travers§ 32:12 m. w. N. 166 Vgl. Travers§ 32:12 m. w. N. 167 Vgl. Travers§§ 32:16-32: 18m. w. N. 168 Billiar v. Minnesota Mining and Mfg Co., 623 F.2d. 240, 245 (C.A. 2 1980) - unabsichtlicher Hautkontakt mit ätzender Flüssigkeit über die Hände einer Arbeiterin; John Norton Frams v. Todagco, 124 Ca!. App. 3d 149, 177 Cal. Rptr. 215, 228 (Cal. App. 1981) Zerstörung der Zwiebelernte durch zweimaliges Spritzen der Zwiebeln mit Insektenvernichtungsmittel statt einmaligem Spritzen. 169 Hagans v. Oliver Machinery Co., 576 F.2d 97, 104 (C.A. 5 1978)- offensichtliche Risiken einer Ketten säge; Cook v. Baker Equipment Engineering Co., lnc. 431 F. Supp. 517, 522 (M.D. N.C. 1977), rev'd 582 F.2d. 862 (4th Cir. 1978)- offensichtlich fehlende Isolierung einer Plattform; Cohen v. General Motors Corp., Cadillac Div., 427 So. 2d 389, 390 (Fla. App. 1983), appeal after remand 444 So.2d 1170 (1984) - offensichtliches Risiko des Rückwärtsfahrens eines PKW, wenn der Rückwärtsgang eingelegt ist. 170 Barnes v. Litton Indus. Products Inc., 555 F. 2d 1184, 1188 (C.A. 4 1977)- Konsum von Brennalkohol in einem Zahnarztlabor eines Gefangniskrankenhauses durch Häftlinge. 171 Rodriguez v. Besser Co., 115 Ariz. 454, 565 P.2d. 1315, 1329 (Ariz. App. 1977)- eigenmächtige Veränderung der Konstruktion einer Zementmaschine durch den Arbeitgeber des Klägers; Plante v. Hobart Corp., 771 F.2d 617, 620, 621 (C.A. I, 1985)- Ausbau der Sicherheitsvorkehrungen. 172 Burch v. Amsterdam Corp., 366 A.2d 1079, 1084 (D.C. App. 1976)- Einhaltung der Vorgaben des Federal Hazardous Substances Act.
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der Verstoß gegen solche Normen stellt einen unwiderlegbaren Beweis der Fahrlässigkeit dar (negligence per se). Schließlich ist der Hersteller nur für seine eigenen Produkte verantwortlich und muß insbesondere nicht vor den Risiken warnen, die sich aus dem Einbau von fremden Zubehör ergeben 173. Hinsichtlich der Gestaltung der Warnung gelten vergleichbare Anforderungen wie im deutschen Recht. Grundsätzlich kann der Hersteller entscheiden, wie Warnungen beschaffen sein sollen, sie müssen sich nur an ihrer Effizienz messen lassen. Warnungen und Instruktionen müssen so formuliert sein, daß sie von einem durchschnittlichen Verbraucher, der um Verständnis bemüht ist, ohne weiteres erfaßt werden können 174. Die sprachlichen Formulierungen müssen der Schwere der Gefahr angemessen sein, jede Zweideutigkeit geht zu Lasten des Herstellers 175 . Die Schrift muß hinreichend groß sein und die Warnung muß so auf dem Etikett oder Begleitbuch plaziert werden, daß sie ohne weiteres vom Verbraucher gesehen und gelesen wird, u.U. ist eine entsprechende farbliehe oder drucktechnische Hervorhebung erforderlich 176.
3. Definitionen des Konstruktionsfehlers unter strict Iiability
Mit der Einführung der strict liability durch Greenman v. Yuba Power Products177 und der Aufnahme dieses Grundsatzes in § 402 A ist die Mehrzahl aller produkthaftungsrechtlichen Entscheidungen unter Zugrundelegung dieser Anspruchsgrundlage ergangen. Aufgrund der Reformbemühungen des A.L.I wird § 402 A in seiner ursprünglichen Form nicht fortbestehen, sondern durch die Neufassung des § 2 des - zu diesem Zeitpunkt - tentative draft No 2, Restatement of Torts (Third) - ersetzt werden. § 2 des tentative draft stellt anders als § 402 A keinen "Revolution" dar, sondern spiegelt eine ausdifferenzierte Rechtsprechung vieler Jahre wider. § 402 ARestatement (Second) ofTortsund § 2 tentative draft No 2, Restatement of Torts (Third) sollen daher als Ausgangspunkt genommen werden, um die unterschiedlichen Modelle zur Ausfüllung des Konstruktionsfehlerbegriffs zu untersuchen.
173 Hili v. General Motors Corp 637, S.W.2d 382, 384 (Mo.App. 1982)- keine Pflicht des Automobilherstellers, vor dem Einbau von fremden Reifen in Übergröße zu warnen. 174 Srnith v. United States Gypsum Co., 612 P.2d 251 (Okla 1980); Ellis v. International Playtex, Inc., 745 F.2d 292 (Va 1984); Knowles v. Harnishfeger Corp., 674 P.2d 200 (Wash 1983). 175 Schuh v. Fox Ricer Tractor Co., 218 NW 2d 279 (Wis. 1974). 176 Nesselrode v. Executive Beechcraft, lnc., 707 SW 2d 371 (Mo 1986); Palmer v. Avco Distributing Corp., 412 NE 2d 959 (111. 1980); Spruill v. Boyle-Midway, Inc, 308 F.2d 79 (applying Virginia law, 1962). 177 377 P. 2d 897 (1963).
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
Das Spektrum der Rechtsprechung und Gesetzgebung in den fünfzig Staaten178 bietet kein einheitliches Bild. Produkthaftungsrecht unterliegt der Zuständigkeit der einzelnen Staaten, so daß es hier nicht einmal einen einheitlichen Ausgangspunkt wie im deutschen Recht durch den Wortlaut des § 3 I ProdHaftG gibt. Mangels Verbindlichkeit bietet § 402 A Restatement (Second) of Torts trotz seiner erheblichen tatsächlichen Bedeutung ebenso wie dessen Neufassung im dritten Restatement lediglich einen Anknüpfungspunkt für die Rechtsprechung. Manche Staaten haben den Begriff des Produktfehlers durch Gesetzgebung definiert, wobei aber auch die Auslegung dieser Gesetze durch die Rechtsprechung zu untersuchen ist. Andere Staaten entwickeln ihren Fehlerbegriff allein aus dem Fallrecht, was zu einem Nebeneinander von verschiedenen, teilweise ineinander übergehenden Definitionen geführt hat. Im folgenden sollen die wichtigsten Ansätze zur Definition des Produktfehlers kurz vorgestellt und dann dem Recht der einzelnen Staaten zugeordnet werden. a) consumer expectation test
Der consumer expectation beruht auf § 402 Restatment (Second) of Torts 179. Daß es für die Fehlerhaftigkeit auf die berechtigten Erwartungen des Verbrauchers ankommt, ergibt sich nicht aus dem "black Ietter law" des § 402 A, sondern aus den begleitenden comrnents. Zur Ausfüllung des Fehlerbegriffs werden durch die Rechtsprechung in der Regel comrnent g und comrnent i herangezogen. Die maßgeblichen Abschnitte von comrnent g und i besagen: "The rule stated in this section applies only where the product is, at the time it leaves the seller's hand, in a condition not contemplated by the ultimate consumer, which will be unreasonably dangerous to him"(comrnent g) 180 und "The article sold must be dangerous to an 178 Es ist hier zu bedenken, daß nicht in allen Staaten Gesetzgebung oder eine ausgefeilte Rechtsprechung zur Frage der Produktfehlerhaftigkeit existiert. Der folgenden Überblick bemüht sich, die Staaten zu berücksichtigen, in denen eindeutige Trends in der Rechtsprechung bestehen oder eine gesetzliche Regelung vorliegt. 179 § 402 A Restatement (Second) of Torts hat folgenden Wortlaut: Special Liability of SeHer of Product for Physical Harm to User or Consumer (I) One who sells any product in a defective condition unreasonably dangeraus to the user or consumer or to his property is subject to liability for physical harm thereby caused to the ultimate user or consumer, or to his property, if (a) the seller is engaged in the business of selling such a product, and (b) it is expected to and does reach the user or consumer without substantial change on the condition in which it is sold. (2) This rule stated in Subsection ( 1) applies although (a) the seller has exercised all possible care in the preparation and sale of his product, and (b) the user or consumer has not bought the product from or entered into any contractual relation with the seller. 180 Für comment g schlage ich die folgende Übersetzung vor: "Die in diesem Paragraphen niedergelegte Vorschrift ist nur anwendbar, wenn das Produkt zu dem Zeitpunkt, an dem der
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extent beyond that which would be contemplated by the ordinary consumer who purchases it, with the ordinary knowledge common to the community as to its characteristics." (comment i) 181 . § 402 A, der als Vorbild für die Fehlerdefinition in Art 6 der EG-Richtlinie zur Produkthaftungsrecht diente, geht von dem Prinzip des Einheitsfehlers aus, eine Unterscheidung zwischen Fabrikations-, Konstruktionsund Instruktionsfehlern wird nicht getroffen.
b) Kosten-Nutzen-Analysen und ihre Ausformung in § 2 tentative draft No 2 Restatement ofTorts (Third)
Entscheidungen, die sich auf Kosten-Nutzen-Analysen stützen, machen die Fehlerhaftigkeit einer Konstruktion davon abhängig, ob die Kosten des Produkts den mit seinem Gebrauch und seiner Vermarktung verbundenen Nutzen übersteigen. Sie erweitern damit die Learned Hand Formel, die sich allein auf den Vergleich von Schadens- und Schadensvermeidungskosten stützt, um den Faktor des Nutzens. Dies stützt sich auf den Befund, daß die Produktsicherheit unter Umständen zwar durch geringfügige Veränderungen der Konstruktion gesteigert werden kann, dies aber mit erheblichen Einbußen an der wünschenswerten Produkteigenschaften verbunden sein kann 182• Nachdem kein Produkt eine absolute Sicherheit bieten muß, setzen Kosten-Nutzen-Analysen eine Abwägung zwischen der Wahrscheinlichkeit des Schadenseinstritts und den Schadensvermeidungskosten sowie zwischen dem Nutzen und dem an diesen Nutzen gekoppelten Schadenspotential der Konstruktion voraus. Diese abstrakte Formel wird in Rechtsprechung 183 und Literatur 184 durch Tests, bei der eine Vielzahl von Kriterien gegeneinander abgewogen werden, konkretisiert. Unter den am häufigsten genannten Faktoren sind die folgenden zu nennen: Verkäufer es aus der Hand gibt, in einem Zustand ist, der vom Endverbraucher nicht erwartet wird und der unangemessen gefährlich für ihn ist." 181 Für comment g schlage ich die folgende Übersetzung vor: "Das veräußerte Produkt muß in einem Ausmaß gefährlich sein, das über das hinausgeht, was der gewöhnliche Verbraucher, der es erwirbt, mit dem gewöhnlichen Wissen der Allgemeinheit in Hinblick auf seine Eigenschaften, erwarten würde." 182 A. Schwartz, Proposals for Products Liability Reform: A Theoretical Synthesis, 97 Yale Law Journal, 1988, S. 353, 385. 183 Vgl. Travers,§ 28:13 mit vielen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 184 Am bekanntesten und auch in der Rechtsprechung am häufigsten zitiert ist der in J. W. Wade, On the Nature of Strict Tort Liability for Products, 44 Mississippi Law Journal,. 825, 837 f. (1973) entwickelte, aus sieben Faktoren bestehende Test. Andere Kosten-Nutzen Analysen anband von Faktoren sind z. B. die von Twerski, 57 N. Y. U. L. Rev. 521, 522 (1982) und J. A. Henderson jr., Why Creative Judging Won't Save the Products Liability System, 11 Hofstra Law Review, S. 845 ff., 1983., D. Fischer, 32 Okla. L. Rev. 93, 1979, S. 114 entwikkelten Tests.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
Die Nützlichkeit des Produktes für den Verbraucher und die Allgemeinheit. Die Schwere des Schadens, der mit der in Frage stehenden Konstruktion verbunden ist. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts dieses Schadens. Das Bestehen einer Alternativkonstruktion, die den gleichen Anforderungen genügt. - Die Kosten der Alternativkonstruktion. - Die mit der Alternativkonstruktion verbundenen Nachteile. - Die Kenntnis des Geschädigten über die Gefahren der Konstruktion aufgrund von Allgemeinwissen, der Offensichtlichkeit der Gefahr und/ oder von Instruktionen und Warnungen. - Die Möglichkeiten des Verbrauchers, den Schadenseintritt durch Beherzigung seines Wissens und I oder der Berücksichtigung von Instruktionen I Warnungen zu vermeiden. Nicht alle Faktoren spielen in jeder Entscheidung eine Rolle 185, sie sind vielmehr das Ergebnis einer Rechtsprechung der letzten Jahrzehnte. In Kosten-Nutzen-Analysen fließen also eine Vielzahl von Aspekten ein, darunter auch die Verbrauchererwartungen, allerdings als einer von vielen Faktoren und nicht als ausschließlicher Maßstab. Umstritten ist, ob das Bestehen einer Alternativkonstruktion nur einer von vielen möglicherweise zu berücksichtigenden Faktoren darstellt oder aber ein unabdingbares Element des haftungsbegründenden Tatbestandes ist. Unzweifelhaft reicht der Nachweis, daß es zur strittigen Konstruktion eine Alternative gegeben hätte, nicht zur Begründung des klägerischen Anspruchs aus. Der Hersteller hat im Bereich der Konstruktion einen Entscheidungsspielraum, der ihm nicht die Pflicht aufgibt, in jedem Fall die sicherste aller möglichen Konstruktionen zu wählen 186. Problematisch ist aber, ob das Fehlen einer Alternativkonstruktion den Hersteller in jedem Fall entlasten soll. In der Gesetzgebung und Rechtsprechung einiger Staaten 187 wird dies mit dem Hin185 Voss v. Black & Decker Mfg. Co., 59 NY 2d 102; Kindred v. Con/Chern, Inc. 644 SW 2d 828 (Texas 1982) 186 Travers, § 31: I, S. 8. Bowbeer, Toxics Law Reporter vorn 14. 7. 1993, S. 177, 178 f. 187 Die Leitentscheidungen zu diesem Problern sind o'Brien v. Muskin Corp., 463 A.2d 298 (New Jersey 1983), in der der beklagte Hersteller für die Verletzungen, die der Kläger bei einem Kopfsprung in ein aufstellbares Gartenschwimmbad erlitt, haftbar gernacht wurde, obwohl es zu dem verwendeten Vinylboden keine Alternative gab und Kelley v. G.R. Industries, Inc., 304 Md. 2d 124, 497 A. 2d 1143 (Maryland 1985), in dem eine Haftung des Herstellers von sogenannten Saturday Night Specials (kleinen Handfeuerwaffen) bejaht wurde. Kelley wurde durch Gesetz aufgehoben (1988 Md. Laws., H.B. 1131 § 36-1), o'Brien ist in seinem Anwendungsbereich durch Gesetzgebung stark eingeschränkt, vgl. 1987 N.J. Laws eh. 197, S.B. 2805 § 2A:58 C 1.3(a)(1) (Grundsätzlich ist der Nachweis einer Altvemativkonstruktion Bestandteil des haftungsbegründenden Tatbestandes mit der eng
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weis darauf verneint, daß manche Produkte von so geringer (Allgemein-)Nützlichkeit und so risikoträchtig seien, daß ihre Vermarktung nur dann gerechtfertigt sei, wenn sich das Risiko im Produktpreis niederschlage und dennoch ein Markt für das Produkt bestehe. Beispiele für derartige Produkte sind aufstellbare Gartenschwimmbäder mit Vinylböden, sogenannte "saturday night specials" d. h. kleine, preisgünstige Handfeuerwaffen und - in jüngster Zeit wieder in der Diskussion - Zigaretten. Die h.M. in der Rechtsprechung setzt den Nachweis einer Alternative zur strittigen Konstruktion im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestandes voraus 188 . Die Fehlerdefinition des § 2 tentative draft No 2 Restatement of the Torts (Third) versteht sich als das Destillat aus der Rechtsprechung der letzten Jahre und zeichnet sich durch die folgenden Charakteristika aus. Anders als § 402 A Restatement (Second) of Torts geht er nicht von einem Einheitsfehlerbegriff aus, sondern schafft drei eigenständige Definitionen für die anerkannten Fehlergruppen von Fabrikationsfehler (manufacturing defect), Konstruktionsfehler (design defect) und Instruktionsfehler (inadequate instructions or warnings). Konstruktionsfehler werden anhand einer Kosten-Nutzen-Analyse ermittelt, der consumer expectation test taucht lediglich als einer von mehreren zu berücksichtigenden Faktoren auf und das Erfordernis des Nachweises einer Konstruktionsalternative gewinnt besondere Bedeutung, da es die Voraussetzung dafür darstellt, daß überhaupt eine KostenNutzen-Analyse vorgenommen wird. Dies ergibt sich aus dem "black-letter-law" des § 2 in Verbindung mit comment e:
auszulegenden Ausnahme, daß es sich um ein Produkt mit den folgenden Eigenschaften handelt: "(1) egregiously unsafe (2) one whose dangers are unknown to the reasonable consumer and (3) one that has little or no usefulness.) Andere Staaten erkennen Ausnahmen von dem grundsätzlich anerkannten Erfordernis der Konstruktionsalternative an, häufig allerdings nur im Diktum der Entscheidung, vgl. z. B. Oregon: Wilson v. Piper Aircraft Corp., 577 P.2d 1322, 1328 (1978): "There might be cases in which the jury would be permitted to hold the defendant liable on account of a dangeraus design feature even though no safer design was feasib1e (or there was no evidence of a safer practicable alternative). lf, for example, the danger was relatively severe and the praduct had only limited utility, the court might properly conclude that the jury could find that a reasonable manufacturer would not have introduced such a praduct into the stream of commerce."; Colorado: Armentrout v. FCM Corp., 842 P2d 175, 185 (1992): "Evidence of a feasible designalternative is not always necessary.", Georgia: Banks v. Iei Americas, Inc., 450 S.E. 2d 671, 674 (1994) " . . .it is only at their most extreme that design defect cases reflect the position that a praduct is simply so dangeraus that it should not have been made available at all."; Minnesota: Kallio v. Ford Motor Co., 407 N.W. 2d 92, 96 f.: "Conceivably, rare cases may exist where the product may be judged unreasonably dangeraus because it should be removed fram the market rather than be redesigned."; Montana: Rix v. General Motors Corp., 723 P.2d 195, 202: Verweis auf O'Brien; Ohio: Ohio Rev. Code Ann. § 2307.75 (F): Ausnahme vom Erfordernis der Konstruktionsalternative wenn "[t]he manufacturer acted unreasonable in introducing the praduct into trade or commerce. 188 Vgl. zu diesem Problem ausführlich die Reporters' Notes zu § 3 tentative draft No 2 Restatement of the Law Third.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
§ 2. Categories of Product Defect For purpose of deterrnining liability under § 1: (b) a product is defective in design when the foreseeable risks of harrn posed by the product could have been reduced or avoided by the adoption of a reasonable alternative design by the seller or other distributor, or a predecessor in the commercial chain of distribution and the omission of the alternative design renders the product not reasonably safe. § 2. Kategorien des Produktfehlers Zur Bestimmung der Haftung gemäß § 1:
(b) die Konstruktion eines Produktes ist fehlerhaft, wenn das vorhersehbare Risiko eines produktbedingten Schadens durch die Wahl einer angemessenen Alternativkonstruktion durch den Verkäufer oder anderweitigen Vertreiber oder einen Vorgänger innerhalb der gewerblichen Verkaufskette hätte vermieden oder reduziert werden können und das Produkt deshalb nicht angemessen sicher ist, weil die Wahl der Alternativkonstruktion unterlassen wurde. Comment e. Design defects: factors relevant in deterrnining whether the omisson of a reasonable alternative design renders the product not reasonably safe: ( ... ) A broad range offactors may legitimately be considered in deterrnining whether an alternative design is reasonable and whether its omission renders a product not reasonably safe. The factors include, among others, the magnitude of the foreseeable risks of harrn, the instructions and wamings that accompanied the product, the nature and strength of consumer expectations regarding the product, the relative advantages and disadvantages of the product as designed and as it alternatively could have been designed, and the effects ofthe alternative design on production costs, product longevity, maintenance and repair, esthetics, and marketability. ( ... ). Comment e. Konstruktionsfehler: Faktoren, die bei der Bestimmung relevant sind, ob die Unterlassung einer Alternativkonstruktion dazu führt, daß das Produkt nicht angemessen sicher ist: ( .. . ) Ein breites Spektrum an Faktoren kann zulässigerweise bei der Feststellung berücksichtigt werden, ob eine Alternativkonstruktion angemessen ist und ob ihre Unterlassung dazu führt, daß das Produkt nicht angemessen sicher ist. Diese Faktoren beinhalten unter anderen die Größe des vorhersehbaren Schadensrisikos, die Instruktionen und Warnungen, die das Produkt begleiten, Art und Gewicht der Verbrauchererwartungen, die relativen Vor- und Nachteile des Produktes, wie es konstruiert wurde und wie es alternativ hätte konstruiert werden können, und die Auswirkungen der Alternativkonstruktion auf Produktionskosten, Unterhaltung und Reparaturen, Ästhetik und Marktfahigkeit.
4. Die Behandlung von consumer expectation test und risk-utility-analysis in der Rechtsprechung und Gesetzgebung
Die Untersuchung des Fallrechts der letzten Jahrzehnte zeigt, daß die Rechtsprechung in der Mehrheit der Staaten entweder den consumer expectation test, die risk-utility-analysis oder eine Kombination aus beiden Ansätzen zur Ausfüllung des Fehlerbegriffs heranzieht, wobei die Bedeutung von Kosten-Nutzen-Analysen in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat. Es ist daher m.E. von einer positiven Aufnahme der Neudefinition des Konstruktionsfehlers in der amerikanischen
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Rechtsprechung auszugehen. Neben den erwähnten Ansätzen gibt es eine Reihe von Staaten, die für die Frage der Fehlerhaftigkeit von Konstruktionen einen Anknüpfungspunkt außerhalb des Instituts der strict liability wählen, etwa indem das Institut der negligence 189 oder das warranty-law zur alleinigen Anspruchsgrundlage für die Produzentenhaftung gemacht werden. Auch hier gibt es inhaltlich Überschneidungen zur Rechtsprechung der Staaten, die zur Ausfüllung des Fehlerbegriffs im Rahmen der strict liability das Kriterium der Verbrauchererwartungen bzw. Kosten-Nutzen-Analysen heranziehen. Im folgenden soll untersucht werden, welche Staaten in ihrer Rechtsprechung oder Gesetzgebung dem consumer expectation test bzw. der risk-utility-analysis folgen. Da auch in den Vereinigten Staaten die Auslegung der "reasonable expectations" höchst umstritten ist, wird ein knapper Überblick über die inhaltliche Ausfüllung des § 402 A im Konstruktionsbereich angeschlossen. a) Staaten, die in ihrer Rechtsprechung oder Gesetzgebung einem consumer expectation Test im Sinne des § 402 A Restatement (Second) ofTortsfolgen
Eine Reihe von Staaten stützt sich in der Rechtsprechung ausdriicklich auf den consumer expectation test im Sinne des § 402 A: Die wichtigsten Staaten, die den § 402 A in ihre ständige Rechtsprechung übernommen haben, sind Florida 190, 189 Beispiele für eine derartige Rechtsprechung sind Kentucky (vgl. Niebols v. Union Underwear 602 S.W. 2d., 429, 433 (1980): " ( ... ) we pointed out that the inquiry is tobe made from the perspective of a "prudent manufacturer of similar products fully appraised of the condition and tendencies of the product when he put it into the stream of commerce .. ...."), Michigan (vgl. Prentis v. Yale Manufacturing Co., 421 Mich. 670,690 f.; 365 N.W. 2d 176, 186: "Imposing a negligence Standard for design defect Iitigation is only to define in a coherent fashion what our litigants in this case are in fact arguing and what our jurors are in essence analyzing. Thus we adopt, forthrightly, a pure negligence, risk-utility test in products liability actions against manufacturers of products, where liability is predicated upon defective design."), North Carolina (vgl. Wilson v. Hardware, Inc. 131 S. C. 2d 501, 503 (1963): "A producer is not an insurer. His obligation to those who use his product is tested by the Jaw of negligence." und Mc Collum v. Grove Mfg. Co, 293 S.E. 2d 632, 638 (N.C. Ct. App. 1982): "As to the standard of care, a manufacturer is under a duty to those who use his product to exercise that degree of care in its design and manufacture that a reasonably prudent man would use under similar circumstances. The manufacturer of a machine which is dangerous because of the way in which it functions, and patently so, owes to those who use it a duty merely to make it free from latent defects and concealed dangers.") und Wyoming (vgl. Fox v. Motor Co., 575 F.2d. 774, 783 (applying Wyoming 1aw): "In order to determine the reasonableness of the manufacturer's design, it is necessary to weigh, on the one hand, the 1ikelihood of injury should a collision occur, together with the gravity of the injury, if it does occur, against, on the other hand, the costs of the precautions which the manufacturer would have to take in order to avoid the hazard of such injury."). 190 Radiation Technology, lnc. v. Ware Const. Co., 445 So 2d 329, 331 (Fla. 1983): " Under strict liability, the Restatement (Second) ofTorts, section 402 A (1965) refers to products which are "unreasonably dangeraus to the user or consumer or to his property " regardless of 6 Kalimann
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
ldaho 191 , Illinois 192, Iowa193 , Kansas 194, Ohio 195 , Oklahoma 196, Tennessee 197, Washington198 und Wisconsin 199. Zwei Staaten haben den consumer expectation Test durch ihre Gesetzgebung zum Maßstab für die Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit erhoben, diese sind Indiana200 und South Carolina201 . privity. The term "unreasonably dangerous" more accurately depicts liability of a manufacturer or supplier in that it balances the likelihood and gravity of the potential injury against the utility of the product, the availability of other, safer products to meet the same need, the obviousness of the danger, public knowledge and expectation of the danger, the adequacy of instructions and wamings on safe use, and the ability to eliminate or minimize the danger without seriously impairing the product or making it unduly expensive." 191 Farmer v. International Harvester Co, 552 P.2d 1306,later praceedings 695 P2d 1262. 192 Taylor v. Gerry's Ridgewood, Inc., 490 NE 2d 987, 991(Illinois 1986): .,A product contains an unreasonably dangeraus condition when it fails to perform in the manner reasonably to be expected by the ordinary consumer in the light of its nature and intended function." 193 Allers v. Rodgers Machinery Mfg. Co., Inc. 268 N.W. 2d 830, 834-35: "The article sold must be dangeraus to an extent beyond that which would be contemplated by the ordinary consumer." 194 Lester v. Magie Chef, 230 Kan. 643, 641 P.2d 353, 361 : .,We conclude that the trial court did not commit error in refusing to give the Barker type instruction requested by the plaintiff andin giving the consumer expectation test instruction fram Comment i of the Restatement which has consistently fumished the basis for our adoption and enforcement of strict liability in tort." 195 Leichtarner v. American Motors Corp., 67 Ohio St. 2d 456, 424 N.E. 2d 568, 576 (1981): .,The concept of .,unreasonable danger", as found in Section 402 A, pravides implicitly that a praduct may be found defective in design if the plaintiff demonstrates that the praduct failed to perform as safe1y as an ordinary consumer would expect when used in an intended or reasonably foreseeable manner." 196 Woods v. Fruehauf Trailer Corporation, 765 P. 2d 770, 774 (Okla 1988): "The definition of .,unreasonably dangeraus" adopted by this Court was taken fram comment g (sie!) to the Restatement of Torts 2d § 402 A, and defines .,unreasonably dangerous" as requiring that: .,The article must be dangeraus to an extent beyond that which would be contemplated by the ordinary consumer who purchases it, with the ordinary knowledge commont to the community as to its characteristics." 197 Miller v. Utica Mill Specialty Machinery Co., 731 F.2d 305, 308 (1984, applying Tennessee law): "It is also clear fram these decisions that Tennesee has adopted not only § 402 A of the Restaternent (Second) but also the comments to this section as weil." 198 Seattle First Nat'l Bank v. Tabert, 542 P. 2d 774, 779 (1975): ,.In deterrnining the reasonableness of expectations of the ordinary consurner, a nurober of factors rnust be considered. The relative cost of the praduct, the gravity of the clairned defect and the cost and feasibility of eliminating or minimizing the risk rnay be relevant." 199 Vincer v. Esther Williams All-Aluminum SwimmingPool Company, 69 Wis. 2d 326, 230N.W. 2d 794, 798 (1975): ,.Thus, the test in Wisconsin of whether a product contains an unreasonably dangeraus defect depends upon the reasonable expectations of the ordinary consurner conceming the characteristics of this type of product. If the average consumer would reasonably anticipate the dangeraus condition of the product and fully appreciate the attendant risk of injury, it would not be unreasonably dangeraus and defective. This is an objective test and is not dependant upon the knowledge of the particular consurner, although bis knowledge may be evidence of contributory negligence under the circumstances." zoo Ind Code Ann. § 33-1-1.5 - 2.5 (West 1994).
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b) Staaten, die in ihrer Rechtsprechung oder Gesetzgebung Kosten-Nutzen-Analysen folgen Die folgenden Staaten bestimmen Konstruktionsfehler durch die Rechtsprechung ausschließlich unter der Abwägung von Kosten-Nutzen-Kriterien: Alabama202, Colorado203 , Georgia204 , Maryland205, Minnesota206, Montana207 , New
201 S. C. Code§ 15-73-30 (1976) verweist für die Definition des Produktfehlers auf die cornments zu § 402 A Restatement (Second) of Torts. 202 General Motors Corp. v. Edwards, 482 So. 2d 1176, 1191 (Ala. 1985): "In order to prove defectiveness, the plaintiff must prove that a safer, practical alternative design was available to the manufacturer at the time it manufactured the automobile. The existence of a safer, practical alternative design must be proved by showing that: (a) The plaintiff's injuries would have been eliminated or in some way reduced by use of the alternative design; and that; (b) taking into consideration such factors as intended use of the vehicle, its sty ling, cost, and desirability, its safety aspects, the foreseeability of the particular accident, the likelihood of injury, and the probable seriousness of the injury if that accident occured, the obviousness of the defect, and the manufacturer's ability to eliminate the defect, the utility of the alternative design outweighed the utility of the design actually used. 203 Zunächst unter Berufung auf den zweiten Aspekt des Barker-Tests (dazu siehe unten unter Rechtsprechung Kalifornien) in Ortho Pharrnaceutical Corp. v. Heath, 722 P.2d 410, 414 (1986): "The dangerousnes of Ortho-Novum 1/80 is defined primarily by technical, scientific information. The consumer expectation test fails to address adequately this aspect of the problem. The risk-benefit test focuses on the practical policy issues characteristic of a product such as Ortho-Novum 1/80, which is alleged to be unreasonably dangeraus despite being manufactured in precisely the form intended. [Es folgt einer Aufzählung der sieben Faktoren nach Wade]. In Camacho v. Honda Motor Cp., Ltd. 741 P.2d 1240, 1248 (1987) wird die Übernahme des risk-utility tests als ausschließlicher Maßstab festgeschrieben: "The factors enumerated in Ortho are applicable to the determination of what constitutes a product that is in a defective unreasonably dangerous condition." 204 Banks v.lci Americas, Inc. 450 S.E. 2d 671 (Ga. 1994). 205 Ziegler v. Kawasaki Heavy Industries, 539 A.2d 701, 705: The risk-utility test is the measure in the case at bar rather than the "consumer expectation test". 206 Holm v. Sponco Mfg., Inc., 324 N. W. 2d 207, 212-213 (Minn. 1982): "Therefore, the latent-patent danger rule, as set out in Halverson, is rejected and a ,,reasonable care" balancing test substiuted therefore in the same manner that the courts of New York and Florida have done." 207 Rix v. General Motors Corp., 723 P. 2d 195, 201 , 202 (1986): "We conclude that the following elements should be considered for instructional purposes in an alternative design products liability case ( ..... ) (2) A product may be in a condition unreasonably dangeraus because the manufacturer should have used an alternative design. (3) In determining whether an alternative design should have been used, the jury should balance so many of the following factors as it finds to be pertinent at the time of manufacture: (a) The reasonable probability that the product as originally designed would cause serious harm to the claimant.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
Hampshire208, New Jersey209, New York210, Oregon211 , Washington D.C. 212. In drei Staaten sind Kosten-Nutzen-Analysen die gesetzliche Grundlage für die Bestimmung von Produktfehlern, diese sind Louisiana213 , Mississippi 214 und Texas 215 . (b) Consideration of the reasonable probability of harrn from the use of the original product as compared to the reasonable probability of harrn from the use of the product with the alternative design. (c) The technological feasibility of an alternative design that would have prevented claimant' s harrn. (d) The relative costs both to the manufacturer and consumer of producing, distributing and selling the original product as compared to the product with the alternative design. (e) The time reasonably required to implement the alternative design. 208 Thibault v. Sears, Roebuck & Co., 395 A.2d 843, 846 (N.H. 1978): "The utility of the product must be evaluated from the point of view of the public as a whole, because a finding of 1iability for defective design could result in the removal of an entire product line from the market ( . .. ) In weighing utility and desirability against the danger, courts should also consider whether the risk of danger could have beend reduced without significant impact in product effectiveness and manufacturing cost." 209 O'Brian v. Muskin Corp., 94 N.J. 169, 463 A.2d 298 (1983): "Although the appropriate standard [of design defectiveness] rnight be variously defined, one definition, based on a comparison of the utility of the product with the risk of injury that it poses to the public, has gained prorninence." 210 Voss v. Black and Decker Mfg., 450 N.E. 2d 204, 209; 463 N.Y. 2d 398, 404 (1983) unter ausdrücklicher Berufung auf den von Wade entwickelten risk-utility-test: "Pertinent factors in the individual case, when evaluated as to whether of not they are applicable, should be the basis for charging the jury as to how it should evaluate the evidence in order to decide whether a product is not reasonably safe." 211 Der Maßstab für Konstruktionsfehler ist in der Rechtsprechung Oregons der ,,reasonable seller test", der wie die folgende Leitentscheidung zeigt, tatsächlich eine Kosten-NutzenAnalyse ist. Der reasonable seller test und der consumer expectation test des § 402 A sollen nach dieser Auffassung die beiden Seiten einer Münze darstellen, vgl. Phillips v. Kimwood Machine Co., 525 P.2d 1033, 1036, 1037, 1038 (1974): "A dangerously defective article would be one which a reasonable person would not put into the stream of cornrnerce if he had knowledge of its hannful character. The test, therefore, is, whether the seller would be negligent if he sold the article knowing of the risk involved. Strict liability imposes what amounts to constructive knowledge of the condition of the product. On the surface such a test would seem to be different than the test of 2 Restatement (Second) of Torts § 402 A, cornrnent i ( .... ) These are not necessarily different standards, however. ( .... ) We see no necessary inconsistency between a seller-oriented standard and a user-oriented standard when, as here, each turns on foreseeable risks. They are two sides of the same standard. ( ... ) In design cases the utility of the article may be so great, and the change of design necessary to alleviate the danger in question may so impair such utility, that it is reasonable to market the product as it is, even though the possibility of injury exists and was realized at the time of the sale". 212 Hull v. Eaton, 825 F.2d 448, 454 (D.C. Cir. 1987): "We believe that the District of Columbia would follow the risk/utility balancing test referred to by the Maryland courts. Under that test a manufacturer is strictly liable for darnage caused by bis product if there was a feasible way to design a safer product and an ordinary consumer would conclude that the manufacturer ought to have used that alternative design."
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c) Auslegung von§ 402 ARestatement (Second) ofTorts, comment g, i Die Auslegung des Fehlerbegriffs in comments g und i stößt aufgrunddes ambivalenten Wortlauts auf vergleichbare Schwierigkeiten wie im deutschen Recht. Einerseits werden die Verbrauchererwartungen als das "ordinary knowledge to the community as to its characteristics" bestimmt und verweisen somit auf tatsächlich bestehende Erwartungen innerhalb des relevanten Rechtskreises. Andererseits deutet das Erfordernis, daß es sich um ein unvertretbares Risiko handeln müsse, auf einen normativen Standard hin, durch den Kriterien jenseits der tatsächlich bestehenden Erwartungen des geschädigten Verbrauchers bzw. des relevanten Rechtskreises in die Bestimmung der Erwartungen eingeführt werden. Die erwähnten Jurisdiktionen können daher grob in zwei Gruppen untergliedert werden, nämlich die erste, die sich ausschließlich auf die bestehenden Erwartungen des Verbrauchers stützt und die zweite, die den consumer expectation Test als einen normativen Test in Hinblick auf die "berechtigten Erwartungen des geschädigten Verbrauchers auslegt. Diese Auslegung bildet ein Einfallstor für die Anwendung des risk-utility tests, indem die berechtigten Verbrauchererwartungen anband von Kosten-Nutzen-Kriterien bestimmt werden. Schließlich gibt es noch eine Anzahl von Staaten, die consumer-expectation test und risk-utility-analysis nebeneinander anwenden.
213 La. Rev. Stat. § 9:280056 (1988): "Unreasanably dangeraus in design. A product is unreasanably dangeraus in design if, at the time the product left its manufacturer 's cantral: (1) There existed an alternative design far the product that was capable af preventing the claimant' s darnage; and (2) The likelihood that the product's design would cause the claimant's darnage outweighed the burden on the manufacturer of adopting such alternative design and the adverse effect, if any, of such alternative design on the utility af the product. An adequate waming abaut a product shall be cansidered in evaluating the likelihoad af darnage when the manufacturer has used reasanable care to provide the adequate waming ta users and handlers af the praduct. 214 Miss. Code Ann. § 11- 1-63 ( 1993): Plaintiff must prave that "there existed a feasible design alternative. A feasible design alternative is a design that would ta a reasanab1e probability have prevented the harrn without impairing the utility, practicality or desirability of the product to users or consumers. 215 Tex. Civ. Prac. & Rem. Code Ann. § 82.005 (West 1993): "The burden is an the claimant to prave that ( .... ) there was a safer alternative design ( ... ) Safer alternative design means a praduct design ather than the one actually used that in reasonable probability wauld have prevented or significantly reduced the risks of the claimants personal injury, property darnage, ar death withaut substantially impairing the product's utility, and was econornically and techno1agically feasible at the time the product left the control of the manufacturer ar seller.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
aa) "consumer expectations" als tatsächliche Verbrauchererwartungen Soweit sich das Fallrecht auf die tatsächlich existierenden Erwartungen von Verbrauchern stützt, kann zwischen zwei Ansätzen unterschieden werden. Als besonders herstellerfreundlich stellt sich die mit der "patent danger rule" des negligenceRechts übereinstimmende Rechtsprechung dar216, die eine Fehlerhaftigkeit von Produkten dann ablehnt, wenn das Risiko, das sich bei der Schädigung des Verbrauchers verwirklicht, offensichtlich ist. Die Frage, ob und mit welchem Aufwand die Produktsicherheit durch eine Änderung der Konstruktion hätte verbessert werden können, spielt dann keine Rolle mehr. Eine "Basissicherheit", die der Hersteller zwingend einhalten muß, wird in den einschlägigen Entscheidungen nicht diskutiert. Beispiele für eine derartige Rechtsprechung sind Kansas217 , Tennessee218 und Wisconsin219 • Eine Besonderheit findet sich in der Rechtsprechung von South Carolina. Die Entscheidung Young v. Tide Craft, lnc. 220 lehnt die Fehlerhaftigkeit eines Produktes mit dem Hinweis auf ein Sonderwissen des geschädigten Verbrauchers ab. In der Entscheidung war der Ehemann der Klägerin bei einem Unfall mit einem Rennboot getötet worden, als er von seinem Sitz geschleudert und mit der Schraube des Bootes in Beriihrung gekommen war. Die Frage, ob das Boot fehlerhaft war, da es die Beklagte unterlassen hatte, es mit einer sogenannten "kill-switch" auszustatten, wurde nicht weiter problematisiert, da jedenfalls für den Kläger aufgrund seines Sonderwissens als "experienced boater" das Risiko eindeutig war. Die Tatsache, daß das Gericht diese Frage bereits im Rahmen der ProduktfehlerVgl. dazu im 3. Kapitel unter II. 3. b). Wheeler v. John Deere Co., 935 F.2d 1090, 1104 (10th Cir. 1991, applying Kansas law): "[A] manufacturer cannot be held liable for injuries which result from patent dangers, inherent in the product, completely within the cognition of a reasonable user, and incapable of being economically alleviated." 218 Miller v. Utica Mill Specialty Machinery Co., 731 F.2d 305, 308 (1984, applying Tennessee law): "We believe it clear from the foregoing discussion that the obviousness of the danger is a factor to be considered in determining whether a plaintiff voluntarily and unresonably encountered a known danger and whether the risk was unreasonably dangerous, i.e. "beyond that which would be contemplated" by an operator with the knowledge common to the community of such operators as to the characteristics of the product." 219 Vincer v. Esther Williams All-Aluminum Swimming Pool Company, 69 Wis. 2d 326, 230N.W. 2d 794, 799 (1975): "The Iack of a self-latching gate certainly falls within the category of an obvious rather than latent condition." 22o 242. S.E. 2d 671,680: "lt is common knowledge that anormal risk ofboating isthat of being thrown overboard. While the testsetout above [d. h. derconsumerexpectation test iSv. S.C. Code§ 15-73-10 iVm. § 402 ARestatement (Second) ofTorts; Anmerkung der Veifasserin] is an objective one and knowledge common to the community must be attributed to Young, there can, nevertheless, be no question of his awareness of the risk. ( . . . ) Accordingly, the Iack of a kill switch does not constitute a defect within the meaning of the strict liability statute." Williams v. Brasea, Inc. 497 F.2d 67, 79 (5th Cir. 1974) cert. den. 423 U.S. 906: "The danger posed by a Iack of a brake could scarcely be beyond the contemplation of crewmen who knew of its absence and worked with the winch in that condition on a daily basis." 216 217
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haftigkeit und nicht im Rahmen eines Mitverschuldens problematisiert, führt dazu, daß es bei einer derartigen Auslegung des consumer expectation tests zu einer "relativen" Produktfehlerhaftigkeit kommen kann221 . Als Beispiel für eine konsumentenfreundliche Auslegung des consumer expectation tests gilt die Rechtsprechung Kaliforniens222, die in Barker v. Lull Engineering Co.223 den consumer expectation test als erste Prüfungsstufe bei der Bestimmung von Konstruktionsfehlern heranzieht224. Barker stellt klar, daß es sich bei den Verbrauchererwartungen um tatsächliche im Gegensatz zu normativen Erwartungen eines idealtypischen Verbrauchers handelt225 . In den im Anschluß an Barker ergangenen Entscheidung konkretisiert die Rechtsprechung die erste Stufe des Barker-Tests. Die Entscheidungen Campbell v. General Motors Corp. 226 und Cf. Gard v. Raymark Indus., Inc227 zeichnen sich dadurch aus, daß die bestehenden Verbrauchererwartungen mit dem Hinweis auf "comrnon experience" der mit der Entscheidung betrauten Jury ermittelt und die Frage, ob eine Alternativkonstruktion tatsächlich möglich und erkennbar gewesen wäre, nicht problematisiert wird. In Akers v. Kelly Co. 228 wird diese Auslegung des consumer expectation tests auch auf komplexe Produkte ausgedehnt. Die Bedeutung des Barker-Tests ist allerdings durch Soule v. General Motors Corp. 229 erheblich eingeschränkt230. Ebenso wie die deutsche Rechtsprechung hat somit auch das amerikanische Fallrecht bisher darauf verzichtet, die bestehenden Verbrauchererwartungen durch Sachverständigengutachten etwa durch demoskopische Untersuchungen zu errnitteln231, in der Literatur wird diese Form der Ermittlung der tatsächlichen Erwartungen kritisch beurteilt232. 221 Young illustriert nur einen Aspekt der Rechtsprechung South Carolinas. Fehlt es an der Offensichtlichkeit des Risikos, so greift die Rechtsprechung South Carolinas auf Kosten-Nutzen-Erwägungen zurück, vgl. dazu in diesem Kapitel unter II. 4. c) cc). 222 Vgl. dazu ausführlich in diesem Kapitel unter II. 4. d). 223 20 Ca!. 3d 413, 573 P. 2d 443, 143 Ca!. Rptr. 225 (1978). 224 V gl. die Diskussion der zweiten Stufe des Barker-Tests in diesem Kapitel unter II. 4. d). 225 20 Ca!. 3d 413,573 P. 2d 443 passim, 143 Ca!. Rptr. 225 (1978). 226 32. Ca!. 3d 112,649 P.2d 224, 194 Ca!. Rptr. 891 (1982). 227 185 Ca!. App. 3d 583; 229 Ca!. Rptr. 861 (1986). 228 173 Ca!. App. 3d 633, 650: "There are certain kinds of accidents - even where fairly complex machinery is involved - which are so bizarre that the average juror, upon hearing the particulars, rnight reasonably think: "Whatever the user may have expected from that contraption, it certainly wasn 't that." 229 882 P.2d 298 (Ca!. 1994), 94 Daily Journal D.A.R. 15133. 230 Vgl. dazu in diesem Kapitel unter II. 4. d). 231 Vgl. zu diesem Problem auch die Entscheidung Heaton v. Ford Motor Co., 248 Or. 467, 435 P. 2d 806, 809 (1967), die anscheinend für die Ermittlung der ,,reasonable expectations" durch Expertengutachten eintritt, um so zu verhindern, daß an die Stelle der tatsächlichen Erwartungen der normative Standard, wie ihn die Jury für angemessen hält, tritt : "In the defective-product area, courts have already decided how strong products should be: they should be strong enough to perform as the ordinary consumer expects. In deciding what the
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bb) Parallelen zum informationellen Fehlerbegriff in der deutschen Literatur Nicht immer sind die Produktrisiken offensichtlich und Entscheidungen wie Campbell und Gard sind Einzelfälle geblieben. Auch im amerikanischen Fallrecht und in der Literatur kann eine Tendenz aufgezeigt werden, die Produktfehlerhaftigkeit weniger an der Beschaffenheit der Konstruktion als an der Nichterkennbarkeit der Risiken oder aber einer irreführenden Darstellung der Produkte in der Werbung festzumachen. In der Rechtsprechung läßt sich diese Tendenz zunächst daran nachweisen, daß die Unterscheidung zwischen Konstruktions- und Instruktionsfehlern schwimmend ist und daß die Unterlassung des Herstellers, bestimmte Risiken des Produktes aufzuzeigen, in einigen Entscheidungen als "design defect" angesehen wird233 . Verbrauchererwartungenwerden aber nicht allein durch die Unterlassung des Herstellers, bestimmte Risiken aufzuzeigen, bestimmt, sondern auch durch die Darbietung und die Darstellung des Produktes bei seiner Vermarktung. Am prägnantesten wird dieses Phänomen in Leichtarner v. American Motors Corp234 zusammengefaßt, einer Entscheidung, in der die Haftung des Herstellers eines Jeeps auf eine irreführende Werbung gestützt wurde, die die Geschädigten zu einer riskanten Geländefahrt mit teilweise tödlichem Ausgang veranlaßte: "We held in Part I, supra, that a product is unreasonably dangerous if it is dangerous to an extent beyond the expectations of an ordinary consumer when used in an intended or reasonable manner. The commercial advertising of a product will be the guiding force upon ordinary consumer expects, the jury is not permitted to decide how strong products should be, nor even what consumers should expect, for this would in effect be the same thing. The jury is supposed to determine the basically factual question of what reasonable consumers do expect from the product. Where the jury has no experiental basis for knowing this, the record must supply such a basis. In the absence of either common experience or evidence, any verdict would, in effect, be the jury's opinion ofhow strong the product should be." 232 Vgl. G.T. Schwartz, Ca!. L. Rev., S. 435, 480: "But one can hardly imagine what credentials a witness must possess before he can be certified as an expert on the issue of ordinary consumer expectations." 233 Taylor v. Gerry's Ridgewood, Inc., 490 NE 2d 987 (Illinois 1986). Phillipps v. Kimwood Machine Co., 525 P.2d 1033 (Oregon 1974), Carter v. Johns-Manville Sales Corp., 557 F. Supp. 1317 (Texas 1983). 234 424 NE 2d 568 (Ohio 1981). Zu den Fakten in Leichtamer: Die Kläger hatten einen von der Beklagten hergestellten Jeep erworben, der in einem Werbespot im Fernsehen bei einer Fahrt durch ein stark bergiges Geländer gezeigt worden war. In dem begleitenden Text war der Jeep bei der Fahrt auf einem steilen Hügel zu dem folgenden Text abgebildet worden: "[Y]ou guys aren't yellow, are you? Is it a steep hill? Yeah, little Iady, you could say it is a steep hill. Let's try it. The King of the Hili is about to discover the new Jeep CJ-7". In dem Anleitungsbuch des Herstellers fand sich der folgende Hinweis: "[a] four wheel drive vehicle can proceed in safety down a grade which could not be negotiated safely by a conventional 2-wheel drive vehicle." Bei dem Versuch, eine Fahrt in ähnlichem Geländer zu unternehmen, überschlug sich der Jeep. Die Insassen wurden teilweise getötet, teilweise schwer verletzt, da der Überrollbügel dem Aufprall nicht standhielt.
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the expectations of consumers with regard to the safety of a product, and it is highly relevant to a formulation of what expectations might be. The particular manner in which a product is advertised as being used is also relevant to a determination of the intended and reasonably foreseeable uses of the product"235 .
In der Literatur tritt Shapo dafür ein, die Frage der Produktfehlerhaftigkeit von der Darstellung des Produktes durch den Hersteller abhängig zu machen und faßt seinen Fehlerbegriff folgendermaßen zusammen: "[J)udgment of liability for consumer product disappointment should center initially and principally on the portrayal of the product which is made, caused to be made or permitted by the seller. This portrayal should be viewed in the context of the impression reasonably received by the consumer from the representations or other communications made to him about the product by various means: through advertisement, by the apperarance of the product, and by the other ways in which the product projects an image on the mind of the consumer, including impressions created by the widespread social agreement about the product' s function. This judgement should take into consideration the result objectively determinable to have been sought by the seller, and the seller's apparent motivation in making or permitting the representation or communication" 236 .
Damit bestehen Parallelen zu dem von Finsinger und Sirnon im deutschen Recht entwickelten informationellen Fehlerbegriff. Es ist jedoch zu bedenken, daß der von der Rechtsprechung in Leichtamer exemplarisch behandelte Fall sowie das von Shapo entwickelte Modell einer Haftung für die Darbietung von Produkten nur einen Teilausschnitt des informationellen Fehlerbegriffs im Sinne von Finsinger und Sirnon urnfaßt, das die Warn- und Aufklärungspflichten des Herstellers nicht behandelt. Soweit im folgenden der .,informationelle Fehlerbegriff' Gegenstand der Untersuchung ist, gehe ich von dem Modell von Finsinger und Sirnon aus. cc) consumer expectations als fiktive Erwartungen eines idealtypischen Verbrauchers In einer Vielzahl der Jurisdiktionen entpuppt sich die Annahme des § 402 A und des consumer expectation Tests als rein verbales Bekenntnis. Vor dem Hintergrund, daß die .,patent danger rule" nur in solchen Fällen anwendbar ist, in denen die Produktrisiken für den Verbraucher bzw. den betroffenen Verkehrskreis offensichtlich sind und in allen anderen Fällen die Verbrauchererwartungen in der Regel nicht so offensichtlich sind, wie es Entscheidungen wie Campbell und Gard nahelegen, verzichten diese Staaten auf die Ermittlung tatsächlicher Erwartungen und orientieren sich daher an den fiktiven Erwartungen eines idealtypischen Verbrauchers. Wie aber sehen diese aus? In der Regel greifen die Staaten 424 NE 2d 568, 578 (Ohio 1981). Vgl. M. S. Shapo, A Representational Theory of Consumer Protection: Doctrine, Function and Legal Liability for Product Disappointment, 60 Vanderbilt Law Review, 1974, s. 1109, 1370 (1974). 235 236
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
zur Bestimmung der fiktiven Erwartungen auf Kosten-Nutzen-Analysen zurück. Beispiele für eine derartige Rechtsprechung sind Florida237, Iowa238 und Washington239. Die Erwartungen der Allgemeinheit und der Offensichtlichkeit der Gefahr können bei der Abwägung der Faktoren eine wesentliche Rolle spielen, so in der Rechtsprechung Floridas. Auffällig ist, daß trotz der Fülle der Entscheidungen kein Konsens darüber besteht, wie Kosten und Nutzen ermittelt werden sollen. Die zitierten Entscheidungen beschränken sich darauf, Kosten-Nutzen-Analysen als maßgeblichen normativen Standard für die Entscheidungsfindung der Jury zu nennen, machen aber keine Angaben darüber, wie die fact finder diese abstrakten Begriffe zu verstehen haben. Die gleiche Zurückhaltung besteht in der Formulierung des § 2 tentative draft No 2, der zwar einige tatsächliche Produkteigenschaften im Rahmen der Nutzenermittlung nennt, die Auslegung der Begriffe "Kosten" und "Nutzen" aber ebensowenig anspricht. d) Staaten, die sowohl den consumer expectation test als auch Kosten-Nutzen-Analysen anwenden
Einige Staaten stützen sich bei der Bestimmung von Konstruktionsfehlern sowohl auf Kosten-Nutzen-Analysen als auch auf die tatsächlichen Erwartungen der Allgemeinheit der Verbraucher. Ein Beispiel für eine Verbindung von KostenNutzen-Analysen und der patent danger rule sind Arizona240 und South Caro237 Radiation Technology, lnc. v. Ware Const. Co., 445 So 2d 329, 331 (Aa. 1983): "Under strict liability, the Restatement (Second) of Torts, section 402 A ( 1965) refers to products which are "unreasonably dangeraus to the user or consumer or to bis property " regardless of privity. The term "unreasonably dangerous" more accurately depicts Jiability of a manufacturer or supplier in that it balances the likelihood and gravity of the potential injury against the utility of the product, the availability of other, safer products to meet the same need, the obviousness of the danger, public knowledge and expectation of the danger, the adequacy of instructions and warnings on safe use, and the ability to eliminate or minimize the danger without seriously impairing the product or making it unduly expensive." 238 Allers v. Rodgers Machinery Mfg. Co., Inc. 268 N.W. 2d 830, 834-35: "The article sold must be dangeraus to an extent beyond that which would be contemplated by the ordinary consumer ( . . . ) Proof of unreasonableness involves a balancing process. On one side of the scale is the utility of the product and on the other side is the risk of its use." 239 Seatt1e First Nat'l Bank v. Tabert, 542 P. 2d 774, 779: "In deterrnining the reasonableness of expectations of the ordinary consumer, a nurober of factors must be considered." 240 Uneingeschränkte Übernahme des consumer expectation tests mit Hinweis auf die Offensichtlichkeit der Gefahr in Vineyard v. Empire Machinery Company, Inc.,l19 Ariz. 502, 581 P. 2d 1152, Jl55 (Ct. App. 1978); Einschränkung in Dart v. Wiebe Mfg. 709 P2d 876,878, 879 (Ariz 1985): Uneingeschränkte Übernahme des consumer expectation testfür Fabrikationsfehler, im Fall von Konstruktionsfehlern wird der consumer expectation testnur in begrenzten Fällen als hilfreich angesehen, während grundsätzlich auf Kosten-Nutzen-Analysen im Sinne des Wadeschen Faktorentests zurückgegriffen wird. vgl. auch die Auseinandersetzung mit dem Barker-Test in Brady v. Melody Hornes Mfr. 589 P.2d 896, 900, 902 (Arizona 1979).
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lina241 . Ohio242 läßt in seiner Gesetzgebung offen, ob der Verbraucher aufgrund von Kosten-Nutzen-Analysen oder von Verbrauchererwartungen vorzugehen hat, setzt aber ausdrücklich den Nachweis einer Konstruktionsalternative voraus - ein Erfordernis, das m.E. auf eine Privilegierung der risk-utility-analysis hindeutet. Eine Sonderrolle innerhalb dieser Gruppe nehmen schließlich Kalifornien und dieser Rechtsprechung folgend - Alaska243 und Hawaii 244 ein. Der erste Aspekt des kalifornischen Barker-Tests besteht wie bereits erwähnt in der Ennittlung tatsächlich bestehender Verbrauchererwartungen. Bestehen keine Vorstellungen über die Produktsicherheit auf Seiten des Verbrauchers, so greift die zweite Stufe des Barker-Tests, der sich auf die von Wade formulierten Kriterien zur Ennittlung von Kosten und Nutzen der Konstruktion bezieht. Vor dem Hintergrund, daß der WadeTest inhaltlich eine enge Verwandtschaft zu der Abwägung aufweist, die im Rahmen der negligence-Prüfung vorgenommen wird, führtBarkerunter Hinweis auf die "strikte" Natur der Herstellerhaftung eine Beweislastumkehr zugunsten des Klägers ein. Nach Barkerbesteht ein Konstruktionsfehler dann, "( 1) if the plaintiff demonstrates that the product failed to perform as safely as the ordinary consumer would expect when used in an intended or reasonably foreseeable manner, or (2) if the plaintiff proves that the product's design proximately caused his injury and the defendant fails to prove, in the light of the relevant factors discussed above, that on balance the benefits of the challenged design outweigh the risk of danger inherent in such design245 ."
Barker wird durch eine Entscheidung aus dem Jahre 1994 ganz wesentlich in seinem Anwendungsbereich beschränkt. Soule v. General Motors Corp. 246 engt in 241 Bei der Auslegung von S.C. Code § 15-73-30 werden bestehende Erwartungen berücksichtigt oder aber auf Kosten-Nutzen-Kriterien zurückgegriffen vgl. Clayton v. General Motors Corp., 286 S.E. 2d 129, 132 (S.C. 1982): "In the final analysis, we have another of the laws balancing acts and numerous factors must be considered, including the usefulness and desirability of the product, the cost involved for added safety, the likelihood and potential seriousness of injury and the obviousness of danger." 242 Ohio Rev. Code Ann. § 2307.75, (A)- (F) (Anderson 1993) - Vorgehen sowohl aufgrund von consumer expectation test als auch aufgrund von risk-utility-ana!ysis möglich. 243 Caterpillar Tractor v. Beck, 593 P.2d 871, 886 (Alaska 1979), aff'd in part and rev'd in part, 624 P 2d 790 (Alaska 1981): "Following the guidelines set by the Barker court, we hold that the trial court may instruct the jury that a product is defectively designed if: "(1) the plaintiff proves that the product failed to perform as safely as an ordinary consumer would expect when used in an intended or reasonably foreseeable manner or, (2) the plaintiff proves that the product's design proximately caused injury and the defendant fails to prove, in light of the relevant factors, that on balance the benefits of the challenged design outweigh the risk of danger inherent in such design." 244 Ontai v. Straub Clinic and Hosp. Inc., 659 P. 2d 734, 740 (Hawaii 1983): "We think the holdings of both Cronin and Barker are logical extensions of the Greenman principles which this court in Steward found to be sound, and we see no reason why the Barker formulations may not be made to apply in this jurisdiction." 245 Barker v. Lull Engineering Co., 573 P.2d 443, 452. 246 882 P.2d 298 (Cal. 1994), 94 Daily Journal D.A.R. 15133.
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einer umfangreichen Auseinandersetzung mit der Anwendung des Barker-Tests in der Rechtsprechung Kalifomiens den Anwendungsbereich des consumer-expectation-Aspekts auf den (Ausnahme-)Fall ein, daß der Verbraucher sich aufgrund von Allgemeinwissen ein zutreffendes Bild von der zu erwartenden Produktsicherheit machen kann: "As we have seen, the consumer expectations test is reserved for cases in which the everyday experience of the product's user permits a conclusion that the product's design violated minimum safety assumptions and is thus defective regardless of expert opinion of the merits of the design ( .... ) By the same token, the jury may not be left free to find a violation of ordinary consumer expectations whenever it chooses. Unless the facts actually permit an inference that the products performance did not meet the minimum safety expectations of its ordinary users, the jury must engage in the balancing of risks and benefits required by the second prong of Barker47".
In allen anderen Fällen muß die Jury so instruiert werden, daß die Bestimmung des Konstruktionsfehlers anband des zweiten Aspekts des Barker-Tests, also anband von Kosten-Nutzen-Erwägungen vorgenommen werden muß. 5. Der Sonderfall der Haftung für Arzneimittel und Medizinprodukte
Die Haftung für Arzneimittel und Medizingeräte stellt einen Sonderfall im amerikanischen Produkthaftungsrecht dar. Die Haltung der Rechtsprechung der meisten Staaten kann durch die Beobachtung charakterisiert werden, daß Arzneimittel per se als Produkte mit hoher sozialer Nützlichkeit angesehen werden. Anders als bei "Luxusprodukten" wie Gartenschwimmbäder oder Produkten wie "saturday nights specials" oder Zigaretten, deren segensreiches Wirken angezweifelt werden mag und bei denen die Rechtsprechung in Einzelfällen auf den Nachweis einer Altemativkonstruktion verzichtet, führt dieses a priori bestehende günstige Urteil gegenüber der gesamten Produktkategorie Arzneimittel in Verbindung mit den existierenden hohen Anforderungen an die Produktsicherheit im Vorfeld der Vermarktung aufgrund der Überwachung durch die Food and Drug Administration dazu, daß Zuriickhaltung bei der gerichtlichen Überpriifung der "Konstruktion" derartiger Produkte ausgeübt wird. Bereits comment k248 zu § 402 A Restatement (Second) of Torts schränkt die Haftung für die "Konstruktion" des Produkts ein und verlagert den Schwerpunkt 94 Daily Journal D.A.R. 15133, 15138. comment k hat folgenden Wortlaut: Unavoidably unsafe products: There are some products which, in the present state of human knowledge, are quite incapable of being made safe for their intended and ordinary use. These are specially common in the field of drugs. An outstanding example is the vaccine for the Pasteur treatment of rabies, which not uncommonly Ieads to very serious and damaging consequences when it is injected. Since the disease itself Ieads to a dreadful death, both the marketing and the use of the vaccine are fully justi247 248
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auf Instruktionen. Der tentative darft No2 Restarnent of Torts (Third) weitet diesen Gedanken dahingehend aus, daß die gerichtliche Überprüfung der "Konstruktion" von Medikamenten und Medizinprodukten nur in eng begrenzten Ausnahmefällen zugelassen wird und die Pflichten des Herstellers im wesentlichen auf eine Aufklärung der verschreibenden Ärzte nach der learned intermediary rule oder aber des Patienten selbst in den angesprochenen Al,lsnahmefällen gerichtet sind. § 8 hat den folgenden Wortlaut: § 8 Liability of Commercial Seiler or distributor for Harrn Caused by Prescription Drugs and Medical Devices (a) A manufacturer of a prescription drug or medical device who commercially sells or otherwise distributes a defective product is subject to liability for harrn to persons caused by the product defect. A prescription drug or medical device is one that may be legally sold or otherwise distributed only pursuant to a health care provider's prescription. (b) For purposes of liability under Subsection (a), a product is defective if at the time of sale or other distribution: (I) the drug or medical device contains a manufacturing defect as defined in§ 2 (a); or
(2) the drug or medical device is not reasonably safe due to defective design or because of inadequate instructions or warnings. (c) A prescription drug or medical device is not reasonably safe due to defective design when the foreseeable risks of harrn posed by the drug or medical device are sufficiently great in relation to its foreseeable therapeutic benefits so that no reasonable health care provider, knowing of such foreseeable risks would prescribe the drug or medical device for any class of patients. d) A prescription drug or medical device is not reasonably safe because of inadequate instructions or warnings when (I) reasonable instructions or warnings regarding foreseeable risks of harrn posed by the drug or medical device are not provided to the prescribing and other health care providers who are in a position to reduce the risk of harrn in accordance with the instructions or warnings; or
(2) reasonable instructions or warnings regarding foreseeable risks of harrn posed by the drug or medical device are not provided directly to the patient when the manufacturer knew or had reason to know that no health care provider would be in a position to reduce the risks of harrn in accordance with the instructions and warnings249. fied, notwithstanding the unavoidable high degree of risk which they involve. Such a product, properly prepared and accompanied by proper directions and warnings, is not defective, nor is it unreasonbly dangerous. The same is true of many other drugs, vaccinces, and the like, many of which for this very reason cannot legally be sold except to physicians, or under the prescription of a physician. It is also true in particular of many new or experimental drugs as to which, because of Iack of time and opportunity for sufficient medical experience, there can be no assurance of safety, or perhaps even purity of ingredients, but such experience as there is justifies the marketing and the use of the product notwithstanding a medically recognizable risk. The seller of such products, again with the qualification that they are properly prepared and marketed, and proper warning is given, are not to be held strictly liable for the unfortunate consequences attending their use, merely because he has undertaken to supply the public with an apparently useful and desirable product, attended with a known but apparently reasonable risk.
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
Für§ 8 (a), (b), (c), (d) schlage ich folgende Übersetzung vor: Haftung des gewerblichen Verkäufers oder Verteilers für Schäden, die aufgrund von rezeptpflichtigen Medikamenten oder medizinischen Geräten verursacht werden. (a) Der Hersteller eines verschreibungspflichtigen Medikaments oder eines medizinischen Geräts, der ein fehlerhaftes Produkt gewerblich verkauft oder vertreibt, unterliegt der Haftung für Personenschäden, die durch das Produkt verursacht werden. Ein verschreibungspflichtiges Medikament oder medizinisches Gerät ist ein solches, das nur verkauft oder auf andere Weise abgegeben werden darf, wenn die Verschreibung einer dazu autorisierten Person vorliegt. (b) Zur Bestimmung der Haftung unter Absatz (a): ein Produkt ist fehlerhaft, wenn zur Zeit des Verkaufes oder der anderweitigen Abgabe: (I) das Medikament oder medizinische Gerät einen Fabrikationsfehler im Sinne des § 2 (a)
enthält; oder
(2) das Medikament oder medizinische Gerät aufgrund eines Konstruktionsfehlers oder aufgeund unzureichender Instruktionen oder Warnungen nicht angemessen sicher ist. (c) Ein Medikament oder medizinisches Gerät ist nicht angemessen sicher, wenn das vorhersehbare Risiko einen Schadens durch das Medikament oder medizinische Gerät so groß im Verhältnis zu seinem vorhersehbarem therapeutischen Nutzen ist, daß keine vernünftige zur Verschreibung autorisierte Person, die um die vorhersehbaren Risiken und therapeutischen Nutzen weiß, das Medikament oder medizinische Gerät irgendeiner Klasse von Patienten verschreiben würde. (d) Ein Medikament oder medizinisches Gerät ist wegen unzureichender Instruktionen oder Warnungen nicht angemessen sicher, wenn (I) die zur Verschreibung autorisierten oder andere zur Ausübung ärztlicher Dienstleistungen befugten Personen, die bei Beachtung der Instruktionen und Warnungen in der Lage sind, die Risiken zu reduzieren, nicht angemessene Instruktionen und Warnungen in Hinblick auf die vorhersehbaren Risiken des Medikaments oder medizinischen Geräts erhalten; oder (2) wenn angemessene Instruktionen und Warnungen über die vorhersehbaren Risiken des Medikaments oder medizinischen Geräts dem Patienten nicht direkt in Fällen zur Verfügung gestellt werden, in denen der Hersteller weiß oder wissen müßte, daß keine zur Ausübung ärztlicher Dienstleistungen befugte Person in der Lage wäre, die Risiken zu reduzieren.
Wie werden comment k zu § 402 A bzw. § 8 des tentative draft in der Rechtsprechung aufgenommen? Zunächst soll darauf hingewiesen werden, daß die Entscheidungen zu Arzneimitteln und Medizinprodukten sich häufig einer anderen Terminologie als das sonstige Produkthaftungsrecht bedienen. Die Fehlerhaftigkeit der Konstruktion wird danach beurteilt, ob das Medikament so risikoreich ist, daß seine Vermarktung "unreasonably dangerous per se" ist250. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, daß das Medikament nicht "unreasonably dangerous per se" ist, evaluiert es auf zweiter Stufe, ob das Medikament ohne die erforderliche Schutz249 § 8 (e) behandelt die Haftung des Zwischenhändlers, so daß von der Wiedergabe abgesehen wurde. 250 Note: A Question of Competence: The Judicial Role in the Regulation of Pharmaceuticals, 103 Harvard Law Review, 1990, S. 773,778 m.w. N.
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vorrichtungen in den Verkehr eingeführt wurde und deshalb "unreasonably dangeraus as marketed" ist251 • Dies betrifft die Frage nach Instruktionsfehlern, die durch die Besonderheiten der learned intermediary rule gekennzeichnet sind252• Zur Frage der "unreasonableness per se", also des Konstruktionsfehlers bei Arzneimitteln, finden sich in der amerikanischen Rechtsprechung im wesentlichen die folgenden Stellungnahmen253 : • § 402 A wird ohne Einschränkung auch auf Arzneimittel angewandt. Die "Kon-
struktion" von Arzneimitteln unterliegt demnach der vollen gerichtlichen Überprüfung. In der Regel wird § 402 A dann als Kosten-Nutzen-Analyse ausgelegtzs4.
• Der Hersteller unterliegt der "Gefährdungshaftung" des § 402 A, es sei denn, das Medikament ist "unavoidably dangerous"255 • • Gemäß comment k ist die "Konstruktion" des Arzneimittels der gerichtlichen Überprüfung entzogen. Solange der Hersteller das Medikament mit hinreichenden Warnungen vor seinen Risiken - sei es in Anwendung der learned intermediary rule an den verschreibenden Arzt, sei es an den Patienten direkt - vermarktet, ist eine Haftung wegen eines Konstruktionsfehlers ausgeschlossen. Alle drei Positionen können gleichermaßen durch Entscheidungen belegt werden, die Ende der 80er und Anfang der 90er Jahre ergangen sind: Soweit die Überprüfung von Arzneimitteln auf Zusammensetzung und Wirkungsweise gänzlich der gerichtlichen Überprüfung entzogen sein soll, wird dies überwiegend nicht auf einen Ausschluß der Haftung nach comment k, sondern auf die besondere Rolle der Food and Drug Administration als überwachende Behörde bei der Entwicklung und Vermarktung von Arzneimitteln gestützt256• Daneben gibt es einen Trend, in dem auch die Konstruktion von Arzneimitteln uneingeschränkt der gerichtlichen Überprüfung unterworfen werden soll. Comment k wird so ausgelegt, daß er keine "blanket immunity"257 zugunsten des Arzneimittelherstellers gewähren soll. Auch Arzneimittel werden einer Kosten-Nutzen-Analyse unterworfen, wobei die Vergünstigung des comment k dem Hersteller in einigen Entscheidungen dann zugute 251 Reyes v. Wyeth Laboratories, 498 F. 2d 1264, 1273 (5th Cir.), cert. denied 419 U.S. 1096 (1974); Brochu v. Ortho Pharmaceutical Corp., 642 F. 2d 652,657 (Ist Cir. 1981). 252 Vgl. oben unter 2. Kapitel, II. 1. c). 253 Vgl. dazu Brown v. Superior Court (Abbat Laboratories), 751 P. 2d 470, 477 (Ca!. 1988). 254 Vgl. dazu ausführlich Travers, § 17:45, S. 64. 255 Zu Beispielen für Medikamente und Medizinprodukte, die als unavoidably dangeraus qualifiziert werden, vgl. Travers, §§ 17:43-17:47. 256 Vgl. z. B. Thomas v. Hoffmann-La Rache, lnc. 949 F. 2d 806, 816 (5th Cir. 1992); Pease v. American Cyanamid Co. 795 F. Supp. 755, 759 (D. Md. 1992); Tobin v. Astra Pharmaceutical Prod., 993 F. 2d 528 (6th Cir. ), cert. denied sub nom. Duphar v. Tobin, 114 s. Ct. 304 (1993). 257 Vgl. Toner v. Lederle Lab., 732 P. 2d 297, 308 (ldaho 1987).
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2. Kap.: Zur Definition des Konstruktionsfehlers
kommen soll, wenn die vorangegangene Abwägung dazu führt, daß der Nutzen des Medikaments seine nachteiligen Wirkungen überwiegt und eine andere Zusammensetzung nicht möglich wäre258 . Sollte sich die Rechtsprechung in den kommenden Jahren verstärkt zu einer Haftung des Arzneimittel- und Medizinprodukteherstellers nach den Vorschlägen des § 8 tentative draft entschließen, so würde dies zu einer Verwirklichung des "informationellen Fehlerbegriffs" zumindest für eine Teilkategorie der Produkte auf dem amerikanischen Markt führen.
6.Zusanunenfassung Die im amerikanischen Recht diskutierten und von der Rechtsprechung augewandten Fehlerbegriffe finden eine weitgehende Entsprechung in den in der deutschen Diskussion genannten Modellen, für die sie teilweise als Vorbilder dienten. Der wichtigste Ansatz zur Bestimmung von Konstruktionsfehlern liegt in Kosten-Nutzen-Analysen. Vor der Reform des § 402 A wurde dieser Ansatz durch eine entsprechende Auslegung des Kriteriums der "berechtigten Erwartungen" erreicht oder aber eine ausdrückliche Abkehr vom consumer expectation test des § 402 A vollzogen. Kosten-Nutzen-Analysen sind identisch mit den von Pfeifer und Kötz für das deutsche Recht entwickelten Lösungen, die sich ausdrücklich auf das amerikanische Recht berufen. In Erweiterung der von der Rechtsprechung im Rahmen des Instituts der negligence entwickelten reasonableness-Kriterien wird neben zu erwartenden Schadens- und Schadensvermeidungskosten auch der Nutzen von Produkten in die Abwägung einbezogen. Die Hoffnung, durch Auswertung der umfangreichen Rechtsprechung zu Kosten-Nutzen-Analysen Klarheit über das Kriterium "Kosten" und "Nutzen" zu gewinnen, erfüllt sich nicht. Weder das black letter law noch die comments zu § 2 tentative draft, noch die Entscheidungen im einzelnen geben darüber Auskunft. Soweit der Nachweis einer Alternativkonstruktion erbracht ist, wird diese Frage offensichtlich als Tatsachenfrage der Beurteilung der jury überlassen, ohne daß die fact finder hier weitergehend instruiert werden. 258 Vgl. dazu die Passagen in den Entscheidungen Brochu v. Ortho Pharmaceutical Corp., 642 F. 2d 652, 656 (1'1 Cir. 1981); Rohrbough v. Wyeth Lab., 719 F. Supp. 470,476-477 (N.D.W.Va. 1989); aff'd, 916 f. 2d 970 (4th Cir. 1990), Kociemba v. G.D. Searle & Co, 695 F. Supp. 432, 433 (D. Minn. 1988); Shanks v. Upjohn Co., 835 P. 2d 1189, 1193-94 (Alaska 1992); West v. Searle & Co., 806 S. W. 2d 608, 611-13 (Ark. 1991); Adams v. G.D. Searle & Co., 576 So. 2d 728, 732-33 (Fla. Dist. Ct. App.), cert. denied, 589 So. 2d 290 (Fla. 1991); Toner v. Lederle Lab., 732 P. 2d 297, 308-309 (ldaho 1987); Savina v. Sterling Drug, lnc., 795 P. 2d 915, 924 (Kan. 1990); Feldman v. Lederle Lab., 479 A. 2d 374,382 - 83 (N.J. 1984), cert. denied 112 S. Ct. 3027 (1992); Davila v. Bodelson, 704 P. 2d 1119, 1127-28 (N. M. Ct. App. 1985); White v. Wyeth Lab., 533 N. E. 2d 748, 752 (Ohio 1988); Castrignano v. E.R. Squibb & Sons, 546 A. 2d, 775,781 (R.I. 1988).
II. Vereinigte Staaten
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Das Gegenmodell ist der consumer expectation test des § 402 A in der Auslegung, die auf die tatsächlich bestehenden Verbrauchererwartungen abstellt. In dieser Form kann sich die Fehlerdefinition als ausgesprochen herstellerfreundlich erweisen, indem der Anspruch des Verbrauchers mit dem knappen Hinweis auf die Offensichtlichkeit des Risikos abgelehnt wird, sie kann aber auch Verbraucher begünstigen, indem ein Sicherheitsmangel unabhängig von der Möglichkeit einer Altemativkonstruktion mit dem Hinweis auf allgemein bestehende Erwartungen bejaht wird. In der Literatur wird dieses Lösungsmodell aufgegriffen, indem eine umfassende Haftung des Herstellers für die Beeinflussung des Verbrauchers durch irreführende Werbung gefordert wird. Es liegen damit Parallelen zum informationellen Fehlerbegriff im Sinne Finsinger und Simons vor, wobei das von Shapo entwickelte Modell allerdings nicht dessen Differenziertheit erreicht. Hinsichtlich der offenen Fragen gilt das im Rahmen der Untersuchung des deutschen Rechts Gesagte. Einen Sonderfall stellt die Haftung des Herstellers von Arzneimitteln und Medizinprodukten dar. Hier ist ein Trend in der Rechtsprechung festzustellen, sich hinsichtlich der gerichtlichen Überprüfung der "Konstruktion" derartiger Produkte Zurückhaltung aufzuerlegen. Dies wird teilweise mit dem Hinweis auf die umfassende Prüfungskompetenz der FDA im Vorfeld der Markzulassung dieser Produkte begründet, teilweise mit der Annahme, daß Arzneimittel generell eine hohe soziale Nützlichkeit haben und daher nicht durch ein überzogenes oder schwer kalkulierbares Haftungsrisiko vom Markt vertrieben werden dürfen. Dem Verbraucherschutz wird durch eine umfassende Pflicht des Herstellers, die Risiken des Produktes aufzudecken, Rechnung getragen. Die Haftung für Arzneimittel und Medizinprodukte stellt nach diesem Ansatz ein Beispiel für die Umsetzung des "informationellen Fehlerbegriffs" im Sinne Finsinger und Simons in der Praxis dar. Die vertiefte Untersuchung der Anwendungsprobleme, die sich bei beiden Fehlerbegriffen ergeben, bleibt dem dritten Teil der Arbeit vorbehalten.
7 Kollmann
3. Kapitel
Die Abgrenzung von Verschuldeoshaftung und verschuldeosunabhängiger Haftung Nach den Feststellungen des letzten Kapitels können erhebliche Unterschiede zwischen der Haftung nach § 1 ProHaftG und der Haftung des § 823 I BGB bestehen, je nachdem, wie der Begriff des "Produktfehlers" bzw. der "Verkehrspflicht" inhaltlich ausgelegt wird. Es soll im folgenden gepriift werden, ob jenseits der Frage der Fehlerhaftigkeit sinnvolle Kriterien für die Abgrenzung von der als Gefährdungs- bzw. verschuldeosunabhängig bezeichneten Haftung des § 1 ProdHaftG und der Verschuldeoshaftung des § 823 I BGB existieren. Da sich diese Frage im amerikanischen Recht ebenso stellt, wird diese Frage auch im Rahmen der Institute von negligence und strict liability untersucht. Diese Frage ist nicht von rein akademischem Interesse, sondern aus den folgenden Geiinden für die Fragestellung der Arbeit unerläßlich: Ein richtiges Verständnis der Bedeutung der Produktfehlerhaftigkeit - sei es im Sinne des § 3 ProdHaftG, sei es in ihrer "untechnischen" Bedeutung im Rahmen des § 823 I BGB - ist ohne eine Gesamteinordnung dieses Tatbestandsmerkmals in den deliktischen Kontext der Verschuldens- und Gefahrdungshaftung unmöglich. Dies zeigt sich nicht nur an der Diskussion um den "richtigen" Haftungsmaßstab im amerikanischen und deutschen Recht, die in beiden Ländern von einer Unsicherheit über die Natur der Haftung gekennzeichnet ist. Entscheidend erscheint in diesem Zusammenhang, daß ein unzutreffendes Vorverständnis über die Natur und die Rechtsfolgen der Haftung zu falschen Schlußfolgerungen einlädt. Die zutreffende dogmatische Einordnung stellt eine wichtige Grundüberlegung für jede Auseinandersetzung mit der Sinnhaftigkeit der Ausgestaltung der Herstellerhaftung aus der Perspektive der ökonomischen Analyse bzw. der ökonomischen Theorie des Rechts dar, die in Teil B dieser Arbeit untersucht wird. Die Arbeiten, die sich mit der "Effizienz" von Verschuldens- und Gefahrdungshaftung auseinandersetzen, gehen von der fehlerhaften Annahme aus, daß sich Verschuldens- und Gefahrdungshaftung unabhängig von der Frage, wie der Fehlerbegriff ausgefüllt wird, fundamental unterscheiden. Verschuldeoshaftung wird mit einer Schadenstragung durch den Verbraucher, Gefahrdungshaftung mit einer Haftung des Herstellers im Falle des Schadensereignisses gleichgesetzt. Im Rahmen dieser Untersuchung wird die These vertreten, daß jenseits der inhaltlichen Ausfüllung des Begriffs des Produktfehlers I design defects und der Ver-
I. Deutschland
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kehrspflichten I duty keine sinnvollen Kriterien bestehen, die eine Abgrenzung der "Gefährdungshaftung" des § 1 ProdHaftG von der Verschuldenshaftung des § 823 I bzw. der Institute der strict liability und der negligence zulassen. Daraus ergeben sich wichtige Konsequenzen, die im Teil B der Arbeit untersucht werden.
I. Deutschland
Die Unsicherheit bei der Qualifizierung des Haftungsmaßstabes offenbart sich bereits in der Begründung zum Entwurf des ProdHaftG: Die Produkthaftung wird als "verschuldensunabängig" und das Haftungssystem als "weitgehend identisch mit der Gefährdungshaftung" bezeichnet. Gleichwohl wird klargestellt, daß gegenüber der auf der Verschuldenshaftung des § 823 BGB beruhenden Rechtsprechung des BGH zum Sorgfaltsstandard des Herstellers keine Änderung der Rechtslage eintrete 1 • Ein ähnliches Bild bietet sich in der Literatur: Eine Mindermeinung vertritt, daß sich die Herstellerhaftung für Konstruktionsfehler weitgehend mit einer Fahrlässigkeitshaftung decke2 • Nach der Gegenansicht unterliegt der Hersteller seit Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie einer reinen Gefährdungshaftung unabhängig davon, um welchen Fehlertyp es geht3 • In Übereinstimmung mit der Begründung des ProdHaftG finden sich auch in der Literatur Stimmen, die von einem "verschuldensunabhängigen Unrechtstatbestand" sprechen4 • Angesichts der Vielzahl der Lösungen verwundert es nicht, daß nach einer Ansicht eine Subsumtion der Herstellerhaftungunter die anerkannten Begrifflichkeiten aufgegeben werden soll5 • Eine eindeutige Abgrenzung mag nicht möglich sein, zumal zwischen Verschuldenshaftung und Gefährdungshaftung auch außerhalb des Sonderfalls der ProduVgl. BT-Drucks. 11/2447, S. 8, 11, 18. Brüggemeier, ZHR 152, S. 517 f. (1988); P. Schlechtriem, VersR 1986, 1033, 1035; derselbe, Festschrift für Rittner, 545, 553; Lorenz, ZHR 151, 1, 14; Lüderitz, Festschrift für Rehmann, 755, 769; Schubert, PHI 1989, 74; Kötz, Festschrift für Lorenz, 109, 113 ff. 3 Taschner, Produkthaftung, Art. 1 Rn 1,2, derselbe, NJW 1986, 612; W. Rolland, Produkthaftungsrecht, 1990, § 1 Rn 7, § 3 Rn 2; Marburger, AcP 192, 1, 10 ff. (1992); A. Blaschczok, Gefahrdungshaftung und Risikozuweisung, 1993, S. 124 ff.; Lorenz/Canaris, § 84 VI 1a), S. 644; J. Schmidt-Räntsch, Die Umsetzung der Produkthaftungsrichtlinie des Rats der EG vom 25. 7. 1985, ZRP 1987,437 f. Differenzierend Deutsch, NJW 1992, 73- Einordnung als Gefährdungshaftung, ebenso in VersR 1992, 522, wobei er allerdings von einer "Gefährdungshaftung neuen Typs, welche Enthaftungen nach der Art von Entschuldigungen zuläßt" spricht. Deutsch weist auch darauf hin, daß die Einordnungen "cum grano salis" zu verstehen seien, "denn die Begriffe Verschuldenshaftung, Gefährdungshaftung oder Unrechtshaftung werden von allen Verfassern doch leicht unterschiedlich, zum Teil sogar durchaus eigen gebraucht." (vgl. Deutsch, VersR, 521). 4 Schmidt-Salzer, PHI 1988, S. 5, Schmidt-Salzer!Hollmann; Kommentar Bd. I Anr. 1 Rn 5 ff.; H. Buchner, Neuorientierung des Produkthaftungsrechts? Auswirkungen der EG-Richtlinie auf das deutsche Recht, DB 1988, S. 32 f. 5 Hager, PHI 1991, S. 8. I
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
Zentenhaftung nicht immer klare Grenzen ausgemacht werden können6 . Neben dem Versuch einer Abgrenzung soll daher im Rahmen dieser Arbeit der Blick auf die strukturellen Ähnlichkeiten einer Haftung des Herstellers nach den Grundsätzen der Verletzung von Verkehrspflichten und der Haftung nach§§ 1, 3 ProdHaftG für eine fehlerhafte Konstruktion gelenkt werden.
1. Herstellerhaftung für Konstruktionsfehler als reine Fahrlässigkeitshaftung
Die Haftung des Herstellers nach den Grundsätzen des § 823 I BGB ist ein Produkt der Rechtsprechung, die sich in den Gesamtkontext der Haftung für die Verletzung von Verkehrspflichten7 einordnen läßt. Auch die Verkehrspflichten sind das Ergebnis einer sich über Jahre ausdifferenzierenden Rechtsprechung, durch die das Konzept der deliktischen Haftung des BGB den Anforderungen einer Industriegesellschaft angepaßt wurde, in der es aufgrund der besonderen Dichte des sozialen Kontakts zu besonderen Gefahrsituationen kommt8 .
a) Deliktische Verschuldenshaftung, Gefährdungshaftung und Verkehrspflichten
Das Deliktsrecht des BGB ist geprägt vom Prinzip des Verschuldens, das nur durch wenige Ausnahmen durchbrochen wird9 . Eine entscheidende Rolle für die Entwicklung von deliktischer und Gefährdungshaftung spielt, daß die Rechtsprechung im Deliktsrecht weitgehend frei über die Grenze von Recht und Unrecht bestimmen kann, während sie sich zu einer Ausdehnung der gesetzlichen Tatbestände der Gefährdungshaftung nicht für berufen hält und daher auch die analoge Anwendung von Gefährdunghaftungstatbeständen auf ähnliche, aber nicht ausdriicklich erfaßte Haftungsprobleme ablehnt 10. Folge dieser Zweiteilung ist, daß Veränderungen in Bedeutung und Aufgaben des zivilen Haftungsrechts von der Rechtsprechung über eine entsprechende Auslegung der deliktischen Haftung erzielt wurden. Die Grenzen zwischen verschuldensahhängiger Deliktshaftung und Gefährdungshaftung sind daher verschwomKötz, Festschrift für Lorenz, S. 109. Der Begriff der "Verkehrspflichten" ist mittlerweile anerkannt und hat die Bezeichnung als "Verkehrssicherungspflichten", die auf die Grundsätze der Sachwalterhaftung für unbewegliches Vermögen zurückgeht, weitgehend verdrängt. Siehe dazu ausführlich C. v. Bar, Verkehrspflichten. Richterliche Gefahrsteuerung im deutschen Deliktsrecht, 1980, S. 169, 169. Es soll daher im folgenden nur die Bezeichnung "Verkehrspflicht" verwandt werden. s Vgl. v. Bar, S. 44. 9 Vgl. §§ 829, 833 S. 1 BGB IO MüKo-Mertens, Vor § 823 - 853, Rn 20. 6
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men. In Fällen, in denen die Rechtsprechung angesichts von erhöhten Risiken einer an sich erlaubten Tatigkeit eine Haftung des Schädigers für die verursachten Schäden an den Rechtsgütern Dritter für angemessen hielt, hat sie die Anforderungen an die Sorgfalt erhöht und einem stark objektivierten Standard unterworfen u. Wichtigster Ausdruck für die richterliche Fortentwicklung des Deliktsrechts angesichtseiner sich wandelnden Umwelt in einer industrialisierten Gesellschaft ist das Institut der Verkehrspflichten. Sie bilden das Einfallstor für eine der Gefahrdungshaftung angenäherte Haftung innerhalb des deliktischen Systems des BGB. Als Folge zeichnen später ergangene Spezialgesetze, die ausdrücklich eine Gefahrdungshaftung für eine bestimmte Aktivität normieren, häufig nur eine Entwicklung nach, die sich bereits aus der ständigen Rechtsprechung zu diesem Problemkreis ergibt. Auch die Herstellerhaftung hat eine derartige Entstehungsgeschichte durchlaufen, allerdings mit der Besonderheit, daß im Bereich der Konstruktion (und in gewissem Umfang auch der Instruktion) verhaltensbezogene, auf einem individuellen Sorgfaltsverstoß beruhende Elemente auch im Produkthaftungsgesetz als Spezialgesetz eine entscheidende Rolle spielen. Dies liegt in der Natur der Haftung für Konstruktionen, die, soll sie nicht als reine Kausalhaftung ausgestaltet sein, auf die Feststellung eines Verstoßes gegen ein objektives Verhaltensgebot nicht verzichten kann. b) Funktion der Verkehrspflichten in einem modernen Deliktsrecht
Bei Entstehung des BGB dominierte die Vorstellung, daß erlaubt sei, was nicht ausdrucklieh verboten ist 12. Dem lag das Verständnis eines einheitlichen Rechtswidrigkeitsurteils für die gesamte Rechtsordnung zugrunde, die kein gesondertes Zivilunrecht kannte: Fehlte also ein Schutzgesetz, das besondere HandlungsgeII Als frühes Beispiel für eine derartige Rechtsprechung mag das Funkenflugurteil des OAG München aus dem Jahre 1861 angeführt werden. Das Gericht hatte den Anspruch des Klägers auf Ersatz eines durch Funkenflug verursachten Schadens bejaht, obwohl der Funkenflug technisch unvermeidbar war und der Beklagte eine Konzession zum Betrieb der Bahn hatte. In seiner Begründung führte das Gericht aus, die Konzession berechtige zwar zum Betrieb der Bahn. Dennoch könne "die Concession zum Betrieb der Eisenbahn, wodurch erfahrungsgemäß täglich und stündlich das Eigentum der Einwohner mit Feuergefahr bedroht wird, welches aber dessen ungeachtet aus staatsökonomischen Rücksichten und im Hinblick auf den Weltverkehr unumgänglich geboten erscheint, nur unter der Voraussetzung der Schadloshaltung der Einwohner geschehen." Da eine Gefährdungshaftung für den Betrieb von Eisenbahnen gesetzlich nicht vorgesehen war, kam das Gericht zu dem Schluß, daß die voraussehbare schädigende Handlung "vom rein zivilrechtliehen Gesichtspunkt aus als eine unerlaubte qualifiziert werden" müsse (vgl. OAG München, Seuff. Arch. Bd 14 Nr. 208). Die Frage des Verschuldeos spielt hier also keine Rolle. 12 v. Bar; S. 106. Aufschlußreich sind die Ausführungen der Motive zu den Verbotsgesetzen iSd. § 823 li BGB: "Der Mangel einer gesetzlichen Erlaubnis hat keine Bedeutung; was nicht widerrechtlich ist, ist erlaubt. Widerrechtlich ist aber nur ein Handeln gegen ein absolutes Verbotsgesetz" (Mot. li, S. 725 I 726).
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
oder -verbote aufstellte, oder konnte sich der Schädiger auf eine polizeiliche Gestauung berufen, so wirkte dies haftungsbefreiend 13 . Im Laufe des 20. Jahrhundert hat sich das Verständnis einer deliktischen Haftung verschoben. Vor dem Hintergrund von vermehrten Risiken des technischen Alltags 14 sowie eines Wandels in der Hierarchie der Werte 15 einer Industriegesellschaft wird weniger die gänzliche Vermeidung von Gefahren als der richtige Umgang mit ihnen zum Anknüpfungspunkt für die Haftung. Galt also früher ein gefahrvermeidendes Verhalten als Sorgfalt, so ist diese Definition zugunsten des Gedankens eines sachgerechten Umgangs mit Gefahr aufgegeben worden 16• Wann der Umgang mit einer Gefahr sachgerecht ist, wann ein potentieller Schädiger die Rechtsgüter Dritter einem abstrakten Risiko aussetzen darf, ohne haften zu müssen, wenn sich die abstrakte Gefahr in einen konkreten Schadenseintritt konkretisiert, ergibt sich nicht ohne weiteres aus dem gesetzlichen Tatbestand des § 823 BGB.
c) Verkehrssicherungspflichten in der Systematik§ 823 BGB Diedeliktischen Grundtatbestände der §§ 823 I, II und 826 BGB sind als "kleine Generalklauseln" 17 bezeichnet worden. Diese Charakterisierung beruht darauf, daß alle Tatbestände zwar klare Rahmenvorgaben treffen 18, im übrigen aber in hohem Maße konkretisierungsbedürftig sind. Die Rechtsprechung hat diesem Bedürfnis nach Konkretisierung durch Entwicklung der Verkehrspflichten entsprochen. Sie legen demjenigen, der Gefahrenquellen schafft oder andauern läßt, die Pflicht auf, alle nach Lage der Verhältnisse erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutze anderer Rechtsgüter zu treffen 19 . 13 v. Bar; S. 106; H. A. Fischer; Die Rechtswidrigkeit - mit besonderer Beriicksichtigung des Privatrechts, 1911, S. 115; E. Zitelmann, Ausschluß der Widerrechtlichkeit, AcP 99, (1906), s. 1, 11. 14 v. Bar, S. 102; He. StolZ, Besprechung von Hofacker, Die Verkehrssicherungspflicht, AcP 135, 1932, 119 f.; P. Oertmann, DR 1922, S. 5 ff.; Ha. StolZ, Handeln auf eigene Gefahr, 1961, S. 277; K. Genius, Risikohaftung des Geschäftsherren, AcP 177, 1977., S. 481, 520. 15 Vgl. für die Entwicklung des Produkt- und Unweithaftungsrechts seit 1945 in Deutschland die Darstellung bei Schmidt-Salzer, NJW 1994, 1305, 1313. 16 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, Rn 657. 17 Vgl. RGZ 88, 433 f. ; 89, 384, 385; 90, 65, 68; 163, 21, 26; BGHZ 9; 373, 386; BGH VersR 1965, 515; BGHZ 14, 83, 85; 16, 95, 98; Larenz /Canaris, § 75 I 3a(S. 355); Ha. StolZ, AcP 187, 506; D. Medicus, Schuldrecht II. Besonderer Teil, 6. Auf!. 1993, § 135 III, Canaris, s. 35. 18 So begrenzt § 823 I seinen Anwendungsbereich auf den Schutz bestimmter Rechtsgüter und Rechte, § 823 li orientiert sich an bereits vorhandenen gesetzlichen Verhaltensnormen und § 826 knüpft an die "guten Sitten" als Verhaltensstandards an, die zum rechts- und sozialethischen Minimum gehören. Im Gegensatz zu der großen Generalklausel des ersten Entwurfs des BGB sind damit klare Wertungsvorgaben für die Konkretisierung der Grundtatbestände gegeben. vgl. dazu ausführlich Larenz/Canaris, § 75 I 3a) (S. 355). 19 Vgl. BGHZ 5, 378,380 f.; 14, 83, 85; 34,206, 209; 65, 221, 224; BGH NJW 1990, 1236.
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Die Einordnung der Verkehrssicherungspflichten in die Systematik des § 823 ist problematisch und umstritten. Zum einen ist ungeklärt, ob Verkehrspflichten der Konkretisierung des Begriffs der fahrlässigen, widerrechtlichen Verletzung im Sinne von § 823 I BGB dienen oder aber den Schutzgesetzen iSd § 823 II zuzuordnen sind. Zum anderen werden verschiedene Ansichten dazu vertreten, an welcher Stelle die Verkehrssicherungspflicht in den dreistufigen Deliktsaufbau des § 823 I bzw. § 823 II eingeordnet werden muß20. Für die hier interessierenden Frage der Abgrenzung von Fahrlässigkeits- und Gefährdungshaftung haben diese Fragen keine Bedeutung und sollen daher nicht weiter vertieft werden. Zum besseren Verständnis meiner Ausführungen weise ich darauf hin, daß ich im folgenden davon ausgehe, daß die Verkehrspflichten systematisch dem § 823 I BGB zuzuordnen sind. Innerhalb des dreistufigen Aufbaus des Deliktes gehe ich davon aus, daß die Verletzung der Verkehrspflicht bereits auf Tatbestandsebene21 zu prüfen ist. Diese Systematisierung beruht auf den folgenden Erwägungen: Das loverkehrbringen eines fehlerhaften Produktes stellt einen mittelbaren Eingriff dar, bei dem die Funktion der Verkehrspflichten in der Eingrenzung derjenigen Verhaltensweisen besteht, die als Gegenstand einer Deliktshaftung und eines Rechtswidrigkeitsurteils in Frage kommt22. Die Schädigung von Rechtsgütern durch produktbedingte Unfalle werden aus zwei Gründen als mittelbare Beeinträchtigungen angesehen: Zum einen unterliegt der Verletzungsvorgang nicht ausschließlich der Kon20 Zu den beiden Fragestellungen werden im wesentlichen die folgenden Ansichten vertreten: Nach Ansicht der Rechtsprechung und eines Teils der Literatur liegt der systematische Standort für die Verkehrspflichten in § 823 I (vergleiche nur BGH VersR 1956, 419 (Förderkorb); NJW 1975, 1827, 1828 (Spannkupplung); NJW 1979 ,2309, 2310 (Kfz-Verkauf); NJW 1981, 2250 (Asbestzementp1atten) NJW 1987, 2671, 2672 und in der Literatur Larenz/Canaris § 76 111 2b)- S. 405; Fikentscher, Schuldrecht, § 103 III 1d; v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch Bd. I § 23 I 1., Rn 9; MüKo-Mertens, § 823 Rn. 152, Staudinger-Schäfer; § 823 Rn. 320; Marburger; VersR, 597, 605; D. Medicus, Zivilrecht und Umweltschutz, JZ 1986, 778, 780.) Nach der Gegenansicht sind die Verkehrssicherungspflichten als Schutzgesetze iSd. § 823 II anzusehen (K. Huber, Verkehrspflichten zum Schutz fremden Vermögens. Festschrift für v. Caemmerer, 1978., S. 380 f. v. Bar:, S. 157 ff., derselbe JuS 1988, 173) Nach der MA in der Literatur ist die "deliktsrechtliche Schlüsselfrage, was denn der Anspruchsgegner falsch gemacht habe" (v. Bar, 173) unproblematisch auf Tatbestandsebene bei der Verletzung des Schutzgesetzes zu prüfen. Folgt man der h.M. und stellt die Verletzung der Verletzung der Verkehrspflicht in den Gesanitkontext des § 823 I, so verbleibt die Frage nach der dogmatischen Einordnung innerhalb des dreistufigen Deliktsaufbaus. Hier wird die Frage einerseits im Rahmen des Tatbestandes behandelt (so Larenz /Canaris, § 75 II 3 c) (S. 368) iVm § 76 III 2 d) (S. 406) oder im Rahmen der Prüfung der Rechtswidrigkeit des Eingriffs thematisiert (so z. B. v. Westphalen, Produkthaftungshandbuch Bd. I,§ 23 I Rn 1 ff. S. 311). Nach allen Ansichten verbleibt Raum für eine eigenständige Fabrlässigkeitsprüfung, auch wenn diese, wie gleich zu zeigen ist, inhaltlich stark verkürzt ist. Für die Frage der Abgrenzung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung ist es daher nicht entscheidend, welcher der oben dargestellten Meinungen im Einzelfall gefolgt wird. 21 Eine Prüfung der Verkehrspflichten bereits auf Tatbestandsebene bietet sich angesichts der Tatsache an, daß es sich bei produktbedingten Schadensfällen um mittelbare Eingriffe handelt, vgl. dazu die Ausführungen im nächste Absatz. 22 Vgl. Larenz /Canaris, § 75 II 3 c) (S. 368) iVm § 76 III 2 d) (S. 406).
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
trolle durch den Hersteller23 . Die spezifische Gefährlichkeit eines Produktes realisiert sich nicht in dessen bloßer Vermarktung. Vielmehr werden die Schäden häufig erst durch ein (Fehl-) Verhalten des Verbrauchers oder Dritter ausgelöst. Zum anderen gilt im Produkthaftungsrecht, wie schon wiederholt dargelegt wurde, kein absoluter Güterschutz, so daß aus dem reinen Schadensereignis noch nicht auf einen rechtswidrigen Eingriff in fremde Rechtsgüter im Sinne des § 823 I BGB geschlossen werden kann. Ein solcher liegt erst vor, wenn ein Verstoß gegen ein Verhaltensgebot festgestellt werden kann - im hier zu untersuchenden Fall gegen die Verkehrspflicht des Konstrukteurs, ein Produkt mit angemessenem Sicherheitsstandard zu konstruieren. Verkehrspflichten dienen dazu, die Grenzen zwischen einer an sich erlaubten und erwünschten Tätigkeit, nämlich der Herstellung und des Vertriebs von Produkten, und der unerwünschten Gefährdung von Rechtsgütern Dritter, aufzuzeigen. Hinsichtlich der inhaltlichen Konkretisierung der Verkehrspflichten des Herstellers im Konstruktionsbereich verweise ich auf die Ausführungen im vorangegangenen Kapitel. d) Fahrlässigkeit; Verstoß gegen die innere und äußere Sorgfalt
Mit dem Verstoß gegen eine Verkehrssicherungspflicht ist der haftungsbegrundende Tatbestand noch nicht erfüllt. Im dreistufigen Deliktsaufbau stellt die Fahrlässigkeit den abschließenden Zurechnungsgrund dar, in dem alle Merkmale, die bereits auf den Ebenen von Tatbestandsmäßigkeit und Rechtswidrigkeit vorkommen wie Verhalten, Pflicht und Pflichtverletzung noch einmal unter dem Aspekt der Schadensersatzpflicht gewertet und einer Person zur Last gelegt werden. Das Verschuldensprinzip des § 823 wirkt zugleich haftungsbegrundend als auch haftungsbegrenzend: Es wird für jedes, aber auch nur für Verschulden gehaftet. Bis hin zur Fahrlässigkeit gewährt das Recht damit einen Freiraum, innerhalb dessen ein Verhalten keine Haftung auslöst, mag es auch die kausale Ursache für einen Schadenseintritt sein24. aa) Verstoß gegen die Verkehrspflichten und äußere Sorgfalt Zum besseren Verständnis des Sorgfaltsbegriffs unterscheiden Teile der Literatur zwischen äußerer und innerer Sorgfalt25 . Der Wert dieser Unterscheidung ist um23 Vgl. dazu V. Huber; Zivilrechtliche Fahrlässigkeit, in: Festschrift für Ernst Rudolf Huber zum 70. Geburtstag, hrsg. von Ernst Forsthoff, Wemer Weber und Franz Wieacker; 1973, 253,276. 24 Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht XIV. 2 a), Rn 368. 25 Blaschczok: Gefahrdungshaftung und Risikozuweisung , S. 15; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, XIV 4.a.) Rn 385 ; Staudinger-Löwisch, § 27 Rn 48; Soergel-Wolf, § 276 Rn. 73.
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stritten26; sie soll gleichwohl beibehalten werden, da viele Überlegungen zur Abgrenzung von Verkehrspflichten und Fahrlässigkeit auf dieser Differenzierung beruhen27. Der Fahrlässigkeitsbegriff des § 823 entspricht dem des § 276 I 2 BGB. Fahrlässig handelt nach der Legaldefinition, wer die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht läßt. § 276 bringt damit zum Ausdruck, daß es beim zivilrechtliehen Fahrlässigkeitsbegriff nicht auf individuelle Vorwerfbarkeit ankommt und von subjektiven Fähigkeiten und Einstellungen abstrahiert werden soll. Anders als der strafrechtliche Fahrlässigkeitsbegriff, der ein Eingehen auf die Eigenheiten und eventuellen Unvollkommenheiten des Täters erfordert, ist die Sichtweise tat- und nicht täterbezogen28. Das Erfordernis des Nachweises eines Verschuldeus des Schädigers knüpft an der allgemeineren Aufgabe des Schuldrechts an, Risikozonen voneinander zu trennen und die Entscheidung darüber zu fällen, ob ein Verletzter den Schaden selbst tragen muß oder aber auf einen anderen verlagern darf29. Ob man die Feststellung der Sorgfaltswidrigkeit daher als "Vorwurf' bezeichnen will, ist eher eine Frage von Begrifflichkeiten 30. Die äußere Fahrlässigkeit besteht darin, daß das für den Umgang mit dem bedrohten Rechtsgut erforderliche Verhalten an den Tag gelegt wird3\ d. h. daß der Betroffene sein Verhalten an bestimmten Maßnahmen orientiert, die dazu dienen, ein bestimmtes erwünschtes Ereignis herbeizuführen bzw. unerwünschtes Ereignis zu vermeiden 32. In gewissem Umfang beriicksichtigt der zivilrechtliche Verschuldeusbegriff die individuellen Fähigkeiten des Schädigers. Die Anforderungen an die Sorgfalt werden durch den Verkehrskreis, in dem sich der Schädiger bewegt, diktiert. Der Verkehrskreis bestimmt sich nach Gefahr, Ausbildung und Beruf und sonstigen Fähigkeiten, aber auch Beschränkungen wie etwa einer körperlichen Behinderung33. Dies führt zur Ausbildung besonderer Verkehrskreise, die sich an den spezifischen Gefahren und Besonderheiten bestimmter Berufsbilder orientieren34. Die gleiche Person kann daher je nach Situation am Standard eines Spezialisten oder auch an den Anforderungen an einen Laien gemessen werden. Der Schädiger muß sich also nicht an einem absoluten Standard festhalten lassen, steht die SorgVgl. nur Larenz, Schuldrecht Bd. 1, AT,§ 20 IV, S. 290 f. So z. B. v. Bar, S. 173; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, XIV. 4.a) Rn 386; derselbe, Unerlaubte Handlungen und Schadensersatz, Rn 121; siehe zu dieser Problematik auch Kötz, Festschrift für Lorenz, 109, 112. 28 J. Esser/ E. Schmidt, Schuldrecht, Band I, Allgemeiner Teil, 7. Auflage 1993, Bd. I, § 26 II, S. 78. 26
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Esser I Schmidt, SR AT Bd. I, § 26 II, S. 79. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, XIV l.a.) Rn 365. Blaschczok, S. 15. U. Huber, FS E.R. Huber, S. 265. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, XIV 5.f.) Rn 405. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, XIV 5.g.) Rn 406.
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
falt eines Verkehrskreises aber einmal fest, so entlastet eine individuelle Unfähigkeit grundsätzlich nicht. § 276 I 2 BGB normiert eine "objektiv-typisierte Sorgfalt I Gruppenfahrlässigkeit"3:'i. Ein Vergleich zwischen den Erwägungen, die für die Bestimmung der äußeren Fahrlässigkeit und der Verkehrspflichten angestellt werden, zeigen eine weitgehende Übereinstimmung der beiden Institute. Dient die äußere Sorgfalt dazu, den Rahmen des vom Schädiger geforderten Verhaltens festzulegen, ist sie von den Verkehrspflichten inhaltlich nicht zu trennen36 . Das Institut der Verkehrspflichten führt zu einer Verkürzung des Verschuldensbezuges37 . Es stellt sich angesichts dieser Überschneidungen die Frage, ob noch ein eigenständiger Prüfungsbereich für die Feststellung der Fahrlässigkeit verbleibt. Zum Teil wird dies verneint. Nach dieser Ansicht soll bereits bei einem Schadensereignis durch die Verletzung der Verkehrspflicht die Haftung eintreten38, die "fahrlässige Verkehrspflichtverletzung" stelle sich weitgehend als Pleonasmus dar39. Dies ist nach der h.M. angesichts des Wortlauts des § 823 I, II, der ja ausdrücklich ein Verschulden voraussetzt, problematisch40. Nach der h.M. verbleibt daher ein eigenständiger Prüfungsbereich für die Fahrlässigkeit, auch wenn der Verstoß gegen die Verkehrspflichten festgestellt ist, der als Verstoß gegen die innere Sorgfalt bezeichnet wird41 . Für die hier zu untersuchende Frage der Haftung für Konstruktionen würde diese Unterscheidung dann maßgeblich, wenn der Hersteller bei Einhaltung der inneren Sorgfalt der Haftung entgehen würde. bb) Einhaltung der inneren Sorgfalt Der Begriff der inneren Sorgfalt umschreibt die Erkennbarkeit und die Vermeidbarkeit des Verstoßes gegen die durch die äußere Sorgfalt vorgegebenen Verhaltensnormen und die sie erzeugenden tatsächlichen Voraussetzungen42• Sie setzt sich aus einem intellektuell-emotionalen Moment, das auf die Erkenntnis des geforderten Verhaltens sowie aus einem voluntativen Moment, das auf der Erbringung der äußeren Sorgfalt gerichtet ist, zusammen43 • Die innere Sorgfalt bedeutet, Deutsch, Allgerneines Haftungsrecht, XIV 5.f.) Rn 403. v. Bar; S. 173; U. Huber; FS für E.R. HuberS. 279 ; mit Einschränkungen auch Deutsch, Allgerneines Haftungsrecht, XIV 2. e), Rn 372. 37 v. Bar; S. 65. 38 V gl. Brüggemeier; Deliktsrecht, Rn. 115, Kötz, Deliktsrecht Rn. 117. 39 Vgl. dazu v. Bar; S. 172. 40 Deutsch, Allgerneines Haftungsrecht XIV. I c), Rn 370. 41 z. B. v. Bar; S. 173. 42 v. Bar; S. 175; U. Huber; Festschrift E.R. Huber, S. 253, 280; Steindorff, JZ 1959, 2, 4 Fn. 45; Lenckner; Festschrift Engisch, S. 490, 504; MüKo-Hanau, § 276, Rn. 34. 43 Deutsch, Allgerneines Haftungsrecht, XIV. 4. b) Rn. 388; derselbe, Fahrlässigkeit und erforderliche Sorgfalt, 94 ff.; U. Huber, Festschrift E.R. Huber, S. 253, 266. 35
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daß der Betroffene sein nach außen erkennbares Verhalten durch eine bestimmte innere Einstellung lenkt44. Auch bei der inneren Sorgfalt geht es um einen objektiv-typisierten Standard, so daß der Schädiger auch dann der Haftung nicht entgeht, wenn er aufgrund seiner individuellen geistigen oder charakterlichen Fähigkeiten nicht dazu in der Lage war, den Verstoß gegen die äußere Sorgfalt zu erkennen45 • Es handelt sich um einen normativen und nicht um einen psychologischen Begrift6. Aber auch die innere Sorgfalt ist nicht absolut zu verstehen, vielmehr ergeben sich die Anforderungen an die innere Einstellung und die intellektuelle Leistung, die der Schädiger zu erbringen hat, wie auch bei der äußeren Fahrlässigkeit aus den Besonderheiten des jeweiligen Verkehrskreises. Die Gewichtung von äußerer und innerer Sorgfalt bei der Feststellung der Fahrlässigkeit ist umstritten. Nach einer Ansicht liegt der Schwerpunkt des Fahrlässigkeitsvorwurfs im Verstoß gegen das Gebot der inneren Sorgfalt: "Das Wesentliche ist mithin die Vorhersehbarkeit des Erfolges" 47 . Nach der Gegenansicht spielt die innere Sorgfaltigkeil angesichts des objektivierten Fahrlässigkeitsbegriffs keine Rolle mehr48 • Die noch h.M. geht von einem gleichwertigen Verhältnis von äußerer und innerer Fahrlässigkeit aus - innere und äußere Sorgfalt korrespondieren miteinander, das eine gibt es ohne das andere nicht49. Dies ist überzeugend, zumal es sich bei der Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Sorgfalt um Ordnungsbegriffe handelt, die im Einzelfall ineinander übergehen können. Es wird im folgenden noch darauf einzugehen sein, ob die Einhaltung der inneren Sorgfalt den Hersteller entlasten kann50•
U. Huber; Festschrift für E.R. Huber S. 265. So die herrschende Lehre vom objektiv-typisierende Sorgfaltsmaßstab, die argumentiert, daß jeder, der im Verkehr auftrete, auch die dort zu erwartenden Fähigkeiten aufzuweisen habe. (vergleiche dazu Larenz, SchuldR I, § 20 IV; Medicus, SchuldR I, § 29 III 2; Soergel-Wolf, § 276 Rn 76; P. Heck, Grundriß des Schuldrechts, 1929, 78). Auch die subjektive Theorie, die den Schädiger als entschuldigt ansieht, wenn er aus körperlicher oder geistiger Unfahigkeit die erforderliche Sorgfalt nicht einzuhalten vermag, dürfte nicht zu wesentlich anderen Ergebnissen kommen. Der Vorwurf wird hier in der Regel vorverlegt und der Schädiger haftet aus Übernahmeverschulden (vergleiche dazu v. Liszt, S. 55; Zitelmann, AT (1900) 158; Brodmann. : Über die Haftung für Fahrlässigkeit, insbesondere über die Haftung des Schiffers, AcP 99, 1906, 374 f. ; L. Enneccerus, § 197 I 3; H.C. Nipperdey, Rechtswidrigkeil, Sozialadäquanz, Fahrlässigkeit, Schuld im Zivilrecht, NJW 1957,1780 f. ). 46 U. Huber; FS für E. R. Huber, S. 265. 47 So v. Liszt, S. 55; vgl. auch Enneccerus, § 175 I 3. 48 R. Wiethölter; Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, 1960, S. 49; G. Geilen, Strafrechtliches Verschulden im Zivilrecht, JZ 1964, S. 13; Brüggemeier; Deliktsrecht, Rn. 113. 49 Vgl. nur Larenz, Schuldrecht Bd. 1, AT, § 20 IV, S. 290 f. ; Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, XIV. 4. b) Rn. 388; v. Bar; 177 f. so Vgl. unten unter I. 3. a). 44
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
2. Haftung für Konstruktionsfehler als Gefährdungshaftung
a) Das Tatbestandsmerkmal der spezifischen Gefahr Wichtigstes dogmatisches Abgrenzungskriterium zwischen Gefahrdungshaftung und Deliktshaftung des § 823 BGB ist der Verzicht auf den Nachweis des Verschuldens des Schädigers. Damit ist aber noch nichts über die Rechtswidrigkeit des Verhaltens ausgesagt. Überwiegend wird davon ausgegangen, daß die Gefahrdungshaftung nicht auf einem Verbot des Verhaltens des Schädigers beruht. Die Gefährdungshaftung ist damit grundsätzlich rechtswidrigkeitslos51 . Nachdem die Haftung weder mit einem vorwertbaren Verstoß des Schädigers gegen die Ge- und Verbote der Rechtsordnung begrundet wird, noch mit einem Unwerturteil bezüglich des Verhaltens des Schädigers verbunden ist, ist problematisch, wie die Gefahrdungs- von einer reinen Erfolgshaftung abgegrenzt werden kann. Als ratio für eine vom Verschulden gelöste Haftung wird der Gedanke der Gefahrveranlassung und Gefahrbeherrschung, der Zusammengehörigkeit von Vorteil und korrespondierendem Risiko, von Unausweichlichkeit und Erlaubtheit des Risikos52 herangezogen, der als begriffsbildendes Merkmal des haftungsbegrundenden Tatbestandes jedoch nicht oder nur wenig aussagekräftig ist53 . Die Schwierigkeiten bei der Formulierung einer Grundlage für alle Tatbestände der Gefahrdungshaftung liegen darin, daß das Kriterium der "Gefährlichkeit" als gemeinsamer Anknüpfungspunkt vage und unsicher ist54• Teilweise wird versucht, den Begriff der "Gefahrlichkeit" durch das Merkmal der "Betriebsgefahr" zu konkretisieren. Das Merkmal des "Betriebs" wird dann so definiert, daß nur die schadensauslösenden Kausalabläufe als maßgeblich angesehen werden, die nach dem Sinn der Haftung erfaßt werden sollen, alle anderen aber ausgeschlossen werden, "auch wenn dabei im Einzelfall einmal ein Kraftfahrzeug, eine Starkstromleitung usw. eine Rolle gespielt haben mag"55 . Allerdings wird auch das Merkmal des "Betriebes" den vielfaltigen Fallkonstellationen, die von der Gefahrdungshaftung zu erfassen sind, 51 So die hM: Larenz/Canaris, § 84 I 3a) mit Verweis aufBGHZ 24, 21, 26; 34,355, 361; 105, 65, 68; Esser; S. 91; Larenz, VersR 1963, 593, 597 f.; Kötz,Deliktsrecht, Rn. 333; Medicus, BürgR Rn. 631; aA: BGHZ 57, 170, 176; 117, 10, 111; U. Bälz, Ersatz oder Ausgleich? JZ 1992, 62 f. (,,Zustandsunrecht); v. Bar: S. 131 ff. 52 Larenz!Canaris, § 84 I 2a) (S. 605 f.). 53 Vgl. dazu auch Esser; der dazu ausführt:" Bei dieser Zurechnung (d. h. der Begründung der Schadenszurechnung) ist es nicht mit Rechtsparömien getan oder mit Losungsworten wie dem schon erwähnten "Eigene Initiative, eigene Gefahr" oder ,,Zufallsschäden sind Teil der Betriebsunkosten des Unternehmers" - vgl. Grundlagen und Entwicklung der Gefährdungshaftung, S. 92. 54 Es ist - unabhängig von der Frage, ob dies überhaupt wünschenswert ist - auch aus diesem Grunde schwierig, eine gefährdungshaftungsrechtliche Generalklausel zu formulieren, vgl. dazu Larenz/Canaris § 84 I lb) sowie zu den Vorschlägen für eine derartige Klausel Kötz, Gefährdungshaftung, S. 1779, 1798 ff. 55 Esser/Weyers, SR BT II, § 63 II 2, S. 640.
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nicht abschließend gerecht: "Weil das maßgebliche Tatbestandsmerkmal "Betrieb" dem Zweck der Vorschrift entsprechend zu verstehen ist, können auch gleiche Ausdrücke nicht in allen Tatbeständen, in denen sie vorkommen, gleichen oder auch nur entsprechenden Inhalt haben" 56• Man wird sich daher damit begnügen müssen, daß das Kriterium der Gefährlichkeit für sich genommen zu weit gefaßt ist, da eine Gefährdungshaftung nur für eine spezifische Gefahr, für ein typisches Risiko angenommen wird, das im Einzelfall zu konkretisieren ist.
b) Das Kriterium der Gefahr in der Produkthaftung
Wie aber wird das Erfordernis der abstrakten spezifischen Gefahr im Produkthaftungsrecht inhaltlich ausgefüllt? Auch hier gilt es, einem uferlosen Anwendungsbereich vorzubeugen: Die Produktion und das Inverkehrbringen von Gütern ist per se risikoreich. Jedes Produkt, mag es noch so sorgfältig konstruiert und hergestellt sein, birgt das - typische und nicht ganz entfernte - Risiko, daß ein Verbraucher im Zuge seiner Benutzung zu Schaden kommt. Eine derartig weite Definition des ,,Betriebsrisikos" wird als "reine Kausalhaftung" aus dem von der Gefährdungshaftung erfaßten Bereich ausgegliedert. Als Korrektiv dient der Produktfehler: Zu den spezifischen Gefahren, die aus Produktion und Vertrieb erwachsen können, zählt demnach nicht das allgemeine, nicht ganz fernliegende Verletzungsrisiko beim Gebrauch irgendeines Produktes, sondern nur das Verletzungsrisiko beim Gebrauch eines fehlerhaften Produktes. Dies ist nur dann unproblematisch, wenn ein faktischer Maßstab existiert, an dem sich das Gericht bei der Feststellung der Fehlerhaftigkeit orientieren kann. Einen derartigen Maßstab gibt es im Falle von Fabrikationsfehler und im Fall der "inadvertent design errors", bei denen der Stand von Wissenschaft und Technik einen faktischen Standard des Machbaren vorgibt. Im Falle der bewußten Konstruktionsentscheidung gilt es hingegen, eine Entscheidung über die Angemessenheit eines bestimmten Risikos zu treffen, womit verhaltensbezogene Erwägungen und Fragen der Verkehrserwartung in die Prüfung einbezogen werden müssen. 3. Abgrenzungsversuche zwischen Gefahrdungs- und Verschuldeoshaftung bei Konstruktionsentscheidungen
a) Keine Haftung des Herstellers bei Einhaltung der inneren Sorgfalt?
Im Schrifttum wird vertreten, daß eine Abgrenzung von Verschuldens- und Gefährdungshaftung durch das Tatbestandsmerkmal der "inneren Sorgfalt" möglich sei57 • Grundsätzlich mag die Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sorgfalt einen theoretischen und praktischen Wert haben. Die Rechtsprechung verneint 56
Esser/Weyers, SR BT II, § 63 II 2, S. 641.
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
in einer Vielzahl von Entscheidungen die Haftung eines Schädigers mit dem Hinweis darauf, daß zwar die Verkehrspflichten verletzt, dies für den Beklagten aber nicht erkennbar sei58 . Darüber hinaus ist eine Reihe von Rechtsinstituten anerkannt, in denen das subjektive Moment für die Frage der Haftung entscheidend ist. Wo die Rechtsfolge die Person selbst berührt, steht die individuell-persönliche Sorgfalt im Mittelpunkt59• Beispiele hierfür sind das Schmerzensgeld in der Genugtuungsfunktion (§ 847 BGB), die Abwägung von Verschulden und Mitverschulden (§ 254 BGB) und außerhalb des Haftungsrechts die Herabsetzung des Unterhalts wegen sittlichen Verschuldens (§ 1611 BGB) sowie die Entziehung des Pflichtteils und die Erbunwürdigkeit wegen schuldhafter Verfehlung (§§ 2333, 2339 BGB). Für die Feststellung der Fahrlässigkeit als Schuldform bei der Haftung des Produzenten für fehlerhafte Konstruktionen nach § 823 BGB spielt die Unterscheidung allerdings nur im eng begrenzten Sonderfall der Haftung für Entwicklungsrisiken eine Rolle. Andere Fälle, in denen sich die Besonderheiten des Verkehrskreises zugunsten des Schädigers auswirken, sind schwer vorstellbar60• Hersteller von Produkten gehören einem Verkehrskreis an, der sich aufgrund der besonderen Gefährlichkeit von fehlerhaften Produkten an einem entsprechend hohen Maßstab messen lassen muß. Der Verbraucher, der mit den Produkten in Berührung kommt, geht davon aus, daß der Hersteller die notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten mitbringt. Es gelingt dem einzelnen Hersteller daher nicht, sich mit dem Hinweis darauf zu exkulpieren, daß ihm subjektiv nicht erkennbar war, was einem vernünftigen Hersteller in seiner Lage einleuchten mußte. Selbst Vertreter der subjektiven Theorie dürften einem Hersteller, dessen Produkte nach der Verkehrsanschauung mit unvertretbaren Sicherheitsrisiken behaftet sind, nur wenig Wohlwollen entgegenbringen und jedenfalls aus einem Übernahmeverschulden haften lassen. Der Teilnahme am Verkehr wohnt ein Garantiemoment61 inne, daß der einzelne in der Lage ist, so zu handeln, wie es eine vernünftige Person in seiner Lage tun würde. Wer also als Hersteller Waren produziert und diese in den Verkehr bringt, haftet mit seiner Person dafür, daß er den von der Rechtsordnung als vernünftig erkannten Sicherheitsstandard auch im Einzelfall erkennen und bei der Konstruktion und Entwicklung seiner Waren einhalten kann.
57 Deutsch, Unerlaubte Handlung, Rn 121; v. Bar: Verkehrspflichten S. 172 ff.; Larenz SR 1§20IV. 58 Vgl. nur BGH LM § (Eb) Nr. I; BGH NJW 76, 568; BGH NJW 85, 620; BGHZ 64, 149, 155; OLG Hamburg, VersR 87, 482; OLG Köln, VersR 91, 1246; OLG Düsseldorf, VersR 92, 113. 59 E. Deutsch, Allgemeines Haftungsrecht, 3. Aufl. 1995, XIV, 5.d), Rn. 401. 60 Zu Recht weist Kötz in Festschrift Lorenz 109, 112 darauf hin, das derartige Überlegungen in der Regel nur dann eine Rolle spielen, wenn der Schädiger beispielsweise ein Minderjähriger ist, dem die erforderliche Einsicht nach § 828 II BGB fehlt. 61 v. Bar: Verkehrspflichten, S. 137.
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b) Entwicklungsrisiken als Grenze der Verkehrspflichten und der Fahrlässigkeitshaftung
Die objektiven Vorgaben der Verkehrspflichten an äußere und innere Sorgfalt finden ihre Grenze im Unerfüllbaren. So hoch die objektiven Anforderungen an die Erkennbarkeit und Durchführbarkeit im Einzelfall auch sein mögen, so setzen sie doch voraus, daß sie - wenn auch nicht unbedingt vom Schädiger - so doch von ,jemandem" des gleichen Verkehrskreises in der vergleichbaren Lage erfüllt werden können. Verkehrspflichten und Fahrlässigkeitsvorwurf berücksichtigen daher das Fortschreiten von Kenntnis und den Wandel der Präferenzen einer Gesellschaft, die ein Verhalten, das zu dem Zeitpunkt, an dem die Ursache für ein schädigendes Ereignis gesetzt wurde, noch vertretbar war, aus der ex-post Perspektive des Haftungsprozesses als sorglos erscheinen läßt. Unter dem Begriff der Entwicklungsrisiken werden verschiedene Fallkonstellationen zusarnmengefaßt. Entwicklungsfehler bezeichnen zunächst Risiken, die auch nach dem neuesten Stand von Wissenschaft und Technik nicht vermeidbar waren, weil sie nicht bekannt und auch mit den verfügbaren oder vom Hersteller zu entwickelnden Mitteln nicht erkennbar waren62• Sie bezeichnen daneben sogenannte "Entwicklungslücken". Darunter fallen solche Gefahren, die zwar bekannt oder erkennbar sind, nach dem Stand von Wissenschaft und Technik aber nicht aus dem Produkt "herauskonstruiert" werden können63 • Nicht unter den Begriff der "Entwicklungsfehler" fallen nach deutschem Recht solche Risiken, die im amerikanischen Recht mit dem Begriff der "unavoidably dangerous products" belegt werden. Dies sind Produkte, die von Natur aus gewisse Risiken verkörpern, ohne daß es auf die Konstellation und Verwendung ankommt64. Schließlich werden aus dem Anwendungsbereich der Entwicklungsfehler Fälle eines "unterentwickelten Gefahrenbewußtseins" ausgegrenzt, bei dem die Gefahr eines Produkts sowohl bekannt, als auch nach den Regeln von Wissenschaft und Technik abwendbar ist, von der Allgemeinheit zur Zeit des Inverkehrbringens des Produktes aber noch nicht dem Produkt selbst zugeordnet werden, weil dieses den dann vorherrschenden Sicherheitserwartungen entspricht65 • Man wird ein "unterentwickeltes Gefahrenbewußtsein" zutreffenderweise nur dann annehmen können, wenn sich die Sicherheitserwartungen zum Zeitpunkt des Haftpflichtprozesses so gewandelt haben, daß das Sicherheitsniveau des Produktes nunmehr als unzureichend beurteilt wird. Sonst könnte man eine Vielzahl von Produkten mit dem Begriff des unzureichenden Gefahrenbewußtseins belegen, da in den seltensten Fällen alle technischen Möglichkeiten der Verbesserung des Sicherheitsstandards eines Produktes ausgeschöpft werden. Die Tatsache, daß die Fälle des "unzureichenden Gefahrenbewußtsein" selbstverständlich aus dem Bereich von Fehlerhaftigkeit und 62 63 64 65
v. Westphalen, Bd. I, § 24 II v. Westphalen, Bd. I, § 24 II v. Westphalen, Bd. I,§ 24 II v. Westphalen, Bd. I, § 24 II
lc), Rn 84. l c), Rn 85. lc}, Rn 88. lc), Rn 90.
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
Verkehrspflichten ausgegrenzt werden66, dokumentieren wiederum deutlich die Relativität des Fehlerbegriffs. Die Produktfehlerhaftigkeit ist als Ausfluß eines allgemeinen Sorgfaltsprinzips einem Wandel unterworfen, durch den ein Produkt, das heute noch eine angemessene und vertretbare Sicherheit bietet, morgen zu einem unvertretbaren Risiko werden kann. An das Bestehen von Entwicklungsfehlern im Sinne der ersten beiden Gruppen knüpfen sich unterschiedliche Rechtsfolgen. Produktfehler, die nicht erkennbar sind, lösen auch keine Herstellerhaftung aus. Bei einer Haftung nach § 823 BGB fehlt es bereits an der Pflichtverletzung im Herstellerbetrieb67 . Ein Entwicklungsfehler steht der Annahme eines Produktfehlers im Sinne von § 3 I ProdHaftG grundsätzlich nicht entgegen. Jedoch kann sich der Hersteller gemäß § 1 II Nr. 5 entlasten, wenn ihm der Nachweis gelingt, daß der Fehler nach dem Stand von Wissenschaft und Technik nicht erkennbar war. Hier besteht somit ein Unterschied zwischen der Haftung nach§ 823 I BGB und der Haftung nach§ 1 ProdHaftG, der in der Beweislastverteilung begründet liegt. Bei "Entwicklungslücken" gilt, daß eine bestimmte Mindestsicherheit eingehalten werden muß. Das Sicherheitsniveau, das nicht unterschritten werden darf, variiert von Produkt zu Produkt, es gilt aber auch hier im wesentlichen die Verkehrserwartung. Ist diese Mindestsicherheit aber eingehalten, so wirkt dies regelmäßig entlastend, dem Hersteller wird insofern ein Entscheidungsspielraum zugebilligt. c) Abgrenzung überdie Frage der Beweislastverteilung
Es ist fraglich, ob die Beweislastverteilung unter § 1 ProdHaftG, die sich auf den Nachweis der Produktfehlerhaftigkeit bezieht, und die besondere richterrechtliche Regelung der Beweislast ftir das Sonderproblem der Produzentenhaftung unter § 823 I BGB zu unterschiedlichen Anforderungen an die Beweislast des Klägers führt. Wahrend im Bereich des Fabrikationsfehlers Unterschiede bestehen die in der Praxis durch die hohen Anforderungen an die Erbringung des Entlastungsbeweises verschwimmen mögen - ist die Beweislastverteilung m.E. im Bereich von Konstruktionsfehlern unter der Haftung nach § 1 ProdHaftG und der Haftung nach § 823 I BGB identisch. Unter einer Haftung nach § 823 BGB muß der Kläger den Verstoß gegen die Verkehrspflicht beweisen. Für die Haftung für Konstruktionsfehler spielt die durch die Hühnerpestentscheidung eingeführte und in späteren - so in der ersten DerosalEntscheidung68 - konkretisierte Beweislastumkehr nur für den aus der Haftung 66 Vgl. dazu v. Westphalen, Bd. I, § 24 II lc), Rn 87, 90. Diese Ausgrenzung ist nicht zwingend und wird im amerikanischen Recht nicht getroffen. So subsumiert Henderson die Fälle des "unterentwickelten Gefahrenbewußtseins" unter den Begriff des Entwicklungsfehlers, vgl. 69 Ca!. L. Rev. 919, 921 ff. (1981) und vgl. in diesem Kapitel unter II. 3.3. 67 v. Westphalen, Bd. I,§ 24 II 1c), Rn 84. 68 BGH NJW 1981, 1603.
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ausgeklammerten Bereich der Entwicklungsrisiken eine Rolle. Zu Unrecht wird ausgeführt, das Derosal-Urteil habe die Beweislastumkehr auch auf das Vorliegen einer Verkehrspflichtverletzung erstreckt69. Dies ist in dieser Allgemeinheit unzutreffend. Der BGH hat in der Feuerwerkskörper-Entscheidung klargestellt, daß die Beweislastumkehr für das Verschulden erst dann relevant wird, wenn der Kläger den Nachweis des verkehrswidrigen oder mangelhaften Zustandes der Ware erbracht hat70• Dies steht auch nicht im Widerspruch zur späteren Rechtsprechung des BGH im ersten Derosal-Urteil. Hier stellte der BGH in Auseinandersetzung mit Larenz71 klar, daß der Geschädigte nicht den gesamten objektiven Tatbestand und damit auch das pflichtwidrige Verhalten des Herstellers beweisen müsse. Die Beweislastumkehr erfasse vielmehr auch den objektiven Pflichtenverstoß. Kulimann, der Berichterstatter und Abfasser der Derosal-Entscheidung war, bemerkt dazu klarstellend: "Bei Konstruktions- und Fabrikationsfehlern soll die Beweislasturnkehr auch die objektive Sorgfalt und damit bereits den objektiven Pflichtenverstoß erfassen. Sache des Herstellers ist es daher, in diesen Fällen den gesamten objektiven Geschehensablauf in seinen Einzelheiten aufzuklären. Dazu gehört auch die oft auftretende Zweifelsfrage, ob ein festgestellter Konstruktionsfehler nach dem Erkenntnisstand im Zeitpunkt der Ioverkehrgabe des Produktes nicht vorhersehbar war, es sich somit um einen sogenannten Entwicklungsfehler gehandelt hat"72. Bei einem Anspruch nach § 1 ProdHaftG muß der Verbraucher den Nachweis für die Fehlerhaftigkeit des Produktes erbringen - also wiederum, wenn auch unter ausgewechselter Terminologie, einen Verstoß gegen Verhaltensgebote beweisen. Der Kläger hat somit zur Darlegung eines Konstruktionsfehlers eine identische Beweislast unter § 1 ProdHaftG und unter § 823 I BGB. d) Differenzierung zwischen der Haftung nach § 1 ProdHaftG und der Haftung nach § 823 I BGB unter Berücksichtigung der Besonderheiten des europäischen Binnenmarktes
Es fragt sich, ob eine Unterscheidung zwischen der Haftung nach § 1 ProdHaftG und der Haftung nach § 823 I BGB mit Hinblick auf internationale Märkte möglich ist. Eine Differenzierbarkeit der Haftung nach § 823 I BGB und der Haftung nach § 1 ProdHaftG könnte dann gegeben sein, wenn§ 823 I BGB an deutsche Hersteller, die ihre Produkte in Länder innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ausführen möchten oder an ausländische Hersteller, die Produkte nach Deutschland einSo aber Pfeifer, S. 20. BGH Urteil vom 19. 6. 1973, VI ZR 178171, Schmidt-Salzer Entscheidungssammlung I. 76, S. 198. 71 Vgl. Larenz, Festschrift für Hauß, S. 225 ff. 72 Kultmann in: Produzentenhaftung, KZ 1526/S. 16. (Hervorhebung durch die Verfasserin). 69
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
führen möchten, andere Anforderungen stellt, als dies nach der Haftung nach der jeweiligen nationalen Gesetzgebung und Rechtsprechung zum Produkthaftungsrecht der Fall ist. Derart abweichende Anforderungen könnten dann bestehen, wenn das ProdHaftG zu einem einheitlichen Haftungsstandard innerhalb der Gemeinschaft geführt hätte - was ja auch das erklärte Ziel der Richtlinie und ihrer Transformation war73 - während die Verschuldenshaftung die unterschiedlichen Anforderungen, die die Verkehsanschauung der einzelnen Länder an das Verhalten des Herstellers stellt, bei Importen und Exporten berücksichtigen würde. Ob das Ziel der Vereinheitlichung durch die Einführung eines einheitlichen Produkthaftungsgesetzes erreicht worden ist, ist zweifelhaft. Es wird argumentiert, daß die Richtlinie durch ihren Teilverzicht auf bestimmte Regelungen (Frage der weiterfressenden Schäden) bzw. auf einheitliche Regelungen (Frage der Entwicklungsrisiken) und schließlich durch ihre offenen, einer Auslegung zugänglichen Formulierungen eine Vielzahl von denkbaren Sachverhaltsgestaltungen geschaffen habe, die einer einheitlichen Anwendung des ProdHaftG durch die Gerichte der Mitgliedsländer im Wege stiinden74 • Bezogen auf die Frage der Produktfehlerhaftigkeit bedeutet dies, daß die Auslegung von§§ 1, 3 ProdHaftG nach den Grundsätzen des Deliktsrechts des jeweiligen Landes erfolgt. Die unterschiedlichen Verkehrserwartungen können dazu führen, daß sich innerhalb der Europäischen Gemeinschaft ein unterschiedliches Haftungsniveau zwischen den einzelnen Mitgliedsländern ausbildet75 , was das folgende Beispiel verdeutlichen mag: Der griechische Hersteller eines Produktes, das auf dem heimischen Markt den Sicherheitserwartungen entspricht, läuft Gefahr, sich auf dem deutschen Markt haftbar zu machen, wenn die Erwartungen an die Sicherheit aufgrund des höheren Wohlstandes höher sind. Dieses Gefälle führt, wie Kirchner nachweist, zu einem Subventionsmechanismus zwischen reicheren und ärmeren Teilnehmern am Binnenmarkt76• Dieses Ergebnis beruht allerdings m.E. nicht auf der Einführung des ProdHaftG, sondern ist - jedenfalls bezogen auf das deutsche Recht - die Folge des tatsächlich bestehenden unterschiedlichen wirtschaftlichen und technologischen Entwicklungsstandes, der dazu führen kann, daß ein Produkt, daß den Erwartungen eines griechischen Verbrauchers genügen würde, nach den deutschen Verkehrserwartungen als fehlerhaft einzustufen wäre. Angesichts der weitreichenden und objektivierten Pflichten des Herstellers könnte dieser einer Haftung nach § 823 I BGB ebensowenig entgehen, da er die Pflicht hätte, das Produkt nach den Anforderungen der Vgl. dazu BT-Drucksache 11/2447, S. 8 f. Vgl. dazu ausführlich A. Cahn, Das neue Produkthaftungsgesetz- ein Fortschritt? ZIP 1990, s. 482 ff. 75 Vgl. dazu ausführlich C. Kirchner, Rechtsangleichung im Haftungsrecht als Instrument zur Realisierung des Europäischen Binnenmarktes? (Vortrag an der Universität Saarbrücken, 1990), zitiert nach dem Manuskript des Autors., S. 1 ff. des Manuskripts. 76 Vgl. dazu ausführlich Kirchner, S. 1 ff. des Manuskripts. 73
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II. Vereinigte Staaten
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Exportländer zu konstruieren und sich auch mit dem Hinweis auf ein subjektives Nicht-Wissen um diesen Maßstab nicht entlasten könnte. Die von Kirchner beobachteten adversen Effekte sind daher keine Folge der Entscheidung für eine Haftung nach § 1 ProdHaftG oder nach § 823 I BGB. Sie wären nur dann auszuschalten, wenn die Verkehrserwartungen bei Import- und Exportprodukten entsprechend anders ausgelegt würde oder wenn die wirtschaftlichen und technologischen Bedingungen der Teilnehmer am Binnenmarkt sich weiter aneinander angleichen.
4. Zwischenergebnis
Bei Verschuldens- und Gefährdungshaftung handelt es sich um Systeme, die trotz ihres unterschiedlichen Anknüpfungspunkts durch die Fortentwicklung des Rechts viele Überschneidungen haben. Je nach der Perspektive entdecken Kommentatoren Einbruchstellen der Gefährdungshaftung in die deliktische Haftung oder Elemente der Verschuldeoshaftung im System der Gefährdungshaftung. Aufgrund der starken Verobjektivierung der Pflichten des Herstellers im Konstruktionsbereich wird man die Haftung wohl am zutreffendsten als verschuldeosunabhängig bezeichnen. Das wichtigste Ergebnis dieses Vergleiches ist, daß die Tatbestandsmerkmale von Verkehrspflicht und abstrakter spezifischer Gefahr verhaltensbezogene Elemente in den Haftungstatbestand einführen, die bewirken, daß die Haftung nach § 1 ProdHaftG und § 823 I BGB nur durch die Art und Weise, wie der Fehlerbegriff inhaltlich ausgefüllt wird, voneinander unterschieden werden können. Andere Faktoren - wie die Haftung für Entwicklungsrisiken, die Beweislastverteilung, die Frage der subjektiven Fähigkeiten des Konstrukteurs oder die Besonderheiten des Europäischen Binnenmarktes - sind zur Abgrenzung nicht geeignet. Die Auslegung von Verkehrspflichten und Produktfehler wird damit zum maßgeblichen Anknüpfungspunkt für das "Ob" der Haftung. Die Bedeutung des Fehlerbegriffs darf daher nicht unterschätzt werden. Vielmehr ist sorgfaltig zu prüfen, welches Modell die besten Anreize für ein effizientes Risikomanagement gibt und welcher Fehlerbegriff eine praktikable Entscheidungsregel im Rahmen eines Produkthaftungsprozesses darstellt. Diese Fragen werden in Teil B und C der Arbeit untersucht.
II. Vereinigte Staaten Auch das amerikanische Fallrecht beantwortet die Frage nach dem anzuwendenden Haftungsmaßstabes nicht einheitlich. Während sich in einigen Entscheidungen die Aussage findet, bei der Haftung für Konstruktionsfehler handele es sich um eine klassische Fahrlässigkeitshaftung77, gehen andere Urteile von einer strict lia77 Siehe z. B. Foley v. Clark Equip. Co. 361 Pa. Super. 599, 619, 523 A. 2d 379, 387 (1987).
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3. Kap.: Verschuldeoshaftung und verschuldeosunabhängige Haftung
bility aus78. Der Tentative Draft No 2 des Restatement (Third) umschreibt den Haftungsmaßstab mit einer betont zurückhaltenden Formulierung: "Subsections (b) and (c) of § 2 rely on a reasonableness test traditionally used in deterrnining whether an actor has been negligent. See Restatement (Second) of Torts §§ 291-293. Nevertheless, many courts insist on speaking of liability based on the standards described in §§ 2 (b) and 2(c) as being "strict"79 • Die Frage, nach welchem Institut der Hersteller haften soll, wird demnach offen gelassen und als ,,rhetorical preference" bezeichnet80 • Eine Untersuchung der inhaltlichen Konkretisierung von negligence und strict liability im Konstruktionsbereich zeigt , daß beide Haftungsmaßstäbe in Hinblick auf die Anforderungen, die der Hersteller erfüllen muß, einander stark angenähert sind. Es bestehen zwischen diesen Instituten und der Fahrlässigkeits- bzw. Gefährdungshaftung des deutschen Rechts inhaltlich starke Übereinstimmungen. Im folgenden sollen zunächst allgemeine Strukturen von negligence und strict liability aufgezeigt werden und im Anschluß die Modelle zur Abgrenzung der beiden Institute untersucht werden. 1. Das Delikt der negligence
a) Die haftungsbegründenden Elemente der negligence
Die negligence kann nicht uneingeschränkt mit der Fahrlässigkeit des deutschen Rechts gleichgesetzt werden, da sie einen einheitlichen Deliktstatbestand und keine Schuldform darstellt. In der Rechtsprechung haben sich die folgenden vier Voraussetzungen für eine Haftung aufgrund von negligence herausgebildet81 : 78 Z. B. Henderson v. Ford Motor Co., 519 S. W. 2d 87 (Tex. 1974); Seattle First National Bank v. Tabert, 542 P. 2d 774 (Wash, 1975); Arbet v. Gussarson, 225 N. W. 2d 431 (Wiss. 1975). Siehe auch Frumer/ Friedman ll § 16 [4] [f] [iv]-n. 1. 79 Siehe cornrnent a zu§ 1 tentative draft No 2, Restatement (Third) ofTorts, S. 3. 80 Siehe cornrnent a zu§ 1 tentative draft No 2, Restatement (Third) ofTorts, S. 3. 81 Vgl. Prosser & Keeton, Chapter 5, § 30 (S. 164 f.) mit Verweis auf Knight v. United States, E.D. Mich. 1980, 498 F. Supp. 315; Anderson v. Green Bay & Western Railroad, 99 Wisc. 2d 514, 299N.W. 2d 614(1980); ABC Builders, lnc. v. Phillips, Wyo. , 632 P. 2d. 925 (1981); Lawyers Surety Corp. v. Snell, 617 S. W. 2d 750(Tex. Civ. App. 1981); Quillen v. Quillen, 388 So. 2d 985 (Aia. 1980); Beauebene v. Synanon Foundation, Inc., 88 Cal. App. 3d 342, 151 Cal. Rptr. 796 (1979); Strother v. Hutchinson, 67 Ohio St. 2d 282,423 N.E. 2d. 467 (1981). Vgl. auch die Definition in§ 281 Restatement (Second) ofTorts: § 281 . Statement of the Elements of a Cause of Action for Negligence: The actor is liable for an invasion of an interest of another, if (a) the interest invaded is protected against unintentional invasion, and (b) the conduct of the actor is negligent with respect to the other, or a class of persons within which he is included, and
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Duty or obligation requiring the person to conform to a certain standard of conduct for protection of others against unreasonable risks: Eine rechtlich anerkannte Pflicht, die es einer Person aufgibt, einem bestimmten Verhaltensstandard zu entsprechen, der andere vor unangemessenen Risiken bewahren soll. Breach of the duty: Die Nichteinhaltung des Verhaltensstandards durch den Schädiger: eine Verletzung der Pflicht, Proximate cause: ein hinreichend enger Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten des Schädigers und der Rechtsgutsverletzung, Actual loss or darnage resulting to the interests of another: Schaden an den (rechtlich geschützten) Gütern des Verletzten. Im folgenden sollen die Elemente untersucht werden, die sich mit den Anforderungen an die Sorgfalt des Schädigers beschäftigen und damit eine inhaltliche Nähe zur Fahrlässigkeit des deutschen Rechts aufweisen. Die maßgeblichen Verhaltensanforderungen werden durch das Tatbestandsmerkmal der duty konkretisiert. Die duty ihrerseits ist vor dem Hintergrund des standard of conduct sowie der Frage des unreasonable risk zu sehen82. b) Rechtlich anerkannte Pflicht, einen anderen vor unangemessenen Risiken zu bewahren
Die duty bestimmt die Reichweite der Haftung aufgrund von negligence. Seitdem das Institut der duty im 19. Jahrhundert Eingang in das englische- und darüber auch in das amerikanische - Deliktsrecht gefunden hat, hat es einen Wandel durchlaufen. Diente es zunächst dazu, die Haftung einzuengen83 , führten verän(c) the actor's conduct isalegal cause of the invasion, and (d) the other has not so conducted hirnself as to disable hirnself from bringing an action for such an invasion. 82 Vgl. dazu auch § 284 Restatement (Second) of Torts: Negligent Conduct, Act or Failure to Act Negligent conduct may be either: (a) an act which the actor as a reasonable man should recognize as involving an unreasonable risk of causing an invasion of the interest of another, or (b) a failure to do an act which is necessary for the protection or assistance of another and which the actor is under a duty to do. § 289 Restatement (Second) of Torts: Recognizing Existence of Risk The actor is required to recognize that his conduct involves a risk of causing an invasion of another's interest if a reasonable man would do so while exercising (a) such attention, perception of the circumstances, memory, knowledge of other pertinent matters, intelligence, and judgement as the reasonable man would have; and (b) such superior attention, perception, memory, knowledge, intelligence, and judgement as the actor hirnself has. 83 Das englische Deliktsrecht des Mittelalters ist von dem Grundsatz "a man acts at his own peril" (Keßler; FahrlässigkeitS. 24; Holmes, 86.) geprägt. Es galten daher absolute An-
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3. Kap.: Verschuldeoshaftung und verschuldeosunabhängige Haftung
derte soziale Bedingungen dazu, daß eine Vielzahl neuer Pflichten anerkannt, Haftungsbeschränkungen wie die rufe ofprivity of contract84 aufgegeben und die Haftung daher ausgeweitet wurde85 . Schon zu Beginn dieses Jahrhunderts stellt Pollock daher fest: "The situations in which we are not under such duty appear at this day not normal, but as exceptional" 86. Angesichts eines so weiten Anwendungsbereichs ist eine allgemeine Umschreibung der duty problematisch87 • Es herrscht nur soweit Einigkeit, daß die Rechtsprechung dann eine Pflicht postuliert, wenn eine vernünftige Person eine solche erkennen und anerkennen würde88 . Es verbleibt damit ein breiter Spielraum, die Pflicht im Einzelfall zu konkretisieren, wobei Faktoren wie die Fähigkeit der Parteien, den Schaden zu tragen, das Ziel, zukünftige Schäden zu verhüten, der "moralischen Vorwurf' 89 gegenüber dem Schädiger u.ä. zu berücksichtigen sind90.
forderungen an das menschliche Verhalten, die bei der adäquat-kausalen Verursachung eines Schadens eine Haftung ohne Berücksichtigung einer Rechtspflicht oder eines Verschuldeos auf Seiten des Schädigers auslösten (Prosser & Keeton, Chapter 9, § 53 (S. 356 f.). Ein gewisses Korrektiv für die Erfolgshaftung bieten die Einwendungen, die der Beklagte zu seiner Verteidigung anführen konnte, siehe dazu ausführlich Keßler, FahrlässigkeitS. 25 f.). Erst im Laufe des 19. Jahrhunderts gewinnt das Konzept, daß Haftung durch die Verletzung einer Rechtspflicht, aber auch nur durch sie, ausgelöst wird, Eingang in die Rechtsprechung (vgl. dazu die Entscheidungen Vaughan v. Menlove, 1837, 3 Bing. N. C. 468, 132 Eng. Rep. 490; Langridge v. Levy, 1836,2 M. & W. 337, 150 Eng. Rep. 863, affmned 1838,4 M. & W. 337, 150 Eng. Rep. 1458; Winterbottom v. Wright, 1842, 10M. & W, 109, 152 Eng. Rep. 402.). 84 Zur privity-rule siehe Prosser & Keeton, Chapter 17, § 96, (S. 356 f.). 85 Prosser & Keeton, Chapter 9, § 53 (S. 359). 86 KeßlerS. 28 mit Verweis auf F. Pollock, The Law of Torts, 1904, S. 453. 87 Der erste Versuch der Rechtsprechung, den Pflichtenbegriff inhaltlich zu konkretisieren, geht auf die Entscheidung Heaven v. Pender (1883, 11 Q.B.D. 503, 509) zurück:" Whenever one person is by circumstances placed in such a position with regard to another that every one of ordinary sense who did think would recognize that if he did not use ordinary care and skill in his own conduct with regard to those circumstances he would cause danger of injury to the person or the property of the other, a duty arises to use ordinary care and skill to avoid such danger." Diese Definition wurde bereits in der Entscheidung Le Lievre v. Gould ([1893] l q.B. 491) verworfen, da sie zu breit sei. Auch die Versuche in der Folgezeit, eine Definition zu entwickeln, haben keine breite Akzeptanz gefunden, vgl. dazu Prosser & Keeton, Chapter 9, §53 (S. 358 f.). Prossec und Keeton definieren die Pflicht als "an obligation, to which the law will give recognition and effect to conform to a particular standard of conduct toward another". Damit ist allerdings nur die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit angesprochen, wie der Verhaltensstandard inhaltlich ausgefüllt werden soll, ist dieser Formel nicht zu entnehmen (vgl. S. 357). 88 Prosser & Keeton, Chapter 9, § 53 (S. 359). 89 M.E. spielt die Frage der moralischen Vorwerfbarkeit im amerikanischen Recht eine nur untergeordnete Rolle, wie sich insbesondere aus dem streng objektivierten Verhaltensstandard ergibt. 90 Prosser & Keeton, Chapter 9, § 53 (S. 359).
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Der weite Anwendungsbereich der duty wird in einer Hinsicht begrenzt. Sie wird als relative und nicht als absolute Rechtspflicht verstanden, d. h. der Geschädigte muß nicht nur den Verstoß gegen eine Pflicht per se beweisen, sondern auch nachweisen, daß die Pflicht gerade ihm gegenüber aufgrund seiner besonderen Be-ziehung zum Schädiger bestand91 • Im Vergleich zum deutschen Recht findet die duty eine Parallele in der Verkehrspflicht. Beide Institute dienen der Bestimmung der Verhaltensgebote, die erste Voraussetzung für eine Haftung sind. Eine systematische Einordnung der duty unter das Merkmal der Tatbestandsmäßigkeit bzw. der Rechtswidrigkeit, wie dies im deutschen Recht möglich ist, verbietet sich allerdings aufgrund der Ausgestaltung der negligence als einheitlichen Deliktstatbestand, dem ein dreistufiges Prüfungsschema fremd ist. c) Standard of conduct for protection of others against unreasonable risks
Der Inhalt der Rechtspflicht wird durch zwei Elemente vorgegeben, nämlich durch einen idealtypischen, fiktiven Verhaltensstandard (standard of conduct of a reasonable person) und durch das Merkmal des unvertretbaren Risikos (unreasonable risks). Beide Merkmale sind nicht isoliert zu sehen, sondern beziehen sich aufeinander. Prosser und Keeton definieren die Rechtspflicht folglich folgendermaßen: "to conform to the legal standard of reasonable conduct in the light of the apparent risk"92• Die folgenden Ausführungen zum reasonable man standardund zum unreasonable risk stehen daher nicht nebeneinander, sondern bedingen einander. aa) Verhaltensgebote: Der reasonable man standard Der standard of conduct wird durch eine Fiktion umschrieben, nämlich mit der Formel des ,,reasonable man of ordinary prudence"93 bzw. des ,,reasonable man under the like circumstances"94 • Eine Differenzierung nach den Geboten eines 91 Die Leitentscheidung ist in den Vereinigten Staaten Palsgraf v. Long Island Railroads, 16 N.E. 99 (1928). Eine ausführliche Besprechung der Entscheidung und des Konzepts der Relativität der Sorgfaltspflicht findet sich bei Keßler; Fahrlässigkeit, S. 78 ff. Keßler weist auch darauf hin, daß im deutschen Recht die Haftung des Schädigers in den Fällen, in denen der Geschädigte nach der amerikanischen Dogmatik nicht in den Kreis der von der Sorgfaltspflicht geschützten Personen einbezogen wäre, über die mangelnde Vorhersehbarkeit des Schadenseintritts abgelehnt würde. 92 Prosser & Keeton, Chapter 9, § 53 (S. 356). 93 Vgl. dazu die Leitentscheidung Vaughan v. Menlove, 3 Bing. N.C. 468, 132 Eng. Rep. 490 (1837). 94 Vgl. dazu § 283 Restatement of Torts (Second):" Unless the actor is a child, the Standard of conduct to which he must conform to avoid being negligent is that of a reasonable man under like circumstances."
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3. Kap.: Verschuldeoshaftung und verschuldeosunabhängige Haftung
äußeren und inneren Verhaltensstandards findet nicht statt. Es stellt sich dennoch die Frage, ob der standard of conduct in erster Linie durch ein nach außen in Erscheinung tretendes Verhalten bestimmt wird oder ob die innere Einstellung des Schädigers entscheidend sein soll. Nur nach einer Minderansicht, der sogenannten mental theory 95 , sollte die innere Einstellung des Schädigers maßgeblich sein: "He (d. h. der Schädiger, Anmerkung der Verfasserin) ist guilty of negligence ( .... ) when he does not desire the consequences and does not act to produce them but is nevertheless indifferent or careless whether they happen or not, and therefore does not refrain from the act notwithstanding the risk that they may"96 . Die mental theory wurde schon früh mit dem Hinweis darauf, daß sich negligence in einem Verhalten und nicht in einem Geisteszustand ausdrückt, zurückgedrängt97 . Heute herrschend ist die conduct theory, die das Wesen der negligence in einem Verhalten sieht, das unvertretbare Risiken für andere mit sich bringt98 .
Der Verhaltensstandard ist ein objektiver, er richtet sich danach, welche Anforderungen die Gesellschaft unter dem Gesichtspunkt der Gefahrdung an ihre Mitglieder stellt, und nicht nach der individuellen Vorstellung des Schädigers von Recht und Unrecht99, es handelt sich daher nicht um ein moralisches Unwerturteil100. Der standard of conduct nimmt nur insoweit Rücksicht auf individuelle Kenntnisse und Fähigkeiten, als er sich an dem betroffenen Verkehrskreis orientiert101. Dabei kommt den tatsächlich gebräuchlichen Verhaltensweisen eine Indizwirkung zu 102. Die Tatsache, daß das Verhalten des Schädigers sich im Rahmen des Üblichen innerhalb seines Verkehrskreises bewegt, reicht aber zu seiner Entlastung nicht aus. Es gilt der Grundsatz, daß nicht die tatsächlichen, sondern die erforderlichen Sorgfaltsanforderungen innerhalb des betroffenen Verkehrskreises relevant sind. Es steht dem Gericht daher frei, die üblichen Maßnahmen eines ganzen Verkehrskreises zur Schadensverhinderung für unzureichend zu erachten 103.
95
Zu den Begriffen mental Theorie und conduct Theorie siehe Keßler, Fahrlässigkeit
s. 139.
Keßler, FahrlässigkeitS. 139. Bereits im Jahre 1915 weist Terry darauf hin: "Negligence is a conduct, not a state of mind", H. Terry, Negligence, 29 Harvard Law Review, S. 40 ff., 1915. 98 Prosser & Keeton, Chapter 5, § 31 (S. 169); A Restatement of Torts (Second)., § 283, comment f. 99 Vgl. Mc Neely v. M. & M. Supermarkets, Inc., 154 Ga. App. 675, 269 S.E. 2d 483 (1980); Stewart v. Jefferson Plywood Co., 255 Or. 603, 469 P. 2d 783 (1970). Zur Begründung des objektiven Standards vgl. insbesondere die Ausführungen von Holmes S. 108, sowie aus ökonomischer Perspektive Schwartz, 78 Geo. L. J. 1989, 241 ff. (1989). wo Vgl. Prosser & Keeton, Chapter 5, § 31 passim. 101 Vgl. Prosser & Keeton, Chapter 5, § 33 (S. 193), die von einem "community standard" sprechen. 102 Vgl. Cobum v. Lenox Hornes, lnc. 186 Conn. 370, 441 A. 2d 620 (1982); Besette v. Enderlin School Distriel 310 N. W. 2d 759 (1981); Ploetz v. Big Discount Panel Center, Inc. 402 So. 2d 64(1981). 96 97
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Ein Schädiger, der über ein überdurchschnittliches Wissen und Fähigkeiten verfügt, haftet nach einem entsprechend strengerem Maßstab 104. Für die Angehörigen jedes Berufes und insbesondere für Fachleute, die über besondere Fähigkeiten verfügen müssen, heißt dies, daß sie nicht nur allgemeine Sorgfalt bezüglich ihrer Tätigkeit ausüben, sondern ein Minimum an besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten ihres Faches besitzen müssen 105. Weitere Zugeständnisse, die über die im Verkehrskreis üblichen Beschränkungen hinausgehen, gibt es nicht. Der Schädiger kann sich insbesondere nicht darauf berufen, daß er mit den Gepflogenheiten des Verkehrskreises nicht vertraut gewesen und diese für ihn auch nicht erkennbar gewesen seien. Das Individuum muß sich dem Standard der Gemeinschaft anpassen und nicht die Gemeinschaft dem Standard des Individuums 106 . Der standard of conduct deckt sich damit in weiten Zügen mit den Anforderungen an die äußere Fahrlässigkeit im deutschen Recht. Beide Rechtssysteme stellen einen objektiv-typisierten Gruppenstandard auf. Beide Systeme erkennen bestimmte Schranken der menschlichen Fähigkeiten an, indem sie den betroffenen Verkehrskreis entsprechend eng definieren. Beide Rechtssysteme legen dem Schädiger dann aber die Pflicht auf, sich seinen Fähigkeiten entsprechend zu verhalten; im deutschen Recht wird dies mit dem Schlagwort des Übernahmeverschuldens umschrieben. Die Anforderungen an geistigen und moralischen Fähigkeiten des Schädigers sind im amerikanischen Rechts strenger als im deutschen. Die Figur der inneren Sorgfalt findet keine Entsprechung, dies wird insbesondere dann relevant, wenn der Schädiger keine Möglichkeit hatte, die spezifischen Anforderungen eines bestimmten Verkehrskreises zu erkennen. bb) Das Erfordernis des unvertretbaren Risikos Die objektiven Fähigkeiten und Kenntnisse des Angehörigen eines bestimmten Verkehrskreises sind nur ein Aspekt bei der Bestimmung der Pflicht. Der zweite Aspekt, der vielfach als die Kernfrage der deliktischen Haftung nach negligence 103 Vgl dazu nur die Leitentscheidung The T. J. Hooper, 2d Cir. 60 F. 2d 737, cert. denied, 287 u.s. 662 (1932). 104 Vgl. Restatement ofTorts (Second), § 289, comment m. 105 Vgl. Prosser & Keeton, Chapter 5, § 32 (S. 185). 106 Vgl. Linneham v. Sampson, 126 Mass. 506 (1979); Haack v. Rodenbour, 234 lowa 368, 12 N.W. 2nd 861 (1944); Tolin v. Terrell, 133 Ky. 210, 117 S.W. 290 (1909); Borden v. Falk Co., 97 Mo. App. 566 , 71 S. W. 478 (1903); Michigan City v. Rudolph, 104 lnd. App. 643, 12 N. E. 2d 970 (1938); Weirs v. Jones County, 86 lowa 625, 53 N.W. 321 (1892); cf. Mershon v. Gino's Inc., 261Md. 350, 276 A. 2d 191 (1972); a.A. Britz v. LeBase, 258 So. 2d 811 (Fla. 1971). Hier besteht ein Unterschied zwischen der amerikanischen Dogmatik und dem deutschen Recht, in dem derartige Verstöße gegen die äußere Sorgfalt bei gleichzeitiger Einhaltung der inneren Sorgfalt entschuldigt werden.
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3. Kap.: Verschuldeoshaftung und verschuldeosunabhängige Haftung
angesehen wird, ist die Bestimmung des unreasonable risk. Diese Voraussetzung dient dazu, vertretbare von unvertretbaren Risiken zu scheiden. Ziel ist nicht die Schadensvermeidung um jeden Preis, so daß dem Schädiger weniger ein gefahrvermeidendes als ein gefahrsteuerndes Verhalten abverlangt wird. Als wichtigster Standard für die Entscheidung über die unreasonable danger gilt der von Judge Leamed Hand in der Entscheidung United States v. Carrol Towing Co. I07 entwikkelte Test. Nach Leamed Hand sind bei der Entscheidung über die Unverhältnismäßigkeit des Risikos folgende Faktoren zu berücksichtigen 108 : (1) the probability that injury would result from the actor's conducti 09; (2) the gravity of the harm that could be expected to result should injury occur; andllo (3) the burden of adequate precautions to avoid or rninirnize the injury I 11 • Hand versuchte, diese drei Faktoren in ein Gleichgewicht zu bringen, indem er sie in einer mathematischen Formel zusarnmenfaßte. Eine unvertretbare Gefahr läge demnach unter den folgenden Voraussetzungen vor: "lf the probability be called P; the injury L (loss); and the burden B (i.e., the burden of precautions to avoid the risk of loss); liability depends upon whether B is less than L multiplied by P: i.e. whether B < PL 112".
In der gefestigten Rechtsprechung der meisten Staaten hat die Leamed Hand Formel ihren festen Platz, jedoch wird die Abwägung der betroffenen Interessen noch erweitert, indem nicht nur die Schadensverrneidungskosten, sondern auch die Nutzen der schädigenden Aktivität mitberücksichtigt werden 113 • 159 F. 2d 169 (2nd Cir. 1947). Vgl. 159 F. 2d 169, 173 (2nd Cir. 1947). I09 Die Wahrscheinlichkeit, daß eine Verletzung von Rechtsgütern die Folge des Verhaltens des Schädigers sein wird. I 10 Das Ausmaß des Schadens, der bei einer Rechtsgüterverletzung zu erwarten ist. 11I Der Aufwand für angemessene Maßnahmen zur Vermeidung oder Minimierung der Rechtsgutsverletzung. 112 Nennt man die Wahrscheinlichkeit P, den Schaden L und die Maßnahmen zur Schadensvermeidung B, dann hängt die Frage der Haftung davon ab, ob B kleiner ist als L multipliziert mit P, d. h. B < PL, vgl. 159 F. 2d 169, 173 (2nd Cir. 1947). 1I3 Vgl. dazu§§ 291-293 Restatement (Second) ofTorts: 107
I08
§ 291. Unreasonableness; How Deterrnined; Magnitude of Risk and Utility of Conduct Where an act is one which a reasonable man would recognize as involving a risk of harm to another, the risk is unreasonable and the act is negligent if the risk is of such magnitude as to outweigh what the law regards as the utility of the act or of the particular manner in which it is done. § 292. Factors considered in Deterrnining the Utility of Actor's Conduct In deterrnining what the law regards as the utility of the actor's conduct for the purpose of deterrnining whether the actor is negligent, the following factors are important:
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2. Strict liability
a) Allgemeine Konzepte der strict liability
Die strict liability vereinigt unter einem Schlagwort mehrere Institute, die nicht durch eine einheitliche Haftungsgrundlage - wie das Prinzip der Gefahrbeherrschung- miteinander verbunden sind 114• Entsprechend schwierig gestaltet sich der Versuch einer umfassenden Definition. Schlagwortartige Zusammenfassungen beschränken sich auf Negativdefinitionen. Demnach bedeutet strict liability "liability without fault", also eine Haftung, die sich weder unter intentional tortious behavior noch unter negligence subsumieren läßt, bei der eine Schadensverlagerung auf den Schädiger aber dennoch angemessen erscheint 115 • Eine Systematisierung der strict liablity erscheint angesichts der reichen Kasuistik 116 problematisch, so daß die Ableitung eines allgemeinen Prinzips, das Über die Zielsetzung einer gerechten und wirtschaftlich effizienten Haftungszuweisung hinausgeht, nur eingeschränkt möglich ist. (a) the social value which the law attaches to the interest which isttobe advanced or protected by the conduct; (b) the extent of the chance that this interest will be advanced or protected by the particular cours of conduct; (c) the extent of the chance that such interest can be adequately advanced or protected by another and less dangerous course of conduct. § 293. Factors Considered in Deterrnining Magnitude of Risk In deterrnining the magnitude of the risk for the purpose of deterrnining whether the actor is negligent, the following factors are important: (a) the social value which the law attaches to the interests which are imperiled; (b) the extent to the chance that the actor's conduct will cause an invasion of any interest of the other or of one of a class of which the other is a member; (c) the extent of the harm likely to be caused to the interest imperiled; (d) the number of the persons whose interests are likely tobe invaded if the risk takes the effect of harm. 114 Beispiele für eine teils durch die Rechtsprechung, teils durch Gesetze normierte strict liability in klar definierten Einzelfällen sind die allgemeine, nur durch wenige Ausnahmen durchbrochene verschuldensunabhängige Tierhalterhaftung (Restatement of Torts (Second), §§ 506-518), die Gesetzgebung für die Entschädigung bei Arbeitsunfällen und -Unfähigkeit (workers' compensation - dazu siehe ausführlich Prosser & Keeton, Chapter 13, § 80 (S. 572 ff.) und die Doktrin des respondeat superior (Haftung des Arbeitgebers für Unfälle, die durch den Arbeitnehmer verursacht werden - vgl. dazu Travers§ 16:2 (S. 12). An diesen Beispielen zeigt sich, daß der Gesichtspunkt der Gefahrbeherrschung nicht in jedem Fall das tragende Motiv für die Haftungszuweisung ist. Dies gilt insbesondere für die Institute der workers' compensation und des respondeat superior, bei denen Erwägungen wie die erhöhte Schutzbedürftigkeit des Arbeiters u.ä. eine maßgebliche Rolle spielen, nicht aber überlegenen Möglichkeiten des Arbeitgebers, den Schadenseintritt zu vermeiden. 115 Vgl. Prosser & Keeton, Chapter 13, § 75 (S. 534, 536 ff.); Henderson/Pearson/Siliciano, Chapter 6, (S. 535). 116 Vgl. dazu insbesondere Restatement ofTorts (Second), §§ 504-524 A.
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
Unter Berücksichtigung dieser Einschränkungen kann dennoch die Haftung für ultrahazardous bzw. abnormally dangeraus acitvities als Institut identifiziert werden, das einer "Generalklausel" der strict liability nahe kommt, da es aufgrund seiner offenen Formulierung einer Ausdehnung auf eine Vielzahl von Fällen zugänglich ist. Grund für die Schadensverlagerung ist in diesen Fällen der Befund, daß die Aktivität des Schädigers ungewöhnlich und anormal für den Verkehrskreis, innerhalb dessen er tätig wird, sowie mit übermäßigen Gefahren für andere verbunden ist. Dazu kommt, daß die Gefahr regelmäßig auch bei optimalen Maßnahmen zur Schadensvermeidung nicht in vollem Umfang kontrolliert werden kannm. Ausgangspunkt für ein derartiges Haftungskonzept ist die englische Entscheidung Rylands v. Fletcher 118 , die nach anfänglicher Zurückhaltung auch durch die Rechtsprechung der Mehrheit der amerikanischen Staaten akzeptiert 119 und in den §§ 519 ff. in das Restatement (Second) of Torts 120 aufgenommen wurde. b) Haftung des Herstellers nach den Grundsätzen der strict liability
Die strict liability des Herstellers nimmt in den angesprochenen Instituten der strict liability eine Sonderrolle ein. Nach Inhalt und Zielsetzungen besteht zwischen der verschuldensurrabhängigen Haftung des Herstellers und dem Institut der Prosser & Keeton, Chapter 13, § 75 (S. 536). 3 H. & C. 774, 159 Eng. Rptr. 737 (1865), rev'd in fleteher v. Rylands, L.R. 1 Ex 265 (1866), aff'd in Rylands v. Aetcher, L.R. 3 H. L. 330 (1868). 119 Vgl dazu ausführlich Prosser & Keeton, Chapter 13, § 78 (S. 548 ff.) sowie über die Fassung im ersten Restatement und die Abänderung im zweiten Restatement S. 555 ff. 12o §§ 519 f. Restatement ofTorts (Second): 117
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§ 519. General Principle (1) One who carries on an abnormal1y dangerous activity is subject to liability for harm to the person, land or chattels of another resulting from the activity, although he has exercised the utrnost care to prevent the harm. (2) This strict liability is limited to the kind of harm, the possibility of which makes the activity abnormally dangerous. § 520. Abnormally Dangemus Activites In determining whether an activity is abnormally dangerous, the following factors are to be considered: (a) existence of a high degree of some harm to person, land or chattels of others; (b) likelihood that the harm that results will be great: (c) inability to eliminate the risk by the exercise of reasonable care; (d) extent to which the activity is not a matter of common usage; (e) inappropriateness of the activity to the place where it is carried on; and (f) extent to which the value to the community is outweighed by its dangerous attributes.
II. Vereinigte Staaten
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Haftung für abnormally dangerous activities eine starke Übereinstimmung 121 • Beide Institute gehen davon aus, daß derSchädigereine Gefahrenquelle für seine Umwelt schafft, die nicht in vollem Umfang kontrolliert werden kann und daher zwangsläufig zur Verletzung von Rechtsgütern Dritter führen wird. Systematisch wird die Haftung des Herstellers jedoch nicht als Unterfall der Haftung für abnormally dangerous activities 122 behandelt. Dies hängt zum einen mit der Entwicklung der Herstellerhaftung aus dem Vertragsrecht zusammen, in dem der Verzicht auf den Nachweis eines Verschuldeos mit dem Garantiemoment der vertraglichen Verpflichtung begründet und dieses schließlich als Rechtspflicht behandelt wurde. Zum anderen wird man die Herstellung und den Vertrieb von Produkten in einer Industriegesellschaft schwerlich als unübliche Tätigkeit bezeichnen können. Nachdem aber auch die Produkthaftung nicht als reine Kausalhaftung ausgestaltet sein soll, kann auch sie auf eine haftungsbegrenzende Voraussetzung nicht verzichten. Hier besteht der entscheidende Unterschied zur Haftung für abnormally dangerous activities. Steht einmal fest, daß das Verhalten des Schädigers abnormally dangerous einzustufen ist, wird die Haftung - mit den oben aufgezeigten Einschränkungen - unabhängig vom Verhalten des Schädigers auferlegt. Demgegenüber knüpft die Herstellerhaftung nicht allein an den mit der Herstellung von Produkten zwangsläufig verbundenen Gefahren an, sondern setzt als Korrektiv gegen eine "absolute" Haftung den Nachweis des Produktfehlers voraus 123 • 3. Abgrenzung von negligence und strict liability
Die Gegenüberstelllung zwischen negligence und strict liability im Konstruktionsbereich zeigt eine weitgehende Übereinstimmung der beiden Institute. Diese Annäherung ist in Rechtsprechung und Literatur auch anerkannt, die Differenzierung aber nicht aufgegeben. Im folgenden sollen die Faktoren untersucht werden, die zur Unterscheidung von strict liability und negligence angeführt werden. Comment a zu § 1 tenative draft No 2, Restatement of Torts (Third) führt drei Faktoren zur Abgrenzung an, nämlich die Haftung für die Fehlerhaftigkeit des fertigen Produktes im Gegensatz zur Haftung für einen Verstoß gegen Verhaltensgebote, die Beschränkung bestimmter Einwendungen unter strict liability und die Frage der Beweislastverteilung. Nach comment a haben diese Faktoren nur eine eingeschränkte Bedeutung, wie mit der Bezeichnung als "rhetorical preference" zwischen strict liability und negligence klargestellt wird. Neben den in comment a genannten Faktoren wird nur die Frage der Haftung für Entwicklungsrisiken und damit verbundene Beweisfragen diskutiert. Travers § 16:2 (S. 12). Gleichwohl gibt es Entscheidungen, die diese Parallele ziehen, vgl. Phillips v. Kimwood Mach. Comp., 525 P.2d 1033, 1039 ff. 123 Siehe E. Wertheimer, Unknowable Dangers and the Death of Strict Products Liability: The Empire Strikes Back; 60 Cincinnati Law Review, 1992. S. 1189 mit vielen Nachweisen aus der Rechtsprechung. 121
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
a) Die Konzentration auf die Produktbeschaffenheit anstatt auf das Verhalten des Herstellers
Einige Entscheidungen, die sich mit Konstruktionsfehlern beschäftigen, sehen den maßgeblichen Unterschied zwischen negligence und strict liability darin, daß erstere an das Verhalten des Produzenten anknüpfe, während letztere isoliert auf den Zustand des Produktes abstelle. Die Haftungserleichterung zugunsten des Konsumenten bestehe darin, daß der Produzent schon dann hafte, wenn sich das Produkt als fehlerhaft erweise, selbst wenn sich der Produzent sorgfältig verhalten habe124. Diese im Vergleich zur reinen Fahrlässigkeitshaftung verschärfte Haftung führe dazu, daß auch kleinere Unternehmen nicht mit dem Hinweis auf die Unkenntnis über bestimmte Produktrisiken oder auf ihnen unzumutbare Anforderungen an die Produktsicherheit der Haftung entgehen könnten 125. Dies stellt tatsächlich eine rhetorische Abgrenzung dar. Sie vernachlässigt, daß das Verhalten des Herstellers bei der Konstruktionsentscheidung die Produktbeschaffenheit bedingt. Sie wird auch der Ausgestaltung der negligence als stark objektivierte Haftung nicht gerecht. b) Beschränkungen der Einwendungen des "comparative I contributory fault" und der "assumption of risk"
Der unterschiedliche Haftungsmaßstab von negligence und strict liability wird teilweise darin gesehen, daß dem Hersteller unter einer Haftung nach strict liability bestimmte Einreden 126 abgeschnitten sind 127. Unter negligence kann sich der Schädiger auf ein Mitverschulden des Geschädigten mit der Folge berufen, daß er sich ganz oder teilweise entlasten kann. Anspruchsvernichtend wirken die Einreden der assumption of risk und der contributory negligence, die durch das Wissensmoment einerseits und das Verhaltensmoment andererseits 128 voneinander abgegrenzt werden: "Assumption of risk is a matter of knowledge of the danger and intelligent acquiescence in it, while contributory negligence is a matter of some fault or departure of the conduct of 124 Roach v. Kononen, 269 Or. 457,465, 525 P 2d 125, 129 (1974); Lubbock Mfg. Co. v. Sames, 575 SW 2d 588, 592 (Tex. Cir. App. 1978), af'd, 598 SW 2d 234, 237 (Tex. 1980); Cf. Caterpillar Tractor Co. v. Beck, 624 P 2d 790, 792-793 (Alaska 1981); Barker v. Lull Engineering Co., Inc., 20 Ca!. 3d 413, 418, 143 Cal. Rptr. 225, 573 P. 2d 443 (1978; Phillips v. Kimwood Machine Co., 269 Or. 485, 525 P 2d 1033 (1974); Syrie v. Knoll Intern., 748 F. 2d 304, 307 (C.A. 5 1984). 125 Siehe comment a zu§ 1 tentative draft No 2, Restaterneut (Tirird) ofTorts, S. 3. 126 M.E. entspricht die "defense" des amerikanischen Rechts dem deutschen Institut der Einrede, da die Partei sie ausdrücklich geltend machen muß und sie nicht von Amts wegen zu berücksichtigen ist. 127 Vgl. Restatement ofTorts (Third), tentative draft No2, § I, comment a (S. 3). 128 Siehe Pfeifer, S. 149.
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the reasonable man, however unaware, unwilling or even protesting the plaintiff may be. The significant difference, where there is one, is 1ikely tobe one between risks which were in fact known to the plaintiff, and risks which he merely might have discovered by the exercise of ordinary care." 129
Unter den Regelungen des Restatement (Second) wurden die Einreden der comparative negligence und der assumption of risk mit dem Verweis auf die Natur der Haftung des Herstellers als "strict liability" eingeschränkt (vgl. comment n zu § 402 A) 130• Die Einschränkung der Einrede der contributory negligence durch comment ist heute überholt. Sie ist vor dem Hintergrund der "alles-oder-nichts"-Qualität dieses Instituts zu sehen: Gelingt dem Schädiger der Nachweis eines Mitverschuldens des Geschädigten, so verliert dieser seinen Anspruch unabhängig davon, wie groß der anfangliehe Sorgfaltsverstoß des Schädigers gewesen sein mag. In der Mehrzahl der Staaten ist das System des contributory fault durch das System des comparative fault ersetzt, in dem das Verschulden der Parteien in ein Verhältnis zueinander gesetzt und der klägerische Anspruch entsprechend gekürzt wird 131 • Das System des comparative fault galt zunächst nur uneingeschränkt für eine Haftung unter negliProsser. § 67 S. 452. Comment n zu § 402 A lautet folgendermaßen: Contributory negligence. Since the liability with which this Section deals is not based upon negligence but is strict liability, the rule applied to strict liability cases applies. Contributory negligence of the plaintiff is not a defense, when such negligence consists merely in a failure to discover the defect in the product, or to guard against the possibility of its existence. On the other hand, the form of contributory negligence which consists in voluntary and unreasonable proceeding to encounter a known danger, and commonly passes under the name of assumption of risk, is a defense under this section as in other cases of strict liability. If the user or consumer discovers the defect and is aware of the danger, and nevertheless proceeds unreasonably to make use of the product and is injured by it, he is barred from recovery. 131 Die Einführung des comparative fault Systems geht teilweise auf Gesetzgebung, teilweise auf Fallrecht zuriick (zur Gesetzgebungsgeschichte vgl. Prosser & Keeton, Chapter 11, § 67, S. 470 f.). Es ist dabei zwischen einem reinen und einem modifizierten System des comparative fault zu unterscheiden. Ein reines System des comparative fault haben die folgenden Staaten: Lousiana (La. Civ. Code Ann. art. 2323); Mississippi (Miss. Code. § 11-715); New York (N.Y. Civ. Prac. Law § 1411); Rhode Island (R.I. Gen. Laws, § 9-20-4); Washington (West's RCWA 4.22005); Nebraska (NEBRASKA LAWS OF 1992, L.B. 262, § 1); North Dakota (N.d. CENT. CODE, § 32-03.2-03); Florida (Hoffmann v. Jones, 280 So 2d 431, Fla. 1973); Kalifornien (Li v. Yellow Cab Co., 532 P 2d 1226, 1975); A1aska (Kaatz v. State, 540 P. 2d 1037, appeal after remand 572 P. 2d 775); Michigan (Placek v. City of Sterling Heights, 275 N.W. 2d 511, 1979); New Mexico (Scott v. Rizzo, 634 P. 2d 1234, 1981); Illinois (Alvis v. Ribar, 421 N.E. 2d 886, 1981); Iowa (Goetman v. Wiehern, 327 N.W. 2d 742). Ein modifiziertes System des comparative fault, bei dem das Mitverschulden des Klägers nicht anspruchsvernichtend wirkt, solange es unter bzw. bis 50% bleibt, haben die folgenden Staaten: Arkansas (Ark. Stat. § 27 -1765); Colorado (Colo. Rev. Stat. § 13-21- 111) Georgia (Ga. Code§ 105 - 603); Idaho (ldaho Code§ 6 - 801) Kansas (Kan. Stat. Ann. 60-258a); Maine (Me. Rev. Stat. Ann. tit. 14, § 156) North Dakota, (N.D. Cent. Code 9-10-07); Utah (Utah Code Ann. 78 - 27 - 37); West Virginia (Bradley v. Appalachian Power Co., 256 129 130
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
gence, während seine Anwendbarkeit bei einer Haftung des Beklagten nach strict liability umstritten war. iil Hintergrund der anfänglichen Zurückhaltung, dem aufgrund von strict liability h'aftenden Herstellers die Einrede des comparative fault zuzubilligen, war der Befund, daß dem die Natur der strict liability als von einer vom Verschulden gelösten Haftung entgegenzustehen schien. Darüber hinaus schien die Einwendung des comparative fault in einigen, für das Verhältnis zwischen Verbraucher und Hersteller typischen Fällen zu unbilligen Ergebnissen zu führen. So sollte sich der Hersteller z. B. nicht mit dem Hinweis entlasten können, daß der Verbraucher fahrlässig einen Produktfehler nicht entdeckt habe 132• Schließlich wiesen einige Entscheidungen auf die konzeptionellen Schwierigkeiten hin, die bei einem Vergleich zwischen dem fehlerhaften Produkt und dem Fehlverhalten des Verbrauchers entstehen 133 .
Heute läßt die überwiegende Mehrzahl der Jurisdiktionen die Einwendung des comparative fault auch bei einer Klage aufgrund von strict liability zu 134• Der S.E. 2d 879, 1979); Wyoming (Wyo Stat. 1977, § 1-1-109); Connecticut (Conn. Gen. Stat. Ann. § 52-572H); Hawaii (Hav. Rev. Stat. § 663.31; Vgl aber dazu auch Kaneko v. Hilo Coast Processing, 654 P.2d 343 (1982) und Arrnstrong v. Cione, 738 P. 2d 79 (1987), danach soll in Fällen, die auf strict liability gestützt werden, ein reines System des comparative fault angewendet werden); Indiana (Ind. Code§ 34-4-33); Massachusetts (Mass. Gen. Laws Ann. eh. 231, § 85); Minnesota (Minn. Stat. Ann. § 604.01); Montana (Mont. Code Ann. 27-1702); Nevada (Nev. Rev. Stat. 41.141); New Hampshire (N.H. Rev. Stat. Ann. 507a); New Jersey (N.J. Stat. Ann. 2A: 15 - 5.1); Ohio (Ohio Rev. Code 2315.19); Oklahoma, Okla Stat. Ann. tit 23, § 13) Oregon (Or. Rev. Stat. 18.470); Pennsylvania (Pa. Stat. tit. 42, § 7102); Tennessee (Mclntyre v. Balantine, 833 S.W. 2d 52 (Tenn. 1992); Texas (Vemon's Ann. Tex. Civ. Stat. Art. 2212A); Vermont (Vt. Stat. Ann. tit. 12, § 1036); Wisconsin (Wis. Stat. Ann. 895.045). Das sogenannte "slight-gross" System, bei dem nur ein geringes Mitverschulden des Klägers nicht anspruchsvernichtend wirkt, hat South Dakota (S.D. Compiled Laws 209-2). 132 Vgl. Murray v. Fairbanks Morse, 610 F.2d 149, 161 (3'd Cir. 1979, applying Virgin Islands law); Star Furniture Co. v. Pulaski Furniture Co 297 S.E. 2d 854, 86ld (1982); West v. Caterpillar Tractor Co., 336 So.2d 80, 92; Coney v. J.L.G. lnds., Inc 454 N.E. 2d 197, 203 (1983); Simpson v. General Motors, 483 N.E. 2d 1 (1985)- siehe hier aber auch die dissenting opinion, die sich gegen eine Untergliederung des klägerischen Mitverschuldens richtet; Busch v. Busch Constr., lnc., 262 N.W.2d 377, 393-394 (Minn. 1977); Sanford v. Chevrolet Division of General Motors 642 P.2d 624 (1982); Duncan v. Cessna Aircraft Co., 665 S.W. 2d 414, 432 (Tex. 1984). Diese Entscheidungen sind konsistent mit comment n zu § 402 A, Restatement (Second) of Torts. 133 Vgl. Butaud v. Suburban Marine & Sporting Goods, lnc, 555 P.2d 42, 43 (1976); Huffman v. Caterpillar Tractor Co., 908 F.2d 1470, 1465 (10th Cir. 1990, applying Colorado law); Sanford v. Chevrolet Division of General Motors, 642 P.2d 624 (1982); Star Furniture Co. v. Pulaski Furniture Co., 297 S.E. 2d 854, 86ld (1982); Dippel v. Sciano, 155 N.W. 2d 55 (l967).Trotz dieser konzeptionellen Schwierigkeiten wurde in allen Entscheidungen die Anwendbarkeit der Einwendung des comparative fault auch bei einer Klage aufgrund von strict liability bejaht. 134 Vgl. Butaud v. Suburban Marine & Sporting Goods, Inc., 555 P. 2d 42 (Alaska 1976); Daly v. General Motors Corp, 575 P. 2d 1162 (1978); Huffman v. Caterpillar Tractor Co., 908
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tentative draft trägt diesem breiten Konsens in der Rechtsprechung in § 12 Rechnung, der dem Beklagten die Einrede des comparative fault unter jedem Haftungsstandard gewährt 135 . Es wird kein Verhalten des Klägers per se aus der Abwägung ausgeschlossen, so auch nicht das Unterlassen, einen Produktfehler zu entdecken. Vielmehr ist die berechtigte Erwartung des Verbrauchers, ein fehlerfreies Produkt zu benutzen, im Rahmen der Aufteilung der Verschuldensanteile zu berücksichtigen 136• Ein weniger einheitliches Bild bietet sich bezüglich der Frage, ob sich der Hersteller auf die assumption of risk bei einer Klage berufen kann, die auf strict liability gestützt wird. Innerhalb des Instituts der assumption of risk wird nach h.M. zwischen dem Fall, daß sich der Geschädigte ausdrücklich der Gefahr aussetzt 137 ,
F. 2d 1470 (10th Cir. 1990); Champagne v. Raybestos-Manhattan, lnc., 562 A. 2d 1100 (1989); Kaneko v. Hilo Coast 654 P. 2d 343 (1982); Armstrang v. Cione, 738 P. 2d 79 (1987); West v. Caterpillar Tractor Co., 336 So. 2d 80 (Fla. 1976); Coney v. J.L. G. lndus., 454 N.E. 2d 197 (1983); Kennedy v. City of Swayer, 608 P 2d 1379, rev'd on other grounds, 618 P. 2d 788 (1990); Omnetics Inc. v. Radiant Technology Corp., 440 N.W. 2d 177 (Minn. 1989); Edwards v. Sears, Roebuck & CO., 512 F. 2d 276 (5th Cir. 1975, applying Mississippi law); Thilbault v. Sears, Roebuck & Co, 395 A. 2d 843 (1978); Marchese v. Wamer Cornrnunications, lnc., 670 P. 2d 113, 117 (Ct. App.) cert. denied, 669 P 2d 735 (1983); Bell v. Jet Wheel Blast, Div. of Mervin Indus., 462 So. 2d 166 (La. 1985); Sanford v. Chevro1et Division of General Motors 642 P.2d 624 (1982); Fiske v. Mac Gregor, Division of Brunswick, 464 A.2d 719 (R.I. 1983); Star Furniture Co. v. Pu1aski Furniture Co, 297 S.E. 2d 854 (1982); Srnith v. Goodyear Tire & Rubber Co., 600 F. Supp. 1561 (D. Vt. 1985); Murray v. Fairbanks Morse, 610 F. 2d 149 (3d Cir. 1979, app1ying Virgin Islands law); Lundberg v. All-Pure Chernical Co., 777 P.2d 15 (1989); Dippel v. Sciano, 155 N.W. 2d 55 (1967). A.A.: keine Anwendung des Systems des comparative fault als Einwendung des Beklagten oder Beschränkung der Einwendung auf Fälle der assumption of risk: Lippard v. Houdaille Indus., lnc., 715 S.W. 2d 419 (Mo. 1986); Bowling v. Heil Co, 511 N.E. 2d 373 (1987); Zahrte v. Sturm, Ruger & Co., 661 P.2d 17 (Mont. 1983); Cartel v. Capital Corp. v. Fireco of New Jersey, 410 A.2d 674 (1980); Phillips v. Duro-Last Rooding, lnc., 806 P.2d 834 (Wyo. 1991). 135 V gl. § 12 des tentative draft No 2, Restament of Tons (Third): § 12 Apportionment of Liability Between or Among Plaintiff, Seilers or Distributars of Defective Products and Other Tortfeasors When the conduct of the plaintiff or another person combines with a product defect to cause harm to the plaintiff's personor property and the plaintiff's conduct orthat of the other person fails to conform to an applicable Standard of care, liability for harm to the plaintiff is apportioned between and among the plaintiff, product seller or distributor, or other tortfeasor pursuant to the applicable rules goveming apportionment of liability. 136 Vgl. § 12 tentative draft, Restatement (Third) of Torts, cornrnent d (S. 303). 137 Vgl. § 496 B Restatement ofTorts (Second): § 496 B. Express Assumption of Risk A plaintiff who by contract or otherwise expressly agrees to accept a risk of harm arising from the defendant's negligent or reckless conduct cannot recover for such harm, unless the agreement is invalid as contrary to public policy. 9 Kollmann
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
und einer konkludenten Gefahrübernahme 138 unterschieden 139• Nur im Falle der express assumption of risk steht dem Hersteller die Einrede nach ganz h.M. unter jedem Haftungsstandard zu 140, während dies im Falle der implied assumption of risk umstritten ist. Nach einer Ansicht stellt die implied assumption of risk nicht eine eigenständige Einrede, sondern einen Unterfall der comparative negligence dar141 . Folgt man dieser Ansicht, so ist der Anspruch des Geschädigten nach den oben dargestellten Grundsätzen zu kürzen, unabhängig davon, ob dieser seinen Anspruch auf negligence oder auf strict liability stützt. Die wohl noch h.M. betrachtet auch die implied assumption of risk als Einrede des Beklagten, die keinen Unterfall des comparative fault bildet und daher jedenfalls unter negligence anspruchsvernichtend wirkt 142. Unter strict liability wird die assumption of risk nicht einheitlich behandelt 143 . Im Fall der Produkthaftung stellt sie ein Sonderproblem dar. Zwar gibt es Entscheidungen, in denen die Haftung des Herstellers auch unter strict liability mit dem ausdrücklichen Hinweis auf die Einrede der assumption of risk verneint wurde 144• In der Mehrzahl der Entscheidungen wird das Problem aber nicht unter dem Stichwort "assumption of risk", sondern unter dem Begriff "patent danger rule" behandelt. Nach der patent danger rule ist Vgl. § 496 C Restatement ofTorts (Second): § 496 C. Implied Assumption of Risk (I) Except as stated in Subsection (2), a plaintiff who fully understands a risk of bann to hirnself or his things caused by the defendant's conduct or by the condition of the defendant's land or chattels, and who nevertheless voluntarily chooses to enter or remain within the area ofthat risk, under circumstances that manifest his willingness to accept it, is not entitled to recover for harm within that risk. (2) The rule stated in Subsection (1) does not apply in any situation in which an express agreement to accept the risk would be invalid as contrary to public policy. 139 In der Rechtsprechung und Literatur sind noch weitere Unterscheidungen getroffen worden, vgl. dazu Prosser & Keeton, chapter 11, § 68 (S. 480). 140 Vgl. Henderson/Pearson/Silicano, The Torts Process, Chapter 4, 4. b. (S. 467 f.). Fälle der express assumption of risk dürften in Produkthaftungsfällen praktisch ausgeschlossen sein, zumal Haftungsausschlüsse (disclaimers) regelmäßig als sittenwidrig (unconscionable) für nichtig gehalten werden. 141 Vgl. Meistrieb v. Casino Arena Attractions, Inc, 31 N.J. 44, 155 A 2d 90 (1959); Mc Grath v. American Cyanamid Co., 41 N.J. 272, 196 A.2d 238 (1963); Henderson/ Pearsonl Silicano, Chapter 4, 4. b. (S. 468); Harperl James/Gray, 187-199. Nach Simons soll die Einwendung der assumption of risk unter strict liability nicht zugelassen werden, vgl. B.U.L. Rev. 67,213,274 ff. (1987). 142 Eine auf negligence gestützte Entscheidung über Konstruktionsfehler ist z. B. Carroll v. Getty Oil Co., 498 F. Supp. 409, 416 (D. Dei. 1980), bei der die assumption of risk ohne Einschränkungen zugelassen wurde. 143 Für die Behandlung der assumption of risk bei einer Haftung nach strict liability unter Aussparung der Produzentenhaftung siehe Prosser & Keeton, Chapter 13, § 79 (S. 566). 144 Vgl. Williams v. Brown Manufacturing Co, 261 N.E. 2d 305 (1979); Campbell v. Nordco Products, 629 F 2d 1258 (Ill. 1980); Alley v. Praschak Machine Co., 366 S.O. 2d 661 (Miss. 1979); Vargus v. Pitman Manufacturing Co., 510 . Supp. 116, aff'd 673 F. 2d 1301, rehearing denied 675 F. 2d 73 (1981). 138
II. Vereinigte Staaten
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die Haftung des Herstellers für ein Produkt, von dem eine offensichtliche Gefahr ausgeht, ausgeschlossen, selbst wenn der Hersteller der Gefahr durch eine alternative Konstruktion hätte begegnen können. Die patent danger rule beruht auf der Vorstellung, daß die Offensichtlichkeit des Risikos dazu führt, daß der Hersteller dem Konsumenten jegliche Informationen über das mit der Produktbenutzung verbundene Risiko übermittelt habe und der Konsument aufgrund dieser Kenntnis und seiner Entscheidung, das Produkt dennoch zu benutzen, nicht schutzwürdig sei 145 . Insofern stellt die patent danger rule letztlich nur eine Ausformung des Prinzips der assumption of risk dar. Die patent danger rule hat nur in der Minderheit der Staaten Gültigkeit 146, während sie in der Mehrheit der Staaten mit der Begründung abgelehnt wird, daß allein die Offensichtlichkeit der Fehlerhaftigkeit der Konstruktion den Hersteller nicht entlasten soll 147 . § 2, comment c des tenative draft, Restatement of Torts (Third) 145 Campo v. Scofield, 93 N. E. 2d 802 (1950); Epstein, 10 Cardozo L. Rev. 2193, 2211 (1989). 146 Vgl. Georgia (Griffin v. Summit Specialties, 622 So.2d 1299 [Ala. 1993, applying Georgia law], Weatherby v. Honda Motor Co., 393 S.E.2d 64 [Ga. Ct. App. 1990]); North Carolina (McCollum v. Grove Mfg., 293 S.E.2d 632, 635, N.C. Ct. App. 1982, aff'd 300 S.E.2d 374 [N.C. 1983]; die folgenden Entscheidungen kommen zu ähnlichen Ergebnissen über die Anwendung des consumer expectation tests: Alabama (Eliott v. Brunswick Corp., 903 F.2d 1505 [11th Cir. 1990, applying Alabama law], cert. denied sub nom. Elliott v. Mercury Marine, 489 U.S. 1048 [1991]; Beech v. Outboard Marine Corp.,584 So. 2d 4447 [Ala. 1991]); Oklahoma (Lamke v. Futorian Corp., 709 P.2d 684, 686 (1985); Wisconsin (Vincer v. Esther Williams All-Aluminum SwimmingPool Co., 230 N.W.2d 794, 798 (1975); Estate of Schilling v. Blount, Inc., 449 N.W.2d 56, 68 (Wis.Ct. App.) review denied 451 N.W.2d 298 (Wis. 1989). 147 Alabama (Beliot v. Harrell, 339 So. 2d 992 (1976) vgl. aber auch die Entscheidungen, die diese Rechtsprechung durch entsprechende Auslegung des consumer expectation tests umgehen); Arizona (Byms v. Riddell, lnc., 550 P.2d 1065 (1976); Florida (Aubum Mach. Works Co. v. Jones, 366 So.2d 1167, 1169 (1979); Kalifomien (Pike v. Frank G. Hough Co., 467 P.2d 229 (1970); Colorado (Camacho v. Honda Motor Ltd., 741 P.2d 1240 (1987), cert. dismissed, 485 U.S. 901 (1988); Hawaii (Brown v. Clark Equip. Co., 618 P.2d 267 (1980); Illinois (Besse v. Deere & Co., 604 N.E.2d 998 (Ill Ct. App. 1992), appeal denied, 612 N.E. 2d. 511 (1993); Indiana (Koske v. Townsend Eng'g Co., 551 N.E. 2d 437 (1990); Kansas (Siruta v. Hesston Corp., 659 P.2d 799 (1983); Kentucky (Nichols v. Union Underwear Co., 602 S.W.2d 429 (1980); Massachusetts (Uloth v. City Tank Corp., 384 N.E.2d 1188 (1978); Minnesota (Holm v. Sponco Mfg., 324 N.W.2d 207, 213 (1982); Mississippi (Sperry-New Holland v. Prestage, 617 So. 2d 248 (1993); Montana (Brown v. North American Mfg. Co., 576 P.2d 711 (1978); Michigan (Owens v. Allis-Chalmers Corp., 326 N.W.2d 372 (1982); New Hampshire (Thilbault v. Sears, Roebuck & Co., 395, A.2d 843 (1978); New York (Micallef v. Miehle Co., 348 N.E. 2d 571 (1976); North Dakota (Olson v. A.W.Chesterton Co., 256 N.W.2d 530); Ohio (Jones v. White Motor Corp., 401 N.E. 2d 223 (Ohio Ct. App. 1978); Pennsylvania (Dorsey v. Yoder Co., 331 F.Supp. 753 (E.D.Pa. 1971) aff'd 474 D.2d 1339 (3rd Cir. 1973); South Dakota (Berg v. Sukup Mfg. Co., 355 N.W.2d 833 (1984); Tennessee (Gann v. International Harvester Co. of Canada, Ltd., 712 S.W. 2d 100 (Tenn. 1986), on remand, 1991 WL 152430 (Tenn. Ct. App. Aug. 13, 1991); Washington (Palmer v. Massey-Ferguson, lnc., 476 P.2d 713, 718 (Wash. Ct. App. 1970); Wyoming (Caterpillar Tractor Co.v. Donahue, 674 P.2d 1276, 1283-84 (1983).
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
weist die patent danger rule ebenfalls zurück. Die Zurückdrängung der patent danger rule beruht jedoch m.E. weniger auf der Abgrenzung zwischen strict liability und negligence, sondern auf der Ablösung des consumer expectation tests durch Kosten-Nutzen-Analysen. Die patent danger rule stellt, wie im vorangegangenen Kapitel festgestellt wurde, im wesentlichen eine Ausformung des consumer expectation tests dar und findet auch unter dem Test des § 2 tentative draft No 2, Restatement of Torts (Third), der nach eigener Einschätzung auf einem negligence Standard beruht, keine Anwendung.
c) Strict liability durch Haftung des Herstellers für Entwicklungsgefahren
Die Haftung für Entwicklungsrisiken gilt als wesentliches Kriterium für die Unterscheidung zwischen negligence und strict liability 148. Bei der Beurteilung von Entwicklungsrisiken wird zwischen solchen Risiken, die auf fehlendem Wissen um das Risiko selbst oder um die Möglichkeit zur Ausschaltung des Risikos beruhen und solchen Risiken, die im Wandel des Gefahrenbewußtseins in der betroffenen Öffentlichkeit begründet sind, unterschieden. Es werden demnach die folgenden Fallgruppen diskutiert. - Das Produkt ist mit einer gefahrliehen Eigenschaft behaftet, die im Zeitpunkt der Vermarktung des Produktes weder bekannt noch erkennbar waren. Derartige versteckte Produktrisiken treten insbesondere im Zusammenhang mit Arzneimitteln 149, Umweltgiften 150 und asbesthaltigen Produkten 151 auf. - Das Produkt ist mit einer gefährlichen Eigenschaft behaftet, die der Hersteller kennt, der jedoch nicht durch eine andere Konstruktion des Produktes wirksam begegnet werden kann 152 . 148 Vgl. nur Phillips v. Kimwood Mach. Co., 525 P.2d 1033, 1037-38 (Or. 1974); Cepeda v. Cumberland Eng. Co., 386 A.2d 816, 826 (N.J. 1978); Suter v. San Angelo Foundry & Mach. Co., 406 A.2d 140, 150 (N.J. 1979); Ziegler v. Kawasaki Heavy lndus. Ltd., 539 A.2d 701, 705 (Md. Ct. App. 1988), cert. denied, 542 A.2d 858 (Md. 1988); Petty v. United States, 740 F.2d 1428, 1440 (8th Cir. 1984); Halphen v. Johns-Manville Sales Corp., 737 F.2d 462, 465 (5th Cir. 1984); Seefeld v. Crown, Cork & Seal Co. lnc., 779 F.Supp. 461, 464 (D.Minn.l991); Wade, 44 Miss. L.J. 825, 834-835 (1973); 4 Final Report oftheLegal Study, Interagency Task Force on Products Liability, 109-110 (1977); Madden, 10 Touro L. Rev. 123, 131 (1993), Vargo, 10 Touro L. Rev. 21,25 (1993). 149 vergleiche Dalke v. Upjohn Co., 555 F. 2d 245 (9th Cir. 1977); Salmon v. Parke, Davies & Co., 520 F. 2d 1359 (4th Cir. 1975); Sindeil v. Abbott Labs, 697 P. 2d 924; 163 Cal. Rptr. 132 cert. denied, 101 S. Ct 286 (1980); Cochran v. Brooke, 243 Or. 89; 409 P 2d 904 (1966). ISO Vgl. In re "Agent Orange" Prod. Liab. Litigation, 635 f. 2d 987 (2d Cir. 1980); Heck v. Beryllium Corp, 226 A 2d 87 (1966). 151 Vgl. Bore! v. Fibreboard Paper Prods. Corp., 493 F. 2d 1076 (5th Cir.), cert. denied, 419 U.S. 869 (1974); Anderson v. Owens-Corning Fiberglas Corp., 810 P 2d 549 (1991); Beshada v. Johns-Manville Products Corp., 447 A. 2d 539 (1982).
II. Vereinigte Staaten
133
- Nach Vermarktung des Produktes nimmt die Toleranz der Konsumenten gegenüber bestimmten Sicherheitsrisiken ab oder steigt die Bereitschaft der Konsumenten, in die Sicherheit der Produkte zu investieren 153• Dies ist bei langlebigen Produkten der Fall, wenn durch besseres Wissen um - wirtschaftlich realisierbare - Sicherheitsvorkehrungen auch die allgemein anerkannten Anforderungen an die Produktsicherheit steigen 154. Die verschiedenen Risikogruppen werden mit unterschiedlichen Rechtsfolgen verbunden. Ein relativ deutlicher Trend der Rechtsprechung, den Hersteller nicht für Entwicklungsrisiken haften zu lassen, besteht bei den Fällen, in denen das Produkt mit einem nicht erkennbaren Risiko behaftet ist. Zwar wird aufgrund der besonderen Gefährdung des Verbrauchers durch die fehlende Erkennbarkeit des Risikos ein hoher Maßstab hinsichtlich der Konstruktion und der Kommunikation der Produktrisiken angelegt 155, als Haftungsgrenze aber in jedem Fall die Erkennbarkeit der Produktgefahr bei Ausübung der pflichtgemäßen, u. U. höchsten Sorgfalt 156 152 Vgl. Garst v. General Motors Corp., 484 P. 2d 47 (1971); Brady v. Melody Hornes Mfr., 589 P. 2d. 896 (1978); Wiska v. St. Stanislaus Social Club, Inc., 1979 Mass. App. Ct. Adv. Sh. 1291; 390 N.E. 2d 1133 (1979). 153 Diese Fallkonstellation ist im deutschen Recht mit dem Fall des "unterentwickelten Gefahrenbewußtseins" zu vergleichen. Henderson wirft am Beispiel der Abkehr von der patent danger rule in 69 Cal. L. Rev. 919, 927 f. (1981) die Frage auf, ob auch das Phänomen eines Wandels in der Rechtsprechung unter den Oberbegriff der Entwicklungsrisiken zu subsumieren sei. 154 Vgl. Ward v. Hobart Mfg. Co., 450 F 2d 1176 (5th Cir. 1971). Der Kläger hatte sich im Jahre 1967 an einem im Jahre 1948 auf den Markt gebrachten Fleischwolf gebrachten Fleischwolf verletzt, der nicht mit entsprechenden Sicherheitsvorrichtungen ausgestattet war, um derartige Verletzungen zu verhindern. Auf die Berufung des Beklagten hob das Gericht das erstinstanzliehe Urteil mit der folgenden Begriindung auf: "Perhaps if [the defendant] had been conducting its business in a vacuum in 1948 its knowledge of the risk of operating the grinder without a guard might be more significant. But in 1948 [the defendant], as it is today, was a participant in the Arnerican systern of free enterprise which thrives on competition. Safety is not the only criterion a manufacturer considers when designing a product. He Iooks as weil to the expectations and desires of the public. Such expectations are also an important consideration in determining what is a reasonable Standard in a products liability case. There was evidence to the effect that in 1948 the public preferred a grinder without a guard to speed up the grinding process." 155 Vgl. z. B. Bore! v. Fibreboard Paper Prods. Corp. 493 F.2d 1076, 1088 (5th Cir. 1973), cert. denied 419 U.S. 869 (1974, applying Texas law)- Standard of the expert in the field; Sterling Drug v. Yarrow, 408 F.2d 978, 992 (8th Cir. 1969) - Pflicht des Arzneimittelherstellers, unerkannte Nebenwirkungen eines Medikaments direkt durch seine Handelsvertreter mitteilen zu lassen. 156 Bei den zitierten Fällen handelt es sich nicht ausschließlich um Fälle, in denen ein Konstruktionsfehler geltend gemacht wurde, sondern auch um solche, in denen die Klage mit einem Instruktionsfehler (failure to warn) begriindet wurde. Dies trifft insbesondere auf die Fälle zu, in denen Verbraucher asbesthaltiger Produkte den Versuch gemacht haben, Regreß beim Hersteller für die erlittenen Gesundheitsschäden zu nehmen. Der Grund dafür liegt m.E. darin, daß eine derartige Klage für den Kläger leichter zu begriinden ist. Steht nämlich einmal fest, daß das Produkt tatsächlich mit einem erheblichen, für den Verbraucher nicht erkenn-
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
angenommen. Nur in wenigen Staaten hat sich die Doktrin gehalten, daß es die Natur der Herstellerhaftung als strict liability erfordere, die Produktrisiken am Maßstab des Wissens zur Zeit des Haftungsprozesses zu messen 157 Bei den Fällen, bei denen das Entwicklungsrisiko auf gesteigertem Wissen um Sicherheitsvorkehrungen bzw. gesteigerten Verbraucherwarlungen beruht, bietet sich ein weniger eindeutiges Bild. Umstritten ist in diesem Zusammenhang, welche Tatsachen über Konstruktionsänderungen oder Rückrufaktionen zum Beweis zugelassen werden und wie derartige Tatsachen zu würdigen sind, sollten sie in den Prozeß eingeführt werden 158• Das Recht, bestimmte Tatsachen in das Verfahren einzuführen, wird durch die Federal Rules of Evidence geregelt. Vor dem Hintergrund, daß die Tatsachenwürdigung durch Laien erfolgt, kommt der Frage, welche Tatsachen derjuryvorgelegt werden dürfen, eine besondere Bedeutung zu, bei der der Beweiswert der in Frage baren Sicherheitsmangel behaftet ist, dann stellt eine Warnung in jedem Fall eine praktisch kostenfreie Abhilfe dar. Anders als beim Konstruktionsfehler ist es dann nicht entscheidend, ob es Konstruktionsalternativen gegeben hätte oder ob das Produkt bei einer fehlenden Alternative so risikoreich ist, daß der Hersteller die Vermarktung hätte unterlassen müssen. Vgl. zu diesem Problem auch Vargo, 10 Touro L. Rev. 21, 36 (1993), der argumentiert, daß die unwiderlegliche Annahme der Kenntnis des Herstellers nicht zu einer unbilligen Überdehnung der Haftung führt, da der Hersteller sich mit dem Nachweis entlasten könne, daß es keine Abhilfe gegen das Risiko gegeben habe. M.E. stellt aber die Warnung immer eine Abhilfe dar, sobald die Kenntnis um das Risiko angenommen wird. Eine Haftung des Herstellers für nicht entdeckbare Sicherheitsrisiken haben die folgenden Entscheidungen ausgesprochen, die im wesentlichen die angesprochenen Fälle von Schäden durch asbesthaltige oder chemisch wirkende Produkte betreffen: Basko v. Sterling Drugs, Inc. 416 F.2d 417,425-26 (2"d Cir. 1969, applying Connecticut law); Payne v. Soft Sheen Prod., Inc. 486 A.2d 712,721 (D.C. 1985); Woodill v. Parke Davis & Co., 402 N.E. 2d 194, 198 (Ill. 1980); Johnson v. American Cyanamid Co., 718 P.2d 1318, 1324 (Kan. 1986), aff'd, 758 P.2d 206 (Kan. 1988); Owens-Illinois, Inc. v. Zenobia, 601 A.2d 633,640 (Md.) reconsid. denied, 602 A.2d 1182 (Md. 1992). Opera v. Hyva, Inc. 86 A.D. 2d 373, 377, 450 N.Y.S. 2d 615, 618 (1982); Bore! v. Fibreboard Paper Prods. Corp. 493 F.2d 1076, 1088 (51h Cir. 1973), cert. denied 419 U.S. 869 (1974, applying Texas law); Anderson v. Owens Corning Fiberglass Corp., 810 P.2d 549 (Ca!. 1991). Für gesetzliche Regelungen vgl. auch LA. Rev. Stat. Ann. § 2800.57 (West 1991); Miss. Code Ann. § 11-l-63 (c)(i)(l993); Ohio Rev.Code Ann. § 2307.76 (A)(l) (a)(b)(Anderson 1991). 157 Vgl. Habecker v. Clark Equip. Co., 942 F.2d 210 (3d Cir. 1991); In re Hawaii Asbestos Cases, 699 F.Supp. 233 (D. Hawaii 1988), aff' d 960 F.2d 806 (9th Cir. 1992); Simmons v. Monarch Mach. Tool Co., 596 N.E.2d 318, 320 (Mass. 1992); Dambacher v. Mallis, 485 A.2d 408 (Pa. Super. Ct. 1984), appeal dismissed, 500 A 2d 428 (Pa. 1985); Ayers v. Johnson & Johnson Baby Prods. Co., 818 P.2d 1337, 1346 (Wash. 1992). Der bekannte Fall Beshada v. Johns-Manville Products Corp., 90 N.J. 191, 447 A.2d 539 (1982) wurde in den später ergangenen Entscheidungen Feldman v. Lederle Laboratories, 97 N-J. 429, 479 A.2d 374 (1984) und Gogol v. Johns-Manville Products Corp., 595 F. Supp. 971 (D.N.J. 1984) in seinem Anwendungsbereich auf den Fall der Haftung für asbestbedingte Schäden begrenzt. 158 Die in comment I zu § 2 tentative draft No 2, Restatement of Torts (Third) angesprochene Beweiserleichterung ist unumstritten und hat geringe praktische Bedeutung, so daß diese Frage hier nicht weiter vertieft werden muß.
Il. Vereinigte Staaten
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stehenden Tatsache gegenüber der Gefahr der unzulässigen Beeinflussung der Jury abgewogen werden muß. Bei der Frage, ob der Verbraucher auf später erfolgte Konstruktionsänderungen bzw. Rückrufaktionen durch den Hersteller verweisen darf, ist problematisch, ob der Hersteller bei einer verschuldensurrabhängigen Haftung ein Schützenswertes Interesse daran hat, derartige Tatsachen von der Jury femzuhalten. Bei einer auf Fahrlässigkeit gestützten Klage werden nachträgliche Maßnahmen des Herstellers, die die Produktsicherheit verbessern, nach den Federal Rules of Evidence grundsätzlich nicht berücksichtigt und entsprechende Beweisantritte des Klägers auch nicht zugelassen 158 . Es ist umstritten, ob Rule 407 auch in Produkthaftungsfällen, die auf strict liability des Herstellers gestützt werden, anwendbar ist. Das Gutachten des Beratungsausschusses und die Gesetzgebungsgeschichte schweigen in dieser Frage. Von der Rechtsprechung wird die Problematik nicht einheitlich gelöst. Teilweise wird die Anwendbarkeit von Rule 407 mit dem Hinweis auf die strict liability, bei der es nur um die Produktbeschaffenheit, gerade aber nicht um einen Sorgfaltsverstoß des Herstellers gehe, ausgeschlossen 159. Nach der Gegenansicht soll Rule 407 auch dann anwendbar sein, wenn die Klage auf strict liability gestützt wird. Dafür gibt es verschiedene Gründe: Zum einen würden spätere Änderungen an der Konstruktion häufig nicht aufgrund eines Sicherheitsmangels vorgenommen, es bestehe bei einer Zulassung des Beweisantritts die Gefahr, daß die Jury durch irrelevante Fakten beeinflußt würde. Zum anderen wird die Anwendung der Rule 407 mit der weitgehenden inhaltlichen Überschneidung der Haftung des Herstellers für Konstruktions- (und Instruktionsfehler) unter negligence und strict liability begründet 160. Die h.M. in der Rechtsprechung tendiert da159 Vgl. dazu Federal Rule of Evidence § 407. When, after an event, measures are taken which, if taken previously, would have made the event less likely to occur, evidence of the subsequent measures is not admissible to prove negligence or culpable conduct in connection with the event. This rule does not require the exclusion of evidence of subsequent measures when offered for another purpose, such as proving ownership, control, or feasibility of precautionary measures, if controverted, or impeachment. 160 Vgl. Ault v. International Harvester Co, 528 P.2d. 1148, 1152 (1975); Roth v. Black & Decker U.S. , lnc., 737 F.2d 779, 782 (8th Cir. 1984); Herndon v. Seven Bar Flying Service, Inc., 716 F.2d 132 (10th Cir. 1983), cert. denied 104 S.Ct. 2170 (1984); Robbins v. Farmers Union Grain Tenninal Ass'n, 552 F.2d 788, 793 (8th Cir. 1977); Farner v. Paccar, Inc., 562 F.2d 518, 528 (8th Cir. 1977); Kehm v. Procter & Gamble Co., 580 F.Supp. 890, 905 (N.D. Iowa 1980); R.W. Murray Co v. Shatterproof Glass Corp., 758 F.2d 266, 274 (8th Cir. 1985); Donahne v. Phillips Petroleum Co., 866 F.2d 1008, 1013 (8th Cir. 1989). 161 Für eine Anwendbarkeit von rule 407 mit diesen Begründungen vgl. Hayson v. Coleman Lantem Co., 573 P.2d. 785,791 (1979); Alexander v. Conveyor Dumpers, lnc., 731 F.2d 1221, 1229 (5th Cir. 1984); Flaminio v. Honda Motors Co., Ltd., 733 F.2d 463, 468-72 (71h Cir. 1984); Grenada Steel Industries, Inc. v. Alabama Oxygen Company, lnc., 695 F.2d 883, 885 - 87 (5th Cir. 1983) cert. denied 104 S.Ct. 2170, 80 L.E. 2d 553 (1984); Hall v. American Steamship Company, 688 F.2d 1062, 1066-67 (6th Cir. 1982); Cann v. Ford Motor Co., 658 F.2d 54, 60 (2d Cir. 1981), cert. denied 456 U.S. 960, 102 S.ct. 2036,72 L.E. 2d. 484 (1982); Knight v.. Otis Elevator Co., 596 F.2d 84, 91 (3d Cir. 1979); Smyth v. Upjohn Co., 529 F.2d
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3. Kap.: Verschuldenshaftung und verschuldensunabhängige Haftung
hin, daß Rule 407 auch bei einer Klage unter strict liability anwendbar ist; dies spiegelt sich überdies auch in der zu dieser Frage ergangenen Gesetzgebung wider161. Demgegenüber darf der Verbraucher nach ganz h.M. auf eine später erfolgte Rückrufaktion (recall-letters) unabhängig davon verweisen, ob er seine Klage auf negligence oder auf strict liability stützt 162. Die bloße Tatsache, daß der Beweis einer späteren Veränderung der Konstruktion zugelassen wird, indiziert noch keine Haftung des Herstellers für Entwicklungslücken. Eine Haftung ist nur dann anzunehmen, wenn die Jury dahingehend instruiert wird, daß spätere Veränderungen am Produkt geeignet sind, die Fehlerhaftigkeit des früher auf den Markt gebrachten Produktes zu begründen. Dies ist in der Regel nicht der Fall. In der Regel treten zwei Fallkonstellationen auf. Entweder spielen die späteren Veränderungen bei der Entscheidung über die Haftung keine oder eine untergeordnete Rolle 163 oder aber es handelt sich um solche Fälle, in denen der Kläger gleichzeitig den Beweis dafür antritt, daß der Beklagte bereits zum Zeitpunkt der Vermarktung die Möglichkeit hatte, die Risiken zu erkennen, ohne daß der Hersteller diesem Vorbringen mit der state of the art Einrede entgegentritt164. Es handelt sich hier somit in der Regel nicht um klassische Fälle des Entwicklungsrisikos, sondern um "inadvertent design errors", bei denen der Hersteller den Produktrisiken bereits zum Zeitpunkt der Vermarktung hätte begegnen können. Das Recht, auf spätere Veränderungen im Prozeß hinzuweisen, erleichtert dann die Beweislast des Klägers, führt aber nicht zu einer Verschärfung der Haftung des Herstellers. In den Fällen, in denen das verbesserte Sicherheitsnivau von später auf 803 (2d Cir. 1975); Wolf v. Procter & Gamble, 555 F.Supp. 613, 623-24 (D.N.J. 1982); Raymond v. Raymond Corp., 938 F. 2d 1518, 1522 (1" Cir. 1991); Chase v. General Motors Corp., 856 F.2d 17, 22 (4th Cir. 1988); Gaulhier v. AMF, lnc., 788 F.2d 634 (9th Cir. 1986); Josephs v. Harris Corp., 677 F.2d 985, 991 (3d Cir. 1982). 162 Vgl. Ariz. Rev. Stat. Ann. § 12-686 (1982); Colo. Rev. Stat. § 13-21-404 (Supp. 1984); Idaho Code§ 6-1406(1) (Supp. 1985); Mich. Comp. Laws. Ann. § 600-2946 (3) (West Supp. 1985). 163 Vgl. Rozier v. Ford Motor Co., 573 F.2d 1332, 1343 (5th Cir. 1978); Longenecker v. General Motors Corp., 594 F.2d 1238 (9th Cir. 1979); Matsko v. Harley Davidson Motor Co, 473 A.2d 155 (1984); Millette v. Radosta, 404 N.E. 2d 823 (1980). Die Bereitschaft, den Tatsachenbeweis einer Rückrufaktion zuzulassen, beruht m.E. darauf, daß derartige Aktionen in der Regel der Ausdruck dafür sind, daß das Produkt schon bei seiner Vermarktung mit ganz erheblichen Sicherheitsmängeln behaftet war, während ein Rückruf- mit der damit verbundenen negativen Publicity - ausgeschlossen ist, wenn lediglich ein Fortschritt in den technischen Möglichkeiten der Verbesserung der Produktsicherheit mit dem daran geknüpften erhöhten Erwartungen von Verbrauchern stattgefunden hat, die sich dann aber auch nur auf neue Produkte richten. 164 Kehm v. Procter & Garnble Co., 580 F.Supp. 890,905 (N.D. Iowa 1980); R.W. Murray Co v. Shatterproof Glass Corp., 758 F.2d 266, 274 (8th Cir. 1985). 165 Ault v. International Harvester Co, 528 P.2d. 1148, 1152 (1975); Roth c. Black & Dekker U.S., Inc., 737 F.2d 779, 782 (8th Cir. 1984); Herndon v. Seven Bar Flying Service, Inc., 716 F.2d 1322 (10th Cir. 1983), cert. denied 104 S.Ct. 2170, 80 L.Ed. 553 (1984);Robbins v. Farmers Union Grain Terminal Ass'n, 552 F.2d 788, 793 (8th Cir. 1977); Famer v. Paccar, Inc., 562 F.2d 518, 528 (8th Cir. 1977).
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den Markt gebrachten Produkten auf neuen Erkenntnissen von Wissenschaft und Technik beruht, läßt die Rechtsprechung in fast allen Staaten die state of the art Einrede zu. Der Hersteller kann sich dann mit dem Hinweis entlasten, daß die vom Verbraucher geltend gemachte Alternativkonstruktion zum Zeitpunkt der Vermarktung bzw. des Schadensereignisses noch nicht oder nur mit unzumutbarem Aufwand realisierbar gewesen sei 165 . 4. Zwischenergebnis
Der Vergleich zwischen strict liability und negligence zeigt eine weitgehende Annäherung der beiden Haftungsstandards im Bereich der Herstellerhaftung, so daß diese weder eindeutig unter negligence noch unter strict liability subsumiert werden kann. Die größte Nähe besteht aber zur negligence. Der Hersteller wird bei der Konstruktion seiner Produkte an einem objektivierten Verhaltensstandard gemessen, der sich aus den Kenntnissen und sonstigen Anforderungen an seinen Verkehrskreis bestimmt. Es wird ihm jedoch in der Mehrzahl der Staaten nichts Unmögliches abverlangt. Die Haftung für Entwicklungsrisiken stellt in der Regel ein abgeschlossenes Kapitel der Rechtsgeschichte dar, dies gilt sowohl für die Haftung für nicht erkennbare Risiken als auch für die Haftung für technisch nicht realisierbare Maßnahmen zur Risikovermeidung. Gewisse Einreden sind dem Hersteller abgeschnitten, dies stellt sich jedoch als Ausformung des Konstruktionsfehlerbegriffs dar und nicht als Ausfluß der Entscheidung für oder gegen die strict liability. In der dogmatischen Einordnung bestehen damit weitgehende Übereinstimmungen zum deutschen Recht, so daß die Vergleichbarkeit auch in dieser Hinsicht gegeben ist. Es kann somit auf die amerikanischen Erfahrungen mit beiden Fehlermodellen für die Frage der Auslegung des § 3 ProdHaftG unproblematisch zurückgegriffen werden.
166 Es ist umstritten, wie der Begriff der "state-of-the-art-defense" inhaltlich auszufüllen ist. Einige Entscheidungen verstehen darunter, daß das Produkt mit der in der Industrie üblichen Praxis übereinstimmt, andere, daß der sicherste Standard, der bereits praktiziert wird, verwirklicht wurde, eine dritte Ansicht, daß der unter Zugrundelegung aller technischen Möglichkeiten und Kenntnisse realisierbare Standard gewählt wurde. Allerdings hat der Hersteller auch bei Zugrundelegung dieser Definition der "state of the art" regelmäßig die Möglichkeit, zum Problem der "feasibility", also der Durchführbarkeit der möglichen Konstruktionsalternative unter dem Gesichtspunkt von Wirtschaftlichkeit u.ä. vorzutragen. Ein Kriterium zur Abgrenzung der negligence Haftung zur strict liability bietet allein die letzte Gruppe, während die ersten beiden dann relevant werden, wenn es darum geht, ob der Hersteller seine "duty of care" erfüllt hat.
Teil B
Ökonomische Analyse von informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen Der zweite Teil dieser Arbeit untersucht die aufgezeigten Modelle zur Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Perspektive. Der sich in diesem Zusammenhang nahezu aufdrängende Terminus der Ökonomischen Analyse des Rechts (ÖAR) soll gleichwohl für den hier gewählten Ansatz nicht verwandt werden 1• Vorgreifend auf das vierte Kapitel ist zu differenzieren zwischen dem neoklassischen Ansatz der Ökonomischen Analyse des Rechts (ÖAR) und der sich in den letzten Jahren herauskristallisierenden Denkrichtung der Ökonomischen Theorie des Rechts (ÖTR) 2 ; letztere nimmt aufbauend auf dem Fundament der Neuen Institutionenökonomik3 Einschränkungen an der REMMHypothese und dem Effizienzkriterium vor und gelangt so zu einer differenzierteren Beurteilung von rechtlichen Fragestellungen aus einer wirtschaftswissenschaftlichen Sicht. Beide Ansätze sind für den Untersuchungsgegenstände von erheblicher Bedeutung: Die ÖAR bestimmt in den Vereinigten Staaten auch heute noch in maßgeblicher Weise die Beurteilung des Produkthaftungsrechts in Wissenschaft und Praxis. Die wichtigsten Stellungnahmen zur Produktfehlerhaftigkeit entstanden unter AnI Rose-Ackermann weist darauf hin, daß der Begriff der Ökonomischen Analyse des Rechts (ÖAR) häufig einheitlich für eine Vielzahl von verschiedenen Schulden verwandt wird, so für den neoklassischen Ansatz der "Chicago-School" deren Hauptvertreter nach Rose-Ackermann Landes und Posner sind und für die "reformistische Schule", die im Haftungsrecht insbesondere durch die Arbeiten von Calabresi und Shavell gekennzeichnet sind, vgl. Rose-Ackermann, S. 269 f., mit Verweis auf G. Minda, The Law and Economics and Critical Legal Studies Movement in American Law. In: Mercuro, N. (Hrsg): Law and Economics, 1988. Dieser Trend einer Entwicklung von verschiedenen Denkansätzen, die zwar durch den interdisziplinären Ansatz zwischen Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaft verbunden sind, voneinander aber erheblich durch unterschiedliche Annahmen und Zielsetzungen abweichen, setzt sich weiter fort und kennzeichnet auch die Arbeiten, die im deutschen Rechtskreis entstehen, vgl. dazu Richter, Institutionen ökonomisch analysiert, S. 3. Die unterschiedlichen Ansätze einschließlich des im Rahmen dieser Arbeit verfolgten sind Gegenstand des vierten Kapitels. 2 Zu diesem von Kirchner geprägten Terminus und zum Gegenstand und Forschungsansatz der ökonomischen Theorie des Rechts siehe grundlegend C. Kirchner, Ökonomische Theorie des Rechts, 1997, S. 7 ff. 3 Vgl.dazu grundlegend R. Richter I E. Furubotn,: Neue lnstitutionenökonomik, 1996.
Teil B: Ökonomische Analyse von informationeHern Fehlerbegriff
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wendung der ÖAR oder zumindest in der Auseinandersetzung mit dieser Theorie. Es sei hier nur auf die Arbeiten von Calabresi, Posner4, Shavell, Schwartz und Viscusi hingewiesen. Auch in Deutschland hat die Untersuchung rechtlicher Fragestellung aus einer wirtschaftswissenschaftlich motivierten Perspektive mittlerweile einen festen Platz in der juristischen Lehre, auch wenn sich der Ansatz überwiegend auf die Beantwortung einzelner Fragestellungen anstelle einer systematischen Erfassung aller Teilbereiche des Rechts beschränkt. Im Zuge der Verabschiedung der EG-Richtline zur Produkthaftung und deren Transformation durch die nationalen Gesetzgeber sind eine Reihe von Untersuchungen entstanden, die sich mit den Vorzügen und Nachteilen des neuen Gesetzes unter wirtschaftswissenschaftlichen Gesichtspunkten auseinandersetzt, so die Arbeiten von Finsinger I Simon, Adams, Wiekhorst und Brüggemeier. REMM-Hypothese und Effizienzkriterium sind Gegenstand des vierten Kapitels, das sich zunächst mit dem Inhalt dieser beiden Theorien aus neoklassischer Sicht auseinandersetzt, um in Abgrenzung dazu den neuen Ansatz der ÖTR darzustellen. Im fünften Kapitel soll eine ökonomische Analyse der beiden Modelle zur Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit unter Beachtung der erwähnten Einschränkungen versucht werden. Diese Untersuchung setzt sich mit den erwähnten Arbeiten aus dem amerikanischen und deutschen Rechtskreis auseinander und versucht dort andere Lösungen zu entwickeln, wo diese aufgrund der erwähnten Modifizierungen der Annahmen und Zielsetzungen der ÖTR geboten erscheinen. Eine Differenzierung der Ausführungen nach deutschem und amerikanischen Recht ist nicht erforderlich. Wie im zweiten und dritten Kapitel gezeigt wurde, bestehen weitgehende Überschneidungen zwischen der deutschen und der amerikanischen Rechtsordnung. Die Arbeiten auf dem Gebiet von ÖAR und ÖTR zeichnen sich dadurch aus, daß sie nicht nur fach- sondern auch länderübergreifend entstanden und entstehen. Die "deutsche" ÖAR I ÖTR ist ohne die Auseinandersetzung mit den früher oder zeitgleich in den Vereinigten Staaten entstandenen Stellungnahmen nicht denkbar. Dies ist im Bereich des Produkthaftungsrechts aufgrund der großen Parallelität der materiellen Rechtslage, die ich in den letzten beiden Kapiteln aufgezeigt habe, unbedenklich möglich. Soweit Besonderheiten bestehen, werde ich darauf im Kontext hinweisen.
4 Durch die Berufung von Vertretern der ÖAR wie Posner und Easterbrook in hohe Richterämter hat die ÖAR auch in der Rechtsprechung eine hohe Bedeutung.
4. Kapitel
Pfeiler der Ökonomischen Theorie des Rechts: REMM-Hypothese und Effizienzkriterium Die ÖTR behält die zentralen Annahmen und Zielsetzungen der ÖAR grundsätzlich bei, nicht ohne diese jedoch wesentlichen Modifizierungen zu unterwerfen. In Hinblick auf die REMM-Hypothese ist dies das Eingeständnis des Phänomens der eingeschränkten Rationalität (bounded rationality) menschlichen Denkens und Handelns. In Hinblick auf das Effizienzkriterium werden die zu untersuchenden Rechtsnormen nicht mehr an der Zielsetzung des pareto-optimalen Zustandes gemessen, sondern vielmehr wird lediglich angestrebt, daß im Vergleich zwischen dem Ist-Zustand und dem durch die Norm herbeizuführenden Sollzustand ParetoSuperiorität herrscht.
I. Die REMM-Hypothese Sowohl der neoklassische Ansatz der ÖAR als auch die ÖTR stützen sich auf die "REMM-Hypothese" 1 (Resourceful, Evaluating, Maximising Man) bzw. das Modell des "homo oeconomicus"2 • Die REMM-Hypothese fußt auf zwei grundsätzlichen Annahmen über die Natur des Menschen. Zum einen verfolge das Individuum in erster Linie seine auf Eigeninteresse gegriindeten Ziele, während es den Belangen anderer Individuen gleichgültig gegenüber stehe, soweit sie nicht mit seinen eigenen Zielen in Konflikt gerieten3 . Zum anderen handele es rational I Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 32; R. L. Frey, Ökonomie als Verhaltenswissenschaft, Jahrbuch für Sozialwissenschaften (1981), S. 21, 35; M. Tietzel, Die Realitätsannahme in den Wirtschaftswissenschaften oder der homo oeconomicus und seine Verwandten. In: Jürgensen, H. I Littrrumn, K. I Rose, K. (Hrsg): Jahrbuch für Sozialwissenschaften Bd. 32, S. 115 ff., 1981.; SchäferiOtt, LehrbuchS. 46 (REM-Hypothese). 2 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 32 f. 3 Im Rahmen der Eigennutzannahme stellt sich die Frage danach, inwieweit sie mit einem altruistischen Verhalten der Akteure zu vereinbaren ist. Eidenmüller weist darauf hin, daß das Konzept des rationalen Nutzenmaximierers sehr allgemein ist und daher verschiedene Auslegungen zuläßt. Man kann den barmherzigen Samariter auch dann als Ausprägung des homo oeconomicus begreifen, wenn man interdependente Nutzenfunktionen in das Modell aufnimmt. Die Präferenz das Akteurs wird dann in Abhängigkeit von der Präferenz eines weiteren Akteurs definiert. Angesichts des Befundes, daß das Verhalten eines derartigen Akteurs in sogenannten "Dilemma-Strukturen" (Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 33) in der Regel mit großen Nachteilen für ihn verbunden ist, scheint es angemessen, den homo
I. Die REMM-Hypothese
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in bezug auf die von ihm verfolgten Ziele4 • Das Handeln des Menschen werde durch die Tatsache bestimmt, daß er in einer Welt lebt, in der die Ressourcen im Verhältnis zu seinen Bedürfnissen begrenzt sind und der Mensch daher zwischen verschiedenen Alternativen innerhalb eines Handlungsrahmens, der durch die Begrenzungen vorgegeben ist, wählen müsse5• Dies führe dazu, daß das rational agierende Individuum ein widerspruchsfreies System von Präferenzen hinsichtlich der gegebenen Möglichkeiten entwickele6 . Die REMM-Hypothese beschränkt sich nicht darauf, das Verhalten von Individuen zu verallgemeinern. Vielmehr soll aus der Zusammenfassung individueller Entscheidungen von gewisser Regelmäßigkeit auch auf kollektive Entscheidungen geschlossen werden können7 • Es ist der Verdienst der ÖTR, die REMM-Hypothese weiter ausdifferenziert und dadurch ein Wirklichkeitsgetreueres Abbild von Rationalität erzielt zu haben. Zwar macht die ÖTR keine Abstriche an die Eigennutzannahme, die diesem Forschungsansatz häufig den Vorwurf eingetragen hat, sich an einem eindimensionalen Menschenbild zu orientieren bzw. rechtliche Normen in erster Linie an den Bedürfnissen der am besten informierten und riicksichtslosesten Akteure zu messen8. Die entscheidende Wandlung liegt vielmehr im Perspektivenwandel von der Entscheidungslogik der Neoklassik hin zu einer modifizierten Entscheidungstheorie, die insbesondere durch die Vertreter der Neuen Institutionenökonomik vorangetrieben wird.
oeconomicus als eigennützig zu modellieren, d. h. interdependente Präferenzen nicht zuzulassen, vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 31 ff. 4 Wiekhorst, S. 33. 5 Posner, Economic Analysis., S. 4 ff. (1. Kapitel). Zur Hypothese der Knappheit vgl. ausführlich Schäfer/Ott, Lehrbuch 3. Kapitell.!. 6 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 33 mit Verweis auf 1. Rawls, Eine Theorie der Gerechtigkeit, 6. Auflage 1991, S. 166. 7 G. Kirchgässner, Homo Oeconomicus, 1991., S. 13 ff., 23. 8 Vgl. dazu Fezer, IZ 86, 817, 822, 824, derselbe JZ 1988, 223, 224, 228 und White, 54 Tenn. L. Rev. 161, 183. Eine Widerlegung dieses Arguments findet sich z. B. bei Eidenmüller, der zu Recht darauf hinweist, daß selbst der dezidiert anti-utilitaristische Ansatz, der die Theorie der Gerechtigkeit von Rawls kennzeichnet, vom Menschenbild des homo oeconomicus ausgeht (vgl. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 174 mit Verweis auf Rawls, A Theorie of Justice, S. 22 (1971)) sowie bei Homann und Hecker, die darauf hinweisen, daß es nicht Ziel der REMM-Hypothese sei, den Menschen in der ganzen Breite seiner historischen und gegenwärtigen Existenz zu erfassen, sondern nur ein Modell zu liefern, daß bei aller Abstraktion Rückschlüsse auf bestimmte, für die Ökonomie zentrale Situationen zuzulassen, vgl. K. Homann, Homo oeconomicus und Dilemmastrukturen, S. 400 F. (1994), G. Becker, G.: Nobel Lecture: The Economic Way of Looking at Behavior, 101 Journal of Political Economy, S. 385 (1983).
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4. Kap.: Pfeiler der ökonomischen Theorie des Rechts 1. Die REMM-Hypothese in der Entscheidungslogik
Aus der- normativen - Perspektive der Entscheidungslogik basiert die REMMHypothese auf drei Gruppen von Annahmen, nämlich die Informationsannahmen, die Annahmen über die Präferenz- und Werteordnung und schließlich die Entscheidungsregeln9. Die Annahmengruppen haben knapp zusammengefaßt den folgenden Inhalt: Die lnformationsannahmen: Bedingt durch die Informationen, die in einer vom Entscheidenden nicht weiter zu beeinflussenden Umweltsituation vorgegeben sind, kann sich der Mensch in drei Entscheidungssituationen befinden, nämlich Entscheidungen unter Sicherheit, Entscheidungen unter Risiko und Entscheidungen unter Unsicherheit. In einer Entscheidungssituation unter Sicherheit kennt der homo oeconomicus alle ihm offenstehenden Handlungsalternativen und die daraus resultierenden Ergebnisse 10, unabhängig davon, wie komplex die zu verarbeitenden Informationen sind. Entscheidungen unter Risiko und Entscheidungen unter Unsicherheit unterscheiden sich dadurch, daß der Entscheidende bei der Entscheidung unter Risiko eine Vorstellung über die Eintrittswahrscheinlichkeit der möglichen Umweltsituation besitzt, während er bei der Entscheidung unter Unsicherheit keine solchen Vorstellungen hat 11 : Die Annahmen über Präferenz- und Werteordnungen: Der homo oeconornicus ist in der Lage, ein in sich geschlossenes, widerspruchsfreies System von Präferenzen zu entwickeln. In der Entscheidungssituation kann er eine schwache Ordnung seiner Alternativen vornehmen. Dies bedeutet, daß der Akteur bei allen möglichen Paaren von Ergebnissen angeben kann, ob er ein Ergebnis dem anderen vorzieht oder ob er beiden Ergebnissen gegenüber indifferent ist 12. Die Präferenzordnung des Akteurs kann auch als eine Nutzenfunktion ausgedruckt werden, in der jedem möglichen Ergebnis eine reelle Zahl, der sogenannte Nutzen, zugeordnet wird. Dies setzt die Meßbarkeit von Nutzen voraus 13 - eine in der Wirtschaftswissenschaft noch immer umstrittene Frage. Die Annahmen über die Entscheidungsregeln: Die Entscheidungslogik geht davon aus, daß der homo oeconomicus seine Entscheidungen in der Weise trifft, daß er "etwas" maximiert (z. B. den Nutzen) oder "etwas" minimiert (z. B. Kosten) 14. 9 Vgl. dazu ausführlich W Kirsch, Einführung in die Theorie der Entscheidungsprozesse, 2. Auflage 1977. Bd. I, S. 27 -42. IO Handlungsalternativen bezeichnen in der Entscheidungssituation die Aspekte, die unter der Kontrolle des Entscheidenden stehen. II Vgl. dazu ausführlich Kirsch, Bd. I, S. 27 ff. 12 Kirsch, Bd. 1 S. 30; Heinen in Gablers Wirtschaftslexikon , Bd. 1 zum Stichwort "Entscheidungstheorie", S. 1134. 13 Kirsch, Bd. 1 S. 32; Heinen in Gablers Wirtschaftslexikon , Bd. I zum Stichwort "Entscheidungstheorie", S. 1134. 14 Kirsch, Bd. 1 S. 40; Heinen in Gablers Wirtschaftslexikon , Bd. 1 zum Stichwort "Entscheidungstheorie", S. 1134.
I. Die REMM-Hypothese
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Bei Entscheidungen unter Sicherheit wird der homo oeconomicus versuchen, seinen Nutzen zu maximieren, indem er die Entscheidungsalternative auswählt, deren Nutzen am größten ist 15 • Die Entscheidungsregeln werden komplexer, wenn die Entscheidung unter Risiko oder unter Unsicherheit getroffen werden müssen. Die Ergebnisse der Handlungsalternativen können dann nicht mehr eindeutig angegeben werden, da jede Alternative durch eine Reihe alternativ möglicher Ergebnisse gekennzeichnet ist 16• Der Akteur muß dann die Entscheidung nach einer Regel fällen, die angibt, welche Alternative bei gegebenen Ergebnissen und u.U. feststehenden Eintrittswahrscheinlichkeiten jeweils anderen vorgezogen wird 17 • Insofern sind die Entscheidungsregeln das Instrumentarium des homo oeconomicus für Entscheidungen unter Risiko oder Unsicherheit. 2. Die Modifizierung der REMM-Hypothese in der Neuen Institutionenökonomik
Die ÖTR (insbesondere die Neue Institutionenökonomik und die eng an sie angrenzende Informationsökonomik 18) behält die mit der REMM-Hypothese verbundene Rationalitätsannahme grundsätzlich bei, modifiziert das Modell aber in erheblichem Umfang, indem sie nicht nur umweltbedingte Informationsprobleme, sondern auch die Auswirkungen der begrenzten menschlichen Kapazität zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen berücksichtigt. Dies führt zur Einschränkung der oben dargestellten Annahmen über Informationen, Präferenz- und Werteordnungen sowie Entscheidungsregeln. Die Annahme der vollständigen Information wird aufgegeben. Dies liegt nicht nur daran, daß mit der Einführung von Transaktionskosten in ein Modell die mit der Suche nach Informationen verbundenen Kosten berücksichtigt werden müssen, sondern auch daran, daß Individuen beschränkte Fähigkeiten zur Aufnahme und Kirsch, Bd. 1 S. 40. Bitz in Vahlens großes Wirtschaftslexikon, Bd. 1, zum Stichwort "Entscheidungstheorie", S. 564. 17 Vgl. dazu ausführlich Kirsch, Bd. 1 S. 40. Die wichtigsten Entscheidungsregeln sind u. a. die Bayes-Regel (Maßgeblich ist der Erwartungswert des Nutzens. Der Akteur wählt jene Alternative, bei der dieser Erwartungswert maximiert wird), die Minimax-Regel (Der Akteur wählt die Alternative, bei der der Erwartungswert bei Eintritt der relativ ungünstigsten Umweltsituation am größten ist), die Maximax-Regel (Der Akteur wählt die Alternative, bei der der Erwartungswert bei Eintritt der relativ günstigsten Umweltsituation am größten ist), vgl. dazu ausführlich Kirsch, Bd. 1 S. 41 f. Welche Entscheidungsregel herangezogen wird, hängt auch von der individuellen Disposition des Akteurs ab, so davon, ob es sich um einen pessimistisch oder optimistisch eingestellten Entscheidungsträger handelt, vgl. Heinen in Gablers Wirtschaftslexikon , Bd. 1 zum Stichwort "Entscheidungstheorie", S. 1135. Bestimmte Entscheidungsregeln versuchen, diesem Phänomen noch Rechnung zu tragen, vgl. dazu Kirsch. 18 Vgl. dazu Picot/Wolffin Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 2 zum Stichwort "Informationsökonomik", S. 1870. 15
16
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4. Kap.: Pfeiler der ökonomischen Theorie des Rechts
Verarbeitung von Informationen haben 19. Nach Simons Theorie der "eingeschränkten Rationalität/bounded rationality"20 führen in der Natur der menschlichen Informationsaufnahme und -Verarbeitung liegende Beschränkungen dazu, daß der Akteur in der Regel nur über fragmentarische und zufallsbedingte Informationen über die für die Entscheidung relevanten Größen und Zusammenhänge verfügt21 . Die Beschränkungen machen sich nicht nur beim Erwerb und der Verarbeitung von Informationen - z. B. durch die Phänomene der selektiven Wahrnehmung oder der Informationsüberlastung - bemerkbar, sondern führen auch zu einer Modifizierung der Annahmen über die Präferenz- und Werteordnungen und die Entscheidungsregeln. Zumindest in komplexen Entscheidungssituationen muß davon ausgegangen werden, daß der Akteur nicht als das "Modell des rational handelnden, vollkommen informierten, "seismographisch" und unendlich schnell reagierenden Entscheidungsträgers"22 charakterisiert werden kann, sondern daß dem Akteur nicht sämtliche Entscheidungsalternativen bekannt sind und der Entscheidende auch den Alternativen keine eindeutigen Konsequenzen zuordnen kann23 . Angesichts dieser Beschränkungen sind auch die Entscheidungsregeln bescheidener ausgestaltet. Ziel der Entscheidung ist nun nicht mehr das Maximum oder Optimum einer irgendwie bekannten Funktion, sondern die Erreichung eines zufriedenstellenden Anspruchs (satisficing) 24. Schließlich führen die Abstriche an die Annahme der Rationalität auch dazu, daß Abstriche an den Wert von Aussagen über menschliches Verhalten gemacht werden müssen, die bei Zugrundelegung der REMM-Hypothese innerhalb der Modellwelt gewonnen werden.
II. Das Effizienzkriterium
Die zentrale Zielsetzung einer neoklassisch beeinflußten Ökonomischen Analyse des Rechts ist die Erreichung von Effizienz. Unter Effizienz bzw. Allokationseffizienz ist, auf eine einfache Formel gebracht, der Versuch zu verstehen, das volkswirtschaftliche Gesamtvermögen zu maximieren25. Die Maximierung des 19 Richter!Furubotn, Kapitell; 1.1 c), S. 4. Vgl. dazu ausführlich H.A. Simon, A Behavioral Mode of Rational Choice, 69 Quaterly Journal of Economics, 1955, S. 99 ff. ; derselbe, 63 Psychological Review 129 ff. (1956), derselbe in: Mc Guire/Radner; S. 161 ff. 21 Picot/Wolffin Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 2 zum Stichwort "lnformationsökonomik", s. 1872. 22 Reinen in Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 1 zum Stichwort "Entscheidungstheorie", s. 1133. 23 Reinen in Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 1 zum Stichwort "Entscheidungstheorie", s. 1135. 24 Picot I Wolf! in Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 2 zum Stichwort "lnformationsökonomik", S. 1873. 25 Blaschczok: Gefährdungshaftung, S. 141. 2o
II. Das Effizienzkriterium
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volkswirtschaftlichen Gesamtvermögens wird in der Regel durch die folgenden Formeln beschrieben: Zum einen ist das Pareto-Optimum zu nennen, nach dem ein Zustand einem anderen dann vorzuziehen ist, wenn zumindest ein Individuum eine Erhöhung seines Nutzens erfährt, ohne daß ein anderes Individuum einen Nachteil erleidet26• Das Pareto-Optimum spielt als Maßstab für staatliche Entscheidungen weder in der ÖTR noch in der ÖAR eine entscheidende Rolle, da derartige Maßnahmen typischerweise durch Wirkungen gekennzeichnet werden, die das Wohl bestimmter Personen erhöhen und das anderer vermindern27• Darüber hinaus ist der Zustand, in dem kein Pareto-Optimum besteht, selbst innerhalb eines Modells, das die Existenz von Transaktionskosten in die Überlegung einbezieht, schwer denkbar. Nachdem niemand von der Veränderung einen Nachteil erfahren und zumindest einer von ihr profitieren würde, würden rationale Akteure diese Veränderung auch ohne weitere Anreize herbeiführen28 . Den wichtigsten Maßstab für das Bestehen von Effizienz stellt daher das Kaldor-Hicks Kriterium da?9 , nach dem ein sozialer Zustand x einem sozialen Zustand y vorzuziehen ist, wenn vom Zustand x aus gesehen alle durch den Übergang von y zu x benachteiligten Gesellschaftsmitglieder entschädigt werden können und nach dieser Entschädigung mindestens ein Gesellschaftsmitglied den Zustand x dem Zustand y und niemand den Zustand y dem Zustand x vorzieht30. Entscheidend ist, daß es anders als beim Pareto-Optimum nur um die Möglichkeit der Kompensation geht und nicht darum, diese tatsächlich vorzunehmen. Vor dem Hintergrund, daß Rechtsnormen häufig eine Nutzensteigerung für eine Partei und eine Nutzenminderung für eine andere Partei bewirken, wird das Kaldor-Hicks-Kriterium in der Regel als theoretische Grundlage für die bei öffentlichen Maßnahmen verwendete Kosten-Nutzen-Rechnung herangezogen 31 • Staatliche Maßnahmen sind nach diesem Ansatz dann effizient, wenn ihr in Geld bewerteter Gesamtnutzen höher ist als die Gesamtkosten32. Als alleinige Zielsetzung zur Beurteilung rechtlicher Nonnen stößt das Effizienzkriterium nicht auf uneingeschränkte Anerkennung. Die Auseinandersetzung darum gleicht einem Glaubenskrieg, bei dem es auch den uneingeschränkten Vertretern der ÖAR nicht gelingt, die Erzielung von Allokationseffizienz als Wert um 26 P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 84, mit Verweis auf Pareto, Manuel d' economie politique, S. 617 ff. (1909); Schäfer in Ottl Schäfer, Allokationseffizienz, S. 3. 27 Schäfer in Ott/ Schäfer, Allokationseffizienz S. 3. 28 Vgl. dazu Calabresi, 100 Yale L. J. 1211, 1216. 29 Vgl. Posner, Economic Analysis, 1. Kapitel, S. 14. 30 Kaldor, Welfare Propositions of Economics and Interpersonal Comparisons of Utility, 49 Economic Journal, 1939, 696, 706 . Definition zitiert nach Sen: Collective Choices and Social Welfare, S. 21. 31 Schäfer in Ott/Schäfer, Allokationseffizienz S. 3. 32 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 36. 10 Kollmann
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4. Kap.: Pfeiler der ökonomischen Theorie des Rechts
ihrer selbst willen zu begründen33 . Folge dieser Erkenntnis ist es, daß die Vertreter der ÖTR von dem uneingeschränkten Streben nach Effizienz abrücken. Die ÖTR versteht sich als Teil einer Gesamtbetrachtung des Rechts im Sinne einer breiter angelegten "sozial-ökonomischen Theorie des Rechts", die die Unantastbarkeit eines Kerns von Rechten akzeptiert34 und neben dem Kriterium der Effizienz auch das Postulat des Verteilungsoptimums und der Gerechtigkeit in ihre Kalkulation aufnimme 5 . Effizienz stellt dann nicht einen Wert per se dar, sondern die ÖTR wird als "Instrument zur Verfolgung beliebig vorgegebener Ziele eingesetzt, nämlich als ein Analyseinstrument, das es bei einem gegebenen Ziel ermöglicht, das mutmaßlich tauglichste Regelungsinstrumentarium zu entwerfen"36. Regeln werden auf ihre wirtschaftlichen Vor- und Nachteile untersucht und die gesamtwirtschaftlich vorteilhafte Regelung auf ihre Vereinbarkeit mit anderen anerkannten Zielsetzungen der Rechtsordnung überprüft. Eine derartige Analyse soll im folgenden Kapitel vorgenommen werden, wobei die weitergehende Untersuchung der "anderen Ziele" - wie z. B. Fragen von Gerechtigkeit und Moral - im Rahmen dieser Arbeit außer Acht gelassen wird.
33 Teilweise wird die Herbeiführung von Allokationseffizienz als Wert per se gesehen, so daß diese Zielsetzung keiner weiteren Begriindung bedürfe. Kennzeichnend für diese These und die dagegen vorgebrachte Kritik ist die Kontroverse zwischen Posner und Dworkin (vgl. dazu Dworkin, IX J. of Legal Studies, 191 ff. (1980) und Posner; IX J. of Legal Studies, 243 ff. (1980) sowie Dworkin, 8 Hofstra L. Rev. 563 ff. (1980). Ein anderer Ansatz liegt in der Ableitung des Ziels der Herbeiführung der Allokationseffizienz aus einem Gesellschaftsvertrag, siehe dazu ausführlich Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 240 ff. sowie die Arbeiten von Posner, 8 Hofstra L. Rev. 487 ff. (1980); J. C. Harsanyi, Cardinal Uti1ity in Welfare Economics and in the Theory of Risk-Taking, 61 Journal of Political Economy, S. 434 ff., 1953.; derselbe, 63 J. Pol. Econ. 309 ff.(1955), derselbe, Morality and the Theory of Rational Behavior, S. 39, 45. Zur Kritik an den Theorien eines Gesellschaftsvertrages im Sinne Posners siehe Dworkin, 8 Hofstra L. Rev. 563 ff. (1980) und R. Cooter, The Best Right Laws: Value Foundations of the Economic Analysis of Law, 64 Notre Dame Law Review, 817 ff. (1989); Komhauser, 8 Hofstra L. Rev. 591 ff. (1980) (alle Autoren stützen ihre Kritik auf das Phänomen der asymetrischen Betroffenheit) sowie zur Kritik an Harsanyi vgl. Rawls, A Theory of Justice und derselbe, Political Liberalism. 34 J. Taupitz, Ökonomische Analyse des Haftungsrechts. Eine Zwischenbilanz, AcP 196, S. 114, 1996, 115, 126, Blaschczok: Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 253 f., H. D. Assmann, Kommentar. In: Ott, C. I Schäfer, H.B.: Allokationseffizienz in der Rechtsordnung. Beiträge zum Travemünder Symposium zur ökonomischen Analyse des Zivilrechts. 23. - 26. März 1988, S. 45 ff., 1989. 35 Taupitz AcP 196, 115, 126m. w. N. 36 Blaschczok, Gefährdungshaftung und Risikozuweisung m. w. N. S. 272.
5. Kapitel
Ökonomische Theorie des Rechts von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung im Produkthaftungsrecht Die bisherigen Ausftihrungen haben sich mit dem theoretischen Ansatz der ÖTR beschäftigt, wobei unterstellt wurde, daß eine Anwendung der Theorie in der Praxis möglich ist. Wenn Stigler gegen die Beliebigkeil der Entscheidungsfindung in der klassischen Jurisprudenz wettert' und Adams einen Umschwung hin zu den "allgemeinen wissenschaftlichen Methoden (... ) wie sie in allen Naturwissenschaften und der Ökonomie üblich sind"2 fordert, so steckt dahinter die Überzeugung, daß die ÖAR ein Instrumentarium liefern kann, mit dem juristische Probleme mit naturwissenschaftlicher Genauigkeit gelöst werden können. Fezer und Horn warnen demgegenüber vor der "Gefahr der Scheinpräzision bestimmter ökonomischer Terminologien" 3 . Die unterschiedlichen Positionen berühren die zentralen Schwierigkeiten, die sich bei der Anwendung der sowohl von ÖAR als auch von ÖTR stellen. Zum einen ist die Modellbildung nicht so unproblematisch, wie dies einige Vertreter der ÖAR nahelegen. Mit zunehmender Vereinfachung sinkt der heuristische Wert eines Modells, wie bereits am Beispiel der REMM-Hypothese gezeigt wurde. Aber auch (über)komplexe Modelle beeinträchtigen die Aussagefähigkeit der Analyse. Posner beschreibt dieses Problem folgendermaßen: "When the economic analyst seeks to make a very simple modell more complex, for example by bringing in (... ) risk aversion and information costs, he runs the risk of finding hirnself with too many degrees of freedom: that is, with a modell so rich that no empirical observation can refute it- which means that no observation can support it, either"4 • Die Untersuchung vermag also nur dann eine realistische Beschreibung der komplexen Mechanismen zwischen den betroffenen Akteuren zu liefern, wenn die Gratwanderung zwischen unzulässiger Vereinfachung und Überfrachtung des Modells gelingt. Zum anderen stellt sich die Frage nach der Meßbarkeit der scheinbar klaren Termini, mit denen die ÖAR und ÖTR argumentieren. Wenn beispielsweise von "Kot Vgl. G. J. Stigler; The Law and Economics of Public Policy, 1 Journal of Legal Studies, 1, 1972. 2 M. Adams, Ist die Ökonomie eine imperialistische Wissenschaft?- Über Nutz und Frommen der ökonomischen Analyse des Rechts, Jura 1984, 337, 344. 3 K. H. Fezer; Aspekte einer Rechtskritik an der economic analysis of law und am property rights approach, JZ 1986,817, 823; Horn, AcP 176, S. 307, 331 (1976). 4 Posner; Economic Analysis, § 1.3. S. 17.
10*
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5. Kap.: ÖTR von Gefahrdungs- und Verschuldenshaftung
sten" und "Nutzen" gesprochen wird, so setzt dies voraus, daß sich diese ermitteln und in Geldwerte übersetzen lassen. Diese Frage wird bei der folgenden Untersuchung der beiden Fehlerbegriff innerhalb der Modellwelt der ÖTR zunächst ausgeklammert und im Rahmen von Teil C der Arbeit diskutiert. Gegenstand dieses Kapitels ist die Untersuchung von informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen aus der Perspektive der ÖTR. Die Frage, wie die Haftungslast zwischen Hersteller und Verbraucher verteilt sein muß, um ein wirtschaftlich effizientes Ergebnis zu erzielen, ist in einer Reihe von Arbeiten der ÖAR bereits behandelt worden. Zu nennen sind hier beispielsweise die Untersuchungen von Shavell5 und Landes und Posner6 sowie im deutschen Rechtskreis die von Adams7 und Finsinger und Simon8 . M.E. leiden diese Arbeiten darunter, daß sie aus einer ergebnisorientierten Perspektive argumentieren, die in den bestehenden Haftungsregeln des deutschen und des amerikanischen Rechts keine Entsprechung findet. Kennzeichen dieser Arbeiten ist, daß eine Herstellerhaftung für jeden produktbedingten Schaden undifferenziert mit einer Gefährdungshaftung bzw. strict liability gleichgesetzt wird, während nach ihren Ausführungen unter einer Verschuldenshaftung I negligence der Schaden in jedem Fall beim Verbraucher verbleibt9. Unter Beriicksichtigung der Ergebnisse des ersten Teils dieser Arbeit sind 5
I ff.
Vgl. S. Shavel/, Strict Liability versus Negligence, IX Journal of Legal Studies, 1980,
6 W.M. Landes IR. A. Posner; A Positive Economic Analysis of Products Liability, XIV Journal ofLegal Studies, 1985, S. 535. 7 M. Adams,EG-Produkthaftungs-Richtlinie: Wohltat oder Plage? - eine ökonomische Analyse, 1987. 8 Finsinger/Simon: Eine ökonomische Bewertung, S. 48 ff. (1989). 9 Die Annahmen sind nicht bei allen Arbeiten gleich: Shavell berücksichtigt zwar, daß der Schädiger unter negligence nur haftet, wenn er sorgfältig handelt, setzt aber die Gefahrdunghaftung mit einer Schadenstragung frir jeden adäquat-kausal verursachten Schaden gleich: "However, under a rule of strict liability, the situation is different. Because an injurer must pay for Iosses whenever he is involved in an accident, he will be induced to consider the effect of accident Iosses of both Ievel of care and Ievel of activity. ",IX J. ofLegal Stud., 1, 3. Landes und Posner gehen von einer vollen Schadenstragung durch den Hersteller unter Gefährdungshaftung aus (,,In a joint care situation, strict liability is the mirror image of no liability, provided (... ) that there is no defense of or equivalent to contributory negligence", XIV J. of Legal Stud. 535. Sie schränken diese Annahme im Bereich von Konstruktionsfehlern mit folgendem Argument ein: "Defective design. Here rather little need to be said because the courts follow an explicit Hand formula approach.", XIV J. of Legal Stud. 535. Diese Behauptung stimmt nicht mit den Feststellungen des zweiten Kapitels überein, nachdem sich die Gerichte entweder nach Kosten-Nutzen-Analysen oder aber nach dem consumer expectation test richten. Finsinger I Sirnon gehen von den angesprochenen Gegensätzen zwischen Gefährdungsund Verschuldenhaftung aus: "Den diametralen Gegensatz zu diesem Haftungssystem stellt die reine Gefährdungshaftung dar. Man verlagert die Haftlast vom Käufer auf den Hersteller. Nur wenn der Schaden dem Käufer zuzurechnen ist [d. h. wenn der Käufer seine eigenen Sorgfaltspflichten nicht beachtet hat, Anmerkung der Verfasserin], bleibt der Schaden
5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
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diese Annahmen unzutreffend. Tatsächlich verbietet sich eine ergebnisorientierte Unterscheidung, denn die Frage, wer den Schaden endgültig zu tragen hat, ist jedenfalls im Konstruktionsbereich gerade nicht mit der Entscheidung für ein bestimmtes Haftungssystem beantwortet, sondern ist das Ergebnis einer Abwägung von normativen Gesichtspunkten, die unter dem Schlagwort der "Produktfehlerhaftigkeit" behandelt werden. Für eine Untersuchung aus Sicht der ÖTR führt dies m.E. zu der folgenden Schlußfolgerung: Untersuchungsgegenstand ist nicht die endgültige Haftungszuweisung, sondern die zur Disposition stehenden Modelle der Produktfehlerhaftigkeit. Im Rahmen der Untersuchung ist zu fragen, welche Anreize von dem jeweiligen Fehlerbegriff auf das Verhalten der Akteure zu erwarten sind. Dabei sind die Besonderheiten des jeweiligen Fehlerbegriffs im Modell zu beriicksichtigen. Bei der Analyse des informationeilen Fehlerbegriffs ist unter Beriicksichtigung der untersuchten Modifizierungen der REMM-Hypothese auf die Aufwirkungen von Informationsdefiziten auf Verbraucherseite einzugehen. Im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen spielt die Frage der Fehlwahrnehmung von Verbrauchern keine wesentliche Rolle, hingegen können unzureichende Kenntnisse des Herstellers über das Schadenspotential des Verbrauchers und Schwierigkeiten des Gerichts, das optimale Sorgfaltsniveau festzulegen, zu einer ineffizienten Haftungszuweisung führen. Der Wechsel des Untersuchungsgegenstandes ist ein Beispiel der von Posner angesprochenen Beschränkung der ÖAR, die sich aus der Komplexität des Modells ergibt. Wie im folgenden zu zeigen ist, können zwar relativ zuverlässige Prognosen über die gesamtwirtschaftlichen Vor- und Nachteile jedes Modells gemacht werden, allerdings kommt es zwischen beiden Modellen zu gewissen Überschneidungen. Es können daher keine Rückschlüsse mit der gleichen Eindeutigkeit gezogen werden, wie dies etwa Adams tut 10. Vor dem Hintergrund dieser Beobachtung sollen die folgenden Fragen untersucht werden. Zunächst ist zu priifen, welche Anreize durch die Haftungsregel ge"liegen, wo er hinfällt", sonst muß der Hersteller vollen Schadensersatz leisten.", vgl. Finsinger/Simon, S. 35. Adams stützt seine ganze Analyse auf die angesprochene Annahmen, ohne sie explizit auszuführen, vgl. dazu S. 14 ff. 10 Vgl. dazu auch Brüggemeier: Die Gefährdungshaftung, S. 242: "Darüber hinaus führen Objektivierung der Fahrlässigkeit, Beweislastumkehr und Beweismaßreduktion m.E. zu einer nicht mehr auflösbaren Unterscheidung der wohlfahrtsökonomischen Effekte von Fahrlässigkeits- und Gefährdungshaftung. Unter diesen Voraussetzungen generalisierende Aussagen über die wohlfahrtsökonomische Vorteilhaftigkeit der Gefährdungshaftung zu machen, erscheint mir - gelinde gesagt - riskant." Schäfer und Ott weisen darauf hin, daß der informationelle Fehlerbegriff im Rahmen der "Gefährdungshaftung" der§§ 1, 3 ProdHaftG diskutiert werde (Lehrbuch, 9. Kapitel, 1.10.2., S. 287). Da diese Abgrenzung nur im deutschen Recht relevant wird, im amerikanischen Recht aufgrund der vielfachen Abweichungen in den einzelnen Staaten aber nicht praktikabel ist, werde ich diesen Ansatz nicht weiter verfolgen, sondern als Vergleichsobjekte nur Kosten-Nutzen-Analysen und den informationellen Fehlerbegriff wählen.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
setzt und welche Verhaltensweisen sanktioniert werden sollen. Die ÖTR verfolgt im Rahmen des Haftungsrechts sehr umfassende Zielsetzungen, die sich mit den Zielen des Haftungsrechts in Deutschland und den Vereinigten Staaten vereinbaren lassen müssen. Es ist im Anschluß darauf einzugehen, wie diese Ziele aus der Perspektive der ÖTR verwirklicht werden können. Es ist hier auf die grundlegende Arbeit von Coase zum Problem der sozialen Kosten und ihre Anwendung im Haftungsrecht einzugehen. Schließlich sind informationeHer Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen7Analysen unter Berücksichtigung der gewonnenen Erkenntnisse auf ihre "Effizienz" hin zu überprüfen.
I. Ziele des Haftungsrechts 1. Aufgaben des Haftungsrechts aus der Perspektive der Ökonomischen Theorie des Rechts
Wenn die ÖTR zur Beurteilung von Normen des Haftungsrechts herangezogen werden soll, so stellt sich die Frage, ob sich die Zielsetzungen des geltenden Zivilrechts in Deutschland und den Vereinigten Staaten und der ÖTR decken. Die Zielsetzungen der ÖTR sind umfassend. In seinem grundlegenden Werk zum Haftungsrecht identifiziert Calabresi drei Ziele, die auch in den später entstandenen Arbeiten zum Haftungsrecht zum Maßstab erhoben wurden: Als Primärziel nennt Calabresi die Reduzierung der Anzahl und der Schwere von Unfällen. Die Rechtsordnung kennt dabei zwei Instrumentarien, um dieses Ziel zu verwirklichen - entweder, indem sie die schadensträchtige Aktivität als solche mit einem Verbot belegt oder indem sie sie so "verteuert", daß die Aktivität zunehmend unattraktiv wird 11 • Eine derartige "Verteuerung" kann auch in zu erwartenden Schadensersatzansprüchen liegen, die der potentielle Schädiger in seine Kalkulation aufnimmt. Als Sekundärziel gilt die Reduzierung der Kosten von Unfällen für die Gesellschaft als ganze, die nicht durch die Reduzierung von Unfallhäufigkeit und schwere erzielt werden kann. Das Sekundärziel wird in der Regel mit der Kompensation der Unfallopfer gleichgesetzt 12. Schließlich ist als Tertiärziel die Senkung von Transaktionskosten zu nennen, die mit der Geltendmachung von haftungsrechtlichen Ansprüchen verbunden sind 13 . Die Bezeichnung als Primär- und Sekundärziele beziehen sich nicht auf die Bedeutung der Ziele, sondern sind zeitlich zu verstehen. Erst wenn die Vermeidung des Unfalls nicht möglich oder angemessen scheint, stellt sich die Frage nach deren Kompensation. Die genannten Zielsetzungen sind nicht zwangsläufig dekkungsgleich. Man kann sich dies am Beispiel des Ziels der Unfallvermeidung und 1l 12
13
Calabresi, The Costs of Accidents, S. 26 f. Calabresi, The Costs of Accidents, S. 27. Calabresi, The Costs of Accidents, S. 28.
I. Ziele des Haftungsrechts
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des Ziels der Senkung der gesellschaftlichen Gesamtkosten von Unfällen klarmachen. Die Vermeidung von Unfällen um jeden Preis ist mit - aus der Perspektive der Sekundärschadensvermeidung - unvertretbar hohen Kosten verbunden, während eine lückenlose Kompensation aller Schäden dem Ziel der Unfallvermeidung zuwiderläuft. Ziel des Haftungsrechts muß es daher sein, die Bemühungen um Schadensvermeidung und Reduzierung der gesamtwirtschaftlichen Sekundärund Tertiärkosten in ein optimales Gleichgewicht zu bringen. 2. Aufgaben des Haftungsrechts nach deutschem Zivilrecht
Decken sich diese Zielsetzungen mit denen des deutschen Haftungsrechts? In der Dogmatik des deutschen Zivilrechts dient der Schadensersatz nach noch h.M. maßgeblich dazu, das Opfer eines rechtswidrigen Eingriffs für die dabei entstandenen Schäden zu kompensieren, während die Vorstellung, das Haftungsrecht als Instrument zur Schadensprävention einzusetzen, eine eher untergeordnete Rolle spielt. Die abschreckende Wirkung eines drohenden Schadensersatzes wird zwar anerkannt, stellt aber bestenfalls einen zu begrüßenden Reflex der Kompensationsfunktion dar 14 . Eine Durchbrechung des Grundsatzes des Vorrangs der Kompensation gilt nur beim Schmerzensgeld, das neben der Kompensation dem Geschädigten auch eine Genugtuung für das verschaffen soll, was ihm der Schädiger angetan hat15 . Es ist in letzter Zeit ein Trend zu beobachten, "über den Einsatz des Schadensrechts als Mittel der Prävention und Erzwingung sozialgerechten Verhaltens generell und unvoreingenommen nachzudenken'" 6 , der teilweise in die Forderung einmündet, den Gedanken der Schadensverhütung zumindest gleichberechtigt neben den des Schadensersatzes treten zu lassen 17 • In der Praxis hat sich in den letzten Jahren ein Bereich herauskristallisiert, in dem der Gedanke der Schadensprävention zu einem maßgeblichen Faktor bei der Berechnung des Schadensersatzes geworden ist, nämlich der Anspruch auf Schmerzensgeld bei vorsätzlicher Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. In einer Entscheidung aus dem Jahre 1995 führt der BGH zum Problem der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts von Prinzessin Caroline v. Monaco durch fiktive Interviews in Klatschgazetten aus: "Eine Verurteilung zur Geldent14 K. Roussos, Schaden und Folgeschaden. Die systematischen und die Wertungsgrundlagen der Schadenszurechnung, 1992, S. 9 f.; MüKo-Grunsky, § 249 Rn 3; E. Lorenz, Immaterieller Schaden und billige Entschädigung in Geld, S. 95 ff., S. 115 ff. ; Köruigen, Haftpflichtfunktionen und Irnmaterialschaden, S. 61 f.; Deutsch, Haftungsrecht I, § 6 III; Soergel-Mertens, Vor § 249 Rn 26 ff.; Mertens, Der Begriff des Vermögenschadens im Bürgerlichen Recht, S. 109 f.; Kem, AcP 190, 247 ff. 15 Vgl. nur MüKo-Mertens § 847 Rn. 2 m.w. N. 16 Diederichsen, AcP 182, 101, 111 f. 17 Vgl. dazu ausführlich Steiner, 1. Teil,§§ 1-4, S. 5-54.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschu1denshaftung
schädigung ist aber nur dann geeignet, den aus dem Persönlichkeitsrecht heraus gebotenen Präventionszweck zu erreichen, wenn die Entschädigung der Höhe nach ein Gegenstück auch dazu bildet, daß hier die Persönlichkeitsrechte zur Gewinnerzielung verletzt worden sind.( .. .) Von der Höhe der Geldentschädigung muß deshalb ein echter Hemmungseffekt auch für solche Vermarktung der Persönlichkeit ausgehen" 18• Basierend auf dieser Überlegung spricht die Rechtsprechung Geschädigten in diesem Bereich erhebliche Schmerzensgelder zu; als Reflex dieser Rechtsprechung ist es zu einer Angleichung der Schmerzensgelder im Bereich der Körperverletzung gekommen 19, deren Höhe eine abschreckende Wirkung haben dürfte20• In der Literatur wird anknüpfend an diese Rechtsprechung eine weitere spürbare Anhebung der Schmerzensgelder auch im Bereich der Körperverletzung gefordert, die damit begrundet wird, daß ein auf menschliche Würde und Freiheit ausgerichtetes Rechtssystem auf die schweren Einbußen für die menschliche Lebensqualität und die eigenbestimmte Entfaltung der Persönlichkeit, die mit einer nachhaltigen Körperverletzung verbunden sind, mit höchster Sensibilität reagieren müsse21 • Ob sich aus dieser Lockerung des Kompensationsgedankens als alleiniges Ziel des Schadensersatzrechts der Befund ableiten lassen kann, die Präventionsfunktion von Schadensersatznormen habe sich gleichberechtigt neben der Kompensationsfunktion etabliert22, erscheint zweifelhaft, wie sich m.E. insbesondere auch an der Berechnung sonstiger Schadensersatzanspruche zeigt23 • Hinzu kommen strukturelle Unterschiede zwischen der Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht und zur Kompensation von Eingriffen in die körperliche Integrität. Die erwähnte Rechtsprechung zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht bezieht sich auf dessen vorsätzliche Schädigung. Selbst wenn dem Hersteller bei der Wahl einer bestimmten Konstruktion ein bewußtes Abwägen zwischen einer ihm vorhersehbaren Anzahl an Verletzungen nachgewiesen werden kann, dürfte dies nicht ausreichen, um die vorsätzliche Schädigung des konkreten, dem Produzenten persönlich unbekannten geschädigten Verbrauchers zu bejahen. Produzentenhaftung wird sich daher in der Regel auf die fahrlässige Verletzung von Sorgfaltspflichten stützen. 1s BGH NJW 1995, 861, 865.
MüKo-Menens, § 847 Rn. 8. Während die Bemessung des Schmerzensgeldes in der Nachkriegszeit noch so niedrig war, daß dies Mertens zu der Kritik veran1aßt, "daß die Schmerzensgelder in schweren Fällen weniger als Anerkennung denn als Verhöhnung der betroffenen elementaren Lebensgüter verstanden werden" müßten, "wie sie allenfalls in der nationalsozialistischen Epoche dem Zeitgeist entsprochen haben mag" (vgl. MüKo-Mertens, § 847 Rn. 8), werden zunehmend erhebliche Summen zugesprochen (500 000 DM bei schwerster geistiger und körperlicher Behinderung eines vierjährigen Mädchens, LG Oldenburg vom 11. 10. 1989 in Hacks IRingIBöhm S. 279; 500 000 DM bei kompletter Querschnittslähmung einer Schülerin, OLG Frankfurt vom 15. 12. 1992 inHacksiRingiBöhm S. 280 ). 21 MüKo-Mertens, § 847 Rn. 8. 22 So Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, Teil A 13.2. - S. 31. 23 Vgl. dazu die ausführliche Untersuchung im 7. Kapitel, li. 19
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I. Ziele des Haftungsrechts
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Zum anderen wird der Anspruch auf Kompensation bei der Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dogmatisch anders begründet. Bei einer Entschädigung wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts handele es sich nicht im eigentlichen Sinne um ein Schmerzensgeld nach§ 847 BGB, sondern um einen Rechtsbehelf, der auf den Schutzauftrag aus Art. 1 und 2 I GG zurückgehe und auf dem Gedanken beruhe, daß Verletzungen der Würde und Ehre des Menschen ohne ein derartiges Instrumentarium häufig ohne Sanktion blieben mit der Folge, daß der Rechtsschutz der Persönlichkeit verkümmern müsse24. Diese-behauptete - Andersartigkeit nimmt der BGH zum Anlaß, die Bemessung des Umfangs des zu zahlenden Schadensersatzes auf andere Erwägungen zu stützen, als dies beim Schmerzensgeld der Fall ist. Schließlich dürften die Anforderungen, die sich an die Ermittlung eines angemessenen Schmerzensgeldes stellen, in beiden Fällen unterschiedlich sein. Während die Ausbeutung der Intimsphäre für den Schädiger einen meßbaren Marktwert hat, der sich etwa an der konkret verkauften Auflage und den daraus resultierenden Gewinnen orientiert, stößt der Versuch, die auf eine Körperverletzung zurückgehende Einbuße der Lebensqualität in einen angemessenen ·Geldbetrag umzusetzen, auf schier unüberwindbare Schwierigkeiten25 • Soweit im folgenden das Ziel der Verhütung von Primärschäden gleichberechtigt neben dem Gedanken des Ausgleiches bereits entstandener Schäden untersucht wird, gehe ich von den bestehenden Zielsetzungen der ÖTR aus, die m.E. noch keine uneingeschränkte Anerkennung in der deutschen Zivilrechtsdogmatik finden. 3. Aufgaben des Haftungsrechts nach amerikanischem Zivilrecht
Im amerikanischen Recht ist eine Reihe von Zielsetzungen anerkannt, die bei der Entscheidung über die Haftungsfrage eine Rolle spielen sollen. Prosser und Keeton nennen die folgenden Faktoren: das rechtlich anerkannte Bedürfnis des Opfers, für seine Schäden kompensiert zu werden, die moralische Vorwerfbarkeit, die mit dem Verhalten des Schädigers verbunden ist, das Bedürfnis, das Verhalten des Schädigers durch die Rechtsordnung zu sanktionieren (in Abgrenzung zu den "Lästigkeiten" des Umgangs zwischen Rechtssubjekten, die noch keinen deliktischen Eingriff darstellen) und schließlich der Gedanke von Prävention und Strafe I Genugtuung für das Opfer6 . Über das Verhältnis der Faktoren untereinander kann keine abschließende Aussage gemacht werden, sondern ist bei der Beurteilung des Einzelfalls zu entscheiden27 . Jedoch stellen das Ziel der Entschädigung des Opfers und der Präventionsgedanke zwei maßgebliche Säulen des amerikanischen De24 25 26 27
BGH NJW 1995, 861, 864 f. Vgl. dazu die ausführliche Diskussion im 7. Kapitel, II. l.b). Prosser & Keeton, Chapter 1, § 4, S. 20 ff. Prosser & Keeton, Chapter 1, § 4, S. 20.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
liktsrechts dar8 , während etwa die Frage eines moralischen Unrechts eine eher untergeordnete Rolle spielen dürfte29• Daß insbesondere der Präventionsgedanke eine erhebliche Rolle spielt, zeigt sich m.E. an der Berechnung des Schadensersatzanspruchs, der bisweilen weit über das materiell Notwendige zur Wiederherstellung des status quo ante hinausgeht30• Somit kann folgendes Ergebnis festgehalten werden. Aus der Perspektive der ÖTR ist das Haftungsrecht nicht primär als Instrument zur Kompensation von deliktischen Schäden zu begreifen, sondern als differenziertes System von Anreizen und Sanktionen, die sowohl der Schadensvermeidung als auch der Kompensation dienen. Ziel ist es, die verschiedenen Zielsetzungen in ein optimales Gleichgewicht zu bringen. Diese Ziele sind im deutschen Zivilrecht nur teilweise verankert, das die Aufgabe des Haftungsrechts in erster Linie im Ausgleich entstandener Schäden sieht. Jedoch gewinnt die Präventionswirkung des Deliktsrechts im Rahmen der Berechnung des Schmerzensgeldes für gravierende Körperschäden zunehmend an Bedeutung. Im amerikanischen Recht ist das Nebeneinander von Abschreckung und finanzieller Entschädigung des Opfers in der Dogmatik des tort-law fest verankert.
II. Pigou gegen Coase: Das Konzept der unilateralen Schadensverursachung gegen das Konzept der widerstreitenden Aktivitäten Ausgangspunkt für die Beschäftigung mit den Funktionsweisen von Rechtsnormen aus ökonomischer Sicht und für die Anwendung dieser Methodik auf das Problem von Konstruktionsfehlern ist die Arbeit von Coase zum Problem der sozialen Kosten31 • Coases Anliegen ist es nicht nur, den Blick der Juristen für die Auswirkungen von rechtlichen Regelungen auf die Wirkungsweisen des Marktes zu öffnen, sondern auch die zur Zeit des Erscheinens dieses Aufsatzes in der Volkswirtschaft anerkannten Theorien der Wohlfahrtsökonomie in Frage zu stellen32. Auf 28 Vgl. Prosser & Keeton, Chapter 1, § 4, S. 20: "It is sometimes said that compensation for Iosses is the primary function of tort law and the primary factor influencing its development. It is perhaps more accurate to describe the function as one of detennining when compensation is tobe required." und S. 25: "The "prophylactic" factor of preventing future harms has been quite important in the field of torts. The courts are concemed not only with compensation of the victim, but with admonition of the wrongdoer." 29 Vgl. Prosser & Keeton, Chapter 1, § 4, S. 22: "Today we have retreated from this position, although perhaps somewhat less than often stated. Of course, if we say that all liability rests on "fault", than the "fault" must be "legal" or "social" fault, which may, but does not necessarily coincide with personal immorality." 30 Vgl. dazu ausführlich die Diskussion im 7. Kapitel, II. 2. 31 R. Coase, The Problem of Social Costs, 3 J oumal of Law & Economics, 1960, 3 ff. 32 Kirchner in Assmann/Kirchner/Schanze, Einleitung zu Coase, Das Problem der sozialen Kosten, S. 129.
II. Pigou gegen Coase
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das Coase-Theorem in Abgrenzung zum Konzept der Pigou-Steuer ist hier nicht nur aufgrund der grundlegenden Bedeutung der Arbeit Coases für die ÖTR einzugehen, sondern auch aufgrund der Übertragbarkeit der grundsätzlichen Überlegungen von Coase über die Wirkung von Rechtsnormen auf das im Rahmen dieser Arbeit zu behandelnde Problem. Coases Arbeit über die sozialen Kosten setzt sich mit dem in der Wohlfahrtsökonomik anerkannten Ansatz Pigous auseinander, die Externalisierung von Kosten über die sogenannten Pigou-Steuern zu verrneiden 33 • Die Pigou-Steuer beruht auf dem Befund, daß menschliche Aktivitäten mit Kosten für die gesamte Volkswirtschaft verbunden sind. Diese Kosten können z. B. in der Belastung der Umwelt durch Abgase, in der Belastung von Rechtsgütern Dritter - etwa durch die Schäden, die durch Ernissionen an Gesundheit und Eigentum von Anrainern entstehen u.ä.- bestehen. Der Akteur wird diese Kosten allerdings nur dann in seine private Kalkulation aufnehmen, wenn er durch entsprechende Rechtsregeln dazu verpflichtet ist, diese Kosten zu tragen. Hat der Akteur für die Kosten nicht einzustehen, kommt es zu Fehlleistungen des Marktes - zu niedrige Marktpreise, zu hohe Produktion, Raubbau an den zusätzlichen Produktionsfaktoren etc. 34 . Nach dem Pigouschen Ansatz wird das soziale Optimum dadurch erreicht, daß die Aktivität wie z. B. die Produktion eines Gutes mit einer Steuer belastet wird, deren marginaler Satz in der Höhe genau den marginalen externen Kosten entspricht, die jeweils bei der pareto-optimalen Menge besteht, so daß die Steuer dann die privatwirtschaftliche Entscheidung in gesamtwirtschaftlich erwünschter Weise korrigiert35 . Das in der Literatur bekannte Funkenflug-Beispiel36 mag dies verdeutlichen: Durch den Funkenflug von Eisenbahnen entstehen an den Wäldern in der Nähe der Eisenbahnlinie Brandschäden. Die Eisenbahnlinie wird diese Schäden nur dann in ihre Kalkulation einbeziehen, wenn sie über die Pigou-Steuer dazu gezwungen ist, für diese Schäden aufzukommen. Die Höhe der Steuer bernißt sich nach der Höhe des durch den Funkenflug verursachten Schadens. Das Pigousche Lösungsmodell ist in zweierlei Hinsicht problematisch: Zum einen geht es im Sinne der klassischen Wohlfahrtsökonomie davon aus, daß Konsens darüber besteht, wann eine Aktivität mit einem Eingriff in fremde Rechtspositionen verbunden ist, der die Gefahr der Externalisierung von Kosten mit sich bringt. Im Funkenflug-Beispiel geht Pigou selbstverständlich davon aus, daß Konsens darüber besteht, daß es eben nicht zu den Rechten der Betreiber der Eisenbahn gehört, Funken zu emittieren. Zum anderen beschränkt sich das Pigousche Modell nur auf Vgl. Posner; § 2.1. (S. 22). Blaschczok: Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 273 mit Verweis auf Pigou, The Economics ofWelfare, 4. Auflage 1932, Neudruck 1962, S. 134, 174 ff. 35 /ssig zum Stichwort "Pigou-Steuer" in Vahlens Großes Winschaftslexikon, Bd 2, S. 323. 36 Das Funkenflug-Beispiel, das Pigou aufS. 134 behandelt, ist besonders durch seine Lösung durch Coase bekannt geworden, vgl. Coase in Assmann/Kirchner/Schanze S. 164 ff. Zu einer ähnlichen Argumentation in der deutschen Rechtsprechung vgl. die Ausführungen zum Funkenflugfall im 3. Kapitel, I. 1.a)., Fn. 11. 33
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldeushaftung
die Betrachtung der mit einer Aktivität verbundenen Nachteile, indem sie einen Akteur als "Störer" identifiziert. Dabei wird vernachlässigt, daß als Folge an anderer Stelle für die Volkswirtschaft Nachteile entstehen können, die unter Umständen die ausgeschalteten Nachteile überwiegen37. Coase greift diese Schwierigkeiten auf, indem er das zu lösende Problem folgendermaßen neu formuliert: "Wir haben es mit einem reziproken Problem zu tun. Wollte man den Schaden vermeiden, der dem B38 zugefügt wird, vermeiden, so würde dies A39 belasten. Die eigentlich zu beantwortende Frage lautet: Sollte es A erlaubt werden, B zu schädigen, oder sollte man es zulassen, daß B den A schädigt? Das Problem besteht darin, den jeweils schwerwiegenderen Schaden zu vermeiden"40. Coase wendet sich damit vom Konzept der unilateralen Schadensverursachung ab und beschreibt die Funkenflug-Problematik statt dessen als Problem von konfligierenden Aktivitäten, so daß der "Störer" also nicht von Anfang an feststeht, darüber hinaus bezieht er die Nutzen, die mit einer Aktivität verbunden sind, in die Kalkulation ein. 1. Die wunderbare Welt von Coase
Das Coase-Theorem demonstriert die von ihm aufgeworfenen Fragestellungen anhand einer Modellwelt Innerhalb dieses Modells werden nach der Ansicht Coases alle Güter unabhängig von der bestehenden rechtlichen Regelung ihrer wirtschaftlich optimalen Verwendung zugeführt. Der Vergleich zwischen Modellwelt und Realität lenkt sodann den Blick auf die Auswirkungen eines Marktversagens und sucht daraus Schlußfolgerungen für die Aufgaben des Privatrechts zu ziehen. Das Coase-Theorem bietet einen Ausgangspunkt nicht nur für die ÖTR von Handlungsrechten (property rights)41 , sondern auch für die hier zu untersuchende Frage der Haftungsregeln. Im einzelnen beruht die Modellwelt auf den folgenden Annahmen: - Alle Akteure verhalten sich entsprechend der REMM-Hypothese. Diese Annahme gilt nicht nur innerhalb der Modellwelt, sondern wird auch dann aufrechterhalten, wenn die Marktmechanismen vor dem Hintergrund eines der Wirklichkeit angenäherten Modells untersucht werden sollen. 37 Kirchner in Assmann I Kirchner I Schanze, Einleitung zu Coase, Das Problem der sozialen Kosten, S. 129. 38 Im Funkenflug-Beispiel den Eigentümer der Wälder. 39 Im Funkenflug-Beispiel den Betreiber der Eisenbahn. 40 Coase in Assmann I Kirchner/Schanze, S. 132. 41 Unter Handlungsrechten versteht man akzeptierte Verhaltensweisen von Menschen, die aus der Existenz von Gütern erwachsen und sich auf ihren Gebrauch beziehen. Als "Gut" bezeichnet man alles, was einer Person Nutzen stiften kann. vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch 3. Kapitel, 6.1. (S. 78).
II. Pigou gegen Coase
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Es herrscht vollständige Konkurrenz zwischen den Akteuren42 • Planung, Vorbereitung und Durchsetzung der zwischen den Akteuren getroffenen Vereinbarungen sind kostenlos. Darunter fallen die Kosten für die Beschaffung von Informationen - etwa über die Effizienz der Sicherung eines Produktes durch zusätzliche Vorkehrungen -, die Kosten, die bei dem Abschluß von Verträgen entstehen, sowie die Kosten, die mit der Überwachung und Durchsetzung der vertraglichen Vereinbarungen verbunden sind (Fehlen von Transaktionskosten). Die Handlungsrechte der Akteure sind institutionalisiert. Dies bedeutet, daß die Rechtspositionen der Beteiligten festgelegt werden, damit sie wissen, worüber sie mit ihren Kontrahenten verhandeln sollen. Es kommt dabei zunächst nicht darauf an, ob die Zuordnung befriedigend ist, sondern allein darauf, daß sie eindeutig ist43 . Die Rechtspositionen müssen unter den Beteiligten übertragbar sein, damit ein Arrangement möglich ist. Übertragbarkeit bedeutet, daß die Beeinträchtigung eines Handlungsrechts zwischen den Beteiligten durch die Zahlung einer Kompensation abschließend geregelt werden kann. Dies kann entweder dadurch geschehen, daß im Falle einer "erlaubten" Schädigung die Opfer dem Schädiger das property right abkaufen oder daß der Schädiger im Fall der verbotenen Schädigung entweder das property right vorher von seinem Opfer erwirbt oder nach Eintritt des Schadens zur Kompensation verpflichtet ist. Tretenjedoch weitere - z. B. strafrechtliche oder gewerberechtliche - Sanktionen hinzu, so fehlt es an der Übertragbarkeit oder diese ist zumindest durch marktgerechte Übertragungshindernisse erschwert44. - Schließlich muß es sich um "exklusive" Rechtspositionen handeln45 . Unter den dargestellten Modellbedingungen - aber auch nur dann - ist die endgültige Zuweisung des property right unabhängig von ihrer Initialzuweisung. Die Initialzuweisung wirkt sich allein insofern aus, als sie festlegt, ob ein Akteur dem anderen Akteur sein Recht abkaufen muß. Die Initialzuweisung ist daher maßgeblich für die distributiven Effekte zwischen den Akteuren.
42 Zum Begriff der vollständigen Konkurrenz vgl. Blaschczok: Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 146 und Schäfer/Ott, Lehrbuch, Einleitung 5. (S. 4). Auf die Prämisse der vollständigen Konkurrenz soll bei der Untersuchung des Haftungsrechts nicht weiter eingegangen werden, da diese Problematik insbesondere im Bereich des Wettbewerbsrechts relevant wird und daher im Hinblick auf das Haftungsrecht als Vorfrage anzusehen ist, vgl. dazu Blaschczok: Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 147. 43 Blaschczok: Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 150. 44 Schäfer/Ott, Lehrbuch 3. Kapitel, 6.1 (S. 79), ausführlich zur Frage der Übertragbarkeit Calabresil Melamed, 85 Harvard L. Rev. 1089 ff. 45 Ausführlich dazu Blaschczok: Gefährdungshaftung und Risikozuweisung, S. 152; Schäfer/Ott, LehrbuchS. 80.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung 2. Übertragung des Coase-Theorems auf das Haftungsrecht
Das Coase-Theorem kann auf den Bereich des Haftungsrechts übertragen werden. Assmann faßt die maßgebliche Fragestellung für diesen Bereich folgendermaßen zusammen: "Im Haftungsrecht, bei dem es um die Minimierung von Unfallkosten und Schadensprävention geht, ist der Ausgangsgedanke der, daß deijenige zu haften habe, der die Kosten tragen würde, wenn keine Transaktionskosten bestünden und die Haftung markförmig verschoben würde. Das ist der sogenannte "cheapest cost avoider"46, also deijenige, der den Schaden mit den wenigsten Kosten vermeiden könnte. Dieser würde nämlich solange entsprechende Maßnahmen zur Kostenverhütung ergreifen, bis der Punkt erreicht ist, wo der Preis, den ein anderer zur Risikoübernahme verlangt, billiger ist, als sein eigenes Kostenvermeidungssystem bzw. wo das Aufkommen für die Schäden billiger wäre47 " .
Im Bereich der Haftung für Konstruktionsfehler geht es in Hinblick auf die von Assmann angesprochene Vermeidung von Primärschäden (d. h. die Vermeidung von Unfällenper se) um die Sorgfaltsaufwendungen der betroffenen Akteure. Für das Verhältnis zwischen Verbraucher und Hersteller bedeutet dies konkret, wie die abstrakte Produktsicherheit, d. h. die vom Hersteller bei Konstruktion, Fertigung und Vermarktung zu erbringenden Maßnahmen zur Steigerung der Produktsicherheit und die konkrete Produktsicherheit, d. h. die vom Verbraucher beim Gebrauch des Produktes zu erbringenden Sorgfaltsaufwendungen beschaffen sein sollen. Gleichzeitig stellt sich die Frage nach dem Niveau der schadensträchtigen Aktivität. Produktbedingte Schäden können auch dadurch vermindert werden, daß Hersteller die Zahl der Produkte reduzieren, die überhaupt auf den Markt gelangen und daß Verbraucher die Benutzung der Produkte einschränken48 . Nach den Zielsetzungen der ÖTR geht es aber nicht nur um die Vermeidung von Primärschäden. Im Rahmen der Vermeidung von Sekundärschäden geht es darum, welcher der beiden Akteure die Schäden tragen soll, deren Verhinderung nicht vorteilhaft ist, da der Aufwand für die Schadensvermeidung die zu erwartenden Schadenskosten übersteigen würde oder- ein wichtiger Aspekt im Rahmen von bewußten Konstruktionsentscheidungen - die nur durch erhebliche Abstriche an den "Nutzen" des Produkts erreicht werden können. Bei der effizienten Aufteilung der Sekundärschäden stellt sich die Frage nach dem "cheapest insurer", also demjenigen, der den Schaden am besten selbst tragen oder zum günstigsten Preis einen Versicherungsvertrag abschließen kann.
46 Der "cheapest cost avoider" ist ein von Calabresi geprägter Begriff, vgl. dazu Calabresi, The Costs of Accidents. 47 H. D. Assmonn, Die Transformationsprobleme des Privatrechts und die Ökonomische Analyse des Rechts. Chancen und Grenzen der Verwertbarkeit der Ökonomische Analyse des Rechts. In: Assmonn, H. D. I Kirchner, C. I Schanze, E. (Hrsg): Ökonomische Analyse des Rechts, 1993., S. 17, 42. 48 Endres, S. 29.
111. Anreize zur Schadensvermeidung
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Schließlich stellt sich die Frage nach den Tertiärschäden, die dadurch entstehen, daß der Anspruch geltend gemacht werden muß. Für den Untersuchungsgegenstand ist zu prüfen, welche Kosten dadurch entstehen, daß der Schaden nicht beim Unfallopfer verbleibt, sondern in einem- unter Umständen kostspieligen Gerichtsverfahren - auf den Hersteller abgewälzt werden muß. Anhand der aufgezeigten Möglichkeiten zur Schadensreduzierung I-vermeidung läßt sich auch das Problem der Reziprozität im Sinne von Coase demonstrieren: Da potentiell sowohl Hersteller als auch Verbraucher die Möglichkeit haben, durch ihr Verhalten dem Schadenseintritt entgegenzuwirken bzw. Vorsorgemaßnahmen zur Abfederung der verbliebenen Schäden zu treffen, stellt die Ermittlung des "Störers" nicht das Ergebnis einer empirischen Beobachtung dar, sondern beruht auf einer wertenden Entscheidung49 • Diese wertende Entscheidung wird durch die Haftungsregel vorgenommen. Sie ist "eine rechtliche Institution, die festlegt, unter welchen Bedingungen, in welcher Form und in welchem Ausmaß der Verletzer das Opfer eines Unfalls kompensieren muß"50• Idealerweise zeichnet die Haftungsregel und ihre Anwendung durch das Gericht im Einzelfall das Ergebnis nach, das die Akteure in einer Verhandlungssituation unter den von Coase aufgestellten Idealbedingungen auch selbst erzielt hätten, nämlich die Unterteilung des Rechtsverhältnisses in Sphären, in denen ein spezifisches Risiko immer dem Akteur zugeordnet wird, der die Verwirklichung gerade dieses Schadensrisikos mit dem geringsten Aufwand vermeiden kann.
111. Anreize zur Schadensvermeidung durch informationeilen Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen Im folgenden soll untersucht werden, welches Modell zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von Konstruktionen die besten Anreize setzt, die Haftungszuweisung zu erzielen, die die Akteure innerhalb der Idealwelt von Coase selbst ausgehandelt hätten. Es soll hierbei zunächst auf die Natur der zu berücksichtigenden Informationsdefizite im abgewandelten Modell eingegangen werden. Unter Berücksichtigung dieser Modifizierungen sollen die angesprochenen Zielsetzungen untersucht werden. 1. Natur der zu berücksichtigenden Infonnationsdet"azite
Unter den veränderten Modellbedingungen sollen nicht pauschal "Informationsdefizite" berücksichtigt, sondern nach Akteuren und dem von der Information zu erfassenden Bereich differenziert werden. Eine derartige Abgrenzung ist notwendig, denn es erscheint willkürlich, den Informationsvorsprung einseitig bei Herstel49 50
Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch, 6. Kapitel, I. - S. 183. Endres, S. 5.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
ler oder Verbraucher anzusiedeln. Es liegt auf der Hand, daß die gewählten Prämissen das Ergebnis der Untersuchung ganz wesentlich beeinflussen, es sei hier nur auf die unterschiedlichen Annahmen von Posner und Adams hinsichtlich der Informationsdefizite verwiesen51 . Informationsdefizite können in dreierlei Hinsicht entstehen: Zunächst kann die abstrakte Sicherheit bzw. Unsicherheit einer Produktkonstruktion unklar sein. Hier wird man einen Informationsvorsprung des Herstellers annehmen müssen. Schließlich entwickelt der Hersteller das Produkt, nimmt die notwendige Abwägung zwischen Produktsicherheit und anderen wünschenswerten Produkteigenschaften vor, wählt die Materialien aus und kennt den Fabrikationsprozeß52 . Damit ist nichts über die umstrittene Frage ausgesagt, wie sich dieses grundsätzliche Informationsgefälle beim Verbraucher niederschlägt (d. h. in einer Über- oder Unterschätzung der Sicherheit, in Pessimismus oder Optimismus hinsichtlich der Möglichkeiten zur Steigerung der Produktsicherheit) und ob diese Defizite nicht verhältnismäßig einfach überbriickt werden können5 3 . Der Informationsvorsprung des Herstellers endet dann, wenn das Produkt mit einem Entwicklungsrisiko behaftet ist. Dem steht m.E. auch nicht die häufig vertretene Ansicht entgegen, daß der Hersteller aufgrund seines Wissens über das Produkt zumindest bessere Kenntnisse über mögliche Quellen eines Entwicklungsrisikos besitzt54• Per definitionem zeichnen sich Entwicklungsrisiken dadurch aus, daß sie eben nicht entdeckt werden können, so daß die Frage der Erkennbarkeit von Risikoquellen bei der Feststellung, ob ein Entwicklungsrisiko vorlag, beriicksichtigt werden muß. Hatte der Hersteller zumindest den begrenzten Informationsvorsprung, so wird man ein Entwicklungsrisiko schon dann verneinen müssen, wenn es der Hersteller unterlassen hat, diese Kenntnisse zur entsprechenden weiteren Untersuchung des Produktes oder durch Offenlegung des Verdachts hinsichtlich der Risikoquelle zu nutzen. Weiter können sich Informationsdefizite hinsichtlich des konkreten Produktgebrauchs im Einzelfall ergeben. Hier dürfte ein Informationsvorsprung des Verbrauchers bestehen. Es ist zwar richtig, daß der Hersteller über Marktanalysen und Informationsrückkoppelungen auch spezifische Informationen über seine Abnehmer und deren Verhalten bezüglich des Produkts erhält55 . Aber diese Analysen müssen erst erstellt und ausgewertet werden, sind also nicht kostenfrei. Dariiber hinaus können auch Marktstudien nur generalisierende Angaben über die Verbraucher und 51 Brüggemeier: Die Gefährdungshaftung des Produzenten nach der EG-Richtlinie, S. 240; Adams, EG-Produkthaftungsrichtlinie, S. 9, 29 ff. 52 So auch Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes. S. 174 und Kirchner in Schäfer/Ott, S. 248. 53 Zum Problem der Art und Weise der Informationsfehlwahrnehmung durch Verbraucher, vgl. 6. Kapitel. 54 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 213. 55 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 174.
III. Anreize zur Schadensvermeidung
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deren Verhalten machen, während der Verbraucher selbst diese Information im Moment des Schadensereignisses zur Verfügung hat. Schließlich können Informationsdefizite bezüglich der zu erwartenden Schadenshöhe bestehen. Auch hier wird man von einem Informationsvorsprung des individuellen Verbrauchers ausgehen können, der im Einzelfall besser beantworten kann, ob er bei einem Unfall mit einem besonders hohen oder einem besonders niedrigen Schaden rechnen muß. Der Hersteller ist in diesem Bereich auf die Kalkulation mit Durchschnittswerten angewiesen, die einem besonders hohen oder niedrigem Schadenspotential des einzelnen Verbrauchers keine Rechnung tragen können. 2. Anreize zur Senkung von Primärschäden an den Hersteller
a) Informationeller Fehlerbegriff
aa) Warnungen und Instruktionen als verkappte Haftungsfreizeichnungen Welche Risiken ergeben sich aus bestehenden Informationsdefiziten, die der informationelle Fehlerbegriff überbriicken muß? Entsprechend der oben dargelegten Annahmen ist der Hersteller in der besseren Position, die abstrakte Produktsicherheil durch entsprechende Vorkehrungen beim Entwurf und der Fertigung des Produktes zu steigern, während Verbraucher über schlechtere Informationen verfügen. Der Hersteller hat aus haftungsrechtlicher Sicht aber nur dann einen Anreiz, die Produktsicherheit zu erhöhen, wenn er dadurch die Haftung für produktbedingte Schäden vermeidet. Der informationeile Fehlerbegriff setzt hier nur indirekte Anreize an den Hersteller, da er auch Produkte mit geringstem Sicherheitsniveau produzieren und vermarkten kann, solange dies nur mit der entsprechenden Aufklärung der Verbraucher verbunden ist. Die notwendigen Anreize an den Hersteller zur Vermeidung von Primärschäden sind damit eng mit der Wirkung der Instruktionen und Warnungen auf das Verbraucherverhalten verbunden. Warnungen und Instruktionen wirken sich nur dann steuernd auf das Verhaltens ihres Adressaten aus, wenn sie wahrgenommen und verarbeitet werden. Der informationeile Fehlerbegriff muß die Balance zwischen einer angemessenen und einer exzessiven Warnung des Verbrauchers finden. Werden die Informationspflichten an den Herstellers überspannt, so setzt dies Anreize zur "Überwarnung", die dann wegen ihrer Fülle und Komplexität von Verbrauchern nicht oder nicht vollständig wahrgenommen werden. In diesem ungünstigen Fall würden die Produktinformationen sich als versteckte Haftungsfreizeichnungsklauseln darstellen, die eine Haftung des Herstellers verhindem würden, obwohl sie ihre Adressaten nicht erreicht haben. Ebenso können Informationen über Produktrisiken eine Alarmhaltung bei Verbrauchern auslösen, die zu einer Überschätzung der tatsächlichen Gefahren führen. II Kollmann
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
Fehlendes Gefahrenbewußtsein bei Verbrauchern beeinflußt die Entscheidung des Herstellers über die abstrakte Produktsicherheit in ungünstiger Weise. Die Steigerung der abstrakten Produktsicherheit reflektiert sich im Preis des Produktes. Bei einem unzureichenden Risikobewußtsein auf Seiten der Verbraucher spielt das Sicherheitsniveau für die Kaufentscheidung eine nur untergeordnete Rolle. In einer Wettbewerbssituation kann der Hersteller eines sicheren Produktes nicht mit dem Hersteller eines ansonsten gleichwertigen, aber unsicheren Produktes konkurrieren, da er seine Käufer nicht dazu bewegen kann, für die erhöhten Aufwendungen auch zu zahlen 56. Der Hersteller hat dann auch unzureichende Anreize, in die Fortentwicklung des Sicherheitsniveaus zu investieren, so daß der informationeile Fehlerbegriff sich in diesem Bereich innovationshemmend auswirken würde. Das kann in letzter Konsequenz bedeuten, daß die Käufer nur noch Produkte mit unzureichendem Sicherheitsstandard in Bezug auf die zu erwartenden Schäden erwerben können. Eine Risikoüberschätzung durch die Konsumenten wird sich demgegenüber in erster Linie auf die Produktnachfrage auswirken. Verbraucher werden aufgrund ihrer Fehlvorstellung über die zu erwartenden Schäden von einem überhöhten Gesamtproduktpreis ausgehen und daher Produkte nicht erwerben, die sie bei richtiger Kenntnis der Gefahren gekauft hätten. Beim Gebrauch der Produkte besteht ein Anreiz, in die konkreten Schadensvermeidungsmaßnahmen zu überinvestieren. Dies wirkt sich zwar nicht nachteilig auf die Entstehung von Primärschäden aus, stellt aber einen volkswirtschaftlich ineffizienten Verzicht auf Nutzen dar. bb) Das Problem der Verletzung von "bystandern" Eine entscheidende Schwäche des informationeilen Fehlerbegriffs liegt darin, daß er keine Anreize und Sanktionen für die Verletzung von sogenannten bystandern, d. h. unbeteiligten Dritten festlegt. Es ist nach dem von Finsinger und Sirnon formulierten Fehlerbegriff unklar, ob und wie diese Gruppe entschädigt werden soll. Theoretisch gibt es vier Möglichkeiten: Der Schaden verbleibt beim bystander. - Der Schaden wird vom Hersteller getragen. - Der Schaden wird von dem Verbraucher getragen, in dessen Risikosphäre die Verletzung des Dritten fällt, sei es weil er Eigentümer des schadensverursachenden Produktes ist, sei es, weil das Produkt durch ihn gebraucht wurde, als der bystander zu Schaden kam. - Der Schaden wird zwischen den genannten "Schadensverursachern" aufgeteilt.
56 V gl. dazu G.A. Akerlof, The Market for Lemons, Quaterly Journal of Economics, S. 488, 1970.
111. Anreize zur Schadensvermeidung
163
Welche Lösung führt nun zu angemessenen Anreizen in Hinblick auf die Frage der Risikobeherrschung? M.E. läßt sich eine Schadenstragung durch den bystander aufgrund des Grundgedankens des informationellen Fehlerbegriffs nicht rechtfertigen. Der tragende Gedanke des informationeilen Fehlerbegriffs ist die Einwilligung in ein bestimmtes Risiko, die durch das Geflecht von Informationspflichten und -Obliegenheiten auf Seiten des Verbrauchers irrtumsfrei zustande kommen soll. Eine derartige Einwilligung kann derbystanderaber nicht geben, da er per definitionem "unbeteiligt" ist, also weder Adressat von Warnungen, Instruktionen und Darbietungen sein, noch gegen seine Informationsobliegenheiten verstoßen kann. Es fragt sich nun, ob der Schaden starr auf Hersteller oder Verbraucher zu verlagern ist oder aber ob diese Entscheidung im Einzelfall unter Anwendung der Leitgedanken des informationeilen Fehlerbegriffs getroffen werden muß. M.E. bietet sich hier die Übertragung des Rechtsgedanken des § 840 S. 1 BGB an, der im Institut der "concerted action" des amerikanischen Rechts57 eine Entsprechung findet. Nach § 840 S. 1 BGB werden mehrere Verursacher einer unerlaubten Handlung in einer Haftungsgemeinschaft zusammengefaßt, so daß der Geschädigte gemäߧ 421 BGB das Recht hat, jeden der Schuldner nach Belieben auf den vollen Schadensersatzbetrag in Anspruch zu nehmen. Der Begriff der "unerlaubten Handlung" des § 840 BGB ist weit auszulegen, er gilt nicht nur für die Tatbestände des wirklichen oder vermuteten Verschuldens, sondern auch für die im BGB oder in den Spezialgesetzen geregelten Tatbestände der Gefährdungshaftung. Die Anordnung der solidarischen Haftung beruht auf der Vorstellung, daß der Geschädigte nicht schlechter stehen soll, als er bei einem Alleinschuldner stünde. Er soll nicht auf einzelne Teilanspruche gegen mehrere Schuldner verwiesen werden und damit das Insolvenz- und ein erhöhtes Prozeßrisiko zu tragen haben58 . Der bystander hätte demnach das Wahlrecht, ob er den Hersteller oder den Verbraucher in Anspruch nehmen möchte und dürfte im Hersteller in der Regel einen solventen Schuldner finden. Der Ausgleich im Innenverhältnis würde nach meinem Vorschlag nach den Grundsätzen des § 426 I S. 1 BGB vorgenommen werden. Demnach ist die Ausgleichung nach Kopfanteilen lediglich als Hilfsregel zu verstehen, die nur dann greift, wenn nicht konkludent oder ausdrucklieh eine Vereinbarung zum Innenausgleich getroffen ist59 . Als zumindest konkludente Regelung des Innenverhältnisses könnte m.E. der informationeHe Fehlerbegriff herangezogen werden, indem das Schadensereignis so behandelt wird, als ob es nicht zu einer Schädigung des by57 Vgl. Summers, v. Tice, 199 P.2d. 1 (1948). Der Frage, wie der informationeHe Fehlerbegriff im amerikanischen Recht ausformuliert werden soll, um die offene Frage der Haftung für die Verletzung von bystandem zu klären, soll hier nicht weiter verfolgt werden, da Gegenstand der Arbeit nur die Behandlung der offenen Fragen im deutschen Recht ist, zu deren Beantwortung das amerikanische Recht nur dann herangezogen werden soll, wenn es hierfür bereits eine Lösung entwickelt hat. 58 MüKo-Mertens, § 840 Rn. l. 59 MüKo-Selb, § 426, Rn. 6.
II*
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
standers, sondern des - nun in der Haftungsgemeinschaft erfaßten - Verbrauchers selbst geführt hätte. Je nachdem, ob der Schaden auf einer mangelhaften Aufklärung oder irreführenden Produktdarbietung durch den Herstellers beruht oder aber auf einem Verstoß gegen die Informationsobliegenheit oder die Anforderungen an die konkrete Produktsicherheit, wäre der Schaden ganz dem Hersteller oder dem Verbraucher zuzurechnen. M.E. wäre der informationeHe Fehlerbegriff um den folgenden siebten Faktor zu erweitern: (7) Wird durch ein Produkt ein unbeteiligter Dritter (bystander) in seinen geschützten Rechtsgütern verletzt, so haften Hersteller, Produkteigentümer und Produktnutzer als Gesamtschuldner. Die Gesamtschuldner sind im Innenverhältnis zum Ausgleich unter Beachtung der Regelungen der oben genannten Faktoren verpflichtet. b) Kosten-Nutzen-Analysen
Kosten-Nutzen-Analysen sollen die Konstruktionsentscheidung des Herstellers direkt beeinflussen. Wenn das Gericht die Frage von Haftung und Nichthaftung entscheidet, indem es sich in die Position des vernünftigen Herstellers versetzt, ermittelt es ein als optimal angesehenes Sicherheitsniveau. Die drohende Sanktion in Form der Haftung hält den Hersteller idealerweise davon ab, dieses Sicherheitsniveau zu unterschreiten. Bei der Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen ist eine grundsätzliche Frage bereits im Rahmen des haftungsbegrundenden Tatbestandes60 zu entscheiden, nämlich die Auslegung des Kostenbegriffs. Unter Kosten sind, wie im siebten Kapitel ausführlich dargestellt wird, die zu erwartenden Schäden bezogen auf die Vielzahl der mit dem Produkt in Beruhrung kommenden Verbraucher zu verstehen61. Der Kostenbegriff hat daher eine Doppelfunktion, nämlich einmal als Bestandteil der Kosten-Nutzen-Analyse im Bereich des haftungsbegrundenden Tatbestandes und einmal als Tatbestandmerkmal "Schaden" im Bereich des haftungsausfüllenden Tatbestandes. Bei der Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen durch die Gerichte ist bereits bei der Kostenermittlung im Rahmen der Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit auf die zu erwartenden Schäden einzugehen. Es stellt sich hier insbesondere die Frage, ob in erster Linie materielle oder gleichberechtigt auch immaterielle Schäden berucksichtigt werden sollen. Calabresi weist darauf hin, daß die ÖTR von einem sehr umfassenden Kostenbegriff ausgeht, der systematisch auch immaterielle Schäden erfaßt62 . Bei der Fra60 Die gleiche Problematik besteht auch beim informationeBen Fehlerbegriff im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes. 61 Vgl. unten unter 7. Kapitel, I. 1. 62 Calabresi, The Costs of Accidents, S. 25 f.
III. Anreize zur Schadensvermeidung
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ge, wie Kosten-Nutzen-Analysen ausgestaltet sein müssen, um angemessene Anreize an den Hersteller zur Vermeidung von Primärschäden zu setzen, erscheint ein umfassender Kostenbegriff sinnvoll. Optimale Anreize zur Schadensvermeidung können an den Hersteller nur dann gesetzt werden, wenn die Rechtsordnung von einer umfassenden Kompensation aller denkbaren Schäden ausgeht. Verzichtet nämlich die Rechtsordnung - und damit das Gericht bei der Ermittlung des effizienten Sorgfaltsniveaus - auf den Bereich der immateriellen Schäden, so hat der Hersteller keinen Anreiz, diese in seine eigene Kalkulation aufzunehmen 63 . Dies bedeutet auch, daß der umfassende Schadensbegriff auch im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes gelten muß, da er nur als reale Sanktion und nicht als hypothetische Kostenbasis die angesprochenen Steuerungswirkungen entfalten kann. Insofern stellt sich diese Frage bei der Bemessung des tatsächlichen Schadensersatzes auch beim informationeilen Fehlerbegriff. Idealerweise führt die Abwägung von Kosten und Nutzen zu einem optimalen Sicherheitsniveau in Bezug auf Primärschäden. Tatsächlich bestehen zwei gravierende Hemmnisse, nämlich einerseits Informationsdefizite auf Seiten des Gerichts und andererseits die Tatsache, daß sich Kosten-Nutzen-Analysen an Durchschnittswerten orientieren müssen. aa) Problem der Informationsdefizite auf Seiten des Gerichts Es ist fraglich, ob die Vomahme einer Kosten-Nutzen-Analyse zur Ermittlung des optimalen Sicherheitsstandards führt. Ebenso wie Verbraucher und Hersteller sind auch die Gerichte bei ihrer Rechtsfindung durch das Bestehen von Informationsdefiziten behindert. Zwar trifft es zu, daß die Parteien durch ihre Beweislast im Zivilprozeß einen Anreiz dafür haben, Fakten über das Unfallgeschehen offenzulegen, aber die Parteiinteressen dürften in gewissen Fällen auch dazu führen, daß bestimmte Tatsachen nicht zur Sprache kommen. Grundsätzlich wird man die Annahme eines allwissenden Gerichtes daher als ,,heroisch"64 bezeichnen können. Derartige Informationsdefizite können dazu führen, daß die Anforderungen an die Sicherheit von Konstruktionen überspannt werden oder daß der Sicherheitsstandard zu niedrig angesiedelt wird. Der Hersteller seinerseits hat nur den Anreiz, den gerichtlich vorgegebenen und nicht den von ihm subjektiv als angemessen erkannten Sicherheitsstandard einzuhalten. Bei einer zu niedrigen Schwelle für die Haftung besteht ein Anreiz zur Unterschreitung des an sich effizienten Sicherheitsstandards mit der Folge von überhöhten Primärschäden65 . Bei einer Überspannung der Sicherheitsanforderungen besteht ein Anreiz zur Überinvestition in die abstrakte Produktsicherheit, die sich volkswirtschaftlich als Verschwendung darstellt. 63 64 65
Vgl. dazu Schiifer/Ott, JZ 1990,566. Endres, S. 186. Vgl. Schiifer/Ott, Lehrbuch, 5. Kapitel, 4.) S. 138 f .
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
bb) "The Market for Lemons" - Das Problem der heterogenen Schadenspotentiale bei Kosten-Nutzen-Analysen Oi hat als erster auf die negativen Effekte jeglicher Form der Schadensverlagerung von Verbrauchern auf Hersteller in Hinblick auf die Vermeidung von Primärschäden hingewiesen. Nach Oi kann eine uneingeschränkte Herstellerhaftung zu einer Nivellierung der abstrakten Produktsicherheit führen mit der Folge, daß sich Produkte mit hoher abstrakter Produktsicherheit auf dem Markt nicht mehr durchsetzen. Ob sich auf Dauer das sicherste oder das unsicherste Produkt auf dem Markt durchsetzen wird, hängt nach Oi damit zusammen, wie stark die Schadensersatzansprüche der potentiellen Unfallopfer voneinander abweichen. Dies hängt mit dem Informationsdefizit des Herstellers bezüglich der Schadenserwartung des einzelnen Verbrauchers zusammen, so daß er seine Sicherheitsaufwendungen nur anhand des Durchschnittswerts an geleistetem Schadensersatz innerhalb eines bestimmten Zeitraumes kalkulieren kann66 • Ergänzend ist dazu anzumerken, daß die Gerichte ebenfalls auf eine Kalkulation anband von Durchschnittswerten angewiesen sind, weil die Kosten-Nutzen-Analysen im gerichtlichen Verfahren als Teil des haftungsbegründenden Tatbestandes nicht aus der individuellen Sicht des geschädigten Verbrauchers nach Eintritt des Schadens vorgenommen werden sollen, sondern die Verhaltensvorgaben nachzeichnen, die ein vernünftiger Hersteller bei der Konstruktion des Produktes anstellen würde. Die Beobachtungen Ois überträgt Adams auf die Gefährdungshaftung nach dem Produkthaftungsgesetz und veranschaulicht sie am Beispiel der Konstruktionsentscheidung über die abstrakte Produktsicherheit eines Rasenmähers67 : Ein Hersteller kann zwei Modelle von Rasenmähern auf den Markt bringen, wobei das erste Modell mit aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen ausgestattet ist und ohne Berücksichtigung der zu erwartenden Haftungssummen 2000,- DM kosten würde, das zweite Modell weniger sicher ist und daher einen Grundpreis von 1.300,- DM hätte. Die Wahrscheinlichkeit, daß bei der Benutzung des ersten Modells ein bestimmter Schaden (z. B. Verlust eines Zehs) in einem bestimmten Zeitraum eintritt, beträgt nach den Beobachtungen des Herstellers 1 %, während derselbe Schaden bei dem schlechter gesicherten Rasenmäher mit einer Wahrscheinlichkeit von 2% eintritt. Die Gruppe der zu kompensierenden Verbraucher hat keine homogene Schadenserwartung. Vielmehr haben 10% der Verbraucher eine Schadenserwartung von 1000,- DM beim Verlust eines Zehs, während 90% eine Schadenserwartung von nur 300,- DM hat. Daraus berechnet sich die durchschnittliche Schadenserwartung für beide Rasenmäher, nämlich 0,1 x 1000,- DM+ 0,9 x 300,- DM= 370,- DM für den ersten Rasenmäher und aufgrund der doppelten Schadenswahrscheinlichkeit 740,- DM für den zweiten Rasenmäher. Nach Adams führt die Ge66 Vgl. Oi, Bell J. ofEconomics & Management Science, 374 ff.; derselbe, Bell J. ofEconomics & Management Science 689 ff. 67 Vgl. ausführlich Adams: EG-Produkthaftungsrichtlinie, S. 16 f.
111. Anreize zur Schadensvermeidung
167
fahrdungshaftung dazu, daß der volle Kaufpreis sich aus erwartetem Schaden und Grundpreis zusammensetzt. In diesem Fall betrüge der Gesamtpreis für den sicheren Rasenmäher 2370,- DM und für den weniger sicheren 1740,- DM. Da der Verbraucher nach den Annahmen Adams zur Gefahrdungshaftung in jedem Fall voll kompensiert wird, werden sie sich auf jeden Fall für den billigeren, ungesicherten Rasenmäher entscheiden, so daß kein Markt für das sichere Modell besteht. Ich hatte bereits festgestellt, daß auch unter der "Gefahrdungshaftung" des deutschen und des amerikanischen Rechts eben keine volle Kompensation eintreten würde. Dennoch läßt sich der Befund von Oi und Adams mit Einschränkungen auch auf die Festlegung eines bestimmten Sicherheitsniveaus aufgrund von Kosten-Nutzen-Analysen übertragen. Das Haftungsrecht würde nur einen Anreiz setzen, die Produktsicherheit bis zum Punkt x zu steigern. Dies beruht auf der Tatsache, daß sich Hersteller und Gerichte bei der Beurteilung der Konstruktion unter Kosten-Nutzen-Aspekten an einem Durchschnittswert über die zu erwartenden Schäden orientieren müssen. In dem gewählten Beispiel würde die Konstruktion des gesicherten Rasenmähers unter Abwägung ihrer Kosten und Nutzen als exzessiv sicher erscheinen, obwohl sie für die Verbrauchergruppe mit der erhöhten Schadenserwartung als effizient erscheint. Diese Verbraucher hätten dann weder die Möglichkeit, ein ausreichend gesichertes Produkt zu kaufen noch einen Anspruch auf Entschädigung68 . Dennoch lassen sich gegen Ois und Adams These der Verdrängung von sicheren Produkten durch die Verlagerung der Haftung auf den Hersteller die folgenden Bedenken vorbringen. Zwar scheitert das Oische Modell nicht daran, daß die Schadenserwartung der Verbraucher in der Regel homogen ist69. Über die Schwankungen bei der Schadenserwartung der Verbraucher können vielmehr m.E. keine generellen Aussagen gemacht werden. Zum einen hängen die Abweichungen innerhalb der Schadenserwartung davon ab, um welche Produkte es sich handelt, welche Rechtsgüter betroffen sind und welche Schäden in welchem Umfang vom Haftungsrecht als ersatzfähig anerkannt werden70. Bei Eingriffen in das Eigentum wird man von Schwankungen hinsichtlich der zu erwartenden Schäden ausgehen können, wenn der Kundenkreis für das Produkt sich aus Käufern aus allen Einkommensschichten zusammensetzt. Bei Eingriffen in Leib und Leben werden die Schwankungen dann höher sein, wenn etwa allein der Verlust an Arbeitskraft ersatzfähig ist. Hier muß man nicht den Ballettstar aus Adams Rasenmäherbeispiel bemühen, um sich vor Augen zu halten, daß Verbraucher ohne eigenes Einkommen 68 Das Problern stellt sich rn.E. weniger, wenn es dem Hersteller der besonders sicheren Rasenmäher gelingt, die erhöhte abstrakte Produktsicherheit an die potentielle Käufergruppe mit dem erhöhten Schadenspotential zu kommunizieren. Diese hätten rn.E. auch - im Widerspruch zu den Ergebnissen von Oi und Adams - einen Anreiz, derartige Produkte zu kaufen, da sie nach meiner Beurteilung von Kosten-Nutzen-Analysen eben gerade für ihre Schäden nicht kompensiert würden. 69 So aber Adams: EG-Produkthaftungsrichtlinie aufS. 20. 70 Zum Problern des Umfanges des ersatzfähigen Schadens siehe 7. Kapitel, li.
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5. Kap.: ÖTR von Gefahrdungs- und Verschuldenshaftung
eine wesentlich geringere Schadenserwartung haben, als solche, die einem Beruf nachgehen, in dem sie auf das durch den Unfall geschädigte Körperteil in irgendeiner Form angewiesen sind. Wichtiger erscheint mir der Befund, daß die Verdrängung von sicheren Produkten durch weniger sichere auf einer mangelnden Segmentierung der Märkte beruht71 , die durch die Haftungsregel zwar auch beeinflußt werden kann, aber nicht allein dadurch. Selbst wenn man perfekte Informationen auf Seiten der Akteure hinsichtlich der abstrakten Produktsicherheit und hinsichtlich der unterschiedlichen Schadenspotentiale annehmen möchte, sind der Möglichkeit der Segmentierung der Märkte Grenzen gesetzt, die sich nicht in der Überwindung des Informationsdefizits erschöpfen. Insbesondere bei Massengütern ist die Orientierung an einem Durchschnittswert unerläßlich, da die Entwicklung unterschiedlicher Modelle mit verschiedenen Sicherheitsstandards mit Kosten verbunden ist. Selbst bei perfekten Informationen hinsichtlich der Schadensneigung der Verbraucher wird ein rationaler Hersteller dann von der weiteren Differenzierung hinsichtlich der Produktsicherheit absehen, wenn die Entwicklungs- und Produktionskosten des zusätzlichen Modells die eingesparten Haftungskosten übersteigen. c) Venneidung von Primärschäden durch Haftung für Entwicklungsrisiken?
Im Rahmen der Auseinandersetzung mit dem informationeilen Fehlerbegriff und mit Kosten-Nutzen-Analysen stellt sich die Frage, ob Primärschäden durch die Haftung für Entwicklungsrisiken gesenkt werden können. Das Problem stellt sich für beide Fehlerdefinitionen gleichermaßen. Bei Anwendung des informationeilen Fehlerbegriffs hätte der Hersteller dann die Pflicht, vor unerkennbaren Risiken zu warnen. Diese paradox anmutende Pflicht ist im amerikanischen Recht nicht unbekannt, die wichtigsten Entscheidungen zur Haftung für Entwicklungsrisiken ergin71 Vgl. dazu Finsinger/Simon S. 37. Unter der Segmentierung von Märkten versteht man die analytische Aufteilung eines Absatzmarktes in intern homogene und extern heterogene Abnehmergruppen sowie die konzentrierte bzw. differenzierte Bearbeitung einer bzw. mehrerer dieser Gruppen, der sogenannten Marktsegrnente. Vorteil dieser Marketingstrategie ist u. a., daß spezielle, auf die jeweiligen Bedürfnisse dieser Abnehmergruppe zugeschnittene Problernlösungen möglich sind (vgl. dazu ausführlicher Diller zum Stichwort "Marktsegrnentierung" in Vahlens Großes Wirtschaftslexikon, Bd. 2). M.E. kann aber auch das Ziel der Marktsegmentierung nicht losgelöst von dem Problern der Informationsdefizite gesehen werden. Segmentierung ist rn.E. nur dann möglich, wenn innerhalb der Gesamtmenge der Abnehmer, die in Marktsegmente unterteilt werden sollen, auch das Bewußtsein dafür besteht, daß die Gesamtmenge heterogen in Hinblick auf ihre Bedürfnisse ist. Gehen hingegen alle Verbraucher aufgrund eines fehlenden Risikobewußtseins davon aus, daß sie keine erhöhten Erwartungen und Bedürfnisse hinsichtlich der Sicherheit der Produkte haben, so ist die Segmentierung rn.E. durch dieses Inforrnationsdefitzit erschwert.
111. Anreize zur Schadensvermeidung
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gen unter Geltendmachung eines "failure to warn", so u. a. die bekannte Entscheidung Beshada v. Johns-Manville Products Corp. 72. Unter Kosten-Nutzen-Analysen würden dann Risiken in die Abwägung einbezogen, die nicht zur Zeit der Vermarktung des Produktes, sondern erst zur Zeit des Produkthaftungsprozesses bekannt wurden. Prominentes Beispiel aus dem deutschen Recht für eine derartige Haftung ist die Haftung für unvertretbar gefährliche Arzneimittel nach § 84 AMG im deutschen Recht. Die Steigerung der abstrakten Produktsicherheit durch Haftung für Entwicklungsrisiken ist umstritten73 . Wird das Entwicklungsrisiko definitionsgemäß als ein solches aufgefaßt, das weder für den Hersteller noch für den Verbraucher erkennbar ist, so kann der Hersteller keine Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit der Konstruktion ergreifen. Verfechter einer Haftung für Entwicklungsrisiken wenden dagegen ein, daß es eine derartige symmetrische Verteilung der Informationsdefizite nicht gäbe: Der mit der Konstruktion befaßte Hersteller habe nicht nur eine genauere Kenntnis, wo mögliche Produktgefahren lauerten, sondern sammele aufgrund der Haftungsregel Informationen über die Schadensfälle mit seinem Produkt, so daß er Entwicklungsrisiken friiher erkennen könne (Prinzip der Selbstkorrektur des Herstellers). Die Haftung für Entwicklungsrisiken stimuliere die Innovationsfreudigkeit des Herstellers in Bezug auf die Produktsicherheit74. Zumindest die Anreize zur Innovation sind bei einer Haftung für Entwicklungsrisiken zweifelhaft75 . Viscusi und Moore argumentieren, daß eine Haftung für Entwicklungsrisiken insbesondere solche Hersteller treffe, die besonders innovativ seien, da sie nämlich die geringsten Erfahrungen mit ihren Produkten hätten. Die Annahme, daß die Haftung für Entwicklungsrisiken generell innovationsfördernd sei, ist nach den empirischen Untersuchungen von Viscusi und Moore nicht haltbar76. Vielmehr läßt sich aus der Haftung für Entwicklungsrisiken ein grundsätzlicher Anreiz zur gezieHen Forschung zur Sicherheitsverbesserung verbunden mit einer erhöhten Zuriickhaltung, wenn es um die Entwicklung und Vermarktung neu entwickelter Produkte geht, ablesen77 • Dies birgt die Gefahr von "corner solutions", bei denen sich Hersteller auf erprobte Produkte zuriickziehen78 . Welche Auswirkungen die Steigerung der Haftung habe, läßt sich nach Visusi und Moore nur in einer Einzelfallbetrachtung unter Beriicksichtigung der besonderen Gefahrenn 90 N.J. 191; 447 A. 2d 539 (1982). 73 Howells, Europäische Zeitschrift für Verbraucherrecht 1987, 156, 161. 74 Finsinger/Simon S. 52 f.; Schmidt-Räntsch, ZRP 87, 437, 441.; zweifelnd Bourgoignie, Europäische Zeitschrift für Verbraucherrecht 1986,4, 14 f. 75 Vgl. auch Pauli, PHI 87, 138, 142. 76 Zu den von Viscusi und Moore ausgewerteten Daten siehe 101 J.Pol. Econ. 161, 163, 168 ff., 174 ff. (1993). 77 So auch Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 209. 78 Viscusi/ Moore, 101 J.Pol. Econ. 161, 167.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
trächtigkeitder betroffenen Industrie abschätzen79 • Die Beobachtungen von Viscusi und Moore decken sich nicht mit den Erfahrungen von Rechtsordnungen, die eine Haftung für Entwicklungsrisiken über einen längeren Zeitraum praktizieren, hier ist in erster Linie das französische Recht zu nennen 80 und in Deutschland die Haftung für Pharmaprodukte nach § 84 AMG, die die Innovationsfreudigkeit dieser Branche in nicht meßbarer Weise hemmt81 • Zusammenfassend kann festgestellt werden, daß eine eindeutige Auswirkung der Haftung des Herstellers für Entwicklungsrisiken auf die Senkung von Primärschäden nicht sicher ist, jedoch auch kontraproduktive Effekte auf die Innovationsbereitschaft von Herstellern nicht auszuschließen sind.
d) Anreize zur Senkung von Primärschäden an den Verbraucher
Primärschäden können auch durch die Steigerung der konkreten Produktsicherheit, d. h. durch die Sorgfaltsaufwendungen des Verbrauchers bei der Entscheidung über das "Ob" und das "Wie" des Produktgebrauchs vermieden werden. Der Verbraucher kann sich entscheiden, sein Aktivitätsniveau zu senken, d. h. auf den Gebrauch eines potentiell gefährlichen Produktes zu verzichten oder er kann bei seinem Gebrauch besondere Sorgfalt walten lassen. Unter Umständen stellen sich die Sorgfaltsaufwendungen des Verbrauchers als das kostengünstigere Mittel zur Schadensvermeidung dar, so daß sie in Abwägung zur Pflicht des Herstellers, die abstrakte Produktsicherheit zu steigern, berücksichtigt werden müssen. Die Frage nach den Kosten der Steigerung der abstrakten Produktsicherheit stellt sich gleichermaßen bei Kosten-Nutzen-Analysen und beim informationeilen Fehlerbegriff, da auch Warnungen und Instruktionen nicht kostenlos sind, sondern dem Verbraucher in Form von Beipackzetteln, Handbüchern oder aufgedruckten Produktinformationen kommuniziert und vom Verbraucher verarbeitet werden müssen. Die Normierung von Verhaltensgeboten an den Verbraucher ist auch in Hinblick auf das Phänomen des moral hazard geboten. Unter moral hazard versteht man das im Zusammenhang mit Versicherungsverträgen beobachtete Phänomen, daß der Versicherungsnehmer bei umfassendem Versicherungsschutz keinen Anreiz hat, dem Schadenseintritt entgegenzutreten und deshalb in seinem Verhalten sorglos wird. Zwar kann das Produkthaftungsrecht sowohl in Deutschland als auch den Vereinigten Staaten in seinen Auswirkungen nicht ohne weiteres mit einem Versicherungsvertrag gleichgesetzt werden, weil nicht der Eintritt des Schadensereignisses, sondern die Produktfehlerhaftigkeit den Anspruch auf Schadensersatz auslöst. Viscusil Moore, 101 J. J.Pol. Econ. 161, 181. Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 201; Howells, Europäische Zeitschrift für Verbraucherrecht, 156, 161. 81 Sack, Versicherungsrecht, 439, 448. 79
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III. Anreize zur Schadensvermeidung
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Dennoch gibt es ein vergleichbares Verhaltensphänomen. Je erheblicher die Anforderungen an den Hersteller zur Steigerung der abstrakten Produktsicherheit sind, desto geringer sind die Anforderungen an die mitwirkende Sorgfalt des Verbrauchers und desto eher wird das Problem des moral hazard relevant. Welche Bedeutung hat die Möglichkeit des Verbrauchers, Schäden durch die Senkung seines Aktivitätsniveaus und durch die Steigerung seiner Sorgfaltsaufwendungen beim Gebrauch der Produkte zu vermeiden, auf die inhaltliche Ausfüllung des Fehlerbegriffs? Die deutsche und die amerikanische Rechtsordnungen kennen drei Instrumentarien, um Anreize zur Vermeidung von Primärschäden durch den Verbraucher zu setzen. Erstens kann die Möglichkeit der Schadensvermeidung durch Verbraucher bereits bei der Definition der Produktfehlerhaftigkeit berücksichtigt werden 82. Zweitens gibt es die "verschiedenen Formen des Selbstbehalts"83. Drittens kann der Anspruch des Verbrauchers bei festgestellter Fehlerhaftigkeit des Produkts aufgrund eines Mitverschuldens gekürzt werden84. Bei der Ausfüllung des Fehlerbegriffs werden die ersten beiden Instrumentarien relevant. aa) Berücksichtigung der konkreten Produktsicherheit im Rahmen des informationeilen Fehlerbegriffs Der informationeile Fehlerbegriff trägt der Möglichkeit des Verbrauchers, Schäden durch sorgfaltigen Umgang mit den Produkten zu vermeiden, dann Rechnung, wenn keine Informationsdefizite bestehen oder ein Informationsvorsprung des Verbrauchers anzunehmen ist. Finsinger und Sirnon berücksichtigen dies zum einen über die Obliegenheit des Verbrauchers, sich über Produktrisiken zu informieren und zum anderen über die Figur des "verständigen Benutzers"85 , der im deutschen Recht seine Entsprechung in den "berechtigten" Sicherheitserwartungen des § 3 ProdHaftG und im amerikanischen Recht im Merkmal des "ordinary knowledge common to the community as to its characteristics" gemäß comment i zu § 402 A Restatement (Second) eine Entsprechung findet. Die Grenze der Pflicht des Herstellers, Risiken offenzulegen, ist demnach dort zu ziehen, wo keine Informationsdefizite bestehen86 . Es liegt dann kein Informationsdefizit auf Seiten der Verbraucher vor, wenn das Risiko offensichtlich ist oder aber wenn der konkrete Produkt82 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 184 unter Hinweis auf die "berechtigten Sicherheitserwartungen" des§ 3 ProdHaftG. Eine vergleichbare Einschränkung findet sich bei der Definition der Verkehrspflichten. Auch das amerikanische Recht berücksichtigt die Möglichkeit des Verbrauchers, die konkrete Produktsicherheit zu steigern, bereits im Rahmen der Fehlerdefinition. 83 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 185. 84 Im deutschen Recht: § 6 ProdHaftG, § 254 BGB; im amerikanischen Recht: Institut der comparative bzw. contributory negligence, die auch im Rahmen der strict liability berücksichtigt wird. 85 Finsinger/Simon, S. 49. 86 Vgl. auch Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 167.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschu1denshaftung
gebrauch durch den Verbraucher so weit von dem "bestimmungsgemäßen" oder nicht bestimrnungsgemäßem, aber "naheliegenden" Produktgebrauch entfernt ist, daß der Verbraucher selbst in der besseren Position ist, das damit verbundene Risiko zu erkennen, als der Hersteller, der von dem intendierten oder allgemein üblichen konkretem Gebrauch ausgehen muß 87 . Es ist problematisch, welche Risiken für den Verbraucher eindeutig sind, und welcher Produktgebrauch so fernliegend ist, daß er einen Mißbrauch darstellt, der nicht Gegenstand von Warnungen und Instruktionen sein muß88. Sollen z. B. nur ausdrücklich erteilte Warnungen und Instruktionen berücksichtigt werden oder sollen auch Faktoren, die über die Produktsicherheit nur indirekt Auskunft geben können, wie z. B. der Produktpreis im Rahmen des informationeilen Fehlerbegriffs berücksichtigt werden?89 Dies hängt m.E. davon ab, ob und wie Verbraucher solche "versteckten" Informationen auswerten können. Diese Frage ist Gegenstand des sechsten Kapitels. Es ist darüber hinaus auch problematisch, ob Warnungen und Instruktionen das geeignete Mittel sind, um Verbraucherverhalten im Einzelfall zu steuern. Finsinger und Sirnon vertreten mit ihrer Forderung, Käufer sollten grundsätzlich auch unnötig gefährliche Produkte kaufen dürfen, solange sie nur unmißverständlich auf deren Risiken hingewiesen würden90, eine absolute Mindermeinung. Das Prinzip der Subsidiarität von Warnungen des deutschen Rechts und die Zurückdrängung der patent danger rule im amerikanischen Recht findet ihre Ursache nicht zuletzt in der Einsicht, daß das abstrakte Wissen um das Risiko den Verbraucher in der konkreten Gefahrensituation nicht angemessen schützen kann. In typischen Momenten der Unaufmerksamkeit, die sich beim wiederholten Umgang mit Produkten auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden lassen, können Primärschäden nur durch entsprechende Konstruktionen, nicht aber durch das Wissen des Produktnutzers, wie er sich eigentlich verhalten sollte, vermieden werden91 • Der informationeile Fehlerbegriff kann demnach zwar gewisse Anreize zur Steigerung der konkreten Produktsicherheit über die Informationsobliegenheit des Herstellers bieten. Jedoch sind dem Grenzen gesetzt, wenn der Verbraucher ein als unsicher erkanntes Produkt einmal erworben hat, da das Wissen um die abstrakten Risiken den Verbraucher in den typischen Situationen geringer Fahrlässigkeit, die sich insbesondere bei einem häufigen Umgang mit Produkten als unvermeidbar darstellt, vor Verletzungen nicht schützt. Vgl. dazu auch Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 168. Vgl. zu diesem Problem auch Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 172. 89 Vgl. Diederichsen, Zur Dogmatik, S. 9, 21. 90 Finsinger/Simon, S. 49. 91 Diese Einsicht steckt m.E. auch hinter der Einschränkung des informationeBen Fehlerbegriffs, die Wiekhorst mit seiner Forderung nach der Einhaltung einer Basissicherheit vornimmt, vgl. dazu Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 167. 87 88
III. Anreize zur Schadensvermeidung
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bb) Berücksichtigung der konkreten Produktsicherheit im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen Die Vermeidung von produktbedingten Schäden durch entsprechendes Verhalten des Verbrauchers wird bei der Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen in doppelter Hinsicht relevant. Zum einen sind hier die Vorsorgeaufwendungen des Herstellers zur Steigerung der abstrakten Produktsicherheit in ein Verhältnis zu den Sorgfaltsaufwendungen des Verbrauchers in der konkreten Situation des Produktgebrauchs zu setzen. Die Anforderungen an die Steigerung der abstrakten Produktsicherheit finden dort ihre Grenze, wo der Verbraucher durch ein Mindestmaß an Aufmerksamkeit selbst den Schadenseintritt verhindern kann. Hier ist das oben angesprochene Phänomen zu berücksichtigen, daß naheliegende Unaufmerksamkeiten des Verbrauchers über eine Steigerung der abstrakten Produktsicherheit abgefangen werden müssen92. Zum anderen stellt sich auch hier erneut die Frage, welcher Kosten- und Nutzenbegriff der Analyse zugrundegelegt werden muß93• Im Rahmen der Untersuchung zur Vermeidung von Primärschäden durch Anreize an den Hersteller, die abstrakte Produktsicherheit zu steigern, bin ich zu dem Ergebnis gekommen, daß ein möglichst umfassender Kostenbegriff zu effizienten Ergebnissen führt. Die Zielsetzung, dem Verbraucher Anreize zur Steigerung der konkreten Produktsicherheit zu geben, wird hingegen durch den Verzicht auf eine umfassende Kompensation aller Schäden gefördert (Problem des moral hazard). Diese Steuerungseffekte wirken sich nicht nur positiv auf die Sorgfaltsaufwendungen beim Gebrauch des Produkts aus, sondern sind auch geeignet, das Aktivitätsniveau zu senken, wenn sich der drohende Schadenseintritt unter Berücksichtigung des beim Verbraucher verbleibenden "Selbstbehalts" in Form der systematisch nicht kompensierten Schäden als unverhältnismäßig zum Nutzen in der konkreten Situation darstellt. Unter dem Gesichtspunkt der Steigerung der konkreten Produktsicherheit ist daher ein Kostenbegriff, der nicht alle denkbaren Schäden erlaßt, vorteilhaft94• Es besteht demnach ein Spannungsfeld zwischen den Anreizen an den Hersteller und den Anreizen an den Verbraucher. Dieses Ergebnis wird aber m.E. dadurch relativiert, daß ein hinreichender Anreiz für den Verbraucher zur Schadensvermeidung jedenfalls in Hinblick auf immaterielle Rechtsgüter wie Leib und Leben Schäfer/Ott, 5. Kapitel, 3.2. - S. 131. Diese Problematik wird bei Zugrundelegung eines informationellen Fehlerbegriffs zwar nicht im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestandes relevant, wohl aber im Rahmen der Frage, welche Schäden im haftungsausfüllenden Tatbestand als ersatzfähig berücksichtigt werden müssen. 94 Im ProdHaftG finden sich im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes bestimmte Formen des Selbstbebaltes (§ 11 ProdHaftG, Verzicht auf Schmerzensgeld), die aber aufgrund der parallel bestehenden Ansprüche aus § 823 I BGB letztlich keine Bedeutung haben. Es dürfte sich aber der Verzicht auf die Kompensation von immateriellen Schäden sorgfaltssteigernd auswirken. Das arnerikanische Recht kompensiert umfassend materielle und immaterielle Schäden. 92 93
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldeoshaftung
schon deshalb besteht, als eine monetäre Kompensation den status quo ante nicht wieder herstellen kann und daher für den Verbraucher keine Alternative zum geschädigten Rechtsgut darstellt95 . e) Zwischenergebnis
Fehlerhafte Steuerungsansreize zur Vermeidung von Produktschäden können sich beim informationeilen Fehlerbegriff dann ergeben, wenn die notwendigen Informationen über die abstrakte Produktsicherheit nicht an den Verbraucher übermittelt werden oder dieser nicht in der Lage ist, die Information auf angemessene Weise in seine eigene Kosten-Nutzen-Analyse einfließen zu Jassen. Eine Risikounterschätzung durch Verbraucher wird zu einer überhöhten Anzahl von produktbedingten Schäden und eine Überproduktion von risikoträchtigen Gütern führen, eine Risikoüberschätzung zu einer exzessiven Investition in Sicherheit und zu einem zu geringen Verbrauch von Produkten führen. Fehlinformationen können sich dadurch ergeben, daß nicht alle Risiken aufgedeckt werden, daß die aufgedeckten Risiken zu komplex sind, als daß sie vom Verbraucher sinnvoll verarbeitet werden könnten oder das Phänomen der "Überwarnung" eintritt, d. h. daß der Hersteller zur Senkung seines Haftungsrisikos Warnungen und Instruktionen über das erforderliche Maß hinaus zur Verfügung stellt, die dann vom Verbraucher nicht mehr wahrgenommen werden. Der letzten Aspekt ist im Rahmen der Anforderungen an den Verbraucher, die konkrete Produktsicherheit zu steigern, zu berücksichtigen. Fraglich ist hier, ob Informationen in der konkreten Situation des Schadenseintritts noch verwertet werden können. Daneben ist zu berücksichtigen, daß produktbedingte Schäden nicht nur bei denen eintreten können, die das Produkt für sich oder ihre Angehörigen erworben haben, sondern auch bei bystandern, die weder zum Hersteller noch zum Produkteigentümer in einer Rechtsbeziehung stehen. In solchen Fällen ist der informationeile Fehlerbegriff um einen Faktor zu erweitern, der Hersteller und Eigentümer des schadensverursachenden Produktes als Gesamtschuldner haften läßt und im Innenverhältnis einen Ausgleich nach Maßgabe des informationeBen Fehlerbegriffs vornimmt. Kosten-Nutzen-Analysen können Fehlsteuerungen in zweierlei Weise bewirken. Zum einen gibt es hier ebenso wie beim informationeilen Fehlerbegriff ein Praktikabilitätsproblem, nämlich daß die angemessene Balance von Schadensverhütungsmaßnahmen, Schäden und Nutzen des Produktes durch ein Gericht nicht gefunden werden und dadurch Anreize an den Hersteller ausgehen, die abstrakte Produkt95 Vgl. dazu Calfee/Winston: Economic Aspects ofLiability Rules and Liability Insurance S. 21, die nicht-monetäre Schäden folgendermaßen definieren: "Nonmonetary Iosses occur when an injury affects a victim's utility for wealth in such a way that the same Ievel of income does not produce the same Ievel of satisfaction as before the loss."
III. Anreize zur Schadensvermeidung
175
sicherheit zu überspannen oder unter ein adäquates Maß zu senken. Entscheidend ist auch, welcher Kostenbegriff der Analyse zugrundegelegt wird. Bei isolierter Betrachtung der Anreize an den Hersteller erscheint ein umfassender Kostenbegriff, der auch immaterielle Schäden berücksichtigt, vorteilhaft. Es sind aber auch die Anreize an den Verbraucher, die konkrete Produktsicherheit zu steigern, zu berücksichtigen, die einen "Selbstbehalt" in Form des Verzichts auf umfassende Kompensation nahelegen. Kosten-Nutzen-Analysen leiden unter einem strukturellen Problem, dessen Schlüssel darin liegt, daß für alle Verbraucher gleichermaßen ein gleicher Kosten-Nutzen-Begriff zugrundegelegt werden muß. Haben die Verbraucher ein und desselben Produkttyps ein heterogenes Schadenspotential, so kann dies dazu führen, daß Verbraucher mit besonders hohem Risikopotential keine Güter mit einer für sie ausreichenden abstrakten Produktsicherheit erwerben können. Schließlich sind die Kosten für abstrakte und konkrete Schadensvermeidung im Vergleich zu berücksichtigen. Im Rahmen der Untersuchung beider Fehlerbegriffe ist die Frage zu klären, ob eine Haftung für Entwicklungsrisiken einen Anreiz an den Hersteller zur Steigerung der abstrakten Produktsicherheit setzt. Dies ist umstritten. Teilweise wird eine Haftung für Entwicklungsrisiken damit abgelehnt, daß sie besonders innovative Hersteller treffe, teilweise wird darin gerade ein Anreiz gesehen, die Anstrengungen im Bereich von Forschung und Entwicklung zu steigern. In Ländern, in denen eine Haftung für Entwicklungsrisiken praktiziert wird - hier ist in Deutschland an die Haftung nach § 84 AMG zu denken - ist ein Innovationshemmnis nicht bekannt.
3. Das Ziel der Vermeidung von Sekundärschäden
Haftungsrecht bezweckt nicht die Vermeidung von Primärschäden um jeden Preis, vielmehr wird eine Anzahl von Schäden als sozialadäquat in Kauf genommen. Im Rahmen des Ziels der Senkung von Sekundärschäden geht es um die optimale Zuweisung dieser verbleibenden Schäden. Hier sind zwei Fragen voneinander zu trennen. Zum einen stellt sich die Frage nach der tatsächlichen Schadenstragung, wenn sich produktbedingte Risiken realisieren. Dies kann zum einen durch eigene Rücklagenbildung durch Hersteller oder Verbraucher erfolgen, zum anderen können Versicherungsverträge über die (spezifischen) Risiken abgeschlossen werden. Hier ist zu klären, ob es Herstellern und Verbrauchern auf den existierenden Versicherungsmärkten möglich ist, Versicherungsschutz für die typischen Risiken von produktbedingten Unfällen zu erwerben. Zum anderen stellt sich die Frage, unter welcher Haftung eine möglichst kostengünstige Schadenstragung zu erzielen wäre, wenn es sowohl Herstellern als auch Verbrauchern gleichermaßen möglich wäre, sich zu versichern oder die produktbedingten Schäden selbst zu tragen.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
Bei der Untersuchung der Versicherbarkeit produktbedingter Risiken ist eine scharfe Trennung zwischen informationeHern Fehlerbegriff und Kosten-NutzenAnalysen m.E. nicht durchgängig möglich; vielmehr werden sich bestimmte Fragen für beide Fehlerbegriffe gleichermaßen stellen. Der Hersteller trägt unter beiden Ansätzen ein Haftungsrisiko - nämlich dann, wenn die Instruktionen über die Produktrisiken als ungenügend oder die Risiken selbst von der Rechtsordnung als überhöht angesehen werden. Andererseits trägt der Verbraucher unter jeder Haftung, die nicht ein absolutes Einstehen des Herstellers für jede und alle produktbedingten Schäden anordnet, ein Restrisiko für solche produktbedingten Schäden, die nicht auf als "fehlerhaft" angesehene Produkte zurückzuführen sind und gegen die er eine angemessene Vorsorge treffen muß. Unter Berücksichtigung dieses caveats ist m.E. dennoch die folgende Verallgemeinerung zulässig. Da der informationeHe Fehlerbegriff nicht auf die Verbesserung der Produktsicherheit, sondern auf die Überbrückung von Informationsdefiziten abzielt, verlagert er die Verantwortung für die Vornahme der individuellen Kosten-Nutzen-Analyse auf den Verbraucher. Angesichts des Risikos, daß die Abwägung zu optimistisch ausfallt - ich verweise hier auf die Ausführungen zur Vermeidung von Primärschäden - stellt sich hier verstärkt die Frage nach Möglichkeit und Effizienz einer Selbstversicherung durch die Verbraucher. Umgekehrt steigt das Haftungsrisiko des Herstellers mit der Vorgabe von zwingenden Sicherheitsanforderungen durch das Haftungsrecht an die Konstruktion selbst, so daß ich das Problem der Schadenstragung durch den Hersteller im Rahmen von KostenNutzen-Analysen diskutieren werde.
a) Sekundärschadensvermeidung bei Annahme des informationeilen Fehlerbegriffs
aa) Tatsächlich existierende Möglichkeiten für Verbraucher, sich gegen produktbedingte Schäden selbst zu versichern Muß der Verbraucher selbst Vorsorge gegen produktbedingte Schäden treffen, so stellen sich die folgenden Fragen: Gibt es auf dem privaten Versicherungsmarkt eine Möglichkeit für Verbraucher, sich gegen die typischen Risiken produktbedingter Schäden zu versichern? Wird diese Möglichkeit von Verbrauchern angenommen? Das Problem der tatsächlichen Versicherbarkeit produktbedingter Risiken ist sowohl aus Hersteller- als auch aus Verbrauchersicht umstritten. Die in der Literatur vorgebrachten Argumente zu diesem Themenkomplex zeichnen sich dadurch aus, daß sie m.E. im Bereich des Spekulativen angesiedelt sind. Ohne empirische Untersuchungen kann diese Frage nicht beantwortet werden. Soweit es überhaupt Untersuchungen zu dieser Fragestellung gibt, sind die Daten häufig veraltet. Eine eigene Untersuchung wird im Rahmen dieser Arbeitaufgrund der damit verbundenen methodischen Schwierigkeiten nicht versucht. Ich muß mich damit begnügen,
111. Anreize zur Schadensvermeidung
177
die Schwierigkeiten, die m.E. im Rahmen der existierenden Stellungnahmen zu diesem Thema bestehen, aufzuzeigen. Es muß dabei berücksichtigt werden, daß die Frage nach den faktischen Bedingungen einer Versicherbarkeit für die amerikanische und deutsche Rechtsordnung nicht einheitlich beantwortet werden kann. Hier ist aufgrund der unterschiedlichen sozialen Bedingungen mit erheblichen Abweichungen zu rechnen. Für den amerikanischen Rechtskreis wird häufig vorgetragen, daß die Verlagerung der Haftung auf die "deep packet" des Herstellers, der die Haftungslast über den Produktpreis an die Gemeinschaft aller Verbraucher weitergeben kann, mit dem Fehlen eines anderweitigen Versicherungsschutzes zu erklären sei. Priest hat in den 80er Jahren argumentiert, daß sich die gesellschaftlichen Strukturen in den Vereinigten Staaten derart gewandelt hätten, daß die Mehrheit der Konsumenten anderweitig versichert und daher auf eine Kompensation durch das Haftungsrecht nicht mehr angewiesen sei96 . Ob dieser Befund damals und heute zutreffend ist, entzieht sich meiner Beurteilung; sie kann aber auch offen gelassen werden, da dies nicht der Gegenstand dieser Untersuchung ist. Für den deutschen Rechtskreis weisen Finsinger und Sirnon darauf hin, daß hinsichtlich der faktischen Versicherbarkeit von Produktrisiken Lücken auf dem privaten Versicherungsmarkt bestünden. Zwar könne eine Vielzahl von Risiken abgedeckt werden- so die Zerstörung von Sachwerten durch Brand durch eine Feuerversicherung, die Gefahr der Körperverletzung durch eine Krankenversicherung, die Gefahr des Verlusts der Erwerbsfcihigkeit wenigsten zum Teil durch die Sozialversicherung -aber es verbleibt ein Restrisiko beim Verbraucher, da es eine spezifische Versicherung gegen produktbedingte Schäden bisher noch nicht gibt97 . Aus der Beobachtung, daß der Privatversicherungsmarkt keine spezifische Versicherung gegen derartige Schäden anbietet, kann nicht zwingend auf ein Marktversagen geschlossen werden. Vielmehr könnte die Ursache dafür auch darin liegen, daß die existierenden Versicherungen die typischen Produktrisiken so weit erfassen, daß es sich weder für Versicherer noch für Versicherungsnehmer lohnt, einen Vertrag zur Versicherung spezifischer Produktrisiken abzuschließen. Adams und Wiekhorst meinen, daß auf dem bestehenden Privatversicherungsmarkt ein hinreichendes Angebot an Unfall- und Sachschadensversicherungen bestehe98, die Mechanismen des Marktes aber durch die Kartellinteressen der Versicherungsuntemehmen, die fehlerhafte Regulierung durch das Bundesaufsichtsamt für Versicherungswesen und schließlich die Freistellung vom AGB-Gesetz verzerrt seien99. 96 Priest, 22 Val. U. L. Rev. 1, 15 . vgl. zum Problem der Erhältlichkeit von Versicherungen siehe auch J.K. Hammitt I S. J. Carroll/ D. A. Relles, Tort Standards and Jury Decisions, XIV Journal of Legal Studies, 1985., S. 751 ff.; R. Schmalz, On Financing The Compensation System, IVX J. of Legal Stud. 1985, 807 ff.; Kötz, Einführung in die Rechtsvergleichung, s. 429. 97 Finsinger/Simon, S. 42. 98 Adams: EG-Produkthaftungsrichtlinie, S. 57, Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 173.
12 Kollmann
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldeoshaftung
Adams und Wiekhorsts Kritik ist zumindest teilweise durch die Deregulierung und Liberalisierung des europäischen Versicherungsmarkts aufgrund der Umsetzung der Dritten Richtlinien zur Lebensversicherung 100 und zur Schadensversicherung101 überholt. Mit dem Stichwort der Deregulierung verbindet sich Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit für die Versicherungsunternehmen sowie der Wegfall der Monopolanstalten und Sitzlandaufsicht 102. Durch den Wegfall der präventiven Produktkontrolle in Form der Bedingungs- und Tarifgenehmigung soll die Angebotsvielfalt an Versicherungsprodukten für den "mündigen Verbraucher" erhöht werden 103. Diese Anreize scheinen sich auch in einer gesteigerten Produktvielfalt niederzuschlagen. Nach der Einschätzung des Gesamtverbandes der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) soll die Deregulierung einen erheblichen Wettbewerbsschub auf dem deutschen Markt verursacht haben, der zu einer zunehmenden Angebotsvielfalt und Risikodifferenzierung auf dem Versicherungsmarkt geführt habe 104. Ob das verbesserte Angebot allein schon zu einem adäquaten Versicherungsschutz für Verbraucher führt, ist aber nicht unumstritten. Da der Verbraucher beim Abschluß eines Versicherungsvertrages - ebenso wie beim Kauf eines Produktes ein Informationsdefizit in Hinblick auf die Versicherungsleistungen hat, ist entscheidend, ob dieses Informationsdefizit überbriickt werden kann. Dies kann entweder dadurch erfolgen, daß Verbraucher selbst Vergleiche zwischen mehreren Versicherungsprodukten anstellen, indem sie dafür Dritte wie unabhängige Vermittler, Testinstitutionen, Medien, Verbraucherverbände etc. einschalten 105 . Daneben trägt das Gesetz dem Bedürfnis des Verbrauchers nach qualifizierter Beratung über§ 10 a VAG iVm Anl. D Rechnung. Der Versicherer hat demnach die Pflicht, dem Versicherungsnehmer die erforderlichen Informationen über den Versicherungsvertrag zukommen zu lassen, mit dessen Hilfe der durchschnittlich gebildete Versicherungsnehmer in der Lage sein soll, sich ohne anwaltliehe Hilfe ein Bild vom Vertragsinhalt zu machen 106. Zusätzlich sind die Allgemeinen Versicherungsbedingungen bei Vertragsschluß (§ 2 Abs. 1 AGBG) auszuhändigen, d. h. die Privilegierung des § 23 Abs. 3 AGBG ist weggefallen. Nach der Einschätzung des GDV machen Versicherungsnehmer jedenfalls von dem bestehenden Beratungsangebot Gebrauch. So habe im Jahr 1987 nur jeder dritte Versicherungskunde Ange99 Adams: EG-Produkthaftungsrichtlinie: Wohltat oder Plage? S. 58; derselbe, Ökonomische Analyse der Gefährdungs- und Verschuldenshaftung, S. 206. Da das von Adams behauptete Marktversagen jedenfalls nicht mit Fehlsteuerungen durch das geltende Haftungsrecht begrundet wird, soll diese Theorie im Rahmen dieser Arbeit nicht weiter verfolgt werden. 100 Richtlinie 92196 EWG vom 10. 11. 1992 ABlEG L 360/1 vom 9. 12. 1992. tot Richtlinie 92149 EWG vom 18. 6. 1992 ABlEG L 228/1 vom II. 8. 1992. 102 Baumann, VersR 1996, 1, I. 103 Schirmer, VersR 1996, 1045, 1045. t04 GDV Jahrbuch 1996, S. 13. 105 Schirmer, VersR 1996, 1045, 1045. 106 Schirmer, VersR 1996, 1045, 1046 mit Verweis auf VerBAV 95, 283.
III. Anreize zur Schadensvermeidung
179
boteverschiedener Unternehmen miteinander verglichen, während im Jahre 1996 bereits jeder zweite die Möglichkeit, sich zu informieren genutzt habe 107 . Damit bleibt aber inuner noch ein Anteil von 50% aller potentiellen Versicherungsnehmer, der sich nicht beraten läßt. Ob und inwieweit Versicherungsnehmer die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen ausnutzen können und unter den vielfältigen Möglichkeiten ihren adäquaten Versicherungsschutz finden können, hängt davon ab, inwieweit die zu Gebote stehenden Informationsquellen tatsächlich Transparenz schaffen und inwieweit Versicherungsnehmer diese Informationen verarbeiten und in ein System widerspruchsfreier Präferenzen bringen können. Es handelt sich hier um ein grundsätzliches Problem, das nicht nur im Zusammenhang mit Versicherungsleistungen auftaucht, sondern in gleicher Weise für die Praktikabilität des informationellen Fehlerbegriffs entscheidend ist108 .
bb) Effizienz der Selbstversicherung durch den Verbraucher Die Frage der Effizienz von Versicherung durch den Verbraucher oder durch den Hersteller beruht darauf, wie gut die zu versichemden Risiken erfaßt werden können. Der Grundgedanke der Versicherung beruht auf der Beobachtung, daß sich die Risiken bei einer großen Anzahl von Versicherungsverträgen nur bei einem geringen Prozentsatz der Versicherungsnehmer verwirklichen. Es ist daher möglich, Versicherungsschutz gegen Leistung einer bestinunten Prämie anzubieten, die sich an dem zu erwartenden Schadensbedarf109 orientiert. Versicherungsnehmer mit einem gleichartigen Risiko werden in einem Risikopool zusarnmengefaßt. Das Risikomoment des einzelnen Versicherungsvertrages wird durch eine Vielzahl gleichartiger Versicherungsverträge so verdünnt, daß der Wagnischarakter bzw. das spekulative Element auf Seiten des Versicherungsunternehmens verblaßt 110. Das Erfordernis der Gleichartigkeit der Versicherungsverträge beriihrt das Stichwort der vollkonunenen und der unvollkommenen Versicherung. Vollkonunene Versicherungen zeichnen sich dadurch aus, daß die Versicherungsprämie durch Prämienstaffelungen genau entsprechend dem Sorgfaltsniveau des Schädigers festgelegt wirdlll, das durch ein vorangegangenes sogenannten ,,risk-assessment" ermittelt wird. Im risk-assessment sind alle für den möglichen Schadenseintritt maßgeblichen Faktoren zu herlieksichtigen - die Schadensträchtigkeit der zu versiGDV Jahrbuch 1996, S. 20. V gl. dazu Teil C, 6. Kapitel. 109 Neben dem Schadensbedarf sind die Kosten und der Gewinn des Unternehmens zu berücksichtigen, dies spielt aber für die folgenden Ausführungen keine Rolle. 110 Deutsch, Versicherungsvertragsrecht, § 1 li- Rn. 4. 111 Schäfer/Ott, Lehrbuch, 5. Kapitel, 21.1.- S. 179 mit Verweis auf Polinsky, An introduction to Law and Economics, 2. Aufl. 1989, S. 47. 107
108
12*
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldeoshaftung
ehernden Tatigkeit, die Schadenserwartung des Versicherungsnehmers, sein Sorgfaltsniveau etc. Versicherungen werden dann unvollkommen, wenn die Prämien nicht durch ein ex-ante Rating des Versicherungsnehmers festgelegt werden 112 . Unvollkommene Versicherungen werden dadurch charakterisiert, daß die in einem Versicherungspool zusarnrnengefaßten Risiken heterogen sind. Als Folge tritt das Phänomen der adversen Selektion ein: Die Versicherungsnehmer, deren Risiko über der Durchschnittsprämie, aber noch innerhalb des Pools liegen, erhalten eine Versicherung zu einem günstigen Preis und haben daher einen Ameiz, in den Pool zu strömen. Die Individuen innerhalb des Pools, deren Risiko unter dem Einheitsrisiko liegt, erhalten dann keinen adäquaten Wert für ihre Versicherungsprämie. Sie werden daher entweder den Pool verlassen oder aber mit ihrer Versicherungsleistung diejenigen Versicherungsnehmer subventionieren, deren Risiko über der Einheitsprämie liegt. Je nachdem, wie sich die Versicherungsnehmer mit dem geringeren Schadenspotential verhalten, wird der Versicherer entweder gezwungen sein, aufgrund der veränderten Zusammensetzung des Pools die Prämien zu erhöhen oder aber es wird der erwähnte Mechanismus der Subventionierung eintreten. Es fragt sich, inwieweit diese abstrakten Überlegungen zu den Mechanismen des Versicherungsvertrages für die Frage der "Selbstversicherung" der Verbraucher relevant werden. Nach meinen Feststellungen wird eine spezifische Versicherung für produktbedingte Risiken nicht angeboten, statt dessen wird das Risiko über unspezifische Versicherungen wie die Sozialversicherung, Krankenversicherung etc. abgefedert. Bei produktbedingten Unfallen realisieren sich spezifische Risiken, die u.U. nur einen geringen Prozentsatz aus der Gesamtgemeinschaft der Versicherten betreffen. Eine Schadenstragung durch unspezifische Versicherungen bedeutet, daß die Gesamtgemeinschaft aller Beitragszahler für das erhöhte Risiko aufkommen muß, daß sich der betroffene Versicherungsnehmer z. B. den Gefahren eines offenen Sportwagens, einer ungeschützten Elektrosäge oder anderer besonders gefahrenträchtiger Produkte aussetzt, ohne daß dies durch erhöhte Versicherungsbeiträge bei den Betroffenen ausgeglichen wird und ohne daß Regreß beim Hersteller als möglichen Verursacher genommen werden kann 113 . Dies führtjedenfalls dazu, daß Versicherungsnehmer mit geringerem Risiko durch ihre Prämien eine hohe Risikogruppe subventionieren.
112 113
Schäfer/Ott, Lehrbuch, 5. Kapitel, 21.2. - S. 180. Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 212.
III. Anreize zur Schadensvermeidung
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b) Sekundärschadensvermeidung bei Annahme von Kosten-Nutzen-Analysen
aa) Tatsächlich existierende Möglichkeiten für Hersteller, Versicherungsschutz für Konstruktionsfehler zu erwerben Soll die Schadenstragung zumindest zu einem Teil durch den Hersteller erfolgen, so stellt sich auch für diesen Akteur die Frage, ob er dem Risiko der Haftung durch eigene Rücklagenbildung bzw. durch Rückversicherung über einen Industriehaftpflichtversicherer begegnen kann. Die Bedenken, die im Zusammenhang mit der Untersuchung des Privatversicherungsmarktes vorgebracht worden sind, gelten auch hier: Soweit sich die Diskussion nicht auf bloße Mutmaßungen beschränken soll, ist eine Auswertung von empirischen Daten erforderlich, die nur eingeschränkt zur Verfügung stehen. Es sind auch hier die unterschiedlichen wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen in den Vereinigten Staaten und Deutschland zu berücksichtigen. In den USA ist die gängige Annahme, daß der Hersteller in einer besseren Situation zur Selbst- und/ oder Rückversicherung sei, im Zuge der 80er Jahre erschüttert worden. Kritiker des existierenden Haftungssystems führten die sogenannte "insurance crisis" auf eine Überbelastung der Hersteller mit Anspriichen der Verbraucher zurück, die die Versicherungsprämien für Industriehaftpflichtversicherungen ins Unermeßliche steigen ließen oder die Versicherbarkeit solcher Produkte, die mit einem besonderen Schadensrisiko behaftet waren wie etwa Arzneimittel, ausschlossen114. Inwieweit das Haftungsrecht als alleiniger oder maßgeblicher Faktor für die erhöhten Prämien angesehen werden kann, ist nicht unumstritten 115 , insbesondere fehlen neuere Untersuchungen, die einen Zusammenhang zwischen dem Angebot und dem Preis für Industriehaftpflichtversicherungen und der von Henderson und Eisenberg festgestellten Trendwende hinsichtlich der Erfolgsaussichten von Verbrauchern in einem Produkthaftungsfall 116 herstellen könnten. Es ist daneben zu berücksichtigen, daß eine mögliche Auswirkung des amerikanischen Haftungsrechts auf den Industriehaftpflichtversicherungsmarkt nicht das alleinige Ergebnis des existierenden materiellen Rechts ist, sondern daß Art und Ausmaß der Produkthaftungsprozesse auch wesentlich von anderen, bereits erwähnten Faktoren wie das geltende Prozeßrecht und Standesrecht beeinflußt sind. Die Tatsache, daß diese Faktoren wahrscheinlich eine nicht zu vernachlässigende Rolle spielen, läßt sich im Vergleich mit dem deutschen Versicherungsmarkt beleuchten. Hier besteht - bei einer vergleichbaren materiell-rechtlichen Beurteilung 114 K. S. Abraham, Making Sense of the Liability Insurance Crisis, 48 Ohio State Law Journal, S. 399, 1987. mit Verweis auf Insurance Services Office, Insurer Profitability: The Facts (1986). 115 Vgl. zu den anderen Theorien Abraham, 48 Ohio St. L. J. 398. 116 Vgl. Henderson/Eisenberg 37 U.C.L.A. L. Rev. 479 ff. und Eisenberg/Henderson 39 U.C.L.A. L. Rev. 731 ff.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschu1denshaftung
produkthaftungsrechtlicher Fragen - grundsätzlich die Möglichkeit für den Hersteller, produkthaftungsrechtliche Risiken durch eine Industriehaftpflichtversicherung zu minimieren. Zwar sieht sich der Hersteller bei der Selbstversicherung von Risiken, die sich aus der Haftung für Konstruktionsfehler ergeben, einem strukturellen Problem ausgesetzt. Anders als bei der Haftung für Fabrikationsfehler kann er hier nicht ohne weiteres Rücklagen bilden und das Haftungsrisiko über einen entsprechend erhöhten Produktpreis an die Gesamtheit der Verbraucher weitergeben. Die Einzelrisiken einer fehlerhaften Konstruktion sind positiv korreliert. Dies bedeutet, daß mit der Feststellung der "Fehlerhaftigkeit "der Konstruktion potentielljeder geschädigte Benutzer dieses Produktes einen Anspruch gegen den Hersteller geltend machen kann. Der Hersteller ist daher auf den Abschluß einer Industriehaftpflichtversicherung angewiesen 117 • Die meisten Beobachter gehen davon aus, daß eine derartige Versicherung erhältlich ist. Da der Bereich der Industriehaftpflichtversicherungen wesentlich stärker durch "unregulierten Wettbewerb" gekennzeichnet sei, könne der Hersteller Versicherungsschutz mit sachgerechter Prämienfestlegung erwerben 118 . Die von Frese/Werder/v. Klinkenberg 119 im Zuge der Verabschiedung der Produkthaftungsrichtlinie durchgeführten Befragungen von Industrieunternehmen scheinen diese Annahmen zu bestätigen, allerdings bedürfte es auch hier sicherlich umfangreicherer Daten, um eine zuverlässige Aussage machen zu können. bb) Effizienz der Versicherung von Konstruktionsrisiken durch den Hersteller Ebenso wie auf Verbraucherseite stellt sich die Frage, ob der Hersteller unabhängig von der tatsächlichen Möglichkeit des Abschlusses einer Industriehaftpflichtversicherung der cheapest insurer ist. Es stellt sich auch hier die Frage nach strukturellen Problemen, die in der Natur eines derartigen Versicherungsvertrages liegen. Dies sind das Problem der adversen Selektion sowie die Frage nach der Erfassung von immateriellen Schäden im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen. (1) Problem der adversen Selektion
Das Problem der adversen Selektion taucht bei einer Versicherung von Produktrisiken durch den Hersteller in verstärkter Form auf. Der Versicherungsvertrag besteht zwar zwischen Hersteller und Versicherer, die Kosten für die Versicherungsprämie stellen aber einen Bestandteil des Produktpreises dar, den der Verbraucher bezahlen muß. Diese Tatsache wird häufig damit umschrieben, daß Finsinger/Simon S. 42. Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 198 f., Adams: EGProdukthaftungsrichtlinie, S. 59. 119 DB 1988, S. 2369 ff. 117
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III. Anreize zur Schadensvermeidung
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der Verbraucher nicht nur das Produkt, sondern gleichzeitig eine Versicherung des Herstellers gegen Schäden aufgrund von fehlerhaften Produkten erwerbe. Dem Hersteller kommt daher die Aufgabe eines "Quasi-Versicherers" zu. Eine Poolbildung ist bei der Zwangskoppelung des Versicherungsschutzes an das Produkt nicht möglich, die "Versicherungsprämie" stellt sich vielmehr als einheitliche pro-Kopf-Prämie dar. Befinden sich unter dem Käuferkreis des Produktes Verbraucher mit sehr unterschiedlichen Schadenspotentialen, so kann dies dazu führen, daß Verbraucher mit niedrigem Einkommen und geringerer Schadenserwartung Verbraucher mit hohem Einkommen und Schadenspotential subventionieren 120 oder aber bestimmte Produkte gar nicht erwerben können, die sie im Falle einer Selbstversicherung aufgrund ihres geringeren Schadenspotentials konsumieren könnten. Ein gewichtiges Argument gegen eine produktgekoppelte "Versicherung" durch das Haftungsrecht stellt m.E. die Tatsache dar, daß bei einer Kompensation des Verbrauchers durch den Hersteller durch eine deliktische Haftung zwar bestimmte Parallelen zum Verhältnis Versicherer und Versicherungsnehmer bestehen, dieses Verhältnis aber in einem entscheidenden Punkt unterschiedlich ist. Die genannten Alternativen zur "Quasiversicherung" durch den Hersteller wie die gesetzliche oder private Krankenversicherung, die Sozialversicherung u.ä. zeichnen sich nämlich dadurch aus, daß das Schadenereignis als solches den Leistungsanspruch des Geschädigten begründet. Dies ist aus Sicht des Versicherungsnehmers auch notwendig, denn der Sinn des Versicherungsvertrages liegt ja gerade darin, eine Situationen abzusichern, in der ad hoc ein erheblich erhöhter finanzieller Bedarf besteht. Ein derartiger Anspruch auf sofortige Zahlung besteht im Kontext des Haftungsrechts nicht. Vielmehr hängt der Anspruch von der Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Produkts ab. Sollte der Verbraucher seinen potentiellen Anspruch im gerichtlichen Verfahren über mehrere Instanzen verfolgen, so mindert dies den Wert dieser "Versicherung" für den Geschädigten erheblich 121 . Soweit Verbraucher neben ihren deliktischen Ansprüchen keinen Versicherungsschutz genießen, setzt sie dies unter einen erheblichen Druck, einem- u. U. ungünstigen - Vergleich zuzustimmen122. Berücksichtigt man daneben, daß der Verbraucher ja nicht in jedem produktbedingten Schadensfall einen Anspruch auf Kompensation hat, so setzt dies aus Verbrauchersicht Anreize zur "Doppelversicherung".
12o Priest, 96 Yale L. J. 1521, 1565, 1585-86; derselbe, 48 Ohio St. L. J. 497, 502 ; Epstein, 10 Cardozo L. Rev. 2193, 2214 Fn. 60. 121 Viscusi, Reforming Products Liability Law, S. 76. 122 Vgl. zu diesem Problem im amerikanischen Rechtskreis Prosser & Keeton, Chapter 14, § 83 S. 599; Corstvet, 3 Law & Contemp. Probs. 466 (1936).
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
(2) Problem der "Überversicherung" durch die Erfassung von nicht-materiellen Schäden durch Kosten-Nutzen-Analysen 123
Bei der Untersuchung der Senkung von Primärschäden war ich zu dem Ergebnis gekommen, daß nur ein möglichst umfassender Kostenbegriff, der auch nicht-materielle Schäden erlaßt, den Hersteller dazu veranlassen wird, derartige Schäden in seine Kalkulation aufzunehmen. Es ist fraglich, ob sich ein so weiter Kostenbegriff unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Sekundärschäden zu effizienten Ergebnissen führen würde. Kritiker einer Kompensation von nicht-monetären Schäden lehnen diese mit dem Verweis auf die typischen Mechanismen des Versicherungsvertrages ab. Der Nutzen einer so umfassenden Kompensation wird demnach daran gemessen, ob ein Versicherungsnehmer aus einer ex-ante-Perspektive um so weitgehenden Versicherungsschutz nachsuchen würde. Der Grund, warum Menschen Versicherungen nachsuchen, liegt nach Finsinger und Sirnon in "dem Bestreben, bei Ungewißheit über das Eintreten von Ereignissen einen möglichst hohen erwarteten Nutzen zu realisieren. Dieses Ziel wird durch eine möglichst weitgehende Angleichung der Grenznutzen des Geldes über Situationen mit unterschiedlichen (Schadens-)Ereignissen erreicht. Deshalb ist Versicherung in der Regel ein Vertrag, der die Übertragung von Geld aus Situationen mit hohem Vermögen nach Situationen - etwa wegen dem Eintritt von Schadensereignissen- mit niedrigem Vermögen vorsieht. Bei vollkommener Versicherung kompensiert die Versicherungsleistung genau den Vermögensverlust" 124• Je umfassender der Versicherungsschutz sein soll, desto höher ist aber auch die Transferleistung in Form der Prämie, die der Versicherungsnehmer in der Situation mit relativ hohem Vermögen vornehmen muß. Kritiker einer Herstellerhaftung für nicht-monetäre Schäden schließen daraus, daß auch risiko-averse Verbraucher in der Regel keine Versicherung für nicht-monetäre Schäden ersuchen würden. Einen adäquaten Ausgleich könne Versicherung typischerweise nur für monetäre Schäden leisten- z. B. gestiegene Kosten durch die Zerstörung von Sachwerten, Kosten für Heilbehandlungen oder finanzieller Ausgleich für den Verlust oder die Reduzierung der Arbeitskraft - während der Verlust eines unersetzbaren Rechtsguts etwa der Tod eines geliebten Kindes - in der Regel keine erhöhten finanziellen Aufwendungen mit sich bringe und auch durch die Verbesserung der finanziellen Situation der Betroffenen nicht gemildert werden könne 125 • Entscheidet sich die 123 Dieses Problem stellt sich beim informationellen Fehlerbegriff gleichermaßen im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes. 124 Finsinger/Simon, S. 41. 125 Vgl. Finsinger/Simon, S. 41; Schwartz 97 Yale L. J. 353, 364 f., der auf die Tatsache hinweist, daß Versicherungen gegen nicht-monetäre Schäden auf dem Privatversicherungsmarkt nicht angeboten werden, vgl. Schwartz, 97 Yale L. J. 353, 364 f., Danzon, 13. J. Legal Stud. 469, dieselbe, Medical Malpractice, S. 153, 160, 171; P. Huber; Liability: The Legal Revolution and its Consequences, 1988, S. 3-17; Friedman, Int. Rev. of. L. & Ec., 81,84
III. Anreize zur Schadensvermeidung
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Rechtsordnung dennoch dafür, immaterielle Schäden im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen zu berücksichtigen, so drängt sie Verbraucher und Hersteller in ein Versicherungsvertragsverhältnis, das beide Parteien freiwillig nicht abgeschlossen hätten. Eine Herstellerhaftung für nicht-monetärer Schäden würde demnach zu einer Steigerung der Sekundärschäden führen. Die Kritik überzeugt m.E. nicht. Dies liegt daran, daß die Herstellerhaftung zwar gewisse Parallelen zu einer Versicherung aufweist, aber nicht undifferenziert mit ihr gleichgesetzt werden darf. Soweit Verbraucher bereit sind, einen höheren Preis für ein Produkt zu zahlen, beruht dies nicht notwendigerweise auf der Erwägung, damit auch einen Anspruch auf den Ersatz von Nichtvermögensschäden zu zahlen, sollte sich das Produkt als fehlerhaft erweisen. Der Schadensersatzanspruch ist, wie gezeigt wurde, in der Praxis ein unattraktiver Ersatz für einen Versicherungsvertrag im eigentlichen Sinne. Es erscheint daher realistischer, daß Verbraucher höhere Preise zahlen, um ein Produkt mit einem höheren abstrakten Sicherheitsniveau zu erwerben und so den Eintritt des Schadens a priori zu vermeiden. Viele Verbraucher sind eben nicht willens, eine geringere Produktsicherheit mit der Erwägung hinzunehmen, daß ein möglicher Schadensersatzanspruch sie nicht über den Verlust eines unersetzbaren Rechtsguts hinwegtrösten kann. Dies kann man am Beispiel des Todes eines Kindes verdeutlichen. Der "elterliche Altruismus"126 manifestiert sich darin, daß hier eine besonders hohe Risikoaversion besteht. Die Mehrzahl der Eltern sind daher bereit, für ihre Kinder Produkte zu kaufen, die sie möglicherweise für den eigenen Gebrauch als "exzessiv sicher" und daher als "zu teuer" ansehen würden, weil sie zugunsten ihrer Kinder jedes Risiko vermeiden wollen, soweit dies nur möglich ist. Können hinreichende Anreize zur Steuerung des Herstellerverhaltens nur darüber erreicht werden, daß der Hersteller über eine entsprechende Auslegung des Kosten-Begriffs mit einer höheren Haftung bedroht ist, so würde m.E. eine Vielzahl der Verbraucher eine solche Ausgestaltung von Kosten-Nutzen-Analysen auch dann begrüßen, wenn sie als Reflex dieser Haftung bei Eintritt des Schadensereignis weitergehend kompensiert würden, als dies im Rahmen eines klassischen Versicherungsverhältnisses sinnvoll erscheint. c) Das Sonderproblem der Herstellerhaftung für Entwicklungsrisiken
Das Problem der Haftung für Entwicklungsrisiken stellt sich bei der Untersuchung von Kosten-Nutzen-Analysen und des informationellen Fehlerbegriffs gleichermaßen. Eine Herstellerhaftung wäre dann effizient, wenn dieser eine Versicherung gegen Entwicklungsrisiken zu einem günstigeren Preis als der Verbraucher er(1982); D. W Leebron, Final Moments: Damages for Pain and Suffering Prior To Death, 64 New York University Law Review, S. 274., 1989. Kritisch dazu Bovbjerg/Sloan/Blumstein, 83 N.W. U. L. Rev. 909, 932 f. 126 Vgl. dazu die Studien von Magat/Viscusi, 3. Kapitel, S. 59.
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschu1denshaftung
langen könnte. Die Frage der Versicherbarkeit derartiger Risiken ist sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland umstritten. In der wohl bekanntesten amerikanischen Entscheidung zur Haftung des Herstellers für Entwicklungsrisiken 127 ging das Gericht von einer Versicherbarkeit und damit verbundenen Schadensstreuung auch von Entwicklungsrisiken aus, ohne sich allerdings mit der Gefahr der Erhöhung von Sekundärkosten aufgrund überteuerter Versicherungen auseinanderzusetzen. Henderson bringt dagegen vor, daß die Versicherung von Entwicklungsrisiken per Definitionern spekulativ sei, so daß die Versicherer aufgrund der fehlenden Möglichkeit zur Klassifizierung des Risikos dazu gezwungen seien, überhöhte Versicherungsprämien zur fordern 128, die dann über die Preise an die Verbraucher weitergegeben würden. Auch in Deutschland bzw. der Europäischen Gemeinschaft ist die Versieherbarkeil von Entwicklungsrisiken umstritten. Zum Teil wird ein erhebliches Ansteigen der Prämien für Industriehaftpflichtversicherung im Falle der Haftung aller Industriezweige für Entwicklungsrisiken prognostiziert 129. Gegenstimmen gehen davon aus, daß Entwicklungsrisiken aller Industriebereiche ohne nennenswerte Effizienzverluste versichert werden können 130. Dies deckt sich mit dem Befund, daß Versicherung von Entwicklungsrisiken im Pharmabereich gemäß § 94 AMG in Deutschland seit Jahren ohne erheblichen Anstieg der Versicherungsprämien praktiziert wird. Nach den Schätzungen der deutschen Versicherungswirtschaft belaufen sich die realen Kosten der Einführung der verschuldeusunabhängigen Haftung für Arzneimittel auf 5 Pfennig je 10 DM Umsatz 131 . Die Effizienz einer Herstellerhaftung für Entwicklungsrisiken ist demnach umstritten, in dem Bereich des deutschen Rechts, in dem sie seit Jahren praktiziert wird, hat sie nicht zu einer nennenswerten Anhebung der Versicherungsprämien geführt.
d) Zwischenergebnis
Der Vergleich der Auswirkungen von Kosten-Nutzen-Analysen und des informationeilen Fehlerbegriffs in Hinblick auf das Problem der effizienten Kompensation von entstandenen Schäden ist problematisch, da viele Probleme unter beiden Fehlermodellen gleichermaßen auftauchen. Unter beiden Ansätzen ist die Möglichkeit einer Haftung des Herstellers ebenso wie einer Schadenstragung durch den 127
Beshada v. Johns-Manville Products Corp. 447 A. 2d. 539 (N.J. 1982).
Henderson, 10 Touro L. Rev. 107, 117. 129 Kretschmer, PHI 1986, 34, 35. 130 Sack, VersR 1988,439, 448. 131 T.M. Bourgoignie, Produkthaftung: Alte Argumente für eine neue Debatte? Europäische Zeitschrift für Verbraucherrecht 1986,4, 14. 12s
III. Anreize zur Schadensvermeidung
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Verbraucher selbst zu berücksichtigen. In Hinblick auf den unterschiedlichen Schutzbereich von informationeHern Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen besteht aber unter dem informationeilen Fehlerbegriff ein besonderes Bedürfnis des Verbrauchers, selbst Vorsorge gegen produktbedingte Schäden zu treffen, während unter Kosten-Nutzen-Analysen bei entsprechend strikter Ausfüllung des Begriffs ein weitergehendes Haftungsrisiko beim Hersteller verbleibt. Es stellt sich nun die Frage nach dem tatsächlichen Angebot auf dem Versicherungsmarkt und die Frage nach der idealen Auffächerung des Haftungsrisikos, wenn der Markt ausreichende Möglichkeiten zur Versicherung durch den Hersteller und durch den Verbraucher selbst anbietet. Hinsichtlich des tatsächlichen Angebots von Privat- und Industriehaftpflichtversicherung bietet sich ein uneinheitliches Bild. In den Vereinigten Staaten gingen Kommentatoren für lange Zeit von mangelhafter Versicherung von Verbrauchern durch Versicherung aus erster Hand aus, wobei allerdings der Frage, ob hier ein Marktversagen vorliegt, nicht weiter nachgegangen wurde. Zunehmend wird die Hypothese der "Unterversicherung" von Verbrauchern in Frage gestellt. Hinsichtlich des Industriehaftpflichtversicherungsmarktes wird von Kritikern des geltenden Haftungsrechts in den 80er Jahren eine Versicherungskrise beobachtet, die die Prämien in die Höhe getrieben bzw. Versicherungen für risikoträchtige Güter vom Markt vertrieben habe. In Deutschland herrscht eine uneinheitliche Beurteilung des Privatversicherungsmarktes: Während einige Kommentatoren ein Fehlen einer spezifischen Produktversicherung beklagen, sehen andere das Angebot der unspezifischen Versicherung als grundsätzlich ausreichend für den Schutz vor den typischen Gefahren von produktbedingten Unfällen an, stellen aber ein Marktversagen aufgrund von Kartellabsprachen u.ä. fest. Es herrscht Einigkeit, daß Hersteller grundsätzlich Industriehaftpflichtversicherungen zu angemessenen Prämien abschließen können, auf die sie aufgrund der korrelierten Risiken von Produkthaftungsansprüchen bei Konstruktionsfehlern in der Regel auch angewiesen sind. Hinsichtlich der Frage, welcher Akteur unabhängig von der Frage der tatsächlichen Erhältlichkeit der Versicherung der "cheapest insurer" ist, ist das Problem der adversen Selektion zu berücksichtigen. Es taucht sowohl bei einer Versicherung des Verbrauchers über unspezifische Versicherungen wie Kranken-, Sozial- und private Sachversicherung auf, da hier das spezifische Risiko bestimmter Produkte nicht berücksichtigt werden kann, als auch bei einer Versicherung durch den Hersteller als "Quasiversicherer" aufgrund des unterschiedlichen Schadenspotentials der Verbraucher. Bei der Untersuchung von Kosten-Nutzen-Analysen muß entschieden werden, ob dabei auch immaterielle Schäden in die Kalkulation aufgenommen werden sollen. Für die Senkung von Sekundärschäden erscheint dies nicht vorteilhaft. Angesichts der genannten Unsicherheiten und der Tatsache, daß viele der angesprochenen Schwierigkeiten sowohl bei Kosten-Nutzen-Analysen als auch beim
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5. Kap.: ÖTR von Gefahrdungs- und Verschu1denshaftung
informationeilen Fehlerbegriff vorliegen, ist eine eindeutige Aussage, welche Fehlerdefinition aus Sicht des Ziels der Vermeidung von Sekundärschäden vorteilhaft ist, m.E. nicht eindeutig zu beantworten. 4. Das Ziel der Vermeidung von Tertiärschäden
Die Zielsetzung der Vermeidung von Tertiärschäden betrifft die Frage der Senkung von Transaktionskosten durch die HaftungsregeL Im Falle der Beziehung zwischen Hersteller und Verbraucher betrifft dies in erster Linie die Frage, welche Kosten mit der Durchsetzung des produkthaftungsrechtlichen Anspruchs verbunden sind. Die Bedeutung von Tertiärschäden ist nicht zu unterschätzen. Teilweise wird sie sogar so hoch angesiedelt, daß sich die Initialzuordnung des Rechsguts an dieser Frage orientieren soll. Für den amerikanischen Rechtskreis gibt es eine Vielzahl von Untersuchungen, die die Tertiärkosten des Produkthaftungssystems belegen. Demnach fließen ca. 30-39% des Gesamtbetrages, der von Herstellern für Produkthaftung in den 80er Jahren gezahlt wurde, in die Taschen der Anwälte, während weniger als 50% dieser Summe die Geschädigten erreicht 132• Diese Zahlen mögen extrem sein, da die Honorare der Anwälte durch das System der "contingency fees" (Erfolgshonorare für Anwälte) im Fall des klägerischen Erfolgs extrem hoch sind, jedoch dürfte sich das Problem in abgeschwächter Form auch im deutschen Recht stellen. Demgegenüber werden die Verwaltungskosten für das Versicherungswesen in den Vereinigten Staaten mit ca. 20% der gezahlten Prämien deutlich niedriger geschätzt 133 • Eine Gegenüberstellung von informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen ist in dieser Fragestellung nicht unproblematisch. Beide Fehlerdefinitionen sehen in gewissen Fällen eine Verlagerung der Haftung vom Verbraucher auf den Hersteller vor und verursachen dadurch Transaktionskosten. Es ist deshalb nicht so, daß das Gericht unter einem der beiden Systeme von der problematischen Frage befreit ist, die Fehlerhaftigkeit des Produkts festzustellen 134. Man mag darüber spekulieren, ob der informationeile Fehlerbegriff unter Umständen ein kostengünstigeres Verfahren ermöglicht, m.E. ist darüber dann keine zuverlässige Aussage möglich, wenn die Frage bestehender Informationsdefizite auf Seiten des Verbrauchers nicht allein über die Intuition der Gerichte, sondern über Sachverständigengutachten ermittelt werden soll. Es gibt daher m.E. keinen Anhaltspunkt dafür, daß einer der beiden Ansätze zur Bestimmung des Konstruktionsfehlers zur Senkung von Tertiärkosten beiträgt. 132 Viscusi, Reforrning Products Liability Law S. 75 mit Verweis auf J. S. Kakalik IN. M. Pace, Costs and Compensation Paid in Ton Litigation, RAND Institute for Civil Justice, R-3391-ICJ. S. 40 f.; S. 68. 133 Viscusi, Reforrning Products Liability Law S. 75. 134 Vgl. zu diesem häufig zugunsten einer Gefahrdungshaftung vorgebrachtem Argument Schäfer/Ott, Lehrbuch 5. Kapitel17. - S. 173.
III. Anreize zur Schadensvermeidung
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5. Informationeller Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen jenseits ihrer wirtschaftlichen Vor- und Nachteile
Effizienz ist nicht das Maß aller Dinge. Calabresi sieht in der Frage der Gerechtigkeit der Haftungsregel die letzte Schranke, an der sich an sich wirtschaftlich vorteilhafte Regelungen messen lassen müssen. Ist die Regelung mit dem Postulat der Gerechtigkeit nicht vereinbar, so kommt dem eine Veto-Wirkung zu 135 . Es ist allerdings auff!il.lig, daß die Aussagen sowohl Calabresis als auch anderer Kommentatoren zur Frage der Gerechtigkeit wirtschaftlich effizienter Normen merkwürdig vage bleibt 136• Möglicherweise ist die ganz überwiegende Konzentration auf das Effizienzkriterium, die einen Großteil der Stellungnahmen zum Produkthaftungsrecht prägt, in der Beziehung zwischen den Parteien angelegt. Anders als im klassischen Deliktsrecht werden durch den Unfall nicht Parteien zusammengeführt, die vormals in keinerlei rechtlicher Beziehung zueinander standen. Mit der Schadensverlagerung von einem Akteur auf den anderen wird daher der mit der Haftung Belastete nicht ohne weiteres dazu gezwungen, mit seinem eigenen Vermögen endgültig für den Schaden einzustehen. Vielmehr wird eine Schadensstreuung erzielt, für die in letzter Instanz aufgrund erhöhter Produktpreise oder erhöhter Prämien für unspezifische Versicherungen die Gemeinschaft der Verbraucher und/ oder Steuerzahler aufkommen muß. Vor diesem Hintergrund ist nachvollziehbar, warum das Haftungsrecht Anreize für eine möglichst kostengünstige Erzielung der Schadensstreuung setzen soll, damit sich das Produkthaftungsrecht nicht als "der besteuerte und mit Gewinnanteilen belastete Griff des Verbrauchers in die eigene Tasche" 137 darstellt. Zum anderen mag die Betonung des wirtschaftlichen Aspekts des Produkthaftungsrechts Ausdruck eines Paradigmenwechsels in den letzten Jahrzehnten sein, der sowohl in den Vereinigten Staaten als auch in Deutschland stattgefunden hat. Das Produkthaftungsrecht als Kind der Rechtsprechung ist Ausdruck der Tendenz, die Verhaltensanforderungen an die Akteure im Bereich deliktischer Eingriffe zu verobjektivieren. Anliegen des Deliktsrechts ist es weniger, erlaubte von verbotenen Tätigkeiten zu scheiden, als die Risiken, die mit an sich sozialadäquaten und wünschenswerten Tätigkeiten zwangsläufig verknüpft sind, auf ein - wie auch immer zu definierendes - angemessenes Maß zu reduzieren und wirtschaftlich vorteilhafte Regelungen für die verbleibende Schadenslast zu finden. Ausdruck dieser Tendenz ist nicht nur die Ausformung der Verkehrspflichten bzw. des Begriffs des Calabresi, The Costs of Accidents, S. 24, Fn. 1. Vgl. dazu z. B. die von Owen, 68 Notre Dame L. Rev. 427 ff. vorgelegte Untersuchung, die sich explizit mit den effizienzorientierten Ansätzen von J. Attanasio, The Principle of Aggregate Autonomy and the Calabresian Approach to Products Liability, 74 Virginia Law Review, S. 677 ff., 1988 und Schwanz, 97 Yale L. J. 353 auseinandersetzt Eine vertiefte Analyse der von Schwartz im Interesse von Freiheit/ Autonomie, Wahrheit und Gleichheit vorgetragenen Argumente zeigt jedoch, dass diese Überlegungen nicht wesentlich über die Ermittlung einer effizienten Haftungszuweisung hinausgehen. 137 Vgl. Deutsch, BB 1979, 1325 f. 135
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
,,reasonable man standard", sondern auch der Trend, die Haftung für bestimmte Aktivitäten mit dem Begriff der Gefährdungshaftung bzw. strict liability zu belegen. Für das Produkthaftungsrecht bedeutet dies, daß mit der zivilrechtliehen Haftung des Herstellers kein Unwerturteil verbunden ist und die Frage der moralischen Beurteilung angesichts dieser nüchternen Reduzierung auf Kosten und Nutzen nur eine geringe Rolle spielt. Die Gefahr einer solchen Beurteilung liegt darin, daß Rechtsgüter zu bloßen Rechnungsposten reduziert werden 138 und der Begriff einer persönlichen Verantwortung keine Rolle mehr spielt. Es stellt sich die Frage, ob ein Gegenimpuls durch die Rechtsordnung möglich und notwendig ist. Im deutschen Recht besteht ein wichtiges Gegengewicht zur zunehmenden Loslösung des Produkthaftungsrechts von den Kategorien des rechtswidrigen Eingriffs und der persönlichen Verantwortung in einer zunehmenden Betonung der strafrechtlichen Verantwortung leitender Angestellter und Konstrukteure innerhalb des Unternehmens 139. Im amerikanischen Rechts spielt dagegen die strafrechtliche Sanktionierung von produktbedingten Schäden keine Rolle 140 und findet auch in den zivilrechtliehen "punitive damages" keine bedeutsame Entsprechung141.
138 Dieses Problem stellt sich bei Kosten-Nutzen-Analysen mit besonderer Schärfe, wenn es um die Schätzung des "Werts des menschlichen Lebens und der Gesundheit geht. Diese Frage wird im letzten Teil dieser Arbeit angesprochen, vgl. dazu 7. Kapitel, II. 139 Vgl. dazu ausführlich Schmidt-Salzer, NJW 94, 1306 ff. 140 Zwar gibt es im amerikanischen Recht strafrechtliche Regelungen im Bereich des Produkthaftungsrechts, so etwa den Consumer Product Safety Act, der die Herstellung, den Verkauf oder den Import von Produkten, die nicht den von der Consumer Product Safety Comission (CSPC) vorgegebenen Sicherheitsstandard erreichen, unter Strafe stellt (siehe 15 U.S.C.A. §§ 2051- 2083); jedoch regeln die Vorgaben der CSPS nicht die Konstruktionsentscheidung (siehe dazu: Wheeler, XIII Journal of Legal Studies, 593, Fußnote 2 (1984). Auffällig ist, daß strafrechtliche Regelungen in der Rechtsprechung eine geringe Rolle spielen, als einziges Beispiel für eine mögliche strafrechtliche Haftung gilt eine Anklage der großen Jury des Elkhart County aus dem Jahre 1978, die im Zusammenhang mit dem Tod von drei Personen bei einen Auffahrunfall auf einen Ford Pinto erhoben wurde. Ansonsten scheint auf strafrechtlicher Ebene zurückhaltend vorgegangen worden sein. Die Literatur, die sich mit strafrechtlicher Haftung im Zusammenhang mit produktbedingten Personen - oder Sachschäden auseinandersetzt, richtet ihre Überlegungen auf die strafrechtliche Haftung des Unternehmens an sich, ein Gedanke, der dem deutschen Strafrecht fremd ist (siehe z. B. Coffee, 79 Mich. L. Rev., 386 ff.). Häufig wird ein strafrechtliches Vorgehen gegen Unternehmen bzw. gegen die Unternehmensleitung auch als uneffizient oder überflüssig abgelehnt. 141 Die Bedeutung von "punitive damages" im amerikanischen Produkthaftungsrecht wird aus deutscher Perspektive m.E. überbetont. Wie empirische Studien zeigen, werden punitive damages nur in einem Bruchteil der verhandelten Produkthaftungsfälle von der Jury ausgesprochen und in diesen Fällen häufig durch den Richter reduziert, vgl. dazu die Studien von S. Daniels I J. Martin, Empirical Patterns in Punitive Darnage Cases: A Description of lncidence Rates and Awards, 1987. (punitive damages nur in 3,8% der Fälle bei 25.627 untersuchten Fällen), W.M. Landes! R.A. Posner, New Light on Punitive Damages, 1986 (Aufrechterhaltung der ausgesprochenen punitive damages in weniger als zwei Prozent der untersuchten 119 Fälle), M. Rustad, Demystifying Punitive Damages in Product Liability Cases:
IV. Zusammenfassung
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Es kann damit festgehalten werden, daß im Rahmen der Beurteilung von Konstruktionsfehlern in erster Linie die Frage der gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen eines Fehlermodells im Mittelpunkt der Betrachtung steht und nicht die Frage einer schwer zu bestimmenden Gerechtigkeit. Dies liegt in der Natur der Produkthaftung, bei der es um die Frage des angemessenen Umgangs mit produktbedingten Risiken geht und nicht darum, ein moralisches Unwerturteil zu fällen. Soweit die finanziellen Haftungsrisiken nicht ausreichen, um einen angemessenen Umgang mit Risiken sicherzustellen, stellt sich die Frage nach anderen rechtlichen Sanktionen, insbesondere denen des Strafrechts.
IV. Zusammenfassung
Die Erkenntnisse der ÖTR ermöglichen es, Rechtsnormen als ein Geflecht von Anreizen und Sanktionen für rationale Akteure zu begreifen. Die Untersuchung von produkthaftungsrechtlichen Normen aus dieser Sicht bietet sich nicht allein aufgrund der vielfältigen Literatur in diesem Bereich an, sondern erscheint aufgeund des besonderen Verhältnisses zwischen Verbrauchern und Herstellern angemessen. Hier geht es nicht um die Zuweisung einer deliktischen Haftung zwischen Akteuren, die allein durch das Schadensereignis verbunden sind. Vielmehr kann und wird der Hersteller die Haftungslast über den Produktpreis an die Gesamtheit der Verbraucher zurückgeben. Es ist daher eine mögliches effiziente Kostenteilung zwischen allen Beteiligten anzustreben. Als Untersuchungsgegenstand empfiehlt sich nicht eine Gegenüberstellung von Verschuldeushaftung und verschuldensunabhängiger bzw. Gefährdungshaftung. Anknüpfungspunkt ist vielmehr die inhaltliche Ausfüllung des Produktfehlerbegriffs, die gerade im Bereich der Konstruktion sowohl im deutschen als auch im amerikanischen Recht die entscheidende normative Wertung für die Entscheidung über die Haftung des Herstellers beinhaltet. In beiden Rechtskreisen werden im wesentlichen zwei Modelle favorisiert, nämlich der informationeile Fehlerbegriff, der auf die Überbrückung von Informationsdefiziten auf Seiten des Verbrauchers ausgerichtet ist, und Kosten-Nutzen-Analysen, die die Haftung des Herstellers davon abhängig machen, ob das Produkt bei Berücksichtigung des Produktnutzens, des zu erwartenden Schadens und der Schadensvermeidungskosten ein angemessenes Sicherheitsniveau hat. Die Untersuchung hat die Auswirkungen des jeweiligen Fehlerbegriffs auf die Senkung von Primär-, Sekundär- und Tertiärschäden zum Gegenstand. PrimärschäA Survey of a Quarter Century of Trial Verdicts, 1991 (Feststellung, daß seit den 70er Jahren mehr als die Hälfte der zugesprochenen punitive damages durch die Berufungsgerichte aufgehoben oder reduziert wurde); U.S. Gen. Act. Off., Report to the Chairman Subcommittee on Commerce, Studie aus dem Jahre 1989 (Untersuchung von zwölf von Berufungsgerichten überpriiften punitive damages, von denen sieben aufgehoben, zwei bestätigt und drei Entscheidungen zurliekverwiesen wurden).
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5. Kap.: ÖTR von Gefahrdungs- und Verschuldeoshaftung
den können am besten auf ein angemessenes Maß gesenkt werden, indem die Haftung dem "cheapest cost avoider", also demjenigen, der mit dem geringsten Aufwand den Schadenseintritt vermeiden kann, zugewiesen wird. Die Eignung des informationeBen Fehlerbegriffs zur Senkung von Primärschäden stellt sich im wesentlichen als Problem der Möglichkeit der Informationsverarbeitung durch den Verbraucher sowie der Möglichkeit dar, in der Gefahrensituation diesen Kenntnissen entsprechend zu agieren. Der zweite Aspekt betrifft das Problem der Schadensvermeidung durch konkrete Sorgfaltsaufwendungen durch den Verbraucher. Gelingt dies nicht, sind Fehlsteuerungen aufgrund von Unter- oder Überschätzung von Produktrisiken zu erwarten. Auch bei der Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen besteht ein Anwendungsproblem. Da man nicht ohne weiteres von einem "allwissenden Gericht" ausgehen kann, können bei Bestimmung der Anforderungen an Kosten und Nutzen des Produktes Verzerrungen auftreten. Daneben tritt ein strukturelles Problem. Letzteres ist darin begründet, daß Kosten und Nutzen eines Produktes von Verbraucher zu Verbraucher verschieden sein können. Kosten-Nutzen-Analysen können nicht durch Gerichte bezogen auf das Individuum vorgenommen werden, sondern müssen sich an einem Durchschnittswert orientieren. Im Falle von heterogenen Schadenspotentialen von Verbrauchern kann dies dazu führen, daß nur zu unsichere oder exzessiv sichere Produkte auf den Markt gelangen. Der Befund, daß Kosten und Nutzen eines Produktes von Verbraucher zu Verbraucher unterschiedlich beurteilt werden, leitet über zu der Frage, wie Kosten und Nutzen überhaupt gemessen werden sollen, die Gegenstand des siebten Kapitels der Arbeit ist. Bei dem Ziel der Vermeidung von Sekundärschäden geht es um die Frage nach dem "cheapest insurer", also demjenigen, der die verbleibenden Schäden am besten selbst tragen oder versichern kann. Hier sind gewisse Einschränkungen bei der Vergleichbarkeit von informationeHern Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen zu beachten, da bestimmte Probleme sich bei beiden Ansätzen gleichermaßen stellen. Da der Verbraucher im Rahmen des informationeilen Fehlerbegriff selbst entscheidet, welches Risiko er für angemessen hält, stellt sich die Frage nach der Versicherbarkeit dieser Risiken mit verstärkter Dringlichkeit. Hier bietet sich der Rückgriff auf unspezifische Versicherungen wie die allgemeine Krankenversicherung, Feuer- und Hausratsversicherung und Sozialversicherung an. Dies kann aber zu einer Belastung der Gesamtgemeinschaft der Versicherten mit spezifischen produktbedingten Risiken führen, so daß Subventionsmechanismen innerhalb der Gemeinschaft der Versicherten zu befürchten sind. Die Kosteneffizienz dieser unspezifischen Versicherungen ist umstritten. Für den amerikanischen Rechtskreis besteht ein Mangel an Daten über Erhältlichkeit und Inanspruchnahme von Versicherungen. Der deutsche Rechtskreis befindet sich aufgrund der Liberalisierung und Deregulierung der Versicherungsmärkte im Umbruch. Kosten-Nutzen-Analysen begründen eine Herstellerhaftung für Produkte, die den gerichtlich festgelegten Sicherheitsstandard unterschreiten. Es stellt sich hier
IV. Zusammenfassung
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daher verstärkt die Frage nach der Versicherbarkeit dieser Risiken, sowie nach der Angemessenheit der Kompensation des Verbrauchers im Schadensfall. Die Schadenskompensation durch den Hersteller ist problematisch. Zwar bestehen für den Hersteller sowohl im deutschen als auch im amerikanischen Rechtskreis Möglichkeiten zum Abschluß einer Industriehaftpflichtversicherung. Diese Versicherungen schützen zwar den Hersteller im Schadensfall, führen aber nicht automatisch zu einer angemessenen Entschädigung des Verbrauchers. Zum einen unterscheidet sich das Verhältnis zwischen Hersteller und Verbraucher in wesentlichen Punkten von der Vertragsbeziehung zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer. Die Kompensation ist nicht umfassend, sondern erfaßt nur "fehlerhafte" Produkte. Zum anderen stellt sich die Koppelung der "Versicherung" für produktbedingte Risiken an den Kaufpreis als unvollkommene Versicherung dar, die ein angemessenes risk-assessment nicht zuläßt. Schließlich ist der Anspruch des Verbrauchers nicht mit Eintritt des Schadens durchsetzbar, sondern unter Umständen erst nach einem langwierigen Gerichtsverfahren. Da produktbedingte Schäden aber häufig einen sofortigen finanziellen Zusatzbedarf auslösen, wird der Verbraucher sich in der Regel selbst versichern müssen. Neben der Frage, ob Hersteller einen angemessenen Versicherungsschutz für die Haftung für fehlerhafte Konstruktionen erlangen können, stellt sich die Frage nach dem Umfang der Haftung. Schließlich ist keine abschließende Aussage dariiber möglich, ob Kosten-Nutzen-Analysen oder der informationeile Fehlerbegriff in Hinblick auf die Vermeidung von Tertiärschäden vorteilhaft sind. Die Feststellung der Fehlerhaftigkeit ist nach beiden Modellen erforderlich, so daß keine nennenswerten Kostenersparnisse durch eines der beiden Modelle erreicht werden dürften. Nach der ÖTR stellt die Ermittlung der "Effizienz einer Haftungsregel" lediglich eine (Vor-)Frage dar, die sich an weiteren Postulaten der Rechtsordnung wie (Verteilungs-)Gerechtigkeit und Gleichheit messen lassen muss. Es ist problematisch, Argumente für oder gegen eines der beiden Modelle jenseits der Frage der wirtschaftlichen Vor- und Nachteile zu finden. Dies liegt in der besonderen Natur des Rechtsverhältnisses zwischen Hersteller und Verbraucher sowie an der veränderten Sicht auf deliktische Tatbestände, die weniger von dem Gedanken eines moralischen Unrechts als der effizienten Zuweisung und Beherrschung von Risikosphären geleitet wird. Die anfangs angesprochene Veränderung des Untersuchungsgegenstandes der ÖTR führt dazu, daß Aussagen über die Vor- und Nachteile eines Modells gegenüber seiner Alternative nicht mehr mit der Eindeutigkeit möglich sind, die die angesprochenen Arbeiten zur ÖAR des Produkthaftungsrechts auszeichnen. Dennoch soll hier eine Entscheidung zugunsten eines Modells zur Bestimmung von Konstruktionsfehlern aus einer effizienzorientierten Perspektive getroffen werden. M.E. spricht vieles für die Überlegenheit des informationellen Fehlerbegriffs gegenüber Kosten-Nutzen-Analysen. Auf der Ebene der Primärschadensvermeidung liegen die Schwächen des informationellen Fehlerbegriffs in erster Linie in der 13 Kollmann
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5. Kap.: ÖTR von Gefährdungs- und Verschuldenshaftung
Frage, inwieweit die Abstriche an die REMM-Hypothese dazu führen, daß eine angemessene Aufklärung nicht mehr möglich ist. Sollte eine optimale Aufklärung gelingen, so befinden sich die Akteure in einer Situation, die der wunderbaren Welt von Coase nahekommt Ein derartiger Idealzustand kann durch Kosten-NutzenAnalysen nicht erreicht werden, da sich selbst das beste aller möglichen Gerichte in der besten aller möglichen Welten an einem Durchschnittswert hinsichtlich der Kosten und Nutzen der Konstruktion orientieren müßte, das die unterschiedlichen Bedürfnisse und Schadensneigungen der einzelnen Verbraucher vernachlässigen würde. Auf der Ebene der Sekundärschäden führen beide Fehlerbegriffe m.E. zu Phänomenen der adversen Selektion, allerdings ist zu beriicksichtigen, daß eine Selbstversicherung der Verbraucher unter jedem Fehlerbegriff notwendig ist, da die Kompensation an die Feststellung der Fehlerhaftigkeit der Konstruktion geknüpft ist und keinen unmittelbaren Anspruch des geschädigten Verbrauchers auf Entschädigung auslöst. Es ist daher bei Annahme des informationeilen Fehlerbegriffs m. E eine geringere Fehlallokation von Ressourcen zu befürchten. Dem steht auch nicht das Bestreben nach der Vermeidung von Tertiärschäden entgegen, die durch keinen Fehlerbegriff besser begrenzt werden können. Sollte sich der informationeile Fehlerbegriff daher als praktikabel erweisen, so ist er m.E. Kosten-Nutzen-Analysen bei der Auslegung von§ 3 ProdHaftG vorzuziehen.
Teil C
Anwendbarkeit von informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen Die im zweiten Teil dieser Untersuchung vorgenommene ökonomische Analyse von informationeHern Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen beruht auf der Annahme, daß beide Modelle zur Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit grundsätzlich geeignet sind, auch wenn die Möglichkeit von Verzerrungen bei der Anwendung durch die Gerichte berücksichtigt wurde. Es wurde dabei allerdings keine weitergehende Aussage darüber getroffen, welcher Natur diese Anwendungsprobleme sein können. Der letzte Teil dieser Untersuchung ist den Problemen gewidmet, die sich für das Gericht stellen, wenn informationeHer Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen im konkreten Fall zur Überprüfung der behaupteten Fehlerhaftigkeit einer Konstruktion herangezogen werden sollen. Das sechste Kapitel beschäftigt sich mit solchen lnformationsdefiziten, die dadurch entstehen, daß die menschliche Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen beschränkt ist. Es soll hier auf die oben angedeuteten Modifizierungen der REMM-Hypothese vertieft eingegangen und ihre Auswirkungen auf den informationeBen Fehlerbegriff untersucht werden. Im siebten Kapitel wird die Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen im gerichtlichen Verfahren beleuchtet. Vor dem Hintergrund der angesprochenen Doppelfunktion des Kostenbegriffs im Rahmen des haftungsbegründenden und haftungsausfüllenden Tatbestandes wird seine Auslegung anband der Grundsätze des Schadensersatzrechts sowie von wirtschaftswissenschaftlichen Ansätzen zum "Wert der Todesverhütung" untersucht. Schließlich wird das Problem der Nutzenbestimmung einer Konstruktion als Ausfluß einer Rechtsregel angesprochen.
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6. Kapitel
Probleme der Anwendung des informationeilen FehlerbegritTs Die Frage nach den Möglichkeiten und Grenzen der Erlangung und Verarbeitung von Produktinformationen und der Bildung von Werturteilen über Produkte bestimmt die Anwendbarkeit des informationeBen Fehlerbegriffs. Die Abwendung von der neoklassischen Entscheidungslogik zugunsten der sozialwissenschaftliehen Entscheidungstheorie führt dazu, daß als feststehend behandelte Annahmen über das Informations- und Entscheidungsverhalten mit einem Fragezeichen versehen werden müssen. Der informationeHe Fehlerbegriff beruht auf der Vorstellung der Verbrauchersouveränität, daß nämlich der rationale und mündige Verbraucher am besten selbst darüber entscheiden soll, welche Risiken er in Kauf nehmen möchte, solange er nur die für die Entscheidung notwendigen Kenntnisse über Art und Ausmaß dieser Risiken hat. Der informationeHe Fehlerbegriff ist daher m.E. nur dann zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von bewußten Konstruktionsentscheidungen geeignet, wenn die folgenden Hypothesen zumindest annähernd realistisch sind: Verbraucher müssen rational agierende Individuen im Sinne der REMM-Hypothese, d. h. in der Lage sein, Informationen aufzunehmen, basierend auf diesen Informationen Präferenzen zu bilden und diese Präferenzen in ein widerspruchsfreies System hinsichtlich der gegebenen Möglichkeiten zu bringen. Soweit sich Informationsdefizite nicht auf eine mangelhafte Informationsübermittlung, sondern auf grundsätzliche menschliche Beschränkungen bei der Informationsverarbeitung zuriickführen lassen, dürfen sich diese Defizite nicht als so erheblich darstellen, daß eine sinnvolle Aufklärung nicht möglich ist. Es muß für den Hersteller erkennbar sein, wie er Produktinstruktionen und Warnungen optisch und sprachlich gestalten muß, um eine möglichst effiziente Kommunikation der Risiken und Handlungsanweisungen sicherzustellen. Schließlich muß es in einem gerichtlichen Prozeß möglich sein, die Einhaltung der Informationspflichten durch den Hersteller zu überpriifen. Die Frage nach Möglichkeiten und Grenzen der Aufklärung stellt sich nicht nur für Verfechter des informationeBen Fehlerbegriffs, sondern ist auch dann entscheidungserheblich, wenn der Instruktionsfehler als eigenständige, neben oder subsidiär zum Konstruktionsfehler bestehende Fehlerkategorie anerkannt wird. Bisher spielt die angesprochene Problematik in Rechtsprechung und Literatur nur eine eingeschränkte Rolle. Wie im Rahmen der Untersuchung der deutschen Rechtspre-
6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeBen Fehlerbegriffs
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chung zur Produktfehlerhaftigkeit gezeigt wurde 1, wird das Problem der Verarbeitung von Informationen nur kursorisch behandelt und die Überprüfung von Warnungen im wesentlichen aus eigener Sachkunde und ohne den Rückgriff auf Sachverständigengutachten beantwortet. Die Vertreter eines informationeilen Fehlerbegriffs berücksichtigen das Phänomen der einschränkten Rationalität nicht. Das Modell von Finsinger und Sirnon beruht auf einer uneingeschränkten Rationaliätsannahme2 . Schäfer und Ott widmen den "neueren Forschungen zum Rationalverhalten" und ihren Auswirkungen auf die REMM-Hypothese zwar ein eigenes Unterkapitel, eine Übertragung dieser Erkenntnisse auf den von ihnen entwickelten informationeilen Fehlerbegriff fehlt aber3 . Wiekhorst berücksichtigt Abweichungen vom Rationalverhalten bei der Darlegung des für seine Arbeit maßgeblichen Verhaltensmodells nicht4 , verfolgt aber auch den informationeilen Fehlerbegriff nicht uneingeschränkt, sondern trägt der Problematik zumindest in eingeschränkter Weise über die Forderung nach der Einhaltung einer "Basissicherheit" Rechnung. Diese offene Frage kann m.E. nicht durch den Rückgriff auf juristische Dogmatik oder wirtschaftswissenschaftliche Modelle beantwortet werden5 . Vielmehr sind hier die Erkenntnisse der Entscheidungstheorie heranzuziehen, die sich ausgehend vom Modell des homo oeconomicus zu einem interdisziplinären Forschungsgebiet unter Einschluß von u. a. Statistik, Wirtschaftswissenschaften, Kommunikationsforschung, Psychologie und Soziologie entwickelt hat6 . Dieses Kapitel soll in Auseinandersetzung mit dem menschlichen Prozeß der Informationsaufnahme und -Verarbeitung auf die wesentlichen Probleme, die sich bei der Umsetzung dieses Modells ergeben, hinweisen, ohne eine abschließende Behandlung dieser komplexen Frage für sich in Anspruch zu nehmen. Die Untersuchung orientiert sich an dem von Finsinger und Sirnon im Rahmen des informationeilen Fehlerbegriffs vorgegebenen Rahmen. Gegenstand der Betrachtung sind demnach: Art und Umfang der vom Hersteller zu vermittelnden Informationen, Art und Umfang der korrespondieren Informationsobliegenheiten und schließlich das Sonderproblem der irreführenden Produktdarbietung7 . Die Darstellung beschränkt sich nicht auf das Problem der Aufklärung über produktbeVgl. oben unter 2. Kapitel, I. 2.c ). Vgl. dazu die Erläuterungen von Finsinger/Simon, S. 48 ff., die das Phänomen der eingeschränkten Rationalität mit keinem Wort erwähnen. 3 Vgl. Schäfer/Ott, Lehrbuch, 3. Kapitel, 2.9., S. 56 ff. und 9. Kapitel, 1.13, S. 291. 4 Wiekhorst, Recht und Ökonomie des Produkthaftungsgesetzes, S. 34. s Vgl. dazu A. A Leff, Economic Analysis of Law. Some Realism about Nominalism, 60 Virginia Law Review, 1974, S. 456, der in Bezug auf die REMM-Hypothese anmerkt, daß dort, wo empirische Forschung erwartet werde, lediglich eine Definition stehe. 6 Heinen in Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 1 zum Stichwort "Entscheidungstheorie", s. 1132. 7 Vgl. dazu im einzelnen die fünf von Finsinger und Sirnon genannten Faktoren, Finsinger/Simon, Ökonomische Bewertung von Produzenten- und Umwelthaftung, S. 25, 49. 1
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeBen Fehlerbegriffs
dingte Risiken, sondern behandelt dieses Teilproblem im Zusammenhang mit den allgemeinen Prozessen der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen. Der Grund hierfür liegt darin, daß die Sicherheit eines Produktes nur eines von vielen anderen Produktmerkmalen wie Preis, Ästhetik, praktische Handhabbarkeit, Wartungsanfälligkeit etc. darstellt, die Verbraucher im Zuge des Erwerbs von Produkten berücksichtigen bzw. berücksichtigen sollen. Nur in Ausnahmefällen wird sich die Informationsaufnahme daher allein auf Fragen der abstrakten und konkreten Produktsicherheit beschränken. Realistischerweise muß daher bei der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs berücksichtigt werden, daß die Aufmerksamkeit der Verbraucher sich nicht allein auf die Offenlegung von Sicherheitsrisiken richtet, sondern nur einen Aspekt der Kaufentscheidung des Verbrauchers darstellt. Schwerpunkt der Untersuchung liegt hier auf dem Problem der selektiven Informationsaufnahme, sowie auf dem Problem der irreführenden Produktdarbietung. Im Anschluß soll die Frage der Informationen über die abstrakte Produktsicherheil und über den Produktgebrauch untersucht werden. Risiken spielen - trotz der soeben getroffenen Einschränkung - bei der Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen eine besondere Rolle und können nicht ohne weiteres mit anderen Produktinformationen gleichgesetzt werden. Die Untersuchung beschäftigt sich mit Warnungen, d. h. mit Informationen, die sich auf die abstrakte Produktsicherheil beziehen und nur die Entscheidung über das "Ob" des Kaufes des Produkts beeinflussen können, und mit Instruktionen, die die Sorgfalt des Verbrauchers beim Gebrauch des Produktes steigern sollen. In der Auswertung dieser Erkenntnisse soll versucht werden, eine Antwort auf die Ausgangsfrage zu finden, ob der informationeHe Fehlerbegriff zur Auslegung von § 3 ProdHaftG herangezogen werden soll.
I. Mechanismen des zentralen Nervensystems bei der menschlichen Informationsaufnahme und -verarbeitung Der komplexe Vorgang der Informationsaufnahme und -Verarbeitung kann nicht ohne einige Grundüberlegungen zur Funktionsweise des zentralen Nervensystems verstanden werden, die diesen Vorgängen zugrunde liegt. Ausgangspunkt jeder Informationsaufnahme ist ein aktivierender Prozeß. Vereinfacht dargestellt setzt die Aufnahme eines äußeren Reizes die Erregung einer Funktionseinheit des zentralen Nervensystems voraus, des sogenannten rektikulären Aktivierungsystems (RAS), das im Stammhirn liegt und mit anderen Funktionseinheiten des zentralen Nervensystems in Verbindung steht8 . Die entstandene Erregung des RAS wird bei der Informationsaufnahme durch ein aufsteigendes retikuläres Aktivierungsystem (ARAS) an den Kortex (Großhirnrinde) weitergeleitet, wodurch die für die Informationsverarbeitung notwendigen kognitiven Prozesse ausgelöst werden. Die 8
Kröber-Riel, 2. Teil, B. li. 1. - S. 59.
I. Mechanismen des zentralen Nervensystems
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Stärke der Erregungszustände des RAS sind ein Maß dafür, wie wach, reaktionsbereit und leistungsfaltig ein Organismus ist, da sie neben der allgemeinen Leistungsfahigkeit und länger anhaltenden Bewußtseinslage des Individuums auch seine jeweilige Aufmerksamkeit und Leistungsfahigkeit in bestimmten Reizsituationen steuem9 . Die gedankliche Verarbeitung von Reizen erfolgt nach dem sogenannten Dreispeichermodell mittels verschiedener Gedächtniskomponenten, die als Speicher bezeichnet werden. Das Modell geht von drei Speicherformen aus, nämlich dem sensorischen oder Ultrakurzzeitspeicher (SIS), dem Kurzzeitspeicher (KZS) und dem Langzeitspeicher(LZS) 10• Der SIS speichert Reize für sehr kurze Zeit. Es handelt sich dabei um keinen bzw. um einen sehr elementaren kognitiven Verarbeitungsvorgang, der sich in einem passiven Festhalten von Sinneseindriicken erschöpft. Der KZS greift auf einen Teil der im SIS gespeicherten Sinneseindriicke zuriick und speichert sie zwecks Weiterverarbeitung für einen etwas längeren Zeitraum als der SIS. Der LZS ist schließlich das menschliche Gedächtnis. Voraussetzung für die Aufnahme und Weiterverarbeitung von Reizen ist Aufmerksamkeit. Unter Aufmerksamkeit versteht man die Bereitschaft des Individuums, Reize aus der Umwelt überhaupt wahrzunehmen. Nachdem der Mensch dauerhaft einer Vielzahl von Reizen ausgesetzt ist, ist eine Selektion, eine Reizauswahl notwendig, um eine Reizüberflutung auszuschließen und sicherzustellen, daß nur ,,relevante" Reize beachtet werden 11 • Die aktivierenden Prozesse bei der Informationsaufnahme führen somit dazu, daß eine Vielzahl der möglichen Informationen mangels Aufmerksamkeit nicht aufgenommen und nicht den sich anschließenden kognitiven Prozessen unterworfen werden. Aufmerksamkeit kann auf zwei Arten erregt werden. Zum einen kann der Verbraucher seine Aufmerksamkeit willentlich bestimmten Reizen zuwenden - so insbesondere dann, wenn er aktiv Informationen sucht, um bestimmte Ziele zu erreichen 12 . Aufmerksamkeit kann aber auch automatisch durch das Aktivierungspotential eines bestimmten Reizes ausgelöst werden. Diese übernommenen Reize werden entschlüsselt und dadurch in kognitiv verfügbare Informationen umgesetzt. Konkret bedeutet dies beispielsweise, daß ein bestimmtes Wort als Markenname erkannt wird. Erst durch diese Entschlüsselung werden Wahrnehmungen zu Informationen 13 . Im Zuge der Entschlüsselung werden die Informationen interpretiert, d. h. zu weiteren Informationen in Beziehung gesetzt. Der KZS greift dazu auf die im LZS gespeicherten Informationen aus friiheren Erfahrungen zuriick. Er stellt das Verbindungsglied zwischen gegenwärtigen und vergangeneo Erfahrungen dar. Die Interpretation der Rei9
Kröber-Riel, 2. Teil, B. II. 1. - S. 59 f.
Kröber-Riel, 2. Teil, C. I. 1.- S. 225. Kröber-Riel, 2. Teil, B. li. 1.- S. 61 mit Verweis auf N. Birbaumer, Physiologische Psychologie- eine Einführung an ausgewählten Themen, 1975, S. 63. 12 Kröber-Riel, 2. Teil, C. II. 2. a), S. 246. 13 Kröber-Riel, 2. Teil, C. III. 1., S. 270. 10 ll
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeBen Fehlerbegriffs
ze umfaßt auch deren Bewertung entweder durch Vergleichsprozesse oder durch direktes oder indirektes In-Beziehung-Setzen zu den subjektiven Emotionen und Motiven des Individuums 14.
II. Prozeß der Aufnahme von Informationen 1. Absichtslose Rezeption
Informationen können aktiv gesucht oder absichtslos aufgenommen werden. Im Zentrum der ökonomischen Modelle zum Verbraucherverhalten steht in der Regel der rationale, aktive Verbraucher, der sich vor seiner Entscheidung für oder gegen ein Produkt bewußt informiert und basierend auf den ihm vorliegenden Informationen seine Kaufentscheidung trifft. Die Verhaltensforschung der letzten Jahrzehnte hat zu einer Neuorientierung geführt, die die herausragende Bedeutung der unbewußten Informationsaufnahme betont. Ob und welche Informationen aufgenommen werden, hängt im wesentlichen davon ab, ob die zu vermittelnde Information eine Reizwirkung entfaltet oder nicht. Was aber bedingt es, daß bestimmte Reize stimulierend wirken und andere nicht? Die kognitive Psychologie und daran anknüpfend das Marketing identifizieren drei Wirkungskategorien, nämlich emotionale 15 , kognitive 16 und physische 17 Reizwirkungen. ,.Irrelevante" Reize, die keine vorhandenen Gefühle oder Bedürfnisse ansprechen, werden bei der Informationsaufnahme benachteiligt, angenehme Reize bevorzugt und unangenehme Reize gemieden 18 . Das Produktmarketing einschließlich Produktinformationen und Werbung macht sich dieses Phänomen zunutze, indem das Produkt in Kontexten abgebildet wird, die bei Verbrauchern eine innere Erregung hervorrufen. Daneben spielt die Automatisierung kognitiver Prozesse eine entscheidende Rolle. Dies bedeutet, daß der Prozeß der Informationsaufnahme ohne bewußte gedankliche Kontrolle abläuft. Die meisten Informationsverarbeitungsvorgänge laufen nach heutigen Erkenntnissen automatisch ab 19 , allerdings wird ihre Bedeutung Kröber-Riel, 2. Teil, C. III. 1.), S. 270. Im emotionalen Bereich bedeutet dies etwa die Verknüpfung des Produktes mit Schlüsselreizen bzw. deren künstlicher Nachbildung (Attrappe), die eine biologisch vorprogrammierte Reaktion auslösen wie z. B. das Kindchenschema oder erotische Attrappen wie die weibliche Brust, vgl. ausführlich Kröber-Riel, 2. Teil, B. II 2. a)- S. 71 f. 16 Kognitive Reizwirkungen werden durch gedankliche Konflikte sowie Widerspruche und Überraschungen ausgelöst, vgl. ausführlich Kröber-Riel, 2. Teil, B. II 2. a)- S. 72 f. 17 Physische Reizwirkungen werden etwa durch die Größe und die Farbe des Informationsträgers beeinflußt, vgl. ausführlich Kröber-Riel, 2. Teil, B. II 2. a)- S. 73 f. 18 Kröber-Riel, 2. Teil, C. III. 1.- S. 271. 19 Kröber-Riel, 2. Teil, C. II. 2 b)- S. 253 mit Verweis auf R.M. Shiffrin/W. Schneider; Controlled and Automatie Human Information Processing: II. Perceptual Learning, Auto14 15
II. Prozeß der Aufnahme von Informationen
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subjektiv unterschätzt, da sie aufgrund ihrer Natur der bewußten Wahrnehmung entzogen ist. Die Tatsache, daß die überwiegende Mehrzahl der Informationsverarbeitungsvorgänge subjektiv nicht erfahrbar ist, führt dazu, daß Individuen die bewußt erworbenen Informationen in ihrer Bedeutung überschätzen. Da Menschen ihr Verhalten selbst als gedanklich gesteuert ansehen, unterstellen Individuen dem automatisch zustandegekommenen Verhalten ebenso wie einer emotional motivierten Wahrnehmung- und auch Beurteilung- von Produkten vernünftige Gründe20. 2. Aktive lnfonnationssuche
Das aktive Suchen nach Informationen kann gewohnheitsmäßig, impulsiv und gezielt im Vorfeld zur Kaufentscheidungen stattfinden21 . Die aktive Informationssuche wird durch eine Vielzahl von Faktoren stimuliert, deren wichtigster das personenspezifische und das situative Element bei der einer Kaufentscheidung vorgelagerten Informationssuche ist. Verbraucher haben eine unterschiedliche Informationsneigung, plastisch ausgedrückt stehen den von Marktforschern als ,,St. Georg des Konsumenten" bzw. "Konsumentenelite"22 gepriesenen "Informationssuchern"23 die "Informationsverweigerer" gegenüber. Versuche, die unterschiedliche Informationsneigung von Verbrauchern anhand von verschiedenen Einstellungen so etwa als "genußorientierter Werteskeptiker" oder als "kulturorientierter Egozentriker"24- zu charakterisieren, haben sich bisher als unbefriedigend erwiesen25 . Greifbarer erscheint das situative Element bei der Kaufentscheidung und damit verbunden der Informationssuche. Es besteht ein situativer Anreiz zur Informationssuche, wenn zwischen den über das Produkt zur Verfügung stehenden Informationen und den internen, auf Erfahrungen beruhenden Standards des Verbrauchers ein gedanklicher Widerspruch (Inkongruenz) besteht26. Die Abweichungen führen matic Attending, and a General Theory. 84 Psychological Review, 1977, 127 ff.; G. Underwood, Memory Systems and Conscious Processes, in: Underwood, G. I Stevens, R. (Hrsg): Aspects of Consciousness, Bd. 1: Psychological Issues, 1979, S. 91 ff. 20 Kröber·Riel, 2. Teil, C. I. 4.- S. 233. 21 Kröber-Riel, 2. Teil C. II. 2. a), S. 245. 22 Kröber-Riel, 2. Teil C. Il. a}, S. 248 mit Verweis auf H. B. Thorelli I H. Becker I J. Engledow, The Information Seekers: An International Study of Consumer Information and Advertising Image, 1975 S. 11 und H.B. Thorelli I S. V. Thorelli, Consumer Information Systems and Consumer Policy, 1977, S. 278. 23 Kröber-Riel ,2. Teil C. II. a), S. 248. 24 Ein Versuch der Charakterisierung findet sich z. B. bei Windhorst, Wertewandel und Konsumentenverhalten, S. 204 ff. Trotz Bemühungen um Objektivität und schonungslose Selbsterkenntnis ist es auch der Verfasserio dieses Beitrags nicht gelungen, unter den von Windhorst gefundenen Hedonisten, Wertefans I -ablehnern und persönlichkeitsorientierten Alternativen ihr persönliches Verbraucherprofil zu finden. 25 Kröber-Riel, 2. Teil C. Il. 2. a), S. 248. 26 Kröber-Riel, 2. Teil, C. Il. 2. a), S. 248 f.
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeilen Fehlerbegriffs
dazu, daß der Verbraucher ein "Kaufrisiko" wahrnimmt, das mit dem im Rahmen dieser Arbeit zu untersuchenden ,,Sicherheitsrisiko" nur teilweise identisch ist. Das Kaufrisiko bezeichnet vielmehr das finanzielle, soziale27 und psychologische28 Risiko, das mit jedem Kauf verbunden ist. Das Kaufrisiko kann selbstverständlich auch den vom Produkthaftungsrecht erfaßten Bereich betreffen, nämlich dann, wenn eine Inkongruenz hinsichtlich des mit dem Produkt verbundenen Sicherheitsrisikos für Leib, Leben und Eigentum besteht. Basierend auf der Bereitschaft des Verbrauchers, sich für bestimmte Sachverhalte zu interessieren, unterscheidet man zwischen "High-Involvement" und "Low-Involvement" Käufen29• Sieht man Verbraucher nun als rationale Nutzenmaximierer, so gilt die folgende Hypothese bezüglich des Suchverhaltens: Je größer das wahrgenommene Kaufrisiko, um so stärker der Antrieb, zusätzliche Informationen zu suchen. Wie groß ist die Übereinstimmung zwischen dieser Hypothese und den Ergebnissen der Konsumentenforschung? Nach den übereinstimmenden Ergebnissen aller empirischen Untersuchungen zum Informationssuchverhalten steht fest, daß viele Verbraucher vor dem Kauf von Produkten überhaupt keine Informationen suchen - auf den meisten Märkten weit über 50% aller Verbraucher - und der übrige Teil durchschnittlich gesehen nur wenige Aktivitäten entfaltet30 und zwar auch in einem Bereich, in dem man gemäß der Hypothese von einem "High-Involvement"-Kauf ausgehen muß31 • Demnach sind die situativen Anreize nicht ausreichend, um Verbraucher zur aktiven Informationssuche in nennenswertem Umfang zu bewegen und auch auf der Persönlichkeitsebene scheint St. Georg zu einer seltenen Spezies zu gehören, der von einer überwältigenden Masse an Informationsverweigerern umringt ist. Der Widerspruch zwischen den Hypothesen und dem tatsächlich beobachteten Verhalten kann jedoch ansatzweise gelöst werden. Zum einen deckt sich das "objektive" Kaufrisiko nicht zwangsläufig mit dem wahrgenommenen Risiko. Neben der aktiven Informationssuche verfügen Individuen nämlich noch über andere Risikoreduzierungsstrategien, auf die im Rahmen der Untersuchung zur Produktbeurteilung eingegangen werden soll. Die Existenz solcher Strategien führt dazu, daß "die bisher nachgewiesenen Zusammenhänge zwischen Risiko und Informationssuche nicht gerade beeindruckend 27 D. h. das Risiko, das mit der Wahl eines Produktes verbunden ist, das für eine bestimmte Bezugsgruppe wichtig ist, vgl. dazu Bemdt; Marketing S. 53. 28 D.h. das Risiko, sich mit einer als falsch empfundenen Kaufentscheidung zu belasten, vgl. Bemdt; Marketing, S. 53. 29 Bemdt; Marketing, S. 53. 30 Kröber Riel, 2. Teil C. II. c) S. 257. 31 Vgl. dazu Kröber-Riel, 2. Teil C. II. 2. a) S. 246, mit Verweis auf die von Duncant Olshavsky durchgeführten Untersuchungen über das Suchverhalten beim Kauf von relativ teuren Farbfernsehgeräten (C. P. Duncan IR. W. Olshavsky, Extemal Search. The RoJe of Consumer Beliefs, 19 J. ofMarketing Research, 1982,32, 39.
II. Prozeß der Aufnahme von Informationen
203
sind"32. Zum anderen kann der Verzicht auf die Suche nach zusätzlichen Informationen sich durchaus als eine rationale Entscheidung darstellen. Im Gegensatz zur neoklassischen Entscheidungstheorie berücksichtigt die Informationsökonomik bzw. die Neue Institutionenökonomik die Kosten der Informationssuche. Wie Kaufentscheidungen sind auch die vorgelagerten Suchentscheidungen nach verbreiteter Auffassung individuellen Kosten-Nutzen-Analysen unterworfen, in denen der Verbraucher den Wunsch nach Reduzierung der wahrgenommenen Risiken bzw. Inkongruenzen gegen die mit der Informationssuche verbundenen Opportunitätskosten (so z. B. den Verzicht auf Freizeit) abwäge3 . Das Suchverhalten wird demnach nicht nur von dem wahrgenommenen Kaufrisiko, sondern auch von der Frage des Zugriffs auf Informationen bestimmt 34• Neben der Frage der Erreichbarkeit spielt auch die "Risikoreduzierungskapazität" der Information eine Rolle. Diese wird als das Resultat aus "Informationsgehalt", d. h. der speziell risikoreduzierenden Leistungen der Information, und "lnformationsverständlichkeit" gesehen35 • Demnach gelten Herstellerprospekte und Verkaufsgespräche36 sowie Informationen durch verbraucherpolitische Medien wie Beratungsstellen und Testzeitschriften37 nach Einschätzung von Verbrauchern als die effektivsten Quellen der Information. Tatsächlich wird aber neben Verkaufsgesprächen von der Mehrheit der Verbraucher das Gespräch mit persönlichen Bekannten gesucht. Massenkommunikationsmittel wie Testinformationen über Zeitschriften oder Werbung treten demgegenüber als Quellen der aktiven Informationssuche zurück38 • 3. Schlußfolgerungen für den informationeilen Fehlerbegriff
Die Mechanismen bei der Aufnahme und der Suche nach Informationen zeigen, daß es sich in der Regel um einen unbewußten Vorgang handelt, dessen Ablauf we32 Kröber-Riel, 2. Teil C. 11.2. a), S. 249 mit Verweis auf die Experimente von G. Silberer/ D. Frey, Vier experimentelle Untersuchungen zur Informationsbeschaffung bei der Produktauswahl, in Raffee, H./Silberer. G. (Hrsg.): Informationsverhalten des Konsumenten. Ergebnisse empirischer Studien, 1981, S. 63, 81. 33 Kröber-Riel, 2. Teil C. II. 2. a), S. 250. 34 Kröber-Riel ,2. Teil C. II. 2.a) S. 249 f. 35 Kröber-Riel, 2. Teil C. II. 2.a) S. 250 mit Verweis auf K.G. Grunert/ H. Saile, Der Risikoreduzierungsansatz bei der Ermittlung von Informationsbedarf und Informationsangebot, in: Bievert, B./Fischer-Winkelmann, W.F.IHaarland, H.P.IKöhler. G.IRock, R. (Hrsg): Verbraucherpolitik, Diskussionsbeiträge für das 3. Wuppertaler Wirtschaftswissenschaftliche Kolloquium (WWK), Bd. 1-2, 1977, S. 436-446. 36 Kröber-Riel, 2. Teil C. II. 2. a) S. 250. 37 Kröber Riel, 2. Teil C. li. 2.a) S. 251 mit Verweis auf H. Meffert, Die Beurteilung und Nutzung von Informationsquellen beim Kauf von Konsumgütern. Empirische Ergebnisse und Prüfung ausgewählter Hypothesen, in: Meffert, H. I Steffenhagen, H. I Freter, H. (Hrsg): Konsumentenverhalten und Information,l979, S. 56 f. 38 Kröber Riel, 2. Teil C. li. 2.a), S. 252 f.
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeBen Fehlerbegriffs
sendich durch das Potential der zur Verfügung stehenden Reize beeinflußt wird. Die aktive Suche nach Informationen tritt demgegenüber zurück und zwar auch in Situationen, in denen eine umfassende Einholung von Informationen vernünftig erscheinen würde. An eine umfassende Aufklärung, wie sie der informationeile Fehlerbegriff anstrebt, ist daher einerseits bereits aufgrund der willkürlichen Aufnahme von Informationen ein Abstrich zu machen, andererseits ist der Möglichkeit, die Informationssaufnahme durch ein entsprechendes Reizpotential zu aktivieren, Rechnung zu tragen. Schließlich ist zu berücksichtigen, daß Aufmerksamkeit ein kostbares Gut ist. Es ist daher zum einen zu beachten, daß die Informationsaufnahme selektiv ist und nicht so gesteuert abläuft, wie dies aus der Perspektive eines uneingeschränkt rational agierenden Individuums wünschenswert wäre. Zum anderen ist bei der gerichtlichen Überprüfung der gegebenen Informationen deren Eignung zu bewerten, den Prozeß der unbewußten Informationsaufnahme durch den Einsatz eines entsprechenden Reizpotentials zu fördern. Ob und inwieweit dies in einem gerichtlichen Verfahren möglich ist, ist problematisch.
111. Wahrnehmung und Beurteilung von Produkten Die Aufnahme von Informationen ist der Ausgangspunkt des Prozesses der Informationsverarbeitung, an dessen Ende ein Urteil des Verbrauchers über das Produkt steht. Die Wahrnehmung bezeichnet den Prozeß der Verarbeitung von Informationen, in dem die aufgenommenen Reize entschlüsselt und mit einem Sinn (lnformationsgehalt) belegt werden 39• Die Produktbeurteilung ist ein Unterbegriff der Wahrnehmung. Sie bezieht sich auf das Ordnen und Bewerten von Informationen über ein Produkt und schließt mit einem Urteil über die wahrgenommene Qualität des Produktes ab40. Im folgenden sollen die Vorgänge, die bei der Wahrnehmung und Beurteilung eines bestimmten Produktes stattfinden, untersucht werden. Ausgangspunkt sind auch hier die Modelle der klassischen Ökonomie und ihre Modifizierung durch die Konsumentenforschung. 1. Klassische Multiattributmodelle: Bewertung von Produkten unter der Annahme der uneingeschränkten Rationalität
Modeme Entscheidungs- und Informationsverarbeitungstheorien beschreiben die menschliche Informationsverarbeitung häufig als Programm, das eine formalisierbare logische Struktur aufweist41 • Nach diesem Ansatz bilden sich zumindest 39 40 41
Kröber-Riel, 2. Teil C. III. 1., S. 265. Kröber-Riel, 2. Teil C. III. 2., S. 275 f. Kröber-Riel, 2 Teil, C. III. 3. a) , S. 292.
Ill. Wahrnehmung und Beurteilung von Produkten
205
solche Produktbeurteilungen, denen der Konsument mehr Mühe und Aufmerksamkeit zuwendet, durch eine systematische Wahrnehmung von einzelnen Produkteigenschaften aus. Dieser Prozeß kann in eine mathematische Formel gefaßt werden, die als die "kognitiven Algebra" des Verbrauchers bezeichnet wird42. Das Gesamturteil des Verbrauchers kommt nicht nur dadurch zustande, daß er eine Vielzahl von Eigenschaften des Produkts wahrnimmt (Multiattributmodelle) 43 , sondern daß er diese zusätzlich je nach seinen subjektiven Vorlieben mit einem Urteil belegt, d. h. daß er nicht nur sachliche, sondern auch wertende Eindrücke hat44 • Fast alle Modelle gehen davon aus, daß sich Eindrücke nicht spontan bei der Betrachtung des Produktes bilden, sondern das Ergebnis der vorangegangenen sachlichen Wahrnehmung sind (Zwei-Komponenten-Betrachtung)45 • Folge dieser Unterscheidung ist, daß zunächst die sachlich wahrgenommene Produkteigenschaft gemessen und dann der Eindruck entsprechend den subjektiven Bedürfnissen des einzelnen Verbrauchers gewichtet wird46. Entscheidend für den hier zu behandelnden Kontext ist, daß Abweichungen von der REMM-Hypothese im Rahmen der kognitiven Algebra keine Rolle spielen. Hat der Verbraucher demnach Informationen über alle in Betracht kommenden Produkteigenschaften, so steht am Ende des Wahrnehmungsprozesses ein Produkturteil, das seine Präferenzen uneingeschränkt wiedergibt.
2. Berücksichtigung des Phänomens der eingeschränkten Rationalität: Produktbeurteilung durch die subjektive Psycho-Logik des Verbrauchers
Die empirische Forschung zur Produktbeurteilung modifiziert die Rationalitätsannahme, indem sie nicht von der Logik der menschlichen Wahrnehmung, sondern von der "subjektiven Psycho-Logik" ausgeht47 . Die Berücksichtigung der psychologischen Besonderheiten der individuellen Wahrnehmung führen dazu, daß von der Annahme einer Informationsverarbeitung nach den Regeln der mathematischen Logik Abstriche gemacht werden. Selbst dann, wenn überlegte (,,rationale") Urteile gefällt werden, können erhebliche Verzerrungen auftreten, die die Logik der UrKröber-Riel, 2 Teil, C. III. 3. c) , S. 305. Unter dem Stichwort "Multiattributmodelle" verbergen sich eine Vielzahl von verschiedenen Ansätzen, die hier nicht weiter vertieft werden sollen, vgl. dazu im einzelnen KröberRiel, C. III. 3. c), S. 306 m.w. N. 44 Kröber-Riel, 2 Teil, C. III. 3. c) , S. 306. 45 Kröber-Riel, 2. Teil C. IIl 3. c), S. 307 ff. 46 Kröber-Riel, 2. Teil C. III 3. c), S. 307. 47 Kröber-Riel, 2. Teil C. III. 3. a), S. 292 mit Verweis auf D. R. Pincus, Emotional Stimuli. In: Sherry, J. F./Sternthal. B. (Hrsg): Advances in Consumer Research 19, Provo U.T. (1992) und R. B. Zajonc, Feeling and Thinking. Preferences Need No Inferences, 35 American Psychologist, 1980, S. 151 ff. 42 43
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs
teilsbildung zwar nicht außer Kraft setzen, aber doch das Ergebnis der Urteilsbildung in vielfältiger Weise beeinflussen. Die Forschung zum menschlichen Informationsverhalten nennt eine Vielzahl von Gründen, die zu den genannten Verzerrungen führen können48 • Im folgenden sollen die Phänomene von Informationsüberlastung und von Informationsauswertung, die Manipulationen unterliegen, aufgegriffen werden, da sie m.E. für die Anwendbarkeit des informationeBen Fehlerbegriffs besonders wichtig sind. a) Selektive Informationsverarbeitung durch den Rückgriff auf Schemata
Das Phänomen der Selektivität prägt nicht nur den Prozeß der Aufnahme von Reizen, sondern auch von deren Verarbeitung zu einem Qualitätsurteil - Verbraucher, die aus einem großen Angebot von Produktinformationen beliebig wählen können, ziehen zur Produktbeurteilung nur einen relativ kleinen Teil der angebotenen Informationen heran49. Die Ursachen für die Selektivität liegen zum einen in der Vereinfachung kognitiver Prozesse, wenn Verbraucher über ein Vorwissen über das zu beurteilende Produkt oder der Gattung, der es angehört, verfügen. Ein großer Teil des menschlichen Wissens besteht aus standardisiertem Wissen, wie ein Sachverhalt typischerweise aussieht. Bei diesen sogenannten Schemata handelt es sich um kognitive Strukturen organisierten vorhandenen Wissens, entstanden durch Abstraktion von Erfahrungen in Einzelfällen50. Die Ausbildung von Schemata ,,rationalisiert" nicht nur die Informationsverarbeitungsvorgänge, indem sie Denkvorgänge vereinfacht und die Informationsspeicherung organisiert, sondern sie bestimmt auch die Aufmerksamkeit, Wahrnehmung und Beurteilung. Verfügt ein Verbraucher aufgrund vorangegangener Erfahrungen über ein Schema eines bestimmten Produktes oder einer Produktkategorie, so wird er aus dem Vorhandensein bestimmter Eigenschaften etwa der Verpackung - auf das Vorhandensein anderer Produkteigenschaften schließen, auch wenn diese nicht direkt wahrnehmbar sind oder aber ohne weiteres auf die gesamte Produktqualität Rückschlüsse ziehen. Weicht demgegenüber eine Eigenschaft von bestehenden Schemata ab, so besteht eine Inkongruenz, die zu verstärkter Aufmerksamkeit und Wahrnehmung führt. Präferenzen des Verbrauchers hängen schließlich davon ab, inwieweit das wahrgenommene Produkt mit seinen vorhandenen Schemavorstellungen übereinstimmt51 • Vgl. dazu Kröber-Riel, 2. Teil C. III. 3. a), S. 293. Kröber Riet, 2. Teil C. III. 2. a), S. 281 mit Verweis auf J. Jacoby/G. J. Szybillo/ J. Busato-Schach, Information Acquisition Behavior in Brand-Choice Situations, 3 Journal of Consumer Research, 1977, S. 209 ff. 50 Kröber-Riel, 2. Teil C. I. 2., S. 232 f. 51 Kröber-Riel, 2. Teil C. I. 2., S. 233 f. 48
49
III. Wahrnehmung und Beurteilung von Produkten
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Eine entscheidende Bedeutung im Rahmen des beschriebenen Prozesses, daß Verbraucher von einer Eigenschaft auf eine andere oder auf die gesamte Produktqualität schließen, kommen den sogenannten Schlüsselinformationen zu, d. h. solchen Informationen, die für die Produktbeurteilung besonders wichtig sind und mehrere andere Informationen ersetzen oder bündeln52. Verbraucher erwarten von Schlüsselinformationen wesentliche, u.U. hinreichende Auskünfte über die Produktqualität, sie dienen als Ersatz für die Auswertung einer Vielzahl von Einzelinformationen, die der Verbraucher bei ihrem Fehlen zur Produktbeurteilung heranziehen würde. Schlüsselinformationen sind z. B. der Preis eines Produkts, die Tatsache, daß es sich um ein Markenprodukt handelt, oder ein Testurteil einer Verbraucherorganisation wie Warentest53 • Was bedeutet dies für die Ermittlung der Produktsicherheit durch Verbraucher? Bei der abstrakten und der konkreten Produktsicherheit handelt es sich, soweit nicht direkte Informationen des Herstellers oder eines konkret auf die Produktsicherheit bezogenen Verbrauchertests zur Verfügung stehen, um abgeleitete, der sinnlichen Erfahrung entzogene Merkmale. Steht eine direkte Information nicht zur Verfügung, so liegt es nahe, Schlüsselinformationen wie die Marke des Produkts oder den Preis zur Beurteilung des Qualitätsmerkmals Sicherheit heranzuziehen. Die bekannte, u.U. mit einem bestimmten "Image" besetzte Marke wird für sicherer als das no-name Produkt gehalten, aus einem höheren Preis auf eine bessere Verarbeitung bzw. eine gesündere Zusammensetzung des Produkts geschlossen, aus dem Angebot in einer vertrauenerweckenden Umgebung- z. B. bei Kosmetika in einer Apotheke- eine angemessene Sicherheit abgeleitet. Aufgrund der Subjektivität der Wertung ist es problematisch, diese Rückschlüsse aus Schlüsselinformationen im Rahmen des informationeilen Fehlerbegriffs angemessen zu würdigen. Jedenfalls sollte das Phänomen als solches berücksichtigt und, soweit dies möglich erscheint, im Rahmen der Informationspflichten des Herstellers eine Auswirkung haben. b) Selektivität bei der Auswertung von Produktinformationen zur Vermeidung von Informationsüberlastung I information overload
Es fragt sich, ob der Rückgriff auf Schemata bzw. auf wenige Schlüsselinformationen allein ein Ausdruck der ,,kognitiven Bequemlichkeit"54 des Verbrauchers ist, die durch entsprechende Anreize - etwa durch die von Finsinger und Sirnon im Rahmen des informationeilen Fehlerbegriffs postulierte Pflicht des Verbrauchers, sich auf den Informationsstand eines "verständigen, sich um sorgfältigen Einsatz bemühenden Verbrauchers" 55 zu bringen - beseitigt oder doch gemildert werden 52 53 54
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Kröber-Riel, 2. Teil, C. III. 2. a), S. 280. Kröber-Riel, 2. Teil, C. III. 2. a), S. 282. Kröber-Riel, 2. Teil C. Ill. 3. b), S. 303. Finsinger/Simon, S. 49.
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeilen Fehlerbegriffs
kann. Der Hintergrund des informationeilen Fehlerbegriffs ist die Vorstellung vom Menschen "als ein informationsverarbeitendes System, dessen Effizienz ohne weiteres dadurch gesteigert werden kann, daß man ihm mehr und bessere Informationen liefert und (durch Erziehung und Aufklärung) bessere Informationsverarbeitungsprogramme verpaßt" 56 . Mit dem Fortschreiten der Verhaltensforschung offenbaren sich die Grenzen der Erziehbarkeit von Verbrauchern. Nach Jacoby I Speiler I Kohn57 und Jacoby I Speiler I Kohn-Berning58 soll bei einer Überschreitung der menschlichen Kapazitäten zur Wahrnehmung und Verarbeitung von Informationen das Phänomen der Informationsüberlastung I information overload eintreten. Informationsüberlastung bezeichne die Folgemechanismen, die einträten, wenn Verbraucher gezwungen würden, mehr Informationen zu verarbeiten, als es ihre Kapazitäten eigentlich zuließen. Das Resultat sei eine Verringerung der Entscheidungseffizienz. Es leide entweder die Entscheidungsleistung, indem sich der Verbraucher mit zunehmender Informationsmenge in seiner Entscheidung weiter von dem von ihm als ideal eingestuften Produkt entferne59 oder es nähme der für die Entscheidung benötigte Zeitaufwand zu60• Grundsätzlich könnten Verbraucher diesem Phänomen durch selektive Wahrnehmung entgegenwirken, bestehe allerdings ein Druck zur Informationsbeachtung, versage dieses Korrektiv61 • Ob Informationsüberlastung in derbeschriebenen Weise besteht, ist umstritten und nicht abschließend erforscht62, in den letzten Jahren zeichnet sich aber ein Trend ab, das Problem der Informationsüberlastung als festen Bestandteil von Verbraucherverhalten anzusehen63 . In Hinblick auf die Praktikabilität des informationeilen Fehlerbegriffs ist aus diesem Befund m.E. in die Forderung nach einer differenzierteren Beurteilung der dargebotenen Informationen abzuleiten. Entgegen der bisherigen Rechtsprechung kann der rechtlich erhebliche Vorwurf an den Hersteller nicht allein darin begründet sein, daß er nicht genug Informationen geliefert habe, sondern es ist zu prüfen, ob die Warnungen und Instruktionen in einer Weise gegeben werden, die den Verbraucher hinreichend informieren, gleichzeitig aber die Grenzen der Informationsverarbeitungskapazitäten berücksichtigen. Dies stellt eine schwierige Gratwanderung dar, die m.E. insbesondere bei komplexen Produkten auch auf die Grenzen des informationeilen Fehlerbegriffs hindeutet.
Kröber-Riel, 5. Auflage 1994, 2. Teil C. V. 3. a), S. 400. J. Jacoby I D.E. Speiler I C.A. Kohn, Brand Choice Behavior as a Function of Information Overload, 11 Journal of Marketing Research, 1974, S. 63 ff. 58 1 Journal of Consumer Research, S. 33 ff. (1974). 59 Kuhlmann, 5.1.2.1.- S. 117. 60 Magat/Viscusi, 5. Kapitel, 5.1. S. 90 ff. 61 Magat/Viscusi, 5. Kapitel, 5.1. S. 91. 62 Magat!Viscusi, 5. Kapitel, 5.1. S. 91 f. 63 Kuhlmann, 5.1.2.1.- S. 117, Magat/Viscusi, 5. Kapitel, S. 92. 56 57
III. Wahrnehmung und Beurteilung von Produkten
209
3. Verzerrungen bei der Auswertung der Informationen unter besonderer Berücksichtigung der irreführenden Produktdarbietung
Das Qualitätsurteil kann nicht nur dadurch verzerrt sein, daß der Verbraucher die ihm zur Verfügung stehenden Informationen nur selektiv wahrnimmt und auswertet, sondern auch dadurch, daß die zur Beurteilung herangezogenen Informationen keinen tatsächlichen Bezug zu den Qualitätsmerkmalen des Produkts haben oder mit Eigenschaften in Verbindung gebracht werden, die das Produkt nicht hat. Bereits bei der Darstellung der möglichen Informationsgruppen war darauf hingewiesen worden, daß auch solche Informationen, die keinerlei Tatsachenbezug zum Produkt aufweisen - wie die Begleitung des Freundes beim Einkauf - von Verbrauchern unbewußt als relevante Informationen aufgefaßt werden können. Darauf hat der Hersteller keinen Einfluß. Problematisch ist aber, wenn der Hersteller - bewußt oder unbewußt - sein Produkt mit Informationen in Verbindung bringt, die geeignet sind, eine sachlich unrichtige Vorstellung über das Produkt beim Verbraucher hervorzurufen. Die Darstellung des Produkts durch den Hersteller kann dann irreführend sein. Der informationeile Fehlerbegriff ist für das Problem der Irreführung besonders anfallig, da seine Praktikabilität davon abhängt, daß Verbraucher ein zutreffendes Bild von den zur Auswahl stehenden Produkten haben. Nach Finsinger und Sirnon soll eine "beschönigende oder irreführende Werbung ( ... ) automatisch zur Haftung" führen64. Die Bestimmung, wann eine irreführende Produktdarstellung vorliegt, ist problematisch. Es ist hier zu beriicksichtigen, daß Wahrnehmung nicht nur ein selektiver, sondern auch ein subjektiver Vorgang ist. Pointiert ausgedriickt gibt es keine Produktbeurteilung, die mit der "objektiven" Qualität des zu beurteilenden Gegenstandes übereinstimmt, sondern nur die vom Verbraucher subjektiv wahrgenommene Qualität, so daß es im Einzelfall zu erheblichen Wahrnehmungsunterschieden von Verbraucher zu Verbraucher kommen kann65 . Unter Beriicksichtigung dieses Befundes besteht in der Verhaltensforschung ein relativ breiter Konsens, was unter Irreführung zu verstehen ist. Es kommt demnach nicht darauf an, ob die Informationen tatsächlich falsch sind, sondern wie sie von Verbrauchern subjektiv wahrgenommen werden. Irreführend sind solche Informationen, die einen der Wirklichkeit nicht entsprechenden Eindruck über einen Sachverhalt hervorrufen oder bestätigen. Der Eindruck muß über die bloße Wahrnehmung hinaus verhaltensrelevant sein, ohne daß der Beeinflußte die spezifische Art der Beeinflussung bemerkt66. Irreführende Produktdarstellungen werden in der Verhaltensforschung mit Vorliebe am Beispiel der Werbung untersucht, schließlich ist hier das erklärte Ziel nicht eine wirklichkeitsgetreue Beschreibung des Produkts, sondern das Portrait im möglichst schmeichelhaften Farben. 64 65 66
Finsinger/Simon, S. 49 Kröber-Riel, 2. Teil C. III. 1. - S . 266 f. Kröber-Riel, 2. Teil, C. III. 2. a) - S. 283.
14 Kalimann
210
6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeBen Fehlerbegriffs
Das Bild des Verbrauchers von einem Produkt kann zum einen durch eine Verbindung von Produkten und emotionalen Stimuli ohne sachlichen Informationsgehalt manipuliert werden67 . Einen fehlerhaften Eindruck über Produkteigenschaften können auch sprachliche Formulierungen hervorrufen, wenn z. B. Gütebezeichnungen - die von vielen Verbrauchern als Schlüsselinformationen angesehen werden- für bare Münze genommen werden (sogenannter "Sprachrealismus des Verbrauchers"68. Die genannten Beispiele zeigen, daß bereits subtile Manipulationen geeignet sind, dem Verbraucher ein fehlerhaftes Bild von der Beschaffenheit des Produktes zu vermitteln. Problematisch ist, ob eine Irreführung im Sinne der Verhaltensforschung mit einer Irreführung im produkthaftungsrechtlichen Sinne gleichzusetzen ist. Irreführende Darstellungen berühren den Schutzbereich des Fehlerbegriffs nur dann, wenn sie bei Verbrauchern fehlerhafte Vorstellungen über die abstrakte Produktsicherheit hervorrufen oder einen Misbrauch der Produkte nahelegen. Bei subtilen Werbebotschaften, die zu einer unterschwelligen Beeinflussung des Verbrauchers führen, stellt sich die Frage, wann eine Irreführung im Sinne des informationeilen Fehlerbegriffs vorliegt. Werbung wird auch von Verbrauchern nicht als sachliches und objektives Medium der Information angesehen. Der "verständige, sich um sorgfältigen Einsatz bemühende Verbraucher"69 dürfte sich daher nicht 67 Beispielhaft kann die Manipulation der Wahrnehmung durch die Verbindung des Produkts mit emotional besetzten Stimuli durch die folgende Studie demonstriert werden. Zwei Verbrauchergruppen wurden Anzeigen von Mittelklassenwagen in unterschiedlichen Versionen vorgelegt, nämlich die sachliche Fotografie des Autos und einmal die gleiche Fotographie, auf der als zusätzliches ,,Element" das Abbild einer erotischen jungen Frau in den Vordergrund der Anzeige montiert war. Obwohl den Versuchspersonen klar war, daß das Abbild der jungen Frau nicht dazu geeignet war, objektive Informationen über die Qualität des Autos abzugeben, erhielten sie dennoch einen anderen Eindruck von dem Produkt als die Personen, die die erste Version der Anzeige gesehen hatten. Unter anderem hielten die Mehrzahl der Versuchspersonen das Auto für weniger sicher. Fast alle Verbraucher meinten, ihr Qualitätswahrnehmung sei vollkommen unabhängig von der Betrachtung des Mädchenbildes gewesen (vgl. dazu ausführlich Kröber-Riel, 2. Teil, C. 111. 2.a), S. 288 mit Verweis auf die Studie von G. H. Smithl R. Engel, Influences of a Fernale Model on Perceived Charakteristics of an Automobile, Proceedings of the 76tlt Annual Convention of the American Psychological Association, 1968, S. 681 ff. Eine derartige Beeinflussung von Verbrauchern ist auch in eine andere Richtung möglich. So ist denkbar, daß die Abbildung des gleichen Autos in Verbindung mit einer Familie mit Kleinkindem - also einem Kontext, in dem das Bedürfnis nach Sicherheit höher ist - zu einer entsprechend besseren Einschätzung der Produktsicherheit führen würde. 68 Kröber-Riel illustriert diesen .,Sprachrealismus" von Verbrauchern an dem folgenden Beispiel: Bei der Vermarktung bestimmter Kosmetika werden in den Informationen über Inhaltsstoffe gesundheitsschädliche und dem Verbraucher in der Regel unbekannte Chemikalien als .,Aufbaustoffe" bezeichnet, verbunden mit dem Hinweis, daß das Produkt nur in Apotheken gekauft werden könne. Der Begriff .,Aufbaustoff" weckt positive Assoziationen, die Produktumfeldinformation .,Apotheke" riickt das Produkt ohne weitere Informationssuche in die Klasse der gesundheitsfördernden Produkte (vgl. Kröber-Riel, 2. Teil C. III. 3. b) s. 303). 69 Finsinger/Simon, S. 49.
IV. Informationen über das Sicherheitsrisiko von Produkten
211
auf die Anpreisungen aus der Werbung verlassen. Andererseits sind derartige Manipulationen für Verbraucher besonders schwer zu erkennen, da nach eigener Einschätzung die Urteilsbildung in der Regel auf rationale und logisch nachvollziehbare Kriterien gegründet wird. Werbebotschaften können daher die Wahrnehmung des Verbrauchers bezüglich bestehender Informationsdefizite über die Produktsicherheit senken. Wie im zweiten Kapitel gezeigt wurde, besteht in der deutschen Rechtsprechung Zurückhaltung bei der Anerkennung der Haftung des Herstellers für Werbebotschaften70. Soll die Haftung des Herstellers allein auf Informationspflichten und die Art und Weise der Produktdarbietung gestützt werden, so ist m.E. eine Ausweitung der Haftung in den Bereich der unterschwelligen Manipulation des Verbrauchers erforderlich. Es stellt sich auch hier die schwierige Frage nach der Abgrenzung einer zulässigen Anpreisung des Produktes von einer haftungsrechtlich relevanten Irreführung des Verbrauchers, die die Grenzen der Praktikabilität des informationeilen Fehlerbegriffs berühren könnte.
IV. Informationen über das Sicherheitsrisiko von Produkten Die bisher besprochenen Defizite bei der Aufnahme von Informationen und ihrer Auswertung zu einem Qualitätsurteil waren im Gesamtkontext aller für die Produktbeurteilung relevanten Informationen zu sehen. Der informationeile Fehlerbegriff berührt ein Sonderproblem, das allein mit der Frage der Aufklärung über die spezifischen Risiken für Leib, Leben und Eigentum im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Produkten steht. Zum einen ist zu untersuchen, wie Verbraucher auf Informationen reagieren, die über das abstrakte Sicherheitsniveau eines bestimmten Produktes aufklären sollen. Zum anderen ist die Frage, ob und wie Verbraucher Instruktionen zur Steigerung der konkreten Produktsicherheit verarbeiten, zu beleuchten. 1. Warnungen über die abstrakte Produktsicherheit
In seiner extremen Ausprägung fordert der informationeHe Fehlerbegriff den Abschied von der Vorstellung einer "Basissicherheit". Nach den Vorschlägen von Finsinger und Sirnon bedeutet dies: "Die Käufer können auch weiterhin grundsätzlich unnötig gefahrliehe Produkte kaufen. Wenn sie auf die Risiken unmißverständlich hingewiesen werden und sich trotzdem zum Kauf entschließen, dann tragen sie auch die Konsequenzen71 ." Selbst wenn man Warnungen nur für solche Produkte zulassen will, die ein Minimum an Sicherheit bieten, so ist eine 70 71
14*
Vgl. oben unter 2. Kapitel, I. 2. b). Finsinger/Simon, S. 49.
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs
rationale Entscheidung für oder gegen ein bestimmtes Risiko nur dann möglich, wenn der Verbraucher die Warnung auch zutreffend werten kann. Erhalten Verbraucher keinerlei Informationen über die abstrakte Produktsicherheit, so treffen sie ihre Kaufentscheidung unter Unsicherheit. Warnungen führen idealerweise dazu, daß diese Entscheidung unter Risiko getroffen wird: Zwar kann durch Warnungen über die abstrakte Produktsicherheit nicht ausgeschlossen werden, daß ein Schadensereignis eintritt, jedoch kann der Verbraucher die spezifischen Kosten der zur Wahl stehenden Konstruktion aus den zu erwartenden Schäden und der Wahrscheinlichkeit des Schadeneintritts kalkulieren und diese in Beziehung zum Nutzen dieser Konstruktion und den Kosten, die mit der Steigerung der abstrakten Produktsicherheit verbunden wären, setzen. Eine bewußte Produktwahl in diesem Sinne (informed choice) ist ausgeschlossen, wenn Verbraucher auch bei bestehenden Warnungen die Produktrisiken systematisch falsch einschätzen. Allein aus der Tatsache, daß Verbraucher aufgrund von Warnungen ihr Verhalten ändern, kann nicht auf eine bewußte Produktwahl in voller Kenntnis von Nutzen und Risiken geschlossen werden72. a) Einschätzung von Risiken ohne produktbegleitende Informationen
Die Effizienz der Aufklärung von Verbrauchern kann nur vor dem Hintergrund verstanden werden, wie Verbraucher auf Risiken reagieren, über die sie nicht ausdrücklich informiert wurden. Soweit es sich nicht um ein gänzlich unbekanntes Risiko handelt, führt das Fehlen entsprechender Daten nicht dazu, daß Verbraucher überhaupt kein Gefahrenbewußtsein haben, vielmehr erfolgt eine Risikoeinschätzung durch den Rückgriff auf bekannte Informationen - entweder basierend auf eigenen Erfahrungen oder auf sonstigem Wege aufgenommenen Informationen73 . Bei der Auswertung dieser Informationen greifen Verbraucher auf bestimmte Muster und Regeln zur Vereinfachung der Entscheidungsfindung zurück, die zwar grundsätzlich geeignet sind, eine an die Wirklichkeit angenäherte Einschätzung der Risiken zu ermöglichen, aber auch zu systematischen Verzerrungen der Wahrnehmung führen74• Als typische Verzerrungen sind einerseits der Rückschluß auf Wahrscheinlichkeiten anhand von Kenntnissen über das Risiko zu nennen und andererseits die Fehleinschätzungen durch Selbstüberschätzung. Verbraucher tendieren dazu, solche Risiken als häufig und wahrscheinlich einzuordnen, die sie sich einfach vorstellen können. Der rationale Kern für diese Beurteilungsregel liegt darin, daß man sich grundsätzlich solche Ereignisse, die häufig passieren, auch leichter vorstellen kann, während entfernte oder unbekannte RisiVgl. dazu ausführlich MagatiViscusi, S. 6. P. Slovic I B. FischhoffI S. Lichtenstein, Facts versus fears: Understanding perceived risk. In: D. Kahnemann I P. Slovic I A. Tversky, A., Judgment under Uncertainty. Heuristics 72
73
and Biases, 1992, S. 465. 74 Slovic I FischhoffI Lichtenstein, S. 465.
IV. Informationen über das Sicherheitsrisiko von Produkten
213
ken nicht oder nur unter Schwierigkeiten vergegenwärtigt werden können. Verzerrungen ergeben sich dadurch, daß die Visualisierbarkeit von Risiken und Schadensfallen nicht nur von deren tatsächlicher Häufigkeit, sondern ebenso davon beeinflußt sein können, wie prägnant sich bestimmte Ereignisse einprägen. Eine kürzlich zurückliegende Katastrophe, ein beeindruckender Film oder eine Zeitungskampagne können dazu führen, daß entfernte Risiken als besonders wahrscheinlich wahrgenommen werden75 . Gleiches gilt für besonders dramatische oder spektakuläre Risiken, denen eine höhere Wahrscheinlichkeit zugeordnet wird als unspektakulären und deshalb im Bewußtsein von Risiken weniger verankerten Risiken76. In den Kontext, daß Wahrscheinlichkeiten anhand der Präsenz der Informationen eingeschätzt werden, gehört der Befund, daß Informationen über Risiken ständig zur Verfügung stehen müssen, um von Verbrauchern auch wahrgenommen zu werden. Fehlt die Wahrnehmung und exakte Identifizierung der Natur des Risikos, so kann des fehlende Bewußtsein nicht durch eine allgemeine Vorstellung eines "sonstigen Lebensrisikos", das mit der bestimmten Aktivität oder einem bestimmten Produkt verbunden ist, ausgeglichen werden77 . Selbstüberschätzung bei der Wahrnehmung von Risiken kann sich auf folgende Weise äußern. Zum einen werden Risiken zwar wahrgenommen, die Wahrscheinlichkeit, daß sich das Risiko an der eigenen Person realisiert, aber als deutlich geringer eingeschätzt. Dieses "Mir-passiert-schon-nichts"-Syndrom äußert sich in dem hier zu untersuchenden Zusammenhang so, daß sich die Mehrzahl der Verbraucher für persönlich immun gegen produktbedingte Schäden hält, auch wenn sie die Möglichkeit einer Schädigung von anderen grundsätzlich realistisch einschätzen78. Zum anderen fehlt Verbrauchern das Bewußtsein dafür, daß ihre eigene Einschätzung von Risiken aufgrund der vereinfachten Wahrnehmungsmuster feh-
Slovic I Fischhoff/Lichtenstein, S. 465. Vgl. dazu ausführlich Slovic I FischhoffI Lichtenstein, S. 465 ff. mit Verweis auf die Studien von R. W. Kates, Hazard and choice perception in flood plain management, 1962, S. 88 ff., 140; K. V. Steinbrugge I F.E. McClure I A.J. Snow, Studies in seismicity and earthquake darnage statistics, (Report, [Appendix A] COM-71-00053) Washington D.C.: U.S. Department of Commerce, 1969. Gut untersucht sind Verzerrungenaufgrund von vielfach in den Medien berichteten und spektakulären Risiken. So ergaben Befragungen, daß die Gefahr durch Mord, einen Verkehrsunfall oder eine Flutkatastrophe ums Leben zu kommen, wesentlich überschätzt, während das Risiko, durch Diabetes, Asthma oder einen Schlaganfall zu sterben wesentlich unterschätzt wurde, vgl. dazu SloviciFischhoffiLichtenstein, 21 (3), 14- 20, 36 39. Zur Beeinflussung der Risikoeinschätzung durch forcierte Berichterstattung vgl. B. CombsiP. Slovic, Causes of death: Biased newspaper coverage and biased judgments, 56 Joumalism Quaterly, 1979, 837 ff. und H. Brucker, Cornmunication is power: Unebanging values in a changingjoumalism, 1973. 77 Vgl. ausführlich SloviciFischhoffiLichtenstein, S. 470 mit Verweis auf SloviciFischhoffI Lichtenstein, Accident probabilitties and seatbelt usage: A psychological perspective. 10 Accident Analysis and Prevention, 1978, 281 ff. 78 Vgl. dazu ausführlich A. Rethans, An investigation of consumer perceptions of product hazards, 1979. 75
76
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeBen Fehlerbegriffs
leranfällig ist und verzerrt sein kann79. Kurz, Verbrauchern fehlt das Bewußtsein für ihr lnformationsdefizit, da sie meinen, Risiken zutreffend erfassen zu können. b) Auswertung von statistischen Wahrscheinlichkeifen
Es ist problematisch, ob das Risikobewußtsein von Verbrauchern durch entsprechend formulierte Warnungen verbessert werden kann Es soll zunächst unterstellt werden, daß Hersteller das in ihrem Produkt verkörperte Risiko in einem Zahlenwert ausdrücken können. Solchen Risiken kann keine absolute Größe zugeordnet werden, vielmehr ergibt sich die Risikoträchtigkeit einer Aktivität nur im Vergleich zu einer anderen, mehr oder weniger sicheren Aktivität. So können die spezifischen Risiken des Rauchens nur im Vergleich zum Nichtrauchen, die verbesserte Sicherheit eines mit einem Airbag ausgerüsteten Autos nur im Vergleich zu einem Auto des gleichen Modells aber ohne diesen zusätzlichen Schutz und die krebserregende Wirkung von Saccharin zur im Vergleich zu anderen "Süßstoffen" wie Zucker oder Honig beurteilt werden. Die Frage, wie solche Risiken von Verbrauchern erfaßt werden, hängt eng damit zusammen, wie die statistische Wahrscheinlichkeit formuliert und welche Bezugsgröße gewählt wird. Dabei ergeben sich folgende Schwierigkeiten, die ebenfalls zu einer systematischen Fehleinschätzung der Wahrscheinlichkeiten und Risiken bei einer Mehrheit der betroffenen Verbraucher führen. Gesetzt den Fall, daß die Risiken eines Produktes hinreichend bekannt sind, können auch entferntere Risiken zu Gegenstand der Warnungen gemacht werden. Bei derartigen Warnungen besteht die Gefahr, daß der Zweck der Warnung, eine informierte und bewußte Produktwahl zu ermöglichen, dadurch vereitelt wird, daß Verbraucher derartige Risiken dramatisch überschätzen80. Die Beurteilung von 79 Vgl. dazu ausführlich Slovic I FischhoffI Lichtenstein, Behavioral decision theory, 28 Annual Review of Psychology, 1977, S. 1 ff.. In der Studie sollten Verbraucher angeben, ob sie Wahrscheinlichkeilen korrekt einschätzen können. Während Verbraucher Wahrscheinlichkeilen, die sich im Bereich von 1 zu 1 bis 1 zu 5 bewegten, in der Regel korrekt einschätzen konnte, nahm die Anzahl der korrekten Einschätzungen bei einer Berücksichtigung eines Risikos von 1 zu 100 signifikant ab. Zwar stieg diese bei einer Einschätzung von Wahrscheinlichkeilen im Bereich von 1 zu 1000 bzw. 1 zu 10.000 wieder an, es gab hier aber bei den Fehleinschätzungen ganz wesentliche Abweichungen zwischen den geschätzten und den korrekten Werten. so Vgl. dazu ausführlich MagatiViscusi, S. 161 ff. mit Verweis auf die Auseinandersetzungen um ein als "Safe Drinking Water and Toxic Enforcement Act" (Cal. Health and Safety Code 25249.5-25249.13- Deering 1986) bekannt gewordenes Gesetzgebungsverfahren des Staates Kalifornien. Demnach sollte eine Steigerung des Krebsrisikos durch den Genuß von krebserregenden Substanzen im Bereich von I. 10. 000 bis 1: 100.000 Gegenstand von Warnungen sein. Befragungen von Verbrauchern über die Risiken, die mit dem Genuß des Süßstoffes Sacharin verbunden sind, ergaben eine gravierende Überschätzung derartiger Risiken. Es ist in diesem Zusanunenhang jedoch zu bedenken, daß dieser Überschätzungseffekt häufig auch von den oben beschriebenen Verzerrungen überlagert bzw. aufgehoben wird, so etwa durch die Überzeugung des Individuums, gegen die spezifischen Risiken immun zu sein.
IV. Informationen über das Sicherheitsrisiko von Produkten
215
Risiken wird wesentlich davon beeinflußt, wie diese präsentiert werden. Risiken können entweder in Prozentwerten oder in absoluten Zahlenwerten ausgedrückt werden. Nehmen wir an, der Verzicht auf eine bestimmte krebserregende Substanz senkt das durchschnittliche jährliche Krebsrisiko von 1 : 10.000 auf 0,66 : 10.000. Diese Information kann auch so formuliert werden, daß das jährliche Krebsrisiko durch die Maßnahme um 30% sinkt. Intuitiv werden Verbraucher die Verbesserung des Sicherheitsniveaus im zweiten Fall als erheblich besser als im ersten Fall bewerten. Produkte werden in der Regel nicht nur einmal, sondern in einer Vielzahl von Fällen gebraucht. Das Aktivitätsniveau hat einen Einfluß auf die Wahrscheinlichkeit, durch das Produkt geschädigt zu werden. Je nachdem, ob die Häufigkeit des Gebrauchs auch in der Warnung einen Niederschlag findet oder nicht, werden Verbraucher auf dieses Phänomen reagieren81 . Die Wahrnehmung von Verbrauchern über die Natur und den Grad eines Risikos hängt auch wesentlich davon ab, welche Bezugsgrößen gewählt werden. Damit verbunden ist die Frage der Akzeptanz des Risikos. Hier können zwei Phänomene beobachtet werden: Zum einen werten Verbraucher ausgehend von einem bekannten Risikoniveau die Steigerung von Risiken anders als deren Senkung82. Dieses Phänomen wird für die Praktikabilität des informationellen Fehlerbegriffs dann relevant, wenn ein Hersteller nachträglich vor einem neu entdeckten, gleichwohl "akzeptablen" Risiko seiner Produkte warnen will. Zum anderen messen Verbraucher der gänzlichen Elirninierung eines Risikos einen überproportionalen Wert zu ("Russisches-Roulette-Paradox") 83 . Konkret 81 Vgl. Slovic I FischhoffI Lichtenstein, S. 480 mit Verweis auf Slovic I FischhoffI Lichtenstein, Accident probabilities and seatbelt usage: A psychological perspective. 10 Accident Analysis and Prevention, 281 ff. 1978 und Slovic I FischhoffI Lichtenstein I Corriganl Combs, Preference for insuring against small probable losses: Insurance Implications. 44 Journal of Risk and Insurance, 1977, S. 237 ff.. Nach dem Datenmaterial der Autoren beträgt das Risiko, auf einer einzigen Fahrt Opfer eines tödlichen Unfalls zu werden 1 zu 3,5 Mio, das Risiko, erheblich verletzt zu werden 1 zu 100.000. Gemessen an dieser relativ geringen Wahrscheinlichkeit, auf einer einzigen Fahrt aufgrund des Verzichts auf den Sicherheitsgurt verletzt oder getötet zu werden, erscheint die Abneigung von Verbrauchern gegen Sicherheitsgurte in gewisser Weise rational. Rechnet man dieses Risiko auf den Zeitraum von 50 Jahren bei der Annahme von c.a. 40.000 Fahrten in dieser Zeit um, so ergibt sich hinsichtlich des Unfalltodes ein Risiko von 0,01, hinsichtlich der schweren Verlezung von 0,33. Die zugrundeliegenden Daten um die Unfallstatistiken mögen sich in den letzten Jahren gewandelt haben, dennoch sind die Studien auch heute noch geeignet, die Auswirkungen der unterschiedlichen Präsentation von Risiken auf die Beurteilung von Verbrauchern zu demonstrieren. 82 Das folgende Beispiel mag dieses Phänomen illustrieren: Ein Insektenspray führt mit einer Wahrscheinlichkeit von 0,01% pro Anwendung zu Hautirritationen beim Verbraucher. In einer Studie werden Verbraucher befragt, welchen Preis sie für eine Senkung dieses Risikos um weitere 0,005% bezahlen würden bzw. wie weit der Kaufpreis des Insektensprays bei einer Steigerung des Risikos um den gleichen Wert gesenkt werden müßte. Ein gänzlich rationaler und risikoneutraler Verbraucher würde die Steigerung und die Senkung des Risikos gleich bewerten. Tatsächlich ergaben die Befragungen, daß die überwiegende Mehrzahl der Verbraucher eine Steigerung des ihnen bekannten Risikos um keinen Preis hinnehmen wollte (vgl. dazu ausführlich MagatiViscusi, S. 62 f.).
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs
äußert sich dies in der Bereitschaft von Verbrauchern, eine "Sicherheitsprämie" dafür zu zahlen, daß ein geringes Risiko gänzlich ausgeschaltet wird. Für die Formulierung von Warnungen und Produktinformationen setzt dies einen Anreiz für den Hersteller, Reduzierungen bestimmter Risiken auf Null gesondert hervorzuheben und Verbrauchern so das Gefühl einer "Pseudosicherheit" zu vermitteln 84. c) Entscheidung unter "informierter Unsicherheit"Warnungen ohne Rückgriff auf Wahrscheinlichkeitswerte
Nach geltendem Recht in Deutschland und den Vereinigten Staaten müssen Warnungen, die sich auf die abstrakte Produktsicherheit beziehen, keineswegs so formuliert werden, daß das Risiko sich in einer statistischen Wahrscheinlichkeit ausdruckt. Soweit Warnungen von Rechtsprechung oder Gesetzgebung als verpflichtend angesehen werden, erschöpfen sie sich in der Regel in dem Hinweis auf die Gefahrlichkeit der Aktivität. Die Gefahrlichkeit des Rauchens soll deutschen Verbrauchern beispielsweise durch den Hinweis der EG-Gesundheitsminister "Rauchen verursacht Krebs" bzw. "Rauchen gefährdet die Gesundheit" vor Augen gehalten werden. In den Vereinigten Staaten finden sich vergleichbare Hinweise beispielsweise auf Lebensmitteln mit dem Zusatz von Sacharin sowie auf alkoholischen Getränken. Auch die umfassende Aufklärung auf den Beipackzetteln von Arzneimitteln in beiden Ländern beschränkt sich auf die verbale Auflistung von Risiken, deren Häufigkeit zwar anhand der Formulierungen85 abgeschätzt, aber nicht statistisch ermittelt werden kann. 83 Vgl. Magat/Viscusi mit Verweis auf R. Zeckhauser, Behavioral versus Rational Economics: What you see is what you conquer. 59 Journal of Business, 435 ff., 1986. 84 Slovic I Fischhoff/ Lichtenstein, S. 480 mit Verweis auf A. Tversky I D. Kahneman, The frarning of descisions and the rationality choice, 211 Science, 453 ff. 1981. 85 Ein gutes Beispiel für eine gesetzlich normierte Instruktionspflicht stellt § 11 AMG dar, dessen Nichteinhaltung einen Informationsfehler im Sinne des § 84 Nr. 2 AMG begündet. § 11 trifft im ersten Absatz sowohl eine Aussage über den notwendigen Textinhalt der Packungsbeilage als auch in eingeschränkter Form über die Form der Informationen. Notwendiger Inhalt des Beipackzettels sind demnach generelle Informationen über das Arzneimittel wie seine Bestandteile und Darreichungsform (Nr. 1-5) und seiner Anwendungsgebiete (Nr. 6). Nr. 7-10 ist der Aufklärung über die Risiken des Arzneimittels durch Aufzählung der Gegenanzeigen, Nebenwirkungen, Wechselwirkungen mit anderen Mitteln sowie unter Umständen Angaben nach § 28 AMG gewidmet. Nr. ll umschreibt den bestimmungsgemäßen Gebrauch, Nr. 12 und l3 zeigen Gegenmaßnahmen für den Fall auf, daß sich eines der Risiken in Nr. 7-10 realisiert und Nr. 14 weist schießlieh auf die Bedeutung des Verfalldatums hin. In § ll I AMG finden sich somit Informationen aus allen der unter 2.4.2. identifizierten Untergruppen. Die Art und Weise, wie diese komplexen Informationen vermittelt werden müssen, regelt das Gesetz nur in eingeschränktem Umfang, nämlich in dem Gebot, die Angaben "allgemeinverständlich in deutscher Sprache sowie in gut lesbarer Schrift"(§ ll I S. l a.E.) abzufassen (vgl. dazu im einzelnen Sander; § 84, Er!. 16.). Der Verbraucher hat demnach kein Anrecht auf eine Aufklärung über das statistische Risiko, sondern muß seine Entscheidung anband einer rein verbalen Aufklärung treffen.
IV. Informationen über das Sicherheitsrisiko von Produkten
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Streng genommen fallen Verbraucher in diesen Fällen ihre Entscheidung in einem Zustand "informierter Unsicherheit" - zwar wissen sie, daß das Produkt ein bestimmtes Risiko mit sich bringt, kennen aber dessen Ausmaß nicht. Man mag den Verzicht auf eine statistische Erfassung der produktbedingten Risiken für adäquat halten - nicht nur, weil Verbrauchern bei der Auswertung von statistischem Datenmaterial die oben beschriebenen Verzerrungen unterlaufen, sondern auch, weil das notwendige Datenmaterial nicht ohne weiteres zur Verfügung steht. Voraussetzung ftir die Aufdeckung von Risiken ist, daß diese bereits durch den Hersteller zutreffend eingeschätzt werden können. Bestimmte Risiken des täglichen Lebens wie Autounfalle u.ä. sind umfassend statistisch erfaßt, während andere wie die Gefahren des Konsums von Alkohol umfassende epidemologische und experimentelle Studien erfordern und erheblich von individuellen Prädispositionen beeinflußt sind oder aber - wie im Fall der Gentechnologie - aufgrund fehlender empirischer Daten anhand von komplexen theoretischen Analysen, die in erheblichem Umfang auf den subjektiven Ansichten und Annahmen des mit der Arbeit betrauten Wissenschaftlers beruhen, eingeschätzt werden müssen86. Der Verzicht auf die Scheinobjektivität der Statistik mag in diesen Fällen angemessen sein. Eine informierte Entscheidung des Verbrauchers ist aber nur dann möglich, wenn sich Wahrscheinlichkeiten auch sprachlich ausdrucken lassen. Dies ist angesichts der Tatsache, daß Wahrscheinlichkeiten in dem hier maßgeblichen Sinn nur eine Dimension des Ungewissen als solche bezeichnen und alles umfassen können, was nicht völlig ausgeschlossen ist oder den Grad der Gewißheit erreicht hat87, schwierig. Soll eine angemessene Aufklärung auch über entferntere Risiken erreicht werden, so erfordert dies eine hohe verbale Ausdifferenzierung, die sich dem Adressaten wiederum erschließen muß88 . Slovic I FischhoffI Lichtenstein, S. 463. Räpple, D 111 3.9, S. 81. 88 Zum Problem der verbalen Umschreibung von Wahrscheinlichkeitsgrade vgl. z. B. die von Krelle entwickelte Wahrscheinlichkeitsskala: 86 87
"völlig unmöglich" "außerordentlich unwahrscheinlich" .,sehr unwahrscheinlich" ,,recht unwahrscheinlich" ,,unwahrscheinlich'' "immerhin möglich" "durchaus möglich" .,sehr möglich" "wahrscheinlich" "recht wahrscheinlich" "sehr wahrscheinlich" "außerordentlich wahrscheinlich" "sicher"
0% 1-10% 5-20% 10-30% 20-40% 30-50% 40-60% 50-70% 60-80% 70-90% 80-95% 90-99% 100%
Krelle, S. 198. Die bestehenden Überschneidungen zeigen die außerordentlichen Schwierigkeiten, die sich bei der verbalen "Übersetzung" von Wahrscheinlichkeiten stellen. Krelles Wahrscheinlichkeitsskala beriicksichtigt daüberhinaus geringere Wahrscheinlichkeiten nicht, deren angemessene Erfassung außerordentlich schwierig sein dürfte.
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs
Es ist darüber hinaus zu bedenken, daß die Gefahr der Fehleinschätzung des tatsächlichen Risikos bei rein verbalen Warnungen groß ist. Auf das Phänomen des "Sprachrealismus" von Verbrauchern wurde bereits hingewiesen89• Die Einschätzung der Erheblichkeit der Gefahr durch Verbraucher wird ganz wesentlich von den gewählten Schlüsselbegriffen abhängen90. Hinweise auf die abstrakte Produktsicherheit können mit dem Wort "Warnung", "Vorsicht" oder "Gefahr" gekennzeichnet werden und rufen schon aufgrunddieser Unterscheidung unterschiedliche Assoziationen hervor. Warnungen können durch ihre Formulierung auf eine sichere Folge - "Rauchen verursacht Krebs" - oder auf das individuelle Risiko - "Rauchen kann krebserregend sein"91 hinweisen. Beide Warnungen sind inhaltlich richtig, denn Tabak ist durch langjährige Erfahrungen als krebserregende Substanz einzustufen, auch wenn sich das Risiko nicht bei jedem Raucher realisiert92. Beide Formulierungen sind geeignet, ein unterschiedliches Gefahrenbewußtsein beim Verbraucher hervorzurufen oder zu unterstützen. Es ist daher auch in diesem Bereich bei einer Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs zu prüfen, welche Art der Formulierung zu einer realistischen Einschätzung des Risikos durch den Verbraucher führt. 2. Instruktionen über die konkrete Produktsicherheit
Instruktionen über die konkrete Produktsicherheit dienen dazu, dem Verbraucher die notwendigen Informationen über Art und Weise des Gebrauchs und Grenzen zum Mißbrauch aufzuzeigen. Sie dienen nicht in erster Linie dazu, dem Verbraucher bei der Kaufentscheidung die notwendigen Informationen für die individuelle Kosten-Nutzen-Analyse zu vermitteln, sondern ihn zu einem sorgfältigem Umgang mit dem Produkt zu erziehen, um so Schadensfälle zu vermeiden oder zumindest zu reduzieren. Problematisch ist hier, wie weit eine derartige Steuerung des Verbraucherverhaltens durch Informationen zu erreichen ist. Hinsichtlich der Quellen und Ursachen für die fehlerhafte Wahrnehmung solcher Instruktionen sei auf die oben dargelegten Mechanismen hingewiesen. Es gilt auch hier, daß die Bereitschaft zur aktiven Informationssuche begrenzt ist und die Instruktionen nicht beim einmaligen Lesen dauerhaft gespeichert werden, sondern wieder in Vergessenheit geraten. Das Phänomen der Informationsüberlastung wird bei der Gestaltung von Gebrauchsanleitungen - etwa auf dem Etikett eines Produktes - besonders relevant. Die Aufnahme jeder neuen Information in die Gebrauchsanweisung unterliegt dem Risiko, daß an ihrer Stelle eine andere, gleichfalls wichtige Information nicht wahrgenommen wird.
89 90
91 92
Siehe oben unter 6. Kapitel, III. 3. Vgl. dazu auch Kröber-Riel, 2. Teil C. III. 2. a)- S. 289. Ausführlich Magat/Viscusi S. 165 ff. Kritisch Magat/Viscusi S. 166.
IV. Informationen über das Sicherheitsrisiko von Produkten
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Die zunehmende Erforschung des Konsumentenverhaltens bei der Informationsaufnahme belegt aber auch, daß eine entsprechende Gestaltung und Organisation von Gebrauchsanleitungen und Etiketten die Effizienz der Aufnahme und Auswertung von Informationen erheblich verbessern kann93• Den produktbegleitenden Gebrauchsinformationen kommt eine doppelte Aufgabe zu. Zum einen sollen sie in einer übersichtlichen und effizienten Weise ein Maximum an Informationen liefern, die einen ungefährlichen Gebrauch des Produktes gewährleisten. Zum anderen nehmen sie die Funktion des "äußerlichen Gedächtnisses" (external memory)94 wahr. Neben der Frage der besonderen Hervorhebung durch Größe, farbliehe Gestaltung, Verwendung von Piktogrammen u.ä. spielt hier auch die Organisation der Informationen nach ihrem Inhalt eine Rolle. Die Aufmerksamkeit von Verbrauchern kann durch den Einsatz von Reizen mit einem erhöhten Aktivierungspotential erregt werden, dazu gehören neben Farben und vergrößerter Schrift, der Verwendung von Symbolen wie der Totenkopf oder das Giftzeichen auch die Größe der Etikette. Untersuchungen zeigen, daß zwar grundsätzlich die Steigerung von Größe und Prominenz der Informationen geeignet ist, die Aufmerksamkeit von Verbrauchern zu erregen, daß dies aber keineswegs linearen Gesetzen folgt und die Auswirkungen der Veränderungen der Informationsgestaltung im Einzelfall durch Verbraucherbefragung ermittelt werden müssen95 . Ebenso wie die Erregung von Aufmerksamkeit hängt auch die langfristige Speicherung von Informationen von ihrer Präsentation ab. Gebrauchsinformationen können nach ihrem Inhalt in die folgenden Untergruppen unterteilt werden: Informationen, die positive Handlungsanweisungen zur Vermeidung von Unfallen enthalten (Vorsorgeinformationen I "Dos"96), Informationen, die Verbote aussprechen bzw. die Grenzen des zulässigen Produktgebrauchs aufzeigen (Verbote I "Don 'ts"97), Informationen, die die Konsequenz des Verstoßes gegen die Verbote aufzeigen (Gefahreninformationen I "Hurts"98 ), Informationen, die den Gebrauch des Produktes erläutern (gebrauchsbezogene Informationen I "Uses"99) sowie In93 Magat/Viscusi, S. 88 mit Verweis auf W.K. Viscusi!W.A. Magat/J. Huber, Informational Reguation of Consumer Health Risks: An Empirical Evaluation of Hazard Warnings, 17 Rand Journal of Economics, 351 ff., 1986. 94 Magat/Viscusi, S. 88 mit Verweis auf J.R. Bettman, An Information Processing Theory of Consumer Choice, 1979. 95 Magat/Viscusi, S. 116 ff. Die Reaktionen von Verbrauchern veränderten sich in dem von Magat und Viscusi in diesem Zusanunenhang beschriebenen Fallbeispiel mit dem Untersuchungsgegenstand, so waren auch bei relativ verwandten Produkten (lnsektenspray und Toilettenreiniger) erheblich unterschiedliche Reaktionen auf die Größe der Instruktionen auf dem Etikett meßbar, während die Größe der Schrift offensichtlich keine weiteren Auswirkungen hatte. 96 Magat/Viscusi, S. 93. 97 Magat/Viscusi, S. 93. 98 Magat/Viscusi, S. 93. 99 Magat/Viscusi, S. 93.
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationellen Fehlerbegriffs
formationen, die Gegenmaßnahmen beim Verstoß gegen Verbote und dem Eintritt der schädlichen Wirkung aufzeigen (Gegenmaßnahmen/antidotes) 100. Diese Aufteilung ist nicht willkürlich, sondern drückt vielmehr die "Hierarchie der Erinnerung" aus. Auf die Organisation des Wissens in schematischen Netzwerken war bereits hingewiesen worden. Studien zum Verbraucherverhalten zeigen, daß Verbraucher eine Tendenz aufweisen, sich zunächst an die gebrauchsbezogenen und Vorsorgeinformationen sowie an Verbote zu erinnern, dann an die Gefahrinformationen, die wiederum die Erinnerung an weitere gebrauchsbezogene- I Vorsorgeinformationen stimulierten und schließlich an Gegenmaßnahmen zu denken. Im Vergleich zwischen mehreren Musteretiketten konnten die Versuchspersonen die Informationen auf den Etiketten am besten abrufen, die entweder solchen Etiketten entsprachen, die den Versuchspersonen bereits bekannt waren oder die Informationen in einer Weise strukturierten, die den genannten Erinnerungsschemata entsprach 101 . Die effiziente Organisation von Etiketten führt in der Gesamtheit zur verbesserten Erinnerung an die Informationen, allerdings bedingt die verbesserte Erinnerung an Informationen einer Unterkategorie in der Regel Abstriche an das Maß der erinnerten Informationen einer anderen Kategorie. Bei der Frage nach der Effizienz von Instruktionen ist zu berücksichtigen, daß die reine Erinnerung an die Information nicht gewährleistet, daß diese auch befolgt werden. Telefonbefragungen von Verbrauchern zeigen zwar zumindest die Absicht, entsprechend den Instruktionen zu handeln. Zuverlässige Rückschlüsse, ob dies in der Praxis auch geschieht, sind daraus allein nicht zu schließen, hier bedürfte es vertiefter Untersuchungen 102 . Es darf schließlich nicht vergessen werden, daß Warnungen und Instruktionen in der Anwendungssitation häufig versagen, wenn Verbraucher leicht fahrlässig die ihnen nahegelegten Vorsorgemaßnahmen nicht beachten. 3. Bedeutung für die Anwendbarkeit des informationellen Fehlerbegriffs
Für die Effizienz von Warnungen und Instruktionen kann folgendes Ergebnis festgehalten werden. Die Einschätzung von Risiko und Wahrscheinlichkeiten unterliegt vereinfachenden Prozessen, die zwar grundsätzlich zur Ausbildung eines Gefahrenbewußtseins führen, aber teilweise erheblichen Verzerrungen unterliegen. Solche Regeln sind die Orientierung an der Masse der zur Verfügung stehenden Information, an der Dramatik des Risikos, an der Präsenz bestimmter Risiken in den Magat/Viscusi, S. 93. Vgl. dazu ausführlich Magat/Viscusi, S. 93. ff sowie für eine Abbildung der untersuchten Etiketten S. 35 ff. Als besonders effizient erwiesen sich solche Etiketten, die räumlich getrennt zunächst den Gebrauch erläuterten, dann die Verbote den Gefahrinformationen direkt in Form eines Diagramms zuordneten und im Anschluß die Gegenmaßnahmen auflistete. 102 Vgl. dazu ausführlich Magat/Viscusi S. 119 ff. Bei der Durchführung derartiger Befragungen wurde darauf geachtet, Suggestivfragen zu vermeiden, die bei den Verbrauchern eine Erwartungshaltung produzieren kann, im Sinne des Befragers zu antworten. 100
101
V. Ergebnis
221
Medien u.ä. Werden Verbrauchern statistische Werte über die Wahrscheinlichkeit eines Risikos zur Verfügung gestellt, so führt dies nicht immer zu einer besseren Information. Die Auswertung dieses Datenmaterial unterliegt ebenfalls systematischen Fehleinschätzungen, so etwa bei der Beurteilung von statistisch geringen Risiken. Es stellt sich hier auch das Problem, daß derartige Daten nicht ohne weiteres zur Verfügung stehen. Sowohl in Deutschland als auch in den Vereinigten Staaten sieht das geltende Recht in der Regel Warnungen in Form von mehr oder weniger präzisen verbalen Hinweisen vor. Solche Hinweise sind grundsätzlich geeignet, Verbraucher auf das Bestehen einer Gefahr hinzuweisen, ob dies aber mit der Präzision möglich ist, die für die individuelle Evaluierung von Kosten und Nutzen des Produktes notwendig ist, ist zweifelhaft. Verbrauchererwartungen können durch entsprechende Formulierungen in erheblichem Umfang manipuliert werden. Der gleiche Befund gilt für die Formulierung und Ausgestaltung von Instruktionen, deren Effizienz in ganz erheblichem Umfang davon abhängt, inwieweit ihr Reizpotential die Aufmerksamkeit des Verbrauchers zu stimulieren vermag und inwieweit sie den kognitiven Schemata der Erinnerung angepaßt sind. Diese Faktoren müssen, wenn der informationeile Fehlerbegriff zur Basis der gerichtlichen Entscheidung über fehlerhafte Konstruktionen gemacht werden soll, beriicksichtigt werden. Es stellt sich damit eine höchst komplexe Aufgabe, die m.E. in der Regel nicht aus eigener Sachkenntnis der Richter entschieden werden kann, sondern den Rückgriff auf sachverständige Gutachter notwendig macht. Es zeigen sich hier aber auch konkrete Grenzen der Aufklärbarkeit von Verbrauchern, da ab einer bestimmten Ausdifferenzierung Risiken nicht mehr zutreffend eingeschätzt und Instruktionen in der konkreten Situation nicht ins Gedächtnis gerufen werden können.
V. Ergebnis
Die Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Grenzen der Informationsverarbeitung durch Verbraucher zeigt m.E., daß der informationeile Fehlerbegriff grundsätzlich geeignet ist, zur inhaltlichen Ausfüllung des § 3 ProdHaftG herangezogen zu werden. Zwar sind die Prozesse der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen komplex und unterliegen Verzerrungen, die eine grundlegende Modifizierung der REMM-Hypothese erforderlich machen. Jedoch zeigt die Untersuchung auch, daß eine Steigerung der Effizienz von Aufnahme und Verarbeitung von Informationen möglich ist, wenn diese unter Beriicksichtigung der elementaren kognitiven Vorgänge gestaltet werden. Bei der Anwendung des informationeilen Fehlerbegriffs im gerichtlichen Verfahren stellen sich allerdings komplexe Aufgaben, die weit über die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zur Gestaltung von Instruktionen und Warnungen im Rahmen des § 823 I BGB hinausgehen. Es ist schließlich zu beriicksichtigen, daß bestimmte Ineffizienzen bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen auch durch entsprechende Gestal-
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6. Kap.: Probleme der Anwendung des informationeilen Fehlerbegriffs
tung der Aufklärungspflichten des Herstellers und Informationsobliegenheiten des Verbrauchers nicht eliminiert werden können. Die wunderbare Welt von Coase wird sich auch bei einer konsequenten Anwendung des informationeilen Fehlerbegriffs nicht realisieren lassen. Ob diese Ineffizienzen mangels eines besseren Modells zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von Produkten hingenommen werden sollte, kann nur im Vergleich mit alternativen Modellen zur Fehlerbestimmung beantwortet werden, d. h. in Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand dieser Arbeit nur in der Abwägung von Vor- und Nachteilen der Kosten-Nutzen-Analyse, die der Gegenstand des folgenden Kapitels ist.
7. Kapitel
Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen im gerichtlichen Verfahren I. Das Problem der Bestimmung von "Kosten" und "Nutzen" Die Praktikabilität von Kosten-Nutzen-Analysen im Bereich der bewußten Konstruktionsentscheidung hängt davon ab, ob die mit einer bestimmten Konstruktion verbundenen Schäden und Nutzen zuverlässig ermittelt werden können. Comment e zu § 2 tentative draft No 2 Restatement (Third) beschränkt sich, wie im zweiten Kapitel aufgezeigt wurde, auf wenige, sehr allgemein gehaltene Aussagen, die der Komplexität des Problems m.E. nicht gerecht werden. Auch die Verfechter des Kosten-Nutzen-Ansatzes in der deutschen Literatur wie Kötz und Pfeifer lassen die Frage, wie eine derartige Evaluierung der Konstruktion in einem Produkthaftungsprozeß durchgeführt werden soll, offen. Soweit die deutsche Rechtsprechung sich auf ,,Zumutbarkeitserwägungen" stützt, liegt darin nur eine Annäherung an Kosten-Nutzen-Analysen in Form einer Learned-Hand-Formel. Es soll im folgenden untersucht werden, ob für die Ermittlung von "Kosten" und "Nutzen" eines Produktes Regeln im rechtlich relevanten Sinn aufgestellt werden können, die es dem Gericht ermöglichen, im konkreten Fall eine Entscheidung über die Angemessenheit des Risikos vor dem Hintergrund des damit verbundenen Produktnutzens zu treffen. Es ist dabei zwischen Kosten und Nutzen zu differenzieren. 1. Kostenbestimmung
Wie im zweiten Teil der Untersuchung festgestellt worden war, fließen bei der inhaltlichen Ausfüllung des "Kostenbegriffs" eine Vielzahl von komplexen Problemen zusammen. Die Entscheidung für oder gegen einen umfassenden Kostenbegriff, der systematisch auch nicht-materielle Schäden erlaßt, hat erhebliche Auswirkungen auf die Entscheidung des Herstellers, wie weit in die abstrakte Produktsicherheit investiert werden soll. Als Ergebnis der ökonomischen Analyse konnte festgestellt werden, daß nur ein möglichst umfassender Schadensbegriff dem Hersteller die notwendigen Anreize bietet, die abstrakte Produktsicherheit zu steigern, daß allerdings eine erhöhte Haftungslast des Herstellers unter dem Gesichtspunkt der Steuerung des Verbraucherverhaltens und der Frage der Vermeidung von Sekundärschäden nicht unproblematisch ist.
224
7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Unter Berücksichtigung dieser Ausgangslage stellt sich die Frage, ob der Kostenbegriff der Kosten-Nutzen-Analyse nicht unter Anwendung der Grundsätze des Schadensersatzrechts ermittelt werden kann. Eine mögliche Übertragbarkeit dieser Grundsätze ergibt sich aus der Doppelfunktion des Kostenbegriffs bei der Herstellerhaftung. Im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes muß entschieden werden, ob und in welchem Umfang die von dem individuellen Kläger geltend gemachten Schäden ersatzfähig sind. Auch Kosten-Nutzen-Analysen zur Bestimmung des Produktfehlers berücksichtigen Schäden. Unter dem Begriff der "Kosten" verbergen sich die Schäden, die dann bei einer bestimmten Anzahl von Verbrauchern auftreten, wenn sich das in der Konstruktion enthaltene Risiko verwirklicht. Die Untersuchung des geltenden Schadensersatzrechts ist aus dem folgenden Grund indiziert: Sollen Kosten-Nutzen-Analysen die im zweiten Teil der Arbeit angesprochenen Steuerungsanreize vermitteln, so ist dies nur dann möglich, wenn nicht mit einem rein hypothetischen Kostenbegriff argumentiert wird, sondern wenn die im haftungsbegründeneu Tatbestand ermittelten Kosten auch in weiten Zügen mit dem zu erwartenden Schadensersatzanspruch im haftungausfüllenden Tatbestand identisch sind. Ein rationaler Hersteller wird im Rahmen seiner Konstruktionsentscheidung nur solche Kosten berücksichtigen, die von der Rechtsordnung auch als ersatzfähige Schäden behandelt werden. Aus diesem Befund ergeben sich für die Frage der Übertragbarkeit die folgenden Konsequenzen: Es ist zu berücksichtigen, daß aufgrund der Doppelfunktion des Kostenbegriffs ein Perspektivenwandel stattzufinden hat. Während sich die Schadensberechnung im Rahmen des haftungsausfüllenden Tatbestandes auf ein individuelles und konkretes Schadensereignis bezieht, ist die Kostenermittlung im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen aus der ex-ante Perspektive eines vernünftigen Herstellers bezogen auf einen unbestimmten Verbraucherkreis vorzunehmen. Dies indiziert ein gewisses Maß an Abstraktion, das bei der Berechnung von konkreten Schäden unangemessen sein mag, aus Gründen der Rechtssicherheit bei der Kostenermittlung im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen aber unverzichtbar ist. Soll das Haftungsrecht dem Hersteller die angemessenen Anreize vermitteln, bei der Konstruktion seiner Produkte das "adäquate" Sicherheitsniveau im Rechtssinne zu wählen, so setzt dies voraus, daß er die Entscheidung eines Gerichts vorhersehen kann - und zwar nicht nur, weil sich die gerichtliche Praxis auf einem gewissen, empirisch belegten Mittelwert eingependelt hat, sondern weil die zugesprochenen Schadenssummen anband von nachvollziehbaren abstrakten Regeln ermittelt werden. Dies ist im Bereich der Vermögensschäden, wie zu zeigen ist, relativ unproblematisch möglich, jedoch im Bereich der immateriellen Schäden mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Eng verknüpft mit der Frage, wie immaterielle Schäden berechnet werden können, ist die Frage, wie weit die Kompensation gehen soll. Es ist in diesem Zusarnrnenhang auf die Ergebnisse des fünften Kapitels dieser Arbeit zu verweisen. Demnach ist eine weitgehende Kompensation aus der Perspektive der Vermeidung von Primärschäden vorteilhaft, im Rahmen der
I. Das Problem der Bestimmung von "Kosten" und "Nutzen"
225
Vermeidung von Sekundärschäden zwar nicht unproblematisch, aber auch nicht gänzlich abzulehnen. Es verbleibt damit die Frage, ob ein überzeugender Maßstab für die Erfassung von immateriellen Schäden gefunden werden kann. Es soll - wiederum vor dem Hintergrund des oben angesprochenen umfassenden Kostenbegriffs der ÖTR - gepriift werden, inwieweit das deutsche Recht immaterielle Schäden kompensiert und wie diese Schäden, soweit sie als ersatzfähig anerkannt werden, berechnet werden. Soweit das deutsche Recht systematisch auf den Ersatz von Schäden verzichtet, die nach den ermittelten Zielsetzungen als ersatzfähig behandelt werden müßten, oder die Ermittlung des Umfangs des Schadensersatzes im wesentlichen einer freien Wertung des Richters überläßt, soll der Blick in die Vereinigten Staaten gelenkt werden. Soweit auch das amerikanische Schadensersatzrecht keine befriedigenden Regeln für die Berechnung immaterieller Schäden bereithält, sollen ökonomische Modelle herangezogen werden. Der "Wert des Lebens" bzw. der "Wert der Todesverhütung" beschäftigt auch die Wirtschaftswissenschaften. Soweit diese Modelle einen praktikablen Ansatz bieten, stellt sich wiederum die Frage, ob sie ohne weiteres zur Auslegung von Rechtsnormen herangezogen werden dürfen. Es besteht hier die Gefahr, daß sich diese Art der Schadensberechnung in einen unüberbriickbaren Wertungswiderspruch zu den geltenden Normen des deutschen Zivilrechts stellt. Ware dies der Fall, so könnten Kosten-Nutzen-Analysen nur unter einer weitgehenden Abwendung von den anerkannten Grundsätzen des deutschen Schadensersatzrechts praktiziert werden. 2. Nutzenberechnung
Die Frage, wie der "Nutzen" eines Produktes bestimmt werden kann, ist ebenfalls offen und wird von Vertretern von Kosten-Nutzen-Analysen in Deutschland und Amerika weitgehend vernachlässigt. Hier sind auch die in comment e zu § 2 des tentative draft, Restatement of Torts (Third) aufgezählten Kriterien nicht weiterführend, da sie über die Gewichtung der einzelnen Faktoren nichts aussagen. Die Frage der "Nutzenbestimmung" spielt in der deutschen und amerikanischen Zivilrechtsdogmatik keine Rolle, so daß sich direkt die Frage nach der Übertragbarkeit von Modellen aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften stellt. Kosten-Nutzen-Analysen werden als "Element einer rationalen Planung" 1 im Rahmen der Entscheidungsfindung durch Gesetzgebung und Verwaltung praktiziert. Zum anderen sind sie nach der Haushaltstheorie ein Element der Kaufentscheidung des individuellen Verbrauchers. Es stellt sich nun die Frage, ob die hierzu entwickelten ökonomischen Grundsätze auf den Bereich der Rechtsprechung übertragen werden können.
I
Frey, 30 Wirtschaft und RechtS. 267.
15 Kollmann
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
li. Kostenberechnung Aus den oben angesprochenen Fragestellungen ergeben sich weitreichende Anforderungen an einen Kostenbegriff, wenn er das Verhalten des Herstellers in der gewünschten Weise steuern soll. Die folgende Untersuchung des deutschen Schadensersatzrechts strebt keine umfassende Auseinandersetzung mit den Grundsätzen und Einzelheiten der zivilrechtliehen Dogmatik an. Sie erfolgt vielmehr nur unter den folgenden beiden Fragestellungen: Zum einen ist das herrschende deutsche Schadensersatzrecht daraufhin zu untersuchen, ob es alle Schäden, die aus der Perspektive der ÖTR als zu internalisierenden Kosten bei der Konstruktionsentscheidung des Herstellers beriicksichtigt werden sollen, als ersatzfähig anerkennt. Zum anderen soll gepriift werden, inwieweit für die Berechnung dieser Schäden Regeln bestehen, die nicht nur der Natur und dem "Wert" des geschädigten Rechtsguts Rechnung tragen, sondern auch eine hinreichend klare Prognose des Herstellers über die potentielle Haftungslast zulassen, wenn sich bestimmte Risiken der Konstruktion in einem Schaden realisieren. Zum besseren Verständnis der folgenden Ausführungen können die folgenden Untersuchungsergebnisse angedeutet werden. Aufgrund des Vorrangs des Kompensations- gegenüber dem Präventionsziel werden im deutschen Recht in erster Linie materielle Schäden kompensiert. Es sind hier finanzielle Aufwendungen zum Ersatz oder zur Reparatur von zerstörtem Eigentum, der Ersatz von Heilkosten für Gesundheitsschädigungen, die Kompensation der materiellen Einbußen, die sich aus verbleibenden körperlichen Behinderungen ergeben, sowie der Unterhaltsbedarf, der bei den Angehörigen eines Getöteten besteht, zu nennen. In den meisten Fällen bestehen bei der Berechnung dieser Schäden keine Schwierigkeiten, da es für ihren Ersatz einen Markt gibt, der zuverlässige Rückschlüsse über ihren "Wert" zuläßt. Gewisse Probleme bestehen dann, wenn der Marktwert aufgrund einer ungewissen Entwicklung des Werts des Rechtsguts schwierig zu bestimmen ist, so typischerweise bei der Beschädigung der Erwerbskraft Hier fließen normative Wertungen des Richters ein, die eine Prognose für den Hersteller erschweren, aber nicht unmöglich machen. Geht es somit um die Berechnung dieses Aspekts der "Kosten", so kann der Hersteller eine hinreichend sichere Vorhersage über eine mögliche Haftungslast machen, wenn er das Schadenspotential, d. h. die Vermögensverhältnisse der Verbraucher seiner Produkte kennt. Problematisch ist hingegen der Ersatz immaterieller Schäden. § 847 BGB erfaßt nur einen Teil der immateriellen Schäden, die unter Beriicksichtigung der Ergebnisse des zweiten Teils dieser Arbeit im Rahmen des Kostenbegriffs erfaßt werden müßten. Soweit immaterielle Schäden durch § 847 erfaßt werden, fehlt es an einer systematischen Grundlage für ihre Berechnung. Es ist daher hier auf die Erfahrungen des amerikanischen Rechts und auf Ansätze aus der Wirtschaftswissenschaft zuriickzugreifen.
II. Kostenberechnung
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1. Grundsätze des deutschen Schadensersatzrechts
Die Grundlage für Art und Umfang des Anspruchs auf Schadensersatz eines Opfers einer produktbedingten Schädigung finden sich im deutschen Recht in den §§ 248-253 und§§ 842-847 BGB sowie in§§ 7-11 ProdHaftG. Die Normen des Spezialgesetzes haben keine erhebliche eigenständige Bedeutung. Teilweise haben sie nur klarstellende Wirkung2 oder aber entsprechen den Regelungen des BGB3 . Soweit das ProdHaftG Art und Umfang des Schadensersatzanspruchs beschränkt4, läuft dies in der Praxisaufgrund von§ 15 ProdHaftG leer, nach dem die - weitergehende - Haftung aufgrund anderer Vorschriften unberührt bleibt. Es ist im Rahmen der folgenden Untersuchung aber m.E. dennoch wichtig, daß nach dem Willen des Gesetzgebers immaterielle Schäden, die durch fehlerhafte Produkte entstehen, nicht ersatzfähig sein sollten, wie sich aus der abschließenden Aufzählung des §§ 7- 11 ProdHaftG ergibt. Soweit die vorliegende Arbeit zu dem Ergebnis kommt, daß eine Berücksichtigung von immateriellen Schäden im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen geboten ist, findet dies im haftungsbegründenden Tatbestand nur über die Regelungen des§ 847 BGB iVm § 15 ProdHaftG eine reale Entsprechung. Der Begriff des Schadens ist im BGB anders als in anderen Rechtsordnungen5 nicht geregelt6 ; es finden sich aber in den Bestimmungen der §§ 249 gewisse Richtlinien und Anhaltspunkte7 • Die Literatur knüpft an den "allgemeinen Sprachgebrauch"8 an und definiert den Schaden als "Beeinträchtigung, Einbuße, die das Rechtssubjekt an seinen Lebens-, Sach- und Vermögensgütern erleidet"9 . Der Wortlaut des § 249 S. 1 besagt, daß der Zustand herzustellen ist, der ohne das schädigende Ereignis bestehen würde. § 253 präzisiert die Natur der ersatzfähigen Schäden, es sind sowohl Vermögens- als auch Nichtvermögensschäden zu ersetzen, allerdings im letzten Fall nur in den gesetzlich ausdrücklich geregelten Fällen. Taschner-Frietsch, § 7 Rn. 6 mit Verweis auf§ 7 I S. 1 ProdHaftG. So z. B. im Fall von § 7 I S. 2 ProdHaftG und§ 844 BGB. 4 Vgl. §§ 7-11 ProdHaftG. 5 Vgl. österreichisches AGBG § 1293: Schaden heißt jeder Nachteil, welcher jemandem an Vermögen, Rechten oder seiner Person zugefügt worden ist. 6 Vgl. dazu Mot. II, 19. 7 Lange, Schadensersatz, § 1 I, S. 28. s Fischer; Die Rechtswidrigkeit, S. 1; Larenz, SR I § 27 II a. 9 Roussos, Schaden und Folgeschaden, Zweiter Teil, 4. Kapitel, § 2 I, S. 103; Fischer; S. 1, Oertmann, S. 6 f.; Bydlinski: Probleme der Schadensverursachung, S. 21, Hagen, S. 172, Keuk, S. 20 ff.; Hohloch, S. 416; Lange, Schadensersatz, § 1 I, III, S. 28; Enneccerus/Lehmann, § 14. Nur die Minderansicht vertritt einen weiteren Schadensbegriff, nach dem der Schaden ,,jede Beeinträchtigung eines Interesses" sein soll, "wobei es keine Rolle spielt, ob es sich um ein Vermögenswertes oder um ein rein ideelles Interesse handelt", vgl. MüKoGrunsky, vor § 249 Rn. 6, ähnlich Larenz, SR I, § 27 Il a, Palandt-Heinrichs, Vorbem. 2d vor § 249. Im Ergebnis hat der unterschiedliche Schadensbegriff m.E. keine Konsequenzen, da nach Grunsky mit der reinen Definition des Schadens noch nichts darüber ausgesagt ist, welcher Schaden nach der Maßgabe der Rechtsordnung als ausgleichswürdig angesehen wird. 2
3
15*
228
7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Diese Unterscheidung zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden stellt eine der Kernfragen des Schadensersatzrechts dar. Differenzierungen nach dem real verletzten Objekt helfen per se nicht weiter, da die Verletzung von immateriellen Gütern häufig auch Vermögensnachteile verursacht (z. B. Heilungskosten), während der Eingriff in ein materielles Gut unter Umständen auch vermögensrechtlich nicht erlaßbare Nachteile mit sich bringt (Verletzung des Affektionsinteresses bei der Zerstörung einer Sache) 10. Der Ausgangspunkt für die Abgrenzung ist nach h.M. die sogenannte Differenzhypothese, nach der der Schaden im Vergleich der Vermögensstände vor und nach dem schädigenden Ereignis ermittelt wird11 • Bezugspunkt des Schadens ist demnach weder der objektive noch der subjektive Wert der einzelnen angegriffenen Rechtsgüter, sondern das dem Rechtssubjekt zugeordnete Vermögen im ganzen 12• Die Differenzhypothese ist nicht uneingeschränkt anerkannt 13 und auch die Rechtsprechung läßt Ausnahmen von ihr zu14. In der Praxis hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß sich diese Ausnahmen nicht durch eine Deduktion aus einem - wie auch immer beschaffenen - Schadensbegriff ableiten oder auf einen einzigen Wertungsgesichtspunkt zurliekführen lassen, sondern fallgruppenweise entwickelt werden müssen 15 • Daraus ergeben sich die folgenden maßgeblichen Grundsätze für die Schadensberechnung: - Kommerzialisierungsgedanke: Ob eine in Geld meßbare Einbuße vorliegt, bestimmt sich danach, ob nach der Verkehrsauschauung der entzogene Vorteil gegen Geld erworben werden kann, d. h. ob dafür ein Markt vorhanden ist 16• Nichtvermögensrechtliche Schäden werden nur ersetzt, wenn und soweit sich im Gesetz eine ausdriickliche Anspruchsgrundlage findet. - Grundsatz der Naturalrestitution: Der Schadensersatzanspruch richtet sich grundsätzlich auf die tatsächliche Herstellung des Zustandes, wie er ohne das die Ersatzpflicht begrundende Ereignis bestehen würde 17• Palandt-Heinrichs, Vorbem. vor§ 249 Rn. 7. Vgl. zuerst Mommsen, S. 1, 3, ihm folgend Heck, § 11 Nr. 4; Enneccerus/Lehmann, § 14 I; RGRK-Alff, vor§ 249 Rn. 2; Staudinger-Medicus, § 249 Rn. 4 f.; Palandt-Heinrichs, Vorbem zu § 249 Rn. 8; Erman-Kuckuck vor § 249 Rn 25; Lange, Schadensersatz § 1 III 4, S. 45. Rspr: BGH NJW 1958, 1085; BGH NJW 1964, 542; BGH NJW 1980, 775; BGH NJW 1983, 444; BGH NJW 1987, 831. 12 Lange, Schadensersatz, § 1 I S. 29. 13 Kritisch MüKo-Grunsky, Vor § 249 Rn. 7; Honsell, JuS 1973, 69; Hagen, S. 51 ff.; Schilcher; S. 31 ff. Zu den abweichenden Theorien vgl. ausführlich Lange, Schadensersatz, § 1 II 1 - 10, S. 30 ff. 14 Vgl. dazu Palandt-Heinrichs, Vorbem. v. § 249 Rn. 9. 15 Palandt-Heinrichs, Vorbem. v. § 249 Rn. 9. 16 BGH NJW 1975, 40; MüKo-Grunsky, Vor§ 240 Rn. 12 b; Köndgen, AcP 177 (1977), 1; AK-BGB-Rüßmann, vor §§ 249-253 Rn. 26 ff. Zu den Einzelheiten der Kommerzialisierungsthese vgl. MüKo-Grunsky, Vor§ 249, Rn 12 b f. 17 Larenz, Schuldrecht, Bd. I, AT, 5. Kap.,§ 28 I, S. 467. lO
11
li. Kostenberechnung
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- Konkrete Schadensberechnung: Angesichts der Tatsache, daß es um die Kompensation eines individuellen Unfallopfers aus einem bestimmten Schadensereignis geht, ist der Schaden grundsätzlich konkret zu berechnen 18• Den Schwierigkeiten bei der konkreten Feststellung des Schadens werden über den Grundsatz der freien Schadensschätzung nach § 287 ZPO sowie, soweit es um den entgangenen Gewinn geht, über § 252 S. 2 BGB Rechnung getragen. Diese Erleichterungen führen dazu, daß in gewissem Umfang Typisierungen in die konkrete Schadensberechnung Eingang halten 19. Der zunehmende Rückgriff auf Typisierungen führt dazu, daß die Übergänge zwischen konkreter und abstrakter Schadensberechnung20 fließend werden. Damit der Grundsatz der konkreten Schadensberechnung nicht gänzlich in den Hintergrund tritt, wenn es aufgrund einer langjährigen und gefestigten Rechtsprechung Tabellen zur Schadensermittlung gibt, darf die Priifung aller Umstände im konkreten Einzelfall, die eine von den Vorgaben abweichende Entscheidung indiziert, nicht unterbleiben. Bereicherungverbot Der Geschädigte soll durch das schädigende Ereignis nicht besser gestellt werden. Er muß sich die durch das Schadensereignis eingetretenen Vorteile - etwa in Form von ersparten Aufwendungen - anrechnen lassen21 . a) Berechnung von materiellen Schäden anhand der dargestellten Grundsätze
Unter Beriicksichtigung der dargestellten Grundsätze hat die Rechtsprechung für die Berechnung von materiellen Schäden Regeln entwickelt, die eine sehr zuverlässige Vorhersage dariiber zulassen, welche Schäden im Einzelfall kompensiert werden. Dies gilt insbesondere bei Eigentumsschäden, aber auch in weitem Umfang bei Personenschäden.
Palandt-Heinrichs, Vorbem. v. § 249, Rn. 50. Lange, Schadensersatz"§ 6 XI 1., S. 353. 20 Unter abstrakter Schadensberechnung versteht man die von den Umständen des Einzelfalls unabhängige Festlegung des Schadens, die auch dann verbindlich ist, wenn man bei tatsächlicher Ermittlung des konkreten Schadens zu einem anderen Ergebnis kommen müßte, Lange, Schadensersatz, § 6 XI 2. S. 354. Palandt-Heinrichs, Vorbem. v. § 249 Rn. 52. Ein Beispiel, das auch im produkthaftungsrechtlichen Kontext bedeutsam werden kann, ist die Zinspflicht des Deliktsschuldners nach § 849 BGB. 21 MüKo-Grunsky, Vor § 249 Rn. 6a. 18
19
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
aa) Schadensberechnung bei Beschädigung des Eigentums durch fehlerhafte Produkte22 Nach dem Prinzip der Naturalresitution, § 249 S. I BGB, muß der Schädiger eine beschädigte Sache reparieren oder durch eine gleichwertige ersetzen. Da der Schädiger den schadenfreien Zustand selbst selten wiederherstellen kann und es dem Geschädigten in der Regel nicht zurnutbar ist, seine Sache dem Schädiger zur Wiederherstellung preiszugeben, kann der Geschädigte nach § 249 S. 2 den dafür erforderlichen Geldbetrag verlangen, so daß sich der Anspruch in der Praxis in der Mehrzahl der Fälle auf die Bereitstellung des Geldbetrages für Reparatur oder Ersatzbeschaffung richtet. Bei Sachschäden muß der Verletze den erhaltenen Geldbetrag nicht bzw. nicht unmittelbar zur Herstellung verwenden23 , so daß die Höhe des Betrages uU geschätzt werden muß. Die Erforderlichkeit richtet sich daher nicht nach dem tatsächlichen Aufwand, sondern nach demjenigen, den ein verständiger und wirtschaftlich denkender Eigentümer in der besonderen Lage des Geschädigten nach Art und Umfang als zweckmäßiges und angemessenes Mittel der Schadensbehebung betrachtet hätte24. Dies richtet sich im Einzelfall nach den örtlichen und zeitlichen Umständen sowie nach den Einflußmöglichkeiten des Geschädigten25 , wobei eine angemessene Balance zwischen dem Interesse des Verletzten an umfassender Wiederherstellung seiner Rechtsgüter einerseits und seiner Schadensminderungspflicht und dem Bereicherungsverbot andererseits hergestellt werden muß. Die Berechnung des Schadensersatzes erfolgt hier unter möglichst präziser Erfassung der Vermögensverhältnisse vor und nach dem Schadensereignis, auf Pauschalisierungen wird nur insoweit zurückgegriffen, als beim Ersatz von fiktiven Aufwendungen die Ermittlung des tatsächlich aufzubringende Betrags unmöglich oder zu aufwendig erscheint oder aber der Geschädigte eine Eigenleistung erbringt, die dem Schädiger nicht zugute kommen soll. Unter Berücksichtigung dieses Grundsatzes hat die Rechtsprechung eine Anzahl von Kriterien entwickelt, wie z. B. die Opfergrenze bei der tatsächlichen Wiederherstellung 26, die Abrechnung auf Gutachterbasis27, die Verteilung des Prognose- und Reparaturfehlerrisikos28, der Anspruch auf Reparaturkosten bei Selbstreparatur29 und die Grundzüge die Vorteilsausgleichung (Abzug Neu für Alt) 30• 22 Die folgenden Ausführungen dienen nur dazu, allgemeine Grundsätze bei der Ermittlung und Berechnung von Sachschäden transparent zu machen. Für eine umfassende Darstellung vgl. z. B. Geigel-Rixecker, 4. Kapitel, I., Rn. 1 ff. 23 Vgl. nur BGH NJW 85, 2413, 2414 m.w. N. 24 BGH MJW 1970, 1454. 25 Geiget- Rixecker, 4. Kapitel, 2., Rn 7. 26 Vgl. BGH NJW 1992, 303; BGH NJW 1992, 1618 m.w. N. 27 BGH NJW 1989, 3009; BGH NJW 1992, 1618. 2s BGH NJW 1972, 1800, BGH NJW 1992, 303. 29 BGH NJW 1973, 164, BGH NJW 1992, 1618.
II. Kostenberechnung
231
Ein Sonderproblem stellt der Anspruch auf entgangene Nutzungsmöglichkeiten dar, die als Vermögenswertes Gut ebenfalls Gegenstand des Schadensersatzanspruchs nach § 249 BGB sein können 31 . Die Rechtsprechung läßt sich hier nicht allein vom Kommerzialisierungsgedanken leiten, sondern beschränkt den Ersatz für den Nutzungsausfall auf Sachen, "auf deren ständige Verfügbarkeit die eigenwirtschaftliche Lebenshaltung typischerweise angewiesen ist"32 • Zusammenfassend kann festgehalten werden, daß das deutsche Recht zur Berechnung von Kosten, die durch die Beschädigung von Eigentum entstehen, über ein ausdifferenziertes Regelwerk verfügt. Unter der Einschränkung, daß aus der ex ante Perspektive keine konkrete Schadensberechnung möglich ist, kann eine relativ sichere Prognose darüber gemacht werden, wie die "Kosten", die durch eine produktbedingte Schädigung des Rechtsguts Eigentum entstehen, veranschlagt werden müßten. Angesichts dieser klaren Regelungen erübrigt sich der Vergleich mit dem amerikanischen Recht33 . bb) Berechnung von Vermögensschäden bei Beschädigung von Leib und Leben durch fehlerhafte Produkte Leben und Gesundheit sind immaterielle Rechtsgüter. Soweit sich die Ansprüche des geschädigten Verbrauchers oder Dritter auf den Ersatz von Vermögensschäden richten, bestehen diese nach dem Grundsatz der Naturalrestitution im wesentlichen im Ersatz von Beerdigungskosten, der Wiederherstellung der körperlichen Unversehrtheit, dem Ersatz von krankheitsbedingten Mehraufwendungen bei solchen Verletzungen, die nicht ausgeheilt werden können, und auf den Ausgleich der Vermögensschäden, die im Vermögen des Geschädigten selbst durch die Aufhebung oder Minderung seiner Erwerbsflihigkeit oder im Vermögen von Dritten BGH VersR 1959, 399, BGH VersR 1963, 1185; BGH VersR 1974, 243. Vgl. zu dieser immer noch umstrittenen Frage MüKo-Grunsky vor§ 249 Rn. 17 ff. mit umfassenden weiteren Nachweisen in Fußnote 40 zu Rn. 17. 32 BGHZ 98, 212, 222. Ein umfassender Schadensersatz wird für den Nutzungsausfall bei Kraftfahrzeugen gewährt, der anband von Pauschalen ermittelt wird, vgl. dazu Palandt-Heinrichs, Anh. zu § 249 mit Abdruck der Tabellen von Sanden/ Danner I Küppersbusch. Ebenso werden Fernsehgeräte, Kühlschränke und Mikrowellenherde erfaßt, vgl. dazu MüKo-Grunsky, Vor§ 249, Rn. 18. Keine Entschädigung gewährt die Rechtsprechung für den Nutzungsausfall bei "Luxusgegenständen" wie Pelzmänteln (vgl. BGH NJW 1975, 733) und Motorbooten (BGH NJW 1984, 724; a.A. für Segeljacht LG Kiel SchlHA 1973, 34). 33 Die Schadensberechnung bei Eigentumsschäden deckt sich in weiten Zügen mit dem deutschen Recht und wirft keine Schwierigkeiten auf. Es gilt uneingeschränkt der Grundsatz der konkreten Schadensberechnung. Der Geschädigte soll für jeden monetären Schaden, aber auch nur für diesen entschädigt werden. Mögliche Vorteile, die durch das Schadensereignis entstehen, muß er sich anrechnen lassen, es gilt somit auch im amerikanischen Recht ein Bereicherungsverbot. Der Anspruch des Geschädigten richtet sich - anders als im deutschen Recht - direkt auf Geldersatz. Eine ausführliche Darstellung der Grundsätze des Schadensersatzes bei der Beschädigung von Eigentum findet sich bei Dobbs, § 5.11, S. 389 ff. 30 31
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
durch die Beeinträchtigung ihrer Unterhaltsansprüche entstehen, vgl. §§ 842- 846 BGB. Für die durch die Verletzung eingetretenen Heilungs- und Pflegekosten gelten die folgenden Grundsätze. Sie werden gemäß § 249 S. 2 BGB im Rahmen des Erforderlichen ersetzt, dies richtet sich nach der Sicht eines verständigen Menschen bei der gegebenen Sachlage34 unabhängig vom tatsächlichen Heilerfolg35 . Dabei ist zum einen darauf abzustellen, welche Behandlung medizinisch geboten ist36, zum anderen, welche Behandlung der Geschädigte auch ohne den Ersatzanspruch gegen den Dritten in Anspruch genommen hätte37 • Da Leben und Gesundheit immaterielle Rechtsgüter sind, können Heilungskosten anders als die Aufwendungen zur Reparatur oder Wiederbeschaffung einer Sache nicht fiktiv geltend gemacht werden, eng begrenzte Ausnahmen bestehen38 . Unter vermehrten Bedürfnissen sind alle unfallbedingten, ständig wiederkehrenden Aufwendungen zu verstehen, die den Zweck haben, diejenigen Nachteile auszugleichen, die dem Verletzen infolge der dauernden Beeinträchtigung seines körperlichen Wohlbefindens entstehen39. Vermehrte Bedürfnisse können nach Maßgabe des § 843 I, III BGB durch eine(n) Kapitalrente I -anspruch oder gemäß §§ 249, 251 einmalig durch einen zu leistenden Schadensersatz abgeglichen werden, wenn dadurch die vermehrten Bedürfnisse hinreichend befriedigt werden40. Problematisch gestaltet sich die Ermittlung des Erwerbsschadens nach §§ 249 ff. 842, 843 BGB. Wesentlich für Art und Umfang des Schadensersatzes ist, daß die Arbeitskraft nicht als Rechtsgut per se angesehen wird, sondern daß lediglich solche Beeinträchtigungen ersatzfähig sind, die sich konkret auf das wirtschaftliche Ergebnis des Betroffenen ausgewirken41 • Unproblematisch können die wirtschaftlichen Nachteile ermittelt werden, die bis zur Geltendmachung des Anspruchs in einem Haftpflichtprozeß durch den Wegfall der Arbeitskraft eingetreten sind42 • Bei schweren Verletzungen kann die Erwerbsfähigkeit auch in Zukunft erheblich beeinträchtigt sein. Um diesen Erwerbs- und Fortkommensschaden berechnen zu können, muß eine Zukunftsprognose über die hypothetische Entwicklung der Ein34
35 36 37
151.
BGH VersR 1969, 1040; BGH VersR 1970, 129. BGH VersR 1965,439. Geigel-Rixecker, 4. Kapitel, III. 1., Rn. 107. BGH VersR 1970, 129; OLG Düsseldorf, VersR 1966, 194, OLG Hamm VersR 1977,
38 BGH VersR 1986, 550, zu den Ausnahmen siehe Wussow I Küppersbusch, III. 2. Rn. 161, Fn. 7; Geigel-Rixecker. 4. Kapitel, III. 1. Rn. 108 m.w. N. 39 BGH VersR 1974, 162; BGH VersR 82, 238; KG VersR 1972, 352; KG VersR 1982, 978. 40 Geigel-Rixecker. 4. Kapitel, III. 1. Rn. 106. 41 So die h.M., vgl. dazu MüKo-Grunsky, Vor§ 249 Rn. 23 Fn 74 m.w. N. 42 Vgl. zu den Einzelheiten über die ersatzfähigen Schadensposten Wussow I Küppers· busch, li. Rn. 29 ff.
II. Kostenberechnung
233
kommensverhältnisse erstellt und diese mit der tatsächlichen Entwicklung nach dem Schadensereignis verglichen werden43 . Maßgeblich sind dabei nicht statistische Durchschnittswerte, sondern die konkreten Aussichten des Geschädigten unter Berücksichtigung allgemeiner Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt wie z. B. die Tendenz zur Verkürzung der Lebensarbeitszeit44, bestehende gesetzliche Verbote und Beschränkungen für bestimmte Tätigkeiten45 und das Steuerrecht46 • Bei der Schadensberechnung stellt sich die komplexe Aufgabe, unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren eine angemessene Abwägung zwischen dem "Schätzungsnotstand"47 , in dem sich der Geschädigte befindet und an dem der Schädiger in angemessenem Umfang beteiligt werden soll, und der Gefahr, unter Verstoß gegen das Bereicherungsverbot einen ,,krisensicheren Rentenplatz"48 zu schaffen, vorzunehmen. Diese Problematik spiegelt sich auch in der Rechtsprechung wider, die sich bei ihrer Prognose soweit wie möglich an Tatsachen in der Person und dem beruflichen Umfeld des Geschädigten orientiert, jedoch den spekulativen Charakter der Schadensberechnung einräumt49. Schelfen, VersR 1990, 926. Lange, Schadensersatz,§ 6 IX 4. b), S. 312. 45 Auch im Bereich von Personenschäden ist die Schadensberechnung nicht gänzlich frei von normativen Erwägungen, indem nicht nur bestehende gesetzliche Verbote, sondern auch - m.E. schwer nachvollziehbare - moralische Schranken in die Bewertung aufgenommen werden, vgl. dazu die Rechtsprechung zum Verdienstausfall einer Prostituierten, das an dem "für jeden gesunden Menschen erreichbaren" Existenzminimum berechnet wird, BGH NJW 1976, 1883. 46 Zu diesem Komplex vgl. ausführlich MüKo-Grunsky, Vor § 249, Rn. 142 ff., Lange, Schadensersatz § 6 XIII, S. 364 ff. 47 Schelfen, VersR 1990, 926. 48 Schelfen, VersR 1990, 926. 49 Es soll dieser Frage nicht vertieft nachgegangen werden, sondern nur die folgenden Grundprobleme angesprochen werden: Die Schadensfeststellung gestaltet sich am einfachsten bei Festbesoldeten (vgl. dazu z. B. OLG Hamm VersR 1979, 745) und auch bei solchen Geschädigten, die zwar noch nicht fest besoldet sind, aber eine begründete Aussicht auf eine feste Stelle haben (vgl. BGH VersR 1965,489 (Medizinstudentin); BGH NJW 1973, 700 (Ingenieurstudent mit Aussicht auf Gewinnbeteiligung am väterlichen Unternehmen); OLG Köln NJW 1972, 59 (Elektrolehrling); OLG Bamberg, VersR 1967, 911 (Schülerin einer Sekretärinnenschule) und schließlich bei Selbständigen, bei denen der Erwerb im wesentlichen oder doch bis zu einem erheblichen Grade von der eigenen Arbeitsleistung abhängt (vgl. BGH NJW 1960, 526 (Fuhrunternehmer); BGH NJW 1960, 1007 (Landarzt); BGH NJW 1963, 682 (Handelsvertreterin), BGH NJW 1964, 76 (Modellschneiderin); BGH NJW 1966, 595 (Taxiuntemehmer). Problematisch ist die Schätzung bei untemehmerisch Tatigen, bei denen der Ausfall des Betriebsinhabers im günstigen Fall durch den verstärkten Einsatz seiner Angestellten abgefangen werden kann und das Betriebsergebnis von so vielen Faktoren abhängt, daß der Vergleich des vor und nach dem Schadensfall erwirtschafteten Ertrages für sich genommen wenig besagt (vgl. Lange, Schadensersatz, § 6 IX 4). Die Figur einer "fiktiven Ersatzkraft" ist in diesem Zusammenhang wenig aussagekräftig. Ebenfalls problematisch ist die Schadensberechnung bei der nachhaltigen Beeinträchtigung der - potentiellen - Arbeitskraft von Kindem und Jugendlichen. Befindet sich das Kind in einem Alter, in dem sich weder seine Begabung noch seine Berufsausbildung abzeichnet, so nimmt die Recht43 44
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Bei der Tötung einer Person stellen gemäß § 844 I BGB die Beerdigungskosten einen ersatzfähigen Schaden dar. Nach § 844 II BGB haben die Personen, denen der Verletzte kraft Gesetzes unterhaltspflichtig war, einen Anspruch auf Ersatz des Unterhalts fUr die mutmaßliche Lebensdauer des Verletzten. Der Kreis der Ersatzberechtigten ergibt sich aus den einschlägigen familienrechtlichen Vorschriften; diese bestimmen teilweise auch den Umfang des Anspruchs, so z. B. durch das Erfordernis der Bedürftigkeit nach § 1602 BGB. § 844 II BGB ist ein gutes Beispiel für den Vorrang des Kompensationsziels gegenüber dem Präventionsgedanken50. Es geht hier nur um den Ausgleich von Vermögensschäden, soweit und solange ein gesetzlicher Anspruch des Unterhaltsberechtigten besteht. Der Präventionsgedanke wird als bloßer Reflex des Kompensationsgedanken behandelt und spielt im Rahmen des § 844 II BGB keine Rolle, wenn der Getötete über kein eigenes Einkommen verfügte51 • Es kann somit das folgende Zwischenergebnis festgehalten werden. Ebenso wie bei der Berechnung von Eigentumsschäden verfügt das deutsche Recht über ein ausdifferenziertes Regelwerk zur Berechnung von Vermögensschäden bei der Schädigung von Leib und Leben. Bei Kenntnis über Ausbildung, Alter und Einsprechung die Prognose anhand des sozialen Umfelds des Kindes vor (Berufe von Eltern und Geschwistern, Familientradition und Vermögensverhältnisse, vgl. Scheffen, VersR 1990, 928 mit Verweis auf OLG Köln v. 29. 1. 1981-7 U 85/80- mit Nichtanahmebeschluß des BGH v. 23. 3. 1982 -IV ZR 85 I 81). Teilweise wird gefordert, bei der Berechnung solle ein -nicht weiter präzisiertes - .,Durchschnittseinkommen" maßgeblich sein, wobei aber gleichzeitig eingeräumt wird, daß die Prog!Joseschwierigkeiten nicht zu Lasten des Kindes gehen dürften (Scheffen, VersR 1990, 928). Ahnliehe Schwierigkeiten zeichnen sich bei der Ermittlung des Ausfalls für Haushaltsführung und Kinderbetreuung ab, bei der die Schwierigkeiten einer angemessenen Einstufung darin begründet liegen, daß sich der wirtschaftliche Erfolg der Haushaltsführung nicht unmittelbar in Form eines Gewinns oder Entgelts niederschlägt (vgl. Scheffen, VersR 1990, 928). Der BGH benutzt als Orientierungshilfe das Arbeitsentgelt, das für eine der Haushaltsführung entsprechende Ersatzkraft aufgewendet werden müßte, wobei allerdings in diesem speziellen Bereich der Altruismus von Dritten, insbesondere Verwandten stärker erwartet und in die Berechnung aufgenommen wird, als in anderen Bereichen (vgl. dazu VRiBGH Dr. Steffen, VerS 1985, 607, der eine ,,höhere Obliegenheit" der Angehörigen wie .,Oma oder der Schwiegermutter" sieht, .,den Arbeitsausfall, wenn möglich, im Rahmen des weiteren Farnilenverbandes aufzufangen" mit Verweis auf BGH NJW 1982, 2864). Vergleichbare überobligationsmäßige Leistungen, die die Mitarbeiter eines in einem geregeltbezahlten Arbeitsverhältnisses aus ,,Freundschaft oder zur Erhaltung ihres Arbeitsplatzes" erbringen, sollen dem Schädiger laut Steffen aus .,normativen Erwägungen" nicht zugute kommen, vgl. Steffen a.a.O.). Demgegenüber wird in der Literatur teilweise dafür eingetreten, den Schadensersatzanspruch des haushaltsführenden Ehepartners nicht anhand der im Haushalt erbrachten Leistungen zu berechnen, sondern allein danach, was der haushaltsführende Ehepartner auf dem Arbeitsmarkt hätte verdienen können, was m.E. auf eine Anerkennung der Arbeitskraft als vermögenswertes Gut per se hinausläuft. 50 Beispielhaft sei dies nur am Anspruch der Eltern eines Kindes im schulpflichtigen Alter erläutert. In der Regel ist der Anspruch aus § 844 li zu verneinen, da der Unterhalt angesichts der hypothetischen Entwicklung und der zu beriicksichtigenden Abzüge für ersparte Aufwendungen meistens illusionär wird, vgl. dazu ausführlich Müko-Mertens, § 844 Rn. 16 ff. 51 MüKo-Mertens, § 844 Rn 21.
II. Kostenberechnung
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kommensverhältnisse des potentiellen Kundenkreises ist dem Hersteller damit eine hinreichend sichere Vorhersage über die zu berücksichtigenden "Kosten" aufgrund von zu erwartenden Vermögensschäden möglich. Im Bereich der Berechnung des zukünftigen Erwerbs- und Fortkommensschadens ist dies problematisch, allerdings besteht dieses spekulative Element ja sowieso bei jeder Kostenanalyse der Produktkonstruktion, die aus der ex-ante Perspektive des Herstellers vor der Vermarktung vorgenommen wird. Der Vergleich mit dem amerikanischen Recht erübrigt sich daher für diesen Teilbereich der Kostenberechnung52• Problematisch ist, ob systematisch alle in Betracht kommenden kompensationsfähigen Kosten erfaßt werden, deren Berücksichtigung in Hinblick auf die Prävention von Schäden geboten scheint. Da sowohl bei der Verletzung als auch bei der Tötung von Personen die konkreten Beeinträchtigungen des Einkommens und nicht die Schädigung der Arbeitskraft der Gegenstand der Schadensberechung ist, fragt es sich, ob aus der Perspektive der Schadensprävention die angemessenen Anreize gesetzt werden. Die Beschränkung auf das konkrete Einkommen kann zu Schutzlücken bei der Prävention von Schäden führen. Ob hier eine Abwendung von dieser Rechtsprechung zugunsten des amerikanischen Ansatzes53 , der über 52 Es bestehen auch hier weitgehende Parallelen zwischen deutschem und amerikanischem Schadensersatzrecht Es wird zwischen Vermögens- und Nichtvermögensschäden unterschieden (vgl. dazu §§ 905, 906 Restatement (Second) of Torts.). Vermögensschäden (compensatory damages) beinhalten im Falle der Körperverletzung die ,,reasonable medical expenses" die neben den gebotenen Aufwendungen für die Wiederherstellung der Gesundheit (vgl. dazu Henderson/Pearson/Silicano, The Torts Process, Chapter 4, A.l.a.), S. 202.) auch solche Ausgaben umfassen, die auf erhöhte Bedürfnisse aufgrund verbleibender Schäden zurückzuführen sind oder im Zuge der Wiederherstellung der Gesundheit getätigt werden. Der Kläger darf alle ärztlichen Leistungen in Anspruch nehmen, die angesichts seiner Verletzung und der sonstigen Umstände des Schadensfalls angemessen erscheinen, vgl. dazu z. B. Browning v. United States, 361 F. Supp. 17 (E.D. Pa. 1973)- Ersatz auch für Kosten der Inanspruchnahme von psychiatrischer Betreuung; Manko v. United States, 636 F.Supp 1419 (W.D. Mo. 1986)Aufwendungen für Aufenthalt im milden Klima während des Winters.), im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht muß er dies in bestimmtem Umfang sogar. Aufwendungen, die in der Zukunft zu erwarten sind, können geltend gemacht werden, solange sie mit hinreichender Sicherheit bewiesen werden (vgl. dazu Leak v. United States Rubber Co., 511 P.2d. 88 (Wash. App. 1973); Hendrix v. Raybestos-Manhattan, lnc., 776 F.2d. 1492 (11th Cir. 1985). Freiwillige Leistungen Dritter oder solche, die aufgrund eines vom Geschädigten abgeschlossenen Versicherungsverhältnisses erbracht werden, entlasten den Schädiger nicht (colateral source rule, vgl. dazu Henderson/ Pearson/Silicano, The Torts Process, Chapter 4. A. 1. a., s. 208 ff. ). 53 Die Arbeitskraft wird anders als im deutschen Recht nicht am zu erwartenden Realeinkommen gemessen, sondern als abstraktes Gut aufgefaßt (vgl. dazu Dobbs, §. 8.1., S. 540 f.), dessen Wert unter Berücksichtigung der folgenden Kriterien ermittelt wird: (1) die Arbeitskraft des Verletzten, (2) das Maß, in dem die Arbeitskraft durch das Schadensereignis reduziert wurde (3) die zu erwartende Dauer der Reduzierung der Arbeitskraft und, soweit die Schädigung dauerhaft ist, (4) die zu erwartende Lebensdauer des Geschädigten (vgl. dazu Henderson/ Pearson/Silicano, The Torts Process, Chapter 4, A. 1. b) (1), S. 213).
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
den Schutz der Arbeitskraft per se dem Präventionsgedanken stärker Rechnung trägt, für die hier zu untersuchende Problematik sinnvoll ist, muß zunächst zurückEntsprechend wirkt z. B. eine Arbeitslosigkeit des Klägers (vgl. dazu Dobbs, §. 8.1., S. 540.) oder eine Lebensführung, die ein regelmäßiges Einkommen ausgeschlossen erscheinen läßt, nicht schadensmindernd (vgl. dazu McLaughlin v. Chicago, M. & S. P.& P. Ry., 143 N.W. 2d 32 (1966)- keine schadensmindernde Berücksichtigung der Tatsache, daß der Kläger als Priester ein Armutsgelübde abgelegt hatte). Häufig wird jedoch das tatsächlich erzielte Einkommen des Klägers unter Berücksichtigung seiner wahrscheinlichen Entwicklung als Indiz für den Schaden berücksichtigt (vgl. dazu Dobbs, §. 8.1., S. 540 m.w. N). Erfolgt eine Orientierung am tatsächlich erzielten Einkommen, so tauchen in Situationen, in denen die mutmaßliche Entwicklung spekulativ ist oder von anderen Faktoren als der Arbeitskraft des Geschädigten allein abhängt, vergleichbare Schwierigkeiten wie im deutschen Recht auf, deren Lösung anband von ähnlichen "common sense" Kriterien erfolgt. Die wichtigsten Fallgruppen stellen, wie auch im deutschen Recht, die Verletzung von Kindern oder Jugendlichen dar, die noch in der Ausbildung stehen, die Verletzung von Personen, deren Einkommen höchst spekulativ ist (z. B. Künstler) oder von anderen Faktoren als der eigenen Arbeitsleistung abhängt, und schließlich die Verletzung des im Haushalt tätigen Ehepartners dar. Die Instruktion der Jury erfolgt in diesen Fällen m.E. häufig anband von Negativkriterien wie z. B. im Fall der dauerhaften Schädigung eines drei-einhalbjährigen Kindes in Capriotti v. Beck, 117 N.W. 3d 563,568 (1962): ,,Even though the extent ofthe impairment is extremely difficult to evaluate in the case of this young child who is far removed by years from even demonstrating an earning capacity, we can find no basis in principle or reason to hold that the rule should be limited by its application because of the age of the injured party where there is sufficient evidence of permanent disability. Its application must be left to the jury, subject to the admonition here given by the court to refrain from making the determination based on speculation, conjecture, passion or prejudice, and subject further to the post-verdict scrutiny of the trial judge." Bei der Bestimmung des zukünftigen Einkommens von Kindern wurde u. a. berücksichtigt: das gesetzlich garantierte Minimum-Einkommen (McNeil v. United States, 519 F. Supp. 283 (D.S.C. 1981), die Intelligenz und die Fähigkeiten des Kindes, die in einem Test vor dem Unfall festgestellt worden waren (Martin v. United States, 471 F. Supp. 6 (D. Ariz. 179) und schließlich gesellschaftlich bedingte Faktoren wie die Tatsache, daß Frauen mit einem geringeren Einkommen rechnen müssen - ob diese Entscheidung heute noch so ergehen würde, ist m.E. zweifelhaft (Caron v. United States, 410 F. Supp. 378 (D.R. I. 1976). Für weiterführende Literatur vgl. Note. Children Take Their Lumps - The Sorry State of Children's Tort Recovery, 12. U.C. Davis L. Rev. 797 (1979) und Lees-Haley, Earnings Regression Analysis - Paying a Child's Lost Earnings, Trial, Feb. 1986, S. 37. Zum Problem der Beschädigung der Arbeitskraft des freien Unternehmers vgl. Dobbs, §. 8.1., S. 541 f. Zum Problem der Ermittlung des Einkommens von Künstlern im Ausbildungsstadium siehe Graysan v. Irvrnar Realty Corp., 7 A.D. 2d 436 (1959). Bei der Bestimmung des "Hausfraueneinkommens" stellen die Gerichte entweder auf den - abstrakten - Wert der Arbeitskraft des haushaltsführenden Partners ab (vgl. z. B. Nelson v. Patrick, 326 S.E. 2d 45 (N.C. App. 1985)), wobei aber die Wahrscheinlichkeit, ob der Geschädigte in der Zukunft auf den kommerziellen Arbeitsmarkt zurückgekehrt wäre, berücksichtigt werden kann (vgl. Henderson!Pearson!Silicano, The Torts Process, Chapter 4. A. 1. b) (1), S. 224 f.). Nach der Gegenansicht soll den im Haushalt erbrachten Diensten ein Marktwert zugeordnet werden (vgl. z. B. DeLong v. Erie County, 455 N.Y.S. 2d 887 (1982), aff'd N.Y.2d 296 (1983)). Soweit Versuche unternommen wurden, die Berechnung der zukünftigen Schäden durch die Verletzung der Arbeitskraft zu systematisieren, richten sich diese eher auf die Frage des zu erwartenden Lebensalters (vgl. dazu N.C. Gen. Stat. § 8-46 (Supp. 1979), das die Frage des Lebensalters durch Zugrundlegung von empirischen Untersuchungen gesetzlich regelt). vgl. ausführlich zu diesem Problem Henderson/ Pearson/Silicano, The Torts Process, Chapter 4, A. 1. b) (1), s. 213 f.).
Il. Kostenberechnung
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gestellt werden. Schließlich kann der Präventionsgedanke auch bei Art und Umfang der Kompensation immaterieller Schäden berücksichtigt werden. Erfaßt die Rechtsordnung im Bereich der immateriellen Schadensberechnung alle in Betracht kommenden Rechtsgüter und sanktioniert deren Verletzung mit entsprechenden Haftungssummen, wird der Präventionsgedanke ausreichend berücksichtigt. Diese Problematik soll im folgenden untersucht werden. 2. Berechnung der immaterieUen Schäden
Die Ermittlung immaterieller Schäden bei Kosten-Nutzen-Analysen berührt eine der maßgeblichen Schwierigkeiten dieses Fehlerbegriffs. Nach den Ergebnissen des zweiten Teils dieser Arbeit ist eine Berücksichtigung derartiger Schäden unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Primärschäden geboten und auch mit der Zielsetzung der Vermeidung von Sekundärschäden vereinbar. Im Rahmen dieses Teils der Untersuchung werden m.E. drei Fragen relevant: Zum einen ist zu prüfen, welche immateriellen Schäden erfaßt werden. Hintergrund dieser Frage ist, daß nach den Ergebnissen des zweiten Teils dieser Arbeit nur ein möglichst umfassender Kostenbegriff die notwendigen Steuerungsanreize zur Steigerung der abstrakten Produktsicherheit zu geben vermag. Spart das deutsche Schadensersatzrecht systematisch bestimmte Schäden aus, die nach dem Gebot der Vermeidung von Primärschäden im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse berücksichtigt werden müßten, so stellt sich die Frage, wie diese Kosten behandelt werden müssen. Es bietet sich hier wieder der Blick nach Amerika und die Berücksichtigung ökonomischer Modelle an. Zum anderen stellt sich hinsichtlich der als ersatzfähig anerkannten Schäden die Frage, ob deren Ermittlung nach Grundsätzen erfolgt, die es dem Hersteller ermöglichen, eine hinreichend genaue Prognose über seine Haftungslast zu treffen. Schließlich ist zu untersuchen, ob die gerichtliche Praxis der Bemessung immaterieller Schäden deren "Wert" angemessen berücksichtigt.
a) Kompensationsfähige Schäden gemäß § 847 BGB
Im Bereich der Tötung und der Verletzung von Menschen erfolgt die Kompensation immaterieller Schäden durch deliktische Eingriffe allein nach § 847 BGB. Nach dem Spezialgesetz sollen produktbedingte Schäden grundsätzlich nicht kompensiert werden, wie sich aus der abschließenden Aufzählung der §§ 7 - 9 ProdHaftG ergibt, jedoch läuft diese Regelung aufgrund § 15 ProdHaftG in der Praxis leer. Art und Umfang des Schmerzensgeldes werden in erheblichem Maße durch die Zielsetzung des§ 847 BGB bestimmt, die- wie bereits erörtert - nach h.M. in der Ausgleichs- und Genugtuungsfunktion und erst in zweiter Linie in der Präventions-
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
wirkung liegt. Der Vorrang des Kompensationsziels kam nicht nur in der alten Fassung des§ 847 BGB zum Ausdruck, der in der grundsätzlichen Unveräußerlichkeit und Unvererblichkeit des Schmerzensgeldes dessen höchstpersönliche Natur betonte, sondern wirkt bis zum heutigen Tag in der systematischen Aussparung bestimmter deliktischen Eingriffe fort. Dies manifestiert sich zum einen an der Frage, inwieweit die Tötung eines Menschen Schmerzensgeldansprüche im nennenswerten Sinn auslöst, zum anderen daran, daß Hinterbliebene in der Regel keinen eigenen Schmerzensgeldanspruch geltend machen können und schließlich an der umstrittenen Frage, wie Schwerstverletzte entschädigt werden sollen, denen das Bewußtsein um ihren eigenen körperlichen Zustand fehlt. Im Fall der sofortigen Tötung eines Menschen richtet sich ein mögliches Schmerzensgeld nur danach, ob das Opfer zwischen Verletzung und Todeseintritt Schmerzen hatte und diese auch empfinden konnte. Stirbt der Verletzte sofort oder ohne das Bewußtsein wiederzuerlangen, entsteht auch kein Anspruch auf Schmerzensgeld54. Ein eigener Schmerzensgeldanspruch der Hinterbliebenen besteht grundsätzlich nicht55 , eine Ausnahme bildet das Schmerzensgeld für solche Schockschäden oder Trauerreaktionen, die ein medizinisch anerkanntes Krankheitsbild hervorrufen, das jedoch nicht nur aufgrund der zurückhaltenden Anerkennung im Rahmen des haftungsbegründenden Tatbestandes, sondern auch aufgrund seines geringen Umfanges keine nennenswerte Präventionswirkung entfaltet56. Bei der Frage des Schmerzensgeldes für körperliche und seelische Verletzungen, die so erheblich sind, daß dem Verletzten jedes Bewußtsein für seinen Zustand fehlt, ist die Begründung des Anspruchs auf Schmerzensgeld mit dem bloßen Hinweis auf dessen Ausgleichsfunktion problematisch. Der Verletzte kann das Schmerzensgeld weder dafür einsetzen, sich an der Stelle der durch die Verletzung entgangenen Lebensfreuden ein anderes Glücksgefühl zu verschaffen, noch kann er eine persönliche Genugtuung aus der Tatsache ziehen, daß der Schädiger zur Zahlung eines erheblichen Schmerzensgeldes verurteilt wurde. In Abkehr von seiner früheren Rechtsprechung, die bei fehlender Fähigkeit des Geschädigten, sein eigenes Leid bewußt wahrzunehmen, eine "zeichenhaften Wiedergutmachung" im Sinne eines "verfeinerten Sühnegedankens"57 für berechtigt, aber auch ausreichend hielt, hat der BGH nun ausgeführt, daß eine lediglich symbolhafte Entschädigung 54 Vgl. z. B. LG Nümberg Fürth vom 12. l. 1994 in Hacks/Ring/Böhm Nr. 6 (sofortiger Tod unmittelbar nach Verkehrsunfall); AG lbbenbüren vom 23. 7. 1993 in Hacks/Ring I Böhm Nr. 4 (Tod nach I 1/2 Stunden nach dem Unfall ohne Schmerzensreaktion). 55 BGH NJW 1978, 2337; MüKo-Mertens, § 847 Rn. 6. 56 Vgl. AG Hagen vom 15. 11. 1989 in Hacks/Ring/Böhm Nr. 404 (11/2 Jahre medikamentöse Behandlung und psychische Verhaltensänderung durch den Unfalltod der Tochter, Schmerzensgeld iHv 3000,- DM); LG Bad Kreuznach VersR 1982, 586 (Schockschaden und längeres körperliches und seelisches Leiden durch den Verlust des einzigen Kindes, Schmerzensgeld iHv. 3000,- DM). 57 BGH NJW 1976, 1147; BGH NJW 1982, 2123.
II. Kostenberechnung
239
nicht gerechtfertigt sei58 • In der Rechtsprechung ist ein Trend zu erkennen, bei derartigen Verletzungen Schmerzensgelder in erheblichem Umfang zu gewähren59. Man mag darüber spekulieren, ob in dieser Abkehr von der friiheren Rechtsprechung eine Anerkennung des Präventionsziels liegt.
b) Bemessung der ersat'l,[ähigen Schä4en nach § 847 BGB
Über die Bemessungsgrundlagen des Schmerzensgeldes sagt § 847 nichts aus, insbesondere hat der Gesetzgeber bewußt auf eine Festlegung von verbindlichen Schmerzensgeldtaxen verzichtet60. Seine Höhe muß der Richter unter expliziter Würdigung von Art und Dauer der erlittenen Schäden sowie aller anderen für eine billige Entscheidung relevanten Umstände des Einzelfalls gemäߧ 287 ZPO nach freiem Ermessen bestimmen61 • Es ist dabei eine Balance zwischen dem Prinzip der Schadensberechnung bezogen auf den individuellen Fall und dem Postulat zu finden, daß vergleichbare Verletzungen annähernd gleiche Schmerzensgelder zur Folge haben sollen62. Pauschalisierungen spielen hier eine erhebliche Rolle, da die Schmerzensgeldtabellen eine sehr weitgehende Orientierungshilfe bieten, auch wenn betont wird, daß die Beriicksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls unabdinglich sei63 • Bei der Orientierung an vergleichbaren Entscheidungen muß, so die hM, beriicksichtigt werden, daß es nicht "um die einfache Berechnung eines Äquivalents auf der Basis des abzuschätzenden Werts vergleichbarer Gliedmaßen und Körperteile unter der Vorstellung eines isolier- und zerlegbaren Begriffs der Persönlichkeit" gehen könne, sondern die "Abgeltung einer Persönlichkeitsbußedurch das Schmerzensgeld" erfolgen solle64 • Bei der Beriicksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls ist zu bedenken, daß bestimmte Persönlichkeitsmerkmale und Gefühlszustände unter den Gesichtspunkten der Würde des Menschen, des Gleichheitsgrundsatzes und des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der richterlichen Beurteilung entzogen sein können so etwa die Frage, ob der Geschädigte aufgrund seiner individuellen Eigenschaften wie Intelligenz, Sensibilität, Schönheit etc. mehr oder weniger unter der zugefügten Verletzung zu leiden hat65 oder ob er aufgrund seiner wirtschaftlichen Situation den Geldersatz praktisch nicht benötigt, da er sich jede Annehmlichkeit selbst Iei58 BGH Urteil vom 16.2. 1993, VI ZR 29/92; BGH Urteil vom 13. 10. 1992, VI ZR 201/ 91, zitiert nach Hacks/Ring/Böhm, 3.) S. 13 Fn. 24. 59 Vgl. LG Bremen, DAR 1992,65. 60 MüKo Mertens, § 847, Rn. 15. 61 BGH VersR 1976,967,968. 62 BGH VersR 1970, 281, 28; OLG Düsseldorf VersR 1979, 845. 63 Lange, Schadensersatz,§ 7 IV 3., S. 439. 64 MüKo-Mertens, § 847, Rn. 4. 65 MüKo-Mertens, § 847 Rn. 16.
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sten kann66 oder aber aufgrund bescheidener wirtschaftlicher Vorverhältnisse schon mit einem relativ geringen Schmerzensgeld zufriedengestellt würde67 • Demnach sollen die folgenden Gesichtspunkte bei der richterlichen Ermessensausübung berücksichtigt werden: Ausgangspunkt sind die physischen und - mit Einschränkungen - die psychischen Beeinträchtigungen durch die Schädigung. Vom Schmerzensgeld erfaßt sind die psychischen Erkrankungen, Veränderungen und Leiden, die ein Geschädigter infolge einer Verletzung, insbesondere einer Hirnverletzung erleidet, während die primär psychischen Beeinträchtigungen wie Trauer, Depression und Antriebsschwäche nur dann einbezogen werden, wenn sie die Form einer verifizierbaren Erkrankung annehmen68 . Es ist weiter zu berücksichtigen, ob die Verletzung folgenschwer in Hinblick auf die Berufsausübung69 und - in geringem Maße - auf eine Freizeitbeschäftigung70 oder die allgemeine Lebenssituation71 war. Nur in Ausnahmefällen sind nach dem oben Gesagten die wirtschaftliche Situation von Schädiger und Geschädigten zu berücksichtigen72. Schließlich kann auch die Tatsituation und das Verschulden des Schädigers in die Berechnung einbezogen werden73 • Ein Blick in die Schmerzensgeldtabellen der letzten Jahre zeigt, daß die festgesetzten Summen in den letzten Jahren erheblich gestiegen sind und in den Fällen von Schwerstverletzungen Summen bis zu 500.000,- DM erreichen. Ob damit allerdings eine "angemessene" Sanktion unter dem Blickpunkt der Prävention von Schäden angedroht wird, ist im folgenden noch zu untersuchen.
c) Zwischenergebnis Hinsichtlich der Übertragbarkeit der Grundsätze der deutschen Schadensersatzrechts auf die Berechnung der immateriellen Schäden im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen kann damit folgendes Ergebnis festgehalten werden. Unter dem GeMüKo-Mertens, § 847, Rn. 18, Lange, Schadensersatz,§ 7 IV 3., S. 442. MüKo-Mertens, § 847, Rn. 18, Lange, Schadensersatz, § 7 IV 3., S. 442; a.A. Hacks/ Ring/Böhm, AT 2. B c) S. 12; Marschall v. Bieberstein, BB 1983,467,468. 68 Hacks!Ring!Böhm, AT 2. B b) S. 10. 69 MüKo-Mertens, § 847 Rn 21. 66 67
70 Beispiele für die besondere Berücksichtigung einer amateurhaft ausgeübten, aber zum entscheidenden Lebensinhalt gewordenen sportlichen oder künstlerischen Betätigung durch die Rechtsprechung finden sich in OLG Hamm VersR 1980, 1172; OLG Düsseldorf VersR 1985, 291, 293. Kritisch zu dieser Rechtsprechung unter Berücksichtigung des Problem der Justiziabilität der persönlichen Vorlieben und Hobbys MüKo-Mertens § 847, Rn. 22. 71 Vgl. z. B. OLG Düsseldorf DAR 1993, 258- besondere Berücksichtigung der Tatsache, daß sich die Chancen des 33-jährigen Klägers, der vor dem Unfall seit sieben Jahren mit seiner Verlobten zusammengelebt hatte und alsbald heiraten wollte, eine Familie zu gründen, durch die schwersten Verletzungen erheblich verschlechtert hatten. n Lange, Schadensersatz, § 7 IV 3, S. 442. 73 Lange, Schadensersatz, § 7 IV 3, S. 443.
II. Kostenberechnung
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sichtspunkt der Kalkulierbarkeit ergeben sich m.E. keine erheblichen Schwierigkeiten. Zwar gibt das Gesetz keinen Anhaltspunkt für die Bemessung des Schmerzensgeldes und überläßt dies dem Wertungsspielraum des Richters, jedoch führt die weitgehende Orientierung an Schmerzensgeldtabellen in der Praxis dazu, daß diese Kosten relativ sicher vorhergesagt werden können. Problematisch ist demgegenüber, daß der Schmerzensgeldbegriff des deutschen Rechts nicht alle Schäden erlaßt, die nach den Ergebnissen des zweiten Teils der Untersuchung im Rahmen der Kosten-Nutzen-Analyse beriicksichtigt werden sollten. Dies liegt daran, daß bestimmte Schäden systematisch ausgespart werden. Drastisch ausgedruckt bedeutet dies etwa, daß die schmerzlose Tötung eines Kleinkindes in der Regel keinerlei Anspruche gegen den Schädiger auslöst- ein aus Präventionsgriinden bedenkliches Ergebnis. Es stellt sich in diesem Zusammenhang auch die Frage, ob der Umfang des Schmerzensgeldes nach der heutigen gerichtlichen Praxis den "Wert" des geschädigten Rechtsguts unter Präventionsgesichtspunkten angemessen beriicksichtigt. Die bloße Tatsache, daß in den letzten Jahren erheblich höhere Schmerzensgeldsummen zugesprochen werden, als dies lange Zeit üblich war, lassen noch keinen Rückschluß dariiber zu, ob die richterliche Wertung hier den "Wert von Leben und Gesundheit" angemessen erfaßt. Es stellt sich vielmehr die Frage nach einem normativen Ansatz, der auf die Frage der Berechnung von immateriellen Rechtsgüter systematisch eingeht. Da das deutsche Recht in diesem Bereich keine befriedigenden Anhaltspunkte zur inhaltlichen Ausfüllung des Kostenbegriffs bietet, soll zunächst gepriift werden, ob die Praxis des amerikanischen Schadensersatzrechts für die inhaltliche Ausfüllung der immateriellen Schäden im Rahmen des Kostenbegriffs herangezogen werden kann. Ist dies nicht der Fall, sollen die dazu entwickelten wirtschaftswissenschaftlichen Modelle untersucht werden. 2. Berechnung immaterieller Schäden nach dem amerikanischen Schadensersatzrecht
Die überwiegende Mehrheit aller Staaten ermittelt die Haftung des Herstellers für fehlerhafte Produktkonstruktionen aufgrundvon Kosten-Nutzen-Analysen. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit auf die Grundsätze des amerikanischen Schadensersatzrechts zur Bestimmung der immateriellen Schäden im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen zurliekgegriffen werden kann. Für den Ersatz produktbedingter Schäden gibt es keine Sonderregelungen, insbesondere gibt es hinsichtlich der Art und des Umfangs der Kompensation von Nichtvermögensschäden keine Beschränkungen74• Die Beschreibung der Grund74 Dies gilt sowohl für die zu ersetzenden Vermögens- und Nichtvermögensschäden des geschädigten Verbrauchers selbst (vgl. dazu Hendersonl Pearson!Silicano, The Torts Process, Chapter 4, A. l. c)- S. 235 ff.), als auch für wrongful death actions von Hinterbliebenen (vgl. dazu Prosser& Keeton, Chapter 23, § 127 S. 946; Pike v. Frank G. Hough, 467 P.2d
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sätze bei der Berechnung des Schadens im amerikanischen Recht gestaltet sich aus mehreren Gründen schwierig. Auch hier führt die Zuständigkeit der einzelnen Staaten zu einer Aufsplitterung, die es problematisch erscheinen läßt von "dem" amerikanischen tort law zu sprechen75 . Das Schadensersatzrecht speist sich aus verschiedenen Quellen - zum einen aus einer Flut an Fallrecht, zum anderen aus Gesetzgebung, die insbesondere den Teilbereich des Schadensersatzes für "wrongful death" und für "pain and suffering" betrifft. Dieser Mangel an Systematisierung führt dazu, so der Befund von Markesinis und Simon, daßtrotzder Fülle von Entscheidungen und Literatur "little effort has been devoted to defining damage"76• Es ist daher problematisch, die leitenden Grundsätze knapp zusammenzufassen77 • Gemeinsam dürfte allen Staaten sein, daß neben der Kompensation des Geschädigten gleichberechtigt das Ziel der Prävention von Schadensereignissen verfolgt wird. Der Umfang des Schadensersatzes geht dabei grundsätzlich über die im deutschen Recht anerkannte Kompensation hinaus, insbesondere stellt die Entschädigung für immaterielle Schäden nicht eine vorsichtig zu handhabende Ausnahme, sondern einen festen Bestandteil von Personenschäden dar78 • 229 (1979); Melia v. Ford Motor Co., 534 F.2d 795 (8th Cir. 1976); Keener v. Dayton Electric Manufacturing Co., 445 S.W.2d 362 (Mo. 1969). 75 Schlechtriem, ZEuP 1997, 232,236 Fn. 23. 76 Markesinis/Simon, S. 683. 77 Schlechtriem, ZEuP 1997, 232, 236 Fn. 23, Magnus, Schaden und Ersatz, S. 45 ff., 48 ff.; Dobbs, § 3.1., S. 277 ff., § 3.2. S. 288 ff. 78 Vgl. dazu§§ 902-906 Restatement (Second) ofTorts: § 902: Damages - Definition "Damages" means a sum of money awarded to a person injured by the tort of another. § 903: Compensatory Damages- Definition "Compensatory Damages" are the damages awarded to a person as compensation, indemnity or restitution for harm sustained by him. § 904: General and Special Damages (1) "General Damages" are compensatory damages for a harm so frequently resulting from a tort that is the basis of the action that the existence of the damages is normally to be anticipated and hence need not be alleged in order to be proved. (2) "Special damages" are compensatory damages for a harm other than one for which the general damages are given. § 905: Compensatory damages for nonpecuniary harm Compensatory damages that may be awarded without proof of pecuniary loss include compensation (a) for bodily harm, and (b) for emotional distress § 906: Compensatory damages for pecuniary harm Compensatory damages that will not be awarded without proof of pecuniary loss include compensation for (a)·harm to property, (b) harm to earning capacity, and (c) the creation of liabilities.
II. Kostenberechnung
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a) Ersatzfähige immaterielle Schäden
Als Ausfluß des Präventionsziels kennt das amerikanische Schadensersatzrecht eine umfassende Entschädigung von immateriellen Schäden und zwar nicht nur beim Geschädigten selbst (pain and suffering, recovery for emotional upset, survival actions), sondern auch bei Dritten (wrongful death). aa) Ansprüche des Verletzten selbst: pain and suffering; survival actions Unter "pain and suffering" werden eine Vielzahl von Aspekten der Schadensbemessung vereint, deren verbindendes Element darstellt, daß es sich um Nichtvermögensschäden handelt79. Welche Schäden ersatzfähig sind, ist im einzelnen umstritten; die folgenden Aspekte werden im Zusammenhang mit pain and suffering genannt: die physischen Schmerzen, die im Zusammenhang mit der Verletzung entstehen80 , psychische Leiden, die im Zusammenhang mit der Verletzung stehen wie z. B. die veränderte Einstellung zum eigenen Körper aufgrund entstellender Narben81 oder Phobien, die sich auf das Unfallgeschehen zurückführen lassen82 und den Verlust an Lebensfreude, der in einigen Entscheidungen als zu spekulativ unberücksichtigt bleibt83 , während er in anderen Urteilen durch die Unmöglichkeit, bestimmte Aktivitäten auszuführen, konkretisiert wird84 • In frühen Entscheidungen findet sich eine Parallele zum deutschen Recht in dem Erfordernis, daß der Verletzte die ihm zugefügten Schmerzen auch selbst spüren muß85 , das aber mittlerweile so großzügig gehandhabt wird86, daß man es als aufgegeben ansehen kann. Bjovberg/Sloan/Blumstein, 83 N.W.U.L.Rev. 908,912 (1989). Sears, Roebuck & Co. v. Hartley, 160 F.2d 1019 (9th Cir. 1947); Dobbs § 8.1 , S. 544; Henderson/ Pearson/ Silicano, The Torts Process, Chapter 4, A.l. c), S. 241. 81 Kravenas v. Algonquin Township, 301 N.E.2d 490 (1973). 82 Kravinsky v. Glover, 396 A.2d 1349 (Pa. Super. 1979); Davis v. Graviss, 672 S.W. 2d 928 (Ky. 1984); Gerrnan-Bey v. National Railroad Passenger Corp., 546 F. Supp. 253 (S.D.N.Y. 1982, rev'd on other grounds, 703 F.2d 54 (2d Cir. 1983). 83 Hogan v. Santa Fe Trail Transp. Co. 85 P.2d. 28 (1938). 84 Walton v. United States Steel Corp., 362 S.W. 2d 617 (Mo. 1962) - Freude an der Ausübung des Geschlechtsverkehrs; Sweeney v. Car /Puter Intl. Corp., 521 F. Supp. 276 (D.S.C. 1981)- Freude am Segeln, Radfahren, Tanzen und anderen Freizeitaktivitäten; Martel v. Duffy-Mott Corp., 166 N.W.2d 541 (1968) - Verlust des Appetits auf Apfelmus nach dem Genuß von vergorenem Apfelmus. 85 Hurtig v. Bjork, 138 N.W.2d 62 (1965); Blunt v. Zinni, 302 N.Y.S. 2d 504 (1969); Estate of Swarthout v. Beard, 190 N.W.2d 373 (Mich. App. 1971) rev'd on other grounds sub. nom. Srnith v. City ofDetroit, 202 N.W.2d 300 (1972). 86 Capelouto v. Kaiser Foundation Hospitals, 500 P.2d 880 (Cal. 1972); Florida Patient Compensation Fund V. Van Stetina, 474 S0.2d 783 (Fla. 1985); Kelley v. Wiggins, 724 S.W.2d 443 (1987); Luna v. Southem Pac. Transp. Co., 724 S.W.2d 383 (1987). 79
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Mit dem Tode des Geschädigten "sterben" nicht auch seine Ansprüche, sondern gehen, soweit sie bereits rechtshängig geworden sind87, auf den Nachlaß über (survival actions) 88 • Die allmähliche Anerkennung von Ansprüchen sowohl des Nachlasses des Getöteten selbst als auch seiner Angehörigen, die dem englischen als auch dem frühen amerikanischen Recht fremd war89, wird nicht nur von dem Versorgungsbedürfnisvon unter Umständen mittellos zurückbleibenden Angehörigen, sondern auch von einem Präventionsgedanken motiviert, der starke Anlehnung an das Menschenbild des homo oeconornicus aufweist. Ohne eine weitgehende Kompensationspflicht sei es für den Schädiger billiger, das Oper zu töten, als es zu verletzen, so daß ihm der angemessene Anreiz fehle, diesen irreversiblen und tiefgreifendstell aller möglichen Eingriffe in das Rechtsgut "menschliches Leben" zu vermeiden90. Da nach diesem Verständnis die Ehrfurcht vor dem Leben als solche nicht ausreicht, um ein schadensvermeidendes Handeln zu garantieren, wird die deliktsrechtliche Schadensersatzpflicht auf das menschliche Leben per se ausgedehnt und zwar unabhängig davon, ob eine Bedürftigkeit der Hinterbliebenen vorliegt. Eine Schutzlücke besteht nur dort, wo das Opfer alleinstehend ist und folglich niemand den Anspruch geltend machen kann. In dieser Bemessung des Schadensersatzes berührt das amerikanische Recht die Frage nach dem Wert des menschlichen Lebens. Die Ansprüche aus survival actions umfassen nicht nur alle in Betracht kommenden materiellen Schäden, sondern auch den Ersatz von pain and suffering91 . Wenige Staaten fassen pain and suffering als höchstpersönliche Ansprüche auf, die dem Verletzten allein zukommen sollen92 und schließen in ihren Survival Statutes den Anspruch auf den Ersatz immaterieller Schäden im Falle des Todes aus93 . Die Mehrheit der Staaten lassen die Geltendmachung immaterieller Schäden durch die Erben zu. Dieser Anspruch mußte sich in frühen Entscheidungen an der oben dargestellten Regel messen lassen, daß nur bewußt gefühlte Schmerzen, nicht aber die Todesangst als solche einen Anspruch auf pain and suffering 87 Prosser & Keeton, Chapter 23, § 126, S. 942; Leebron, 64 N.Y. U. L. Rev. 256, 261 (1989). 88 Prosser und Keeton definieren die survival action als "the cause of action held by the decedent imrnediately before or at death, now transferred to his personal representative", Chapter 23, § 126 S. 942. Zur Entwicklung und den überwiegend gesetzlichen Grundlagen für eine derartige Klage vgl. Prosser & Keeton, Chapter 23, S. 126, S. 942 ff. Beispiele für survival acts sind N.Y.Est. Powers & Trust Law § 11 - 3.2 (McKinney 1967 & Supp. 1989); N.C. Gen. Stat. § 28 A-18-1 (1988); Tex. Civ. Prac. & Rem. Code Ann. § 71.002 (Vernon 1986). 89 Vgl. dazu Prosser & Keeton, Chapter 23, § 126, S. 942 f.; § 127, S. 945. 90 Prosser & Keeton, Chapter 23, § 127, S. 945. 91 D. W Leebron, Final Moments: Damages for Pain and Suffering Prior To Death, 64 New York University Law Review, 1989. S. 256,261. 92 Prosser und Keeton charakterisieren die Ansprüche aus pain and suffering als "clearly a windfall to the heirs", Chapter 23, § 126, S. 943. 93 Vgl. z.b. Ariz. Rev. Stats. § 14-477; Wash. Rev. Code Ann. § 420.046.
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begründen94• In einer Vielzahl von jüngeren Entscheidungen wurde der Anspruch auf pain and suffering anerkannt, obwohl der deliktische Eingriff praktisch unmittelbar zum Tod des Geschädigten führte und daher bestenfalls mit den Sekunden der Todesangst und weniger mit physisch erlittenen Schäden begründet werden konnte95 . bb) Ansprüche von Dritten: wrongful death actions Neben den Ansprüchen aus dem Nachlaß des Geschädigten können Dritte, in der Regel enge Farnilienangehörige wie Ehepartner und Kinder, im Fall des Todes des Geschädigten eigene Ansprüche gegen den Schädiger geltend machen. Dieser Schadensersatzanspruch geht in Art und Umfang weit über den in §§ 844, 845 BGB geregelten Anspruch hinaus und entfaltet daher eine erhebliche Präventionswirkung. Anspruchsberechtigt unter den meisten wrongful death statutes sind nahe Angehörige wie "Ehegatten", "Kinder" oder "Erben", andere dem Verstorbenen nahestehende, aber nicht in diese Gruppe fallende Personen werden nicht berücksichtigt96. Nach dem Willen der Gesetzgeber und der Rechtsprechung soll in erster Linie Schadensersatz für den Verlust von Vermögenswerten geleistet werden, die dem Berechtigten zugute gekommen wären97• Wrongful death actions können aber nicht nur zum Ersatz von materiellen Schäden angestrengt werden, sondern spielen auch dann eine erhebliche Rolle, wenn durch das Delikt Personen getötet werden, die kein eigenes Einkommen haben oder aber noch nicht oder nicht mehr im Erwerbsleben stehen. Die Rechtsprechung befand sich anfänglich in dem Dilemma, daß der Ersatz rein immaterieller Schäden ausgeschlossen sein98, unter Präventionsgesichtspunkten jedoch eine Kompensation gewährt werden sollte, die nicht nur einen symbolischen Wert hatte. Ansprüche wegen des Verlusts der ehelichen Lebensgemeinschaft (loss of consortium), des Verlusts von Liebe und Zuneigung (loss of Iove and affection) und des Verlusts der Gesellschaft des Verstorbenen (loss of society and campanionship) sind heute weitgehend anerkannt und drücken sich in teilweise erheblichen Schadensersatzsum-
94 Die Leitentscheidung des Supreme Courts ist The Corsair, 145 U.S. 335 (1892), diese Rechtsprechung wurde in Gillespie v. United States Steel Corp., 379 U.S. 148 (1964) aufgegeben. 95 Vgl. dazu die empirischen Studien von Leebron, 64 N.Y. U. L. Rev. 256, 262 Fn. 28 (1989). 96 Prosser & Keeton, Chapter 23, § 127, S. 947. 97 Prosser & Keeton, Chapter 23, § 127, S. 949 mit Verweis auf Michigan Central Railroad v. Vreeland, 227 U.S. 59 (1912); Martin v. Mansfield (223 P.2d. 501 (Cal. 1950); Thoirs v. Pounsford, 299 N.W. 16 (Minn. 1941); Goodyear Yellow Pine Co. v. Anderson, 157 SO. 700 (Miss. 1934). 98 Prosser & Keeton, Chapter 23, § 127, S. 951 m.w. N. aus der Rechtsprechung.
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men aus99, auch wenn sich der Versuch bisweilen in Entscheidungen findet, auch diese Verluste als Vermögensschäden (pecuniary losses) zu behandeln 100• b) Berechnung der immateriellen Schäden
Die Berechnung der immateriellen Schäden ist auch im amerikanischen Recht umstritten. Grundsätzlich obliegt sie als Tatsachenfrage der Jury, die hinsichtlich des Umfangs des Schadensersatzes sehr weitgehende Freiheiten genießt. In den letzten Jahren ist ein Trend festzustellen, die Berechnung der immateriellen Schäden einem aus ökonomischen Modellen abgeleiteten Regelwert zu unterwerfen. Der "traditionelle" Ansatz der Berechnung der immateriellen Schäden legt die Entscheidung über deren Umfang in weiten Zügen in die Hände der Jury. Zwar sind Sachverständigengutachen über die Natur und Schwere insbesondere zukünftiger Schmerzen 101 und Zeugenaussagen der Angehörigen des Verletzten 102 als Entscheidungshilfe zulässig. Häufig erschöpft sich die Instruktion durch den Richter sich jedoch in einem Appell an das Gewissen und das Augenmaß der Entscheidenden, wie es etwa in der folgenden Jury-Instruktion zum Ausdruck kommt: "In assessing damages, if you have occasion to do so, the law allows you to award to plaintiff a sum that will reasonably compensate him for any past physical pain, as weil as pain that is reasonably certain tobe suffered in the future as a result of the defendant's wrongdoing. There are no objective guidelines by which you can measure the money equivalent of this element of injury; the only real measuring stick, if it can be so described, is your collective enlightened conscience. You should consider all the evidence bearing on the nature of the injuries, the certainty of future pain, the severity and the likely duration thereof. In this difficult task of putting a money figure on an aspect of injury that does not readily !end itself to an evaluation in terms of money, you should try to be as objective, calm and dispassionate as the situation will permit, and not to be unduly swayed by consideration of sympathy." 103
Der Verzicht auf "objektive Richtlinien" hat dazu geführt, daß die zugesprochenen Schmerzensgelder für vergleichbare Verletzungen erheblichen Schwankungen unterliegen, zumal die Orientierung an Schmerzensgeldtabellen nicht übProsser & Keeton, Chapter 23, § 127, S. 952. Vgl. z. B. Wycko v. Gnodtkte, 105 N.W. 2d 118 (Mich. 1960). 101 Lucas v. State Farm Mut. Auto. Ins. Co., 117 N.W.2d 660 (1962), cert. den. 373 u.s. 922 (1963). 102 Leavitt v. St. Tarnmany Parish Hosp., 396 So. 2d 406 (La. Ct. App. 1981); Roberts v. Edwards, 269 S.E.2d. 745 (1980). 103 Leebron, 64 N.Y. U. L. Rev. 256, 265 (1989) mit Verweis auf G. Douthwaite, Jury lnstructions on Damages in Tort Actions 274 (1981). 99
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lieh ist 104• In den letzten Jahren mehrt sich die Forderung, diese "analytisch undurchdringbaren"105 Anweisungen durch einen praktikablen Kalkulationsmodus zu ersetzen. Es soll hier auf zwei Lösungsvorschläge eingegangen werden. Ein Ansatz, die Berechnung des Schmerzensgeldes in eine mathematische Formel zu fassen, liegt in der per diem Methode 106• Demnach wird eine bestimmte Schmerzensgeldsumme für jeden Tag angesetzt und diese auf die zu erwartende Dauer des schmerzhaften Zustandes, u. U. auf die zu erwartende Lebenszeit des Klägers hochgerechnet. Problematisch ist, daß es für die Ermittlung der Summe, die als Ausgangsbasis genommen wird, keine nachvollziehbaren Kriterien gibt und die Berechnung daher im höchsten Maße der Manipulation zugänglich ist. Faught v. Wight stellt ein Beispiel aus der Rechtsprechung dar, in der die per-diem Berechnung durch den Kläger der Jury in einer suggestiven Weise vorgetragen wurde: .,I want to offer you a job and I want to tell you a little about this job..... [Y]ou only get paid $ 3.00 [per] day. Hereis your job- your job is to suffer [the plaintiff's] disability" 107 .
Nach einer plastischen Schilderung dieser Schmerzen ist es dann unproblematisch, eine auf den Tag oder die Stunde bezogen geringe Summe vorzuschlagen, die aber umgerechnet auf Jahre und Jahrzehnte zu Schmerzensgeldern in ganz erheblichem Umfang führt 108. In der Rechtsprechung wird die per diem Methode wohl nur nach einer Minderansicht zugelassen 109, während sie überwiegend abgelehnt wirdn°. In Duguay v. Gelinas 1ll faßt der Supreme Court von New Hamphire die gegen die per diem Formel vorgebrachten Bedenken zusammen: "The chief vice of the formula is that it is an attempt by counsel to distort and exaggerate the measurement of what is immeasurable by such a mathematical method. The second vice of this type of argument in our opinion is that it will more often mislead a jury than aid them, since the jury are given an illusion of certainty by the use of figures which are not and cannot be sustained by evidence."
Ein zweiter Ansatz findet sich in dem Versuch, Berechnungsmodelle aus der Wirtschaftswissenschaft auf die Ermittlung des immateriellen Schadens aus juristischer Perspektive zu übertragen. Als Leitentscheidung ist Sherrod 104 Zur empirischen Untersuchung eines Teilbereichs, nämlich des Schmerzensgeldes für pain und suffering vor dem Tod des Verletzten, vgl. Leebron, 64 N.Y. U. L. Rev. 256, 288 ff. (1989). 105 Leebron, 64 N.Y. U. L. Rev. 256, 265 (1989). 106 Vgl. dazu Viscusi, S. 100; F.V. Harper/ F. James. I O.S. Gray, The Law of Torts, 2. Aufl., 1986., S. 565-569. 107 Faught v. Wight, 329 S.W.2d 588,602 (Mo. 1959). 108 Dobbs, § 8.1., S. 546; Leebron, 64 N.Y. U. L. Rev. 256, 264 (1989). 109 Vgl. ausführlich Leebron,S. 264, Fn. 40. 11o Vgl. Henderson/Pearson/Silicano, The Torts Process, Chapter 4., A. 1. c) S. 240 f. 111 182 A.2d. 451,454.
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v. Berry 112 zu nennen. Die Entscheidung beschäftigt sich maßgeblich mit dem "hedonic value of life" 113 • Zur Ermittlung des Schadensersatzes jenseits der Frage der Beeinträchtigung des Erwerbsleben des Getöteten ließ das Gericht die Einführung eines Sachverständigengutachtens durch den Kläger zu, das dieses Problem aus ökonomischer Perspektive behandelte. Der als Sachverständige benannte Gutachter sagte dabei zum einen über die in der Wirtschaftswissenschaft praktizierten Methoden zur Berechnung dieses Wertes aus und legte die seiner eigenen Berechnung zugrundeliegende Methodik offen 114. Welche Methoden dabei in Betracht konunen, soll im folgenden ausführlich untersucht werden. Entscheidungen wie Sherrod bilden das Einfallstor für wirtschaftswissenschaftliche Modelle zur Berechnung des "Werts des Lebens" in die Rechtswissenschaft. c) Zwischenergebnis
Hinsichtlich der inhaltlichen Ausfüllung des Kostenbegriffs im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen bietet das amerikanische Recht zwar gewisse Anhaltspunkte, jedoch keinen in sich geschlossenen systematischen Ansatz, der übertragen werden könnte. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Primärschäden setzt das amerikanischen Schadensersatzrecht bessere Anreize, da alle in Betracht kommenden Ansprüche systematisch erlaßt werden. Die Berechnung des Schmerzensgelds ist allerdings problematisch. Überwiegend überläßt die Rechtsprechung die Ermittlung des Umfangs des Schmerzensgelds der Jury, was dazu führt, daß eine zuverlässige Prognose über die zu erwartende Haftungslast nicht möglich ist. Jedoch zeichnet sich ein Trend ab, zur Berechnung der inunateriellen Schäden auf wirtschaftwissenschaftliche Modelle zurückzugreifen. Ein derartiger Wandel in der Rechtsprechung würde nicht nur zu kalkulierbaren Regeln hinsichtlich der zu berücksichtigenden Kosten führen, sondern auch einen Versuch darstellen, den "Wert" des geschädigten Rechtsguts angemessen zu berücksichtigen.
ll2 629 F. Supp. 159 (N.D.Ill. 1985). Bei Sherrod v. Berry handelt es sich um die wrongful death action des Vaters eines 19-jährigen Mannes. 113 629 F. Supp. 159, 162 (N.D.Ill. 1985). 114 629 F. Supp. 159, 162 f. (N.D.Ill. 1985). Die Entscheidung faßt das Gutachten leider nicht zusammen, sondern beschränkt sich auf die folgende Beschreibung des Vorgehens des Sachverständigen : "Accordingly, Smith, after explaining what he did and the information he used, testified to the arnount of loss Lucien Sherwood suffered when he was deprived of his son's association and companionship. Smith described and explained how he had calcu1ated the economic loss which Ronald Sherrod's estate incurred from his death. Smith told the jury the basis of his opinions, and the econornic theories which supported his conclusions. Apart from his testimony concerning the economic value of life, he gave the jury some "insight into the guidelines that economists use in looking at how society values what we call the hedonic aspect, the hedonic value of life, separate from economic productive value of an individual". He said there had been studies by economists which "indicate that a human life has a value separate from the economic productive value that a human being would have."
111. Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive
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111. Der "monetäre Wert des Menschen" versus "Schadensverhütungsaufwendungen'': Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive Aus einer ökonomischen Perspektive ist ein umfassender Schutz von Rechtsgütern und ein effizienter Anreiz zur Vermeidung von Primärschäden durch das Haftungsrecht nur dann gewährleistet, wenn sich die Verletzung jedes schützenswerten Interesses im Vermögen des Schädigers auswirkt. Unter den Oberbegriff "Schmerzensgeld" fällt dann ein Schadensersatz, der lückenlos für alle als relevant angesehenen Verletzungen immaterieller Güter gewährt wird unabhängig davon, ob dies dem Betroffenen selbst noch irgendeine Form der Genugtuung verschaffen kann. Die Ermittlung derartiger Schäden muß auf eine systematische Kalkulationsbasis gestellt werden. Die Berechnung immaterieller Werte wie Leib und Leben durch die Ökonomie ist das Kind einer ökonomischen Debatte der letzten dreißig Jahre 115 • Die davor herrschende Ansicht berechnete den monetären Wert des menschlichen Lebens insofern unbehindert von moralischen Skrupeln - anhand des Nettolebenseinkommens eines Geschädigten bzw. seines zu erwartenden Beitrags zum Bruttosozialprodukt, der teilweise noch um den zu erwartenden Konsum des Geschädigten bereinigt wurde 116• Gegen diese eingeschränkte Perspektive wurden tiefgreifende Bedenken erhoben, namentlich, daß dieser Berechnungsmodus durch die Vernachlässigung immaterieller Werte die Bedeutung des Rechtsguts Leben und Gesundheit verkenne und so unzureichende Anreize zur Prävention von Primärschäden setze117, daß die Orientierung an den bestehenden Einkommensverhältnissen gesellschaftliche Ungerechtigkeiten wie die geringere Entlohnung von Frauen und Minderheiten in das Haftungsrecht hineintrage und somit zementiere 118 und daß eine konsequente Anwendung dieses Grundsatzes zu so zynischen Ergebnissen führe, daß das Leben von Nichterwerbstätigen wie Rentnern und Behinderten keinen oder Miller, 83 N.W.U.L. Rev. 876, 877 (1989). Vgl. dazu ausführlich Miller, 83 N.W.U.L. Rev. 876, 877 m.w. N. in Fn. 4, 5; Schäfer/ Ott JZ 1990, 563,570 m.w. N. in Fn. 48, 49. Es soll im Rahmen dieser Arbeit nicht vertieft der Frage nachgegangen werden, ob diese Art der Evaluierung in der Tradition Adam Srniths steht, auf die sie sich beruft, vgl. Miller, 83 N.W.U.L. Rev. 876, 877 (1989). Zweifelsohne betont Smith den Wert des Arbeitseinkommens für den gesamtvolkswirtschaftlichen Wohlstand eines Staates, vgl. dazu nur Der Wohlstand der Nationen, Erstes Buch, 8. Kapitel und Zweites Buch, 2. Kapitel. Srnith selbst unternimmt aber an keiner Stelle eine monetäre Bewertung eines Menschenlebens, wie auch Dublin/Miller, S. 11 f. einräumen. Erste Berechnungen des Wertes des Menschen unter Zugrundelegung seiner Arbeitskraft finden sich bei William Farr; Vital Statistics, Journal of the Statistical Society 1853, S. 43 ff. Zur historischen wissenschaftlichen Debatte über diese Art der Kalkulation vgl. Dublinl Miller, S. II ff. Zur Berechnung vgl. Mishan, Cost-Benefit-Analysis, Chapter 46, S. 330 ff. m Miller, 83 N.W.U.L. Rev. 876, 877 f. (1989). 11s Miller, 83 N.W.U.L. Rev. 876, 877 (1989) m.w. N. in Fn. 12. 115
116
250
7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
sogar einen negativen Wert habe 119• Diese "dilettantischen Versuche, den Wert der Todesverhütung zu bestimmen", hätten, so Schäfer und Ott, "mit dazu beigetragen, die Bedeutung dieser Forschungsrichtung zu diskreditieren" 120. Neuere Forschungsansätze versuchen, dieses moralische Dilemma, das für den Augenblick zurückgestellt werden soll, einerseits durch eine veränderte Wortwahl und andererseits durch einen Perspektivenwechsel zu lösen, bei dem das Kriterium der menschlichen Erwerbskraft durch den sogenannten "willingness to pay"-Ansatz121- der die Vielzahl der sich dahinter verbergenden Methoden, wie gleich zu untersuchen ist, nur unzureichend beschreibt - ersetzt wird. Bei der Bemessung immaterieller Schäden ginge es nicht, so Schelling, um den Wert des menschlichen Lebens, sondern um ,,Lebensrettung (life-saving)", um die "Verhinderung desTodes (preventing of death)" 122. Anknüpfungspunkt soll "der Wert sein, den das Individuum selbst seinem Überleben beirnißt." 123
1. "Wert der Todesverhütung''
Nach Schäfer und Ott sollen bei der Frage, welche monetären Kriterien effiziente Anreize zur Todesverhütung setzen, die folgenden Erwägungen eine Rolle spielen: - der Wert, den das Individuum selbst dem Rest seines Lebens beimißt, - der Wert, den andere nahestehende Personen dem Überleben eines Individuums beimessen, - der Wert, den die übrigen Gesellschaftsmitglieder, d. h. die Gemeinschaft insgesamt dem Überieben des Individuums beimessen 124•
Aus dieser Orientierung an der individuellen Wertschätzung und der Wertschätzung, die die Gesellschaft als solche dem anonymen Individuum entgegenbringt, ergibt sich eine Vielzahl von Ansätzen, wie Aufwendungen, die zur Verhütung von Todesfällen und Körperverletzungen aufgebracht werden sollen, berechnet werden können. Die Grundsatzfragen, die dabei beantwortet werden müssen, sind die folgenden. Zum einen muß entschieden werden, ob die Schadensermittlung aus der ex-post oder aus der ex-ante Sicht erfolgen soll. Zum anderen ist problematisch, ob die Zahlungsbereitschaft (willingness to pay) abstrakt auf die Bereitschaft der Gemeinschaft oder auf das Individuum bezogen werden soll, wobei unterschiedliche Perspektiven gewählt werden können, nämlich entweder die Bereitschaft des von 119
120
121 122 123 124
Schäfer I Ott, JZ 1990, 563, 570; Mishan, Cost-Benefit-Analysis, Chapter 46, S. 333. Schiifer/Ott, JZ 1990, 563,570. Miller, 83 N.W.U.L. Rev. 876, 879 f. (1989) m. w. N. Schelling, S. 127. Schiifer/Ott, JZ 1990,563,570. Schiifer/Ott, JZ 1990, 563,570.
III. Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive
251
einem Risiko bedrohten Individuums, das Risiko durch eigene Aufwendungen aus seinem Vermögen zu senken oder die Bereitschaft des gleichen Individuums, sich gegen Zahlung einer "Risikoprämie" einem erhöhten Risiko auszusetzen. a) Berechnung aus der ex-post Perspektive
Nach Schäfer und Ott zielt dieser Ansatz der Schadensberechnung darauf ab, ,jenen Betrag zu ermitteln, der notwendig ist, um den Geschädigten ex post voll zu kompensieren." Eine derartige Kompensation ist aus mehreren Gründen problematisch und wird daher auch aus der Perspektive der ÖTR nicht vertreten. Sie bietet nur für den Fall der Körperverletzung, nicht aber für den Fall der Tötung einen denkbaren Lösungsansatz 125 • Der Ausgleich einer erheblichen körperlichen oder geistigen Behinderung durch die Ermöglichung eines fürstlichen Lebensstils mag schon zweifelhaft genug sein, im Fall des Todes versagt er gänzlich, da ein noch so hoher Schadensersatz dem Geschädigten nicht mehr zugute kommt 126. Im Falle einer Körperverletzung fehlt es an Kriterien, die die Bestimmung des Umfangs des Schadensersatzes auf eine nachvollziehbare Grundlage stellen. Schäfer und Ott umschreiben den Ersatzanspruch am Beispiel einer Querschnittslähmung als "das maximal denkbare Konsumniveau, das alle Konsumoptionen einschließt und ein fürstliches Luxusleben zumindest ermöglicht" 127. Eine derartige Kalkulation ist nicht nur höchst unsicher128, sondern führt auch, da ein derartiger Schadensersatz in der Beziehung Hersteller-Verbraucher über den Kaufpreis finanziert wird, zu erheblichen Verschiebungen des zur Verfügung stehenden Einkommens aus der Phase vor dem Schadensereignis in die Phase nach dem Schadensereignis. Da ein rational handelnder Verbraucher derartige Aufwendungen nicht vornehmen würde, wird diese Berechnung auch von Schäfer und Ott abgelehnt 129. b) Berechnung aus der ex-ante Perspektive
Angesichts der aufgezeigten Schwierigkeiten stellt die überwiegende Ansicht auf eine Berechnung aus der ex-ante Perspektive ab. Methodisch sind die folgenden Ansätze zur Berechnung des "Werts der Todesverhütung" denkbar. Zum einen können tatsächlich getätigte finanzielle Aufwendungen - sei es zur Schadensverhütung, sei es als Risikoprämie für einen potentiell Geschädigten - zur Grundlage der Berechnung gemacht werden. Zum anderen können verhaltensorientierte Un-
125
126 127 128
129
Vgl. dazu Leebron, S. 276. Leebron, S. 279. Schäfer/Ott, JZ 1990,563, 567. Vgl. zum Problem der Kalkulationsbasis auch Leebron, 276. Vgl. dazu ausführlich Schäfer/Ott, JZ 1990,563,567 f .
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
tersuchungen durchgeführt werden, die sich an dem risikosenkendem Verhalten im täglichen Leben orientieren wie z. B. der Benutzung von Fußgängerunterführungen, von Sicherheitsgurten im Auto und an der Wahl der Geschwindigkeit beim Autofahren. Schließlich können Befragungen durchgeführt werden, wieviel Einkommen Individuen aufwenden würden, um ihr Todesrisiko um einen bestimmten Betrag zu senken 130. Die beiden letzten Ansätze sind zur Berechnung des "Werts der Todesverhütung" problematisch. Bei der Frage des risikominimierenden Verhaltens stellt sich die Frage nach der Meßbarkeit des "Werts" derartiger Maßnahmen. Wie kann die Unbequemlichkeit, die sich durch das Anlegen eines Sicherheitsgurts oder des Benutzens einer Fußgängerpassage ergibt, in einen nachvollziehbaren monetären Wert umgesetzt werden? Der Befragungsansatz wird überwiegend abgelehnt, da er besonders anfällig für Verzerrungen ist - Verbraucher, die nicht tatsächlich die Aufwendung tätigen sollen, sondern nur über ein hypothetisches Vermögensopfer Auskunft erteilen sollen, tendieren dazu, großzügiger zu sein, als sie dies in einer wirklichen Entscheidungssituation wären. Der Schwerpunkt der Studien liegt daher auf der Untersuchung von tatsächlichen, monetären Opfern oder entsprechenden Risikoprämien, die angesichts einer risikoträchtigen Aktivität erbracht oder verlangt werden.
aa) Schadensvermeidungsaufwendungen zur Risikosenkung: "willingness to pay" Ausgangspunkt für den Umfang des Schadensersatzes sind die Aufwendungen, die eine vom Risiko des Todes bedrohte Person aufwenden würde, um das Risiko um einen bestimmten Prozentsatz zu senken, wenn nur sie selbst und nicht der SchädigerUnfallhöhe und -Wahrscheinlichkeit beeinflussen könnte. Der Wert der Todesverhütung berechnet sich dann aus dem Schadensvermeidungsaufwand geteilt durch die verminderte Wahrscheinlichkeit eines Unfalltodes. Nehmen wir an, ein Verbraucher wendet Ressourcen im Wert von 1000,- DM auf, um das Risiko eines bestimmten Unfalltodes von einem Promille auf ein halbes Promille zu senken. Statistisch gesehen bedeutet diese Zahlungsbereitschaft, daß aus Sicht dieses Verbrauchers Ressourcen im Wert von 2 Mio. DM aufgewendet werden müßten, um - wiederum statistisch gesehen - einen Todesfall zu verhindem 13 1 • Vertreter dieses Ansatzes lassen offen, ob es um die Bereitschaft eines individuellen Verbrauchers geht, die genannten Risikoaufwendungen zu tätigen, oder ob auf die Aufwendungen, die die Gesellschaft als ganze zur Rettung eines ihrer ano-
130 131
Miller, S. 880; Schäfer/Ott, JZ 1990,563, 570. Beispiel nach Schäfer/Ott, JZ 1990,563,567.
III. Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive
253
nymen Mitglieder zu tätigen bereit ist 132, abzustellen ist. Da es sich um empirische Erhebungen handelt, dürften die Übergänge fließend sein. Es werden grundsätzlich eine Vielzahl von Daten ausgewertet, aus denen ein Durchschnitt zu bilden ist, so daß es sich nicht um die konkreten Sicherheitsaufwendungen eines bestimmten Verbrauchers, sondern um die am statistischen Mittel orientierten Ausgaben eines "idealtypischen Verbrauchers" handelt. Eine Möglichkeit zur Differenzierung dürfte dann gegeben sein, wenn zur Ermittlung des Werts der Todesverhütung solche Maßnahmen herangezogen werden, die der Willkür des einzelnen entzogen sind- so z. B. dann, wenn gesetzliche Vorschriften oder behördliche Auflagen zur Gewährleistung einer Basissicherheit bestehen. Der "willingness to pay"-Ansatz liegt einer Vielzahl von Arbeiten zur Berechnung des Werts der Todesverhütung zugrunde. Beispielhaft werden hierbei die folgenden Kriterien herangezogen: der Kauf von Rauchmeldern in privaten Haushalten 133 , der Kauf von Sicherheitsgurten 134 oder der Bereitschaft, in sicherere Autos oder Versicherungen zu investieren 135 . bb) Risikoprämien zugunsten des potentiell Geschädigten: "willingness to se11" 136 Der gebotene Schadensvermeidungsaufwand orientiert sich an der - empirisch feststellbaren 137 - Risikoprämie, die aus der ex-ante Perspektive des potentiell Geschädigten gezahlt werden müßte, damit er sich einem bestimmten Risiko aussetzt. Maßgeblich ist, für welche Prämie der potentiell Geschädigte ein erhöhtes Todesrisiko durch die Duldung eines gefährlichen Verhaltens Dritter oder durch die eigene Ausübung einer potentiell gefährlichen Tätigkeit verlangen würde. Im Vergleich zur Berechnung des Schadensersatzes auf der Grundlage der Aufwendungen, die ein potentiell Geschädigter tätigen würde, kann dieser Perspektivenwechsel zu erheblichen Abweichungen bei der Höhe des Schadensersatzes führen. Dies liegt nicht nur an den unterschiedlich ausgeprägten Risikoneigungen und -aversionen von Individuen, die bei beiden Berechnungsprinzipien eine Rolle spielen dürften. Entscheidend ist vielmehr, daß der Fähigkeit und Bereitschaft, ein bestimmtes Risiko zu senken, durch das eigene Einkommen Grenzen gesetzt sind, so daß potentiell Geschädigte unter Umständen darauf verzichten, weitere Aufwendungen zur Schelling, S. 129 ff., 133 ff. Dardis,The American Economic Review, 1980, S. 1077 ff. 134 Blomquist, Economic Inquiry, 1981, S. 158 ff. 135 Siehe Beispiele bei Miller, S. 881. 136 In der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion werden alle angesprochenen Berechnungsweisen aus der ex-ante Perspektive unter dem Stichwort "willingness to pay" behandelt. Der Ausdruck "willingness to sell" wird von mir verwandt, um den Perspektivenwechsel zu kennzeichnen. 137 Schäfer/Ott, JZ 1990,563, 570. 132 133
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Risikosenkung zu tätigen, um über ein höheres Realeinkommen zu verfügen. Geht es umgekehrt darum, das Recht, ohne erhöhte Risiken zu leben, zu verkaufen, so kann dies dazu führen, daß der potentiell Geschädigte diese Risikoerhöhung nur gegen eine wesentlich höhere monetäre Entschädigung in Kauf nehmen würde 138 • c) ,. willingness to pay I sell" im Zusammenhang mit Körperverletzungen
Es stellt sich nun die Frage, ob die dargestellten Prinzipien einen Ansatz für die Berechnung der Kompensation von Körperverletzungen aus der ex-ante Perspektive darstellen und ob dieser mit den geltenden Grundsätzen des deutschen und amerikanischen Schadensersatzrechts im Einklang steht. Die Untersuchung der Praxis in beiden Ländern hatte ergeben, daß gravierenden Körperverletzungen, die etwa eine lebenslange Abhängigkeit des Verletzten von der Hilfe Dritter mit sich bringen, auch im immateriellen Bereich grundsätzlich weitreichender kompensiert wird, als dies bei der Tötung des Verletzten der Fall ist. Nach Schäfer und Ott besteht zwischen der Entwicklung von Prinzipen zum Wert der Todesverhütung und der Frage des Werts der Unfallverhütung "keine leicht begehbare Briicke" 139. Die Problematik schlägt sich bei der Frage nieder, wie Schwerstverletzungen im Vergleich zur Tötung berechnet werden sollen. Teilweise wird der Tod als die gravierendste aller möglichen Verletzungen angesehen und die Kompensation für Körperverletzungen ausgehend von diesem Wert unter Beriicksichtigung der maßgeblichen Kriterien - wie Mobilität, die Fähigkeit, sich selbst zu versorgen, sowie der Frage des Schmerzes und des Grads der Entstellung -abgestuft berechnet 140• Wie diese Kriterien in eine handhabbare Formel umgesetzt werden sollen, bleibt weitgehend offen 141 . Insbesondere ist die Frage ungeklärt, ob die Abstufung linear - wie es das Prinzip der Berechnung der Todesverhütung nahelegt 142 - oder nicht-linear erfolgen soll. Diese Frage leitet über zu dem Leebron,S. 276. vgl. dazu auch die Ausführungen in Teil C, 6. Kapitel, 4.1.2. Schäfer/Ott, JZ 1990,563,572. 140 Miller,S. 880; T. R. Miller/ K. Luchter/J. Brinkmann, Crash Costs and Safety Investment, 21 Accident Analysis & Prevention, 1989, S. 303 ff.; Schäfer/Ott, JZ 1990, 563, 572 mit Verweis auf die Untersuchung von Feger/Kastner/Küpper, Skalierung der subjektiven Unfal1schwere, Gutachten an die Bundesanstalt für Straßenwesen 1975. 141 Illustrativ für die Unsicherheiten, die bei der Umsetzung bestehen, sind die Ausftihrungen von Viscusi, Reforming Products Liability Law, S. 112 zu diesem Thema: "Valuing serious bum injuries is more difficu1t, because we do not have explicit data on these deterrence values. However, we do know that the consumer valuations of chronic bronchitis are roughly one-third that of fatalities, or $ 1.5 million. Since burn injuries are much more painful and serious than chronic bronchitis, a value of $ 2.5 million has been assessed in this instance." Eine derartige Festlegung der Höhe des Schmerzensgeldes kann nur als willkürlich bezeichnet werden. 142 Kritisch dazu E.J. Mishan, Cost-Benefit-Analysis, 4. Aufl., 1988, Chapter 46, S. 334 f. Fn. 10. 138
139
III. Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive
255
Befund, daß der Verlust des Lebens von vielen Menschen als geringeres Übel im Vergleich zu einem Leben in Hilflosigkeit und unter erheblichen Schmerzen angesehen wird 143. Der für die Todesverhütung angesetzte Wert stellt nach diesem Verständnis nicht die Spitze eines Schadensersatzes für immaterielle Schäden dar. Vielmehr sei -beruhend auf Umfragen- der Wert der Verhütung einer schmerzhaften Schwerstverletzung oder eines Lebens im Koma ein Wert anzusetzen, der den der Todesverhütung etwa um den Faktor von 0.6 übersteige. Problematisch bleibt, daß es an nachvollziehbaren Kriterien für die Erstellung der "Hierarchie der Verletzungen" fehlt. Darüber hinaus liegt in dem Rückgriff auf Umfragen ein Bruch in der Methodik, da er sich zudem eines Mittels zur Ermittlung der Risikoneigung bedient, das aus den oben aufgezeigten Gründen zuvor abgelehnt wurdel43a.
d) Stellungnahme zum" willingness-to-pay" Ansatz
Der "willingness-to-pay"-Ansatz ist nicht unumstritten. Die geäußerten Kritikpunkte gehen in zwei Richtungen. Zum einen wird der Ansatz als solcher zwar akzeptiert, aber das Vorgehen im einzelnen kritisiert. Zum anderen wenden sich die Bedenken gegen die Berechnung des "Werts des menschlichen Lebens" als solche. aa) Methodische Schwächen des "willingness-to-pay" Ansatzes Es stellt sich zunächst die Frage, ob der willingness to pay Ansatz einen befriedigenden Ansatz für die inhaltliche Ausfüllung des Kostenbegriffs im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen darstellt. Augenfällig ist zunächst, daß die unterschiedlichen Berechnungsweisen zu im höchsten Maße breit gestreuten Ergebnissen führen. Schäfer und Ott weisen in ihrer Auswertung einiger Studien zu dieser Fragestellung nach, daß die für den Wert der Todesverhütung ermittelten Daten zwischen dem elf- bis 809fachen des Bruttosozialprodukts pro Kopf gemessen an den Preisen des Jahres 1980 schwanken 144. Unter dem Gesichtspunkt der Vorhersehbarkeit der Haftungslast ist dies ein gravierendes Problem.
143 Kind I Rosser I Williams, Valuations of the Quality of Life: Some Psychiatrie Evidence, in: M. W Iones-Lee, The Value of Life and Safety, S. 159 ff., 1982. ; Miller, S. 880 unter Verweis auf C. Green/ R. Brown, Life Safety: What Is It and How Much Is It Worth? Report for the U.K. Building Research Establishment, Dept. of the Environment, 1987; Iones-Lee/ Hammerton I Phillips: The Value of Safety: Results of aNational Sampie Survey, 95 Econ. J. 49, 1985. 143a Vgl. 7. Kapitel, III. l. b). 144 Schäfer!Ott, JZ 1990, 563, 571. Diese breite Streuung ist m.E. in der Methodik begründet, so daß auch bei einer erneuten Erhebung zum heutigen Zeitpunkt vergleichbare Schwankungen auftreten dürften. Die Verwendung der älteren Daten ist daher m.E. zulässig.
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Warum die Ergebnisse im einzelnen so weit voneinander abweichen, läßt sich nicht ohne weiteres sagen. Allerdings dürften die folgenden Ursachen relevant sein. Zum einen ist ein deutlicher Trend erkennbar, daß Erhebungen, die unter dem Aspekt der "willingness to sell" durchgeführt werden, zu erheblich höheren Ergebnissen führen als solche, denen die "willingness to pay" zugrundeliegt Dieses Ergebnis ist konsistent mit dem Befund, daß das zur Verfügung stehende Realeinkommen eine Schranke für die Bereitschaft darstellt, zusätzlich in die Sicherheit zu investieren. Zum anderen beeinflußt das Risiko, an das angeknüpft wird, ganz wesentlich die Bereitschaft des Verbrauchers, Risikoaufwendungen zu tätigen 145 • Dies kann seine Ursache in rationalen Erwägungen, aber auch in Informationsdefiziten und Risikofehlwahrnehmungen haben, wie sie im vorangegangenen Kapitel untersucht wurden. Ein Beispiel für eine rational motivierte Bereitschaft zu erhöhten Investitionen in die Risikovermeidung ist der von Viscusi und Magat konstatierte "elterliche Altruismus" 146, der darauf abzielt, Gesundheitsrisiken so weit wie möglich von Kindern abzuwenden. Teilweise wird daraus der Schluß gezogen, daß der "Wert der Todesverhütung von Kleinkindern" höher zu beziffern sei, als der "Wert der Todesverhütung von Erwachsenen" 147 . Ebenso kann es sich für den Verbraucher als rationaler darstellen, bei sehr geringen finanziellen Aufwendungen in die Sicherheit zu "überinvestieren", als "Suchkosten" auf sich zu nehmen 148. Schließlich ist zu beriicksichtigen, daß die Zahlungsbereitschaft nicht nur ein Ausdruck des Wunsches ist, Sicherheitsrisiken zu senken. So reflektiert beispielsweise das Einkommen für risikogeneigte Tatigkeiten nicht nur das erhöhte Todes- bzw. Verletzungsrisiko, sondern auch die besonderen Fähigkeiten und den Ausbildungsstand des Angestellten. Mishan kritisiert den von ihm als "insurance approach" bezeichneten willingness-to-pay Ansatz als ungenügendes Kriterium für den Rückschluß darauf, welche Einstellung Individuen gegenüber tödlichen Risiken hätten. Aus dem Abschluß einer Versicherung - oder dem Verzicht auf dieselbe - könne bestenfalls auf die Bereitschaft und Notwendigkeit geschlossen werden, den finanziellen Bedürfnisse von möglichen Hinterbliebenen Rechnung zu tragen 149. Führt dies nun dazu, daß diese Berechnungsmodelle mit dem Hinweis auf fehlende Kalkulierbarkeit abgelehnt werden müssen? Nach Schäfer und Ott kann sich die Rechtsprechung die Untersuchungen sehr wohl zunutze machen, solange ein Konsens dariiber besteht, auf welche Ermittlungsweise zuriickgegriffen werden soll. Angesichts der breiten Streuung der ermittelten Werte scheide eine Durchschnittsbildung aus 150• Der Vorschlag von Schäfer und Ott richtet sich darauf, den niedrigsten Wert als "Ausrutscher" aus der Kalkulationsbasis herausfallen zu las145 146 147 148 149 150
Bailey: Comrnent on Thomas Schelling, S. 165. Magat/Viscusi, 3. Kapitel, S. 59. Miller, S. 896. Bailey: Comrnent on Thomas Schelling, S. 165. Mishan, Cost-Benefit-Analysis, Chapter 46, S. 334 f. Fn. 10. Schäfer/Ott, JZ 1990,563, 571 f .
III. Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive
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sen und den zweitniedrigsten Wert als den "Wert der Todesverhütung" anzusetzen. Dies habe den Vorteil, daß man jedenfalls die Gerichte davor bewahre, den Wert der Todesverhütung grob zu überschätzen 151 . Eine derartige Lösung des Streuungsproblems ist unter rein pragmatischen Gesichtspunkten gut vertretbar, zumal sie angesichts des - im Vergleich zur Praxis der deutschen Rechtsprechung- deutlich erhöhten Umfangs des Ersatzes immaterieller Schäden gezieltere Anreize zur Vermeidung von Primärschäden setzt. Sie leidet aber darunter, daß sie zwei wichtige Fragen abschneidet. Zum einen wird mit der Wahl des Ausgangskriteriums nicht allein eine Aussage über das empirisch nachweisbare Verhalten der Gesellschaft und ihrer Mitglieder mit Hinblick auf bestimmte Risiken, sondern gleichzeitig auch eine normative Entscheidung getroffen. Die unterschiedlichen Höhen des Schadensersatzes beruhen ja in erster Linie darauf, ob der Schädiger das Recht abkaufen muß oder ob das Opfer den Eingriff mit einem vermögensmäßigen Opfer abwehren muß - eine Frage, die nach dem Coase-Theorem und den im zweiten Teil dieser Arbeit getroffenen Feststellungen eben nicht a priori entschieden werden kann, sondern die gerade das Wesen der Produktfehlerhaftigkeit im Konstruktionsbereich ausmacht. Zum anderen beruht die Berechnung des Werts der Todesverhütung auf der impliziten- Annahme, daß das nach außen in Erscheinung tretende Verbraucherverhalten zutreffend die Risikoneigung und die Wertschätzung widerspiegelt, die die betroffenen Individuen dem Rechtsgut Leben entgegenbringen. Diese Hypothese ist in zweierlei Hinsicht problematisch. Für Vertreter von Kosten-NutzenAnalysen stellt die Unfahigkeit des Verbrauchers, produktbedingte Risiken zutreffend einzuschätzen, den Kern für die Überlegenheit dieses Ansatzes gegenüber dem informationellem Fehlerbegriff dar. Stützt man die Kostenermittlung des "Werts der Todesverhütung" nun auf den willingness to pay Ansatz, so könnte man als Kriterium sinnvollerweise auch die Entscheidung von Verbrauchern für oder gegen bestimmte Produkte heranziehen. Auch bei der Entscheidung des Verbrauchers, das Produkt zu kaufen, dessen Sicherheit er nun nach dem Schadensereignis als unzureichend ansieht, ist seine "willingness-to-pay" in Erscheinung getreten, indem er sich für dieses und nicht etwa ein anderes Modell mit einem höheren Sicherheitsniveau entschieden hat. Die Notwendigkeit, den Verbraucher im Fall der Produkthaftung nicht einfach auf seinen bei der Kaufentscheidung zum Ausdruck gekommenen Willen zu verweisen, sondern die Angemessenheil des Sicherheitsniveau durch ein drittes Gremium, nämlich das Gericht, überpriifen zu lassen, wird damit begründet, daß die Entscheidung des Verbrauchers durch Informationsdefizite verzerrt sei, die im ersten Teil dieses Kapitels ausführlich untersucht wurden. Eine gerichtliche Überpriifung der Konstruktion soll bei einer konsequenten Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen selbst bei offensichtlichen Fehlern oder Warnungen des Herstellers vor vermeidbaren Konstruktionsmängeln möglich sein. Legt man im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen der Kostenberechnung den 151
Schäfer/Ott, JZ 1990, 563, 572.
17 Kollmann
258
7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
willingness to pay I sell Ansatz zugrunde, so führt dies zu dem paradoxen Ergebnis, daß jener als unzureichend charakterisierte Ausdruck von Verbrauchersouveränität quasi durch die Hintertür Eingang in die Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit findet. Teilweise wird dieses Problem gesehen. Miller und Blomquist nennen als Voraussetzung für die Berechnung des Werts der Todesverhütung die Berücksichtigung der Auswirkung von Risikofehlwahrnehmungen auf Seiten der Betroffenen152. Inwieweit eine derartige Bereinigung empirisch ermittelter Werte möglich ist, muß im Rahmen dieser Arbeit offengelassen werden, feststeht aber, daß dies eine der Voraussetzungen dafür ist, daß das Kriterium des zu erwartenden Schadens im Rahmen von Kosten-Nutzen-Analysen nicht willkürlich festgesetzt, sondern nach nachvollziehbaren Kriterien ermittelt wird. bb) Die Unersetzbarkeit des menschlichen Lebens durch finanzielle Aufwendungen Jenseits solche methodischer Bedenken stellt sich die Frage nach der Legitimität einer derartigen Bezifferung des "Werts der Todesverhütung". Es werden dabei tiefgehende normative Fragen berührt, deren Untersuchung den Rahmen dieser Arbeit sprengen würden. Ich begnüge mich daher damit, die Problematik aufzuzeigen, ohne sie auch nur annähernd abschließend behandeln zu wollen. Wer für die Berechnung des "Werts der Todesverhütung" eintritt, stellt das Postulat in Frage, daß das menschliche Leben von unschätzbarem Wert und daher unbezahlbar sei, das sowohl in der deutschen als auch in der amerikanischen Rechtsordnung Geltung hat. Es gehört zu den Grundentscheidungen sowohl der deutschen, als auch der amerikanischen Rechtsordnung, daß bestimmte Rechte auch dann nicht marktgängig sein sollen, wenn der Träger des Rechts dies wünscht153 • Leben und Gesundheit werden als solche Rechtsgüter angesehen, die ihr Träger nicht oder nicht uneingeschränkt "veräußern" 154 kann, wie sich im deutschen Recht an§§ 216, 226a StGB belegen läßt. Die nüchterne Berechnung des immateriellen Werts von Leben und Gesundheit scheint schließlich in einem Widerspruch zu dem Verhalten zu stehen, das sowohl die deutsche als auch die amerikanische Gesellschaft an den Tag legt, wenn in einer konkreten Situation das Leben oder die Gesundheit von bestimmten Individuen bedroht ist. Die - objektiv kostenaufwendige - Rettung von Opfern von Flugzeugabstürzen, Naturkatastrophen o.ä. wird nicht mit dem Hinweis darauf unterlassen, daß derartige Aufwendungen in keinem Verhältnis zum abstrakten "Wert" des Lebens der Betroffenen stünden 155 . Der Ein152 Miller, S. 881 mit Verweis auf ders., Narrowing the Plausible Range Around the Value of Life, The Urban Institute. 153 Vgl. dazu ausführlich Calabresi/Melamed, S. 1092, 1111. 154 Zum Begriff der "Veräußerung in diesem Zusammenhang vgl. Calabresi/Melamed,S. 1089 ff.
III. Berechnung immaterieller Schäden aus ökonomischer Perspektive
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tritt des Schadensereignisses und die Gefahr, daß ein menschliches Leben gerade diesem Ereignis zum Opfer fällt, führt dazu, die Einzigartigkeit dieses bedrohten Lebens erfahrbar zu machen 156, so daß die rein monetären Aufwendungen dahinter zurücktreten. Kritiker fassen das Unbehagen, das dann entsteht, wenn der "Wert des Menschen" in Geldwerten gemessen werden soll, folgendermaßen zusammen. Die Ermittlung des Preises des menschlichen Lebens sei, so Hampshire, nur um den Preis eines Verzichts auf ethische Prinzipien möglich, sie bringe mit sich "a coarseness and grossness of moral feeling, a blunting of sensibility and a supression of individual discrimination and gentleness" 157• Reicht der Hinweis auf die - überspitzt ausgedrückt - Obszönität derartiger Rechenexempel aus, um den Ansatz als solchen zu diskreditieren? M.E. kann diese Frage nur vor dem Hintergrund beantwortet werden, ob der Verzicht auf derartige Berechnungen zu befriedigenderen Lösungen führt. Dies ist eng verknüpft mit der Frage, welches Menschenbild und welche Ziele dem Haftungsrecht zugrunde liegen. Geht man von einem grundsätzlich eigennützigen Menschenbild im Sinne der REMM-Hypothese aus, so erscheint der reine Appell an den Respekt vor dem Wert des menschlichen Lebens nur unzureichende Anreize zu setzen, um das Verhalten entsprechend zu beeinflussen. Der systematische Verzicht auf den Ersatz immaterieller Werte ist in diesem Fall nicht Ausdruck eines Verständnisses, daß das immaterielle Rechtsgut Leben und Gesundheit sich aufgrund seiner Einzigartigkeit einer Bewertung in monetären Werten entzieht, so daß allein eine Kompensation von materiellen Einbußen möglich ist, sondern führt zu dem zynischen Ergebnis, daß diese immateriellen Rechtsgüter in der Kalkulation des nüchternen homo oeconomicus als wertlos auftauchen, weil ihre Beschädigung oder Zerstörung keine gegen ihn gerichteten Ansprüche auslösen können. Wenn es um die Schaffung optimaler Anreize zur Vermeidung von Primärschäden durch eine entsprechende Formulierung des Kostenbegriffs geht, so ist der für immaterielle Schäden angesetzte Wert im Sinne Schellings als "Wert des statistischen Lebens" 158 zu verstehen, da es nicht darum geht, die Rechtsgüter Leben und Gesundheit marktgängig zu machen, sondern Anreize an den Hersteller zu setzen, auch immaterielle Schäden bei der Konstruktionsentscheidung angemessen zu berücksichtigen. Die Tatsache, daß ein Schadensersatz in Geld sich in der Realität tatsächlich als höchst unzureichender Ersatz für das zerstörte Rechtsgut Leben und Gesundheit erweist, spricht daher m.E. nicht dagegen, den Kostenbegriff so auszulegen, daß der immaterielle Aspekt des "Werts des menschlichen Lebens" zumindest ansatzweise berücksichtigt wird. Diese Kalkulation ist allein als Faktor in der haftungsrechtlichen Kalkulation relevant und stellt insbesondere keine Ermächtigung zum Eingriff in das Rechtsgut "menschliches Leben" dar. 155 156 157 158 17*
Calabresi, The Costs of Accidents, S. 25. Vgl. dazu Schelling, S. 129. Hampshire, S. 86. Schelling, S. 127.
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen 2. Zwischenergebnis
Nach diesem Überblick über die Lösungsansätze im deutschen und amerikanischen Recht sowie in der Wirtschaftwissenschaft zum Problem der inhaltlichen Auslegung des Kostenbegriffs soll zu den eingangs gestellten Fragen zurückgekehrt werden. Für die Berechnung des "Kostenaspekts" bei Kosten-Nutzen-Analysen kann auf die Grundsätze des deutschen Schadensersatzrechts zurückgegriffen werden, soweit unter "Kosten" die Beeinträchtigungen von materiellen Werten verstanden werden. Hinsichtlich der Beschädigung von immateriellen Rechtsgütern ist der Schadensbegriff des deutschen Rechts unter dem Aspekt, daß zur Vermeidung von Primärschäden von einem umfassenden Kostenbegriff ausgegangen werden muß, unbefriedigend. Er verzichtet systematisch auf die Kompensation bestimmter Schäden; seine inhaltliche Ausfüllung folgt nicht einem rational begründeten und vorhersehbaren Berechnungsschlüssel, sondern liegt im Ermessen des entscheidenden Richters. Hier führt auch der Rückgriff auf das amerikanische Recht nicht weiter. Zwar kennt das amerikanische Recht aufgrund seiner Betonung des Präventionsziels einen umfassenden Ersatz von immateriellen Schäden, jedoch folgt dessen Berechnung keinen nachvollziehbaren Grundlagen. Allerdings gibt es Entscheidungen, nach denen ein Rückgriff auf die Modelle, die zur Bestimmung des "Werts der Todesverhütung" durch die Wirtschaftswissenschaften entwickelt wurden, in diesem Zusammenhang zulässig sein soll. Unter diesen Modellen ist der willingness-to-pay I sell Ansatz hervorzuheben, der angesichts des aus einer ex-ante- Perspektive zu bestimmenden Willens der Mitglieder der Gesellschaft, in Sicherheit zu investieren bzw. bestimmte Risiken auf sich zu nehmen, auf den "Wert" des Rechtsguts Leben und Gesundheit zu schließen versucht, gegen den jedoch eine Vielzahl von Bedenken vorgebracht werden können. Neben den angesprochenen Problemen ist m. E. zu berücksichtigen, daß eine sinnvolle Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen bei der Erfüllung von zwei Voraussetzungen möglich ist. Zum einen muß das Gericht als entscheidende Instanz in der Lage sein, einen derart komplexen Kostenbegriff im gerichtlichen Verfahren zu ermitteln. Zum anderen steht ein solcher Kostenbegriff in einem Widerspruch zu den geltenden Grundsätzen des deutschen Schadensersatzrechts, indem er die Kompensation auf Bereiche ausweitet, die bisher systematisch als nicht ersatzfähig behandelt wurden. Dies brächte einen sehr weitgehenden Eingriff in die Zivilrechtsdogmatik mit sich, der zwar nach den Ergebnissen des fünften Kapitels dieser Arbeit für den Untersuchungsgegenstand durchaus sinnvoll erscheint, jedoch in einem weitergreifenden Umfang gut bedacht sein will.
IV. Nutzenberechnung Im Anschluß an die Problematik der Kostenbestimmung stellt sich die Frage, ob es für die Bestimmung des Nutzens einer bestimmten Konstruktion gegenüber einer Alternativkonstruktion sinnvolle Kriterien gibt. Aus einer juristischen Per-
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spektive fehlt zu diesem Themenkomplex bisher eine befriedigende Stellungnahme. Nach den Ausführungen von comment e zu § 2, tentative draft No 2 besteht die Gesamtabwägung darin, daß unter Berücksichtigung aller relevanten Eigenschaften - wie z. B. Unterhaltung, Reparaturanfälligkeit, Ästhetik u.ä. - Kosten und Nutzen der gewählten Konstruktion im Vergleich zur Alternativkonstruktion ermittelt werden. Nach den Feststellungen des dritten Kapitels bleibt der Nutzenbegriff sowohl in den Ausführungen des Restatements, der maßgeblichen amerikanischen Literatur und Rechtsprechung und schließlich der deutschen Stellungnahmen zu diesem Thema seltsame vage. Entweder wird die Möglichkeit der Bestimmung und Bezifferung des Produktnutzens ohne weiteres vorausgesetzt oder die Nutzenanalyse wird auf einen Vergleich von Schadens- und Schadensvermeidungskosten im Sinne einer Learned Hand Formel verkürzt oder aber es wird mit "Zumutbarkeitserwägungen" argumentiert, die sich einer Übersetzung in einen monetären Rechnungsposten entziehen. Diese Beobachtung könnte für den deutschen Rechtskreis dadurch widerlegt werden, daß Kosten-Nutzen-Analysen den Inhalt des Bedenklichkeilsbegriffs in §§ 5, 84 Nr. 1 AMG bestimmen. M.E. ist die Übertragung der Grundsätze des Arzneimittelrechts auf die Bestimmung der Fehlerhaftigkeit von sonstigen Produkten problematisch. Die fehlende Übertragbarkeit liegt darin begründet, daß es sich bei der Kosten-Nutzen-Analyse nach § 84 Nr. 1 AMG tatsächlich um eine "Risiko-Risiko-Analyse" handelt, die die Gesundheitsrisiken, die von dem Medikament selbst, von anderen Medikamenten für eine vergleichbare Indikation und von einer Nicht-Behandlung der Krankheit des Patienten ausgehen, berücksichtigt. Damit sind ihrer Natur nach gleichgelagerte Risiken, die sich lediglich durch die Schwere des zu erwartenden Schadens und die Wahrscheinlichkeit, daß sich das Risiko realisiert, gegeneinander abzuwägen. Ziel des § 84 Nr. 1 AMG ist es dagegen nicht, im Gerichtsverfahren die Gesundheitsrisiken des Arzneimittels sonstigen, anders gelagerten Vorzügen gegenüberzustellen. Gerade die Berücksichtigung dieser Kriterien begründet aber nach der Ansicht von Vertretern von Kosten-Nutzen-Analysen die Überlegenheit dieses Fehlerbegriffs, indem sie etwa in Abgrenzung zur Learned-Hand-Formel den Produktnutzen zu berücksichtigen vermag. M.E. ist diese Zurückhaltung bei der Offenlegung der für die Nutzenberechnung von Produkten ausschließlich von Medikamenten maßgeblichen Entscheidungsregel nicht zufallig, sondern findet ihre Begründung in strukturbedingten Schwierigkeiten bei der Durchführung von Nutzenberechnungen durch die Gerichtsbarkeit. Dieser Befund führt m.E. dazu, daß Gerichte die denkbar schlechteste Institution zur Durchführung einer Kosten-Nutzen-Analyse darstellen und daher m.E. eine Auslegung des § 3 ProdHaftG durch dieses Fehlermodell nicht geboten ist.
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
1. Bewußte Konstruktionsentscheidungen als "polyzentrische Probleme"
Gewichtige Bedenken gegen die Evaluierung von bewußten Konstruktionsentscheidungen - für die Kosten-Nutzen-Analysen ja stehen - durch die Gerichtsbarkeit wurden in den 70er Jahren in einem Aufsatz von Henderson 159 vorgebracht, der nun ironischerweise als Coreporter des Restatements an der Festschreibung des risk-utility-Ansatzes als maßgebliches Konzept zur Bestimmung von Konstruktionsfehlern mitwirkt. Die Kritik Hendersons soll als Ausgangspunkt meiner eigenen Bedenken gegen die Praktikabilität von Kosten-Nutzen-Analysen gewählt werden, da sie m.E. den Blick dafür öffnet, daß der Nutzenbegriff im höchsten Maße auf die Bedürfnisse eines bestimmten Individuums zugeschnitten ist und sich daher der Integration in eine Legaldefinition entzieht. Das Hauptargument gegen die Evaluierung bewußter Konstruktionsentscheidungen durch die Gerichtsbarkeit liegt nach Henderson in der Natur der Entscheidungsfindung im (zivil-)gerichtlichen Verfahren. Er greift dazu auf die Fullersche Definition des zivilgerichtliehen Verfahrens und auf dessen These von der "Polyzentrizität" bestimmter Konflikte zurück. Fuller umschreibt den Zivilprozeß als "a social process of decision which assures to the affected party a particular form of participation - that of presenting proofs and arguments for a decision in bis favor"160. Problematisch wird die Partizipation nach Fuller dann, wenn die zwischen den Parteien streitige Rechtsfrage ein "polyzentrisches Problem", darstellt, d. h. ein solches, das nicht durch den Austausch von Argument und Gegenargument gelöst werden kann, sondern bei dem die einzelnen Argumente so ineinander verwoben sind, daß keine Einzelfrage ohne gravierende Auswirkungen auf das Ganze behandelt werden kann. Henderson identifiziert die Frage der Angemessenheil einer bestimmten Produktkonstruktion als ein derart polyzentrischen Problem - die Frage der Produktsicherheit könne nicht isoliert ohne die Veränderung aller anderen relevanten Produkteigenschaften diskutiert werden. Die Lösung dieses Dilemmas liegt nach Henderson darin, daß die Entscheidung von Problemen, die als "polyzentrisch" erkannt werden, anderen Entscheidungsfindern zugewiesen werden müssen. Nach Henderson kommen hierfür zwei Institutionen in Betracht. Dies ist zum einen der "Manager", der aufgrund einer ihm verliehenen Autorität sein Urteil nicht durch Anwendung einer abstrakten Entscheidungsregel auf eine konkrete Fallgestaltung fällen muß, sondern im Rahmen seiner Befugnisse frei entscheiden kann 161 . Zum anderen kann der Entscheidungsprozeß auf vertraglicher Ebene gelöst werden - die betroffenen Parteien "sit down informally and talk things out" 162. 159 160 161 162
Henderson,73 Colum. L. Rev. 1531. Vgl. Fuller, 1963 Wis. L. Rev. 3, 19. Siehe Henderson, 73 Colum. L. Rev. 1531, 1538. Henderson, 73 Colum. L. Rev. 1531, 1538.
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In Hinblick auf Produktkonstruktionen kommt die Rolle des Managers m.E. entweder der Exekutive oder aber dem Gesetzgeber zu. Beide Institutionen können die Beschaffenheit von Produkten regelnd beeinflussen, indem sie bestimmte Produkte mit einem Verbot belegen - so kürzlich in den Vereinigten Staaten in der Entscheidung der FDA, Silikonbrustimplantate zu verbieten - oder aber Vorgaben für die Beschaffenheit des Produktes machen. Die "vertragliche" Lösung findet m.E. in ihrer Anwendung auf das Haftungsrecht ihre Entsprechung im informationeilen Fehlerbegriff, der lediglich eine Gleichheit der Parteien in Bezug auf ihren Wissensstand herstellen soll, im übrigen die Entscheidung über das "angemessene" Sicherheitsniveau aber dem Markt überläßt. Die Kritik Hendersons verliert an Schärfe, wenn die Frage der Produktsicherheit nicht im "luftleeren" Raum, sondern im Vergleich von zwei denkbaren Konstruktionen behandelt wird, bei denen die angesprochenen Veränderungen der Produkteigenschaften dann bereits vorgenommen wurden. Sie trifft m.E. aber noch den Kern des Problems, indem sie die Rolle der Gerichtsbarkeit als Entscheidungsfinder thematisiert und die Frage aufwirft, ob eine Evaluierung von bewußten Konstruktionsentscheidungen nicht besser durch den Markt oder aber den Gesetzgeber bzw. die Exekutive erfolgen soll. Soll die Partizipation der Parteien im Fullerschen Sinne gewährleistet sein, so eignen sich Kosten-Nutzen-Analysen nur dann zur Feststellung der Fehlerhaftigkeit von Produkten, wenn die Gerichtsbarkeit die von den Parteien vorgetragenen Argumente und Gegenargumente als relevanten Tatsachenvortrag zur Ausfüllung des abstrakt formulierten Tatbestandsmerkmals behandeln kann und unter Wertung dieses Tatsachenvortrags zu einer Entscheidung kommt. Entscheidend ist daher, daß der Nutzenbegriff abstrakt formuliert werden kann, um im Einzelfall die vorgetragenen Tatsachenbehauptungen unter die Norm zu subsumieren. 2. Nutzenbestimmung als Teil einer "Rechtsregel"
Der Nutzenbegriff bietet sich nach dem oben Gesagten nur dann zur Auslegung des § 3 ProdHaftG an, wenn er Rechtssatzqualität entwickeln kann. Dies ergibt sich aus der Natur eines Rechtssatzes: Nach Larenz/Canaris ist ,,kennzeichnend für eine "Regel" in dem hier gemeinten Sinne ( ... ) erstens ihr Geltungsanspruch, der ihr zukommende Sinn einer verbindlichen Verhaltensanforderung oder eines verbindlichen Beurteilungsmaßstabes - ihr normativer Charakter -, zweitens ihr Anspruch, nicht nur gerade für einen bestimmten Fall, sondern innerhalb ihres räumlichen und zeitlichen Geltungsbereichs für alle Fälle "solcher Art" zu gelten ihr genereller Charakter" 163 . Dieses gemeinsame Element des Rechtssatzes besteht unabhängig von der Quelle, aus der der Rechtssatz hervorgeht - sei es formales Gesetz, Gewohnheitsrecht oder die "zutreffenden Folgerungen aus dem geltenden 163
Larenz /Canaris, Methodenlehre, Kapitel2, l.a), S. 250.
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Recht164" oder "Konkretisierung von Rechtsprinzipien, wie sie immer wieder von den Gerichten vorgenommen werden" 165 . "Damit sich aus der zunächst fallbezogenen Konkretisierung eines Rechtsprinzips oder eines ausfüllungsbedürftigen Maßstabes eine neue Rechtsregel ergibt, muß sie allerdings in dem Sinne verallgemeinerungsfahig sein, daß sie auf gleichliegende oder "ähnliche" Fälle anwendbar ist. Das ist der Fall, wenn und soweit sie an die "typischen" Züge des jeweils entschiedenen Falls anknüpft166". Das Merkmal der Verallgemeinerungsfähigkeit zeichnet jeden Rechtssatz unabhängig davon aus, ob sein Inhalt in einem Ge- oder Verbot liegt oder ob er als "unvollständiger Rechtssatz" 167 einen "in einem anderen Rechtssatz verwandten Begriff oder Typus näher umschreibt (umschreibende Rechtssätze)'" 68 • § 3 ProdHaftG ist ein umschreibender Rechtssatz, der den Begriff des "Fehlers" in § 1 ProdHaftG näher bestimmen soll, auch wenn die Präzisierung anband der Formulierungen von § 3 ProdHaftG aus den im 3. Kapitel dargelegten Griinden problematisch ist. Die Aufgabe des Gerichts ist die Anwendung der RechtsregeL Die Rechtsanwendung besteht, so Larenz I Canaris, nicht in einer rein vergleichenden Betrachtung von abstrakt-genereller Rechtsregel und konkretem Tatbestand, in der bloßen Subsumtion der festgestellten Tatsachen unter eine Norm, deren Begriffe eindeutig definiert sind, sondern in der Regel in einer wertenden Betrachtung 169. Die Notwendigkeit einer Wertung führt dazu, daß die Gerichte einen Beurteilungsspielraum haben, innerhalb dessen mehrere Meinungen "vertretbar" sind. Dieser Beurteilungsspielraum findet seine Grenze darin, daß sich die Wertung nicht mehr als Ausdruck des in der Rechtsregel auf eine Vielzahl von Fällen formulierten Prinzips darstellt, sondern als Akt der richterlichen Willkür, der keinen Rückhalt mehr in der Rechtsregel findet. M.E. entzieht sich der Nutzenbegriff der geforderten Verallgemeinerungsfähigkeit, so daß seine Bestimmung durch ein Gericht sich nicht als Ausdruck eines Wertungsspielraums, sondern als Akt der richterlichen Willkür darstellen muß. 3. Verallgemeinerungsf"ähigkeit der Nutzenbestimmung
Im folgenden soll gezeigt werden, daß dem Begriff des Nutzens das für die Rechtsregel konstituierende Moment der Verallgemeinerungsfähigkeit fehlt. Diese Hypothese beruht auf den folgenden Beobachtungen. Vertreter von Kosten-Nutzen-Regelungen im Bereich der Rechtswissenschaft haben bis jetzt keine generell164 165
166 167 168 169
Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel2, l.a), S. 250. Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel 2, l.a), S. 250. Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel2, l.a), S. 250. Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel2, 2., S. 257. Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel2, 2.a), S. 258. Larenz/Canaris, Methodenlehre, Kapitel 1, 4.a), S. 216 f.
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abstrakte Regel zur Nutzenermittlung entwickelt. Vielmehr wird der Nutzenbegriff, der aus dem Bereich der Wirtschaftswissenschaften herrührt, ohne weitere Präzisierung auf rechtliche Fragestellungen übertragen. Es erscheint daher auch hier die Untersuchung von wirtschaftswissenschaftlichen Modellen vor dem Hintergrund geboten, ob sich die dort entwickelten Ansätze zur Nutzenbestimmung auf Kosten-Nutzen-Analysen zur Beurteilung der Fehlerhaftigkeit von Produkten im Gerichtsverfahren heranziehen lassen. Kosten-Nutzen-Analyse spielen in der Haushaltstheorie bei der Erklärung des Entscheidungsverhaltens privater Haushalte über den Einsatz von Ressourcen eine Rolle und dienen andererseits der Vorbereitung der Entscheidungstindung im Rahmen staatlicher Maßnahmen. Beide Modelle können zur Auslegung des Nutzenbegriffs nicht herangezogen werden.
a) Nutzenfunktionen privater Haushalte
In der Haushaltstheorie bezeichnet der Nutzen das Maß der Fähigkeit eines Gutes, ein bestimmtes Bedürfnis des konsumierenden Haushalts befriedigen zu können170. Stehen mehrere Güter zur Auswahl, so bildet der Verbraucher eine Nutzenfunktion aus, die seine Präferenzordnung repräsentiert 171 . Die Ausbildung von Präferenzen ist die Grundlage jeder rationalen Entscheidung zwischen möglichen Alternativen. Der Nutzen- bzw. Präferenztheorie geht es darum, Gesetzmäßigkeiten festzustellen, denen Werteordnungen ganz allgemein unterliegen, und dann spezielle Regeln für bestimmte Wertschätzungen und deren Änderungen aufzufinden172. Wie kommen Präferenzen zustande? Die traditionellen Modelle der ökonomischen Haushaltstheorie gehen davon aus, daß Menschen - aus welchen Gründen auch immer- über bestimmte Wertvorstellungen verfügen 173. Die Ermittlung der als gegeben angenommenen Präferenzen erfolgt empirisch - durch die Beobachtung tatsächlicher Kaufakte oder Befragungen der zu untersuchenden Haushalte (Theorie der offenbarten Präferenzen). Andere Modelle versuchen den Nutzen aufgrund von anderen Faktoren als den reinen Kaufakten zu bestimmen. So behandeln diese Modelle die sozialen Bestimmungsgründe der Wertschätzungen und die Rolle psychologischer Faktoren explizit als Variable 174. Abgesehen von diesen metho170 171 112 173
Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 3, S. 2799 zum Begriff "Nutzen". Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 3, S. 2799 zum Begriff "Nutzenfunktion". Krelle, I. Kapitel, l. Abschnitt, S. 3. See/, S. 81.
Vgl. dazu die von Leibenstein und Kantona vertretene Konsumtheorie, die nach See! "institutionalisch und verhaltenswissenschaftlich orientiert" ist (See[, S. 80 m. w. N.) oder der von Philips und Pollak vertretene Ansatz, der die Änderungen von Wertschätzungen auf den technischen Fortschritt zurückführt (See[, S. 80 m. w. N.). 174
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
diseben Abweichungen ist allen Modellen gemeinsam, daß es ihnen lediglich darum geht, den Nutzen des befragten oder beobachteten Individuums möglichst präzise zu bestimmen, nicht aber festzustellen, ob der ermittelte Nutzen gemessen an einem allgemeingültigen Standard gut oder schlecht ist175 • Nutzenanalysen in einem gerichtlichen Verfahren kommen ohne normative Wertungen, die auf die Ermittlung eines allgemeingültigen Standards ausgerichtet sind, nicht aus. Die offenbarten Präferenzen können für die Frage des "allgemeinen Produktnutzens" nicht herangezogen werden, weil darin ein Verstoß gegen die Grundannahme von Vertretern von Kosten-Nutzen-Analysen liegt, daß die geäußerten Präferenzen aufgrund der bestehenden und unüberwindbaren Informationsdefizite irrtumsfrei so nicht zustande gekommen wären. Soweit andere Modelle nicht mit offenbarten Präferenzen, sondern mit sozialen und psychologischen Faktoren operieren, geht es ihnen darum, die Verzerrungen zu überbrücken, denen Kaufakte aufgrund von Vermögensbeschränkungen o.ä. 176 unterliegen, nicht aber, zu bewerten, wie sich das Individuum hätte entscheiden sollen. Die Erkenntnisse der Haushaltstheorie haben in Bezug auf die "Nutzenfunktion eines idealtypischen Verbrauchers" daher keinen Aussagewert, weil sie ein durch und durch individuelles und wertfreies Modell darstellen. Mangels Verallgemeinerungsfähigkeit können sie daher nicht zur Basis der Nutzenermittlung im Sinne des § 3 ProdHaftG herangezogen werden.
b) Kosten-Nutzen-Analysen als Planungsinstrumentarium der Exekutive
Es ist nun zu untersuchen, ob die Erkenntnisse über Kosten-Nutzen-Analysen, die im Vorfeld von Entscheidungen der Exekutive angestellt werden, eine bessere Ausgangsbasis für die inhaltliche Ausfüllung eines haftungsrechtlichen Nutzenbegriffs bieten. Grundsätzlich bieten sich die Übertragung der Erfahrungen mit Kosten-Nutzen-Analysen in diesem Bereich auf das Gerichtsverfahren besser an als dies bei den rein individuellen Abwägungen im Rahmen der Haushaltstheorie der Fall ist. Zwar richtet sich der zu entscheidende Sachverhalt auf eine unterschiedliche Rechtsfolge: Führen Gerichte Kosten-Nutzen-Analysen in Hinblick auf die Gefährlichkeit einer bestimmten Konstruktion durch, so geht es um die Frage, ob der Hersteller für eingetretene Schäden in einem konkreten Fall haften soll. Im Fall des Handeins von Gesetzgeber oder Exekutive geht es darum, ob der Entschei175 Gewisse Ausnahmen bestehen, die jedoch auch nicht zu einem allgemein verbindlichen Nutzenbegriff führen. Krelle versteht unter "Richtigkeit die Ausgerichtetheit auf oder Angepaßtheit an evidente übergeordnete Gesichtspunkte sowie die innere Widerspruchsfreiheit und Vollständigkeit" (2. Kapitel, 5. Abschnitt, S. 56, Kursivsetzung im Original). Falsch sind demnach Nutzenfunktionen, die "zu ruinösen Ausschweifungen aller Art, extremer Faulheit, Leichtsinn, Dummheit und ähnlichem führen, weil sie das Individuum zugrunde richten oder zumindest die volle Entwicklung seiner Anlagen verhindern" (2. Kapitel, 5. Abschnitt, S. 57). 176 Seel, S. 81.
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dungsspielraum des Herstellers durch verbindliche Vorgaben eingeschränkt werden soll. Die Perspektive in Hinblick auf den Gegenstand der Kosten-Nutzen-Analyse ist jedoch die gleiche -die Kosten und Nutzen eines bestimmten Produktes für einen individuell nicht konkretisierten Kreis von potentiellen Verbrauchern 177 • Kosten-Nutzen-Analysen haben als Entscheidungshilfe für Exekutive und Legislative eine lange Tradition in den Vereinigten Staaten178 und sind auch im bundesdeutschen Recht als Instrumentarium der Haushaltsplanung anerkannt 179. Der Gegenstand von derartigen Kosten-Nutzen-Analysen ist in der Regel die "ökonomische Sinnhaftigkeit" 180 von bestimmten staatlichen Investitionen. Es werden dabei die zu erwartenden Vorteile (Erträge, Nutzen) und Nachteile (Kosten) von Investitionsprojekten oder Maßnahmen einander gegenübergestellt, und zwar unabhängig davon, in welcher Form, zu welcher Zeit und bei wem diese Vor- und Nachteile anfallen 181 . Kosten-Nutzen-Analysen bieten auch einen Ansatz für die Evaluierung der Risiken, wenn Gesetzgebung oder Exekutive vor der Entscheidung stehen, den Entscheidungsspielraum des Herstellers durch das Verbot einer ganzen Produktkategorie oder durch verpflichtende Vorgaben hinsichtlich der Konstruktion einzuengen. Leonard und Zeckhauser argumentieren mit dem Hinweis auf die Schwierigkeiten, die für Individuen in Hinblick auf eine realistische Einschätzung von Risiken bestehen182, daß diese Entscheidungen durch ein staatliches Organ unter Anwendung der Grundsätze der Kosten-Nutzen-Analyse getroffen werden können: "Since many important risks cannot be exchanged on a voluntary basis, it is essential to have a centralized decision process that will regulate or determine their Ievels. In choosing among alternative projects that create different Ievels of risk, the govemment (or other responsible decisionmakers) should seek the outcome that fully informed individuals would choose for themselves if voluntary exchange were feasible. Risks are not different in principle from other commodities, such as park services, public transit, or housing." 183
Die Nutzenermittlung stößt auch bei Kosten-Nutzen-Analysen als Planungsinstrument staatlicher Entscheidungstindung auf erhebliche Schwierigkeiten. Der 177 Man kann sich diesen Befund am folgenden Beispiel vor Augen halten. Wie erwähnt hat die FDA den Vertrieb von Silikonbrustimplantaten zu kosmetischen Zwecken verboten. Etwa zeitgleich mit dieser Entscheidung kam es zu einer class action von Verbraucherinnen, die derartige Implantate vor Bekanntwerden dieser Risiken implantiert bekommen hatte. Ware es in diesem Verfahren nicht zu einem Vergleich gekommen, so hätte das Gericht eine Kosten-Nutzen-Analyse vornehmen und den "Nutzen" von derartigen Implantaten bestimmen müssen. Dieses Beispiel dient nur der Illustration und läßt die Frage offen, ob der Nachweis einer Alternativkonstruktion möglich gewesen wäre. 178 Vgl. dazu Buschor I Schneider, 24 Wirtschaft und Recht, 109. 179 Vgl. § 14 Bundeshaushaltsgesetz. 180 Weigel, 4.6.1., S. 210. 18 1 Frey, 30 Wirtschaft und Recht, S. 268. 182 Vgl. Leonard!Zeckhauser, S. 32. 183 Leonard!Zeckhauser, S. 33; ebenso MacLean, S. 77.
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Begriff des Nutzens bezieht sich hier nicht auf rein individuelle Präferenzen, sondern auf die Ermittlung eines gesellschaftlichen "Wohlfahrtsoptimums". Problematisch ist, daß es in der Wohlfahrtsökonomik bisher noch nicht gelungen ist, ein eindeutiges, allgemein verwendetes Maß für die Wohlfahrt zu entwickeln 1s4 . Keiner der diskutierten Ansätze kommt, wenn mit Kriterien wie "Markt" oder "willingness to pay" argumentiert wird, ohne den Rückgriff auf die Präferenzen von Individuen aus 1s5 . Neben den oben angesprochenen Schwierigkeiten ergeben sich dabei die folgenden Probleme. Die Nutzenmessung ist bei sogenannten "Intangibles", d. h. bei Ressourcen und Leistungen, für die es deshalb keine Marktpreise gibt, weil sie auf Märkten nicht verkauft werden, problematisch ts6 . Ebenso stellt sich die Frage, ob auf interpersonelle Nutzenvergleiche zurliekgegriffen werden kann und soll. Wird der gesamtgesellschaftliche Wohlstand als die Summe der individuellen Nutzen definiert, so setzt dies die Möglichkeit einer kardinalen Nutzenmessung voraus1s7. Trotz aller Bemühungen- hier sei nur der Ansatz von Neumanns und Morgensterns erwähnt 1ss- ist es bisher noch nicht gelungen, einen überzeugenden Ansatz zur interpersonellen Nutzenmessung zu entwickeln 1s9. Angesichts dieser methodischen Schwierigkeiten bleibt festzuhalten, daß auch Kosten-Nutzen-Analysen nicht ohne gewisse ethische und soziale Werturteile auskommen, die sich bei der Bewertung von Kosten und Nutzen niederschlagen und die sich einer Erfassung in einer wissenschaftlich überpriifbaren Methodik entziehen 190. Die Art und Weise der Urteilstindung mag am oben erwähnten Beispiel des Verbots von Silikonimplantaten durch die FDA demonstriert werden. Diese Entscheidung betrifft - anders als die oben angesprochenen Kosten-Nutzen-Analysen bei Medikamenten mit rein therapeutischem Wert - die Abwägung zwischen mit dem Produkt verbundenen Gesundheitsrisiken und anderen wünschenswerten Eigenschaften, hier den ästhetischen Vorstellungen der Patientinnen. Diese Entscheidung setzt sich über die geäußerten Präferenzen zumindest des Kreises der Verbraucherinnen hinweg, die sich auch bei vollem Wissen um die Gesundheitsrisiken derartiger Produkte für ein Implantat entscheiden würden. Mit dem Verbot driickt die 184 Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 4, S. 4467 zum Begriff "Wohlfahrt". Die unterschiedlichen Ansätze zur Wohlfahrtsbestinunung sollen hier nicht weiter vertieft werden. 185 Recktenwald, S. 23. Marktpreise und "willingness to pay" müssen nicht identisch, sondern unterschieden sich durch die Konsurnentenrente, d. h. die Differenz zwischen dem Geldbetrag, den die Konsumenten für ein Gut äußerstenfalls zu zahlen bereit wären und dem Marktpreis, vgl. zu diesem Problern Frey, 30 Wirtschaft und Recht, S. 273. 186 Vgl. dazu ausführlich Frey, 30 Wirtschaft und Recht, S. 274 f. 187 Recktenwald, S. 23 f.; Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 4, S. 4467 zum Begriff "Wohlfahrt". 188 Vgl. dazu Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 45 ff. 189 Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip, S. 47, Gablers Wirtschaftslexikon, Bd. 4, S. 4467 zum Begriff "Wohlfahrt". 190 Buschor/Schneider, S. 113, 131.
IV. Nutzenberechnung
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FDA aus, daß sie kraft der ihr verliehenen Autorität als Bundesbehörde, die in die Vermarktung von Medizinprodukten regelnd eingreifen darf, den gesamtgesellschaftlichen Wert von derartigen Implantaten angesichts der damit verbundenen Gesundheitsrisiken für so gering hält, daß sie sich auch über einen entgegenstehenden Willen der betroffenen Hersteller und Verbraucher hinwegsetzen kann. In der Terminologie Hendersons tritt die FDA hier als ,,Manager" auf, d. h. sie gewinnt ihre Erkenntnisse nicht in einem Prozeß, in dem sie unter Anhörung der Argumente der betroffenen Parteien eine generell-abstrakte Regel anwendet, sondern sie setzt ihre Entscheidung kraft der ihr verliehenen Befugnisse und aufgrund ihrer Expertise im Bereich Medizinprodukte an die Stelle der geäußerten Präferenzen der Parteien. 4. Nutzenermittlung als Bestandteil der Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit nach § 3 ProdHaftG
Nach den getroffenen Feststellungen ist eine abstrakt-generelle Nutzenermittlung bestenfalls durch einen interpersonellen Nutzenvergleich möglich; üblicherweise findet sie im Rahmen von Exekutiventscheidungen nicht statt, sondern wird durch eine eigenverantwortliche Entscheidung der dazu befugten Institution ersetzt, die sich im Einzelfall auch über die geäußerten Präferenzen des von der Maßnahme betroffenen Personenkreises hinwegsetzen kann. Auch der Rückgriff auf interpersonelle Nutzenvergleiche bietet sich m.E. für die Bestimmung der Produktfehlerhaftigkeit nicht an. Jenseits aller methodischen Probleme stellt sich die Frage, ob eine Wohlfahrtsermittlung durch interpersonelle Nutzenvergleiche bei der hier zu behandelnden Fragestellung sinnvoll ist. Bei der Rechtfertigung gesetzgebenscher Maßnahmen oder staatlicher Investitionen mag es sinnvoll sein, einen Wohlfahrtsbegriff zu verfolgen, der von einem möglichst breiten Konsens getragen ist191 • Anders ist dies bei der Beurteilung von Konstruktionsentscheidungen. Ziel von derartigen Kosten-Nutzen-Analysen ist es nicht, einen möglichst breiten Konsens über die Nützlichkeit von bestimmten Konstruktionen herzustellen. Eine möglichst breite Vielfalt von Produkten, die Ausdruck des Phänomens ist, daß gerade kein Konsens dariiber besteht, welche Produkteigenschaften gut, schön und nützlich sind, wird in einer freien Marktwirtschaft nicht nur geduldet, sondern geradezu gefördert. Haftungsauslösend ist nicht, daß die Produktkonstruktion nicht als allgemein nützlich empfunden wird, sondern daß dem Risiko kein "angemessener Nutzen" gegenübersteht. Soll dieser "angemessene Nutzen" nicht unter Rückgriff auf die geäußerten Präferenzen bestimmt werden, so ist dies eine rein normative Entscheidung, bei der der Entscheidende nicht nach einer verallgemeinerungsfähigen Regel handelt, sondern bezogen auf den konkreten Fall formuliert, was er in der gegebenen Situation als gesamtgesellschaftlich nützlich ansieht. 191
Vgl. dazu Nell, S. 151; Schlink, Abwägungen im Verfassungsrecht, S. 154 ff.
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7. Kap.: Anwendung von Kosten-Nutzen-Analysen
Nachdem der Nutzenbegriff aber nach den getroffenen Feststellungen einer Verallgemeinerung nicht zugänglich ist und die Entscheidungen über den "Nutzen" von Produkten folglich dadurch gekennzeichnet werden können, daß hieraus keine für eine Vielzahl von Fällen in der Zukunft anwendbare Regel formuliert werden kann, erscheint die Durchführung von Kosten-Nutzen-Analysen im Gerichtsverfahren nicht praktikabel. Eine Auslegung von § 3 ProdHaftG im Sinne von § 2 tentative draft No 2, Restatement of Torts (Third) ist m.E. bereits deshalb abzulehnen, da die Gerichte in der denkbar schlechtesten Position sind, den "Produktnutzen" zu bestimmen. Soweit eine Beschränkung des Entscheidungsspielraums des Herstellers bei der bewußten Konstruktionsentscheidung aufgrund von hohen Produktrisiken geboten erscheint, sollte die Entscheidung darüber m.E. von Gesetzgeber oder mit entsprechenden Befugnissen ausgestatteten Exekutivorgängen getroffen werden. Die immensen Schwierigkeiten, denen sich Gerichte bei der Durchführung der Nutzenbestimmung gegenüber sehen, führen zurück zur Ausgangsfrage dieser Arbeit, nämlich welche der beiden untersuchten Fehlerdefinitionen zur Auslegung des § 3 ProdHaftG herangezogen werden sollen. Nachdem eine Nutzenbestimmung durch die Gerichtsbarkeit im Bereich bewußter Konstruktionsentscheidungen durch die Anwendung einer Rechtsregel nicht durchgeführt werden kann, bietet sich die im tentative draft No 2, Restatement of Torts (Third) vorgesehene Definition des Konstruktionsfehlers für eine Auslegung des § 3 ProdHaftG nicht an.
Resurne Es soll nun zu den eingangs aufgeworfenen Frage nach der Auslegung des § 3 I ProdHaftG vor dem Hintergrund der amerikanischen Reformbestrebungen zuriickgekehrt werden. Wie der erste Teil der Arbeit gezeigt hat, ist eine Vergleichbarkeit der beiden Rechtssysteme aufgrund der weitgehenden Parallelen in der materiellen Rechtslage gegeben. Die Bedeutung der inhaltlichen Ausfüllung der Produktfehlerhaftigkeit zeigt sich in der dogmatischen Einordnung dieses Tatbestandsmerkmals im deliktischen Aufbau der Verschuldens- oder Gefährdungshaftung bzw. der negligence oder strict liability. Da das Verständnis der Frage der Produktfehlerhaftigkeit wesentlich für Art und Umfang der Haftung ist, stellt sich die Frage nach dem normativen Standard zur Beurteilung von bewußten Konstruktionsentscheidungen mit verstärkter Dringlichkeit. Die Untersuchung der beiden in Betracht kommenden Modelle zur gerichtlichen Überpriifung der bewußten Konstruktionsentscheidung zeigen eine Überlegenheit des informationeBen Fehlerbegriffs. Diese zeigt sich nicht nur bei einer ökonomischen Analyse der gesamtwirtschaftlichen Vor- und Nachteile, die von beiden Fehlermodellen ausgehen, sondern auch bei der Frage der Anwendung der Modelle im Rahmen der Auslegung von § 3 I ProdHaftG durch die Gerichte. Die ökonomische Analyse von informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen weist unter der Annahme, daß beide Fehlerbegriffe grundsätzlich in einem gerichtlichen Verfahren praktikabel sind, auf eine gesamtwirtschaftliche Vorteilhaftigkeil des informationeBen Fehlerbegriffs hin. Kommt es nicht zu erheblichen Informationsdefiziten auf Seiten der Verbraucher, so setzt er effiziente Anreize zur Vermeidung von Primärschäden, ohne durch eine starre Festlegung eines an Durchschnittswerten orientierten abstrakten Sicherheitsniveaus regulierend in den Markt einzugreifen. Das bisher vernachlässigte Problem der Haftung für die produktbedingte Verletzung von bystandern kann durch die Erweiterung des informationeilen Fehlerbegriffs durch einen weiteren Faktor, der Produktnutzer und Hersteller in einer Haftungsgemeinschaft zugunsten des unbeteiligten Dritten zusarnrnenfaßt, gelöst werden. Problematisch bleibt, daß Warnungen und Instruktionen zur Steigerung der konkreten Produktsicherheit nicht uneingeschränkt geeignet sind, da das abstrakte Wissen um die Produktgefahren nicht immer in ein entsprechend sorgfältiges Verhalten umgesetzt werden kann. Demgegenüber weisen Kosten-Nutzen-Analysen im Bereich der Vermeidung von Primärschäden strukturelle Defizite auf. Zum einen gehen sie von einem allwissenden Gericht aus, das im Gegensatz zu den unwissenden Verbrauchern in der
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Lage ist, eine optimale Bewertung von Kosten und Nutzen einer bestimmten Konstruktion vorzunehmen. Diese Annahme wird man nur als unrealistisch bezeichnen können, zumal der Gegenstand des gerichtlichen Verfahrens die Beurteilung eines konkreten Schadensereignisses bei einem individuellen Verbraucher und nicht die abstrakt-generelle Analyse von Produktkonstruktionen ist, so daß aus diesem Perspektivenwechsel erhebliche Probleme erwachsen dürften. Zum anderen müssen sich Gerichte, selbst wenn sie über optimale Informationen verfügen, an einem Durchschnittswert orientieren, der dazu führen kann, daß besonders hohe oder niedrige Schadenspotentiale von Verbrauchern durch die Haftungsregel nur unzureichend beriicksichtigt werden. Im Bereich der Vermeidung von Sekundärschäden ist es problematisch, eindeutige Aussagen über die wirtschaftlichen Vor- und Nachteile eines der beiden Modelle zu treffen, da in weiten Zügen Überschneidungen hinsichtlich der zu lösenden Schwierigkeiten bestehen. Soweit es um die Kompensation von Verbrauchern durch unspezifische Versicherungen oder durch die Schadensersatzleistungen des Herstellers geht, ist bei Zugrundelegung beider Fehlerbegriffe gleichermaßen mit dem Problem der adversen Selektion oder der Subventionierung von Versicherungsnehmern untereinander zu rechnen. Allerdings ist zu beriicksichtigen, daß das Haftungsrecht zwar eine Metapher für den Abschluß eines Versicherungsvertrages darstellen kann, tatsächlich aber nur einen höchst unzureichenden Ersatz für die Ansprüche aus einem derartigen Vertragsverhältnis darstellt. Verbraucher werden daher auf jeden Fall um Versicherungsschutz nachsuchen müssen, jedenfalls soweit es um die Entschädigung von Vermögensschäden geht. Unter Beriicksichtigung dieser Einschränkungen scheint der informationeile Fehlerbegriff zu günstigeren Ergebnissen zu führen, da er die Entscheidung über Art und Umfang des Versicherungsschutzes in weiten Zügen beim Verbraucher beläßt. Unter dem Gesichtspunkt der Vermeidung von Tertiärschäden bestehen keine Unterschiede zwischen informationellem Fehlerbegriff und Kosten-Nutzen-Analysen. Schließlich sprechen auch keine übergeordneten "Gerechtigkeitserwägungen" für die Entscheidung für oder gegen eines der beiden Modelle. Im Rahmen der Anwendung der beiden Fehlerbegriffe zeigt sich, daß allein der informationeile Fehlerbegriff einen handbaren Standard zur Bewertung der bewußten Konstruktionsentscheidung bietet. Die Komplexität des zu beurteilenden Sachverhalts darf nicht unterschätzt werden. Die subtilen Mechanismen bei der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen müssen in die Beurteilung von Warnungen und Instruktionen durch das Gericht in stärkerem Umfang einfließen, als dies bisher im Rahmen der durch die Rechtsprechung entwickelten Konkretisierung der Verkehrspflichten der Fall ist. Da die menschliche Fähigkeit zur Aufnahme und Verarbeitung von Informationen naturgemäß begrenzt ist, kann auch durch den informationellen Fehlerbegriff nicht die beste aller möglichen Welten, sondern nur die zweitbeste Alternative dazu verwirklicht werden.
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Kosten-Nutzen-Analysen stellen demgegenüber keine Alternative zur Auslegung von § 3 ProdHaftG bei der Würdigung von bewußten Konstruktionsentscheidungen dar. Zwar läßt sich die problematische Frage nach der Behandlung von immateriellen Schäden im Rahmen der Kostenermittlung noch befriedigend beantworten. Jedoch entzieht sich die Ermittlung eines allgemeingültigen Nutzenbegriffs einer objektiven Bewertung durch das Gericht, da dieses Tatbestandsmerkmal nicht verallgemeinerungsfähig ist. Es handelt sich vielmehr um ein zutiefst individuelles Konzept, daß sich entweder in den geäußerten Präferenzen der Verbraucher manifestiert oder aber, soweit es um die Vomahme von allgemeingültigen Kosten-Nutzen-Analysen geht, durch einen Entscheidungsträgerkraft der ihm verliehenen Kompetenz entschieden werden muß. Mit der Entscheidung für den informationeilen Fehlerbegriff wird ein Großteil der Verantwortung für die Einhaltung der angemessenen Sicherheit an Hersteller und Verbraucher als Marktteilnehmer delegiert. Eine derartige Zurückhaltung der Rechtsordnung erscheint nur dann angemessen, wenn das diesem Fehlerbegriff zugrundeliegende Konzept der Verbrauchersouveränität gefördert werden soll. Soweit die patemalistische Vorstellung des Verbraucherschutzes verwirklicht werden soll, bietet sich dafür m.E. das Deliktsrecht nicht an, jedoch bleibt der regelnde Eingriff in die Freiheit des Konstrukteurs durch entsprechende bindende gesetzliche Vorgaben gewährleistet.
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Sachwortverzeichnis Absatzchancen 47 abstrakte Produktsicherheit 158, 161, 162, 165, 166, 167, 170, 173, 174, 175, 198, 210,211,212,216,218,223 aktive Informationssuche 201 Alkohol217 Allokationseffizienz 144, 145 Alternativkonstruktion 19, 58, 61, 78, 80, 87,92,96,97,137,260,267 Annahmen über die Präferenz- und Werteordnung 142, 144 Arzneimittel 44, 63, 64, 66, 92, 95, 96, 97, 169, 181, 186, 216 assumption of risk 72, 126, 127, 129, 130 Ästhetik 80, 198, 261 Aufmerksamkeit 25, 173, 198, 199, 204, 205,206,219,221 äußere Fahrlässigkeit 105, 121 äußere Sorgfalt 104, 106, 107, 121 Automatisierung kognitiver Prozesse 200 Basissicherheit 46, 61, 86, 172, 197, 211, 253 Bedenklichkeit 64 Bedienungsanleitung 53 Beipackzettel 53 Bereicherungsverbot 230,231, 233 Betriebsgefahr 108 Beweislastumkehr 30, 91, 113, 149 bystander62, 71, 162,163,164 cheapest cost avoider 157, 158, 192 cheapest insurer 158, 182, 187, 192 Coase-Theorem 155, 156, 158, 257 collateral source rule 39 Comrnon Sense Product Liabi1ity and Legal Reform Act 40 conduct theory 120 consumer expectation test 22, 31, 38, 39, 40, 69, 76, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 86, 87, 90, 91,9~9~ 131,132, 148
consumerism-Bewegung 37 Contergan 30 comer solutions 169 darnage 84, 85, 117, 213,242 demoskopische Untersuchungen 56, 61, 87 design defect 36, 79, 81, 84, 88, 98 Differenzhypothese 228 DIN-Vorschriften 53 doctrine of privity 33 Dreispeichermodell 199 Drittschadensliquidation 28 duty 33, 69, 70, 71, 72, 81, 99, 117, 118, 119, 137 Effizienzkriterium 138, 139, 140, 144, 145, 189 Eigennutzannahme 140, 141 Einheitsfehlerbegriff 64, 79 Einheitstest 31 Einwilligung 62, 67, 163 Entlastungsbeweis 29 Entscheidungen unter Risiko 142, 143 Entscheidungen unter Sicherheit 142, 143 Entscheidungen unter Unsicherheit 142 Entscheidungslogik 141, 142, 196 Entscheidungsregeln 142, 143, 144 Entscheidungstheorie 141, 142, 196, 197, 203 Entwicklungslücken 111, 112, 136 Entwicklungsrisiken 30, 31, 45, 64, 65, 110, 111, 113, 114, 115, 125, 132, 133, 137, 160, 168, 169, 170, 175, 185, 186 Erkennbarkeil 106, 111, 133, 160 ersparte Aufwendungen 234 Erwerbsfähigkeit 177,231, 232 express warranty 69 Fabrikationsfehler 36, 42, 79, 90, 94, 109, 182 Fachinformation 64, 65
288
Sachwortverzeichnis
Fahrlässigkeit 33, 75, 104, 105, 106, 107, 110, 116, 117, 135, 149, 172 failure to warn 36, 133, 169 Fortkommensschaden 232 Garantievertrag 28 Gefahrbeherrschung 108, 123 Gefährdungshaftung 21, 24, 26, 43, 64, 95, 98, 99, 100, 101, 103, 108, 109, 115, 116, 148, 149, 163, 166, 167, 188, 190, 191, 271 Gefahreninformationen 219 Gefahrveranlassung 108 gefahrvermeidendes Verhalten 102 Gegenmaßnahmen 216, 220 Gesamtkosten 145, 151 Gesamtnutzen 145 Gesamtschuldner 164, 174 Haftung analog§ 122 BGB 28 Haftungsfreizeichnungsklauseln 161 Haftungsgemeinschaft 163, 164, 271 hedonic value of life 248 Heilungs- und Pflegekosten 232 Herstellerbenutzererwartungen 60 Herstellerverschulden 28, 43 homo oeconomicus 140, 141, 142, 197, 244, 259 Hühnerpestentscheidung 26, 29, 112 immaterielle Schäden 164, 173, 175, 185, 187, 224, 225, 226, 227, 242, 243, 255, 259 implied warranty 33, 68 inadvertent design errors 20, 63, 109, 136 Industriehaftpflichtversicherung 182, 186, 187, 193 information overload 207, 208 informationeUer Fehlerbegriff 60, 150, 195 Informationsannahmen 142 Informationsdefizit 166, 171, 178, 214 Informationsgehalt 203, 204, 210 Informationsneigung 201 Informationsobliegenheit 164, 172 Informationsökonomik 143, 203 Informationsüberlastung 54, 144, 206, 207, 208,218 Informationsverständlichkeit 203
Informationsverweigerer 20 I informed choice 37, 212 innere Sorgfalt 106, 107, 111 Instruktionsfehler 42, 52, 57, 58, 64, 79, 133, 135, 196 insurance crisis 181 interpersonelle Nutzenvergleiche 268, 269 Irreführung 209, 210, 211 Kaldor-Hicks-Kriterium 145 Kaufrisiko 202 Kausalhaftung 43, 101, 109, 125 Kennzeichnung 53, 64, 65 konkrete Schadensberechnung 229, 231 Konstruktionsfehler 36, 42, 47, 64, 66, 79, 80, 83, 84, 91, 99, 100, 108, 112, 115, 130, 133, 158, 181, 182, 196 Kontraindikationen 65 Kosten-Nutzen-Analysen 22, 23, 25, 40, 42, 55, 58, 59, 62, 63, 66, 67, 77, 78, 80, 83, 84, 90, 96, 132, 138, 148, 149, 150, 159, 164, 165, 166, 167, 168, 170, 173, 174, 175, 176, 181, 182, 184, 185, 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 195, 203, 223, 224, 225, 227, 237, 240, 241, 248, 255, 257, 258, 260, 261, 262, 263, 265, 266,267,268,269,270,271,272,273 Kostenberechnung 226, 235, 257 Kostenbestimmung 223, 260 Kurzzeitspeicher 199 Langzeitspeicher 199 Learned Hand Test 37, 70 learned intermediary ru1e 73, 93, 95 loss 117, 122,174,242,245,248 1oss of consortium 245 1oss of Iove and affection 245 loss of society and companionship 245 manufacturing defect 36, 79, 93 Marktanalysen 160 Marktfähigkeit 80 materielle Schäden 226 mental theory 120 Meßbarkeit von Nutzen 142 Mißbrauch 52, 172, 218 moral hazard 170, 173 Multiattributmodelle 204, 205
Sachwortverzeichnis Naturalrestitution 228, 231 Nebenwirkungen 65, 133, 216 negligence 22, 24, 33, 34, 36, 40, 68, 69, 70, 71, 72, 75, 81, 82, 96, 98, 99, 116, 117, 120, 121, 125, 126, 127, 130, 132, 135, 137, 148, 171, 271 negligence per se 75 Neue Institutionenökonomik 143, 203 Nutzenberechnung 225, 260, 261 Nutzenfunktion 142, 265, 266 Nutzenfunktionen 140, 265, 266 Nutzungsausfall 231 ökonomische Analyse des Rechts 24 Ökonomische Theorie des Rechts 138 Opportunitätskosten 203 overpromotion 51 Packungsbeilage 65, 216 pain and suffering 242, 243, 244 Pareto-Optimum 145 Pareto-Superiorität 140 patent danger rule 72, 86, 89, 90, 130, 133, 172 per diem Methode 247 Pigou-Steuer 155 polyzentrische Probleme 262 Präferenzen 111, 141, 142, 179, 196, 206,265,266,268,269,273 Primärschäden 153, 158, 161, 162, 166, 168, 170, 171, 172, 173, 175, 184, 191, 192, 224, 237, 248, 249, 259,260,271 Privatversicherungsmarkt 177, 184 Produktgefahr 133 Produktionskosten 80, 168 property rights 156, 157
131,
205, 165, 176, 257,
Reize 199, 200, 204 Reizüberflutung 199 REMM-Hypothese 24, 138, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 147, 149, 156, 194, 195, 196,197,205, 221,259 Risikoaversion 185 Risikopool 179 Risikoreduzierungskapazität 203 Risikoreduzierungsstrategien 202 risk-assessment 179, 193 19 Kollmann
289
Rückrufaktion 136 Rückversicherung 181 Russisches-Roulette-Paradox 215 satisficing 144 Schaden 20, 23, 43, 52, 64, 69, 105, 109, 117, 118, 122, 148, 156, 158, 159, 161, 162, 163, 164, 166, 189, 226, 227, 228, 229,231 , 234,236 Schadensersatzrecht 225, 226, 235, 237, 241,242,243,248 Schadenskompensation 193 Schadensminderungspflicht230,235 Schadensprävention 151, 158, 235 Schadensvermeidungskosten 63, 77, 96, 122, 191 , 261 Schemata 206, 207, 221 Schlüsselinformationen 207, 210 Schmerzensgeld 110, 151, 153, 173, 238, 239,240,249 Schmerzensgeldtabellen 239, 240, 241, 246 Schutzgesetz 101 Segmentierung der Märkte 168 Sekundärschäden 158, 175, 184, 185, 187, 188, I92, 194, 223,225, 237, 272 Selbstbehalt 175 Selbstkorrektur des Herstellers I 69 Selbstversicherung I76, 179, 180, 182, 183, 194 selektive Wahrnehmung 208 Selektivität 54, 206, 207 Sinneseindrücke I 99 social insurance 34 spezifische Versicherung 177, 180 Sprachrealismus 210, 218 Stand von Wissenschaft und Technik 20, 45, 50, 63, 109, 111, 112 statistische Wahrscheinlichkeit 214 strict liability 22, 24, 32, 34, 35, 36, 68, 69, 75, 81, 82, 86, 90, 98, 99, 116, I23, 124, 125, 126, 127, 128, 129, 130, 132, 134, 135, 137, 148, 171, 190,271 subjektive Psycho-Logik 205 Subsidiarität von Warnungen I 72 Subventionierung 180, 272 survival actions 243, 244
290
Sachwortverzeichnis
Tabak 44, 218 Tertiärschäden 24, 159, 188, 191, 193, 194, 272 Transaktionskosten 143, 145, 150, 157, 158, 188 unavoidably dangerous products 74, 111 unreasonable risk 69, 70, 117, 119 unterentwickeltes Gefahrenbewußtsein 111 Unterhaltung 80, 261 unvollkornrnene Versicherung 193 Verbote 108, 219, 220, 233 Verbrauchererwartungen 22, 23, 31, 42, 45, 55, 56, 58, 59, 61, 66, 68, 78, 80, 81, 85, 86,87,88,89,91,97,221 Verbrauchersouveränität 62, 67, 196, 258, 273 Verkehrskreis 44, 73, 89, 105, 110, 120, 121, 124, 137 Verkehrspflichten 21, 24, 30, 43, 44, 46, 54, 61, 63, 66, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 110, 111, 112, 115, 171, 189,272 Vermarktung 43, 50, 58, 77, 79, 88, 92, 94, 95, 104, 132, 133, 134, 136, 152, 158, 169, 210, 235, 269 Vermeidbarkeit 106 Verschulden 28, 30, 31, 33, 34, 104, 106, 108, 110, 113, 127, 128, 240
Verschuldenshaftung 21, 24, 45, 98, 99, 100, 109, 114, 115, 147, 148, 191 Versicherbarkeit 176, 177, 181, 186, 192, 193 Versicherungsverträge 175, 179 vertical privity 34 Vertrauensschuldverhältnis 29 Vorsorgeinformationen 219 Wahrnehmung 54, 144, 198, 201, 204, 206, 208, 209, 210, 211, 212, 213, 218 Warenvertrauen 28 warranty 33, 68 Wechselwirkungen 65, 216 Werbung 28, 51, 57, 65, 88, 97, 200, 209,210 Wert der Todesverhütung 195, 225, 252,254,255,256,257 Wert des Lebens 225 willingness to pay 250, 252, 253, 254, 256,257,268 willingness to sell 253, 256 Wohlfahrtsökonomik 155, 268 wrongful death 241, 242, 243, 245, 248 Zigaretten 79, 92 Zumutbarkeit 46, 50 Zwei-Komponenten-Betrachtung 205
205, 215,
203, 250,
255,