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German Pages [512] Year 2013
Industrielle Welt Schriftenreihe des Arbeitskreises für moderne Sozialgeschichte Herausgegeben von Andreas Eckert und Joachim Rückert Band 85
Christof Dejung Die Fäden des globalen Marktes
Christof Dejung
Die Fäden des globalen Marktes Eine Sozial- und Kulturgeschichte des Welthandels am Beispiel der Handelsfirma Gebrüder Volkart 1851–1999
2013 BÖHLAU VERLAG KÖLN WEIMAR WIEN
Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft, des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung, der Volkart-Stiftung und der Joh. Jacob Rieter-Stiftung.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abruf bar.
Umschlagabbildung: Angestellte der Volkart-Filiale in Cochin 1890 (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD2, Cochin)
© 2013 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Ursulaplatz 1, D-50668 Köln, www.boehlau-verlag.com Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist unzulässig. Gesamtherstellung: WBD Wissenschaftlicher Bücherdienst, Köln Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier ISBN 978-3-412-20986-5
Inhalt Einleitung .................................................................................................................................. 11
Das Netz des Handels und seine Fäden 13 – Globale Märkte als Resultat sozialer Handlungen 18 – Handelsfirmen und der moderne Welthandel 21 – Handelsgeschichte als Teil der Globalgeschichte 25 – Politische Ökonomie und international tätige Handelsfirmen 32 – Unternehmenskultur und mikropolitische Verhältnisse 35 – Quellenlage 40 – Vorschau 42
Teil I: Europäische Expansionen 1. Von Winterthur nach Bombay: die Gründungsphase ................................... 47
Weltmarktorientierung und Marktinformationen 47 – Die Gründung des Handelshauses Gebrüder Volkart 51 – Einstieg in den Rohstoffexport aus Indien 54 – Geschäftspraxis der Firma Volkart 58 – Kooperation mit indischen Kaufleuten 64 – Britisches Recht und geschäftliche Risiken 68
2. Von der Küste ins Hinterland: die Entwicklung zum Großunternehmen........................................................................................................ 74
Auswirkungen des Amerikanischen Bürgerkrieges auf dem Subkontinent 75 – Veränderung des Baumwollexports durch die Einführung der Telegraphie 77 – Die Eröffnung des Suezkanals 79 – Der Bau von Eisenbahn- und Telegraphenlinien in Indien 83 – Koloniale Beamte und die Qualität der indischen Baumwolle 84 – Unterschiede zwischen der indischen und der amerikanischen Baumwollwirtschaft 89 – Die Eröffnung von Einkaufsagenturen im Landesinnern 93 – Die indischen Geldverleiher und die koloniale Baumwollökonomie 98 – Europäische Kaufleute und indische Mittelsleute 103 – Familienwirtschaft und die Stabilisierung von Vertrauensbeziehungen 109 – Der Übergang zu Großunternehmen im globalen Baumwollhandel des späten 19. Jahrhunderts 112
3. Banken, Börsen und Agenturen: die Organisation des Vertriebes in Europa .................................................................................................... 118
Aufbau eines Verkaufsnetzes in Europa 119 – Rückmeldungen von Seiten der Abnehmer 122 – Marketing und Informationsvermittlung 124 – Die Funktion des Winterthurer Hauptsitzes 126 – Die Bedeutung der Niederlassung in London 131 – Der Einfluss der Rupienentwertung auf den Indienhandel 134 – Kreditbedarf und Bankverbindungen 135 – Baumwollbörsen und das Aufkommen des Terminhandels 140 – Transportversicherungen 145 – Kundenbindung und Vertrauensgenerierung 148
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Inhalt
4. „Wir sind eine Schweizerfirma – thank god!“: Der Erste Weltkrieg und die Bedeutung der nationalen Herkunft ................................................... 153
Kriegsausbruch und der Einbruch des Welthandels 155 – Handelsverbote und Schwarze Listen 157 – Rückbindung von ökonomischen Akteuren auf ihre nationale Herkunft 162 – Gründung von Schweizer Konsulaten in Asien 165 – Nach dem Krieg 170
Teil II: Innenansichten 5. Die Besitzerfamilie ....................................................................................................... 175
Familienfirmen im modernen Kapitalismus 175 – Vom reinen Familienbetrieb zum Großunternehmen 178 – Eine hybride Mischung aus Familienfirma und managergeprägtem Betrieb 182 – Kontinuität im Mannesstamm und die Verlockungen der Kunst 183 – Trotz Blutbande keine bloße Harmonie 188 – Evolutionäres Wachstum und die Kontrolle der Mitarbeiter 190 – Familienform und Geschäftskultur 193 – Weltumspannende interfamiliäre Netzwerke 195 – Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft 198 – Der Ausstieg aus dem Handelsgeschäft 201
6. Zwischen Controlling und Betriebsfamilie: die Angestellten ................... 203
Probleme mit den Angestellten in der Frühphase der Firma 205 – Inspektionen und Reglemente 208 – Lebenslange Anstellung und gute Sozialleistungen 210– Diskursive Mittel zur Schaffung eines betrieblichen Zusammengehörigkeitsgefühls 214 – Die Metapher der Betriebsfamilie 218 – Heiratsgebote 221 – Erpressungen, Betrugsversuche und spekulative Tätigkeiten 225
7. Arbeit im kolonialen Indien ...................................................................................... 228
Indien im Kopf und am eigenen Körper 228 – Volkart und der koloniale Alltag 232 – Kleider, Clubs und Frauen 234 – Die indischen Angestellten 237 – Ambivalente Einstellungen zur kolonialen Ordnung 243
Teil III: Ent-Europäisierung des Globalen 8. Eine Zeit der Krisen: Europa nach 1918 ................................................................ 253
Eine „enteuropäisierende Tendenz der Weltwirtschaft“ 255 – Neugründungen in Europa 258 – Erweiterung der Produktpalette 261 – Gründung einer Volkart-Bank? 263 – Rote Zahlen und die Krise der 1930er Jahre 265 – Die politische Haltung der Teilhaber 270 – Der Zweite Weltkrieg 272
Inhalt
7
9. Zunehmendes Selbstbewusstsein: Indien nach 1918 .................................... 279
Veränderungen in der indischen Baumwollwirtschaft 279 – Der Aufschwung der indischen Industrialisierung 283 – Restrukturierung des Baumwolleinkaufs im Landesinnern 286 – Eine Diversifikation in indische Industrieanlagen? 291 – Indische Unabhängigkeitsbewegung und schweizerische Loyalitätskonflikte 297
10. Expansion nach Ost und West: Erweiterung des Geschäftsfeldes nach China, Japan und in die USA ......................................................................... 304
Die Kontrolle des ostasiatischen Baumwollgeschäftes durch japanische Handelsfirmen 305 – Die Gründung einer Tochterfirma in Osaka mit japanischer Beteiligung 309 – Innerbetriebliche Reibungsflächen 311 – Krisen und Kriege: die japanische Wirtschaft in den 1930er und 1940er Jahren 316 – Die Gründung einer chinesischen Tochterfirma 320 – Die Kompradoren als Verbindung zum chinesischen Inlandmarkt 321 – Innenpolitische Wirren und der Versuch einer Expansion ins Landesinnere 324 – Japanische Besetzung und kommunistische Machtübernahme 328 – Expansion in die USA 330 – Der Einstieg ins amerikanische Baumwollgeschäft 333 – Gestiegene Bedeutung von Börsengeschäften 336 – Staatliche Großaufträge und multinationale Handelshäuser 337 – Die Gründung einer amerikanischen Einkaufsorganisation 339
11. Maschinen für Asien .................................................................................................... 341
Ein schwieriger Start 342 – Erneute Gründung eines Engineering Departments 345 – Die Bedeutung von Schmiergeldern 350 – Die Qual der Wahl der richtigen Vertretung 353 – Verluste und Gewinne 359 – Das Ende der Maschinenimporte nach Asien 363
Teil IV: Staatliche Interventionen und multinationale Handelsfirmen 12. Die Folgen der Entkolonialisierung ....................................................................... 369
Auswirkungen der indischen und pakistanischen Unabhängigkeit 369 – Die Gründung von neuen Tochtergesellschaften mit indischen Teilhabern 374 – Veränderungen in Pakistan 381 – … und in Ceylon 382 – Multinationale Firmen und die Umgehung von Steuergesetzen 384 13. Einstieg ins Kaffeegeschäft ...................................................................................... 387 Von der Baumwolle zum Kaffee 388 – Brasilien, Land des Kaffees 393 – Volkart wird zur Kaffeefirma 396 – Die Konkurrenzvorteile von multinationalen Handelsfirmen 400 – Markteintritt in Zentralamerika durch
Kooperation mit lokalen Kaffeefirmen 405 – Kaffeequalität und soziale Verhältnisse 408 – Das Internationale Kaffeeabkommen 413 – Multinationale Firmen unterlaufen nationalstaatliche Kontrollen 416 – Das Ende der Exportquoten und die Rückkehr zum freien Markt 420 – Konzentrationsprozess in den 1970er und 1980er Jahren 422 14. Baumwollhandel nach dem Zweiten Weltkrieg ............................................. 427
Baumwolleinkauf in den USA 428 – Unterschiedliche Geschäftsauffassungen 432 – Zwiespältige Resultate der amerikanischen Subventionspolitik 434 – Baumwolle aus aller Welt 437 – Veränderungen in der Verkaufsorganisation 442 – Krisenhafte Entwicklung ab den 1970er Jahren 446 – Ende der Handelsgeschäfte 448
Schluss....................................................................................................................................... 451 Vom traditionellen Handelshaus zur multinationalen Handelsfirma 451 – Handelsgeschichte als relationale Geschichte von Räumen 454 – Fragen der Periodisierung 455 – Handelsgeschichte als Kulturgeschichte 457 Dank............................................................................................................................................ 461 Bibliographie ........................................................................................................................ 463 Quellen 463 – Archivquellen 463 – Ungedruckte Einzelquellen 465 – Gedruckte Quellen 465 – Periodika 469 – Interviews 469 – Internetquellen 470 – Literatur 470 Anhang ..................................................................................................................................... 494 Register .................................................................................................................................... 501
Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Tabellen
Tab. 1: Baumwollexporteure aus Bombay in der Saison 1882/1883 ................. 115 Tab. 2: Abteilungen im Hauptsitz von Volkart in Winterthur 1924 ................. 127 Tab. 3: Firmakapital (Stammkapital, in Schweizer Franken) 1875–1922 ........ 138 Tab. 4: Stammbaum der Familien Volkart und Reinhart ..................................... 181 Tab. 5: Nettogewinne und -verluste der Firma Volkart 1901–1931 .................. 265 Tab. 6: Firmavermögen (Stammkapital + Kontokorrent) 1920–1932 ............. 266 Tab. 7: Umsätze der indischen Häuser 1914–1932 ............................................... 267 Tab. 8: Die acht größten Exporteure von indischer Baumwolle aus Bombay 1925/26.............................................................................................. 309 Tab. 9: Herkunft des von Volkart gehandelten Kaffees in der Saison 1975/76 ............................................................................................................. 424 Abbildungen
Abb. 1: Einkaufs- und Verkaufsorganisation der Firma Gebr. Volkart 1926 .... 14 Abb. 2: Karte mit den Filialen und Einkaufsagenturen in Indien und Ceylon 1926...................................................................................................... 85 Abb. 3: Baumwollprobenraum von Volkart in Bombay 1941 .............................. 95 Abb. 4: Baumwollpresse von Volkart in Amraoti Ende des 19. Jahrhunderts ... 97 Abb. 5: Transport von Baumwollsäcken zu einem Inlandmarkt durch indische Bauern ................................................................................................ 101 Abb. 6: Guarantee Broker von Volkart in Karachi 1899 ....................................... 107 Abb. 7: Baumwollprobenlabor im Volkarthauptsitz in Winterthur ................... 144 Abb. 8: Theodor Reinhart mit Frau und Kindern .................................................. 185 Abb. 9: Mitarbeiter der Einkaufsagentur in Khamgaon anlässlich der Jubiläumsfeierlichkeiten 1926....................................................................... 194 Abb. 10: Co-Leiter der Volkart-Filiale in Bombay 1941 ......................................... 220 Abb. 11: Leitender Mitarbeiter von Volkart in Bombay mit Bürodiener 1941 ..... 233 Abb. 12: Die indischen Mitarbeiter der Volkart-Agentur in Cawnpore 1942 .... 238 Abb. 13: Georg Reinhart inmitten der Angestellten von Volkart Kalkutta 1923 ................................................................................................... 242 Abb. 14: Sportveranstaltung der indischen und europäischen Angestellten in Bombay 1926 ............................................................................................... 247 Abb. 15: Geschäftsleitung und japanische Teilhaber der Nichizui 1922 .. ............ 313
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Verzeichnis der Tabellen und Abbildungen
Abb. 16: Büro der Volkart-Niederlassung in Shanghai 1922 .................................. 324 Abb. 17: Personal der Fohka am 1. Februar 1926 ..................................................... 326 Abb. 18: Werkstätte des Volkart Engineering Departments in Bombay 1941 ... 346 Abb. 19: Bau eines Elektrizitätswerkes im indischen Pallivasal im Jahr 1939 ..... 347 Abb. 20: Präsentation von Schweizer Industrieprodukten an einer Industrieausstellung in Tokio 1922.............................................................. 351 Abb. 21: Ausstellungsraum für Kühlanlagen in Bombay um 1930 ....................... 361 Abb. 22: Lager des Engineering Departments in Bombay 1941 ............................ 364 Abb. 23: Anzeige von Volkart aus dem New Yorker Tea and Coffee Trade Journal (1961) .................................................................................................. 399 Abb. 24: Lagerhaus von Volkart in Galveston 1949 ................................................. 430 Abb. 25: Karte der wichtigsten Baumwollanbaugebiete der Welt (1951) ........... 438
Einleitung
„Hochangesehen in der Geschäftswelt, steht das Haus Gebrüder Volkart heute da“, meinte ein leitender Angestellter des Handelshauses in einer Ansprache im Januar 1919, „und staunend schaut mancher im Ausland auf das Gebilde, das in einem Binnenstädtchen in der Schweiz vor 68 Jahren seine Wurzeln gefasst und trotz … aller Angriffe günstiger situierter Konkurrenten, zu einem so mächtigen Baum auswachsen konnte.“1 Es ist in der Tat erklärungsbedürftig, dass sich ausgerechnet ein schweizerisches Unternehmen in der Kolonialzeit zu einem der größten Handelshäuser auf dem indischen Subkontinent entwickelte und sich dabei nicht zuletzt gegen die starke britische Konkurrenz durchsetzte. Nicht weniger erklärungsbedürftig, wenngleich weniger offensichtlich, ist die Tatsache, dass zu Beginn des 20. Jahrhunderts der Import- und Exporthandel zwischen Indien und Europa fast vollständig von europäischen Firmen bestritten wurde. Noch 1860 wurde nämlich mehr als die Hälfte der Rohstoffexporte aus Indien durch indische Handelshäuser bestritten.2 Die Handelsfirma Volkart war 1851 durch die Brüder Salomon und Johann Georg Volkart in Winterthur, einer Kleinstadt nördlich von Zürich, und Bombay gegründet worden. Sie beschäftigte sich mit dem Import von indischen Rohstoffen nach Europa und dem Export von europäischen Konsum- und Industriegütern nach Indien. Bis weit ins 20. Jahrhundert war der Handel mit Rohbaumwolle das mit Abstand wichtigste Betätigungsfeld der Firma und generierte etwa 1923 mit 244 Millionen Schweizer Franken rund zwei Drittel des Firmenumsatzes.3 Volkart wurde damit ab Ende des 19. Jahrhunderts zu einem der größten Baumwollexporteure Indiens. Im 20. Jahrhundert expandierte die Firma nach Ostasien sowie Nord- und Südamerika und entwickelte sich zu einer der bedeutendsten Baumwoll- und Kaffeehandelsfirmen der Welt4 und einem der umsatzstärksten Schweizer Unternehmen überhaupt.5 1999 zog sich die Firma vollständig aus dem Handelsgeschäft zurück und konzentrierte sich auf die Bewirtschaftung von Liegenschaften und die Förderung von nachhaltigen Entwicklungsprojekten. 1 2 3 4 5
Müller-Renner, Nachruf im Namen des Personals, o.J. [1919], S. 17. Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 170. VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Graphische Tabellen: Verhältnis von Stammkapital zu Gewinn und Verlust. Chalmin, Problématique d‘un contrôle, 1981, S. 28f. So lag Volkart Mitte der 1970er Jahre mit einem Umsatz von 1,4 Milliarden Franken auf Platz 14 der größten Schweizer Unternehmen: Schweizerische Handelszeitung, 12.6.1975. Vgl. allgemein für die Geschichte von Schweizer Handelsfirmen im 19. und 20. Jahrhundert Dejung, Unbekannte Intermediäre, 2010.
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Einleitung
Private Handelshäuser waren im 19. und frühen 20. Jahrhundert für einen Großteil der grenzüberschreitenden Handelsgeschäfte verantwortlich.6 Obwohl die Bedeutung von international tätigen Handelsfirmen für die Entwicklung der Weltwirtschaft im 19. und 20. Jahrhunderts deshalb kaum hoch genug eingeschätzt werden kann, hat sich bisher weder die Unternehmens- noch die Globalgeschichte übermäßig stark für die Geschichte dieser weltweit tätigen Unternehmen interessiert.7 Die vorliegende Studie schließt damit eine Forschungslücke, die immer wieder beklagt wurde.8 Anhand der Geschichte von Volkart kann exemplarisch aufgezeigt werden, auf welche Weise globale Handelsgeschäfte im Zeitalter der europäischen Expansion abgewickelt wurden, wie sie sich durch die technischen Neuerungen und die zunehmende Industrialisierung im späten 19. und im 20. Jahrhundert veränderten und wie sie sich nach dem Ende der Kolonialzeit weiter entwickelten. Darüber hinaus ist die Geschichte einer schweizerischen Welthandelsfirma interessant für die Frage nach dem Verhältnis von Kapitalismus und Territorialität, da die Schweiz weder Kolonien besaß noch über ein besonderes Gewicht in der internationalen Politik verfügte. Ein Schweizer Unternehmen, welches sich auf dem Weltmarkt betätigte, war deshalb regelmäßig mit ausländischen Bürokratien konfrontiert. Seine Geschichte erlaubt Aufschlüsse darüber, wann und in welchem Kontext die Nationalität von Firmen im globalen Handel eine Rolle spielte und wann nicht. Die schweizerische Herkunft dürfte dabei einerseits gewisse Vorteile geboten haben. Dies nicht zuletzt in den beiden Weltkriegen, wo man als Firma aus einem neutralen Land hoffen konnte, in den jeweiligen Gastländern nicht als feindliches Unternehmen behandelt zu werden. Andererseits konnte ein Schweizer Unternehmen bei seiner Tätigkeit im Ausland in der Regel auf keine Unterstützung durch die eigene Regierung hoffen. Der Erfolg im internationalen Handelsgeschäft beruhte deshalb nicht auf staatlicher Protektion, sondern hatte in erster Linie unternehmerische Gründe. Somit lenkt das Fallbeispiel den Blick auf die spezifischen Voraussetzungen und Fähigkeiten sowie die sozialen und ökonomischen Netzwerke, die eine Handelsfirma benötigte, wenn sie erfolgreich sein und bleiben wollte.
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Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 97. Dennoch sind im Laufe der letzten Jahre verschiedene Einzelstudien zu diesem Thema entstanden. In Buchform liegen insbesondere folgende Darstellungen und Artikelsammlungen vor: Reber, British Mercantile Houses, 1979; Chalmin, Negociants et chargeurs, 1985; Yonekawa/ Yoshihara (Hg.), Business History of General Trading Companies, 1987; Chapman, Merchant Enterprise in Britain, 1992; Jones (Hg.), The Multinational Traders, 1998; Jones, Merchants to Multinationals, 2000; Jonker/Sluyterman, At Home on the World Markets, 2000; Sugiyama/ Grove (Hg.), Commercial Networks in Modern Asia, 2001; Gossler, Société commerciale de l‘Océanie, 2006; Bähr/Lesczenski/Schmidtpott, Handel ist Wandel, 2009. Jones, Multinational Trading Companies, 1998, S. 1f.; Casson, The Economic Analysis of Multinational Trading Companies, 1998, S. 22.
Einleitung
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Bisher existiert keine Studie zur Geschichte von Volkart, die wissenschaftlichen Standards entspricht. Eine 1990 erschienene Firmengeschichte bietet zwar einen Überblick über die Entwicklung des Unternehmens. Es handelt sich dabei jedoch um ein Werk, welches im Auftrag von Volkart entstand und keinen wissenschaftlichen Anspruch erhebt. Zudem werden darin das sozialhistorische und ökonomische Umfeld des Unternehmens weitgehend vernachlässigt.9 Neben diesem Buch gibt es einige populärhistorische Werke, die sich in erster Linie mit der Gründung des Unternehmens befassen,10 sowie – als bisher einzige wissenschaftliche Arbeit, die unter anderem Volkart behandelt – einen Aufsatz von Sébastian Guex zur Geschichte der schweizerischen Handelsfirmen im 19. und 20. Jahrhundert. Dieser Aufsatz beruht allerdings auf einer Analyse von publizierten Firmengeschichten und stützt sich kaum auf eigene Quellenrecherchen.11
Das Netz des Handels und seine Fäden Wie muss man sich das Funktionieren einer modernen Handelsfirma vorstellen? Eine erste Annäherung an diese Frage erlaubt eine Grafik, welche 1926 in der Festschrift abgedruckt war, die die Firma anlässlich ihres 75. Jubiläums publiziert hatte und auf der die Einkaufs- und Verkaufsorganisation des Unternehmens zu sehen war. Eine ganz ähnliche Grafik hatte das Handelshaus fünf Jahre zuvor seinen Kunden und Mitarbeitern überreicht und mit den folgenden Worten kommentiert: „Wir haben das Vergnügen, Ihnen anbei eine graphische Darstellung unserer Organisation für den Ankauf und Verkauf indischer Produkte zu überreichen… Die ganze Organisation offenbart sich uns gleichsam als ein ausgedehntes Spinnengewebe, in dessen Mittelpunkt Winterthur steht. Diese zentrale Lage verrät auf den ersten Blick die vermittelnde Rolle, welche das Winterthurer Haus in unserm Warenverkehr zu spielen berufen ist. Hier laufen die Fäden der Einkaufsstellen einerseits und der Verkaufsstellen andererseits zusammen und von hier aus wird der Ankauf und Verkauf reguliert und finanziert.“12 Im Unterschied zur älteren Darstellung lag 1926 nicht mehr nur Winterthur im Zentrum des unternehmerischen „Spinnengewebes“, sondern auch die Niederlassung
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Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990. Peter, Salomon Volkart, 1956. Guex, The Development of Swiss Trading Companies, 1998. VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Verbesserungen im Geschäftsbetrieb und verschiedene Anregungen, 1896–1924: Graphische Darstellung unserer Organisation für den Ankauf und Verkauf indischer Produkte, Winterthur, Dezember 1921. Abgedruckt ist diese Darstellung in V.B. News, No. 3, August 1921, S. 10f.
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Einleitung
in London – die fünf Jahre zuvor noch als bloße Filiale dargestellt worden war. Diese Darstellung lag insofern näher bei der geschäftlichen Realität, als beide Haupthäuser, sowohl der Stammsitz in Winterthur als auch die Niederlassung in London, gemeinsam für die Koordination und die Finanzierung der Geschäfte zuständig waren. Doch in beiden Fällen zeigte die Grafik auf der linken Seite die Agenturen und Zweighäuser in Indien und Singapur, die für den Rohstoffeinkauf zuständig waren, und auf der rechten die Tochtergesellschaften und Vertretungen in Europa, Ostasien und den USA, welche die Waren an die dort ansässigen Industriebetriebe verkauften. Die gehandelten Rohstoffe wurden dabei selbstverständlich nie zum Hauptsitz transportiert, sondern stets direkt von den Ankunftshäfen in die jeweiligen Industriedistrikte geliefert.
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Einleitung
Abb. 1 Einkaufs- und Verkaufsorganisation 1926 (Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 38f.)
Diese Darstellung, die gegenüber den Betrachtern und potentiellen Kunden die Leistungsfähigkeit des Unternehmens veranschaulichen sollte, steht in einer langen Tradition. Wie Karl Schlögel festgehalten hat, ist es eine gängige Praxis von „big companies und Banken“, Karten ihrer weltumspannenden Organisation zu publizieren und so zu demonstrieren, dass für sie „die globale Präsenz schon eine Tatsache ist, der niemand nirgends entgehen kann“. Dennoch ist eine solche Darstellung nicht selbsterklärend, sondern im Gegenteil höchst interpretationsbedürftig: „Karten sprechen die Sprache ihrer Verfasser, und sie verschweigen das, wovon der Kartograph nicht spricht oder nicht sprechen kann.“13 So gibt die Darstellung des Ein13 Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit, 2003, S. 95.
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Einleitung
kaufs- und Verkaufsnetzes der Firma Volkart keine Auskunft darüber, auf welche Art und Weise Volkart Geschäftsbeziehungen mit Kaufleuten in den unterschiedlichsten Teilen der Welt knüpfen und aufrechterhalten konnte. Auch schweigt sie sich darüber aus, wie die Firmeneigner sich die Kredite für die Handelsgeschäfte besorgten, oder wie sie sicherstellten, dass ihre rund um den Globus verstreuten Mitarbeiter sich an die Anweisungen des Winterthurer Hauptsitzes hielten. Und schließlich stellt sich aufgrund der Grafik die Frage, wie das Verhältnis zwischen den grenzüberschreitenden Geschäften des Unternehmens und den territorialen Kontrollversuchen von nationalen Regierungen aussah. Welche Beziehungen bestanden zwischen Volkart als Schweizer Firma und der britischen Kolonialregierung in Indien? Und inwiefern profitierte das Handelshaus von den Bemühungen der Kolonialmächte, die asiatischen Länder für westliche Kaufleute zu öffnen? Eine Möglichkeit, solchen Fragen nachzugehen, besteht darin, die Grafik als Darstellung von Handlungszusammenhängen zu lesen. Jeder der großen und kleinen Punkte – jede Agentur und Niederlassung – stellt gemäß einer solchen Lesart einen sozialen Ort dar, der in unterschiedlichster Weise mit dem Rest des Unternehmens sowie mit der Umwelt der Firma verbunden war. An jedem dieser Orte unterhielten die Angestellten und Teilhaber der Firma jeweils ganz spezifische geschäftliche Verbindungen zu ganz unterschiedlichen Akteuren. Zu diesen zählten etwa Kleinbauern, Geldverleiher und Kolonialbeamte in Indien, Kompradoren in China, Bankiers in London und Zürich, Versicherungsagenten, Zollbehörden, Mitarbeiter von Rohstoffbörsen sowie Fabrikbesitzer. Und jede der ausgezogenen Linien war gleichbedeutend mit der physischen Verschiebung von Rohstoffen wie Baumwolle, Kaffee, Kokosfasern, Gewürzen oder Kautschuk, die per Bahn und Dampfschiff aus dem südasiatischen Hinterland in die Industriebezirke Europas und Ostasiens transportiert wurden. Das unternehmerische „Spinnengewebe“ der Firma Volkart stellte somit ein wichtiges Bindeglied in den globalen Warenketten verschiedener Rohstoffe dar.14 Es war mit ökonomischen Strukturen auf verschiedenen Erdteilen verknüpft, die in ihrer Gesamtheit ein System bildeten, welches man als Weltmarkt bezeichnen könnte. Auch diesen kann man sich als Handlungszusammenhang mit einer netzartigen Struktur vorstellen. Einige Jahre vor Publikation der obigen Grafik hatte denn auch der deutsche Historiker Paul Arndt die Weltwirtschaft ganz ähnlich beschrieben, wie es die Verantwortlichen von Volkart 1921 taten. Arndt bezeichnete die Weltwirtschaft 1913 als ein weltumspannendes, „in der alten Kulturwelt“ regional verdichte14 Vgl. für das Konzept der Warenketten oder commodity chains Gereffi/Korzeniewicz (Hg.), Commodity Chains and Global Capitalism, 1994; Hughes/Reimer (Hg.), Geographies of Commodity Chains, 2004. Das einflussreichste Werk, welches die Beschreibung der Produktion, der Verschiffung und des Konsums eines bestimmten Rohstoffes zu einer globalen Sozialund Wirtschaftsgeschichte verdichtet, ist nach wie vor Mintz, Die süße Macht, 1987.
Einleitung
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tes Netz, dessen „Fäden ... den einzelnen Wirtschaftsbetrieb ... mit Millionen anderer Wirtschaftsbetriebe“ verbinden.15 Die Firmenstruktur von Volkart wäre gemäß diesem Bild ein Bestandteil dieses globalen Netzes von ökonomischen Tauschbeziehungen und jede Geschäftsbeziehung zwischen den verschiedenen Filialen der Firma beziehungsweise zwischen der Firma und ihren Kunden bildete einen seiner Fäden. Ausgehend von diesen Überlegungen soll die Geschichte der Firma Volkart als Ausgangspunkt dienen, um die sozial- und kulturhistorischen Grundlagen des Welthandels in der zweiten Hälfte des 19. und im 20. Jahrhundert zu rekonstruieren. Dabei interessiert insbesondere die Frage, wie Handelsfirmen ihre Geschäfte auf verschiedenen Kontinenten in die jeweilige soziale und ökonomische Firmenumwelt einbetteten.16 Wie wurden globale Handelsnetze geknüpft und wie stellten Firmen wie Volkart sicher, dass die einzelnen Fäden dieses Netzes stabil blieben und bei Belastung nicht plötzlich rissen? Die Untersuchung wird dabei durch drei Hauptthesen strukturiert: Erstens wird die Annahme vorausgesetzt, dass die Expansion der Weltwirtschaft nicht unabhängig von persönlichen Interaktionen, die sich zu Netzwerken verdichteten, gedacht werden kann. Zweitens soll die Vermutung geprüft werden, dass Welthandelsfirmen in den jeweiligen Gastländern auf leistungsfähige lokale Handels- und Produktionsnetze trafen, die ihnen den Aufbau von Geschäftsbeziehungen erleichterten, an deren Geschäftspraktiken sie sich aber anzupassen hatten. Drittens soll das historische Material mit der These konfrontiert werden, dass sowohl zwischen der Firma und ihren Kunden wie auch innerhalb der Firma die Generierung von Vertrauenskapital und die Pflege langfristiger sozialer Beziehungen zentral für den geschäftlichen Erfolg war. Volkart soll damit als paradigmatisches Beispiel dienen, um die soziokulturellen Prozesse zu beschreiben, die den ökonomischen Austausch im weltweiten Maßstab begleiteten und oft erst ermöglichten.17 Dabei spielten sich die Handlungen der jeweiligen Akteure in einem sehr spezifischen und höchst dynamischen politischen und ökonomischen Umfeld ab. Um die Wechselwirkungen zwischen diesen strukturierenden Rahmenbedingungen und der Handlungsmacht einzelner Akteure beschreiben zu können, wird diese Arbeit durch einen steten Wechsel zwischen Mikround Makroperspektive geprägt sein.18 Auf den folgenden Seiten dieser Einleitung werden verschiedene Aspekte vorgestellt, die für die Studie relevant sind und es wird 15 Arndt, Deutschlands Stellung in der Weltwirtschaft, S. 1ff. 16 Vgl. für das Konzept der embeddedness insbesondere Granovetter, Economic Action and Social Structure, 1985; Beckert/Diaz-Bone/Ganßmann (Hg.), Märkte als soziale Strukturen, 2007. Eine Pionierstudie für die Konzeptionalisierung der Unternehmensgeschichte als Gesellschaftsgeschichte ist Berghoff, Zwischen Kleinstadt und Weltmarkt, 1997. 17 Einen ähnliches Ziel wird verfolgt von Epple, Das Unternehmen Stollwerck, 2010. 18 Zur Verwendung der aus der Filmsprache entlehnten Vorstellung des Wechsels zwischen Mikro- und Makroperspektive für die Geschichtswissenschaft vgl. Kracauer, Geschichte – vor den letzten Dingen, 1973, S. 125–161; Pomata, Close-Ups and Long-Shots, 1998, S. 114f.
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Einleitung
dargelegt, wie sich die Studie in den jeweiligen Forschungsstand einpasst: Zuerst wird erläutert, warum Märkt als Strukturen interpretiert werden können, die durch die Handlungen individueller Akteure entstehen und damit auch durch die kulturellen Deutungsmuster geprägt sind, die diesen Handlungen zugrunde liegen. Dann wird zweitens ausgeführt, dass Handelsfirmen im Fernhandel nicht zuletzt deshalb eine wichtige Funktion hatten, weil sie Marktinformationen bereitstellen und so Informations- und Transaktionskosten reduzieren konnten. Der dritte Abschnitt geht auf den politischen Kontext ein, in dem sich Volkart bewegte. Es wird dargelegt, dass die Tätigkeit von Handelsfirmen im späten 19. und 20. Jahrhundert wesentlich durch den Aufstieg des Westens und die daraus hervorgehende globale Ungleichheit geprägt war. Es soll jedoch auch gezeigt werden, dass die Bevölkerung in den jeweiligen Gastländern über eine gewisse lokale Handlungsmacht verfügte. Dieser mussten auch global tätige Unternehmen Rechnung tragen, etwa wenn sie mit einheimischen Kaufleuten kooperierten. Im vierten Abschnitt soll das Verhältnis zwischen Territorialität und globalem Kapitalismus beleuchtet und insbesondere auf die Handlungsspielräume von multinationalen Firmen eingegangen werden. Der fünfte und letzte Abschnitt thematisiert die interne Struktur, die notwendig war, damit eine Handelsfirma wie Volkart ihre Mittlerfunktion in einem derart volatilen Geschäftsfeld wie dem Rohstoffhandel ausüben konnte.
Globale Märkte als Resultat sozialer Handlungen Das beispiellose Wachstum des Welthandels, dessen Volumen sich zwischen 1850 und 1913 mehr als verzehnfachte, gehört zu den klassischen Themen der neueren Wirtschaftsgeschichte. In der Regel wird dabei auf die technologischen und infrastrukturellen Innovationen – Telegraphie, Eisenbahn, Dampfschifffahrt, Bau des Suezkanals – und die Etablierung des Goldstandards verwiesen, die einen immer reibungsloseren Ablauf des internationalen Warentausches erlaubten. Im Zentrum stehen die Wirtschaftspolitik verschiedener nationaler Regierungen sowie die Veränderung der Handelsvolumen zwischen verschiedenen Nationalstaaten.19 Generell wird in dieser Literatur die Ansicht vertreten, dass auf eine erste Welle ökonomischer Globalisierung eine Phase der Deglobalisierung gefolgt sei, in der der Welthandel zunehmend ins Stocken geriet. Diese Phase begann mit dem Ersten Weltkrieg und
19 Pohl, Aufbruch der Weltwirtschaft, 1989; Foreman-Peck, A History of the World Economy, 1995; Fischer, Expansion – Integration – Globalisierung, Göttingen 1998; Tilly, Globalisierung aus historischer Sicht, 1999; Torp, Weltwirtschaft vor dem Weltkrieg, 2004; Borchardt, Globalisierung in historischer Perspektive, 2008.
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kulminierte in den weltwirtschaftlichen Verwerfungen im Rahmen der Großen Depression der frühen 1930er Jahre.20 Diese relativ schematische Periodisierung kann differenziert werden, wenn man die ökonomischen Akteure in den Blick nimmt, die für die Durchführung dieser internationalen Handelsgeschäfte verantwortlich waren. Im 19. und frühen 20. Jahrhundert waren dies vor allem private Handelsfirmen.21 Insbesondere im globalen Rohstoffhandel waren sie die Vermittlungsinstanz, die Verkäufer und Käufer über nationale und kontinentale Grenzen hinweg in Verbindung brachten. Die Handelshäuser verfügten über eine unternehmerische Organisation, welche in der Lage war, Fabrikanten in den Industrieländern zu einem vereinbarten Zeitpunkt mit einer bestimmte Menge eines Rohstoffes zu versorgen. Sie garantierten die Qualität der Lieferung, kümmerten sich um die Finanzierung des Transportes und trugen das Risiko von Preisveränderungen zwischen dem Moment des Einkaufs in den Anbauländern und dem Verkauf in den Industrieländern. Ganz allgemein verweist die Geschichte von Handelsfirmen darauf, dass Märkte nicht automatisch durch Angebot und Nachfrage entstehen. Wie diese Studie zu zeigen beabsichtigt, bedarf es vielmehr ökonomischer Akteure, die aufgrund ihrer spezifischen Kompetenzen diese Märkte schaffen. Dies tun sie, indem sie bestimmte Dienstleistungen – wie Selektion und Aufbereitung von Waren, Organisation des Transports, Lagerhaltung, Kreditgewährung oder Herstellung von Kundenkontakten – anbieten, die es räumlich getrennten Käufern und Verkäufern erlaubt, miteinander in Beziehung zu treten.22 Forscher wie John Hicks oder Carsten Herrmann-Pillath weisen deshalb dem Kaufmann als Intermediär von ökonomischen Transaktionen eine zentrale Rolle für die Herausbildung von Märkten zu.23 Aus einer handlungstheoretischen Perspektive können Märkte somit als Strukturen aufgefasst werden, die sich aufgrund des Handelns ökonomischer Akteure herausbilden.24 Marktstrukturen wären damit das Resultat von sich verdichtenden regelmäßigen ökonomischen Tauschakten. Sie schaffen Handlungsroutinen und -zwänge, die wiederum das Handeln der Marktteilnehmer kanalisieren. Ein derartiges, an die Strukturierungstheorien von Max Weber und Anthony Giddens angelehntes Verständnis von Märkten
20 So z.B. bei Ott, Kriegswirtschaft im 1. Weltkrieg, 1981; Cameron, A Concise Economic History of the World, 1989, S. 273–368; O‘Brien, The Great War, 1995; Hobsbawm, Das Zeitalter der Extreme, 2003; Findlay/O‘Rourke, Power and Plenty, 2007, S. 429ff.; Feinstein/Temin/ Toniolo, The World Economy between the World Wars, 2008, S. 7. 21 Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 97. 22 Bammatter, Der schweizerische Transithandel, 1958, 3f.; Chalmin 1985, Negociants et chargeurs, S. 95–184. 23 Hicks, Theory of Economic History, 1969; Herrmann-Pillath, Kritik der reinen Theorie, 2001. 24 Eine solche Modellierung von Märkten wird auch vorgeschlagen von Engel, Farben der Globalisierung, 2009, S 211.
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ist wiederum anschlussfähig an neuere Ansätze aus der Globalgeschichte.25 Jürgen Osterhammel und Niels P. Petersson etwa plädieren – ihrerseits in Anlehnung an Manuel Castells26 – dafür, Prozesse der Globalisierung „aus beobachtbaren Interaktionen zwischen Individuen und Gruppen [zu] erschließen“, die sich wiederum „zu Netzwerken verstetigen und … Stabilität gewinnen“ können.27 Ein solch handlungstheoretischer Zugang hat wiederum Konsequenzen für die Bedeutung von kulturellen Deutungsmustern für den ökonomischen Austausch.28 Kultur kann dabei im Sinne von Clifford Geertz als „selbstgesponnenes Bedeutungsgewebe“ interpretiert werden, an dem sich menschliches Handeln orientiert.29 Max Weber, auf den Geertz sich explizit bezieht, hat bekanntlich darauf hingewiesen, dass jegliches Handeln nur dann als soziales Handeln angesehen werden könne, wenn es einen intendierten Sinn verfolge. Erst wenn die Handlungen mehrerer Akteure wechselseitig aufeinander bezogen sind, konstituiert sich eine soziale Beziehung. Diese erlangt eine gewisse Stabilität, indem sich bestimmte Normen etablieren, deren Verletzung sanktioniert wird.30 Daraus folgt, dass auch ökonomische Transaktionen sich immer innerhalb bestimmter kultureller Parameter vollziehen. Wirtschaftlicher Austausch ist nur möglich, wenn zwischen den Marktteilnehmern ein Minimum an geteilten Weltbildern und an Vertrauen existiert. Die Generierung von gegenseitigem Vertrauen kann deshalb als fundamentale Voraussetzung dafür angesehen werden, dass sich ökonomische Akteure überhaupt auf eine Geschäftsbeziehung einlassen.31 Vertrauen ist jedoch keine Institution – wobei mit Institution im Sinne der Institutionenökonomie eine handlungsleitende Norm verstanden wird – sondern es beruht seinerseits auf bestimmten Voraussetzungen, etwa auf Informationen über potentielle oder tatsächliche Geschäftspartner oder auf dem Vorhandensein von Institutionen, die die Gewissheit bieten, dass Verträge durchgesetzt werden können.32
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Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922; Giddens, The Constitution of Society, 1984. Castells, Materials of an exploratory theory, 2000. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 20f. Indem die vorliegende Studie kultur- und wirtschaftshistorische Ansätzen miteinander in Verbindung setzt, nähert sie sich ökonomischen Prozessen mit einem Zugang, der in den letzten Jahren verschiedentlich postuliert wurde: Carrier (Hg.), Meanings of the Market, 1997; Haskell/Teichgraeber III (Hg.), The Culture of the Market, 1993; Siegenthaler, Geschichte und Ökonomie nach der kulturalistischen Wende, 1999; Berghoff/Vogel (Hg.), Wirtschaftsgeschichte als Kulturgeschichte, 2004; Tanner, „Kultur“ in den Wirtschaftswissenschaften, 2004; Wischermann, Von der „Natur“ zur „Kultur“, 2004. Geertz, Dichte Beschreibung, 1999, S. 9. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, S. 1. Gorißen, Der Preis des Vertrauens, 2003; Berghoff, Die Zähmung des entfesselten Prometheus?, 2004; Hillen (Hg.), „Mit Gott“, 2007. Fiedler, Vertrauen ist gut, 2001; Guinnane, Trust, 2005.
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Eine zweite Konsequenz eines solchen akteurszentrierten Zugangs zum Welthandel besteht darin, dass sie auch eine Hinterfragung der bereits erwähnten These erlaubt, wonach auf eine viktorianische Globalisierung nach 1918 eine Phase der Deglobalisierung gefolgt sei. Verschiedene Unternehmenshistoriker haben darauf hingewiesen, dass die Zwischenkriegszeit mitnichten eine historische Periode darstellte, in der sich Unternehmen nur noch auf ihren Heimmarkt beschränkten. Im Gegenteil begannen viele Firmen gerade in dieser Zeit – nicht zuletzt auch als Reaktion auf den zunehmenden Protektionismus – damit, sich auf globaler Ebene geschäftlich zu betätigen.33 Dies gilt auch für die Firma Volkart, die sich nach 1918 von einem primär auf Britisch Indien ausgerichteten Unternehmen zu einem wahrhaften global player entwickelte. Dies legt nahe, die Entwicklung des Welthandels nicht als teleologischen Prozess anzusehen, bei dem nur zwischen Phasen der Globalisierung und solchen der Deglobalisierung unterschieden werden kann. Vielmehr sollte man, wie Frederick Cooper angeführt hat, die Aufmerksamkeit auf mögliche Ungleichzeitigkeiten und innere Widersprüche solcher Globalisierungsprozesse richten und insbesondere die möglichen Diskrepanzen zwischen den Handlungen verschiedener globaler Akteure in den Blick nehmen.34
Handelsfirmen und der moderne Welthandel Wenn man sich die wirtschaftshistorische Literatur für das 19. und das 20. Jahrhundert ansieht, könnte man leicht zum Schluss gelangen, dass Handelsfirmen für die moderne Weltwirtschaft keine große Bedeutung hatten. Die meisten Studien behandeln die Geschichte von produzierenden Unternehmen oder untersuchen die Herausbildung der modernen Konsumgesellschaft. Handelshäuser dagegen rücken nur selten ins Blickfeld. Auch die inzwischen umfangreiche Literatur über multi- beziehungsweise transnationale Konzerne beschäftigt sich in erster Linie mit ausländischen Direktinvestitionen sowie den Bedingungen global verteilter Produktion und weniger mit Handelsfirmen.35 Es scheint, als würde die moderne Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte diese Firmen als Relikte der vorindustriellen Epoche begreifen. Diese Vermutung geht einher mit der Beobachtung, dass es für die Zeit vor 1800 eine kaum zu überblickende Literatur über Handelsgeschichte und Handelsun33 Jones, The End of Nationality?, 2006, S. 164; Müller, From Protectionism to Market Liberalisation, 2008. 34 Cooper, What is the Concept of Globalization Good For?, 2001. 35 Siehe u.a. Wilkins, Maturing of Multinational Enterprise, 1974; Dunning, Multinational Enterprises and the Global Economy, 1993; Bonin u.a. (Hg.), Transnational Companies, 2002; Amatori/Jones (Hg.), Business History around the World, 2003; Chandler/Mazlish (Hg.), Leviathans, 2005. Eine Ausnahme ist jedoch Jones, Merchants to Multinationals, 2000.
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ternehmen gibt – von den Fuggern über die Venezianer bis hin zu den arabischen und indischen Handelsnetzwerken und von der Hanse bis zu den britischen und holländischen Ostindienkompanien.36 Weshalb haben Handelsfirmen in der Historiographie des industriellen Zeitalters einen derartig geringen Stellenwert? An ihrer faktischen Bedeutung liegt es nicht. International operierende Handelsfirmen spielten eine zentrale Rolle für die Ausgestaltung des globalen Handels im 19. und 20. Jahrhundert. Der Welthandel wurde in dieser Zeit zwar durch politische Rahmenbedingungen geprägt. Die konkreten Handelsbeziehungen beruhten aber ausschließlich auf privatwirtschaftlicher Initiative.37 Dies gilt vor allem für den Handel mit natürlichen Rohstoffen wie Baumwolle, Wolle, Getreide, Kaffee, Tee oder Zucker, welche die Grundlage der modernen Industrie- und Konsumgesellschaft darstellten. Die Herausbildung eines Weltmarktes wurde wesentlich durch die geschäftlichen Aktivitäten von global operierenden Kaufleuten ermöglicht.38 Entgegen der Ansicht von zeitgenössischen Beobachtern wie auch von modernen Ökonomen wie John Dunning war aber das Tätigkeitsfeld von Handelshäusern nicht auf den Rohstoffhandel beschränkt.39 Zwar richteten verschiedene der Großunternehmen, die sich Ende des 19. Jahrhunderts im Zuge der zweiten Industrialisierung im Bereich von Maschinenindustrie, chemischer Industrie und Nahrungsmittelindustrie etablierten, für den Absatz ihrer Produkte im Ausland eigene Vertretungen ein. Teilweise verlagerten sie auch ihre Produktion in die betreffenden Länder. Doch dies war bei weitem nicht immer der Fall. Je nach Auftragsvolumen und Struktur der jeweiligen Märkte war es für die Industriebetriebe rationeller, für den Vertrieb ihrer Produkte die Dienste lokal verankerter Handelshäuser in Anspruch zu nehmen.40 Ein erster – und relativ banaler – Grund für die Vernachlässigung der modernen Handelsunternehmen durch die Geschichtsschreibung dürfte darin liegen, dass diese Firmen in der Öffentlichkeit kaum präsent sind. Während die industrielle Produktion mit riesigen Fabrikarealen, rauchenden Kaminen und dem Bau von Arbeitersiedlungen unübersehbare Spuren in der Landschaft hinterlassen hat, und die Produkte der mo36 Vgl. für einen Überblick über vormoderne Handelsunternehmen u.a. Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, Bd. 2, 1986; Carlos/Nicholas, Giants of an Earlier Capitalism, 1988; Price, What Did Merchants Do?, 1989; Subrahmanyam (Hg.), Merchant Networks, 1990; Valentinitsch, Ost- und Westindische Kompanien, 2001; Webster, An Early Global Business, 2005; Häberlein/Jeggle (Hg.), Praktiken des Handels, 2010. Einen Abriss der Entwicklung des Welthandels seit dem 15. Jh. bietet Pomeranz/Topik, The World that Trade Created, 2006. 37 Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 97 38 Jones, Multinational Trading Companies, 1998, S. 1. 39 Chapman, Merchant Enterprise in Britain, 1992, S. 15; Dunning, Multinational Enterprises and the Global Economy, 1993. 40 Welter, Die Exportgesellschaften, 1915; Hauser-Dora, Die wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen der Schweiz, 1986; Bähr/Lesczenski/Schmidtpott, Handel ist Wandel, 2009.
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dernen Konsumgesellschaft sowohl auf den Plakatwänden der Städte wie auch in den Haushalten allgegenwärtig sind, ist die Tätigkeit von Import- und Exportfirmen nur einem kleinen Kreis von wirtschaftlichen Akteuren bekannt. Handelsfirmen zeichnen sich zudem oft durch einen ausgeprägten Hang zur Diskretion aus. Da sie sich meist in Privatbesitz befinden, sind sie nicht gezwungen, ihre Bilanzen offen zu legen. Zahlen über Umsätze und Gewinne beruhen oft einzig und allein auf groben Schätzungen.41 Neben diesem offensichtlichen und nicht zu unterschätzenden Quellenproblem lässt sich aber noch eine zweite – und wesentlich grundlegendere – Ursache ausmachen. Die spärliche Forschungsliteratur zu modernen Handelshäusern resultiert nicht zuletzt aus der Art und Weise, wie sich Ökonomen und Wirtschaftshistoriker die Entstehung von modernen Märkten vorstellen. Der Markt, davon scheinen viele Forscherinnen und Forscher auszugehen, entsteht quasi automatisch, wenn Werkstätten oder Fabriken ausreichend produktiv sind, Informations- und Transportmöglichkeiten vorhanden sind und wenn die politischen Instanzen der unsichtbaren Hand des Marktes keine Fesseln anlegen. Diese Vorstellung findet ihre Entsprechung in der durch die neoklassische Ökonomie eingebrachten Konzeption von Märkten als eines abstrakten Modells, aus welchem sich anhand des Schnittpunkts von Angebots- und Nachfragekurven die realisierbaren Marktpreise ablesen lassen. Das Konzept eines „vollkommenen Marktes“ zeichnet sich nicht zuletzt durch homogene Güter und vollständig informierte Akteure aus.42 Dieses Modell hat sich als enorm leistungsfähig erwiesen, es vernachlässigt jedoch verschiedene Probleme, die sich realen Marktteilnehmern stellen. Diese bestehen nicht zuletzt aus den Kosten, die für die Benutzung des Marktes aufgewendet werden müssen: den Informations- und Transaktionskosten. Mit Transaktionskosten bezeichnet die Institutionenökonomie die Benutzungskosten des Marktes, also jene Kosten, welche ökonomischen Akteuren dadurch erwächst, dass sie sich gegen die tatsächliche oder zumindest potentielle Unehrlichkeit von Geschäftspartnern und Mitarbeitern vorsehen müssen.43 Die Marktteilnehmer können die Transaktionskosten auf zwei unterschiedliche Arten senken. Erstens, in41 Vgl. Guex, The development of Swiss trading companies, 1998, S. 151. 42 Vgl. hierzu u.a. Engel, Farben der Globalisierung, 2009, S. 20–25. 43 Informations- und Transaktionskosten werden in vielen Untersuchungen nur ungenügend unterschieden. Mark Casson weist jedoch zu Recht darauf hin, dass zwar alle Transaktionskosten Informationskosten darstellen, dass aber viele Informationskosten nicht als Transaktionskosten bezeichnet werden können, da sie sich allein aus dem Aufwand für die Informationsbeschaffung, -speicherung und Entscheidungsfindung ergeben, nicht jedoch – wie bei Transaktionskosten – aus dem Versuch, gegen unehrliches Verhalten vorzubeugen oder Verträge durchzusetzen: Casson, Institutional Economics and Business History, 1998. Vgl. für einen Überblick über die Institutionenökonomie u.a. Williamson, The Economic Institutions of Capitalism, 1985; Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2003; Ellerbrock/Wischermann (Hg.), Die Wirtschaftsgeschichte vor der Herausforderung durch die New Institutional Economics, 2004; Wischermann/Nieberding, Die institutionelle Revolution, 2004.
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dem sie versuchen, diese durch das Einführen von bestimmten Regeln, so genannten Institutionen, zu minimieren. Dabei wird unterschieden zwischen formalen Institutionen (Verträgen, Handelsgesetzen etc.) und informalen Institutionen (Bräuchen, Ehrkonzepten etc.).44 Zweitens können Unternehmer Transaktionskosten reduzieren, indem sie bestimmte Geschäftsbereiche in die eigene Firma integrieren. Wie Ronald Coase in seinem für die Institutionenökonomie grundlegenden Artikel „The Nature of the Firm“ postulierte, lässt sich die Entstehung von Firmen nicht zuletzt dadurch erklären, dass durch die Internalisierung von Geschäften in das Innere von Unternehmen weniger Transaktionskosten anfallen, als wenn die entsprechenden Transaktionen über den Markt abgewickelt würden.45 Die Vernachlässigung von Handelsfirmen für die Untersuchung der modernen Weltwirtschaft beruht nach Ansicht verschiedener Forscher nicht zuletzt darauf, dass die Bedeutung von Transaktionskosten für das Funktionieren des Welthandels unterschätzt werde. „There is no place for trade intermediaries in a world of perfect information and enforcement“, meint etwa Geoffrey Jones.46 Gerade der Fernhandel war – und ist vielfach bis heute – jedoch ein äußerst riskantes Geschäft mit hohen Informations- und Transaktionskosten. Käufer und Verkäufer mussten mit Leuten ins Geschäft kommen, die sie nicht persönlich kannten und die oft auf anderen Kontinenten beheimatet waren. Sie mussten Kredite aufnehmen und Vorschüsse bezahlen, Güter verkaufen, die ihnen noch nicht gehörten und über deren genaue Beschaffenheit sie oft nicht Bescheid wussten, oder Waren verschiffen, für die sie noch keine Käufer hatten. Diese Tätigkeiten waren nicht zuletzt deshalb mit einem beträchtlichen Risiko behaftet, weil im Fernhandel formale Institutionen oft fehlten oder bloß eine ungenügende Sicherheit boten.47 Zwar führten einflussreiche Branchenorganisationen wie die Vereinigungen der Baumwollhändler in Bremen und Liverpool, die Seidenhändler in Lyon oder das Chicago Board of Trade in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Standardkontrakte und eine ausgefeilte Schiedsgerichtsbarkeit ein, die für alle Akteure an den jeweiligen Handelsplätzen verbindlich waren.48 In Asien funktionierte diese private Art der Rechtssetzung jedoch lange Zeit nicht (mit Ausnahme von Japan), da keine derart starken Verbände und leistungsfähigen Rohstoffbörsen existierten wie in Europa oder in Nord- und Südamerika. Zudem waren Handelsgeschäfte auch im atlantischen Raum alles andere als risikolos, da Schiedsgerichtverfahren und Rechtsstreite oft äußerst langwierig waren und auch die Gefahr von Zahlungsausfällen nie ganz ausgeschlossen werden konnte. Indem Handelsfirmen bereit waren, diese Risiken einzugehen, konnten sie einen Teil der Nutzungskosten des Marktes unter44 45 46 47 48
North, Institutionen, 1992, S. 4. Coase, The Nature of the Firm, 1937. Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 4. Petersson, Eine Welt des (Un-) Rechts, 2004. Petersson, Anarchie und Weltrecht, 2009, S. 212f.
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nehmerisch internalisieren und diese Leistung anderen Marktteilnehmern als Dienstleistung anbieten. Fernhandelskaufleute mussten also, in den Worten von Mark Casson, in der Lage sein, in komplexen Situationen „Informationen mit der Aussicht auf Gewinn zu synthetisieren, … Unternehmen [zu gründen], um diese Informationen entsprechend ihren Bedürfnissen zu verwerten, und soziale Netzwerke [zu] knüpfen, um Informationsströme aus anderen Bereichen der Wirtschaft in ihre Organisation zu lenken.“49 Indem sie die bei Fernhandelsbeziehungen typischen Informations- und Vertrauenslücken überbrücken konnten, besaßen sie für die Entstehung eines globalen Marktes eine konstitutive Funktion.50 Ab Ende des 19. Jahrhunderts wurde immer wieder die Ansicht geäußert, dass Handelshäuser als Vermittler zwischen Produzenten und Konsumenten längerfristig überflüssig würden, da die betreffenden Akteure durch die Verbesserung der Verkehrsund Kommunikationsmöglichkeiten direkt miteinander in Verbindung treten könnten.51 Tatsächlich diversifizierten verschiedene klassische Handelsfirmen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts aufgrund der sinkenden Margen im Fernhandel und entwickelten sich zu Handelsbanken und Schifffahrtslinien oder übernahmen das Management von Minen, Plantagen oder Industriebetrieben. Aufgrund ihrer sozialen Einbettung in fremde Märkte erkannten sie frühzeitig neue Geschäftsmöglichkeiten und konnten dementsprechend eine geschäftliche Vorwärts- oder Rückwärtsintegration vornehmen.52 Dabei gibt es allerdings keine lineare Entwicklung, etwa in dem Sinne, dass alle Handelsfirmen sich früher oder später zu Industrieunternehmen oder Finanzdienstleistern entwickeln würden. Auch im 20. Jahrhundert spielten spezialisierte Handelshäuser eine wichtige Rolle als Rohstoffzulieferer in die Industrieländer oder als Vermittler bei Exporten von technischen Großanlagen.53 Je nach Firmenphilosophie, geschäftlicher Ausrichtung oder geographischem Schwerpunkt konnten die Handelshäuser ganz verschiedene Entwicklungspfade einschlagen.
Handelsgeschichte als Teil der Globalgeschichte Die Firma Volkart beschäftigte sich während der ersten gut hundert Jahre ihres Bestehens mit der Verschiffung von Rohstoffen aus dem kolonialen Indien in die Industriegebiete Europas und Ostasiens sowie mit der Ausfuhr europäischer Konsum- und 49 Casson, Der Unternehmer, 2001, S. 525 50 Landa, Trust, Ethnicity, and Identity, 1994; Casson, The Economic Analysis of Multinational Trading Companies, 1998; Casson, An Economic Approach, 2003; Rothermund, Globalgeschichte als Interaktionsgeschichte, 2007, S. 202. 51 Chapman, Merchant Enterprise in Britain, 1992, 15. 52 Jones, Merchants to Multinationals, 2000. 53 Chalmin, International Trading Companies, 1980.
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Industrieprodukte nach Asien. Ihre Geschichte ist also unweigerlich eine globale und nicht ohne Berücksichtigung der europäischen Expansion im 19. Jahrhundert und des rise of the West zu politischer und ökonomischer Vormacht zu verstehen.54 Es wäre jedoch verkürzt, die Geschichte von Volkart allein in einem kolonialhistorischen Kontext darzustellen. Erstens war Volkart eine schweizerische Firma. Obwohl sie auch über eine wichtige Niederlassung in London verfügte, kann das Unternehmen somit nur ungenügend in eine Erzählung über das Verhältnis von Metropole und kolonialer Peripherie im Rahmen des British Empire eingepasst werden. Zweitens ging der Aktionsradius der Firma sowohl geographisch wie zeitlich über das britische Kolonialreich hinaus. Bereits während der Kolonialzeit pflegte Volkart Geschäftskontakte mit Unternehmern in Ländern, die wie China nur zum Teil oder wie Japan und die USA gar nicht unter kolonialer Herrschaft standen. Nach dem Ende der Kolonialzeit begann die Firma zudem eine intensive Geschäftstätigkeit in Lateinamerika. Einen weiter gefassten Zugang zur Geschichte einer europäischen Welthandelsfirma könnte deshalb die Weltsystemtheorie darstellen, die basierend auf Immanuel Wallersteins bisher dreibändiger Darstellung die Geschichte der kapitalistischen Weltwirtschaft und des internationalen Staatensystems seit dem 16. Jahrhundert beschreibt.55 Ausgehend von Europa habe dieses Weltsystem sukzessive andere Regionen der Welt inkorporiert und eine globale Arbeitsteilung zwischen dem europäischen Kern und den Ländern der Peripherie etabliert. Während die Wirtschaft des Kerns sich durch eine hoch entwickelte industrielle Produktionsweise auszeichnet, bestehe die Rolle der Peripherie darin, dem Kern billige Rohstoffe und Arbeitskräfte zur Verfügung zu stellen. Die Weltsystemtheorie war ab den 1970er Jahren einer der wichtigsten makrohistorischen Zugänge zur Entwicklung der modernen Welt. Seit einigen Jahren ist sie jedoch auf dem Rückzug.56 Nicht zuletzt besteht ein Problem des Ansatzes darin, dass sie von einer seit der frühen Neuzeit bestehenden Überlegenheit der europäischen Wirtschaft ausgeht und außereuropäischen Akteuren kaum Handlungsfähigkeit zugestehen mag. Diese eurozentristische Sichtweise ist in den letzten Jahren durch verschiedene Forscher zurückgewiesen worden. Kenneth Pomeranz etwa betont aus makrohistorischer Perspektive die grundsätzliche Ähnlichkeit zwischen England und dem China des Yangtse-Deltas bis zum Beginn der industriellen Revolution. Der Aufstieg Englands und allgemein Europas beruhe weniger auf internen Gründen, sondern sei auf externe Ursachen – die Nutzung der Steinkohle und
54 McNeill, The Rise of the West, 1963. 55 Wallerstein, The Modern World-System, 1974–89. Vgl. auch Wallerstein, Der historische Kapitalismus, 1984; Wallerstein, The Essential Wallerstein, 2000. 56 Vgl. zur Kritik am Weltsystemansatz u.a. Torp, Die Weltsystemtheorie Immanuel Wallersteins, 1998; Hack, Auf der Suche nach der verlorenen Totalität, 2005; Conrad/Eckert. Globalgeschichte, 2007, S. 16f.
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die Inbesitznahme der Ländereien in der Neuen Welt – zurückzuführen.57 Verschiedene Forscher haben zudem gezeigt, dass Südasien in vorkolonialer Zeit zu den am weitest entwickelten Wirtschaftsräumen der Welt zählte und die Gebiete rund um den Indischen Ozean einen intensiven ökonomischen Austausch miteinander pflegten.58 Es gab in Asien also bereits vor dem Eintreffen der Europäer einen regen Fernhandel, der durch die europäische Expansion jedoch ergänzt und ausgeweitet wurde. Namentlich Indien wurde zum wichtigen Bindeglied zwischen zwei Handelskreisen – einem indisch-europäischen und einem indisch-ostasiatischen –, die allmählich in eine gemeinsame Weltwirtschaft integriert wurden.59 Diese zeichnete sich nicht zwingend dadurch aus, dass Europa oder die USA zum Bestimmungsort von in der Peripherie angebauten Rohstoffen wurden. Oft verliefen die Handelsströme anders, als sie dies gemäß der Weltsystemtheorie hätten tun sollen – etwa indem die Baumwolle aus dem kolonialen Indien ab den 1890er Jahren größtenteils in Japan (und nicht in Großbritannien oder überhaupt in Europa) verbraucht wurde, oder indem Indien, China und Japan aufgrund des industriellen Aufschwungs in diesen Ländern ab den 1920er Jahren zunehmend damit begannen, Baumwolle aus den USA zu importieren.60 Anstatt sich die im 19. Jahrhundert herausbildende Weltwirtschaft als eine bloß von Europa ausgehende ökonomische Globalisierung vorzustellen, scheint es deshalb ratsam, diese als ein Nebeneinander verschiedener Wirtschaftszonen anzusehen, die jeweils durch eine hochentwickelte und kapitalstarke Kernregion dominiert wurden, ähnlich wie dies Fernand Braudel für die Frühe Neuzeit vorgeschlagen hat.61 Selbst wenn London im 19. Jahrhundert und New York ab den 1920er Jahren die weltweit führenden Finanz- und Handelsplätze waren, so existierten daneben stets auch andere Wirtschaftszentren, die bestimmte Wirtschaftsregionen prägten. In Asien spielte zweifellos ab den 1890er Jahren Japan eine solche Rolle. In den letzten Jahren haben 57 Pomeranz, The Great Divergence, 2000. Für eine kritische Würdigung dieses Ansatzes O’Brien, The Deconstruction of Myths, 2003; Darwin, After Tamerlane, 2007, S. 186–209; Kramper, Warum Europa?, 2009. 58 Chaudhuri, The Trading World of Asia, 1978; Das Gupta, Indian Merchants, 1979; Das Gupta, The World of the Indian Ocean Merchant, 2001; Perlin, The Invisible City, 1993; Ray, Asian Capital, 1995, S. 455–464; Bhattacharya/Dharampal-Frick/Gommans, Spatial and Temporal Continuities, 2007, S. 91–95; Markovits, Structure and Agency, 2007. 59 Braudel, Dynamik des Kapitalismus, 1986, S. 36 und 84; Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, Bd. 2, 1986, S. 128; Fischer, Expansion – Integration – Globalisierung, 1998, S. 37. 60 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 10. 61 Braudel, Dynamik des Kapitalismus, 1986, S. 76. Es sei hier noch angemerkt, dass Braudel in seinem Werk zwischen der Wirtschaft der gesamten Welt (économie mondiale) und Weltwirtschaft (économie-monde) unterscheidet, wobei der zweite Begriff insofern von der sonst üblichen Verwendung im Deutschen abweicht, als er sich bloß auf das Wirtschaftssystem innerhalb eines bestimmten Teils der Welt bezieht: Ebd., S. 74.
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verschiedene japanische Historiker angeführt, dass die japanische Industrialisierung nicht zuletzt durch den innerasiatischen Handel angetrieben wurde. Sie haben deshalb vorgeschlagen, die Wirtschaftsgeschichte Asiens im 19. und 20. Jahrhundert nicht als bloße Geschichte der europäischen Expansion und der darauf folgenden asiatischen Reaktion zu schreiben, sondern stärker als bisher Wirtschaftsbeziehungen zwischen den verschiedenen asiatischen Ländern zu untersuchen.62 Die Abkehr von einer eurozentrischen und die Hinwendung zu einer polyzentrischen Geschichte der Weltwirtschaft berührt auch das Thema der vorliegenden Arbeit, denn die Verbindungen zwischen diesen verschiedenen Wirtschaftszentren und ihren jeweiligen Peripherien wurden nicht zuletzt durch im Fernhandel tätige Kaufleute aufrecht erhalten.63 Dies zeigt einmal mehr, wie wichtig es für transnationale und globalhistorische Studien ist, Beziehungen und Handelsnetzwerke in den Blick zu nehmen.64 Generell hat sich in den letzten Jahren die Einsicht durchgesetzt, dass Globalgeschichte weniger als Geschichte „von allem“ zu betreiben sei, dass es also nicht darum gehen könne, stets die ganze Erde als Untersuchungsraum zu wählen, sondern dass es sich eher um eine Geschichtsschreibung mit einer Sensibilität für mögliche globale Zusammenhänge handle. Als Leitidee hat sich die Untersuchung von Verflechtungen, Abhängigkeiten und Beziehungen zwischen verschiedenen Teilen der Welt herauskristallisiert. Eine solche Hinwendung zur Interaktionsgeschichte bedeutet aber nicht, dass die einzelnen Akteure stets über ähnliche Voraussetzungen verfügten, um ihre Interessen durchzusetzen. Sowohl im kolonialen wie auch im nachkolonialen Kontext waren die Interaktionen stets durch die Machtasymmetrien der modernen Welt geprägt.65 Für die Geschichte des Welthandels heißt dies, dass Warenflüsse und Wirtschaftsbeziehungen nicht unabhängig von ökonomischen, politischen und militärischen Machtbeziehungen gedacht werden können. Industrielle Revolution, Kolonialherrschaft, die Herausbildung von modernen Börsen sowie die Tatsache, dass sich in Europa ab Mitte des Jahrhunderts ein leistungsfähiges Bankwesen etablierte und der Alte Kontinent ab den 1870er Jahren zum wichtigsten Kapitalexporteur der Welt wurde, sorgten dafür, dass der Welthandel ab Mitte des 19. Jahr-
62 Sugihara (Hg.), Japan, China, and the Growth of the Asian International Economy, 2005; Akita/White (Hg.), The International Order of Asia, 2010. 63 Ähnlich beschreibt auch Braudel für die frühe Neuzeit die Rolle der Fernhandelskaufleute: Braudel, Dynamik des Kapitalismus, 1986, S. 84. 64 Vgl. für einen ähnlichen Ansatz zur Erforschung der europäischen Handelsgeschichte Schulte Beerbühl/Vogel, Spinning the Commercial Web, 2004. 65 Manning, Navigating World History, 2003, S. 3; Bayly, The Birth of the Modern World, 2004, S. 475f.; Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 10–24; Osterhammel, Europamodelle und imperiale Kontexte, 2004, S. 158; Osterhammel, Alte und neue Zugänge zur Weltgeschichte, 2008, S. 9–12; Conrad/Eckert. Globalgeschichte, 2007; Rothermund, Globalgeschichte als Interaktionsgeschichte, 2007.
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hunderts zunehmend durch europäische Unternehmen dominiert wurde.66 Gerade im Rohstoffhandel wurden Kaufleute aus den Anbauländern – die bis dahin oft eine erstaunlich große Rolle bei der Ausfuhr der Waren in die Industrieländer gespielt hatten – ab Mitte des 19. Jahrhunderts zunehmend aus dem Exportgeschäft verdrängt.67 Die Geschichte des Welthandels lenkt den Blick damit auf ein komplexes Geflecht von „geteilten Geschichten“ (Shalini Randeria).68 Wie Sebastian Conrad festgehalten hat, vereint dieser Begriff die gegensätzlichen Konnotationen, die im Englischen als shared und divided wiedergegeben werden, und bringt so die Ambivalenzen einer Geschichte des Austauschs und der Interaktion zum Ausdruck.69 Denn obwohl der Fernhandel sich per definitionem mit dem Warentransport über große Distanzen beschäftigte – und dabei Techniken entwickeln musste, um Risiken wie schwankende Preise während des Transports oder betrügerisches Handeln von Geschäftspartnern in weit entfernten Handelsplätzen zu begegnen – waren es oft lokale Sozial- und damit Machtstrukturen, die über den Erfolg ihrer Unternehmungen entschieden. Beim Rohstoffhandel war etwa für die Handelsfirmen der Transport zwischen den Verschifffungshäfen in Südasien oder Lateinamerika und den Industriedistrikten in Europa, Japan oder den USA mit dem Aufkommen von Handelsbanken und Rohstoffbörsen und der Einrichtung des telegraphischen Verkehrs einigermaßen gut kontrollierbar. Wesentlich schwieriger war es aber, in den fremden Ländern die Finanzierung von Einkäufen im Hinterland zu organisieren, den Kontakt zu einheimischen Bauern oder Zwischenhändlern herzustellen und Vertragsbedingungen in einer ungewohnten Geschäftswelt durchzusetzen. Forscher wie David Washbrook, Chris Bayly oder Rajat Kanta Ray haben deshalb gezeigt, dass die europäischen Kaufleute in Asien auch während der Kolonialzeit auf einheimische Mittelsleute angewiesen waren, welche Kredite zur Verfügung stellten und unerlässlich waren, wenn die Europäer im schwer zugänglichen Landesinnern Geschäftsbeziehungen aufnehmen wollten.70 Wie in dieser Studie am Beispiel von Volkart dargelegt werden soll, waren international tätige Handelshäuser jedoch nicht bloß während der Kolonialzeit und nicht nur in Asien auf die Zusammenarbeit mit lokalen Kaufleuten angewiesen, wenn sie in fremden Ländern Geschäfte tätigen wollten. Volkart bediente sich auch in den USA und in Lateinamerika bis weit ins 20. Jahrhundert hinein der Koopera66 Vgl. hierzu u.a. Darwin, After Tamerlane, 2007, S. 330f. Auch Roy Bin Wong verortet deshalb die Etablierung der europäischen Hegemonie in der Weltwirtschaft im 19. Jahrhundert als ein Resultat der wirtschaftlichen Entwicklung Europas nach der Industriellen Revolution: Wong, The Search for European Differences, 2002, S. 468f. Vgl. für diese Ansicht auch Rabb, The Expansion of Europe, 1974, S. 675–689. 67 Vgl. hierzu Kapitel 2. 68 Randeria, Geteilte Geschichte und verwobene Moderne, 1999. 69 Conrad, Globalisierung und Nation, 2006, S. 12. 70 Washbrook, Law, State and Society, 1981; Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983; Ray, Asian Capital, 1995.
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tion mit einheimischen Exportfirmen zur Anknüpfung von Geschäftsbeziehungen. Damit war auch der Welthandel – zumindest bis zu dem Moment, wo westliche Handelshäuser sich zu multinationalen Firmen mauserten, die die Transaktionen in den fremden Ländern durch eine Rückwärtsintegration in die eigene Organisation integrierten – durch Prozesse der „Glokalisierung“ geprägt, wie Roland Robertson diese dialektischen Verschränkungen von lokalen und globalen Strukturen bezeichnet hat. Dies bestätigt Arjun Appadurais These, wonach die Globalisierung das Lokale in der Regel nicht eliminiere, sondern dass sich das Lokale und das Globale oft gegenseitig „kannibalisieren“ würden.71 Indem sie solche Prozesse nachzeichnet, möchte diese Studie auch die Räumlichkeit von weltwirtschaftlichen Interaktionen genauer unter die Lupe nehmen.72 Die Kooperationen zwischen europäischen Handelshäusern und außereuropäischen Kaufleuten war jedoch nur möglich, wenn die beiden Parteien ein ähnliches Verständnis davon hatten, wie Geschäfte getätigt werden sollten. Konnte eine solche Gemeinsamkeit vorausgesetzt werden? Oder stießen die europäischen Kaufleute in den fremden Ländern an kulturelle Grenzen und auf Geschäftspartner, deren Handlungen sich an einer anderen ökonomischen Rationalität orientierten? Gerade für die Geschichte eines europäischen Handelshauses, welches einen Großteil seines Bestehens in Asien tätig war, wäre es scheinbar nahe liegend, sich auf die Unterschiede zwischen einem europäischen und einem asiatischen Kulturraum zu konzentrieren. Dabei wäre die Annahme, dass diese beiden Kulturräume in sich selbst homogen sind und dass zwischen ihnen signifikante Unterschiede bestehen. Eine solche Hypothese wird in verschiedenen universalhistorischen Studien vertreten, die sich mit dem Aufstieg des Westens im Zuge der Industriellen Revolution beschäftigen, so zuletzt etwa von David Landes oder Gregory Clark.73 Rudyard Kipling hat sie in seinem berühmten Gedicht „Ballad of East and West“ mit den Worten „East is East, and West is West, and never the twain shall meet“ auf den Punkt gebracht. Die europäische Kultur würde bei einer solchen Gegenüberstellung als rational und modern erscheinen, während Asien als archaisches und mystisches „Wunderland“ charakterisiert würde,
71 Robertson, Glocalization, 1995; Appadurai, Modernity at Large, 2000. 72 Vgl. für das in den letzten Jahren neu erwachte geschichtswissenschaftliche Interesse an der Kategorie des Raumes Osterhammel, Die Wiederkehr des Raumes, 1998; Schlögel, Im Raume lesen wir die Zeit, 2003; Schröder/Höhler (Hg.), Welt-Räume, 2005; Middell, Der Spatial Turn, 2008. 73 Landes, The Wealth and Poverty of Nations, 1998; Clark, A Farewell to Alms, 2007. In eine ähnliche Richtung argumentierte natürlich auch Max Weber mit seiner klassischen Protestantismusthese: Weber, Die protestantische Ethik, 2006 [1920]. Siehe für eine Auseinandersetzung mit den Thesen von Weber und Landes am Beispiel Japans: Conrad, Arbeit, Max Weber, Konfuzianismus, 2004.
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in dem ökonomische Rationalität nach westlichem Muster keinen Platz hätte.74 In Bezug auf die Geschichte von Handelsbeziehungen würde dies bedeuten, dass in Europa und Asien sehr unterschiedliche Konzepte von Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit und ökonomischer Rationalität bestanden und dass genau diese Differenz den wirtschaftlichen Austausch mit Asien für die Europäer so schwierig gestaltete. Verschiedene Forscher haben jedoch eine solche Differenz der beiden Regionen in Frage gestellt, am deutlichsten Jack Goody.75 Ganz abgesehen davon, dass der Vergleich zwischen zwei in sich derart heterogenen Großräumen wie Europa und Asien per se fraglich ist, legen auch verschiedene empirische Studien nahe, dass die Unterschiede zwischen europäischer und asiatischer Geschäftskultur zumindest auf der Ebene der jeweiligen Kaufmannschaft wesentlich kleiner waren als oft angenommen. Chris Bayly etwa hat gezeigt, dass indische Kaufleute spätestens ab dem 18. Jahrhundert über ganz ähnliche geschäftliche Fertigkeiten verfügten – wie etwa diejenige der doppelten Buchführung oder des Wechselverkehrs – und über ein ähnliches Konzept von kaufmännischer Ehre verfügten wie ihre europäischen Gegenüber. Tatsächlich war es gerade diese Gleichartigkeit, die es der britischen East India Company erlaubte, Geschäftsbeziehungen mit indischen Handelshäusern aufzunehmen und so den Subkontinent ökonomisch zu erschließen.76 Das Gewohnheitsrecht der Kaufleute, die lex mercatoria, die als einziges Prinzip beinhaltet, dass Verträge zu erfüllen seien, und die von Gunther Teubner als „global law without a state“ charakterisiert wurde, bildete damit auch für den Asienhandel eine leistungsfähige institutionelle Grundlage.77 Ähnlich verhielt es sich in anderen Erdteilen, etwa in Nord- oder in Lateinamerika. Der ökonomische Austausch zwischen europäischen und nicht-europäischen Kaufleuten kann deshalb als soziale Handlung interpretiert werden, die nicht zuletzt deshalb zustande kommen konnte, weil beide Parteien eine bestimmte kaufmännische Kultur verinnerlicht hatten, die hinreichend ähnlich war, um als Basis von Geschäftsbeziehungen zu dienen.78 Die Europäer stießen bei ihrer geschäftlichen Expansion also nicht an die Grenzen ihrer Kaufmannskultur, sondern trafen auf eine merkantile Elite, die ähnlichen Handlungsmaximen folgte wie sie. Nur auf einer solchen gemeinsamen kulturellen Grundlage konnte eine Verständigung über die Art und Weise er74 Für eine Kritik an der These, Kultur stelle eine Kategorie dar, mit deren Hilfe bestimmte geographische Räume voneinander abgegrenzt werden könnten, siehe u.a. Welskopp, Unternehmensgeschichte im internationalen Vergleich, 2004, S. 281. 75 Goody, The East in the West, 1996. 76 Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983. Die kulturelle Ähnlichkeit zwischen europäischen und nicht-europäischen Kaufmannsunternehmen wird am Beispiel von arabischen Handelsfirmen betont von Freitag, Arabische Buddenbrooks in Singapur, 2003. 77 Teubner, ‚Global Bukowina’, 1997. 78 Vgl. zur Bedeutung einer gemeinsamen Berufsmoral für das Zustandekommen von Kooperationen zwischen Kaufleuten Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, Bd. 2, 1986, S. 158.
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zielt werden, wie Geschäfte abzuschließen waren und wie Partnerschaften aussehen sollten, und nur auf einer solchen Basis konnten Geschäftsbeziehungen über längere Zeit hinweg aufrecht erhalten werden. Eine gemeinsame Kaufmannskultur war vertrauensbildend und half den Europäern, ihre Transaktionen in die für sie fremden asiatischen Geschäftswelt einzubetten. Diese Kaufmannskultur kann somit als informale Institution im Sinne von Douglass North aufgefasst werden, also als Set von Konventionen und Verhaltensnormen, welche die Minimierung von Transaktionskosten zum Ziel hatten.79 Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Zusammenarbeit stets reibungslos verlief und opportunistisches Handeln völlig ausgeschlossen werden konnte. Aber in der Regel rührten die Probleme aus unterschiedlichen Interessenlagen und nicht daher, dass die beiden Parteien Mühe gehabt hätten, die Handlungsmaximen und Weltdeutungen der Gegenseite zu entschlüsseln. Und es bedeutet auch nicht, dass dieses kaufmännische Gewohnheitsrecht völlig ohne staatlich-politische Protektion funktionieren konnte. Wenn politische Ordnungen instabil wurden – wie das in der vorliegenden Studie für China in der Zwischenkriegszeit geschildert wird – waren auch die kaufmännischen Netzwerke ernsthaft in ihrer Existenz bedroht.
Politische Ökonomie und international tätige Handelsfirmen Obwohl Globalgeschichte nicht zuletzt durch das Bemühen gekennzeichnet ist, das in der Geschichtswissenschaft lange Zeit praktisch unangefochtene nationalstaatliche Paradigma zu überwinden, führen globalhistorische Arbeiten nicht zu einer Verabschiedung der Nation. Ganz im Gegenteil, oft kann die immens große Bedeutung des Nationalen aus einer globalen oder transnationalen Perspektive besser oder doch zumindest anders erfasst werden als aus der nationalstaatlichen Binnensicht. Dies gilt insbesondere für eine Geschichte des Welthandels. Internationale Handelsbeziehungen wurden stets dadurch kompliziert, dass grenzüberschreitende Waren- und Finanztransaktionen in einem potentiellen Spannungsverhältnis standen zum Bemühen von staatlichen Regierungen, ihre Grenzen zu kontrollieren und ihre nationale Souveränität aufrecht zu erhalten. Internationaler Handel war deshalb stets eine höchst politisierte Angelegenheit. Die Geschichte einer global tätigen Handelsfirma – gerade wenn sie aus einem Kleinstaat wie der Schweiz stammte – ist somit hervorragend geeignet, das Verhältnis zwischen privaten wirtschaftlichen Akteuren und staatlichen Stellen zu untersuchen. Dieses Verhältnis war äußerst widersprüchlich und stets im Fluss begriffen. So war das späte 19. Jahrhundert, welches durch die erstmalige Herausbildung einer global vernetzten Wirtschaft und die imperiale Expansion oft auch als Zeitalter der ersten Globalisierung bezeichnet wird, auch durch eine 79 North, Institutionen, 1992.
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Konsolidierung von nationalen Identitäten und staatlichen Grenzen geprägt.80 Forscher wie Ian Clark oder Sebastian Conrad haben deshalb die Ansicht geäußert, dass Globalisierung und Territorialisierung nicht als Gegensätze, sondern als zwei Seiten derselben Medaille gesehen werden müssen, und dass zwischen den beiden Konzepten ein dialektisches Abhängigkeitsverhältnis bestehe.81 Im 19. Jahrhundert waren es nicht zuletzt die Expansionsbemühungen von imperialen Mächten, welche die Voraussetzung dafür darstellten, dass europäische Firmen überhaupt in bestimmten überseeischen Märkten tätig sein konnten. John Gallagher und Roland Robinson haben zwar in ihrem klassischen Aufsatz über den „Imperialism of Free Trade“ darauf hingewiesen, dass die europäischen Mächte eine Präferenz für eine informelle Einflussnahme besaßen und danach strebten, außereuropäische Gebiete in die durch Europa dominierte Weltwirtschaft zu integrieren, ohne eine formale Kolonialherrschaft einzurichten.82 Wenn sich jedoch erwies, dass dies nicht möglich war, dann zwangen sie diese Gebiete nicht selten mit den Mitteln der Kanonenbootdiplomatie dazu, ihre Häfen zu öffnen und westlichen Kaufleuten die Aufnahme von Handelsbeziehungen zu erlauben. Dies geschah etwa in China und Japan Mitte des 19. Jahrhunderts. Koloniale Besitztümer wie Indien wurden mit großem Aufwand für die Bedürfnisse von westlichen Kaufleuten umgestaltet, etwa durch den Bau von Straßen und Eisenbahnen, der Einrichtung von Telegraphenlinien, der Ausrichtung der landwirtschaftlichen Produktion auf die Rohstoffbedürfnisse der europäischen Industrie oder der Durchsetzung von westlichem Recht.83 Obwohl diese Interventionen nicht selten gravierende Folgen für die einheimische Bevölkerung hatten und mit Recht als Akt der wirtschaftlichen Ausbeutung qualifiziert werden können, war die Kolonialherrschaft ein äußerst fragiles Gebilde, da sie stets auf die Kooperation mit einheimischen Eliten angewiesen war. Insbesondere die sozialen und ökonomischen Machtverhältnisse im kolonialen Hinterland, welches von den Europäern nur schwer zu kontrollieren war, führten nicht selten dazu, dass die wirtschaftlichen Ziele der kolonialen Herrschaft verfehlt wurden. Zudem befürworteten die europäischen Kaufleute das Eingreifen des kolonialen Machtapparates in der Regel bloß so lange, wie es ihren Interessen diente und reagierten ansonsten äußerst ungehalten, wenn sich staatliche Bürokraten anmaßten, sich in ihre Geschäfte einzumischen. Auch wenn also europäische Unternehmen von den Expansionsbemühungen imperialer Mächte profitieren konnten, war das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik auch im kapitalistischen Zeitalter weit widersprüchlicher, als die Weltsy-
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Maier, Consigning the Twentieth Century, 2000. Clark, Globalization and Fragmentation, 1997; Conrad, Globalisierung und Nation, 2006. Gallagher/ Robinson, The Imperialism of Free Trade, 1953. Vgl. für letzteres Mommsen/de Moor (Hg.), European Expansion and Law, 1992.
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stemtheorie oder die marxistische Geschichtsforschung postuliert.84 So vertritt etwa Giovanni Arrighi die Ansicht, dass Kapitalismus und staatliche Territorialität zwei unterschiedliche Herrschaftsmodi seien. Territorialität strebe nach einer Kontrolle von Land und der darauf ansässigen Bevölkerung; die Kontrolle des Kapitals sei bloß ein Mittel zum Zweck. Dem Kapitalismus dagegen gehe es primär um größtmögliche Mobilität des Kapitals; die Kontrolle von Territorien und Menschen stelle für Kapitaleigner lediglich ein Mittel zur Steigerung ihrer Renditen dar.85 Auch David Fieldhouse widerspricht der Meinung, dass multinationale Industriebetriebe auf ausländischen Märkten nur profitabel wirtschaften könnten, wenn sie dort eine staatlich garantierte Monopolstellung zugesprochen erhielten: „Exactly the opposite is generally true of the modern manufacturing multinationals. They are, by their nature, interested in freedom of trade outside their protected home base. They do not need physical control over their markets.“86 Dies gilt noch ausgeprägter für international tätige Handelsunternehmen. Solange sie nicht umfangreiche Ländereien oder größere Industrieanlagen besaßen – und viele Handelsfirmen verzichteten bewusst auf eine solche Rückwärts- oder Vorwärtsintegration – und sich auf das zwischenstaatliche Handelsgeschäft konzentrierten, war ihr Interesse an territorialen Fragen relativ beschränkt. Wie im Laufe dieser Arbeit gezeigt werden soll, nutzten sie im Gegenteil die transnationale Struktur ihres Geschäftes, um sich gegebenenfalls nationalen oder internationalen Kontrollbemühungen entziehen zu können. Die Haltung gegenüber der Frage, ob und inwieweit der internationale Handel politisch zu regulieren sei, änderte sich zwischen Mitte des 19. und Ende des 20. Jahrhunderts mehrmals. Während die Jahrzehnte nach 1846, als Großbritannien unilateral seine wichtigsten Zölle abbaute, durch den Geist des Freihandel geprägt waren, erfolgte ab den 1880er Jahren eine zunehmende Politisierung des internationalen Handels. Diese verschärfte sich in der Zwischenkriegszeit und kulminierte in der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre.87 Zum Schutz der einheimischen Wirtschaft regulierten die meisten Staaten in der Folge den grenzüberschreitenden Waren- und Kapitalverkehr.88 Dieser Trend verstärkte sich nach 1945 mit dem aufkommenden Kalten Krieg und vor allem der Entkolonialisierungsbewegung, die in vielen rohstoffproduzierenden Ländern zu einer Nationalisierung von Unternehmen und einer Kon84 Vgl. für die Ansicht, dass Staaten primär als Ausdruck von bestimmten sozialen Machtverhältnissen angesehen werden sollen, und dass deshalb die Unterscheidung zwischen Markt und Politik hinfällig sei u.a. Wallerstein, Der historische Kapitalismus, 1984, S. 26; Robinson, A Theory of Global Capitalism, 2004, S. 97. 85 Arrighi, The Long Twentieth Century, 1994, S. 34. Ähnlich argumentieren auch Holloway, Reform des Staats, 1993, S. 21; Harvey, The New Imperialism, 2003, S. 26. 86 Fieldhouse, ‚A New Imperial System‘?, 1986, S. 237. 87 Vgl. James, The End of Globalization, 2001, S. 10–25; Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 56–82. 88 Reinhart/Rogoff, This Time Is Different, 2009, S. 248–274.
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trolle des Außenhandels führten.89 Letztere erfolgte einerseits in der Gründung von staatlichen Exportagenturen, andererseits in Form von internationalen Abkommen, wie etwa den 1962 im Rahmen des Internationalen Kaffeeabkommens beschlossenen Export- und Importquoten.90 Diese politischen Regulierungen wurden mit dem Ende des Kalten Krieges und dem Aufkommen von neoliberalen Ideologien ab den 1970er Jahren nach und nach abgebaut, wodurch eine immer stärkere Liberalisierung des Welthandels erfolgte. Parallel zur wechselhaften Entwicklung der politischen Steuerung des Welthandels erfolgte auf Seiten der Handelsfirmen ein sukzessiver Konzentrationsprozess. Dies betraf vor allem den Rohstoffhandel, in dem mit dem Durchbruch der industriellen Produktionsweise Skalenerträge immer wichtiger wurden. Während bis Mitte des 19. Jahrhunderts der Rohstoffhandel durch eine Vielzahl kleiner und mittlerer Handelshäuser bestritten wurde, kontrollierten Ende des 20. Jahrhunderts bloß noch rund fünfzig international tätige Handelshäuser den globalen Handel von Produkten wie Baumwolle, Kaffee, Zucker oder Getreide. Zu diesen zählten Firmen wie Cargill, Bunge & Born, Ralli, Louis Dreyfus oder die schweizerischen Handelshäuser André und Volkart. Diese Firmen konzentrierten sich nicht mehr auf bestimmte geographische Regionen, wie sie dies noch im 19. Jahrhundert getan hatten, sondern begannen mehr und mehr eine globale Unternehmensstruktur aufzubauen, weshalb sie in der Literatur auch als multinational traders bezeichnet werden. In der Regel spezialisierten sie sich jeweils auf den Handel mit einigen wenigen Rohstoffen, bei denen sie einen Weltmarktanteil von bis zu zehn Prozent aufwiesen.91 Durch ihre Marktmacht, aber mehr noch durch ihre transnationale Organisationsstruktur, entwickelten sich diese Firmen zu modernen Leviathanen – so zumindest werden sie von Alfred Chandler und Bruce Mazlish bezeichnet –, die sich erfolgreich gegen politische Einmischungen in ihre Geschäfte zur Wehr setzen konnten.92
Unternehmenskultur und mikropolitische Verhältnisse Nachdem bis hierhin der Kontext geschildert wurde, in dem sich global operierende Handelshäuser bewegten, stellt sich die Frage, wie ihre interne Struktur aussah. Gerade, weil sich der Welthandel durch Volatilität und asymmetrische Informationslagen auszeichnete, bedurften Handelsfirmen einer großen inneren Stabilität, um bestehen zu können. Ein handlungstheoretischer Zugang erlaubt es, diese Firmen 89 Chalmin, Negociants et chargeurs, 1985, S. 6; Amsden, The Rise of “the Rest”, 2001, S. 119. 90 Vgl. hierzu die Kapitel 13 und 14. 91 Chalmin, Problématique d‘un contrôle, 1981, S. 28f.; Chalmin, The Rise of International Commodity Trading Companies, 1987; Jones, Multinational Trading Companies, 1998. 92 Chandler/Mazlish (Hg.). Leviathans, 2005.
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nicht einfach als black box anzusehen, die zwischen Käufern und Verkäufern auf unterschiedlichen Erdteilen vermittelte, sondern als soziale Gebilde. Wie alle Unternehmen stellen auch Handelsfirmen eine Koalitionen von Mitarbeitenden mit jeweils ganz unterschiedlichen Interessen dar. Diese „mikropolitischen“ Verhältnisse können als Transaktionskosten für den Betrieb aufgefasst werden.93 Insbesondere im Fernhandel war es aufgrund der großen Distanzen für die Firmeninhaber oft schwierig, die Angestellten in den überseeischen Niederlassungen zu kontrollieren. Aufgrund der asymmetrischen Informationslage stellte sich das Prinzipal-Agent-Problem für Handelshäuser in ganz ausgeprägter Weise.94 Die jeweilige Firmenleitung musste insbesondere verhindern, dass ihre Angestellten in den Zweighäusern begannen, Geschäfte auf spekulativer Basis zu tätigen oder Gelder zu veruntreuen. Im Gegensatz zu Produktionsbetrieben, in denen viele Arbeitsabläufe routinisiert waren und deshalb von den Firmeneignern gut überwacht werden konnten, konnten in Handelsfirmen die bedeutendsten Arbeitsschritte wie Selektion, Preisvereinbarungen oder das Herstellen von Kundenkontakten nicht zur Routine gemacht werden.95 In vormoderner Zeit beschäftigten die Handelshäuser deshalb an den verschiedenen Handelsorten oft Personen, die ihnen durch familiäre, regionale oder konfessionelle Bande verpflichtet waren, um opportunistisches Verhalten so weit als möglich zu unterbinden.96 Die Herausforderungen, vor denen die Eigentümer von Handelshäusern standen, erhöhten sich durch die wirtschaftlichen Veränderungen, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erfolgten, und die Alfred Chandler in seiner wegweisenden Studie „Scale and Scope“ beschrieben hat.97 Bis Mitte des 19. Jahrhunderts wurde der Fernhandel meist durch kleinere und mittlere Handelshäuser betrieben, die eine breite Produktpalette im Angebot hatten, welche von Schmuck und Textilwaren bis hin zu Zucker, Gewürzen und Baumwolle reichte. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts genügten diese Handelshäuser den Bedürfnissen der industriellen Produktion nicht mehr. Nun wurden Rohstoffe wie Baumwolle, Seide, Kaffee oder Kakao durch spezialisierte Importeure nach Europa eingeführt, die Skalenerträge erzielen mussten, um konkurrenzfähig zu bleiben. Zur Sicherung der Produktqualität gründeten viele Handelsfirmen Einkaufsagenturen in den Anbaugebieten und bauten eine Verkaufsorganisation in den Industrieländern auf; größere Handelshäuser verfügten 93 Welskopp, Das institutionalisierte Misstrauen, 2000. 94 Das Prinzipal-Agent-Problem bezeichnet die Schwierigkeiten, vor denen Firmeneigner aufgrund des Umstandes stehen, dass sich ihre Interessen von denen ihrer Angestellten unterscheiden, dass zwischen Angestellten und Eigentümern eine asymmetrische Informationslage besteht und dass Verträge zwangsläufig unvollständig sein müssen. Vgl. u.a. Richter/Furubotn, Neue Institutionenökonomik, 2003, S. 163ff. 95 Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 215. 96 Chapman Merchant Enterprise in Britain, 1992, S. 93; Greif, Institutions and International Trade 1992; Gorißen, Der Preis des Vertrauens, 2003. 97 Chandler, Scale and Scope, 1990.
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dabei über eine Kundschaft, die weit über ihr eigenes Herkunftsland hinausging.98 Da der Rohstoffhandel durch die Gründung von Einkaufs- und Verkaufsagenturen sowie die Steigerung der Umsätze äußerst kapitalintensiv geworden war, wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts der überwiegende Teil des weltweiten Rohstoffhandels durch einige wenige multinationale Firmen abgewickelt, die zum Teil enorme Umsätze tätigten. Dieser Konzentrationsprozess ging einher mit einer immer ausgefeilteren Geschäftspraxis. Die Handelshäuser waren gezwungen, Kontrollmechanismen zur Sicherung der Produktqualität zu etablieren, sie mussten versuchen, die Entwicklung von Angebot und Nachfrage möglichst frühzeitig zu erkennen, sie mussten Kontakte zu Geschäfts- und Handelsbanken knüpfen und aufrechterhalten, um stets über ausreichend Kredite zu verfügen, und sie mussten sich mit dem Funktionieren der Ende des 19. Jahrhunderts aufkommenden Rohstoffbörsen auseinandersetzen, um ihre Geschäfte durch Operationen auf den Terminmärkten gegen Preisänderungen abzusichern. Größere Handelshäuser entwickelten sich so zu hochkomplexen Gebilden mit Agenturen und Niederlassungen in verschiedenen Teilen der Erde und einer großen Zahl von Angestellten, welche oft einen sehr unterschiedlichen sprachlichen, kulturellen, religiösen oder nationalen Hintergrund aufwiesen. Die Leitung der einzelnen Teile dieser Unternehmen wurde zunehmend von einem professionellen Management übernommen – eine Entwicklung die durchaus gewisse Parallelen zu derjenigen in modernen Industriefirmen aufweist.99 Dennoch erfolgte im Handelsgeschäft kein Übergang vom Familien- zum Managerkapitalismus. Da sich die langfristigen Investitionen – im Gegensatz zu industriellen Großbetrieben – in Grenzen hielten und die laufenden Geschäfte durch Bankkredite finanziert werden konnten, blieb ein Großteil der Handelsfirmen auch bis weit ins 20. Jahrhundert in Privatbesitz. Für die Überwachung der Unternehmen mit oft Tausenden von Mitarbeitern auf mehreren Kontinenten waren die Kontrollmechanismen des traditionellen Familienkapitalismus jedoch nicht mehr ausreichend. Die Firmeninhaber setzten deshalb neben einem strikten Monitoring – das durch die Verbesserung der Kommunikations- und Transportmöglichkeiten erleichtert wurde – auf die Etablierung einer vertrauensbasierten Firmenkultur, um spekulative oder missbräuchliche Geschäfte der Angestellten zu verhindern. Eine wichtige Rolle spielte dabei deren jahrelange Sozialisation.100 Die Angestellten konnten in der Regel davon ausgehen, für die gesamte Dauer ihres Berufslebens beim betreffenden Handelshaus eine Beschäftigung zu finden. Dies nicht zuletzt, weil sie im Laufe ihrer beruflichen Tätigkeit ein immenses Wissen über die von der Firma gehandelten Produkte sowie
98 Dejung, Hierarchie und Netzwerk, 2007 99 Chandler, The Visible Hand, 1977; Chandler, Scale and Scope, 2004 [1990]. 100 Vgl. für die Bedeutung der Sozialisation Nieberding, Unternehmerische Sinnkonstruktion, 2004.
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über die Geschäftssitten der jeweiligen Märkte erworben hatten und deshalb für ihre Arbeitgeber oft nur schwer ersetzbar waren.101 Der Umstand, dass Volkart wie viele Handelshäuser stets in Familienbesitz blieb, spielte eine zentrale Rolle für die Etablierung einer Unternehmenskultur, die wesentlich vom Gedanken der „Betriebsfamilie“ geprägt war und damit eine dezidiert paternalistische Note aufwies.102 Familienunternehmen hatten in der Regel einen großen Zeithorizont und die Eigentümer berücksichtigten bei ihren Entscheiden häufig auch die familiäre und firmenspezifische Tradition.103 Verschiedene handlungstheoretisch oder kulturanthropologisch ausgerichtete Studien haben denn auch gezeigt, dass sich ökonomische Akteure auch in modernen Unternehmen nicht in jedem Fall von kostenrationalen Überlegungen leiten ließen.104 Ihre Entscheide folgten oft einer bounded rationality, die insofern pfadabhängig war, als sie von Idealen und früheren Entscheidungen geprägt war.105 Gerade in Familienunternehmen – aber nicht nur dort! – unterschieden die Akteure häufig nicht zwischen einer firmenbezogenökonomischen und einer familiar-privaten Rationalität, wie sie dies gemäß der ökonomischen und soziologischen Lehrmeinung eigentlich hätten tun müssen.106 Max Weber etwa vertrat die Ansicht, dass sich Unternehmer im „kapitalistischen ‚Betrieb‘“ von den „sachlichen Interessen einer modernen rationalen Betriebsführung“ leiten ließen. Diese seien keineswegs deckungsgleich mit ihren privaten oder familiären Interessen, die eine „affektuellen Grundlage“ aufweisen würden und vom Gedanken der „gefühlte[n] Solidarität“ geprägt seien. Damit ständen diese privaten Interessen im Widerspruch zur „zweckrational, … rechenhaft, leistungsteilig wirtschaftenden Umwelt“.107 Untersuchungen, die wirtschaftliche Akteure ins Zentrum ihrer Analysen stellen, zeigen jedoch, dass sich diese Akteure häufig nicht an den spezifischen Logiken bestimmter funktional ausdifferenzierter sozialer Teilsysteme orientierten, sondern diese in ihrem Denken und Handeln transzendierten. Wie in dieser Studie ausgeführt werden soll, entsprangen die bisweilen großzügigen Gesten der Firmen101 102 103 104
Jones, Merchants to Multinationals, 2000. Vgl. hierzu Berghoff, Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, 1997. Sluyterman/Winkelman, The Dutch Family Firm, 1993, S. 176. Chapman/Buckley, Markets, Transactions Costs, Economists and Social Anthropologists, 1997; Frey, Not Just for the Money, 1997; Yanagisako, Producing Culture and Capital, 2002, S. 5f.; Lubinski, Familienunternehmen, 2010, S. 16. 105 Vgl. zum Konzept der Pfadabhängigkeit Ackermann, Pfadabhängigkeit, 2001, S. 9–56. 106 Mike Emmisson und Michel Callon haben die These aufgestellt, dass die Axiome der Wirtschaftswissenschaft aufgrund ihres hegemonialen Anspruchs nicht auf den akademischen Diskurs beschränkt blieben, sondern auch im Alltag das Verständnis dessen prägten, was als „die“ Wirtschaft angesehen werden sollte. Ökonomische Modelle hätten demzufolge nur beschränkt einen beschreibenden Charakter, sondern wirkten mindestens ebenso sehr normativ: Emmison, ‘The Economy’, 1983; Callon, Introduction, 1998. 107 Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1922, S. 53 und 88.
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eigner gegenüber ihren Angestellten nicht zwangsläufig einem zweckrationalen Kalkül. Vielmehr waren sie oft durch das Gefühl einer Verpflichtung gegenüber der Firmentradition motiviert und damit von einem bestimmten unternehmensspezifischen Habitus geprägt.108 Dies heißt nicht, dass das vom Gedanken der gegenseitigen Verpflichtung geprägte kulturelle Konzept der Betriebsfamilie nicht auch ökonomisch gewinnbringend sein konnte. Im Gegenteil: die Investition in langfristige soziale Beziehungen sorgte für eine wechselseitige Loyalität und konnte so betriebsinterne Transaktionskosten reduzieren. Die Unternehmenskultur dieser Betriebe war jedoch weit mehr als eine unternehmerische Strategie, um opportunistisches Verhalten von Seiten der Angestellten zu verhindern. Sie war Teil des Selbstverständnisses der jeweiligen Akteure und stellte ein Set von betriebsspezifischen Maximen dar, auf deren Sinngehalte alle Beteiligten handlungsleitend rekurrierten. Dies konnte bewusst, unbewusst, konsensorientiert oder konfliktschürend geschehen. Sowohl Eigentümer wie Angestellte handelten dabei im Rahmen von gebundenen, in die partielle Logik ihrer eigenen Umweltdeutung eingepassten Formen der Rationalität. Sie rekurrierten auf Bestände von selbstverständlichem, vorbewusstem lokalem oder implizitem Wissen, welche die Kultur des Unternehmens prägten und seine Identität ausmachten.109 Eine Analyse der mikropolitischen Verhältnisse darf jedoch nicht außer Acht lassen, dass Unternehmen sich nicht auf Binnenbeziehungen reduzieren lassen. Aufgrund der Tatsache, dass sich die unternehmerische Struktur stets auch auf dem Markt behaupten musste, wies sie zwangsläufig einen Außenbezug auf.110 Idealerweise stand die Unternehmenskultur in Einklang mit der geschäftlichen Aktivität. Dies war bei Volkart und verschiedenen anderen europäischen Handelshäusern der Fall. Die jeweiligen Firmeneigner setzten sowohl gegenüber ihren Kunden wie auch gegenüber ihren Mitarbeitern auf informale Regelungen und auf eine vertrauensbasierte und auf langfristige Beziehungen angelegte Geschäftspraxis. Die Frage, ob dies ein generelles Merkmal moderner Handelsfirmen war oder ob sich je nach Branche oder geographischer Herkunft andere Formen der Unternehmenskultur ausbildeten, kann im Rahmen dieser Untersuchung allerdings nicht beantwortet werden. Ihre Klärung bleibt weiteren Studien vorbehalten.
108 Vgl. zum Konzept des Habitus als Operator, welcher zwischen Struktur und Handeln vermittelt, Bourdieu, Entwurf einer Theorie der Praxis, 1976. 109 Wischermann/Borscheid/Ellerbrock, Vorwort, 2000; Bonus. Unternehmen in institutionenökonomischer Sicht, 2000, S. 26ff.; Wischermann, Unternehmensgeschichte als Geschichte der Unternehmenskommunikation, 2000, S. 39f.; Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, 2004, S. 55ff.; Welskopp, Unternehmensgeschichte im internationalen Vergleich, 2004, S. 272f.; Maitte/Martini, Introduction, 2009, S. 24. 110 Hartmann, Organisation und Geschäft, 2010, S. 34.
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Quellenlage Der wichtigste Quellenbestand für diese Arbeit stammt aus dem Firmenarchiv von Volkart, welches nicht öffentlich zugänglich ist und bloß aufgrund einer Spezialbewilligung benutzt werden durfte. So konnte erstmals das gesamte noch vorhandene Material im Firmenarchiv im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie eingesehen werden. Der Archivbestand umfasst rund dreißig Laufmeter Akten. Obwohl Ende der 1990er Jahre nach dem Rückzug der Firma aus dem Handelsgeschäft große Bestände aus Platzgründen vernichtet wurden, beinhaltet das Archiv einen auch im internationalen Vergleich reichhaltigen und qualitativ hoch stehenden Quellenbestand. Dieser umfasst Briefkopierbücher, Korrespondenzordner, Sitzungsprotokolle, Statistiken und Druckschriften der gesamten Firmengeschichte von den 1850er bis in die 1990er Jahre. Von Seiten des Unternehmens gab es keinerlei Restriktionen, was die Einsicht oder die Verwendung bestimmter Akten betraf. Trotz der vergleichsweise guten Quellenlage bestehen im Firmenarchiv verschiedene Lücken. So sind nur vereinzelt Zahlen über die Umsätze der Firma erhalten geblieben sind. Die quantitative Entwicklung der Geschäfte konnte deshalb in vielen Fällen bloß approximativ nachgezeichnet werden. Zudem betrifft der Großteil der Bestände entweder die Geschäfte auf dem indischen Subkontinent oder im Winterthurer Hauptsitz. Von verschiedenen Niederlassungen – namentlich den Filialen in Japan und China sowie den Tochterfirmen in Lateinamerika – fanden dagegen weit weniger Aufzeichnungen den Weg ins Firmenarchiv. Deshalb können die dortigen Anstellungsverhältnisse und die Einbettung der Geschäfte in die jeweilige geschäftliche Umwelt nicht derart detailliert beschrieben werden, wie es wünschenswert wäre – und wie es etwa für Indien möglich ist. Da der Quellenbestand insbesondere für die Zeit nach 1950 und für den Einstieg der Firma ins Kaffeegeschäft eher dünn ist, wurde eine Reihe von Interviews durchgeführt. So wurden insbesondere Gespräche geführt mit den ehemaligen Leitern der Kaffeeabteilung, Peter Zurschmiede und Paul Moeller. Außerdem fanden im Rahmen eines Archivaufenthaltes in Zentralamerika zahlreiche Gespräche mit ehemaligen Mitarbeitern und Teilhabern der VolkartTochterfirmen in Guatemala und Costa Rica beziehungsweise deren Nachkommen statt.111 Um die wirtschaftlichen und politischen Kontexte in den verschiedenen Ländern erschließen zu können, in welchen die Firma Volkart ihre Geschäfte durchführte, wurden neben dem Firmenarchiv von Volkart die Bestände von weiteren 23 öffent111 Dabei handelte es sich nicht um biographische Interviews, wie sie etwa im Rahmen von Oral History Studien üblich sind; die Gespräche dienten in erster Linie der Rekonstruktion der Faktenchronologie und dem Schließen von Lücken in den schriftlichen Quellenbeständen. Vgl. für die Methode der Oral History u.a. Ritchie (Hg.), The Oxford Handbook of Oral History, 2010.
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lichen und privaten Archiven in sieben Ländern eingesehen. In der Studienbibliothek Winterthur wurden die Nachlässe von Theodor, Georg und Werner Reinhart gesichtet und im Schweizerischen Wirtschaftsarchiv Basel der Bestand des Verbands schweizerischer Transit- und Welthandelsfirmen. Im Schweizerischen Bundesarchiv Bern wurden die folgenden Bestände eingesehen: die Bestände des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartements, des Politischen Departements sowie der Schweizer Konsulate in den Ländern, in denen Volkart tätig war. Außerdem wurden die Archive verschiedener Unternehmen besucht, die mit Volkart kooperiert haben. Dies betrifft in der Schweiz die Archive der Firmen Rieter und Sulzer (beide Winterthur), Diethelm Keller Siber Hegner (Zürich), ABB (Baden), Nestlé (Vevey) und Novartis (Basel), sowie in Indien das Archiv der Firma Tata (Pune). Für die Geschäfte der Firma in Indien waren die Bestände der Asia, Pacific and Africa Collections in der British Library in London sowie in Indien die Bestände der Maharashtra State Archives (Mumbai), der National Archives of India und der Nehru Memorial Library (beide New Delhi) aufschlussreich, für das Baumwollgeschäft der Firma in Deutschland zudem das Archiv der Bremer Baumwollbörse. In der Guildhall Library (London) konnten mit den Beständen von Ralli Brothers und Wallace Brothers und in der Baker Library der Harvard University (Cambridge MA) mit den Beständen von Neill Bros. & Co. und Stephen M. Weld and Co. die Unterlagen von Handelsfirmen eingesehen werden, die in ähnlichen Geschäftsfeldern wie Volkart tätig waren. Die National Archives in London verfügen über umfangreiche Quellenbestände zu den Auswirkungen, welche die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen Großbritanniens im Ersten Weltkrieg auf den Welthandel hatten. Statistische Daten und Quellen zum Kaffeeexport aus Zentralamerika fanden sich in den Archiven der Asociación Nacional del Café (Ciudad de Guatemala) und des Instituto del Café de Costa Rica (San José) sowie im Archivo Nacional de Costa Rica (San José). Weitere Quellen zum Kaffeehandel konnten in der Library of the International Coffee Organization sowie in den Special Collections des University College (beide London) eingesehen werden. Gedruckte Quellen fanden sich insbesondere in den folgenden Spezialbibliotheken: Bibliothek des Johann Jacobs Museums zur Kulturgeschichte des Kaffees in Zürich, Library of the International Coffee Organization in London, Bibliothek der School of Oriental and African Studies in London, Centre of South Asian Studies der University of Cambridge, Widener Library und Baker Library der Harvard University, Biblioteca Nacional de Costa Rica in San José, Archivo General de Centro America in Ciudad de Guatemala. Es muss allerdings darauf hingewiesen werden, dass die meisten für diese Studie zugänglichen Aufzeichnungen von europäischen oder nordamerikanischen Akteuren stammen. Es wird zusätzlicher Untersuchungen bedürfen, um nachzuzeichnen, wie die in den folgenden Kapiteln geschilderte weltwirtschaftliche Vernetzung von Kaufleuten oder Bauern aus Asien oder Lateinamerika erfahren wurde.
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Vorschau Die folgenden Kapitel zeichnen am Beispiel der Geschichte von Volkart die sozialund kulturhistorischen Grundlagen des Welthandels zwischen Mitte des 19. und Ende des 20. Jahrhunderts nach. Die Reihenfolge der Kapitel ist dabei chronologisch angelegt. Einzig in Teil II wird die zeitliche Abfolge in Form eines Exkurses gebrochen, welcher das Verhältnis zwischen Firmeneignern und Angestellten beleuchtet. Teil I des Buches beschäftigt sich mit der Geschichte des Unternehmens im Kontext der europäischen Expansion zwischen Mitte des 19. Jahrhunderts und dem Ende des Ersten Weltkrieges. Das erste Kapitel zeichnet die Gründungsphase des Unternehmens nach. Es zeigt, dass die beiden Firmengründer eine große kaufmännische Erfahrung als Angestellte von verschiedenen Handelsfirmen, Bankinstituten und Textilunternehmen erworben und dabei insbesondere auch den indischen Markt genau kennen gelernt hatten, bevor sie 1851 ihr eigenes Handelshaus eröffneten. Dabei profitierten sie nicht zuletzt davon, dass sich die schweizerische Industrie bereits ab dem frühen 19. Jahrhundert durch eine ausgeprägte Orientierung am Weltmarkt auszeichnete und ihre Waren nach Nord- und Südamerika, Afrika und Asien exportierte. Im zweiten Kapitel wird geschildert, wie sich die Geschäftspraktiken im Handel zwischen Indien und Europa durch die Dynamisierung von Transport- und Kommunikation ab den 1860er Jahren veränderten, wodurch im Handelsgeschäft ein markanter Konzentrationsprozess einsetzte. Volkart wurde Ende des 19. Jahrhunderts zu einer der wichtigsten Handelsfirmen auf dem indischen Subkontinent und insbesondere zu einem der wichtigsten Exporteure von Rohbaumwolle. Aufgrund des Baus der indischen Eisenbahnen konnten europäische Firmen eigene Agenturen im indischen Hinterland für den Rohstoffeinkauf eröffnen und so die indischen Kaufmannsunternehmen, die bis dahin eine starke Stellung im Exporthandel nach Europa gehabt hatten, aus dem Geschäft drängen. Für die Finanzierung der Einkäufe und die Etablierung von Kundenkontakten waren Firmen wie Volkart aber weiterhin auf Kooperationen mit indischen Kaufleuten angewiesen. Das dritte Kapitel zeigt, wie der Absatz in Europa über lokale Kaufmannsunternehmen vorgenommen wurde, die für Volkart in den einzelnen Industriedistrikten als Agenten tätig waren. Weiter wird geschildert, wie zentral der Kontakt zu europäischen Bankinstituten war, um die immer umfangreicheren Exportvolumen finanzieren zu können, und welch große Bedeutung der Terminhandel erhielt, mit dem die Rohstoffhandelsgeschäfte gegen Preisveränderungen abgesichert werden konnten. Die Geschäftsbeziehungen waren dabei nicht zuletzt deshalb äußerst stabil, weil sie durch ein großes Ausmaß an interpersonalem Vertrauen gekennzeichnet waren. Das vierte Kapitel legt dar, wie die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen während des Ersten Weltkrieges zu einer Unterminierung der kulturellen Grundlagen führten, die bis dahin den Welthandel geprägt hatten. Insbesondere wurde die nationale Herkunft von Unternehmen ein immer wichtigeres Kriterium, wodurch die bisherige kosmopolitische Ausrichtung
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vieler Welthandelsfirmen unter Druck geriet. In dieser Phase waren es nicht zuletzt die langjährigen Geschäftskontakte mit britischen Unternehmen, die das geschäftliche Überleben von Volkart ermöglichten. Teil II untersucht das Innenleben des Unternehmens. Im fünften Kapitel wird erläutert, welche Bedeutung die Tatsache, dass Volkart eine Familienfirma war, für die Organisation der Geschäfte hatte, und es wird auf die Rolle des Familienbesitzes für die Stabilisierung der Geschäfte und der Geschäftsbeziehungen zu anderen Unternehmen hingewiesen. Im sechsten Kapitel wird gezeigt, mit welchen Maßnahmen die Firma der Gefahr von opportunistischem Verhalten durch die Angestellten begegnete. Die Tatsache, dass Volkart stets in Familienbesitz war, beförderte die Vorstellung der Firma als Betriebsfamilie. Die Beziehung zwischen Firmenbesitzern und Angestellten war durch ein paternalistisches Führungsmodell gekennzeichnet, welches wiederum von den europäischen und indischen Angestellten zur Formulierung ihrer eigenen Interessen gegenüber den Firmeninhabern in Anspruch genommen werden konnte. Im siebten Kapitel wird am Beispiel der Arbeitsverhältnisse im kolonialen Indien gezeigt, dass die Möglichkeit, in einem exotischen Land tätig zu sein, für viele Angestellte ein wichtiges Motiv war, in einem Fernhandelshaus zu arbeiten. Die koloniale Situation führte jedoch zu verschiedenen Problemen, etwa in Bezug auf die ethnische Durchmischung der Belegschaft. So waren die Firmeneigner aufgrund der immer einflussreicher werdenden Unabhängigkeitsbewegung gezwungen, den indischen Angestellten verantwortungsvollere Positionen zu übergeben. Teil III beleuchtet die Entwicklung der Firmengeschichte während der Zwischenkriegszeit, wobei hier das Augenmerk insbesondere auf die Ent-Europäisierung des Welthandels gelegt werden soll. Im achten Kapitel wird beschrieben, wie sehr das Importgeschäft von Rohstoffen nach Europa in der Zwischenkriegszeit durch den zunehmenden Protektionismus und die krisenhafte Entwicklung der Wirtschaft geprägt war. Kapitel neun zeigt, dass der zunehmende Einfluss von indischen Unternehmern auf die Landwirtschaftspolitik zu Verbesserungen in der Baumwollqualität führte, worum sich die Briten zuvor jahrzehntelang vergeblich bemüht hatten. Der Aufschwung der Textilindustrie hatte schon bald auch den Import von afrikanischer und amerikanischer Baumwolle nach Indien zur Folge, was einem global tätigen Handelshaus wie Volkart neue Geschäftsmöglichkeiten eröffnete. Die indische Industrialisierung stellte die Firmeninhaber allerdings vor die Frage, ob man sich weiterhin vorwiegend auf den Rohstoffhandel beschränken oder nicht vielmehr in indische Industrieanlagen investieren wolle. In Kapitel zehn wird geschildert, welchen Einfluss die Industrialisierung in Ostasien auf den indischen Baumwollhandel hatte. Japan wurde ab Ende des 19. Jahrhunderts zum bedeutendsten Verbraucher von indischer Rohbaumwolle. Obwohl die Baumwolleinfuhr nach China und Japan lange Zeit von japanischen Handelsfirmen dominiert wurde, erlaubte er auch europäischen Firmen wie Volkart bedeutende Umsätze. Volkart wurde in den 1930er Jahren vor allem durch das Engagement im amerikanischen Baumwollgeschäft zu einer der wichtigsten
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Importfirmen für die Einfuhr von Baumwolle nach China und Japan, was zeigt, wie sehr der Baumwollhandel zu dieser Zeit globale Dimensionen angenommen hatte. Die Tatsache, dass sowohl in China, Japan wie auch in den USA der Markteintritt über Kooperationen mit einheimischen Firmen geschah, bestätigt die Bedeutung von unternehmerischen Netzwerken im Welthandel. Kapitel elf zeigt, dass Volkart die asiatische Industrialisierung dadurch zu nutzen versuchte, dass man begann, in großem Stil europäische und amerikanische Maschinen an Fabrikanten in Indien, China und Japan zu verkaufen. In Teil IV wird dargelegt, dass die Geschäfte nach 1945 durch zwei gegensätzliche Entwicklungen gekennzeichnet waren. Zum einen sorgten die Entkolonialisierung und die ab der Wirtschaftskrise der 1930er Jahre immer stärkere Einflussnahme von nationalen Regierungen auf den Rohstoffexport dafür, dass der Handel vermehrt reguliert und politisiert wurde. Andererseits erfolgte auf Seiten der Handelshäuser ein markanter Konzentrationsprozess, weshalb der globale Rohstoffhandel gegen Ende des Jahrhunderts durch eine Handvoll multinationaler Firmen dominiert wurde. In Kapitel zwölf wird darlegt, wie Volkart nach der indischen, pakistanischen und ceylonesischen Unabhängigkeit zunehmend aus Südasien verdrängt wurde und die einzelnen Unternehmensteile in selbständige Tochterfirmen umwandelte, in denen nach und nach einheimische Partner die Aktienmehrheit übernahmen. In Kapitel dreizehn wird geschildert, wie Volkart über den Baumwollexport aus Brasilien den Einstieg in den Kaffeehandel schaffte und aufgrund der weltweiten Vertriebsstruktur und der Finanzkraft des Unternehmens ab den 1960er Jahren zu eine der weltweit bedeutendsten Kaffeehandelfirmen wurde. Auch hier erfolgte der Markteintritt durch eine Kooperation mit lokal etablierten Kaufleuten. Weiter wird gezeigt, wie der Kaffeehandel ab 1962 durch die Gründung des Internationalen Kaffeeabkommens reguliert wurde und wie sich multinationale Handelsfirmen gegenüber solchen Kontrollmaßnahmen verhielten. Kapitel vierzehn schildert die Entwicklung des Baumwollhandels nach 1945, wobei erläutert wird, dass die Intervention von nationalen Regierungen in den Baumwollhandel für multinationale Firmen durchaus Vorteile haben konnte. Dies aufgrund der Tatsache, dass die Handelsunternehmen so enorme Volumen im Auftrag von staatliche unterstützen Exportorganisationen oder Kooperativen verschiffen konnten.
1. Von Winterthur nach Bombay: die Gründungsphase
Im November 1844 verließ der Schweizer Kaufmann Salomon Volkart seinen Heimatort Niederglatt und reiste via Neapel, Smyrna, Konstantinopel und Kairo nach Indien. Diese Reise unternahm er im Auftrag verschiedener Industrieunternehmen, namentlich der Firma Hüni & Fierz, einem Fabrikations- und Handelshaus für Seiden- und Baumwolltücher aus Horgen, der Baumwollspinnerei und Färberei Johannes Hürlimann aus Richterswil, verschiedenen weiteren Spinnereien und Färbereien aus der Schweiz, Italien und Österreich sowie der Genfer Uhrenfirma A. Doehner. Das Ziel von Volkarts Expedition bestand darin, den Absatz der Produkte dieser Firmen in Neapel, der Levante und in Indien zu befördern.1 Schon bald konnte der junge Kaufmann erste Erfolge vermelden: „[F]ür Joh. Hürlimann schickte ich einen Auftrag auf 200 Dutz. Mouchoirs 8/4, 25 Stk. Mousselinette und 41 Stk. Balzarin ein“, hielt Volkart in einem Tagebucheintrag vom Januar 1845 über seinen Aufenthalt in Neapel fest, „und saldierte für denselben eine Partie alte Fazonats imprimés und Mousslins in 651 Stücken bestehend im Ertrag von F 15000.“2 Volkart traf auf seiner Auslandsreise zahlreiche Schweizer Kaufleute, die sich in verschiedenen Handelsstädten niedergelassen hatten. Die Selbstverständlichkeit, mit der Volkart diese Begegnungen festhielt, sind ein erster Beleg für die kosmopolitische Ausrichtung der Schweizer Kaufmannschaft Mitte des 19. Jahrhunderts. So schrieb er über seinen Aufenthalt in Smyrna, dem heutigen Izmir, damals die bedeutendste Handelsstadt Kleinasiens: „In Smyrna fand ich mehrere Züribieter, einen Herrn Sulzer vom wilden Mann in Winterthur, der im Haus des Herrn Piaggi arbeitet, ferner Herrn Kramer, Sohn von Sensal Kramer in Zürich, der mit Oblatzer daselbst associert ist. – Dann Herrn Hanart, Associé von Hanart und Pfau in Winterthur, und endlich Freund Ferd. V. Schwerzenbach, den ich seit Ende 39, wo er Neapel verließ, nicht mehr gesehen hatte.“3
Weltmarktorientierung und Marktinformationen Volkarts Indienreise ist ein frappanter Beweis für die Weltmarktorientierung der damaligen schweizerischen Textilindustrie. Der hohe Qualitätsstandard der protoindustriellen Textilproduktion, die frühe Industrialisierung sowie der kleine Heimmarkt 1
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 26; Peyer, Aus den Anfängen des schweizerischen Indienhandels, 1960. 2 Zit. nach Peter, Salomon Volkart, 1956, S. 48. 3 Zit. nach Peter, Salomon Volkart, 1956, S. 49.
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waren verantwortlich dafür, dass die Schweizer Unternehmer ihre Produkte ab dem 18. Jahrhundert zunehmend auf dem Weltmarkt absetzten. Da ihnen der europäische Markt aufgrund der protektionistischen Wirtschaftspolitik vieler Staaten verschlossen blieb, begannen sie, ihre Produkte in großem Stil nach Nord- und Südamerika sowie in die Levante zu exportieren.4 Ab 1840 rückten zudem Afrika, Indien und Südostasien als Absatzgebiete ins Blickfeld. Um 1845 gingen 40–50% der schweizerischen Exporte nach Nord- und Südamerika und 15–20% nach Asien und in den Nahen Osten.5 Die Schweiz war damit durchaus kein Einzelfall.6 Neuere Studien zeigen, dass auch der Erfolg der britischen Textilindustrie zu einem Gutteil auf der Möglichkeit beruhte, Baumwollerzeugnisse nach Westafrika, Nord- und Südamerika exportieren zu können. 1812 soll etwa ein Viertel bis ein Drittel aller in Manchester produzierten Textilien in die USA exportiert worden sein. Dies ist ein Beleg dafür, dass der Markt für Baumwolltextilien seit dem europäischen Mittelalter zunehmend globale Dimensionen erlangt hatte. Während bis zum 18. Jahrhundert vorwiegend Textilien aus Indien in Europa, Afrika, dem Mittleren Osten und in Ostasien gekauft wurden, waren es danach immer mehr die in den europäischen Fabriken produzierten Baumwollerzeugnisse, die auf dem Weltmarkt abgesetzt wurden.7 Die ausgeprägte Weltmarktorientierung der Schweizer Wirtschaft erregte auch im europäischen Ausland Aufmerksamkeit. Bei einer Erkundungsreise im Auftrag der britischen Regierung stellte der damalige Unterhausabgeordnete John Bowring Ende der 1830er Jahre erstaunt fest, dass es in der Schweiz überall Kaufleute und Fabrikanten gebe, „welche mit den entferntesten Theilen der Erde in fester Geschäftsverbindung standen.“ Dies, obwohl das Land weder über Häfen verfüge noch selber die Rohstoffe für die eigene Industrie produziere, und ihre Unternehmen auch nicht durch Zölle oder Subventionen vor ausländischer Konkurrenz schütze. In den Augen des britischen Beobachters war die Schweiz damit ein schlagendes Beispiel für die Leistungsfähigkeit einer Politik des Freihandels.8 Da die Transportkosten nach Übersee aufgrund der geographischen Lage des Binnenlandes Schweiz vergleichsweise hoch waren, spezialisierten sich die Schweizer Fabrikanten auf qualitativ hochwertige
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Weisz, Zur Geschichte des europäischen Handels mit Indien, 1954/55; Peyer, Von Handel und Bank, 1968, S. 182–189; Pfister, Entstehung des industriellen Unternehmertums, 1997, S. 15f. Weisz, Die Zürcherische Exportindustrie, 1936; Forster, Die Baumwolle, o.J. (ca. 1985), S. 48ff. und 58; Fischer, Toggenburger Buntweberei auf dem Weltmarkt, 1990; Veyrassat, 1945–1990: Bilan des recherches, 1991; Veyrassat, Réseaux d‘affaires internationaux, 1993. Die Ansicht von Thomas David und Bouda Etemad, wonach die Schweiz „vielleicht das einzige Land der ‚entwickelten Welt‘“ war, „welche seine industrielle Revolution erfolgreich verwirklicht hat, indem es sich auf ferne Absatzmärkte stützte“, muss also relativiert werden (David/ Etemad, Gibt es einen schweizerischen Imperialismus?, 1998, S. 20). Parthasarathi/Riello, Introduction, 2009. Bowring, Bericht an das Englische Parlament, 1837.
Von Winterthur nach Bombay: die Gründungsphase
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Produkte. Bei diesen fielen die Transportkosten weniger stark ins Gewicht.9 Für ihre Exporte betrieben die Schweizer Fabrikanten eine intensive Studie der Geschmäcker, Gewohnheiten und verfügbaren Mittel ihrer überseeischen Konsumentinnen und Konsumenten. Ab den 1830er Jahren begannen größere Industrieunternehmen, eigene Vertreter und Reisende zu beschäftigen, um aus erster Hand Informationen über gerade angesagte Farben und Muster zu erhalten.10 In vielen Fällen wurden Marktinformationen aber wie schon zuvor durch die vor Ort tätigen Kaufleute eingeholt.11 Wie wichtig diese Informationen waren, belegt der Bericht eines Inspektors, der 1846 im Auftrag der belgischen Regierung die Schweiz besuchte. Dieser zeigte sich überaus beeindruckt vom kaufmännischen Geschick der Schweizer Unternehmer, das demjenigen der belgischen Fabrikanten weit überlegen sei: „Nous ne savons pas, comme les Suisses, quelle marchandise se vend dans chaque localité, quels sont les goûts et les habitudes des consommateurs suivant les climats et les moeurs dans les différentes parties du monde; nous travaillons trop souvent à l’aventure, comme l’on a déjà dit.“ Zur Illustration schilderte er einen Besuch in der Winterthurer Firma Greuter & Rieter, die Mitte der 1840er Jahre eigens einen Zeichner nach Sumatra geschickt hatte, um Farbe, Motive und Gerüche der dortigen Sarongs zu studieren. Die Winterthurer Stoffdruckerei kopierte dabei sogar gewisse als Fehler wahrgenommene Unregelmäßigkeiten, da die Käuferinnen diese offenbar als Qualitätsmerkmal ansahen.12 Diese Belege zeigen, dass Stanley Chapmans Ansicht, das überseeische Exportgeschäft sei vor Einführung des Telegraphs eine äußerst spekulative Angelegenheit gewesen, zumindest für die Schweizer Textilindustrie nicht haltbar ist.13 Die Schweizer Produzenten und die mit ihnen kooperierenden Kaufleute waren alles andere als Abenteurer. Sie kannten die fremden Märkte sehr genau und richteten ihre Exporte so gut als möglich nach den lokalen Bedürfnissen aus.14 Auch Salomon Volkart betrieb während seiner Indienreise intensive Marktanalysen. Er besuchte etwa eine Seidenweberei in Poona und schickte Muster der dortigen Fabrikate zu Hüni & Fierz nach Horgen, in der Hoffnung, „dass es Euch gelingen werde, auch hierin zu arbeiten.“ Die ausgedehnte Erkundungsreise quer durch Indien, davon zeigte er sich überzeugt, werde für das Haus über kurz oder lang interessante neue Geschäftsfelder eröffnen: „[Wie] manches habe ich jezt gesehen, was uns späterhin von großem Nutzen seyn kann und wie viele Artikel, die schon in Bombay schönen lucro lassen, lernte ich kennen.“ Und er fügte an: „Du hast mit deinem Scharfsinn vielleicht schon errathen, um was es mir zu thun ist, nemlich nach Erforschung aller jener Plätze in dorten, 9 10 11 12 13 14
Buchheim, Industrielle Revolutionen, 1994, S. 93. Fischer, Toggenburger Buntweberei auf dem Weltmarkt, 1990, S. 198. Alder, Jugenderinnerungen, 1929, 76f.; Peter, Salomon Volkart, 1956. Kindt, Notes sur l‘industrie, 1847, S. 23–26. Chapman, Merchant Enterprise in Britain, 1992, S. 163. Veyrassat, Négociants et Fabricants, 1982, S. 39f.
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bey Euch eine Art Exportations-Geschäft zu errichten, am lucrativesten wenn es sich agenturartig thun ließ.“15 Diese Äußerung zeigt, dass sich Volkart zu diesem Zeitpunkt intensive Gedanken über seine weitere berufliche Zukunft machte. Er war vor kurzem 29 Jahre alt geworden und hatte eine umfassende kaufmännische Ausbildung absolviert. Salomon Volkart stammte aus einer angesehenen Familie der Zürcher Landschaft, die über gute Beziehungen zu politisch und wirtschaftlich einflussreichen Kreisen verfügte. Da Kinder aus ländlichen Regionen von den städtischen Bürgerschulen nicht aufgenommen wurden, besuchte er das Landknabeninstitut in Zürich und anschließend das Institut Hüni in Horgen, eine angesehene private Mittelschule, an der damals die Söhne der aufstrebenden Landfamilien ihre kaufmännische Bildung erhielten. Dort befreundete sich Salomon Volkart mit Eduard Fierz, dem Bruder von Johann Heinrich Fierz, in dessen Auftrag Volkart Mitte der 1840er Jahre nach Indien reisen sollte. 1832 trat Volkart eine Lehre im angesehenen Bankhaus Caspar Schulthess & Co. zum Rech an. Ab 1844 arbeitete er in Italien, zuerst als kaufmännischer Angestellter in der Olivenölfirma M. Croce in Genua, in deren Auftrag er ganz Italien bereiste, und anschließend als Kassier der deutschen Firma Stellinger & Co. in Neapel. Nachdem eine Brandkatastrophe die Gebäude der Firma heimgesucht hatte, kehrte Volkart in die Schweiz zurück. Im September 1844 besuchte er in Leipzig den Schweizer Kaufmann Hans Caspar Hirzel, der im Orienthandel ein Vermögen gemacht hatte und in den 1820er Jahren selber zweimal nach Indien gereist war.16 Salomon Volkart verfügte also bereits über eine große kaufmännische Erfahrung und ein gutes Beziehungsnetz in verschiedenen europäischen Ländern, als er 1844/45 nach Indien reiste. Während seines Aufenthaltes in Bombay nahm er Kontakt mit Bernhard Rieter auf, einem jüngeren Bruder von Johann Heinrich und Johann Rudolf Rieter, den Teilhabern der Baumwolldruckerei und Rotfärberei Greuter & Rieter in Winterthur. Bernhard Rieter weilte seit 1843 in Asien, um für die Produkte von Greuter & Rieter neue Absatzmärkte zu finden. Während Volkarts Indienaufenthalt hatte Rieter einen Arbeitsplatz in den Räumlichkeiten der deutschen Handelsfirma Wattenbach & Co. in Kalkutta, wo ihn Salomon Volkart in der zweiten Hälfte des Jahres 1845 besuchte.17 Unter Umständen besprach Volkart bei seinem Aufenthalt in Kalkutta mit Bernhard Rieter auch Pläne, eine Handelsfirma in Japan zu gründen. Da aus diesem Vorhaben nichts wurde, plante er nach seiner Rückkehr nach Europa, zusammen mit Eduard Fierz ein Handelshaus in Singapur zu gründen. Dieses hätte neben dem Im15 Peyer, Aus den Anfängen des schweizerischen Indienhandels, 1960, S. 116. 16 Weisz, Die Zürcherische Exportindustrie, 1936, S. 209; Hürlimann, „Hans Caspar Hirzel“; Sigerist, Schweizer in Asien, 2001, S. 134f.; VA, Dossier 19, Winterthur II: 13. write ups about the firm by VB and corrections therto by JA. 17 Isler, Winterthur in Wort und Bild, 1895, S. 150.
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port von europäischen Gütern auch die Möglichkeit eröffnet, in den Chinahandel einzusteigen, nachdem der Vertrag von Nanjiing im Anschluss an den Ersten Opiumkrieg China ab 1843 dazu gezwungen hatte, fünf Häfen für den Handel mit Europa zu öffnen. Fierz lehnte aber ab, da ihn gesundheitliche Probleme plagten und er glaubte, in der Firma Hüni & Fierz bessere berufliche Perspektiven zu haben. Salomon Volkart trat deshalb 1846 eine Anstellung bei Greuter & Rieter an. Für diese Winterthurer Firma kaufte er bereits im Juli 1846 in Venedig einen großen Posten Glasperlen, die für den Export nach Indien bestimmt waren. 1848 heiratete er Emma Sultzberger, die Tochter des damaligen Winterthurer Stadtrates und Finanzamtmannes Johann Heinrich Sultzberger.18
Die Gründung des Handelshauses Gebrüder Volkart Im Sommer 1845, kurz nachdem Salomon Volkart in Bombay angekommen war, hatte sein jüngerer Bruder Johann Georg Volkart bei Hüni & Fierz eine kaufmännische Lehre angetreten. Diese Stelle hatte er unter anderem aufgrund einer Empfehlung durch Salomon Volkart erhalten.19 Im Februar 1847 verließ er die Schweiz und trat in Bombay eine Stelle bei Huschke, Wattenbach & Co. an, einem in den frühen 1840er Jahren gegründeten Joint Venture der beiden deutschen Handelshäuser Wattenbach & Co. aus Kalkutta und Huschke & Co. aus Bombay.20 Auch diese Stelle scheint Johann Georg Volkart der Vermittlung seines älteren Bruders verdankt zu haben, der während seiner Indienreise Kontakte zu Wattenbach & Co. geknüpft hatte. Johann Georg Volkart wurde schon nach einem Jahr die Leitung der Niederlassung in Bombay übertragen. 1849 lösten die beiden Teilhaber Huschke und Wattenbach ihre gemeinsame Firma auf und eröffneten jeweils eigene Büros in Bombay. Johann Georg Volkart arbeitete noch ein Jahr in der neu gegründeten Niederlassung von Wattenbach & Co. in Bombay, bevor diese wieder geschlossen wurde. Der jüngere der beiden Volkart-Brüder, der kurz zuvor die aus Braunschweig stammende Lilly Schönemann geheiratet hatte, stand daraufhin ohne Anstellung da.21 Es scheint, dass dies mit ein Grund dafür war, dass Salomon Volkart den lange gehegten Plan zur Gründung eines eigenen Handelshauses endlich in die Tat um18 Peter, Salomon Volkart, 1956, S. 52; Peyer, Aus den Anfängen des schweizerischen Indienhandels, 1960, S. 117f.; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 28f. 19 Peyer, Aus den Anfängen des schweizerischen Indienhandels, 1960, S. 115. 20 Die in verschiedenen Publikationen (so z.B. Isler, Winterthur in Wort und Bild, 1895, S. 150; Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 14; Peter, Salomon Volkart, 1956, S. 51) gemachte Behauptung, wonach Salomon Volkart bei seiner Indienreise seinen dort weilenden Bruder besucht habe, ist falsch. 21 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 33ff.
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setzte.22 Nachdem Johann Georg Volkart Ende 1850 in die Schweiz zurückgekehrt war, begründeten die beiden Brüder am 1. Februar 1851 das „Commissions-Geschäft unter der Ragion von ‚Gebrüder Volkart‘“, wie es im ersten Sozietätskontrakt heißt, mit Sitz in Winterthur und Bombay. Im Kontrakt wurde vereinbart, dass die beiden Brüder gleichberechtigte Teilhaber der Firma seien und sich die Gewinne und Verluste teilen würden. Es wurde auch festgelegt, dass „Joh. Georg Volkart nach Bombay [geht] als Vorstand des dortigen Etablissements, während Salomon Volkart hier domiciliert bleibt & für das Geschäft in Europa wirkt.“23 Aufgrund der hervorragenden Beziehungen zu Geschäftspartnern im In- und Ausland sowie ihres umfassenden kaufmännischen Wissens konnten sich die beiden Brüder berechtigte Hoffnungen machen, sich im Handelsgeschäft zwischen Europa und Indien erfolgreich zu positionieren. In den ersten Tagen nach der Gründung ihrer Firma versandten sie zahlreiche Offerten an potentielle Geschäftspartner in Deutschland, Frankreich, Indien und der Schweiz. So ließ etwa Johann Georg Volkart am 8. Februar 1851 der deutschen Textilfirma J. F. Wolff das Gründungszirkular von Gebrüder Volkart zukommen und fügte an: „Wir benutzen den Anlass Ihnen unsere Dienstofferten fuer den Verkauf Ihrer Rotgarne in Bombay ergebenst anzutragen und Sie aufzufordern von den zur Zeit diesem Gespinst guenstigen Conjuncturen durch Aussendungen darin Nutzen zu ziehen. Mit dem Artikel sowohl als mit dem Bombay Markt durch langjaehrige Aufenthalt daselbst vollstaendig vertraut, duerfen Sie Ihre Interessen mit Beruhigung unsern Haenden anvertrauen und werden Ihnen im Uebrigen die unten verzeichneten Haeuser gerne mit Informationen ueber uns bedient sein.“ Als Referenzen führten die beiden Brüder mit Wattenbach, Heilgers & Co. in Kalkutta und dem Zürcher Bankhaus Caspar Schulthess Erben, zwei ihrer früheren Arbeitgeber auf, dazu noch die Handelsfirma Hirzel & Co. (die Hans Caspar Hirzel, einem Freund Salomon Volkarts, gehörte), die Schiffsagentur J. C. im Thurn & Co. aus London, die angesehene Handelsfirma Biedermann & Co. aus Winterthur sowie die Textilhandelsfirma und Färberei J. Ziegler & Co. aus dem zürcherischen Neftenbach (deren Geschäftsführer ein Sohn von Johann Heinrich Rieter, dem Teilhaber von Salomon Volkarts vormaligem Arbeitgeber Greuter & Rieter war).24 Schon drei Wochen nach der Gründung konnte Johann Georg Volkart seinem bis dahin einzigen Angestellten in Bombay, J. C. Johnston, der zuvor mit ihm bei Huschke, Wattenbach & Co. gearbeitet hatte, aus Winterthur vermelden, dass Hüni & Fierz der Firma 22 Auf jeden Fall meinte Salomon Volkart in einem Brief an seinem Freund J. M. Grob, der als Teilhaber des Handelshauses Duerrschmidt, Grob & Co. in Kalkutta tätig war, dass er es als seine Pflicht angesehen habe, seinem Bruder in dieser schwierigen Situation zu helfen: VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: Sal. Volkart an seinen Freund J.M. Grob, Calcutta, 3.7.1851. 23 Zit. nach Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 71. 24 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: Winterthur ( J.G.V.) an J.F. Wolff, Elberfeld, 8.2.1851.
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Volkart die ansehnliche Summe von 20’000 Schweizer Franken für den Aufkauf von venezianischen Glasperlen und deren Export nach Bombay überlassen habe. Außerdem habe die Firma J. Ziegler & Co. mitgeteilt, dass sie eine größere Sendung von gefärbtem Garn und bedruckten Textilien auf Kommissionsbasis in Indien verkaufen lassen wolle. Für dieses Geschäft habe Salomon Volkart der Textilfirma einen Kredit von 12‘000 Franken gewährt, da Greuter & Rieter im Moment aufgrund noch ausstehender Zahlungen über zu wenig freie Mittel verfügten. Schließlich hätten sich noch sieben weitere Firmen bereit erklärt, über Volkart Waren auf Kommissionsbasis nach Indien zu senden.25 Im Frühling und Sommer 1851 besuchte Salomon Volkart verschiedene Orte in Italien, Deutschland, Österreich, Frankreich, Belgien, Großbritannien und den Niederlanden. Zweck der Reisen war einerseits, Kommissionsgeschäfte in die Wege zu leiten, und andererseits, geeignete lokale Kaufmannsunternehmen zu finden, welche die junge Firma in den jeweiligen Städten als Agenten vertreten konnten. Dabei scheint er recht erfolgreich gewesen zu sein, denn schon nach kurzer Zeit besaßen die Gebrüder Volkart ein Agenturnetz, das einen großen Teil der bedeutenden europäischen Handelsplätze abdeckte.26 Johann Georg Volkart dagegen kehrte Anfang Mai nach Bombay zurück, wo J. C. Johnston in der Zwischenzeit das Büro der jungen Firma besorgt und die ersten Lieferungen von europäischen Manufakturgütern entgegengenommen hatte.27 Die Geschäfte entwickelten sich offenbar sehr erfreulich. Schon kurze Zeit später schrieb Salomon Volkart seinem Bruder nach Bombay als Antwort auf einen kurz zuvor eingegangenen Brief: „Vorerst mueßen wir aber unsere Freude aeußern, darueber, dass wir durch denselben mancherley Beschaeftigung erhalten, die von Nutzen fuer uns sein kann und koennen wir Ihnen bey dieser Gelegenheit zurueckrufen, was Ihnen der Brief von H. Huschke sagt, den Sie uns zur Einsicht uebermacht haben, so lautend; ging tagtaeglich in den Bazaar, in die Auction rooms etc. um persoenlich auszukundschaften was Bombay alles von continentalen Artikeln gebrauchen koenne etc. etc. Precis so machen Sie nun und das ist recht denn auf diesem Weg geht man weit sicherer als wenn man sich auf die aeußerst selten zuverlaeßigen Aussagen und Hinterbringung der Natifs verlaesst. Wir gehen mit Liebe hinter all’ die Artikel, welche Sie uns anrathen und zweifeln nicht Ihnen nach und nach mit allem entsprechen zu koennen.“28 25 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: J.G. Volkart an Mr. Johnston Bombay, 22.2.1851. 26 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: Sal. Volkart an seinen Freund J.M. Grob, Calcutta, 3.7.1851; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 45. 27 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 39. 28 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: Winterthur (S.V.) an Bombay ( J.G.V.), ohne Datum.
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Einstieg in den Rohstoffexport aus Indien Parallel zum Import von europäischen Waren nach Indien bemühten sich die Brüder auch um den Export von indischen Rohstoffen nach Europa.29 In einem Brief an ein Unternehmen in Marseille bot Salomon Volkart bereits kurz nach der Firmengründung die Lieferung von 1800 bis 2000 Ballen indischer Baumwolle auf Kommissionsbasis an. Der Zeitpunkt für eine solche Baumwollsendung, seines Wissens „die erste Zufuhr die von Bombay aus directe nach Marseille gebracht wuerde“, sei günstig, da die Preise aufgrund der schwachen Nachfrage in Europa relativ tief seien. Außerdem falle die neue Ernte günstig aus und es seien zusätzlich 100’000 Ballen Baumwolle der letztjährigen Ernte auf den Markt gekommen, die aufgrund ihrer Verunreinigung mit Saatgut nochmals hätten gereinigt werden müssen. „Sodann wird die ganze Ernte welche in den Monaten Februar bis April groeßtenteils hereinkommt unter freiem Himmel gelagert und zwar bis zu Eintritt der Regenzeit wo sie dann in die Magazine geschafft werden muss: da nun die Miethe dieser Locale sehr theuer bezahlt wird, so sucht man sie moeglichst dadurch zu vermeiden, dass man noch vor Eintritt der Regenzeit realisiert und dieser Umstand fuehrt gewoehnlich die Gelegenheit herbei billig anzukommen.“30 Das Geschäft kam zwar nicht zu Stande, die Offerte zeigt aber, dass die Volkart-Brüder gewillt waren, ihre profunden Kenntnisse des indischen Marktes zu nutzen, um auch das Exportgeschäft mit indischen Rohstoffen aufzunehmen. Im Mai 1851 schickte Johann Georg Volkart erstmals probeweise 70 Ballen Baumwolle nach Europa. Danach erscheinen für die nächsten eineinhalb Jahre keine Exporte aus Indien mehr in den Büchern. Es scheint, dass die Teilhaber danach strebten, zuerst das Geschäft mit dem Import von europäischen Textilien und anderen Konsumgütern auf eine stabile Basis zu stellen, bevor sie sich an den Export von indischen Produkten heranwagten. Der Rohstoffexport war mit zahlreichen Schwierigkeiten behaftet und hart umkämpft, da sich in Bombay bereits eine beträchtliche Anzahl von europäischen und indischen Handelsfirmen etabliert hatte, die in diesem Geschäftsbereich tätig waren. Zudem erschwerten die großen Distanzen zwischen Europa und dem Subkontinent die Geschäfte beträchtlich. Vor der Eröffnung des Suezkanals im November 1869 mussten größere Warensendungen per Segler um das Kap der Guten Hoffnung gebracht werden. Diese Reise dauerte drei bis vier Monate. 29 Die Begriffe Import und Export werden in den Quellen von Volkart jeweils aus der Sicht der indischen Filialen verwendet. Die Lieferung europäischer Konsumgüter nach Indien gilt demnach als Import, während die Versendung von indischen Rohstoffen nach Europa als Export bezeichnet wird. Diese Terminologie wird auch in der vorliegenden Arbeit beibehalten. 30 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: Winterthur an J. Loeffler i/FA Loeffler, Naegeli & Co. Marseille, 27.2.1851 (Sal. V.).
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Der Personenverkehr, aber auch der Transport von Briefen und wertvollen Kleinsendungen, lief über die 1830 eröffnete Overland-Route, bei der man mit dem Segelschiff nach Alexandria, dann per Pferdewagen nach Suez und anschließend wieder per Schiff weiter nach Indien reiste. Die Fahrt auf dieser Route dauerte etwa dreißig Tage, weshalb eine Antwort auf Bestellungen und briefliche Mitteilungen mindestens zwei Monate auf sich warten ließ.31 Während der Monsunperiode, die von Juni bis September dauerte, kam der Schiffsverkehr aufgrund des stürmischen Wetters oft für mehrere Wochen zum Erliegen; auch Warentransporte innerhalb Indiens waren in dieser Zeit oft nicht möglich. Dies hatte gravierende Auswirkungen auf den Gang der Geschäfte. Wenn europäische Produzenten bei einem Handelshaus indische Rohstoffe orderten, konnte dieses keine genauen Angaben über die aktuelle Preissituation in Indien machen; die potentiellen Käufer mussten sich mit mehr oder weniger präzisen Schätzungen des zu erwartenden Preises begnügen. Bei Bestellungen wurden zwar in der Regel Preislimiten vereinbart. Wenn jedoch die indischen Rohstoffpreise nach Vertragsabschluss stark fielen, konnten die Produzenten hiervon nicht durch zusätzliche Bestellungen profitieren, da die Kommunikationswege zu lang waren, um schnell reagieren zu können. Exportgeschäfte auf Kommissionsbasis, die im Auftrag von in Indien ansässigen Kaufleuten durchgeführt wurden, hatten ebenfalls ihre Tücken. Sie waren vor allem durch die große Konkurrenz zwischen Handelsfirmen in Bombay geprägt. Exporteure mussten in der Regel hohe Vorschüsse bezahlen, um Exportaufträge zu erhalten und möglichst früh den Laderaum für die Überfahrt buchen zu können. Solche Vorschüsse konnten bis zu 80% des erwarteten Verkaufspreises ausmachen.32 Diese Geschäftspraxis hatte sich durch die Exporttätigkeit der East India Company eingebürgert. Sie hatte für den Auftraggeber den Vorteil, dass er mit sehr wenig Kapital am Exportgeschäft teilnehmen und die Kredite direkt für den Einkauf weiterer Waren ausgeben konnte. Der Rohstoffexport aus Bombay erhielt dadurch jedoch einen äußerst spekulativen Charakter.33 Die Schwierigkeiten des indischen Exportgeschäftes waren wohl der Hauptgrund dafür, dass Volkart erst im Oktober und Dezember 1852 wieder Baumwolle nach Europa verschiffte. Dieses Geschäft, das 256 Ballen umfasste, wurde auf Rechnung der Winterthurer Textilfirma J. & A. Biedermann durchgeführt. In der Folge steigerte Volkart sowohl die Menge als auch die Frequenz von Baumwollsendungen, bis sich diese zu einem festen Teil des Geschäftes entwickelten. Zum Teil wurde die Baumwolle von europäischen Textilproduzenten geordert und direkt an diese geliefert. Zum Teil wurde sie im Auftrag von anderen Handelshäusern, die in Bombay ansässig 31 VA, Dossier 19, Winterthur II: 13. write ups about the firm by VB and corrections therto by JA; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 8. 32 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 48–52. 33 Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 175ff.
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waren, gegen eine Kommission von 5% nach London versandt, wo sie bei Auktionen verkauft wurde. Zudem verschiffte Volkart im Auftrag von indischen und europäischen Firmen ab 1853 auch Produkte wie Fischöl, Kokosbast, schwarzen Pfeffer oder Curry nach Europa.34 Der Handel mit dem indischen Subkontinent hatte seit Mitte des 18. Jahrhunderts große Veränderungen erfahren. Nach dem Frieden von Paris 1763 stand der Handel zwischen Indien und Europa faktisch unter dem Monopol der britischen East India Company. Die Expansionspolitik der Company erschöpfte jedoch deren Finanzen, so dass sie bei der britischen Regierung um Unterstützung nachfragen musste. Die britische Krone erhielt dadurch immer größeren Einfluss auf dem Subkontinent. Nach 1813 beschränkte sich das Handelsmonopol der East India Company auf den Export von Tee und auf den Handel mit China. 1833 verlor die Company sämtliche Monopolrechte, behielt jedoch die administrative Kontrolle über weite Teile Indiens.35 Durch die Aufhebung des Handelsmonopols konnten sich schon bald private Handelshäuser auf dem Subkontinent etablieren. Diese stammten meist aus Großbritannienen. Es gab jedoch ab den 1840er Jahren in Indien mindestens ein Dutzend Handelsfirmen mit deutschen, französischen, schweizerischen oder amerikanischen Teilhabern.36 Die in verschiedenen Abrissen der Firmengeschichte von Volkart geäußerte Ansicht, die Gründung des Handelshauses Volkart sei erst durch die Aufhebung der Navigation Acts im Jahre 1850 ermöglich worden,37 entbehrt deshalb jeder Grundlage. Die Navigation Acts, die vorsahen, dass der Handel mit britischen Kolonien nur durch britische Schiffe erfolgen durfte, erstreckte sich bloß auf den Atlantik und damit auf den Verkehr mit den britischen Kolonien in Nordamerika und der Karibik. Der Handel mit den Kolonien im asiatischen Raum wurde nie durch Gesetze behindert.38 Auch nachdem Indien 1858 zur Kronkolonie geworden war, konnten ausländische Firmen dort weiterhin Handel treiben. Die britische Kolonialregierung, ganz der Idee des Freihandels verpflichtet, legte ihnen dabei keine Steine in den Weg.39 Bombay war ab Ende des 18. Jahrhunderts der wichtigste Handelshafen an der indischen Westküste, nachdem zuvor in dieser Region der Großteil der Handelsge34 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 46, 50ff. 35 Lawson, East India Company, 1993, Kapitel 6–8. 36 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 13. 37 Diese Ansicht wird etwa geäußert in Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 24; Rambousek/Vogt/ Volkart, Volkart, 1990, S. 69. 38 Schuyler, The Fall of the Old Colonial System, 1945, S. 96 und 109; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 2. 39 Dies änderte sich erst nach 1914, als die britische Regierung im Rahmen des „Trading with the Enemy Act“ deutsche und österreichische Firmen enteignete, wenn sie Besitzungen innerhalb des Empire hatten. Vgl. hierzu Kapitel 4.
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schäfte über Surat gelaufen war.40 Bombay wurde insbesondere für den Export von indischer Rohbaumwolle nach Europa und China genutzt; im Jahr 1860 gingen 92% aller indischen Baumwollexporte über Bombay. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts verdrängte Bombay gar Kalkutta vom Platz als bedeutendster Handelshafen auf dem Subkontinent. Ab 1820 wurde Bombay auch wichtig für die Verschiffung von Opium nach China. Der Opiumschmuggel diente der East India Company dazu, die nötigen Mittel zu beschaffen, um chinesischen Tee für den Export nach Europa erwerben zu können. Da weder die East India Company noch die zahlreichen privaten Handelsfirmen, die sich ab Anfang des 19. Jahrhunderts in Bombay etablierten, über genug Kapital verfügten, um das risikoreiche indische Exportgeschäft allein durchzuführen, und da sie auch nicht die nötigen Geschäftsbeziehungen und Sprachkenntnisse besaßen, konnten sich indische Händler beträchtliche Anteile am Baumwoll- und Opiumexport aus Bombay sichern. Die indischen Händler, die als Mittelsleute für die Europäer arbeiteten, stammten dabei meist nicht aus den etablierten hinduistischen Kaufmannsdynastien aus Surat. Diese waren zu erfolgreich im innerindischen Handel, um sich auf das unsichere Exportgeschäft einzulassen und ihre geschäftliche Unabhängigkeit durch eine Kooperation mit europäischen Kaufleuten zu beschneiden. Sie sorgten stattdessen für die Lieferung von Baumwolle und anderen Rohstoffe aus dem Landesinnern an die Küste und stellten den Europäern ihr Kapital zur Verfügung, womit diese vor allem den Exporthandel nach China finanzierten. In den Überseehandel stiegen demgegenüber Händlerschichten wie die Armenier, Parsen, Khoja, Bohra oder Konkani, die bis ins 18. Jahrhunderte bloß eine marginale Position im südasiatischen Handel besessen hatten. Sie betreiben die Exportgeschäfte zum Teil auf eigene Rechnung, zum Teil waren sie aber auch als Broker oder Kommissionsagenten für die East India Company und private europäische Handelsfirmen tätig. Besonders erfolgreich waren dabei die Parsen. Sie begannen im frühen 19. Jahrhundert mit Exporten auf eigene Rechnung nach Großbritannien und sie dominierten bis in die 1830er Jahre den Chinahandel. Da die europäischen Kaufleute aufgrund ihrer Beziehungen einen bessern Zugang zu Baumwollpressen und Transportversicherungen hatten und bei britischen Banken billigere Kredite aufnehmen konnten, verdrängten sie die Parsen ab den 1830er Jahren aus dem Opiumhandel mit China. Diese Entwicklung beschleunigte sich insbesondere nach Ende des ersten Opiumkrieges 1842, der zur Öffnung der chinesischen Treaty Ports führte. Die Parsen spielten aber in ihrer Eigenschaft als Broker der privaten Handelshäuser, welche sich nach dem Ende des Handelsmonopols der East 40 Die folgenden Ausführungen beruhen auf Guha, More About Parsi Seths, 1982, S. 19ff.; Subramanian, The Castle Revolution, 1987; Chandavarkar, The Origins of Industrial Capitalism, 1994, S. 21ff., 44f. und 55–64; Dobbin, Asian Entrepreneurial Minorities, 1996, S. 75–108; Markovits, Global World of Indian Merchants, 2000, S. 14f. Vgl. für einen Überblick über die Geschichte Bombays Tindall, Bombay: City of Gold, 1982.
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India Company etablieren konnten, weiterhin eine wichtige Rolle im Chinahandel. Während der Opiumhandel von einigen großen britischen Handelshäusern wie Jardine Matheson & Co dominiert wurde, wurde der Export von Rohbaumwolle, der geringere Gewinne abwarf, vor allem von kleineren Exportfirmen vorgenommen. In diesem Geschäftsbereich konnten sich die indischen Kaufleute noch bis in die späten 1860er Jahre behaupten. Obwohl 1849 erstmals mehr indische Rohbaumwolle in Lancashire verbraucht wurde als in China, waren indische Firmen im Jahr 1851 für etwa 55% aller Baumwollexporte aus Bombay nach Liverpool verantwortlich. 1861 waren von den zwölf größten Firmen, die Baumwolle von Bombay nach Liverpool lieferten, sieben in indischem Besitz; insgesamt übernahmen indische Firmen 1861 etwa zwei Drittel aller Baumwollexporte nach Liverpool.41
Geschäftspraxis der Firma Volkart Die Firma Volkart verfügte in den ersten Jahren ihres Bestehens über eine relativ bescheidene Kapitalausstattung, wobei die exakte Höhe des Firmenkapitals nicht mehr eruiert werden kann. Dieses war zwar „mehr als hinreichend … fuer unser Commissions-Geschaeft“, wie Salomon Volkart im Juli 1851 in einem Brief an einen Freund meinte. Und er merkte an, wenn man Geschäfte auf eigene Rechnung machen wollte, „so fehlt es mir Gott Lob an Credit auch nicht, den ich da & dort in schoenem Maße genieße.“42 Dennoch machte die Firma in den ersten Geschäftsjahren kaum Geschäfte auf eigene Rechnung, sondern beschränkte sich auf das weniger risikoreiche Kommissionsgeschäft. Dieses war Mitte des 19. Jahrhunderts die häufigste Geschäftsart im Handel zwischen Indien und Europa.43 Handelsfirmen wie Volkart erhielten dabei für ihre Arbeit eine fixe Kommssion, die in der Regel 5% des Verkaufspreises betrug. Diese Geschäftsart wurde im Überseehandel vor allem von kapitalschwachen Firmen angewandt.44 Im ersten Sozietätskontrakt der Gebrüder Volkart wurde explizit festgehalten, dass Geschäfte auf eigene Rechnung nur dann erlaubt seien, wenn beide Teilhaber ihre Zustimmung gaben.45 Diese Regelung wurde zwar in den folgenden Jahren gelockert und schließlich ganz fallen weggelassen – sie ist aber ein Beleg für die zu Beginn doch eher vorsichtige Geschäftspraxis der neu gegründeten Firma. Deren Geschäfte entwickelten sich durchaus positiv. Bereits im ersten Geschäftsjahr 1851/2 41 Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 170. 42 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: Sal. Volkart an seinen Freund J.M. Grob, Calcutta, 3.7.1851. 43 Vizciany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 174–179; Ammann, Reminiscences, 1921, S. 8f. 44 Biedermann, Lehrbuch des Überseehandels, o. J., S. 13–15. 45 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 65.
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machte Volkart einen Gewinn von 4400 Rupien, was damals etwa 11’000 Schweizer Franken entsprach. Die beiden Partner konnten sich je die Hälfte dieser Summe auf ihr privates Konto auszahlen lassen.46 Eine unabdingbare Voraussetzung für den Kommissionshandel war die Reputation eines Handelshauses, da die Transaktionen zu einem großen Teil darauf beruhten, dass der Auftraggeber Vertrauen in die Fähigkeiten und die Ehrlichkeit eines Handelshauses hatte. Das galt zum einen für den Import von europäischen Konsumgütern nach Indien, da die Handelshäuser Informationen über die jeweiligen Märkte besaßen, die für die produzierenden Firmen unerlässlich waren. Wenn es zu Absatzproblemen kam, waren die Hersteller darauf angewiesen, dass sie sofort darüber unterrichtet wurden, damit sie ihre Lager leeren und die Produktion drosseln konnten. Andernfalls drohte ihnen im schlimmsten Fall der Konkurs. Das Handelshaus, das die Importe nach Indien auf Kommissionsbasis vorgenommen hatte, erlitt dagegen in einem solchen Fall nur einen geringen Verlust.47 Auch beim Exportgeschäft mit indischen Rohstoffen spielte Vertrauen eine große Rolle. Wenn ein europäischer Produktionsbetrieb nicht darauf vertrauen konnte, dass ihm eine Handelsfirma zur abgemachten Zeit die vereinbarte Menge Baumwolle, Kokosgarn oder Kaffee in einer befriedigenden Qualität liefern konnte, dann war es sehr wahrscheinlich, dass er bei dieser Handelsfirma keine Bestellung in Auftrag geben würde. Und wenn ein indischer Kaufmann Zweifel an der Ehrlichkeit und der Solidität einer Handelsfirma hatte, dann vertraute er ihr kaum seine Waren für den Verkauf in Europa an. Volkart scheint es aufgrund des zur Firmenmaxime erhobenen Bestrebens, Verträge unter allen Umständen zu erfüllen und aufgrund der geschäftlichen Kompetenz der Firmengründer schon bald gelungen zu sein, sich einen guten Ruf innerhalb der Geschäftswelt zu erobern. August F. Ammann, der 1868 bei Volkart eine kaufmännische Lehre antrat und später Teilhaber der Firma wurde, meinte auf jeden Fall, „good management and sound organization“ seien die Gründe gewesen, dass sich die Geschäfte von Volkart derart gut entwickelten und sich die Firma nicht in spekulative Geschäfte stürzte, die viele Handelshäuser jener Tage in den Konkurs trieb.48 Ab Mitte der 1850er Jahre ging Volkart dazu über, für den Export von Baumwolle, Kaffee, Kokosöl und Saatgut mit anderen europäischen Handelsfirmen so genannte conto à metà-Geschäfte zu machen. Bei dieser Geschäftsform beteiligte sich Volkart zu einem bestimmten Anteil – dieser umfasste zwischen 25 und 50% des Warenwertes – mit eigenem Kapital an den Exporten. Die Gewinne wurden anschließend zwischen den beteiligten Handelsfirmen anteilsmäßig geteilt. Obwohl Volkart bei einigen die46 VA, Statistik der Gebrüder Volkart 1851–1914; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 49. 47 Fischer, Toggenburger Buntweberei auf dem Weltmarkt, 1990; Forster, Die Baumwolle, o.J. (ca. 1985), S. 48ff. 48 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 7.
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ser Geschäfte einen Verlust erlitt, scheinen sie doch im Großen und Ganzen lukrativer gewesen zu sein als das Exportgeschäft auf einer fixen Kommissionsbasis.49 Die Firma konnte jedenfalls ihre Gewinne in den ersten Geschäftsjahren stetig steigern, bis sie im Jahr 1856/57 einen absoluten Rekordgewinn von 465’210 Rupien erwirtschaften konnte. Einen ähnlich hohen Gewinn sollte die Firma erst wieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts erreichen, dann zu mal aber bei einem ungleich höheren Umsatz und mit Hilfe einer weit größeren Firmenstruktur.50 Der Sepoy-Aufstand von 1857, der zur Auflösung der East India Company führte und nach dessen Niederschlagung Indien zur britischen Kronkolonie erklärt wurde, beeinträchtigte dagegen die Geschäfte von Volkart kaum. Dies vor allem deshalb, weil der Aufstand sich auf Nord- und Zentralindien beschränkte. Die Gegend um Bombay und der Südteil Indiens waren von ihm nicht betroffen.51 Aufgrund der positiven Entwicklung der Geschäfte beschlossen die beiden Volkart-Brüder eine Expansion ihres Geschäftes.52 1857 eröffnete die Firma zwei neue Filialen in Cochin und im auf Ceylon gelegenen Colombo. Die Filiale in Cochin sollte dabei insbesondere dem Export von Kokosöl, Kokosbast, Kaffee, Gewürzen, Fischöl, Baumwolle und Hölzern dienen, während diejenige in Colombo sich vor allem um den Export von Kaffee und von Baumwolle aus Tinnevelly bemühen sollte. Die Tinnevelly-Baumwolle galt als qualitativ beste Sorte Südindiens; sie wurde damals noch über Colombo nach Europa verschifft. Bis 1857 hatte Volkart viele der in Cochin und Colombo gehandelten Produkte im Auftrag von lokalen Kaufleuten über Bombay nach Europa exportiert. Die neuen Filialen sollten es Volkart ermöglichen, die Exporte direkt ab diesen Orten durchzuführen, und sie sollten der Firma auch eine bessere Kontrolle der Produktequalität erlauben.53 Der hohe Gewinn, den Volkart in der Saison 1856/57 erzielte, war die Folge von mehreren sehr erfolgreichen Geschäften, die auf eigene Rechnung durchgeführt wurden – eine Praxis, die von der Firma, wie oben erwähnt, in diesen Anfangsjahren nur
49 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 52. 50 VA, Statistik der Gebrüder Volkart 1851–1914. 51 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 74. Vgl. zu diesem Aufstand Ferguson, Empire, 2003, S. 145–153; Dalrymple, The Last Mughal, 2006, S. 58–84; Herbert, War of no Pity, 2008. 52 Mitte der 1850er Jahre scheint es auch Pläne gegeben zu haben, eine Niederlassung in Batavia (dem heutigen Jakarta) zu eröffnen. Salomon Volkart hatte hierzu erste Vorgespräche mit dem in Batavia tätigen Schweizer Kaufmann Johannes Niederer geführt. Die angedachte Zusammenarbeit kam aber nicht zustande, da Volkart beschloss, sich auf die Entwicklung der Geschäfte in Indien zu konzentrieren: DA, Ca DI 32: Brief von Johannes Niederer, Batavia, an Salomon Volkart, Winterthur, 20. December 1854. 53 VA, Dossier 6: Colombo, 4. Table of Events; Dossier 7: Cochin, 2. Table of Events; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 66.
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selten gewählt wurde.54 Auch wenn dies aus den noch vorhandenen Quellen nicht mehr klar ersichtlich ist, so ist doch wahrscheinlich, dass die Rekordgewinne der Saison 1856/57 auf den Krimkrieg zurückzuführen sind. Während des Krimkrieges nahmen die Exporte aus Bombay nach Europa zu und die Preise von verschiedenen Rohstoffen stiegen stark an. Überhaupt profitierte Volkart davon, dass die Jahre nach der Firmengründung für die Aufnahme von Exportgeschäften aus Bombay überaus günstig waren. Nach 1851 waren die Baumwollexporte aus Bombay markant angestiegen. Während 1851 noch 84’163 Ballen Baumwolle aus Bombay exportiert wurden, waren es zehn Jahre später bereits 770’914 Ballen. Durch diesen Exportboom konnten sich zahlreiche mittlere und kleine Firmen in Bombay etablieren.55 Wie volatil der Rohstoffhandel war, zeigt sich daran, dass im August 1857 eine weltweite Wirtschaftsdepression einsetzte. Diese Krise, die als erste weltweite Wirtschaftskrise gilt, wurde durch fehlgeschlagene Spekulationen im Handel mit US-amerikanischen Eisenbahnaktien ausgelöst und stürzte in den USA 5000 Unternehmen in den Ruin. Verschärft wurde die Krise dadurch, dass nach dem Ende des Krimkrieges wieder russischer Weizen in Europa erhältlich war. Aufgrund des dadurch ausgelösten Falls der Getreidepreise weigerten sich zahlreiche Bauern im amerikanischen Nordwesten ihren Weizen zu verkaufen; sie konnten in der Folge den bereits angeschlagenen Banken ihre Schulden nicht mehr zurückzahlen.56 Im Oktober 1857 schwappte die Krise auf Europa über, nachdem die Preise für europäische Exportwaren, die in die USA geliefert wurden, dramatisch eingebrochen und zahlreiche Banken, die die Exporte finanziert hatten, zahlungsunfähig geworden waren. Im Dezember erreichte die Krise Südamerika und Asien. Es kam zu Kreditschwierigkeiten und Bargeldmangel und die Preise für Rohstoffe sanken in den Erzeugerländern um bis zu fünfzig Prozent.57 „Die Krisis“, kommentierte der Frankfurter „Aktionär“ am 18. Oktober 1857, „ist eine Weltfrage geworden. Der Welthandel wird von den Wechselwirkungen regiert; wenn die Elemente ihrer Ausgleichung fehlen, dann tritt eine Stockung ein, die sich von Land zu Land, von Weltteil zu Weltteil verpflanzt und den ganzen Organismus des Verkehrs erfasst. In dieser Situation befinden wir uns jetzt.“58 Ende 1857 war die Zahlungsfähigkeit der amerikanischen Banken wieder hergestellt, die Krise ebbte ab. Doch wie gravierend sie für die Beteiligten gewesen sein muss, lässt sich aus einer Erinnerungsschrift des späteren Volkart-Teilhabers August F. Ammann ersehen: „It came down on the commercial and banking world with the suddenness and fury 54 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 64. 55 Dholakia, Futures Trading, 1949, S. 9; Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979; Royce, The Crimean War, 2001. 56 Huston, The Panic of 1857, 1987; Calomiris/Schweikart, The Panic of 1857, 1991. 57 Hein, Die Mutter aller Krisen, 2007. 58 Zit. nach Hein, Die Mutter aller Krisen, 2007. Vgl. auch Ahrens, Krisenmanagement 1857, 1986.
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of a devastating hurricane and well do I remember Mr. Volkart and my father, who too had passed through it, exchanging their recollections of those dark days, when the heads of even large London houses would frankly ask each other whether they expected to be still on their legs the next day.“59 Die Firma Volkart scheint von dieser Wirtschaftskrise jedoch nur am Rande betroffen gewesen zu sein, denn sie machte auch in den späten 1850er Jahren stets solide Gewinne.60 Durch das stete Anwachsen des Geschäftsvolumens stieg auch der Bedarf an Schiffsraum. Direkte Verbindungen zwischen dem europäischen Kontinent und Indien existierten damals noch nicht. Der Warentransport nach Kontinentaleuropa lief einzig und allein über gecharterte Schiffe. Das Chartern eines Schiffes lohnte sich aber nur, wenn ein Handelshaus sehr große Umsätze erzielte, und war dementsprechend relativ riskant. Bis in die späten 1860er Jahre wurde der überwiegende Teil der indischen Rohstoffe via England nach dem europäischen Kontinent transportiert. Auch die Lieferung von kontinentaleuropäischen Konsumgütern ging über England. Die Zusatzkosten für den Transport zwischen England und dem europäischen Kontinent wurden mehr als wettgemacht durch die Tatsache, dass Transporte von und nach englischen Häfen wesentlich billiger, einfacher und schneller waren als nach Kontinentaleuropa.61 Als die Umsätze zu steigen begannen, beteiligte sich Volkart 1853 mit verschiedenen anderen Winterthurer Unternehmern am Kauf eines eigenen Schiffs, der „Präsident Furrer“ (so getauft nach Jonas Furrer, einem Winterthurer Politiker und dem ersten Bundespräsidenten des 1848 gegründeten schweizerischen Bundesstaates).62 Auch verschiedene andere kontinentaleuropäische Unternehmen erwarben in diesen Jahren eigene Schiffe, um direkte Transporte zwischen Indien und kontinentaleuropäischen Häfen ohne den Umweg über London durchführen zu können.63 Zwei weitere Schiffe, die „Winterthur“ und die „Ida Ziegler“, wurden dabei mit Kapitalbeteiligung von Winterthurer Kaufleuten erworben. Es ist unklar, ob auch Volkart Beteiligungen an diesen beiden Schiffen hielt. Zumindest erscheint es aber gut möglich, dass Salomon Volkart einige ihm bekannte Unternehmer aus Winterthur davon überzeugte, ins Schifffahrtsgeschäft zu investieren. 1857 wurden alle drei Schiffe wieder verkauft. Ob dies eine Folge der damaligen Wirtschaftskrise war oder ob es zwischen den beteiligten Unternehmern zu Unstimmigkeiten kam, ist unklar. Auf jeden Fall beteiligten sich weder Volkart noch andere Winterthurer Un59 60 61 62 63
Ammann, Reminiscences, 1921, S. 6. VA, Statistik der Gebrüder Volkart 1851–1914. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 47. Ammann, Reminiscences, 1921, S. 11. Die Glarner Firma P. Blumer & Jenny & Co. erwarb 1853 zwei Schoner und kaufte später noch fünf oder sechs weitere Segelschiffe, die unter anderem auch Indien anliefen. Die in Kalkutta ansässige deutsche Handelsfirma Wattenbach, Heilgers & Co., die ehemalige Arbeitgeberin von Johann Georg Volkart, erwarb 1854 und 1856 zwei Segelschiffe für den Warenverkehr mit Europa: Anderegg, Chronicle, 1976, S. 61.
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ternehmer in der Folge am Kauf und Betrieb von eigenen Schiffen.64 Dies war jedoch für das Handelsgeschäft von Volkart auch gar nicht nötig. Da Volkart mit inzwischen drei Filialen in Indien und Ceylon große Umsätze tätigte, konnte das Handelshaus ab den späten 1850er Jahren Schiffe chartern, die nur noch ihre eigenen Waren transportierten. Die Charterverträge wurden meist in Europa abgeschlossen, es war aber auch möglich, kurzfristig Schiffe in Indien oder Ceylon für den Transport nach Europa zu chartern. Das Chartern von Schiffen war bis in die 1880er Jahre üblich, als sich für den Verkehr zwischen Indien und Europa leistungsfähige Dampferlinien etablieren konnten.65 Es konnte sehr lukrativ und weit günstiger als das Buchen von Frachtraum in einem unabhängig segelnden Schiff sein, wenn es einem Handelshaus gelang, den gesamten Laderaum mit eigenen Gütern zu füllen und wenn das Schiff nach dem Eintreffen speditiv beladen werden konnte. Es konnte aber auch ein äußerst mühseliges und teueres Unterfangen sein, wenn die Schiffe zu früh oder die zu transportierenden Waren zu spät im Hafen eintrafen oder wenn es einem Handelshaus wie Volkart nicht gelang, das ganze Schiff mit eigenen Waren zu beladen. Dann musste das Schiff entweder die Rückreise teilweise leer antreten, oder das Handelshaus musste den Laderaum an andere Kaufleute verkaufen, wobei die Frachtraten dann oft so weit gesenkt werden mussten, dass nicht einmal mehr die Unkosten gedeckt waren. Auf jeden Fall erlitt das betreffende Handelshaus in solchen Fällen einen empfindlichen Verlust.66 Durch die Steigerung der Umsätze und die Eröffnung der neuen Filialen in Cochin und Colombo stieg auch die Zahl der Angestellten. Bei ihrer Gründung im Jahr 1851 hatte die Firma bloß aus fünf Mitarbeitern bestanden. Im kleinen Büro in der Winterthurer Altstadt hatte sich Salomon Volkart zusammen mit seiner Frau Emma um den Vertrieb der eingeführten Rohstoffe in Europa und um die Bestellungen von europäischen Produkten für den Export nach Indien gekümmert. In Bombay sorgte Johann Georg Volkart zusammen mit seinem ersten Angestellten J. C. Johnston für den Vertrieb der europäischen Waren im Bazar und holte Aufträge für den Export von indischen Rohstoffen nach Europa ein. Das Büro in Bombay lag in der Marine Street, im Zentrum des Geschäftsviertels von Fort Bombay.67 Noch im Gründungsjahr trat ein erster Inder in die Dienste der Firma. Der Parse Cowasjee Jehangir Jussawala wurde Leiter des Insurance Departments und kümmerte sich vorerst vor allem um die Vertretung des Hamburger Versicherungsunternehmens Agrippina. Dabei erhielt Volkart für jede vermittelte Police eine Provision von 3% der Prämien. Die Agrippina versicherte anfänglich auch sämtliche Rohstoffexporte von Volkart gegen
64 65 66 67
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 58–64. Ziegler, Der Import ostindischer Baumwolle, 1922, S. 16. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 69f. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 38f.
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Transportschäden.68 Bis Ende der 1850er Jahre hatte sich Volkart zu einem mittelgroßen Handelshaus mit einer steigenden Zahl von Angestellten entwickelt. 1859/60 waren in Indien – neben Johann Georg Volkart – neun Europäer für die Firma tätig: vier in Bombay, zwei in Cochin und drei in Colombo.69 In Winterthur begann Salomon Volkart ab 1857 damit, Angestellte und Lehrlinge einzustellen, da er und seine Frau die Arbeit nicht mehr alleine bewältigen konnten.70 Neben den verschiedenen europäischen Angestellten arbeiteten schon bald zahlreiche Inder in den unterschiedlichsten Funktionen für die Firma. Wie viele es waren, lässt sich jedoch aufgrund der Quellenlage für diese frühe Phase des Unternehmens nicht mehr bestimmen.
Kooperation mit indischen Kaufleuten Aufgrund der großen Distanzen verstrichen zwischen der Versendung der Waren und dem Moment, wo der Verkäufer das Geld in Empfang nehmen konnte, oft mehrere Monate. Die Frage der Kreditgewährung war deshalb für den Überseehandel zentral. Bis Ende der 1860er Jahre war denn auch bei Exporten von indischen Rohstoffen neben dem Auftraggeber und der exportierenden Handelsfirma stets eine dritte Partei involviert, welche die Kredite zur Verfügung stellte. Wenn die Waren von Kunden aus Europa bestellt worden waren, mussten diese der Handelsfirma einen Vorschuss bezahlen, der zwischen 50 und 75% des Warenwertes betrug. Außerdem mussten sie die Zahlungsgarantie einer europäischen Bank vorlegen.71 Diese Zahlungsgarantie sollte sicherstellen, dass die Handelsfirma die Differenz zwischen Vorschuss und tatsächlichem Preis der Ware ausbezahlt erhielt, sobald sie die Lieferung am Bestimmungsort ablieferte. Vor Einrichtung der Telegraphie war im Moment des Vertragsabschlusses der tatsächliche Preis der Waren noch nicht bekannt. Die europäischen Kunden bestellten für einen bestimmten Betrag Rohstoffe wie Baumwolle, Kokosfasern, Kaffee, Gewürze oder Öle, ohne genau zu wissen, wie hoch der Tagespreis der betreffenden Ware beim Kauf in Indien sein würde. Die Handelsfirma versprach lediglich, die Waren gegen eine fünfprozentige Kommission zum bestmöglichen Preis zu beschaffen. Was die Qualitätsgarantie der Waren betraf, so war diese, in den Worten des damaligen Volkart-Mitarbeiters August F. Ammann „as simple as it was harmless“. Die Handelsfirma verpflichtete sich lediglich zur Lieferung von Waren, die der durch-
68 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2; Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff II: Indianisation in P. & C. 69 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 71. 70 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1. Table of Events. 71 Vgl. für diese Angaben Gebrüder Volkart, Calculationstabellen, 1873, S. 13, 43 und 81.
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schnittlichen Qualität der betreffenden Saision entsprachen – „fair average quality of the season“.72 Wenn die Handelsfirma die Waren im Auftrag eines in Indien ansässigen Kaufmannes auf Kommissionsbasis exportierte, so erhielt dieser bis in die 1870er Jahre in der Regel einen Vorschuss auf den zu erwartenden Verkaufspreis. Im Exporthandel aus Bombay konnten diese Vorschüsse, wie bereits erwähnt, bis zu 80% des Warenwertes umfassen. Nur wenn eine Handelsfirma bereit war, solche Vorschüsse zu bezahlen, konnte sie hoffen, den Exportauftrag zu erhalten. Aus diesem Grund war mindestens bis Ende der 1860er Jahre stets ein beträchtlicher Teil des Firmenkapitals von Volkart in Vorschüsse investiert.73 Doch häufig waren die Exporteure zu wenig kapitalkräftig, um sämtliche Vorschüsse aus eigenen Mitteln zu bezahlen. Die Exporteure liehen sich deshalb die nötigen Mittel bei einem wohlhabenden indischen Kaufmann, der als Bankier tätig war, einem so genannten shroff.74 Oft waren solche indischen Kreditgeber auch vertraglich an eine Exportfirma gebunden. In diesem Fall wurden sie als Guarantee Broker bezeichnet. Die Guarantee Broker stammten meist entweder aus der Gemeinschaft der Parsen, einer ethnisch streng abgeschlossenen, ursprünglich aus Persien eingewanderten sozialen Gruppe, die vor allem in Bombay ansässig und geschäftlich höchst erfolgreich war, oder sie waren Angehörige von hinduistischen Händlerkasten oder muslimischen Kaufmannsfamilien.75 Auch Volkart verfügte ab Juli 1851 über einen solchen Guarantee Broker. Er hieß Dossabhoy Bomanjee und war ein Parse. Der Guarantee Broker fungierte sowohl als Kreditgeber wie auch als Mittelsmann für die Vermittlung von Exportgeschäften. Er musste sowohl über ein ausreichend großes Vermögen als auch über ein hohes Ansehen in der lokalen Geschäftswelt verfügen. Als Sicherheit hatte er eine hohe Garantiesumme bei der jeweiligen europäischen Handelsfirma zu hinterlegen.76 Sobald die Exportfirma die Waren in Europa verkauft hatte, musste sie dem shroff oder dem Guarantee Broker die Vorschüsse zurückzahlen. Auch beim Importhandel griffen europäische Handelsfirmen auf einheimische Guarantee Broker zurück. Gegen eine Kommission von 1,5% garantierten diese die Bezahlung der europäischen Konsumgüter, die über die europäischen Handelsfirmen an die Kaufleute im Bazar geliefert worden waren, und sie organisierten die Bestellungen für künftige Lieferungen.77 Die Bedeutung, die indische Kaufleute in ihrer Funktion als Guarantee Broker und shroffs für die Kreditgewährung hatten, zeigt, 72 73 74 75
Ammann, Reminiscences, 1921, S. 9f. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 51f. Vicziany, Bombay Merchants and Structural Changes, 1979, S. 175–178. Jones, International Business, 1987, S. 81; Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983, S. 31, 163 und 178–180. 76 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 55f. 77 Ray, The Bazaar, 1988, S. 283.
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dass die ökonomische Expansion von europäischen Kaufleuten in Asien undenkbar gewesen wäre, wenn sie sich nicht der leistungsfähigen asiatischen Handels- und Kreditnetzwerke hätten bedienen können. Da sie nur über ein rudimentäres Wissen in Bezug auf die Ehrlichkeit und die Kreditwürdigkeit der lokalen Geschäftspartner verfügten, waren die europäischen Handelsfirmen auf Kooperationen mit indigenen Kaufleuten angewiesen, die Kredite bereitstellen, Wechsel einlösen, den Absatz von importierten Konsumgütern sicherstellen oder die Lieferung von Rohstoffen für den Export garantieren konnten. Nur wenn es den europäischen Kaufleuten gelang, geschäftliche Beziehungen mit indischen Handelshäusern aufzunehmen und aufrechtzuerhalten, konnten sie auf dem Subkontinent wirtschaftlich erfolgreich sein.78 Einzelne Handelshäuser, wie etwa die Vorläuferfirma der britischen Firma Wallace Bros., welche sich ab den 1860er Jahren zu einem der bedeutendsten Baumwollexporteure in Bombay entwickelte, wurden gar gemeinsam von britischen und indischen Kaufleuten gegründet.79 Generell waren die indischen Kaufmannsunternehmen bis Mitte des 19. Jahrhunderts oft nicht nur kapitalstärker, sondern sie galten häufig auch als zuverlässiger als ihre europäischen Pendants.80 Die Wertschätzung der Europäer für ihre indischen Geschäftspartner war auch noch Ende des 19. Jahrhunderts spürbar. August F. Ammann etwa beschreibt die indischen Händler, mit denen Volkart in den 1870er Jahren in Karachi zu tun hatte, als „a class of men who would be an ornament to any commercial community in and out of India. They were honest, straightforward and reliable in their dealings with others and cautious, nay conservative, as regards their own affairs“. Die europäischen Kaufleute mussten um eine äußerst differenzierte Wahrnehmung der indischen Kaufmannschaft bemüht sein. Dies war für ihr geschäftliches Überleben essentiell. Ammann kontrastiert seine Wertschätzung für die Kaufleute in Karachi denn auch mit der Bemerkung, dass er die Kaufleute in Tellicherry stets im Verdacht gehabt habe, dass sie ihn übervorteilen wollten.81 Die indischen Kaufleute hatten auch eine wichtige Funktion als Mittelsleute für den Verkauf von importierten Waren und den Einkauf von indischen Rohstoffen. Größere europäische Handelshäuser benutzten mehrere Einkaufs- und Verkaufsbroker in ihren verschiedenen Niederlassungen auf dem Subkontinent. Diese Broker blieben auch nach den 1860er Jahren wichtig, zu einem Zeitpunkt also, als europäische Handelsfirmen wie Volkart dazu übergingen, die Handelsgeschäfte nicht mehr durch Guarantee Broker, sondern durch europäische Banken zu finanzieren. Die Broker übten beim Exporthandel aus Indien eine Vermittlerposition zwischen den einheimischen Rohstoffhändlern und den europäischen Handelsfirmen aus. Der 78 Ray, Asian Capital, 1995; Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983. 79 Pointon, The Bombay Burman Trading Corporation, 1964, S. 5; Pointon, The Wallace Bothers 1974, S. 1–4. 80 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 57. 81 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 59.
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Broker arrangierte etwa mit den indischen Baumwollverkäufern Preis und Lieferbedingungen; anschließend ging der europäische Kaufmann ins Lager des Verkäufers und wählte von der dort gelagerten Baumwolle diejenigen Ballen aus, die dem gekauften Standard entsprachen, und markierte sie mit seinem Stempel; diejenigen Ballen, deren Qualität unter den Abmachungen lag, wies er zurück.82 Aufgrund ihrer wichtigen Position als Mittelsleute mussten die Broker absolut vertrauenswürdig sein. August F. Ammann beschreibt in seinen Erinnerungen an seinen Aufenthalt in Indien Mitte der 1870er Jahre den Head-Broker der 1861 in Karachi gegründeten Niederlassung von Volkart, Naomull Panjanmull, als „honest man, wideawake and cautious“. Naomull war ein Hindu aus der Händlerkaste der Lohanas und fungierte gleichzeitig als Broker der lokalen Zweigstelle der Bank of Bombay. Dies gab der Firma Volkart einen wertvollen Einblick in die finanzielle Situation der einheimischen Kaufleute, da jeder Wechsel, den die Bank am Bazar einlöste, durch die Hände des Brokers ging. Ammann meinte denn auch lakonisch: „This knowledge was of great value to the firm“. Neben dem Head-Broker arbeitete bei Volkart Karachi noch ein Einkaufs-Broker für Volkart. Er erhielt einen kleinen Lohn und eine Beteiligung auf allen Einkäufen, die er vermitteln konnte. Seine Aufgabe bestand darin, regelmäßig auf den Bazar zu gehen und die lokalen Baumwollhändler aufzusuchen, wobei ihm die Manager von Volkart zuvor mitgeteilt hatten, wie viel Baumwolle welcher Qualität zu welchem Preis die Firma benötigte. Falls er sich mit den Bazarhändlern nicht einigen konnte, brachte er einen oder zwei der tonangebenden Kaufleute ins Büro von Volkart, wo sie mit dem Broker, dem Head-Broker und dem Maccadam von Volkart verhandelten. Der Maccadam oder Head-Man war ein angesehener indischer Kaufmann, der an allen Verhandlungen zwischen Volkart und den einheimischen Händlern teilnahm. Am Ende der Unterredung wurde eine spezielle Handlung vollzogen. Der Broker und die Bazarhändler griffen sich unter dem Halstuch des Brokers gegenseitig an die Hände und tauschten „mysterious signs“ aus, wie Ammann es formulierte. Mit diesem Händegreifen wurde der Kontrakt abgeschlossen. Dann ging der Broker erneut auf den Bazar, wo die anderen Händler dem Beschluss ihrer Kollegen folgten und zu den abgemachten Konditionen die Verkaufsverträge mit Volkart abschlossen.83 Ammanns Bericht kann als Hinweis darauf gelesen werden, dass Märkte nicht nur ökonomische Gebilde sind, sondern auch soziale Strukturen, in welche die geschäftlichen Transaktionen eingebettet werden müssen.84 Diese Einbettung konnte unter anderem mit Hilfe von kulturellen Codes geschehen, wie hier mit den „geheimnisvollen“ Handzeichen, die unter dem Halstuch des Brokers ausgetauscht wurden. Die exakte Bedeutung dieser Handlung konnte von den Europäern nicht erschlossen wer82 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2. 83 Ammann, Reminiscences, S. 58–60. 84 Granovetter, Economic Action and Social Structure, 1985.
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den, wie sich aus Ammanns Erzählung herauslesen lässt. Die Kooperation zwischen der Handelsfirma und den Brokern gründete somit zu einem gut Teil auf gegenseitigem Vertrauen. Dieses Vertrauen rührte nicht zuletzt daher, dass die Broker über genau diejenigen Eigenschaften verfügten, die auch in Europa als Merkmale eines zuverlässigen Kaufmanns galten.85 In einem Artikel, der 1922 in den „V.B. News“, der Mitarbeiterzeitschrift von Volkart, abgedruckt war, wurden die Merkmale eines fähigen Brokers folgendermaßen beschrieben: „If a good financial standing … is a main factor, ability and qualities of character are no less important. Indeed, the success of the broker’s work depends to a great extent on a shrewd business sense, a wide experience in the trade, good knowledge of the articles and the market conditions and last, but not least, sound judgement of character and ability to deal with all sorts and conditions of people. These qualifications coupled with absolute integrity secure him the confidence and esteem of the dealers and his principals alike.“86 Das Vertrauen, das die Europäer gegenüber ihren shroffs und Brokern zeigten, war jedoch keineswegs bedingungslos. Volkart erkundigte sich etwa regelmäßig bei lokalen Bankinstituten nach der finanziellen Lage und den Geschäftspraktiken ihrer indischen Mittelsleute.87 Neben derartigen Informationen spielten auch die rechtlichen Institutionen, die die Briten in Indien einführten, eine wichtige Rolle, wie im nachfolgenden Abschnitt noch genauer erläutert werden soll. Die neu eingeführten Handelsgesetze boten den Europäern immerhin eine gewisse Handhabe, wenn ein Zulieferer seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkam. In theoretischer Hinsicht stellt die Kategorie des Vertrauens somit weniger einen Erklärungsansatz dar, um die Stabilität von geschäftlichen Beziehungen zu erklären. Vertrauen ist vielmehr ein explanandum, welches sich aus der Bewertung von verfügbaren Informationen und aus der Existenz von Sanktionsmöglichkeiten ergibt – ein Umstand, auf den insbesondere Timothy Guinnane hingewiesen hat.88
Britisches Recht und geschäftliche Risiken Seit Mitte des 18. Jahrhunderts hatten die Briten versucht, das britische Handelsrecht in Indien durchzusetzen. Wie die ersten Statuten der East India Company in den Presidency Towns besagten, sollten bei geschäftlichen Streitigkeiten, bei denen Hindus 85 Auch Chris Bayly ist der Ansicht, dass die Ähnlichkeit der Geschäftspraktiken und Ehrkonzepte bei europäischen und indischen Kaufleuten, die seit den Tagen der East India Company bestand, eine Voraussetzung dafür war, dass die Europäer den Subkontinent ökonomisch erschließen konnten: Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983, S. 6, 229 und 239–40. 86 V.B. News, No. 4, March 1922, S. 17. 87 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 3 Inland Financing – Shroffage Agreements: Karachi an Winterthur, 17. September 1931. 88 Guinnane, Trust, 2005.
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oder Muslime involviert waren, deren jeweilige Gesetze berücksichtigt werden. Das britische Handelsrecht sollte nur dann zur Anwendung kommen, wenn alle beteiligten Parteien damit einverstanden waren.89 Diese Regelung, die im Prinzip zu etlichen Verwirrungen hätte führen können, bewährte sich in der Alltagspraxis erstaunlich gut. Von Beginn weg benutzten die indischen Kaufleute die britischen Gerichte, da diese als effizient und fair angesehen wurden. Darüber hinaus gab es zwischen dem britischen Handelsrecht und den auf dem Subkontinent üblichen Geschäftspraktiken offenbar keine größeren Differenzen. Sir Lawrence Peel, der Chief Justice of Bengal bemerkte jedenfalls 1845: „I may observe … that the English law as to contracts ... is so much in harmony with the Mahomedan and Hindoo laws as to Contracts that it very rarely happens in our courts … that any question arises on the law peculiar to those people in actions on contracts.“ Deshalb beschlossen die Briten in einem neuen Handelsgesetz von 1855, die Sondervorschriften für bestimmte ethnische Gruppen wegzulassen.90 Die Erinnerungen Ammanns belegen denn auch nicht nur, dass die Mitarbeiter von Volkart perfekt in die Kultur der britischen Kolonialherren mit Clubs, Parties und Tigerjagden integriert waren, sondern auch, dass das britische Rechtssystem den Europäern eine Handhabe bot, wenn ein Geschäftspartner seinen vertraglichen Verpflichtungen nicht nachkam.91 Dies wird deutlich aus einem Vorfall, der sich Mitte der 1870er Jahre in der Filiale in Cochin ereignete und der letzten Endes der Grund war, weshalb Ammann nach Indien geschickt worden war. Obwohl es aufgrund der noch vorhandenen Quellen schwierig ist, spezifische Aussagen zu machen, scheint es doch so, als ob es Volkart Ende der 1860er Jahre gelungen wäre, zumindest in Bombay und Karachi Einkäufe von indischen Rohstoffen durchführen zu können, ohne dafür Vorschüsse zahlen zu müssen.92 In Cochin und Colombo dagegen waren Exportgeschäfte auch weiterhin nur möglich, wenn eine Handelsfirma bereit war, Vorschüsse in der Höhe von zwischen 50 und 75% des erwarteten Verkaufspreises zu bezahlen. Diese Vorschüsse mussten von den europäischen Bestellern an die Handelsfirma überwiesen werden, bevor diese sich um den Kauf der Waren bemühte. In einem Büchlein von 1873 informierte Volkart die europäischen Kunden darüber, dass die Firma bei Bestellungen, die über die Filiale in Cochin abgewickelt wurden, nur für die bezahlten Vorschüsse haften würde, nicht aber für die tatsächliche Erfüllung der Kontrakte. Doch die Firma beruhigte ihre Kunden mit der Feststellung, dass sie ihre „Lieferungs-Contracte … nur bei anerkannt soliden und respectablen Händlern
89 Remfry, Commercial Law, 1912, S. 3f. 90 Rankin, Background to Indian Law, 1946, S. 90. Vgl. für die Übernahme des britischen Rechts durch indische Kaufleute Smith, Fortune and Failure, 1993. 91 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 22. 92 Gebrüder Volkart, Calculationstabellen, 1873, S. 13 und 31ff.
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eingehen“ würden, weshalb eine „Nichtlieferung der gekauften Waaren noch nie vorgekommen“ sei.93 Diese Einkaufspraxis funktionierte mehrere Jahre lang ausgezeichnet. Volkart konnte über die Filiale in Cochin umfangreiche Exportgeschäfte abwickeln. Im Jahr 1873 wurden jedoch die Gefahren dieses System offensichtlich, welches von Ammann als „the rotten system of granting the contractors cash advance on signing contracts for the future delivery of merchandise“ bezeichnet wurde.94 Volkart war nämlich gezwungen, alle Einkäufe in Cochin über einen einzigen Lieferanten zu machen. Polikalagata Marakar, oder Markar wie er allgemein genannt wurde, war ein Moplah95 und offensichtlich der einzige Kaufmann vor Ort, der die großen Warenvolumen liefern konnte, welche die Firma Volkart benötigte, um die von ihr gecharterten Schiffe schnellstmöglich zu beladen, wenn diese in Cochin vor Anker gingen. Die Filiale in Cochin musste Markar Vorschüsse in bar bezahlen, damit dieser die Warenkäufe bei den lokalen Kaufleuten vornehmen konnte. Offenbar war Markar nicht vermögend genug, um diese Käufe mit seinem eigenen Kapital vorzunehmen und es scheint, dass es in Cochin auch keine anderen vermögenden Kaufleute gab, die als shroff fungieren und Markar Kredite hätten geben können. In der Saison 1872/73 fiel auf jeden Fall urplötzlich der Kaffeepreis in den lokalen Märkten. Der Grund hierfür lag wohl in der Wirtschaftskrise, die 1873 in den USA ihren Anfang nahm und sich bald nach Europa, Indien und Fernost ausbreitete.96 Markar, der entweder auf einen Preisanstieg spekuliert hatte oder von einem Zulieferer im Stich gelassen wurde, erklärte daraufhin, dass er die Ware, die er gemäß Vertrag Volkart schuldete, erst liefern könne, wenn er einen erneuten Vorschuss erhielt. A. Spitteler, der Leiter der Volkart-Niederlassung in Cochin, zahlte ihm daraufhin einen erneuten Vorschuss aus, ohne jedoch die Bewilligung des Hauptsitzes in Winterthur einzuholen (Indien war seit 1865 telegraphisch mit Europa verbunden).97 Salomon Volkart, der schon seit langem gegen die Bezahlung von Vorschüssen war und wiederholt seine Skepsis dagegen geäußert hatte, sämtliche Einkäufe über einen einzigen Lieferanten zu machen, war darüber sehr erzürnt.98 Dies, obwohl die Bezahlung eines erneuten Vorschusses die einzige Möglichkeit war, damit die Firma ihren Verpflichtungen gegenüber ihren europäischen Kunden nachkommen konnte – die von Volkart gecharterten Schiffe, die die Waren nach Europa liefern sollten, sollten schon kurze Zeit später eintreffen.99 93 Gebrüder Volkart, Calculationstabellen, 1873, S. 44. 94 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 19. 95 Die Moplahs sind die älteste bekannte Gemeinschaft von indischen Muslimen. Diese existiert seit dem 8. Jahrhundert, als sie durch arabische Kaufleute zum Islam bekehrt wurde. 96 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 119; Wehler, Bismarck, 1984, S. 43ff. 97 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 19f. 98 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: Salomon Volkart an Noelke, Winterhur, 15.10.69. 99 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 20.
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Es ist bemerkenswert, dass Spitteler derart darauf bedacht war, die europäischen Kunden der Firma nicht im Regen stehen zu lassen. Doch der globale Rohstoffhandel war – und ist bis heute – ein äußerst volatiles Geschäftsfeld. Zuverlässigkeit war deshalb für eine Firma wie Volkart eine Grundvoraussetzung, um geschäftlich erfolgreich zu sein. Die Firma war deshalb bedacht darauf, das Vertrauen ihrer Kunden nicht aufs Spiel zu setzen, denn gerade in Kontinentaleuropa waren viele Produzenten äußerst skeptisch in Bezug auf die Risiken des indischen Rohstoffgeschäftes. Dies war auch der Grund, dass das Handelshaus während mehreren Jahren zögerte, die Kunden ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass die Firma Volkart nur für die Vorschüsse gerade stehen würde, falls es ihr nicht gelänge, die vereinbarten Waren zu besorgen. Allfällige Verluste, die sich für die Kunden aus der Nichterfüllung der Verträge ergeben könnten, mussten jedoch von diesen selber getragen werden: „Wenn wir uns auch bewusst sind, dass wir nicht verantwortlich gemacht werden koennen, wenn ein Contract mal nicht erfuellt wird, so getrauen wir uns doch nicht, dieses bei Aufnahme von Auftraegen jedes Mal den Leuten unter die Nase zu reiben, denn geschaehe letzteres, so sind wir auch gewiss, dass die Besteller uns sagen wuerden, wozu sollen wir Auftraege erteilen, wenn wir nicht einmal die Gewissheit haben, dass sie erfuellt werden“, hatte Salomon Volkart 1869 in einem Brief an Spitteler festgehalten. In Großbritannien scheint diese Tatsache für weniger Probleme gesorgt zu haben, da sich dort offenbar alle Beteiligten der rechtlichen Verhältnisse im Indienhandel bewusst waren. Wenn die Firma somit Geschäfte auf dem europäischen Kontinent abschließen wolle, folgerte Volkart, so bedinge dies, „dass man desto mehr an der Erfuellung der Contracte dahin festhaelt.“100 Mit anderen Worten: Sogar wenn die Rechtslage für sie sprach, musste sich die Handelsfirma alle Mühe geben, ihre kontinentalen Kunden nicht im Stich zu lassen, um deren Vertrauen zu erhalten. Somit entsprach der Entscheid Spittelers, Markar einen erneuten Vorschuss für den Warenkauf zu geben, durchaus der Politik der Firma. Dennoch wurde Spitteler aufgrund der hohen Verluste, die die Firma erlitten hatte, entlassen. Nach seiner Rückkehr nach Europa verklagte er Volkart, obwohl er zuvor mit dem Unternehmen eine Einigung erzielt hatte. Volkart bezahlte ihm daraufhin eine hohe Entschädigung, um einen Prozess und die damit verbundene unliebsame Publicity zu vermeiden.101 1877 kam der Markar-Fall vor Gericht. Markar wurde vom District Court of South Malabar dazu verurteilt, Volkart eine Entschädigung in der Höhe von 392’990 Rupien zu bezahlen. Nachdem dieses Urteil ein Jahr später vom Madras High Court bestätigt worden war, zog Markar das Verfahren an das Privy Council in London weiter, welches ab 1833 als Berufungsinstanz für Rechtsstreitigkeiten in den britischen
100 VA, Dossier 1: B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: Sal. Volkart an Spitteler, acting BM Cochin, 22.7.1869. 101 VA, Dossier 7: Cochin, 4. The Marcar case 1870’s.
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Kolonien diente.102 Doch auch dieser Einspruch wurde im Dezember 1880 abgewiesen. Da Markar bankrott war, ging sein Grundbesitz als Kompensation an Volkart. Weil verschiedene der Grundstücke in vernachlässigtem Zustand oder mit einer Hypothek belastet und zum Teil bereits verkauft worden waren, reichten die Erlöse aus ihrem Verkauf nicht, um den Schaden zu decken, weshalb Volkart einen großen Verlust erlitt.103 Dieses Beispiel macht deutlich, weshalb Handelsfirmen nur bedingt auf formale Institutionen wie etwa rechtliche Normen bauen konnten. Deren Durchsetzung war oft mühselig und das Ergebnis der juristischen Verfahren äußerst unsicher. Handelsfirmen mussten deshalb ihre Transaktionen zu einem Gutteil auf informale Institutionen wie den guten Namen von Zulieferern und Kunden gründen; formale Institutionen spielten aber als letzte Zuflucht im Falle von Differenzen dennoch eine wichtige Rolle. Die Geschäfte von Volkart in Cochin kamen nach dem Bruch mit Markar vorübergehend zum Stillstand. 1875 besuchte Georg G. Volkart, der Sohn von Salomon Volkart, die Malabarküste: „He very soon grasped the situation and decided, as a first step, on doing what should have been done long before“, heißt es bei August F. Ammann, „i.e., to visit the Coast-ports and on seeing himself what the conditions and business possibilities were in what had been up to then terra incognita to the firm’s representatives at Cochin.“104 Diese Erkundungsreise, bei der Georg G. Volkart von Ammann begleitet wurde, war eine Offenbarung für die beiden Schweizer Kaufleute. Ammann beschreibt ihre Ankunft in Tellicherry, einer Küstenstadt im Norden Cochins folgendermaßen: „The whole place was full of coffee and pepper, with crowds of Natives of both sexes sorting, garbling and packing the goods and a gang of coolies carrying the bags across the beach to the cargo-boats.“ In der Folge entschied Georg G. Volkart, eine weitere Filiale in Tellicherry zu gründen, deren erster Leiter Ammann wurde, sowie Einkaufsagenturen im Landesinnern und entlang der Küste zu eröffnen.105 Doch auch in der neuen Filiale in Tellicherry waren für die Warenkäufe einheimische Mittelsleute nötig. In 1886 gründete Volkart in Tellicherry eine Fabrik, in der Rohkaffee verarbeitet und für den Transport nach Europa präpariert wurde. Es stellte sich jedoch als äußerst schwierig heraus, ständig genug große Kaffeeankäufe zu tätigen, um die Fabrik gewinnbringend betreiben zu können, weil Volkart sich weigerte, Vorschüsse auf zukünftige Kaffeelieferungen zu zahlen. Da so die Kaffeeverarbeitungsfabrik nicht ausgelastet werden konnte, überlegten sich die Teilhaber von Volkart, sie wieder zu schließen. Der Betrieb wurde erst in dem Moment rentabel, als Volkart die Kaufmannsfamilie der Cootys, die aus der Gemeinschaft der Moplah stammte, als Broker verpflichtete. Die Söhne der Familie arbeiteten während der Kaf102 103 104 105
Hamid, A Chronicle of British Indian Legal History, 1991, S. 139. VA, Dossier 7: Cochin, 4. The Marcar case 1870’s. Ammann, Reminiscences, 1921, S. 31. Ammann, Reminiscences, 1921, S. 31–34.
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feesaison als Einkaufsagenten im Landesinnern und schafften es, Volkart stets mit einem genügend großen Volumen an Kaffee und an anderen Waren zu beliefern. Diese Kooperation war für beide Seiten so zufrieden stellend, dass sie bis in die 1960er Jahre weiter geführt wurde.106 Die Gründung der Einkaufsagenturen an der Malabarküste war kein isoliertes Ereignis. Wie im nächsten Kapitel gezeigt wird, eröffnete Volkart zur selben Zeit auch an anderen Orten derartige Agenturen für den Einkauf von indischen Rohstoffen, sodass die Einkaufsorganisation der Firma schon bald weite Teile des Subkontinents abdeckte. Diese Rückwärtsintegration veränderte das Exportgeschäft aus Indien substantiell, da es alsbald fast vollständig durch europäische Handelshäuser kontrolliert wurde, während indische Firmen sich auf den Inlandhandel oder bestimmte Handelsnischen beschränken mussten.
106 VA, Dossier 9: Tellicherry, 2. Table of Events; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 146.
2. Von der Küste ins Hinterland: die Entwicklung zum Großunternehmen
In den ersten Jahren unterschied sich die Tätigkeit von Volkart kaum von den Geschäftspraktiken, welche Handelshäuser seit Jahrhunderten im Fernhandel verfolgt hatten. Auf Kommissionsbasis importierten und exportierten sie eine breite Palette von Produkten, ohne sich auf bestimmte Waren festzulegen. Sie konzentrierten sich auf den Handel mit bestimmten Regionen – im Falle von Volkart war dies Indien – jedoch nicht auf die Verschiffung bestimmter Waren. Ab den 1860er Jahren lässt sich in dieser Hinsicht bei Volkart eine deutliche Veränderung feststellen. Obwohl die Firma, die 1861 eine weitere Filiale in Karachi eröffnet hatte, weiterhin sehr aktiv im Import von europäischen Konsumgütern war, verlagerte sich das Schwergewicht der Aktivitäten mehr und mehr auf den Export von indischen Rohstoffen. Ab den 1860ern überstieg der Wert der Exporte nach Europa denjenigen der Importe nach Indien. Wichtigstes Handelsgut war von nun an für mehrere Jahrzehnte indische Rohbaumwolle, wobei Volkart nicht mehr nur den traditionellen europäischen Markt bediente, sondern immer mehr eine geographische Ausweitung der Geschäftstätigkeit betrieb. Ab den späten 1860er Jahren besaß Volkart eine Vertretung in China und in den 1890er Jahre begann die Firma auch mit dem Baumwollexport nach Japan.1 Ende des 19. Jahrhunderts wurde Volkart zu einer der bedeutendsten Baumwollexporteure Indiens. Wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, lag der Grund nicht zuletzt darin, dass Volkart ab Mitte der 1860er damit begonnen hatte, eigene Baumwollpressen zu erwerben und Mitarbeiter ins Landesinnere zu schicken. Diese Rückwärtsintegration ermöglichte es der Firma, sich zu einem Großunternehmen zu entwickeln und immer größere Teile der Warenkette zwischen Indien und Europa unter ihre Kontrolle zu bringen. Das Wachstum der Firma beruhte dabei auf einer ganzen Reihe von technischen Infrastrukturanlagen, die ab den 1860er Jahren den Rohstoffexport aus Indien grundsätzlich veränderten. Die Einrichtung des telegraphischen Verkehrs zwischen Europa und Indien, der Bau von Straßen, Eisenbahn- und Telegraphielinien auf dem Subkontinent und die Eröffnung des Suezkanals führten dazu, dass sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auch im Handelsgeschäft eine ähnliche Entwicklung vollzog, wie sie Alfred Chandler für produzierende Unternehmen beschrieben hat.2
1 2
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 113 und 195. Vgl. für die geschäftliche Expansion von Volkart nach Ostasien Kapitel 10. Chandler, Scale and Scope, 2004 [1990].
Von der Küste ins Hinterland: die Entwicklung zum Großunternehmen
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Auswirkungen des Amerikanischen Bürgerkrieges auf dem Subkontinent Ab Ende der 1850er Jahre machten sich britische Geschäftskreise und die britische Regierung zunehmend Gedanken darüber, wie die Textilindustrie in Lancashire unabhängig von amerikanischen Baumwollimporten gemacht werden könnte. Nachdem in den USA die Spannungen zwischen den Südstaaten, wo die Baumwolle durch Sklavenarbeit produziert wurde, und den Nordstaaten immer mehr zunahmen, sahen sie ihre Baumwolllieferungen bedroht. So meinte ein britischer Offizieller im Jahre 1860 in Bezug auf den Export von Textilwaren aus Lancashire: „But the extension, not to say the sustenance of this trade, is primarily dependant upon the supply of the raw material: upon this, the one hundred millions of our capital, and the livelihood of near four millions of our countrymen is dependent, a matter so serious and of such magnitude, as to make the question one of the state… [T]he only manner in which [it] can be assured, is in the liberal encouragement of the cultivation in our colonies, and in brief to have as many sources of supply, to guard against a local failure.“3 Bereits drei Jahre zuvor war die britische Cotton Supply Association gegründet worden, die den Baumwollanbau in Indien und Ägypten vorantreiben sollte.4 Wie wichtig dies sein konnte, zeigte sich nach Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges. Aufgrund der Seeblockade der Nordstaaten stockten die Lieferungen von US-Baumwolle ab 1861 und die europäischen Spinnereien gerieten in arge Versorgungsschwierigkeiten. Die britische Kolonialregierung und britische Investoren verstärkten in der Folge ihre Anstrengungen, den Baumwollanbau in Indien zu fördern. Sie verschifften in großem Stil Baumwollsaat nach Bombay, um die Anbaufläche zu erweitern, und trieben den Bau von Bewässerungsanlagen, befestigten Straßen und Eisenbahnlinien voran. Daneben vereinheitlichte die Kolonialregierung ab den 1860er Jahren die im indischen Handelsgeschäft verwendeten Gewichts- und Maßeinheiten.5 Durch die Einrichtung einer kolonialen Baumwollökonomie verlor die indische Landwirtschaft definitiv ihren selbstversorgenden Charakter. Pflanzer, die bis dahin vor allem für die Bedürfnisse ihrer Wirtschaftsregion produziert hatten, wurden nun mehr und mehr dazu gedrängt, cash crops für den Weltmarkt anzubauen – der Baumwollanbau stand dabei an erster Stelle.6 3 4 5 6
Mann, The Cotton Trade of India, 1860, S. 3f. Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 52. Harnetty, Imperialism and Free Trade, 1972, S. 36–58; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 160; Beckert, Emancipation and Empire, 2004, S. 1411ff. Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997. Dies geschah im späten 19. Jahrhundert auch in anderen kolonialen Besitztümern, nicht zuletzt in Afrika. Vgl. hierzu: Isaacman, Cotton is the Mother of Poverty, 1996; Engdahl, The Exchange of Cotton, 1999; Beckert, From Tuskegee to Togo, 2005; Robins, ‘The Black Man’s Crop’, 2009.
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Europäische Expansionen
Wie viele andere in Indien etablierte Handelshäuser profitierte auch Volkart vom Ausbruch des Bürgerkrieges. Als zwischen 1861 und 1865 keine amerikanische Baumwolle mehr Europa erreichte, verstärkte sich die Nachfrage nach indischer Baumwolle. Dadurch verdoppelte sich das Volumen der Baumwollexporte, die vor allem von Bombay aus nach Europa gingen.7 Die Preise für indische Baumwolle stiegen während des Krieges bis auf die dreifache Höhe gegenüber der Zeit vor 1861.8 Bei den im Baumwollhandel involvierten Akteuren waren Halbjahresrenditen von 30 bis 40% an der Tagesordnung. Die Firma Volkart, die eine von damals über dreißig Handelsfirmen war, die Baumwolle aus Bombay verschifften, konnte ihre Baumwollexporte aus Bombay von 56’000 Ballen im Jahr 1859/60 auf durchschnittlich 98’000 Ballen während der Zeit des Bürgerkrieges steigern.9 Dadurch gehörte sie von nun an zu den bedeutendsten Exporteuren von indischer Baumwolle nach Europa.10 Die Gewinne der Volkartfiliale in Bombay verdoppelten sich von 64’000 Rupien in der Saison 1861/62 auf über 135’610 Rupien in der Saison 1862/63 und erreichten eine Saison später sogar fast 207’000 Rupien.11 Arthur Crawford Travers, ein englischer Beamter, der damals in Bombay im Polizeidienst tätig war, beschreibt in seinen Lebenserinnerungen die gigantische Spekulationswut, die in Indien während des Amerikanischen Bürgerkrieges herrschte: „How many are alive still to remember those silver times? … [W]hen the majority of citizens at Bombay were just as mad as the Ryots (cultivators) in the cotton districts, with their silver-tired wheels, … when there was a new Bank or a new ‚Financial‘ almost every day … no one ever drank anything but champagne in those days“. Das Ende des Bürgerkrieges brachte die Spekulationsblase innert kürzester Zeit zum Platzen: „[F]ortunes were … lost in a few days; when the fatal telegram came announcing the peace between the North and South American States, … all our houses of cards came tumbling down about our ears… Many a pathetic story could be related of those times, and of the awful crisis afterwards“.12 Im Panikjahr 1866 gingen 24 der 31 Banken in Bombay Konkurs.13 Viele Handelshäuser – darunter insbesondere viele indische Firmen –, die sich während der Boomjahre im Baumwollexport engagiert hatten, wurden durch den plötzlichen Zerfall der Baumwollpreise nach Ende des Bürgerkrieges ruiniert, da viele von ihnen ihr Kapital in Vorschüsse investiert hatten.14
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Beckert, Emancipation and Empire, 2004, S. 1415. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 87. VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2. Vgl. Vizciany, Bombay Merchants and Structural Changes, 1979, S. 167. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 90. Crawford, Reminiscences of an Indian Police Official, 1894, S. 242–244. VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2. Vizciany, Bombay Merchants and Structural Changes, 1979, S. 187f.
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Im Gegensatz zu anderen Firmen hatte Volkart während des Krieges stets äußerst vorsichtig gewirtschaftet und es vermieden, große Vorschüsse zu bezahlen, wenn diese nicht durch die Hinterlegung von Gütern gegen einen Zahlungsausfall gedeckt waren.15 Dies kann als Beleg für die konservative Geschäftskultur der Firma angesehen werden. Sie schrieb deshalb auch nach 1865 stets schwarze Zahlen und es war ihr nach Ende des Bürgerkrieges möglich, in neue Geschäftsfelder vorzustoßen. Volkart Bombay erzielte etwa ausgerechnet in den beiden Saisons 1866/67 und 1867/68, als viele andere Unternehmen in Bombay Konkurs anmelden mussten, Gewinne von jeweils über 270’000 Rupien und damit mehr als die Filiale während des ganzen Bürgerkrieges in einem Geschäftsjahr hatte erwirtschaften können.16 Diese positiven Resultate rührten wohl nicht zuletzt daher, dass viele – indische wie europäische – Konkurrenten im Zuge der Wirtschaftskrise 1866 Konkurs gegangen waren. Sie wurden aber auch dadurch ermöglicht, dass in den 1860er Jahren die für das Handelsgeschäft notwendige Infrastruktur stark ausgebaut wurde. In Bombay wurden Entwässerungsprojekte vorangetrieben, der Finanzdistrikt wurde erneuert und die Hafenanlagen wurden vergrößert.17 Dazu sorgten der Bau der indischen Eisenbahn sowie die Eröffnung von Telegraphielinien sowohl auf dem Subkontinent wie auch zwischen Indien und Europa für eine Dynamisierung des Geschäftes und erlaubten den Handelsfirmen eine Steigerung der Umsätze.
Veränderung des Baumwollexports durch die Einführung der Telegraphie Es ist geradezu bezeichnend, dass die Nachricht vom Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges Indien durch die kurz zuvor eröffnete Telegraphenlinie erreichte. Ab 1865 war Bombay telegraphisch mit Europa verbunden. Dies zwang die Handelsfirmen in Bombay, die im Exportgeschäft tätig waren, zu einer grundsätzlichen Veränderung ihrer Geschäftspraktiken. Vor dem Aufkommen des Telegraphen hätten geradezu „idyllische Zustände“ geherrscht, meinte Jakob Brack-Liechti, der Ende des 19. Jahrhunderts einer der leitenden Angestellten in der Baumwollabteilung von Volkart gewesen war, 1918 in einem Rückblick.18 In den Anfangsjahren lief das Geschäft mit indischen Rohstoffen vergleichsweise gemächlich ab. Die europäischen Fabrikanten bestellten bei den Handelsfirmen für einen bestimmten Betrag in Rupien Baumwolle oder andere Rohstoffe, ohne genau zu wissen, wie hoch in Indien der Tagespreis die15 16 17 18
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 90. VA, Statistik der Gebrüder Volkart 1851–1914. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 88. VA, Weisse Schachtel: Jakob Brack-Liechti, Einige Betrachtungen über den indischen B’wollmarkt aus älterer Zeit, 23.2.1918, S. 3.
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ser Waren im Moment des Kaufs sein würde.19 Die Handelsfirma versprach lediglich, gegen eine fünfprozentige Kommission zum bestmöglichen Preis eine bestimmte Menge dieser Rohstoffe zu beschaffen, welche der Durchschnittsqualität der saisonalen Ernte entsprach. „Diese einfache Garantie schloss in der Regel Qualitätsreclamationen aus“, meinte Brack-Liechti.20 Für Baumwolle lagen zwar an der Liverpooler Baumwollbörse Muster für die einzelnen indischen Baumwollsorten vor, diese waren aber in der Regel einige Jahre alt und deshalb nicht maßgebend für die Durchschnittsqualität der laufenden Saison. Auch andere Marktrisiken wie Schwankungen in den Frachtraten oder in den Wechselkursen trug der Käufer. August F. Ammann, der 1868 als kaufmännischer Angestellter in die Firma eintrat, vermerkte deshalb in seinen 1921 publizierten Lebenserinnerungen, dass die Geschäftspraktiken bis in die 1870er Jahre vergleichsweise einfach waren: „There were no departments in the strict sense of later times, … nor were there any ‚tactics‘, …either to be followed or to be changed, may be, within the hour, in fact the word even was unknown then in connexion with business. … Of course there was always plenty of work to do, but there was no hustling and bustling, except occasionally on mail-days, and a pleasant atmosphere of peace reigned over all.“21 Mit Eröffnung des telegraphischen Verkehrs nahmen diese Zustände ein rasches Ende. Bis 1870 hatte sich die Zeit, die eine Nachricht von Europa bis nach Bombay brauchte, auf gut sechs Stunden verkürzt, während die ersten Telegramme Mitte der 1860er Jahre im Schnitt noch mehr als sechs Tage gebraucht hatten.22 Dies eröffnete den Käufern in Europa eine bessere Möglichkeit, die Angebote verschiedener Handelsfirmen miteinander zu vergleichen. Die Handelshäuser mussten sich deshalb mehr und mehr nach den Wünschen ihrer europäischen Abnehmer richten, die, so Brack-Liechti, „immer zugespitzter“ geworden seien, „‚den veränderten Verhältnissen angepasst‘, wie sich die Käufer auszudrücken pflegten.“23 Die Handelsfirmen waren gezwungen, den europäischen Abnehmern Offerten vorzulegen, die nicht mehr in Rupien, sondern in der Regel in Pfund ausgestellt wurden. Die Käufer konnten aus den verschiedenen Offerten, die sie erhielten, die für sie günstigste auswählen.24 Die Handelsfirmen konnten dagegen Spesen und Kommissionen, die in Indien anfielen, nicht mehr separat in Rechnung stellen, sondern mussten sie in den Verkaufspreis integrieren. Auch mit Schwankungen bei Frachtraten und Wechselkursen wollten 19 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 9f. 20 VA, Weisse Schachtel: Jakob Brack-Liechti, Einige Betrachtungen über den indischen B’wollmarkt aus älterer Zeit, 23.2.1918, S. 5. 21 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 8f. 22 Headrick, The Tentacles of Progress, 1988, S. 100f. Vgl. allg. für die Geschichte der Telegraphie in Indien Mann, Telekommunikation in Britisch-Indien, 2009. 23 VA, Weisse Schachtel: Jakob Brack-Liechti, Einige Betrachtungen über den indischen B’wollmarkt aus älterer Zeit, 23.2.1918, S. 3f. 24 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 10.
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die Käufer alsbald nichts mehr zu tun haben.25 Das vergleichsweise schwerfällige Geschäft gegen Kommission, bei dem die Kaufleute ihre Ware mehr oder weniger blind nach Europa exportiert hatten, in der Hoffnung, sie dort gewinnbringend verkaufen zu können, kam praktisch vollständig zum Erliegen. „Orders … were more and more difficult to obtain“, erinnerte sich Ammann, „why, indeed, should intending buyers bind their hands by giving orders of which they could not foresee whether they would prove workable or not, when they could make sure of having the goods they were in need of by accepting the most tempting of the firm offers laid before them?“26 Die Teilhaber von Volkart waren anfänglich von dieser Entwicklung alles andere als begeistert, da dies gleichzeitig bedeutete, dass die Firma sämtliche Exporte auf eigene Rechnung machen musste. Da jedoch immer mehr Konkurrenzfirmen zur neuen Geschäftsform übergingen, beschlossen sie schließlich, dem System eine Chance zu geben. Mit der Zeit wurde auch bei Volkart der Verkauf von indischen Rohstoffen mittels Preislisten zur Regel; zu Beginn jedoch nur für Baumwolle.27 Durch die Einrichtung des Telegraphenverkehrs näherten sich die Preise von indischen Rohstoffen immer mehr den Weltmarktpreisen an. Zudem wurde so die Bedeutung des Winterthurer Hauptsitzes gestärkt, der nun vermehrt Einfluss auf die laufenden Geschäfte zu nehmen begann. Die Veränderung der Geschäftspraxis scheint bei den Angestellten in Indien anfänglich für einige Verwirrung gesorgt zu haben. So hielt der Winterthurer Hauptsitz im Jahr 1870 in einem Brief an die Mitarbeiter der Filiale in Bombay fest: „In Antwort auf Ihre Anfrage, ob Sie bei Baumwollgeschaeften auf eigene Rechnung mitdenken, oder aber, wie Sie sich ausdruecken, nur maschinenmaeßig den Buchstaben der Instruction nachleben sollen, koennen wir Ihnen nur wiederholen was schon in frueheren Briefen gesagt wurde. Nach dem jetzt der Draht so außerordentlich prompt arbeitet, koennen Sie den selben bei wichtigeren Geschaeften wohl benuetzen und in wenigen Stunden unsere Meinung vernehmen.“28
Die Eröffnung des Suezkanals Doch nicht nur die Kommunikation mit Europa beschleunigte sich, auch die Transportmöglichkeiten wurden verbessert. 1869 wurde der Suezkanal eröffnet, wodurch indische Rohstoffe nicht mehr auf einer monatelangen Seereise um das Kap der guten Hoffnung nach Europa gebracht werden mussten. Davon profitierten insbesondere 25 VA, Weisse Schachtel: Jakob Brack-Liechti, Einige Betrachtungen über den indischen B’wollmarkt aus älterer Zeit, 23.2.1918, S. 3–5. 26 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 10. 27 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 10. 28 VA, Dossier 1: B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: Winterthur nach Bombay, 27.5.70.
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kontinentaleuropäische Häfen. Während der Suezkanal die Reisedistanz von Bombay nach London um gut 44% verkürzte – von 19’755 auf 11’619 Kilometer –, sank die Distanz für die Fahrt nach Marseille um knapp 60% und nach Triest gar um 65%.29 Die Eröffnung des Suezkanals beförderte auch den Durchbruch der Dampfschifffahrt für den Handel mit Asien. Während es zuvor ein logistisches Problem gewesen war, die Dampfer auf der Fahrt um das Kap der Guten Hoffnung mit Kohle zu versorgen, war dies auf der Suezroute wesentlich einfacher zu bewerkstelligen. Umgekehrt waren Segelschiffe für die Suezroute ungeeignet, da im Roten Meer oft Windstille herrschte.30 Während vor der Eröffnung des Suezkanals praktisch keine Dampfschiffe zwischen Bombay und Kontinentaleuropa verkehrt hatten, waren es 1870 bereits 28%. 1873 waren es 65%, und ab den frühen 1890ern wurden alle Transporte von Bombay nach Europa per Dampfer gemacht.31 Die Transporte wurden aber nicht nur schneller, sondern auch billiger. In den 1850er und 1860er Jahren erfolgten verschiedene technische Innovationen, welche die Transportkosten auf den Dampfern stark senkten. Die Frachtraten wurden dadurch zwischen 1870 und 1910 glatt halbiert.32 Zudem konnten Dampfschiffe innerhalb weniger Tage beladen werden, während Segelschiffe bis zu fünf Wochen Ladezeit hatten. Weil die Baumwolle damit weniger lang in Bombay gelagert werden musste, sparten die Exportfirmen Lagergebühren und Prämien für die Feuerversicherung. Und da der Weg durch den Kanal kürzer und sicherer war, reduzierten sich die Prämien der Seetransportversicherungen und es kam zu weniger Schäden während des Transports.33 Durch all diese Veränderungen sank auch die Zeit, welche Gütertransporte für die Strecke von Bombay nach Großbritannien benötigten, von dreieinhalb bis fünf Monaten auf eineinhalb bis zwei Monate. Dampfer, die von Bombay aus Häfen im Mittelmeer anliefen, benötigten für ihre Fahrt gar bloß noch etwa vier Wochen.34 Da die Suezroute die Distanz zwischen Indien und dem europäischen Kontinent im Vergleich zur Distanz zwischen Indien und Großbritannien überproportional verkürzt hatte, erhielt der direkte Handel zwischen dem Subkontinent und Kontinentaleuropa immer größere Bedeutung. Die Eröffnung des Suezkanals veränderte auch die Herkunft der Frachtschiffe, die Indien anliefen. Vor 1869 wurde der Warentransport 29 Ziegler, Der Import ostindischer Baumwolle, 1922, S. 13; Headrick, The Tentacles of Progress, 1988, S. 26. 30 Ziegler, Der Import ostindischer Baumwolle, 1922, S. 14. 31 Harley, The Shift from Sailing Ships to Steamships, 1971, S. 222ff. 32 Zu diesen Innovationen gehörten etwa Propeller, Schiffsrümpfe aus Metall oder Kondensatoren, mit denen der Dampf wieder in Wasser verwandelt werden konnte. Dies wiederum erlaubte den Einsatz von Süßwasser für die Dampferzeugung, welches die Kessel weniger stark angriff als das zuvor verwendete Salzwasser: Headrick, The Tentacles of Progress, 1988, S. 20– 26. 33 Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 182. 34 Anderegg, Chronicle, 1976, 114f.
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zwischen Europa und Südasien fast vollständig von britischen Schiffen vorgenommen, da diese in der Regel billigere Frachtraten anbieten konnten als kontinentale Reedereien.35 Noch 1880 befanden sich 80% aller Schiffe, die durch den Suezkanal fuhren, in britischem Besitz. 1910 waren es jedoch nur noch 62%; 12% der Schiffe auf der Suezroute waren deutsch, je 5% französisch und holländisch, und 4% gehörten Schifffahrtsunternehmen aus Österreich-Ungarn.36 Diese Verschiebungen hatten frappante Auswirkungen auf das indische Baumwollgeschäft, da gerade die kontinentalen Spinnereien gute Käufer von indischer Baumwolle waren. Sie verwendeten Spinnmaschinen, die speziell gut für die Verarbeitung der kurzfaserigen indischen Sorten geeignet waren.37 Ihre britischen Konkurrenten dagegen bevorzugten nach Ende des Amerikanischen Bürgerkrieges erneut US-Baumwolle, weil diese einen längeren Stapel – d.h. längere Fasern – besaß und sich deshalb besser für die Produktion der feinen Stoffe eignete, die in Lancashire gewoben wurden.38 Die Kolonialregierung hatte zwar große Anstrengungen unternommen, den Anbau von langstapeliger amerikanischer Baumwolle anstelle der kurzstapeligen indischen Sorten voranzutreiben. Dies erwies sich aber als weit schwieriger als anfänglich vermutet. Es gelang der Briten trotz aller Bemühungen nicht, die indische Baumwollproduktion vollständig auf amerikanische Sorten umzustellen. Dies hatte verschiedene Gründe. Zum einen wuchsen die amerikanischen Sorten langsamer als die traditionell in Indien üblichen Typen und sie warfen auch geringere Erträge ab.39 Zwar war es in den 1840er Jahren gelungen, mit der American Dharwar eine aus den USA eingeführte Sorte in Indien zu etablieren. Doch das Saatgut der American Dharwar wurde regelmäßig mit demjenigen der indischen kumpta vermischt. Zum Teil geschah dies aus Nachlässigkeit, zum Teil wurden die Samen von indischen Zwischenhändlern aber auch vorsätzlich gemischt, da diese das gemischte Saatgut als American Dharwar verkaufen und so höhere Erträge erzielen konnten. Schließlich sah auch keiner der involvierten Akteure – europäische Kaufleute, indische Händler und Baumwollpflanzer – ein, warum sie sich mit neuen Baumwollsorten abgeben sollten, wenn nach den traditionellen indischen Varietäten in Kontinentaleuropa und Ostasien eine große Nachfrage bestand.40 Da der Anbau von langstapeliger Baumwolle in Indien lange Zeit kaum vorankam, verwendeten die britischen Spinnereien schon bald nach Ende des Amerikanischen 35 36 37 38 39
VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen: 2. Table of Events. Chapman, Merchant Enterprise in Britain, 1992, S. 5. Harnetty, Imperialism and Free Trade, 1972, S. 93. Ellison, A Hand-Book of the Cotton Trade, 1858, S. 39. Brit Lib, IOR/L/E/7/1143, Commerce and Revenue Department, 1922, File 4982: W. H. Himbury, Cotton Growing in India, Report to the British Cotton Growing Association, Manchester, 3rd April, 1923. 40 Jean Rutz, Agent Volkart Bros., Guntur (28.2.18), in: Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume V, 1920, S. 19; Harnetty, Imperialism and Free Trade, 1972, S. 83–93.
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Bürgerkrieges wieder US-Baumwolle.41 Ende des 19. Jahrhunderts gingen von den gut zwei Millionen Baumwollballen, die in Indien im Schnitt pro Jahr produziert wurden, bloß etwa 38’000 nach Großbritannien. Dagegen wurden jedes Jahr über 600’000 Ballen indischer Baumwolle nach Kontinentaleuropa und gut 460’000 nach China und Japan ausgeführt. Fast die Hälfte der einheimischen Baumwollproduktion, knapp 910’000 Ballen, wurde in indischen Spinnereien verarbeitet.42 Da auf dem europäischen Kontinent eine große Nachfrage nach indischer Baumwolle bestand und da der Suezkanal insbesondere die Distanz zu kontinentalen Häfen verkürzt hatte, stiegen die direkten Exporte nach Kontinentaleuropa ab 1869 sprunghaft an. Der Anteil von indischer Baumwolle, der ohne Umweg über Liverpool direkt nach dem Kontinent transportiert wurde, erhöhte sich bis 1885 auf 60%, nachdem er noch 1866 weniger als 1% und zwischen 1866 und 1870 weniger als 11% betragen hatte.43 Die Firma Volkart, die eine der wenigen kontinentaleuropäischen Exportfirmen in Indien war, begann nach 1869, Baumwolle und andere Rohstoffe mit kontinentaleuropäischen Schiffen durch den Suezkanal nach Häfen auf dem Kontinent wie Marseille, Triest, Antwerpen oder Hamburg zu verschiffen. Sie waren damit mit die ersten, die in großem Stil regelmäßige Exporte aus Indien nach diesen Destinationen durchführten.44 Im Januar 1870, also nicht einmal zwei Monate nach Eröffnung des Kanals, teilte Salomon Volkart den Verantwortlichen der Filiale in Bombay mit, dass man gedenke, „durch die Sicherung einiger Dampfboote die neue Aera (durch den Suez Canal) einzuweihen“.45 Und im März 1870 hielt er in einem Brief nach Bombay fest, dass Volkart zu denjenigen Handelshäusern gehöre, „welche am besten mit Dampfern waehrend der Saison bedacht worden sind.“46 Während die Firma von Beginn weg für den Rohstoffexport in den Mittelmeerraum Dampfer benutzte, charterte sie für Transporte von und nach Nordeuropa bis in die 1880er Jahre Segelschiffe, da auf längeren Strecken die Frachtraten für den Dampfertransport noch vergleichsweise hoch waren.47 Ab den späten 1870er Jahren konnten sich verschiedene Dampfschifffahrtslinien für den Transport zwischen Indien und Europa etablieren. Bei diesen konnten die Handelsfirmen den für ihr Geschäft nötigen Frachtraum buchen. Es war nun also nicht mehr zwingend nötig, ganze Schiffe für den Warentransport zu chartern, wie 41 Ellison, A Hand-Book of the Cotton Trade, 1858, S. 39. 42 Bombay Chamber of Commerce, Report for the Year 1908, S. 135. 43 VA, Weisse Schachtel: Jakob Brack-Liechti, Einige Betrachtungen über den indischen B’wollmarkt aus älterer Zeit, 23.2.1918, S. 4. 44 VA, Dossier 19: Winterthur II, 13. Write ups About the Firm by VB and Corrections therto by JA. 45 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: 14.1.1870, Winterthur an Bombay. 46 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: 10./11. Maerz 1870, Winterthur an Bombay 47 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 116.
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dies bis dahin regelmäßig gemacht wurde. Die so genannte Trampschifffahrt, bei der ganze Schiffe für den Transport nach einem bestimmten Hafen gechartert werden konnte, blieb in Indien jedoch weiterhin üblich.48 Die neuen Dampferlinien waren darauf angewiesen, in den wichtigsten Häfen durch Agenturen vertreten zu sein. Diese Vertretungen wurden oft durch vor Ort ansässige Handelsfirmen ausgeübt. Volkart vertrat Anfang des 20. Jahrhunderts in Indien unter anderem die HamburgAmerika Linie, die Deutsche Dampfschiffsgesellschaft Hansa, die Swedish East India Steamship Co., die spanische Compania Transatlantica oder die italienische Navigazione Generale Florio Rubbatino. Im Verlauf der folgenden Jahrzehnte folgten noch weitere Linien, die versuchten, sich im Verkehr mit Indien und dem Fernen Osten zu etablieren.49 Diese Vertretungen waren für die Handelsfirma insofern lukrativ, als sie ihnen ein stetiges und relativ risikoloses Einkommen garantierten und damit eine willkommene Ergänzung zum volatilen Rohstoffhandel darstellten. Für die Schifffahrtslinien war die Vertretung durch ein Handelshaus wie Volkart interessant, weil dieses den Schiffen durch den Export von Gütern wie Baumwolle, Kaffee, Kokosbast oder Gewürzen eine willkommene Grundauslastung garantierte.50
Der Bau von Eisenbahn- und Telegraphenlinien in Indien Doch nicht nur die Verbindungen zwischen Bombay und Europa verbesserten sich, sondern auch diejenigen innerhalb des Subkontinentes. 1855 wurden die ersten indischen Telegraphenlinien eröffnet; ein Jahr später gab es bereits ein Telegraphennetz von 6840 Kilometer. Da die Telegraphie den Briten während der Mutiny gute Dienste geleistet hatte, wurde sie nach 1857 stark ausgebaut. Bis 1865 war das Telegraphennetz auf 28’164 Kilometer angewachsen, bis 1900 auf 85’150 Kilometer und 1947 gab es 188’600 Kilometer Telegraphenlinien auf dem Subkontinent.51 Die indischen Baumwollmärkte waren deshalb ab den späten 1860er Jahren telegraphisch sowohl mit den Küstenstädten, wo die großen Handelshäuser ihre Filialen hatten, als auch mit den europäischen Baumwollbörsen verbunden. Die europäischen Kaufleute waren so stets über die Entwicklung der Ernte informiert, was für ihre Kalkulationen essentiell war. Außerdem baute die Regierung auch das indische Postsystem aus, das neben den Kolonialbeamten vor allem von Kaufleuten benutzt wurde; Baumwollhändler nutzten die Post unter anderem, um Baumwollmuster aus den Produktionsgebieten an die Küste zu senden.52 48 49 50 51 52
Ziegler, Der Import ostindischer Baumwolle, 1922, S. 16f. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 202f. Frech, Baumwolle, Stahl und Stolpersteine, 2001, S. 57f. Headrick, The Tentacles of Progress, 1988, S. 121f. Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 152f.
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Ab 1850 trieben die Briten den Bau des indischen Eisenbahnnetzes voran. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts hatten die indischen Händler die im Inland angebaute Baumwolle mit Ochsenkarren oder leichten Segelschiffen nach Bombay, Karachi oder Kalkutta transportiert, von wo aus sie nach Europa verschifft wurde. Die neuen Eisenbahnlinien erlaubten es, die Baumwolle rascher und sicherer an die Küste zu bringen. 1853 wurde die erste kurze Bahnlinie eröffnet, die über 32 Kilometer von Bombay nach Thana führte.53 1854 wurde einer weitere Linie von Kalkutta aus eröffnet und 1856 eine von Madras aus. Bis zum Jahr 1860 waren in Indien 850 Meilen Schienen verlegt worden. In den 1880er Jahren umfasste das Bahnnetz bereits 10’000 Meilen, und verband die großen indischen Städte miteinander. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts besaß Indien das viertgrößte Eisenbahnnetz der Welt. Bis zum Ende der Kolonialzeit wuchs es auf eine Länge von 40’000 Meilen ein. Nun gab es kaum mehr einen Teil des Landes, der weiter als 20 Meilen von der nächsten Bahnlinie entfernt war. Zudem wurden befestigte Straßen als Zulieferweg gebaut, die die Bahnstationen mit den Inlandmärkten verbanden. Bei den Stationen wurden große Höfe errichtet, auf denen die Baumwolle bis zur Verladung gelagert werden konnte. Durch die Vergrößerung des Transportangebotes sanken die Frachtraten. 1930 waren die Kosten für Eisenbahntransporte pro Tonnenmeile um 94% tiefer als die Kosten für Ochsenkarrentransporte Mitte des 19. Jahrhunderts. Und selbstverständlich wuchs mit dem Ausbau des Eisenbahnnetzes auch das Volumen der Fracht, welches per Bahn innerhalb Indiens verschoben wurde. Während es 1871 erst 3,6 Millionen Tonnen betragen hatte, stieg die Frachtmenge bis 1901 auf 42,6 Millionen Tonnen und bis 1930 auf 116 Millionen Tonnen. Indem sich der Binnenhandel komplett auf die Bahnlinien auszurichten begann, entstanden große Handelsplätze entlang den Bahnlinien. Den vorkolonialen Handelsstädten außerhalb des Einzugsgebietes der Eisenbahnlinien versetzte diese Entwicklung jedoch den Todesstoss.54
Koloniale Beamte und die Qualität der indischen Baumwolle Der Bau der indischen Eisenbahnlinien erlaubte Handelshäusern wie Volkart eine Expansion ins indische Hinterland, wodurch sie der Konkurrenz von kleineren Handelsfirmen begegnen konnten, welche nach Eröffnung der Telegraphenlinie nach Europa in den Küstenstädten aktiv geworden waren.55 Die großen Exportfirmen gingen dazu über, Rohbaumwolle nicht mehr wie bis dahin nur von Zwischenhändlern in 53 Headrick, The Tentacles of Progress, 1988, S. 62. 54 Rothermund, Government, Landlord, and Peasant in India, 1978, S. 17; Tomlinson, The Economy of Modern India, 1993, S. 55f.; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 144f. und 179. 55 Jones, International Business, 1987, S. 106–111.
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Abb. 2 Von Volkart publizierte Karte mit den Filialen und Einkaufsagenturen in Indien und Ceylon (Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 36a)
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den Bazars von Hafenstädten wie Bombay, Madras, Tellicherry oder Karachi zu kaufen, sondern ein Netz von Einkaufsagenturen im Landesinnern einzurichten. Dies war etwas, was die europäischen Handelshäuser seit dem frühen 19. Jahrhundert immer wieder versucht hatten, womit sie aber aufgrund der schlechten Transportrouten und der Schwierigkeiten, ihre Agenten im Landesinnern mit genügend Bargeld für die Finanzierung der Einkäufe zu versorgen, stets gescheitert waren.56 Nun war dies endlich möglich geworden: „Mit der Ausdehnung des indischen Eisenbahnnetzes, welche das Land dem Handel mehr und mehr erschloss, machte sich allmählich die Notwendigkeit geltend, die Ware so viel wie möglich unter Umgehung der Zwischenhändler in den Produktionsgebieten selbst zu kaufen und führte zur Eröffnung der Einkaufsagenturen im Innern“ hieß es dazu in einer Volkart-Werbeschrift von 1921.57 Die Eröffnung der Einkaufsagenturen erlaubte es den Exportfirmen, die Qualität der Baumwolle besser zu kontrollieren. Bis in die 1860er Jahre war Baumwolle für Exporteure bloß in den Bazars der Küstenstädte erhältlich, wo sie in Säcken oder halbgepressten Ballen angeboten wurde. Diese mussten vom Einkäufer genau geprüft werden, denn laut dem Volkart-Angestellten Jakob Brack-Liechti machten sich die einheimischen Händler den Umstand zu Nutze, dass die Käufer bei den halbgepressten Ballen für die Bemusterung nicht bis ins Innere der Ballens gelangen konnten: „Beim Pressen im Inland wurde öfters das Innere mit geringer Ware gespickt und gute Ware nur an die äusseren Schichten des Ballens gebracht, so weit die Hand ungefähr reichen konnte. Den ganzen Schaden des Betruges konnte man erst beim Oeffnen in der Dampfpresse überblicken.“ Oft wurde auch versucht, die von den europäischen Handelshäusern zum Export selektionierten Ballen gegen Ballen mit qualitativ schlechterer Ware oder Spinnereiabfällen auszutauschen. „Diese schlechten Ballen reisten dann für Rechnung des Europäers nach Hause, die Ballen mit der guten Ware dagegen für Rechnung des Natives unter seiner (vorbereiteten) Marke in Consignation nach Europa. Den Schaden hatte der europ. Ablader, der sich diese Enttäuschung nicht erklären konnte, u. den Profit kassierte der Native ein“.58 Die Schilderungen Brack-Liechtis lassen deutlich werden, wie diffizil und mit hohen Transaktionskosten verbunden der Baumwolleinkauf in Indien auch für hoch spezialisierte Handelsfirmen war. Die häufigen Verfälschungen und Verunreinigungen der indischen Baumwolle wirkten sich negativ auf ihren Preis aus: „The European manufacturer, taught by long experience, has ceased to expect a pure article, and therefore never gives the price 56 Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983, S. 249–254. 57 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Verbesserungen im Geschäftsbetrieb und verschiedene Anregungen, 1896–1924: Darstellung unserer Organisation, Winterthur, Dezember 1921. 58 VA, Weisse Schachtel: Jakob Brack-Liechti, Einige Betrachtungen über den indischen B’wollmarkt aus älterer Zeit, 23.2.1918, S. 7–12.
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which he otherwise would for cotton of the same quality; and all the expenses of carriage, freight, and insurance have to be deducted from this lower price“, meinte J. Forbes Royle, Experte für Baumwollfragen beim britischen India Office in einem Bericht 1851. Nicht wenige Beobachter machten die europäischen Kaufleute in Bombay für die Situation verantwortlich. Diese würden mit dem Aufkauf von Baumwolle fortfahren, unbesehen der Tatsache, dass der größte Teil der indischen Baumwolle verschmutzt sei oder dass qualitativ hochwertige Baumwolle mit Baumwolle minderer Qualität vermischt werde. Royle widersprach dieser Ansicht jedoch vehement und zitierte unter anderem aus einem Brief der Bombay Chamber of Commerce an die Regierung der Bombay Presidency aus dem Jahr 1841. In diesem wurde darauf hingewiesen, wie schwierig es für die Kaufleute in Bombay sei, mit den Bauern im Hinterland in Kontakt zu kommen. In den meisten der etwa zwanzig europäischen Baumwollexportfirmen arbeiteten nicht mehr als zwei Personen, was kaum genüge, um das Platzgeschäft abzuwickeln, geschweige denn, Exkursionen ins Hinterland durchzuführen. „‚The merchants here, therefore, are … wholly dependent on the cotton to be found in Bombay, whatever be its quality‘“, hielten die Bombayer Kaufleute in ihrem Schreiben fest.59 Die Briten hatten wiederholt versucht, die Reinheit der indischen Baumwolle durch die Einführung von Rechtsvorschriften zu verbessern. 1829 war das erste Gesetz gegen die Verunreinigung von Baumwolle erlassen worden, jedoch ohne dass dadurch die Situation verbessert werden konnte.60 1851 wurde erneut ein solches Gesetz erlassen, dem die britische Kolonialregierung unter anderem dadurch Nachdruck zu verschaffen hoffte, dass sie „10% von Broach, Compta Baumwolle wegen den besprochenen Unreinlichkeiten oeffentlich verbrennen ließ“, wie Salomon Volkart in einem Brief an einen Geschäftsfreund mitteilte.61 Doch auch diesmal zeigte die Vorschrift nicht die gewünschte Wirkung. Nach Ausbruch des Amerikanischen Bürgerkrieges nahmen die Verfälschungen jedoch derart zu, dass die Briten einen neuen Versuch unternahmen und 1863 in Bombay den Cotton Frauds Act erließen. Das Gesetz entfaltete jedoch nie die gewünschte Wirkung, da die Kolonialregierung so kurz nach der Mutiny von 1857 ängstlich darauf bedacht war, jegliche Konflikte mit indischen Kaufleuten oder Bauern zu vermeiden.62 Deshalb wies sie ihre Beamten an, bei der Umsetzung der neuen Vorschriften äußerst vorsichtig zu sein. Zudem erwuchs dem Gesetz Widerstand von den Handelskammern in Bombay und Manchester, da die 59 Royle. Culture and Commerce, 1851, S. 60f. 60 Harnetty, Imperialism and Free Trade, 1972, S. 102. 61 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Auszüge aus dem ersten Briefkopierbuch, 3.2.1851–11.11.1851: Winterthur an J. Loeffler i/FA Loeffler, Naegeli & Co. Marseille, 27.2.1851 (Sal. V.). 62 Vgl. für die durchaus nicht seltenen Bauernrevolten im kolonialen Indien: Stokes, The Peasant and the Raj, 1978; Guha, The Agrarian Economy, 1985.
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indische Kolonialregierung auf jeden Ballen, den die Beamten kontrollierten, eine Abgabe erhob. Die europäischen Kaufleute brachten vor, dass diese Maßnahme die indische Baumwolle verteuern würde, weshalb sich ihre Konkurrenzfähigkeit gegenüber Baumwolle aus anderen Produktionsländern verschlechtere.63 Zudem sei eine solche Einmischung der Regierung ins Handelsgeschäft überflüssig, da es in Ostasien und Kontinentaleuropa genügend Spinner gebe, die weiterhin bereit waren, indische Baumwolle zu kaufen. Gaddum & Co., damals eine der bedeutendsten Baumwollexportfirmen in Indien, widersetzte sich etwa 1874 der Anordnung der kolonialen Beamten, verschiedene für den Export erworbene Baumwollballen reinigen zu lassen. Die Firma argumentierte dabei, dass die Verunreinigungen für die Firma kein Problem darstellen würden, da sie schon im Moment des Kaufes durch die Zahlung eines niedrigeren Preises verrechnet worden seien. Gaddum brachte zudem vor, dass man in der Vergangenheit bereits einmal getestet habe, ob man für gereinigte Baumwolle einen höheren Preis erzielen könne. Doch, so die Firma, „we had to find out that although the dirty cotton readily found a market, we were quite unable to sell the cleaned cotton at a fair price and had eventually to sell it at a very heavy loss.“64 Überhaupt waren die europäischen Kaufleute der Ansicht, dass die Regierung mit den von ihr erlassenen Vorschriften die Falschen bestrafen würde. Die ryots und die Zwischenhändler, die für die Verfälschungen verantwortlich seien, würden sozusagen nie bestraft, während die Exporteure, die keine Unrechtmäßigkeit begangen hätten, die Folgen zu tragen hätten.65 Für die britische Kolonialregierung war der Widerstand der europäischen Handelsfirmen eine Quelle steter Frustration. 1869 beklagte ein Inspektor des Bombay Cotton Department „the extreme sensitiveness generally exhibited by the European and Native cotton exporters to our interference with their cotton, which is permitted only on sufferance, not as a matter of right.“66. Anstatt sich auf die koloniale Bürokratie zu verlassen, suchten die Kaufleute in der Regel, Streitfälle innerhalb der 63 Harnetty, Imperialism and Free Trade, 1972, S. 104–107. 64 MSA, Revenue Department, 1874, Vol. 26, No. 658: Cotton – Complaint made by Messers. Gaddum & Co. against the Cotton Inspector at Dhollera for seizing eight bales of cotton of low quality purchased by them: Letter from Messrs. Gaddum & Co., Bombay, to the Chief Secretary to Government, Revenue Department, Bombay, 25th February 1874. 65 MSA, Revenue Department, 1875, Vol. 27, No. 501: Cotton – Report of the Commission appointed to enquire into the working of the Cotton Frauds Act, Part I: Report of the Commissioners to enquire into the working of the Cotton Frauds Act (of 1863); with minutes of evidence and other appendices, Bombay 1875: Government Central Press – Appendix A: Minutes of Evidence. 66 MSA, Revenue Department, 1869, Vol. 8, No. 90: Cotton – Report on the working of the Cotton Fraud Department for 1868–69, Appendix H: J.H. Merritt, Inspector of Cotton, Bombay, to G.F. Forbes, Esq., Officiating Inspector-in-Chief, Cotton Department, Bombay, May 28, 1869.
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kaufmännischen Gemeinschaft zu regeln. Dies zeigte sich zum Beispiel in der Saison 1875/76, als Volkart von einem indischen Zwischenhändler verfälschte Baumwolle erworben hatte. Die Kolonialbeamten hofften darauf hin, dass Volkart ihnen helfen würde, gegen den indischen Kaufmann vorzugehen. Groß war die Enttäuschung, als die Beamten realisierten, dass Volkart sich außergerichtlich mit dem indischen Händler geeinigt hatte und dass es deshalb zu keiner Strafverfolgung kommen würde.67 Als Folge dieses jahrelangen Tauziehens zwischen der kolonialen Bürokratie und der Geschäftswelt wurde der Cotton Frauds Act schließlich 1882 endgültig außer Kraft gesetzt. Die Probleme mit der Verfälschung von Baumwolle blieben in der Folge bis weit ins 20. Jahrhundert hinein virulent.68
Unterschiede zwischen der indischen und der amerikanischen Baumwollwirtschaft Der Grund für das Scheitern der kolonialen Baumwollgesetze lag zum einen in der Besonderheit der kolonialen Situation und zum anderen in der Struktur der indischen Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts. Rohstoffe wie Tee oder Kaffee wurden in Indien auf großen Plantagen produziert, die häufig von Europäern betrieben wurden. Diese standen in direktem Kontakt mit den Exporteuren und konnten es sich deshalb nicht leisten, minderwertige Ware zu verkaufen. Die Baumwollproduktion war dagegen weitaus fragmentierter.69 Indische Baumwolle wurde durch Kleinbauern, so genannte ryots, angebaut, die außerdem noch verschiedene andere Produkte auf ihrem Land anpflanzten, und die selten mehr als ein oder zwei Ballen Baumwolle ernten konnten. Da sie äußerst kapitalschwach waren, mussten sie ihre Produktion bereits lange vor der Ernte an lokale Geldverleiher verkaufen, die oft auch im Inlandhandel tätig waren. Die Geldverleiher waren in der Regel nicht reich genug, um ihr Geschäft auf eigene Rechnung zu betreiben, und sie waren deshalb auf Kredite von Kaufleuten aus den großen Handelsstädten im Inneren Indiens angewiesen, die wiederum als Agenten für die wohlhabenden indischen Handelsunternehmen in Bombay und anderen Küstenstädten arbeiteten. Bis in die 1870er Jahre ging die indische Baumwolle deshalb durch mehrere Hände bis sie schließlich die Küste erreichte, von wo sie nach Europa oder China verschifft wurde. Der ryot, der seine Ernte im Voraus verkaufte, erhielt keine Prämie, wenn er eine besonders gute Qualität ablieferte, und keinen Preis67 MSA, Revenue Department, 1876, Vol. 29, No. 15: Cotton – Administration Report of the Cotton Department for 1874–75 & 1875–76: Administration Report of the Cotton Department for the year 1875–76, S. 14. 68 Harnetty, Imperialism and Free Trade, 1972, S. 102–122; MacAra, Trade Stability, 1925, S. 204–206. 69 Watson, Report on Cotton Gins, 1879, S. 162.
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abzug, wenn die Baumwolle von unterdurchschnittlicher Qualität war. Er war bloß verpflichtet, dem Geldverleiher, der ihm den Kredit gewährt hatte, eine bestimmte Menge Baumwolle zu liefern. Dasselbe galt auch für die anderen Zwischenhändler im Inlandhandel. Weil Baumwolle in Indien traditionellerweise per Gewicht verkauft wurde, war jeder Akteur versucht, die Baumwolle zu wässern oder Dreck, Saatgut oder Baumwolle von minderer Qualität in die Ballen zu mischen, um einen Gewinn zu erzielen. Und da folglich sämtliche indische Baumwolle in einem verunreinigtem Zustand die Küste erreicht, blieb den Handelsfirmen, die sich in den Bazars für den Export nach Europa oder Ostasien eindeckten, keine andere Wahl, als sie aufzukaufen, unbeachtet ihrer Qualität.70 Es muss dabei explizit hervorgehoben werden, dass nicht nur die europäischen Kaufleute vor diesen Schwierigkeiten standen, sondern dass auch die indischen Exportfirmen darunter litten. Der niedrige Standard der indischen Baumwolle war also, wie ein britischer Beobachter in den frühen 1860er Jahren hervorhob, nicht ein Problem, welches aufgrund von Differenzen zwischen Europäern und Einheimischen entstanden war, sondern eines, das aus den unterschiedlichen Interessen von Exportfirmen und Inlandhändlern resultierte.71 Die britischen Handelsgesetze hatten sich, wie bereits früher erwähnt, zwar als äußerst wirksam erwiesen, um als formale Institutionen die Transaktionen zwischen europäischen und den wohlhabenden indischen Kaufleuten zu regulieren, da beide über eine fundierte Bildung und eine ähnliche kaufmännische Kultur verfügten.72 Sie waren jedoch nicht geeignet, um im Landesinnern die Geschäfte zwischen Bauern, einheimischen Zwischenhändlern und den großen Exportfirmen zu regulieren und die Baumwollqualität auf den indischen Inlandmärkten sicher zu stellen. Britische Beamte wie europäische Kaufleute hofften deshalb, dass es den Geschäftsleuten in Bombay gelingen würde, ein eigenes Kontrollsystem einzurichten, um die Baumwollqualität zu garantieren. Ein solches System konnte etwa in den 1870er Jahren im nordamerikanischen Baumwollhandel etabliert werden, nachdem sich Importfirmen in Europa über ähnliche Verunreinigungen und Verfälschungen beklagt hatten, wie sie in Indien existierten. Anders aber als in Indien war in den USA der Druck der Europäer – die damit drohten, Lieferungen aus bestimmten Häfen zu boykottieren, wenn diese sich des Problems nicht annahmen – stark genug, um eine strikte Qualitätskontrolle jedes Ballens, der die Häfen der US-Südstaaten verließ, zu erwirken. Das amerikanische System unterschied sich insofern von demjenigen, welches im Rahmen des Cotton Frauds Act in Indien hätte eingerichtet werden sollen, als dass keinerlei rechtliche Sanktionsmöglichkeit existierte und keine Einmischung der Regierung stattfand – auch wenn die Vorschriften der verschiedenen amerikanischen 70 Smith, The Cotton Trade of India, 1863, S. 12, 21f., 28; Harnetty, Imperialism and Free Trade, 1972, S. 101f.; Rothermund, Government, Landlord, and Peasant in India, 1978. 71 Smith, The Cotton Trade of India, 1863, S. 56. 72 Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983, S. 31ff., 239ff. Vgl. hierzu auch Kapitel 1.
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Baumwollbörsen mit den amerikanischen Bundesgesetzen und den Gesetzen der jeweiligen Bundesstaaten übereinstimmen mussten.73 Die eigentlichen Maßnahmen wurden jedoch allein durch die Börsen getroffen. Diese stellten die Kontrolleure und zogen die Abgaben ein. Auch sämtliche Sanktionen gegen allfällige betrügerische Verkäufer wurden durch die Börsen erlassen.74 Salomon Volkart scheint ein solches System im Kopf gehabt zu haben, als er 1870 in einem Brief an die Filiale in Bombay meinte: „Das Allereinfachste und fuer alle Theile zuverlaeßigste waere, wenn Sie es dahin braechten, am dortigen Platze eine Art Syndicat zu etabliren, welches sich der Muehe unterzoege, jeweilen die verschiffte Baumwolle nach Assessments zu bestimmen welche letztere denjenigen von Liverpool moeglichst nahe verwandt sein wuerden. … Wir sehen auch nicht ein, sobald die Beurtheiler der Baumwolle sorgfaeltig zu Werke gehen, weshalb die Bombay Assessments nicht den gleichen Ruf und die gleiche Anerkennung wie diejenige in Liverpool erhalten sollten.“ Es scheint jedoch, dass er nicht allzu optimistisch war in Bezug auf die Fähigkeit des Baumwollmarktes in Bombay, eine solche Qualitätskontrolle einzurichten. Er fuhr nämlich fort: „Sollte dennoch aus der Sache dort am Platze nichts werden, so troesten wir uns damit, das Sie berufen sein werden, den weitaus groeßten Teil der Baumwolle im Innern zu kaufen, wo Sie besser Gelegenheit und groeßere Sicherheit fuer die Auswahl derselben finden.“75 Verschiedene Gründe dürften dafür verantwortlich sein, dass in Indien kein Kontrollsystem wie in den USA eingerichtet werden konnte, obwohl die Struktur des Inlandhandels im amerikanischen Süden große Ähnlichkeit mit derjenigen in Indien aufwies. Wie in Indien waren auch in den USA viele Baumwollpflanzer bei Inlandhändlern oder lokalen Ladenbesitzern hoch verschuldet. Die Baumwollpflanzer in den USA waren zum einen ehemalige Sklaven, die nach Ende des Bürgerkrieges als Pächter eigene Farmen bewirtschafteten, zum anderen arme Weiße, die von der Ostküste in den Süden gezogen waren, um dort ihr Glück zu versuchen. Aufgrund ihrer permanenten Verschuldung mussten sie stets gewärtigen, von ihren Kreditgebern enteignet zu werden.76 Auch der amerikanische Inlandhandel wurde bis Ende des 19. Jahrhunderts durch eine Kette von Kommissionshändlern geprägt, bevor die Baumwolle schließlich von Häfen wie New Orleans oder Galveston nach Europa verschifft oder zu den Spinnereien in den industrialisierten Nordstaaten transportiert wurde. Erst in den 1880er Jahren – also mehr oder weniger zur gleichen Zeit, als die europäischen Handelsfirmen damit begannen, Einkaufsagenturen im indischen Hinterland 73 Cox, Department Bulletin, 1926, S. 25. 74 Watson, Report on Cotton Gins, 1879, S. 163. 75 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, Privat-Copierbuch 9.1.1867–25.8.1870, 7.7.1870 Winterthur nach Bombay. 76 Reidy, From Slavery to Agrarian Capitalism, 1992, S. 222–247; Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, 2009, S. 997.
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zu eröffnen – gelang es US-Handelshäusern wie Alexander Sprunt & Son, die Warenkette zwischen den Baumwollfeldern in den Südstaaten und den Industriedistrikten unter ihre Kontrolle zu bringen, indem sie Einkaufsagenturen, Entkörnungsanlagen, Pressen und Lagerhäuser einrichteten.77 Trotz dieser Parallelen lag ein großer Unterschied zwischen den USA und Indien darin, dass es in den USA möglich gewesen war, einen agrarischen Kapitalismus einzurichten, während dies auf dem Subkontinent nicht gelang. Dies lag wesentlich daran, dass sich die Unternehmer in den USA anders als in Indien nicht mit der Eigenlogik von jahrhundertealten Handelsstrukturen herumschlagen mussten. Ein britischer Baumwollinspektor hatte Ende des 1860er Jahren neben dem für Europäer kaum zu ertragenden Klima und den schlechten Transportbedingungen diesen Umstand explizit hervorgehoben: „The trade was entirely in the hands of the local dealers, and it was their interest to keep out outsiders... The weights, which differed in every market, were alone sufficient to baffle a stranger; and the constant holidays and consequent stoppages in the work, and the passive resistance which had to be encountered at every step were quite enough to wear out even a very energetic European.“78 Derartige Probleme kannte man in den USA nicht. Zudem war amerikanische Baumwolle von Beginn weg für den Verkauf auf dem Weltmarkt angebaut worden. Die US-Plantagen waren deshalb in der Regel auch wesentlich größer als die Baumwollfelder in Indien, die ausschließlich von Kleinbauern bewirtschaftet wurden. Dadurch war die Baumwolle in Indien wesentlich weniger einheitlich, wenn sie für den Export zu Ballen gepresst wurde, und auch die Ahndung von Betrügereien war wesentlich schwieriger. Ein britischer Baumwollkontrolleur hielt 1864 fest: „Unlike the cotton bales from the Southern States of America, which can, in cases of fraud, be traced by certain marks to the very plantation where the cotton was grown and packed, Indian packages are made of contributions from a number of small cultivators… All pressed bales can be traced to the place only where they were compressed for shipment“.79 Während einzelne indische Pflanzer nicht mehr als einen halben Ballen Baumwolle pro Jahr produzieren konnten, erzielte eine durchschnittliche amerikanische Baumwollfarm eine jährliche Ernte von zehn Ballen und kaum eine Farm in den USA erntete weniger als drei Ballen pro Jahr; einzelne große US-Baumwollfarmen konnten gar jährliche Erträge von mehreren hundert Ballen erzielen. Dann scheint der Einfluss der amerikanischen Baumwollbörsen auf den Inlandhandel größer gewesen zu sein als derjenige der Bombay Chamber of Commerce. Regulierungen waren in den USA auch leichter durchzusetzen als in Indien, wo die Pflanzer äußerst misstrauisch waren gegenüber den Einmischungsversuchen der Ko77 Killick, The Transformation of Cotton Marketing, 1981, S. 146–153. 78 Rivett-Carnac, Report of the Cotton Department, Bombay 1869, S. 131f. 79 MSA, Revenue Department, 1865, Vol. 9: Report by A.W. Hughes, Esq., Inspector of Cotton for Scind, dated 12th December 1864, S. 103.
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lonialregierung, wo Korruption weit verbreitet war und wo die britischen Beamten stets die politische Situation im Auge behalten mussten und es sich nicht leisten konnten, die indische Geschäftswelt zu verärgern.80 Neben Sprachbarrieren und der weit verbreiteten Korruption litt die Baumwollwirtschaft in Indien damit vor allem unter den Besonderheiten der kolonialen Situation, in der kein kultureller Basiskonsens und kein soziales Urvertrauen bestand.81 Die Bedürfnisse von Kaufleuten und Spinnern im amerikanischen Baumwollhandel konnten somit durch den Übergang der USA zu einem kapitalistischen Wirtschaftssystem erfüllt werden, während dies im kolonialen Indien lange Zeit nicht möglich war.
Die Eröffnung von Einkaufsagenturen im Landesinnern Aus den oben angeführten Gründen war weder die Bombayer Geschäftswelt noch die kolonialen Bürokratie in der Lage, für eine gleich bleibende Qualität der indischen Baumwolle zu sorgen. Dass dies dennoch gelang, lag daran, dass die großen europäischen Handelshäuser nach der Eröffnung der indischen Eisenbahnlinien damit begannen, Einkaufsagenturen im Hinterland einzurichten. Während des Amerikanischen Bürgerkrieges hatte Volkart erstmals Angestellte in die Inlandmärkte geschickt, um dort größere Mengen Baumwolle einzukaufen, die auch qualitativ besser sein sollte. Aufgrund des Ausbaus von Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten wurden für die Handelsfirmen das Erzielen von Skalenerträgen und das Festhalten an einer einheitlichen Baumwollqualität immer wichtiger. Volkart erstellte deshalb in den späten 1860er Jahren drei Baumwollenpressen im Hinterland von Bombay und in Tuticorin, die von europäischen Angestellten geleitet wurden. Die Pressen sollten es Volkart insbesondere erleichtern, in den Baumwolldistrikten Baumwolle für den Export aufkaufen zu können. Zudem schickte Volkart Bombay im März 1870 einen ihrer indischen Angestellten nach Khamgaon, damit dieser dort für die Firma Baumwolle aufkaufen sollte. Khamgaon war ein Städtchen in Berar, das als Folge der Umgestaltung der indischen Baumwollwirtschaft zwischen 1867 und 1869 aus dem Boden gestampft worden war. Zahlreiche Entkörnungsanlagen und Dampfpressen wurden errichtet, um die Rohbaumwolle für den Export aufzubereiten. Der Ort entwickelte sich schon bald zum größten Baumwollmarkt sowohl in Asien wie auch im gesamten britischen Empire. Bis zu 100’000 Ballen im Wert von einer Million Pfund Sterling wurden von hier jedes Jahr per Eisenbahn nach Bombay transportiert.82 Der Versuch, 80 Garside, Cotton Goes to Market, 1935, S. 35; Watson, Report on Cotton Gins, 1879, S. 159ff.; Pearse, The Cotton Industry of India, 1930, S. 31. 81 Osterhammel, Symbolpolitik und imperiale Integration, 2004, S. 401. 82 Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 173
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einen eigenen Einkäufer in dieser neu errichteten Baumwollstadt präsent zu haben, verlief für Volkart offenbar überaus erfolgreich, denn Salomon Volkart meinte in einem Brief nach Bombay: „Wenn Sie noch jemand von Ihrem Haus nach dem Innern detaschiert haben, so ist uns dies ganz recht. … Der Versuch mit dem jungen Cowasjee in Khamgaun lehrt uns, wie nothwendig es sogar ist, eigene Einkaeufer und Bezueger der Baumwolle im Innern zu haben.“83 1872 wurden deshalb, zusätzlich zu den Einkaufsmöglichkeiten in den Pressen, drei weitere Einkaufsagenturen im Landesinnern eröffnet; zwei davon wurden von Europäern geleitet, eine von einem indischen Angestellten.84 Bis in die 1920er Jahre eröffnete Volkart etwa hundert Einkaufsagenturen auf dem Subkontinent.85 Diese waren zwar auch mit dem Erwerb von Rohstoffen wie Kokosbast, Kaffee oder Gewürzen beschäftigt, die meisten aber dienten dem Einkauf von Rohbaumwolle. Die Einkaufsagenturen lagen meist in der Nähe einer der mandi (Sammelstellen) entlang der Eisenbahnlinien, wo die Baumwolle gelagert wurde, die aus den umliegenden Dörfern per Ochsenwagen angeliefert worden war.86 Damit wurde Volkart – zusammen mit der griechisch-britischen Handelsfirma Ralli Bros. – in praktisch jeder mandi zu einem der Hauptkäufer von indischer Baumwolle. Während Ralli vor allem griechische Einkaufsagenten anstellte, beschäftigte Volkart neben Europäern und Amerikanern auch zahlreiche Inder als Einkaufsagenten im Landesinnern.87 Die Volkart-Agenten im Landesinnern wurden angehalten, ab Beginn der Regenzeit jede Woche Berichte über Wetter, Aussaat, Pflanzenzustand und Wachstumsentwicklung nach Winterthur zu schicken und regelmäßig Produktesamples nach Bombay zu senden, um die Qualität der laufenden Ernte zu dokumentieren.88 Die Informationen, die Volkart mit der Durchdringung des Subkontinents durch die Einkaufsagenturen erlangte, gaben dem Unternehmen im hart umkämpften Baumwollgeschäft einen unschätzbaren Konkurrenzvorteil. Gleichzeitig wird deutlich, wie voraussetzungsreich der Erfolg im internationalen Baumwollhandel Ende des 19. Jahrhunderts geworden war. Der Aufbau eines ähnlich dichten Einkaufnetzes in anderen Baumwollanbaugebieten, wie etwa Ägypten, Brasilien oder den USA, wäre aufgrund der notwendigen Investitionen und der starken Konkurrenz, die mit den örtlichen Gegebenheiten bereits bestens vertraut war, auch für eine große Handelsfirma wie 83 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: Winterthur an Bombay, 17.3.1870. 84 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 108f. 85 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2. 86 Vgl. für eine Schilderung der Geschäftspraktiken in den Baumwollmärkten in Berar in den 1860er Jahren: Rivett-Carnac, Report of the Cotton Department, 1869, S. 134. 87 Ray, The Bazaar, 1988, S. 286. 88 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: General Regulations and Instructions for the Use of Volkart Brothers Up-Country-Agencies, Winterthur 1912, S. 21–27.
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Abb. 3 Baumwollprobenraum von Volkart in Bombay 1941 mit Baumwollsamples aus den verschiedenen Einkaufsagenturen (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 1, Album Bombay 1941)
Volkart äußerst schwierig, wenn nicht unmöglich gewesen. Erst ab den 1930er Jahren konnte Volkart für den Einkauf von Baumwolle in den USA und ab den 1940er Jahren in Brasilien Fuß zu fassen, wobei diese Expansion nur durch eine anfängliche Kooperation mit leistungsfähigen einheimischen Firmen möglich wurde.89 Im Landesinnern erwarb die Firma so genannte kappas, also Baumwolle, in der die Samen noch enthalten waren. Um diese für den Export aufzubereiten, beteiligten sich Volkart und andere große Exporthandelsfirmen an Baumwollentkörnungsanlagen, so genannten Gins, und Dampfpressen im Landesinnern. Bis Ende der 1860er Jahre war Baumwolle im Landesinnern mit Handpressen zu halbgepressten Ballen, so genannten dokras komprimiert worden. Anschließend war sie an die Küste transportiert worden, wo die halbgepressten Ballen geöffnet und überprüft wurden, um danach per Dampfpresse unter hohem Druck zu vollgepressten Ballen komprimiert zu werden. Dies war nötig, weil halbgepresste Ballen zu viel Frachtraum beanspruchten, weshalb sich die Schifffahrtslinien weigerten, sie für die Verschiffung nach Europa und Ostasien anzunehmen. Ebenfalls um ihre Transportkapazitäten besser ausnützen zu können, erhöhte die Peninsular Railway Co. ab der Saison 1869/70 die Fracht89 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 102–104 und 162; vgl. Kapitel 10 und 13.
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raten für halbgepresste Ballen. Vollgepresste Ballen konnten von nun an günstiger per Bahn an die Küste transportiert werden, als dies bei halbgepressten der Fall war. Aufgrund der Einsparungen in den Transportkosten lohnte sich für die Exporteure die Investition in Dampfpressen; die volle Pressung im Hinterland wurden ab den 1870er Jahren zum Standard. Die Baumwolle war nun sofort exportbereit, wenn sie in Bombay ankam. Die Entkörnungsanlagen und Pressen nützten insbesondere dem Exportgeschäft der europäischen Handelshäuser, die den größten Teil der neuen Anlagen kontrollierten, wodurch die Baumwolle im Hinterland praktisch vollständig unter ihre Kontrolle gelangte. Zwar nutzten auch zahlreiche indische Kaufleute die Gins und Pressen als Kapitalanlage; diese Beteiligungen gingen aber nicht über das Interesse an Dividenden hinaus. Ab der Jahrhundertwende richteten zudem die großen japanischen Handelsfirmen eigene Einkaufsagenturen in Indien ein, da Japan ab den späten 1890er Jahren zum wichtigsten Absatzmarkt für indische Rohbaumwolle geworden war.90 Volkart vereinigte 1873 die drei bestehenden Pressen, die sich im Besitz der Firma befanden, in der Volkart’s United Press Co. Ltd. (VUP). Diese neu gegründete Firma wies anfänglich ein Kapital von 450’000 Rupien auf; die Mehrheit der Anteile wurde von indischen Kapitalgebern gezeichnet, Volkart hielt nur eine Minderheitenbeteiligung. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts erstellte die VUP vier weitere Pressen und errichtete auch die ersten Baumwollentkörnungsanlagen; 1926 besaß die VUP zwölf Pressen und acht Gins auf dem ganzen Subkontinent. Der Firma Volkart gehörten bis in die 1920er Jahre nie mehr als 30% der Anteile. Faktisch kontrollierte sie jedoch die VUP, da sie das Management ausübte.91 Die Gins und Pressen waren ein wichtiger Teil der Einkaufsorganisation von Volkart, da sie es der Firma erlaubten, größere Mengen von Baumwolle im Hinterland zu erwerben, und da sie eine bessere Selektion der Ware ermöglichten.92 Die Einkaufsagenten wurden nicht nur angehalten, die Qualität der Baumwollangebote genau zu prüfen, sondern insbesondere auch zu kontrollieren, dass die Skalierung und die Einstellung der im Landesinnern verwendeten Waagen stets korrekt waren.93 In den 1870er Jahren etablierte Volkart bestimmte standardisierte Baumwolltypen, die sich durch eine jeweils einheitliche Farbe, Faserlänge und Festigkeit auszeichneten. Die 90 Naoto, Up-country Purchase Activities, 2001, S. 205ff.; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 171; Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 181–184; Ray, The Bazaar, 1988, S. 286. Vgl. für den Export von indischer Baumwolle nach Japan Kapitel 10. 91 VA, Dossier 10: VUP (Volkart United Press Comp.), 1. The Tinnevelly Press Co. Ltd. / The Comrawattee Press Co. Ltd. / The Bhownuggar Press Co. Ltd. 92 VA, Dossier 20: VB Organisation 1952/53: Aide-mémoire on some principles of the cottonbusiness, 18.3.1953. 93 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: General Regulations and Instructions for the Use of Volkart Brothers Up-Country-Agencies. Winterthur 1912, S. 13.
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Abb. 4 Die Industrialisierung veränderte nicht nur die Textilproduktion in den Industrieländern, sondern auch die Aufbereitung des Rohstoffes für den Export in den Anbauländern: Baumwollpresse von Volkart in Amraoti Ende des 19. Jahrhunderts (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 3: Sammlung Jakob Brack)
Einführung dieser Typen wurde zentral für das Geschäft der Firma. 1870 schrieb Salomon Volkart in einem Brief an die Filiale in Bombay: „Wenn es Ihnen gelaenge, in Oomra gewisse Typen festzusetzen und bei denselben zu verharren, so ware das von großer Wichtigkeit fuer unser Geschaeft. Die Qualitaeten muessten durch besondere Marken bezeichnet werden und falls sie immer gleichmaeßig ausfielen so wuessten unsere Abnehmer jederzeit, was sie für Baumwolle zu erwarten haben.“94 Die Selektion dieser Typen geschah durch Verwendung des Klassierungssystems der Liverpooler Baumwollbörse. Die Firma Volkart bezeichnete ihre Baumwolltypen als „Bombay Classements“.95 Diese galten bei den europäischen Spinnern schon bald als Standards für indische Baumwolle. Volkart gelang damit die „Etablierung einer Marke V.B.96, die von gewissen Abnehmern extra gut bezahlt [wurde]“, wie es in einem Brief aus
94 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867–25.8.1870, 22.12.1870 Winterthur an Bombay. 95 Gebrüder Volkart, Calculationstabellen, 1873, S. 14. 96 V.B. ist die Abkürzung von Volkart Brothers.
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dem Winterthurer Haupthaus von 1922 hieß.97 Die Einführung von standardisierten Baumwolltypen war aber nicht nur wichtig, um damit den Spinnereien einheitliche und stets gleich bleibende Baumwolltypen offerieren zu können, sondern auch, um die Transaktionen mit Termingeschäften an der Liverpooler Baumwollbörse gegen Preisveränderungen abzusichern.98
Die indischen Geldverleiher und die koloniale Baumwollökonomie Wie weiter oben erwähnt lag einer der Hauptgründe, weshalb die britische Kolonialregierung in Indien Eisenbahnlinien, Telegraphenstationen und Straßen bauen ließ, darin, dass sie den Subkontinent zu einem Rohstoffproduzenten für die Spinnereiindustrie Lancashires machen wollte.99 In den Augen vieler Europäer war dies jedoch kein Akt von wirtschaftlicher Ausbeutung, sondern ein Schritt, um Indien zu modernisieren und auch auf dem Subkontinent eine industrielle Entwicklung zu ermöglichen.100 Wie fest sie davon überzeugt waren, dass westliche Institutionen und Infrastrukturbauten in Indien eine ähnliche Entwicklung wie in Europa einleiten würden, zeigt das folgende Statement von John Chapman, einem der wichtigsten Fürsprecher für den Bau der Great Indian Peninsular Railway. Er meinte 1848, dass viele britische Kaufleute den Bau der indischen Eisenbahn „as nothing more than an extension of their own line from Manchester to Liverpool“ ansehen würden.101 In Bezug auf den Baumwollhandel waren die Briten davon überzeugt, dass der Bau von modernen Infrastrukturanlagen zum Verschwinden der zahllosen Mittelsleute führen würde, die für die Europäer die Geschäfte in Indien bis dahin so mühsam gemacht hatten, und schließlich die Entstehung eines modernen Baumwollmarktes bewirken würde. Im ersten Moment schien es tatsächlich, als ob dies gelingen könnte. 1868 informierte die britische Handelsfirma W. Nichol & Co. den Baumwollkomissar der Kolonialregierung C. F. Forbes, dass sich aufgrund des Baus der Eisenbahnlinie nach Bombay die Baumwollqualität in Berar stark verbessert habe. Das Handelshaus war überzeugt, dass dasselbe auch in Dharwar geschehen würde, „were they blessed with Railway communication with the Coast. … The Ryots would be brought into direct communication with the agent of the Bombay purchasers, and would speed97 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen: Bremen (incl. Hamburg office), 3. Correspondence: Winterthur an Bremen, 9. Juni 1922. 98 Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 181. Vgl. zur Bedeutung des Terminhandels für das Rohstoffgeschäft Kapitel 3. 99 Vgl. zur Bedeutung von Infrastrukturbauten für die koloniale Herrschaft van Laak, Imperiale Infrastruktur, 2004. 100 Headrick, The Tools of Empire, 1981, S. 181–188. 101 Zit nach Thorner, Investment in Empire, 1950, S. 96.
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ily see that it was to his advantage to bring his Cotton to market well cleaned and of good quality.“102 Einige Jahre später zeigte sich J. K. Bythell, der Vorsitzende der Bombay Chamber of Commerce erfreut darüber, dass in Inlandmärkten wie Khamgaon oder Oomrawutnee „every morning during the season … a very large number of the ryots bargain directly with the European buyer and discuss as keenly and acutely as any one the latest news from Liverpool as given by Reuters daily in these markets.“103 Auch Volkart zeigte sich 1873 in einem Büchlein mit Preistabellen, das den Kunden der Firma überreicht wurde, überzeugt davon, dass die Eisenbahnlinien zu einer Ausschaltung der indischen Zwischenhändler führen würden: „Die Einrichtung von eigenen Agenturen und speciell die unter unserer Direction stehenden Dampfpressen in den hauptsächlichen Baumwolldistricten setzen uns in den Stand, unsere Baumwollankäufe in vorteilhafterer Weise abzuschliessen, als es bisher der Fall gewesen ist. Durch den directen Einkauf von den Pflanzern vermeiden wir nämlich die bisherige Vermittlung der eingeborenen Baumwollhändler und sichern uns die ursprüngliche, unverfälschte Qualität aus erster Hand.“104 Anders als in diesen Zitaten behauptet, erwarben Volkart und andere Handelshäuser jedoch auch in den Inlandmärkten die Baumwolle praktisch nie direkt von den Pflanzern, sondern meistens von lokalen Mittelsmännern.105 Viele von ihnen waren im Regionalgeschäft tätige Händler oder vermögende Bauern, die als sowkars (ländliche Geldverleiher) tätig waren und den ryots Kredite gaben. Das Kapital dazu erhielten sie meistens von vermögenden indischen Geldverleihern aus den Städten. Einige der sowkars waren auch während des Amerikanischen Bürgerkrieges, als die indische Baumwollwirtschaft immer mehr für den Weltmarkt produzierte, in die Dörfer gekommen, wo sie Gemischtwarenläden eröffneten und nebenher den Bauern Kredite für ihre Pflanzungen gewährten. Die sowkars konnten die Kreditwürdigkeit der ryots besser abschätzen als es städtische Kapitalgeber vermocht hätten, da sie über ein größeres landwirtschaftliches Wissen verfügten, die lokalen Verhältnisse kannten
102 MSA, Revenue Department, 1868, Vol. 4, No. 844: Cotton – Cotton cultivation and trade in the Southern Maratha Country: Letter of W. Nichol and Co. to C.F. Forbes, Cotton Commissioner, Bombay, 29th July 1868. 103 MSA, Revenue Department, 1874, Vol. 27, No. 351: Cotton – Opinion of Officer of Cotton Dept. in reference of the statement made by the Bombay Chamber of Commerce on the present state of the Mofussil cotton trade: Letter from J.K. Bythell, chairman of the Bombay Chamber of Commerce, Bombay, to the Chief Secretary to Government, Revenue Department, Bombay, 11th March 1874. 104 Gebrüder Volkart, Calculationstabellen, 1873, S. 11. 105 Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 31. Vgl. auch Mr. N. P. Dantra, Agent, Messrs. Volkart Bros., Nagpur, 13.11.1917, in: Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume IV, 1920, S. 20.
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und aufgrund ihrer Verwurzelung in der Dorfwirtschaft in einer besseren Position waren, um Schulden einzutreiben.106 Die Einrichtung einer exportorientierten Baumwollökonomie veränderte das Verhältnis zwischen Bauern und Geldverleihern fundamental, obwohl die sowkars bereits seit Jahrhunderten Agrarkredite an die indischen Bauern vergaben. In vorkolonialer Zeit – und auch in den Fürstenstaaten während der Kolonialzeit – hatten die örtlichen Machthaber stets Vorschriften gegen Preistreiberei erlassen, und sie hatten die sowkars verpflichtet, die Bauern in Notzeiten durch Nahrungslieferungen und die Bereitstellung von Saatgut für die nächstjährige Ernte zu unterstützen. Wie David Hardiman gezeigt hat, brachte die koloniale Baumwollökonomie, die ganz auf der Ideologie des Freihandels beruhte, die moral economy aus dem Gleichgewicht, die bis dahin im indischen Hinterland geherrscht hatte. Als Folge davon kam es in Gebieten, die nach 1858 unter direkte Kontrolle der britischen Krone geraten waren, weit häufiger zu Hungersnöten und Revolten als in der vorkolonialen Zeit und auch häufiger als in den indischen Fürstenstaaten während der Kolonialzeit.107 Ein weiteres Beispiel dafür, wie die Briten den ländlichen Mikrokosmos des indischen Hinterlandes veränderten, ohne sich der Folgen der von ihnen eingeleiten Reformen bewusst zu sein, betrifft die Einführung von individuellen Landrechten durch die Kolonialregierung. Die ryots wurden dabei nicht zu den eigentlichen Besitzern der von ihnen bewirtschafteten Felder, sondern sie waren letztendlich bloß Pächter von Grundstücken, die in Regierungsbesitz waren. Wenn die Bauern nicht in der Lage waren, die von den Briten eingeführte Bodensteuer zu bezahlen, konnten sie von ihren Feldern vertrieben werden. Dies war eine grundsätzlich andere Situation im Vergleich mit der vorkolonialen Periode, wo der Staat keine rechtlichen Grundlagen besessen hatte, den Bauern den Boden wegzunehmen, den sie bewirtschafteten.108 Zudem stellte sich für die Bauern das Problem, dass die Bodensteuer auf den durchschnittlichen Rohstoffpreisen der vorangegangenen zehn Jahre beruhte, es jedoch keine Ermäßigung im Falle von Missernten oder einem plötzlichen Einbrechen der Rohstoffpreise auf dem Weltmarkt gab. Das neue Bodenrecht veränderte nicht nur die Beziehung zwischen Bauern und Staat, sondern es beeinflusste auch das Verhältnis zwischen Bauern und sowkars. Zusätzlich zu den Schulden, die die Bauern hatten machen müssen, um Saatgut und landwirtschaftliche Geräte kaufen zu können, mussten sie nun auch Kredite aufnehmen, um ihre Bodensteuern zu bezahlen. Dazu mussten die ryots ihre Produkte noch vor der Ernte – und oft bereits vor der Aussaat – zu 106 Chandavarkar, The Origins of Industrial Capitalism, 1994, S. 50; Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 114–116; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 205ff.; Guha, The Agrarian Economy, 1985, S. 71 und 146. 107 Hardiman, Usury, Dearth and Famine, 1996. 108 Von Albertini, Europäische Kolonialherrschaft, 1976, S. 37–45; Hardiman, Usury, Dearth and Famine in Western India, 1996, S. 125.
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Abb. 5 Transport von Baumwollsäcken auf Ochsen zu einem Inlandmarkt durch indische Bauern Ende des 19. Jahrhunderts (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 3, Sammlung Jakob Brack)
einem festgelegten Preis an die sowkars verkaufen. Für diese Kredite verlangten die Geldverleiher Zinsen, die oft mehr als 30% pro Jahr betrugen. Wenn die Bauern nach der Ernte die festgelegte Menge Baumwolle nicht liefern konnten – was aufgrund der steten Gefahr eines Ausbleibens des Monsuns alles andere als selten vorkam – mussten sie einen zusätzlichen Kredit aufnehmen, was wiederum ihre Abhängigkeit von den sowkars verstärkte. Auf diese Weise waren in gewissen Gebieten bis zu 90% der Bauern tief verschuldet und die Geldverleiher kontrollierten bis zu 80% der Baumwollernte in den jeweiligen Dörfern.109 Für den kolonialen Staat brachte die Kreditvergabe durch die Geldverleiher einen doppelten Vorteil: einerseits erlaubte diese den Bauern, ihre Steuern zu bezahlen, was dem Staat dringend benötigte Einnahmen verschaffte, andererseits stellten die Kredite sicher, dass die Bauern auf ihren Feldern bleiben und weiter für den Rohstoffexport produzieren konnten. Die Kehrseite dieses Systems bestand darin, dass die 109 Rothermund, Government, Landlord, and Peasant in India, 1978, S. 17; Charlesworth, Peasants and Imperial Rule, 1985, S. 83; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 208–228.
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starke Stellung der Geldverleiher in den Dörfern und die permanente Verschuldung der Bauern sämtliche Versuche zur Verbesserung der indischen Baumwollqualität zunichte machten. Die Bauern hatten keinen Grund, bei der Ernte besondere Sorgfalt walten zu lassen, da die Baumwolle ja bereits im Besitz der Geldverleiher war. Oft lag sie mehrere Tage auf dem Boden, bevor sie eingesammelt wurde. Im Gegensatz dazu wurde das Getreide, das die Bauern zur Selbstversorgung auf ihren Feldern anbauten und das sich noch in ihrem Besitz befand, stets mit großer Achtsamkeit geerntet.110 Die Kolonialbeamten waren sich wohl bewusst, dass die Verschuldung der Bauern ein Problem darstellte. Die Schuld hierfür suchten sie jedoch bei den Geldverleihern. So meinte ein britischer Beobachter 1861, die ryots seien „little better then slaves to the money lending class“111. Indem sie die angeblichen Wucherpraktiken der Geldverleiher für die Probleme der indischen Landwirtschaft verantwortlich machten, verfehlten die Briten jedoch die eigentlichen Ursachen der Schwierigkeiten. Diese lagen nicht zuletzt darin, dass es dem kolonialen Staat nicht gelungen war, den Bauern andere Kreditmöglichkeiten zu eröffnen.112 Staatlich geförderte Baumwollkooperativen, die den Bauern Kapital für die Finanzierung des Anbaus zur Verfügung stellten, wurden in Indien erst in den 1920er Jahren gegründet, und dies auch erst, als indische Unternehmer einen größeren Einfluss auf die Landwirtschaftspolitik Britisch Indiens nehmen konnten.113 Im 19. und frühen 20. Jahrhundert verließen sich die Briten dagegen darauf, dass die Vermögen der indischen Kaufleute dazu verwendet wurden, um den Baumwollanbau zu finanzieren. Die Ansicht, der Subkontinent sei ein Paradies für die indischen Geldverleiher und deren Wucherzinsen stellten die eigentliche Ursache für die schlechte Baumwollqualität dar, ist deshalb nach Ansicht von Neil Charlesworth nichts weiter als eine westliche Projektion. Eine solche Argumentation vernachlässigt nicht zuletzt die beträchtlichen Risiken, welche die sowkars mit der Gewährung von Agrarkrediten eingingen. So bestand stets die Gefahr, dass die Ernte durch ein Ausbleiben des Monsuns ausfiel oder das der Wert der Baumwolle sich durch ein Fallen der Weltmarktpreise drastisch verminderte.114 Dies war für die sowkars nicht zuletzt deshalb ein Problem, weil sie die Vorschüsse an die Bauern nicht aus eigenen Mitteln bestreiten konnten, sondern hierfür wiederum Kredite von wohlhabenden städtischen Kaufleuten in Anspruch nehmen mussten. Es ist deshalb 110 Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 241. Satya interpretiert diese Nachlässigkeit bei der Baumwollernte als subtile Form des bäuerlichen Widerstandes im Sinne von Scott, Weapons of the Weak, 1985. 111 Smith, The Cotton Trade of India, 1863, S. 20. 112 Dies war ein beträchtlicher Unterschied zu Europa oder Großbritannien, wo der Staat im 19. Jahrhundert große Anstrengungen unternahm, um Kredite für Bauern oder für das Kleingewerbe bereit zu stellen: Buchheim, Industrielle Revolutionen, 1994, S. 149–151. 113 NML, Manuscript Section, Purshotamdas Thakurdas Papers, File No. 6; Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 116f. und 124. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 9. 114 See Charlesworth, Peasants and Imperial Rule, 1985, S. 83f. und 89.
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unwahrscheinlich, dass die Geldverleiher in den Dörfern substantielle Profite erwirtschaften konnten – dies im Gegensatz zu den europäischen Handelshäusern oder der indischen Kaufmannselite in den Städten.115 Darüber hinaus half nicht zuletzt die koloniale Gerichtsbarkeit den sowkars, ihre Schuldner in Schach zu halten. Die von den Briten eingeführten Handelsgesetze sollten in erster Linie die Investitionen der Kreditgeber schützen. Verträge wurden für bindend erklärt und die Schuldner verurteilten sich quasi selbst, wenn sie sie nicht einhielten. Für Transaktionen zwischen Gleichgestellten war diese Regelung sinnvoll, aber bei Geschäften zwischen Bauern, die in der Regel nicht lesen konnten, und einem gewieften Geldverleiher wurde klar der letztere bevorteilt. Die Geldverleiher brachten allerdings kaum einmal einen zahlungsunfähigen Bauern vor Gericht. Sie waren in erster Linie daran interessiert, den Zugriff auf die bäuerliche Ernte zu verstärken. Sie hatten jedoch kein Interesse daran, die Felder zu übernehmen, da diese wenig Gewinn abwarfen und ihnen die Arbeitskräfte gefehlt hätten, um die von den Bauern bewirtschafteten Felder zu übernehmen. Die Drohung mit der kolonialen Justiz schüchterte jedoch die meisten Bauern derart ein, dass sie den Forderungen ihrer Geldgeber Folge leisteten.116
Europäische Kaufleute und indische Mittelsleute Auch nachdem die europäischen Handelshäuser ab den 1860er Jahren Einkaufsagenturen im Landesinnern eröffnet hatten, blieben die sowkars zentral für die Kreditvergabe in der landwirtschaftlichen Produktion. Zu Beginn hatten die europäischen Exportfirmen versucht, die Geldverleiher zu umgehen und direkt von den Pflanzern zu kaufen. Doch die Geldverleiher hatten eine derart starke Position in ihren Dörfern, dass sie den Versuchen der Europäer mit einer Strategie der Nicht-Kooperation begegneten, die den Europäern die Geschäfte beträchtlich erschwerte.117 Da für die Europäer die Finanzierung der Einkäufe im Landesinnern ohne die Zusammenarbeit mit einheimischen Kaufleuten nicht möglich war, kooperierten sie schließlich mit den Geldverleihern. Während es damit den Europäern bis in die 1870er Jahre gelungen war, die Tausende von Kilometer zwischen den mandis im indischen Hinterland und den Spinnereidistrikten in Europa unter ihre Kontrolle zu bringen, war es ihnen unmöglich, die ersten zehn oder zwanzig Kilometer zwischen den Baumwollfeldern 115 Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 33; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 197. 116 Rothermund, Government, Landlord, and Peasant in India, 1978, S. 17; Rothermund, Currencies, Taxes and Credit, 2002, S. 15–18; Charlesworth, Peasants and Imperial Rule, 1985, S. 103; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 208f. 117 Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 242.
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und den indischen Inlandmärkten wie gewünscht beeinflussen zu können. Insofern ist die von Dietmar Rothermund und Laxman Satya vertretene Ansicht, die europäische Handelswelt habe die indische Landwirtschaft während der Kolonialzeit wie eine große Plantage benutzen können – mit dem wesentlichen Unterschied, dass sie sich nicht um das Auskommen der Bauern sorgen mussten, da diese sich durch den Anbau von Nahrungsmitteln selber versorgten – nur teilweise korrekt.118 Während die Betreiber von Plantagen die Qualität der auf ihren Feldern produzierten Rohstoffe relativ gut kontrollieren konnten, gelang genau dies den Europäern angesichts der sozialen und wirtschaftlichen Verhältnisse im indischen Hinterland während der ganzen Kolonialzeit nicht. Dies war für die europäischen Handelshäuser jedoch nicht wirklich ein Problem. Für Exportfirmen wie Volkart hatte die Kooperation mit lokalen Geldverleihern den Vorteil, dass sie es weitgehend vermeiden konnten, den Zulieferern Vorschüsse zu bezahlen. Tatsächlich hatte es sich die Firma ab den späten 1860ern Jahren zum Prinzip gemacht, Lieferanten wie Kunden keine Kredite zu geben, sondern darauf zu bestehen, dass die Waren im Moment der Lieferung bezahlt wurden oder dass die Kunden mindestens eine Zahlungsgarantie einer Bank oder eines Brokers beibringen mussten.119 Im Jahr 1870 etwa hatte Salomon Volkart in einem Brief an die Filiale in Bombay geschrieben: „Wir wollen keine Baumwollcontracte die Vorschuesse von Ihnen verlangen. Die Opfer, welche ein solches incorrectes Geschaeftssystem in Cochin und Tuticorin verlangt haben, sind noch zu frisch in unserem Gedaechtnisse und wollen wir uns dergleichen Verluste nicht mehr aussetzen.“120Auch wenn die Firma bisweilen davon abwich121 – in aller Regel konnte sie dieses Geschäftsprinzip durchsetzen. Erst nach dem Ersten Weltkrieg sah sich Volkart gezwungen, Fabrikanten in Deutschland und Ostasien Baumwolle gegen Kredit zu verkaufen. Und erst nach 1945 ging Volkart wieder dazu über, Vorschüsse für den Kauf von Rohstoffen zu bezahlen.122 Auf dem Subkontinent konnte Volkart sich für den Baumwollexport der vermittelnden Rolle von vermögenden Kaufleuten bedienen, die als Bindeglied zwischen 118 Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 208–228; Rothermund, Government, Landlord, and Peasant in India, 1978, S. 17. 119 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: 22.7.1869, Sal. Volkart an Spitteler, acting BM Cochin; Gebrüder Volkart, Calculationstabellen, 1873, S. 13 und 31ff.; VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Osaka, Kopien nach Bombay, Karachi, Tuticorin, 10. April 1918 (Diktat von E. Müller-Renner). 120 VA, Dossier 1: B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: 22.12.1870 Winterthur an Bombay. 121 So meinte Jean Rutz, Agent von Volkart in Guntur, bei einer Befragung durch das Indian Cotton Committee im Jahr 1918, dass Volkart an diesem Ort die Baumwolle durch das Bezahlen von Vorschüssen einkaufe: Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume V, 1920, S. 20. Dies scheint aber eine Ausnahme gewesen zu sein. Andere Einkaufsagenten von Volkart gaben in derselben Befragung an, dass in ihren Distrikten nie Vorschüsse bezahlt würden. 122 Vgl. hierzu die Kapitel 8, 10, sowie 12–14.
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der agrarischen Dorfwirtschaft im Landesinnern und den auf den Weltmarkt hin ausgerichteten europäischen Exportfirmen funktionierten.123 Die Ansicht verschiedener Wirtschaftshistoriker, dass in Indien die Kredite für Agrarexporte ab den 1860er Jahren von den großen Exportfirmen stammten,124 ist damit zumindest im Fall von Volkart falsch. Doch auch andere Exporteure wie Ralli oder die Japan Trading Company berichteten in einer Umfrage des Indian Cotton Committees kurz vor Ende des Ersten Weltkrieges, dass die Vorschüsse für den Anbau von Baumwolle durch indische Zwischenhändler gewährt wurden, die je nach Region als aratyas, baniyas oder Broker bezeichnet wurden.125 Die Handelsfirmen verfügten zu dieser Zeit über zu wenig Kapital, als dass sie es sich hätten leisten können, die gewaltigen Summen aufzubringen, die nötig gewesen wären, um den Baumwollanbau zu finanzieren und dieses Geld dann monatelang in den Agrarkrediten immobilisiert zu wissen. Immerhin waren die von ihnen gehandelten Rohstoffe nach dem Einkauf in Indien monatelang unterwegs, bis sie schließlich in Europa oder Ostasien verkauft wurden. Da die Handelsfirmen ab den späten 1860er Jahren in der Regel auf eigene Rechnung arbeiteten, erhielten sie den Erlös für ihre Lieferungen erst im Moment, wo diese im Zielhafen eintrafen und von den Spinnereien übernommen wurden. In der Zwischenzeit waren die Handelsfirmen auf ihr eigenes Kapital und auf kurzfristige Bankkredite angewiesen, um liquide zu bleiben.126 Zudem ist das Risiko bei Agrarkrediten traditionellerweise sehr groß, da Schädlinge oder Wettereinflüsse die Ernte ruinieren können oder ein Sinken der Weltmarktpreise es den Bauern verunmöglichen kann, ihre Kredite zurückzuzahlen.127 Die Handelsfirmen verfügten nicht über die Ressourcen, um Zahlungen bei säumigen Schuldnern im indischen Hinterland einzutreiben. Es war für sie deshalb wesentlich ökonomischer, dieses Risiko an lokale Geldverleiher zu delegieren. Neben den Geldverleihern, die in der Regel auch als Zwischenhändler agierten und den Exporteuren die Baumwolle auslieferten, kooperierten die europäischen Handelshäuser auch mit indischen Bankiers, den bereits früher erwähnten shroffs. Eines der Hauptprobleme der europäischen Kaufleute hatte seit dem frühen 19. 123 Ray, The Bazaar, 1988. Eine vergleichbare gegenseitige Abhängigkeit bestand bereits im frühen 19. Jahrhundert zwischen indischen Geldverleihern und der British East India Company: Siddiqi, Some Aspects of Indian Business, 1987, S. 79. Dies kann als Hinweis darauf interpretiert werden, dass europäische und asiatische Kapitalisten auch in der Kolonialzeit ähnliche Interessen hatten und sich in ihren Aktivitäten ergänzten: Austin/Sugihara, Local Suppliers of Credit, 1993, S. 18. 124 Tomlinson, The Economy of Modern India, 1993, S. 68; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 126f.; Beckert, Emancipation and Empire, 2004, S. 1425. 125 Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume IV, 1920, S. 45f., 60 und 107; Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume V, 1920, S. 63. 126 Vgl. Kapitel 3. 127 Vgl. Charlesworth, Peasants and Imperial Rule, 1985, S. 83–89.
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Jahrhundert darin bestanden, ihre Einkaufsagenten im Landesinnern mit genügend Bargeld zu versorgen.128 Die indischen Pflanzer und Kleinhändler weigerten sich, Papiergeld oder hundis, die in der indischen Bazarökonomie üblichen Wechsel, anzunehmen und akzeptierten häufig nur Silbermünzen. In vielen Orten im Landesinnern existierten aber bis in die 1920er Jahre keine Banken, die europäische Einkaufsagenten mit ausreichend Bargeld hätten versorgen können. Volkart schickte deshalb bisweilen Silbermünzen in eisenbeschlagenen Küsten in die Einkaufsagenturen, wobei die Sendungen stets von zwei vertrauenswürdigen Angestellten begleitet wurden. In den meisten Fällen benutzte die Firma für die Bezahluung der Einkäufe jedoch die Hilfe eines shroffs. Während die sowkars längerfristige Agrarkredite an die Bauern vergaben und keinerlei vertragliche Bindungen mit den Exportfirmen hatten, waren die shroffs vertraglich an den Exporteur gebunden.129 Das horizontale Netzwerk zwischen Handelsfirma und shroffs besaß also einen hierarchischen Kern. Die shroffs mussten den lokalen Zwischenhändlern Bargeld für deren Rohstofflieferungen zahlen, wenn sie von den Agenten von Volkart dazu angewiesen wurden. Volkart verpflichtete sich, den shroffs diese Auslagen in den Einkaufsagenturen gegen Präsentation der Zahlungsbelege zurückzuerstatten. Für ihre Tätigkeit erhielten die shroffs einen bestimmten Prozentsatz ihrer Zahlungen als Kommissionsgebühr. Nur in Ausnahmefällen gewährte Volkart den shroffs einen Vorschuss, damit diese die lokalen Zwischenhändler bezahlen konnten.130 Solche Vorschüsse an die shroffs waren etwa nötig, da während der Baumwollsaison jeden Tag große Umsätze getätigt wurden, die das Kapital eines einzelnen shroffs überstiegen, der oft die Einkäufe mehrerer Exportfirmen finanzierte. Dabei handelte es sich aber bloß um äußerst kurzfristige Kredite, und es oblag dem örtlichen Einkaufsagenten, „darueber zu wachen, dass unser Geld sofort und fuer Zahlungen unserer Einkaeufe verwendet wird und die Haendler Quittungen von den verschiedenen out-stations sofort einlaufen.“131 Das Fehlen von regulären Geschäftsbanken an vielen inländischen Handelsplätzen wurde lange Zeit nicht als Nachteil empfunden. Nicht zuletzt, weil das ShroffageSystem der europäischen Handelsfirma erlaubte, ihre Transaktionen in die lokalen Geschäftsstrukturen einzubetten. Ein Instruktionsmanual von Volkart aus dem Jahr 128 Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983, S. 254. 129 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: General Regulations and Instructions for the Use of Volkart Brothers Up-Country-Agencies, Winterthur 1912, S. 21– 27; VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 3 Inland financing – shroffage agreements, for the search of a shroff in the Karachi branch. 130 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 3. Inland Financing – Shroffage Agreements: Shroffage Agreement between the Firm of Messrs. Volkart Bros. and the Firm of Messrs. Tulsidas Meghraj, 19. November 1928. 131 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 3 Inland financing – shroffage agreements: Karachi an Winterthur, 19. April 1923.
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Abb. 6 Seth Sobhraj Chetumal: Guarantee Broker von Volkart in Karachi 1899 (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 4, Indien einzelne Orte, Karachi)
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1912 hielt etwa fest: „Besides a Bank will be no help to us in other branches of our business whilst an influential Shroff is able to and may do a good deal to influence dealers in our favour and thus facilitate our business in general.“132 Die Nachteile dieses Systems erfuhr Volkart jedoch in der Zwischenkriegszeit. So hieß es 1931 in einem Brief aus Karachi an den Winterthurer Hauptsitz: „Es ist heutzutage keine Leichtigkeit, finanzkraeftige und absolut zuverlaessige Shroffs zu finden. Es mag ein Mann heute noch sehr reich sein, in sechs Monaten ist er aber schon dem Bankerott nahe und das financial standing eines Inders auf nur ein Jahr hinaus zu beurteilen, ist eine totale Unmoeglichkeit.“ Aus diesem Grund überlegte sich Volkart, vermehrt mit Banken Arrangements für die Finanzierung des Einkaufs zu treffen.133 Ab wann Volkart mit indischen Geschäftsbanken zusammenarbeitete, lässt sich aufgrund der Quellen nicht mehr eruieren. Sicher ist, dass die Firma bereits seit längerer Zeit Geschäfte mit den Presidency Banks von Bombay und Madras gemacht hatte, bevor diese 1921 zur Imperial Bank of India fusionierten. Die Imperial Bank of India war äußerst nützlich für die Finanzierung der Einkäufe, da sie auf dem ganzen Subkontinent Filialen besaß. Weil sie sich aber bei der Kreditgewährung eher unflexibel zeigte, wechselte Volkart in den 1930er Jahren zur Chartered Bank. Langfristig tauschte Volkart somit die traditionelle Finanzierung der Einkäufe durch die shroffs gegen eine modernere Form der Kreditvergabe durch Geschäftsbanken. Dabei handelte es sich jedoch um einen fließenden Übergang, da Volkart auch noch in den frühen 1930er Jahren shroffage agreements mit indischen Kaufleuten hatte.134 Dies zeigt, dass man trotz der vertikalen Integration des Einkaufes durch die Einrichtung von Einkaufsagenturen im Hinterland nicht generell von einem Ersetzen von Markt und Netzwerk durch die Hierarchie der Firma sprechen kann. Exporteure wie Volkart waren für ihre Geschäfte nach wie vor auf enge Kooperationen mit indischen Kaufleuten angewiesen. So wurde für den Baumwolleinkauf in den Bazars der Küstenstädte bis in die 1930er Jahre auf indische Broker zurückgegriffen. Noch 1922 – also ein halbes Jahrhundert nach Einrichtung der ersten Einkaufsagenturen – hieß es in der Mitarbeiterzeitung von Volkart in einem Beitrag über die Funktion der indischen Broker: „Anybody who is acquainted with business life in India knows by experience what an important part the broker plays therein. The Broker … is so to speak the central figure, around which the daily business is transacted, the connecting link between the European firm and the dealers“.135 132 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: General Regulations and Instructions for the Use of Volkart Brothers Up-Country-Agencies, Winterthur 1912, S. 25. 133 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 3 Inland financing – shroffage agreements: Brief Karachi an Winterthur, 17. September 1931. 134 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 3 Inland financing – shroffage agreements. 135 V.B. News, No. 4, 1922, S. 17.
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Anfangs der 1930er Jahre überlegte man sich im Winterthurer Hauptsitz von Volkart zwar, ob man angesichts der immer schärferen Konkurrenz durch indische Exportfirmen nicht auf die Beschäftigung eines eigenen House-Brokers in Bombay verzichten und die Einkäufe auf dem örtlichen Baumwollmarkt durch eine lockere Zusammenarbeit mit angesehenen Bazar-Brokern vornehmen wolle.136 Dieser Vorschlag stieß bei Volkart Bombay jedoch auf Ablehnung, nicht zuletzt, da die unabhängigen Broker gegenüber Volkart bloß „einen Bruchteil der Loyalitaet … an den Tag legen“ würden, „auf die wir bei einem House Broker Arrangement, wie wir es heute haben, rechnen koennen. Wir muessen in dieser Hinsicht dieser alten indischen Institution schon noch etwas zugute halten, wenn sie auch mit den modernen Auffassungen nicht mehr in Einklang steht.“137 Die Verbundenheit der Broker mit der Firma war nicht zuletzt deshalb wichtig, da die Broker eine wichtige Funktion als Informationsquelle hatten. So hieß es in einem Brief aus der Filiale in Madras aus dem Jahr 1939, es sei nicht unbedingt nötig, der lokalen Handelskammer beizutreten, „um zu erfahren, was die Konkurrenz macht – einen darueber zu informieren, dazu sind die Brokers da.“138
Familienwirtschaft und die Stabilisierung von Vertrauensbeziehungen Da die Zusammenarbeit mit indischen Mittelsleuten nur zum Teil juristisch abgesichert werden konnte, beruhten diese Geschäftsbeziehungen wesentlich auf gegenseitigem Vertrauen. Wie die Broker mussten auch die shroffs zuverlässige und in ihrem Umfeld respektierte Kaufleute sein. Die einheimischen Mittelsleute waren für die Europäer um so wichtiger, als sie selber auf dem Subkontinent über nur wenig soziales Kapital verfügten und deshalb stets gewärtigen mussten, von Kunden und Zulieferern betrogen zu werden. O. Haefliger, Einkaufsagent von Volkart in Lyallpur meinte 1918 bei einer Befragung durch das Indian Cotton Committee: „I find that, in matters of trade, the Punjab is in a state little short of anarchy, so much so that, the one element so very important and so highly esteemed in European business life, trust, is
136 VA, Dossier 3: Bombay I, 6. Bombay House brokers: Conferenz vom 20.5.32. 137 VA, Dossier 3: Bombay I, 6. Bombay House brokers: Bombay an Winterthur, 28.6.1932. 138 VA, Dossier 12: Tuticorin / Madras, Madras, 8. Miscellaneous information: Madras an Winterthur, 9. Mai 1939. Auch Ralli benutzte in den 1880er Jahren in Kalkutta die Broker, um Marktinformationen einzuholen. Die Firma war sich allerdings im Klaren darüber, dass „the news received from them is not very reliable, as it emanates from the bazaar and often comes from interested sources“ (Ralli Brothers’ Calcutta Handbook. Volume II. Articles. Calcutta, September 1888, S. 26).
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entirely out of place here.“139 Diese Vertrauenslücke wurde durch die Kooperation mit indischen Brokern oder shroffs geschlossen. In gewissen Fällen arbeitete Volkart mehrere Dekaden mit einem indischen Handelshaus zusammen, dass die shroffage für ein bestimmtes Gebiet übernahm.140 Ähnliches galt für die Zusammenarbeit mit den Brokern. „Sometimes these posts are handed down from father to son as a sort of inherited tradition“, hieß es in einem Beitrag in den „V.B. News“ aus dem Jahr 1922, „and the fact that generations of the same family have been acting for us in this capacity bears testimony to the good spirit prevailing between the firm and the brokers.“141 Auch wenn diese Äußerung mit Vorsicht zu genießen ist, so ist die Tatsache, dass Mitglieder einer Kaufmannsfamilie über mehrere Generation hinweg als Broker oder shroffs für Volkart arbeiteten, ein Beleg dafür, wie die Firma sich darum bemühte, ihre Transaktionen in bereits bestehende Handelsnetzwerke und deren Geschäftskultur einzufügen. In Indien besaß die Familie – und besitzt bis auf den heutigen Tag – einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft. Die Reputation einer Familienfirma war deshalb für die soziale Stellung der Mitglieder dieser Familie von zentraler Bedeutung.142 Wie Chris Bayly festgehalten hat, war es für indische Kaufleute undenkbar, ihre Firma losgelöst von ihrer Familie zu betrachten – nur schon deshalb, weil es in den meisten indischen Sprachen keine spezielle Bezeichnung für ein Unternehmen gab, welches sich nicht in Familienbesitz befand. Wirtschaftliche Entscheidungen mussten deshalb stets in Hinblick auf deren soziale Auswirkungen für die Mitglieder der betreffenden Kaufmannsfamilie getroffen werden. So spendeten Kaufmannsfamilien in geschäftlich besonders erfolgreichen Jahren äußerst freigiebig für wohltätige Zwecke oder sie unterstützten religiöse Feste und Rituale. Dadurch erhöhten sie das Prestige ihrer Familie und verstärkten soziale Netzwerke, die im Falle einer geschäftlichen Krise überlebensnotwendig sein konnten, da sie ihnen erlaubten, Kredite von anderen Kaufleuten zu erhalten. Der indische Kaufmannshaushalt hatte also stets eine Doppelfunktion: Auf der einen Seite war er ein profitmaximierendes Unternehmen, auf der anderen ein Ort, wo soziale Verbindungen, die durch Ehre und Respektabilität erworben werden konnten, zusammenliefen und den geschäftlichen Erfolg des Familienunternehmens beförderten.143 Indem Volkart Mitglieder von bestimmten Kaufmannsfamilien während mehrerer Jahrzehnte als Broker oder shroffs beschäftigte, nutzte die Firma diesen Umstand, um 139 O Haefliger, Agent, Messrs. Volkart Bros., Lyallpur (12. and 13.1.18), in: Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume IV, 1920, S. 79. 140 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 3. Inland Financing – Shroffage Agreements: Karachi to Winterthur, 23. August 1928 141 V.B. News, No. 4, March 1922, S. 17. 142 Dutta, Family Business in India, 1998; Colli/Rose, Family Firms in Comparative Perspective, 2003, S. 351. 143 Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, 1983, S. 239 und 375–381.
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eine Vertrauensbeziehung mit ihren indischen Mittelsleuten aufzubauen und die geschäftliche Kooperation zu stabilisieren. Wie bereits früher erwähnt, schenkte das Handelshaus seinen Brokern und shroffs jedoch kein uneingeschränktes Vertrauen, sondern informierte sich bei lokalen Banken stets über deren finanzielle Situation. Weiter konnte Volkart im Falle einer Unregelmäßigkeit auch stets auf die rechtlichen Institutionen zurückgreifen, die durch die Briten auf dem Subkontinent eingeführt worden waren.144 Darüber hinaus mussten die Angestellten nicht nur einen mehrjährigen Englischkurs besuchen; die Firma verlangte von ihnen auch ein intensives „Studium der Eingeborenensprachen“, damit sie sich „in überseeischen Ländern ohne Vermittlung von Dolmetschern fliessend verständigen können“, wie der damalige Teilhaber Georg Reinhart 1926 in der Festschrift zum 75. Jubiläum der Firma schrieb.145 In der Mitarbeiterzeitschrift von Volkart wurde darauf hingewiesen, „that a man who can talk to a dealer in his own tongue gets better value for his money, than if he has to use the service of an interpreter who may profit from his ignorance.“ Zudem erlaube die Kenntnis der lokalen Sprachen dem Europäer ein besseres Verständnis für die religiösen Bräuche und privaten Gewohnheiten der asiatischen Gesellschaften. Wenn die Mitarbeiter die Prüfung bestanden hatten, die ihre grundlegenden Kenntnisse in Hindustani, Tamilisch, Malayalam, Singhalesisch oder Kanaerese bescheinigte, erhielten sie eine Geldprämie und wurden aufgefordert, weiterführende Kurse zu besuchen.146 Ab wann genau die Mitarbeiter angehalten wurden, die lokalen Sprachen zu erlernen, ist aufgrund der Quellenlage nicht mehr genau zu eruieren. Fest steht, dass August F. Ammann bei seiner Ankunft in Indien im Jahr 1874 über keine solchen Sprachkenntnisse verfügte und erst in Cochin und Karachi Hindi lernte.147 Es ist deshalb gut möglich, dass die Vorschrift, die lokalen Sprachen zu erlernen, im Zusammenhang mit dem Vordringen der Firma ins indische Hinterland erlassen wurde. Inwiefern solche Sprachkenntnisse zum geschäftlichen Erfolg auf dem Subkontinent beitragen und wie eng dabei familiäre und geschäftliche Sphäre miteinander verbunden sein konnten, zeigt eine Anekdote, die von R.S.D. Shenai stammt, der 1914 als Büroangestellter bei Volkart in Cochin eingetreten war. Shenai hatte seine Anstellung wohl nicht zuletzt deshalb erhalten, weil der Filialleiter sowie der Head Clerk von Volkart Cochin seinen Vater kannten, der ein führender Kokosnussölhändler in der Region war und auch Volkart belieferte. Shenai war deshalb mit vielen der indischen Geschäftsleute persönlich bekannt, die in den Büros von Volkart ein- und ausgingen. Als Georg Reinhart während einer Indienreise die Filiale in Cochin besuchte, vermittelte Shenai ein Gespräch mit dem Direktor einer Schiff144 145 146 147
Vgl. hierzu Kapitel 1. Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 77. V.B. News, No. 2, April 1921, S. 13f. Ammann, Reminiscences, 1921, S. 21.
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fahrtsgesellschaft, den er über seinen Vater kannte. Der Schifffahrtsdirektor und Georg Reinhart unterhielten sich über eine Stunde lang auf Hindustani, wobei der indische Geschäftsmann von Reinharts Sprachkenntnissen sehr beeindruckt war. Die Folge dieser Unterredung waren engere Geschäftsbeziehungen, die für beide Seiten sehr lukrativ wurden.148
Der Übergang zu Großunternehmen im globalen Baumwollhandel des späten 19. Jahrhunderts Die Einrichtung einer kolonialen Baumwollökonomie und die Beschleunigung von Transport- und Kommunikationsmöglichkeiten veränderten das Exporthandelsgeschäft grundlegend. Da die Handelsfirmen nach Einführung der Telegraphie dazu übergingen, mehr und mehr Geschäfte auf eigene Rechnung zu machen, mussten auch neue Lösungen für die Finanzierung des Exporthandels gesucht werden. Anders als zuvor beim Kommissionsgeschäft zahlten die Spinner ab den 1860er Jahren keine Vorschüsse mehr auf ihre Bestellungen, sondern sie zahlten erst in dem Moment, wo sie die Ware im Zielhafen übernahmen. Da der Rohstoffexport auf Kommissionsbasis im Auftrag von indischen Kaufleuten zum Erliegen kam, endete auch die Möglichkeit, die Exporte durch indische Guarantee Broker oder shroffs zu finanzieren. Volkart hatte bis 1870 einen parsischen Kaufmann als Guarantee Broker benutzt, der Kredite für den Export von Baumwolle und anderen Rohstoffen bereitstellte. Immer mehr erwies es sich jedoch, dass der Guarantee Broker das Geschäft behinderte, wenn er allzu vorsichtig wurde bei der Auswahl der indischen Geschäftspartner, oder dass er ein falsches Gefühl der Sicherheit vermittelte und damit Volkart zu Geschäften verleitete, die die Firma sonst wohl nicht gemacht hätte. Zudem war der Guarantee Broker verschiedentlich vor Gericht gegangen, um sich der Verantwortung für Geschäfte zu entziehen, bei denen er für die Zuverlässigkeit der Zulieferer gebürgt hatte. Ein Übergang zu einem anderen Guarantee Broker war nicht möglich, da die finanziell gut gestellten indischen Kaufleute kein Interesse mehr daran hatten, für eine europäische Handelsfirma als Mittelsmann aufzutreten, sondern lieber auf eigene Rechnung Handel treiben wollten. Deshalb beschloss Volkart, ab der Saison 1870/71 das Exportgeschäft in Bombay ohne die Hilfe eines Guarantee Broker durchzuführen. Um die Exporte zu finanzieren und die Liquidität der Firma zu gewährleisten, nahm Volkart vermehrt Kredite durch britische Handelsbanken und kontinentaleuropäische Banken in Anspruch.149 148 VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff, III. short biogr. notes on some Indian & Pak. Employees: R.S.D. Shenai, born in 1890, Some Memoirs of an Old and Retired employee, joined 1914 – retired 1953, verfasst im Februar 1974. 149 Anderegg, Chronicle, 1976, 56f. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 3.
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Volkart hatte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur eine weit verzweigte Einkaufsorganisation in Indien aufgebaut, sondern auch ein stetig wachsendes Netzwerk von Verkaufsagenturen in Europa. Diese waren für den Verkauf von indischen Rohstoffen an die europäischen Produzenten zuständig, wobei indische Baumwolle das wichtigste Handelsgut der Firma darstellte. Die indischen Kaufleute, die bis Mitte der 1860er Jahre einen beträchtlichen Anteil des Exporthandels nach Europa kontrollierten, konnten mit den Neuerungen, die sich insbesondere im Baumwollhandel durchgesetzt hatten, nicht Schritt halten. Dies nicht zuletzt, da viele von ihnen nach dem jähen Ende des Booms, der während des Amerikanischen Bürgerkrieges geherrscht hatte, Konkurs gegangen waren. Den indischen Handelshäusern fehlten außerdem die nötigen Geschäftsbeziehungen, um bei den europäischen Handelsbanken ähnlich vorteilhafte Kreditkonditionen wie ihre europäischen Konkurrenten zu erhalten oder ihre Transaktionen an den europäischen Baumwollbörsen durch Termingeschäfte abzusichern. Sie waren auch nicht in der Lage, in den wichtigsten europäischen Produktionsstandorten eine ähnlich effiziente Verkaufsorganisation aufzuziehen, wie dies die europäischen Handelsfirmen getan hatten, und so direkt mit den europäischen Fabrikanten in Kontakt zu treten. Die Veränderungen des Fernhandels, die durch die Beschleunigung von Transport und Kommunikation erfolgt waren, verschoben somit die Gewichte im globalen Handel. Dieser war nun wesentlich durch Einrichtungen wie Börsen und Banken bestimmt, die sich in Europa befanden. Deshalb kam der Exporthandel nach Europa ab den 1870er Jahren vollständig in die Hand von europäischen Handelsfirmen.150 Indische Kaufleute, die bis zu diesem Zeitpunkt einen substantiellen Anteil der Exporte nach China und Europa bestritten hatten, wurden zunehmend aus dem Baumwollexportgeschäft verdrängt und waren gezwungen, neue Anlagemöglichkeiten für ihr Kapital zu finden. Viele von ihnen investierten in der Folge in den Aufbau der Industrie auf dem Subkontinent oder vergaben Kredite für den Binnenhandel oder die landwirtschaftliche Produktion.151 Doch auch nach Mitte des 19. Jahrhunderts war der Handel mit Indien keineswegs fest in europäischer Hand. Die indischen Kaufleute spielten zwar nur noch eine untergeordnete Rolle im Baumwollexportgeschäft, doch sie kontrollierten bei anderen Gütern weiterhin beträchtliche Teile des Handels zwischen Indien und dem übrigen Asien sowie dem afrikanischen Kontinent.152 Ab Beginn des 20. Jahr150 Vicziany, Bombay merchants and structural changes 1979; Ray, The Bazaar, S. 281–286. Vgl allg. für die Verdrängung außereuropäischer Wirtschaftsakteure durch den westlichen Kapitalismus im Rahmen der europäischen Expansion Rabb, The Expansion of Europe, 1974 und für das zunehmende Gefälle zwischen Zentrum und Peripherie durch die zunehmenden Kapitalexporte aus Europa in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Osterhammel, Verwandlung der Welt, 2009, S. 148. 151 Chandavarkar, The Origins of Industrial Capitalism, 1994, S. 45–52. 152 Markovits, The Global World of Indian Merchants, 2000, S. 15.
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hunderts konnte sich mit Patel Brothers auch wieder ein indisches Handelshaus im Baumwollexport nach Europa etablieren. Selbst wenn Patel dabei mit Umsätzen von knapp 40’000 Ballen pro Jahr weit hinter den Zahlen von Volkart und Ralli zurückblieb, zeigt dies doch, dass die indischen Firmen durchaus in der Lage waren, sich einen Teil jener Marktanteile zurückzuerobern, die sie im späten 19. Jahrhundert verloren hatten.153 In den 1930er Jahren waren wieder zahlreiche indische Firmen im Baumwollexport nach Europa und Japan aktiv, wobei ihre Umsätze weiterhin hinter denjenigen der großen europäischen und japanischen Handelshäuser zurückblieben.154 Ab den 1890er Jahren erwuchs den Europäern dagegen aus den japanischen Handelsfirmen eine ernsthafte Konkurrenz; Japan war ab 1897 während fünf Jahrzehnten der Hauptabnehmer von indischer Baumwolle. Das Exportgeschäft nach Japan wurde praktisch vollständig durch japanische Handelsfirmen kontrolliert, die Teil von japanischen Industriekonglomeraten waren und deshalb über hervorragende Finanzierungsmöglichkeiten verfügten. Nach dem Ersten Weltkrieg begannen sie auch überaus erfolgreich mit dem Export von indischer Baumwolle nach Europa.155 Aufgrund der Beschleunigung der Transporte und der Einführung der Telegraphie verringerte sich im Exporthandel die Preisdifferenzen zwischen Europa und Indien. Dadurch reduzierten sich auch die Margen, welche die Handelsfirmen erzielen konnten. Gewinne waren nun nur noch möglich, wenn die Einkaufspreise und Transportkosten möglichst niedrig gehalten werden konnten. Da Skalenerträge in diesem Prozess wichtig wurden, erfolgte ab den 1870er Jahren ein markanter Konzentrationsprozess. Mittlere und kleinere Exporteure wurden mehr und mehr aus dem Geschäft gedrängt. Während im Jahr 1861 der größte in Bombay tätige Baumwollexporteur, die Firma Richard Stewart and Co., 66’000 Ballen nach Liverpool exportierte, betrugen im Jahr 1875 die Exporte der neu etablierte Firma Gaddum and Co. nach Liverpool bereits über 100’000 Ballen, womit Gaddum etwa 20% aller Baumwollexporte von Bombay nach Europa durchführte.156 Volkart war in den 1870er Jahren zum viertgrößten Exporteur von indischer Baumwolle nach Europa geworden. 1888 eröffnete die Firma eine weitere Filiale in Madras, nicht zuletzt für die Ausfuhr von südindischer Baumwolle. In den Jahren 1889–95 stand Volkart an dritter Stelle für die Baumwollexporte aus Bombay nach Europa hinter Ralli Bros. und Gaddum Bythell & Co. Während Volkart in diesen 153 V.B. News, No. 9, December 1923, S. 16; VA, Dossier 30: Patel Cotton Comp., Patel/Volkart Cotton Merger, Volkart Bombay Pvt. Ltd. 1961. 154 VA, Dossier 3, 9: Cotton Statistics: Cotton Exports from India to all Destinations. Season 1935/36 (siehe Anhang). 155 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2; Naoto, Up-country Purchase Activities, 2001, S. 199–213. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 10. 156 Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 167ff., und181.
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1. 2. 3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. ----
Gaddum & Co. Killick Nixon & Co. Ralli Bros. Volkart Bros. Cassels & Co. Lyon & Co. Glade & Co. Spinner & Co. Blascheck & Co. Sanquet & Co. G. Lockhart & Co. T. H. Moore & Co. Lang Moir & Co. Harvey & Sabapathy J. C. Bushby & Co. Wallace & Co. John Marshall 25 sundry European firms Natives Transshipment of other ports
To Continent direct & via London 168’151 115’944 84’634 107’467 54’861 30’599 39’634 40’365 40’361 41’425 35’208 18’525 21’851 21’674 10’030 4100 3705 43’398 6685 28’845 917’138
Liverpool
64’451 31’665 36’483 500 18’300 29’794 6743 4638 4451 2250 600 8886 5235 4691 15’723 19’205 10’748 32’809 108’110 ---------405’282
Total
232’602 147’609 121’120 107’967 73’161 60’393 46’377 45’003 44’812 43’375 35’808 27’411 27’086 26’383 25’753 23’305 14’453 76’207 114’795 28’845 1’322’420
Tabelle 1 Baumwollexporteure aus Bombay in der Saison 1882/1883 für Verschiffungen zwischen dem 1. Juli 1882 und dem 30. Juni 1883 (nur Verschiffungen nach Europa berücksichtigt). Angaben in Ballen zu 44 lbs. (Quelle: VA, Dossier 3: Bombay I, 9. Cotton Statistics)
Jahren meistens um die 100’000 Ballen ausführte – was zwischen 5 und 10% aller Exporte nach Europa bedeutete –, exportierte Gaddum Bythell in der Saison 1882/83 von Bombay aus über 232’000 Ballen nach Europa und 1889/90 gar über 244’000 Ballen.157 Diese großen Umsätze gingen einher mit einer ausgeprägten Risikoaversion. Die bedeutendsten Handelshäuser vermieden nach Möglichkeit spekulative Tätigkeiten – die angesichts der umfangreichen Volumen leicht zum Ruin der Firmen hätten führen können – und suchten ihr Heil in der Verschiffung immer größerer Baumwollmengen.158 157 Anderegg, Chronicle, 1976, 150, 174f. und 756f. 158 In einer Firmenchronik von Ralli heißt es etwa, dass die Operationen des Handelshauses neben dem Gebot, Verträge strikte einzuhalten, auch vom Prinzipien geleitet worden seien, große Umsätze mit kleinen Margen zu erzielen: „Ralli were not in favour of large percentage profits – they look for small profits which are multiplied by the big turnover“ (GL, Records of Ralli Bros.: Leoni M. Calvocoressi, The House of Ralli Brothers, 1952).
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Im 20. Jahrhundert konnte Volkart die Umsätze weiter steigern. 1922/23 führte die Firma rund 175’000 Ballen aus Bombay und etwa 350’000 Ballen aus ganz Indien nach Europa aus. An zweiter Stelle der Ausfuhrstatistik stand in diesem Jahr Ralli mit Exporten von gut 150’000 Ballen aus Bombay und etwa 315’000 aus ganz Indien.159 Neben den Ausfuhren nach Europa exportierten beide Firmen auch nach Japan und China. In der Saison 1925/26 führten Volkart und Ralli aus Bombay je etwas über 40’000 Ballen nach Ostasien aus.160 Leider existieren keine Statistiken, die darüber Aufschluss geben, welchen Stellenwert die Exporte nach China und Japan für die europäischen Handelshäuser generell im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert hatten. Auch gibt es nur wenige Statistiken, mit denen man die Umsätze der europäischen Handelsfirmen in Indien mit denen von Handelshäusern vergleichen könnte, die in anderen Baumwollanbaugebieten tätig waren. Allgemein lässt sich jedoch sagen, dass Volkart ab dem späten 19. Jahrhundert zu den weltweit bedeutendsten Baumwollfirmen gehörte und damit ein Marktleader in der Verschiffung des weltweit bedeutendsten agrarischen Handelsgutes geworden war.161 Die höchsten Umsätze scheinen in dieser Zeit von US-Handelshäusern erzielt worden zu sein. So setzte Alexander Sprunt and Son zwischen 1889 und 1891 im Schnitt knapp 94’000 Ballen pro Jahr und im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts stets zwischen 300’000 und 400’000 Ballen um. Die Umsätze von Anderson Clayton betrugen zwischen 1925–28 2’087’000 Ballen und 1936–38 gar 2’288’000 Ballen.162 Auch die großen japanischen Handelshäuser wie die Japan Cotton Trading Co. und Toyo Menkwa Kaisha erzielten im 20. Jahrhundert enorme Umsätze und exportierten im Jahr 1925/26 allein aus Indien über 489‘000 beziehungsweise über 436’000 Rohbaumwolle nach Japan, China und Europa.163 Die Geschäfte von Volkart entwickelten sich auch in finanzieller Hinsicht überaus erfolgreich. Die vier Filialen in Bombay, Colombo, Cochin und Karachi erwirtschafteten bis 1875 einen Gewinn von über 3 Millionen Rupien, was über 9 Millionen Schweizer Franken gleich kam.164 Für die Firma war es auf jeden Fall vorteilhaft, dass die Steuerbelastung für europäische Unternehmen auf dem Subkontinent äußerst gering war. So wurde erstmals ab 1860 eine Einkommenssteuer in Britisch Indien 159 V.B. News, No. 9, December 1923, S. 14 und 16. 160 Contractor, A Handbook of Indian Cotton, 1928, S. 38f. 161 So wurden vor dem Ersten Weltkrieg im Rahmen des internationalen Handels jedes Jahr über 12 Millionen Ballen Baumwolle im Wert von etwa 750 Mio. $ exportiert. Der Wert der Exporte von anderen Rohstoffe lag klar tiefer und betrug bei Zucker etwa 590 Millionen $, bei Weizen 550 Millionen, bei Fleischprodukten 500 Millionen, bei Wolle 325 Millionen und bei Seide 125 Millionen $: Wheeler, International Trade in Cotton, 1925, S. 1. 162 Killick, The Transformation of Cotton Marketing, 1981; Killick, Response to the Comment, 1987. 163 Contractor, A Handbook of Indian Cotton, 1928, S. 38f. 164 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 130; VA, Statistik der Gebrüder Volkart 1851–1914.
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erhoben. Diese betrug anfänglich 4% des Nettoeinkommens. Nach 1886 wurde die Steuerbelastung für Unternehmen auf 2,6% gesenkt.165 Die Einrichtung einer exportorientierten Baumwollwirtschaft im kolonialen Indien war damit in erster Linie für die europäischen Handelshäuser und Handelsbanken, sowie für die wohlhabenden indischen Kaufleute ein sehr lukratives Geschäft. Sie konnten durch große Umsätze vom Aufschwung der Textilindustrie in Asien und Europa profitieren und sie verfügten über genug Kapital, um wirtschaftlich schwierige Zeiten zu überstehen. Die indischen Bauern dagegen vermochten sich kaum gegen die Risiken von fallenden Weltmarktpreisen und Missernten zu schützen. Sie wurden in der Kolonialzeit durch keine staatlich geförderte Einrichtungen wie etwa Agrarkooperativen und auch nicht durch Subventionen unterstützt; sie konnten deshalb aus dem Ausbau der indischen Baumwollökonomie kaum einmal Gewinn ziehen, sondern lebten oft in größter Armut.166 Dies war aber weniger eine Folge der Kolonialherrschaft, sondern ein Schicksal, das sie mit Millionen von Kleinbauern in aller Welt teilten, die ab dem 19. Jahrhundert auf ihren Feldern die Rohstoffe für die kapitalistische Weltwirtschaft anbauten.
165 Es ist aufgrund der noch vorhandenen Unterlagen jedoch nicht mehr möglich zu sagen, wie viel Steuern Volkart in Indien tatsächlich bezahlte. Es scheint, dass die Firma nur einen Teil ihrer Einkünfte auch wirklich in Indien versteuerte. So ist im Firmenarchiv für das Steuerjahr 1860/61 ein Gewinn von 96‘839 Rupien angeführt, den Volkart in Indien erzielt habe, die Firma bezahlte aber bloß Steuern in der Höhe von 210 Rupien, was eine Steuerbelastung von weniger als 0,25% bedeuten würde. Und in den Steuerjahren 1898/99 und 1899/1900 bezahlte Volkart bei einem indischen Gewinn von jeweils über 500‘000 Rupien bloß je 3000 Rupien Steuern in Indien. Ob die Firma einen Teil ihrer Gewinne vor den Steuerbehörden verheimlichen konnte, oder ob sie Abzüge geltend machen konnte, die die Steuerbelastung senkten, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Es ist auch unklar, wie die Firma ihre indischen Gewinne von denen unterschied, die sie außerhalb des Subkontinents erzielen konnte: VA, Dossier 28: Notes on Taxation in India, 1. Indian taxation laws – notes thereon; 2. Notes on taxation practices applicable to VB. 166 Rothermund, Government, Landlord, and Peasant in India, 1978, S. 16f.; Satya, Cotton and Famine in Berar, 1997, S. 208–228.
3. Banken, Börsen und Agenturen: die Organisation des Vertriebes in Europa
Seit den 1850er Jahren besaß Volkart in verschiedenen europäischen Städten Verkaufsagenturen, die von lokal ansässigen Kaufleuten betrieben wurden. Mitte der 1920er Jahren umfasste das Verkaufsnetz für indische Rohstoffe fast 150 Agenturen in 18 europäischen Ländern. Dazu kamen noch einzelne Agenturen in Argentinien, Kanada, den USA und auf dem afrikanischen Kontinent sowie die beiden Tochtergesellschaften in China und Japan.1 Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem europäischen Verkaufsnetz und dem Einkaufsnetz in Indien bestand darin, dass Volkart in Europa Kooperationen mit eigenständigen Kaufmannsunternehmen eingehen konnte, die nur ab und zu durch Mitarbeiter der Firma inspiziert wurden. Der Einkauf in Indien dagegen musste vollständig in die Firma integriert und ständig durch eigene Mitarbeiter überwacht werden. Dieser Unterschied rührte im Wesentlichen daher, dass der Verkauf eines Rohstoffes wie Baumwolle für eine Handelsfirma wesentlich einfacher zu kontrollieren war als der Einkauf, also eine geringere Faktorspezifität aufwies. Während es beim Einkauf, wie bereits früher geschildert, wesentlich um die Selektion ging, kamen beim Verkauf qualitativ genau definierte Standardtypen zum Zuge.2 Die Agenten in den verschiedenen europäischen Städten erhielten Preislisten für die von Volkart vertriebenen Rohstoffe, die sie wiederum den Kunden der Firma vorlegten. Wegen der großen Preisschwankungen wurden diese Listen zum Teil mehrmals pro Tag aktualisiert. Sobald ein Verkauf zu Stande gekommen war, schickten die Angestellten im Winterthurer Hauptsitz Instruktionen an die jeweiligen Zweighäuser in Indien. Zum Teil traten die Verkaufskontrakte erst in Kraft, wenn die indischen Filialen bestätigt hatten, dass sie die Waren zum vereinbarten Preis liefern konnten; zum Teil musste die Handelsfirma das Risiko einer zwischenzeitlichen Preisänderung selber tragen.3 Das größte Problem beim Vertrieb bestand für die Handelsfirma darin, sicher zu stellen, dass die Kunden ihren Zahlungspflichten nachkamen. Volkart lehnte deshalb vor dem Ersten Weltkrieg in der Regel jeglichen Zahlungsaufschub ab. Die Firma bestand darauf, dass die Abnehmer die gelieferte Ware bei Erhalt sofort in bar bezahlten oder dass sie einen Wechsel ausstellten, der durch eine Bank gedeckt war. Der damalige Leiter der Baumwollabteilung Ernst Müller-Renner begründete diese Praxis 1918 damit, „dass wir die enormen Risiken des indischen Einkaufs nicht noch verdoppeln 1 2 3
Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 81 Vgl. für die Etablierung von firmeneigenen Baumwolltypen durch Volkart Kapitel 2. Ziegler, Der Import ostindischer Baumwolle, 1922, S. 54f.
Banken, Börsen und Agenturen
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wollen mit Kapitalrisiken auf dieser Seite in jedem Winkel des Erdteils und ein Kapitalrisiko ist und bleibt … eine Auslieferung der Dokumente ohne gleichzeitige Zahlung in Bargeld oder ein prima Bankakzept.“4 Auch wenn der Absatz der Rohstoffe in Europa wesentlich einfacher zu überwachen war als der Einkauf in Indien, war für die Einfädelung der Verkäufe die Wahl des richtigen Agenten zentral. Dieser musste über gute Kontakte zu den örtlichen Fabrikanten verfügen und die Handelsfirma war darauf angewiesen, dass er die ihm zugeteilten Kunden regelmäßig aufsuchte. Wenn eine Handelsfirma für einen bestimmten Distrikt einen geeigneten Agent gefunden hatte, so folgte daraus oft eine jahrzehntelange Zusammenarbeit. Die Geschäftsbeziehungen zwischen Volkart und den europäischen Verkaufsagenten wiesen eine beträchtliche Konstanz auf, was zum Teil auf einer emotionalen Ebene die Grenzen zwischen Firma und Agent verschwimmen ließ. 1923 veröffentlichte etwa die Mitarbeiterzeitschrift von Volkart einen Nachruf auf Edouard Valette, der die Firma während fast dreier Jahrzehnte in Marseille vertreten hatte. Darin hieß es unter anderem: „[D]uring our long and intimate association with him we have come to look upon him almost as belonging to us. On one of Mr. Werner Reinhart’s last visits to Marseille Mr. Valette led him into the office saying in a simple and touching manner: ‚This is Volkart’s office’. These few words express more than anything else his great devotion and affection for our firm, and the development of our business in Marseilles was in a large measure due to his spirit and to his fostering care and his unwearing energy.“5
Aufbau eines Verkaufsnetzes in Europa Die Geschäftsbedingungen für den Verkauf von Rohbaumwolle waren je nach Region unterschiedlich. Während Volkart zu Beginn des 20. Jahrhunderts in verschiedenen Absatzgebieten über ihre Agenten direkt mit den Spinnereien in Kontakt treten konnte, war man an Orten wie Rouen oder Liverpool gezwungen, die Baumwolle an lokale Zwischenhändler zu verkaufen, die dann wiederum die Spinnereien belieferten. In Rouen beispielsweise waren die örtlichen Handelshäuser durch Aktien an den Spinnereien beteiligt. Sie konnten es sich deshalb leisten, diesen eine Zahlungsfrist von 60 oder gar 90 Tagen zu gewähren, was für Volkart zu dieser Zeit prinzipiell ausgeschlossen war. Ähnliche Verhältnisse wie in Rouen existierten in Lancashire. Müller-Renner meinte dazu: „Die Liverpooler Broker, die im Distrikte selbst sitzen, die können den Lancashire Spinnereien Zahlungsbedingungen machen, sie cajolieren und ihnen um den Bart gehen. Wir hier können das nicht. ... Wir haben begriffen, dass 4 5
VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Osaka, Kopien nach Bombay, Karachi, Tuticorin, 10. April 1918 (Diktat von E. Müller-Renner). V.B. News, No. 9, December 1923, S. 22.
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wir in Oldham unmöglich die Vorteile geniessen können, wie diejenigen, die Fühlung haben und die Übersicht und daraus die nötigen finanziellen Konsequenzen ziehen. Wir haben uns damit bescheiden müssen, den Liverpooler Brokern zu verkaufen.“6 Das lokale Netzwerk zwischen Händlern und Spinnern in Lancashire war ein Grund dafür, dass Volkart in Großbritannien nie wirklich Fuß fassen konnte. Auch scheint es, dass die britischen Kunden weniger kapitalkräftig waren als diejenigen in Kontinentaleuropa. So meinte Salomon Volkart im Jahr 1870, nachdem verschiedene Firmen in Lancashire Konkurs gegangen waren: „Auch diesmal machen wir wieder die traurige Erfahrung, dass waehrend u/ Leute am Continent alle zahlungsfähig bleiben, das englische Geschaeft uns weiter allen betraechtliche Verluste bringt, so dass wir in der That allen und jeden Geschmack an demselben verloren haben.“7 Ein anderer und viel wichtigerer Grund dafür, dass Volkart in Lancashire nur geringe Umsätze tätigte, lag jedoch darin, dass die britischen Spinner die langstapelige amerikanische gegenüber der kurzfaserigen indischen Baumwolle bevorzugten.8 In den späten 1890er Jahren und in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts wurde selten mehr als 5% der indischen Baumwolle nach Großbritannien exportiert. Der überwiegende Anteil wurde in Kontinentaleuropa, Ostasien und in Indien versponnen.9 Für Volkart war das Geschäft mit britischen Spinnereien deshalb nur am Rande interessant. So zeigt eine Statistik von 1882/3, dass von den 107’967 Ballen, die Volkart aus Bombay exportierte, nur 500 in Liverpool verkauft wurden. Der Rest wurde auf dem Kontinent abgesetzt.10 Erst als es Volkart vor dem Ersten Weltkrieg gelang, einen Mitarbeiter der renommierten Firma Ellison & Co. als Agenten zu gewinnen, konnte man sich in Liverpool einen größeren Anteil am Baumwollgeschäft sichern.11 In den späten 1920er Jahren setzte Volkart über verschiedene Agenten regelmäßig über 20’000 Ballen Baumwolle in Großbritannien ab. Doch auch damit blieb der Verkauf auf der britischen Insel deutlich hinter den Umsätzen auf dem Kontinent zurück.12 Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts war eine äußerst günstige Zeit, um ins Baumwollhandelsgeschäft einzusteigen. Zwischen 1848 und 1873 herrschte in fast
6 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Osaka, Kopien nach Bombay, Karachi, Tuticorin, 10. April 1918 (Diktat von E. Müller-Renner). 7 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: Winterthur an Bombay 28.7.1870. 8 Ellison, A Hand-Book of the Cotton Trade, 1858, S. 37ff. 9 Bombay Chamber of Commerce, Reports, 1898–1931. 10 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 756a. 11 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Osaka, Kopien nach Bombay, Karachi, Tuticorin, 10. April 1918 (Diktat von E. Müller-Renner). 12 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Personelle und organisatorische Probleme, Wirtschaftlichkeitsrechnungen 1918–1932: Baumwoll-Umsatz-Ziffern 1925/26–1928/29.
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ganz Europa Hochkonjunktur.13 Nach Ende der Gründerkrise ging das Wirtschaftswachstum bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges fast ungebrochen weiter. Gerade die Textilindustrie war einer der Wachstumsmotoren. So verdreißigfachte sich in Deutschland die Produktivität der Baumwollspinnerei zwischen 1850 und 1913. Die Produktivität der deutschen Baumwollweberei verzehnfachte sich in dieser Zeit.14 Als Folge dieses weltweit spürbaren Wirtschaftsbooms stieg das Volumen des weltweiten Handelsverkehrs zwischen 1850 und 1913 um den Faktor zehn.15 Trotz dieser günstigen konjunkturellen Rahmenbedingungen lieferten sich die im Baumwollhandel engagierten Firmen einen erbitterten Konkurrenzkampf. Sie versuchten stets, durch tiefere Preise oder günstige Zahlungsbedingungen neue Abnehmer für ihre Baumwolltypen zu gewinnen. Für das Studium der Absatzmärkte reisten Delegierte der Handelsfirmen regelmäßig in die Zentren der europäischen Textilindustrie. Im Jahr 1913 zum Beispiel besuchten Werner Reinhart, der ein Jahr zuvor als unterschriftsberechtigter Teilhaber bei Volkart eingetreten war, und Erich MüllerRenner, der damalige Leiter der Baumwollabteilung, das Ruhrgebiet, um herauszufinden, warum die Umsätze in dieser Region so viel niedriger waren als anderswo. Dabei stellten sie fest, dass die meisten Spinnereien unter der großen Konkurrenz im Textilgewerbe litten. Ralli Bros., der Hauptkonkurrent von Volkart im indischen Baumwollgeschäft, war den deutschen Spinnern entgegengekommen, indem man nicht auf einer Zahlungsgarantie durch ein Londoner Bankhaus bestand, sondern sich mit dem Eigenakzept der Käufer begnügte. Dabei gewährte das Handelshaus der Käuferfirma einen Zahlungsaufschub, der bis zu 90 Tagen betragen konnte, und trug damit in der Zwischenzeit das Kreditrisiko. Der Verkauf gegen Eigenakzept war eine Praxis, die von Volkart vor 1914 kategorisch ausgeschlossen wurde.16 Ralli ging also bewusst ein finanzielles Risiko ein, um seinen Hauptkonkurrenten zu verdrängen. Als weiteres Problem orteten Reinhart und Müller die Tatsache, dass die Vertretung von Volkart in Mönchengladbach zu wünschen übrig ließ. Die dortigen Agenten seien zwar angesehene Männer, aber es genüge nicht, „ein hochanständiger Mensch zu sein, man muss auch Haare auf den Zähnen haben, wenn man in einem solchen von allen Hunden gehetzten Rayon zum Geschäft kommen will. Dass die Vertretung eine große Rolle spielt bei den Resultaten eines Rayons, das ist zweifellos.“ Da die eigenen Vertreter zu zurückhaltend waren, war bei den Spinnereien der Eindruck entstanden, die Firma Volkart sei mit ihren Lieferungen nicht konkurrenzfähig. „Dann 13 Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1995, S. 66f. 14 Fischer, Bergbau, Industrie und Handwerk, 1976, S. 535 und 553. 15 Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 61–66; Torp, Weltwirtschaft vor dem Weltkrieg, 2004. 16 Nach dem Ersten Weltkrieg war Volkart jedoch immer häufiger gezwungen, soliden Spinnereien in Deutschland oder Frankreich Baumwolle gegen Eigenakzept auszuliefern. Vgl. hierzu Kapitel 8.
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haben wir aus der indischen Exportstatistik, die Bombay in detaillierter Form per 30. Juni herausgemacht, den Prozentsatz unserer shipments gegenüber denjenigen der Konkurrenz schwarz auf weiss überall Parade geführt, was meist das Erstaunen der Betreffenden erweckte. Diese schienen häufig unter dem Eindruck zu sein, dass wir unbedeutender seien als die Bombay Co. und Gaddum, dank des bescheidenen Auftretens unserer Vertreter und des lärmenden Gebarens von Möller & Bey“, den Agenten der Konkurrenzfirmen Gaddum und Spinner.17 Dieses Beispiel zeigt zum einen, dass Märkte sich auch in Europa nicht zuletzt aufgrund des Bestehens von sozialen Netzwerken herausbildeten. Zum anderen stellt es einen Hinweis darauf dar, dass sich das Prinzipal-Agent-Problem bei einer Handelsfirma nicht nur auf die Mitarbeiter, sondern auch auf die Agenten bezog. Da die lokalen Agenten die wichtigste Verbindung von Volkart zu den Kunden waren, wurde ihre Arbeitsweise regelmäßig durch Verantwortliche der Firma kontrolliert. So stellte etwa ein Volkart-Inspektor im Jahre 1911 fest, dass in Belgien die Baumwolltypen von Volkart, die der dortige Agent den Spinnereien präsentierte, wesentlich unahnsehnlicher waren als diejenigen von Ralli. Der Grund dafür war, dass der Agent von Volkart einen Teil der Muster auf dem Dachboden untergebracht hatte.18 Die Firma konnte auch Gegenmaßnahmen ergreifen, falls sie feststellte, dass ihr Agent zu bequem war, um die Spinnereien persönlich aufzusuchen.19 Oder sie konnte die Vertretungsrayons neu einteilen, falls gewisse Kunden persönliche Differenzen mit dem Agenten von Volkart bekamen.20
Rückmeldungen von Seiten der Abnehmer Die Abgesandten von Volkart trafen bei diesen Inspektionsreisen aber auch mit den wichtigsten Kunden zusammen, um Rückmeldung darüber zu erhalten, wie die eigene Baumwolle von den Fabrikanten aufgenommen wurden. Durch die Etablierung von standardisierten Baumwolltypen hatten Firmen wie Volkart aus einem bloß grob definierten Rohstoff ein firmeneigenes Produkt gemacht, welches gezielt vermarktet werden konnte.21 Gewisse Spinnereien schworen dabei auf die Baumwolltypen von 17 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, M. Gladbach: Winterthur an Bombay, Karachi, Tuticorin, 27. Oktober 1913, Rapport über die Tournée der Herren W. Reinhart und E. Müller in Rheinpreussen, Bremen, Enschede etc. vom 16.-24. Oktober. 18 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Gent: E. Bruin, Lille, an Winterthur, 17. Januar 1911. 19 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Rouen: M. Weber, Belfort, an Winterthur, le 17 Septembre 1920. 20 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Rouen: M. Weber, Lure, an Winterthur, le 18 Septembre 1920. 21 Vgl. für die kulturanthropologisch orientierte Forschung zur Kommodifizierung, durch welche „Dinge“ in eine Ware verwandelt werden konnten: Appadurai, Introduction, 1986.
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Volkart. So konnte ein Mitarbeiter von Volkart nach dem Besuch einer Spinnerei in Tourcoing nach Winterthur melden: „[C]es amis ne traitent pas une balle d’Inde ailleurs que chez nous et n’examinent même pas les prix de la concurrence.”22 In anderen Fällen konnten die Volkart-Abgesandten die Spinnereien bei der Auswahl der für sie am besten geeigneten Baumwolltypen beraten. So berichtete ein Mitarbeiter von Volkart in einem Rapport, dass ein Spinner in Rouen sich darüber beklagte, dass die Qualität der Omra-Baumwolle, die Volkart im Angebot hatte, nachlasse. Dasselbe sei bei anderen Handelsfirmen der Fall. Der Besitzer der Spinnerei meinte, er suche für die nächste Saison einen Baumwolltypen mit einer etwas größeren Faserlänge. Der Mitarbeiter von Volkart berichtete daraufhin: „Je lui ai soumis le T.116 qui conviendra sans doute.“23 Von den Spinnern erhielt Volkart auch Rückmeldung darüber, wie die eigenen Baumwolltypen sich zu denen ihrer Konkurrenten verhielten. So meinte ein VolkartInspektor im Jahr 1920 nach einem Besuch in Tourcoing zur Konkurrenzfähigkeit ihres eigenen Typs 1020 gegenüber dem Typ 535 von Ralli: „Je suis certain que si notre 1020 reste ce qu’il a été les deux dernières saisons, nos ventes augmonteront en importance d’année en année. Le 535 de Ralli est peu connu dans le Nord et ne nous fait qu’une concurrence limitée.“24 Bei einer Reise durch Norditalien stellten die Verantwortlichen von Volkart dagegen fest, dass der firmeneigene Typ 56 den Spinnern zu gelblich war, und dass viele deshalb den Typ 67 von Ralli bevorzugen würden. Der Volkart-Mitarbeiter meinte daraufhin: „Von diesem T 67 habe ich nun manchen Lobgesang gehört (auch Gruber & Co. schwören drauf ), da wäre es zu versuchen einmal einen gleichwertigen Typen aufzumachen um besser concurriren zu können.“25 Und bei einem Besuch im Rhurgebiet zeigten die dortigen Spinner Werner Reinhart und Ernst Müller-Renner einen Baumwolltyp von Ralli, den die beiden noch nie gesehen hatten. Die Beschreibung dieses neuen Typs in ihrem Rapport zeigt eindrücklich, welche Bedeutung eine intime Kenntnis des Produkts im hart umkämpften Handelsgeschäft hatte und wie wichtig eine genaue Selektion der Ware in den Produktionsländern war: „Wir sahen sofort, dass das Rajputana handginned war. Aber die Ware ist nicht so rau wie eine Beawar, sondern sie ist weicher wie eine Jaypore, d.h. der Charakter von type 6, nur reiner. Es bringt uns dies auf die frühere Beobachtung, dass Ralli eine Bengal verschiffen, die den Anschein erweckt, als ob sie aus machine ginned und handginned zusammengesetzt sei, und die vielleicht von 22 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Tourcoing: M. Weber, Tourcoing, an Winterthur, 18. November 1924. 23 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Rouen: Winterthur, le 28 Mai 1930, Rapport sur la visite du Rayon Rouen. 24 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Tourcoing: M. Weber, Winterthur, an Winterthur, 24 Novembre 1924. 25 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Genova: R. Cedraschi auf Besuch bei Arpe & Pratolongo, Genova, an Winterthur, 11. Januar 1915.
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Bilara kommt. Bombay ist uns eine diesbezügliche Antwort schuldig geblieben. Ralli müssen einen Distrikt bearbeiten, wo sich eine besonders weisse Baumwolle findet, die sehr rein ist und doch nicht entschieden rau.“26 Ein hoher Produktstandard war für Volkart insofern wichtig, als die Firma eine wesentlich weniger aggressive Verkaufspolitik verfolgte als Ralli. So offerierte die Firma Ralli nach Ansicht von Volkart in den frühen 1920er Jahren ihre Baumwolle in Österreich, Nordfrankreich und Norditalien zu Dumpingpreisen.27 Außerdem stellte Volkart fest, dass Handelsfirmen wie Ralli, die Japan Trading Co., Spinner oder Forbes ihre Preise in Frankreich dadurch niedrig hielten, dass sie den Importzoll von 1,3% selber bezahlten und nicht den Käufern in Rechnung stellten. Volkart war gezwungen nachzuziehen, um keine Großkunden in Nordfrankreich zu verlieren.28 Alles in allem scheint Volkart jedoch in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts stets teurer als die Konkurrenz gewesen zu sein.29
Marketing und Informationsvermittlung Neben den Besuchen ihrer Agenten und Delegierten traten Firmen wie Volkart auch in medialer Form mit ihren Kunden in Kontakt. Seit Ende des 19. Jahrhunderts publizierte Volkart regelmäßige „Baumwollzirkulare“ beziehungsweise „Situationsberichte“, in denen sie ihre Kunden über den Gang der Ernten in verschiedenen Anbauländern, über den Ausbau der Textilindustrie und politische Entwicklungen in verschiedenen Erdteilen sowie über die Menge der weltweit eingelagerten Baumwolle und die folglich zu erwartende Entwicklung der Preise informierte.30 Diese Berichte, die in ähnlicher Form von allen größeren Baumwollhandelsfirmen publiziert wurden, hatten insbesondere das Ziel, die betreffenden Spinnereien als Kunden fester an
26 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, M. Gladbach: Winterthur an Bombay, Karachi, Tuticorin, 27. Oktober 1913, Rapport über die Tournée der Herren W. Reinhart und E. Müller in Rheinpreussen, Bremen, Enschede etc. vom 16.-24. Oktober. 27 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Wien: Wiener Besuch durch die Herren Werner Reinhart und Müller-Renner in der Woche vom 25. September–1. Oktober, Winterthur, 3. Oktober 1923. 28 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Tourcoing: M. Weber, Winterthur, an Winterthur, 24 Novembre 1924. 29 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, M. Gladbach: Winterthur an Bombay, Karachi, Tuticorin, 27. Oktober 1913, Rapport über die Tournée der Herren W. Reinhart und E. Müller in Rheinpreussen, Bremen, Enschede etc. vom 16.-24. Oktober; Tourcoing: M. Weber, Winterthur, an Winterthur, 22. März 1923. 30 VA, Dossier 39: Baumwollstatistiken J. Brack 1884–1907; Gebrüder Volkart, Situationsberichte, 1921–1925.
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die Handelsfirma zu binden.31 Dies scheint auch durchaus gelungen zu sein. So bemerkte ein Mitarbeiter 1924 nach einer Inspektionsreise durch Nordfrankreich nicht nur, dass Volkart im dortigen Markt eine hervorragende Stellung inne habe – „D’ une manière générale … nous occupons une place prépondérante + notre marque est introduite partout où elle peut être employée“ –, sondern auch dass ihre Zirkulare von den Spinnern gelesen und geschätzt würden.32 Ein Problem für Volkart bestand jedoch darin, dass viele europäische Spinner die indische Baumwolle aufgrund ihrer relativ kurzen Fasern und der starken Verunreinigung nicht besonders schätzten. Nicht nur britische, sondern auch viele kontinentaleuropäische Spinnereien deckten sich lieber mit qualitativ besseren amerikanischen Sorten ein, selbst wenn diese teurer waren.33 Vielen europäischen Spinnern war auch nicht bewusst, dass es für sie lohnend sein könnte, billigere indische Baumwolle gemeinsam mit amerikanischer zu verspinnen, um so die Kosten zu senken. So stellte ein Mitarbeiter von Volkart bei einem Besuch in St. Petersburg kurz vor dem Ersten Weltkrieg fest, dass die Kunst des Mischens verschiedener Baumwollsorten in Russland noch wenig verbreitet war. Der Direktor eine der örtlichen Spinnereien hielt es für ausgeschlossen, dass man amerikanische Baumwolle mit russischer oder indischer Baumwolle mischen könne, da die letzteren zwei Sorten eine kürzere Faserlänge besäßen.34 1917 führte Volkart deshalb eine schriftliche Umfrage bei verschiedenen indischen Spinnereien durch. Man wollte herausfinden, warum diese aus indischer Baumwolle ein besseres Garn herstellen konnten als die europäischen Spinnereien.35 Die Firma erhielt zwar nur wenige Antworten, da viele Inder zurückhaltend damit waren, ihre Geschäftsgeheimnisse mit der europäischen Konkurrenz zu teilen. Diejenigen Spinnereien, die geantwortet hatten, gaben jedoch an, dass sie unterschiedliche Baumwollsorten miteinander verspinnen und dabei die Mischung je nach klimatischen Verhältnissen verändern würden. Außerdem benützten sie zusätzliche Bürsten und Kämme, um Schmutz, Blätter und Staub aus der Baumwolle zu entfernen.36 Die europäischen Spinnereien reagierten äußerst positiv auf die Broschüre, die Volkart aufgrund der Rückmeldungen aus Indien publizierte. In einem Brief aus dem Winterthurer Hauptsitz wurde etwa vermerkt, die europäischen Spinner hätten der Firma mitgeteilt, dass man dank der Ratschläge von Volkart „in Deutschland und Oester31 Vgl. z.B. BL, RBA.9 N413: Neill Bros. & Co.’s Cotton Circular. 32 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Rouen: M. Weber, Remiremont, an Winterthur, le 25 Mars 1924. 33 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 2. 34 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, St. Petersburg: St. Petersburg an Winterthur, 10.6.1914. 35 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc., Neuenhofer – Cotton Corr. 1917–25: Volkart Brothers, Questionaire, ohne Ort und Datum. 36 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc., Neuenhofer – Cotton Corr. 1917–25: Bombay an Winterthur, 24. August 1917.
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reich nun gelernt habe, zu spinnen, und dass man vor dem Kriege nie geglaubt habe, aus was für Mischmasch man Garn herstellen könne, und dass man nach dem Krieg weniger stolz sein werde punkto indischer Baumwolle, und dass man aus der indischen Baumwolle bedeutend mehr herausholen würde als was man bis jetzt getan habe, wo man für 20er Garn es nicht unter bester Amerikanischer tun zu dürfen glaubte.“37 Durch derartige Informationsschriften, aber auch durch die regelmäßigen Besuche der Agenten und Delegierten bei den Spinnern trugen Handelshäuser wie Volkart mit dazu bei, dass in Europa ein Markt für Rohstoffe wie etwa indische Baumwolle entstand. Doch nicht immer hatte man damit Erfolg. So meinte ein Spinner aus der Normandie 1920, sein Haus produziere spezielle Tüchlein, für die sich amerikanische Baumwolle besser eigne als indische. Er habe verschiedene Versuche mit indischer Baumwolle gemacht, sei aber mit dem Resultat nicht zufrieden gewesen, denn: „les Indes ne ‚gonfleraient‘ pas autant que les Amériques et ne donnent donc pas la qualité qui a fait la réputation de cette maison.“38 Und der Direktor einer Wiener Spinnerei fand 1923, er wolle nichts mehr von indischer Baumwolle hören. Er habe es aufgegeben, die Finessen dieser Sorte zu beherrschen und halte sich lieber an amerikanische Baumwolle, das sei einfacher.39
Die Funktion des Winterthurer Hauptsitzes Die Koordination der Einkäufe in Indien und der Verkäufe in den Industrieländern verlangte angesichts der immer größeren Umsätze und der zunehmenden Komplexität der Geschäfte eine immer ausgefeiltere Organisation. Damit stieg auch der Bedarf an Bürofläche. Der Winterthurer Hauptsitz, der nach 1851 im ersten Stock des Wohnhauses von Salomon und Emma Volkart in der Winterthurer Altstadt lag, erwies sich schon bald zu klein. Das Büro wurde in der Folge mehrere Male verlegt, bis die Firma 1879 das oberste Stockwerk des Hauptgebäudes der Bank in Winterthur bezog. 1905 wurde das Hauptquartier in einen Neubau an der Turnerstrasse, gegenüber dem Winterthurer Bahnhof, verlegt. Als auch dieser zu klein wurde, ließ Volkart ein paar Straßen weiter am St. Georgenplatz einen monumentalen Rundbau erbauen, der von 1928 bis zur Aufgabe des Handelsgeschäftes in den 1990er Jahren der Firmenhauptsitz bleiben sollte.40 37 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc.Neuenhofer – Cotton Corr. 1917–25: Winterthur an Neuenhofer, Zürich, 5. Februar 1918. 38 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Rouen: M. Weber, Epinal à Winterthur, le 21 Septembre 1920. 39 VA, Dossier 56: (PR) Reiseberichte, Wien: Wiener Besuch durch die Herren Werner Reinhart und Müller-Renner in der Woche vom 25. September–1. Oktober, Winterthur, 3. Oktober 1923. 40 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 128f., 226f. und 312.
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Das Winterthurer Büro hatte eine Doppelfunktion. Zum einen war es der eigentliche Hauptsitz des Unternehmens, in dem alle wesentlichen Entscheide getroffen wurden. Dies scheint vom Moment der Gründung an der Fall gewesen zu sein, obwohl Johann Georg Volkart in Bombay als im Prinzip gleichberechtigter Teilhaber fungierte.41 Zum anderen übte das Büro in Winterthur quasi die Funktion einer Generalvertretung für den europäischen Kontinent und Großbritannien aus. Die Mitarbeiter in Winterthur studierten die Berichte aus den Filialen in Indien und Ceylon, die Auskunft gaben über die Nachfrage nach europäischen Konsumgütern in den örtlichen Bazars, und sie ermunterten die europäischen Produzenten, Warensendungen auf Kommissionsbasis nach Britisch Indien zu schicken. Weiter nahmen sie Bestellungen von europäischen Kunden für Baumwolle, Gewürze, Kokosbast oder Fischöle auf; zum Teil, indem sie mit diesen direkt in Korrespondenz traten, zum Teil, indem die Agenten von Volkart in den verschiedenen europäischen Handelsstädten die Geschäfte in die Wege leiteten.42 Mit dem Wachstum der Firma stieg nicht nur die Zahl der Beschäftigten, auch die Spezialisierung der einzelnen Angestellten nahm zu. 1924 etwa waren von den knapp 300 Europäern, die für Volkart als kaufmännische Angestellte tätig waren, gut 40 in Winterthur beschäftigt. Dazu waren im Hauptsitz noch mehrere Hilfsangestellte und Hauswarte für Volkart tätig (in den verschiedenen Filialen in Asien beschäftigte die Firma damals noch zusätzlich etwa 2200 einheimische Angestellte im Monatslohn und etwa 2800 Tagelöhner). Die Angestellten in Winterthur verteilten sich zu dieser Zeit auf die folgenden fünfzehn Abteilungen: Abt. 1 Abt. 2 Abt. 3 Abt. 4 Abt. 5
Abt. 6 Abt. 7 Abt. 8
Sekretariat der Geschäftsleitung & Personalwesen Versicherungen Kassa, Fakturierung, Informationswesen Rohbaumwolle Erdnüsse, Sesamsaat, Mohnsaat, Rizinussaat, Baumwollsaat, Nigersaat, Ajowansaat, Dillsaat, Fenchelsaat, Coreandersaat, Kurdissaat, Fenugrock, Hirse, Rapssaat, Leinsaat, Kautschuk Nux Vomica, Senna, Gelbwurz, Graphit, Cardamomen, Kakao, Zimmt, Thee, Cocculus Indicus Häute, ätherische Oele, Tamarinden, Rohseidenabfälle Zucker, Papier, Streichhölzer, Rotgarn, Metalle, Anilinfarben, Chemikalien, Parfümerien, Spirituosen, Piecegoods, Wollwaren, Cement, Uhren, Seidenstoffe, Spitzen, Stickereien, Seifen, Metallwaren
41 Ob dies auf die Tatsache zurückzuführen ist, dass Salomon Volkart als der ältere Bruder über eine größere Geschäftserfahrung verfügte, oder ob dies etwas mit der Nähe Winterthurs zu den Kunden in Europa zu tun hat, kann nicht mehr schlüssig ergründet werden. 42 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 8.
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Abt. 9 Maschinen, Turbinen, Lastautos Abt. 10 Coprah, Kokosnussoel, Oelkuchen, Ingwer, Desiccated Coconuts, Sandelholz, Sandelholzoel, exotische Hölzer, Fischoel, Dampferagenturen und Frachtengeschäft Abt. 11 Kaffee, Pfeffer, Cashewnüsse, Palmyrahfibre Abt. 12 Kokosgarne, Kokosfibre, Bristlefibre Abt. 13 Bureaumaterialverwaltung Abt. 14 Buchhaltung Abt. 15 Verkaufsstelle für die Schweiz Tabelle 2 Abteilungen im Hauptsitz von Volkart in Winterthur 1924 (Quelle: VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: Geschäfts-Ordnung, Fassung vom 15.2.1925; V.B. News, No. 1, November 1920, S. 11–15)
Durch die zunehmende Ausdifferenzierung der Geschäfte erhielten einzelne Abteilungsleiter ein großes Gewicht. Vor allem der Leiter der wichtigen Baumwollabteilung konnte durchaus auf Augenhöhe mit den Teilhabern der Firma verkehren. Generell bildete Volkart, wie auch andere große Handelsfirmen, Ende des 19. Jahrhunderts eine Mitarbeiterstruktur aus, die durchaus vergleichbar ist mit dem Managerkapitalismus, den Alfred Chandler als Merkmal moderner Industriefirmen identifiziert hat.43 Gleichzeitig erfolgte eine immer stärkere Zentralisierung der Entscheidungen. So durften beispielsweise neue Mitarbeiter ab den 1880er Jahren bloß noch in Winterthur eingestellt werden, während zuvor die Filialen die Personalauswahl selbständig vorgenommen hatten.44 Diese Zentralisierung erfolgte einerseits vor dem Hintergrund der ständig wachsenden Umsätze und der zunehmenden Spezialisierung des Handelsgeschäftes. Andererseits wurde sie durch die Beschleunigung von Transport und Kommunikation ermöglicht. Gerade die Telegraphie erlaubte es dem Hauptsitz, die Entscheidungen der Filialen viel genauer zu überwachen. Das zeigt, dass neue Kommunikationsmittel immer einen Einfluss auf soziale Machtstrukturen haben.45 Trotz der Einführung des telegraphischen Verkehrs wurde der Kontakt zwischen Hauptsitz und den Filialen beziehungsweise den Kunden weiterhin vor allem per Brief aufrechterhalten. Der zentrale Stellenwert der brieflichen Kommunikation lässt sich durch Zahlen belegen. So verschickten allein die Angestellten des Winterthu43 Chandler, Scale and Scope, 2004 [1990]. Vgl. zu diesem Thema ausführlicher Kapitel 5 und 6. 44 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 131. 45 Vgl. hierzu Allen, Lost Geographies of Power, 2003, S. 137. Dabei muss allerdings berücksichtigt werden, dass Telegramme bis ins frühe 20. Jahrhundert sehr teuer waren. Die Telegrammspesen von Volkart für den Verkehr zwischen London und Indien betrugen etwa 1881/82 30’008 Schweizer Franken. In der Folge sanken diese Kosten aber stetig: 1900/01 auf 15’457 und 1911/12 auf 13’513 Franken: VA, Statistik der Gebrüder Volkart 1851–1914.
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rer Hauptsitzes im Jahr 1920 65’000 Briefe. Von diesen waren 30’000 in deutscher Sprache verfasst, 19’000 in französischer und 16’000 in englischer Sprache. Außerdem gingen aus Winterthur regelmäßig umfangreiche Büromaterialsendungen in die indischen Filialen. So versorgte das für den Bürobedarf zuständige Department 13 die Niederlassungen auf dem Subkontinent im Jahr 1920 mit 185’000 Bogen Briefpapier, 15’000 Stoffumschlägen in vier verschiedenen Größen, 4000 Umschlägen beziehungsweise 10’000 Säcklein für Warensamples und 170’000 normalen Briefumschlägen in drei verschiedenen Größen.46 Winterthur war als Schaltzentrale für die Koordination der Transaktionen von Volkart günstiger gelegen, als dies auf den ersten Blick ersichtlich ist. Zwar hatte die Firma 1892 in einem Brief an das Eidgenössische Handels- und Justizdepartement bemerkt, es sei reiner Zufall gewesen, dass durch die Verehelichung von Salomon Volkart mit einer Winterthurerin die Stadt Winterthur „als Domizil für die europäische Seite des Unternehmens gewählt wurde. Dass dies geschah ist unter heutigen Verhältnissen schon oft als starker Nachtheil empfunden worden, indem … deren grosse Entfernung von den Weltmärkten sich häufig genug zum Schaden unseres Geschäftes fühlbar machte.“47 Diese Klage hatte ihren Grund jedoch wohl wesentlich darin, dass die Firma Volkart mit dem betreffenden Schreiben die schweizerische Regierung darum ersuchte, ihren Namen auch nach dem Ausscheiden der Firmengründer beibehalten zu dürfen – was, wie weiter unten ausführlicher dargelegt wird, aufgrund einer Änderung im schweizerischen Obligationenrecht in Frage gestellt war. Volkart versuchte, dieses Gesuch durch die Drohung zu unterstreichen, den Firmenhauptsitz andernfalls ins Ausland zu verlegen. Faktisch wies Winterthur für die Geschäfte von Volkart jedoch eine hervorragende Lage auf. So befanden sich die europäischen Hauptabnahmegebiete für indische Baumwolle in Nordfrankreich, Belgien, im Ruhrgebiet, den Regionen um Wien und Prag, in der Schweiz und in Norditalien. Winterthur lag damit genau im Zentrum der kontinentaleuropäischen Textilwirtschaft. Doch der Firmenhauptsitz lag nicht nur geographisch sehr günstig; Winterthur besaß auch eine lange Tradition als Handelsstadt. So führte die 1806 von Napoleon verhängte Kontinentalsperre, die die Einfuhr von britischen Waren nach Kontinentaleuropa unterband, zu einem massiven Aufschwung der schweizerischen Textilindustrie. Diese entwickelte sich im frühen 19. Jahrhundert zur bedeutendsten Textilindustrie Europas hinter Lancashire. Insbesondere die Winterthurer Unternehmer profitierten maßgeblich vom Wegfall der britischen Konkurrenzprodukte. So wurde die erste mechanische Spinnerei der Schweiz im Jahre 1803 unter Leitung von Johann Rudolf Sulzer in einem Vorort von Winterthur gegründet. 1812 eröffnete die Firma J. J. Rieter & Cie. in Winterthur eine erste Großspinnerei mit 4000 Spindeln. 46 V.B. News, No. 3, August 1921, S. 12–16. 47 VA, Dossier 18: Winterthur I: 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur: Gebr. Volkart an das Schweiz. Handels & Justiz Departement, Bern, 29. November 1892.
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Rieter begann in den 1830er Jahren mit der Produktion von Spinnereimaschinen und wurde in der Folge einer der weltweit führenden Hersteller von Webstühlen, Stick- oder Spulmaschinen.48 Winterthurer Unternehmer waren auch äußerst aktiv im Exportgeschäft mit Tuchen, die in der Schweiz hergestellt oder bedruckt worden waren. So setzte die Winterthurer Stoffdruckerei Greuter & Rieter ihre Produkte bis nach Indien, Südostasien, Japan sowie Nord- und Südamerika ab;49 Salomon Volkart war vor der Gründung seiner eigenen Firma jahrelang als Agent dieser Firma tätig gewesen.50 Und bereits Ende des 18. Jahrhunderts hatte eine „Société maritime pour le commerce avec les Indes orientales“ bestanden, die ab 1787 bedruckte Stoffe aus der Schweiz nach Indien exportierte und an der neben Kaufleuten aus Frankreich und der Westschweiz auch zahlreiche Winterthurer Unternehmer beteiligt waren. Die Geschäfte liefen so gut, dass die Gesellschaft, die sich nach Ausbruch der Französischen Revolution in „Société maritime Suisse“ umbenannte, Filialen in Kalkutta, Pondicherry und Madras eröffnen konnte. Nachdem jedoch Frankreich 1793 Großbritannien den Krieg erklärt hatte, kassierten die Briten die indischen Niederlassungen der „Société maritime“ sowie drei Schiffe samt Ladung als Kriegsbeute, so dass das Unternehmen 1795 Konkurs anmelden musste.51 Den Import von Rohbaumwolle in die Schweiz übernahmen ab Ende des 18. Jahrhunderts vor allem Kaufleute aus Winterthur, nachdem der Import in die deutsche Schweiz zuvor vor allem durch Basler Unternehmer durchgeführt worden war.52 Im 19. Jahrhundert entwickelte sich dabei neben Volkart, der damals bei weitem größten Handelsfirma in Winterthur, vor allem das Handelshaus Geilinger & Blum zu einem international bedeutenden Unternehmen. Die Firma Geilinger & Blum, deren Geschäfte ab 1889 unter dem Namen des wichtigsten Teilhabers als Paul Reinhart 48 Weisz, Die Zürcherische Exportindustrie, 1936, S. 193–200; Forster, Die Baumwolle, o.J. (ca. 1985), S. 48–58; Sulzer, Vom Baumwollzentrum zur Maschinenindustrie, 1995; Dejung, Im globalen Netz der Baumwolle, 2009. 49 Kindt, Notes sur l‘industrie et le commerce, 1847, S. 25. 50 Vgl. hierzu Kapitel 1. 51 Weisz, Zur Geschichte des europäischen Handels mit Indien, 1954/55. Weisz behauptet im letzten Teil seiner Artikelserie gar, dass es über das Winterthurer Kaufmannsunternehmen Jacob & Andreas Bidermann & Cie., welches maßgeblich an der Gründung der „Société maritime“ beteiligt war, einen direkten Zusammenhang zwischen dieser ersten in Indien tätigen Schweizer Handelsgesellschaft und der Gründung der Firma Volkart gebe. So führt er an, dass Salomon und Johann Georg Volkart zeitweise bei der Firma Geilinger & Blum gearbeitet hätten, an der wiederum Jakob Andreas Bidermann beteiligt war. Hierfür gibt es aber keinen Hinweis. Hingegen hat Theodor Reinhart, bevor er 1875 zu Volkart übertrat, in der väterlichen Firma Geilinger & Blum gearbeitet: VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, Anmerkungen von Jakob Anderegg. 52 Ganz, Winterthur, 1960, S. 128; Lendenmann, Die wirtschaftliche Entwicklung, 1996, S. 138; Sulzer, Vom Baumwollzentrum zur Maschinenindustrie, 1995, S. 14f.; Dejung, Im globalen Netz der Baumwolle, 2009.
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& Co. weitergeführt wurden, besaß unter anderem Tochterfirmen in Le Havre und Alexandria und pflegte enge Geschäftskontakte mit der bedeutenden US-Baumwollhandelsfirma McFadden & Bros. aus Philadelphia.53 Zwischen Geilinger & Blum/ Paul Reinhart und Volkart bestanden verschiedene Kontakte. So heiratete Theodor Reinhart, der Sohn des damaligen Eigentümers von Geilinger & Blum, Ende der 1870er Jahre Lilly Volkart, die Tochter von Salomon Volkart, und wurde kurz darauf Teilhaber von Volkart.54 Dies führte aber zu keiner engeren Zusammenarbeit zwischen den beiden Firmen. Diese pflegten nur relativ lose geschäftliche Kontakte, etwa indem Geilinger & Blum/Paul Reinhart ab den 1850er Jahren immer wieder als Vertreter von Volkart in Süddeutschland und der Schweiz tätig waren, oder indem Volkart in den 1930er Jahren ägyptische Rohbaumwolle von Paul Reinhart in Indien und den USA vertrieb. In den 1920er Jahren waren die beiden Firmen zudem kurzzeitig an einer Baumwollimportfirma in Italien beteiligt, die allerdings schon nach wenigen Jahren wieder liquidiert werden musste.55
Die Bedeutung der Niederlassung in London Auch wenn Winterthur sich im 19. Jahrhundert zu einem der Zentren der kontinentaleuropäischen Baumwollindustrie entwickelt hatte, war es für Volkart doch essenziell, eine eigene Niederlassung in London zu haben, dem damaligen Zentrum des Welthandels. Bereits seit den 1850er Jahren hatte Volkart Kontakte zu verschiedenen in London niedergelassenen Kaufleuten, die dort als Agenten für die Firma tätig waren. 1869 eröffnete Rudolph Ahlers, der zuvor in Indien für die Firma tätig gewesen und 1863 zum Teilhaber ernannt worden war, ein eigenes Unternehmen in London. Dieses wurde in der Folge zur wichtigsten Vertretung von Volkart in der britischen Handelsmetropole. Nachdem Ahlers 1875 wegen Krankheit zurückgetreten war, wurde seine Firma in eine reguläre Volkart-Filiale umgewandelt. Ab den 1880er Jahren war die Volkart Brothers London Agency in einer Vielzahl von Geschäftsfeldern aktiv. Sie verkaufte im Auftrag des Winterthurer Hauptsitzes indische Produkte wie Baumwolle, Kaffee oder Kokosnussöl in Großbritannien, lieferte britische Kohle und russisches Öl an die britische Marine, hatte die Agentur von verschiedenen Schifffahrtslinien inne und lieferte ab den 1890er Jahren Metall aus Kontinentaleuropa nach Indien und Ceylon. Am wichtigsten für die Firma war jedoch, dass die Londo-
53 Hauser/Fehr, Die Familie Reinhart, 1922, S. 159–192. 54 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 137f. 55 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch: 9.1.1867– 25.8.1870: 23.4.1871, Sal. Volkart an Hr. Scheuermann; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 379, 442 und 462f.
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ner Niederlassung für die Firma Volkart die Verbindung zu britischen Handelsbanken, Versicherungsunternehmen und Schifffahrtslinien sicherstellen konnte.56 Zwischen 1893 und 1940 war die Filiale in London auch der nominelle Hauptsitz von Volkart. Dies hatte aber weniger geschäftliche als vielmehr juristische Gründe. Das 1881 eingeführte schweizerische Obligationenrecht verlangte, dass die Bezeichnung einer Firma mit den tatsächlichen Besitzverhältnissen übereinstimmte. Da es nach dem Tod von Johann Georg Volkart im Jahr 1861 keine Gebrüder Volkart mehr gab, verlangte die schweizerische Regierung, dass die Firma ihren Namen änderte. In einem Brief an das Schweizerische Handels- und Justizdepartment vom November 1892 versuchte die Firma mit aller Kraft, eine Ausnahmeregelung zu erwirken. Die Teilhaber brachten dabei drei Hauptargumente vor, die zum Teil in einem gewissen Widerspruch zueinander standen. Erstens argumentierten die Teilhaber, dass der größte Teil der Geschäfte von Volkart außerhalb der Schweiz abgewickelt wurde – vom damaligen Jahresumsatz von 60–70 Millionen Franken betrafen bloß 1 ½ –2 Millionen Import- und Exportgeschäfte mit Schweizer Kunden – und der Winterthurer Hauptsitz bei diesen im Ausland getätigten Geschäften nur eine vermittelnde Rolle spiele. Aufgrund dieser Tatsache werde Volkart in Indien wie auch in London als britische Firma betrachtet. Dies würde in den Augen der Teilhaber von Volkart durchaus eine „Abweichung in der Application jener neuen Gesetzesparagraphen rechtfertigen, welche doch in erster Linie für ausschließlich interne Firmen geschaffen worden sind.“ Zweitens, gab die Firma zu bedenken, sei es einzig „die Liebe zur Scholle und die stolze Freude, ein altes, grosses Unternehmen schweizerischen Ursprungs auf Schweizerboden weiterzuführen“ gewesen, die die Firma bisher daran gehindert habe, den Hauptsitz nach London zu verlegen. Die Firma appellierte nun an die Schweizer Regierung, diesen Umstand bei ihrem Entscheid zu berücksichtigen: „Es will uns daher fast so scheinen, als ob im gegenwärtigen Augenblicke der Fall sich gewendet habe und die oberste Behörde des Landes, dem wir in schweren Zeiten treu geblieben sind, zu dessen Ehre & wir dürfen vielleicht selbst sagen commerziellen Ruhm wir im weiten Auslande seit über 40 Jahren arbeiten & dessen strebsamen, handelsbeflissenen Söhnen wir zu vielen Dutzenden schon sehr geachtete Stellungen hier und im Ausland … verschaffen konnten, heute vor einer guten Gelegenheit stehe, solche Anstrengungen zu reciprocieren“. Dieser zweite Argumentationsstrang stand in einem gewissen Widerspruch zur zuvor geäußerten Ansicht, dass Volkart im Ausland eigentlich als britische Firma wahrgenommen wurde. Diese widersprüchliche Argumentation erklärt sich damit, dass es für Volkart in der Tat nicht ganz einfach war, die länderübergreifende Geschäftstätigkeit in ein nationales Raster zu pressen – eine Tatsache, die der Firma vor allem im Ersten Weltkrieg schmerzlich bewusst werden soll-
56 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, V.B. London: 2. Table of Events.
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te.57 Drittens machten die Volkart-Teilhaber geltend, dass „der Name unserer Firma heute mehr bedeutet, als die blosse Bezeichnung eines zufälligen Familienverhältnisses.“ Man bitte die Schweizer Regierung „zu berücksichtigen, dass unter indischen Eingeborenen, mit welchen wir unser ganzes Import & Export Geschäft vermitteln, die Aenderung einer alten Firma etwas ganz anderes bedeutet als hier zu Lande, wo vernünftigen Leuten mittelst eines Hinweises auf das neue Gesetz leicht genug vielleicht das wünschbare Verständnis einer solchen Veränderung beigebracht werden kann.“ Der Zufall wolle es nun, „dass die drei ältesten & bemerkenswerthesten Firmen Ostindiens im grossen Import & Export Handel speciell Bombay’s alle mit ‚Brothers‘ firmieren (Ralli Brothers, grösste griechische Firma; Wallace Brothers, grösste englische Firma & Volkart Brothers) & dass sich an diese drei alten Ecksteine des BombayHandels im Speciellen viel Aberglaube & Vorliebe des Platzhandels knüpft. Verzeihen Sie diese Abschweifung, aber wir müssen draussen mit solchen Dingen rechnen & wenn wir hier plötzlich anders firmieren, unsere Facturen & sonstigen Schriftstücke an die Eingeborenen anders signiren, wird eine Beunruhigung entstehen, welche uns lange Zeit empfindlich schaden kann & mit unserm Prestige der Theilhaberschaft an dem genannten alten Dreibunde ist es für alle Zeiten vorbei.“58 Diese letzte Behauptung war nicht ganz korrekt – Wallace Brothers hatten ihre Tochterfirma für den Export von indischer Baumwolle bereits 1886 in Bombay Co. umbenannt und dabei offenbar keine größeren geschäftlichen Nachteile erlitten59 – und wohl auch etwas übertrieben, denn die indischen Kaufleute hätten wohl weit weniger Mühe mit einem Namenswechsel gehabt, als die Firma hier gegenüber der Schweizer Regierung suggerierte. Dennoch zeigt das Bemühen, den Namen der Firma beibehalten zu dürfen, und die Bereitschaft, andernfalls den Hauptsitz nach London zu verlegen, dass die Teilhaber von Volkart die Firmenbezeichnung als kulturelles Kapital ansahen, das sie nicht einfach preisgeben wollten. In seiner Antwort äußerte das Schweizerische Handels- und Justizdepartement zwar durchaus Verständnis für die Schwierigkeiten und Unannehmlichkeiten, welche eine Namensänderung für Volkart mit sich bringe. Allein, man sei an die bestehenden Gesetze gebunden. Die Teilhaber von Volkart müssten also den Namen ihrer Firma ändern. Sonst bleibe ihnen „nichts anderes übrig, als Ihren Geschäfts-Mittelpunkt in einen auswärtigen Staat zu verlegen … und demgemäss Ihre Niederlassung in Winterthur in eine Filiale umzuwandeln.“60 Genau dies taten die Teilhaber denn auch. 57 Vgl. hierzu ausführlich Kapitel 4. 58 VA, Dossier 18: Winterthur I: 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur: Gebr. Volkart an das Schweiz. Handels & Justiz Departement, Bern, 29. November 1892. 59 GL, Records of Wallace Brothers & Co. (Holdings) Ltd.: Ms 40076: Wallace Brothers private letters, Vol. 1 1885–93: Wallace Brothers, London, to Busk & Jevons, New York, 24 Septr 1886. 60 VA, Dossier 18: Winterthur I: 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur: Schweizerisches Handels- und Justiz Departement, Bern, an Gebrüder Volkart, Winterthur,
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Per 1. Januar 1893 wurde das Londoner Büro zum nominellen Hauptsitz der Firma erklärt. Volkart Winterthur wurde auf dem Papier in eine Zweigniederlassung umgewandelt.61 Volkart London hatte durchaus eine gewisse Koordinationsfunktion innerhalb der Firma, da die indischen Filialen in vielen Fällen die Transaktionen direkt mit London absprachen, ohne dass Volkart Winterthur involviert wurde; eine Ausnahme stellte dabei der Baumwollhandel dar, der stets in Winterthur koordiniert wurde.62 Generell jedoch blieb Winterthur der eigentliche Hauptsitz der Firma. Alle wichtigen Entscheide in Bezug auf die Firmenpolitik wurden dort gefällt und auch die Teilhaber hatten ihre Büros stets in Winterthur. Erst 1940, nachdem das Obligationenrecht geändert worden war und der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges die Firma vor eine neue Situation gestellt hatte, beschloss Volkart, den Hauptsitz wieder in die Schweiz zu verlegen.63
Der Einfluss der Rupienentwertung auf den Indienhandel Die Geschäfte von Volkart wurden wesentlich dadurch geprägt, dass sich verschiedene kontinentaleuropäische Länder in den späten 1870er Jahren von der Silberwährung verabschiedeten und Goldstandard übernahmen. Dies bedeutete, dass die verschiedenen nationalen Währungen jederzeit zu einem fixen Kurs in Gold umgetauscht werden konnten. Der Goldstandard war zu Beginn des 19. Jahrhunderts in Großbritannien eingeführt worden. Da Großbritannien in der Folge zur führenden Welthandelsnation aufstieg und London sich zum wichtigsten Finanzplatz der Welt entwickelt hatte, wurde der Goldstandard bis Ende des 19. Jahrhunderts von allen westlichen Industriestaaten übernommen.64 Ab 1876 begann jedoch der Preis des Silbers in Relation zum Goldpreis zu fallen. In der Folge floss ein Großteil des Silbers nach Indien. 1877 absorbierte Indien 84% der Silber-Weltproduktion. Da die in Indien zirkulierende Geldmenge zwischen 1877 und 1893 um etwa einen Drittel gestiegen war, verlor die Silberrupie gegenüber den europäischen Währungen stark an Wert. Dies verteuerte die europäischen Importe nach dem Subkontinent. Für Exporteure aus Indien war die Rupienentwertung jedoch von Vorteil, da die indischen Rohstoffe dadurch für europäische Käufer vergleichsweise billig wurden.65 14. Dezember 1892. 61 Schweizerisches Handelsamtsblatt, Freitag, 13. Januar 1893. 62 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, V.B. London, 3. P.R. Note on London of 21.5.1958 and circular No. 117 of 3.8.1956 on changes in the London set up: formation of Volkart Brothers (UK) Ltd.: Notiz von Peter Reinhart, 21. Mai 1958. 63 Vgl. hierzu Kapitel 8. 64 Cassis, Les Capitales du Capital, 2005, S. 100–112. 65 Rothermund, Government, Landlord, and Peasant in India, 1978, S. 20f.; Foreman-Peck, A History of the World Economy, 1995, S. 158ff.
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Trotz dieser für Handelshäuser durchaus vorteilhaften Entwicklung stellte die Rupienentwertung Firmen wie Volkart auch vor neue Probleme. Denn Volkart exportierte ja nicht nur indische Rohstoffe, sondern importierte auch europäische Konsumgüter und Industrieprodukte nach Indien. Um zu verhindern, dass Volkart auf Rupienguthaben sitzen blieb, deren Wert sich laufend verminderte, waren die indischen Filialen angewiesen, die erhaltenen Rupien nach dem Verkauf der Importprodukte sofort in britische Pfund umzutauschen, um damit das Kursrisiko auszuschalten.66 Noch in den späten 1880er Jahren scheinen aber verschiedene Volkart-Mitarbeiter mit dieser Praxis etwelche Mühe gehabt zu haben. Die Verantwortlichen des Winterthurer Hauptsitzes mussten deshalb ihre Manager in Indien 1888 in einem Brief einerseits daran erinnern, dass Währungsspekulationen strikt zu unterlassen seien, da die Firma durch diese Praxis längerfristig nur verlieren könne und da „diese Abweichungen sehr leicht die grössten ‚Confusionen‘ in den ‚Kurs Statements‘ verursachen & es behufs genauer Führung … im höchsten Grade erwünscht ist, im laufenden Geschäft unabänderlich daran fest zu halten, dass in Kursen nicht speculirt werde, sondern dass Kurse stets gesichert werden“. Andererseits mussten sie ihren Mitarbeitern in Indien auch detaillierte Anweisungen geben, wie diese ihr Exchange Statement zu führen hatten, das heisst, wie sie die Erlöse aus dem Verkauf von Importen und die Kosten der Exporte nach Europa in der internen Buchhaltung der Filialen korrekt gegeneinander aufzurechnen hatten.67 Die Tatsache, dass selbst den hoch qualifizierten Kaufleuten, die für Volkart in Indien tätig waren, diese buchhalterischen Details nicht immer restlos klar waren, ist ein weiterer Beleg für die zunehmende Komplexität des modernen Handelsgeschäftes.
Kreditbedarf und Bankverbindungen Bis in die 1870er Jahre mussten die europäischen Käufer ihrer Bestellung eine Bankgarantie in Höhe des voraussichtlichen Preises beilegen. Als nach der Eröffnung der Telegraphenlinie zwischen Indien und Europa das Kommissionsgeschäft verschwand und die auf dem Subkontinent niedergelassenen Handelshäuser dazu übergingen, Exportgeschäfte auf eigene Rechnung durchzuführen, bürgerte sich die Praxis ein, dass der Käufer die Waren erst bei Ankunft bezahlte.68 Das bedingte eine Änderung der Finanzierungspraxis. Für Rohstoffexporte aus Indien hatten bis in die 1860er 66 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 3. Correspondence: Winterthur an Shanghai, 28. April 1933. 67 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977: Circular-Schreiben an alle unsere Häuser, Winterthur, 27. Juli 1888. 68 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 9f.; VA, Weisse Schachtel: V.B. Finanzen, AuszahlungsSysteme, Dezember 1926, S. 1
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Jahre unter anderem indische Kaufleute, die als Guarantee Broker tätig waren, die Vorschüsse bezahlt. Diese Finanzierungsart hatte sich aber immer mehr als zu umständlich erwiesen, Volkart verzichtete deshalb ab Ende der 1860er Jahre darauf und ging dazu über, die Exporte durch Kredite von europäischen Banken zu finanzieren.69 Salomon Volkart meinte hierzu 1869 in einem Brief: „Nachdem wir in Bombay den Broker gaenzlich abgeschafft haben, mithin auf unsere eigenen Credite und Capitalien angewiesen sind, so ist es doppelt nothwendig geworden, sich von dort aus wegen Financierung bei Geschaeften zeitig mit Bombay zu benehmen und treffen wir von hier aus schon die noethigen Vorkehrungen, damit letzteres zu jeder Zeit mit genuegend Mitteln versorgt bleibt.“70 Dabei profitierte Volkart, wie auch andere große europäische Handelshäuser, vom Aufschwung des europäischen Bankensystems und vor allem dem Aufkommen von spezialisierten Handelsbanken ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Letztere waren aus vermögenden Handelshäusern entstanden, die sich ab den 1820er Jahren zunehmend darauf spezialisiert hatten, nicht mehr mit Waren zu handeln, sondern anderen Handelsfirmen Kredite zu geben. Vor allem nach der Einführung der Telegraphie, durch welche der Fernhandel enorm dynamisiert wurde, stieg das Kreditvolumen von wichtigen Handelsbanken wie Baring Bros. oder Frederick Huth & Co. stark an.71 Die indischen Filialen von Volkart benötigten jede Woche mehrere hunderttausend Pfund Sterling für den Einkauf der von Volkart gehandelten Rohstoffe. Im Winter und Frühling, wenn die indischen Rohstoffe auf die lokalen Märkte kamen, war der Kapitalbedarf wesentlich größer als im Sommer und im Herbst. Die Gelder mussten zu den über hundert Einkaufsagenturen gebracht werden, die Volkart auf dem ganzen Subkontinent besaß. Dies war vergleichsweise einfach, wenn die Einkaufsagentur an einem Ort im Landesinnern lag, in dem es eine Bankniederlassung gab oder in dem das indische Schatzamt über eine Agentur verfügte. Solche Bankniederlassungen oder Zweigstellen des Schatzamtes wurden jedoch an vielen Orten im Landesinnern erst in den 1920er Jahren gegründet. Wenn vor Ort keine solchen Finanzinstitute existierten, verkauften die Einkaufsagenten von Volkart ihre Wechsel an eine Lokalbank oder einen shroff. Diese konnten die Wechsel später wieder bei einer der Volkart-Filialen an der Küste einlösen, und so die Gelder zurückbezahlt erhalten. Die indischen Filialen von Volkart wiederum beschafften sich die Gelder, indem sie Sichtwechsel auf eine Londoner Handelsbank ausstellten. Ab den 1880er Jahren benutzte Volkart vor allem die Handelsbank Glyn, Mills & Co. für die Finanzierung der Einkäufe in Indien. Mitte der 1920er Jahre zogen die Volkart-Filialen jedes Jahr Wechsel in der Höhe von 18 Millionen Pfund Sterling auf Glyn, Mills. Die Volkart69 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 56. 70 Volkart-Archiv, Dossier 1: B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart,, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867–25.8.1870: Sal. Volkart an Spitteler, Cochin, 9.9.1869. 71 Chapman, The Rise of Merchant Banking, 1984, S. 17, 34–44, 114 und 139.
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Niederlassung in London hatte dafür zu sorgen, dass diese Wechsel rechtzeitig beglichen wurden. Da die Einnahmen aus dem Verkauf der Rohstoffe in der Regel erst Monate später erfolgten, musste Volkart die von Glyn, Mills präsentierten Wechsel durch Bankkredite begleichen. Volkart beschaffte sich diese Gelder einerseits durch Blankokredite bei Schweizer Banken und andererseits, indem sie die Waren, die in den Lagerhäusern der Firma lagen, an verschiedene europäische Banken verpfändete. Mit fortschreitender Saison mehrten sich die Einkünfte aus dem Verkauf der Rohstoffe und der Geldbedarf der indischen Filialen in Indien wurde kleiner, sodass Volkart die Kredite nach und nach zurückzahlen konnte.72 Die hervorragenden Kontakte zu Finanzinstituten in der Schweiz und in England waren die Voraussetzung dafür, dass die Firma Volkart ab 1870 für ihre Geschäfte keine Kredite mehr von indischen Kaufleuten benötigte. Dies sorgte auch innerhalb der Firma für eine Zentralisierung der Geschäftstätigkeit. Ab Mitte der 1880er Jahre wurde die Finanzierung der Handelsgeschäfte ausschließlich durch den Winterthurer Hauptsitz respektive die Niederlassung in London organisiert, und nicht mehr selbständig durch die Filialen in Indien vorgenommen.73 Britische Geschäftsbanken waren offenbar lange Zeit äußerst restriktiv in ihrer Kreditvergabe. Erst in den frühen 1920er Jahren lockerten sie ihre Kreditpolitik, da ihnen nach Aussage eines VolkartMitarbeiters klar geworden sei, „dass es praktisch unmöglich wäre, die ganze Riesenmenge der Geschäfte, die der Welthandel täglich bringt, abzuschliessen und rasch genug abzuwickeln, wenn sie engherzig auf ihren altmodischen Methoden bestünden, für jeden geliehenen Penny zuerst Uebergabe der Ware oder der sie vertretenden Dokumente zu verlangen.“ Trotz anfänglicher Skepsis waren die britischen Banken ab 1923 bereit, gegen eingelagerte oder bereits verschiffte Baumwolle Kredite zu gewähren.74 Dadurch konnte Volkart den Kreditrahmen bei den 28 von der Firma in London benutzten Banken zwischen 1920 und 1926 von 1 Million auf 2,5 Millionen Pfund erhöhen.75 Dies verdankte Volkart nach eigener Einschätzung „wohl den guten persönlichen Beziehungen unseres Londoner Managements zu den Banken“, aber auch der Tatsache, dass den Londoner Banken die „Kapitalkraft und solide und loyale Geschäftsführung“ von Volkart bekannt war.76 Zudem ging aufgrund der Tatsache, 72 VA, Weisse Schachtel, Unser Finanzsystem. (ca. 1925), S. 4, 7–10; V.B. Finanzen, Auszahlungs-Systeme, Dezember 1926, S. 1–7; V.B. Finanzen. Deckung der Verbindlichkeiten. März 1927, S. 3, 9, 13–17. Die Finanzierung des Rohstoffhandels lief somit zu dieser Zeit praktisch ausschließlich über den Wechselverkehr. Der Autor eines 1914 erschienen „Handbuchs der gesamten Handelswissenschaften“ meinte deshalb: „Der Wechsel spielt im Austausch und Zirkulationsprozess der Güter fast eine ebenso wichtige Rolle, als die Dampfmaschine“ (MaierRothschild, Handbuch der gesamten Handelswissenschaften, 1914, S. 479). 73 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 4. 74 VA, Weisse Schachtel: Unsere Banken (März 1926), S. 8ff. 75 VA, Weisse Schachtel: V.B. Finanzen. Ressourcen. (Oktober 1926), S. 4. 76 VA, Weisse Schachtel: Unsere Banken (März 1926), S. 8ff.
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dass die City of London das Zentrum des weltweiten Güteraustauschs war, ein Großteil der Verschiffungsdokumente, Schecks und von Volkart ausgestellten Rechnungen durch die Hände der Londoner Bankiers. Dies war nach Ansicht der Volkart-Mitarbeiter in London äußerst wichtig für die Geschäfte der Firma. So hieß es 1926 in einem Brief aus London: „‚[C]onstant contact with the banks create a feeling of being known, which lends itself to concessions and special treatment at times, which can only be to our advantage.‘“77 Es war jedoch nicht zuletzt die eigene Kapitalkraft, die Volkart derart großzügige Kredite bei den Banken verschaffte. Das Firmenkapital hatte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert aufgrund der erfolgreichen Entwicklung der Geschäfte markant erhöht werden können, von 3,5 Millionen Franken 1875 auf bis zu 35 Millionen 1922. 1. Juli 1875 1. Juli 1879 1. Juli 1880 1. Juli 1883 1. Juli 1894 1. Juli 1898 1. Juli 1904 1. Juli 1906 18. Januar 1919 1. Juli 1919 1. Juli 1922
3‘500‘000 4‘000‘000 4‘200‘000 6‘000‘000 7‘200‘000 5‘200‘000 8‘000‘000 10‘000‘000 19‘000‘000 21‘000‘000 35‘000‘000
Tabelle 3 Firmakapital (Stammkapital, in Schweizer Franken) (Quelle: VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Allerlei geschäftliche Informationen, Statistiken etc.)
Um stets über genügend flüssige Mittel für die Deckung der Wechsel zu verfügen, benötigte Volkart längerfristige Bankkredite. Da sich die britischen Banken aber auch noch in den 1920er Jahren weigerten, Kredite zu vergeben, wenn diese nicht durch die Verpfändung von Lagerbeständen abgesichert waren, musste sich Volkart anderswo Gelder beschaffen. Das Schweizer Bankwesen steckte Mitte des 19. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen, und vor allem in Winterthur existierte noch kein leistungsfähiges Kreditinstitut. Deshalb gründeten Winterthurer Kaufleute und Industrielle im Jahr 1862 die Bank in Winterthur. Salomon Volkart war Gründungsmitglied dieser Bank und saß auch jahrelang in ihrem Verwaltungsrat. Die Bank verfügte über enge Verbindungen zu anderen europäischen Finanzplätzen und war insbesondere in der Finanzierung von Import- und Exportgeschäften tätig. Große Bedeutung hatte dabei die Kreditvergabe für den Import von Rohbaumwolle. Zwischen 1902 und 1911 wurden durch die Bank in Winterthur jedes Jahr Wechsel in der Höhe von zwischen 24 und 42 Millionen Franken gedeckt. Etwa ein Viertel bis ein Drittel der über 100’000 Baumwollballen, die in dieser Zeit mit Hilfe von Krediten der Bank 77 VA, Weisse Schachtel: Unsere Banken. Zu Londons Brief vom 12. März 1926.
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in Winterthur nach Europa importiert wurden, stammten dabei aus Indien.78 Ein beträchtlicher Teil dieser indischen Baumwolle dürfte wiederum von Volkart verschifft worden sein. Durch die Beteiligung an der Gründung der Bank in Winterthur, die 1912 mit der Toggenburger Bank zur Schweizerischen Bankgesellschaft fusionierte, sorgte Volkart also aktiv für die Schaffung der notwenigen Kreditmöglichkeiten für das firmeneigene Import- und Exportgeschäft. Die Schweizer Banken wurden in der Folge äußerst wichtig für Volkart, da sie der Firma großzügige Blankokredite gewährten.79 In einem internen Papier von 1926 vertrat ein Mitarbeiter der Finanzabteilung von Volkart die Ansicht, dass die schweizerischen Banken für die Firma schlichtweg unentbehrlich seien: „Eine Verbindung wie die Bankgesellschaft, die zu jeglichem Geschäft unter annehmbaren Bedingungen bereit ist, wenn V.B. den Namen dazu geben …, die uns in allen ihren Quotierungen mit Großbanken auf die gleiche Stufe stellt, uns aus freien Stücken den Blankokredit auf 6 Millionen erhöht, … eine solche Verbindung verdient gepflegt und bevorzugt zu werden.“80 Dass gerade die Schweizer Banken so großzügig waren, dürfte im Wesentlichen eine Frage des Vertrauens gewesen sein, das nicht nur durch langjährige erfolgreiche Geschäftskontakte aufgebaut worden war, sondern auch auf der personellen Verflechtung zwischen den Banken und dem Handelshaus beruhte. So saß nicht nur Salomon Volkart mehrere Jahre im Verwaltungsrat der Bank in Winterthur, sondern auch sein Schwiegersohn Theodor Reinhart, ab 1879 Teilhaber bei Volkart, hatte mehrere Jahre lang ein Verwaltungsratsmandat bei der Schweizerischen Nationalbank inne.81 Dies zeigt, dass es für ein Handelshaus wie Volkart nicht nur in Bezug auf den Vertrieb der Waren, sondern auch für die Finanzierung der Handelsgeschäfte unabdingbar war, in ganz unterschiedlichen Ländern in soziale Netzwerke eingebunden zu sein. Der Erfolg der Firma beruhte wohl nicht zuletzt darauf, dass es Salomon Volkart gelungen war, neben britischen Banken auch kontinentaleuropäische Kreditinstitute für die Finanzierung der Handelsgeschäfte in Anspruch nehmen zu können.82 Das Handelshaus benutzte ganz bewusst Banken aus verschiedenen Ländern, um von kurzfristigen Veränderungen der Zinssätze profitieren zu können, und um nicht allzu 78 Wetter, Die Bank in Winterthur, 1914, S. 6f., 15f., 135–138. 79 VA, Weisse Schachtel: Unsere Banken (März 1926), S. 4; V.B. Finanzen. Auszahlungs-Systeme. Dezember 1926, S. 3. Vgl. zur bei britischen Banken offenbar vorherrschenden Abneigung, an Handelsfirmen langfristige Kredite zu vergeben Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 229. 80 VA, Weisse Schachtel: Unsere Banken (März 1926), S. 4. Dies bestätigt die Ansicht von Fritz Mangold, wonach schweizerische Bankkredite eine wichtige Rolle für den Erfolg von schweizerischen Handelshäusern spielten: Mangold, 75 Jahre Basler Transport-Versicherungs-Gesellschaft, 1940, S. 16f. 81 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 48. 82 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 1 general notes about financing business.
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sehr von der Entwicklung des Finanzmarktes in einem bestimmten Land abhängig zu werden. Zudem habe die Firma „in keinem einzelnen Land genug Kredite für alle unsere Bedürfnisse“, wie ein Mitarbeiter der Volkart-Finanzabteilung 1925 bemerkte.83 Alles in allem benutzte Volkart Mitte der 1920er Jahre neben zwölf schweizerischen Banken noch etwa siebzig weitere Banken in einem halben Dutzend Länder. Den schweizerischen und englischen Banken legte Volkart dabei stets die aktuellen Jahresbilanzen vor, um die Kreditwürdigkeit der Firma zu belegen.84 Da Volkart über Jahrzehnte hinweg mit denselben Banken arbeitete und da diese Kooperation einen integralen Bestandteil des Handelsgeschäftes bildete, kann auch sie als interorganisationales Netzwerk aufgefasst werden.85 Im Gegensatz zur Zusammenarbeit mit den Brokern und shroffs in Indien oder den Agenten in Europa wies dieses horizontale Netzwerk aber keinen hierarchischen Kern auf, sondern war grundsätzlich durch die Steuerungsform des Marktes geprägt.
Baumwollbörsen und das Aufkommen des Terminhandels Ein Problem für Baumwollhandelsfirmen bestand darin, dass sie ihre Ware oft erst nach mehreren Monaten an eine Spinnerei verkaufen konnten; respektive, dass sie den Spinnereien zum Teil Baumwolle verkauften, die sich zum Teil noch gar nicht in ihrem Besitz befand und die zum Teil noch nicht einmal geerntet worden war. Da die Baumwollhandelsfirmen ab dem späten 19. Jahrhundert sehr große Umsätze tätigten, konnte eine ungünstige Preisentwicklung zu hohen Verlusten und unter Umständen zum Konkurs eines Handelshauses führen. Wie schützten sich die Handelsfirmen vor dieser Gefahr? Sie brauchten einen Markt, auf dem sie ihre Ware jederzeit verkaufen oder auf dem sie sich jederzeit mit Optionen auf die Lieferung von Baumwolle eindecken konnten. Diese Möglichkeit fanden sie auf dem Terminmarkt.86 Ab den 1860er 83 VA, Weisse Schachtel: Unser Finanzsystem. (ca. 1925), S. 9. 84 Die wichtigsten waren neben den drei Schweizer Großbanken Schweizerischer Bankverein, Schweizerische Bankgesellschaft und Schweizerischer Kreditanstalt die folgenden Banken: Lloyds Bank, Midland Bank, British Italian Bank Corporation, Banque Belge pour l’Etranger, Guaranty Trust Company of New York, Union Discount Company of London, Reeves, Withburn & Co, Imperial Bank of India: VA, Weisse Schachtel: Unser Finanzsystem. (ca. 1925), S. 8; Unsere Banken. Zu Londons Brief vom 12. März 1926; V.B. Finanzen. Ressourcen. (Oktober 1926), S. 4; V.B. Finanzen, Deckung der Verbindlichkeiten. März 1927, S. 1. 85 Vgl. hierzu Sydow, Strategische Netzwerke, 1992; Berghoff/Sydow (Hg.), Unternehmerische Netzwerke, 2007. 86 Wenn nicht anders vermerkt, beruhen die folgenden Ausführungen zur Entwicklung von Termingeschäften auf: Garside, Cotton Goes to Market, 1935, S. 133, 144ff., 157ff., 207–274, 316, 335–341; Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 153 und 167f.; Hall, The Liverpool Cotton Market, 1999.
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Jahren begannen die Handelsfirmen, ihre Transaktionen durch Terminoperationen abzusichern. Wann immer sie eine bestimmte Menge Baumwolle einkauften, für die sie nicht sofort einen Käufer fanden, verkauften sie an einer Baumwollbörse einen Terminkontrakt, der sie zu einem bestimmten Zeitpunkt – zum Beispiel nach Ablauf von drei Monaten – zur Lieferung der betreffenden Menge Baumwolle verpflichtete. Wenn sie die Baumwolle dann tatsächlich an eine Spinnerei verkauft hatten, kauften sie den Terminkontrakt wieder zurück. Wenn die Handelsfirma einen Terminkontrakt verkaufte, hatte sie also nicht im Sinn, die Baumwolle auch tatsächlich dem Käufer dieses Kontraktes auszuliefern; der Terminkontrakt funktionierte als reine Preisversicherung. Dasselbe fand auch im umgekehrten Fall statt: Wenn sich eine Handelsfirma verpflichtet hatte, einem Spinner zu einem bestimmten Zeitpunkt eine bestimmte Menge Baumwolle zu liefern, die sie noch nicht besaß, kaufte sie an der Börse einen Terminkontrakt, der ihr die Möglichkeit bot, die entsprechende Menge Baumwolle zu dem auf dem Kontrakt festgelegten Zeitpunkt in Empfang nehmen zu können. Käufe und Verkäufe von effektiver Baumwolle wurden somit durch eine entgegengesetzte Operation auf den Terminmärkten ausgeglichen. Diese Methode funktionierte, weil sich die Preise von effektiver Baumwolle – so genannte spot-cotton – und Terminkontrakten – den so genannten futures – mehr oder weniger ähnlich entwickelten. Wenn der Wert der Baumwolle zwischen Einkauf und Verkauf sank, bedeutete dies für die Handelsfirma zwar einen Verlust; da sie aber gleichzeitig den Terminkontrakt, der die betreffende Operation absicherte, zu einem tieferen Preis zurückkaufen konnte, als demjenigen, zu dem sie ihn ursprünglich verkauft hatte, glich der Terminhandel den Verlust zumindest zum Teil wieder aus. Deswegen konnten sich die Handelsfirmen durch Operationen an der Terminbörse – dem so genannten hedging – ein Stück weit vor Preisveränderungen schützen. Einen vollständigen Schutz vor Preisveränderungen bot das hedging jedoch nicht. Dies nicht zuletzt deshalb, weil die Handelsfirmen es sich aufgrund der großen Konkurrenz gar nicht leisten konnten, alle Transaktionen durch Terminkontrakte abzusichern. Sie tätigten immer wieder auch spekulative Geschäfte, da ihnen die dadurch erwirtschafteten Profite im günstigen Fall einen Vorteil gegenüber ihren Konkurrenzfirmen bescherten.87 Ein weiteres Problem war, dass sich die Preise von effektiver Baumwolle und futures zwar stets in die gleiche Richtung entwickelten, die Preisentwicklung jedoch nie vollständig parallel verlief. Zwischen dem Preis für effektive Baumwolle und dem Preis, der auf dem Terminmarkt für Baumwollkontrakte bezahlt wurde, bestand stets eine gewisse Differenz. Diese Differenz wurde als Basis bezeichnet. Wenn die Handelsfirma ihre Transaktionen durch hedging absicherte, dann bemaß sich der Gewinn – respektive der Verlust – durch die Differenz zwischen der Basis zum Zeitpunkt des Kaufs und der Basis zum Zeitpunkt des Verkaufs. Die Firma 87 Ziegler, Der Import ostindischer Baumwolle, 1922, S. 56; Ferguson, The Ascent of Money, 2008, S. 226.
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musste also darauf bedacht sein, dass die Basis im Moment des Verkaufes größer war als im Moment des Einkaufs. Mit anderen Worten, die Handelsfirma musste durch ihre Transaktion an den Terminmärkten mehr verdienen, als sie beim Handel mit effektiver Baumwolle verlor; respektive umgekehrt, sie musste beim Handel mit effektiver Baumwolle mehr Gewinn erzielen, als sie bei ihren Terminoperationen verlor. Auch wenn das hedging also nicht alle Risiken des Baumwollhandels decken konnte, so konnten diese doch wesentlich gemildert werden. Die Absicherung von Handelsgeschäften durch Terminkontrakte erforderte von den beteiligten Akteuren eine große kaufmännische Fertigkeit. Noch zu Ende des 19. Jahrhunderts waren jedoch viele Kaufleute äußerst skeptisch gegenüber dieser kaufmännischen Innovation. Sie betrachteten Termingeschäfte als reine Spekulation und empfanden sie als Praxis, die unter der Würde eines seriöses Handelshauses lag.88 Erst mit der Zeit wurden Termingeschäfte zunehmend zu einer Normalität im internationalen Baumwollhandelsgeschäft.89 In der Folge bestanden auch die Banken bei der Kreditvergabe mehr und mehr darauf, dass die Handelsfirmen den größten Teil ihrer Transaktionen durch hedging absicherten. Das hedging hatte sich in den 1860er Jahren in Liverpool aus den Zeitgeschäften oder forward-Verkäufen entwickelt, die während des Amerikanischen Bürgerkrieges üblich geworden waren. Da amerikanische Baumwolle aufgrund der Seeblockade der Nordstaaten nicht mehr nach Europa exportiert werden konnte, war eine heftige Spekulationstätigkeit mit indischer Baumwolle entstanden; 1863 waren die Baumwollpreise drei- bis viermal so hoch wie vor dem Krieg. Viele Kaufleute begannen in dieser Zeit vermehrt forward-Verkäufe zu machen, das heißt, sie verkauften die Baumwolle zu einem Zeitpunkt an die Spinnereien, an dem die Ware noch gar nicht im Zielhafen angekommen war. Nach Ende des Bürgerkrieges gingen die Baumwollpreise wieder stark zurück, da nun auch wieder amerikanische Baumwolle auf den Markt kam. Dennoch gingen die forward-Verkäufe weiter. Die Importeure befürchteten, dass aufgrund des Baumwollüberangebotes die Preise auch in Zukunft fallen könnten, und sie waren deshalb mehr als bereit, die Baumwolle bereits vor dem Eintreffen in Liverpool an Spekulanten zu verkaufen, die ihrerseits auf eine Preissteigerung hofften. Derartige Geschäfte waren bei vielen etablierten Kaufleuten lange Zeit verpönt. Salo88 So verurteilte ein zeitgenössischer Beobachter Anfang des 20. Jahrhunderts die „[s]pekulative Habgier“, die Bereitschaft „ein Etwas für ein Nichts einzutauschen“ als das „größte Übel, welches die Baumwollbörse im Gefolge hat“: Heine, Die Baumwolle, 1908, S. 214f. 89 So waren die Teilhaber der amerikanischen Baumwollhandelsfirma Sprunt lange Zeit äußerst skeptisch gegenüber Termingeschäften und verboten noch 1886 in ihrem Partnerschaftsvertrag solche Praktiken kategorisch. Erst als die Baumwollpreise im frühen 19. Jahrhundert stetig anstiegen, kamen sie zur Ansicht, dass sich Termingeschäfte lohnen könnten. Sie unterschieden aber strikt zwischen spekulativen Geschäften an der Terminbörse und Termingeschäften, die als Absicherung von Transaktionen mit physisch vorhandener Baumwolle dienten: Killick, The Transformation of Cotton Marketing, 1981, S. 157.
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mon Volkart kommentierte in einem Brief an die Filialen in Bombay die Nachricht, dass das britische Handelshaus Finlay Clarke & Co. durch den forward-Verkauf von 20’000 Ballen Baumwolle schwere Verluste erlitten hatte, mit den Worten: „Recht so, denn der Schwindel ist auf diese Weise doch zu gross und verhindert ein reelles, gesundes Geschaeft.“90 Trotz dieser Skepsis und trotz der ihnen inne wohnenden Risiken blieben forward-Verkäufe im globalen Rohstoffhandel eine gängige Praxis. Aus dieser entwickelte sich nach 1866 an der Liverpooler Baumwollbörse ein eigentlicher Terminmarkt. Ein wesentlicher Grund für seine Entstehung lag darin, dass ab 1866 eine Telegraphenverbindung zwischen Großbritannien und den USA bestand. Durch die Telegraphie erhielten Kaufleute die Möglichkeit, sich innert kürzester Zeit einen Überblick über das Angebot an Baumwolle in verschiedenen Produktionsländern und die weltweite Nachfrage nach diesem Rohstoff zu verschaffen. Dadurch vergrößerte sich aber nochmals das Geschäftsrisiko, da die Baumwollpreise nun auch kurzfristig zunehmend volatil wurden. Die Absicherung durch Termingeschäfte erwies sich deshalb als absolute Notwendigkeit. Zwischen forward-Verkäufen und Termingeschäften gibt es einen wesentlichen Unterschied. Bei Termingeschäften wird die Ware nur in den seltensten Fällen tatsächlich ausgeliefert. Meistens wird der Terminkontrakt vor dem Zeitpunkt, wo die Lieferung fällig würde, von der betreffenden Handelsfirma zurückgekauft, da der Terminkontrakt für sie ja in erster Linie eine Preisversicherung für ihre Baumwollverkäufe darstellt. Der forward-Kontrakt wird dagegen durch die Lieferung der abgemachten Menge Baumwolle erfüllt. Gemeinsam ist den beiden Geschäftspraktiken, dass sie auf einer weitgehenden Standardisierung der jeweiligen Ware beruhen. Nur wenn für Käufer und Verkäufer eine Übereinstimmung in Bezug auf die genaue Qualität der Baumwolle besteht, können sie sich auf den Preis einigen, der für eine bestimmte Menge dieser Baumwolle zu zahlen sei. Da solche Kontrakte sehr rasch gekauft und verkauft werden mussten, und da diese Transaktionen oft per Telegraphie abgewickelt wurden, konnten Termingeschäfte nicht mehr durch Prüfung von Samples der jeweiligen Baumwollsendung oder durch die Beschreibung ihrer Produkteigenschaften getätigt werden, sondern es wurde nötig, bestimmte Qualitätsstandards zu definieren und Standardverträge für Termingeschäfte zu entwerfen. Die Liverpool Cotton Association legte in der Folge neun Baumwollklassen fest – 1. fair, 2. middling fair, 3. good middling, 4. fully middling, 5. middling, 6. fully low middling, 7. low middling, 8. good ordinary, 9. ordinary –, die sich durch die Länge der Fasern, ihrer Feinheit, Farbe, Reinheit, Festigkeit und Glätte unterschieden.91 Terminkontrakte wurden stets auf der Grundlage von Baumwolle der Güteklasse middling abgeschlossen. Wenn bei einem forward-Verkauf die tatsächlich gelieferte 90 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: Sal. Volkart an Noelke, Bombay 20.1.1870. 91 Ratzka-Ernst, Welthandelsartikel und ihre Preise, o.J. (ca. 1910), S. 161f.
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Abb. 7 Baumwollprobenlabor im Volkarthauptsitz in Winterthur, in dem die standardisierten Baumwolltypen der Firma auf ihre gleich bleibende Qualität hin geprüft wurden (vermutlich aus den 1930er Jahren) (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 3, Volkart Winterthur)
Baumwolle dann eine höhere beziehungsweise niedrigere Qualität aufwies, wurde der Preis – entsprechend der Preisdifferenz, die auf den Baumwollmärkten zu diesem Zeitpunkt herrschte – nach oben oder unten angepasst. Die Baumwollstandards, die an den Baumwollbörsen festgelegt wurden, dienten auch als Grundlage für die Baumwolltypen, die von den größeren Handelsfirmen Ende des 19. Jahrhunderts entwickelt wurden. Da die Etablierung von Standardtypen nur bei großen Umsätzen und einer leistungsfähigen Einkaufsorganisation in den Produktionsländern möglich war, beschleunigte diese Entwicklung die Verdrängung kleinerer Firmen aus dem Handelsgeschäft. Volkart bot den Spinnereien ab den 1870er Jahren bestimmte Baumwolltypen an, deren Qualität in Relation zu den Standardtypen der Liverpooler Baumwollbörse definiert worden war.92 Diese Standardisierung ermöglichte es Firmen wie Volkart wiederum, ihre Verkäufe durch Termingeschäfte an den Baumwollbörsen abzusichern. Die Börsen hatten weiter den Vorteil, dass sie den Handelsfirmen die Möglichkeit eröffneten, sich durch den Verkauf von Terminkontrakten rasch und unkom92 Gebrüder Volkart, Calculationstabellen, 1873, S. 14.
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pliziert Kapital beschaffen zu können.93 Zudem waren sie für den Rohstoffhandel wichtig, da sie Schiedsgerichte aufstellten, die im Falle von Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf Qualität und Preis der gelieferten Baumwolle zusammen traten. Gerade die Feststellung der Produktqualität hatte eine große Bedeutung, da sich die Preise für verschiedene Baumwolltypen stark unterschieden und ein Fehler in der Klassierung zu beträchtlichen Verlusten führen konnte. Für indische Baumwolle waren vor allem die Schiedsgerichte in Liverpool und Bremen von Bedeutung. Diese unterschieden sich dadurch, dass die Schiedsrichter in Liverpool aus je einem Vertreter von Käufer beziehungsweise Verkäufer der Baumwolle bestanden. Nur wenn diese sich nicht einigen konnten, wurde eine dritte Partei beigezogen, um den Entscheid zu fällen. In Bremen dagegen amteten von der Baumwollbörse bezahlte Klassierer als Schiedsrichter.94 Die Entscheide der Schiedsgerichte der Baumwollbörsen waren dabei bindend; es war den Parteien nicht erlaubt, die Auseinandersetzung vor ein ordentliches Gericht zu bringen. Der ehemalige Präsident der Bremer Baumwollbörse A. W. Cramer meinte dazu: „Als ein großer Segen für alle Beteiligten hat sich die Tatsache erwiesen, dass Meinungsverschiedenheiten zwischen den betroffenen Parteien nicht durch ein kostspieliges und langfristiges Prozessverfahren auszutragen sind, sondern einer sofortigen Erledigung durch die Einrichtung des Schiedsgerichts der Bremer Baumwollbörse unterliegen.“95 Die Gemeinschaft der im weltweiten Baumwollhandel involvierten Akteure war somit in der Lage, global gültige Geschäftsregeln zu etablieren, ohne dass sie dabei auf internationale handelspolitische Abkommen angewiesen war. Dies ist ein weiterer Beweis für die bereits verschiedentlich konstatierte Fähigkeit zur kaufmännischen Selbstorganisation auf globaler Ebene.96
Transportversicherungen Ein weiteres Risiko im Fernhandel bestand darin, dass die Ware während des Transportes verloren gehen oder beschädigt werden konnte. Die Transporte wurden deshalb stets versichert. In den ersten Jahren nach Gründung der Firma wurden die Sendungen in der Regel bei der Agrippina Insurance Co. versichert, einer deutschen 93 Williams, The Economic Function of Futures Markets, 1986, S. 230 94 O Haefliger, Agent, Messrs. Volkart Bros., Lyallpur (12./13.1.1918), in: Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume IV, 1920, S. 84; Garside, Cotton Goes to Market, 1935, S. 158–165. Vgl. für die Techniken des Baumwollhandels an den verschiedenen europäischen Handelsplätzen zu Beginn des 20. Jahrhunderts: Oppel, Der Handel mit Rohbaumwolle, 1908; Nicklisch, Zur Technik des Baumwollhandels, 1909; Barre, Zur Technik des Baumwollhandels, 1909; Schmidt, Die Geschäfte in Baumwolle zu Le Havre, 1910–1912. 95 Zit. nach Schildknecht, Bremer Baumwollbörse, 1999, S. 20f. 96 Vgl. hierzu Vec, Recht und Normierung, 2006; Petersson, Anarchie und Weltrecht, 2009.
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Firma für die Volkart in Bombay ab 1851 die Vertretung übernahm.97 Nach 1863 versicherte Volkart praktisch alle Warentransporte von und nach Indien und Ceylon beim neu gegründeten Schweizerischen Lloyd in Winterthur.98 Als Gründer des Schweizerischen Lloyd zeichneten zahlreiche Winterthurer Unternehmer. Salomon Volkart amtete jahrelang als Vizepräsident der Versicherungsgesellschaft. Die Gründung des Schweizerischen Lloyd, die fast zeitgleich mit der Bank in Winterthur erfolgte, ist ein weiteres Zeichen dafür, wie zielstrebig die im Import- und Exportgeschäft tätigen Winterthurer Unternehmer sich in den 1860er Jahren die Infrastruktur für ihre Geschäftstätigkeit schufen.99 1865 gründete der Schweizerische Lloyd zusammen mit der Basler Transportversicherung und der Helvetia Versicherungsgesellschaft eine Swiss Marine Insurance Corporation in London. Diese wurde schon bald zur größten Transportversicherung auf dem europäischen Kontinent. 1883 geriet sie jedoch in eine Krise und musste 1884 liquidiert werden.100 In der Folge benutzte Volkart verschiedene schweizerische, englische und amerikanische Versicherungsunternehmen.101 Der Großteil der Warentransporte wurde jedoch in London bei Lloyd’s versichert. Ab Beginn des 20. Jahrhunderts benutzte Volkart die Firma Durtnell & Fowler als Versicherungsbroker für den Abschluss von Policen bei Lloyd’s. Die Aufgabe von Durtnell & Fowler war es, die Versicherungen zu möglichst guten Konditionen abzuschließen und im Schadensfall das Geld einzutreiben. Da diese Tätigkeit sowohl ein großes Wissen über den Überseehandel wie auch eine intime Kenntnis von Lloyd’s beinhaltete, und da der Abschluss von möglichst sicheren Versicherungsverträgen für die eigene Geschäftstätigkeit essentiell war, war es für Volkart vorteilhaft, den Ab-
97 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 46, 50ff. 98 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1 Table of Events. 99 Herbert Lüthy hat bereits 1970 die Ansicht geäußert, dass in der Frühen Neuzeit die ersten Ausprägungen einer kapitalistischen Wirtschaft – Baumwolldruckerei, Aktienhandel, Börsen, modernes Kreditwesen – mehrheitlich den Wirtschaftsbeziehungen zwischen Europa und Außereuropa entsprangen: Lüthy, Die Kolonisation und die Einheit der Geschichte, 1991 [1970], S. 226. Wie das Winterthurer Beispiel zeigt, lassen sich derartige Beziehungen auch für die industrielle Epoche nachzeichnen. Dies kann als Bestätigung für die These Chris Baylys gewertet werden, wonach die „Geburt der modernen Welt“ im langen 19. Jahrhundert nicht zuletzt ein Resultat von globalen Verflechtungen gewesen sei: Bayly, The Birth of the Modern World, 2004. 100 Wetter, Die Bank in Winterthur, 1914, S. 37f. und 135; Mangold, 75 Jahre Basler TransportVersicherungs-Gesellschaft, 1940, S. 25. 101 So etwa die Helvetia Versicherung, die Schweizerische National-Versicherung, die amerikanische Aetna Insurance Company oder die britische Union Insurance Society of Canton: VA, Dossier 36: „Insurance“ Notes etc. I seit 1888; Dossier 37: „Insurance“ Notes etc. seit 1920.
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schluss der Versicherungen bei Lloyd’s über eine spezialisierte Brokerfirma abzuwickeln, wie Durtnell & Fowler eine war.102 Auch wenn die Versicherung der Waren auf dem Papier relativ klar schien, war sie in der Praxis für die Handelshäuser häufig eine Quelle für Ärger. Dies galt zum einen für die Versicherung der Waren. Im Prinzip hatten diese immer versichert zu sein, solange sie sich in Besitz der Handelsfirma befanden. In der Realität war dies nicht immer der Fall. So hatten die Teilhaber in den 1870er Jahren mehrere schlaflose Nächte, als sie feststellten, dass sie aus Versehen nur einen Teil einer umfangreichen Kaffeeladung, welche die Firma aus Colombo nach Triest hatte schicken lassen, versichert hatten, und der Dampfer, der die Sendung transportierte, während mehrerer Tage überfällig war. Der Schweizerische Lloyd weigerte sich, die Versicherungspolice anzupassen und die Teilhaber konnten erst aufatmen, als das Schiff endlich in Triest einlief.103 Auch der ehemalige Leiter der Volkart-Baumwollabteilung Erich Müller-Renner schilderte einen Vorfall in Indien, in dem das vorzeitige Auslaufen einer Versicherungspolice fast zu einem hohen Verlust geführt hätte. Müller-Renner hatte damals beschlossen, dass es angesichts der äußerst kurzen Frist, in der ein bestimmter Posten Baumwolle unversichert sei, nicht nötig wäre, die Police zu erneuern. Hierzu wäre er jedoch gemäß den Vorschriften der Firma verpflichtet gewesen. Am folgenden Tag kam er zum Schluss, dass es eigentlich unverantwortlich sei, wegen der geringfügigen Prämienersparnis Hunderttausende von Franken aufs Spiel zu setzen und er bezahlte die Prämie für die Erneuerung der Feuerversicherung. Kurze Zeit später brannte das Baumwolllager nieder und Müller-Renner schwor sich, von diesem Moment an stets die Vorschriften der Firmenleitung einzuhalten.104 Zum anderen bestand häufig Unklarheit in Bezug auf die Frage, ab welchem Zeitpunkt die Waren durch den Käufer versichert werden mussten. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts waren zwar für den Seetransport ausgefeilte Versicherungspolicen eingeführt worden, die haargenau festlegten, ab welchem Moment und in welchen Fällen die Eigner eines Schiffs für Transportschäden hafteten, in welchen Fällen die Handelsfirma, die den Export organisierte, haftbar war und in welchen Fällen die Eigentümer der Waren selber für deren Versicherung zuständig waren.105 Damit die 102 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, 8. Banking & Insurance connections (Glyn Mills and Durtnell Fowler and others). 103 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 9f. 104 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1 Table of Events: Brief von Winterthur an Bombay, verfasst von E. Mueller-Renner, 24.5.1920. Vgl. für die Probleme, die sich europäischen Versicherungsunternehmen aufgrund ihrer bloß rudimentären Informationen über die Brandgefahren in indischen Städten ergaben Zwierlein, Der gezähmte Prometheus, 2011, 337–350. Es war für europäische Versicherer deshalb sinnvoll, Kontrakte mit in Indien etablierten europäischen Unternehmen – wie z.B. Volkart – abzuschließen, die ihrerseits über ein intimes Wissen über die Zustände in Indien verfügten. 105 Ziegler, Der Import ostindischer Baumwolle, 1922, S. 19–23.
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Auseinandersetzungen auf ein Minimum reduziert werden konnten, hatten Firmen wie Volkart zudem ein großes Interesse daran, dass die Kunden ihre Warensendungen stets vollständig versicherten. Dies war jedoch keineswegs immer der Fall. So hieß es 1907 in einem Rundschreiben der Firma, dass „trotz unserer wiederholten Warnung, in der Deckung des Seerisikos vorsichtig zu sein, einzelne unserer Käufer ganz ungenügende Versicherungsverträge laufen haben.“ Gemäß den Verkaufskontrakten von Volkart war die Versicherung ab dem Moment, wo die Waren das feste Land verließen, Sache der Käufer. Viele Versicherungskontrakte traten jedoch erst in Kraft, wenn die Transportpapiere im Verschiffungshafen vom Kapitän oder vom Reedereiagenten gezeichnet wurden. Diese Policen waren äußerst problematisch, da der betreffende Dampfer schon tagelang auf See sein konnte oder die Waren sich bereits in Leichterschiffen befinden konnten, bevor die Papiere unterschrieben wurden. Wenn die Waren beschädigt wurden, bevor die Unterschrift erfolgte, musste der Käufer den Schaden selber tragen.106
Kundenbindung und Vertrauensgenerierung Auch wenn Verkaufskontrakte, Versicherungsverträge oder Börsenregeln auf dem Papier klar sein mochten, so war es doch immer möglich, dass eine der Parteien sie nicht verstand – oder zumindest vorgab, sie nicht zu verstehen.107 Schiedsgerichtsverfahren und Rechtsstreite konnten zudem äußerst langwierig und mühselig sein. Und unliebsame Überraschungen ließen sich auch durch ausgefeilte formale Regulierungen nur schwer verhindern. Der Winterthurer Hauptsitz von Volkart wies deshalb die Niederlassungen der Firma 1896 an, Verschiffungen nur über finanziell solide Dampferlinien vorzunehmen. Anderenfalls bestehe das Risiko, dass der Kapitän des Schiffes einen Teil der Ladung verkaufen könne, um Schäden am Schiff beheben oder die Passage durch den Suezkanal bezahlen zu können. In solchen Fällen riskierte Volkart „nicht nur mit unseren Assecuradeuren, sondern auch mit unseren Käufern selbst ernstliche Anstände zu bekommen, die uns vielleicht schwer Geld kosten und/oder in der Folge Einbusse an Aufträgen verursachen könnten; ja es wäre nicht ausgeschlos106 VA, Dossier 36: „Insurance“ Notes etc. I seit 1888: B8 / Rundschreiben See-Assekuranz, Winterthur, den 10. August 1907. 107 Die amerikanische Baumwollhandelsfirma Stephen M. Weld & Co. hatte beispielsweise einmal einen längeren Disput mit einer Spinnerei, die sich über die Qualität einer Lieferung Rohbaumwolle beklagte. Die Spinnerei hatte ihre Beanstandung jedoch nicht im Moment der Eintreffens in der Spinnerei vorgebracht, wie sie dies gemäß den Vorschriften der New York Cotton Exchange hätte tun müssen, sondern erst wesentlich später, weshalb Weld sich zu Recht weigerte, die Sendung zurückzunehmen: BL: Mss. 761, Stephen M. Weld and Company Collection (Records, 1883–1931), Box 67, Papers 1883–1914: Answer to ‚Statement of Claim’ of the Pacific Mills against Stephen M. Weld & Co.
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sen, … dass uns unsere Käufer oder Assecuradeure diesbezüglich einschränkende Vorschriften machen würden, wie dies … in früheren Jahren wirklich einmal geschah.“108 Handelshäuser wie Volkart bemühten sich deshalb nach Kräften, solche Probleme mit ihren Kunden und Zulieferern zu vermeiden und die Transaktionen auf informale Institutionen abzustützen. Dies geschah etwa, indem man die Geschäfte so weit als möglich nur mit Spinnereien, Schifffahrtsunternehmen oder Versicherungen machte, die man genau kannte und die über eine solide Reputation verfügten.109 In einem internen Manual aus den 1950er Jahren hieß es etwa in Bezug auf die für das Handelsgeschäft unerlässlichen Transportversicherungen: „The underlying principle in insurance is that of goodfaith. This is not only a question of tradition. It is the only basis on which a contract of insurance can rest and give full satisfaction to both parties. … The long association of V.B. with several of our Underwriters has brought about a state of mutual trust which is an essential part of the foundation on which a satisfactory insurance coverture can be built up.“110 Ihrerseits bemühte sich auch Volkart, Verträge unter allen Umständen einzuhalten.111 Dies war nach Einschätzung der Firma eine zentrale Grundlage für ihren Erfolg im Fernhandel. Georg Reinhart, ab 1904 Teilhaber von Volkart, meinte in der Festschrift anlässlich des 75jährigen Bestehens der Firma im Jahr 1926: „Eine der wesentlichsten Ursachen des Erfolges unserer Firma liegt in der zuverlässigen Bedienung unserer Kundschaft. … Mit Recht sind infolgedessen unsere Abladungen in der ganzen Welt durch ihre Zuverlässigkeit bekannt.“ Für Reinhart war deshalb klar: „[E]ine kaufmännische Organisation beruht … nicht nur auf der räumlichen Anordnung des Einkaufsund Verkaufsapparates, … sondern ebenso sehr, wenn nicht noch mehr, auf geistigen Faktoren“.112 Ähnlich hatte sich einige Jahre zuvor auch sein Vater geäußert. In einer Rede vor dem Kaufmännischen Verein Winterthur vertrat Theodor Reinhart 1913 die Ansicht, dass die „gewissenhafte Erledigung auch … uninteressanter Arbeit“ sowie „Ordnungsinn, Pünktlichkeit, Pflichteifer … und Disziplingefühl“ zu den „Fundamentaltugenden des Kaufmanns“ gehörten. Auf „Treu und Glauben“ müsse „unbedingter Verlass sein, mit ihm ist die Einschätzung der geschäftlichen Verbindung mit
108 VA, Dossier 36: „Insurance“ Notes etc. I seit 1888: B12/Winterthur an alle Häuser, 14. Februar 1896. 109 VA, Dossier 12: Tuticorin / Madras, 5. The Sri Ranga Vilas Case 1931–1938: Winterthur an Tuticorin, 6. Februar 1934. 110 VA, Dossier 20: VB Organisation 1952/53: V.B. Business and Insurance (ohne Datum). 111 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: 22.7.1869 Sal. Volkart an Spitteler, acting BM Cochin; Dossier 2: Die Teilhaber II: Letter No. 70022 – 20.11.42 von Peter Reinhart (New York) an P. Scherer; Dossier 50: Engineering /Voltas Schriften, Dokumente etc.: Volkart Brothers Engineering News (1936– 1940), Vol. 1, Nr. 1, January 1936. 112 Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 75f.
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dem Kaufmann verknüpft und damit in erster Linie auch sein Kredit bei der Kundschaft und den Banken.“113 Das Bemühen um Zuverlässigkeit und Vertragstreue erfüllte insofern die Funktion einer informalen Institution, als sie dazu beitrug, die Geschäftrisiken der Käufer zu reduzieren. Die Handelsfirma ihrerseits konnte hoffen, durch derartige Praktiken ihre Kunden langfristig an sich zu binden. Ein leitender Angestellter von Volkart hielt hierzu 1960 fest: „Eine Ueberseefirma hat es in einem einzelnen Land mit einer relativ kleinen Käuferschar zu tun. Sie muss nicht das Publikum ansprechen, wie dies ein Fabrikationsbetrieb zu tun gezwungen ist. … Die Beziehungen zur Käuferschaft werden durch persönlichen Kontakt, durch sorgfältige und pünktliche Erfüllung der Verkaufskontrakte und durch objektive Beratung und Aufklärung der Käufer über das Marktgeschehen gepflegt. Dies sind die besten Werbemittel im Ueberseehandel, sowie auch prompte Behandlung und faire Erledigung von Reklamationen.“ Und weiter: „Ueberseegeschäft ist ein Vertrauensgeschäft. Man kauft und bezahlt Ware, die man erst nachher zu Gesichte bekommt. Es empfiehlt sich also, sich an zuverlässige Lieferanten zu halten, die man aus Erfahrung kennt und bei denen man auf Grund früherer Abschlüsse weiss, dass man auf sorgfältige Ausführung des Geschäftes zählen kann.“ Für ein Produktionsunternehmen lohne es sich deshalb, beim Abschließen von Geschäften mit einem Handelshaus nicht nur auf den Preis zu sehen. Denn was nütze ein tiefer Preis, wenn der Käufer für sein Geld nicht diejenige Faser oder diejenige Qualität Rohkaffee erhalte, die er für sein Produkt brauche?114 Umgekehrt konnte es sich auch für ein Handelshaus lohnen, wenn es sich bei Meinungsverschiedenheiten gegenüber seinen Kunden kulant zeigte. Ein solches Verhalten hatte weniger mit Großherzigkeit zu tun, sondern wurde als Investition in langfristige Geschäftsbeziehungen verstanden. Als etwa in den 1930er Jahren ein indischer Kaffeepflanzer nicht in der Lage war, einen Vorschuss zurückzuzahlen, mahnte der Winterthurer Hauptsitz die Filiale in Tellicherry, diesen Schuldner nicht zu sehr unter Druck zu setzen, denn Volkart könne „alte Kunden, an denen wir jahrelang Geld verdienten, in schlechten Zeiten nicht einfach im Stich lassen…, ohne unserem Namen zu schaden und Gefahr zu laufen, diese Verbindungen für immer zu verlieren.“115 Und im September 1939 äußerte die Geschäftsleitung von Volkart die Überzeugung, dass man die noch hängigen Verkaufskontrakte möglichst großzügig abwickeln solle, auch wenn die Firma aufgrund des Kriegsausbruches gesetzlich nicht in jedem Fall dazu verpflichtet wäre: „Das gute Verhältnis zu unserer Kundschaft, das in vielen 113 Theodor Reinhart, Rede gehalten am 50-jährigen Jubiläum des Kaufmännischen Vereins Winterthur am 30. November 1913, in: Reinhart, Ausgewählte Schriften, 1920, S. 86–89. 114 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: O. Kappeler, Ueberseehandel, 23.11.1965. 115 VA, Dossier 9: Tellicherry, 9. General correspondence: Winterthur an Tellicherry, 9. April 1932.
Banken, Börsen und Agenturen
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Fällen erst nach jahrelangen mühsamen Anstrengungen zustande kam, darf niemals durch eine Handlung gefährdet werden, die einer Augenblicksüberlegung entspringt; vielmehr sind die alten Kontrakte mit dem Gedanken an zukünftige Geschäftsmöglichkeiten abzuwickeln.“116 Dieser Haltung wurde aber offenbar nicht in allen Filialen nachgelebt. Verschiedentlich scheinen die örtlichen Manager eher an kurzfristigen Gewinnmöglichkeiten denn an der Erhaltung langfristiger Geschäftsbeziehungen interessiert gewesen zu sein. Der Hauptsitz ermahnte deshalb im April 1940 die verschiedenen Niederlassungen der Firma: „It is with great concern that we have noticed of late a tendency in some quarters of our firm to deviate from the principles of business morality and business manners which up to now have made the reputation of V.B. ... Confidence i.e. reliability in one’s dealings are 99% of the capital of a firm and any infringement of these principles must prove terminal in the long run. A breach of confidence is therefore about the worst offence that any merchant can commit.“117 Eine solche Kundenorientierung wurde zwar durchaus nicht von allen im Welthandel engagierten Handelshäusern verfolgt.118 Ein Einzelfall war Volkart damit jedoch nicht. Auch Ralli scheint ähnliche Geschäftsprinzipien verfolgt zu haben. In einer 1951 durch Ralli selbst herausgegebenen Schrift hieß es in Bezug auf den Umgang der Firma mit ihren Kunden: „[I]t is recorded in a Staff Instruction Book of 1881 that our fulfilment of moral obligation under a contract is more important than the letter of contract. Later, but nevertheless almost sixty years ago, a newly appointed departmental manager, when receiving his first instructions from the senior partner, was told to remember that his first consideration in all his dealings must always be the honour of the house.“119
116 VA, Konferenz-Protokolle 6. Sept. 1939–31. Mai 1940: Besprechung mit Herrn Peter Reinhart, 16. September 1939. 117 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1 Table of Events: Vevey to all Branches and Associated Companies, 12th April 1940. 118 So entstanden nach dem Übertritt verschiedener ehemaliger Mitarbeiter der American Cotton Cooperative (ACCA) zu Volkart beträchtliche Friktionen, als die Teilhaber von Volkart gewahr wurden, dass die ACCA-Leute weniger auf die Anliegen der Kunden eingingen, sondern vor allem an der Optimierung kurzfristiger Gewinnmöglichkeiten interessiert waren: VA, Dossier 44, VBH Guidelines 1970–1983, verfasst von Peter Reinhart. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 14. 119 Ralli Brothers Limited, 1951, S. 9. Zum Beleg dieser Behauptung wird in einer Firmenchronik von Ralli ein Beispiel aus dem Ersten Weltkrieg angeführt. Damals hatte die Firma die britische Regierung in Indien mit Waren beliefert. Da die Produkte aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit schwerer geworden waren, blieb Ralli am Ende des Krieges ein Warenüberschuss in den firmeneigenen Lagerhäusern im Wert von 300‘000 £. Diese Waren wurden daraufhin der Regierung zurückerstattet, obwohl diese der Ansicht war, sie hätte alle vertraglich abgemachten Lieferungen erhalten. Es brauchte von Seiten von Ralli einiges an Überzeugungsarbeit, um die Beamten davon zu überzeugen, dass diese Waren tatsächlich der Regierung
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Dass man es in diesen Kreisen nicht honorierte, wenn eine andere Firma dieses langjährige Vertrauensverhältnis im Falle einer Krise einseitig auflöste, zeigt ein Beispiel aus dem Jahr 1914. Volkart hatte zuvor eine jahrzehntelange Verbindung mit der Schweizerischen Kreditanstalt gepflegt; diese hatte gemäß Werner Reinhart, ab 1912 Teilhaber von Volkart, „dick an uns verdient und uns einmal sogar nahegelegt, die Verbindung ausschließlich mit ihr zu pflegen mit Hinweis darauf, dass man uns in Notfällen dann auch das Portemonnaie offen halten würde. Als der Krieg ausbrach, war sie die erste, die uns den Hals zuschnürte.“ Als Gegenbeispiel führte Reinhart die Basler Handelsbank an. Diese habe „den Wert, den sie auf die Verbindung mit uns legt, dadurch dokumentiert, dass sie sofort ihren Direktor Müller nach Winterthur sandte, der uns seinen Kredit nicht nur offen hielt, sondern uns sogar vermehrte Fazilitäten in jener Krise anbot. Die Konsequenz war, dass wir die Kreditanstalt glatt berappten und den Konto schlossen, um ihn erst nach vielen Jahren und auf ‚kniefälliges‘ Bitten der Direktion wieder eröffneten. Der Basler Handelsbank aber wiesen wir fortan mit Recht vermehrtes Geschäft zu.“120 Dies zeigt noch einmal, dass der Welthandel, der ab Ende des 19. Jahrhunderts eine hochkomplexe und dynamische Angelegenheit mit Termingeschäften, standardisierten Rohstofftypen und spezialisierten Kredit- und Versicherungsinstituten geworden war, wesentlich durch soziale Beziehungen geprägt war, und dass der Grad an gegenseitigem Vertrauen oft entscheidend war dafür, ob eine Geschäftsverbindung zustande kam. Informale Institutionen wurden also im Fernhandel durch das Aufkommen von formalen Institutionen keineswegs obsolet. Sie blieben weiterhin essentiell für die Geschäfte und stellten die Voraussetzung dafür dar, dass die formalen Institutionen überhaupt zur Anwendung kommen konnten.
gehörten: GL: Records of Ralli Bros., Ms. 23836: Historical material on the company, 1902– 1952: Leoni M. Calvocoressi, The House of Ralli Brothers, 1952. 120 VA, Dossier 9: Tellicherry, 9. General correspondence: Werner Reinhart zu diesem Brief von Herr Fenner, ca. April 1932 (ohne Datum).
4. „Wir sind eine Schweizerfirma – thank god!“: Der Erste Weltkrieg und die Bedeutung der nationalen Herkunft Ungewöhnliches ereignete sich im August 1914 in den Räumen der Schweizerischen Nationalbank. Georg Reinhart war zusammen mit dem Generalprokuristen von Volkart, Ernst Müller-Renner, nach Zürich gefahren, um nicht nur seine eigenen Wertschriften zu verpfänden, sondern auch die seines Vaters und seiner Ehefrau. Dies nicht etwa, weil er persönlich in Geldschwierigkeiten gesteckt hätte. Auch nicht, weil Volkart plötzlich in die roten Zahlen geraten wäre – tatsächlich hatte die Firma im Geschäftsjahr 1913/14 einen Rekordgewinn von über 5 Millionen Franken erwirtschaftet.1 Die Aktion Reinharts lag darin begründet, dass die Banken in ganz Europa nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges ihre Schalter geschlossen hatten: „Nicht nur die ausländischen, auch die schweizerischen Banken zogen rücksichtslos ihre uns bis dahin gewährten Kredite zurück, und unsere Bankguthaben wurden uns ganz einfach nicht ausbezahlt“, schrieb Reinhart 1931 in seinen Memoiren. Und weiter: „Wechsel waren nicht mehr zu diskontieren, und doch mussten wir dafür sorgen, große Verbindlichkeiten, die in London fällig wurden, zu erfüllen, um nicht in den Verdacht der Zahlungsunfähigkeit zu kommen und den Ruf unserer Firma zu gefährden.“ Die Nationalbank verpflichtete sich gegenüber Reinhart, den Gegenwert der verpfändeten Wertschriften in Gold umzutauschen und mittels Kurier nach London zu bringen, damit Volkart dort die fälligen Wechsel bezahlen konnte.2 Dieses Beispiel zeigt, wie gravierend der Ausbruch des Ersten Weltkriegs für die einzelnen Wirtschaftsunternehmen sein konnte. Urplötzlich versiegten die Warenund Finanzströme, welche in den Jahrzehnten zuvor dem Welthandel ein lang andauerndes und beispielloses Wachstum beschert hatten. Aufgrund dieser globalen Interdependenz war der Konflikt zwischen 1914 und 1918, der sich mehr als alle früheren Konflikte zu einem unerbittlichen Material- und Abnützungskrieg entwickelte, auch ein weltweit geführter Wirtschaftskrieg. Die Kriegsführung zielte nicht nur auf einen militärischen Sieg über die feindlichen Streitkräfte, sondern auch auf eine Schwächung der gegnerischen Volkswirtschaft. Die Entente versuchte mit einer gezielten Blockadepolitik, den deutschen Außenhandel auszuschalten – weshalb für Firmen wie Volkart die lukrativen Absatzmärkte in Deutschland und Österreich nicht mehr zugänglich waren. Deutschland wiederum reagierte auf diese Blockademaßnahmen ab dem Februar 1915 mit einem rücksichtslosen U-Boot-Krieg. Die dadurch ent1 2
VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Graphische Tabellen: Verhältnis von Stammkapital zu Gewinn und Verlust. Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 155f.
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standene Störung der Transportwege und der Mangel an Schiffsraum ließen die regelmäßige Versorgung mit Rohstoffen während des ganzen Krieges höchst unsicher werden.3 Die bisherige Forschung zu den Auswirkungen des Wirtschaftskrieges zwischen 1914 and 1918 hat sich vornehmlich auf die Makroperspektive der verschiedenen Volkswirtschaften und die kriegswirtschaftlichen Entscheidungen der einzelnen Regierungen konzentriert. Weit weniger Beachtung fand dagegen bisher die Beschreibung des Krieges aus der Mikroperspektive von einzelnen Unternehmen.4 Eine solche Perspektive kann aufzeigen, dass die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen nicht nur die Ströme des weltweiten Güter- und Finanzverkehrs unterbrachen und umlenkten, sondern auch die kulturellen Grundlagen des Welthandels erschütterten. Indem die Kriegsparteien alles taten, um die nationale Zugehörigkeit von international operierenden Firmen zu eruieren, beeinflussten sie nachhaltig deren nationales Selbstverständnis. In der zweiten Hälfte des langen 19. Jahrhunderts war die nationale Zugehörigkeit von Wirtschaftsunternehmen von untergeordneter Bedeutung gewesen. Dies galt sogar nach den 1880er Jahren, als viele kontinentaleuropäische Staaten zu einer protektionistischen Wirtschaftspolitik zurückkehrten und eine zunehmende Politisierung des internationalen Handels einsetzte.5 Wie Charles A. Jones aufgezeigt hat, waren die Jahrzehnte ab Mitte des 19. Jahrhunderts im Wesentlichen durch eine kosmopolitisch ausgerichtete Wirtschaftselite geprägt worden.6 Diese Epoche ging nach 1914 unweigerlich zu Ende. Die Kriegsparteien scheuten keine Mühe, Güter und Wirtschaftsakteure in nationale Kategorien zu pressen. Dies obwohl – oder gerade weil – sich viele Unternehmen und Waren aufgrund ihres multinationalen Charakters kaum eindeutig national zuordnen ließen.7 Damit verschärfte der Erste Weltkrieg die Politisierung des Welthandels, die nach 1929 im definitiven Ende der Freihandelsidee und in der Hinwendung zu einer an Autarkie orientierten internationalen Wirtschaftspolitik kulminieren sollte.8 3
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Vgl. zu den kriegswirtschaftlichen Aspekten dieses Konfliktes: Hardach, Der Erste Weltkrieg, 1973; Ferguson, The Pity of War, 1999, S. 248–281; Ullmann, Kriegswirtschaft, 2003, S. 220– 232; Broadberry/Harrison, The Economics of World War I, 2005; Frey, Trade, Ships, and the Neutrality of the Netherlands, 1997. Eine pionierhafte Ausnahme ist jedoch Rossfeld/Straumann (Hg.), Der vergessene Wirtschaftskrieg, 2008. Vgl. zur Politisierung des internationalen Handels ab den 1880er Jahren: James, The End of Globalization, 2001, S. 13–25; Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 26 und 69f. Das Argument, wonach sich die Regierungen vor 1914 nicht für die Nationalität von Unternehmen interessierten wird auch vorgebracht von Jones, Multinationals and Global Capitalism, 2005, S. 282. Jones, International Business, 1987, S. 2. Jones, The End of Nationality?, 2006, S. 152–158. James, The End of Globalization.
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Dieses Kapitel wird zuerst zeigen, wie sich der Kriegsausbruch und die Einführung von Schwarzen Listen im Jahr 1915 auf die Geschäfte von Volkart auswirkten. Weiter wird dargelegt, wie diese Maßnahmen die nationale Zugehörigkeit der Firmen in den Fokus rückten. Gerade für eine Schweizer Firma wie Volkart wurde es zunehmend zu einer Frage des wirtschaftlichen Überlebens, von den britischen Beamten nicht als feindliches Unternehmen eingestuft zu werden. Dabei waren die Kontakte zur britischen Geschäftswelt von größter Wichtigkeit, was sowohl die Bedeutung von geschäftlichen Netzwerken unterstreicht als auch einen Hinweis darauf bietet, dass sich selbst in Kriegszeiten die Handlungslogiken von Unternehmen nicht zwangsläufig mit denjenigen der Bürokratien ihrer Heimatländer decken müssen.9
Kriegsausbruch und der Einbruch des Welthandels Nach Ausbruch des Konfliktes kam der Welthandel für mehrere Monate zum völligen Stillstand. Die Baumwollbörsen von New York und Liverpool hatten ihre Tätigkeit im August 1914 eingestellt und nahmen sie erst im November wieder auf.10 Zudem durften nach Ausbruch des Konfliktes Firmen, die im von der Entente kontrollierten Gebiet aktiv waren, keine Bestellungen mehr in Länder der Mittelmächte ausliefern. Volkart blieb deshalb nach Kriegsbeginn auf fast 127’000 Ballen Baumwolle sitzen, die mehrheitlich von Kunden in Österreich und Deutschland bestellt worden waren. Der Wert dieser blockierten Baumwolle lag bei über 1 Million Pfund.11 Der Großteil davon konnte zwar in den folgenden Monaten in Großbritannien verkauft werden. Doch 15 Monate nach Kriegsbeginn war Volkart noch immer im Besitz von über 21’000 Ballen Baumwolle, die für die Mittelmächte bestimmt gewesen waren und erst nach und nach veräußert werden konnten.12 Die Blockierung dieser Baumwollbestände war für die Firma insofern bedrohlich, als Volkart, wie eingangs geschildert, bei Kriegsausbruch durch die Sperrung der firmeneigenen Konten und den Rückzug sämtlicher Kredite durch die Banken an den Rand der Zahlungsunfähigkeit geraten war. Deutsche und österreichische Spinnereien kontaktierten Volkart in den ersten Kriegsmonaten immer wieder und schlugen vor, die Baumwolllieferungen über neutrale Häfen wie Venedig, Genua oder Rotterdam zu verschiffen und von da aus heimlich nach Deutschland oder Österreich zu schicken. Volkart lehnte solche Vorschläge rundweg ab, da sie einen Verstoß gegen die britischen Kriegsvorschriften dargestellt 9 Teile des folgenden Kapitels wurden erstmals publiziert in Dejung/Zangger, British Wartime Protectionism, 2010. 10 Engdahl, The Exchange of Cotton, 1999, S. 194. 11 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Allerlei geschäftliche Informationen, Statistiken etc.: In eternal memory of a critical episode. 12 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 245ff.
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hätten. Die Firma musste bei der Verschiffung der Baumwolle in Indien stets die Käufer angeben, für die die Ware bestimmt war. Wenn die britischen Kontrollbehörden dahinter gekommen wären, dass Volkart auf Schleichwegen Spinnereien in den Ländern der Mittelmächte belieferte, hätte das im schlimmsten Falle die Liquidation der im Empire gelegenen Filialen zur Folge haben können. „Es handelt sich nicht um guten oder schlechten Willen, sondern um eine absolute Zwangslage“, teilte die Firma im April 1915 einer deutschen Spinnerei mit. „Wir glauben kaum, dass Sie im Ernste erwarten, dass wir die Existenz unseres Hauses aufs Spiel setzen, um 1100 Ballen Baumwolle willen.“13 Ein weiteres Problem war die Unterbrechung der Kommunikationswege. „Der Krieg griff sofort katastrophal ins Geschäftsleben ein“, meinte Georg Reinhart in seiner Erinnerungsschrift. „Post und Telegraph nach dem Ausland waren zunächst unterbrochen. Briefe aus Deutschland kamen mit vierzehn Tagen Verspätung an. Mit unseren überseeischen Filialen konnten wir uns nicht verständigen.“14 Dazu kam die Behinderung der firmeninternen Korrespondenz durch die Zensur des Brief- und Telegrammverkehrs. Briefe blieben zum Teil längere Zeit bei den Zensurbehörden hängen und Telegramme durften nicht mehr verschlüsselt werden – ein Umstand, der gerade für international operierende Firmen problematisch war, da sie auf die Geheimhaltung von Offerten und Preisen angewiesen waren. „Wir sind wieder ganz in die Zeiten unserer Vorfahren versetzt, die ohne Telegraphenverkehr auskommen mussten, und wo die indische Post noch vier Wochen unterwegs war“, teilte ein Angestellter von Volkart dem Besitzer einer deutschen Spinnerei im November 1914 mit.15 Trotz dieser Schwierigkeiten waren die Kriegszeiten für Volkart äußerst gewinnbringend. So konnte die Firma davon profitieren, dass während des Krieges der Baumwollpreis stark anstieg.16 Auch wenn Schiffsraum ab Kriegsbeginn immer knapper wurde und die Transportpreise stiegen, so wurde dies für die Handelsfirmen durch den überproportionalen Anstieg der Rohstoffpreise mehr als wettgemacht. Positiv für Volkart war weiter, dass der Erste Weltkrieg eine Dezentralisierung des Welthandels mit sich brachte. Der Wegfall von europäischen Exporten führte zu einem Aufschwung der Industrialisierung in Asien und insbesondere in Japan und Indien zu einem Anstieg des Baumwollverbrauchs.17 Japan verdrängte während des Krieges 13 VA, Dossier 42: Rechtliches, Cotton Business Germany 1st World War: Winterthur an Mech. Baumwoll-Spinnerei & Weberei, Augsburg, 23 April 1915. 14 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 155. 15 VA, Dossier 42: Rechtliches, Cotton Business Germany 1st World War: Gebrüder Volkart, Winterthur, an J.H. Reitz, Chemnitz, 18 November 1914. 16 Engdahl, The Exchange of Cotton, 1999, S. 45; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 251. Die Preissteigerungen erfolgten insbesondere aufgrund einer deutlich reduzierten Weltproduktion. 1916–1918 wurden weltweit etwa ein Drittel weniger Baumwolle angebaut als noch 1914/15: Economic Associates, World Cotton Position Chart, 1934. 17 Koenig, Der Baumwollweltmarkt, 1919, S. 38ff.; Hardach, Der Erste Weltkrieg, 1973, S. 278ff.
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Indien vom ersten Platz als Lieferant von Baumwollgarn und -textilien für den chinesischen Markt und brachte billige Importwaren auf den indischen Markt. Volkart konnte von diesem Aufschwung profitieren, indem das Unternehmen sich einen Anteil am Import von indischer Baumwolle nach Japan sicherte und umgekehrt die indischen Häuser mit japanischen Konsumgütern belieferte. Der genaue Umfang dieser Geschäfte kann mangels Zahlen nicht mehr beziffert werden. Auch die indische Textilindustrie erfuhr aufgrund des Wegfalls europäischer Importwaren im Ersten Weltkrieg einen Aufschwung. Daraus konnte Volkart ebenfalls Nutzen schlagen, indem die in Indien eingekaufte Rohbaumwolle nicht mehr nach Europa verschifft wurde, sondern direkt auf dem Subkontinent abgesetzt wurde.18 Obwohl die Umsätze von Volkart während des Krieges zurückgingen, erzielte die Firma während des Krieges stets Millionengewinne. Selbst im schwierigen ersten Kriegsjahr 1915 betrug der nominelle Reingewinn rund 1,8 Millionen Franken.19 Alles in allem waren die Kriegsjahre für die Firma damit ähnlich erfolgreich wie die lukrativen Vorkriegsjahre.20
Handelsverbote und Schwarze Listen Die britische Regierung verbot unmittelbar nach Kriegsausbruch den Firmen, die im Empire niedergelassen waren, den Kontakt zu Firmen in den Ländern der Mittelmächte. Dennoch war sie anfänglich sehr zurückhaltend, weitere kriegswirtschaftliche Maßnahmen zu ergreifen, da der Freihandel als Grundlage der britischen Wirtschaftspolitik galt.21 Deshalb waren sowohl Unternehmer wie Regierung der Ansicht, dass eine weitere Einschränkung der wirtschaftlichen Freiheit sich negativ auf die britische Wirtschaft auswirken würde. Die Regierung erklärte deshalb 1914, dass man weiterhin „business as usual“ betreiben wolle. Selbst britische Tochterfirmen von deutschen Unternehmen wie Daimler Benz und Siemens konnten weiterhin tätig sein. Der Wirtschaftskrieg richtete sich anfänglich einzig und allein darauf, die Warenströme nach und aus den Ländern der Mittelmächte zu unterbinden.22 Ende 1914 wurde klar, dass der Krieg länger dauern würde, als anfänglich angenommen. Nun wurden Stimmen laut, die weitere kriegswirtschaftliche Maßnahmen forderten. Dies nicht zuletzt, da die Wareneinfuhr in neutrale Länder wie die Niederlande, die Schweiz oder in die skandinavischen Länder nach Ausbruch des Krieges 18 Anderegg, Chronicle,1976, S. 251–255. 19 VA: Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I: Graphische Tabellen: Verhältnis von Stammkapital zu Gewinn und Verlust. 20 VA: Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I: Graphische Tabellen: Verhältnis von Stammkapital zu Gewinn und Verlust. 21 Vgl. Howe, Free Trade and Liberal England, 1997; Trentman, National Identity, 2002; Soutou, L’or et le sang, 1985, S. 196–203. 22 McDermott, Trading with the Enemy, 1997.
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stark zugenommen hatte. Die Alliierten vermuteten deshalb, dass die Mittelmächte über diese Länder mit Waren beliefert wurden. Im Dezember 1915 trat deshalb in Großbritannien ein neues Gesetz in Kraft, das besagte, dass „His Majesty may by Proclamation prohibit all persons ... resident, carrying on business, or being in the United Kingdom from trading with any persons … whenever by reason of the enemy nationality or enemy association of such persons … it appears his Majesty expedient so to do.“23 Damit wurde nicht mehr nur der direkte Handel mit den Mittelmächten unterbunden, sondern auch Firmen in neutralen Ländern gerieten unter die Kontrolle der alliierten Wirtschaftskriegsmaßnahmen. Die britische Navy ging dazu über, auch Warenlieferungen auf neutralen Schiffen zu konfiszieren, wenn sie glaubte, dass sie für die Mittelmächte bestimmt sein könnten.24 Diese Maßnahmen stellten nicht nur einen Bruch mit bis dahin gültigen internationalen Abkommen wie der Haager Übereinkunft oder dem Pariser Seerechtsvertrag von 1856 dar, sondern veränderten auch grundlegend das bisher gültige Verhältnis zwischen Politik und Ökonomie. So hielt der Schweizer Wirtschaftsprofessor Peter Heinrich Schmidt 1918 fest: „Gegen alle Auffassung, die man bisher in Europa vom Kriege gehabt hatte, … wurden ganz besonders Kaufleute als Gegenstand der Kriegführung behandelt, und in einer Reihe von Ländern wurde das Eigentum der ‚alien enemies‘ ohne weiteres dem Beuterecht unterworfen.“25 Im Dezember 1915 wurde die britische Regierung ermächtigt, Firmen in neutralen Ländern auf eine Schwarze Liste zu setzen, wenn der Verdacht aufkam, dass diese weiterhin Kontakte zu Unternehmen aus feindlichen Ländern pflegten oder mit den Mittelmächten sympathisierten. Außerdem kamen Unternehmen auf die Schwarze Liste, wenn sie deutsche oder österreichische Angestellte beschäftigten oder wenn man mutmaßte, dass sie durch deutsche oder österreichische Eigentümer kontrolliert werden könnten. Da die Eigentumsverhältnisse der Unternehmen oder deren politische Sympathien nur schwer eruiert werden konnten, und da auch der tatsächliche Bestimmungsort von Warenlieferungen oft nur mit Mühe festzustellen war, brachte die Umsetzung der Maßnahmen diverse Schwierigkeiten mit sich. Oft wurden Güter blockiert, weil die Hafenbehörden über die genaue Anwendung der Kriegsvorschriften im Unklaren waren oder weil sie mangels Fremdsprachenkenntnissen und aufgrund von deutschsprachigen Dokumenten kurzerhand auf eine Lieferung in Feindesland schlossen.26 Obwohl Volkart während der Kriegsjahre stets große Gewinne erzielen konnte, geriet die Firma wegen der kriegswirtschaftlichen Maßnahmen der Alliierten in eine 23 Trading with the enemy, 1917. 24 Siney, The Allied Blockade of Germany, 1957, S. 61–74; Schildknecht, Bremer Baumwollbörse, 1999, S. 24; Dehne, From “Business as Usual” to a More Global War, 2005. 25 Schmidt, Der Wirtschaftskrieg und die Neutralen, 1918, S. 13. 26 Dejung/Zangger, British Wartime Protectionism, S. 191 und 200.
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höchst prekäre Situation. Ein Verstoß gegen den Trading with the Enemy Act hätte unweigerlich die Liquidation derjenigen Teile des Unternehmens bedeutet, die sich auf dem Gebiet des Empire befanden – und dies waren sämtliche Filialen außer dem Winterthurer Stammhaus und der Vertretung in Osaka. Mit der Einführung des Kriegsrechtes hatte sich die rechtliche Situation von Schweizer Firmen, die im britischen Einflussbereich Handel trieben, markant verschlechtert. „Durch das überall in den englischen Kolonien bestehende martial law, Kriegsrecht, kann jederzeit eine … Anschuldigung gegen unsere indischen Firmen angehoben werden“, hieß es 1914 in einem Brief aus dem Volkart-Hauptsitz an einen deutschen Kunden: „Nicht die Kläger haben jetzt die Anklage zu beweisen, wie das in normalen Verhältnissen der Fall ist, sondern der Angeklagte muss seine Unschuld beweisen, und die Strafen sind enorm.“27 Die Firma hielt sich deshalb während des ganzen Krieges peinlich genau an die britischen Kriegsvorschriften. Dennoch wurden immer wieder Baumwolllieferungen durch die Briten beschlagnahmt und Volkart musste in langwierigen Unterhandlungen beweisen, dass die Lieferungen nicht für Kunden in den Ländern der Mittelmächte bestimmt waren.28 Zudem musste die Firma befürchten, dass die traditionell guten Verbindungen, die sie vor dem Krieg zu deutschen und österreichischen Textilunternehmen gehabt hatte, sowie die Tatsache, dass auch deutsches Personal beschäftigt wurde, das Misstrauen der britischen Behörden erwecken könnte.29 Volkart bemühte sich deshalb nach Kräften, Kooperationsbereitschaft mit den britischen Behörden zu demonstrieren. Oft genügten schon vergleichsweise kleine Verfehlun27 VA, Dossier 42: Rechtliches, Cotton Business Germany 1st World War: Gebrüder Volkart, Winterthur, an Herrmann Brass, Brünn, 7. Oktober 1914. 28 So beschlagnahmten die Briten im August 1915 in Malta 4377 und in Ägypten 1259 Ballen Baumwolle, obwohl Volkart Garantien vorlegen konnte, die belegten, dass die Baumwolle für schweizerische und italienische Spinnereien bestimmt waren, und obwohl die Behörden in Indien die Exporte genehmigt hatten. Nach einer intensiven Korrespondenz erhielt Volkart schließlich die Genehmigung, die Baumwolle in Italien unter Aufsicht des britischen Konsulates an die dortigen Spinnereien zu verkaufen. Die Briten verboten jedoch den Weitertransport der übrigen Baumwolle in die Schweiz: NA, CO 323/675: Foreign Office, General, Vol. 26, 15 Aug.- 7 Sept. 1915: 219: General Malta to Foreign Office, 23 Aug 15; 239–242: Aug. Thoele, Volkart Brothers, London, to The Swiss Legation, London, 6th August 1915; 244–246: Aug. Thoele, Volkart Brothers, London, to The Swiss Legation, London, 11th August 1915; CO 323/676: Foreign Office, General, Vol. 27, 8 Sept.-30 Sept. 1915: 534–537: Aug. Thoele, Volkart Brothers, London, to The Under Secretary of State, Foreign Office, September 16th 1915; CO 323/679: Foreign Office, General, Vol. 30, 20 Nov-31 Dec. 1915: 582–583: Foreign Office to The Under Secretary of State, Colonial Office, December 24 1915; CO 323/713: Foreign Office, General, Vol. 18, 22 June-31 July 1916: Foreign Office to The Under-Secretary of State, Colonial Office, July 25, 1916. 29 VA, Dossier 6: Colombo, 14: Two notes on VOLKART Colombo, compiled in 1918 by VOLKART Colombo in 1925 by P. De Abrew.
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gen, dass eine Firma auf die Schwarze Liste kam. Im Dezember 1915 etwa wurde das schweizerische Handelshaus Siber-Hegner, das Filialen in Kobe und Yokohama besaß, von den Briten auf die Schwarze Liste gesetzt.30 Die Filiale in Yokohama hatte in einem Brief an den Firmenhauptsitz in Zürich angeregt, dass man ihr doch 200 Fläschchen deutsches Parfum schicken möge. Da dies die britischen Kriegsbestimmungen verletzt hätte, schlug man vor, das Parfüm umzufüllen und als schweizerisches Produkt zu deklarieren. Unglücklicherweise war dieser Brief in die Hände der britischen Behörden geraten. Obwohl Siber-Hegner Zürich im Antwortbrief nach Japan unmissverständlich klar machte, dass man sich genau an die Vorschriften halten und keinen Handel mit deutschen Produkten treiben werde, genügte die Anfrage, damit die Briten jeglichen geschäftlichen Kontakt mit der Schweizer Firma untersagten. Erst einige Monate später, nachdem sich Siber-Hegner bei den britischen Behörden entschuldigt und versichert hatte, sich an die Handelsvorgaben der Alliierten zu halten, konnte die Firma ihre Geschäfte wieder aufnehmen.31 Aufgrund der scharfen Handelsrestriktionen war es für Volkart äußerst unangenehm, dass die britische Zensurbehörde im Sommer 1915 die Briefe zweier Angestellter abfing, welche sich negativ über die Entente geäußert hatten. Der eine Angestellte, der für Volkart in Colombo tätig gewesen war, wurde daraufhin des Landes verwiesen, dem anderem, der gerade auf Urlaub in Europa war, wurde die Rückkehr nach Indien verweigert.32 Volkart entließ die beiden Angestellten umgehend und ermahnte alle Angestellten nachdrücklich, in der Privatkorrespondenz „Diskussionen ueber der Krieg, politische Fragen und was damit zusammenhaengt strikte zu unterlassen.“33 Die Filiale von Volkart in Colombo wurde als Folge dieser Vorfälle von den britischen Behörden durchsucht. Da ein Großteil der Unterlagen in deutscher Sprache verfasst war, wurden diese zur genaueren Untersuchung abtransportiert und erst einige Tage später zurückgegeben. Etwas Verdächtiges hatten die Briten nicht gefunden.34 Der Hauptsitz in Winterthur bat daraufhin die Angestellten der Filiale in Colombo, Ruhe zu bewahren und begrüßte sogar das Vorgehen der Behörden in Ceylon: „Although we quite understand how dishearting it must have been for you to be innocently suspected, we on the other side can only welcome the steps which the Ceylon Government deemed necessary towards our firm, as we have nothing to hide neither there nor here nor in any other of our branches before the eyes of the 30 Vgl. u.a. BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 1: Moll, Schütte & Co., Calcutta, an K. Ringger, Consul for Switzerland, Bombay, 13. Dezember 1915. 31 Bartu, The Fan Tree Company, 2005, S. 82f. 32 NA, FO 383/73: Prisoners, Germany Files 100091–105459, 1915: The Queens House, Colombo, to A. Bonar Law, M.P., 2nd July, 1915; FO 383/109: Prisoners, Miscellaneous (General) Files 51445–98039, 1915: India Office to the Under Secretary of State, Foreign Office, 24 July 1915; VA, Dossier 6: Colombo, 4. Table of Events. 33 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1. Table of Events: Bombay, Zirkular, 22. Oktober 1915. 34 VA, Dossier 6: Colombo, 4. Table of Events.
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British Officials… We only hope that the result of this examination of our records and books will now do away with any suspicion which so unjustly has been held against our firm.“35 Wie gefährlich es für eine Schweizer Firma werden konnte, wenn sie den Verdacht erregte, heimlich mit deutschen Firmen zu kooperieren, zeigt das Beispiel der Basler Handelsgesellschaft. Die Basler Handelsgesellschaft war von Basler Missionaren gegründet worden. Sie war seit 1859 in Indien tätig und betrieb dort eigene Ziegeleien und Textilbetriebe.36 Kurz nach Kriegsausbruch bekam die Firma Probleme, da ihre Geschäfte als Bruch mit dem Trading with the Enemy Act angesehen wurden. Zudem erregten der hohe Prozentsatz an deutschem Personal sowie die Tatsache, dass ein Teil des Kapitals in deutschem Besitz war, das Misstrauen der indischen Regierung. Ab 1916 stand die Basler Handelsgesellschaft unter britischer Kontrolle und drohte, liquidiert zu werden.37 Deshalb wandte sie sich an den Schweizer Konsul in Bombay, der sich jedoch vergeblich bemühte, die Liquidation der Firma zu verhindern. 1919 wurden die indischen Besitztümer der Basler Handelsgesellschaft endgültig konfisziert. Diese Maßnahme war jedoch offensichtlich auch nach britischem Recht illegal gewesen. 1952 erhielt die Firma jedenfalls von der britischen Regierung eine Entschädigung zugesprochen. Die Basler Handelsgesellschaft kehrte aber nie mehr nach Indien zurück.38 Aufgrund der nicht selten willkürlichen Entscheidungen der britischen Behörden waren die schweizerischen Handelshäuser auf gute Verbindungen zur britischen Geschäftswelt angewiesen. Dies zeigt etwa das Beispiel des Handelshauses Diethelm, dessen Kapital zu einem Drittel in niederländischem und zu zwei Dritteln in schweizerischem Besitz war. Eine in Siam gelegene Filiale von Diethelm stand bis vor dem Krieg unter dem Schutz des deutschen Konsulats in Bangkok. Diese Verbindung zu Deutschland wurde zwar Ende des Jahres 1914 gekappt. Dennoch verdächtigten die Briten die Firma, heimlich weiterhin mit Kunden in Deutschland Handel zu trieben, was zur Folge hatte, dass Diethelm auf die Liste der enemy firms gesetzt wurde. Erst als die Chartered Bank in London gegenüber der britischen Regierung bestätigte, dass
35 VA, Dossier 6: Colombo, 5. correspondence relating to Produce & notes on taxation: Winterthur an Colombo, 31. August 1915. 36 Wanner, Die Basler Handelsgesellschaft, 1959, S. 32 und 253–292. 37 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 1: A. Eidenbenz, General Agent, Basel Mission Industrials, Calicut, an The Chief Secretary to the Government of Madras, 28. September 1915. 38 Im Ersten Weltkrieg enteignete Großbritannien auch den als feindlich eingestuften Besitz der Basler Handelsgesellschaft an der Ostküste Afrikas. Nach der Rückgabe ihrer afrikanischen Besitztümer durch die Briten im Jahr 1928 löste sich die Basler Handelsgesellschaft von der Basler Mission und wandelte sich in eine Holding-Gesellschaft um: Wanner, Die Basler Handelsgesellschaft, 1959, S. 376–421.
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Diethelm langjährige und geschätzte Kunden seien, wurde der Name des Handelshauses im September 1915 wieder von dieser Liste gestrichen.39 Ähnlich erging es einige Monate später auch Volkart. Im August 1916 wurde die Firma von Ellison & Co., einem britischen Handelshaus, welches Volkart in Liverpool vertrat, darüber informiert, dass das Schweizer Unternehmen in Zukunft seine Geschäfte nur noch unter Kontrolle des britischen Board of Trade ausüben dürfe. Dies hätte die Operationsfähigkeit des Handelshauses sehr erschwert, wenn nicht verunmöglicht. Volkart und Ellison waren der Ansicht, dass man die Schwierigkeiten einem britischen Konkurrenzunternehmen zu verdanken hatte, welches Volkart bei den britischen Behörden angeschwärzt hatte, um so auf elegante Weise einen Mitbewerber los zu werden. Nach einer intensiven Korrespondenz mit den britischen Behörden und dem Vorlegen von Beweisen, die belegten, dass man sich stets an die Vorgaben gehalten hatte, erhielt Volkart schließlich wieder die Erlaubnis, ohne britische Oberaufsicht agieren zu dürfen.40
Rückbindung von ökonomischen Akteuren auf ihre nationale Herkunft Der Ausbruch des Ersten Weltkrieges brachte es also mit sich, dass die Nationalität einer Firma mit einem Schlag eine zentrale Bedeutung erhielt. Die Rückbindung der wirtschaftlichen Akteure auf ihre nationale Herkunft stand in direktem Zusammenhang mit der Entwicklung des Ersten Weltkrieges von einem zwischenstaatlichen militärischen Konflikt zu einem globalen Wirtschaftskrieg. Für die einzelnen Unternehmen stand dieser Prozess in krassem Gegensatz zur Situation vor Ausbruch des Krieges. Vor 1914 war die Nationalität einer Firmen höchstens von sekundärer Bedeutung gewesen. Es gibt jedenfalls keine Anzeichen dafür, dass die Lage des Hauptsitzes von Volkart in der Schweiz irgendeinen Einfluss auf die Geschäfte gehabt hätte. Dies galt auch noch nach der Jahrhundertwende, als protektionistische Strömungen in Kontinentaleuropa immer stärker wurden und eine eigentliche Verpolitisierung des Welthandels einsetzte. Die nationale Zugehörigkeit von international tätigen Firmen zu klären war jedoch alles andere als einfach. Wie Geoffrey Jones bemerkt hat, konnte solchen Firmen je nach Betrachtungsweise – sei es die nationale Herkunft der Firmengründer, die Nationalität der Kapitaleigner, die Lage des Hauptsitzes oder das geographische Betätigungsfeld der Firma – legitimerweise eine ganz unterschiedliche Nationalität
39 Bartu, The Fan Tree Company, 2005, S. 83. 40 VA, Dossier 13, London/Liverpool (VOLKART + Woods&Thorburn)/Bremen: 2. Table of Events; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 248.
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zugeschrieben werden.41 Die Versuche der Kriegsparteien, diese Firmen in ein nationales Raster zu zwängen, stand nicht selten in einem Widerspruch zur Geschäftstätigkeit und dem Selbstverständnis dieser Firmen. Auch bei Volkart war die Frage, welcher Nationalität die Firma war, schwieriger zu klären, als man vermuten würde. Zwar waren die Teilhaber der Firma Schweizer und der faktische Hauptsitz war Winterthur. Nominell lag der Hauptsitz der Firma aber seit 1892 in London und die Geschäfte wurden überwiegend außerhalb der Schweiz abgewickelt.42 So meinten die Eigentümer von Volkart in einem Brief 1892 denn auch, dass „unsere Firma eine vorwiegend ausländische ist & dass sie factisch in London & Indien als englisch gesehen wird.“43 Und noch 1939 hieß es in einem internen Memorandum, dass es nicht unproblematisch sei, „dass wir ein internationales Geschaeft betreiben, mit riesigen Interessen in einer ganzen Reihe von Ländern, und dabei nicht einmal darueber im Klaren sind, auf welche Nationalitaet sich unsere Firma berufen darf oder muss.“ Bezeichnenderweise wurde ein möglicher zukünftiger Krieg herangezogen, um zu verdeutlichen, wie problematisch die hybride Identität der Firma sein könnte: „Stellen wir uns … einmal vor, dass zwischen der Schweiz und England ... Feindseligkeiten ausbrechen sollten, so stellt sich natuerlich von neuem die Frage, zu welcher Nationalitaet bekennt sich unsere Firma. Das Problem ist ... fuer uns deshalb speziell schwierig, ... weil wir nicht den Standpunkt einnehmen koennen, dass wir in der Schweiz eine schweizerische Firma, und in England eine Englische Gesellschaft seien.“44 Die nationale Zuordnung von international tätigen Handelsfirmen wurde weiter dadurch erschwert, dass ihre Angestellten oft aus einer Vielzahl von Ländern stammten. Dies entwickelte sich während des Krieges zu einem veritablen Problem. Selbst Firmen in neutralen Ländern riskierten, auf die Schwarze Liste der Alliierten gesetzt zu werden, wenn sie deutsche oder österreichische Angestellte beschäftigten. Auch Volkart hatte bis zum Sommer 1914 in London zahlreiche leitende Positionen durch Angestellte aus Deutschland besetzt. Der Kriegsausbruch brachte hier, in den Worten Georg Reinharts, „eine radikale Änderung ..., indem alle Deutschen interniert wurden und auf ihre Anstellung zu verzichten hatten.“45 Zudem wurde ein Teil der britischen Angestellten in die Armee eingezogen. Die Firma verlor damit zu einem äußerst kritischen Zeitpunkt, in dem die Londoner Filiale mehr oder weniger ohne 41 Jones, The End of Nationality?, 2006. 42 Vgl. zu den Gründen der Verlegung des Hauptsitzes und zum geographischen Radius der Geschäfte in Europa Kapitel 3. 43 VA, Dossier 18: Winterthur I, 3. Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur, Gebr. Volkart an das Schweiz. Handels & Justiz Departement, Bern, 29. November 1892. 44 VA, Dossier 19: Winterthur II, Umschlag „Dokumente in Zusammenhang mit Transfer VOLKART Head Office: nach London 1893 / nach Winterthur 1940“: Memorandum vom 10.12.1939, Vor- und Nachteile unserer gegenwärtigen Gesellschaftsform. 45 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 55.
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Anweisungen des Hauptsitzes in Winterthur operieren musste, mehr als die Hälfte ihrer hoch qualifizierten Angestellten. Volkart versuchte, die entstandene Lücke durch die Entsendung von Schweizern zu füllen, was jedoch auch nicht unproblematisch war, da diese bei einem militärischen Aufgebot umgehend wieder in die Schweiz zurückkehren mussten.46 Die Nationalitätenfrage blieb während des ganzen Krieges virulent. 1917 trat in Großbritannien der Business Registration Act in Kraft. Dieser verlangte von ausländischen Firmen, dass sie auf sämtlichen geschäftlichen Unterlagen die Namen und die Nationalität ihrer Besitzer angeben müssten.47 Im Hauptsitz von Volkart in Winterthur war man der Ansicht, dass eine solche Deklaration der eigenen Nationalität geeignet sein könnte, die immer wieder aufgetauchten Zweifel über die Herkunft der Firma zu zerstreuen.48 Darauf erfolgte eine rege Korrespondenz über die Frage, wie der Briefkopf der Firma in Zukunft auszusehen habe. Der Hauptsitz in Winterthur plädierte dafür, dass auf jedem Geschäftsbrief stehen solle: „Volkart Brothers … Partners: Theodor Reinhart, George Reinhart, Werner Reinhart, Oscar Reinhart, Swiss Firm established 1851“. Doch verschiedene Filialen in Indien waren damit nicht einverstanden. Sie waren der Ansicht, dass auf dem Briefkopf nach den Namen der Partner explizit stehen müsse: „Nationality and Origin: Swiss“. Diese Haltung wurde mit den Problemen der Basler Handelsgesellschaft begründet, die trotz ihrer schweizerischen Herkunft unter britische Aufsicht gestellt worden war: „Here in South India, we have had before us the example of the Basel Mission Industries, which, though giving itself out as a Swiss concern, has been proved to be considerably adultered with Enemy capital and partners, so much so that a polemic has been going on for ever so long in the papers about the right of such a concern to call itself ‚Swiss‘. … [W]e are naturally anxious that no such suspicions against us … should ever arise again.“49 Doch schließlich setzte sich der Hauptsitz mit seinem Vorschlag zur Gestaltung des Briefkopfes durch. Fortan waren auf jedem Geschäftsbrief die Namen der Teilhaber angeführt, sowie die Versicherung, Volkart sei eine „Swiss Firm established 1851“.50 Die Nationalitätenfrage wurde weiter angeheizt durch die Konkurrenzsituation zwischen britischen Firmen und Firmen aus neutralen Ländern. In Indien etwa argwöhnten britische Unternehmer, Firmen aus neutralen Staaten könnten einen Vorteil daraus ziehen, dass ihre Angestellten im Gegensatz zu denen von britischen Firmen nicht zum Militärdienst aufgeboten worden seien. Im März 1917 forderten die indi46 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 257f. 47 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 250. 48 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VOLKART + Woods&Thorburn)/Bremen, 7. Proclamations during First World War: Winterthur an London, 30 Januar 1917. 49 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1. Table of Events – 1917: Abschrift des entsprechenden Briefes, kein Ort und Datum. 50 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VOLKART + Woods&Thorburn)/Bremen, 7. Proclamations during First World War: Winterthur an London, 23. April 1917.
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schen Handelskammern die indische Regierung auf, ein Gesetz zu erlassen, wonach ausländische Firmen nur noch mit einer jährlich zu erneuernden Lizenz in Indien Handel treiben dürften. Als „ausländisch“ galten dabei alle Firmen, bei denen weniger als 75% des Kapitals in britischem Besitz war. Zum Glück für Volkart und andere auf dem Subkontinent tätige Schweizer Unternehmen lehnte die indische Regierung diesen Vorschlag ab. Sie machte zwar klar, dass es deutschen und österreichischen Firmen nach dem Krieg vorerst nicht wieder erlaubt werde, in Indien Geschäfte zu machen. Es sei aber nicht im indischen Interesse, gegen alle nicht-britischen Firmen Restriktionen auszusprechen.51
Gründung von Schweizer Konsulaten in Asien Indem international tätige Firmen durch die kriegswirtschaftlichen Maßnahmen dazu angehalten wurden, ihre nationale Herkunft eindeutig zu deklarieren, erfolgte auf einer symbolischen Ebene eine engere Anbindung dieser Firmen an ihr Herkunftsland. Bei Schweizer Handelsfirmen, die in Asien tätig waren, kam es außerdem auch auf einer strukturellen Ebene zu einer engeren Verbindung mit der schweizerischen Nation. Eines des drängendsten Probleme, dem sich Schweizer Geschäftsleute in Asien zu Beginn des Krieges gegenübersahen, betraf die fehlende konsularische Vertretung ihres Heimatlandes in dieser Region. Bei Kriegsausbruch hatte die Schweiz einzig in Manila (ab 1862), Jakarta (1863) und Yokohama (1866) eine diplomatische Vertretung; in Indien dagegen existierte kein einziges schweizerisches Konsulat. Volkart hatte sich bereits 1885 beim schweizerischen Bundesrat erkundigt, wie der konsularische Schutz der Filialen auf dem Subkontinent im Falle eines Krieges sicher gestellt werden könne. Der Bundesrat schrieb in seiner Antwort, dass Schweizer Firmen, die in Ländern ohne schweizerische Vertretung tätig seien, die Nation frei wählen könnten, unter deren konsularischen Schutz sie sich begeben wollten. Seit 1871 hatte die Schweiz Vereinbarungen mit Deutschland und den USA abgeschlossen, wonach diese Länder im Notfall auch schweizerische Staatsbürger vertreten könnten. Volkart beschloss daraufhin, die indischen Filialen unter die konsularische Obhut der USA zu stellen, da man befürchtete, eine Vertretung durch Deutschland könne zu Problemen führen, falls in Europa einmal ein Krieg ausbrechen würde.52 Mit Ausbruch des Krieges 1914 wurde deutlich, dass die Schweiz auch in Asien eigene Vertretungen benötigen würde. In der Folge wurden im Mittleren und Fernen Osten zahlreiche Schweizer Konsulate eröffnet: in Bombay 1915, in Colombo, Singapur und Medan (auf Sumatra) 1917, in Shanghai und Canton 1921, in Madras, 51 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 249. 52 BAR, E2, 1477: Korrespondenz zwischen Volkart und dem Eidgenössischen Politischen Departement, 25. April/27. April/1. Mai 1885.
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Kalkutta und Bangkok 1922 und in Saigon 1926. In Bombay, Colombo und Madras wurden die Leiter der jeweiligen Volkartfilialen vom Bundesrat zu Konsuln ernannt. Dass Händler als Honorarkonsuln agierten, war dabei keineswegs außergewöhnlich, sondern geradezu typisch für die schweizerische Außenpolitik. Die Schweiz besaß bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges nur elf Gesandtschaften im Ausland, eine im Vergleich zu anderen europäischen Staaten äußerst bescheidene Zahl. Dazu besaß die Schweiz ein ganzes Netz von Honorarkonsulaten, die oft auf Anregung von Auslandschweizern begründet worden waren. Doch mit 115 Honorar- und 6 Berufskonsulaten verfügte die Schweiz über weit weniger Vertretungen im Ausland als andere europäische Staaten von vergleichbarer Größe.53 Indem die Konsulate in der Regel durch vor Ort ansässige Kaufleute geführt wurden, übernahmen die Handelsfirmen gewissermaßen eine parastaatliche Funktion.54 Die Vergabe von Konsulatsposten war nicht an die Staatsangehörigkeit geknüpft. So agierten die Leiter der verschiedenen Filialen von Volkart auf dem indischen Subkontinent seit Mitte des 19. Jahrhunderts unter anderem als Konsuln für Belgien, Holland, Schweden, Norwegen und Deutschland.55 Der Kriegsausbruch 1914 sorgte dafür, dass sich die Volkart-Manager in Indien auch für die Posten von Schweizer Konsuln zu interessieren begannen. Dabei wurden sie durch den Hauptsitz in Winterthur tatkräftig unterstützt. Dass eine Handelsfirma wie Volkart, die in einem hoch kompetitiven Geschäftsfeld operierte, bereit war, ihre leitenden Angestellten für die ehrenamtliche Konsulatstätigkeit freizustellen, ist erklärungsbedürftig. Immerhin war der Posten ziemlich zeitaufwändig.56 Die Bereitschaft, Konsulate zu übernehmen, mag durchaus mit einem auch bei Volkart vorhandenen Patriotismus erklärt werden. Sie hatte jedoch einen klaren ökonomischen Hintergrund. Wenn ein leitender Angestellter mit dem Posten eines Schweizer Konsuls bedacht wurde, eröffnete 53 Belgien hatte zur gleichen Zeit 562 Honorar- und 34 Berufskonsulate, Dänemark 500 und 16, Griechenland über 310 und 20, die Niederlande 613 und 20, Norwegen 636 und 21, Portugal 496 und 33, Schweden 612 und 24, Spanien 751 und 98: Rohner, Die Schweizer Wirtschaftsvertretungen, 1944, S. 21. 54 Altermatt, Zwei Jahrhunderte Schweizer Auslandvertretungen, 1990. Vgl. zur Bedeutung der Schweizer Wirtschaft für die Außenpolitik auch: Siegenthaler, Die Bedeutung des Aussenhandels, 1982. Dies war auch den Kaufleuten bewusst. Heinrich Wachter, der damals in der Maschinenexportabteilung von Volkart tätig war, wies in einem Zeitungsartikel 1935 explizit auf den politischen Nutzen hin, den die konsularische Tätigkeit der Handelshäuser für die Schweiz hatte: Heinrich Wachter, Die Handelsbeziehungen der Schweiz und der Schweizerische Transithandel, Neue Zürcher Zeitung, 5. Oktober 1935. 55 VA, Dossier 1: Die Teilhaber I, A) Die Familie der Gründer, Johann Georg Volkart; Dossier 6: Colombo, 3. European staff lists; Dossier 8: Karachi, 1. Management. 56 So gab Jean Frei, der Manager der Volkart-Filiale in Madras an, dass er jeden Tag zwei bis drei Stunden für das Konsulatsgeschäft aufwende: BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Dossier No. 1, Avril 1924 à Février 1925: Gebrüder Volkart, Winterthur, an das Eidgenössische Politische Departement, Abteilung für Auswärtiges, Bern, 1. April 1924.
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das der Firma im Falle von politischen Krisen den direkten Zugang zu politischen Entscheidungsträgern im Ausland. Am 14. Mai 1915 wurde der Leiter von Volkart Bombay, Karl Ringger, vom Bundesrat zum schweizerischen Konsul für Indien ernannt. In einem Schreiben vom 19. Mai 1915 gratulierte der Winterthurer Hauptsitz Ringger zu seiner Wahl und gab der Überzeugung Ausdruck, „dass ein schweizerisches Konsulat in Bombay bei den vielen daselbst residierenden Schweizern und dem regen Handel zwischen den beiden Ländern sich in der Folge als nützlich erweisen wird.“57 Das Interesse der Firma, ihre Manager mit Konsulatsposten zu versehen, wurde auch deutlich, als im Sommer 1915 von schweizerischen Kaufleuten in Colombo die Frage eines Konsulates auf Ceylon aufgeworfen wurde. Als der Manager von Volkart in Colombo, Steiger, erfuhr, dass ein anderer Kaufmann die Petition der schweizerischen Handelshäuser in Colombo dazu benutzt hatte, um sich selber in Bern für den dortigen Posten des Konsuls zu empfehlen, wandte er sich an Karl Ringger in Bombay. Steiger empfand es schlichtweg als anmaßend, dass ein Angehöriger eines anderen Handelshauses die Konsulwürde für sich beanspruchte: „Selbstredend war ich der Ansicht, dass die Wahl, mit dem Einverstaendniss der Herren Volkart Bros. in Winterthur natuerlich, auf ein Mitglied unserer Firma fallen sollte & wuerde, in Anbetracht der 60jaehrigen Anwesenheit der Firma auf Ceylon. … Ich selber wuerde diesen Ehrenposten selbverstaendlich mit grossem Vergnuegen uebernehmen, sollte derselbe mir offerirt werden.“58 Daraufhin informierte Ringger seine Vorgesetzten bei Volkart Winterthur vom Vorfall, welche ihrerseits bei den Bundesbehörden in Bern vorstellig wurden. In ihrer Antwort an Ringger gab Volkart Winterthur der Hoffnung Ausdruck, „dass die Behörden daselbst bei einer allfälligen Errichtung eines selbständigen Konsulates in Colombo unsere Firma, welche die älteste Schweizerfirma am Platze ist, bei der Ernennung des Konsuls in Berücksichtigung ziehen werden“59 – was 1917 auch tatsächlich geschah.60 Auch in anderen Teilen des Subkontinents bewarben sich Schweizer Kaufleute um die Tätigkeit als Honorarkonsul. Im Dezember 1915 richtete der in Burma tätige Schweizer Kaufmann Victor Zollikofer ein dringliches Schreiben an den kurz zuvor ernannten Schweizer Konsul in Bombay. Zollikofer waren Gerüchte zu Ohren gekommen, wonach in Burma auch Angehörige von neutralen Ländern interniert werden sollten. „Dies würde natürlich den Ruin unserer Firma nach sich ziehen“, meinte 57 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 1: Volkart Brothers, Winterthur, an K. Ringger, Bombay, 19. Mai 1915. 58 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 1: Steiger, Volkart Brothers, Colombo, an Ringger, Bombay, 17. Juli 1915. 59 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 1: Volkart Brothers, Winterthur, an K. Ringger, Bombay, 24. August 1915. 60 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 13; Anderegg, Chronicle, S. 259.
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Zollikofer.61 Er befürchtete insbesondere, dass ihm von britischen Geschäftsleuten „böse Verleumdungen unterschoben werden“ könnten, die zu einer Internierung führen würden. Zollikofer betonte jedenfalls in einem zweiten Brief an den schweizerischen Konsul Ende Januar 1916, dass er mit Bestimmtheit wisse, „dass beim ganzen ein gut Teil Konkurrenz Manövers zu Grunde liegt“.62 Er erbat sich nun nicht einfach die Unterstützung des schweizerischen Konsuls; sein Vorschlag ging noch einen Schritt weiter. Um einer Internierung und einem damit einhergehenden Konkurs zu entgehen, fragte Zollikofer den Konsul direkt an, ob es diesem wohl möglich wäre, „die Executive als ‚Acting Swiss Consul‘ mir hier zu übertragen, oder falls nicht in Ihrer Macht liegend, diesen Fall empfehlend nach der Schweiz zu geleiten resp. dort dem Bundesrat diesen Vorschlag unterbreiten & empfehlen zu wollen.“63 Da der Bundesrat vorerst nicht auf das Angebot Zollikofers einging, schrieb dieser im Sommer 1917 erneut einen Brief nach Bombay, in dem er darum bat, dass man ihm das schweizerische Konsulat für Burma übertragen möchte. „[S]peziell seit Ausbruch dieses Krieges“ habe man schließlich die Erfahrung gemacht, „dass die Schweiz in der Fremde, speziell überseeisch nicht genügend Konsulate besitzt.“ Ein schweizerisches Konsulat sei insbesondere geeignet, den in Burma lebenden Schweizern einen gewissen Schutz zu gewähren, denn schließlich, so Zollikofer „leiden wir Schweizer seit Kriegsausbruch sehr unter der englischen Apathie & Vorurteil gegen deutschklingende Namen, die ohne Unterschied als entweder überhaupt Deutsch oder wenigstens deutschfreundlich verdammt werden. Dieser Umstand wird noch für viele Jahre andauern, & wäre es deshalb sehr erwünscht, diesem empfindlichen Uebel durch die Errichtung eines Konsulaten entgegenzusteuern“.64 Zollikofers Vorschlag wurde vom Bundesrat abgelehnt, da in Burma nur wenige Schweizer lebten und die Einrichtung eines Konsulates deshalb nicht für nötig erachtet wurde.65 Seine Bemühungen zeigen jedoch, dass es durchaus wirtschaftliche Gründe dafür gab, dass sich die Schweizer Kaufleute auf dem Subkontinent während des Krieges um diese Aufgabe bemühten. Auch Volkart hoffte gegen Ende des Krieges, von der Doppelfunktion Karl Ringgers als Angestellter der Firma und als Schweizer Konsul profitieren zu können. 1917 61 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 1: Victor Zollikofer von Firma V. Zollikofer & Co., Rangoon, an K. Ringger, Schweizer Konsul, Bombay, 20. Dezember 1915. 62 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 4: Victor Zollikofer von Firma V. Zollikofer & Co., Rangoon, an K. Ringger, Schweizer Konsul, Bombay, 24. Januar 1916. 63 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 1: Victor Zollikofer von Firma V. Zollikofer & Co., Rangoon, an K. Ringger, Schweizer Konsul, Bombay, 20. Dezember 1915. 64 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 6: Viktor Zollikofer, Zollikofer & Co., Rangoon, an K. Ringger, Schweizerisches Konsulat, Bombay, 31. Juli 1917. 65 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 9, Swiss Consulate Rangoon: Schweizerischer Generalkonsul, Bombay, an den Konsulardienst des Eidg. Politischen Departements, Bern, 5. Juli 1928
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wurde Volkart Karachi der weitere Handel mit Tierhäuten verboten. Bis zu diesem Zeitpunkt war der über Karachi abgewickelte Export von Häuten für Volkart aufgrund der kriegsbedingten höheren Nachfrage durch die europäische Lederindustrie ein sehr einträgliches Geschäft gewesen.66 Nachdem bekannt gegeben worden war, dass Volkart nicht mehr im Häutehandel aktiv sein dürfe, bat man die schweizerische Gesandtschaft in London, in der Sache zu intervenieren. Die Firma führte dabei an, dass Volkart Karachi, gegründet im Jahr 1861, eines der ältesten Häuser am Platze sei. Die Firma Volkart sei immer schweizerisch gewesen, habe nie deutsches oder österreichisches Kapital besessen und auch nie Filialen in Deutschland oder Österreich gehabt: „The sympathies of our firm are entirely pro-British and this is also well known in enemy countries where our firm has broken off all relations on the outbreak of war. … It would therefore seem to us as a hardship that under these circumstances our firm should be treated in the nature of a ,hostile concern‘ and be excluded from a trade now under control, in which we would no doubt be participating to a large extent if it were not under control.“67 In dieser Situation war es für Volkart praktisch, dass der Schweizer Konsul in Bombay ein Angestellter der Firma war. Im Sommer 1917 wandte sich der Hauptsitz in Winterthur an Konsul Ringger und bat ihn, in dieser Sache zu intervenieren. Man rechnete sich dabei durchaus Erfolgschancen aus, da man von inoffizieller Seite vernommen habe, dass es in der indischen Regierung Leute gebe, die ein Interesse daran hätten, dass Volkart weiterhin im Häutegeschäft aktiv sein konnte.68 Ringgers Bemühungen blieben jedoch erfolglos. Im Januar 1918 ließ ihn die indische Regierung wissen, dass man den Antrag, Volkart Karachi wieder am Häutehandel teilhaben zu lassen, geprüft habe, aber zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Möglichkeit sehe, die bestehende Regelung zu ändern.69
66 So konnte Volkart 1915 121‘755 Häute exportieren und 1916 122‘750 gegenüber nur 14‘600 Stück im Jahr 1914. Die meisten dieser Häute gingen nach Italien: BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 2: Volkart Brothers, London, an Swiss Legation, London, 12. Juli 1917. 67 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 2: Volkart Brothers, London, an Swiss Legation, London, 12. Juli 1917. 68 BAR, E 2200.110 (Bombay), Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 2: Gebrüder Volkart, Winterthur, an das Schweizerische Konsulat, Bombay, 19. September 1917. Interessant am Briefwechsel zwischen dem Hauptsitz von Volkart und Karl Ringger ist, dass Winterthur seine Schreiben nicht an einen Angestellten der eigenen Firma richtete, sondern an „das Schweizerische Konsulat“ in Bombay. Man unterschied also explizit zwischen Ringgers Funktionen als Leiter von Volkart Bombay und als schweizerischer Konsul. Dies geschah wohl, um Ringgers Position als offiziellen Vertreter schweizerischer Interessen nicht durch den Anschein der Befangenheit zu unterminieren. 69 BAR, E 2200.110 (Bombay) Akz. Nr. 1, Schachtel 1, Paket 3: Government of India, Indian Munitions Board, Delhi, an the Consul of Switzerland, Bombay, 2. Januar 1918.
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Nach dem Krieg Aufgrund der Probleme, die die Weltwirtschaft und der Welthandel nach Kriegsende erlebten, wird in der Literatur häufig die Ansicht vertreten, die Jahre zwischen 1918 und 1939 seien eine Phase der Deglobalisierung gewesen, die auf die Epoche der ersten Globalisierung zwischen dem Beginn des 19. Jahrhunderts und 1914 gefolgt sei.70 Auf Unternehmensebene kann jedoch keine Rede davon sein, dass sich Firmen nach 1918 bloß noch innerhalb nationalstaatlicher Grenzen betätigten – im Gegenteil. Verschiedene Unternehmen intensivierten ihre Auslandsinvestitionen in der Zwischenkriegszeit, um trotz des zunehmenden Protektionismus durch Tochterfirmen auf fremden Märkten präsent sein zu können.71 Wie im dritten Teil dieses Buches noch ausführlicher geschildert werden wird, galt dies auch für Volkart. Die Firma betrieb in den frühen 1920er Jahren eine starke Expansionstätigkeit und gründete in rascher Folge neue Tochtergesellschaften und Filialen Asien, den USA und Europa. Indem die Firma sich ab den 1930er Jahren im US-amerikanischen und ostasiatischen Baumwollgeschäft etablieren konnte, wurde Volkart gerade in dieser für die Weltwirtschaft so dramatischen Zeit zu einem eigentlichen global player.72 Paradoxerweise war jedoch gerade diese geographische Ausweitung der Geschäftstätigkeit verbunden mit einer verstärkten Betonung der nationalen Herkunft. Dies war eine direkte Folge der Erfahrungen, die man während des Ersten Weltkrieges gemacht hatte. In einem internen Memorandum hielt Georg Reinhart 1939 fest: „Wir sind eine Schweizerfirma (Thank God!) und wollen es bleiben.“ Während Volkart vor dem Krieg zahlreiche ausländische Angestellte beschäftigt hatte, bemühte man sich nach 1918, in erster Linie „Schweizer von erprobtem Charakter und mit politischen Anschauungen, die mit den unsrigen harmonieren“ in leitende Funktionen einzusetzen. „Nur von solchen“, so Reinhart weiter, „können wir in allen Situationen erwarten, dass sie sich in fremden Ländern auch aus Patriotismus für unsere Firma voll und ganz einsetzen. Der Engländer, Amerikaner, Deutsche oder Japaner kann in Situationen geraten, wo sein Patriotismus mit seinen Pflichten gegenüber der Firma in Konflikt kommt.“73 Diese Geschäftspolitik war konsistent mit den Bemühungen vieler Schweizer Unternehmen, die sich in der Zwischenkriegszeit ihrer ausländischen Aktionäre und Verwaltungsratsmitglieder entledigten und dafür ihre Swissness betonten.74 Dies 70 So z.B. in Hobsbawm, Zeitalter der Extreme, 2003; O’Brien, The Great War, 1995, S. 252– 263; Torp, Weltwirtschaft vor dem Weltkrieg, 2004. 71 Jones, The End of Nationality?, S. 164. 72 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 81–86. 73 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 19–21. 74 Lüpold, Wirtschaftskrieg, Aktienrecht und Corporate Governance, 2008.
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zeigt, dass Globalisierung und Fragmentierung gemäß der Logik nationalstaatlicher Zugehörigkeit keine absoluten Gegensätze sind, sondern sich oft gegenseitig bedingen und dialektisch miteinander verschlungen sind.75 Die Akzentuierung der schweizerischen Herkunft und die bevorzugte Anstellung von Schweizer Angestellten sollten sich im Zweiten Weltkrieg als äußerst vorteilhaft erweisen. 1944 konnte Georg Reinhart befriedigt feststellen: „Seit den Erfahrungen, die wir im letzten Weltkrieg gemacht haben, war es mein Bestreben, dahin zu wirken, dass die ‚offices‘ unserer Firma möglichst aus Schweizern rekrutierten. Die Befolgung dieser Politik hatte das Resultat, dass wir bei Ausbruch des jetzigen Krieges keine Leute durch Internierung verloren haben, und dass unserer Firma keinen Moment in den Geruch kam, nicht rein schweizerisch zu sein.“ Zwar beschäftigte Volkart in Bremen und Osaka zahlreiche deutsche und japanische Angestellte, da die dortigen Niederlassungen jedoch formal eigenständige Unternehmen waren und die restlichen Filialen nach Ausbruch des Krieges den Kontakt mit ihnen abgebrochen hatten, wurden die Geschäfte der Gesamtfirma durch diesen Umstand nicht beeinträchtigt.76
75 Vgl. Clark, Globalization and Fragmentation, 1997; Conrad, Globalisierung und Nation, 2006. 76 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Richtlinien für unsere Geschäftstätigkeit – Memorandum by GR, 28 April 1944.
5. Die Besitzerfamilie
„Die Firma Gebr. Volkart kann als ein Familiengeschäft bezeichnet werden“, lautete der erste Satz der Jubiläumsschrift zum 75jährigen Bestehen des Handelshauses von 1926.1 Das Motiv der Familie taucht in den Quellen immer wieder auf. Bereits in der zweiten Nummer der Mitarbeiterzeitschrift „V.B. News“ von 1921 wurde die Gründungsgeschichte der Firma anhand der Biographie der beiden Firmengründer Salomon und Johann Georg Volkart erzählt.2 Die andauernde Präsenz des Familienmotivs in der Selbstdarstellung des Handelshauses ist insofern kein Zufall, als die Teilhaber bis auf wenige Ausnahmen stets aus den Winterthurer Kaufmannsfamilien Volkart und Reinhart stammten. Sie waren nicht nur die Besitzer des Unternehmens, sondern übten auch die operative Leitung aus. Die Firma Volkart war damit nicht nur eine Verschieberin von Waren, sondern auch ein sozialer Ort, der geprägt war durch die Besitzerfamilie; umgekehrt prägte der Firmenbesitz wiederum die Besitzerfamilie.3
Familienfirmen im modernen Kapitalismus Familienfirmen sind in den letzten Jahren vermehrt in das Blickfeld der Wirtschafts- und Unternehmensgeschichte gerückt. Lange Zeit waren diese Disziplinen durch die von Alfred Chandler vertretene These geprägt, dass Familienfirmen ein Kennzeichen der vorindustriellen Unternehmensorganisation seien und dass das Wirtschaftsleben seit Ende des 19. Jahrhunderts von managergeführten Aktiengesellschaften bestimmt werde.4 Diese These ist selbst für produzierende Unternehmen in dieser Absolutheit nicht haltbar, da bis heute verschiedene bedeutende Industrieunternehmen als Familienfirmen bezeichnet werden können – entweder, weil die Mehrheit der Firmenanteile im Besitz einer bestimmten Familie sind, oder weil die Besitzerfamilie darüber hinaus auch noch die strategische Leitung des Unternehmens ausübt.5 Noch viel weniger gilt die These für das Handelsgeschäft, wo
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Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 9. V.B. News, No. 2, April 1921, S. 1–4. Vgl. für diese gegenseitige Beeinflussung insbesondere Schäfer, Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, 2007, S. 15. Chandler, The Visible Hand, 1977; Scale and Scope, 2004 [1990]. Vgl. hierzu unter anderem Jones/Rose, Family Capitalism, 1993; Colli, The History of Family Business, 2003; James, Familienunternehmen in Europa, 2005; Landes, Die Macht der Familie, 2006.
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sich ein überaus großer Anteil auch der bedeutendsten Firmen bis zum heutigen Tag in Familienbesitz befindet.6 Der hohe Anteil von Familienbetrieben im Handelsgeschäft lässt sich mit den ökonomischen Besonderheiten dieser Sparte erklären. Zum einen hatten Handelsfirmen im Gegensatz zu Industrieunternehmen einen geringeren Bedarf an langfristigen Investitionen. So war es der Übergang zur großindustriellen Produktionsweise, welcher nach den 1870er Jahren in vielen Industrieunternehmen dazu führte, dass der Besitzer- und Familienkapitalismus an Boden verlor und durch die Form der Aktiengesellschaft ersetzt wurde. Die verwandtschaftlichen Netzwerke waren nicht mehr länger in der Lage, die Unternehmen mit den nötigen Geldmitteln zu versorgen, die diese für den Aufbau von industriellen Anlagen benötigten. Es waren in der Folge vor allem Kapitalmärkte und ein modernes Bankensystem, die die Gelder für die Investitionen im Industriesektor zur Verfügung stellten.7 Handelsfirmen benötigten dagegen weitaus weniger langfristige Investitionen. Zwar stieg auch im Handelsgeschäft der Kreditbedarf ab den 1870er Jahren massiv an, nachdem aufgrund der niedrigen Margen Skalenerträge immer wichtiger wurden. Doch die Handelsfirmen waren nicht darauf angewiesen, durch Ausgabe von Aktien fremdes Kapital aufzunehmen; sie konnten ihre gewaltigen Umsätze mittels kurzfristiger Bankkredite und durch Verpfändung ihrer Lagerbestände finanzieren.8 Zum anderen spielte die Generierung von Vertrauenskapital und die Sicherstellung von Kontinuität eine zentrale Rolle im globalen Handelsgeschäft. Nach Ansicht von Mark Casson waren Familienfirmen eine Unternehmensform, die sich gerade in einem geschäftlichen Umfeld mit unklarer Informationslage, volatilem Geschäftsgang und nicht restlos gesicherten Eigentumsrechten als besonders leistungsfähig erwiesen hat.9 Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sie gerade im Handelssektor derart präsent waren – und bis heute sind. Wie Harold James angemerkt hat, lag der Vorteil von Familienunternehmen darin, dass sie mit einem bestimmten Personenkreis assoziiert wurden, was für eine gewisse Kontinuitätsgarantie der geschäftlichen Beziehungen sorgte und so die Transaktionskosten senkte.10 Auch wenn verschiedene Handelsfirmen sich ab Beginn des 20. Jahrhunderts die Form einer Aktiengesellschaft gaben, blieben die Aktien meist in Besitz der Gründerfamilie und wurden nicht öffentlich gehandelt.11 Dies machte insofern Sinn, als das Handelsgeschäft sehr volatil und auf äußerste Diskretion angewiesen war. Aktionäre, die in Zeiten von Krisen und Ver6 Welche das genau sind und wie hoch dieser Anteil ist, kann aufgrund der nach wie vor äußerst lückenhaften Literatur zu Handelsfirmen nicht genauer spezifiziert werden. 7 Chandler, Scale and Scope, 2004 [1990]; Kocka, Unternehmer in der deutschen Industrialisierung, 1975; Kocka, Familie, Unternehmer und Kapitalismus, 1982. 8 Vgl. Kapitel 3. 9 Casson, The Family Firm, 2000, S. 204. 10 James, Familienunternehmen in Europa, 2005, S. 11 11 So z.B. Diethelm 1907, Ralli 1941.
Die Besitzerfamilie
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lusten ihre Anlagestrategie überdachten, hätten nur unnötige Unruhe in die Firma getragen.12 Die Besitzerfamilien hatten demgegenüber einen viel größeren Zeithorizont. Sie waren bereit, ihr Kapital langfristig zu investieren – aus Verbundenheit gegenüber der Tradition des familiären Unternehmens und weil sie darauf aus waren, dieses der nächsten Generation weiter zu vererben.13 Ab Ende des 19. Jahrhunderts prägten sich allerdings bei vielen großen Handelshäusern gewisse Merkmale aus, die laut Alfred Chandler und Jürgen Kocka typisch für moderne Unternehmen sind. In diesen erhielt das Management eine immer größere Bedeutung, da die Besitzerfamilie nicht mehr in der Lage war, die komplexer werdenden Arbeitsabläufe zu überwachen.14 Auch bei Volkart lässt sich aufgrund der Expansion der Geschäfte gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Übergang beobachten von einem mittelgroßen Handelshaus – in dem Geschäftsführung, Teilhaberschaft und Familienzugehörigkeit zusammenfielen – zu einem Großbetrieb, der zwar weiter durch die Besitzerfamilie kontrolliert wurde und in dem Mitglieder der Besitzerfamilie auch in der Leitung des Betriebes involviert waren, dessen alltägliche Geschäftstätigkeit aber weitgehend von einem leistungsfähigem Management übernommen wurde. Damit bildeten moderne Handelshäuser eine Organisationsstruktur aus, die von Chandler als entrepreneurial enterprise bezeichnet wurde. Ihre Geschäftsform zeichnete sich durch eine hybride Mischung aus Familienunternehmen und einer durch das Management geprägte Geschäftspraxis aus.15 Familienfirmen wurden von verschiedenen Forschern als Schnittmenge von zwei unterschiedlichen sozialen Systemen – Familie und wirtschaftlichem Unternehmen – beschrieben.16 Damit folgen sie der in Soziologie, Ökonomie und Wirtschaftsgeschichte lange Zeit vorherrschenden Ansicht, die Familie sei ein Gegenstück zum Markt, da sie primär von Tradition, Altruismus und gegenseitiger Solidarität geprägt sei. Im Stahlgehäuse des Kapitalismus (Max Weber) spielten dagegen angeblich einzig und allein nutzenmaximierendes Kalkül und an kurzfristigen Gewinnen ausgerichtete Rationalität eine Rolle.17 Eine absolute Trennung der beiden Sphären zeigt sich jedoch gerade für die Analyse von familiären Betrieben als unzureichend. Das Problem besteht nicht zuletzt darin, dass sich die wirtschaftlichen Akteure in ihrer All12 Interview mit Peter Zurschmiede, 2008. 13 Sluyterman/Winkelman, The Dutch Family Firm, 1993, S. 176. 14 Chandler, Scale and Scope, 2004 [1990]; Kocka, Unternehmer in der deutschen Industrialisierung, 1975; Kocka, Familie, Unternehmer und Kapitalismus, 1982. 15 Chandler, Visible Hand, 8f. Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch bei industriellen Familienunternehmen beobachten: Sluyterman/Winkelman, The Dutch Family Firm, 1993, S. 176; Epple, Gebr. Stollwercks Aufstieg zum Multinational, 2007. 16 So z.B. von Tagiuri/Davis, Bivalent Attributes of the Family Firm, 1996; Simon/Wimmer/ Groth, Mehr-Generationen-Familienunternehmen, 2005, S. 17 und 162. 17 Weber, Die protestantische Ethik, 1920 [2006]. Vgl. für eine Kritik an dieser Vorstellung. Carrier, Introduction, 1997, S. 18.
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tagspraxis nicht streng an den funktionalen Logiken bestimmter sozialer Subsysteme orientieren, sondern in ihren Handlungen die Grenzen dieser Systeme immer wieder überschreiten.18 Christina Lubinski hat in ihrer Untersuchung deutscher Familienunternehmen festgestellt, dass die Eigentümer in ihren Entscheidungen kaum einmal zwischen ökonomischer und familiärer Rationalität unterschieden. Auch waren diese Entscheidungen nicht immer kostenrational, sondern folgten häufig einer bounded rationality, die sich auf der Basis von Idealen, früheren Entscheidungen und zukünftigen Erwartungen herausbildete.19 Gerade bei Unternehmen, in denen die Besitzerfamilie einen großen Einfluss auf die geschäftliche Strategie ausübt, spielen Fragen der familiären und betrieblichen Tradition eine bedeutende Rolle; unternehmerische Entscheide weisen somit eine beträchtliche Pfadabhängigkeit auf. Aus diesem Grund hat Sylvia Junko Yanagisako vorgeschlagen, Familienbetriebe mit einer Kulturtheorie wirtschaftlichen Handelns zu untersuchen „that treats all social action – including capital accumulation, firm expansion, and diversification – as constituted by both deliberate, rational calculation and by sentiments and desires: in other words, as cultural practices.“20 Die Familie ist in einer solchen Sichtweise auch eine ökonomische Einheit, während der Betrieb als sozialer Ort erscheint, der nicht zuletzt durch Traditionen und Emotionen geprägt ist. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, war es gerade diese enge Koppelung von familiärer und unternehmerischer Sphäre, die eine Familienfirma wie Volkart zu einem derart zuverlässigen und leistungsfähigen Intermediär im globalen Handelsgeschäft werden ließ und es ihr erlaubte, mit anderen Handelshäusern – die oftmals ebenfalls in Familienbesitz waren – langfristige Geschäftsbeziehungen aufrecht zu erhalten.
Vom reinen Familienbetrieb zum Großunternehmen Bei der Gründung war die Firma Volkart primär eine Familienangelegenheit. Salomon Volkart betreute von Winterthur aus die Exporte von europäischen Konsumgütern nach Indien und kümmerte sich um den Vertrieb der indischen Rohstoffe in Europa. Dabei wurde er anfänglich nur von seiner Frau Emma unterstützt, die einen Teil der Büroarbeit erledigte. Salomons Bruder Johann Georg sorgte in Bombay für den Absatz der europäischen Importe und versuchte, Exportaufträge für indische Rohstoffe unter Dach und Fach zu bringen. Auch wenn die Firma bereits im Grün18 Yanagisako, Producing Culture and Capital, 2002, S. 5f. 19 Lubinski, Familienunternehmen, 2010. 20 Yanagisako, Producing Culture and Capital, 2002, S. 21. Dieser Ansatz kann sehr gut mit Max Webers Handlungstheorie verknüpft werden, wobei man allerdings von der bei Weber vorherrschenden Trennung zwischen wirtschaftlichen und nicht-wirtschaftlichen Zielen sozialer Handlungen absehen muss. Vgl. Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 1972 [1922], S. 1.
Die Besitzerfamilie
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dungsjahr in Bombay über zwei Angestellte verfügte, so lag die Verantwortung für die Geschäfte ausschließlich bei den beiden Brüdern.21 Diese hatten für ihre Firma die Form der Kollektivgesellschaft gewählt – eine für Handelsfirmen damals übliche Geschäftsform –, wodurch sie als Teilhaber mit ihrem Privatvermögen für allfällige Verluste des Unternehmens hafteten. Das Handelshaus Volkart wies damit eine ähnliche Geschäftsstruktur auf, wie sie auch in der Vormoderne für Handelsfirmen typisch gewesen war. Meist wurden Familienangehörige, die gleichzeitig Teilhaber der Firma waren, an Handelsplätze nach Übersee geschickt, um dort für die ordnungsgemäße Abwicklung der Geschäfte zu sorgen. Die gemeinsame Familienzugehörigkeit wurde dabei als Absicherung gegen betrügerisches Verhalten verwendet. Dies wurde nicht nur in europäischen Firmen so gehandhabt, sondern auch in amerikanischen und asiatischen Handelshäusern.22 Da die Zugehörigkeit zu einer Familie offensichtlich geeignet war, die Transaktionskosten im risikobehafteten Fernhandel zu senken, kam es auch immer wieder vor, dass Handlungsgehilfen oder Buchhalter in die Firma einheirateten und so zu Teilhabern wurden.23 Damit lösten die Inhaber der Firma zwei Probleme auf einmal: Sie regelten zum einen ihre geschäftliche Nachfolge, was in Familienbetrieben ein virulentes Problem war, und sicherten so den Fortbestand ihres Unternehmens in der nächsten Generation. Zum anderen sorgten sie dafür, dass ihre Töchter einen standesgemäßen Ehemann erhielten und materiell abgesichert waren. Private und geschäftliche Interessen waren in diesen Fällen weitgehend deckungsgleich. Mit der Expansion der Geschäfte und der Eröffnung neuer Filialen in verschiedenen südasiatischen Hafenstädten wurde klar, dass die beiden Volkart-Brüder ihre Firma nicht mehr alleine leiten konnten.24 In den 1850er und 1860er Jahren wurden nacheinander drei Angestellte zu Teilhabern ernannt. Sie verfügten jedoch bloß über eine nominelle Kapitalbeteiligung und hatten kaum Einfluss auf den Kurs des Unternehmens. Im Jahr 1857, nach der Eröffnung der Filialen in Cochin und Colombo wurde Henry L. Brodbeck, der seit 1852 bei Volkart in Bombay angestellt war, zum Teilhaber und Leiter der Geschäfte in Indien ernannt. Johann Georg Volkart, der zwischen 1854 und 1856 aus gesundheitlichen Gründen immer wieder für längere Zeit in Europa geweilt hatte, kehrte daraufhin nach Winterthur zurück. Doch aus dem geplanten Ruhestand in der Schweiz wurde nichts. 1859 verstarb Brodbeck und Johann Georg Volkart musste nach Indien zurückkehren, um dort erneut die Leitung der Geschäfte übernehmen. 1861, kurz bevor er Indien zum zweiten Mal verlassen konnte, 21 Vgl. Kapitel 1. 22 Killick, The Cotton Operations of Alexander Brown and Sons, 1977, S. 169f.; Markovits, The Global World of Indian Merchants, 2000; Gorißen, Der Preis des Vertrauens, 2003. 23 Gorißen, Der Preis des Vertrauens, 2003, S. 97. 24 Vgl. für die Entwicklung der Teilhaberschaften bei Volkart bis in die 1870er Jahre: Anderegg, Chronicle, 1976, S. 65, 70, 78–85; VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber.
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starb Johann Georg Volkart im Alter von 36 Jahren. Wie Brodbeck wurde wohl auch er ein Opfer des für Europäer ungewohnten tropischen Klimas. Salomon Volkart ernannte daraufhin 1863 Rudolph Ahlers zum Teilhaber, den bisherigen Leiter der Filiale in Colombo. Der Firmengründer entschloss sich zu diesem Schritt einerseits, weil die Firma sonst im Falle seines Todes ohne Führung dagestanden wäre, und andererseits, weil er wohl einem Teilhaber eher als einem bloßen Angestellten zutraute, die Geschäfte in Indien und Ceylon verantwortungsbewusst zu leiten. Dies dürfte auch der Grund gewesen sein, dass Salomon Volkart erneut einen Angestellten aus Indien zum Teilhaber erhob, als Ahlers 1866 nach Europa zurückkehrte. Nun wurde Albert E. Denso, der Leiter der Filiale in Karachi, zum Teilhaber ernannt. Doch auch diese Partnerschaft war nur von kurzer Dauer: 1868 musste Denso aus familiären Gründen Indien verlassen. Er trat deshalb 1869 als Teilhaber der Gesamtfirma zurück, blieb aber noch bis 1871 an der Filiale in Karachi beteiligt. Die weiteren Teilhaber während der ersten Jahrzehnte des Bestehens der Firma waren meist durch eine familiäre Beziehung mit der Familie Volkart verbunden. 1871 wurde mit Johann G. Sigg, einem Neffen Salomon Volkarts, erneut ein Mitglied der Gründerfamilie zum Teilhaber ernannt. Sigg war in den späten 1850er Jahren in die Firma eingetreten. Er hatte längere Zeit für Volkart in Indien gearbeitet und war ab 1865 als rechte Hand von Salomon Volkart in Winterthur tätig gewesen.25 1875 wurde Salomon Volkarts Sohn Georg Gottfried Teilhaber der Firma. Er war zuvor in Winterthur und London für die Tätigkeit im väterlichen Betrieb ausgebildet worden und hatte 1875 einige Monate in Indien und Ceylon verbracht. Im selben Jahr trat auch Theodor Reinhart in die Firma Volkart ein. Nachdem er einen Doktortitel in Rechtswissenschaft erworben hatte, war Reinhart bis 1874 für Geilinger & Blum, die Handelsfirma seines Vaters Johann Caspar Reinhart, in Le Havre, London, New York und New Orleans tätig gewesen. 1876 heiratete er Lilly Volkart, die Tochter von Salomon Volkart. 1879 wurde er zum Teilhaber ernannt. Im selben Jahr trat Johann G. Sigg von der Teilhaberschaft der Firma zurück und gründete ein eigenes Handelshaus, welches ebenfalls im Import- und Exportgeschäften zwischen Indien und Europa tätig war. 1880 wurde August F. Ammann, der seit 1868 als Angestellter bei Volkart tätig gewesen war, zum Teilhaber ernannt; ein Jahr später heiratete er Emma Volkart, eine weitere Tochter von Salomon Volkart. Damit wurde seine Teilhaberschaft ebenfalls durch das Band der Familie bestärkt – ein Band, das jedoch schon zuvor bestanden hatte: 1876 hatte Georg Gottfried Volkart Molly Luise Ammann geheiratet, die Schwester von August F. Ammann.26 Und bereits 1867 hatte Lilly Schönemann, die Witwe von Johann Georg Volkart, in zweiter Ehe Gottfried Ferdinand Ammann ge-
25 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 104f. 26 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 137–140.
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Die Besitzerfamilie
Salomon VOLKART (1816-1893) ∞ Emma Sultzberger
Johann Georg VOLKART (1825-1861) ∞ Lilly Schönemann
| August Ferdinand Ammann (1850-1924)
Molly Louise ∞ (1852-1901)
Georg Gottfried (1850-1928)
Emma (1852-1936)
Lilly Robert (1855-1916)
∞
Anna
Martha
∞ Theodor REINHART (1849-1919)
Georg (1877-1955)
Hans (1880-1963)
Werner (1884-1951)
Oskar (1885-1965)
Emma (1890-1966)
∞ Olga Schwarzenbach (1881-1970)
Verena (1905-1973) ∞ Ernst Hafter (1909-1998)
Charlotte (*1940)
Peter (1907-1988) ∞ Marcelle Bühler (1913-2002)
George (1942-199)
Ursula (1910-2000) ∞ Hermann Dubs (1895-1969)
Balthasar (1916-2005) ∞ Nanni Schinz
Andreas (*1944)
Tabelle44 : Stammbaum Stammbaum der Familien Volkart und Reinhart VA,1,Dossier 1, A) Die Familie Tabelle der Familien Volkart und Reinhart (Quellen:(Quellen: VA, Dossier A) Die Familie und ihre und ihre Dossier Gründer; Dossier 2: DieII;Teilhaber II; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart 1990, S. 46; Gründer; 2: Die Teilhaber Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart 1990, S. 46; www.winterthurglossar.ch) www.winterthur-glossar.ch)
heiratet, August F. Ammanns Vater.27 Am Firmenkapital, das 1883 sechs Millionen Schweizer Franken betrug – nachdem es 1875 erst 3,5 Millionen betragen hatte –, hielt Salomon Volkart einen Anteil von 2,5 Millionen, Georg Gottfried Volkart 1,5 Millionen und Theodor Reinhart und August F. Ammann je eine Million.28 Nur noch einmal, nach dem Rücktritt August F. Ammanns, wurde ein Angestellter der Firma zum Teilhaber ernannt, der nicht in einer verwandtschaftlichen Beziehung zu den Familien Volkart oder Reinhart stand. 1894 wurde Jakob SteinerPrior, der seit den 1860er Jahren für Volkart in Indien gearbeitet hatte, zum Teilhaber gemacht.29 1912 zog er sich aus der Firmenleitung zurück. Im selben Jahr trat auch Georg Gottfried Volkart, der Sohn von Salomon Volkart, als Teilhaber zurück. 27 VA, Dossier 1, A) Die Familie und ihre Gründer; Dossier 2, Die Teilhaber II: August Julius Ferdinand Ammann, Partner 1880–1894. 28 Die Gewinne teilten sich die vier Teilhaber folgendermaßen: Salomon Volkart 25%, Georg Gottfried Volkart 30%, Theodor Reinhart und August F. Ammann je 22,5%: Anderegg, Chronicle, 1976, S. 141. 29 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 192f.
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Da Johann Georg Volkart 1861 kinderlos verstarb und auch die Söhne von Georg Gottfried Volkart früh verschieden waren, trug fortan keiner der Teilhaber mehr den Nachnamen der Firmengründer. Das Unternehmen befand sich von nun an vollständig im Besitz der Familie Reinhart.30
Eine hybride Mischung aus Familienfirma und managergeprägtem Betrieb Während in den ersten Jahrzehnten nach der Firmengründung immer wieder leitende Mitarbeiter zu Teilhabern gemacht worden waren, erfolgte bei Volkart Ende des 19. Jahrhunderts eine eindeutige Trennung zwischen Teilhabern und Managern. Aufgrund der verbesserten Transport- und Kommunikationsmittel war es für die Eigner der Firma nicht mehr nötig, ständig einen Teilhaber in Indien stationiert zu haben, um die Geschäfte zu kontrollieren. Die Teilhaber konnten sich darauf beschränken, ihre Filialen durch gelegentliche Kontrollbesuche zu überwachen und ansonsten die Leitung der Geschäfte ihren Angestellten in Übersee zu überlassen. Auch in Europa zogen sich die Teilhaber nach dem Ersten Weltkrieg vermehrt aus dem Geschäftsalltag zurück. So war es bis dahin üblich gewesen, dass sie ihren wichtigsten Kunden regelmäßige Besuche abstatten. Aufgrund des gestiegenen Geschäftsumfangs und der Komplexität vieler Geschäfte wurden diese Besuche ab 1920 vor allem durch die leitenden Angestellten der Firma absolviert.31 Auch wenn die Manager von nun an keine Hoffnung mehr haben konnten, zu Teilhabern zu werden – Theodor Reinhart hatte die Maxime aufgestellt, dass die Firma nur noch Familienmitglieder als Teilhaber aufnehmen solle32 – so waren sie dennoch für die weitere Entwicklung von Volkart wichtig, in einigen Fällen besetzten sie gar eigentliche Schlüsselpositionen. Dies hatte nicht zuletzt damit zu tun, dass der Rohstoffhandel Ende des 19. Jahrhunderts immer hektischer und komplexer wurde.33 Die Mitglieder der Besitzerfamilie konnten in einer Firma wie Volkart die Geschäfte unmöglich ohne die Hilfe von hoch qualifizierten Angestellten führen. So war etwa Ernst Müller-Renner, der von 1888 bis 1895 Leiter von Volkart Bombay war und ab 1895 die Leitung der Baumwollabteilung innehatte und die Generalprokura für sämtliche Niederlassungen der Firma besaß, wesentlich für die erfolgreiche Entwicklung 30 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 80. 31 VA, Protokolle der Dienstag Konferenzen vom 8. Juni 1920-Okt. 1928: Konferenz vom 28. September 1920. 32 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 3. 33 Vgl. hierzu Kapitel 2 und 3.
Die Besitzerfamilie
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des Baumwollgeschäftes verantwortlich.34 Seine hervorragende Stellung innerhalb der Firma lässt sich auch daran ablesen, dass er der einzige Nichtteilhaber war, der in der Jubiläumsschrift von 1926 mit einem persönlichen Porträt gewürdigt wurde; damit wurde er symbolisch auf die selbe Stufe wie die Firmeninhaber gestellt.35 Auch seine Beziehung mit den Teilhabern ging über das Geschäftliche hinaus. So betonte etwa Georg Reinhart in seinen Lebenserinnerungen sein gutes Verhältnis zu MüllerRenner und fügte an, dass er Pate von dessen Tochter gewesen sei.36 Da die Leiter der einzelnen Abteilungen für den Geschäftserfolg der Firma unverzichtbar geworden waren, bildeten sie zusammen mit den Teilhabern die Geschäftsleitung der Firma. Das letzte Wort in Bezug auf strategische Entscheide hatte jedoch die Partners’ Conference, die in der Regel einmal pro Woche stattfand und an der Belange diskutiert wurden, welche die Kompetenz der Geschäftsleitung überschritten.37 Damit blieb die strategische Leitung des Unternehmens fest in der Hand der Besitzerfamilie. Dennoch war Volkart keine Familienfirma klassischen Typs mehr, bei der der Besitz in Familienhand lag und die Geschäfte vorwiegend von Mitgliedern der Besitzerfamilie durchgeführt wurden. Ende des 19. Jahrhunderts war die Firma zu einem Großunternehmen geworden, dessen Organisationsform eine hybride Mischform zwischen Familienfirma und managergeführtem Unternehmen darstellte.38 Volkart bildete somit eine Geschäftsstruktur aus, die geradezu typisch war für neuzeitliche Handelsfirmen. Wie Geoffrey Jones festgestellt hat, wurden auch in britischen Handelsfirmen die Entscheide oft sehr zentralistisch innerhalb der Geschäftsleitung oder der besitzenden Familie gefällt. Die leitenden Angestellten hatten jedoch auch in diesen Firmen eine wichtige Funktion. Ihre jahrzehntelange Sozialisation im Unternehmen führte zu einer engen Verbundenheit mit dem Betrieb. Diese Organisationsform war derart effizient und robust, dass sie in vielen Fällen bis weit ins 20. Jahrhundert hinein Bestand hatte.39
Kontinuität im Mannesstamm und die Verlockungen der Kunst Ein grundsätzliches Problem von Familienfirmen bestand in der Nachfolgeregelung.40 Die Teilhaber mussten stets darum besorgt sein, dass auch in der jeweils kommenden 34 35 36 37 38
V.B. News, No. 14, June 1926, S. 31. Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 23. Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 47. VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 4. Juni 1946. Vgl. für eine ähnliche Entwicklung bei holländischen Industriefirmen wie Shell, Unilever, Philips: Sluyterman/Winkelman, The Dutch Family Firm, 1993, S. 176. 39 Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 195f. Vgl. Kapitel 6. 40 Berghoff, Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik. 1997.
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Generation ein Familienmitglied die Leitung der Firma übernehmen konnte. 1921 gab Georg Reinhart in seinem geschäftlichen Testament der Hoffnung Ausdruck, dass dereinst seine Söhne Peter und Balthasar, sie waren zu diesem Zeitpunkt vier und dreizehn Jahre alt, die Tradition weiterführen und das Unternehmen auch in der vierten Generation als Familienbetrieb leiten würden, „immer natürlich unter der Voraussetzung, dass es Peters und später Balthasar’s freier Wille ist, diesen Beruf zu ergreifen“, wie Georg Reinhart anmerkte. Und er fuhr fort: „Wie ich hoffe, besitzen auch meine Söhne diesen Sinn der Verantwortung und der Dankbarkeit gegenüber dem Werk unserer Väter, das sie uns zur pflichtgetreuen Weiterführung übermacht haben.“41 Dieses Zitat zeigt, dass das Selbstverständnis von Unternehmerfamilien zu dieser Zeit in erster Linie auf der Vorstellung einer generationenübergreifenden männlichen Gemeinschaft beruhte. Töchter und Ehefrauen wurden demgegenüber nie als mögliche Kandidatinnen für die Leitung der Firma in Betracht gezogen. So schien es auch für Georg Reinhart selbstverständlich, dass seine beiden Töchter Verena und Ursula nicht für eine Teilhaberschaft in Frage kamen. Deshalb war es von zentraler Bedeutung, dass in der Unternehmensführung eine Kontinuität im Mannesstamm gewährleistet war. Die Ehefrauen und Töchter der Firmenbesitzer, aber auch die nicht an der Unternehmensleitung beteiligten Söhne gehörten somit nur am Rande zur betriebsfamiliären Gemeinschaft.42 Im Gegensatz zu vielen anderen Familienfirmen, gab es bei Volkart nie das Problem, dass keine Teilhaber aus dem Kreis der Familie gefunden werden konnten; stets waren einige der Söhne bereit, die geschäftliche Nachfolge ihrer Väter anzutreten. So konnte Georg Reinhart 1931 beruhigt konstatieren, dass sein Sohn Peter schon bald eine Reise nach Indien antreten würde, „um in die Fußstapfen seines Vaters, Großvaters und Urgroßvaters zu treten und der Firma zu dienen, für die wir alle unsere Lebensarbeit geleistet haben.“43 Dass dies nicht selbstverständlich war, lässt sich daran ablesen, dass sowohl Georg Reinhart wie auch seine drei Brüder ein eher geringes Interesse am Kaufmannsberuf hatten. Für sie bestand damit weniger ein Gegensatz zwischen familiärer und geschäftlicher Sphäre als vielmehr ein Zwiespalt zwischen ihren individuellen Lebenszielen und den Anforderungen des Familienbetriebs. Georg Reinhart berichtet in seinen Lebenserinnerungen, dass er längere Zeit damit geliebäugelt habe, Maler zu werden. Sein Vater, Theodor Reinhart, habe ihn dann überzeugen können „die sichere Erwerbstätigkeit im väterlichen Geschäft zu ergreifen und meinen künstlerischen Neigungen im Malen und Zeichnen nur als Dilettant in meinen Mußestunden nachzugehen.“ Doch noch lange danach plagte sich Georg Reinhart mit Zweifeln darüber, ob er nicht vielleicht zu rasch nachgegeben hatte. 41 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Geschäftliches Testament mit Beilagen 1921– 1925: GR, Geschäftliches Testament, 22. April, 1921. 42 Schäfer, Familienunternehmen und Unternehmerfamilien, 2007, S. 162 und 225. 43 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 432.
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Abb. 8 Theodor Reinhart (sitzend, 2. v.l.), seine Frau Lilly, geborene Volkart, und die vier Söhne (hinten v.l.n.r.) Oskar, Georg, Werner und Hans, sowie die Tochter Emma (VA, Dossier 101: Photos Partners)
Erst im Alter von vierzig Jahren gab er den Gedanken, Künstler zu werden, endgültig auf.44 Wie seine Brüder und sein Vater pflegte Georg Reinhart jedoch zeitlebens enge Kontakte zu Künstlern und Schriftstellern, die er auch finanziell unterstützte.45 Georg Reinharts Bruder Werner, der fast vierzig Jahre lang als aktiver Teilhaber den Kurs des Handelshauses mitbestimmte, hätte sich ebenfalls weit lieber auf künstlerischem Gebiet betätigt. So hielt ein leitender Mitarbeiter 1951 an der Abdankungsfeier für Werner Reinhart fest, der Kaufmannsberuf habe „wohl nicht … dem eigenen Wunsch und der Veranlagung“ des Verstorbenen entsprochen. „Er betrachtete es aber als bindende Verpflichtung gegenüber dem von Großeltern und Eltern geschaffenen und übernommenen Werk.“ Er sei deshalb aus Pflichtbewusstsein und aus Verbundenheit mit „der mit dem Namen Volkart verbundenen Arbeitsge-
44 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 36f. 45 Einer der Künstler, die von Theodor Reinhart gefördert wurden, war der Maler Karl Hofer. Er unternahm unter anderem zwei Indienreisen, auf denen er mit Georg, Werner und Oskar Reinhart zusammen traf. Seine eindrücklichen Reiseschilderungen finden sich in Hofer, Erinnerungen eines Malers, 1953. Einer der prominentesten Künstler, die von Georg Reinhart unterstützt wurden, war Hermann Hesse; vgl. hierzu Hesse, Der schwarze König, 1956.
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meinschaft“ auf seinem Posten geblieben.46 Auch Werner Reinhart förderte jedoch zeitlebens Künstler und insbesondere Musiker. In seiner Villa, die nach seinem Tod dem Konservatorium Winterthur vermacht wurde, gingen Schriftsteller wie Charles Ferdinand Ramuz, Hermann Hesse und Rainer Maria Rilke, Komponisten wie Igor Stravinski, Othmar Schoeck und Arthur Honegger, der Maler René Auberjonais, die Pianistin Clara Haskil und die Dirigenten Victor Desarzens und Ernest Ansermet ein und aus.47 Oskar Reinhart, der jüngste Sohn Theodor Reinharts, wurde nach einer kaufmännischen Ausbildung in Neuenburg sowie Aufenthalten in Paris, London, New York und in Indien 1912 aktiver Teilhaber bei Volkart. 1924 trat er von dieser Funktion zurück, blieb jedoch bis 1940 stiller Teilhaber. Er widmete sich in der Folge der Förderung der Kultur und vor allem seiner Kunstsammlung, die nach seinem Tod 1965 der Schweizerischen Eidgenossenschaft vermacht wurde und heute als Sammlung Oskar Reinhart Am Römerholz als eine der bedeutendsten Privatsammlungen der Welt gilt. Hans Reinhart schließlich, nach Georg der zweitälteste Sohn Theodor Reinharts, arbeitete nie für den familiären Betrieb. Er war als Dichter, Dramatiker und Journalist tätig und stiftete aus dem Anteil, den er aus dem Vermögen seines Vaters erhalten hatte, 1957 den Hans-Reinhart-Ring, die höchste Auszeichnung im Theaterleben der Schweiz.48 Die enge Verbindung zwischen Kunst und Kommerz zeigt, dass zumindest die Söhne von Theodor Reinhart weniger den Typus der eindimensionalen Unternehmerpersönlichkeit verkörperten – wie dies bei anderen Unternehmern dieser Zeit der Fall war, etwa bei August Thyssen49 – sondern um vielschichtige Persönlichkeiten von fast Buddenbrook’scher Zerrissenheit, die das gesamte Spektrum des „bürgerlichen Wertehimmels“50 zu ermessen suchten und dabei oft ihre persönlichen Interessen hinter den betrieblichen Imperativ stellen mussten. Auch wenn verschiedene Familienmitglieder den Kaufmannsberuf eher widerwillig ergriffen, so war die Verbundenheit mit dem familiären Betrieb letzten Endes doch groß genug, sie zu motivieren, in diesem tätig zu sein. Es war dabei sicherlich ein glücklicher Zufall, dass verschiedene Teilhaber kinderlos blieben und einige der potentiellen Stammhalter ihre Zukunft eher im künstlerischen als im kaufmännischen Bereich sahen. So gab es zumindest nie einen Konkurrenzkampf um die Übernahme der Firmenleitung. Wenn sich die Söhne eines Teilhabers für die Tätigkeit in der Firma entschieden hatten, wurden sie gezielt auf ihre künftige Tätigkeit vorbereitet. Nach Vollendung der obligatorischen Schulzeit absolvierten sie zuerst eine Ausbildung im Stammhaus in Winterthur, wo sie die verschiedenen Abteilungen 46 47 48 49 50
Wachter, Nachruf im Namen der Arbeitsgemeinschaft der Firma Gebrüder Volkart, o.J. [1951]. Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 49 und 53f. Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 55. Lesczenski, August Thyssen, 2008. Hettling/Hoffmann, Der bürgerliche Wertehimmel, 1997.
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des Handelshauses kennen lernten. Dann folgte meist eine Weiterbildung in der Volkart-Niederlassung in London sowie kürzere Aufenthalte in den Firmen von befreundeten Bankiers und Spediteuren, bevor die Ausbildung durch einen längeren Aufenthalt in den asiatischen Niederlassungen abgeschlossen wurde. Die kommenden Teilhaber lernten dadurch sowohl die Grundlagen der Buchhaltung und der Finanzierung des Handels als auch die Eigenschaften der von Volkart gehandelten Produkte kennen, und sie erhielten einen Einblick in die Geschäftsusanzen in den unterschiedlichen Erdteilen. Darüber hinaus lernten sie die Mitarbeiter in den verschiedenen Filialen kennen und konnten die Bekanntschaft von Kunden und Geschäftsfreunden machen, bevor sie schließlich an der Leitung des Unternehmens beteiligt wurden.51 Da die Söhne der Firmenbesitzer nach Ende ihrer Ausbildung zu Teilhabern ernannt wurden, lag es im Interesse der Firma, dass sich die Teilhaber standesgemäß verheirateten. Dies wurde zwar nirgends formell festgehalten, inoffiziell bestand aber sehr wohl ein gewisser Druck, bei der Wahl der Gattin das Wohl der Firma im Auge zu behalten. Georg Reinhart etwa zeigte sich davon überzeugt, „dass ein Partner von V.B. selber das Gefühl haben sollte, wie die Frau beschaffen sein und aus welchem Milieu sie stammen soll um Gewähr für eine gute und solide Ehe und für eine richtige Erziehung künftiger Teilhaber der Firma zu bieten.“52 Er selbst erfuhr dies am eigenen Leib, als er während seiner Lehrzeit in England eine junge Frau aus Schweden kennen gelernt hatte. Darauf hin erfolgte eine nicht weiter spezifizierte Warnung seines Vaters. Reinhart befolgte diese, so dass er später in seinen Lebenserinnerungen beruhigt festhalten konnte: „es ist kein Unglück passiert!“53 Es war also alles andere als ein Zufall, dass die Söhne der Volkart-Teilhaber in der Regel Töchter aus angesehenen bürgerlichen Familien heirateten. Nicht wenige Ehen wurden innerhalb der lokalen Kaufmannsschicht geschlossen. Dies begann mit der Ehe zwischen Salomon Volkart und Emma Sultzberger, welche die Tocher eines Winterthurer Kaufmannes und Stadtrates war, und setzte sich fort mit den verschiedenen weiter oben beschriebenen Eheschließungen zwischen Angehörigen der Familien Volkart, Ammann und Reinhart.54 Auch die 1904 geschlossene Ehe zwischen Georg Reinhart und Olga Schwarzenbach, der Tochter eines erfolgreichen Seidenhändlers 51 SSW, Nachlass Theodor Reinhart, Ms Sch 84 (Briefe von A – G. Reinhart an Theodor Reinhart)/56: Georg Reinhart an Theodor Reinhart, 1894–1911 und Ms Sch 84 (Briefe von A – G. Reinhart an Theodor Reinhart)/ 60: Georg Reinhart an Theodor Reinhart, 1899–1901; Nachlass Werner Reinhart, Dep MK 397/5: Werner Reinhart an Theodor und Lilly ReinhartVolkart. 52 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 5. 53 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 63. 54 VA, Dossier 2: Die Teilhaber II.
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aus Thalwil, war durchaus standesgemäß. Dennoch musste sich Reinhart einem längeren „Verhör“ durch Robert Schwarzenbach senior unterziehen, bevor dieser seine Einwilligung zur Heirat gab.55 Die Heiraten zwischen den Kindern dieser verschiedenen Kaufmannsdynastien führten jedoch nicht dazu, dass die jeweiligen Firmen in der Folge miteinander kooperiert bzw. dass sich die geschäftlichen Beziehungen intensiviert hätten. So vertraten Geilinger & Blum die Firma Volkart seit den 1850er Jahren in Süddeutschland und der Schweiz.56 Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich die Beziehung der beiden Firmen durch die Heirat zwischen Theodor Reinhart und Lilly Volkart veränderte. Und die Firmen Volkart und Schwarzenbach machten trotz der Verehelichung von Georg Reinhart mit Olga Schwarzenbach nie Geschäfte miteinander. Daraus folgt, dass diese Heiraten wohl kaum aus der strategischen Überlegung heraus geschlossen wurden, Geschäftsbeziehungen zu stabilisieren – wie dies noch bis Mitte des 19. Jahrhunderts in Kaufmannskreisen üblich gewesen war –, sondern dass sie primär den Zweck hatten, die Kontinuität der Besitzerfamilie zu sichern.57
Trotz Blutbande keine bloße Harmonie Das Modell der Familienfirma führte keineswegs dazu, dass zwischen allen Beteiligten immer währende Harmonie herrschte.58 Wiederholt kam es innerhalb der Firmenleitung zu Reibereien. Georg Reinhart etwa berichtete in seinen Memoiren von den ernsten Zerwürfnissen zwischen seinem Vater Theodor Reinhart und seinem Onkel Georg Gottfried Volkart: „Die Beiden waren sehr verschiedene Naturen, und so kam es häufig zu Meinungsverschiedenheiten in geschäftlichen Dingen, die schließlich zu einer solchen Spannung führten, dass eine Auflösung der Teilhaberschaft bevorstand, wodurch die Firma liquidiert worden wäre und an ihre Stelle zwei Konkurrenzfirmen getreten wären.“ Der Riss konnte vermieden werden, doch die Unstimmigkeiten, waren erst zu Ende, als sich Georg Gottfried Volkart 1908 ins Privatleben zurückzog.59 Derartige Streitigkeiten zwischen den Teilhabern waren eine stete Gefahr für Kollektivgesellschaften. Aus diesem Grund wurde im Societätsvertrag festgehalten, dass für den Fall, dass ein Teilhaber starb oder aus der Firma austrat, die offenen und stillen Reserven im Besitz der Firma verblieben. Auch konnte kein Teilhaber allein 55 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 85ff. 56 VA, Dossier 1: B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch: 9.1.1867– 25.8.1870: 23.4.1871, Sal. Volkart an Hr. Scheuermann. 57 Generell scheint es, dass ab Ende des 19. Jahrhunderts arrangierte Ehen bzw. Ehen innerhalb der weiteren Verwandtschaft in europäischen Unternehmenskreisen immer seltener wurden: James, Familienunternehmen in Europa, 2005, S. 21. 58 Eine ähnliche Beobachtung hat Claude Markovits für indische Familienunternehmen gemacht: Markovits, The Global World of Indian Merchants, 2000, S. 261. 59 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 76f.
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die Liquidation der Firma verlangen. „Die Firma wird also bei einem Partnerwechsel weniger geschwächt, als es sonst der Fall wäre und damit ist für eine lange Fortdauer der Societät gesorgt“, meinte Georg Reinhart zu diesem zentralen Passus im Societätsvertrag.60 Die Ernennung Georg Reinharts zum Teilhaber, die schließlich 1904 erfolgte, wurde ebenfalls von einigen firmen- bzw. familieninternen Turbulenzen begleitet. Sie hatte sich monatelang hingezogen, da Georg Gottfried Volkart seine Einwilligung verweigerte.61 Auch nach dessen Ausscheiden aus dem Betrieb kehrte in die Firma keine Ruhe ein. Georg Reinhart etwa bekannte, dass er und seine Brüder der angeblichen Maxime einer Familienfirma „‚to deal with one another in close friendship and with kindness‘ nicht immer nachgelebt“ hätten, und er beklagte „das zeitweilig gespannte Verhältnis zwischen meinen Brüdern und mir“.62 Besonders das Verhältnis zu seinem Bruder Werner, mit dem zusammen er ab 1924 das Unternehmen leitete, war längere Zeit äußerst angespannt. Dies sei es, so Georg Reinhart, „was mir die Freude an der Arbeit nimmt, meine Gesundheit angreift und die zwischen Brüdern und Teilhabern wünschenswerte Harmonie zerstört.“63 Unter anderem die Frage, ob die 1924 eröffnete Filiale in Singapur, die während Jahren tiefrote Zahlen schrieb, wieder geschlossen werden sollte, entspann sich ein ernster Disput. Erst als Georg Reinhart seinem Bruder 1929 mitteilte, dass er aufgrund dieser Spannungen seit mehreren Jahren an nervösen Herzstörungen leide und ihn bat, wenn schon nicht aus sachlichen Motiven, so doch aus menschlichen Gründen einzulenken, gab Werner Reinhart nach und die Filiale wurde Anfang 1930 geschlossen.64 Trotz der angesprochenen Differenzen war Georg Reinhart ein überzeugter Verfechter der Idee, dass nur Familienmitglieder zu Teilhabern gemacht werden sollten: „Bei Meinungsverschiedenheiten bilden Blutbande eine Sicherung gegen öffentlichen Streit.“65 Ein wesentlicher Vorteil der innerhalb der Familie weiter gegebenen 60 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 6f. 61 SSW, Nachlass Theodor Reinhart, Ms Sch 84 (Briefe von A – G. Reinhart an Theodor Reinhart)/61: Georg Reinhart an Theodor Reinhart, 1902–1903. 62 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 2. 63 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Aufgabe des Rubbergeschäftes und Liquidation von Singapore 1929, GR, Memorandum I, 23. Juli 1929, S. 18. 64 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Aufgabe des Rubbergeschäftes und Liquidation von Singapore 1929: Brief von Georg Reinhart an Werner Reinhart, 9. September 1929 und Notiz von GR, 12.9.29, 9.30 am. 65 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 3.
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Teilhaberschaft lag seiner Ansicht nach darin, dass so die Kontinuität der Firma auch in Zeiten wirtschaftlicher Krisen und Ungewissheit sicher gestellt werden könne: „Selbst bei vorübergehenden Meinungsverschiedenheiten, ja sogar Streitigkeiten bildet die Familienzusammengehörigkeit und die Rücksicht auf die Ehre des gemeinsamen Familiennamens einen festen Kitt, der die Teilhaber über schwierige Momente zusammenhält. Bei fremden Elementen dagegen liegt die Gefahr nahe, dass sie um eines persönlichen resp. momentanen Vorteils willen Handlungen begehen, die wir, als seit Generationen mit der Firma verknüpft, nicht tun würden.“66
Evolutionäres Wachstum und die Kontrolle der Mitarbeiter Gemäß Evolutionsökonomie können die Entscheide eines Unternehmens wesentlich durch seine Organisationsform beeinflusst werden.67 Die Tatsache, dass ein Unternehmen in der Hand einer bestimmten Familie ist und von dieser gelenkt wird, kann demzufolge dessen Strategie mit bestimmen.68 Dies sah auch Georg Reinhart so: „Die grossen Richtlinien einer Geschäftspolitik auf lange Sicht in einem Familiengeschäft wie dem unsrigen basieren auf einer Tradition und sollen auf evolutionärem Wege und nach vorsichtigen, tastenden Versuchen geändert werden“,69 hielt er im Jahre 1939 fest. Bereits fünfzehn Jahre zuvor hatte er seine etwaigen Nachfolger in seinem geschäftlichen Testament gebeten, Änderungen an der Organisationsform der Firma nur sehr vorsichtig vorzunehmen: „Unsere Firma ist ein lebender Organismus, vergleichbar einem Baume, der seinen bestimmten Standort hat, seine Wurzeln treibt, neue Schosse ausspendet, dürre Äste abwirft und von dem auch Ableger ein eigenes Leben führen können, der aber schweren Schaden erlitte, wenn man ihn seinem Element entreissen oder an seinem Stamme eingreifende Operationen vornehmen würde. Änderungen am Bestand unserer Geschäftsorganisation ... sollten daher nur auf evolutionärem Weg und nach tastenden Versuchen vorgenommen werden und erst, wenn die Verhältnisse uns dazu zwingen, nicht aber auf revolutionärem Wege und aus theoretischen und abstracten Überlegungen.“70 Die hier verwendete Naturmetapher zeigt, dass Georg Reinhart die Firmenleiter nicht als allmächtige Unternehmer ansah, sondern als Teil einer organischen Einheit, 66 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Geschäftliches Testament mit Beilagen 1921– 1925, GR, Geschäftliches Testament, 22. April 1921 67 Nelson, Evolutionary Theorising about Economic Change, 1994. 68 Colli, The History of Family Business, 2003, S. 24. 69 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 17. 70 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Geschäftliches Testament mit Beilagen 1921– 1925: GR, Gedanken zum Societätsvertrag der Firma, 5. Dezember 1924.
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auf deren Eigenheiten sie Rücksicht nehmen mussten. Sein Bruder Werner dagegen plädierte für eine weit offensivere Geschäftsstrategie. Als Folge davon kam es in der Zwischenkriegszeit zwischen den beiden Brüdern zu einem jahrelangen Disput über den geschäftlichen Kurs des Handelshauses. So vertrat Georg Reinhart Ende der 1920er dezidiert die Ansicht, dass die Firma in der Boomzeit des Welthandels zwischen 1915 und 1925 zu rasch expandiert habe. Tatsächlich hatte Volkart in dieser Zeit neue Filialen und Tochtergesellschaften in Osaka, Shanghai, Bremen, New York, Kalkutta und Singapur gegründet, sowie in Indien ein Departement für den Maschinenimport eröffnet. Diese rasante Expansionspolitik steht in auffälligem Widerspruch zu Mark Cassons Ansicht, dass Familienfirmen in Phasen des Booms eher langsam expandieren würden, dafür aber in Krisenzeiten von ihrer vorsichtigen Strategie profitieren könnten.71 Nachdem der Welthandel ab Mitte der zwanziger Jahre immer mehr in die Krise geriet, erwirtschaftete Volkart jedes Jahr Verluste in Millionenhöhe. „Wir sind, wie so viele andere, in der Boomzeit der Versuchung erlegen, uns auszudehnen, statt uns auf den mit Sicherheit zu erwartenden Rückschlag des Pendels vorzubereiten“, meinte Georg Reinhart hierzu. So habe man sich einen Apparat aufgeladen, der nach dem Ende des Nachkriegsbooms „unvermeidlich zu Verlusten führen musste“.72 Er machte für die kritische Situation, in der sich Volkart Ende der 1920er Jahre befand, seinen Bruder Werner verantwortlich, der Georg Reinharts „wiederholte … Mahnungen“ und seine „in den letzten Jahren wiederholt vorgebrachten Einwände“ gegen eine Weiterführung von unrentablen Filialen nicht beachtet habe. Georg Reinhart störte sich insbesondere daran, dass seine Warnungen „soweit nie mit Zahlen oder Tatsachen entkräftet werden konnten, sondern nur mit Imponderabilien oder Zukunftshoffnungen bekämpft wurden.“ Er beantragte deshalb die „Fassung des principiellen Entschlusses, unsere Organisation … zu vereinfachen und zu verkleinern.“ Problematisch sei, dass zwischen den beiden Brüdern keine Einigkeit in Bezug auf das Ziel der unternehmerischen Tätigkeit herrsche. Georg Reinhart nannte als wichtigsten Grundsatz der Geschäftstätigkeit: „Die Firma ist Mittel zum Erwerb. Wir arbeiten nicht ‚pour la gloire’. Lieber in einem gegebenen Artikel an zweiter oder dritter Stelle stehen im Umsatz, wenn dabei ein vernünftiger Profit herausschaut, als an erster Stelle mit Verlust.“ Seinen Bruder Werner beschuldigte er mehr oder weniger direkt der Großmannssucht: „Ich bitte sich immer und immer wieder vor Augen zu halten, dass wir arbeiten um Geld zu verdienen und nicht um nach Aussen eine grosse Rolle zu spielen.“73 71 Casson, The Family Firm, 2000, S. 202. Vgl. hierzu auch Colli, The History of Family Business, 2003, S. 15. 72 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Aufgabe des Rubbergeschäftes und Liquidation von Singapore 1929, S. 8. 73 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Aufgabe des Rubbergeschäftes und Liquidation von Singapore 1929: GR, Memorandum I, 23. Juli 1929, S. 14f. und 17f.
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Seinen Grundsatz, dass man sich aufs Kerngeschäft beschränken müsse, führte Georg Reinhart direkt auf die Tatsache zurück, dass Volkart eine Familienfirma sei und somit Besitzerfamilie und Unternehmen zwei eng miteinander gekoppelte Einheiten darstellten. Bei einem zu großen Betrieb sei es den Teilhabern nicht mehr möglich, alle Geschehnisse in der Firma zu überblicken: „[S]o, wie der einzelne Arbeiter nur dann Tüchtiges leisten kann, wenn er sich auf ein Gebiet konzentriert und es mit aller Intensität bearbeitet, so kann auch die Firma als Ganzes nicht in allen möglichen Zweigen dilettieren, denn letzten Endes muss doch die engste Geschäftsleitung, d.h. die Teilhaber selber, den Überblick über das Ganze behalten und das kann sie nur, wenn sie die Zeit findet um sich auch mit Einzelheiten auf Grund von connaissance de cause abzugeben.“74 Es sei absehbar, dass schon bald Georg Reinharts Söhne Peter und Balthasar die Leitung der Firma übernehmen würden – die drei Brüder von Georg Reinhart waren kinderlos geblieben –, und er, Georg Reinhart, wolle „das Geschäft meinen Söhnen in einer nach meinen Begriffen handlichen, übersichtlichen und gut fundierten Verfassung hinterlassen“.75 Aufgrund von Reisen oder durch die Abwesenheit im Militärdienst sei es durchaus wahrscheinlich, dass öfters einer der beiden Brüder das Geschäft alleine zu leiten habe. Der Betrieb sei deshalb so zu organisieren, dass seine Leitung die Kräfte eines einzelnen Partners nicht übersteige.76 Aufgrund der Prinzipal-Agent-Problematik hielt Reinhart die Zentralisierung der Entscheide im Hauptsitz und damit im Einflussbereich der Teilhaber für unerlässlich. Dies sei für das Handelshaus nur schon deshalb wichtig, um eine Desintegration der über mehrere Kontinente hinweg verstreuten Filialen und Tochterfirmen zu verhindern: „Die Versuchung der Filialleiter und Direktoren von Tochtergesellschaften ist gross, sich vom Stammhaus unabhängig zu machen und eigene Geschäfte zu treiben. Daraus entsteht das, was mein Vater mit ‚Satrapenwirtschaft’ bezeichnete und woran schon manche grosse Firma zu Grunde gegangen ist. Die Zentralisierung des ‚nervus rerum‘ beim Hauptsitz ist ein wichtiges Instrument um die Fäden der Organisation tatsächlich und nicht nur nominell in den Händen zu behalten.“77
74 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 12f. 75 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Aufgabe des Rubbergeschäftes und Liquidation von Singapore 1929: GR, Memorandum I, 23. Juli 1929, S. 3. 76 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 14. 77 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 8f.
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Familienform und Geschäftskultur Der Umstand, dass Volkart eine Familienfirma war, ging über die Frage nach den Besitzverhältnissen hinaus. Das Unternehmen wurde bis in die 1960er Jahre als Kollektivgesellschaft geführt, womit die Teilhaber mit ihrem Privatvermögen für allfällige Verluste hafteten. Dies war ein wichtiger Grund für die eher konservative Geschäftspraxis der Firma. Darüber hinaus sorgte dieser Umstand bei Kunden und Zulieferern für Vertrauen in die Seriosität des Unternehmens. Die familiäre Tradition des Handelshauses wurde denn auch sowohl innerhalb der Firma wie auch in der Kommunikation gegen außen als Zeichen von Zuverlässigkeit und solider Geschäftstätigkeit dargestellt. Zentral für das Selbstverständnis des Unternehmens war die Erinnerung an die Firmengründer. Die Firma war damit nicht zuletzt auch ein Erinnerungskollektiv. Während jedoch Salomon Volkart in sämtlichen Darstellungen als Stammvater des Unternehmens gewürdigt und in der Jubiläumsschrift von 1926 als „Der Gründer“ der Firma vorgestellt wurde, nahm Johann Georg Volkart in der firmeninternen Überlieferung lange Zeit eine weit bescheidenere Position ein und wurde etwa in der erwähnten Festschrift zum 75. Geburtstag der Firma nur am Rande erwähnt.78 Auch die indischen Angestellten der Einkaufsagentur von Volkart in Khamgaon inszenierten 1926 ihre Teilhabe an der Betriebsfamilie symbolisch dadurch, dass sie auf einem Gruppenfoto bloß ein Bild Salomon Volkarts in ihre Mitte stellten.79 Diese Bevorzugung des älteren der beiden Brüder rührte wohl daher, dass Salomon Volkart als Schwiegervater von Theodor Reinhart gleichzeitig der Vorfahre sämtlicher Mitglieder der Familie Reinhart war, die im 20. Jahrhundert die Firma leiteten. Von Johann Georg Volkart, der kinderlos verstorben war, führte dagegen keine direkte Blutlinie zu den späteren Firmeninhabern. Zudem kannten viele der Angestellten und späteren Teilhaber Salomon Volkart noch aus seiner Zeit als unumstrittener Leiter der Firma und als Mitbegründer so bedeutender Firmen wie der Bank in Winterthur, des Schweizerischen Lloyd, der Hypothekarbank Winterthur oder der Schweizerischen Lokomotivenfabrik.80 Johann Georg Volkart, der bis zu seinem frühen Tod vorwiegend in Bombay tätig war, hatte weit weniger Spuren hinterlassen. Trotz dieser ungleichen Gewichtung des Beitrages der beiden Brüder am Erfolg der Firma – die in späteren Jahren durch eine gleichwertige Darstellung ersetzt wurde – ist unzweifelhaft, dass die Erinnerung an die Firmengründer immer wieder als Beleg für die Solidität des Handelshauses dargestellt wurde. 1951 etwa führte ein leitender Mitarbeiter im Rahmen seiner Ansprache zum hundertsten Firmenjubiläum das Be78 Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 13ff. 79 V.B. News, No. 14, June 1926, S. 19. Vgl. zur Bedeutung des Konzeptes der Betriebsfamilie Kapitel 6. 80 Isler, Winterthur in Wort und Bild, 1895, S. 152.
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Abb. 9 Mitarbeiter der Einkaufsagentur in Khamgaon anlässlich der Feierlichkeiten zum 75. Firmenjubiläum, in der Mitte eine Fotografie von Salomon Volkart (V.B. News, No. 14, June 1926, S. 19)
streben, den Kunden stets einen guten Service zu bieten, auf die Herkunft der beiden Firmengründer aus einer Baumeisterfamilie zurück: „They believed one should build on solid foundations with good material and good work and cooperation with square and fair dealings. There is no quick and easy way to establish a sound reputation and if we have a good name in many countries and places it is the result of using the master builders’ principles in business.“81 Und auch Peter Reinhart verwies in seiner Rede zum Firmenjubiläum von 1951 auf die Geschichte des Unternehmens: „Die Generationen vor uns haben den soliden Grund für unser heutiges Geschäft gelegt und schon vor ungezählten Jahrzehnten der Firma einen Namen geschaffen, den ich, obschon er in der Bilanz nicht einmal mit dem symbolischen Franken figuriert, ohne das geringste Zögern als unser grösstes Asset bezeichnen darf. Darüber, dass es uns auch in den letzten 25 Jahren gelungen ist, diesen Namen blitzblank zu halten, freuen wir uns, zeigt es doch, dass jeder Einzelne erfasst hat, worauf es ankommt. Darüber, dass
81 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: R.H. Schuepp, Ansprache anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums in Bombay, 2. Februar 1951.
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es auch in Zukunft unser erstes, keinen Kompromiss duldendes Bestreben sein muss, diesen Namen aufrecht zu erhalten, wollen wir gar keine Worte verlieren.“ 82 Der gute Name der Firma wurde von Peter Reinhart also sowohl als Verpflichtung für eine seriöse Geschäftstätigkeit dargestellt, als auch als symbolisches Kapital und Grundlage dafür, dass die Kunden dem Unternehmen weiterhin vertrauten. Dies war auch der Grund, warum die Teilhaber 1893 lieber den nominellen Hauptsitz der Firma nach London verlegten als deren Namen zu ändern (was ansonsten aufgrund des Prinzips der Firmenwahrheit im 1881 eingeführten schweizerischen Obligationenrecht nötig gewesen wäre, da es nach dem Tod von Johann Georg Volkart keine Gebrüder Volkart mehr gab).83 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts, als sich mit Georg Gottfried der letzte Teilhaber aus der Familie Volkart vom aktiven Geschäft zurückzog und sämtliche Teilhaber aus der Familie Reinhart stammten, überlegten sich die Eigentümer kurz eine Umbenennung der Firma. Dieser Versuchung habe man aber widerstanden, so Georg Reinhart, „aus Pietät gegen die Gründer der Firma, aber auch aus praktischen Erwägungen, da der Name Volkart und die Marke V.B. in allen Weltteilen bestens bekannt ist.“84
Weltumspannende interfamiliäre Netzwerke Die traditionsreiche Geschichte des Hauses Volkart wurde jedoch nicht nur zur Selbstdarstellung gegen außen benutzt, sie beeinflusste auch die Art und Weise, wie Geschäfte abgewickelt werden sollten. Die Firma hatte es sich seit jeher zur Maxime gemacht, dass Verträge strikte eingehalten werden müssten.85 Dieser Grundsatz wurde 1942 direkt mit der familiären Tradition des Unternehmens in Verbindung gebracht. Unter dem Titel WHAT WE STAND FOR wurde festgehalten: „The truth stands up. … Firms like Volkart Brothers with an honourable family tradition of several generations, do not stoop to shady transactions or treat a contract obligation as if it were a scrap of paper. They feel that they have an ideal to live up to – and they prosper, because their clients instinctively respect them. ... The success of V.B. in the future, just as in the past, will be proportionate to the quality of service it renders. The better the reputation for service, the greater employment stability and success will result, for satisfied customers mean steady jobs.“86 82 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 14. 83 Vgl. Kapitel 3. 84 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Geschäftliches Testament mit Beilagen 1921– 1925: GR, Gedanken zum Societätsvertrag der Firma, 5. Dezember 1924. 85 VA, Dossier 1, B) Die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: 22.7.1869, Sal. Volkart an Spitteler, acting BM Cochin. 86 VA, Dossier 12: Tuticorin / Madras, 9. V.B. News issued by Madras in 1942–1943, Vol. 1, No. 2, October 1942. Fast wortwörtlich steht diese Passage auch schon in einem 1936 erschienen
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Dies verweist auf ein wesentliches Merkmal des globalen Rohstoffhandels. Obwohl – oder gerade weil – dieser hart umkämpft war, stellten Ehrlichkeit und Fairness gegenüber anderen Kaufleuten wichtige Geschäftsprinzipien dar. Dies vor allem deshalb, weil die Zahl der Marktteilnehmer relativ klein und beständig war und eine unsaubere Geschäftstätigkeit früher oder später auffliegen musste. Ab dem späten 19. Jahrhundert kontrollierte in der Regel eine Hand voll großer Handelsfirmen den Export bestimmter Rohstoffe aus einem bestimmten Erdteil.87 Als Abnehmer der gehandelten Rohstoffe fungierte wiederum eine überblickbare Anzahl Industrieunternehmen. Dazu kamen Banken, Versicherungsgesellschaften und Reedereien, die Geldmittel und Infrastruktur für den globalen Warenhandel bereitstellten. Zwischen all diesen Firmen bestanden oft jahrzehntelange Geschäftsbeziehungen und die Besitzer und leitenden Angestellte der jeweiligen Unternehmen kannten sich oft persönlich. Peter Reinhart meinte anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums von Volkart, dass es der Firma über die Jahre hinweg gelungen sei, „eine grosse Zahl von guten persönlichen Freunden zu schaffen. Sowohl mit unseren Kunden und Lieferanten, mit unseren Vertretern in aller Herren Länder, ja selbst mit manchen unserer Konkurrenten unterhalten wir nicht nur angenehme geschäftliche Beziehungen, sondern in vielen Fällen sind daraus richtiggehende Freundschaften geworden“.88 Auch wenn Volkart beileibe nicht die einzige Handelsfirma war, die auf die Bedürfnisse ihrer Kunden Rücksicht nahm89 – immerhin ist Vertrauenswürdigkeit und die Etablierung eines festen Kundenstammes einer der wichtigsten Aktivposten einer Handelsfirma –, ganz selbstverständlich dürfte diese Praxis nicht gewesen sein, und sie war wohl ein Geschäftsprinzip, das eher in Europa gepflegt wurde als in den USA. So hatte Volkart in den 1930er Jahren mehrere Mitarbeiter der American Cotton Cooperative Association übernommen, wodurch die Firma ihre Position im amerikanischen Baumwollgeschäft entscheidend verbessern konnte. Es stellte sich jedoch heraus, dass die amerikanischen Manager den Wünschen der Kunden weit weniger Aufmerksamkeit schenkten, als dies bei Volkart üblich war, und vor allem die Entwicklung der Preise berücksichtigten, wenn es um den Entscheid ging, wann die Ware Beitrag der Volkart Brothers Engineering News: VA, Dossier 50: Engineering /Voltas Schriften, Dokumente etc.: Volkart Brothers Engineering News (1936–1940), Vol. 1, Nr. 1, January 1936, S. 2. 87 So wurden zum Beispiel 1922/23 fast die Hälfte der 1,2 Millionen Ballen indischer Baumwolle, die nach Europa gingen, von Volkart und Ralli verschifft, wobei die Umsätze der beiden Firmen etwa gleich hoch waren: V.B. News, No. 9, December 1923, p. 16; East India Cotton Association, Bombay Cotton Annual, No. 6, 1924–1925, S. 51. Und in den 1980er Jahren wurden etwa 40% allen Weltkaffees von bloß sieben Handelshäusern verschifft: Gerencia Comercial, La Industria Cafetera Internaciónal, 1988, S. 25; Barbosa do Rosário, Um mercado concentrado, 1987. 88 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 14. 89 Vgl. hierzu Kapitel 3.
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verkauft werden sollte – ganz egal, wer dann der Käufer war. Dies führte zu einigen Spannungen mit den amerikanischen Niederlassungen der Firma.90 Auch verschiedene britische Handelsfirmen, die sich in den 1920er Jahren in den USA niederließen, mussten die Erfahrung machen, dass ihre eher vorsichtige Geschäftskultur schlecht kompatibel war mit den dynamischen Geschäftspraktiken in den USA.91 Dahinter stand wohl eine grundsätzlich andere Vorstellung davon, was Unternehmen zu sein hatten. In Europa wurde ein Unternehmen nicht nur als ökonomische Organisation verstanden, sondern auch als ein sozialer Ort. Es scheint, dass die Verbindung zwischen Familie und Unternehmen, wie sie für Familienfirmen typisch war, und die Einbettung dieser Familienbetriebe in ihr gesellschaftliches Umfeld in Europa wesentlich stärker war als in den USA.92 Bei Volkart jedenfalls wurden die oben angesprochenen Geschäftsfreundschaften oft über Jahrzehnte hinweg gepflegt. Dabei hatte der Umstand, dass viele der beteiligten Unternehmen in Familienbesitz waren, eine stabilisierende Funktion. So unterhielt Volkart nicht nur über mehrere Generationen hinweg Geschäftsbeziehungen mit indischen Kaufmannsunternehmen, die auf dem Subkontinent als Broker oder shroffs für das Handelshaus tätig waren, sondern beschäftigte auch in verschiedenen europäischen Handelsstädten formal unabhängige Kaufleute als Vertreter.93 Wie sehr die familiäre Tradition dabei als stabilisierendes Element wirkte, zeigt sich etwa am Beispiel der Beziehungen zwischen Volkart und dem in Marseille niedergelassenen Kaufmannunternehmen Valette. Edouard Valette war ab Ende des 19. Jahrhunderts während mehrerer Jahrzehnte hinweg als Vertreter von Volkart in Südfrankreich tätig gewesen.94 Die enge Verbundenheit zwischen den beiden Firmen führte dazu, dass Volkart sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs gegenüber Gabriel Valette, einem Nachkommen des oben erwähnten Edouard Valette, ausgesprochen großzügig zeigte. Gabriel Valette stand nach 1945 kurz vor dem Ruin. Daraufhin zahlte ihm Volkart einen Unterstützungsbeitrag von 3000 Schweizer Franken, der ihn von den ärgsten Nöten entlastete.95 Diese Hilfe wurde bei den Beratungen innerhalb der Geschäftsleitung nicht explizit mit ökonomischen Überlegungen begründet. Es scheint, als ob es für die Teilhaber mehr oder weniger selbstverständlich war, dass eine Firma wie Volkart einen langjährigen Geschäftspartner unterstützte, wenn er unverschuldet in Schwierigkeiten geraten war. Dies bestätigt, dass für diese Kaufleute ökonomische und private Sphäre nicht klar getrennt sondern eng miteinander verbunden waren. 90 VA, Dossier 44, VBH Guidelines 1970–1983: Peter Reinhart, Cotton and other Commodity Operations and Discretions, 21st May 1970. Vgl. hierzu Kapitel 14. 91 Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 216. 92 Colli, The History of Family Business, 2003, S. 41ff. 93 Vgl. hierzu Kapitel 2 und 3 dieser Arbeit. 94 V.B. News, No. 9, December 1923, S. 22. 95 VA, Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947–28. Juni 1949: Konferenz vom 6. Oktober 1947.
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Dennoch wirkte sich diese solidarische Geste für die Geschäftstätigkeit von Volkart durchaus positiv aus, da sie es Valette ermöglichte, geschäftlich wieder Fuß zu fassen. Volkart verfügte somit in Marseille weiterhin über einen zuverlässigen Agenten.96 Als Volkart ab den 1930er Jahren damit begann, die Fühler nach Lateinamerika auszustrecken, tat die Firma dies durch die Kooperation mit dort ansässigen Exportfirmen wie Prado Chaves in Brasilien, Peter Schoenfeld und Juan Waelti in Guatemala sowie Café Capris in Costa Rica. All diese Exportfirmen waren in Familienbesitz.97 Was aus makroökonomischer Perspektive also globaler Rohstoffmarkt erscheint, auf dem jedes Jahr Tausende von Tonnen Kaffee oder Rohbaumwolle verschoben werden, zeigt sich aus der Mikroperspektive als geschäftliche Verflochtenheit von Familienbetrieben rund um den Globus. Harold James hat aufgrund der Stabilität von familiären Beziehungsnetzwerken innerhalb der Weltwirtschaft die These aufgestellt, dass die „kapitalistische Wirtschaftsordnung … von DNA-Ketten zusammengehalten“ werde: „Tatsächlich bildete die Familie den Kern von Beziehungsnetzwerken, die sich mit der Zeit vergrößerten. Die über diese Netze zusammengetragenen Informationen lassen sich als eine Form von ‚Sozialkapital‘ definieren, welches das Finanzkapital ergänzt. Indem diese Informationen die Transaktionskosten senken, steigern sie die Effizienz von Unternehmen.“98
Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft Mit Wachstum und zunehmender Verschachtelung des Konzerns geriet jedoch das Modell der familiengeführten Kollektivgesellschaft an seine Grenzen. Schon Georg Reinhart hatte 1929 geklagt, dass es ihm nicht mehr möglich sei „den Grossteil unserer Angestellten persönlich zu kennen und mit ihm Fühlung zu halten“, da die Firma Volkart mit inzwischen „einem Dutzend Filialen, etwa 100 Einkaufsstellen, mehreren Tochtergesellschaften in allen Teilen der Welt, mit einem gewaltigen Personal und einer Unmenge von verschiedenen Artikeln, in denen gehandelt wird“ eine enorme Komplexität erreicht hatte. Vor dem Krieg, so Reinhart, in einer Zeit, die er „als die Periode der patriarchalischen Leitung bezeichnen“ würde, „kannte ich jeden Europäer in der Firma, auch das jüngste Personal und war in der Lage, mir eine persönliche Meinung über Anlagen und Charakter unseres Nachwuchses zu machen. Heute bin ich auf Urteile von Dritten angewiesen und die haben sich schon oft als
96 SSW, Nachlass Georg Reinhart, Ms GR 32/102: Gabriel Valette, Marseille, an Georg Reinhart, Winterthur, 20. Dezember 1951. 97 Vgl. Kapitel 13. 98 James, Familienunternehmen in Europa, 2005, S. 8 und 14f.
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falsch herausgestellt.“99 Die Komplexität des Unternehmens nahm nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges noch zu. Bis dahin war eine Umwandlung der Kollektivgesellschaft in eine Aktiengesellschaft bei den Teilhabern nicht mehrheitsfähig gewesen. Werner Reinhart hatte zwar schon in den frühen 1920er Jahren mit dem Gedanken gespielt, Volkart in eine Aktiengesellschaft umzuwandeln. Georg Reinhart wollte das Modell der Kollektivgesellschaft jedoch unbedingt beibehalten, da er fand, eine AG sei „ein schwerfälliger und unpersönlicher Apparat“.100 Nach 1945 überlegte man sich innerhalb von Volkart erstmals ernsthaft, das Modell einer reinen Familienfirma aufzugeben und firmenfremdes Kapital am Unternehmen zu beteiligen. Peter Reinhart, Sohn von Georg Reinhart und seit 1934 Teilhaber, meinte dazu 1950, dass sich Volkart unter Umständen lukrative Diversifikationmöglichkeiten verbaue, wenn sich die Firma weiterhin allein auf das Rohstoffgeschäft konzentriere.101 Kurz darauf stellte Peter Reinhart das Modell des reinen Familienbetriebes, bei dem Besitz und Leitung des Unternehmens allein in den Händen der Familie lag, grundsätzlich in Frage. Er meinte, man sei bisher ungeprüft davon ausgegangen, dass die Form der Kollektivgesellschaft „für unsere Sorte von Geschäft grosse Vorteile hätte, und dass die Identität von Kapitalbesitz und Management uns grössere Beweglichkeit und Risikofreudigkeit verschaffe, ohne wesentliche Nachteile mit sich zu bringen. Eine genauere Prüfung dieser Frage führt mich eher zur Ueberzeugung, … dass die Identität von Besitz und Management gar nicht unbedingt ein Vorteil ist. Tatsächlich ist es nämlich nicht so, wie man landläufig annimmt, nämlich dass man dem eigenen Kapital mehr Sorge trägt als fremdem Geld, sondern gerade umgekehrt, und der Umstand, dass wir bei unseren Entscheiden in erster Linie unser eigenes Kapital riskieren, führt tatsächlich öfters zu Entschlüssen, resp. zum Eingehen von Risiken, die wir ablehnen würden, wenn es sich um anderer Leute Geld handeln würde, resp. wenn wir zum Schluss jemand Drittem Rechenschaft ablegen müssten.“ Bei einer Trennung zwischen Kapitalbesitz und Management würde die „bei uns gegenwärtig grassierende Diskussion ob und in welchem Umfang das indische Geschäft reduziert werden solle, eigentlich gar nicht aufkommen …, resp. von anderen Faktoren beeinflusst“.102 Diese Zitate zeigen, dass die in der ökonomischen Literatur gemachten Vorbehalte, wonach Familienfirmen aufgrund ihrer traditionsreichen Geschichte zu lange an veralteten Strukturen festhielten, auch den betroffenen Unternehmern durchaus bewusst 99
VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Aufgabe des Rubbergeschäftes und Liquidation von Singapore 1929: Brief von Georg Reinhart an Werner Reinhart, 9. September 1929. 100 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Geschäftliches Testament mit Beilagen 1921– 1925: GR, Geschäftliches Testament, 22. April, 1921 101 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1 Table of Events: Notiz von Peter Reinhart, 1950. 102 VA, Dossier 20: VB Organisation 1952/53: Peter Reinhart, Ueberlegungen zur Frage der Gesellschaftsform, 29.4.52.
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waren. Bevor jedoch eine geschäftliche Neuorientierung beschlossen werden konnte, wurde der Firma das Heft durch die historische Entwicklung in Südasien ein Stück weit aus der Hand genommen. Durch das Ende der Kolonialzeit wurde Volkart gezwungen, die Filialen in Indien, Pakistan und Ceylon in eigenständige Tochtergesellschaften umzuwandeln, bei denen lokale Geschäftsleute große Anteile hielten und im Laufe der Zeit die Mehrheitsbeteiligung übernahmen.103 Volkart intensivierte daraufhin die Expansion nach den USA und nach Mexiko, wo die Firma inzwischen zu einem wichtigen Faktor im Baumwollgeschäft geworden war. Und sie baute in Brasilien eine Kaffeeexportorganisation auf und erwarb schon bald Beteiligungen an Kaffeehandelsfirmen in Guatemala und Costa Rica.104 Um dieses zunehmend komplexer werdende Firmengebilde zu leiten, war das alte Modell der Kollektivgesellschaft nicht mehr geeignet. 1964 wurde deshalb die Gebrüder Volkart AG gegründet, die die Geschäfte am Hauptsitz in Winterthur übernahm, und kurz darauf die beiden Gesellschaften Gebrüder Volkart Holding AG und Inpaco AG, welche die Tochtergesellschaften und die Beteiligungen an anderen Firmen kontrollierten. Das Kapital der Holding wurde 1966 von 12 auf 20 Millionen, 1970 auf 30 und 1977 auf 45 Millionen Franken erhöht. Die Aktien der neuen Gesellschaften wurden jedoch nicht frei gehandelt, sondern verblieben in Besitz der Familie Reinhart.105 Damit hatte auch Volkart eine Neuordnung der Geschäftsform vollzogen, die von anderen Schweizer Handelsfirmen bereits früher vorgenommen worden war. Gemäß einer vom Verband schweizerischer Transit- und Welthandelsfirmen in Auftrag gegebenen Umfrage wiesen Mitte der 1950er Jahre von 48 befragten Schweizer Handelsfirmen 35 die Form einer Aktiengesellschaft auf; von diesen waren aber 15 zuvor als Kollektivgesellschaften oder Einzelfirmen geführt worden. Bei den betreffenden Unternehmen wurden die Aktien nicht frei gehandelt, sondern von einigen wenigen Teilhabern gehalten. Und auch kulturell unterschieden sich diese Firmen stark von Industrieunternehmen: „Dem stark personengebundenen Charakter des Transithandels entsprechend überwiegt hier das Persönliche über das Institutionelle“, hielt Emil Gsell fest, seines Zeichens Professor an der Handelshochschule St. Gallen und Verfasser der Studie, „so dass wir hier keine so ausgeprägte ‚Managerial Society‘ finden wie in anderen Betrieben entsprechender Grösse.“106 Die Umstrukturierung des Unternehmens brachte Volkart zwei Vorteile. Erstens war die Holding diejenige Gesellschaftsform, auf welche die meisten Doppelbesteuerungsabkommen zugeschnitten waren. Zweitens wurde mit der Gründung einer Ak103 Vgl. Kapitel 12. 104 Vgl. Kapitel 13. 105 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1 Table of Events: Bekanntmachung vom Oktober 1964, Winterthur; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 171. 106 WA, Handschriften (HS) 421: Verband schweizerischer Transit- und Welthandelsfirmen, Basel, F6: Korrespondenz und zwei Entwürfe, betr. die Enquête über den Transithandel, durchgeführt von Prof. Dr. Gsell an der Handelshochschule in St. Gallen, 1953–1958: Der schweizerische Transithandel. Ergebnisse der Enquête 1954, Juni 1955, S. 2f.
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tiengesellschaft auch die Gefahr gebannt, dass die Firma durch den Rücktritt oder den Tod eines Teilhabers innert Kürze einen beträchtlichen Teil ihres Kapitals verlieren könnte. Bis dahin hatte die „Notwendigkeit, immer auf einen solchen Austritt/ Todesfall vorbereitet sein zu müssen“, die Firma dazu gezwungen, „eine äusserst konservative Reservenpolitik zu verfolgen, d.h. Reserven zu bilden, auf die ein ausscheidender Partner keinen Anspruch hat“, wie Peter Reinhart 1963 zu Protokoll gab. Dies sei jetzt nicht mehr nötig: „In der neuen Form werden die Erben eines Teilhabers eben Aktien der Holding erben, und es muss lediglich ein Modus festgelegt werden, wonach den ‚aktiven Aktionären‘, d.h. denjenigen, die in der Leitung der Gesellschaft mitarbeiten, die Möglichkeit gegeben wird, ihren Aktienbesitz zu vernünftigen Bedingungen zu erhöhen, d.h. den nicht-aktiven Aktionären einen Teil wenigstens zu einem Vorzugspreis abzukaufen.“107 1973 wurde eine neue Führungsstruktur eingeführt, bei der erstmals Personen von außerhalb der Reinhart-Familie in die oberste Geschäftsleitung der Firma Einsitz nahmen.108 Bis dahin hatten stets die Teilhaber das letzte Wort bei der Leitung des Unternehmens gehabt. De facto waren die leitenden Angestellten zwar bereits zuvor in praktisch alle wichtigen Entscheide einbezogen worden, aber erst mit der Änderung 1973 wurde diese Führungsfunktion des obersten Managements formalisiert.
Der Ausstieg aus dem Handelsgeschäft 1981 kam es erstmal in der Geschichte von Volkart zu einem Machtkampf um die Führung des Unternehmens. Andreas Reinhart, der Sohn von Peter Reinhart, stellte der Geschäftsleitung nach dem Rücktritt seines Vaters als Verwaltungsratspräsident ein Ultimatum, bei dem er verlangte, innert zwei Jahren die Führung des Unternehmens übernehmen zu können. Es kam zum Eclat und Andreas Reinhart musste die Firma verlassen.109 1984 hatten sich die Wogen geglättet und Andreas Reinhart kehrte als Geschäftsleitungsmitglied in die Firma seiner Familie zurück und übernahm ein gutes Jahr später von seinem Onkel Balthasar die Aktienmehrheit.110 Unter Andreas Reinhart erfolgte schon bald eine Diversifizierung in Richtung Investmentbanking und Finanzdienstleistungen. Gemeinsam mit dem umstrittenen Investmentbanker Martin Ebner, der wiederum Einsitz in die Geschäftsleitung von Volkart nahm, gründete er die BZ Bank – eines der ersten Institute in der Schweiz, die sich im Handel 107 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959 – 30. März 1965: PR, Zu Protokoll, 9. Januar 1963. 108 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 171. 109 Weltwoche, 21. April 1994; Cash, 11. Januar 2002. 110 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung, 27. März 1984; Betriebsmitteilung, 4. November 1985.
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mit Optionen betätigte –, und beteiligte sich 1991 am Zuger Finanzinstitut FFM Holding und der schweizerisch-japanischen Interallianzbank.111 Im Kaffeegeschäft fuhr Volkart einen massiven Expansionskurs, wodurch die Firma zur weltweit zweitgrößten Firma im Handel mit Rohkaffee aufstieg. Dennoch blieben die Gewinne des Kaffeegeschäftes in den 1980er Jahren bescheiden. Schlechte Ernten, die immer härter werdende Konkurrenz sowie die Tatsache, dass der Kaffeehandel von fünf großen Kaffeeröstern bestimmt wurde, führten dazu, dass das Geschäft immer spekulativere Züge annahm. Nachdem die Firma verschiedentlich schwere Verluste erlitten hatte, entschloss sich Reinhart 1989 zum Verkauf der Kaffeeabteilung.112 Einige Jahre später zog er sich gar ganz aus dem aktiven Geschäft zurück. Er beendete die Aktivitäten im Finanzbereich und verkaufte 1999 mit der Baumwollabteilung das letzte Überbleibsel des traditionsreichen Unternehmens. Damit endete die Geschichte von Volkart als Handelsfirma. Das Unternehmen war fortan bloß noch im Liegenschaftenhandel und bei der Förderung von ökologisch und sozial nachhaltigen Projekten tätig. Wie kam es dazu? Sicher spielte die zunehmende Volatilität der Rohstoff- und Finanzmärkte eine Rolle. Eine wesentliche Ursache für den Rückzug von Volkart aus dem Handelsgeschäft dürfte jedoch in der Person des letzten Firmenbesitzers liegen. Andreas Reinhart hatte zwar eine Bilderbuchkarriere als Kaufmann absolviert, war jedoch, wie er später in einem Zeitungsinterview zu Protokoll gab, von der Aufgabe als alleiniger Leiter des Unternehmens überfordert: „Als Sohn übernahm ich ein Gebilde mit 20 Firmen und ein paar tausend Angestellten. … Wenn man studiert und in einer Bank gearbeitet hat, heisst das noch lange nicht, dass man einer solchen Aufgabe auch gewachsen ist.“113 Zudem bekundete Reinhart, der in Winterthur für sein soziales Engagement bekannt war, zunehmend Mühe mit den immer rauer werdenden Methoden des globalen Rohstoffhandels, bei dem „Korruption, Erpressung, Schmiergelder“ zum Tagesgeschäft gehörten.114 Das Ende der Familienfirma Volkart bedeutete jedoch nicht, dass das Unternehmen vollständig von der Bildfläche verschwand. Die Geschäfte wurden unter neuem Namen und neuen Eigentümern – aber dem bereits zuvor aktiven Management – weitergeführt. Volcafe, die ehemalige Kaffeeabteilung von Volkart, blieb so auch nach 1989 eine der umsatzstärksten Kaffeehandelsfirmen der Welt. Und die Baumwollabteilung ging unter anderem in der neu gegründeten Firma Volcot und in der traditionsreichen Winterthurer Baumwollhandelsfirma Paul Reinhart AG auf, die seit ihrer Gründung ebenfalls ein reines Familienunternehmen war.
111 NZZ am Sonntag, 27. April 2008; Reinhart, Nachwort, 1990, S. 200. 112 Schweizerische Handelszeitung, 10. April 1986; Tages-Anzeiger, 9. Mai 1989; Weltwoche, 29. April 1989; Weltwoche, 9. September 1999. Vgl. auch Kapitel 13. 113 Der Landbote, 22. November 2006. 114 Weltwoche, 21. April 1994.
6. Zwischen Controlling und Betriebsfamilie: die Angestellten Anfang 1936 machte die Geschäftsleitung von Volkart eine unangenehme Entdeckung. Im Hauptsitz in Winterthur hatte man festgestellt, dass einer der europäischen Angestellten in Bombay „Betrügereien gemacht“ hatte. In einem Brief nach Bombay rügte man daraufhin einerseits die Vertrauensseligkeit des dortigen Managements, welches offenbar der Meinung gewesen war, die Integrität des Angestellten, sei „dermassen über alle Zweifel erhaben“, dass es „sich berechtigt fühlen konnte, all den Winken und Warnungen, teils von Europäern, keine oder nur ungenügende Beachtung zu schenken.“ Andererseits stellten die Verantwortlichen in Winterthur Überlegungen an, wie man solche Vorkommnisse in Zukunft vermeiden könne, und sie kamen zum Schluss: „Der ganze Fall zeigt, dass buchhalterische, arithmetische Kontrolle nicht genügt, sondern dass sie ergänzt werden muss durch aktive Geschäftsaufsicht, durch persönlichen Kontakt nicht nur mit dem nächstfolgenden Untergebenen, sondern in angemessenem Rahmen auch mit dem übrigen Personal. Daraus ergibt sich dann eine Atmosphäre des Vertrauens zwischen der Geschäftsleitung und dem Personal, die die Verheimlichung von ungetreuem Verhalten von Angestellten, auch von Vorgesetzten, wenn nicht unmöglich macht, so doch erheblich erschwert.“1 Das Vorkommnis mit dem betrügerischen Angestellten in Bombay stellte keinen Einzelfall dar, sondern betraf ein grundsätzliches Problem, vor dem Handelsfirmen wie Volkart standen. Wie alle Unternehmen waren sie keine homogenen Gebilde, sondern bestanden aus Koalitionen von Mitarbeitenden mit jeweils ganz unterschiedlichen Interessen. Aus Sicht der Institutionenökonomie können diese „mikropolitischen“ Verhältnisse als Transaktionskosten für den Betrieb interpretiert werden.2 Insbesondere im Fernhandel war es aufgrund der Distanz zwischen Stammhaus und Niederlassungen für die Firmeninhaber oft schwierig, die Angestellten in den überseeischen Filialen zu kontrollieren. Das Prinzipal-Agent-Problem stellte sich damit für Handelshäuser in ganz besonderem Ausmaß. Die Firmenleitung musste insbesondere verhindern, dass ihre Angestellten in den Zweighäusern begannen, Geschäfte auf spekulativer Basis zu tätigen oder Gelder zu unterschlagen. Gerade wenn die Handelshäuser die Nutzungskosten des Marktes dadurch reduzierten, dass sie gewisse Transaktionen ins Unternehmen hinein verlagerten, erwuchsen ihnen
1
VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff, IV. Branches: General staff terms/Unions, 9: Winterthur an Bombay, 30. Mai 1936. 2 Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, 2004, S. 55 ff.; Welskopp, Das institutionalisierte Misstrauen, 2000.
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durch die zunehmende Komplexität des Betriebes neue, firmeninterne Transaktionskosten.3 Derartige Probleme stellten sich prinzipiell in jedem Unternehmen. Im Gegensatz zu Produktionsbetrieben, in denen viele Arbeitsabläufe vereinheitlicht und damit von den Firmeneignern gut überwacht werden konnten, war es in Handelsfirmen nicht möglich, die bedeutendsten Arbeitsschritte wie Selektion, Preisvereinbarungen oder das Herstellen von Kundenkontakte zu routinisieren. Auch wenn Handelsfirmen in gewisser Hinsicht sehr zentralistisch waren und grundlegende Geschäftsentscheide von zwei oder drei Teilhabern in Alleinregie getroffen werden konnten, so waren sie für das alltägliche Geschäft in hohem Maße auf die individuellen Entscheide und Urteile ihrer Angestellten angewiesen. Dies erschwerte es den Firmenbesitzern, die Handlungen ihrer Angestellten zu kontrollieren. Die Handelsfirmen ergriffen deshalb eine Reihe von Maßnahmen, um opportunistisches Verhalten ihrer Angestellten zu verhindern. So wurde das Verhalten der Mitarbeiter bei vielen Handelsfirmen in Codes genau festgeschrieben. Die Filialen mussten dem Hauptsitz regelmäßig Geschäftsberichte vorlegen und sie wurden immer wieder durch Delegierte des Hauptsitzes oder durch die Firmeninhaber inspiziert. Neben Vorschriften und ökonomischen Anreizen wurde auch die Etablierung einer vertrauensbasierten Firmenkultur als ein mögliches Mittel gegen betrügerisches Verhalten der Angestellten angesehen, wie das eingangs angeführte Zitat zeigt. Dabei ist davon auszugehen, dass Handelshäuser aufgrund ihrer spezifischen Geschäftsstruktur – der großen Distanz zwischen Prinzipalen und Agenten (Managern) einerseits und den spezifischen Kompetenzen der Angestellten, die einen wesentlichen Teil des sozialen und kulturellen Kapitals dieser Firmen ausmachten, andererseits – in wesentlich stärkerem Maße zu einer konsensorientierten Unternehmenskultur neigten als industrielle Fabrikationsbetriebe. Hierbei spielte die jahrelange Sozialisierung der Angestellten eine wichtige Rolle. Diese konnten davon ausgehen, für die gesamte Dauer ihres Berufslebens beim betreffenden Handelshaus eine Beschäftigung zu finden, wenn die Firmeninhaber mit ihnen zufrieden waren.4 Unternehmen sind damit weit mehr als Organisationen, welche der reinen Profitmaximierung dienen. Sie stellen auch soziale Kollektive dar, an denen teilzuhaben für viele Beteiligten sinn- und identitätsstiftend ist.5 Entscheide werden oft nicht bloß aufgrund kostenrationaler Überlegungen getroffen. Gerade in familienkontrollierten Betrieben spielt die Tradition der Unternehmen eine wichtige Rolle für die Entscheidungsfindung, welche damit eine gewisse Pfadabhängigkeit aufweist. Zwischen den 3 4 5
Coase, The Nature of the Firm, 1937. Jones, British Multinational Banking, 1993, S. 49; Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 213–216. Vgl. auch Nieberding, Unternehmerische Sinnkonstruktion, 2004. Chapman/Buckley, Markets, Transaction Costs, Economists and Social Anthropologists, 1997, S. 239.
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unterschiedlichen Interessen von Kapitaleignern und Angestellten einerseits und der in vielen Betreiben feststellbaren gemeinsamen Wertebasis andererseits besteht ein potenzielles Spannungsfeld. Das Unternehmen erscheint demnach als kooperatives wie konfrontatives Praxis- oder Handlungsfeld, das auch in seinen ökonomischen Kernfunktionen nicht ohne Sinnbezüge denkbar ist.6 Wie im folgenden Kapitel gezeigt werden soll, stellte im Falle von Volkart das Konzept der Betriebsfamilie einen – letztendlich erfolgreichen – Versuch dar, die gegenseitige Abhängigkeit von Arbeitgebern und -nehmern kulturell zu codieren. Dieses Konzept trug zwar ausgeprägt paternalistische Züge – was nicht zuletzt eine Folge der Machtasymmetrie zwischen Firmeneignern und Angestellten war –, es ermöglichte den Angestellten aber auch, eigene Ansprüche geltend zu machen.
Probleme mit den Angestellten in der Frühphase der Firma Nachdem sich die Geschäfte der Firma während des Amerikanischen Bürgerkrieges überaus erfolgreich entwickelt hatten, klagte Salomon Volkart, der das Handelshaus nach dem Tod seines Bruders mehr oder weniger in Alleinregie führte, in den späten 1860er und frühen 1870er Jahren immer wieder über Unstimmigkeiten mit seinen Angestellten in Südasien. Diese rührten nicht zuletzt daher, dass die Firma im Zuge der Ausweitung ihrer Aktivitäten immer mehr Personal benötigte. 1860 waren in den Niederlassungen in Indien und Ceylon gerade einmal neun europäische Angestellte beschäftigt, was angesichts der ständig wachsenden Umsätze und der Gründung neuer Filialen schon bald nicht mehr genügte.7 Die Auswahl an zuverlässigen europäischen Angestellten, die mit den Besonderheiten des indischen Handels vertraut waren, war aber beschränkt. Bis in die 1870er Jahre rekrutierte Volkart neue Mitarbeiter vor allem in Indien oder Ceylon; viele von ihnen waren Deutsche, andere waren in Asien geborene Europäer, so genannte eurasians. Gerade letztere arbeiteten aber oft nicht nach dem Gusto des Firmengründers. So meinte Salomon Volkart 1869 in einem Brief nach Cochin, „dass man dort im Lande geborenen und aufgezogenen Leuten kein Vertrauen schenken“ dürfe.8 Aus diesem Grund wurden im Winterthurer Hauptsitz schon bald regelmäßig Lehrlinge ausgebildet, die nach drei Jahren nach 6
Welskopp, Unternehmensgeschichte im internationalen Vergleich, 2004, S. 273. Ethnologische Studien in Unternehmen konnten zeigen, dass sich auch in modernen Betrieben die Entscheide des Managements oft nicht an kurzfristigen Gewinnaussichten orientieren, sondern den längerfristigen Erhalt des Unternehmens als Ziel haben. Der Fortbestand des Unternehmens wird dabei häufig als unternehmerischer Zweck in sich angesehen: Chapman/Buckley, Markets, Transaction Costs, Economists and Social Anthropologists, 1997, S. 239f. 7 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 71. 8 VA, Dossier 1: B) die Teilhaber, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867–25.8.1870: Sal. Volkart an Spitteler, Cochin, 9. 9. 1869.
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Indien oder Ceylon gesandt wurden. Ab den 1880er Jahren wurden neue Angestellte prinzipiell nur noch in Winterthur eingestellt – ein weiteres Zeichen für die zunehmende Zentralisierung der Entscheide innerhalb der Firma.9 Dadurch stieg einerseits der Anteil der schweizerischen Angestellten in der Firma sukzessive an, andererseits scheinen die in Winterthur ausgebildeten Angestellten auch zuverlässiger gewesen zu sein als die zuvor in Asien angeworbenen Europäer.10 Ein grundsätzliches Problem für die Überwachung der überseeischen Angestellten bestand in der großen geographischen Distanz zwischen den einzelnen Teilen der Firma. Die vier Niederlassungen in Indien und Ceylon lagen mehrere tausend Kilometer von Winterthur entfernt. Vor der Einrichtung des telegraphischen Verkehrs konnten sie nur per Brief mit dem Firmenhauptsitz kommunizieren, was oft mehrere Wochen in Anspruch nahm. Auch untereinander konnten die einzelnen Filialen, die jeweils mehrere hundert Kilometer voneinander entfernt lagen, vor Einführung der Telegraphie nur schwer miteinander in Verbindung treten. Sie waren deshalb im geschäftlichen Alltag mehr oder weniger auf sich allein gestellt. Für die Firmenleitung war es deshalb schwierig zu kontrollieren, ob sich die Angestellten an ihre Vorgaben hielten. Vor allem die Filialen in Colombo, Cochin und Karachi sorgten in dieser Zeit immer wieder für Verdruss und rote Zahlen. Wiederholt überlegte sich Salomon deshalb, diese Niederlassungen wieder zu schließen. So meinte er 1867 in einem Brief an den leitenden Manager in Cochin: „Wie wir schon frueher nach dort geschrieben haben, betreiben wir das Cochin Geschaeft nur so lange fort, als wir muessen, denn wir haben mit demselben bis dahin so traurige Erfahrungen gemacht, dass ich nicht laenger gutes Geld dort zulegen will.“11 Nach Ansicht Salomon Volkarts rührten die schlechten Resultate vor allem daher, dass die Leiter der Niederlassungen sich nicht an ihre Instruktionen hielten. So erteilte Volkart seinem Manager A. Spittler, der in Cochin für die Firma tätig und an der Leitung der Filiale Colombo beteiligt war, im Sommer 1869 einen Verweis wegen unsorgfältiger Geschäftsführung. Die Filiale in Colombo hatte die Leitung und Finanzierung einiger Kaffeeplantagen auf Ceylon übernommen und dabei große Verluste eingefahren. Volkart machte Spitteler mit dafür verantwortlich, dass „das Plantagengeschaeft nicht nur nichts abgeworfen hat, sondern uns in erheblichen Schaden gebracht hat“. Spitteler hatte nämlich die Menge Rohkaffee, die benötigt wurde, um einen Zentner getrockneten und gereinigten Kaffee zu erhalten, falsch kalkuliert. „Woher Sie zu einer solchen ungluecklichen Annahme gekommen, weiss ich nicht und unbegreiflich ist es fuer mich, wie Sie fortwaehrend auf dieselbe fußend, die ganze Saison hindurch zu operiren sich getrauten und nicht auf den sehr 9 Vgl. Kapitel 3. 10 Anderegg, Chronicle, 1976, 130f, 11 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867–25.8.1870: 2.7.1867, Sal. Volkart an Chevalier in Cochin.
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nahe liegenden Gedanken kamen, einen Versuch im Kleinen zu machen… Das ist mir ganz unerklaerlich und ein Versehen Ihrerseits, welches eine scharfe Ruege verdient.“ Die Verluste wurden noch vergrößert „durch Limitenueberschreitungen, gegen welche wir seit Jahr und Tag umsonst geeifert haben.“ Was Salomon Volkart zusätzlich verärgerte, war der Umstand, dass ihn seine Angestellten in Colombo erst nach und nach über die Hintergründe des schlechten Geschäftsganges informiert hatten. Geradezu entrüstet zeigte er sich darüber, dass in Colombo „Dinge vorgekommen sind, die genuegend zeugten von einer heillosen Wirtschaft, wo weder Sinn fuer Ordnung noch kaufmaennische Ehre zu Hause war, Fehler begangen wurden, die wir dann alle hier mit groeßter Muehe gutzumachen hatten, … und die uns die Schamroethe ins Gesicht trieben.“ So war die Filiale in Colombo etwa mit der Buchführung ein ganzes Jahr im Rückstand: „Was ist das fuer eine unverantwortliche Nachlaessigkeit! Ja da sind die krassen Fehler, wie sie stattgefunden leicht zu begreifen“.12 Die lamentablen Zustände in den verschiedenen Filialen stellten eine andauernde Bedrohung für die Existenz der Firma dar. Dabei war es nicht unproblematisch, dass die leitenden Manager zwar an den Gewinnen ihrer Filialen beteiligt waren – in den 1870er Jahren erhielten sie einen Anteil von 10 beziehungsweise 20% an den Resultaten ihrer Niederlassung –, allfällige Verluste aber voll und ganz zu Lasten der Gesamtfirma und damit der Teilhaber gingen.13 Die Zustände besserten sich erst, als mit Johann G. Sigg (1871) und Georg Gottfried Volkart (1875) zwei neue Teilhaber ernannt worden waren, und 1875 mit Theodor Reinhart ein überaus fähiger Kaufmann in die Firma eintrat, der 1879 ebenfalls Teilhaber der Firma wurde. Reinhart reiste 1877/78 nach Indien und Ceylon um dort nach dem Rechten zu sehen. Dabei stellte er fest, dass – entgegen dem ausdrücklichen Verbot durch die Firmenleitung und ohne deren Wissen – sämtliche europäischen Angestellten in Colombo Geschäfte auf eigene Rechnung durchgeführt hatten. Als Begründung führten sie an, dass die Lebenshaltungskosten in Colombo weitaus höher seien als an anderen Orten Südasiens, und dass es ihnen deshalb unmöglich sei, ein Guthaben auf die Seite zu legen, von dem sie nach ihrer Rückkehr nach Europa zehren könnten. Reinhart musste den Angestellten in Colombo diesbezüglich Recht geben. In einem Brief nach Winterthur schrieb er, dass der Lohn der Europäer bei Volkart Colombo zu niedrig sei, um sie „im indischen Klima zur Arbeit von frueh 6 Uhr bis Abends 6 Uhr zu encouragieren.“ Wenn sich die Gewinne der Niederlassung nicht drastisch erhöhten, so werde etwa der dortige Filialleiter nicht einmal ein so großes Vermögen erwirtschaften können, dass er „aus dessen Zinsen … in Europa sich und eine kleine Familie spaeter erhalten koennte, wenn er nicht durch Speculationen nebenbei hier Geld verdient.“ Wenn aber ein Angestellter auf eigene Rechnung Ge12 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867–25.8.1870: 22.7.1869, Sal. Volkart an Spitteler, acting BM Cochin. 13 Anderegg, Chronice, 1976, S. 105.
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schäfte mache und nicht seine volle Arbeitskraft für Volkart einsetze, dann „kaeme es direct oder indirect dem Geschaeft theurer zu stehen, als die ca. sfrs. 3000 mehr Remuneration per Jahr, wenn wir dafuer die Gewissheit haben, dass er nur fuer unser Geschaeft denkt und arbeitet. Die Hauptsache fuer uns ist ja, dass wir moeglichst selten einen change im Manager Personal unserer indischen Filialen haben und die gesammelten Erfahrungen eines Managers … ausnuetzen koennen und dazu muessen wir die Leute attachiren und ihnen eine Zukunft zeigen, sonst betrachten sie die Stellung nur als ein ‚pis aller‘ faute de mieux pour le moment und fuehlen ihre Interessen mit den unsern nicht genuegend vereint.“14 Als Folge von Reinharts Bericht wurden die Löhne der Angestellten angepasst. Es wurde ihnen aber auch klar gemacht, dass die Firma in Zukunft prinzipiell keine Geschäfte auf eigene Rechnung mehr tolerieren würde, während die Teilhaber in den 1860er und 1870er Jahren noch verschiedenen Angestellten in Cochin und Bombay die Erlaubnis für solche Geschäfte gegeben hatten.15
Inspektionen und Reglemente Theodor Reinhart sorgte aber nicht nur für eine Erhöhung der Löhne der in Südasien tätigen Angestellten, er führte auch zahlreiche organisatorische Neuerungen ein. So wurden fortan jährliche Mitarbeitergespräche durchgeführt, in denen die Vorgesetzten den Angestellten unter vier Augen Kritik und Lob aussprechen konnten.16 Da Theodor Reinhart bei seinem Besuch in Indien und Ceylon festgestellt hatte, dass zahlreiche Angestellte Mühe mit der Buchhaltung hatten, wurden die Filialen ab den späten 1870er Jahren regelmäßig durch Inspektoren besucht. Diese sollten sicherstellen, dass die Bücher in Ordnung waren und dass die Instruktionen des Hauptsitzes befolgt wurden. Die Manager der einzelnen Filialen mussten zudem regelmäßig Statistiken und Bilanzen nach Winterthur schicken, damit die Firmeninhaber über den Gang der Geschäfte auf dem Laufenden waren. Einzelne Angestellte reagierten sehr verärgert auf diese Neuerungen, mussten sich aber letztlich mit diesen abfinden.17 Die Kontrolle der Angestellten blieb ein ständiges Problem für die Firma. Als Volkart nach dem Ersten Weltkrieg stark expandierte, sahen sich die Teilhaber genötigt, eine Geschäftsordnung herauszubringen, die von jedem Angestellten bei der 14 VA, Dossier 2: Die Teilhaber II, Theodor Reinhart: Dr. Th. Reinhart, Colombo, an Winterthur, 20.12.1877. 15 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 155f. 16 VA, Dossier 2: Die Teilhaber II, Theodor Reinhart. 17 VA, Dossier 18: Winterthur I, 2 Functions of the HO (Winterthur); Anderegg, Chronicle, 1976, S. 173. Es ist aus den noch vorhandenen Quellen leider nicht zu erschließen, wie oft die Inspektoren die Filialen besuchten.
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alltäglichen Arbeit beachtet werden sollte. Diese Vorschriften erwiesen sich aber schon bald als nicht umsetzbar, da sie für das alltägliche Geschäft nicht flexibel genug waren.18 Das Spannungsverhältnis zwischen Controlling und der Gewährleistung des für das Handelsgeschäft notwendigen Handlungsspielraums bestand somit auch weiterhin. 1953 wurde dieser Zwiespalt in einem internen Memorandum so beschrieben: „Wird ein Pflichtenheft zu allgemein umschrieben, ist der Nutzen gering; wird in die Details gegangen, so wird dies als bürokratisches Reglement empfunden und kann die Bewegungsfreiheit und Initiative lähmen.“19 Die Teilhaber begnügten sich aber nicht mit der Entsendung von Inspektoren und der Verabschiedung von Reglementen. Sie suchten regelmäßig die Filialen auf, um sich selbst ein Bild über ihre Angestellten und die Art und Weise, wie die Niederlassungen organisiert waren, zu machen. Werner Reinhart meinte in einem Brief, den er während einer Inspektionsreise in Indien schrieb: „Ich habe wieder die Überzeugung bekommen, dass selbst ein so kurzer ‚Augenschein‘ an Ort und Stelle, wie ich ihn diesmal vorgenommen habe, einem unvergleichlich viel mehr Einblicke in die Dinge verschafft, als es lange Korrespondenzen & Personalrapporte je thun könnten.“20 Bei diesem Besuch im Jahr 1919 ordnete Werner Reinhart etwa in Tuticorin an, dass die europäischen Assistenten häufig die Lagerhallen besuchen sollten, um sich Kenntnisse über die verschiedenen Waren anzueignen, und „dass diese Visits, wenn sie einmal aufgenommen werden können, zu unregelmässigen Tageszeiten durchgeführt werden, damit der staff in den Stores nicht, wie jetzt, zum voraus genau weiss, wann der Europäer erscheint. Obwohl der jetzige Storekeeper ein absolut sicherer und tüchtiger Mann zu sein scheint und wir ja noch nie schlechte Erfahrungen gemacht haben, kann eine intensivere europäische Kontrolle nicht schaden“.21 Und bei einem Besuch in Karachi 1923 führte er sowohl Gespräche mit dem Personal der Filiale wie auch mit Geschäftsleuten in den Clubs der Stadt, um Aufschluss darüber zu erhalten, welcher der Angestellten in Zukunft mit der Leitung von Volkart Karachi betraut werden sollte.22 18 VA, Dossier 18: Winterthur I, 2 Functions of the HO; Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952. 19 VA, Dossier 20: VB Organisation 1952/53: KB, Prinzipien unserer Organisation, 6.7.1953. 20 VA, Privates von Hr. Werner Reinhart, Karachi (Management-Wechsel) 1923 (Nov.): WR, an Bord S/S Movehaw, an Volkart Winterthur, 5. Nov. 1923. Vgl. auch VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923 (keine Signatur). 21 VA, Privates von Hr. Werner Reinhart, Ceylon/Indien 1919: WR, Tuticorin, an Herrn Gebr. Volkart, Winterthur, 20. Juni 1919 22 VA, Privates von Hr. Werner Reinhart, Karachi (Management-Wechsel) 1923 (Nov.): WR, an Bord S/S Movehaw, an Volkart Winterthur, 5. Nov. 1923; WR, Karachi, 1. November 1923 an Herrn Gebr. Volkart Winterthur.
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Es waren nicht zuletzt geschäftliche Kontakte zu anderen Firmen oder Banken, die den Teilhabern von Volkart Hinweise auf ein mögliches Fehlverhalten ihrer Angestellten boten. So teilte ein Direktionsmitglied der Schweizerischen Bankgesellschaft 1932 Georg Reinhart, seines Zeichens Mitglied des Verwaltungsrates der Bank, im Vertrauen mit, dass ein Mitarbeiter von Volkart Bombay Schulden bei der Bankgesellschaft habe. Diese kamen zustande, weil der Mitarbeiter offenbar Börsengeschäfte auf eigene Rechnung gemacht hatte, die durch Aktien gedeckt waren, welche aufgrund des Kurszerfalls an Wert verloren hatten. Der Angestellte zahlte zwar regelmäßig kleinere Beträge zurück – und war bis 1937 wieder vollständig schuldenfrei –, da derartige Spekulationsgeschäfte eine Vertragsverletzung bedeuteten und die Gefahr bestand, dass ein verschuldeter Mitarbeiter Gelder unterschlagen könnte, machte sich Georg Reinhart nach Erhalt des Hinweises – der notabene eine Verletzung des Bankgeheimnisses darstellte – jedoch konkrete Gedanken, inwiefern der betreffende Mitarbeiter „allfällig zu ersetzen wäre.“23
Lebenslange Anstellung und gute Sozialleistungen Im November 1871 unterbreitete Salomon Volkart einem Angestellten, der in Bombay für die Firma tätig war, ein Angebot für eine Verlängerung des Vertrages. Dabei fügte er an, „dass nach unsern vielseitigen und zuverlaessigen Erkundigungen kein anderes Bombay Haus seine Angestellten in der Weise honorirt, wie wir es stets gewohnt gewesen.“24 Es ist heute kaum mehr zu eruieren, ob Volkart zu diesem Zeitpunkt tatsächlich bessere Löhne zahlte als andere Handelsfirmen in Bombay. Sicher ist, dass eine angemessene Entlöhnung ein wichtiges Kriterium war, um fähige Angestellte zu finden und sicher zu stellen, dass diese sich für das Unternehmen einsetzten. Gerade wegen der extremen klimatischen Bedingungen waren viele europäische Angestellten darauf aus, während ihres Aufenthaltes in Asien so viel Geld wie möglich zu verdienen, um anschließend schnellstmöglich nach Europa zurückkehren und dort vom Ersparten leben zu können.25 Allgemein scheint Volkart jedoch eine eher zurückhaltende Lohnpolitik verfolgt zu haben, was nicht selten zu Problemen führte. Werner Reinhart stellte etwa 1919 bei einem Besuch in Bombay fest, dass die schlechte Entlöhnung der indischen Einkaufsagenten für die Firma negative Folgen habe. Nicht 23 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Schwarze Schafe: C. Huggenberg, Direktion der Schweizerischen Bankgesellschaft, an Georg Reinhart, Mitglied des Verwaltungsrates der Schweizerischen Bankgesellschaft, Winterthur, 3. März 1932; Georg Reinhart an Werner Reinhart, 11. Februar 1932. 24 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867–25.8.1870: 3.11.1871, Winterthur an S. Hanhart, Bombay. 25 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 132.
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nur, dass Volkart Mühe hatte, fähigen Nachwuchs zu rekrutieren, „da sich von vornherein gute Kräfte bei uns nicht melden, weil wir als schlechte Zahler bekannt seien.“ Die Politik der Leiter von Volkart Bombay sei auch sonst äußerst kurzsichtig: „Man zahlte Sub-Agents an wichtigen Plätzen nur 35–40 Rupien Monatssaläre und wundert sich dann, wenn einen die Leute für zehnmal mehr, als was man an Salär sparen wollte, mit schlechter Ware hereinlegen, weil man sie direkt den Händlern ins Netz trieb.“ Reinhart sprach deswegen mit dem Management in Bombay und verlangte, „dass wir in Zukunft liberaler sein müssen“.26 Dies scheint jedoch nicht passiert zu sein. Heinz Frech, der in den 1950er Jahren für Volkart in Pakistan tätig war und sich in seiner Erinnerungsschrift sehr positiv über die in der Firma herrschende „lautere und ethische Gesinnung“ äußerte, meinte, Volkart habe sich im Gegensatz zu anderen in Asien tätigen Schweizer Handelsfirmen nicht durch eine besonders großzügige Lohnpolitik ausgezeichnet. So habe es etwa bei Volkart keine derart hohen Bonuszahlungen gegeben wie sie bei anderen Firmen üblich waren: „Allgemein galt daher der Spruch ‚you will never get rich with Volkarts‘. Eine evidente Knauserigkeit widerspiegelte das asketische Auftreten der beiden Reinhart Partner und vielfach auch der Führungscrew selber.“27 Ein wichtiger Aspekt in Bezug auf die Bindung der Angestellten an die Firma waren die langfristigen Beschäftigungsverhältnisse. Bis in die 1950er Jahre waren die Anstellungen zwar stets befristet: auf den ersten Fünfjahreskontrakt folgten weitere Vierjahreskontrakte.28 Doch die Angestellten konnten damit rechnen, dass ihre Verträge erneuert würden, wenn sie ihre Aufgaben zuverlässig erfüllten. Viele Angestellte blieben ihr ganzes Berufsleben bei Volkart; die in Indien tätigen Europäer wurden nach ihrer Rückkehr nach Europa meist im Hauptsitz weiter beschäftigt. Derart langjährige Beschäftigungsverhältnisse waren auch bei anderen Handelshäusern üblich. Sie waren nicht zuletzt deshalb zentral für die Firmen, da das Wissen der Angestellten, ihre Kenntnisse der Produkte, der Geschäftspraktiken sowie der örtlichen Verhältnisse unerlässlich waren für den Erfolg eines Handelshauses. Diese Kenntnisse waren das kulturelle Kapital der Firma, und untrennbar mit den jeweiligen Mitarbeitern verbunden.29
26 VA, Privates von Hr. Werner Reinhart, Ceylon/Indien 1919: WR, Bombay, an Winterthur, 12. August 1919. 27 Frech, Baumwolle, Stahl und Stolpersteine, 2001, S. 21 und 23. Mit den beiden Partnern sind hier Peter und Balthasar Reinhart gemeint. 28 VA, Dossier 25: I/P/C Terms of European Staff: Circular to all Employees on Home Agreement, Winterthur, 15. Juni 1954. 29 Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 213–215. So waren auch die Angestellten von Ralli jeweils sehr lange bei der Handelsfirma angestellt: GL, Records of Ralli Bros., Ms. 23836: Historical material on the company, 1902–1952: Leoni M. Calvocoressi, The House of Ralli Brothers, 1952.
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Georg Reinhart verwies 1939 in einem internen Memorandum auf einen weiteren Vorteil von langfristigen Beschäftigungsverhältnissen, und zwar in Bezug auf die damit verbundene Sozialisation der Angestellten: „Wann immer möglich empfiehlt es sich, den Nachwuchs selber heranzuziehen, da man auf diese Weise über die Charaktereigenschaften besser informiert ist und diese Eigenschaften bis zu einem gewissen Grade formen kann. Wir haben gute Erfahrungen gemacht mit Leuten aus solchem Nachwuchs, die wir später in leitende Stellungen gebracht haben.“ Um die Verbundenheit der Angestellten an die Firma zu erhalten, war es jedoch zentral, dass das Unternehmen sich gegenüber diesen stets kulant zeigte. Hierzu meinte Georg Reinhart: „Bei Entlassung älterer Leute, die noch nicht das Pensionsalter erreicht haben, hat die Firma diese stets in liberaler Weise abgefunden, ja selbst Fehlbare haben wir mit Grossmut behandelt. Die Firma verdankt ihr Prestige nicht zuletzt der humanen und liberalen Behandlung, die sie ihren Angestellten angedeihen lässt.“30 Dies waren nicht nur leere Worte. Die Quellen zeigen, dass die Firma Volkart von ihren Angestellten durchaus als großzügiger Arbeitgeber angesehen wurde. Als sich im November 1918 die sozialen Spannungen, die sich in der Schweiz während des Ersten Weltkrieges aufgebaut hatten, in einem landesweiten Generalstreik entluden und auch das Kartell der Angestellten des Platzes Winterthur zum Streik aufrief, meinten die Teilhaber von Volkart in einem Zirkular an ihre Angestellten in Winterthur, sie seien der Ansicht, die durchaus berechtigten Forderungen ihres Personals stets freiwillig erfüllt zu haben.31 Umgehend antworteten die Angestellten, dass sie mit ihrer Situation durchaus zufrieden seien. Sie seien der Firma Volkart zu Dank dafür verpflichtet, dass diese ihnen schon vor dem Krieg bezahlte Ferien zugestanden habe, was damals nicht üblich gewesen sei. Überhaupt wolle man den Teilhabern danken für ihre „fürsorgliche Gesinnung“, die sich etwa darin gezeigt habe, dass sie ihnen während des Krieges „in vorbildlicher und weitgehender Weise“ einen Teuerungsausgleich gewährt habe. Auch die ausbezahlten Gratifikationen hätten die Erwartungen weit übertroffen. Man sprach deshalb den Teilhabern die volle Anerkennung aus für die „Fürsorge und Generosität, die Sie nun noch durch Stiftung eines Hinterbliebenen- Alters- und Invalidenversicherungsfond im Betrage von einer Million Franken zu krönen beabsichtigen.“ Die Teilhaber könnten deshalb versichert sein, „dass wir des zwischen Firma und Angestellten bestehenden freundschaftlichen Verhältnisses
30 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, The Family Code of the House of Mitsui, Japan, aufgestellt im siebzehnten Jahrhundert und mein Kommentar dazu vom 10./11. November 1939, S. 10f. 31 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Verbesserungen im Geschäftsbetrieb und verschiedene Anregungen, 1896–1924: Circular an das Winterthurer Personal durch Geschäftsleitung, Winterthur, 13. November 1918.
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stets eingedenk und störenden Beeinflussungen von innen und aussen unzugänglich sein werden“.32 Volkart führte 1916 für die europäischen wie auch die einheimischen Angestellten in Indien und Ceylon einen so genannten Staff Provident Fund ein, der durch paritätische Beiträge von Firma und Angestellten gespeist wurde. 1919 wurde eine ähnliche Altersvorsorgeeinrichtung für Mitarbeiter in der Schweiz eingerichtet – worauf sich der oben zitierte Brief bezog –, 1938 für Mitarbeiter in Deutschland, 1942 für solche in den USA und 1948 für Angestellte in England.33 Diese Altersvorsorgeeinrichtungen wurden von den Teilhabern von Volkart sicher auch eingeführt, um das Verhältnis zwischen Firma und Angestellten zu stabilisieren und um gut qualifizierte Arbeitskräfte langfristig ans Unternehmen zu binden. Hinter der Einrichtung des schweizerischen Pensionsfonds standen aber auch ganz banale steuerliche Motive. So waren ab 1916 in der Schweiz Firmengewinne, die in innerbetriebliche Pensionskassen investiert wurden, von der Steuer befreit. Das entsprechende Gesetz war ursprünglich als sozialpolitische Ausgleichsmaßnahme zur Einführung der Kriegsgewinnsteuer gedacht, es blieb jedoch nach 1918 als steuerliche Maßnahme zur Förderung der beruflichen Altersvorsorge in Kraft. Als Folge davon gründeten zahlreiche Firmen betriebseigene Stiftungen zur beruflichen Altersvorsorge oder schlossen Gruppenversicherungsverträge mit Lebensversicherungen ab.34 In der zweiten Hälfte der 1920er Jahre schrieb Volkart aufgrund der Krise des Welthandels schwere Verluste. Dennoch zahlten die Teilhaber ihren Angestellten auch während dieser verlustreichen Jahre einen Bonus aus, obwohl die Bonusse eigentlich als Gewinnbeteiligung gedacht gewesen waren. Sie konnten nur ausbezahlt werden, weil die Firma auf jede Abschreibung und auf die Verzinsung des durch die Teilhaber in das Unternehmen investierten Kapitals verzichtete, und die Partner zusätzlich mehrere hunderttausend Franken aus ihrem Privatvermögen an die Zahlung der Bonusse beisteuerten. Anstatt nun aber von den Angestellten Dankbarkeit für diese Maßnahme zu fordern, entschuldigten sich die Teilhaber in einem Rundschreiben von 1926 dafür, dass aufgrund des schlechten Geschäftsganges nicht die selben Bonusse möglich seien wie in Boomzeiten, und sie erinnerten daran, dass die Firma Volkart ihre Mitarbeiter immer in größerem Maße „als irgendein ähnlich situiertes Unternehmen an … Ueberschüssen“ habe „teilhaben lassen“. Die Teilhaber appellierten an das Verständnis der Angestellten, die in der jetzigen Situation als Kaufleute denken müssten und nicht als Beamte: „Wir wünschen, dass jeder Einzelne unserer 32 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Verbesserungen im Geschäftsbetrieb und verschiedene Anregungen, 1896–1924: Brief der Angestellten an die Herren Prinzipale, Winterthur, den 15. November 1918. 33 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 181. 34 Lengwiler, Drei-Säulen-Konzept, 2003, S. 34; Leimgruber, Solidarity without the State, 2008, S. 64–82.
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Mitarbeiter sich als ein eigentlicher Teilhaber des Geschäftes fühlen soll, teilhabend sowohl an dem Ergebnis, aber auch an den Mühen und Sorgen und an der aufbauenden Arbeit. Wir wünschen eine wirkliche Schicksalsgemeinschaft mit unseren Mitarbeitern.“35 In einem internen Schreiben verwies Georg Reinhart in diesem Zusammenhang ausdrücklich auf den Unterschied zwischen Teilhabern, die wie die Reinhart-Brüder ihre eigene Firma leiteten, und Aktionären, die bloß ihr Kapital in einem Unternehmen investiert hätten, welches als Aktiengesellschaft organisiert sei. Die Aktionäre hätten abgesehen von ihrer finanziellen Beteiligung keinen Bezug zum Unternehmen und den darin beschäftigten Angestellten. Ganz anders dagegen die Teilhaber von Volkart: „In unserer Firma betrachten die ‚Geldgeber‘ ihre Angestellten als ihre Mitarbeiter und wollen sich ihrerseits von letzteren ebenfalls als deren Mitarbeiter betrachtet wissen. Auf dieser gegenseitigen Mitarbeiterschaft kann nach meiner Ansicht ein Gefühl gegenseitigen Vertrauens und der Solidarität – auch in schwierigen Zeiten – fussen, wie wir es zu unserer Freude bei einem grossen Teil unseres Staffs feststellen können, und wie man es aber bei der Aktiengesellschaft im selben Masse nicht erwarten kann.“36 Es ist bemerkenswert, dass Georg Reinhart in diesem Schreiben, welches bloß an die Mitglieder der Geschäftsleitung gerichtet war, diese Großzügigkeit nie mit ökonomischen Argumenten rationalisierte – etwa mit der Überlegung, dass es sinnvoll sein könnte, die hoch qualifizierten Mitarbeiter durch derartige Maßnahmen langfristig an die Firma zu binden. Es scheint eher, als ob sich die Teilhaber einem ungeschriebenen Gesetz verpflichtet gesehen hätten, das als Leitlinie dafür diente, wie eine Familienfirma wie Volkart mit ihren Angestellten umzugehen habe.
Diskursive Mittel zur Schaffung eines betrieblichen Zusammengehörigkeitsgefühls Die Verbundenheit zwischen Angestellten und der Firma wurde aber nicht nur durch Sozialleistungen und langfristige Beschäftigungsverhältnisse gefestigt. Auch diskursive Mittel sollten helfen, die Vorstellung des Unternehmens als großer Gemeinschaft zu befördern. Immer wieder richteten die Firmeninhaber Appelle an das Ehrgefühl der Angestellten. Theodor Reinhart etwa meinte in einer Rede an die Angestellten des Winterthurer Hauptsitzes im Januar 1919: „Die glorreiche Fahne von Volkart Brothers, der wir alle dienen, hat manchen äusseren und auch inneren Sturm erlebt, und wenn sie heute höher und prächtiger als je weht, so verdankt sie dies … nicht zuletzt dem kompakten Zusammenschluss von Haupt und Gliedern und dem guten 35 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Zur Frage Tantièmen vs. Bonus 1917–1933: Rundschreiben an unsere Mitarbeiter, Winterthur, 23. Dezember 1926, streng vertraulich. 36 Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Zur Frage Tantièmen vs. Bonus 1917–1933: Georg Reinhart, Zu Herrn Häfligers Exposé über „Bonus versus Beteiligung“, 4. März 1929.
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Truppengeist in jedem Range.“ Um sich gegen die starke Konkurrenz behaupten zu können, sei es essenziell, dass jeder Angehörige der Firma, „von der obersten Spitze bis zum jüngsten Mitarbeiter, sich in erster Linie als ‚Diener der Firma‘ fühlt und erst in zweiter als Vertreter seiner individuellen Interessen, also wenn sie wollen, als Soldat und nicht als Söldner.“ Im Namen der Teilhaber bat er die jüngeren Mitarbeiter der Firma, stets daran zu denken, „dass Sie zu einem Elitekorps der Kaufmannschaft des Welt-Grosshandels gehören“, weshalb es „für jeden von Ihnen, speziell für die, welche weitab von den Augen ihres Chefs oder Vorgesetzten in der Ferne der Firma dienen, eine hohe und schöne Ehrenpflicht ist, sich selbst vor seinem eigenen Gewissen und unter den Augen Dritter allezeit blank zu halten. Ein jeder von Ihnen möge es als seine schöne Pflicht betrachten, diesen guten Geist auch bei seinen Mitarbeitern zu wecken und heranzuziehen und Verstösse irgendwelcher Art gegen ihn niemals schweigend zu dulden, noch gutzuheissen.“37 Die Metaphorik des Dienens tauchte auch einige Jahre später in der Rede des Leiters von Volkart Bombay zum 75. Firmenjubiläum auf. Er stellte die rhetorische Frage, warum sich Menschen überhaupt für den Erfolg einer Firma, bei der sie beschäftigt waren, einsetzen würden. Die nahe liegende Schlussfolgerung, „that men will never become tired of just ‚making money‘“, fand er nicht vollständig überzeugend. Er verwies dagegen auf die beiden Firmengründer, welche realisiert hätten, „that their alloted task consisted of rendering service to many people, in India and Europe“, und er fuhr fort: „In an organisation like the Firm of Volkart Brothers the spirit of service, the guiding ideal must never be lost sight of. The Firm itself must apply to humanity at large; its aim must be to accumulate the means wherewith to render ever greater service to the peoples in the four corners of the earth. … Only if we admit, if we recognize the truth in the saying that ‚man does not live by bread alone‘ – that is by money alone – … can we hope in the fullness of our time to look back upon work well done.“38 Diese Appelle waren mehr als bloße Rhetorik. Sie waren auch ein Ausdruck des Selbstbildes der Firma, wonach die Generierung eines möglichst hohen Profites nicht der Hauptzweck des Unternehmens sein könne, sondern dass es darum gehe, gegenüber der Kundschaft eine Dienstleistung zu erfüllen. Auffallend ist, dass sich die Teilhaber von Volkart erst nach 1918 darum bemühten, mit solch diskursiven Mitteln den Zusammenhalt der Firma zu verstärken. Dies hat wohl vor allem damit zu tun, dass aufgrund der geschäftlichen Expansion nach dem Ersten Weltkrieg die persönliche Bekanntschaft zwischen den einzelnen Angehörigen der Firma nicht 37 SSW, Nachlass Theodor Reinhart: Ms Sch 79/20: Biographisches/Artikel im Neuen Winterthurer Tagblatt vom 1. Oktober 1928 zum Neubau des Hauptsitzes der Gebr. Volkart: Auszug aus einer Rede von Theodor Reinhart, die er am 2.1.1919 an die Winterthurer Mitarbeiter hielt. 38 V.B. News, No. 14, June 1926, S. 6.
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mehr selbstverständlich war, so dass der direkte Kontakt durch eine mediale Vermittlung ersetzt werden musste. Zudem dürften die Teilhaber versucht haben, als Kompensation für die unsichere weltwirtschaftliche Situation und die zunehmenden politischen Spannungen für eine größtmögliche innerbetriebliche Stabilität des Handelshauses zu sorgen. So veröffentliche Volkart ab 1920 eine aufwendig gestaltete Mitarbeiterzeitschrift, die „V.B. News“. Diese sollte gemäß einer Passage in der Jubiläumsschrift von 1926 „ein geistiges Band bilden, das unsere über drei Erdteile verteilten Mitarbeiter verbindet“. Im Editorial der ersten Nummer wurde der Zweck der Publikation so umschrieben: „Contact is the basis of good understanding and good understanding is the basis of friendship and where friendship guides the promotion of mutual interests, the success cannot be wanting. … [T]he first number of ‚The V. B. News‘ goes out into the world to assure our friends in branch offices, agencies and sub-agencies of the interest we take in their work and their recreation and in their well-being in general.“39 In ausführlichen Beiträgen schilderten die Mitarbeiter ihre Erlebnisse während ihrer Ferienreisen durch das indische Hinterland oder beschrieben darin die Eigenheiten der japanischen Kultur. Daneben stellten die „V.B. News“ aber auch ein Mittel dar, um die Mitarbeiter über neue geschäftliche Entwicklungen oder personelle Veränderungen und Dienstjubiläen zu informieren. Immer wieder wurden Artikel über die Tätigkeit einzelner Filialen publiziert, wie etwa über die Feinheiten des Kokoshandels an der Malabarküste, die Praktiken im amerikanischen Baumwollhandel oder im Maschinenimport nach Ostasien. In einzelnen Beiträgen wurden wichtige europäische Agenten oder indische Broker vorgestellt, und verschiedentlich wurden die Mitarbeiter über Details im Finanzwesen oder im Seetransport informiert. Zudem wurden immer wieder Belegschaftsfotografien abgedruckt, auf denen die Mitarbeiter der einzelnen Filialen abgebildet waren – wobei die betriebliche Hierarchie dadurch symbolisiert wurde, dass die Vorgesetzten stets im Zentrum der Bilder saßen oder standen und ihre Untergebenen sich um sie herum gruppierten.40 Die „V.B. News“ stellten damit einen Versuch dar, ein Gefühl der Verbundenheit mit der Firma herzustellen, das aufgrund der Distanz zwischen den einzelnen Filialen nicht mehr durch face to face-Kontakte aufrecht erhalten werden konnte, das aber für den Erfolg des Unternehmens unerlässlich war. Diese Problematik wurde in den frühen 1950er Jahren auch im Entwurf für ein Büchlein, welches den Mitarbeitern überreicht werden sollte, angesprochen. Angesichts der Größe der Firma und der zunehmenden Spezialisierung im Handelsgeschäft sei es unmöglich, dass jeder Mitarbeiter das gesamte Unternehmen überblicken könne. Dennoch sei es wichtig, dass er sich diesem verbunden fühle und seine Aufgabe erfülle, denn „the work of each individual employee 39 V. B. News, No. 1, November 1920, S. 1. 40 Vgl. zum Zusammenhang von fotografischer Vergegenwärtigung und betrieblicher Disziplinierung Lüdkte, Gesichter der Belegschaft, 1994.
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is necessary; it is an integral part of the whole business, like the wheels of a clockwork which can only work to perfection if even the smallest wheel fulfils its task.“41 In der firmeninternen Kommunikation tauchten ab den 1920er Jahren häufig metaphorische Umschreibungen auf, um das Unternehmen zu beschreiben. Besonders ausgeprägt war dies jeweils in den Reden zu den verschiedenen Firmenjubiläen. Als Volkart 1926 das 75jährige Bestehen feiern konnte, äußerte Georg Reinhart die Überzeugung, der hauptsächliche Sinn solcher Jubiläumsfeiern bestehe darin, dass der „gute Geist, dieser Kollektivwille …, der sonst nur als verborgene Kraft unter der Oberfläche wirkt“, einmal zum Ausdruck kommen könne: „So feiern denn heute mit uns in allen Teilen der Welt einige Tausend Menschen verschiedenster Rasse, Nationalität und Religion das Bestehen ihrer Zusammengehörigkeit unter der einigenden Flagge, die die Initialen V. B. trägt. Japaner, Chinesen, Malayen, Inder, Parsen, Schweizer, Deutsche, Engländer und Amerikaner fühlen sich heute mehr denn je als Teile eines sich über die ganze Erde erstreckenden Organismus, der ohne Rücksicht auf staatliche Grenzen und nationale Eifersüchteleien sein eigenes Leben lebt und seine eigenen Gesetze in sich trägt.“ Anschließend nahm er seine Zuhörer auf eine Gedankenreise von den Niederlassungen in Japan und China zu den Filialen in Singapur, Indien und Ceylon, dann zum Stammhaus in Winterthur und weiter zu den Filialen in Bremen, Hamburg, Liverpool und New York mit, um ihnen noch einmal die weltumspannende Organisation des Handelshauses vor Augen zu führen.42 Auf Reinharts Rede nahm 25 Jahre später ein leitender Angestellter von Volkart Bombay Bezug, als er anlässlich des 100jährigen Firmenjubiläums ebenfalls eine Ansprache hielt. Er führte an, dass die Firma in der Zwischenzeit weiter expandiert hatte und nun auch in den USA über zahlreiche Filialen zum Baumwolleinkauf verfügte: „It is now five o’clock Indian standard time. While our friends in Japan may already be thinking of going home, on the other side of the world, in California, Mr. Hurschler, whom many of you will remember, and his staff, are still fast asleep. We might, therefore, say that the sun does not set on Volkart Brothers.“43 Auch dieser Angestellte verglich das Handelshaus mit einem Organismus, womit er implizierte, dass sämtliche Teile der Firma zusammenhingen und nicht ohne einander überleben könnten. Doch die Firma habe gegenüber dem Körper den wesentlichen Vorteil, dass sie nicht altere: „It has the advantage over the human body of constant rejuvenation, provided the people who make up the firm are willing to keep it alive. They take over from their
41 VA, Dossier 20: VB Organisation 1952/53. 42 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 301–305. 43 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: R.H. Schuepp, Ansprache anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums in Bombay, 1. Februar 1951.
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predecessors, they hand over to their successors after working and improving and enlarging.“44 Eine Naturmetapher mit ähnlichen Implikationen verwendete auch Peter Reinhart am Firmenjubiläum von 1951. Er gestand, dass das Bild des Baumes, mit dem sein Vater die Firma einmal verglichen habe, ihn stets deprimiert habe, da ein Baum irgendwann einmal absterbe. Wenn diese Metapher zutreffen würde, dann müsste man heute mit einer jungen Firma Geschäfte machen und nicht mit einer alten wie Volkart. „Aber zum Glück stimmt der Vergleich ganz einfach nicht: die Firma darf nicht mit einem Baum, sondern sie muss mit einem Wald verglichen werden. … Wer redet schon von einem ‚alten Wald’. … Im Gegenteil, gerade die ältesten Wälder enthalten die gesunde und dabei so schöne Mischung nicht nur von Bäumen der verschiedensten Sorten, sondern auch der verschiedensten Alter“. Der Wald erneuere sich ständig und wenn keine Katastrophe eintreffe oder er der Unvernunft einer Raubbau betreibenden Obrigkeit zum Opfer falle, so könne er über Jahrhunderte gedeihen.45
Die Metapher der Betriebsfamilie All diese Metaphern betonten die Langlebigkeit, die Lebendigkeit und die Zusammengehörigkeit der Firma Volkart. Das gilt auch und ganz besonders für die Metapher der Betriebsfamilie. Diese wurde sowohl von Teilhabern wie von Angestellten immer wieder verwendet, um ihr Verhältnis zur Firma zu umschreiben. Als im August 1951 Werner Reinhart verstorben war, drückte Heinrich Wachter, seines Zeichens langjähriger leitender Angestellter der Firma Volkart, in einer Rede während der Abdankung in der Stadtkirche Winterthur der Familie des Verstorbenen sein Mitgefühl aus. „Aber“, so fuhr er fort, „nicht nur in diesem Kreis ist eine schmerzliche Lücke gerissen worden. Es existiert noch eine zweite Familie, die in gleicher, aufrichtiger Trauer in Mitleidenschaft gezogen worden ist. Ich denke an die grosse Arbeitsgemeinschaft der Firma Gebrüder Volkart, beginnend beim jungen Lehrling, beim Praktikanten, aufsteigend zum Angestellten, Abteilungschef und Prokuristen, einschliesslich das bei den überseeischen Niederlassungen in der weiten Welt tätige eigene Personal und die zahlreichen Vertreter im Ausland, bis hinauf in den Kreis der engsten Mitarbeiter des verstorbenen Chefs.“46 Dieses Zitat zeigt, dass die Verbundenheit der Angestellten nicht nur auf die Firma bezogen war, sondern, da diese als Familienfirma quasi identisch war mit den Teil44 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: R.H. Schuepp, Ansprache anlässlich des 100-Jahr-Jubiläums in Bombay, 1. Februar 1951. 45 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 12f. 46 Wachter, Nachruf im Namen der Arbeitsgemeinschaft der Firma Gebrüder Volkart, o.J. [Winterthur 1951].
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habern, sich auch auf die Firmenbesitzer bezog. Der persönliche Kontakt zwischen Firmeninhabern und Angestellten wird von Harold James als ein bedeutender Vorteil von Familienunternehmen gewertet. Die Tatsache, dass das Unternehmen mit einem bestimmtem Personenkreis assoziiert wird, biete den Angestellten eine Kontinuitätsgarantie und fördere ihre Bindung an den Betrieb.47 Dies wurde von den Teilhabern der Firma Volkart durchaus als Vorteil erkannt. Georg Reinhart etwa meinte 1923 in einem internen Exposé, der „Umstand, dass wir ein reines Familiengeschäft sind, … gibt unseren Angestellten das sichere Gefühl, dass das Firmenkapital beisammen bleibt und dass sie nicht für Teilhaber arbeiten, die ihr Geld eines schönen Tages aus der Firma zurückziehen, wenn sie glauben, genug verdient zu haben.“48 Diese persönliche Bindung an den Betrieb blieb auch dann bestehen, wenn die Angestellten nicht in Winterthur tätig waren, sondern in den Filialen auf weit entfernten Kontinenten. Zum einen kannten sämtliche europäischen Angestellten die Teilhaber persönlich, da ab den 1880er Jahren, wie weiter oben erwähnt, sämtliche Anstellungen von Europäern in Winterthur vorgenommen wurden. Zum anderen bildete die Besitzerfamilie ein wichtiges Element in der symbolischen Selbstdarstellung der Firma. Dabei spielten nicht nur die jeweils aktuellen Firmenbesitzer eine Rolle, sondern auch die früheren Teilhaber, besonders die beiden Firmengründer. Ihre Porträts wurden regelmäßig in den firmeninternen Publikationen – Festschriften und Mitarbeiterzeitungen – abgebildet.49 Auch in den einzelnen Filialen wurden häufig Fotografien der Teilhaber oder der Firmengründer an die Wand gehängt, die den Angestellten damit gewissermaßen bei der Arbeit über die Schulter blickten. Auch die Teilhaber benutzten die Metapher der Betriebsfamilie, um die Beziehung zu ihren Angestellten zu umschreiben. Georg Reinhart etwa beschwor in seiner Jubiläumsrede von 1926 den geistigen Zusammenhalt des Unternehmens, „den Geist, der im Mitarbeiter … den Kameraden sehen lässt, den Geist, der jeden Vorgesetzten zum väterlichen Freund und Berater seiner jeweiligen Untergebenen macht“.50 Wie eng die Beziehung zwischen den Teilhabern und ihren leitenden Angestellten sein konnte, zeigt sich etwa daran, dass Georg Reinhart die Patenschaft der Tochter Ernst Müller-Renners übernommen hatte, seines Zeichens Leiter der Baumwollabteilung von Volkart.51 Doch auch im Verhältnis mit anderen Angestellten spielte der enge persönliche Kontakt eine wichtige Rolle. So meinte etwa ein langjähriger Angestell47 James, Familienunternehmen in Europa, 2005, S. 11f. 48 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Zur Frage Tantièmen vs. Bonus 1917–1933: Zur Frage der Gewinnbeteiligung von Managers und Angestellten. Abschrift eines von Herrn Georg Reinhart am 8. November 1923 verfassten Exposés, S. 11. 49 Damit ist Volkart kein Einzelfall. Auch in anderen Handelsfirmen wie etwa bei André oder Philip Bros. wurde die Metapher der Betriebsfamilie häufig verwendet: Guex, The development of Swiss trading companies, 1998, S. 158. 50 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 308f. 51 Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 47.
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Abb. 10 Robert Scherer, Co-Leiter der Volkart-Filiale in Bombay 1941. An der linken Wand hängt ein Bild von Salomon Volkart (VA, Dossier 104: Photos Bombay, Bombay 1941)
ter der Firma anlässlich der Erinnerungsfeier an den 1955 verstorbenen Georg Reinhart, dass „Herr Georg Reinhart … stets für das Wohlergehen des ganzen Personals besorgt“ gewesen sei: „Es war immer eine Freude mit Herrn Georg Reinhart über geschäftliche Probleme zu sprechen, … und jede Begegnung mit ihm weckte immer das beruhigende Bewusstsein, dass an der obersten Spitze unserer Firma ein vornehm denkender Chef stand. ... So gelang es ihm, den einzelnen zum vollen Einsatz seiner Kräfte anzuspornen, zum Wohle der Firma und zur Befriedigung seiner Mitarbeiter.“ Der Angestellte schloss seine Ansprache mit der Bemerkung: „Für alle von uns, welche die Ehre und das Glück gehabt haben, lange Jahre unter der umsichtigen Leitung des Herrn Georg Reinhart in unserer Firma mitzuwirken, war er und wird es immer bleiben: das Beispiel eines feinfühligen, edlen Menschen, eines gütigen Prinzipals und eines vorbildlichen Arbeitgebers.“52 Anlässlich des Hundertjahr-Jubiläums hatte derselbe Angestellte sich bereits über die soziale Haltung der Teilhaber geäußert. Diese illustrierte er, indem er beschrieb, wie die Teilhaber den Angestellten jeweils zu Ende des Jahres ihre Gratifikation überreichten: „Und wie glücklich sind wir, dass wir jedes Jahr, wenn Weihnachten vor der 52 Weber, Rede gehalten am 16. September 1955, 1956.
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Türe steht, nach schönem alten Brauch, der Reihe nach vom ältesten Prokuristen bis zum jüngsten Stift, ins Büro von Herrn Georg Reinhart, wo die vier Herren Teilhaber versammelt sind, eintreten dürfen, viele von uns vielleicht mit ein wenig Herzklopfen …, um aus ihren Händen unsere schönen Neujahrsgratifikationen entgegenzunehmen.“ 53 Diese Schilderung zeigt, dass das Verhältnis zwischen Angestellten und den Teilhabern nicht nur eine rein geschäftliche Note hatte. Dadurch, dass die Teilhaber die Sonderzahlung jeweils kurz vor Weihnachten, dem Familienfest par excellence, persönlich ihren Angestellten überreichten, und diese wiederum wie kleine Kinder mit Herzklopfen ihr Geschenk entgegennahmen, nahm dieses Verhältnis auch Anleihen an die symbolische Familienordnung. Diese Ansprachen folgten natürlich der sozialen Konvention, dass an öffentlichen Veranstaltungen wie einer Abdankungsfeier oder einem Firmenjubiläum nichts Negatives über die Firma oder die jeweiligen Vorgesetzten gesagt werden durfte. Dennoch stellten sie weit mehr dar als die Wiedergabe eines geschönten Selbstbildes des Unternehmens. Zum einen korrespondierten sie mit der durchaus kulanten Haltung der Teilhaber gegenüber ihren Angestellten – etwa in der Krise der späten 1920er Jahre. Zum anderen konnte die Reminiszenz an die Großzügigkeit der früheren Firmeneigner als Appell an die aktuellen Teilhaber verstanden werden, an dieser Tradition auch in Zukunft festzuhalten.
Heiratsgebote Tatsächlich wies der in den firmeninternen Publikationen oft beschworene „Volkart spirit“54 durchaus paternalistische Züge auf. Wie sehr das Verhältnis zwischen Firmeneignern und Angestellten Parallelen zu einem Vater-Sohn-Verhältnis besaß, zeigte sich nicht nur daran, dass ein langjähriger Angestellter in seinen Erinnerungen an Theodor Reinhart auf die „väterlich-weisen, oft witzig-humorvollen Ratschläge“ verwies, die dieser jeweils „den nach Indien ausreisenden ‚greenhorns’ bei der Verabschiedung mit auf den Weg“ gegeben habe.55 Die Firma hatte auch ein entscheidendes Wort mitzureden, wann und ob ein Angestellter heiraten durfte. Selbst wenn dies in den Anstellungsverträgen nicht explizit erwähnt war, so galt es doch als ungeschriebenes Gesetz, dass die Angestellten, die nach Übersee geschickt wurden, sich erst nach Ablauf des zweiten Kontraktes, also etwa mit 28 Jahren, verheiraten durften. Wenn sie sich früher verheiraten wollten, dann erwarteten die Teilhaber, dass die Angestellten bei ihnen um Erlaubnis nachfragten. Dies galt auch, wenn die Angestellten 53 Weber, Rede, o.J. [Winterthur 1951], S. 25f. 54 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 177–187. 55 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: Walter Fenner, Erinnerungen, Januar 1977.
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eine Frau heiraten wollten, die aus dem Ausland stammte. Es war zum Teil sogar üblich, dass sie ihre zukünftigen Gattinnen den Teilhabern in Winterthur persönlich vorstellten.56 1961 kam es wegen einer solchen Heiratsabsicht zu einem ernsten Disput zwischen der Geschäftsleitung und einem Mitarbeiter der japanischen Niederlassung von Volkart. Dieser hatte gekündigt, da er erfahren hatte, dass bei Besprechungen der Geschäftsleitung in Winterthur sehr deutlich darauf hingewiesen wurde, „dass die japanische Heirat von Herrn Brandenberger sich als schädlich für die Firma erwiesen habe“. Dieser war sehr ungehalten, da er die Bewilligung der Firma für die Heirat mit einer Japanerin eingeholt und erhalten hatte und deshalb der Ansicht war, das Thema sei damit erledigt. Die Geschäftsleitung kam zum Schluss, dass sie tatsächlich ihre „Meinung über die Heirat zwischen einem Europäer und einer Japanerin etwas modifizieren“ müsse: „Es ist ziemlich an der Tagesordnung heute, dass die in Japan ansässigen Amerikaner sich japanische Frauen nehmen, und niemand scheint in der amerikanischen Community daran Anstoss zu nehmen.“ Zudem habe man aus Gesprächen mit amerikanischen Geschäftsleuten erfahren, dass „in Amerika keinerlei Rassendiskrimination gegenüber Chinesen und Japanern herrscht, sondern nur den Negern und Negermischlingen gegenüber.“57 Der betreffende Angestellte verblieb deshalb in Anstellung bei der Volkart-Tochter in Osaka und wurde 1963 sogar deren Leiter.58 Die Überwachung der Heiraten dürfte nicht zuletzt daher rühren, dass die Firmeninhaber davon überzeugt waren, die Familienverhältnisse der Angestellten hätten einen Einfluss auf deren Arbeitskraft und auf das Ansehen der Firma in der Öffentlichkeit. So richtete etwa Peter Reinhart am Firmenjubiläum von 1951 einen expliziten Willkommensgruß an die Gattinnen der Angestellten und fügte an, die Teilhaber wüssten nur allzu gut, „wie viel die Firma direkt und indirekt der frohmütigen und geduldigen Unterstützung zu verdanken hat, mit der Sie, meine Damen, Ihre Ehemänner immer wieder aufmuntern und zu neuen Taten anspornen, wenn sie gelegentlich bedrückt oder verärgert aus dem Geschäft nach Hause kommen.“59 Wie sehr die Teilhaber zudem fürchteten, eine als anrüchig empfundene Beziehung könne negative Auswirkungen auf die Geschäfte der Firma haben, zeigt folgende Episode aus den 1920er Jahren. Georg Reinhart zeigte sich äußerst besorgt, dass das Verhalten der Ehefrau des Leiters der Volkart-Niederlassung in Shanghai für das Ansehen der Firma in China ein Problem darstellen könnte. Dies nicht nur wegen des offenbar zwielichtigen Vorlebens der betreffenden Dame, sondern auch we56 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 183. 57 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959 – 30. März 1965, J. Hug, Office Note, 29. März 1961: Besuch in Japan 23. März – 7. April 1961. 58 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 231. 59 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 10.
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gen ihres jetzigen Verhaltens, das laut Reinhart der Grund dafür war, dass der Leiter der Niederlassung „in Shanghai keinen Verkehr mit der guten Gesellschaft hat.“ Laut Reinhart spielte ein junger Schweizer unverhüllt die Rolle des Hausfreundes der Gattin des Volkart-Managers. Und zuvor hatte angeblich ein Angestellter von Volkart, der eine Zeitlang bei seinem Vorgesetzten gewohnt hatte, ebenfalls ein Verhältnis mit dessen Frau gehabt. Reinhart vermutete – allerdings zu Unrecht – dass diese anrüchigen Umstände der Grund waren, dass Volkart die chinesische Vertretung der schweizerischen Maschinenfabrik BBC nicht erhalten hatte.60 Deshalb könne die Filiale in Shanghai nicht unter der bestehenden Leitung bleiben: „Wir sind dies nicht nur dem guten Ruf und Ansehen unserer Firma, sondern auch unserem Shanghai-Staff gegenüber schuldig.“ Da sich der betreffende Manager aber nichts zu schulden kommen ließ, könne man ihm nicht künden und müsse warten, bis sein Vertrag auslaufe; dieser solle dann nicht verlängert werden.61 Und tatsächlich erhielt die Niederlassung in Shanghai vier Jahre später einen anderen Leiter.62 Das Verhalten der Ehefrau wurde zwar nur in Ausnahmefällen ein derartiges Problem für die Geschäfte der Firma. Doch auch unter normalen Umständen waren die klimatischen Belastungen in Asien und die persönlichen Umstellungen, die nötig wurden, um sich im fremden Kulturkreis einzugewöhnen, derart groß, dass die Einstellung der Ehefrau einen entscheidenden Einfluss darauf haben konnte, ob sich ein Angestellter in Asien wohl fühlte oder nicht. So konstatierte Werner Reinhart anlässlich eines Besuches in Karachi sehr befriedigt, dass die Frau eines Angestellten „entzückt von Indien“ sei, sie finde „sich in allem gut zurecht und weiss sich schon sehr gewandt in der Gesellschaft zu bewegen, wie ich dieser Tage constatiren konnte.“ Die Ehefrau eines anderen Angestellten, die bei ihrem Mann keine Unterstützung für die Eingewöhnung fand, hatte wesentlich mehr Probleme: „Sie soll schon den älteren Schweizern bei uns sehr geklagt haben, dass es ihr hier draussen gar nicht gefalle und dass sie sich langweile.“ Reinhart stellte explizit den Bezug zwischen diesen privaten Verhältnissen und dem Geschäftserfolg der Firma her: „Ich bemühe diese Fragen hier, weil das ‚Home‘ des Managers auch eine gewisse Rolle für die Filiale spielt.“63 Das kulturelle Deutungsmuster Familie war aber nicht nur ein symbolisches Element, welches von der Firma in nutzenmaximierender Absicht instrumentalisiert 60 Die Quellen im Archiv der BBC-Nachfolgerin ABB zeigen jedoch, dass die BBC nicht wegen des Rufes der Gattin des Geschäftsführers, sondern aufgrund der Tatsache, dass Volkart die Industriesituation in China zu wenig gut kannte, eine chinesische Firma als ihre Vertreterin wählte: ArABB, B.1.2.3.23.6: Brief von J. Elink Schuurman aus Kobe an Brown, Boveri & Cie., Baden, 29. November 1922. 61 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923 (keine Signatur): GR, Osaka, an Winterthur, 29. Mai 1923. 62 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 230. 63 VA, Privates von Hr. Werner Reinhart, Karachi (Management-Wechsel) 1929 (Nov.): WR, Karachi, 1. November 1923 an Herrn Gebr. Volkart Winterthur.
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wurde. Wie sehr oftmals auch nichtmonetäre Motive in geschäftliche Überlegungen hineinspielten, zeigt ein Brief von J. Vonesch, damals Leiter der Filiale in Bombay, an Georg Reinhart aus den frühen 1930er Jahren. Vonesch vertrat dabei die Ansicht, dass die durch die Wirtschaftskrise notwendig gewordenen Sparmaßnahmen bei den verheirateten Angestellten mit Kindern zu Problemen führen würden. Die Kinder sollten eine möglichst gute Erziehung genießen und das heiße, dass sie teure Schulen in Europa besuchen müssten. Das habe wiederum zur Folge, dass die Ehefrau öfters heim reisen müsse, „es sei denn, dass man gewillt ist, sich mit dem Gedanken abzufinden, dass die Kinder ohne den Einfluss der Eltern aufwachsen koennen und dies geht gegen mein inneres Empfinden, denn ich halte immer noch am alten Glauben, dass die Familie die Grundlage des geordneten Staates ist.“64 Vonesch argumentierte hier also nicht rein ökonomisch, sondern vertrat die Ansicht, dass es auch für eine private Firma sinnvoll sei, in die Ausbildung der Kinder zu investieren, da diese nur so zu ordentlichen Staatsbürgern werden könnten. Dies legt nahe, dass die Ökonomie der Firma in eine gesellschaftliche Ordnung und damit ein kulturelles Sinnsystem eingebunden war. Das Konzept der Familie war eine symbolische Größe, welche die betriebliche mit der außerbetrieblichen Logik verbinden konnte. Mit Etablierung einer paternalistischen Firmenkultur war Volkart zwar alles andere als ein Spezialfall. Auch andere Firmen, etwa industrielle Produktionsbetriebe, pflegten bis weit ins 20. Jahrhundert hinein eine derartige Firmenkultur.65 Eine Besonderheit lag jedoch darin, dass es mit Volkart einem weltweit tätigen Großunternehmen gelang, diese symbolische Ordnung aufrecht zu erhalten. Dabei spielte eine wichtige Rolle, dass die Firma während ihrer ganzen Geschichte in Familienbesitz war und auch stets Mitglieder der Besitzerfamilie an der Leitung des Unternehmens beteiligt waren. Ein weiterer Grund dürfte darin liegen, dass das Handelshaus trotz seiner gewaltigen Umsätze stets nur eine relativ kleine Zahl von europäischen Angestellten beschäftigte, welche die Teilhaber meist persönlich kannten. Sie bildeten gewissermaßen den inneren Kreis der Betriebsfamilie. 1924 etwa waren bei Volkart bloß 150 Europäer angestellt. Diesen stand eine ungleich größere Zahl nichteuropäischer Angestellter gegenüber. So waren damals neben über 2200 im Monatslohn angestellten nichteuropäischen Arbeitskräften auch noch 2800 Tagelöhner für Volkart tätig.66 Diese nichteuropäischen Arbeitskräfte stellten den äußeren Kreis der Betriebsfamilie 64 SSW, Nachlass Georg Reinhart, Ms GR 33/62: J. Vonesch, Volkart Brothers Bombay, an Georg Reinhart, Winterthur, 29. Dezember 1931. 65 Berghoff, Unternehmenskultur und Herrschaftstechnik, 1997. 66 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: Geschäfts-Ordnung, 15.2.1925. Ralli beschäftigte zu dieser Zeit ähnlich viele Leute. Zwischen 1931–38 waren bei Ralli jeweils zwischen 2700 und 3500 Personen angestellt: GL, Records of Ralli Bros., Ms. 23834: Report to the Chairman of Ralli Brothers Limited, April 12th, 1939, S. 2.
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dar. Die meisten von ihnen dürften die Teilhaber nie persönlich kennen gelernt haben. Sie waren höchstens auf symbolischer Ebene mit ihnen verbunden.
Erpressungen, Betrugsversuche und spekulative Tätigkeiten Inwiefern gelang es Volkart nun tatsächlich, durch Kontrollen, Vorschriften, moralische Appelle und kulturelle Deutungsmuster zu verhindern, dass die Angestellten durch spekulatives Handeln oder durch Unterschlagungen die Firma schädigten? Wenn man der Selbstdarstellung der Firma glauben möchte, gelang dies relativ gut. So meinte etwa Peter Reinhart anlässlich des Firmenjubiläums 1951, dass man es geschafft habe, „innerhalb der Firma einen erfreulich natürlichen, friedlichen und von persönlichen Gehässigkeiten freien Ton herbeizuführen, der dem erspriesslichen Arbeiten so viel förderlicher ist als das Gegenteil.“67 Und beim selben Anlass bedankte sich ein langjähriger Angestellter im Namen seiner Kollegen bei den Teilhabern: „Für etwas möchten wir Ihnen noch ganz besonders danken, etwas, das sich nicht in Geld ausdrücken lässt: für den wunderbaren Geist des Vertrauens, der in unserer Firma herrscht, und für die vornehme und herzliche Behandlung, die wir seit jeher Ihrerseits geniessen durften. Dieser Geist, der seine Quelle bei Ihnen findet, fliesst durch das ganze Geschäft und bringt es mit sich, dass in unserer Firma unter den Angestellten und zwischen den Abteilungen eine Atmosphäre der Freundschaft und Kollegialität herrscht wie selten in einem Geschäft gleichen Ausmasses.“68 Doch selbstverständlich waren die tatsächlichen Verhältnisse innerhalb der Firma nicht immer derart harmonisch. Betrug, Spekulation und Erpressungsversuche konnten nie vollständig unterbunden werden. So stellte die Firma Anfang der 1930er Jahre fest, dass der Leiter der Volkart-Filiale in New York das Unternehmen zehn Jahre zuvor durch unerlaubte Börsenspekulationen um über 40’000 Dollar geschädigt hatte – wobei es nicht gerade für die firmeninternen Kontrollmechanismen spricht, dass die Teilhaber derart lange benötigt hatten, um dies festzustellen.69 Georg Reinhart jedenfalls hielt fest: „Die Firma läuft die Gefahr, von unehrlichen Mitarbeitern in ähnlicher Weise … durch unerlaubte Speculation in Future auch in Zukunft geschädigt zu werden, sofern nicht Mittel und Wege gefunden werden, um solche unerlaubten Transaktionen zu verbieten. Die Verlustmöglichkeiten sind theoretisch unbegrenzt
67 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 14. 68 Weber, Rede, o.J. [Winterthur 1951], S. 26. 69 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Dossier über die grossen Verluste, die uns Max Greeven als Leiter von New York eingebrockt hat: Bericht von Hürlimann, New York, in Sachen Max Greeven, 4. Mai 1932.
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und könnten uns schlimmstenfalls das ganze Firmavermögen kosten.“70 Auch die Probleme, die Volkart mit der 1924 eröffnete Filiale in Singapur hatte, waren unter anderem darauf zurück zu führen, dass sich die Leiter der Niederlassung nicht an ihre Instruktionen gehalten hatten. 1929 musste die Filiale nach hohen Verlusten wieder geschlossen werden. Die Teilhaber hielten darauf hin in einem Schreiben fest, dass die Leiter der Niederlassung in Singapur „in eigenmächtiger Weise ihre Kompetenzen überschritten haben und es an der nötigen Vorsicht fehlen liessen … und wir müssen uns vorbehalten, sie hierfür je nach dem Ausgang der Dinge zur Rechenschaft zu ziehen.“71 Und schließlich erwuchsen der Firma mit der 1919 in Osaka gegründeten Tochtergeschellschaft Nichizui etliche Probleme, bei denen die Firmenleitung von Volkart lange Zeit nicht sicher war, ob sie auf den Einfluss der japanischen Teilhaber zurückgeführt werden mussten oder nicht vielmehr auf das selbstherrliche Gebaren des schweizerischen Geschäftsführers der Nichizui.72 Eine weitere Schwierigkeit erwuchs der Firmenleitung daraus, dass Volkart als Handelsfirma aufgrund der Diskretion, die ihre Geschäftstätigkeit erforderte, überaus verwundbar war. Gerade, wenn Angestellte das Unternehmen im Streit verließen, konnten sie ihr Wissen dazu verwenden, die Firma zu erpressen. So verklagte etwa Spitteler, der ehemalige Leiter der Filiale in Cochin in den 1870er Jahren die Firma, nachdem er infolge großer Verluste entlassen worden war.73 Spittelers Klage erfolgte, obwohl zuvor zwischen ihm und Volkart eine gütliche Einigung getroffen worden war. Salomon Volkart bezahlte schließlich eine Abfindung, um zu verhindern, dass „durch einen oeffenltichen Prozess dem Publikum ein Einblick in die innersten Privatverhaeltnisse seines Cochingeschaeftes“ verschafft würde, wie Georg Gottfried Volkart 1874 in einem Brief meinte. Der Sohn des Firmengründers wertete das Verhalten Spittelers als „Erpressungsversuch“, den dieser mit Hilfe „von verschiedenen die Firma angehenden Privatdocumenten“ verübt habe, die er „waehrend seines ganzen Aufenthaltes in Cochin“ gesammelt habe.74 All diese Beispiel zeigen, dass es Volkart zwar durchaus gelungen war, eine System zur Kontrolle der Angestellten und ein Zusammengehörigkeitsgefühl zu entwickeln, das durch gute Sozialleistungen und das Deutungsmuster der Betriebsfamilie stabili-
70 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Dossier über die grossen Verluste, die uns Max Greeven als Leiter von New York eingebrockt hat: Handschriftliche Notiz von Georg Reinhart, 14.5.1932. 71 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, II. Singapore, 3. Correspondence Winterthur an Singapore, z.K. an die Herren H. Huber und E. Niederhauser, 14. November 1929. 72 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, 2. Dezember 1920; Winterthur an unsere indischen Filialen und an Osaka, Kopie an London, Hamburg, New York, 18. Juli 1929. 73 Vgl. zu den Hintergründen dieser Entlassung Kapitel 1. 74 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, Später aufgetauchte Briefe: G.G. Volkart, Bombay, 29.12.1874, an Cochin.
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siert wurde.75 Dennoch war die Gefahr des Opportunismus stets vorhanden, da die Interessengegensätze zwischen Angestellten und Eigentümern nach wie vor bestanden, und da die Firmenbesitzer aufgrund der asymmetrischen Informationslage ihre weit entfernten Angestellten nie vollständig kontrollieren konnten.
75 Durch eine ganz ähnliche Mischung aus Controlling und Paternalismus versuchten auch die Eigner des Schokoladeherstellers Gebr. Stollwerck die Angestellten in ihrem multinationalen Familienunternehmen zu kontrollieren: Epple, Gebr. Stollwercks Aufstieg zum Multinational, 2007.
7. Arbeit im kolonialen Indien
Die Angestellten, die für Volkart auf dem Subkontinent tätig waren, kamen in ihrem geschäftlichen und privaten Alltag in einen engen Kontakt zur indischen Gesellschaft. Die Filialen der Firma können damit als contact zone beschrieben werden. Dieses von Marie Louise Pratt entwickelte Konzept betont die interaktive und oft durch den Zwang zur Improvisation geprägte Dimension imperialer Begegnungen.1 Die Beziehungen zwischen Europäern und Indern waren im Falle von Volkart alles andere als eindeutig und zudem in ständigem Fluss begriffen. Für die europäische Firma stellte sich insbesondere das Problem, dass sie im kolonialen Indien auf keinen kulturellen Basiskonsens zählen konnte. Es war somit nicht einfach, geschäftliche Transaktionen sozial einzubetten. Zudem wirkten sich die zunehmend lauter werdenden Rufe nach einer politischen Selbstverwaltung Indiens auch in der Geschäftswelt aus. Sie beeinflussten sowohl die Anstellungsverhältnisse der einheimischen Angestellten als auch die Kontakte zwischen Volkart und den indischen Zulieferern. Und sie prägten ebenfalls die Beziehungen des schweizerischen Handelshauses zur britischen Kolonialregierung.2
Indien im Kopf und am eigenen Körper Die Möglichkeit, in exotischen Ländern tätig sein zu können, war für viele europäische Angestellte ein wichtiges Motiv, um bei Volkart einzutreten. So schilderte etwa August F. Ammann in seinen Lebenserinnerungen seine Gefühlslage folgendermaßen, als er 1874 erfuhr, dass er nun endlich nach Asien geschickt würde: „[M]y heart’s desire was gratified and I was allowed to proceed to India in the service of the firm“. Und als sein Schiff einige Zeit danach in den Hafen von Bombay einfuhr und er zum ersten Mal das Panorama der Stadt erblickte, beschrieb er dieses Erlebnis so: „I had a first glimpse of the land of my dream, the wonderland India.“3 Auch Georg Reinhart kam in seiner Rede zum Firmenjubiläum 1926 auf die „gewisse Romantik“ zu sprechen, „die von jeher dem Verkehr mit weitentlegenen Ländern anhaftete“, und die 1 2
3
Pratt, Imperial Eyes, 2008, S. 8. Es wäre äußerst reizvoll, am Beispiel von Volkart die Verhältnisse in Indien mit denjenigen in China und Japan während der Kolonialzeit oder mit denjenigen in einer nicht-kolonialen Peripherie wie Lateinamerika zu vergleichen. Da im Firmenarchiv aber keine Quellen zu den Arbeitsverhältnissen in diesen anderen nichteuropäischen Ländern existieren, ist ein solcher Vergleich leider nicht möglich. Ammann, Reminiscences, 1921, S. 12f.
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wohl jeder der Angestellten der Firma schon einmal verspürt habe, „und wäre es nur, als ihm zum erstenmal überseeische Gewürze und Drogen durch ihre Gerüche eine Geschichte ihrer weiten Herkunft erzählten.“4 Wie aber gestaltete sich die Begegnung der Angestellten mit dem realen Indien? Hier sind sehr unterschiedliche Reaktionen feststellbar. Zum einen bot der Subkontinent den europäischen Kaufleuten tatsächlich die Möglichkeit, eine gewisse Kolonialromantik zu genießen und exotische Abenteuer zu erleben. August F. Ammann berichtete in seinen Erinnerungen ausführlich von der Jagd auf Tiger, Elefanten und Krokodile und schilderte unliebsame Begegnungen mit Schlangen und Skorpionen sowie seine Versuche, in Cochin die Freundschaft eines launischen Äffchens zu gewinnen.5 Auch in der Mitarbeiterzeitschrift „V.B. News“ fanden sich neben Statistiken und seriösen geschäftlichen Abhandlungen immer wieder so genannte monkey stories, in denen die Mitarbeiter ihre Wochenendausflüge ins Hinterland und ihre Kontakte mit der indischen Tierwelt beschrieben.6 Doch für viele Angestellte war Indien keineswegs das Paradies, das sie sich vielleicht erträumt hatten. Das hatte wesentlich mit dem für Europäer ungewohnten Klima zu tun. Dieses hatte nicht nur zur Folge, dass Unterlagen und Dokumente im Laufe der Zeit von Ameisen gefressen oder durch die hohe Luftfeuchtigkeit zerstört wurden, wenn sie nicht in Stahlschränken aufbewahrt wurden.7 Die klimatischen Verhältnisse waren auch eine körperliche Belastung. So schrieb ein Volkart-Angestellter 1926 ein Gedicht mit dem ironischen Titel „Das Wunderland Indien“, welches wie folgt lautete: Ungetuenchte Backsteinmauern; Hunde, die auf ’s Fressen lauern; Kleine Gassen – krumm und eckig Haeuser – weiss/grau/blaeulich/dreckig … In den Gaengen, auf den Stiegen Leere Fleischkonserven liegen Braune maennliche Gebilde Halbe und Dreiviertel-Wilde … Beine krumm wie Wasserschlaeuche Schwammig aufgedunsne Baeuche 4 5 6 7
Reinhart, Aus meinem Leben, 1931, S. 306f. Ammann, Reminiscences, 1921, S. 24–27, 31, 43, 55. V.B. News, No. 2, April 1921, S. 12f.; V.B. News, Nr. 11, June 1924, S. 12–16. Ähnlich schildert auch Heinz Frech seine Jagdausflüge im Umland von Karachi in den 1950er Jahren: Frech, Baumwolle, Stahl und Stolpersteine, 2001, S. 55f. VA, Dossier 12: Tuticorin / Madras, Madras, 8. Miscellaneous information: Madras an Winterthur, 9. Dezember 1938.
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Blaetter kauen, Maisstroh qualmen Unter abgestorbnen Palmen Und sich schneutzen mit der Hand Ueberschrift: Das Wunderland!8 Ein anderes Gedicht vom selben Autor beschreibt anschaulich die Veränderungen, die viele Europäer angesichts der extremen klimatischen Verhältnisse durchmachten: Balsamische Duefte erfuellen die Luft von Stockfisch und faulenden Kaesen Es wandelt herum in schweissiger Kluft Ein ehemals menschliches Wesen. Das edle Gesicht, das einstmals so weiss Hat sich gar graeulich veraendert, Es gleicht der Farbe von Curry und Reis Die Augen sind schwarz-blau umraendert. Es steckt das abgemagerte Bein in einer schlotternden Hose und Schwaerme von Muecken stechen hinein und saufen die roetliche Sauce. Wer ist das Wesen? Die Frage ist schwer, Die Antwort jedoch gefunden: Es ist in Indien ein Europaer, Der etwas abgeschunden.9 Angesichts dieser Zeilen erstaunt es kaum, dass der Angestellte, der 1926 im Alter von 22 Jahren für Volkart nach Indien gekommen war, die Firma bereits 1927 wieder verließ.10 Damit war er nicht allein. Zwar gab es bei Volkart verschiedene Angestellte, die jahrzehntelang für die Firma tätig waren, andere verschwanden aber schon nach kurzer Zeit wieder von den Gehaltlisten. Die Gründe lassen sich aufgrund der noch erhaltenen Quellen nicht rekonstruieren. Während einige Angestellte sich als untauglich für den kaufmännischen Beruf erwiesen haben dürften, sahen andere in 8 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: W. Haesli, Das Wunderland Indien, 1926. 9 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: W. Haesli, Ballade, 1926. 10 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern.
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der Gründung von eigenen Handelsunternehmen eine bessere berufliche Perspektive. Wieder andere dürften aus gesundheitlichen Gründen wieder nach Europa zurückgekehrt sein, da sie das subtropische Klima und die schlechten sanitarischen Bedingungen nicht ertrugen. Verschiedene Angehörige der Firma schließlich – darunter auch die beiden Teilhaber Johann Georg Volkart und Henry L. Brodbeck – verstarben während ihrer Tätigkeit in Indien.11 Damit die Angestellten möglichst vor Tropenkrankheiten verschont blieben, riet ein von der Firma in den 1920er Jahren herausgegebenes Manual dazu, sich gegen Pocken, Typhus und Cholera impfen zu lassen.12 Den Mitarbeitern im Landesinnern legte man zusätzlich nahe, sich nicht von tollwütigem Hunden beißen zu lassen.13 Außerdem gab Volkart den Angestellten Merkblätter mit Hygienevorschriften ab, in denen sie etwa vor dem Konsum von roher Milch, nicht abgekochtem Wasser und Früchten gewarnt wurden.14 Doch auch wenn sie von Krankheiten verschont blieben, waren die oft äußerst monotone Büroarbeit und die langen Arbeitsstunden bei großer Hitze für viele Angestellte nur mit Galgenhumor zu ertragen. Dies macht etwa der „Bombay Jodel“ eines Volkart-Angestellten deutlich: Morge früeh wenn d’Sunne lacht Und sich alles lustig macht Gönd mir i das Bureau ufe Tüend die stinkig Luft i schnufe Das git Force und Kraft und Schneid Und mer händ dra Freud. Dete find me uf em Tisch Füfzg Depesche ase frisch Doch me isch drob nid verwundert De Poschtli bringt scho wieder hundert Und me seit sich ja bimeid Das macht würkli Freud. …
11 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 130ff., 209f. 12 VA, Dossier 27: Instruction Manuals: Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der indischen Filialen von Volkart Brothers [ohne Datum, ca. 1920–24]. 13 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: General Regulations and Instructions for the Use of Volkart Brothers Up-Country-Agencies, Winterthur 1912, S. 4. 14 VA Dossier 27: Instruction Manuals: Merkblatt „Tropen-Hygiene“ (ca. 1911).
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Vo z’Mittag am halbi drü Haut eim d’Hitz e chli id Chnü Doch me tuet sich drum nid schone Kalku- und Instruktione Seit me sich die mach i z’leid Denn me hät dra Freud. Wenn’s denn gege achti gat Isch’s zum schaffe nanig z’spat Me ischt munter frisch und rüschtig Macht e riesige Statistik Das erweckt bi vielne Neid Und mir händ dra Freud.15
Volkart und der koloniale Alltag Als die indische Unabhängigkeitsbewegung ab den 1920er Jahren immer lauter den Abzug der Briten forderte, sahen sich die Verantwortlichen von Volkart in einem Dilemma. Einerseits hatten sie – gerade als Schweizer – durchaus Sympathien für die Forderung nach politischer Unabhängigkeit, und sie verurteilten die oft rassistische Haltung vieler Europäer gegenüber der einheimischen Bevölkerung. Andererseits war man sich bewusst, dass die Geschäfte von Volkart wesentlich von der britischen Kolonialherrschaft profitiert hatten. Es gab in der Firma durchaus auch Stimmen, die sich negativ über Mahatma Gandhi und die von ihm initiierten Boykotte von britischen Waren äußerten. Als Folge davon bemühte sich Volkart – gut schweizerisch – gegenüber den politischen Spannungen auf dem Subkontinent eine neutrale Haltung einzunehmen.16 Jeder Mitarbeiter, so ein Instruktionsmanual aus den 1920er Jahren, solle sich bewusst sein, „dass er als Angehöriger einer nicht englischen Firma in Indien 15 „Frühmorgens, wenn die Sonne lacht / und sich alles lustig macht / gehen wir rauf ins Büro / atmen die stinkende Luft ein / das gibt Force und Kraft und Schneid / und wir haben daran Freude. // Dort findet man auf dem Tisch / fünfzig Depeschen ganz frisch / darüber ist man nicht verwundert / der Postbote bringt schon wieder hundert / und man sagt sich: nun gut / das macht wirklich Freude. // Von Mittag bis halb drei / haut einem die Hitze ein wenig in die Knie / doch man wird sich deswegen nicht schonen / Kalku- und Instruktionen / man sagt sich, die mache ich jetzt trotzdem / das macht wirklich Freude. // Wenn es dann gegen acht Uhr geht / ist es zum Arbeiten noch nicht zu spät / man ist munter, frisch und rüstig / macht eine riesige Statistik / das erweckt bei vielen Neid / und wir haben daran Freude“: VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: Anonymus, Morge früeh wenn d’Sunne lacht (Bombay Jodel), ohne Datum. 16 Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 9.
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Abb. 11 Leitender Mitarbeiter von Volkart in Bombay mit Bürodiener 1941 (VA, Dossier 104: Photos Bombay, Bombay 1941)
ein Gastrecht geniesst, das ihm in sehr liberaler Weise von der Regierung des Landes eingeräumt wird. Der natürliche Takt gebietet daher, dass er sich im Verkehr mit Engländern aller abschätzigen Kritik der britischen Verwaltung in Indien enthält“.17 Trotz dieser ambivalenten politischen Haltung waren die Mitarbeiter von Volkart auf einer soziokulturellen Ebene ein fester Teil des kolonialen Systems. So war es selbstverständlich, dass die Angestellten in Indien über einheimische Diener verfügten, die sie nötigenfalls auch auf Reisen mitnehmen konnten.18 Der Maler Karl Hofer, der zusammen mit Georg, Werner und Oskar Reinhart zwei Indienreisen unternommen hatte, war denn auch der Ansicht, für viele Europäer habe eine der Annehmlich-
17 VA, Dossier 27: Instruction Manuals: Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der indischen Filialen von Volkart Brothers [ohne Datum, ca. 1920–24]. 18 Während die Europäer bei Zugreisen selbstverständlich Erste Klasse fuhren, wurde den Dienern nur ein Ticket Dritter Klasse erstattet: VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: General Regulations and Instructions for the Use of Volkart Brothers UpCountry-Agencies, Winterthur 1912, S. 3.
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keiten des Lebens in Indien darin bestanden, dass „man hier sein Leben als Herr mit Dienerschaft, zu Hause aber womöglich nur als Knecht führten kann.“19 In der Mitarbeiterzeitschrift der Firma fanden sich denn auch immer wieder humoristisch gedachte Beiträge, in denen die indischen Dienstboten in einem äußerst paternalistischen Ton beschrieben wurden. So wurde etwa berichtet, wie eine ayah (eine indische Dienstbotin) von einem Volkart-Angestellten angewiesen worden war, die buckles (Gürtelschnallen) von seinen Tennishosen zu entfernen, bevor sie diese in die Wäscherei gebe. Die Frau verwechselte jedoch buckles mit buttons und trennte folglich fein säuberlich die Knöpfe von sämtlichen Kleidungsstücken ab, die in die Wäscherei geschickt wurden. Oder es wurde von einem Koch berichtet, der eine Portion Eis, die zur Kühlung der Drinks gedacht war, in ein Tuch einschlug und an die Sonne stellte, und nachher der Ansicht war, jemand habe das Eis gestohlen und nur das durchnässte Tuch zurückgelassen – er hatte noch nie zuvor Eis gesehen.20 In einer anderen Erzählung wurde von einem indischen office boy namens Rama berichtet, der bei Volkart angestellt war und sich bei seinem Vorgesetzten Hilfe holen wollte, da er von seiner Mutter aufs Unflätigste beschimpft worden sei. Der „Sahib“ folgte ihm daraufhin in seine Behausung, wo er jedoch von der Mutter die Hintergründe des Streits erfuhr. Rama hatte seinen Schwestern deren Reisportion mit dem Argument streitig gemacht, er als einziges Familienmitglied mit einer festen Anstellung benötige mehr Nahrung als die anderen Familienmitglieder. Als der europäische Volkart-Mitarbeiter dies gehört hatte, ließ er Rama zu sich bringen und sorgte für Gerechtigkeit „like a father, with the palm of one hand, while the other kept the boy tightly over my knee.“ Nach dieser Bestrafung war der boy drauf und dran, seine Anstellung bei Volkart zu künden, wurde aber von seinem Onkel davon abgehalten. Er entschuldigte sich daraufhin beim Europäer dafür, dass er diesen als Hilfe gegen seine Mutter hatte missbrauchen wollen: „In token of his submission and devotion he first touched my feet and then his forehead and humbly prayed for my pardon which, of course, could be had for the asking.“21
Kleider, Clubs und Frauen Auch bei der Bekleidung fügten sich die Volkart-Mitarbeiter nahtlos ins koloniale System ein. Es ist angesichts der häufigen Klagen über die extremen Klimabedingungen durchaus erstaunlich, welch schwere Kleidung – Anzüge, Hemd, Krawatte – die europäischen Angestellten von Volkart jeweils zur Arbeit trugen.22 Dies entsprach 19 20 21 22
Hofer, Erinnerungen eines Malers, 1953, S. 150. V.B. News, No. 3, August 1921, S. 20. V.B. News, No. 7, April 1923, S. 5–9. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 132.
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wohl nicht zuletzt dem kolonialistischen Anspruch, sich von den Einheimischen abzugrenzen und die kulturelle Symbolik der europäischen Kleidung als Zeichen von Zivilisiertheit auch unter extremen Bedingungen nicht aufzugeben.23 So bemerkte Georg Reinhart in Bezug auf die Kleidung der Club-Mitglieder in Tuticorin, wo er 1902 zur Ausbildung weilte: „Als bezeichnend wie streng die Engländer gesellschaftliche Formen beobachten, möchte ich erwähnen, dass selbst in diesem verlassenen Erdenwinkel bei Dinnerparties, selbst bei kleinen, stets Frack oder zum mindesten Smoking getragen wird, während die Damen ebenfalls in evening dress ausgeschritten erscheinen.“24 Clubs und Dinnerparties waren oft die einzigen Möglichkeiten für Zerstreuung und soziale Kontakte, die sich europäischen Kaufleuten in Indien boten. Wie ein roter Faden durchziehen Klagen über Langeweile die Berichte von Angehörigen der Firma aus Indien. Georg Reinhart etwa schrieb seinen Eltern aus Tuticorin: „Mein Leben ist immer noch ziemlich eintönig... Tuticorin ist eben ein regelrechtes Nest und die paar Europäer, mit denen man beständig im Club verkehrt, der ja die einzige Attraction von T. ist, sind dementsprechende Leute, sonst wären sie eben nicht hier.“25 Auch wenn die Unterhaltung in den Clubs also nicht über alle Zweifel erhaben war, so waren diese für die meisten Europäer doch unverzichtbarer Bestandteil des Aufenthaltes in Indien. August F. Ammann betonte denn auch in seinen Lebenserinnerungen, wie wichtig diese Kontakte seien: „[A] European who expatriates himself to a country like India … must have distraction or recreation of some kind, otherwise he is sure to fall into a state of moroseness, if not worse.“26 Die Mitgliedschaft in einem Club war jedoch auch eine Möglichkeit, Kontakte zu anderen europäischen Geschäftsleuten zu knüpfen. Heinz Frech, der in den frühen 1950er Jahren für Volkart in Pakistan tätig war, meinte hierzu: „Wer in einer europäischen Firma Karriere machen wollte, musste neben einer soliden Leistung Mitglied eines gesellschaftlichen 23 Bis in die 1830er Jahre trugen die Europäer, die sich auf dem Subkontinent aufhielten, häufig indische Kleider und sie unterhielten auch Beziehungen zu indischen Frauen. Danach wurde der schwarze Anzug für Briten und andere Europäer zur Standardkleidung in Indien und auch indisches Essen wurde zunehmend verschmäht. Die Europäer grenzten sich damit immer mehr von der als feindlich wahrgenommenen indischen Umwelt ab: Collingham, Imperial Bodies, 2001. 24 SSW, Nachlass Theodor Reinhart, Ms Sch 84 (Briefe von A – G. Reinhart an Theodor Reinhart)/61: Georg Reinhart an Theodor Reinhart, 1902–1903: Tuticorin, 2. April 1902. Bezeichnenderweise lockerten sich die Kleidervorschriften bei Dinnereinladungen erst nach Ende der Kolonialzeit. Ab den 1950er Jahren richtete sich die Kleiderordnung nach Ansicht des ehemaligen Volkart-Mitarbeiters Heinz Frech mehr und mehr nach dem amerikanischen Stil, was bedeutete, dass die Männer bloß noch zu formellen Anlässen Smokings trugen: Frech, Baumwolle, Stahl und Stolpersteine, 2001, S. 50. 25 SSW, Nachlass Theodor Reinhart, Ms Sch 84 (Briefe von A – G. Reinhart an Theodor Reinhart)/61: Georg Reinhart an Theodor Reinhart, 1902–1903: Tuticorin, 2. April 1902. 26 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 22.
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Clubs sein. Stubenhocker, die eigenbrödlerisch zu Hause Bücher lasen und sich gegen außen abschirmten, riskierten einen Karriereknick.“27 Die Firma Volkart wies ihre Angestellten deshalb an, sich auf jeden Fall um die Mitgliedschaft in einem Club zu bewerben.28 Oft übernahm die Firma auch die Mitgliedergebühr.29 Gerade weil die Geschäftswelt zu dieser Zeit rein männlich dominiert war, spielten die Frauen eine zentrale Rolle für das soziale Leben im kolonialen Indien. August F. Ammann meinte dazu: „In a country like India and especially in small stations where there are no theatres, no concerts, none of all those many things which in Europe contribute to make life pleasant and interesting, the one thing which helps to make life not only bearable, but agreeable, is sociability and that can only be had where there are ladies, good, gentle and cultured ladies who take an interest in the station’s life and their neighbours. I am, of course, speaking of married ladies who know something of life and are ready to take pity on lonely bachelors“.30 Ob es in Indien zwischen den europäischen Ladies und den unverheirateten Volkart-Angestellten auch zu Affären kam, wird von Ammann nicht ausgeführt. Es finden sich hierzu keine Quellen im Firmenarchiv, ebenso wenig zu Liebschaften zwischen europäischen Angestellten und indischen Frauen. In Shanghai scheint zumindest letzteres durchaus an der Tagesordnung gewesen zu sein. So berichtete einer der Eigentümer der Schweizer Handelsfirma Siber Hegner, die eine Filiale in Shanghai besaß, wie man sich dort das Leben der europäischen Angestellten vorstellen müsse: „Als Junggesellen schlafen sie mit den einheimischen Mädchen, lernen am Kopfkissen die Sprache. Nach vier Jahren, auf ihrem ersten Heimaturlaub, suchen sie sich eine Frau, denn nun sind sie ein wenig höhergestellt und sollen repräsentieren können. Dann gründen sie in Shanghai einen Haushalt.“ Auch Richard von der Crone, ab Ende der 1930er Leiter der Volkart-Filiale in Shanghai, erzählte, dass man chinesische Taxigirls mieten konnte – offiziell, um zu tanzen, inoffiziell, um mit ihnen ins Bett zu gehen. Dadurch hätten die jungen Männer sexuelle Erfahrungen sammeln können, die sie in der Schweiz nicht hätten machen können, denn anders als in Zürich habe einem in Shanghai „der Frauenverein … natürlich nicht dreingepfuscht“.31 Bis zur Jahrhundertwende waren die wenigsten Angestellten verheiratet, die für Volkart in Asien tätig waren. Viele von ihnen konnten sich eine Familie nicht leisten, nicht zuletzt, da die Firma weder für deren Überfahrt aufkam noch einen Beitrag an die Unterhaltskosten leisten wollte. Als ein in Cochin tätiger Angestellter in den 27 Frech, Baumwolle, Stahl und Stolpersteine, 2001, S. 53. 28 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Calcutta – Wirtschaftlichkeits Probleme 1928–31: Werner Reinhart an Winterthur, Bombay, 17 Oktober 1928. 29 VA, Dossier 25: I/P/C Terms of European Staff: Allgemeine Richtlinen Personal, ca. 1966. 30 Ammann, Reminiscences, 1921, S. 22. 31 Zit. nach Steinmann, Seldwyla im Wunderland, 1998, S. 24 und 50. Vgl. zur Bedeutung von sexuellen Beziehungen zu asiatischen Frauen für die Stabilisierung der kolonialen Herrschaft Stoler, Carnal Knowledge and Imperial Power, 2002.
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1860er Jahren Salomon Volkart um eine Heiratserlaubnis bat, gab dieser zur Antwort: „Was nun Ihre Verheirathung anbelangt, so habe ich Ihnen in dieser Beziehung gar nichts zu befehlen und Sie moegen in dieser Beziehung thun und beschließen was Sie fuer gut und zweckmaeßig erachten.“ Er warnte ihn aber ausdrücklich vor einem solchen Schritt, da eine Heirat angesichts der Vermögensverhältnisse des Angestellten und der Lebensverhältnisse in Südindien „geradezu leichtsinnig“ zu nenne sei: „Ich habe Ihnen nur das Eine zu sagen, dass ich weder Verantwortlichkeit noch Vorwuerfe auf mich nehmen will, wenn im Hause Veraenderungen vorgehen sollten, welche Sie nach Ablauf Ihres Vertrages in demselben entbehrlich machen wuerden.“32 Erst als im 20. Jahrhundert die Lebensverhältnisse in Indien auch für Europäer besser erträglich wurden, verheiratete sich ein Teil der Angestellten während des Aufenthaltes in Asien oder ließ die Familie nachkommen. Ab den 1950er Jahren übernahm die Firma auch die Kosten für die Anreise von Familie und Angestellten und richtete an die Angestellten Kindergelder aus.33 Das ungewohnte Leben in den Tropen war aber für viele Ehefrauen nicht einfach. So berichtet die Gattin eines Volkart-Angestellten, die in den 1930er Jahren jung vermählt mit ihrem Mann nach Indien ging, ihr Vater habe sie vor der Abreise ermahnt, keinen Whisky zu trinken und vor allem nicht damit anzufangen, Bridge zu spielen, denn das sei „typische Tropen-Verblödung.“ Bei ihrer Ankunft in Indien machte sie bald die Bekanntschaft von englischen Ehefrauen, die den ganzen Tag im Club saßen um Bridge zu spielen, da sie das Haus voller Diener und zudem eine Nanny für die Kinder und somit nichts zu tun hatten. Ihr wurde klar, dass dieses Leben nichts für sie war und sie begann mit Golfspielen. Damit hörte sie aber bald wieder auf, nachdem ihr beim Abschlag eines Balles, der in ein Gebüsch gerollt war, eine zwei Meter lange Schlange aus dem Unterholz entgegen gekrochen kam.34
Die indischen Angestellten Die Angestellten von Volkart kamen jedoch nicht bloß im Privatleben mit Indern in Kontakt, sondern auch im geschäftlichen Alltag. Von Beginn weg hatte die Firma mit indischen Kaufleuten zusammengearbeitet, die als Broker oder shroffs tätig waren. Diese waren jedoch nicht formal bei der Firma angestellt. Sie blieben selbständige Mittelsleute, die lediglich vertraglich verpflichtet waren, gegen eine Kommissionsgebühr bestimmte Aufgaben – wie die Vermittlung von Geschäften oder die Leistung 32 VA, Dossier 1, B) die Teilhaber, 1) Salomon Volkart, 3. Privat-Copierbuch 9.1.1867– 25.8.1870: 29. 12. 1869, Sal. Volkart an Hausheer, Cochin. 33 VA, Dossier 25: I/P/C Terms of European Staff. 34 VA, Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: Frau Helene Kappeler, Reminiszenzen aus Indien, Januar 1988.
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Abb. 12 Die indischen Mitarbeiter der Volkart-Agentur in Cawnpore 1942 (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 1, Album Calcutta 1942)
einer Zahlungsgarantie – zu übernehmen. Die Angestellten stammten dagegen in den ersten Jahrzehnten der Firmengeschichte allesamt aus Europa. Dies war auch bei anderen europäischen Handelsfirmen in dieser Zeit der Fall. Erst ab den 1870er Jahren beschäftigte Volkart indische Angestellte als Einkaufsagenten im Landesinnern. Ab den 1880er Jahren begann Volkart damit, einheimisches Personal auch für die Büroarbeit einzustellen. Die meisten dieser Angestellten waren Hindus oder Inder, die zum Christentum konvertiert waren. Auf Ceylon wurden zu Beginn vor allem Burghers – Mischlinge, deren Väter aus Europa und deren Mütter aus Ceylon stammten – angestellt, später auch zunehmend Hindus, Buddhisten und Christen, die aus Indien eingewandert waren. Viele dieser Angestellten blieben ihr ganzes Berufsleben bei der Firma, und oft arbeiteten später auch ihre Söhne als Angestellte für Volkart.35 Unter den indischen Angestellten herrschte ein ausgeprägtes Hierarchiebewusstsein, welches den ehemaligen Volkart-Angestellten Heinz Frech noch in den 1950er Jahren „ein wenig an das Kastenwesen der Hindus“ erinnerte: „Jeder Angestellte, vom einfachen Bürogehilfen bis zum höheren Manager, benötigte mindestens einen Assistenten. Diese Manie schloss sogar die unterste Stufe, die Klasse der peons, der Bürodiener ein. Ohne sie funktionierte kein Büro, denn es widersprach der Würde eines Angestellten, auch nur das einfachste Aktenstück von einem Pult zum anderen zu 35 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 109, 134f.; VA, Dossier 9: Tellicherry, 2. Table of Events: 1930.
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tragen. Dazu stand der head peon einsatzbereit. Mit einer sich auf jedem Angestelltenpult befindlichen Handglocke herbeizitiert, erschallte sogleich seine laute Stimme, die einen seiner assistants zum Einsatz mobilisierte.“36 Die indischen Angestellten waren lange Zeit in verschiedener Hinsicht schlechter gestellt als ihre europäischen Kollegen. Die betriebliche Hierarchie spiegelte somit auch das Herrschaftsverhältnis zwischen den Europäern und den indischen Subalternen während der Kolonialzeit. So wurde den Europäern bei Eisenbahnreisen von der Firma ein Ticket Erster Klasse vergütet, die indischen Angestellten mussten dagegen Zweite Klasse fahren. Auch für die medizinische Versorgung des native staff wurde – anders als für diejenige der europäischen Angestellten – nicht durch die Firma gesorgt.37 Ab der Jahrhundertwende erhielten die einheimischen Angestellten am Jahresende einen Bonus, der je nach Leistung einen halben bis einen ganzen Monatslohn umfasste – den europäischen Angestellten wurden solche Boni allerdings bereits seit den 1870er Jahren ausbezahlt. 1916 führte Volkart wie bereits früher erwähnt eine Altersvorsorgeeinrichtung für die europäischen wie auch die einheimischen Angestellten in Indien und Ceylon ein.38 Zuvor waren langjährige Mitarbeiter mit einer Sonderzahlung für ihre Treue zum Unternehmen belohnt worden.39 Aufgrund der Quellenlage ist es schwierig, Aussagen darüber zu machen, wie die indischen Angestellten die Arbeitsbedingungen bei Volkart beurteilten. Der einzige Bericht eines indischen Angestellten, der sich im Firmenarchiv finden lässt, stammt von R.S.D. Shenai. Dieser war 1914 als 24jähriger bei Volkart in Cochin eingestellt worden und hatte 1974 eine Erinnerungsschrift über seine Arbeit im Schweizer Handelshaus verfasst. Shenai schilderte darin unter anderem, wie sich zu Beginn des Ersten Weltkrieges die Mitglieder der Handelskammer Cochin getroffen hätten. Die dort versammelten europäischen Kaufleute waren überzeugt, dass der Kriegsausbruch äußerst negative Folgen auf das Handelsgeschäft haben würde. Deshalb hielten sie es großmehrheitlich für unumgänglich, dass ein Teil der indischen Mitarbeiter entlassen und bei den übrigen die Saläre gekürzt werden müssten. A. Bueler, der Manager der Volkart-Filiale in Cochin, lehnte dies jedoch rundweg ab. Er führte an, dass verschiedene Angestellte bereits seit Jahrzehnten als zuverlässige und fleißige Arbeitskräfte bei Volkart beschäftigt seien. Zudem sei zu erwarten, dass schon bald Preissteigerungen einsetzten und die Versorgung mit Kleidung und Nahrungsmitteln schwieriger würde. Er werde deshalb keine Entlassungen vornehmen. Diese Erklärung, so Shenai, 36 Frech, Baumwolle, Stahl und Stolpersteine, 2001, S. 25. Es lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht mehr eruieren, ob diese innerbetriebliche Hierarchie tatsächlich etwas damit zu tun hatte, dass die verschiedenen indischen Angestellten unterschiedlichen Kasten angehörten. 37 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: General Regulations and Instructions for the Use of Volkart Brothers Up-Country-Agencies, Winterthur 1912, S. 4. 38 Vgl. Kapitel 6. 39 VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff: I. general notes on staff terms.
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habe unter der einheimischen Bevölkerung in Cochin ein unerhörtes Echo gefunden: „This auspicious news flew around at once like wild fire, and Mr. Bueler was hailed as a ,Dharma Raja‘ (legitimate Charitable hearted Ruler).“ Die Wertschätzung, die Volkart daraufhin genossen habe, sei noch gestiegen, als die Firma 1916 für ihre indischen Angestellten den Provident Funds einführte, eine Maßnahme, die bei den übrigen in Cochin tätigen europäischen Firmen erst Jahre später erfolgte. Deshalb meinte Shenai: „This VENERABLE BROTHERHOOD (V.B.) has become a DHARMA DATA/PITA – (Father of Pious/Providential Charity)! (even though V.B. is not a British Firm)!“40 Dieser Bericht ist insofern mit Vorsicht zu genießen, als er auf Anfrage des ehemaligen Volkart-Managers Jakob Anderegg verfasst wurde, der zu dieser Zeit an einer internen Firmenchronik arbeitete. Es ist deshalb nahe liegend, dass der Bericht eine geschönte Sicht auf die Verhältnisse bei Volkart darbot. Zudem gilt es zu bedenken, dass Volkart den Angestellten zwar während des Ersten Weltkrieges eine Kriegsentschädigung von zehn bis fünfzehn Prozent des Lohnes sowie großzügige Bonusse auszahlte. Diese Entschädigungen waren aber angesichts der Tatsache, dass in Indien die Preise für Lebensmittel um 40–120% und diejenigen für Mieten um 30–40% stiegen, eher bescheiden.41 Dennoch scheint das Handelshaus auch den indischen Angestellten vergleichsweise gute Arbeitsbedingungen geboten zu haben. Gemäß den noch vorhandenen Quellen kam es während der Kolonialzeit nur selten zu ernsthaften Arbeitskonflikten. Einer davon ereignete sich 1920, als die Angestellten zahlreicher Firmen in Bombay bessere Löhne forderten. Die Teilhaber von Volkart sahen die Forderungen als legitim an und wären bereit gewesen, sie in ihrer Firma zu erfüllen. Dies nicht zuletzt, weil man festgestellt hatte, „dass andere Firmen so viel besser zahlen und dass dieser oder jener Clerk des pekuniären Vorteils wegen zur Konkurrenz gegangen ist.“ Den Filialen auf dem Subkontinent warf der Hauptsitz vor, dass sie „aus Tradition und ganz falsch angebrachter Sparsamkeit mit angemessenen Salärerhöhungen zurückhaltend und auch bei Neueinstellungen von Clerks in Verkennung der veränderten Salärverhältnisse sich an die alte Schablone halten“ würden. Angesichts des Nachkriegsbooms, der sowohl zu einer Expansion der Geschäfte wie auch zu Rekordgewinnen geführt hatte, widersetzte man sich im Hauptsitz vehement gegen eine solche Sparpolitik. Mehr denn je gelte es, „tüchtige Arbeitskräfte durch angemessene Bezahlung und auch gute Behandlung an die Firma zu fesseln“.42 Die Leitung von Volkart Bombay wollte sich jedoch der Entscheidung der Mehrheit der Firmen in 40 VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff, III. short biogr. notes on some Indian & Pak. Employees: R.S.D. Shenai, born in 1890, Some Memoirs of an Old and Retired employee, joined 1914 – retired 1953, verfasst im Februar 1974. 41 VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff: I. general notes on staff terms. 42 VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff, IV. Branches: General staff terms/Unions, 1. Bombay: Winterthur an alle Häuser, 11.3.1920.
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Bombay anpassen und den indischen Angestellten keine Lohnerhöhungen gewähren. Am Ende scheint man sich auf einen Kompromiss geeinigt zu haben, wurden doch bei Volkart Bombay verschiedene Anpassungen bei Salären und Anstellungsbedingungen vorgenommen.43 Wie sensibel die Firma gegenüber der Stimmung unter den indischen Angestellten war, zeigt ein anderes Beispiel. Als Georg Reinharts 1923 für eine Inspektionsreise nach Indien und Ceylon reiste, forderten die einheimischen Angestellten von Volkart Karachi, dass neben dem Provident Funds zusätzlich noch ein Pensionsfonds eingerichtet werden müsse; vor allem die älteren Angestellten würden vom Provident Funds kaum profitieren.44 Reinhart schrieb daraufhin nach Winterthur, dass die Teilhaber sich nach seiner Rückkehr mit diesem Problem eingehend beschäftigen müssten, „denn es herrscht kein Zweifel, dass der Providendenfund den Anforderungen von Humanität und Billigkeit nicht genügt. Mehr und mehr fallen zudem die einstmals so grossen Unterschiede zwischen Native- und European Staff dahin, und wenn wir für unsere Europäer in Winterthur, London, Indien, China, Japan, Amerika und Bremen bis zum letzten Ausläufer herab durch einen wohlausgebauten und reich dotierten Pensionsfond ausgiebig gesorgt haben, so wäre es nicht gerecht, wenn wir für unsere Mitarbeiter in Indien, von denen ein grosser Teil mit Leib und Seele der Firma ergeben sind und denen wir unsere Erfolge gewiss ebenso sehr verdanken wie den Anderen, weniger tun wollten, nur weil sie eine dunkle Hautfarbe besitzen.“45 Beim Besuch der anderen Niederlassungen von Volkart stellte Georg Reinhart jedoch fest, dass der Großteil der einheimischen Angestellten mit dem Provident Funds zufrieden war: „An anderen Plätzen ist im Gegenteil spontan die Befriedigung und der Dank für diese Institution zum Ausdruck gekommen.“ Von der Idee eines neuen Pensionsfonds nahm er zwar nun Abstand, fand jedoch, dass man speziell für ältere und langjährige Angestellte eine Regelung finden müsse und ihnen „monatlich eine kleine Pension auszahlen“ sollte „bis an ihr Lebensende.“46 Inwiefern sich die indischen Mitarbeiter tatsächlich als vollwertige Mitglieder der Firma fühlten, ist mangels Quellen nicht zu bestimmen. In Stellungnahmen gegenüber der Firmenleitung bemühten jedoch auch sie die Metapher der Betriebsfamilie, die wie bereits im letzten Kapitel geschildert, eine wichtige Rolle für die Codierung des Verhältnisses zwischen Firmeneignern und europäischen Angestellten spielte. Die indischen Angestellten benutzten diese Metapher wohl nicht zuletzt, 43 VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff: I. general notes on staff terms. 44 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923 (keine Signatur): Petition der Angestellten in Karachi an Georg Reinhart, 2. Februar 1923. 45 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923 (keine Signatur): GR, Karachi, an Winterthur, 8. Februar 1923. 46 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923 (keine Signatur): GR, Colombo, an Winterthur, 6. April 1923.
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Abb. 13 Georg Reinhart, Mitte mit Blumenkranz, inmitten der Angestellten von Volkart Kalkutta anlässlich seiner Indienreise 1923 (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 2, Kalkutta)
um die Besitzer auf ihre Unterstützungspflicht hinzuweisen. Dies zeigt sich etwa in einer Ansprache der indischen Angestellten aus Tuticorin an die Adresse von Georg Reinhart, der 1927 die Filiale besuchte: „The one reason, among so many, which stands prominently forward to account for the Firm’s splendid success in business in all previous years is, we dare say, the mutual trust and confidence between the Firm and its Employees, and the good and honourable treatment metet out to the latter by the former. Honoured Sir, it may not be too much to expect you to regard us, in a metaphorical sense of course, as your dutiful children, fully meriting the confidence which you repose in us, whose one object, as far as our relationship with the Firm is concerned, is the perennial prosperity of the Firm, which, on its part, is the basis of our well-being.“47 Und in den 1980er Jahren beschrieb ein ehemaliger indischer Angestellter von Volkart anlässlich seiner Pensionierung die Gefühle, die er beim Eintritt bei Volkart empfunden hatte: „I have thought of the company as my Mother … and have given her the devotion one would accord to one’s mother. I have also received her love and
47 Volkart-Archiv, Dossier 2: Die Teilhaber II, Georg Reinhart: Welcome address of the Indian staff of Volkart Bros. in Tuticorin presented to Georg Reinhart, 19–4–1927.
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blessings in full measure.“48 Die Firmenleitung von Volkart ihrerseits sah das Verhältnis gegenüber den indischen Angestellten ebenfalls in der symbolischen Ordnung der Familie begründet. So hieß es in den Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der indischen Filialen in den frühen 1920er Jahren, ein „väterlich-freundlicher Ton“ gegenüber den indischen Angestellten werde „besser zum Ziel führen, als ein barsches Auftreten.“49 Anzumerken ist jedoch, dass sich diese wohlwollenden Worte bloß auf die indischen Büroangestellten bezogen. Die Mehrheit der über 5000 Arbeitskräfte, die in den 1920er Jahren für Volkart tätig waren, waren indische Tagelöhner.50 Über ihre Arbeitsbedingungen sowie über die Haltung, welche die Teilhaber sowie die europäischen und die indischen Angestellten ihnen gegenüber an den Tag legten, lässt sich aus den Quellen nichts mehr erfahren. Es ist aber anzunehmen, dass ihre Arbeitsbedingungen in verschiedener Hinsicht weniger vorteilhaft waren.51
Ambivalente Einstellungen zur kolonialen Ordnung Nicht nur in Bezug auf die Löhne und Sozialleistungen der indischen Angestellten erfolgte bei Volkart im Lauf der Zeit eine Veränderung, sondern auch in Bezug auf die Aufgaben, mit denen man sie betraute. Lange Zeit wurden den einheimischen Angestellten nur Routinearbeiten übergeben. Die betriebliche Hierarchie war damit nicht zuletzt durch ethnische Kriterien geprägt. Erst nach Ende des Ersten Weltkrieges wurden den indischen Mitarbeitern verantwortungsvollere Aufgaben – wie das Übersetzen von Telegrammen, das Verfassen von Briefen oder das Erfassen von Bestellungen – anvertraut. Zur Frage, ob man die Inder auch mit der selbständigen Erledigung von Einkäufen oder Verkäufen betrauen sollte – den zentralen Tätigkeiten eines Handelshauses – scheint es innerhalb der Firma unterschiedliche Ansichten gegeben zu haben. Ende der 1920er Jahre wurde in einem Brief, den Volkart Karachi nach Winterthur schrieb, die Ansicht vertreten, dass sich „fuer Korrespondenz, Statements und anderes desk work … heutzutage eingeborne Angestellte ganz gut“ eigneten. Als Einkäufer und Verkäufer möchte man aber auch weiterhin in erster Linie 48 VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff, III. short biogr. notes on some Indian & Pak. Employees: „The End of an Era“, Artikel ohne Quellenangabe [wahrscheinlich aus der Mitarbeiterzeitschrift „We“ von Voltas, ca. Januar 1980]. 49 VA, Dossier 27: Instruction Manuals: Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der indischen Filialen von Volkart Brothers [ohne Datum, ca. 1920–24]. 50 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: Geschäfts-Ordnung, 15.2.1925. 51 Vgl. zur Organisation der Arbeit in Indien unter kolonialen Bedingungen Ahuja, Die Erzeugung kolonialer Staatlichkeit, 1999.
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Europäer beschäftigen: „Wir haben die feste Ueberzeugung, dass unsere Firma ihren erfolgreichen Aufschwung in Indien hauptsaechlich dem Umstande zu verdanken hat, dass sie mehr als andere Firmen (eine Ausnahme sind Rallis) an den wichtigen Handelszentren Europaer beschaeftigt hat.“ Dies wurde mit der angeblich größeren Korrumpierbarkeit der indischen Angestellten begründet: „Es ist nicht zu leugnen, dass der Inder infolge vermehrter und besserer Fazillitaeten fuer kommerzielle und technische Ausbildung heute in zuverlaessigerer Arbeiter ist als er es vor dem Krieg war, aber in moralischer Beziehung hat er sich kaum gebessert und ein Beweis fuer diese Behauptung ist das Faktum, dass die Korruption unter den Staatsbeamten als Folge vermehrter Beschaeftigung von Indern heute viel ausgebreiteter ist als vor dem Krieg.“52 Bei Volkart Bombay scheint man dagegen den indischen Angestellten schon früh wichtige Aufgaben übertragen zu haben. So waren sie bereits Ende des 19. Jahrhunderts im Landesinnern als Einkaufsagenten tätig.53 1919/20 wurden von den siebzehn Einkaufsagenturen, die durch Volkart Bombay kontrolliert wurden, nur drei durch Europäer geleitet. In den übrigen vierzehn hatten indische Angestellte die Verantwortung.54 Interessant ist, dass zur gleichen Zeit in der japanischen Tochtergesellschaft Nichizui der Graben zwischen Europäern und Asiaten viel weniger tief gewesen zu sein scheint als im kolonialen Indien. Als Georg Reinhart 1923 auf seiner Asienreise auch die Nichizui besuchte, fiel ihm als erstes das kollegiale Verhältnis zwischen japanischen und europäischen Angestellten auf: „Entgegen der indischen Praxis, wo die Europäer eine prominente Stellung einnehmen, ist hier keine Kluft zwischen Europäer und Japaner zu bemerken.“55 Die eher zwiespältigen Gefühlen, welche die europäischen Manager von Volkart in Indien gegenüber dem local staff empfanden, können als Zeichen dafür verstanden werden, dass man aufgrund der kolonialen Herrschaft in Indien ein sehr viel widersprüchlicheres Verhältnis gegenüber der einheimischen Bevölkerung hatte als in Japan. Da zu den Arbeitsverhältnissen in den japanischen – und chinesischen – Tochterfirmen von Volkart kaum Quellen überliefert wurden. lässt sich diese Vermutung allerdings nicht empirisch überprüfen. Die ambivalente Haltung gegenüber den einheimischen Angestellten scheint vor allem unter den europäischen Angestellten in Südasien verbreitet gewesen zu sein und weniger bei der Firmenleitung. Diese verstand Volkart durchaus als transnatio52 VA, Dossier 8: Karachi, 3. Table of Events: Karachi an Winterthur, ohne Datum [ca. Frühling 1927]. 53 Vgl. Kapitel 2. Ähnlich verhielt es sich bei der Firma Ralli. Zwar wurden die Agenturen von Ralli im Landesinnern stets von Griechen geführt, die Subagenturen wurden jedoch von Indern geleitet: GL, Records of Ralli Bros., Ms. 23836: Historical material on the company, 1902–1952: Leoni M. Calvocoressi, The House of Ralli Brothers, 1952. 54 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 416. 55 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923 (ohne Signatur): GR, Osaka, an Winterthur, 28. Mai 1923.
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nale Organisation mit einer kosmopolitischen Grundhaltung. So hieß es in der Jubiläumsschrift von 1926, man verdanke den Erfolg der Firma „vor allem … dem ‚esprit de corps’, der uns alle, ohne Unterschied der Stellung, der Nationalität oder der Rasse, um die Fahne der Firma schart und einigt.“56 Und in der Mitarbeiterzeitschrift wurde die Vorschrift, dass die europäischen Angestellten mindestens eine asiatische Sprache erlernen mussten, unter anderem damit begründet, dass sie dadurch einen besseren Einblick in die Denkweise der lokalen Bevölkerung erhielten: „With some knowledge of these things the European will view with better understanding and more sympathy, the religious customs, private habits, and manifestations of art of the Eastern races whose culture, although different to ours, is non the less in many directions of equal if not a higher standard“.57 Diese Wertschätzung der asiatischen Kultur zeigte sich auch darin, dass die Angehörigen der indischen Kaufmannselite in den Quellen von Volkart stets mit dem höchsten Respekt porträtiert wurden. So widersprach etwa Georg Reinhart in einem Leserbrief in der „Weltwoche“ der kurz zuvor in dieser Zeitung verbreiteten Ansicht, dass europäische Handelshäuser im 19. Jahrhundert nur deshalb so erfolgreich gewesen seien, weil sie aus der wirtschaftlichen Rückständigkeit der asiatischen Länder Profit ziehen konnten: „Nicht nur sind Indien und China uralte Kulturländer, deren Philosophie, Kunst und Wissenschaft schon auf einer Stufe höchster Blüte standen, als unsere Vorfahren noch auf Pfahlbauten ihr Leben fristeten, sondern auch Handel und Gewerbe waren schon vor Jahrhunderten hoch entwickelt und sind es geblieben. Als die Firma Gebr. Volkart im Jahre 1851 ihre erste Niederlassung in Bombay eröffnete, befand sie sich somit nicht rückständigen Halbwilden gegenüber, sondern fand einen bereits hochentwickelten Handel in Baumwolle, Gewürzen, Drogen und anderen Exportartikeln … vor.“58 Gerade aufgrund der nach dem Ersten Weltkrieg immer lauter werdenden Forderung nach einem Abzug der britischen Kolonialherren waren die Verantwortlichen von Volkart darum bemüht, dass ihre europäischen Angestellten die einheimische Bevölkerung respektvoll behandelten. So hieß es in den Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der indischen Filialen aus den frühen 1920er Jahren: „Die Geschäftsleitung legt großen Wert darauf, dass im Verkehr mit Eingeborenen, sei es mit Untergebenen oder mit Händlern, ein jeder sich korrektes Benehmen zur strengen Pflicht mache.“59 Und in einem Brief von 1928 rügte das Haupthaus das Management in Karachi dafür, dass es in einem Fall von Unterschlagung den Aussagen eines europäischen Angestellten mehr Gewicht beimesse als denen eines indischen Angestellten: „Der europ. 56 Reinhart, Gedenkschrift, 1926, S. 7. 57 V.B. News, No. 2, April 1921, S. 14. 58 VA, Dossier 19: Winterthur II, 14. write ups about VB by outsiders and corrections by JA: Leserbrief von Georg Reinhart, abgedruckt in der Weltwoche (ohne Datum). 59 VA, Dossier 27: Instruction Manuals: Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der indischen Filialen von Volkart Brothers [ohne Datum, ca. 1920–24].
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Agent ist nicht kraft seiner Rasse unfehlbar, sei es im Urteil, sei es im Ethos.“ Und es wurde gefordert, dass sich die Manager des Handelshauses gegenüber den indischen Mitarbeitern anders verhalten sollten, als dies auf den europäischen Plantagen auf dem Subkontinent üblich sei: „Wir verlangen von unsern Europäern, namentlich von denen in leitender Stellung, dass sie sich von den ignoranten Vorurteilen über den relativen Wert der 2 Rassen, wie sie etwa bei Pflanzern bestehen, freihalten.“60 Dies war nicht zuletzt im geschäftlichen Interesse der Firma. In den 1920er Jahren ermahnten die Firmenbesitzer ihre europäischen Mitarbeitern in Indien, sich gegenüber indischen Kaufleuten stets korrekt zu verhalten: „Was den Verkehr mit Händlern betrifft, so versteht es sich von selbst, dass deren Wohlwollen und Anhänglichkeit an die Firma nur durch freundliche und höfliche Behandlung erworben und erhalten werden kann, durch gegenteiliges Auftreten dagegen bald verscherzt wird. Unsere talentiertesten europäischen Einkäufer und Verkäufer in Indien haben ihre Erfolge zum großen Teil freundlicher und rücksichtsvoller Behandlung ihrer eingeborenen Kunden, besonders auch stets aufrichtigem und fairem Handeln zu verdanken.“61 Die Firma bemühte sich auch darum, sowohl die europäischen wie die indischen Angestellten in die Firmengemeinschaft einzubeziehen. So wurde etwa in Bombay seit den frühen 1930er Jahren jedes Jahr eine firmeninterne Sportveranstaltung durchgeführt. An diesen Veranstaltungen nahmen nicht nur die europäischen sondern auch die indischen Mitarbeiter mit ihren Familien teil. Sie maßen sich dabei in Disziplinen wie Weitsprung, Sackhüpfen, Hürdenrennen, einem Hindernisrennen für Kinder und Veteranen sowie einem Eier-Löffel-Rennen für die Ladies. Die Niederlassung in Bombay schickte das Programm der Veranstaltung von 1940 in den Hauptsitz nach Winterthur „to show you what a popular event it has, during the course of a few years, become. … It has been customary so far to provide Tea and light refreshments for the staff and their family members, a feature of the meeting which has been very much appreciated.“ Um allen Teilnehmenden eine Erfrischung anbieten zu können, bat man den Hauptsitz um eine Erhöhung des Unterstützungsbeitrages für die Durchführung des Anlasses, der auch gewährt wurde.62 Aufgrund der zunehmenden Kritik an der Kolonialherrschaft stieg auch der Druck auf die in Indien tätigen Firmen, vermehrt einheimische Arbeitskräfte mit leitenden Funktionen zu betrauen.63 Ab Mitte der 1930er Jahre rekrutierte Volkart 60 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–19773 Inland financing – shroffage agreements, Winterthur an Karachi, 30. August 1928. 61 VA, Dossier 27: Instruction Manuals: Vorschriften für den Geschäftsbetrieb der indischen Filialen von Volkart Brothers [ohne Datum, ca. 1920–24]. 62 VA, Dossier 5: Bombay III: India General, 24. Some staff notes/terms, Programme: Volkart Brothers Athletic Sports, Saturday, 24th February 1940, W.I.F.A. Grounds; VA, Dossier 24: I/P/C Terms of Local Staff, I. general notes on staff terms: Bombay an Vevey, 29. Februar 1940. 63 GL, Records of Ralli Bros., Ms. 23834: Report to the Chairman of Ralli Brothers Limited, April 12th, 1939, S. 15.
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Abb. 14 Eine schweizerische Firma im kolonialen Indien: Sportveranstaltung der indischen und europäischen Angestellten in Bombay anlässlich der Jubiläumsferierlichkeiten zum 75-jährigen Bestehen von Volkart am 1. Februar 1926 (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 2, Bombay 02)
deshalb gezielt qualifizierte Inder, die zu Distriktagenten der Baumwollorganisation ausgebildet wurden. Sie sollten in dieser Funktion sukzessive die europäischen Angestellten ersetzen, denen sie gleichgestellt wurden. Zudem stiegen viele indische Ingenieure, die in den 1920er Jahren ins neu gegründete Engineering Department eintraten, in leitende Positionen auf. Andere europäische Handelshäuser in Indien leiteten in dieser Zeit ähnliche Maßnahmen ein. So beförderte Ralli, der Hauptkonkurrent von Volkart im indischen Baumwollgeschäft, in den 1930er Jahren drei einheimische Angestellte, allesamt Söhne von prominenten Indern, in die höchste Managerstufe. Innerhalb der Firma war diese Maßnahme jedoch umstritten. Es wurden deshalb in den späten 1930er Jahren keine weiteren Inder mehr in derartige Führungspositionen gebracht.64 Auch bei Volkart stießen die Maßnahmen zur Besserstellung der einheimischen Angestellten nicht auf ungeteilte Zustimmung. So konstatierte die Firmenleitung 1945 leicht verärgert, dass bei den europäischen Managern in den indischen Filialen „die notwendige, radikal veränderte Einstellung gegenüber dem Problem der Indianisation noch nicht überall vorhanden“ sei. Die Filialleiter scheuten sich zum Teil, indische Angestellte mit erstklassiger Bildung anzustellen, da diese we64 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 416.
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sentlich höhere Saläre verlangten, als sie bis dahin für indisches Personal üblich gewesen waren. Oft erhielten diese hochqualifizierten Inder ähnlich hohe Löhne wie ein Teil der europäischen Angestellten. Peter Reinhart meinte daraufhin, es zeuge von „einem bedenklichen Unverständnis“, wenn etwa das Management von Volkart Colombo die Ansicht äußere, „man könne doch nicht einen indischen Angestellten in Bezug auf Salär auf die gleiche Stufe vorrücken lassen, wie sie für einen europäischen ‚youngster‘ üblich ist.“65 Kurz vor der indischen Unabhängigkeit bildeten sich in vielen Unternehmen auf dem Subkontinent Mitarbeiterorganisationen heraus. Die Union of the V.B. Staff wurde am 1. März 1947 aus der Taufe gehoben. Der damalige Leiter von Volkart Bombay habe auf diese Meldung sehr positiv reagiert, wie es in einem von der Mitarbeiterorganisation später herausgegebenen Büchlein heisst: „[I]n a true democratic manner, [he] welcomed the formation of our Union and congratulated its president for this Staff Organisation.“ Eine solche Reaktion sei damals bei anderen Firmen nicht üblich gewesen: „We at once became the envy and pride amongst various other brother Unions who were not so fortunate in having their Unions recognised so gracefully.“ In mehrtägigen Verhandlungen wurden daraufhin die Arbeitsbedingungen neu ausgehandelt. Dass diese Verhandlungen so schnell zu einem erfolgreichen Ende kamen, hatte gemäß dieser Quelle zwei Ursachen. Zum einen hätten sich die Volkart-Mitarbeiter erfolgreich gegen Einflüsse von außen gewehrt – womit auf die Beeinflussungsversuche durch kommunistische und nationalistische Gruppierungen angespielt wurde. Zum anderen sei es wichtig gewesen, dass Peter Reinhart, der zu dieser Zeit eine Inspektionsreise in Indien durchführte, den Anliegen der Angestellten mit großem Wohlwollen begegnete.66 Diese Beispiele zeigen, dass die Firma für die Anliegen ihrer indischen Angestellten durchaus ein offenes Ohr hatte. Dies war auch nötig, da sie es sich aus geschäftlichen Überlegungen nicht leisten konnte, deren Forderungen zu ignorieren. Alles in allem war das Verhältnis gegenüber den Verhältnissen im kolonialen Indien jedoch von zahlreichen Ambivalenzen geprägt. Dies betraf nicht nur die widersprüchliche Haltung der Schweizer Kaufleute zur britischen Kolonialherrschaft, sondern auch die Differenzen zwischen der Winterthurer Firmenleitung und dem Management der indischen Filialen in Bezug auf die Frage, ob einheimische Angestellte in Führungspositionen aufsteigen sollten. In den Aufzeichnungen der Mitarbeiter changiert das Indienbild zwischen Verzückung für das exotische Wunderland und einem Gefühl der Überforderung angesichts des extremen Klimas und der fremden Umwelt. Auch reproduzierte die Firma in ihren Schriften tendenziell die Hierarchie innerhalb der 65 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945 – 27. Juni 1947: Protokoll vom 3. August 1945. 66 VA, Dossier 5: Bombay III: India General, 24. Some staff notes/terms: The Volkart Brothers (Bombay) Staff Union (Estd. 1–3–1947), Registration No. 372, Constitution & Review (For Members Only).
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indischen Gesellschaft. Während die Angehörigen der indischen Kaufmannselite mit dem höchsten Respekt bedacht wurden, hatte man gegenüber den indischen Büroangestellten eher ein zwiespältiges Verhältnis. Und gegenüber den indischen Dienstboten und Hausangestellten legte man bestenfalls ein paternalistisches Wohlwollen an den Tag.
8. Eine Zeit der Krisen: Europa nach 1918
What an extraordinary episode in the economic progress of man that age was which came to an end in August 1914! ... The inhabitant of London could order by telephone, sipping his morning tea in bed, the various products of the whole earth, in such quantity as he might see fit, and reasonably expect their early delivery upon his doorstep; … or he could decide to couple the security of his fortunes with the good faith of the townspeople of any substantial municipality in any continent that fancy or information might recommend. ... The projects and politics of militarism and imperialism, of racial and cultural rivalries, of monopolies, restrictions, and exclusion, which were to play the serpent to this paradise, were little more than the amusements of his daily newspaper, and appeared to exercise almost no influence at all on the ordinary course of social and economic life, the internationalisation of which was nearly complete in practice.1
Dieses von John Maynard Keynes 1920 skizzierte Bild einer Wirtschaftswelt vor 1914 steht in einem scharfen Kontrast zu den ökonomischen Verwerfungen der Zwischenkriegszeit; Verwerfungen, welche Keynes zum Zeitpunkt der Niederschrift bereits als Drohungen am Horizont aufziehen sah. Tatsächlich hatte der „Große Krieg“ die institutionellen Grundlagen der Weltwirtschaft nachhaltig erschüttert. Trotz aller Bemühungen ließ sich die multilaterale, arbeitsteilige Interdependenz der Weltwirtschaft nach 1918 nicht einfach wieder in Gang setzen. Verschiedene strukturelle Probleme – die Verschuldung der europäischen Kriegsparteien, die im Krieg aufgebauten Überkapazitäten in Schwerindustrie und Landwirtschaft, die protektionistische Wirtschaftspolitik vieler Staaten und die Schwierigkeiten bei der Wiedereinführung des Goldstandards – führten dazu, dass der Welthandel in eine Krise geriet, welche durch die Große Depression noch dramatisch verschärft wurde.2 Während der internationale Warentausch vor 1914 schneller wuchs als die globale Güterproduktion, war es nach dem Krieg umgekehrt. Zwischen 1881 und 1913 war der Welthandel um 40% gewachsen, zwischen 1913 und 1937 nur noch um 14%.3 Dennoch muss die These von einer uniformen wirtschaftlichen Deglobalisierung zwischen 1918 und 1939 differenziert werden, und zwar in zweierlei Hinsicht. Erstens zeigt eine Analyse der statistischen Daten, dass das Volumen des weltweiten Handels spätestens bis Mitte der 1920er Jahre wieder auf ein ähnliches Niveau gestiegen war wie vor 1914. Erst nach 1929 erfolgte ein – allerdings dramatischer – Ein-
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Keynes, Economic Consequences of the Peace, 2007 [1920], S. 6. Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 80–82. Lewis, Economic Survey, 1970, S. 59–72; Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 84f.
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bruch.4 Zudem waren nach 1918 nicht alle Erdteile gleichermaßen und zum gleichen Zeitpunkt von der krisenhaften Entwicklung des Welthandels betroffen. Während der Krieg vor allem die europäischen Volkswirtschaften schwer getroffen hatte, ging die US-amerikanische Wirtschaft gestärkt aus dem Konflikt hervor. In Asien hatten die Maßnahmen des Wirtschaftskrieges dazu geführt, dass die Importe aus Europa nach 1914 zurückgingen, was in Japan, China und Indien zu einem markanten Wirtschaftswachstum führte.5 Dadurch veränderten sich die Ausrichtung und die Zusammensetzung der Handelsströme. Während vor dem Krieg der asiatische Import- und Exporthandel vor allem nach Europa ausgerichtet war, nahmen nach 1918 sowohl der innerasiatische Handel wie auch der Handel mit den USA zu. Und während die Europäer lange Zeit vor allem Textilien und andere Konsumgüter nach Asien exportierten, wurden nach 1918 zunehmend Maschinen geliefert, um die neu entstandenen indischen, chinesischen und japanischen Textilfabriken auszurüsten.6 Zweitens wird die Deglobalisierungsthese fragwürdig, wenn man sich nicht nur die globale Handelsbilanz ansieht, sondern mit den einzelnen Unternehmen auch diejenigen Akteure in den Blick nimmt, die für den weltweiten Güteraustausch verantwortlich waren. Verschiedene Unternehmenshistoriker haben darauf hingewiesen, dass die Zwischenkriegszeit mitnichten eine historische Periode darstellte, in der sich Unternehmen nur noch auf ihren Heimmarkt beschränkten. Im Gegenteil verstärkten viele Firmen gerade in dieser Zeit – nicht zuletzt auch als Reaktion auf den zunehmenden Protektionismus – ihre Auslandsinvestitionen und begannen damit, sich auf globaler Ebene zu betätigen.7 So scheint es, dass wir es in der Zwischenkriegszeit in Europa mit zwei gegenläufigen Tendenzen zu tun haben.8 Zum einen in quantitativer Hinsicht mit einer krisenhaften Entwicklung des Außenhandels, welche vor allem in vielen europäischen 4 5
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United Nations Statistical Office, International Trade Statistics, 1962. Hardach, Der Erste Weltkrieg, 1973, S. 278–280; Kawabe, Development of Overseas Operations 1987; Smitka (Hg.), The Interwar Economy of Japan, 1998; Mutz, „Ein unendlich weites Gebiet“, 2006; Parthasarathi, Global trade and textile workers, 2010, S. 572f. Niall Fergusson interpretiert den Ersten Weltkrieg gar als Beginn einer ökonomischen und politischen Machtverschiebung, bei der die europäischen Staaten gegenüber asiatischen Ländern an Einfluss verloren. Gemäß Fergusson gelang es den asiatischen Staaten dadurch, im 20. Jahrhundert wieder diejenige geopolitische und wirtschaftliche Bedeutung zurückzugewinnen, die sie nach dem Beginn der Industrialisierung verloren hatten: Ferguson, The War of the World, 2006. Helfferich, Die Wirtschaft Niederländisch-Indiens, 1921. Vgl. hierfür Kapitel 11. Jones, Merchants to Multinationals, 2000, S. 86; Jones, The End of Nationality?, 2006, S. 164; Müller, From Protectionism to Market Liberalisation, 2008. Die Zwischenkriegszeit wird von Peter Fäßler weniger als Zeitalter der Deglobalisierung, sondern generell als eine „Zeit der Gegenläufe“ bezeichnet: Fäßler, Globalisierung, 2007, S. 100. Während Fäßler jedoch einen Gegensatz zwischen einer globalen wirtschaftlichen und politischen Entflechtung nach 1914 und einer zunehmenden Verflechtung in den Bereichen Technik, Verkehr, Kommunikation, Kultur und Zivilgesellschaft sieht, war meiner Ansicht nach
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Staaten spürbar war, und zum anderen auf einer qualitativen Ebene mit einer zunehmenden globalen Verflechtung einzelner Firmen. Dies legt nahe, die Entwicklung von Weltwirtschaft und globalem ökonomischem Austausch nicht als teleologischen und homogenen Prozess anzusehen, bei dem es bloß ein mehr oder weniger geben kann, und bei dem klar zwischen Phasen der Globalisierung und solchen der Deglobalisierung unterschieden werden kann. Vielmehr gilt es sensibel zu sein für die Ungleichzeitigkeiten, Widersprüche und Sackgassen solcher Globalisierungsprozesse und insbesondere für die möglichen Diskrepanzen zwischen den Handlungen verschiedener globaler Akteure.9
Eine „enteuropäisierende Tendenz der Weltwirtschaft“ Aus den angeführten Gründen soll im Folgenden die Zwischenkriegszeit nicht als Phase der Deglobalisierung, sondern vielmehr als eine Epoche der Ent-Europäisierung des Globalen beschrieben werden. Die These einer uniformen Deglobalisierung muss nicht zuletzt deshalb differenziert werden, weil nicht alle Teile der Welt gleichermaßen vom Einbruch des Außenhandels betroffen waren. Bei genauerem Hinsehen stellt man fest, dass es sich dabei vor allem um ein europäisches Phänomen handelte. So sank der Anteil der europäischen Länder am globalen Handel zwischen 1911/13 und 1927/29 von über 62% auf noch knapp 52%.10 Auch wenn Europa damit immer noch über die Hälfte der weltweit getätigten Importe und Exporte bestritt, so war der Rückgang doch unverkennbar. Der Welthandelsanteil der USA und Kanadas erhöhte sich dagegen zwischen 1913 und 1924 von 14 auf 19% und derjenige der asiatischen Länder von 7,5 auf 10%. Der Anteil der übrigen Weltregionen blieb in derselben Periode etwa gleich. Die Länder Südamerikas bestritten zwischen 1913 und 1924 etwa 6% des internationalen Güteraustausches, Australien und Polynesien um die 3%, die zentralamerikanischen Länder zwischen 2 und 3% und diejenigen Afrikas etwas über 2%. Bemerkenswert war dabei insbesondere die Entwicklung der asiatischen Länder und zwar sowohl im innerasiatischen Handel wie auch im Handel mit den USA, Kanada und Australien. So stammten 1913 noch knapp 16% aller in die USA getätigten Importe aus Asien, 1924 waren es schon fast 26%. Umgekehrt erhöhte sich der Anteil der Exporte nach Asien am gesamten US-Export von 5 auf gut 11%.11 Wie sehr die krisenhafte Entwicklung vieler europäischer Länder die Welthandelsbilanz beeinflusste, lässt sich auch daran ablesen, dass der Anteil des innereuropäauch die Entwicklung der globalen Wirtschaft in der Zwischenkriegszeit von gegenläufigen Tendenzen geprägt. 9 Cooper, What is the Concept of Globalization Good For?, 2001. 10 Schlote, Zur Frage der sogenannten „Enteuropäisierung“ des Welthandels, 1933, S. 386. 11 Levy, Die Enteuropäisierung der Welthandelsbilanz, 1926, S. 331f.
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ischen Handels am gesamten Welthandel zwischen 1911/13 und 1927/29 von 40% auf 30% gesunken war, während der Anteil des Handels zwischen Europa und der außereuropäischen Welt in der selben Periode mit jeweils 22 beziehungsweise 23% des Welthandelsvolumens praktisch gleich blieb.12 Europa verlor nach dem Ersten Weltkrieg nicht nur im Welthandel an Bedeutung, sondern auch als Produktionsstandort. Während 1913 noch 43% der weltweit hergestellten Waren in europäischen Fabriken produziert wurden, waren es 1923 bloß noch 34%. Die Gewinner waren die USA, welche Europa ab 1890 wirtschaftlich überholten und Japan, das vor allem in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts einen starken Industrialisierungsschub erfuhr.13 Die Verschiebung der weltwirtschaftlichen Gewichte zuungunsten des alten Kontinents hatte damit bereits Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Der Erste Weltkrieg verstärkte jedoch diese Entwicklung. Die Tendenz einer seit Ende des 19. Jahrhunderts feststellbaren ökonomischen Ent-Europäisierung und die Herausbildung einer zunehmend polyzentrischen Struktur der Weltwirtschaft war auch schon von Zeitgenossen beobachtet worden. Der deutsche Ökonom Hermann Levy etwa stellte bereits 1926 angesichts der relativen Schwächung der europäischen Wirtschaft, der vor allem in Europa spürbaren Währungsschwankungen, der zunehmenden Industrialisierung in Asien und in den Ländern der britischen Dominions, und angesichts des zunehmenden Einflusses von amerikanischem Kapital „auf den verschiedensten Gebieten der wirtschaftlichen Betätigung eine enteuropäisierende Tendenz der Weltwirtschaft“ fest.14 Inwiefern prägte diese Entwicklung die Überlegungen, welche sich einzelne Unternehmer in der Zwischenkriegszeit machten? Lässt sich eine Ent-Europäisierung nicht nur auf einer makroökonomischen Ebene feststellen, sondern auch auf der Mikroebene? Diesen Fragen soll in diesem und den drei nachfolgenden Kapiteln exemplarisch an der Geschichte von Volkart und anhand der Entwicklung des Baumwoll- sowie des Maschinenhandels nachgegangen werden. Während die Struktur des internationalen Baumwollhandels im 19. Jahrhundert vollständig auf Europa ausgerichtet war und durch europäische Firmen kontrolliert wurde, erfolgte ab der Jahrhundertwende eine Trendwende, die nach 1918 zu einer Neuausrichtung der Handelsströme führen sollte. So wurde der Import von amerikanischer Baumwolle nach Europa bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts praktisch vollständig durch europäische Handelshäuser kontrolliert, die dadurch auch den Hauptprofit dieses Handelszweiges einstrichen.15 Die ameri12 Schlote, Zur Frage der sogenannten „Enteuropäisierung“ des Welthandels, S. 386. 13 Pollard, Peaceful Conquest, 1981, S. 281. 14 Levy, Die Enteuropäisierung der Welthandelsbilanz, S. 329; vgl. für eine ähnliche Argumentation auch Nonn, Das 19. und 20. Jahrhundert, 2007, S. 29 15 Die folgenden beiden Abschnitte beruhen auf Clayton Garwood, Will Clayton, 1958, S. 78– 95; Killick, The Transformation of Cotton Marketing, 1981, S. 154–168; Killick, Specialized and General Trading Firms, 1987, S. 256–263.
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kanischen Baumwollhäuser verfügten über zu wenig Kapital, um die Exporte auf eigene Rechnung durchzuführen. Sie waren deshalb auf Kredite angewiesen, die ihnen von den europäischen Handelsfirmen gewährt wurden. Die Europäer erwarben die Baumwolle über Einkaufsbüros im amerikanischen Süden und gingen zum Teil auch Partnerschaften mit amerikanischen Exporteuren ein. Ihr Vorteil war, dass sie in den großen Baumwollhäfen wie Liverpool, Bremen oder Le Havre Lagerhäuser besaßen, in denen sie die Baumwolle bis zu dem Zeitpunkt einlagern konnten, zu dem sie sie den Spinnereien verkaufen konnten. Diese Lager wiederum dienten als Sicherheiten für die Kredite, die sie von europäischen Banken erhielten. Vor Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatten nur einige wenige amerikanische Handelshäuser wie McFadden, Weld & Co., Alexander Sprunt and Sons oder Anderson Clayton & Co. genug Kapital akkumulieren können, um eigene Lagerhäuser in Europa zu erwerben und so Kredite von europäischen Banken zu erhalten. Sie profitierten dabei vom Erstarken der amerikanischen Wirtschaft und des amerikanischen Finanzplatzes. Es gelang ihnen nach der Jahrhundertwende, die amerikanischen Banken dazu zu bewegen, Kredite für den Baumwollexport nach Europa zu vergeben – bis dahin war dieses Geschäft den US-Banken zu riskant gewesen. Dieser Trend wurde durch den Ersten Weltkrieg noch verstärkt. Der Ausbruch des Krieges erlaubte den amerikanischen Baumwollhäusern eine rasche Expansion, da Kredite in New York relativ günstig waren und die europäische Konkurrenz geschwächt war. Anderson Clayton etwa führte 1914 ein großes Exportgeschäft nach Russland durch, eröffnete 1916 eine eigene Filiale in Le Havre und baute im amerikanischen Süden eine leistungsfähige Einkaufsorganisation mit eigenen Gins und Pressen auf. Nach 1918 betrieben die amerikanischen Baumwollhäuser Anderson Clayton und McFadden ihre Geschäfte zunehmend im globalen Maßstab. Sie eröffneten eigene Verkaufsbüros in Deutschland und England und später auch in China und Japan, da bei den ostasiatischen Spinnereien eine immer größere Nachfrage nach US-Baumwolle bestand. Die japanischen Handelsfirmen ihrerseits fuhren in der Zwischenkriegszeit ebenfalls einen rasanten Expansionskurs. Toyo Menkwa etwa, die zum Mitsui-Konzern gehörte, besaß Ende der 1920er Jahre nicht nur sechs Filialen in Japan und siebzehn in Korea und China, sondern auch noch drei in Indien und zwei in Java sowie eine Niederlassung in Hamburg und eine Tochtergesellschaft in den USA. Und die Nippon Menkwa verfügte neben acht Filialen in Japan und dreizehn in China auch noch über drei in Java, fünf in Indien, dazu Filialen in London, New York, Sydney, Buenos Aires, Bremen, Hamburg, Mailand, Alexandria, Mombasa und vier weiteren afrikanischen Städten, sowie Einkaufsagenturen in Dallas und Houston.16 Die japanischen Firmen kontrollierten so nicht nur den Großteil der Baumwollimporte nach Japan 16 Ellinger/Ellinger, Japanese Competition in the Cotton Trade, 1930, S. 198; Killick, Specialized and General Trading Firms, 1987, S. 263; Nakagawa, Business Management in Japan, 2001, S. 276.
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und China, sondern wickelten Ende der 1920er Jahre auch 15% aller Importgeschäfte mit indischer Baumwolle nach Europa ab. Britische Beobachter warnten deshalb 1930 in der Zeitschrift der Royal Statistical Society: „If Lancashire does not look out she will soon have to buy her Indian cotton from Japanese firms.“17
Neugründungen in Europa Die Zeit nach Ende des Ersten Weltkrieges war aufgrund der Veränderungen der Handelsströme und aufgrund der krisenhaften Entwicklung der europäischen Volkswirtschaften für viele international tätige Handelsfirmen eine Epoche der Neuorientierung und der Unsicherheit, aber keineswegs eine Zeit des steten Niedergangs oder des Rückzugs aus dem internationalen Geschäft. Erhöhte Auslandsinvestitionen waren oft eine direkte Reaktion auf die wirtschaftlichen Verwerfungen nach 1918. Auch Volkart erzielte in den Jahren 1919 bis 1922 große Gewinne – 1922 in der Rekordhöhe von 9,4 Millionen Franken – nachdem bereits die Kriegsjahre überaus erfolgreich gewesen waren. Dies scheint die Teilhaber der Firma in ihrer Überzeugung bestärkt zu haben, dass der Welthandel schon bald wieder ein ähnliches Volumen wie in den Vorkriegsjahren erreichen würde.18 Auf jeden Fall verfolgte Volkart nach Kriegsende einen rasanten Expansionskurs. Da der Krieg die europäische Wirtschaft nachhaltig geschwächt hatte, verstärkte Volkart die Aktivitäten in Ostasien und versuchte erstmals, auch in den USA Fuß zu fassen. In rascher Folge wurden Filialen und Tochtergesellschaften in Osaka (1919), Bremen (1920), New York (1920), Shanghai (1921), Kalkutta (1922) und Singapur (1924) gegründet. Dadurch wurde Volkart in den frühen 1920er Jahren zum ersten Mal zu einem wirklich global tätigen Handelshaus. Die Gründung einer neuen Tochtergesellschaft in Bremen war eine direkte Folge der wirtschaftlichen Probleme in Deutschland. Die deutschen Spinnereien gehörten traditionellerweise zu den Hauptabnehmern von indischer Baumwolle und damit auch zu den wichtigsten Kunden von Volkart. Nach dem Ersten Weltkrieg litten jedoch viele von ihnen unter den wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Landes. Sie hatten insbesondere Mühe, Bankkredite zu erhalten, um den Handelsfirmen die Baumwolle im Moment des Eintreffens in Deutschland zu bezahlen, wie dies vor
17 Ellinger/Ellinger, Japanese Competition in the Cotton Trade, 1930, S. 201. Vgl. für die Marktanteile verschiedener Handelsfirmen für den Baumwollexport aus Bombay nach Japan, China und Europa in der Saison 1925/26: Contractor, A Handbook of Indian Cotton, 1928, S. 38f. 18 Vgl. für das Zusammenspiel von unternehmerischer Erfahrung und Erwartungsbildung Kleinschmidt, Neue Institutionenökonomik und Organisationslernen, 2004.
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dem Krieg üblich gewesen war.19 Deshalb beschlossen die Volkart-Teilhaber 1920, in Bremen eine formal selbständige Firma zu gründen, die auf Kommissionsbasis im Auftrag des Hauptsitzes für den Import von indischen Rohstoffen nach Deutschland zuständig sein sollte. In einer Mitteilung ließen sie die Manager der indischen Filialen wissen, dass eine der Hauptursachen für die Gründung der formal selbständigen Volkart Brothers Agency GmbH in Bremen die Einschätzung gewesen sei, „dass nur eine im Inland domizilierte und auf ein kleines Arbeitsfeld beschränkte Firma in der Lage ist, auf die Konditionen des Inlandgeschäftes einzugehen, die von vielen unserer Abnehmer verlangt werden.“20 Die Zahlungsmodalitäten blieben aber auch für Volkart Bremen ein steter Diskussionspunkt, was zeigt, wie sehr das Importgeschäft nach Europa durch den Weltkrieg in Mitleidenschaft gezogen worden war. Die deutschen Kunden verlangten etwa, dass Volkart die Tratten direkt auf sie ziehe und nicht auf eine Handelsbank, da die Banken in London sich nach 1918 weigerten, an deutsche Fabrikanten Kredite zu vergeben. Die Geschäftsleitung von Volkart verwarf diesen Vorschlag jedoch, da sie der Ansicht war, dass „die Stärke der Firma just im Prinzip gelegen habe, dass prinzipiell nie ein Kapital Risiko übernommen wurde.“ Man erklärte sich aber bereit, den deutschen Kunden die Bestellungen auszuliefern, wenn eine Bank die Zahlungsgarantie übernehmen würde. Ähnliche Geschäftspraktiken hatten sich nach 1918 offenbar in Nordfrankreich eingebürgert.21 In Deutschland scheiterte die Idee aber daran, dass keine deutsche Bank in der Lage war, derart umfassende Garantien abzugeben, wie sie für den Baumwollimport nötig gewesen wären. Auch die Zahlungsgarantien, welche die deutsche Reichsbank für Importgeschäfte zu geben bereit war, reichten nicht für die Finanzierung der großen Volumen, die im Baumwollhandel umgesetzt wurden.22 Volkart Bremen ging deshalb dazu über, guten Kunden einen Zahlungsaufschub zu gewähren. Man war bereit, die Hälfte der zur Zahlung fälligen Wechsel zu verlängern, verlangte dafür aber einen Jahreszins von 15% sowie die Hinterlegung von Baumwollbeständen im Wert von 130% der geschuldeten Kredite. Die deutschen Kunden reagierten verschnupft auf diese Forderungen. Sie brachten vor, dass Ralli für eine solche Verlängerung der 19 VA, Protokolle der Dienstag Konferenzen vom 8. Juni 1920-Okt. 1928: Konferenz vom 10. Oktober 1922. 20 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, Bremen (incl. Hamburg office): Winterthur an London, Bombay, Karachi, Tuticorin, Tellicherry, Cochin, Madras, Colombo, 12. Februar 1920. Siehe auch BB, Gebrüder Volkart GmbH: Volkart Brothers GmbH, Bremen, an Bremer Baumwollbörse, 1. März 1920 und Bremer Baumwollbörse an Volkart Brothers GmbH, 19. März 1920. 21 VA, Protokolle der Dienstag Konferenzen vom 8. Juni 1920-Okt. 1928: Konferenz vom 10. Oktober 1922. 22 VA, Protokolle der Dienstag Konferenzen vom 8. Juni 1920-Okt. 1928: Konferenz vom 17. Oktober 1922.
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Zahlungsfristen einen wesentlich niedrigeren Zins verlangen würden, was die Verantwortlichen von Volkart aber als unwahrscheinlich abtaten. Das Handelshaus war auch bestrebt, die Spinnereien derart unter Druck zu setzen, dass säumige Zahler in den Konkurs getrieben wurden.23 Dies macht deutlich, mit welch harten Bandagen in der Zwischenkriegszeit im internationalen Baumwollhandel gekämpft wurde. Es zeigt aber auch, dass Volkart gerade aufgrund der krisenhaften Entwicklung des Welthandels in der Zwischenkriegszeit den Kunden Zahlungsmodalitäten offerieren musste, die man vor 1914 noch kategorisch abgelehnt hatte. Als in den frühen 1920er Jahren in Europa die Nachfrage nach Rohstoffen aufgrund des Konjunktureinbruchs stark zurückging, musste Volkart sich damit abfinden, dass ein Teil der Käufer die Überweisung der Zahlungen erst in die Wege leitete, nachdem er von Volkart die Rechnung zugeschickt erhielt, anstatt, wie vor dem Krieg allgemein üblich, sobald der Vertrag abgeschlossen worden war. Andere Kunden wollten im Moment, wo die Ware in Europa eintraf, kurzfristig die Art der Zahlung ändern, was von Volkart natürlich höchst ungern gesehen wurde. Ein Mitarbeiter der Finanzabteilung bemerkte dazu 1927: „Wir verteidigen unsere Positionen zwar so gut wir können; aber seit 1920/1, dem Jahr, wo der Warenhunger der Welt sich so plötzlich gestillt zeigte, haben die Käufer das Heft in der Hand und drücken immer noch weitere Konzessionen durch. Nur eine lang anhaltende, dem Produzenten und Verkäufer günstige Konjunktur könnte uns erlauben, wieder promptere Zahlungsanweisungen durchzusetzen“.24 Dem Erfolg der neuen Tochterfirma in Bremen taten diese Schwierigkeiten jedoch keinen Abbruch. Bereits in der ersten Saison 1920/21 importierte Volkart Bremen 28% aller nach Deutschland gelieferten indischen Baumwolle. Kurze Zeit später waren es sogar 32% und nach 1932 immerhin noch rund 22%.25 Demgegenüber war einer anderen Neugründung weniger Glück beschieden. 1922 hatte sich Volkart an der Sicmat – Societa Italiana Commercio Materie Tessili – in Triest beteiligt, die Rohbaumwolle an italienische und polnische Spinnereien sowie an Spinnereien in der ehemaligen Habsburger Monarchie liefern sollte. Durch die Minderheitsbeteiligung sicherte sich Volkart das Monopol für die Lieferung von indischer Rohbaumwolle.26 1928 musste die Sicmat jedoch Konkurs anmelden, da diejenige Firma, welche die 23 VA, Protokolle der Dienstag Konferenzen vom 8. Juni 1920-Okt. 1928: Konferenz vom 22. Juli 1922. 24 VA, Weisse Schachtel: V.B. Finanzen, Deckung der Verbindlichkeiten, März 1927, S. 7. 25 VA, Dossier 42: Rechtliches, Cotton Poland 2nd world war: Denkschrift im Auftrag der Firma Gebrüder Volkart in Winterthur (Schweiz) über deren Ansprüche in den besetzten Gebieten des ehem. Polen an die Haupttreuhandstelle – Ost, Berlin, 19. Juni 1940. 26 Weitere Beteiligungen wurden unter anderem von der US-Handelsfirma McFadden – die als Alleinlieferant von amerikanischer Baumwolle wirkte – sowie der Winterthurer Firma Paul Reinhart & Co. – welche die Sicmat exklusiv mit ägyptischer Baumwolle belieferte – gehalten: Anderegg, Chronicle, 1976, S. 379.
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von der Sicmat produzierten Textilien hätte verkaufen sollen, sich im Aktienhandel verspekuliert hatte. Sie konnte ihre Schulden bei der Sicmat nicht begleichen, worauf auch diese zusammenbrach. Für Volkart brachte dieser Konkurs einen Verlust von fast 1,3 Millionen Franken sowie einen empfindlichen Umsatzeinbruch mit sich.27
Erweiterung der Produktpalette Die Eröffnung einer Niederlassung in Bremen hatte aber nicht nur Konsequenzen für die Geschäfte von Volkart in Deutschland, sondern auch völlig unerwartete Auswirkungen auf die geographische Ausrichtung des Baumwollgeschäftes. Die Volkart GmbH in Bremen wollte nämlich schon kurz nach ihrer Eröffnung ins amerikanische Baumwollgeschäft einsteigen.28 Im Firmenhauptsitz in Winterthur war man vom Vorschlag aus Bremen jedoch wenig begeistert. Man begründete die Ablehnung damit, dass die Konkurrenz im amerikanischen Baumwollgeschäft riesig sei und dass Volkart in den USA eine ähnliche Einkaufsorganisation wie in Indien aufbauen müsste, um sich behaupten zu können. Ein derartiger Expansionsschritt schien den Verantwortlichen der Firma zu riskant. Denn Anfang der 1920er Jahre waren viele amerikanische Baumwollhäuser in Schwierigkeiten geraten und mussten zum Teil ihre Einkaufsagenturen in den Südstaaten schließen. „In einem solchen Momente“, so die Verantwortlichen in Winterthur in einem Brief an Volkart Bremen, „wollen wir bei unserem Leisten bleiben und das richtig betreiben, was wir verstehen, wofür wir eine lange Erfahrung haben, an dessen Organisation wir eine Masse Geld schon ausgegeben haben.“ Demgegenüber war man in Winterthur gewillt, „das Geschäft in exotischen Sorten wie Peruanischer, Brasilianischer, Argentinischer aufzunehmen und zu kultivieren, wofür ja gerade der Hamburger und Bremer Markt ein Tummelfeld zu werden verspricht. Das ist ein Feld, das noch nicht so abgegrast ist, das auch in seinem Detailbetrieb eher indischer Baumwolle ähnelt als Amerikanischer“.29 Volkart Bremen begann in der Folge damit, brasilianische, mexikanische und türkische Baumwolle nach Deutschland zu importieren.30 Dies war eine Folge davon, dass in der Zwischenkriegszeit verschiedene Länder den Anbau von Baumwolle voran 27 VA, Dossier 18: Winterthur I, 4 Sicmat: Winterthur an Bombay, 16.7.1929. Vgl. zum Sicmat Konkurs auch The Times (London), March 15, 1929, S. 24 and 26; Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Abbau-Massnahmen Import/Engineering: Div. Bilanzen. 28 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, Bremen (incl. Hamburg office), 3. Correspondence: Winterthur an Bremen, 9. Juni 1922. 29 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, Bremen (incl. Hamburg office), 3. Correspondence: Winterthur an Bremen, 9. Juni 1922. 30 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, Bremen (incl. Hamburg office), 4. Note on Volkart G.m.b.H. Bremen 1921–1958 by P.R.: Notiz Volkart G.m.b.H. von Peter Reinhart, 19. Mai 1958.
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getrieben hatten. Während in den USA – vor allem in Texas und Oklahoma – die Erträge durch eine Mechanisierung des Anbaus gesteigert werden konnten, erfolgten die Ertragssteigerungen in Indien, Brasilien, Peru und Ägypten durch eine Ausweitung der Anbaufläche.31 Brasilien etwa erhöhte die Baumwollproduktion von 406’000 Ballen in der Saison 1920/21 auf 2‘141’000 Ballen in der Saison 1939/40.32 Um besseren Zugang zum brasilianischen Baumwollmarkt zu erhalten, eröffnete Volkart 1924 in São Paulo eine Agentur für den Einkauf von Rohbaumwolle.33 Der Einstieg ins amerikanische Baumwollgeschäft blieb aber auch in den folgenden Jahren ein steter Diskussionspunkt. In den 1920er Jahren drängten neben Volkart Bremen auch die Tochtergesellschaften in Osaka und Shanghai auf einen solchen Expansionsschritt, da US-Baumwolle bei den ostasiatischen Spinnereien sehr gefragt war. Aus diesem Grund begann die Firma Ende der 1920er Jahre mit den ersten Exporten von amerikanischer Baumwolle. Diese waren jedoch anfänglich ein Verlustgeschäft. Dies änderte sich erst, nachdem sich Volkart 1930 die Alleinvertretung der American Cotton Cooperative Association für Indien, China, Japan und später auch Mitteleuropa sichern konnte. Nun wurde die Firma mit einem Schlag zu einem der größten Exporteure von amerikanischer Rohbaumwolle.34 Auffallend ist dabei, wie viele Anstöße in der Zwischenkriegszeit aus den Zweigstellen der Firma kamen. Während man im Winterthurer Hauptsitz in Bezug auf das Baumwollgeschäft eher zu einer konservativen Politik neigte und den Handel mit indischer Baumwolle wie bis anhin in den Mittelpunkt der Aktivitäten stellte, kamen aus den Filialen Anregungen zu geschäftlichen Innovationen, die auf lange Sicht hinaus das Betätigungsfeld des Handelshauses nachhaltig verändern sollten. Wie im weiteren Verlauf dieses Buches gezeigt werden wird, sorgte der Export von US-Baumwolle nach Ostasien in den frühen 1930er Jahren wieder für schwarze Zahlen im Baumwollgeschäft, nachdem Volkart zuvor während mehreren Jahren herbe Verluste erlitten hatte.35 Und die Expansion nach Brasilien ermöglichte Volkart in den 1940er Jahren ins brasilianische Kaffeegeschäft einzusteigen, wodurch die Firma nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer der bedeutendsten Kaffeehandelsfirmen der Welt wurde.36 Die Diversifizierungsstrategie, die Volkart in der Zwischenkriegszeit mit der Ausweitung des Baumwollgeschäftes auf Brasilien und die USA betrieb, kann als Beleg dafür angesehen werden, dass die Spinnereien von den Handelsfirmen eine immer 31 Kindleberger, The World in Depression, 1973, S. 90. 32 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Limitada, Sao Paolo & Santos: 1. P.R. Note of 28.9.1950. 33 Rambousek et. al., Volkart, 1990, S. 161ff. 34 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA, 2. Table of Events V.B. Inc.: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950: Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes. 35 Vgl. hierzu Kapitel 10. 36 Vgl. hierzu Kapitel 13.
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breitere Produktpalette verlangten. Wie Sven Beckert gezeigt hat, war der moderne Baumwollhandel durch zwei gegenläufige Anforderungen geprägt.37 Zum einen mussten die Handelsfirmen die unglaubliche Vielfalt von Baumwollsorten in ein Set von standardisierten Baumwolltypen verwandeln, damit die Spinnereien stets gleich bleibende Qualitäten für die industrielle Produktion beziehen konnten. Zum anderen brauchten die Spinnereien auch eine große Varietät unterschiedlicher Baumwollsorten, um diejenigen Stoffe herstellen zu können, die den Kundenwünschen und den Ansprüchen der jeweiligen Mode entsprachen.
Gründung einer Volkart-Bank? Nachdem der Rohstoffhandel den beteiligten Handelshäusern in den ersten Nachkriegsjahren Rekordprofite gebracht hatte, kam es ab Mitte der 1920er Jahre zu einem dramatischen Einbruch. Als Folge des verstärkten Anbaus von Rohstoffen, der während des Krieges und in den frühen 1920er Jahren erfolgt war, sanken die Rohstoffpreise. Die weltweiten Lagerstände von Baumwolle wuchsen nach 1924 stark, die Baumwollpreise dagegen halbierten sich zwischen 1924 und 1929.38 Angesichts dieser Entwicklung sanken auch bei Volkart ab 1922 trotz hoher Umsätze die Gewinne. Ab 1926 schrieb die Firma während mehrerer Jahre rote Zahlen.39 Besonders gravierend war, dass viele Niederlassungen, die nach 1918 gegründet worden waren, defizitär arbeiteten.40 Die Teilhaber von Volkart prüften deshalb, inwiefern die Geschäfte redimensioniert oder gar völlig neu ausgerichtet werden sollten. 1928 erhielten sie einen Vorschlag, der die Gründung einer firmeneigenen Bank vorsah. Herr Rehmer, Mitarbeiter in der Finanzabteilung, schilderte in einem 16seitigen Exposé, wie die Firma ihr weit verzweigtes Filialnetz benutzen könnte, um als Handelsbank tätig zu werden. Gemäß dem Vorschlag sollte sie dabei vorerst auf Kommissionsbasis Sichttratten für 37 Beckert, Homogenisierung und Differenzierung, 2007. 38 League of Nations, Economic Instability in the Postwar World, 1945, S. 85; Kindleberger, The World in Depression, 1973, S. 88; James, The End of Globalization, 2001, S. 27, 102ff. 39 VA: Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I: Graphische Tabellen: Verhältnis von Stammkapital zu Gewinn und Verlust. 40 Die Filiale in New York etwa sorgte bis 1929 für einen Verlust von über 2 Millionen Franken, diejenige in Kalkutta für einen solchen von 3,75 Millionen, die Beteiligung an der Sicmat schlug mit einem Verlust von 1,27 Millionen Franken zu Buche, die chinesische Tochterfirma Fohka hatte für Verluste von gut 2 Millionen und die Filiale in Singapur für einen Verlust von 2,7 Millionen Franken gesorgt. Schließlich war auch das neu aufgenommene Geschäft mit dem Import von europäischen Maschinen nach Asien defizitär und sorgte bis 1929 für einen Verlust von 1,5 Millionen Franken (VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: AbbauMassnahmen Import/Engineering: Div. Bilanzen).
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den Handel zwischen Europa, Indien, China und Japan kaufen und verkaufen sowie Schecks und Kreditbriefe für Asienreisende bereitstellen. Längerfristig sollte Volkart auch ins Kreditgeschäft einsteigen und „die Gründung einer unabhängigen Bankfirma“ ins Auge fassen.41 Wenn die Teilhaber Rehmers Vorschlag gefolgt wären, hätte Volkart eine ähnliche Entwicklung vollzogen wie verschiedene Handelshäuser seit dem 19. Jahrhundert. Viele kapitalkräftige Handelsfirmen hatten im Laufe der Zeit damit begonnen, ihr geschäftliches Wissen und ihr Kapital dazu zu benutzen, anderen Kaufleuten Geld zu leihen. So entwickelten sie sich mit der Zeit zu eigentlichen Handelsbanken.42 Auch Volkart hätte hierfür die Voraussetzungen besessen. Wie Rehmer festhielt, verschob die Finanzabteilung von Volkart regelmäßig große Beträge zwischen den einzelnen Filialen, um die für das Handelsgeschäft notwendigen Mittel bereit zu stellen, und pflegte auch intensive Kontakte mit Handels- und Geschäftsbanken in den verschiedenen Ländern. Die Firma besaß also bereits eine beträchtliche Erfahrung im Finanzwesen. In kleinerem Umfang vergab Volkart nach 1918 auch Vorschüsse an andere Kaufleute oder Plantagenbesitzer oder war bereit, Geschäfte auf Kreditbasis abzuschließen – etwas, was zuvor jahrzehntelang strikte ausgeschlossen worden war. Dennoch wies Rehmers Plan verschiedene Schwierigkeiten auf. So hätte Volkart mit der Gründung einer eigenen Bank auch denjenigen Bankinstituten Konkurrenz gemacht, welche für die Finanzierung der Handelsgeschäfte benutzt wurden. Georg Reinhart bemerkte deshalb in einer handschriftlichen Notiz zu Rehmers Exposé: „Diese Anregung ist unter allen Umständen streng vertraulich zu behandeln – ob wir darauf eingehen oder nicht – damit sich keine Gerüchte bilden, die uns bei den Banken schaden könnten.“43 Auch ein Mitglied der Geschäftsleitung äußerte Kritik am Exposé. So würden die von Rehmer vorgeschlagenen Gelegenheitsgeschäfte kaum größere Gewinne abwerfen. Zudem seien solche Kreditgeschäfte alles andere als risikolos: „Zum Hauptthema ‚V.B.-Bank‘ ist zu bemerken, dass wir uns da auf ein Gebiet begeben würden, das uns völlig fremd ist. Eine solche Gründung hätte grosse Veränderungen im Gefolge. In erster Linie würde sie eine weitere Arbeitsbelastung für die Geschäftsleitung bedeuten… Jede Expansion, die nicht im Rahmen unserer Tätigkeit als ‚Merchants’ liegt und nicht eine Vereinheitlichung der Organisation … gestattet, macht den Betrieb kompliziert und erschwert zudem die Kontrolle, sie bringt es mit sich, dass wir die verschiedenen Kategorien (Kaufmann, Bankmann & Techniker) von verschiedenen Gesichtspunkten aus behandeln müssen, was leicht Unzufriedenheit im Gefolge haben kann.“ Zudem würde eine solche Gründung auch ein Risiko für das Handelsgeschäft der Firma darstellen: „Mit einer eigenen Bank müssten wir riskieren, dass uns unsere bestehenden Kredite gekündigt oder beschnitten würden. 41 VA, Weisse Schachtel: Herr Rehmer. Eine Entwicklungsmöglichkeit. Februar 1928. 42 Chapman, Merchant Enterprise in Britain, 1992, S. 69–77. 43 VA, Weisse Schachtel: Herr Rehmer. Eine Entwicklungsmöglichkeit. Februar 1928.
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Ob wir dann mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln, speziell in Krisenzeiten, auskommen würden, ist fraglich“. Eine „rationelle Ausnützung der bestehenden Organisation“ sei deshalb der „Expansion … in unbekannte Gebiete … vorzuziehen.“44 Diese Ansicht wurde auch von den Teilhabern geteilt, weshalb der Vorschlag schließlich abgelehnt wurde.
Rote Zahlen und die Krise der 1930er Jahre Die Geschäfte entwickelten sich jedoch alles andere als erfreulich. Durch den Börsencrash von 1929 verstärkte sich der Zerfall der Rohstoffpreise. Die Preise für Rohbaumwolle sanken zwischen 1929 und 1932 nochmals um die Hälfte, wodurch Baumwolle nur noch einen Viertel dessen kostete, was man 1924 hatte bezahlen müssen.45 15
10
5
0
-5
-10
-15
-20
nominelle Zahlen
reale Zahlen
Tabelle 5 Nettogewinne und -verluste der Firma Volkart 1901–1931 (in Millionen Schweizer Franken). Reale Zahlen zu konstanten Preisen von 1913, deflationiert nach dem Schweizerischen Konsumentenpreisindex (Quelle: eigene Berechnungen; Daten aus VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Graphische Tabellen: Verhältnis von Stammkapital zu Gewinn und Verlust)
44 VA, Weisse Schachtel: Zum Exposé Herrn Rehmers, ohne Datum. 45 League of Nations, Economic Instability in the Postwar World, 1945, S. 85; Kindleberger, The World in Depression, 1973, S. 88; James, The End of Globalization, 2001, S. 27, 102ff.
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Volkart schrieb deshalb weiter rote Zahlen, 1931 in der Rekordhöhe von 15 Millionen Franken.46 Das Kapital der Firma, welches 1925 noch 64 Millionen Franken betragen hatte, war als Folge der ständigen Verluste bis 1930 auf etwa die Hälfte zusammengeschmolzen. Die tiefere Ursache dieser Entwicklung sah Georg Reinhart in der massiven Ausweitung der Geschäftstätigkeit nach 1918. Immerhin seien die Geschäftsfelder, die die Firma bereits vor dem Krieg bearbeitet hatte – wie der Import von indischen Rohstoffen nach Europa oder auch ein Teil des Importgeschäftes von europäischen Konsumgütern nach Indien – weiterhin gewinnbringend: „Es darf ruhig angenommen werden“, so Reinhart, „dass wenn die Firma dieses ‚alte‘ Geschäft weitergepflegt hätte und Aufnahmen neuer Artikel und Geschäftsmethoden … verzichtet hätte, sie heute über das doppelte Kapital verfügen würde.“ 47 1920 1921 1922 1923 1924 1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932
36‘328‘106 41‘837‘962 51‘721‘095 58‘947‘566 62‘609‘077 64‘270‘619 62‘017‘158 55‘599‘110 55‘763‘497 57‘086‘832 49‘808‘372 35‘329‘231 26‘653‘379
Tabelle 6 Firmavermögen (Stammkapital + Kontokorrent) 1920–1932 in Schweizer Franken (Quelle: VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Allerlei geschäftliche Informationen, Statistiken etc.)
Die hohen Verluste der späten 1920er und frühen 1930er Jahre bedrohten nicht zuletzt die Kreditwürdigkeit der Firma. Georg Reinhart stellte 1934 fest, dass in diesem Jahr die Banken der Firma zum ersten Mal kritische Fragen gestellt hätten in Bezug auf „die Verminderung unserer Mittel und dies mahnt zu grösster Vorsicht und Besonnenheit.“48 Als Reaktion erfolgte in den frühen 1930er Jahren eine starke Redimensionierung der Geschäfte. Die 1924 eröffnete Filiale in Singapur, die nur Verluste eingebracht hatte, wurde 1930 wieder geschlossen und auch in anderen Filialen er-
46 VA: Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I: Graphische Tabellen: Verhältnis von Stammkapital zu Gewinn und Verlust. 47 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Abbau-Massnahmen Import/Engineering: Memorandum von GR an WR und an E. Neuenhofer, 24.10.1930. 48 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Abbau-Massnahmen Import/Engineering: Georg Reinhart, Memorandum an Werner Reinhart, 20.9.1934.
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300 250 200 150 100 50 0
Baumwolle
Exporte
Importe
Tabelle 7 Umsätze der indischen Häuser 1914–1932 (Quelle: VA, Dossier 61: Graphische Tabellen)
folgte eine starke Konsolidierung.49 In Indien etwa wurde damals das Exportgeschäft mit Saatgut aufgegeben.50 Volkart musste in der Weltwirtschaftskrise nicht zuletzt die eigene Geschäftstaktik überdenken. Die Firma machte in den frühen 1930er Jahren nicht zuletzt deshalb hohe Verluste, weil sie nicht rechtzeitig auf den dramatischen Preiszerfall der Baumwollpreise reagiert hatte. Wie ein Mitglied der Geschäftsleitung 1932 festhielt, kamen große „Engagements à la hausse, welche vor dem Ausbruch der Krise in durchaus begründet scheinender Aussicht geschaffen wurden, nicht zur Liquidation …, sondern [wurden] fast zwei Jahre lang gegenüber dem immer weiter fortschreitenden Rückgang der Preise durchgehalten und noch vermehrt“. Diese „taktischen Misserfolge Winterthurs“ seien durch einen fehlgeleiteten „Optimismus in Bezug auf die Weltkrise begründet“ gewesen, denn „[i]n den früheren Krisen hätte dieses Verfahren immer zu wenigstens dem Erfolg geführt, den grösseren Teil der Verluste einzubringen. Aber die gegenwärtige Krise ist ganz exzeptioneller Art gewesen wie bekannt.“51 Tatsächlich führte die Weltwirtschaftskrise bei vielen Akteuren zu einer grundlegenden Veränderung des geschäftlichen Erwartungshorizontes. In einem Schreiben von Anfang September 1931 schilderten die Verantwortlichen von Volkart den Managern in den überseeischen Filialen die psychologischen Folgen des Wirtschaftseinbruchs auf die europäische Geschäftswelt. Das Eigentümliche an der aktuellen Situation sei, „dass das Misstrauen der Käuferschaft nicht nur wirtschaftlich begründet ist“. Seit Jahrzehnten habe man nicht mehr eine solche Steigerung des Misstrauens gegen 49 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 141. 50 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2. 51 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Akten betr. Änderung der Baumwollorganisation 1932: Memorandum E. Neuenhofer, 4. Februar 1932.
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„das, was unter allen Umständen die Säulen wirtschaftlicher Unternehmungen sind, nämlich die Zuversicht auf die Bonität des Gegenkontrahenten und die Zuversicht auf die Beständigkeit der Währungen“ beobachten können. Die Verantwortlichen von Volkart wiesen deshalb alle Filialen an, keine langfristigen Geschäfte zu machen und vor allem keine Geschäfte auf Kreditbasis abzuwickeln.52 Diesem letzten Grundsatz konnte das Handelshaus jedoch in der Folge nicht nachkommen, da der Welthandel zwischen 1929 und 1935 um zwei Drittel einbrach.53 Volkart war gezwungen, einzelnen Spinnereien Eigenakzepte zu gewähren, um weiterhin Geschäfte tätigen zu können. Die Firma lieferte den Spinnereien also Baumwolle auf Kredit, wobei die Lieferungen durch die Zahlungsgarantie einer Bank abgesichert waren. Derartige Geschäftspraktiken hatte Volkart bis dahin mehrheitlich vermeiden können. Noch 1927 hatte Georg Reinhart festgehalten, dass er grundsätzlich dabei bleiben möchte, keine Kredite zu gewähren: „Unter diesem Prinzip hat die Firma 75 Jahre lang ständige Fortschritte gemacht. Wir haben heute keinen Grund, weniger konservativ zu sein als früher – im Gegenteil. Die grossen Umsätze, die wir jährlich machen (ohne Kreditgewährung) genügen vollständig, um unsere Kapitalien zu beschäftigen und um angemessene Verzinsung derselben zu gewähren.“54 In den 1930er Jahren scheint sich dies geändert zu haben. Jedenfalls meinte Peter Reinhart 1959 in einer Notiz, dass es vor dem Zweiten Weltkrieg „beinahe die Regel geworden sei“, dass man den französischen Spinnern Eigenakzepte zugestanden habe. Dies war natürlich mit einem beträchtlichen Zahlungsrisiko verbunden. Für Volkart lohnte sich dies jedoch, da man so größere Marktanteile erobern konnte. Peter Reinhart jedenfalls war überzeugt: „[W]ir verdanken unsere starke Stellung in Frankreich weitgehend unserer Bereitschaft, auf diese Bedingungen einzugehen. Es ist eine Hauptwaffe im Kampf mit den Havreser Händlern.“55 Ob Volkart auch in anderen Ländern zu ähnlichen Konzessionen bereit war, lässt sich aufgrund der Quellenlage nicht mehr eruieren. Die politischen Ereignisse im Europa der 1930er Jahre sorgten für eine zusätzliche Erschwernis der Geschäfte.56 Nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus 52 VA, Dossier 4: Bombay II, 17. General financial correspondance incl. securing exchange 1893, 1927/8, 1931, 1935: Winterthur an Bombay, Kopie an alle Häuser, 4. September 1931. 53 Osterhammel/Petersson. Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 82. 54 VA, Dossier 18: Winterthur I, 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur: Handschriftliche Notiz von Georg Reinhart, 1927. 55 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959 – 30. März 1965: PR, Office Note, 27. Januar 1959, Eigenakzepte für französische Spinner. 56 Um die innenpolitische Stellung der Schweizer Handelsfirmen zu stärken, wurde Ende 1934 der Verband Schweizerischer Transithandelsfirmen gegründet. Für Firmen, die im innereuropäischen Handel engagiert waren, stellte vor allem der Clearingverkehr mit Italien und Deutschland sowie derjenige mit Bulgarien und Jugoslawien ein Problem dar. Die Firma Volkart war zwar öfters durch einen Delegierten an den Vorstandssitzungen vertreten und entsandte im
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war der Import von amerikanischer Baumwolle nach Deutschland zeitweise verboten. Ende 1936 wurde das Verbot aufgehoben. Allerdings war eine Genehmigung davon abhängig, dass zuvor in den USA deutsche Fabrikate verkauft worden waren, die wertmäßig den Baumwollimporten nach Deutschland entsprachen.57 Im November 1938 bereiste Peter Reinhart das Sudetenland, welches kurz zuvor im Rahmen des Münchner Abkommens an das Deutsche Reich abgetreten worden war. Er berichtete nach seiner Rückkehr, dass in vielen Fällen der direkte Verkehr zwischen Baumwollimportfirmen und Spinnereien durch die deutsche Überwachungsstelle unterbunden worden sei. Die Überwachungsstelle nehme die Baumwolle vom Importeur entgegen und liefere sie an die Spinnerei aus, ohne dass diese wisse, von welchem Anbieter die Baumwolle stamme und wie sie qualitativ beschaffen sei. Damit würden die im Baumwollhandel bis dahin üblichen Geschäftspraktiken, die auf dem Vertrauen zwischen Handelshäusern und Spinnereien und einer strikten Qualitätskontrolle beruhten, außer Kraft gesetzt. Eine Ausnahme gebe es beim Import von indischer und ägyptischer Baumwolle, da sich die Überwachungsstelle bei diesen Sorten offenbar zu wenig genau auskenne. Deshalb teilte sie den Spinnereien Devisen zu, die diese dazu verwenden konnten, bei einer in Deutschland niedergelassenen Importfirma Baumwolle zu erwerben. Der Preis musste allerdings durch die Überwachungsstelle genehmigt werden.58 Nachdem Deutschland sich im März 1939 auch noch das restliche Territorium der ehemaligen Tschechoslowakei einverleibt hatte, äußerten die Verantwortlichen von Volkart die Ansicht, dass dies wohl keine Störungen der Geschäftsverbindungen nach sich ziehen werde. Im Gegenteil, da man nun im ganzen Land von den deutschen Preisvereinbarungen profitieren könne, ergäben sich vielleicht gar Vorteile für die Konkurrenzfähigkeit von Volkart im indischen Baumwollgeschäft.59 Diese Äußerung ist insofern aufschlussreich, als sie zeigt, dass Volkart die politischen Umwälzungen in Europa, die nicht nur in vielen Ländern das Ende von demokratischer Verfassung und Rechtssicherheit mit sich brachten, sondern den Kontinent auch in einen neuen Krieg zu stürzen drohten, kaum als moralisches Problem wahrnahm – zumindest finden sich im Firmenarchiv hierfür keine Belege. Die Geschäfte Herbst 1935 auch einen Mitarbeiter, um an einem Treffen mit Bundesrat Hermann Obrecht, dem Vorsteher des Schweizerischen Volkswirtschaftsdepartementes, teilzunehmen. Darüber hinaus engagierte sich Volkart jedoch kaum in diesem Verband (WA, Handschriften (HS) 421: Verband schweizerischer Transit- und Welthandelsfirmen, Basel, A 1: Gründungsakte (Copie) und maschinengeschriebene und gedruckte Statuten, 1934; A 2: Protokolle der Vorstandssitzungen 1934–1949). 57 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc., N.Y. – Tax, Import, Ind./ Chin.: Bremen an Winterthur, 30. Dezember 1936; VB Inc. New York an Bremen, 6. Januar 1937. 58 VA, Dossier 18: Winterthur I, 6 Reports PR on his visits to various clients 1938/39, Reise in die Tschechoslowakei vom 5.-11. Nov. 1938, Bericht von Peter Reinhart vom 22.11.38. 59 VA, Konferenz-Protokolle Januar 1939–4. September 1939: Konferenz vom 16. März 1939.
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mit dem faschistischen Italien, dem nationalsozialistischen Deutschen Reich, mit der besetzten Tschechoslowakei, mit Österreich oder dem franquistischen Spanien wurden offenbar weniger unter ethischen Gesichtspunkten beurteilt, sondern vor allem in Hinblick auf den zukünftigen Geschäftsgang diskutiert.60 Auch bei den Geschäften in Ostasien spielten moralische Bedenken allenfalls eine ungeordnete Rolle. So hieß es in einem Konferenzprotokoll aus dem Februar 1939, die Geschäftsleitung stehe der von der japanischen Tochterfirma geäußerten Anregung, „das Geschäft in Aeroplanes, Machine Guns und Fertigfabrikaten irgendwelcher Art für Kriegszwecke aufzunehmen, … grundsätzlich ablehnend gegenüber“. Keine Einwände habe man jedoch gegen die Lieferung von „Rohmaterial und Halbfabrikaten, die unter Umständen auch zur Fabrikation von Kriegsmaterial verwendet werden“ konnten.61
Die politische Haltung der Teilhaber Die geschäftliche Haltung der Firma gegenüber dem Aufstieg von Faschismus und Nationalsozialismus und einem unter Umständen bevorstehenden neuen Krieg war somit bestenfalls indifferent. Wie sah es mit der politischen Einstellung der Teilhaber aus? Auch diese war alles andere als eindeutig. Werner Reinhart war durchaus empfänglich für rechtes Gedankengut. So war er Abonnent der Zeitschrift „Schweizerbanner“, welche von der Schweizer Heimatwehr herausgegeben wurde, und trat im Frühling 1930 dieser faschistischen Erneuerungsbewegung als Mitglied bei.62 Im Mai 1936 teilte Werner Reinhart dem Rektor der Universität Freiburg im Breisgau mit, dass er leider nicht an einer Preisverleihung für den vom ihm hoch geschätzten Dichter Emil Strauss teilnehmen könne, und äußerte sein Bedauern darüber, „die durch die Feier gebotene Gelegenheit zu freundnachbarlichem Gedankenaustausch mit den alemannischen Stammesgenossen jenseits der Grenze nicht wahrnehmen zu können.“63 Und im Juni 1939 dankte er einem Mitglied der Kreisleitung der NSDAP Donaueschingen für die Zusendung einer kulturellen Schrift und meinte mit dem Verweis auf ein früheres Treffen an einem süddeutschen Musikfest: „Einmal mehr wurde mir dabei auch bewusst, wie wertvoll und wichtig in der heutigen Zeit eine solche Fühlungnahme über die Grenze hinweg ist. Möge das auch auf unserer Seite im60 Damit zeigt sich ein eklatanter Unterschied zu der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg, als Volkart überlegte, aus politischen Gründen keine Geschäfte mehr mit dem Ostblock zu machen, vgl. hierzu Kapitel 14. 61 VA, Konferenz-Protokolle Januar 1939–4. September 1939: Protokoll vom 17. Februar 1939. 62 SSW, Nachlass Werner Reinhart, Dep MK 391/55: Werner Reinhart, Winterthur, an den Zentralvorstand der Schweizer Heimatwehr, Zürich, 18. Februar 1930; Werner Reinhart, Winterthur, an Dr. Hs. Bader, Präsident der Schweizer Heimatwehr, Zürich, 3. März 1930. 63 SSW, Nachlass Werner Reinhart, Dep MK 389/32: Werner Reinhart an den Rektor der Albrecht-Ludwigs-Universität Freiburg i. Br., 5. Mai 1936.
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mer besser verstanden werden.“64 Ab 1933 unterstützte Werner Reinhart zudem den deutschen Maler Hermann Burte, der aus seiner Bewunderung für den Nationalsozialismus nie ein Hehl gemacht hatte.65 1936 hatte sich Burte an einer Rede in Freiburg im Breisgau zum Verhältnis von schweizerischer und süddeutscher Literatur in einer Form geäußert, die in der Neuen Zürcher Zeitung als „Blutmystik“ bezeichnet wurde. Originalton Burte: „In Freiburg im Breisgau, in Alemannien, treten schweizerische Dichter mit ihren Werken vor ihre badischen Nachbarn hin und zeugen mit uns für die Einheit im Geiste der Alemannen! Ueber ihren Häuptern und unsern tönt traurig der Ruf der alemannischen Mutter des Volkes: Heim, Heim! In die Nacht des Wahns hinaus. Sie wird erst schweigen, wenn alle Kinder ihres Blutes heimgekehrt sind in das grüne Haus am Rheine unter der riesigen blauen Bühne“.66 Auch Georg Reinhart hatte Kontakt zu Burte und tauschte regelmäßig mit ihm Bücher aus.67 Während sein Bruder Werner aber äußerst angetan war von Burtes Blut-und-Boden-Mystik, lehnte Georg Reinhart diese entschieden ab. Er schrieb Burte als Reaktion auf die obige Rede, dass es seiner Ansicht nach in der Schweiz keinen Wunsch nach einem Anschluss an Deutschland gebe: „[Der] Miteidgenosse im Tessin oder in Sitten liegt mir näher, als der Alemanne im Reich, trotz der Verwandtschaft der Sprache. Ich sehe im Tessiner, Graubündtner oder Waadtländer in erster Linie den Schweizer, mit dem mich gleich gerichtete politische Ideale verbinden, während dies beim Allemannen im Reich heute nicht der Fall ist. … So wie ich, denkt, wie ich glaube, jeder rechte Schweizer und es wäre daher falsch, uns Deutschschweizern Heimwehgefühle nach einem jenseits des Rheins liegenden Lande anzudichten, die wir unmöglich haben können.“68 Nach dem Tod von Werner Reinhart sorgte die Tatsache, dass dieser Burte jahrzehntelang unterstützt hatte, für einige Verlegenheit. Die Erben Werner Reinharts hatten beschlossen, dass Burte nach Werner Reinharts Tod keine Unterstützung mehr erhalten solle. Die Geschäftsleitung von Volkart teilte zwar die Abneigung der Erben gegenüber Burtes politischer Einstellung, befand jedoch 1953, dass es nicht im Sinne Werner Reinharts gewesen wäre, wenn Burte von nun an leer ausgehen würde. Man sprach ihm deshalb einen monatlichen Unterstützungsbeitrag von 250 Franken durch die Firma und eine einmalige Zahlung von 500 Franken durch die Volkart-Stiftung zu. Die Unterstützung Burtes erklärte man sich damit, dass „Herr W.R. … sich offenbar über [dessen] Gesinnung hinweg“ gesetzt und einzig „den un64 SSW, Nachlass Werner Reinhart, Dep MK 391/134: Werner Reinhart, Winterthur, an die Kreisleitung der N.S.D.A.P. Donaueschingen, 10. Juni 1939. 65 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: BR, Hermann Strübe Burte, 6. Mai 1953. 66 Neue Zürcher Zeitung vom 3.11.1936. 67 SSW, Nachlass Georg Reinhart, Ms GR 38/88. 68 SSW, Nachlass Georg Reinhart, Ms GR 38/88: Georg Reinhart an Hermann Burte, Winterthur, 6. November 1936.
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politischen Teil von Burte’s Dichtung und seine Malerei“ bewundert habe.69 Selbst wenn diese Ansicht angesichts der oben angeführten Sympathien Werner Reinharts für rechtskonservatives Gedankengut wenig plausibel ist, als Anhänger des Nationalsozialismus kann man Werner Reinhart wohl ebenfalls nicht bezeichnen. Immerhin überwies er dem Verband Schweizerisch Israelitischer Armenpflegen 1939/40 Geld, damit der Verband jüdische Flüchtlinge unterstützen konnte, die in die Schweiz geflohen waren, und ihnen unter anderem bei der Beschaffung von Visa zur Weiterreise behilflich sein konnte.70
Der Zweite Weltkrieg Nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges traf Volkart umgehend verschiedene Vorsichtsmaßnahmen, um gegen die Auswirkungen des Konfliktes so weit als möglich gewappnet zu sein. Wie schon der Krieg 1914–1918 stellte auch diese neue Auseinandersetzung für ein international tätiges Handelshaus eine ernsthafte Bedrohung dar. Da man durch die Zensurmaßnahmen der Behörden eine Verzögerung im Telegrammverkehr zwischen der Schweiz und Indien erwartete, sollte Volkart London von nun an direkt mit den indischen Filialen kommunizieren, ohne wie bis dahin zuvor das Winterthurer Stammhaus zu konsultieren. Zudem wurden sämtliche ausgehenden Telegramme einer firmeninternen Zensur unterzogen, damit keine Meldungen verschickt würden, die Volkart in Schwierigkeiten bringen konnten.71 Der Geschäftskontakt mit Deutschland wurde umgehend abgebrochen. Am 7. September 1939 informierte die Firma ihre deutschen Kunden, „dass infolge des Eintrittes Grossbritanniens in den Krieg die bisher so angenehmen Geschäftsbeziehungen zwischen Ihrer und unserer Firma aus folgendem Grund bis auf weiteres einen Unterbruch erleiden“ würden. Durch die sowohl in England wie in Indien erlassene „Royal Proclamation about trading with the enemy“ wurde auch neutralen Firmen, die im Empire tätig waren, jeder geschäftliche Verkehr mit Ländern, die sich mit England im Krieg befanden, unter Androhung schärfster Maßnahmen untersagt. Genau wie im Ersten Weltkrieg werde Volkart sich dieser Anweisung fügen müssen, „ansonst wir die Schliessung unseres gesamten Betriebes auf britischem Gebiet zu gewärtigen hätten.“ Das hieß, dass laufende Aufträge nicht mehr erfüllt werden konnten. Von deutschen Firmen gelieferte Waren, die von Volkart noch nicht bezahlt wor69 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953 – 6. Januar 1959: BR, Hermann Strübe Burte, 6. Mai 1953. 70 SSW, Nachlass Werner Reinhart, Dep MK 389/50: drei Briefe 1939–40 von WR an den Verband schweizerisch israelitischer Armenpflegen, Zürich. 71 VA, Konferenz-Protokolle Januar 1939–4. September 1939: Konferenz vom 4. September 1939
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den waren, gälten als deutsches Eigentum und würden von den Briten konfisziert. Fällige Zahlungen nach Deutschland könnten nicht mehr getätigt werden, würden den entsprechenden Firmen aber in Winterthur gutgeschrieben.72 Im Herbst 1939 waren zudem große Baumwolllager von Volkart in Polen beschlagnahmt worden. Da als Rechnungsadresse Volkart London angegeben war, waren die Deutschen der Ansicht, dass die Baumwolle einer englischen Firma gehörte. Erst als es den Anwälten von Volkart gelang, die Deutschen davon zu überzeugen, dass die Geschäfte der Firma von Winterthur aus geleitet wurden, wurde die konfiszierte Baumwolle wieder frei gegeben.73 Bereits ab Oktober 1939 wurde die Verlegung des Hauptsitzes vorbereitet, damit die Firmenleitung und ein Teil der Angestellten im Falle eines deutschen Angriffs den Kontakt zu den Filialen in Asien und den USA aufrecht erhalten oder ins Ausland fliehen könnten.74 Im Februar 1940 entschloss man sich, den Hauptsitz der Firma in die Westschweiz nach Vevey zu verlegen.75 Dieser Umzug erlaubte es Volkart auch, ein Problem zu lösen, welches die Firma schon seit geraumer Zeit beschäftigt hatte. Aufgrund des schweizerischen Obligationenrechtes von 1881 war die Bestimmung erlassen worden, dass der Name einer Kollektivgesellschaft mit den tatsächlichen Verhältnissen übereinstimmen musste. Da nach dem Tod von Salomon und Johann Georg Volkart keine Gebrüder Volkart mehr vorhanden waren, musste die Firma ihren Hauptsitz 1893 formal nach London verlegen, wenn sie ihren Namen behalten wollte.76 Das 1937 in Kraft getretene revidierte Obligationenrecht verschärfte diese Bestimmung noch, indem es verlangte, dass „Zweigniederlassungen eines Unternehmens, dessen Sitz sich im Ausland befindet“ zusätzlich „den Ort der Hauptniederlassung“ angeben müssten. Dies war für Volkart unangenehm, da man sich so offiziell als britische Firma mit Hauptsitz London hätte bezeichnen müssen und das Stammhaus in Winterthur – der faktische Hauptsitz des Unternehmens – bloß noch als 72 VA, Dossier 18: Winterthur I, 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur: Rundbrief von Volkart and die deutschen Geschäftsverbindungen, Winterthur, 7. September 1939. 73 VA, Dossier 19: Winterthur II, Korrespondenz Sitzverlegung VB: London/Winterthur/ Vevey/Winterthur 1940/1941: Protokoll über die Besprechung mit Herrn Dr. Henggeler, 4. März 1940; Dossier 42: Rechtliches, Cotton Poland 2nd world war: Denkschrift im Auftrag der Firma Gebrüder Volkart in Winterthur (Schweiz) über deren Ansprüche in den besetzten Gebieten des ehem. Polen an die Haupttreuhandstelle – Ost, Berlin, 19. Juni 1940; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 453. 74 VA, Dossier 18: Winterthur I, 8 Evacuation of the main part of the Winterthur office to the French part of Switzerland 1940–1941: Bericht über Evakuation des Betriebes, 10.10.39; Winterthur an alle Häuser, 5. Dezember 1939, strictly confidential. 75 VA, Dossier 18: Winterthur I, 8 Evacuation of the main part of the Winterthur office to the French part of Switzerland 1940–1941: Gebrüder Volkart an den Stadtrat von Winterthur, 17. Februar 1940; 1 Table of Events: Winterthur an alle Häuser, 28th February, 1940. 76 Vgl. Kapitel 3.
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Filiale fungiert hätte.77 Im Falle eines Krieges wäre Volkart dadurch im Gebiet der Achsenmächte automatisch als feindliche Firma behandelt worden. Das Gesetz sah allerdings die Möglichkeit vor, den bisherigen Namen als Firmenbezeichnung beizubehalten, wenn die aktuellen Inhaber explizit genannt würden oder wenn ein Unternehmen seinen Sitz aus dem Ausland in die Schweiz verlegte.78 Die Verlegung der Firmenleitung nach Vevey bot eine elegante Lösung dieses Problems, indem Volkart auch den nominellen Hauptsitz der Firma von London nach Vevey verlegen konnte. Denn dass Volkart durch diesen Umzug „den Hauptzweck, nämlich die Sitzverlegung vom Ausland in die Schweiz, ebenfalls erreichen würde, ginge dann vielleicht sozusagen unvermerkt vorbei.“79 So gab die Firma denn auch Ende Mai 1940 in einer Pressemitteilung bekannt, dass sie dem „bisherigen Firmennamen Gebr. Volkart den Zusatz ‚Inhaber Georg Reinhart, Werner Reinhart, Oskar Reinhart und Peter Reinhart‘“ hinzufüge. Bloß beiläufig wurde erwähnt, dass dieser Eintrag im Handelsregister von Vevey erfolge, wo sich bis auf weiteres der Sitz der Geschäftsleitung befinde.80 Dadurch war Volkart auch formal wieder zu einer schweizerischen Firma geworden. Als das Handelshaus im Sommer 1941 den Hauptsitz wieder nach Winterthur verlegte, wurde die Firma mit obigem Eintrag ins Handelsregister des Kantons Zürich eingetragen.81 Zudem wurde in den Briefkopf der Firma erneut der Zusatz „Schweizerische Firma, gegründet 1851“ aufgenommen, um die schweizerische Identität der Firma zu unterstreichen.82 Dieser Zusatz war ursprünglich während des Ersten Weltkrieges angebracht,83 aber ab Mitte der 1930er Jahre wieder weggelassen worden. Inwiefern die britischen Behörden registrierten, dass Volkart den formalen Firmenhauptsitz von London zurück in die Schweiz verlegte, lässt sich nicht mehr feststellen. Hingegen hatten die Briten sehr aufmerksam zur Kenntnis genommen, dass die Belegschaft des Winterthurer Stammsitzes aus Angst vor einem deutschen Angriff nach Vevey 77 VA, Dossier 18: Winterthur I, 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur. 78 VA, Dossier 18: Winterthur I, 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur; Dossier 19: Winterthur II, Korrespondenz Sitzverlegung VB: London/Winterthur/Vevey/ Winterthur 1940/1941: Rechtsanwälte Robert Corti und Rudolf Hofmann, Winterthur, an Firma Gebr. Volkart, Winterthur, 8. November 1938; Dossier 19: Winterthur II, Korrespondenz Sitzverlegung VB: London/Winterthur/Vevey/Winterthur 1940/1941: Eidgenössisches Justiz- und Polizeidepartement, Bern, an Herrn Dr. J. Henggeler, Zürich, 16. April 1940. 79 VA, Dossier 19: Winterthur II, Dokumente in Zusammenhang mit Transfer VB Head Office: nach London 1893 / nach Winterthur 1940: Georg Reinhart an Dr. J. Henggeler, Zürich, Vevey, den 2. April 1940. 80 VA, Dossier 19: Winterthur II, Korrespondenz Sitzverlegung VB: London/Winterthur/ Vevey/Winterthur 1940/1941: Gebr. Volkart, Vevey, an die Redaktion der Neuen Zürcher Zeitung, Zürich, 29. Mai 1940 (Pressemitteilung). 81 VA, Dossier 18: Winterthur I, 3 Nominal transfer of HO to LONDON from Winterthur. 82 Konferenz-Protokolle 6. Sept. 1939 – 31. Mai 1940: Konferenz vom 19. Dezember 1939. 83 Vgl. Kapitel 4.
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transferiert worden waren. Dies wurde als „evidence of good faith, or at least pro-Ally policy on the part of Messrs Volkart Bros.“ interpretiert.84 Für Volkart war es essenziell, nicht ins Visier der britischen Behörden zu geraten. Bereits im September 1939 hatte die Firmenleitung ihre Abteilungsleiter gewarnt, dass jede Zuwiderhandlung gegen die Kriegsvorschriften, selbst wenn sie aus bloßer Fahrlässigkeit geschähe, dazu führen könne, „dass unsere Firma auf die schwarze Liste gesetzt würde, was gleichbedeutend mit dem Ende … unserer Existenz als Welthandelsfirma wäre.“85 Wie ein leitender Angestellter der Firma 1942 bei einem Besuch der britischen Handelskammer in Basel erfuhr, genügte bereits ein geringfügiger Verstoß, um auf die Schwarze Liste zu kommen. Die Briten ließen den VolkartVertreter wissen, dass Handelsfirmen wie Volkart, Diethelm oder Keller „mit ihren überseeischen Geschäften und Verbindungen, die die ganze Welt umspannen, naturgemäss eine stärkere Kontrolle durch die britischen Organe zu gewärtigen haben als Häuser, deren Interessen nicht so weit gespannt sind.“86 Aus diesem Grund wurde der Kontakt zwischen der Volkart GmbH in Bremen und dem Rest des Unternehmens im Herbst 1939 komplett abgebrochen. Volkart Bremen behielt jedoch während des gesamten Krieges die seit 1937 bestehende Alleinvertretung von Sandoz für den Verkauf von Farben in Deutschland. Dieses Geschäft war sehr einträglich und weitgehend risikolos und trug die gesamten Spesen der Bremer Niederlassung.87 Der Baumwollimport nach Deutschland kam jedoch zum Erliegen. Nach der französischen Kapitulation mussten große Baumwolllieferungen, die für französische Spinnereien vorgesehen waren, nach Großbritannien umgeleitet werden.88 Da man befürchtete, dass die Schweiz besetzt werden oder zumindest die Kommunikation mit den Filialen in Asien und den USA unterbrochen werden könnte, wurde Peter Reinhart im Juli 1940 als Delegierter der Geschäftsleitung nach New York entsandt. Robert Scherer, der seit 1930 Co-Leiter von Volkart Bombay war, hatte bereits im Oktober 1939 eine Generalvollmacht erhalten, damit er die Geschäfte in Indien und Ceylon weiterführen konnte, falls der Kontakt zum Hauptsitz unterbrochen würde. Im Sommer 1940 erhielt er, ebenso wie Balthasar Reinhart, der jüngere Sohn von Georg Reinhart, eine weltweit gültige Vollmacht über den Besitz der Firma, die in
84 NA, TS 13/3826: Naval Prize, Volkart Bros.: Report from Procurator General’s Department, May 1940. 85 VA, Dossier 42: Rechtliches, Trading with the Enemy Act, 1939: Zur Zirkulation bei den Abteilungschefs in Vevey und Winterthur, Vevey, 12. September 1939. 86 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. August 1941 – 4. März 1943: H. Zimmerli, Aktennotiz über meinen Besuch bei der British Chamber of Commerce in Basel am 6. Januar 1942, 7. Januar 1942. 87 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / BremenBremen (incl. Hamburg office), 4. Note on Volkart G.m.b.H. Bremen 1921–1958 by P.R.. 88 VA, Dossier 18: Winterthur I, 1 Table of Events.
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Kraft treten sollte, wenn die Geschäftsleitung in Winterthur nicht mehr handlungsfähig war.89 Zwar war die Kommunikation zwischen dem Hauptsitz und den Niederlassungen in London, New York, Shanghai, Osaka und den Filialen in Indien und Ceylon während des ganzen Krieges nie vollständig unterbrochen, häufig brauchten Nachrichten aus Asien jedoch mehrere Monate bis sie Winterthur erreichten. Der Winterthurer Hauptsitz konzentrierte sich deshalb vor allem darauf, Rohstoffe, Nahrungsmittel und Konsumgüter in die Schweiz zu importieren.90 Diese Geschäfte genügten allerdings nicht, um das Personal voll zu beschäftigen. Volkart trat deshalb verschiedene Angestellte an die Stadt Winterthur und die eidgenössische Verwaltung ab und vergütete die Einkommensdifferenz, da die Löhne der Staatsangestellten niedriger waren als bei Volkart.91 In Indien erfolgte durch den Kriegsausbruch eine markante Steigerung der Rohstoffpreise. Da Schiffsraum aber äußerst knapp war, gingen die Exportzahlen zurück. Vor allem der Baumwollexport nach Europa, und ab 1941 auch nach Ostasien, wurde stark reduziert. Volkart verkaufte deshalb die in Indien erworbene Baumwolle fast ausschließlich an lokale Spinnereien. Der Baumwollimport aus den USA kam während des Krieges zum Stillstand. Dagegen importierte Indien weiterhin Baumwolle aus Ägypten und dem Sudan, wo Volkart mit Paul Reinhart & Co. eine gute Geschäftsverbindung hatte, sowie aus Uganda und Belgisch Kongo.92 Nach dem Kriegseintritt Japans kam der Import von Reis aus Burma und anderen Ländern Südostasiens nach Indien zum Erliegen. Deshalb musste ab 1942 Reis und Weizen aus Nordindien in den Süden des Landes transportiert werden, um die Ernährung der Bevölkerung zu sichern. Volkart wurde daraufhin von verschiedenen indischen Teilstaaten und Provinzregierungen angefragt, den innerindischen Getreidehandel abzuwickeln.93 Dies 89 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Juni 1940 – 31. Juli 1941: Konferenz vom 17. Juni 1940. 90 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 459; VA, Dossier 18: Winterthur I, 9 War time activities of Winterthur/Vevey: Bericht über die Tätigkeit der Abteilung 10 von Oktober 1940 bis 31. August 1943, E. Zimmerli, Winterthur, 18. Oktober 1943. Auch andere Schweizer Handelsfirmen beschäftigten sich während des Krieges mehrheitlich damit, Rohstoffe in die Schweiz zu importieren. Die Winterthurer Firma Paul Reinhart & Cie. organisierte etwa Baumwollimporte aus Syrien in die Schweiz und war 1941 auch der ungarischen Regierung bei der Einfuhr von türkischer Baumwolle behilflich: Privatarchiv Danièle Burckhardt: Burckhardt-Reinhart, Meine vierte Reise nach der Türkei, 1941. Vgl. für den Import von Fetten und Ölen für die schweizerische Seifenindustrie, die durch ein Syndikat von Welthandelsfirmen bestehend aus Volkart, der Union Handelsgesellschaft aus Basel sowie Siber Hegner aus Zürich durchgeführt wurde: Arch Miss 21, Bestand UTC, 4345: Gebr. Volkart, Siber, Hegner & Cie. u.a. 1944, Eingegangene Briefe sowie 4346: Gebr. Volkart, Siber, Hegner & Cie. u.a. 1945, Eingegangene Briefe. 91 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. August 1941–4. März 1943: Konferenz vom 11. März 1942. 92 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 462f. 93 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 477ff.
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erlaubte Volkart zum einen, die Kapazitäten der Firma auf dem Subkontinent auszulasten, und zum anderen erhoffte man sich davon auch einen positiven Effekt auf die Beziehungen zu den indischen Regierungsstellen. Finanziell war dieser innerindische Getreidehandel jedoch nicht sehr lukrativ. Bei einem Totalumsatz von 4,6 Millionen Rupien erzielte Volkart während des Krieges einen Reingewinn von nicht einmal 20’000 Rupien.94 Die Geschäfte der Nichizui kamen fast vollständig zum Erliegen, nachdem ab 1941 keine Baumwollimporte aus Indien und den USA nach Japan mehr erfolgten. Die Nichizui, die vom Rest der Firma komplett abgeschnitten war, führte noch einige kleinere Garnlieferungen in die Mandschurei durch. Ein Teil der ausländischen Mitarbeiter der Nichizui traten in den Dienst der Schweizer Botschaft, die während des Krieges verschiedene Nationen in Japan vertrat.95 Der Niederlassung von Volkart in Shanghai gelang es, bis 1941 einige sehr erfolgreiche Baumwollgeschäfte abzuwickeln. Nach dem japanischen Überfall auf Pearl Harbour waren in Shanghai jedoch keine Geschäfte mehr möglich.96 In Brasilien gründete Volkart 1942 eine neue Tochtergesellschaft, die Volkart Irmaos Limitada in São Paulo. Diese betätigte sich jedoch nicht selber als Exporteur, sondern kooperierte für die Ausfuhr von Baumwolle und Kaffee mit dem brasilianischen Exporthaus Prado Chaves. Der Baumwollexport aus Brasilien nach Europa und Fernost kam nach 1941 fast vollständig zum Erliegen, da die dortigen Märkte durch die Achsenmächte kontrolliert wurden. Auch Baumwollexporte aus Brasilien nach Kanada waren nach 1941 nicht mehr möglich, da kaum mehr Schiffsraum erhältlich war. In den USA verdoppelte sich der Baumwollverbrauch aufgrund der Bestellungen der Armee während des Krieges auf etwa 12 Millionen Ballen pro Jahr. Baumwollexporte nach Europa oder Fernost waren dagegen nicht mehr möglich. Volkart gelang es jedoch aufgrund der gestiegenen Inlandnachfrage, in den USA eine effiziente Einkaufs- und Verkaufsorganisation aufzuziehen, die nach 1945 in der Lage war, die verschiedenen Niederlassungen der Firma in aller Welt mit amerikanischer Baumwolle zu versorgen.97 Alles in allem konnte Volkart jedoch im Zweiten Weltkrieg keine Konjunkturgewinne erzielen, sondern musste „seit Kriegsausbruch um die Durchhaltung unserer hiesigen Organisation in reduziertem Rahmen bemüht sein“,98 wie es in einem Konferenz-Protokoll von 1944 hieß. Damit unterschied sich die Situation grundsätzlich von der Situation während des Ersten Weltkrieges, als Volkart aufgrund der
94 VA, Dossier 19: Winterthur II, 26. other Activities: O. Kappeler, von 1933–49 Cochin BM, Oktober 1969. 95 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 489f. 96 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 491ff. 97 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 484–487. Vgl. hierzu Kapitel 14. 98 VA, Konferenz-Protokolle 6. März 1943–31. Dezember 1944: Konferenz vom 20. Juni 1944.
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Preissteigerungen im Rohstoffbereich Rekordgewinne erzielen konnte.99 Dieser Unterschied rührt zum einen daher, dass nun auch Japan und China, zwischen 1914 und 1918 noch lukrative Absatzmärkte für Volkart, zu Kriegsschauplätzen wurden, und lag zum anderen darin begründet, dass die militärische Zerstörungskraft in den zwei Jahrzehnten seit Ende des Ersten Weltkrieges noch einmal enorm angewachsen war. Angesichts der Verwüstungen, welche der Zweite Weltkrieg mit sich gebracht hatte, war Volkart jedoch glimpflich davon gekommen. Die Gefühlslage der Firmeneigner bei Kriegsende schilderte Peter Reinhart 1951 in einer Rede zum 100-Jahr-Jubiläum von Volkart. Aus dieser wird nochmals deutlich, wie sehr in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts aufgrund der zwischenstaatlichen Konflikte die Bedeutung der nationalen Zugehörigkeit im weltweiten Handelsgeschäft zugenommen hatte. Reinhart meinte, man habe „unglaubliches Glück“ gehabt, „rein dadurch, dass wir als Schweizer-Firma mit überwiegend schweizerischem Personal, selber vom Krieg sozusagen nicht betroffen wurden“. Es hätten nur sehr wenige Mitarbeiter, allesamt Angestellte der ausländischen Tochterfirmen, das Leben verloren, und anders als noch während des Ersten Weltkrieges sei kein einziger Mitarbeiter interniert worden. „Wir wollen uns darüber klar sein, welch unerhörten Vorteil es für uns bedeutete, unseren Sitz in einem Land zu haben, dessen Währung durch den Krieg nicht geschwächt und darum auch in seiner Bewegungsfreiheit nicht gehindert wurde; Bürger eines Landes zu sein, die während und vor allem unmittelbar nach dem Krieg sofort wieder frei in aller Welt herumreisen konnten; und schliesslich, dass es uns möglich war, unseren Nachwuchs auch während der schlimmsten Jahre aus einer unter sozusagen völlig normalen Verhältnissen aufgewachsenen und erzogenen Jugend zu rekrutieren und selber auszubilden.“100
99 Vgl. Kapitel 4. 100 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 17.
9. Zunehmendes Selbstbewusstsein: Indien nach 1918
Auch in Indien unterschied sich die Zwischenkriegszeit markant von der Situation vor 1914. Obwohl der Subkontinent unter kolonialer Herrschaft verblieb, verschoben sich die Machtgleichgewichte zugunsten der Inder. Durch die zunehmende Industrialisierung wurden immer weniger indische Rohstoffe exportiert, und immer mehr im eigenen Land verbraucht. Die europäischen Handelshäuser standen deshalb vor der Frage, ob sie weiterhin auf das volatile Exportgeschäft setzen oder nicht vielmehr in indische Industrieanlagen investieren sollten. Neben der Veränderung der Warenströme stellte auch die politische Entwicklung auf dem Subkontinent die europäischen Handelshäuser vor neue Herausforderungen. Durch die indische Unabhängigkeitsbewegung kam gerade eine nicht-britische Firma wie Volkart unter den doppelten Druck durch die antibritischen Boykotte der Kongresspartei einerseits und die Machtansprüche der britischen Kolonialregierung andererseits.
Veränderungen in der indischen Baumwollwirtschaft Durch den Government of India Act von 1919 erhielten die indischen Provinzregierungen nach dem Ersten Weltkrieg mehr Kompetenzen in der Landwirtschaftspolitik. Die britische Kolonialmacht sah sich zu diesem Schritt gezwungen, um der Forderung der Inder nach Mitsprache entgegenzukommen – und um der immer stärker werdenden Unabhängigkeitsbewegung den Wind aus den Segeln zu nehmen.1 Als Folge davon wurden in Bombay diverse neue Institutionen ins Leben gerufen, um den Handel besser überwachen und die indische Baumwollqualität verbessern zu können. 1921 wurde das Indian Central Cotton Committee gegründet, das sich die Kontrolle von Baumwollanbau und -handel zum Ziel gesetzt hatte. In dieser Organisation waren sowohl europäische wie indische Unternehmer vertreten. Bis zu diesem Zeitpunkt war der Handel durch verschiedene Wirtschaftsverbände überwacht worden, die allerdings jeweils bloß einen bestimmten Abschnitt der Handelskette kontrollieren konnten. So erließ die 1875 gegründete Bombay Cotton Trade Organisation Regeln für den Handel mit realer Baumwolle und den Terminhandel und sorgte für die Arbitrage, wenn es zwischen Käufern und Verkäufern zu Meinungsverschiedenheiten kam. Die Tatsache, dass in dieser Organisation nur Europäer zugelassen wurden, sorgte für Unmut bei den indischen Unternehmern. Sie gründeten deshalb 1892 die Bombay Cotton Exchange als Konkurrenzverband. Mit dieser Situation waren wiederum die Zwischenhändler unzufrieden, weshalb sie 1915 die Bombay Cotton 1
Vgl. hierzu Manela, The Wilsonian Moment, 2007, S. 77–97.
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Brokers‘ Association ins Leben riefen, die sich vor allem mit der Regulierung des Terminhandels beschäftigte.2 All diesen Verbänden war gemein, dass sie ein zentrales Kontrollorgan ablehnten. Der Widerstand gegen politische Maßnahmen zur Regulierung des indischen Baumwollhandels besaß eine lange Geschichte. So musste der Cotton Frauds Act, der 1863 in Bombay durch die Kolonialregierung eingeführt worden war, 1879 wieder zurückgezogen werden. Die Handelskammern von Bombay und Manchester hatten das Gesetz zu Fall gebracht, da sich der Handel durch die Einmischung der Regierungsbeamten verkomplizierte und die Kontrollmaßnahmen durch eine Exportgebühr finanziert wurden, was die indische Baumwolle auf dem Weltmarkt verteuerte.3 Der indische Unternehmer Purshotamdas Thakurdas bemerkte denn auch 1925 in seiner Rede anlässlich der Eröffnung der Baumwollbörse von Bombay, deren erster Präsident er war: „So bitter was the experience of the cotton trade in connection with this interference by Government that from 1879 onwards the trade had a sort of a natural fright at the very mention of any control by Government, which indicated interference with their normal working.“4 Da die Unternehmer – insbesondere die indischen Wirtschaftsführer – im Indian Central Cotton Committee ihren Einfluss geltend machen konnten, erwuchs dieser neuen Organisation vergleichsweise wenig Widerstand. Sie entwickelte schon bald eine rege Aktivität. 1923 erließ das Commitee den Cotton Transport Act, der die Regierungen der verschiedenen indischen Teilstaaten ermächtigen sollte, den Baumwollimport in ihr Territorium zu verbieten, wenn dieser bloß zum Zweck der Vermischung mit anderen Sorten durchgeführt wurde. 1925 verkündete die indische Regierung den Cotton Ginning and Pressing Factories Act, laut dem jeder Ballen mit einem Stempel der Presse versehen werden musste, damit man ihn zurückverfolgen konnte, wenn festgestellt wurde, dass die darin enthaltene Baumwolle verfälscht worden war.5 Eine weitere Maßnahme zur Verbesserung der indischen Baumwollqualität bestand in der Schaffung von Landwirtschaftskooperativen. Diese sollten den Bauern eine größere Kontrolle über ihre Baumwolle ermöglichen und sie insbesondere weniger abhängig von den Krediten der Geldverleiher machen, deren hohe Zinsen viele Pflanzer in dauernder Verschuldung hielten. Die indische Regierung stellte den Ko-
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Dholakia, Futures Trading and Futures Markets, 1949, S. 15f. Vgl. Kapitel 2. NML, Manuscript Section, Purshotamdas Thakurdas Papers, File No. 43: East India Cotton Association, 26.11.1923 to 30.11.1923: Opening of the new Cotton Exchange in Bombay, opening speech of the President on 1–12–25. Contractor, A Handbook of Indian Cotton, 1928, S. 33; Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 47f.
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operativen zinslose Darlehen zur Verfügung.6 Darüber hinaus organisierte sie Auktionen, an denen die Kooperativen ihre Baumwolle verkaufen konnten, „with the object of securing from the cultivators cleanly and honestly handled cotton, which is properly graded by an expert lent by the Agricultural Department and securing for the cultivator honest weighment, immunity from oppressive commissions and cesses and fair prices for his cotton sold in open auctions“, wie ein Regierungsbeamter 1919 festhielt. Die Einführung der Auktionen hatte das explizite Ziel, die indischen Zwischenhändler auszuschalten.7 Diese begegneten den Auktionen deshalb mit offener Feindschaft. So versuchten sie etwa, das neue System zu stören, indem sie Kaufleute boykottierten, die an den Auktionen teilnahmen. Da die Auktionen aber durch die jeweiligen Dorfgemeinschaften und die Dorfvorsteher unterstützt wurden, blieben diese Störmanöver wirkungslos und die neuen Maßnahmen entwickelten sich besser, als von der Regierung ursprünglich erwartet worden war.8 Trotz dieser Anfangserfolge schaffte es die indische Regierung lange Zeit nicht, ein staatlich oder genossenschaftlich organisiertes System für die Gewährung von Agrarkrediten auf die Beine zu stellen. So stellte das Indian Central Cotton Committee 1929 fest, dass bloß 13% aller Kredite an die indischen Baumwollbauern durch Kooperativen vergeben wurden. 15% stammten von den Landbesitzern und 15% von den Geldverleihern.9 Ende der 1930er Jahre existierten rund 78’000 Landwirtschaftskooperativen in Indien. Angesichts der Größe des Subkontinents umfasste die Kooperativenbewegung damit nur einen marginalen Anteil der indischen Landwirtschaft.10 Die Agrarkredite blieben somit weiterhin in den Händen der Geldverleiher, die ihrerseits enorme Kredite von den indischen Banken erhielten, die sich in den 1920er Jahren auf dem Subkontinent etablieren konnten. Erst der Erlass des Bombay Agricultural Debitors’ Relief Act (1939) und des Bombay Moneylenders Act (1947) sorgte dafür, dass sich die traditionellen Geldverleiher aus dem Geschäft zurückzogen. Die Kredite für die landwirtschaftliche Produktion wurden nun mehr und mehr durch Kooperativen bereitgestellt, die sowohl kurzfristige Kredite mit einer einjährigen Laufzeit wie auch mittelfristige Kredite mit einer drei- bis fünfjährigen Laufzeit 6 NML, Manuscript Section, Purshotamdas Thakurdas Papers, File No. 6: Surat Factory, Kapas, 13.1.1913 to 18.6.1923: Gulabbhai Nagarji Desai, Divisional Superintendent of Agriculture, Northern Division, Surat, to the Deputy Director of Agriculture, Poona, 11th December 1918. 7 NML, Manuscript Section, Purshotamdas Thakurdas Papers, File No. 6: Surat Factory, Kapas, 13.1.1913 to 18.6.1923: R.B. Ewbank, Registrar Coo-operative Societies, Bombay Presidency, Poona, to Purshotamdas Thakordas, Bombay, 3rd May 1919. 8 NML, Manuscript Section, Purshotamdas Thakurdas Papers, File No. 6: Surat Factory, Kapas, 13.1.1913 to 18.6.1923: Report No. 636 of the Assistant Registrar, 20th April 1919. 9 Indian Central Cotton Committee, General Report, 1929, S. 8 und 15; Indian Central Cotton Committee, Report on Cotton in Madras, 1929, S. 1; Indian Central Cotton Committee. Report on Cotton in Sind, 1929, S. 1, 14–18, 23. 10 Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 116f. und 124.
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anboten und die zudem das Vermögen der Bauern verwalteten. Daneben spielten weiterhin lokale Ladenbesitzer eine wichtige Rolle für den Handel in den ländlichen Gebieten, da sie den Bauern entweder Barkredite gaben oder ihnen erlaubten, in ihrem Laden Alltagsgegenstände auf Kredit zu erwerben. Landwirtschaftliche Hypothekarbanken, die es den Bauern ermöglicht hätten, langfristige Kredite aufzunehmen, waren dagegen auch in den 1950er Jahren noch weitgehend inexistent.11 Weitere Maßnahmen zur Steigerung der Baumwollqualität bestanden im Ausbau der Bewässerungssysteme in Punjab und Sind und in der erfolgreichen Einführung von langstapeligen amerikanischen Baumwollsorten in diesen Regionen. Durch all diese Schritte gelang es, die Qualität der indischen Baumwolle ab den 1930er Jahren markant zu steigern. Während 1926 erst 6% der indischen Baumwolle eine Faserlänge aufwies, die für die Produktion von feinen Stoffen geeignet war, betrug der Anteil solch langstapeliger Baumwolle im Jahr 1932 bereits 18%.12 Wieso gelang es diesen neuen Institutionen, in der Zwischenkriegszeit eine derartige Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten und der Baumwollqualität zu erreichen, nachdem die britische Kolonialmacht mit ähnlichen Projekten zuvor jahrzehntelang gescheitert war? Ein wesentlicher Grund lag darin, dass die Briten versucht hatten, die Baumwollqualität durch isolierte Maßnahmen zu verbessern, ohne sich im Detail mit der sozialen und ökonomischen Realität im indischen Hinterland zu befassen. Das Indian Central Cotton Committee dagegen betrachtete die indische Baumwollwirtschaft als Ganzes. Es erließ nicht nur Gesetze, um betrügerische Praktiken zu unterbinden, sondern beschäftigte sich auch mit den kommerziellen Aspekten des Inlandhandels, wie der Kreditvergabe und der Preisgestaltung, da diese eng mit der Verbesserung der Qualität zusammenhingen.13 Zudem war entscheidend, dass das Indian Central Cotton Committee keine Institution der britischen Kolonialherren war, sondern dass indische Unternehmer darin eine wichtige Rolle spielten. Es erwuchs ihm deshalb weit weniger Widerstand als etwa der britischen Kontrollbehörde, die Ende des 19. Jahrhunderts mit der Durchsetzung des Cotton Frauds Act beauftragt worden war. Schließlich dürften die Maßnahmen des Indian Central Cotton Committee dadurch erleichtert worden sein, dass mit dem Ausbau der indischen Textilwirtschaft die Käufer der indischen Baumwolle nicht mehr nur in Europa und Ostasien saßen, sondern dass immer mehr indische Baumwolle in indischen Fabriken versponnen wurde. Die indischen Fabrikanten hatten ein großes Interesse daran, eine bessere Baumwollqualität zu erhalten, um feinere und qualitativ bessere Stoffe
11 Gazeteer of Bombay State, Poona District, 1954, S. 317–323 und 352. 12 Peters, Modern Bombay and Indian States, 1942, S. 50; Ray, Industrialization in India, 1979, S. 61f. 13 Sethi, History of Cotton, 1960, S. 16.
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herstellen zu können.14 Tatsächlich gelang es ihnen in der Zwischenkriegszeit mit der langstapeligen indischen Cambodia-Baumwolle hochwertige Textilien zu produzieren, die den feinen Stoffen aus Manchester auf dem indischen Markt Konkurrenz machen konnten.15
Der Aufschwung der indischen Industrialisierung Durch den Aufschwung der indischen Textilwirtschaft veränderte sich jedoch auch die Struktur des Baumwollhandels. Während Indien bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem ein Exportland für Rohbaumwolle gewesen war, wurde nun immer mehr indische Baumwolle in lokalen Fabriken versponnen. Zwischen den frühen 1920er und den späten 1930er Jahren stieg der Verbrauch von einheimischer Baumwolle in den indischen Spinnereien stetig an. Während er etwa in der Saison 1923/24 noch 1,8 Millionen Ballen betragen hatte, wuchs er bis 1935/36 auf fast 2,7 Millionen Ballen.16 Daneben stiegen auch die Importe von ausländischer Baumwolle, da die indischen Spinnereien – wie vor ihnen bereits diejenigen in Japan – damit begannen, die kurzstaplige indische Baumwolle mit langstapliger Baumwolle aus Ägypten, Ostafrika und den USA zu verspinnen. Während vor 1914 im Schnitt jährlich bloß 12’000 Tonnen Baumwolle nach Indien importiert wurden, waren es in der Saison 1935/6 bereits 77’000 und 1938/9 gar 96’000 Tonnen.17 Damit war der Verbrauch ausländischer Baumwolle zwar nach wie vor marginal im Vergleich zu den Mengen an einheimischen Sorten, die in den indischen Fabriken versponnen wurden. Doch es zeigt, dass mit dem Aufschwung der Industrialisierung auf dem Subkontinent eine Neuausrichtung der Handelsströme einherging. Das hatte Auswirkungen auf das Geschäft der europäischen Baumwollhandelsfirmen. Immer öfter lieferten sie Baumwolle an die indischen Spinnereien, anstatt sie nach Europa oder Ostasien zu verschiffen – die Firma Ralli etwa verkaufte in den 1930er Jahren zwischen 40 und 50% ihrer indischen Baumwolle an Spinnereien auf dem Subkontinent.18 Dazu kamen Importgeschäfte mit ausländischer Baumwolle. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der Baumwollexport über die neu gegrün14 NML, Manuscript Section, Purshotamdas Thakurdas Papers, File No. 142: Lancashire Meeting, 2.6.1933 to 20.11.1935: Summarised Report of First Indian Tour by Mr. H.C. Short, Commissioner of the Lancashire Indian Cotton Committee, 30th July 1935; File No. 323: Indian Central Cotton Committee, 28.4.1944 to 12.8.1958: Inaugural speech of Purshotamdas Thakurtas at the Sixth Conference on Cotton Growing Problems in India on 5–2–55. 15 Ray, Industrialization in India, 1979, S. 33. 16 East India Cotton Association, Bombay Cotton Annual No. 17, 1935/36, S. 95. 17 Ray, Industrialization in India, 1979, S. 61. 18 GL, Records of Ralli Bros., Ms. 23834: Report to the Chairman of Ralli Brothers Limited, April 12th, 1939, S. 9.
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dete Niederlassung in Kalkutta kaum je profitabel sein würde, überlegte sich die Geschäftsleitung von Volkart, ob man über die dortige Filiale nicht besser die lokalen Spinnereien beliefern sollte. Die Verantwortlichen im Winterthurer Hauptsitz hielten 1931 in einem Brief fest, dass Volkart insofern in einer vorteilhaften Position sei, als man als multinational tätige Firma Geschäftskontakte zu Exporteuren in anderen Baumwollanbauländern besaß. Im Brief aus Winterthur hieß es deshalb, dass für die Lieferungen an die Spinnereien in Kalkutta nicht nur indische Baumwolle in Frage komme, „sondern auch ägyptische und amerikanische Baumwolle, wofür wir mit Reinhart, Alexandria und mit der ACCA in New Orleans leistungsfähige Verbindungen haben.“19 Auch im Bereich der Entkörnung der Baumwolle erfolgte ein Strukturwandel. Kurz vor dem Ersten Weltkrieg kam es zu einer wesentlichen Verbesserung der Kleinmotoren, mit denen die Gins betrieben wurden. Dies erlaubte es indischen Unternehmern, eigene Entkörnungsbetriebe zu errichten und so die etablierten Anlagen großen Exportfirmen zu konkurrenzieren, die bis dahin die Aufbereitung der Baumwolle besorgt hatten. Ab den 1910er Jahren wurde die überwiegende Mehrheit aller Entkörnungsanlagen und Pressen durch indische Unternehmer betrieben. Nur eine kleine Minderheit gehörte noch europäischen Exportfirmen wie Volkart, Ralli, der Bombay Co. oder japanischen Exporteuren wie der Japan Cotton Trading Co. oder der Toyo Menkwa Kaisha.20 Die große Zahl an Gins und Pressen bedrohte jedoch schon bald die Gewinnmöglichkeiten der einzelnen Betreiber. Um die Gefahr von ruinösen Preiskämpfen abzuwenden, gründeten die Besitzer der Aufbereitungsanlagen in den verschiedenen Baumwollbezirken Ginning Pools und sprachen die Preise ab. Diese Kartellbildung führte jedoch zu neuen Problemen. Einerseits konnten auch die Pools den Bau neuer Gins und Pressen in ihren Bezirken nicht verhindern, wodurch sich die Überkapazitäten weiter erhöhten.21 Andererseits führten die Preisabsprachen dazu, dass die Kosten für das Entkörnen und Pressen der Baumwolle künstlich hoch gehalten wurden. Da die hohen Preise nicht gänzlich auf die Käufer überwälzt werden konnten, wurden durch diese Praxis auch die Profite der Baumwollpflanzer geschmälert.22 Die indi19 VA, Dossier 11: Delhi / Lahore / Calcutta / Chittagong, Calcutta, 4. Correspondence: Winterthur an Calcutta, 16. Juli 1931. 20 Brit Lib, Asia, Pacific and Africa Collections, IOR/V/25/631/1: Department of Statistics India, Cotton Pressing Factories and Cotton Spinning Mills in India 1916–17, Calcutta 1918; IOR/V/25/631/1: Government of India, List of cotton pressing factories with names of owners and particulars of marks allotted to them in the different Provinces of British India and certain Indian States for the season 1931–32, Calcutta 1932. 21 VA, Dossier 10: VUP (Volkart United Press Comp.), 1. The Tinnevelly Press Co. Ltd. / The Comrawattee Press Co. Ltd. / The Bhownuggar Press Co. Ltd.; Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 24. 22 Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume IV, S. 21 und 35.
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sche Regierung scheute sich aber davor, Maßnahmen gegen die Pools zu ergreifen, da man befürchtete, dass dann viele Aufbereitungsanlagen Konkurs gehen würden. Dies hätte nicht nur negative Auswirkungen auf den indischen Baumwollexport gehabt, sondern wäre auch für viele Bauern verheerend gewesen, da sie ihre Baumwolle nicht mehr hätten absetzen können.23 Volkart hatte ein gespanntes Verhältnis zu den Pools. Zwar war die Volkart United Press an verschiedenen Orten den Pools beigetreten, aber oft nicht für lange – wohl nicht zuletzt, weil Volkart bessere Raten anbieten konnte als die indische Konkurrenz. 1930 trat Volkart etwa in Amraoti aus dem Pool aus, da man nicht zufrieden war mit dem Anteil, den man erhielt. Daraufhin wurde die Aufbereitungsanlage von Volkart mit einem Boykott belegt. Die Volkart-Mitarbeiter in Amraoti waren sich unschlüssig, was zu tun sei: „Mit einem gerichtlichen Vorgehen riskieren wir den Hass der Amroati Leute nur noch zu schueren, und nachdem … man … auch eine Abweisung unserer Klage in Erwaegung ziehen muss, waere es zutreffendenfalls nicht verwunderlich wenn uns noch schlimmer mitgespielt werden wuerde als jetzt.“ Der Konflikt zwischen Volkart und dem Pool besaß das Potential, das Exportgeschäft der Firma längerfristig zu schädigen: „Es ist nicht ausgeschlossen und darf nicht als uebertriebene Aengstlichkeit bezeichnet werden, dass eine Agitation gegen uns einsetzen koennte, die uns letztenendes auch an kleinen Zentren zuschaden gereichen koennte.“ Und ein Zusammenbruch des Pools lag auch nicht im Interesse von Volkart, da dann ein ruinöser Preiskampf einzusetzen drohte. Deshalb wurde eine Einigung angestrebt.24 Ein Problem stellte die Tatsache dar, dass Volkart zwar die Aktienmehrheit in der Volkart United Press besaß, dass aber verschiedene indische Unternehmer eine Minderheitenbeteiligung hielten. Während Volkart Bombay der Ansicht war, dass die Aufbereitungsanlagen in erster Linie dem Baumwollexport von Volkart dienen sollten, vertrat Georg Reinhart die Ansicht, dass man auch die Interessen der indischen Aktionäre berücksichtigen müsse. Er schrieb deshalb 1934: „Ich bin nicht damit einverstanden, dass man die V.U.P. Co rein nur als Milchkuh für V.B. betrachtet. Leben und leben lassen! Es muss ein fairer Mittelweg gefunden werden, der es der V.U.P. Co ermöglicht, für kommende schlechte Zeiten Reserven zu sammeln und den Aktionären eine dem Risiko und dem Verdienst angemessene, raisonable Dividende auszuschütten. Es lässt sich nicht mit unserem guten Namen vereinbaren, dass wir dank unserer kleinen Aktienmajorität die fremden Aktionäre zu Gunsten unseres eigenen Baumwollgeschäftes über’s Ohr hauen.“25 Doch es scheint, als ob man die In23 Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 23–27. 24 VA, Dossier 10: VUP (Volkart United Press Comp.), 6. Ginning and Press Pools corresp.: Amroati an Bombay, 16. März 1933. 25 VA, Dossier 10: VUP (Volkart United Press Comp.), 8. Burewala and Mirpurkhas Factories: Bombay an Winterthur, 30. April 1934.
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teressen der indischen Aktionäre einerseits und der Baumwollabteilung von Volkart andererseits je länger je weniger unter einen Hut bringen konnte. 1936 jedenfalls revidierte man im Volkart-Hauptsitz in Winterthur die eigene Haltung und hielt fest, dass die Volkart United Press dem Baumwollgeschäft von Volkart „die nötigen Einrichtungen zur Verfügung stellen“ müsse, „damit V.B. mindestens so günstig ginnen und pressen kann wie bei fremden Factories resp. wie die Konkurrenz.“ Zudem sei zu berücksichtigen, dass eigene Gins eine qualitativ bessere Aufbereitung der Baumwolle gewährleisteten und dass „mit einer eigenen Anlage die Gefahr, plötzlich durch einen Pool oder wegen Streit mit dem Factory owner kalt gestellt zu werden, entsprechend kleiner ist.“26 Aus diesem Grund zahlte Volkart 1938 die indischen Aktionäre der Volkart United Press aus und integrierte die Entkörnungsanlagen und Pressen voll in die Firma.27 Dies zeigt, dass die Frage, ob bestimmte unternehmerische Aktivitäten unter die volle Kontrolle der Firmenleitung gebracht werden sollten, oder ob man sich einer Netzwerklösung unter Beizug von fremdem Kapital bediente, nicht bloß aufgrund von reinen Kostenüberlegungen entschieden wurde. Das politische und soziale Firmenumfeld hatte einen wesentlichen Einfluss auf derartige Entscheide. Während die vergleichsweise Stabilität der Kolonialherrschaft und die mangelnde Konkurrenzfähigkeit von indischen Industriellen es Volkart Ende des 19. Jahrhunderts erlaubt hatte, einheimische Kaufleute als Minderheitenaktionäre an der Volkart United Press zu beteiligen, entwickelte sich dies in der Zwischenkriegszeit immer mehr zu einem Problem.
Restrukturierung des Baumwolleinkaufs im Landesinnern Auch das Exportgeschäft mit indischer Rohbaumwolle erfuhr ab den 1920er Jahren eine grundlegende Veränderung. Die unmittelbare Nachkriegszeit war für viele in Indien tätige Handelsfirmen noch höchst erfolgreich gewesen. Sie profitierten einerseits davon, dass in den kriegsversehrten Ländern eine riesige Nachfrage nach Rohstoffen bestand. Die Rohstoffpreise erreichten 1921 ihren Höchststand – und gingen erst danach bis 1935 kontinuierlich zurück.28 Andererseits konnten sie einen Nutzen daraus ziehen, dass durch die zunehmende Industrialisierung immer mehr indische Baumwolle in Indien, China und vor allem Japan verbraucht wurde.29 Den Handelsfirmen bescherte dies nach 1918 vorerst hohe Gewinne. Dies traf für Volkart ebenso
26 VA, Dossier 10: VUP (Volkart United Press Comp.), 7. Factories – corresp. In general/Central administration Bombay: Winterthur an Bombay, 4. Mai 1936. 27 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2. 28 James, The End of Globalization, 2001, S. 104. 29 Vgl. hierzu Kapitel 10.
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zu wie für verschiedene Konkurrenzunternehmen.30 Ralli erwirtschaftete 1920 einen Rekordumsatz von 63 Millionen Pfund, ein Resultat, das die Firma in der Folge nie mehr erreichen sollte.31 Die japanische Handelsfirma Toyo Menkwa, die seit den späten 1890er Jahren im indischen Baumwollhandel tätig war – zu Beginn noch als Teil des japanischen Handelsgiganten Mitsui Bussan, nach 1920 als selbständige Firma – erreichte 1920 einen Gewinn von 308’000 Rupien und 1922 einen von 206’000 Rupien.32 Als Folge des weltweiten Zerfalls der Rohstoffpreise kam es im indischen Baumwollhandel in den späten 1920er Jahren zu einem erbitterten Konkurrenzkampf. Für die Exporteure kam erschwerend hinzu, dass die indische Regierung den Rupienkurs, der seit 1893 an das britische Pfund angebunden war, im Jahr 1927 auf 1 s 6 d festsetzte. Dadurch lag er 12,5% über den 1 s 4 d von vor 1914. Die Regierung wollte den Rupienkurs hochhalten, da man andernfalls eine „Flight from the Rupee“ befürchtete, durch die Indien bankrott gegangen wäre. Aufgrund des hohen Rupienkurses verteuerten sich aber die Exporte aus Indien, was nicht nur die Einkommen der indischen Bauern schmälerte, sondern sich auch negativ auf die Margen der Handelsfirmen auswirkte.33 Als Reaktion auf den zunehmenden Preiszerfall schickten viele jettawala (indische Baumwollhändler) aus Bombay ihre Agenten für den Baumwolleinkauf ins Landesinnere. Durch die große Konkurrenz stiegen dort jedoch die Preise. Sie lagen schon bald über denjenigen, welche in Bombay bezahlt wurden.34 Um ihre Ausgaben zu decken, sahen viele Zwischenhändler keine andere Möglichkeit, als das Gewicht der Baumwolle durch Wässern und Vermischung mit Fremdstoffen zu erhöhen. „Malpractices remain the only source of profit when competition becomes ‚cut-throat‘. Capitalist morality is after all the function of capitalist economy“, bemerkte der indische Agrarhistoriker M. L. Dantwala 1937 in Hinblick auf den Handel mit indischer Rohbaumwolle.35 Das Verfälschen der Ware stellte, wie bereits an anderer Stelle ausgeführt, seit dem frühen 19. Jahrhundert ein Problem im indischen Baumwollhandel dar.36 Es scheint jedoch, dass sich die Neigung der Baumwollhändler, ihre Profite durch das Vermischen von Baumwolle verschiedener Qualität oder das Wässern der Ballen zu erhöhen, durch den Preiszerfall der späten 1920er Jahre nochmals verstärkte.
30 31 32 33
Vgl. für die Gewinnzahlen von Volkart in dieser Zeit Kapitel 8. Ralli Brothers Limited, 1951, S. 12. Naoto, Up-country Purchase Activities, 2001, S. 209. Ray, Industrialization in India, 1979, S. 247; Rothermund, Currencies, Taxes and Credit, 2002, S. 16f. 34 Naoto, Up-country Purchase Activities, 2001, S. 208. 35 Dantwala. Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 44. 36 Vgl. Kapitel 2.
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Verschiedene Beobachter behaupteten zudem, dass nun nicht mehr nur indische Bauern und Kleinhändler zu derartigen Praktiken griffen, sondern auch europäische und japanische Handelsfirmen. „All dealers, whether Europeans, Japanese or Indians, follow this practice,“ hielt Arno Pearse, der Generalsekretär des Internationalen Verbandes der Baumwoll-Spinner- und -Weber-Vereinigungen im Jahr 1930 im Anschluss an eine Reise durch Indien fest. Er fuhr fort: „In making enquiries from cotton merchants as to the extent of damping, everyone assured me that his firm had not resorted to this method, but that all the competitors were using water in order to increase the weight of cotton, and thus obtain an unfair advantage.“ Ganz im Vertrauen gaben jedoch verschiedene Händler gegenüber Pearse zu, dass auch sie derartige Methoden anwandten, da ihre Baumwolle sonst im Vergleich zu derjenigen der Konkurrenz immer zu teuer sei und sie keine Verkäufe mehr tätigen könnten. Denn, so behaupteten sie, „the spinner always regards the price as the main factor, and the one who makes the lowest offer gets the business.“37 Es ist aufgrund der Quellenlage schwierig einzuschätzen, ob diese Behauptung zutrifft. Und es lässt sich auch nicht mehr eruieren, ob die Aussage von Pearse, dass sämtliche Baumwollhandelsfirmen in Indien in den späten 1920er Jahren zu betrügerischen Mitteln griffen, auch für Volkart zutraf. Noch 1917 jedenfalls, als das Indian Cotton Committee eine große Untersuchung zum Anbau und Vertrieb der indischen Baumwolle durchgeführt hatte, gab ein Einkaufsagent von Volkart zu Protokoll, dass seine Firma die Methode des Wässerns bloß in geringem Umfang anwende, um die Fasern der Baumwolle geschmeidiger zu machen und so die Maschinen in den Baumwollpressen zu schonen. Er äußerte darüber hinaus die Ansicht, dass die Klagen über das Wässern der indischen Baumwolle bei weitem übertrieben seien, da die gewässerten Ballen bis zum Eintreffen in Europa den größten Teil der Feuchtigkeit wieder verloren hätten, weshalb den europäischen Spinnern aus dieser Praxis kein Nachteil erwachse.38 Ein anderer Agent von Volkart gab zu bedenken, dass seine Vorgesetzten jedes Baumwollsample, das er nach Bombay schicke, genau kontrollieren würden und so sicherstellten, dass er nicht verschiedene Bauwollsorten vermische.39 In den Archiven gibt es keine Hinweise darauf, dass Volkart in den 1920er Jahren zu betrügerischen Methoden gegriffen hätte. Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass auch das Schweizer Handelshaus im Teufelskreis gefangen war, in dem sich der indische Baumwollhandel ab den späten 1920er Jahren befand. Wie M. L. Dantwala 1937 festhielt, wäre es auch möglich, dass einzelne Agenten oder Filialleiter – ohne Wissen ihrer Vorgesetzten – zu derartigen Praktiken griffen, um 37 Pearse, The Cotton Industry of India, 1930, S. 30f. 38 Mr. E. S. Shroff, Agent Messers. Volkart brothers’ Agency, Khamgaon (inquiry from the 18th November 1917), in: Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume IV, 1920, S. 45. 39 Mr. P. Sabapathy, Agent Volkart Bros., Ujjain (22.11.17), in: Indian Cotton Committee, Minutes of Evidence, Volume V, 1920, S. 132.
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das Resultat ihrer Einkaufsagentur oder Filiale zu verbessern.40 Dem gegenüber steht wiederum das strikte Kontrollsystem der Firma zur Sicherung der Qualität sowie die Tatsache, dass Volkart im internationalen Baumwollhandel einen hervorragenden Ruf in Bezug auf Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit genoss. Es ist zumindest fraglich, ob die Teilhaber der Firma bereit waren, diesen Ruf zugunsten kurzfristiger Resultate aufs Spiel zu setzen. Aufgrund der hohen Verluste, welche die Firma ab Mitte der 1920er Jahre schrieb, baute Volkart die Zahl der Einkaufsagenturen im indischen Hinterland zwischen 1925 und 1927 stark ab.41 Dennoch war das indische Baumwollgeschäft der Firma auch weiterhin defizitär. 1932 hielt die Volkartfiliale in Karachi in einem Brief fest, dass kleinere Handelshäuser wie Gill & Co., Patel oder Spinner mit ihren Umsätzen immer näher an die beiden Marktführer Volkart und Ralli herankommen würden. Für diese kleineren Firmen erweise es sich in der Krise als Vorteil, dass sie anders als Ralli und Volkart keine teure Einkaufsorganisation unterhielten, sondern sich an den Baumwollmärkten von Bombay und Karachi eindeckten und die Einkäufe im Landesinnern vollständig über indische Zwischenhändler, so genannte artiahs abwickelten.42 Volkart Karachi wollte aus diesem Grund das Einkaufsnetz weiter abbauen und den Einkauf im Landesinnern vollständig über artiahs abwickeln.43 Volkart Bombay widersprach diesem Plan aber vehement und stellte „das Prinzip des eigenen Einkaufs weiter an erste Stelle.“ Insbesondere bei der Zusammenarbeit mit den artiahs befürchtete man größere Probleme: „Nicht nur bringt Ihnen das Artiah System das Risiko einer unsicheren Selektion; Sie verlieren auch die Gewinnmoeglichkeiten, die in der eigenen Selektion liegen. Dass ein Artiah je etwas ueberklassiges abliefert, damit ist nach unserer Erfahrung nicht zu rechnen.“ Eine weitere Gefahr ergebe sich dadurch, dass Volkart immer mehr Baumwolle an die indischen Spinnereien liefere: „Sie wuerden es nicht vermeiden koennen, dass dem Artiah bekannt wird, an wen die Ware geht. Sein naechstes Ziel wuerde sein, zu versuchen mit der Mill das Geschaeft hinter Ihrem Ruecken zu machen.“ Ganz allgemein war Volkart Bombay der Ansicht, dass 40 Dantwala, Marketing of Raw Cotton, 1937, S. 44 und 53f. 41 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 313f. 42 VA, Dossier 8: Karachi, 5. Cotton Organisation Inland – general correspondence: Karachi an die Agencys in Ambala, Amritsar, Bhatinda, Lyallpur, Montgomery, Kopie an H.O. und Bombay, 13. Dezember 1932. Der Preisunterschied zwischen Küste und Hinterland wurde allerdings ab Mitte der 1920er Jahre dadurch relativiert, dass nach dem Einbruch der Rohstoffpreise viele indische Baumwollhändler aus Bombay ins Landesinnere gingen, um dort Baumwolle einzukaufen. Als Folge davon waren die Preise im Landesinneren oft höher als diejenigen in Bombay: Naoto, Up-country Purchase Activities, 2001, S. 208. 43 VA, Dossier 8: Karachi, 5. Cotton Organisation Inland – general correspondence: Karachi an die Agencys in Ambala, Amritsar, Bhatinda, Lyallpur, Montgomery, Kopie an H.O. und Bombay, 13. Dezember 1932.
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der Einkauf über Mittelsleute nur bei Firmen mit kleineren Umsätzen funktioniere, sobald diese anstiegen, käme es in der Regel zu einer Rückwärtsintegration des Einkaufs: „Unsere Beobachtungen zeigen, dass eine Firma, die mit Artiahs arbeitet, sie durch eigenes Establishment ersetzt, sobald das Geschaeft einen gewissen Umsatz annimmt. ... Die Kontrolle seitens des Auftragsgebers muss mit wachsendem Geschaeft beim Artiah ausgedehnt werden, bis er schliesslich verdraengt wird.“44 Auch im Hauptsitz in Winterthur war man skeptisch gegenüber den Vorschlägen aus Karachi, die zweifellos „eine fühlbare Verschlechterung des technischen Apparates“ nach sich ziehen würden45 Die Manager von Volkart Karachi hielten aber weiterhin an ihrer Idee fest, da sie in der damaligen Krise eine Möglichkeit zur Reduktion der Fixkosten darstellte. Die Grundfrage sei jedoch, ob die Krise im indischen Baumwollhandel bald überwunden werden könnte: „Wir selbst glauben nicht genuegend feste Anzeichen sehen zu koennen, die eine baldige grundlegende Aenderung der Situation erhoffen lassen.“ Die Vorschläge sollten helfen, die schwierige Situation zu überbrücken, die nicht zuletzt auch den Hauptkonkurrenten Ralli Brothers dazu bewogen habe, in einigen Inlandmärkten den Einkauf über artiahs abzuwickeln. Im Winterthurer Hauptsitz scheint diese Argumentation durchaus auf offene Ohren gestoßen zu sein. So hieß es in einem handschriftlichen Kommentar auf dem Brief aus Karachi: „Karachi´s Begründung scheint uns wohl überlegt.“46 Es lässt sich aufgrund der Quellen nicht mehr feststellen, inwiefern in Bombay und Karachi tatsächlich der Einkauf über eigene Agenturen durch den Einkauf bei indischen Zwischenhändlern ersetzt wurde. In Kalkutta, wo die Firma schwere Verluste im Baumwollexport erlitten hatte, erfolgte dieser Schritt in den frühen 1930er Jahren.47 Der Briefwechsel zwischen Karachi, Bombay und Winterthur ist aber ein Zeichen für die bei Volkart verbreitete Ansicht, dass das indische Baumwollgeschäft vor einer grundlegenden Neuausrichtung stand. Diese Ansicht rührte nicht zuletzt daher, dass die Hauptkonkurrenten von Volkart unter ähnlichen Schwierigkeiten litten. Die japanischen Handelsfirmen Toyo Menkwa, Nippon Menkwa und Gosho, die in den 1920er Jahren zu den wichtigsten Einkäufern von indischer Rohbaumwolle gehört hatten, reduzierten in den frühen 1930er Jahren ihre Aktivitäten im Landesinnern und konzentrierten sich auf den Einkauf an den Küsten. Toyo Menkwa etwa hatte 1926 in Indien 156 Einkaufsagenturen für den Einkauf von Rohbaumwolle besessen. Nachdem die Firma in den frühen 44 VA, Dossier 8: Karachi, 5. Cotton Organisation Inland – general correspondence: Bombay an Karachi, 5. Januar 1933. 45 VA, Dossier 8: Karachi, 5. Cotton Organisation Inland – general correspondence: Winterthur an Karachi, Kopie nach Bombay, 7. Januar 1933. 46 VA, Dossier 8: Karachi, 5. Cotton Organisation Inland – general correspondence: Karachi an Bombay, Kopie an H.O., 19. Januar 1933. 47 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 283.
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1920er Jahren wie andere Handelsfirmen noch Rekordgewinne erzielt hatte, schrieb sie 1927 Verluste in der Höhe von 287’000 Rupien und 1928 solche von 261’000. Selbst nach der Redimensionierung des Einkaufsapparates blieben die Geschäfte bis in die frühen 1930er Jahre defizitär.48 Und Ralli, während mehr als einem halben Jahrhundert einer der bedeutendsten Baumwollexporteure Indiens, zog sich 1931 nach großen Verlusten gar vollständig aus Indien zurück und wickelte die Einkäufe auf dem Subkontinent fortan über die griechische Firma Argenti & Co. ab, welche zum Einkaufsagenten von Ralli ernannt wurde.49
Eine Diversifikation in indische Industrieanlagen? Angesichts der wirtschaftlichen Entwicklungen auf dem Subkontinent ist es kein Wunder, dass bei Volkart ab den 1920er Jahren immer wieder der Vorschlag auftauchte, in indische Industrieunternehmen zu investieren. Dies hätte letzten Endes zu einer Abkehr vom Import- und Exportgeschäft führen können, wie es die Firma bis dahin betrieb. Wichtigster Geschäftsbereich war nach wie vor der Handel mit Rohbaumwolle. Diese Fokussierung auf ein einziges Produkt machte durchaus Sinn, denn die Verantwortlichen wussten aus langer Erfahrung, wie wichtig eine intime Kenntnis der gehandelten Produkte war. 1940 hieß es etwa in einem Brief aus dem Winterthurer Hauptsitz: „People without any special knowledge of the articles which they handle and who have no special connections in the countries with which they work cannot possibly expect to compete against firms who know their business by long experience, which means that they know the tricks of the trade as well as the particularities of their respective districts.“50 Wie wertvoll ein solches Wissen im volatilen Fernhandelsgeschäft war, wurde deutlich, als die neu eröffnete Filiale in Singapur 1924 mit dem Export von Kokosnussfleisch, der so genannten coprah, begann. Obwohl Volkart innert eines Jahres der bedeutendste Exporteur von coprah in Singapur wurde, machte die Filiale aufgrund der mangelnden Erfahrung mit diesem Produkt große Verluste. Die Angestellten von Volkart Colombo, die für die Kalkulation zuständig waren, hatten angenommen, dass die coprah während des Transportes bloß fünf Prozent ihres Gewichtes durch Feuchtigkeitsverlust einbüssen würde. Tatsächlich war der Gewichtsverlust aber um einiges höher, weshalb der Erlös aus dem Verkauf tiefer war als berechnet.51 Auch als die Filiale in Colombo im Jahr 1936 einem Kunden 1800 Tonnen Zucker aus Mozambique 48 Naoto, Up-country Purchase Activities, 2001, S. 209. 49 http://www.rallis.co.in/aboutus/hist1854.htm (15. Mai 2009). 50 VA, Dossier 11: Delhi / Lahore / Calcutta / Chittagong: Calcutta, 4. Correspondence: Winterthur an Calcutta, 11. März 1940. 51 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, II. Singapore, 2. Table of Events.
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verkaufte, der in Bombay eingelagert war, wirkte sich die mangelnde Erfahrung mit dem gehandelten Produkt nachteilig aus. Zwei Monate bevor Volkart Colombo das Geschäft abgeschlossen hatte, war der Zuckerexport nach Ceylon von der indischen Regierung verboten worden. Die Angestellten von Volkart hatten dies jedoch nicht realisiert. Der bestellte Zucker konnte deswegen nicht ausgeliefert werden. Volkart musste kurzfristig einen anderen Käufer suchen und erlitt schließlich einen substanziellen Verlust. Die Verantwortlichen in Winterthur reagierten äußerst verärgert und schrieben in einem Brief an die beteiligten Zweighäuser: „Man darf sich fragen, ob man nicht mit Recht die Kenntnis derart wichtiger behördlicher Vorschriften wie das Ausfuhrverbot zwei Monate nach Inkrafttreten sollte voraussetzen dürfen, wenn man Transaktionen von solchem Umfange tätigen will.“ Und sie betonten explizit, welche Bedeutung eine intime Produktkenntnis hatte: „Als sicher möchten wir annehmen, dass ein Fall mit derartigen Schwierigkeiten nicht eintreten könnte, wenn es sich um ein Geschäft gehandelt hätte, das wir fortlaufend betreiben und in dem wir uns in allen Teilen auskennen, wie es z.B. bei Baumwolle der Fall ist.“52 Mangelndes Wissen um die Eigenheiten des Produktes war auch der Grund, warum Volkart nicht ins Teegeschäft einstieg. Mit einer Niederlassung in Colombo wäre die Firma hierzu scheinbar in einer hervorragenden Position gewesen – immerhin hatte Ceylon zwischen 1886 und 1900 den Teeexport von 3 auf 67 Millionen Kilogramm gesteigert und war damit zum weltweit drittwichtigsten Teeproduzenten hinter China und Indien geworden.53 Tatsächlich prüfte Volkart in den frühen 1920er Jahren, ob sich der Einstieg in dieses Geschäftsfeld lohnen würde. Ein Mitarbeiter wurde nach London geschickt, um im tea tasting ausgebildet zu werden. Es stellte sich jedoch heraus, dass die Lagerhallen der Firma in Colombo für die Aufbewahrung von Tee ungeeignet waren. Zudem war Volkart in dieser Zeit voll und ganz mit der Eröffnung der Niederlassungen in Shanghai und Singapur beschäftigt und fand keine Zeit, den Einstieg ins Teegeschäft vorzubereiten. In einem Brief an Volkart Bombay hielt man 1924 deshalb fest, dass man es sehr bedauere, „die sich bietende Gelegenheit … nicht ergreifen [zu] können.“54 Nachdem der Rohstoffhandel ab Mitte der 1920er Jahre in eine schwere Krise geraten war, und auch Volkart schwere Verluste erlitten hatte, schlugen die Manager in den indischen Filialen wiederholt vor, dass die Firma beginnen solle, sich in der industriellen Produktion auf dem Subkontinent zu engagieren. Einen solchen Schritt hatten bereits zuvor verschiedene Handelsfirmen zu unterschiedlichen Zeitpunkten unternommen. Indische Kaufleute etwa hatten mit dem Aufbau eigener Textilfabri52 VA, Dossier 6: Colombo, 7. Import: incl. Swedish Match business, Winterthur an Colombo, London, Bombay, 3. Juni 1936. 53 Rothermund, Tee, 1999, S. 159. 54 VA, Dossier 6: Colombo, 4. Table of Events und 5. correspondence relating to Produce & notes on taxation: Winterthur an Bombay, 30. Januar 1924.
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ken begonnen, nachdem sie in den späten 1860er Jahren von europäischen Handelsfirmen aus dem Baumwollexportgeschäft verdrängt worden waren. Sie wurden so zu den Begründern der indischen Industrialisierung.55 Ab der Jahrhundertwende hatten europäische Import-Export-Firmen damit begonnen, als Managing Agencies die Verwaltung von indischen Industriebetrieben zu übernehmen.56 Und auch im Atlantikhandel war es ab Mitte des 19. Jahrhunderts immer wieder vorgekommen, dass europäische Handelshäuser diversifizierten und sich binnen einer einzigen Generation in Handelsbanken, Industriebetriebe oder Schifffahrtslinien verwandelten, nachdem das ursprüngliche Handelsgeschäft an Lukrativität verloren hatte.57 1927 schlug der Leiter der Niederlassung in Bombay vor, dass auch Volkart eine solche Diversifizierung vornehmen solle. Angesichts der krisenhaften Entwicklung des Welthandels und aufgrund des immer intensiver werdenden Konkurrenzkampfes würden Handelshäuser zu immer riskanteren Operationen gezwungen. „In deren Gefolge sehen wir mit erschreckender Haeufigkeit Krisen und Zusammenbrueche in den beteiligten Kreisen.“ Aus diesen Gründen empfahl der Manager eine neue Strategie, „die weder die Umsatzziffer noch diejenige des Anteils, welchen Baumwolle an die Gesamtunkosten der Firma beitraegt, zu Goetzen macht“. Er plädierte für ein stärkeres Engagement in der industriellen Produktion. Sein Vorschlag traf in Winterthur jedoch auf taube Ohren. In einer handschriftlichen Notiz hielt Georg Reinhart auf dem Brief aus Bombay fest: „Grundsätzlich wollen wir (V.B.) Kaufleute bleiben und nicht Industrielle werden.“58 Auch ein Vorschlag aus der Filiale in Karachi, sich gemeinsam mit einigen indischen Geschäftsleuten an der Errichtung von neuen Textilfabriken zu beteiligen, wurde 1930 von den Teilhabern abgelehnt. Sie hielten in ihrer Antwort fest, dass man sich einige Jahre zuvor ernsthaft mit dem Gedanken getragen habe, in Bombay die Managing Agency für einige Textilfabriken zu übernehmen. Dabei habe man aber festgestellt, „dass die Schwierigkeiten des Problems hauptsächlich in der Personalfrage liegen, indem wir unter unserem ganzen Personal in Indien niemand haben, der die nötige Erfahrung und Fachkenntnis besitzt um derartige Unternehmen zu leiten und zu kontrollieren, abgesehen von dem erforderlichen, genügend eingeschulten subalternen Staff. Weitere Bedenken ergaben sich aus der mit einer solchen Finanzierung verbundenen Kapital Immobilisation, die unserem steten Bestreben nach Liquidität zuwiderläuft.“ Zudem habe man stets den Grundsatz vertreten, „dass wir nicht Industrielle, sondern Kaufleute sind und dass wir auf industriellem Gebiete nur mitmachen, wenn es sich um die Verfeinerung und Bearbeitung von un-
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Chandavarkar, Imperial Power and Popular Politics, 1998, S. 55–68. Vgl. Kapitel 2. Ray, Industrialization in India, 1979, S. 262–269. Jones, Multinational Trading Companies, 1998. VA, Dossier 3: Bombay I, 5. Cotton general correspondance – incl. the boycott of European Firms in 1932: Bombay an Winterthur, 9. November 1927.
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seren Exportartikeln (Ginning Factories, Coir Yarn Presses, Decorticating Machinery etc.) handelt und also unserm Exporthandel förderlich ist.“59 Es ist durchaus denkbar, dass diese Haltung auch von der politischen Unruhe beeinflusst wurde, die in Indien aufgrund der Aktivitäten der Kongresspartei und den häufigen Streiks der Textilarbeiter herrschte. Die Teilhaber hielten jedenfalls in ihrer Antwort fest: „So, wie die Verhältnisse sich seither entwickelt haben, bedauern wir es nicht, dass wir auf die Mills Agency Pläne in Bombay vor 2 Jahren verzichtet haben.“60 Dies würde die Ansicht von Rajnarayan Chandavarkar bestätigen, wonach unternehmerische Entscheide in Indien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts nachhaltig durch die Aktivitäten der Arbeiterbewegung beeinflusst wurden.61 Dennoch zeigten sich die Teilhaber von Volkart bereit, ihre Haltung zu revidieren, da vorauszusehen sei, „dass die Industrialisierung in Indien, wenn einmal wieder Ruhe im Lande ist, weitere Fortschritte macht auf Kosten des Exporthandels in Rohprodukten. Diese Entwicklung kann unter Umständen auch unsere allgemeine Geschäftspolitik zu einer neuen Orientierung drängen, etwa in dem Sinne, dass wir für einen Rückgang im Exportgeschäft neue Tätigkeitsgebiete suchen, vielleicht in einer intensiveren Teilnahme auf industriellem Gebiet.“ Deshalb bat man die leitenden Angestellten in Indien „den Gang der Dinge zu verfolgen und uns allfällige, interessante Propositionen zu unterbreiten, sei es vorläufig auch nur zur Orientierung.“62 Solche neuen Möglichkeiten eröffneten sich in den 1930er Jahren immer wieder. Dies nicht zuletzt, weil es für indische Unternehmer aufgrund des Fehlens eines leistungsfähigen Bankwesens oft schwer war, das nötige Kapital für die Investition in einen Betrieb aufzutreiben.63 Die kapitalkräftigen europäischen Firmen konnten hier in die Lücke springen. Wie lukrativ eine Beteiligung an Industriebetrieben sein konnte, zeigt ein Beispiel aus Ceylon. 1931 hatte das lokale Management von Volkart Colombo beschlossen, ein kleines Aktienpaket einer lokalen Streichholzfabrik zu erwerben, ohne dafür zuvor in Winterthur um Erlaubnis zu fragen.64 Diese Investition zahlte sich mehr als aus. Schon nach vier Jahren hatte Volkart Dividenden in einer Höhe ausbezahlt erhalten, die fast dem ursprünglichen Preis der Aktien entsprach. 59 VA, Dossier 8: Karachi, 18. Miscellaneous correspondence: Winterthur an Karachi, 23. Juli 1930. 60 VA, Dossier 8: Karachi, 18. Miscellaneous correspondence: Winterthur an Karachi, 23. Juli 1930. 61 Rajnarayan Chandavarkar vertritt die These, „the pattern of capitalist development in India had been shaped largely by the role of the working classes“: Chandavarkar, Imperial Power and Popular Politics, 1998, S. 3. 62 VA, Dossier 8: Karachi, 18. Miscellaneous correspondence: Winterthur an Karachi, 23. Juli 1930. 63 Ray, Industrialization in India, 1979, S. 227. 64 VA, Dossier 6: Colombo, 7. Import: incl. Swedish Match business: Colombo an Winterthur, 10. Juni 1931.
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Die Manager in Colombo waren deshalb der Ansicht, dass man durch die Beteiligung an lokalen Industriebetrieben besser fahren würde „als z. Bsp. in gewissen heute so abgedroschenen Export Artikeln, aber bei uns hiess es bis anhin stets: ‚Hands off from local undertakings, we are foremost Export- & Import Merchants, Insuranceand Steamer Agents.‘ Ohne zu optimistisch sein zu wollen, neigen wir zur Ansicht, dass die Firma bei der heutigen Entwicklung des Ostens sich der Idee, da und dort in ‚vested interests‘ sich zu beteiligen, prinzipiell nicht laenger verschliessen sollte.“65 Hierauf antworteten die Teilhaber aus Winterthur: „Wir sind uns bewusst, dass die Industrialisierung in Indien und Ceylon in fortwährender Entwicklung begriffen ist und unsere Einstellung zu der Frage finanzieller Beteiligung ist nicht a priori ablehnend, obschon wir im Prinzip nach wie vor auf möglichste Liquidität des Kapitals hintendieren. Es würde sich darum handeln, dass Sie uns konkrete Vorschläge mit allen nötigen Unterlagen unterbreiten, die wir dann gerne bereit sind, von Fall zu Fall zu prüfen.“66 Die Beteiligung an der Streichholzfabrik auf Ceylon blieb trotz zahlreicher sich bietender Möglichkeiten das einzige nennenswerte Engagement im Industriebereich – bezeichnenderweise kam es bloß deshalb zustande, weil die örtlichen Volkart-Manager nicht vorgängig in Winterthur um Erlaubnis gefragt hatten. In allen anderen Fällen blieben die Teilhaber bei ihrer zurückhaltenden Praxis. 1932 etwa schlugen die Mitarbeiter der Filiale in Cochin vor, dass sich die Firma wieder in der Herstellung von Kokosmatten betätigen solle. Zwischen 1880 und 1911 hatte Volkart in Cochin bereits einmal eine Fabrik für die Produktion von Kokosmatten besessen, diese aber aufgegeben, um den europäischen Fabrikanten keine Konkurrenz zu machen. Damit war Volkart der einzige große Exporteur von Kokosbast in Südindien, der nicht gleichzeitig auch in der Fabrikation von Matten tätig war.67 In ihrer abschlägigen Antwort führten die Teilhaber auch in diesem Fall das Problem des fehlenden Personals an, da „wir die nötigen Fachleute nicht aus unserem eigenen Personal stellen können. … [W]ir wären ausser dem europäischen Spezialisten auch in Bezug auf den subordinate staff und labourers auf Leute angewiesen, die auf diesem Gebiet schon Erfahrung haben und die wir also auswärts rekrutieren müssten.“ Dann stelle sich die Frage des Absatzes: „Als Matting-Verkäufer würden wir mit unseren Coiryarn-Kunden in Europa in direkte Konkurrenz treten, was natürlich nicht ohne Folgen für unser Abladergeschäft wäre. Wir sind der Ansicht, dass wir auf Jahre hinaus bessere Aussichten haben, mit dem uns vertrauten Coiryarn-Export-Geschäft Gewinne zu machen als auf dem fremden Gebiet der Matting-Produktion, und dass wir das erstere durch die 65 VA, Dossier 6: Colombo, 7. Import: incl. Swedish Match business: Colombo an Winterthur, 30. Juli 1935. 66 VA, Dossier 6: Colombo, 7. Import: incl. Swedish Match business: Winterthur an Colombo, 31. August 1935. 67 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 170ff.
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Aufnahme des zweiten nur gefährden könnten.“ Und überhaupt sei man wenig geneigt, „in diesen unsicheren Zeiten einen größeren Betrag in einem Unternehmen zu immobilisieren, das mit allerhand Riski verbunden ist und dessen Aussichten uns keineswegs so günstig erscheinen.“68 Die Abneigung, welche die Eigner von Volkart gegen die Diversifikation in Richtung Industrie oder Finanzwesen zum Ausdruck brachten, kann als Zeichen für die Pfadabhängigkeit der Entwicklung der Firma interpretiert werden. Damit waren die Teilhaber von Volkart durchaus keine Ausnahme unter den bedeutenden Kaufleuten der Zwischenkriegszeit. Auch die Teilhaber von Ralli beschränkten ihre Aktivitäten bis in die 1930er Jahre auf das Handelsgeschäft. „They were merchants pure and simple“, hieß es in einer 1951 erschienen Firmengeschichte von Ralli, „and appear to have distrusted anything industrial.“69 Im Unterschied zu Volkart gab Ralli jedoch in den späten 1920er Jahren die Zurückhaltung gegenüber einer Diversifizierungsstrategie auf und übernahm schon bald Industriebetriebe, Schifffahrtslinien, Plantagen und gründete auch eine eigene Versicherungsgesellschaft.70 Von Unternehmenshistorikern wie Stanley Chapman oder Alfred Chandler wurde eine solche Abneigung gegen eine geschäftliche Diversifizierung, wie sie bei Volkart herrschte, als Zeichen einer rückwärtsgewandten Geschäftskultur und als eine der negativen Auswirkungen des Eigentümerkapitalismus gewertet.71 Wie fragwürdig derartige Pauschalurteile sind, zeigt jedoch die weitere Entwicklung. Nachdem es Volkart 1930 gelungen war, sich die Vertretung der American Cotton Cooperative Association für China, Japan und India und später auch für verschiedene europäische Länder zu sichern, wurde die Firma auf einen Schlag einer der bedeutendsten Exporteure von amerikanischer Rohbaumwolle.72 Dadurch gelang es Volkart, wieder schwarze Zahlen zu schreiben. In der Saison 1937/38 erzielt die Firma einen Reingewinn von etwa 1,75 Millionen Schweizer Franken. Nach Salärgutschriften und Verzinsung des Kapitals blieb noch rund eine Million zur Verteilung an die Teilhaber übrig, was etwa einer Dividende von 10% entsprach.73 In der Firma selber wurden die erneuten Erfolge im Baumwollgeschäft als Beleg dafür gewertet, dass es gerade in einer Krise sinnvoll sei, sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren. Peter Reinhart, der Sohn von Georg Reinhart und ab 1934 Teilhaber der Firma, schilderte im selben Jahr in einem Brief aus Shanghai die Erkenntnisse, die er auf seinen Reisen durch Europa, Indien, China und Japan gewonnen hatte: „Der wichtigste Eindruck ist der, 68 69 70 71
VA, Dossier 7: Cochin, 5. Various notes: Winterthur an Cochin, 2. September 1932. Ralli Brothers Limited, 1951, S. 9. Ralli Brothers Limited, 1951, S. 9 und 32–56. Chapman, Merchant Enterprise in Britain, 1992, S. 294; Chandler, Scale and Scope, 2004 [1990], S. 236ff. 72 Vgl. hierzu Kapitel 10. 73 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc., Historisches betr. Geschäft: PR an GR und WR, Gewinn & Verlustrechnung 1937/38, 10.12.38.
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dass wir auf dem indischen Baumwollgeschaeft beruhen, und alles Andere nur dann gerechtfertigt ist, wenn es entweder dem Baumwollgeschaeft nuetzt oder unmittelbare gute Resultate abwirft, oder verspricht, dem Baumwollgeschaeft in absehbarer Zeit zu nuetzen. ... Es ist fuer uns viel leichter, auf allen Baumwollgebieten etwas zu leisten, als auf Baumwolle und allen moeglichen andern Artikeln. … Meine Idee der Entwicklung der Firma ist also kurz: Spezialisten im Baumwollhandel aller Sorten. ... Nicht aber: Stuemper in Spitzen, Uhren, Gummischuhen.“74
Indische Unabhängigkeitsbewegung und schweizerische Loyalitätskonflikte Der Börsencrash von 1929 hatte anfänglich in Asien keine größeren Auswirkungen gehabt. Als aber 1930 ein Kreditengpass eintrat und die Rohstoffpreise stark sanken, wurde die indische Landwirtschaft in eine schwere Krise gestürzt. Bereits die Fixierung des Rupienpreises auf 1 s 6 d im Jahr 1927 hatte den indischen Bauern geschadet, da sich dadurch ihre Schulden im Verhältnis zum Weltmarktwert der von ihnen produzierten Rohstoffe vergrößerten. Als die Depression kam, wurden ihre Einkommen nochmals halbiert. Zudem sah sich die Kolonialregierung nicht in der Lage, die Bodensteuer zu reduzieren, da sie dringend neue Mittel brauchte. Selbst die ominöse Salzsteuer, gegen die Mahatma Gandhi im April 1930 seine Protestkampagne gestartet hatte, wurde in der Folge nochmals erhöht, um der Regierung zu zusätzlichen Einkommen zu verhelfen. Problematisch war weiter, dass auch die ländlichen Geldverleiher von den Banken und Großhändlern keine Kredite mehr erhielten. Sie übten deshalb verstärkten Druck auf die Bauern aus, die sich daraufhin zum Teil gezwungen sahen, den Goldschmuck ihrer Frauen zu verkaufen, um ihre Schulden zu bezahlen.75 Gandhi hatte seine Kampagne gegen die Salzsteuer gestartet, bevor die Wirtschaftskrise in Indien irgendwelche Auswirkungen gezeigt hatte. Durch den Fall der Rohstoffpreise kam es aber schon bald zu Bauernprotesten.76 Die Kongresspartei empfahl sich daraufhin als Vertretung aller Opfer der Wirtschaftskrise und verstärkte die bereits 1929 beschlossenen Boykottmaßnahmen gegen britische Importgüter. Sie wollte so ihren Forderungen – Abschaffung der Salzsteuer, Reduktion der Bodensteuer, Erhöhung der Zölle für Importgüter und schließlich die politische Unabhängigkeit des Landes – Nachdruck zu verleihen.
74 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc., Historisches betr. Geschäft: PR, Shanghai, an Winterthur, 6. Juni 1934. 75 Ray, Industrialization in India, 1979, S. 247; Rothermund, Currencies, Taxes and Credit, 2002, S. 16–18. 76 Rothermund, An Economic History of India, 1988, 100f.
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Zur Durchsetzung des Boykotts wurden verschiedene Störaktionen durchgeführt. Die davon betroffenen Bazarhändler scheuten sich, die Polizei zu Hilfe zu holen, da sie nicht für die repressiven Maßnahmen der Ordnungskräfte verantwortlich gemacht werden wollten.77 Die Händler wären zwar in vielen Fällen bereit gewesen, ihre Verträge mit den britischen Lieferanten zu erfüllen, sie fürchteten jedoch die Repressalien der Anhänger der Kongresspartei, wie ein britischer Beamter festhielt: „The Marwari delegates frankly admitted that they had not the courage to withstand the threats and pressure which are being brought to bear upon them. They fear that if they resist the wishes of the Congress their shops will be burnt down and their life will be made unbearable.“78 Zu den Zielen der Aktionen meinte ein Mitglied des britischen Geheimdienstes: „[T]he Congress made it perfectly clear that they were mainly interested in the boycott of British goods only and that they were alive to the efficacy of this boycott programme as a political weapon for the emancipation of India“. Ausländische Diplomaten in Indien hätten Anfragen erhalten, aus welchem Land die von ihnen benutzten Gebrauchsgegenstände wie Besteck, Musikinstrumente, Farben, elektrische Apparate, Leder, Schreibmaschinen, Fahrräder, Papier oder Automobile stammen würden. „From this it is clear that the object of the Congress was not to support home industries but to wrack British trade.“ Zur Illustration zitierte er aus einer Rede, die ein führendes Mitglied der Unabhängigkeitsbewegung im August 1930 gehalten hatte, und in dem er sein Publikum zum Boykott von britischen Produkten aufgerufen hatte: „If you do not get an article made in India and you want it then please get that article from the bazaar if it is made in any non-British country and I go further and say that even if you have to pay more for a non-British article please pay and buy it for God’s sake, for the country’s sake, for the honour of this country, for the freedom of this country do not buy a single thing made in England.“79 Neben britischen Produkten waren auch britische Firmen das Ziel der Boykottbewegung. Dies bekamen insbesondere die britischen Baumwollexporteure in Bombay zu spüren, wie Frederick Hugh Sykes, der bis 1931 Gouverneur von Bombay gewesen war, 1932 in einem Brief feststellte: „[I]n Bombay there has for some time been a definite effort in certain trades to squeeze British firms out of business. The activity is mainly noticeable in the cotton trade“. In einem Flugblatt des Kongresses wurden 77 NAI, Home Department Political Branch, File No. 201/40, 1930: R.B. Willmot, Office of H.M. Trade Commisisoner in India, Calcutta, to T.M. Ainscoth, Senior Trade Commissioner, Hotel Cecil, Simla, 27th May 1930. 78 NAI, Home Department Political Branch, File No. 201/40, 1930: T.M. Ainscough, Office of H.M. Trade Commisisoner in India, Calcutta, to J.A. Woodhead, Secretary to the Government of India, Department of Commerce, Simla, 7th July 1930. 79 NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: Note prepared by the Director of Intelligence Bureau on 16th February 1931 on the Subject of the Congress Boycott programme.
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sieben der führenden britischen Exportfirmen aufgeführt, dazu auch die Firma eines muslimischen Kaufmannes, der sich nicht an den Boykott hielt, und es wurde allen anderen indischen Kaufleuten untersagt, mit diesen Firmen Geschäfte zu machen. Deshalb sei die Situation im Moment so, „that the cotton market generally is intimidated by the Congress and few dare to deal openly with the boycotted firms.“80 Dies lag nach Ansicht eines britischen Beobachters daran, dass die meisten einheimischen Baumwollhändler in Bombay Hindus seien. Auch wenn sie nicht mit den Zielen des Kongresses einverstanden seien, so fürchteten sie doch die sozialen Konsequenzen, die ein Bruch des Boykotts nach sich ziehen könne. So könne ein Mann, der gesellschaftlich geächtet werde, nicht einmal ordnungsgemäß die Begräbniszeremonien durchführen, wenn ein Angehöriger verstorben sei: „It is a terrible weapon against a religious and cast-ridden community like the Hindus.“81 Die Regierung setzte ihrerseits die indischen Baumwollkaufleute ebenfalls unter Druck, indem sie die Weigerung, den britischen Exporteuren Baumwolle zu liefern, unter Strafe stellte. Viele indische Kaufleute flohen daraufhin ins Landesinnere, um sich aus dieser Zwickmühle zu befreien.82 Doch nicht nur die indischen Kaufleute waren in einem Dilemma, auch die nicht-britischen Exportfirmen gerieten unter Druck. Sykes beschuldigte sie im oben angeführten Brief explizit, aus dem Boykott Profit schlagen zu wollen: „It is alleged that some of the foreign firms, namely, Swiss and Japanese, are helping the boycotters, and it has been admitted by the Japanese Consul that some Japanese firms have been afraid to do business openly with British firms lest they should find themselves also on the boycott list. In the meanwhile, however, the position is easy for them, since they have not to perform any positive act of boycott in order to obtain from Indian firms the business which would otherwise have gone to their British competitors.“83 Für die Firma Volkart – auf die Sykes in seinem Brief anspielte – war diese Entwicklung äußerst unangenehm. Erstmals seit Ende des Ersten Weltkrieges wurde die schweizerische Nationalität des Unternehmens, die ansonsten für die geschäftliche Tätigkeit in Indien ohne größere Bedeutung war, wieder zum Thema. Volkart Bombay hielt hierzu im März 1932 in einem Brief an den Winterthurer Hauptsitz fest: „Wir stellen uns auf den Standpunkt, dass wir als auslaendische Firma in politischer Hinsicht eine absolut neutrale Haltung einzunehmen haben und von diesem Prinzip wird auch in Zukunft unter keinen Umstaenden abgewichen werden.“ Bei der Kon80 NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: F.H. Sykes, Government House, Bombay, to the Earl of Willingdon, 19th March 1932. 81 NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: J.R. Abercrombie, European Association (Bombay Branch), Bombay, to H.B. Holme, London, 19th March 1932. 82 NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: J.R. Abercrombie, European Association (Bombay Branch), Bombay, to H.B. Holme, London, 19th March 1932. 83 NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: F.H. Sykes, Government House, Bombay, to the Earl of Willingdon, 19th March 1932.
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kurrenz erregte dies aber Neid, da Volkart als nicht-britische Firma eine Vorzugsstellung genoss. Ralli agitierte angeblich gar bei der indischen Regierung gegen Volkart. Allgemein, so war man beim schweizerischen Handelshaus überzeugt, wären viele britische Firmen froh, wenn auch Volkart auf die Boykottliste käme, nicht zuletzt, da dadurch das politische Gewicht der Baumwollexporteure gegenüber der Regierung zunehmen würde. Die Mitarbeiter in Bombay meinten zudem, dass auf sie erheblicher Druck ausgeübt werde, damit Volkart sich öffentlich auf die Seite der boykottierten Firmen schlage.84 Die Verantwortlichen im Winterthurer Hauptsitz begrüßten es, dass sich Volkart Bombay angesichts des Boykotts möglichst neutral verhielt: „Dass wir vermeiden müssen, so lange das irgendwie geht, uns sichtbar für die eine oder andere Seite einzusetzen, entspricht dem Gebot der Klugheit.“ Eine neutrale Haltung entsprang aber nicht nur geschäftlichem Opportunismus. Sie war auch ein Ausdruck davon, dass Volkart sich sowohl gegenüber der britischen Kolonialregierung verpflichtet fühlte, als auch großes Verständnis für die Unabhängigkeitsbestrebungen der indischen Nationalisten hatte: „Der englischen Verwaltung schulden wir Dank dafür, dass sie Ruhe, Ordnung und Rechtssicherheit gehalten, die wirtschaftliche Entwicklung des Landes ermöglicht und uns Gelegenheit gegeben hat, 80 Jahre hindurch unsern Geschäften ungestört und sicher nachzugehen. Andererseits kann man für die berechtigten politischen Aspirationen eines großen Volkes auch genügend Sympathie aufbringen, um nicht durch dick und dünn der Politik einer Regierung zu folgen, die immerhin eine imperialistische Regierung ist und bei allem Guten, das sie tut, die volle nationale Entwicklung aus Gründen, die ihrem eigentlichen Wesen entsprechen, nicht von selber durchführen würde.“ Wenn es aber hart auf hart komme, müsste Volkart sich für die Regierung entscheiden, da der Kongress keine gesetzliche Körperschaft sei.85 In einem ähnlichen Zwiespalt hatte sich die Firma bereits in den frühen 1920er Jahre befunden, als die indische Unabhängigkeitsbewegung unter der Führung von Gandhi zum zivilen Ungehorsam aufgerufen hatte. Die Angestellten von Volkart Karachi waren der Ansicht, dass die politischen Unruhen auch die Geschäfte der Firma erschwerten: „Der Verkehr mit Eingeborenen ist viel schwieriger als früher, denn eine gewisse Art Händler geht direkt darauf aus, Anstände, die auf Rassen-Unterschied fussen, zu provozieren, wenn sie an kontraktliche Verpflichtungen gebunden werden müssen, die ihnen Verlust bringen.“86 Diese Einschätzung war wohl die Reaktion auf ein Schreiben, dass der Winterthurer Hauptsitz an alle Filialen geschickt hatte. In 84 VA; Dossier 3: Bombay I: 5. Cotton general correspondance – incl. the boycott of European Firms in 1932: Bombay an Winterthur, 4. Maerz 1932. 85 VA, Dossier 3: Bombay I: 5. Cotton general correspondance – incl. the boycott of European Firms in 1932: Winterthur an Bombay, 18. März 1932. 86 VA, Dossier 8: Karachi, 3. Table of Events: Karachi an Winterthur, 24.11.1921.
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diesem wies er sämtliche Angestellten an, sich gegenüber der einheimischen Bevölkerung anständig zu verhalten: „Es ist … nicht ein Zeichen der Schwäche, sondern ein Gebot der Billigkeit und Gerechtigkeit und auch der Vorsicht, wenn der Europäer sich dieser Notwendigkeit bewusst wird und sie zur Richtlinie seiner Beziehungen zu den Eingeborenen macht. Für solche, die jahrelang auf dem Standpunkt des gefürchteten Sahib gestanden sind, welcher den Eingeborenen als minderwertigen Menschen betrachtet, und dem er wenig oder keine Rücksichten schuldig ist, wird es sich um ein Sicheinstellen in den neuen Zeitgeist handeln, denn das Prestige des Europäers ist seit dem Krieg bedeutend gesunken… Wir dürfen wohl annehmen, dass unser europäischer Staff in Indien in richtiger Beurteilung des Zeitgeistes und der Psyche des Eingeborenen sich im Verkehr mit Eingeborenen und Händlern durch diese Erkenntnis leiten lässt, aber diese Erkenntnis darf nicht an den Grenzen des Office oder Yards Halt machen, sondern der gleiche Massstab soll auch dem Unbekannten gegenüber im Bazaar oder auf der Strasse angelegt werden. Es gibt auf dem Weg nach und vom Office allerhand Vorkommnisse, wie z.B. allzu rasches, rücksichtsloses Fahren mit dem Wagen, Velo oder Auto durch enge, überfüllte Strassen, die vom Eingeborenen mit Recht oder Unrecht als Zeichen der Geringschätzung und Verachtung aufgefasst werden und die ihn namentlich bei der heutigen Unzufriedenheit und grössern Empfindlichkeit bitter kränken müssen. Wir als neutrale Firma haben alles Interesse daran, dieser Stimmung Rechnung zu tragen und überall den gebührenden Takt walten zu lassen.“87 Wenige Monate später war von einer solchen Zurückhaltung nichts mehr zu spüren. Nach der Verhaftung Gandhis 1922 hieß es in einem Situationsbericht an die Kunden der Firma, dass die indischen Händler „von Gandhis Anhängern terrorisiert“ worden seien, indem sie zum Boykott britischer Textilien gedrängt worden seien. Und weiter war zu lesen: „Die Verhaftung dieses Tribunen hat den Nimbus, dass die Regierung sich nicht an ihn wagen werde, für einstweilen zerstört, wie überhaupt eine feste Regierung in orientalischen Ländern einen leichtern Stand hat als eine Regierung, die auf beiden Schultern zu tragen sucht und damit die Begehrlichkeit und sogar den Spott der Orientalen weckt.“88 Volkart war also einerseits an einer Beibehaltung des Status quo interessiert, der bis dahin der Firma einträgliche Geschäfte ermöglicht hatte. Andererseits hatten die Verantwortlichen der Firma auch ein gewisses Verständnis für die Anliegen der Unabhängigkeitsbewegung. Als Unternehmen aus einem neutralen Drittstaat war man tatsächlich in einer Zwickmühle. In den frühen 1930er Jahren wurde Volkart nicht nur von den britischen Handelsfirmen unter Druck gesetzt, auch die Boykottbewegung bedrängte das Handelshaus. Im März 1932 warnte der Präsident des Boykott87 VA, Dossier 7: Cochin, 12. Various generals notes on Cochin as a place: Winterthur an alle Häuser, 6. Oktober 1921. 88 Gebrüder Volkart, Situationsbericht Nr. 24, 8. Mai 1922.
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komitees Volkart davor, weiterhin mit Baumwolle zu handeln. Volkart ignorierte den Brief – offenbar ohne dass der Firma daraus ein Nachteil erwachsen wäre.89 Immerhin wurden aber firmenintern Strategien entworfen, wie man durch die heimliche Kooperation mit einem indischen Baumwollbroker den Boykott umgehen könnte, falls Volkart auf der schwarzen Liste landen würde.90 1933 wurde der Boykott aufgehoben. Kongresspartei und Regierung führten in der Folge jahrelange Verhandlungen bis schließlich 1935 der Government of India Act erlassen wurde, der drei zentrale Punkte beinhaltete: die Einrichtung einer föderalistischen Struktur, größere Autonomie der Provinzen und die Sicherstellung von Minderheitenrechten durch spezifische Wahlgesetze.91 Die Verluste, welche die britischen Baumwollexporteure durch den Boykott erlitten hatten, hielten sich in Grenzen. So hieß es in einem Regierungsbericht von 1932 zur Situation im Baumwollhandel: „The losses of individual European firms are probably not very serious, and the field of loss is limited.“ Auch die Einkünfte der Bauern seien vom Boykott nicht wesentlich gemindert worden.92 Die Ursache dafür lag zum einen darin, dass die Baumwollernte in der Saison 1930/31 sehr niedrig ausgefallen war. Zum anderen lag der Preis von indischer Baumwolle weit über Weltmarktniveau, weshalb auch ohne den Boykott kaum größere Verkäufe möglich gewesen wären.93 Darüber hinaus konnten auch die britischen Exporteure den Boykott in Bombay relativ gut umgehen, indem sie sich im Landesinnern mit Baumwolle eindeckten. Dies war offenbar trotz des Boykotts kein Problem.94 Auch wenn die Boykottmaßnahmen bei vielen Indern auf Kritik stießen, letzten Endes nützten die Ereignisse der frühen 1930er Jahre der Unabhängigkeitsbewegung. Die Bauern wurden gegenüber der britischen Wirtschaftspolitik immer kritischer und unterstützen in den Wahlen 1936/7 großmehrheitlich die Kongresspartei. Auch die Geldverleiher wandten sich gegen die Briten, da diese während der Krise die zuvor stets garantierten Bodengesetze geändert und den Bauern Zahlungsaufschübe gewährt hatten. So wurde die Kolonialregierung für viele Vorkommnisse bestraft, die nicht eigentlich in ihrer Verantwortung lagen, sondern eine Folge der Weltwirtschaftskrise waren. Dennoch wurde der Kolonialregierung zu Recht vorgeworfen, 89 90 91 92
VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2. VA, Dossier 3: Bombay I, 6. Bombay House brokers: Bombay an Winterthur, 28.6.1932. Rothermund, An Economic History of India, 1988, 101f. und 107. NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: Report on Cotton situation, 25.3.32. Dies war eine der großen Befürchtungen der britischen Kolonialregierung gewesen: Brit Lib, Mss Eur F 150/4b, Sykes Collection, Correspondence July-October 1932: Letter from India Office, Whitehall, to the Governor of Bombay, 8th July 1932. 93 NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: F.H. Sykes, Government House, Bombay, to the Earl of Willingdon, 19th March 1932. 94 NAI, Home Department Political Branch, File No. 33/6, 1931: J.R. Abercrombie, European Association (Bombay Branch), Bombay, to H.B. Holme, London, 19th March 1932.
Zunehmendes Selbstbewusstsein: Indien nach 1918
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dass sie Indien weit weniger vor den Auswirkungen der Großen Depression geschützt hatte, als es die Regierung eines unabhängigen Nationalstaates getan hätte.95 Die politischen und wirtschaftlichen Veränderungen, welche sich in der Zwischenkriegszeit auf dem Subkontinent ereigneten, sollten für die europäischen Handelsfirmen jedoch nur einen Vorgeschmack auf die Schwierigkeiten darstellen, denen sie sich nach dem Zweiten Weltkrieg gegenübersahen. Indem die Regierungen von Indien, Pakistan und Ceylon nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit einerseits den Rohstoffexport zugunsten der Förderung der eigenen Industrie beschnitten und die europäischen Firmen andererseits zwangen, einheimisches Kapital an ihren Unternehmen in Südasien zu beteiligen, kam das traditionelle Import- und Exportgeschäft der europäischen Handelshäuser nach und nach zum Erliegen. Anders als noch bei den antibritischen Boykotten der 1930er Jahre war von dieser Entwicklung auch ein schweizerisches Unternehmen wie Volkart betroffen.96
95 Rothermund, An Economic History of India, 1988, S. 102; Rothermund, Currencies, Taxes and Credit, 2002, S. 15–33. 96 Vgl. Kapitel 12 und 14.
10. Expansion nach Ost und West: Erweiterung des Geschäftsfeldes nach China, Japan und in die USA
Ab Mitte des 19. Jahrhunderts mussten China und Japan aufgrund des militärischen Drucks der Kolonialmächte ihre Häfen für europäische und amerikanische Kaufleute öffnen. Gleichzeitig ließ die Industrialisierung in Ostasien den Export von Rohbaumwolle nach China und Japan zunehmend interessant werden. Zwischen 1887 und 1897 stieg etwa die Zahl der Spindeln in den japanischen Spinnereien von 76’000 auf über 970’000. In der gleichen Zahl wuchs die Anzahl der Beschäftigten in den Spinnereibetrieben von 2330 auf fast 45’000.1 Durch diese Entwicklung wurde Japan zum wichtigsten Textilfabrikanten Asiens.2 In der Folge stieg der Absatz von indischer Rohbaumwolle. Ab 1897 war Japan – mit Ausnahme des Jahres 1901 – während einem halben Jahrhundert der Hauptabnehmer von indischer Baumwolle.3 Es griffe also bei weitem zu kurz, die Geschichte der indischen Baumwollökonomie auf das Verhältnis zwischen Indien und Großbritannien – oder zwischen dem Subkontinent und Europa – zu reduzieren. Auch in der Kolonialzeit waren die traditionellen Handelsbeziehungen mit den ostasiatischen Ländern oft ebenso wichtig, wenn nicht gar wichtiger als diejenigen mit Europa.4 Dies spiegelt sich auch in der Geschichte von Volkart wieder. 1899/1900 exportierte die Firma 10’682 Ballen Baumwolle nach Japan und 17’077 Ballen nach China.5 Damit waren die Verkäufe der Firma auf den ostasiatischen Märkten im Vergleich zu den Verkäufen in Europa zwar immer noch bescheiden, denn in den 1890er Jahren exportierte Volkart regelmäßig über 100’000 Ballen Baumwolle pro Jahr nach Europa.6 Doch in der Firma rechnete man damit, dass die Verkäufe in Ostasien ähnlich bedeutend werden würden, wie diejenigen in Europa, wenn nicht sogar bedeutender. 1899 schreiben jedenfalls die Verantwort1 2
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Saxonhouse/Kiyokawa, Supply and Demand for Quality Workers, 1998, S. 183f. Bis 1896 hatte die japanische Regierung noch einen Importzoll auf Rohbaumwolle erhoben, um die einheimischen Baumwollpflanzer vor der ausländischen Konkurrenz zu schützen. Da die japanischen Baumwollpflanzer aber nur sehr geringe Erträge erzielten, setzte sich die Industrie mit ihrer Forderung nach einer Abschaffung der Zölle durch, was den japanischen Baumwollanbau zum Verschwinden brachte: Fletcher III, The Japan Spinners Association, 2001. VA, Dossier 3: Bombay I , 4. Table of Events 1851–1961/2. Beckert, Emancipation and Empire, 2004, S. 1421; Sugihara (Hg.), Japan, China, and the Growth of the Asian International Economy, 2005; Akita/White (Hg.), The International Order of Asia, 2010. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 195ff. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 756.
Expansion nach Ost und West
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lichen der Filiale in Bombay an den Winterthurer Hauptsitz, ihrer Meinung nach liege die Zukunft von Volkart unter anderem „im Baumwoll-Geschaeft mit China und Japan.“7 In der Zwischenkriegszeit intensivierte die Firma ihre Tätigkeit in Ostasien. In diesem Kapitel soll gezeigt werden, wie Volkart danach strebte, durch Kooperationen mit einheimischen Teilhabern in Osaka und Shanghai den Zugang zu den neuen Märkten zu erleichtern und wie die Firma versuchte, durch diese intra-organisationalen Netzwerke den Problemen mit den lokalen Zahlungsusanzen zu begegnen. Dies belegt erneut, dass auch global tätige Firmen darauf angewiesen waren, ihre geschäftlichen Aktivitäten in lokale Marktstrukturen einzubetten. Diese Kooperationen und die geographische Expansion schufen nach 1918 aber neue innerbetriebliche Reibungsflächen. Weiter wird geschildert, wie das Engagement in Ostasien zur Gründung einer Tochterfirma in New York und schließlich zum Einstieg ins amerikanische Baumwollgeschäft führte, was sowohl die Pfadabhängigkeit der Entwicklung der Firma zeigt, als auch ein Beleg für die Wichtigkeit von weltweiten Distributionskanälen im globalen Rohstoffgeschäft ist. Wie bereits in Asien erfolgte auch in den USA der Eintritt in den amerikanischen Baumwollmarkt über Kooperationen mit dort etablierten Kaufleuten, was die Bedeutung von unternehmerischen Netzwerken für die Herausbildung von globalen Märkten unterstreicht.
Die Kontrolle des ostasiatischen Baumwollgeschäftes durch japanische Handelsfirmen Die Öffnung der chinesischen und japanischen Häfen erlaubte westlichen Kaufleuten eine Ausweitung ihrer geschäftlichen Aktivitäten. Volkart begann bereits nach dem zweiten Opiumkrieg damit, die Fühler für den Baumwollverkauf nach China auszustrecken. Das Reich der Mitte war traditionell ein wichtiger Markt für indische Baumwolle; in den frühen 1860er Jahren ging etwa ein Drittel aller indischen Baumwollexporte nach China.8 Nachdem Volkart nach 1869 durch das britische Handelshaus Jardine Matheson & Co. in Shanghai vertreten worden war, gründete die Firma 1878 in Shanghai ein eigenes Verkaufsbüro. Dieses war zunächst sehr erfolgreich im Export von Sesamsaat, Borsten und Häuten, im Import von europäischen Manufakturen, sowie im Verkauf von indischer Baumwolle an die Handwebereien und an die in den 1890er Jahren gegründeten chinesischen Textilfabriken. 1901 wurde es in eine
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VA, Dossier 3: Bombay I , 4. Table of Events 1851–1961/2: Bombay an Winterthur, 18.10.1899. Vicziany, Bombay merchants and structural changes, 1979, S. 165f.
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eigenständige Filiale umgewandelt. Diese wurde aber aufgrund von Personalproblemen und unbefriedigenden Resultaten bereits 1908 wieder geschlossen.9 Die Aufnahme der Geschäfte in Japan scheint auf den ersten Blick reibungsloser vonstatten gegangen zu sein. Ab 1894/5 hatte Volkart einen europäischen Angestellten als Agenten für den Verkauf von indischer Baumwolle in Japan stationiert.10 1903 gründete die Firma ein eigenes Verkaufsbüro in Kobe, das 1917, inzwischen nach Osaka umgezogen, zu einer eigenständigen Volkart-Filiale wurde.11 Doch auch der Baumwollexport nach Japan war für europäische Handelshäuser ein schwieriges Unterfangen. Dies unter anderem, weil die japanische Regierung Ende des 19. Jahrhunderts vorübergehend zu protektionistischen Maßnahmen griff. So wurden etwa die japanischen Spinner verpflichtet, für ihre Baumwollimporte nur japanische Dampfer zu verwenden.12 Diese Beschränkungen wurden nach dem Ersten Weltkrieg zwar gelockert, dennoch war es für ausländische Firmen weiterhin alles andere als leicht, sich in Japan geschäftlich zu betätigen. Julius Müller, der schweizerische Direktor der 1919 als Tochterfirma von Volkart gegründeten Nichizui Trading Co. nannte als eines der Hauptprobleme die in Japan angeblich weit verbreitete spekulative Praxis im Baumwollgeschäft: „Like all Orientals, the Japanese is by nature a gambler, and in an article like cotton he has found a large and welcome field to give full play to his speculative proclivities. … In spite of the fact, that a number of large concerns have had to close their doors, speculation is as rampant as ever and it has become quite the common thing that cotton is sold 5–10% below simultaneous cost in the producing countries.“13 Die japanischen Handelshäuser waren tatsächlich fähig, große Geschäftsrisiken einzugehen und die Baumwolle in Osaka zum Teil billiger zu verkaufen, als sie sie in Indien eingekauft hatten. Dies lag allerdings weniger an ihrer Neigung zur Spekulation – wie Müller annahm –, sondern an der Struktur der japanischen Baumwollindustrie, die sich grundsätzlich von derjenigen Europas und der USA unterschied. So zeichnete sich etwa der Baumwollhandel zwischen den US-Südstaaten und Großbritannien durch eine Vielzahl von Akteuren aus. Bis zu 120 Handelsfirmen waren in der Zwischenkriegszeit im Baumwollexport aus den USA tätig, und rund zwei Dutzend Firmen besorgten allein den Import nach Liverpool. Amerikanische Baumwolle ging dabei stets durch mehrere Hände, bevor sie schließlich in den Spinnereien ankam. All diese Mittelsleute – von den amerikanischen Kleinhändlern, über die großen Ex9 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 2. Table of Events; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 113. 10 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 195. 11 VA, Dossier 14: Japan. 12 VA, Dossier 14: Japan, Korrespondenz: Winterthur an Osaka, Kopien nach Bombay, Karachi, Tuticorin, 10. April 1918 (Diktat von E. Müller-Renner). 13 V.B. News, No. 10, March 1924, S. 8.
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porthandelshäuser bis hin zu den europäischen Importeuren und Brokern – sicherten ihre Transaktionen durch Termingeschäfte an den Baumwollbörsen ab. Da auch die Spinnerein sich durch solche Hedges gegen Preisveränderungen schützten, wurde der Handel eines bestimmten Postens Baumwolle bis zu vier Mal durch das Kaufen und Verkaufen von Futures abgesichert. Jedes dieser Termingeschäfte kostete Gebühren und verteuerte damit die Baumwolle.14 In Japan dagegen wurden 80% aller Baumwollimporte durch drei Firmen vorgenommen: Toyo Menkwa, Nippon Menkwa und Gosho. Diese drei Firmen waren Teil von großen, ineinander verschachtelten Handelskonglomeraten, so genannten zaibatsu. Diese besaßen zahlreiche Fabriken, sowie eigene Banken und Handelshäuser. Da Handelshäuser und Spinnereien oft zum selben Großkonzern gehörten, konnten sie spezielle Vereinbarungen treffen, welche für eine stabile Versorgung sorgten und für beide Seiten profitabel waren. Die Baumwollhandelsfirmen erzielten aufgrund ihrer Verbindung mit den Spinnereien derartige Umsätze, dass sie beim Einkauf von großen Baumwollmengen bis zu 1% Preisnachlass herauszuhandeln vermochten. Außerdem errichteten sie riesige Baumwolllager, mit denen sie das Risiko von Preisschwankungen ausgleichen konnten. Weder die japanischen Handelsfirmen noch die Spinner hatten es deshalb nötig, ihre Transaktionen an den Terminmärkten abzusichern. Da die japanischen Handelsfirmen darüber hinaus auch 80% aller Textilexporte aus Japan vornahmen, war es ihnen möglich, die Risiken beim Einkauf von Rohbaumwolle durch die Erlöse aus dem Verkauf der Textilwaren auszugleichen.15 Neben den drei großen japanischen Baumwollhandelsfirmen Toyo Menkwa, Nippon Menkwa und Gosho gab es in den 1920er Jahren noch rund fünfzig weitere Firmen, die Baumwolle nach Japan importierten. Von diesen war etwa die Hälfte in ausländischem Besitz.16 Obwohl zu diesen Firmen renommierte amerikanische Handelshäuser wie Anderson Clayton oder McFadden gehörten, gelang es den Ausländern nicht, einen direkten Kontakt zu den Spinnereien herzustellen, da die Spinner in der Regel auf die Kredite der Handelsfirmen angewiesen waren. Die ausländischen Firmen waren deshalb gezwungen, mit einer japanischen Importfirma zu kooperieren oder japanische Geschäftsleute an einer in Japan tätigen Tochterfirma zu beteiligen.17 Als Folge davon hatten die ausländischen Firmen in Japan lange Zeit bloß eine marginale Bedeutung. Als der Rohstoffhandel ab Mitte der 1920er Jahre immer stärker in die Krise geriet, verschärfte sich auch der Konkurrenzkampf zwischen den Baumwollhandelsfirmen. Ihre Geschäfte wurden zusätzlich durch die 14 Vgl. für die Bedeutung des Terminhandels Kapitel 3. 15 Pearse, The Cotton Industry of Japan and China, 1929, S. 12; Ellinger/Ellinger, Japanese Competition in the Cotton Trade, 1930, S. 195–201; Naoto, Up-country Purchase Activities, 2001, S. 199f.; Jeremy, Organization and Management, 2004, S. 204–216. 16 Ellinger/Ellinger, Japanese Competition in the Cotton Trade, 1930, S. 198. 17 Killick, Specialized and General Trading Firms, 1987, S. 263.
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starke Marktstellung der japanischen Textilfabrikanten erschwert. So meinte der britische Konsul in Osaka 1928 in einem Brief an die Manchester Chamber of Commerce, dass der Baumwollimport nach Japan durch finanzkräftige Firmengruppen bestimmt werde, die jeweils verschiedene Spinnereien besäßen und oft Bestellungen von mehreren tausend Ballen aufgeben würden. Unter den Importeuren komme es zu einem erbitterten Kampf um diese Aufträge, weshalb die Verkaufspreise an die japanischen Spinnereien oft drei bis fünf Prozent unter den Preisen liegen würden, die für die Handelsfirmen noch kostendeckend waren: „The mills are therefore the ‚power‘ in Japan and they call the tune to which the cotton importers have to dance and it is the powerful position of these mills that has made the raw cotton import business so speculative.“18 Auch in China mussten die Europäer lange Zeit die meisten Geschäfte ihren japanischen Konkurrenten überlassen – dies vor allem deshalb, weil die Textilindustrie in China zu einem beträchtlichen Teil in japanischer Hand war. Nach dem Sieg im chinesisch-japanischen Krieg 1895 hatte sich Japan ausbedungen, in China eigene Fabriken errichten zu können. 1922 befanden sich 30% aller chinesischen Spindeln in Fabriken, die von japanischen Firmen betreiben wurden, 1930 waren es bereits 40% und 1936 44%.19 Dies hatte direkte Folgen für die Geschäftsanteile im Baumwollhandel. In der Saison 1925/26 importierte die zur Nippon Menkwa gehörende Japan Cotton Trading Co. 376’479 Ballen indische Baumwolle aus Bombay nach Japan und 72’408 nach China. Die Toyo Menkwa importierte nach Japan 344’417 und nach China 79’566 Ballen. Die Gosho importierte 271’650 Ballen nach Japan und 61’031 nach China. Volkart verschiffte im selben Jahr von Bombay aus 23’900 Ballen nach Japan und 21’800 nach China. Ralli exportierte aus Bombay 21’800 Ballen nach Japan und 19’075 nach China. Obwohl die beiden großen europäischen Baumwollhandelshäuser damit weit hinter ihren japanischen Konkurrenten zurückblieben, war für sie der Export nach China und Japan insofern äußerst bedeutend, als sie Mitte der 1920er Jahre einen Drittel ihrer Baumwollverkäufe aus Bombay in Ostasien tätigten.
18 NA, BT 55/5, Board of Trade (Comittee Papers), Committee on Civil Research 1928–1929, Sub-Committee on Cotton Industry, Costs of Production in Cotton Industry in Japan: British Consulate, Osaka, to H. Hughes, Director, The Statistical Bureau, Manchester Chamber of Commerce, September 4, 1928, S. 5. 19 Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 264.
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Japan Cotton Trad. Co., Ltd. Toyo Menkwa Kaisha, Ltd. Gosho Kabushiki Kaisha, Ltd. Ralli Brothers Volkart Brothers Sundry Shippers Ozu-Burin & Co., Ltd. Forbes, Forbes, Campbell & Co. Patel Cotton Co.
Japan 376’479 344’417 271’650 21’800 23’900 9045 55’500 0 0
China 72’408 79’566 61’031 19’075 21’800 1200 1300 0 16’970
Europa 40’165 12’478 25’031 83’204 86’486 54’587 0 43’759 25’114
Total 489’052 436’461 357’982 124’079 132’186 64’832 56’800 43’759 42’084
Tabelle 8 Die acht größten Exporteure von indischer Baumwolle aus Bombay nach Japan, China, Europa, November 1925-Oktober 1926 (Quelle: Contractor, A Handbook of Indian Cotton, 1928, S. 38f.)
Die Gründung einer Tochterfirma in Osaka mit japanischer Beteiligung Eine wesentliche Ursache dafür, dass der ostasiatische Markt in der Zwischenkriegszeit eine derartige Bedeutung erlangte, lag in den Auswirkungen des Ersten Weltkrieges. Nach 1914 hatte der Wegfall von europäischen Exporten zu einem Aufschwung der Industrialisierung in Ostasien geführt. Die chinesischen Spinnereien erzielten während des Krieges hohe Umsätze und auch die japanische Textilindustrie erlebte einen regelrechten Boom.20 Der Import von indischer Rohbaumwolle nach Japan umfasste im Geschäftsjahr 1916/17 1,6 Millionen Ballen, nachdem er zehn Jahre zuvor noch weniger als die Hälfte davon betragen hatte. Dieser Trend setzte sich nach Ende des Krieges fort. In der Zwischenkriegszeit gingen jeweils 40 bis 50% aller Baumwollexporte aus Indien nach Japan.21 Japan verdrängte während des Krieges Großbritannien vom ersten Platz als Lieferant von Baumwollgarn und -textilien für den chinesischen Markt. Während 1915 noch 90% aller nach China eingeführten Textilien aus Großbritannien stammten, waren es 1920 bloß noch 51%. In derselben Zeit stieg der Anteil der nach China eingeführten japanischen Textilien von 9 auf 48%. Darüber hinaus begannen die Japaner auch den indischen Spinnereien auf deren Heimmarkt durch den Import von kostengünstigen Textilien Konkurrenz zu machen.22 Diese Entwicklung bestärkte Volkart nach 1918 im Entschluss, sich stärker in China und Japan zu engagieren. Während die nach Ende des Krieges neu gegründeten Tochtergesellschaften in Bremen und New York vollständig im Besitz von Volkart 20 Dantwala, A Hundred Years of Indian Cotton, 1947, S. 23; Hardach, Der Erste Weltkrieg, 1973, S. 278ff. 21 Bombay Chamber of Commerce, Report of the year 1926. 22 Toshiyuki, The Changing Pattern of Sino-Japanese Trade, 1998, S. 145.
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waren,23 wurden an den ostasiatischen Häusern einheimische Textilfabrikanten und Kaufleute beteiligt. 1919 wurde die kurz zuvor eröffnete Filiale in Osaka in eine eigenständige Gesellschaft mit japanischen Partnern umgewandelt, die Nichizui Trading Co., Ltd.24 Die Nichizui, an der die Teilhaber von Volkart anfänglich bloß eine Minderheitsbeteiligung von 25% hielten, gründete schon bald Filialen in Tokio, Nagoya, Kobe und Fukuoka. Neben dem Baumwollimport beschäftigte sich die Nichizui auch mit dem Import von europäischen Maschinen, wobei sie vor allem Schweizer Firmen in Japan vertrat.25 Zum einen ging Volkart die Verbindung mit japanischen Investoren ein, um einen besseren Zugang zum japanischen Markt zu erhalten. Zum anderen hatte die Firma sich zu diesem Schritt entschlossen, weil die japanischen Spinnereien ihre Einkäufe in der Regel erst 60 oder 90 Tage nach Erhalt der Baumwolle bezahlten. Dies widersprach aber den Prinzipien von Volkart, Waren nur gegen direkte Bezahlung auszuliefern. Die Nichizui wurde damit zu einer Umschaltstation, welche die Baumwolle zu den bei Volkart üblichen Bedingungen – Zahlung bei Auslieferung der Dokumente – erwarb und sie den Spinnereien auf Kredit weiterverkaufte.26 Die Beteiligung von japanischen Geschäftsleuten erleichterte zu Beginn zweifellos die Geschäfte der Nichizui. Schon bald zeigten sich jedoch die Probleme eines solchen Joint Ventures. Nachdem die Nichizui in ihrem ersten Jahr große Gewinne gemacht hatte, geriet die japanische Wirtschaft 1920 in eine schwere Krise, die bis in die frühen 1930er Jahre andauern sollte.27 Der jähe Abbruch des Wirtschaftsbooms der Kriegs- und Nachkriegsjahre verunsicherte die japanischen Teilhaber der Nichizui. Deshalb wollten sie die Firma 1920 wieder liquidieren, obwohl Volkart finanzielle Unterstützung gewährte und die Kontraktbedingungen für Geschäfte mit den indischen Filialen so abänderte, dass die Nichizui einen guten Abschluss machen konnte. Angesichts der Meinungsverschiedenheiten mit den japanischen Teilhabern überlegte sich Volkart, die Aktienmehrheit zu übernehmen. Dies widersprach aber der Grundidee, die hinter der Gründung der Nichizui gestanden hatte, nämlich 23 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen: Bremen (incl. Hamburg office): Gesellschaftsvertrag vom 31. August 1922 zwischen Gebr. Volkart, Winterthur und Volkart G.m.b.H., Bremen; VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA, 1. VB Inc. New York – 1922. 24 Der Name der Tochtergesellschaft setzte sich zusammen aus den beiden japanischen Begriffen „Nichi“ ( Japan) und „Sui“ bzw. „Zui“ (eine Abkürzung von „Suisu“ – Schweiz – und gleichbedeutend mit „heiterer Westen“): V.B. News, No. 10, March 1924, S. 4. 25 Vgl. für das Maschinengeschäft der Nichizui Kapitel 11. 26 V.B. News, No. 10, March 1924, S. 4ff. Eine andere Möglichkeit hätte darin bestanden, japanische Geschäftsleute als Mittelsmänner zu benutzen, welche zugunsten der Spinnereien eine Zahlungsgarantie lieferten. Da die finanzielle Situation dieser Mittelsleute aber oft sehr unsicher – und für Ausländer schwer zu eruieren – war, wurde diese Variante als zu riskant verworfen. 27 Yamamura, Then Came the Great Depression, 1998.
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„möglichst einflussreiche Japaner an dem Unternehmen zu beteiligen, um dadurch die geschäftlichen Transaktionen der Kaisha zu befruchten.“28 Bereits ein Jahr später teilte der Hauptsitz von Volkart der Filiale in Bombay mit, dass man nun bereit sei, durch gelegentlichen Zukauf von Aktien die Aktienmehrheit zu erlangen, was „uns instandesetzen wird, allfälligen, uns nicht passenden Tendenzen seitens der japanischen Direktoren die Spitze bieten können.“ Dabei war man sich durchaus bewusst, dass man damit gewissermaßen seine frühere Auffassung preisgab: „Der ursprüngliche Gedanke, welcher der Gründung der Nichizui Tr. Co. zugrunde lag, war ja – neben der dadurch erreichten bessern Fühlungnahme mit der japanischen Kundschaft – der, dass diese Umschaltstation für uns das Risiko des Geschäftes nach japanischen Usanzen übernehmen sollte und dass unser Risiko dabei durch unsern Anteil am Aktienkapital beschränkt blieb.“ Wenn Volkart nun die Mehrheit der Nichizui übernehmen wolle, bestehe natürlich das Risiko, dass dadurch die japanischen Hauptaktionäre verärgert würden und beginnen könnten, ihre Anteile abzustoßen. Dennoch sei dies das kleinere Übel. „Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass ein übereinstimmendes und harmonisches Zusammenarbeiten zwischen Japaner- und Europäer-Direktoren und japanischem und europäischem Personal wegen der verschiedenartigen Psyche und Gesichtspunkte und teilweise auch wegen der nicht immer parallel laufenden Interessen äusserst schwierig ist.“29 Im Sommer 1922 teilte der Hauptsitz mit, dass Volkart die Mehrheit an den Aktien der Nichizui erworben habe. „Es bleibt nun noch ⅓ der Aktien in den Händen bisheriger japanischer Aktionäre, wodurch einerseits der Charakter einer japanischen Kaisha – wie von uns gewünscht – gewahrt bleibt, währenddem andererseits aber die Direktive der Gesellschaft an uns als principal shareholder übergeht.“30
Innerbetriebliche Reibungsflächen Doch auch nach Übernahme der Aktienmehrheit waren die Geschäfte der Nichizui für die Firmenleitung von Volkart wesentlich schwerer zu kontrollieren als diejenigen der indischen Filialen. Statt mit Schwierigkeiten mit renitenten Aktionären sah man sich nun mit der Prinzipal-Agent-Problematik konfrontiert. Als Georg Reinhart 1923 auf seiner Asienreise auch die Nichizui besuchte, versicherte ihm der geschäftsführende Direktor der Nichizui, Julius Müller, dass „die Japaner – seit wir die Majorität haben – nun ganz willig nach unseren Intentionen“ arbeiten würden. Dies war aber offensichtlich nur ein Teil der Wahrheit. Reinhart zeigte sich jedenfalls im Rapport, den er an seine Brüder in Winterthur schickte, äußerst besorgt darüber, dass 28 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, 2. Dezember 1920. 29 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, 2. Juni 1921. 30 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, Kopie an alle Häuser, 17. August 1922.
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die japanischen Geschäftsleitungsmitglieder sich gegenüber Müller nun weitgehend passiv verhalten würden. Dies sei problematisch, „da eine Kontrolle und eventuelle Korrektur von Müllers Gestion gelegentlich nichts schaden könnte. Herr Müller ist ein unbeschränkter Alleinherrscher.“ So würden etwa in den monatlichen Geschäftsleitungssitzungen die Bilanzen diskussionslos gutgeheißen. „Angesichts der auch Ihnen zur Genüge bekannten Eigenschaften Müllers halte ich diesen Zustand für ziemlich gefährlich. Zur Zeit als die Japaner noch die Majorität der Aktien hatten, war die Kontrolle und der Einfluss der japanischen Mitdirektoren noch genügend groß, so dass wir eine Einmischung von Winterthur aus in die internen Angelegenheiten der Nichizui nur in vereinzelten Fällen für nötig erachteten.“ Nun, da Volkart die Mehrheit der Nichizui halte, sei es wichtig, dass man Müller genauer kontrolliere und ihm Vorgaben erteile, etwa in Bezug auf die Risiken, die er im Baumwollgeschäft eingehen dürfe. So stellte Reinhart mit Befremden fest, dass Müller immer wieder spekulative Geschäfte mit indischer und amerikanischer Baumwolle getätigt und zum Teil auch Börsenspekulationen durchgeführt hatte. Diese Praktiken widersprachen dem Societätsvertrag und wurden von Reinhart sofort unterbunden. Zudem schien sich Müller nicht bewusst zu sein, dass die Nichizui aufgrund ihrer großen Umsätze auch bei einem blühenden Geschäft in Zahlungsschwierigkeiten geraten könnte, wenn sie nicht über ausreichende Liquiditätsreserven verfügte. Reinhart folgerte daraus: „Es ist am Besten, wenn wir uns ganz von dem Gedanken losmachen, die Nichizui sei eine fremde Aktiengesellschaft, in welcher wir nur durch das Mittel der Generalversammlung oder durch unseren Vertreter im Verwaltungsrat zu Worte kommen dürfen. Vielmehr müssen wir die Nichizui von nun an so betrachten, wie wenn keine Japaner dabei wären, also so, wie wir die affiliierten Gesellschaften in Bremen und Neuyork behandeln.“ Wenn sich die japanischen Teilhaber als Folge davon ganz aus der Firma zurückziehen würden, wäre dies nicht weiter schlimm, „da die Nichizui nun als japanische Firma eingeführt ist und für den Verkehr mit Japanern über einen sehr guten japanischen Staff verfügt.“31 Auffallend ist, dass die Teilhaber von Volkart sich in Japan wiederholt vor ein Problem gestellt sahen, das sie aus Indien nicht kannten. Immer wieder mussten sie konstatieren, dass sie die Motive der Aktionäre und Mitarbeiter in der japanischen Tochtergesellschaft nicht verstanden. So wurde 1940 ein Brief aus Osaka, in dem über die Schwierigkeiten zwischen dem schweizerischen Geschäftsführer der Nichizui und den Angestellten berichtet wurde, mit den Worten kommentiert, dass das Schreiben wieder einmal Aufschluss gebe „über die merkwürdige Mentalität der Japaner und über die sonderbaren Verhältnisse, mit denen wir zu rechnen haben.“32 Zwei Jahre 31 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923: GR, Osaka, an Winterthur, 28. Mai 1923. 32 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Juni 1940–31. Juli 1941: Protokoll vom 22. August 1940, Brief vom 17.7.: Takashima/Takemura.
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Abb. 15 Geschäftsleitung und japanische Teilhaber der Nichizui 1922, oben von links: Mikuni, Müller, Takashima; unten v.l. Yamada, Takemura, Yashiro, Yamanaka (VA, Dossier 111: Photos Bremen, London, USA, Mexico, Brazil, Colombia, Singapore/Shanghai/Japan)
später stellte die Geschäftsleitung von Volkart fest, dass der Verwaltungsrat der Nichizui sich weigere, den Namen eines Mitarbeiters zu nennen, der Gelder unterschlagen hatte, und auch keine Anstalten machte, gerichtlich gegen diesen vorzugehen. Im Winterthurer Hauptsitz meinte man zu diesem Vorfall: „Diese Stellungnahme entspricht offenbar der – für uns unverständlichen – Mentalität der Japaner, dass in solchen Fällen die Schuldigen gewöhnlich nicht zur Rechenschaft gezogen werden.“33 Solche pauschalisierenden Äußerungen, in denen geschäftliche Schwierigkeiten mit einer kulturellen Differenz erklärt wurden, waren wohl Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit der Teilhaber. In Bezug auf die indischen Niederlassungen der Firma gab es jedenfalls keine derartigen Äußerungen. Hier hatten die Firmenbesitzer einen wesentlichen besseren Einblick in die geschäftliche Situation. Zudem verfügten sie aufgrund ihrer eigenen Ausbildung in den indischen Filialen über gute Landeskenntnisse. In Japan waren die Volkart-Teilhaber dagegen vollständig auf die Informationen angewiesen, die sie von den schweizerischen Direktoren der Nichizui erhielten. In den 1920er Jahren bestand jedoch das Problem, dass die Teilhaber dem leitenden Direktor der Nichizui nicht ver33 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. August 1941 – 4. März 1943: Konferenz vom 16. Juli 1942.
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trauten. Während seiner Inspektionsreise nach Japan 1923 war Georg Reinhart zum Schluss gekommen, dass Müller sehr fleißig sei und fließend japanisch spreche. Auch verstehe er es meisterhaft, mit den Japanern umzugehen und kenne den japanischen Charakter. „Er hätte also die besten Eigenschaften zu einem Chef der Nichizui, wenn nicht seine Aufrichtigkeit in Zweifel gezogen werden müsste und wenn nicht seine Unstetigkeit und sein spekulativer Geist Anlass zu ernsten Bedenken geben würden.“ So erfuhr Reinhart erst durch einen europäischen Angestellten, dass die Übernahme der Aktienmehrheit alles andere als störungsfrei verlaufen sei. Ein Teil der japanischen Aktionäre hatte sich damals an einer Sitzung bereit erklärt, ihre Anteile für 50 Yen an Volkart abzutreten. Dann jedoch sei Takashima, ein weiterer japanischer Teilhaber, der bis dahin offenbar an der Tür gelauscht hatte, ins Zimmer getreten und habe auf japanisch auf die anderen Aktionäre eingeredet. Die Folge davon war, dass diese nun plötzlich 55 Yen pro Aktie forderten – und schließlich auch erhielten. Die Hälfte der Differenz zum zuvor vereinbarten Kaufpreis strich Takashima ein. Müller hatte die Teilhaber von Volkart über dieses Ereignis nicht informiert.34 Ein weiterer Grund zur Sorge bestand nach Ansicht von Reinhart in den Schmiergeldzahlungen, die damals für viele Geschäfte in Japan unabdingbar waren: „Nach meinen Erkundigungen geht die Sache so vor sich, dass Herr Müller sich die betreffenden Gelder, die in die Tausende von Yen … gehen, … aushändigen lässt, dafür aber keinen Receipts oder sonst wie voucher geben will. Diese Gelder – mit Ausnahme eines einzigen Kunden, den Herr Müller persönlich schmiert – gehen von Herrn Müller an unseren Angestellten Nakagawa, der die schöne Aufgabe hat, die Beträge den betreffenden, zu schmierenden Personen in die Hand zu drücken. Nach Herrn Müllers Mitteilungen auf meine Anfrage hin versichert er, dass wir uns auf Nakagawa absolut verlassen können, trotzdem wir keine Möglichkeit haben, je eine Quittung von den Geschmierten zu bekommen.“ Ein europäischer Mitarbeiter hatte gemäß Reinhart in einem Fall festgestellt, dass Nakagawa tatsächlich kein Geld für sich selber abgezweigt habe. Ob dies jedoch die Regel darstelle, sei unklar. Und ebenso unklar sei, wie ehrlich Müller mit den von ihm verwalteten Schmiergeldern umgehe. Müller nämlich klage immer über sein tiefes Gehalt und die hohen Lebenshaltungskosten in Japan, lebe aber auf großem Fuß. Deshalb, so Reinhart, „möchten einem manchmal schon gewisse Bedenken aufsteigen, auf welche Weise Müller zu seinen Ersparnissen gekommen ist“. Vorläufig könne man sich gegen Müller „Unzukömmlichkeiten“ nur dadurch schützen, „indem wir unsere Kontrolle verschärfen, d.h. durch verschärfte Überwachung von Winterthur aus (durch Anfragen, Statements etc.)“.35
34 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923: GR, Osaka, an Winterthur, 28. Mai 1923. 35 VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923: GR, Osaka, an Winterthur, 28. Mai 1923.
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1926 wurden die Differenzen zwischen Volkart und Julius Müller derart groß, dass es zum Bruch kam. Müller trat zuerst in den Dienst von Ralli Brothers und baute für dieses Konkurrenzunternehmen von Volkart zusammen mit japanischen Teilhabern die Showa Menkwa auf, ein Importhandelshaus, welches im selben Geschäftsbereich tätig war wie die Nichizui und offenbar auch ähnlich organisiert war. 1927 gründete er ein eigenes Handelshaus, die Uebersee-Handels AG mit Niederlassungen in Japan und der Schweiz.36 Müllers Aktivitäten hatten nicht nur zu einer Entfremdung mit den Teilhabern geführt, sondern auch ein tiefes Misstrauen zwischen den indischen Filialen und der Nichizui verursacht. Dies wurde vom Winterthurer Hauptsitz mit Besorgnis konstatiert. In einem Brief von 1929 hieß es: „Wir geben zu, dass unter der Aera Jul. Müller, als dieser mit einer japanischen Aktionär-Majorität eine sehr selbstherrliche Geschäftspolitik verfolgte, eine gewisse Reserve seitens unserer indischen Filialen verständlich war; aber heute – wo die Firma 80% des Aktienkapitals der Nichizui besitzt – liegen die Verhältnisse durchaus anders.“ Den Managern der indischen Filialen wurde dabei in Erinnerung gerufen, dass die jetzigen Leiter der Nichizui schon seit langem bei Volkart tätig seien: „[S]ie haben V.B. Tradition in sich aufgenommen und fühlen sich … auch heute noch durchaus als V.B. Leute.“37 Damit die nach wie vor vorhandenen firmeninternen Ressentiments nicht zu einer Belastung für die Geschäfte wurden, musste der Hauptsitz den indischen Filialen immer wieder in Erinnerung rufen, dass die japanische Tochtergesellschaft einen integralen Bestandteil des Filialnetzes von Volkart darstellte. So hieß es in einem weiteren Brief von 1929: „Da die Firma 80% der Nichizui-Aktien besitzt, ist die Abwicklung im Osten für uns von fast ähnlichem Interesse, wie die vorläufige Erledigung in Indien. ... Wir bitten deshalb, einen Abschluss mit dem Osten immer vom Standpunkt der Gesamtfirma zu betrachten.“38 Und in einem weiteren Brief hieß es, „dass die Interessen beider Konzerne eng miteinander verknüpft sind und dass es keinen Sinn hätte, wenn ein indisches Haus zum Nachteil der Nichizui, oder umgekehrt, sich einen Vorteil verschaffen wollte. Wir müssen daher verlangen, dass alle Instanzen in Indien sich gewöhnen, die Nichizui so zu betrachten, wie wenn sie eine Filiale von V.B. wäre, während andererseits die Nichizui, und besonders deren japanische Aktionäre und Direktoren, sich klar machen müssen, dass ihre Gesellschaft von uns in erster Linie für unsere Zwecke ins Leben
36 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 358. 37 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an unsere indischen Filialen und an Osaka, Kopie an London, Hamburg, New York, 18. Juli 1929. 38 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, Kopie nach Karachi, Tuticorin, Osaka, Shanghai, 27. Juni 1929.
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gerufen wurde, und dass sie sich somit als dienendes Glied im Gesamtorganismus der Firma zu betrachten hat.“39 Tatsächlich hingen die Geschäftsresultate der indischen und der ostasiatischen Häuser eng zusammen. So wiesen die Niederlassung in Japan und China zwar häufig Verluste auf. Dadurch aber, dass sie Absatzkanäle für die von Volkart importierte Baumwolle darstellten, konnten die über sie abgewickelten Geschäfte für die Firma als Ganzes dennoch lukrativ sein. Vor allem in der Weltwirtschaftskrise wurden die hohen Fixkosten, die Volkart durch das Einkaufsnetz in Indien zu tragen hatte, zu einer großen Belastung. Die Firma hoffte, die Geschäftskosten durch vermehrte Verkäufe in Ostasien decken zu können. 1929 ließ der Hauptsitz seine Filialen in einem Brief wissen: „Wir brauchen ein grosses Geschäft nach dem Osten zur vollen Ausnützung unserer indischen Einrichtungen und als Gegengewicht gegen zeitweilige Schwankungen im Absatz nach Europa.“40 Tatsächlich stiegen ab 1929/30 die Verkaufszahlen von Volkart in Ostasien an, während der Baumwollumsatz in Europa zurückging. Dennoch blieb Europa auch in den 1930er Jahren das Hauptabsatzgebiet von Volkart für indische Baumwolle.41
Krisen und Kriege: die japanische Wirtschaft in den 1930er und 1940er Jahren In den frühen 1930er Jahren erreichte die Wirtschaftskrise auch Ostasien. Japan geriet ab 1930 in eine Rezession, China ab Ende 1932.42 Die Nichizui musste aufgrund des Konjunkturabschwunges in Japan 1929/30 auf die Zahlung einer Dividende verzichten. In der Saison 1930/31 machte die Firma trotz großer Umsätze einen Verlust beim Import von indischer Baumwolle. Dafür konnte sie in diesem Geschäftsjahr durch das Geschäft mit ägyptischer und vor allem amerikanischer Baumwolle schwarze Zahlen schreiben.43 Die Gewinne im Import von amerikanischer Baumwolle rührten vor allem daher, dass Volkart ab 1930 die Alleinvertretung der American Cotton Coopera39 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an unsere indischen Filialen und an Osaka, Kopie an London, Hamburg, New York, 18. Juli 1929. 40 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, Kopie nach Karachi, Tuticorin, Osaka, Shanghai, 27. Juni 1929. 41 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc., Cotton : EN/K, 4. Februar 1932. 42 Rothermund, Chinas verspätete Krise, 1983; Rothermund, Currencies, Taxes and Credit, 2002, S. 22; Yamamura, Then Came the Great Depression, 1998, S. 279ff. 43 VA, Dossier 14: Japan: Geschäftsbericht der Nichizui Trading Co. Ltd., Osaka, per 31. August 1931, an Bombay, Karachi, Tuticorin, Calcutta; VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 5. notes by staff members who were in Shanghai: von der Crone an Anderegg, 3. September 1978.
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tive Association für Indien und Ostasien übernehmen konnte.44 In den frühen 1920er Jahren stammten jeweils etwa zwei Drittel der in Japan versponnenen Rohbaumwolle aus Indien. Ab 1925 übertrafen die Importe von US-Baumwolle die Einfuhrmengen aus Indien.45 Die Nachfrage nach US-Baumwolle stieg in den 1930er Jahren weiter an. Während 1931 noch 177’000 Ballen amerikanische Rohbaumwolle nach Japan importiert wurden, waren es 1936 250’000 Ballen.46 Durch die Vertretung der American Cotton Cooperative Association, aber auch durch eine Kooperation mit der Winterthurer Handelsfirma Paul Reinhart & Co. für die Lieferung von ägyptischer Baumwolle konnte Volkart über die Nichizui Baumwolle aus praktisch allen wichtigen Produktionsgebieten in Japan anbieten. Angesichts der Schwäche der europäischen Wirtschaft war es für ein Handelshaus wie Volkart zentral, sich nicht mehr allein auf den Import-Export-Handel zwischen Indien und Europa zu konzentrieren, sondern zunehmend Geschäfte im globalen Maßstab abzuwickeln. In Japan profitierte die Firma zum einen davon, dass die einheimische Spinnereiindustrie in den 1920er Jahren Anstrengungen zur Verbesserung der Produktionsprozesse vorgenommen hatte. Unter anderem ging man dazu über, billige Rohbaumwolle aus Indien und Ägypten mit hochwertiger US-Baumwolle zu mischen. Dies erlaubte den japanischen Spinnereien eine breitere Produktpalette anzubieten und gleichzeitig die Kosten zu senken.47 Zum anderen zog Volkart einen Vorteil daraus, dass Japan durch die massive Aufrüstung ab 1931 und die Kriege in der Mandschurei und später in China einen regelrechten Wirtschaftsboom erlebte. Während die japanische Wirtschaft in den 1920er Jahren um gut 33% gewachsen war, wuchs sie in den 1930er Jahren um über 72%.48 Dies ließ auch die Baumwolleinfuhren ansteigen. 1936/37 kam es zu einem Rekordimport von 2,4 Millionen Ballen indischer Baumwolle nach Japan.49 In diesem Geschäftsjahr erzielt auch die Nichizui ihre größten Baumwollumsätze mit total 533’000 Ballen, die aus Indien, den USA, Ägypten, Uganda, Brasilien und China nach Japan importiert wurden.50 In den frühen 1930er Jahren begann die Nichizui auch mit dem Export von japanischen Textilien nach Argentinien, Südafrika und Australien. Dies ist ein weiterer Beleg für die Tatsache, dass der Welthandel je länger je weniger auf Europa hin ausgerichtet war. 1935 erwarb die Nichizui die Baltic Asiatic Commercial Co., die über exzellente Vertriebskanäle in Südamerika verfügte. Doch nachdem verschiedene Länder ihre Importzölle erhöht hatten, gingen die Umsätze zurück und das 44 45 46 47 48 49 50
Siehe hierzu ausführlicher den letzten Teil dieses Kapitels. Pearse, The Cotton Industry of Japan and China, 1929, S. 44. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 426. Yui, Development, Organization, and Business Strategy, 2001, S. 326. Yamamura, Then Came the Great Depression, 1998, S. 284f. Dantwala, A Hundred Years of Indian Cotton, 1947, S. 23f. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 426.
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Exportgeschäft aus Japan musste 1940 wieder aufgegeben werden.51 Die Ausfuhr von japanischen Konsumgütern ist ein Beleg dafür, dass die Nichizui auch in den 1930er Jahren ein Eigenleben führte, obwohl Volkart seit geraumer Zeit die Aktienmehrheit übernommen hatte. Die japanische Tochterfirma hatte das Exportgeschäft aufgenommen, obwohl die Teilhaber von Volkart nicht davon überzeugt waren.52 Auch in anderer Hinsicht bescherte die Nichizui dadurch, dass sie sich als eigenständiges Unternehmen und nicht als Teil der Gesamtfirma verstand, dem Stammhaus Kopfzerbrechen – und schwere Verluste. Die Leiter der Nichizui sahen ihre Aufgabe vor allem darin, einen möglichst hohen Gewinn zu machen. Da sie ihre Erträge aber in Yen machten und die japanische Währung gegenüber dem britischen Pfund – der Währung, in der Volkart für den übrigen Konzern rechnete – stark abgewertet worden war, verlor Volkart aufgrund dieser Geschäftspraxis der Nichizui-Direktoren Ende der 1930er Jahre 4 Millionen Yen. Weil für Volkart die isolierten Resultate der Nichizui weniger wichtig waren als die Resultate des Gesamtkonzerns, kam es zu einem Interessenkonflikt mit den noch verbliebenen japanischen Aktionären der Nichizui, die an einer regelmäßigen und möglichst hohen Dividende interessiert waren.53 Peter Reinhart gelangte deshalb zum Schluss, dass ein Geschäft wie dasjenige von Volkart sich nicht für die Beteiligung von fremdem Kapital eigne, „weil die Resultate naturgemaess derart stark varieren muessen, dass eine regelmaessige Dividende nur dann moeglich ist, wenn in starkem Mass stille und offene Reserven gebaut und notfalls auch wieder herbeigezogen werden. Aus Risiko- und Waehrungsgruenden ist aber oft vielleicht gerade das Gegenteil angezeigt, und dann kommen die Interessen der auf lange Sicht arbeitenden Hauptinhaber mit den auf regelmaessige Dividenden angewiesenen Outsiders in Konflikt.“54 Dies zeigt, dass Netzwerkkooperationen mit einheimischen Partnern zwar für die Aufnahme von Geschäften in einem fremden Markt äußerst leistungsfähig waren, auf lange Sicht jedoch für beträchtliche Reibungsverluste sorgen konnten. Aus diesem Grund übernahm Volkart 1939 von den japanischen Teilhabern auch noch die letzten Aktien und wurde zum alleinigen Besitzer der Nichizui.55 Ab 1939 verließen immer mehr japanische Angestellte die Nichizui. Sie fürchteten, aufgrund der zunehmenden Handelsbeschränkungen in einem ausländischen Handelskonzern keine Zukunft mehr zu haben. Zwischen 1939 und 1941 konnte die Nichizui bloß noch in reduziertem Ausmaß Geschäfte machen, da der Import 51 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 428. 52 VA, Dossier 14: Japan, Korrespondenz: Peter Reinhart, Tatuta Maru, 20. Juli 1939, an Winterthur. 53 VA, Dossier 14: Japan, Korrespondenz: Peter Reinhart, New York, an Winterthur, 25. Juni 1938. 54 VA, Dossier 14: Japan, Korrespondenz: Peter Reinhart, Tatuta Maru, 20. Juli 1939, an Winterthur. 55 VA, Dossier 14: Japan, Short note on the history of Volkart in Japan, 13. März 1986.
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nach Japan durch ein rigides Bewilligungsverfahren immer mehr eingeschränkt wurde. Nachdem Japan in den Krieg gegen die Alliierten eingetreten war, wurde der Kontakt zwischen der Nichizui und den verschiedenen Volkart-Filialen komplett abgebrochen. Die Nichizui konnte während des Krieges noch sporadische Geschäfte innerhalb des japanischen Imperiums abwickeln. So wurde sie wie andere Baumwollhandelsfirmen von der japanischen Regierung mit der Verschiffung von Garn in die Mandschurei beauftragt. Einzelne Angestellte beschäftigten sich zudem mit dem Vertrieb von japanischen Konsumgütern innerhalb des Landes, andere mit dem Unterhalt von Maschinen und der Lieferung von Ersatzteilen an japanische Fabriken.56 Dass die Nichizui während des Krieges weiterhin aktiv bleiben durfte, lag daran, dass bei ihrer Gründung 1919 die Mehrheit des Kapitals in japanischen Händen gewesen war. Die Nichizui galt deshalb als japanische Firma, auch wenn bekannt war, dass ab 1939 sämtliche Aktien in schweizerischem Besitz waren. Dieser Umstand erlaubte es der Firma nach dem Zweiten Weltkrieg auch, früher als andere ausländische Handelsfirmen wieder ins Geschäft einzusteigen. Die Nichizui gehörte im Juni 1946 zu den ersten in Japan niedergelassenen Handelsfirmen, die mit der Ablieferung von amerikanischer Baumwolle an japanische Spinnereien beauftragt wurden.57 Der Maschinenimport, vor dem Krieg einer der wichtigsten Geschäftsbereiche der Nichizui, wurde dagegen nicht wieder aufgenommen.58 Auch wenn, wie weiter oben gezeigt, der japanische Charakter der Nichizui durchaus Vorteile für das Unternehmen haben konnte, so spielten die Teilhaber doch ernsthaft mit dem Gedanken, der japanischen Tochterfirma ein stärker schweizerisches Gepräge zu verleihen. So hieß es in einem Konferenzprotokoll vom März 1945: „Der gemischt japanisch/schweizerische Charakter der Nichizui, der schon vor dem Krieg sich eigentlich nicht bewährt hat, ist heute erst recht unerwünscht und wir müssen darauf tendieren, unsere Organisation wieder ‚weiss‘ zu machen.“ Aus diesem Grund sollten unter anderem Maßnahmen ergriffen werden, damit die Geschäfte der Niederlassung in Japan „nicht irgendwie von lokalen Resultaten, sondern von der Gesamtfirma abhängig“ seien, und es sollten „die mit Japanerinnen verheirateten Europäer durch Weisse ersetzt“, und „die Europäer so bezahlt werden, dass sie mit andern Weissen – und das sind heute in erster Linie Amerikaner – verkehren können.“59 Diese Maßnahmen wurden so nie umgesetzt. Auch in den späten 1940er Jahren saßen in der vierköpfigen Geschäftsleitung neben zwei schweizerischen Managern zwei Japaner; die meisten Angestellten der Firma stammten ebenfalls aus Japan.60 Das Un56 57 58 59
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 428 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 556–559. Vgl. für den Maschinenimport nach Asien Kapitel 11. VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945 – 27. Juni 1947: Besprechung vom 2. März 1945. 60 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 561.
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behagen der Teilhaber von Volkart in Bezug auf den gemischt-nationalen Charakter der Nichizui und die Fixierung darauf, dass das Unternehmen ethnisch einheitlich sein sollte, zeigt aber eindrücklich, wie sehr das kosmopolitische Gepräge der Firma durch die politischen Verwerfungen der Zwischenkriegszeit und durch den Krieg diskreditiert worden war.
Die Gründung einer chinesischen Tochterfirma Nachdem Volkart die Niederlassung in Shanghai 1908 wegen enttäuschender Resultate geschlossen hatte, plante man 1916 eine Wiedereröffnung. Diese scheiterte aber daran, dass man kein geeignetes Personal fand.61 Nach dem Ende des Ersten Weltkrieges machte die Firma einen neuen Versuch. Die chinesische Textilindustrie hatte während des Krieges einen großen Aufschwung erfahren. 1923 gab es in China mit 3,6 Millionen Spindeln etwa viermal so viele Spindeln wie noch vor 1914.62 Dies versprach für eine auf dem Subkontinent etablierte Baumwollhandelsfirma äußerst lukrative Geschäfte, da der Großteil der in China versponnen Baumwolle aus Indien stammte.63 Nachdem Volkart aufgrund der Erfahrungen in Japan „die Nachteile und Schwierigkeiten eines Gebildes à la Nichizui mit dem unvermeidlichen und manchmal unangenehm empfundenen Einspracherecht von Drittpersonen aus Erfahrung“ kennen gelernt hatte,64 eröffnete die Firma 1921 ihre Niederlassung in Shanghai anfänglich ohne einheimische Kapitalbeteiligung. Dabei war man sich von vornherein bewusst, dass, wie es in einem Brief aus dem Hauptsitz von 1923 hieß, dieser Filiale „durch unsere Geschäftsprinzipien und Zahlungsbedingungen gewissermassen die Flügel beschnitten sein mussten und von einer vollen Ausnützung der Geschäftsmöglichkeiten in China nicht die Rede sein konnte.“65 Vor allem die Tatsache, dass die chinesischen Spinnereien die Baumwolle nicht direkt nach Erhalt bezahlten, sondern erst mit 15tägiger Verzögerung, widersprach den Geschäftsprinzipien von Volkart.66 Tatsächlich verunmöglichten es diese Prinzipien der Filiale in Shanghai, in größerem Umfang am chinesischen Baumwollgeschäft zu partizipieren, weshalb die Firma zum Schluss kam, 61 Steinmann, Seldwyla im Wunderland, 1998, S. 147. 62 Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 264. 63 So stammten etwa in der Saison 1921/22 von den 717’000 eingeführten Ballen Rohbaumwolle 151‘000 aus den USA und 565‘000 aus Indien: Pearse, The Cotton Industry of Japan and China, 1929, S. 197. 64 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 3. Correspondence: Winterthur an Bombay, 30. Juni 1921. 65 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 2. Table of Events: Winterthur an Calcutta, Kopie an alle Häuser, 5. September 1923. 66 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 3. Correspondence: Winterthur an Bombay, 30. Juni 1921.
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dass man „auf den ursprünglichen Gedanken zurückgreifen und in Shanghai eine theoretisch von unserer Firma unabhängige Gesellschaft unter Heranziehung von einheimischem Kapital … gründen“ müsste, wie dies in Osaka geschehen war.67 1924 wurde in Shanghai die Fohka, Swiss Chinese Trading Co. Ltd. gegründet, mit einem Kapital von 500’000 Shanghai Taels.68 Die Teilhaber von Volkart waren mit 300’000 Taels beteiligt; Z.K. Woo, der ehemalige Komprador von Volkart Shanghai, mit 110’000 Taels. Die restlichen Anteile wurden durch den Schweizer Manger, der die Fohka im Auftrag von Volkart leitete, sowie von zwölf chinesischen Geschäftsleuten aus Shanghai und Nanjing gehalten.69 Anders als die Nichizui, die in Osaka als japanische Gesellschaft gegründet worden war, wurde die Fohka als Gesellschaft nach schweizerischem Recht gegründet.70 Dies war möglich, da in Shanghai seit dem Ende des zweiten Opiumkriegs eine internationale Niederlassung existierte, in der die europäischen Händler unter die Gerichtsbarkeit ihres jeweiligen Heimatlandes fielen.71 Anfänglich war die Fohka vor allem gegründet worden, um Baumwollgeschäfte zwischen China, Indien, Japan, Europa und den USA abzuwickeln. Schon bald aber kamen weitere Geschäftsbereiche dazu, so etwa der Import von Farbstoffen für die chinesische Textilwirtschaft im Auftrag des schweizerischen Chemiefabrikanten Geigy, der Import von Uhren und weiteren Konsumgütern aus Europa, der Import von Kupfer aus den USA, von Kaffee und Sandelholz aus Indien und von Zucker aus Java. Darüber hinaus betätigte sich die Fohka auch als Importeur von europäischen Maschinen.72
Die Kompradoren als Verbindung zum chinesischen Inlandmarkt Nach dem Opiumkrieg waren die Chinesen durch die Kolonialmächte gezwungen worden, das Land für ausländische Kaufleute zu öffnen. Obwohl diese dadurch das Recht gehabt hätten, im ganzen Land Handel zu treiben, hielten sich die Europäer vor allem in den Küstenstädten auf und wickelten ihre Geschäfte bis in die 1920er Jahre ausschließlich über wohlhabende chinesische Mittelsleute, die so genannten 67 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 2. Table of Events: Winterthur an Calcutta, Kopie an alle Häuser, 5. September 1923. 68 Der Name war eine direkte Übernahme der in China verwendeten Bezeichnung für Volkart – Fohka –, dem so genannten hong name der Firma: V.B. News, No. 11, June 1924, S. 11. 69 BAR, E 2200.290 (Shanghai), Akz. 1, Behältnis 21, V.B.b. ancien 21, Fohka – Swiss-Chinese Trading Co., Ltd. (1924–1935): Minutes of the constituent General Meeting of the Fohka Swiss-Chinese Trading Company Limited, Shanghai, 25th February 1924. 70 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 375. 71 Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 149–53; Steinmann, Seldwyla im Wunderland, 1998, S. 12f. 72 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 375f. Vgl. für den Maschinenimport nach China Kapitel 11.
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Kompradoren ab.73 Dadurch unterschied sich die Situation in China zu Beginn des 20. Jahrhunderts grundsätzlich von derjenigen in Indien. Zwar waren westliche Kaufleute auch in Indien bis in die 1930er Jahre auf die Kooperation mit indischen Geschäftsleuten angewiesen, die als Broker oder shroffs wirkten,74 die geschäftliche Durchdringung des Subkontinents wurde ihnen jedoch durch die britische Kolonialregierung erleichtert. Diese vereinheitlichte die Währung, sorgte für die Standardisierung von Maßen und Gewichten und setzte eine auch für Westler verlässliche Gerichtsbarkeit durch.75 Darüber hinaus ermöglichte der Bau von Eisenbahnen und Telegraphenlinien den europäischen Firmen die Eröffnung von Agenturen im Landesinnern. Im Vergleich dazu war das Handelsgeschäft in China wesentlich mühsamer. Auch nachdem die koloniale Kanonenbootdiplomatie für eine Öffnung des Landes gesorgt hatte, fanden es westliche Kaufleute alles andere als einfach, mit chinesischen Kaufleuten ins Geschäft zu kommen. Als Hindernis wirkten die Sprachbarriere, die Komplexität des Geldsystems, die ungewohnten Geschäftspraktiken, die einflussreichen Handelsgilden sowie das Fehlen eines ähnlich dichten Eisenbahnnetzes wie in Indien. Deshalb waren westliche Firmen auf die Dienste der Kompradoren angewiesen. Diese gehörten zu den wohlhabendsten Kaufleuten des Landes und verschafften den Westlern Zugang zu Geschäftsbereichen, die diesen sonst verschlossen geblieben wären. Für ihre Arbeit erhielten sie ein reguläres Gehalt sowie eine Kommission von zwischen 1 und 3% der Umsätze. Die Kompradoren beaufsichtigten die chinesischen Angestellten, die sie für ihre westlichen Arbeitgeber rekrutiert hatten, mieteten Räumlichkeiten und lieferten Informationen über den chinesischen Markt. Weiter waren sie als Übersetzer tätig und als Vermittler für den Verkehr zu lokalen Geschäftsleuten und chinesischen Banken. Und schließlich waren sie für den Einkauf von chinesischen Waren und für den Absatz von Importgütern im Landesinnern zuständig, da die europäischen und amerikanischen Händler bis in die 1920er Jahre außerhalb von Vertragshäfen wie Shanghai oder Hongkong kaum geschäftlich tätig waren.76 Die Informationsasymmetrie, die sich durch die starke Position der Kompradoren ergab, war für westliche Kaufleute äußerst problematisch. Die Kompradoren nutzten ihre Position häufig zu ihrem eigenen Vorteil, etwa indem sie neben ihrer Vermittlungstätigkeit heimlich Geschäfte auf eigene Rechnung machten, und so ihre westlichen Arbeitgeber direkt konkurrenzierten. Oder indem sie von den chinesischen Kaufleuten, die mit westlichen Firmen ins Geschäft kommen wollten, ebenfalls eine Kommissionsgebühr kassierten, was letzten Endes die Waren verteuerte. Es ist denn 73 74 75 76
Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 149 und 181. Vgl. hierzu vor allem Kapitel 2, 9 und 11. Bayly, Rulers, Townsmen and Bazaars, S. 371; Benton, Law and Colonial Cultures, 2002. Hao, A “New Class”, 1970; Smith, Compradores of the Hongkong Bank, 1983; Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 187; Ray, Asian Capital, 1995, S. 485–501.
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auch nicht erstaunlich, dass für viele westliche Firmen das Chinageschäft immer wieder zu schweren Verlusten führte, während die Kompradoren in den meisten Fällen einen Gewinn erzielen konnten.77 Die westlichen Firmen hatten seit Ende des 19. Jahrhunderts immer wieder versucht, die Kompradoren zu umgehen, waren dazu aber lange Zeit nicht in der Lage. Die ersten Ausländer, die es schafften, sich ihrer Kompradoren zu entledigen, waren die Japaner. Die japanische Handelsfirma Mitsui Bussan hatte ab 1877 zuerst westliche Firmen kopiert und wie diese ebenfalls Kompradoren beschäftigt. 1891 begann sie damit, japanisches Personal zu schulen, um die Kompradoren zu ersetzen. Die Abgänger von japanischen Hochschulen wurden bei chinesischen Familien einquartiert und mussten chinesisch lernen, sie mussten ihre Haare in chinesischem Stil tragen und sollten so weit als möglich die chinesische Mentalität einnehmen, da Mitsui davon überzeugt war, dass sie nur auf diesem Weg das Vertrauen der chinesischen Kaufleute erlangen konnten. Zwischen 1898 und 1901 entließ Mitsui all seine Kompradoren und ersetzte sie durch japanische Angestellte, worauf sich die Gewinne der Firma verdreifachten.78 Eine solche Strategie konnten westliche Unternehmen aufgrund der größeren kulturellen und geographischen Distanz zu China lange Zeit nicht verfolgen. Wie alle anderen westlichen Handelshäuser konnte Volkart vor der Eröffnung der Fohka die Geschäfte in China bloß durch die Vermittlung von Kompradoren abwickeln. Als Georg Reinhart 1923 die Volkart-Filiale in Shanghai besuchte, hielt er in seinem Reisebericht erfreut fest: „Der Compradore, Mr. Woo ist ein sehr netter Mann, von feiner chinesischer Kultur. Was Anständigkeit der Gesinnung anbelangt, dürften wir wohl keine schlechten Erfahrungen mit ihm machen.“ Die Kontakte zwischen dem europäischen Management und den chinesischen Angestellten wurden dadurch erleichtert, dass sich in Shanghai ab der Jahrhundertwende eine neue chinesische Mittelschicht etablieren konnte.79 Viele ihrer Angehörigen, ebenso wie die Angehörigen der chinesischen Oberschicht, verfügten über eine westliche Bildung. Georg Reinhart beschrieb in seinem Bericht aus Shanghai einen der chinesischen Angestellten folgendermaßen: „Mister Teng ist zwergenhaft klein, hat ein von furchtbaren Pockennarben entstelltes Gesicht, ist aber ein sehr gebildeter Mann, der ein ausgezeichnetes Deutsch spricht, ohne je ausserhalb Chinas gewesen zu sein. Er war früher Sprachlehrer und ist der Mann, der unsere Baumwollcirculare ins Chinesische übersetzt. Im Büro ist er mit Korrespondenz beschäftigt.“80
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Yang, The Profitability of Anglo-Chinese Trade, 1993. Cochran, Three Roads into Shanghai‘s Market, 1992. Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 245f. VA, Rapporte von Herrn Georg Reinhart anlässlich seiner Inspektionsreise nach Indien etc. im Jahre 1923: Georg Reinhart, Shanghai, 2. Mai 1923.
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Abb. 16 Büro der Volkart-Niederlassung in Shanghai 1922 (VA, Dossier 111: Photos Bremen, London, USA, Mexico, Brazil, Colombia, Singapore/Shanghai/Japan)
Innenpolitische Wirren und der Versuch einer Expansion ins Landesinnere Mit der Eröffnung der Fohka verfolgte Volkart eine ähnliche Strategie wie andere westliche Firmen nach dem Ersten Weltkrieg. Nachdem die westlichen Kolonialmächte in Ostasien in der Zwischenkriegszeit immer mehr an Bedeutung verloren und gleichzeitig die chinesische Wirtschaft erstarkte, gingen sie mehr und mehr Joint Ventures mit chinesischen Geschäftsleuten ein.81 Tatsächlich wurden jedoch auch bei der Fohka viele Geschäfte weiterhin über den ehemaligen Komprador und jetzigen Teilhaber Woo abgewickelt. Dies sollte sich nicht zuletzt aufgrund der unsicheren innenpolitischen Lage Chinas als Problem erweisen. 1922 ging der Wirtschaftsboom zu Ende, der seit Beginn des Ersten Weltkrieges geherrscht hatte. Die Wirtschaftskrise setzte die junge chinesische Republik einer Belastungsprobe aus und verschärfte die Konflikte zwischen Provinzherrschern und der Regierung. In der Folge wurde China faktisch unregierbar. Lokale Warlords kontrollierten große Teile des Landes. Ausländische Firmen wurden erpresst. Banditenbanden, die zum Teil aus entlassenen Soldaten bestanden, überfielen Reisende oder massakrierten ganze Dörfer. Im Frühling 1923 überfielen eines Nachts 1200 Räuber den „Blauen Express“ von Pukou nach Tanjin und verschleppten 26 Ausländer in die Berge; ein Brite wurde ermor81 Osterhammel, Imperialism in Transition, 1984.
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det.82 Leicht hätte Volkart von diesem spektakulären Vorfall betroffen sein können, denn nur zwei Tage vor dem Überfall war Georg Reinhart auf seiner Chinareise mit demselben Zug unterwegs gewesen.83 Schon bald wurde klar, wie problematisch es angesichts der politisch instabilen Lage war, dass man die Geschäfte weiterhin vor allem über den ehemaligen Komprador Woo abgewickelt hatte. Die wichtige Verbindung zum chinesischen Markt wurde damit nicht durch einen europäischen Angestellten, sondern einen einheimischen Geschäftsmann mit eigenen geschäftlichen Interessen hergestellt. Das Prinzipal-Agent-Problem akzentuierte sich insofern, als Woo durch die europäischen Manager und die Teilhaber von Volkart nur ungenügend kontrolliert werden konnte. 1927 entdeckten sie, dass Woo die Firma um etwa 100’000 Taels betrogen hatte, indem er eine Baumwolllieferung nicht bezahlte, die er von der Fohka übernommen hatte.84 Dieser Betrug war eine direkte Folge der politischen Wirren. Woo war nicht in der Lage gewesen, seine Schulden zu begleichen, da er einem lokalen Warlord hatte Schutzgeld bezahlen müssen. Doch auch sonst standen die Geschäfte der Fohka unter keinem guten Stern. Aufgrund unvorsichtiger Transaktionen hatte die Firma einen Verlust von 3 Millionen Schweizer Franken erwirtschaftet. Deshalb wurde die Fohka 1927 liquidiert, und die Geschäfte in Shanghai wurden wieder über eine Filiale abgewickelt, die vollständig durch Volkart kontrolliert wurde.85 Trotz der angesprochenen politischen Wirren machte die chinesische Textilindustrie in der Zwischenkriegszeit große Fortschritte. Während 1920 noch 20 bis 25% aller Importe aus Baumwolltextilien bestanden hatten, wurde China bis 1937 zum Selbstversorger für Baumwollwaren, wobei über 40% der Textilien durch japanische Firmen produziert wurden, die sich in China niedergelassen hatten. In der Zwischenkriegszeit wuchs die gegenseitige wirtschaftliche Abhängigkeit zwischen China und Japan stärker als je zuvor in der Geschichte. Ab den 1920er Jahren war Japan Chinas wichtigster Handelspartner. Der Aufschwung der chinesischen Textilindustrie hatte auch zur Folge, dass zunehmend amerikanische Rohbaumwolle nach China importiert wurde. Zwischen den USA, China und Japan entwickelte sich ein eigentlicher Dreieckshandel. Japanische Fabriken in Shanghai, Tianjin und Qingdao erzeugten mit billigen chinesischen Arbeitskräften aus langfaseriger
82 Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 232f. 83 V.B. News, No. 9, December 1923, S. 24; Georg Reinhart. Aus meinem Leben, 1931, S. 258f. 84 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 5. Notes by Staff Members who were in Shanghai: von der Crone (1938–54 BM in Shanghai) an Anderegg, 15. August 1978. 85 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 2. Table of Events.
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Abb. 17 Personal der Fohka am 1. Februar 1926 anlässlich der Feier zum 75. Jubiläum von Volkart im Great Eastern Hotel, Shanghai. In der vordersten Reihe, 8. v.l., sitzt der Teilhaber und vormalige Komprador von Volkart, Z.K. Woo. Im Hintergrund die Schweizer Fahne und die Fahne der chinesischen Republik (VA, Dossier 111: Photos Bremen, London, USA, Mexico, Brazil, Colombia, Singapore/Shanghai/Japan)
amerikanischer Baumwolle Garn, welches wiederum in Japan zu Stoffen verarbeitet wurde.86 Wie in Japan war es für Volkart auch in China von Vorteil, dass die Firma sich in der Zwischenkriegszeit immer mehr zu einem multinationalen Handelshaus entwickelt hatte und als Agent der American Cotton Cooperative Association amerikanische Rohbaumwolle in Asien verkaufen konnte.87 Dadurch konnte Volkart nicht nur indische und – als Vertretung von Paul Reinhart & Co. – ägyptische Baumwolle in China anbieten, sondern wurde auch zu einem der wichtigsten Anbieter von USBaumwolle. Volkart konnte in der Folge der amerikanischen Handelsfirma Anderson Clayton Konkurrenz machen, die bis dahin den Verkauf von US-Baumwolle in China dominiert hatte. Mit amerikanischer Baumwolle im Angebot kam Volkart auch mit den großen chinesischen Spinnereibetrieben in Berührung, was nicht möglich gewesen war, solange die Firma bloß indische Baumwolle anzubieten hatte. Zwischen 1930 und 1934, bevor die Weltwirtschaftskrise auch China erreichte, konnte 86 Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 249; Toshiyuki, The Changing Pattern of Sino-Japanese Trade, 1998, S. 152; Yui, Development, Organization, and Business Strategy, 2001, S. 332. 87 Siehe hierzu ausführlicher den letzten Teil dieses Kapitels.
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Volkart in Shanghai lukrative Geschäfte abschließen und so die vorgängigen Verluste der Fohka wieder ausgleichen.88 1927/28 eröffnete Volkart in Tianjin eine zweite chinesische Filiale. Über diese wurde chinesische Rohbaumwolle nach Japan, den USA, Europa und Australien verkauft und indische und amerikanische Baumwolle an die nordchinesischen Spinnereien geliefert. Aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrung im Baumwollhandel und der weltweiten Firmenstruktur war Volkart fähig, dieses Geschäft ohne die Hilfe eines Kompradors durchzuführen.89 Mit dem Entscheid, das Inlandgeschäft ohne Vermittlung eines Kompradors zu betreiben, war Volkart kein Einzelfall. Auch andere westliche Handelsfirmen, so etwa das britische Handelshaus Butterfield & Swire entschlossen sich in den späten 1920er Jahren zu diesem Schritt und vollzogen damit einen strategischen Wandel, den japanische Unternehmen, wie weiter oben erwähnt, bereits Ende des 19. Jahrhunderts vollzogen hatten.90 Diese Rückwärtsintegration wurde unter anderem dadurch erleichtert, dass die chinesische Regierung den Bau von Infrastrukturanlagen vorantrieb und den Exportsektor förderte. In Nordchina hatte die Regierung seit Beginn des 20. Jahrhunderts den Ausbau der Baumwollproduktion unterstützt. Insbesondere förderte sie den Anbau von langfaserigen amerikanischen Sorten. Da die Produktionskosten in China wesentlich tiefer waren als in den USA, hoffte die Regierung, mit diesen Sorten den Import von ausländischer Baumwolle ersetzen und früher oder später mit ihnen auch auf dem Weltmarkt bestehen zu können. Nachdem anfängliche Schwierigkeiten überwunden worden waren, stieg die Produktion in Nordchina ab den 1920er Jahren stark an.91 In den frühen 1930er Jahren schickte Volkart deshalb einen schweizerischen Angestellten auf eine Inspektionsreise in den Xihe-Distrikt, um herauszufinden, ob es in Nordchina möglich sein würde, eine eigene Einkaufsorganisation mit Entkörnungsanlagen und Pressen im Landesinnern aufzubauen, ähnlich wie dies Ende des 19. Jahrhunderts in Indien geschehen war. Dieser Angestellte berichtete später, er sei der erste westliche Kaufmann gewesen, der die Baumwollanbaugebiete im Norden inspizierte. Von einer Expansion ins Landesinnere riet er dringend ab. Als Probleme, welche die großen Exporteure daran hinderten, eine eigene Einkaufsorganisation aufzubauen, nannte er die „allgemeinen Bedingungen … unter den Kapiteln Sicherheit, Militär-Besetzungen, dann Squeezes & Schikanen von Generälen und Behörden etc. … Dazu kommen noch die Risiken des Transports zum Hafen, darunter squeezes bei Fluss/Kanalabgaben, Scherereien beim Testing Haus, alles Dinge, wo sich der Chinese, wenn nötig, durch 88 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 430f.; Steinmann, Seldwyla im Wunderland, 1998, S. 146. 89 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 5. Notes by Staff members who were in Shanghai: Wolfgang Hegar an Anderegg, 21 Dezember 1975; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 433. 90 Vgl. hierzu Sugiyama, Marketing and Competition in China, 2001, S. 153f. 91 Pomeranz, Making of a Hinterland, 1993, S. 72–82; Grove, International Trade, 2001, S. 101f.
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Schmieren schadlos halten kann.“ Aufgrund all dieser Schwierigkeiten würde es für ausländische Exportfirmen noch auf mehrere Jahre hinaus am sichersten sein, Baumwolle an der Küste in Tianjin zu erwerben.92 1936 begann Volkart aber dennoch damit, eine Inland-Einkaufsorganisation in Nordchina aufzubauen, um langstapelige chinesische Baumwolle für die Spinnereien in Shanghai einzukaufen. Einer der wichtigsten Gründe dafür war die riesige chinesische Baumwollernte der Saison 1935/36. Durch sie konnte die einheimische Baumwolle in Shanghai der aus dem Ausland eingeführten Baumwolle Konkurrenz machen. Dass Volkart die Eröffnung der Einkaufsagenturen bereits seit längerem ins Auge gefasst hatte, zeigt sich daran, dass ein Schweizer Angestellter zuvor während einiger Jahre chinesischen Sprachunterricht genossen hatte, um sich ohne Übersetzer mit einheimischen Händlern und Beamten unterhalten zu können. Die Firma wollte der instabilen innenpolitischen Lage also durch eine geschäftliche Rückwärtsintegration begegnen. Doch dieser Plan scheiterte an der geopolitischen Entwicklung. Mit der japanischen Invasion 1937 kam das Baumwollgeschäft in China vollständig zum Stillstand. Im Oktober 1938 verhängte Japan ein Exportembargo für chinesische Baumwolle. Deren Ausfuhr war von nun an nur noch nach Japan gestattet. Die Einkaufsagenturen von Volkart Shanghai wurden deshalb nach einer einzigen Saison wieder geschlossen.93
Japanische Besetzung und kommunistische Machtübernahme Die Geschäfte von Volkart Shanghai hatten ab 1934 unter den zunehmenden Spannungen zwischen China und Japan sowie den Auswirkungen der Wirtschaftskrise gelitten. Aus diesen Gründen schaffte es die Filiale bis 1937 gerade noch, die eigenen Fixkosten zu decken. Durch den Angriff der japanischen Truppen wurden verschiedene Baumwolllager von Volkart zerstört, wodurch der Firma ein Verlust von über 400’000 Franken entstand.94 Trotz der japanischen Besetzung machte Volkart Shanghai in den Jahren 1939 und 1940 Umsätze in Rekordhöhe. Nach dem Einmarsch von japanischen Truppen in Indochina im September 1940 tätigten die Spinnereien in China große Baumwolleinkäufe, da man bei einem allfälligen Pazifikkrieg Lieferengpässe befürchtete. Volkart konnte große Umsätze zu hohen Preisen tätigen und verkaufte neben indischer und amerikanischer Baumwolle auch umfangreiche Pos92 VA, Dossier 15 A: Shanghai Informationen-Buch, S. 96: Tientsin an Winterthur, 15. Oktober 1933. 93 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 5. Notes by Staff Members who were in Shanghai: von der Crone an Anderegg, 3. September 1978; Werner Müller an Anderegg, 10. April 1978. 94 BAR, E 2200.290 (Shanghai), Akz. 1 Behältnis 108, XX.E.13.4: Réparation des dommages de Guerre: Volkart Brothers (1937–1946); Anderegg, Chronicle, 1976, S. 435.
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ten brasilianischer Baumwolle. Bestellungen erfolgten unter anderem durch die japanisch dominierte Regierung Nordchinas in Beijing. Als Verbindungsmann zwischen Volkart und den japanischen Spinnereien diente dabei ein japanischer Angestellter der Nichizui, der in China stationiert worden war. Die Nichizui hatte auch eigene Einkaufsagenturen für Baumwolle in Nordchina eröffnet. Genauere Einzelheiten über deren Tätigkeit sind jedoch nicht überliefert.95 Nach Ende der Kriegshandlungen begannen die Geschäfte, die zwischen 1941 und 1945 mehr oder weniger darniedergelegen waren, wieder anzuziehen. Da die chinesischen Spinnereien kaum mehr über finanzielle Mittel verfügten, kamen ihnen die großen Verschiffer, allen voran Volkart und Anderson Clayton, mit Zahlungsbedingungen entgegen. In vielen Fällen waren sie bereit, den Spinnereien eine Zahlungsfrist von bis zu 90 Tagen nach Erhalt der Baumwolle zu gewähren. Volkart Shanghai konnte dadurch in der Saison 1945/46 116’000 Ballen Baumwolle absetzen, was über 11% aller privaten Baumwollimporte nach China bedeutete. Darüber hinaus begann Volkart Shanghai auch wieder mit dem Import von Nahrungsmitteln, Chemikalien und Wolle und vertrat, wie vor dem Krieg, verschiedene schweizerische Maschinenbaufirmen in China.96 Da es der Filiale auch gelungen war, die zahlreichen Währungsschwankungen zu ihrem Vorteil auszunützen, konnte sie 1945/46 das beste Geschäftsergebnis ihrer Geschichte erzielen.97 Wie optimistisch man damals – trotz der zahlreichen Schwierigkeiten wie Inflation, Währungsschwankungen und Korruption – die zukünftigen Geschäftsmöglichkeiten in China einschätzte, zeigt ein Zitat aus dem Geschäftsbericht 1945/46 von Volkart Shanghai. Darin hieß es: „China undoubtedly will be one of the biggest markets for the next decade for all sorts of goods and raw materials, but very especially for machinery and railway material.“98 Nach der kommunistischen Machtübernahme wurden die Geschäfte westlicher Firmen in China jedoch zunehmend schwierig. Der Import von Rohbaumwolle war ab 1949 nur noch gestattet, wenn im Gegenzug Garn und Textilien aus China ausgeführt wurden. Nach dem Ausbruch des Koreakrieges und dem Embargo gegen China kam das Baumwollgeschäft sowie der Maschinenimport zum Stillstand. Volkart beschloss deshalb 1952, die Filiale in Shanghai aufzugeben. Dies wurde der Firma durch die chinesische Regierung erst gestattet, nachdem sie sich bereit erklärt hatte, ihren chinesischen Angestellten eine großzügige Abfindung zu bezahlen. Zudem wurde dem ehemaligen Leiter von Volkart Schanghai die Ausreise erst erlaubt, nachdem er 95 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 5. Notes by Staff Members who were in Shanghai: von der Crone an Anderegg, 3. September 1978; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 491f. 96 Vgl. hierfür Kapitel 11. 97 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 2. Table of Events; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 550ff. 98 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 3. Correspondence: Balance Sheet Report – Season 1945/1946, Shanghai an Winterthur, 5. Oktober 1946.
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bereit war, eine Strafsteuer für angeblich unerlaubte Währungsgeschäfte von etwa 100’000 Franken zu bezahlen.99 Tatsächlich hatte Volkart nach Ende des Krieges verschiedene illegale Währungstransaktionen durchgeführt. So gelang es der Firma, die Hälfte des Rekordgewinns von 1945/46 steuerfrei in die Schweiz zu schicken. Und auch in den folgenden Jahren konnte die Firma durch Währungsoperationen auf dem Schwarzmarkt Profite erzielen und etwa 120’000 Franken steuerfrei in die Schweiz transferieren. Für diese Operationen hatte Volkart Shanghai eine separate Buchhaltung, die rechtzeitig vernichtet worden war. Der ehemalige Leiter der Filiale meinte denn auch in einem Brief aus dem Jahr 1978, es sei eine weise Entscheidung der Teilhaber gewesen, nach der Liquidation der Fohka weiterhin eine Niederlassung in China zu führen. Durch diese habe Volkart „über die 25 Jahre viele Millionen verdient.“100
Expansion in die USA Die Intensivierung der Geschäfte in Ostasien nach 1918 wäre unmöglich gewesen, wenn Volkart nicht gleichzeitig auch in die USA expandiert hätte, denn sowohl in China wie in Japan verlangten die Spinnereien zunehmend nach langstapeliger amerikanischer Baumwolle. Volkart war seit den späten 1880ern Jahren durch die Firma John W. Greene & Co. und verschiedene andere amerikanische Handelsfirmen in den USA vertreten. Mit dieser Lösung waren die Teilhaber aber nicht wirklich zufrieden, da Volkart damit ausgerechnet in den USA, die der größte Baumwollproduzent und ab Ende des 19. Jahrhunderts auch die weltweit führende Industrienation war, keine eigene Niederlassung besaß.101 Nach Ende des Ersten Weltkrieges unternahm die Firma einen erneuten Versuch, die zunehmenden Geschäfte über eine eigene Filiale abzuwickeln. 1920 wurde eine Niederlassung in New York eröffnet. Diese diente nicht nur dem Einkauf von amerikanischer Baumwolle und als Informationsquelle über die Entwicklung der amerikanischen Baumwollwirtschaft, sondern sie sollte auch für die Niederlassungen in Osaka und Shanghai Termingeschäfte an der New Yorker Baumwollbörse tätigen und so die Risiken des ostasiatischen Baumwollgeschäftes absichern helfen. Der Import von Leder und Gewürzen aus Indien wurde weiterhin über Verkaufsagenten in New
99 VA, Dossier 15, The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), Mappe: Labour Settlement 1953; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 553f. 100 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 5. Notes by Staff Members who were in Shanghai: von der Crone an Anderegg, 3 September 1978. 101 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA, 2. Table of Events V.B. Inc.
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York und Boston vorgenommen.102 Die Tatsache, dass Volkart New York zu Beginn vor allem Termingeschäfte für die Niederlassungen in Ostasien tätigen sollte, zeigt, wie stark die Eröffnung einer eigenen Filiale in den USA mit der Verstärkung des Engagements in Ostasien zusammenhing. Dies ist ein Hinweis darauf, wie sehr die Firma Volkart ihre auf drei Kontinente verstreuten Filialen als Einheit begriff, in der die einzelnen Zweighäuser Organe darstellten, „die sich in ihrem Dasein und ihrer Betätigung ergänzen, die auf einander angewiesen sind“, wie es 1933 in einem Brief aus dem Hauptsitz formuliert wurde.103 1922 wurde die Volkart-Filiale in eine neue Firma umgewandelt, die unter amerikanischem Recht gegründet worden war. Diese Neugründung war aus Steuergründen nötig geworden. Wie die amerikanischen Anwälte der Firma den Teilhabern erklärten, könnten sich die US-Steuerbehörden auf den Standpunkt stellen, dass Volkart als Gesamtfirma in den USA tätig sei, wenn Volkart dort über eine firmeneigene Agentur vertreten sei. In diesem Fall müsste nicht nur die New Yorker Agentur ihre Einkünfte in den USA versteuern, sondern die amerikanischen Behörden könnten darüber hinaus von den Teilhabern verlangen, die Gesamteinkünfte der Firma offen zu legen, damit die Steuerbehörde eruieren könnte, welcher Anteil davon in den USA erwirtschaftet worden war. Um dies zu verhindern, wurde die Volkart Brothers Inc. ins Leben gerufen. Diese übernahm als formal eigenständige Firma die Geschäfte der bisherigen Volkart-Filiale. Ihre Aktien wurden jedoch vollständig von den Teilhabern von Volkart gehalten.104 Doch dieser Expansionsschritt zog neue Probleme nach sich. In der Folge kam es immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten zwischen der Tochterfirma in New York und den Filialen in Indien über die Höhe der Kommissionen.105 Ähnliche Probleme waren fast gleichzeitig auch im Verkehr zwischen den indischen Filialen und der Nichizui aufgetreten.106 Einer der Hauptgründe lag darin, dass die Leiter der einzelnen Filialen und Tochtergesellschaften am Gewinn beteiligt waren und deshalb vor allem auf ein möglichst gutes Resultat ihrer Niederlassung aus waren. Die Teilhaber von Volkart dagegen waren an einem reibungsfreien Geschäftsverkehr zwischen 102 V.B. News, No. 1, November 1920, S. 18; VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/ Costa Rica, Turkey, I. USA, 2. Table of Events V.B. Inc. 103 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Osaka und Shanghai, Kopie nach Bombay, Karachi, Tuticorin, New York, 7. November 1933. 104 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA, 1. VB Inc. New York – 1922: Parker, Marshall, Miller & Auchincloss, New York, an Messrs. Volkart Bros., New York, 23. Januar 1922. 105 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, II. New York, 4. Correspondence: Winterthur an alle Häuser, 3. Mai 1928. 106 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, Kopie nach Karachi, Tuticorin, Osaka, Shanghai, 27. Juni 1929; Winterthur an unsere indischen Filialen und an Osaka, Kopie an London, Hamburg, New York, 18. Juli 1929.
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den einzelnen Niederlassungen und einem möglichst guten Resultat der gesamten Organisation interessiert. In einem Brief an die verschiedenen Filialen und Tochterfirmen von 1928 hielten sie deshalb fest, zwischen der Volkart Brothers Inc. und dem Rest der Firma herrsche eine „Schicksalsverbundenheit“ und der Vorteil einer eigenen Tochtergesellschaft in New York liege darin, dass diese „die Bearbeitung und Vermittlung des amerikanischen Geschäftes … mit grösserem Eifer und Interesse“ durchführe, als dies ein fremder Agent tun würde. „Dieser Vorteil sollte zum mindesten das wert sein, was eine fremde Firma für die Dienstvermittlung beanspruchen würde. Vor Augen zu halten ist, dass jede Kommission, die ein indisches Haus an V.B. Inc. New York bezahlt, der Firma als ganzem vollständig erhalten bleibt.“ Deshalb solle die Kommissionenfrage „stets im Geiste der Billigkeit und Gerechtigkeit gegenüber allen Beteiligten geregelt werden.“ Zudem sei es nötig, dass die Tochtergesellschaft in New York eine angemessene Entschädigung für ihre Arbeit erhalte, da man „diesen bona fide Verdienstausweis schon aus steuerrechtlichen Gründen“ benötige, „um der Behörde gegenüber den Charakter einer von unserer Firma unabhängigen Korporation zu beweisen.“107 Zwischen interner Organisation der Firma und der Art, wie man sich gegenüber den Behörden präsentierte, bestand also ein gewisser Widerspruch. In der internen Kommunikation bestanden die Teilhaber von Volkart auf der Einheit der Firmenorganisation, und sie versuchten die unterschiedlichen Interessen der Leiter der einzelnen Niederlassungen, die wiederum als firmeninterne Transaktionskosten aufgefasst werden können, so weit als möglich zu minimieren. Gegenüber den amerikanischen Behörden musste man jedoch aus steuerlichen Gründen den Anschein aufrecht erhalten, dass die Volkart Brothers Inc. und der Rest der Firma getrennte Organisationen seien. Zu Beginn tätigte Volkart über die neu gegründete Niederlassung in New York kaum Exporte von amerikanischer Baumwolle. Dies, obwohl die USA der größte Baumwollproduzent der Welt waren. Auf den Vorschlag der Tochterfirma in Bremen, ins amerikanische Baumwollgeschäft einzusteigen, antwortete der Winterthurer Hauptsitz 1922, dass man für diesen Geschäftszweig nichts übrig habe: „Wir wissen, wie riesig die Konkurrenz ist in Amerika und mit welchen Kunststücken die amerikanischen Grosshäuser arbeiten müssen, um sich über Wasser zu halten.“ Um im amerikanischen Baumwollgeschäft Erfolg zu haben, brauche man eine ähnliche Einkaufsorganisation wie in Indien, denn „[w]enn wir … nur von anderen Abladern kaufen, so fehlt uns jede Grundlage für die Etablierung einer Marke V.B., die von gewissen Abnehmern extra gut bezahlt würde, … und wir gehen von vornherein des sogenannten shipper’s profit verlustig.“ Zwar war man überzeugt, dass Volkart auch in amerikanischer Baumwolle mit der Zeit eine Organisation aufbauen könnte, die sich sehen lassen dürfte, aber, so die Verantwortlichen der Firma, „wir fühlen kein Bedürf107 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, II. New York, 4. Correspondence: Winterthur an alle Häuser, 3. Mai 1928.
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nis dafür. … Wir fühlen uns nicht berufen, die ganze Welt zu überrennen in jugendlichem Tatendrang. Wir haben übrig genug, unsere indische Organisation auszubauen und lebensfähig zu erhalten. In einem Momente, wo grosse amerikanische Häuser … teils ihre Establishments schliessen müssen im Süden, ihnen alle ihre lange Erfahrung nichts genützt hat gegen die Tücken des Schicksals, wo andere wieder schwer bluten müssen und in aller Leute Munde sind, … wollen wir bei unserem Leisten bleiben und das richtig betreiben, was wir verstehen, wofür wir eine lange Erfahrung haben, an dessen Organisation wir eine Masse Geld schon ausgegeben haben.“108 1927 erwog man zwar, einen Einkaufsagenten in die Südstaaten zu beordern, um dort für die asiatischen Niederlassungen und für Volkart Bremen Baumwolle aufzukaufen. Die Verantwortlichen der Firma hielten dabei jedoch fest, „dass der verschiedentlich betonte Grundsatz, wonach wir als Firma keineswegs als Verschiffer von Amerikanischer Baumwolle auftreten wollen, durch Obiges nicht geändert wird.“109 Entgegen dieser Absichtserklärung begann die Firma in den späten 1920er Jahren jedoch mit dem Export von amerikanischer Baumwolle nach Europa und Asien. Dabei kaufte sie die Baumwolle von verschiedenen amerikanischen Zwischenhändlern auf, die für die Qualität der gelieferten Ware garantieren mussten. Die Resultate waren jedoch miserabel. Aufgrund der großen Konkurrenz war man gezwungen, von kleineren Anbietern zu kaufen, die oft nur qualitativ minderwertige Ware lieferten. Volkart musste deshalb den Spinnereien immer wieder Entschädigungen zahlen und es bestand die Gefahr, dass die Firma so ihren hervorragenden Ruf verspielen könnte, den sie sich durch ihre indischen Baumwolllieferungen erworben hatte.110
Der Einstieg ins amerikanische Baumwollgeschäft 1930 wurde Volkart auf einen Schlag zu einem der größten Exporteure von amerikanischer Baumwolle. Es gelang der Firma, sich für Asien die Alleinvertretung der kurz zuvor gegründeten American Cotton Cooperative Association (ACCA) zu sichern. Die ACCA sollte zum einen im Auftrag der verschiedenen regionalen Baumwollkooperativen, die wiederum durch die US-Regierung subventioniert wurden, Baumwolle an die amerikanischen Spinnereien verkaufen. Dadurch sollte der inneramerikanische Zwischenhandel umgangen werden. Zum anderen sollte die ACCA den Export von amerikanischer Baumwolle vornehmen, indem sie international tätige 108 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, Bremen (incl. Hamburg office), 3. Correspondence: Winterthur an Bremen, 9. Juni 1922. 109 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen, Bremen (incl. Hamburg office), 3. Correspondence: Winterthur an Bombay, 20. Juli 1927. 110 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950, „Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes“.
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Handelsfirmen als Agenten benutzte oder direkt an Importeure oder Spinnereien in den jeweiligen Verbraucherländern verkaufte. Da die Baumwollkooperativen in den 1930er Jahren etwa 10% der US-Baumwollernte produzierten, wurde die ACCA zu einer der wichtigsten Vertriebskanäle für amerikanische Baumwolle.111 Volkart konnte die Vertretung der ACCA übernehmen, da die Firma in Indien, China und Japan über eine leistungsfähige Verkaufsorganisation verfügte. Außerdem profitierte man davon, eine eigene Tochtergesellschaft in den USA zu haben. Der Leiter der Volkart Brothers Inc. war noch am Tag der Gründung der ACCA von New York nach New Orleans geflogen, wo das Hauptquartier der ACCA lag, und hatte Volkart die exklusiven Absatzrechte für die ACCA-Baumwolle in China, Japan und Indien gesichert. Ein kurz zuvor abgeschlossener Vertretungsvertrag zwischen Volkart Shanghai und der amerikanischen Baumwollhandelsfirma McFadden für den Vertrieb von amerikanischer Baumwolle in China musste dagegen gekündigt werden, bevor ein einziges Geschäft gemacht worden war. „Für die ACCA war das Zusammenarbeiten mit uns insofern interessant“, meinte Peter Reinhart in einer 1950 verfassten Notiz, „als wir uns bereit erklärten, … die Baumwolle cash in New York zu bezahlen, sodass sie sich um die unendlichen Probleme des Ostasien-Geschäftes überhaupt nicht kümmern musste. Für uns hiess die neue Abmachung, dass wir mit einem Schlag in ganz grossem Stil ins amerikanische Baumwollgeschäft hineinkamen; denn wie es sich bald herausstellte, wurde die ACCA sozusagen von Anfang an einer der wichtigsten Faktoren im amerikanischen Baumwollgeschäft. Ihre Umsätze konnten sich ohne weiteres mit denen von Anderson Clayton vergleichen.“112 Das Geschäft entwickelte sich außerordentlich gut, da die Spinnereien in Indien, Japan und vor allem China stark an amerikanischer Baumwolle interessiert waren. Bereits nach zweieinhalb Jahren hatte Volkart eine Million Ballen für die ACCA in Asien abgesetzt. Die ACCA war dabei bloß an Geschäften interessiert, die mehr als 1000 Ballen umfassten. Der Leiter von Volkart-Shanghai orderte deshalb jeweils ganze Dampferladungen von amerikanischer Baumwolle und verkaufte diese, noch bevor der Dampfer in Shanghai anlegte. Daraufhin telegraphierte er der ACCA, dass er eine zweite Schiffsladung bestellen würde, falls die ACCA einen günstigeren Preis offerieren könnte. Die ACCA war derart erfreut über die großen Umsätze, dass sie sofort zustimmte. Auf diese Weise tätigte Volkart in der zweiten Hälfte der 1930er Jahre durch den Import der amerikanischen und der nach wie vor gelieferten indischen Baumwolle etwa einen Viertel aller Baumwolleinfuhren nach China. Auch in Japan machte man ausgezeichnete Geschäfte. Neben den Verkäufen an japanische Spinnereien über die Nichizui konnte Volkart nun auch an große japanische 111 Garside, Cotton Goes to Market, 1935, S. 289–302. 112 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950, „Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes“.
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Baumwollimportfirmen liefern. Dies erlaubte zwar höchstens eine Marge von 5%, war aber insofern risikolos, als die japanischen Handelsfirmen keinen Zahlungsaufschub verlangten, sondern die Baumwolle zum Zeitpunkt des Eintreffens in Japan bezahlten. Da Volkart nun auch amerikanische Baumwolle offerieren konnte, kam die Firma mit Kunden in Kontakt, zu denen man zuvor als bloßer Lieferant von indischer Baumwolle keine Verbindung hatte herstellen können. Da die ACCA mit der Zusammenarbeit mit Volkart im Asiengeschäft sehr zufrieden war, konnte Volkart ab 1933 auch die Vertretung für Deutschland, Polen, die Tschechoslowakei und die Schweiz übernehmen.113 Noch 1930 hatte sich Georg Reinhart gegen die Aufnahme des Exportgeschäftes von amerikanischer Baumwolle nach Europa gewehrt, da er sich aufgrund der großen Verluste, die durch die massive Expansion der Firma in der Zwischenkriegszeit und den Einbruch des Rohstoffhandels nach 1924 entstanden waren, vorerst keine weitere Ausweitung des Geschäftsfeldes wünschte.114 Angesichts der guten Resultate, die die Zusammenarbeit mit der ACCA in Asien tätigte, scheint er allerdings die diesbezüglichen Vorbehalte aufgegeben zu haben. Das Geschäft in Europa wurde aber durch Devisenschwierigkeiten stark erschwert. Deshalb war der Erfolg in Europa bei weitem nicht so groß wie derjenige in Asien.115 Volkart gelang der Einstieg ins amerikanische Baumwollgeschäft somit nicht durch eine Rückwärtsintegration und den Aufbau einer eigenen Einkaufsorganisation, sondern über das Knüpfen eines intra-organisationalen Netzwerkes. Doch wie schon bei der Zusammenarbeit mit japanischen und chinesischen Kaufleuten anlässlich der Gründung der Tochterfirmen in Ostasien brachte auch die Kooperation mit der ACCA einige Probleme mit sich. Die durch die ACCA bereit gestellte amerikanische Baumwolle stellte eine direkte Konkurrenz der von Volkart vertriebenen indischen Baumwolle dar. So erinnerte der Volkart-Hauptsitz die Niederlassungen in Osaka und Shanghai 1933 daran, das sie im Wesentlichen als Absatzkanäle für die über die Einkaufsorganisation in Indien erworbene Baumwolle gegründet worden waren. Wenn also die Wahl bestehe zwischen dem Einkauf von indischer und von amerikanischer Baumwolle, dann dürfe der Entscheid nicht nur durch die erwarteten Gewinne vor Ort beeinflusst werden, sondern vom Gedanken, dass „der grösste Nutzen des Gesamtorganismus das Kriterium des Handelns in jedem Teil der Organisation sein muss. So ist ein Geschäft in indischer Baumwolle, welches auf dem Papier im Osten dasselbe Mass von Vorteil oder Risiko bedeutet wie ein gegebenes Geschäft 113 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950, „Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes“. 114 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Abbau-Massnahmen Import/Engineering: Memorandum von GR an WR und an E. Neuenhofer, 24.10.1930. 115 VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.), 2. Table of Events.
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in Amerikanischer, für die Gesamtfirma ein besseres Geschäft, weil es einen Arbeitsgewinn für die indischen Häuser … darstellt.“116
Gestiegene Bedeutung von Börsengeschäften Die Niederlassung in New York war während der 1930er Jahre vor allem als Verbindungsglied zwischen der ACCA und den Verkaufsbüros von Volkart in Asien und Europa tätig. Darüber hinaus begann die Volkart Brothers Inc. mit der Einfuhr von indischer und chinesischer Baumwolle und importiert ab 1933 auch ägyptische Baumwolle, die man in Alexandria von der dortigen Niederlassung der Winterthurer Handelsfirma Paul Reinhart & Co. erwarb. Außerdem wurden weiterhin verschiedene indische Rohstoffe in die USA eingeführt und es wurden amerikanische Maschinen und Konsumgüter nach Indien exportiert, wo sie von Volkart vertrieben wurden.117 Schließlich führte die Tochterfirma von Volkart auch Termingeschäfte an der New Yorker Baumwollbörse durch, um die Baumwollgeschäfte der Firma gegen Preisveränderungen abzusichern.118 1931 wurde beschlossen, diese Börsengeschäfte über eine neu gegründete Firma abzuwickeln, die Volkart Brothers Clearing Co. Da nur Mitglieder an den Börsen tätig sein durften,119 erwarb die neue Firma einen Sitz in der New Yorker Baumwollbörse und weitere Sitze in verschiedenen Warenterminbörsen in New York, New Orleans und Chicago. Die Clearing Co. führte nicht nur Termingeschäfte zur Absicherung der Baumwollgeschäfte von Volkart durch, sondern begann auch damit, sich für andere Kaufleute an den amerikanischen Warenbörsen zu betätigen. Sie führte unter anderem umfangreiche Börsentransaktionen für Baumwoll- und Kaffeehandelsfirmen aus Brasilien durch. Daneben spielten Gegengeschäfte eine große Rolle. Volkart erklärte sich bereit, über Kaufleute in Liverpool und Bombay Geschäfte an den dortigen Börsen zu tätigen, wenn die betreffenden Kaufleute dafür im Gegenzug Börsenoperationen in den USA über die Volkart Clearing Co. durchführten.120 Dies lohnte sich, da an den verschiedenen Börsen das Verhältnis zwischen dem Preis der Terminkontrakte und dem Preis der entsprechenden Baumwollsorten leicht unterschiedlich war. Es konnte sich also lohnen, einen Terminkontrakt für indische Baumwolle in Bombay aufzulösen und dafür einen für amerikanische Baumwolle in New York abzuschließen, wenn der relative Preis von amerikanischen Futures in New York 116 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Osaka und Shanghai, Kopie nach Bombay, Karachi, Tuticorin, New York, 7. November 1933. 117 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 442. 118 Vgl. zur Bedeutung von Termingeschäften für den Rohstoffhandel ausführlicher Kapitel 3. 119 Garside, Cotton Goes to Market, 1935, S. 138f. 120 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA, VB Clearing Co., N.Y. – 1931; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 446f.
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tiefer lag als der von indischen Futures in Bombay. Nicht nur zwischen den relativen Preisen einzelner Baumwollsorten bestand also ein innerer Zusammenhang, sondern auch zwischen denjenigen, die an einzelnen Börsen für Terminkontrakte bezahlt wurden.121 Um von den entsprechenden Preisdifferenzen profitieren zu können, eröffnete Volkart 1938/39 in der Filiale in Bombay eine eigene Abteilung für die Abwicklung von Börsengeschäften.122 Dies zeigt, dass die Termingeschäfte an den Warenbörsen gerade in der Zwischenkriegszeit immer ausgefeilter geworden waren und mehr und mehr zu einem substanziellen Teil der Operationen einer Handelsfirma wurden. Noch einige Jahre zuvor hatte die Firmenleitung von Volkart Börsengeschäfte strikte abgelehnt, wenn diese nicht der Absicherung von Geschäften mit physischer Baumwolle dienten. Sie konnte aber nicht verhindern, dass einzelne Filialen immer wieder derartige Börsenoperationen tätigten. 1932 etwa hatte die Volkartfiliale in Bombay hohe Verluste durch Spekulationen an der Börse gemacht. Die Verantwortlichen im Winterthurer Hauptsitz sahen sich dadurch in ihrer Ansicht bestätigt, dass „spekulative Unternehmungen als solche eine viel geringere Aussicht auf Gewinn als auf Verlust haben“ und sie verlangten deshalb, dass „spekulative Unternehmungen … als solche, d.h. losgelöst von der Transaktion in effektiver Ware, überhaupt aus unserem Kodex ausgemerzt“ werden sollten. Ganz im Geist der klassischen Kaufmannstätigkeit war man überzeugt, es gebe nur „ein sicheres Mittel, den Umsatz und damit den Gewinn zu steigern, und das ist die sorgfältige Durcharbeitung des Marktes auf beiden Seiten nach Geschäftschancen im rein tatsächlichen Sinne des günstigen Einkaufs und des Verkaufs.“123 Die Aufnahme von Börsengeschäften im großen Stil war damit weit mehr als bloß die Ausweitung des bisherigen Geschäftsfeldes. Indem Operationen, die zuvor als reine Spekulation abgetan wurden, nun als legitime kaufmännische Tätigkeit verstanden wurden, erfolgte bei Volkart in dieser Zeit ein grundlegendes Umdenken in Bezug auf den Inhalt des Handelsgeschäftes.124
Staatliche Großaufträge und multinationale Handelshäuser Die Weltwirtschaft der 1930er Jahre war geprägt durch ein Primat der nationalstaatlichen Politik über die ökonomische Interaktion. Nach Einsetzen der Wirtschaftskrise wurden Warenaustausch und Kapitalverkehr engen politischen Vorgaben 121 Garside, Cotton Goes to Market, 1935, S. 314. 122 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 395. 123 VA, Dossier 59: PR-Privatarchiv: Notizen / Briefe / Personelles etc., Cotton: Winterthur an Bombay, 22. März 1932. 124 Urs Stäheli ist deshalb der Ansicht, dass bei Spekulationsdiskursen immer auch um die Grenze zwischen Ökonomie und ihrem Außen gerungen wird und dass der Börsenspekulant die ambivalente Verkörperung des Homo oeconomicus darstelle: Stäheli, Spektakuläre Spekulation, 2007.
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unterworfen. Das gilt für den auf die Belebung des Binnenmarktes konzipierten amerikanischen New Deal ebenso wie für die deutsche und japanische Politik der Konjunkturbelebung durch militärische Aufrüstung.125 Diese Entwicklung war für eine international tätige Handelsfirma nicht unproblematisch, da politische Interventionen von nationalen Regierungen in der Regel grenzüberschreitende Geschäfte erschwerten und im Extremfall sogar verunmöglichten, wie Volkart und andere Firmen während des Ersten Weltkrieges hatten erfahren müssen.126 Doch die Politisierung des Welthandels konnte für ein Großunternehmen wie Volkart auch Vorteile haben, da es so zu umfangreichen Staatsaufträgen kam. Volkart profitierte nicht nur davon, dass die amerikanische Regierung über die ACCA den Baumwollexport subventionierte, sondern konnte auch einen Nutzen daraus ziehen, dass die amerikanische Regierung im Herbst 1932 einen Kredit von 40 Millionen Dollar für den Export von amerikanischer Baumwolle nach China bereitstellte.127 Die US-Regierung, die unter starkem innenpolitischen Druck der Baumwollfarmer stand, hoffte mit dieser Maßnahme, die amerikanischen Baumwollüberschüsse absetzen und die Baumwollpreise durch eine Stimulierung der Nachfrage stabilisieren zu können. Außerdem sollte durch die Lieferung auch der japanische Einfluss in Ostasien geschwächt werden. Der Kredit war zustande gekommen, weil Rong Zongjing, der Leiter der größten chinesischen Baumwollspinnerei Shenxin Textile Mills, der chinesischen Regierung hatte glaubhaft machen können, dass die japanische Invasion in der Mandschurei den Nachschub gestört habe, und dass es deshalb in China schon bald zu einer Baumwollknappheit kommen würde. Rong gab dabei an, dass allein seine Spinnereien pro Jahr 600’000 Ballen verbrauchten. Dies war jedoch weit übertreiben: alle Spinnereien in Shanghai verbrauchten zu dieser Zeit maximal 300’000 Ballen US-Baumwolle pro Jahr. Rongs Intervention rührte wohl vor allem daher, dass er hoffte, der US-Baumwollkredit würde in China zu einer Preissenkung für Baumwolle führen. Dies hätte seiner Firma einen Vorteil im Kampf mit der japanischen Konkurrenz verschafft. Die ACCA übernahm einen Großteil der Baumwollexporte, die unter dieses Abkommen fielen. Volkart Shanghai wiederum wurde damit beauftragt, die betreffende Baumwolle an die chinesische Regierung abzuliefern.128 Ende September 1933 erreichte eine erste Baumwolllieferung von etwa 160’000 Ballen im Wert von 10 Millionen Dollar Shanghai. Doch ausgerechnet in diesem Jahr fiel die chinesische Baumwollernte sehr gut aus. Die amerikanische Baumwolle fand deshalb kaum Käu125 Osterhammel/Petersson, Geschichte der Globalisierung, 2003, S. 82. 126 Vgl. Kapitel 4. 127 Die nachfolgenden Ausführungen zum Baumwollkredit stützen sich auf Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 294; Hosoya, The United States and East Asia in the mid-1930s, 1990; Cochran, Businesses, Governments, and War in China, 1990. 128 Vgl. zur Rolle von Volkart und der ACCA in diesem Geschäft Anderegg, Chronicle, 1976, S. 432; Steinmann, Seldwyla im Wunderland, 1998, S. 148.
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fer unter den chinesischen Spinnereien. Ende März 1934 waren bloß 90’000 Ballen der bis dahin gelieferten US-Baumwolle verkauft worden. Dies sorgte bei der amerikanischen Regierung für Verärgerung, da aufgrund der mangelnden Nachfrage auch die erhofften Preissteigerungen in den USA ausgeblieben waren. Der Baumwollkredit wurde deshalb von 40 auf 10 Millionen Dollar gekürzt. Die chinesische Regierung blieb ihrerseits auf 100’000 Ballen Baumwolle sitzen, die sie darauf hin den japanischen Spinnereien in Shanghai anbot. Diese wären an einem Kauf durchaus interessiert gewesen, da sie durch ihre Textilverkäufe in Nordchina und der Mandschurei gut ausgelastet waren. Außerdem boykottierte Japan zu diesem Zeitpunkt wegen der Zollstreitigkeiten mit Indien den Kauf von indischer Rohbaumwolle. Die japanische Regierung in Tokio verbot den japanischen Spinnereien jedoch den Kauf der amerikanischen Baumwolle, da sie der Überzeugung war, der Baumwollkredit sei in erster Linie beschlossen worden, um den Einfluss Japans in China zu schwächen. In dieser Situation gelangte die chinesische Regierung an Volkart mit der Anfrage, ob die Firma die Baumwolle gegen einen Preisnachlass zurückkaufen würde. Volkart erklärte sich bereit dazu, machte jedoch zur Bedingung, dass die Baumwolle reexportiert werden dürfe, was gemäß dem chinesisch-amerikanischen Abkommen nicht erlaubt gewesen wäre. Nach langen Verhandlungen mit der amerikanischen Regierung wurde schließlich beschlossen, die Baumwolle nach Deutschland auszuführen. Sie wurde schließlich mit Gewinn in Deutschland liquidiert, wobei zwei Drittel der Geschäfte auf Rechnung der ACCA und ein Drittel auf Rechnung von Volkart durchgeführt wurden. Für Volkart war das Geschäft somit nicht nur aufgrund des großen Volumens äußerst lukrativ, sondern auch deshalb, weil das gesamte Risiko von den beteiligten Regierungen getragen wurde. Die japanische Presse war über diese Wendung jedoch empört und ließ sich darüber aus, dass ein europäisches Unternehmen wie Volkart dabei behilflich sei, Baumwolle aus China heraus zu schmuggeln.
Die Gründung einer amerikanischen Einkaufsorganisation Als die Wirtschaftskrise 1937 ihrem Ende entgegenging, wuchs der Widerstand der privaten amerikanischen Baumwollhandelsfirmen gegen die staatliche Subventionierung der ACCA, da diese für sie eine lästige Konkurrenz darstellte. Die ACCA konnte deshalb keine langfristigen Engagements mehr eingehen. Volkart teilte der ACCA im Sommer 1938 mit, dass man sich in Zukunft auch bei anderen amerikanischen Exporteuren mit Baumwolle eindecken werde, wozu die ACCA zähneknirschend ihre Zustimmung geben musste. Im Sommer 1939 endete die Zusammenarbeit mit der ACCA.129 129 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950, „Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes“.
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Um den Kunden der Firma in den verschiedenen Erdteilen weiterhin amerikanische Baumwolle anbieten und die Qualität der Lieferungen garantieren zu können, gründete Volkart im Januar 1940 die Volkart Brothers Inc., New Orleans mit einem Kapital von 100’000 Dollar. Mit dem Einverständnis der ACCA, die von nun an im amerikanischen Baumwollgeschäft nur noch eine untergeordnete Rolle spielte, wechselte der bisherige Leiter der ACCA-Exportabteilung, Harold Saer, zusammen mit weiteren Angestellten zur neuen Volkarttochter in New Orleans.130 Anfänglich sollte die neue Tochtergesellschaft bloß die Verbindung zwischen amerikanischen Baumwollexporteuren und der Verkaufsorganisation von Volkart sicherstellen. Da zu erwarten war, dass die Nationalitätenfrage angesichts des Kriegsausbruchs in Europa eine immer größere Bedeutung erhalten würde, beteiligte sich die amerikanische Baumwollhandelsfirma Manget Brothers aus Georgia, die über eine umfangreiche Einkaufsorganisation in den amerikanischen Südstaaten verfügte, mit 45% am Kapital der Volkart Brothers Inc., New Orleans. Nach der Besetzung Frankreichs durch Deutschland und Italien kam der Export nach Europa aber zum Stillstand. Volkart New Orleans plante daraufhin, in Zukunft statt den Spinnereien in Europa die amerikanischen Spinnereibetriebe mit Baumwolle zu beliefern. Dies konnte aber nur erfolgreich geschehen, wenn Volkart eigene Einkaufsagenturen in den USA gründete, wodurch man in direkte Konkurrenz zu den amerikanischen Zulieferern geriet. 1942 wurde die Kooperation mit Manget beendet und Volkart begann mit dem Aufbau einer eigenen Einkaufs- und Verkaufsorganisation in den USA.131
130 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950, „Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes“. 131 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, II. New York (New Orleans/ Dallas included), 2. Table of Events V.B. Inc.; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 443ff.
11. Maschinen für Asien
Ab den 1860er Jahren entstand auf dem Subkontinent eine leistungsfähige Textilindustrie, die zunehmend die britischen und kontinentaleuropäischen Textileinfuhren konkurrenzierte. Wenig später wurden die ersten Textilfabriken in China und Japan gegründet. In den asiatischen Spinnereien und Webereien wurden zu Beginn vor allem britische Maschinen verwendet, später auch solche aus Kontinentaleuropa und den USA. Ab der Jahrhundertwende wurden zudem Lastwagen, Kraftwerke und Kühlanlagen nach Asien exportiert. Die westlichen Maschinenbauer führten die Ausfuhr ihrer Produkte häufig über in den jeweiligen asiatischen Ländern etablierte Handelsfirmen durch.1 Derartige Kooperationen waren keine Besonderheit der Exporte nach Asien, sondern im Überseegeschäft allgemein üblich.2 Sie waren nötig, da weder Handelshäuser noch Herstellerfirmen die nötigen Kenntnisse besaßen, um die Exporte allein durchzuführen. Den Handelshäusern mangelte es am technischen Wissen, welches für die Installation und die Wartung der komplexen Maschinen nötig war. Deshalb mussten die Hersteller oft eigene Ingenieure abstellen, die sich in den Büros der Handelsfirmen einrichteten. Die Maschinenfabrikanten ihrerseits verfügten über keinerlei Kenntnisse der fremden Märkte. Sie waren deshalb auf eine lokale Vermittlungsinstanz angewiesen, die mit den lokalen Geschäftssitten und Sprachen vertraut war, sowie eine Verkaufsorganisation anbieten und Lagerhaltung betreiben konnte. Dies zeigt, dass sich der Weltmarkt für Maschinen – ebenso wie zuvor derjenige für Rohstoffe – ab dem späten 19. Jahrhundert nur deshalb herausbilden konnte, weil die beteiligten Akteure in der Lage waren, unternehmerische Netzwerke zu knüpfen, die mehrere Kontinente umspannten. Wie im Folgenden gezeigt werden soll, waren die asiatischen Kaufleute ein fester Bestandteil dieser Netze, wenn es um die Lieferung von westlichen Maschinen nach Indien, China oder Japan ging. Sie waren als Broker oder Kompradoren für die europäischen Importeure tätig und waren unerlässlich, um den Kontakt zu den Kunden – asiatischen Industriellen oder Regierungsbeamten – in die Wege zu leiten. 1 2
Headrick, The Tentacles of Progress, 1988, S. 361–366; Ray, Industrialization in India, 1979, S. 24ff., 32, 193ff.; Misra, ‘Business Culture’ and Entrepreneurship, 2000; Farnie, The Role of Cotton Textiles, 2004, S. 410f. So nahmen US-Maschinenhersteller zwischen Ende des 19. Jahrhunderts und den 1930er Jahren die Hilfe von deutschen Importhandelshäusern für den Export nach Deutschland in Anspruch, während deutsche Maschinenhersteller für den Export in die USA dort ansässige Handelshäuser als Vertreter benutzten. Nach dem 1. Weltkrieg verloren die Maschinenhändler zwar an Bedeutung, da die Installation und die Wartung der Maschinen immer komplexer wurden. Doch erst ab den 1930er Jahren begannen die Maschinenbaufirmen mit dem Aufbau von eigenen Vertriebsstrukturen. Diesen Hinweis verdanke ich Ralf Richter.
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Ein schwieriger Start Wie anspruchsvoll der Maschinenexport nach Übersee war, lässt sich an den Problemen ablesen, die Volkart lange Zeit in diesem Geschäftsfeld hatte. Das an die Niederlassung in Bombay angegliederte Engineering Department bemühte sich ab den 1880er Jahren um den Absatz von Baumwoll- und Kokosbastpressen sowie den Vertrieb von Dieselmotoren, Elektroanlagen und Heizkesseln verschiedener britischer Fabrikanten. Die Verkaufszahlen waren jedoch eher enttäuschend und Volkart blieb auf großen Lagerbeständen sitzen, weshalb das Engineering Department 1892 wieder geschlossen wurde.3 Just zu dieser Zeit intensivierten jedoch verschiedene Schweizer Maschinenbaufirmen ihre Exportanstrengungen für das Überseegeschäft. Neben Lateinamerika und Ägypten rückten auch asiatische Länder wie China, Japan oder Britisch Indien ins Blickfeld der Schweizer Fabrikanten.4 Dies dürfte Volkart darin bestärkt haben, einen neuen Versuch mit dem Maschinengeschäft zu wagen, diesmal jedoch in einem bescheideneren Stil. Ab 1908 führte die Firma über ihre Filialen in Bombay und Karachi Landwirtschaftsgeräte der Firma John Wallace & Sons aus Glasgow, sowie ab 1912 Lastwagen der Schweizer Firma Saurer nach Indien ein. Zur Wartung der eingeführten Maschinen hatte Volkart eigens zwei Schweizer Maschinentechniker eingestellt und nach Indien kommen lassen. Da die Verkäufe aber wiederum unter den Erwartungen blieben, und da vor allem die Preise von Sauerer auf dem indischen Markt nicht konkurrenzfähig waren, wurden diese Vertretungen in den frühen 1920er Jahren wieder aufgegeben.5 Trotz dieses Misserfolgs glaubte Volkart weiter an das Potenzial des Maschinengeschäfts. Schon seit 1914 hatte sich die Firma intensiv um die Vertretung eines anderen Schweizer Unternehmens bemüht, der Firma Gebrüder Sulzer AG, einem hoch diversifizierten Unternehmen, welches ebenfalls in Winterthur ansässig war und unter anderem Dieselmotoren und Kühlaggregate herstellte.6 Nachdem die Angelegenheit aufgrund des Kriegsausbruches vertagt worden war, eröffneten die beiden Firmen im Sommer 1922 erneute Verhandlungen darüber, ob und zu welchen Bedingungen Volkart in Indien den Verkauf von Sulzer-Maschinen übernehmen könnte. Gemäß den ersten Besprechungen sollte Sulzer das technische Personal für die Wartung der gelieferten Pumpen, Eismaschinen und Kühlanlagen stellen; Volkart 3 4 5 6
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 178f.; Privatarchiv Andreas Zangger: Briefkopierbuch Archibald A. Crawford (1887–1892). Hauser-Dora, Die wirtschaftlichen und handelspolitischen Beziehungen der Schweiz, 1986, S. 246–300; Müller, Patterns of Technical Innovation, 2001. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 237ff.; VA, Dossier 4: Bombay II, 15. Engineering Dept.: Volkart Winterthur an Herren Gebrüder Sulzer A.G. Winterthur, 16. September 1915. VA, Dossier 4: Bombay II, 15. Engineering Dept.: Bombay an Winterthur, 21. Juli 1914.
Maschinen für Asien
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hatte dafür den Vertrieb der Maschinen und die Finanzierung der Geschäfte zu übernehmen. Während der Volkart-Hauptsitz in Winterthur an einer solchen Ausweitung der Geschäftstätigkeit sehr interessiert war, zeigten sich die Verantwortlichen der Niederlassung in Bombay skeptisch. Zwar glaubte man auch bei Volkart Bombay, dass das Maschinenimportgeschäft eine Zukunft haben könnte, gab jedoch zu bedenken, dass es in Indien bereits eine große Anzahl gut eingeführter Firmen gebe, die das Maschinenimportgeschäft „teils ausschliesslich, teils als Hauptzweig ihrer Beschäftigung abgeben. Wir als absolute Neulinge müssten gegen Firmen ankämpfen wie Richardson & Cruddas, Marshall, Sons & Co., Greaves Cotton & Co., Turner Hoare & Co, Heatley & Gresham etc. etc., welche entweder grosse eigene KonstruktionsAnlagen oder mehr oder weniger gut eingerichtete Reparatur-Werkstätten und einen im indischen Geschäft erfahrenen technischen Staff besitzen.“ Auch seien Schweizer Maschinen vergleichsweise teuer, was gerade für den Absatz in Indien ein Problem darstelle, da dort „viel weniger auf Qualitätsware als auf relative Billigkeit abgestellt wird.“ Volkart habe zudem keine Verbindungen zu den indischen Industriebetrieben und müsste „nicht nur die Kundschaft erst suchen, sondern auch den Weg zu ihrem Herzen finden“. Und dieser Weg führe „nur über den ‚Oel’-Berg“ – mit anderen Worten: der Verkauf von Maschinen war in Indien nur möglich, wenn man bereit war, Schmiergelder zu bezahlen – und die Manager von Volkart Bombay erinnerten die Verantwortlichen in Winterthur daran, dass dieser „Weg … unseres Wissens Ihnen, und auch uns, unsympathisch ist.“7 Ein weiterer Vorbehalt der Filiale in Bombay betraf die Pläne des Winterthurer Hauptsitzes, das Maschinengeschäft auf eigene Rechnung durchzuführen. Volkart Bombay präferierte dagegen das Kommissionsgeschäft, da man beim Geschäft auf eigene Rechnung einerseits Lagerbestände von Maschinen und Ersatzteilen hatten müsse, die im tropischen Klima Indiens sehr schnell Schaden nehmen könnten, und andererseits gegenüber den Käufern für eine pünktliche Lieferung und das Funktionieren der Maschinen zu bürgen habe.8 Unter anderem aufgrund dieser Einwände der Volkart-Niederlassung in Bombay scheiterten die Vertretungsverhandlungen mit Sulzer schließlich. Unabhängig von der Anfrage durch Volkart hatte sich die Firma Sulzer bereits seit einiger Zeit Gedanken über den Absatz ihrer Maschinen in Indien gemacht. Ende 1921 war die britische Firma Bird & Co. in Kalkutta mit der Einfuhr von Sulzermaschinen beauftragt worden.9 Ein Jahr später reiste Heinrich Wolfer, Mitglied der Geschäftsleitung von Sulzer, nach Indien, um die Absatzchancen auf dem Subkonti7 8 9
VA, Dossier 4: Bombay II, 15. Engineering Dept.: Bombay an Winterthur, 25. August 1922. VA, Dossier 4: Bombay II, 15. Engineering Dept.: Bombay an Winterthur, 22. September 1922. Bird war eine traditionsreiche britische Managing Agency, die unter anderem das Management im Eisenbahnbau, von Kohleminen und Jutefabriken besorgte: Ray, Industrialization in India, 1979, S. 267ff.
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nent abzuklären – ein Hinweis darauf, wie sorgfältig die Produktionsbetriebe ihre Exporte planten.10 Wolfer stellte dabei fest, „dass der indische Markt unbedingt an Ort & Stelle bearbeitet werden muss.“11 Bis dahin waren einzelne Exponenten der Firma davon überzeugt gewesen, das indische Geschäft könne über die Sulzer-Niederlassung in London gemacht werden, da ja verschiedene britische Unternehmen, die in die indische Textilindustrie involviert seien, ihren Hauptsitz in London hätten.12 Dagegen hielt Wolfer fest, dass insbesondere in Bombay die indischen Unternehmer tonangebend seien und deshalb direkt angesprochen werden müssten.13 Zudem hatte sich Wolfer während einer Reise durchs Landesinnere einen Einblick in das Funktionieren der dortigen Industrie verschafft, und dabei feststellen müssen, dass die „Verhältnisse … im ganzen schwierig u. unbefriedigend“ seien: „Die Qualitätsmaschine ist so gut wie unbekannt. Das Wartepersonal der Maschinen ist inferior, u. die Ingenieure meistens sehr mangelhaft gebildet. … Tief eingefressen ist sodann der Usus, nur das billigste zu kaufen. Die Leute haben noch nicht gelernt, die Kosten einer Maschine nach ihrer Ökonomie und der Unterhaltskosten in einem längeren Zeitraum zu beurteilen. Es wird die schwere Aufgabe unseres zukünftigen indischen Personals sein, den Kunden zu beweisen, dass eine etwas teurere Maschine die billigste sein kann.“14 Aus diesen Gründen sei es wichtig, dass Sulzer eigene Monteure in Indien stationiere, „die zur Maschine sehen und im Notfall mit Rat u. Tat zur Seite stehen.“ So habe etwa die Schweizerische Lokomotivenfabrik in Indien gute Geschäfte gemacht, indem sie in Inseraten damit werbe, den Kunden einen „special supervising Engineer in attendance“ zur Verfügung zu stellen.15 Als Reaktion auf Wolfers Bericht eröffnete Sulzer im November 1923 ein eigenes Verkaufsbüro in Kalkutta.16 Dieses übernahm in Kooperation mit Bird & Co. die Verkäufe für den ganzen Subkontinent.17 10 VA, Dossier 4: Bombay II, 15. Engineering Dept.: Winterthur an Bombay, 14. Dezember 1922. 11 KAS, Schachtel 417a: Dr. Hch. Wolfer, Indien-China-Japan 1922/1923: Wolfer, Bombay, an Sulzer, Abt. 1, Winterthur, 22. Dezember 1922. 12 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan: Indien: Sulzer Bros. London an Dr. Wolfer, Sulzer Bros. Winterthur, 29. Oktober 1921. 13 KAS, Schachtel 417a: Dr. Hch. Wolfer, Indien-China-Japan 1922/1923: Wolfer, Bombay, an Sulzer, Abt. 1, Winterthur, 22. Dezember 1922. 14 KAS, Winterthur, Schachtel 417a: Dr. Hch. Wolfer, Indien-China-Japan 1922/1923: Wolfer, Calcutta, an Sulzer, Winterthur, 18. Januar 1923. 15 KAS, Schachtel 417a: Dr. Hch. Wolfer, Indien-China-Japan 1922/1923: Wolfer, Bombay, an Sulzer, Abt. 1, Winterthur, 22. Dezember 1922. 16 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan, No. 7, Vertreter Ingenieure für Indien & Calcutta: Mitteilung an Herrn Wolfer, Geschäftsverkehr mit S.B. Calcutta, 14. Januar 1924. 17 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan, No. 7, Vertreter Ingenieure für Indien & Calcutta: Organisation S.B. Calcutta (zur Besprechung mit Mr. Batho), Winterthur, 18. August 1925.
Maschinen für Asien
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Erneute Gründung eines Engineering Departments Obwohl die Vertretung von Sulzer verloren gegangen war und sich die Bemühungen um die Einfuhr von technischem Gerät in der Vergangenheit als Flop erwiesen hatten, entschloss sich Volkart 1923 erneut, europäische Maschinen nach Indien zu importieren – diesmal jedoch in weit größerem Stil als zuvor. Über das neu eröffnete Engineering Department in Bombay wurden Maschinen von britischen, amerikanischen und kontinentaleuropäischen Fabrikanten nach Indien eingeführt.18 Für die Wartung und Installation der komplizierten technischen Geräte beschäftigte Volkart schon bald eine große Anzahl von indischen und europäischen Technikern.19 Dadurch erweiterte die Firma ihr unternehmerisches Spektrum; sie konnte nun neben dem reinen Handelsgeschäft auch industrielle Serviceleistungen anbieten. Zudem mietete die Firma Lager und Ausstellungsräume. Ab 1927 wurden für das Maschinengeschäft eigene Büros und Servicestationen in Madras, Lahore und Kalkutta eröffnet sowie diverse Verkaufsagenturen in den Industriezentren des Subkontinents.20 Wie wichtig es für europäische Fabrikanten sein konnte, sich in Indien durch eine zuverlässige Handelsfirma vertreten zu lassen, zeigt ein Bericht des Schweizerischen Generalkonsulats in Bombay aus dem Jahr 1928. Darin hieß es, das Konsulat werde regelmäßig von kleineren Firmen kontaktiert, „die wohl nicht über genügend Erfahrungen im indischen Geschäftsleben verfügen oder auf die schönen Versprechungen indischer Händler hereinfallen“. Diese Firmen würden daraufhin das Konsulat bitten, ihnen beim Eintreiben von ausstehenden Zahlungen behilflich zu sein. Das Konsulat könne jedoch kaum etwas ausrichten, da viele indische Unternehmer notorisch zahlungsunfähig und viele Betriebe regelrechte Schwindelunternehmen seien. Oft hätten sie ihren Sitz in abgelegenen Gegenden, wo das Konsulat kaum etwas ausrichten könne. Deshalb sei im Geschäftsverkehr mit Indien „die grösste Vorsicht angebracht und die schweizerischen Fabrikanten werden gut tun, sich an eine der bekannten Schweizerfirmen zu halten, die seit Jahrzehnten in Indien arbeiten und die Verhältnisse durch und durch kennen.“ Wenn das nicht möglich sei, so sollten sie auf jeden 18 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 303f. 19 Zum Teil wurden die Techniker von den Herstellerfirmen entsandt; ihr Salär wurde von Volkart und der Herstellerfirma gemeinsam übernommen. So kam es, dass verschiedene Vertreter in der Maschinenabteilung im Laufe ihrer Karriere zwischen einer Anstellung bei Volkart bzw. einer Volkart-Tochterfirma und einer Anstellung bei einer Maschinenbaufirma hin- und herwechselten. Vgl. als Beispiele für ein solches Changieren zwischen Volkart und der BBC die zahlreichen Artikel über Firmenjubiläen der entsprechenden Mitarbeiter bzw. die entsprechenden Nachrufe in den BBC-Mitarbeiterzeitungen: Wir und unser Werk, Brown Boveri Hauszeitung, April/Mai 1947, S. 51; Nr. 4, April 1949, S. 63; Januar 1952, S. 11; Nr. 6, Juni 1955, S. 108; Oktober 1960, S. 300f.; Januar 1961, S. 24; August 1961, S. 191; März 1962, S. 81; Brown Boveri Hauszeitung, März 1969, S. 95; Januar 1970, S. 27; Juli/August 1971, S. 286. 20 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 304f.
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Abb. 18 Werkstätte des Volkart Engineering Departments in Bombay 1941 (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 1, Album Bombay 1941)
Fall mit einer englischen Firma kooperieren. Von einer Zusammenarbeit mit einer indischen Handelsfirma dagegen sei abzuraten, selbst wenn diese tiefere Kommissionsgebühren verlange. Es gebe zwar durchaus zuverlässige indische Firmen, es sei aber fast unmöglich, von der Schweiz aus zu beurteilen, welche dies seien: „Es ist selbst für die hier etablierten ausländischen, einschliesslich schweizerischen Häuser sehr oft äusserst schwierig die Bonität der tausenden von grossen und kleinen indischen Handelshäuser zu beurteilen. Viel schwieriger ist es jedoch für den schweizerischen Fabrikanten sich ein zuverlässiges Bild zu machen, ob Geschäfte mit einem gewissen Käufer getätigt werden sollen. … Die Zusammensetzung indischer Handelshäuser kann im Laufe eines Jahres wechseln, Teilhaber treten ein oder aus, ohne dass weitere Kreise davon erfahren. Die hier ansässigen Grosshandelshäuser sind daher gezwungen, in der Auslese ihrer Kunden fortwährend äusserst sorgfältig zu sein und unterhalten ihren eigenen Informationsdienst.“ Ganz generell sei die Geschäftsauffassung „des Inders“ anders als diejenige, die in der Schweiz üblich sei: „Die Eingeborenen arbeiten mit einer oft minimalen Marge und häufig liegt für ihn die Versuchung nahe, aus dem europäischen Fabrikanten nachträglich eine Extraentschädigung herauszuholen, wobei die kleinsten Verstösse oder Versehen des
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Abb. 19 Bau eines Elektrizitätswerkes im indischen Pallivasal im Jahr 1939 mit Maschinen der Schweizer Firmen BBC und Escher Wyss, die auf dem Subkontinent durch das Volkart Engineering Department vertreten wurden (VA, Dossier 103: Photosammlung Indien Brack und Belmont)
Fabrikanten den Anlass geben müssen. Wohl in keinem Lande ist die Konkurrenz eine so scharfe und wird vom kleinsten Händler, der nur über minime Kapitalien verfügt, so viel spekuliert, wie in Indien.“21 Die erste Schweizer Maschinenbaufirma, die sich ab 1922 von Volkart in Indien vertreten ließ, war Brown, Boveri & Cie. (BBC) aus Baden, die elektrotechnische Anlagen produzierte und sich bereits seit längerer Zeit für eine Zusammenarbeit mit Volkart interessiert hatte.22 In den folgenden Jahren übernahm Volkart die Vertretung von zahlreichen anderen Schweizer Industriefirmen.23 Daneben vertrat das Handelshaus auch verschiedene Industrieunternehmen aus Kontinentaleuropa auf dem Subkontinent. Es können jedoch aufgrund der Quellenlage keine Aussagen darüber gemacht werden, wie wichtig für das Engineering Department von Volkart die Vertretung von Schweizer Firmen im Vergleich mit der Vertretung von Firmen aus anderen Nationen war.
21 BAR, E 2200.40 (London), Akzession 42, 1928, XX.7, Consulats de Suisse: Consulat général de Bombay: Geschäftsbericht des Schweizerischen Generalkonsulats in Bombay für das Jahr 1927, S. 6f. und 37f. 22 VA, Dossier 4: Bombay II, 15. Engineering Dept.: Winterthur an Bombay, 27. Juli 1922. 23 So neben derjenigen der BBC auch die Vertretung der Firmen Rieter, Theodor Bell & Co., Amsler & Co., Schweizerische Werkzeugmaschinen Fabrik Oerlikon, Micafil, Georg Fischer und ab 1940 auch Sulzer: Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 141.
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Die Tatsache, dass Volkart vor allem kontinentaleuropäische Maschinenbaufirmen vertrat, erschwerte jedoch den Markteintritt, da in den indischen Fabriken vor allem britische Maschinen verwendet wurden. So meinte der leitende Manager von Volkart Bombay 1925: „Es ist selbstredend äusserst schwer, in eine nach englischem System und von englischen Lieferanten gebaute Spinnerei oder Weberei fremde Ersatzmaschinen oder überhaupt fremde Maschinen einzuführen, … dagegen sollte es möglich sein, bei neu aufkommenden Projekten erfolgreich zu konkurrieren, namentlich in Anbetracht der Umstände, dass die Owners gewöhnlich der Native Intelligentia angehören und politisch antibritisch gesinnt sind.“24 Volkart führte den Maschinenimport teils auf eigene Rechnung und teils auf Kommissionsbasis durch, wobei eine Kommission von 5% üblich war.25 Bei Kommissionsgeschäften war es im Übersee-Geschäft üblich, dass der Käufer die Hälfte des Kaufpreises bei Bestellung und die andere Hälfte nach Erhalt der Lieferung entrichtete.26 Im Gegensatz zu anderen Staaten gewährte die Schweiz ihren Industrieunternehmen keine finanzielle Unterstützung für ihre Exporte nach Übersee, und auch die Schweizer Banken scheinen bei der Finanzierung von Exportaufträgen eher zurückhaltend gewesen zu sein. Julius Müller, der Leiter der Volkart-Tochtergesellschaft Nichizui in Osaka, meinte jedenfalls 1924, die Schweiz könnte im Maschinengeschäft ihr Exportvolumen nach Ostasien verdoppeln, wenn der Schweizer Staat und die Schweizer Banken ebenso großzügige Kredite an Kommunen und angesehene ostasiatische Firmen zum Bau von Straßenbahnen, Fabriken und Kraftwerken vergäben, wie dies etwa Großbritannien, Belgien, Deutschland oder die USA tun würden.27 Erst ab 1934 unterstützte die Schweiz durch die Gewährung einer staatlichen Exportrisikogarantie die Ausfuhr von schweizerischen Industrieprodukten.28 Die Entwicklung des Maschinengeschäfts ist in verschiedener Hinsicht charakteristisch für gewisse Veränderungen, die in der Zwischenkriegszeit beim Importgeschäft mit westlichen Industrieprodukten erfolgten. So stellte sich heraus, dass das von der Importabteilung bis dahin praktizierte System des freien Einkaufs oft unbefriedigend war. Volkart ging deshalb ab den 1920er Jahren dazu über, exklusive Vertretungsabkommen mit europäischen und amerikanischen Industrieunternehmen abzuschließen. Zu diesen zählten neben den oben erwähnten Maschinebauern auch 24 VA, Dossier 4: Bombay II, 15. Engineering Dept.: Bericht über die Entwicklung und die Aussichten des Engineering Dept. in Bombay von K. Ringger, 26. November 1925, off Port-Said. 25 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 304f.; Farnie, The Role of Cotton Textiles, 2004, S. 411. 26 ArABB, B.1.2.3.23.6: Brief von J. Elink Schuurman aus Kobe an Brown, Boveri & Cie., Baden, 29. November 1922. Zu den genauen Modalitäten der Finanzierung des Maschinengeschäfts, insbesondere zur Frage, ob Handelsfirmen gegenüber dem Hersteller allenfalls eine Zahlungsgarantie abgeben mussten oder zur Rolle von Banken für die Finanzierung der Exporte, finden sich in den Archiven keine Angaben mehr. 27 V.B. News, No. 10, March 1924, S. 10. 28 Biotti, Die Exportrisikogarantie, 2002.
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Kosmetikfirmen wie die Parfumerie Houbigant aus Paris oder Hersteller von Büromaterial wie die British Typewriters Ltd., die Paillard S.A. aus der Schweiz oder der deutsche Bleistiftfabrikant A.W. Faber, Stein & J.H. Faber. Weiter finden sich auf der Liste der von Volkart in Indien vertretenen Firmen Chemieunternehmen wie Hoffmann La Roche29 aus Basel, die Felton Chemical Company aus New York oder die französische Société des Usines Chimiques Rhône-Poulenc, metallverarbeitende Betriebe wie die Union Commerciale Belge de Métallurgie oder die Poldi Steel Works aus Prag, pharmazeutische Unternehmen wie Sharp & Dohme aus Philadelphia oder Hersteller von technischen Geräten wie die deutschen Firmen Siemens oder Mannesmann. Immer mehr zeichnete sich dabei die Notwendigkeit von Lagerhaltung ab, da die indischen Kunden nicht mehr bereit waren, ihre Bestellungen erst nach einer längeren Lieferfrist in Empfang zu nehmen.30 Europäische Textilien – in den Anfangsjahren eines der wichtigsten Geschäftsfelder von Volkart – führte die Firma ab Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr nach Indien ein. Textilien für den indischen Markt wurden mehr und mehr durch indische Unternehmen hergestellt. Diese belieferte Volkart nicht nur mit Rohbaumwolle, sondern auch mit Spinnmaschinen und Farbstoffen zum Färben der Textilien. So vertrat Volkart ab den 1890er Jahren die Berliner Aktien-Gesellschaft für Anilinfabrikation in Indien.31 Importgeschäfte waren jedoch nicht risikolos, da viele indische Kaufleute bei einem plötzlichen Preiszerfall nicht mehr in der Lage waren, die bestellten Waren zu bezahlen.32 Während Volkart aus diesem Grund für den Absatz der Farbstoffe die Hilfe eines indischen Guarantee Brokers in Anspruch nahm, der für die Zahlungsbereitschaft des Käufers garantierte, schien dies beim Maschinengeschäft nicht möglich gewesen zu sein.33 So wich Volkart beim Maschinengeschäft vom damaligen Geschäftsprinzip ab, wonach die Firma „im allgemeinen keine Waren ohne gleichzeitige Bezahlung an Händler oder sonstige Importkunden“ ausliefere und gewährte den Käufern einen Zahlungsaufschub.34 Dies zeigt, dass Volkart in der Zwischenkriegszeit allgemein mehr und mehr dazu überging, in gewissen Geschäftssparten Verkäufe auf Kreditbasis zu tätigen. Dies galt neben dem Maschinengeschäft
29 Vgl. hierzu FAN, Bestand Sandoz, M 530.6: Interne Mitteilung, Besprechung mit Herrn Marquart von Gebr. Volkart in Winterthur, am 23. VII. 29, 9 ½ Uhr. 30 VA, Dossier 4: Bombay II, 12. Import Dept.: 30.1.1951 – ALLGEMEINER RUECKBLICK UEBER DAS IMPORT GESCHAEFT SEIT 1926. 31 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 199. 32 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 236. 33 VA, Dossier 4, Bombay II, 12. Import Dept.: Winterthur an Bombay, 19.11.25. 34 VA, Dossier 64: Geschäftsordnung 1915/1921 mit Nachträgen bis 1940 / Upcountry Bookkeeping Instructions 1912–1926 / Upcountry Instructions 1952: Geschäfts-Ordnung, in Kraft ab 1. Juli 1915, No. 30 (Ergänzung von 1.5.35).
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auch für die Baumwollverkäufe an französische, deutsche, chinesische und japanische Spinnereien.35
Die Bedeutung von Schmiergeldern Volkart betrieb den Maschinenimport aber nicht nur in Indien, sondern auch in Ostasien, einer Region, die sich Ende des 19. Jahrhunderts zu einem wichtigen Exportmarkt für europäische Maschinenfabrikanten entwickelte. Ab den 1890er Jahren wurden europäische Maschinen in großem Stil nach Japan ausgeführt, wo in der Meiji-Zeit eine rasante Industrialisierung erfolgte. Obwohl in Japan ab der Jahrhundertwende auch eine eigene Maschinenindustrie entstand, stammten bis in die 1930er Jahre die meisten Maschinen in den japanischen Fabriken aus europäischer Produktion.36 Volkart war in Japan durch die 1919 gegründete Tochterfirma Nichizui Trading Co. vertreten. Die Nichizui befasste sich vor allem mit dem Import von indischer Rohbaumwolle, war jedoch auch im Import von europäischen Maschinen engagiert. Die überwiegende Mehrheit stammte aus Schweizer Fabriken, weshalb der schweizerische Direktor der Nichizui 1924 in der Mitarbeiterzeitschrift von Volkart stolz festhielt: „The Nichizui is in our opinion fulfilling a patriotic mission by its effort to sell Swiss machinery, thus obtaining work for many labourers of our home country.“ Am wichtigsten war dabei der Verkauf von elektrotechnischen Anlagen der BBC, da Japan in der Zwischenkriegszeit den Ausbau seiner Wasserkraftwerke vorantrieb, um den Strombedarf des Landes zu decken. Daneben vertrat die Nichizui auch Turbinenhersteller wie Theodor Bell & Co. aus Kriens, Textilmaschinenfabrikanten wie der Rieter AG aus Winterthur oder Werkzeugmaschinenbauer wie die Maschinenfabrik Oerlikon oder Alfred J. Amsler & Co. aus Schaffhausen.37 In der Maschinenabteilung der Nichizui arbeiteten 1926 bereits 20 europäische Ingenieure, die unterstützt wurden von diversen japanischen Verkäufern und Technikern.38 Für europäische Maschinenfabrikanten waren Importe nach Ostasien ohne die Vermittlung von lokalen Handelsfirmen unmöglich, wie ein in Japan tätiger Vertreter von Sulzer bereits 1916 festgehalten hatte: „Gewöhnlich erhalten wir die Anfragen von einer oder mehreren Importfirmen, worauf wir denselben Offerten einreichen. 35 Vgl. hierzu Kapitel 8 und 10. 36 Buchheim, Industrielle Revolutionen, 1994, S. 118–128; Flath, The Japanese Economy, 2000, S. 34, 43; Bähr/Lesczenski/Schmidtpott 2009, S. 17–135. 37 V.B. News, No. 10, March 1924, S. 10. 38 VA, Dossier 50: Engineering /Voltas Schriften, Dokumente etc.: Volkart Brothers Winterthur, Switzerland, Exporters of Machinery to India, Japan and China, Technical Advisers, Consulting Engineers, 1926, S. 6ff.
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Abb. 20 Präsentation von Schweizer Industrieprodukten an einer Industrieausstellung in Tokio 1922 (VA, Dossier 111: Photos Bremen, London, USA, Mexico, Brazil, Colombia, Singapore/ Shanghai/Japan)
Der schwierigste Punkt ist nun heraus zu finden, welche dieser Firmen die besten Connectionen mit den Kunden hat. Gelingt uns dies, dann wird von vornherein die betreffende Firma je nach Umständen gegenüber den anderen durch bessere Preise geschützt. Sind wir nicht sicher, so geben wir vorläufig allen die gleichen Preise & wenn wir dann nach & nach heraus merken, mit welcher wir am besten arbeiten, gewähren wir derselben einen Nachlass, damit sie geschützt ist. Geschützt muss unter allen Umständen werden, indem es sonst der betreffenden Firma mit der wir arbeiten wollen, nicht möglich ist zu schmieren. Gewöhnlich werden wir dann durch die betreffende Importfirma beim Kunden eingeführt.“39 Dies war kein Einzelfall. Generell waren Maschinenverkäufe in Asien nur möglich, wenn die Importeure bereit waren, Bestechungsgelder zu bezahlen. Dies war jedoch in den meisten Ländern gesetzlich verboten. Importfirmen wie Volkart mussten deshalb große Aufmerksamkeit darauf verwenden, dass kein Beweismaterial in Form von Buchungen, Quittungen und Briefen entstand, welches die Firma mit diesen Praktiken in Verbindung bringen konnte. So hieß es in einem Brief der Volkart-Nie39 KAS, Schachtel 307: Japan, Korresp. Abt. 1 und 20, No. 6: W. Züblin, Notizen zur Konferenz vom 5. Oktober, Winterthur, 9. Oktober 1916.
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derlassung in Bombay von 1929, bei großen Beträgen müsse man sich der Mithilfe von Kommissions-Agenten oder Brokern bedienen, denen man offen Kommission oder Brokerage zahlen könne, „ohne uns darum zu kümmern, was sie damit wieder anfangen.“40 Dies zeigt, dass Volkart trotz einer leistungsstarken Verkaufsorganisation für das Maschinengeschäft weiterhin auf einheimische Vermittler abstellen musste, die mit Hilfe der Bestechungsgelder die Geschäfte in die Wege leiteten. Innerhalb der Firmenleitung war diese Praxis äußerst umstritten. Georg Reinhart etwa stand ihr sehr kritisch gegenüber. Er hielt zwar fest, dass „Vermittlungsgebühren an Drittpersonen, die ein Geschäft zustande bringen auf Grund von indischen Usanzen und Anschauungen als legitim betrachtet werden dürfen sofern sie nicht über ein angemessenes Mass hinaus gehen.“ Es müsse jedoch endgültig Schluss gemacht werden „mit jeglicher Praxis von Zahlungen, die nicht über unsere Bücher genommen werden können“, wobei er insbesondere das Maschinengeschäft nannte.41 Diese Ansicht begründete er zum einen damit, dass es eine „ethische Angelegenheit“ sei, saubere Geschäfte zu machen.42 Zum anderen führte er an, dass verschiedene Angestellte von Sulzer sowie auch der frühere schweizerische Geschäftsführer der Nichizui offenbar „grosse Vermögen erworben haben durch Schmiergelder, die sie ihren Arbeitgebern belasteten, aber für sich behielten statt sie weiterzuleiten. Dieser Schwindel ist sehr leicht zu bewerkstelligen, da für illegale Kommissionen selbstverständlich keine Quittungen erhältlich sind.“43 Trotz der Bedenken von Georg Reinhart leitete Volkart auch in den späten 1930er Jahren einen Teil der Importgeschäfte durch die Bezahlung von Schmiergeldern in die Wege. So überwies der Firmenhauptsitz an diverse Mitarbeiter in Indien jedes Jahr Gelder in der Höhe von 50’000 Rupien, die für Schmiergeldzahlungen bei diversen Importgeschäften sowie für die Anbahnung des Verkaufs von indischer Rohbaumwolle an indische Spinnereien bestimmt waren.44 Die Praxis, die Importgeschäfte durch die Bezahlung von Schmiergeldern zu befördern, war für europäische Handelshäuser wie gezeigt nicht unproblematisch. Für die Industrieunternehmen war es hingegen praktisch, dass sie sich nicht selber um diesen zweifelhaften Aspekt der Verkaufspraxis im asiatischen Raum kümmern mussten, sondern ihn an die beteiligte Handelsfirma delegieren konnten. 40 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Illegale Kommissionen: Bombay an Georg Reinhart, 25. Januar 1929. 41 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Illegale Kommissionen: Georg Reinhart, Winterthur, an Herr Lieberherr, Bombay, 19. November 1929. 42 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Illegale Kommissionen: Georg Reinhart, Memorandum zu Handen der Herren W. Reinhart, E. Neuenhofer, H. Wachter, 10. August 1933. 43 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Illegale Kommissionen: Bombay an Winterthur, 4. August 1937. 44 VA, Dossier 61: ex GR persönliches Archiv I, Illegale Kommissionen: Bombay an Winterthur, 4. August 1937.
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Die Qual der Wahl der richtigen Vertretung Wie ungewohnt die Verhältnisse in Asien für die Vertreter von europäischen Maschinenbauern Anfang des 20. Jahrhunderts waren, zeigt der Rapport eines Schweizers, der ab 1909 über ein Büro in Kobe die Produkte von Sulzer zu vertreiben suchte. Er verwehrte sich 1916 gegen den Vorwurf aus dem Konzernhauptsitz, er habe in Japan und China zu wenige Offerten eingeholt. Bis zu seiner Ankunft sei Sulzer in diesen Ländern völlig unbekannt gewesen, inzwischen verkaufe der Konzern in Ostasien jedoch pro Jahr Maschinen im Wert von einer Million Franken. Dies sei nur möglich gewesen, weil er als Vertreter weite Reisen unternommen habe und dabei wiederholt auf einheimischen Schiffen, auf Kohlenzügen oder auf Lokomotiven habe mitfahren müssen. Oft sei er gezwungen gewesen, „2–3 Wochen ganz japanisch zu leben, am Boden herum zu rutschen & mit Hölzchen eine Nahrung zu geniessen, die wohl die meisten nicht aushalten würden. In China gesellt sich hierzu noch die persönliche Unsicherheit. Dies alles um die Fabrikate bekannt zu machen & das Geschäft zu fördern.“45 Diese Schwierigkeiten ließen es für europäische Maschinenfabrikanten ratsam erscheinen, mit einer lokal etablierten Handelsfirma zu kooperieren. Nachdem Sulzer im Dezember 1925 ein Verkaufsbüro in Kobe gegründet hatte,46 bot sich hierfür eine Zusammenarbeit mit der Nichizui an. Diese kam zwar zustande, war aber nicht unproblematisch. So wurde von der Nichizui vorgebracht, dass Sulzer über andere Importfirmen ihre Kessel in Japan billiger anbiete als über die Nichizui.47 Vom SulzerVerkaufsbüro wiederum wurde die Ansicht geäußert, dass die Nichizui zu hohe Kommissionsgebühren verrechne.48 Zudem würde die Nichizui bei Volkart Winterthur Stimmung gegen Sulzer machen und den Eindruck erwecken, „dass ein Zusammenarbeiten mit Sulzer nicht möglich sei“, damit die Nichizui später „bei eventl. Erwerbung von anderen Vertretungen freie Hand“ habe.49 Die Folge dieser gegenseitigen Beschuldigungen war, dass Sulzer einen Teil der Importe nach Japan zwar weiterhin über die Nichizui vornahm, daneben aber auch damit begann, Importaufträge über die japanischen Handelsfirmen Suzuki und Okura Trading Co. abzuwickeln.50 45 KAS, Schachtel 307: Japan, Korresp. Abt. 1 und 20, No. 6: W. Züblin, Notizen zur Konferenz vom 5. Oktober, Winterthur, 9. Oktober 1916. 46 KAS, Schachtel 307: Japan, Korresp. Abt. 1 und 20, No. 26: Gesellschaftsvertrag vom 1. Dezember 1925. 47 KAS, Schachtel 307: Japan, Korresp. Abt. 1 und 20, No. 9: Bericht von Herrn Egloff, Kobe, Betrifft: K. 46/Nankai Denki Tetsudo K.K., 21. Dezember 1925. 48 KAS, Schachtel 307: Japan, Korresp. Abt. 1 und 20,No. 9: Bericht von Herr Hashizume, Betrifft: Nankai Denki Tetsudo K.K., Kobe, 21. Dezember 1925. 49 KAS, Schachtel 307: Japan, Korresp. Abt. 1 und 20, No. 9: Sulzer Kobe an Sulzer Winterthur, 21. Dezember 1925: Verhältnis zu Nichizui Trading Co. 50 KAS, Schachtel 307: Japan, Korresp. Abt. 1 und 20: J. Gastpar an Gebr. Sulzer Winterthur, Kobe, 25. April 1927.
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Wie der Volkart-Hauptsitz in Winterthur den Vorfall einschätzte, ist unklar. Es kam aber zu dieser Zeit immer wieder vor, dass sich Geschäftspartner und andere Volkart-Filialen am Geschäftsgebaren der Nichizui störten. Für Volkart Winterthur war dabei lange Zeit unklar, ob diese Probleme auf den Einfluss der japanischen Teilhaber der Nichizui zurückgeführt werden mussten oder ob das selbstherrliche Gebaren des schweizerischen Geschäftsführers dafür verantwortlich war.51 Dies zeigt, dass es für Volkart aufgrund der großen Distanzen und der stetig gestiegenen Komplexität der Firma oft nur schwer möglich war, die Geschäfte der Tochterfirmen und der in Übersee tätigen Mitarbeiter zu kontrollieren. Die Firma konnte durch die Internalisierung von Transaktionen zwar die Nutzungskosten des Marktes reduzieren, sie halste sich aber aufgrund der Prinzipal-Agent-Problematik dadurch oft neue firmeninterne Transaktionskosten auf. In China, das wie Japan von den westlichen Kolonialmächten zur Öffnung seiner Häfen gezwungen worden war, erfolgte Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls ein Industrialisierungsschub. Besonders während den Jahren 1914 bis 1922, die als goldenes Zeitalter der chinesischen Wirtschaft angesehen werden können, wurden zahlreiche Fabriken gegründet, an denen sich sowohl europäische wie auch japanische Geschäftsleute beteiligten. Bis zum Ende des chinesischen Wirtschaftsbooms 1922 und dem Beginn der bürgerkriegähnlichen Wirren konnten sich japanische Firmen eine führende Stellung in der chinesischen Wirtschaft erarbeiten. Eine eigene Maschinenindustrie hatte sich aber auch in China nicht entwickeln können; die Maschinen in den chinesischen Fabriken wurden in erster Linie aus Europa importiert. Finanziert wurden diese Importe in der Regel durch europäische Banken.52 Sulzer hatte 1922 ein Verkaufsbüro in Shanghai eröffnet.53 Die Europäer konnten in China Verkäufe in der Regel nur durch die Vermittlung von einflussreichen einheimischen Kaufleuten vornehmen, die als Kompradoren wirkten. So meinte ein Ingenieur, der für Sulzer in Shanghai tätig war, 1934 in einem Brief zur Tätigkeit der Kompradoren: „Es ist üblich, dass diese Leute als Sicherheit grosse Beträge in Bar, Wertpapieren, oder in Landtiteln etc. hinterlegen müssen.“ Außerdem würden im Allgemeinen vermögende und als integer bekannte Chinesen als Bürgen für die Kompradoren dienen. „Eine solche Garantie ist unbedingt notwendig, um den Mann in den Fingern zu haben, sonst kann es so vorkommen, dass er sich in unsichere Geschäfte einlässt und dann einfach verschwindet, wenn die Sache schief läuft.“54 Direkte Ge51 VA, Dossier 14: Japan: Winterthur an Bombay, 2. Dezember 1920; Winterthur an unsere indischen Filialen und an Osaka, Kopie an London, Hamburg, New York, 18. Juli 1929. 52 Osterhammel, China und die Weltgesellschaft, 1989, S. 273; Osterhammel, Shanghai, 1997; Mutz, „Der Sohn, der durch das West-Tor kam“, 2005. 53 KAS, Schachtel 299c: China, Nr. 2: Regelung des internen Geschäftsverkehrs zwischen Gebrüder Sulzer AG Winterthur und dem Zweigbureau Shanghai, 25. Januar 1922. 54 KAS, Schachtel 299c: China: Bericht von E. C. Staudt, Ingenieur für Sulzer in Shanghai an W. Züblin, 10. November 1934.
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schäfte mit Kunden im Landesinnern waren in der Zwischenkriegszeit für westliche Industriefirmen nur schwer möglich, wie der Vertreter von Sulzer in Shanghai 1923 in einem Bericht an die Winterthurer Konzernzentrale festhielt. Dies nicht zuletzt, weil es in China in den 1920er Jahren kaum Eisenbahnlinien gab; der Inlandverkehr lief in erster Linie über die Schifffahrt auf den Flüssen. Wenn chinesische Industrielle oder Beamte Maschinen kaufen wollten, schickten sie ihre Bekannten als Einkäufer nach Shanghai. Diese nahmen über Kompradoren den Kontakt zu den Importfirmen auf, über die wiederum der Kontakt zu den Maschinenherstellern hergestellt wurde. All diese Mittelsleute wollten für ihre Vermittlung durch die Zahlung von Kommissionsgebühren entschädigt werden. Zudem scheint die Zahlung von Schmiergeldern auch in China verbreitet gewesen zu sein, wie der Sulzer-Vertreter anführte: „Da die Leute alle zusammen technisch meist nichts verstehen, sehen sie nur auf den Preis und auf den ‚squeeze’ [Schmiergelder, chd] und allenfalls auf den Namen der Firma, wenn diese ihnen bekannt ist; alle andern Erklärungen werden mit ironischem Lächeln aufgenommen, … und da ist nun die Lage gerade für uns sehr schwierig, weil wir eben meistens teurer sind als andere und in China noch fast unbekannt.“ Eine weiteres Problem bestand in der instabilen politischen Lage und den unsicheren Verkehrswegen: „Mit der persönlichen Sicherheit ist es ziemlich schlimm bestellt. Das Land wimmelt von Räubern, meist entlassenen oder nicht bezahlten Soldaten, und das Meer wird von Piraten unsicher gemacht.“55 Da die Maschinenhersteller in China ihre Verkäufe nur durch die Vermittlung von Importfirmen machen konnten, war die Wahl der richtigen Geschäftsverbindung essenziell für den Erfolg. Dabei bevorzugten die Schweizer Maschinenhersteller nicht generell eine Kooperation mit europäischen Handelsfirmen. Sie orientierten sich oft genau über die Verhältnisse im jeweiligen Markt und präferierten mitunter eine Zusammenarbeit mit einer chinesischen oder japanischen Importfirma. Dies zeigt sich beispielsweise an den Abklärungen, die die BBC in China durchführte. Im November 1922 besuchte J. Elink Schuurman, der Verkaufsdirektor der BBC, Ostasien. Dabei ging es unter anderem um die Frage, ob sich die BBC in China durch Volkart vertreten lassen solle oder durch die chinesische Handelsfirma Sintoon Trading Co. Schuurman hatte vor seiner Ankunft in China nach eigenem Bekunden Mühe, die Sintoon ernst zu nehmen. Doch seine Bedenken zerstreuten sich, als er mit den Verantwortlichen der Sintoon in Kontakt trat: „Die Sintoon hat, wie ich mich in Shanghai ueberzeugen konnte, ausgezeichnete Beziehungen in ganz China. Volkart, hingegen, ist bisher im chinesischen Maschinen-Geschaeft gar nicht eingefuehrt und muesste deshalb von vorne anfangen. Was zu Gunsten von Volkart spricht …, ist, dass wir es mit einer Schweizer-Firma zu tun haetten, statt mit uns vor der Hand noch wenig bekannten Geschaeftsleuten, sodass wir finanziell groessere Sicherheiten haetten.“ Einer der Hauptgründe, warum die Sintoon schlussendlich die Vertretung der 55 KAS, Schachtel 299c: China, No. 3: Bericht betr. Bureau Shanghai, August 1923.
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BBC übernahm, lag gemäß Schuurman darin, dass sie im Gegensatz zu anderen Importfirmen „ohne Komprador auskommen kann, eine Persoenlichkeit, die nicht nur hohe Kosten, sondern noch allerlei Unzuverlaesslichkeiten mit sich bringen soll.“56 Die Kooperation mit der Sintoon war für die BBC sehr erfolgreich, da die Sintoon die Importe auf eigene Rechnung durchführte und die BBC weder Büroräumlichkeiten mieten noch mit einem Komprador zusammenarbeiten musste. Die Firma Sulzer dagegen, die seit 1922 mit Vermittlung von Kompradoren in China tätig war, erzielte trotz hoher Umsätze nur magere Resultate und musste 1937 das Verkaufsbüro in Shanghai wieder schließen.57 Der Winterthurer Maschinenhersteller Rieter ließ sich ab 1928 in Japan durch die Nichizui vertreten.58 Im April 1930 meldete ein in Osaka stationierter Mitarbeiter dem Rieter-Hauptsitz, dass die Nichizui Interesse hätte, Rieter auch in China zu vertreten: „Es ist wohl ueberfluessig zu erwaehnen, dass Ihre Interessen in den Haenden einer aeusserst ruehrigen und in jeder Hinsicht ausgezeichneten Firma waeren. Wie die Nichizui die Sache anpacken wuerde, ist mir natuerlich unbekannt, doch wird es kaum an geeigneten Vorschlaegen fehlen.“ Ein Nachteil sei jedoch, dass die Nichizui eine in Japan tätige Firma sei, und angesichts der antijapanischen Stimmung in China ihre Geschäfte nur über eine in China ansässige Firma abwickeln könne, was wiederum die Kommissionen erhöhen würde. Volkart besitze zwar eine Filiale in Shanghai; diese sei jedoch vor allem im Baumwollimport tätig.59 Im Hauptsitz drängte man darauf, eine Vertretungslösung zu finden, welche die Bearbeitung der Märkte in China und Japan zugleich ermöglichte. Für die Vertretung in Japan sowie den Kontakt zu den in China gelegenen japanischen Spinnereien sollte nach Ansicht von Rieter die Nichizui zuständig sein. Für Geschäfte mit den chinesischen Spinnereien kam die Nichizui als japanische Gesellschaft jedoch nicht in Frage. Volkart schlug deshalb vor, dass die Niederlassung in Shanghai gegenüber den chinesischen Spinnereien als Vertretung von Rieter auftrete, die Geschäfte aber tatsächlich auf Rechnung der Nichizui laufen würden.60 Rieter hatte jedoch Zweifel in Bezug auf die Fähigkeiten der Nichizui, Geschäftskontakte mit chinesischen Fabrikanten und Kompradoren zu knüpfen. Man wollte deshalb einen Teil der Maschinenexporte
56 ArABB, B.1.2.3.23.6: Brief von J. Elink Schuurman aus Kobe an Brown, Boveri & Cie., Baden, 29. November 1922. 57 Steinmann, Seldwyla im Wunderland, 1998, S, 139–141. 58 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/30: Vertretungen, Verhandlungen und Verträge: Japan: Agreement of Agency zwischen Rieter und der Nichizui vom 15.11.28. 59 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/29a: Vertretungen, Verhandlungen und Verträge: China/ Nichizui: E. G. Kellner, Osaka, an J.J. Rieter & Cie., Winterthur, Kobe den 12. April 1930. 60 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/29b: Vertretungen, Verhandlungen & Verträge: Volkart, China: Rieter an Gebr. Volkart, Winterthur, 10. Januar 1931.
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über die chinesische Handelsfirma Chien Hsin abwickeln. Mit der Idee einer solchen Doppelvertretung war wiederum die Nichizui nicht einverstanden.61 In einer internen Notiz meinte ein Rieter-Mitarbeiter daraufhin, dass man sich in China tatsächlich nicht von zwei Firmen vertreten lassen könne. Die Chien Hsin habe zwar den Vorteil, dass sie in China gut eingeführt sei, doch das könne Volkart auch erreichen, wenn die Firma über Leute verfüge, die die Erzeugnisse von Rieter kennten und sich bei den chinesischen Spinnern „dank ihrer Kenntnisse und ihrer weiteren Eigenschaften geschätzt zu machen wissen.“ Wenn man ein chinesisches Handelshaus als Vertretung wähle, würde die Firma Rieter für ihre Maschinen wohl bessere Preise erhalten als von Volkart. Dafür sei bei einer Zusammenarbeit mit einer Schweizer Handelsfirma „das Risico kleiner.“ Außerdem müsse Rieter ja über die finanzielle Lage ihrer Vertreter stets auf dem Laufenden sein, da verschiedene Geschäfte auf Kommissionsbasis laufen sollten. Solche Informationen zu erhalten sei „bei Gebr. Volkart, W’thur … besser möglich als bei dem finanziell noch so gut fundierten Hause Chien Hsin in Shanghai.“62 Ein weiterer Vorteil einer Vertretung durch eine schweizerische Importfirma bestand für Rieter darin, stets aktuelle Informationen über die wirtschaftliche und politische Entwicklung in China zu erhalten. Volkart etwa legte einem Brief an Rieter einen Bericht der Volkart-Niederlassung in Shanghai über die aktuelle Situation in China bei.63 Darin hieß es unter anderem, die Bonität der chinesischen Spinner lasse sich schwer eruieren: „Zahlen, wenn überhaupt erhältlich, sagen nichts, denn die chinesischen Spinnereien spekulieren alle. Aber je kärglicher das Informationsmaterial, desto besser funktioniert das Barometer Reputation. Man ist im Markte informiert wie die Mills arbeiten, was für spekulative Engagements sie haben, kurz, ob sie gut stehen oder nur so-so. Ueberraschungen sind natürlich trotzdem möglich.“64 Die Tatsache, dass mit Volkart/Nichizui eine Firma als Vertretung in China engagiert werden konnte, die aufgrund ihrer eher vorsichtigen Geschäftspolitik, ihrer finanziellen Stabilität und ihrer kulturellen Nähe für Rieter besser einzuschätzen war und von der man auch genauere Marktinformationen erwarten durfte als von einer chinesischen Firma, dürfte der Grund gewesen sein, dass der Maschinenfabrikant 61 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/29b: Vertretungen, Verhandlungen & Verträge: Volkart, China: Gebr. Volkart, Winterthur, an AG Joh. Jacob Rieter & Cie., Winterthur, 4. November 1931. 62 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/29b: Vertretungen, Verhandlungen & Verträge: Volkart, China: Notiz zu einem Brief von Gebr. Volkart vom 4. November 1931, ohne Datum. 63 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/29b: Vertretungen, Verhandlungen & Verträge: Volkart, China: Gebr. Volkart, Winterthur, an AG Joh. Jacob Rieter & Cie., Winterthur, 4. November 1931. 64 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/29b: Vertretungen, Verhandlungen & Verträge: Volkart, China: VB Shanghai an VB Winterthur, Report on Chinese Situation, Shanghai, End of October 1931.
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im Dezember 1931 beschloss, die Nichizui als Vertretung für das Chinageschäft zu engagieren.65 Auch in Indien hatte sich Volkart schon seit längerem um eine Vertretung von Rieter bemüht. Rieter hatte sich auf dem Subkontinent aber durch eine andere Schweizer Firma, die Importfirma Sulzer, Bruderer & Co. vertreten lassen.66 Sulzer, Bruderer vertrat jedoch auch britische Maschinenhersteller, deren Produkte viel billiger waren als die von Rieter. In der Verkaufsabteilung von Rieter war man im Frühsommer 1931 der Ansicht, dass Sulzer, Bruderer sich deshalb zu wenig um die Rieter-Maschinen kümmere und nicht an ihre Konkurrenzfähigkeit glaube. Außerdem hatte Sulzer, Bruderer in fahrlässiger Weise Unterlagen von Rieter an Volkart weitergeleitet; Volkart wiederum hatte die Vertretung der deutschen Maschinenbaufirma Trützschler inne. Trützschler kopierte daraufhin nach Ansicht von Rieter die Maschinen des Winterthurer Konzerns und setzte sie mit Erfolg in Indien ab. Dies zeigt, dass eine unzuverlässige Vertretung das Kerngeschäft einer Maschinenbaufirma – die Entwicklung von konkurrenzfähigen Produkten – gefährden und damit auch Rückwirkungen auf die Geschäfte in Europa haben konnte. Der Fall bestätigte Rieter aber immerhin in der Ansicht, „dass in Indien Geschäfte gegen die Engländer zu machen wären, wenn man alles richtig anpacken würde.“ Wie ein Mitglied der Verkaufsabteilung von Rieter gegenüber einem Verantwortlichen von Sulzer, Bruderer bekräftigte, war Indien für Rieter ein wichtiger Markt.67 Indien hatte seine industrielle Produktion bis zur Großen Depression gegenüber derjenigen von 1914 um 50% gesteigert und wies auch in den frühen 1930er Jahren noch ein Wirtschaftswachstum auf.68 Wegen der Krise der europäischen Textilindustrie seien in den frühen 1930er Jahren nur noch in drei Ländern im großen Stil Spinnereien errichtet worden: in Russland, China und Indien. Russland falle für Rieter außer Betracht, da von dort aus politischen Gründen keine Aufträge in die Schweiz vergeben würden. „Für China haben wir ganz nett Arbeit, mehr als die Hälfte unseres Auftragsbestandes ist für dieses Land bestimmt.
65 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/29b: Vertretungen, Verhandlungen & Verträge: Volkart, China: Rieter an Gebr. Volkart, Winterthur, 17. Dezember 1931. 66 Laut Douglas Farnie wurde Rieter in den 1920er Jahren vorübergehend auch durch die parsische Kaufmannsfirma N. N. Wadia vertreten. Im Firmenarchiv von Rieter findet sich kein Hinweis mehr auf diese Verbindung, so dass unklar ist, wie lange sie bestand und wie erfolgreich sie war: Farnie, The Role of Cotton Textiles, 2004, S. 413. 67 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/28: Britisch Indien: Verkaufsabteilung Rieter, Winterthur, an Sulzer, Bruderer&Co., Zürich, 29. Mai 1931. 68 Auch Chile, Italien, Kanada und USA hatten ihre Produktion zwischen 1914 und 1929 in ähnlichem Ausmaß steigern können. Japan hatte seine Produktion in dieser Zeit gar verdreifacht und wies 1930–32 wie Indien ebenfalls ein Wirtschaftswachstum auf: Ray, Industrialization in India, 1979, S. 12.
Maschinen für Asien
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– So wirst du begreifen, dass wir Indien nicht einfach unserer englischen Konkurrenz überlassen können.“69 Rieter zeigte sich durchaus bereit, Spezialpreise zu gewähren, um die Maschinen der Firma in Indien einzuführen. Dennoch seien von den Angestellten von Sulzer, Bruderer in Bombay kaum ernsthafte Anstrengungen unternommen worden, Offerten bei indischen Spinnereien einzuholen: „Bombay schreib uns immer, dass der Indier nur das Billigste kaufe und von den bekannten englischen Fabrikaten nicht abzubringen sei. Da wir keine Gegenbeweise hatten, mussten wir die letzten Jahre zusehen, ohne einschreiten zu können. Die Geschäfte Trützschlers, der als fast ganz unbekannte Firma eine Reihe Aufträge zu Preisen hereinholen konnte, die auch wir mit Freuden akzeptiert hätten, haben nun den Beweis erbracht, dass unsere Auffassung doch die richtige war. Wenn dem Indier glaubhaft gemacht werden kann, dass eine für ihn neue Maschine, auch wenn sie teurer ist, Vorteile bietet, so wird er sie kaufen, wie es jeder richtige Geschäftsmann in andern Ländern auch tut.“ Tatsächlich gab Sulzer, Bruderer im Herbst 1931 die Vertretung von Rieter in Indien auf.70 Kurz darauf übernahm Volkart die indische Vertretung von Rieter und löste dafür den Vertretungsvertrag mit Trützschler.71
Verluste und Gewinne Wie gezeigt, gelang es dem Engineering Department von Volkart immer wieder, die Vertretung von bedeutenden kontinentaleuropäischen Maschinenbaufirmen zu erlangen. Dennoch war dieses Geschäftsfeld für die Firma lange Zeit verlustreich. So sorgte das Maschinenimportgeschäft nach Indien zwischen 1923 und 1933 für einen Verlust von 4’078’184 Franken, dasjenige nach Japan für einen Verlust von 20’614 Franken. Die Maschinenimporte nach Japan waren zwar zwischenzeitlich äußerst lukrativ gewesen und hatten etwa 1929 für einen Gewinn von 219’000 Franken gesorgt, doch in den frühen 1930er Jahren gingen die Profite stark zurück.72 Diese Verluste gingen einher mit Problemen in anderen Geschäftsbereichen. Nachdem Volkart insbesondere durch die Erfolge im Baumwollgeschäft in den frühen 1920er Jahren große Gewinne gemacht hatte, folgten ab 1926 mehrere Jahre mit roten Zahlen.73 69 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/28: Britisch Indien: Verkaufsabteilung Rieter, Winterthur, an Sulzer, Bruderer&Co., Zürich, 29. Mai 1931. 70 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 6/28: Britisch Indien: Rieter an Herren Sulzer, Bruderer & Cie., Zürich, Winterthur, 2. Oktober 1931. 71 HAR, H/i 3556: Vertretungen, 7/26: Konfidentielle Vertreter Korrespondenz: Volkart: Gebr. Volkart, Winterthur, an AG J.J. Rieter&Co., Winterthur, 24. April 1935. 72 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Mappe: Abbau-Massnahmen Import/Engineering: Div. Bilanzen. 73 Vgl. hierzu Kapitel 8.
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Ent-Europäisierung
Die Geschäftsleitung redimensionierte deshalb die Firmenstruktur und insbesondere Georg Reinhart drängte darauf, auch das Maschinengeschäft wieder aufzugeben oder doch zumindest stark zu verkleinern. Damit stieß er jedoch auf Widerstand bei seinem Bruder Werner, mit dem zusammen er die Leitung der Firma innehatte.74 Offenbar konnte sich Werner Reinhart in der Frage des Maschinenimportgeschäftes durchsetzen. Jedenfalls baute Volkart die Importtätigkeit im Bereich von technischen Geräten ab den späten 1920er Jahren stark aus. 1928 wurde in Bombay die Swiss Engineering Co. gegründet, die zu 100% in Besitz von Volkart war und für den Verkauf und die Wartung von Automobilen zuständig war.75 Mitte der 1930er Jahre schloss Volkart zahlreiche Vertretungsverträge mit westlichen Firmen für Importe nach Indien ab.76 Von 1936 bis 1940 publizierte die Firma zudem in Indien die Zeitschrift „Volkart Brothers Engineering News“, in der neben Inseraten der von Volkart vertretenen Industriefirmen auch Beiträge über die Geschichte dieser Unternehmen und ihre Produkte zu finden waren. Weiter erschienen in der Zeitschrift reich bebilderte Artikel über indische Kraftwerke, Kühlanlagen und Textilfirmen, welche mit europäischen Maschinen bestückt worden waren, die wiederum durch Volkart geliefert wurden. Da sich in Indien eine Konsumgesellschaft nach westlichem Vorbild herauszubilden begann, importierte Volkart neben technischen Großanlagen nun mehr und mehr auch Klimaanlagen, Kühlschränke und andere Haushaltgeräte.77 Für deren Absatz warb Volkart unter anderem mit einem illustrierten Beitrag in den „Engineering News“ von 1936. In diesem wurde auf einen zehn Jahre zuvor erschienenen Zeitungsartikel verwiesen, in welchem angeführt worden war, man solle in Indien bei großer Hitze am besten Bücher über Polarexpeditionen lesen, um sich zumindest mental etwas abzukühlen. Solche Ablenkungsmaßnahmen seien nun, 1936, nicht mehr nötig: „How hopelessly antiquated all this sounds now, in these days of Air-conditioning! Why concentrate on polar bears and icebergs …, when you can sit in an air-conditioned room? For, as Volkart Brothers’ slogan has it, you don’t want to be cool, you want to be comfortable.“78 74 VA, Dossier 62: ex GR persönliches Archiv II, Verschiedene Abbauvorschläge im Sinne einer Konsolidierung und Konzentration der Firma 1925–1929: Sparmassnahmen, 9.12.1927; Oberste Geschäftsleitung in Winterthur – Vorbereitung des Rücktritts von G.R. 1930–1945: GR, Richtlinien für die Geschäftspolitik der nächsten Jahre, 13. Oktober 1930; Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, GR, Memorandum I, 23. Juli 1929; GR, Die Frage des Maschinengeschäftes in Indien und Japan, 5. März 1931. 75 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 214. 76 VA, Dossier 4: Bombay II, 12. Import Dept.: 30.1.1951 – ALLGEMEINER RUECKBLICK UEBER DAS IMPORT GESCHAEFT SEIT 1926. 77 VA, Dossier 50: Engineering /Voltas Schriften, Dokumente etc.: Volkart Brothers Engineering News (1936–1940). 78 VA, Dossier 50: Engineering /Voltas Schriften, Dokumente etc.: Volkart Brothers Engineering News, Vol. 1, March 1936, S. 3.
Maschinen für Asien
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Abb. 21 Ausstellungsraum für Kühlanlagen in Bombay um 1930 (Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 2, Bombay Gebäude und Büros)
Trotz dieser Expansionsschritte blieb das Maschinenimportgeschäft nach Asien äußerst schwierig – nicht nur für Volkart. Auch die Schweizer Fabrikanten erzielten oft nicht die erhofften Resultate.79 Die Firma Sulzer jedenfalls plante in den frühen 1930er Jahren eine Reorganisation ihres Importgeschäfts, da die Verkaufsresultate aufgrund der vergleichsweise hohen Preise der Schweizer Maschinen enttäuschend waren. Sulzer überlegte sich deshalb, das seit 1923 bestehende Verkaufsbüro in Kalkutta zu schließen und das Importgeschäft rein über Agenturen abzuwickeln.80 1933 übergab Sulzer die Vertretung auf dem Subkontinent an die Firma Gillanders, Arbuthnot & Co. Da diese Importfirma jedoch keine technisch geschulten Angestellten besaß, mussten die Mitarbeiter von Sulzer faktisch die gesamte Installation der gelieferten Anlagen vornehmen. Es musste also eine neue Lösung gesucht werden. In Indien kam dafür neben der britischen Firma Bird, mit der Sulzer bereits früher kooperiert hatte, bloß noch Volkart in Frage, da allein diese beiden Firmen technische Angestellte beschäftigten, die sich um die Montage der Maschinen kümmern konnten.81 Im Herbst 1934 hatte ein Delegierter von Sulzer eine Unterredung mit einem 79 Ob dies auch für die britischen Import- und Maschinenbaufirmen zutraf, oder ob diese wegen ihrer Vormachstellung größere Erfolge mit dem Maschinenport hatten, lässt sich aufgrund der bestehenden Literatur und der für diese Studie zur Verfügung stehenden Quellen nicht beantworten. 80 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan: Indien, No. 7, Vertreter Ingenieure für Indien & Calcutta: Report on Reorganisation of Calcutta Office, Calcutta, 23. Oktober 1930. 81 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan: Indien, No. 7, Vertreter Ingenieure für Indien & Calcutta: Sulzer Bros. Calcutta, Agents for India & Burma: Gillanders Arbuthnot & Co. an Dr. Wolfer, Calcutta, 30. Juli 1934.
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Ent-Europäisierung
Schweizer namens Baer, der bei Bird in Kalkutta angestellt war. Dabei wurde erörtert, dass eine Vertretung durch eine britische Firma wie Bird durchaus Vorteile habe, so etwa bei Zollfragen82: „Auch im Verkehr mit der Regierung kann der Schweizer ganz anders auftreten, wenn es bekannt ist, dass hinter ihm eine einheimische Grossfirma steht.“ Ein Problem bestehe jedoch darin, dass bei britischen Firmen stets eine gewisse Verachtung für „continental people“ bestehe. Das Fazit des Sulzer-Mitarbeiters war eindeutig: „Ich muss gestehen, dass ich von Herrn Baer in etwa 1 ½ Stunden ein viel lebhafteres und eingehenderes Bild der Verhältnisse in Indien erhalten habe als in den längsten Unterredungen mit Herrn Harris [wohl ebenfalls Mitarbeiter von Bird, chd]. Bear kennt eben unsere Bedürfnisse und unsere Auffassung, und er redet geschäftlich unsere eigene Sprache. Er sieht Land und Leute mit unsern Augen und kann sicherlich daraus besser das gewinnen, was wir nötig haben, als es der Brite tut, von dem wir und unsere Bedürfnisse doch nie ganz verstanden werden. Die Kluft zwischen British und Continental wird immer bestehen, aber bei einem so fernen und so teuren Land, wo wir dem Vertreter so viel Vertrauen schenken müssen, ist es wahrscheinlich besser, diese Kluft unmittelbar zwischen Kunden und Vertreter bestehen zu lassen, und nicht wie bisher zwischen Vertreter und Fabrik.“83 Der Delegierte war deshalb der Ansicht, es wäre besser, wenn Sulzer in Zukunft der „Vertretung in Indien ein rein schweizerisches Gepräge geben“ würde.84 Im Klartext bedeutete das, dass er dazu tendierte, die indische Vertretung an Volkart zu übergeben. Ein Hindernis für die Übernahme der Sulzer-Vertretung bestand jedoch darin, dass Volkart bereits die Vertretung der deutschen Maschinenbaufirma M.A.N. für Indien ausübte, die in direkter Konkurrenz zu Sulzer stand. Ende September 1939, nachdem Volkart aufgrund des Kriegsausbruchs die M.A.N.-Vertretung hatte aufgeben müssen, kam es zu erneuten Gesprächen.85 Ab März 1940 vertrat Volkart die Firma Sulzer in Indien. Die Angestellten, die Sulzer bis dahin auf dem Subkontinent beschäftigt hatte, arbeiteten fortan im Engineering Department von Volkart.86
82 Zum Schutz der indischen Industrie hatte die indische Regierung die Importzöllle in der Zwischenkriegszeit sukzessive erhöht: Ray, Industrialization in India, 1979, S. 273. 83 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan: Indien, No. 8: Volkart Brothers Indien: Besprechung mit Herrn Baer von Bird & Co. Calcutta, vom 10. Oktober 1934, 11. Oktober 1934. 84 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan: Indien, No. 8: Volkart Brothers Indien: Besprechung mit Herrn Baer von Bird & Co. Calcutta, vom 10. Oktober 1934, 11. Oktober 1934. 85 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan: Indien, Korrespondenz Abt. 20, Indien: Brown Boveri & Co., Baden, an Gebr. Volkart, Winterthur, 19. Oktober 1939. 86 VA, Dossier 50: Engineering /Voltas Schriften, Dokumente etc.: Volkart Brothers Engineering News, Vol. 5, April/May 1940, S. 14.
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Das Ende der Maschinenimporte nach Asien Bei den Schweizer Industrieunternehmen, die durch Volkart vertreten wurden, gibt es keine Zahlen in Bezug auf den Export nach Asien. Zeitweilig scheint dieser Geschäftsbereich durchaus ertragreich gewesen zu sein. So konnte Rieter zwischen 1929 den drastischen Auftragsrückgang in Deutschland und Italien unter anderem durch große Bestellungen aus Japan, China und Indien kompensieren.87 Auch bei der BBC scheinen die Verkäufe in Indien in den späten 1930er Jahren für beträchtliche Gewinne gesorgt zu haben.88 Die zahlreichen Wechsel der Vertretungen und die steten Klagen über die Arbeit der Agenten können aber als Hinweis auf die Schwierigkeiten gelten, die sich beim Import nach Asien immer wieder ergaben. Es waren deshalb wohl weniger die konkreten Resultate als vielmehr die Hoffnung, dass angesichts des riesigen asiatischen Marktes der Maschinenimport irgendwann einmal regelmäßige Gewinne abwerfen könnte, die Importfirmen wie Volkart und die Schweizer Maschinenbauer so hartnäckig an diesem Geschäft festhalten ließ.89 Ab Ende der 1930er Jahre wurde der Maschinenimport nach Asien jedoch immer schwieriger. In China waren Maschinenimporte nach dem japanischen Einmarsch nur noch in beschränktem Umfang möglich. Während des Zweiten Weltkrieges und des darauf folgenden Bürgerkrieges konnten solche Geschäfte kaum mehr durchgeführt werden. Nach der kommunistischen Machtübernahme musste Volkart wie viele andere westliche Firmen die Niederlassungen in China schließen.90 Auch in Japan gingen die Maschinenimporte angesichts des zunehmenden Erstarkens der japanischen Maschinenindustrie immer mehr zurück.91 In Indien schließlich sorgte die Kriegswirtschaft während des Zweiten Weltkrieges für einen industriellen Aufschwung, insbesondere bei der Produktion von Maschinen und chemischen Produkten.92 Nach 1947 wurde das Maschinengeschäft zusätzlich dadurch erschwert, dass die indische Regierung sich daran machte, den Aufbau einer einheimischen Industrie zu fördern. Volkart führte deshalb ab den 1950er Jahren alle indischen Geschäftssparten und Niederlassungen in eigene Aktiengesellschaften über, die nach und nach mit indischen Firmen fusionierten.93 Das Engineering De87 Müller, Organizational Change, 2000, Fn. 30. 88 KAS, Schachtel 314: Indien, Indonesien, Pakistan: Indien, Korrespondenz Abt. 20, Indien: Brown Boveri & Co., Baden, an Gebr. Volkart, Winterthur, 19. Oktober 1939. 89 Ähnlich argumentiert Mutz für die Geschäftstätigkeit von Siemens in China: Mutz, „Der Sohn, der durch das West-Tor kam“, 2005, S. 8. 90 KAS, Schachtel 299c: China: Brief der Firmen, die in Shanghai Niederlassungen besitzen an Bundesrat Max Petitpierre, Vorsteher des Eidg. Politischen Departements, Bern, Zürich, 19. Juni 1950; VA, Dossier 15: The Far Eastern Organisation, I. Shanghai (incl. Tientsin etc.). 91 VA, Dossier 14: Japan, Korrespondenz): Peter Reinhart, Tatuta Maru, 20. Juli 1939. 92 Ray, Industrialization in India, 1979, S. 250. 93 VA, Dossier 29–34. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 12.
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Ent-Europäisierung
Abb. 22 Lager des Engineering Departments in Bombay 1941 (Quelle: Fotomuseum Winterthur, Sammlung Volkart, CD 1, Album Bombay 1941)
partment von Volkart schloss sich 1954 mit einer Tochtergesellschaft des indischen Industriegiganten Tata zur Firma Voltas zusammen. Voltas betätigte sich anfänglich weiter im Maschinen- und Chemieimport. Sukzessive brachte die Voltas aber westliche Industriefirmen wie den amerikanischen Traktorhersteller Harvester oder den Textilmaschinenhersteller Rieter, die zuvor über Volkart nach Indien importiert hatten, dazu, zusammen mit indischen Unternehmen eigene Produktionsstätten auf dem Subkontinent einzurichten. In den 1960er Jahren begann die Firma auch mit der Herstellung von eigenen Kühlanlagen.94 Dies zeigt, dass die Aufnahme des Maschinenimportgeschäftes langfristig zu einer unternehmerischen Diversifizierung in Richtung Produktion führte, indem sich das ehemalige Engeneering Department zu einem industriellen Fabrikationsbetrieb ent94 VA, Dossier 29: Voltas Ltd. (1954): Text von A. H. Tobaccowala, Managing Director von Voltas, anlässlich des 20. Geburtstag von Voltas am 1.9.74; Business India, Dec. 24, 1979-Jan. 6, 1980, Interview mit A.H. Tobaccowala, managing Director of Voltas; TCA, Tata Sons, Rack 3, Box 37, TS-Vol-8, Extracts from the Minutes of Agents’ Weekly Meeting: 26th August 1953 and 11th November 1953; TS-Vol-21 und TS-Vol-24. Vgl. auch http://www.voltas.com (13. Juni 2010), sowie ausführlicher Kapitel 12.
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wickelte. Der Maschinenimport nach Asien gehört damit einer historisch sehr spezifischen Phase der Kolonialzeit an, in der sich in Asien eine Konsumkultur zu entwickeln begann und in der sich asiatische Unternehmen insbesondere im Bereich der Textilwirtschaft hatten etablieren können, aber in der die asiatischen Ländern noch keine eigene Maschinenindustrie besaßen. Mit dem Ende der Kolonialzeit ging diese Phase zu Ende und europäische Firmen mussten dazu übergehen, mehr und mehr in den asiatischen Ländern selber zu produzieren, wenn sie im dortigen Markt präsent bleiben wollten.
12. Die Folgen der Entkolonialisierung
Die Nachkriegszeit stellte für Handelsunternehmen, die in der kolonialen Welt tätig waren, einen drastischen Einschnitt dar. Bis dahin hatten sie davon profitieren können, dass die weitgehend ungehinderte Ausfuhr von überseeischen Rohstoffen und die Einfuhr von europäischen Industriegütern in die kolonialen Besitztümer die Grundelemente der imperialen Wirtschaftsordnung darstellten. Dies änderte sich mit dem Ende der Kolonialherrschaft. Nun versuchten die Regierungen der unabhängig gewordenen Staaten, den Außenhandel stärker zu kontrollieren, was über kurz oder lang die Geschäftsgrundlage von ausländischen Import- und Exportfirmen zu zerstören drohte. Wie reagierte ein Handelsunternehmen wie Volkart auf diese veränderte Situation? Auf den folgenden Seiten soll zum einen gezeigt werden, dass das durch die Regierungen der ehemaligen Kolonialländer erzwungene Eingehen von Kooperationen mit einheimischen Unternehmen die Umgestaltung von Volkart in eine multinationale Handelsfirma mit einer ausgeprägten Holdingstruktur beförderte. Interorganisationale Netzwerke waren demzufolge nicht nur eine leistungsfähige Strategie, um in neue Märkte vorzudringen, wie in den vorhergehenden Kapiteln geschildert wurde, sondern auch eine Möglichkeit, sich ohne größere Verluste aus diesen Märkten wieder zurückziehen zu können. Zum anderen wird geschildert, welche Möglichkeiten multinationale Unternehmen aufgrund ihrer Firmenstruktur hatten, sich der nationalstaatlichen Kontrolle zu entziehen. So konnten sie etwa Gewinne in den steuergünstigen und wirtschaftlich stabileren Industrieländern anfallen lassen, um sie nicht in den Ländern der südlichen Peripherie versteuern zu müssen.
Auswirkungen der indischen und pakistanischen Unabhängigkeit Nach 1945 vermochte Volkart in Indien vorerst erfolgreich an die geschäftlichen Aktivitäten der Vorkriegsjahre anknüpfen.1 Die politischen Umwälzungen in Südasien sollten jedoch das Handelsgeschäft schon bald nachhaltig verändern. Im August 1947 erfolgte die Teilung des Subkontinents in die beiden neuen Staaten Indien und Pakistan. In der Firmenleitung wurde darüber diskutiert, ob Volkart anlässlich des Abzuges der englischen Kolonialherren nun die neuen Landesfahnen hissen und eine Glückwunschbotschaft verschicken solle. Man kam jedoch zum Schluss, „dass es mit Rücksicht auf die Engländer, unter denen V.B. doch nahezu 100 Jahre in Indien gedeihen und sich entfalten konnte, sich für uns nicht ziemt, bei ihrem Abzug für 1
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 508–510.
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Staatliche Interventionen und multinationale Handelsfirmen
das neue Indien zu demonstrieren“. Dafür entschied man, dem indischen und pakistanischen Personal einen Bonus in der Höhe von einem halben bis zu einem ganzen Monatssalär zukommen zu lassen.2 Schon bald zeigte sich, dass die Teilung verschiedene Probleme mit sich brachte. So waren nach 1947 verschiedene firmeninterne Umstrukturierungen nötig, um die Organisation der Geschäfte den neuen politischen Realitäten anzupassen.3 Gravierender waren die Folgen der Pogrome und gewaltsamen Vertreibungen, welche die Teilung des Subkontinents begleiteten. Diese wirkten sich vor allem auf die Personalsituation aus. Aus der Niederlassung in Lahore verschwand über Nacht fast das gesamte hinduistische Personal. Im indischen Amritsar, das direkt an der neuen Staatsgrenze lag, blieben die Angestellten zwar auf ihrem Posten, dafür waren viele Kunden der Firma geflüchtet und kehrten erst nach und nach zurück. In Karachi hatte vor der Teilung praktisch das gesamte einheimische Personal aus Hindus bestanden. Diese Angestellten flüchteten im Sommer 1947 nach Indien. Ein Teil davon fand in den indischen Niederlassungen von Volkart eine neue Beschäftigung. In der Filiale in Karachi wurde das geflüchtete Personal durch Muslime ersetzt, welche aus Indien nach Pakistan geflohen waren.4 Da auch in den Häfen und Regierungsstellen des neuen pakistanischen Staates die Posten, die bisher durch Hindus besetzt worden waren, nun durch Muslime aus Indien bekleidet wurden, brach die Infrastruktur des Handels vorübergehend zusammen: „Everything was in a mess“, klagten die Volkart Mitarbeiter aus Karachi in einem Jahresbericht 1948, „papers and documents got lost, warehouses were overfull, goods stacked outside were buried under a heap and could not be found.“5 Noch problematischer als diese kurzfristigen Störungen war für westliche Firmen die Tatsache, dass durch die Teilung des Subkontinents Handelsfragen immer stärker verpolitisiert wurden, eine Entwicklung, die nach dem Zweiten Weltkrieg in vielen ehemaligen Kolonien einsetzte.6 So wurden die Getreideimporte, die Volkart und Ralli bis dahin im Auftrag der Regierung durchgeführt hatten, ab 1947 von einheimischen Handelshäusern übernommen. Nach Ansicht von Volkart Karachi geschah dies, da „strong pressure was brought to bear on the food department not to appoint 2 3
4 5 6
VA, Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947–28. Juni 1949: Konferenz vom 11. August 1947. So wurde die Zweigstelle in Dehli, die bis dahin eine Agentur von Volkart Lahore gewesen war, zu einer eigenen Filiale gemacht. In Chittagong wurde ein neues Büro eröffnet, während die Baumwollabteilung in Amritsar geschlossen wurde und die Zweigstelle in Amritsar dafür die Importgeschäfte für die Filiale in Delhi übernahm: Anderegg, Chronicle, 1976, S. 512f. VA, Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947–28. Juni 1949: Konferenz vom 6. Oktober 1947; Dossier 8: Karachi, 1. Management und 3. Table of Events: VB. VA, Dossier 8: Karachi, 14. Foodgrains business during and for sometime after World War II: Karachi Branch Clearing Departement Report for 1947/48, ending 31.8.48 vom 18. Oktober 1948. Amsden, The Rise of “the Rest”, 2001, S. 119.
Die Folgen der Entkolonialisierung
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European firms to this job again.“7 Die Probleme der ausländischen Firmen verschärften sich zunehmend. Anlässlich des Hundertjahrjubiläums hatte Volkart 1951 noch zahlreiche Anzeigen geschaltet, in denen auf die langjährige Tätigkeit der Firma auf dem Subkontinent verwiesen wurde. Die Anzeige in der „Times of India“ war überschrieben mit dem Slogan „Pioneers in the Past – planning the Future: Volkart Brothers“, während in der „Pakistan Times“ das Gründungszirkular der Firma von 1851 sowie der folgende Text abgedruckt wurden: „On the occasion of the Centenary we wish to express our gratitude to the people of this country for the hospitality they have extended to us during the last century. We sincerely hope that with whatever services we can render we shall be able to repay this hospitality in the future, as we have always tried to do in the past.“8 Zur Feier des Firmengeburtstages gründeten die Teilhaber die Volkart Stiftung mit einer Einlage von 3 Millionen Schweizer Franken. Die Stiftung sollte auf dem Subkontinent humanitäre, soziale und kulturelle Projekte unterstützen.9 Die Teilhaber verfolgten mit der Gründung der Stiftung aber auch geschäftliche Interessen. So wurde 1950 in einem Sitzungsprotokoll festgehalten, dass die von der Stiftung ausbezahlten Gelder für die Firma „einen guten Publizitätswert haben dürften“10 – ein Umstand, der angesichts der immer feindseligeren Stimmung gegenüber ausländischen Firmen durchaus erwünscht war. Doch diese Hoffnung stand auf schwachen Füßen. Nach dem Erlangen der Unabhängigkeit drängten die Regierungen Indiens und Pakistans einerseits darauf, dass ausländische Firmen auf allen Hierarchiestufen einheimisches Personal anstellten. Andererseits verlangten sie, dass die Firmen einheimische Unternehmer als Teilhaber ihrer indischen und pakistanischen Tochtergesellschaften aufnahmen. Im Sommer 1951 wurde Volkart – neben Ralli und Lever Bros. – explizit als eine derjenigen Firmen genannt, bei denen eine solche „Indianisierung“ wünschbar sei.11 Praktisch zur selben Zeit erließ die pakistanische Aufsichtsbehörde für Import- und Exportgeschäfte eine Verfügung, wonach sich alle Importeure durch Einreichung eines ausgefüllten Fragebogens registrieren lassen und unter anderem angeben mussten, wie hoch der prozentuale Anteil von Europäern, sowie von muslimischen und nichtmuslimischen Pakistani beim Personal war, wie gross das Kapital der Firma war und welche Gewinne seit der Unabhängigkeit Pakistans ins Ausland abgeführt worden 7 VA, Dossier 8: Karachi, 14. Foodgrains business during and for sometime after World War II: Karachi Branch Foodgrains Department Report for 1946/47, ending 31.8.47, vom 15. September 1947. 8 VA, Dossier 5: Bombay III: India General, 27. Some general events in India between 1851– 1976: Times of India, 1st February 1951 und Pakistan Times, 1st February 1951. 9 VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 7. Juli 1950. Siehe für einen Überblick über die Tätigkeit der Stiftung während der ersten zehn Jahre ihrer Existenz: Gebrüder Volkart, The Volkart Foundation, o.J. [1961]. 10 VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 7. Februar 1950. 11 VA, Konferenz-Protokolle vom 1. Juli 1949–19. Dezember 1952: Protokoll vom 2. Juni 1951.
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waren. Vor allem die letzte Forderung wurde von den Teilhabern von Volkart als „Höhepunkt der vom Import Controller bezeugten Unverfrorenheit“ bezeichnet, und in einem Konferenzprotokoll wurde die bange Frage gestellt: „Welche weitern Anmassungen wird uns wohl die Emanzipation der östlichen Völker in den kommenden Jahren noch bescheren.“12 1952 wurde erstmals einem europäischen Angestellten die Einreise nach Indien verweigert, während bei anderen Europäern, die für Volkart auf dem Subkontinent tätig waren, die Aufenthaltsbewilligung nicht mehr verlängert wurde.13 In der Firmenleitung von Volkart musste man sich darauf hin eingestehen, dass, obwohl der „Gedanke der ‚Indianisierung’“ für die Firma nicht neu sei und man sich schon „seit Jahren damit befasst“ habe, „indischen Nachwuchs heranzuziehen“, man bisher „viel zu behutsam vorgegangen“ war: „Wir müssen uns mit der Idee, dass auf dem höchsten Level Inder mitreden und sogar Schlüsselpositionen bekleiden werden, vertraut machen.“ Dies führe jedoch nicht nur zu höheren Personalkosten, sondern auch zu Problemen bei der Rekrutierung: „Erstens besteht ein akuter Mangel an tüchtigen Köpfen, anderseits sind diese entweder bei indischen Firmen an gehobenen Posten, wo sie à la longue wohl bessere Chancen haben, oder aber im Regierungsdienst.“14 Außerdem bestand nach Ansicht eines Volkart-Managers nach wie vor „eine grosse Kluft … zwischen dem europäischen, speziell dem spezifisch schweizerisch demokratischen Denken und dem indischen. … Wir sind uns wohl alle einig, dass in unsern Niederlassungen bis anhin die schweizerische Art, leicht mit englischem Denken getönt, vorgeherrscht hat. Bei manchen Anweisungen der Geschäftsleitung wird der Inder erst als Inder denken und erst in zweiter Linie als Volkart Angestellter. Wenn auch in einem solchen Widerstreit das Pflichtgefühl der Firma gegenüber siegen dürfte, wird der Inder doch die Interessen der Firma nicht mit dem gleichen Nachdruck und der gleichen Beharrlichkeit vertreten, als wenn er innerlich mit den Instruktionen von Winterthur einig geht. Aus diesen Divergenzen ergibt sich die Frage, ob der team spirit und das Gefühl der engen Verbundenheit mit dem Schicksal der Firma die gleichen bleiben werden.“15 Trotz dieser Bedenken sollte mit der indischen Regierung ein Abkommen geschlossen werden, wonach Volkart sich verpflichten würde, den prozentualen Anteil von indischen Angestellten von 40% auf 60% zu erhöhen. 12 VA, Konferenz-Protokolle vom 1. Juli 1949–19. Dezember 1952: Pakistan Importers’ Registration, 25.5.51. 13 VA, Dossier 3: Bombay I, 4. Table of Events 1851–1961/2; Dossier 25: I/P/C Terms of European Staff, Staff Indianisation Corr. 1951–67/ Pakistanisation -1967: E. Sulger, Die Indianisierung unserer Niederlassungen in Indien/Ceylon/Pakistan, 21. 2. 1953. 14 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 25. März 1953. 15 VA, Dossier 25: I/P/C Terms of European Staff, Staff Indianisation Corr. 1951–67/ Pakistanisation -1967: E. Sulger, Die Indianisierung unserer Niederlassungen in Indien/Ceylon/Pakistan, 21. 2. 1953.
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Die oberste Führungsebene der Filialen wollte man von dieser Regelung allerdings ausnehmen. Die Firma konnte dabei immerhin für sich in Anspruch nehmen, dass der Anteil von indischen Angestellten bereits zu diesem Zeitpunkt etwa doppelt so hoch war wie bei anderen ausländischen Unternehmen.16 Zudem besetzten verschiedene Inder zum Teil leitende Positionen innerhalb der Firma und verfügten gemäß Angaben von Volkart über wesentlich mehr Kompetenzen und wurden auch besser entlöhnt als viele europäische Angestellte.17 Die Situation wurde für Volkart zusätzlich dadurch kompliziert, dass schon kurz nach der Erlangung der Unabhängigkeit sowohl in Indien wie in Pakistan zahlreiche Gewerkschaften entstanden. Diese konnten in der Folge verschiedene Forderungen durchsetzen, wie die Gewährung von kostenloser medizinischer Betreuung, kürzere Arbeitszeiten oder die Einrichtung von Ruheräumen und Büchereien für die einheimischen Angestellten. Volkart führte dabei bereits 1947 verschiedene Verbesserungen der Arbeitsbedingungen ein, die in späteren Jahren von Gesetzes wegen für obligatorisch erklärt wurden.18 Doch da die Gewerkschaften immer radikaler wurden – sie führten schon bald Aktionen wie Warnstreiks, die Besetzung von Büroräumen oder die Festsetzung von leitenden Angestellten durch – begannen sie die Geschäftspolitik der Firma zu beeinflussen. So stellte Volkart 1956 nicht zuletzt wegen Problemen mit den Angestellten den Import von technischen Apparaten nach Pakistan ein, nachdem die entsprechende Abteilung kurz zuvor wegen eines Arbeitskonfliktes von Lahore nach Karachi hatte verlegt werden müssen.19 In den meisten Fällen scheint es der Firma aber durch die Einstellung von Verbindungsleuten, die den Kontakt zu den Gewerkschaften aufrecht erhielten und Anliegen des Personals an das Management weiterleitete, gelungen zu sein, den Arbeitsfrieden zu wahren.20 Trotz all dieser Schwierigkeiten kam man in der Firmenleitung in den frühen 1950er Jahren zum Schluss, dass es sinnvoll sei, „die Europäer auf ein kleines Kader für die Schlüsselstellungen“ zu reduzieren und ansonsten auf einheimisches Personal zu setzen: „Wir müssen … auf eine starke Indianisierung tendieren und den Geschäftsumfang wenn nötig der vorhandenen Organisation anpassen.“21 Dieser Entscheid rührte nicht zuletzt daher, dass Volkart immer häufiger Mühe bekundete, qualifizierte europäische Angestellte für die Arbeit in Indien zu finden. Das war unter anderem 16 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 27. Juli 1953. 17 VA, Dossier 24: I/P/C [India, Pakistan, Ceylon] Terms of Local Staff, II. Indianisation & -isation in P. & C.: Volkart Brothers, Bombay an L.A. Halsall, Vice-Chairman of the Bombay Chamber of Commerce, 3. Oktober 1951. 18 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 520ff. 19 VA, Dossier 8: Karachi, 3. Table of Events: VB. 20 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 522. 21 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 28. April 1953.
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eine Folge der unsicheren politischen Lage auf dem Subkontinent und der Drohungen, denen europäische Firmen und Angestellte immer häufiger ausgesetzt waren.22
Die Gründung von neuen Tochtergesellschaften mit indischen Teilhabern Die Regierungen der neuen südasiatischen Staaten intervenierten nicht nur bei der Personalpolitik der ausländischen Firmen, sondern mischten sich auch in andere Belange ein. Sie versuchten insbesondere, westliche Fabrikanten durch eine Beschränkung der industriellen Importe dazu zu bringen, in Indien oder Pakistan eigene Produktionsstätten einzurichten. Dabei sollten sie mit einheimischen Partnern kooperieren oder ihre Produkte auf dem Subkontinent durch einheimische Unternehmer in Lizenz produzieren lassen.23 Für Handelsfirmen bedeutete außerdem die Tatsache, dass die Steuerbelastung gegenüber der Kolonialzeit stark anstieg, eine große Belastung. So waren noch in den 1920er Jahren bloß 45% der Nettogewinne, die durch Geschäfte innerhalb des Empires erzielt worden waren, in Indien selbst steuerpflichtig gewesen, wobei der Steuersatz 6 ¼ % betrug. Dazu kam noch eine Zusatzsteuer von 15%, die die Teilhaber direkt entrichten mussten. Gewinne, die durch Geschäfte außerhalb des Empires erzielt worden waren, waren in Indien steuerfrei gewesen – dies betraf vor allem die umfangreichen Baumwollexporte. Für diese Gewinne war die Firma jedoch in der Schweiz steuerpflichtig, wobei hier nur ein Drittel der Einkünfte für die Steuer angerechnet wurde.24 Auch wenn die Steuern in Indien in der Zwischenkriegszeit laufend erhöht wurden, waren die Steuerverhältnisse für die Firma während der Kolonialzeit äußerst günstig. Dies sollte sich nach der Entkolonialisierung schlagartig ändern. Nun mussten 25% der Reingewinne aus dem Exportgeschäft und 100% der Gewinne aus dem Importgeschäft auf dem Subkontinent versteuert werden. Dazu kamen noch die Steuern, die Volkart in der Schweiz und teilweise auch noch in Großbritannien zahlen musste, so dass ein Teil des Einkommens mehrfach besteuert wurde.25
22 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: PR, Office Note, Anstellungsbedingungen des europäischen Personals in Indien (immer inkl. Pakistan/Ceylon), 2. August 1958; JA, Anstellungsbedingungen des europäischen Personals in Indien (immer inkl. Pakistan/Ceylon), 25.8.58. 23 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 529. 24 VA, Dossier 28: Notes on Taxation in India, 1. Indian taxation laws – notes thereon; 2. Notes on taxation practices applicable to VB; 9. UK taxation; Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 23. April 1953. 25 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 23. April 1953.
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Angesichts all dieser Schwierigkeiten enervierte sich die Geschäftsleitung von Volkart verschiedentlich über die „unerträglich gewordene …, verworrene… Situation“. Wie man mit dieser umgehen sollte, war lange Zeit unklar. Sicher war bloß, dass die „extreme Konsequenz“, eine „Liquidierung des indischen Geschäftes“ ins Auge zu fassen „und das investierte Kapital aus dem Land herauszunehmen“, nicht in Frage kam. Dies nicht zuletzt deshalb, weil man befürchten musste, dass man bei einer Liquidation den Erlös gar nicht aus dem Land ausführen könne.26 Ab den frühen 1950er Jahren wurde deshalb immer wieder darüber diskutiert, ob es unter Umständen angebracht sein könnte, in Indien einzelne Teile des Unternehmens von der Gesamtfirma abzutrennen und in selbständige Gesellschaften mit indischer Kapitalbeteiligung überzuführen. Die neuen Unternehmen sollten durch indische Manager geleitet werden.27 Eine solche Teil-Fusion „mit einer guten indischen Firma“ würde für Volkart zwar „eine gewaltige Umstellung bedingen.“ Man hoffte jedoch, so den Problemen begegnen zu können, die sich nach der Entkolonialisierung ergeben hatten. Dabei war man bei Volkart überzeugt, dass eine solche Kooperation auch für die indischen Partner vorteilhaft wäre: „Der Goodwill, den wir offerieren könnten, wäre ansehnlich und eindrucksvoller als die Vermögenswerte, die wir einbringen würden.“28 1953 erhielt Volkart eine Anfrage der Firma Tata, die plante eine eigene Unternehmung für den Import von westlichen Maschinen zu gründen und Volkart eine Kooperation vorschlug: „Tatas als Partner passen uns ausgezeichnet, da es sich um ebenbürtige Partner handelt“, meinte daraufhin Balthasar Reinhart, einer der Söhne von Georg Reinhart und seit Mitte der 1940er Jahre Teilhaber bei Volkart, „sodass weder von einem ‚sell out‘ noch von einem ‚stooge‘ Arrangement geredet werden kann.“29 Tata war in der Tat eine ideale Verbindung. Die Firma war 1868 durch den parsischen Kaufmann Jamsetji Nusserwanji Tata als Handelshaus gegründet worden. Ab 1877 betätigte sich das Unternehmen in der Textilproduktion und entwickelte sich im 20. Jahrhundert zum führenden indischen Industriekonglomerat. Zu Beginn der 1950er Jahre war die Tata-Gruppe in der Stahlproduktion, der Elektrizitätswirtschaft, dem Versicherungswesen, im Maschinenbau, in der Produktion von Haushaltsgütern und im Chemiebereich tätig und betrieb darüber hinaus auch eine eigene Hotelkette und eine Fluggesellschaft.30 Bei den Verhandlungen zwischen Tata und Volkart wurde vereinbart, dass Volkart an der neu gegründeten Firma Voltas – einem Zusammenzug aus den Namen der bei26 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 25. März 1953. 27 VA, Konferenz-Protokolle vom 1. Juli 1949–19. Dezember 1952: Protokoll vom 2. Juni 1951. 28 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 25. März 1953. 29 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: BR, Zu Protokoll, 23. Oktober 1953. 30 Tata Group, Tata, 2009, S. 6f.
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den Partner – einen Minderheitenanteil von 45% und Tata die restlichen 55% halten würde. In der neuen Firma sollte soweit als möglich eine Politik der Indianisierung verfolgt werden, da diese nach Ansicht der Teilhaber von Volkart „ein Postulat des indischen Volkes darstellt und kostenmässig wesentliche Ersparnisse bringen wird.“31 Die neue Firma wurde zu Beginn von R. H. Schüepp, dem ehemaligen Leiter von Volkart Bombay, geführt.32 Sie übernahm nicht nur die rund 2000 indischen Angestellten, sondern auch die Werkstätten und Lagerräume der Import- und Maschinenabteilungen von Volkart und sie führte die bisherigen Vertretungen von westlichen Maschinenherstellern weiter.33 Die Geschäfte der neuen Firma entwickelten sich positiv. Als einer der zentralen Erfolgsfaktoren werteten die Verantwortlichen dabei die Tatsache, dass Voltas ein systematisches Marketing von Maschinen und Konsumgütern in Indien betrieb und dabei auf die etablierten Geschäftskontakte und das Vertriebsnetz von Volkart zurückgreifen konnte.34 Ebenso wie bei Volkart galten auch bei Tata Integrität und Zuverlässigkeit als Grundlage der geschäftlichen Tätigkeit.35 In einer Mitarbeiterzeitschrift wurde die Geschäftsphilosophie der neuen Gesellschaft folgendermaßen beschrieben: „[I]n Voltas meticulous after-sales service is the ‚number one‘ business principle. A sale to a client is just the beginning of a beautiful friendship.“36 Die Firma holte für westliche Industriefirmen Marktinformationen ein, garantierte die Ablieferung an den Bestimmungsort und übernahm die Finanzierung der Importe nach Indien. Zudem verfügte Voltas nach eigenen Angaben über ein großes technisches Wissen, welches insofern nötig war, als häufig nicht nur einfache Produkte, sondern ganze technische Systeme installiert wurden, etwa die Klimaanlage für ein Gebäude.37 Bis Mitte der 1970er Jahre verdreifachte sich bei Voltas die Zahl der Angestellten auf fast 7000 Mitarbeiter. Das Kapital des Unternehmens wurde in dieser Zeit mehrmals erhöht und betrug 1974 62,3 Millionen Rupien, gegenüber 15 Millionen zur Zeit der Gründung. Der Anteil von Volkart sank kontinuierlich und umfasste ab den 1960er Jahren noch knapp 10%. Auch das Direktorium setzte sich nun ausschließlich 31 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 17. Dezember 1953 und Konferenz vom 15. März 1954; Bilanzen, 1952/3 und 1953/54, Kurzer Rückblick auf das Jahr 1953/54, 6.10.54. 32 Dafür musste die Bewilligung der indischen Regierung eingeholt werden: TCA, Rack 3, Box 36, TS-Vol-30. 33 VA, Dossier 29: Voltas Ltd. (1954), 1. Correspondence leading up to formation of Voltas Ltd.: Volkart Brothers, Bombay, an A.D. Shroff, Bombay, 4. Mai 1954. 34 VA, Dossier 29: Voltas Ltd. (1954), 1. Correspondence leading up to formation of Voltas Ltd.: Interview with A.H. Tobaccowala, managing Director of Voltas, Business India, Dec. 24, 1979Jan. 6, 1980. 35 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 596. 36 Tata Monthly Bulletin, 1964, Vol. 9, No. 10, S. 15. 37 Tata Review, 1966, Vol. 1, No. 5, S. 14.
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aus Indern zusammen.38 Die letzten Europäer, die von Volkart übernommen worden waren, hatten Voltas in den späten 1960er Jahren verlassen.39 Parallel dazu veränderte sich die Produktpalette. Während in Indien selber gefertigte Produkte im ersten Jahr des Bestehens bloß 7% des Umsatzes von Voltas ausmachten, waren es 1974 über 90%.40 Diese Verschiebung vom Import westlicher Produkte hin zum Vertrieb von indischen Fabrikaten war eine direkte Reaktion auf die Nationalisierungskampagne der indischen Regierung. Bereits in den ersten Verhandlungen zwischen Tata und Volkart wurde beschlossen, dass die neue Firma bei sich bietender Gelegenheit den Import gewisser Güter ersetzten sollte, indem man deren Produktion in Indien in die Wege leitete.41 Diese Vorgabe wurde in der Folge systematisch umgesetzt. Neben der Eröffnung einer eigenen Voltas-Fabrik in der Nähe von Bombay beschloss der TataKonzern mit verschiedenen Firmen, die zuvor durch Volkart und daraufhin durch Voltas in Indien vertreten worden waren, gemeinsame Produktionsanlagen in Indien zu errichten. Den Vertrieb der Produkte dieser neuen Joint Ventures übernahm wiederum Voltas.42 Die Gründung von Voltas und die Kooperation mit einem indischen Partner war damit von Beginn weg ein Erfolg. Gleichwohl sorgte sie bei Volkart auch für eine gewisse Beunruhigung, da man sich bewusst war, dass nun der Rest der Firmenorganisation in Indien noch verwundbarer gegen neue Vorschriften der Regierung werden könnte und man schon bald auch für das Exportgeschäft gezwungen sein würde, mit indischen Firmen zu kooperieren.43 Zudem war die Ausfuhr zahlreicher Rohstoffe wie Gewürze, Kokosnussöl, Kokosbast, Kakao und Tee aus Indien für Volkart unprofitabel geworden und wurde ab den späten 1950er Jahren eingestellt. Auch die Vertretung europäischer Versicherungsunternehmen – eine Tätigkeit, die Volkart seit 1851 ununterbrochen auf dem Subkontinent ausgeübt hatte – musste in Folge des geschrumpften Geschäftsvolumens im Jahr 1965 eingestellt werden.44 38 VA, Dossier 29: Voltas Ltd. (1954), 4. The formation of Voltas Ltd. 39 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 597. 40 VA, Dossier 29: Voltas Ltd. (1954), 1. Correspondence leading up to formation of Voltas Ltd.: A .H. Tobaccowala, Managing Director von Voltas, 1.9.1974. 41 TCA, Tata Sons, Rack 3, Box 37, TS-Vol-8, Extracts from the Minutes of Agents’ Weekly Meeting: 26th August 1953 and 11th November 1953. 42 TCA, Tata Sons, Rack 3, Box 37, TS-Vol-21 und TS-Vol-24; VA, Dossier 29: Voltas Ltd. (1954), 1. Correspondence leading up to formation of Voltas Ltd.: Interview with A.H. Tobaccowala, managing Director of Voltas, Business India, Dec. 24, 1979-Jan. 6, 1980; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 598. Zu den westlichen Firmen, die derartige Joint Ventures eingingen, gehörten unter anderem die beiden US-amerikanischen Firmen Harvester (Traktoren) und Carrier (Kühlanlagen) oder die Schweizer Unternehmen Rieter (Spinnereimaschinen) und Hoffmann-La-Roche (chemische Produkte). 43 VA, Dossier 29: Voltas Ltd. (1954), 1. Correspondence leading up to formation of Voltas Ltd.: Bombay an Winterthur, 15.9.1953. 44 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 599ff.
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Darüber hinaus wurde der Baumwollexport immer problematischer. Im Jahr 1957 untersagte die indische Regierung aufgrund der schlechten Ernteaussichten vorübergehend die Ausfuhr von Baumwolle und setzte Höchstpreise fest, um die Versorgung der indischen Spinnereien und Textilfabriken sicher zu stellen. Da Baumwollverkäufe an indische Abnehmer wesentlich unattraktiver waren als der Export (nicht zuletzt aufgrund der bestehenden Steuergesetze), überlegte sich Volkart 1960, die gesamte Einkaufsorganisation für Baumwolle in Indien zu schließen. Der Import von ausländischer Baumwolle sollte weitergeführt werden, denn obwohl es ab den 1930er Jahren gelungen war, in Indien den Anbau von qualitativ hochwertiger Baumwolle zu befördern, benötigte die indischen Textilindustrie nach wie vor ausländische Baumwollsorten für ihre Produkte.45 Bevor dieser Plan umgesetzt werden konnte, besprach sich Peter Reinhart mit einem Manager von Tata. Dieser vermittelte den Kontakt zur indischen Firma Patel Cotton Company Private Ltd., die daran interessiert war, eine Fusion mit der indischen Baumwollorganisation von Volkart einzugehen. Die Firma Patel existierte seit Anfang des 20. Jahrhunderts und hatte eine Zeitlang die Funktion als House-Broker von Ralli Bros. ausgeübt. Das Unternehmen befand sich im Besitz der gleichnamigen Familie. Es belieferte indische Spinnereien und hatte bis in die 1950er Jahre auch eine Mehrheitsbeteiligung an einer Importfirma in Genf besessen. Diese war von einem früheren Volkart-Mitarbeiter geleitet worden und hatte als Verkaufsagentur von Patel für Europa gedient, bevor sie nach beträchtlichen Verlusten stillgelegt werden musste.46 Die Verhandlungen zwischen Volkart und Patel waren äußerst langwierig. Ein Problem bestand darin, dass Patel Mühe hatte, das Kapital für eine Mehrheitsbeteiligung an der neuen Firma aufzubringen – Volkart wollte maximal ein Drittel der Anteile halten. Ein weiteres Problem stellte die Tatsache dar, dass das indische Personal von Volkart besser bezahlt und gewerkschaftlich organisiert war, während die Angestellten von Patel über keine eigene Gewerkschaft verfügten. Bei Volkart war man sich jedoch einig, dass man nicht mehr den Fehler begehen sollte, das Personal als reinen Kostenfaktor anzusehen – wie dies offenbar noch bei der Gründung der Voltas geschehen war; vielmehr war man zur Überzeugung gelangt, dass die gut geschulten Angestellten „für einen Interessenten, vor allem unter heutigen Verhältnissen, ein besonders wertvolles Aktivum“ darstellen würden.47 Schließlich konnten die Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt werden. Per 1. September 1961 übernahm Patel die indische Baumwollorganisation von Volkart. Die fusionierte Gesellschaft 45 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 603f. 46 VA, Dossier 30: Patel Cotton Comp., Patel/Volkart Cotton Merger, Volkart Bombay Pvt. Ltd. 1961. 47 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Konferenz vom 18. November 1960.
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firmierte weiterhin unter dem Namen Patel Cotton Company Private Ltd. Volkart beteiligte sich mit 650’000 Rupien an Patel, was einem Anteil von 20% entsprach. Im Gegenzug hielt Patel 40% der neu gegründeten Volkart (Bombay) Private Ltd., die das Baumwollgeschäft und die Vertretung von Schifffahrtslinien von Volkart übernahm.48 Diese Kooperation bedeutete für Volkart eine grundsätzliche Revision der bisher in der Firma vertretenen Ansicht, „das Baumwollgeschäft eigne sich nicht für eine Beteiligung von Außenseitern, weil es zu spekulativ sei“, wie im November 1960 in einem Konferenzprotokoll vermerkt worden war.49 Damit wurde auch die bisherige Firmenmaxime aufgegeben, der – abgesehen von der Gründungsphase der Tochtergesellschaften in Ostasien in den 1920er Jahren – stets nachgelebt worden war. Diese Maxime besagte, „that we wanted to own our business 100%, i.o.w. that we wanted no outsiders to participate in our business nor did we wish to participate in other people’s enterprises“, wie es in einem Rundschreiben an die Angestellten von 1961 hieß. Inzwischen sei man jedoch zum Schluss gekommen, dass solche Kooperationen sinnvoll sein könnten, ja mehr noch: „We go as far as to say that where the partner is supposed to furnish most of the know-how, we would be perfectly happy with a minority interest.“50 Mit der Gründung der Voltas wurde der erste Schritt in diese Richtung gemacht, mit der Kooperation mit Patel der zweite.51 Früher oder später sollten gemäß Plan auch die beiden Firmen Patel und Volkart (Bombay) Private zusammengelegt werden – dies war anfänglich noch vermieden worden, um die staatlich festgelegten Baumwollexportquoten der beiden Firmen nicht zu bedrohen. Die Fusion dieser „zwei unabhängigen, zum Teil doch recht verschieden denkenden Firmen“, gestaltete sich jedoch schwieriger als erwartet, wie man 1962 erkennen musste.52 1964 änderte die Volkart (Bombay) Private Ltd. ihren Namen in Volkart (India) Ltd. und trat auch den Baumwollimport an die Firma Patel ab, die ihren Namen in Patel-Volkart Private Ltd. änderte. 1968 fusionierte Patel-Volkart schließlich mit Volkart (India). Die neue Firma firmierte nun als Patel-Volkart Ltd. Da der Import von ausländischer Baumwolle ab den frühen 1970er Jahren durch die indische Regierung vorgenommen wurde und verschiedene indische Teilstaaten den Handel mit Saatgut im Landesinneren sowie die Entkörnung der Saatbaumwolle übernahmen, wurde das indische Baumwollgeschäft für private Firmen immer schwieriger. Auf Anregung der Firma Tata, zu der Volkart seit der Gründung 48 VA, Dossier 30: Patel Cotton Comp., Patel/Volkart Cotton Merger, Volkart Bombay Pvt. Ltd. 1961. 49 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959 – 30. März 1965: Konferenz vom 18. November 1960. 50 VA, Dossier 19: Winterthur II: 27. Diversification: Circular Letter No. 152, 8th March 1961. 51 VA, Bilanzen, Bilanz 1960/61. 52 VA, Bilanzen, Bilanz 1961/62.
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der Voltas einen guten Kontakt besaß, fusionierte Patel-Volkart 1973 mit der Gokak Mills Ltd., einem Spinnereiunternehmen, das eng mit Tata verbunden war. Die neue Firma entwickelte sich erfreulich, da den firmeneigenen Spinnereien zu günstigen Konditionen Baumwolle geliefert werden konnte.53 Nachdem ab 1964 die bis dahin eigenständigen Niederlassungen in Bombay, Madras, Cochin und Tuticorin in der Volkart (India) Ltd. aufgegangen waren, war von den einst zahlreichen Filialen bloß noch Volkart Tellicherry als selbständige Filiale in Indien übrig geblieben. Volkart Tellicherry hatte in den Jahren 1952 und 1954 drei Kaffeeplantagen übernommen – nachdem die Firma noch in der Zwischenkriegszeit den Erwerb von eigenen Plantagen als wenig Gewinn versprechend abgelehnt hatte. Durch die guten Vertriebskanäle in Europa wurde Volkart bereits 1955/56 mit 6000 Tonnen der führende Kaffeeexporteur Indiens. 1960/61 konnte man gar 11’000 Tonnen exportieren – was etwa einem Sechstel der indischen Ernte entsprach. Doch bereits drei Jahre später waren die Zahlen mit knapp 4500 Tonnen wieder merklich zurückgegangen. Parallel dazu hatte die Firma auch die Kapazität ihrer Kaffeeverarbeitungsfabriken ausgebaut und konnte ab Ende der 1950er Jahre fast 8000 Tonnen Kaffee verarbeiten. Die Firma verarbeitete dabei auch den Kaffee anderer Pflanzer und gewährte diesen zum Teil Vorschüsse, die im Moment der Ablieferung in die Verarbeitungswerke zurückgezahlt werden mussten. Die maximale Kreditsumme, die Volkart anderen Kaffeefarmern gewährte, umfasste dabei im April 1959 über 3 Million Rupien. Ab Mitte der 1960er Jahre bemühte sich Volkart jedoch, wie im übrigen Indien auch in Tellicherry das Engagement der Firma zu reduzieren und die Kaffeeplantagen an eine indische Firma abzutreten. Wiederum durch die Vermittlung von Tata konnte der Kontakt mit der Consolidated Coffee Estates Ltd. hergestellt werden. Diese Firma war eine der bedeutendsten Betreiberinnen von Kaffeeplantagen in Indien und wurde vollständig von Indern geleitet. 1966 übernahm die Consolidated Coffee die Besitzungen und das Personal von Volkart Tellicherry. Im Gegenzug beteiligte sich Volkart mit einem Anteil von 20% an der Consolidated Coffee.54
53 VA, Dossier 30: Patel Cotton Comp., Patel/Volkart Cotton Merger, Volkart Bombay Pvt. Ltd. 1961; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 706–714. 54 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 543–548 und 628–642 ; VA, Dossier 35: Consolidated Coffee Ltd. (1967), 5. On and after the merger; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 251.
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Veränderungen in Pakistan … Nicht nur in Indien hatte die Unabhängigkeit einen großen Einfluss auf die Tätigkeit von Volkart, sondern auch in Pakistan. Auch dort waren die Geschäfte durch immer rigidere Importbeschränkungen Seitens der Regierung geprägt. Diese Vorschriften sollten den Aufschwung der einheimischen Industrie beflügeln, sorgten aber auch für eine Knappheit an Konsumgütern und die Entstehung eines Schwarzmarktes. Dazu kam, dass die Industrialisierung in Pakistan große Fortschritte machte. So hatte die pakistanische Textilindustrie 1947 erst etwa 100’000 Ballen Baumwolle verarbeitet. 1962 waren es bereits 1,3 Millionen Ballen. Da in Pakistan jährlich zwischen 1,6 und 1,7 Millionen Ballen Rohbaumwolle angebaut wurde, konnten pro Jahr bloß noch 300’000 bis 400’000 Ballen Baumwolle exportiert werden. Die Regierung unternahm daraufhin große Anstrengungen, den Baumwollanbau zu fördern, so dass das Land in den 1960er Jahren wieder jedes Jahr rund eine Million Ballen exportierte.55 Zwischen 1966/67 und 1972/73 stieg die pakistanische Baumwollproduktion von 2,7 auf 3,7 Millionen Ballen. Volkart konnte in dieser Zeit durch jährliche Umsätze von über 250’000 Ballen regelmäßig positive Resultate erzielen. Nachdem jedoch die Baumwollernte 1973 aufgrund von Überschwemmungen auf zwei Millionen Ballen gesunken war, verbot die Regierung jegliche Ausfuhren und nationalisierte im Oktober 1973 den Baumwollexport durch die Gründung einer staatlichen Exportorganisation. Volkart Pakistan musste daraufhin alle Baumwolle, die nicht an einheimische Spinnereien verkauft werden konnte, an die staatliche Cotton Export Corporation of Pakistan abtreten. Daraufhin erhielt die Firma die Erlaubnis, die Baumwolle, die sich in Besitz der Cotton Export Corporation befand, im Ausland zu einem von der Regierung festgelegten Preis zu verkaufen. Im Inland blieb der Baumwollhandel anfänglich noch frei. Als jedoch 1974/75 die einheimische Baumwollindustrie in eine Krise geriet, setzte die Regierung die Preise fest und beauftragte private Firmen – darunter auch Volkart Pakistan – mit dem Aufkauf der Rohbaumwolle und später auch mit den Verkäufen an die lokalen Spinnereien.56 Auch im Import von westlichen Industrieprodukten machte sich die staatliche Regulierung zunehmend bemerkbar Zwar waren die Importe 1960 durch die Gewährung von Importlizenzen vorübergehend vereinfacht worden. Nachdem die pakistanischen Exporte aber in den frühen 1960er Jahren eingebrochen waren, wurde das Importgeschäft schon bald wieder durch neue Vorschriften verkompliziert. Zudem mussten nun alle Importe bei pakistanischen Unternehmen versichert werden.57 Volkart ersuchte 1960 um eine Bewilligung, die Importabteilung der Firma in eine Aktiengesellschaft überzuführen. Dieser Schritt sollte explizit dazu dienen, dereinst 55 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 618f. 56 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 621 und 688–91. 57 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 622f.
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einen pakistanischen Partner am neuen Unternehmen zu beteiligen. Die Regierung verweigerte aber die Zustimmung und verlangte, dass entweder von Beginn weg eine pakistanische Beteiligung bestehen müsse oder dass sämtliche Zweige der Firma in Pakistan – also auch die Exportabteilung und die Vertretung der Schifffahrtslinien – in eine Aktiengesellschaft umgewandelt werden müssten. Daraufhin wurde 1963 die Volkart (Pakistan) Ltd. gegründet, die anfänglich noch vollständig in Besitz von Volkart war.58 1977 verkaufte Volkart 70% der Anteile der pakistanischen Tochtergesellschaft an die britische Firma Peninsular & Oriental Steam Navigation Co. und übernahm dafür 30% der Mackinnon Mackenzie & Co. of Pakistan Ltd., einem Unternehmen, das bis dahin in alleinigem Besitz der Peninsular & Oriental Steam gewesen war und die Vertretung von Schifffahrtslinien, Luftfahrtsunternehmen und Versicherungsfirmen in Pakistan inne hatte.59 Damit war Volkart auch in Pakistan bloß noch mit Minderheitsbeteiligungen engagiert.
… und in Ceylon Auch in Ceylon, bis 1948 eine britische Kronkolonie, stellte die Entkolonialisierung die ausländischen Firmen vor völlig neue Probleme. Dies betraf zum einen die Personalsituation. Nach Erlangung der staatlichen Unabhängigkeit wurden viele indische Tamilen, die während der Kolonialzeit nach Ceylon gekommen waren, aufgrund des politischen Drucks der durch Singhalesen dominierten Regierung aus ihren Anstellungsverhältnissen gedrängt. Dies war für Volkart kein geringes Problem, da mehr als die Hälfte der Büroangestellten und viele Arbeiter in den Lagerhäusern durch Singhalesen und durch ceylonesische Tamilen ersetzt werden mussten.60 Zum anderen machten wie in Indien und Pakistan Regierungsvorschriften den Handelsfirmen das Leben schwer. Ab 1955 wurde das Importgeschäft ausländischer Firmen gesetzlich reguliert. Die Importe aus gewissen Staaten waren von nun an ceylonesischen Firmen vorbehalten, während bestimmte Sektoren des Handels durch eine staatliche Importagentur übernommen wurden. Um weiterhin im Importgeschäft bleiben zu können, musste Volkart Colombo daraufhin immer größere Risiken auf sich nehmen. Da die Geschäftsaussichten aufgrund der andauernden Preisschwankungen äußerst düster waren, wurde die Importabteilung in Colombo im April 1957 definitiv geschlossen.61
58 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 624f. 59 VA, Dossier 34: Volkart Pakistan Ltd. (1963), Reorganisation VPL/MM 1976; Rambousek/ Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 252. 60 VA, Dossier 6: Colombo, 4. Table of Events. 61 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 602.
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Wie in Indien und Pakistan bestand für ausländische Firmen auch in Ceylon ein großer Druck, einheimische Arbeitskräfte zu beschäftigen und einheimische Kapitalgeber an ihren Unternehmen zu beteiligen. Dies sehr zum Unwillen der westlichen Firmen. „Ceylon wird immer kapital- und fremdenfeindlicher“, wurde in der VolkartJahresbilanz 1961/62 festgehalten. Um den Boden „für eine vielleicht einmal nötige Ceylonisierung vorzubereiten“ wurde 1962 die Volkartfiliale in Colombo in eine eigenständige Aktiengesellschaft übergeführt.62 Diese firmierte unter dem Namen Volanka Ltd., einem Zusammenzug aus Vo- für Volkart und -lanka für Sri Lanka. Die neue Firma war vorerst vollständig im Besitz der Teilhaber von Volkart. Man hatte aber bewusst darauf verzichtet, den Namen Volkart weiterhin zu verwenden, damit man die Firma nicht würde umbenennen müssen, falls sich später einmal einheimische Aktionäre an ihr beteiligten oder sie allenfalls gar verstaatlicht würde.63 Dazu kam es in der Folge jedoch nicht. Zwar musste die Firma auf Druck der Regierung 1973 die lukrative Vertretung verschiedener Schifffahrtslinien an eine ceylonesische Firma abgeben. Dennoch entwickelten sich die Geschäfte der Volanka positiv – trotz ständigen Konflikten mit den Gewerkschaften, Steuererhöhungen, neuen Regierungsvorgaben und Transportproblemen. Neben der Ausfuhr von Gewürzen und Ölen war vor allem der Export von Kokosbast nach Japan, Europa und in die USA äußerst gewinnbringend. Die Volanka erwarb in den 1960er Jahren verschiedene Industrieareale und begann mit der Produktion von Kokosbast und Kokosmatten. 1975 und 1976 wurde das Kapital der Firma zweimal erhöht, von 3 auf 7 Millionen Rupien, wobei diese Kapitalerhöhung vollständig aus den Reserven der Firma bestritten werden konnte. Erst 1983 wurde die Aktienmehrheit der Firma an Investoren aus Sri Lanka verkauft.64 Abgesehen von der Sorge um eine mögliche Ceylonisierung der Firma gab es aber noch einen zweiten Grund dafür, dass es Volkart Anfang der 1960er Jahre eilig hatte, die Geschäfte in Ceylon über eine neu gegründete Aktiengesellschaft laufen zu lassen. Bis dahin hatte nämlich Volkart Colombo für die Gewinne, die man aus dem Exportgeschäft nach Europa erwirtschaftete, in Ceylon keine Steuern zahlen müssen. Die Firma hatte stets erfolgreich argumentiert, dass Colombo nur eine Einkaufsagentur von Volkart sei und die Gewinne durch die Verkäufe über die Niederlassungen in London oder Winterthur gemacht würden.65 Diese Regelung war für Volkart äußerst vorteilhaft, nicht zuletzt, da sie der Firma die Möglichkeit zur Steuerhinterziehung bot. So hatte die Volkartfiliale in Colombo 1956/57 einen Nettoprofit von 979’000 62 VA, Bilanzen, Bilanz 1961/62. 63 VA, Dossier 33: Volanka Ltd. Colombo (1962), Gründung Volanka 1962 + Vorgeschichte: Winterthur an Colombo, 8. Oktober 1959. 64 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 684–687; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 159. 65 Dagegen wurden aber Exporte nach Japan, Australien, Indien, Südafrika und in die USA in Ceylon ebenso besteuert, wie Gewinne aus der Vertretung von Schifffahrtslinien und Versicherungsunternehmen: VA, Dossier 6: Colombo, 4. Table of Events.
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Rupien in ihren Büchern verzeichnet, die Firma zahlte in Ceylon aber nur Steuern auf einen Gewinn von 278’000 Rupien.66 In einem Schreiben an die ceylonesische Regierung behauptete Volkart Colombo zwar 1962, es sei keineswegs so, dass die in die Schweiz transferierten Gewinne für Ceylon verloren seien, da der Winterthurer Hauptsitz das Exportgeschäft aus Ceylon durch die Gewährung von Krediten mitfinanziere. Eine der Regierung vorgelegte Bilanz wurde folgendermaßen kommentiert: „You will notice from these figures that during the last 13 years we brought more money into Ceylon than we took out.“67 Diese Behauptung war allerdings eine klare Lüge. Wie 1961 in einer internen Notiz durch die Filiale in Bombay vermerkt wurde, bewegte sich das Geschäft von Volkart Colombo schon seit mehreren Jahren im Bereich der Illegalität.68 In der Firma befürchtete man, dass die ceylonesische Regierung dies früher oder später bemerken könnte. Dies nicht zuletzt, da den einheimischen Angestellten natürlich klar war, dass die Preise, die der Winterthurer Hauptsitz Volkart Colombo verrechnete, niedriger seien als die tatsächlichen Verkaufserlöse. Zudem sei Volkart Colombo mehr als nur eine Einkaufsagentur für den Hauptsitz in Winterthur, da etwa ein Drittel des Umsatzes aus direkten Geschäften mit Kunden in Japan, Australien und Afrika stammten. Auch würden die Gewinne der Firma nicht in Ceylon reinvestiert, sondern aus dem Land abgezogen.69 Die Gründung einer eigenständigen Aktiengesellschaft, die direkt mit anderen Volkartniederlassungen Geschäfte abschließen würde, sollte verhindern, dass diese Praktiken von der Regierung entdeckt würden. Weiter sollte dieser Schritt mithelfen, „die bisherige vorschriftswidrige Abschöpfung von Gewinnen außerhalb Ceylons auf eine legale Basis zu bringen“, wie es in der firmeninternen Bilanz des Geschäftsjahres 1961/62 hieß.70
Multinationale Firmen und die Umgehung von Steuergesetzen Diese Lösung brachte aber den Nachteil mit sich, dass die Niederlassung in Colombo in Zukunft all ihre Gewinne in Ceylon würde versteuern müssen – eine unvorteilhafte Entwicklung, die es zu verhindern galt. 1960 wurde in einer internen Notiz 66 VA, Dossier 33: Volanka Ltd. Colombo (1962), Gründung Volanka 1962 + Vorgeschichte: Notiz vom 22.6.1959, Colombo Company. 67 VA, Dossier 6: Colombo, 17. Volanka Ltd. – successor Co. to VB Colombo: VB Colombo to The Controller of Exchange, Central Bank of London, through the Hongkong and Shanghai Banking Corporation, 27th July 1962. 68 VA, Dossier 33: Volanka Ltd. Colombo (1962), Gründung Volanka 1962 + Vorgeschichte: Notiz von VB Bombay, 21.10.61 zur Volanka Ltd. 69 VA, Dossier 33: Volanka Ltd. Colombo (1962), Gründung Volanka 1962 + Vorgeschichte: Notiz von Jakob Anderegg, 16.12.60. 70 VA, Bilanzen, Bilanz 1961/6.
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vermerkt, dass man aus Steuergründen die Preise, die Colombo für die Verkäufe an die übrigen Niederlassungen von Volkart berechne, künstlich tief halten, beziehungsweise, dass man unter Umständen gar fiktive Verkäufe der Tochterfirma in Colombo an den Winterthurer Hauptsitz in die Bücher nehmen könne, bei denen Colombo einen Verlust erleiden würde.71 Es ist aufgrund der Quellenlage nicht mehr möglich zu beurteilen, ob diese Vorschläge in die Tat umgesetzt wurden. Sie zeigen aber die Möglichkeiten, über die eine multinationale Firma verfügte, um sich den Forderungen einzelner Regierungen zu entziehen. Wie sehr sich die Firma dessen bewusst war, wird aus einer internen Notiz von 1965 deutlich. In dieser wird angeführt, dass es für Volkart in Ländern wie Indien, Pakistan, Ceylon, Japan oder Brasilien aufgrund der geltenden Steuer- und Devisengesetze und aufgrund des Kurswertes der betreffenden Währung völlig uninteressant sei, lokale Gewinne zu akkumulieren. Deshalb versuche man, die Gewinne in die Schweiz abzuführen und dort spezielle Konten – so genannte Private Accounts – einzurichten. Aus diesen sollten wiederum die Saläre und Bonusse der europäischen Mitarbeiter bezahlt werden, die in den betreffenden Ländern arbeiteten. Diese Praxis sei für die Mitarbeiter insofern wichtig, als sie ihre Ersparnisse gerne an einem sicheren Ort und in einer starken Währung angelegt wissen wollten, wie es in der Notiz weiter hieß. In den USA und Europa, wo die Steuer- und Währungsverhältnisse günstiger seien, wollte man dagegen auf derartige Maßnahmen verzichten. Nun stellte sich die Frage, wie der Vorschlag konkret umgesetzt werden konnte. Am einfachsten ließen sich die Gelder in die Schweiz transferieren, wenn der Winterthurer Hauptsitz an den Handelsgeschäften beteiligt sei: „Dann kann die betreffende Tochtergesellschaft durch entsprechende Preisstellung dafür sorgen, dass in Winterthur, neben dem legitimen Verdienst, den die AG an dem betreffenden Geschäft für ihre eigenen Bemühungen haben muss, zusätzliche Beträge anfallen. M.a.W. die Preise, zu denen z.B. Pakistan oder Ceylon ihre Produkte anbieten, sind künstlich erniedrigt, sodass bei normalen Verkaufspreisen eine Differenz dem betreffenden Private Account gutgeschrieben werden kann.“ Ein Problem bestehe jedoch: „Es ist klar, dass diese Abmachungen von den Behörden der betreffenden Länder als Verstoss gegen die Steuer- und Devisen-Gesetzgebung betrachtet würden, wenn sie ihnen bekannt wären.“ In diesem Fall würde sich die Firma auf den Standpunkt stellen, dass die Verkaufspreise der Tochtergesellschaften normal seien und dass die Differenz zum Preis, den die Tochtergesellschaft in Colombo erhielt, die legitime Marge des Winterthur Hauptsitzes darstelle. Gegenüber den Schweizer Behörden müsse sich die Firma dagegen „auf den Standpunkt stellen, dass diese ‚Outside Gewinne‘ auf keinen Fall von den gewöhnlichen Winterthur Gewinnen abgetrennt sondern eben den über-
71 VA, Dossier 33: Volanka Ltd. Colombo (1962), Gründung Volanka 1962 + Vorgeschichte: Notiz von Jakob Anderegg, 16.12.60.
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seeischen Gewinnen entnommen wurden.“72 Dies wohl vor allem, um zu verhindern, dass sie in der Schweiz voll versteuert werden müssten. Diese beiden zuletzt angeführten Beispiele zeigen, dass nationalstaatliche Politik und global operierende Unternehmen nach 1945 in einen immer stärkeren Gegensatz gerieten. Dies war während der Kolonialzeit so nicht der Fall gewesen und stellte insbesondere eine deutliche Differenz zu der im 19. Jahrhundert noch stark vom Gedanken des Freihandels beeinflussten Grundhaltung gegenüber dem internationalen Warenaustausch dar. Durch die Entkolonialisierung verschärfte sich diese Diskrepanz für ausländische Firmen, die in Asien tätig waren, noch zusätzlich. Volkart reagierte darauf mit zwei Maßnahmen. Zum einen wurde schon 1956 in der Jahresbilanz die Ansicht geäußert, dass man aufgrund der kapitalfeindlichen Stimmung in Indien, Pakistan und Ceylon das Geschäft längerfristig konsolidieren wolle. Im Gegenzug solle die geographische Ausrichtung der Geschäftstätigkeit verändert werden: „Das heisst in der Praxis, dass wir in Indien/Pakistan/Ceylon uns eher zurückziehen und uns mehr auf die westliche Hemisphäre stützen wollen; insbesondere auch, dass wir Import/Engineering abbauen und dafür das Kaffeegeschäft entwickeln wollen.“73 Zum anderen ging man an verschiedenen Orten Joint Ventures mit einheimischen Partnern ein. Dadurch veränderte sich aber der Charakter der Firma zusehends, indem, wie man 1961 in der Jahresbilanz festhielt, „aus der ganz einheitlich auf Handel in Baumwolle und in neuester Zeit Kaffee ausgerichteten Organisation mit der Zeit eine Anzahl einzelner mehr auf die Möglichkeiten und Bedürfnisse der betreffenden Länder ausgerichtete Gesellschaften entstehen könnten.“74
72 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: PR, Office note vom 22. Februar 1965. 73 VA, Bilanzen, Bilanz 1955/56. 74 VA, Bilanzen, Bilanz 1960/61.
13. Einstieg ins Kaffeegeschäft
Die Jahrzehnte nach 1945 sahen mit den multinationalen Unternehmen die Entstehung eines neuen Firmentyps. Multinationale Unternehmen zeichnen sich dadurch aus, dass sie integrierte Produktionssysteme ausbilden, Filialen in mehreren Ländern besitzen und weltweit geschäftlich tätig sind. Vor allem ab den 1970er Jahren wurden sie immer mehr zu den dominanten Organisationen in der internationalen Wirtschaft. Dies lässt sich etwa daran ablesen, dass das Volumen der weltweiten Direktinvestitionen zwischen 1960 und 2001 von 66 auf 6600 Milliarden Dollar anwuchs.1 Verschiedene Gründe trugen zu dieser Entwicklung bei: das stetige Sinken der Transportkosten, die zunehmende Bedeutung von Skalenerträgen und schließlich der Durchbruch von neoliberalen Wirtschaftskonzepten ab den 1980er Jahren, welche geschlossene Märkte als eine negative Erscheinung ansahen.2 Diese Entwicklung lässt sich nicht bloß bei produzierenden Unternehmen beobachten, sondern auch im Rohstoffhandel. Wie in den vorhergehenden Kapiteln geschildert, begannen weltweit tätige Handelshäuser wie Volkart, Anderson Clayton oder Cargill bereits in den 1920er Jahren mit einer geographischen Ausweitung ihrer Geschäfte. Diese Entwicklung akzentuierte sich in den Nachkriegsjahrzehnten und führte zu einem starken Konzentrationsprozess. So waren etwa in den 1980er Jahren sieben multinationale Handelshäuser für 40% aller Verschiffungen von grünem, d.h. nicht geröstetem Kaffee zuständig. Die zweitgrößte Firma in diesem Geschäft war Volkart mit einem Weltmarktanteil von 8%.3 Die Tatsache, dass sich Volkart nach 1945 immer stärker in Südamerika engagierte und innert kürzester Zeit zu einem der Hauptakteure im Kaffeehandel – und damit in der Verschiffung des weltweit zweitwichtigsten Rohstoffes nach Erdöl4 – werden konnte, erlaubt die vertiefte Beschäftigung mit zwei Aspekten, die in dieser Arbeit bereits verschiedentlich thematisiert wurden. Erstens kann durch die Analyse des Aufbaus der Kaffeeorganisation gezeigt werden, welche Bedeutung im Handelsgeschäft netzwerkartige Kooperationen mit anderen Firmen für den Markteintritt haben konnten. Zweitens lässt sich am Beispiel des Kaffeehandels das Verhältnis zwischen multinationalen Firmen und den territorialen Interessen von nationalen Regie1 2 3 4
Berghoff, Moderne Unternehmensgeschichte, 2004, S. 140. Roach, A Primer on Multinational Corporations, 2005, S. 28–30; Jones, Multinationals from the 1930s to the 1980s, 2005, S. 96–99. Gerencia Comercial, La Industria Cafetera Internaciónal, 1988, S. 25; Revista de Comércio de Café, Año 66, Julio 1987, 26–27. Mitte der 1980er Jahre war Kaffee in sieben lateinamerikanischen Staaten das wichtigste natürliche Rohstoffexportprodukt und alles in allem der zweitwichtigste Rohstoff im Welthandel hinter Öl: Topik/Clarence-Smith, Introduction, 2003, S. 3.
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rungen beschreiben, da der Kaffeehandel im 20. Jahrhundert stark durch politische Interventionen und internationale Abkommen geprägt wurde. Es ist wenig erstaunlich, dass dies immer wieder zu Interessenkonflikten zwischen politischen Akteuren und internationalen Firmen führte. Wesentlich überraschender mag jedoch die Tatsache sein, dass die Politisierung des Kaffeehandels für multinationale Firmen auch Vorteile bringen konnte, da sie so in den Genuss staatlicher Großaufträge kamen. Dies bestätigt die in dieser Arbeit bereits wiederholt gemachte Beobachtung, dass Territorialisierung und wirtschaftliche Globalisierung nicht als absolute Gegensätze, sondern als dialektisch ineinander verflochtene Prozesse angesehen werden sollten.
Von der Baumwolle zum Kaffee Dass Volkart in großem Stil in den lateinamerikanischen Kaffeehandel einsteigen konnte, war im Wesentlichen eine Folge der Aktivitäten im Baumwollgeschäft. Dies zeigt zum einen die Pfadabhängigkeit des Handelsgeschäfts und zum anderen die Bedeutung von interorganisationalen Netzwerken für den Eintritt in neue Märkte. Volkart war erstmals in den 1920er Jahren mit Lateinamerika in Berührung gekommen. Damals hatte die Firma eine Einkaufsagentur in São Paulo eröffnet, da brasilianische Baumwolle in Deutschland sehr gefragt war.5 In den 1920er Jahren wurde in Brasilien die Anbaufläche für Baumwolle stark ausgeweitet, nicht zuletzt, da es bei Kaffee, dem wichtigsten Exportgut des Landes, aufgrund der stetigen Überproduktion zu einem Preiszerfall gekommen war.6 Diese Entwicklung akzentuierte sich noch in den 1930er Jahren, da der Baumwollpreis in der Wirtschaftskrise weniger stark gesunken war als der Kaffeepreis.7 Zwischen 1920 und 1940 stieg die brasilianische Baumwollproduktion deshalb von gut 400’000 Ballen auf über 2,1 Millionen Ballen pro Jahr.8 Volkart begann neben dem Export nach Deutschland in den 1920er Jahren auch damit, brasilianische Baumwolle nach Shanghai und Osaka auszuführen. Diese Geschäfte zeitigten aber eher durchzogene Resultate.9 Volkart schickte deshalb in den frühen 1930er Jahren eine Delegation nach Brasilien, um zu prüfen, ob es für die Firma überhaupt sinnvoll sei, sich weiterhin dort zu betätigen. Die Delegierten bejahten dies und empfahlen der Firmenleitung darüber hinaus, in Brasilien Entkörnungsanlagen und Lagerhäuser zu erwerben sowie eigene Baumwollplantagen zu betreiben. 5 6 7 8 9
Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 161. Kindleberger, The World in Depression, , 1973, S. 90. Stolcke, Coffee Planters, Workers and Wives, 1988, S. 54–59. VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Imitada, Sao Paolo & Santos, 1. P.R. Note of 28.9.1950. Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 161.
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Für derartige Ausbaupläne hatten die Teilhaber von Volkart jedoch kein Gehör. Die Firma schrieb zu dieser Zeit aufgrund der Wirtschaftskrise große Verluste und hatte mit ihrer Expansionspolitik in den 1920er Jahren eher zwiespältige Erfahrungen gemacht. Die Teilhaber lehnten deshalb nicht nur die Vorschläge der Delegation ab, sondern beschlossen gar, sich ganz aus Brasilien zurückzuziehen.10 Dazu kam es jedoch nicht. Schon bald eröffnete sich die Möglichkeit, das Geschäft in Brasilien auf eine neue Basis zu stellen. 1936 brachte die „Société d’importation et de commission ancienne maison Louis Reinhart“ aus Le Havre Volkart in Kontakt mit der brasilianischen Exportfirma Prado Chaves. Die „Société d’importation“ gehörte zu den bedeutendsten Importfirmen Frankreichs und war Mitte des 19. Jahrhunderts von Angehörigen der Winterthurer Kaufmannsfamilie Reinhart gegründet worden, aus der auch Theodor Reinhart stammte.11 Sie führte unter anderem im Auftrag von Prado Chaves Kaffee und Baumwolle nach Frankreich ein. Prado Chaves wiederum war eine der wichtigsten Kaffeeexportfirmen Brasiliens. Sie besaß in den 1930er Jahren eigene Plantagen mit über vier Millionen Kaffeebäumen und betätigte sich neben dem Kaffeehandel auch noch in der Viehzucht sowie dem Anbau von Mais, Orangen und Baumwolle.12 Volkart verzichtete zwar auf die formelle Übernahme einer Vertretung, begann jedoch in der Folge, für Prado Chaves brasilianische Baumwolle nach China und Japan zu exportieren. Dabei machte sich Volkart den Umstand zunutze, dass brasilianische Baumwolle zwar generell von hoher Qualität war und ähnliche Eigenschaften aufwies wie amerikanische Sorten,13 aber wesentlich billiger war, da der Preis von US-Baumwolle aufgrund der Preisstützungspolitik der amerikanischen Regierung im Rahmen des New Deal stark angestiegen war. Volkart machte deshalb kanadische Spinnereien über die Niederlassung in New York auf die Möglichkeit aufmerksam, die bis dahin verwendete amerikanische Baumwolle durch brasilianische zu ersetzen. Da die Spinnereien auf dieses Angebot positiv reagierten, wurde Volkart Ende der 1930er Jahren zum bedeutendsten Exporteur von brasilianischer Baumwolle nach 10 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Imitada, Sao Paolo & Santos, 1. P.R. Note of 28.9.1950. 11 Der Winterthurer Kaufmann Abraham Reinhart hatte 1852 eine Firma für den Export von Textilien und den Import von Rohbaumwolle in Le Havre gegründet. Nachdem diese Firma Konkurs gegangen war, wurden die Geschäfte von Johann Caspar Reinhart weiter geführt, seines Zeichens Teilhaber der Winterthurer Handelsfirma Geilinger & Blum und Bruder Abraham Reinharts. Louis Reinhart, Sohn von Johann Caspar und Bruder des späteren VolkartTeilhabers Theodor Reinhart, machte die Firma in Le Havre 1865 unabhängig von Geilinger & Blum und benannte sie 1899 in „Société d‘importation et de commission, ancienne maison Louis Reinhart, le Havre“ um: Hauser/Fehr, Die Familie Reinhart, 1922, S. 189ff. 12 Ukers, A Trip to Brazil, 1935, S. 34; Greenhill, E. Johnston, 1992, S. 184; http://www.pradochaves.com.br/v2/ingles/marca.htm (2. November 2009). 13 Wright/Gerdes/Bennett, The Packaging of American Cotton, 1945, S. 14.
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Kanada.14 Nach 1939 kam der Export von US-Baumwolle fast völlig zum Erliegen, weil die amerikanische Inlandnachfrage aufgrund des Kriegsausbruchs stark angezogen hatte. Die Spinnereien in Kanada, Japan und China begannen daraufhin, sich in großem Stil mit Baumwolle aus Brasilien einzudecken, was Volkart zu bedeutenden Exportaufträgen verhalf. Aufgrund des Kriegseintritts von Japan und des Mangels an Schiffsraum kam dieses Geschäft aber 1941 zum Erliegen.15 In den späten 1930er und frühen 1940er Jahren hatte Volkart erneut Mitarbeiter nach Brasilien geschickt, um die dortigen Geschäftsmöglichkeiten zu erkunden. Die Volkart-Delegierten rieten wiederholt zur Gründung einer eigenen Niederlassung in Brasilien. Die Teilhaber wollten davon jedoch nichts wissen, da sie davon überzeugt waren, in Brasilien mit Prado Chaves eine erstklassige Verbindung zu besitzen.16 Doch je länger je mehr zeigte sich, dass die Zusammenarbeit mit Prado Chaves insofern problematisch war, als Volkart häufig in letzter Minute die Vertragsbedingungen neu festlegen musste. So verlangten die Kunden häufig neue Zahlungskonditionen, es mussten nachträglich die Bestimmungsorte der Lieferungen und die Währungen, in denen die Transaktionen durchzuführen waren, geändert werden, oder die Verantwortung für die Verkäufe wurde kurzerhand vom Winterthurer Hauptsitz an die Niederlassung in New York – oder umgekehrt – übertragen. Solange derartige Umdispositionen innerhalb der Firma durchgeführt werden mussten, waren sie für ein Handelshaus wie Volkart zu bewältigen. Wenn aber, wie in diesem Fall, mit Prado Chaves eine weitere Firma involviert war, führte dies regelmäßig zu Unstimmigkeiten. Ein weiteres und viel grundlegenderes Problem ergab sich daraus, dass Prado Chaves zwar große Erfahrung im Kaffeegeschäft besaß, mit den spezifischen Eigenheiten des Baumwollhandels aber nicht wirklich vertraut war. So stellte Peter Reinhart nach Kriegsende bei einer Erkundungsreise nach Brasilien fest, Prado Chaves sei zwar eine „perfectly honest and reliable firm but not a cotton firm. None of the directors is sure of what he does in the cotton business. They hardly ever go to the classing room and they are inclined to handle cotton exactly like coffee.“ Prado Chaves habe erst seit kurzem begonnen, die Baumwolle beim Einkauf zu klassieren, weshalb die Firma oft nicht genau wisse, welche Baumwolltypen sie in ihren Lagerhäusern vorrätig habe. Dies hatte für Volkart zur Folge, dass man während des Krieges große Mengen Baumwolle von Prado Chaves übernommen hatte, ohne jeweils sicher zu sein, ob diese wirklich die Qualität aufwies, die man in den Verkaufskontrakten mit den Spinnereien vereinbart hatte: „Quite a number of these purchases were made practically ‚blindly‘, i.e. we had only the vaguest indications as to the real value of the qua14 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Imitada, Sao Paolo & Santos, 1. P.R. Note of 28.9.1950; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 485. 15 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 568; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 162. 16 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 485f.
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lities.“ Weiter habe die brasilianische Firma auch nicht realisiert, wie wichtig es war, eine breite Palette verschiedener Baumwolltypen anzubieten, um auf die spezifischen Bedürfnisse einzelner Spinnereien eingehen zu können. Und schließlich, so Reinhart, sei die präzise Kalkulation, wie sie Volkart in Indien vornehme, bei der Kostenersparnisse durch die Verarbeitung in eigenen Entkörnungsanlagen im Landesinnern mit den Exportpreisen verrechnet würden, bei Prado Chaves völlig unbekannt: „They like to make a small profit on every single item. In particular they are not treating the profits on their inland operations (ginning, crop advances etc.) as part of their total cotton business and never use them to cut prices.“17 Diese Äußerungen zeigen, wie wichtig eine genaue Produktkenntnis und die Erfahrung mit den Besonderheiten einer bestimmten Geschäftssparte für den Erfolg eines Handelshauses waren. Volkart besaß 1946, dem Zeitpunkt, als Peter Reinhart seine Erkundungsreise durchführte, bereits seit vier Jahren eine eigene Niederlassung in Brasilien. 1942 hatte die Firma nach langem Zögern in São Paulo die Volkart Irmaos Ltda. eröffnet. Die neue Tochterfirma war gegründet worden, da aufgrund von neuen bilateralen Abkommen aus Brasilien keine Exporte mehr nach Staaten wie Frankreich, Schweden oder Kanada durchgeführt werden durften, wenn diese Geschäfte über eine Firma in den USA abgewickelt wurden. Da Volkart die Exporte aus Brasilien über die Tochtergesellschaft in New York vorgenommen hatte, wäre die Firma durch diese Bestimmung aus dem Geschäft gedrängt worden. Die einzige Möglichkeit bestand darin, die Exporte pro forma über eine brasilianische Tochterfirma zu betreiben. Faktisch sollte an der bisherigen Geschäftspraxis jedoch nichts geändert werden. Volkart wollte die Baumwolle für den Export weiterhin bei Prado Chaves einkaufen. Bei Prado Chaves löste die Neugründung jedoch große Unruhe aus, da man befürchtete, dass Volkart früher oder später eine eigene Einkaufsorganisation in Brasilien aufbauen könnte.18 Diese Sorge war durchaus berechtigt. Tatsächlich war die Geschäftsleitung von Volkart alles andere als erbaut über „die paradoxe Situation“, dass „wir als Weltfirma der Baumwollbranche nicht in der Lage sind, in Brasilien als shippers aufzutreten, dass vielleicht unsere Ware durch eine kleinere Firma verschifft wird, die sich im Baumwollgeschäft erst einen Namen schaffen muss (mit unserer Hilfe!) und dass wir anderseits nicht einmal mit der Generalvertretung von Prado Chaves für die europäischen Länder betraut worden sind“.19 Eine Lösung des Problems hätte darin bestehen können, die Volkart Irmaos mit der Baumwollorganisation von Prado Chaves zu fusionieren. Dieser von Peter Reinhart eingebrachte Vorschlag wurde jedoch vom Leiter der Volkart Irmaos äußerst skeptisch beurteilt. Dabei wies der Manager unter 17 Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947: PR, Trip to Brazil 13th September to 5th October 1946, 27. November 1946. 18 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Imitada, Sao Paolo & Santos, 1. P.R. Note of 28.9.1950. 19 VA, Konferenz-Protokolle 6. März 1943–31. Dezember 1944: Konferenz vom 22. April 1944.
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anderem auf die Schwierigkeiten hin, die sich in den 1920er Jahren in China und Japan durch die Kooperation mit lokalen Partnern ergeben hatten.20 Volkart hatte trotz aller Reibungsverluste weiterhin ein Interesse an der Kooperation mit Prado Chaves. Ein geschäftlicher Alleingang berge beträchtliche Risiken, meinte 1943 ein Mitglied der Geschäftsleitung. Er verwies dabei auf „die fremde Sprache, das ungenügende Hilfspersonal, das Einspielen einer neuen Organisation überhaupt und, vor allem, die ganz anderen Geschäftsusanzen im Vergleich zu der hochstehenden, im Osten geltenden Handelspraxis.“21 Wenn man versuchen würde, „eine klare Situation zu schaffen und es auf einen Bruch mit Prado Chaves ankommen zu lassen, würde man angesichts des Ansehens der genannten Firma vermutlich Gefahr laufen, aus Brasilien verdrängt zu werden.“22 Volkart wollte auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges vorerst eine Trennung vermeiden. Dies nicht zuletzt, weil Prado Chaves über ausgezeichnete Verbindungen zur brasilianischen Regierung und insbesondere zum Finanzminister verfügte: „These relations and the evident intention of the Brazilian Government to favour the Brazilian firms have on many occasions been most useful. The Brazilian Government is still holding large stocks and by giving advance information about the selling policy or by letting one choose amongst the qualities, it is very easy to facilitate the business of ones friends.“23 Doch Prado Chaves war nach wie vor misstrauisch in Bezug auf die Intentionen von Volkart und löste die Verbindung im Sommer 1947 auf. Volkart begann in der Folge, auf eigene Rechnung brasilianische Baumwolle zu exportieren. Obwohl die brasilianische Baumwollproduktion rückläufig war, entwickelten sich die Geschäfte äußerst positiv. 1950 exportierte Volkart Irmaos 65’800 Ballen Baumwolle – und erreichte damit einen höheren Umsatz als in der Saison 1945/46, in der man noch mit Prado Chaves kooperiert hatte. 1951 wurde zudem eine erste Baumwollentkörnungsanlage in der Nähe von São Paulo erworben. Bis 1956 folgte der Kauf von fünf weiteren Anlagen.24 Damit hatte Volkart – mit einiger Verzögerung – einen ähnlichen Schritt vollzogen wie die beiden bedeutenden amerikanischen Baumwollhandelsfirmen McFadden und Anderson Clayton. Diese hatten in den 1930er Jahren mit dem Aufbau einer Einkaufsorganisation und der Errichtung eigener Entkörnungsanlagen, Baumwollpressen und Lagerhäuser in Brasilien 20 VA, Dossier 63: ex GR persönliches Archiv III, Richtlinien für unsere Geschäftstätigkeit: Beerli, Volkart Irmãos, São Paolo, an Peter Reinhart, New York, 26. April 1943. 21 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. August 1941–4. März 1943: Wachter, Exposée für die Konferenz, 3. Februar 1943. 22 VA, Konferenz-Protokolle 6. März 1943–31. Dezember 1944: Konferenz vom 22. April 1944. 23 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947: PR, Trip to Brazil 13th September to 5th October 1946, 27. November 1946. 24 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Limitada, Sao Paolo & Santos, 1. P.R. Note of 28.9.1950; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 571f.
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begonnen, um ihre Verkaufsfilialen in Europa und Ostasien trotz des Rückgangs der Baumwollexporte aus den USA weiterhin mit Rohbaumwolle versorgen zu können.25 Für Volkart hatte die Kooperation mit Prado Chaves einen Nebeneffekt, der die Entwicklung der Firma in neue Bahnen lenken sollte. Während des Krieges hatte Volkart mit dem Export von brasilianischem Kaffee begonnen, den man bei Prado Chaves einkaufte. Dieses Geschäft wurde nach 1945 fortgeführt, wobei Volkart in Italien die Alleinvertretung von Prado Chaves übernahm und in der Schweiz als Hauptverkäufer fungierte.26 Aufgrund der positiven Resultate weitete Volkart das Geschäft 1950 auf Deutschland, Frankreich und die USA aus – und trat damit in direkte Konkurrenz zu Prado Chaves, die dort bereits durch andere Importfirmen vertreten war. Prado Chaves löste deshalb im Frühjahr 1951 die Vertretungsvereinbarung, womit die Verbindung zwischen den beiden Firmen auch im Kaffeegeschäft endete.27
Brasilien, Land des Kaffees Dass sich eine in Brasilien etablierte Handelsfirma früher oder später mit dem Export von Kaffee zu beschäftigen begann, war nahe liegend. Brasilien war im 19. Jahrhundert zum weltweit größten Kaffeeproduzenten geworden. Dies hatte mehrere Ursachen. Brasilien verfügte über eine riesige Fläche fruchtbaren Landes, welches durch die Urbarmachung des Regenwaldes (und die gewaltsame Vertreibung der indianischen Urbevölkerung, die über keine gesetzlich anerkannten Landrechte verfügte) nutzbar gemacht werden konnte. Dazu kam die politische Stabilität des Landes sowie die Verfügbarkeit von billiger Arbeitskraft. Diese bestand anfänglich vornehmlich aus afrikanischen Sklaven. Doch bereits vor Abschaffung der Sklaverei im Jahr 1888 begannen die Plantagenbesitzer mit der Beschäftigung von europäischen Einwanderern, die als Pächter auf den Feldern arbeiteten. Außerdem beförderte der Ausbau des brasilianischen Eisenbahnsystems die Kaffeeproduktion. Viele der Bahnlinien, die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gebaut wurden, befanden sich in Privatbesitz von Großgrundbesitzern und waren einzig und allein für den Kaffeetransport errichtet worden. Durch die besseren Transportmöglichkeiten lohnte sich die Erschließung neuer Gebiete für den Kaffeeanbau. Zudem wurden die Kaffeebohnen beim Eisenbahntransport weniger beschädigt als beim Transport mit Maultieren, der bis dahin 25 Killick, Specialized and General Trading Firms, 1987, S. 259f. 26 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947: PR, Trip to Brazil 13th September to 5th October 1946, 27. November 1946. 27 VA, Konferenz-Protokolle vom 1. Juli 1949–19. Dezember 1952: Konferenz vom 3. März 1951; Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Imitada, Sao Paolo & Santos, 2. Addl. Information; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 573.
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üblich gewesen war. All diese Faktoren führten dazu, dass Brasilien in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts zwischen 70 und 90% des Weltkaffees produzierte. Nachdem Kolumbien sowie verschiedene zentralamerikanische und afrikanische Staaten den Kaffeeanbau gefördert hatten, ging diese Quote zwar zurück, doch auch in den 1960er Jahren wurde noch über 60% allen Kaffees in Brasilien angebaut.28 Die Ausfuhr des Kaffees wurde von der brasilianischen Regierung genau überwacht. So mussten Exportfirmen in den frühen 1950er Jahre für den Erhalt einer Exportbewilligung 87 Formulare bei verschiedenen Dienststellen einreichen. Zudem hatten sie Warenmuster abzugeben, damit die brasilianische Behörde sicherstellen konnte, dass die Verkaufspreise der Qualität der entsprechenden Lieferungen entsprachen. Dies war deshalb wichtig, weil die Exporteure der Banco do Brasil für jede Ausfuhr 20% des Warenwertes überweisen mussten. Nach vier Monaten erhielten sie die Gelder mit einem Zins von 3% zurück. Mit diesen Zahlungen wurden die Exportfirmen faktisch gezwungen, dem brasilianischen Staat kostengünstige Darlehen zu gewähren.29 Der Kaffeeanbau wurde bis nach dem Zweiten Weltkrieg durch kleinbäuerliche Betriebe dominiert. So bewirtschafteten über 90% der 81’000 Kaffeebauern, die es in den 1930er Jahren in der Region von São Paulo gab, Plantagen mit weniger als 50’000 Bäumen.30 Viele dieser Kleinbauern bauten neben Kaffee auch Lebensmittel zur Selbstversorgung an. Ihre Plantagen befanden sich jedoch meist im Besitz von Großgrundbesitzern und wurden von den Bauern im Pachtverhältnis bewirtschaftet.31 Ab den 1950er Jahren wurde es für die Landbesitzer aufgrund der zunehmenden Mechanisierung der Landwirtschaft und aufgrund des Anstiegs der Kaffeepreise lukrativer, Wanderarbeiter anzustellen, die bloß noch während der Erntezeit auf den Kaffeeplantagen arbeiteten. Zudem konnte durch diese Umstellung mehr Land für die Kaffeeproduktion genutzt werden, da nun auf den Kaffeeplantagen kein Ackerland mehr für die Selbstversorgung der Pächter reserviert werden musste.32 Aufgrund der niedrigen Produktionskosten konnte nicht nur der Anbau stetig gesteigert werden, auch der Preis des brasilianischen Kaffees sank kontinuierlich. Dies war einer der Hauptgründe dafür, dass sich Kaffee im 19. Jahrhundert von einem
28 Ukers, All About Coffee, 1935, S. 153ff. und 323–27; Greenhill, British Export Houses, o.J. [ca. 1972], S. 1–18; Ziegler Witschi, Schweizer statt Sklaven , 1985; Greenhill, E. Johnston, 1992, S. 133, 179–184 und 201; Bates, Open-Economy Politics, 1997, S. 27; Topik, The Integration of the World Coffee Market, 2003, S. 32f.; Pereira de Melo, Coffee and Development, 2003, S. 366–373; Topik/Samper, The Latin America Coffee Commodity Chain, 2006, S. 122–129. 29 Nienstedt, Kaffee-Erzeugung und -Handel, 1950, S. 16f. 30 Ukers, A Trip to Brazil, 1935, S. 25. 31 Burns, A History of Brazil, 1980, S. 472. 32 Stolcke, Coffee Planters, Workers and Wives, 1988.
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Luxusgetränk immer mehr zu einem Massenkonsumgut wandelte.33 Dadurch aber erfolgten wiederum Anreize, die Anbaufläche noch mehr auszuweiten. Dies sollte sich bald schon als großes Problem erweisen – und war der Hauptgrund dafür, dass die Kaffeehandelskette mehr und mehr durch staatliche Interventionen beeinflusst wurde.34 Weil sich die brasilianische Kaffeeproduktion zwischen 1891 und 1902 auf 16,3 Millionen Sack35 verdreifacht hatte, brachen die Weltmarktpreise regelrecht ein. Um einen Ruin der Pflanzer zu verhindern, kaufte die brasilianische Regierung 1906 acht Millionen Sack Kaffee auf. Dieser konnte zwar aufgrund der gestiegenen Rohstoffnachfrage während des Ersten Weltkrieges auf dem Weltmarkt abgesetzt werden, das Problem der Überproduktion blieb jedoch bestehen. Da der Einfluss der Plantagenbesitzer auf die brasilianische Politik groß war, kam es in den folgenden Jahren wiederholt zu kostspieligen staatlichen Interventionen – 1917, 1921 und 1925 kaufte die Regierung große Teile der Ernte auf, so dass zu Beginn der 1930er Jahre Kaffee im Umfang einer zweifachen Jahresernte in den staatlichen Kaffeedepots lagerte. Nachdem dieser Kaffee durch die lange Lagerung ungenießbar geworden war, musste er größtenteils zerstört werden. Die negative Konsequenz dieser Regierungsintervention bestand darin, dass aufgrund der künstlich hoch gehaltenen Preise nicht nur die brasilianischen Pflanzer weit mehr produzierten als sie auf dem Weltmarkt absetzen konnten, sondern dass auch andere lateinamerikanische Staaten wie Kolumbien den Kaffeeanbau und -export zu fördern begannen. Die Weltwirtschaftskrise verschärfte die Situation zusätzlich. Zwischen 1931 und 1937 sanken die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt von 21,7 auf 9,8 cents pro Pfund. Die brasilianische Regierung verbot in der Folge die Errichtung neuer Kaffeeplantagen. Zudem erfolgten nun die ersten Versuche, das Problem der Überproduktion durch ein internationales Abkommen zu lösen. 1936 und 1937 trafen sich die größeren lateinamerikanischen Kaffeeproduktionsländer und versuchten, für jedes Produktionsland bindende Exportquoten festzulegen. Eine Einigung kam jedoch vorerst nicht zu Stande. Deshalb forcierte Brasilien ab 1938 erneut den Export, um keine Anteile auf dem Weltmarkt zu verlieren. Durch den Ausbruch des Zweiten Weltkrieges wurde Lateinamerika fast vollständig vom europäischen Markt abgeschnitten, wodurch die Depots mit nicht verkäuflichem Kaffee weiter anwuchsen. Da die Militärdiktatur, die der brasilianische Präsident Getúlio Vargas 1937 ausgerufen hatte, sich dem nationalsozialistischen Deutschland anzunähern begann, ergriffen die Vereinigten Staaten die Initiative und setzten 1940 das Inter-American Coffee Agreement durch, welches bis 1945 in Kraft war. Diese Vereinbarung setzte Importquoten für 33 Vgl. hierzu u.a. Rossfeld (Hg.), Genuss und Nüchternheit, 2002; Clarence-Smith, The Global Consumption of Hot Beverages, 2008. 34 Burns, A History of Brazil, 1980, S. 300–311, 352, 401; Lucier, The International Political Economy of Coffee, 1988, S. 118; Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 47–55. 35 Diese Säcke hatten ein Standardgewicht von jeweils 60 Kilogramm.
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den US-Markt fest, begrenzte den Anbau und garantierte den lateinamerikanischen Produzenten höhere Preise als noch in den 1930ern. Nach Kriegsende stieg die Nachfrage nach Kaffee wieder stark an. Da die Produktion aber gegenüber den 1930er Jahren stark zurückgegangen war, kam es zu einem großen Preisanstieg und einem erneuten Ausbau der Anbaufläche.
Volkart wird zur Kaffeefirma Aufgrund dieser Entwicklung war es durchaus folgerichtig, dass ein in Brasilien etabliertes Handelshaus wie Volkart sich in den frühen 1950er Jahren im Kaffeehandel engagieren wollte. Wie genau die Firma dieses Geschäft aufziehen sollte, war jedoch anfänglich äußerst unklar. Noch im September 1950 wurde in der Geschäftsleitung die Ansicht vertreten, dass es sinnvoll sei, sich sowohl in Europa als auch in den USA auf den Kaffeeimport zu beschränken und als bloßer Vertreter von süd- und zentralamerikanischen Exporthandelshäusern aufzutreten. Insbesondere fürchtete man, dass ein übereilter Einstieg ins Kaffeegeschäft die Finanzen der Firma über Gebühr beanspruchen und so zu einer Beeinträchtigung der Handlungsfähigkeit im Baumwollgeschäft führen könnte.36 Nachdem jedoch Prado Chaves die Zusammenarbeit aufgekündigt hatte, wurde deutlich, dass Volkart als eigenständiger Verschiffer in Brasilien tätig werden musste, da man sonst kaum über eine Randexistenz im Kaffeegeschäft herauskommen würde.37 Bis 1953 hatte die Firma deshalb in New York und Winterthur je eine eigene Kaffeeabteilung eingerichtet. 1954 wurde in Santos ein Büro für den Einkauf von Kaffee eröffnet, welches als Filiale der Volkart Irmaos in São Paulo unterstellt war.38 Zwei Jahre später konnte man feststellen, dass man „mit der Entwicklung des Umsatzes und mit dem Aufbau der Organisation beträchtliche Fortschritte gemacht“ habe. Auch wenn der Einstieg ins Kaffeegeschäft bis dahin für einen Verlust von fast 700’000 Franken gesorgt hatte, blickte die Firmenleitung optimistisch in die Zukunft: „Die sehr beträchtlichen Umsätze, die erreicht wurden, und die qualitativ durchwegs befriedigenden Lieferungen bilden … wertvolle Vorarbeit für die Zukunft. Die Beziehungen zu Abnehmern und Vertretern konnten vor allem
36 VA, Konferenz-Protokolle vom 1. Juli 1949–19. Dezember 1952: PR, Protokoll der PartnersKonferenz vom 16. September 1950, Aufnahme des Kaffeegeschäftes in New York, 15. September 1950. 37 VA, Konferenz-Protokolle vom 1. Juli 1949–19. Dezember 1952: Konferenz vom 3. März 1951; Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, III. Brazil: Volkart Irmaos Imitada, Sao Paolo & Santos, 2. Addl. Information; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 573. 38 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenzen vom 13. Januar 1954 und vom 7. September 1954; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 589.
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in Europa verbessert werden, und es besteht Zuversicht, dass sich dieses Geschäft weiter entwickeln wird, und dass die finanziellen Resultate sich verbessern werden.“39 1958 begann Volkart mit dem Kaffeeeinkauf im Landesinnern und erwarb die ersten Aufbereitungsanlagen für die Verarbeitung der Kaffeekirschen in den Anbaugebieten.40 Eine solche Rückwärtsintegration war für eine Handelsfirma unumgänglich, wenn sie eine größere Bedeutung im Exportgeschäft erlangen wollte – eine Erfahrung, die Volkart bereits früher im indischen Baumwollgeschäft gemacht hatte. In Brasilien hatten europäische und amerikanische Kaffeeexportfirmen ab den 1890er Jahren damit begonnen, Einkaufsagenten ins Landesinnere zu schicken und den Kaffee direkt bei den Bauern zu kaufen. Da sie höhere Preise bezahlten, konnten sie die Zwischenhändler ausschalten, die bis dahin den Transport an die Küste organisiert hatten. Den ausländischen Firmen kam dabei zugute, dass sie zu günstigeren Konditionen in den Industrieländern der Nordhalbkugel Kredite aufnehmen konnten, als dies den brasilianischen Kaufleuten möglich war. Da der Handel durch die Mechanisierung der Verarbeitung und den Bau von Eisenbahnlinien zudem immer kapitalintensiver wurde, geriet die Kaffeeausfuhr aus Brasilien zunehmend unter ausländische Kontrolle. 1918 stammten die meisten der 137 Kaffeeexportfirmen aus Europa und den USA. Dennoch gelang es ab der Jahrhundertwende auch einzelnen brasilianischen Firmen, sich im Kaffeeexport zu etablieren, allen voran Prado Chaves. Die Einrichtung eigener Einkaufsagenturen und Verarbeitungsanlagen erlaubte den Exporteuren eine bessere Selektion des Kaffees und die Etablierung eigener Kaffeetypen. So meinte 1900 ein Einkaufsagent der britischen Firma Edward Johnston & Co., die um die Jahrhundertwende zu den bedeutendsten Kaffeeexportfirmen in Brasilien gehörte, in einem Brief an den Firmeneigner in London: „My idea for the future is … [t]hat we should make up types ... of coffee well set in Color & style & that … the types be kept as uniform as possible. A Santos superior should always be the same whether the crop is a good one or a bad one. … I think that in this way we should keep up a uniformity in our types (& I trust also in our shipments) which would be of the advantage of our business as a whole.“41 Mit dem Aufbau einer eigenen Einkaufsorganisation unternahm Volkart in den späten 1950er Jahren einen ähnlichen Schritt wie – praktisch zur gleichen Zeit – die amerikanische Handelsfirma Anderson Clayton. Diese hatte sich ab 1932 im brasilianischen Baumwollmarkt betätigt und diversifizierte 1950 ins Kaffeegeschäft. Anderson Clayton wurde schon bald zum bedeutendsten Kaffeeexporteur Brasiliens und 39 VA, Bilanzen, Bilanz 1955/56. 40 VA, Bilanzen, Bilanz 1957/58; Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 7. Januar 1958 und vom 9. April 1958; Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: JH, Zu Protokoll, 29. Juni 1960. 41 UCL, Edward Johnston and Co. archives, GB 0103 JOHNSTON, Letter Book: Edward Greene, Santos, to Reginald E. Johnston, London, 15th October 1900.
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führte in den frühen 1950er Jahren jeden Monat mehr als 300’000 Sack Kaffee aus.42 Die Firma umging den Zwischenhandel im Landesinnern, indem sie direkt bei den Kaffeebauern kaufte und diesen auf Kredit Insektizide und Dünger lieferte. Zudem besaß sie eine eigene Agronomieabteilung zur Beratung der Bauern. Der Aufbau einer eigenen Einkaufsorganisation und der Betrieb von eigenen Aufbereitungsanlagen war für das Exportgeschäft der Firma zentral. In einer Firmenbroschüre aus den späten 1950er Jahren wurde ihre Bedeutung folgendermaßen umschrieben: „This permits ACCO’s [Anderson, Clayton & Co’s] interior managers to furnish the company with accurate periodic reports on the progress of the coffee crop, rainfall and other vital weather conditions. This wealth of information enables ACCO to expertly advise and serve the best interests of its customers abroad.“43 In Santos wurden die Kaffeeeinkäufe aus dem Landesinnern durch das Unternehmen nochmals selektiert und zu standardisierten Firmentypen gemischt: „ACCO carefully selects and supervises the blending of all shipments to conform to the particular need of individual buyers in each market throughout the world. The basic principles motivating ACCO’s activities are the satisfying of its customer’s requirements of uniformity and reliability, and the maintenance of a constant market for the farmer’s production among the world’s roasters.“44 Auch Volkart konnte mit dem Aufbau einer eigenen Einkaufsorganisation den Umsatz im Kaffeegeschäft innert weniger Jahre steigern. Zentral dafür war jedoch, dass Volkart – wie zuvor bereits Anderson Clayton – als multinationales Handelshaus von Beginn weg Skalenerträge erzielen und durch die Niederlassung in New York mit den wichtigsten Kaffeeröstern in den USA in Verbindung treten konnte. Dabei war es nicht zuletzt die interventionistische Haltung des brasilianischen Staates, die der Firma zu einem ersten Großauftrag verhalf. So gelang es Volkart im Juli 1959, von der staatlichen brasilianischen Kaffeebehörde 250’000 Sack Kaffee zu erwerben, der als Überschuss aus früheren Ernten eingelagert worden war und deshalb an Qualität eingebüßt hatte. Dieser Lagerkaffee konnte zu einem außerordentlich niedrigen Preis an Fabrikanten von löslichem Kaffee verkauft werden, wobei sich Volkart jedoch verpflichten musste, innerhalb der folgenden Monate nochmals 250’000 Sack mit normaler Qualität zu den üblichen Konditionen zu exportieren. Volkart konnte die Verkäufe der ersten 250’000 Sack aufgrund des tiefen Preises an die Bedingung knüpfen, dass die Röstereien bereit sein mussten, später nochmals eine größere Menge normalen Kaffees einzukaufen. Dadurch konnte Volkart nicht nur den Umsatz stark erhöhen, die Operation 250/250 – wie sie firmenintern genannt wurde – erlaubte auch die Anknüpfung von Geschäftsbeziehungen zu einer Reihe von Großkunden,
42 Greenhill. E. Johnston, 1992, S. 244. 43 Anderson, Clayton, Brazilian Coffee, o.J. [1957], S. 17. 44 Anderson, Clayton , Brazilian Coffee, o.J. [1957], S. 18.
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Abb. 23 Volkart offeriert den Röstern im wichtigen US-amerikanischen Kaffeemarkt die Dienste der firmeneigenen Kaffeeabteilung. Anzeige aus dem New Yorker Tea and Coffee Trade Journal, Nr. 10, 1961, S. 73.
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insbesondere zu Nestlé.45 Dennoch blieben die finanziellen Resultate des Kaffeegeschäftes vorerst relativ bescheiden.46 In der Saison 1961/62 konnte die Kaffeeabteilung von Volkart erstmal substanzielle Gewinne erzielen, nachdem man insbesondere in Skandinavien die Verkaufsorganisation ausbauen und in den USA die Absätze durch die Eröffnung eines Verkaufsbüros in San Francisco steigern konnte.47 Die Umsätze in den USA waren von relativ bescheidenen 315’000 Säcken in der Saison 1955/56 auf über 2 Millionen Säcke in der Saison 1961/62 gestiegen.48 „Besonders erfolgreich“, hieß es in der Firmenbilanz 1961/62 zum Geschäft in den USA, sei „die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit General Foods, wo wir bis zu einem gewissen Grad die Vorzugsstellung von Anderson Clayton verdrängen.“49 Doch schon kurz darauf erfolgte ein herber Rückschlag. Im Sommer 1964 brachen die Kaffeepreise auf dem Weltmarkt ein, wodurch eine Reihe von Firmen zahlungsunfähig wurde. Das Gerücht kam auf, Volkart sei zahlungsunfähig, der Leiter der Kaffeeabteilung in New York befinde sich auf der Flucht und die brasilianische Regierung habe die Firma auf 24 Millionen US-Dollar verklagt. Volkart informierte daraufhin die Mitarbeiter und Tochterfirmen in einem Zirkular und betonte, dass diese Gerüchte haltlos seien und dass es der Firma gelungen sei, die Verluste im Kaffeehandel durch andere Einkünfte auszugleichen.50 „Dass bei den schädlichen Gerüchten auch ‚wishful thinking’ mitgespielt hat, ist anzunehmen“, hieß es dazu lakonisch in der Bilanz 1963/64. „Unsere riesigen Kaffeegeschäfte in Amerika haben uns nicht nur Freundschaften gebracht!“51
Die Konkurrenzvorteile von multinationalen Handelsfirmen Alles in allem ist es bemerkenswert, wie rasch sich Firmen wie Volkart und Anderson Clayton im brasilianischen Kaffeegeschäft etablieren konnten. Dies hat mehrere Ursachen. Ein Vorteil dieser multinationalen Handelshäuser lag in ihrer finanziellen Potenz und in einer generellen Veränderung des globalen Handels in der zweiten Hälfte 20. Jahrhunderts. Handelsfirmen gingen in dieser Periode zunehmend dazu über, Vorschüsse an Zwischenhändler und Pflanzer zu zahlen. Volkart hatte sich bis in die Zwischenkriegszeit strikte geweigert, Geschäfte auf Kreditbasis zu tätigen. Nach 45 VA, Bilanzen, Bilanz 1959/60. 46 VA, Bilanzen, Bilanz 1960/61. 47 VA, Bilanzen, Bilanz 1961/62; Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Konferenz vom 27. Juni 1961. 48 VA, Bilanzen, Bilanz 1959/60 und 1960/61. 49 VA, Bilanzen, Bilanz 1961/62. 50 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Konferenz vom 7. September 1964; Zirkular, Winterthur an die Tochterfirmen, 8. September 1964. 51 VA, Bilanzen, Bilanz 1963/64.
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1918 kam die Firma mehr und mehr von diesem Grundsatz ab. Für die Baumwollverkäufe der Tochterfirmen in China und Japan zeigte man sich erstmals bereit, in größerem Umfang Kreditrisiken einzugehen und man gewährte auch den kontinentaleuropäischen Spinnereien immer günstigere Zahlungskonditionen. Dadurch wurde das Geschäft für Volkart zwar immer riskanter – gleichzeitig konnte die Firma so aber ihren Umsatz beträchtlich steigern, da viele Konkurrenten nicht fähig oder nicht bereit waren, ähnliche Kapitalrisiken einzugehen.52 Mitte der 1950er Jahre sprach die Firma erstmals kurzfristige Kredite an indische Pflanzer, nachdem man auf dem Subkontinent im großen Stil ins Kaffeegeschäft eingestiegen war.53 Dies war das erste Mal überhaupt, dass Volkart Agrarkredite vergab. In Lateinamerika hätte Volkart unmöglich derart rasch im globalen Kaffeehandel mitmischen können, wenn die Firma nicht über beträchtliche finanzielle Möglichkeiten verfügt und bei amerikanischen und europäischen Banken nicht eine derart hohe Kreditwürdigkeit genossen hätte. Volkart war in dieser Hinsicht kein Einzelfall. Auch andere multinationale Handelsfirmen wie Ralli, Bunge & Born oder Anderson Clayton betätigten sich nach 1945 immer mehr als Financiers und übernahmen damit Funktionen, die bis in die Zwischenkriegszeit von Handelsbanken übernommen worden waren.54 So finanzierte Volkart in den frühen 1950er Jahre Kaffeeexporte aus Brasilien, indem die Firma bei westlichen Banken Kredite aufnahm und diese wiederum an brasilianische Exportfirmen weiterleitete.55 Auch bei der Zusammenarbeit mit Prado Chaves hatte die Attraktivität für die brasilianische Firma unter anderem darin bestanden, dass Volkart in den USA zu wesentlich günstigeren Konditionen Geld aufnehmen konnte als dies für Prado Chaves in Brasilien möglich gewesen wäre. Dort betrugen die Zinsen in der Regel 8 bis 10%.56 Gegenüber den Exportfirmen aus den Rohstoff produzierenden Ländern hatten multinationale Firmen wie Volkart oder Anderson Clayton den Vorteil, dass sie über langjährige Beziehungen zu den Banken verfügten und diesen darüber hinaus ihre Warenlager als Sicherheit anbieten konnten.57 Volkart begann in den 1950er Jahren mit der Einrichtung großer Vorratslager, so genannter working stocks, die der Firma eine rasche Lieferung von gängigen 52 Vgl. hierzu unter anderem Kapitel 8, 10 und 14. 53 Vgl. Kapitel 12. 54 Ralli Brothers Limited, 1951, S. 13; VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947: PR, Trip to Brazil 13th September to 5th October 1946, 27. November 1946. 55 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 8. November 1954. 56 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947: PR, Trip to Brazil 13th September to 5th October 1946, 27. November 1946. 57 VA, Dossier 26: Finance/Exchange 1887–1977, 4 general information about finance by HO and SDCHARD 1937–1941: Aktennotiz, 28.8.1958; Dossier 48: Artikel/Abhandlungen/ Gedichte/Briefe etc. von ehemaligen Mitarbeitern: O. Kappeler, Ueberseehandel, 23.11.1965; Greenhill, E. Johnston, 1992, S. 245.
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Qualitätssorten ermöglichten. Darüber hinaus hatten diese Lager den Vorteil, dass die Firma besser gegen Preisschwankungen gewappnet war, da man die Einkäufe dann durchführen konnte, wenn die Preise niedrig waren.58 Aufgrund ihrer Kapitalstärke wurden die Handelsfirmen auch für die Regierungen der Anbauländer zu wertvollen Partnern. So hatte der brasilianische Finanzminister 1960 von Volkart einen Kredit von 10 Millionen Dollar erbeten; mit Zinsen entsprach dies umgerechnet 45 Millionen Franken. Geplant war, dass Volkart von den drei Schweizer Großbanken einen Festkredit von 15 Millionen Franken zu einem Zinssatz von 3 ¾% aufnehmen sollte; die übrigen 30 Millionen sollten von den Banken selbst zur Verfügung gestellt werden, allerdings ohne Regressrecht auf Volkart. Als Sicherheit bot die brasilianische Regierung unter anderem die Verpfändung von 340’000 Sack Kaffee an. Das Darlehen sollte durch den sukzessiven Export dieses Kaffees nach Europa und in die USA abgebaut werden, wobei die Verkäufe an beiden Orten durch Volkart erledigt werden sollten. Die Transaktion kam schließlich aufgrund des Zögerns der brasilianischen Regierung nicht zu Stande. Das Beispiel zeigt jedoch die Größenordnungen, in denen sich der Kaffeehandel abspielte und die zentrale Bedeutung von Bankkrediten für die Durchführung der Geschäfte.59 Ein weiterer Vorteil von Handelsfirmen aus den Industrieländern bestand darin, dass sie zu wesentlich günstigeren Konditionen Termingeschäfte an den Rohstoffbörsen tätigen und so die Warengeschäfte gegen Preisänderungen absichern konnten. Der Kaffeeterminhandel verlor zwar Ende der 1960er Jahre vorübergehend an Bedeutung, als das Internationale Kaffeeabkommen während mehrerer Jahre für stabile Weltmarktpreise sorgte. Als die zweite Runde des Abkommens 1972 auslief, stieg das Volumen der Termingeschäfte jedoch wieder an und erhielt nach dem rapiden Anstieg der Weltkaffeepreise im Gefolge eines schweren Frostes in Brasilien im Jahr 1975 wieder eine immens große Bedeutung.60 Peter Reinhart war 1954 Mitglied der New Yorker Kaffeebörse geworden, weshalb die Firma von nun an für ihre Termingeschäfte nur noch die Hälfte der sonst üblichen Gebühren bezahlen musste.61 Wie im Baumwollgeschäft vereinte die Börse auch im Kaffeehandel ganz unterschiedliche Funktionen.62 Erstens sollte sie durch die Etablierung standardisierter Kaffeetypen 58 VA, Dossier 44, VBH Guidelines 1970–1983 (verfasst von Peter Reinhart): Circular letter No. 108, 1st October 1955; Winterthur an Volanka, Colombo, 19. Februar 1970. 59 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Konferenz vom 18. November 1960. 60 Marshall, The World Coffee Trade, 1983, S. 143; Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 65 und 110. 61 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 8. November 1954. 62 Die folgenden Ausführungen zur Funktion der Kaffeebörse beruhen auf: Ukers, All About Coffee, 1935, S. 357–64 und 448–50; Marshall, The World Coffee Trade, 1983, S. 144ff.; Topik, The Integration of the World Coffee Market, 2003, S. 40f.
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die Verständigung über die Kaffeequalität ermöglichen. Dies war vor allem wichtig geworden, nachdem Kaffee mit der Einführung der Telegraphie gehandelt werden konnte, bevor die eigentliche Ware am Bestimmungshafen eintraf – und oft bevor der Kaffee überhaupt geerntet worden war. Zweitens sollten Operationen an der Kaffeeterminbörse die Risiken von Preisschwankungen absichern. Da der Terminmarkt im wesentlichen auf Informationen über zukünftige Entwicklungen beruhte – wie etwa der Größe der zu erwartenden Ernte in bestimmten Anbaugebieten – eröffnete er jedoch stets auch die Möglichkeit zu spekulativem Handel, einer Praxis, die bei seriösen Händlern lange Zeit verpönt war. Den Mitgliedern der Börse war es deshalb verboten, Gerüchte auszustreuen, um Preise zu beeinflussen. Eine amerikanische Firma, die das getan hatte, wurde 1888 von der New Yorker Kaffeebörse ausgeschlossen.63 Drittens wurde durch offizielle Klassierer, die von der Börse gestellt wurden, die Güteklasse der einzelnen Kaffeelieferungen festgestellt. Je nachdem, welchem Qualitätstyp die entsprechende Lieferung entsprach und wie viele Mängel – zerbrochene oder verdorbene Bohnen, Vermischung mit Steinen, Zweigen oder Erde – sie aufwies, wurde sie einer bestimmten Klasse zugeteilt. Aufgrund dieser Einstufung wurde dann die Preisdifferenz zum aktuellen Basispreis festgelegt, der in den meisten Fällen dem Preis von Kaffee der Güteklasse Santos No. 4 entsprach (dessen Qualität mit „fair to good roast“ und der geschmacklichen Eigenschaft „soft“ beschrieben wurde). Käufer und Verkäufer hatten dabei die Möglichkeit, eine zweite Klassierung zu verlangen, wenn sie mit dem Entscheid nicht einverstanden waren. Der Entscheid dieser zweiten Klassierung war endgültig. Multinationale Handelshäuser wie Volkart oder Anderson Clayton konnten bei ihrem Einstieg ins Kaffeegeschäft weiter davon profitieren, dass sie durch die vertikale Integration von Einkauf, Verarbeitung, Import und Export sowohl Transaktionskosten als auch durch ihr weltweites Filialnetz und die Nähe zu den Röstern in den Industrieländern Informationskosten senken konnten. Dies war ein wichtiger Wettbewerbsvorteil. Noch in den 1960er Jahren dauerte es etwa trotz Telegraphie mehrere Tage, bis man in Guatemala – über den Umweg nach Europa – von einem Frost in Brasilien erfuhr, welcher den Kaffeepreis weltweit in die Höhe trieb.64 Handelsfirmen wie Volkart oder Anderson Clayton widmeten deshalb der Aufbereitung von Informationen über die Entwicklung der Ernten stets größte Aufmerksamkeit. Anderson Clayton hatte in den frühen 1950er Jahren ein elaboriertes System entwickelt, um die zukünftige Ernte in Brasilien voraussagen zu können, und hierzu eine eigene Abteilung eingerichtet. Grundlage waren Schätzungen der brasilianischen Regierung zur Zahl und zum Alter der Kaffeebäume. Vertreter der Firma besuchten darüber hinaus regelmäßig die Plantagen und kontrollierten das Wachstum der Ernte und den Einfluss des Wetters. Diese Beobachtungen wurden ergänzt durch Informationen, die 63 Greenhill, British Export Houses, o.J. [ca. 1972], S. 27. 64 Interview mit Thomas Nottebohm, 2008.
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man durch das Versenden von Fragebogen von Pflanzern direkt erhielt. Dieses System erlaubte äußerst präzise Vorhersagen, die umgehend in die Kalkulationen von Anderson Clayton einflossen.65 Den multinationalen Handelsfirmen kam auch entgegen, dass im Kaffeegeschäft – wie im Welthandel generell – die Zuverlässigkeit der Vertragspartner zentral war. Die Einschätzung der Vertrauenswürdigkeit eines Vertragspartners wurde nicht zuletzt dadurch erleichtert, dass die Zahl der beteiligten Parteien im Kaffeehandel stets überschaubar war. Auch auf dem globalen Markt wurde der Zugang zum inneren Kreis der Kaffeehändler genau kontrolliert. Die New Yorker Kaffeebörse etwa wies maximal 312 Mitglieder auf. Die Aufnahme eines neuen Mitgliedes musste jeweils von einem bestehenden Mitglied beantragt und vom Vorstand der Börse genehmigt werden.66 Indem größere Firmen immer wieder mit denselben Geschäftspartnern zu tun hatten, kannten sie sowohl deren finanzielle Situation wie auch deren Reputation relativ genau. Verträge erhielten deshalb in der Regel bloß wenige Garantieklauseln. Im Streitfall wirkte die jeweilige Kaffeebörse, auf die der Vertrag abgeschlossen wurde, als Schiedsgericht. Handelsfirmen waren jedoch darum bemüht, es wenn möglich nicht zu Konflikten kommen zu lassen. Sie strebten danach, die Vertragsbedingungen unter allen Umständen zu erfüllen oder sich andernfalls mit den Käufern gütlich zu einigen. Dies begründete William H. Ukers, der langjährige Redaktor des New Yorker „Tea and Coffee Trade Journal“ im Jahr 1935 folgendermaßen: „As the quality of most of the coffee sold is a question of good faith on the part of the seller, it is obvious that these shipping inferior grades or qualities, or refusing adjustment in some mutually satisfactory manner, are soon eliminated by discriminating buyers.“67 Es wurde bereits in früheren Kapiteln darauf hingewiesen, dass Volkart die Einhaltung von Vereinbarungen zum Geschäftsprinzip gemacht hatte.68 Dies galt auch für das Kaffeegeschäft. Laut Peter Zurschmiede, von 1966 bis 1985 Leiter der Kaffeeabteilung von Volkart, lautete die Maxime der Firma, dass Volkart auch dann liefern würde, wenn der Markt zusammenbricht. Zudem sei es eine der Stärken der Firma gewesen, dass man gegenüber den Kunden stets offen war und sie ehrlich beraten habe.69 Dieses Selbstbild wird von externen Beobachtern und Geschäftspartnern 65 66 67 68 69
Revista do Comércio de Café, Vol. 59, No. 645, Março 1979, S. 20–21. Ukers, All About Coffee, S. 364. Ukers, All About Coffee, 1935, S. 362. Vgl. Kapitel 3 und 5. Interview mit Peter Zurschmiede, 2008. Ähnlich äußerte sich Zurschmiede auch 1977 an einem internationalen Kaffeesymposium in Santos, wo er festhielt: „During more than 125 years in the commodity business, we have certainly learnt that we depend for our success equally on consumers as well as on producers, and it is always our aim not to take sides but keep an objective view in spite of temporary advantages of one side or the other.“ (ICO, SG.12: Peter Zurschmiede. World Coffee Situation now – and an Outlook for the next 3 years. Lecture given at the Santos Coffee Seminar on June 1, 1977 in Guarujà; vgl. auch ICO, RG.12: Peter
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bestätigt. Thomas Nottebohm etwa, einer der führenden Kaffeehändler Guatemalas, erzählte in einem Interview, dass es stets sehr angenehm gewesen sei, mit den Leuten von Volkart Geschäfte zu machen, oft wesentlich einfacher als mit den Vertretern anderer Firmen. Die Volkart-Mitarbeiter habe er immer als sehr anständig, als „Swiss honest“, vielleicht auch ein wenig als „Swiss dry“ empfunden. Wenn man mit ihnen verhandelte, dann habe es stets „yes or no“ geheißen, die Situation sei immer „quite clear“ gewesen und die Abmachungen seien stets eingehalten worden.70
Markteintritt in Zentralamerika durch Kooperation mit lokalen Kaffeefirmen Auf den Weltkaffeemärkten werden zwei unterschiedliche Kaffeesorten gehandelt. Zum einen Robusta, eine Sorte, welche ein tropisches Klima benötigt und vor allem in West- und Zentralafrika sowie in Asien und zum Teil in Südamerika angebaut wird. Zum anderen Arabica, eine Sorte, die in subtropischen Gebieten gedeiht und insbesondere in Süd- und Zentralamerika sowie in verschiedenen afrikanischen und asiatischen Ländern wächst. Da sich die beiden Sorten geschmacklich unterscheiden, haben sie traditionellerweise unterschiedliche Absatzgebiete. Robusta wird vor allem in Frankreich und in den ehemaligen französischen Kolonien konsumiert. Arabica-Kaffee dagegen wird im übrigen Europa sowie in den USA bevorzugt, wobei der Großteil des dort verkauften Kaffees aus Mischungen besteht, die auch billigeren Robusta enthalten.71 Volkart konzentrierte sich von Beginn weg auf den Handel mit lateinamerikanischem Arabica. Schon kurz nachdem die Firma den Aufbau einer eigenen Kaffeeorganisation beschlossen hatte, führte sie eine geographische Diversifizierung durch. Neben dem Export von brasilianischem Kaffee kaufte die Firma alsbald auch kolumbianischen Kaffee über dort niedergelassene Exportfirmen und setzte ihn in den USA ab.72 Weiter begann Volkart mit dem Kaffeeeinkauf in Mexiko und hatte ab den frühen 1960er Jahren Mitarbeiter in afrikanischen Produktionsländern wie Uganda oder dem Kongo stationiert, die dort für Volkart New York Kaffee aufkauften.73 Be-
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Zurschmiede. The world coffee situation as seen by an international trader. Presentation given at the Coffee International Symposium at Monte Carlo, October 1979). Interview mit Thomas Nottebohm, 2008. Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 31–34 und 51f. Eine Beteiligung an Kaffeefirmen in Kolumbien, dem weltweit zweitgrößten Kaffeeproduzenten nach Brasilien, war für ausländische Handelshäuser aus rechtlichen Gründen lange Zeit nicht möglich; Volkart konnte sich erst in den 1980er Jahren an einer kolumbianischen Exportfirma beteiligen (Interview mit Peter Zurschmiede, 2008). VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Zu Protokoll, 10. Januar 1962.
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reits in den frühen 1950er Jahren hatte die Firma zudem mit dem Verkauf von zentralamerikanischem Kaffee an Hamburger Importfirmen begonnen.74 In den 1960er Jahren intensivierte Volkart die Geschäfte mit Exportfirmen aus Costa Rica und Guatemala. Der zentralamerikanische Kaffee war aufgrund seiner hohen Qualität vor allem in Deutschland sehr beliebt. Die deutschen Kaufleute konnten die Kaffeeausfuhr dadurch unter ihre Kontrolle bringen, dass sie den Pflanzern Vorschüsse gewährten. Dazu wiederum waren sie in der Lage, weil sie Kredite von Bremer und Hamburger Importfirmen erhielten.75 Den Einstieg in die neuen Kaffeemärkte bewerkstelligte Volkart denn auch durch die Kooperation mit zentralamerikanischen Kaffeefirmen, welche von deutschen Auswanderern betrieben wurden, sowie durch Zusammenarbeit mit einem Unternehmen, welches von einem Deutschschweizer Kaufmann gegründet worden war. Die Zusammenarbeit mit Exportfirmen, die durch deutschsprachige Kaufleute geführt wurden, hatte für Volkart einige Vorteile. So verfügte die Firma zu diesem Zeitpunkt noch über keine Mitarbeiter, die spanisch sprachen. Sie war deshalb auf Partner angewiesen, mit denen man sich auf deutsch oder englisch unterhalten konnte. Zum anderen war man bei Volkart der Ansicht, dass man europäischen Kaufleuten eher vertrauen könne als lateinamerikanischen.76 Die gemeinsame Sprache und der gemeinsame kulturelle Hintergrund schufen damit eine Grundlage für das im Fernhandel so wichtige Vertrauen. Wie zentral dies nach Ansicht der damaligen Kaufleute war, lässt sich etwa daran ablesen, dass die Verantwortlichen des Bremer Vereins der am Kaffeehandel beteiligten Firmen in einer Publikation von 1950 festhielten: „Käufe von Erzeugnissen einer bestimmten Pflanzung oder eines Bezirks sind Vertrauenssache. Man kann solche Geschäfte nur mit bekannten, zuverlässigen Abladern im Ursprungsland machen.“77 Einer der ersten zentralamerikanischen Lieferanten von Volkart war die Firma des Schweizer Kaufmanns Hans Waelti in Guatemala.78 Ab 1962 hatte Volkart zwei eigene Mitarbeiter bei Waelti einquartiert, um die Einkäufe in Guatemala besser überwachen zu können.79 Wenig später begann Volkart in Costa Rica eine Zusammenarbeit mit Café Capris, einem Unternehmen, das in den 1950er Jahren unter dem Namen Capris für den Import von europäischen Werkzeugen und Eisenwaren nach Costa Rica gegründet worden war. In den frühen 1960er Jahren stieg einer der Teil74 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 23. Januar 1954. 75 Wünderich, Die Kolonialware Kaffee, 1994; Wagner, The History of Coffee in Guatemala, 2001; Fleer, La oligarquía cafetalera , 2001, S. 122f.; Topik, The Integration of the World Coffee Market, 2003, S. 43; Rischbieter, Globalisierungsprozesse vor Ort, 2007. 76 Interview mit Paul Moeller, 2007. 77 Verein der am Kaffeehandel beteiligten Firmen, Kaffee, 1950, S. 25. 78 Interview mit Paul Moeller, 2007. 79 VA, Bilanzen, Bilanz 1962/63; Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Konferenz vom 21. Februar 1964.
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haber, der deutsche Kaufmann Karl Schnell, in den Kaffeeexport ein, indem er einige Kaffeemuster an den Onkel seines Geschäftspartners schickte. Dieser Onkel saß im Vorstand des deutschen Lebensmittelproduzenten EDEKA – was ein weiterer Beleg dafür ist, welch großen Stellenwert soziale und familiäre Beziehungen auch noch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts für den Welthandel hatten. Da EDEKA von den Mustern angetan war, gründete Schnell die Firma Café Capris und begann mit dem Kaffeeexport nach Westeuropa und in die USA.80 Volkart war eine der Firmen, die die Lieferungen von Café Capris in Europa vertrieben. 1967 reiste Peter Reinhart nach Zentralamerika, um abzuklären, ob es sich lohnen würde, in dieser Region eigene beneficios (Verarbeitungsanlagen) zu betreiben und eine eigene Einkaufsorganisation zu gründen. Dies wäre jedoch äußerst riskant gewesen, da die Geschäfte in der Region sehr oft über die Gewährung von Krediten liefen. Wenn die Bauern nach der Ernte nicht die vereinbarte Kaffeemenge beziehungsweise nicht die vereinbarte Qualität ablieferten, mussten sie sich verpflichten, diese Differenz in der nächsten Saison auszugleichen. In gewissen Fällen waren die Bauern gar gezwungen, den Exporteuren oder den Betreibern der beneficios ihr Land abtreten. Viele deutsche Kaufleute waren in Zentralamerika auf diese Weise im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zu beträchtlichem Grundbesitz gekommen. Für Volkart als Welthandelsfirma war das Betreiben von eigenen Kaffeeplantagen jedoch nicht interessant. Auch wäre die Durchsetzung der Verträge für eine ausländische Firma aufgrund der fehlenden Ortskenntnisse schwierig gewesen. Aus diesem Grund beschloss Volkart, sich an den Exportfirmen zu beteiligen, mit denen man bis dahin erfolgreich zusammengearbeitet hatte. 1967 übernahm Volkart eine Minderheitsbeteiligung von 35,3% an Peter Schoenfeld S.A., die seit den frühen 1960er Jahren Kaffee aus Guatemala exportierte und eng mit Juan Waelti Sucs. S.A. verbunden war.81 1969 beteiligte sich Volkart mit 35,2% bei Juan Waelti und übernahm 50% der Anteile von Café Capris.82 Diese Kooperation hatte für beide Seiten Vorteile, da sie ihnen half, Informations- und Transaktionskosten zu senken. Die zentralamerikanischen Exporteure konnten durch eine solche Zusammenarbeit zu Krediten kommen, aus denen sie wiederum Vorschüsse an die beneficios bezahlten. Für Exportfirmen aus Zentralamerika war es nur schwer möglich, von europäischen oder amerikanischen Banken Kredite zu erhalten, da sie keine größeren Aktiven als Sicherheiten besaßen und da die ausländischen Banken die lokalen Verhältnisse zu wenig genau kannten, um die Vertrauenswürdigkeit der dort niedergelassenen Exporteure einschätzen zu können. Kapitalstarke Handelsfirmen wie Volkart dagegen hatten keine Mühe, Bankkredite zu erhalten. Um sicher zu stellen, dass ihre Vorschüsse wieder zurückbezahlt wür80 ANCR: Fondo Northern Railway Co., 001000 (1952); Interview mit Jörg von Saalfeld, 2008. 81 Kaffee-Büro, Fincas Productoras y Exportadores, 1962. 82 Interviews mit Paul Brose, Jürgen Plate, Jörg von Saalfeld und Peter Schoenfeld jun., 2008; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 719ff.
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den, bestanden sie jedoch darauf, dass sie sich an den lokalen Exportfirmen beteiligen konnten.83 Durch diese Beteiligungen vermochten sie die Qualität der Kaffeeexporte besser zu überwachen, was ihnen wiederum half eigene Produkttypen mit immer gleichen Eigenschaften zu etablieren. Solche Typen gab es zwar auch in anderen Kaffeeproduktionsländern. In Zentralamerika spielten sie jedoch eine größere Rolle als anderswo, da der zentralamerikanische Kaffee sich vor allem durch seine hohe Qualität auszeichnete. Größere beneficios hatten bereits seit Jahrzehnten eigene Produktetypen angeboten. Indem jedoch ein multinationales Handelshaus wie Volkart ab den späten 1960er Jahren Marken wie „Pastores“, „Gloria“, „Coral“, „Jade Azul“ oder „Miralinda“ im Weltkaffeehandel etablieren konnte – Marken, die wiederum auf eigenen Mischungen von Kaffee von zwei oder drei Plantagen beruhten –, wurden diese Typen nun auch für Röster in den Industrieländern interessant.84 Volkart konnte sich durch die Etablierung dieser firmeneigenen Typen mit der Zeit von der europäischen Konkurrenz abheben, die ihren Kaffee damals bloß durch die Beschreibung der Geschmackseigenschaften der jeweiligen Lieferungen vertrieb.85
Kaffeequalität und soziale Verhältnisse Gegenüber den Mengen, die in Brasilien angebaut wurden, war – und ist – die Kaffeeproduktion Zentralamerikas bescheiden. Costa Rica etwa kam während des ganzen 20. Jahrhunderts nie über einen Anteil von 1–2% des weltweit produzierten Kaffees hinaus.86 Dafür war die Qualität des zentralamerikanischen Arabicas stets äußerst hoch, was im Wesentlichen an der Art Verarbeitung der Kaffeekirschen lag. Generell gibt es zwei Möglichkeiten, die Kaffeekirschen nach der Ernte zu verarbeiten und die Kaffeebohne, die im Inneren der Frucht liegt, für die weitere Verarbeitung vorzubereiten. Bei der trockenen Methode werden die Kaffeekirschen an der Sonne getrocknet, was etwa drei Wochen braucht. Anschließend wird die Hülle, welche die Kaffeebohne umgibt, durch eine Presse entfernt. Die Vorteile der trockenen Methode liegen darin, dass Kaffeekirschen von unterschiedlichem Reifegrad verarbeitet werden können – was wiederum weniger Aufmerksamkeit beim Pflücken erfordert –, und dass bei dieser Art der Verarbeitung nur geringe Investitionen für die Errichtung von Verarbeitungsanlagen nötig sind. Für die Bauern kann die trockene Methode vorteilhaft sein, da sie dabei die Verarbeitung des geernteten Kaffees selber durchführen und so eine höhere Wertschöpfung erzielen können. Bei der nassen Methode dage83 Interview mit Paul Moeller, 2007. 84 Peters Solórzano, Formación y Desarollo del Grupo Cafetalera, 1984, S. 167; Interviews mit William Hempstead, Ronald Peters, Thomas Nottebohm, Jörg von Saalfeld, 2008. 85 Interview mit Paul Moeller, 2007. 86 Topik/Samper, The Latin America Coffee Commodity Chain, 2006, S. 122.
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gen werden die Kirschen zuerst in einem Trennbecken mit Wasser gespült, wodurch Schmutz, Steine, Zweige und verdorbene Beeren aussortiert werden. Dann wird die Hülle in Fermentiertanks gelockert und durch Spülen vollständig entfernt. Anschließend werden die Kaffeebohnen an der Sonne oder maschinell getrocknet. Die nasse Methode ermöglicht die Herstellung von qualitativ wesentlich hochwertigerem Kaffee. Sie ist aber kapitalintensiver als die trockene Methode. Zudem erfordert sie eine höhere Aufmerksamkeit, da die Beeren spätestens einen Tag nach der Ernte zur Verarbeitungsanlage gebracht werden müssen, und da die Verarbeitung in den Wassertanks genau überwacht werden muss, um eine zu starke Fermentierung – und damit Geschmacksveränderung – zu verhindern.87 Welche der beiden Verarbeitungsarten in welchem Land zur Anwendung kam, hing wesentlich von dessen Marktposition und dem Zustand der Infrastruktur ab. In Brasilien etwa, wo traditionellerweise vor allem Arabica angebaut wurde, kam vor allem die trockene Methode zum Einsatz, da die brasilianischen Kaffeeproduzenten in erster Linie daran interessiert waren, möglichst große Volumen zu möglichst tiefen Kosten anzubauen, um die Anteile des Landes am Weltkaffeemarkt zu sichern. In Guatemala wiederum wurde eine Mehrheit des dortigen Arabica-Kaffees trocken verarbeitet, da die Verkehrswege oft unzureichend waren und der Kaffee über weite Strecken per Maultier zu den Einkaufsplätzen der Exporteure gebracht werden musste. Weil die Kaffeekirsche sieben Mal schwerer ist als die getrocknete Bohne, war es für die Kleinbauern in Guatemala einfacher, den Kaffee selber mit der trockenen Methode aufzubereiten, bevor sie ihn auf den Markt brachten. In Costa Rica dagegen, wo bessere Straßenverhältnisse herrschten und der Kaffee mit Lastwagen zu den Aufbereitungsanlagen transportiert werden konnte, spezialisierte man sich auf die Produktion von hochwertigem Arabica. Costa Rica war dabei das erste lateinamerikanische Land, das in großem Stil Anlagen zur nassen Aufbereitung von Kaffee errichtete.88 Die Aufbereitungsanlagen in Costa Rica wurden entweder von den Besitzern größerer Plantagen betrieben, die neben dem eigenen Kaffee auch noch den von benachbarten Kleinbauern verarbeiteten, oder sie gehörten Unternehmern, die sich nur dem Betrieb ihrer beneficios widmeten und ihrerseits oft mit bestimmten Exportfirmen kooperierten. Der Umstand, dass die hohe Qualität eines der Merkmale des costaricanischen Kaffees war, hatte Auswirkungen auf das Verhältnis zwischen den Verarbeitern, die der nationalen Kaffeeelite entstammten, und den Kaffeebauern. Die Bauern lieferten ihren Kaffee meist beim gleichen Verarbeiter ab. Nachdem die Konkurrenz unter den beneficios gestiegen war, schickten die Verarbeiter ihre Agenten in die Dörfer, um dort direkt von Kleinbauern Kaffee aufkaufen zu können. Indem 87 Ukers, All About Coffee, 1935, S. 141–147. 88 Ukers, All About Coffee, 1935, S. 143, 173 und 202; Sanders, A Report on a Visit, o.J. [1954], S. 1.
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die Verarbeiter von Banken oder bestimmten Exporteuren, mit denen sie kooperierten, Kredite erhalten konnten, war es ihnen möglich, den Kleinbauern Vorschüsse zu bezahlen und sich so die Lieferung von besonders hochwertigen Kaffeefrüchten zu sichern. Die beneficios wurden damit faktisch zu Relaisstationen zwischen ausländischem Kapital und lokaler Landwirtschaft. Größere beneficios verarbeiteten dabei den Kaffee von hunderten, wenn nicht tausenden von kleinen Plantagen. Oft waren die Beziehungen zwischen Bauern und Verarbeitern äußerst stabil und besaßen auch eine nichtökonomische Konnotation, indem sie als compadrazgo (symbolische Verwandtschaft) bezeichnet wurden – was sowohl auf eine gegenseitige Verpflichtung wie auch auf die stets vorhandene soziale Hierarchie verwies. Da die beneficadores auf diese Weise die Qualität des Rohkaffees genau überwachen konnten, hatten sie die Möglichkeit, ihren Kaffee unter einer eigenen Marke verkaufen. In den 1950er Jahren existierten in Costa Rica über hundert Kaffeeplantagen-Marken. Diese waren nicht nur im lokalen Markt etabliert, sondern wurden auch im globalen Kaffeehandel als Qualitätsstandard akzeptiert.89 Das Verhältnis zwischen Landarbeitern und den Angehörigen der jeweiligen Kaffeeelite war in den einzelnen Anbauländern völlig verschieden, was wiederum mit den unterschiedlichen Produktionsmethoden zu tun hatte. In Costa Rica galten die unabhängigen Familienbetriebe sowohl als Basis der Kaffeewirtschaft als auch als Grundlage der politischen Stabilität des Landes. Deshalb bestand ein Bestreben, die Erlöse aus dem Kaffeeexport gerecht unter die Bevölkerung zu verteilen. 1933 wurde das Instituto de Defensa del Café gegründet, eine halbstaatliche Institution, die – ab 1948 unter dem Namen Instituto del Café – die Beziehungen zwischen Kaffeeproduzenten, -verarbeitern und -exporteuren regelte. Eines der wichtigsten Gesetze, welches vom Instituto eingeführt wurde, betraf die so genannten liquidaciones. Diese beinhalteten, dass der Erlös aus dem Verkauf des Kaffees auf dem Weltmarkt nach einem fixen Schlüssel aufgeteilt wurde, wobei der Exporteur 2,5% und der beneficador 9% zugeteilt erhielten und der Rest an den Pflanzer ging. Da der Preis, den der Verkauf auf dem Weltmarkt erzielte, oft erst Monate nach der Ablieferung des Kaffees im Verarbeitungswerk feststand, erfolgte die Auszahlung der Gelder in Raten und erstreckte sich über eine längerer Periode. Dieses Gesetz war nicht unumstritten, da es einerseits den beneficios kaum Gewinnmöglichkeiten bot und ihnen auch die Investition in neue Anlagen erschwerte. Andererseits komplizierte es die Kalkulationen der Exporteure, da diese erst im Moment des Verkaufes wussten, wie hoch der Preis
89 Tea and Coffee Trade Journal, 1957, Vol. 57, Nr. 8, S. 16 und 54; Herrero Serrano, Algunas Factores de la Industria Cafetalera, 1960; Peters Solórzano, Empresias e Historia del Café, 1989; Esquivel Prestinary/Van der Laat, El Papel del Estado, 1994; Paige, Coffee and Power, 1997, S. 237f.; Topik/Samper, The Latin America Coffee Commodity Chain, 2006, S. 130f.
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war, den sie für den Einkauf des betreffenden Kaffees bezahlen mussten. Dennoch konnte sich diese staatliche Schutzmassnahme für die Kleinbauern bis heute halten.90 Derartige soziale Ausgleichsmaßnahmen waren weltweit einzigartig und wesentlich dafür verantwortlich, dass Costa Rica in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts eine im Vergleich zu den umliegenden Ländern stabile Demokratie blieb und von den Militärputschen und Bürgerkriegen verschont wurde, die die politische Situation in Lateinamerika immer wieder destabilisierten.91 In Brasilien etwa, wo die Frage der Kaffeequalität gegenüber derjenigen der Anbaumenge stets eine untergeordneter Bedeutung spielte, war das Verhältnis zwischen Großgrundbesitzern und Landarbeitern während des gesamten 20. Jahrhunderts äußerst schlecht. Immer wieder flohen Pächter von den Kaffeeplantagen, da sie ihre Pachtzinsen nicht zahlen konnten. Zudem kam es öfters zu Streiks wegen nicht bezahlter Löhne oder wegen disziplinarischer Maßnahmen der Landbesitzer. In einzelnen Fällen wurden gar Plantagenbesitzer durch ihre Landarbeiter ermordet. Dies bewog die Plantagenbesitzer, bewaffnete Wächter einzustellen, um die Kleinbauern in Schach zu halten oder sie an der Flucht zu hindern. Diese steten Spannungen waren der Hauptgrund dafür, dass die Landbesitzer den Militärputsch von 1964 großmehrheitlich befürworteten. Es war ganz in ihrem Interesse, dass die Militärregierung gegen Gewerkschaften und linke Parteien vorging, die die Landarbeiter zum Widerstand aufriefen. Aufgrund der fehlenden Arbeiterrechte sank die Motivation der Tagelöhner, worunter vor allem in den 1970er Jahren die Qualität der Arbeit litt.92 In Guatemala wiederum hatte die Militärdiktatur 1934 ein Gesetz eingeführt, welches alle Indios und Latinos, die nicht einer qualifizierten Arbeit nachgingen, dazu zwang, zu einem festgelegten Lohn auf den Kaffeefeldern zu arbeiten. Dieses Gesetz war wesentlich auf Druck der guatemaltekischen Kaffeeelite eingeführt worden, die in der Krise der 1930er Jahre danach trachtete, billige Arbeitskräfte für ihre Ländereien zu erhalten. Nach der Revolution von 1944 wurde dieser Arbeitszwang zwar wieder abgeschafft, das Verhältnis zwischen Grundbesitzern und Landarbeitern blieb jedoch schlecht. Während Gewerkschaften in den Städten zugelassen wurden, waren sie auf dem Land verboten, da man verhindern wollte, dass das Funktionieren der Kaffeewirtschaft durch Arbeitskämpfe beeinträchtigt wurde. Nach dem von der USA unterstützten Militärputsch gegen die Regierung von Präsident Jacobo Arbenz Guzmán im Jahr 1954 wurden die meisten Arbeiterrechte auch in den Städten wieder abgeschafft. In den 1960er und 1970er Jahren ermordeten Todesschwadronen Hunderte von Gewerkschaftern und politischen Aktivisten. Nachdem sich in den späten 90 Tea and Coffee Trade Journal, 1957, Vol. 57, Nr. 8, S. 16, 54–57; Paige, Coffee and Power, 1997, S. 65, 77, 223, 234ff.; Interviews mit Otto Kloeti und Ronald Peters, 2008. 91 Vgl. hierzu insbesondere Williams, States and Social Evolution, 1994; Grandin, The Last Colonial Massacre, 2004. 92 Stolcke, Coffee Planters, Workers and Wives, 1988.
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1970ern eine Guerillabewegung formiert hatte, prägte der Bürgerkrieg das Land bis Mitte der 1980er Jahre.93 Zwar gibt es keine Anzeichen, dass Volkart in irgendeiner Weise Verbindungen zu einer der Militärjuntas in Lateinamerika hatte. Eher scheint es, dass die Firma bemüht war, sich aus den innenpolitischen Wirren herauszuhalten und sich auf das Exportgeschäft und den Vertrieb in den Industrieländern zu konzentrieren. Dies heisst jedoch nicht, dass die Firma nicht zumindest eine tendenzielle Sympathie für die antikommunistischen und dezidiert wirtschaftsfreundlichen Militärregierungen Zentral- und Südamerikas besaß. So hielt man in der Firmenbilanz der Saison 1961/62 fest: „In Südamerika kommt es in Argentinien und sogar in Peru zu verfassungswidrigen aber vielleicht richtigen Eingriffen der Militärs, nachdem die Wahlen unerfreuliche Tendenzen zeitigten.“94 Die unterschiedliche Wirtschaftspolitik und die Differenzen in Bezug auf die politische Stabilität führten zusammen mit dem unterschiedlichen Ausbaustand der Verkehrswege dazu, dass die Kaffeehandelsketten in Guatemala und Costa Rica Mitte des 20. Jahrhunderts eine unterschiedliche Struktur aufwiesen. Zwar betrieben in beiden Ländern die größeren Kaffeepflanzer eigene Verarbeitungswerke. Während es jedoch in Costa Rica darüber hinaus zahlreiche beneficios gab, die von unabhängigen Unternehmern betrieben wurden, mit welchen wiederum die Exportfirmen kooperierten, existierten in Guatemala keine eigenständigen Verarbeiter. Dort waren die Verarbeitungswerke häufig in Besitz von Exportfirmen – etwas, was es wiederum in Costa Rica erst ab den 1980er Jahren gab. Dieser Unterschied beruhte nicht zuletzt darauf, dass Costa Rica politisch stabiler und die Zahlungsmoral im Land wesentlich höher war als in Guatemala, weshalb es für die costaricanischen Exportfirmen möglich war, vertragliche Vereinbarungen mit beneficadores einzugehen und diesen Vorschüsse zu gewähren. In Guatemala wären derartige Geschäfte zu riskant gewesen.95 Trotz dieser Differenzen gerieten sowohl in Guatemala wie in Costa Rica immer weitere Glieder der commodity chain unter die Kontrolle von multinationalen Firmen. Diese Rückwärtsintegration hatte wesentlich mit dem großen Konkurrenzkampf zwischen den Exportfirmen und der Finanzkraft von ausländischen Unternehmen zu tun. Diese wurde nicht zuletzt deshalb wichtig, weil die Exporte aus Zentralamerika stetig anstiegen. Costa Rica etwa hatte 1949/50 noch 392’000 Sack Kaffee exportiert, in der Saison 1960/61 waren es bereits 1,3 Millionen und 1979/80 fast 2,4 Millionen Sack Kaffee, die ausgeführt wurden.96 In den 1970er Jahren gingen die costaricani93 Roseberry, Introduction, 1995, S.19; McCreery, Coffee and Indigenous Labor in Guatemala, 2003. 94 VA, Bilanzen, Bilanz 1961/62. 95 Sanders, A Report on a Visit, o.J. [1954], S. 6 und 15; Roseberry, Introduction, 1995, S. 22; Interviews mit Jürgen Plate und Jörg von Saalfeld, 2008. 96 Krug/De Poerck, World Coffee Survey, 1968, S. 226; ANACAFE, Exportación Realizada del Café, 1960–90.
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schen Exporteure, an denen inzwischen häufig ausländische Firmen beteiligt waren, dazu über, sich mehr und mehr an beneficios zu beteiligten, um die Wertschöpfung zu erhöhen und eine bessere Qualität der Einkäufe zu erzielen. Die Volkart-Tochterfirma Café Capris etwa ging Ende der 1980er Jahre eine Kooperation mit der Familie Montealegre ein, die zur costaricanischen Kaffeeelite und den bedeutendsten beneficadores des Landes zählte. Der Kapitalbedarf der Verarbeiter wuchs ab den 1960ern zunehmend, da die Selektion der Bohnen in den Verarbeitungswerken immer häufiger maschinell erfolgte, wodurch viele kleinere beneficios aus dem Geschäft gedrängt wurden. Im Falle von plötzlichen Preisschwankungen gerieten die lokalen Exporteure jedoch in einen Liquiditätsengpass, der nur durch zusätzliches Kapital der ausländischen Partner behoben werden konnte. Bis in die 1980er Jahre gerieten so die meisten zentralamerikanischen Exportfirmen und Verarbeitungswerke unter die Kontrolle von multinationalen Kaffeehandelsfirmen. Volkart etwa hatte bis zu dieser Zeit sowohl die Mehrheiten von Café Capris in Costa Rica sowie Juan Waelti S.A. und Peter Schoenfeld S.A. in Guatemala übernommen und kontrollierte faktisch die beneficios der Familie Montealegre. Anfang der 1990er Jahre übernahm schließlich Volcafe – die Nachfolgefirma der 1989 verkauften Kaffeeabteilung von Volkart – auch noch die verbliebenen Minderheitsanteile dieser Firmen.97 Diese Rückwärtsintegration war Ausdruck des Konzentrationsprozesses im globalen Kaffeegeschäft, der in den 1970er Jahren einsetzte und der im letzten Abschnitt dieses Kapitels noch detaillierter geschildert wird. Als Folge dieser Entwicklung wurden Ende der 1990er Jahre etwa 65% aller Exporte aus Costa Rica durch bloß vier Firmen vorgenommen. Das bedeutendste Unternehmen war dabei die Firma Café Capris, die etwa einen Viertel aller Kaffeeexporte aus Costa Rica durchführte.98
Das Internationale Kaffeeabkommen Der Weltkaffeehandel wurde nach 1945 jedoch nicht nur durch die Finanzkraft multinationaler Firmen beeinflusst, sondern auch durch die politischen Entscheide von nationalstaatlichen Regierungen. Dies galt nicht nur innerhalb der einzelnen Länder, sondern auch auf internationaler Ebene.99 Seit dem frühen 20. Jahrhundert hatten die 97 Paige, Coffee and Power, 1997, S. 114 und 265ff.; Interview mit Paul Moeller, 2007; Interview mit Jörg von Saalfeld, 2008. 98 ICAFE, Exportaciones por Cosecha y Exportador, 1997/98; Chaves Murillo, Competitividad Internacional, 2001, S. 64f. 2000/01 erreichte Café Capris gar einen Anteil von über 41% aller Kaffeeexporte aus Costa Rica: Campos López/Jiménez Jiménez/Sancho Quesada/Velásquez Quesada, Propuesta para el Manejo Electrónico, 2001, S. 43. 99 Die folgenden Ausführungen zum Kaffeeabkommen beruhen, wenn nicht anders vermerkt, auf Marshall, The World Coffee Trade, 1983, S. 106–121 und 170f.; Bates, Open-Economy Politics, 1997; Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 55–63 und 108.
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kaffeeproduzierenden Länder Lateinamerikas immer wieder versucht, den Anbau zu begrenzen und Exportquoten einzuführen. Nachdem die weltweite Nachfrage nach Kaffee in den späten 1940er stark angestiegen war, wurde in allen Anbauländern die Produktion forciert. Dies führte zu einem globalen Überangebot und stark fallenden Preisen. 1957/8 beschlossen die lateinamerikanischen Kaffeeanbauländer ein Abkommen, um ihre Exporte zu beschränken. Da die westeuropäischen Staaten und die USA jedoch nicht gewillt waren, für ihre Einfuhren auf diese Exportquoten Rücksicht zu nehmen, entfaltete das Abkommen nicht die gewünschte Wirkung. Nach der kubanischen Revolution wuchs in den USA jedoch die Furcht vor weiteren kommunistischen Umstürzen in Lateinamerika. Mit einem Mal wurde es aus geostrategischen Gründen wichtig, den lateinamerikanischen Kaffeebauern ein stabiles Einkommen zu sichern. Dies führte 1962 zum Abschluss des International Coffee Agreement. Dieses Abkommen sah für jedes Anbauland Exportquoten vor, die von den importierenden Ländern beachtet und durch die International Coffee Organisation (ICO) in London überwacht werden sollten. Die Industrieländer hatten gemäß dem Abkommen alle Importe zu verweigern, welche die Quoten überschritten. Dadurch wurde der Kaffeehandel zu einem der wenigen Bereiche des internationalen Warentausches, der durch eine politische Übereinkunft über eine längere Periode hinweg wirksam reguliert werden konnte. In der ICO hatten Anbauländer und Kaffeeverbraucherländer je 1000 Stimmen, wobei die USA und Brasilien als wichtigstes Produzenten- beziehungsweise Konsumland bereits je 400 Stimmen innehatten. Da Beschlüsse stets mit einer 2/3-Mehrheit gut geheißen werden mussten, besaßen diese beiden Länder faktisch eine Vetomacht. Der freie Weltkaffeemarkt wurde damit durch ein Kartellabkommen ersetzt, das wesentlich auf die Initiative der Anbauländer zurückging. Eine wichtige Mittlerrolle übten dabei die nationalen Kaffeeinstitute wie das Instituto Brasileiro do Café oder die kolumbianische Federación Nacional de Cafeteros aus. Sie zweigten von den Exporten jeweils einen bestimmten Prozentsatz des Verkaufspreises ab und finanzierten damit unter anderem Forschung und technische Innovationen im Kaffeeanbau, vergaben billige Kredite an Pflanzer und fingen Preisschwankungen ab, indem sie bei tiefen Weltmarktpreisen die Zahlungen an die Pflanzer erhöhten. Steven Topik und Mario Samper kommen deshalb zum Schluss, dass die Dependenztheorie – eine der der wohl einflussreichsten Beiträge aus Lateinamerika zur Sozialtheorie –, gerade bei der Beschreibung des wichtigsten Exportgutes dieser Region zu kurz greift. Gemäß diesem Ansatz wurde die in der Landwirtschaft tätige Bevölkerung Lateinamerikas im 19. und 20. Jahrhundert zum Opfer eines von Ausländern kontrollierten Weltmarktes. Im Kaffeehandel konnten die Produktionsländer jedoch wesentlich mehr Einfluss auf die globale Warenkette ausüben, als laut der Dependenztheorie zu erwarten wäre.100 Allerdings muss hierzu einschränkend bemerkt werden, dass im Be100 Topik/Samper, The Latin America Coffee Commodity Chain, 2006, S. 120.
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reich der kaffeeverarbeitenden Industrie der Einfluss der nördlichen Industrieländer durchaus zu einem Problem für lateinamerikanische Unternehmen werden konnte. Auf diesen Punkt soll im nächsten Teilkapitel noch detaillierter eingegangen werden. Das Internationale Kaffeeabkommen stabilisierte die Weltmarktpreise auf einem höheren Niveau. Dennoch standen anfänglich auch die großen Kaffeefirmen hinter dieser Übereinkunft. Insbesondere die Kaffeeröster fürchteten Preisschwankungen sowie politische oder ökonomische Krisen in den Produzentenländern, weil diese in der Regel zu Versorgungsschwierigkeiten führten. Da durch das Abkommen eine größere Preisstabilität entstand, verlor das Absichern der Transaktionen durch Termingeschäfte an Bedeutung. Die Kaffeeterminbörse in New York musste deshalb in den späten 1960er Jahren vorübergehend geschlossen werden. Das Abkommen, welches 1968, 1976 und 1983 erneuert wurde, wies jedoch verschiedene Schwachstellen auf: Erstens sah es keine Sanktionen vor, um die Überproduktion in einzelnen Ländern zu verhindern. Die Anbauländer produzierten deshalb häufig mehr Kaffee, als ihrer Exportquote entsprochen hätte und versuchten dann, bei der ICO Druck auszuüben, um eine höhere Quote zugesprochen zu erhalten. Da 1975 aufgrund eines schweren Frostes in Brasilien zahlreiche Kaffeeplantagen in Mitleidenschaft gezogen wurden und sich die Preise vorübergehend vervierfachten, und da zudem Organisationen wie die Weltbank oder die amerikanische Entwicklungshilfsbehörde großzügige Kredite sprachen, um den Kaffeeanbau anzukurbeln, wurde weltweit stets mehr Kaffee produziert als konsumiert wurde. Zweitens ging das Abkommen stillschweigend davon aus, dass die wichtigsten Akteure der globalen Kaffeekette nationale Regierungen seien. Es vernachlässigte dabei insbesondere die Rolle der multinationalen Firmen, die eigene Strukturen aufgebaut hatten, welche von der Politik oft nur schwer kontrolliert werden konnten. Drittens umfasste das Abkommen nicht alle Konsumländer. Während 1962 noch 94% des Weltkaffees in Staaten konsumiert wurde, die dem Abkommen beigetreten waren, sank dieser Anteil bis Ende der 1980er Jahre auf 80%. Vor allem viele asiatische Länder, in denen der Kaffeekonsum stetig zunahm, sowie verschiedene Ostblockstaaten waren keine Mitgliedsländer. Dies eröffnete den Anbauländern die Möglichkeit, einen Teil ihrer Ernte in Nicht-Mitgliedsländern abzusetzen. Dort wurden oft höhere Preise bezahlt, als in den Staaten, die dem Abkommen beigetreten waren. Zudem hatten multinationale Firmen die Möglichkeit, die Quoten zu umgehen, indem Importe nach Asien oder Osteuropa durchgeführt wurden und die Kaffeelieferungen anschließend mit gefälschten Dokumenten als so genannter tourist coffee nach Westeuropa oder in die USA re-exportiert wurden. Solche Operationen wurden beispielsweise bewerkstelligt, indem in großen Verschiffungshäfen wie Singapur oder Hamburg hochwertiger Kaffee, der angeblich für ein Nicht-Mitgliedsland bestimmt war, gegen die Lieferung von minderwertigen Sorten umgetauscht wurde, welche angeblich in ein Mitgliedsland geschickt werden sollten. Dadurch konnten die Händler die Preisdifferenz
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einstreichen. Eine andere Möglichkeit bestand darin, Kaffee, der angeblich für ein Nicht-Mitgliedsland bestimmt war, in einer Rösterei in einem Mitgliedsland zu verarbeiten. Wenn der geröstete Kaffee einmal im Land war, konnte man seine Spur nur noch schwer verfolgen. Obwohl der tourist coffee nie mehr als 3,5% aller Kaffeelieferungen umfasste, unterminierte er doch das Abkommen – und zeigte vor allem die wirtschaftliche Potenz multinationaler Firmen.101
Multinationale Firmen unterlaufen nationalstaatliche Kontrollen Auch Volkart reagierte zu Beginn der 1960er Jahre äußerst positiv auf die Einführung der Exportquoten. Man hoffte, dass durch das Abkommen die Preise stabilisiert würden und die Kaffeeproduktion der weltweiten Nachfrage angepasst werden könnte.102 Ein Jahr später konnte man befriedigt feststellen, dass die Preise trotz einer Rekordernte in Brasilien nur leicht zurückgegangen waren. Auch der Umstand, dass die Kaffeereserven, die weltweit eingelagert waren, inzwischen auf 72 Millionen Sack angewachsen waren – was etwa einem eineinhalbfachen Jahresverbrauch entsprach –, hatte die Preise nur unwesentlich drücken können. Der bescheidene Preisrückgang wurde in der Firmenbilanz von 1960/61 damit erklärt, dass sich die Einführung der Exportquoten recht gut bewährt habe: „Die Notwendigkeit solcher Agreements wird von allen Seiten, insbesondere nun auch von den Amerikanern, anerkannt, wissen sie doch, dass dies die relativ billigste Hilfe für die lateinamerikanischen und afrikanischen Länder ist.“103 Ähnlich klang es auch 1962, nachdem die Preise trotz weiter anwachsender Lagerbestände wiederum nur leicht gesunken waren: „Diese relative Ruhe ist weitgehend den Stabilisierungsbemühungen der Produzentenländer zu verdanken, die jetzt die volle Sympathie auch der Konsumländer haben, insbesondere der USA.“104 Doch schon bald begann Volkart, die Schlupflöcher des Abkommens zu nutzen. In der Saison 1965/66 hatte sich Volkart erstmals im Handel mit tourist coffee engagiert, also Kaffee, der außerhalb des Internationalen Kaffee-Abkommens gehandelt wurde. In der internen Firmenbilanz wurde jedoch ausdrücklich vermerkt, dass sich die Konkurrenz schon viel früher und viel unverfrorener in diesem Bereich betätigt habe.105 Ein Jahr später wurde die erfolgreiche Entwicklung des Kaffeegeschäfts mit 101 Marshall, The World Coffee Trade, 1983, S. 122–133; Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 65–80. 102 VA, Bilanzen, Bilanz 1959/60. 103 VA, Bilanzen, Bilanz 1960/61. 104 VA, Bilanzen, Bilanz 1961/62. 105 VA, Bilanzen, Bilanz 1965/66.
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den Worten kommentiert: „Entscheidend für den Erfolg ist der Touristenkaffee, d.h. das Entdecken und Ausnützen von Löchern im System. Dabei gilt es, die Grenzen des Legitimen nicht zu strapazieren. Abt. 10 hat sich dieses Jahr erfolgreich an diesem Spiel beteiligt, nachdem sie früher etwas Hemmung hatte.“106 Derartige Geschäfte waren nicht ohne Risiko. 1968 flog ein Geschäft auf, bei dem Volkart für die Einfuhr von mindestens 1600 Tonnen Kaffee gefälschte schweizerische Importzertifikate verwendet hatte.107 Ob dies zu einer Strategieänderung führte oder ob die Firma derartige Praktiken auch in den 1970er und 1980er Jahren durchführte, kann aufgrund der noch vorhandenen Quellen nicht mehr festgestellt werden. Die Betätigung im Export von tourist coffee ist jedoch nicht das einzige Beispiel dafür, wie sich Volkart aufgrund der globalen Firmenstruktur der politischen Kontrolle von staatlichen Regierungen und internationalen Verbänden entziehen konnte. Eine weitere Möglichkeit zur Optimierung der Gewinne bot sich der Firma, indem sie Gelder am Fiskus vorbeischleuste. Bereits während der Zusammenarbeit mit Prado Chaves hatten die beiden Firmen die Verkaufssteuer umgehen können, indem man die Kaffeeexporte von Prado Chaves im Namen von Volkart durchführte. Diese Praxis wurde in einem internen Protokoll als sehr riskant bezeichnet: „It is, however, not only the danger of being found out by the Fiscalisation and of having to pay terrific penalties but also a question of prestige.“108 In der Nachkriegszeit wurden zudem regelmäßig Gewinne aus Ländern wie Indien, Pakistan, Ceylon oder Brasilien in die Schweiz transferiert, indem man die Verkaufspreise der jeweiligen Tochterfirmen künstlich tief hielt, wodurch sämtliche Gewinne in Winterthur anfielen. Dabei war der Firma völlig bewusst, dass sie gegen die Steuergesetze der jeweiligen Ausfuhrländer verstieß.109 Bei solch illegalen Geschäften bestand stets die Gefahr, dass einzelne Mitarbeiter die Firma im Falle eines Konfliktes bei den Behörden anzuschwärzen könnten. Dies geschah zum Beispiel 1965, nachdem Volkart den Finanzchef der mexikanischen Tochterfirma Volkart Hermanos wegen der Veruntreuung von Geldern in der Höhe von 133’000 Dollar verklagt hatte. Der Beschuldigte tauchte daraufhin unter, nicht ohne die Firma zuvor bei der mexikanischen Steuerbehörde denunziert zu haben: „Ein völlig sauberes Gewissen haben wir nicht“, hieß es daraufhin in einem Protokoll der Geschäftsführung. Es wurde jedoch noch angemerkt, dass es sich beim betreffenden Vergehen nicht um eine Steuerhinziehung im engeren Sinne handle. Aufgrund der firmeninternen Buchhaltung war aber „das Geschäft so aufgezogen …,
106 VA, Bilanzen, Bilanz 1966/67. 107 BAR, E 7110, Akz. 1979/14, Behältnis 35, Lu 730: Telefonnotiz, Bern, 2. Dezember 1968. 108 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947: PR, Trip to Brazil 13th September to 5th October 1946, 27. November 1946. 109 VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: PR, Office note vom 22. Februar 1965.
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dass Mexiko tatsächlich zu wenig verdiente“ (wobei mit Mexiko hier selbstverständlich die mexikanische Tochterfirma von Volkart gemeint war).110 Es ist aufgrund der Quellenlage unmöglich zu eruieren, wie regelmäßig derartige Praktiken ausgeübt wurden. Dass multinationale Firmen aber dazu tendierten, die grenzüberschreitende Struktur ihrer Geschäfte zu nutzen, um nationale Steuervorschriften zu umgehen, zeigte sich im Jahr 2004. Damals erhob die Schweizer DrittWelt-Organisation Erklärung von Bern den Vorwurf, die Firma Volcafe – die 1989 die Nachfolge der Volkart-Kaffeedivision übernommen hatte – habe jahrelang die Steuerbehörden in der Schweiz und in den Produzentenländern getäuscht. Dies sei geschehen, indem die Transaktionen über die firmeneigene Briefkastenfirma Cofina auf der Kanalinsel Jersey abgewickelt wurden. So seien die Margen manipuliert und in den Produzentenländern nur geringe Gewinne verbucht worden, was dort die Steuerbelastung vermindert habe.111 In den Jahren 1995 bis 1999 machte die Cofina, die vollständig in Besitz von Volcafe war, einen jährlichen Durchschnittsgewinn von 7,6 Millionen Dollar, welcher auf Jersey nicht versteuert werden musste. Die Erklärung von Bern konnte später zwar den Vorwurf, dass durch die Offshore-Struktur „in erster Linie“ die Kaffee-Produzentenländer geschädigt wurden, nicht vollständig belegen und musste ihre Anschuldigung zurückziehen. Dennoch blieb die Organisation bei der Ansicht, dass durch die Tätigkeiten der Cofina die betroffenen Staaten um Steuereinnahmen geprellt worden seien. Als Konsequenz dieser Affäre löste Volcafe jedenfalls im August 2004 die Tochtergesellschaft Cofina auf und wickelte von da an sämtliche Geschäfte wieder über den Winterthurer Hauptsitz ab.112 Die Möglichkeiten zur Steuerhinterziehung vergrößerten sich noch, wenn zwei multinationale Firmen kollaborierten. 1971 schlug Volkart in Brasilien der Firma Nestlé ein Geschäft vor, bei dem Volkart Nestlé 100’000 Sack Kaffee zu leicht überhöhten Preisen verkaufen sollte. Der Einkauf des Kaffees sollte durch ein zinsloses Darlehen von Nestlé an Volkart Irmaos finanziert werden. Einen Teil des anfallenden Gewinns sollte Volkart daraufhin in der Schweiz wiederum an Nestlé überweisen. Bei diesem Geschäft hätten beide Firmen einen Profit von mehreren hunderttausend Franken gemacht – die Firma Volkart, weil sie für die Finanzierung der Einkäufe keine Bankzinsen bezahlt und für den Verkauf des Kaffees einen höheren Preis erhalten hätte; die Firma Nestlé, weil sie durch den Transfer der Gelder in die Schweiz einen kleineren Gewinn in Brasilien ausgewiesen hätte, was ihr ermöglicht hätte,
110 VA, Bilanzen, Bilanz 1965/66. 111 Basler Zeitung; 14. Mai 2004. Vgl. für ähnliche Praktiken bei anderen Schweizer Firmen: Bosshard, Rückzug aus den Hinterhöfen, 1989. 112 Erklärung von Bern, Von Steueroasen, Briefkastenfirmen und Offshore-Strukturen, Zürich 2005: http://www.evb.ch/p25010006.html (2. Dezember 2009).
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in Brasilien Steuern zu sparen.113 Das Geschäft kam schließlich nicht zustande, da Nestlé fürchtete, der brasilianischen Preisaufsicht könnte auffallen, dass die Preise von Volkart höher seien als die der Konkurrenz. Zudem verstieß die Gewährung eines zinslosen Kredites an andere Unternehmen gegen die brasilianischen Finanzgesetze. Auch für dieses Vergehen drohte Nestlé im Falle einer Entdeckung eine hohe Strafe.114 Das Beispiel zeigt jedoch die Möglichkeiten von zwei multinationale Firmen wie Volkart und Nestlé – deren Zusammenarbeit noch dadurch erleichtert wurde, dass Peter Reinhart ab 1963 im Verwaltungsrat von Nestlé saß115 –, die Steueraufsicht eines Staates zu umgehen. Die Marktmacht von Firmen wie Nestlé oder Volkart beeinflusste ein Stück weit auch die Entwicklung einer eigenständigen Kaffeeindustrie in den Anbauländern. 1967 teilte Hans Bühler, der Chef der Kaffeeabteilung von Volkart New York, Nestlé im Vertrauen mit, dass die brasilianische Kaffeefirma Dominium Volkart angefragt habe, den von ihr produzierten Pulverkaffee in den USA zu vertreiben.116 Nestlé war alles andere als erbaut von der Vorstellung, dass Volkart einer brasilianischen Firma helfen könnte, den von Nestlé entwickelten Nescafé in den USA zu konkurrenzieren: „Since we have been concerned for a long time now about imports of Brazilian instant coffee which are becoming an increasingly disturbing factor in this market, we are obviously not anxious to aid and abet in this traffic by encouraging Volkart to enter the fray.“ Man teilte Bühler deshalb mit, „that we would consider it an unfriendly act were they to give the proposal by Dominium serious consideration.“ Volkart lehnte daraufhin das Angebot zur Vertretung von Dominium ab, was wohl nicht zuletzt darauf zurückzuführen ist, dass Peter Reinhart im Nestlé-Verwaltungsrat saß und Nestlé in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre etwa einen Drittel ihres Kaffees bei Volkart einkaufte.117 Die Röster der nördlichen Hemisphäre setzten aber nicht nur 113 HAN, 400–86: Brésil – Matières premières (1970–1979): A. Fürer an O. Ballarin, Cia. Industrial e Comercial Brasileira de Produtos Alimentares, Sao Paulo, 11 janvier 1971; Proposal for discussion with Nestlé, Winterthur, 27. Januar 1971. 114 HAN, 400–86: Brésil – Matières premières (1970–1979): Confidenatial Note, Mr. A. Fürer, Financial and Accounting Control, 3.2.71; Arthur Fürer, Generaldirektor Nestlé Alimenta AG, Vevey, an Peter Reinhart, Gebr. Volkart AG, Winterthur, 25. Februar 1971. 115 HAN, 10002: Nomination de Mr. Peter Reinhart (Volkart) au Conseil d’Administration de Nestal: Peter Reinhart, Winterthur, an Max Petitpierre, Président du Conseil d’Administration, Nestlé Alementa S.A., 26 mars 1963; Peter Reinhart, Winterthur, an J. C. Corthésy, Nestlé alimenta, Vevey, 8 juillet 1964. 116 HAN, 1100–76: J. J. Scheu, Nestlé (o. Ort), an Afico SA, Purchasing Department, Lausanne, January 18, 1967. 117 HAN, 1100–76: The Nestlé Company, Inc., White Plains, NY, an J. C. Corthésy, Nestlé Alimenta S.A., Vevey, January 20, 1967. Ähnliches ereignete sich 1968 in Japan, wo Nestlé Druck auf ihren Zulieferer, die Handelsfirma Mitsubishi, ausübte, damit dieser dafür sorge, dass in Brasilien produzierter Pulverkaffee möglichst lange aus Japan ferngehalten werde. Damit wollte die Firma verhindern, dass der brasilianische Pulverkaffee den Nestlé-Pulverkaffee in
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bei Handelsfirmen Druck auf, um die Konkurrenz aus Brasilien abzuwehren, sondern sie machten auch bei der amerikanischen Regierung ihren Einfluss geltend. Als 1968 das Internationale Kaffeeabkommen neu verhandelt wurde, setzte die amerikanische Delegation durch, dass Brasilien die staatliche Unterstützung der einheimischen Produzenten von löslichem Kaffee einstellte – dies ungeachtet der Tatsache, dass die USA zur selben Zeit den Export von amerikanischen Rohstoffen wie etwa Weizen ebenfalls staatlich unterstützten.118 Auch wenn also die Anbauländer im Bereich des Kaffeehandels einen beträchtlichen Einfluss gewinnen konnten, wurden sie im Bereich der Kaffeeverarbeitung aufgrund der weltwirtschaftlichen Kräfteverhältnisse klar benachteiligt. Diese Beobachtung steht durchaus in Einklang mit der dependenztheoretischen Annahme, wonach die Länder des industrialisierten Nordens danach trachteten, dass die Länder der südlichen Peripherie einzig und allein als Rohstoffproduzenten in den globalen Kapitalismus eingebunden würden, sich aber nicht zu Industrieländern entwickeln konnten.119
Das Ende der Exportquoten und die Rückkehr zum freien Markt All diese Interventionen zeigen, dass multinationale Firmen wie Volkart in der Nachkriegszeit einen beträchtlichen Einfluss auf die Kaffeehandelskette ausüben konnten. Diesen nutzten sie in den 1980er Jahren, um sich für die Abschaffung des Internationalen Kaffeeabkommens einzusetzen. Spätestens nach dem großen Frost in Brasilien 1975 hatte sich gezeigt, dass die Quotenregelung ihre Hauptziele, den Anbau zu beschränken und das Preisniveau stabil zu halten, nur ungenügend erfüllen konnte. Zudem sorgte das Kaffeeabkommen für einigen Papierkrieg, da die Handelsfirmen stets zahlreiche Dokumenten ausfüllen und abstempeln lassen mussten, sich bei den oft äußerst gemächlich arbeitenden Behörden in den Anbauländern um Exportgenehmigungen zu bemühen und Kopien der Importzertifikate nach London zu schicken hatten, wo sie durch die ICO kontrolliert wurden.120 Dazu kam, dass Firmen wie Volkart, die neu in den Markt eintreten wollten, in vielen Anbauländern keine Exportgenehmigung erhielten. Paul Moeller, ab 1985 Leiter der Volkart-Kaffeeabteilung, vertrat zusammen mit einem Angehörigen der Schweizer Botschaft die Schweiz bei der ICO in London und nutzte seinen Einfluss, um das Kaffeeabkommen zu beJapan konkurrenzieren könnte: HAN, 4600–86: Japon – Matières Premières (Commencé 1959): Note of Mr. D. Hoog to R. Muggli, Brazilian Coffee for Japan, 18.9.1968. 118 Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 62. 119 Vgl. für die Dependenztheorie: Frank, Kapitalismus und Unterentwicklung, 1975; Cardoso/ Faletto, Abhängigkeit und Entwicklung, 1984; Bernecker/Fischer, Entwicklung und Scheitern, 1995. 120 Marshall, The World Coffee Trade, 1983, S. 170.
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kämpfen. Hierzu setzte er nach eigenen Angaben einerseits Druck bei der Regierung in Bern und andererseits in der europäischen Kontinentalgruppe der ICO in London auf. Damit vertrat er eine dezidiert andere Haltung als Emil Sulger, der in den frühen 1960er Jahren die Volkart-Kaffeeabteilung geleitet und sich als Delegierter der Schweizer Kaffeefachleute zusammen mit der Schweizer Regierung für die Einführung des Kaffeeabkommens stark gemacht hatte.121 Volkart verfügte in der ICO zusätzlich dadurch über Einfluss, dass immer wieder Teilhaber oder Geschäftsführer der zentralamerikanischen Tochtergesellschaften als Delegierte ihrer Länder nach London geschickt wurden.122 Letztendlich waren es aber weniger die Aktivitäten der multinationalen Firmen, als vielmehr die Entscheide von nationalen Regierungen, die zum Ende der Exportquoten führten. In den 1980er Jahren verlor das Abkommen zum einen an Boden, weil die gemeinsame Front der Anbauländer immer mehr Risse erhielt. Von den Quoten profitierten die Produktionsländer nämlich in unterschiedlichem Ausmaß. Gemäß einer Studie der Weltbank bevorteilten die Quoten vor allem Brasilien und Kolumbien, die beiden größten Kaffeeproduzenten, sowie verschiedene afrikanische Staaten. Verlierer waren dagegen die Produzenten von hochklassigem ArabicaKaffee wie Mexiko, Costa Rica, Guatemala, Honduras, Nicaragua, Ecuador, Peru, Indien und Papua Neuguinea. Diese Länder hätten nach Ansicht der Weltbank in einem freien Markt größere Mengen absetzen können. Costa Rica etwa verkaufte 1989 mehr als 40% der Ernte in Länder, die sich nicht dem Kaffeeabkommen angeschlossen hatten. Zum anderen spielte eine Rolle, dass in den USA als wichtigstem Kaffeekonsumland ab den 1980er Jahren die Kritik an der Regulierung des globalen Kaffeemarktes wuchs. Vor allem die Reagan-Administration verfolgte einen dezidiert neoliberalen Kurs und setzte auf eine Rückkehr zum freien Markt. Da sich der Kalte Krieg zudem seinem Ende zuneigte, sahen die USA auch keine geostrategischen Gründe mehr, um weiter am Kaffeeabkommen festzuhalten. Die kombinierte Opposition der unterschiedlichen Interessengruppen brachte das Abkommen schließlich 1989 zu Fall. Durch das Ende des Abkommens verloren die Kaffeeproduktionsländer stark an Einfluss. Dies betraf insbesondere die nationalen Kaffeeinstitute, deren Aktivitäten den USA schon lange ein Dorn im Auge gewesen waren. Viele Kaffeepflanzer begrüßten anfänglich den Machtverlust der Kaffeeinstitute, da diese oft korrupt waren und den Pflanzern Gelder, die ihnen als Anteil der Exporterlöse zustanden, vorenthielten oder mit großer Verspätung überwiesen. Indem die staatlichen Stellen geschwächt wurden, erhöhte sich der Handlungsspielraum der multinationalen Firmen in den Produktionsländern. Sie konnten nun direkt mit den Pflanzern Geschäfte machen und gingen dabei oft wenig zimperlich vor. Nicht zuletzt als Folge dieser Entwicklung 121 Künzi, „ …womit die Schweiz“, 1993, S. 310; Interview mit Paul Moeller, 2007. 122 La Nacion (San José), 25 de Julio 1972.
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begann der Anteil des Verkaufspreises, der den Kaffeepflanzern zuteil wurde, immer mehr zu schwanken – und tendenziell zu sinken. Während bis Mitte der 1980er Jahre stets über 20% des Verkaufspreises an die Kaffeebauern gegangen war, sank dieser Anteil bis Anfang der 1990er Jahre auf 4%, stieg dann bis 1997/98 auf knapp 19% und lag zur Jahrtausendwende bei etwas über 10%.123
Konzentrationsprozess in den 1970er und 1980er Jahren Doch der globale Kaffeemarkt veränderte sich in den 1980er Jahren nicht nur aufgrund des Endes des Quotensystems, sondern auch aufgrund des immer ausgeprägteren Konzentrationsprozesses sowohl unter den Röstern wie auch unter den Handelsfirmen.124 Dieser begann bei den Kaffeeröstern bereits im frühen 20. Jahrhundert. Durch die Erfindung der Vakuumverpackung wurde es möglich, Kaffee über längere Zeit zu lagern ohne dass er an Geschmack verlor. Dadurch konnten sich vor allem in den USA bedeutende Röster wie Arbuckels oder Woolson Spice mit eigenen Kaffeemarken etablieren. 1935 wurde in den USA bereits 90% des Kaffees in gerösteter Form und in luftdichten Verpackungen verkauft. Da durch die Industrialisierung des Röstens Skalenerträge möglich wurden, erfolgte ein starker Verdrängungswettbewerb. 1950 rösteten die fünf größten Firmen in den USA über die Hälfte allen Kaffees und hielten 78% aller Lagerbestände. Zudem nahmen die Röster eine vertikale Integration vor und begannen mit dem Einkauf in den Anbauländern und zum Teil sogar mit dem Betrieb eigener Kaffeeplantagen. Dieser Integrationsprozess wurde mit der Einführung des Internationalen Kaffeeabkommens 1962 nochmals beschleunigt, da die Preisstabilität, die durch das Quotensystem erreicht wurde, auch das Risiko von Geschäften in den Anbauländern reduzierte.125 Die Konkurrenz unter den Röstern nahm vor allem in den 1980er Jahren nochmals zu, so dass zu Ende dieses Jahrzehntes vier Firmen – Nestlé, Philip Morris, Sara Lee und Procter & Gamble – über 60% des Weltkaffees verkauften.126 Diese Unternehmen hatten ab den späten 1970er Jahren zudem ihre Einkaufspolitik geändert, indem sie immer mehr dazu tendierten, den Kaffeeimport aus ihrer Organisation auszugliedern und an Handelshäuser zu übertragen.127 Dies hatte mehrere Gründe: Erstens erhöhten die Preisschwankungen auf dem Weltmarkt und die politische In123 Paige, Coffee and Power, 1997, S. 259ff.; Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 80–97, 108f. und 166ff. 124 Roseberry, Introduction, 1995, S. 10. 125 Topik, The Integration of the World Coffee Market, 2003, S. 42–46. 126 Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 103f. 127 Vgl. für die folgenden Ausführungen, wenn nicht anders vermerkt: Marshall, The World Coffee Trade, 1983, S. 20–22; Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 105; Interview mit Ernst H. Schaefer, 2008.
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stabilität in verschiedenen Anbauländern die Risiken im Handelsgeschäft. Zweitens führte das hohe Zinsniveau ab den späten 1970er Jahren dazu, dass viele Röster ihre Lager abbauten und sich auf die Handelsfirmen verließen, um stets genügend Nachschub an grünem – also ungeröstetem – Kaffee zu erhalten. Drittens konzentrierten sie ihre Produktion in neuen Röstereien, die in der Nähe von großen Importhäfen lagen und oft bis zu 50’000 Sack Kaffee pro Monat verarbeiten konnten. Aufgrund dieser geschäftlichen Neuausrichtung stiegen die Volumen der Transaktionen stark an. Noch in den 1930er Jahren waren häufig Kontrakte über die Lieferung von 250 Sack Kaffee abgeschlossen worden. In den 1980er Jahren galten Lieferungen dieser Größenordnung als eher kleine Bestellung und stellten aufgrund des Durchbruchs des Containertransportes128 oft die Minimalmenge dar, bei der es sich für größere Röstereien überhaupt lohnte, eine Bestellung aufzugeben. Die Fabrikanten von löslichem Kaffee gaben sich gar kaum mit Kontrakten von unter 1000 Sack ab. Die großen Röster waren für die Herstellung ihrer Markenkaffees darauf angewiesen, dass der gelieferte Kaffee eine stets gleich bleibende Qualität aufwies. Für die Auslastung ihrer Produktionsanlagen war es für sie zudem wichtig, dass keine Versorgungsengpässe auftraten. Deshalb war es für sie sinnvoller, große Volumen mit einer standardisierten Qualität zu ordern, als kleinere Kaffeemengen von diversen Zulieferern zu verarbeiten. Die Röster übertrugen damit die Sicherstellung der Kaffeequalität an die Handelsfirmen, während diese Arbeit zuvor von den Röstereien selber übernommen worden war. Diese Verschiebung wiederum war nur möglich geworden, weil die Handelsfirmen – wie weiter oben geschildert – ab den 1960er Jahren dazu übergegangen waren, eigene standardisierte Kaffeetypen zu entwickeln und da sie durch die Einrichtung einer leistungsfähigen Einkaufsorganisation in den Anbaugebieten eine gleich bleibende Qualität der Lieferungen garantieren konnten. Dies führte schließlich auch bei den Import- und Exportfirmen zu einem harten Verdrängungswettbewerb. Ab den 1950er Jahren wurden viele der alteingesessenen Kaffeeimporteure, die in Hafenstädten wie Hamburg, Bremen, London, Amsterdam, Marseille, Triest, New York oder San Francisco angesiedelt waren, durch multinationale Handelsfirmen aus dem Markt gedrängt. Volkart konnte sich in dieser Zeit als eine der führenden Kaffeehandelsfirmen der Welt etablieren. Zwischen 1965/66 und 1969/70 konnte die Firma den Kaffeeumsatz von 2,1 auf 4,3 Millionen Sack steigern. Der Kaffeehandel wurde dadurch für die Firma – sowohl was die Gewinne als auch was die Umsätze betraf – bedeutender als der Handel mit Baumwolle, der bis in die 1960er Jahre unangefochten das Kern-
128 In den frühen 1980er Jahren führten verschiedene Reedereien Versuche durch, um zu eruieren, wie die Container belüftet werden mussten, damit sich in ihnen kein Kondenswasser bildete, das den Kaffee beschädigen konnte: Kaffee- und Tee-Markt, Vol. 34, 1984, Nr. 2, S. 17–19.
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geschäft der Firma gewesen war.129 Volkart hatte sich vor allem auf die Lieferung von brasilianischem und von nass aufbereitetem Arabica-Kaffee spezialisiert. Dieser hatte einen Anteil von 80% an den Kaffeegeschäften der Firma. Der qualitativ weniger hoch stehenden Robusta-Kaffee, der vor allem in Frankreich genossen wurde, kam dagegen bloß auf einen Anteil von rund 20%.130 In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre war der brasilianische Kaffee jeweils etwa für die Hälfte des Kaffeeumsatzes der Firma verantwortlich. 1968/69 und 1969/70 exportierte Volkart jeweils Jahr 2 Millionen Sack Kaffee aus Brasilien. Diese Quote ging in den folgenden Jahren zurück und betrug zwischen 1970/71 und 1974/75 im Schnitt nur noch 620’000 Sack pro Jahr. Die Gründe dieser Entwicklung lassen sich aufgrund der Quellen nicht mehr eruieren. Als Folge dieses Rückgangs wurden die Kaffeeaufbereitungsanlagen in Brasilien – die im Gegensatz zu den Aufbereitungsanlagen in Zentralamerika für das Kaffeegeschäft der Firma nie eine entscheidende Rolle gespielt hatten – 1973 verkauft.131 Kolumbien Brasilien andere Länder Südamerikas (Peru, Ekuador, Venezuela) Mittelamerika (Guatemala, El Salvador Costa Rica, Nicaragua, Honduras) Angola andere afrikanische Staaten (u.a. Kenia, Ostafrika, Kongo, Kamerun, Elfenbeinküste, Togo) Indien Indonesien Papua Neuguinea diverse andere Länder
607’000 Säcke 432’000 Säcke 96’000 Säcke 790’000 Säcke 311’000 Säcke 536’000 Säcke 68’000 Säcke 136’000 Säcke 10’000 Säcke 90’000 Säcke 3’471’000 Säcke
Tabelle 9 Herkunft des von Volkart gehandelten Kaffees in der Saison 1975/76 (Quelle: Anderegg, Chronicle, 1976, S. 660)
In der Saison 1975/76 sanken die brasilianischen Kaffeeexporte von Volkart wegen eines schweren Frostes, der zahlreiche Kaffeeplantagen nachhaltig geschädigt hatte, gar auf 432’000 Sack.132 Trotz dieses Rückgangs erzielte die Firma jedoch ausgerechnet 1975/76 ein Rekordergebnis, da sie den markanten Anstieg der Weltmarktpreise, 129 130 131 132
Anderegg, Chronicle, 1976, S. 659. Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 166; Interview mit Peter Zurschmiede, 2008. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 679f. Anderegg, Chronicle, 1976, S. 680.
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der durch den Frost ausgelöst worden war, rechtzeitig vorausgesehen hatte.133 In den späten 1970er und frühen 1980er Jahren beteiligte sich Volkart zudem an Kaffeeexportfirmen in Papua Neuguinea, Kenia und Honduras und konnte 1983 in Kolumbien, dem weltweit zweitwichtigsten Anbauland nach Brasilien, mit einem lokalen Partner ein Joint venture eingehen und gemeinsam die Firma Carcafé S.A. in Cartago gründen.134 1975 stieg Volkart zudem in den Kakaohandel ein, da dieser verschiedene Parallelen zum Kaffeegeschäft aufwies.135 Bis Mitte der 1980er Jahre erreichte Volkart in diesem Geschäftsfeld einen Weltmarktanteil von 8%.136 Dennoch war das Kakaogeschäft für die Firma nie lukrativ, da man in den Produktionsländern keine Einkaufsorganisation mit eigenen Aufbereitungsanlagen aufbauen konnte. Deshalb stieg Volkart 1985 wieder aus dem Kakaohandel aus.137 Der globale Kaffeehandel wurde Mitte der 1980er Jahre durch bloß sieben Firmen dominiert, die weltweit etwa 40% aller Verkäufe an die Röstereien durchführten. Volkart war die zweitwichtigste Firma in diesem Geschäft und erreichte 1986/87 einen Umsatz von 5,5 Millionen Säcken, was einem Marktanteil von 8% entsprach. Marktführer war die Hamburger Firma Rothfos mit einem Umsatz von 7 Millionen Säcken. Auf den Plätzen drei bis fünf folgten die US-Firma Cargill mit einem Umsatz von 4,5 Millionen Säcken sowie die beiden britischen Firmen Rayner und ED&F Man, die je 3,5 Millionen Säcke verkauft hatten.138 Ein Jahr später 1988 setzte Volkart bereits 6,5 Mio. Sack Kaffee im Wert von 1,7 Milliarden Franken um. Das Kaffeegeschäft der Firma umfasste zu diesem Zeitpunkt zehn Tochtergesellschaften in mehreren Anbauländern, einen kleinen Stab Festangestellter nebst mehreren tausend Teilzeitangestellten und dazu vier Importfirmen in Winterthur, Bremen, Madrid und Osaka.139 Insbesondere nachdem Andreas Reinhart 1985 die Leitung der Firma übernommen hatte, schlug Volkart einen massiven Expansionskurs ein. Paul Moeller, der ab 1986 die Kaffeeabteilung leitete, hatte sich zum Ziel gesetzt, den Kaffeeumsatz stark zu steigern. Dies wurde zwar erreicht, die Resultate waren aber durchzogen. Nachdem sich der Kaffeepreis aufgrund einer Dürre in Brasilien zwi133 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1974–1977: Betriebsmitteilung vom 20. November 1975; Betriebsmitteilung vom 15. November 1976. 134 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung, 6. April 1983; Betriebsmitteilung, 6. Mai 1985; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 249. 135 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 663 ; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 166. 136 Schweizerische Handelszeitung, 10. April 1986. 137 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 166. 138 Gerencia Comercial, La Industria Cafetera Internaciónal, 1988, S. 25; Revista de Comércio de Café, Año 66, Julio 1987, 26–27. 139 Tages-Anzeiger, 9. Mai 1989.
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schen November 1985 und Januar 1986 verdoppelt hatte, erlitt Volkart große Verluste.140 Da zwischen den verschiedenen Handelsfirmen eine erbitterte Konkurrenz um Marktanteile bestand, tendierten sie häufig dazu, den Preisdruck an die Kaffeebauern und -verarbeiter weiter zu geben. Volkart etwa wurde Ende der 1980er Jahre beschuldigt, die weiblichen Angestellten, die in den kolumbianischen Aufbereitungsanlagen der Firma die Kaffeebohnen am Fließband verlasen, jeweils nur für eine Dauer von 59 Tagen anzustellen. Die Firma wolle so verhindern, dass die Frauen den Status von Festangestellten erhielten und somit Anspruch auf die kolumbianischen Sozialrechte hatten. Als Festangestellte galten Arbeitskräfte erst ab einer Mindestbeschäftigungsdauer von 60 Tagen.141 Durch einen erneuten Preisabfall 1986/87 und den Börsencrash 1987 verschärfte sich die Situation der Zwischenhändler weiter. 1988 musste sich mit der deutschen Firma Rothfos der größte Kaffeeimporteur der Welt vom Markt zurückziehen und das Geschäft an die deutsche Neumann-Gruppe verkaufen.142 Kurz darauf stieg auch Volkart aus dem Kaffeegeschäft aus. Im Frühling 1989 verkaufte die Firma die Kaffeeabteilung an die Erb-Gruppe, eine Investmentgruppe aus Winterthur.143 Die VolkartKaffeeabteilung expandierte unter dem Namen Volcafe weiter und übernahm in den verschiedenen Tochterfirmen sämtliche Minderheitenanteile, die noch von fremden Partnern gehalten wurden. Nachdem die Erb-Gruppe Konkurs gegangen war,144 wurde Volcafe 2004 an das britische Handelshaus ED&F Man verkauft. Die Firma entwickelte sich weiter sehr erfolgreich und wurde zu Beginn des 21. Jahrhunderts zum umsatzstärksten Unternehmen im globalen Kaffeehandel.145
140 141 142 143
Schweizerische Handelszeitung, 10. April 1986. Weltwoche, 29. April 1989. Talbot, Grounds for Agreement, 2004, S. 105f. Neue Zürcher Zeitung, 15. März 1989; Weltwoche, 29. April 1989; Tages-Anzeiger, 9. Mai 1989; Coffee & Cocoa International, Vol. 16, Number 4, 1989, S. 4. 144 La Nación (San José, Costa Rica), 13e de diciembre 2003 ; Basler Zeitung, 14. Mai 2004. 145 2005 hatte Volcafe einen Marktanteil von 14% am globalen Rohkaffeehandel und lag damit vor Neumann mit einem Anteil von 12,5%, Esteve mit einem solchen von 9% und Dreyfus mit einem Weltmarktanteil von 7%: Volcafe, Your partner, 2005, S. 9. Vgl. auch http://www. volcafe.com/history/index.html (1. Dezember 2009).
14. Baumwollhandel nach dem Zweiten Weltkrieg
Wie der Kaffeehandel wurde auch der globale Baumwollhandel nach 1945 immer mehr durch multinationale Handelshäuser dominiert. Im 19. Jahrhundert hatten sich größere Handelshäuser in erster Linie auf den Export aus bestimmten Anbauländern spezialisiert. So führten Volkart oder Ralli vor allem Baumwollexporte aus Indien durch, Reinhart & Co. solche aus Ägypten und Anderson Clayton oder McFadden exportierten Baumwolle aus den USA. Nach der Jahrhundertwende und insbesondere nach dem Ersten Weltkrieg schickten sich viele dieser Firmen an, ihren Operationsraum sukzessive zu erweitern. Volkart etwa fing ab den 1920er Jahren mit dem Einkauf von amerikanischer und brasilianischer Baumwolle an und suchte neue Absatzmöglichkeiten in China und Japan. Die amerikanischen Baumwollfirmen begannen in den 1920er Jahren damit, eine eigene Verkaufsorganisation in Europa und Ostasien aufzubauen. Und japanische Handelshäuser, die sich zuvor einzig mit dem Import in ihr Heimatland beschäftigt hatten, richteten nach 1918 ein weltweites Filialnetz ein.1 Diese Entwicklung verstärkte sich nach Ende des Zweiten Weltkrieges. Unternehmen wie Volkart, Ralli Brothers & Coney oder Anderson Clayton entwickelten sich mehr und mehr zu multinationalen Handelshäusern, die in allen wichtigen Anbaugebieten Niederlassungen besaßen und Baumwolle in allen wichtigen Verbraucherländern verkauften. Während kleinere und mittlere Firmen aus dem Geschäft gedrängt wurden, erzielten diese global tätigen Unternehmen immer höhere Umsätze. Dieser Konzentrationsprozess wurde nicht zuletzt dadurch befördert, dass sich die nationalen Regierungen ab den 1930er Jahren immer stärker ins Handelsgeschäft mischten und die Baumwollernte durch staatlich geförderte Kooperativen oder nationale Verkaufsorganisationen zu vertreiben begannen.2 Dies ermöglichte den multinationalen Firmen einerseits, große Volumen an Baumwolle umzusetzen, ohne eine eigene Einkaufsorganisation in den Anbaugebieten aufbauen zu müssen. Andererseits zwang sie diese Entwicklung dazu, Skalenerträge zu erzielen, und sie mussten sich mehr und mehr – durch eigenes Kapital oder Bankkredite – um die Finanzierung des Handels kümmern.3 Zahlen in Bezug auf die Volumen, welche von einzelnen Handelsfirmen verschoben wurden, sind nur in lückenhafter Form zugänglich. Die vorhandenen Daten sprechen aber für eine kontinuierliche Steigerung der Umsätze. Volkart etwa erreichte ab 1 2 3
Vgl. Kapitel 8 bis 10. Vgl. für einen Überblick hierzu Bell/Gillham, The World of Cotton, 1989, S. 3f. Clayton Garwood, Will Clayton, 1958, S. 102; Bowater Organisation, History and Activities of the Ralli Trading Group, 1979; Chalmin, Negociants et chargeurs, 1985, S. 5ff.; Killick, Specialized and General Trading Firms, 1987, S. 261f.
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Staatliche Interventionen und multinationale Handelsfirmen
1949 regelmäßig Umsätze von gut einer Million Ballen aus den unterschiedlichsten Anbaugebieten, während die Firma noch Ende des 19. Jahrhunderts einen Umsatz von lediglich 100’000 Ballen und in den frühen 1920er Jahren Umsätze zwischen 200’000 und 350’000 Ballen indischer Baumwolle pro Jahr erzielt hatte.4 Andere Firmen konnten in dieser Zeit eine ähnliche Umsatzsteigerung erreichen. So hatte etwa Mitsui Bussan zwischen 1902 und 1905 pro Jahr etwa 100’000 Ballen umgesetzt, Alexander Sprunt and Son hatten 1902–5 einen Umsatz von jährlich 296’000 und 1907–10 einen solchen von jährlich 382’000 Ballen erzielt.5 Nach 1918 scheinen die Umsätze tendenziell gewachsen zu sein – ein Trend, welcher sich nach dem Zweiten Weltkrieg fortsetzte.6 Die kontinuierliche Steigerung der Umsätze war kein Spezifikum von im Baumwollhandel aktiven Firmen, sondern scheint eine allgemeine Entwicklung im globalen Handelsgeschäft gewesen zu sein. So ergab 1954 eine Umfrage bei Schweizer Transit- und Welthandelsfirmen, dass sich deren Umsätze gegenüber 1929 mehr als verdoppelt hatten.7
Baumwolleinkauf in den USA Volkart entwickelte sich ab den 1930er Jahren immer mehr zu einer weltweit operierenden Baumwollhandelsfirma. Hierfür war nicht zuletzt der Umstand entscheidend, dass sich die Firma im amerikanischen Baumwollgeschäft zu etablieren vermochte. Im Sommer 1939 war die Kooperation mit der American Cotton Cooperative Association zu Ende gegangen, und Volkart hatte in New Orleans eine neue Filiale gegründet, die als Relaisstation zwischen den amerikanischen Baumwollexporteuren und den Verkaufsagenturen der Firma in Asien und Europa dienen sollte. Nachdem 1940 die Exporte nach Europa und 1941 diejenigen nach Fernost zum Stillstand gekommen waren, ging Volkart New Orleans dazu über, die amerikanischen Spinnereien mit Baumwolle zu beliefern und begann mit dem Aufbau einer eigenen Verkaufsorga4 5 6 7
Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 16; V.B. News, No. 9, December 1923, S. 16. Killick, Response to the Comment, 1987. Ralli Brothers & Coney etwa konnten ihren Baumwollumsatz zwischen 1962 und 1977 von 40 auf fast 500 Millionen £ steigern: Bowater Organisation, History and Activities of the Ralli Trading Group, 1979, S. 15. Während die Umsätze aller Schweizer Handelsfirmen 1929 erst 40% des Wertes aller Schweizer Importe bzw. Exporte entsprochen hatten, waren sie 1954 mit 5 Milliarden Franken etwa so hoch wie alle Importe bzw. Exporte des Landes: WA, HS 421: Verband schweizerischer Transit- und Welthandelsfirmen, Basel F6: Korrespondenz und zwei Entwürfe, betr. Die Enquête über den Transithandel, durchgeführt von Prof. Dr. Gsell an der Handelshochschule in St. Gallen, 1953–1958: Der schweizerische Transithandel. Ergebnisse der Enquête 1954, Juni 1955, S. 19f.
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nisation in den USA. Die bis dahin bestehende Kooperation mit der amerikanischen Handelsfirma Manget Brothers wurde deshalb 1942 aufgelöst.8 Beim Einstieg ins amerikanische Baumwollgeschäft profitierte Volkart davon, dass der Baumwollverbrauch der amerikanischen Spinnereien sich aufgrund der Kriegsnachfrage von sechs auf zwölf Millionen Ballen pro Jahr verdoppelte. Volkart erzielte schon bald einen Umsatz von 200’000 Ballen amerikanischer Baumwolle pro Jahr. Außerdem half der Firma ihr weltweites Filialnetz, sich in den USA etablieren zu können. So wurde über die amerikanischen Filialen der Firma indische Baumwolle importiert; deren Einfuhr wurde allerdings ab 1942 verboten. Weiter begann Volkart damit, peruanische Baumwolle in die USA, nach Europa und nach Indien einzuführen und betätigte sich im Import von ägyptischer, afrikanischer und brasilianischer Baumwolle in die USA und von brasilianischer Baumwolle nach Kanada. Diese Geschäfte kamen jedoch 1942 ebenfalls zum Erliegen, da während des Krieges kaum Frachtraum verfügbar war.9 Nach Ende des Krieges begann sich abzuzeichnen, dass das Geschäft mit amerikanischer Baumwolle zu einem neuen Hauptbetätigungsfeld von Volkart werden würde. Die Firma gründete deshalb 1945 eine neue Tochtergesellschaft, die Magnolia Compress & Warehouse Co. Inc. und erwarb zwei neue Lagerhäuser mit Baumwollpressen in New Orleans (1945) und in Galveston (1949).10 Der Umstand, dass Volkart ab 1942 in den USA eine Organisation aufgebaut hatte, die sich gemäß Peter Reinhart „in mancher Beziehung mit der Organisation in Indien sehr wohl vergleichen lässt“, sorgte in der Firmenleitung allerdings für gewisse Bedenken. Es war den Teilhabern noch sehr deutlich in Erinnerung, dass die massive Expansionsstrategie, welche die Firma nach 1918 eingeschlagen hatte, sich in den späten 1920er Jahren gerächt und für große Verluste gesorgt hatte. „Wir wollen auf keinen Umständen den Fehler der letzten Nachkriegszeit wiederholen und unsere Organisation ungebührlich ausdehnen“, meinte Reinhart in einem internen Memorandum von 1947 und machte deutlich, dass der dem weltwirtschaftlichen Aufschwung nach Ende des Zweiten Weltkrieges nicht ganz traute: „Wir sind uns alle der Gefahren, die in den heutigen Preisen liegen, bewusst.“11
8 VA, Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, II. New York (New Orleans/ Dallas included), 2. Table of Events V.B. Inc.; Volkart Bros, Cotton 1939–1945, 1945; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 443ff. 9 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 487. 10 VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 29. September 1947; Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950, „Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes“; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 566. 11 VA, Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947–28. Juni 1949: Memorandum von PR, 28.11.47.
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Abb. 24 Lagerhaus von Volkart in Galveston 1949 (VA, Dossier 111: Photos Bremen, London, USA, Mexico, Brazil, Colombia, Singapore/Shanghai/Japan)
Da jedoch auch die Baumwollexporte nach China und Europa in den späten 1940er Jahren sprunghaft zunahmen, genügten die Volumen, die Volkart über New Orleans einkaufen konnte, schon bald nicht mehr, um die Nachfrage zu befriedigen. Volkart eröffnete deshalb neue Zweigstellen in Dallas und Memphis, sowie eine zusätzliche Filiale in Pasadena. Das amerikanische Baumwollgeschäft wurde für Volkart insbesondere deshalb immer bedeutender, weil die Baumwollexporte aus Indien nach dem Ende der britischen Kolonialherrschaft fast vollständig zum Stillstand kamen. Die Filiale in Bombay etwa verkaufte 1949/50 noch knapp 100’000 Ballen indischer Baumwolle, vorwiegend an indische Spinnereien, während sie gleichzeitig beachtliche 40’000 Ballen amerikanische Baumwolle nach Indien einführen konnte.12 Ab Anfang des 20. Jahrhunderts hatte sich die Struktur des Baumwollanbaus in den USA schleichend verändert. Nach dem Ende des Bürgerkrieges hatten die meisten amerikanischen Baumwollpflanzer in einem Pachtverhältnis gestanden und mus12 VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 1. Juli 1948; Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947 – 28. Juni 1949: Konferenz vom 31. August 1948; Dossier 16: USA, Brazil, Mexico, Guatemala/Costa Rica, Turkey, I. USA: Notiz von Peter Reinhart vom 20. September 1950, „Entwicklung des amerikanischen Baumwollgeschäftes“.
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sten den Landbesitzern einen Teil ihrer Ernte abgeben. Viele Farmen waren deshalb nur scheinbar unabhängige Produktionseinheiten. In Tat und Wahrheit gehörten sie jeweils einem einzigen Großgrundbesitzer, und sie waren faktisch Teil einer einzigen Produktionseinheit. Ab 1910 erfolgte ein schleichender Übergang von kleinen, durch Pächterfamilien betriebenen Farmen zu großen, mechanisierten Plantagen, auf denen der Baumwollanbau nach tayloristischen Prinzipien organisiert wurde. Traktoren ersetzten menschliche Arbeitskraft beim Pflügen und Säen, und die Landbesitzer begannen, mit Pflückmaschinen zu experimentieren.13 Viele Pächter mussten deshalb ihre Farmen aufgeben. Die Arbeit auf den Baumwollfeldern wurde zunehmend von Lohnarbeitern ausgeführt, die im Sold der Großgrundbesitzer standen.14 Auch bei der Kreditvergabe erfolgte in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts eine Konsolidierung. Während die Kredite an die Pflanzer noch Ende des 19. Jahrhunderts vor allem durch lokale Zwischenhändler vergeben wurden, stammten sie im 20. Jahrhundert immer mehr von Lokal- oder Regionalbanken. Ab den 1920er Jahren gewährte zudem immer häufiger die amerikanische Regierung den Pflanzern Vorschüsse – eine Praxis, die durch den New Deal noch verstärkt wurde. So stammte in den 1930er Jahren über die Hälfte der Agrarkredite im Baumwollanbau von der amerikanischen Regierung. Die übrigen Kredite wurden meist von lokalen und regionalen Bankinstituten gewährt. Die Zwischenhändler waren dagegen nur noch für zwei bis drei Prozent der Vorschüsse verantwortlich.15 Indem die Baumwolle mehr und mehr auf mechanisierten Großplantagen produziert wurde und die Finanzierung des Anbaus durch Banken und die amerikanische Regierung erfolgte, konnten multinationale Firmen hohe Umsätze erzielen, ohne eine ausgefeilte Einkaufsorganisation aufbauen zu müssen. Eine Rückwärtsintegration, wie sie Volkart im 19. Jahrhundert in Indien vorgenommen hatte, war in den USA somit nicht nötig – und ab den 1930er Jahren auch nicht mehr möglich, da die Baumwolle gemäß einem Regierungsbeschluss nur noch von den Pflanzern selbst entkörnt werden durfte. Die Exportfirmen durften dagegen keine eigenen Gins mehr betreiben.16 Eine starke Position im Exportgeschäft konnten nur noch Handelsfirmen erlangen, die über eine leistungsfähige Verkaufsorganisation und eine genügend große Kreditwürdigkeit verfügten. Volkart benötigte etwa in der Saison 1946/47 Bankkredite in der Höhe von gegen 25 Millionen Dollar, um die Exporte aus den USA finanzieren und die Transaktionen durch Termingeschäfte an den amerikanischen 13 Die Mechanisierung des Pflückens nahm vor allem in der Nachkriegszeit in den USA einen großen Aufschwung. 1965 wurden 85% der US-Baumwolle maschinell geerntet, während es 1955 erst 23% gewesen waren. In anderen Ländern war das maschinelle Pflücken zu dieser Zeit noch absolut unüblich: Sinclair, The Production, Marketing, and Consumption of Cotton, 1968, S. 5 und 20. 14 Foley, The White Scourge, 1997, S. 64ff., 119–135, 163ff. 15 V.B. News, No. 5, July 1922, S. 1–6; Garside, Cotton Goes to Market, 1935, S. 170–173. 16 Interview mit Paul Alfred Reinhart, 2008.
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Baumwollbörsen gegen Preisänderungen absichern zu können. Als Sicherheit für diese Kredite dienten die in den USA eingelagerten Baumwollbestände der Firma.17
Unterschiedliche Geschäftsauffassungen Trotz dieser Erfolge verlief für Volkart der Einstieg ins amerikanische Baumwollgeschäft nicht ohne Reibungsverluste. Diese entstanden nicht zuletzt deshalb, weil in den USA offenbar zum Teil andere Geschäftspraktiken üblich waren, als diejenigen, die Volkart traditionellerweise ausübte. Wie in den vorhergehenden Kapiteln mehrfach erwähnt, war es für Volkart äußerst wichtig, die Wünsche der Kundschaft zu befriedigen.18 Der amerikanische Kaufmann Harold Saer, der vor seinem Eintritt in die Volkartfiliale in New Orleans die Exportabteilung der American Cotton Cooperative Association geleitet hatte, tendierte dagegen dazu, zu Beginn der Baumwollsaison eine bestimmte operative Position einzunehmen, die ihm besonders gewinnträchtig erschien – entweder eine long-Position, bei der er Baumwolle erwarb, für die er noch keinen Käufer hatte, oder eine short-Position, bei der er Baumwolle per Terminkontrakt verkaufte, die sich noch nicht im Besitz der Firma befand. Diese Positionen baute er in der Folge ab, sobald sich die Preise so entwickelt hatten, dass für die Firma ein möglichst hoher Gewinn resultierte. An wen er dabei verkaufte und ob er mit dieser Praxis allenfalls langjährige Kunden vor den Kopf stieß, war für ihn zweitrangig. Auch Volkart ging, wie jede andere Handelsfirma, regelmäßig short oder long. Die Firma berücksichtigte dabei jedoch nicht nur der Entwicklung der Märkte, sondern nahm auch auf die Wünsche der Kunden Rücksicht. Peter Reinhart vermerkte 1970 in einem firmeninternen Leitfaden, dass Saer die Zulieferer und Kunden gewissermaßen als notwendiges Übel betrachtet und, anders als Volkart, nicht als zentrales Element der Geschäfte bewertet habe.19 Auch wenn Reinhart darauf verwies, dass man nun, drei Jahrzehnte später, diese Haltung nicht mehr als völlig falsch ansehe, war die Rücksichtnahme auf die Bedürf17 Für die Saison 1946/47 erhielt Volkart von der Chase National Bank einen Kreditrahmen von 10 Millionen $, von der Guaranty Trust Bank einen solchen von 7 Millionen $, von der Bankers Trust Co. einen Kredit von 4 Millionen $ und von der First National Bank of Boston einen Kredit von 1 Million $. Dazu gewährten ihnen noch sieben weitere Banken Kredite zwischen 400’000 und 800’000 $, womit Volkart in diesem Jahr von den US-Banken einen Kreditrahmen von 27 Millionen $ zugesprochen erhielt. Darüber hinaus erhielt die amerikanische Volkart Brothers Inc. auch noch firmeninterne Kredite durch den Winterthurer Hauptsitz und die indischen Filialen in der Höhe von 4 Millionen $: VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947: Konferenz vom 16. Oktober 1946. 18 Vgl. Kapitel 3. 19 VA, Dossier 44, VBH Guidelines 1970–1983 (verfasst von Peter Reinhart): Peter Reinhart, Cotton and other Commodity Operations and Discretions, 21st May 1970.
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nisse der Kundschaft offenbar auch zu Beginn der 1970er Jahre noch ein zentrales Element der Geschäftskultur von Volkart.20 So hielt er in einem weiteren internen Schreiben aus dieser Zeit fest, dass sich eine Pflege der „friendly relations“ zu Kunden, Zulieferen und Agenten auf lange Sicht positiv auf die Geschäfte auswirke: „Looked at from the long-term point of view of the VB organization as a whole it is therefore not a question of a conflict between profit and turnover or profit and friendly relations with clients etc. but rather a choice between immediate short-term profits and the long-term interests of the firm.“ Für Reinhart stand außer Frage, dass die langfristigen Interessen der Kundenbindung höher zu gewichten seien als das Erzielen eines kurzfristigen Gewinnes: „Generally speaking we are inclined to continue our traditional policy of trying to satisfy the buyers rather than ‚hoarding‘ the goods for profit.“21 Mitte der 1940er Jahre sorgten die wenig kundenorientierten Geschäftspraktiken von Volkart New Orleans bei den Teilhabern für einige Beunruhigung. „[W]e still feel that V.B. New Orleans is not yet sufficiently closley interwoven with the rest of the firm“, hieß es in einem Brief aus dieser Zeit. Man erhalte kaum Informationen aus New Orleans und habe das Gefühl, die große Erfahrung, welche die Firma im globalen Baumwollhandel erworben habe, könne den Mitarbeitern in der amerikanischen Filiale nur schwer vermittelt werden.22 Saer sei zwar ein hervorragender Kaufmann, jedoch auch einer „who … thinks and talks differently from what we are used to and who, therefore, built up a rather self-contained organization which, before gaining its maximum value for us has to be properly incorporated into the wider V.B. organization.“ Die Teilhaber beschlossen deshalb, J. L. Hurscheler, den bisherigen Leiter von Volkart Bombay und seines Zeichens einer der versiertesten Baumwollhändler der Firma, nach New Orleans zu schicken.23 Diese Bemühungen scheinen nur teilweise Früchte getragen zu haben. Zehn Jahre später erhielten die Teilhaber wiederholt Klagen von Kunden, wonach die Baumwolllieferungen aus New Orleans regelmäßig einige Ballen minderwertige Ware enthielten. Die leitenden Angestellten von Volkart New Orleans, darunter nach wie vor Harold Saer, machten die Hafenarbeiter für diese Probleme verantwortlich. Die Teilhaber kamen aber zum Schluss, dass die Niederlassung in New Orleans auf diese Weise versuchte, Baumwolle minderer Qualität
20 VA, Dossier 44, VBH Guidelines 1970–1983 (verfasst von Peter Reinhart): Peter Reinhart, Cotton and other Commodity Operations and Discretions, 21st May 1970. 21 VA, Dossier 44, VBH Guidelines 1970–1983 (verfasst von Peter Reinhart): VBH Guidelines No. 16, Winterthur, 18th August 1970: Antwort auf note vom 21.5.70. 22 VA, Dossier 3: Bombay I, 2. VB Bombay Management: Brief von Winterthur an Bombay (ohne Datum). 23 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945 – 27. Juni 1947: PR, Protocol on conversations with Mr. J. Hurscheler, August 19th, 1946.
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möglichst unauffällig loszuwerden. Sie beschlossen in der Folge, der Qualitätskontrolle in New Orleans größere Aufmerksamkeit zu schenken.24 Die Differenzen mit dem amerikanischen Management sind insofern interessant, als in früheren Kapiteln darauf hingewiesen wurde, daß die Zusammenarbeit mit Geschäftspartnern in Indien relativ reibungslos vor sich ging.25 Es war jedoch beileibe nicht so, dass die Affinität der schweizerischen Kaufleute zu einer indischen Art, Geschäfte abzuwickeln, größer gewesen wäre als zu den in den USA üblichen Geschäftspraktiken. Der Unterschied rührte vielmehr daher, dass die Geschäftspartner in Indien bloß über netzwerkartige Kooperationsbeziehungen mit der Firma verbunden gewesen waren, während die amerikanischen Manager ab den frühen 1940er Jahren in die Firma integriert werden mussten. Erst in diesem Moment entstand eine Spannung zwischen der auf kurzfristige Gewinne ausgerichteten amerikanischen Geschäftspraxis einerseits und der kundenorientierten Geschäftskultur von Volkart andererseits. Solange die amerikanischen Manager in ihrer Tätigkeit für die American Cotton Cooperative Association als bloße Einkaufsagenten von Volkart tätig gewesen waren, waren diese Differenzen nicht ins Gewicht gefallen.
Zwiespältige Resultate der amerikanischen Subventionspolitik Ende der 1950er Jahre geriet der Baumwollexport aus den USA in eine schwere Krise, da ein weltweites Überangebot an Baumwolle bestand. Dies war nicht zuletzt die Folge der massiven Subventionierung des Baumwollanbaus und der Exportförderung, welche die USA ab den 1920er Jahren betrieben hatten. 1929 wurde im USSenat der Agricultural Market Act verabschiedet, der vorsah, dass die amerikanische Regierung überschüssige Baumwolle aufkaufen solle, um die Preise zu stabilisieren. Diese Maßnahme sicherte zwar das Einkommen der amerikanischen Baumwollfarmer, sie hatte aber zur Folge, dass sich der Weltmarktpreis von US-Baumwolle im Verhältnis zur Baumwolle aus anderen Produktionsländern erhöhte. Aus diesem Grund fielen die US-Baumwollexporte von gut 15 Millionen Ballen in der Saison 1928/29 auf knapp 11 Millionen Ballen 1930/31. Der Weltverbrauch von Baumwolle aus anderen Produktionsländern stieg dagegen in derselben Periode leicht an, von 10,8 Millionen Ballen auf 11,6 Millionen Ballen. Im Rahmen des New Deal wurde 1933 die Commodity Credit Corporation gegründet, um den Farmern Darlehen zu gewähren. Die Farmer konnten die Gelder entweder innert einer bestimmten Frist zurückzahlen oder die Baumwolle der Credit Corporation abtreten, welche die Ware in der Zwischenzeit eingelagert hatte. Die Idee dahinter war, den Pflanzern Geld zur Verfügung 24 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Besprechung zwischen P.R. und J.H. am 21. Juni 1957. 25 Vgl. hierfür Kapitel 2.
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zu stellen, ihnen aber nach wie vor die Eigentumsrechte an ihrer Ernte zu überlassen. Damit sollte verhindert werden, dass sie bei ungünstigen Marktverhältnissen unter Druck verkaufen mussten. Diese Maßnahmen zur Unterstützung der amerikanischen Baumwollpflanzer blieben auch nach 1945 in Kraft – die Commodity Credit Corporation etwa existiert heute noch.26 Da sich durch diese Interventionen die Weltmarktpreise erhöhten, wurden andere Länder ermutigt, ihrerseits die Baumwollproduktion voranzutreiben.27 Vor allem China und die UdSSR, aber auch Indien, Pakistan, Brasilien, Ägypten, die Türkei, Mexiko und verschiedene schwarzafrikanische Staaten steigerten den Baumwollanbau in der Nachkriegszeit massiv. Die Folge davon war, dass sich die weltweite Baumwollproduktion zwischen 1945 und 1985 mehr als verdoppelte – von etwa 6 auf gut 15 Millionen Tonnen pro Jahr. Diese Steigerung wurde auch dadurch befördert, dass neue Insektizide wie DTT die Gefahr von Missernten aufgrund Schädlingsbefalls stark reduzierten.28 In den USA ging der Baumwollanbau dagegen mehr und mehr zurück. Während in den 1920er Jahren noch auf 18 Millionen Hektaren Baumwolle gepflanzt wurden, waren es in den 1950er Jahren noch 10 und in den 1960er Jahren gar bloß noch 4 Millionen Hektaren. Der Anteil der US-Baumwolle am Weltexport sank deshalb bis 1965 auf 24%, während Ende des 19. Jahrhunderts noch zwei Drittel der weltweit angebauten Baumwolle aus den USA gekommen waren.29 Die Folgen dieser Entwicklung bekam auch Volkart zu spüren. Zwar konnte die Firma immer wieder große Mengen überschüssige Baumwolle auf den Auktionen erwerben, welche durch das amerikanische Landwirtschaftsdepartement organisiert worden waren; 1956 wurde so an einer einzigen Auktion fast 100’000 Ballen Überschussbaumwolle erworben, 1957 bei einer anderen Auktion gar 130’000 Ballen – dies waren die höchsten Einzelkäufe, die die Firma überhaupt je getätigt hatte.30 Obwohl Volkart also große Umsätze erzielen konnte, waren die Resultate des amerikanischen Baumwollgeschäfts aufgrund des hohen Preisniveaus und der mangelnden Handlungsspielräume bescheiden. 1959 erfolgte deshalb eine massive Umstrukturierung. Die Filiale in New Orleans wurde geschlossen, nachdem die Bedeutung der Stadt als Baumwollhandelsplatz massiv zurückgegangen war. Dafür wurde in Dallas 26 Clayton Garwood, Will Clayton, 1958, S. 101; Anderson, Cotton Marketing, 1999, S. 675; Walsh, Building the Borderlands, 2008, S. 93–96. Vgl. für die Problematik der Benachteiligung von afrikanischen Kleinbauern durch die massive Subventionierung der US-Baumwollpflanzer Mönninghoff, King Cotton, 2006, S. 220–226. 27 Clayton Garwood, Will Clayton, 1958, S. 101f.; VA, Bilanzen, Bilanz 1959/60. 28 Munro, Cotton, 1987, S. 6–15; Bell/Gillham, The World of Cotton, 1989, S. 3. 29 Wheeler, International Trade in Cotton, 1925, S. 1; Sinclair, The Production, Marketing, and Consumption of Cotton, 1968, S. 16; Munro, Cotton, 1987, S. 8–21; Bell/Gillham, The World of Cotton, 1989, S. 4 und 342; Farnie, The Role of Merchants, 2004, S. 21. 30 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 20. Juni 1956 und Konferenz vom 7. Mai 1957.
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eine neue Niederlassung gegründet, in der Volkart verschiedene Mitarbeiter von W.D. Felder & Co. weiterbeschäftigte, nachdem sich diese Handelsfirma aus dem Baumwollgeschäft zurückgezogen hatte.31 Die Umstrukturierungen trugen vorerst Früchte.32 Doch ab Mitte der 1960er Jahre wurden die Geschäftsmöglichkeiten privater Exportfirmen durch verschiedene staatliche Exportförderungsprogramme und durch die Tätigkeit der staatlich unterstützten Kooperativen erneut eingeschränkt. Volkart konnte im Baumwollexport aus den USA bloß noch in der Filiale in Pasadena schwarze Zahlen schreiben. Die Organisation von Volkart Dallas war jedoch nach einigen guten Jahren so stark angewachsen, dass sie einen jährlichen Umsatz von 300’000 bis 400’000 Ballen benötigte, um einen Gewinn erzielen zu können. Derartige Umsätze lagen aber nicht mehr im Bereich des Möglichen. Die Volkartfiliale in Dallas wurde deshalb 1966 geschlossen. Die Firma übernahm stattdessen die Vertretung der Plains Cotton Cooperative Association aus Lubbock (Texas), eine der bedeutendsten US-Baumwollkooperativen, für Europa, Afrika und den nahen Osten. Ein ähnlicher Vertretungsvertrag wurde mit der amerikanischen Baumwollfirma W.B. Dunavant & Co. aus Memphis abgeschlossen, die bis dahin vor allem im Inlandgeschäft aktiv gewesen war und sich kaum im Export betätigt hatte. Das Exportgeschäft mit mexikanischer und zentralamerikanischer Baumwolle, das bis dahin ebenfalls von Dallas aus getätigt worden war, wurde neu von Mexico City aus geleitet. Volkart Pasadena war damit die einzige Filiale der Firma, die weiterhin im US-Baumwollgeschäft aktiv blieb.33 Volkart war nicht die einzige Exportfirma, die sich in dieser Zeit mehr und mehr aus dem amerikanischen Baumwollexportgeschäft zurückzog. So bedeutende US-Handelsfirmen wie die Firmen Sprunt, McFadden oder Anderson Clayton gaben zwischen Mitte der 1950er und Mitte der 1970er Jahre das amerikanische Baumwollgeschäft auf.34 Die Interventionen der amerikanischen Regierung drängten aber nicht nur private Exporteure aus dem Geschäft. Sie führten auch dazu, dass die Baumwollpreise zwischen 1945 und 1973 relativ stabil blieben.35 Dadurch wurden Termingeschäfte an den Baumwollbörsen obsolet, die bis dahin der Absicherung gegen Preisänderungen gedient hatten. Etwas Ähnliches war in den 1960er Jahren im Kaffeehandel geschehen, wo das Internationale Kaffeeabkommen ebenfalls die Preise stabilisiert hatte. Auch dort kamen die Börsengeschäfte zum Stillstand. Als Folge davon wurde die Volkart Co. in New York 1967 liquidiert, die bis dahin für die Firma das Hedging an den Rohstoffbörsen in New York vorgenommen hatte.36 31 32 33 34 35 36
VA, Bilanzen, Bilanz 1958/59. VA, Bilanzen, Bilanzen 1958/59 und 1959/60. VA, Bilanzen, Bilanz 1964/65 und 1965/66; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 581ff. Killick, Specialized and General Trading Firms, 1987, S. 261. Munro, Cotton, 1987, S. 338–342. VA, Bilanzen, Bilanz 1966/67; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 570f. Vgl. auch Kapitel 13.
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Baumwolle aus aller Welt Bis Ende der 1940er Jahre lag das Schwergewicht der Baumwollgeschäfte von Volkart auf dem Export aus Indien. Nach der Unabhängigkeit von Indien und Pakistan gingen die Baumwollexporte als Folge der Wirtschaftspolitik der beiden Staaten stark zurück. 1948/49 exportierte Volkart 90’000 Ballen aus dem Subkontinent, was bloß noch einen Bruchteil der 650’000 Ballen darstellte, die die Firma im Rekordjahr 1936/37 ausgeführt hatte. Dennoch war Volkart auch 1948/49 die größte Baumwollexportfirma auf dem Subkontinent. Während die Exporttätigkeit an Bedeutung verlor, lieferte die Firma zunehmend Baumwolle an die indischen und pakistanischen Spinnereien. Diese stammte einerseits vom Subkontinent selber, andererseits auch immer mehr aus Ägypten, Ostafrika und den USA.37 Da die Exporte aus Südasien immer mehr durch Vorschriften behindert wurden und da die Regierungen von Indien und Pakistan darauf drängten, dass fremde Firmen mit einheimischen Unternehmern kooperierten, fusionierte Volkart 1961 die Baumwollorganisation in Indien mit der einheimischen Firma Patel Cotton Co.38 In Pakistan konnte Volkart in den späten 1960er und frühen 1970er Jahren mit einem durchschnittlichen Verkauf von 288’000 Ballen pro Jahr durchaus positive Resultate erzielen. Ab 1973 nationalisierte die Regierung jedoch den Baumwollexport durch die Gründung einer staatlichen Exportorganisation und begann ab 1974/75 auch die Verkäufe an die einheimische Baumwollindustrie zu kontrollieren. 1977 verkaufte deshalb Volkart 70% der Anteile der pakistanischen Tochtergesellschaft an die britische Firma Peninsular & Oriental Steam Navigation Co. und war in der Folge in Pakistan nur noch mit Minderheitsbeteiligungen engagiert.39 Durch die Interventionen der Regierungen Indiens und Pakistans verlor der Baumwollexport aus dem Subkontinent – zuvor während eines knappen Jahrhunderts das wichtigste Tätigkeitsgebiet von Volkart – immer mehr an Bedeutung. Dafür hatte die Firma ihre Geschäftstätigkeit mit US-amerikanischer, lateinamerikanischer und afrikanischer Baumwolle ab den 1940er Jahren derart ausbauen können, dass sie 1949/50 erstmals über eine Million Ballen umsetzte. Peter Reinhart konnte deshalb an der Hundertjahrfeier 1951 befriedigt konstatieren, dass das Handelshaus Volkart „heute so kräftig und leistungsfähig dasteht, wie wahrscheinlich je zuvor.“40 In vielen Ländern ging Volkart Kooperationen mit dort etablierten Exportfirmen ein, so 37 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier o.J. [1951], S. 16. 38 VA, Dossier 30: Patel Cotton Comp., Patel/Volkart Cotton Merger, Volkart Bombay Pvt. Ltd. 1961. Vgl. hierzu ausführlicher Kapitel 12. 39 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 688–91; VA, Dossier 34: Volkart Pakistan Ltd. (1963), Reorganisation VPL/MM 1976; Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 252. Vgl. ausführlicher Kapitel 12. 40 Reinhart, Rede zur Hundertjahrfeier, o.J. [1951], S. 15f.
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Abb. 25 Karte der wichtigsten Baumwollanbaugebiete der Welt (Schweizerische National Bibliothek,
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Signatur 3 M 1951)
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etwa in Ägypten mit den Schweizer Firmen Paul Reinhart & Co. und H. Kupper & Co.41 Im Sudan übernahm Volkart 1963 von H. Kupper die Exportfirma White Nile Cotton Trading Co., um die Umsätze mit sudanesischer Baumwolle erhöhen zu können, nachdem man bis dahin die Baumwolle aus diesem Land von verschiedenen Exporteuren bezogen hatte. 1970 wurde die White Nile verstaatlicht; Volkart bezog in der Folge die sudanesische Baumwolle von einer staatlichen Exportgesellschaft. Neben gelegentlichen Ausfuhren aus Burma und dem Iran engagierte sich Volkart zunehmend im Export aus süd- und zentralamerikanischen Ländern wie Peru, Guatemala, El Salvador, Nicaragua, Kolumbien und sporadisch auch aus Argentinien und Paraguay.42 In den 1950er Jahren etablierte sich Volkart zudem in Mexiko.43 Die Baumwollexporte aus Mexiko wurden anfänglich noch über die Volkartfilialen in New Orleans und Pasadena durchgeführt. 1951 kam die Firmenleitung jedoch zum Schluss, dass sich die Gründung einer Niederlassung in Mexiko aufdränge, „weil nur so auch Länder, die mit Mexiko in Clearing Verkehr stehen, beliefert werden können“, wie es in einem Sitzungsprotokoll hieß. „Ferner macht Mexiko zeitweilen die Erteilung von Exportlizenzen davon abhängig, dass die applizierende Firma auch Verkäufe an die mexikanische Baumwollindustrie vorweisen kann. Auch hierzu braucht es eine eigene Niederlassung.“44 1953 eröffnete die Firma zudem ein neues Büro im Zentrum von Mexico City. Dies wurde mit der einigermaßen kuriosen Argumentation begründet, es sei in Mexiko Sitte, „dass die Bauern selbst in die Stadt kommen, um ihre Baumwolle zu verkaufen, und sie gehen mit Vorliebe zu einer Baumwoll-Firma, welche Bürolokalitäten zu ebener Erde hat, welche leicht zugänglich sind, denn diese primitiven Menschen haben einfach Hemmungen, in grosse Gebäude zu gehen und mit dem Lift einige Stockwerke zu fahren.“ Im Gegensatz zu Volkart besäßen Konkurrenzfirmen „wie Anderson Clayton, McFadden … deshalb alle Büros im Zentrum der Stadt, und die Büros erinnern alle an Banken, d.h. sie sind zu ebener Erde.“45 Ob diese Begründung zutraf, kann aufgrund der Quellenlage nicht entschieden werden, sie zeigt jedoch, dass eine Firma wie Volkart eine Einbettung in lokale Strukturen als wichtige Voraussetzung ansah, um sich auf dem Weltmarkt behaupten zu können. Im Frühjahr 1954 eröffnete Volkart zudem ein neues Büro in Obregon an der 41 VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 15. Februar 1951; Bilanzen, Bilanz 1962/63. Die beiden Firmen Paul Reinhart & Co. und H. Kupper & Co. mussten 1962 auf Anordnung der ägyptischen Regierung fusionieren: VA, Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Zu Protokoll, Aegypten, 12.1.1962. 42 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 581–83 und 658. 43 Vgl. zur mexikanischen Baumwollwirtschaft Sinclair, The Production, Marketing, and Consumption of Cotton, 1968, S. 20. 44 VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 15. Februar 1951. 45 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Protokoll Nr. 1006, Geschäftsleitung, 15. Juli 1953.
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mexikanischen Westküste. Nachdem man dort auch eigene Entkörnungsanlagen und Lagerhäuser erworben hatte,46 gelang es der Firma „eine Anzahl relativ zuverlässiger Baumwollbauern an uns [zu binden]“, wie es in einem Geschäftsleitungsprotokoll hieß.47 Die Investitionen zahlten sich schon bald aus. In der Bilanz 1955/56 wurde jedenfalls festgehalten: „Unter den Verladehäusern hat natürlich Mexico in jeder Beziehung den Vogel abgeschossen, da der sehr schöne Umsatz mit einem Profit von ca. 1½ Millionen Dollars abschliesst.“48 Doch nicht alle derartigen Expansionsschritte waren von Erfolg gekrönt. 1951 hatte die Firma beschlossen, in der Türkei zusammen mit dem Kaufmann Arthur Lafont, der Volkart seit den späten 1940er Jahren mit türkischer Baumwolle belieferte, eine Press- und Entkörnungsanlage zu errichten. In dieser Anlage sollte die von Lafont gelieferte Baumwolle verarbeitet und anschließend durch Volkart vertrieben werden. Zudem gründete Volkart eine türkische Tochtergesellschaft, die Volkart Brothers (Türkiye) Ltd., die auch von anderen türkischen Zulieferern Baumwolle erwerben sollte.49 Die Geschäfte entwickelten sich jedoch weit weniger gut als erhofft, da der Baumwollanbau nicht so stark gesteigert wurde, wie von der türkischen Regierung angekündigt. Zudem wurden auch in der Türkei viele Exporte durch staatlich geförderte Kooperativen durchgeführt. Da sich die türkische Textilindustrie in den frühen 1950er Jahren stark entwickelte, wurde zudem ein beträchtlicher Teil der einheimischen Baumwolle in der Türkei selber verbraucht. Schließlich hatte Volkart nicht beachtet, dass die türkischen Reedereien für die Berechnung ihrer Frachtraten nicht das Volumen der Baumwollballen berücksichtigten – wie dies in anderen Ländern üblich war – sondern das Gewicht. Dies bedeutete, dass die größere Materialdichte, die Volkart und Lafont in ihrer Presse erreichen konnten, keinen Kostenvorteil gegenüber den halbgepressten Ballen darstellte, die sonst in der Türkei üblich waren. Volkart verkaufte deshalb 1958 die Anteile an der Presse an Lafont und liquidierte die türkische Tochtergesellschaft 1959.50
46 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenzen vom 4. März 1954 und vom 22. Dezember 1955. 47 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 22. Dezember 1955. 48 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenzen vom 4. März 1954 und vom 22. Dezember 1955. Anzufügen ist noch, dass die Exporte von mexikanischer Baumwolle zwischen 1960 und 1967 durch Volkart Dallas kontrolliert wurden: Anderegg, Chronicle, 1976, S. 580. 49 VA, Partners’ Conference (4. Juni 1946–31. August 1956): Konferenz vom 15. Februar 1951. 50 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 574–577.
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Veränderungen in der Verkaufsorganisation Wie eingangs ausgeführt, erfolgte im globalen Baumwollhandel nach 1945 ein markanter Konzentrationsprozess und die beteiligten Handelshäuser entwickelten sich mehr und mehr zu multinationalen Unternehmen. Der Einkauf in den Produktionsländern wurde in der Nachkriegszeit durch bessere Verkehrs- und Kommunikationsmöglichkeiten und die Aktivitäten von staatlichen Exportorganisationen und staatlich unterstützten Baumwollkooperativen wesentlich vereinfacht. Da so das Verschiffen von immer größeren Volumen möglich wurde, beruhte der Erfolg von weltweit tätigen Baumwollhandelsfirmen – neben einer intimen Produktkenntnis und dem Aufrechterhalten von Geschäftsbeziehungen zu Kunden und Zulieferern51 – vor allem auf zwei Faktoren: zum einen auf einer leistungsfähigen Verkaufsorganisation und zum anderen auf genügend Eigenkapital und dem Zugang zu Bankkrediten, um die Transaktionen finanzieren zu können. Diese Entwicklung war vor 1945 nicht absehbar gewesen. Im Dezember 1942 forderte Georg Reinhart, dass man sich überlegen müsse, auf welche Weise man die Geschäfte nach Ende des Krieges wieder aufnehmen wolle. Wie groß er die Schwierigkeiten einschätzte, lässt sich daraus erahnen, dass Reinhart unter anderem forderte, man müsse zuerst einmal folgende Punkte abklären: „a) welche unserer früheren Agenten in den europäischen Ländern noch existieren und welche (wegen Rassenverfolgung oder aus anderen Gründen) zu existieren aufgehört haben; b) was aus unsern Kunden geworden ist.“52 Entgegen den Befürchtungen konnte Volkart die Handelstätigkeit nach Ende des Krieges relativ schnell wieder aufnehmen. 1946 führte Volkart Bremen – wie auch zahlreiche andere Handelsfirmen – im Auftrag der United Nations Relief and Rehabilitation Administration große Mengen amerikanischer Baumwolle nach Deutschland ein. Der Baumwollimport nach Deutschland wurde bis in die frühen 1950er Jahre durch die Besatzungsmächte kontrolliert, erst dann kam er wieder in die Hände privater Firmen. Auch in anderen europäischen Ländern wurde die Baumwolleinfuhr nach dem Krieg durch die Regierungen kontrolliert, so etwa in Großbritannien, wo die staatliche Importorganisation, die Raw Cotton Commission, erst 1954 aufgelöst wurde.53 Volkart hatte lange Zeit die Maxime verfolgt hatte, keine Baumwollverkäufe gegen Kredit durchzuführen, sondern stets auf Barzahlung zu bestehen. In der Zwischenkriegszeit war die Firma jedoch dazu übergegangen, den Spinnereien in Ostasien und 51 Diese Kompetenzen blieben auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts zentral für den Erfolg im globalen Rohstoffhandel. Vgl. etwa: VA, Dossier 20: VB Organisation 1952/53: HZ, Aide-mémoire on some principles of the cotton-business, 18.3.1953. 52 VA, Konferenz-Protokolle vom 5. August 1941–4. März 1943: Konferenz vom 17. Dezember 1942. 53 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 566 und 585.
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Europa einen Zahlungsaufschub für die Bezahlung der Lieferungen zu gewähren. Dadurch erhöhte sich zwar das Geschäftsrisiko, dafür konnte Volkart so die Marktanteile der Firma steigern oder doch zumindest gegenüber der Konkurrenz verteidigen.54 Nach 1945 wurde dies mehr und mehr zur gängigen Praxis. 1947 gewährte die Geschäftsleitung etwa den französischen Spinnereien eine dreimonatige Zahlungsfrist für den Kauf größerer Mengen brasilianischer Baumwolle.55 Und 1949 bewilligte Volkart auch den deutschen Spinnereien die Lieferung gegen Eigenakzepte, da dies auch von anderen Importeuren so gehandhabt wurde. Der Hauptsitz machte dies aber von verschiedenen Bedingungen abhängig. So wurden Volkart Bremen Limiten für jede Spinnerei und für das Gesamtvolumen der Kredite vorgegeben, die man den Spinnereien gewährte. Weiter wurde verlangt, dass höchstens ein Drittel aller Lieferungen gegen Eigenakzepte erfolgen dürfe. Schließlich wurde die Kreditgewährung davon abhängig gemacht, dass die deutschen Banken bereit wären, die Eigenakzepte der Spinnereien im Rahmen einer bestimmten Limite zu diskontieren, und dass sie im Falle einer Zahlungsunfähigkeit des Spinners keinen Regress auf Volkart nehmen würden.56 Ähnliche Zahlungsaufschübe hatte man in den späten 1940er Jahren auch für Baumwollverkäufe in Jugoslawien und Spanien gewährt, wobei die Kredite durch Zahlungsgarantien lokaler Banken abgesichert worden waren,57 sowie ab Mitte der 1950er Jahre für Verkäufe an Schweizer Kunden.58 Während Volkart in Europa bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges bloß zwei Filialen – in Bremen und London – besessen hatte, wurden in den 1950er und 1960er Jahren in Westeuropa verschiedene neue Tochtergesellschaften für den Baumwollverkauf gegründet. Viele dieser Neugründungen bestanden aber bloß kurze Zeit. So übernahm Volkart 1954 die Liverpooler Firma Woods & Thorburn, die bis dahin als Agentur von Volkart in Lancashire tätig gewesen war. Die neue Tochtergesellschaft wurde 1957 als Filiale der Volkart-Niederlassung in London angegliedert, welche wiederum 1956 in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden war. Da Volkart immer weniger indische Rohstoffe nach Großbritannien einführte, wurde die Filiale in London stark redimensioniert und die Niederlassung in Liverpool wurde vorübergehend zur Hauptniederlassung von Volkart in Großbritannien gemacht. Weil die Textilindustrie in Lancashire im Niedergang begriffen war, schloss Volkart die Liverpooler Filiale 1972, und die britische Niederlassung der Firma wurde wieder nach London verlegt. Die Londoner Filiale wurde ab 1977 vor allem für den Kaffee- und
54 55 56 57 58
Vgl. hierfür Kapitel 3, 8 und 10. VA. Konferenz-Protokolle vom 5. Januar 1945–27. Juni 1947, Konferenz vom 6. Juni 1947. VA, Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947–28. Juni 1949: Konferenz vom 24. Mai 1949. VA, Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947–28. Juni 1949: Konferenz vom 15. Juni 1949. VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 21. Dezember 1956.
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Kakaohandel und die entsprechenden Termingeschäfte an der Londoner Kaffee- und Kakaobörse wichtig für die Firma.59 In Frankreich hatte Volkart in den späten 1950er Jahren die Gründung einer eigenen Tochtergesellschaft ins Auge gefasst.60 Dieser Plan wurde nicht verwirklicht, dafür übernahm Volkart 1961 eine Zweidrittelmehrheit der Société Française d’Importation Cotonnière S.A. (Sofic) aus Le Havre, mit der man seit dem Krieg in enger Beziehung gestanden hatte. 1972 übernahm Volkart auch noch die übrigen Anteile der Sofic, verkaufte diese aber ein Jahr später bereits wieder, nachdem man den Schwiegersohn des langjährigen Sofic-Leiters als Vertreter für Nordfrankreich hatte gewinnen können.61 In Norditalien schließlich gründete Volkart zusammen mit der Firma Alessi, ihren langjährigen Agenten in Mailand, 1958 die Baumwollimportfirma Alcott und übernahm bis 1964 alle Anteile. 1972 wurde die Firma an den bisherigen Leiter der Alcott verkauft, der in den 1950ern als Angestellter für Volkart in Indien, den USA und Mexiko tätig gewesen war. Die Alcott übernahm in der Folge die Vertretung von Volkart für den Baumwollverkauf in Mailand.62 Die Geschichte der Tochtergesellschaften in Italien und Frankreich ist insofern interessant, als beides Mal eine ehemalige Agentur in eine eigene Niederlassung umgewandelt und diese schon nach relativ kurzer Zeit an einen eigenen Manager verkauft wurde, der in der Folge wiederum als Vertreter von Volkart tätig war. Im pazifischen Raum verkaufte Volkart ab den späten 1940er Jahren Baumwolle an Spinnereien in Australien, Hongkong, Taiwan, Südkorea, Südvietnam, Thailand, Indonesien, Singapur und auf den Philippinen. In Afrika besaß man Abnehmer in Marokko, Äthiopien und Südafrika und im Mittleren Osten in Israel und im Libanon. All diese Verkäufe wurden über eigenständige Handelsfirmen durchgeführt, die in den jeweiligen Ländern als Agenturen für Volkart tätig waren.63 Das einzige außereuropäische Land, in dem Volkart nach 1945 eine Niederlassung hatte, die sich nur mit dem Vertrieb der Rohstoffe befasste, war Japan, wo Volkart auf die Tochterfirma Nichizui bauen konnte. 1970 wurde die Nichizui umbenannt in Volkart Japan Ltd.64 59 VA, Dossier 13: London/Liverpool (VB + Woods&Thorburn) / Bremen: V.B. London; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 585f. und 672–74. Volkart überlegte sich in den frühen 1960er Jahren, in Liverpool eine Kooperation mit Ralli Bros. bzw. mit Smith, Coney & Barrett einzugehen. Beide Verbindungen scheiterten aber daran, dass Volkart befürchtete, im neuen Gemeinschaftsunternehmen nicht genügend Handlungsspielraum zu haben: VA, KonferenzProtokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: PR, Ralli Brothers, Office Note vom 15. Juni 1962; Zu Protokoll, 6. September 1962; Zu Protokoll, Ralli Brothers & Coney Ltd., 21.9.1963; Bilanz 1961/62. 60 VA, Bilanzen, Bilanz 1957/58. 61 VA, Bilanzen, Bilanz 1960/61; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 586f. 62 VA, Bilanzen, Bilanz 1958/59; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 586. 63 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 577f., 587f. 64 VA, Bilanzen, Bilanz 1965/66; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 559–61 und 681f.
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Über all diese verschiedenen Tochtergesellschaften und Vertretungen setzte Volkart in der Saison 1960/61 1‘032’000 Ballen Baumwolle um – zu diesem Zeitpunkt ein Rekordresultat für die Firma. Von diesen wurden 330’000 Ballen nach Europa verschifft, 170’000 Ballen gingen nach Japan und 120’000 Ballen wurden im pazifischen Raum abgesetzt. 330’000 Ballen wurden nicht exportiert, sondern innerhalb der Produktionsländer an lokale Spinnereien verkauft, dies betraf neben Indien und Pakistan vor allem die USA und zum Teil auch Brasilien.65 Bis in die frühen 1970er Jahre tätigte Volkart dagegen kaum Geschäfte mit kommunistischen Ländern. Noch 1950 hatte die Geschäftsleitung von Volkart sich auf den Standpunkt gestellt, dass es „es nicht unsere Sache sei, aus politischer Ueberzeugung das Geschäft [mit Ländern des kommunistischen Blocks] zu boykottieren.“ Die Firma machte zu diesem Zeitpunkt allerdings außer mit Polen und Jugoslawien kaum Geschäfte mit Ostblockländern. Allfälligen Bedenken, wonach man durch derartige Lieferungen die kommunistischen Regimes unterstützen würde, begegnete man mit der Überlegung, dass der Import von Rohstoffen nicht nur dem Käufer, sondern auch dem Verkäufer nütze und folgerte, dass „von einer einseitigen Unterstützung dieses Blocks daher eigentlich nicht die Rede sein“ könne.66 1956 hatte man – wohl unter dem Eindruck der Niederschlagung des ungarischen Volksaufstandes – die Weisung erlassen, dass mit den Satellitenländern Moskaus „aus ethischen Ueberlegungen vorderhand keine Geschäfte getätigt werden dürfen.“ Ein Jahr später kam man zum Schluss, dass ein solcher kategorischer Beschluss nicht aufrechterhalten werden könne. Man beschloss jedoch, nur ausnahmsweise Geschäfte mit Ländern des Ostblocks und China zu tätigen (eine Ausnahme machte man bloß für Jugoslawien).67 Ab den frühen 1960er Jahren nahm der Baumwollverbrauch im Fernen Osten stark zu. Volkart importierte zwischen 1966/67 und 1975/76 über die Nichizui im Schnitt 238’000 Ballen pro Jahr nach Japan. Allein in der Saison 1972/73 führte die Firma 667’500 Ballen nach Japan ein. 1970 öffnete zudem China erneut seine Tore für westliche Importe und Volkart begann wieder, wie bereits vor 1954, mit dem Import von Baumwolle nach China.68 Im Gegensatz etwa zu Ralli Bros. & Coney, die 1972 auf einen Schlag 500’000 Ballen amerikanische Baumwolle im Wert von mehr als 150 Millionen Dollar an China verkaufen konnten, bewegte sich das chinesische Geschäfte von Volkart in eher bescheidenem Rahmen.69
65 VA, Bilanzen, Bilanz 1960/61; Dossier 20: VB Organisation 1952/53: KB, 30. April 1953. 66 VA, Konferenz-Protokolle vom 1. Juli 1949–19. Dezember 1952. 67 VA, Konferenz-Protokolle vom 16. Januar 1953–6. Januar 1959: Konferenz vom 21. Februar 1957. Vgl. auch: Konferenz-Protokolle vom 15. Januar 1959–30. März 1965: Zu Protokoll, 15. Dezember 1961; Bilanzen, Bilanz 1961/62. 68 Anderegg, Chronicle, 1976, S. 656. 69 Bowater Organisation, History and Activities of the Ralli Trading Group, 1979, S. 16.
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Krisenhafte Entwicklung ab den 1970er Jahren Anfang der 1960er Jahre beschloss Volkart eine teilweise Diversifikation: „Da unsere Mittel für unsere traditionellen Handelsgeschäfte eher zu groß sind und es nicht sinnvoll ist, sie zu sehr anstelle normaler Bankkredite einzusetzen, haben wir uns nach anderen Möglichkeiten umgesehen“, hieß es in der Bilanz 1961/62. Da Peter Reinhart im Verwaltungsrat der Schweizerischen Bankgesellschaft tätig war, beteiligte man sich mit 5 Millionen Franken an der Kapitalerhöhung der Bank. Weiter gewährte man einem deutschen Warenhaus und einer Privatbank Kredite und beteiligte sich an der Vulcan Shipping and Development Co., die in der Folge verschiedene Öl- und Flüssiggastanker erwarb. Schließlich kaufte Volkart mehrere Immobilien in Winterthur und beteiligte sich in den 1970er Jahren an Industrieunternehmen in Indien. Bereits seit den frühen 1950er Jahren hielt die Firma Anteile am deutschen Suhrkamp Verlag und erwarb in den 1960ern zudem Anteile am Insel Verlag.70 Die teilweise Verlagerung des Firmenkapitals ins Investmentgeschäft scheint aber eher unsystematisch erfolgt zu sein. Erst ab Mitte der 1980er Jahre, nachdem Andreas Reinhart die Leitung der Firma übernommen hatte, stieg Volkart gezielt ins Finanzierungsgeschäft ein. Bis dann lag der Schwerpunkt der Geschäfte weiter im Rohstoffhandel. In den 1950er und 1960er Jahren waren die Baumwollpreise relativ stabil geblieben. Mit dem Einsetzen der Wirtschaftskrise 1973 erfolgte innert kürzester Zeit eine Verdoppelung der Preise, die anschließend äußerst volatil blieben.71 Langfristig halbierte sich der Baumwollpreis zwischen 1973 und 1988, wodurch er wieder das Niveau der frühen 1970er Jahre erreichte.72 Das Handelsgeschäft wurde aufgrund dieser Entwicklungen immer schwieriger. Nachdem die arabischen Erdölproduzenten 1973 eine Drosslung ihrer Fördermenge beschlossen hatten, hieß es in einem internen Memorandum von Volkart: „Even to the biggest optimist it must by now be abundantly clear that the effects can only be negative, that the days in which ‚growth‘ was the most desirable aim are over. We shall at best enter a period of consolidation, more likely one of recession“.73 In den folgenden beiden Jahren erzielte die Baumwollabteilung der Firma zwar noch Gewinne – was nicht zuletzt eine Folge der sich ausbreitenden Jeansmode und der daraus folgenden gestiegenen Baumwollnachfrage war –, doch alles in allem stand der Baumwollhandel unter keinem guten Stern.74 Zum einen traf eine steigende Baumwollproduktion auf eine sinkende Nachfrage der Textilindu70 71 72 73
VA, Bilanzen, Bilanz 1961/62; Anderegg, Chronicle, 1976, S. 645–653. Munro, Cotton, 1987, S. 342. Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 95. VA, Dossier 44, VBH Guidelines 1970–1983 (verfasst von Peter Reinhart): VBH Guidelines No. 33, Winterthur, 28th December 1973. 74 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1974–1977: Betriebsmitteilungen vom 20. November 1975 und vom 15. November 1976.
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strie – was sinkende Preise und das Risiko von Zahlungsausfällen mit sich brachte. Zum anderen hatte gerade Volkart als Schweizer Firma damit zu kämpfen, dass 1973 das System fester Wechselkurse aufgegeben worden war. Dadurch fiel der Dollarkurs gegenüber dem Kurs des Schweizer Frankens. Dies war für Volkart sehr unerfreulich, da das globale Warengeschäft generell in Dollar erfolgte, die Unkosten von Volkart aber zu einem großen Teil in – teurer gewordenen – Franken anfielen und sich somit laufend erhöhten.75 In den späten 1970er Jahren gehörte Volkart zu den sechs umsatzstärksten Baumwollhandelsfirmen der Welt mit einem Weltmarktanteil von geschätzten zehn Prozent.76 Das Ende der festen Wechselkurse hatte eine immer stärkere Hektik auf den Rohstoffmärkten zur Folge. Dazu kam die weitere Verbesserung der Kommunikationstechnologie, die dazu führte, dass alle Marktteilnehmer sich in kürzester Zeit über die Entwicklung von Angebot und Nachfrage informieren konnten. Dies sorgte für eine weitere Reduktion der Margen, was den Konkurrenzkampf im globalen Rohstoffgeschäft zusätzlich verschärfte.77 Diese Entwicklungen beeinflussten auch das Geschäft von Volkart. Obwohl die Firma in der Saison 1978/79 im Baumwollgeschäft eine Umsatzsteigerung von 17% gegenüber dem Vorjahr verzeichnet hatte, erzielte sie enttäuschende Resultate.78 1979 wurde deshalb die Baumwollabteilung in São Paulo geschlossen.79 Außerdem schränkte die Firma im selben Jahr das Geschäft mit Baumwolle aus Ägypten, Peru und dem Sudan ein, nachdem die Exporte aus diesen Ländern aufgrund der der staatlichen Exportmonopole immer problematischer geworden waren.80 Bereits Mitte der 1970er Jahre waren in den USA die Kooperationen mit der Plains Cotton Cooperative Association und der Handelsfirma W. B. Dunavant, die während zehn Jahren bestanden hatten, zu Ende gegangen. Volkart exportierte in der Folge vorübergehend bloß noch geringe Mengen Baumwolle aus den USA.81 1980 erfolgte eine Fusion zwischen der amerikanischen Tochtergesellschaft Volkart Brothers Inc. und der US-Baumwollhandelsfirma Starke Taylor & Son. An der neuen Firma Volkart Taylor Cooper Inc., die ihren Hauptsitz in Dallas hatte, hielt 75 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung vom 20. November 1975 und vom 16. November 1978. 76 Die übrigen fünf Baumwollhandelsfirmen waren Ralli Brothers (UK) mit einem Weltmarktanteil von 10%, Mcfadden Valmac (USA) 10%, W.B. Dunavant (USA) 10%, Tokyo Menkwa Kaisha ( Japan) 5%, Sumitumo ( Japan) 5%: Chalmin, International Trading Companies, 1980, S. 538. 77 Paul Reinhart, 200 Years Reinhart, 1988, S. 5. 78 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung, 7. November 1979. 79 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 164. 80 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung, 22. Februar 1979. 81 Rambousek/Vogt/Volkart, Volkart, 1990, S. 162.
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Volkart einen Anteil von 80%.82 Durch all diese Schritte erfolgte eine Verlagerung des Baumwollgeschäftes in die USA und in den Fernen Osten. Die Baumwollorganisation in Winterthur – die seit den 1860er Jahren das geschäftliche Rückgrat der Firma dargestellt hatte – wurde in der Folge stark verkleinert. Es kam zu Entlassungen und sowohl das firmeneigene Baumwolllabor wie auch das Musterzimmer wurden redimensioniert.83 1988 beschloss die Geschäftsleitung schließlich, das Unternehmen in vier selbständige Teilfirmen aufzuteilen: Gebrüder Volkart AG als Dachgesellschaft für das Kaffeegeschäft, Volcot Holding AG für das Baumwollgeschäft, Volkart Invest AG für die verschiedenen Finanzgeschäfte der Firma, Volkart International AG für das Marketing und alle Handelsgeschäfte neben dem Rohstoffhandel. Vereinigt wurden die vier Teilfirmen unter dem Dach der Volkart Brothers Holding. Das operative Zentrum des Baumwollgeschäfts wurde neu vollständig nach Dallas verlegt. In Europa war nun bloß noch die Tochtergesellschaft in Bremen im Baumwollhandel tätig. Gemäß einer Betriebsmitteilung von Andreas Reinhart, seit 1986 alleiniger Firmeneigner, erfolgten diese Umstrukturierungen aufgrund des Konkurrenzdruckes und wegen den Problemen, die sich aus dem schwachen Dollarkurs ergaben. „Wir sind überzeugt, dass mit dieser Straffung der Organisation die einfachen Strukturen geschaffen sind, um in Zukunft erfolgreich zu bestehen“, hieß es in der Betriebsmitteilung, die mit einer veritablen Durchhalteparole endete: „Wir brauchen jetzt das volle Engagement, den Glauben an Erfolg und nicht zuletzt eine Prise Glück. Dazu sind wir auf Ihre volle Unterstützung angewiesen.“84
Ende der Handelsgeschäfte Die folgenden Jahre brachten aber für den globalen Baumwollhandel keine Entspannung. Hohe Erdölpreise, eine globale Überproduktion bei gleichzeitig sinkenden Weltmarktpreisen und die Wirtschaftskrise in Japan (ab 1991) und anderen Ländern Ostasiens (1997/98) machten das Geschäft immer schwieriger.85 Volkart hatte 1985 den Handel mit Kakao und 1989 denjenigen mit Kaffee eingestellt – der Kaffeehandel wurde von der nun als eigenständiges Unternehmen agierenden Firma Volcafe höchst erfolgreich weitergeführt – und konzentrierte sich in der Folge einer82 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung, 22. Mai 1980. 83 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung, 20. Juni 1980. 84 VA, Dossier 45: Betriebsmitteilungen 1965–1986, Volkart Brothers Ltd. Betriebsmitteilungen 1978–1986: Betriebsmitteilung, 31. Mai 1988. 85 Neue Zürcher Zeitung, 29.12.2000.
Baumwollhandel nach dem Zweiten Weltkrieg
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seits auf den Baumwollhandel und begann andererseits mit einer Diversifizierung in den Finanzbereich.86 Die folgenden Jahre waren durch eine hektische Folge von Umstrukturierungen geprägt. Ende der 1980er Jahre gründete die Firma neue Tochtergesellschaften in Kalifornien, Australien und Hongkong.87 1990 erwarb Volkart die Anderson Clayton Co., eine langjährige Konkurrentin und nach wie vor eine der bedeutendsten amerikanischen Baumwollhandelsfirmen.88 1992 trat man dafür die Tochtergesellschaft in Dallas an die Winterthurer Baumwollhandelsfirma Paul Reinhart AG ab.89 1997 wiederum verkaufte Volkart die Anderson Clayton Co. an die Queensland Cotton Holding, den größten Baumwollverarbeiter Australiens, und übernahm gleichzeitig deren Aktienmehrheit.90 Doch auch diese Umstrukturierung brachte nicht den gewünschten Erfolg. Im Frühjahr 1999 verkaufte Andreas Reinhart deshalb die Baumwollabteilung. Diese wurde zum Teil von der Queensland Cotton übernommen, zum Teil wurde sie vom bisherigen Management weiterbetrieben, welches von nun an unter dem Namen Volcot ein eigenes Baumwollhandelshaus betrieb.91 Volkart war von nun an eine reine Beteiligungsgesellschaft. Die Firma verwaltete verschiedene Immobilien und beteiligte sich unter anderem in den USA an einer Firma, die aus Altglas Reinigungsschwämme und Isolationsmaterial herstellte, in Portugal an einem Ressourcen schonenden Tourismusprojekt, in der Schweiz an einer Solarenergiefirma, in Australien am Anbau ökologisch produzierter Baumwolle und in Kalifornien an einem Unternehmen, das biologische Fungizide herstellte.92 Damit endete nach fast 150 Jahren die Geschichte des Handelshauses Volkart. Doch war diese Geschichte mit dem Verkauf der Baumwollabteilung wirklich zu Ende? Zwar verschwand der Name Volkart aus dem globalen Handelsgeschäft. Aber die Strukturen, die die Firma aufgebaut hatte, und die Mitarbeiter, die bis dahin für Volkart tätig gewesen waren, prägten den Welthandel auch nach dem Rückzug der Firma aus dem aktiven Handelsgeschäft. Dies zeigt, dass der Zwischenhandel auch 86 Vgl. Kapitel 5 und 13. 87 VA, Bilanzen der Volkart Houchin Inc. 1988–1990; Bilanzen der Volkart (Australia) Pty. Ltd. 1988 und 1989: Annual Report 1988/89; Bilanzen der Volcot (Hongkong) Ltd.: Annual Report 1988/1989. 88 http://www.volkart.ch/English/PortraitGeschichteHolding150Jahre.htm; http://www.emerald-ventures.com/team/walterLocher.aspx (19. Januar 2010). 89 Reinhart AG, Reinhart, o. J. [nach 2003]; Interview mit Paul Alfred Reinhart, 2008; http://www.thecottonschool.com/PR%20Bio.pdf (19. Januar 2010). 90 Bilanz, 1.12.1998; http://www.andersonclayton.com/index.cfm?show=10&mid=7&pid=1; http://www.alacrastore.com/mergers-acquisitions/Anderson_Clayton_Corp-3163663 (19. Januar 2010). 91 http://www.volkart.ch/English/PortraitGeschichteHolding150Jahre.htm; www.volcot.ch (19. Januar 2010). Die Firma Volcot wurde im Sommer 2010 liquidiert. 92 Tages-Anzeiger, 1.2.2001.
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Staatliche Interventionen und multinationale Handelsfirmen
noch im 21. Jahrhundert eine wichtige Funktion im globalen Rohstoffhandel spielt und dass unternehmerische Strukturen auch dann nicht verschwinden, wenn das Kapital einer Firma in neue Hände übergeht und die Geschäfte unter einem neuen Namen weiter geführt werden.
Schluss
Die vorangegangenen Kapitel boten am Beispiel der Firma Volkart einen akteurszentrierten Abriss des Welthandels zwischen Mitte des 19. und Ende des 20. Jahrhunderts. Dabei wurde deutlich, dass globale Märkte zu einem nicht unwesentlichen Teil das Resultat von – oft sehr lokalen – sozialen Interaktionen waren. Wie durch eine Lupe konnten mit einem solch handlungstheoretischen Zugang Vorgänge verfolgt werden, die bei makrohistorischen Studien oft nicht in den Blick genommen werden können. Was sind die wesentlichen Resultate?
Vom traditionellen Handelshaus zur multinationalen Handelsfirma Zuerst einmal ließ das Beispiel von Volkart deutlich werden, warum spezialisierte Handelsfirmen eine zentrale Position im globalen Rohstoffhandel einnahmen. Ihre spezifischen Kenntnisse waren unverzichtbar, um eine Mittlerfunktion zwischen Pflanzern und verarbeitenden Betrieben ausüben zu können. Es wäre für Industriefirmen nur mit großem Aufwand möglich gewesen, den Nachschub von Rohstoffen wie Baumwolle, Kokosbast oder Rohkaffee so zu organisieren, dass die Fabrikationsanlagen stets pünktlich mit genügend umfangreichen Lieferungen von stets gleich bleibender Qualität versorgt wurden. Der moderne Rohstoffhandel erforderte ein ausgeprägtes kaufmännisches Geschick und exzellente Geschäftsverbindungen, nicht zuletzt um die Finanzierung der Geschäfte, die Versicherung der Waren sowie die Absicherung gegen Preisänderungen an den Terminbörsen gewährleisten zu können. Und die Anbahnung von Geschäften in den Produktionsländern setzte neben guten Produktkenntnissen auch ein fundiertes Wissen über die Geschäftsverhältnisse in den jeweiligen Märkten voraus. Handelshäuser waren in der Lage, Transaktionskosten zu senken, indem sie die im Fernhandel zwangsläufig auftretenden Informationsund Vertrauenslücken schlossen. Außerdem sorgten sie durch ihre Fähigkeit, Skalenerträge zu erzielen, auch für eine Senkung der Warenpreise auf den Weltmärkten. Indem Handelshäuser über diese Kompetenzen und sozialen Verbindungen verfügten, konnten sie eine unternehmerische Struktur ausbilden, die in der Lage war, die weltumspannenden Handelsnetze zusammenzuhalten. Die Entstehung einer modernen Industrie- und Konsumgesellschaft wäre ohne derart spezialisierte Intermediäre kaum möglich gewesen. Am Beispiel von Volkart ließ sich paradigmatisch der Übergang eines an „vormodernen“ Geschäftspraktiken ausgerichteten Handelshauses zu einem multinationalen Unternehmen beschreiben. In den ersten Jahren nach der Gründung war
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Schluss
Volkart mehr oder weniger ein erweiterter Familienbetrieb. Dieser zeichnete sich insbesondere durch die Konzentration auf ein bestimmtes, regional eingeschränktes Geschäftsfeld aus: den Handel zwischen Indien und Europa. Wie bei vormodernen Handelshäusern üblich, nutzte die Firma ihre Geschäftsbeziehungen sowie ihre Filialen und Lagerräume, um die unterschiedlichsten europäischen Konsum- und Industriegüter – von Glasperlen und Textilien bis hin zu Streichhölzern und Uhren – in den indischen Bazars abzusetzen. Umgekehrt wurden zahlreiche indische Rohstoffe – Gewürze, Baumwolle, Kaffee, Kokosbast, Hölzer – nach Europa verschifft. Eine Spezialisierung auf bestimmte Produkte war zu diesem Zeitpunkt noch nicht erfolgt. Mit der Einrichtung des telegraphischen Verkehrs, dem Bau der indischen Eisenbahnlinien und dem Durchbruch der Dampfschifffahrt erfolgte eine deutliche Neuausrichtung der Geschäfte. Da die Margen im Indienhandel kleiner wurden, kam es zu einem markanten Konzentrationsprozess und einer zunehmenden Spezialisierung in Bezug auf die gehandelten Waren. Der Kommissionshandel verschwand zugunsten des Handels auf eigene Rechnung. Volkart konzentrierte sich ab den 1860er Jahren auf den Baumwollexport aus Indien. Die Firma nahm durch die Eröffnung von Einkaufsagenturen und den Bau von Baumwollentkörnungsanlagen und -pressen im Landesinnern eine geschäftliche Rückwärtsintegration vor, die es ihr insbesondere erlaubte, eine gleichbleibende Qualität der Lieferungen zu garantieren und durch die Ausschaltung der indischen Zwischenhändler Transaktionskosten zu senken. Der Übergang vom traditionellen Kommissionsgeschäft zum Handel auf eigene Rechnung verdrängte nicht zuletzt die indischen Handelsfirmen aus dem Exportgeschäft. Diese waren bis in die 1860er Jahre für mehr als die Hälfte der Baumwollexport nach Europa verantwortlich gewesen. Auch in Europa erfolgte in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine deutliche Ausweitung der Geschäfte. Die Firma baute ein stetig wachsendes Netz von Agenturen in den wichtigen Industriedistrikten auf. Zudem besaß sie hervorragende Kontakte zu Geschäfts- und Handelsbanken, welche die immer umfangreicheren Lieferungen finanzierten, sowie zu Versicherungsunternehmen. Die Firma griff dabei nicht bloß auf bestehende Institute zurück, sondern sorgte in Europa durch die Beteiligung an der 1862 gegründeten Bank in Winterthur und dem 1863 gegründeten Schweizerischen Lloyd auch selber für die Schaffung der für den modernen Welthandel notwendigen Infrastruktur. Dies kann als Beleg für die von verschiedenen Globalhistorikern aufgestellte These gesehen werden, wonach die Entstehung der kapitalistischen Weltwirtschaft nicht als Prozess angesehen werden sollte, der sich ausgehend von einem europäischen Kern langsam über den ganzen Globus verbreitete. Viel mehr spricht dafür, die Entstehung des Kapitalismus und der modernen Welt als das Resultat von globalen Verflechtungsprozessen zu interpretieren.1 1
Vgl. hierzu Lüthy, Die Kolonisation und die Einheit der Geschichte, 1991 [1970], S. 224–227; Bayly, The Birth of the Modern World, 2004.
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Ab den 1920er Jahren entwickelte sich Volkart mehr und mehr zu einem multinationalen Handelshaus mit Filialen und Agenturen in Europa, Süd- und Ostasien sowie in Nord- und Südamerika. Es war nicht zuletzt die Finanzkraft und das ausgebaute Verkaufsnetz der Firma sowie die Möglichkeit, bei europäischen und amerikanischen Banken umfangreiche Kredite zu erhalten, die es Volkart nach Ende der Kolonialherrschaft in Indien relativ problemlos erlaubte, das Geschäfte in die westliche Hemisphäre zu verlagern. Durch den Einstieg ins Kaffeeexportgeschäft aus Brasilien konnte das Unternehmen dabei innert Kürze zu einer der bedeutendsten Kaffeehandelsfirmen der Welt werden. Der Übergang vom Handelshaus traditioneller Prägung zum multinationalen Handelskonzern spiegelte sich auch darin, dass Handelsfirmen wie Volkart ab Ende des 19. Jahrhunderts dazu übergingen, Rohstoffe wie Baumwolle oder Kaffee nicht mehr mittels einer mehr oder weniger groben Beschreibung der Produkteigenschaften in den Industrieländern abzusetzen. Stattdessen entwickelten sie eigene Produkttypen mit standardisierten Eigenschaften. Indem sie somit einen relativ undefinierten Rohstoff in ein firmeneigenes Produkt verwandelten, erleichterten sie den verarbeitenden Betrieben die Bestellungen und sie konnten ihre firmeneigenen Typen als eigentliche Marken im Welthandel etablieren. Dies war jedoch nur möglich, wenn die Handelshäuser über gute Produktkenntnisse, eine leistungsfähige Einkaufsorganisation und ein rigides internes Kontrollsystem verfügten. Auch wenn aufgrund der zunehmenden Bedeutung von Skalenerträgen im globalen Handelsgeschäft eine ähnliche Entwicklung wie bei produzierenden Firmen erfolgte, so zeigt sich bei den Besitzverhältnissen doch ein deutlicher Unterschied zu modernen Industriekonzernen. Da der Handel auf weniger langfristige Investitionen angewiesen war als die industrielle Produktion und bloß kurz- und mittelfristige Kredite benötigte, blieben die meisten modernen Handelsunternehmen in Familienbesitz und waren nicht auf die Ausgabe von Publikumsaktien angewiesen. Zwar beschäftigte auch Volkart ab Ende des 19. Jahrhunderts ein leistungsfähiges Management, welches für die Leitung der Filialen oder der verschiedenen Abteilungen des Konzerns tätig war. Die Mitglieder der Besitzerfamilien Volkart und Reinhart waren jedoch stets aktiv an der Unternehmensführung beteiligt und hatten bei allen wichtigen Entscheiden das letzte Wort. Dies war nicht zuletzt deshalb ein Vorteil, weil der Umstand, dass Volkart ein Familienunternehmen war, zu einer Reduktion von Transaktionskosten führte. Die familiäre Tradition der Firma bürgte für die Stabilität der Geschäftsbeziehungen und war so für die Aufrechterhaltung der oft personalisierten Geschäftsbeziehungen nützlich.
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Handelsgeschichte als relationale Geschichte von Räumen Das Beispiel Volkart erlaubt des Weiteren Aufschlüsse über die Bedeutung von unterschiedlichen Raumkonzepten im Welthandel.2 So zeigte sich, dass die nationale Zugehörigkeit des Handelshauses nur in Ausnahmefällen ein Thema war. Die schweizerische Herkunft der Firma spielte zwar in den beiden Weltkriegen und angesichts der antibritischen Boykottmaßnahmen der indischen Unabhängigkeitsbewegung in den frühen 1930er Jahren eine nicht zu unterschätzende Rolle; gerade in den Weltkriegen wären Niederlassungen eines deutschen oder österreichischen Handelshauses im britischen Empire mit Sicherheit enteignet worden, was unter Umständen das Ende der betreffenden Firma bedeutet hätte. Abgesehen von derartigen Ausnahmesituationen war die nationale Herkunft weder im freihändlerisch ausgerichteten Empire noch später in den USA oder in Lateinamerika ein ausschlaggebendes Kriterium. Im globalen Handelsgeschäft entschied weniger die Nationalität als vielmehr die Kapitalkraft eines Handelsunternehmens und der Zugang zu Bankkrediten über Erfolg und Misserfolg. Und hier waren die Möglichkeiten von Handelshäusern aus den Industrieländern wesentlich besser als diejenigen von Firmen aus den Anbauländern. Doch auch wenn der internationale Rohstoffhandel ab Ende des 19. Jahrhunderts durch eine Handvoll Firmen aus Westeuropa, Japan und den USA kontrolliert wurde, so heisst dies nicht, dass diese Firmen die gesamte Handelskette von den Anbaugebieten bis in die Industriedistrikte beherrschen konnten. Dabei waren weniger die großen Distanzen zwischen den Anbau- und Industrieländern ein Problem. Die Handelshäuser konnten ab Ende des 19. Jahrhunderts geschäftliche Risiken, wie die Beschädigung der Waren oder Preisänderungen während des Transportes, die den Fernhandel bis dahin so riskant gemacht hatten, durch Versicherungspolicen und Termingeschäfte teilweise in den Griff kriegen. In den Anbauländern wurde der Transport der Rohstoffe aus dem Landesinnern zu den Verschiffungshäfen durch den Bau von Eisenbahnlinien und Straßen wesentlich vereinfacht. Doch selbst auf dem indischen Subkontinent, wo die britische Kolonialadministration für eine Vereinheitlichung von Maßen und Gewichten und die Einführung von westlichen Rechtsnormen gesorgt hatte, war es den europäischen Handelsfirmen unmöglich, die ersten zehn bis zwanzig Kilometer zwischen den Inlandmärkten und den Baumwollfeldern zu kontrollieren. Der Grund lag darin, dass der Baumwollanbau vollständig durch lokale Geldverleiher finanziert wurde, die damit auch den Vertrieb der Ernten in den Inlandmärkten vornahmen. Der große Einfluss der indischen Geldverleiher und Zwischenhändler vereitelte letzten Endes die Anstrengungen der kolonialen Administration, auf dem Subkontinent diejenigen hochklassigen Baumwollsorten anzubauen, die von den Spinnereien in Lancashire nachgefragt wurden. 2
Für einen flexiblen Umgang mit räumlichen Grenzen im Rahmen globalhistorischer Untersuchungen plädiert unter anderem auch Feierman, Afrika in der Geschichte, 2002, S. 55.
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Als Folge davon wurde Indien trotz der britischen Kolonialherrschaft nie der wichtigste Baumwollzulieferer der britischen Textilindustrie, wie sich das die britischen Kolonialbeamten ausgemalt hatten. Stattdessen wurde die indische Baumwolle im späten 19. Jahrhundert vor allem in Kontinentaleuropa und ab der Jahrhundertwende immer mehr in Indien, Japan und China konsumiert, wo eine leistungsfähige Textilindustrie entstanden war. Dieses Zusammenspiel von lokalen und globalen Entwicklungen kann als Prozess der Glokalisierung verstanden waren. Die Handelströme der indischen Baumwolle zeigen, dass Märkte und territoriale Grenzen oft nicht deckungsgleich waren. Selbst in der Kolonialzeit gingen Rohstofflieferungen nicht immer von der Peripherie in die jeweilige Metropole. Zudem wurde ab den 1920er Jahren vermehrt amerikanische, ägyptische und brasilianische Baumwolle an asiatische Spinnereien verkauft – ein Beleg dafür, dass Industrialisierung als globales Phänomen angesehen werden sollte, das den Welthandelsströmen mittelfristig durchaus eine neue Richtung verleihen konnte.3 Das war wiederum eine Chance für multinationale Handelsfirmen, die durch ihr weltweites Filialnetz und ihre Kapitalkraft von derartigen Verschiebungen der weltwirtschaftlichen Gleichgewichte profitieren konnten. Die Industrialisierung im asiatischen Raum eröffnete Firmen wie Volkart zudem die Möglichkeit, europäische Maschinen nach Ländern wie Indien, China und Japan zu importieren. Dies zeigt, dass die Kompetenzen von Handelsfirmen nicht nur im Rohstoffhandel gefragt waren. Auch Industriefirmen nahmen das lokale Wissen dieser Unternehmen in Anspruch, wenn sie in neue, noch wenig vertraute Märkte vorstossen wollten.
Fragen der Periodisierung Ein akteurszentrierter Zugang erlaubt auch Überlegungen zur Periodisierung des Welthandels. Gerade die Zwischenkriegszeit macht deutlich, dass die Geschichte von multinationalen Firmen nicht unbedingt mit den bekannten Parametern der politischen Geschichte übereinstimmt. Politische Ereignisse wie die beiden Weltkriege, die Einrichtung der Kolonialherrschaft oder die Entkolonialisierung prägten zwar auch die Tätigkeit der Handelshäuser. Wirtschaftliche und technische Entwicklungen – wie die Industrialisierung in Asien, die Beschleunigung von Transport und Kommunikation ab Mitte des 19. Jahrhunderts und dann wieder ab den 1970er Jahren – hatten jedoch längerfristig einen mindestens ebenso großen Einfluss auf das Handelsgeschäft. Wie also ließe sich ausgehend von der Geschichte von Volkart die Entwicklung des Welthandels zwischen Mitte des 19. und Ende des 20. Jahrhunderts zeitlich glie3
Vgl. zur Industrialisierung als globalhistorisches Phänomen u.a. Osterhammel, Die Verwandlung der Welt, 2009, S. 111.
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dern? Es scheint ratsam, hier nicht ein isoliertes Kriterium zu wählen, sondern die Geschichte des Welthandels als Übereinanderliegen verschiedener Zeitebenen zu interpretieren. Auf einer ersten Ebene beeinflussten technische Innovationen das Handelsgeschäft. So etwa der Durchbruch von Eisenbahn, Telegraphie und Dampfschifffahrt Ende des 19. Jahrhunderts oder die Verbreitung von Telekommunikation, Computerisierung, Flugverkehr oder Containertransport ab den 1970er Jahre. Beide Male sorgten diese technischen Veränderungen für eine Dynamisierung des Handels und einen markanten Konzentrationsprozess. Während die erstgenannte Entwicklung Volkart ab den 1860er Jahren zum Großunternehmen werden ließ, verstärkten die technischen Innovationen Ende des 20. Jahrhunderts die Volatilität des Rohstoffhandels und waren mit verantwortlich dafür, dass sich Volkart aus dem Handelsgeschäft zurückzog. Eine zweite Zeitebene ergibt sich durch das Phänomen des Imperialismus. Die Politik der westlichen Imperialmächte öffnete die asiatischen Märkte für westliche Kaufleute und prägte so den Asienhandel während eines guten Jahrhunderts. Das Ende des kolonialen Zeitalters war für westliche Handelsfirmen denn auch verschiedentlich gleichbedeutend mit der Aufgabe ihrer Geschäftstätigkeit im asiatischen Raum. So musste sich Volkart nach der Machtübernahme der Kommunisten aus China zurückziehen. Und die Unabhängigkeit von Indien, Pakistan und Ceylon verunmöglichte längerfristig das bis dahin so einträgliche Handelsgeschäft auf dem Subkontinent. Eine dritte Ebene ergibt sich durch die zunehmende Politisierung des Welthandels. Hier stellen insbesondere die 1920er Jahre einen markanten Einschnitt dar. Viele Anbauländer griffen immer stärker in den Exporthandel ein, um angesichts der globalen Überproduktion und der weltwirtschaftlichen Stagnation das Einkommen ihrer Bauern und Grundbesitzer zu sichern. Nach Ende des Zweiten Weltkrieges verstärkten sich politische Interventionen in den internationalen Handel. Einerseits bemühten sich die ehemaligen Kolonien, den Rohstoffexport zugunsten der Förderung der eigenen Industrie zurück zu binden. Andererseits wurden Exportquoten festgesetzt, wie dies etwa im Rahmen des Internationalen Kaffeeabkommen geschah. Diese staatlichen Eingriffe verloren erst gegen Ende des Jahrhunderts durch das Aufkommen einer neoliberalen Wirtschaftspolitik und das Ende des Kalten Krieges schrittweise an Bedeutung.4
4
Indem die 1860er und die 1970er Jahre als Daten identifiziert werden können, an denen sich die Tätigkeit multinationaler Handelsfirmen grundsätzlich änderte, ergibt sich eine interessante Parallele zur Periodisierung, die Charles Maier mit seinem Territorialitätskonzept vorgeschlagen hat. Auch Maier vertritt die Ansicht, dass Eisenbahn/Telegraphie bzw. Computerisierung/Telekommunikation einen wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung der Globalgeschichte hatte: Maier, Consigning the Twentieth Century, 2000.
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All diese Daten – die 1860er, 1920er, 1950er, 1970er/80er Jahre – markierten auch Einschnitte in der Geschichte von Volkart. Dabei zeigt sich jedoch, dass multinationale Handelshäuser durchaus flexibel auf solche Herausforderungen zu reagieren wussten. Das Ende des Ersten Weltkriegs etwa stellte ein weniger großes Problem für die Tätigkeit von global operierenden Handelsfirmen dar, als man dies angesichts der Tatsache, dass die Zwischenkriegszeit in der wirtschaftsgeschichtlichen Literatur häufig als Zeitalter der Deglobalisierung charakterisiert wird, vermuten würde. Die Handelshäuser begegneten den weltwirtschaftlichen Verwerfungen durch eine Ausweitung der Geschäfte in neue Länder und Kontinente. Volkart wurde nicht zufällig ausgerechnet in den 1920er Jahren zu einem echten global player. Die politischen Interventionen bedeuteten oft gerade nicht das Ende von grenzüberschreitenden Geschäften, sondern sie boten international operierenden Firmen zum Teil die Möglichkeit, zu staatlich subventionierten Großaufträgen zu kommen. Wo die territoriale Kontrolle der Nationalstaaten allzu hinderlich wurde, versuchten Firmen wie Volkart, sich diesen zu entziehen. Dies gelang ihnen nicht zuletzt deshalb, weil die räumliche Ausdehnung ihrer Firmenstruktur den Einflussbereich einzelner Regierungen überstieg. Multinationale Rohstoffhandelsfirmen wie Volkart nutzten dies etwa durch das Verschieben von Gewinnen in steuergünstig gelegene Niederlassungen oder durch das Umgehen von politischen Vorgaben wie dem Kaffeeabkommen mit dem Engagement in tourist coffee. Dies zeigt noch einmal, dass nationalstaatliche Grenzen und die Geschäftsfelder von multinationalen Firmen im 20. Jahrhundert oft quer zueinander lagen und es verweist darauf, dass sich Globalisierungsprozesse oft durch ein hohes Maß an Dialektik auszeichneten.
Handelsgeschichte als Kulturgeschichte Das Beispiel von Volkart ließ auch deutlich werden, dass wirtschaftliches Handeln immer sozial eingebettet und kulturell vermittelt ist. Die unternehmerische Tätigkeit von Volkart zeichnete sich durch eine vorsichtige Geschäftspraxis, den Verzicht auf spekulative Tätigkeiten und das Bemühen, vertragliche Bestimmungen unter allen Umständen einzuhalten, aus. Nicht unwesentlich war hierbei, dass Volkart ein Familienunternehmen war, da dies von den Geschäftspartnern als Garantie für die Zuverlässigkeit der Firma angesehen wurde. Die unternehmerische Kultur des Unternehmens stellte eine informale Institution dar, die das Vertrauen schuf, welches für die Aufnahme und Aufrechterhaltung von Geschäftsbeziehungen notwendig war. Sie war nicht zuletzt deshalb so wichtig, weil der globale Rohstoffhandel durch eine überraschend kleine Zahl von Akteuren bestimmt wurde, die sich oft persönlich kannten und deren Firmen oder Familien über Generationen hinweg Geschäftsbeziehungen unterhielten. Opportunistisches Verhalten konnten sich Handelsfirmen in einem solchen sozialen Kontext schlicht nicht leisten. Zudem lohnte sich so die Aufrechterhal-
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tung von langfristigen Geschäftskontakten. Volkart verzichtete verschiedentlich auf kurzfristige Profite zugunsten der Pflege von Beziehungen zu langjährigen Kunden. Interessanterweise wurden derartige Entscheide kaum einmal auf der Basis von preisrationalen Überlegungen durchgeführt. Innerhalb der Firmenleitung herrschte die Ansicht vor, das es für ein Familienunternehmen wie Volkart ausgeschlossen war, der firmeneigenen Tradition untreu zu werden. Dies kann als Hinweis auf die historische Pfadabhängigkeit der unternehmerischen Entscheide angesehen werden. Zudem lässt es deutlich werden, dass sich im Denken und Handeln von wirtschaftlichen Akteuren ökonomische und nichtökonomische Motive oft nicht klar trennen lassen. Es bedarf jedoch weiterer Untersuchungen um zu klären, inwiefern die Pflege von sozialen Beziehungen eine Praxis war, die vor von allem von europäischen Handelshäusern gepflegt wurde. Dass sich die Geschäftspraktiken einzelner Handelshäuser durchaus unterscheiden konnten, erfuhr Volkart bei der Expansion in die USA. Dabei wurde man gewahr, dass die amerikanischen Baumwollhändler oft wesentlich weniger Rücksicht auf die Bedürfnisse der Kunden nahmen und mehr auf kurzfristige Gewinne aus waren, was bei Volkart zu einigen innerbetrieblichen Spannungen führte. Das Unternehmen war zudem weit mehr als eine Organisation, welche unspezifische Marktsignale in die Errichtung einer bestimmten Betriebsstruktur und das Erbringen von bestimmten Dienstleistungen übersetzte. Auch das Innere der Firma lässt sich als kulturell geprägtes soziales Beziehungsgeflecht interpretieren. Im Falle von Volkart stellte das Konzept der Betriebsfamilie ein wichtiges Instrument zur Lösung des Prinzipal-Agent-Problems dar. Dieses Konzept war nicht zuletzt aufgrund der Tatsache sinnstiftend, dass Volkart ein Familienunternehmen war. Die Beziehung zwischen Firmeneignern und Angestellten wies damit eine personalisierte Note auf. Zwar wurde ab den 1870er Jahren ein ausgefeiltes Monitoring eingeführt. Bloße Kontrollmaßnahmen waren jedoch wegen der großen Distanzen zwischen den einzelnen Niederlassungen und der verantwortungsvollen Tätigkeit der einzelnen Angestellten nicht ausreichend, um opportunistisches Verhalten zu unterbinden. Die Förderung eines betrieblichen Gemeinschaftsgedankens war deshalb zentral für den Erfolg der Handelsfirma. Doch auch die Angestellten konnten auf Basis des Konzepts der Betriebsfamilie Ansprüche an die Firmeneigener anmelden. Dies zeigt, dass dieses kulturelle Konzept weit mehr war als ein strategisches Instrument, welches die Prinzipale zur Reduktion von Transaktionskosten anwenden konnten. Die Betriebsfamilie stellte eine symbolische Kategorie dar, welche gewissermaßen die Essenz des Unternehmens ausdrückte und auf die sich alle Firmenangehörigen für die Formulierung ihrer Interessen beziehen konnten. Dies zeigte sich auch in den indischen Niederlassungen, wo die betriebliche Hierarchie eindeutig ethnisch geprägt war. Doch auch wenn die indischen Angestellten bis mindestens in die 1930er Jahre schlechter gestellt waren als die Europäer, konnten auch sie das Konzept der Betriebsfamilie in Anspruch nehmen, um gegenüber der Firmenleitung ihre Anliegen vorzutragen.
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Die ausgeprägte innerbetriebliche Stabilität und die Pflege der Beziehungen zu Geschäftspartnern waren die Voraussetzung dafür, dass es der Firma gelang, langfristige Kooperationen mit anderen Kaufleuten einzugehen und aufrecht zu erhalten. Volkart bewerkstelligte den Eintritt in neue Märkte jeweils dadurch, dass die Geschäfte zuerst über netzwerkartige Kooperationen mit einheimischen Kaufleuten betrieben wurden, bevor die Firma begann, die Niederlassungen in den jeweiligen Ländern unter ihre Kontrolle zu bringen. Dies geschah in Indien ab Mitte und Japan beziehungsweise China ab Ende des 19. Jahrhunderts, in den USA ab Anfang des 20. Jahrhunderts und in Lateinamerika ab den 1920er Jahren (wobei die Geschäfte außer in Indien anfänglich überall über formal selbständige Agenten abgewickelt wurden). Damit schlug die Handelsfirma einen ähnlichen Weg ein, wie er als typisch für die Internationalisierung von Industrieunternehmen beschrieben wurde.5 Darüber hinaus arbeitete die Firma jedoch in verschiedenen Teilen der Welt mit lokal etablierten Kaufleuten zusammen, die als Agenten oder in Indien als Broker oder shroffs für die Firma arbeiteten. Diese Kooperationen wurden oft über mehrere Generationen weitergeführt. Die große Bedeutung, die solche Netzwerke für das Handelsgeschäft hatten, und ihre oft erstaunliche Stabilität zeigen, dass die Frage nach den Grenzen einer Firma oft schwerer zu bestimmen ist, als es auf den ersten Blick erscheint. Funktional würde es durchaus Sinn machen, die jeweiligen Kaufleute, die ja in der Regel vertraglich an das Unternehmen gebunden waren, als peripheren Bestandteil der Firma anzusehen. Wenn man ein Handelshaus wie Volkart als Teilnetz der weltwirtschaftlichen Verflechtung ansieht, so stellten die Beziehungen zu Agenten, Brokern, shroffs und Kompradoren den Ort dar, an dem dieses Netz gewissermaßen ausfranste beziehungsweise sie markieren die Stelle, wo die europäische Firma mit anderen Teilen des globalen Handelsnetzwerkes verflochten war. Hierbei ist eine weitere wichtige Erkenntnis dieser Studie, dass – zumindest in Bezug auf die Elite der jeweiligen Kaufmannschaft – kein kultureller Graben zwischen einer europäischen und einer asiatischen Geschäftspraxis ausgemacht werden konnte. Europäische Handelshäuser waren zwar in Asien mit einer ihnen fremden geschäftlichen Umwelt und einem ungewohnten Klima konfrontiert. Sie fanden aber in der dortigen Kaufmannselite ein Gegenüber, welches hinreichend ähnliche Geschäftsprinzipien einhielt, damit erfolgreiche Kooperationen möglich waren. Die kulturelle Prägung der Geschäfte soll jedoch nicht über eine grundlegende Problematik des modernen Welthandels hinwegtäuschen. Volkart vertrat als Unternehmen zwar stets ehrbare kaufmännische Werte. Gegenüber Kunden und Geschäftspartnern verhielt man sich in der Regel äußerst fair und auch den Angestellten bot man gute Arbeitsbedingungen. Dies ändert jedoch nichts an der Tatsache, dass das Unternehmen – wie auch andere Rohstoffhandelsfirmen – aus dem globalen 5
Johanson/Wiedersheim-Paul, The Internationalization of the Firm, 1975.
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Handelsgeschäft sehr ansehnliche Profite zu ziehen vermochte. Demgegenüber konnten die Landarbeiter und Kleinbauern, die rund um den Globus die Rohstoffe anpflanzten, mit denen Volkart Handel trieb, im besten Fall ihr Überleben sichern. Dies zeigt, dass die Verteilung der Gewinne im globalen Handelsgeschäft weniger von der moralischen Integrität der einzelnen Akteure abhing, sondern vielmehr eine Folge der strukturellen Ausdifferenzierung zwischen industriellen Zentren und agrarischen Peripherien darstellte, durch welche die kapitalistische Weltwirtschaft der letzten eineinhalb Jahrhunderte gekennzeichnet war.
Dank
Diese Arbeit hätte nicht entstehen können ohne die Unterstützung einer großen Zahl von Personen in den verschiedensten Teilen der Welt. Ein besonderer Dank gilt Andreas Reinhart, der mir den Zugang zum Volkart-Archiv gestattete und damit diese Arbeit überhaupt erst ermöglichte, sowie Veronika Lüscher und Inge Corti von der Volkartstiftung, die es mit Fassung trugen, dass ich monatelang ihr Sitzungszimmer in Beschlag nahm, um in verstaubten Akten zu wühlen. Es soll jedoch explizit darauf hingewiesen werden, dass diese Studie nicht im Auftrag der Firma Volkart entstand und auch nicht durch diese finanziert wurde. Außerdem möchte ich mich bei meinen Gesprächspartnern und Gesprächspartnerinnen in der Schweiz und in Zentralamerika bedanken, die sich bereit erklärten, mir Auskünfte über das Kaffeegeschäft von Volkart zu gewähren. Weiter danke ich Jürgen Osterhammel, der sich spontan für das Thema interessierte und durch seinen Vorschlag, ein Projektgesuch bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft einzureichen, die Rahmenbedingungen für die Entstehung dieser Studie ermöglichte. Sein fundiertes Wissen über globalhistorische Prozesse und seine stetige Ermutigung haben diese Arbeit weit stärker befördert, als ihm selbst bewusst sein dürfte. Jakob Tanner hat mir noch während meiner Assistenzzeit an der Universität Zürich den Freiraum und die institutionellen Rahmenbedingungen gewährt, damit ich mich nach Abschluss meiner Dissertation in die Thematik dieser Arbeit einarbeiten konnte. Hartmut Berghoff ermöglichte mir, ein Forschungssemester an der Georg-August-Universität Göttingen zu verbringen, was mir die Gelegenheit gab, mich vertieft mit den unternehmenshistorischen Aspekten des internationalen Handels zu beschäftigen. Weiter danke ich Sven Beckert für seine wertvollen Hinweise zur globalen Geschichte der Baumwolle und für eine Einladung an die Harvard University im Frühjahr 2008. Die Möglichkeit, das Projekt im Rahmen des von ihm veranstalteten Workshops zur politischen Ökonomie des modernen Kapitalismus zu präsentieren, hat der Arbeit im richtigen Moment neue Impulse verliehen. Tom Tomlinsson und William Gervase Clarence-Smith danke ich dafür, dass sie mir einen viermonatigen Gastaufenthalt an der School of Oriental and African Studies in London ermöglichten. Christian Kleinschmidt und Clemens Wischermann möchte ich dafür danken, dass sie sich spontan bereit erklärten, diese Arbeit, die 2010 als Habilitationsschrift an der Universität Konstanz eingereicht wurde, mit zu begutachten. Verschiedenen weiteren Forscherinnen und Forschern verdankt diese Arbeit wertvolle Hinweise. Speziell erwähnen möchte ich Christiane Berth, Margrit Müller, Niels P. Petersson, Roman Rossfeld und Andreas Zangger für unzählige Gespräche und Tipps sowie die Lektüre einzelner Teile dieser Arbeit. Darüber hinaus profitierte
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Dank
die Studie wesentlich vom Austausch mit Ravi Ahuja, Mark Casson, Pierre-Yves Donzé, Alexander Engel, Jörg Fisch, Harald Fischer-Tiné, Bernd-Stephan Grewe, Gisela Hürlimann, Harold James, Geoffrey Jones, Gesine Krüger, Takafumi Kurosawa, Alf Lüdtke, Aditya Mukherjee, Gertrud Peters, Shalini Randeria, Ralf Richter, Mario Samper, Hansjörg Siegenthaler, Tirthankar Roy, Steven Topik, Thomas Welskopp, Dorothee Wierling und Michael Zeheter. Weiter bin ich all den Archivaren und Bibliothekaren zu Dank verpflichtet, die mir so bereitwillig mit Rat und Tat beistanden. Pedro Monzón (in Guatemala), Andrea Montero (in Costa Rica) und Shripad Wagale (in Mumbai, Indien) waren mit ihrem Wissen um die besonderen Gepflogenheiten in den jeweiligen Archiven und Bibliotheken eine unschätzbare Hilfe bei meinen Auslandaufenthalten. Für die großzügige finanzielle Unterstützung des Projektes bin ich der Deutschen Forschungsgemeinschaft zu tiefem Dank verpflichtet. Durch weitere Unterstützungsbeiträge haben der Schnitter Fonds für Technikgeschichte der ETH Zürich, der Schweizerische Nationalfonds sowie das Exzellencluster „Kulturelle Grundlagen von Integration“ der Universität Konstanz zum Gelingen dieser Arbeit beigetragen. Meinen Eltern danke ich für die stete Unterstützung und das Interesse, welches sie auch dieser Arbeit entgegen brachten. Und schließlich danke ich Karin S. Moser, die nicht nur immer wieder Teile dieser Arbeit gelesen hat und ihr Zustandekommen durch ihre scharfsinnigen Bemerkungen und ihre stetigen Ermutigungen befördert hat, sondern während meiner Auslandaufenthalte auch sicher stellte, dass unser Haushalt weiter funktionierte. Meiner Tochter Liora danke ich dafür, dass sie mich immer wieder vom Computer wegholte und dafür sorgte, dass ich auf Spielplätzen, in Reitställen und Badeanstalten wieder auf andere Gedanken kam.
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Anhang Profit- & Loss Account 1925–1953 (in Franken) (Quelle VA, Vermögensaufstellungen)1
1
Jahr
Gewinn/Verlust
1925 1926 1927 1928 1929 1930 1931 1932 1933 1934 1935 1936 1937 1938 1939 1940 1941 1942 1943 1944 1945 1946 1947 1948 1949 1950 1951 1952 1953
1’569’483.– –3’729’077.– –7‘990‘349.– –1‘506‘262.– 52‘279.– –8‘326‘294.– –14’779’280.– –7‘939’553.– –10’55‘085.– –906’292.– –748’389.– £ 100’930.–* £ 31’818.– 1’487’603.– 4’570’904.– 3’561’658.– 1’792’718.– 1’886’872.– 1’939’072.– 3’386’452.– 2’060’975.– 3’835’772.– 2’162’015.– 3’796’576.– 3’267’210.– 4’603’938.– 7’621’468.– 402’748.– 1’555’090.–
1936 und 1937 wurden die Bilanzen ausnahmsweise in £ abgeschlossen
495
Anhang
Bilanz nach Gewinnverteilung 1965–1990 (in Franken) (Quelle: VA, Bilanzen der Gebr. Volkart Holding AG)
Jahr
Bilanzsumme
1965 1966 1967 1968 1969 1970 1971 1972 1973 1974 1975 1976 1978 1979 1980 1981 1982 1983 1984 1985 1986 1987 1988 1989 1990
74’729’194 keine Zahlen 97’735’569 108’159’757 129’628’320 144’050’892 127’069’455 124’529’933 127’909’680 115’970’208 117’282’922 keine Zahlen 120’530’969 136’308’749 148’278’797 153’230’681 159’762’660 172’903’306 176’090’324 204’235’358 168’746’300 166’168’044 153’283’398 181’476’206 169’540’203
Reingewinn 641’529 keine Zahlen 3’799’813 566’596 1’456’824 1’588’265 6398 1’454’930 2’416’678 -12’259 6’386’459 keine Zahlen 3’684’048 1’272’643 10’200’179 5’770’737 7’342’479 3’989’601 7’052’885 5’565’027 20’593’106 11’343’202 -3’957’494 3’233’572 -30’373’444
496
Anhang
Mitarbeiterzahlen bei Volkart in den Jahren 1938 und 1947. (Quelle: VA, Konferenz-Protokolle 4. Juli 1947 – 28. Juni 1949: Memorandum von PR, 28.11.47)
1938 Indien/Ceylon
113 Europäer 31 attached Experts 0 2 Indian officers 1519
1947 118 6 6 Erectors 58 2585 ind. Clerical u. Menial Staff
100
98
London
21
26
USA/Canada VB Inc. NY VB Inc. NO VB Inc. Memphis VB Co. VB (Canada Ltd.) Magnolia
23 – – – – –
70 42 4 6 2 12
Brazil/Sao Paulo
–
6
Shanghai (exkl. Chinese)
4
6
8 ca. 150
1 18
25
6
Winterthur
Nichizui Europäer Japaner Bremen
Volkart Brothers Ralli Brothers Ltd. Nippon Menkwa K. K. Toyo Menkwa K. K. Gosho Kabushiki Kaisha Langley & Co. Narsy Nagsy & Co. Kilachand Dechand&Co. Viram Ladha & Co. Bombay Co. Ltd. Patel Cotton Co. Ltd. Kotak & Co. Arjun Khimji & Co. Madhavdas Amarsey&Co. Anandilal Podar & Co. Bhaidas Cursondas & Co. S.R. Tulshan & Co. Raghavji Kanji & Co. Narandas Rajaram & Co. Anderson Clayton & Co. J. G. Shah E. Spinner & Co. Shamji Karamshi & Co. B. Harakchand & Co. Gili & Co. Sundry Shippers Total
Exporters
British German French Italian Spanish Ports Ports Port Ports Ports 68,113 38,091 51,766 36,184 10,055 74,482 34’181 6,234 13,125 11,365 250 16,895 9,223 10,593 1,382 ---15,334 605 ------580 7,962 1,866 6,382 3,185 1,500 6,032 35,606 15,752 3,757 385 ---------330 6,105 34,989 32,003 17,037 26,866 186 255 41,396 14,219 4,920 265 2,460 12,678 14,201 11,050 7,402 100 34,639 22,211 13,066 ---200 3,300 715 440 ------250 ---250 ---------------420 220 4,295 1,921 3,158 ---8,554 15,058 575 8,947 1,550 ---3,186 2,384 490 ------110 ------935 1,460 11,765 18,322 2,251 512 4,225 10,395 3,393 5,250 ------650 ------4,250 1,000 8,674 16,281 810 ------------1,815 ------1,867 4,683 55 113 60 21,786 1,650 220 68,951 38,941 29,911 12,447 15,766 492,381 271,227 178,732 110,707 68,717
Dutch Belgian Sundry Total Ports Ports Ports Europe 14,602 67,508 18,529 304,848 9,587 41,494 27,009 217,477 156 2,848 1,342 42,698 110 ---62 16,111 660 3,170 1,805 25,610 2,170 15,239 1,181 81,267 110 1,695 330 2,850 550 13,118 8,555 139,223 1,300 5,699 6,650 74,325 63,110 3,956 20,117 1,383 87,959 1,340 6,285 2,916 5,965 440 715 155 610 ------110 ------------14,955 ---4,110 831 56,159 355 22,280 390 10,739 110 550 2,469 110 ---------37,461 220 2,308 200 26,832 362 2,245 450 5,283 220 4,363 ---37,533 2,439 2,194 1,985 2,489 ---665 ---13,905 220 2,690 4,390 28,042 165 3,013 1,025 225,841 2,863 49,726 7,236 43,944 272,032 89,003 1,526,743 183,545 103,698 234,072 261,561 200,124 104,446 172,908 26,689 76,961 34,366 6,700 88,690 85,467 66,982 47,523 ---38,820 47,316 5,639 11,052 35,380 ---33,528 16,793 100 247,382
Japan 40,906 ---30,200 14,077 13,200 9,082 5600 1,200 ------253 ------500 2,000 ------------------------------2000 119,081
China
Cotton Exports from India to all Destinations. Season 1935/36 (from 1st September 1935 till 31st August 1936 [published by Volkart Bros.]. ) (Quelle: VA, Dossier 3: Bombay I, 9. Cotton Statistics).
U.S.A. Grand etc. Total 22,902 552,201 21,829 343,004 ---305,970 ---291,749 ---238,934 4,357 199,152 ---181,358 2,075 139,187 ---151,586 14,347 116,823 1,732 96,644 ---94,655 ---86,077 ---67,428 ---64,478 ---56,159 ---49,559 ---47,426 25 43,125 2,892 40,749 ---40,613 ---37,833 ---36,008 ---30,698 2,404 30,546 17,570 492,793 90,133 3,865,555
Anhang
497
–94608
£ 2660
21797
–402 28905 –7369 44111 29777 –51513 –13207 –40365 13157 23220 –38443
Cochin (in Rs.)
20247 10199 –10782 20789 140662 72111 25547 7130 55164
Kurrachee (in Rs.)
Tellicherry (in Rs.)
* in Cochin 1874/75 zusätzlicher Verlust durch den Fall Marcar: 556000 Rs.
1870/71
1851/52 1852/53 1853/54 1854/55 1855/56 1856/57 1857/58 1858/59 1859/60 1860/61 1861/62 1862/63 1863/64 1864/65 1865/66 1866/67 1867/68 1868/69 1869/70
Bombay Colombo (in Rs.) (ab 74/75 in Rs.) 4400 24028 37630 80264 85065 465210 40370 £ – 6764 94656 79520 £ 4208 67932 £ 152 64136 £ 4728 135610 £ 2564 206966 £ 5756 8104 £ 2118 200000 £ 6734 270000 £ –94 277751 £ 4720 172289 £ 2480 101636 £ 3393
Geschäftsergebnisse (Nettozahlen) 1851/52–1913/14 (Quelle: VA, Statistik der Gebrüder Volkart 1851/52–1913/14)
Tuticorin (in Rs.)
Madras (in Rs.)
Winterthur (in Fr.)
140950
Shanghai Generalbilanz ( in Taels) (in Fr.)
498 Anhang
1871/72 1872/73 1873/74 1874/75 1875/76 1876/77 1877/78 1878/79 1879/80 1880/81 1881/82 1882/83 1883/84 1884/85 1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90 1890/91 1891(92 1892/93 1893/94 1894/95
Bombay Colombo (in Rs.) (ab 74/75 in Rs.) 133848 £ 8673 129141 £ 6722 150744 £ –1142 28901 Rs. 109298 157291 31720 205196 95161 185392 –5297 99727 49712 127838 –10422 233750 –2116 346080 –19661 291262 83438 –805839 57433 235851 30817 221750 –93039 183573 –88599 –457625 –11958 –160384 –58342 99409 2829 73693 75656 191766 83904 134729 72282 –68796 –3446 –200582 –2311 Cochin Kurrachee Tellicherry (in Rs.) (in Rs.) (in Rs.) 60364 18134 16804 –741 –101807 –41168 –259822* 22709 –36078 –9349 19316 63986 –6300 –7339 61020 –13800 33153 –3543 –59128 35211 91258 16860 77244 –14565 7553 29255 15956 –17205 2482 213602 81964 –7419 –69494 84749 36651 61392 59234 10691 –30250 57820 17937 228555 22331 –177204 –85253 –34739 –16834 –48890 8921 29148 –67943 25745 85894 44155 37187 66155 76385 74498 75594 54159 73719 119683 78324 24688 23092 19856 13225 28410 27238 25601 41985 41149
Tuticorin (in Rs.)
–19394 –19776 11940 21746 7209 11791 17490
Madras (in Rs.)
39027 –2218 –52358 39480 14671 13501
Winterthur (in Fr.)
Shanghai Generalbilanz ( in Taels) (in Fr.) 820853 917 –156574 431618 378349 973438 573087 –149640 771867 685608 834540 1177842 –1253414 699681 125491 541139 –505009 –803580 46523 453707 833155 906276 317319 332587
Anhang
499
11690090
Total
2445730
1569020
48948 126438 114823 156040 170296 94470 126614
19076 91479 79260 100383 109032 70288 70168
672548 1264309 721692 243094 –226159 633153
1908/09 1909/10 1910/11 1911/12 1912/13 1913/14
40176 8257 52248 89556 36460 101063 142580 112897 112496 75895 68806
261312 211130 307564 85066 425479 388535 399383 1150861 –263759 347650 781274 387838
1895/96
1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05 1905/06 1906/07 1907/08
2889307
–65855 75091 308948 –51497 198900 127831 53609
66230 17693 23175 291361 134145 227006 127488 296203 –175789 125597 270755
2398617
83620 93483 173053 175713 224989 100259 182635
49472 68872 85221 57034 73942 5731 92216 76923 103362 67389 17292
Cochin Kurrachee Tellicherry (in Rs.) (in Rs.) (in Rs.) 71284 137219 15090
43306 34506 60056 110617 30585 27380 59988 58690 45596 85223 85866
Bombay Colombo (in Rs.) (ab 74/75 in Rs.) 264084 1573
1102624
54162 65025 94155 97980 117451 83496 –49450
–181 40860 37330 39871 49453 39783 24281 –25120 64709 77135 53345
Tuticorin (in Rs.) 17783
390757
28271 17618 –29278 –15298 27479 57370 24402
2953 –12207 –3496 7208 4118 –377 17720 14011 –23786 –41018 58821
Madras Winterthur (in Rs.) (in Fr.) 5600
–120268 Fr. –230936 Fr. –10309 Fr. –7925 Fr. –85051 Fr. –1909 Fr. –1955 –60883 Taels –338086 Fr.
–2330 31273 22539 7903
Shanghai (in Taels)
34145846
582733 1990404 3535810 1971083 1956592 534970
639409 615615 1002727 1241686 1426304 1459411 1629065 3108027 –119958 1273357 2316362
Generalbilanz (in Fr.) 805519
500 Anhang
Register Personenregister Ahlers, Rudolph 131, 180 Ammann, August, F. 59, 61, 64, 66f., 69f., 72, 78f., 111, 180f., 228f., 235f. Ammann (-Volkart), Emma 180 Ammann, Gottfried Ferdinand 62, 180 Ammann, Molly Louise 180 Anderegg, Jakob 240 Appadurai, Arjun 30 Arbenz Guzmán, Jacobo 411 Arndt, Paul 16f. Arrighi, Giovanni 34 Auberjonais, René 186 Ansermet, Ernest 186
Clark, Ian 33 Coase, Ronald 24 Conrad, Sebastian 29, 33 Cooper, Frederick 21 Cooty (indische Kaufmannsfamilie) 72f. Cramer, A. W. 145 Dantwala, M. L. 287f. Denso, Albert E. 180 Desarzens, Victor 186 Dunning, John 22 Ebner, Martin 201
Bayly, C. A. 29, 31, 110 Beckert, Sven 263 Bomanjee, Dossabhoy 65 Bowring, John 48 Brack-Liechti, Jakob 77f., 86 Braudel, Fernand 27 Brodbeck, Henry L. 179f., 231 Bueler, A. 239f. Bühler, Hans 419 Burte, Hermann 271f. Bythell, J. K. 99 Casson, Mark 25, 176, 191 Castells, Manuel 20 Chandavarkar, Rajnarayan 294 Chandler, Alfred 35f., 74, 128, 175, 177 Chapman, John 98 Chapman, Stanley 49, 296 Charlesworth, Neil 102 Chetumal, Seth Sobhraj 107 Clark, Gregory 30
Fieldhouse, David 34 Fierz, Eduard 50f. Fierz, Johann Heinrich 50 Forbes, C. F. 98 Frech, Heinz 211, 235, 238 Gallagher, John 33 Gandhi, Mahatma 232, 297, 300f. Geertz, Clifford 20 Giddens, Anthony 19 Goody, Jack 31 Gsell, Emil 200 Guex, Sébastian 13 Guinnane, Timothy 68 Haefliger, O. 119 Haesli, W. Hardiman, David 100 Haskil, Clara 186 Herrmann-Pillath, Carsten 19
502
Hesse, Hermann 186 Hicks, John 19 Hirzel, Hans Caspar 50, 52 Hofer, Karl 233 Honegger, Arthur 186 Hurscheler, J. L. 217, 433 James, Harold 176, 198, 219 Johnston, J. C. 52f., 63 Jones, Charles A. 154 Jones, Geoffrey 24, 162, 183 Jussawala, Cowasjee Jehangir 63, 94 Keynes, John Maynard 253 Kipling, Rudyard 30 Kocka, Jürgen 177 Lafont, Arthur 441 Landes, David 30 Levy, Hermann 256 Lubinski, Christina 178 Markar (Polikalagata Marakar) 70ff. Mazlish, Bruce 35 Moeller, Paul 40, 420f., 425 Montealegre (Familie) 413 Müller, Julius 306, 311-315, 348 Müller-Renner, Ernst 118f., 121, 147, 153, 182f., 219 Nagakawa 314 North, Douglass 32 Nottebohm, Thomas 405 Osterhammel, Jürgen 20 Panjanmull, Naomull 67 Pearse, Arno S. 288 Peel, Lawrence 69 Petersson, Niels P. 20 Pomeranz, Kenneth 26
Register
Pratt, Marie Louise 228 Ramuz, Charles-Ferdinand 186 Randeria, Shalini 29 Ray, Rajat Kanta 29 Reagan, Ronald 421 Rehmer 263f. Reinhart, Andreas 201f., 425, 446, 448f. Reinhart, Balthasar 184, 192, 201, 275, 375 Reinhart, Georg 41, 111f., 149, 153, 156, 163f., 170f., 182, 184-192, 195, 198f., 210, 212, 214, 217, 219, 225, 228, 233, 235, 241f., 244f., 266, 268, 271, 274f., 285, 293, 296, 311-314, 323, 325, 335, 350, 360, 375, 442 Reinhart, Hans 186 Reinhart, Johann Caspar 180 Reinhart (-Volkart), Lilly 131, 180, 188 Reinhart (-Schwarzenbach), Olga 187f. Reinhart, Oskar 164, 186, 233, 274 Reinhart, Peter 184, 192, 194ff., 199, 201, 218, 222, 225, 248, 268f., 274f., 278, 296, 318, 334, 378, 390f., 402, 407, 419, 429, 432f., 437, 446 Reinhart, Theodor 41, 139, 149f., 164, 180ff., 184, 186, 188, 193, 207f., 214f., 221, 389 Reinhart, Ursula 184 Reinhart, Verena 184 Reinhart, Werner 41, 119, 121, 152, 164, 185f., 189, 191, 199, 209ff., 218, 223, 233, 270ff., 274, 360 Rieter, Bernhard 50 Rieter, Johann Heinrich 50, 52 Rieter, Johann Rudolf 50 Rilke, Rainer-Maria 186 Ringger, Karl 167ff. Robertson, Roland 30 Robinson, Roland 33
503
Register
Rothermund, Dietmar 104 Royle, J. Forbes 87 Saer, Harold 340, 432f. Samper, Mario 414 Satya, Laxman 104 Scherer, Robert 275 Schlögel, Karl 15 Schmidt, Peter Heinrich 158 Schnell, Karl 407 Schoeck, Othmar 186 Schüepp, R.H. 376 Schuurman, J. Elink 355f. Schwarzenbach, Robert 188 Shenai, R. S. D. 111, 239f. Sigg, Johann G. 180, 207 Spittler, A. 70f., 206, 226 Steiger 167 Steiner-Prior, Jakob 181 Strauss, Emil 270 Stravinski, Igor 186 Sulger, Emil 421 Sultzberger, Johann Heinrich 51 Sulzer, Johann Rudolf 129 Sykes, Frederick Hugh 298f. Takashima 314 Tata, Jamsetji Nusserwanji 375 Teubner, Gunther 31 Thakurdas, Purshotamdas 280 Thyssen, August 186 Topik, Steven 414 Travers, Arthur Crawford 76
Ukers, William H. 404 Valette, Edouard 119, 197 Valette, Gabriel 197f. Vargas, Gétulio 395 Volkart (-Sultzberger), Emma 51, 63, 126, 178, 187 Volkart, Georg Gottfried 72, 180ff., 188f., 195, 207, 226 Volkart, Johann Georg 11, 51-54, 63f., 127, 132, 175, 178ff., 182, 192, 195, 231, 273 Volkart (-Schönemann), Lilly 51, 131, 180 Volkart, Salomon 11, 47-54, 58, 62ff., 70ff., 82, 87, 91, 94, 97, 104, 120, 126, 129, 131, 136, 138f., 142f., 146, 175, 178181, 187, 192, 205-207, 210, 226, 237, 273 von der Crone, Richard 236 Vonesch, J. 224 Wachter, Heinrich 218 Waelti, Hans 406 Wallerstein, Immanuel 26 Washbrook, David 29 Weber, Max 19f., 38, 177 Wolfer, Heinrich 343f. Woo, Z. K. 321, 323ff. Yanagisako, Sylvia Junko 178 Zollikofer, Victor 167f. Zongjing, Rong 338 Zurschmiede, Peter 40, 404
504
Register
Ortsregister Afrika (allgemein) 42, 118, 255, 257, 283, 384, 394, 405, 435 Ägypten 75, 94, 262, 276, 283, 342, 427, 435, 440, 447 Alexandria 55, 130, 257, 284, 336 Amraoti 97, 285 Amritsar 370 Antwerpen 82 Argentinien 118, 317, 412, 440 Äthiopien 444 Australien 255, 317, 327, 384, 444, 449 Bangkok 165 Basel 130, 275 Belgien 49, 53, 122, 129, 166, 348 Berar 93 Bombay 11, 49, 51-66, 69, 76-87, 89ff., 93, 97, 104, 109, 112, 114ff., 120, 127, 133, 136, 143, 161, 165-169, 178f., 182, 193, 203, 208, 210f., 215, 217, 224, 228, 240f., 244, 246, 248, 275, 279f., 285, 287-290, 293f., 298ff., 302, 305, 308, 336f., 342-345, 348, 352, 359f., 376f., 380, 384, 430, 433 Boston 331 Brasilien 44, 94f., 198, 200, 262, 277, 336, 385, 388-403, 408f., 411, 414-421, 424f., 435, 445, 453 Bremen 24, 145, 171, 191, 217, 241, 257ff., 309, 332f., 406, 423, 425, 443, 448 Buenos Aires 257 Burma 167f., 276, 440 Canton 165 Ceylon 60, 63, 127, 131, 146, 160, 167, 180, 200, 205-208, 213, 217, 238ff., 241, 275f., 292, 294f., 303, 382-386, 417, 456
Chicago 336 China 14, 16, 25ff., 32f., 40, 43f., 51, 56ff., 74, 81ff., 88ff., 104f., 113, 116, 118, 120, 157, 170, 217, 223f., 241, 244f., 254, 257f., 262, 264, 276, 278, 282, 286, 292, 296, 304f., 308f., 316f., 320-331, 334ff., 338f., 341f., 348, 350, 353-358, 363, 379, 389ff., 393, 401, 427, 430, 435, 445, 455f., 459 Cochin 60, 63f., 69-72, 104, 111f., 116, 179, 205f., 208, 226, 229, 236, 239f., 295, 380 Colombo 60, 63f., 69, 116, 147, 160, 165ff., 179f., 206f., 248, 291f., 294, 382-385 Costa Rica 40, 198, 200, 406-414, 421 Dallas 257, 430, 435f., 447ff. Deutschland 52f., 81, 104, 121, 123, 125, 129, 131, 153f., 156-161, 163, 165f., 168f., 213, 257-261, 268-273, 275, 335, 338ff., 348, 350, 388, 393, 395, 406, 442f. Ecuador 421 El Salvador 440 England → Großbritannien Frankreich 52f., 81, 124ff., 129f., 197, 259, 268, 275, 340, 350, 389, 391, 393, 405, 424, 443f. Fukuoka 310 Galveston 91, 429 Genf 378 Genua 155 Großbritannien 11, 26f., 34, 48, 53, 56f., 62, 71, 75, 80ff., 120, 125, 129-134, 137, 139f., 143, 155-165, 168ff., 197, 213,
Register
233, 257f., 272-275, 304, 306, 309, 341, 345, 348, 358, 361f., 369, 372, 374, 442ff., 454f. Guatemala 40, 198, 200, 405ff., 409, 411f., 421, 440 Hamburg 82, 217, 257, 406, 415, 423 Honduras 421, 425 Hongkong 322, 444, 449 Houston 257 Indien (allgemein) 11, 14, 16, 25, 27, 30f., 33, 40, 42f., 47-120, 130f., 134-137, 140, 146, 156f., 161, 164f., 167ff., 179f., 182, 184, 186, 191, 200, 205-209, 211, 213, 217, 228-249, 254, 257, 262, 264, 272, 275ff., 279-304, 312f., 315ff., 320ff., 331, 334, 339, 341-350, 358-364, 369-380, 383, 385f., 391, 401, 417, 421, 427, 429ff., 435, 437, 444f., 452, 454ff., 458f. Indonesien 444 Iran 440 Israel 444 Italien 47, 50, 53, 123f., 129, 131, 260f., 340, 444 Jakarta 165 Japan 14, 16, 25-28, 40, 43f., 50, 74, 81ff., 88, 96, 104f., 114, 116, 118, 120, 130, 156f., 160, 170f., 217, 222, 241, 244, 254, 256ff., 262, 264, 270, 276ff., 282f., 286, 296, 299, 304-321, 323, 325-331, 334ff., 338f., 341f., 348, 350, 353f., 356, 359, 363, 379, 383ff., 389ff., 393, 401, 427, 444ff., 454f., 459 Java 257, 321 Jersey 418 Jugoslawien 443, 445
505
Kalkutta 50ff., 57, 84, 130, 165, 191, 258, 284, 343ff., 361f. Kanada 118, 255, 277, 389ff., 429 Karachi 66f., 69, 74, 84, 86, 108, 111, 116, 169, 180, 206, 209, 223, 241, 243, 245, 289f., 293, 300, 342, 370, 373 Kenia 425 Khamgaon 94 Kobe 160, 306, 310, 353 Kolumbien 394f., 405, 421, 425f., 440 Kongo 276, 405 Kontinentaleuropa (allgemein) 62, 71, 80ff., 88, 120, 125, 129, 131, 134, 139, 341, 345, 348, 362, 455 Korea 257, 444 Lahore 345, 370, 373 Lancashire 58, 75, 81, 98, 120, 129, 443, 454 Lateinamerika 26, 29ff., 40, 42, 48, 61, 130, 198, 255, 317, 342, 387-426, 454, 459 Le Havre 131, 180, 257, 389, 444 Levante 47f. Libanon 444 Liverpool 24, 58, 78, 82, 97ff., 114, 119f., 142-145, 155, 162, 217, 257, 306, 336, 443 London 14, 16, 26f., 71, 80, 131-134, 137, 146, 153, 163, 169, 180, 186f., 195, 241, 257, 259, 272ff., 276, 292, 344, 383, 397, 414, 420, 423, 443 Lyallpur 109 Lyon 24 Madras 86, 109, 114, 130, 165f., 345, 380 Madrid 425 Mailand 257, 444 Manchester 48, 87, 98, 280, 283, 308 Mandschurei 277, 317, 319, 338f. Manila 165
506
Marokko 444 Marseille 54, 80, 82, 119, 197f., 423 Medan 165 Memphis 430, 436 Mexiko 200, 261, 405, 417f., 421, 435f., 440f. Mönchengladbach 121 Mozambique 291 Nagoya 310 Nanjing 321 Neapel 47, 50 Neuenburg 186 New Orleans 91, 180, 284, 334, 336, 340, 428ff., 433ff. New York 27, 155, 180, 186, 191, 217, 225, 257f., 275f., 305, 309, 330ff., 334, 336, 389ff., 396, 398ff., 402-406, 415, 419, 423 Nicaragua 421, 440 Niederlande 81, 157, 161, 166 Norwegen 166 Oklahoma 261 Oomrawutnee 97, 99 Osaka 159, 171, 191, 222, 226, 257, 262, 276, 305f., 308, 310, 312, 321, 331, 339, 348, 356, 388, 425 Ostasien → China, Japan Österreich 47, 53, 81, 124ff., 129, 153f., 158f., 163, 169, 260, 270 Pakistan 200, 211, 235, 303, 369-373, 381ff., 385f., 417, 435, 437, 445, 456 Papua Neuguinea 421, 425 Paraguay 440 Paris 186 Pasadena 430, 436 Peru 262, 412, 421, 429, 440, 447 Philippinen 444 Polen 260, 273, 335
Register
Pondicherry 130 Poona 49 Portugal 449 Punjab 109, 282 Qingdao 325 Rotterdam 155 Rouen 119, 123 Russland (inkl. UdSSR) 125, 257, 358, 435 Saigon 166 Santos 398 San Francisco 400, 423 São Paulo 262, 272, 388, 391f., 394, 447 Schweden 166, 391 Schweiz 11f., 16, 26, 32, 47ff., 52, 129, 132ff., 138ff., 157, 159, 161, 163-171, 212f., 228, 232, 274f., 277f., 299, 303, 315, 319, 321, 330, 335, 343, 345-348, 350, 361f., 372, 374, 385f., 393, 402, 405, 417f., 420f., 443, 454 Shanghai 165, 191, 223f., 236, 258, 262, 276f., 292, 296, 305, 320-323, 325, 328331, 334, 338, 354-357, 388 Sind 282 Singapur 14, 50, 165, 189, 191, 217, 226, 258, 266, 291f., 415, 444 Skandinavien (allgemein) 157, 400 Smyrna 47 Sowjetunion → Russland Spanien 270, 443 Sri Lanka → Ceylon St. Petersburg 125 Südafrika 317, 444 Sudan 276, 440, 447 Südostasien 48, 130, 276 Südvietnam 444 Sumatra 49, 165 Surat 57
507
Register
Sydney 257 Taiwan 444 Tellicherry 66, 72, 86, 150, 380 Texas 261, 436 Thailand 444 Tianjin 325, 327f. Tokio 310 Tourcoing 122 Triest 80, 82, 147, 260, 423 Tschechoslowakei 269f., 335 Türkei 261, 435, 441 Tuticorin 93, 104, 209, 235, 242, 380 UdSSR → Russland Uganda 276, 405 USA 14, 26f., 29f., 43, 48, 66, 75ff., 89-95, 118, 130f., 134, 165, 170, 196f., 200, 213, 217, 222, 241, 254-257, 261f., 269, 273, 275ff., 283, 305f., 321, 325ff., 330-341, 345, 348, 383, 385, 389ff., 393, 395-402, 405, 407, 411, 414ff.,
420ff., 427-437, 444f., 447ff., 454, 458f. Venedig 51, 53, 155 Vevey 273f. Winterthur 11, 13f., 16, 40, 49, 51f., 55, 62, 70, 79, 94, 97, 108, 125-131, 137f., 146, 148ff., 152, 159f., 163f., 167, 175, 178ff., 186, 200, 202f., 205ff., 212, 217ff., 221, 241, 243, 248, 261f., 267, 272ff., 276, 284, 286, 290, 292-295, 299f., 305, 311, 314f., 332, 336f., 342f., 353-358, 372, 383ff., 390, 396, 418, 425f., 446, 448f. Xihe-Distrikt 327 Yokohama 160, 165 Zürich 16, 160
508
Register
Sachregister A. Doehner 47 A.W. Faber, Stein & J.H. Faber 349 Agrippina Insurance Co. 63f., 145f. Agricultural Market Act (USA) 434 Alcott 444 Alessi 444 Alexander Sprunt & Co. 92, 116, 257, 428, 436 Alfred J. Amsler & Co. 350 Alliierte 153, 156, 158, 275 Altersvorsorgeeinrichtungen 212f., 239ff. American Cotton Cooperative Association (ACCA) 196, 262, 284, 296, 316f., 326, 333-336, 338ff., 428, 432, 434 Amerikanischer Bürgerkrieg 75ff., 81, 87, 91, 99, 113, 142, 205, 430 Anderson Clayton & Co. 116, 257, 307, 326, 329, 334, 387, 392, 397-401, 403f., 427, 436, 440, 449 André & Cie. 35 Arabica-Kaffee 405, 409, 421, 424 Arbuckels 422 Argenti & Co. 291 arthias → Kaufleute, indische Aufstand von 1857, indischer 83, 87 Baltic Asiatic Commercial Co. 317 Banco do Brasil 394 Bank in Winterthur 126, 138f., 146, 193, 452 Bank of Bombay 67 Banken (allgemein) 25, 28f., 37, 42, 57, 64, 68, 76, 104, 106, 108, 111ff., 117ff., 121, 132, 135-140, 142, 153, 176, 196, 210, 257ff., 263-266, 268, 281f., 293f., 297, 307, 348, 354, 401f., 407, 410, 427, 431, 442f., 446, 452ff. Baring Brothers 136
Basler Handelsbank 152 Basler Handelsgesellschaft 161, 164 Basler Transportversicherung 146 Bauern → Baumwollfarmer, amerikanische; Großgrundbesitzer; Kleinbauern, indische; Landarbeiter, lateinamerikanische; Pächter Baumwolle, afrikanische, allgemein 43, 283, 317, 437 Baumwolle, ägyptische 131, 269, 283f., 316f., 326, 336, 429, 437, 455 Baumwolle, amerikanische 27, 43, 75, 81, 120, 125f., 142, 256f., 261f., 269, 277, 282ff., 296, 305ff., 312, 316f., 325-328, 330, 332-341, 389f., 427-437, 445, 447ff., 455 Baumwolle, brasilianische 261f., 277, 317, 329, 388-393, 397, 427, 429, 443, 455 Baumwolle, chinesische 317, 327f., 336, 338 Baumwolle, indische 11, 54-61, 66f., 74117, 120, 122-126, 129, 142, 258, 260ff., 269, 277, 279-291, 297-300, 302, 304310, 312, 316f., 320, 327f., 333-337, 339, 352, 374, 378-381, 428f., 452 Baumwollentkörnungsanlagen 92-97, 257, 284ff., 288, 327, 379, 388, 391f., 431, 440f., 452 Baumwollpressen 57, 74, 92-97, 99, 257, 284ff., 288, 327, 342, 392, 429, 441, 452 Baumwollqualität 37, 43, 78, 81, 85-99, 102, 104, 120, 125f., 143ff., 279f., 282f., 287ff., 317, 327, 330, 333, 378, 389ff., 433f., 452, 454 Baumwollfarmer, amerikanische 91f., 430f., 434f., 460 beneficios → Kaffeeverarbeitungsanlagen Berliner Aktien-Gesellschaft für Anilinfabrikation 349
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Bewässerungsanlagen 75, 282 Biedermann & Co. 52 Bird & Co. 343f., 361f. Bombay Agricultural Debitors’ Relief Act 281 Bombay Chamber of Commerce 87, 92, 99, 280 Bombay Co. 122, 133, 284 Bombay Cotton Broker’s Association 279f. Bombay Cotton Department 88 Bombay Cotton Trade Organisation 279 Bombay Moneylenders Act 281 Börsen → Rohstoffbörsen; Terminhandel Bounded rationality 38f., 178 Boykottbewegung, antibritische, in Indien 232, 279, 297-303, 454 Briefpost 128f., 156, 206 British Typewriters Ltd. 349 Broker (Indien) 57, 65-68, 72f., 108-112, 136, 140, 197, 216, 237, 302, 322, 341, 349, 459 Brown, Boveri & Cie. (BBC) 223, 347, 350, 355f., 363 Bunge & Born 35, 401 Business Registration Act 164 Butterfield & Swire 327 BZ Bank 201 Café Capris 198, 406f., 413 Carcafé S.A. 425 Cargill 35, 387, 425 Caspar Schulthess & Co. 52 Chartered Bank 108, 161 Chicago Board of Trade 24 Chien Hsin 357 Chinesisch-japanischer Krieg 1894/95 308 Chinesisch-japanischer Krieg 1937ff. 317, 328, 363 Clubs, englische, in Indien 209, 235ff. Cofina 418
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Commodity chains → Warenketten Commodity Credit Corporation (USA) 434f. Compania Transatlantica 83 Consolidated Coffee Estates Ltd. 380 Contact zones 228 Containertransport 423, 456 Coprah 291 Cotton Frauds Act (Bombay) 87-90, 280 Cotton Ginning and Pressing Factories Act 280 Cotton Supply Association 75 Cotton Transport Act 280 Daimler Benz 157 Dampfschiffe 18, 63, 80, 82f., 148, 452, 456 Dependenztheorie 414, 420 Deutsche Dampfschiffsgesellschaft Hansa 83 Diethelm & Co. 161f., 275 Dominium 419 Doppelbesteuerungsabkommen 200 Durtnell & Fowler 146 ED&F Man 425f. East India Company, British 22, 31, 55-58, 60, 68 EDEKA 407 Edward Johnston & Co. 397 Eisenbahn 18, 33, 42, 74ff., 77, 83-86, 93ff., 98f., 239, 322, 324f., 355, 393, 397, 452, 454, 456 Ellison & Co. 120, 162 Entente → Alliierte Entkolonialisierung 12, 26, 34, 44, 200, 248, 303, 363ff., 369-386, 430, 437, 453, 455f. Erb-Gruppe 426 Erdöl 131, 387 Erklärung von Bern 418
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Erster Weltkrieg 12, 18, 42, 104f., 114, 121, 132, 152-171, 182, 208, 212f., 215, 239f., 243, 245, 253f., 256-259, 272, 274, 277ff., 284, 306, 309, 320, 324, 330, 338, 342, 395, 427, 454f., 457 Europäische Expansion → Kolonialherrschaft Evolutionsökonomie 190 Exportquoten 35, 379, 395, 413-422, 456 Exportrisikogarantie, schweizerische 348 Familie 36-39, 43, 72, 109-112, 133, 175202, 204f., 214, 218-221, 223-226, 241ff., 246, 407, 410, 413, 453, 457f. Familienkapitalismus 37, 176f. Faschismus 270 Faserlänge von Baumwolle → Baumwollqualität Federación Nacional de Cafeteros (Kolumbien) 414 Felton Chemical Company 349 FFM Holding 202 Finlay Clarke & Co. 143 Fischöl 56, 60, 123f. Fohka, Swiss Chinese Trading Co. 321, 323ff., 330 Forbes 124, 309 Französische Revolution 130 Frederick Huth & Co. 136 Freihandel 34, 48, 56, 100, 154, 157, 386 Frost in Brasilien (und Einfluss auf Kaffeeproduktion) 402f., 415, 420, 424f. Gaddum & Co. 88, 114, 122 Gaddum Bythell & Co. 114f. Gebrüder Sulzer AG 41, 342-345, 350, 353ff., 361f. Gebrüder Volkart AG 200, 448 Geigy 321 Geilinger & Blum 130f., 180, 188
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Geldverleiher, indische 16, 89f., 98-105, 280f., 297, 302, 454 General Foods 400 Getreide 61, 276f., 370 Gewerkschaften 248, 373, 378, 383, 411 Gewürze 16, 56, 60, 94, 127f., 330, 377, 383 Gill & Co. 289 Gillanders, Arbuthnot & Co. 361 Gins → Baumwollentkörnungsanlagen Glasperlen 51, 53 Glyn, Mills & Co. 136f. Gokak Mills Ltd. 380 Goldstandard 18, 134 Gosho Kabushiki Kaisha 289, 307f. Government of India Act 1919 279 Government of India Act 1935 302 Greaves Cotton & Co. 343 Greuter & Rieter 49-53, 130 Große Depression → Wirtschaftskrise 1929ff. Großgrundbesitzer 393ff., 411, 431 Gruber & Co. 123 Guarantee Broker → Broker (Indien) H. Kupper & Co. 440 Hamburg-Amerika-Linie 83 Handelsrecht, britisches 68f., 71f., 87ff., 103, 322, 454 Harvester 364 Häutehandel 169, 305 Heatley & Gresham 343 Heilgers & Co. 52 Heiraten 51, 131, 179ff., 187f., 221ff., 236f., 319 Helvetia Versicherungsgesellschaft 146 Hirzel & Co. 52 Hoffmann La Roche 349 Holz 60, 128, 321, 452 Hüni & Fierz 47, 49, 51ff. Huschke, Wattenbach & Co. 51f.
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Hypothekarbank Winterthur 193 Imperial Bank of India 108 Imperialismus → Kolonialherrschaft Indian Central Cotton Committee 279282 Indian Cotton Committee 105, 109, 288 Industrialisierung in China 27, 43, 256, 286, 309, 354, 455 Industrialisierung in Europa 12, 22, 26, 28, 35f. Industrialisierung in Indien 27, 43f., 256, 279, 283, 286, 291-297, 363f., 381, 455 Industrialisierung in Japan 27f., 43f., 256, 286, 309, 350, 363, 455 Inpaco AG 200 Insektizide 398, 435 Insel Verlag 446 Institut Hüni 50 Institutionenökonomie 20, 23ff., 32, 72, 90, 152, 203f., 457 Instituto Brasileiro do Café 414 Instituto del Café (Costa Rica) 410 Interallianzbank 202 Inter-American Coffee Agreement 395f. International Coffee Organisation (ICO) 414f., 420f. Internationaler Verband der BaumwollSpinner und -Weber Vereinigungen 288 Internationales Kaffeeabkommen 35, 44, 402, 413-422, 436, 456 J. & A. Biedermann 55 J. C. im Thurn & Co. 52 J. F. Wolff 52 J. J. Rieter & Cie. 129 J. Ziegler & Co. 52f. Japan Cotton Trading Co. 105, 116, 124, 284, 308 Jardine Matheson & Co. 58, 305
Johannes Hürlimann 47 John W. Greene & Co. 330 John Wallace & Sons 342 Juan Waelti S.A. 198, 406f., 413 Kaffee 16, 40, 60, 72f., 89, 94, 131, 150, 200, 202, 206, 262, 321, 336, 380, 386426, 443f., 448, 453 Kaffee, löslicher 398, 419 Kaffeepflanzer → Großgrundbesitzer; Landarbeiter, lateinamerikanische; Pächter Kaffeequalität 393ff., 398, 403f., 408f., 411, 415, 423 Kaffeeröster 202, 398ff., 403, 415, 419f., 422f., 425 Kaffeeverarbeitungsanlagen 72f., 380, 397f., 407-410, 412f., 424 Kakao 127, 377, 425, 444, 448 Kalter Krieg 34f., 414, 421, 456 Kapitalismus 12, 18, 26, 33f., 37f., 92f., 117, 175-178, 198, 287, 420, 452, 460 Kartelle 212, 284f., 414 Kastenwesen, indisches 65, 67, 238f., 299 Kaufleute, indische 29-32, 42, 55-59, 6473, 81, 84-87, 89-93, 96, 98-113f., 117, 133, 136f., 140, 197, 237, 245f., 249, 280ff., 287-290, 292f., 299, 322, 434, 459 Keller & Co. 275 Kleinbauern, indische 16, 75f., 81, 87-93, 98-106, 117, 280ff., 285, 287f., 297, 302, 460 Klima, indisches 92, 101f., 180, 207, 229232, 248, 343, 360, 459 Kohle 26, 131 Kokosbast 16, 56, 60, 94, 127f., 377, 383 Kokosnussfleisch → Coprah Kokosöl 59f., 128, 131 Kolonialherrschaft 11f., 16, 18, 26-29, 32f., 43, 56, 60, 68f., 71f., 75, 83-93, 98, 100-103, 117, 228-249, 279f., 282, 286,
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297-304, 322, 324, 365, 369, 374, 382, 386, 430, 453-456 Kommunismus 329, 363, 414, 445, 456 Kompradoren 16, 321-324, 327, 341, 354ff., 459 Kongresspartei (Indien) 294, 297ff., 302 Konsulate, Schweizer 165-169, 345ff. Konsumgesellschaft 21ff., 360, 365, 376, 395 Kontinentalsperre 129 Kooperativen, landwirtschaftliche 102, 117, 280ff., 333f., 427, 436, 440, 442 Koreakrieg 329 Kriegswirtschaftliche Maßnahmen 158169, 272-275 Krimkrieg 61 Lagerhäuser 92, 137, 176, 209, 257, 292, 307, 328, 341, 343, 349, 376, 382, 388, 390, 392, 401f., 423, 429, 432, 440 Landarbeiter, lateinamerikanische 393f., 407-411, 414, 421f., 460 Landesstreik 1918, schweizerischer 212 Landreformen, britische, in Indien 100f., 302 Leder 169, 298, 330 Lever Brothers 371 Lex mercatoria 31 Lloyd, Schweizerischer 146f., 193, 452 Lloyd’s (London) 146f. Louis Dreyfus 35 M. Croce 50 M.A.N. (Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg) 362 Mackinnon Mackenzie & Co. of Pakistan Ltd. 382 Magnolia Compress & Warehouse Co. 429 Managerkapitalismus 37, 128, 175, 177, 182f., 200 Managing Agencies 293f.
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Manget Brothers 340, 429 Mannesmann 349 Marshall, Sons & Co. 343 Maschinenfabrik Oerlikon 350 Maschinenfabrik Rieter AG 41, 350, 356359, 363 Maschinenhandel 22, 44, 191, 216, 223, 254, 256, 310, 321, 329, 336, 341-365, 375f., 455 McFadden & Brothers 130, 257, 307, 334, 392, 427, 436, 440 Mechanisierung der Landwirtschaft 394, 397, 413, 431 Meiji-Restauration 350 Mikropolitik 36, 39, 203 Militärdiktaturen, Militärputsche 395, 412f. Mitarbeiterorganisationen → Gewerkschaften Mitarbeiterzeitschrift 68, 119, 175, 216f., 219, 229, 234, 245, 350 Mitsui Bussan 257, 287, 323, 428 Mittelmächte 155, 158 Möller & Bey 122 Moplah 70 Multinationale Unternehmen 18, 21, 30, 34f., 37, 44, 154, 284, 326, 337ff., 369, 387f., 398-405, 412f., 415-428, 431, 442, 451, 453, 455, 457 nasse Methode der Kaffeeverarbeitung 408f. Nation; Nationalitätenprinzip 12, 32, 42, 153-171, 299f., 337, 340, 369, 377, 381, 386, 415, 454 Nationalsozialismus 268-272, 395 Navigation Acts 56 Navigazione Generale Florio Rubbatico 83 Neoklassische Ökonomie 23 Neoliberalismus 35, 387, 421, 456
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Nestlé 400, 418f., 422 Netzwerke 12, 17, 20, 25, 32, 41, 106, 108, 120, 122, 139f., 176, 195-198, 286, 305, 310, 318, 335, 341, 369, 387, 391f., 405408, 434, 437-440, 459 Neumann-Gruppe 426 Neutralität, politische 12, 157f., 163f., 167f., 232, 299ff. New Deal 338, 389, 431, 434 Nichizui Trading Co. 171, 226, 244, 277, 306, 310-320, 329, 331, 334, 348, 350, 353f., 356ff., 444 Nichol & Co. 98 Nippon Menkwa 257, 289, 307f. Okura Trading Co. 353 Opium 57f. Opiumkriege 51, 57, 305, 321 Opportunistisches Verhalten 32, 36, 39, 43, 204, 227, 313f., 322, 345, 352, 433f., 457f. Pächter, Pachtwirtschaft 91, 100, 393f., 411, 430f. Paillard S.A. 349 Parfumerie Houbigant 349 Parsen 57, 63, 65, 112, 217, 375 Patel Brothers 114, 289 Patel Cotton Company Private Ltd. 378f., 437 Patel-Volkart Ltd. 379f. Paternalismus 38, 43, 205, 221, 224, 234, 249 Paul Reinhart & Co.; Paul Reinhart AG 130f., 202, 276, 284, 317, 326, 336, 427, 440, 449 Peninsular & Oriental Steam Navigation & Co. 382, 437 Peter Schoenfeld S.A. 198, 407, 413 Pfadabhängigkeit 38, 178, 204, 296, 305, 388, 458
Philip Morris 422 Plains Cotton Cooperative Association 436, 447 Plantagenwirtschaft 89, 104, 246, 296, 380, 388f., 393ff., 407, 411, 415, 431 Poldi Steel Works 349 Prado Chaves 198, 277, 389-393, 396f., 401, 417 Prinzipal-Agent-Problem 36, 122, 192, 203f., 311, 325, 354, 418, 433f., 458 Privy Council 71 Procter & Gamble 422 Protektionismus 21, 34, 48, 170, 253f., 306 Queensland Cotton Holding 449 Ralli Brothers 35, 94, 105, 114ff., 121-124, 133, 151, 244, 247, 259, 283f., 287, 289ff., 296, 300, 308, 315, 370f., 378, 401, 427 Ralli Brothers & Coney 427, 445 Raw Cotton Commission 442 Rayner 425 Recht, formales 24, 32f., 68-72, 87-91, 100f., 111, 148, 152, 158f., 161, 176, 269, 280ff., 300, 302, 322, 454 Reis 276 Reuters 99 Richard Steward & Co. 114 Richardson & Cruddas 343 Rieter → J. J. Rieter & Cie.; Maschinenfabrik Rieter AG Robusta-Kaffee 405, 424 Rohstoffbörsen 16, 24, 29, 37, 78, 83, 91f., 97f., 113, 140-145, 155, 280, 307, 330, 336f., 402ff., 415, 431f., 436, 444 Röster → Kaffeeröster Rothfos 425f. ryots → Kleinbauern, indische
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Saatengeschäft 127, 267, 305, 379 Sandoz 275 Sara Lee 422 Saurer AG 342 Schiedsgerichtsbarkeit 24, 145, 148, 279, 404 Schifffahrtslinien, Vertretung von 83, 131f., 379, 382f. Schmiergelder 202, 314, 328, 343, 350ff., 355 Schweizerische Bankgesellschaft 139, 210, 446 Schweizerische Kreditanstalt 152 Schweizerische Lokomotivenfabrik 193, 344 Schweizerische Nationalbank 139, 153 Sepoy-Aufstand → Aufstand von 1857, indischer Sharp & Dohme 349 Shenxin Textile Mills 338 Showa Menkwa 315 shroffs (indische Bankiers) 65, 68, 70, 105112, 136, 140, 197, 237, 322, 459 Siber-Hegner 160, 236 Siemens 157, 349 Silber 106, 134 Sintoon Trading Co. 355f. Skalenerträge 35f., 93, 114, 176, 387, 398, 422, 427, 451, 453 Sklaverei 75, 91, 393 Società Italiana Commercio Materie Tessili (Sicmat) 260f. Société d’importation et de commission ancienne maison Louis Reinhart 389 Société des Usines Chimique Rhône-Poulenc 349 Société Française d’Importation Cotonnière S.A. (Sofic) Société maritime pour le commerce avec les Indes orientales 130
Register
Société maritime Suisse 130 Southern Cotton Co. sowkars → Geldverleiher, indische Spekulation 36, 55, 61, 115, 142f., 202f., 210, 225, 261, 306, 308, 312, 314, 337, 347, 357, 403, 457 Spinner & Co. 122, 289 Sprachkenntnisse 111f., 236, 245, 314, 322f., 328, 341, 392, 406 Standardisierung 96-98, 118, 122ff., 143f., 152, 263, 322, 390f., 397f., 402f., 408, 410, 423, 453 Starke Taylor & Son 447 Stellinger & Co. 50 Steuern 116f., 200, 213, 297, 330ff., 369, 374, 378, 383-386, 417f., 457 Streichhölzer 127, 294f., 452 Streiks 212, 294, 373, 411 Subventionen 48, 117, 333, 338f., 420, 427, 434ff., 440, 442 Suezkanal 18, 54, 74, 79-83, 148 Suhrkamp Verlag 446 Sulzer → Gebrüder Sulzer AG Sulzer, Bruderer & Co. 358f. Sumatra 49, 165 Suzuki 353 Swedisch East India Steamship Co. 83 Swiss Engineering Co. 360 Swiss Marine Insurance Company 146 Tata 41, 364, 375-380 Tee 56f., 89, 292, 377 Telegraphie 18, 29, 33, 49, 64, 70, 74, 77ff., 83, 98f., 112, 114, 128, 135f., 143, 156, 206, 272, 322, 334, 403, 452, 456 Terminhandel 37, 42, 113, 140-145, 152, 225, 279f., 307, 312, 330f., 336f., 402f., 415, 431f., 436, 444, 451, 454 Territorialität 12, 16, 18, 33, 387f., 455, 457
Register
Textilien 47ff., 282f., 301, 309, 317, 325, 329, 349 Textilindustrie 47-53, 75, 117, 121, 129f., 254, 262f., 282ff., 292f., 304-309, 317, 320, 325ff., 329, 338-341, 349, 375, 378, 381, 401, 428f., 440, 443, 445ff., 455 Theodor Bell & Co. 350 Toggenburger Bank 139 tourist coffee 415ff., 457 Toyo Menkwa Kaisha 116, 257, 284, 287, 290f., 307f. Trading with the Enemy Act → Kriegswirtschaftliche Maßnahmen Transaktionskosten 18, 23ff., 32, 36, 39, 176, 179, 198, 203f., 332, 354, 407, 451, 453, 458 trockene Methode der Kaffeeverarbeitung 408f. Tropenkrankheiten 231 Trützschler 358f. Turner Hoare & Co. 343 Uebersee-Handels AG 315 Uhren 47, 127, 297, 321, 452 Unabhängigkeitsbewegung, indische 43, 228, 232, 245, 297-303, 348 Union Commercial Belge de Métallurgie 349 United Nations Relief and Rehabilitation Administration 442 V.B. News → Mitarbeiterzeitschrift Verband Schweizerisch Israelitischer Armenpflegen 272 Verband schweizerischer Transit- und Welthandelsfirmen 41, 200, 428 Verein der am Kaffeehandel beteiligten Firmen (Bremen) 406 Versicherungen 57, 63f., 132, 145-148, 196, 296, 381, 451f., 454
515
Vertrauen 17, 20, 37, 39, 42, 59, 68, 71, 109-112, 139, 148-152, 176, 214, 225, 267ff., 313f., 323, 404, 406, 451, 457 Volanka Ltd. 383 Volcafe 202, 413, 418, 426, 448 Volcot 202, 448f. Volkart (Bombay) Private Ltd. 379 Volkart Brothers Agency G.m.b.H., Bremen 171, 259-262, 275, 309, 332f., 443 Volkart Brothers Clearing Co. 336 Volkart Brothers Engineering News 360 Volkart Brothers Inc., New York 225, 309, 331f., 334, 436, 447 Volkart Brothers Inc., New Orleans 340, 428, 433, 435 Volkart Brothers (Türkiye) Ltd. 441 Volkart Hermanos 417 Volkart Holding AG 200f., 448 Volkart (India) Ltd. 379f. Volkart Invest AG 448 Volkart Irmaos Ltd. 277, 391f., 396 Volkart Japan Ltd. 444 Volkart (Pakistan) Ltd. 382 Volkart Stiftung 272, 371 Volkart Taylor Cooper Inc. 447 Volkart’s United Press Co. (VUP) 96, 285f. Voltas 364, 375ff. Vulcan Shipping and Development Co. 446 W.B. Dunevant & Co. 436, 447 W.D. Felder & Co. 436 Waffenhandel 270 Währungskurse 134f., 256, 287, 297, 318, 329f., 385, 447 Wallace Brothers 66, 123 Warenketten 16, 74, 92, 279, 395, 412, 414f., 420, 454 Warlords (China) 324f. Wattenbach & Co. 50ff.
516
Weld & Co. 148, 257 Weltbank 415, 421 Weltsystemtheorie 26f., 33f. White Nile Cotton Trading Co. 440 Wirtschaftskrise 1857ff. 61f. Wirtschaftskrise 1873ff. 70, 121 Wirtschaftskrise 1929ff. 19, 34, 44, 154, 191, 224, 253, 265-268, 288-291, 297, 302f., 316, 328, 337f., 339, 358ff., 388f., 395 Wirtschaftskrise 1973ff. 446ff.
Register
Woods & Thorburn 443 Woolson Spice 422 zaibatsu (japanische Großkonzerne) 307f. Zölle 16, 34, 48, 124, 297, 317, 339, 362 Zucker 291f., 321 Zweiter Weltkrieg 12, 134, 150, 197, 199, 262, 268, 272-278, 303, 319f., 328f., 340, 362f., 370, 390, 392, 394ff., 427ff., 442, 454ff.
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DER DEUTSCHE ZOLLVEREIN ÖKONOMIE UND NATION IM 19. JAHRHUNDERT
Die Beiträge beleuchten den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher und politischer Integration im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Der 1834 begründete Deutsche Zollverein steht im Zentrum der Analyse, denn ohne ihn sind zentrale Phänomene wie die Geschichte der Nationsbildung, des Föderalismus, des Liberalismus oder des Parlamentarismus nicht vollständig zu verstehen. Außerdem ist er ein einzigartiges Beispiel für den Verlauf zwischenstaatlicher Integrationsprozesse. Dieses Buch stellt die Bedeutung des Deutschen Zollvereins für die politische Entwicklung Deutschlands auf dem Weg in die Moderne heraus. 2012. VIII, 309 S. GB. 155 X 230 MM | ISBN 978-3-412-20835-6
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Mit dieser Edition werden ungedruckt gebliebene Manuskripte aus dem Nachlass des Wirtschaftshistorikers Herbert Kühnert (1887–1970) veröffentlicht. Der Band enthält neben der Darstellung zur Entwicklung des Jenaer Glaswerks Schott & Genossen von 1886 bis 1914 auch eine Studie zur kulturellen Bedeutung der Jenaer Glasindustrie sowie die wissenschaftsgeschichtlich bedeutsame Dokumentation zur „Leidensgeschichte“ des aus ideologischen Gründen in den 1960er Jahren verhinderten Abschlussbandes zur Geschichte der Glasindustrie in Jena. Die zwischen 1946 und 1957 erschienenen ersten drei Bände der damals von der „Thüringischen Historischen Kommission“ herausgegebenen Edition sind in digitalisierter Form auf einer CD-ROM beigegeben. Außerdem enthält der Band ein Gesamtregister zu dem nunmehr geschlossen vorliegenden Werk. AUS DEM NACHLASS HERAUSGEGEBEN VON VOLKER WAHL UNTER MITARBEIT VON VERA FASSHAUER, UTE LEONHARDT UND ERNST WERNER 2012. 511 S. MIT CD-ROM. GB. 170 X 240 MM. | ISBN 978-3-412-20910-0
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