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German Pages 276 [278] Year 2020
Erhard Oeser
Die Eroberung der Antarktis
Erhard Oeser
Die Eroberung der Antarktis Der Mythos vom Heldentum der Polarforscher
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Inhalt Vorwort.........................................................................................................................................................9 Einleitung.................................................................................................................................................. 11 1 Die Suche nach dem Land am Südpol................................................................................................ 20 2 Der Beginn der Südpolarforschung: James Cook............................................................................. 23 Der Vorläufer von James Cook: Bouvet de Lozier......................................................................... 23 Die Fahrt Cooks auf den Spuren von Bouvet................................................................................. 25 3 Der russische Entdecker der Antarktis: Bellingshausen.................................................................. 29 4 Die Reise eines Robbenfängers nach dem Südpol: James Weddell................................................ 32 5 Die Entdeckung des magnetischen Südpols: James Clark Ross...................................................... 35 Die Entdeckung des nördlichen Magnetpols................................................................................. 35 Der Streit um die Entdeckung von Terre Adelie............................................................................ 39 Die Pflanzen- und Tierwelt auf der Kerguelen-Insel..................................................................... 42 Stürme am Weihnachtshafen............................................................................................................ 43 Possessions Insel und Schweineinsel............................................................................................... 45 Die Errichtung des Ross Bank Observatoriums............................................................................ 46 Ausgesetzte Tiere und Waldbrand auf den Auckland Inseln....................................................... 48 Im Packeis........................................................................................................................................... 49 Besitzergreifung der Possession-Insel............................................................................................. 52 Pinguinfang und Robbenjagd........................................................................................................... 54 Der Zusammenstoß der beiden Schiffe „Erebus“ und „Terror“................................................... 57 Die Heimkehr nach England............................................................................................................ 59 6 Dumont d’Urvilles Abstecher zum Südpol........................................................................................ 60 Die Kritik Aragos an dieser Reise.................................................................................................... 61 Aufbruch mit zwei Schiffen.............................................................................................................. 62 Im Eisfeld eingeschlossen und die Befreiungsversuche................................................................ 63 Skorbut und Rückreise nach England............................................................................................. 67 Erneute Entdeckungsreise nach den Eisfeldern des Südens......................................................... 68 7 Überwinterungen auf Forschungsstationen am Festland: Borchgrevink...................................... 71 Landung und Errichtung der Forschungsstation........................................................................... 72 Eine gefährliche Schlittenreise......................................................................................................... 73 5
Die lange Winternacht und die Seehundsjagden........................................................................... 74 Die Ankunft der Pinguine im Frühling........................................................................................... 78 Die Heimfahrt mit zwei Pinguinen ................................................................................................ 80 8 Die erste Südpolarnacht: F. A. Cook auf der „Belgica“..................................................................... 82 Ausstattung und Mitglieder der Expedition................................................................................... 82 Die Polarnacht: Krankheit, Tod und Wahnsinn............................................................................ 84 Leiden und Tod der Schiffskatze...................................................................................................... 88 Das Ende der Winternacht und die Schlittenreise auf dem Packeis........................................... 89 Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition....................................................................... 91 Befreiung aus dem Eis und Rückkehr ............................................................................................ 92 9 Schiffsuntergang und zwei Überwinterungen auf dem Festland: O. Nordenskjöld 1902/3........ 95 Die erste Etappe und das Leiden der Hunde in der Tropenhitze................................................... 96 Der Abstecher zu den Falklandsinseln und Ankauf neuer Hunde.............................................. 97 Gefangen im Packeis.......................................................................................................................... 99 Die erste Überwinterung 1902 auf Snow Hill.............................................................................. 100 Die Pinguine und ihre grausame Schlächterei ............................................................................ 102 Die zweite Überwinterung und eine unerwartete Begegnung................................................... 104 Das Schicksal Anderssons und seiner Truppe............................................................................. 106 Auf den Spuren Nordenskjölds: J.-B. Charcot.............................................................................. 108 10 Ballonaufstiege und Überwinterung auf dem Festland: Erich von Drygalski.......................... 112 Das antarktische Festland: Pinguine auf Besuch und das Verhalten der Hunde..................... 114 Der Aufstieg mit einem Fesselballon ............................................................................................ 115 Das Leben auf der Winterstation................................................................................................... 117 Schlittenreisen ins Festland............................................................................................................ 120 Heimkehr mit Hindernissen........................................................................................................... 123 11 Die schottische Expedition: William Speirs Bruce....................................................................... 127 Aufbruch der „Scotia“ nach Süden................................................................................................ 128 Errichtung der Winterstation „Omond House“........................................................................... 129 Die Schlittenhunde der Expedition............................................................................................... 130 Verhandlungen mit Argentinien über die Wetterstation............................................................ 131 Die zweite Reise ins Weddell-Meer .............................................................................................. 132 Der Dudelsackspieler und getötete Pinguine im Labor.............................................................. 133 Die Heimkehr: Ehrungen in Schottland, Missachtung in London........................................... 134 12 Der Beginn der „Heldenzeit“ der Antarktisforschung................................................................. 136 Robert F. Scotts erste Fahrt mit der „Discovery“......................................................................... 136 Ballonaufstiege auf dem Schelfeis.................................................................................................. 138 Aufbruch zum Südpol..................................................................................................................... 139 Schlittenziehen nur mit Menschenkraft ....................................................................................... 141 6
13 Shackletons Nimrod-Expedition.................................................................................................... 143 Mandschurische Ponys.................................................................................................................... 144 Das erste Automobil in der Antarktis............................................................................................ 145 Die Erreichung des südlichsten Punkts......................................................................................... 146 Die Besteigung des Mount Erebus und die Vermessung des magnetischen Südpols............. 148 14 Amundsens Entdeckung des Südpols............................................................................................. 152 Die angebliche „Tierquälerei an Bord der „Fram“....................................................................... 153 Die späte Bekanntgabe des Plans der Entdeckung des Südpols................................................. 154 Vorbereitungen für den Wettlauf zum Südpol............................................................................. 156 Aufbruch von der Winterstation „Framheim“............................................................................. 158 Die grausige Metzgerei der Hunde................................................................................................ 159 Am Ziel: der Südpol......................................................................................................................... 160 15 Scotts letzte Fahrt.............................................................................................................................. 162 Abfahrt von Neuseeland und Landung am Kap Evans............................................................... 162 Der Aufbruch zum Südpol.............................................................................................................. 167 Der Rückmarsch in den Tod........................................................................................................... 172 16 Shackletons zweite Expedition mit der „Endurance“................................................................... 176 Schwierigkeiten mit dem Packeis zu Beginn der Expedition..................................................... 177 Der Untergang der „Endurance“.................................................................................................... 180 Die Bootsfahrt nach South Georgia............................................................................................... 183 Die Überquerung von South Georgia........................................................................................... 185 Die Rettung der auf Elephant Island zurückgebliebenen Männer............................................ 187 Das Schicksal der Ross Sea Party................................................................................................... 189 Die Irrfahrt der „Aurora“................................................................................................................ 192 17 Shackletons Quest-Expedition und das Ende des Goldenen Zeitalters der Antarktis-Forschung.............................................................................................................................. 194 18 Zum sechsten Erdteil: Die zweite deutsche Antarktisexpedition unter Wilhelm Filchner..........200 Die angebliche britisch-deutsche Rivalität in der Antarktis....................................................... 201 Landung mit Ponys und Hunden................................................................................................... 203 Aufbau des Stationshauses ............................................................................................................. 204 Drachen, Fesselballone und Pilotballone...................................................................................... 205 Erkundigung des Festlandes........................................................................................................... 206 Robbenjagden der Hunde............................................................................................................... 207 Wilhelm Filchners Bekenntnis zu Deutschland........................................................................... 208 19 Das technische Zeitalter der Antarktisforschung......................................................................... 209 Byrds erste Südpolexpedition 1928/30.......................................................................................... 210 Landung mit Pinguinen als teilnahmsvolle Zuschauer............................................................... 213 7
Kleinamerika und der Absturz eines Flugzeugs........................................................................... 214 Der Flug zum Südpol....................................................................................................................... 216 Byrds zweite Expedition nach dem Sechsten Erdteil 1933/35................................................... 217 Das Leiden Byrds auf der Bollingwarte......................................................................................... 219 Byrds dritte Antarktisexpedition: „High Jump“........................................................................... 222 20 Konkurrenzkampf am Südpol: Fuchs und Hillary........................................................................ 224 Die Planung der Expedition........................................................................................................... 224 Aufbruch in die Antarktis und erste Überwinterung.................................................................. 225 Rückkehr und Aufbruch von Fuchs von der „Shackleton Base“............................................... 227 Der Vorstoß Hillarys zum Pol........................................................................................................ 228 Die Kontroverse zwischen Hillary und Fuchs.............................................................................. 230 Hillary auf der Polstation................................................................................................................ 231 Triumphaler Einmarsch der Gruppe von Fuchs zum Südpol.................................................... 234 Der Weitermarsch von Fuchs zur Scott-Basis.............................................................................. 235 21 Helden der Sowjetunion................................................................................................................... 238 Weiterentwicklung der Transportmittel........................................................................................ 238 Gründung der ersten russischen Station in der Antarktis.......................................................... 239 Vorstoß zum Pol der Unzugänglichkeit........................................................................................ 241 Die Rettung der Belgischen Antarktisexpedition durch die „Helden der Sowjetunion“........ 242 22 Im geheimen Auftrag: Die dritte Deutsche Antarktisexpedition 1938/39................................ 243 Das Expeditionsschiff „Schwabenwald“........................................................................................ 244 Der erste Inlandflug ........................................................................................................................ 246 Besitzergreifung durch Hissen der Reichsflagge.......................................................................... 247 Der Dank des Führers..................................................................................................................... 250 23 Gebietsansprüche für Walfang und Robbenschlägerei................................................................ 251 Das Ende der historischen Gebietsansprüche und der Antarktisvertrag................................. 252 Frühere Walfangmethoden............................................................................................................. 252 Der Pottwal und der Untergang der Essex.................................................................................... 254 Moderne Fangmethoden................................................................................................................. 259 Die Errichtung von Meeresschutzgebieten................................................................................... 261 24 Schlusskapitel:.................................................................................................................................... 263 Die Gefährdung der Antarktis durch Tourismus und wissenschaftliche Forschungstechniken....................................................................................................................... 263 Zeitplan.............................................................................................................................................. 268 Literatur................................................................................................................................................... 271 Abbildungsverzeichnis........................................................................................................................... 274 8
Vorwort In diesem Buch geht es nicht um die Darstellung der geografischen Entdeckungen und naturwissenschaftlichen Ergebnisse der Südpolarexpeditionen. Muteten früher die Berichte darüber wie ein Heldenepos an, die zu Ruhm und Ehre der Polarfahrer verfasst wurden, so soll in diesem Buch vielmehr der Frage nachgegangen werden, ob es sich dabei nicht nur um einen Mythos gehandelt hat, wofür national-politische Motive, wirtschaftliche Interessen und historische Gebietsansprüche verantwortlich waren. Zwar muss man zugeben, dass die Eroberer der Antarktis tatsächlich wahre Heldentaten bis an ihre physischen Leistungsgrenzen oder sogar bis zu ihrem Erschöpfungstod vollbracht haben. Aber diese unbezweifelbaren Heldentaten der Polarforscher hatten auch eine schreckliche Kehrseite. Nach dem in diesem Buch aus den Originalschriften der Antarktiseroberer gesammelten historischen Datenmaterial war ihr Verhalten vielmehr eine Geschichte von Umweltzerstörern und erbarmungslosen Tierschlächtern, die sich auch nicht vor der Tötung der eigenen Zugtiere zurückscheuten. Ein Rückblick auf die Geschichte der Antarktisforschung versucht diese Ansicht deutlich machen. Walöl- und Pelzgewinnung spielten von allem Anfang an bei dem Vordringen europäischer Walfänger und Robbenschläger, welche die Ersten waren, die diese eisigen Gebiete aufsuchten, eine entscheidende Rolle. Aber auch die im Auftrag ihrer jeweiligen Regierung unternommenen Südpolexpeditionen waren trotz ihrer wissenschaftlichen Aufgabenstellung letzten Endes auf Gebietsansprüche aus, die man durch Aufpflanzen der jeweiligen Nationalflaggen zu sichern versuchte. Vor allem bei den zunächst erfolglosen, aber schließlich doch geglückten Unternehmungen den Südpol zu erreichen, erwiesen sich die über Tausende von Kilometern über die heiße Äquatorzone herbeigeschafften Hunde und Ponys als die eigentlichen Helden der Eroberung der Antarktis. Als Dank für ihre selbstlos vollbrachten Leistungen wurden sie von ihren Herren getötet und aufgegessen. Mit der Anzahl Größe und zeitlicher Dauer der Expeditionen nahm vor allem der Massenmord an Pinguinen und Robben zur eigenen Frischfleischversorgung und zu Fütterung der Schlittenhunde in einem erschreckenden Ausmaß zu. Die Folgen dieses Verhaltens der Polarfahrer des so genannten „Goldenen Zeitalters“ der Antarktiseroberung waren zwar bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts für das Weltklima wegen der geringen Anzahl der Akteure nur von lokaler von Bedeutung. Aber heute weiß man, dass vor allem die Antarktis in hohem Maß das Klima der Erde bestimmt und dass daher die Eingriffe des Menschen in dieses sich selbst regulierende System weltweite Konsequenzen haben können. Hauptbestandteile des Klimasystems der Antarktis sind die Atmosphäre und das eisige Südpolarmeer um den Kontinent sowie die Biosphäre auf und im Meer. Der Antarktisvertrag legt zwar 9
fest, dass die Landmasse und das Schelfeis südlich des 60. Breitengrades nur wissenschaftlich genutzt werden darf. Manöver, Waffentests, die Stationierung von Soldaten und die Entsorgung von Atommüll sind verboten. Alle diese politischen und rechtlichen Versuche die Antarktis vor den Eingriffen des Menschen zu schützen scheinen jedoch in der Realität vergeblich zu sein. Tausende von neugierigen abenteuerlustigen Touristen auf Kreuzfahrtschiffen und Jachten verschmutzen das eisige Meer um den Kontinent, der außerdem noch mit Überflügen überquert wird. Hinzu kommt auf dem Kontinent noch der heutzutage immer mehr zunehmende extreme Sportbetrieb mit motorbetriebenen Fahrzeugen wie Motorräder und Trucks, der als eine neue Epoche von Heldentaten vermarktet wird. Nicht zu vergessen ist die technisch hochgerüstete wissenschaftliche Forschung, die in ihrer Suche nach Edelmetallen und wertvollen Mineralien mit ihren Tiefenbohrungen und Sprengungen wie nie zuvor in der Geschichte eine Gefährdung von Umwelt und Tierwelt der Antarktis darstellt. Hinzu kommt noch die bereits durch Regierungsdekrete der USA bedrohten Aufhebung von Meeresschutzgebieten und neuerdings der verhängnisvolle Ausstieg von Präsident Donald Trump aus dem Pariser Klimaschutzabkommen. Wien im Juni 2017
Erhard Oeser
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Einleitung Die Vorstellung vom Heldentum der Polarforscher war ursprünglich auf die Entdecker beider Pole bezogen. Bereits im Jahr 1913 sprach man von „The Three Polar Stars“: Amundsen, Shackleton, Peary. Wie aus einer zeitgenössischen Fotografie ersichtlich ist, wurde der Antarktisforscher Ernest Shackleton, der nach seiner Rückkehr von der Nimrod-Expedition, auf der er im Jahr 1907 den bisher größten südlichen Breitengrad erreicht hatte, als erster der Antarktisforscher als „Polarheld“ gefeiert.
Abb. 1: Die drei Polarhelden (nach William H. Rau, 16. Januar 1913) Dieser Zeitraum vom Ende des 19. Jahrhunderts bis in die frühen 1920er Jahre wurde später als heroisches Zeitalter (heroic age) oder als „Goldenes Zeitalter“ der Antarktis-Forschung bezeichnet. In dieser Epoche rückte die Antarktis in den Mittelpunkt internationalen Interesses, was zu einer intensiven naturwissenschaftlichen und geographischen Erforschung führte, während derer sechzehn große Expeditionen von acht verschiedenen Ländern ausgesandt wurden. Alle diese Expeditionen hatten nur begrenzte Mittel zur Verfügung. Daher erforderte jede dieser Expedition eine extreme Ausdauerleistung, die ihre Teilnehmer an die Grenzen der physischen und mentalen Leistungsfähigkeit brachte. Bezeichnend für die damalige Situation der Südpolfahrer ist der wenig einladende, aber ehrliche Aufruf Shackletons um Bewerbung zu dieser Expedition. Er lautete: „Männer für gefährliche Reise gesucht. Geringer Lohn, bittere Kälte, lange Monate kompletter Dunkelheit, ständige Gefahr, sichere Rückkehr ungewiss. Ehre und Anerkennung im Erfolgsfall“ (zit. nach Julian Watkins, The 100 Greatest Advertisements). 11
Ehre und Anerkennung erhielt Shackleton im überreichen Maß. So bezeichnete Jameson Adams, der stellvertretende Leiter der Nimrod-Expedition, Shackleton als den „ohne Einschränkung bedeutendsten Führer, der jemals über Gottes Erde wandelte.“ Roald Amundsen findet in seinem Bericht über seine eigene Eroberung des Südpols, den er als Erster erreicht hatte, folgende anerkennende Worte: „Der Name Sir Ernest Shackleton ist für alle Zeiten in den Annalen der Antarktisforschung in Lettern aus Feuer niedergeschrieben“ (Amundsen, The South Pole. Band II. S. 114). Aber das hervorragendste Beispiel eines Polarhelden war Robert F. Scott, der nach seinem tragischen Tod die höchste Anerkennung in England erhielt. Grundlage dafür, war sein eigenes Tagebuch, in dem er seine letzten Tage vor seinem Tod in der Art und Weise eines Heldenepos schildert. Von dem „Heldenopfer“ (Scott 1913, S. 340) eines seiner Kameraden, der das schützende Zelt während eines Orkans verließ, sprach Scott selbst: „Wir wussten, dass der arme Oates in seinen Tod hinausging, wir versuchten auch, es ihm auszureden, aber er handelte als Held und als englischer Gentleman“ (Scott 1913, S. 346).
Abb. 2: Lawrence Oates Auch in seinen Abschiedsbriefen an seine Freunde und Verwandten schilderte Scott seinen eigenen Tod und den seiner Gefährten als eine vorbildhafte Heldentat: „Wir zeigen, dass Engländer noch kühnen Mutes zu sterben wissen, den Kampf bis ans Ende ausfechten. Man wird erfahren, dass unser Plan, den Pol zu erreichen, gelungen ist, und dass wir alles, was möglich war, getan haben, ja soweit gegangen sind, uns selbst zu opfern, um kranke Gefährten zu retten. Den Engländern der Zukunft mag dies ein Vorbild sein, und ich hoffe, dass unser Vaterland denen helfen wird, die zurückbleiben, um uns zu betrauern“ (Scott 1913, S. 352). Und in seiner „Botschaft an die Öffentlichkeit“ schrieb er: „Blieben wir am Leben – ich hätte viel zu erzählen von Unerschrockenheit, Ausdauer und Heldenmut meiner Kameraden, was das Herz jedes Engländers tief bewegen würde. Statt meiner müssen diese kurzen Aufzeichnungen und unsere Leichen reden“ (Scott 1913, S. 360). 12
Es war natürlich klar, dass die Nachricht von seinem tragischen Tod in England eine große Erschütterung und eine Welle des Mitleids auslöste. So erschien in der angesehenen Zeitschrift Daily Mirror in der Ausgabe vom 12. Februar 1913 eine bemerkenswerte Anzeige (vgl. Abb. 3).
Abb. 3: Scotts letzte Botschaft und sein Grab (aus Daily Mirror) Nach Bekanntgabe dieser Anzeige beschwört der Daily Mirror seine Leser: „Diese Worte aus den letzten, nicht überarbeiteten Tagebuch-Notizen von R. F. Scott sollten an jedem Ort, wo sich Engländer treffen, in goldene Lettern gefasst werden. Die Geschichte kennt kein edleres und kein erhabeneres Ende, keine bewegendere Todesbotschaft als diejenige von Captain Scott, dem Seemann aus Devonshire, der mit seiner Gruppe tapferer Männer das südlichste Ziel modernen Entdeckungsgeistes erreichte und dessen Grab nun unter einem Kontinent aus Eis und Schneebergen liegt. Drei blieben übrig. Sie kämpften weiter und kampierten nur elf Meilen von ihrem Lager entfernt, wo Nahrung und neues Leben auf sie warteten. Nur elf Meilen nach dem endlos weißen Marsch über 550 Meilen durch Eis und Schnee. Die Nahrung und das Öl wurden knapper. Der Tod streckte seine Hand nach ihnen aus. ‚Wir sind schwach, das Schreiben fällt mir schwer‘, kritzelte der große Führer ins Tagebuch, aber er riss alle Kräfte zusammen, um eine aufrüttelnde Bitte zu formulieren; gewiss die beredteste, die je geschrieben wurde, gerichtet an Großbritannien: ‚dafür zu sorgen, dass unsere Angehörigen anständig versorgt werden‘. Jedes Wort in jener tragischen letzten Botschaft geht über menschliche Vorstellungskraft weit hinaus, jeder Satz enthüllt die Tiefen des Leidens und des Heldentums; die äußerste Zurückhaltung, mit der ein Mann der Tat diese Botschaft hingeworfen hat, macht sie umso eindrucksvoller. 13
‚Dies alles, zusammen mit einem kranken Gefährten, verstärkte unsere Ängste ungeheuer.‘ Mehr erfahren wir nicht von den unvorstellbaren Qualen, die ihnen der stärkste Mann der Gruppe verursacht haben muss, und zwar dadurch, dass er sich in eine hilflose Last verwandelt hatte, wodurch ihre Kraftreserven schnell nachließen. ‚Wir wussten, es war die Tat eines tapferen Mannes, eines englischen Gentleman.‘ Ein englischer Gentleman! Welch ein Ideal für alle Männer Englands! Ein Mann, der in den Schneesturm, in den Tod hinausging, damit er seinen leidenden Kameraden nicht zur Last falle. Unsterblich wie die letzten Worte von Philip Sidney und Nelson sollten die letzten Worte von Robert Scott sein, niedergeschrieben in den zäh dahin fließenden Stunden seines Todes in der großen weißen Wüste“ (Daily Mirror, 12. Februar 1913; dt. Übers. Lesehefte 1939, S. 132 ff.). Nur zwei Tage später erfolgte dann die nationale Ehrung der Toten in der St. Paul’s Cathedral. Diese Kathedrale ist schon oft der Ort großer Feiern gewesen, aber diejenige, die an diesem 14. Februar 1913 zum Gedächtnis von Captain Scott und seinen Gefährten abgehalten wurde, hielt den Vergleich mit den größten aus: „Was die Spontaneität, was die Menge derjenigen, die Einlass in die Kirche begehrten, was die Verehrung und das Mitgefühl aller Schichten des Volkes anbelangt, war sie eine bemerkenswerte Manifestation. Der König war da; die Regierung war vertreten durch den Premierminister und mehrere Kabinettsmitglieder; Botschafter und Minister ausländischer Staaten waren unter der Versammlung. Die nationalen Streitkräfte, wissenschaftliche Gesellschaften, das staatliche und das öffentliche Leben: Alle sandten bedeutende Vertreter. So bemerkenswert diese Huldigung auch war: Sie wurde noch übertroffen durch die Anwesenheit Tausender einfacher Bürger, die ein ausgesprochen echtes Gefühl persönlichen Verlusts veranlasste, sich in solcher Zahl zu versammeln. Die Kathedrale war bis auf den letzten Platz gefüllt. Man schätzte, dass ungefähr 10000 Personen keinen Einlass mehr erhielten. Die Feier war auf 12 Uhr angesetzt, aber schon um 9:30 Uhr versammelte sich die Gemeinde, und um 11 Uhr umgaben dichte Menschenmassen die Kathedrale und blockierten alle Zufahrtswege. Wirklich nur mit äußerster Schwierigkeit konnten prominente Persönlichkeiten Zugang zu dem Gebäude gewinnen. Die Luft war stickig, neblig und trist, aber die Menschen auf den Straßen gingen erst auseinander, als die Feier vorüber war“ (Times vom 15. Februar1913) Erschüttert reagierte auch das Unterhaus auf den tragischen Tod von Captain Scott und seinen vier „heldenhaften Kameraden“. Auf die Frage, „ob die Regierung der von Captain Scott vorgetragenen Bitte hinsichtlich der Angehörigen derjenigen, die ihr Leben für dieses Unternehmen zur Ehre ihres Landes geopfert haben“ positiv entsprechen werde, konnte der Premierminister nur mit größter Mühe antworten; nur in der unmittelbaren Umgebung der Ministerbank konnte man ihn verstehen, als er sagte: „Wir stehen in diesem Augenblick unter dem tiefen Eindruck, den die letzte Botschaft Captain Scotts hervorgerufen hat. Sie ist eine der bewegendsten und ergreifendsten Äußerungen in der Geschichte dieses Landes, die Botschaft eines tapferen und standhaften 14
Mannes, der dem tragischen Ende einer Laufbahn selbstaufopfernden Dienstes unmittelbar ins Auge sah. Ich kann nur sagen, dass diese Bitte nicht auf taube Ohren stoßen wird“ (Daily Mirror vom 12. Februar 1913; dt. Übers. Lesehefte 1939, S. 136). Auf einer Versammlung des Komitees der britischen Antarktis-Expedition wurde dann beschlossen, eine Stiftung zur Unterstützung der Angehörigen ins Leben zu rufen: „Niemand kann Captain Scotts letzte Worte lesen ohne Bewunderung und Mitleid und ohne das Gefühl der Verpflichtung, diesen letzten Wunsch zu erfüllen. Als das für die missglückte britische Antarktis-Expedition verantwortliche Komitee wagen wir es, die Menschen dieses Landes zu fragen, ob sie Captain Scotts letzte Worte erfüllen wollen. Wir wissen, dass es Captain Scotts Wunsch war, den Mitgliedern der Expedition ihren Lohn nicht vorzuenthalten, obwohl viele von ihnen freiwillig auf einen Teil davon verzichten wollten. Wir sind sicher, unsere Landsleute wünschen, dass diese Schuld beglichen wird und dass für alle Angehörigen der tapferen Männer gesorgt wird, die klaglos ihr Leben gelassen haben für die Ehre ihres Landes und den Fortschritt der Wissenschaft.“ Die Times hatte bereits zuvor am 13. Februar 1913 von einem Beschluss des Londoner Erziehungskomitees berichtet. Nach diesem Beschluss sollte „an allen Schulen Englands ein Bericht über Scotts Expedition sowie Scotts letzte Tagebucheintragungen mit seiner ‚Botschaft an die Öffentlichkeit‘ vorgelesen werden.“ Doch von allem Anfang an gab es unterschiedliche Reaktion auf das Scheitern von Scotts Expedition. Zunächst reagierte man sozusagen von neutraler Seite, das heißt aus einem Land, das selbst nicht an Südpolexpeditionen beteiligt war, auf eine eindeutig positive Weise. So konnte man in der „Neuen Zürcher Zeitung“ lesen, „dass die Scottsche Südpolexpedition nicht bloß auf Polstürmerei angelegt war, sondern vielseitige Forschungen verfolgte und auch solche in großem Umfange erzielte, zeigt sich jetzt in deutlicher Weise. Die Ergebnisse betreffen verschiedene Zweige der Geographie, vor allem die Beschaffenheit der von der englischen Expedition berührten Teile des antarktischen Festlandes sowie die klimatischen Verhältnisse … Besonders interessante Forschungsergebnisse brachte die geologische Arbeit, die zahlreiche Versteinerungen zutage förderte und den Nachweis lieferte, dass in der Antarktis in zwei Erdperioden ein gemäßigtes Klima geherrscht hat, ähnlich wie dies in der nördlichen Eisregion der Fall war … Ferner glaubt man, nachgewiesen zu haben, dass Australien und Südamerika einst durch das antarktische Festland miteinander in Verbindung standen. Überhaupt gereicht es Scott zur höchsten Ehre, dass er selbst bei einem so gewaltigen Unternehmen, wie einer Wanderung vom Winterquartier am 78. Breitengrad, die schon an und für sich alle Kräfte der Teilnehmer in Anspruch nimmt, nicht unterließ, auf dem ganzen Wege noch Forschungen auszuführen. Da die Tagebücher Scotts geborgen werden konnten, werden wenigstens die letzten Arbeiten dieses Helden der Polarforschung der Wissenschaft zugänglich sein … In ihrer Gesamtheit kann die Scottsche Expedition, namentlich im Hinblick auf die unter den schwierigsten Verhältnissen errungenen Forschungsergebnisse, als eine der glänzendsten Ta15
ten der englischen Polarforschung bezeichnet werden“ (F. Mewius in: Neue Zürcher Zeitung vom 25. Februar 1913). Ganz anders klingt ein Zeitungsartikel aus Deutschland in dem die Redaktion darauf hinweist, dass ihr Londoner Korrespondent auf Grund authentischer Berichte das Ende der vielgenannten Südpolexpedition Scotts beleuchtet. Die Folgerungen, zu denen er übereinstimmend mit anderen objektiven Beurteilern kommt, heißt es, werfen ein eigenartiges Licht auf den englischen Heroenkult. Sie lauten in verkürzter Form: „In England wird ein Heldenkult getrieben, den man in Deutschland nicht nur übertrieben, sondern krankhaft nennen würde. Den Brief, den Kapitän Scott hinterlassen hat, nennen englische Redner ‚das Ruhmesblatt, das nie sterben wird‘. Allen Schulkindern, Großbritanniens ist dieses ‚Ruhmesblatt‘ am gleichen Tage und zur gleichen Stunde vorgelesen worden. Die Zeitungen erklären es als eine großartige literarische Leistung, die nur mit gewissen Glanzstellen der Bibel verglichen werden könne. Kapitän Scott hatte, ehe er den letzten Vorstoß nach dem Pol unternahm, gehört, dass Kapitän Amundsen gleichfalls auf dem Wege dorthin war. Er musste seine Vorbereitungen sehr beschleunigen, um sich nicht von dem Norweger den Rang ablaufen zu lassen. Wie von einem ‚Abstecher‘ spricht Amundsen in seinen Berichten über die Fahrt und macht es über allen Zweifel klar, dass dazu kein übermäßiger Heldenmut gehörte, ja, dass die Strapazen, die bisher so grausig ausgemalt worden waren, mit einiger Vorsicht und Umsicht leicht zu überwinden seien. Kapitän Scott erzählt, dass viele Meilen nördlicher Kapitän Oates ‚freiwillig in den Tod ging‘. Kapitän Oates hatte sich Hände und Füße erfroren. Scott gibt seltsamerweise keine Auskunft darüber, wo, wann und unter welchen Umständen das geschehen ist. Wenn sich die Gesellschaft um Kapitän Oates kaum kümmerte, so ist sein Missgeschick leicht erklärlich. Nur ein kritikloses Volk wie das englische kann sich weismachen lassen, dass es unmöglich ist, einen von Krankheit und Entbehrung erschöpften Mann, dem Hände und Füße erfroren sind, abzuhalten, das Zelt zu verlassen. Es bedarf keiner Hellsehergabe, um zu erkennen, was den armen Teufel wirklich in den Tod getrieben hat. Bleibt noch die Frage übrig, was den Tod der drei letzten Teilnehmer der Südpolfahrt verursacht hat. Englischerseits wird kein Versuch gemacht werden, Aufklärung zu schaffen, denn das könnte ihren Helden des Ruhmeskranzes berauben. Aus demselben Grunde hat man sich nun auch gehütet, die Leichen nach der Küste oder nach Hause zu bringen“ (Leipziger Neueste Nachrichten vom 23. Februar 1913). Im Gegensatz dazu liefert Stefan Zweig in seinem im Jahr 1927 erschienen Buch „Sternstunden der Menschheit“ den Höhepunkt einer romantischen Verklärung von Scott. Er schildert ihn als irgendeinen Kapitän der englischen Marine, an dem keine Besonderheit den Helden andeutet: „Sein Gesicht, rückgespiegelt von der Photographie, das von tausend Engländern, von zehntausend, kalt, energisch, ohne Muskelspiel, gleichsam hartgefroren von verinnerlichter Energie. Stahlgrau die Augen, starr geschlossen der Mund. Nirgends eine romantische Linie, nirgends ein Glanz von Heiterkeit in diesem Antlitz aus Willen und praktischem Weltsinn. 16
Seine Schrift: irgendeine englische Schrift, ohne Schatten und Schnörkel, rasch und sicher“. (Zweig 1932, S. 58)
Abb. 4: Stefan Zweig Dass Scotts Wille stahlhart ist, das spürt man schon nach Zweigs Meinung vor der Tat: „Scott will vollenden, was Shackleton begonnen. Er rüstet eine Expedition, aber die Mittel reichen nicht aus. Das hindert ihn nicht. Er opfert sein Vermögen und macht Schulden in der Sicherheit des Gelingens“ (Zweig 1932, S. 59) Im Unterschied zu den zu den kritischen Bemerkungen über die aus Hast und Eile unzureichend ausgestattete Expedition sieht Zweig in ihr vielmehr ein abenteuerliches Unternehmen, das aber „kalkuliert ist wie ein Geschäft, eine Verwegenheit mit allen Künsten der Vorsicht – eine Unendlichkeit von genauer, einzelner Berechnung gegen die noch stärkere Unendlichkeit des Zufalls“ (Zweig 1932, S. 59). Und zum Schluss werden die Ausführungen Zweigs über Scott und seine Gefährten zu einem literarischen Heldenmythos: „In der Kathedrale des Reiches neigt der König dem Gedächtnis der Helden das Knie. So wird, was vergebens schien, noch einmal fruchtbar, das Versäumte zu rauschendem Anruf an die Menschheit, ihre Energien dem Unerreichbaren entgegen zu straffen; in großartigem Widerspiel ersteht aus einem heroischen Tode gesteigertes Leben, aus Untergang Wille zum Aufstieg ins Unendliche empor. Denn nur Ehrgeiz entzündet sich am Zufall des Erfolges und leichten Gelingens, nichts aber erhebt dermaßen herrlich das Herz als der Untergang eines Menschen im Kampf gegen die unbesiegbare Übermacht des Geschickes, diese allzeit großartigste aller Tragödien, die manchmal ein Dichter und tausendmal das Leben gestaltet“ (Zweig 1932, S. 128). 17
Abb. 5: Scott mit letzter Tagebuchseite War die romantische Verklärung Scotts durch Stefan Zweig der Höhepunkt der Heldenverehrung der Polarforscher, so sollte das Buch des englischen Skandinavien-Korrespondenten für den „Observer“ in London Roland Huntford der Höhepunkt einer geradezu verleumderischen Destruktion dieses Heldenmythos sein. Denn Huntford begnügt sich nicht nur mit einer radikalen kritischen Interpretation der von Scott selbst gelieferten Darstellung seiner Expedition, sondern setzt an deren Stelle seine eigenen frei erfundenen Fantasien. Am deutlichsten zeigt sich das an der Darstellung des selbstgewählten Todes von Oates. Während Huntford die dramatische Erzählung Scotts von diesem beispiellosen „Heldentod“ seines Leidensgefährten für ein Märchen ansieht, liefert er selbst eine durch keine Aussagen von Augenzeugen gestützte Alternativdarstellung: „Oates kroch mühsam aus den zerschlissenen, feuchten Fellen des Schlafsacks, kroch über die Beine seiner Gefährten durch das Zelt, fasste die Eingangsplane, die wie ein leeres Sack herunterhing, und machte sich daran, sie zu öffnen. Drei Augenpaare starrten ihn an. Irgendeiner versuchte halbherzig, ihn zurückzuhalten. Der Verschlussknoten löste sich; der Sack war offen und wurde zum Durchgang. Wie ein Tier, das wegkriecht, um zu sterben, schleppte sich Oates hinaus und wurde nicht mehr gesehen“ (Huntfort 2003, S. 430). Doch schon bei Huntford tritt an die Stelle des so demontierten Scotts eine neue verehrungswürdige Figur. Das Gegenbild zu einem „von heroischem Wahn Besessenen“ ist für ihn bezeichnenderweise der Konkurrent Scotts Roald Amundsen, (Huntford 2003, S. 478). Nach Huntfords Meinung war Amundsen der „für alle nach ihm Kommenden der große Lehrmeister“. Seine Fahrt zum Südpol war der „Höhepunkt des klassischen Zeitalters polarer Forschung und vielleicht die 18
bedeutendste Reise, die je in Schneegebieten durchgeführt wurde. Sie war das große Vorbild dafür, wie man ein gewagtes Unternehmen durchführt.“ Huntford weist in diesem Zusammenhang auf Richard Byrd hin: „Byrd hatte zu Füssen Amundsens gesessen, seine Prinzipien und sogar einige seiner Männer übernommen. Byrd hatte Flugzeuge und flog zum Pol. Er verfügte über Funk und alle Hilfsmittel seiner Zeit. Als er sah, was Amundsen mit Hunden und Willenskraft allein geschafft hatte, wuchs seine Bewunderung ins Unermessliche“ (Huntford 2003, S. 479).
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1 Die Suche nach dem Land am Südpol Bereits in der Antike gab es Spekulationen über ein Land am Südpol. Claudius Ptolemäus (100– 175) vertrat in seiner Geographie die Hypothese von einem unbekannten Südkontinent, den er „Terra Australis incognita“ nannte. Der Grund für eine solche Annahme war aber zunächst rein theoretisch. Denn man erwartete ein Gegengewicht zu der ebenfalls in der Antike angenommenen Landmasse am Nordpol der man den Namen „Ultima Thule“ gab (Oeser 2008, S. 12). Von der Gegenwelt (Antichthon) am Südpol nahm man aber an, dass sie von „Gegenfüßlern“ (Antipoden) bewohnt sei. Nach der antiken Vorstellung von Klimazonen, sollte es ein Land mit unerträglicher Hitze sein, in dem alles verkehrt ist. Die Wolken hängen nach unten, die Flüsse fließen bergauf und am Tag ist Nacht.
Abb. 6: Hypothetischer Kontinent (nach Petrus Bertius ca. 1600) Von Aristoteles stammt eine ausführliche aber, wie er selbst sagt, theoretische Darstellung dieser polaren Klimazonen: „Es gibt ja zwei bewohnbare Erdzonen, eine (die unsrige) gegen den oberen Pol hin, die andere in Richtung auf den anderen Pol, gegen Mittag.“ Einzig diese Gegenden sind bewohnbar, nicht die Landstriche jenseits der Wendekreise. Was aber die Gegend unter dem Polarstern betrifft, so meint Aristoteles, ist diese der Kälte wegen unbewohnbar. Die extremen Werte von Hitze und Frost zeigen sich nicht auf den Längen-, sondern den Breitengraden. „Wie es auf der einen Seite wegen der Kälte, so gibt auf der anderen Seite wegen der Hitze keine Menschen 20
mehr.“ Aristoteles verbindet mit dieser Einsicht eine vernichtende Kritik an den zu seiner Zeit üblichen Darstellung der Erdkarten, welche sich nur auf die von Menschen bewohnte Erde beziehen: „Darum ist die Weise, wie man gegenwärtig Erdkarten entwirft, lächerlich; sie zeichnen nämlich die bewohnte Erde kreisrund, was ebenso nach praktischer Erfahrung wie auch theoretisch unmöglich ist“ (Meteorologica Book II 5; übers. von Hans Strom 1984) Dieser Einteilung der Erde des Aristoteles in Klimazonen folgt auch Marcus Tullius Cicero in seinem von 54 bis 52 v. Chr. verfassten „Traum des Scipio“, (Somnium Scipionis, 6. Buch De re publica). Cicero nimmt ebenfalls nur eine bewohnbare Zone an und zwei unbewohnbare Zonen im äußersten Norden und Süden: „Du siehst doch, dass an nur wenigen engbegrenzten Stellen die Erde bewohnt ist. Flecken sozusagen sind’s, wo Menschen wohnen, und zwischen ihnen liegen wüste Einöden gewaltigen Ausmaßes. Daher sind denn auch die Erdbewohner nicht nur so weit voneinander getrennt, dass nichts von den einen zu den anderen gelangen kann, sondern teils wohnen sie überdies auch noch schräg gegeneinander, teils quer entgegengesetzt, teils sind sie Antipoden, d. h. Gegenfüßler, von denen ihr doch sicherlich nicht erwarten könnt, dass sie sich um euren Ruhm bekümmern. Du siehst ferner, dass dieselbe Erde gewissermaßen von Gürteln – Zonen nennt man sie – umwunden und rings umgeben ist. Zwei von ihnen sind besonders weit voneinander getrennt, sie lehnen sich auf beiden Seiten an die Pole des Himmels an und sind ersichtlich von Frost erstarrt, der in der Mitte aber, der größte, wird von der Glut der Sonne gänzlich ausgedörrt. Nur zwei sind bewohnbar: jener südliche dort, dessen Bewohner eure Antipoden sind, steht mit euch in keinerlei Verbindung, dieser hier aber, der nördliche, den ihr bewohnt, sieh nur einmal her, ein wie schmaler Streifen von ihm wirklich euer ist. Das ganze Land nämlich, das von euch bewohnt wird, eingeengt nach den Polen zu, breiter nach den Seiten hin, ist gleichsam nur ein kleines Eiland, rings umströmt von jenem Meer, das ihr das Atlantische, das Große oder auch einfach Ozean nennt“ (Marcus Tullius Cicero, De republica. VI 20–25 Übers. von Karl Atzert). Der spätantike Philosoph Ambrosius Theodosius Macrobius (geboren um 385/390; gestorben vermutlich nach 430) schrieb im 5. nachchristlichen Jahrhundert einen Kommentar zu Ciceros Somnium Scipionis. Von ihm ist in einer Handschrift aus dem 12. Jahrhundert eine Darstellung der Klimazonen im Kommentar zum Somnium Scipionis überliefert. Schon Aristoteles hatte infolge seiner Beobachtung von Mondesfinsternissen erkannt, dass die Erde eine Kugel sein müsste (vgl. Oeser 2017) So liefert er im zweiten Buch „Über den Himmel“ einen Beweis für die Kugelform der Erde, wenn er sagt: „Bei den monatlichen Formveränderungen nimmt der Mond alle möglichen Arten der Abteilung an (er wird nämlich sowohl geradlinig als auch rings gewölbt als auch hohl), hingegen bei den Finsternissen hat er die abgrenzende Linie immer gewölbt, so dass, wofern er sich des Vorliegens der Erde verfinstert, wohl der Umfang der Erde, welcher ein kugelförmiger ist, die Ursache sein dürfte“ (Aristoteles übers. von Prantl 1857, S. 181). Und Ptolemäus hatte sich mit den Berechnungen des Erdumfangs von Eratosthenes und Poseidonios befasst, die der Vorstellung von Aristoteles von der Kugelförmigkeit der Erde gefolgt 21
sind. Dabei übernahm Ptolemäus die falschen Ergebnisse des Poseidonios, die dann in die allgemeine Literatur übergingen und bis zu Christoph Kolumbus auf einen zu geringen Erdumfang von ca. 17000 Seemeilen (30000 km) schließen ließen.
Abb. 7: Darstellung der Klimazonen im Kommentar zum Somnium Scipionis durch Macrobius (Quelle: Copenhagen, Det Kongelige Bibliotek) Kolumbus ging ebenfalls von der Kugelgestalt der Erde aus und wendete sich gegen die Vorstellung, dass die Erde eine Scheibe sei. Wer meint, ein Seefahrer würde bei seiner riskanten Unternehmung über den Rand der flachen Erde hinaussegeln und in die Hölle stürzen, liegt daher nach seiner Ansicht völlig falsch. Während Kolumbus von Westindien aus nicht weiter nach Süden vordrang, war es Amerigo Vespucci, der die Küste von Südamerika bereiste und sich berechtig fühlte, die Bezeichnung „Mundus Novus“ in seinen berühmten Brief an Lorenzo di Medici zu verwenden. Denn keine seiner Vorläufer besaßen „von diesen Gebieten Kenntnis und deren Existenz allen, die davon hören, völlig neu ist“ (Vespucci 2012, S. 17). Die meisten von ihnen glaubten, dass sich südlich des Äquators kein Festland befände, sondern nur eine unendliche See, die sie Atlantik nannten, und auch diejenigen, die hier einen Kontinent für möglich hielten, waren aus verschiedenen Gründen der Meinung, er müsse nicht bewohnbar sein. Vespucci hat aber bewiesen, dass diese Ansicht falsch ist und der Wahrheit in keiner Weise entspricht, da er südlich des Äquators den anderen Teil von Amerika fand, der mit Völkern und Tieren dichter besiedelt war als Europa oder Asien und Afrika (Vespucci 2012, S. 17). Aber auch Vespucci war nicht bis zu dem sagenhaften seit der Antike angenommenen Südkontinent Terra Australis vorgedrungen. Die eigentliche Südpolarforschung begann erst im 18. Jahrhundert als James Cook seine zweite Reise um die Welt antrat. 22
2 Der Beginn der Südpolarforschung: James Cook Auch in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts war der Glaube, dass am Südpol ein großes Land sei, das die Geografen „Terra australis incognita“ nannten, noch immer vorhanden. Einem Schiffskapitän der Indischen Kompanie, Jean Baptiste Charles Bouvet de Lozier, ließ der ungeheure Raum rings um den Südpol keine Ruhe. Je länger er darüber nachdachte, umso mehr erwachte in ihm das ehrgeizige Bestreben, jenes unbekannte Land zu entdecken. Lange Zeit blieben seine Bemühungen ohne Erfolg. Erst im Jahr 1738 bewilligte ihm die Direktion der Gesellschaft eine Expedition in der Hoffnung, ihrer Handelstätigkeit damit neue Gebiete zu eröffnen. Diesem Mann, der die sonst wenig bekannte Expedition leitete, kommt vor allem der Ruhm zu, dem großen englischen Seefahrer James Cook den Weg vorgezeichnet zu haben.
Der Vorläufer von James Cook: Bouvet de Lozier Unter dem Befehl des Leutnants der französischen Indienkompanie Bouvet de Lozier liefen am 19. Juli 1738 zwei kleine aber zweckentsprechend ausgerüstete Fregatten „Aigle“ und „Marie“ von Brest aus in die hohe See. Einen Monat lang lagen sie an der Küste Brasiliens vor Anker bevor sie sich am 13. November wieder in Richtung Süden in See begaben. Aber bereits Mitte Dezember bemerkte man unter 40°50‘ südlicher Breite einen gewaltigen Eisberg und später noch mehrere andere, umgeben von Eisschollen jeder Form und Größe. Doch Bouvet wollte trotz dieser Hindernisse nach Süden weiter segeln, um seinen Plan der Entdeckung neuer Länder in dieser unbekannten Region zu verwirklichen. Zur Beruhigung der entmutigten Mannschaft sagte er, dass man das Auftreten von Eisbergen als ein günstiges Vorzeichen zu betrachten habe, da es auf die Nähe eines Landes hinweise. Tatsächlich wurde Bouvets Ausdauer durch die Entdeckung eines Landes belohnt, das er „Cap de Circoncision“ nannte. Es war sehr hoch, mit Schnee bedeckt und von Eismassen umgeben, die es unmöglich machten, näher an dieses Land heranzukommen. Man bestimmte seine geografische Lage mit 54° südlicher Breite. Bouvet hätte das vor ihm liegende Land gern näher besichtigt oder zumindest mit Booten sein Ufer erreichen wollen. Dichter Nebel und widrige Winde vereitelten aber ein derartiges Unternehmen. 23
Abb. 8: Bouvet und die von ihm entdeckte Insel Cap de Circoncision Am 3. Januar meldete Bouvet in seinem Bericht an die Kompanie, dass er bei weniger bedeckten Himmel das Land schärfer zu erkennen vermochte: „Die in ihrer ganzen Ausdehnung ziemlich steile Küste,“ sagte er, „bildete mehrere Buchten; der Gipfel der Berge lag im Schnee verhüllt, doch schienen deren Abhänge bewaldet.“ Nach wiederholten fruchtlosen Versuchen, ans Ufer zu kommen musste Bouvet diese Absicht aufgeben. Seine Matrosen waren von den Strapazen erschöpft, entmutigt und von Skorbut entkräftet. „Wir haben“, sagt Bouvet in dem schon zitierten Bericht, „auf unbekannten Meeren zwölf- bis fünfzehnhundert Meilen zurückgelegt. Fast siebzig Tage lang litten wir durch einen gleich bleibenden, dichten Nebel. Vierzig Tage lang kreuzten wir zwischen dem Eis, beinahe täglich von Hagelschauern und Schneefällen überschüttet. Häufig waren Deck und Segelwerk dick mit Schnee bedeckt. Wanten und Tauwerk starrten in einer Eiskruste. Die Kälte war für meine nur mangelhaft bekleideten Leute, welche aus warmen Ländern herstammten, gar zu streng. Mehrere erfroren bei ihrer Arbeit die Hände oder die Füße. Anderen brachen die Tränen aus den Augen, wenn sie die Sondleinen aufholten“ (zit. nach Verne 1881, S. 259). Unter solchen katastrophalen Verhältnissen musste Bouvet schließlich seinen Plan aufgeben, weiter nach Süden vorzudringen. Er steuerte sein Schiff zum Kap der Guten Hoffnung das er am 28. Februar 1738 erreichte. Selbstverständlich konnte ein in den Augen der Kompanie so geringfügiges Resultat keine weiteren Aussichten auf eine Fortsetzung solcher Reisen in diese Gegenden haben, die keine wirtschaftlichen Vorteile erwarten ließen, sondern vielmehr Schiffen und Menschen mit dem Verderben bedrohten. Erst mehr als dreißig Jahre später fand mit James Cook eine Fortsetzung dieser Reisen nach dem Süden statt. Sie ist als der eigentliche Beginn der Südpolarforschung anzusehen.
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Die Fahrt Cooks auf den Spuren von Bouvet Kaum war das Schiff „Endeavour“ von James Cook im Jahr 1771 von seiner ersten Reise zurückgekommen, wurde schon eine neue Reise in die Südsee geplant, weil man noch immer das Dasein eines großen südlichen Landes notwendig zum Gleichgewicht der Erdkugel hielt. Zwei geeignete Schiffe wurden ausgerüstet und als Kapitäne James Cook zum Befehlshaber der „Resolution“ und Tobias Fourneaux zum Befehlshaber der „Adventure“ ernannt. Die „Resolution“ war ein besonders stark gebautes Schiff von 462 Tonnen und 112 Mann Besatzung. Da Cook damals bereits viel Erfahrung hatte, war er darauf bedacht, nur solche Lebensmittel mitzunehmen, die am besten geeignet waren, die unheimliche Krankheit Skorbut, die von jeher der schlimmste Feind der Polarfahrer war, wenn schon nicht ganz auszuschalten, so doch möglichst einzuschränken.
Abb. 9: James Cook und sein Schiff „Resolution“ Die britische Admiralität schickte Cook mit dem Befehl aus, das große südliche Festland zu entdecken oder zu beweisen, dass es nicht gab. Demzufolge sollte er zunächst zum Cap de la Circoncision fahren, das nach Bouvet unter dem 54.° südlicher Breite liegen soll. „Entdeckt er dieses,“ heißt es in der Anweisung der Admiralität, „so sollte er untersuchen, ob es zum festen südlichen Land gehöre, welches aller Geographen und voriger Seefahrer Aufmerksamkeit erregt hatte, oder ob es nur ein Teil einer Insel sei. Im ersten Fall sollte, soviel als möglich, von der Küste befahren und untersucht, zugleich auch Bemerkungen zum Vorteil des Handels, der Seefahrt und der Naturgeschichte gemacht werden. Wäre aber das Vorgebirge de la Circoncision nur ein Teil einer Insel, oder könnte er es gar nicht antreffen, so bliebe ihm übrig, solange er noch Hoffnung hätte, ein großes oder festes Land zu finden südwärts zu steuern, alsdenn aber seinen Lauf nach Osten 25
zu richten, und in hohen südlichen Breiten, so nahe am Pol als tunlich sein würde rund um die Welt zu segeln“ (zit. nach Forster 1803, S. 4). Dazu schreibt der wissenschaftliche Begleiter Cooks Johann Georg Adam Forster: „Es war der Gegenstand unserer gefährlichen Reise, die südliche Halbkugel bis zum 60.° der Breite zu untersuchen, ob dort im gemäßigten Erdstrich ein großes festes Land vorhanden sei, oder nicht. Unsre verschiedenen Kurslinien haben aber nicht nur deutlich erwiesen, dass in der südlichen gemäßigten Zone kein großes Land liegt, sondern, da wir innerhalb des gefrorenen Erdgürtels bis zum 71.° südlicher Breite vorgedrungen sind, so ist dadurch höchst wahrscheinlich gemacht worden, dass der jenseits des antarktischen Polarzirkels befindliche Raum bei weitem nicht mit Land ganz angefüllt sei. Dem ungeachtet ist Kapitän Cook noch der Meinung, dass Eiseilande unmöglich anders als an den Küsten und in den Tälern und Häfen des festen Landes formiert werden; weil er es nur auf diese Art für möglich hält, die verschiedenen Gestalten dieser Eismassen zu erklären. Die großen Eilande, die ganz eben sind, sollen in den Häfen, diejenigen aber, die zugespitzt und schroff aussehen, sollen zwischen Felsen und in Tälern von gehäuften und gefrorenen Schnee entstehen. Beide Arten brechen durch ihr eigenes Gewicht von der ganzen unermesslichen Masse ab, und treiben denn bei beständigen nordwärts gehenden Strömungen in gelindere Breiten. Kapitän Cook ist demnach fest versichert, dass ein großes Stück Landes um den Südpol liegt, welches freilich nicht viel taugt, weil er glaubt, dass Sandwich-Land, eine der nördlichsten Spitzen dieses Kontinents sei, und dass letzteres größtenteils innerhalb des Polarzirkels liege“ (Forster 1803, S. 751 f.). Wie nun die Reise nach dem Süden tatsächlich verlief, hat Georg Forster am Beginn seiner Darstellung der zweiten Reise um die Welt ausführlich mit all den Drangsalen berichtet. Cook verließ mit seinem Schiff „Resolution“ und dem Begleitschiff „Adventure“ den Hafen von Plymouth am 13. Juli 1772. Nach einem kurzen Aufenthalt in Madeira erreichte er am 30. Oktober Kapstadt. Bereits, nach einer Woche, nachdem die Resolution das Kap der Guten Hoffnung verlassen hatte, geriet das Schiff in einen fürchterlichen Sturm, bei dem es hin und her geworfen wurde. Das Heulen des Sturmes im Tauwerk, das Brausen der Wellen, die häufig über das Schiff stürzten, gestattete fast keine Beschäftigung an Deck. Das Übelste dabei war, dass die Decken und Fußböden der unteren Räume und Kajüten gar nicht trocken wurden. Hinzu kam noch, dass bereits am 42° südlicher Breite die Luft doch schon sehr scharf zu werden begann. Eines nachts erlebte die Mannschaft einen kritischen Augenblick, der sie in entsetzliche Angst und Schrecken versetzte. Ein Unteroffizier, der im Vorderteil des Schiffsraumes schlief, erwachte dadurch, dass er Wasser durch seine Schlafstelle rauschen hörte. Das Wasser stieg immer mehr und konnte auch nicht durch Schöpf- und Kettenpumpen aufgehalten werden. Endlich entdeckte man, dass das Wasser nicht durch ein verborgenes unzugängliches Leck eindrang, sondern dass es in die Vorratskammer zu einem Fenster hereinkam, das nicht fest genug zugemacht und durch die Gewalt der Wellen eingeschlagen worden war. 26
Auch in den ersten Tagen des Dezembers gab es fast beständig Sturm mit Regengüssen. Der Wind war kalt und schneidend und das Trinkwasser fing an zu frieren. Diese Kälte war der Vorbote des Treibeises, dem schon man kurz darauf begegnete. Nach der beobachteten südlichen Breite von 51° 5‘, welche mit der Polhöhe von London ungefähr übereinstimmt, war man mitten im Dezember, der auf der südlichen Halbkugel dem Juni entspricht, auf verschiedene Eisberge gestoßen. Da man nur wenige Grade von der Breite entfernt war, an welcher der Kapitän Lozier Bouvet das Cap Cirkoncision gefunden haben wollte, erwartete jedermann mit großer Ungeduld Land. Die trügerische Gestalt der Nebelbänke oder der in Schneegestöber gehüllten Eisinseln veranlasste dabei schon manchen falschen Lärm. Und auch von dem Begleitschiff Adventure erhielt Cook Signale, dass man Land sehe. Am 9. Januar 1773 bekam man eine riesige Eisinsel zu Gesicht und am 17. Januar wurde zum ersten Mal der südliche Polarkreis überschritten. Cook hatte damit alle früheren Forschungsreisenden weit überholt, aber sein Versuch, noch weiter südlich vorzudringen, wurde durch eine ständig zunehmende Menge von Eisbergen und durch Packeis verhindert. Daher musste er für dieses Jahr sein Vorhaben im Süden aufgeben und sich wieder nach Norden wenden. Am 26. März 1773 erreichten seine beiden Schiffe Neuseeland. Als er im darauffolgenden Jahr von Neuseeland aufbrach und wieder nach Süden steuerte erreichte er seine höchste Breite 71° 10‘.
Abb. 10: Resolution bei der Eisinsel Ein weiterer Hinweis auf Cooks Fahrten in der Antarktis stammt von James Webber, Draftsman an Bord der Resolution in den Jahren 1776 bis 1780. Er verfertigte eine Zeichnung von einer Schlittenfahrt Cooks (dargestellt in: John Webber 1808). Sie zeigt auch, dass zumindest in der Fantasie des Zeichners die Hoffnung, doch das sagenhafte Südland zu entdecken aufrecht geblieben ist. Dass aber Cook überhaupt Schlittenfahrten mit Hunden auf dem zusammenhängenden Packeis unternommen hat, ist anzunehmen, weil in dem Bericht von Georg Forster mehrfach von Pinguinjagden die Rede ist (Forster 1803, S. 57) und außerdem später, allerdings erst nach dem Tod von Cook, eine detaillierte Beschreibung solcher Hundeschlittenfahrten gegeben wird: „Auf einen Schlitten kann nur eine Person sitzen. Man setzt sich aber von der Seite darauf, so dass die 27
Füße auf dem unteren Teil zu ruhen kommen. Die Lebensmittel und andern Sachen, die man mitnimmt, werden in ein Bündel gepackt, das man hinten auf den Schlitten legt. Ein solcher Schlitten wird gewöhnlich von fünf Hunden gezogen, von denen vier paarweise gehen, der vordere aber den Weg zeigt“ (Cook 1843, S. 316; dt. Forster 1803, S. 256).
Abb. 11: Cooks Hundeschlitten (aus Webber 1808 und Forster 1803)
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3 Der russische Entdecker der Antarktis: Bellingshausen Den Ruf, Entdecker der Antarktis zu sein, erlangte Fabian Gottlieb von Bellingshausen deswegen, weil er am 28. Januar 1820 erstmals den Rand eines „Eis-Kontinents“ sichtete. Es war das Schelfeis, das als Teil des antarktischen Kontinents betrachtet werden kann. Nach den Forschungsreisen von James Cook war es die zweite Expedition überhaupt, die so weit nach Süden vorstieß. Im August 1820 wurde der 70. Breitengrad erreicht und dabei die antarktische Festlandküste auf einem südlicheren Kurs befahren als von Cooks Expedition. Die Beschreibung von Bellingshausens Südpolar-Expedition erschien 1831 in russischer Sprache in Sankt Petersburg. Eine deutsche Übersetzung wurde erst 1902 veröffentlicht. Aber bereits im Jahre 1842 erfuhr die Welt im „Archiv für wissenschaftliche Kunde von Russland“ von einer Expedition, die den Auftrag hatte, die weniger bekannten Gegenden des südlichen Oceans genau zu erforschen und so weit wie möglich im Antarktischen Meer vorzudringen. Zu dieser Expedition wurden die Sloops Wostok (der Osten) und Mirny (der Friedfertige) bestimmt, und die Leitung dem Capitain Bellingshausen übertragen (Lowe 1842, S. 127).
Abb. 12: Bellinghausen und Lasarew
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Fabian Gottlieb von Bellingshausen, geboren auf der estnischen Insel Ösel (heute Saaremaa) als Kind einer deutschbaltischen Adelsfamilie, begann bereits 1789 mit 11 Jahren seine militärische Laufbahn als Kadett an der Marine-Kadettenschule in Kronstadt. 1797 trat er als Fähnrich zur See in die russische Flotte ein. 1803 bis 1806 diente er auf dem Schiff Nadéjda und nahm an der ersten russischen Weltumseglung unter A. J. von Krusenstern teil. Nach der Reise wurde er zum Kapitänleutnant befördert und war Kommandant verschiedener Schiffe der russischen Baltischen Flotte und der Schwarzmeerflotte. Zum Kommandant des Schiffes Mirny wurde Michail Petrowitsch Lasarew bestimmt. Er war in Wladimir geboren, einer Stadt, die rund 190 km östlich von Moskau liegt. Nach Abschluss der Kadettenschule absolvierte er von 1803 bis 1808 ein Praktikum bei der britischen Flotte. Nach seiner Rückkehr diente er in der russischen Baltischen Flotte. Bellinghausen fand bei seiner Ankunft in Kronstadt die beiden Schaluppen schon seefertig vor. Doch keins von beiden besaß die Festigkeit, die zu einer so langen Reise unter schwierigen Umständen nötig gewesen wäre. Die vorgerückte Jahreszeit machte es aber unmöglich noch bedeutende Veränderungen vorzunehmen. Das Schiff Mirny, dessen Kommando der Lieut. Lasarew erhalten hatte, konnte im Segeln mit dem Wostok keinen Vergleich aushalten. Es war daher vorauszusehen, wie schwierig es den beiden Schiffen sein würde, zusammen zu bleiben, und welche Verzögerung dadurch in der Fahrt entstehen werde. Auf der Wostok befanden sich insgesamt 117 Mann, auf dem Mirny im Ganzen 72 Mann. Bellingshausen erhielt eine Sonderzahlung von 5000 Rubeln, Lasarew von 3000 Rubeln, alle übrigen Offiziere und die ganze Mannschaft erhielten einen erhöhten Sold. Am 16. Juli gingen die beiden Schiffe unter den Jubelrufen der Zuschauer von der Kronstädter Reede in See. Bevor sie sich aber nach Süden wandten, begaben sich Bellingshausen und Lasarew nach London, um die dort bestellten astronomischen Instrumente abzuholen. Nachdem sie am 10. September wieder in See gestochen waren, empfanden sie schon bei dieser ersten gemeinsamen Fahrt die Ungleichheit der Geschwindigkeit der beiden Schiffe. Der Wostok war genötigt, um nicht den Mirny weit hinter sich zu lassen, nur wenig Segel zu setzen und konnte daher den günstigen Wind nicht ausnützen. Dem Kapitän Lasarew wurde vorgeschrieben, sich mit dem Mirny bei heiterem Wetter 4,6 bis 8 Meilen entfernt zu halten, des Nachts und bei schlechter, nebeliger Witterung aber in einen Abstand von 5 Kabellängen im Kielwasser des Wostok zu folgen. Im Fall einer Trennung sollten sich beide Schiffe 3 Tage lang auf derjenigen Stelle aufsuchen, an der sie sich zuletzt gesehen hatten, dann aber, je nach der Zeit des Verfehlens nach den Falklands-Inseln und schließlich nach Port Jackson sich begeben. Trotz dieser Verzögerungen erreichten die beiden Schiffe im Januar des nächsten Jahres die Eiszone. Am 15. Februar 1820 gelang es ihnen zum dritten Mal den südlichen Polarkreis zu überschreiten und die höchste Breite von 69° 25‘ südlicher Breite zu erreichen. Vom 28. Februar bis zum 4. März setzten sie ihre Fahrt fort, fast immer von Treibeis umgeben, das sich in unabsehbaren Feldern von Osten nach Westen ausdehnte. Unter diesen Umständen, da der nächste Hafen Port Jackson wenigstens 5000 Meilen entfernt war, entschloss sich Bellingshausen wieder nach 30
Norden zu segeln und einen weder von Cook noch von andern Seefahrern befahrenen Teil des südlichen Eismeers zu untersuchen. Am 8. April 1820 zeigte sich das Ufer von Neu-Holland wie Australien vor der Besitznahme durch das britische Empire im 19. Jahrhundert bezeichnet wurde und am 10. April erschien ein Lotse am Eingang des Port Jacksons und die Wostok ging an einer ihr angewiesenen Stelle vor Anker. Am 19. April kam auch Lasarew mit dem Mirny an.
Abb. 13: Bellingshausens Schiffe Damit war jedoch die Reise Bellingshausens noch nicht zu Ende. Am 12. November verließen die beiden Schiffe den Hafen von Sidney und steuerten nach Süden. Gegen Ende November erblickte man die Macquarrie-Insel und legte in einer Bucht an der Nord-Ostseite an. Am Ufer befanden sich seit mehreren Monaten zwei Abteilungen englischer Robbenfänger, die sich mit der Jagd auf diese Tiere beschäftigten, deren Fett eingeschmolzen und nach Neu-Süd-Wales und England ausgeführt wurde. Der Hauptbewohner der Insel sind aber Pinguine, die dort in unzähliger Menge vorhanden waren. Bellingshausen steuerte auch bei dieser erneuten Fahrt unentwegt nach Süden und erreichte am 22. Januar den südlichsten Punkt der Expedition 69° 53‘ südlicher Breite (vgl. Lowe, S. 1689). An diesem Punkt zeigte sich zu allgemeiner Freude am Horizont ein mit Schnee bedecktes Ufer. Das neu entdeckte Land war eine hohe, aus steilen Klippen gebildete Insel, die den Namen Peter des Ersten, des Gründers der Russischen Marine erhielt. In der Voraussetzung, dass sich noch andere Küsten in der Nachbarschaft dieser Insel befinden setzte Bellingshausen seine Reise fort und sichtete am 29. Januar ein hohes Cap, zu dessen gebirgigem Ufer man jedoch wegen des undurchdringlichen Eises nicht gelangen konnte. Es erhielt den Namen Alexanders des Ersten. Nach diesen Entdeckungen verließ Bellingshausen das südliche Eismeer und kehrte über Rio de Janeiro, Lissabon, Kopenhagen und erreichten endlich am 5. August nach einer Abwesenheit von 751 Tagen den Hafen von Kronstadt. 31
4 Die Reise eines Robbenfängers nach dem Südpol: James Weddell Der englische Seefahrer und Robbenjäger James Weddell schreibt selbst über den wirtschaftlichen Hintergrund seiner Reise, die ihn zu einem höheren südlichen Breitengrad geführt hatte, als bis dahin erreicht worden war: „Unsere Absicht ging dahin, uns Seehundshäute zu verschaffen, und unsere Schiffe bestanden aus der Brigg Johanne, von Leith, 180 Tonnen, und dem Cutter Beaofoy, von London, 65 Tonnen, welche beide ausgerüstet und auf zwei Jahre mit Lebensmitteln versehen waren. Das erstere mit 22 Leuten bemannt, stand unter meinem Befehl; das zweite mit 13 Mann befehligte Herr Mattheus Brisbane“ (Weddell 1827, S. 3).
Abb. 14: Weddell mit seinen Schiffen Am 17. September 1822 um 5 Uhr nachmittags lichteten beide Schiffe ihre Anker und segelten aus den Dünen. Da ein frischer Ostwind blies, gelangten sie bereits am 18. September nachmittags bei Portland an und verloren bald danach ihr Vaterland aus dem Gesicht. Auf dem Weg nach Madeira begegnete Weddell nichts Besonderes. Am 4. Oktober erreichte er die Straße von Funchal. Von dort segelte er zur Insel Bona Vista, eine von den Inseln des grünen Vorgebirges, wo er einen längeren Aufenthalt nahm, um vor allem Salz im beträchtlichen Ausmaß von 36 Tonnen einzuladen und auf beide Schiffe zu verteilen. Bei dieser Gelegenheit machte er einige Beobachtungen über die katholische Geistlichkeit der Inseln. Während sich der Bischof selbst durch ein sanftmütiges Betragen und strenge geistige Disziplin auszeichnete, aber immer darauf aus war, Proselyten für seine Konfession zu machen, waren einige von seinem geistlichen Gefolge nicht so bedachtsam. Weddell konnte nämlich beobachten, dass, „wenn sie aus den Augen des Bischofs waren, sie sich 32
dann wie Laien betrugen, und sich gern in die Gesellschaft von Frauen mischten“ (Weddell 1827, S. 7). Auf seiner Weiterfahrt nach Süden traf Weddell einen portugiesischen Schoner, der Sklaven geladen hatte. „Wären wir stärker bemannt gewesen“, meinte er, „so würden wir vielleicht 250 Mitgeschöpfe von einer grausamen Sklaverei errettet haben. Die Männer lagen im untersten Schiffsraum und erstickten fast in diesem engen Raum; die Weiber und Kinder saßen unter dem Wind auf dem Verdeck; viele von ihnen waren jedoch an den Füßen gefesselt.“ Und voller Verbitterung und Verachtung stellt Weddell fest: „Dieser schändliche Handel wird von den Portugiesen bis zu einer beträchtlichen Ausdehnung südlich vom Äquator immer noch zur Schande der Menschheit betrieben“ (Weddell 1827, S. 11). Schließlich erreichte James Weddell am 20. Januar 1823 bei 74° 15‘ südlicher Breite den südlichsten Punkt auf seiner Reise nach dem Südpol. Da aber der Wind aus Süden blies, wurde Weddell verhindert in dieser Richtung weiter zu fahren. Und so benutzte er, weil die späte Jahreszeit und die mit Eisinseln bedeckte See, sowie die langen Nächte und wahrscheinlich zu erwartende Schneegestöber große Hindernisse auf der Rückreise in den Weg gesetzt haben würden, diesen günstigen Wind zur Rückkehr. Das gesamte Schiffsvolk Weddells, sah natürlich seine Erwartung sehr getäuscht, dass man kein südliches Land gefunden hatte. Um sie daher wieder ein wenig aufzumuntern, drückte Weddell ihnen seine Zufriedenheit mit ihrem geduldigen und ordentlichen Betragen aus, und sagte ihnen, sie wären jetzt weiter südlich gekommen, als irgendein früherer Schifffahrer. Darauf wurde die Flagge aufgezogen und die Schiffskanone abgefeuert. Eine Verteilung von Grog zerstreute vollends ihre düstere Laune und erregte wieder die Hoffnung, dass das Glück ihnen doch noch günstig sein werde. Der günstige Wind hielt bis März an, so dass sie am 12. dieses Monats die Insel Süd-Georgien erreichten. Dort konnte man sich wenigstens mit frischen Kräutern gegen den Skorbut versorgen an dem das Schiffsvolk auf dieser langen Fahrt zu leiden hatte. Weddell nahm auf dieser Insel seine eigentliche Arbeit als Robbenfänger auf. Seit James Cook im Jahre 1771 einen Bericht über eine große Menge von Seelöwen und Pelzrobben geliefert hatte, beeilten sich eine ganze Reihe unternehmender Kaufleute Schiffe zum Fang dieser Tiere auszusenden und zwar mit verheerenden Erfolg, wie Weddell zu berichten weiß: „Jetzt sind diese Tiere fast ausgerottet; aber glaubwürdige Personen haben mir versichert, dass seit dem Jahre, wo sie in so großer Menge vorhanden waren, nicht weniger, denn 20000 Tonnen See-Elephantentran auf den Londoner Markt geschafft worden ist. Eine Menge Robbenfelle wurden gewöhnlich zugleich mit einer Ladung Tran gebracht. Die Menge der Häute, die teils wir, teils Fremde aus Georgien schafften, kann auf nicht weniger, denn auf 1200000 angeschlagen werden“ (Weddell 1827, S. 40). Dann berichtet Weddell auch von seinem eigenen Eindruck von der antarktischen Tierwelt. Von den Pinguinen sagt er: „Es gibt sehr viele Arten derselben. Sie gehen in großen Herden längs 33
der Küste aufrecht und mit watschelndem Gang. Nimmt man sie durch den Nebel hindurch wahr, so kann man sie nicht unpassend für Menschen halten. An Stolz werden diese Vögel vielleicht nicht einmal vom Pfau übertroffen dem sie an Schönheit des Gefieders in der Tat nicht sehr nachstehen. Wenn sie vorn oder auf den Seiten niederblicken, um die Vollkommenheit ihres äußeren Glanzes zu betrachten, und dabei jeden Fleck, der sie besudeln könnte, entfernen, so ist dies wahrhaft belustigend mit anzusehen“ (Weddell 1827, S. 42 f.). Vor allem sind natürlich Weddell die Robben von größtem Interesse: „Ihre Untätigkeit und außerordentliche Schläfrigkeit am Lande steht im auffallenden Kontrast mit ihrer Klugheit und Gewandtheit zur See … Es ist merkwürdig, dass der See-Elephant, wenn er am Ufer liegt und mit dem Tode bedroht wird, sich oft gar nicht bemüht, ins Wasser zu entkommen, sondern still liegt, und Tränen vergießt, und dabei bloß den Kopf in die Höhe richtet, um den, der ihn angreift anzusehen“ (Weddell 1827, S. 88 f.). Geradezu rührend aber ist es, wenn der sonst so grausame Robbenschlächter Weddell davon spricht, dass er einige junge Robben von drei oder vier Wochen bis zu zwei Monate aufzog, die so zahm waren, dass sie ihm aus der Hand fraßen und sehr an ihm hingen (Weddell 1827, S. 90). Nach Aufenthalten auf den Falklandinseln und in Montevideo beeilte sich Weddell heimwärts zu kommen und erreichte nach einer Abwesenheit von fast zwei Jahren den Hafen von Falmmouth.
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5 Die Entdeckung des magnetischen Südpols: James Clark Ross James Clark Ross meldete sich bereits im Alter von 12 Jahren freiwillig zum Dienst in der Royal Navy. Auf Grund der Förderung seines Onkels John Ross wurde er bald als Midshipman und Maat eingesetzt, und als sein Onkel schließlich 1818 das Kommando über eine Expedition zur Suche nach der legendären Nordwestpassage und Erkundung der arktischen See erteilt bekam, nahm James daran teil. Unter der Führung von William Edward Parry konnte er sich besonders durch selbstständige Durchführung wissenschaftlicher Untersuchungen und Schlittenerkundungen einen Namen machen und wichtige Erkenntnisse zum Forschen und Überleben in den Polarregionen gewinnen. 1829 begleitete James Clark Ross seinen Onkel John Ross auf dessen zweiter Fahrt zum Nordpol während der er am 1. Juni 1831 den nördlichen Magnetpol fand.
Die Entdeckung des nördlichen Magnetpols Das große Ereignis der Expedition zur Auffindung der Nord-West-Passage von John Ross war die Entdeckung des Magnetpols durch seinen Neffen James Clark Ross. Ein Beobachter konnte erst dann sicher sein, diesen Pol erreicht zu haben, wenn die Inklinationsnadel seines Kompasses keine Abweichung von der Senkrechten mehr zeigte. Dann lag der Magnetpol genau unter seinen Füßen. Nach einem mehrtägigen anstrengenden Marsch erreichte James Ross am 1. Juni 1831 gegen 8 Uhr morgens den ersehnten Punkt. Seine Begeisterung war groß: „Andere können das erhebende Gefühl, das mich beseelte, kaum begreifen: Wir waren angekommen! Nunmehr hatten wir alles vollbracht, um das eigentliche Ziel unserer Sehnsucht zu erreichen. Für uns blieb eigentlich nichts weiter zu tun, als nach Hause zurückzukehren und für den Rest unserer Tage froh zu sein“ (Ross 1835, S. 555; dt. Übers. 1983, S. 167). Dass Ross an diesem Punkt so nahe wie möglich am Magnetpol war, ging daraus hervor, dass die Inklinationsnadel 89° 59‘ erreichte, also nur um eine Bogenminute von der Vertikalen abwich. Sobald dieses Ergebnis feststand, machte es Ross seiner Mannschaft bekannt. Sie gratulierten sich gegenseitig, zogen die britische Flagge auf und nahmen feierlich den Magnetpol und das umliegende Gebiet für Großbritannien und König Georg IV. in Besitz. James Ross hätte sich jedoch gewünscht, dass ein so wichtiger Punkt der Erdoberfläche auch eine bedeutende Landmarke dargestellt hätte. Als Grund für diesen Wunsch verweist er auf die lange 35
und fantastische Geschichte des Ortes: „Es wäre jedem von uns zu verzeihen, wenn er sich, romantisch veranlagt, den Magnetpol als einen Punkt vorstellte, der ebenso auffällig und mysteriös wie der Fabelberg bei Sindbad dem Seefahrer aussähe. Andere erhofften einen Berg aus Magneteisen oder einen Magneten so hoch wie der Mont Blanc. Doch die Natur hatte an dieser Stelle, die sie als Zentrum ihrer großen und geheimnisvollen Kräfte ausgewählt hatte, kein Denkmal errichtet“ (Ross 1835, S. 555; dt. Übers. 1983, S. 167 f.). Doch es gab einen solchen romantisch veranlagten Schriftsteller, nämlich Jules Verne, der – in diesem Fall den magnetischen Südpol – als einen ungeheuren Magnetberg in seinem 1897 erschienen Roman „Die Eissphinx“ (Le Sphinx des Glaces) darstellte.
Abb. 15: Die Eissphinx von Jules Verne Die etwas enttäuschten Entdecker des damaligen nördlichen Magnetpols errichteten aber doch an diesem Punkt, der damals auf 70° 05‘17“ Nord und 96° 46‘45“ West lag, „eine Steinpyramide von einiger Größe“, unter der ein Kanister mit einem Bericht über die wichtigsten Ereignisse vergraben wurde. Sie bedauerten lediglich, kein Material für eine weit größere und dauerhafte Pyramide zu besitzen, die stark genug wäre, den Angriffen der Zeit und der Inuits zu widerstehen. Aber James Ross war davon überzeugt, dass „selbst eine Pyramide so groß wie die des Cheops“ (Ross 1835, S. 557) kaum ihren Ehrgeiz oder ihre Gefühle an diesem aufregenden Tage befriedigt hätte. Am 8. April 1839 erhielt James Clark Ross von der Admiralität die Leitung einer Expedition in die Antarktis mit den beiden Mörserschiffen „Erebus“ und „Terror“ übertragen. Da die Schiffe für den Rückstoß der Mörser besonders stabil gebaut waren, eigneten sie sich hervorragend für Polarexpeditionen, mit denen nun in Friedenszeiten die britische Marine beschäftigt wurde. Die „Erebus“, genannt nach dem griechischen Gott der Finsternis, wurde 1826 gebaut und erhielt für die Antarktisexpedition einen verstärkten Rumpf zur Fahrt im Eismeer. Die etwas kleinere „Ter36
ror“, 1813 gebaut, wurde von Ross’ Stellvertreter Francis Crozier (1706–1848) befehligt. Auf ihn konnte sich Ross verlassen, denn er kannte ihn bereits sehr gut durch die gemeinsame Beteiligung an der zweiten (1821–1823) und dritten (1824–1825) Arktisexpedition auf der Suche nach der Nordwestpassage. Die Expeditionsschiffe erhielten eine Besatzung von 64 Mann. Die langjährige Erfahrung aus der Arktis kam Ross bei seinen Vorbereitungen sehr zugute. Er hatte schon mehrere Überwinterungen an Bord von Schiffen und unter erbärmlichen Bedingungen an Land zugebracht, sodass er nun für alle Eventualitäten Vorkehrungen traf. Darüber hinaus garantierte die Admiralität bei der Ausrüstung der Schiffe jede erdenkliche Verbesserung hinsichtlich Gesundheit, Komfort und Sicherheit der Mannschaft. Es wurden so viele haltbare Lebensmittel wie möglich gebunkert, darunter nach einer neuen Methode konserviertes Fleisch in Blechkisten. Außerdem erhielt die Mannschaft für ihren Einsatz im Eis kostenlos warme Kleidung von bester Qualität.
Abb. 16: J. C. Ross. Der Report der Royal Society vom 8. August 1839 empfahl neben den magnetischen und meteorologischen Messungen weitere naturkundliche Untersuchungen zur Erforschung der Geologie, Zoologie und Botanik der besuchten Regionen. So bekam Joseph Hooker (1817–1911) die Gelegenheit, die „Erebus“ als Assistent des Schiffsarztes zu begleiten, um wie sein Vorbild Charles Darwin (1809–1882), der von seiner Reise auf der „Beagle“ (1831–1836) umfangreiche botanische und zoologische Sammlungen nach England gebracht hatte, vor allem die Pflanzen der besuchten Länder zu untersuchen. Am 14. September 1839 unterzeichnete Earl of Minto genauere Anweisungen für die Expedition. Nach dem Besuch von Madeira und St. Pauls sollte Ross zunächst auf St. Helena ein magnetisches Observatorium und die Beobachter an Land bringen und anschließend auf dem Weg zum Kap der Guten Hoffnung, wo das zweite Observatorium geplant war, den magnetischen Äquator kreuzen, auf dem die Inklination gleich null war. Das nächste Ziel waren die Kergue37
len, eine Gruppe von rund 300 Inseln in der Subantarktis. Dort waren neben magnetischen und meteorologische Messungen auch Pendelmessungen zur Bestimmung der Erdanziehungskraft vorgesehen. Das nächste Ziel war Sydney, wo die einzurichtende Station wegen ihrer Lage besonders gut für magnetische Messungen und als Referenzstation für spezielle lokale Untersuchungen geeignet sei. Bei den Südshetland-Inseln, Orkney-Inseln, Sandwich-Inseln oder spätesten bei den Falkland-Inseln wären die magnetischen Beobachtungen beendet. Falls er bis dahin keine anderen Anweisungen bekommen hätte, sollte er dann umgehend nach London zurückkehren, Ansonsten hätte er der Natur der Dinge gemäß volle Entscheidungsfreiheit, solange er dabei seine Aufgabe erfüllte. Am 25. September 1839 lichtete Ross die Anker für eine vierjährige Expedition nach Süden, um den Magnetpol der Südhemisphäre zu finden. Als die britische Expedition Ende August in Hobart eintraf, wurde sie von Franklin auf das Liebenswürdigste empfangen. Er half Ross selbstverständlich, sein magnetisches Observatorium einzurichten. Hier erfuhr Ross von Dumont d’Urvilles und Wilkes’ vorjährigen Reisen. Während damals in den Lokalblättern ausführlich über die Ergebnisse der französischen Expedition berichtet wurde, gab es weiterhin keinerlei konkrete Informationen über die Entdeckungen der amerikanischen Expedition. Oberraschenderweise erhielt Ross jedoch von Wilkes einen persönlichen Brief über seine Erfahrungen im Süden, dem eine Karte seiner Küstenentdeckungen in der Antarktis mit dem Hinweis auf ihre leichte Erreichbarkeit beigefügt war. Wilkes wollte sich damit offenbar das Urheberrecht an der Entdeckung des antarktischen Kontinents sichern, obwohl er eigentlich wissen musste, dass ihm Dumont d’Urville zuvorgekommen war. Nach Wilkes extrapolierten Messungen müsste sich der magnetische Pol etwa bei 70° Süd und 140‘ 0 befinden. Ross wunderte sich, dass sowohl die französische als auch die amerikanische Expedition genau das Arbeitsgebiet zum Ziel genommen hatten, das bekanntermaßen schon lange für die britische Expedition vorgesehen war: „Dass die Anführer dieser beiden großen National-Unternehmungen gerade diejenige Stelle zum Vordringen nach dem Südpol wählten, zu deren Erforschung, wie sie recht wohl wussten, meine Expedition damals schon ausgerüstet wurde, musste mich gewiss höchst überraschen. Selbst wenn keine höhere Rücksicht ein solches Zusammentreffen verhindern konnte, so hätte wenigstens ihr Nationalstolz sie bewegen müssen, lieber jeden anderen Weg auf dem weiten Feld vor ihnen zu wählen, als den mir angewiesenen. Sie hatten jedoch das unbezweifelte Recht, jeden ihnen passend scheinenden Punkt zum Ziel ihrer Bestrebungen zu wählen, ohne Rücksicht auf die Verlegenheit zu nehmen, in welche mich ihre Wahl versetzen konnte. Zum Glück ließen mir meine Instruktionen bei unvorhergesehenen Ereignissen viel Spielraum; und erfüllt von dem Gefühl, dass England den Weg der Entdeckung in den südlichen und nördlichen Regionen stets vorangegangen sei, hielt ich es für unverträglich mit dem Vorrang, den es immer behauptet hat, wenn es einer anderen Nation in ihren Entdeckungen hätte nachtreten wollen. Ich entschloss mich daher schnell, jede Berührung mit ihren Entdeckungen zu vermeiden, und wähl38
te einen viel östlicheren Meridian (170° östlich), um diesem folgend zu versuchen, nach Süden vorzudringen und womöglich den magnetischen Pol zu erreichen.“
Der Streit um die Entdeckung von Terre Adelie Die interessanteste Nachricht, die bei Ankunft von Ross in Van-Diemens-Land auf ihn wartete, bezog sich auf die Entdeckungen, welche während des vergangenen Sommers die französische Expedition, bestehend aus den Schiffen „Astrolabe“ und „Zelèe“, unter dem Kapitän Dumont D’Urville, und die der Vereinigten Staaten unter dem Leutnant Wilkes in der Fregatte Vincennes in den Südpolargegenden gemacht hatten. Die unter Autorisation des Kapitäns D’Urville in den dortigen Zeitungen veröffentlichten Notizen berichteten, dass die französischen Schiffe Hobart Town am 1. Januar 1840 verlassen und am Abend des 19. Land entdeckt hatten; am 21. landeten einige von den Offizieren auf einer kleinen, in einiger Entfernung vom Festland liegenden Insel und nahmen ein paar Probestücke des Granitfelsens derselben mit. D’Urville folgte dem Land in einer fortlaufenden Linie 150 Meilen weit, zwischen dem 136. und 142. Längengrad und ziemlich in der Breite des antarktischen Kreises. Es war ganz mit Schnee bedeckt, und nirgends zeigte sich die geringste Spur von Vegetation; die Höhe wurde im Allgemeinen auf etwa 1300 Fuß geschätzt. D’Urville nannte es „Terre Adelie“. Westwärts segelnd entdeckten sie eine feste Eiswand von 150 Fuß Höhe, an der sie 60 Meilen weit hinsegelten und welche er, da er sie für die Decke einer festeren Unterlage hielt, Côte Clairée nannte. Es muss einem unternehmenden Mann wie D’Urville sehr schmerzlich gewesen sein, eine weitere Durchforschung dieses neu entdeckten Landes aufgeben zu müssen; aber der geschwächte Gesundheitszustand seiner Schiffsmannschaft forderte ihn gebieterisch auf, ihren mühsamen Anstrengungen ein Ende zu machen und, um die Genesung seiner Kranken möglich zu machen, nach einem milderen Klima zurückzukehren. Die Resultate der amerikanischen Expedition blieben bei ihrer Rückkehr nach Sidney ein tiefes Geheimnis, und über ihre Entdeckungen erschien in den dortigen Blättern nichts als ungewisse Vermutungen und sich widersprechende Behauptungen. Ross fühlte sich daher dem Leutnant Wilkes umso mehr verpflichtet für einen langen Brief und den Brief begleitende Kopie seiner Originalkarte, welche die große Ausdehnung seiner Entdeckungen darlegte. Ross benutzte bereitwillig diese Gelegenheit, um seine Dankbarkeit für dieses freundschaftliche und höchst ehrenwerte Benehmen auszusprechen. Aber dass die Anführer dieser beiden großen National-Unternehmungen gerade diejenige Stelle zum Vordringen nach dem Südpol wählten, zu deren Erforschung, wie sie recht wohl wussten, seine Expedition damals schon ausgerüstet wurde, musste ihn sehr überraschen: „Selbst, wenn keine höhere Rücksicht ein solches Zusammentreffen verhindern konnte, so hätte wenigstens ihr 39
Nationalstolz sie bewegen müssen, lieber jeden anderen Weg auf dem weiten Feld vor ihnen zu wählen, als den mir angewiesenen. Sie hatten jedoch das unbezweifelte Recht, jeden ihnen passend scheinenden Punkt zum Ziel ihrer Bestrebungen zu wählen, ohne Rücksicht auf die Verlegenheit zu nehmen, in welche mich ihre Wahl versetzen konnte. Zum Glück ließen mir meine Instruktionen bei unvorhergesehenen Ereignissen viel Spielraum; und erfüllt von dem Gefühl, dass England den Weg der Entdeckung in den südlichen und nördlichen Regionen stets vorangegangen sei, hielt ich es für unverträglich mit dem Vorrang, den es immer behauptet hat, wenn es einer anderen Nation in ihren Entdeckungen hätte nachtreten wollen. Ich entschloss mich daher schnell, jede Berührung mit ihren Entdeckungen zu vermeiden, und wählte einen viel östlicheren Meridian (170° östlich), um diesem folgend zu versuchen, nach Süden vorzudringen und womöglich den magnetischen Pol zu erreichen.“ Da Ross nicht in den Fußspuren einer ausländischen Expedition forschen wollte, wählte er aufgrund der unvorhergesehenen Umstände einen östlicheren Meridian bei 170° Ost zur Fahrt nach Süden und zur Suche des Magnetpols. Dieser Entschluss hatte weitreichende Folgen, denn so gelangte Ross in das später nach ihm benannte Ross-Meer, drang bis auf 78° 10‘ Süd vor, entdeckte das ausgedehnte Victoria-Land, die Vulkane Erebus und Terror, den McMurdo Sound, der nach Croziers Erstem Offizier Archibald McMurdo (1812–1894) genannt wurde, wo 1956 die amerikanische Station McMurdo als Ausgangspunkt für Fahrten zum Südpol eingerichtet werden sollte. Außerdem verfolgte Ross die ausgedehnte Eisbarriere des später nach ihm genannten Ross-Schelfeises, die das Ross-Meer im Süden abschloss. Dem magnetischen Pol konnte sich Ross wegen der dem Land vorgelagerten Eismassen nur bis etwa 300 km nähern, sodass er am 17. Februar 1841 bei einem Neigungswinkel von 88° 40‘ und zwei an anderen Orten unabhängig durchgeführten Beobachtungen den Magnetpol bei 76° 12‘ Süd und 164° Ost lokalisierte. Damit war die Abweichung von Gauß berechnetem Ort, der um 2° 30‘ nördlicher lag, etwa genau so groß wie für den Magnetpol der Nordhemisphäre, den Gauß um 3° 53‘ nördlicher berechnet hatte. Von diesem Ergebnis befriedigt kehrte Ross nach Hobart Town zurück, wo zunächst die Schiffe repariert wurden. Dann richteten sie für ihre Messungen in Port Jackson, dem natürlichen Hafen von Sydney, ein magnetisches Observatorium ein und führten am folgenden Termintag zusammen mit dem Observatorium in Hobart Town Messungen durch. Anschließend verstauten sie es wieder im Schiff, um es für weitere Messungen auf der Nordspitze Neuseelands erneut aufzubauen. Im Dezember 1841 drang Ross ein weiteres Mal durch den Packeisgürtel nach Süden vor, um die westliche Begrenzung der großen Eisbarriere zu erforschen. Bei einem Zusammenstoß der beiden Schiffe vor der hohen Eiskannte wäre die Expedition beinahe zugrunde gegangen. Am Ende des antarktischen Sommers waren seine Arbeiten abgeschlossen, und er segelte weiter nach Westen in Richtung Kap Hoorn, um auf den Falkland-Inseln ein letztes Mal das Observatorium für magnetische Messungen aufzubauen. Im März 1843 versuchte Ross einen letzten Vorstoß im heutigen Weddell-Meer, wo er viel früher vom Eis gestoppt wurde als Weddell seinerzeit. Dann kehrte er mit seinen wertvollen Datensammlungen nach England zurück. 40
Abb. 17: Joseph Dalton Hooker und Christian Gottfried Ehrenberg Neben den Karten der Landentdeckungen und den meteorologischen Schiffstagebüchern, die Aufschluss über Luft- und Wassertemperatur, Luftfeuchte, Luftdruck, Niederschlag, Wind und Wasserströmung gaben, brachte Ross genaue Messungen der Inklination und der Deklination von seiner Reise mit nach Hause. Seine Bestimmung des Magnetpols auf der Südhemisphäre und der Agone im Indischen Ozean halfen, den 1840 von Gauß und Weber herausgebrachten „Atlas des Erdmagnetismus nach den Elementen der Theorie entworfen“ entsprechend zu revidieren. Hookers Expeditionsmaterial über die Untersuchung von Kleinstlebewesen im Antarktischen Meer wurde von dem Biologen Christian Gottfried Ehrenberg (1795–1876) an der Akademie der Wissenschaften in Berlin untersucht, der gleichzeitig ähnliches Material von Darwin aus anderen Erdteilen erhalten hatte. Im Mai 1844 sandte Ehrenberg seinen Bericht zur Royal Society, in dem er sieben neue Gattungen und 71 neue Arten beschrieb, die von der Ross-Expedition entdeckt worden waren. Ross erkannte schon, dass in der Südpolarregion wegen der fehlenden pflanzlichen Nahrung eine Nahrungskette von Kleinstlebewesen bis hin zu den großen Säugetieren bestand. Außerdem vermutete er, dass auch in großen Ozeantiefen tierisches Leben möglich sei. Nach dieser regen Phase der wissenschaftlichen Erforschung der Antarktis während des magnetischen Kreuzzugs ruhte die Südpolarforschung bis zum Ende des 19. Jahrhunderts. Erst dann wurde sie nach dem Vorbild des ersten Internationalen Jahres der Polarforschung (1882–1883) in der Arktis wieder aufgegriffen, als sich eine deutsche Expedition unter der Leitung von Erich von Drygalski (1865–1949), eine englische unter Robert Falcon Scott (1868–1912), eine schottische unter William Speirs Bruce (1867–1921) und eine schwedische unter Otto Nordenskjöld (1869–1928) einer „Internationalen Kooperation“ anschlossen, um erneut gleichzeitige magnetische und meteorologische Messungen im Südpolargebiet durchzuführen. Das Ziel der Kooperation war herauszufinden, ob es sich bei der Antarktis um einen Kontinent handelte oder nur wie bei der Arktis um einen mit Eis bedeckten Ozean, in dem sich einige mehr oder weniger große Inseln befanden. 41
Die Pflanzen- und Tierwelt auf der Kerguelen-Insel Obgleich die Kerguelen-Insel verhältnismäßig kahl von Vegetation ist, so hat doch ihre Flora ihre interessanten Seiten. Zwar sieht man jetzt nicht einmal einen Strauch, aber das häufige Vorkommen fossiler Reste verrät, dass viele Teile Jahrhunderte lang mit Wald bewachsen waren. Die mit Pflanzen bedeckte Bodenfläche ist im Verhältnis fast ebenso groß wie auf Spitzbergen und der Melville-Insel, aber die relative Anzahl der Spezies ist merkwürdig klein; denn während die Flora der Melville-Insel 67 Phanerogamen besitzt und Spitzbergen 45, hat die Kerguelen-Insel nur 18, von denen nur acht einen nennenswerten Raum des Bodens bedecken. Das Klima der Insel ist zwar rau, lässt aber eine perennierende Vegetation aufkommen; und kaum eine der hier gefundenen Pflanzen, selbst nicht die Gräser, kann einjährig genannt werden. Von den fünf Pflanzen, die Kapitän Cook im Dezember blühend vorfand, waren vier im Mai noch in demselben Zustand und drei blühten bis zum 20. Juli; im Monat Juni wurden 12 blühend gesammelt. Die wiederholten Schneestürme scheinen die Vegetation wenig zu hemmen, und die doldentragende Pflanze war die einzige, welche unter einem dreitägigen Frost wirklich litt. Von allen hier wachsenden Pflanzen verdient eine besondere Aufmerksamkeit, nämlich der berühmte Kohl der Kerguelen-Insel, der zuerst auf Cooks Reise entdeckt wurde und den Namen Pringlea erhielt. Für eine Schiffsmannschaft, die lange auf Salzfleisch beschränkt war, ist er ein höchstschätzbares Gemüse, denn er besitzt alle guten Eigenschaften seines europäischen Namensgenossen, während er wegen seines großen Reichtums an essentiellem Öl nie Sodbrennen verursacht. Er kommt dicht am Ufer vor und ist bis auf die Gipfel der Hügel zu finden. Die Blätter bilden Köpfe von der Größe eines guten Kohlkopfs und stehen meistens auf einem aufsteigenden oder liegenden Strunk; die Blütenähre mit ihrem blättrigen Stängel sprießt unter dem Kopf hervor und ist oft zwei Fuß hoch. Die Wurzel schmeckt wie Meerrettich, und die jungen Blätter oder Herzen ähneln im Geschmack grobem Senf oder der Kresse. 130 Tage lang verlangte die Schiffsmannschaft kein anderes frisches Gemüse als dieses, welches neun Wochen lang regelmäßig mit dem Salzfleisch aufgetischt wurde, und während dieser ganzen Zeit hatten Expeditionsteinehmer keinen Kranken an Bord. Vierfüßige Landtiere sah man nicht; dagegen bemerkte eine Partei, die unter dem Befehl des Leutnants Bird zum Aufnehmen an Land geschickt wurde, die Fußeindrücke eines Ponys oder Esels. Es ist gar nicht unwahrscheinlich, dass dieses Tier von einem gescheiterten Schiff an Land gekommen ist. Man verfolgte die Spur eine Strecke weit auf dem frisch gefallenen Schnee in der Hoffnung, das Tier zu Gesicht zu bekommen, verlor sie aber wieder, als man auf eine felsige Strecke kam, wo kein Schnee lag. 42
„Futter für Vieh ist in hinreichender Menge vorhanden. Die Schafe, die wir an Land setzten, wurden sehr fett von dem Gras; sie wurden auch so scheu, dass man sie schießen mussten, wenn eins für die Tafel gebraucht wurde. Ross bedauerte sehr, dass er nicht vom Kap der Guten Hoffnung einige Haustiere mitgebracht hatte, um sie hier auszusetzen. Von im Meer lebenden Säugetieren waren früher der See-Elefant und mehrere Arten Robben sehr häufig und veranlassten, dass jährlich mehrere Schiffe zu ihrem Fang nach der Insel kamen. Jetzt haben sie aber dieselbe ganz verlassen oder sind fast vollständig ausgerottet.“ Vor dem Eingang des Hafens und bei der Aufnahme der Küste wurden einige Walfische gesehen. Sie scheinen hier noch sehr häufig zu sein und 1843, als Ross zum Kap der Guten Hoffnung zurückkehrte, hörten er, es befänden sich 500 bis 600 Walfischfahrer an den Küsten oder in der unmittelbaren Nachbarschaft dieser Insel; die meisten derselben hätten fast volle Ladung, und wegen ihrer großen Menge fänden in den häufigen dicken Nebeln viele Unglücksfälle durch Zusammenstoßen statt. Diese Fischerei ließe sich sehr gut vom Kap der Guten Hoffnung aus betreiben. Aber es beschäftigen sich hauptsächlich amerikanische Schiffe damit. Von Seevögeln wurden fünfzehn verschiedene Arten gesammelt, darunter verschiedene Sturmvögel, drei Arten Pinguine, zwei Möwen, eine Ente, ein Kormoran, eine Meerschwalbe und eine merkwürdige Chionis, etwas verschieden von der von Forster beschriebenen und wahrscheinlich eine neue Art. Obgleich es schon so spät im Jahr war, fand man noch Junge vom rußfarbigen Albatros (Diomedea fuliginosa), vollkommen flügge und bereit, ihre lange Reise über das Antarktische Meer anzutreten. Die Ente war sehr häufig und bildete einen wohlschmeckenden Beitrag zur Tafel. „Sie gleicht der europäischen Krickente und nährt sich hauptsächlich vom Samen des oben erwähnten Kohls, der überall auf der Insel häufig wächst. Trotz der unangenehmen dunklen Farbe des Fleisches und der außerordentlichen Fettheit gaben die Pinguine eine vortreffliche Suppe, die an Farbe und Geschmack der Hasensuppe so ähnlich war, dass sie beständig so genannt wurde“ (Ross 2014, S. 89).
Stürme am Weihnachtshafen Über diese Stürme schreibt Ross: „Die älteren Leutnants hatten die Aufsicht über die Schiffe und beschäftigten die Mannschaft mit dem Ausbessern der Takelage und der mühsameren Arbeit, häufig die Anker neu auszuwerfen; denn obgleich diese und die Kabeltaue von einer Größe und Schwere waren, wie man sie sonst nur bei Schiffen vom doppelten Tonnengehalt der unsrigen findet, so waren sie doch nicht imstande, die fast mit orkanartiger Heftigkeit in dieser Jahreszeit herrschenden Stürme auszuhalten, die unser Schiff oft auf die Seite legten und uns beständig nötigten, unsere Zuflucht zum Notanker zu nehmen. Einmal wurde 43
das ganze Observatorium fast einen Fuß weit geschoben; und wäre nicht das untere Gerüst ziemlich tief in den Erdboden befestigt gewesen, so wäre es wahrscheinlich ins Meer gestürzt worden. So plötzlich sind die Windstöße, dass ich oft genötigt gewesen bin, mich am Ufer platt auf die Erde zu werfen, um nicht ins Wasser getrieben zu werden; und einer unserer Leute, der die Fluttabelle zu besorgen hatte, wurde von einem dieser Windstöße ins Meer geworfen und wäre fast ertrunken. An 45 von den 68 Tagen unseres Aufenthalts in dem Weihnachtshafen hatten wir Sturm und nur an drei Tagen fiel weder Regen noch Schnee“ (Ross 2014, S. 91f). Dieses so stürmische Wetter hinderte Ross, eine ausgedehntere Aufnahme der Insel vorzunehmen. Leutnant Bird untersuchte mit zwei Booten die Whites-Bucht und nahm mit dem Beistand Mr. Tuckers und Mr. Davis’ mehrere Häfen auf Leutnant Philips untersuchte die Cumberland-Bucht und begab sich von hier nach der Westküste, ohne jedoch wegen des sumpfigen Bodens weiter als ein paar Meilen gelangen zu können. Mr. M’Cormick und Mr. Robertson nahmen stets an diesen Expeditionen teil, um die geologischen und zoologischen Erzeugnisse des Landes zu untersuchen. Aber das schlechte Wetter, welches sie stets hatten, erhielt alle in der lebhaftesten Besorgnis, während sie abwesend waren, und das Wenige, was sie für die Wissenschaft tun konnten, war zu teuer erkauft mit so vielen Leiden und so großer Gefahr und veranlasste Ross, die Fortsetzung ihrer Arbeiten nicht zu gestatten (Ross 2014, S. 92).
Abb. 18: Der Weihnachtshafen auf den Kerguelen aus einer Höhe von 600 Fuß
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Possessions Insel und Schweineinsel Die Nacht durch fuhr Ross mit allen Segeln und befand sich am nächsten Morgen den 30. April mehrere Meilen luvwärts von der Ostinsel, während er die Possession-Insel deutlich auf der Wetterseite sah. Kurz nach Mittag trat eine vollkommene Windstille ein, und nach einigen Kanonenschüssen wurde in der Amerika-Bucht an einer Stange eine weiße Flagge aufgezogen. „Nachdem wir uns am nächsten Morgen wieder dem Land genähert und die Amerika-Bucht zu Gesicht bekamen, sahen wir die Leute am Strand ihr Boot aussetzen. Mr. Hickley, ihr Anführer, kam an Bord, und er und seine Bootsmannschaft sahen mehr aus wie Eskimos als wie zivilisierte Wesen, waren aber noch schmutziger in ihrer Kleidung und Person als alle, die ich gesehen hatte. Ihre Kleider waren buchstäblich in Tran getränkt und rochen abscheulich; sie trugen Stiefeln von Pinguinfellen mit nach inwendig gekehrten Federn; sie sagten uns, das Wetter sei so stürmisch, dass sie gestern zum ersten Mal seit fünf Wochen ein Boot hätten aussetzen können; sie hatten daher noch sehr wenige See-Elefanten fangen können und waren verdrießlich, dass sie den Winter nicht nach der Schweineinsel ziehen sollten; die Schweine seien auf dieser Insel so häufig, sagten sie, dass man kaum vor ihnen an Land kommen könne.“ Die ersten ließ Kapitän Distance 1834 dort, und sie haben sich in weniger als sechs Jahren in fast unglaublichem Verhältnis vermehrt, obgleich jährlich eine große Anzahl von den Robbenfängern getötet wird. Ein amerikanisches Schiff hatte vor einigen Jahren auf der Possession-Insel einige Ziegen zurückgelassen, die bei dem langen groben Gras, das dort häufig wächst, gut gediehen, aber unter dem Schutz der Robbenfänger noch zahm geblieben waren. Die Gesellschaft bestand aus elf Mann, von denen einer seit drei Jahren auf der Insel war; sie schienen keinen Wunsch zu hegen, nach dem Kap zurückzukehren, und waren vollkommen zufrieden, da sie einen Überfluss an Lebensmitteln hatten. Sie essen die Zunge, die Flossen und einen Teil des Leibes des See-Elefanten und fangen eine Art Klippfisch – wahrscheinlich ein Art Notothenia, von der Größe eines kleinen Schellfisches mit sehr großem Kopf – in großer Menge und trocknen ihn auf den Felsen. Die Eier der Seevögel können in der Brutzeit ganze Boote voll gesammelt werden und sollen ein vortreffliches Essen sein, vorzüglich die des Albatros, welche im Durchschnitt über ein Pfund schwer sind. Die jungen dieses Vogels, wenn sie eben aus dem Nest genommen sind, sind nach ihrer Aussage eine wahre Delikatesse; es ist jedoch möglich, dass sie mit den Gewohnheiten der Eskimos auch ihren Geschmack angenommen haben. Nach ihrer Beschreibung ist der Boden fruchtbar, aber es ist ihnen nie eingefallen, Kartoffeln oder ein anderes Gemüse anzupflanzen, obgleich nicht zu bezweifeln ist, dass sie hier gedeihen, da die Temperatur nie sehr niedrig ist. Wilde Enten sind in einem See auf dem Gipfel der roten Klippe so häufig, dass zu diesem Zweck abgerichtete Hunde 45
so viele fangen, wie man nur haben will. Sie hatten keinen Plan der Insel, und ihre Aussagen über deren Beschaffenheit waren unbestimmt und ungenügend. Vor einiger Zeit ging auch ein dieser Gesellschaft gehöriges Boot mit der ganzen Mannschaft zugrunde, als es auf den See-Elefantenfang aus war.
Die Errichtung des Ross Bank Observatoriums Ross begründet die Errichtung seines Observatoriums zur Feststellung der Magnetischen Felder in der Südpolarregion folgendermaßen: „Mein Hauptgrund, diesem Meridian den Vorzug vor allen anderen zu geben, war der Umstand, dass Balleny auf demselben im Sommer 1839 die Breite von 69° erreicht und dort noch offenes Meer gesehen hat, und nicht, wie behauptet worden ist, eine Furcht von meiner Seite, in meinen Bemühungen ebenso erfolglos wie die Amerikaner und Franzosen zu sein, die nicht einmal über den 69.° hinausgekommen waren. Denn ich wusste recht gut, wie wenig ihre Schiffe zu einem derartigen Dienst geeignet waren; da sie nicht verstärkt waren, um den Stößen und dem Druck zu widerstehen, die sie jedenfalls leiden mussten, wenn sie ein größeres Eisfeld zu durchdringen wagten, so wären ihre Bemühungen auf dem von mir gewählten Meridian ebenso vergeblich gewesen, denn auch wir stießen auf einen Eisgürtel von mehr als 200 Meilen Breite, der ihr Untergang gewesen wäre, hätten sie ihn getroffen; wir dagegen in unseren befestigten Fahrzeugen konnten uns hineinwagen und uns hindurchdrängen bis zum offenen Meer. Ohne diese Mittel ist es für jeden, möge er auch noch so viel Mut oder Ausdauer besitzen, gänzlich unmöglich, unter diesen Umständen eine südlichere Breite zu erreichen. Der Bau des Observatoriums schritt so rasch vor, dass es vollendet und gedeckt, die steinernen Pfeiler aufgerichtet, die Instrumente darauf angebracht und genau reguliert waren, als immer noch ein paar Stunden an der Zeit fehlten, wo die terminlichen Beobachtungen des 27. August beginnen sollten. So wurde der Bau des Observatoriums in der kurzen Zeit von neun Tagen vollendet, ein Beweis, was getan werden kann, wenn sich das Herz und die Energie aller zu einem Zweck vereinigen. Ich würde ungerecht sein gegen meine eigenen Gefühle, wenn ich es unterließe, meine Bewunderung des freudigen Enthusiasmus auszusprechen, welchen die bei dem Bau beschäftigten Gefangenen während der Arbeit an den Tag legten; als Beispiel will ich anführen, dass sie, nachdem sie von 6 Uhr früh des Sonnabends bis 10 Uhr nachts gearbeitet hatten und sahen, dass sie durch eine Arbeit von ein paar Stunden das Haus unter Dach bringen konnten, um Erlaubnis baten, es gleich fertigmachen zu dürfen; wir schlugen ihnen jedoch die Bitte ab, um den Sonntagmorgen nicht zu stören. Dies ist nur ein einziger von verschiedenen Beweisen ihres uneigennützigen Eifers bei dieser Gelegenheit, denn bei ihrer unglücklichen Lage konnten sie durchaus keinen Vorteil von
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der Mehrarbeit ziehen, und bei der eben erwähnten Veranlassung mussten sie wegen ihrer ungewöhnlich verlängerten Arbeitszeit besonders müde sein.
Abb. 19: Das Ross Bank Observatorium Beständige Beschäftigungen im Observatorium hinderten mich mehr von dem höchst interessanten und wichtigen Land zu sehen. Dem Observatorium legte Se. Exzellenz Sir John Franklin den Namen Ross-Bank bei.“ Da die geeignete Jahreszeit für die südliche Reise sich näherte, wurden die Schiffe zur Abfahrt bereitgemacht. Alle Beschädigungen waren ausgebessert, und als Ross die Segel aufsetzte, konnten er sich der wohltuenden Überzeugung erfreuen, dass die Schiffe und das Volk in besserem Zustand waren als bei seiner Abreise aus England. Man hatte nur den Verlust eines der besten Matrosen, Edward Bradley, zu beklagen, der am 24. Oktober verunglückte, und Ross musste vor der Abreise den Steuermann des ‚Terror‘, Mr. Molloy, verabschieden, den Kränklichkeit zwang, nach England zurückzukehren. Am 5. November an dem Sir John Franklin den Grundstein zu einem neuen Gouvernementsgebäude legte, schmückte Ross die Schiffe mit Flaggen und feuerte eine Ehrensalve ab. Ross wusste aber sehr gut, wie wenig Schiffe zu einer derartigen Reise ins Eismeer geeignet waren, wenn sie nicht verstärkt waren, um den Stößen und dem Druck zu widerstehen, die sie jedenfalls leiden mussten, wenn sie ein größeres Eisfeld zu durchdringen wagten. Denn auch seine Schiffe stießen auf einen Eisgürtel von mehr als 200 Meilen Breite, welche Untergang der schlecht ausgerüsteten Schiffe gewesen wäre, hätten sie ihn getroffen. „Wir dagegen“, sagt Ross, „in unseren befestigten Fahrzeugen konnten uns hineinwagen und uns hindurchdrängen bis zum offenen Meer. Ohne diese Mittel ist es für jeden, möge er auch noch so viel Mut oder Ausdauer besitzen, gänzlich unmöglich, unter diesen Umständen eine südlichere Breite zu erreichen.“ 47
Ausgesetzte Tiere und Waldbrand auf den Auckland Inseln Hinsichtlich der Zoologie dieser Insel bemerkt Mr. M’Cormick: „Außer den verwilderten Schweinen, die vor mehreren Jahren hier ausgesetzt worden, gibt es keine Landsäugetiere auf der Insel. Die Vögel stimmen mit den auf Neuseeland gefundenen überein, von welchem Land aus diese Inseln jedenfalls von ihnen kolonisiert worden sind. Von Landvögeln fanden wir nur 7 oder 8 Arten, und von diesen sind der schöne Tui-Vogel von Neuseeland und eine kleine olivgrüne, den Meliphagiden verwandte Art die Hauptsänger in den Wäldern, die an vielen Stellen ganz undurchdringlich sind. Die Wasservögel bestehen aus einer Krickente, einem Seeraben (Mergus merganser), einem Kormoran (Phalarocorax), einer Schnepfe, einem Pinguin und zwei Arten Möwen, die in Scharen in die Buchten kommen. Der Albatros (Diomedea exulans) brütet in großer Anzahl auf der Spitze der nordwestlich vom Hafen gelegenen Klippen. Er baut ein Nest auf einem kleinen Erdhügel von welkem Gras und Blättern, über 6 Fuß im Durchmesser und gegen 18 Zoll hoch; das Männchen und das Weibchen bauen es in Gemeinschaft. Wie die meisten Sturmvögel legt der Albatros nur ein Ei, reinweiß und 15–21 Unzen schwer. Nur einmal fanden wir, nachdem wir über 100 Nester untersucht hatten, zwei Eier in einem Nest. Sein größter Feind ist eine wilde Raubmöwe, die in ihrer Raubgier und dem allgemeinen Aussehen sehr der Skua-Möwe ähnelt und wahrscheinlich eine unbeschriebene Art ist. Verschiedene Arten Sturmvögel brüten in Löchern unter der Erde und an den Seiten der Uferklippen; ein einzelnes Exemplar des Ringregenpfeifers wurde gesehen, aber nicht geschossen. Insekten waren zahlreich vorhanden, und sehr viele wurden gesammelt. Die Sandfliegen waren während der Tageshitze sehr beschwerlich und ihre Stiche höchst schmerzlich. Unsere Holzfäller fanden ein Katzennest mit zwei noch blinden Jungen; sie wurden natürlich getötet, aber die Alte entfloh. Die Schweine, welche Kapitän Bristow auf der Insel zurückgelassen hat, haben sich außerordentlich vermehrt. Sie nähren sich hauptsächlich von der Aralia polaris und dem Pleurophyllum criniferum, das auf sumpfigen Stellen so häufig ist, dass diese Tiere ganz darunter leben, besonders wo es an den Waldrändern wächst. Sie graben die Wurzeln dieser Pflanzen aus und treten die weichen Stängel und Blätter nieder, um sich und ihren jungen ein weiches und warmes Lager zu bereiten. Unser Purser schoss eines dieser Schweine; obgleich nicht fett, war das Fleisch doch wohlschmeckend, wenn es auch mit unseren gut gemästeten Schweinen nicht zu vergleichen war“ (Ross 2014, S. 131). Um die Zahl der nützlichen Tiere auf der Insel zu vermehren, ließ Ross einen Bock und zwei Schafe, die er zu diesem Zweck im „Erebus“ von Hobart Town mitgebracht hatte, auf der Westseite des Hafens an Land setzen; ein Bock und zwei Schafe vom „Terror“ wurden mehrere Meilen südlich landeinwärts gebracht. Außerdem setzten man einige Schweine, Hühner und Kaninchen aus. 48
Da es einigen Offizieren zu mühsam schien, nach den westlichen Hügeln durch das dichte Unterholz zu gehen, so bahnten sie sich einen Weg, indem sie das trockene Gras und Gebüsch in Brand setzten. Von einem starken Wind angefacht verbreitete sich die Flamme mit großer Schnelligkeit nach allen Richtungen und verzehrte einen großen Teil des Waldes in der Nähe unseres Observatoriums, von dem sie jedoch zum Glück auf eine halbe Meile entfernt blieb. Des Nachts schien das ganze Land in Flammen zu stehen, und von den Schiffen aus soll der Anblick von großartiger Schönheit gewesen sein. Es war dennoch ein leichtsinniger Streich und hätte großes Unheil anstiften können außerdem, dass nutzloserweise viel Holz vernichtet wurde. Als man durch eine Kette von Eisbergen hindurchfuhr, sah man, dass sich beständig große Stücke von ihnen ablösten und lange Streifen von schweren Eisstücken auf ihrer Leeseite bildeten. Das konnte man als einen Beweis ihres schnellen Schmelzens in so hoher Breite ansehen. Zwischen zahlreichen Eisbergen und vielem Treibeis wurde dann die Reise nach Süden fortgesetzt. Man sah sehr viele Walfische, meistens den gewöhnlichen schwarzen, der dem grönländischen sehr ähnlich sieht, aber von ihm verschieden sein soll; auch Pottfische ließen sich sehen. Von den gewöhnlichen schwarzen Walfischen hätte man so viele fangen können, wie man wollte; sie waren meistens ungewöhnlich groß und würden gewiss sehr viel Tran geben; sie waren übrigens so wenig scheu, dass die dicht vorbeisegelnden Schiffe sie nicht zu stören schienen. Während einer kurzen Windstille nachmittags fing man auch viele wirbellose Seetiere und darunter die Clio borealis und die schöne kleine Argonauta arctica, von denen sich jedenfalls hier wie in der nördlichen Breite die Walfische nähren. Ein leichter Südwind war von fast beständigen Schneewehen und dickem Wetter begleitet, sodass man während der Nacht Segel einziehen und dicht beim Wind bleiben musste. Denn die Schiffe befanden sich inmitten zahlreicher Eisberge, die man erst sah, wenn sie fast daran stießen. Außerdem ging zwischen den Eisbergen die See sehr hoch, was die Lage sehr gefährlich machte. Das tosende Branden der Wellen gegen ihre steilen Ufer war gewöhnlich das erste Anzeichen, dass man von ihrer Nähe erhielt. Als der Wind sich nach Westen gedreht und günstigeres Wetter gebracht hatte, wurden die Berge und losen Eisstücke allmählich minder häufig. Bald darauf kreuzten Ross mit seinen Schiffen den Weg des russischen Seefahrers Bellinghausen in 64° 38‘ südlicher Breite und 173° 10‘ östlicher Länge.
Im Packeis Als Ross sich dem Packeis näherte, fuhr er mehrere Meilen an seinem Rand hin, um es zu untersuchen. Von der Mastspitze schien es offen genug zu sein, um das Eindringen zu gestatten, soweit man nach Süden sehen konnte. So beschloss er, einen Versuch zu machen und mit den Schiffen so tief wie möglich hinein zu dringen. Er gab dem „Terror“ das verabredete Signal, und wählte die Punkt aus, die zum Durchbrechen des äußeren Packeissaumes am günstigsten zu sein schienen. 49
Wie gewöhnlich war dieser Saum aus viel schwereren Eismassen als das übrige zusammengesetzt, aber sie drangen doch ohne ernstliche Beschädigung, wenn auch nicht ohne verschiedene heftige Stöße, hindurch. Dahinter war das Eis viel leichter und weniger dicht übereinander gehäuft. Es war keineswegs von so furchtbarem Charakter, wie die Schilderungen der südlichen Eismauer, welche die amerikanische und die französische Expedition gefunden hatten, erwarten ließen. (Ross 2014, S. 149) Dann zeigte sich ein in täuschendes Bild von festem Land, und da es mehrere Stunden lang seine Gestalt nicht im Mindesten veränderte, glaubten mehrere Offiziere, wirkliches Land zu erblicken. So täuschend ähnlich sah es einer Reihe spitzer, ganz mit Schnee bedeckter Berge und so leicht konnte es das unerfahrene Auge beirren, dass, wenn man den Weg nicht hätte fortsetzen können, die getäuschten Offiziere bei ihrer Rückkehr nach England jedenfalls behauptet hätten, hier Land gesehen zu haben. Es war jedoch weiter nichts, als der obere Teil einer Wolke, die mit scharfen, aber unregelmäßigen Umrissen die Grenze bezeichnete, bis zu der sich unter dieser Breite die atmosphärischen Dünste erheben können; unten ist der Dunst in jedem Grad der Kondensation, darüber aber der klare kalte Raum, wo der Dunst nie hinaufsteigen kann. Nahe am Rand des Eises sind diese Trugbilder stets am merkwürdigsten und täuschendsten. Es war dies eine merkwürdige Lehre für mehrere Neulinge, die nicht eher überzeugt waren, es sei kein Land, bis man über die Stelle, wo ihre Nebelberge dem Meer entsteigen sollten, hinwegfuhren.
Abb. 20: „Erebus“ und „Terror“ im Packeis Von der Tierwelt im Eismeer berichtet Ross: „Wir sahen viele Robben, die sich auf dem Eis sonnten, und mehrere Pinguine; diese merkwürdigen Vögel liefen dem Schiff nach und antworteten dem Ruf der Matrosen, die ihre Stimme nachahmten; und obgleich sie nicht so schnell, wie unsere Schiffe fuhren, über das Eis klettern konnten, holten sie es doch wieder ein, sobald sie das Wasser 50
erreichten, und in kurzer Zeit folgte uns eine ganze Herde, die um das Schiff spielte wie eine Schar Tümmler. Auch den zierlichen weißen Sturmvogel sahen wir in großer Anzahl und einen einzelnen Sturmvogel von einer anderen und größeren Art.“ Dann aber richtete Ross den Lauf seiner Schiffe gerade nach dem magnetischen Pol, indem er so genau südlich steuerte, wie es der Wind, der bald darauf nach Südost umsprang, gestattete: „Unsere Hoffnung und Erwartung, diesen interessanten Punkt zu erreichen, hatte jetzt den höchsten Grad erreicht, sollte aber nur zu bald getäuscht werden. Ein starker Landschimmer erschien am Horizont, je weiter wir vorrückten, und hatte um Mitternacht eine Höhe von einigen Graden erreicht. Wegen der viel blasseren Farbe, welche diesen Schimmer von denjenigen unterschied, welche wir in den Nordpolarregionen gesehen hatten, waren wir alle geneigt, das zu bezweifeln, was wir so sehr fürchteten, aber kurz vor 2 Uhr meldete der wachhabende Offizier, Leutnant Wood, dass das Land deutlich gerade vor uns zu sehen sei. Die Brandung machte jeden Versuch zu landen unmöglich. Eine starke Flutströmung trieb uns schnell zwischen der von Eis starrenden Küste und der mit großen Eismassen besetzten Insel hindurch, sodass wir einige Zeit in höchst gefährlicher Lage waren, denn trotz aller Bemühungen unserer Leute konnten wir unseren Platz nicht gegen die Flut behaupten. Eine schmale Öffnung, die wir im Eis bemerkten, gab uns endlich Gelegenheit, die Boote hinein zu lenken; wir kamen in einen Wirbel auf der Leeseite der größten dieser Inseln und landeten auf einem Gestade von großen losen Steinen und an Land getriebenen Eisschollen. Der Himmel hatte inzwischen ein sehr drohendes Aussehen angenommen; der Wind wurde immer stärker und unsere gefährliche Lage und die Zurückrufungsflagge, die auf dem Schiff wehte, und die ich Leutnant Bird befohlen hatte, in Fällen der Not aufzuziehen, zwang uns zur Eile.“
Abb. 21: Possessions-Insel 51
Besitzergreifung der Possession-Insel Die Zeremonie, im Namen der Königin Victoria von dem neu entdeckten Land Besitz zu ergreifen, wurde sogleich vorgenommen: „Während wir die Flagge unseres Landes unter dem lauten Hurra der Schiffsmannschaft aufpflanzten, tranken wir auf die Gesundheit Ihrer Majestät und Seiner Königlichen Hoheit, des Prinzen Albert. Die Insel erhielt den Namen der Possession-Insel. Sie liegt unter 7l° 56‘ südlicher Breite und 171° 7‘ östlicher Länge, besteht ganz aus vulkanischen Felsen und ist nur auf der Westseite zugänglich. Wir bemerkten nicht die geringste Spur von Vegetation, aber zahllose Scharen von Pinguinen bedeckten in dicht gedrängten Massen die Insel, die Ränder der Klippen und selbst die Spitzen der Hügel und drohten uns den Besitz streitig zu machen mit ihren scharfen Schnäbeln, wie wir uns durch ihre Reihen drängten. Dieser Empfang sowie ihr lautes und raues Geschrei und der unerträgliche Gestank der hohen Schicht Guano, die sich seit Jahrtausenden gebildet hatte und die mit der Zeit dem Ackerbau unserer australischen Kolonien sehr nützlich werden kann, veranlassten uns, baldmöglichst die Insel wieder zu verlassen, nachdem wir unsere Boote mit geologischen Probestücken und Pinguinen beladen hatten. Wegen der heftigen Brandung am Gestade konnten wir nicht wahrnehmen, ob Ebbe oder Flut sei; aber eine starke nach Süden laufende Strömung lief zwischen der Possession-Insel und dem festen Land nach Süden, und der ‚Terror“ konnte nur mit großen Anstrengungen vermeiden, von ihr nach dem Land getrieben zu werden. Später hierherkommende Schiffe mögen daher auf ihrer Hut sein, wenn sie sich an dieser Stelle der Küste nähern. Nach langem und beschwerlichem Rudern erreichten wir endlich die Schiffe, kurz bevor mit einem starken Nordwind ein so dichter Nebel sich einstellte, dass einige Minuten Verzögerung unsere Rückkehr nach den Schiffen unmöglich gemacht und uns gezwungen hätten, wieder nach dem Land zu fahren und dort unser Lager unter den Pinguinen aufzuschlagen, bis sich die Schiffe der Insel mit Sicherheit nähern konnten.“ Das Wetter zwang Ross, die offene See zu suchen. Die Nacht hindurch war heftiger Wind mit beständigem Schnee. Einige wenige Walfische und große Scharen Kaptauben bekam man zu Gesicht; aber der zierliche weiße Sturmvogel, der sich selten weit von der Hauptmasse des Packeises entfernt, hatte die Schiffe ganz verlassen. Im weiteren Verlauf sah man wieder viele Walfische; einmal zählte man 30 in verschiedenen Richtungen, und den ganzen Tag über sah man ihre Wasserstrahlen, wo man nur seine Augen hinwendete. „Außerhalb des Bereichs ihrer Verfolger haben sie bis jetzt ein Leben voll Ruhe und Sicherheit geführt, aber“ meint Ross, „sie werden nun gewiss zum Reichtum unseres Vaterlands im Verhältnis mit der Energie und Ausdauer unserer Kaufleute beitragen müssen; und wie wir wissen, sind diese keineswegs unbeträchtlich. So ist dem kaufmännischen Unternehmungsgeist 52
ein neuer Weg geöffnet, der, wenn er mit Kühnheit und Ausdauer verfolgt wird, gewiss reichlichen Gewinn bringt.“ Bei mäßigem Südwind gab es dann schönes klares Wetter und man sah eine Bergkette, in der sich auch jener Vulkan befand den man den Namen „Erebus“ gab. „Wie wir uns ihr näherten, betrachteten wir mit Gefühlen unbeschreiblicher Freude diese großartige Szene, die alles übertraf, was wir bisher gesehen oder geträumt hatten. Auch diese Berge waren bis zu ihren scharf gespitzten Gipfeln hinauf ganz mit Schnee bedeckt, und ihre Höhe schätzten wir von 12000 bis über 14000 Fuß.“ Doch die Annäherung an das Land war unmöglich: „Die gänzliche Hoffnungslosigkeit dieses Unternehmens war Allen klargeworden, indem die Strecke von 15–16 Meilen, welche die Schiffe noch vom Land trennte, sich von einer dichten Masse Landeis angefüllt zeigte. Wir wendeten daher und legten bei, damit Kapitän Crozier an Bord kommen könne, und da er mit mir ganz übereinstimmte, dass es unmöglich sei, sich dem Pol mehr zu nähern, so beschloss ich, den Versuch sogleich aufzugeben, da bei so später Jahreszeit weiteres Aufgehen des Landeises nicht zu erwarten war. Das Kap mit dem davorliegenden Eiland benannte ich nach Professor Gauß, dem großen deutschen Mathematiker, der mehr als jeder andere Physiker für die Förderung der Wissenschaft des Erdmagnetismus getan hat“ (Ross 2014, S. 196).
Abb. 22: Vulkan Erebus Bei einer Inklination der Magnetnadel von 88° 40‘ war man daher nur 160 Meilen vom Pol entfernt. Wäre es möglich gewesen, im Angesicht des schönen Vulkans und in so kleiner Entfernung vom magnetischen Pol einen sicheren Winterhafen zu finden, so hätten sich diese beiden interessanten Punkte im nächsten Frühling leicht durch Abstecher besuchen lassen; aber alle Bemühungen zur Erreichung dieses Zweckes blieben erfolglos, und obwohl sich die Hoffnung, den 53
magnetischen Südpol ganz zu erreichen, nicht verwirklichte, so tröstete Ross doch einigermaßen das Bewusstsein, dem Pol mehrere Hundert Meilen näher als seine Vorgänger gekommen zu sein; durch die zahlreichen Beobachtungen, die in verschiedenen Richtungen angestellt worden sind, kann seine Lage fast so genau bestimmt werden, als ob er selbst an Ort und Stelle gewesen wäre. Doch Ross kann sich in seinem Ehrgeiz nicht enthalten hinzuzufügen: „Dessen ungeachtet war es höchst peinlich, in einer unter anderen Umständen leicht zugänglichen Entfernung die Bergreihe zu erblicken, in welcher der Pol liegt, und zu fühlen, wie nahe wir der Erreichung des Hauptziels unserer Unternehmung gestanden hatten; nur wenige werden den tiefen Schmerz begreifen, mit dem ich mich zuletzt gezwungen sah, die vielleicht zu ehrgeizige und lang gehegte Hoffnung aufzugeben, die Flagge meines Vaterlandes über beiden magnetischen Polen unserer Erde aufzupflanzen; aber die Hindernisse, welche sich uns entgegenstemmten, waren von so unübersteiglicher Art, dass wir uns wenigstens selbst keine Vorwürfe zu machen hatten. Einige von uns hegten noch eine schwache Hoffnung, dass westlich von dem Admiralitätsgebirge, das, wie wir wussten, sich plötzlich westlich wendete, die Küste vielleicht eine südliche Richtung nehme, wo wir dann dem Pol näherkommen könnten; aber wir konnten uns nicht verbergen, dass die späte Jahreszeit und der frühe Eintritt des Winters diese Hoffnung höchst unwahrscheinlich machte. Die Bergreihe im äußersten Westen, die, wenn sie eine gleiche Höhe wie der Vulkan Erebus hatte, nicht weniger als 50 Seemeilen entfernt und daher jedenfalls der Sitz des magnetischen Poles war, wurde nach Seiner Königlichen Hoheit, dem Prinzen Albert genannt. Das ganze von uns entdeckte südliche Land, dessen Küste wir vom 70. bis zum 79. Breitengrad verfolgt hatten, erhielt den Namen unserer gnädigsten Königin Victoria, als die erste südliche Entdeckung seit Ihrer Majestät Thronbesteigung“ (Ross 2014, S. 197).
Pinguinfang und Robbenjagd Der Ehrgeiz, der Ross antrieb, hatte nicht nur einen längeren Aufenthalt in der Antarktis zur Folge, sondern eine geradezu verheerende Wirkung auf die unschuldige Tierwelt, von der Ross in aller Gemütsruhe berichtet: „Während der letzten Tage sahen wir viele große Pinguine, und mehrere derselben wurden gefangen und lebendig an Bord gebracht; sie zu töten war außerordentlich schwer und eine sehr grausame Operation, bis wir zur Hydrocyansäure unsere Zuflucht nahmen, von welcher ein Esslöffel voll ihrem Leben binnen einer Minute ein Ende machte. Diese riesenhaften Vögel wiegen 60–75 Pfund. Der größte wurde von den Leuten des ‚Terror‘ erlegt und hatte ein Gewicht von 78 Pfund. Sie sind merkwürdig einfältig und lassen den Jäger so nahe herankommen, dass er sie mit einem Knüppel auf den Kopf schlagen kann; manchmal, wenn sie schon von einem Schlag ins Wasser gestürzt sind, klettern sie wieder herauf, als wollten sie 54
auf ihre Verfolger losstürzen, ohne jedoch die geringsten Angriffs- oder Verteidigungsmittel zu haben. Sie wurden zuerst auf Cooks Reise in diesen Regionen entdeckt, und von der schönen nicht veröffentlichen Zeichnung von Forster stammen alle Abbildungen und Beschreibungen englischer und anderer Naturforscher her. Mr. Grey hat daher in der Zoologie unserer Reise diesem Vogel, von welchem wir die ersten vollständigen Exemplare nach England brachten, den Namen Aptenodytes forsteri beigelegt. Einige derselben pökelten wir vollständig ein, damit Physiologen und vergleichende Anatomen Gelegenheit fänden, dieses merkwürdige Geschöpf auf das Gründlichste zu untersuchen. Seine Hauptnahrung besteht aus krebsartigen und anderen Schalentieren; in seinem Magen fanden wir häufig zwei bis zehn Pfund Steine, hauptsächlich Granit, Ouarz und Trapp. Der Fang dieser Vögel gewährte unseren Leuten viel Unterhaltung, denn wenn sie aufgescheucht werden und fliehen wollen, wissen sie schneller, als ein Mensch laufen kann, über den tiefen Schnee fortzukommen; indem sie sich nämlich auf den Bauch legen und mit ihren großen Füßen sich fortstoßen, gleiten sie mit großer Schnelligkeit über den Schnee hinweg, wobei sie sich mit den finnenartigen Flügeln auf der dem stoßenden Fuß entgegengesetzten Seite stützen.
Abb. 23: Fang der großen Pinguine Mr. Oakley und Mr. Abernethy waren am glücklichsten auf dieser Jagd sowie auch bei dem Fang der Robben, die wir in nicht großer Anzahl fanden. Sie waren von dreierlei Art: Die größte ist von bedeutender Länge und misst fast zwölf Fuß vom Kopf bis zum Hinterteil und sechs Fuß im Umfang, ist aber nach ihrer Fettigkeit von sehr verschiedener Schwere; die schwerste, welche wir fingen, wog 850 Pfund und lieferte über sechszehn Gallonen Tran. Im Magen einer anderen fanden wir achtundzwanzig Pfund Fische. Mit Ausnahme eines einzigen Exemplars der Sphyraena gehörten sie alle zu einer Spezies der neuen auf der Kerguelen-Insel entdeckten Gattung, die Dr. Richardson Notothenia genannt hat. Wir fanden sie in verschiedenen Graden der Fäulnis; einige wenige, die eben erst verschlungen zu sein schienen, eigneten sich zur Aufbewahrung, und 55
Dr. Hooker entwarf sorgfältige Zeichnungen von ihnen. Die Durchschnittslänge dieses wegen der höheren Breite seines Aufenthaltsorts so interessanten Fisches ist 61/2 Zoll und sein Gewicht 21/ 2 Unze; in dem Magen der Robbe mussten daher ungefähr zweihundert Individuen vorhanden sein. Da er sich als eine andere Art als die auf der Kerguelen-Insel gefundene erwies, so erhielt er nach den Umständen, unter denen er zuerst gefunden worden, den Namen Notothenia phoca. Sie vertreten die Stelle des Merlangus polaris und des Ophydium parrii der Nordpolarmeere, und haben mit Letzterem viel Verwandtes; gleich diesen verbergen sie sich vor den Verfolgungen ihrer Feinde in den Spalten und Löchern des Packeises und kommen hervor, wenn das Schiff beim Vorbeifahren an die sie beschützenden Schollen stößt. Die Robben und Sturmvögel sind ihre Hauptfeinde, während sie selbst von kleinen Krebsen und Weichschnecken leben. So sehen wir in diesen Regionen, wo das Pflanzenreich, in milden Klimaten das hauptsächlichste Ernährungsmittel der Tiere, keinen Repräsentanten hat, eine Kette von animalischen Wesen, jedes erhalten durch Verzehren der unter ihm stehenden Ordnung, und alle zuletzt genährt von den mikroskopischen Geschöpfen, welche den Ozean mit einer unbegreiflichen Menge der kleinsten Formen des organischen Lebens erfüllen.
Abb. 24: Seehundjagd In der Färbung der drei Arten Robben herrscht eine große Verschiedenheit vom Dunkelgrau mit schönen Flecken und Streifen von beinahe schwarzer Farbe bis zum fast reinen Weiß, was jedenfalls hauptsächlich vom Alter des Individuums abhängt. Die größte Robbe ist weniger zahlreich als die kleineren Arten und mit gewaltigen Hauern bewaffnet, die ebenso groß und stark sind wie die des Eisbärs, dem sie auch in der Gestalt des Kopfes sehr ähnelt. Man darf sie nur mit Vorsicht angreifen; denn obgleich sie sich nur plump und ungeschickt auf dem Eis bewegt, besitzt sie doch Neigung und Mittel, ihrem Gegner gefährliche Wunden beizubringen. Die mittelgroße Robbe, oder der Seeleopard, und die weiße, antarktische Robbe lassen sich ohne die geringste Leibesgefahr leicht mit dem Knüppel erschlagen; nach den langen und tiefen 56
Wunden zu urteilen, die wir an einigen Männchen bemerkten und die zum Teil noch bluteten, müssen sie um diese Zeit des Jahres wütende Kämpfe miteinander bestehen. Sie sind jedoch nicht in genügender Menge vorhanden, um den Robbenfang in dieser Gegend einträglich zu machen; wir hätten allerdings 20–30 jeden Tag erlegen können, da aber die größten im Durchschnitt nur sechszehn, die mittleren zehn, die kleinsten fünf Gallonen Tran liefern und auch ihr Fett von nur geringem Wert ist, so wäre es eine ziemlich schlechte Spekulation, man müsste denn einen Platz entdecken, wo sie viel zahlreicher zu finden sind. Die Walfische, welche wir sahen, waren zwar groß, aber bei Weitem nicht so häufig wie in anderen Teilen des Antarktischen Meeres“ (Ross 2014, S. 303).
Der Zusammenstoß der beiden Schiffe „Erebus“ und „Terror“ Die Mannschaft des „Erebus“ sah sich auf der weiteren Fahrt im Eismeer in großer Gefahr, als sich dicht vor ihm ein großer Eisberg zeigte; das Schiff wurde sogleich dicht an den Wind gebracht, in der Hoffnung, ihn noch zu umschiffen, aber in demselben Augenblick kam der „Terror“ unter Mars- und Focksegel auf ihn los; und da er nicht zu gleicher Zeit den „Erebus“ und den Eisberg vermeiden konnte, so war ein Zusammenstoß unvermeidlich.
Abb. 25: Der Zusammenstoß von „Erebus“ und „Terror“ „Wir legten sogleich alle Segel back“, berichtet Ross, „um die Heftigkeit des Stoßes zu vermindern, aber der Stoß war so gewaltig, dass fast niemand auf den Beinen blieb; unser Bug57
spriet, Fockstenge und andere kleinere Spieren stürzten herab; und die beiden Schiffe, die sich mit dem Tauwerk ineinander verwickelt hatten und beständig mit fürchterlicher Gewalt aneinanderstießen, trieben auf die senkrechte Wand des hohen Eisberges auf unserem Lee zu, gegen den die Wogen fast bis zu seinem Gipfel in Schaum zerschellend anstürmten. Manchmal wurde der ‚Terror‘ über uns emporgehoben, sodass wir fast seinen Kiel sahen, und rollte dann wieder in die Tiefe, als wir auf einer Welle emporstiegen und ihn unter uns zu begraben drohten, während das Krachen des Oberwerks und der Boote das Schreckliche der Szene noch vermehrte. Zum Glück schoben die Schiffe sich allmählich aneinander vorbei und trennten sich, ehe wir in die schäumende Brandung getrieben wurden, und wir hatten die Freude, unseren Gefährten von dem Eisberg abkommen und außer Gefahr zu sehen. Uns ließ er jedoch in der schlimmsten Lage zurück; die Trümmer der Spieren lagen noch auf den unteren Rahen, sodass wir kein Segel beisetzen konnten, um vorwärtszukommen; auch hatten wir keinen Platz zum Wenden, da wir dem Eisberg jetzt so nahe waren, dass die dagegen anstürmenden Wellen den Schaum bis auf unser Verdeck zurückwarfen. Der einzige Weg, aus dieser grauenerregenden Lage zu kommen, war das gefährliche Experiment eines Sternbords, das bei einem solchen Sturm in so hoch gehender See nur die Gefahr, jeden Augenblick in Stücke zerschmettert zu werden, rechtfertigen konnte. Das heftige Schlingern des Schiffs und der Umstand, dass die Masten, sooft die unteren Rahen an die sich hoch über uns emportürmende Eiswand anstießen, brechen konnten, machten das Losbinden des großen Segels zu einer sehr gefährlichen Sache; aber der Befehl war kaum erteilt, so zeigte sich die Verwegenheit des britischen Matrosen. Die Leute eilten mit der gewöhnlichen Bereitwilligkeit hinauf, und obgleich sie zu wiederholten Malen wieder von der Rah weichen mussten, hatten sie doch bald das große Segel losgemacht. Mitten im Getöse des Sturms und des Meeres war es schwer die gegebenen Befehle zu hören und auszuführen, und es dauerte drei Viertelstunden, ehe die Rahen beigebrasst und die großen Halsen scharf angeholt waren – ein Manöver, das bei solchem Wetter vielleicht noch nie versucht worden war; es hatte jedoch den gewünschten Erfolg: Das Schiff gewann Rücklauf, tauchte mit dem Spiegel tief in das Meer, die unteren Rahnocken streiften an die raue Wand des Eisberges, und in wenigen Minuten hatten wir sein westliches Ende erreicht; nur der „Unterzug“ oder die Reaktion des Wassers von seinen senkrechten Klippen rettete uns vor der fast gewissen Lage an ihm in Atome zerschmettert zu werden. Kaum hatten wir uns von ihm frei gemacht, so bemerkten wir schon einen zweiten gerade hinter unserem Spiegel, auf welchen wir losfuhren; jetzt galt es das Schiff wieder zu wenden und in den Kanal zwischen den beiden Eisbergen zu lenken, der höchstens dreimal so breit wie das Fahrzeug war. Dies wurde jedoch glücklich vollbracht; wenige Minuten, nachdem wir das Schiff vor den Wind gebracht hatten, schoss es durch den engen Kanal zwischen zwei senkrechten Eiswänden und durch die tosende Brandung, und im nächsten Augenblick befanden wir uns in ruhigem Wasser unter dem Wind des Walls“ (Ross 2014, S. 338). 58
Die Heimkehr nach England Am 2. September um 5:20 Uhr früh erblickte Ross die Küste von England und ankerte auf der Reede von Folkstone um Mitternacht am 4. September. In aller Frühe ging Ross am nächsten Morgen an Land und begab sich sogleich zur Admiralität, wo er den freundlichsten Empfang fand. Auch die wissenschaftlichen Ergebnisse seiner Entdeckungsreise wurden entsprechend gewürdigt. Wenige Tage nach seiner Ankunft in London hatte er nicht nur die Freude, von der Königlichen Geographischen Gesellschaft in London die Medaille des Stifters zu bekommen, sondern auch, was ihm womöglich noch größeres Vergnügen machte, die goldene Medaille der Königlichen Geographischen Gesellschaft in Paris erhalten. Die Schiffe „Erebus“ und „Terror“ wurden abgetakelt. Sie waren mehr als vier Jahre und fünf Monate in Dienst gewesen und war trotz der Anstrengungen der Reise noch so unbeschädigt und diensttauglich wie bei der Abfahrt von England. Ross bedankt sich besonders für die herzliche und eifrige Mitwirkung und Unterstützung, die er stets bei seinem Kollegen, Kapitän Crozier, den Offizieren und der Mannschaft beider Schiffe fand. Durch deren Einigkeit, Anstrengungen und Geschicklichkeit konnten während des ganzen Verlaufs der Expedition ununterbrochene Beobachtungen gemacht werden: „Von den geographischen Forschungen hoffe ich“, sagt er abschließend, „dass man sie als einen Beitrag zur Erweiterung unserer Kenntnisse von den entlegeneren südlichen Regionen unserer Erde annehmen werde“ (Ross 2014, S. 445).
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6 Dumont d’Urvilles Abstecher zum Südpol Im Januar 1837 machte Dumont d’Urville dem französischen Marineminister den Vorschlag zu einer Entdeckungsreise um die Welt. „Man ging darauf ein,“ berichtet Dumont d’Urville, „jedoch sollte damit ein Abstecher nach dem Südpol verbunden werden. Zugleich übertrug man mir den Befehl über zwei Schiffe. Demzufolge wurden im Laufe des Sommers die Corvetten Astrolabe und Zelèe im Hafen von Toulon ausgerüstet. Den Astrolabe führte ich selber, die Zelèe, als Begleitschiff, Capitain Jacquinot“ (d’Urville 1851, S. 12). Die Instruktionen der Regierung zu dieser Reise betonten, dass es nicht nur um die Fortschritte der Hydrographie und der Naturwissenschaften gehen soll, sondern vor allem um die Interessen des französischen Handels: „Sie werden eine Menge von Punkten besuchen, deren Erforschung, inwieweit sie unseren Walfischjägern gewisse Hilfsmittel bieten können, von hoher Wichtigkeit erscheint. Sie werden sich deshalb bemühen, alle Nachrichten zu sammeln, welche Jene bei ihren Fahrten leiten und letztere selbst erfolgreicher machen können. Sie werden in Häfen ankern, wo unser Handel schon Fuß gefasst hat und das Erscheinen eines Kriegsschiffes vielleicht von Nutzen sein könnte“ (zit. nach Verne 1882, S. 412).
Abb. 26: Die beiden Gegner: Dumont d’Urville und François Arago
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Die Kritik Aragos an dieser Reise Aber nur wenige Wochen vor der Abreise von d’Urvilles Expedition hielt François Arago, ein einflussreiches Mitglied der Pariser Akademie der Wissenschaften und Professor für Geodäsie und Geometrie an der École polytechnique, am 5. Juni 1837 in der Deputiertenkammer eine Rede, in der er diesen von der französischen Regierung instruierten Plan einer vernichtenden Kritik unterwarf. „Dieser Plan,“ sagte er, „ist meines Erachtens schlecht angelegt und könnte nur zu schlimmen oder unbedeutenden Resultaten führen“ (Arago 1859, S. 374). Und er stellt die Frage, welche Wahrscheinlichkeit für Entdeckungen auf einer nach dem Südpol gerichteten Reise vorliege: „Was will man da suchen?“ Arago war offiziell beauftragt worden, d’Urville die Beobachtungen zu bezeichnen, die sich in diesen Gegenden anstellen ließen. Aber nachdem er, wie er sagt, „einsichtige Personen zu Rate gezogen hatte, hatte er Nichts gefunden, was sich ihm angeben ließe.“ Jedenfalls wird nach seiner Meinung d’Urville nicht den Pol erreichen wollen, um sich bloß zu überzeugen, dass es da sechs Monate lang Tag und sechs Monate lang Nacht ist. Denn das weiß man, ohne dass man sich dahin begeben muss: „Gelangt er dahin, so wird sagen können, er sei dort gewesen, und das ist Alles.“ Für Arago ist es eine „Reise aus reiner Kuriosität“. Nach seiner Meinung unternehmen „verständige Leute keine gefährlichen Reisen, wenn keine Frucht davon für die Wissenschaften oder den Handel zu erwarten ist“ (Arago 1859, S. 376). Dass aber diese unnütze Reise d’Urvilles zum Südpol gefährlich sein würde, davon war Arago völlig überzeugt. So beschwört er in seiner Rede die Deputierten: „Sollte er, in Betracht der Wichtigkeit, die man auf den Erfolg zu legen scheint, wenigstens nach den den Matrosen versprochenen Belohnungen zu urteilen, beharrlich seinen Weg fortsetzen, so würden Sie, ich scheue mich nicht es zu sagen, genötigt sein, nächstes Jahr die Mittel zu seiner Wiederauffindung zu bewilligen“ (Arago 1859, S. 378). Die Gefährlichkeit beruht vor allem auf die für ein solches Unternehmen untauglichen Schiffe. In den Südpolgegenden benötigt man sehr starke ausdrücklich dazu gebaute Schiffe. „Stattdessen,“ kritisiert Arago, „senden wir ein gebrechliches Schiff ab, dessen Exkursion nach dem Pol, ich wiederhole es, nur eine Episode in einer anderen Expedition sein wird.“ Für Arago wird aber auch die gesamte Weltreise d’Urvilles, was die möglichen Entdeckungen betrifft, absolut bedeutungslos sein. Er bedauert, sagen zu müssen, dass, wenn man sich vorgenommen hätte, den Weg zu bezeichnen, wo der „Astrolabe“ gar keine Entdeckungen zu machen erwarten durfte, so hätte man sich nach seiner Ansicht „sehr wenig von dem Reiseplan zu entfernen brauchen, den man für Herrn d’Urville vorgeschrieben hat.“ Mit den Mitteln, die ihm zur Verfügung stehen, würde es leicht sein eine für die Wissenschaft und den Ruhm des Landes 61
fruchtbare Reise zu unternehmen. „Stattdessen,“ sagt Arago, „unternimmt man eine abenteuerliche Expedition nach Orten, wo es Nichts ernsthaft zu lernen gibt“ (Arago 1859, S. 379).
Abb. 27: Die „Astrolabe“ Seine Rede an die Deputierten schloss Arago mit den Worten: „Sollen künftig Entdeckungsreisen unternommen werden, so wenden Sie sich an die Akademie der Wissenschaften; von ihr dürfen Sie sicher einen angemessenen Reisplan erwarten.“
Aufbruch mit zwei Schiffen Am 7. September 1837 verließen die beiden Schiffe d’Urvilles den Hafen von Toulon und steuerten nach einem kurzen Aufenthalt in Feuerland nach Ostsüdost, um die Polargegenden zu erreichen. Nachdem die Schiffe im Januar des nächsten Jahres dort angekommen waren kamen sie in so dichten Nebel, dass sie in Gefahr gerieten, zusammenzustoßen. Am 21. Januar kam die Sonne wieder und das Wetter war so schön, dass man am Horizont in weiter Entfernung schon das Eis sehen konnte. Niemand zweifelte, daran, dass man unter diesen Vorrausetzungen den 80° südlicher Breite erreichen könnte. Bei stillem Wetter fuhren sie längs des Eisfeldes dahin. D’Urville nahm dabei mit gutem Grund an, dass diese ausgedehnten Eisfelder sich nicht durch einfache Gefrierung des Meerwassers bilden können, als vielmehr an großen Küsten, welche ihnen als feste Unterlagen dienen. Beim Anblick dieses großartigen zerklüfteten Eisfeldes erfüllte D’Urville ein Gefühl unwillkürlichen Schreckens: „Bis zu den Grenzen des Horizontes, nach Osten wie nach Westen hin, erstreckt sich eine unabsehbare Fläche mit Eisblöcken von jeder Gestalt, welche ordnungslos auf einander gehäuft und in einander gekeilt sind. Die meisten derselben übersteigen selten 12 bis 15 Fuß, andere 62
sind 95 bis 125 hoch. Sie scheinen die großen Gebäude einer aus weißen Marmor oder Alabaster erbauten Stadt zu sein.“ Wenn die Sonnenstrahlen dieses Eisfelds bescheinen, kommen die unterschiedlichsten Phantasiegebilde zustande: „Man glaubt mitten im Reif und Schnee eine große Stadt mit Häusern, Palästen, Befestigungen und Türmen zu sehen; oft ist es auch ein liebliches Dorf nebst seinen Schlössern, seinen mit Schnee bepuderten Bäumen und lachenden Büschen. Einiges Leben bringen nur geräuschlos daherfliegende Eisvögel oder Walfische, welche mit ihren dumpfen kläglichen Blasen die Schweigsamkeit dieser toten Welt unterbrechen“ (d’Urville 1851, S. 76).
Abb. 28: d’Urvilles Schiffe „Astrolabe“ und „Zelèe“
Im Eisfeld eingeschlossen und die Befreiungsversuche Bei günstigen Wind segelten sie schnell vorwärts; aber je weiter sie südlich kamen, desto zahlreicher wurden die Eisblöcke. Und alsbald ertönt in der Tat vom Mastkorb aus der verhängnisvolle Ruf: „Eisfeld!“ Doch d’Urville war fest entschlossen, alles zu wagen, um eine Durchfahrt zu suchen. Er steuerte nach Südosten, um dem Eisfeld so nahe wie möglich zu sein und in die erste Öffnung, die sich ihm darbieten würde, einzudringen: „Als ich daher in dem Eisfeld leewärts von 63
uns einen Schein von Öffnung entdeckte, drang ich ganz aufs Geradewohl dahin vor: gewiss ein sehr gewagtes Unternehmen, das aber fast unvermeidlich geworden war, weil des Eisfeld luvwärts sich immer mehr dem anderen näherte, um sich mit demselbigen zu vereinigen und uns folglich von allen Seiten einzusperren“ (d’Urville 1851, S. 83). Wie groß das Vertrauen d’Urvilles im Gegensatz zu vernichtenden Kritik Aragos auf die Eignung seiner Schiffe zu solchen Unternehmungen im Eisfeld war, zeigt folgende Bemerkung: „Die Eisstücke wurden so zahlreich, dass wir nur den großen ausweichen konnten, die übrigen zermalmten unser Vordersteven. So siegten unsere stark gebauten Corvetten über alle Hindernisse, und wir kamen mit den Stößen, die übrigens so heftig waren, dass der Kiel der Schiffe in allen seinen Teilen davon erzitterte. Die an dem Vorderteil angebrachte Säge hielt sich anfangs sehr tapfer; aber wiederholte Stöße lockerten allmählich die Nägel, womit sie befestigt war, und ein vor allen mächtiger Stoß riss sie gänzlich los“ (d’Urville 1851, S. 83). Doch d’Urville bewunderte auch den Mut und die Sorglosigkeit seiner Matrosen und Offiziere, denn, wie er sich eingesteht, schwebte ihm die „Tollkühnheit dieses Versuches“ klar vor Augen. Und es war leicht einzusehen, dass die wagemutigen Polarfahrer sich in einer Art Kerker befanden: „In einer Entfernung von weniger als einer halben Meile sahen wir die Zelèe, ebenso wie den Astrolabe von dicken Eisblöcken umgeben und mit Schnee bedeckt. Aber selbst von der Höhe der Masten aus entdeckte das Auge keine Öffnung in der Mitte der uns einschließenden Eisfelder.“ Als der Nebel sich lichtete, entdeckten sie im Norden jenseits des Eisgürtels einen weiten Golf, wo in dem blauen Meer einige zerstreute Eisblöcke schwammen. „Bei diesem Anblick,“ sagt d’Urville, „waren unsere Gefühle dieselben, die ein gefangener Vogel fühlen muss, wenn er auf einmal durch die Gitterstangen seines Käfigs das Freie entdeckt.“ D’Urville entschloss sich, die Eisschranke mit dem Schiffskiel gewaltsam zu durchbrechen. Er spähte nach einer kleinen Öffnung in dem Eisgürtel, der ihn von dem freien Meer trennte und ließ seine Corvette mit aller Schnelligkeit, die er sie geben konnte hineinlaufen. „Der Astrolabe drang, gleich einem Sturmbock, mit seinem Vorderteil das Eis spaltend, noch zwei bis drei Mal so weit, als er lang war, vor und stand dann unbeweglich still. Wir mussten nun zu allen möglichen Hilfsmitteln greifen. Ein Teil der Leute stieg auf das Eis und befestigte an den dicken Blöcken Taue, an welchen die an Bord befindliche Mannschaft das Schiff mühsam voran zog, während Andere mit Haken und Brechstangen die Eisstücke, welche sich am Schaft festsetzten zu entfernen suchten; gewiss eine sehr schwierige, ermüdende Arbeit. Unsere Matrosen verrichteten sie aber mit einem Eifer und einer Fröhlichkeit, die des größten Lobes würdig sind“ (d’Urville 1851, S. 85 f.). Nachdem der ganze Streifen fester Eisschollen durchbrochen war, liefen die Schiffe in die hohe See, auf der sie sich dann nach allen Richtungen bewegen konnten. Die Folgen dieses Wagnisses mahnten aber d’Urville, in Zukunft klüger zu sein und vor den Eisfeldern mehr Achtung zu haben. Deshalb betrachtete er seinen Versuch den Südpol zu erreichen für abgetan. Er steuerte nach Westen entlang der Eisbarriere hin und dabei gelang es ihm einige neue Entdeckungen 64
zu machen. So traf er auf eine ununterbrochene Küstenstrecke, die er den Namen „Louis-Philipps-Land“ gab. Einer dieser Küste vorgelagerten Insel gab er den Namen seines Schiffes „Astrolabe“. Die einzige Beobachtung die er machte, die entsprechend dem Auftrag der Regierung für Frankreich an wirtschaftlichen Nutzen wichtig sein konnte, war die große Anzahl von Walen in dieser Meeresgegend.
Abb. 29: „Astrolabe“ im Eis und die Befreiungsversuche (nach Amundsen 1912 und Verne 1882) Bevor d’Urville diese Meeresgegenden, die beinahe zwei Monate hindurch der Schauplatz von anstrengenden Arbeiten und Leiden waren, verließ, fügt er noch einige Bemerkungen über die zahlreichen Wale hinzu, die seine große Kenntnis dieser Tiere erkennen lässt: „Die Walfischjäger unterscheiden im Südmeer drei Walfischarten, nämlich den gemeinen Wal (Balaena mysticetus), den Pflockfisch und den Finnfisch. Vor allen suchen sie den gemeinen Wal, der keine Rückenflosse hat und mit einer dicken Speckschicht bedeckt ist. Jagd und Fang desselben sind leicht und selten mit Gefahr verbunden. Sie sind in der Regel 50–60 Fuß lang; die größten erreichen eine Länge von 80 Fuß. Ein Wal von 60 Fuß gibt ungefähr 100 Tönnchen Öl, und es sind also nur wenige Walfische zur gewöhnlichen Ladung eines Walfischfängers (300 Tonnen) nötig. Der von den Naturforschern noch nicht beschriebene Pflockfisch hat einen faltigen Bauch und ist merkwürdig durch seine ziemlich entfaltete Rückenfinne, durch die Farbe seines oben schwarzen und unten weißen Körpers sowie durch seine ungeheuren weißen Finnen, deren Länge beinahe die Hälfte seiner ganzen Größe erreicht. Dieser Wal hat eine Fettschicht von mäßiger Dicke. Die Jagd desselben ist ziemlich schwierig, und von der Harpune getroffen, versinkt er oft bis zu einer 65
bedeutenden Tiefe, ohne wieder zum Vorschein zu kommen; man muss alsdann das Tau, woran die Harpune hängt, kappen. Die Walfischfänger machen daher auf diesen Wal nur Jagd, wenn die gemeinen Wale sich wenig blicken lassen. Die seltenste Gattung ist der Finnfisch, der 80–90 Fuß lang, aber nicht so breit wird wie der gemeine Wal. Er hat eine gelblich braune Farbe und ist häufig mit dunkleren Flecken bedeckt. Die Walfischfänger greifen ihn nie an, nicht nur, weil er mit einer dünnen Speckschicht bedeckt ist, sondern auch deshalb, weil er sich so schnell und ungestüm bewegt, dass er die Harpunier-Boote in die größte Gefahr bringen würde; denn sobald er sich getroffen fühlt, gebärdet er sich ganz wütend, peitscht das Meer mit seinem furchtbaren Schwanze, taucht unter oder entflieht mit einer erstaunlichen Geschwindigkeit. Das geübte Auge des Walfischfängers erkennt diese verschiedenen Arten sogleich an ihrem Blasen oder Spritzen. Der Strahl, den der gemeine Wal ausspritzt, ist dick und kurz und erreicht nur eine geringe Höhe. Der des Pflockfisches steigt höher und ist gewöhnlich von einem Getöse begleitet, das einem fernen Kanonendonner gleicht. Der Strahl des Finnfisches erhebt sich mit großer Kraft zu einer bedeutenden Höhe und gleicht in der Ferne einer dichten Rauchsäule, in der Nähe aber einer ungeheuren Wasserkunst. Wir waren oft ganz von Finnfischen umgeben, die, wie es schien, zu ihrem Vergnügen um das Schiff schwammen und auf der einen Seite untertauchten, um auf der anderen wieder zum Vorschein zu kommen. Manchmal erhob sich ihr brausender Strahl ganz in der Nähe des Schiffes, und wir konnten uns alsdann alle davon überzeugen, dass derselbe aus kräftig in die Höhe getriebenem Wasser bestand, und nicht aus verdichtetem Atem, wie einige Naturforscher angeben. Die Ursache, warum sich die Wale in großer Anzahl an derselben Stelle zusammenfinden, hat man in dem Vorhandensein von Myriaden kleiner Krabben zu suchen, die fast ausschließlich ihre Nahrung ausmachen und von den Fischern Wal-Atzung genannt werden. Stoßen die Fischer auf eine Bank, deren bedeutender Umfang dem Meere eine rötliche Färbung gibt, so kreuzen sie in der Umgebung, wo sie hoffen können, einige Wale zu treffen. Man kann ihnen mit der Harpune am leichtesten nahekommen, wenn sie damit beschäftigt sind, mittelst der Haare ihrer Bärte Tausende dieser kleinen Tiere einzusammeln. Nichts ist unterhaltender, als von der Höhe des Mastes auf einem ruhigen glatten Meere den Wal in der Mitte der Krabben zu beobachten; er liegt unbeweglich und entfaltet nur den wunderbar großen Vorrat seiner Bärte, mit deren unzähligen Haaren er die Massen dieser kleinen Wesen wie mit einem Netze einsammelt und in seinen weiten Magen vergräbt“ (d’Urville 1851, S. 117 f.). Und über die Pinguine, die ihn wie alle Erforscher der Antarktis wegen ihrer Menschenähnlichkeit belustigten, weiß d’Urville zu berichten: „Unzählige Scharen von Pinguinen umkreisen uns im Wasser oder betrachten uns von den Eisblöcken herab, auf denen sie ernst sitzen. Nichts ist spaßhafter, als sie in dem Augenblick zu beobachten, wo sie aus dem Wasser auf einen Eisblock klettern wollen, um Luft zu schöpfen. Sie nähern sich demselben und suchen sich daran mithilfe des Schnabels, der Füße und ihrer Flügelstummeln festzuklammern. Aber selten gelingt ihnen ihr Vorhaben auf Anhieb. Häufig purzeln sie einige Male von der glatten Böschung herab, bis sie 66
endlich, von einer günstigen Woge unterstützt, sich an der ersehnten Stelle festsetzen. Um wieder ins Wasser zu kommen, lassen sie sich nur herabgleiten, und oft stürzen sie sich häuptlings herab, ohne sich nur im Geringsten über ihren Fall zu beunruhigen“ (d’Urville 1851, S. 11).
Skorbut und Rückreise nach England Die ausgestandenen Mühseligkeiten, die lange Entbehrung frischer Lebensmittel und die in dem ganzen Schiffe herrschende Feuchtigkeit hatten trotz der Sorgfalt des Schiffarztes, einen nachteiligen Einfluss auf die Gesundheit der Mannschaft. So beschloss d’Urville seine Reise zum Südpol abzubrechen und umzukehren. Der Hauptgrund für diese überstürzte aber dringend notwendige Umkehr war die sich auf beiden Schiffen immer mehr ausbreitete Skorbut. Diese schreckliche, damals unter der Bezeichnung „Scharbock“ bekannte Krankheit, war von den alten Seefahrern gefürchtet, weil man gegen sie kein Hilfsmittel wusste. Dagegen war es bereits für d’Urville, klar, dass nur frische Lebensmittel die Kranken zu retten vermochten. Daher führte er seine beiden Schiffe in den Hafen der Stadt Conception in Chile, weil er wusste, dass dort reichlich und billig frische Lebensmittel zu haben waren. In diesem Hafen Talcahuano traf er auf die englische Fregatte, welche den Konteradmiral James Ross an Bord hatte. Diesem berühmten Mann wollte d’Urville und der Kapitän seines Begleitschiffes „Zelèe“, Jacquinot, die Aufwartung machen. Der Kapitän dieses Schiffes empfing sie mit herzlicher Höflichkeit und bot ihnen in ziemlich geläufigem Französisch seine Dienste an. „Darauf stellte er uns“, berichtet d’Urville, „dem Admiral Ross vor, einem kleinen kugelrunden Männchen, der wenig sprach und kein Wort Französisch verstand“ (d’Urville 1851, S. 102 f.). Die französischen Offiziere waren bald mit den Engländern auf guten Fuß und umgekehrt erwiesen die Engländer den Franzosen alle möglichen Gefälligkeiten. Seinen kranken Seeleuten gab d’Urville die Erlaubnis, am Lande Spaziergänge zu machen. Aber diese Erlaubnis und die Erleichterung der Arbeit führten freilich dazu, „dass mehrere Matrosen bald nachher völlig betrunken in den Strassen von Talcahuano umher taumelten.“ Doch d’Urville musste in dieser Zeit nachsichtig sein, um sie nicht zu erbittern, und zum Davonlaufen zu veranlassen. Die dringend nötige Rückreise nach England, war, wie d’Urville selbst angab, die unglücklichste Epoche der Expedition. Die ganze Fahrt gewährte nur „ein Schauspiel der Trauer und des Todes. Die Seuche griff immer mehr um sich und verschlang ein Opfer nach dem anderen; auch die blühendste Gesundheit und die vollste Kraft des Mannesalters schützte nicht dagegen. Schwache Winde und Windstillen verzögerten unseren Lauf und so mussten wir die Leichen von drei Offizieren voll Jugend, Verdienst und Eifer, und von dreizehn Schiffsmeistern oder Matrosen ins Meer senken.“ Aber d’Urville gelang es die gelichteten Reihen seiner Seeleute durch Anwerbung 67
von englischen Matrosen wieder zu vervollständigen. Nachdem auch die Corvetten gründlich ausgebessert und von allen verpesteten Dünsten gereinigt waren, war d’Urville zu einem neuen Streifzug in die Eisfelder der Südsee bereit.
Erneute Entdeckungsreise nach den Eisfeldern des Südens Am 18. Januar 1840 hatten die Schiffe bereits den 64.° südlicher Breite erreicht. Das Wetter war feucht, aber die Temperatur ziemlich mild und alle hofften diesmal den 70. Parallelkreis zu überschreiten zu können. Obwohl sich d’Urville geschworen hatte, sich nicht mehr in dem Eisfeld der Gefahr auszusetzen, zögerte auch diesmal nicht darauf zuzusteuern: „Das Schauspiel, welches sich unseren Blicken darbot“, berichtet er, „war ebenso wohl großartig, als schrecklich. Die senkrechten Wände dieser ungeheuren Massen überragten bei weitem unser Mastwerk; sie hingen über unseren winzig erscheinenden Schiffen. Man hätte glauben können, man befinde sich in den schmalen Gassen einer Riesenstadt“ (d’Urville 1851, S. 327).
Abb. 30: Senkrechte Wände im Innern des Eisfeldes (aus Verne 1882) Nach Verlauf einer Stunde gelangten die dem Verderben entronnenen Schiffe ein weites Becken, das auf der einen Seite durch ein Land gebildet wurde und auf der anderen Seite von den hohen Eismassen begrenzt wurde, die sie gerade durchfahren hatten. Als sich das bis dahin nebelige 68
Wetter aufklärte und die Sonne schien, erkannte man, das schon auf der vorhergehenden Reise gesichtete Adelaiden-Land. Diesmal gelang trotz der hohen Brandung auch die Landung. Voller Eifer erkletterten die Leute die steilen Seiten der Felsen und entfalteten am Land „die dreifarbige Fahne um im Namen Frankreichs davon Besitz zu nehmen“ (d’Urville 1851, S. 329).
Abb. 31: Auf Adelaiden-Land wird die französische Fahne gehisst. Nachdem über das wirkliche Dasein des neu entdeckten Landes keinen Zweifel mehr übrig blieb, kam es zu einem Zwischenfall, welcher d’Urville später nach seiner Rückkehr nach England Kritik an der Priorität seiner Entdeckungen eintrug. Mit einem Am 27. Januar sichtete die Wache des „Astrolabe“ ein amerikanisches Kriegsschiff. Wie es sich nachher bestätigte, gehörte dieses Schiff zu einer Polarexpedition unter dem Befehl des amerikanischen Marineoffiziers Leutnant Wilkes. Der Vorwurf, den man später d’Urville machte, bestand darin, dass er bei Ansicht seines Konkurrenten abdrehte, um jede Kommunikation zu vermeiden. Doch d’Urville selbst betont, dass es sich dabei um ein Missverständnis gehandelt habe: „Der Amerikaner steuerte gerade auf uns los, und es schien, als wolle er mit uns verkehren. Da er aber bedeutend schneller segelte als wir, so ließ ich, um ihm länger zur Seite bleiben zu können noch Segel zusetzen. Dies gab zu einem Missverständnis Anlass, in Folge dessen jener sich schleunigst von uns entfernte“ (d’Urville 1851, S. 334). Nachdem es d’Urville noch gelungen war, eine lang gestreckte vereiste Landmasse zu entdecken, die er „Clarie-Küste“ nannte, wandte er sein Schiff nach Norden und kehrte nach Frankreich zurück. Demnach hatte sich Arago also in seiner von vornherein getroffenen negativen Einschätzung der wissenschaftlichen Leistungen der Südpolexpedition d’Urvilles getäuscht. Sie waren sehr ge69
nau und ausführlich und wurden in 23 Bänden unter dem Titel: „Voyage au Pole Sud et dans l’Océanie, 1837–1840“ in den Jahren 1841–54 in Paris veröffentlicht. D’Urville wurde zum Konteradmiral befördert und die Geografische Gesellschaft verlieh ihm ihre höchste Auszeichnung. Die Regierung überreichte den 130 Überlebenden eine Sonderprämie von 150000 Goldfranc. Was den wirtschaftlichen Nutzen von d’Urvilles Reise in die Südpolregionen betrifft, vor allem den Walfang, kann ihn zwar Arago auch nicht leugnen, aber er spricht bereits zu dieser Zeit eine ernsthafte Warnung aus, indem er darauf hinweist, dass die amerikanischen Walfischjäger jährlich 8000 Wale fingen. „Und dies ist noch nicht Alles“. sagt damals schon Arago, „2000 Wale sind entkommen nachdem sie tödliche Wunden erhalten hatten, wodurch die Zahl der getöteten Wale auf 10000 gestiegen ist. Geht es so fort“, meint er „so wird der Walfischfang bald keine Schiffer mehr beschäftigen“ (Arago 1859, S. 379).
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7 Überwinterungen auf Forschungs stationen am Festland: Borchgrevink Im September 1895 fand in London der 6. Internationale Geographen-Kongress statt, den die Royal Geographical Society ausrichtete. 1500 Fachleute, darunter Georg von Neumayer, Sir Clements Markham und Julius von Payer, erörterten eine Woche lang die neuesten Erkenntnisse ihrer Wissenschaft. Die weitere Erforschung der Südpolarregion wurde zur wichtigsten Aufgabe der modernen Geographie erklärt. Carsten Borchgrevink traf nach wochenlanger Überfahrt von Australien erst am letzten Tag der Konferenz in London ein und präsentierte dort seine aus der Südpolarregion mitgebrachten Funde. Borchgrevink, geboren 1864 in Kristiania, studierte Forstwissenschaft und erforschte als Feldmesser das Innere von Australien.1894/95 unternahm er von Melbourne aus als einfacher Matrose auf dem Schiff „Antarctic“ eine Reise zu den Südpolarländern und besuchte dort Possessesion-Island, Kap Ardare und Victorialand. Auf diesem Kongress in London lernte er den Verleger Sir George Newnes (1851–1910) kennen, der Borchgrevink das Angebot machte, sämtliche Kosten für eine Expedition in die Antarktis zu übernehmen, falls Borchgrevink dem Verlagshaus einen Erlebnisbericht liefern könnte. Borchgrevink stimmte zu und erhielt einen Vorschuss von 35000 Pfund Sterling, von denen er in Norwegen ein eistüchtiges Schiff, den Walfänger Pollux, erwarb, den er in „Southern Cross“ umbenannte.
Abb. 32: Borchgrevink und sein Schiff 71
Landung und Errichtung der Forschungsstation Im Sommer 1898 verließ die Southern Cross mit 31 Mann Besatzung, Proviant für drei Jahre und 90 Schlittenhunden den Hafen von Kristiania. Nach einem Zwischenhalt auf Tasmanien erreichte das Schiff im Februar 1899 den Überwinterungsplatz in der Robertson-Bucht nahe Kap Adare, an dem neben Borchgrevink selbst und noch neun weitere Männer bis zum nächsten Jahr ausharren sollten. Das Ausladen der Ausrüstung erwies sich als sehr mühsam und zog sich bis zum März hin.
Abb. 33: Landung und Vermessung Von den zwei kleinen am Kap Adare aufgebauten Holzhäusern wurden das nördliche zum Wohnhaus und das südliche zum Magazin für den Proviant und die Ausrüstung bestimmt. Gegen den Sturmwind wurden sie mit vier großen Ankern gesichert, die in den Boden vergraben und mit Stahldraht an die Hütten gebunden wurden. 72
Abb. 34: Borchgrevinks Hütten auf Cape Adare Am 2. März erfolgte die Abreise der „Southern Cross“. Zur Überwinterung am Festland blieben nur Borchgrevink und neun der Expeditionsmitglieder zurück. Mit gemischten Gefühlen blickten die zehn an der öden, 2000 km von Australien entfernten Küste dem Schiff nach. Denn es wurde ihnen klar, dass sie in den nächsten Monaten des antarktischen Winters keine Möglichkeiten hatten von dort fortzukommen.
Eine gefährliche Schlittenreise Noch kurz bevor die lange Winternacht einbrach, fasste Borchgrevink am 22. April den unglückseligen Plan, eine erste kleine Expedition zur Spitze von Kap Adare zu machen. Zunächst ging für die drei Expeditionsteilnehmer noch alles gut. Sie fanden noch einige Seehunde, an deren Fleisch die mitgenommenen 20 Hunde keine Not litten. Doch dann brach ein Sturm aus, der das Zeltlager zu überschwemmen drohte. Schnell wurde das Zelt abgebrochen und mit allen Sachen auf den 10 m hohen Eisabhang geschafft, über den sich die Felsen 160 m lotrecht empor türmten. Der Platz dort war nicht mehr als vier Meter lang. Drüber standen die Schlittenhunde eng aneinandergepresst und heulten mit dem Sturm um die Wette. Als sich das Wetter beruhigte, waren alle Expeditionsmitglieder damit beschäftigt sich selbst zu retten ohne an die Hunde zu denken: „Auf dem spiegelglatten Abhang verloren sie den Halt. In ihrer Verzweiflung suchten sie wieder festen Fuß zu fassen, stürzten aber über die Eisklippen mit steigender Geschwindigkeit in das Meer 73
hinab. Ihre Versuche, sich durch Schwimmen zu retten, waren bei der Kälte des Wassers vergeblich, und einer nach dem andern verschwand in dem zähen flüssigen Eisschlamm“ (Borchgrevink 1905, S 127 f.). Die Menschen aber konnten sich selbst dadurch retten, dass sie mit ihren Eishacken Stufen schlugen, auf denen sie mühsam hinaufstiegen. Als sie aber zu einer Felswand kamen, die ihnen den Weg versperrte, hielten sie Ausschau nach einem anderen Weg. Der befand sich etwa 10 m unter ihnen, war aber durch einen großen Spalt von ihnen getrennt. Da erwies sich der Lappe Savio als Retter in der Not. Ehe es jemand verhindern konnte, hatte er sich vom Seil freigemacht und in einem kühnen Sprung über den steilen Abhang die gegenüberliegende Seite erreicht.
Abb. 35: Savios Sprung
Die lange Winternacht und die Seehundsjagden Nach ihrer Rückkehr wurde die als Wohnraum dienende Hütte vollkommen eingeschneit. Wenn jemand in sie hineinwollte, musste er durch eine Art Trichter im Schnee zur Eingangstür kriechen. Drinnen war die Enge des Wohnraumes geradezu erdrückend. Denn er hatte nur fünf Meter im Quadrat und zweieinhalb Meter Höhe. Die dort eingerichteten Schlafkojen waren aus Holz, die eine über der anderen an den Wänden aufgebaut waren. Sie waren ganz geschlossen und jede hatte ein kleines, nur mit einem Tuch verhängtes Loch, durch das man hinein und hinaus krochen konnte. Borchgrevink berichtet von der bedrückenden Situation, die sich in der langen Winter74
nacht für die Bewohner ergab: „Im Laufe der antarktischen Nacht wurden wir einander so überdrüssig, dass man bisweilen beobachten konnte, wie eines der Mitglieder erst vorsichtig den Vorhang hob, der ihn vom Wohnraum trennte, um sich, ehe er ihn betrat, davon zu überzeugen, ob sich dort das eine oder andere verhasste Antlitz zeigte. Entdeckte er dann einen Kameraden, der, um frische Luft zu schnappen, im Wohnraum weilte, so ließ er den Vorhang oft schnell wieder fallen, als sei er auf eine entsetzliche Vision gestoßen“ (Borchgrevink 1905, S. 109).
Abb. 36: Eingang der Hütte mit den Hunden Die Zeit, in der man die Mahlzeiten einnahm wurde immer kürzer. Denn das Essen war schlecht. Der Inhalt der Blechdosen ekelte alle an, mochte er nun aus Fisch, Fleisch, Gemüse oder Früchten bestehen. Der eigenartige metallische Geschmack, den die Nahrung bei längerem Stehen in den Zinndosen erhält, rief nach und nach einen fürchterlichen Widerwillen hervor. Kein Wunder also, dass man sich immer mehr an das frische Fleisch der getöteten Seehunde gewöhnte, dass man anfangs zwar nicht mochte, aber zur Fütterung der Hunde brauchte. Wie sehr man diese armen Tiere verfolgte, zeigt die Erzählung des Zoologen der „Southern Cross“-Expedition Nicolai Hanson. Als ein Seehund gesichtet wurde, sprang Hanson auf und ergriff in aller Eile ein ganz altes Gewehr und ruderte mit zwei Mann nach dem Seehund hinaus, der auf einer ziemlich großen Eisscholle lag. „Nachdem ich auf dieser gelandet war“, berichtet Hanson, „schlich ich mich im Schutz eines Eishügels an ihn heran. Mein Gewehr flog schnell an die Backe, versagte aber mehrmals, und da ich sah, dass der Seehund sich zu bewegen begann, warf ich die alte Flinte von mir und stürzte mich mit der Seehundshacke auf ihn los. Der Seehund wollte entweichen, ich gab ihm aber einen Schlag mit der Hacke. Der Schlag glitt indessen an dem Schädel ab, und er wandte sich schnell nach mir um, als wolle er sich über mich werfen“ (Borchgrevink 1905, S. 565). Doch Han75
son hatte die Spitze seiner Hacke so fest in den Nacken des Seehundes gegraben, dass er ihn sich vom Leibe halten konnte. Ein von den beiden Matrosen eilte herbei und versetzte dem Seehund mit dem Bootshacken einige Schläge auf die Schnauze, bis er schließlich tot umsank.
Abb. 37: Hansons Kampf mit einem Seehund Borchgrevink hatte aber auch Mitleid mit diesen zutraulichen Tieren: „Sie kamen voller Vertrauen zu uns – sie kannten ja den Blutdurst der Zivilisation nicht! Es tut weh, einen Seehund zu töten, namentlich wenn man sich eines Messers bedienen muss. Schossen wir sie mit der Büchse und trafen sie an einer richtigen Stelle in den Kopf oder ins Herz, so starben sie schnell, stießen wir aber mit dem Seehundmesser fehl, so dass wir nicht gleich das Herz trafen, so erhob sich die Robbe auf ihren Flossen und blickte uns mit den großen dunklen feuchten Augen an, in denen die Majestät des Tieres uns zu trotzen schien, während das Blut auf den reinen weißen Schnee spritzte und das Bild verdarb“ (Borchgrevink 1905, S. 72). Doch völlig ohne jedes Mitleid mit den armen Tieren gingen seit jeher die professionellen, nur auf Gewinn bedachten brutalen Robbenschläger vor. „Nur mit größter Mühe gelingt es,“ sagt Borchgrevink, „den Grausamkeiten bei der Seehundsjagd vorzubeugen. Wir töteten die Tiere so schnell wie möglich. Bei den großen Seehundsfängen werden indessen die scheußlichsten Quälereien ausgeübt, um Zeit und damit Geld zu gewinnen. Ich habe von alten Seehundsfängern gehört, dass sie den Seehund gewöhnlich nicht gleich töten, sondern ihn lieber abhäuten, ehe er ganz tot ist. Das arme Tier hilft dann selbst beim Lösen seiner Haut indem es sich in seinen furchtbaren Schmerzen vor dem scharfen Stahl zurückzieht, während die blutigen Muskeln in der kalten Luft erbeben“ (Borchgrevink 1905, S. 175 f.). Borchgrevink kam sich selbst wie ein verbrecherischer Mörder vor, als er, allein auf sich gestellt, einen Seehund töten musste: „Auf einer unendlichen, weißen Fläche bin ich mit einem schlummernden Seehund allein – das Seehundsmesser verlässt seine hölzerne Scheide mit einem schrabenden Laut, der den Seehund weckt. Er hebt den Kopf mit den großen, dunklen, vertrauensseli76
gen Augen – Er schläft wieder fest im Sonnenlicht auf dem weichen Schnee – die Flossen bewegen sich – er träumt und stößt durch die nervös zitternden Nasenlöcher gleichsam einen Seufzer aus.“ Voller Reue über die darauffolgende Mordtat gesteht sich dann Borchgrevink ein: „Es ist im Grunde eine Sünde, eine große Sünde!“ Und doch, nach einem scheuen fast ängstlichen Blick ringsumher, um sich zu überzeugen, dass außer seinem Opfer, der Seehund, kein lebendes Wesen auf der endlosen weißen Fläche zu sehen ist, stößt Borchgrevink zu: „Ein Blitz, und das Blut spritzt aus dem durchbohrten, noch klopfenden Herzen gepumpt stoßweise empor. Der Seehund hat sich auf seine Vorderflossen erhoben, die dunklen Augen sind noch größer, noch ausdrucksvoller – voll unbeschreiblichen Entsetzens und Schmerzes – einen Augenblick nur – und die Augen brechen, während klares Wasser herausströmt und das Fell anfeuchtet“ (Borchgrevink 1905, S. 299 f.). Im Winter wurden die Schlittenhunde bissig wie Wölfe. Solange sie genügend Seehundsfleisch hatten, waren sie leicht zu bändigen. Wenn aber die Kälte zunahm und das Futter knapp wurde verschwand die Freundschaft zwischen ihnen. Sie schienen sogar planmäßig einen ihrer Kameraden zum Tode zu verurteilen der zweifellos sein bevorstehendes Schicksal vorausahnte. Denn dieser versuchte sich bei jeder Gelegenheit in der Hütte zu verstecken und nahm auch an den bescheidenen Malzeiten der anderen Hunde nicht teil. Er magerte ab und wurde melancholisch. Während dieser ganzen Zeit wurde er aufmerksam von den anderen Hunden bewacht und verfolgt. Sobald sie ihn in seinem Versteck ausfindig gemacht haben, setzten sich alle gemeinsam in Bewegung, um ihn zu überfallen und den Garaus zu machen. Dann begann ein wildes Rennen um Leben und Tod. Die Hunde verschwanden im Dunkel und man hörte nur ihr fernes Geheul bis es plötzlich still wurde. Dann wusste man, dass das alles vorbei war. Im Laufe der Winterszeit entspann sich aber auch nach und nach eine große Zutraulichkeit zwischen den Mitgliedern und ihren Hunden. Borchgevink nahm sogar seinen Lieblingshund „Sembia“ in den Wohnraum der Hütte.
Abb. 38: Sembia mit Borchgrevink 77
Die Ankunft der Pinguine im Frühling Die Polarnacht dauerte von Mitte Mai bis Ende Juli. Als dann der Frühling und mit ihm die Aussicht auf lichte Tage bevorstand, rückten die Pinguine heran. Ständig wuchs ihre Menge, die täglich am Kap Adare ankam. Einer nach dem anderen gingen sie hintereinander her. Die kurzen Flügel hielten sie, um Gleichgewicht zu halte, wie Arme ausgestreckt. „Sobald aber ein Pinguin aus der Reihe uns entdeckte,“ erzählt Borchgrevink in launiger Weise, „verließ er den Weg und arbeitete sich, von seinen Kameraden gefolgt, vorsichtig in dem losen Schnee zu uns durch, indem er bei jedem Schritt seine Füße so hoch hob, dass wir sie über dem Schnee sehen konnten. Als der erste an uns herangekommen war, machte er Halt und wandte sich nach seinen Kameraden um. Da entstand dann sofort eine laute wissenschaftliche Auseinandersetzung. Sie hackten mit ihren Schnäbeln auf uns los, zogen an unseren Kleidern, untersuchten uns genau, und nachdem der erste Pinguin seine zoologischen Ansichten über uns geäußert hatte, schritt er, von den anderen gefolgt, in einigen Abstand um uns herum, bis die Neugierde aller scheinbar befriedigt war. In der stolzen Überzeugung, dass sie eine neue Art von Pinguinen entdeckt hatten, setzten sie dann ihren Weg zu ihren alten Brutplätzen fort“ (Borchgrevink 1905, S. 282 f.).
Abb. 39: Unterhaltung der Kaiserpinguine über die Menschen
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Im Januar 1900 kehrte die „Southern Cross“ zum Kap Ardare zurück, um die Männer nach geglückter Überwinterung wieder abzuholen. In den darauffolgenden Tagen wurde alles, was die Hütten enthielten eingepackt, und damit begann die ermüdende Arbeit des Einladens der Instrumente, der Kisten mit Sammlungen, des Proviants und der Ausrüstung. Die schwerste und undankstbare Aufgabe fiel dabei Borchgrevink zu. „Denn ich musste,“ schreibt er, „von den beiden Lappen unterstützt, diejenigen unserer Schlittenhunde erschießen, die sich wegen Alters, Krankheit und sonstiger Gebrechen nicht mehr zur Arbeit eigneten. Einige von ihnen ahnten instinktiv die ihnen drohende Gefahr und es kostete mich große Überwindung, die tödliche Waffe auf diese treuen und klugen Tiere zu richten, die uns so lange begleitet hatten und denen wir Dank schuldeten“ (Borchgrevink 1905, S. 282 f.).
Abb. 40: Borchgrevink mit den beiden Lappen vor der Abreise von Kap Ardare Nach der Abreise von Kap Ardare entschloss sich Borchgrevink nicht sofort die Heimreise anzutreten, sondern das Schiff zum weiter südlich gelegenen Ross-Schelfeis zu bringen, um einen Vorstoß in Richtung Südpol zu unternehmen. Von Savio und Colbeck begleitet, drang Borchgrevink am 16. Februar bis zu einer nie zuvor erreichten südlichen Breite von 78° 50‘ vor und übertraf damit die Expedition von James Clark Ross um 72,5 km. Um nicht vom Schiff abgeschnitten zu werden befahl er aber an diesem Punkt die Umkehr.
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Abb. 41: Schlittenfahrt zum Südpol
Die Heimfahrt mit zwei Pinguinen Am 3. März kreuzte das heimkehrende Expeditionsschiff bei starken Stürmen den antarktischen Kreis. Während die kleinen Pinguine von einer Sturzsee über Bord gespült wurden, taten die zwei Kaiserpinguine ihr Bestes, um sich auf Deck zu halten. Als das Wetter immer stürmischer wurde, setzte man jeden von ihnen in eine Tonne, wo sie festgebunden wurden. Dort waren sie einigermaßen sicher, blickten aber missmutig drein. Denn die europäischen Konserven waren keine geeignete Mahlzeit für Südpolarbewohner. Sie brachen alles wieder heraus. Mit der milderen Luft begannen beide Pinguine krank zu werden. Bereits am 11. März starb der eine von ihnen und da der andere auch krank war, warf ihn Borchgrevink über Bord. Anfänglich schien er außerstande, sich in seiner natürlichen Umgebung zu bewegen. Erlebte aber bald wieder auf, tauchte mit voller Kraft unter, kam bald wieder nach oben und stieß einen kurzen, aber lauten Schrei aus, worauf er sich dann nach Süden wandte. „Der Lotse aus dem Südpolarland hatte uns verlassen. Was mag er bei seiner Rückkehr in die Heimat über uns berichtet haben?“ fragte sich Borchgrevink. Als die Expedition nach einer wegen des Gegenwindes langsamen Fahrt in Tasmanien ankam, veranstaltete die Stadt Hobart eine offizielle Empfangsfeier im Festsaal des Rathauses, und am folgenden Tag gab es in der Domkirche einen Dankgottesdienst, den der Bischof von Tasmanien abhielt. Borchgevink schickte ein Telegramm nach London, in dem er bekannt gab, dass, nachdem er mit Schlitten bis 78° 50‘ vorgedrungen war und den magnetischen Südpol lokalisiert hatte, die Aufgabe der Expedition erfüllt sei. Als die „Southern Cross“ schließlich am 29. Oktober 1900 in London ankam fand noch an demselben Abend für sämtliche Mitglieder der Schiffsbesatzung ein Festessen statt. Und jeder, der mit 80
Borchgrevink im Südpolarland zugebracht hatte, bekam auf Rechnung der Expedition freie Fahrt für die Reise von Tasmanien nach London.
Abb. 42: Die beiden Pinguine an Bord
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8 Die erste Südpolarnacht: F. A. Cook auf der „Belgica“ Die Reise der „Belgica“ bezeichnet den Beginn einer Periode der antarktischen Forschung, welche fast gleichzeitig in England, Deutschland und den Vereinigten Staaten eingeleitet wurde. Das erste Land, welches die Ausrüstung einer modernen Expedition zustande brachte, war Belgien. England und Deutschland hatten ebenfalls Expeditionen vorbereitet, aber die Ehre der ersten Aussendung einer wissenschaftlichen Expedition mit geschulten Fachleuten und einer der Antarktis angemessenen Ausrüstung gebührte nach Meinung von Frederick A. Cook Belgien. Frederick A. Cook war als Arzt bei dieser Expedition tätig. Von ihm sagt Amundsen, der ebenfalls an dieser Forschungsreise teilnahm: „Aufrichtig, ehrenhaft, tüchtig und bis aufs äußerste gewissenhaft – so tritt uns die Gestalt F. A. Cooks aus jenen Tagen entgegen“ (Amundsen 1912, S. 85 f.). Denn er stand in hoher Achtung an Bord, war allgemein beliebt, und sein ruhiges bestimmtes Wesen hatte einen ausgezeichneten Einfluss auf die Kranken. Zustandekommen war diese Expedition durch die Bemühungen des Leutnants Adrien de Gerlache. Dieser veranstaltete dafür öffentliche Sammlungen, sicherte sich die finanzielle Unterstützung der belgischen Regierung und brachte auf diese Weise schließlich einen Betrag zusammen, der knapp ausreichte, um die nötige Ausrüstung zu beschaffen.
Ausstattung und Mitglieder der Expedition Das für die Reise ausersehene Fahrzeug war das norwegische Robbenschlägerschiff „Patria“, welches in „Belgica“ umgetauft wurde. Es war ein starkes zehn Jahre altes Schiff, das nicht umgebaut werden musste. Denn es konnte den Anprall der Felsen, die Zusammenstöße mit Eisbergen und den Druck des Packeises aushalten. Nach einem Monat, den Cook auf der „Belgia“ verbrachte schreibt er über die „Belgica“: „Meine Bewunderung für sie wird um so größer, je näher wir der Eisregion des Südens kommen. Ihre Geschichte, ihre Ausstattung, ihre Einrichtung, ihre Bemannung, alles trägt bei, diesen Eindruck zu steigern, und täglich entdecke ich an unserm guten Schiff eine neue interessante Seite. Es war so oft heruntergeputzt worden während dieser Fahrt über den atlantischen Ozean, dass die ursprünglichen Eigentümer Mühe gehabt hätten, es wieder zu erkennen. Das Schiff wurde abgekratzt, geglättet und angestrichen, innen und außen repariert und sieht nun aus wie ein Ver82
gnügungsdampfer. Sein neuer Name ‚Dampf-Yacht Belgica‘ passt jetzt dafür, denn es hat das Aussehen und den Geruch des schmierigen, rußigen Robbenschlägers vollständig verloren. Auch das nahezu unverwüstliche Merkmal eines Robbenschiffes, der penetrante Fischgeruch ist verschwunden“ (Cook 1903, S. 43).
Abb. 43: F. A. Cook Die Teilnehmer der Expedition stammten aus verschiedenen Ländern. Aus Belgien stammten der Kommandant Adrien de Gerlache und der erster Offizier George Lecointe. Erster Maat war der durch seine Nordpol-Erfahrungen bekannte Norweger Roald Amundsen. Der einzige Amerikaner war Frederick A. Cook. Die Wissenschaftler der Expedition, wie der auf dieser Reise verstorbene Physiker Emil Danco, stammten aus Belgien, der Zoologe und Botaniker Emil Racovitza aus Rumänien, und der Geologe und Ozeanograph Henryk Arctowski aus Russland. Die Matrosen waren zur Hälfte Belgier und zur Hälfte Norweger. Die „Belgica“ verließ Antwerpen Ende August 1897 und durchfuhr teils unter Segel, teils mit Dampf den atlantischen Ozean, lief Madeira an, kreuzte dann den Ozean bis nach Rio de Janeiro, fuhr von da hinab nach Montevideo und durch die Magalhaesstraße nach Punta Arenas. Am 13. Januar 1898 nahmen die Teilnehmer der Expedition Abschied von der zivilisierten Welt. Erst im nächsten Jahr kamen sie in den südlichen Teil des stillen Ozeans, von da fuhren sie an der Westküste von Grahamland entlang nach der Adelaideinsel und versuchten nun in die nach Westen gelegene Hauptmasse des Packeises einzudringen. Sie wollten weiter nach Süden die Küste entlangfahren; aber das Packeis nötigte sie, von diesem Kurs abzugehen. Ende Februar drangen sie in die Hauptmasse des Meereises ein. Bereits nach 91 Meilen waren sie vollständig eingeschlossen. Da sie nicht imstande waren, das Schiff frei zu machen, trieben sie mit dem Eis dreizehn lange Monate hindurch bald dahin, bald dorthin. 83
Abb. 44: „Belgica“ im Packeis
Die Polarnacht: Krankheit, Tod und Wahnsinn In dieser Zeit verkündete am 16. Mai der Kapitän seiner Mannschaft die traurige Nachricht, dass es für sie 70 Tage lang keinen Tag, keine Sonne geben wird. Das lange helle Zwielicht, das bei dem ersten Eindringen ins Packeis noch vorhanden war, verschwand bis auf einen kleinen Bruchteil seiner früheren Herrlichkeit. Die dunkle Hülle, die sich über die die eiserstarrte Öde der Außenwelt herabgesenkt hat, verdüstert auch das Gemüt der Seeleute, die traurig und niedergeschlagen um den Tisch herumsaßen, in melancholische Träume versunken. Ein jeder bemühte sich, wenn er allein war, so viel als möglich von der Erinnerung glücklicherer Tage zu zehren obwohl sich gewöhnlich danach das Gefühl der äußersten Verlassenheit und Einsamkeit noch drückender in dieser undurchdringlichen antarktischen Wüste einstellte. Cook wurde nun klar, dass dieser Punkt gewöhnlich in den Berichten über das Leben der Polarforscher mit Stillschweigen übergangen wird. Seine Kritik richtet sich dabei vor allem an Nansen mit seinen Leuten, wenn man seinem Bericht über den Gesundheitszustand seiner Leute gegen das Ende der Polarnacht Glauben schenken darf: „Mit wenigen großsprecherischen Worten geht er über den physiologischen Einfluss der Polarnacht hinweg und schließt das Kapitel in seiner ruhmrednerischen Art mit der Bemerkung, dass sie von den gewöhnlichen Beschwerden sich frei fühlten. Nachdem sich aber herausgestellt hat, dass einer seiner besten Leute in einem Zustand geistiger Zerrüttung heimgekommen ist, worüber Nansen nichts berichtet, so können wir annehmen, dass auch noch andere 84
Dinge seinem Gedächtnis entfallen sind. Es ist ganz unmöglich, dass eine Expedition von zwölf Leuten drei Jahre ohne jede körperliche Schädigung in der Arktis oder in irgend einer anderen Gegend zubringt“ (Cook 1903, S. 285 f.). Aber soweit Cooks Kenntnisse über Polarexpeditionen reichten, und nach allen zuverlässigen Berichten, die ihm zur Verfügung standen, ebenso nach den Beobachtungen von „ehrlichen und kompetenten Forschern“ stimmen alle Angaben über die vernichtenden physiologischen Wirkungen der Polarnacht überein. Anämie und ähnliche Zustände in der einen oder anderen Form und in verschiedenen Beschreibungen ließen sich immer konstatieren. Cook selbst konnte das nun aus eigener unmittelbarer Erfahrung nachweisen, wenn er sagt: „Wir hatten diese Krankheit in der weitaus schwersten Form, die mir aus eigener Erfahrung und dem Studium anderer Polarexpeditionen bekannt ist. Wir haben einen Offizier verloren, und ein zweiter entging mit knapper Not dem gleichen Schicksal. Alle Matrosen sind davon befallen“ (Cook 1903, S. 286). Eine fast beständige Unzufriedenheit ist aber nach seiner Meinung bei jeder Expedition während der Polarnacht vorhanden. Das ist aber für ihn „auch ganz natürlich; denn wenn man gezwungen ist, auf die Dauer von Wochen, Monaten und Jahren ständig dieselben Gesichter zu sehen, die wenigen guten und vielen schlechten Eigenschaften eines jeden gründlich kennen zu lernen, ohne dass der Geist eine wohltuende Ablenkung erführe, so sieht man immer nur die unangenehmen Seiten des Anderen, welche in Konflikt kommen mit den eigenen Fehlern. Könnten wir nur einmal ein paar Stunden lang uns von einander trennen, dann wäre, es leicht, den Kameraden wieder neue, gute Seiten abzugewinnen. Aber das ist nicht möglich. In Wirklichkeit sind wir unserer gegenseitigen Gesellschaft müde, gerade so müde, wie der kalten Einförmigkeit der dunklen Nacht und des unerträglichen Einerlei unserer Nahrung“ (Cook 1903, S. 258). Allgemeine Appetitlosigkeit herrscht auf der „Belgica“ und jeder hatte einen Ekel vor allem, was aus Blechbüchsen kommt. Die lange Dunkelheit, die Einsamkeit, die Konserven, die fortgesetzt niedrige Temperatur, dazu die immer heftiger werdenden Stürme und die große Feuchtigkeit wirkten auf den Organismus ein, so dass sich der Zustand, der als „Polaranämie“ bezeichnet wird, entwickelte. Alle bekamen ein blasses, grünliches Aussehen; die Ausscheidungen nahmen mehr oder weniger ab, der Magen und alle übrigen Organe wurden träge und versagten ihre Dienste. Am gefährlichsten waren die Herz- und Gehirnsymptome. Das Herz arbeitete unregelmäßig und schwach, aber die Pulsfrequenz nahm nicht zu, so lange nicht andere gefährliche Symptome dazu kamen. Besonders während der Polarnacht war die Herztätigkeit sehr herabgesetzt und bei dem geringsten Anlass gestört. Der erste, welcher die Wirkungen der Polaranämie ernstlich zu fühlen bekam, war Leutnant Danco, der ohne es zu wissen seit Jahren an einem schweren Herzfehler litt. Mit dem Scheiden der Sonne begann der Anfang seines Endes. Die zunehmende Finsternis und die steigende Kälte hatten schließlich seinen Widerstand gebrochen. Eines Nachts verschied er ohne Todeskampf. 85
Abb. 45: Die „Belgica“ in der Dunkelheit der Polarnacht (nach einer Fotografie von F. A. Cook) Über das traurige Begräbnis in der Eiswüste liefert Cook einen erschütternden Bericht: „Da die Leiche auf unsere Leute eine deprimierende Wirkung ausübte, bahrten wir den Toten am nächsten Tage auf einem Schlitten außerhalb des Schiffes auf. Heute nun, kurz vor Mittag, begab sich der Kommandant, gefolgt von den Offizieren und dem wissenschaftlichen Stab, an die Bahre. Dann trat die Mannschaft an in ihrer Matrosenuniform aus Segeltuch, welche sie über ihre Winterkleider angelegt hatte: sie fassten das Seil, und der Zug bewegte sich über die raue Eisfläche nach Süden der Rinne zu. Der Tag war bitter kalt, der Wind blies aus Südwest. Feine Schneekristalle wirbelten massenhaft durch die Luft und stachen die Haut wie mit Nadeln. Die Eisfläche war grau, der Himmel an einzelnen Stellen etwas lichter. Im Norden zeigte sich ein schwach metallischer Glanz, und gerade über uns schwebten ein paar rosafarbige Strichwolken. Der Mond stand, dunkelrot glühend, mit ausgefransten Rändern, ziemlich tief am südlichen Himmel. Es war hell genug, um gewöhnlichen Druck zu lesen, aber es war ein eigentümliches Licht. Danco war der Liebling der Matrosen gewesen, und sein Tod wurde im Vorderdeck ebenso schmerzlich empfunden wie bei uns. Das sah man den Leuten bei dem Leichenzuge an. Langsam und feierlich marschierten sie über die Eisfläche dahin, tiefe Trauer im Antlitz. Der Schlitten machte am Rande des Eisloches Halt. Nach einigen kurzen, dem Ernste der Feier 86
entsprechenden Worten des Kommandanten wurden zwei schwere Gewichte an die Füße gebunden und der Leichnam in sein eisiges Grab versenkt. Der schmerzliche Verlust und das traurige Leichenbegängnis Dancos haben ein Gefühl des Kleinmuts über uns gebracht, dem wir nicht Herr werden können. Stets verfolgt uns das Bild unseres dahingegangenen Gefährten, wie er in aufrechter Stellung, die Gewichte an seinen Füssen, unter der Eisdecke und vielleicht gerade unter der „Belgica“ herumschwimmt.“ Noch unheimlicher klingt aber der Bericht Lecointes vom Augenblick der Versenkung der Leiche Dancos: „Dann werden die Kugeln ins Meer gelassen; infolge der Schwere richtet sich die Leiche plötzlich auf, als wäre sie wieder lebendig geworden. Ein unheimlicher Schrecken ergreift uns, während der Sack langsam, ganz langsam sich mit Wasser füllt, hinab gleitet und unter der Eisbank verschwindet, die sich wieder schließt“ (Lecointe 1904, S. 143).
Abb. 46: Dancos Begräbnis Nach diesem trübseligen Ereignis waren die Leute wie geistesabwesend und unfähig, einen Gedanken längere Zeit zu verfolgen. Ein Matrose war nahe daran, geisteskrank zu werden. Lecointe berichtet, dass andere Matrosen tatsächlich unheilbar dem Wahnsinn, und zwar dem Größenund Verfolgungswahn befallen wurden. Einer glaubte, dass sich seine Kameraden verabredet hätten, ihn umzubringen: „Er meidet die Mannschaftskammer, und wenn es dann Nacht wird, verbirgt er sich, kaum angekleidet und ohne Decke, im Zwischendeck auf die Gefahr hin sich eine Lungenentzündung zu holen.“ Nach und nach kommt auch ein anderer unglücklicher Matrose um den Verstand: „Er spricht nicht mehr, rollt die Augen und starrt ins Leere; die einzige Beschäftigung, die man ihm anvertrauen kann, ist das Abkratzen der Robbenfälle. Und auch bei dieser Arbeit kommt er nicht vorwärts; nach Verlauf von zehn Minuten trommelt er mit seinem Kratzeisen auf dem Fell herum und starrt dabei erschrocken in die Richtung der Eispressung“ (Lecointe 1904, S. 175). 87
Abb. 47: Die Katze „Nansen“
Leiden und Tod der Schiffskatze Die finstere Nacht, hatte nicht nur auf die Menschen ihre verderbliche Wirkung. Einer der Matrosen hatte aus Europa ein hübsches, junges Kätzchen mitgenommen. Man hatte es „Nansen“ getauft, und es wurde der allgemeine Liebling. „Nansen“ war im Vorderdeck so gut daheim, wie in der Kajüte. Mit instinktiver Schläue vermied er Ausgänge ins Freie. Der Platz am Ofen oder das Bett eines seiner Freunde unter den Matrosen war sein Lieblingsaufenthalt. Seit Eintritt der langen Dunkelheit fühlte er sich aber nicht mehr behaglich, während er vorher glücklich und zufrieden war und sich gerne streicheln und liebkosen ließ. „Die lange Nacht jedoch,“ sagt Cook, „weckte in ihm alle die schlimmen Eigenschaften seiner Vorfahren. Seit ungefähr einem Monat lag er in einer Art von Betäubung, fraß wenig und schlief viel. Wenn wir versuchten, ihn zu wecken, geriet er in arge Wut. Wir brachten einmal einen Pinguin mit, um zu versuchen, das Interesse und die Anhänglichkeit der Katze wieder zu wecken, aber Pinguin und Katze zogen sich in die entgegen gesetzten Ecken der Kajüte zurück und waren nicht mehr herauszubringen. „Nansen“ schien seiner Umgebung und seiner Gesellschaft überdrüssig und sonderte sich schließlich ganz ab, indem er die entlegensten Winkel aufsuchte. Sein gutmütiges, lebhaftes Temperament hat sich in mürrische Unzufriedenheit verwandelt. Sein Wesen war ein ganz anderes geworden, und aus dieser Veränderung schlossen wir, dass auch sein Intellekt getrübt war.“ Als er sein irdisches Dasein beendete, waren zwar Alle froh, dass sein Leiden zu Ende war, er wurde aber schrecklich vermisst: „Er war uns das Attribut unseres guten Sternes, das einzig fühlende Wesen, das uns näherstand. Wir haben ihn mit unserer Liebe überschüttet, aber die lange Finsternis brachte es dahin, dass er sich von uns abwandte. In Zukunft werden wir ohne 88
unser Glückszeichen sein“ (Cook 1903, S. 289 f.). Noch tagelang war man mit dem Schicksal der Katze beschäftigt. Man fragte sogar, „ob auch sie eine Seele hat und ein besseres Jenseits erwartet?“
Das Ende der Winternacht und die Schlittenreise auf dem Packeis Am 25. Juli ging endlich die lange Winternacht dem Ende zu: „Drei Tage lang haben wir jetzt immer nur einen Blick der Sonne erhascht, aber es war noch nicht das Rechte. Heute sahen wir sie endlich in ihrer normalen Gestalt, als sie mittags im Norden am Himmel dahin zog in einem Abstand vom Horizont, fast so groß wie ihr eigener Durchmesser. Wir können somit erst heute von einem eigentlichen Sonnenaufgang reden. Bisher war sie nur infolge der starken Polarrefraktion sichtbar geworden, welche die Sonne um etwa Dreiviertel ihres Durchmessers nach aufwärts verschiebt.“ Ihr willkommener Anblick entfesselte ein Feuer der Begeisterung: „Unsere Zunge ist wieder gelöst, wir können wieder lachen und singen. Mit Wonne atmen wir die erfrischende Luft; unser Auge entdeckt immer neue Schönheiten in dem uns umgebenden Meer von Eis; das Gefühl inniger Freundschaft schließt uns wieder näher aneinander; vergessen ist die Totenstimmung der langen Winternacht.“ Drei Tage später kam einer der Offiziere ins Schiff herein und sagte: „Die Sonne macht warm ich habe es gerade gefühlt.“ Alle blickten ihn erst ungläubig an, dann aber eilten sie hinaus und ließen mit Wonne und Entzücken zum ersten Mal seit Monaten die Strahlen der Sonne auf sich scheinen. Dieses Gefühl natürlicher Wärme, der Anblick der Sonne und die fröhliche Aussicht auf bessere Tage war das Ziel der lange gehegten Wünsche. Die Leute wandelten paarweise auf den gewundenen Pfaden über das Packeis hin; da und dort streckte sich einer auf einen bequemen Eisblock hin und sonnt sich wie die Schlangen im Frühjahr. Andere saugten mit Wohlbehagen die warme Luft ein und tanzen herum wie die Bären. Die Gesundheitsverhältnisse hatten sich soweit gebessert, dass man an größere Ausflüge denken konnte. Als Ziel der ersten Exkursion wurde ein großer, tafelförmiger Eisberg ausgewählt. Viele meldeten sich als freiwillige Teilnehmer zu der Schlittenreise; aber das Zelt war nur für drei berechnet. Die Expedition setzte sich zusammen aus Cook, Lecointe, und Amundsen, der nach Angaben von Cook „der größte, stärkste, mutigste“ von ihnen war.
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Abb. 48: Amundsen und Cook Bei ihrer Abreise fegte ein kalter Wind über das Eisfeld, das aber für eine Schlittenreise ziemlich günstig war. Ungefähr eine Meile vom Schiffe entfernt machten sie Halt, um das Schiff und die Eisberge ringsum mit dem Kompasse anzupeilen. Die Aussicht war großartig. Im Norden zog die Sonne, ein großer, gelber Feuerball am Horizonte entlang nach Westen und vergoldete mit ihren Strahlen die endlosen, weißen Flächen des Packeises. Der Mond stand nahezu voll als eine hell glänzende, silberne Kugel hoch im Osten. Der Himmel war hie und da durch leichte Stratuswölkchen verschleiert. Die Färbung des Himmels war einfach und ruhig; dagegen entfaltete die Eisfläche eine unbeschreibliche Farbenpracht. Soweit das Auge reichte, dehnte sich ein wildzerklüftetes Eisfeld aus, dessen ferne Ränder an einzelnen Stellen sich wie Ruinen marmorner Paläste vom Horizonte abhoben. Die verwitterten, blau leuchtenden Eishügel, die schmalen, grün und gelb schimmernden Furchen des jungen Eises, die scharf geschnittenen Konturen der Eisberge, deren Wände in verschiedenen Farben spielten, alles das machte einen märchenhaften, bezaubernden Eindruck. Die drei Ausflügler wanderten wohlgemut dahin, zwei auf Skis und einer auf Schneeschuhen, den Schlitten teils ziehend, teils schiebend. Schneebedeckte Hügel von ein bis drei Meter Höhe waren leicht zu umgehen. Die Schwierigkeiten begannen erst, als sie die großen Eisfelder hinter sich hatten und quer über das junge Eis der Rinnen dahinzogen. Hier befanden sich infolge früherer Pressungen langgestreckte Eiswälle, die fast unübersteigbar waren. Eine weitere Geduldprobe bildeten die frischen 90
Rinnen und Wassertümpel, über die sie hinwegsetzen mussten. Nach zwei Übernachtungen in großer Kälte, sahen sie, dass der Horizont durch einen leichten Nebel verschleiert war. Es hatte während der Nachtetwas geschneit; die Spalten erweiterten sich, und Wasserhimmel zeigte sich fast nach jeder Richtung. Diese Anzeichen waren eine Warnung, die Reise fortzusetzen. Darum packten zusammen und kehrten um.
Die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition Am 5. Januar stellt Cook die ganze Expeditionsreise zusammenfassend fest: „Wir können mit unsern Erfolgen zufrieden sein. Es wäre ja unser Wunsch, die Expedition mit wertvollen Entdeckungen abzuschließen, wie wir sie im vorigen Jahr begonnen haben. Daran ist jedoch nicht mehr zu denken. Unser Proviant ist fast aufgebraucht. Es wäre unvernünftig, mit unseren geringen Vorräten nochmals in dieses eisbedeckte Meer einzudringen. Sobald uns das Eis freigibt, werden wir diese dem Menschen feindliche Welt verlassen und unsere Resultate in Sicherheit bringen.“ Was aber die wissenschaftliche Ausbeute dieser Expedition betrifft, betont Cook: „Wir blicken mit Befriedigung auf das reiche Material von wissenschaftlichen Aufzeichnungen, das in unsern Journalen verbucht ist. In Feuerland haben wir damit begonnen, indem wir ethnologische Daten über die dortigen Ureinwohner sammelten, welche der Wissenschaft unbekannt waren; außerdem haben wir dort die Geschichte von zwei aussterbenden amerikanischen Stämmen studiert. Gleichzeitig haben der Zoologe und der Geologe wichtige Tatsachen festgestellt und wertvolle Objekte gesammelt. Wir haben die bis dahin unbekannten Meerestiefen zwischen der Südspitze von Amerika und den antarktischen Ländern gemessen. In den neuen Gebieten, südlich von Kap Horn, haben wir viele Inseln und ein Küstenland entdeckt von mehreren hundert Meilen Länge, einen Teil des antarktischen Kontinents. Wir drangen in das Packeis ein, trieben viele tausend Meilen über eine jungfräuliche See, entdeckten eine große, unterseeische Bank und sammelten Skelette, Bälge und Felle von seltenen, bisher fast unbekannten Tieren, Racovitza hat Hunderte von Gläsern mit seltsam gestalteten Geschöpfen in Spiritus, und seine Aufzeichnungen geben zum ersten Male Kunde von dem Leben der antarktischen Fauna das ganze Jahr hindurch. Aretowski hat einzig dastehende Tabellen von meteorologischen Beobachtungen, welche ein Jahr lang systematisch, stündlich Tag und Nacht hindurch angestellt wurden. Das ist eine bedeutende Errungenschaft, denn vorher hatte man nur einige kurze Notizen über das Klima der Antarktis in den Sommermonaten. Lecointe hat eine Reihe von mühsamen, magnetischen Beobachtungen ausgeführt, welche für den Gebrauch des Kompasses auf der südlichen Halbkugel wertvolle Schlüsse ermöglichen. Viele von unsern Arbeiten sind für die Ozeanographie von Wert, und 91
unsere Durchforschung von einem Teile des großen, ewig beweglichen Eisgürtels, welcher den Pol umschließt, wird die Grundlage aller künftigen Arbeiten in dieser Gegend bilden. Wir werden nun dieses Gebiet des ewigen Winters verlassen, das vor uns noch kein Mensch betreten hat, und nehmen das Bewusstsein mit uns, dass wir die ersten waren, welche den Winter und seine lange Nacht am Südpol durchgemacht haben. Wir fühlen insgesamt, dass unsere Aufgabe gelöst ist, und können kaum den Tag erwarten, der uns aus der Gefangenschaft des Eismeeres befreien wird“ (Cook 1903, S. 347 f.).
Befreiung aus dem Eis und Rückkehr Doch das Eis hielt die „Belgica“ noch immer gefangen. Bisher hatten die Seeleute nichts unternommen, das Schiff frei zu machen. Es war jedoch klar, dass man viele Tage brauchen werde, bis man sich aus dem Packeis hinausgearbeitet haben würde; sonst drohte eine weitere Überwinterung.
Abb. 49: Befreiung aus dem Eis Ausgehend von der Tatsache, dass die Sonne auf Wasser und auf dunkelgefärbte Gegenstände viel intensiver einwirkt als auf Schnee, sollten zunächst zwei Gräben ausgehoben werden, der eine vom Bug der „Belgica“, der andere vom Heck beginnend, und beide sollten bis zu dem 92
Rand des Eisfeldes in das offene Wasser führen. Drei Tage lang wurde an den Gräben gearbeitet. Mit Hacken, Äxten und Schaufeln wurden die Gräben ausgehoben. Aber alle Mühe war umsonst, weil sich über Nacht eine dicke Schicht Eis bildete. Auch Sprengversuche mit einem Explosivstoff, der wirksamer und weniger gefährlich als Dynamit sein sollte, verfehlte seine Wirkung. Doch am Morgen des 14. Februar lockerte sich das Eis überall. Breite Rinnen öffneten sich nach allen Seiten. Nun war keine Zeit mehr zu verlieren, und mit Volldampf ging es hinaus. „Nie war ein Häuflein Menschen glücklicher,“ sagt Cook, „als die Offiziere und die Mannschaft der ‚Belgica‘ in dem Augenblicke, wo unser gutes, altes Schiff von dem letzten Rand der Eisscholle abstieß, in deren Gefangenschaft es ein Jahr lang geschmachtet hatte“ (Cook 1903, S. 355). Am Morgen des 28. März 1899 lief die „Belgica“ in den Hafen von Punta Arenas ein. Ohne lange nach einem geeigneten Ankerplatz zu suchen, wollten alle Seeleute der Besatzung sofort den Fuß auf festes Land setzen. Einige von den Matrosen, die zuerst an Land kamen, trieben sich am Ufer herum, wälzten sich im Sand und spielten mit den Kieseln. Diese erste Berührung mit festem Boden nahm sie derart in Anspruch, dass sie in ihrem Entzücken stundenlang wie die Kinder im dem Sand fortspielten. Das Gefühl, wirklichen Erdboden unter den Füssen zu haben, war für sie ganz ungewohnt. Über ein Jahr hatten sie auf den treibenden Eismassen des Südpolarmeeres zugebracht, ohne Land zu sehen, ohne auf festen Grund zu kommen. Die Offiziere steuerten auf das nächste beste Hotel los. Der kurze Weg dahin genügte sogar den Ungläubigsten von seiner eigenen Unbeholfenheit zu überzeugen. Der Gang und die Haltung bei dem Marsch durch die Straßen hatte verdächtige Ähnlichkeit mit dem eines Betrunkenen. Nachdem man solange auf Skis und anderen Schneeschuhen herumgelaufen war, hatte man es einfach verlernt, ordentlich zu gehen. Im Hotel angekommen begaben sich die Offiziere und Wissenschaftler zunächst auf ihre Zimmer und unterzogen ihr Äußeres im Spiegel einer kritischen Betrachtung: „Wir sahen in der Tat seltsam genug aus. Unser Gesicht war voll Falten und nur um eine Nuance lichter als ein alter Kupferkessel. Die Haut war rau wie ein Reibeisen; unser Haar lang und steif, reichlich mit grauen Strähnen durchzogen, obwohl keiner von uns über fünfunddreißig Jahre zählte. Unsere Kleider waren zwar gut geflickt, aber etwas auffallend. Da unser Flickmaterial sehr bald ausgegangen war, saß hier ein Lederfleck, da ein Stück Segeltuch, dort ein Teppichfetzen, der ein Loch zu verdecken oder eine durchgewetzte Stelle in Rock oder Hose zu verstärken hatte“ (Cook 1903, S. 359).
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Abb. 50: Die Mitglieder vor und nach der Expedition Nach einem kurzen Aufenthalt kehrten die Mitglieder des wissenschaftlichen Stabes auf dem kürzesten und bequemsten Weg in ihre Heimat zurück, während die „Belgica“ langsam nachfolgte. In der Heimat angekommen, hatten sie die Genugtuung, ihre Mühe so belohnt zu sehen. Die Ehrungen, die ihnen König Leopold erwies, die Medaillen der königlichen belgischen Gesellschaft, der geographischen Gesellschaft von Brüssel und des Magistrats von Brüssel zeigten ihnen in aller Deutlichkeit, dass ihre mühevolle Arbeit gewürdigt wurde. Außerdem überzeugte sie das günstige Urteil der Geographen aller Länder, dass die Expedition ein voller Erfolg war. „Eine solche Anerkennung durch berufene Kritiker“, stellte Cook abschließen fest, „ist in der Tat die höchste Ehre, die einem widerfahren kann“ (Cook 1903, S. 361). 94
9 Schiffsuntergang und zwei Überwinterungen auf dem Festland: O. Nordenskjöld 1902/3 Als im Jahre1901 Otto Gustaf Nordenskjöld, der Neffe des Entdeckers der Nordostpassage Adolf Erik Nordenskjöld, zu seiner schwedischen Antarktisexpedition aufbrach, ging es ihm zunächst darum, welche Stellung diese von ihm geplante Südpolarexpedition in der internationalen Forschungsarbeit einnehmen könnte.
Abb. 51: Das Expeditionsschiff „Antarctic“ Er fand ein geeignetes Schiff, dem er den Namen „Antarctic“ gab. Im Jahre 1871 in Drammen erbaut, hatte der Polardampfer ursprünglich den Namen „Cap Nor“ erhalten und wurde während einer Reihe von Jahren für den Seehunds- und Barten-Walenfang im nördlichen Eismeer benutzt. Seine Länge betrug 128 Fuß, seine größte Breite 28 Fuß und der Brutto-Tonnengehalt 353 Tonnen. Zugleich mit dem Kauf wurde die „Antarctic“ in die Königliche schwedische Segelschiffgesellschaft eingeschrieben, unter deren Flagge die Expedition dann auch ausgeführt wurde. Sobald der Kauf des Schiffes perfekt war, setzte sich Nordenskjöld mit dem bekannten Eismeerschiffer C. A. Larsen in Verbindung, der außer seiner Erfahrung auch die größte Kenntnis von den Gegenden im südlichen Eismeer besaß, die Nordenskjöld untersuchen wollte. Als stellvertretender Ex95
peditionsleiter der Expedition war der schwedische Archäologe, Paläontologe und Geologe Johan Gunnar Andersson (1874–1960) vorgesehen.
Abb. 52: Die Führungsspitze der schwedischen Antarktisexpedition: Nordenskjöld, Larsen, Andersson Die Abreise von Göteborg erfolgte am 16. Oktober 1901. Auf dieser Fahrt machte Nordenskjöld eine kurze Zwischenstation in London, um dort den Leiter der geplanten schottischen Expedition, Bruce, zu treffen. Einem Plan zufolge, der kurz nachdem Nordenskjöld den ersten Entwurf zu seiner Reise veröffentlicht hatte, aufgetaucht war, sollte sich diese Expedition ungefähr nach demselben Gebiet begeben wie Nordenskjölds Expedition. Und die ursprüngliche Absicht war, dass sie gleichzeitig abgehen sollten. Jedoch zwangen später entstandene Schwierigkeiten Bruce, seine Reise ein Jahr hinauszuschieben. Nordenskjölds hauptsächlichstes Interesse ging nun darauf hinaus, eine so genaue Verabredung wie möglich für den Fall zu treffen, dass ihm irgendein Unglück zustoßen sollte, wo ihm dann Bruce Hilfe leisten sollte. Nordenskjöld konnte damals nicht ahnen, wie wenig in Zukunft daran fehlen würde, dass sich diese Verabredung verwirklichte, und dass er während eines ganzen Winters Arbeiten und Beobachtungen auf Stationen ausführen sollte, die nur ein paar Breitengrade voneinander entfernt lagen.
Die erste Etappe und das Leiden der Hunde in der Tropenhitze Die erste aber sehr lange Etappe war die Fahrt nach Buenos Aires. Sie dauerte zwei Monate, in der es am Schiff zeitweise eine Tropenhitze von 30 bis 40 Grad gab. Es befanden sich dabei an Bord Geschöpfe, denen es weit schlimmer erging als den Menschen, und denen nicht einmal die Möglichkeiten, sich dem Klima anzupassen, zur Verfügung standen. Das waren die grönländischen Hunde. Ursprünglich waren es 14 gewesen, darunter einige erst halb ausgewachsene, und 96
außerdem eine Anzahl junger Hunde, die aber bei dem ersten Sturm bereits jämmerlich tot geklemmt wurden. Aber auch die übrigen hatten Unglück; mehr als die Hälfte waren um diese Zeit bereits tot, und die überlebenden waren in einer traurigen Verfassung. Zwei von ihnen starben schon am 30. Oktober. Man konnte daher der Hitze nicht ausschließlich Schuld geben, es mag eine Hundeseuche oder eine ähnliche Krankheit gewesen sein, die sich die Tiere bereits während des Aufenthaltes in Schweden zugezogen hatten. Als man in die Tropen kam, wurde die Sache noch schlimmer, und was unter andern Verhältnissen vielleicht nur ein vorübergehender Zustand gewesen wäre, wurde hier zu tödlicher Krankheit, der fast die ganze Schar erlag. Als man schließlich wieder in kältere Gegenden gelangte, waren nur noch vier Hunde am Leben. Aber auch die bisher noch gesunden Tiere litten sehr unter der Hitze, die sie vorher noch nicht kennen gelernt hatten. Nordenskjöld vermutete, dass sibirische Hunde, die ja an wärmere Sommer gewöhnt sind, geeigneter gewesen wären, als die Grönländer. In kälteren Gegenden ertönte ununterbrochenes Geheul, sobald die Wellen über das Deck hin spülten; jetzt lagen sie ganz ruhig und still da, keuchend, die Zunge lang aus dem Halse hängend. An Haustieren gab es an Bord nur eine norwegische Katze, die gut gedieh und sich am liebsten unten in den Kojen aufhielt.
Der Abstecher zu den Falklandsinseln und Ankauf neuer Hunde In Buenos Aires angelangt traf Nordenskjöld am 17. Dezember 1902 den Marineoffizier José Sobral, der sich auf Wunsch des Chefs des argentinischen Observatoriums der schwedischen Expedition anschließen sollte und sich auch während der gesamten Zeit des Aufenthaltes in der antarktischen Eiszone als unerschrockener und tüchtiger Begleiter erwies. Nachdem Nordenskjöld Buenos Aires verlassen hatte, machte er noch einen Abstecher zu den Falklandsinseln, die fast auf dem direkten Weg zur Antarktis lagen. Im nächsten Winter sollten sie der wichtigste Stützpunkt der Dampferexpedition werden auch sollte dort Johan Gunnar Andersson mit der Expedition zusammentreffen. Hierzu kam noch, dass Nordenskjöld hoffte, dort einige Hunde erstehen zu können, die man in den Eisregionen neben den grönländischen Hunden als Zugtiere verwenden konnte. Am Neujahrstag des Jahres 1902 begaben sich alle an Land um eine Anzahl Hunde zur Auswahl zu sammeln. Schon aus der Entfernung hörte man ein Geheul und ein Bellen, das ihnen den Weg zu dem Platz zeigte, wo ungefähr zwanzig Tiere, alle von schottischer Schäferhundrasse, zur Ansicht bereitstanden. Einer von ihnen, mit dem Namen Jim, war ein gänzlich wildes Tier, das nach Hunden und Menschen um sich biss. Besonders schien es einen großen schwarzen Hund, Tom, mit tödlichem Hass zu verfolgen. Diese beiden wurden mitgenommen, in der Hoffnung, dass sich ihre Wildheit in nützliche Arbeit werde verwandeln lassen, sonst aber war es schwer, 97
eine Wahl zu treffen, da niemand irgendwelche Erfahrung in Bezug auf die Eigenschaften dieser Hunde besaß. Schließlich nahm man dann noch acht Stück an Bord der „Antarctic“ mit.
Abb. 53: Grönlandhund und Falklandhund Gleich von Anfang an hatten die Tiere, die zu derselben Rasse gehörten, sich zusammengeschlossen, um die andern zu bekämpfen. Da waren die Falklandhunde infolge ihrer größeren Zahl, namentlich aber auch durch die Schnelligkeit ihrer Bewegungen die Überlegenen gewesen. Ganz anders gestaltete sich das Verhältnis auf festem Lande. Die Grönländer schlossen sich zu einer festen Truppe zusammen, die mit Raubtierinstinkt Jagd auf jeden Falkländer machte, der sich von der Schar trennte. Wenn zwei von den Grönlandhunden in Kampf gerieten, stürzte sogleich die ganze Schar herzu, um dem Stärkeren zu helfen. Von irgendwelcher Ritterlichkeit merkte man nie eine Spur, und wenn ein Grönländer einmal beißt, so besorgt er das mit Nachdruck. Die beiden alten Feinde Jim und Tom hatten ihren Grimm fast keinen Augenblick vergessen. Zuerst wurde Jim eines schönen Tages überfallen und übel zugerichtet, diesmal aber gelang es, ihn zu retten. Er lag nun mehrere Tage im Hause um seine Wunden zu heilen und war so wütend wie je, wenn er einen anderen Hund, und namentlich Tom, in seine Nähe kommen sah. Dies war ein großer, schöner, langhaariger, schwarz und weiß gefleckter Hund, der stärkste unter den Falkländern und mit weit mehr Würde als Jim; aber eines Tages ereilte ihn sein Geschick. Jim fing gerade an, sich zu erholen und passte nun den Augenblick ab, um seinen alten Feind anzugreifen, über den sofort der ganze Hundeschwarm herfiel. Ehe die Mannschaft zu Hilfe eilen konnte, hatte einer der Grönländer Tom eine tiefe Wunde in der Brust beigebracht. Es war traurig, zu sehen, wie ein bisher tüchtiger Hund nach einer solchen Behandlung vollständig zum Feigling werden kann, wie er sich kriechend davonschleicht, sobald ein anderer Hund sich nähert. Eines Tages entdeckten man ihn 98
einsam auf einer Bergspitze, von wo ihn erst nach einigen Tagen der Hunger wieder nach dem Hause zurücktrieb. Bald darauf starb er als erster einer langen Reihe von Falklandhunden. Dies Sterben unter ihnen hörte erst 15 Monate später auf, als die Grönländer den letzten Falklandhund tot bissen.
Gefangen im Packeis Sehr bald erreichte die „Antarctic“ die Packeiszone. Über das Vorhandensein einer so gewaltigen Eisterrasse, die den Zutritt zum Lande gänzlich versperrte, hatte Nordenskjöld in diesen Teilen des westantarktischen Eises bisher nichts Sicheres gewusst. Ihm war völlig klar, dass der ursprüngliche Plan der Expedition in unbekannte Gegenden an der Küste von König Oskar-Land einzudringen, von den Naturgewalten zerstört war, gegen die jeder Kampf erfolglos sein musste. Wäre es früher im Sommer gewesen so hätte man sich der Hoffnung hingeben können, dass das Eis allmählich schmelzen würde. Jetzt war es aber zwecklos, zu warten, und selbst wenn das Eis später möglicherweise ein etwas südlicheres Vordringen gestattet hätte, so würde es dann doch zu spät gewesen sein, um irgendeine umfassende wissenschaftliche Arbeit auszuführen. Zwei Stunden lagen die Expedition an diesem südlichsten Punkt ihrer Reise still, 10 bis 15 Minuten südlich vom 66. Breitengrad; dann gab Nordenskjöld den Befehl zur Umkehr. Dass man nicht daran denken konnte, mit einem Depot bis an das Land selber vorzudringen, lag auf der Hand. Nordenskjöld wollte jedoch die Gelegenheit benutzen, wenigstens die Beschaffenheit des Eises in diesen Gegenden zu untersuchen und ließ deshalb das Schiff am Rande des Eises vor Anker gehen. Auch die Hunde durften mit auf das Eis kommen, und es wurde sogar ein kleiner Versuch gemacht, mit den Schlitten zu fahren.
Abb. 54: Hunde am Eis
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Nordenskjöld schnallte sofort die Schneeschuhe an und begab sich so schnell er konnte, allein auf das Eis hinaus. Es war schwer zu laufen, der Schnee ballte sich an den Schneeschuhen, und trotz der Hilfe, die diese ihm leisteten, sank er oft tief durch den Schnee und die darunterliegende Schicht wassergetränkten Eisschlammes. Mehrere Stunden lang wanderte er auf diese Weise vorwärts. Schließlich wagte er es nicht, sich noch weiter zu entfernen, sondern kehrte nach dem Schiff zurück.
Die erste Überwinterung 1902 auf Snow Hill Nordenskjöld beschloss dann sich einen Platz zum Überwintern zu suchen. Er fand ihn auf dem mächtigen Gletscher Snow Hill, wo das Haus für die Überwinterung und das magnetische Observatorium errichtet wurde.
Abb. 55: Winterhaus und magnetisches Observatorium Aber noch vor dem Wintereinbruch unternahm Nordenskjöld im Oktober 1902 mit Jonassen und dem Argentinier Sobral eine Erkundungsfahrt nach Süden. Diese Fahrt erwies sich aber als äußerst mühsam und wegen der ständig neu aufkommenden Schneestürme als sehr gefährlich. Nordenskjöld wäre zwar noch gerne nach Süden weitergekommen, aber die Kräfte von Menschen und Hunden bis zum Tode erschöpft. „Blutenden Herzens“ mussten sie sich nach Norden zur Heimkehr nach dem Winterlager auf Snow Hill wenden wo sie am 3.November sterbensmüde eintrafen. Über ihren Zustand berichtet Nordenskjöld selbst: „Dann warf ich einen Blick auf meine Reisegefährten: sie waren blauschwarz im Gesicht und glichen mehr Indianern als gewöhnlichen Menschen. Sobral war auf einen Stuhl neben der Tür niedergesunken, plötzlich sagte er, ihm sei elend, und im nächsten Augenblick sank er ohnmächtig zu Boden. Alle stürzten herbei, er wurde entkleidet und in meine Koje gebracht, wo er sich jedoch 100
bald wieder erholte. Jetzt merkte auch ich, wie sich mir alles im Kopf zu drehen begann und ich eilte in die frische Luft hinaus. Ich musste mich gegen die Wand des Hauses stützen, aber mit großer Anstrengung gelang es mir, den Anfall zu überwinden, so dass ich bald wieder hineingehen und mich an den Tisch setzen konnte. Auch Jonassen erzählte später, dass ihm sonderbar zu Mute gewesen sei, als er zum ersten Male in die ungewohnte Stubenluft kam“ (Nordenskjöld 1904, S. 267).
Abb. 56: Die zur Erkundungsfahrt Fortziehenden und die Heimkehrenden Bis zum Januar 1903 verstrich die Zeit mit eintönigen wochenlangen Warten auf die Ankunft des Schiffes. Es war nicht mehr die Rede von Fahrten nach anderen Gegenden. Denn es wehten immer wieder Schneestürme. Niemand aber ahnte, dass einer dieser Stürme die „Antarctic“ bereits in ein umhertreibendes Wrack verwandelt hatte, das bald darauf infolge von Eispressungen untergehen sollte.
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Die Pinguine und ihre grausame Schlächterei Des langen Wartens überdrüssig entschloss man sich doch, so schnell wie möglich eine Fahrt nach der Seymour-Insel auszuführen, um den Fleischvorrat zu ergänzen. Nordenskjöld wollte sich zwar nicht früher als es durchaus nötig war, dahin begeben, weil er einesteils wünschte, dass die jungen Pinguine erst alt genug sein sollten, um allein überleben zu können, falls ihre Eltern getötet würden, andernteils auch, um das Fleisch nicht allzulange aufbewahren zu müssen. Am 6. Februar morgens wurde die Fahrt angetreten. Sehr bald trafen sie Pinguine, bald auf einer Eisscholle stehend, bald um sie herumschwimmend. Es war, als wollten sie nach Hause eilen, um Vorbereitungen für den Besuch zu treffen. „Die Ärmsten! sie ahnten nicht, welch böse Absichten die Menschen hatten.“
Abb. 57: Pinguine im Treibeis Nordenskjöld war davon überzeugt, dass die Ähnlichkeit zwischen den Pinguinen und dem Menschen ist so auffallend ist, dass sie niemanden, der ihre Bekanntschaft draußen in der freien Natur macht, auch nur einen Augenblick entgehen kann: „Merkwürdig ist auf alle Fälle ihr Aussehen. Man stelle sich ein kleines, völlig aufrecht stehendes Wesen vor, ein wenig über einen Fuß hoch, auf zwei Beinen, mit einem fast ganz gleichmäßig dicken Körper, großem runden Kopf und zwei schmalen, verkümmerten Flügeln, die, wenn sich der Vogel an Land bewegt, sehr wohl für zwei Arme gehalten werden können, deren Hände in dem weiten Rock verschwinden; der Rücken ist glänzend schwarz und verläuft in einen langen Schwanz, der lebhaft an die Form erinnert, in der ein gewöhnlicher Leibrock endet. Die Brust ist blendend weiß mit einem schwarzen Band über 102
dem Hals, und der Bauch steht ein wenig vor. Die ganze Erscheinung bildet die komischste Karikatur eines älteren, eleganten, korpulenten Herrn, der in schwarzem Frack, weißer Weste und schwarzer Binde, mit etwas wiegendem Gange und einem etwas eingebildeten, aber zugleich sehr würdigen Ausdruck am Strande umhertrippelt“ (Nordenskjöld 1904, S. 50). Die Jungen erwarten sie hier und stürzen ihnen oft entgegen, wenn sie die steilen Klippen hinaufgeklettert kommen. Dann folgt unter unaufhörlichem Gegacker eine interessante und in ihrer einfachen Natürlichkeit rührende Futterszene. Die Mutter beugt den Kopf herab und gibt klumpenweise die Krabben, die sie eingesammelt bat, wieder von sich, das Junge steht da, den ausgestreckten Schnabel in den Schlund des alten Vogels gesteckt und verzehrt gierig die gebotene Nahrung, ist jedoch nicht so völlig hiervon in Anspruch genommen, dass es einen sich nähernden Menschen nicht gewahr würde und Anstalten machte, ihm zu entfliehen (Nordenskjöld 1904, S. 304).
Abb. 58: Pinguinmutter bei der Fütterung eines Jungen Angesichts dieser heiteren und liebevollen Darstellung der Pinguine gab es dann, als die Mannschaft am Strand der Seymour-Insel landete für Nordenskjöld ein schreckliches Erlebnis. Man machte sich sofort auf den Weg, um die Pinguinkolonie in Augenschein zu nehmen. Ganz überrascht war Nordenskjöld über die Größe der Jungen. Nur wenige trugen noch ihr ganzes Flaum103
kleid, die meisten hatten es fast ganz abgeworfen und sahen stattlich aus in ihrem neuen, glänzenden Federgewand. Die Farbe schimmert mehr ins Bläuliche als bei den Alten auch waren sie ganz weiß unter dem Schnabel während die Alten schwarz waren. Außerdem sieht man bei den Jungen nicht so viel von der weißen Haut, die bei den Alten einen Rand um die Augen bildet. Dadurch, dass die Augen der Jungen ganz schwarz erscheinen, haben sie einen viel sanfteren Ausdruck. Was aber dann folgte, war eine Schlächterei von unglaublicher Grausamkeit, die sich auch bei den anderen Antarktisexpeditionen immer wieder ereignete und von Pinguinenjägern aus Geldgier bis in die Gegenwart fortgesetzt wird. Nordenskjöld, der sich selbst daran beteiligte, schildert diese mörderisch Vorgangsweise: „Wir bewaffneten uns mit Seehundshacken und fingen an, auf die armen Tiere einzuhauen. Man kann sich kaum eine widerwärtigere Arbeit vorstellen. Zuerst machten sie in der Regel einen Versuch, zu entfliehen, nur die größten und mutigsten, sowie diejenigen, die in der Nähe ihrer Jungen oder als Wachen um das Lager standen, wagten selber einen Angriff. Als sie aber die Unmöglichkeit, zu entrinnen, eingesehen hatten, hielten sie verzweifelt stand; einen Schlag auf den Kopf fällte sie, aber man musste den Kopf fast gänzlich zerhacken, ehe sie tot waren. Blutüberströmt richteten sie sich oft noch wieder auf und versuchten wegzukriechen. Wir töteten zusammen sechzig Tiere, dann folgte gleich die Schlächterei, d. h. wir lösten die Fleischteile aus, die wir mitnehmen wollten. Nach anderthalb Stunden war unsere Arbeit für diesen Tag beendet. Nur die bittere Not trieb uns zu diesem unheimlichen Morden, mich hätte auch sonst nichts dazu vermocht, mich daran zu beteiligen. Es ist schon hart genug, dass in andern Gegenden Tiere in Massen getötet werden müsse, hier aber, wo sie noch nicht gelernt haben, den Menschen zu fürchten, ist es noch weit widerwärtiger. Wenn er sich ihnen nähert, betrachten sie den Friedenstörer mit frommen, verwunderten Augen oder greifen ihn kühn an, ohne die geringste Rücksicht auf seine unendliche Überlegenheit. Am allerschwersten ist es, den Pinguinen das Leben zu nehmen, diesen eigentümlichen Vögeln, die man wieder und wieder mit Menschen vergleicht und hier in der Einöde fast wie gute Kameraden und Freunde betrachtet“ (Nordenskjöld 1904, 300 f.).
Die zweite Überwinterung und eine unerwartete Begegnung Als dann der Sommer zu Ende ging, folgte dann die zweite Überwinterung bei der die Spannung auf die Erwartung der „Antarctic“ zuerst noch immer anhielt. Bedenklich dabei war, dass man auf eine solche erzwungene Überwinterung nicht vorbereitet war. Ganz anders hätte sich die Sache gestaltet, wenn sie von vornherein mit der Absicht an Land gegangen wären, zwei Jahre hier zu bleiben. Dann hätten sie die Winterstation an einen Ort verlegt, der für einen so langen Aufenthalt geeigneter gewesen wäre, und man hätte sich gleich mit größeren Vorräten versehen. Unter solchen Umständen wäre die Enttäuschung leichter zu ertragen gewesen. So wie sich die Ver104
hältnisse jetzt gestalteten, wirkten diese vier Monate der Ungewissheit aufreibend auf die ganze Gesellschaft. Und als die Furcht vor einem längeren Eingeschlossensein sich in Gewissheit verwandelte, entstand hieraus ein vollständiges Misstrauen in Bezug auf die Zukunft. Alle meinten, wenn sie einmal auf diese Weise in Stich gelassen wären, so gebe es in Bezug, auf Abholung und Sommerwetter nichts, worauf man sich verlassen könnte. Von dem Entsatz sprachen sie jedenfalls nicht oft, umso mehr beschäftigten sich ihre Gedanken damit. Alle waren des festen Glaubens, dass die „Antarctic“ wiederkommen würde, um sie zu holen, sie wunderten sich nur, was ihre Kameraden während dieser Zeit getan haben konnten, und ob einige von ihnen wohl schon nach Hause gereist waren. Der schwere Sommer schien ein hinreichendes Unglück gewesen zu sein, aber auf den Gedanken, dass das Schiff untergegangen sein könne, kamen sie auch nicht einen Augenblick. Mit eigenen Mitteln von hier fortzukommen war jedenfalls ganz unausführbar. „Wie einsam wir uns fühlten“, schrieb Nordenskjöld; „und wie sehr wir uns nach Nachrichten von der Außenwelt und dem Verkehr mit andern Menschen sehnten, das ward uns erst so recht klar, als wir mit unsern Kameraden von der Hoffnungsbucht zusammentrafen.“ Genau das ereignete sich am 12. Oktober 1903. Nordenskjöld berichtet von dieser gänzlich unerwarteten Begegnung: „Ich machte Halt und ging an den Schlitten, um das Fernrohr hervorzuholen. Die Hand zitterte mir ein wenig, als ich es vor die Augen hielt, und dies Zittern nahm zu, als ich mich auf den ersten Blick davon überzeugte, dass es wirklich Menschen waren“ (Nordenskjöld 1904, S. 358). Doch Nordenskjöld zweifelte auf Grund ihres merkwürdigen Aussehens, dass diese beiden Wesen wirklich Menschen derselben Art waren. Auch die Hunde schienen zu begreifen, dass etwas Merkwürdiges bevorstand, sie rannten wie nie zuvor. Jonassen fragte sogar Nordenskjöld, ob er nicht der Sicherheit halber den Revolver herausholen sollte, um auf alle Möglichkeiten vorbereitet zu sein. Doch Nordenskjöld war ganz davon in Anspruch genommen, die Entgegenkommenden anzustarren. Denn was er sah waren drei „Männer, schwarz wie Ruß, von Kopf bis zum Fuß mit schwarzen Kleidern, schwarzen Gesichtern und hohen schwarzen Mützen, die Augen, die mit eigentümlichen Holzfutteralen bedeckt waren, schlossen sich der schwarzen Gesichtsfarbe so genau an, dass das Ganze an eine Art seidener Maske mit hölzernen Öffnungen für die Augen erinnerte“ (Nordenskjöld 1904, S. 359). Nie zuvor hatte Nordenskjöld einer solchen Mischung von Zivilisation und dem äußersten denkbaren Grad von Verwilderung gegenübergestanden. Seiner Ansicht nach könnte es sich bei diesen Erscheinungen wohl um Vertreter eines unbekannten antarktischen Naturvolkes handeln. Aber er neigte am meisten zu dem Glauben, dass man es hier mit den Mitgliedern einer ausländischen Expedition, etwa der Bruce’schen, zu tun hätten, die sich einer hypermodernen Ausrüstung bedienten, verschieden von allem, wovon die Welt sich seit seiner Abreise hatte träumen lassen. Als Nordenskjöld den rätselhaften Männern von Angesicht zu Angesicht gegenüberstand, reichten sie ihm die Hand mit einem herzlichen „Guten Tag! Guten Tag!“ in reinstem Schwedisch. – Sie fragten auch gleich nach dem Schiff. Es waren Mitglieder der Antarctic-Expedition, und doch wussten sie nichts von dem Schiff. Aber warum waren sie hier? Es währte 105
jedoch nicht lange, bis die Erklärung kam: „Wir versuchten im vergangenen Sommer bis zu Euch vorzudringen, aber es gelang uns nicht; wir hatten darauf ’ gerechnet, von der ‚Antarctic‘ abgeholt zu werden, mussten aber den Winter in einer steinernen Hütte nördlich von hier zubringen und befinden uns jetzt auf dem Wege nach der Station“ (Nordenskjöld 1904, S. 360).
Abb. 59: Die Begegnung mit der Suchmannschaft von der „Antarctic“ Jeder Gedanke an eine Fortsetzung der Schlittenfahrt war damit natürlich überflüssig geworden und Alle brachen zur Station auf, die sie auch am 16. Oktober 1903 erreichten.
Das Schicksal Anderssons und seiner Truppe Unerfüllte Pflichten hatten Andersson in Schweden zurückgehalten, und so sah er am 19. Oktober mit Wehmut und Neid die „Antarctic“ die Anker lichten und ins weite Meer hinausdampfen. Erst um die Neujahrszeit 1902 war auch er fertig und frei. Am 17. Januar reiste er von Göteborg ab, um sich zum Schiff der bisher von Kapitän Larsen geleiteten „Antarctic“ zu begeben. Larsen empfing Andersson mit einer herzlichen Umarmung, der sich in dem ihm von einer Nordpolfahrt wohl bekannten Schiff sehr bald eingelebt hatte. Nach einigen Reparaturen war am Morgen des 1. April alles zur Abreise nach dem eisigen Süden bereit wo sich das traurige Schicksal des Untergangs der „Antarctic“ ereignen sollte. Nach einem kurzen arbeitsreichen aber durch einen schweren Sturm getrübten Landaufenthalt im Mai an der Küste von Südgeorgien traf Andersson wieder auf der „Antarctic“ ein, die inzwischen auf ihrer Küstenfahrt wertvolle kartografische Arbeit geleistet hatte. Dann blieb Das Schiff 106
einen ganzen Monat in einer geschützten Bucht liegen. Dort stießen sie auf eine Sammlung von Seehundsfänger-Gräbern ganz unterschiedlichen Alters. Denn während des vorigen Jahrhunderts hatten eine ganze Reihe von Seehundsfänger englischer und amerikanischer Nationalität die Insel angelaufen, um Jagd auf den kostbaren Pelzseehund zu machen. Am 15. Juni verließ das Expeditionsschiff die Küste von Süd-Georgien. Nachdem es in einem weiten Bogen nach Norden hinaufgekreuzt war, erreichte man wohlbehalten Port Stanley. Dort sollte die „Antarctic“ bis zum Ende des Winters liegen bleiben, während Andersson eine Reise nach Feuerland unternahm. Am 30. Oktober wurde er wieder von der „Antarctic“ zur Fahrt nach dem Süden abgeholt. Als er den von der belgischen Expedition entdeckten Orléans-Kanal befuhr, hatte er die peinliche Pflicht, die Kartierungsarbeiten der Wissenschaftler der „Belgica“ zu korrigieren, die in keiner Weise mit der Wirklichkeit übereinstimmten. Bereits im Dezember lagen sie fest im Packeis, ohne Hoffnung zur Winterstation ihrer Kameraden auf Snow Hill, zu kommen. Deshalb wollte sie Andersson auf dem Landweg über das Inlandeis erreichen. Er übergab das Kommando wieder Kapitän Larsen und bereitete sich auf die Schlittenreise vor, in der Hoffnung die Winterstation in 8–10 Tagen zu erreichen. Doch bereits nach einem Tag fanden er und seine Begleitmannschaft den Weg von einem unüberschreitbaren Meeresarm versperrt. Damit war die Sache für sie vorläufig zu Ende. Nach ihrer Rückkehr stellten sie Vermutungen über das Schicksal der „Antarctic“ an: „Würde sie unverrichteter Sache von Osten her zurückkehren, oder würde sie vielleicht aus Süden kommen, flaggengeschmückt, mit Nordenskjöld und seinen Kameraden an Bord und mit einer heiteren Lösung des dunkeln Rätsels?“ Aber die Tage vergingen und aus den Wochen wurden Monate, ohne dass die „Antarctic“ wiederkehrte. Die Notwendigkeit, hier überwintern zu müssen, nahm jetzt allmählich die Form einer drohenden Gewissheit an. Dem Plan zufolge sollte Nordenskjöld selber gegen Ende des ersten Sommers an Land gehen und auf der Winterstation zurückbleiben, daher konnte er während des Winters die Leitung an Bord nicht übernehmen. Schon von Anfang an war bestimmt, dass nach Nordenskjölds Landung bei der Überwinterungsstation die Leitung der Dampferexpedition Andersson übernehmen sollte. Doch bei dem Versuch, mit zwei Kameraden über das Eis nach der Überwinterungsstation vorzudringen, wurde Andersson von dem Dampfer getrennt und musste einen Winter in Einsamkeit und Finsternis verbringen. Nach Anderssons Fortgang wurde der Befehl über das Schiff von Kapitän Larsen, übernommen. Dieser kämpfte den letzten verzweifelten Kampf gegen die Übermacht des Eises, die zum Untergang der „Antarctic“ führte. Larsen leitete danach den Marsch über das Packeis bis zur Paulet-Insel, wo er mit seinen neunzehn Begleitern in einer aus einer aus Steinen aufgeführten Hütte den Winter verbrachte. Zum Schluss unternahm Kapitän Larsen mit zwei Gefährten eine kühne Bootsfahrt mit der er die bereits geschilderte Verbindung zwischen den Schiffbrüchigen und der Überwinterungsstation herstellte. Nachdem von der schwedischen Antarktisexpedition keine Nachrichten mehr kamen, galt sie als verschollen. Doch sie wurde vom argentinischen Schiff „Uruguay“ gerettet. Im Dezember 1903 107
kehrte man nach Buenos Aires zurück. In der schwedischen Heimat angelangt wurde den bereits Totgeglaubten ein großartiger Empfang bereitet. Die Expedition wurde als wissenschaftlicher Erfolg angesehen und brachte Nordenskjöld zwar großen Ruhm ein, stürzte ihn jedoch in große Schulden.
Auf den Spuren Nordenskjölds: J.-B. Charcot Zur Zeit als die Expedition Nordenskjölds noch als verschollen galt entschloss sich ein begüterter Privatmann aus Frankreich, der Arzt Jean-Baptiste Charcot, die Antarktis aufzusuchen. Er hatte nach dem Tod seiner Eltern ein beträchtliches Vermögen ererbt. Daher konnte er seine Antarktisexpedition zum größten Teil aus eigenen Mitteln finanzieren. Den finanziellen Mehrbedarf versuchte er durch eine Spendensammlung unter den Lesern von Le Matin zu decken. Schließlich beteiligte sich auch der französische Staat an der Finanzierung.
Abb. 60: Charcot und sein Schiff „Francais“ Charcots Schiff „Français“ war nach dem Vorbild von Nansens „Fram“ gebaut. Da es sich um eine wissenschaftliche Expedition handeln sollte waren sechs Wissenschaftler aus allen naturwissenschaftlichen Disziplinen an Bord. Sie sollte astronomische Beobachtungen wie auch hydrographische und chemische Untersuchungen des Meerwassers durchführen (A. Matha), Meteorologie Magnetismus und die Untersuchung der Elektrizität der Atmosphäre standen ebenfalls am Forschungsplan (J. Rey, P.Pléneau). Zoologie, Botanik und Geologie besonders Glaciologie waren ebenfalls Untersuchungsgebiete (J. Turquet, E. Gourdon) und der Chef der Expedition (Charcot) war selbst für die Medizin und Bakteriologie zuständig. 108
Abb. 61: Die Wissenschaftler der französischen Antarktisexpedition 109
Die Français verließ Le Havre am 15. August 1903 und erreichte in der letzten Novemberwoche Buenos Aires. Dort musste Charcot erfahren, dass Nordenskjöld bereits von der argentinischen Korvette „Uruguay“ gerettet worden war. Die argentinische Regierung ließ Charcot großzügige Unterstützung zuteilwerden. Ihm wurde zugesagt, sein Schiff in Ushuaia gratis mit Kohle zu versorgen und ihm die Schlittenhunde zu leihen, die Nordenskjöld seinen Rettern auf der „Uruguay“ übergeben hatte.
Abb. 62: Die geliehenen Hunde Charcots Argentinien verpflichtete sich darüber hinaus, im nächsten Sommer ein Schiff zu schicken um nach Charcot zu schauen oder Nachrichten von ihm zu erhalten. Am 23. Dezember 1903 verließ die „Français“ Buenos Aires. Weiter nach Süden vorstoßend geriet sie in schweres Eis. Trotzdem fand die Expedition einen geschützten Hafen für die Überwinterung. Als sie zum ersten Mal auf Pinguine trafen wurden diese mit einem freudigen Hallo begrüßt und wie schon Borchgrevink und Nordenskjöld war man von der Menschenähnlichkeit dieser Tiere so fasziniert und belustigt, dass man zum Spaß eine Unterhaltung mit ihnen zustande zu bringen versuchte. Erst Ende Dezember des nächsten Jahres kam die Français von ihrem vereisten Überwinterungsplatz wieder frei und man wandte sich wieder in Richtung Süden. Aber schon bei 67° 25‘ Süd traf Charcot wiederum auf festes Packeis und konnte nicht weiter vordringen. In nordöstlicher Richtung fuhr das Schiff dann weiter bis vor die Küste der Adelaide-Insel, wo es auf einen Felsen lief. Nur mit Not und ständigem Abpumpen des eindringenden Wassers erreichte die „Français“ am 22. März Buenos Aires, wo es direkt ins Trockendock gelegt wurde. Charcot verkaufte die „Français“ an Argentinien und kehrte nach Frankreich zurück, wo ihm ein triumphaler Empfang bereitet wurde. Die wissenschaftliche Ausbeute der Expedition war beträchtlich. Etwa 1000 km Küstenlinie waren kartiert worden, und die wissenschaftlichen Ergebnisse füllten schließlich 18 Bände. 110
Abb. 63: Unterhaltung mit Pinguinen
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10 Ballonaufstiege und Überwinterung auf dem Festland: Erich von Drygalski Der Gedanke an eine deutsche Südpolarexpedition war zuerst am Bremer Geographentag 1894 aufgetaucht auf dem Drygalski über die Bedeutung der Südpolarforschung sprach. Infolgedessen wurde die „Deutsche Kommission für die Südpolarforschung“ gebildet, deren Beratungen sich im Wesentlichen um zwei Punkte drehten nämlich erstens um Art und Umfang einer auszusendenden Expedition und zweitens um die Beschaffung der Geldmittel. Über den ersten Punkt bestanden von vornherein zwei Ansichten: Georg von Neumayer hielt an der Ansicht fest, dass die Expedition mit zwei Schiffen ausgeführt werden müsste, während andere, unter denen auch Drygalski war, der in dem Wunsch, überhaupt etwas zustande zu bringen, nach reiflichen Erwägungen die Überzeugung gewonnen hatten, dass sie auch mit einem Schiff durchführbar sei.
Abb. 64: Drygalski mit dem Forschungsschiff „Gauß“ In den Verhandlungen über die Notwendigkeit einer deutschen Expedition war vielfach die Rede davon, dass Deutschland bei der Lösung wissenschaftlicher Probleme in dieser Region nicht zurückstehen dürfe, wo andere Nationen vorgehen wollten oder sich schon bestätigt hatten. Als es im Laufe des Jahres 1899 Sir Clements Markham gelang eine englische Expedition ins Werk zu setzen, wurde auf ein zweckmäßiges Zusammenwirken der beiden Expeditionen hingearbeitet. Auf dem Internationalen Geographenkongress, welcher Ende September und Anfang Oktober 1899 in Berlin getagt 112
hatte, wurden die Grundzüge der beiderseitigen Pläne dargelegt. Sie ergaben bereits eine Teilung der Arbeitsgebiete und eine Verständigung über die Routen, so dass die deutsche Expedition die indisch-atlantische Seite, die englische die pazifische Seite des Südpolargebiets übernahm. Was aber die Art der Durchführung der deutschen Expedition betrifft, hatte Drygalski von vornherein eine klare Meinung: „Ich war und bin auch heute der Ansicht, dass die wohldurchdachteste Organisation eine leere Form bleibt, wenn nicht die Persönlichkeiten dazu da sind, sie mit lebendigem Inhalt zu erfüllen. Aus diesem Grund habe ich die Expedition hinsichtlich der Durchführung des in Umrissen von mir festgestellten und vorbereiteten Planes wesentlich als ein menschliches Problem gefasst und meine eigene Ausbildung und mein Verhalten danach einzurichten gesucht. Auf dieser persönlichen Grundlage galt für die Expedition als Ganzes wie für ihre einzelnen Teile das Prinzip der Freiheit, der verantwortungsvollen Entscheidung an Ort und Stelle für jeden innerhalb seines Gebietes, doch im Rahmen des Ganzen“ (Drygalski 1989, S. 20). Als besonders förderlich wurde es von allen empfunden, dass man nicht an ein bestimmtes Programm gebunden war. Die Anweisungen des kaiserlichen Erlasses waren ganz allgemein gehalten. Sie lauteten nur: „Ich bestelle den außerordentlichen Professor an der Universität zu Berlin, Dr. Erich von Drygalski, zum Leiter der Deutschen Südpolarexpedition. Die Expedition hat im August 1901 Kiel zu verlassen und sich nach den Kerguelen zu begeben. Auf denselben ist eine magnetisch-meteorologische Station zu errichten. Alsdann ist die Fahrt nach Süden fortzusetzen. Als Forschungsfeld gilt die indisch-atlantische Seite des Südpolargebiets. Falls die Erreichung eines Südpolarlandes gelingt, wenn angängig, auf demselben eine wissenschaftliche Station zu gründen und tunlichst während eines Jahres zu unterhalten. Die Rückkehr ist nach den Bestimmungen des Expeditionsleiters im Frühjahr 1903 oder spätestens im Frühjahr 1904 anzustreben“ (Drygalski 1989, S. 21). Bei der Ausrüstung der Expedition ging die Arbeit für den Bau eines geeigneten Schiffes allen anderen voran. Nach der üblichen Bezeichnungsweise war das Schiff, das den Namen „Gauß“ erhielt, ein Dreimast-Marssegelschoner mit einer Hilfsmaschine. Rechtlich galt die „Gauß“ als Forschungsschiff des Reichs. Es war das beste Polarschiff, das bisher existiert hat. Es lag fest in der See und hielt sich vortrefflich im Sturm ohne dabei mehr zu schlingern als in gleicher Lage jedes andere Schiff. Im Eis war das Schiff wuchtig und stark genug auch dicke Schollen zu brechen und sich mit sicherem Gang seinen Weg zu bahnen. Stoßen und Reiben machten ihm nichts, und auch aus Pressungen ging es unbeschädigt hervor. Prachtvolles Wetter herrschte am 11. August 1901 dem Tag der Ausfahrt. Nach herzlichen Abschiedsworten setzte sich das stolze Schiff in Bewegung. Von den Kriegsschiffen, die im Hafen lagen und Flaggenschmuck angelegt hatten erschallten dreifache Hurras zum Abschied. Im Januar 1902 erreichte man das erste Ziel die Kerguelen wo dem Plan entsprechend eine feste Beobachtungsstation mit astronomischen und meteorologischen Instrumenten eingerichtet wurde. Am 27. Januar wurde noch mit den Mitgliedern der Station gemeinsam gefeiert. Dann nahte die Trennungsstunde. Beim frühesten Morgengrauen begab sich Drygalski am 31. Januar noch einmal an 113
Land, um die Hunde zu holen. Die Einbootung der Tiere geschah unter einem immensen Geheul; einer stürzte sich ins Wasser, um der Einbootung zu entgehen, ein anderer, der zurückbleiben sollte, wollte seinen Kameraden nachschwimmen, als diese vom Ufer abstießen. Gegen 40 schöne Tiere kamen dann glücklich an Bord und lagen zunächst, ehe ihnen ein geeigneter Raum angewiesen war, auf den Säcken und Kohlen und Brettern umher. Erst am Abend des Tages wurden sie unter der Back untergebracht.
Das antarktische Festland: Pinguine auf Besuch und das Verhalten der Hunde Am 21. Februar wurde nach einer stürmischen Fahrt das antarktische Festland gesichtet, dem sie aber nicht näherkommen konnten, weil das Schiff im Packeis eingefroren war. Als dann vier Tage später die Sonne hervortrat, wurde zum ersten Mal aus dieser Situation ein Rundblick möglich. Der Kapitän meldete vom Mast, dass nur vom Westen bis Norden in einigem Abstand noch offenes Wasser sei; wenn man es erreichen könnte, hätte man freien Weg; sonst wäre Eis ringsumher. Es wurde beschlossen, den Versuch hindurchzukommen am nächsten Tag zu unternehmen. Am 26. Februar morgens begannen die Maschinen zu arbeiten, doch die „Gauß“ rührte sich nicht. Um ihr zunächst etwas Spielraum zu geben, wurde am Hintersteven ein Loch gehackt und dann von neuem versucht; doch wiederum mit negativem Erfolg. Als in der Zwischenzeit zwei Mannschaftsmitglieder auf einer entfernteren Scholle magnetisch Untersuchungen vornahmen, nahte sich ihnen ein einsamer Wanderer in Gestalt eines Kaiserpinguins.
Abb. 65: Pinguin will Einlass 114
Bald kamen vier dieser großen Vögel auch zum Schiff heran. Es waren kräftige Tiere, bis zu 70 Pfund schwer. Sie haben in den Flügeln eine bedeutende Kraft, was man wohl verspürt, wenn man sie daran festhält. Zwei von diesen Tieren wurden lebend eingefangen und an Bord gebracht, während die übrigen beiden getötet wurden, um als Nahrung zu dienen. Sie waren und blieben den Menschen und Hunden gegenüber völlig ahnungslos. Wenn man ihnen gegenübertritt und sie ärgert, schlagen sie wohl mit dem Schnabel, meistens aber nach ihren neben ihnen stehenden Stammesgenossen, die sie für jede Störung verantwortlich machen. Sie schwimmen auf dem Eis, indem sie sich mit den Füßen abstoßen und mit den Flügeln steuern; an Abhängen gleiten sie geschickt auf dem Bauch ins Wasser hinab. Gejagt, tauchten sie unter und schienen dann gänzlich verschwunden zu sein. „Umso erstaunter waren wir“, berichtet Drygalski, „als am 28. Februar zum ersten Mal einer nach dem anderen wieder auf das Eis heraussprang. Steil im Wasser emporsteigend schnellen sie sich bis fast 2 Meter Höhe in die Luft empor um geschickt auf das Eis niederzufallen und auf dem Bauch rutschend ihren Weg fortzusetzen. Man musste sich in acht nehmen, damit man nicht durch herausspringende Tiere verletzt wurde. Es sind wunderbare Geschöpfe. Sie schwimmen auf dem Eis und fliegen im Wasser; es ist wie eine verkehrte Welt“ (Drygalski 1989, S. 72).
Der Aufstieg mit einem Fesselballon Schon gleich nach der Errichtung der Station an einem ständig festgelegten Ort wurde beschlossen einen Aufstieg mit einem Fesselballon zu unternehmen, um einen Überblick auf die Umgebung zu erhalten. Der 29. März 1902 war ein schöner Tag und einer der wenigen, an denen ein Ballonaufstieg in der Antarktis überhaupt denkbar war. Drygalski nahm für sich den Anspruch als erster dieses Abenteuer zu wagen. Zwölf Mann hielten den Ballon, damit er nicht durch seinen starken Auftrieb in die Höhe getrieben wurde. Als Drygalski im Korb war, stieg er schnell bei fast völliger Still in eine Höhe von 300 Meter. „Beim Aufstieg“, berichtet Drygalski, „erhielt ich viele Signale mit dem Telefon, die mich meist zum Ziehen des Ventils mahnten, weil der Ballon zu gespannt war … Es wurde nach der Höhe zu wärmer. In 500 Meter war es so warm, dass ich die Handschuhe abnahm und die leichte Mütze ohne Ohrenschutz wählte, die auch noch entbehrt werden konnte, als sie aus 500 Metern Höhe zufällig herabfiel. Die Strahlung war außerordentlich stark, aber der Reflex der Eisoberfläche wirkte nicht bis zur Höhe herauf so dass die Schneebrille oben überflüssig war. Bis zu 100 Meter Höhe hörte ich jedes, auch leise gesprochene Wort von unten und höher noch lautere Rufe! Die Signale hatte ich meist schon verstanden, ehe sie dem Telefon anvertraut wurden. Die Rundsicht aus 500 Meter Höhe war grandios. Von etwa 50 Meter an sah ich den neu entdeckten Gaußberg vor mir und aus größerer Höhe, dass er die einzige eis115
freie Marke in der weiteren Umgebung war … Das Herunterholen des Ballons, nachdem ich etwa zwei Stunden in den luftigen Höhen geweilt hatte, ging ebenso leicht wie der Aufstieg“ (Drygalski 1989, S. 84 f.).
Abb. 66: Der Fesselballon vor dem Aufstieg Nach diesem ereignisreichen Tag wurde nachdem bereits der Winter bevorstand an der „Gauß“ eine Einrichtung zum Fischfang geschaffen. Zu diesem Zweck wurde eine Leine unter dem Schiff in der Längsrichtung durchgezogen, um an ihr das Schleppnetz auf dem Boden entlang ziehen zu können. Auch war die Leine unter dem Schiff schon wieder zerrissen, nachdem sie wahrscheinlich beim Aufhacken des Eislochs verletzt war. Diese Vorrichtung zu erneuern, war nun aber recht schwierig, weil das Eis jetzt von beiden Seiten gegen das Schiff fest anlag und sich zum Teil schon unter dasselbe schob. Unter diesen Verhältnissen in der Längsrichtung neben dem Schiff eine neue Rinne zu schlagen, um in ihr die Leine vom Bug bis zum Heck zu ziehen, war fast unmöglich. So wurde denn der Vorschlag mit Freude begrüßt, für diese Arbeit einen Kaiserpinguin zu verwenden. Da sich diese Vögel jetzt sehr zahlreich am Schiff aufhielten, war schnell ein geeignetes Objekt gefunden, das am Bug des Schiffes in ein kleines Loch versenkt wurde, nachdem ihm eine Leine ums Bein gebunden war. Das unglückliche Tier wollte zunächst aus demselben Loch wieder heraus, wurde daran aber gehindert, weil es eine andere Aufgabe hatte, und es gelang denn auch schließlich, dass es in dem Loch am Bug untertauchte und kurz darauf aus dem 50 m weiter abgelegenen Eisloch am Heck in dem üblichen Sprung herauskam. Da es aber unterwegs die Leine zerrissen hatte, musste es die Prozedur noch einmal wiederholen, und dann zum dritten Male, weil es auch beim zweiten nicht vorsichtig gewesen war; erst beim dritten Mal glückte es. Die Leine kam mit dem Tier heil am Heck des Schiffes empor, so dass es dann eingefangen, wegen seiner guten Leistung belobt und entlassen werden konnte. 116
Abb. 67: Tauchversuche mit Pinguin Die Kaiserpinguine aber mehrten sich fast täglich an Zahl, während die kleinen Adelies sich schon gänzlich zurückgezogen hatten. Es wurden jetzt Scharen von über 200 Kaiserpinguinen erblickt, die in langsam philosophischem Gang über das Eis dahinschritten, wobei sie pro Tag vielleicht 300 Meter vorwärtskamen. Sie mischten sich in alle Beschäftigungen ein, und wo einige von der Mannschaft zusammenstanden, konnte man sicher sein, dass in kurzer Zeit auch Kaiserpinguine erschienen, die sich durch lautes Krähen oder trompetenartiges Tuten schon von Ferne her bemerkbar machten. Mit Vorliebe benutzten sie die schon getretenen Wege, was natürlich nicht zu ihrem Vorteil war, weil sie dabei allzu leicht in das Hundelager hineinliefen und den Hunden zur Beute fielen. Auch vor den Menschen waren sie nicht sicher. Nicht ohne Gewissensbisse schildert Drygalski ihre brutale Vorgangsweise gegenüber den arglosen Tieren: „Es war grausam genug, wenn wir einen Schwarm dieser schönen Tiere, die einzelne Posten voraussendend herankamen, bis zum Schiffe, trieben und hier behielten … Bald wurde auch eine technische Verwertung der Pinguine vorgenommen, nämlich zur Feuerung unter den Kesseln wobei der ganze große Körper infolge seines reichen Fettgehaltes mit heller Flamme verbrannte“ (Drygalski 1989, S. 89 f.).
Das Leben auf der Winterstation Im März wurde mit den Vorbereitungen für die Winterstation begonnen. Daneben wurde Fischfang betrieben und Vögel gefangen und abgebalgt, um sie den heimischen Museen zur Verfügung zu stellen. Auch Pinguine wurden nach ihrer Tötung durch Chloroformierung konserviert. Doch 117
dabei hatte man nicht mit der Klugheit eines kleinen Adelie-Pinguin gerechnet. Dieser hielt, während ihm der Chloroformstopfen um die Nasenlöcher und den Schnabel gelegt wurde, einfach die Luft an, wie er es von seinen längeren Aufenthalten unter Wasser gewohnt war, so dass er nachher, als das Chloroform weggenommen wurde, fast so vergnügt und munter war wie vorher. Nach dem Aufhören eines tagelangen Schneesturmes kamen auch die Hunde wieder heraus und wurden an einer langen Leine befestigt, um ihre allzu große Jagdlust auf die arglosen Pinguine einzuschränken. An Bord der „Gauß“ hatten es die Tiere zunächst schlecht gehabt, doch jetzt im Winter auf dem Eis waren sie in ihrem Element und vermehrten sich rapide. So fand Drygalski am 19. Juni 1902 nicht weniger als 7 Hündinnen, die gleichzeitig mit 6 bis 8 Jungen in je einer Kiste lagen, wobei es dann vorkam, dass die eine oder andere von ihnen, die Jungen ihrer Nachbarin einfach aus der Kiste hinauswarf, gelegentlich auch tot biss, um selbst die Kiste zu gleichen Zwecken in Benutzung zu nehmen. Die jungen Hunde interessierten sich für alles und begleiteten immer die meteorologischen Beobachter in munterem Zug zu ihren Instrumenten, fraßen von verlegten Beobachtungsbüchern und bedienten die Apparate bisweilen auch ihrerseits in nicht gewünschter Weise. (Drygalski 1989, S. 122). Als im Juni 1902 der Nachwuchs überhandnahm und das Futter in jener Zeit etwas spärlicher wurde, ging man dazu über, Hunde zu töten, und zwar zunächst eine Anzahl von Hündinnen, was natürlich eine unangenehme Aufgabe war. Der Ausfall war bald wieder ausgeglichen, indem zur Winterszeit von den letzten Würfen über zwanzig kräftige junge Hunde aufwuchsen, die schon wieder für Nachwuchs sorgten. Die Wintermonate waren eine Periode intensiver Arbeiten auf der Station, weil nur an festen Punkten längere Zeit hindurch fortgesetzte Beobachtungen den vollkommensten Aufschluss über die Natur eines Gebietes zu geben vermögen. Was man auf Reisen zu Schlitten oder mit Booten an Beobachtungen gewinnt, bleibt mehr oder weniger zufällig und von dem Augenblick abhängig und kann zu anderen Zeiten oder auch zur selben Zeit in anderen Jahren vielleicht ganz andere Resultate ergeben. Erst längere Zeit fortgesetzte Beobachtungen an einem Ort machen von den Zufälligkeiten frei und zeigen das Wesen der verschiedenartigen Erscheinungen, des Erdmagnetismus, des Klimas oder auch des Tierlebens. Sie bilden gewissermaßen das Fundament, auf welches man andere Beobachtungen einer Reise beziehen kann. Es gab dauernde Arbeit, um von den Registrierinstrumenten das zu erhalten, was sie leisten sollten. Alle sechs Stunden mussten die Gläser der Instrumente gereinigt und andere Arbeiten getan werden, die nötig geworden waren. Das scheint für heimische Verhältnisse eine leichte Arbeit zu sein, war es aber dort keineswegs, wo solche Gänge in den Winterstürmen der Antarktis gemacht werden mussten und wo die Beobachter den Eingang des Observatoriums so verschneit fanden, dass sie sich erst zu ihm hinein graben mussten. Die ständige Beschäftigung, welche die Mannschaft den ganzen Winter hindurch gehabt hat und die bei den Ausgrabungen des Schiffes nach den Schneestürmen am schwersten war, hatte kurze Zeit Ende Mai etwas Unzufriedenheit erregt, weil einige auf freiere Zeit für die Überwin118
terung gerechnet hatten. Das währte jedoch nicht lange, weil jeder die Notwendigkeit der Arbeit einsehen musste. Auch wirkte die Arbeit gut, weil sie von Grübeleien und anderen üblen Folgen zu geringer Beschäftigung abhielt. Um 6 Uhr morgens wurden im Winter alle geweckt und hatten dann zunächst Zeit für sich, um die eigenen Sachen in Ordnung zu bringen. Nach dem Frühstück, das von 8 bis 8:30 Uhr währte, hatten die Leute draußen zu tun, und von 4 Uhr nachmittags war wieder freie Zeit für eigene Arbeiten erlaubt. Das war gewiss nicht zu viel. Einer der Besatzung hatte ständigen Wachdienst in der Nacht und wie auch immer einer der Offiziere. Dieser Wachdienst wechselte von Woche zu Woche. In der ersten Messe hatten in der Winterzeit schlechtere Stimmungen zeitweilig Platz gegriffen. Der Mangel an Bewegung bei den Schneestürmen und die Einförmigkeit des Dienstes trugen wesentlich dazu bei. Es war aber im Großen und Ganzen nicht schlimm und besserte sich auch sofort, wenn ein schöner Tag dazwischenkam und Touren auf das Eis unternommen werden konnten. Eifrig war man darauf bedacht, dass Feste nicht versäumt wurden. Gewöhnlich war der Alkoholkonsum sonst eingeschränkt worden. So gab es nur Donnerstag und Sonntag zu Mittag etwas Wein, Mittwoch und Sonnabend ein Glas Grog und Sonntag eine kleine Flasche Bier pro Mann. Doch besondere Feste waren immer einen willkommenen Anlass zur Steigerung des Konsums. Ein Hauptfest war am 22. Juni 1902 die antarktische Wintersonnenwende.
Abb. 68: Sonnwendfeier 1902: Drygalski (5. von rechts) im Kreis seiner wissenschaftlichen Mitarbeiter und Schiffsoffiziere In der Winterzeit wurde an Bord der „Gauß“ außerordentlich viel gelesen, denn die Bibliothek war reichlich und sehr gut versorgt von der leichtesten Tageslektüre an, die sich in einer großen Anzahl von Volksausgaben an Bord befand, über die bessere belletristische Literatur hinweg bis zu den Klassikern und den Werken der Wissenschaft in ihren verschiedenen Zweigen. 119
Eine sehr schätzenswerte Unterhaltung in der Wintereinsamkeit waren die Hunde. Es war freilich schwer, sich unter der großen Zahl einigermaßen zurechtzufinden. 50 hatte Drygalski durch die bereitwilligen Bemühungen des deutschen Handelsagenten in Wladiwostok erhalten, welcher Kosten und Mühen nicht gescheut hatte, um durch Charterung eines eigenen Dampfers die Hunde zu richtiger Zeit nach Hongkong zu liefern. Dort wurden sie in der schon gesteigerten Anzahl von 67 durch einen Lloyddampfer übernommen und unter Aufsicht dreier russischer Hundewärter nach Sydney gebracht, bevor sie an Bord der „Gauß“ kamen
Schlittenreisen ins Festland Als die Sonne am Ende eines düsteren trüben April zurückkehrte, hielt Drygalski nichts mehr davon ab, eine längere Schlittentour ins Inlandeis und zum Gaußberg zu unternehmen. Schönes, sonniges Wetter strahlte über dem Eis, als die Expedition am Morgen des 22. April das Schiff verließ. Die Hunde wurden vor die Schlitten gespannt, konnte die Fahrt beginnen. Einer musste vorangehen, um den Hunden den Weg zu weisen. Jeder Schlitten war mit sieben Hunden bespannt, immer paarweise nebeneinander und ein Leithund voran, wobei jeder Schlittenführer seinen besonderen Lieblingsleithund besaß. Dieser folgte dem vorausgehenden Expeditionsführer aber immer nur solange, als es ihm passte, und legte ein schnelleres Tempo nur dann, wenn er irgendwo eine Robbe oder einen Pinguin witterte, aber natürlich nicht immer in der erwünschten Richtung. Die Reise ging bei schönem Wetter in den ersten Tagen schnell vonstatten. Aber am dritten Tag begann das echte Winterwetter, das bis zum Schluss dieser Schlittenreise andauernde. Es war jenes Wetter, in welchem man keine Entfernung und keine Dimensionen abschätzen konnte, wo alles in einem grauen Dunst verschwamm. Eine Führung der Gespanne war an diesem Tag unnütz, denn den Hunden war der Berg, den sie sahen, ein hinreichendes Ziel, auf das sie loseilten. Der Schnee wirbelte noch manchmal, doch man konnten den schwarzen Gaußberg sehen und damit die Richtung behalten. Die letzte Strecke vor dem Berg war besonders mühsam. Mit einbrechender Dunkelheit konnte man endlich den Fuß auf den Südpolarkontinent setzten. Inzwischen war auch der letzte Hund nachgekommen. Er hatte zuletzt nicht mehr ziehen können und war deshalb losgespannt worden, und musste bisweilen getragen werden. Nun kam das arme Tier geschlichen, suchte das Land, legte sich darauf nieder und starb mit einem lang gezogenen, heulenden Ton. Es war unendlich trist in dieser Öde, als mit dem ersten Betreten des Landes auch sogleich ein Leben erlosch. Am nächsten Tage stieg man über die schneefreie Schutthalde hinauf, auf der man gut Fuß fassen konnte, doch man kam nach zwei Schritten immer wieder mindestens einen zurück. So war es ermüdend, über diesen Schutt hinaufzukommen und nahm lange Zeit in Anspruch. Leichter ging es über die Eishänge, welche sich an der Westseite fast bis zum Gipfel hinaufzogen. Doch musste 120
man hier vorsichtig sein, weil ihre Oberflächen vereist, glatt und steil waren. Man musste daher teilweise auf Stufen, die man in den Eishang schlug, emporsteigen, bevor man nach mehr als zweistündigem Steigen den Gipfel erreichte, der einen grandiosen Ausblick auf eine grenzenlose Eisfläche bot. Für Drygalski war dies das wichtigste Ziel der Schlittenreise: „So war der Berg nur eine kleine Marke in dieser Wüste und doch wie wichtig für uns, wie grundlegend für alle Erfahrungen der Expedition! Hier hatten wir wirklich Gestein unter den Füßen und sahen das Land, das wir sonst doch nur aus den Formen des Eises erschlossen. So öde und wüst der Gaußberg auch war, so gering sein Leben und seine Vegetation, so wurde er uns doch ein Verbindungsglied, welches den Südpolarkontinent an die anderen Erdräume und an unser Leben mit seinen Vorstellungsformen schloss“ (Drygalski 1989, S. 104). Die Teilnehmer der Schlittenreise waren gut versorgt, litten aber an den hohen Kältetemperaturen, die in der Nacht auf 20 Grad unter Null fielen. Schlimmer aber hatten es die Hunde, die auf halbe Rationen gesetzt waren und an Hunger zu leiden begannen. Täglich kam es vor, dass die Hunde Sturmvögel fingen und natürlich verspeisten. Am 9. Mai brachte man die Messungen zum Abschluss. Sie hatten sich wegen des widrigen Wetters immer länger hingezogen. Damit war der Anlass gegeben, die Gegend schnell zu verlassen, was auch am nächsten Morgen geschah. Im Schneetreiben ging es Stunde auf Stunde langsam voran. Schauderhaft war dabei das Heulen der hungrigen Hunde, die nicht mehr zu ziehen vermochten und bei jedem Halt in lautes Lärmen ausbrachen, um nach Nahrung zu schreien. Dieses Leiden der Tiere erregte Nerven aller, weil es daran mahnte, dass es doch nicht tagelang mehr so weitergehen konnte. Glücklicherweise konnte man schließlich eine Robbe entdecken, die unter der fieberhaften Aufregung der Hunde, die sich sofort auf sie stürzen wollten, erlegt wurde. Als dann die Teilnehmer dieser winterlichen Schlittenreise zum Schiff zurückkamen fanden sie es tief verschneit. Der Schnee stand über der Kommandobrücke und hatte alle Türen verrammelt. Die Stürme, die man auf der Schlittenreise erlebt hatte hatten am Schiff womöglich noch stärker gewütet. Diese Erlebnisse hinderte Drygalski jedoch nicht bei Anbruch des Frühjahrs eine weitere Reise zum Gaußberg zu unternehmen. Diese Reise dauerte zehn Tage und war infolge der Schneesstürme so lang gewesen wie noch keine zuvor. Dafür wurden die Teilnehmer am Gaußberg durch ein prachtvolles Wetter belohnt. Am 9. Oktober wurde nach vierzehntägigem Aufenthalt die Rückreise vom Gaußberg begonnen. Die Reise verlief die ersten Tage bei gutem Wetter recht glücklich. Am dritten Reisetag jedoch sollten nach der Zeit schönen Wetters wieder die Schrecken der Antarktis in Erinnerung gebracht werden. Da Sturm und Schneetreiben gewaltig anwuchsen, musste frühzeitig das Zelt aufschlagen werden, in der Hoffnung die „Gauß“ am nächsten Tag zu erreichen. Diese Hoffnung wurde jedoch enttäuscht. Am Morgen raste draußen von neuem der Sturm und wirbelte den Schnee umher, dass an einen Aufbruch nicht zu denken war. Über alles Lob erhaben waren bei dieser Schlittenreise die Kamtschatkahunde gewesen. Sie waren entschieden stärker als die grönländischen Eskimohunde und wohl auch als die westsibirischen, die Nansen verwandte. Dabei waren sie gutmütig und auf das Zie121
hen förmlich erpicht. Es wird erzählt, dass die Lust zum Ziehen diesen ostsibirischen Hunden dadurch angewöhnt wird, dass sie in ihrer Jugend in Höhlen gefangen gehalten werden und sich nicht im Freien bewegen dürfen, wodurch eine unbändige Sehnsucht nach Bewegung entsteht. Jedenfalls war diese auch bei dieser Schlittenreise vorhanden, und es gab stets eine gewaltige Aufregung unter der ganzen Meute, die sich in einem erschütternden Geheule kundgab, wenn die Schlitten beladen wurden. Jeder Hund war erst zufrieden, wenn er geholt und angespannt war.
Abb. 69: Am Gaußberg Als das Wetter besser wurde, konnte man endlich weiterkommen und sichteten bald das Schiff. Die Hunde schienen schon früher noch über 15 km entfernt ihre Witterung davon zu haben. Ihr Eifer war jedoch noch nicht durch das Schiff, sondern durch eine Herde Pinguine angespornt. Auch Adelie Pinguine hatte man getroffen und sich über die Dreistigkeit oder Frechheit gefreut. Einen davon versuchte Drygalski zunächst mit Sanftmut und dann mit Gewalt vor der Annäherung an die Hunde zu bewahren, doch ohne Erfolg. Das kleine Tier eilte immer wieder auf Drygalski zu, obwohl er es mit Fußtritten und Schlägen zurücktrieb. Als es schließlich an ihm vorbeigekommen war und die Hunde erreichte, bezahlte es seinen Übermut mit dem Leben.
Abb. 70: Die Schlittenhunde Drygalskis 122
Gleich am Tag seiner Rückkehr steckte Drygalski einen Weg ab, auf dem dunkle Körper zur besseren Zerstörung des Eises gestreut werden sollten. „Ich will bemerken“, sagt Drygalski, „dass es besser gewesen wäre, wenn wir die Streuungen schon vor einem Monat früher begonnen hätten. Damals hielten uns noch die häufigen Schneestürme ab, weil wir dachten, dass das Gestreute in diesen wieder bedeckt werden und so verloren gehen würde. Die Besorgnis war aber grundlos, weil dunkle Körper bald aus den neuen Schneedecken wieder emporkommen. Ich ging nun häufig umher, um die Wirkung der verschiedenen Körper zu betrachten, welche ausgestreut worden waren. Am stärksten wirkte Asche, wovon aber nur ein geringer Vorrat von sieben Eimer gesammelt worden war. Nächstdem wirkten am besten Trümmer von Korksteinplatten, was uns dazu bestimmte, noch vorhandenes, aber überflüssiges Korkmehl jetzt in Tran zu sieden, bis es schwarz war, und dann zu dem gleichen Zweck zu benutzen, Bis zur Länge eines Eispickels, also bis 1 m Tiefe, war unter solchen Korkstücken bald alles Eis gelockert. Die Wirkung ging auch noch tiefer hinab, als man oberflächlich sah, wie man merkte, wenn man mit dem Stock hineinstieß. Blut von Pinguinen hatte auch gewirkt, doch nicht so stark wie schwarze Körper. Gute Wirkung taten verschimmelte graue Erbsen, und so wurde in der Folgezeit alles Erdenkliche benutzt, um diesen Weg zu erweitern“ (Drygalski 1989, S. 159).
Abb. 71: Schuttstraße
Heimkehr mit Hindernissen Das neue Jahr begann mit Versuche, das Schiff vom Eis zu befreien. Das Schiff war für alle Fälle gerüstet. Die Kessel waren gefüllt, die Trinkwasserbehälter mit Eis versehen und die Vorräte übersichtlich untergebracht. Als aber die Maschinen angeworfen wurden, rührte sich das Schiff nicht. Auch als man Sprengungsversuche unternahm erfolgte ein Aufbruch des Eises nicht. Die 123
Sprengmittel konnten eben im Polareis wenig ausrichten weil sich die Lücken immer schnell wieder schließen. Bei der Dicke des Eises, das die „Gauß“ umgab, war damit gar nichts zu erreichen. Später kamen man darauf, Sprengmittel in kleinen Dosen zu verwenden, um bei den notwendig gewordenen Abgrabungs- und Sägearbeiten nachzuhelfen. Doch alle diese mühseligen Abgrabungsarbeiten gingen beim nächsten Schneesturm wieder verloren. „Wer konnte sagen“, fragte sich Drygalski verzweifelt, „wann das Eis an der Gauß überhaupt aufbrechen würde? Dem zweiten Winter konnte der dritte folgen und dem dritten der vierte, bis die Widerstandskraft der Expedition, an derselben Stelle zu verharren, nicht mehr ausreichend war“ (Drygalski 1989, S. 171). Zu den Vorboten einer Lösung des Eises gehörten auch zwei Wale, die in der Wake östlich von der „Gauß“ erschienen, nachdem man fast ein ganzes Jahr keine gesehen hatte. So war es im Ganzen deutlich, dass im Meer eine Veränderung vorging. Auf der Eisoberfläche verschoben sich die Höhen, denn wo die Wärmewirkung am kräftigsten war und der Schnee feucht wurde so dass der Oberfläche größere Mengen verlorengingen und als Wasser zu Tiefe sickerten tauchte die ganze Eismasse dadurch empor. Vor allem war es bemerkenswert, dass gegen Mitte Januar alle möglichen Gegenstände emportauchten, die im vergangenen Herbst neben dem Schiff gestapelt und dann von Schnee bedeckt worden waren. Hier erschien eine alte Tür, dort eine Kiste und auch Schlittenproviant tauchte empor den man längst verloren gegeben. Die weitere Öffnung der Spalten wurde im Januar mehrfach zu Kajakpartien benutzt. Es war nicht sehr bequem, in den engen Spalten sich entlang zu stoßen, sondern sogar einigermaßen gefährlich. So passiert es, dass zwei Mitglieder kenterten, da sie die Unvorsichtigkeit begingen, mit dem Kajak vom Eis ins Wasser hinabgleiten zu wollen. Der Erfolg war, dass beide Kajaks umschlugen, und es war nur der Geistesgegenwart des einen Kajaksfahrers zu verdanken gewesen, dass er sich aus dem gekenterten Kajak zu befreien vermochte, während er in der engen Spalte mit dem Kopf nach unten stand. Er kam glücklich zur Oberfläche empor, schwamm in der Spalte entlang, bis er eine niedrige Stelle fand, an der er auf das Eis hinaufklettern konnte, und befreite dann seinen Begleiter aus einer ähnlichen Situation. Tag für Tag wurde nun gesägt, gerammt und gesprengt. Das Eis war 5 bis 6 m dick und auch unter das Schiff gekeilt. Sprengschüsse wurden in Rissen oder vorher gebohrten Löchern bis zur Mitte der Dicke des Eises gesetzt und elektrisch gezündet. Sie zertrümmerten das Eis, dass die Blöcke dann leicht entfernt werden konnten. Nach einer längeren Drift im Scholleneis kam die „Gauß“ am 8. Februar endlich frei. Was dann erfolgte sollte charakteristisch für jede weitere Antarktisexpedition werden – die Ansammlung von einer gewaltigen Menge von zurückgelassenem Müll: Tote Robben, tote Pinguine, Pinguinköpfe, Speckhaufen daneben, Pfähle, zerbrochene Hundeställe, Bretter, Stangen und Dosen. „Wo die Gauß gelegen hatte“, so beschreibt Drygalski auch die Situation am Ufer des Festlandes bei den Hütten der Winterstation, „sah ich, noch beim Abzug in der westlichen Schneewehe eine Reihe von Schmutzschichten übereinander, jede mit Dosen und Flaschen, Aspestpappe, Strohhülsen und sonstigen Wust durchsetzt, ein deutliches Zeichen 124
dafür, dass 32 Mann hier ein Jahr gelebt haben“ (Drygalski 1989, S. 169). Als die Eisdecke aufbrach, versank auch die aus Müll und allem möglichen Dreck bestehende Schuttstraße in ihrer gesamten ungeheuren Länge und Breite ins Meer.
Abb. 72: Befreiungsversuche der „Gauß“ aus dem Eis Auf der Weiterfahrt mitten unter dem Treibeis schlug die Schiffsschraube auf eine Eisscholle und zerbrach. Doch man ließ sich dadurch nicht aushalten. Die letzten Eistrümmer konnte man erst im April 1903 verlassen. Dann kamen die Kerguellen-Inseln in Sicht. Von der Tragödie, die sich dort inzwischen abgespielt hatte, erfuhr man erst in Kapstadt durch den Generalkonsul, der von dem Tod des Leiters der Kerguellen-Station Enzensberger berichtete, was auf die Freude der Rückkehr in die Heimat einen tiefen Schatten warf. Enzensberger war an Berberi erkrankt, die durch die Besatzung eines chinesischen Schiffes auf den Kerguellen-Inseln nach Drygalskis Meinung übertragen worden war. Doch diese Meinung war falsch. Wie man später erkannt hatte, war diese vielmehr auf eine Mangelernährung zurückzuführen, die vor allem in Asien massenhaft auftrat aber natürlich auch bei der vitaminarmen Nahrung der Polarfahrer ein Problem war. Drygalski hielt sich in Südafrika längere Zeit auf, weil er eine Bitte nach Berlin um Fortsetzug der Expedition gerichtet hatte. Was er damit wollte, war nicht neue Rekorde in der Erreichung höherer Breiten aufzustellen, sondern die bisherigen Forschungen und die Untersuchung der neu entdeckten Küste fortzusetzen. Am 2. Juli traf aber zu seiner und der ganzen Mannschaft Enttäuschung die amtliche Weisung zur Heimkehr ein. Nach einem stürmischen letzten Teil der Reise passierten die „Gauß“ am 21. November den englischen Kanal und traf kurz darauf in Kiel ein. Die Auflösung der Expedition vollzog sich dann schnell. Am 30. November wurde die Ladung gelöscht. Am gleichen Tag erfolgte die Abmusterung der Mannschaft. Am 1. Dezember wurde die „Gauß“ an die kaiserliche Werft in Kiel 125
übergeben und später verkauft, um unter einem neuen Namen der kanadischen Regierung zu neuen Zwecken zu dienen. Drygalski musste jedoch feststellen, dass sich nun auch Stimmen erhoben, welche absprechende Urteile über seine Expedition fällten. Schilderungen von Gefahren und Abenteuern wurden häufig vermisst. Vor allem wurde am meisten der nicht erreichte Rekord in der Breite beklagt und dabei verkannt, dass die Mannschaft der „Gauß“ in einem gänzlich neuen Gebiet gearbeitet hatte und dabei auch gänzlich Neues entdeckte. Doch Drygalski berührte diese Kritik nicht. Er selbst war mit dem Erreichten zufrieden und stellte nicht ohne nationalen Stolz fest: „Drei Expeditionen waren mit uns gleichzeitig im hohen Süden tätig gewesen, ebenfalls nach dem gleichen Plan wirkend wie wir: Ein Unternehmen, von einer Ausdehnung wie noch niemals zuvor, hatte seinen Abschluss gefunden, und die deutsche Gauß hatte ihre wichtige und bestimmende Stellung darin behauptet, die sie von Anbeginn hatte“ (Drygalski 1989, S. 190).
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11 Die schottische Expedition: William Speirs Bruce Die schottische Expedition unter William Speirs Bruce zeichnete sich dadurch aus, dass es sich dabei weder um ein Wettrennen zum Südpol noch um Landgewinn in der Antarktis handelte, sondern nur um wissenschaftliche Forschungsergebnisse. Ziel dieser Expedition war eine systematische Untersuchung der physikalischen Bedingungen der Luft, des Ozeans, des Eises und des festen Landes. Von besonderem Interesse war dabei Magnetismus und Meteorologie. Bruce hatte den Großteil der 1890er Jahre mit Expeditionen in die Arktis und Antarktis verbracht. Er hatte sich auch um die Teilnahme an der Discovery-Expedition beworben, sein Vorschlag, den Arbeitsbereich der Expedition mit einem zweiten Schiff ins Weddell-Meer auszudehnen, wurde aber vom Präsidenten der Royal Geographical Society, Clements Markham, abgelehnt, weil er eine Rivalität innerhalb der Expedition befürchtete. Daraufhin bereitete Bruce eine eigene Expedition vor. Die wichtigsten finanziellen Förderer waren dabei die Brüder Andrew und James Coats. Auch sonst wurde die Expedition nur durch private Spenden finanziert. Die einzige Unterstützung von Seiten der Regierung war einige Instrumente vom British Meteorological Office und der Admiralität. Im Herbst 1901 kaufte Bruce ein norwegisches Walfängerschiff. In den folgenden Monaten wurde das Schiff umgebaut und bekam zwei Labore und eine Dunkelkammer. Der Rumpf wurde massiv verstärkt, um dem Druck des antarktischen Eises standhalten zu können. Außerdem wurde das Schiff mit Hilfsmotoren ausgestattet (vgl. Speak 2003, S. 75–79).
Abb. 73: Bruce mit seinem Schiff „Scotia“
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Die Aufgaben der Expedition wurden im Oktober 1902 im Scottish Geographical Magazine und im Geographical Journal der RGS veröffentlicht. Sie beinhalteten die Erforschung des südlichen Atlantischen Ozeans in der Tiefsee und des Weddell-Meeres zwischen 40° Süd und 74° Süd. Neben der systematischen Beobachtung und Erforschung der meteorologischen, geologischen, biologischen und topographischen Gegebenheiten war auch die Gründung einer Winterstation „so nah am Südpol wie möglich“ eingeschlossen. Der schottische Charakter der Expedition wurde kurz vor dem Ablegen in der Zeitschrift „The Scotsman“ besonders hervorgehoben: „Der Führer und alle wissenschaftlichen und nautischen Mitglieder der Expedition sind Schotten; die Spenden wurden zum Großteil diesseits der Grenze gesammelt; diese Expedition ist ein Produkt ehrenamtlicher Anstrengungen und anders als die Expedition, die zeitgleich die Antarktis erforschen soll, hatte sie keine Hilfe der Regierung nötig.“
Abb. 74: Die Mannschaft und der wissenschaftliche Stab der „Scotia“; von oben links nach rechts: David W. Wilton (Zoologe), William S. Bruce, Robert C. Mossman (Meteorologe), Robert N. Rudmose Brown (Botaniker), Thomas Robertson (Kapitän) und John H. Harvey Pirie (Geologe und Arzt).
Aufbruch der „Scotia“ nach Süden Am 2. November 1902 segelte Bruce mit der „Scotia“ nach Süden. Auf diesem Weg legte die „Scotia“ in den Häfen von Funchal und Kap Verde an, bevor man vergeblich versuchte, an den tropischen Sankt-Peter-und-Sankt-Pauls-Felsen anzulanden. Dieser Versuch hätte den Geologen und Arzt der Epedition James Havie Pirie fast das Leben gekostet, weil er sich beim Sprung von Bord an Land verschätzt hatte und in die von Haien bevölkerte See gestürzt war. Die „Scotia“ erreichte am 6. Januar 1903 Port Stanley auf den Falklandinseln, wo sie ihre Vorräte für die bevorstehende Reise in die Antarktis auffrischte. 128
Am 26. Januar nahm die „Scotia“ den Kurs auf die Gewässer der Antarktis. Am 3. Februar traf sie 40 km nördlich der Südlichen Orkneyinseln bereits auf Packeis. Trotzdem konnte die „Scotia“ am nächsten Tag weiter nach Süden vorstoßen und eine kleine Gruppe auf eine Insel, Saddle Island, absetzen, die dort eine große Anzahl botanischer und geologischer Proben sammelte. Diese Gruppe setzte aber auch einen patriotischen Akt, indem sie dort die schottische Flagge als Zeichen der Besitznahme hissten.
Abb. 75: Hissen der schottischen Flagge Das Eis verhinderte bis zum 10. Februar weitere Fortschritte, danach ging es weiter nach Süden. Am 17. Februar befand sich die „Scotia“ auf 64°18‘ südlicher Breite und überquerte fünf Tage später den 70.° im Weddell-Meer. Kurze Zeit später zwang neues Eis die Expedition zur Umkehr, die immerhin 70°25‘ Süd erreicht hatte.
Errichtung der Winterstation „Omond House“ Da die Expedition kein Land gefunden hatte, stellte sich die Frage, wo sie überwintern sollte. Diese Frage war dringend, da die See bald zufrieren würde und damit die Gefahr bestand, dass das Schiff im Eis stecken blieb. Bruce entschied sich für eine Rückkehr zu den South Orkneys, um dort einen Ankerplatz zu finden, obwohl dann dieser Ankerplatz im Gegensatz zu seinem erklärten Ziel stand, soweit südlich wie möglich zu überwintern. Der Vorteil dieser mehr als 3200 km vom Südpol entfernten Position bestand aber darin, dass sie als Standort einer Wetterstation gut geeignet war. Ihre Nähe zum südamerikanischen Festland erlaubte es auch, eine ständig besetzte Station zu betreiben. 129
Nach mehreren erfolglosen Versuchen, einen passenden Ankerplatz zu finden, ankerte das Schiff am 25. März in einer geschützten Bucht an der Südküste der östlichsten Insel „Laurie Island“. Die „Scotia“ wurde dann zur Winterstation hergerichtet: die Maschinen wurden demontiert, die Kessel entleert, und das Deck wurde mit Segeltuch bedeckt. Bruce stellte daraufhin einen umfangreichen Arbeitsplan auf, der meteorologische Messungen und das Sammeln von botanischen, biologischen und geologischen Proben vorsah. Die wichtigste Aufgabe, die während dieser Zeit erfüllt werden musste, war die Errichtung eines Steingebäudes. Das Gebäude wurde mit Material aufgebaut, das mit Hundeschlitten herbeigeschafft wurde. Es sollte die Unterkunft für die Männer sein, die man auf der Insel zurücklassen würde, um die Wetterstation zu betreiben. Benannt wurde es nach Robert Omond, dem Direktor des Observatoriums von Edinburgh und Unterstützer der Expedition, „Omond House“.
Abb. 76: Aufbau des „Omond House“ Das fertige Haus, das für sechs Personen bestimmt war, hatte den Grundriss eines Quadrats mit sechs Metern Kantenlänge und zwei Fenster. Einer von der Mannschaft, welche das Steinhaus aufgebaut hatte, schrieb darüber: „Wenn man bedenkt, dass wir weder Mörtel noch Maurerutensilien hatten, ist es ein vollkommen akzeptables und sehr haltbares Haus geworden. Ich denke, es wird noch ein Jahrhundert lang stehen“ (zit. nach Speak 2003, S. 85).
Die Schlittenhunde der Expedition Als der Frühling anbrach, wurden mehrere Touren einige auch zu benachbarten Inseln mit Hundeschlitten unternommen. Im Unterschied zu allen anderen Antarktisexpeditionen hatte aber Bruce nur wenige Hunde verschiedener Rassen mitgenommen; unter ihnen zwei Sibirische Sa130
mojeden aus Schottland und sechs Schäferhunde von den Falkland Inseln. Nachdem einer von den Samojeden gestorben war und drei von den Schäferhunden durch Unfälle umkamen, blieben nur mehr wenige Hunde übrig.
Abb. 77: Die Schlittenhunde der schottischen Expedition Die „Scotia“ wurde wieder seetauglich gemacht, blieb jedoch im September und Oktober weiterhin im Eis gefangen, bis am 23. November starke Winde das Eis in der Bucht aufbrachen und die „Scotia“ auslaufen konnte. Vier Tage später legte sie nach Port Stanley ab, wobei sechs Männer unter der Führung von Robert Mossman im „Omond House“ zurückgelassen wurden.
Verhandlungen mit Argentinien über die Wetterstation Nach einer Woche Pause nahm die „Scotia“ Kurs auf Buenos Aires, wo sie instand gesetzt und für eine weitere Saison ausgerüstet werden sollte. In den folgenden vier Wochen lag das Schiff im Trockendock und Bruce verhandelte mit der argentinischen Regierung über die Zukunft der Wetterstation. Bruce wollte die argentinische Regierung dazu bringen, die Verantwortung für die Wetterstation nach der Heimreise der Expedition zu übernehmen. Nach dem erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen übergab Bruce das „Omond House“ mitsamt Einrichtung, Vorräten und allen magnetischen und meteorologischen Messinstrumenten formal an die argentinische Regierung. Einige Mitglieder der ursprünglichen Besatzung verließen die Expedition während des Aufenthaltes in Buenos Aires. Manche mussten aus gesundheitlichen Gründen nach Hause zurückkehren, und ein Mann wurde wegen Fehlverhaltens ausgeschlossen. Als Ersatz wurden Leute aus der Region angeworben. 131
Die zweite Reise ins Weddell-Meer Am 21. Januar 1904 fuhr die „Scotia“ wieder in den Süden Nachdem Bruce die Besatzung für die Wetterstation abgesetzt hatte, lief die „Scotia“ eine Woche später zur zweiten Reise ins Weddell-Meer aus. Die „Scotia“ fuhr bei ruhigem Wetter auf einem südöstlichen Kurs in das östliche Weddell-Meer. Sie traf auf kein Packeis, bevor sie den südlichen Polarkreis überschritten hatte, so dass das Vorankommen zunächst klaglos verlief, bis sie am 3. März auf der Position 72° 18‘ Süd, 7° 59‘ West vom Packeis aufgehalten wurde. Wenige Stunden später traf die Expedition auf eine Barriere aus Eis, die ein Weiterkommen nach Südosten verhinderte. In den nächsten Tagen folgte man der Eiskante rund 240 km in südlicher Richtung. Die relativ geringe Wassertiefe, 4 km von der Eiskante entfernt, wies auf beginnendes Festland hinter dem Eispanzer hin. Die Umrisse dieser Landmasse wurden bald schwach erkennbar und Bruce benannte das Land nach seinen wichtigsten Sponsoren, der Coats-Brüder „Coatsland“. Die Entdeckung von Coatsland war der erste Hinweis auf die östliche Begrenzung des Weddell-Meeres und wies darauf hin, dass das Meer wesentlich kleiner sein könnte, als bislang angenommen wurde. Die ursprünglich geplante Ausfahrt einer Schlittengruppe nach Coatsland sagte Bruce aber wegen des Zustandes des Meereises ab.
Abb. 78: „Scotia“ im Packeis 132
Am 9. März 1904 erreichte die „Scotia“ den südlichsten Punkt ihrer Reise auf einer Breite von 74° 01‘ Süd. An dieser Stelle wurde das Schiff wieder von Packeis eingeschlossen und es bestand die Gefahr, den Winter über festgehalten zu sein.
Der Dudelsackspieler und getötete Pinguine im Labor In dieser Zeit entstand das Foto, auf dem der Dudelsackspieler Gilbert Kerr einem Pinguin etwas vorspielt. Im krassen Gegensatz zu dieser schönen Szene steht jedoch die Abbildung der Arbeit im Labor welche eine Reihe von getöteten Pinguinen zum Zweck ihrer wissenschaftlichen Untersuchung zeigt. Das Schiff kam am 13. März wieder frei und bewegte sich langsam unter Dampf nach Nordosten. Während dieses Teils der Reise wurde mittels Tiefenmessungen, Netzfischerei und dem Sammeln von Bodenproben ein umfassender Report über die ozeanografischen Gegebenheiten und die Lebensbedingungen im Weddell-Meer erstellt. Das Schiff fuhr danach weiter nach Kapstadt, wo es am 6. Mai ankam. Nach weiteren Forschungsarbeiten segelte die „Scotia“ zurück in die Heimat Die letzten beiden angelaufenen Häfen auf der Heimreise waren St. Helena und Ascension.
Abb. 79: Der Dudelsackspieler Kerr spielt am 11. März 1904 für einen Pinguin und die Bilder von getöteten Pinguinen im Labor
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Die Heimkehr: Ehrungen in Schottland, Missachtung in London Die Expedition lief mit der „Scotia“ am 21. Juli 1904 und in den Hafen von Millport ein wo ihr ein begeisterter Empfang bereitet wurde. Im Gebäude der University Marine Biological Station wurde ein förmlicher Empfang für 400 Leute gehalten bei dem John Murray ein Telegramm mit den Glückwünschen von König Edward VII. verlas. Bruce wurde mit der Goldmedaille der Royal Scottish Society ausgezeichnet, der Kapitän Robertson mit der Silbermedaille. Ein wichtiger Erfolg der Expedition war die Katalogisierung von mehr als 1.100 Tierarten, von denen 212 vorher unbekannt waren. Aus London, wo man unter dem Einfluss von Markham dazu neigte, die schottische Expedition entweder zu ignorieren oder in einem schlechten Licht darzustellen, gab es jedoch keine offizielle Anerkennung. Keines ihrer Mitglieder erhielt die prestigeträchtige Polarmedaille, die den Mitgliedern von den Expeditionen Ernest Shackletons und den Mitgliedern von Scotts Discovery-Expedition verliehen wurde, die zwei Monate nach der „Scotia“ zurückkehrte. Bruce kämpfte jahrelang gegen diese aus seiner Sicht himmelschreiende Ungerechtigkeit gegen sein Land und die Expedition, hatte jedoch keinen Erfolg (vgl. Speak 2003, S. 125 ff.) Einige Vorbehalte des Londoner Establishments gegenüber der schottischen Antarktisexpedition dürften auch auf Bruces schottischen Nationalismus zurückzuführen sein, der sich auch in seinem Vorwort zu Rudmose Browns Geschichte der Expedition spiegelt: „Während Wissenschaft der Talisman der Expedition war, hatte sie sich Schottland auf die Fahnen geschrieben; und möglicherweise haben wir im Bemühen, der Menschheit durch das Hinzufügen eines weiteren Gliedes in die goldene Kette der Wissenschaft zu dienen, gezeigt, dass die schottische Nation eine Macht ist, mit der man rechnen muss“ (Rudmose Brown, The Voyage of the Scotia, S. XIII). Eine bedeutende Folge der Expedition war die Gründung des „Scotish oceanographic laboratory “ in Edinburgh, das von Fürst Albert von Monaco 1906 formell eröffnet wurde. Das Labor diente als Lager für die große Sammlung von biologischen, zoologischen und geologischen Proben, die während der Reisen der „Scotia“ und Bruces früheren Antarktisreisen zusammenkamen und als Ort, an dem die wissenschaftlichen Berichte der schottischen Expedition angefertigt werden konnten. Es dauerte jedoch Jahre, die wissenschaftlichen Berichte fertigzustellen. Die meisten wurden zwischen 1907 und 1920 veröffentlicht. Zu dieser Zeit erinnerte man sich auch in Schottland kaum an die Expedition der „Scotia“. Die Expedition war zwar die „bei weitem 134
kosteneffektivste und umsichtigst geplante wissenschaftliche Expedition des Goldenen Zeitalters“ (Speak 2003, S. 14 f.). Trotzdem erfuhr Bruce niemals eine förmliche Ehrung oder Anerkennung durch die britische Regierung Aber die Bedeutung, die man heutzutage Bruce in seiner Heimat Schottland zuerkennt, lässt sich am besten an einem Banner erkennen, das bei einer Ausstellung zum Andenken von Bruce in der ersten Galerie des Royal Museum in Edinburgh hängt. „Polarforscher“, kann man dort lesen, „wer von ihnen waren die Heroen? Scott? Amundsen? Nansen? Shackleton?“ Bereits der Titel der Ausstellung präsentiert eine Aternative: „William Speirs Bruce: The First Polar Hero“.
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12 Der Beginn der „Heldenzeit“ der Antarktisforschung Die British National Antarctic Expedition von 1901 bis 1904, die nach dem Expeditionsschiff benannte Discovery-Expedition, war die erste offizielle britische Expedition in die Antarktis seit der Fahrt von James Clark Ross 60 Jahre zuvor. Sie wurde von einem Komitee aus Mitgliedern der Royal Society und der Royal Geographical Society geplant und sollte wissenschaftliche Untersuchungen und geographische Erforschung in einem damals fast völlig unberührten Kontinent durchführen. Als Wegbereiter für spätere Unternehmungen war die Discovery-Expedition ein wichtiges Ereignis in der Geschichte der britischen Antarktisforschung.
Robert F. Scotts erste Fahrt mit der „Discovery“ Den Befehl über das Expeditionsschiff „Discovery“ erhielt Robert F. Scott. Es wurde speziell für antarktische Forschungsmissionen entwickelt und am 21. März 1901 in Dundee vom Stapel gelassen. Es war das letzte hölzerne Dreimastschiff, das auf den britischen Inseln gebaut worden ist. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf eine feste Außenhülle in Form von mehreren übereinander gelegten Beplankungen aus außergewöhnlich hartem Holz gelegt, die den Gefahren von Eisschollen und zufrierenden Gewässern trotzen sollte. Auf dem Vorderdeck wurde eine Wind-Turbine mit Elektro-Generator aufgebaut.
Abb. 80: Scott und das Expeditionsschiff „Discovery“ 136
Die Polarforschung war in Friedenszeiten eine traditionelle Aktivität der Royal Navy. Der Sekretär und spätere Präsident der Royal Geographical Society, Sir Clements Markham, war ein ehemaliger Marineangehöriger, der 1851 auf einer der Expeditionen zur Suche nach Franklin und seinen Männern gedient hatte. Er vertrat die Ansicht, die Navy solle ihre historische Rolle in der Durchführung von wissenschaftlichen Entdeckungsfahrten wiederaufnehmen. Eine Gelegenheit, dieses Streben voranzubringen, ergab sich 1893, als der bekannte Biologe Sir John Murray, der in den 1870 Jahren mit der Challenger-Expedition in antarktischen Gewässern gesegelt war, eine Antarktisexpedition zum Nutzen der britischen Wissenschaft forderte.
Abb. 81: Sir John Murray und sein Expeditionsschiff „Challenger“ Sowohl Markham als auch die Royal Society, die wichtigste wissenschaftliche Körperschaft des Vereinigten Königreiches, unterstützten dieses Anliegen. Ein gemeinsames Komitee der beiden Gesellschaften wurde eingerichtet, um über die Form der Expedition zu beraten. Markhams Vision von einer Marineexpedition nach dem Vorbild von Ross oder Franklin wurden von Teilen des Komitees kritisch betrachtet, doch er war so hartnäckig, dass die Expedition trotzdem nach seinen Vorstellungen geplant wurde. Es war lange Markhams Praxis gewesen, auf vielversprechende junge Marineoffiziere zu achten, denen später möglicherweise tragende Rollen bei einer Polarexpedition zukommen könnten, falls sich die Gelegenheit ergeben sollte. Er hatte besonders seine Aufmerksamkeit auf den Seekadetten Robert Falcon Scott gerichtet und erinnerte sich an ihn. Scott, der mittlerweile als Torpedoleutnant auf einem Kriegsschiff diente, bewarb sich nach einer zufälligen Begegnung mit Markham für die Leitung der Expedition. Mit Markhams Befürwortung wurde Scott dafür ernannt und bald danach zum Fregattenkapitän befördert. Die Komitee-Mitglieder der Royal Society vertraten zunächst die Ansicht, dass Scott lediglich der Kapitän des Schiffs sein sollte, das die Expedition in die Antarktis transportieren würde. Aber Scott bestand selbst darauf, dass ihm die Gesamtleitung der Expedition auch auf dem 137
Lande erteilt werden sollte, was ihm auch bewilligt wurde. Obwohl das Unternehmen offiziell kein Projekt der Navy war, schlug Scott vor, die Expedition auf Marineart durchzuführen, und sicherte sich die freiwillige Zustimmung der Mannschaft, unter dem Naval Discipline Act zu arbeiten. Die Admiralität erklärte sich bereit, ihn mit drei Offizieren der Royal Navy und 23 Seeleuten auszustatten. Die restlichen Expeditionsmitglieder sollten aus Matrosen der Handelsmarine oder aus Zivilpersonen zusammengesetzt sein. Unter anderen heuerte auch der Offizier der Handelsmarine Ernest Shackleton an. Die Discovery-Expedition sollte, wie die Expeditionen von Ross vorher, im Rossmeer agieren. Ihre Hauptziele wurde in den Instruktionen des Komitees dahingehend festgelegt, dass sie so weit wie möglich die den Zustand und die Ausdehnung des Gebietes der südpolaren Lande erkunden und wissenschaftliche Forschungen aller Art, wie magnetologische, meteorologische, ozeanografische, geologische und biologische, durchführen soll.
Ballonaufstiege auf dem Schelfeis Die „Discovery“ verließ am 6. August 1901 die britischen Gewässer und kam am 29. November in Neuseeland an. Nach drei Wochen an letzten Vorbereitungen war sie bereit, die Reise in den Süden anzutreten. Die „Discovery“ fuhr entlang der Küste Viktorialands bis zur McMurdo-Bucht und wandte sich dann nach Osten um am Kap Crozier zu landen. Die Expeditionsmitglieder hinterließen hier wie vereinbart eine Nachrichtenstation. Danach folgte das Schiff dem Ross-Schelfeis bis zu seinen östlichen Ausläufern, wo das von Ross vermutete Land am 30. Januar 1902 bestätigt und Edward-VII-Land genannt wurde.
Abb. 82: Ballonaufstiege 138
Am 4. Februar landete Scott auf der Schelfeistafel und ließ einen Beobachtungsballon an Land bringen, den er für Erkundungen aus der Luft erworben hatte. Als Scott den sorgfältig festgemachten Ballon bestieg, erreichte er schnell eine Höhe von über 184 m, Shackleton folgte später mit einem zweiten Aufstieg. Alles, was sie sehen konnten, war eine endlose Eisfläche. Edward Wilson hielt jedoch diese Ballonaufstiege für „reinen Wahnsinn“. Sie wurden daher auch nicht mehr wiederholt. Als Winterlager wurde ein Ort südlichem Ende der McMurdo-Bucht ausgewählt und auf einer felsigen Halbinsel die Expeditionshütte errichtet. Doch Scott beschloss, dass die Expeditionsmitglieder weiter an Bord des Schiffs leben und arbeiten sollten. Er ließ die „Discovery“ ins Packeis einfrieren, während die Hütte nur als Lagerschuppen und Schutzhütte benutzt werden sollte.
Aufbruch zum Südpol Während des südlichen Winters von Mai bis August waren die Wissenschaftler in ihren Laboratorien beschäftigt, während die anderen Expeditionsmitglieder die Ausrüstung und Lebensmittel für die Reisen im nächsten Sommer vorbereiteten. Keiner der Männer war ein geübter Skifahrer, und die meisten hatten kaum Erfahrung mit Hundeschlitten. Das bestärkte auch Scotts Vorurteile zugunsten des Ziehens der Schlitten durch Männer. Als der Winter zu Ende ging, wurden die Schlittenfahrten aufgenommen, um Ausrüstung und Rationen für die geplante Reise nach Süden zu testen. Scott, Wilson und Shackleton brachen zu diesem Unternehmen am 2. November 1902 mit den Hunden und einigen Männern zu ihrer Unterstützung auf. Ihr Ziel war es, in gerader Linie auf dem Eis der Barriere nach Süden voran zu kommen und, wenn möglich, den Pol zu erreichen oder neues Land zu entdecken.
Abb. 83: Die Hunde der „Discovery“ am Weg 139
Von allem Anfang an war aber die mangelhafte Beherrschung der Hunde bald klar. Bei den Raststätten kam es immer wieder zu Kämpfen zwischen den Hunden. Eine unsachgemäße Behandlung und schlechter Ernährung schwächte die Hunde so sehr, dass Wilson gezwungen war, den Schwächsten als Nahrung für die Übrigen zu töten. Die Männer hatten Mühe voran zu kommen. Schneeblindheit, Erfrierungen und die Skorbut setzten ihnen zu. Trotzdem fuhren sie mit ihren Schlitten bis zum 30. Dezember parallel zu den Bergen im Westen weiter nach Süden, und erreichten, ohne das Eis verlassen zu haben, bei 82° 17‘ Süd den südlichsten Punkt ihrer Reise. Sie stellten damit einen neuen Südrekord auf. Auf der Rückreise vergrößerten sich aber die Schwierigkeiten, da die übrigen Hunde starben und Shackleton durch Skorbut geschwächt zusammenbrach. Scott und Wilson kämpften sich weiter, während Shackleton keinen Schlitten ziehen konnte und neben den anderen herging oder auf dem Schlitten gezogen wurde. Die Gruppe erreichte nach einer Reise von 93 Tagen schließlich am 3. Februar 1903 das Schiff. Die Organisatoren der Expedition vermuteten, dass die „Discovery“ Anfang 1903 vom Eis freikommen würde. Es war geplant, dass die „Discovery“ durch den Pazifischen Ozean zurück nach Großbritannien fahren und unterwegs die magnetologischen Forschungen fortsetzen sollte. Doch dieser Plan wurde undurchführbar, weil die „Discovery“ fest im Eis eingefroren blieb. Während der Abwesenheit der Südgruppe war das Versorgungsschiff „Morning“ angekommen und hatte frische Vorräte gebracht. Markham hatte dem Kapitän der „Morning“, William Colbeck, einen geheimen Brief an Scott mitgegeben, der diesem ein weiteres Jahr im Eis erlaubte. Für einige Mitglieder der Mannschaft der „Discovery“ war die Ankunft der „Morning“ auch eine Gelegenheit, nach England zurückzukehren. Unter diesen Leuten befand sich auch Shackleton, der gegen seinen Willen von Scott zur Heimkehr gezwungen wurde, weil er nach dessen Meinung in seinem momentanen Gesundheitszustand keine weiteren Anstrengungen riskieren sollte.
Abb. 84: Ankunft der „Morning“ 140
Nach Abfahrt der „Morning“ am 2. März bereiteten sich die in der Antarktis verbleibenden Männer auf einen weiteren Winter vor. Nachdem dieses zweite Jahr im Eis vorüber war, wollte Scott nach einem Aufstieg in die westlichen Berge und eine Erforschung des Zentrums von Viktorialand von dort aus weiter nach Westen vordringen um, wenn möglich, den antarktischen magnetischen Pol zu erreichen.
Schlittenziehen nur mit Menschenkraft Eine Gruppe von neun Mann, darunter Scott, Lashly und Edgar Evans, stieg von der „Discovery“ aus auf einen großen Gletscher mit einer Höhe von 2100 m. Sie entdeckten damit das Polarplateau und bereisten es als erste Menschen. Acht weitere Tage zogen sie dann ihre Schlitten über die eintönige Ebene nach Westen weiter und erreichten den westlichsten Punkt ihrer Reise am 30. November, kurz nach dem 148. östlichen Längengrad und etwa 112 km südwestlich der berechneten Lage des magnetischen Pols. Da sie ihre Navigationstabellen während des Gletscheraufstiegs in einem Sturm verloren hatten, wussten sie aber nicht genau, wo sie sich befanden. Die Rückreise war sehr gefährlich. Scott und Evans überlebten einen Sturz in eine Gletscherspalte, welcher tödlich enden hätte können. Die Gruppe erreichte am 24. Dezember die „Discovery“. Ihr durchschnittliches Vorankommen auf dieser ausschließlich durch Menschenkraft bewältigten Reise war deutlich besser als das, das auf der Südreise der vorangehenden Saison mit Hunden erreicht worden war, eine Tatsache, die Scotts Vorurteile gegen Hunde weiter verstärkte.
Abb. 85: Schlittenziehen nur mit Menschenkraft Scott hatte gehofft, die „Discovery“ bei seiner Rückkehr eisfrei vorzufinden, doch das Eis brach nicht auf. Erst mühsame Befreiungsversuche mit Eissägen, die zunächst allein begonnen, dann 141
aber von der wieder mit einem zweiten Schiff zurückgekehrten „Morning“ unterstützt wurden, waren schließlich doch erfolgreich. Eine letzte Sprengladung entfernte das restliche Eis am 16. Februar und am folgenden Tag begann die „Discovery „ihre Rückfahrt und erreichte im September 1904 Großbritannien. Die Expedition wurde von der Öffentlichkeit als nationaler Erfolg gewertet und Scott wurde bereits damals als Held gefeiert. Besonders seine Verherrlichung des Schleppens der Schlitten durch Männer führte dazu, dass die Möglichkeiten der Fortbewegung auf dem Eis mit Hunden großes Misstrauen hervorrief. Scott wandte dann seine auf der Discovery-Expedition gemachten Erfahrungen auf seine nächste Unternehmung an. Er nahm ein größeres wissenschaftliches Team mit und vermied es, sein Schiff, die „Terra Nova“, im Eis einfrieren zu lassen. Er ließ seine Männer Erfahrungen im Skifahren sammeln. Vor allem behielt er seine Vorurteile gegenüber Hunden bei.
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13 Shackletons Nimrod-Expedition Ernest Shackleton hatte seine ersten Südpolerfahrungen als Teilnehmer der Forschungsreise Scotts auf der „Discovery“ gesammelt. Da er wegen seiner Skorbuterkrankung frühzeitig zurückgeschickt worden war, und Scott sein Ziel, den Südpol zu erreichen, nicht geschafft hatte, dachte er daran, eine eigene Expedition zu unternehmen. Nur kurze Zeit nach seiner von Scott angeordneten Rückkehr nach England legte Shackleton der Geographischen Gesellschaft seinen ehrgeizigen Plan vor: „Ich beabsichtige nicht, den wissenschaftlichen Zeck dieser Expeditionen lediglich einer Jagd nach neuen Rekorden zu opfern, obwohl ich durchaus keinen Hehl daraus mache, dass eines meiner Hauptziele die Ereichung des geographischen Südpols ist “ (Shackleton 1909, S. 5). Jedoch seine frühzeitige Rückkehr von der Antarktisreise unter Scott hatte die Folge, dass ihm die erhofften Geldgeber kein Vertrauen entgegenbrachten. Hatte er doch für sie deutlich gezeigt, dass er sich für die Anstrengungen auf dem antarktischen Gebiet nicht eignete. Nur mit allergrößter Mühe gelang es Shackleton daher die notwendigen Gelder aufzutreiben. Verschuldet und unbeachtet verließ er im August 1907 an Bord seines Expeditionsschiffes „Nimrod“ England.
Abb. 86: Shackleton und die „Nimrod“ am Tag vor der Abreise aus England am 5. August 1907 (fotografiert von Königin Alexandra) Über die Ausrüstung, die er auf der schwer beladenen „Nimrod“ mitschleppte äußerte er sich später in seinem Bericht folgender maßen: „Die „Discovery“ hatte nur 20 Hunde mitgenommen; die fortwährenden Ärgernisse mit diesen Tieren und ihr schließlich vollständiges Versagen sind unter den Interessenten an der Polarforschung allgemein bekannt. Die bei dieser Gelegenheit auf dem 143
Barrier gesammelte Erfahrung ließ mich an der Möglichkeit nicht zweifeln, Ponys für Zugzwecke benutzen zu können, denn ich hatte gehört, dass in Sibirien und der nördlichen Mandschurei Ponys von einer eigenartig harten und kräftigen Züchtung ausgezeichnete Arbeit beim Ziehen der Schlitten und Gepäcktransport über Schnee und Eis unter sehr kalter Witterung und sehr ernsten atmosphärischen Zuständen verrichten “ (Shackleton 1909, S. 23).
Mandschurische Ponys Mandschurische Ponys waren in der Antarktis überhaupt noch nie eingesetzt worden. Die Ponys hatten zwar, bevor die Expedition zur Antarktis aufbrach, auf Neuseeland eine angenehme Zeit, in der sie gepflegt und gemästet wurden, aber sie mussten auch für das Schlittenziehen erst dressiert werden.
Abb. 87: Shackletons Ponys auf der Weide und bei der Dressur Ihr Transport von Neuseeland, wo sie zuerst untergebracht waren, in die eiskalten und stürmischen Polarzonen des Südens war aber für sie eine entsetzliche Qual, die bereits zu ersten Todesfällen führte. Bereits am 5. Januar geriet die „Nimrod“ in einen fürchterlichen Sturm, der immer stärker wurde und das Schiff ins Rollen brachte. Es war aber unmöglich die Ponys festzubinden. Jeder Versuch, ihnen die Gurte anzulegen, schien sie wahnsinnig vor Furcht machen zu wollen. So kam es, dass einer der Ponys infolge besonders heftigen Rollens des Schiffes und auf dem Rücken zu liegen kam. Alle nur erdenklichen Versuche, ihn wieder zum Stehen zu bringen, waren in dem engen Stall bei dem fortwährend hereinbrechenden Wasser vergeblich. Für seine Vitalität sprach aber die Tatsache, dass er trotz der die ganze Nacht über seinen Körper strömenden Wassermengen gierig das Heu aus den Händen fraß, das ihm von Zeit zu Zeit verabreicht wurde. Der Pony machte mehrere verzweifelte Anstrengungen, wieder hochzukommen, doch ohne Erfolg. Am Morgen nach einem abermals vergeblichen Versuch ihn auf die Beine zu stellen musste man 144
feststellen, dass seine Kräfte erschöpft waren. Mit größtem Bedauern entschloss sich Shackleton ihn erschießen zu lassen. Ein Schuss aus einem schweren Armeerevolver machte seiner Qual ein Ende. Doch dieser Pony war nicht der Einzige, der ums Leben kam. Als die Mannschaft der „Nimrod“ mit acht Ponys die Winterquartiere bezog, verlor sie vier bereits innerhalb eines Monats nach Ankunft. Bei fast allen war die Todesursache darauf zurückzuführen, dass sie unmittelbar nach der Landung auf sandigen Boden an Pfählen gebunden wurden und niemand bemerkte, dass sie Sand fraßen.
Abb. 88: Shackletons Ponys am Eisfeld
Das erste Automobil in der Antarktis Die große Neuerung dieser Expedition war das jedoch ein Motorfahrzeug, ein Auto mit luftgekühltem Benzinmotor und einer Leistung von 12 bis 15 PS. Der Vergaser war eingewickelt, und der Auspuff wurde zum Aufwärmen des Motors benützt. Die Karosserie war gegen die Kälte abgedichtet. Zwar wurde besonderes Motorenöl verwendet, das Benzin jedoch war das übliche. Der verantwortliche Fahrer, ein Mann namens Bernard Day, kündete seinen beeindruckten Kollegen gleich nach dem Ausladen die erste Probefahrt an. Nie zuvor war in Polargebieten ein Motorfahrzeug benützt worden.
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Abb. 89: Das erste Automobil in der Antarktis, gesteuert von Mechaniker Bernard Day Die Fahrt begann recht vielversprechend, doch nach etwa 90 m versanken die Räder im weichen Schnee. Ein zweiter Versuch verlief gleichfalls erfolglos. Beim dritten Mal kam der Wagen erst nach 800 m zum Stillstand. Man musste ihn stoßen, ehe er zum Lager zurückfahren konnte. Aber Shackleton gab nicht so leicht auf. Mit geeigneten Rädern, meinte er, könnte der Wagen im Tag 150 km zurücklegen. Day sah das Hauptproblem im Gewicht des Autos, worauf der Wagen – außer dem Motor – bis auf das Chassis und den Führersitz demontiert wurde. Dann wurde das Auto mit 540 kg Versorgungsmaterial beladen und zu einem kilometerweiten Depot gefahren. Es bewährte sich auf noch weiteren Depotfahrten (vgl. Briggs 1972, S. 83).
Die Erreichung des südlichsten Punkts Am 29. Oktober 1908 brach die nach Süden bestimmte Abteilung auf. Sie bestand aus Wild, Shackleton, Marshall, Adams, und 4 Ponys und 400 kg Lebensmittel.
Abb. 90: Die Südpolgruppe Wild, Shackleton, Marshall, Adams 146
Doch die Hoffnung die Shackleton auf die Leistung der Ponys beim Ziehen der Schlitten gesetzt hatte erwies sich in katastrophaler Weise als falsch. Schon am ersten Tag fielen die Ponys zusammen. Zwei davon waren ganz und gar erschöpft. Nach weiteren zwei Tagen rissen sie sich los und machten einen Angriff auf die Nahrungsmittel. Auch hatte man die größte Mühe, die Ponys über die gefährlichen Spalten zu bringen. Am 21. November wurde bereits das erste Pony geschlachtet und sein Fleisch im Vorratslager niedergelegt. Die Hauptschuld an der Erschöpfung der Ponys war ihre Schneeblindheit, gegen die es auch nichts half, dass man ihnen Scheuklappen aufsetzte. Mit jeder Stunde wurden sie schwächer und weitere zwei mussten in den nächsten Tagen erschossen werden. Der letzte Pony fand sein Ende am 4. Dezember.
Abb. 91: Ponys am Weg Die Polarfahrer waren somit ohne Zugtiere und von da an darauf angewiesen, ihre beladenen Schlitten selbst vorwärts zu bringen. Jeder Mann hatte fast 120 kg zu ziehen. Erschwert durch Unebenheiten auf dem hochgelegenen Beardmore-Gletscher konnten sie immer nur einen Schlitten auf einmal weiterbringen, sodass sie den Weg oft mehrmals zurücklegen mussten Auf diese Weise kämpften sie sich im beißend scharfen Wind, heulend rasendem Sturm und durch endloses Schneetreiben weiter nach Süden vor bis sie schließlich am 9. Januar 1909 den südlichsten Punkt ihrer Reise bei 88° 23‘ südlicher Breite erreichten. Shackleton beschreibt dieses denkwürdige Ereignis: „An dieser Stelle hissten wir die Standarte Ihrer Majestät der Königin, dann die Nationalflagge und nahmen im Namen des Königs von diesem Plateau Besitz. Während der Union-Jack in dem eisigen Wind, der uns bis auf die Knochen drang, sahen wir mit unseren starken Ferngläsern nach Süden, doch nichts war auf der totenbleichen Ebene zu erkennen“ (Shackleton 1909, S. 470). Trotz der Enttäuschung, ihr Ziel den Südpol selbst nicht erreicht zu haben, hatten sie doch den Trost, alles dafür getan zu haben, was in ihren Kräften stand. Der Weg in den McMurdo-Sund zurück war ein fortgesetzter Kampf ums Überleben. Glücklicherweise fanden sie alle ihre Vorratslager wieder, sonst wäre ihnen der Tod sicher gewesen. 147
Abb. 92: Adams, Wild und Shackleton (von links nach rechts) am südlichsten Punkt ihres Marsches bei 88° 23‘ Süd, 162° Ost am 9. Januar 1909 (fotografiert von Marshall)
Die Besteigung des Mount Erebus und die Vermessung des magnetischen Südpols Einen neuen Rekord in der Annäherung an den Südpol zustande gebracht zu haben, war jedoch nicht die einzige Leistung der Nimrod-Expedition. Die erste Großtat noch vor der Überwinterung war die Besteigung des Mount Erebus, der zu Füßen des Winterquartiers liegend vom Meeresspiegel bis zu einer Höhe von mehr als 4000 Meter aufsteigt und auf seinem Gipfel einen aktiven Vulkan trägt. Dass die Besteigung eines solch riesigen Berges angesichts der Kälte in dieser Region besonders mühevoll sein musste, war zu erwarten. Doch sämtliche Teilnehmer erkannten den wissenschaftlichen Wert eines Erfolges dieser Expedition und waren deswegen fest entschlossen, ihr Äußerstes daran zu setzen, den Krater zu erreichen. Nachdem alle Vorbereitungen getroffen waren, brach die Truppe am 5. März 1908 auf. Die Schwierigkeiten waren bereits auf den ersten Abhängen des Erebus groß. Manchmal musste die ganze Truppe auf Händen und Füßen kriechen, um den Schlitten über eine Oberfläche ziehen zu können, die aus glattem Eis mit einer dünnen, losen Schneedecke bestand. Dann wiederum musste der schwer beladene Schlitten über einen schneefreien Steinboden getragen werden.
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Abb. 93: Aufbruch zur Besteigung des Mount Erebus (aus: Shackleton 1909) Als der Aufstieg immer steiler wurde, wurde beschlossen, dass man versuchen sollte, den Gipfel mit einem Steigerdetachment zu erreichen, obwohl die dazu nötige Ausrüstung nicht vorhanden war. Die Teilnehmer der Truppe besaßen keine Steigeisen und konnten deswegen an manchen Stellen ihre Füße nur schlecht gegen die schlüpfrige Oberfläche der Schneeabhänge stemmen. Man behalf sich mit Lederleisten, die man um die Schneeschuhe befestigte. Am 7. März kampierte die Truppe nach einem mühevollen und gefährlichen Aufstieg in einer Höhe von 2670 Metern auf einem Schneefeld. In der Nacht wurden sie von einem fürchterlichen Schneesturm überrascht, der sich erst am Morgen einer weiteren Nacht wieder legte, sodass sie erst dann ihren Weitermarsch bis zur Krempe des alten schon erloschenen Kraters fortsetzen konnten, wo sie ihr nächstes Lager errichteten. Um 6 Uhr früh wurde das Lager abgebrochen, um in Eilmärschen den Gipfel des aktiven Kraters zu erreichen. Endlich kurz nach 10 Uhr vormittags war der Rand des tätigen Kraters erreicht und die kleine Gruppe stand auf dem Gipfel des Erebus als erste Menschen, die diesen bemerkenswertesten Gipfel der Welt erreicht haben. Ihr Bericht beschreibt die packende und doch grausige Ansicht, die sich Ihnen darbot: „Wir standen am Rande eines immensen Schlundes und konnten zunächst weder den Grund noch über den Krater hinweg sehen, da diesen enorme Dampfmassen füllten, die zischend bis zu einer Höhe von 175–325 m emporstiegen. Nach einem ununterbrochen zischenden Getöse, welches etliche Minuten anhielt, ertönte aus dem Innern ein dumpfes Dröhnen und sofort schossen große kugelförmige Dampfmassen heraus, welche das schneeweiße stets über dem Krater liegende Gewölk anschwellten. Diese phänomenale Erscheinung wiederholte sich zu verschiedenen Malen währen unseres Aufenthaltes am Krater. Die Luft um uns herum roch nach brennendem Schwefel. Plötzlich trieb eine willkommene Brise die Dampfwolke fort und da lag vor uns der Krater in seiner ungeheuren Ausdehnung und Tiefe“ (Shackleton 1909, S. 250). Nach genauen Messungen ergab die Tiefe 275 m und die Weite an der breitesten Stelle 800 m. Eine Schätzung der Gesamthöhe des Erebus ergab 4077 m. 149
Abb. 94: Mackay, Marshall, Adams und David (von links nach rechts) auf dem Gipfel des Mount Erebus am 10. März 1908 Nachdem diese Messungen beendet waren, kehrte die Mannschaft zum Lager zurück und beschlossen noch vor Einbruch der Nacht die 2440 m bergab zum Fuß des Hauptkegels zu marschieren. Sofort wurde schnell gegessen, zusammengepackt, die Ausrüstung auf den Rücken geladen und es begann der Abstieg über die steile Bergwand. Angesichts ihres ermüdeten Zustands entschlossen sich die Bergsteiger, ihre Ausrüstung abzuladen, um sie den Abhang hinunter zu stoßen. Als dies geschehen war folgten sie selbst nach. Doch sie versuchten sich dadurch zusichern, dass sie ihre Eisäxte fest in den Schnee hieben und sich an diese festhielten. Doch das Tempo wurde schneller und schneller. So musste man die Äxte immer tiefer in den harten Schnee einbohren, wobei deren scharfe Kanten eine Menge von Eisstücken herumspritzte, so dass bald Gesicht und Nacken davon bedeckt waren. Auf diese Weise gelangten sie schließlich sicher bis zum Fuß des Hauptkegels hinab. Eine weitere großartige Leistung war die Entdeckung und genaue Vermessung des magnetischen Südpols, die jedoch erst am darauffolgenden Sommer stattfinden konnte. Um dort hinzugelangen, musste man in einem wochenlangen Marsch über das eisige Hochplateau marschieren, bis die Truppe endlich in die Nähe ihres Ziels kam. Als die ausgearbeitete Mittelposition des sich täglich eine kleine Runde drehenden magnetischen Pols erreicht war, zeigte der Inklinationsmes150
ser 89° 48‘ an. Da für die genaueste Lokalisierung des Mittelpunktes möglicherweise ein Monat ununterbrochene Beobachtungen nötig sein dürfte, gab man sich mit der nun erreichten Mittelposition auf 72° 25‘ südlicher Breite und 155° 16‘ östlicher Länge zufrieden. Am 16. Januar 1909 um 3:30 Uhr stellten sich die zu Tode erschöpften Mitglieder der Truppe in Position auf, nahmen die Kappen ab, hissten den Union-Jack und erklärten den ihnen von Leutnant Shackleton erteilten Instruktionen gemäß: „Ich nehme hiermit von dem den magnetischen Pol enthaltenen Areal im Namen des britischen Reiches Besitz!“ Dann ertönten drei kräftige Rufe: „Se. Majestät der König, er lebe, Hurrah! Hurrah! Hurrah!“ Und mit einem inbrünstigen „Gott sei Dank“ machten sie rechtsum kehrt und marschierten so schnell als sie ihre matten Glieder tragen konnten zu ihrem Zelt zurück. Dort krochen sie erschöpft von dem vielen Kilometer langen Tagesmarsch in den Schlafsack und schliefen den Schlaf des Gerechten. Am 1. März dieses Jahres hätte die „Nimrod“ die Shackleton-Expedition aus dem McMurdo-Sund wieder abholen sollen. Shackleton selbst hatte den im Winterlager zurückbleibenden Kameraden versprochen in spätestens 90 Tagen vom Pol zurück zu sein. Aber erst am 23. Februar wurde auf der Rückkehr das letzte Depot vor dem Standquartier erreicht. Erschwert wurde die Situation dadurch, dass Dr. Marshall von Magenkrämpfen und der Ruhr geplagt, am Ende seiner Kräfte war. Er muss unter Adams Obhut zurückbleiben. Shackleton und Wild aber hasteten weiter. Am 28. Februar 1909 erreichten sie das Lager. Es war leer. Auf dem Tisch des Stationshauses lag die Nachricht, dass die „Nimrod“ vor wenigen Stunden den McMurdo-Sund verlassen hat. Doch es gelang, sie durch Abbrennen von Notsignalen wieder zurückzurufen. Für Amundsen war Shackletons Nimrod-Expedition einer der „stolzesten Abschnitte in der Geschichte der antarktischen Forschung“ (Amundsen 1912, S. 137). Die Entfernung, die diese Männer auf dem Hin- und Rückweg zurückgelegt hatten, betrug 2830 km. Dazu brauchten sie 127 Tage – 73 Tage hin und 54 Tage zurück.
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14 Amundsens Entdeckung des Südpols Die Erforschung irgendwelcher unerforschter Gebiete, die international als „Niemandsland“ angesehen wurden, galt in der sogenannten goldenen Heldenzeit der Antarktisforschung als Vorrecht einer bestimmten Nation oder eines einzigen Mannes. Wer als erster den Südpol erreicht hat, durfte dieses Gebiet für sein Heimatland in Besitz nehmen.
Abb. 95: Roald Amundsen Dennoch musste der Entdecker der Südpols Roald Amundsen nach seiner Rückkehr in die Heimat viele Enttäuschungen, Demütigungen und öffentliche Anfeindungen über sich ergehen lassen. Die Weltöffentlichkeit verzieh es ihm nicht, dass ihn sein Ehrgeiz gegen den ungeschriebenen Ehrenkodex der Polarforscher verstoßen ließ, indem er seinen Plan den Südpol zu erobern, vor allem gegenüber seinem Konkurrenten Scott geheim hielt. Sogar die 19 Männer an Bord des Schiffes wussten nichts anderes, als dass die Fahrt zur Beringstraße gehen sollte, von wo aus Amundsen angeblich Nansens Eisdrift zum Nordpol wiederholen wollte. Deshalb hat ihm auch der norwegische Reichstag Nansens „Fram“ überlassen. Doch Amundsen steuert in größter Eile Madeira an.
Abb. 96: Nansens „Fram“ 152
Die angebliche „Tierquälerei an Bord der „Fram“ Vom ersten Augenblick an erkannte Amundsen deutlich, dass der erste Teil der Reise, von Norwegen nach der Eisplatte der Antarktis die gefährlichste Strecke für seine Hunde sein würde. Glücklicherweise gelang es durch gemeinsame Pflege und Fürsorge, die Hunde nicht allein gut bis zu ihrem Arbeitsfeld hinzubringen, sondern sie auch noch viel frischer und kräftiger, als sie bei der Einschiffung waren, an Land zu setzen. Außerdem hatte sich ihre Zahl während der Seereise bedeutend vermehrt, auch ein Zeichen von dem ausgezeichneten Gesundheitszustand. Wie sie an Bord der „Fram“ in der Tropenzone gehalten wurden, berichtet Amundsen selbst, um den Vorwurf der Tierquälerei zu entkräften: „Um sie gegen Feuchtigkeit und Hitze zu schützen, hatten wir ein loses Deck von 8 cm dicken gehobelten Brettern über das feste Deck gezimmert. Durch dieses zweite Deck erreichten wir, dass der Regen und das hereinspritzende Seewasser unter den Hunden weglief. So waren sie vor dem Wasser geschützt, das auf dem Wege nach dem südlichen Eismeer auf einem schwer beladenen Schiffe unvermeidlich herumläuft. Auf der Fahrt durch die Tropen war dieses Deck sogar von doppeltem Nutzen. Es bot immer eine etwas abgekühlte Oberfläche, weil stets ein frischer, kühler Luftstrom zwischen den beiden Decks hindurch zog. Das Hauptdeck, das eine Art Teerbelag hatte, wäre für die Hunde unerträglich heiß geworden. Das Bretterdeck war hoch und hielt sich während der ganzen Zeit annähernd weiß. Außerdem hatten wir Sonnensegel bei uns, hauptsächlich aus Rücksicht auf die Hunde. Diese Segel konnten über das ganze Schiff gespannt werden, um die Tiere beständig vor der glühenden Hitze zu schützen“. Dann fügt Amundsen seinem Bericht noch hinzu: „Ich muss noch lächeln, wenn ich an die mitleidigen Aussprüche denke, die man da und dort über ‚Tierquälerei an Bord der Fram‘ hörte, ja sogar gedruckt las. Wahrscheinlich stammten sie von weichherzigen Menschen, die sich selbst einen ‚Kettenhund‘ halten“ (Amundsen 1912, S. 158 f.).
Abb. 97: Die Hunde am Deck der „Fram“ 153
Die späte Bekanntgabe des Plans der Entdeckung des Südpols In Funchal angelangt wurde Amundsen, der seinen geänderten Plan der Öffentlichkeit bisher verheimlicht hatte, von Pressereporter gefragt, was dieser Kurswechsel für eine Bedeutung habe. Amundsen antwortete den Zeitungsleuten, dass er mit der „Fram“ um Kap Hoorn herum in den Pazifik will, um von dort aus nach Alaska zu kommen, wo er sich wie Nansen mit der „Fram“ einfrieren lassen will. Das wurde von ihm so überzeugend dargestellt, dass sich die Reporter beruhigt zurückzogen. Eine Stunde vor dem Verlassen der Reede von Funchal eröffnete Amundsen seinen Leuten folgendes: Am Nordpol dem ursprünglichen Reiseziel wären ihm die Amerikaner Peary und Cook zuvorgekommen. Es gibt nur eine Möglichkeit sich mit ähnlichem Siegesruhm auszuzeichnen. Es ist dies die Entdeckung des Südpols. Aber bevor sich die Mannschaft dafür entscheiden sollte, machte ihr Amundsen das Angebot zur Um- und Rückkehr in die Heimat. Doch Offiziere und Mannschaften stimmen einmütig für den von Amundsen vorgeschlagenen neuen Kurs. Als die Nachricht von Amundsens Kursänderung aus Funchal bestätigt wurde, herrschte nicht nur in Norwegen Aufregung und Verwirrung. Einige fanden Amundsens Neudisposition großartig, anderen kam die Sache zweifelhaft vor, viele hielten den plötzlichen Entschluss für ungehörig und pflichtvergessen. Mehrere verlangten sogar, dass Amundsen mit Gewalt zurückgeholt werden sollte. Doch Amundsen selbst, der angab, kein Wettrennen veranstalten zu wollen, rechtfertigte sich auf folgende Weise: „Ich fand es meinen Unterstützern und Gönnern gegenüber weder unrecht noch unredlich, wenn ich eine Tat ausführte, die mit einem Male die ganze Sache in Ordnung brachte. Die bereits für das ganze Unternehmen ausgegebene große Summe sollte dadurch nutzbringend gemacht und die vielen Beiträge davor bewahrt werden, einfach weggeworfen zu sein. Deshalb entschloss ich mich mit gutem Gewissen, meinen ursprünglichen Plan für ein oder zwei Jahre aufzuschieben. Der Nordpol, d. h. die zweitletzte Frage von allgemeiner Bedeutung auf dem Gebiete der Polarforschung, war entdeckt. Wenn es mir also gelingen sollte, Interesse für mein Unternehmen zu wecken, blieb mir nichts anderes übrig, als zu versuchen, die letzte große Frage – die des Südpols – zu lösen“ (Amundsen 2001, S. 10). Amundsen wusste jedoch sehr wohl, dass man ihm Vorwürfe machen wird, weil er seinen neuen Plan nicht gleich vorgelegt habe, so dass sich sowohl die Beitraggeber als die Forscher, die Fahrten nach denselben Gegenden vorbereiteten, darauf einstellen konnten. Was seine Beitraggeber betraf, so war er sicher, dass diese „großzügigen Leute“ darüber erhaben sein werden wegen ihrer für die Sache geopferten Gelder mit ihm zu streiten. Denn sie alle setzten so großes Vertrauen in 154
ihm, dass sie nicht nur die neuen Umstände, die mit der Entdeckung des Nordpols eingetreten waren, verstehen würden, sondern auch wüssten, dass die Beiträge von ihm trotz der Veränderung seiner Pläne richtig verwendet werden würden. Dann geht Amundsen auf dem ihm bekannten Plan Scotts ein, den Südpol als Erster zu erobern und behauptet, dass er seinen Konkurrenten um die Eroberung des Südpols verständigen will noch bevor er das Polargebiet erreicht hätte. Ein Versprechen, das er aber in Wirklichkeit nicht einhalten hat: „Was die Rücksicht auf die anderen antarktischen Forschungsreisen betrifft, die in jener Zeit geplant wurden, so verursachten mir auch diese nicht viel Bedenken. Ich wusste, dass ich imstande sein würde, Kapitän Scott von meinem erweiterten Plan in Kenntnis zu setzen, ehe ich in das Polargebiet gelangte, und außerdem war es ohne Bedeutung, ob er die Nachricht einige Monate früher oder später erhielt. Scotts Plan und Ausrüstung waren von meinem Plan und meiner Ausrüstung so verschieden und so weit entfernt, dass ich das Telegramm, das ihm die Meldung unserer Absicht, ins antarktische Gebiet zu fahren, brachte, mehr für ein Zeichen der Höflichkeit hielt als für eine Mitteilung, die ihn auch nur im allergeringsten Grad zur Veränderung seines Planes bringen würde. Die englische Forschungsreise war vollständig zu wissenschaftlichen Untersuchungen unternommen. Der Pol war bei ihr nur Nebensache, während mein erweiterter Plan in erster Linie dem Pol galt. Auf diesem kleinen Abstecher musste die Wissenschaft für sich selbst sorgen; aber eins wusste ich doch gewiss: auf dem Wege, den ich zu nehmen beabsichtigte, konnten wir den Pol nicht erreichen, ohne dabei der Wissenschaft wesentliche Dienste zu leisten. Scotts Ausrüstung war von der meinigen ganz verschieden, und ich zweifle sehr, ob der auf dem Gebiete der Südpolarforschung so beschlagene Kapitän Scott sich auch nur in einem Punkt von seinen nun einmal gemachten Erfahrungen hätte abbringen lassen und an seiner Ausrüstung, gemäß derjenigen, die ich anzuwenden für gut fand, irgendetwas geändert hätte. Scott hatte viel mehr Erfahrung als ich und die Güte seiner Ausrüstung war der meinigen weit überlegen“ (Amundsen 2001 S. 12).
Abb. 98: Die „Fram“ in der Walfischbucht 155
Vorbereitungen für den Wettlauf zum Südpol Nachdem Amundsen bereits im Frühjahr 1911 in der Walfischbucht an Land gegangen war, bereitete er sich sorgfältig für das Wettrennen zum Pol vor. In einem zusammenfassenden Bericht über diese Arbeit vom 16. Januar bis 11. April schreibt er: „Errichtung und Einrichtung der Station für neun Mann auf mehrere Jahre. Herbeischaffung von frischem Fleisch für neun Mann und 115 Hunde auf ein halbes Jahr. Das Gewicht der erlegten Seehunde belief sich auf ungefähr 60000 kg. Endlich die Verteilung von 3000 kg Proviant in die Vorratslager auf 80° 81‘ 82‘‘ südlicher Breite. Das Lager auf 80° südlicher Breite enthielt: Seehundfleisch, Hundepemmikan, Zwieback, Butter, Milchpulver, Schokolade, Zündhölzer und Petroleum sowie einen Teil Ausrüstung, und das gesamte Gewicht dieser Vorräte betrug 1900 kg. Auf 8l° südlicher Breite lagen 500 kg Hundepemmikan, auf 82° südlicher Breite Menschen- und Hundepemmikan, Zwieback, Milchpulver, Schokolade, Petroleum und ein Teil der Ausrüstung. Das Gewicht dieser Vorräte belief sich auf 620 kg“ (Amundsen 2001, S. 98).
Abb. 99: Vorratslager Da diese Fahrten über endlose Flächen gingen, wo sich keinerlei Art von Landmarken fand, musste man sich überlegen, auf welche Weise diese Vorratslager bezeichnet werden sollten, damit sie auch sicher wiedergefunden werden. Von dieser Herbstarbeit, die Vorratslager soweit südwärts wie möglich anzulegen und sie auf eine Weise zu bezeichnen, dass man sie jederzeit wiederfinden konnte, hing ja das Ergebnis des Kampfes um den Pol ab. Gelangen diese beiden Aufgaben nicht, dann war die Schlacht aller Wahrscheinlichkeit nach verloren. Nach eingehender Erörterung dieser Frage war man zu dem Schluss gekommen, die Lager nicht längsseitig in nordsüdlicher Richtung, sondern querseitig von Osten nach Westen kenntlich zu machen. Die längslaufenden Zeichen können, wenn sie nicht dicht genug stehen, im Nebel leicht über156
sehen werden, und man läuft dann leicht Gefahr, soweit vom Wege abzukommen, dass man sich nicht wieder zurückfindet. So wurden die Vorratslager mit hohen, oben an der Spitze schwarz bewimpelten Bambusstangen gekennzeichnet. Zwanzig solcher Stangen wurden aufgepflanzt, zehn auf jeder Seite des Lagers. Zwischen jeder Flagge war ein Abstand von 900 m, so dass die abgesteckte Entfernung auf jeder Seite 9 km betrug. Jede Stange war nummeriert, so dass man an der Nummer immer erkennen konnte, in welcher Richtung sich das Vorratslager befand und wie weit man davon entfernt war. Dieses Verfahren war ja noch ganz neu und unerprobt, es bewährte sich aber später vorzüglich. Außerdem waren ja die Kompasse und Messräder natürlich vorher in sorgfältig geprüft und in Gebrauch genommen worden, so dass man sich auf sie verlassen konnte (Amundsen 2001, S. 82).
Abb. 100: „Framheim“ im Schnee Die Hauptarbeit während des langen Winters, welche die Mitglieder der Expedition in der wohl eingerichteten Winterstation „Framheim“ verbrachten, bestand in der Herrichtung der bevorstehenden Schlittenfahrt. Amundsen sah die Notwendigkeit, seine Gesellschaft in zwei Teile zu trennen. Die eine sollte den Marsch nach dem Pol antreten, die andere aber König-Eduard-VII.-Land zu erreichen suchen und die Umgebung der Walfischbucht untersuchen. „Diese neue Einteilung hatte viele Vorteile. Vor allem würde eine kleinere Abteilung leichter vorwärts kommen als eine große. Die vielen Leute und die große Anzahl Hunde hatten auf den vorhergehenden Fahrten deutlich bewiesen, dass diese Anordnung nicht günstig war. Der immer vier Stunden in Anspruch nehmende Aufbruch am Morgen war sicherlich nur eine Folge der umfangreichen Ausrüstung die für eine so große Abteilung notwendig war. Aber die Hälfte oder nur eine Zeltabteilung hoffte ich um diese Jahreszeit in der halben Zeit hinzubringen. Die Bedeutung der Vorratslager war selbstverständlich dann umso größer, da sie ja nur fünf Personen der ursprünglich gedachten Abteilung zu versorgen hatten und sie damit viel länger reichten“ (Amundsen 1912, S. 496 f.). 157
Die erste Abteilung nach Süden bestand aus vier Mann, drei Schlitten und 18 Hunde, sechs für jeden Schlitten. Die Ladung betrug für jeden Schlitten ungefähr 250 kg, außerdem viel Lebensmittel und Ausrüstung für die Reise. Wie lange diese dauern würde, konnte man freilich nicht einmal annähernd berechnen, da man ja ins Unbekannte hineinsteuerte. Die Schlitten waren in erster Linie mit Hundepemmikan beladen, 160 kg für jeden Schlitten. Außerdem trugen sie ausgeschnittene Seehundschnitzel, Speck, getrocknete Fische, Schokolade, Margarine und Zwieback, dazu zehn hohe, mit schwarzen Wimpeln versehene Bambusstangen zum Bezeichnen des Wegs.
Abb. 101: Amundsen in Wintertracht
Aufbruch von der Winterstation „Framheim“ Die Polabteilung sollte aufbrechen, sobald der Frühling voll eingesetzt hätte: „Endlich am 20. Oktober konnten wir aufbrechen,“ schreibt Amundsen, „wir waren fünf Mann, Hanssen, Wisting, Hassel, Bjaaland und ich, mit vier Schlitten und je 13 Hunden“ Amundsen und seine Begleiter verließen „Framheim“ in vollem Galopp. Über die Eisplatte hin ging alles gut. Aber auf dem Abstieg zum Meereis mussten sie über große Presseiswälle, die ein recht unebenes Ge158
lände darstellten. Die Folgen davon blieben nicht aus. Bald wollte der eine Hund kehrtmachen, bald der andere. Aber es lief doch alles gut ab, und Amundsen kannte nun die Leistungsfähigkeit der Tiere. Sie kamen auch an mehreren großen Scharen von Seehunden vorüber, eine ganze große Verlockung für die Hunde. Sie brachen aus, und in vollem Galopp ging es auf die Seehunde zu. Aber die Schlitten waren diesmal noch schwer beladen, so dass sie dieser selbstgewählten Hetze bald überdrüssig wurden. Die Bahn war ausgezeichnet; aber je weiter man landeinwärts kam, desto nebeliger wurde es. Nach Überquerung eines hügeligen Geländes schnallte Amundsen die Skier an, band sich ein Seil um und ließ sich ziehen. Auch die Vorsicht, die Depots Merkstangen zu versehen, erwies sich als richtig; ebenso die Annahme, dass alles rascher vonstattenginge und auch viel weniger anstrengend wäre, wenn nur ein einziges Zelt zu versorgen wäre. Das Zelt war groß genug und hätte nicht behaglicher und zweckdienlicher sein können.
Die grausige Metzgerei der Hunde Bei all diesen Vorbereitungen war jedoch von vornherein eine grausige Untat geplant: die „Metzgerei“ von 24 Hunden. Bisher waren die Zugtiere der Polarexpeditionen, Hunde wie Ponys nur dann getötet worden, als sie bereits zu Tode erschöpft waren oder, wenn das offene Meer erreicht worden war, kein Platz mehr in den Booten war. Aber nun bei der Expedition Amundsens mussten diese tüchtigen Kameraden und treuen Gehilfen den Tod erleiden, damit das Ziel dieses Wettrennens, der Südpol, rechtzeitig erreicht werden konnte. So war ausgemacht worden, dass jeder diejenigen von seinen Hunden, die zum Tode verurteilt worden waren, selbst erschießen sollte. Nicht ohne Gewissensbisse berichtet Amundsen selbst von dieser erbarmungslosen Ermordung der unschuldigen Tiere: „Dann folgte Schuss auf Schuss – unheimlich klangen sie durch die weite Einsamkeit. Bei jedem verlor ein treuer Diener das Leben … Die Feststimmung, die an diesem Abend, dem ersten auf der Hochebene, im Zelt hätte herrschen sollen wollte sich nicht einstellen. Es lag etwas Drückendes, Trauriges in der Luft – wir hatten unsere Hunde doch herzlich lieb gewonnen gehabt. Es war bestimmt gewesen, dass wir hier zwei Tage Rast machen und Hundefleisch essen sollten. Zwei von uns hatten von Anfang an erklärt, dass sie keinen Bissen davon genießen würden; aber als die Zeit verging und der Hunger zunahm, änderten sie ihre Ansicht, bis wir alle in den letzten Tagen vor der ‚Metzgerei‘ nur noch an Hundelendenbraten, Rippchen und Ähnliches dachten. An diesem ersten Abend hielten wir uns aber doch im Zaum. Es war uns zuwider, uns über unsere vierfüßigen Freunde herzumachen und sie zu verzehren, ehe sie recht kalt geworden waren“ (Amundsen 1912, S. 561 f.). 159
Am Ziel: der Südpol Nach einem fürchterlich gefährlichen Marsch über den zerklüfteten „Teufelsgletscher“ hatten sie jedoch die Genugtuung Shackletons südlichste Breite zu überschreiten. Damit waren sie weiter südlich auf ein Gebiet gekommen, das noch nie ein menschlicher Fuß betreten hatte. Die seidene Flagge war schon herausgenommen und lag, an zwei Skistöcken festgebunden, auf einen Schlitten. Amundsen hatte den Auftrag gegeben, sobald 88° 23‘, Shackletons südlichste Breite, überschritten sei, die Flagge an dem Schlitten zu hissen. (Amundsen 1912, S. 605). Durch einen Jubelschrei, dem donnernde Hurrarufe folgten, wurde Amundsen aus seinen Träumereien gerissen. Die Schlitten standen still, und an dem vordersten wehte die norwegische Flagge. „Sie entfaltete sich“, schreibt Amundsen, „flatterte und wehte, dass der Seidenstoff knisterte, und nahm sich in der reinen klaren Luft und der glänzend weißen Umgebung wundervoll aus … Kein einziger Augenblick auf der ganzen Fahrt hat mich so ergriffen wie dieser. Die Tränen traten mir in die Augen, ich konnte sie trotz Aufbietung aller meiner Kräfte nicht zurückhalten … Wir vergaßen indes nicht, auch dem Manne, der zusammen mit seinen tüchtigen Gefährten die Flagge seines Vaterlandes dem Ziele so unendlich viel näher getragen hatte als irgendeiner seiner Vorgänger, unsere höchste Anerkennung und Bewunderung zu zollen. Sir Ernest Shackletons Name wird in der Geschichte der Südpolarforschung für immer mit flammenden Buchstaben geschrieben stehen. Mut und Willenskraft können Wunder schaffen, und ich könnte kein besseres Beispiel für diese beiden Eigenschaften anführen als diesen Mann“ (Amundsen 1912, S.606). Als Amundsens sein eigentliches Ziel den Südpol erreichte, konnte seine Freude nicht größer sein. Die Reise war zu Ende! Den Berechnungen nach war er und seine Mannschaft jetzt am Pol. Selbstverständlich wusste jeder von ihnen, dass sie nicht gerade auf dem Polpunkt standen – das wäre bei der Zeit und den Instrumenten, die zur Verfügung standen unmöglich festzustellen gewesen. Aber sie waren ihm so nahe, dass die paar Kilometer, die sie möglicherweise noch davon trennten, keine Bedeutung haben konnten. Doch um sicher zu sein, kreisten sie diesen Lagerplatz mit einem Halbmesser von 18,5 km ein. Nach dieser Handlung schritten sie zu der größten und feierlichsten der ganzen Fahrt – dem Aufpflanzen der Flagge: „Liebe und Stolz leuchtete aus den fünf Augenpaaren, die die Flagge betrachteten, als sie sich bei der frischen Brise entfaltete und über dem Pol flatterte. Ich hatte bestimmt, dass das Aufpflanzen selbst – das historische Ereignis – gleichmäßig von uns allen vorgenommen werden sollte. Nicht einem allein, nein allen denen kam es zu, die ihr Leben in dem Kampf mit eingesetzt und durch dick und dünn zusammengestanden hatten. Dies war die einzige Weise, auf die ich hier an dieser einsamen verlassenen Stelle meinen Kameraden meine Dankbar160
keit beweisen konnte. Ich fühlte auch, sie fassten es in dem Geist auf, in dem es ihnen geboten wurde. Fünf raue, vom Frost mitgenommene Fäuste griffen nach der Stange hoben die wehende Fahne auf und pflanzten sie auf – als die einzige und erste auf dem geographischen Südpol“ (Amundsen 1912, S. 616).
Abb. 102: Am Südpol Aber auch Amundsen konnte sich nicht enthalten, am Südpol einen patriotischen Akt zu setzen, indem er die Gegend, auf welcher der Südpol liegt, den heute schon längst vergessenen Namen des damaligen Königs von Norwegen gab. „So pflanzen wir dich, du liebe Flagge, am Südpol auf und geben der Ebene, auf der er liegt, den Namen König Haakon VII.-Land“ (Amundsen 1912, S. 617).
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15 Scotts letzte Fahrt Nach der Rückkunft von Shackletons Nimrod-Expedition, setzte Scott bereits kaum ein Jahr später zu seinem Wettlauf zum Südpol an. Die „Terra Nova“ verließ am 1. Juni 1910 mit seiner Expedition an Bord London und er folgte ihr am 16. Juli nach Neuseeland. Als das Schiff in Lyttelton, dem Hafen der Stadt Christchurch auf der Südinsel von Neuseeland, anlangte, hatte es ein Leck und musste auf drei Wochen ins Dock; ein Steven war gebrochen, und in einer Planke war ein Loch für einen Bolzen zu groß gebohrt. Auch nach der Reparatur leckte das Schiff noch ein wenig, aber nicht mehr, als man bei einem alten Holzfahrzeug erwarten musste; täglich eine Viertelstunde Arbeit an der Handpumpe reichte aus, das eindringende Wasser zu entfernen.
Abb. 103: Scott und sein Schiff „Terra Nova“
Abfahrt von Neuseeland und Landung am Kap Evans Die Abfahrt erfolgte am 26. November nachmittags um 3 Uhr. Eine große Volksmenge hatte sich am Ufer versammelt und unzählige kleine Boote und zwei Schleppdampfer begleiteten das Schiff hinaus. Das Schiff bot einen seltsam bunten, nicht gerade erfreulichen Anblick. Der untere Raum war dicht vollgepackt und auf Deck war es kaum anders. Der Raum unter der Großluke enthielt alle Vorräte für die Landung und einen Teil der Hütten; darüber auf dem Hauptdeck waren der Rest des Holzwerks für die Hütten, die Schlitten, die Ausrüstung für die Landreise und alle Instru162
mente und Maschinen für die Männer der Wissenschaft zusammengedrängt. Das beengte zwar den Platz der Leute von der Mannschaft sehr, aber sie hatten selbst gebeten, auf sie keine Rücksicht zu nehmen. Unter der Back waren Stände für die mandschurischen Ponys eingerichtet, da man nach Scotts Meinung den Pol am besten dadurch erreichen kann, dass man sich auf die Ponys und auf menschliche Zugkraft verlässt.
Abb. 104: Ponys am Schiff Durch ein Loch im Schott sieht man die Reihe der Pferdeköpfe mit traurigen geduldigen Augen einträchtig hin und her schaukeln. Dazwischen sieht man den Wärter. Scott ahnt zwar, dass für die Pferde die wochenlange Fahrt eine schlimme Probe sein wird und die armen Tiere sehr herunterbringen wird; aber er meint, dass sich das nach menschlichen Normen nicht beurteilen lässt: „Es gibt Pferde, die sich nie legen, und alle Pferde können im Stehen schlafen; sie besitzen in jedem Bein eine Sehne, die ihr Gewicht ohne Anstrengung trägt“ (Scott 1913, Erster Band, S. 2). Vier weitere Ponys stehen außerhalb der Back auf der Leeseite der Vorluke in einem starken hölzernen Bau. Hinter der Vorluke war das Eishaus untergebracht, das drei Tonnen Eis, 162 geschlachtete Hammel und drei Rinder nebst einigen Büchsen Kalbsmilch und Nieren enthielt. Die geschlachteten Tiere waren lagenweise mit Holzlatten zwischen den einzelnen Lagen verstaut. Gerade hinter dem Eishaus und zu beiden Seiten der Großluke standen zwei ungeheure Packkisten, die sich mehrere Zentimeter hoch über dem Deck erhoben und sehr viel Platz wegnahmen; sie enthielten zwei Motorschlitten. Die Kisten waren mit kräftigem Segeltuch überdeckt und mit schweren Ketten und Tauen festgemacht, damit sie unter allen Umständen sicher waren. Das zu diesen Schlitten benötigte Petroleum war in Blechkannen und -fässer enthalten, die in starke Holzkisten verpackt waren. Um diese Packkisten herum, von der Kombüse nach vorn bis an das Steuerbord achteraus, stand das Deck voll aufgestapelter Kohlensäcke. Denn die „Terra Nova“ verbrauchte acht Tonnen im Tag. 163
Die Verwirrung auf Deck vervollständigten 33 Hunde sibirischen Ursprungs, die Scott trotz seiner Vorliebe für die mandschurischen Ponys zur Sicherheit mitgenommen hatte. Dass er sie bei seinem Rückmarsch vom Pol nicht eingesetzt hatte, sollte er noch bitter bereuen. Diese Hunde waren, was bei der Wildheit der Tiere unbedingt nötig ist, an Bord zwischen den Motorschlitten an den Pfosten und Riegeln des Eishauses und der Großluke angekettet und hatten allen Schutz, der sich auf Deck bieten lässt, aber ihre Lage war nicht beneidenswert. Die Wellen brachen sich unaufhörlich an der Wetterseite des Schiffes, und das Spritzwasser regnete auf alles, was sich auf das Mitteldeck wagte, in dichten Wolken herunter. Die Schwänze diesem Regen zugekehrt, saßen die Hunde trübselig umher, ihre Decken trieften, und ab und zu ließ eins der armen Tiere ein wehmütiges Winseln hören. Nachdem die „Terra Nova“ frühzeitig im Packeis eingefroren war gab es die ersten Schwierigkeiten. Im Eishaus wurde das Hammelfleisch schimmlig und das Rindfleisch war verdorben. Der Geruch war nicht zu verkennen. Doch schließlich gelang es Scott, Anfang Januar 1911 bei guten Wetter mit der „Terra Nova“ die ihm von der Fahrt mit der „Discovery“ vertrauten Schauplätze zu erreichen.
Abb. 105: Landung des Motorschlittens Dann folgte die Ausschiffung an einem Kap, das Scott zu Ehren seines Kommandanten Kap Evans benannte. Zuerst wurden zwei Motorschlitten hervorgeholt und standen bald blitzsauber und tadellos auf dem Eis; das Seewasser, das bei dem stürmischen Seegang auf der Herfahrt oft tonnenweise über ihre Kisten spülte, hatte ihnen nicht geschadet. Dann kamen an die Reihe die Ponys, die in Kästen von der Höhe des Schiffs herunterbugsiert wurden. Manche ließen sich nur durch freundliches Zureden oder durch die starken Arme der Matrosen in die Gestelle hineinbringen. So mager und kraftlos sie auch aussahen begannen sie sogar noch zu bocken. Aber von dem Augenblick an, wo sie Schnee unter den Füßen spürten, schienen sie wiederaufzuleben. „Welch ein Genuss muss es für sie sein,“ meinte Scott erleichtert, „sich endlich wieder niederlegen oder 164
einander reiben zu können; sie haben gewiss all die Wochen über an qualvollen Hautreiz gelitten, ohne sich helfen zu können, und sind nun eifrig dabei, durch gegenseitiges Benagen ihrer Flanken sich die solange entbehrten Liebesdienste zu erweisen. Und ich atmete wie nach einem langen Alpdruck wieder auf, als ich sie alle siebzehn auf dem Eisfeld angepflöckt sah“ (Scott 1930, S. 40).
Abb. 106: Ausschiffung der Ponys Bereits am Ende des Monats Januar begannen die Herbstwanderungen mit 12 Mann, 8 Ponys und 26 Hunden. Scott verabschiedete sich am letzten Tag auf der „Terra Nova“ von dem Kommandanten Campbell und der an Bord bleibenden Schiffsmannschaft. Gleich zu Beginn der Reise bestätigten die Leistungen der Ponys Scotts Vorurteil gegen Hunde. Während die Ponys mühelos Lasten von 360 bis 400 kg schleppten, hatten den Hunden 220 kg beinahe der Rücken gebrochen. Außerdem machten sie viel Ärger, wenn sie Robben witterten. Sofort stürmen sie drauflos. Wenn man aber mit der Peitsche dazwischenfuhr, verwickelten sich Geschirr und Leinen und während man sie wieder zu entwirren versuchte, sauste das ganze Gespann davon und derjenige, der es festzuhalten versuchte wurde mitgeschleift. Solche und ähnliche Ereignisse führten bei Scott zu Überlegungen, die schließlich seiner Meinung nach ihre Tötung rechtfertigten: „Hunger und Furcht sind das einzig Reale im Hundeleben: ein leerer Magen macht einen wütenden Hund. Der plötzliche Ausbruch des natürlichen Instinkts bei einem zahmen Tier hat etwas beinahe Furcht Einjagendes. Instinkt wird eine blinde, unvernünftige, unnachgiebige Leidenschaft. So sind Hunde im Geschirr gewöhnlich gute Freunde; sie ziehen Seite an Seite, reiben sich mit den Schultern aneinander, der eine schreitet über den anderen weg, wenn er sich legen will, ihr ganzer Verkehr scheint friedlich und ruhig. Aber in dem Augenblick, wo sie an Futter denken, erwacht ihre Leidenschaft; jeder beargwöhnt den Nachbarn, und der kleinste Umstand veranlasst eine allgemeine Beisserei. Mit gleicher Plötzlichkeit kann sich auch während des Marsches die Wut entflammen; ein Gespann läuft mit Schwanzwedeln einträchtig daher – im nächsten Augenblick ist es eine Bande von wilder, an den Leinen zerrender, bissiger Teufel. Diese abschreckenden Züge erleich165
tern einem das Bewusstsein, dass man zur Durchführung menschlicher Pläne wie des meinigen tierisches Leben opfern muss“ (Scott 1930, S. 71 f.)
Abb. 107: Ein Seehund und die Hunde Am 22. Februar erhielt Scott einen Brief von Campbell mit der Mitteilung, dass er in der Walfischbucht Amundsen im Winterquartier gesehen habe. Scott reagierte darauf folgendermaßen: „Zweifellos ist Amundsens Erscheinen für meine Pläne eine ernstliche Störung. Sein Abstand vom Pol ist 110 Kilometer kürzer als der meinige und ich hätte nie gedacht, dass er so viele Hunde sicher auf die Eisbarriere hätte bringen können. Sein Plan, mit ihnen zu fahren, scheint ausgezeichnet; vor allem kann er seine Reise schon früh im Jahr antreten was mit Ponys unmöglich ist. Ich weiß schon jetzt kaum, wie ich die Ponys von hier aus in Sicherheit bringe. Aber gleichviel: ich darf mich durch Amundsens Vorgehen nicht beirren lassen und bleibe bei meinem ursprünglichen Plan, als wenn ich nichts von Amundsen wüsste. Vorwärts also ohne Zaudern und Furcht, und die beste Kraft eingesetzt zur Ehre meines Landes!“ (Scott 1913, Erster Band, S. 88). Dass der Betreuer der Ponys Oates von der Behandlung der Pferde viel verstand, beweisen seine Bemerkungen: „Das Pferd hat keine Urteilskraft; aber ein ausgezeichnetes Gedächtnis; Orte und Töne rufen ihm die Umstände zurück, unter denen es sie früher gesehen oder gehört hat. Man darf ein Pferd nicht anbrüllen; dadurch wird es nur unruhig. Allerdings ist es nicht leicht, immer fest und ruhig zu bleiben. Das Gedächtnis eines Pferdes warnt es vor künftigen Ereignissen. Jagd- und Rennpferde wollen vor Beginn der Jagd oder des Rennens, worauf sie durch Erinnerung vorbereitet werden, nicht fressen und zeigen große Erregung; deshalb ist es die Hauptsache, die Pferde im Lager in Ruhe zuhalten. Auf jeder Rast sollte man ihnen sofort Decken auflegen und diese erst im letzten Augenblick wieder abnehmen. Ein Stand, worin das Tier sich frei bewegen kann, und Streu zum Liegen wären ein großer Vorteil.“ Solche Einrichtungen wurden auch tatsächlich im Winterlager hergestellt. Allerdings legten sich die Ponys selten länger als zehn Minuten nieder. 166
Abb. 108: Die Ställe im Winter Im Winterquartier trug Scott seine Pläne für die Schlittenfahrt zum Pol der Mannschaft in großen Umrissen vor. Natürlich interessierte das alle sehr. Mit dieser Ansicht schien die ganze Gesellschaft einverstanden; alle misstrauen offenbar den Hunden, soweit es sich um Überwindung der Gletscher und der Höhen handelt. Eine andere Frage war die Leistungsfähigkeit der ersten Automobile auf der Eisbarriere. Scott selbst lag ungeheuer viel an dem Erfolg dieser Beförderungsmittel, auch wenn sie beim Vordringen nach Süden keine große Hilfe sein sollten. Ein wenig Erfolg genügt schon, um ihre Möglichkeit, ihre Fähigkeit zur Umwälzung der ganzen Beförderungsart in Polargegenden zu zeigen. Kurze Probefahrten, die über Erfolg oder Fehlschlag der Raupenschlitten entscheiden sollten, wurden von Day gleich nach der Landung durchgeführt. Aber auch nach Scotts Meinung würde erst eine Zweihundertkilometerfahrt auf der Barriere von ihrem Wert überzeugen können. Tatsächlich versagten beide Motorschlitten bei ihrer Fahrt zum Pol, obwohl sie sich bei der Anlegung von Vorratsdepots auf dem ebenen Boden der Eisfelder ausgezeichnet bewährt hatten.
Der Aufbruch zum Südpol Der Aufbruch zum Südpol erfolgte am 1. November 1911 mit den Hunden, zwei Motorschlitten und drei Abteilungen Ponys. Die Marschordnung der Ponys, die sorgfältig ihre unterschiedliche Schnelligkeit berücksichtigte, war folgende: die langsamen Ponys kamen zu erst, dann folgten die halbschnellen und schließlich die schnellsten, die „Flieger“. Welche Strapazen die Ponys im weichen 167
Tiefschnee ausgesetzt sind hatte man schon bei Probeausflügen im Februar erkennen können: „Der Anblick eines Ponys das sich in weichem Schnee abzappelt, hat etwas Erschütterndes. Das erste Einsinken erschreckt es und peitscht seine Energie an; gewöhnlich versucht es, schnell über die unsichere Stelle fortzukommen, und wenn sie nur klein ist, erreicht es mit großer Anstrengung schnaubend und aufgeregt bald wieder festen Boden. Ist aber die Schneewehe groß, und fühlt es, dass es stecken bleibt, dann versucht es durch Sprünge herauszukommen und den Schlitten ruckweise nachzuschleifen. Dabei ermüdet es natürlich schnell; dann macht es eine Pause, und es ist entsetzlich anzusehen, wenn solch ein Tier, halb vom Schnee verschlungen keucht und stöhnt. Immer wieder fällt es hin und bleibt zitternd und erschöpft liegen“ (Scott 1913, Erster Band, S.70). Während die Ponys ihre Sache ziemlich gut machten, wenn sie leichte Lasten und keinen Tiefschnee hatten, stellten sich bei den Motorschlitten enttäuschend schnell Motordefekte ein (Scott 1913, Erster Band, S. 244). Bereits drei Tage nach dem Aufbruch vom Basislager fand Scott den Motorschlitten und einen Zettel von Leutnant Evans: Days Motorzylinder Nr. 2 war entzweigebrochen und der einzige Reservezylinder war zu Lashlys Motor verwendet worden. Also hatten sie sich entschlossen, den einen Motor im Stich zu lassen und mit dem andern allein weiterzufahren. Außer Petroleum und Öl hatten sie auch ihre sechs Futtersäcke und allerhand Kleinigkeiten mitgenommen. Die Maximalgeschwindigkeit des Motors war nur 13 km pro Tag.
Abb. 109: Days Motorschlitten bei der Reparatur So war der Traum, große Hilfe an den Motoren zu haben, für Scott vorbei. Am Sonntag den 5. November sah er drei schwarze Punkte. Er vermutete, dass es sich um den letzten Motor mit seinen Lastschlitten handelt. Tatsächlich stellt sich am nächsten Tag heraus, dass die schwarzen Punkte 168
wirklich der verlassene Motor und die zwei Lastenschlitten waren. Ein Zettel von Leutnant Evans teilte Scott mit, dass sich die Mängel wiederholt hätten. Ein Zylinder wäre geplatzt. Augenscheinlich seien die Motoren nicht für dieses Klima geeignet. Die Motorabteilung sei vorschriftsmäßig als Hilfsmannschaft weitergezogen. (Scott 1913, Erster Band, S. 246). Sie wurde später aber als nutzlos aufgelöst und zurückgeschickt. Ab diesen Zeitpunkt war die Polarexpedition auf die Zugtiere Hunde und Ponys angewiesen. Die Hunde wurden mit ihrer Abteilung am 11.Dezember als man beim Bardmoregletscher ankam, ebenfalls zurückgeschickt. „Nun ließ ich die Hunde,“ sagt Scott, der zu ihnen kein Vertrauen besaß, „haltmachen, abladen, alles auf unsere drei Schlitten packen, und Meares und Dimitrii mit den Hunden umkehren. Da längs des Weges Futter niedergelegt ist, werden sie gut nach Hause kommen“ (Scott 1913, Erster Band, S. 277). Was auch tatsächlich geschah, während er mit dieser von ihm selbst angeordneten Umkehr der Hunde sein eigenes und das seiner Begleiter am Rückweg eingetretenes Todesurteil ausgesprochen hatte. Denn, wie er selbst zugeben musste, wären die Hunde ihre Rettung gewesen.
Abb. 110: Die Umkehr der Hundeabteilungen Dass aber Scott auch das Leben der Ponys opfern musste, welche die von Scott gefürchteten abschreckenden Züge der von ihm so wenig geschätzten Hunde in keiner Weise besaßen, scheint ihm großen Kummer bereitet zu haben. Im Unterschied zu der namenlosen Hundemeute kannte er jeden seiner Ponys, die ihn auf seinem Marsch zum Pol begleiteten, mit Namen. Liest man sein Tagebuch, dann war in dieser Zeit, solange noch eins der Pony lebte, viel weniger von seinen eigenen Leiden und Strapazen und den seiner Männer die Rede, sondern er beschreibt vielmehr den Tag und Tod jedes einzelnen namentlich genannten Ponys: Am Freitag 24. November wird nach beendeten Marsch als erster der völlig erschöpfte „Jehu“ auf der Spur zurückgeführt und erschossen; Dienstag 28. November wurde der „Chinese“ erschossen. Freitag am 1. Dezember wurde der Tod von „Christoffer“ und „Victor“ beschlossen. Als die Hunde, die sich bisher prächtig verhalten hatten, nichts mehr zu fressen hatten, wurde ihnen der kleine „Michael“ geopfert. 169
Acht Tage später kam das Ende der letzten Ponys. Am Abend um 8 Uhr waren die restlichen Ponys alle mit einander fertig. Mühsam schlichen sie noch einige hundert Meter weiter. „Um diese Zeit“ beschreibt Scott das traurige Ereignis, „befand ich mich an der Spitze; ich schleppte einen lächerlich leicht beladenen Schlitten hinter mir her und fand dennoch das Ziehen nur allzu schwer. Wir schlugen das Nachtlager auf, das ‚Schlachthaus‘, wie wir es nennen, denn wir haben alle Ponys erschossen! Die armen Tiere! Bedenkt man, was sie haben aushalten müssen, so haben sie Wunderbares geleistet, und es wurde uns herzlich schwer, sie so bald töten zu müssen“ (Scott 1913, S. 275) Man geht daher nicht fehl, wenn man nach diesen Worten Scotts die Ponys als die eigentlichen Helden seiner letzten Expedition ansehen kann.
Abb. 111: Scott mit seinen Ponys auf dem Weg zum Südpol Nach dem Tod der Ponys und der Umkehr der Hunde beschloss Scott 280 km vom Pol entfernt auf einer Höhe von 3100 m, welche die Männer allein mit ihren Schlitten mühsam erklommen hatten, seine Mannschaft von zwei auf eine Abteilung zu reduzieren. Am Donnerstag 4. Januar musste das Gepäck der beiden Abteilungen getrennt und ein kleiner Schlitten neu beladen werden. Scott war gespannt, ob die verringerte Mannschaft diesen Schlitten auch bewegen würden können, und war erleichtert, als er ganz leicht von der Stelle ging. Die zweite Abteilung war für den Fall eines Missgeschicks ein Stück mitgekommen, doch sobald Scott sich vergewissert hatte, dass die Bahn frei war, machten man halt und sagten ihr Lebewohl. Er zweifelte nicht, dass sie den Rückweg schnell und glücklich überwinden würden. Mit der Leistung seiner vier Männer, die er für den Endmarsch zum Pol ausgewählt hatte, Oats, Wilson, Bowers und Evans war er zufrieden. Sie waren wie er selbst sagte, „so glücklich ausgewählt, wie sich nur denken lässt“ (Scott 1913, Erster Band, S. 303). Was er von ihnen auf diesem von Hast getriebenen Marsch verlangte, war aber auch fast unmenschlich. Er selbst war während in der Zeit seines Lebens, das er in Militärdiensten, verbracht hatte, von so guter Konstitution, dass er nicht Rücksichten auf die Schwächen seiner Begleiter nehmen wollte. Denn die schreckliche Ahnung trieb ihn vorwärts, dass er am Ziel eine niederschmetternde Enttäuschung erleben könnte. Er beschreibt diesen Unglückstag mit den Worten: „Dienstag, 16. Januar 1912. Lager 68, Höhe 2970 Meter. Das Furchtbare ist eingetreten – das Schlimmste, was uns widerfahren konnte! Wir machten am Vormittag einen guten Marsch und legten 170
14 Kilometer zurück. Die Mittagsobservation zeigte, dass wir uns auf 89° 42‘ südlicher Breite befanden, und wir brachen am Nachmittag in sehr gehobener Stimmung auf denn wir hatten das sichere Hochgefühl morgen unser Ziel zu erreichen. Nach der zweiten Marschstunde entdeckten Bowers’ scharfe Augen etwas, das er für ein Wegzeichen hielt; es beunruhigte ihn, aber schließlich sagte er sich, es werde wohl ein Sastrugus sein. In wortloser Spannung hasteten wir weiter – uns alle hatte der gleiche Gedanke, der gleiche furchtbare Verdacht durchzuckt, und mir klopfte das Herz zum Zerspringen. Eine weitere halbe Stunde verging – da erblickte Bowers vor uns einen schwarzen Fleck. Ein natürliches Schneegebilde war das nicht – konnte es nicht sein – das sahen wir nur zu bald! Geradeswegs marschierten wir darauf los, und was fanden wir? Eine schwarze, an einem Schlittenständer befestigte Fahne! In der Nähe ein verlassener Lagerplatz – Schlittengleise und Schneeschuhspuren kommend und gehend – und die deutlich erkennbaren Eindrücke von Hundepfoten – vieler Hundepfoten – das sagte alles! Die Norweger sind uns zuvorgekommen – Amundsen ist der erste am Pol! Eine furchtbare Enttäuschung! Aber nichts tut mir dabei so weh, als der Anblick meiner armen, treuen Gefährten! All die Mühsal, all die Entbehrung, all die Qual – wofür? Für nichts als Träume – Träume über Tag, die jetzt – zu Ende sind“ (Scott 1913, Erster Band, S. 308 f.).
Abb. 112: Vor Amundsens Zelt Am Donnerstagmorgen 18. Januar hatte die Gruppe auch das Zelt Amundsens erreicht. Es enthielt einen Bericht über die Anwesenheit der Norweger, die fünf Mann hoch hier gewesen sind; der Bericht lautet: „Roald Amundsen – Olav Olavson – Bjaaland Hilmer Hanssen – Sverre H. Hassel – Oscar Wisting. 16. Dezember 1911.“ Ein Zettel Amundsens an Scott enthielt die Bitte, einen Brief an König Haakon zu befördern. Scott steckte ihn ein und hinterließ in demselben Zelt einen Zettel mit der Mitteilung, dass er mit seinen Gefährten hier gewesen sei. Dann marschierte die Gruppe so lange weiter bis die Mittagsobservation ergab, dass sie nur einen oder anderthalb Kilometer vom Pol entfernt waren. 171
Als sie schließlich nach einigen Messungen sicher waren, den Pol erreicht zu haben war die Enttäuschung groß. Vor ihren Augen dehnte sich eine öde Eisfläche aus: „Sonst ist hier nichts zu sehen – nichts, was sich von der schauerlichen Eintönigkeit der letzten Tage unterschiede. Großer Gott! Und an diesen entsetzlichen (awful) Ort haben wir uns mühsam hergeschleppt, und erhalten als Lohn nicht einmal das Bewusstsein, die ersten gewesen zu sein!“ Sie errichteten dort ein Wegzeichen und steckten ihre Flagge auf, den „armen, zu spät gekommenen Union Jack“ (Scott 1913, Erster Band, S. 311).
Abb. 113: Scotts Gruppe am Südpol von links: Wilson, Scott, Oates (stehend); Bowers, Evans, (sitzend)
Der Rückmarsch in den Tod „Mir graut vor dem Rückweg!“, das waren die Worte Scotts als er mit seinen erschöpften Gefährten zum Rückweg aufbrach. Denn er wusste genau, was ihm und seinen Leuten auf dem Rückweg bevorstand: „Vor uns liegt eine Strecke von 1500 Kilometern mühsamer Wanderung – 1500 Kilometern trostlosen Schlittenziehens – 1500 Kilometern Entbehrung, Hunger und Kälte“ (Scott 1913, Erster Band, S. 311). Nach kaum einen Monat später war schon eine furchtbare Tatsache unleugbar: „Wir können nicht mehr gut marschieren! Wahrscheinlich keiner von uns!“ (Scott 1913, Erster Band, S. 308). Aber am schlimmsten stand es mit Evans der geistesgestört zu sein schien: „Der sonst so selbstbewusste Mann ist ganz verändert; heute morgen und auch heute Nachmittag ließ er auf einmal unter lächerlichen Vorwänden haltmachen! Am nächsten Tag sah er nachdem er gut geschlafen hatte ein wenig wohler aus und versicherte, wie immer, dass es ihm sehr gut gehe. Er marschierte vor den Schlitten gespannt mit den anderen ab, verlor aber nach einer halben Stunde den Halt 172
auf den Schneeschuhen und musste abgeschirrt werden. Nach einer halben Stunde blieb er wieder zurück“ (Scott 1913, Erster Band, S. 329). Scott riet ihm, uns möglichst schnell nachzukommen. Als bereits das Lager aufgestellt war, Evans aber sich immer noch nicht einstellte, liefen alle vier auf Schneeschuhen zu ihm hin. Scott gelangte zuerst bei ihm an und war entsetzt über sein Aussehen: „Mit aufgerissenem Anzug lag er auf den Knien, die Hände waren nackt und erfroren, und in seinen Augen war ein wilder Blick! Als ich ihn fragte, was ihm fehle, antwortete er in schleppendem Tone, er wisse nicht, was mit ihm sei, aber er habe wohl einen Ohnmachtsanfall gehabt. Wir richteten ihn auf, aber nach zwei oder drei Schritten sank er wieder auf den Schnee und zeigte alle Symptome vollständigen Zusammenbruchs. Wilson, Bowers und ich liefen zurück, um den Schlitten zu holen, während Oates bei ihm blieb. Als wir zurückkehrten, war er ohne Bewusstsein, und als wir ihn ins Zeit gebracht hatten, schien er vollkommen schlafsüchtig. Er erwachte nicht wieder: Um 1:21 Uhr in der Nacht ist er gestorben“ (Scott 1913, Erster Band, S. 331). Aber bei ruhigem Nachdenken musste man sich sagen, mit einem Schwerkranken so weit reisen zu müssen, wäre für alle eine verzweifelte, rettungslose Sache gewesen. Sie war es auch so, wie das Stoßgebet von Scott zeigt: „Käme uns doch die Vorsehung zu Hilfe! Von Menschen haben wir jetzt keine mehr zu erwarten“.
Abb. 114: Der Rückmarsch in den Tod Dienstag, 5. März heißt es: „Wir können einander nicht helfen – jeder hat genug mit sich allein zu tun. ‚Gott helfe uns!‘ kann man nur sagen und sich dann frierend und niedergeschlagen auf seinem ermüdenden Wege weiterschleppen mit dem furchtbaren Bewusstsein, dass wir ja doch viel, viel zu langsam vorwärts kommen“ (Scott 1913, Erster Band, S. 342). Am Montag den 11. März war Oates seinem Ende nahe. Scott befahl Wilson energisch, ihnen die Mittel zur Beendigung ihrer Qual auszuhändigen, damit jeder wisse was er im Notfall zu tun habe. Jeder hatte 30 Opiumtabletten, und Wilson hat eine Tube Morphium behalten. Der arme Oates erklärte, er könne nicht mehr weiter, und machte den Vorschlag, ihn in seinem Schlafsack 173
zurückzulassen. Davon konnte natürlich keine Rede sein, und man bewog ihn, die Gruppe noch auf dem Nachmittagsmarsch zu begleiten. Aber es musste eine entsetzliche Qual für ihn gewesen sein! Trotzdem taumelte er noch einige Kilometer weiter. In der Nacht wurde es mit ihm schlechter, und Scott sah, dass es zu Ende ging. Deshalb bat er, sollte dieses sein Tagebuch gefunden werden, um die Bekanntgabe folgender Tatsachen: „Oates’ letzte Gedanken galten seiner Mutter; unmittelbar vorher sprach er mit Stolz davon, dass sein Regiment sich über den Mut freuen werde, mit dem er dem Tode entgegengehe. Wir drei können seine Tapferkeit bezeugen. Wochenlang hat er unaussprechliche Schmerzen klaglos ertragen und war tätig und hilfsbereit bis zum letzten Augenblick. Bis zum Schluss hat er die Hoffnung nicht aufgegeben – nicht aufgeben wollen. Er war eine tapfere Seele, und dies war sein Ende: er schlief die vorletzte Nacht ein in der Hoffnung, nicht wieder zu erwachen; aber er erwachte doch am Morgen – gestern! Draußen tobte ein Orkan. ‚Ich will einmal hinausgehen‘, sagte er, ‚und bleibe vielleicht eine Weile draußen.‘ Dann ging er in den Orkan hinaus – und wir haben ihn nicht wiedergesehen“. Dass diese Schilderung zweifellos der Wahrheit entsprach, lässt sich durchaus annehmen. Doch Scott machte aus dem Tod von Oates das später so viel kritisierte Heldenepos: „Wir wussten, dass der arme Oates in seinen Tod hinausging, wir versuchten auch, es ihm auszureden, aber er handelte als Held und als englischer Gentleman“ (Scott 1913, Erster Band, S. 346).
Abb. 115: Die letzten Tage im Zelt Die letzten Tage verbrachten Scott mit seinen beiden letzten überlebenden Gefährten Bowers und Wilson notgedrungen im Zelt. Denn draußen vor der Zelttür war die ganze Landschaft ein durcheinanderwirbelndes Schneegestöber. Erst am 11. November wurde von einer Suchmannschaft unter der Führung von Wright das Zelt gefunden. Atkinson berichtete, dass zunächst nur ein Gegenstand sichtbar war, der aus der Ferne wie ein Wegmal aussah: „Vor ihm ragten Schneeschuhstäbe auf, vor diesen eine Bambusstange, wahrscheinlich der Mast eines Schlittens – es war das Zelt Scotts und seiner Abteilung!“ (Atkinson in: Scott 1913, Zweiter Band, S. 179) 174
Wilson und Bowers wurden in ihren Schlafsäcken gefunden, die sie über den Kopf geschlossen hatten. Scott starb offensichtlich später. Er hatte die Klappen seines Schlafsackes zurückgeworfen und seinen Rock geöffnet. Die kleine Tasche mit den drei Tagebüchern lag unter seinen Schultern und seinem Kopf und mit seinem Arm hatte er Wilson umschlungen. Die Leichen der Verunglückten wurden mit der äußeren Zelthülle zugedeckt und ein mächtiger Schneehügel darüber aufgehäuft. Auf dem Hügel wurde dann ein aus den Schneeschuhstöcken zusammengefügtes schmuckloses Kreuz aufgerichtet.
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16 Shackletons zweite Expedition mit der „Endurance“ Nach der Eroberung des Südpols durch Amundsen, der Scott nur wenige Tage zuvorkam, bot die Antarktis ihren Entdeckern nur noch eine große Herausforderung: die Durchquerung des antarktischen Kontinents. Im Unterschied zur Nimrod-Expedition hatte diesmal Shackleton die Suche nach Geldgebern für diese Expedition sehr geschickt vorbereitet. Um das Interesse daran zu wecken hatte er sein Programm am 13. Januar 1914 der Öffentlichkeit in folgender Weise präsentiert: „Die erste Durchquerung der Antarktis von Küste zu Küste über den Pol wird, abgesehen von ihrer historischen Bedeutung, auch von ungeheurem wissenschaftlichem Wert sein. Die zurückzulegende Entfernung beträgt ungefähr 2900 Kilometer, wobei die erste Hälfte der Strecke vom Weddellmeer zum Pol durch unerforschtes Gebiet führt. Jeder Schritt wird ein Fortschritt für die geografische Wissenschaft sein“ (Shackleton 2016, S. 18). Diese öffentliche Ankündigung der Expedition löste eine Flut von Bewerbungen von Männern aus allen Gesellschaftsschichten aus, die alle begierig waren, dieses Abenteuer mitzuerleben. Insgesamt erhielt Shackleton an die 5000 Zuschriften, aus denen er 56 Männer auswählte. Der „unter dem britischen Hoheitszeichen“ geplanten Forschungsexpedition, wurden zunächst zwei Schiffe zur Verfügung gestellt. Die „Endurance“, welche die Transkontinentalgruppe ins Weddellmeer bringen und danach eine unbekannte Küstenlinie erforschen sollte, war ein neues Schiff, das unter Überwachung eines Komitees von Polarforschern speziell für die Arbeit im Polarmeer gebaut wurde. Das zweite Schiff, die „Aurora“, glich in jeder Hinsicht der „Terra Nova“ von Kapitän Scotts letzter Expedition.
Abb. 116: Die beiden Expeditionsschiffe „Endurance“ und „Aurora“ 176
Der Ausbruch des Krieges, von dem man sich zu dieser Zeit kaum vorstellen konnten, dass er vier Jahre dauern und zu einem Weltkrieg werden sollte, verhinderte das Auslaufen der beiden Expeditionsschiffe nicht, obwohl Shackleton der Admiralität seine und der Mannschaft Dienste im Falle eines Krieges angeboten hatte. Denn nach einer Stunde drahtete die Admiralität zurück: „Fahrt!“ Kurz darauf schickte Winston Churchill ein Kabel, in dem er sich für das Angebot bedankte und mitteilte, die Verantwortlichen wünschten, dass die Expedition nach Plan weiter verlaufe (Shackleton 2016, S. 23). Shackleton ging in seinem Bericht deshalb über sein Verhalten bei dem dramatischen Beginn dieser Expedition so ausführlich ein, weil gewisse Stimmen laut wurden, die kritisierten, dass die Expedition das Land ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt des Kriegsbeginns verließ. Deshalb rechtfertigte er nach dem Abschluss der Expedition das spätere Verhalten seiner Mannschaft in diesem zu einer mörderischen Schlacht ausgearteten Weltkrieg: „Als wir am Ende zurückkehrten, nahmen praktisch alle Expeditionsmitglieder, welche die beträchtlichen Gefahren der Antarktis unbeschadet überstanden hatten, ihren Platz auf dem Schlachtfeld ein, wo viele von ihnen ihr Leben ließen“ (Shackleton 2016, S. 24). Die Expedition wagte sich an die äußerst gefahrvolle und mühsame Aufgabe der ersten Durchquerung des einzigen noch unerforschten Kontinents bei der man grundsätzlich mit dem Verlust von Menschenleben rechnen musste. Shackleton musste zwar bekennen, dass dieses Ziel nicht erreicht wurde. Aber obwohl das eigentlichen Unternehmens fehlschlagen war, nahm er dennoch für sich in Anspruch, dass sein Bericht von atemberaubenden Abenteuern und einzigartigen Eindrücken erzählt: „Vor allem aber,“ sagt er, „zeugt er von der unbeugsamen Entschlossenheit, unerschütterlichen Treue und großartigen Opferbereitschaft meiner Männer und enthält Passagen, die meiner Überzeugung nach jeden fesseln werden, der sich für die Geschichte der Eroberung des weißen Kontinents interessiert. Die Kämpfe, Enttäuschungen und mit eisernem Durchhaltevermögen gemeisterten Entbehrungen der kleinen Gruppe von Briten, die fast zwei Jahre lang in der Einöde des Polareises verschollen waren, liefern einen Stoff, der einzigartig in der Geschichte der Entdeckung der Antarktis ist“ (Shackleton 2016, S.17).
Schwierigkeiten mit dem Packeis zu Beginn der Expedition Die Fahrt nach Buenos Aires verlief ohne Zwischenfälle. Am 26. Oktober fuhr Shackleton von dort aus nach South Georgia, dem südlichsten Außenposten des Empire. Dort waren die Expeditionsmitglieder einen Monat lang mit den letzten Vorbereitungen beschäftigt. Shackleton hatte den Tag der Abreise von South Georgia auf den 5. Dezember 1914 festgesetzt. Im Rahmen der letzten 177
Vorbereitungen ging er auch nochmals die Pläne für die Fahrt in die verschiedenen Winterquartiere durch. Auf Anraten der Kapitäne der Walfänger von South Georgia, hatte er beschlossen, zunächst Kurs auf South Sandwich Islands zu nehmen, Ultima Thule zu umrunden und bis zum 15. Meridian West nach Osten zu segeln, um dann nach Süden vorzustoßen. Die Walfänger warnten jedoch Shackleton vor den Gefahren einer Durchquerung des Eises rund um South Sandwich Islands und waren überzeugt, dass sich die Expedition sich durch schweres Packeis kämpfen werde müssen, um das Weddellmeer zu erreichen. Diese Warnungen sollten sich bald bestätigen. Zahlreiche, meist tafelförmige Eisberge tauchten im Westen der Inseln auf. Das Vorhandensein so vieler Eisberge war äußerst ungewöhnlich, und kurz darauf, nachdem die Expedition die Inseln passiert hatte, stieß sie auf Treibeis. Vor der „Endurance“ dehnte sich ein breiter Gürtel schweren Packeises nach Norden und Süden aus. Shackleton hatte nicht erwartet, so weit im Norden bereits auf Packeis zu stoßen. Er war auf schlechte Bedingungen im Weddellmeer gefasst gewesen, hatte jedoch im Dezember und Januar auf lockereres Packeis gehofft, auch wenn man nicht mit offenem Wasser rechnen durfte. Was er stattdessen antraf, war dickes Packeis. Den ganzen Winter über verändert sich das dahintreibende Packeis ständig. Es wächst durch Überfrieren, verdickt sich durch die Floßbildung und wirft sich durch den Druck. Wenn es schließlich gegen eine Küste getrieben wird, baut sich ein ungeheurer Druck auf. Ein Inferno von Eisblöcken, Graten und Wällen entsteht, das sich unter Umständen über mehrere hundert Kilometer ins offene Meer hinein erstreckt. Durch ein solches Inferno musste sich nun die „Endurance“ über Hunderte von Meilen hin durchkämpfen. Die Lage wurde am 19. Dezember nicht besser und nach nur zwei Stunden Fahrt wurde die „Endurance“ von riesigen Eisschollen aufgehalten. Shackleton war begierig, endlich auf festen Boden zu kommen, vor allem der Hunde wegen. Zu Beginn der Reise hatten sie einen hervorragenden Eindruck gemacht, doch jetzt kamen sie immer mehr herunter, weil sie einfach zu wenig Bewegung hatten. Doch die Schwierigkeiten mit dem Packeis blieben weiter aufrecht: „Am 4. Januar,“ schreibt Shackleton, „waren wir 50 Stunden lang durch ein Gebiet von 20 Quadratmeilen gekreuzt, ständig neuen Hindernissen ausweichend und verzweifelt auf der Suche nach einer Öffnung Richtung Süden, Südosten oder Südwesten, doch alle Wasserrinnen verliefen nach Norden, Nordost oder Nordwest. Es war, als ob die Geister der Antarktis uns den Rückweg weisen wollten, einen Weg, den wir auf keinen Fall einzuschlagen gedachten … Solides Packeis versperrte den Weg nach Süden. Immerhin ergriff ich am 6. die Gelegenheit die Hunde zu trainieren, während das Schiff längsseits einer Eisscholle lag. Die Tiere waren völlig aus dem Häuschen. Einige von ihnen schafften es wahrhaftig, ins Wasser zu springen und ihre Maulkörbe hinderten sie nicht daran, sich sofort in hitzige Gefechte zu stürzen“ (Shackleton 2016, S. 34).
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Abb. 117: Die Hunde dürfen das Schiff verlassen (Scott Polar Research Institute) Am 10. Januar erreichte die „Endurance“ die Nähe der Küste. Hier, von einem so südlich wie möglich gelegenen Punkt aus, sollte der Marsch über den antarktischen Kontinent beginnen. Alle Mann spähten gespannt nach der Küste aus. Gegen 17 Uhr meldete der Ausguck tatsächlich Land in südsüdöstlicher Richtung. Doch das Schiff blieb weiter vom Eis eingeschlossen. In der zweiten Februarhälfte trat keine wesentliche Änderung der Situation ein. Frühmorgens am 14. Februar ließ Shackleton die Kessel unter vollen Dampf setzen und schickte alle Männer mit Eispickeln, Spaten, Sägen und Schaufeln auf die Eisscholle. Den ganzen Tag und den größten Teil des nächsten Tages bemühten sich diese mit allen Kräften, das Schiff in eine Fahrrinne hineinzumanövrieren. In mühevollem Einsatz gelang es, das Schiff ein Drittel der Strecke bis zur Fahrrinne voranzubringen, aber immer noch trennten etwa 400 m dicken Eises die „Endurance“ vom offenen Wasser. Shackleton musste einsehen, dass weitere Bemühungen zwecklos waren. Jede Öffnung, die ins Eis geschlagen wurde fror wegen der für die Jahreszeit ungewöhnlich niedrigen Temperaturen sofort wieder zu. Das Fehlschlagen der erbitterten Anstrengungen war für alle eine herbe Enttäuschung. Die Männer hatten so hervorragende Arbeit geleistet, dass sie es verdient gehabt hätten, mit ihren Bemühungen Erfolg zu haben, doch die Aufgabe überstieg ihre Kräfte. Shackleton hatte zwar die Hoffnung, wieder freizukommen, noch nicht ganz aufgegeben, fing aber zu diesem Zeitpunkt an, sich gedanklich darauf einzustellen, dass man möglicherweise einen Winter im Packeis verbringen musste. Tatsächlich geschah das auch bereits am 24. Februar. Am nächsten Tag verließen die Hunde das Schiff. Ihre Zwinger wurden auf die Eisscholle verlegt und die Leinen an einem langen Tau befestigt. Die Tiere waren offensichtlich heilfroh, endlich vom Schiff zu kommen und man hatte auch schon mit dem Training von Hundeteams begonnen. 179
Die Versorgung und Pflege der Hunde war in diesen Tagen die wichtigste Aufgabe. Eine Runde im blassen Dämmerlicht des Mittags war ein wichtiger Bestandteil des täglichen Trainingsprogramms. Denn die Kondition und das Training der Hunde waren auf jeden Fall von entscheidender Bedeutung. Deshalb wurden sie, wann immer das Wetter es erlaubte, von ihren Führern nach draußen geführt.
Abb. 118: Vergebliche Anstrengungen das Eis zu brechen
Der Untergang der „Endurance“ Der Mai verging ohne besondere Zwischenfälle, und im Laufe des Junis setzte sich die Drift der „Endurance“ fort, nur wenige Male unterbrochen durch alarmierende Meldungen über eine gefährliche Zunahme des Drucks gegen die Schiffswände. Am Sonntag dem 1. August, genau ein Jahr nachdem die „Endurance“ von den South-West India Docks auf ihrer Fahrt in den fernen Süden in See gestochen war, zerbarst die Eisscholle ganz plötzlich. Das Schiff neigte sich über zehn Grad nach Steuerbord. Shackleton ließ sofort die Hunde und Schlitten an Bord bringen und die Gangway einholen. Die Hunde schienen die Gefahr zu spüren und verhielten sich musterhaft. Der Druck sprengte die Eisscholle schnell, trieb die Bruchstücke gegen das Schiff und schob Eismassen unter den Kiel. Am Sonntagabend dem 17. September trat massiver 180
Druck auf. Die „Endurance“ war extremster Belastung ausgesetzt. Aus dem Maschinenraum, dem verwundbarsten Punkt des Schiffes, waren lautes Ächzen, Krachen und hämmernde Geräusche zu hören. Der nächste Angriff des Eises kam am Nachmittag des 19. Oktober. In wenigen Sekunden neigte sich die „Endurance“ 30 Grad nach Backbord. Was auf oder unter Deck beweglich war, rutschte auf die Leeseite und ein paar Minuten lang sah es so aus, als würde das Schiff kentern. Die mittschiffs gelegenen Hundehütten brachen weg und prallten auf die Hütten an der Leeseite und das Heulen und Bellen der in Panik geratenen Tiere bildete das passende Hintergrundgeräusch zu diesem Inferno. Am 27. Oktober war das Ende der „Endurance“ gekommen. Um 16 Uhr erreichte der Angriff des Eises seinen Höhepunkt. Das Schiff wurde vom Druck achtern hochgehoben und die treibende Eisscholle, die sich seitlich über den Bug schob, zerquetschte das Ruder und riss Ruder- und Achtersteven weg. Dann gab das Eis nach und die „Endurance“ sank ein Stück. Die Decks brachen nach oben auf und das Wasser strömte hinein. Um eine Explosion zu vermeiden, wenn das Wasser die Kessel erreichte, ließ Shackleton das Feuer löschen und den Dampf drosseln. „Unmittelbar vor dem Verlassen des Schiffs“, schreibt Shackleton voller Wehmut, „schaute ich, auf dem schwankenden Deck stehend, durch das Oberlicht des Maschinenraums. Ich sah, wie die Maschinen zur Seite kippten als die Stützen und Verankerungen nachgaben. Ich kann den Eindruck erbarmungsloser Zerstörung nicht beschreiben, der sich mir einbrannte, als ich hinunter und um mich herum blickte“ (Shackleton 2016, S. 66). Das Verlassen des Schiffs ging problemlos von statten. „Wir sind 28 Mann mit 49 Hunden“, schrieb Shackleton am 29. Oktober, „alle Männer waren heute Morgen mit der Vorbereitung der Ausrüstung, dem Verladen der Boote auf Schlitten und der Verstärkung der Schlittenkonstruktionen für die Last der Boote beschäftigt. Der größte Motorschlitten zog unser größtes Boot ausgezeichnet, nachdem der Schiffszimmermann etwas nachgeholfen hatte. Die „Endurance“ ist immer noch über Wasser, durchbohrt von den Spitzen des Packeises, die sie aufrecht halten. Das Vorderdeck ist überspült, die Decks sind vom Druck geborsten, die Takelage liegt in einem schrecklichen Durcheinander, doch über all der Zerstörung flattert noch immer die blaue Flagge“ (Shackleton 2016, S. 71). Doch schließlich kam das Ende des Schiffes. Am 21. November 1915 schrieb einer der Expeditionsteilnehmer in sein Tagebuch: „Heute Abend, als wir in unseren Zelten lagen, hörten wir den Boss schreien: ‚Sie geht unter, Jungs‘ … Und tatsächlich, da lag unser armes Schiff in zwei Kilometer Entfernung im letzten Todeskampf. Sie sank mit dem Bug voran, das Heck stach hoch in die Luft. Dann sackte sie plötzlich weg und das Eis schloss sich für immer über ihr“ (Shackleton 2016, S. 84).
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Abb. 119: Die „Endurance“ versinkt im Eismeer Nach dem Untergang der „Endurance“ entschloss sich Shackleton, den Marsch zum Land zu wagen. Seiner Einschätzung nach würde es für die Männer besser sein, wenn sie in Richtung Land und Sicherheit unterwegs sind, als einfach herumzusitzen und darauf zu warten, dass sie die Nordwestdrift aus der grausamen Eiswüste herausholte. Es waren zehn funktionstüchtige Schlitten vorhanden, mit denen sich fünf Teams abwechseln konnten. Doch es war bei dieser anstrengenden Schlepperei mit den Booten nicht zu hoffen, schnell voranzukommen. Die Boote mit ihrer Ausrüstung wogen jeweils über eine Tonne. Die Schlitten waren dabei der Schwachpunkt. Es schien unvermeidbar, dass sie unter ihren schweren Lasten zusammenbrachen, wenn sie über dermaßen zerklüftetes Eis fuhren, wie es sich über eine Fläche von wahrscheinlich 480 km erstreckte. Nach sieben Tagen waren die Männer von der schweren Schlepperei über die weiche Schneeoberfläche erschöpft. Auch der Nahrungsmittelvorrat war bedenklich zusammengeschmolzen. In der ganzen Zeit hatten sie nur eine Entfernung von etwa 12 km Luftlinie zurückgelegt. Bei dieser Geschwindigkeit hätte man über 300 Tage gebraucht, um das Land im Westen zu erreichen. Es blieb daher keine andere Wahl, als erneut auf der Scholle zu lagern und sich in Geduld zu fassen, bis die Bedingungen für einen erneuten Aufbruch günstiger waren. Das Lager, das sie fast dreieinhalb Monate bewohnen sollten, gab Shackleton den bezeichnenden Namen „Patience Camp“. Am 13. April war es endlich soweit, dass man einen Marsch zum Land wagen konnte. Die meisten der Männer trugen nun deutlich die Spuren der Anstrengungen und Strapazen. Ihre Lippen waren aufgesprungen und rissig und die Bärte waren vom Frost und der salzige Gischt zu bizarren weißen Gebilden erstarrt. Es war mehr als offensichtlich, dass es absolut lebensnotwendig war, rasch an Land zu kommen, und so beschloss Shackleton, Kurs auf das etwa160 km entfernte Elephant Island zu nehmen, das sie am 13. April erreichten. Es war die erste Landung von Menschen auf Elephant Island. 182
Abb. 120: Die Boote nach der Landung auf Elephant Island Nachdem alle drei Boote am Strand lagen bot sich den Augen Shackletons ein seltsames Schauspiel „Einige der Männer torkelten über den Strand wie Betrunkene. Sie lachten lauthals, sammelten Kiesel auf und ließen sie zwischen ihren Fingern hindurch rinnen wie Geizhälse, die sich an ihren gehorteten Reichtümern ergötzen“ (Shackleton 2016, S. 121). Die Vorräte waren schnell an Land gebracht, doch die Kräfte der Seeleute waren nahezu aufgebraucht, und es war Schwerstarbeit, die Ausrüstung über die rauen Felsen und Kiesel an den Fuß der Klippen zu schleppen. Sie wagten jedoch nicht, irgendetwas in Reichweite der Flut zurückzulassen. Leider mussten sie dabei feststellen, dass das Wasser das kleines Uferstück während der Springfluten bis zum Fuße der Klippen überspülte. Ein Umzug zu einem sicheren Landeplatz erwies sich als dringend nötig. Eine verlassene Pinguinkolonie, die mit Sicherheit immer über der Flutmarke lag, bot sich dafür an. Die Nachteile eines Lagers in der Pinguinkolonie drängten sich aber sofort auf. Der Geruch von den Exkrementen der Pinguine war besonders bei Tauwetter fast unerträglich. Das einzig Tröstliche an dieser Situation war die Sicherheit dieses Lagers.
Die Bootsfahrt nach South Georgia Die körperliche und seelische Verfassung einiger Männer machte Shackleton ernsthafte Sorgen. Nicht weniger prekär war die Frage des Nahrungsnachschubs. Es war unumgänglich, per Boot Hilfe herbeizuholen, und diese Bootsfahrt duldete keinerlei Aufschub. Es kam aber nur das über 800 Meilen entfernt South Georgia im Gebiet der vorherrschenden Westwinde in Frage. Die Ge183
fahren der geplanten Fahrt waren extrem und das Risiko war letztlich nur durch die dringend benötigte Hilfe gerechtfertigt. Die Gewissheit, dass nicht die geringste Möglichkeit bestand, dass irgendeine Suchmannschaft auf Elephant Island nach ihnen suchen würde, bestärkte Shackletons Entschluss, möglichst bald aufzubrechen, bevor der Winter das Meer unpassierbar machte. Für diese Fahrt wurde das kleine verwitterte Boot „James Caird“ vorbereitet und sechs Mann ausgesucht.
Abb. 121: Die Abfahrt der „James Caird“ Der 23. April war der Tag der Abfahrt. Die Zurückgebliebenen winkten den Abfahrenden tapfer zu. Sie hatten wieder Hoffnung und vertrauten fest darauf, so schnell wie möglich Hilfe zu bekommen. Doch es sollte ganz anders kommen. Erst nach vier entbehrungsreichen Monaten und mehreren vergeblichen Befreiungsversuchen konnten sie gerettet werden. Die Geschichte der Bootsfahrt in den folgenden 16 Tagen war die Geschichte eines bis an die Grenzen des Menschenmöglichen gehenden Überlebenskampfes inmitten hochgehender Wogen und orkanartiger Stürme. An die engen Plätze an Bord gequetscht und ständig von der Gischt durchnässt, litten die Passagiere der „James Caird“ während der ganzen Fahrt entsetzlich unter der Kälte. Immer wieder waren sie in furchtbarer Gefahr. Nur der Gedanke hielt sie aufrecht, dass sie auf dem Weg zum rettenden Land waren. Doch es gab auch Tage und Nächte, in denen sie beigedreht auf dem Wasser lagen, ohnmächtig über die sturmgepeitschte See treibend und auf die sich aufbäumenden Wassermassen starrend, hin- und her geworfen von der See in ihrer ganzen schrecklichen Allgewalt. Fast ununterbrochen tobten Stürme. Doch endlich kam Land in Sicht und nach vielen Manövern in den an den Riffen sich brechenden Wellen glitt das Boot schließlich schwer beschädigt auf den Strand. 184
Die Überquerung von South Georgia Noch immer lag aber die letzte Etappe der Fahrt vor den Rettungssuchenden. Das Boot in seinem mitgenommenen Zustand ließ es nicht zu, sich noch einmal auf See zu begeben. Auf dem Seeweg waren es immerhin noch 150 Meilen bis zur nächsten Walfangstation. Außerdem saßen auf Elephant Island 22 Männer fest, die sehnsüchtig auf die Hilfe warteten. Von den sechs Mann der Rettungsmannschaft waren zwei nicht mehr zu einem Marsch über das verschneite Landeis fähig. Sie mussten mit der Versorgung durch einen dritten Mann zurückbleiben, so dass für den Marsch zur Stromness-Walfangstation nur mehr Shackleton selbst und Worsley und Crean übrigblieben.
Abb. 122: Das Innere von South Georgia Shackleton war jedoch klar, dass drei Mann den schweren Schlitten nicht über die Schneeflächen, Gletscher und bergigen Abschnitte des Landesinnern ziehen können. Daher beschlossen sie, die Wanderung mit dem leichtesten Marschgepäck anzutreten. Dann folgte ein langer sechsunddreißig stündiger Marsch über das bisher von keinem Menschen beschrittene Innere von South Georgia, bis sie schließlich die Walfangstation erreichten. „Der Gedanke“, schreibt Shackleton, „dass womöglich weibliche Wesen in der Station sein könnten, machte uns unser unzivilisiertes Äußeres peinlich bewusst, und wir versuchten, uns notdürftig ein bisschen herzurichten. Unsere Bärte waren lang und unser Haar dick verfilzt. Wir waren ungewaschen und die Kleidung, die wir fast ein Jahr lang ununterbrochen getragen hatten, 185
war unbeschreiblich schmutzig und völlig zerlumpt. Man konnte sich kaum drei heruntergekommenere Landstreicher vorstellen“ (Shackleton 2016, S. 184). Schließlich kamen sie zum Kai, wo ein Vorarbeiter auf seinem Posten war. Shackleton fragte ihn, ob Mr. Sorlle (der Leiter der Station) zu Hause sei, sie hätten ihr Schiff verloren und sind über die Insel gekommen. „Über die Insel sind Sie gekommen?“, fragte er im Ton tiefsten Unglaubens. Später erfuhr Shackleton, dass er zu Mr. Sorlle gesagt hatte: „Draußen stehen drei merkwürdig aussehende Männer, die behaupten, sie seien über die Insel gekommen und würden Sie kennen. Ich habe sie lieber draußen warten lassen“ (Shackleton 2016, S. 185).
Abb. 123: Die Stromness-Walfangstation Doch Mr. Sorlles Gastfreundschaft kannte keine Grenzen, als sich Shackleton zu erkennen gab. Er bot den abgerissenen Landstreichern Kaffee und Kuchen an und führte sie dann ins Badezimmer wo sie ihre Fetzen ausziehen und sich einer Säuberungsaktion unterziehen konnten. Mr. Sorlles Freundlichkeit erschöpfte sich jedoch keineswegs in seiner persönlichen Fürsorge. Er gab sofort Anweisung, eines der Walfangboote in Bereitschaft zu setzen, so dass es noch am gleichen Abend auslaufen konnte um die drei Männer auf der anderen Seite der Insel aufzunehmen. Die drei Männer waren überglücklich über ihre Rettung. Sie erkannten Worsley jedoch zunächst nicht, der sie als langhaariger, schmutziger Vagabund verlassen hatte und nun sauber und rasiert zurückkehrte. In kürzester Zeit hatte die Besatzung des Walfängers die paar Ausrüstungsgegenstände in ihr Boot verladen. Sie nahmen die „James Caird“ ins Schlepptau und nachdem sie diese an Deck ihres Schiffes gehievt hatten, brachen sie zur Rückfahrt auf. Im Morgengrauen des Montags liefen sie in Stromness Bay ein. Die Männer der Walfangstation waren alle am Kai um die Geretteten zu empfangen. 186
Die Rettung der auf Elephant Island zurückgebliebenen Männer Ganz anders verlief jedoch die Rettung der 22 auf Elephant Island zurückgebliebenen Männer.
Abb. 124: Die auf Elephant Island zurückgelassenen Männer Die erste Überlegung der Zurückgelassenen, die für sie wichtiger war als der Gedanke an die Verpflegung, galt der Beschaffung eines geschützten Lagerplatzes, da einige der Männer von den durchlittenen Strapazen schwer angeschlagen waren. Noch dazu hatten alle Erfrierungen unterschiedlichen Grades. Gleich zu Beginn ihres Aufenthaltes kam ein Schneesturm auf, der 14 Tage dauerte. Die Zelte wurden dabei in Fetzen gerissen. Schlafsäcke und Kleidung waren zum Auswringen nass, und die physischen Beschwernisse waren dazu angetan, die Männer in Depressionen zu stürzen. Um sich einen Unterschlupf zu besorgen, hatten die Männer die beiden verbliebenen Boote umgedreht und daraus eine Hütte gebaut. Ein großes Problem in der Hütte war das Fehlen von Licht. Die Wände aus Zeltplanen waren schon bald dick mit fettigem Ruß überzogen, und da sich der Schnee immer höher um die Hütte türmte, lebten ihre Bewohner in ständiger Dunkelheit. Der Aufenthalt in dieser provisorischen Hütte, der monatelang dauern sollte, war unerträglich. „Die Hütte“ heißt es in den Tagebüchern, „wird jeden Tag schmutziger. Alles ist dick mit schwarzem Ruß überzogen … Der einzige Trost ist, dass wir nicht noch dreckiger werden können … Wir machen uns mittlerweile genauso wenig aus unserem Dreck und Schmutz wie der Eskimo. Seit wir vor nun beinahe zehn Monaten das Schiff verlassen haben, konnten wir uns nicht mehr waschen. Zum einen haben wir weder Seife noch Handtücher zum anderen: Selbst, wenn wir diese Luxusartikel besäßen, würde uns 187
unser Brennstoffvorrat nur erlauben, Eis zum Trinken zu schmelzen. Wollte sich einer waschen, müssten ein halbes Dutzend andere den ganzen Tag ohne Trinken auskommen“ (Shackleton 2016, S. 208).
Abb. 125: Die Hütte aus den beiden übrig gebliebenen Booten Das Wetter während ihres gesamten Aufenthalts auf Elephant Island war scheußlich. An den meisten Tagen war die Luft erfüllt von aufwirbelndem Schnee. Am 25. April wurde die Insel von schwerem Packeis eingeschlossen begleitet von Schneegestöbern und feuchtem Nebel. Der April klang mit einem schrecklichen Sturm aus, der die Hütte beinahe zerstörte. Das Wetter blieb unverändert bis in den Mai hinein. Ein typischer Maitag wird folgendermaßen beschrieben: „Ein Tag mit schrecklichem Wind, der unser Schutzdach hochzuheben droht. Der Wind besteht aus einer Abfolge von Orkanböen, die den Gletscher herabfegen. Jede Böe kündigt ihre Ankunft durch ein tiefes Grollen an, das sich zu einem donnernden Brüllen steigert. Schnee, Steine und Kies fliegen durch die Luft, und jeder Gegenstand, der nicht mit großen Steinen beschwert wurde, wird ins Meer geweht“ (Shackleton 2016, S. 209). Mitte Mai kam ein schlimmer Schneesturm auf. Riesige Eisplatten, groß wie Fensterscheiben und etwa einen halben Zentimeter dick, wurden vom Wind umhergewirbelt und machten den Aufenthalt im Freien so gefährlich, als hätte man sich in eine Lawine aus splitterndem Glas begeben. So wechselte das Wetter zwischen Schneestürmen aus Südwest, bei denen die ganze Mannschaft in der Hütte bleiben musste, und Nordostwinden, die kaltes, feuchtes, nebliges Wetter brachten. Unglücklicherweise fielen die ersten drei Versuche, die Gruppe zu befreien, mit Zeiten zusammen, in denen die Insel vom Eis eingeschlossen war. Vom 16. bis 27. August war der Ring aus Packeis undurchdringlich. Am 27. trieb jedoch ein starker Südwestwind das ganze Eis aus der Bucht hinaus. Zurück blieb eine, abgesehen von einigen gestrandeten Eisbergen, klare, eisfreie See, über die Shackleton mit seiner Rettungsmannschaft schließlich doch noch den Weg nach Elephant Island fand. 188
Abb. 126: Die Rettung der Männer von Elephant Island „Wir näherten uns der Insel,“ berichtet Shackleton den Rettungsvorgang, „in dichtem Nebel, doch ich wollte nicht warten, bis es aufklarte. Am 30. August um 10 Uhr passierten wir mehrere gestrandete Eisberge. Dann sahen wir, wie das Meer sich an einem Riff brach. Nun wusste ich, dass wir unmittelbar vor der Insel lagen. Es herrschte äußerste Anspannung an Bord, denn wir mussten noch das Lager finden und konnten nicht darauf bauen, dass das Packeis uns viel Zeit für die Suche lassen würde. Doch in diesem Augenblick hob sich der Nebel und enthüllte die Klippen und Gletscher von Elephant Island. Ich steuerte nach Ost, und gegen 11:40 Uhr entdeckten Worsleys scharfe Augen das Lager, fast unsichtbar unter einer Schneedecke. Die Männer am Ufer erblickten uns etwa zur gleichen Zeit und wir sahen winzige schwarze Gestalten an den Strand laufen und uns Signale zuwinken“ (Shackleton 2016, S. 198).
Das Schicksal der Ross Sea Party Shackletons Plan den antarktischen Kontinent zu durchqueren, konnte nur durchgeführt werden, wenn es einer weiteren Gruppe gelang, eine Reihe von Depots entlang der beabsichtigten Südpolarroute zu errichten. Das wurde auch trotz ungeheurer Strapazen erreicht. Doch dieser Erfolg erwies sich letzten Endes als überflüssig, da ja Shackletons transkontinentale Marsch gescheitert war. Verglichen mit der öffentlichen Aufmerksamkeit, die Shackleton selbst trotz seines Fehlschlags entgegengebracht wurde, fand die Ross Sea Party kaum Beachtung, was ihr die Bezeichnung „Shackleton’s Forgotten Men“ („Shackletons vergessene Männer“) einbrachte. 189
Abb. 127: „Shackletons vergessene Männer“ fotografiert nach ihrer Ankunft in Wellington im Februar 1917; (hinten von links nach rechts: Richards, Gaze, Jack, Cope. Vorne von links nach rechts: Stevens, Joyce, Wild) Der Bericht über die Fahrten zur Einrichtung von Depots im Sommer 1915/16 ist ein Bericht über den eisernen Durchhaltewillen dieser Gruppe angesichts schier nicht zu bewältigender Schwierigkeiten und Gefahren. Sechs Monate lang kamen die Männer praktisch kaum aus den Zuggeschirren ihrer Schlitten heraus. Sie litten unter Erfrierungen, Skorbut, Schneeblindheit und absoluter Erschöpfung. Doch ungeachtet all dessen legten sie die Depots an den festgesetzten Stellen an, und wäre die vom Weddellmeer hervorstoßende Gruppe Shackletons in der Lage gewesen, wie geplant den antarktischen Kontinent zu durchqueren, dann hätte sie Verpflegung und Brennstoff dort erwartet. Die Gruppe verließ Hut Point am Morgen des 9. Oktober. Die neun Männer zogen an einem Seil drei hoch beladene Schlitten hinter sich her. Das Ziehen der Schlitten erwies sich als äußerst mühsam, und am nächsten Tag wurde beschlossen, dass sich jeweils drei Mann vor einen Schlitten spannen sollten. Diese Anordnung wurde auch für die späteren Fahrten beibehalten. Anhaltender Gegenwind mit gelegentlichen Schneegestöbern machte das Vorankommen schwer. Die Männer hatten mit Erfrierungen zu kämpfen. Spencer-Smith, der Kaplan und Fotograf der Expedition litt unter geschwollenen, schmerzenden Beinen und Mackintosh zeigte Zeichen der Erschöpfung. Spencer-Smith, der sich am Schluss halb lahm vorangekämpft hatte brach am nächsten Morgen mit auf und marschierte bis mittags. Dann sagte er, dass er nicht mehr weiterkönne, und Mackintosh ließ halten. Spencer-Smith schlug vor, ihn mit Vorräten und einem Zelt hier zu lassen, während die anderen weitermarschieren sollten. Er wurde mit einem Zelt, einem Schlitten und Verpflegung zurückgelassen und sollte die Rückkehr der anderen in etwa einer Woche abwarten. Als diese zurückkamen, fanden sie Spencer-Smith in seinem Schlafsack, unfähig zu gehen. Als sie 190
wieder aufbrachen, lag Spencer-Smith in seinem Schlafsack auf einem der Schlitten. Er war so gut wie hilflos. Schließlich konnte auch der Skipper, der sich hinten an den Schlitten gebunden hatte, nicht mehr weiter. Mackintosh hatte sich auf den Beinen gehalten, so lange es menschenmöglich war. Er plagte sich schon seit einigen Wochen mit einem, wie er es nannte verstauchten Bein herum, das vom Skorbut herrührte. Doch er hatte die Hauptverantwortung für die zu bewältigende Aufgabe und wollte um keinen Preis aufgeben. Spencer-Smiths Zustand verschlechterte sich zusehends. Die Entscheidung, die beiden Kranken mit Wild im Lager zurückzulassen war unter diesen Umständen vollständig gerechtfertigt. Jeder Versuch, den Weg mit zwei hilflosen Männern zu machen, hätte den sicheren Tod der ganzen Gruppe bedeutet.
Abb. 128: Spencer-Smith und Mackintosh beim Schlittenziehen Als sie das rettende Depot erreicht hatten und mit frischen Lebensmitteln zum Lager mit den Kranken zurückkehrten kam ihnen Wild entgegen. Er sagte, dass sie nichts mehr zu essen hätten. Dann kam der Skipper aus dem Zelt, sehr schwach, und versuchte zu sprechen. Er sagte: „Ich möchte euch dafür danken, dass ihr uns das Leben gerettet habt“ (Shackleton 2016, S. 255). Doch für Spencer-Smith kam diese Rettung schon zu spät. Um 4 Uhr früh rief er, dass er sich eigenartig fühle. Wenig später war er bereits tot. 40 qualvolle Tage lang war er auf dem Schlitten durchgerüttelt worden und hatte sich nie beklagt oder ein unfreundliches Wort gesagt. Manchmal, wenn man ihn auf den Schlitten hob, wurde er vor Schmerzen beinahe ohnmächtig, aber er klagte nie. Um 9 Uhr wurde er begraben. Man band ein Kreuz aus Bambusstäben zusammen und errichteten einen Grabhügel. Danach machten sie sich wieder auf den Weg und kämpften sich mühsam weiter voran. Endlich, am Samstag dem 11. März langte die Gruppe nach entsetzlichen Qualen und Strapazen im Ausgangslager Hut Point an. Da es dort keine Neuigkeiten vom Schiff gab, mussten sie davon ausgehen, dass es untergegangen ist. 191
Aber eine neue Katastrophe bahnte sich daraufhin an. Denn es kam es zu einem zutiefst bedauerlichen Unglücksfall. Am Morgen des 8. Mai fragte Kapitän Mackintosh Joyce was er davon halte, wenn er mit Hayward nach Cape Evans ginge. Mackintosh hielt das Eis für sicher. Er wurde sofort bestürmt, das Risiko nicht einzugehen, da das Eis, wie ihm erklärt wurde, zwar fest, aber noch sehr jung war und ein Schneesturm fast mit hundertprozentiger Sicherheit einen Teil davon hinaus aufs Meer treiben würde. Aber verständlicherweise drängte es Mackintosh zu erfahren, wie es den Männern in Cape Evans ging und ob sie eventuell Nachricht vom Schiff hatten. Um 13 Uhr, gerade als das Wetter schlechter wurde, brachen er und Hayward auf, nachdem sie fest versprochen hatten umzukehren, sollte das Wetter zu schlecht werden. Um 15 Uhr kam ein starker Schneesturm auf, der sich später zu einem wütenden Toben steigerte und die Gruppe in der Hütte mit den schlimmsten Befürchtungen im Blick auf das Schicksal der beiden Abwesenden erfüllte. Am ersten Tag, an dem es möglich war, gingen die drei in Hut Point Zurückgebliebenen über das Eis Richtung Norden, um eine Spur von den beiden zu finden. Ihre Fußabdrücke zeichneten sich deutlich auf dem Eis ab. Sie folgten der Spur etwa drei Kilometer in Richtung auf Cape Evans zu. Hier endete sie plötzlich und im fahlen Dämmerlicht dehnte sich ein breiter Wasserstreifen, der ganz leicht mit Eis überzogen war und sich erstreckte, soweit das Auge reichte. Sofort war klar, dass ein Teil des Eises, über das die beiden Männer gegangen waren, ins Meer getrieben worden war. Wann immer sich die Gelegenheit bot, schwärmten Suchtrupps aus, die nach den Leichen oder einer Spur der Vermissten Ausschau hielten. Doch trotz aller Bemühungen blieben diese Expeditionen ohne jeden Erfolg. Am 10. Januar 1917 kam dann endlich die Rettung.
Die Irrfahrt der „Aurora“ Während das Schiff „Endurance“, das Shackleton mit der Hauptgruppe beförderte, in die Weddell See ging, sollte das zweite Expeditionsschiff „Aurora“ zur gegenüberliegenden Seite des Kontinents reisen. Nachdem der Kapitän die „Aurora“ mit seiner Mannschaft am 25. Januar 1915 verlassen hatte um das Lager am Cap Evans einzurichten, übernahm Joseph Russell Stenhouse das Kommando über das Schiff. Bereits nach wenigen Tagen brach das Eis vom Ufer weg. Das Schiff wurde mit einer massiven Eisscholle nach Nordwesten in den McMurdo-Sund hinausgetrieben. Das war auch das Ende des Versuches dort zu überwintern. Im Mai steckte die „Aurora“ im Packeis fest und trieb hilflos dahin. Am 10. und 11. Mai tobte ein heftiger Schneesturm. Es war kaum möglich, an Deck zu gehen. Am 13. und 14. wurden mit vereinten Kräften die Anker eingeholt. Beide Anker waren gebrochen, so dass das Schiff nur noch einen kleinen Wurfanker besaß. Das Schiff lag manövrierunfähig im Griff des Eises. Ein neuer Schneesturm aus Südsüdost führte zu einer Verwüstung an Deck. Das Schiff wurde 192
übel eingeklemmt. Soweit das Auge reichte, waren schwere Eisblöcke ineinander verkeilt. Auch in den nächsten beiden Monaten bekam das Schiff den Druck des Eises immer wieder massiv zu spüren. Am 21. Juli wurde das Ruder über Bord gerissen und zerquetscht – die soliden Eichenholzteile und der Stahl brachen dabei wie Streichhölzer. Bug und Heck wurden zwischen schweren Schollen eingeklemmt. „Nie werde ich vergessen,“ notierte Stenhouse in seinem Tagebuch, „wie das Schiff zusammengedrückt und auseinander gezogen wurde wie ein Schifferklavier“ (Shackleton 2016, S. 268).
Abb. 129: Die Mannschaft der „Aurora“ Die Eisscholle, in die das Schiff hinein gefroren war, blieb auch im November unverändert. Allerdings stiegen die Temperaturen unter dem Einfluss der Sonne etwas an und das Eis wurde weicher. Am 22. herrschte spürbar Tauwetter. Stenhouse glaubte, ein kräftiger Schneesturm würde das Packeis aufbrechen. Doch der Zangengriff des Packeises war unerbittlich. Das Notruder war bereit zum Einsatz sobald das Schiff frei war, wurde aber vorläufig dem Eis noch nicht ausgesetzt. Auch im Dezember war das Eis immer noch fest. Im Februar des Nächsten Jahres blockierten massive Eisschollen von allen Seiten das schwer beschädigte Schiff. Auf jeden Fall war es nun völlig ausgeschlossen, auch nur den Versuch zu unternehmen, den McMurdo-Sund zu erreichen. Stenhouse hatte ein beschädigtes, ruderloses Schiff mit nur wenigen Tonnen Kohle und kämpfte sich gegen widrige Winde und Querseen durch schweres Wetter nordwärts. Das Notruder erforderte ständig Reparaturen, und der Kohlemangel machte es unmöglich, das Beste aus den Maschinen herauszuholen. Zeitweise kam das Schiff überhaupt nicht voran und wurde zum Spielball der Dünung oder lag beigedreht inmitten turmhoher Wellen. Doch Stenhouse bewährte sich als hervorragender Seemann mit Weitblick und zäher Zielstrebigkeit. Er bewältigte eine der schwierigsten Routen auf einem Meer, das berüchtigt ist für seine Stürme und seine Unberechenbarkeit. 193
17 Shackletons Quest-Expedition und das Ende des Goldenen Zeitalters der Antarktis-Forschung Nach der Rückkehr von der Endurance-Expedition plante Shackleton zunächst, eine Reise in die Arktis zu unternehmen Das Gebiet nördlich von Alaska und westlich des kanadisch-arktischen Archipels war zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend unerforscht. Aufgrund bereits existierender Aufzeichnungen zu Gezeitenströmungen vermutete Shackleton dort große Landmassen. Sie wären nach seiner Meinung, abgesehen von ihrer wirtschaftlichen Bedeutung, auch von höchstem wissenschaftlichen Interesse. Im März 1920 wurden seine Pläne von der Royal Geographical Society befürwortet. Sie fanden auch bei der kanadischen Regierung Unterstützung. Bei der Bemühung um die Finanzierung seines Vorhabens traf Shackleton seinen alten Schulfreund, den erfolgreichen Geschäftsmann John Quiller Rowett (1874–1924). Dieser stellte ihm ein Startkapital zur Verfügung. Im Mai 1921 zog jedoch die kanadische Regierung aufgrund der angespannten Haushaltslage ihre Zusage die Expedition finanziell zu unterstützen zurück. Statt alle Planungen aufzugeben, entschloss sich Shackleton jedoch zu einer Neuorientierung. Mitte Mai informierte er seinen alten Gefährten Alexander Macklin (1889–1967), der sich zu dieser Zeit in Kanada zum Kauf von Schlittenhunden für die Expedition aufhielt, dass das neue Ziel die Antarktis sei, um dort ozeanografische Forschungsarbeiten durchzuführen. Sein alter Schulfreund Rowett, der ja schon seine Beteiligung an der geplanten, aber nicht zustande gekommenen Arktisexpedition zugesagt hatte, erklärte sich bereit, diese neue Expedition in die Antarktis zu finanzieren, die seither offiziell als Shackleton-Rowett Expedition bezeichnet wurde (Wild/ Macklin 1923, S. 6). Das kanadische Luftfahrtministerium stellte die gesamte Ausstattung an meteorologischen Instrumenten als Leihgabe zur Verfügung und hielt auch für diese Expedition das Versprechen ein, eine Flugmaschine zur Verfügung zu stellen, um sie gewissermaßen als „Auge“ der Bodentruppen der Expedition zu benutzen. Shackleton konnte mit Rowetts Geld den bereits zum Expeditionsschiff umgebauten Robbenfänger bezahlen, der nach einem Vorschlag seiner Frau Emily „Quest“ benannt wurde. In einem Artikel in der „London Times “ hatte Shackleton angekündigt, mit einem Dutzend Teilnehmern, die ihn in der Mehrzahl bereits auf früheren Expeditionen begleitet hatten, in die Antarktis aufzubrechen. Am Abreisetag aus London waren es schließlich 20 Männer. Der Ab194
reisetag aus London war der 17. September 1921. Eine enthusiastische Menge von Leuten riefen der Besatzung Beifall zu und wünschten ihr viel Glück und eine sichere Heimkehr. Nach dem Auslaufen aus den Docks fuhr die „Quest“ auf der Themse flussabwärts. Begleitet wurde sie dabei von Rowett, der bei Gravesand zusammen mit Shackleton das Schiff verließ und nach London zurückkehrte. Zum stellvertretenden Expeditionsleiter wurde Frank Wild ernannt der an allen Antarktisexpeditionen Shackletons teilgenommen hatte.
Abb. 130: Die „Quest“ mit Shackleton und Rowett an Bord Während Wild allein nach Plymouth weiterfuhr traf ihn dort Shackleton, der von London zum Schiff zurückkam. „Der Boss“, schreibt Wild, „brachte einen Wolfshund-Welpen mit, ein wundervoll schönes Tier mit einem langen Stammbaum, das ihm von einem Freund als Maskottchen geschenkt worden war. Es bekam den Namen „Querry“ und wurde bald der flotte Liebling von allen an Bord“ (Wild/Macklin 1923, S. 17). Später wurde Querry zu einem regulären Schiffshund, der aber die Veranlagung hatte, wenn es draußen nass wurde, in die Schlafkabine seines Herrn zu übersiedeln. „Zusätzlich zu Querry“, berichtet Wild weiter, „gab es noch zwei andere Haustiere auf dem Schiff in Gestalt von zwei kleinen schwarzen Kätzchen. Eins davon wurde uns von der Daily Mail als Maskottchen geschenkt, das andere war ein Geschenk von einem Mädchen an einen von der Mannschaft. Sie litten anfänglich ein wenig an der Seekrankheit, aber entwickelten später einen sehr großen gefräßigen Appetit, und zeigten die größte Beharrlichkeit ans Futter zu kommen. Sie kletterten einem auf die Beine mit ihren langen scharfen Krallen, miauten und benützten jede Gelegenheit, ihre Nasen in Krüge und Essteller zu stecken“ (Wild/Macklin 1923, S. 26). 195
Abb. 131: Querry und der Boss Gleich nach der Abfahrt aus England am 24. September 1921 wurde das Wetter sehr schlecht. Trotzdem das Schiff unter Dampf gefahren wurde, kam es in der rauen See nur wenig vorwärts. Aber es blieb trocken und nahm nur wenig Wasser auf.
Abb. 132: Frank Wild und die „Quest“ auf hoher See Als man Lissabon erreichte, wurde die „Quest“ zur Überprüfung und Reparatur ins Dock gebracht das man man am 11. Oktober wieder verließ. Eine Abwechslung bei der langen Fahrt über den Atlantik nach Süden war nur der Fischfang. In Rio de Janeiro angelangt, ging es Shackleton gesundheitlich sehr schlecht. Doch er verweigerte eine eingehende medizinische Untersuchung und Behandlung, so dass die „Quest“ ihre Fahrt fortsetzte und am 4. Januar 1922 in den Hafen von Grytviken (Südgeorgien) einlief. Der letzte Eintrag in seinem Tagebuch lautete: „Der ranzige 196
Geruch nach totem Wal durchdringt einfach alles. Es ist schon ein fremder und seltsamer Ort“ (Wild/Macklin 1923, S. 59). In der Nacht rief Shackleton seinen Arzt Macklin zu sich und sagte zu ihm, dass er nicht schlafen könne und bat um ein Schlafmittel. Für Macklin war das eine günstige Gelegenheit, Shackleton nahe zu legen, dass er alles viel ruhiger angehen müsse. Darauf habe Shackleton aber gefragt: „Sie wollen immer, dass ich Dinge aufgebe, was sollte ich denn aufgeben?“ Das waren auch seine letzten Worte (Wild/Macklin 1923, S. 65). Am Morgen des 5. Januar 1922 erlitt Shackleton einen tödlichen Herzinfarkt. Leonard Hussey (1891–1964), wie Macklin ein Veteran der Endurance-Expedition, erklärte sich bereit, die Überführung des Leichnams nach Großbritannien zu begleiten. Von Shackletons Frau Emily kam aber die Nachricht, man möge ihren Mann in Südgeorgien bestatten, was auch an einer einsamen Stelle dieses Landes geschah. In Macklins Tagebuch findet sich am 4. Mai 1922 der Eintrag, dass es das ist, was Shackleton „für sich selbst gewollt hätte. Allein auf einer Insel und fernab der Zivilisation, umgeben von der stürmisch tobenden See in der Nähe einer seiner größten Heldentaten.“
Abb. 133: Macklin und das einsame Grab Shackletons Auch für Wild war das ganz im Sinne von Shackleton selbst, wenn er schreibt: „Ich habe nicht den geringsten Zweifel, dass Sir Ernest – hätte er die Möglichkeit gehabt, sich für seine letzte Ruhestätte zu entscheiden – gerade diesen Platz hier dafür gewählt und dieses schlichte Begräbnis gegenüber jeder Prozedur, die mit großem Pomp und Zeremonien durchgeführt würde, bevorzugt hätte.“ Und Wild schließt an diese Feststellung eine von ihm selbst adaptierte Version jener Zeilen an, die von Tennyson über Franklins Tod geschrieben wurden: „Nicht hier! Der weiße Süden hat deine Gebeine; und Du, heroische Seemannsseele, ziehst nun vorüber auf Deiner glücklicheren Reise hin zu einem Pol, der nicht von dieser Erde ist“ (Wild/Macklin 1923, S. 70). 197
Die Expeditionsteilnehmer hielten sich einen Monat lang in Südgeorgien auf. In dieser Zeit errichteten die Begleiter von Shackletons Endurance-Expedition auf einer Landspitze oberhalb der Hafenbucht von Grytviken ein Gedenkkreuz zu seiner Erinnerung. Auf einen Stein befestigten sie eine Messingplatte mit der einfachen Inschrift: „SIR ERNEST SHACKLETON Explorer Died here, January 5th, 1922. Errected by his Comrades“ es war das letzte Lebwohl für ihren Boss.
Abb. 134: Letztes Farewell Der Tod Shackletons war ein schwerer Rückschlag für die Expedition. Als neuer Expeditionsleiter wurde Frank Wild vorgeschlagen, was sicher im Sinn von Shackleton war. Doch sehr bald wurde die Frage aufgeworfen, ob Wild ein angemessener Ersatz für ihn sein konnte. Denn er war nach der Meinung Einiger, die ihn näher kannten, schwerer Alkoholiker. Nach anderer Meinung ließe sich demgegenüber darüber streiten, ob unter der Leitung Shackletons bessere Resultate erzielt worden wären, da dessen Verhalten während der Reise nach Süden von Teilnahmslosigkeit, Stimmungsschwankungen und Unschlüssigkeit gekennzeichnet war. Am 8. Mai 1922 verließ die „Quest“ Grytviken und fuhr zunächst zur Insel Tristan da Cunha. Am 18. Juni traf die Quest in Kapstadt ein wo sie von einer großen Menschenmenge begrüßt wurde. Der südafrikanische Premierminister Jan Christiaan Smuts ehrte die Expeditionsteilnehmer mit einem offiziellen Empfang. Darüber hinaus wurden sie auch von anderen Honoratioren zu festlichen Abendgesellschaften eingeladen. Zu ihrer Enttäuschung erreichte sie dort auch Rowetts Order, nach England zurückzukehren. Daher verließ die „Quest“ am 19. Juli Kapstadt in Richtung Norden und traf nach mehreren Zwischenaufenthalten am 16. September 1922, fast auf den Tag genau ein Jahr nach Beginn der Expedition, in Plymouth ein. Frank Wild berichtet über den herzlichen Empfang: „So wie es sich gehört, war Mr. Rowett der erste, der das Schiff betrat. Er hieß uns auf das herzlichste zuhause willkommen. Er war sehr interessiert an allem, was ich ihn zu erzählen hatte, aber auch tief betroffen, als ich von unserem alten Boss sprach, den wir dort unten 198
zurückgelassen hatten. So wie es schicklich war, kehrten wir ohne großes Aufsehen zurück. Als die Verantwortung für die Leitung der Expedition auf meine Schultern fiel, war es meine Aufgabe weiterzumachen. Mit Hilfe der Männer, die mir bedingungslosen Gehorsam und unerschütterliche Loyalität entgegenbrachten war ich dazu in der Lage. Es freute mich sehr, als Mr. Rowett, durch dessen Unterstützung und Kooperation allein die Expedition möglich gewesen war, zu mir sagte: Alter Freund, das haben Sie großartig gemacht.“ Dann ging Wild auf die wissenschaftlichen Ergebnisse der Expedition ein: „Wir hatten viele Beobachtungen gemacht und brachten eine Fülle von Daten mit, die wir während langer Tage des Elends und harter Arbeit gesammelt hatten. Und ich hoffe, wenn alles gesichtet und aufgearbeitet ist, dass unsere Bemühungen sich bei der Lösung der großen Naturprobleme, die uns immer noch verwirren, als wertvoll erweisen werden.“ Abschließend stellt Frank Wild zufrieden fest: „Ich habe an fünf Expeditionen zur Antarktis teilgenommen. Und obwohl ich denke, dass meine Arbeit erledigt ist, werde ich doch nie aufhören, dankbar zu sein, dass es mir zugefallen war, den tastenden Finger des Wissens auf den weißen Rändern der Welt den Weg zu bahnen“ (Wild/Macklin 1923, S. 312 f.). Die Ergebnisse dieser Arbeiten fasste Wild im Anhang seines Buches „Shackleton’s Last Voyage“ zusammen (Wild 1923, S. 314–365). Die nachfolgenden Expeditionen unterschieden sich jedoch grundlegend von ihren Vorgängern, da anstelle von Entdeckungen die Erprobung technischer Neuerungen in den Vordergrund rückte, zu der auch die Errichtung dauerhafter Forschungsstationen in der Antarktis gehörte. Daher wird die Quest-Expedition als das Ende des Goldenen Zeitalters der Antarktis-Forschung und als Übergang zu einer technischen Epoche antarktischer Forschungsreisen angesehen.
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18 Zum sechsten Erdteil: Die zweite deutsche Antarktisexpedition unter Wilhelm Filchner Deutschland hatte seine Forschungstätigkeit in dem großen, unbekannten Teil der Erde, der den Südpol umgibt, seit Rückkehr der ersten deutschen Südpolarexpedition im Jahre 1903 völlig eingestellt. Von anderen Nationen wurden gerade in dieser Zeit namhafte Erfolge in der Antarktis erzielt. Der Stillstand der deutschen antarktischen Forschungstätigkeit ist nur damit zu erklären, dass die Ansicht verbreitet war, eine Polarexpedition müsste immer den mathematischen Punkt, den eine der beiden Enden der Erdachse darstellt, zum Ziele haben. Bei solcher Auffassung war die ablehnende Stellungnahme einer Polarexpedition gegenüber verständlich, da die Erreichung eines Polpunktes kaum ein wissenschaftliches Interesse hat, und die großen Kosten einer solchen, rein sportlichen Charakter tragenden Polarexpedition, durchaus nicht in einem annehmbaren Verhältnis zum erreichten Erfolge stehen würden. Doch bei Filchners Expedition handelte es sich aber um etwas ganz anderes. Es galt, ernste wissenschaftliche Probleme zu lösen und Aufgaben zu erfüllen, durch welche große Lücken in dem Aufbau zahlreicher wissenschaftlicher Disziplinen ergänzt werden würden. Von der Antarktis war nur wenig bekannt; meist handelte es sich um periphere Landsichtungen, die sogar nicht einmal in allen Fällen absolut sicher nachgewiesen waren.
Abb. 135: Stand der Forschungen in der Antarktis im Jahre 1910 (entnommen der Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin) 200
Wilhelm Filchner trat zum ersten Mal in der Gesellschaft für Erdkunde in Berlin mit dem Plan einer zweiten deutschen Südpolar-Expedition an die Öffentlichkeit. Der gerade damals anwesende schwedische Polarforscher Nordenskjöld unterstützte seine Pläne von Anbeginn an in entscheidender Weise. Als Einleitung zu Filchners erst 1922 erschienen Bericht „Zum sechsten Erdteil“ schrieb er: „Nur selten ist in späteren Jahren eine Expedition mit einem so überaus wichtigen, rein geographischen Programm ausgezogen, wie die Expedition von Wilhelm Filchner. Nansen und Shackleton hatten in Verbindung mit ihrem Suchen nach den Erdpolen die großen Geheimnisse der Polarregionen entschleiert, trotzdem lagen aber noch, wenigstens im Süden überaus wichtige Aufgaben vor. Die Entdeckung der südlichen Begrenzung des Atlantischen Ozeans, des Prinzregent-Luitpold-Landes und des Weddell-Schelfes bildet eine geographische Tat von allergrößter Bedeutung“ (Nordenskjöld in Filchner 1922, S. VII).
Die angebliche britisch-deutsche Rivalität in der Antarktis Filchners Verbindungen mit den internationalen Polarkennern Shackleton und Scott erleichterten ihm die ersten Schritte und halfen ihm Schwierigkeiten aus dem Wege zu räumen. Besonders Scott war es, der die Legende einer britisch-deutschen Rivalität in der Antarktis zerstören half. Das Interesse für Filchners Expeditionspläne war schließlich auch bei dem damaligen deutschen Kaiser erwacht, und noch entstehende Hindernisse wurden durch sein Machtwort beiseite geschafft.
Abb. 136: Filchner und sein Schiff „Deutschland“ Die Tatsache, dass somit auf der pazifischen und südatlantischen Seite der antarktischen Landmassen Meeresbuchten festgestellt worden waren, führte zu der Sundtheorie von Sir Clemens 201
Markham. Der Schwede Otto Nordenskjöld war es, der diese auf Grund seiner in den Jahren 1902–1904 an der Westseite des Weddell-Meeres gesammelten Beobachtungen weiter ausbaute, und zwar in folgender Form: „Von der Ross-See zum Weddell-Meer zieht sich ein mit Eismassen ausgefüllter Meeresarm hindurch, der die antarktischen Landmassen in eine kontinentale Landmasse ‚Ostantarktika‘ mit dem Südpol nahe ihrem westlichen Rande, und in ein ‚Westantarktika‘ teilt.“ Filchner wollte auf der Grenze zwischen Ost- und West-Antarktika marschieren, um dadurch einen klaren Überblick über die Verhältnisse zu gewinnen. Diese Durchquerung war natürlich an der schmalsten Stelle der Antarktis beabsichtigt und zwar zwischen der Ross-See und der Weddell-See, welche beide sehr tief in den Südkontinent hineingreifen. Der Plan war anfangs auf die Benutzung zweier Expeditionsschiffe aufgebaut. Das eine Schiff sollte mit dem Haupttrupp im Weddell-Meer möglichst weit nach Süden vorstoßen und eine Schlittenabteilung nach Süden voraus senden. Das andere Schiff sollte nach der Ross-See gehen und von dort eine Hilfsabteilung nach Süden vortreiben. Jedoch die für die Durchführung zur Verfügung stehenden Mittel waren sehr gering. Filchner verlegte daher den Schwerpunkt der Expedition in das Weddell-Meer, so dass jetzt nur noch ein Expeditionsschiff nötig war. Wollte man die Lösung der soeben behandelten Fragen nur von einer Seite in Angriff nehmen, so konnte dies an sich sowohl von der Ross-See, als auch vom Weddell-Meer aus geschehen. Leichter erschien es allerdings von der Ross-See aus, indem man z. B. auf dem bereits bekannten schwimmenden Eisfelde so weit als möglich nach Süden vorstieß, und die Fortsetzung der Lücke des Victoria-Landes feststellte. Aber befremdend war es, dass die beiden damals dort befindlichen Expeditionen, die des Engländers Scott und des Norwegers Amundsen, nicht die Absicht hatten, der Lösung dieses großen Problems näher zu treten, sondern lediglich den abseits gelegenen Südpol erreichen wollten. Da eine japanische Expedition anscheinend auch der Ross-See zustrebte, so schien es Filchner völlig unangebracht, dass noch eine vierte Expedition das Ross-Meer zu ihrer Operationsbasis machen könnte. Er schreibt dazu: „Da ich Scott keine Konkurrenz machen wollte, hatte ich mich mit ihm in einer persönlichen Aussprache in London kurz vor seiner Ausreise rasch zu unserer beiderseitigen Zufriedenheit verständigt. Auch in Bezug auf das Weddell-Meer waren noch Schwierigkeiten ähnlicher Art zu überwinden. Dort wollte Dr. Bruce mit einer Expedition Zielen, die den meinigen ähnlich waren, nachgehen. Ich reiste deshalb unverzüglich nach Edinburgh und fand in Dr. Bruce ebenso wie vorher in Kapt. Scott einen liebenswürdigen Herrn, mit dem ich mich um so rascher einigen konnte, als er seine Expedition erst im nächsten Jahre antreten wollte, da er noch nicht genügend Mittel gesammelt hatte. Dr. Bruce und Kapt. Scott standen mir mit Rat und Tat zur Seite, und bald war es mir gelungen, auch die britische Presse davon zu überzeugen, dass meine Expedition wirklich kein bloßes Konkurrenzunternehmen war. So stand denn der Durchführung meines Planes nichts mehr im Wege“ (Filchner 1922, S. 6). Entsprechend diesem neuen Plan der Expedition hatte Filchner mit Absicht von dem Wort ‚Südpolar-Expedition‘ Abstand 202
genommen und dafür ‚Antarktische Expedition‘ gewählt, um gleich von Anbeginn an zu betonen, dass es sich bei diesem Unternehmen nicht um die Erreichung des Südpols handelte, sondern vor allem um die Lösung des Problems des Verhältnisses von West- zu Ost-Antarktika.
Landung mit Ponys und Hunden Am 9. Februar erreicht die „Deutschland“ den antarktischen Landeplatz an der Küste de Vahsel Bucht.
Abb. 137: Landung Um 2 Uhr mittags wurden die Pferde und Hunde ausgeladen. Die Pferde benahmen sich dabei unerwartet gut und zeigten sich erst unbändig, als sie festen Boden unter den Beinen fühlten; sie bissen, schlugen und wälzten sich vor Übermut und Freude. Eins war sicher: der lange, nur zweimal kurz unterbrochene Transport der Pferde von der Mandschurei nach der Vahselbucht hatte deren Gesundheitszustand nicht zu schwächen vermocht. Als Nahrung für die Pferde wurden 25 Ballen gepressten Heus und 10 Sack Mais mit einer Maisquetschmaschine gelandet. Mehr Schwierigkeiten machten die Hunde, die nur mit Gewalt von dem ihnen liebgewordenen Schiff getrennt werden konnten. Die Hunde wurden in der Mitte der Stationsbergoberfläche an verankerten Stahltrossen festgebunden. Die ersten Tage und Nächte konnte man das klagende und singende Geheul dieser Grönlandhunde vernehmen, das entweder Sehnsucht nach dem Schiff oder nach einigen Hündinnen ausdrückte, die bei ihren Jungen an Bord zurückbehalten worden waren. 203
Abb. 138: Ausritt mit Pony
Abb. 139 Hundelager
Aufbau des Stationshauses Für den Aufbau des Stationshauses kam nur eine spaltenlose, ebene Eisfläche ungefähr in der Mitte des Eisberges in Frage. Der Südosten und Osten der Eisfläche mussten gemieden werden; denn dort gab es einige breite und tiefe Spalten, die durch eine dünne Schneedecke so unauffällig waren, dass sie dem ungeübten Auge unkenntlich bleiben mussten. Für Mensch und Tier hätten diese in Hausnähe eine ständige Gefahr dargestellt. Der Aufbau des Hauses sollte derart erfolgen, dass eine Breitseite nach Norden zu liegen käme. Ferner ordnete Filchner an, dass an Stelle von 3 freiwerdenden Plätzen im Stall ein Raum für astronomische Beobachtungen eingebaut wurde.
Abb. 140: Stationshaus im Rohbau und Fertigstellung 204
Drachen, Fesselballone und Pilotballone Das wissenschaftliche Arbeitsprogramm für die Treibfahrt war nach den Vorschlägen der einzelnen Fachvertreter folgendermaßen: Der Meteorologe beabsichtigte Arbeiten in dem Gebiete der Meteorologie, der Aerologie und der Luftelektrizität. In der Meteorologie war es für ihn das Wichtigste, kontinuierliche Aufzeichnungen der meteorologischen Elemente zu gewinnen. Zu diesem Zweck dienten Registrierapparate für Luftdruck, Temperatur, Feuchtigkeit und Wind nach Richtung und Geschwindigkeit. Die Untersuchung der höheren Schichten, besonders auch die Beobachtung über den Zug der höheren Wolken, sollte durch Drachen, Fesselballons und Pilotballons geschehen. Geplant waren monatlich etwa 10 Aufstiege. Durch Pilotballons sollten die Schichten, die durch Drachen und Fesselballons nicht mehr erreichbar waren, wenigstens in Bezug auf ihre Windverhältnisse untersucht werden. Der Meteorologe lässt zu diesem Zweck einen Ballon mit Registrierinstrumenten zur Messung der höheren Luftschichten am Draht hoch, später wird dieser jeweils mit der Winde herabgeholt. Um Ballongas zu sparen, und um den Ballon am nächsten Tage wieder verwenden zu können wird er von nun ab bei ruhigem Wetter die Nacht über durch Gewichte neben dem Schiff verankert. Aufkommen stärkeren Windes zwang jedoch zu frühzeitiger Entleerung des Ballons. Später, als dafür extra ein Ballonhaus fertiggestellt worden war, konnte der Ballon zu mehreren Versuchen verwendet werden.
Abb. 141: Ballon und Ballonhaus
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Erkundigung des Festlandes Über die Erkundigung des Inlandeises schreibt Filchner: „Das Inlandeis, auf dem wir stehen, wird ebenfalls nach Osten zu immer flacher und stellt ein vorzügliches Gelände für Schlittenreisen dar. Sowohl Pferde wie Hunde können hier als Zugtiere Verwendung finden. Je weiter man nach Osten gelangt, desto flacher und ebener scheint das Inlandeis zu werden. Gegen die beiden Gletscher in der Ecke der Herzog- Ernst-Bucht bricht das Inlandeis terrassenförmig und steil ab. Nahe den Gletscherwänden zeigt sich starke Spaltenbildung. Auf jeden Fall ist diese Gegend günstig für die Schaffung eines Hauptdepots, das für alle Arbeiten auf dem Inlandeis und die Vorexpeditionen den ersten Rückhalt, bieten soll, und so entschloss ich mich, unverzüglich die Schaffung dieses wichtigen Stützpunktes in die Hand zu nehmen“ (Filchner 1922, S.).
Abb. 142: Neu entdecktes Land Über eine weitere Schlittenreise nach Morell-Land, das der berühmte britische Admiral James Ross im Jahre 1843, einige Grade nördlicher dieses Neuland gesichtet haben soll, berichtet der Kapitän Alfred Kling. In wissenschaftlichen Kreisen stand man diesen Angaben immer von Ross skeptisch gegenüber. Filchner ergriff deshalb die günstige Gelegenheit, persönlich nach dem Morell-Land Ausschau zu halten. Zu diesem Zweck fasste er den Entschluss, vom treibenden Schiff aus eine längere Schlittenreise nach Westen zu unternehmen, um festzustellen, ob Morell- Land tatsächlich existiert.
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Robbenjagden der Hunde Doch diese Reise war sehr beschwerlich. Immer wieder kippten die Schlitten um, oder mussten über das hohe Packeis gehoben und geschoben werden. Die Hunde waren dabei keine große Hilfe. Denn sobald ein Schlitten durch ein Hindernis aufgehalten wurde, blieben sie von selbst stehen. Aber es kam noch schlimmer. Häufig geschah es, dass die Hunde plötzlich nach der Seite abbogen und in wildem Tempo davonrannten. Der Grund für dieses plötzliche Ausreißen war die Jagd nach Robben. Die tollen Hunde stürzen sich blutdürstend auf diese nichtsahnenden Tiere. Ein wilder Kampf konnte nur dadurch verhindert werden, dass auf die Hunde brutal eingeschlagen wurde: „Ich kehre meinen Peitschenstiel um“, sagt der Kapitän Kling, „und ich schlage zwischen das Hundeknäuel, was das Zeug hält; bald lassen die Bestien ein Heulen und Zähneklappern hören. Die Seehunde, die sich ihrer gefährlichen Situation gar nicht bewusst sind, flüchten nur ein paar Meter weit, anstatt im Wasser zu verschwinden, und schauen nunmehr mit ihren Glotzaugen dem abenteuerlichen Spiel in Gemütsruhe zu“ (Filchner 1922, S. 341). Gegen Ende des Polarwinters gab es eine so große Menge an Robben, dass die Hunde nicht mehr zu hungern brauchten. Sie freuen sich jeden Tag über das frische Fleisch und verschlangen die Eingeweide der erlegten Tiere mit großer Gier. Auch die ehemals wilden Pferde sind nach überstandener Polarnacht recht zutraulich geworden und erkannten das Schiff offenbar als ihr Heim an. Der Grauschimmel Erika wurde am zum Heranziehen einer vom Schiff entfernt erlegten Robbe hinausgeführt, die Robbe wurde an der Zugleine befestigt und Erika schleppt die Last ohne jede Hilfe von selbst zum Schiff und wartete dort geduldig, bis man sie von der Robbe abspannt. Als schließlich das Eis Risse bekommt versuchen die Eingeschlossenen durch Sprengungen freizukommen. Erst am 25. November war es so weit. Einige Sprengungen in Schiffsnähe ließen das Schiff erzittern, so dass es gelang, das Schiff völlig frei zu bekommen. Die Schiffsschraube wird in Gang gesetzt, und das Schiff konnte durch Rammen das offene Wasser im Nordosten zu erreichen. Am 26. November 1912 Vormittag war die fast 9 Monate währende Driftfahrt beendet. Das Weddell Meer, die gewaltige Ausbuchtung des Antarktischen Kontinents auf seiner Atlantischen Seite war das Ziel der 2. deutschen Südpolar-Expedition gewesen. Insbesondere sollte die völlig unbekannte Südbegrenzung dieses Meeres – die Basis für die Landerkundungen – festgestellt werden. Dieser erste Teil des Programms ist erreicht worden. Heute wissen wir, dass die Südbegrenzung des Weddell-Meeres aus Festland und einer Eisbarriere besteht. Diese Eisbarriere stellt ein Pendant zur Ross-Barriere dar dem südlichen Abschluss des Ross-Meeres der gleichfalls starken Einbuchtung des antarktischen Kontinents auf der Seite des Pazifischen Ozeans. 207
„Mit diesen Erlkundungsergebnissen“, stellt Filchner zufrieden fest, „ist nunmehr auch für das Weddell-Meer die Basis für Schlittenvorstöße ins Innere der Antarktis geschaffen, in ähnlicher Weise, wie sie seit Entdeckung der Ross-Barriere mit dem Berg Erebus durch Ross bereits seit 81 Jahren für die Schlittenexpeditionen auf der pazifischen Seite der Antarktis bestanden hatte. Das Ross-Meer war auch aus diesem Grunde für alle bisherigen großen Vorstöße ins Innere des 6. Erdteils Ausgangspunkt gewesen, so für die denkwürdigen Unternehmungen von Scott, Shackleton und Amundsen. Obwohl wir nunmehr durch unsere Entdeckungen auch für das Weddell-Meer die Ausgangsbasis für die Landerkundungen geschaffen haben, wird das Ross-Meer auch in Zukunft immer die geeignetere Eintritts-Pforte für Erkundungen in die Antarktis bilden. Der Grund hierfür liegt in den schwierigen Eisverhältnissen des Weddell-Meeres, die schon ein Herankommen an die Basis nur wenigen Sterblichen gestatten“ (Filchner 1922, S. 400).
Wilhelm Filchners Bekenntnis zu Deutschland Trotzdem ist Filchner der Meinung, dass auf der von ihm gefundenen Basis weiter aufgebaut werden muss. Während die Deutschen infolge der Verarmung von allen ähnlichen wissenschaftlichen Unternehmungen auf lange Zeit hinaus ausgeschaltet sind verweist Filchner erster Linie auf in die Vereinigten Staaten von Amerika. Doch bereits im Vorwort zu seinem Buch über die Reise zum den sechsten Erdteil hatte er sein patriotisches Bekenntnis zu Deutschland ausgedrückt: „Noch viel wertvoller als diese wissenschaftlichen Errungenschaften dünkt mich gerade in der Jetztzeit die Tatsache, dass durch die Gesamtleistung dieses deutschen Forscherunternehmens unserem schwergeprüften teueren deutschen Vaterlande ein ethischer Gewinn geschaffen worden ist. Solche unblutigen moralischen Eroberungen sind gerade jetzt, nach einem von uns verlorenen Kriege besonders geeignet, anderen Nationen zu zeigen, dass Deutschland trotz allen Missgeschickes seine wissenschaftlichen Arbeiten zielbewusst fortsetzt und dass es, ebenso wie früher, bereit ist, Hand in Hand mit fremdvölkischen Kollegen und Unternehmungen an der Aufhellung unseres Erdballes mitzuwirken“.
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19 Das technische Zeitalter der Antarktisforschung Das neue Zeitalter beruhte auf der ständigen Weiterentwicklung der Expeditionstechnik. Entscheidend dabei war der Einsatz von Flugzeugen. Bei der Eroberung der Antarktis wurde der erste Versuch dieser Art im Jahr 1911 von dem australischen Physiker und Geologen Douglas Mawson mit einem Eindecker mit Schlittenkufen unternommen. Er verunglückte aber bereits bei einem Probeflug. Das Flugzeug wurde so zerstört, dass es später in der Antarktis nur als Transportschlitten eingesetzt werden konnte. Außerdem war die Umgebung von Mawsons Standlager sehr uneben und als Flugplatz kaum geeignet. Dazu kamen die wildesten Stürme. Das Jahresmittel der Windgeschwindigkeit betrug dort 80 km/h. Mawson musste daher den Gedanken an einem Flug in der Antarktis aufgeben. Erfolgreicher war dagegen ein anderer Australier, Hubert Wilkins, der bereits an Shackletons Quest-Expedition teilgenommen hatte, die mit einem Wasserflugzeug ausgestattet war (Wild/ Macklin 1923, S. 14). Wilkins’ Hoffnung, sich schon damals als Reservepilot am ersten Motorflug in der Antarktis beteiligen zu können, wurde zwar enttäuscht, da nach Shackletons Tod die Expedition von Frank Wild nur mit einem verkürzten Programm fortgesetzt wurde, so dass das Flugzeug nicht mehr zum Einsatz kam. Trotzdem gelang es Wilkins schließlich doch in einer eigenen Expedition am 16. November 1928 als erster in der Antarktis ein Flugzeug einzusetzen.
Abb. 143: Byrds Vorläufer Mawson und Wilkins 209
Aber erst mit den technisch hochgerüsteten Südpolexpeditionen von Richard Evelyn Byrd kann man von einem neuen Zeitalter der Erforschung der Antarktis sprechen. Zuvor hatte Byrd schon gemeinsam mit Floyd Bennett am 9. Mai 1926 einen Flug zum Nordpol unternommen, den er auch laut seiner eigenen Angaben, trotz eines Lecks im Ölbehälter des Steuerbordmotors um 9:02 Uhr erreichte. Um sicher zu sein, beschrieb er einen weiten Kreis um den Pol: „Wir umkreisten das Haupt der Welt und huldigten dem Forschergeist Pearys. Unter uns dehnte sich das ewig gefrorene Meer“ (Byrd 1930, S. 79). Als Byrd und Bennett, sich gegenseitig am Steuer ablösend, Spitzbergen erreichten, glaubte Byrd den Pol in der Tasche zu haben, aber die Geschichte der Forschungsreisen hatte ihn belehrt, dass sein Erfolg noch der wissenschaftlichen Bestätigung bedurfte. Ein Ausschuss der Geographischen Gesellschaft prüfte seine während des Fluges gemachten Aufzeichnungen und bestätigte in einem ausführlichen Gutachten, dass er den Nordpol tatsächlich erreicht hatte. Deswegen wurde er schon damals bei seiner Rückkehr nach New York als Volksheld gefeiert. Fast noch größer war sein Empfang in Paris als er nach seinem Flug von Amerika über den Atlantik dort einlangte.
Byrds erste Südpolexpedition 1928/30 Nachdem Byrd auf diese Weise mit seinen Flügen über den Nordpol und dem Atlantik Berühmtheit erlangt hatte, konnte er ohne staatliche Hilfe auf eigene Verantwortung die, wie die Zeitungen schrieben, „die kostspieligste Expedition aller Zeiten“ auf Grund von Spenden und Krediten aus Wirtschaftskreisen ausrüsten. Die Geldbeschaffung für solche Polarfahrten war aber immer sehr schwierig. „Alle mir bekannten Polarforscher“, sagt Byrd, „waren ganz oder nahezu bankrott“ (Byrd 1931, S. 15). Aber er sagte sich, dass es tausendmal besser wäre, in New York von Gläubigern bedrängt zu werden als im Südeis Menschenleben zu gefährden, weil die Ausrüstung mangelhaft war. Er war sich im Klaren, dass die Eigenart seines Unternehmens das teuerste im Polargebiet bisher verwendete Beförderungsmittel das Flugzeug, verlangt. Gründlich ausgebildete und hoch bezahlte Hilfskräfte waren dafür erforderlich. Und die Bereitstellung der Sonderschiffe zum Transport der Flugzeuge die „City of New York“ und der „Eleanor Bolling“ verschlangen ein Vermögen. Die Abfahrt der Expedition geschah wegen der unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Schiffe in mehreren Etappen. Zuerst verließ die „City of New York“ am 25. August 1928 mit 200 Tonnen und 33 Mann an Bord den Hafen. Ihr Weg führte sie durch den Panamakanal. Wegen ihrer Langsamkeit musste sie lange vor der „Bolling“ ausfahren. Genau einen Monat später folgte die „Bolling“ mit 300 Tonnen und 28 Mann. An Bord befanden sich verschieden Wissenschaftler, darunter auch der Geologe Dr. L. M. Gould. Eine dritte Gruppe mit Hunde210
führern schiffte sich auf einen norwegischen Walfänger ein, den die norwegische Fangesellschaft zur Beförderung von 94 Hunden und 40 Tonnen Hundekuchen angeboten hatte. Dieses von allen Schiffen das schnellste Schiff verkürzte den Hunden die Dauer der tropischen Hitze. Die vierte Abteilung beförderte das Schiff „Larsen“ der in Norfolk vier Flugzeuge, Benzin, Öl, hundert Tonnen anderes Zeug und die Fliegermannschaft übernahm. Byrd musste bis zur letzten Minute in New York bleiben bevor er am 10. Oktober selbst auslaufen konnte. Somit schwammen erst in der zweiten Oktoberwoche alle vier Gruppen auf dem Stillen Ozean und strebten so schnell wie möglich zu den neuseeländischen Treffpunkten. Byrd musste bei diesem Aufwand an Schiffen schon damals an „zusammenwirkende Seestreitkräfte“ denken (Byrd 1931, S. 37).
Abb. 144: Byrds Expeditionsschiffe „City of New York“ und „Eleanor Bolling“ (aus Byrd 1931) Doch er war nicht der erste Amerikaner, der mit einer so großen Seemacht in die Antarktis auf Entdeckungsreise fuhr. Ein Kongressbeschluss hatte den Marineoffizier Charles Wilkes zum Kommandanten der United States Exploring Expedition gemacht die den Pazifischen Ozean erkunden und bis zur südlichen Eiszone vordringen sollte. Seine Flotte bestand aus sechs Schiffen mit insgesamt 345 Mann, 83 Offizieren und 12 Wissenschaftlern. Trotz der für die Antarktis ungeeigneten Schiffe focht sich Wilkes 1840 bis zum Rande des Kontinents durch worauf er seinen Anspruch auf die Entdeckung eines ungeheuren Festlandes gründete. Auf seiner Seereise erwies er sich aber als despotischer Kapitän, der sogar wegen seiner grausamen Bestrafungsmethoden vor ein Kriegsgericht gestellt wurde. Auch seine Entdeckungen wurden in Frage gestellt. Byrd war aber doch der Meinung, dass Wilkes wirklich in der Antarktis Land gefunden hatte. Umso mehr war er daher interessiert den kühnen Vorstoß seines Landsmanns nachzueifern.
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Abb. 145: Charles Wilkes Am 28. Dezember 1928 traf die „City of New York“ an der Küste des Festlandes an ihrem Ziel am Eingang der Walfischbucht, ein. Als Standortlager wurde eine windgeschützte Mulde am Hang der Bucht ausgewählt. Dieser Ort erhielt den Namen „Kleinamerika“. Die Bucht war aber zugefroren. Dadurch wurden das Ausladen und der Weitertransport des Expeditionsmaterials zum Standortlager besonders schwierig und gefährlich. Binnen eines Monats mussten Hunderte von Tonnen Ladung an Land geschafft werden. Über Laufplanken ergoss sich ein Strom von Kisten, Benzintrommeln, Lattenkäfigen und andere Sachen, die möglichst schnell vom Eisrand, der jederzeit abbrechen konnte, in mehreren Staffeln ans Festland gebracht werden sollten.
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Landung mit Pinguinen als teilnahmsvolle Zuschauer
Abb. 146: Kaiserpinguine Beim Ausladen versammelten sich bis zu zwanzig Pinguine als freundliche Besucher und teilnahmsvolle Zuschauer: „Mit gewichtiger Würde saßen die Kaiserpinguine da in schwarzem Rock und gelber Weste, ein Meter hoch und 30 kg schwer. Gemessen schritten sie auf und ab, gelegentlich trompetend, als gäben sie Befehle. Häufiger noch und drolliger waren die kleinen Adelie-Pinguine. Unersättliche Neugier ward manchem zum Verhängnis. Obgleich wir sie hinwegscheuchten, traten sie immer wieder den Hunden zu nahe. Zuweilen näherten sie sich heimlich mit schief gehaltenem Kopf; öfter noch kamen sie ungestüm, laut quiekend und mit Flossenflügeln schlagend. Ein Begräbnis war die übliche Folge, denn die Hunde schnappten rücksichtslos zu. Den sonst so gescheiten Vögeln wollte es nicht in den kleinen Kopf, dass ein liegender Hund lauernden Tod bedeutete. Einmal stürzte sich ein kleiner Kerl auf ein ganzes Gespann von neun Hunden. Im letzten Augenblick retteten wir ihn aus dem Rachen des Todes. Als wir ihn an einen sicheren Ort verbracht hatten, schien seine freche Haltung indes keine Dankbarkeit auszudrücken. Die Zahmheit der wilden Tiere hier grenzt ans Wunderbare. Aber seit Jahrhunderten hat sie niemand verfolgt“ (Byrd 1931, S.80). Trotz der Kämpfe mit den zutraulichen Pinguinen war es gut, dass man so viele Hunde mitgebracht hatte, denn sie wurden alle für neun bis zehn Gespanne benötigt, die täglich hochbeladen zum Standort Kleinamerika abgingen. Nach der langen untätigen Zeit auf der Schiffsreise jubelten die Hunde beim Ausladen auf das Eisfeld. Sie wälzten sich im Schnee, rannten wie verrückt im Kreis oder sprangen sich an die Kehle, um einen alten Streit auszufechten. Nur mit dem Peitschenstiel konnte ihnen Ordnung gebieten. Aber auf ihrer Fahrt zum Standortlager bewährten sich alle 213
Hunde. Auch die weniger geübten oder kränklichen Hundetaten ihre Pflicht. Das galt auch für die jungen Hunde, die erst in der Antarktis zur Welt kamen. Nur wenige Tage alt wurden sie bereits zu Übungszwecke vor einen winzigen Schlitten gespannt.
Abb. 147: Hundegespann und mit jungen Hunden
Kleinamerika und der Absturz eines Flugzeugs Da ein früher Winter zu erwarten war, musste das Expeditionsschiff „City“ nach Neuseeland weggeschickt werden. Von den 83 Mann durften nur 40 zur Überwinterung zurückbleiben, die aber erst den Aufbau der Gebäude und Einrichtungen des Standortslagers für den Winter bewerkstelligen mussten. Während der Aufbau von Kleinamerika im Februar zügig voranging, unternahm der Geologe der Expedition Dr. Gould mit einem Piloten und einen Assistenten an Begleitung am 7. März einen Erkundungsflug über die Rockefellerberge, um dort Gesteinsproben zu sammeln. Als er aber nach mehr als einer Woche noch nicht zurückgekommen war, beschloss Byrd mit einem anderen Flugzeug selbst nach den Vermissten zu suchen. Am 19. März, als sich das Wetter aufgeklärt hatte, erfolgte der Abflug. Ununterbrochen wurden die Schneefelder abgesucht als sich endlich eine undeutliche Rauchsäule in der Ferne zeigte. Als Byrd mit seiner Rettungsmannschaft eilig darauf losflog, erkannte man gleich das Fokker-Flugzeug, dessen verkrümmte Stellung zweifelsfrei auf einen Absturz deutete. Doch die drei Insassen waren unverletzt mit dem Leben davongekommen. Von dem unerschütterlichen Wissenschaftler Gould berichtet Byrd sogar, dass dieser nicht nur seine Ruhe bewahrt hatte, sondern „würdig daherwandelte, niemals den Akademiker verleugnend, etwa wie ein Professor, der etwas zu spät gefrühstückt hatte und nun in den lärmenden Hörsaal tritt.“
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Abb. 148: Fokker im Eisfeld und nach dem Absturz Zu Beginn der Winterszeit wurde, nachdem die unterirdischen Gemächer für die Menschen und die Raupenschlepper und Flugzeuge unter einer dichten Schneemasse versorgt waren, als letztes an die Einrichtungen für die Hunde gedacht. Die Hundekeller bestanden aus mehreren zweieinhalb Meter tiefen und zwei Meter breiten Gängen mit Nischen für die Holzhütten. Einer der Gänge mündete in die Gebäranstalt, die den Hündinnen eine ruhige Zuflucht bot. Leider mussten die Eskimohunde voneinander getrennt gehalten werden, da sie sich beim geringsten Anlass in den Pelz fuhren und sich in Stücke zu reißen versuchten. Zwei von ihnen hatten schon auf bei solchen Kämpfen ihr Leben lassen müsse. Es gab aber auch rührende Ausnahmen. Byrd berichtet von einem Hund namens Spy, der wegen seines dünnen Fells stark an der Kälte litt und als er sich überanstrengt hatte, sehr krank wurde. Byrd nahm ihn daher zu sich in seine Kabine, wo er sich langsam erholte. Als Byrd ihn eines Tages an die frische Luft führte, kam gerade sein Gespann mit seinem Hundegefährten Watch und Moody im Geschirr vorüber. „Da fuhr“, schreibt Byrd, „der Geist der alten Garde in Spys schmerzende und ächzende Gelenke. Mit Gebell und Galopp jagte er hinterdrein und versuchte sich mit Aufbietung der letzten Kraft in seinen alten Platz im Gespann zu zwängen. Hier nun zeigten sich die Eskimohunde von ihrer anderen, ihrer brüderlichen Seite. Moody und Watch begrüßten den Freund, streichelten ihn mit den Pfoten und liebkosten ihn mit den Schnauzen. Wer hätte den Tieren solch dauerhafte und rührende Anhänglichkeit zugetraut“ (Byrd 1931, S. 137). Während der langen Winternacht machte Byrd die Zeitungswelt, die durch Funksprüche von den Unternehmungen der Expeditionsteilnehmer unterrichtet wurde, nicht unberechtigte Sorgen. Einerseits waren die Zeitungen die einzigen Vermittler zwischen den Männern und ihren Familien daheim. Andererseits befürchtete Byrd, dass sich diese Zeitungsberichte unberechtigter Weise unterschiedliche Wertungen über die Tätigkeiten der Expeditionsmit215
glieder erlaubten, „weil ein Schneeschaufler oder Schneider weniger heldenhaft und romantisch erscheint als der Flieger oder Hundeführer.“ Nach der Meinung von Byrd, der darauf beharrte, dass alle Tätigkeiten seiner Leute von gleicher Würdigkeit sind und keine davon minderwertig ist, sollte man sich von diesen „verlogenen Wertungen der zivilisierten Öffentlichkeit befreien“. Denn gegenüber den Naturgewalten im Winter geht es nur um die Erhaltung des Lebens, die fast völlig auf Handarbeit beruht: „Gehirn und Hand werden ebenbürtig. Schaufler, Heizer und Koch sind sogar lebenswichtiger als Funker und Wissenschaftler“ (Byrd 1931, S. 138). Wie zufrieden Byrd mit den Leistungen aller seiner Mitstreiter war, geht aus seinen Worten am Schluss seines Berichtes über diese erste Antarktisexpedition hervor: „Die Gefährten haben mir treu zur Seite gestanden Um ihretwillen hoffe ich, dass man mit unseren Leistungen zufrieden sein wird. Zwei Jahre ihres Lebens haben die Wackeren dem Dienste der Wissenschaft geopfert. Die Wissenschaft ist ein harter und karger Fronherr. Es wäre ein Jammer, wenn meinen Kampfgenossen die ihnen gebührende Anerkennung versagt bliebe“ (Byrd 1931, S. 266).
Der Flug zum Südpol Das aufsehendste Abenteuer der ersten Antarktisexpedition Byrds war natürlich der Flug zum Südpol. Während Mawson seinen Probeflug in der windigsten Gegend der Welt unternahm, hatte Byrd mit seinem Standlager in der Walfischbucht eine stillere Gegend ausgesucht. Er musste nur den Nebel und einen plötzlich einsetzenden Sturm befürchten. Welche Arbeiten zur Vorbereitung zum Polflug für das von Ford gebaute Flugzeug „Floyd Bennet“ nötig waren, schildert Byrd: „Nach dem Abendessen beluden wir den Ford mit Schneeklötzen im Gewicht von 5900 Kilogramm und versuchten einen Höhenflug, um zu ermitteln, ob wir so über die Berge kämen. Da wir die Einzelgewichte der Blöcke kannten, wussten wir genau, wieviel wir abwarfen, wenn wir das Flugzeug vor dem Landen erleichtern wollten. In 3000 Meter Höhe begann der Backbordmotor zu kotzen, was die Führer zum Niedergehen veranlasste.“ Daraufhin wurde von den Fliegern die ganze Nacht am Flugzeug gebastelt: „Die Luftdüsen des Vergasers waren zu weit. Bei mittlerer Drehzahl drang zuviel Luft ein. Abhilfe: Verlöten, dann Bohren einer feineren Düse … Dann prüften wir Schnelligkeit, Steigleistung und Tragfähigkeit längs abgesteckter Bahn bei 1450 Umdrehungen in der Minute und aufwärts bis Vollgas.“ Vor dem Abflug wurden die Benzinbehälter mit 800 Liter gefüllt und 100 Liter und ein Motorwärmer aufgeladen (Byrd 1931, S. 215 f.).
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Abb. 149: Byrd mit seinem Südpolflugzeug „Floyd Bennet“ Der Start zum Pol erfolgte am Montag 18. November. Nach 30 Sekunden und einem Gleitweg von kaum 300 m hoben die Motoren die 6500 kg Gesamtgewicht des Flugzeugs problemlos von der Schneefläche ab, stieg dann schnell auf 400 m und nahm seinen Kurs nach Süden. Bei ausgezeichneter Sicht erblickte man bald am Boden das Wrack des Raupenschleppers. Einige Zeit später überflogen sie die Forschergruppe mit den Hundeschlitten. „Bald wurde uns offenkundig,“ schreibt Byrd, „dass sich die armen Teufel schwer abmühten. Angeschirrte Menschen, gekrümmte Rücken, Nachzügler und Langsamkeit redeten eine deutliche Sprache. Die Männer bohrten die Zehen ein; die Hunde stemmten sich mit dem Bauch gegen den Schnee … Einen schärferen Gegensatz zwischen altem und neuem Reisen konnte man sich kaum denken“ (Byrd 1931, S. 218). Als sie in die gebirgige Gegend kamen, suchte man nach einem Pass, den das Flugzeug überqueren konnte. Nach Abwurf des Ballastes, 2500 Liter Benzin und eines ganzen Sackes Nahrungsmittel, ging der Anstieg des erleichterten Flugzeuges weiter, jedoch mit großen Schwankungen auf und ab. Erst der Abwurf eines zweiten Sackes mit 114 kg Lebensmittel ermöglichte es, den Scheitel des über 3000 m hohen Jochs zu überschreiten. Schnurgerade voraus, kaum 500 km entfernt, lag der Südpol, den die beiden Piloten dann 10 km hin und her umkreisten, um sicher zu sein, ihn erreicht zu haben. Wo Byrd genau die Mitte vermutete, ließ er Floyd Bennetts Ehrenflagge durch die Falltür sinken. Dann wandte er den Bug gegen Kleinamerika, das sie am 29. November um 10:08 Uhr erreichten.
Byrds zweite Expedition nach dem Sechsten Erdteil 1933/35 Für Byrd ergab sich der Entschluss zu seiner zweiten Forschungsreise in die Antarktis geradezu zwangsläufig: „Es schien angebracht, sich den ungelösten Fragen zu widmen, solange die öffentliche Teilnahme noch rege war, und solange man noch zahlreiche geübte Teilnehmer der ersten Reise zusammentrommeln konnte“ (Byrd 1936, S. 9). Doch Byrd musste sich eingestehen, dass 217
ihn auch die Abenteuerlust zu diesem Entschluss antrieb. Das zweite Unternehmen fiel schon in die wirtschaftliche Flaute Amerikas. Glücklicherweise fand Byrd trotzdem Hilfe und Unterstützung beim Präsidenten Roosevelt und bei vielen Männern der Wirtschaft. Erfolgreiche Forschungsreisende haben nämlich etwas zu verkaufen in Gestalt des Öffentlichkeitswertes und Werbewertes. Erzeuger lassen es sich gern etwas kosten, wenn man ihnen ehrlich bescheinigen kann, dass ihre Waren die Probe bestanden und ihren Zweck erfüllt haben. „Die Wissenschaft muss zur Geschäftsfrau werden, wenn sie Mittel zum geheiligten Zwecke braucht,“ sagt Byrd und weist auf Kolumbus hin, der schon auf Gewinnbeteiligung reiste.
Abb. 150: Die beiden Schiffe der zweiten Antarktisexpedition Byrds Auf Grund solcher Geldspenden aus den Kreisen der amerikanischen Wirtschaft konnten die beiden Expeditionsschiffe „Jacob Ruppert“ und der „Bär von Oakland“ mit einer noch größeren Menge an Ladegut als bei der ersten Expedition gefüllt werden: 15000 kg Zucker, 30000 kg Mehl, 1000 kg Trockengemüse, 15 Öfen, 3000 Bücher, norwegische Skier, viele Tonnen Hundekuchen, 6 Kisten Kaugummi, 125 Kisten Seife, 5 Schreibmaschinen, 30000 m Klavierdraht für Tiefseelotungen, Hickoryholz für 50 Schlitten, 10000 m Rohleder in Rollen, eine Tonne Pfeifentabak, 15000 m Segeltuch, 1100 Paar Wollsocken, 72 Besen und 165 Schneeschaufeln. 3500 Tonnen Kohle sollten nicht nur als Heizmaterial sondern, neben 500 Tonnen alter Ankerketten, auch als Ballast dienen sollten. Kurz vor der Abfahrt wurden noch 5 Raupenschlepper, 3 Flugzeuge und ein Hubschrauber, eine Herde Kühe als Frischmilchlieferanten und 153 kanadische und sibirische Schlittenhunde an Bord genommen. Nachdem sich auch der wissenschaftliche Stab, der 22 Spezialdisziplinen vertrat, und die übrigen Besatzungsmitglieder vollzählig eingefunden hatten, konnte im Oktober 1933 die zweite Reise beginnen. Diesmal plante Byrd keine Glanzleistungen, welche die Öffentlichkeiten reizen, wie etwa ein Südpolflug, sondern sein erdkundlicher Arbeitsplan war vor allem auf die Erforschung des Südseeviertels östlich von Kleinamerika gerichtet. Mit Schiffen, Flugzeugen, Hundeschlitten und Schleppern wollte er sich durch das auf der ersten Reise entdeckte Marie-Byrd-Land eine Bahn brechen. 218
Abb. 151: Das wiederentdeckte „Kleinamerika“ in den ersten Tagen der Besetzung Als Byrd zum zweiten Mal in der Walfischbucht ankam musste er sich zunächst vergewissern, ob das 5 km vom Landeplatz entfernte Standortlager Kleinamerika noch bewohnbar war. Als die Männer der Suchmannschaft in seine Nähe kamen, sahen sie drei schwarze Punkte auf der Schneefläche. Es waren die drei Funktürme. Dann erkannte man allmählich verschieden Einzelheiten der verwunschenen Stadt, wie Luftschlote und Rauchfänge, die knapp über den Schnee herausragten. In einer Tiefe von anderthalb Meter stießen die Männer auf das Dach der Ballonhalle und fanden ihr Inneres in demselben Zustand wieder, wie sie es 1930 verlassen hatten. Die zurückgelassenen Büchsenkonserven waren noch essbar und sogar das elektrische Licht flammte sogleich auf, sobald man den Schalter drehte.
Das Leiden Byrds auf der Bollingwarte Als ein Unternehmen besonderer Art war geplant, möglichst nahe dem Pol einen Winter lang das Wetter und die Südlichterscheinungen zu beobachten. 180 km von Kleinamerika entfernt sollte unter der Bezeichnung Bollingwarte für Byrd allein eine Funkstation mit allem dazugehörigen Material und technischen Instrumenten eingerichtet werden. Eine ganze Truppe von riesigen Raupenschleppern benötigte man, um das Baumaterial und die Einrichtung dieser Wetterstation zu ihrem Standort zu transportieren. 219
Abb. 152: Raupenschlepper auf dem Weg zur Bollingwarte Als die Station fertig war, hielt sich dort Byrd tatsächlich als einziger Bewohner bei größter Kälte und Entbehrungen monatelang auf. Seine Beobachtungen reichten fast lückenlos vom 25. März bis zum 12. Oktober 1934. Am siebzigsten Tag der selbstgewählten Einsamkeit, inmitten eines der üblichen Funkgespräche geschah jedoch ein Unglück Treibschnee hatte das Auspuffrohr des Stromerzeugers verstopft. Die Ofengase vergifteten Byrd allmählich, sodass er schließlich zu einer Kommunikation mit der Hauptstation nicht mehr fähig war. Erst am 11. August 1934 erreicht eine Einsatzgruppe kurz vor Mitternacht unter der Führung von Poulter die einsame Station. Die Hilfe kam im letzten Augenblick. Erst nach weiteren zwei Monaten und vier Tagen erlaubten es Byrds Gesundheitszustand und das Wetter, mit einem Flugzeug nach Kleinamerika zurückzukehren.
Abb. 153: Byrd bei seiner Arbeit auf der Bollingwarte 220
Mit Beginn des Südsommers 1934/35 gingen von der Hauptstation Kleinamerika Schlitten- und Raupenschleppergruppen ins Innere der Antarktikas hinein. Die erste Schlittengruppe stieß bis zur Polhochebene vor. Die Geologengruppe nahm sich, die Maud-Berge vor. Während die dritte Gruppe das bereits 1928/29 entdeckte Marie-Byrd-Land durchforschte. Byrd eröffnet selbst eines der Hauptunternehmen der Expedition, nämlich die Aufklärung der Frage, ob es einen transkontinentalen Sund gibt oder ob er durch Festland unterbrochen ist. Die mächtige Bergkette, die auf den weiteren Flügen 1200 km ostwärts von Kleinamerika vom Flugzeug aus gesichtet wurde, führte jedenfalls dazu, die alten Sund-Theorien anzuzweifeln. Auf dieser Expedition wurde ein Gesamtgebiet von über 1000000 Quadratkilometer erschlossen, von dem rund 725000 Quadratkilometer bis dahin völlig unbekannt waren. Byrd konnte also auch mit diesem Ergebnis seiner zweiten Reise vollauf zufrieden sein; obwohl bei dem Einsatz sowohl der traditionellen Mittel, wie Hundeschlitten, als auch bei der Verwendung der neuen technischen Fahrzeuge, wie Raupenschlepper und Flugzeuge, Verluste zu beklagen waren. Viele übermüdete und kranke Hunde, aber auch solche, die ungehorsam und für ihre Gefährten eine ständige Bedrohung waren, mussten getötet werden. Es gab wie auch schon bei der ersten Reise Flugzeugabstürze und Raupenschlepper blieben als nicht mehr reparierbare Wracks auf der Strecke liegen. Als nach Abschluss dieser planmäßig durchgeführten Forschungsreisen der Tag der Abfahrt kam, wurde von Byrd und dem Kommandanten Nofille die Flagge in Kleinamerika für immer eingezogen.
Abb. 154: Byrd und der Kommandant von Kleinamerika ziehen die Flagge ein
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Byrds dritte Antarktisexpedition: „High Jump“ Die größte Expedition, die von einem einzigen Staat in die Antarktisregion ausgeschickt wurde, war die amerikanische Operation „High Jump“, ein Einsatz der United States Navy der unter der offiziellen Bezeichnung „The United States Navy Antarctic Developments Program“ in den Jahren 1946/47 unter dem Kommando von Admiral Byrd stattfand. „High Jump“ war die größte militärische Operation in diesem Gebiet der Antarktis in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg. Kurz vor Beginn dieses verheerenden Krieges gab es nur die dritte deutsche Antarktisexpedition, die zwar als wissenschaftliches Unternehmen getarnt war, aber unter strenger Geheimhaltung strategischen militärischen Zwecken diente. Die amerikanische Operation „High Jump“ blieb dagegen bis heute in der Forschungsgeschichte der Antarktis das größte militärische Unternehmen. Ausgeführt wurde es durch einen Flottenverband mit etwa 4700 Soldaten und Wissenschaftlern und über 10 Schiffen, darunter ein Flugzeugträger, zwei Zerstörer, zwei Tanker, zwei Eisbrecher, zwei Unterstützungsschiffe: Yancey und Merrik, und das U-Boot „Sennet“. Ausgerüstet war diese Flotte von Schiffen noch außerdem mit 26 Flugzeugen und ca. 30 Hubschraubern. Ferner standen mehrere Amphibientanks und Schneekreuzer und ein Arsenal modernster Navigations- und Ortungsgeräte zur Verfügung. Doch auch diese technisch so hochgerüstete Expedition konnte nicht auf das traditionelle Fortbewegungsmittel Hundeschlitten verzichten. Ohne Erforschung am Boden des Festlandes mit Hundeschlitten wäre trotz der unzähligen Luftaufnahmen die Herstellung einer genauen geographischen Karte nicht möglich gewesen.
Abb. 155: Die Schiffsausrüstung der „High Jump“-Operation 222
Abb. 156: Schlittenhunde mit dem Schiff „Merrik“ im Hintergrund Offizieller der Öffentlichkeit bekannt gegebener Zweck des Unternehmens war die Erforschung des südlichen Kontinents und seiner umgebenden Gewässer. Es wurden hundert Erkundungsflüge, oft vom Flugzeugträger aus, durchgeführt, viele Quadratkilometer bisher unbekanntes Land entdeckt, und 60 % der Küstenlinie photographiert, wovon ungefähr ein Viertel nie zuvor von einem Menschen betreten worden war. Außerdem wurden Hunderte von Gipfeln am Festland und 26 Inseln entdeckt. Doch das alles ging nicht ohne schwere Unfälle und Zerstörungen ab. Am 30. Dezember 1946 stürzte ein Flugboot auf seinem Patrouillenflug über einem bis dahin unerforschten Teil der Antarktis ab, nachdem es im Tiefflug mit einem Eisberg kollidiert war. Nach fast zwei Wochen wurden die Überlebenden von einem Suchflugzeug entdeckt, doch von der ursprünglich neunköpfigen Besatzung waren drei Männer an den Folgen des Absturzes gestorben. Neun weitere Flugzeuge mussten defekt zurückgelassen werden. Das U-Boot Sennet wurde bei Begegnungen mit Eisschollen schwer am Turm beschädigt und musste vorzeitig die Fahrt nach Neuseeland antreten. Da sich die Wetterbedingungen laufend verschlechterten, weswegen immer größere Materialschäden an der Flotte befürchtet wurden, entschloss man sich schließlich die ganze Operation frühzeitig im März 1947 abzubrechen. Auf der Rückfahrt nach Neuseeland wies Byrd in einem Interview einem mitreisenden Journalisten darauf hin, dass im Falle eines erneuten Krieges die großen Entfernungen der Meere und der Pole den Vereinigten Staaten keine Garantie für ihre Sicherheit bieten können. Die fantastische Eile, mit der die Welt durch den modernen Flugverkehr zusammengeschrumpft ist, zeige, dass man sich nicht mehr in eine komplette Isolation zurückziehen darf. Das sei nach der Meinung von Byrd eine der objektiven Lektionen, die man auf der antarktischen Erforschung gelernt haben sollte. 223
20 Konkurrenzkampf am Südpol: Fuchs und Hillary Der antarktische Sommer 1957/58 wurde zum Internationalen Geophysikalischen Jahr erklärt. Zwölf Nationen beteiligten sich daran; 55 Stationen entstanden in der Antarktis. Es wurden seismische und gravimetrische Messungen vorgenommen, welche ergaben, dass die Eiskappe in der Gegend des Südpols rund 2800 m dick ist und dass darunter ein großes Tal liegt. Eine der wichtigsten und lange vorbereiteten Forschungsunternehmen, die „Commonwealth Transantarctic Expedition“ unterstand dem Oberkommando des britischen Geologen und Cambridge-Professors Dr. Vivian Fuchs. Bereits im Jahr 1947 trat Fuchs seine erste Reise in die Antarktis als Leiter der Falkland Islands Dependencies Survey an, die später das Team zur Britischen Antarktisexpedition von 1951 stellen sollte. Für diese Expedition standen ihm damals noch keine technischen Gerätschaften zur Verfügung. Zwischen 1949 und 1950 blieben er und sein Team aufgrund besonders schwieriger Wetterlage für zwei Sommer ohne Außenkontakt in der Antarktis. Nach seiner Rückkehr wurde er mit der Goldmedaille der Royal Geographical Society ausgezeichnet.
Die Planung der Expedition Schon zu dieser Zeit im Eis fasste er den Plan eine Durchquerung der Antarktis zu versuchen und damit den Plan von Ernest Shackleton zu erfüllen, den dieser aufgeben musste. Zugleich wollte er eine solche Reise für seine Forschungsarbeiten nutzen, um mit seismischem Gerät die Eisdicke der Antarktis zu bestimmen. Fuchs war es auch, der die ersten Pläne für eine Durchquerung der Antarktis vorlegte. Der Entwurf war darauf ausgerichtet, von der südlichen Küste des Weddell-Meeres bis zum McMurdo-Sund im Ross-Meer vorzudringen, also über eine Strecke von etwa 3200 km. Dazu sah der Plan Raupenfahrzeuge und zu deren Unterstützung Hunde und Flugzeuge vor. In verschiedenen Etappen wollte man Fahrzeuge zurücklassen, wenn sie ihren Zweck als fahrendes Depot erfüllt hatten. Auf der Seite des Ross-Meeres sollte eine andere Gruppe einen Weg vom Polarplateau hinunter durch die Berge zu einem im McMurdo-Sund errichteten Stützpunkt erkunden, sowie 224
Lebensmittel- und Brennstoffdepots entlang der Route anlegen, welche die Hauptexpedition später übernehmen sollte, wodurch die Lasten verringert würden, die sonst durch den ganzen Kontinent mitgeführt werden müssten. Ein solches Unternehmen würde die Erkundung eines völlig unbekannten Gebietes zwischen dem Weddell-Meer und dem Pol erlauben und Kartierungen der westlichen Seite des Gebirges ermöglichen, dessen östliche Seite bereits von den Expeditionen Scotts und Shackletons vermessen wurde. Vom Weddell-Meer-Stützpunkt aus sollte im Innern des Landes eine Station für meteorologische und gletscherkundliche Vermessungen errichtet und während des Winters bemannt werden. Außerdem sollte dies das Hauptdepot sein, von dem aus sich die den Kontinent durchquerende Gruppe voll ausgerüstet in Marsch setzen konnte. Bei der Durchquerung sollte mit Hilfe seismographischer und Schweremessungen die Mächtigkeit der Polareisdecke und darunter die Oberflächengestalt des Felssockels festgestellt werden. Bereits während des Sommers 1955 wurden in Neuseeland Verhandlungen über Organisation der Ross-Meer-Gruppe abgeschlossen. Als Gegenstück zum Londoner „Committee of Management“ wurde in Wellington das Ross-Meer-Komitee gebildet. Sir Edmund Hillary wurde zum Leiter der Ross-Meer-Gruppe ernannt, die den Empfangsstützpunkt in McMurdo-Sund errichten und die Unterstützungsdepots in Richtung Pol anlegen sollte. Anfang November 1955 wurden die Vorräte der Expedition in das kanadische Robbenjagdschiff Theron verladen: „Monate voller Überlegungen, Überredungen, Listenaufstellen und Briefschreiben nahmen nun konkrete Form an in Tausenden von Kisten, die den Laderaum zu füllen begannen. Das Deck war vollgestellt mit Hunderten von Tonnen Treibstoff, zwei Flugzeugen, einer Snow-Cat, vierundzwanzig Hunden, Sauerstoff- und Azetylenbrennern, Ofenrohren und unzähligen anderen Dingen. Wenn man von einem Ende des Schiffs zum anderen gehen wollte musste man über all diese Dinge klettern, während die Kabinen von persönlichen Sachen beinah überquollen“ (Fuchs/Hillary 1958, S 17).
Aufbruch in die Antarktis und erste Überwinterung Während im Gebiet des Südpols der südlichen Sommer von 1955/56 herrschte, benutzte Fuchs diese Zeit und segelte mit einem ersten Team von London in die Antarktis. Der Zweck des Vorstoßes war die Einrichtung der Basis „Shackleton Base“ an der Vahsel-Bucht an der Weddell-See, wo die Transantarktische Expedition beginnen würde. Die Theron wurde jedoch wie ihre Vorgänger, die „Endurance“ Shakletons und die „Deutschland“ Filchners, vom Eis eingeschlossen. Glücklicherweise konnte sie sich trotz beträchtlichem Schaden selbst befreien. 225
Anfang 1956 kehrte Fuchs nach London zurück und ließ acht Mann zur Überwinterung zurück. Die acht Männer wurden nur durch Zelte und einen Verschlag geschützt. Die meisten Güter wurden auf dem Eis zurückgelassen, etwa 3 km von dem geplanten Standort der Basis. Die erste Aufgabe war es all diese Waren von der Bucht ins Lager zu bringen und für permanenten Schutz im nächsten Winter zu sorgen. Sobald ein Minimum an Lebensmitteln und etwas Brennstoff eingelagert und die Hunde sicher angebunden waren, begannen die Männer mit dem Bau ihrer Hütte. Dies erwies sich als weit schwieriger als vermutet; nicht nur waren die acht Mann zu wenig, um die schweren Aufgaben mit angemessenem Einsatz auszuführen, auch das Wetter war deutlich kälter und windiger als erwartet. Als das Skelett der Hütte errichtet war, wurde entschieden, die Kisten mit den Wand- und Dachplatten rund um den Bauplatz aufzustellen. Dann kam jedoch ein Schneesturm auf, der länger als eine Woche andauerte, wobei die Temperatur bis auf –20 °C fiel und das Schneetreiben um die Basis jegliche Außenarbeit unmöglich machte. Die Männer suchten in ihrem Verschlag Schutz und schliefen in ihren Zelten, die ständig Gefahr liefen, vom angewehten Schnee zugedeckt zu werden. Als sich der Wind endlich legte, hatte sich die Szene bis zur Unkenntlichkeit verändert. Die riesigen Kisten mit den Wandpanelen waren alle unter metertiefen Schneewehen verschwunden; die unfertige Hütte selbst war voll mit Schnee. Weit schlimmer war jedoch, dass die Männer nur noch Wasser fanden, als sie nach den verbleibenden Waren auf dem Packeis suchten. Das Eis war abgebrochen und hatte sämtliche Güter mit sich genommen. Man hatte viele Vorräte an Lebensmitteln und Brennstoff verloren, außerdem mehrere Hütten und eine Zugmaschine. Nach diesem herben Rückschlag mussten die Männer hart arbeiten und versuchen, an die eingeschneiten Kisten zu gelangen, was durch Schneetunnel erreicht wurde; zufälligerweise erwiesen sich die Tunnel als nützlich, um die Hunde vor den strengen Bedingungen zu schützen. Die Gruppe überlebte mit einigen Schwierigkeiten; tagsüber lebten die acht Mitglieder im Traktorschuppen, nachts schliefen sie in ihren Zweierzelten. Die Wintertemperaturen fielen oft deutlich unter –30 °C. Die „Shackleton Base“ erwies sich als äußerst windiger Platz, was Außenarbeiten sehr unangenehm werden ließ, die im Schnee liegenden Waren der Gefahr aussetzte, eingeschneit zu werden und ein ständiges Risiko verursachte, sich zu verirren. Trotz allen Schwierigkeiten überlebten die acht Männer den Winter in verhältnismäßig guter Gesundheit und bauten schließlich auch die Hütte fertig. Es gelang ihnen auch, einige Fahrten zu machen, um Robbenfleisch für die Hunde zu bekommen und um die Route nach Süden zu erforschen. Sie nutzten dabei Hunde und eine Weasel-Zugmaschine, während das Snow-Cat- Kettenfahrzeug niemals richtig funktionierte.
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Abb. 157: Das dänische Transportschiff Magga Dan
Rückkehr und Aufbruch von Fuchs von der „Shackleton Base“ Im Dezember 1956 kehrte Fuchs mit dem dänischen Schiff Magga Dan und zusätzlichen Vorräten zurück. Dieser zweite südliche Sommer von 1956/57 wurde damit verbracht, die „Shackleton Base“ auszubauen und eine kleinere Basis etwa 480 km im Inland zu errichten. Nachdem auch der Winter 1957 in der „Shackleton Base“ verbracht worden war, brachen Fuchs mit seinen Männern am 24. November 1957 von der Shackleton-Basis mit Snow-Cats und Weasel-Kettenfahrzeugen auf. Die schweren Gefährte kamen nur langsam voran. Sie blieben oft im Schnee stecken. Wo das Packeis auf die Landmasse trifft, ist die Landschaft zerklüftet. Hundeschlitten suchten eine sichere Route über die klaffenden Spalten. Auch Flugzeuge unterstützten die Expedition.
Abb. 158: Snow-Cat in Fahrt und eingebrochen 227
Wegen des Nutzeffekts und aus Sparsamkeitsgründen musste man mit zunehmender Höhe die Vergaserdüsen an allen Fahrzeugen wechseln. Von 1200 m Höhe ab wurde das bei jeder weiteren Steigung von 600 m durchgeführt, selbstverständlich nicht deswegen, um die Leistung des Motors zu steigern, sondern es war eine reine Sparsamkeitsmaßnahme. Je höher die Fahrzeuge kamen, desto mehr verloren ihre nicht vorverdichteten Motoren an Zugkraft, obwohl sie so stark waren, dass man einstweilen noch keinen Kraftverlust spürte. Die Snow-Cats zogen ihre maximalen Lasten weiter ohne Schwierigkeiten.
Der Vorstoß Hillarys zum Pol
Abb. 159: Hillary auf dem Weg zum Pol Die Aufgabe der von Hillary geleiteten neuseeländischen Forschergruppe sollte ja lediglich darin bestehen, zu Füßen des Polplateaus ein Depot, einzurichten, um dort die Ankunft der britischen Polfahrer unter Führung von Fuchs abzuwarten und diese sicher in die Scott Base, das neuseeländische Hauptquartier am Murdoc-Sund, zurückzubegleiten. Wie Hillary berichtet verliefen die Ereignisse aber ganz anders: „Ich hatte stets das Hauptgewicht auf unsere Arbeit zur Unterstützung der Transantarktis-Expedition gelegt. Aber ich hatte immer diese Arbeit als ein Routineunternehmen von nur bescheidenen Ausmaßen angesehen. Unsere interessanteren und weiterreichenden Operationen und die Arbeit, die für Neuseeland als antarktische Macht die greifbarsten Ergebnisse bringen würde, fing erst an, wenn unsere Aufgaben für die Transantarktis-Expedition durchgeführt waren“ (Hillary 1961, S. 134). 228
Doch für Hillary war es von vornherein klar, dass der Exekutivausschuss versuchte ihn zu gängeln. Es war unvermeidlich, dass er das Komitee als einen Klotz ansah, der ihm ans Bein gebunden war. Andererseits begann auch das Komitee seine Handlungen mit einigem Misstrauen zu betrachten, und das führte zu fortwährenden, aber vergeblichen Anstrengungen, ihn zu mäßigen und zu bremsen. Aber trotz der Ablehnung des Ross-Meer-Komitees hatte Hillary sich entschlossen, seine Pläne zu einer weiträumigen Forschung nicht aufzugeben. Er setzte großes Vertrauen in die Fähigkeiten seiner Mitarbeiter und wollte dafür sorgen, dass sie jede Chance bekamen, diese nutzbringend einzusetzen. Die Verbindungsmöglichkeiten zwischen den Forschungsgruppen und dem Lager hatten sich durch den Einsatz der Motorfahrzeuge verbessert. Hinzu kam noch die zweifellos hohe Einsatzfähigkeit der kleinen Luftflotte. Daher war Hillary der Ansicht, dass sogar weit verstreuten Gruppen im Notfall Hilfe gebracht werden könnte. Die Befürchtungen des Ross-Meer-Komitees nahm er nicht ernst. Seine Mitarbeiter waren darauf eingestellt, das Risiko, das nun einmal zur Forschungsarbeit in der Antarktis gehört auf sich zu nehmen (Hillary 1961, S. 144) Doch selbstkritisch stellte Hillary auch fest: „Ich kann mir vorstellen, dass auf manche Weise ich der am schwersten Erträgliche der Gruppe war. Als ich einmal den Entschluss gefasst hatte, die Trecker zur Fahrt nach Süden zu benutzen stellte ich alles andere hinter dieser Absicht zurück. Ohne mich um die Meinung anderer zu kümmern, wusste ich, was ich wollte. Ich war entschlossen, es durchzusetzen, obwohl ich bei mir selber manchmal geheime Zweifel hegte. Nun, da die Traktoren tatsächlich das Plateau-Depot erreicht hatten, war ich stolz dass meine Zuversicht Recht behalten hatte. Die Fahrzeuge hatten sich bis hierher großartig bewährt, und trotz einiger Anzeichen einer gewissen technischen Ermüdung war ich sicher, dass noch eine Menge Kilometer in ihnen steckten. Wir waren jetzt in günstiger Lage, soweit es die Errichtung weiterer Depots anging. Selbst wenn etwa das Biber-Flugzeug den Dienst verweigern oder ausfallen sollte, konnten wir die Depots mit den Treckern allein einrichten und unsere Aufgaben zur Unterstützung von Fuchsens Durchquerungsgruppe durchführen“ (Hillary 1961, S. 182). Die Traktoren waren zur Hauptmacht geworden. Sie konnten einen großen Teil der Lebensmittel für die Hundegespanne mitnehmen und wurden aus der Luft versorgt. Die Hundegespanne konnten die Rolle einer beweglichen Erkundungsgruppe übernehmen und dann sobald wie möglich für Vermessungsarbeiten in den Bergen abgesplittert werden. Sollten sich schwere technische Schäden oder Schwierigkeiten mit Eisspalten ergeben, dann konnten man sie immer noch zurückbeordern. In einem Funkspruch setzte dann Hillary das Ross-Meer-Komitee von seinen weiteren Plänen weiter nach Süden vorzudringen in Kenntnis. Die Antwort des Komitees war jedoch für Hillary eine herbe Enttäuschung: „Grundlegende Überlegung ist, dass nichts getan werden sollte, was das Ziel der großen Commonwealth-Unternehmung auch nur entfernt in Gefahr bringen könnte. Hauptaufgabe nach wie vor Durchquerung des antarktischen Kontinents … Da Vieles noch ungewiss und noch nicht entschieden, kann Ross-Meer-Komitee sich 229
im Augenblick nicht mit Ihren Vorschlägen einverstanden erklären“ (Hillary 1961, S. 228). Diese Antwort des Komitees machte alle Hoffnungen zum Pol weiterfahren zu können zunichte.
Die Kontroverse zwischen Hillary und Fuchs Nach Hillarys Meinung würde ein Forscher, wenn er unterwegs immer auf Genehmigungen von seinem Komitee warten wollte, zu gar nichts kommen, oder es geschähe viel zu spät. Die Zeit, die man in Depots versaß, war einfach vergeudete Zeit. Sein Entschluss, auf Biegen oder Brechen zum Pol zu gelangen gab er daher keineswegs auf. Im Dezember 1957 gab Hillary das Signal zum Aufbruch zu seinem eigenmächtig gewählten Ziel dem Südpol: „Ich tat es“, schreibt er, „mit gemischten Gefühlen, Furcht vor dem Unbekannten, Furcht vor Gletscherspalten und zudem eine tiefe Unruhe wegen unserer Benzinvorräte. Und im Grunde meines Herzens fragte eine leise Stimme: Glaubst du wirklich, du wirst den Pol finden? Aber allen diesen Zweifeln hielt ein festes Vertrauen zu den Fähigkeiten meiner Kameraden die Waage. Mit ihnen wollte ich es schon zwingen; ich hatte das feste Zutrauen, dass wir den Pol erreichen würden, und ginge es mitten durch die Hölle!“ (Hillary 1961). Tatsächlich war der Weg zum Pol mit den Raupenfahrzeugen eine wahre Höllenfahrt: „Unser Pfad führte in Schlangenwindungen zwischen den Schneewehen hindurch, die Augen hatten wir ununterbrochen auf den Boden gerichtet, um auch die leisesten Anzeichen von Eisspalten wahrzunehmen. Fortwährend mussten wir bremsen, um die Richtung zu ändern, und jedesmal spürten wir, wie der Motor unter der zusätzlichen Belastung durch die Bremse langsamer wurde. Unser Benzinverbrauch stieg bei diesen Manövern sprunghaft an“ (Hillary 1961). Es gab Hunderte von Spalten und einige zeigten sich als wahre Abgründe, fünfzehn oder zwanzig Meter breit. Zum Glück waren sie alle mit Schneebrücken überspannt, und bei sorgfältigem Stochern ergab sich, dass alle einen einigermaßen soliden Eindruck machten. Nur am Rand, dort wo die Brücken an die Wände der Risse anstießen, waren sie manchmal unsicher. Das Unerfreulichste aber war, dass die Brücken ein wenig eingesunken und in die Spalten hinuntergeglitten waren. Die Trecker mussten sich einen halben Meter auf die Brücke vornüberkippen lassen und dann auf der gegenüberliegenden Seite steil hinaufklettern. Die Brücken hielten alle stand, und nur der jeweilig letzte Traktor kam ab und zu in heikle Situationen. Wenn die beiden ersten Fahrzeuge glücklich hinüber waren, hatten sie gewöhnlich ein gehöriges Loch in die Brücke gerissen, und der dritte Trecker blieb darin stecken. Er ließ sich erst herausziehen, wenn das Seil sich unter dem Zug der stetig vorwärtsfahrenden beiden anderen Fahrzeuge spannte.
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Hillary auf der Polstation Am Morgen des 4. Januar suchten Hillary und seine Gruppe eifrig den Horizont nach dem ersten Anzeichen der Polstation ab. Auf dem Kamm einer größeren Falte sahen sie endlich die runde Kuppel der Südpolstation. Als sie dort ankamen wurden sie von den beiden Kommandanten der Polstation herzlich begrüßt.
Abb. 160: Dufek begrüßt Hillary auf der Polstation Bevor Hillary nach unten in die unterirdische Station verschwand, warf er einen letzten Blick auf den Traktorenzug. Sie standen einsam und verlassen da wie zerbrochenes Spielzeug, das ein Kind weggeworfen hat. Und die beiden Schlitten hatten nur noch die magere Last eines halbvollen Benzinfasses an Bord. Aber die Ferguson-Trecker hatten die Gruppe Hillarys über 1250 Meilen (ca. 2000 km) durch Schnee und Eis, über Spalten und Schneewehen, durch weichen Schnee und Schneestürme getragen. Sie waren die ersten Fahrzeuge, die mit eigener Kraft den Pol erreicht hatten.
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Nur wenige Zeit später erhielt Fuchs eine Nachricht von Hillary, der auf diese Weise bereits eigenmächtig in einem Gewaltmarsch mit seiner Mannschaft und den Mechanikern zur amerikanischen Polstation vorgedrungen war. In dieser Nachricht schlug Hillary ihm vor, am Südpol haltzumachen und die Gruppe mit Hilfe der Amerikaner weiterfliegen zu lassen. Dieser für Fuchs völlig überraschende Vorschlag lautete im Wortlaut: „Ich bin sehr in Sorge wegen der schwerwiegenden Verzögerung, die bei Ihnen eingetreten ist. Vom Pol bis zum Scott-Stützpunkt sind es etwa 2000 Kilometer. Ein großer Teil der Strecke nördlich vorn Depot 700 ist voller höckriger, harter Sastrugi und macht das Fahren mühevoll und langsam. Wenn Sie Ende Januar vom Pol aufbrechen, werden Sie in zunehmend schlechtes Wetter und Wintertemperaturen geraten, und das mit Fahrzeugen, die nicht mehr in bestem Zustand sind. Meine beiden Mechaniker halten eine so späte Fahrt für ein nicht zu recht-fertigendes Risiko und sind nicht bereit, zu warten und sich Ihrer Gruppe anzuschließen. Ich bin ihrer Ansicht und bitte Sie, ernsthaft zu erwägen, ob Sie Ihre Fahrt nicht auf zwei Jahre verteilen wollen. Sie haben wahrscheinlich bis zum Pol noch eine ziemlich große Strecke vor sich. Warum wollen Sie Ihre Fahrzeuge nicht am Pol überwintern lassen, mit amerikanischen Flugzeugen zum Scott-Stützpunkt fliegen, den Winter über in die Zivilisation zurückkehren, dann im nächsten November zur Polarstation zurückfliegen und die Expedition beenden? Wenn Sie so verfahren, könnten Sie sehr viel umfangreichere seismische Untersuchungen vornehmen. Ich bin fest davon überzeugt, dass Kapitän Dufek Sie mit seinen Flugzeugen unterstützen würde. Nach vier Monaten Fahrt mit den Traktoren möchte ich mich endlich vom Plateau zurückziehen, denn es gibt noch so viel anderes zu tun. Ich möchte nicht länger auf der Polarstation warten, sondern so bald wie möglich zum Scott-Stützpunkt zurückkehren. Wenn Sie sich für die Weiterfahrt vom Pol entscheiden, werde ich beim Depot 700 zu Ihnen stoßen. Es tut mir leid, die Lage in so düsteren Farben zu malen; aber es wäre schade, wenn die wertvolle Arbeit, die Sie in die Erzwingung des Weges nach South-Ice und zum Pol investiert haben, umsonst gewesen wäre, weil die Gruppe irgendwo auf dem 2000 Kilometer langen Weg zum Scott-Stützpunkt scheitert. Ich werde Depot 700 weiter auffüllen und genaue Einzelheiten und Karten der Strecke von Scott zum Pol an der Polarstation zurücklassen.“ Darauf antwortete Fuchs: „Verstehe Ihre Bedenken. Aufgabe der transkontinentalen Überquerung kann aber in diesem Stadium nicht in Betracht gezogen werden. Zahllose Gründe machen die Neuaufstellung der Expedition nach einer Überwinterung außerhalb der Antarktis unmöglich. Die Fahrzeuge werden, wie sie schon bewiesen haben, bei –51 °C durchaus aktionsfähig sein. Ich erwarte jedoch im März noch nicht so tiefe Temperaturen. Witheout und Drift werden uns am meisten zu schaffen machen. Ich verstehe auch die Abneigung Ihrer Mechaniker, sich an unserer Fahrt zu beteiligen. In Anbetracht Ihrer Meinung, dass die späte Jahreszeit die Fahrt zu einem nicht zu rechtfertigenden Risiko mache, kann ich Sie, ungeachtet Ihrer wertvollen Ortskenntnisse, nicht bitten, am Depot 700 mit uns zusammenzutreffen. Wir werden also unseren Weg mit Hilfe der Streckenangaben machen müssen, die Sie am Pol zurücklassen“ (Fuchs/Hillary 1958, S. 249 f.). 232
Unglücklicherweise wurde dieser Meinungsaustausch veröffentlicht. „Obwohl wir unsere Arbeit ruhig fortsetzten, merkten wir allmählich, dass die Presse die Angelegenheit zu einer cause célèbre gemacht hatte. Erst als wir zur Polarstation kamen, wurde mir klar, bis zu welchem Grade die Expedition im Blickfeld der Öffentlichkeit stand. Im Laufe der nächsten vierzehn Tage wurde in Zeitungen und Zeitschriften der ganzen Welt über sie argumentiert und disputiert. Das Komitee in England erhielt manchen gut gemeinten Ratschlag, und unsere kleine Büromannschaft traf die ganze Wucht eines Presseangriffs, den keiner von uns erwartet hätte“ (Fuchs/Hillary 1958, S. 250). Inzwischen wurde Fuchs auch durch die Unterstützung des Komitees ermutigt seine Reise fortzusetzen. Da seine gesamte Mannschaft ebenfalls fest überzeugt war, die Fahrt beenden zu können und über die Wendung der Ereignisse höchst erstaunt waren, brauchte gar keine Entscheidung getroffen zu werden. Sie setzten ihre Arbeit fort und fuhren, wenn es möglich war, den üblichen Tagesdurchschnitt von 48 km, den man jenseits des Pols durch größere Abstände zwischen den seismischen Untersuchungen steigern wollten. Hillary war am 4. Januar am Pol angekommen, ein paar Tage geblieben und dann zum Scott-Stützpunkt zurückgeflogen. Am 5. Januar waren Fuchs mit seiner Gruppe durch die schlechten Bodenverhältnisse und Schneeverwehungen hindurch und kam dadurch besser voran. Die Erleichterung war groß, als es endlich möglich war, vier bis fünf Kilometer hintereinander im letzten Gang zu fahren. Bisher hatten sich die Fahrzeuge fast die ganze Strecke von Shackleton ab in einem niedrigen Gang vorwärtsquälen müssen. Vom 6. Januar ab fuhren die Hundegespanne mit den Fahrzeugen. Sie hielten sich gut und legten an diesem Tag im Ganzen 48 km zurück. Doch maximale Tagesleistung konnten sie nicht darüber steigern, doch das lag nicht nur an den Hundegespannen, sondern ebenso an den seismischen Untersuchungen. Deshalb hatte Fuchs mit Hillary schon vorher am Scott-Stützpunkt gesprochen und ihn gebeten, sich zu erkundigen, ob die Amerikaner eine Möglichkeit sähen, seine Hunde zurückzufliegen, da sie für die großen Marschleistungen, die man hinter dem Pol vorhätte, nicht mehr kräftig genug seien. Am nächsten Tag teilte Hillery Fuchs mit, Admiral Dufek habe liebenswürdigerweise zugestimmt. Das nahm Fuchs eine große Last vom Herzen, denn man hätte die Hunde auf keinen Fall für die nächsten 2000 km mitnehmen können. Am Morgen des 17. Januar überflogen zwei amerikanische Maschinen den Lagerplatz, mit denen sie Funkkontakt aufnahmen. Sie hörten, dass Admiral Dufek, Ed Hillary und John Lewis an Bord wären, außerdem noch ein Aufgebot von neun Reportern.
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Abb. 161: Fuchs Ankunft auf der Polstation
Triumphaler Einmarsch der Gruppe von Fuchs zum Südpol Am Abend des 18. war Fuchs nur auf 89° 37‘ südlicher Breite genau 41,8 km vom Pol entfernt: „Auf dem Rücken einer Bodenwelle, die in einen langen, sanften Hang auslief, kletterten wir auf das Verdeck der Fahrzeuge und suchten den Horizont nach den angekündigten Markierungen ab. Plötzlich schob sich die Andeutung einer kleinen Gruppe von Baracken und Antennen ins Gesichtsfeld. Obwohl wir sie mit dem bloßen Auge kaum wahrnehmen konnten, schienen sie uns so nahe zu sein, dass wir am liebsten geradenwegs auf den herüber grüßenden schwarzen Fleck in der weißen Unendlichkeit losgefahren wären. Als wir der Flaggenreihe südwärts folgten, waren die Hunde schon müde. Darum fuhren wir langsam, damit sie Schritt halten und zusammen mit den Fahrzeugen ankommen konnten. Es war ein strahlend schöner, wolkenloser Tag. Nur vom 8. Meridian her wehte ein schwacher Wind. Als wir uns dein Pol näherten, blickte ich mich um und sah, dass unser Zug einen prächtigen Eindruck machte. Die orangefarbenen Cats und Weasel und die beladenen Schlitten waren mit vielen bunten, flatternden Fahnen geschmückt. Neben den Farben der Commonwealth-Länder wehten die der Stadt Bristol. Dazu eine Fahne der Transantarktischen Expedition. Darüber zogen die Wolken der Auspuffgase aus den hochgelegenen Auspuffrohren der Snow-Cats. Vor uns sahen wir zwei Weasel, die uns von der Station entgegenfuhren. Drei Kilometer von uns entfernt hielten sie an. Beim Näherkommen erkannten wir eine Menschenmenge von tatsächlich mehr als dreißig mit Kameras bewaffneten Leuten. Darunter waren Ed Hillary, Admiral Dufek die Reporter und die ganze Mannschaft des Stützpunkts.“ 234
Abb. 162: Hillary, Fuchs und Admiral Dufek am Südpol Fuchs begrüßte zuerst Ed Hillary, dann George Dufek und die Leiter des Stützpunkts. Das Gedränge von Reportern und Berichterstattern war so groß, dass man sich kaum bewegen konnte. Die Zeitungen hatten zwar vom großen Streit am Pol geschrieben, doch die Begrüßung zwischen Fuchs und Hillary in der US-Basis, war freundlich. Am Abend mußte Admiral Dufek zum McMurdo-Sund zurückkehren. Er flog mit der „Neptun“ und nahm Sir Edmund Hillary, John Lewis und alle Reporter mit. Dabei wurden die Schwierigkeiten klar, vor denen die Amerikaner bei der Einrichtung der Station aus der Luft gestanden hatten. Denn in dieser Höhe versagte das Flugzeug beim Start, obwohl es zwei Düsenmotoren, zwei Kolbenmotoren einsetzte. Nach mehreren Versuchen musste der Flug verschoben werden, bis eine andere Maschine herangeflogen worden war. Als dann noch ein Teil der Lasten ausgeladen war, hob sich endlich die Maschine inmitten mächtiger aufgewirbelter Wolken, die der Rückstoß vom weichen Schnee hochtrieb. Die Tage an der Polarstation waren für Fuchs und sein Team sehr turbulent, denn sie hatten eine Menge zu tun. Zuerst mussten die Ladungen losgemacht und neu verpackt werden. Gleichzeitig wurden mit dem elektrischen Schweißapparat Reparaturen an den Fahrzeugen durchgeführt.
Der Weitermarsch von Fuchs zur Scott-Basis Nach dreitägiger Ruhepause tritt Dr. Fuchs, begleitet von der von Hillery zurückgelassenen Gruppe, zum Weitermarsch zur Scott-Basis an. 235
Abb. 163: Fuchs mit seinem Snow-Cat Dabei schien es fast aussichtslos zu sein zu sein, in den 100 Tagen, die für die Gesamtdurchquerung Antarktikas vorgesehen waren, dieses Ziel zu erreichen. Allein der erste Teil des Unternehmens, die Durchquerung Westantarktikas, hat 56 Tage erfordert. Den Polaufenthalt dazugerechnet, bleiben für den zweiten Teil des Unternehmens kaum mehr als 40 Tage. Shackleton benötigte für den Rückweg vom Polplateau zum McMurdo-Sund 50 Tage. Und sein Weg war um 127 km kürzer. Sein Landsmann Scott, der als erster Engländer den Union Jack zum Südpol trug, quälte sich in einem 69-Tage-Marsch zurück, ohne das rettende Ausgangslager jemals zu erreichen. Allerdings muss bei diesen Zeitvergleichen berücksichtigt werden, dass die entwickeltere Technik den erforderlichen Zeitaufwand verkürzen kann. Zunächst aber war es noch ungewiss, ob die modernen Schlepper auch nur einen Tag des Zeitrückstandes aufholen würden. Über den weiteren Verlauf der „Commonwealth Transantarctic Expedition“ bis Mitte 1958 klingen jedenfalls die Berichte keineswegs erfreulich. Fuchs war kurz vor Depot 700 in ein Spaltengebiet geraten. Zwei Schlepper und wertvolles Ausrüstungsmaterial mussten zurückgelassen werden. Dann folgte ein Maschinenschaden an den Schleppern. Erst nachdem die britische Expeditionsgruppe den Breitengrad passiert hatte, unter dem Robert Falcon Scott mit seinen Begleitern den Erfrierugnsod gefunden hatte, kommt die erlösende Nachricht:
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Abb. 164: Weasl im Spaltengebiet „Das Heldenbuch der Antarktis ist um eine Ruhmestat reicher: Dr. Vivian Fuchs am 2. März 1958, 2:47 Uhr MEZ, in Scott Base eingetroffen. In einem Rekordmarsch von 99 Tagen gelang es ihm als erstem, Antarktika von Küste zu Küste zu durchqueren!“ Auf die Frage nach dem Verlauf des dramatischen Gewaltmarsches quer durch den sechsten Kontinent antwortet Dr. Fuchs: „Wir haben es leichter gehabt als Robert Falcon Scott, weil wir moderne Motorschlitten hatten. Und wir haben es schwerer gehabt als Robert Falcon Scott, weil er nicht wie wir bei Temperaturen unter –50 °C komplizierte Motorschäden beheben musste.“ Nach seiner Rückkehr erhob ihn Königin Elizabeth dafür in den Ritterstand. Zudem wurde er der Direktor des Polarforschungsinstituts British Antarctic Survey; dieses Amt hatte er bis 1973 inne. Von 1982 bis 1984 war er Präsident der Royal Geographical Society. Er starb am 11. November 1999.
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21 Helden der Sowjetunion. Die russische Südpolarforschung hatte eine lange Tradition. Bereits die zweite große Antarktisexpedition, nachdem der britische Weltumsegler James Cook als erster den südlichen Polarkreis kreuzte, wurde 1819 von Fabian Gottlieb von Bellingshausen im Dienst des russischen Zaren geleitet; nach seinem Schiff „Wostok“ ist noch heute eine sowjetische Antarktis-Station benannt. Die Zeiten der Zugtiere, Ponys oder Hunde, sind längst vorbei, und nur nach Unglücksfällen mag es noch vorkommen, dass die Forscher selber im Riemenzeug der Zugschlitten gehen müssen. Das neue technische Zeitalter beruhte auch in der Sowjetunion auf der Weiterentwicklung der Transportmittel, in diesem Falle besonders der Kufen- und Kettenfahrzeuge.
Weiterentwicklung der Transportmittel Der schnelle Zugschlepper „Pinguin“ wurde vorwiegend zur Durchführung der wissenschaftlichen Feldarbeiten in der Umgebung der sowjetischen Stationen verwendet. Während der „Pinguin“ eine Weiterentwicklung des Traktors darstellt und als solcher etwa 10 Tonnen Last ins Schlepptau nehmen konnte, stellte der Riesenraupenschlepper Charkowtschanka eine gelungene Neukonstruktion dar. Mit 9 m Länge, bei 4 m Breite, erschienen neben ihm die „Weasels“ der Engländer, Neuseeländer und Amerikaner wie Kleinautos neben einem Fernlastzug. Der Vergleich mit dem Fernlastzug hatte auch sonst, wie die nähere Betrachtung zeigt, manches für sich.
Abb. 165: Riesenraupenschlepper „Charkowtschanka“ 238
Die Fahrerkabine des „Charkowtschanka“ erinnert an das Cockpit einer Iljuschin. Das Armaturenbrett bedeckt eine Fülle von Mess- und Kontrollgeräten, auch die durchsichtige Kuppel im Dach für den Navigator ist vorhanden. Einige geschmolzene Kapillardrähte durchziehen die Klarsichtscheiben. Mit einem Knopfdruck erwärmen sich die Klarsichtscheiben auf 25 °C. Sollte diese Installation nicht dazu ausreichen, eine Vereisung zu verhindern, so sind an der Innenseite der Scheiben noch Heißluftröhren angebracht. Heißluft heizt auch die Fahrerkabine und alle übrigen Räumlichkeiten der fahrbaren Station. Ähnlich wie bei Fernlastzügen sind auch die Betten des Fahrers und seines Kopiloten in der Kabine untergebracht. Eine kleine Tür in der Kabinenrückwand führt in die dahinter liegenden Wohn- und Arbeitsräume. Das aufmontierte schachtelartige Gebäude, von den sowjetischen Forschern „Balok“ genannt, besteht aus Duraluminium. Den meisten Platz beansprucht der Wohnraum mit 6 Betten, einem Klapptisch, den dazugehörigen Sitzgelegenheiten und eingebauten Truhen und Schränken. Jeder Quadratzentimeter des Fußbodens, der Wände und der Decke ist ausgenutzt. Mit dem geringsten Platz muss sich die Funkstation begnügen. Die Motorenleistung beträgt l20 PS, 70 PS mehr als die Maschinenleistung von Scotts berühmtem Expeditionsschiff „Discovery“ betrug. Damit kann der Charkotschanka außer dem Eigengewicht seiner Aufbauten, das mit Besatzung bis 35 Tonnen beträgt, weitere 50 Tonnen Last ziehen.
Gründung der ersten russischen Station in der Antarktis Die erste russische Station in der Antarktis wurde von den Teilnehmern der sowjetischen Expedition aufgebaut, die 1955 auf den beiden Diesel-Elektro-Schiffen „Ob“ und „Lena“ zur Küste des sechsten Kontinents aufgebrochen waren. Die Expedition leitete der bekannte Polarforscher und Ozeanologe Michail Somow. 1938 wurde er beauftragt, an der Expedition zur Erkundung der Eisverhältnisse in der Arktis teilzunehmen. Und seit jener Zeit befasste er sich mit der Erforschung und dem Studium der Eisdrift. In den Jahren 1955 bis 1957 und 1962 bis 1964 leitete Michail Somow drei Mal die sowjetische Antarktis-Expeditionen. In diesen Jahren erforschte er zwei Schelf-Gletscher und entdeckte drei große Buchten, eine Halbinsel und einen See. Für seine Leistungen wurde ihm der Titel „Held der Sowjetunion“ verliehen und von der Britischen Geografischen Gesellschaft die Goldmedaille Gesellschaft zuerkannt. Zur neuen Expeditionstechnik gehört auch der Einsatz von Hubschraubern für die Löscharbeiten und den Materialtransport zu den Küstenstationen. Mit der Ruhe und Gemütlichkeit der zahllosen Pinguinfamilien, die am Rande der Antarktis wohnen, war es mit Beginn des Jahres 1956 endgültig vorbei, als das 12600 BRT große Dieselelektro-Hochseeseschiff „Ob“ an der Küste des sechsten Kontinents ankam. 239
Abb. 166: Hochseeseschiff „Ob“ Am 20. Januar gesellt sich der „Ob“ ihr Schwesterschiff „Lena“ von der gleichen Größe und Ausstattung hinzu. Mit den modernsten Navigations- und Funkapparaten ausgerüstet, hatten sie den 20000 m langen Seeweg von Kaliningrad zur Ostantarktika ohne jeden Zwischenfall in kürzester Zeit zurückgelegt. Die schwierigste Aufgabe war jedoch die Suche nach einem geeigneten Landungsplatz. Eine Woche später war auch das geschafft. 8000 Tonnen Baustoffe, Forschungsgeräte, Ausrüstungsmaterial, Kraftstoff und Proviant wurden aufs Küsteneis gebracht. Am 14. Februar 1956 konnte Somow auf dem Bauplatz der sowjetischen Forschungstation „Mirny“ die Staatsflagge der UdSSR hissen. Schon vorher am 13. Februar 1956 wurde von dort der erste Wetterbericht abgeschickt. Dieses Datum gilt als der Beginn der regelmäßigen sowjetischen und russischen Forschungsarbeiten in der Antarktis.
Abb. 167: Somow auf der Station „Mirny“ 240
In den kommenden 18 Monaten wurde von Mirny aus in zwei Richtungen vorgestoßen: zum rund 1400 km entfernten geomagnetischen Pol und zum rund 2300 km entfernten Pol der relativen Unzugänglichkeit. In der Nähe des Unzugänglichkeitspoles wurde die Station „Sowjetskaja“, und in der Nachbarschaft des geomagnetischen Pols wurde die Station „Wostok“ errichtet. Die Stationen „Wostok“ und „Mirny“ wurden nach den Schiffen von Bellingshausen und Lasarew benannt. Der Flug über 2600 km von der Station Mirny zum magnetischen Pol und zurück nahm fast 10 Stunden in Anspruch.
Vorstoß zum Pol der Unzugänglichkeit Unbeirrt von der Ankündigung der „Commonwealth Transantarktik-Expedition“ hatte am 26. Dezember 1957 ein Schlittenzug der 3. Kontinentalen Expedition die unter der Leitung des sowjetischen Polarforschers Tolstikow steht, Mirny verlassen. Ihr Auftrag lautete, die Eroberung des Pols der relativen Unzugänglichkeit vorzubereiten. Der Expeditionsleiter, ebenfalls ein „Held der Sowjetunion“, Tolstikow, war selber schon im Flugzeug über dem Unzugänglichkeitspol gekreist. Anfang Dezember des nächsten Jahres setzte sich eine Expeditionsmannschaft auf Kettenund Kufenfahrzeugen in diese Richtung in Bewegung. Die Männer verließen dann ihre Fahrzeuge und marschierten mit Atemmasken und Sauerstoffgeräten ausgerüstet in ein Gebiet, das noch von keines Menschen Fuß betreten worden war. Nach einem wochenlangen Marsch über eine Distanz von 800 km wurde am 14. Dezember 1958 das Ziel erreicht. Über den Pol der relativen Unzugänglichkeit wehte dann die rote Fahne mit dem Staatswappen der Sowjetunion. 2200 km von Mirny entfernt in rund 4000 m Höhe, wurde unverzüglich mit dem Bau einer neuen Inlandstation begonnen. Die siebente sowjetische Forschungsstation jenseits des Polarkreises erhält entsprechend der erschwerten Zugänglichkeit dieses Pols den Namen „Poljus Nedostupnosti“. Sie soll der Ausgangspunkt zu einem neuen, noch kühneren Unternehmen werden, der Durchquerung Ostantarktikas vom Indischen Ozean bis zum Südpol. Doch bevor das Jahr zu Ende ging, lenkte ein anderes Ereignis die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf die Licht- und Schattenseiten der modernen Antarktisforschung.
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Die Rettung der Belgischen Antarktisexpedition durch die „Helden der Sowjetunion“ In der Funkzentrale Mirny empfing eines Tages der Funker vom Dienst aus dem Äther einen SOS-Ruf. Sein Inhalt war durch atmosphärische Störungen verstümmelt. Es musste sich um einen Flugzeugabsturz oder eine Notlandung in den antarktischen Eiswüsten handeln. Nach mühseligen Erörterungen, Kombinationen und Rückfragen bei den Nachbarstationen wurde der Absender des Hilferufes ermittelt. Er kam aus dem etwa 3000 km Luftlinie von Mirny entfernten belgischen Expeditionsstützpunkt. Am 6. Dezember war das Aufklärungsflugzeug „Auster“ der 2. Belgischen Antarktisexpedition auf einem Erkundungsflug infolge eines Motorschadens notgelandet. An Bord befanden sich 4 Personen. Jeder von ihnen wusste, dass sie nach der Notlandung die falsche Entscheidung getroffen hatten, als sie beschlossen, das Eintreffen der Entsatztruppe an der Unfallstelle abzuwarten. Mochte auch der Proviant für 10 Tage reichen, die Hälfte der Zeit, war unwiederbringlich verloren. Denn es zeigten sich kein Flugzeug am Himmel und kein Schlittenzug am fernen Horizont. Unermüdlich sucht Viktor Perow Planquadrat um Planquadrat nach den Vermissten ab. Als er aber mit seinen Männern zum vierten Flug aufbrach erspäht der Navigator bereits in der ersten Flugstunde einen dunklen Punkt inmitten der weißen Einöde. Kein Zweifel, das Wrack der Auster war gefunden worden. Doch als die russische Rettungsmannschaft drauflos stürzte war es leer. Nur ein am Steuerhorn befestigter Zettel wurde gefunden mit der Nachricht, dass die Verunglückten den Versorgungsstützpunkt zu erreichen versuchen. Nach einer längeren Suchaktion wurden die verschollenen 4 Belgier entdeckt und im letzten Augenblick vor dem drohenden Hungertod gerettet.
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22 Im geheimen Auftrag: Die dritte Deutsche Antarktisexpedition 1938/39 Die Wiederaufnahme der deutschen Südpolarforschung erfolgte zusammen mit einem forcierten Ausbau des deutschen Walfangs. Nach dem Ersten Weltkrieg wurde der deutsche Bedarf an Nahrungs- und technischen Fetten hauptsächlich durch die Einfuhr von Walöl gedeckt, da die heimische Produktion durch vermehrten Ölsaatanbau aus der Landwirtschaft erst wiederaufgebaut werden musste. Dies führte schon bald zu einem akuten Devisenmangel. Unter den Devisenausgaben war das norwegische Walöl der größte Posten. Um von den norwegischen Walölimporten unabhängig zu werden, nahm bereits im antarktischen Sommer von Dezember 1936 bis März 1937 eine deutsche Flotte den Walfang wieder auf. Schon nach drei Jahren war in der Antarktis die deutsche Walfangflotte auf sieben Mutterschiffe und über 50 Fangboote angestiegen. Im November 1936 wurde eine erste Sitzung von Vertretern der interessierten Ministerien zusammengerufen um die Frage zu erörtern, ob auch deutsche Ansprüche auf antarktischen Besitz begründet werden könnten. Doch gemäß internationalem Völkerrecht war für deutsche Ansprüche in der Antarktis bisher noch keine ausreichende Rechtsgrundlage vorhanden. Als Lösung wurde vorgeschlagen, im kommenden Winter eine Station an Land zu setzen die unter dem Deckmantel der Forschertätigkeit für eine spätere Okkupation den Boden bereiten könnte. (vgl. Wohlthat in: Ritscher 1942. S. VIII). Nach Rückkehr der deutschen Walfangreisen legte Ministerialrat Helmuth Wohlthat als Beauftragter für den Vierjahresplan zur wirtschaftlichen Autarkie Deutschlands im Mai 1938 seinem Vorgesetzten Reichsmarschall Göring den Plan einer Antarktisexpedition vor. Bevor aber ein solch kostspieliger Vorstoß in die Antarktis starten sollte, wurden zunächst aus anderen Ministerien Meinungen eingeholt. Das Oberkommando der Kriegsmarine empfahl die Anknüpfung an die Erforschung jener Gebiete der Antarktis, die Erich von Drygalski während der ersten deutschen Antarktisexpedition (1901–1903) durchgeführt hatte; oder man sollte sich in einem noch von keinem anderen Land beanspruchten Gebiet des antarktischen Festlandes umsehen. Göring billigte daraufhin den Expeditionsplan und ernannte zu ihrem Leiter Kapitän Alfred Ritscher, der sich bereits vor dem Ersten Weltkrieg durch eine Durchquerung Spitzbergens unter schwersten Umständen ausgezeichnet und dabei eine ungewöhnliche Energie bewiesen hatte (vgl. Wohlthat in: Ritscher 1942. S. X). Am 3. September 1938 legte Göring die Hauptaufgabe der dritten Deutschen Antarktischen Expedition in Form einer geheimen Reichssache fest: „Innerhalb einer kurzen Sommerkampagne sollte das Hinterland des bisher unerforschten Küstengebietes östlich des Weddellmeeres zwischen 20° West und 20° Ost erforscht werden, um durch Flaggenabwürfe die hoheitliche Grund243
lage einer späteren Besitzergreifung des Gebietes durch das Deutsche Reich für die Sicherung des deutschen Walfangs zu schaffen. Meteorologische, ozeanographische und erdmagnetische Beobachtungen sollten einerseits die für die Expedition benötigten Daten liefern, andererseits jedoch der Tarnung des Unternehmens nach außen dienen. Daneben war die Expedition so lange wie möglich geheim zu halten“ (zit. nach Lüdecke 2004, S. 78).
Abb. 168: Reichsmarschall Göring und Kapitän Ritscher
Das Expeditionsschiff „Schwabenwald“ Für die Zwecke der Antarktisexpedition wurde das Katapultschiff „Schwabenland“ mit neuen Kabinen für die Wissenschaftler und je ein Laboratorium für den Biologen und den Ozeanographen ausgestattet. Mit der auf diese Weise auf 82 gestiegenen Kopfzahl beherbergte das Schiff fast genau die doppelte Zahl von Bewohnern, als beim Bau des Schiffes ursprünglich vorgesehen war (Ritscher 1942, S. 16). Das Schiff war 142,7 m lang, 18,4 m breit und war mit zwei Dieselmotoren mit zusammen 3600 PS ausgestattet, die ihr eine mittlere Geschwindigkeit von 10–11 Seemeilen in der Stunde gaben. Im Unterschied zu den vorangegangenen Antarktisexpeditionen nahm man jedoch keine Hunde oder Hundeschlitten mit. Offensichtlich hatte man nicht den Plan auf dem Festlandboden selbst, sondern nur mit Flugzeugen von der Luft aus geographische Forschungen zu betreiben. Zwei Flugbooten des Typs „Dornier-10-t-Wal“ standen dafür zur Verfügung, deren Instrumentierung auch für Nacht- und Blindflüge geeignet waren. Auf dem Achterdeck war die Flugzeugschleuder, das Katapult, mit einem Gesamtgewicht von 93000 kg und einem Abschussgewicht von 14000 kg aufgebaut. Das Flugzeug erhielt damit eine Abschussgeschwindigkeit von 150 km/h. Zur Wiederaufnahme der im Wasser gelandeten Flugboote diente ein Kran mit einer Hebekraft von 12000 kg. 244
Abb. 169: Das Katapultschiff „Schwabenland“ Als die „Schwabenland“ am 17. Dezember 1938 in Hamburg die Anker lichtete bereitete das Wetter den passenden Auftakt für ein Unternehmen, dessen Ziel das Südliche Eismeer und die Antarktis war. Mit –13 °C wehte ein steifer Wind aus Südosten, der ganz den Vorstellungen entsprach, die man von dem künftigen Arbeitsgebiet haben sollte. Erst nachdem der englische Kanal passiert worden war, wich die anfängliche Kälte unter dem Einfluss des Golfstroms einer milderen Temperatur. Pelzmützen und Felljacken verschwanden von der Bildfläche und machten mehr und mehr der Tropenkleidung Platz. Das Leben an Bord kam schon bald in geregelte Bahnen. Das Essen war reichhaltig und gut. So vergingen die Reisetage wie im Flug. Sie brachten allen vielerlei Anregungen, schlossen aber auch für jeden ein gutes Maß verantwortlicher Tätigkeit ein. „Und das war gut so“, meinte der Kapitän Ritscher, „denn solange das der Fall ist, bringt das enge Zusammenleben von 82 Menschen auf gedrängtem Raum den Frieden nicht in Gefahr. Erst wenn die Arbeit getan ist und die Reaktion auf anhaltende nervliche und körperliche Anspannung folgt, erhebt das unheilvolle Gespenst des Unfriedens drohend sein Haupt“ (Ritscher 1942, S. 44). Als man dem Ziel jeden Tag näherkam, stellte sich bei jedem der Passagiere freudige Erwartung auf das Kommende und noch nie Erlebte ein. Am 15. Januar 1939 tauchte die Insel Bouvet unter ihrer mehrere hundert Meter dicken Eisdecke als ein richtiges Eingangstor in die Antarktis aus dem Nebel auf. Von der Südostecke dieser Insel wurde dann der Kurs zum antarktischen Festland eingeschlagen, um eine geeignete Durchbruchsstelle durch den zu erwartenden Packeisgürtel nach zu finden, der gewöhnlich vor der Schelfeisküste liegt. In der nur noch drei- bis vierstündigen Nacht konnte mit voller Kraft gefahren werden, da sich nur wenige Eisberge zeigten und der Packeisgürtel, der bei dieser südlichen Breite von über 60° schon längst hinter ihnen liegen musste, noch nicht sichtbar war. Einmal begegnete man einen großen Eisberg, auf dem eine große Schar von Pinguinen hockte. In ihrer Mitte, alle anderen weit überragend, saß ein 245
stattlicher Kaiserpinguin: „Es sah so aus, als ob die ganze Gesellschaft auf einen Betriebsausflug in den wärmeren Norden begriffen war“ (Ritscher 1942, S. 47). Erst viel später zeigte sich der weiße Horizontstreifen der Packeisgrenze, welche der Schelfeisküste vorgelagert war
Der erste Inlandflug Von dieser Position aus, etwa 69°20‘ südlicher Breite, wurde am 20. Januar der erste Inlandflug angesetzt. Der Flugweg mit den zu steuernden Kursen, Umkehrpunkten und Entfernungen war im Organisationsplan genau vorgeschrieben. Auf jedem Flug, der in 3000 m über den Grund in Form eines Rechteckes geschah, konnte ein Gelände von rund 65000 qkm fotografisch aufgenommen werden. Die Zurückbleibenden sahen den abfliegenden Leuten teils mit Sorge, teils mit Neid, aber vor allem mit höchster Spannung nach. Noch nie hatte Menschenaugen geschaut, was weit hinter dem Eispanzer dieser Küstengegend verborgen lag.
Abb. 170: Der erste Innlandflug Nach Überqueren des Schelfeisgürtels entrollte sich vor den Augen der Flugzeugbesatzung ein geografisch außerordentlich interessantes Gebiet. Aus der mit Firneis bedeckten Ebene ragten zuerst nur vereinzelt, später häufiger hohe zackige oder niedrigere rundlich abgeschliffene Erhebungen auf. Weiter landein erhoben sich Berge mit messerscharfen, zerhackten Rücken und spitzgipflige Berge. In ihrer Entdeckerfreude gab die Flugmannschaft auffallenden Bergen und Gipfeln entsprechend ihrer Form deutsche Namen wie „Matterhorn“, „Klotz“, „Hasenrücken“, „Napfkuchen“, „Teufelswand“ und dergleichen. Diese Angaben wurden dann an Bord des Schiffes in die vorbereitete Arbeitskarte eingetragen, wodurch ein ungefähres Kartenbild entstand. Das Ganze auf diese Weise aus der Luft erforschte und kartierte Gebiet erhielt den Namen „Neuschwabenland“ 246
Da jedoch die über 4000 m hohe Gebirgsmassive bei der geringen Steigleistung der Flugzeuge nicht überstiegen werden konnten musste man 600 km südlich vom Schiff umkehren. Bei einem weiteren Flug ins Inland beabsichtigte Ritscher nach Abschluss der fotografischen Vermessungsarbeiten aus der Luft „an zwei Stellen eine Landung vorzunehmen um dort die deutsche Flagge als Symbol der Besitzergreifung zu hissen und eine entsprechende Urkunde zu hinterlegen“ (Ritscher 1942, S. 60). Doch eine Prüfung eines solchen Unternehmen ergab, dass ein Ladungsversuch mit den zur Verfügung stehenden Flugzeugen nur mit einem Bruchrisiko und seinen Folgen möglich sein würde und das Gelingen eines Wiederstarts ohne vorbereitete Startbahn fraglich erschien.
Besitzergreifung durch Hissen der Reichsflagge Trotzdem wollte man auf solche Zeichen der Besitzergreifung nicht verzichten. Auf einen Sonderflug wurde daher von den Besatzungsmitgliedern Mayr, Preuschoff und Ruhnke die Reichsflagge in die vereiste Westbuch aufgepflanzt.
Abb. 171: Hissen der Reichsflagge in der Westbucht Diesem Akt nationaler Gesinnung folgte dann an Bord des Schiffes weiter Bekenntnisse zum nationalsozialistischen Deutschland. Zuerst fand eine „Gedächtnisfeier zur Erinnerung an die sechsjährige Wiederkehr des Tages der Machtergreifung durch den Führer“ statt (Ritscher 1942, S. 68). Dann versammelte sich am 30. Januar die gesamte Mannschaft der Expedition im Gemeinschaftsraum, um die Rundfunkrede des Führers zu hören, bei der jedoch zum Leidwesen aller Versammelten durch starke atmosphärische Störungen viel davon verloren ging. 247
Als schließlich die Hauptaufgabe der Expedition, die luftfotogrammetrische Vermessung des Kontinents zwischen 20° West und 20° Ost erfüllt war konnte man an die Heimreise denken. Obwohl der Boden des Festlandes niemals betreten wurde, konnte man doch eine kleine Gesteinssammlung heimwärts bringen. Zu verdanken war das den erbeuteten und später eingegangenen Pinguinen, die sie zur besseren Verdauung brauchten. Einer von ihnen hatte 7 Stück davon im Magen darunter einige von doppelter Erbsengröße. (Ritscher 1942, S. 96). Die Jagdbeute an Pinguinen auf den Sonderflügen und Bootsexkursionen bestanden aus 8 Kaiserpinguinen und 7 Adéliepinguinen, die lebend an Bord gebracht und dort gepflegt und gefüttert wurden. Es wurde ihnen ein windgeschützter Pferch mit einem Schwimmbad hergerichtet. „Dort standen sie oft Kopf an Kopf im dichtgedrängten Kreis wie eine Gruppe trauernder Ratsherren in bunten Regenmänteln bei der Beratung lebenswichtiger Maßnahmen, sich wie erfahrene Seefahrer taktmäßig mit den Bewegungen des Schiffes bald nach der einen und bald nach der anderen Seite wiegend“ (Ritscher 1942, S. 101 f.).
Abb. 172: Pinguine an Bord des Expeditionsschiffes „Schwabenwald“ Sie wurden mit den mitgebrachten gesalzenen Heringen reichlich ernährt. Erst als die durch schlechtes Wetter hinausgezögerte Reisedauer ein Loch in den Lebensmittelvorrat gerissen hatte, musst ihr „Brotkorb“ höher gehängt werden, bis man Kapstadt erreicht hatte. Dort konnten die Pinguine nach Ankauf von Frischfischen wieder ihr völlerisches Leben fortsetzen. Zur freudigen Überraschung Ritschers erreichte ihn während des Aufenthaltes in der bereits vom Krieg geprägten Stadt ein Telegramm von Herrmann Göring folgenden Inhalts: „Zu dem bedeutenden Erfolg, den Sie und Ihre Expedition mit der Erforschung eines großen Gebietes der Antarktis errungen haben, beglückwünsche ich Sie auf das herzlichste. Ich bin stolz auf den Einsatz der Flieger, auf die erfolgreiche Arbeit der Wissenschaftler und auf die vorbildliche Haltung der ganzen Besatzung. Sie und Ihre Expedition haben an die große Tradition deutscher Forschung anknüpfen können und eine Leistung vollbracht, die der Stellung Großdeutschlands in der Welt würdig ist, Göring“ (Ritscher 1942, S. 110). 248
Dass die Zeitungen aber bei dieser Expedition auch einen strategischen militärischen Hintergrund vermuteten, wurde dadurch ersichtlich, dass zumindest eine von ihnen, die Zeitung „Cape Times“, den Verdacht aufwarf, die deutschen Flugzeuge hätten während der Nacht Kapstadt zu Spionagezwecken überflogen, was jedoch Ritscher entrüstet als plumpen Schwindel zurückwies. Nach einem geheim gehalten militärischen Auftrag sollte Ritscher auf der Insel Trinidade Erkundungen einziehen. Er verschwieg aber keineswegs, dass er dort auf dem Rückweg gelandet war; allerdings ohne die strategisch militärische Bedeutung dieses Untenehmen zu erwähnen: „Unser Weg führte an der brasilianischen Insel Trinidad vorbei, einem einsamen, unbewohnten Eiland vulkanischen Ursprungs, das weltverloren mitten im Ozean auf 20°30‘ Süd, 29°00‘ West liegt. In seinem Schutz sollten noch Außenbordsarbeiten vorgenommen werden“ (Ritscher 1942, S. 112). Am 19. März verließ das Schiff seinen Ankerplatz in einer Bucht dieser einsamen Insel in der es nur giftige Fische gab, die nicht zur Fütterung der Pinguine taugten. Einen Nachschub an frischen Fischen bekamen sie erst im Hafen von Pernambuco der am 22. März erreicht wurde. Die mehr als dreiwöchige Fahrt durch die Tropen hatte sie sichtlich angegriffen, aber nur einer von den Kaiserpinguinen und zwei Adélliepinguine waren eingegangen; die aufopfernde Pflege des Biologen hatte das nicht zu verhindern vermocht. Aber mit dem Nachschub an frischem Futter hoffte man nun die Pfleglinge wohlbehalten zu Hause für den Zoo abliefern zu können. Was auch tatsächlich nach der triumphal begrüßten Heimkehr der Expeditionsteilnehmer geschah.
Abb. 173: Heimkehr der Expeditionsteilnehmer mit einem stolzen Kaiserpinguin in ihrer Mitte 249
Der Dank des Führers Mit besonderen Stolz erfüllte alle Teilnehmer dieser Expedition nach den Angaben von Ritscher ein Telegramm des Führers und Reichskanzlers folgenden Inhalts: „Den Teilnehmern an der Deutschen Antarktischen Expedition 1938/39 danke ich für die Meldung von ihrer Rückkehr in die Heimat. Ich verbinde damit meine herzlichen Glückwünsche zu der erfolgreichen Durchführung der der Expedition übertragenen Aufgaben. Adolf Hitler“
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23 Gebietsansprüche für Walfang und Robbenschlägerei Viele Länder hatten seit jeher in Bezug auf die Antarktis Hoheitsansprüche die sie mit Forschungsund Entdeckertätigkeit oder mit ihrer geografischen Nähe begründeten. Entdecker, Forscher und Abenteurer, setzten schon immer die Namen ihrer Heimatländer auf die Landkarte der Antarktis. Dabei ging es vor allem um wirtschaftliche Interessen, vor allem um den Walfang. Länder wie Norwegen, Großbritannien, Argentinien, Chile, Australien und Neuseeland stützten ihre Ansprüche auf Besitznahme auf die Zeiten der Entdeckungsreisen oder auf den Status als direkte Anlieger. Das Südliche Eismeerwurde in mehrere Fanggebiete von unterschiedlicher Größe unterteilt. Einen relativ kleinen Bereich umfasst die südlichen Shetlandinseln. Das Weddell-Meer ist ein weiteres Fanggebiet. Hier wurde meist um die südlichen Sandwich-Inseln herum gejagt. An dieses Fanggebiet schließt sich die Bouvetinseln an, das sich bis zu bis zu den Kerguelen erstreckt. Das wichtigste Fanggebiet umfasst den Großteil des Rossmeeres.
Abb. 174: Gebietsansprüche 251
Das Ende der historischen Gebietsansprüche und der Antarktisvertrag Admiral Richard E. Byrd ließ bereits in den Jahren 1946/47 Flaggen aller Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen über dem Kontinent abwerfen, um zu betonen, dass die Antarktis allen gehört. Das besonders der Antarktis gewidmete Internationale Geophysikalische Jahr 1957/58 führte dazu, dass eine politische Aufteilung des Kontinents abgelehnt wurde. Es wurde zunächst ein internationales wissenschaftlichen Komitee für Antarktisforschung gegründet, das 1959 erstmals zusammentrat. Wissenschaftler aus mehr als 20 Ländern sollten die Polarforschung koordinieren. Noch im selben Jahr unterzeichnen am 1. Dezember 1959 in Washington zwölf Staaten den Antarktisvertrag. Im Antarktisvertrag gelang es erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg in einem internationalen Abkommen für eine bestimmte Region jede militärische Maßnahme zu verbieten. Der Vertrag legt fest, dass die Landmasse und das Schelfeis südlich des 60. Breitengrades nur wissenschaftlich genutzt werden darf. Manöver, Waffentests, die Stationierung von Soldaten und die Entsorgung von Atommüll sind verboten. Neben den zwölf Gründerstaaten hatten dann 16 weitere Mitglieder den Antarktisvertrag unterzeichnet, die eigene Forschungsstationen auf dem Kontinent betreiben und damit auch stimmberechtigt waren. Hinzu kamen 20 nicht stimmberechtigte Mitglieder, darunter Österreich, die Schweiz, Papua-Neuguinea, Rumänien und Guatemala. Außerdem wurden weitere Bestimmungen geschaffen: zum Schutz der Fauna und Flora (1964) vor Allem der Wale und der Robben (1978) und auch anderer lebender Ressourcen („Krill-Konvention“ 1982). Außerdem wurde von den Vertragsstaaten ein Abkommen über die Bodenschätze des Kontinents ausgehandelt.
Frühere Walfangmethoden Walfang wurde wahrscheinlich schon in prähistorischer Zeit betrieben. Ausgrabungen in Grönland haben gezeigt, dass bereits 4500 Jahre v. Chr. Inuits Wale gejagt haben. In Europa wurden die Tiere bereits seit dem 9. Jahrhundert gejagt. Im Mittelalter nahm der Fang immer weiter zu. Die großen Mengen Fleisch und der als Brennstoff verwendete Waltran waren schon damals wichtige Rohstoffe. Bereits am Ende des Mittelalters liefen regelmäßig ganze Flotten aus um die Wale zu jagen. Besonders begehrt waren Glatt- und Grönlandwale, da sie auf Grund ihrer Größe reiche Beute versprachen. Der Fang der Tiere beschränkte sich aber zunächst fast ausschließlich auf küs252
tennahe Gebiete und war für die Besatzungen der Schiffe mit einem hohen Risiko verbunden. Mit Segelschiffen, kleinen Booten und einfachen Wurfharpunen waren die Jäger bei solchen Jagden auf die Wale oft sehr gefährdet.
Abb. 175: Frühzeit des Walfangs (Kupferstiche von Adolf van der Laan ca. 1690 – 1742) Der kommerzielle Walfang wurde in Europa erfunden. Vor allem wurden die langsam schwimmenden großen Wale gejagt, die nach ihrem Tod aufgrund des hohen Fettgehalts an der Oberfläche trieben. Die küstennahen Walvorkommen wurden so intensiv bejagt, sodass sie hier bald selten wurde. Als um 1600 holländische Seefahrer auf der Suche nach einer Nordostpassage nach China große Walbestände vor Spitzbergen entdeckten, begann auch hier eine intensive Waljagd. Holländer, Engländer, Dänen und später auch Deutsche und Amerikaner jagten hier den „Grönlandwal“, der so benannt worden war, weil man Spitzbergen damals irrtümlich für einen Teil Grönlands hielt. Über die Größe des Grönlandwals gibt es in älteren Schriften übertriebene Angaben. Es wird behauptet, dass es in früheren Zeiten Wale von fünfzig, sechzig, ja sogar hundert Meter Länge gegeben habe. Der größte im Jahr 1813 gefangene Wal war jedoch nur etwas über 20 m lang. (Brehm 1877, S. 740). Die erlegten Tiere wurden an den Strand geschleppt, wo das Fett zu Tran verkocht wurde. Ein Wal lieferte bis zu 12000 Liter Tran. Genutzt wurden auch die Barten, den Rest der Tiere ließ man verrotten. 253
Der erst später im 17. Jahrhundert entdeckte Pottwal erreicht eine Länge von 20 bis 30 m und hat einen Leibesumfang von 12 m. Eine genaue Beschreibung und warum dieser Wal besonders eifrig gejagt wurde, findet man schon in der Oeconomischen Encyclopädie (1773–1858) von Johann Georg Krünitz: „Der Kopf welcher dem Tier den Namen gegeben hat, indem er gleichsam wie ein Topf (niederd. Pott) hervorragt, ist außerordentlich groß, so auch der Rachen. In der untern Kinnlade sitzen 46 Zähne, die 6 Zoll lang aus dem Zahnfleische hervorstehen, armdick sind, und in Höhlen der oberen Kinnlade passen. Die obere Kinnlade ist breit, die untere aber sehr schmal. Sein Schlund ist gar nicht so eng, wie beim Wallfisch. Der Rücken ist braun, oder schwarz oder grau, der Bauch weißlich. Es gibt auch welche, die ganz weißgelblich sind. Er ist besonders in dem südlichen Weltmeere zu Hause. In besonderen Kanälen im Kopfe dieses Tieres sondert sich ein milchweißes Öl ab, welches an der Luft zu einem halbdurchsichtigen Talg verhärtet, und unter dem Namen, Walrat, spermaceti, bekannt ist. Auch beim Tran dieses Tieres findet sich dergleichen Materie. Ferner findet sich in seinen Gedärmen und unter seinem Unrat zuweilen der wohlriechende graue Ambra. Er verschlingt auch große Fische, unter andern auch den Haifisch. Seine vorzüglichste Nahrung soll der Tintenfisch (Sepia octopodia) sein. In seinem Magen findet man viele Knochen, Gräten und Gerippe, bisweilen von 6 und mehr Fuß Länge. Das Fleisch des Pottfisches ist rot, wie das des Wallfisches; aber wohl noch gröber und härter. Sein Speck ist über eine halbe Elle dick, daher ein großer Pottfisch gegen 100 Tonnen Tran gibt, welcher klarer und süßer ist, als Wallfischtran, und beim Brennen weniger dampft. Aus den Überbleibseln des ausgesottenen Specks und den Sehnen kocht man Leim. Die Zähne soll der Drechsler verarbeiten.“ Zwar waren Pottwale schneller und damit schwieriger zu jagen, aber das in seinem Kopf enthaltene Walrat konnte genutzt werden, ohne es verkochen zu müssen. Es war ein sehr hochwertiger Kerzenbrennstoff, der hohe Preis machte die schwierige Jagd attraktiv. Zuerst wurden Pottwale vor der Ostküste Nordamerikas gejagt; nachdem sie hier selten wurden, folgten die Walfänger ihnen in den Südatlantik. James Cook und andere Seefahrer hatten ja bereits Nachricht von reichen Walgründen im Pazifik gebracht. Die Reisen in den Pazifik dauerten zwei bis vier Jahre und bei Problemen war Hilfe weit entfernt.
Der Pottwal und der Untergang der Essex Die Jagd auf den Pottwal war mit weit größeren Gefahren verbunden als der Fang des Grönlandwals. Alle Seeleute aus dieser Zeit wussten von Unglücksfällen zu erzählen, die durch einen Zusammenstoß mit einem Pottwal herbeigeführt wurden. Der berühmteste Fall war der, welcher den Untergang des Schiffes Essex verursachte. Den nach dem glaubwürdigen Bericht des Ersten Offiziers Owen Chase, der zu den acht Überlebenden der Katastrophe zählte, war sie nicht ein 254
unglücklicher Zufall, sondern wurde von einem riesigen Pottwal verursacht, der in voller Absicht und entsetzlicher Wut das Schiff angegriffen hatte. Die Essex unterstand dem Kommando von Kapitän George Pollard Junior und wurde in Nantucket ausgerüstet. Am 12. August 1819 stach sie in See um im Stillen Ozean auf Walfangfahrt zu gehen. Kurz zuvor hatte man an den Aufbauten des Schiffs gründliche Reparaturarbeiten durchgeführt, sodass es zu jener Zeit in jeder Hinsicht ein tadelloses, seetüchtiges Fahrzeug darstellte. Seine Besatzung bestand aus 20 Mann, und es wurde für zweieinhalb Jahre mit Vorräten versorgt. Nach einer langen Fahrt von zwei Monaten erreichte die Essex die Walfanggründe des Südpolarmeeres. Bereits am 20. November entdeckte man eine Herde von Walen. Owen Chase schildert in seinem 1821 erschienen Buch in allen Details dieses denkwürdige Zusammentreffen mit dem Pottwal: „Es herrschte sehr schönes, klares Wetter, und gegen 8 Uhr morgens rief der Ausguck plötzlich aus: ‚Da bläst er!‘ Sofort wurde das Schiff gewendet, und wir fuhren dorthin. Als wir nur noch eine halbe Meile von dem Ort entfernt waren, wo wir die Wale gesehen hatten, ließen wir alle Boote zu Wasser, bemannten sie und begannen die Jagd“ (Chase 2002, S. 29). Als die Boote an der Stelle eintrafen, wo sich die Wale befanden, war zunächst nichts von ihnen zu sehen. Gespannt warteten die Walfänger darauf, dass die Wale irgendwo in der Nähe auftauchten. „Kurz darauf,“ berichtet Chase, „erschien einer und spritzte eine Fontäne, nicht weit vor meinem Boot. Meine Männer ruderten mit voller Kraft auf ihn zu, dann war ich neben ihm und traf ihn mit der Harpune. Als er sie spürte, warf er sich im Todeskampf zum Boot hin, das jetzt längsseits neben ihm lag, traf es mit einem gewaltigen Hieb der Schwanzflosse mittschiffs, nahe der Wasserlinie, und schlug es leck. Sofort griff ich nach dem Bootsbeil und trennte die Leine von der Harpune, um das Boot freizubekommen, das bereits hohe Fahrt aufgenommen hatte. Es gelang mir, von dem Wal klar zu kommen, verlor jedoch dabei die Harpune und die Leine. Ich stellte fest, dass Wasser ins Boot drang, stopfte hastig drei oder vier unserer Jacken in das Leck, befahl einem Mann, ständig weiter zu schöpfen, und den anderen, sofort zum Schiff zurückzurudern. Es gelang uns, das Boot frei zu halten, und kurz darauf trafen wir beim Schiff ein“ (Chase 2002, S. 30). Das leckgeschlagene Boot wurde sofort an Bord gehievt und ausgebessert. Während dieser Arbeit sah Owen Chase einen sehr großen ungefähr 28 m langen Pottwal, der hundert Meter vom Schiff aufgetaucht war. Zunächst blieb dieser Wal ruhig im Wasser liegen. Dann drehte er den Kopf in Richtung des Schiffs und tauchte wieder ab. Dass der Angriff des Pottwals in voller Absicht geschah, zeigt der weitere Verlauf dieser verhängnisvollen Begegnung: „Kurz darauf erschien er abermals, nur noch eine Schiffslänge entfernt, und schwamm mit einer Geschwindigkeit von etwa drei Knoten direkt auf uns zu. Das Schiff machte ungefähr die gleiche Fahrt. Zunächst jagte uns der Anblick keine Furcht ein. Aber während ich dastand, seine Bewegungen verfolgte und beobachtete, wie er sich aus dieser geringen Entfernung mit großem Tempo näherte, befahl ich dem Jungen am Ruder unwillkürlich, es hart Backbord zu legen, da ich abscheren und dem Wal ausweichen wollte. Kaum hatte ich meine Anweisung gegeben, als der Wal vorn unmittelbar an 255
den Ketten des Wasserstags mit voller Wucht seinen Schädel gegen das Schiff stieß und ihm einen so furchtbaren und ungeheuren Schlag versetzte, dass wir fast alle kopfüber aufs Deck stürzten. Als hätte sie einen Felsen gerammt, kam die Essex ruckartig zum Stehen und erzitterte einige Sekunden wie ein Blatt im Wind“ (Chase 2002, S. 31).
Abb. 176: Owen Chase und der Angriff des Pottwals auf die Essex Als sich der Bug des Schiffes nach und nach ins Wasser senkte war es klar, dass der Wal das Schiff leckgeschlagen hatte. Während die Pumpen in Gang gesetzt wurden, entdeckte Chase den Wal abermals: „Obgleich ihn die Gischt einhüllte, die sein ununterbrochenes und heftiges Stampfen ringsum auf den Wellen erzeugte, war deutlich zu erkennen, wie er die Kiefer zusammenschlug, als sei er vor Wut und Zorn ganz von Sinnen. Er verharrte kurz und schwamm dann mit großer Geschwindigkeit quer vor unserem Bug nach Luv. Inzwischen war das Schiff noch tiefer ins Wasser abgesackt und ich gab es als verloren auf.“ Als Owen Chase bereits Vorbereitungen treffen wollte, von Bord des sinkenden Schiffs zu gehen, schreckte ihn der Ausruf einer seiner Männer auf: „Da ist er wieder. Er kommt direkt auf uns zu.“ Aus einer Entfernung von 500 m startete der wütende Pottwal seinen zweiten Angriff: „Mit der doppelten seiner normalen Geschwindigkeit und, wie mir schien, mit zehnfacher Wut und sichtbarem Rachedurst kam er heran. Die Gischt sprühte in alle Richtungen um ihn herum, und den Kurs, den er auf uns nahm, säumte eine fünf Meter breite Spur weißen Schaums, den er durch unablässiges, heftiges Schlagen mit der Schwanzflosse erzeugte. So kam er mit halb aus dem Wasser ragendem Kopf dem Schiff immer näher und rammte es abermals.“ Owen Chase konnte einen zweiten Schlag nicht verhindern, der den Bug des Schiffes vollkommen eindrückte. Dann schwamm der Wal unter dem Schiff hindurch, drehte ab und wurde nicht mehr gesehen. 256
Vom Zeitpunkt an, als der Wal zum ersten Mal das Schiff angegriffen hatte, bis zu dem Augenblick, da das Schiff umschlug und von der Mannschaft verlassen wurde, waren keine zehn Minuten vergangen. Statt sich mit Wehklagen über das entsetzliche Geschehen zu beschäftigen versuchte nun Owen Chase zu ergründen, welches unerforschliche Schicksal oder welche böse Absicht ein Tier, von dem man glaubte, es sei zu keiner vorsätzlichen Gewalttätigkeit fähig, sondern die sprichwörtliche Gefühllosigkeit und Harmlosigkeit selbst, zu dieser jähen und absolut mörderischen Attacke veranlasst hatte: „Alle Tatsachen schienen meine Schlussfolgerungen zu bestätigen, nach denen nichts als der Zufall den Wal in seinem Handeln gelenkt hatte. Innerhalb einer kurzen Zeitspanne hatte er zwei getrennte Angriffe auf das Schiff unternommen, von denen beide ihrer Richtung nach eindeutig darauf abzielten, uns den größtmöglichen Schaden zuzufügen. Da er uns frontal angriff, addierten sich die Geschwindigkeiten der beiden Objekte, als sie aufeinander prallten. Um diesen Zusammenstoß herbeizuführen, waren eben jene Manöver erforderlich, die er dann schließlich ausführte. Seine äußere Erscheinung war höchst Furcht erregend und verriet, dass er voller Zorn und Wut war. Als wolle er deren Leiden rächen, kam er geradewegs aus der Gruppe herausgeschwommen, in die wir kurz zuvor eingedrungen waren – und in der wir drei seiner Artgenossen harpuniert hatten. Hier muss angemerkt werden, dass die von dieser Gattung der Wale gewählte Form des Kampfes im Allgemeinen entweder darin besteht, wiederholt mit dem Schwanz zu schlagen oder die Kiefer zusammenzuklappen, und dass kein auch noch so alter und erfahrener Walfänger je von einem ähnlichen Fall wie dem unsrigen gehört hat. Doch würde ich darauf antworten, dass der Kopf des Wales durch seinen Bau und seine Festigkeit für diese Art von Angriff auf bewundernswerte Weise geeignet ist. Der vorderste Teil des Schädels ist fast so hart und fest wie Eisen. In der Tat, ich kann ihn mit nichts anderem als der Innenseite eines Pferdehufs vergleichen, gegen die eine Lanze oder Harpune ebenfalls nicht das Geringste ausrichten kann. Die Augen und Ohren des Wals liegen ein Drittel der Gesamtlänge des Tieres hinter der Stirnseite des Schädels, sodass auch sie bei einer solchen Attacke überhaupt nicht gefährdet sind. Jedenfalls erweckten die Umstände und alles, was sich direkt vor meinen Augen abspielte, bei mir den Eindruck, dass der Wal entschlossen und berechnend Unheil stiften wollte. Deshalb vermute ich auch, dass ich mit meiner Meinung Recht habe. Mit Sicherheit aber handelt es sich, alles in allem genommen, um einen bis dahin völlig unbekannten Vorfall, ein Ereignis, das zu den außergewöhnlichsten in den Annalen des Walfangs zählt“ (Chase 2002, S. 41). Doch diese Vernichtung der Essex blieb nicht der einzige Vorfall. Vier Monate nach dem Untergang dieses Schiffes fing die Mannschaft der Rebekka einen ungeheuren Pottwal. Man fand zwei Harpunen in seinem Körper mit der Bezeichnung „Ann Alexander“. Der Kopf war stark beschädigt, und aus einer fürchterlichen Wunde ragten große Stücke von Schiffsplankenhervor. Der Kapitän Charles Melville Scammon (1825–1911) zählt noch eine Reihe ähnlicher Angriffe von Pottwalen auf. Man weiß sogar von Fällen zu berichten, dass Pottwale Schiffe ohne allen Grund herausforderten, angriffen und zerstörten. Scammon zweifelt nicht, dass mehr als ein Schiff, das zum Walfang aussegelte und nicht zurückkehrte, durch Wale in den Grund gebohrt wurde. 257
Abb. 177: Boote der „Ann Alexander“ auf Pottwaljagd
Abb. 178: Kapitän Scammon und ie Vernichtung eines Walfängerschiffs In den Teilen der Weltmeere, wo sich solche Zusammenstöße häuften, unterschieden die Seeleute besonders gefährliche Wale und gaben ihnen individuelle Namen. Der berüchtigtste war Mocha Dick, so genannt, weil er zuerst bei der südchilenischen Insel Mocha gesichtet wurde. Man nimmt an, dass er es war, der das Walfangschiffes „Essex“ versenkte. Durch den Dichter Herman Melville ging dieser Wal mit dem leicht veränderten Namen „Moby Dick“ in die Weltliteratur ein. 258
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erlebte die Walfangindustrie ihre größte Zeit. Durch den massiven Anstieg der getöteten Tiere gab es im Nordatlantik vor Spitzbergen und Grönland bald kaum noch Wale.
Abb. 179: Walfischschlachterei im 19. Jahrhundert 1904/1905 wurde die erste Walfangstation in der Antarktis gegründet. Die Jäger eroberten damit eins der letzten Rückzugsgebiete der Wale. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen mit der Errichtung fester Walfangstationen der planmäßige Fang und eine rationelle Verwertung. Nach dem Vorbild von dem Norweger Larsen, der auf dem Südpolargebiet als Pionier gilt, arbeiteten 1910 bereits 6 Landstationen und 14 schwimmende Walfabrikschiffe mit 48 Fangbooten in den antarktischen Gewässern. Sie erbeuteten in einer Fangzeit durchschnittlich 10000 Wale. Damit überflügelte die Antarktis alle anderen Fangfelder der Welt. Dagegen wurde in den USA der kommerzielle Walfang Anfang des 20. Jahrhundert beendet. Durch das Petroleum gab es eine billigere Alternative zum Walöl als Brennmittel. Außerdem war die Jagd durch die immer geringer werdenden Walbestände aufwendiger und damit teurer geworden.
Moderne Fangmethoden In Europa wurden Fabrikschiffe eingesetzt, um die Wale komplett an Bord verarbeiten zu können. In dieser Zeit wurden weltweit jedes Jahr über 30000 Wale erlegt. Die Zahl der getöteten Meeressäuger steigerte sich auf etwa 40000 pro Jahr. Dadurch standen viele Walarten kurz vor der Ausrottung. Als Bestände an Walen abnahmen, wurde das Problem unübersehbar. 1935 trat das erste Völkerbund-Abkommen zur Begrenzung des Walfangs in Kraft. Doch der Erfolg war nur gering, da wichtige Walfangnationen wie Norwegen und England die Fangquoten selbst bestimm259
ten. Neue Walfangländer wie Deutschland und Japan, ebenso die Walfänger aus der Sowjetunion ignorierten die Vereinbarungen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden viele Fabrikschiffe durch Torpedos versenkt, damit ging auch der Walfang deutlich zurück. Seit 1948 wurden von einer Internationalen Walfangkommission Fangquoten festgelegt, die einen weiteren Rückgang der Bestände aber nicht verhinderten. 1986 setzte die Walfangkommission schließlich die Fangquoten auf Null. Seitdem herrscht faktisch ein Walfangverbot für Großwale. Von diesem gibt es drei Ausnahmen: die Jagd durch Ureinwohner für den lokalen Verbrauch in verschiedenen Regionen; die Jagd für wissenschaftliche Zwecke und die Jagd von Norwegen und Island, da diese Länder die Fangquote Null nicht anerkennen. Tierschützer werfen vor allem Japan vor, seinen angeblich „wissenschaftlichen Walfang“ eigentlich auch aus kommerziellen Gründen durchzuführen.
Abb. 180: Walfangmethoden im 20. Jahrhundert Die neu entwickelten Sprengharpunen erleichtern heutzutage den Walfängern ihre Arbeit erheblich. Zudem sorgte die Dampfschifffahrt für eine enorme Ausdehnung der Fanggebiete. Die Wale sind um die Mitte des 20. Jahrhunderts von den Fangleuten noch ebenso begehrt wie zu früheren Zeiten. Nur die Fangmethoden und die Verwertungspraktiken haben sich gewandelt. Flugzeuge wiesen durch Rauchsignale und Funk ihren Fangbooten den Kurs zu den ertragreichsten „Walfeldern“. Doch bald wurden die Walfangboote durch die Flugzeuge selbst ersetzt. Schon in der ersten Nachkriegs-Walfangperiode erfolgte der Entschluss, die Flugzeuge künftig mit Harpunier-Kanonen auszurüsten. Seitdem jagen Walfänger-Flugzeuge im Tiefflug über das Meer. Ein Druck auf einen Knopf und die mit einem Radargerät gekoppelte Rakete schießt davon. Motorengedröhn übertönt
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die Explosion im Leib des Wals der verzweifelt im Todeskampf das Wasser mit seinem mächtigen Schwanz peitscht. Der Belegschaft des Mutterschiffs bereitet die Verarbeitung, der angelandeten Fänge wenig Sorgen. Durch eine breite Luke im Heel des Schiffes wird der Walkadaver von 2 Tonnen schweren Greifern am Schwanz gepackt und an Bord gehievt. Auf dem Abspeckdeck stehen die Verarbeiter mit Dampfsägen, Hippen und Spezialmessern zum Zerlegen der Wale bereit. Mit erprobten Handgriffen wird den Walen zuerst die Schwarte abgezogen. Ist der Speck herunter, zerschneiden die Zerteiler mit Dampfsägen die Rückenwirbel in sternförmige Scheiben. In Kesseln verschiedener Systeme wird das Fett zerlassen und separiert. Ein besonderer Maschinensatz entzieht dein Walfleisch das Wasser und verarbeitet es zu faserartigem Mehl, das hervorragendes Kraftfutter für die Küken und Ferkeln abgibt. Die Knochen des Wals werden zu Kunstdünger zermahlen (Wille 1977, S. 298).
Die Errichtung von Meeresschutzgebieten Der Antarktisvertrag hat sich von allem Anfang an um die Meeresgebiete rund um den eisigen, weitestgehend unbewohnten Kontinent gekümmert. Ein erstes Schutzgebiet auf hoher See wurde 2009 in der Region der Südlichen Orkney-Inseln eingerichtet. Seit Jahren verhandelten die Staaten des Antarktisvertrages über zwei weitere Areale, in denen die Fischerei verboten werden soll. Das eine ist das Rossmeer, ein Gebiet, das so abgelegen war, dass es lange Zeit von Fischerei und Schifffahrt kaum betroffen war. Doch heutzutage ist die Ausbeutung des Artenreichtums an Meerestieren ein entscheidender Grund für die Unterschutzstellung dieses Gebietes. Krill, kleine garnelenförmige Krebstiere, wird industriell gefischt. Er findet nicht nur als Nahrungsmittel Verwendung, sondern auch in der Kosmetikindustrie, in der Arzneimittelherstellung und als Futter in Fischfarmen. Auch auf den Riesen-Antarktisdorsch haben es die Fischer abgesehen. Diese Fischart wurde in den letzten Jahren stark befischt. Wegen dieser wirtschaftlichen Interessen waren verschiedene Länder nur schwer von Meeresschutzzonen zu überzeugen. Das Ziel ist ein Gürtel aus Schutzgebieten rund um die Antarktis. Das Rossmeer vor der Küste der Antarktis wird das weltweit größte Meeresschutzgebiet. Darauf haben sich die 24 Mitgliedsstaaten des Übereinkommens über die Erhaltung der lebenden Meeresschätze der Antarktis (CAMLR-Konvention) und die EU am 28. Oktober 2016 nach jahrelangen zähen Verhandlungen geeinigt. Das ist zwar ein großer Erfolg für den Schutz der Antarktis. Das Ausmaß des neuen Meeresschutzgebiets entspricht der kombinierten Fläche von Deutschland, Frankreich und Großbritannien. In dem 1,55 Millionen Quadratkilometer großen Gebiet wird die Fischerei nun stark eingeschränkt. Das kommt unzähligen Fischen, Walen, Seevögeln und Pinguinen zugute. Der Beschluss stärkt außerdem den internationalen Schutzstatus der Antarktis. Aber 261
gerade diese Einschränkung der Fischerei war der Grund für den jahrelangen Stillstand der Verhandlungen durch die Blockadehaltung der fischereiorientierten Nationen. Den Durchbruch brachten Verhandlungen zwischen den USA und Russland. Der Beschluss zeigt, dass es grundsätzlich möglich ist großflächige Meeresschutzgebiete im Rahmen einer Konvention auszuweisen. Aber zu beklagen ist, dass im Fall des Rossmeeres mittlerweile 30 % der ursprünglich vorgeschlagenen Fläche ausgeklammert worden. Krimkrise und Russland-Embargo, der Streit um den Umgang mit Diktator Assad in Syrien – all das hatte für Unstimmigkeiten bei den Antarktisverhandlungen und zu einem Zusammenbruch des Vertrauens zwischen den Verhandlungspartnern gesorgt. Auch China hat sich lange Zeit gegen die Vorschläge für Schutzgebiete ausgesprochen. Trotz der Kompromisse von Seiten Chinas ist jedoch zu kritisieren, dass sich unter anderem die Delegation aus Peking dafür stark gemacht hat den Schutz zeitlich zu befristen, was natürlich dem Gedanken eines Schutzgebietes zuwider läuft. Außer dem Schutzgebiet im Rossmeer wurde von Deutschland ein anderes Gebiet und zwar im Weddellmeer präsentiert. Was für ein besonderer Platz das Weddellmeer ist, machen die Forschungsergebnisse deutlich. So berichtet die Direktorin des Alfred-Wegner-Institutes Karin Lochte von einer dortigen Artenvielfalt, die mit tropischen Korallenriffen vergleichbar sei: „Im Weddellmeer befinden sich einzigartige biologische Schatzkammern und Schlüsselarten die es zu bewahren gilt. Da gibt es Eisfische, die mit Frostschutz-Proteinen ein Gefrieren ihres Blutes verhindern. Da gibt es mehr als 300000 Paare des Antarktischen Sturmvogels, die an den Küsten des Weddellmeeres brüten. Da gibt es die Kolonien auf dem Meereis, in denen ein Drittel aller Kaiserpinguine zur Welt kommt. Da gibt es die reichen Krill- und Fischvorkommen, die vielen Meeressäugern als Beute dienen. Sechs Robbenarten sind aus dem Gebiet bekannt, außerdem zwölf Walarten, darunter Buckel-, Schwert-, Blau- und Antarktische Zwergwale.“ Doch ihr Schutz wird vermutlich noch eine Weile auf sich warten lassen. Claire Christian vom Center for Security Studies der ETH Zürich bleibt trotzdem optimistisch. Die Zusammenarbeit in der Antarktis sei in der Vergangenheit ein „Leuchtturm der internationalen Kooperation“ gewesen, meint sie. Das war vor allem möglich, weil die beteiligten Länder entschieden haben, dass sie eine Verantwortung zum Schutz der Antarktis haben und nicht nur auf kleine nationale Interessen bedacht sind.
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24 Schlusskapitel: Die Gefährdung der Antarktis durch Tourismus und wissenschaftliche Forschungstechniken Der Tourismus hat sich zum wichtigsten Wirtschaftszweig in der Antarktis entwickelt. Im Südsommer zwischen November und März kreuzen in den zu dieser Zeit eisfreien Gewässern vor der Antarktischen Halbinsel regelmäßig rund 50 Kreuzfahrtschiffe und Yachten, mehr als 20000 Touristen gehen an Land und stören die empfindlichen Ökosysteme. Dem Antarktisvertrag wurde zwar ein umfassendes Umweltschutzprotokoll hinzugefügt. Trotz der großen Anzahl völkervertraglicher, gewohnheitsrechtlicher und internationaler Normen, sowie der bestehenden nationalen Regelungen, fehlt es bis heute an einem normativen Rahmen, der geeignet wäre, die Anzahl der Antarktistouristen und die Orte des Antarktistourismus einzugrenzen. Das aber steht im Widerspruch zum generellen Ziel und Zweck des Umweltschutzprotokolls zum Antarktisvertrag, einen umfassenden Umweltschutz im gesamten Antarktisgebiet zu etablieren. Wie bei allen Tätigkeiten im Antarktisgebiet kommt es auch beim Antarktistourismus zu Unfällen. Vor allem gibt es aber immer wieder Fälle, für die Nichteinhaltung der Regeln zum Schutz der Umwelt der Antarktis durch Touristen. So wird das Verbot, schädigend auf die antarktische Fauna einzuwirken, nicht durchgängig befolgt. Es lassen sich Fälle dokumentieren, in denen Touristen die vorgeschriebenen Regelungen zum Sicherheitsabstand zu wildlebenden Tieren von mindestens 5 m nicht eingehalten haben. Außerdem lassen sich Fälle von Antarktisreisen ohne nationale Genehmigungen nachweisen, bei denen die Besatzung der Schiffe Vandalismus an den historischen Stätten verübten.
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Abb. 181: Sport in der Antarktis Vor allem hat sich in den letzten Jahren der Antarktistourismus durch sportliche Aktivitäten verändert: Nicht nur Skifahren und Schlittenfahren stehen auf dem Programm, sondern auch Fahrradtouren; aber auch vor der Verwendung motorbetriebener Fahrzeuge (Motorräder, Trucks, etc.) wird nicht zurückgeschreckt, um neue Rekorde auf dem Weg zum Südpol oder bei der Durchquerung des Kontinents zu erreichen. Außerdem finden Marathonläufe in der Antarktis mit einem lärmenden Begrüßungskomitee am Ende des Laufes statt und Bergsteiger wollen in der Antarktis neue Höhenrekorde in extremer Kälte aufstellen. Die Lebewesen im antarktischen Meer werden durch Kajakfahren, Surfen, Langstrecken-Schwimmen, Schnorcheln und Tauchen empfindlich gestört, wenn nicht überhaupt vertrieben. Zudem droht das Einwandern fremder Arten mit kaum abschätzbaren Folgen. Touristen und Wissenschaftler schleppen Samen von Pflanzen aus anderen Regionen der Welt ein. So hat sich in einem Gebiet im oft besuchten Westen der Antarktis bereits das einjährige Rispengras angesiedelt. Ein Besuch des Adelie-Nistplatzes auf Kap Royds gehört in McMurdo zu den beliebtesten Exkursionen. Seit eine Maschine so tief über ein Brutgebiet flog, um Photos für eine Tierzählung aufzunehmen, dass die Vögel panikartig die Flucht ergriffen und ein wüstes Durcheinander von zerbrochenen Eiern hinterließen, gelten für das Überfliegen von Pinguinen sehr strenge Vorschriften, die aber nicht immer eingehalten werden. Die Antarktisüberflüge ohne Landung stellten bereits in den siebziger Jahren eine häufige Reiseform dar. Es wird geschätzt, dass zwischen 1977 und 1980 44 Überflüge mit insgesamt etwa 10000 Passagieren durchgeführt wurden. Dies änderte sich nach einem Unfall am Mount Erebus 264
im Jahr 1979 bei dem alle Flugzeuginsassen ums Leben kamen. Neben solchen Überflügen gibt es für Touristen auch Flüge mit einer Landung im Antarktisgebiet und mehrstündigem Aufenthalt teilweise auch mit einer Übernachtung in einem Camp. Unter „landbasiertem Tourismus“ versteht man nur solche touristischen Aktivitäten im Antarktisgebiet, die auf dem antarktischen Kontinent und den vorgelagerten Inseln einschließlich der dazugehörenden Eisflächen und nicht auf dem Meer, an Bord eines Schiffes, einer Yacht oder eines Flugzeuges stattfinden. Fraglich ist in diesem Zusammenhang, ob es einen zeitlichen Mindestaufenthalt an Land gibt und wie dieser zu bemessen ist. Für den antarktischen Tourismusverband handelt es sich um einen landbasierten Tourismus erst dann, wenn Aufenthalte über 36 Stunden andauern. Diese enge Definition des landbasierten Tourismus führt dazu, dass Aktivitäten, die 24 Stunden oder über Nacht andauern, wie das einmalige Kampieren an Land, vom Begriff des „landbasierten Tourismus“ ausgenommen sind und somit den entsprechenden Regelungen zu dieser Tourismusart nicht untergeordnet werden können. So berechtigt diese Kritik an dem Tourismus auch sein mag, darf man darüber die wissenschaftlichen Tätigkeiten in der Antarktis nicht vergessen. Da sind es vor allem die Polstationen, die unter so großem Kostenaufwand an diesem Ort eigentlich nur aus Prestigegründen beibehalten werden. Die Sowjetunion hatte bekannt gegeben, sie würde im Rahmen des Internationalen Geophysikalischen Jahres in der Antarktis zwei Stützpunkte errichten. Die amerikanische Regierung wollte damals nicht zurückstehen. Ursprünglich bestanden die Aufgaben dieser Basis direkt auf dem Pol darin, den Forschergruppen, die den Kontinent durchquerten, als Zwischenstation zu dienen. Sowohl Vivian Fuchs wie Edmund Hillary hatten von dieser Gelegenheit Gebrauch gemacht. Außerdem konnte die Polstation auch Flugzeuge, die auf langen Erkundungsflügen unterwegs waren, mit Treibstoff versorgen. Bis heute erfüllt die Pol-Station außerdem die Aufgabe einer Wetterstation. Sie ist aber auch das touristische Ziel neugieriger Besucher.
Abb. 182: Atomkraftwerk am McMurdo-Sund 265
In den Jahren 1962–1972 gab es in der Antarktis sogar schon ein Atomkraftwerk. Es war Eigentum der United States Navy. Der Reaktor wurde entwickelt, um elektrischen Strom und Dampfbeheizung für die McMurdo-Station am McMurdo-Sund zu liefern. Die Installation eines Atomreaktors in der Antarktis war auch damals eine politisch bedenkliche Sache. Es handelt sich um eine mobile Anlage, die mit einem Frachtschiff der amerikanischen Marine hergebracht und 1964 in Betrieb genommen wurde. Dieses Werk ermöglichte eine gewaltige Einsparung an Brennstoff zur Erzeugung von Kraft und Wärme, der sonst mit Tankschiffen nach McMurdo transportiert werden musste. Außerdem betrieb der Atomreaktor eine Anlage zur Wasserdestillation die McMurdo mit einem Großteil des benötigten Frischwassers versorgte. Sie lieferte im Tag bis zu l0000 Liter. Während der Hochsaison, wenn die Einwohnerzahl der Station beträchtlich anstieg, genügte diese Menge jedoch nicht, und das Wasser muss rationiert werden. Das Wasser wurde aus dem Sund heraufgepumpt. Durch den Destillationsprozess wurde das Salz aus dem Meerwasser ausgeschieden und ins Meer zurückbefördert da sich aus dem angepumpten Meerwasser nur 10 % Frischwasser gewinnen ließ. Der radioaktive Kern dieses Werks ist von den üblichen Schutzvorrichtungen umgeben. Ein solcher Kern reicht für mehr als ein Jahr. Wird er ersetzt, dann dauert es 12 Monate, bis er genügend abgekühlt ist, um in die Vereinigten Staaten zurückgeschickt zu werden. Denn laut internationalem Vertrag ist es verboten, in der Antarktis radioaktive Abfälle zu deponieren. Seit dem Internationalen Geophysikalischen Jahr gibt es noch eine zweite wissenschaftliche Station, die Station Byrd, die von den Vereinigten Staaten tief im Innern der Antarktis errichtet worden ist. Zu den wichtigsten Aufgaben dieser Station gehören die Bohrungen im Eis. Diese Bohrungen begannen 1957 mit einer gewöhnlichen Bohranlage, wie sie für Ölbohrungen verwendet wird. Man kam zu einer Tiefe von 300 m. Im Sommer 1967/68 traf ein neues Bohrgerät ein. Damit stieß man auf den 2100 m unter der Eisoberfläche liegenden Felsgrund. Waren schon diese Bohrmethoden eine schreckliche Belastung der Umwelt, so sollte durch eine vielfach angewendete Methode, bei der alle paar Kilometer eine Sprengladung gezündet wird, die Umweltzerstörung noch erheblich gesteigert werden. Die Dicke des Eises wird bei diesem Verfahren auf Grund der Zeit berechnet, die der Schall der Sprengung braucht, um auf den Felsuntergrund und wieder zurück an die Oberfläche zu dringen. Radarmessungen aus der Luft sind nur scheinbar umweltfreundlich, denn der Treibstoffverbrauch der ständig über dem Eis kreisenden Flugzeuge ist immens. In einem Tunnel lagern Treibstoffvorräte für Flugzeugmotoren, die in Gummibehältern, von denen jeder einige Tausend Liter fasst. Das Interesse bei den Bohrungen und Sprengungen ist jedoch keineswegs nur wissenschaftlicher Art. Vielmehr sind es auch wirtschaftliche Interessen und die finanzielle Förderung der Forschung bestimmen und damit die Wissenschaftler mit den neuen Forschungstechniken zu Handlangern der Umweltzerstörung verdammen. Doch es gibt auch neuerdings bei den wissenschaftlichen Forschungen mit Bohrungen auch eine hoffnungsvolle Aussicht, die nicht nur allein die Antarktis betrifft, sondern auch auf andere 266
Regionen der Erde ausgeweitet werden könnte. Im Januar 2014 meldete das US-Forscherteam WISSARD die Entdeckung eines subglazialen Sees unterhalb des Whillans-Eisstromes an der südöstlichen Region des Ross-Schelfeises. Dieser See befindet sich 800 m unterhalb der Eisschicht und ist nur rund 2,20 m tief. Seine Temperatur beträgt –0,49 °C. Aufgrund des hohen Drucks ist er trotzdem flüssig. Erste Analysen von Wasserproben sowie Sedimentablagerungen vom Grund des Sees ergaben, dass sie verschiedene Arten von Bakterien enthielten. Bakterien können in dieser Umgebung ohne Photosynthese überleben, weil sie die fürs Überleben nötige Energie aus Ammonium und Methan ziehen. Diese chemischen Substanzen stammten aus ursprünglich organischer Materie, die vor Hunderttausenden Jahren, als die Antarktis noch wärmer und von Meer überflutet worden war, in der Gegend abgelagert wurden.
Abb. 183: Der subglaziale See Lake Whillans 1991 unterzeichneten Deutschland und 25 weitere Antarktis-Vertragsstaaten in Madrid das Umweltschutzprotokoll zum Antarktis-Vertrag. Damit wurden die schärfsten und umfangreichsten Umweltschutzregelungen festgelegt, die jemals für eine Region der Erde vereinbart wurden. Hinzu kommt heutzutage noch die Errichtung von Meeresschutzgebieten und das Pariser Klimaschutzabkommen. Doch all diese Maßnahmen zum Schutz der Antarktis werden nicht eingehalten; nicht nur von den Staaten, die den Antarktisvertrag nicht beigetreten sind, sondern auch von Staaten wie die USA, wo man durch Regierungsdekrete die Einhaltung der Meeresschutzgebiete außer Kraft zu setzen versucht und Präsident Donald Trump neuerdings den Austritt aus dem Pariser Klimaschutzabkommen verkündet hat. 267
Zeitplan 1578 F. Drake erreicht 57° südlicher Breite 1599 Dirk Gerritsz 64° südlicher Breite 1774 James Cook 71° 10‘ südlicher Breite 1772–1775 James Cook stößt auf seiner zweiten Weltumseglung erstmals über den südlichen Polarkreis vor 1819–1821 1820 Erste russische Südpolarexpedition unter F. von Bellingshausen erforscht das südpolare Meer um den Polarkreis und sichtet dabei erstmals das antarktische Festland 1823 J. Weddell erreicht 74° 15‘ südlicher Breite 1839–1842 James Clark Ross entdeckt Victoria-Land, das nach ihm benannte Ross-Schelfeis und den Vulkan Erebus 1840 Dumont d’Urville erreicht 66° 30‘ südlicher Breite 1842 Ross erreicht 78° 9‘ südlicher Breite 6. Juni 1868 Robert Falcon Scott wird in Devonport geboren 1895 Leonhard Kristensen betritt das antarktische Festland 24. Januar1895 Der Norweger Carstens Borchgrevink betritt bei Kap Adare das antarktische Festland 1898/99 Die belgische Südpolarexpedition mit F.A. Cook als Arzt und Erster Offizier überwintert auf dem Schiff „Belgica“ 1898–1900 Britische Southern-Cross-Expedition 1901 Das Jahr 1901 wird auf einem internationalen geographischen Kongress zum „Antarktischen Jahr“ erklärt 1901–1905 Nach internationaler Übereinkunft forschen fünf Expeditionen in dem Randgebiet der Antarktis: Die deutsche „Gauß“-Expedition unter dem Berliner Geographie-Professor Erich von Drygalski 1902/3 E. von Drygalski Überwinterung auf dem Festland 1901-1903 Die schwedische Expedition unter O. Nordenskjöld 1902/3 O. Nordenskjöld Überwinterung auf dem Festland 268
1902–1904 Die schottische Expedition unter W. Bruce 1903-1905 Die französische Expedition unter J. Chareot 1901 Die englische „Discovery“-Expedition unter R. F. Scott mit E. H. Shackleton, der jedoch frühzeitig wegen seiner Skorbuterkrankung zurückkehren muss; 6. August 1901 Abfahrt der „Discovery“ März–Oktober 1902 Die Expedition im Winterquartier. 2. November 1902 Aufbruch zum Südpol 3. Februar 1903 Rückkehr zur „Discovery“ April 1903 Zum zweiten Mal im Winterquartier 16. Februar 1904 „Discovery“ tritt Heimreise an, nachdem sie aus dem Eis freigekommen ist 10. September 1904 Die „Discovery“ trifft in Portsmouth ein, Scott zum Kapitän zur See befördert. Nach der Rückkehr wird Scott in England stürmisch gefeiert. Große Versammlung der Königlichen Geographischen Gesellschaft in der Albert Hall. auf der Scott einen Orden erhält 7. August 1907 Beginn von E. H. Shackletons Nimrod-Expedition 1908–1910 Fünfte Französische Antarktisexpedition Von 1908 bis 1910 erforschte eine weitere Expedition unter Charcot mit dem Schiff Pourquoi-Pas die Bellingshausen-See und die Amundsen-See und entdeckte die Marguerite Bay und die Charcot-Insel, die nach ihm benannt wurde. Man überwinterte an Bord des Schiffs in einer kleinen Bucht an der südöstlichen Seite der Petermann-Insel, die Port Circumcision genannt wurde, weil sie am 1. Januar 1909 gefunden wurde, dem traditionellen Tag für die Feier der Beschneidung Christi. Kartierte und benannte Gebiete umfassten die Renaud-Insel, die Fallières-Küste (Januar 1909, benannt nach Clement Armand Fallieres, Präsident von Frankreich) und die Marguerite Bay (benannt nach Charcots Frau). 9. Januar 1909 E. H. Shackleton erreicht nach Überwindung des Beardmoregletschers 88° 23‘ südlicher Breite und rückt damit bis auf 160 km an den Südpol heran. Eine Gruppe seiner Expedition erreicht den südlichen Magnetpol 1909 Ersten Fassung von Shackletons Expeditionsberichts „The Heart of the Antarctic“ mit dem neuseeländischen Journalisten Edward Saunders (1882–1922) 15. Juni 1909 Scotts Expeditionsschiff „Terra Nova“ verlässt den Hafen von Cardiff 1909 Roald Amundsen bricht mit Fridtjof Nansens „Fram“ zum Nordpol auf. Als er erfährt, dass Robert E. Peary den Nordpol erreicht hat, fasst Amundsen den – wegen der Konkurrenz zu Scott – geheim gehaltenen Plan, den Südpol zu erreichen. April–Oktober 1911 Winterlager der Scottexpedition 269
1. November 1910 Aufbruch der Scott-Expedition vom Winterlager 19. Oktober 1911 Aufbruch Amundsens von seiner Ausgangsbasis an der Walfischbucht zum Wettkampf um die Eroberung des Südpols 14. Dezember 1911 Amundsen erreicht mit Hanssen, Wisting, Hassel, Bjaaland als erster den Südpol 18. Januar 1912 Scott erreicht mit Bowers, Evans, Oates und Dr. Wilson den Südpol; auf dem Rückmarsch kommen sie ums Leben 29. März 1912 Letzte Eintragung Scotts in seinem Tagebuch 11. November1912 Eine Suchmannschaft unter Atkinson findet das Zelt Scotts mit den Leichen 1911–1912 Zweite Deutsche Antarktisexpedition unter Wilhelm Filchner 1914–1917 Endurance-Expedition 1921–1922 Quest-Expedition 1928–1929 Erste Antarktisflüge des Australiers Hubert Wilkins 28. November 1929 Richard E. Bryrd überquert nach einigen misslungenen Versuchen als erster mit dem Flugzeug den Südpol 1933/35 Byrds zweite Expedition nach dem Sechsten Erdteil 1938/39 Die dritte Deutsche Antarktisexpedition 1946/47 Byrds dritte Antarktisexpedition „High Jump“ 1957/59 Internationales Geophysikalisches Jahr 1956–1957 Die USA richten mit Hilfe von Flugzeugen die Amundsen-Scott-Station am Südpol ein 1957 Sowjetische Raupenschlepper-Expedition erreicht den magnetischen Südpol und errichtet dort die Station Wostok 1957–1958 Fuchs-Hillary-Expedition: Polarüberquerung mit Spezialraupenschleppern 6. Dezember 1958 Notlandung des Aufklärungsflugzeugs „Auster“ der 2. Belgischen Antarktisexpedition. Und Rettung durch Viktor Perow 14. Dezember 1958 Der „Held der Sowjetunion“, Tolstikow erreicht den Pol der relativen Unzugänglichkeit
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Abbildungsverzeichnis Abb. 1: William H. Rau, 16. Januar 1913 Abb. 2: Fotografie von Herbert Ponting, 1911 Abb. 3: Daily Mirror, 1912 Abb. 4: Zweig, 1932 Abb. 5: Oeser, eigene Konstruktion aus Ausschnitten von Scott, 1913 Abb. 6: Petrus Bertius, ca. 1600 Abb. 7: Cicero Somnium Scipionis, 6. Buch, De re publica Abb. 8 Oeser, eigene Konstruktion aus Ausschnitten von Amundsen, 1912 Abb. 9: Forster, 1803 Abb. 10: Amundsen, 1912 Abb. 11: Webber, 1808 und Forster, 1803 Abb. 12: Bellinghausen, Reisebericht in deutscher Sprache auf Grund des russischen Originalwerks, 1902 Abb. 13 und 14: Amundsen, 1912 Abb. 15: Verne, 1898 Abb. 16: akg-images Abb. 17: Oeser, eigene Konstruktion aus Ausschnitten historischer Vorbilder und Science Photo Library / akg-images Abb. 18–25: Amundsen, 1912 Abb. 26 und 27: Dumont D’Urville, 1851 Abb. 28: akg-images / Universal Images Group Abb. 29: Amundsen, 1912 und Verne, 1882 Abb. 30: Verne, 1882 274
Abb. 31: Dumont D’Urville, 1851 Abb. 32–42: Borchgrevink, 1905 Abb. 43: akg-images Abb. 44: akg-images / Science Source Abb. 45 akg-images / WHA / World History Archive Abb. 46–50: F.A. Cook, 1903 Abb. 51-59: Nordenskjöld, 1904 Abb. 60–63: Charcot, 1900 Abb. 64–72: Drygalski, 1989 Abb. 73–79: Bruce: The voyage of the „Scotia“. Being the record of a voyage of exploration in Antarctic seas. Blackwood, Edinburgh 1906 Abb. 80–84: Scott, 1905 Abb. 85–90: Shackleton, 1909 Abb. 91: akg-images / De Agostini / Biblioteca Ambrosiana Abb. 92–94: Shackleton, 1909 Abb. 95–102: Amundsen, 1912 Abb. 103–115: Scott, 1913 Abb. 116: Shackleton, 2016 Abb. 117: Scott Polar Research Institute Abb. 118–129: Shackleton, 2016 Abb. 130–134: Wild / Macklin, 1923 Abb. 135: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde, Berlin Abb. 136–142: Filchner, 1922 Abb. 143–149: Byrd, 1931 Abb. 150–156: Byrd, 1936 Abb. 157 und 158: Fuchs / Hillary, 1958 275
Abb. 159–163: Hillary, 1961 Abb. 164: Fuchs / Hillary, 1958 Abb. 165–166: Russia Beyond Abb. 167: Burke, 1956 Abb. 168: Ritscher, 1942 Abb. 169: akg-images / Sammlung Berliner Verlag / Archiv Abb. 170–173: Ritscher, 1942 Abb. 174: ((Quelle kommt)) Abb. 175: Kupferstiche von Adolf van der Laan, ca 1690–1742 Abb. 176: Chase, 1821 Abb. 177 und 178: Scammon, 1849 Abb. 179: akg-images Abb. 180–183: verschiedene Pressemeldungen
Da es sich hauptsächlich um historisches Bildmaterial handelt, war die Identifizierung der korrekten Quellen, trotz Bemühungen von Verlag und Autor, nicht immer möglich.
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