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German Pages 192 [194] Year 2010
Silja Samerski Die Entscheidungsfalle
Silja Samerski
Die Entscheidungsfalle Wie genetische Aufklärung die Gesellschaft entmündigt
Einbandgestaltung: Finken & Bumiller, Stuttgart Einbandabbildung: © jaddingt – Fotolia.com
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
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ISBN 978-3-534-23687-9
Inhalt Inhalt
0 Vorwort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1 Einleitung: Gene als Entscheidungsgrundlage? . . . . . . . . .
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2 Genetische Aufklärung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Das Gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Die Aufklärungs-Kampagnen . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Unmündige Bürger? Ein Bremer Kongress . . . . 2.2.2 Die genetische Alphabetisierungskampagne . . . 2.2.3 Die genetische Beratung . . . . . . . . . . . . . 2.3 Zur Vorgeschichte: Genetik als Grundlage von Sozialpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.1 Die wissenschaftliche Verwaltung von Erbanlagen 2.3.2 Wirksamer als Zwang: Aufklärung und Verantwortung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3.3 Ein neues Ziel: die informierte Entscheidung . .
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3 Die informierte Entscheidung. Wie genetische Berater ihre Klienten zur Selbstbestimmung befähigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Erste Verwandlung der Person: Klienten als Genträger . . 3.1.1 Der genetische Mensch . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Das unbegreifliche Selbst . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Dinge im Leib . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Versteckte Ursachen . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Bedeutungsträchtige Information . . . . . . . . . 3.1.6 Akteure im Inneren . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.7 Gene als Blendwerk . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Zweite Verwandlung der Person: Klienten als Risikoträger 3.2.1 Ein folgenreiches Missverständnis: Risiko als Diagnose . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Inhalt
3.2.2 Die Klientin als statistisches Konstrukt . . . . . . . 3.2.3 Die pathogenen Auswirkungen ärztlich attestierter Risiken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Leben im Modus irrealis . . . . . . . . . . . . . . 3.2.5 Das genetische Risiko . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.6 Das genetische Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Der Zwang zum Risikomanagement: die Entscheidung . . 3.3.1 Der Imperativ der selbstbestimmten Entscheidung 3.3.2 Die entscheidungsbedürftige Option: der Test . . . 3.3.3 Selbstbestimmte Ohnmacht . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Die Entscheidungsfindung: das Paradox der persönlichen Risikoabwägung . . . . . . . . . . . . . . . 3.4 Die Entscheidungsfalle . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Transkriptionskonventionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Anmerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Sachregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4 Schluss: Entmündigende Selbstbestimmung . . . . . . 4.1 Die Tyrannei der Entscheidung . . . . . . . . . . . 4.2 Selbstbestimmte Entscheidung als Sozialtechnologie 4.3 Schlusswort: Was nun? . . . . . . . . . . . . . . .
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Vorwort 0 Vorwort
„Selbstbestimmung“, „Mündigkeit“, „informierte Entscheidungen“ – das sind die großen Schlagworte, mit denen heute Politik gemacht wird. In allen Lebenslagen sind Bürger zu selbstbestimmten Entscheidungen aufgerufen, ganz gleich, ob sie soeben arbeitslos wurden, schwanger sind oder ein Genetiker ihnen eine beängstigende Krankheit voraussagt. Ein ganzes Heer von Experten hat es sich zur Aufgabe gemacht, sie zu diesen Entscheidungen zu befähigen. Das professionelle Beratungswesen, das Entscheidungen zum Produkt von Dienstleistungen macht, boomt. Verschiedenste Aufklärungs- und Beratungsdienstleistungen haben das Ziel, Bürger zu Freiheit und Autonomie zu erziehen. Menschen brauchen nur den richtigen „Input“, so die Annahme, damit sie in einer erfahrungsfremden und technisierten Welt zurechtkommen können. Seit Langem wächst meine Skepsis gegenüber dieser professionellen Vereinnahmung des Überlegens und Entscheidens. Mehr als zehn Jahre ist es her, dass ich mir für meine Dissertation zum ersten Mal über Beratungsgespräche den Kopf zerbrach: Beratungsgespräche, in denen Genetiker schwangere Frauen über mögliche Chromosomenaberrationen und Fehlbildungsrisiken ihrer Leibesfrucht sowie über entsprechende Testangebote belehrten, um sie dann nachdrücklich zur „selbstbestimmten Entscheidung“ aufzufordern. Wie lässt es sich verstehen, so fragte ich mich, dass es sich Genetiker plötzlich zur Aufgabe gemacht haben, Schwangere zur Selbstbestimmung zu befähigen? Und: Was wird Schwangeren dort überhaupt beigebracht? Bis heute dient mir die genetische Beratung, die ja ausdrücklich als Entscheidungshilfe für oder gegen eine genetische Untersuchung konzipiert ist, als paradigmatisches Beispiel für die vielfältigen Formen des Entscheidungsunterrichtes, denen Bürger heute ausgesetzt sind. Ich gehe davon aus, dass Elemente und Versionen der „Entscheidungsfalle“, wie sie die genetische Aufklärung in besonders krasser Weise stellt, auch in ganz anderen Bereichen zu finden sind – ob Kinderwunschberatung, Berufsberatung, Erziehungsberatung oder Sterbehilfeberatung. Mein Nachdenken über die zunehmende Pflicht zur informierten Entscheidung zehrt bis heute von den zahlreichen Begegnungen und Gesprä-
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0 Vorwort
chen bei Barbara Duden rund um ihren gastlichen Tisch. Dem freundschaftlichen Zusammenhang, der sich dort gebildet hat, verdanke ich inneren Halt und überraschende Einsichten – beides Voraussetzungen dafür, eigene Denkwege gehen zu können. Barbara Duden hat mir dazu verholfen, jene kritische Distanz zu modernen Selbstverständlichkeiten einzunehmen, die das Nachdenken über die Gegenwart erst fruchtbar macht. Durch sie habe ich verstanden, dass Menschen nicht „bei Sinnen bleiben“ können, wenn ihre Selbstwahrnehmung durch wissenschaftliche Abstrakta und bürokratische Kategorien überformt wird. Johannes Beck verdanke ich, dass ich professionelle Beratung als Erziehungsveranstaltung verstehen konnte, als Beispiel für die umfassende Pädagogisierung aller Lebensbereiche. Und Sajay Samuel ließ mich erkennen, dass es sich bei der Anleitung zur abwägenden, risikobezogenen Entscheidung um eine Version des managerial decision-making handelt, also um eine ManagementStrategie. Doch auch mit einer ganzen Reihe weiterer Freundinnen und Freunde verbindet mich das fruchtbare Gespräch über die Folgen von Genetik und Pränataldiagnostik, über den Bürger als eigenverantwortlichen Entscheidungsträger, über den erziehungsbedürftigen Menschen und über den Verlust des Common Sense. Ihnen verdanke ich viele Inspirationen und Erkenntnisse und nicht zuletzt den Ansporn, meine Gedanken als Buch aufs Papier zu bringen. Die Grundlage für dieses Buch hat ein Forschungsprojekt gelegt. Zwei Jahre haben Barbara Duden, Ruth Stützle, Ulrike Müller und ich darüber nachgedacht, was passiert, wenn „Gene“ aus dem Labor in den Alltag freigesetzt werden. Was bedeutet das Wort „Gen“ in der Umgangssprache? Was sagt, suggeriert und fordert es, wenn es im Gespräch zwischen Arzt und Patient, Mutter und Tochter oder beim Schwatz am Gartenzaun auftaucht? Unser Forschungsprojekt, das Barbara Duden leitete und am Institut für Soziologie der Universität Hannover angesiedelt war, trug den Titel: „Das ,Alltags-Gen‘: Die semantischen und praxeologischen Umrisse von ,Gen‘, wenn es in der Alltagssprache eingesetzt wird“ und wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) gefördert.1 Mir bot es die Gelegenheit, weitere genetische Beratungssitzungen zu beobachten und meine Studien zum Zusammenhang zwischen der Verwissenschaftlichung des Alltags und der Pädagogisierung des Entscheidens zu vertiefen. Den genetischen Beratern, die ich bei ihrer Arbeit beobachten durfte, sowie den Beratungsklienten, die meiner Anwesenheit zustimmten, bin ich
0 Vorwort
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zu großem Dank verpflichtet. Ebenso gebührt dem BMBF Dank für die großzügige Förderung. Ein Geschenk waren diejenigen, die mein Manuskript gelesen und es durch ihre klugen Anmerkungen und Kommentare entscheidend verbessert haben: Frank Butzer, Barbara Duden, Friederike Gräff, Marianne Gronemeyer, Ludolf Kuchenbuch, Thomas Lösche, Ansgar Lüttel, Antje Menk, Uwe Pörksen, Matthias Rieger und Gudrun Tolle. Ebenso ein Segen und nicht minder unerlässlich waren diejenigen Freundinnen und Freunde, die uns geholfen haben, den Alltag mit Buchmanuskript und kleinen Kindern zu meistern, insbesondere Michael Lienesch, Johanna Germer, Antje Menk, Ina Sapiatz, Dorothee Torbecke, die Großeltern und das Team der Kindergruppe „Picobello e. V.“. Widmen möchte ich dieses Buch Ivan Illich und meinen Töchtern Hannah und Alena. Ersterer hat mir die Hoffnung geschenkt und damit auch den Mut, moderne Mythen auseinanderzunehmen. Meinen Kindern verdanke ich den Sinn für das Wesentliche. Auch ihnen möchte ich Hoffnung mit auf den Weg geben.
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Einleitung: Gene als Entscheidungsgrundlage? 1 Gene als Entscheidungsgrundlage?
Die Anti-Matsch-Tomate aus dem Genlabor wird im Volksmund „Gentomate“ genannt und die manipulierten Lebensmittel der Gentechnik-Industrie „Gen-Food“. Wie Umfragen zeigen, gehen viele Menschen davon aus, dass eben dieses „Gen-Food“ Gene enthält, die Tomate aus dem eigenen Garten jedoch nicht.2 Über diese angebliche Ignoranz der Bevölkerung zeigen sich Genetiker und aufgeklärte Journalisten entsetzt. „Die Mehrheit weiß nicht, dass sie andauernd auf Genen herumkaut“, lamentiert ein Kommentator in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (Müller-Jung 2006). Und der hannoversche Pflanzengenetiker Hans-Jörg Jacobsen stellt sogar infrage, ob derart unwissende Bürger überhaupt demokratisch mitbestimmen können: Man fragt „sich unweigerlich, wie unsere demokratische Gesellschaft auf einer derartig schmalen und uninformierten Basis weitreichende Entscheidungen treffen will. Ein sachgerechter öffentlicher Diskurs erscheint somit in Frage gestellt und einseitigen ideologisch begründeten Festlegungen sind Tür und Tor geöffnet“ (Jacobsen 2001). Dieses Lamento über eine unaufgeklärte Bevölkerung und die Notwendigkeit von „sachgerechter“ Information ist weit verbreitet. Im Zeitalter der Genetik wünschen sich Wissenschaft, Politik und Industrie einen Bürger, der an biopolitischen Debatten partizipieren und informierte Entscheidungen treffen kann. Die beklagte Unwissenheit der Bevölkerung möchten sie daher dringend beheben – und zwar durch Information und Aufklärung. Genetikunterricht an Schulen, in öffentlichen Laboren und in Diskussionsveranstaltungen sollen Bürger dazu befähigen, die Welt durch die Brille des Genetikers zu sehen. Sie sollen erkennen, dass Tomaten ebenso wie Menschen Genträger sind und darauf ihre Entscheidungen gründen. Dieser Versuch, Bürger zu informierten Entscheidungen in Sachen Genetik anzuleiten, ist Thema dieses Buches. Ich möchte die Annahme infrage stellen, dass genetische Aufklärung zu einem eigenen, unabhängigen Urteil befähigen kann. Mir scheint vielmehr, dass genetische Aufklärung eine Freiheit verkehrt: die Freiheit, ohne Bevormundung selbst wissen und entscheiden zu können. Der einst emanzipatorische Aufruf, sich nicht be-
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1 Gene als Entscheidungsgrundlage?
vormunden zu lassen, sondern sich seines eigenen Verstandes zu bedienen, verkehrt sich in die Pflicht zur informierten Entscheidung. In allen Lebenslagen werden Menschen heute dazu angehalten, professionelle Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, um sich in aufgeklärte Entscheidungsträger zu verwandeln: Krankenkassen mahnen ihre Kunden zur Eigenverantwortung und stellen Entscheidungshilfen ins Netz (Techniker Krankenkasse 2008), der Pharmakonzern Roche möchte aus Bürgern eigenverantwortliche Gesundheitsmanager machen (Höhler 2009), Diskursprojekte schulen für biopolitische Partizipation und am Krankenbett ermitteln Mediziner individuelle Gesundheitsvorstellungen und Therapiepräferenzen (Lupton 1995, Whatley und Worcester 1989). Als Immanuel Kant (1724–1804) im Jahre 1794 den Aufruf „Sapere aude!“ zum Leitmotiv der Aufklärung erhob, konnte er einen solchen Aufklärungs- und Beratungsbetrieb nicht vorhersehen. Damals gab es noch keine „Wissensgesellschaft“, in der industriell hergestellte Information als handfestes Wissen verkauft wird. Er konnte nicht ahnen, dass Bürgern einmal eine ganze Armee von Experten ihre Dienstleistungen aufdrängen würde, um sie zu sogenannten informierten Entscheidungen zu befähigen. Begriffe wie „Aufklärung“ und „Selbstbestimmung“, mit denen Kant noch zur Emanzipation von hergebrachten Autoritäten aufrief, sind heute zu Schlagwörtern einer neuen Sozialtechnologie* verkommen. Dass heute nicht mehr Zwang und Repression die vorherrschenden Formen von Machtausübung sind, sondern die Lenkung von Selbstbestimmung bzw. die „Führung der Selbstführung“, das haben die Gouvernementalitätsstudien bereits vielfach dargelegt (u. a. Bröckling, Krasmann, und Lemke 2000, Rose 1999). Aufbauend auf Michel Foucaults Arbeiten zu modernen Techniken der Menschenführung analysieren sie die Mobilisierung zu „Wissen“, „Eigenverantwortung“ und „Selbstbestimmung“ nicht als emanzipatorischen Fortschritt, sondern als neue Herrschaftsform. Diese Studien haben mir geholfen, den Aufruf zur informierten Entscheidung anhand von Genen und Risiken als Form der gesellschaftlichen Steuerung zu untersuchen. Ich konnte fragen, auf welche Weise genetische Aufklärung und Beratung als Sozialtechnologie funktioniert. Was wird von Bürgern gefordert, wenn Mündigkeit voraussetzt, die eigene Urteilskraft von Experten „updaten“ zu lassen? Gibt nicht die vermeintlich * Begriffe, die mit Sternchen gekennzeichnet sind, werden im Glossar am Ende des Buches ausführlicher erläutert.
Distanzierung als Forschungsansatz
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„sachgerechte“ Information bereits das Entscheidende vor, nämlich sowohl den Rahmen und die Grundlage der Überlegungen als auch die Entscheidungsmöglichkeiten? In welche Form des Denkens werden Bürger eingewiesen, wenn sie sich nicht mehr von erfahrbaren und umgangssprachlich fassbaren Wirklichkeiten bewegen lassen sollen, sondern von wissenschaftlichen Konstrukten wie Gen und Risiko? Was ich untersuchen möchte, lässt sich als versteckter Lehrplan der genetischen Aufklärung bezeichnen. Ich frage nach dem, was die Belehrten jenseits des vermittelten Fachwissens lernen – über sich selbst, ihr Sosein, ihr Urteilsvermögen und ihre Pflichten als Bürger einer technologischen Gesellschaft. Diesen versteckten Lehrplan kann ich besonders gut dort analysieren, wo Expertenwissen und Alltag direkt zusammenkommen: Also dort, wo Genetisches und Biographisches, Dienstleistungsangebote und alltagsbezogene Wünsche, Wissenschaftsjargon und Alltagssprache3, technologische Rationalität und persönliche Sinngebung unmittelbar aufeinandertreffen. Ein solcher Ort ist die genetische Beratung. Bei der genetischen Beratung handelt es sich um eine professionelle Dienstleistung, durch die Laien zu Entscheidungsträgern in Sachen Gene und Risiken ausgebildet werden sollen. Ein- bis zwei Stunden instruiert ein Genetiker seine Klienten über DNA-Aufbau, Vererbungsregeln, Mutationen, Krankheitshäufigkeiten, statistische Risikoberechnung und genetische Testmöglichkeiten. Eine solche Beratungssitzung ist ein Musterbeispiel für den Versuch, Bürger zur Mündigkeit in Sachen Genetik zu erziehen. Ausdrückliches Ziel der Aufklärung ist die informierte Entscheidung – in der Regel eine Entscheidung darüber, sich selbst oder ein kommendes Kind genetisch testen zu lassen oder nicht. Fast drei Dutzend solcher Gespräche habe ich inzwischen teilnehmend beobachtet, mitgeschnitten und transkribiert; in fünfen davon werden Frauen bzw. ein Ehepaar für die Entscheidung präpariert, ob sie sich auf Krebsrisiken genetisch testen lassen. In den anderen, auf die ich hier eingehe, werden Frauen oder Paare über Schwangerschaftsrisiken aufgeklärt sowie über die Option, ihr kommendes Kind genetisch untersuchen zu lassen.
Distanzierung als Forschungsansatz Distanzierung als Forschungsansatz
Wie lässt sich der versteckte Lehrplan genetischer Aufklärungsveranstaltungen untersuchen? Wie kann ich die verborgenen Denkzwänge, Suggestionen
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1 Gene als Entscheidungsgrundlage?
und unterschwelligen Aufforderungen in einem genetischen Beratungsgespräch erkennen? Die Gegenwart lässt sich am besten dann erforschen, wenn ich mich an ihr befremde. Würde meine Analyse auf den gleichen Grundannahmen aufbauen wie mein Untersuchungsgegenstand, dann liefe sie Gefahr, lediglich bestehende Selbstverständlichkeiten zu wiederholen. Bestaune ich selbst das „genetische Wissen“, glaube an die statistische Vorhersagbarkeit der Zukunft und halte die informierte Entscheidung für den Inbegriff von Autonomie, kann ich die zeitgeschichtliche Bedeutung genetischer Aufklärung nicht erfassen. Verwechsele ich selbst eine Korrelation mit einer Ursachenfeststellung, vermische ein statistisches Risiko mit der erlebbaren, konkreten Gefahr oder betrachte ein kommendes Kind als intrauterinen Genträger, so sitze ich dem Weltbild der Genetik bereits auf: Ich gestehe ihr genau diejenige Deutungsmacht über die Wirklichkeit zu, die Gegenstand meiner Analyse sein soll. Meine zweigleisige Ausbildung als Natur- und als Sozialwissenschaftlerin ist mir dabei behilflich gewesen, eine kritische Distanz zur modernen Gen-Gläubigkeit einzunehmen. Sie hat mich vor zwei Fallen bewahrt, die bei der Erforschung der „Freisetzung genetischer Begrifflichkeiten“ drohen: Weder halte ich Gene und Risiken für objektive Tatsachen oder gar natürliche Sachen noch für Begriffe, deren Bedeutungen – wie bei umgangssprachlichen Wörtern – vom Sprecher bestimmt oder im Gespräch ausgehandelt werden können. Bereits während meines Biologiestudiums setzte ich mich mit der Eigenart biologischer Begriffsbildung auseinander, und meine Arbeit im zytogenetischen und molekulargenetischen Labor bescherte mir so manche Ernüchterung bei der Herstellung und Verbreitung des sogenannten genetischen Wissens. Während dieser Zeit wurde ich zur Grenzgängerin zwischen Biologie, Philosophie und Sozialwissenschaften, und das Hin und Her zwischen Labor und der Lektüre von Ludwik Fleck, Lorraine Daston und Barbara Duden hat sich als äußerst fruchtbar erwiesen. Mir ging auf, wie hypothetisch und kontextabhängig wissenschaftliche Tatsachen sind, wie präzise und beschränkt ihre fachinterne Gültigkeit ist und wie sehr sie sich verändern, wenn sie in den Alltag auswandern. Bereits damals nahm ich aus Neugier an genetischen Beratungsgesprächen teil und fertigte erste Gesprächsprotokolle an. Mich beschäftigte die Frage, wie ein Laborkonstrukt im Aufklärungsgespräch zu einem schicksalsträchtigen Verdikt wird. Eine veränderte DNA-Sequenz, also eine molekulare Variation, verwandelt sich in ein fatales „Gen für Zystische Fibrose*“ und stellt das Kommen des Kindes infrage; eine statis-
Distanzierung als Forschungsansatz
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tische Häufung mutiert zu einem Risiko, das einer Schwangeren schlaflose Nächte bereitet. Aus dieser Zeit meines Grenzgängertums habe ich also zwei grundlegende Einsichten mitgenommen: erstens die Einsicht, wie sehr wissenschaftliche Forschungsergebnisse auch durch Vorurteile, Versuchsaufbau, Drittmittelauflagen und Karrierebemühungen bestimmt werden, und zweitens die Erkenntnis, welche Kluft zwischen Labor und Lebenswelt liegt und welche Scheinwirklichkeiten entstehen können, wenn sie überbrückt werden soll. Es ist jedoch nicht nur meine zweigleisige Ausbildung gewesen, die mir Distanz zu modernen Selbstverständlichkeiten verschafft hat. Je mehr ich versuchte, die Eigentümlichkeit von genetischen Zukunftsvorhersagen, professionellen Aufklärungsritualen und der Pflicht zur informierten Entscheidung zu begreifen, desto unerlässlicher schien mir ein historisches Bewusstsein unserer Zeit. Genetische Aufklärungs- und Beratungsveranstaltungen werden auf ganz neue Weise fragwürdig, wenn mir klar ist, dass es vor dem 20. Jahrhundert überhaupt kein professionelles Beratungswesen gab und sich dessen Ausbau nur im Zusammenhang mit der wachsenden Expertenmacht im Sozialstaat verstehen lässt. Ebenso kann ich erst dann begreifen, wie verrückt die Ermächtigung von Medizinern und Genetikern über die Sorge um das Kommende ist, wenn ich weiß, dass eine Schwangere bis vor wenigen Generationen „guter Hoffnung“ war und keinesfalls das „uterine Umfeld“ für eine „fötale Entwicklung“. Auch, wenn ich keine Historikerin bin und daher keinen „Ankerplatz“ in der Geschichte habe – die methodische Distanzierung, also der Versuch, mich „im Rückblick von der Vergangenheit her an der Gegenwart zu befremden“ (Duden 2002, 7), ist mir ein unerlässlicher Abstützpunkt für mein Denken geworden. Die Aufklärung über Gene und genetische Risiken erscheint so lange natürlich, solange ich an die Allgemeingültigkeit und Bedeutsamkeit dessen glaube, was dort als Wissen vermittelt wird. Um den versteckten Lehrplan genetischer Aufklärung zu analysieren, muss ich mich daher von meiner Gen-Gläubigkeit befreien. Zuhilfe kommt mir dabei die zunehmende Fragwürdigkeit des Genbegriffs in der Wissenschaft. Im folgenden Kapitel werde ich kurz auf die wissenschaftliche und gesellschaftliche Bedeutung des Gens eingehen, um deutlich zu machen, dass es sich beim Gen nicht um eine natürliche Sache, ja nicht einmal um eine wissenschaftliche Tatsache im Fleckschen Sinne handelt, sondern um einen wissenschaftlich begründeten Mythos. Anschließend will ich verschiedene
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1 Gene als Entscheidungsgrundlage?
Kampagnen und Bemühungen zur genetischen Aufklärung der Bevölkerung schildern und erste Beobachtungen über deren pädagogisches Programm festhalten. Im dritten Kapitel werde ich meine Leserinnen und Leser schließlich an Aufklärungsgesprächen teilhaben lassen, in denen Bürger durch genetisches Fachwissen zur Selbstbestimmung befähigt werden sollen. Ich werde sie in genetische Beratungsstellen führen, wo Genetiker Frauen und Paare über Gene, Risiken und Entscheidungsoptionen unterrichten. Am Beispiel dieser Sitzungen will ich Schritt für Schritt untersuchen, welchen versteckten Lehrplan genetische Aufklärungs- und Beratungsveranstaltungen haben, die Bürger zu informierten Entscheidungen anleiten.
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Genetische Aufklärung
2.1
Das Gen 2 Genetische2.1 Aufklärung Das Gen
Epochen erhalten meist einen Namen, wenn sie zu Ende gehen. Erst dann, wenn Selbstverständlichkeiten fragwürdig werden, gerät die Eigenartigkeit einer bestimmten Zeitspanne in den Blick. Evelyn Fox Keller hat das 20. Jahrhundert das „Jahrhundert des Gens“ genannt und ein kundiges Buch sowohl über den Aufstieg als auch über den Niedergang des GenDenkens in der Biologie geschrieben. In Berufung auf eine wachsende Zahl von Biologen und Genetikern kommt sie zum Schluss, dass das Gen als erkenntnisleitende Vorstellung ausgedient hat. Die These von definierbaren, steuernden und verursachenden Genen ist wissenschaftlich antiquiert (Keller 2001). Die Kritik des Genetikers Wilhelm Johannsen an der Gen-Gläubigkeit seiner Kollegen ist also heute so akut wie vor fast hundert Jahren. 1909 hob er den Begriff „Gen“ aus der Taufe und sah sich bereits kurze Zeit später genötigt, die um sich greifende Gen-Euphorie zu dämpfen. Die Vorstellung, es gäbe diskrete merkmalsbestimmende Erbeinheiten, „muß nicht nur als naiv, sondern auch als ganz und gar irrig aufgegeben werden“ – so Johannsens Mahnung im Jahre 1913 (Johannsen 1913, 144). Johannsens Einwand fand Anfang des 20. Jahrhunderts kein Gehör, ist aber heute, fast ein ganzes Jahrhundert später, wieder hochaktuell: Immer mehr Genetiker räumen inzwischen ein, dass es nicht mehr vertretbar ist, vom Gen als diskretem Abschnitt auf dem Chromosom, als hinreichende Ursache für Krankheiten, als Baustein für den Organismus, als Träger von Information oder auch nur als Vererbungseinheit oder funktioneller Einheit zu sprechen.4 Vor allem die Ergebnisse des Humangenomprojektes* sind es gewesen, die auch eingefleischten Gen-Deterministen die unübersichtliche Komplexität von Entwicklung und Vererbung vor Augen geführt haben und deutlich machten: Die Vorstellung „von Genen als Ursachen“ ist „definitiv erschüttert“ (Keller 2001, 176). Neue Forschungen zeigen, dass es sich beim Gen für Trinksucht, geringe Intelligenz, Altersvertrottelung oder dicken Bauch um eine Reihe von
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2 Genetische Aufklärung
Fiktionen gehandelt hat. Für das Verständnis biologischer Zusammenhänge, so fasst Keller zusammen, ist der Genbegriff nicht nur überholt, sondern sogar hinderlich geworden. Wissenschaftliche Konzepte und Theorien kommen und gehen – diese Einsicht verblüfft heute niemanden mehr. Bereits im vorletzten Jahrhundert bekam der Glaube an den Fortschritt des Wissens und die Endgültigkeit wissenschaftlicher Erkenntnisse erste Risse. Ende des 19. Jahrhunderts packte den französischen Mathematiker und Physiker Henri Poincaré wie viele seiner Kollegen der Schwindel, als er erkennen musste, wie kurzlebig wissenschaftliche Theorien sind, wie viele neue Beobachtungen jeden Tag hinzukommen und wie widersprüchlich und unvereinbar diese oftmals bleiben (Daston 2001, 213). Wenige Jahrzehnte später, in den 1920er und 30er Jahren, analysierte der Mediziner und Wissenschaftstheoretiker Ludwik Fleck in einer bis heute originellen Pionierarbeit die „Entstehung und Entwicklung wissenschaftlicher Tatsachen“ (Fleck 1980) als soziales Geschehen und bahnte damit den Weg zu einem sozial- und kulturgeschichtlichen Verständnis wissenschaftlichen Erkennens. Fleck machte deutlich, dass auch eine naturwissenschaftliche Tatsache ein sozial hergestellter „Denkzwang“ ist (Fleck 1980, 131) – ein Denkversuch, der sich schrittweise zu einer Wahrheit verdichtet und dann nur noch so und nicht mehr anders gedacht werden kann. Nicht nur die Drapetomania, der angeborene Fluchtzwang von Sklaven, die Freudsche Libido und die Hysterie des Weibes, sondern auch die Spirochäte als Syphiliserreger und die Normalverteilung der Statistik setzen eine bestimmte, sozial und kulturell bedingte Wahrnehmungsbereitschaft voraus, um denkbar und plausibel sein zu können. Diese unbewusste Ausrichtung des Denkens, „gerichtetes Wahrnehmen, mit entsprechendem gedanklichen und sachlichen Verarbeiten des Wahrgenommenen“, nennt Fleck „Denkstil“ (Fleck 1980, 130). Verändert sich der Denkstil, dann können wissenschaftliche Objekte, die bis dahin als felsenfest bewiesene Tatsachen angesehen wurden, entweder eine völlig neue Bedeutung erlangen oder einfach wieder verschwinden.5 Auch das Gen ist nichts anderes als ein sozial und kulturell hergestellter Denkzwang, der mehrere Generationen die Köpfe von Biologen, Medizinern, Bioethikern und Forschungspolitikern beherrschte. Bereits im 19. Jahrhundert, bevor die Wiederentdeckung Mendels endlich den Beweis für die Existenz von Erbeinheiten zu liefern schien, war das biologische Denken auf Gene eingestellt. Verschiedene Gelehrte, von Charles
2.1 Das Gen
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Darwin (1809 –1882) über Francis Galton (1822–1911) und August Weismann (1834 –1914) bis hin zu Hugo de Vries (1848–1935) hatten bereits Vererbungskorpuskel postuliert, und Mendel schien nur noch das zu belegen, was für naheliegend und offensichtlich gehalten wurde. Heute hingegen, im Zeitalter von „dynamischen Netzwerken“, „Interaktion“ und „irreduzibler Komplexität“ ist die determinierende Erbanlage endgültig veraltet. Der Denkstil unserer Zeit, von kybernetischen* bzw. systemtheoretischen Axiomen und Konzepten geprägt, hat sich schließlich auch in der Genetik niedergeschlagen und aus der Entität „Gen“ ein emergentes Konstrukt des zellulären und organismischen Systems gemacht. Alles, was ein ganzes Jahrhundert das wissenschaftliche Denken über das Lebendige bestimmte, ist heute antiquiert.6 Wir befinden uns an einer „Wasserscheide“ in der Biologie (Beurton, Rheinberger und Falk 2000, ix), die längst nicht alle Biologen, geschweige denn die Öffentlichkeit zur Kenntnis genommen haben.7 Und mit dieser Wasserscheide hat das Gen, wie auch andere wissenschaftliche Tatsachen, sei es das Phlogiston8 oder das Bohrsche Atommodell, nun eine Geschichte mit Anfang und Ende. Eine Zeitlang war es ein plausibles und nützliches wissenschaftliches Konzept, das sich zur erkenntnisleitenden Tatsache verdichtete, bis es neuen Hypothesen und Theorien weichen musste.9 Im Unterschied zum Phlogiston oder Bohrschen Atommodell hat das Gen jedoch nicht nur innerhalb der Wissenschaft eine abenteuerliche Karriere hinter sich, sondern auch außerhalb. Es hat nicht nur Forschung und Theorien bestimmt, sondern auch Politik gemacht, die Medizin umgekrempelt und grundlegende kulturelle Vorstellungen besetzt. Gene, so haben Genetiker glauben gemacht, sind das A und O des Lebens. Sie determinieren das Werden eines Menschen, sein persönliches Sosein, seine Gesundheit und seine Krankheiten. Sie sind, so das Gen-Credo, verantwortlich für den Knoten in der Brust und bedingen das nervöse Nägelkauen oder den dicken Bauch (Duden und Samerski 2007); sie binden die Mutter ans Kind und verschulden die männliche Untreue; sie prophezeien den verminderten IQ des Ungeborenen und das kommende Siechtum der Zwanzigjährigen. Und so viel, wie das Gen zu erklären scheint, so viel verspricht seine Erforschung und Manipulation: Als Bausatz der Gentechnologen verheißt es Bakterien, die den industriellen Giftmüll fressen, und begrünte Wüsten, auf denen satte afrikanische Kinder spielen; und in den Laboren von Hoffmann-LaRoche verspricht es individuelle Gesundheitscocktails und neue Allheilmittel gegen Krebs, Gebrechlichkeit, Altern und
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2 Genetische Aufklärung
Tod. „Die Gene sind heute ja alles. Da herrscht ein fundamentalistischer Glaube“, so bringt der Biochemiker Erwin Chargaff die moderne GenGläubigkeit auf den Punkt (Chargaff 2001, 249).10 Gen-Gläubigkeit ist jedoch nicht einfach ein vermeidbarer Nebeneffekt der genetischen Forschung, sondern ihre existenzielle Grundlage. Das Definieren, Diagnostizieren und Patentieren von sogenannten Genen ist Big Business. Die Pharma- und Agrar-Industrie, die wissenschaftliche Forschung und der wachsende Dienstleistungsmarkt der Pränataldiagnostik*, der Gentests und der Bioethik leben vom Glauben ans Gen.11 Genetiker räumen zwar ein, dass die bisherigen Gen-Vorstellungen „naiv“ waren (Klein und Venter 2009), leiten aus dieser Erkenntnis jedoch nichts anderes als vermehrten Forschungsbedarf ab. Sie machen sich auf die Suche nach einer neuen Form von Genen: nach probabilistischen Genen oder Suszeptibilitäts-Genen*. Auf der Grundlage der Datenlawinen, die in den Genlaboren produziert werden, konstruieren sie statistische Korrelationen* zwischen genotypischen* und phänotypischen* Merkmalen, die dann als Suszeptibilitäten oder Dispositionen gedeutet werden. Hypothesen über Krankheitsentstehung und Krankheitsursachen sind dafür nicht nötig. Als bioinformatische* Konstrukte stehen diese Gene für Zusammenhänge, die rein statistisch sind. Auf dieser Grundlage verkünden Genetiker weiterhin die Entdeckung von „Genen für“, sei es für das Altern, Schwulsein, Sprechen, Rauchen oder das „Gottes-Gen“.12 Sie befördern einen neuen genetischen Pandeterminismus, in dem das Gen zwar nicht mehr als alleinige Ursache gilt, aber als vermeintlicher Mitverursacher überall eine Rolle spielt – ganz gleich, ob frühzeitige Vertrottelung, Schulversagen, Grippe oder Freitod.13 Auch wenn der Genbegriff in der Forschung ausgedient hat, wird das Gen-Gerede noch lange nicht verstummen. Um es aufzugeben, dazu ist „Gen“ als Kürzel im Fachgespräch zu praktisch, als didaktisches Mittel zu eingängig, als Verkaufsschlager zu profitträchtig und als Propagandainstrument zu wirksam. Dass Gene nicht nur in der Biologie von Nutzen sind, sondern auch in Politik und Gesellschaft, ist kein neues Phänomen. Noch bevor die Existenz von Erbeinheiten überhaupt als bewiesen galt, lieferten die Vorläufer des Gens bereits Stoff für Machbarkeitsfantasien und Heilsversprechen. Vererbungswissenschaftler wie Francis Galton oder Alfred Ploetz (1860–1940) bemühten sich Ende des 19. Jahrhunderts nicht nur um die Klärung naturwissenschaftlicher Fragen, sondern auch um eine Neuordnung der Gesellschaft. Mit ihren genetischen Erkenntnissen
2.1 Das Gen
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wollten sie dazu beitragen, eine wissenschaftlich begründete Sozialordnung zu schaffen. Die „Mendelschen Einheiten“, die Johannsen 1909 „Gene“ nannte, rückten die Vision von einer rationalen Fortpflanzungspolitik, die Familiengründung und Kinderkriegen nicht mehr dem Einzelnen überlassen würde, in greifbare Nähe. Denjenigen, die sich nicht an die Erfordernisse der Industriegesellschaft anpassten, unterstellten Vererbungsforscher krankhafte oder schädliche Gene und taten sie als biologischen Ausschuss ab. Ob Landstreicher, Faulenzer, Siechender, Säufer, Krüppel oder andere Sonderlinge – diejenigen, die das Bild einer modernen, rationalen Gesellschaft störten, wurden als genetisch minderwertig abgestempelt und sollten entweder durch medizinische und pädagogische Maßnahmen adaptiert oder durch Einsperrung, Sterilisation oder Euthanasie ausgesondert werden.14 Die Zeiten, in denen das Gen zur Stigmatisierung und Aussonderung unliebsamer Bevölkerungsgruppen diente, sind vorbei. Heute ist das Gen kein Instrument autoritärer Bevölkerungspolitik mehr, sondern ein Instrument zur Mobilisierung der Bürger. Es wird als Grundlage einer aktiven, selbstverantwortlichen Lebensgestaltung angepriesen.15 Nur wer genetisch aufgeklärt ist, so verkünden Wissenschaft, Politik und Industrie, kann ein mündiger Bürger sein und sein Schicksal in die eigene Hand nehmen. Verschiedene genetische Aufklärer, von Genetikern und Industrievertretern über Wissenschaftsjournalisten und Kommunikationsexperten bis hin zu Sozialwissenschaftlern, Ethikern und Werbeagenturen versuchen, Bürger über das Innenleben ihrer Zellkerne zu unterrichten und sie im Abwägen von Chancen und Risiken zu schulen. Zum einen, so die Begründung für diese Mobilisierung, werden Genfood und Gentests in wenigen Jahren alltäglich sein. Und wer in einer genetisierten16 Gesellschaft nicht abgehängt werden will, der muss über DNA, Gentechnik, Risiken und ethische Dilemmata Bescheid wissen. Zum anderen, so die Verheißung von vielen Genetikern und anderer Gen-Gläubigen, führe genetische Aufklärung zur Selbsterkenntnis und Selbstbestimmung. So, wie alle Tomaten Gen-Food sind, meinen sie, sind alle Menschen Genträger. „Genetisches Wissen“ betrachten sie daher als Conditio sine qua non für Selbstbestimmung und Mündigkeit. „Respect for autonomy actually leads to […] the obligation to pursue genetic knowledge“, fordert beispielsweise die Ethikerin Rosamund Rhodes (1998, 17). Geht es nach ihnen, so stehen die Begriffe „Selbstbestimmung“ oder „Autonomie“ ausschließlich für die Pflicht, informierte Entscheidungen zu treffen.17
22
2 Genetische Aufklärung
2.2
Die Aufklärungs-Kampagnen
2.2.1
Unmündige Bürger? Ein Bremer Kongress 2.2.1 Unmündige Bürger? Ein Bremer Kongress
„Gute Gene – schlechte Gene?“, lautete der Titel eines Bundeskongresses für politische Bildung, der Anfang September 2003 in Bremen stattfand.18 Drei Tage debattierten Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Industrie über die „Chancen und Risiken der Gentechnologie“. Die Veranstalter, die Bundeszentrale für politische Bildung in Kooperation mit der Bremer Landeszentrale, sahen ein gentechnologisches Zeitalter angebrochen und hielten es für ihre Aufgabe, die Öffentlichkeit darauf vorzubereiten. „Die Biowissenschaften und die Biotechnologie lernen derzeit mit enormer Geschwindigkeit, fundamentale Lebensprozesse zu verstehen, zu steuern, ja zu verbessern“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2003), wurde in der Ankündigung behauptet. Angesichts dieser beschworenen Machbarkeiten wollten die Förderer der politischen Bildung zur „aktive[n] Einflussnahme auf Entscheidungsprozesse“ befähigen (Bundeszentrale für politische Bildung 2003). Zu diesem Zweck luden sie drei Dutzend hochrangige Experten aus aller Welt nach Bremen ein: einen israelischen Molekulargenetiker, der mit dem ehemaligen Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel über die ethische Vertretbarkeit der Stammzellforschung diskutierte, einen Mediziner aus Nikosia, der vom kirchlich und staatlich durchgesetzten Eugenik-Programm auf Zypern berichtete, eine amerikanische Historikerin aus Philadelphia, die das zypriotische Zwangsprogramm anschließend rechtfertigte, und einen Humangenetiker aus Leuven in Belgien, der sich dafür einsetzte, dass Eltern „die Verantwortung für die Genetik der Kinder“ übernehmen. Begleitet wurde der Kongress von einem thematischen Kulturprogramm mit Filmen und Lesungen. Einen besonderen Gag erlaubten sich die Veranstalter im Bremer Ostertor-Viertel: Kurz vor Kongressbeginn öffnete dort der fingierte Gen-Shop „chromo'''soma“ seine Pforten, in dem neugierigen Passanten zahlreiche „genetische Produkte und Dienstleistungen“ feilgeboten wurden. Kunden konnten z. B. „gen'''max“ erwerben, um „verschüttetes genetisches Potenzial“ wiederzubeleben und das Lebensgefühl zu intensivieren, oder „book'''a'''baby“, das Angebot, einen Wunschembryo herzustellen und bis zum geeigneten Zeitpunkt zwischenzulagern.19 Die Bundeszentrale für politische Bildung ist eine Institution, die Bür-
2.2.1 Unmündige Bürger? Ein Bremer Kongress
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ger zu politischer Mitbestimmung anregen will. Ihre Aufgabe ist es, „Menschen in der Bundesrepublik Deutschland zu motivieren und zu befähigen, mündig, kritisch und aktiv am politischen Leben teilzunehmen“ (Bundeszentrale für politische Bildung 2010). Dieses Ziel verfolgten die Veranstalter auch mit dem dreitägigen Gen-Kongress: Sie beabsichtigten, das Thema Gentechnologie „in die breite gesellschaftliche Auseinandersetzung hineinzutragen“. Der öffentliche Disput, so wurde auf dem Abschlussplenum behauptet, habe einen hervorragenden „Beitrag zur Aufklärung und Emanzipation der Öffentlichkeit“ geleistet, der Bürger auf „dem Weg zu einem reflektierten Urteil“ unterstützen würde (Bundeszentrale für politische Aufklärung 2003). Dieses Vorhaben, Bürger in Sachen Genetik zu „emanzipieren“ und zur Partizipation anzuhalten, fand die volle Unterstützung von Wissenschaft und Industrie: Bei der Kongresseröffnung im Bremer „Marriott-Hotel“ beklagten nicht nur die Veranstalter, sondern auch Genetiker und Pharmavertreter, dass die Bevölkerung in Sachen Genetik abgehängt sei. Sie würde nicht mitbestimmen, wo und auf welche Weise Gentechnologie zur Anwendung käme. Vor allem Frauen und andere Betroffene, hieß es, meldeten sich einfach nicht zu Wort. Die dreitägigen Sitzungen mit genetischen und bioethischen Experten sollten eine erste Abhilfe schaffen. Die Ursache für die fehlende demokratische Mitbestimmung war den Experten nämlich schon klar: Die Bevölkerung, so ihre Diagnose, sei in puncto Genetik schlichtweg zurückgeblieben. Was DNA, Vererbung und Gentests angeht, verharrten die meisten Menschen in Unwissenheit und Unmündigkeit. Meinungen hätten sie zwar schon, aber: Volkes Stimme war sowohl den Veranstaltern als auch den Experten zu unqualifiziert. „Wahrnehmungen“, beklagte der Leiter der Bremer Landeszentrale für politische Bildung, aber nicht „Wissen“ würden derzeit die Haltung der Bürger gegenüber der Gentechnik bestimmen. Und der Leiter des Bremer Zentrums für Humangenetik führte Vorbehalte gegenüber seinem Fach schlicht auf „Fehlinformation“ zurück: Überzogene Hoffnungen, behauptete er lapidar, führten zu überzogenen Befürchtungen. Er verschrieb seinen Mitbürgern daher Beratung und Aufklärung, um sie zu einem vernünftigen Umgang mit der Genetik zu befähigen. Bestärkt sahen sich die Experten durch die aktuellen Meldungen aus dem Gen-Shop „chromo'''soma“: Etwa ein Drittel der Kunden, berichteten die Betreiber aufgebracht, ließen sich die fingierten Produkte andrehen. „Der Wissensstand der Kunden war erschreckend niedrig“, empörte sich der Leiter des Ladens und beklagte eine „massive
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2 Genetische Aufklärung
Aufklärungslücke“. Besonders mokierte er sich darüber, dass seine Kunden das Machbare nicht vom Fiktionalen unterscheiden könnten und „überhöhte“ Vorstellungen hätten. Daher forderte auch er Aufklärung und Beratung: Die fiktionalen Anteile, so hieß es, sollten zugunsten einer „richtigen“ Einschätzung und Bewertung der Genetik abgebaut werden.20 Doch nicht nur Wissenschaft und staatliche Bildungsinstitutionen, sondern auch die Industrie pochte auf einen aufgeklärten Bürger, der an einer „demokratischen Biopolitik“ beteiligt werden kann. Was sie sich davon verspricht, das machte der Pharmavertreter von Roche gegen Ende seines Vortrages sehr deutlich: Die „Verantwortung“ für die Gentechnik, so erklärte er, trage nicht die Industrie, sondern die Gesellschaft. „Die Gesellschaft muss entscheiden, wie sie mit der Gentechnik umgeht“, forderte er. Während seines Vortrages wurde schnell klar, dass sich die Industrie jedoch nicht einfach dem Willen der Bevölkerung unterwerfen will. Bisher, so monierte er, fehlten der Bevölkerung das „Wissen“ und die „Beurteilungsmöglichkeiten“. Die Gesellschaft, so machte er klar, müsse erst für ihre neue Aufgabe präpariert werden. Er sagte wörtlich: „Man muss der Gesellschaft helfen zu verstehen … Man muss der Gesellschaft erklären, wie sie es verstehen soll und wie sie entscheiden muss.“ Das Ziel, das sich die Bundeszentrale für politische Bildung gesteckt hatte, erreichte der Kongress nicht. Im Gegenteil: Eine öffentliche Auseinandersetzung blieb weitgehend aus. Zur Diskussion mit den anwesenden Bürgerinnen und Bürgern kam es nicht. Nur vereinzelt meldete sich nach den Vorträgen jemand aus dem Publikum zu Wort. Die Atmosphäre im Saal war die meiste Zeit eigentümlich gedrückt, ja geradezu gelähmt. Offenbar hatte es den meisten Zuhörern die Sprache verschlagen. Obwohl die Auftritte der Experten ja eigentlich zur Diskussion anregen sollten, waren sie nicht allgemein verständlich gehalten, sondern mit alltagsfernem Fachvokabular gespickt. Von „Zygoten“ vor und nach der „Kernverschmelzung“ war die Rede, von „Chromosomenaberrationen“, „Genen für“ verschiedenste unbekannte Krankheiten, von „Erkrankungswahrscheinlichkeiten“, „genetischen Dispositionen“ und „Risikoträgern“. Ganz selbstverständlich wurde davon ausgegangen, dass nicht mehr der Common Sense Ausgangspunkt einer demokratischen Auseinandersetzung ist, sondern die wissenschaftlichen Begriffe der Experten. Nicht das, was Bremer Bürger erleben, fürchten und wünschen, wurde hier besprochen, sondern wissenschaftliche Laborkonstrukte und bioethische Problemkonstellationen. Um Menschen und ihre Erfahrungen ging es in vielen Vorträgen
2.2.2 Die genetische Alphabetisierungskampagne
25
nur dann, wenn die Genetiker durch mitleidsheischende Schicksalsberichte für Forschungsgelder und Deregulierung plädierten. Der Bremer Kongress ist ein eindrückliches Beispiel für den Versuch, Bürger zur Mündigkeit in Sachen Genetik zu erziehen. Statt Hürden für die demokratische Mitbestimmung abzubauen, stellte er neue auf. Die Bundeszentrale für politische Bildung versammelte Experten, die erklärten, ihr Fachwissen sei eine notwendige Voraussetzung für eine demokratische Auseinandersetzung und die gesamte Bevölkerung daher beratungsbedürftig. Nur derjenige, der sich von Genetikern und Bioethikern im Denken unterweisen lässt, sollte in Bezug auf die Gentechnologie eine Stimme haben – und zwar nicht im Hinblick auf wissenschaftliche, sondern auf gesellschaftliche Fragen. Thema des Kongresses war ja nicht die fachgerechte Sicht auf Genfunktion und DNA-Struktur, sondern es sollte um die Auswirkungen einer neuen Technologie auf das menschliche Zusammenleben gehen. Und genau hier sprachen die Redner ihren Mitbürgern die Mündigkeit ab. Damit war jeder demokratischen Auseinandersetzung der Boden entzogen. Sprecher, die keine genetische und bioethische Schulung durchlaufen hatten, wurden für zurückgeblieben erklärt. Sie waren im Kongressprogramm auch gar nicht vorgesehen: Weder dem jahrelangen Protest von Anwohnern und Ökologiebewegten gegen die Freisetzung von genmanipuliertem Mais noch dem „Nein danke!“ der Frauen- und Krüppelbewegung zur vorgeburtlichen Selektion hatten die Veranstalter Gehör geschenkt. Stattdessen hatten sie als Hauptredner Vertreter aus Wissenschaft und Industrie geladen, die verlangten, das Denken und Handeln der Bürger an die Vorgaben der Gentechnologie anzupassen. Erst dann, wenn Bürger gelernt hätten, ihre Entscheidungen nach wissenschaftlichem Input zu treffen, wollten sie diese an einer „demokratischen Biopolitik“ beteiligen.
2.2.2
Die genetische Alphabetisierungskampagne 2.2.2 Die genetische Alphabetisierungskampagne
Das Erziehungsziel, das auf dem Bremer Kongress formuliert wurde, heißt im Englischen genetic literacy*. Wer nicht abgehängt werden will, so die Annahme, muss heute nicht nur Lesen, Schreiben und Rechnen büffeln, sondern auch das genetische ABC. Zahlreiche Sozialwissenschaftler diagnostizieren: Der Bürger des 21. Jahrhunderts ist ein „genetischer Bürger“*. Er versteht sich als Genträger, hat die Mendelschen
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2 Genetische Aufklärung
Regeln und den Aufbau der DNA gelernt, schließt sich mit anderen Genträgern zusammen, denkt biopolitisch und trifft aufgeklärte Entscheidungen. Genetische Bürger können jedoch nur diejenigen sein, die genetisch alphabetisiert sind. Genetic literacy ist Voraussetzung dafür, als Staatsbürger sowie als Konsument informierte Entscheidungen treffen zu können. Zahlreiche Institutionen haben sich daher die genetische Alphabetisierung der Bevölkerung zur Aufgabe gemacht. Ratgeberliteratur, Science Center und Wissenschaftsmuseen21, Diskursprojekte22, Bürgerkonferenzen23, Rollende und Gläserne Labore,24 ärztliche Informed-Consent*-Gespräche und genetische Beratungsstellen versuchen, genetische Analphabeten in mündige Bürger zu verwandeln. So unterschiedlich pädagogisches Programm und Publikum jeweils auch sein mögen, ein Ziel haben sie alle gemeinsam: Sie sollen Bürger mobilisieren, sich professionell angeleitet mit Genen und Risiken zu beschäftigen, um sich für informierte Debatten und informierte Entscheidungen zu qualifizieren. Unterstützt werden diese wissenschaftlich begründeten Erziehungsprojekte sowohl von der Politik als auch von der Industrie. Die Lebenswissenschaften* und an erster Stelle die Genomforschung, so prophezeit beispielsweise das Bundesforschungsministerium, werden „weitreichende Auswirkungen“ auf „unser gesamtes gesellschaftliches Leben“ haben (Bundesministerium für Bildung und Forschung o. J.). Um die Bevölkerung für diese tief greifenden Umwälzungen zu rüsten, finanziert das Ministerium auch die genetische Aufklärung: Sozialwissenschaftliche „Begleitforschung“ und der „Diskurs zwischen Wissenschaft und Gesellschaft“ sollen dazu beitragen, eine sogenannte „gut informierte Öffentlichkeit“ herzustellen.25 Ziel ist es, so das Ministerium, „Entscheidungen auf nachvollziehbare Fakten und rationale Begründungen zu stützen“26. Was letztlich bedeutet, dass Konzepte und Problemdefinitionen von Experten die Auseinandersetzung bestimmen, nicht aber das Alltagswissen von Bürgern. Selbst bei partizipativen Veranstaltungen, die vorgeben, Technologiepolitik zu demokratisieren, können Bürger sich nicht in Freiheit zur Sache äußern: Wissenschaftliche Autoritäten bestimmen, was „Sache ist“, und Diskursexperten geben den Rahmen vor, innerhalb dessen Bürger Fragen, Antworten und eigene Meinungen entwickeln sollen (Kerr 2004, 123 –142, Niewöhner 2004).27 Der Umweltschützer, dem die Genmanipulationen aus Ehrfurcht vor der Natur ein Graus sind, der Bauer, der eine Stinkwut auf die Machenschaften der Agroindustrie hat, und die
2.2.2 Die genetische Alphabetisierungskampagne
27
besorgte Mutter, der das genmanipulierte Zeug auf dem Acker schlicht unheimlich ist – sie sollen alle der Vergangenheit angehören. Nicht mehr der intuitive Widerwille gegen manipulierte Tomaten, die Skepsis gegenüber Machbarkeitsversprechen oder das Misstrauen gegenüber Experten sollen das Denken und Handeln bestimmen, sondern das, was Wissenschaftler als „Tatsachen“ und „Chancen und Risiken“ ausweisen. Nicht mehr Umgangssprache und Common Sense sollen Grundlage demokratischer Auseinandersetzungen sein, sondern das, was Experten für faktisch und rational erklären. Auch die Industrie setzt auf genetische Aufklärung. Bayer, Schering und Roche wünschen sich ebenfalls rational entscheidende Bürger und informierte Konsumenten. „Wir wissen, dass die tollsten Entwicklungen gar nichts nutzen, wenn die Bevölkerung sie nicht versteht und deshalb nicht bereit ist, diese anzunehmen“, erklärte der Vorsitzende des Verbandes der Chemischen Industrie Nordrhein-Westfalens im Jahre 2001 und schickte ein mobiles Genlabor auf den Weg, um das richtige Verständnis der Bürger auf diese Weise sicherzustellen (Minwegen 2003). „Entscheidend ist die Unterstützung durch die Öffentlichkeit. Eine gut informierte Öffentlichkeit, die sich der Chancen und der Risiken der Biotechnologie bewusst ist, stellt einen Wettbewerbsvorteil dar. Die stärkere Beteiligung der Öffentlichkeit an der Gestaltung der europäischen Forschungspolitik ist eine klare Perspektive für die Zukunft“, so stellen Wissenschaft und Industrie in einer gemeinsamen Erklärung fest (Cologne Paper 2007). Insbesondere Jugendliche sind Ziel genetischer Aufklärungskampagnen.28 In Schüler-Laboren und Diskursprojekten üben sie sich sowohl im Manipulieren von Erbgut als auch im bioethischen Abwägen von Chancen und Risiken.29 Zwischen Flensburg und München haben Forschungsinstitute, Museen und Chemiekonzerne fast 50 öffentliche Labore eingerichtet, in denen sie „Gentechnik zum Anfassen“ bieten.30 Durch Baden-Württemberg tourt sei 2003 das mobile Genlabor „Bio-Lab“, das alle paar Tage eine andere Schule ansteuert, um die Mittel- und Oberstufe mit Gentechnik vertraut zu machen. Gymnasien richten bereits Gentechnik-Labore ein, in denen Schüler eigenhändig an der Erbsubstanz herumbasteln können. Das Ziel dieser Kampagne, zum guten Teil von der Industrie gesponsert, ist eindeutig: Sie soll der Jugend die „faszinierenden wie zukunftsweisenden Biowissenschaften“ (Gläsernes Labor o. J. a) nahebringen. Zu diesem Zweck sollen die Teenager durch eigene Labortätigkeit von der Allgegenwart der Gene und ihrer technischen Handhabbarkeit überzeugt
28
2 Genetische Aufklärung
werden: So können sie z. B. „eindrucksvoll die Wirkungsweise von Genschaltern“ erfahren, wenn sie ein Quallen-Gen auf ein Bakterium übertragen.31 Oder sie können DNA aus Tomaten isolieren, damit sie einsehen, dass alles Essen Gen-Food ist. Jeden Tag, so wird ihnen vor Augen gehalten, würden sie Gene verspeisen: „Pro Tag nehmen wir etwa 1–2 g dieser Trägersubstanz von Erbinformation auf“, erfahren sie – den „Bauplan des Lebens“ (Gläsernes Labor o. J. b). Die Jugendlichen können auch „sich selbst auf die Spur“ kommen, wie ein Handout salopp verspricht, indem sie aus eigenen Zellen einen genetischen Fingerabdruck* erstellen. Unvermeidlich werden Schüler bei solchen Praktika nicht nur in Biochemie und in den Umgang mit Pipetten und Reagenzien eingewiesen, sondern auch in die genetische Weltanschauung.32 Eine besonders eindrückliche Lektion in genetischer Selbstwahrnehmung erteilte ein Praktikumsleiter einer Gruppe Zehntklässler im Gläsernen Labor in BerlinBuch: Als er die biologischen Grundlagen des genetischen Fingerabdrucks erläutert, weist er darauf hin, dass 98 Prozent ihrer DNA mit derjenigen von Pan troglodytes, dem Schimpansen, übereinstimmen. Dem naheliegenden Schluss, dass die DNA angesichts der erheblichen Unterschiede zwischen Mensch und Affe dann ja gar nicht so bedeutsam sein kann, kommt der Genetiker eilig zuvor: Er belehrt seine jungen Zuhörer darüber, dass lediglich eine einzige Genveränderung dafür verantwortlich ist, dass Menschen sprechen können, Schimpansen hingegen nicht. Wenn auch Affen dieses Gen hätten, so spekuliert er, dann könnten sie sich ebenfalls der Sprache bedienen. Die Realschüler, die während des Pipettierens an der Werkbank einen gelangweilten Eindruck gemacht haben, horchen zum ersten Mal an diesem Vormittag auf. Prompt stellt einer die Frage, ob sich dieses Gen nicht einfach bei Affen einfügen ließe. Nun entspinnt sich eine fantastische, aber völlig ernst gemeinte Diskussion zwischen Schülern und Dozent über die Frage, ob Affen durch eine Genverpflanzung zum Sprechen gebracht werden könnten. Der Gen-gläubige Experte bejaht: Ja, das ginge wohl, sei aber aus „ethischen Gründen“ nicht möglich. Technische Hindernisse gebe es allerdings auch noch: Zum Sprechen seien ja entsprechende Gehirnfunktionen und Organe wie Stimmbänder nötig. Außerdem, gibt er zu bedenken, wäre ein solcher Gentransfer auch „kompliziert“. Während der Arbeit im Labor machten die Zehntklässler nicht den Eindruck, als könnten sie den chemischen Formeln und Versuchsanleitungen irgendetwas abgewinnen. Die Lektion in genetischer Selbstwahrnehmung am Ende des Praktikums hingegen sitzt: Menschen,
2.2.3 Die genetische Beratung
29
so die Botschaft des Gen-Experten, sind nichts anderes als genetische Mutanten des Affen. Wären da nicht Ethik und technische Komplikationen, dann ließen sich im Genlabor sprechende Schimpansen erschaffen. Diese Vorstellung, Affen durch eine Genübertragung zum Reden zu bringen, beschäftigt die Schüler mehr als alles andere an diesem Vormittag, und sie reden aufgeregt durcheinander.33
2.2.3
Die genetische Beratung 2.2.3 Die genetische Beratung
Ziel genetischer Aufklärung ist es, Bürger darin anzuleiten, Forschungsergebnisse aus dem Genlabor zur Grundlage ihres Denkens und Handelns zu machen. Sie sollen einsehen, dass DNA-Aufbau, Mendelsche Regeln und Risikokalkulationen nicht nur Fachwissen für Experten oder Stoff für Biologieklausuren sind, sondern auch im Alltag große Bedeutung haben. Sie sind dazu aufgefordert, als Staatsbürger sowie als Konsumenten informierte Entscheidungen zu treffen – also Entscheidungen, die auf sogenanntem genetischen Wissen gründen34. Nicht mehr nach eigenem Dafürhalten sollen Bürger nachdenken und handeln, sondern lernen, ihre Überlegungen und Entscheidungen auf „Fakten und rationale[n] Begründungen“ aufzubauen, wie es das BMBF anstrebt (Bundesministerium für Bildung und Forschung o. J.). Wer sich auf Kongressen oder bei einem Besuch im Gläsernen Labor genetisch aufklären lässt, hat die Freiheit, anschließend wieder nach Hause und in den Alltag zurückzukehren. Niemand wird unmittelbar zum Handeln aufgefordert, und wer nichts mit Genen, Risiken und ethischen Dilemmata anfangen kann, darf sie getrost wieder vergessen. Es gibt jedoch eine Form der genetischen Aufklärung, die unmittelbar persönliche Bedeutung beansprucht und Bürger zum Handeln auffordert: die genetische Beratung. Genetische Beratung ist eine professionelle Dienstleistung, die Menschen für eine konkrete Entscheidung präpariert – in der Regel eine informierte Entscheidung darüber, ob sie einen Gentest machen lassen oder nicht. Ausdrückliches Ziel der Sitzung ist die „medizinisch kompetente, individuelle Entscheidungshilfe“, wie es der Fachverband formuliert (Kommission für Öffentlichkeitsarbeit und ethische Fragen der Gesellschaft für Humangenetik e. V. 1996, 129). In Deutschland ist dieser genetische Entscheidungsunterricht spezialisierten Medizinern vorbehalten, nämlich Fachärzten für Humangenetik sowie Gynäkologen und Kin-
30
2 Genetische Aufklärung
derärzten, die nach einer mehrjährigen Weiterbildung die Zusatzbezeichnung „Medizinische Genetik“ führen dürfen.35 Während einer genetischen Beratungssitzung, die in der Regel ein bis zwei Stunden dauert, erläutern sie DNA-Aufbau, Chromosomenstruktur, Vererbungsregeln, Krankheitsstatistiken und genetische Testmöglichkeiten. Sitzt dem Genetiker eine Schwangere gegenüber, die eine Entscheidung über eine mögliche Fruchtwasseruntersuchung* treffen soll, dann legt er das Schwergewicht auf zellbiologische Vorgänge rund um die Befruchtung, auf Fehlbildungsstatistiken, Schwangerschaftsrisiken, verschiedene vorgeburtliche Testmöglichkeiten und risikobezogene Entscheidungsfindung. Hat er hingegen Frauen oder Männer vor sich, in deren Familien mehrfach Brust- oder Darmkrebs vorkam, dann nehmen die Themen Genmutationen, Krebsstatistik und Früherkennung den meisten Platz ein. Ganz gleich jedoch, wie die Beratungssitzung im Einzelnen verläuft: Genetische Berater legen größten Wert darauf, dass ihre Klienten eine informierte Entscheidung treffen. Mehrfach stellen sie im Verlauf der Sitzung klar, dass es Aufgabe der Betroffenen ist, aus den Lektionen über Gene, Risiken und Testangebote eigene Schlussfolgerungen zu ziehen. Obwohl es Beratung heiße, erklärt ein Genetiker seiner schwangeren Klientin gleich zu Beginn der Sitzung, werde er keinen Ratschlag geben. Sie müsse selbst herausfinden, was sie tun wolle. Er könne ihr nur sagen, sie müsse „den Rat bei sich selbst suchen“ (Samerski 2002, 230). In Deutschland finden jährlich knapp 50 000 genetische Beratungssitzungen statt.36 Diese Zahl wird in den kommenden Jahren höchstwahrscheinlich steigen, weil das Gendiagnostikgesetz, das im Februar 2010 in Kraft getreten ist, sowohl vor als auch nach einem pränatalen oder prädiktiven Gentest die Sitzung mit einem genetischen Berater zur Pflicht macht. Bisher finden deutlich mehr vorgeburtliche Chromosomenuntersuchungen37 statt als genetische Beratungen, nämlich weit über 60 000. Die Anzahl der molekulargenetischen Tests ist noch viel höher, sie lag im Jahre 2004 bei über 200 00038 – Tendenz steigend. Weil also weitaus mehr Menschen getestet als beraten werden, haben die Humangenetiker bereits vor Jahren einen Beratungsnotstand ausgerufen: Das genetische Beratungswesen müsse dringend ausgebaut werden, forderte der Vorsitzende des Berufsverbandes im Jahre 2005, damit Bürger nicht an „Unterversorgung“ leiden.39 Die genetische Beratung ist ein Musterbeispiel einer genetischen Aufklärungsveranstaltung. Es handelt sich hier in konzentrierter Form um
2.3.1 Die wissenschaftliche Verwaltung von Erbanlagen
31
denjenigen genetischen Entscheidungsunterricht, den Vertreter aus Wissenschaft, Politik und Industrie für die Gesellschaft fordern: Bürger sollen durch Belehrungen über Gene, Risiken und Testmöglichkeiten dazu befähigt werden, informierte Entscheidungen zu treffen. Erst dann gelten sie als mündig und selbstbestimmt. Genetische Beratung, so wird in einem Sammelband mit dem Titel „Ethische Fragen genetischer Beratung“ behauptet, diene der „Stärkung der Selbstbestimmung und Entscheidungsfähigkeit“ (Hirschberg und Frewer 2009, 9). Auch Genetiker nennen als wichtigstes Ziel ihrer Dienstleistung die Selbstbestimmung: In einem Diskursprojekt machten österreichische und deutsche genetische Berater deutlich, „dass Selbstbestimmung der Ratsuchenden für Beratende das Leitkonzept der genetischen Beratung darstellt“ (Grießler, Littig und Pichelstorfer 2009, 287). „Selbstbestimmung“ bedeutet jedoch nicht, wie die Genetiker weiterhin klarmachten, dass Klienten so denken und handeln sollen, wie sie es für richtig halten. Zur Selbstbestimmung, so stellten die Genetiker fest, wären Bürger von sich aus meist gar nicht in der Lage. Genetische Berater müssten sie erst „aktiv befördern“ (Grießler, Littig, und Pichelstorfer 2009, 291).
2.3
Zur Vorgeschichte: Genetik als Grundlage von Sozialpolitik
2.3.1
Die wissenschaftliche Verwaltung von Erbanlagen 2.3.1 Die wissenschaftliche Verwaltung von Erbanlagen
Das Bestreben, eine Gesellschaftsordnung zu errichten, die auf „Faktenwissen“ aus dem Genlabor aufbaut, ist nicht neu. Von Anfang an verstanden sich die meisten Genetiker nicht nur als Fachleute für Erbsenzucht und Fliegenkreuzung, sondern auch als Experten für die soziale Frage. Bereits Ende des 19. Jahrhunderts träumten die ersten Lebenswissenschaftler, Forscher wie Jacques Loeb (1859–1924), Francis Galton und Ernst Haeckel (1834 –1819) von einer künstlichen sozialen Ordnung, die auf den Erkenntnissen aus dem biologischen Forschungslabor gründet. Mendels Abhandlung schlummerte noch unbeachtet in den Regalen, da prägte der Statistiker Galton den Begriff der Eugenik* (Galton 1883) und setzte sich für die Verbesserung des Menschen durch „Zucht“ ein. Mit der Wiederentdeckung Mendels zur Jahrhundertwende, dem Startschuss für die experimentelle Vererbungswissenschaft, schienen die Träume von der expertengesteuerten Verbesserung von Mensch und Gesellschaft in greifbare Nähe
32
2 Genetische Aufklärung
zu rücken. In vielen Ländern, von Brasilien über die USA bis nach Europa, wuchs eine einflussreiche Eugenikbewegung heran. Ihr Anliegen war es, die neuen Grundregeln der Biologie, Darwins „survival of the fittest“ und Mendels Vererbungsgesetze, auf die Gesellschaft zu übertragen. Allen, die den Normalitätsanforderungen der industrialisierten Gesellschaft nicht entsprachen, ob Trinker, Huren, Arbeitslose, Kriminelle, Begriffsstutzige, Krummgewachsene oder aufrührerische Gewerkschafter, unterstellten die neuen Fortpflanzungsexperten krankhafte Erbanlagen40 und versuchten sie auszusondern. Die Förderung von Selbstbestimmung und informierten Entscheidungen hatten Genetiker in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts ganz offensichtlich nicht im Sinn. Ihre Mitmenschen verstanden sie nicht als Entscheidungsträger, die wissenschaftliche Erziehung brauchen, sondern als bloße Genträger, die von Experten verwaltet werden müssen. Menschen waren nichts anderes als Durchlaufstationen einer kultisch überhöhten Erbmasse – eine Erbmasse, die sich ihrer Ansicht nach viel zu ungeordnet kreuzte und zur Rettung des menschlichen Genpools nach wissenschaftlichem Plan verwaltet werden sollte. Auch Beratung gehörte zu den Maßnahmen, mit denen eine biologisch begründete Gesellschaftsordnung errichtet werden sollte. Die ersten vererbungswissenschaftlichen Beratungsstellen, die vor allem in den 1920er Jahren eröffnet wurden, hatten daher vornehmlich eugenische Ziele: Sie sollten der genetischen Verbesserung der Bevölkerung dienen. Die Vereinigung für öffentliche Eheberatungsstellen zählte im Jahre 1927 bereits 100 derartige Einrichtungen in Deutschland. Heiratswillige Paare wurden ermahnt, ihre Familiengründung von der Qualität ihrer Erbanlagen abhängig zu machen. Erbärzte nahmen einen Stammbaum auf, spekulierten anhand des verkrüppelten Vaters oder der debilen Tante über „schädliche Erbanlagen“, wendeten die Mendelschen Regeln an und rieten dem Paar gegebenenfalls von Eheschließung und Zeugung ab. Die Nachfrage nach solchen Erbprognosen blieb jedoch gering. Selbst im Nationalsozialismus, wo Eheberatung und Ehetauglichkeitszeugnisse gesetzliche Pflicht werden sollten, suchte kaum jemand freiwillig eine „Beratungsstelle für Erb- und Rassenpflege“ auf (Czarnowski 1991, Soden 1988).
2.3.2 Wirksamer als Zwang: Aufklärung und Verantwortung
2.3.2
33
Wirksamer als Zwang: Aufklärung und Verantwortung 2.3.2 Wirksamer als Zwang: Aufklärung und Verantwortung
Repression und Bevormundung sind in demokratischen Gesellschaften nur begrenzt wirksam; sie stoßen immer auf Widerstand und Opposition. Viel effektiver als die Sozialdisziplinierung durch Zwang ist daher die Regierung durch Freiheit – governing through freedom, wie das liberale Regierungsprinzip auf einen Nenner gebracht wird. Menschen werden nicht zur Anpassung genötigt, sondern durch Anreize motiviert, sich freiwillig anzupassen.41 Diese Form der Machtausübung, die vor allem Michel Foucault eindrücklich beschrieben hat, ist viel unsichtbarer und geht viel tiefer als gewalttätige Herrschaft: Sie zielt nämlich nicht so sehr auf das Äußere, sondern vor allem auf das Innere. Sie steuert nicht nur das Handeln, sondern vor allem auch das Denken und Wollen.42 Bereits die ersten Eugeniker setzten nicht nur auf Zwangsmaßnahmen, sondern auch auf Aufklärung und gelenkte Freiwilligkeit. In den 1920er und 1930er Jahren beschworen Aufklärungsbroschüren, Zeitschriften, Museen und Ausstellungen die Macht der Vererbung. In den großen Gesundheitsausstellungen, wie z. B. der GeSoLei (Gesundheit, Soziale Fürsorge und Leibesübungen, 1926) oder den Hygieneausstellungen in Dresden (1911 und 1930) hatten vererbungswissenschaftliche Exponate ihren festen Platz. Das Millionenpublikum wurde dort nicht nur in die anatomische Sicht des Körpers, in die Verbesserung der eigenen Fitness und in die Bevölkerungsstatistik eingewiesen, sondern auch über die Macht der Erbanlagen und die Erfolge der Vererbungswissenschaft belehrt. Anhand von Stammbäumen sogenannter „asozialer Familien“ sollten sich die Besucher davon überzeugen, dass Diebstahl und Arbeitslosigkeit genetisch bedingt wären; und an Schauapparaten zur Mendelschen Vererbung konnten sie ausprobieren, nach welchen Gesetzmäßigkeiten solche Erbanlagen weitergegeben würden. Solche Popularisierungsveranstaltungen hatten allerdings ein völlig anderes Ziel als die heutige genetische Alphabetisierung. Bürger sollten keineswegs lernen, zu Experten ihrer selbst zu werden, um informierte und selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen. Im Gegenteil: Wissenschaftliche Erkenntnisse wurden vor allem deshalb zur Schau gestellt, um Laien zu beeindrucken und die neue Expertenmacht in Verwaltung und Politik zu rechtfertigen. Die Ausstellungen dienten dazu, den „Graben zwischen Laien und Experten zu manifestieren und zu vertiefen“ (Nikolow und Schirrmacher 2007, 16).43 Genetische Aufklärung und
34
2 Genetische Aufklärung
Popularisierung hatte also eine andere soziale Funktion als heute: Es ging darum, Bürger auf eine genetisch begründete Gesellschaftsordnung einzustimmen; sie sollten von der Autorität der neuen Experten und der Notwendigkeit eugenischer Bevölkerungspolitik überzeugt werden. Bereits in den 1930er Jahren erklärten die meisten Genetiker den wissenschaftlich unterfütterten Rassismus der ersten Eugenikbewegung sowie ihren allzu simplen Glauben an genetischen Determinismus für wissenschaftlich überholt. Ihre Vision, eine Gesellschaftsordnung zu schaffen, die auf den Erkenntnissen der Genetik aufbaut, gaben sie jedoch keinesfalls auf. Ende der 1930er Jahre trat der amerikanische Geschäftsmann und Philanthrop Frederick Osborne dazu an, das eugenische Projekt grundlegend zu reformieren. Er träumte von einer freiwilligen, aufgeklärten Eugenik ohne Zwangsmaßnahmen und rassistische Diskriminierung.44 Das Vorhaben, mithilfe der Genetik den Menschen zu verbessern, wollte er an die Grundsätze moderner demokratischer Gesellschaften anpassen. Bürger sollten nicht mehr überwältigt werden, sondern lernen, selbst eugenisch zu denken. Mithilfe wissenschaftlicher Aufklärung wollte er Eltern das Gefühl von Verantwortung für die genetische Ausstattung ihres Nachwuchses einimpfen (Weß 1989, 46 – 48). Bald darauf, im Jahre 1947, hob der Genetiker Sheldon Reed den Begriff „genetische Beratung“ („genetic counseling“) aus der Taufe (Reed 1974). Mit dieser Umbenennung hoffte er, die vererbungswissenschaftliche Beratung aus dem Zwielicht der Eugenik herauszuheben. Nicht mehr den nationalen Genpool wollte er verbessern, sondern die Gesundheit der Familie; nicht mehr vererbungswissenschaftliche Bevölkerungspolitik wollte er betreiben, sondern einzelne Paare motivieren, ihre Familienplanung im eigenen Interesse an Erbanlagen und Vererbungsgesetzen auszurichten. Ein gutes Vierteljahrhundert später geht er davon aus, dass diese begriffliche Herauslösung der vererbungswissenschaftlichen Konsultation aus dem Schatten der Eugenik der genetischen Beratung zu ihrer Karriere verhalf.45 In den USA gab es im Jahre 1951 erst zehn genetische Beratungsstellen, 1974 bereits 387. In Deutschland haftete der Humangenetik lange der Ruch der Menschenverachtung an und es dauerte bis in die 1970er Jahre, bis sie sich öffentlich rehabilitieren konnte.46 Im Nationalsozialismus hatten Eugeniker, Mediziner, Politiker und Bürokraten das umgesetzt, was sich Genetiker zuvor an Labor- und Schreibtischen ausgedacht hatten. „In Deutschland wurden die Erkenntnisse, die Genetiker verschiedener Länder zuvor
2.3.2 Wirksamer als Zwang: Aufklärung und Verantwortung
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an der Fruchtfliege entwickelt hatten, erstmals nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch auf Menschen übertragen“ (Weß 1989, 35). Gesellschaftsfähig wurde die Humangenetik erst wieder, als sie sich den Anstrich von Heilkunde geben konnte, indem sie sich an die Medizin angliederte. Voraussetzung für diese Angliederung war jedoch ein Umbruch in der Medizin selbst, der sich konzeptuell und praktisch vor allem in den 1950er und 1960er Jahren auswirkte: Die Medizin wandelte sich von einer Heilkunde, die einen Patienten und seine Krankheiten im Blick hat, zu einer Risikomedizin, die die Gesundheit der ganzen Bevölkerung überwacht. Prävention, also die Verhinderung von Krankheiten, stieg zur Leitidee auf. Die Epidemiologie, also die statistische Analyse von Krankheitshäufigkeiten und Risikofaktoren in Populationen, avancierte zur neuen Leitwissenschaft. Im Mittelpunkt der medizinischen Aufmerksamkeit standen nun nicht mehr Diagnose und Therapie von Krankheiten, sondern die Erfassung und das Management statistisch berechneter Risiken (Armstrong 1995). Deutschland führte in den 1960er Jahren die ersten Vorsorgeprogramme für die gesunde Bevölkerung ein, nämlich KrebsFrüherkennung und den sogenannten Mutterpass, der Frauen zur ärztlichen Schwangerenvorsorge anhalten sollte. Nach diesem Wandel im medizinischen Denken war es für die Humangenetik möglich, unter das Dach der Medizin zu schlüpfen. Zur risikoorientierten Prävention konnte auch eine Disziplin beitragen, die sich der Klassifikation und Diagnose von Unheilbarem widmet. Die Verhinderung nicht von Krankheiten, sondern von Kranken wurde fortan als medizinisches Teilgebiet wieder gesellschaftsfähig. In den 1970er Jahren öffneten auch in Deutschland die ersten genetischen Beratungsstellen ihre Pforten. Ganz der Leitidee der Prävention verpflichtet, verstanden es Genetiker als ihre Aufgabe, Menschen, die sie als „anormal“, „behindert“ oder „krank“ klassifizierten, gar nicht erst auf die Welt kommen zu lassen. Schien ihnen das Risiko, das sie aus empirischen Häufigkeiten und Vererbungsregeln ableiteten, für den erhofften Nachwuchs zu groß, rieten sie Paaren von Eheschließung oder Zeugung ab. Sie hofften, auf diese Weise zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: Zum einen glaubten sie, Familien vor Unglück und Leid zu bewahren, und zum anderen begrüßten sie den eugenischen Nebeneffekt, den sie von dieser „Verhütung erbkranken Nachwuchses“ erwarteten.47 Die meisten Menschen hatten jedoch für eine solche entmutigende Zukunftsprognose keinen Bedarf. Nach Eröffnung der ersten Beratungs-
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2 Genetische Aufklärung
stellen in Marburg und Frankfurt a. M., beide staatlich finanzierte Modellprojekte, mussten die Humangenetiker kräftig die Werbetrommel rühren, um Klienten zu rekrutieren. Wer nicht gerade eine schwere Erbkrankheit in der Familie hatte, sah einfach keinen Anlass, einen Erbarzt zu konsultieren. Vorausschauendes Gesundheitsmanagement war den meisten Menschen noch fremd. Allen präventivmedizinischen Programmen fehlten die Kunden. „Eines der bisher nicht gelösten Probleme in der Präventivmedizin ist die ungenügende Inanspruchnahme solcher Möglichkeiten durch eine noch gesunde Population“, stellt die Humangenetikerin Ursel Theile daher 1977 fest (Theile 1977, IX). Wer nicht krank war, sah damals keinen Grund, einen Arzt aufzusuchen.
2.3.3
Ein neues Ziel: die informierte Entscheidung 2.3.3 Ein neues Ziel: die informierte Entscheidung
Im Laufe der 1970er und 1980er Jahre gelang es der genetischen Beratung, sich zu einem modernen Serviceangebot für schwangere Frauen und werdende Eltern zu mausern. Das Risiko- und Präventionsdenken hielt Einzug in die medizinische Schwangerenbetreuung und neue Untersuchungstechniken, allen voran der Ultraschall, schufen einen neuen Patienten: das Ungeborene. Der Fötus* und seine normgerechte Entwicklung rückten ins Zentrum der medizinischen Aufmerksamkeit. Ultraschalldurchleuchtung und Fortschritte bei der Chromosomendarstellung machten es Ende der 1960er Jahre möglich, mit einer Kanüle durch die Bauchdecke der Schwangeren Fruchtwasser zu entnehmen und kindliche Zellen auf ihre normgerechte Chromosomenausstattung zu überprüfen. Im Laufe der 1970er Jahre führten Gynäkologen und Humangenetiker den Chromosomencheck nach Fruchtwasserpunktion* in die Schwangerenvorsorge ein. Der Gesetzgeber lockerte das Abtreibungsrecht und ermöglichte den Schwangerschaftsabbruch nach der sogenannten „eugenischen Indikation“.48 Schwangere, die auf Anraten ihres Arztes eine Fruchtwasseruntersuchung durchführen ließen, befanden sich plötzlich in einem völlig neuen Zustand: Sie waren nicht mehr „guter Hoffnung“, sondern schwanger auf Probe. Bevor sie tatsächlich ein Kind erwarten konnten, musste der Test grünes Licht geben. Wies dieser hingegen eine chromosomale Normabweichung nach, dann wurden sie gedrängt, die Schwangerschaft abzubrechen. Stück für Stück wurde die genetische Überprüfung und Auswahl kommender Bürger alltäglich.
2.3.3 Ein neues Ziel: die informierte Entscheidung
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Den humangenetischen Instituten gab diese neue Selektionstechnologie großen Auftrieb. Der pränatale Chromosomencheck bescherte ihnen nicht nur eine neue Einkommensquelle im Chromosomenlabor, sondern auch eine neue Beratungsklientel: Ganzen Schwangerenkohorten drückten Ärzte plötzlich den Stempel „risikoschwanger“ auf und erklärten sie für „beratungsbedürftig“. Die statistische Wahrscheinlichkeit für eine Trisomie 21*, den chromosomalen Befund für das Down-Syndrom*, korreliert mit dem Lebensalter der Schwangeren. Diese ansteigende Wahrscheinlichkeit schrieben Mediziner zunächst allen Frauen ab 38 als sogenanntes „Altersrisiko“ zu, und nach der Erhöhung der Laborkapazität allen Frauen ab 35. Damit erklärten sie eine ganze Population gesunder Schwangerer zu Patientinnen, die einer medizinischen Sonderbehandlung bedürfen: des vorgeburtlichen Chromosomenchecks. In den 1980er Jahren wurden schließlich erste genetische Tests auf monogene Erbkrankheiten* entwickelt, durch die das Ungeborene nicht nur als Chromosomenträger, sondern auch als Genträger klassifiziert werden konnte.49 Die Zeit, in der Genetiker in erster Linie genetische Eheberatung betreiben konnten, war vorbei. Endlich hatten sie etwas Vielversprechenderes anzubieten als nur die missliebige Empfehlung, aufgrund statistischer Häufungen und Mendelscher Gesetze die Verlobung aufzulösen oder auf Kinder zu verzichten. Ganz zeitgemäß verhieß die Humangenetik nun „Wissen“, „Vorsorge“ und einen vorgeburtlichen Gesundheitscheck. Die vorgeburtliche Qualitätskontrolle ist inzwischen zur Routine geworden: Praktisch jede Schwangere wird heute mehrfach mit dem Ultraschallgerät durchleuchtet, und eine große Zahl lässt sich anhand des Ersttrimestertestes* das Risiko einer fötalen Chromosomenstörung berechnen. Ungefähr jedes zehnte Kind, das in den vergangenen Jahren zur Welt kam, wurde vorher durch eine Fruchtwasseruntersuchung auf seinen normgerechten Chromosomensatz getestet.50 Diese intensive medizinische Überwachung einer gesunden Bevölkerungsschicht ist paradigmatisch für die neue Form der risikoorientierten Medizin, die Armstrong „surveillance medicine“ nennt (Armstrong 1995). Die Überwachungsmedizin, so Armstrong, unterscheidet sich grundlegend von der bisherigen Klinikmedizin. Erstens verwischt sie den Unterschied zwischen „normal“ und „pathologisch“, der bis dahin das ärztliche Denken und Handeln bestimmt hatte. Die Pränataldiagnostik erklärt alle Schwangeren für betreuungsbedürftig – auch, wenn ihnen gar nichts fehlt. Nicht mehr nur die Kranken sind Zielscheibe medizinischer Überwachung und Behandlung,
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2 Genetische Aufklärung
sondern vor allem die gesunde Bevölkerung: „Surveillance Medicine requires the dissolution of the distinct clinical categories of healthy and ill as it attempts to bring everyone within its network of visibility“ (Armstrong 1995, 395). Zweitens geht es in der Pränataldiagnostik nicht mehr um Heilung, sondern um Risikomanagement. Ziel ist es nicht, eine abhandengekommene Gesundheit wiederherzustellen, sondern sich der Zukunft zu bemächtigen. „Surveillance Medicine […] attempt[s] to transform the future by changing the health attitudes and health behaviours of the present“ (Armstrong 1995, 402). Diese Problematisierung des Gesunden und die Vorwegnahme der Zukunft haben besonders in der Schwangerschaft dramatische Auswirkungen. Vorgeburtliche Untersuchungen stellen einen Patienten her, dem nicht zu helfen ist. Er kann nicht geheilt, sondern nur abgetrieben werden. Wer jedoch kann eine solche Entscheidung treffen? Wer kann bestimmen, welche Diagnosen und Risiken ein Grund dafür sind, Menschen gar nicht erst auf die Welt kommen zu lassen? Bis in die 1995er Jahre fiel ein Schwangerschaftsabbruch nach pränataler Diagnostik unter die sogenannte eugenische bzw. embryopathische Indikation. Diese Indikation suggerierte, es könnte medizinische Gründe dafür geben, die Geburt von außergewöhnlichen Menschen zu verhindern. Tatsächlich war es bis in die 1980er Jahre üblich, dass Mediziner und Genetiker darüber urteilten, ob ein Kind angesichts seiner prognostizierten Entwicklungschancen geboren werden sollte oder nicht. Mit der Neufassung des §218 von 1995 ist die eugenische Indikation jedoch in der medizinischen Indikation aufgegangen, die einen Schwangerschaftsabbruch ohne zeitliche Befristung für straffrei erklärt, wenn damit „eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“ abgewendet werden soll. Damit begründet das Recht die Legitimität des Abbruches nicht mehr mit der gesundheitlichen Normabweichung des kommenden Kindes, sondern mit der erwarteten Belastung für die Mutter. Auch wenn die Indikation von einem Arzt ausgestellt werden muss, hat der Gesetzgeber die Entscheidung damit auf die Schwangere abgewälzt. Sie muss nun unterschreiben, dass das Leben mit einem kranken oder behinderten Kind für sie, unter Berücksichtigung ihrer Lebensumstände, unzumutbar wäre. Sie soll sich also anhand der Laborbefunde das Leben mit dem kommenden Kind vorstellen und dann entscheiden, ob sie es überhaupt auf die Welt bringen möchte. Bei diesen Überlegungen muss sie sich von einem Mediziner
2.3.3 Ein neues Ziel: die informierte Entscheidung
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anleiten lassen. Frauen sollen zwar selbst entscheiden, jedoch nur nach professioneller Beratung. Während Frauen, die kein Kind wollen, zur Schwangerschaftskonfliktberatung bei entsprechenden Beratungsstellen gezwungen sind, verpflichtet die Neufassung des Schwangerschaftskonfliktgesetzes, das 2010 in Kraft getreten ist, Frauen vor einem selektiven Abbruch zur Beratung durch einen Arzt. Damit soll sichergestellt werden, dass sie nicht einfach handeln, sondern eine „adäquate“ und „ausgewogene“ Entscheidung treffen (Bundesärztekammer und Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. 2009). Zudem müssen die Frauen eine dreitägige Bedenkzeit zwischen Beratung und Eingriff einhalten.51 Nicht nur vor einem Schwangerschaftsabbruch, sondern auch in Sachen Pränataldiagnostik hat der Gesetzgeber eine Beratungspflicht eingeführt. Seit Februar 2010 macht es das Gendiagnostikgesetz zur Pflicht, vor jeder pränatalen oder prädiktiven genetischen Untersuchung beim Humangenetiker vorstellig zu werden und einen entsprechenden Entscheidungsunterricht zu absolvieren. Auch hier möchte der Gesetzgeber sicherstellen, dass Schwangere informierte Entscheidungen treffen. De facto besteht diese Beratungspflicht schon seit den 1980er Jahren. Die deutsche Rechtsprechung hat nach und nach eine ärztliche Aufklärungspflicht in Sachen Pränataldiagnostik installiert – und zwar nicht nur für die Frauen, die sich testen lassen wollen, sondern potenziell für alle Schwangeren: Weist ein Frauenarzt seine schwangere Patientin nicht ausdrücklich genug auf die Wahrscheinlichkeit einer chromosomalen Normabweichung und entsprechende pränatale Testangebote hin, so läuft er Gefahr, im Falle eines behinderten oder kranken Kindes die Verantwortung übernehmen zu müssen – und zwar für dessen Existenz. Mehrfach wurden Frauenärzte und Genetiker bereits zu lebenslangem Unterhalt verurteilt, weil Frauen glaubhaft machen konnten, dass deren mangelhafte Aufklärung die Geburt ihres Kindes verschuldet hätte.52 Das Kind sei nur deshalb auf die Welt gekommen, so die Argumentation, weil sie nicht eindringlich genug auf Schwangerschaftsrisiken und pränatale Tests aufmerksam gemacht worden wären. Seither müssen Ärzte ihre Patientinnen über mögliche Fehlbildungen, Risiken und pränatale Check-ups aufklären, bevor sie überhaupt richtig schwanger sind. Ehe der Bauch richtig gewachsen oder die erste Kindsregung zu spüren ist, lernen Schwangere bereits, was alles schiefgehen könnte, welche Risiken sie eingehen müssen und welche Entscheidungen sie treffen sollen.53 Mediziner sind rechtlich auf der sicheren Seite, wenn sie ihren Patien-
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2 Genetische Aufklärung
tinnen die pränatalen Tests einfach empfehlen. Das mag ein Grund sein, weshalb viele Frauenärzte ihre eigenen professionellen Richtlinien, nach denen die Frauen selbst entscheiden sollen, ignorieren. Sie drängen ihre Patientinnen zur Fruchtwasseruntersuchung und schließlich auch zum Schwangerschaftsabbruch (Braun 2006). Anders jedoch die humangenetische Zunft: Genetiker sind sehr darauf bedacht, alle anstehenden Entscheidungen an ihre Klientinnen weiterzureichen. Ausdrücklich vertreten sie den Beratungsgrundsatz, keine Empfehlungen auszusprechen. Ihre Aufgabe sehen sie darin, den Klientinnen zu einer Entscheidung zu verhelfen. Über diese Grundregel, im Fachjargon „Non-Direktivität*“ genannt, sind sich genetische Berater fast weltweit einig. Sie wird als emanzipatorische Errungenschaft gefeiert, als Abkehr von eugenischen Zielsetzungen und als Bollwerk gegen staatliche Bevölkerungspolitik. Markstein für diesen Übergang vom Paradigma der Prävention zum Paradigma der Entscheidung ist in Deutschland das Buch „Genetische Beratung: Hilfestellung für eine selbstverantwortliche Entscheidung?“, das der Humangenetiker Helmut Baitsch und die Psychologin Maria Reif gemeinsam verfasst haben (Reif und Baitsch 1986). Die Autoren verabschieden alle eugenischen und präventiven Bestrebungen und verkünden ein neues Ziel der genetischen Beratung: die selbstverantwortliche Entscheidung. Durch eine Mischung aus wissenschaftlicher Belehrung und psychosozialer Betreuung sollen Genetiker ihre Klienten dazu befähigen, eine „selbstverantwortliche Entscheidung, die sie verstehen und zu der sie auch längerfristig stehen können, zu ermöglichen“ (Reif und Baitsch 1986, 13). Sie sollen ihnen beibringen, auf der Grundlage von Genen, Chromosomen und Risiken eine Entscheidung zu fällen, die sie als die ihrige betrachten und für die sie sich selbst verantwortlich fühlen.54 Bis heute sind Schwangere, die zur Entscheidung über pränatale Testangebote befähigt werden sollen, die wichtigste Klientel der genetischen Beratung.55 Mit der Anzahl prädiktiver Gentests* wächst aber auch die Zahl derjenigen, die über einen genetischen Check-up entscheiden sollen, der ihnen ihre eigene Zukunft voraussagt. Die meisten solcher „voraussagenden“ Tests prophezeien kerngesunden Menschen eine beängstigende Erkrankung – und zwar in Form eines genetischen Risikos. Von seltenen Ausnahmen wie Chorea Huntington abgesehen, lassen sich von genetischen Befunden nur Wahrscheinlichkeiten ableiten, also statistische Häufigkeiten, die den Beratenen als Erkrankungsrisiken zugeschrieben werden. Der Test attestiert ihnen ein erhöhtes Risiko für Krebs, Häma-
2.3.3 Ein neues Ziel: die informierte Entscheidung
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chromatose, Alzheimer oder Schlaganfall. Da sich die genetische Forschung der Suche nach Risiko-Genen bzw. Suszeptibilitäts-Genen verschrieben hat, kommen vermehrt Gentests auf den Markt, die gesunden Menschen ein genetisches Risiko anhängen. Bereits vor Jahren haben Humangenetiker beschlossen, nur diejenigen genetisch zu testen, die sie vorher auch beraten haben (Berufsverband Medizinische Genetik e. V. 1996, Berufsverband Medizinische Genetik e. V. 1997). Das neue Gendiagnostikgesetz macht die genetische Beratung vor einem prädiktiven Test nun auch gesetzlich zur Pflicht. Allerdings drängen zunehmend private Unternehmen wie „DeCodegenetics“ oder das von Google gesponserte „23andMe“ auf den Markt, die Gentests an nationalen Gesetzen vorbei über das Internet anbieten. Doch auch hier sollen Beratung und Aufklärung Abhilfe schaffen. Um Bürger vor faulem Genzauber zu schützen, so die Forderung aus Wissenschaft und Politik, sollen sie zu aufgeklärten Konsumenten erzogen werden. Auch Otto Normalverbraucher, so die Hoffnung, könnte dazu befähigt werden, sich im Dschungel genetischer Verheißungen, genetischer Testangebote und genetischer Risiken zurechtzufinden. Damit er von Google nicht an der Nase herumgeführt wird, soll ihm beigebracht werden, informierte Entscheidungen zu treffen. Ein dreiviertel Jahrhundert nachdem der Philanthrop Osborne von einer Gesellschaft träumte, deren Mitglieder eugenisch denken und handeln gelernt haben, ist genetische Aufklärung alltäglich. Zahlreiche Informations- und Beratungsveranstaltungen versuchen heute, Menschen zu genetisch informierten Entscheidungen anzuhalten. Im folgenden Kapitel nehme ich einen solchen Entscheidungsunterricht genauer unter die Lupe. Am Beispiel der genetischen Beratung untersuche ich, was Genetiker Bürgern beibringen, wenn sie diese über genetische Fehler, bedrohliche Risiken und genetische Testoptionen informieren. Der versteckte Lehrplan genetischer Aufklärung wird hier deutlich sichtbar: Genetiker und Laie sitzen sich direkt gegenüber und sprechen sich persönlich an. Ein genetischer Berater adressiert seine Aufklärung nicht an ein anonymes Publikum, sondern an ein konkretes Visavis. Beratungsklienten erwarten daher, dass der Experte Aussagen macht, die für sie verständlich und bedeutsam sind. Der Genetiker wiederum ist bemüht, seine Expertise so zu vermitteln, dass sie seinen Klienten relevant erscheint. Er verleiht seinem Fachwissen nicht nur lebensweltliche Bedeutung, sondern bezieht es auch persönlich auf seine Klienten. Am Beispiel der genetischen Beratung zeigt sich daher besonders deutlich, welche
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2 Genetische Aufklärung
Form des Denkens und Handelns die genetisch informierte Entscheidung Bürgern abverlangt. Zunächst werde ich aus Beratungssitzungen berichten, in denen Frauen für eine informierte Entscheidung über einen Darmkrebs- bzw. Brustkrebs-Gentest präpariert werden. Der genetische Entscheidungsunterricht spitzt sich zu, wenn das attestierte Risiko und der angebotene Test nicht die zukünftige Gesundheit der Klientin infrage stellen, sondern das Kommen ihres Kindes. Daher wende ich mich gegen Ende des dritten Kapitels vor allem genetischen Beratungsgesprächen zu, in denen eine Schwangere zur informierten Entscheidungsträgerin über ihr kommendes Kind gemacht wird. Alle genetischen Beratungssitzungen, von denen ich berichte und aus denen ich zitiere, habe ich teilnehmend beobachtet und auf Tonband mitgeschnitten. Non-verbale Mitteilungen und Ereignisse habe ich in Protokollen festgehalten. Alle Zitate sind wörtlich meinen Beratungstranskripten entnommen (Transkriptkonventionen siehe S. 143). Die vier Gespräche über Brust- und Darmkrebs-Gentests fanden an einem Zentrum für tumorgenetische Beratung eines großen Universitätsklinikums statt. Die genetischen Beratungen mit Schwangeren konnte ich an der genetischen Beratungsstelle einer Universitäts-Frauenklinik sowie an einem universitären Humangenetischen Institut beobachten.56 Vereinzelt greife ich auch auf Ausschnitte und Formulierungen aus einem anderen Korpus an Beratungsgesprächen zurück, sofern mir diese besonders vielsagend oder illustrativ erscheinen. Auch diese habe ich an universitären genetischen Beratungsstellen beobachtet, mitgeschnitten und anschließend transkribiert.
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Die informierte Entscheidung. Wie genetische Berater ihre Klienten zur Selbstbestimmung befähigen 3 3Die Die „informierte informierteEntscheidung“ Entscheidung
Frau M. sitzt im Beratungszimmer eines großen Universitätsklinikums einer Genetikerin gegenüber. Sie befinden sich mitten in einem Beratungsgespräch. Bis eben hat die Genetikerin Frau M. einer ausführlichen Befragung unterzogen: Einen ganzen Katalog an Fragen zu ihrer Gesundheit und zur Gesundheit ihrer Verwandtschaft hat sie ihr gestellt und sich dabei allerhand Notizen gemacht. Die Fragerunde ist jetzt abgeschlossen und die Genetikerin wechselt den Gesprächsmodus: Sie geht von der Befragung zur Belehrung über. Nun will sie ihre Klientin über Gene, Mutationen, Krankheitsrisiken und Testverfahren unterrichten: „Dann würde ich jetzt gerne mit Ihnen so’n bisschen die Diagnostik, überhaupt, was sind Gene, wie sieht so ’ne Vererbung aus, was bedeutet das und so weiter, durchgehen, ja?“ Frau M. ist Mitte vierzig und wurde von ihrem Hausarzt zur genetischen Beratungsstelle geschickt. Er empfahl ihr den Besuch in der Humangenetik, nachdem sie einen Polypen im Darm entfernen lassen musste und ihm von Darmkrebserkrankungen in ihrer Verwandtschaft berichtet hatte. Nun hofft sie, von der Genetikerin mehr über diese Krankheit, ihre eigene Anfälligkeit und über Vorsorgemaßnahmen zu erfahren. Mehrfach betont sie, dass sie gerne aktiv werden möchte, um der möglichen Erkrankung gezielt vorzubeugen. Schon ihre Mutter, so berichtet sie, hätte sie immer vor dem Darmkrebs in der Familie gewarnt: „Weil ich eben von meiner Mutter weiß, alle sind an Darmkrebs gestorben so um sie herum“, sagt sie und fügt hinzu: „Und das möchte ich nicht.“ Die Genetikerin führt regelmäßig genetische Beratungen durch. Sie ist eine junge Medizinerin in der Ausbildung zur Fachärztin für Humangenetik. Sie macht es zu ihrem Beruf, andere Menschen über Gene, genetische Risiken und genetische Testmöglichkeiten aufzuklären, um sie zu einer informierten Entscheidung zu befähigen. Fachlich hat sie sich nach ihrem Studium auf Chromosomen, DNA und Biostatistik spezialisiert, und aus dieser Perspektive schaut sie auf ihre Klientin. Dass sie diese nur informiert, ihr aber keinen Ratschlag gibt, diesen Beratungsgrundsatz hat
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3 Die informierte Entscheidung
sie bereits verinnerlicht. Während ihrer Belehrung gewährt sie Frau M. Einblick in die Welt ihres Fachwissens: Sie spricht über DNA, Basenpaare, triggernde Gene, Mutationen, mismatch-repairs und Krebshäufigkeiten. Anschließend klärt sie ihre Klientin darüber auf, dass sie die internationalen Kriterien für eine Hochrisikoperson erfüllt. Es bestünde also eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, folgert die Genetikerin, dass Frau M. eine Genveränderung haben könnte – wobei sie das „könnte“ besonders betont. Deshalb käme sie für einen genetischen Test infrage und müsse sich dringend den regelmäßigen Früherkennungsmaßnahmen unterwerfen. „Sicherheitshalber“, wie sie sagt. Der Test allerdings sei nur ein Angebot: Es läge ganz bei Frau M. sich zu überlegen, ob sie ihn machen lassen wolle oder nicht. Frau M. solle selbst entscheiden, wie sie mehrfach wiederholt, was für sie der „richtige Weg“ ist. Die genetische Beratung hat das Ziel, die Selbstbestimmung von Frau M. zu fördern. Sie soll lernen, eine „autonome, selbstverantwortliche Entscheidung für oder gegen eine Untersuchung zu treffen“, wie es genetische Berater formulieren (Zoll 2009, 87).57 Zu diesem Zweck wird sie anderthalb Stunden über DNA, Krebsrisiken, genetische Analyseverfahren, onkologische Früherkennung und Entscheidungsoptionen informiert. Was Frau M. schließlich mit diesen Ausführungen anfängt, bleibt ihre Sache. Zumindest was den angebotenen Gentest angeht, möchte die Genetikerin keine Schlüsse aus ihrer Aufklärung ziehen. Das sei Aufgabe von Frau M., wie sie betont. „Informationen kann ich Ihnen vermitteln“, fasst ein Kollege einer anderen Beratungsstelle das Prinzip des genetischen Entscheidungsunterrichtes zusammen, „und wie Sie mit umgehen, entscheiden letztendlich Sie selbst.“
3.1
Erste Verwandlung der Person: Klienten als Genträger 3.1 Erste Verwandlung der Person: Klienten als Genträger
Der wichtigste Input, den genetisch Beratene für ihre Selbstbestimmung erhalten, sind Lektionen über Gene und Risiken. Sie hören etwas über die Doppelhelix, über Mutationsmöglichkeiten, über Mendelsche Vererbung und über genetische Erkrankungswahrscheinlichkeiten. Ziel dieser Lektionen ist es, Klienten über sich selbst aufzuklären. Sie werden ja nicht auf eine Prüfung vorbereitet, sondern auf eine Entscheidung, die im Zeichen ihrer Gesundheit und ihrer Zukunft steht. Das, was sie hören, beansprucht also unmittelbar Bedeutung für ihr Leben. Die Gen-Lektionen deuten die
3.1.1 Der genetische Mensch
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Klienten also unvermeidlich um. Ist von Genen die Rede, so steht unweigerlich zur Debatte, wer und was der Mensch ist.58
3.1.1
Der genetische Mensch 3.1.1 Der genetische Mensch
Auf welche Weise Genetiker ihre Zuhörer und Gesprächspartner umdeuten, wenn sie diese über Gene belehren, zeigt das Beispiel einer öffentlichen Diskussionsveranstaltung in Hannover. Der Leiter des hannoverschen Institutes für Humangenetik, Jörg Schmidtke, hat es sich zur Aufgabe gemacht, verzerrte Gen-Vorstellungen in der Öffentlichkeit geradezurücken59. Er ist enttäuscht darüber, dass es bisher nicht gelungen sei, „die Rolle der Gene im menschlichen Leben“ angemessen zu vermitteln. Nun will er seine Mitbürger genetisch aufklären.60 Gleich zu Beginn seiner Rede weist Schmidtke seine Zuhörer darauf hin, dass sie Gegenstand seiner Expertise sind: Er spreche von der „Spezies Mensch, der wir alle angehören“, stellt er klar. Innerhalb dieser Art gebe es nur geringfügige genetische Unterschiede, führt er weiterhin aus. Mit diesen Sätzen steckt er den Rahmen des Zusammentreffens ab. Zunächst einmal vereinnahmt er alle Anwesenden, ob sie wollen oder nicht, zu einem umfassenden, globalen und unentrinnbaren „Wir alle“ als „Spezies Mensch“. Dann schwingt er sich zum Experten über dieses biologische „Wir“ auf, indem er den Menschen zum Genträger erklärt. Seine Zuhörer spricht er nicht als ebenbürtige Gesprächspartner an, sondern als Mitglieder einer biologischen Art, über die er wissenschaftlich autorisierte Erkenntnisse vorzuweisen hat. Die Menschen im Publikum sind zwar Adressaten seiner Ausführungen, aber gleichzeitig auch Objekte seines Fachwissens. Einspruch oder Widerrede des Common Sense haben keinen Platz. Als Genetiker weiß nur er über Genträger Bescheid: also auch über diejenigen, die als Publikum vor ihm sitzen. Eine gemeinsame Gesprächsebene kann es daher nicht geben. Als Psychogenetiker ist Schmidtke auf der Suche nach „verhaltenssteuernden Genen“. Zu diesem Zweck erforscht er das Paarungsverhalten von Rhesusaffenweibchen. Daher fühlt er sich ermächtigt, seiner Zuhörerschaft – die meisten sind Frauen – die Ursachen für eheliche Untreue zu erläutern. Da er Menschsein bereits als Mitgliedschaft bei der biologischen Spezies Homo sapiens umgedeutet hat, kann er nun in einem Atemzug vom limbischen System, kopulierenden Affenweibchen und ehelicher
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3 Die informierte Entscheidung
Treue sprechen. Er weiß zu berichten – schließlich trennen Affenweibchen und Frauen lediglich ein paar Gene –, dass außereheliche Eskapaden des weiblichen Geschlechts vom Serotoninspiegel mitverursacht werden. Als Verfechter von Genen, die nicht determinieren, sondern nur disponieren, will er die Untreuen jedoch nicht einfach entschuldigen. „Gene“, so erläutert er, seien „miteinander vernetzte Informationsträger“, die „manchmal abstürzen“ und „Befehle“ von außen empfangen. Der Mensch sei also nicht das Opfer seiner Gene. Er könne lernen, mit seinen Genen zu leben. Voraussetzung dafür ist jedoch, das ist die Botschaft seines Vortrages, dass sich der Mensch von Genetikern aufklären lässt. Wer sich nicht von seinen Genen an der Nase herumführen lassen will, muss sich seines genetischen Erbes bewusst werden und informiert und aktiv damit umgehen. Statt dem Untreue-Gen nachzugeben, so schlägt Schmidtke salopp vor, könne man Schokolade essen. Sie enthält eine Vorstufe des Serotonins. Schmidtke ist keine Ausnahme: Humangenetiker sehen sich berufen, ihre Mitbürger über sich selbst zu belehren. Sie deuten Menschen in zweibeinige Genträger um und machen ihnen deutlich, dass sie genetische Aufklärung brauchen. Als Bündel aus DNA, Mutationen, versteckten Informationseinheiten und probabilistischen Genwirkungen können sie über sich selbst nichts mehr wissen. Wer dennoch selbstbestimmt sein will, muss erst vom Genetiker lernen, was dieses „Selbst“ überhaupt ist. „Selbstbestimmung“ kann im Zeitalter der Genetik nicht mehr bedeuten, ohne Bevormundung aus sich selbst heraus zu handeln, sondern setzt voraus, sich von Gen-Experten über sich selbst aufklären zu lassen.
3.1.2
Das unbegreifliche Selbst 3.1.2 Das unbegreifliche Selbst
Auch in der genetischen Beratung werden Menschen in zweibeinige Genträger umgedeutet. Frau M. erhält mit der Lektion über Biochemie und Moleküle zugleich eine Belehrung über sich selbst. Diese Belehrung ist noch viel wirkmächtiger als der Bekehrungsversuch von Jörg Schmidtke. Schmidtke hielt seinen Vortrag vor einem anonymen Publikum. Die genetische Beraterin spricht ihre Klientin dagegen persönlich an. Das, was sie erklärt, adressiert sie direkt an Frau M. mit dem Ziel, diese zu einer Entscheidung zu befähigen. Dabei fordert sie ihre Klientin auf, sich ganz konkret ihr eigenes Inneres als Sitz von Genveränderungen, Mutationen und Krankheitswahrscheinlichkeiten vorzustellen – und darauf ihre Entschei-
3.1.2 Das unbegreifliche Selbst
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dungen zu gründen. Die Genetikerin verwandelt also nicht nur alle Menschen im Allgemeinen, sondern auch Frau M. im Besonderen in einen genetischen Fall. Was das für ein neues „Selbst“ ist, das die Genetikerin ihrer Klientin damit zuweist, und welche Ängste, Bedürfnisse und Illusionen sie weckt, das werde ich nun Schritt für Schritt anhand der Beratungssitzung untersuchen. Zunächst beginnt die Genetikerin mit einer allgemeinen Lektion über das Innere des Zellkerns. Etwa 20 Minuten belehrt sie ihre Klientin über den Aufbau der DNA, über Gene, Chromosomen, mögliche Genmutationen und Mendelsche Vererbung. Die meiste Zeit doziert sie dabei über abstrakte Zusammenhänge, die sie hier und da durch Bilder und Analogien veranschaulicht. Sie schlägt einen dicken Ordner auf, in dem Schautafeln abgeheftet sind: schematische Schwarz-Weiß-Darstellungen von Chromosomen, der Doppelhelix und dem genetischen Code. Dann beginnt eine Standardlektion: B: Das ist jetzt hier einfach mal schematisch dargestellt, so sieht das Chromosom aus. Das sind verschiedene Bänder und da sind so perlschnurartig die Gene aufgereiht, unterbrochen von Sequenzen, die nicht selber zu Genen und damit auch zu Proteinen, also EiweißMolekülen führen, sondern einfach dazwischengeschaltet sind.
Nach eigenen Angaben ist Frau M. recht unbeleckt, was Genetik angeht. Die Ausführungen der Genetikerin frischen also nicht bestehendes Wissen auf, sondern sollen ihr etwas Neues beibringen. Wirklich verstehen kann Frau M. jedoch nichts. Sie wird hier in erster Linie mit unverständlichem Fachjargon konfrontiert. Die Genetikerin spricht von „Bändern“ und „Sequenzen“, ohne zu erklären, was sich ihre Klientin darunter vorstellen soll. Frau M. kann nicht wissen, dass es sich bei den „Bändern“ um das Ergebnis einer bestimmten Färbetechnik handelt, und dass mit „Sequenzen“ Abfolgen von Basen, also DNA-Abschnitte gemeint sind. Außerhalb ihres Ursprungskontextes lassen sich solche Fachbegriffe nicht erschließen. Nachdem die Beraterin erklärt hat, dass auf den Chromosomen Gene „liegen“, geht sie ausführlich auf den genetischen Code und mögliche Mutationen ein. Wieder legt sie Frau M. eine Abbildung vor; diesmal ist dort ein Band aus den Buchstaben ATCG zu sehen. Die Genetikerin erklärt: B: Also z. B. wenn dieses Thymin, was jetzt hier exemplarisch dargestellt ist, nicht da ein Thymin ist, sondern auch ein Cytosin oder so, oder wenn die Base einfach fehlt oder zusätzlich, was eingeschlossen ist,
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3 Die informierte Entscheidung
dann kommt es eben zu Fehlern in der Abfolge ähm, die ein verändertes Eiweißmolekül ähm, hervorrufen kann. Und das ist jetzt wieder hier dargestellt ((blättert)), dass man … (–) aus dem wird das dann abgelesen und in Proteine oder Eiweißmoleküle umgeschrieben. F: Hm=hm. B: Das ist das, was letztlich auf einem Gen, also auf so einem Punkt sozusagen resultiert. Und ähm, es kann aber auch durch diese Veränderungen, durch also Basenaustausche oder Einschlüsse oder Verluste dazu kommen, dass es zu ’nem Abbruch kommt und dass dieses Eiweißmolekül überhaupt nicht gebildet wird. Sodass dann auch die zugehörige Funktion im Körper versch… ähm verloren geht. F: Hm=hm.
Frau M. blickt die Beraterin ratlos an. „Thymin“, „Base“, „Abfolge“, „Basenaustausche“, „abgelesen“, „umgeschrieben“ – an ihrem Gesichtsausdruck lässt sich ablesen, dass sie nicht viel damit anfangen kann. Selbst, wenn sie das ein oder andere Wort schon mal gehört haben sollte, wirklich sagen kann es ihr nichts. Die Fachbegriffe beziehen sich auf Zusammenhänge, die ihr fremd sind. Das wissenschaftliche Denkgebäude, das diesen Begriffen ihre Bedeutung gibt, ist ihr unbekannt. Die Genetikerin hingegen ist Mitglied der genetischen Denkgemeinschaft. Wörter wie „Base“ und „Thymin“ sind Fachausdrücke, deren Bedeutungen von Lehrsätzen, Forschungsmethoden sowie konzeptionellen und theoretischen Grundannahmen dieser Denkgemeinschaft bestimmt werden. Außerhalb dieses Zusammenhanges sind diese Begriffe jedoch bedeutungslos; Laien wie Frau M. kann nicht klar werden, was eine „Base“ oder ein „Basenaustausch“ sein soll. Darüber hinaus hört Frau M. auch ganz anders zu. Sie ist nicht aus wissenschaftlichem Interesse zur Beratung gekommen, sondern hat Sorge, dass sie an Krebs erkranken könnte. Sie möchte nichts über biochemische und molekulargenetische Modelle wissen, sondern erfahren, wie es um sie steht und was sie vorbeugend tun kann. Offenbar ist der Beraterin diese Diskrepanz zwischen ihrem fachwissenschaftlichen Crash-Kurs und dem alltagsorientierten Verständnis ihrer Zuhörerin bewusst. Später entschuldigt sie sich dafür, dass sie ihre Klientin so „mit Informationen zugeballert“ hat, wie sie sagt. Kein einziges Mal hakt sie nach, ob Frau M. ihr folgen kann und etwas verstanden hat. Ganz so, als könne sie sowieso kein Verständnis erwarten, spult sie ihre Erklärungen herunter. Ihre Sätze sind dabei auffallend fragmentarisch und verkürzt. Einige Andeutungen erschließen sich nicht einmal Sachkundigen:
3.1.2 Das unbegreifliche Selbst
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Dass sie beispielsweise mit „Abbruch“ nicht einen Abbruch des DNAStrangs oder des Eiweiß-Moleküls meint, sondern einen Abbruch der Transkription, kann ein Zuhörer mit genetischem Grundwissen noch erraten. Was sie jedoch damit meint, wenn sie sagt: „das ist das, was letztlich auf einem Gen, also auf so einem Punkt sozusagen resultiert“, bleibt auch genetisch eingeweihten Zuhörern verschlossen. Die Genetikerin von Frau M. ist keinesfalls besonders unkonzentriert oder ungeschickt.61 Es kommt häufig vor, dass genetische Berater Fachwissen herunterleiern und in unverständliche, ja verwirrende Sätze packen. Im folgenden Ausschnitt klärt eine andere Genetikerin eine Schwangere darüber auf, welches Risiko ihr Kind in Bezug auf eine erbliche Erkrankung hat und welcher Gentest möglich wäre. B: Da gibt’s Untersuchungsmöglichkeiten auf dieser Ebene der Erbträgersubstanz, der DNS nennen wir die, Desoxyribonukleinsäure, um Veränderungen in den Genen feststellen zu können heutzutage. Und die nennen wir molekulargenetische Untersuchungen, auf dieser Ebene der Erbträgersubstanz, sie wird aus dem Blut gewonnen und dann ähm wird ihr Aufbau untersucht. Das sind furchtbar komplizierte Verfahren und den Aufbau dieser Erbträgersubstanz, den kennt man in dem Sinne, dass ähm man weiß, dass sie nur aus vier Bausteinen vier Basen, sagen wir, aufgebaut ist, Adenin, Guanin, Cytosin und Thymidin, müssen Sie sich nicht merken, ((schreibt auf)) ich schreib dann abgekürzt, diese vier Bausteine auf, und die durch Wasserstoffbrücken immer AT, A mit T, G mit C verbunden sind und das sind 3 Milliarden solcher Basenpaare so ’ne Lei… wie ’ne Leiter so ’ne Doppelhelix sieht man auch oft abgebildet. Äh die, deren Reihenfolge die genetische Information praktisch verschlüsselt und alles, was in einem ist, wie das funktioniert.
Für eine uneingeweihte Zuhörerin ist es nicht möglich, irgendetwas nachzuvollziehen oder zu verstehen. Die Ausführungen sind gespickt mit Fachvokabular und verkappten Andeutungen. Mit der Bemerkung „müssen Sie sich nicht merken“ gibt die Genetikerin zu verstehen, dass sie von ihrer Klientin gar kein Verständnis erwartet. Im letzten Satz betont sie jedoch die Bedeutung jenes Wissens, das sie ihrer Klientin nur andeuten, aber nicht verständlich machen kann. All das, was sie aufgeführt hat, so behauptet sie, verschlüssele nichts weniger als „die genetische Information und alles, was in einem ist, wie das funktioniert“. Wenn Klienten bei solchen Ausführungen auch nicht wirklich etwas
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3 Die informierte Entscheidung
verstehen können – die Gen-Lektion sagen ihnen dennoch etwas. Ihnen wird vorgeführt, dass Experten im Besitze bedeutsamen Wissens sind, das ihnen selbst unzugänglich bleiben wird.62 Die Genetiker breiten Fachwissen aus, das ihre Klienten zwar nicht begreifen können, aber für bedeutsames Wissen über sich selbst halten sollen. Krebs-Besorgte oder Schwangere sollen sich vorstellen, dass in ihnen so unbegreifliche Dinge wie „Basen“, „Abbrüche“, „Sequenzen“ und verloren gegangene Funktionen stecken. Von diesen Dingen, von denen nur ein Experte Kenntnis haben kann, soll ihr Schicksal abhängen. Will Frau M. etwas über sich selbst wissen, ist sie auf Informationen aus zweiter Hand angewiesen – auf Informationen, die sie nicht überprüfen und beurteilen kann, sondern als autoritatives Wissen annehmen muss.63 Frau M. hat ein unfassbares Innenleben, ist also für sich selbst unverständlich. Sie hat gelernt, dass das, was sie persönlich ausmacht, jenseits ihres eigenen Horizontes liegt. Die Genetikerin führt Frau M. also vor allem vor Augen, wie unwissend und ohnmächtig sie ist – in Bezug auf sich selbst.
3.1.3
Dinge im Leib 3.1.3 Dinge im Leib
Verwirrende und unverständliche Monologe, die Laien in erster Linie auf ihre Unwissenheit aufmerksam machen, sind in der genetischen Beratung alltäglich; es wäre zu einfach, sie auf eine didaktische oder rhetorische Unfähigkeit der zitierten Genetiker zurückzuführen. Nicht die genetische Beraterin ist unmöglich, sondern ihre Aufgabe: Sie soll wissenschaftliche Abstrakta aus ihrem Zusammenhang reißen und zum Gegenstand einer allgemein verständlichen Aufklärung machen – und zwar so, dass sie ihre Klientin damit zu einer selbstbestimmten Entscheidung befähigt. Zwei Möglichkeiten hat sie, um mit der Kluft zwischen ihrer genetischen Expertise und dem alltagsbezogenen Verständnis ihrer Klientin umzugehen: Entweder, sie bemüht sich um Wissenschaftlichkeit und „ballert“ ihre Klientin mit Fachtermini und fragmentarischem Lehrbuchwissen „zu“, oder sie trivialisiert ihr Fachwissen und überträgt es in eingängige Bilder und Analogien. Bisher hat die Genetikerin Frau M. weitgehend „zugeballert“. Doch sehr oft sind Genetiker bemüht, wissenschaftliches Dozieren zu vermeiden und möglichst allgemein verständlich zu bleiben. Komplizierte Details und Zusammenhänge, die nur mit Fachbegriffen erklärt werden können, lassen sie weg. Mit Vergleichen, Bildern und umgangssprach-
3.1.3 Dinge im Leib
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lichen Umschreibungen versuchen sie, wissenschaftliche Konstrukte wie Gen, Mutation und Risiko anschaulich zu machen. Das, was in der Wissenschaft abstrakt, hypothetisch und nur bedingt gültig ist, gerinnt dabei zur felsenfesten Tatsache. Folgt man Ludwik Fleck, so ist das, was die Genetiker ihren Klienten auf diese Weise vermitteln, nicht mehr Wissenschaft, sondern Populärwissenschaft – eine eigenständige Form des Wissens: „Vereinfachte, anschauliche und apodiktische Wissenschaft – das sind die wichtigsten Merkmale exoterischen Wissens. Anstelle des spezifischen Denkzwanges der Beweise, der erst in mühsamer Arbeit herauszufinden ist, entsteht durch Vereinfachung und Wertung ein anschauliches Bild“ (Fleck 1980, 149, Herv. i. O.). „Gen“ und „Risiko“ sind zwei zentrale Begriffe, auf denen die genetische Aufklärung aufbaut. Es kommt jedoch sehr selten vor, dass Genetiker diese Begriffe tatsächlich erläutern. Ich habe an vier genetischen Beratungsstellen bei insgesamt sechs verschiedenen Genetikern drei Dutzend Beratungen beobachtet, und es war keine einzige darunter, in der ein Genetiker die spezifischen Denkvoraussetzungen sowie die Aussagekraft von statistischen Wahrscheinlichkeiten zum Thema gemacht hätte (siehe Kap. 3.2). Und auch das Gen, fast ein Jahrhundert lang der Grundbaustein der Genetik, wurde in den allermeisten Sitzungen nicht erklärt. An einer Beratungsstelle beschränkten sich die Genetiker darauf, Gene regelmäßig mit „Erbanlagen“ gleichzusetzen und nahmen an, alle weiteren Erklärungen hätten sich damit erübrigt. Die meisten anderen Genetiker verließen sich von vornherein auf das Vorwissen ihrer Klienten. Sie sprachen so selbstverständlich von „Genen“, als wäre völlig klar, was damit gemeint ist. Im Unterschied zu Jörg Schmidtke, der sich über die verzerrten Gen-Vorstellungen in der Öffentlichkeit beklagt, gehen seine Kollegen in der Beratung davon aus, dass sich „Gen“ heute von selbst versteht. Lediglich ein einziger Genetiker fiel aus der Reihe und bemühte sich, seinen Klientinnen eine Vorstellung von Genen zu vermitteln. Er erklärte ihnen, sie hätten eine Bibliothek aus Verwaltungsvorschriften im Zellkern. Im Regal stünde dort beispielsweise der „Band Ohr“ oder der „Band Nase“ (Samerski 2002, 156). Ein Großteil der genetischen Aufklärung baut also auf undefinierten und scheinbar allgemein verständlichen wissenschaftlichen Fachbegriffen auf. Ganz gleich, ob die Genetiker Vererbungsregeln, Fehlbildungsrisiken, Chromosomen, Mutationen, Krankheitswahrscheinlichkeiten oder Gentests erläutern: Mehr oder weniger explizit ist es immer wieder das Gen,
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3 Die informierte Entscheidung
das ihren Erläuterungen zugrunde liegt. Das Chromosom beschreiben sie beispielsweise als Träger der Gene, die Vererbung als Weitergabe von Genen und Krankheitswahrscheinlichkeiten als Folge von „Genfehlern“. Und obgleich – oder vielleicht sogar weil – sie „Gen“ nicht erklärt haben, nimmt es in ihren Ausführungen eine eigenartige Gestalt an: Es wird zu einem kleinen Ding, das allerhand beeindruckende Fähigkeiten hat. Die hypothetische Natur des Fachterminus „Gen“, seine spezifischen Denkvoraussetzungen und seine unklare Referenz – alles das geht im Beratungsgespräch verloren. Abbildungen und umgangssprachliche Formulierungen geben dem umstrittenen, ja antiquierten Laborkonstrukt den Anschein, als handele es sich dabei um eine felsenfeste Tatsache. Wie diese Verdinglichung des Gens in der genetischen Beratung vonstattengeht und was die Beratenen dabei lernen, das werde ich in den nächsten Abschnitten unter die Lupe nehmen.
Schaubilder als Abbildung von Wirklichkeit Schaubilder als Abbildung von Wirklichkeit
Wie alle genetischen Berater nimmt auch die Genetikerin von Frau M. Schaubilder zu Hilfe und lädt ihre Klientin ein, die „wissenschaftlichen Tatsachen“, die sie erklärt, anzuschauen. Das, was sich nicht in allgemein verständliche Worte fassen lässt, soll durch grafische Darstellungen ersichtlich werden. Frau M. soll quasi mit eigenen Augen sehen, was an sich gar nicht sichtbar ist: „So sieht das Chromosom aus“, kommentiert die Beraterin eine Grafik, und: „Da sind so perlschnurartig die Gene aufgereiht.“ Innerhalb der Wissenschaft haben grafische Darstellungen eine wichtige Funktion. Bei der „Entstehung und Entwicklung wissenschaftlicher Tatsachen“ (Fleck 1980) dienen sie als intellektuelle Krücken, als heuristische Hilfsmittel, die Hypothesen und Theorien einsichtig machen und illustrieren. Sie schlagen also einen neuen Gedanken vor, sagen: „So könnte man sich das vorstellen.“ Das Bild von den Genen, die wie Perlen auf einer Perlenkette auf dem Chromosom aufgereiht sind, geht beispielsweise auf die Arbeiten des Fruchtfliegen-Genetikers und Nobelpreisträgers Thomas Hunt Morgan zurück. In der Genetik seit Langem veraltet, bleibt es jedoch in populärwissenschaftlichen Darstellungen bis heute sehr verbreitet. Morgan legte seinen Experimenten mit der Fruchtfliege die Annahme zugrunde, dass Gene linear auf den Chromosomen aufgereiht seien, und hatte damit großen wissenschaftlichen Erfolg (Rheinberger und
Schaubilder als Abbildung von Wirklichkeit
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Müller-Wille 2009). Nach und nach verfestigte sich diese Hypothese von der perlschnurartigen Anordnung der Gene zur wissenschaftlichen Tatsache und schlug sich im Modell der beads on a string nieder. Eine solche Figur, die ein Konzept verständlich machen soll, objektiviert „im doppelten Sinn: Sie erhebt etwas Vorgestelltes zum anschaubaren Ding und erweckt gerade dadurch den Eindruck größerer ,Objektivität‘“ (Pörksen 1997, 137). Obwohl diesem Modell bereits in den 1940er Jahren erste Forschungsergebnisse widersprachen64, hielt die Perlenkette Einzug in Lehrbücher und verdichtete sich zum kanonischen Bild. Damit verändert sich auch die Funktion und Aussage des Bildes: Als etablierte wissenschaftliche Tatsache macht es keinen Vorschlag mehr, sondern konstatiert mit großer Sicherheit: „So stellt man sich das vor.“ Lehrbuchzeichnungen und kanonisierte Bilder dienen nicht mehr dazu, neue Denkwege zu eröffnen, sondern bestehende zu verfestigen und zu vermitteln. Sie dienen „der Überlieferung und Absicherung für eine Wissensgemeinschaft und der Integration in ein Lehrgebäude“ (Pörksen 1997, 133). In der genetischen Beratung jedoch, in der esoterisches Wissen in exoterisches übersetzt werden soll, haben Schaubilder nochmals einen anderen Zweck: Sie dienen weder als Denkvorschlag oder Interpretationshilfe noch als Mittel zur Einführung in ein Lehrgebäude. Frau M. wird nicht mit einer neuen wissenschaftlichen Idee bekannt gemacht oder in ein Fach eingeweiht, sondern soll das, was die Genetikerin ihr erzählt, für bedeutsames Wissen über sich selbst halten – für Wissen, auf dem sie eine folgenreiche persönliche Entscheidung gründen soll. Die Schaubilder geben hier also vor, Wirklichkeit darzustellen. Wissenschaftliche Konstrukte verwandeln sich dadurch in scheinkonkrete Gegenstände. Das Bild der Perlenkette oder der Doppelhelix, das die Genetikerin auf den Tisch legt, behauptet: „So ist das.“ So sieht es im Inneren der Zellen aus. Es bildet also ab. Und zwar nicht nur das, was in irgendwelchen Zellen steckt, sondern das Innenleben von Frau M. Sie ist ja nicht nur Adressatin der genetischen Aufklärung, sondern auch der vermeintliche Gegenstand. Die Abbildung sagt daher nicht nur: So ist das, sondern auch: „Siehe, das bist du. So sieht es in dir aus.“ Sie gibt also nicht nur vor, irgendeine Wirklichkeit abzubilden, sondern die persönliche, körperliche Wirklichkeit von Frau M.65 Kurz nach der Perlenkette kommt die Genetikerin auf ein weiteres Schaubild zu sprechen, das Bild der Doppelhelix. Sie weist Frau M. darauf hin, dass das die DNA sei, die Erbsubstanz. Weitere Erklärungen hält sie nicht für notwendig. „Das ist ein … vielleicht auch ein Bild, das Ihnen
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3 Die informierte Entscheidung
irgendwann im Leben schon mal begegnet ist, diese Doppelhelix-Struktur“, kommentiert sie, und Frau M. antwortet: „ja, ja, genau“. Die Genetikerin appelliert hier an das populärwissenschaftliche Vorverständnis ihrer Klientin. Sie baut die genetische Aufklärung auf alltagsbezogene Konnotationen auf. Die Doppelhelix ist ein wissenschaftliches Modell, das als symbolträchtiges Bild in den Alltag ausgewandert ist. In allen möglichen Farben und Formen ziert sie Buchdeckel, Titelseiten, Firmenlogos und Werbeplakate.66 Einen wissenschaftlichen Erklärungswert hat sie hier nicht mehr; ihr wissenschaftlicher Gehalt ist völlig hinter ihrer sozialen Bedeutung zurückgetreten. Mit zahlreichen Konnotationen aufgeladen ist sie zu einem kulturellen Emblem geworden, zum Symbol für das Geheimnis des Lebens und seine wissenschaftliche Erschließung: eine „Himmelsleiter des Fortschritts“ (Pörksen 1997, 126).67 Die Genetikerin stützt sich auf diese symbolische Bedeutung der Doppelhelix, wenn sie bei Frau M. an etwas Bekanntes appelliert. Sie baut ihre genetische Aufklärung auf den gängigen Assoziationen wie Grundbaustein des Lebens, faszinierendes Wissen und technische Manipulierbarkeit auf.
Verdinglichung durch Sprache Verdinglichung durch Sprache
Nicht alle Bilder, mit denen Genetiker ihren Klienten genetisches Wissen nahe bringen wollen, sind visualisiert. Oftmals verbleiben sie auf sprachlicher Ebene.68 Sie haben jedoch einen ähnlichen Effekt wie die Schaubilder, die vor den Beratenen auf dem Tisch liegen: Sie verwandeln wissenschaftliche Abstrakta in scheinkonkrete Wirklichkeiten. Während die Genetikerin von Frau M. das Bild der Perlenkette heranzieht, um Gene und Chromosomen anschaulich zu machen, verwendet einer ihrer Fachkollegen eine ganz andere Analogie: Er spricht von den Chromosomen als „Verpackung“ der Gene. Als er seiner Klientin eine schematische Abbildung eines Chromosoms vorlegt, fordert er sie dazu auf, sich dieses Chromosom als äußere Hülle versteckter Gene vorzustellen: B: Die Chromosomen, das sind die Träger, die Verpackung der Gene, wir haben siebzigtausend vielleicht, und die sind so viel kleiner die Erbanlagen, dass wir sie mit dem Mikroskop (–) nicht erkennen können.
Wie bereits der Vergleich mit der Perlenkette vermittelt auch diese Aussage den Eindruck, Gene wären kleine Partikelchen, isolierbar und abzählbar.
Verdinglichung durch Sprache
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Das menschliche Auge wäre lediglich nicht gut genug, so suggeriert dieser Berater, um die Realität der Gene wahrzunehmen. Gene, so legt er nahe, sind genauso dinghaft und wirklich wie ein Körnchen Staub oder Sand. Lediglich ihre minimale Größe macht, dass sie auch mit dem Mikroskop nicht gesehen werden können. Auch solche sprachlichen Wendungen verwandeln ein wissenschaftliches Modell oder eine Denkkrücke in eine handfeste Realität. Gene treten in solchen Darstellungen mit dem gleichen Wirklichkeitsanspruch auf wie die Dinge, die uns konkret und wahrnehmbar umgeben. Lediglich die Beschränktheit der menschlichen Wahrnehmungsfähigkeit ist schuld daran, so der Genetiker, dass sich uns die Realität der Gene nicht ohne Wissenschaft und Technik erschließt. Nicht alle Analogien und Bilder sind überhaupt noch als solche erkennbar. Übertragungen können sich auch verselbstständigen und bereits im Fachjargon zu vermeintlichen Tatsachen gerinnen. Ein Beispiel für eine geronnene Übertragung, die in der genetischen Beratung häufig vorkommt, ist der „Genfehler“ oder „Gendefekt“.69 Während Frau M. ausführlich über die biochemischen Grundlagen von Genveränderungen unterrichtet wurde, verzichten die meisten anderen Genetiker auf solche Details und lassen diese Wörter lieber für sich sprechen. Ihre Erläuterungen bauen dadurch auf den alltagssprachlichen Konnotationen von „Fehler“ und „Defekt“ auf. Diese Konnotationen sind jedoch irreführend: Basensequenzen können nicht, wie ein Mensch oder ein Organ, „gesund“ und „defekt“ oder auch nur „normal“ und „verändert“ sein. Der geübte Beobachter kann Organismen, Organe oder Gewebe anhand ihrer Gestalt und Eigenschaften als „gesund“ und „pathologisch“ klassifizieren.70 Auf der Ebene des Molekularen gibt es jedoch keine beobachtbaren Gestalten oder Phänomene. Moleküle können nicht „defekt“ oder „pathologisch“ sein, sie haben überhaupt keine qualitativen Eigenschaften in diesem Sinne. Basensequenzen können nur variieren. Ein Sequenzunterschied muss immer erst mit einem bestimmten Phänotyp assoziiert werden, um als relevante „Veränderung“ gedeutet werden zu können. Erst, wenn eine DNA-Variation, die zunächst nichts anderes ist als eine bedeutungslose Differenz, mit einem Erscheinungsbild korreliert, das von Medizinern als pathologisch verstanden wird, interpretieren Genetiker diese Differenz als „Mutation“. Die Rede von „normalen“ oder „gesunden“ und „fehlerhaften“ oder „defekten“ Genen ist somit eine Übertragung, die in die Irre führt. Insbesondere die Kurzformel „Genfehler“ oder „Gendefekt“ vergleicht moleku-
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3 Die informierte Entscheidung
lare Variationen mit Dingen, die fehlerhaft sein können. Genauso, wie es einen Druckfehler, einen Konstruktionsfehler oder einen Materialfehler gibt, scheint es nun auch einen Genfehler zu geben. Das Gen verfestigt sich zu einem Etwas und gelangt auf die gleiche Wirklichkeitsebene wie ein gedruckter Text oder ein instabiles Bauwerk. Noch größer als beim „Genfehler“ ist der Verdinglichungsdruck bei der Zusammensetzung „Gendefekt“. Ein Fehler kann auch immateriell sein, wie z. B. ein Denkfehler. Ein „Defekt“ hingegen bezeichnet in der Regel einen materiellen Schaden, der zum Funktionsausfall führt. Die Rede vom „Gendefekt“ suggeriert daher, dass ein Gen kaputt sein kann wie ein Staubsauger oder eine Küchenmaschine. Die Rede von „Genfehlern“ und „Gendefekten“ macht glauben, im Mikrokosmos der Zelle würden unsichtbare, aber folgenreiche Fehler stecken. Klienten sind dazu aufgefordert, sich als Träger solcher Fehler zu verstehen. Wie Interviews zeigen, setzt sich eine solche Vorstellung von etwas Fehlerhaftem im Inneren nachhaltig fest. Schon wenige Wochen nach einer genetischen Beratungssitzung können sich die meisten Menschen an keine Details mehr erinnern – auch nicht an die Risikozahlen, die ja im Zentrum standen. Was jedoch hängen bleibt, ist die Fiktion, etwas Fehlerhaftes oder Schlechtes in sich zu tragen: „those bad things“ oder „the bad gene“, wie es die Interviewten formulierten (Lock 2009, 76). Ein Defekt, so die Alltagserfahrung, lässt sich prinzipiell beheben. Die Rede von „Gendefekten“ legt daher nahe, es könne auch auf genetischer Ebene Reparaturmöglichkeiten geben. Tatsächlich verheißen Genetiker bereits seit vielen Jahren einen technological fix: die Gentherapie. „Mit Gentherapie bezeichnet man das Einfügen von Genen in Zellen eines Individuums zur Behandlung von Erbkrankheiten bzw. Gendefekten. Durch die Einführung dieser Gene kann ein genetischer Defekt kompensiert werden“, verkündet beispielsweise das Internetlexikon Wikipedia (6. 3. 2010). Nachdem mehrfach Patienten an den Folgen entsprechender Experimente gestorben sind, ist es um die Gentherapie recht still geworden. Doch gentechnische Fehlerbehebung versprechen Genetiker bis heute. So wollen Forscher des Epigenom-Exzellenznetzwerkes im „Kampf gegen Krebs“ durch epigenetische „Werkzeuge“ Gene ein- und ausschalten und somit „den Fehler beheben“ (Epigenom-Exzellenznetzwerk 2008). Nach jahrelanger medialer Berieselung mit solchen Verheißungen ist es nicht erstaunlich, dass ein Beratungsklient hofft, ihm könne das fehlerhafte Gen einfach entfernt werden. Er suchte eine genetische Beratungs-
3.1.4 Versteckte Ursachen
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stelle auf, weil einige Verwandte an Krebs erkrankt waren. Er selbst war bereits an einem mittlerweile geheilten Tumor am Kopf erkrankt gewesen. Die Beraterin erklärt, dass manchmal Genfehler die Ursache für Krebs sein können. Diesen Fehler möchte er nun am liebsten „entfernen“ lassen: M: Kann man eigentlich so ein Gen, äh des so irgendwie für des verantwortlich isch oder wo net stimmt, kann man des eigentlich feststellen oder und oder kann man des entfernen oder … […] B: ((laut)) Nein eben nein, man kann’s feststellen, untersuchen ja, das ist möglich […] M: Aber entfernen kann man des net so einfach? B: Aber alle kennt man sie nicht, aber man kann nichts behandeln, manipulieren, das geht nicht. M: Kammer kammer nette. B: Nein nein, also auf dieser Ebene geht nichts.
Der Klient muss nun mit der Vorstellung leben, möglicherweise einen fatalen Fehler in sich zu tragen, gegen den er nichts machen kann. Die Rede vom „Gendefekt“ macht ihn zu einem Mängelexemplar, das als solches ausgemacht, aber nicht repariert werden kann. Dieser imaginäre Fehler und das angebliche technische „Noch-Nicht“ erzeugen eine neue Form des Leidens. Ab jetzt hat der Mann nicht nur Angst vor Krebs, sondern leidet auch an einer Bedürftigkeit, für die es noch keine technische Antwort gibt. Er gilt nun als fehlerhaft und reparaturbedürftig, ohne dass die Gentechnik bereits so weit wäre, so zumindest das Versprechen des technischen Fortschrittes, dass er wieder instand gesetzt werden könnte.
3.1.4
Versteckte Ursachen 3.1.4 Versteckte Ursachen
Als ich Anfang der 1990er Jahre Humangenetik studierte, lernte ich noch, dass Gene Krankheiten verursachen. Eine erbliche Erkrankung wie die Zystische Fibrose*, so stand es damals in jedem Lehrbuch, würde durch eine Mutation in einem entsprechenden DNA-Abschnitt ausgelöst. Das Gen galt als eindeutiges „Wenn“ eines kausalen, linearen „Wenn-dann“Zusammenhangs.71 Die Ergebnisse des Humangenomprojektes haben diese Vorstellung von ursächlichen Genen jedoch grundlegend infrage gestellt. Heute müssen Genetiker einräumen, dass der Zusammenhang
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3 Die informierte Entscheidung
zwischen DNA und Erkrankung keineswegs so monokausal, linear und eindeutig ist, wie sie das jahrzehntelang dachten. Anhand einer DNA-Sequenz lässt sich in aller Regel nicht auf eine Erkrankung schließen; ob das Ungeborene oder der Säugling mit einem sogenannten Gen für Zystische Fibrose überhaupt die typischen Symptome entwickeln wird, kann niemand sicher vorhersagen. Und auch bei anderen, bisher als „monogen“ klassifizierten Erkrankungen werden die einen mit dem entsprechenden „Genfehler“ schwer krank und die anderen bleiben ihr Leben lang quietschfidel.72 Ob Trinker-Gen, Raucher-Gen, Brustkrebs-Gen oder Schwulen-Gen – fast jedes „Gen für“, das in den vergangenen Jahren lauthals verkündet wurde, vermeldet nichts anderes als die Tatsache, dass ein Genetiker eine oftmals fragwürdige statistische Korrelation* zwischen Genotyp und Phänotyp vorgenommen hat. Was eine solche Korrelation aussagt, ist Folgendes: Bestimmte genetische Marker* und bestimmte menschliche Eigenarten, seien es Erkrankungen oder unerwünschte Gewohnheiten, sind in ausgewählten Stichproben so häufig zusammen aufgetreten, dass sie statistisch voneinander abhängig sind. Mehr nicht. Ändern sich Stichprobe oder andere Untersuchungsparameter oder wählt man ein anderes statistisches Verfahren, so löst sich der statistische Zusammenhang oftmals wieder in Luft auf. Über Ursache und Wirkung im herkömmlichen Sinn sagt eine solche statistische Korrelation sowieso nichts aus. Auch zwischen der Abnahme der Storchennester und der Geburten in Ostpreußen besteht beispielsweise eine starke Korrelation. Wäre der Glaube an den Klapperstorch heute so verbreitet wie der Glaube an das Gen, so würde diese Korrelation schlicht für einen ursächlichen Zusammenhang gehalten. Weitere Fragen würden sich gar nicht stellen. Die Grundlage dieser Korrelation, nämlich die zunehmende Industrialisierung, würde nie thematisiert. Doch auch diese für uns heute plausible Ursache kann nicht durch Statistik bewiesen werden. Ist in der Statistik von „Ursache“ die Rede, so bezeichnet das Wort keinen kausalen Zusammenhang, sondern die „Konstanz einer Wahrscheinlichkeit“, wie der französische Philosoph François Ewald den Ursachenbegriff der Statistik zusammenfasst (Ewald 1993, 183). In der genetischen Beratung verwandelt sich eine solche Korrelation zwischen DNA und Erscheinungsbild jedoch in einen vermeintlich kausalen Zusammenhang. Sobald genetische Berater ihre Expertise allgemein verständlich darstellen und in alltagssprachliche Sätze fassen, wird die DNA zur Ursache.
3.1.4 Versteckte Ursachen
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In den Wörtern „Gendefekten“ und „Genfehlern“ ist diese unterstellte Kausalität bereits enthalten. Ganz fraglos macht der „Gendefekt“ die DNA zur Ursache für die Erkrankung – so, wie ein Zylinderdefekt die Ursache für den Motorausfall ist. Die Rede vom „Genfehler“ erlaubt es Genetikern daher, die Frage nach dem komplexen und weitgehend unklaren Zusammenhang zwischen Genotyp und Phänotyp schlicht zu umgehen. Doch Genetiker sprechen nicht nur implizit, sondern auch ganz explizit von Genen als Ursache. Ausdrücklich setzt die Genetikerin von Frau M. die „Genveränderung“, die Frau M. haben könnte, mit einer Ursache gleich: B: [Man] würde […] diese Gene durchgehen und die Base für Base durchgucken, ob da dies, ob da alles normal ist oder ob an irgendeiner Position eine Veränderung ist, die krankheitsverursachend sein kann.
Eine innere Ursache, die irgendwann im Leben Krebs macht, kann sich Frau M. offenbar nicht vorstellen. Für sie gibt es zwischen der Erkrankung und dem Genfehler keinen Unterschied. Sie glaubt, die Genveränderung sei bereits die gefürchtete Krebserkrankung. Während die Genetikerin über DNA-Mutationen referiert, unterbricht sie diese plötzlich und fragt: F: Und das wird erst irgendwann wach? Oder plötzlich oder, oder?
Frau M. setzt hier die Mutation mit dem Darmkrebs gleich. Sie erklärt sich die biochemische „Veränderung“ der DNA als Beginn der Krankheit – als etwas, das latent schlummert und dann „wach“, also aktualisiert wird. Das Gen verändert sich und damit nimmt die Erkrankung ihren Lauf, so ihre Vorstellung. Die Beraterin belehrt ihre Klientin jedoch eines Besseren. Sie stellt klar, dass sie ihr mit der Mutation nicht eine gesundheitliche Störung mit zeitlichem Beginn beschrieben hat, sondern einen grundlegenden Fehler, etwas, das immer schon da gewesen ist: B: Nee, also es ist so, dass man das in … das ist ’ne sogenannte Keimbahn-Mutation, das heißt, die ist da, von Anfang an.
Die Genetikerin spricht also über eine vermeintliche Krankheitsursache, die ein konstitutiver Teil von Frau M. wäre. Wie sie weiter erklärt, wäre diese Krankheitsursache überall und schon immer da gewesen: B: […] die ist auch in jeder einzelnen Zelle im Körper nachzuweisen. Das heißt also, wenn da eine spezifische Veränderung zum Beispiel in
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3 Die informierte Entscheidung
einem Gen vorhanden ist, das mit Darmkrebs assoziiert ist, dann hat man diese Veränderung in einer Kopie, also sprich auf einem der beiden Chromosomen-Abschnitte, zugehörigen, von Anfang an und in jeder einzelnen Zelle. Da braucht man also im schl… im geringsten Fall kann man sozusagen ein Haar ausreißen, kann da aus der Haarwurzel sich die DNA extrahieren und kann dann gucken, ob ähm, ob da die Veränderung vorhanden ist oder nicht, oder Blut abnehmen oder so was. F: Ja.
Anders als ein eitriger Zahn, ein verkrüppeltes Bein oder ein gereizter Magen hat eine genetische Störung keinen zeitlichen Beginn und keinen lokalisierbaren Ort im Körper. Würde bei Frau M. diese Veränderung nachgewiesen, dann würde ihr ein konstitutioneller Fehler attestiert, von dem sie sich nicht distanzieren könnte. Ein Fehler, der sich weder räumlich noch zeitlich eingrenzen lässt, den sie nicht wahrnehmen und nicht dingfest machen kann. Ein Fehler, der nicht behandelbar ist und auch nicht gelindert, ausgeglichen oder weggeschnitten werden kann. Eine Störung, die schon vor ihr selbst existiert hat, nämlich in den Genen ihrer Vorfahren, und die gewissermaßen nirgendwo und überall wäre. Sie hätte einen Fehler in der Grundlage ihres Seins.
3.1.5
Bedeutungsträchtige Information 3.1.5 Bedeutungsträchtige Information
Die existenzielle Bedeutung von Genen und Genfehlern wird von der Vorstellung bestärkt, dass dort etwas gespeichert wäre: die genetische Information*. Genveränderungen, so lernen die Beratenen, sind Veränderungen im genetischen Code, also im Bauplan des Menschen. In der genetischen Information, so lernt beispielsweise eine junge Schwangere, steckt die Information über den ganzen Menschen: „Jede Zelle hat die komplette Information, die den ganzen Menschen ausmacht. […] Das heißt, wenn ich eine Zelle von irgendeinem Körper entnehme, hab’ ich ’ne repräsentative Erbinformation über den gesamten Menschen“ (Samerski 2002, 157). Gene haben also einen immateriellen Inhalt; sie enthalten Informationen, Instruktionen oder „Verwaltungsvorschriften“ (Samerski 2002, 156). Der gleiche Berater, der von den Chromosomen als „Verpackung“ spricht, vergleicht Gene beispielsweise mit dem Inhalt eines Tonbands73:
3.1.5 Bedeutungsträchtige Information
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B: Die Chromosomen […] kann man vergleichen mit einem Tonband. Eine Kassette ist ein Tonträger, ich kann nicht lesen, was darauf ist, ohne Hilfsmittel. Wenn’s die Gene in den Chromosomen sind, braucht man Hilfsmittel. Anderer Art.
Gene sind hier vor allem durch das bestimmt, was sie speichern, nämlich von einem Etwas, das sich „lesen“ lässt. Dieses „Lesen“ ist nur eine Frage der technischen Hilfsmittel, so der Genetiker. Die Klientin soll sich also vorstellen, dass sie kleine Informationsspeicher in sich hat, deren Inhalt und Bedeutung sich mithilfe der richtigen Gerätschaften erschließen lassen. Etwa die Hälfte seiner Lebensdauer enthielt das Gen keine Information. Bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts gingen Genetiker davon aus, dass das Gen chemische oder physikalische Reaktionen determiniert. Gene „übertrugen keine Information, sondern besaßen biochemische Spezifität“, wie Lily Kay erklärt (Kay 2001, 41). Das änderte sich, als Kybernetik und Informationstechnologien ihren Siegeszug antraten. Molekularbiologen waren fasziniert von den technischen und epistemischen Neuerungen der Informationswissenschaften und übertrugen deren Terminologie in ihr eigenes Fach. Ungefähr zur gleichen Zeit, als die ersten kommerziellen Computer vom Band gingen, begannen Genetiker, das Gen als Programm zu verstehen, das Instruktionen enthält. Innerhalb kurzer Zeit wurde aus dem Organismus ein kybernetisches System, aus der Erbträgersubstanz ein Informationsspeicher, aus einer biochemischen Basensequenz ein Text oder Code und aus den Erbanlagen ein genetisches Programm. „Der in der Biologie vollzogene Gestaltwechsel hin zum Denken in Informationsbegriffen, mit all seinen Paradoxien und Aporien, war sogar noch grundlegender als der (1953) nachfolgende Paradigmenwechsel vom Protein zur DNA“ (Kay 2001, 10). Informationstheoretische Begriffe, die innerhalb mathematischer Theorien präzise, ja sogar algorithmisch definiert sind, ließen sich jedoch nicht einfach auf die Erforschung des Lebendigen übertragen. Bei ihrer Übersiedlung in die Biologie machten sie einen grundlegenden Bedeutungswandel durch: Sie verloren ihre technische Denotation und wurden mit alltagssprachlichen und populärwissenschaftlichen Konnotationen aufgeladen. In der Informationstheorie ist „Information“ streng definiert: Sie bezeichnet ein Maß für die Auswahl bzw. Reduktion von gleichwahrscheinlichen Optionen und ist damit rein quantitativ gefasst. „Informa-
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3 Die informierte Entscheidung
tion“ ist etwas rein Formales; Sinn und Bedeutung gibt es in der Informationstheorie nicht. „Das Wort Information wird in dieser Theorie auf eine besondere Weise verwendet und darf nicht mit seiner gewöhnlichen Verwendung verwechselt werden. Insbesondere darf Information nicht mit Bedeutung verwechselt werden. So können zwei Botschaften, deren eine mit Bedeutung gesättigt und deren andere reiner Unsinn ist – etwa ein Shakespeare-Sonett und eine beliebige Ansammlung von Buchstaben – vom Standpunkt der Informationstheorie aus völlig äquivalent sein“, warnt der Kommunikationswissenschaftler Warren Weaver (Shannon und Weaver 1949, zit. n. Kay 1994, 166). Selbst hartnäckige Versuche, „Information“ in dieser technischen Bedeutung auf die Biologie zu übertragen und zu quantifizieren, scheiterten kläglich.74 Dennoch avancierte die „genetische Information“ zu einem Leitbegriff der Genetik. Sie hat jedoch mit der informationstheoretischen Information nicht viel gemeinsam. Ihre Plausibilität und Bedeutung erhält sie in erster Line durch alltagssprachliche Konnotationen und meint etwas Ähnliches wie den objektivierbaren Gehalt eines Textes oder einer Instruktion. Alles, was sie von den Informationswissenschaften mitgenommen hat, ist der Anschein von Objektivität und Wissenschaftlichkeit. Mittlerweile hat sie sich so verselbstständigt, dass der Beigeschmack der Übertragung verloren gegangen ist und „genetische Information“ als wissenschaftliche Tatsache, ja geradezu als natürliche Sache erscheint. Genetische Berater halten es daher auch nicht für nötig, sie zu erklären: Ganz selbstverständlich reden sie von der „genetischen Information“ in den Genen oder in der DNA – von der Information, die „den ganzen Menschen ausmacht“. Gene, so legt es die genetische Aufklärung nahe, sind der Ausgangspunkt, der Ursprung und die Ursache des eigenen Daseins. Sie speichern grundlegende Informationen und sind überall. Im Unterschied zur Altersdemenz, Leberzirrhose oder Muskelschwäche sind Gene und Genveränderungen daher nicht nur etwas, das jemand hat, sondern auch das, was jemand ist. Die Zuschreibung von Genetischem ist also viel wirkmächtiger als herkömmliche medizinische Diagnosen. Genetiker, so suggeriert es die genetische Aufklärung, bringen eine unsichtbare Wahrheit über die eigene Person ans Tageslicht. Sie offenbaren eine bisher unerkannte „Identität“: „Genetic disease differs in as much as it promises to reveal who the individual always has been, not a new addition but a revelation about an underlying identity that had been concealed“ (Armstrong, Michie und
3.1.6 Akteure im Inneren
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Marteau 1998, 1658). Auch Frau M. erhält eine solche genetische Identität. Sie lernt, dass sie möglicherweise von Geburt an eine folgenreiche Krankheitsursache in sich trägt, einen Fehler in ihrem genetischen Programm. Damit bleibt sie nicht mehr diejenige, die sie vorher war: Sie verwandelt sich in eine Genträgerin, in den Phänotyp eines fehlerhaften Genotyps. Doch nicht nur ihr Selbstverständnis verändert sich, sondern auch die Krebserkrankung, vor der sie sich fürchtet. Wer überraschend an Darmkrebs erkrankt, dem stößt etwas zu. Die Krankheit ist ein Schicksalsschlag, der das bisherige Leben unerwartet durcheinanderbringt. Bekäme jedoch Frau M. als Genträgerin Darmkrebs, so wäre das nicht mehr etwas, das ihr zustößt, sondern etwas, das in ihr angelegt schien. Die Erkrankung hätte sie als defekte Blaupause oder Informationseinheit schon immer in sich getragen; sie wäre der Ausdruck ihres fehlerhaften Genotypes. Das Gen deutet also das, was ihr geschehen könnte, in das um, was sie ist.75
3.1.6
Akteure im Inneren 3.1.6 Akteure im Inneren
Bisher hat die Genetikerin über Genetisches im Allgemeinen gesprochen. Als sie auf den Gentest zu sprechen kommt, beginnt sie damit, Vermutungen über das genetische Make-up ihrer Klientin anzustellen. Sie spekuliert über spezifische Genfehler und Krankheitsgene, die Frau M. haben könnte. In diesem Abschnitt der Gen-Lektion häufen sich Formulierungen, in denen das Gen etwas tut. Das Gen ist hier nicht mehr unsichtbares Ding, Informationsspeicher, lesbare Anweisung, Konstitutionsfehler oder passive Ursache, sondern wird zu einem Akteur. Die Genetikerin formuliert zahlreiche Sätze, in denen „Gen“ zum Subjekt eines Verbs gerät, das eine verursachende Tätigkeit bezeichnet. Frau M. erfährt beispielsweise, dass sie eine Genveränderung haben könnte, die zur Krankheit „führt“: B: Aber diese Veränderung führt eben spezifisch zu (–) gewissen Erkrankungen, also kann das triggern.
Die (Gen-)Veränderungen „führen“ zu Erkrankungen oder „triggern“76 sie, wie die Genetikerin sagt. Bei solchen Formulierungen, die sowohl im Fachjargon als auch in populärwissenschaftlichen Darstellungen sehr verbreitet sind, handelt es sich ebenfalls um Übertragungen, die wie objektive Beschreibungen erscheinen. Wie der Genfehler übertragen sie Bedeutungen aus dem Alltag in die abstrakte Sphäre von Markern, statistischen
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3 Die informierte Entscheidung
Assoziationen und Wahrscheinlichkeiten. Bereits der Genfehler macht aus einer statistischen Korrelation eine Ursache. Gene, die „triggern“, suggerieren jedoch nicht nur Ursächlichkeit, sondern aktive Verursachung. Das Gen bekommt auf diese Weise regelrecht animistische Züge: Es wird zum Beweger, es wird von sich aus tätig. Ein genetischer Marker, also ein statistisches Merkmal, verwandelt sich in der genetischen Beratung in eine Sache, die aktiv verursachen kann. Ein mathematischer Zusammenhang, der für Klienten unverständlich und bedeutungslos wäre, verfestigt sich im aufklärenden Gespräch zu einem Gen, das mit dem Menschen etwas macht. Auch an anderen Stellen der genetischen Beratung spricht die Genetikerin den Genen ausdrücklich die Fähigkeit zu, etwas aktiv zu bewirken. Gene treten regelrecht als Täter oder Akteure auf. Genveränderungen „machen“ die Erkrankung, wie die Beraterin im folgenden Satz behauptet: B: Aber es gibt auch Ver… ähm Genveränderungen, von denen man weiß, äh dass die hauptsächlich nur Brustkrebs machen.
Andere Genetiker sprechen davon, dass Gene „bedingen“, „auslösen“, „steuern“ oder „hervorrufen“. Gene erscheinen als Handelnde, die dem Menschen etwas antun. Sie werden zu Tätern und die Menschen zu Erleidenden. Gene erhalten Subjektstatus und Menschen werden zu ihren Objekten. Auf die Spitze getrieben wird diese Subjektivierung des Gens in populärwissenschaftlichen Darstellungen, die ihre Leserschaft durch eine lebendige und anschauliche Sprache faszinieren wollen. Das GEOkompakt-Heft „Der Mensch und seine Gene“ (2006) beispielsweise, das mithilfe zahlreicher internationaler Genetiker verfasst wurde, wimmelt von Sätzen, in denen Gene auf vielfältige Weise tätig sind: Gene „prägen“ das Verhalten, sie „steuern“ die Entwicklung, sie „bestimmen“ unser Erbe, sie „sorgen“ für die Verteilung der Erbinformation und „schützen“ vor Krankheiten. Oftmals sind Menschen abgebildet, die etwas tun, doch als eigentliche Akteure werden die Gene ausgemacht: ein Geschäftsmann, der mit der Pistole auf einen am Boden knienden Straßenjungen zielt. „Gene bestimmen auch die von Mann zu Mann unterschiedliche Angriffslust“ (Engeln 2006, 10 –11), erfährt der Leser. Auf einer anderen Seite halb nackte Frauen und Männer am Strand, die sich begrüßen. Auch bei der Liebe, erfährt man, „führen die Gene […] Regie“ (Engeln 2006, 12–13). Der Mensch, so scheint es, ist nur noch die äußere Fassade von unsichtbaren Kräften. Er
3.1.7 Gene als Blendwerk
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führt nur noch aus, was die Gene ihm diktieren: Das Motto der neun Artikel über genetische Themen wie „Frauen und Männer“, „Nächstenliebe und Altern“ lautet daher: „Wie die Gene uns steuern“ (GEOkompakt 2006, 52 – 53).
3.1.7
Gene als Blendwerk 3.1.7 Gene als Blendwerk
Die Lektionen über Gene haben das Ziel, Frau M. über sich selbst aufzuklären. Dazu hat die Genetikerin ihre Klientin zunächst darauf hingewiesen, dass sie, wie alle Menschen, Genträgerin ist. Sie hat sie über Gene, DNA, Chromosomen, genetische Information und Mutationen aufgeklärt und sie aufgefordert, sich als Produkt dieser unsichtbaren Gen-Welten vorzustellen. Anschließend hat sie ihr spezifische Gene bzw. Genveränderungen zugeschrieben, nämlich solche, die Darmkrebs „triggern“ oder „machen“ können. Die Genetikerin hat dabei auf eine Weise über Gene gesprochen, dass das Gen dabei zu einer handfesten und mächtigen Realität geworden ist. Wird ein Gedankenkonstrukt auf diese Weise verdinglicht und personalisiert, so nennt die Philosophie diesen Vorgang Hypostasierung. Immanuel Kant spricht von der „Hypostase“, wenn man „das, was bloß in Gedanken existiert … in eben derselben Qualität, als einen wirklichen Gegenstand außerhalb dem denkenden Subjekt annimmt“, und nennt sie „bloße[s] Blendwerk“ (Kant 1781, A 384). In der genetischen Beratung ist das Gen ein solches Blendwerk, eine Hypostase. Folgt man den Gen-Experten, so sind Gene nicht nur dinghaft und klein, sondern sie haben auch beeindruckende Eigenschaften und Fähigkeiten. Als diachronischem Sammelbecken für Popularisierungen aufeinanderfolgender Stadien der Wissenschaft haften Genen verschiedene Qualitäten an: Sie sind „klein“ und „überall“, teilen sich auf und kombinieren sich neu, „verändern“ sich, sind „aufgereiht“, „verpackt“, wandern durch die Generationen, sind „defekt“, werden „kopiert“, „speichern Informationen“, enthalten Lesbares, werden „aktiv“, „lösen Krankheiten aus“, „steuern“, „triggern“, „machen“ und sind „verantwortlich“. Es gibt wohl kein anderes biologisches Konstrukt, das sich in umgangssprachlichen Sätzen mit derart vielen verschiedenen Adjektiven und Tätigkeitsworten verbinden könnte. Unvermeidlich bläht sich das Gen dabei zu einem schicksalsträchtigen und allmächtigen Akteur auf – zu eben jener
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3 Die informierte Entscheidung
„mythisch aufgeladenen Entität“ (Fox Keller 2001, 185), die das Denken über das Lebendige im 20. Jahrhundert bestimmt hat. Es wäre irreführend, dieses hypostasierte und mythische Gen als populärwissenschaftliche Verzerrung eines eigentlichen, objektiven Gens im Labor abzutun. Zum einen, weil es dieses eigentliche, objektive Gen in der Wissenschaft gar nicht gibt. Eine präzise Bedeutung hat „Gen“ nur innerhalb ganz bestimmter experimenteller Praktiken, also dann, wenn Forscher mit gleichen Methoden an einer gleichen Fragestellung arbeiten.77 In den Forschungslaboren der Genetik gibt es daher zahlreiche verschiedene Gene, die nicht auf einen Nenner zu bringen sind. „A gene is anything a competent biologist chooses to call a gene“, so fasst der Wissenschaftsphilosoph Philip Kitcher den Status des Genbegriffs in der Genetik zusammen (Kitcher 1992, 131). Zum anderen haben sich gerade Genetiker, trotz uneinheitlicher und widersprechender Forschungsergebnisse, als besonders Gen-gläubig erwiesen. Nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch in der Wissenschaft avancierte das Gen im 20. Jahrhundert zu einem mächtigen Denkzwang. Bis heute lebt das Projekt Genetik von den „Genen im Kopf“ (Duden 2002a): Vom Glauben daran, dass es Gene gibt, die den Phänotyp bestimmen und den Organismus steuern, dass die Genetik das Geheimnis des Lebens entschlüsselt und schließlich dazu beiträgt, eine bessere Welt zu konstruieren.78 Diese Überzeugungen haben die genetische Forschung vorangetrieben und Forschungsfragen, Methoden und Forschungsergebnisse bestimmt.79 Das hypostasierte, allmächtige, ja subjekthafte Gen ist also nicht nur die Folge populärwissenschaftlicher Übertragungen, sondern auch das ideologische Komplement des wissenschaftlichen Gen-Betriebes.80 Und dieses ideologische Komplement, das „Gen im Kopf“ der Genetiker, kommt im genetischen Beratungsgespräch zur Sprache. Verlassen Genetiker das Fachgespräch und bringen ihre Expertise in den Alltag, dann reden sie immer wieder über dieses weltanschauliche Gen. Sobald die Genetikerin versucht, Fachwissen alltagsnah und anschaulich darzustellen, greift sie unvermeidlich auf ihre eigenen „Gene im Kopf“ zurück: Sie schreibt ihrer Klientin diejenigen Gene zu, die ihren populärwissenschaftlichen Vorstellungen entsprechen, ihrer genetisch begründeten Weltanschauung.
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3.2 Zweite Verwandlung der Person: Klienten als Risikoträger
3.2
Zweite Verwandlung der Person: Klienten als Risikoträger 3.2 Zweite Verwandlung der Person: Klienten als Risikoträger
Nach etwa 20 Minuten hat Frau M. die Gen-Lektion hinter sich. Sie hat gelernt, sich als Trägerin von bedeutungsträchtigen und wirkmächtigen Genen zu verstehen, die verändert sein könnten. Sie hat erfahren, dass sich solche Genveränderungen durch eine komplizierte Untersuchung feststellen ließen. Was das jedoch alles für Frau M. persönlich bedeuten soll, darauf ist die Genetikerin noch nicht eingegangen. Bisher hat sie lediglich klargestellt, dass alle Menschen aus DNA, Chromosomen, Genen und genetischer Information gemacht sind, und dass sich da bei Frau M. ein folgenreicher Fehler eingeschlichen haben könnte. Sie hat aber noch nicht dargelegt, was das für das Leben von Frau M. und den gefürchteten Darmkrebs heißen soll. Das will die Genetikerin nun ändern: Sie kündigt an, dem Gespräch eine Wendung zu geben. Für die langen Belehrungen über DNA, Chromosomen und Mutationen entschuldigt sie sich und verspricht, wieder „konkret“ zu werden – gibt also vor, nun wieder etwas Handfestes und Bedeutsames über Frau M. zu sagen. Dann offenbart sie ihrer Klientin, sie sei eine „Hochrisiko-Person“: B: Um Sie jetzt nicht noch mehr mit ((lacht)) Informationen vollzuballern, glaub ich, werden wir jetzt wieder mal konkret, was … was wir Ihnen jetzt zu sagen anbieten können. F: Ja. B: Also! Anhand der Kriterien sagen wir, Sie sind, Sie gehören zu den Hochrisiko-Personen. F: ((macht große Augen)): Hmmm. ((etwas lachend, laut)). Das hört sich ja hart an, Hochrisiko! B: Ja, ja, na ja, oder erhöhtes Risiko. F: Ja, ja. B: Für erblichen Darmkrebs, ähm, und wir bieten Ihnen theoretisch diese molekulargenetische Untersuchung an. F: Hm=hm.
Nach dem genetischen Crash-Kurs, so verspricht die Überleitung der Genetikerin, möchte sie nun darauf zu sprechen kommen, was Genetiker – sie benutzt hier ein professionelles „wir“ – anbieten können. Und was tut sie? Sie schreibt ihrer Klientin ein Risiko zu. Oder genauer: Sie stuft Frau M. als „Hochrisiko-Person“ ein. Und obwohl Frau M. bereits davon ausgeht, dass sie wahrscheinlich Darmkrebs bekommen wird, wie sie an
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3 Die informierte Entscheidung
anderer Stelle sagt,81 und ja auch schon einen Polypen hatte, trifft sie diese Feststellung mit Wucht: „Das hört sich ja hart an, Hochrisiko“, erwidert sie mit erschrockenem Gesichtsausdruck.
3.2.1
Ein folgenreiches Missverständnis: Risiko als Diagnose 3.2.1 Ein folgenreiches Missverständnis: Risiko als Diagnose
Frau M. ist offensichtlich deshalb so erschrocken, weil sie glaubt, die Genetikerin hätte mit dem Risiko etwas Handfestes über ihre Person gesagt. Als eine solche konkrete Aussage hatte die Expertin das Risikoattest ja auch angekündigt. Dass sie lediglich in eine statistische Schublade gesteckt worden ist, ahnt Frau M. nicht. Sie meint, die Expertin hätte ihr etwas Bedeutsames über ihren Gesundheitszustand offenbart. Sie glaubt, ihre Aussagen hätten Hand und Fuß. Dass ihr die Medizinerin lediglich die probabilistischen Eigenschaften fiktiver Patientenkohorten zuschreibt, davon geht sie nicht aus. Statistische Wahrscheinlichkeiten haben eine sehr präzise, aber begrenzte Aussagekraft. Sie sagen etwas darüber aus, was in einer langen Serie gleichartiger Experimente oder Ereignisse geschieht – aber sie sagen nicht voraus, wie ein Einzelexperiment ausgehen wird. Per definitionem beziffern Wahrscheinlichkeiten Häufigkeiten in Grundgesamtheiten, machen jedoch keine Vorhersagen über den Einzelfall. Am Beispiel des Glückspiels, der Wiege der Wahrscheinlichkeitstheorie, lässt sich diese Kluft zwischen Einzelfall und Serie illustrieren: Erst wenn ich sehr oft würfele, mehrere Hundert Mal, lassen sich statistische Regelmäßigkeiten erkennen. Erst bei vielen Wiederholungen eines sogenannten Zufallsexperimentes, das besagt das sogenannte Gesetz der großen Zahlen, nähern sich die empirischen Häufigkeiten an die berechneten Wahrscheinlichkeiten an. Beim Würfeln hat jede Augenzahl die Wahrscheinlichkeit von 1:6. Welche Augenzahlen ich bekomme, wenn ich einmal, fünfmal oder zehnmal würfele, lässt sich damit jedoch nicht vorhersagen. Selbst bei fünfzig oder hundert Würfen sind die Augenzahlen nicht gleich verteilt; die eins und die drei mögen überproportional oft vertreten sein, während die zwei bisher seltener vorgekommen ist. Erst bei sehr vielen Würfen werden alle sechs Augenzahlen nach und nach gleich häufig, nähern sich also ihrer rechnerischen Wahrscheinlichkeit von 1:6 an. Werfe ich jedoch nur einmal, regiert Fortuna – wer würde sonst auf das große Glück hoffen? Den frühen Statistikern des 19. Jahrhunderts war diese Kluft zwischen
3.2.1 Ein folgenreiches Missverständnis: Risiko als Diagnose
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dem Berechenbaren und dem Konkreten, zwischen den Gesetzmäßigkeiten von Populationen und dem Einzelnen noch bewusst. Obwohl Gelehrte wie Francis Galton oder Adolphe Quételet (1796–1874) mit großer Euphorie alles maßen, zählten und verrechneten – ganz gleich ob Pferdetritte, die Auswirkung von Gebeten oder den Umfang der männlichen Brust – verstanden sie ihre Mitmenschen noch nicht als Risikoprofile*. Der belgische Mathematiker Quetelet begründete die Sozialphysik, die gesellschaftliche Phänomene als statistische Regularitäten erklärte, und erfand den „Durchschnittsmenschen“ („l’homme moyen“), eine statistisch konstruierte Normalität, an der die Einzelnen fortan gemessen wurden (Ewald 1993).82 Dennoch warnte Quételet ausdrücklich davor, von den statistischen Gesetzen irgendwelche Rückschlüsse auf einzelne Menschen zu ziehen: „Diese Gesetze haben, eben nach der Art ihrer Ermittlung, nichts Individuelles mehr an sich, und deshalb wird man sie nur unter gewissen Einschränkungen auf die Individuen anwenden können. Jede Anwendung, die man auf einen einzelnen Menschen machen wollte, wäre im Wesentlichen falsch, ebenso wie wenn man nach den Sterblichkeitstabellen den Zeitpunkt feststellen wollte, wann eine bestimmte Person sterben müsste“ (zit. n. Ewald 1993, 196).83 In der genetischen Beratung werden diese beiden Ebenen, die Gesetzmäßigkeit von Populationen auf der einen Seite und der Einzelfall auf der anderen Seite, systematisch vermischt. Die Genetikerin spricht von Risiken und Wahrscheinlichkeiten, als ob es sich dabei um etwas Konkretes, Allgemeinverständliches und Persönliches handeln würde. Statistische Berechnungen und handfeste, erlebbare Bedrohungen wirft sie in einen Topf. Das „erhöhte Risiko“, das sie ihrer Klientin bescheinigt, suggeriert, es würde die Krankheitsanfälligkeit von Frau M. beziffern. Es scheint, als hätte die Beraterin mit ihrer Feststellung „Sie gehören zu den Hochrisikopersonen“ eine beängstigende Diagnose gestellt.84 Über Frau M. und ihre Zukunft sagen die attestierten Risiken jedoch nichts aus. Für Frau M. ist die Erkrankungswahrscheinlichkeit genauso irrelevant wie die Regenwahrscheinlichkeit für den heutigen Tag. Laut Zeitung beträgt sie 80 Prozent, doch noch am Abend zeigt sich keine Wolke am Himmel. Anhand einer Regenwahrscheinlichkeit auf das tatsächliche Wetter zu schließen, wäre irreführend: Sie macht weder Aussagen darüber, ob Niederschlag fallen wird oder nicht, wie viel, wie lange oder wann, noch ob es ein wenig tröpfelt, ob Nieselregen einsetzt oder Gewitter herunterbrechen. Was die 80 Prozent stattdessen sagen, ist Fol-
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3 Die informierte Entscheidung
gendes: Der Meteorologe hat ein fiktives „Heute“ konstruiert, an dem es an 80 von 100 Fällen regnet. Gäbe es also 100 Tage nach gestern, dann würde an 80 von ihnen – irgendwann und irgendwie – Regen fallen. Tatsächlich gibt es „Heute“ aber nur einmal. Und für dieses eine „Heute“ sind die 80 Prozent irrelevant.85
3.2.2
Die Klientin als statistisches Konstrukt 3.2.2 Die Klientin als statistisches Konstrukt
Auf ähnliche Weise, wie ein Meteorologe ein fiktives „Heute“ konstruiert, so konstruiert die Genetikerin eine fiktive Frau M. Aus der konkreten Person, die ihr etwas nervös gegenübersitzt, macht sie ein Risikoprofil – ein statistisches Doppel. Zu diesem Zweck hat sie zu Beginn der Sitzung, noch vor den Gen-Lektionen, eine Reihe von Daten oder Merkmalen erhoben; anhand dieser Merkmale ordnet sie Frau M. dann statistischen Populationen zu und attestiert ihr die probabilistischen Eigenschaften dieser Populationen als „ihr Risiko“. Um ihrer Klientin ein Risiko attestieren zu können, muss sie diese also erst grundlegend umdeuten: Sie muss sie aus der konkreten, erfahrbaren Lebenswirklichkeit in den Raum aus Wahrscheinlichkeiten überführen. Aus Frau M. aus Fleisch und Blut wird ein Abstraktum, ein gesichtsloses Risikoprofil. Üblicherweise beginnt eine genetische Beratung mit einer ausführlichen Befragung der Klienten. Diese Fragerunde dient dazu, die Daten zu erheben, die zur Konstruktion eines Risikoprofils nötig sind. So auch bei Frau M.: Die Genetikerin hakt einen ganzen Katalog an Fragen ab, um bestimmte Merkmale wie Darmkrebshäufigkeit in der Familie oder eigene Vorgeschichte mit Polypen zu erfassen. Sie erkundet das Alter ihrer Klientin, ihre bisherige Gesundheit sowie mögliche medizinische Befunde und Diagnosen. Anschließend dehnt sie die Fragerunde auf die gesamte Verwandtschaft aus. Frau M. hat bereits bei der Anmeldung Angaben zu ihrer Familie gemacht, die der Beraterin vorliegen. Diese gehen sie noch mal Schritt für Schritt durch. Die Genetikerin erfragt Krankheiten und eventuelle Todesursachen von Eltern, Großeltern, Tanten, Onkel, Nichten und Neffen und deren Kindern. Männer kommen dabei als Quadrat und Frauen als Kreis aufs Papier, sodass die Genetikerin eine ganze Ansammlung von miteinander verbundenen geometrischen Figuren zeichnet. Dieser Stammbaum dient ihr als Grundlage für die Risiko-Klassifizierung von Frau M. Sie fahndet nach sogenannten Auffälligkeiten86, die für sie im Zu-
3.2.2 Die Klientin als statistisches Konstrukt
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sammenhang mit erblichem Darmkrebs relevant sind, also nach bestimmten Krebserkrankungen und Darmpolypen. Das ist ihr Raster, mit dem sie auf Frau M. und ihre Verwandtschaft blickt. Alles andere interessiert sie nicht, da es für die Konstruktion eines Risikoprofils irrelevant ist. Frau M. weiß von diesem Raster nichts und erzählt munter drauflos. Sie bringt das zur Sprache, was ihr im Zusammenhang mit der Krankheit ihrer Verwandten und mit ihrem eigenen Inneren bedeutsam erscheint, und zwar in Form von kleinen Geschichten oder Erzählungen. Sie berichtet von ihrem „Reizdarm“, der empfindlich auf Stress oder kalte Getränke reagiert und davon, dass ein Arzt ihr einen besonders langen Darm bescheinigt hat. Mit all diesen Erzählungen, mit denen Frau M. ihrem Leben und ihren Erfahrungen Sinn gibt, kann die Genetikerin jedoch nichts anfangen. Persönliche Geschichten sind im Raster von Genen und Risiken irrelevant; lediglich auf standardisierte, objektivierbare Informationen kommt es hier an. Die Genetikerin möchte ganz bestimmte Daten erheben und fragt daher nach Krankheitsdiagnosen, Erkrankungsalter, Verwandtschaftsgraden. Aus den Erzählungen ihrer Klientin nimmt sie das heraus, was sie zur Konstruktion eines Risikoprofils braucht. Prüfend blickt sie nach der Stammbaumaufnahme auf die Ansammlung von Kreisen und Quadraten und stellt fest: B: Dann, ähm, ja, also wenn man sich das anschaut, dann ist natürlich, wie es jetzt schon aussieht, ist auffällig, dass in der mütterlichen Linie der Familie eben gehäuft Darmkrebs aufgetreten ist.
Die Erzählung ihrer Klientin über Krankheit und Tod übersetzt die Genetikerin in eine sogenannte Auffälligkeit: in das statistische Merkmal „gehäufter Darmkrebs“. Die tragischen Geschichten von den Verwandten von Frau M., die recht früh an Darmkrebs gestorben sind, sieht sie als bloßes Klassifikationsmerkmal. Diese Abstraktion von konkreten Lebensumständen und Erfahrungen ist nicht etwa unsensibel, sondern professionell. Es wäre irreführend, die Genetikerin der Ignoranz zu bezichtigen. Um Frau M. ein Risikoprofil zuschreiben zu können, bleibt ihr nichts anderes übrig als von allem Konkreten abzusehen. Sie muss die Erfahrungen und Erzählungen in Daten oder Merkmale umwandeln, anhand derer sie ihre Klientin in Grundgesamtheiten stecken kann. Die wahrscheinlichkeitstheoretischen Eigenschaften dieser Grundgesamtheiten schreibt sie ihrer Klientin dann wiederum als Risiken zu. Sie attestiert ihr also Krankheitshäufigkeiten, die sich eigentlich auf Populationen beziehen.
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3 Die informierte Entscheidung
Diese Herstellung eines Risikoprofils ist die zentrale Aufgabe der Genetikerin. Nicht Frau M. persönlich, sondern ihr statistisches Doppel ist Dreh- und Angelpunkt der Beratung: Vom Risikoprofil leitet die Genetikerin ab, welche Zukunft sie Frau M. voraussagt, wie bedrohlich sie diese darstellt, welche Überwachungsmaßnahmen sie ihr empfiehlt und ob sie ihr den Gentest anbietet. Doch die Expertin legt nicht nur ihrem eigenen Denken statistische Abstrakta zugrunde, sondern sie fordert ihre Klientin auch dazu auf, es ihr gleich zu tun: Frau M. soll lernen, sich selbst als Risikoprofil zu sehen – und aus dieser neuen Sicht ihre Entscheidung fällen. Was das für eine neue Sicht auf sich selbst ist und welche Denkweise sie voraussetzt, wird deutlich, als die Genetikerin erklärt, wie sie die Einstufung von Frau M. als „Hochrisikoperson“ vorgenommen hat. Es gibt zwei internationale Kriterienkataloge, die sogenannten Amsterdam-Kriterien und die Bethesda-Kriterien, erläutert sie. Anhand dieser Kriterien werden Menschen als Risikopersonen und damit potenzielle Testkandidaten klassifiziert.87 Die Amsterdam-Kriterien erfülle Frau M. nicht, wohl aber die weniger strengen Bethesda-Kriterien: und zwar das Merkmal „wenn zwei erstgradig verwandte Personen erkrankt sind […] und das bei einer Person vor dem 45. Lebensjahr war oder ein kolorektales Adenom [Dickdarmpolyp, S. S.] […] vor dem vierzigsten Lebensjahr“, wie die Beraterin es formuliert. „Sodass dieses Kriterium erfüllt ist, weil, da sind mehrere Verwandte sozusagen betroffen“. Doch auch Frau M. weist ein Merkmal auf, mit dem sie ein Bethesda-Kriterium erfüllt: ihren Polypen vor dem 45. Lebensjahr. B: Sodass im Prinzip Sie selber mit Ihrer Erkrankung mit vierzig sozusagen die Kriterien erfüllen.
Die international standardisierten Kriterienkataloge sind ein Instrument, um Populationen mit erhöhter Wahrscheinlichkeit für eine familiäre Darmkrebs-Disposition zu konstruieren. Die einzelnen Kriterien sind nicht etwa Symptome, die Hinweise auf das Vorliegen einer Krankheit geben, sondern Risikofaktoren, die Risikopopulationen herstellen. Auch der Polyp von Frau M., der durchaus als Symptom gelten könnte, zählt in diesem Zusammenhang nur als Risikofaktor. Die Kriterien dienen also als Sieb, um aus der Gesamtbevölkerung potenzielle Testkandidaten herauszufiltern. Ähnlich wie bei einer Rasterfahndung wird mithilfe eines Merkmalsrasters eine Zielgruppe hergestellt, bei der sich die genauere Überprü-
3.2.2 Die Klientin als statistisches Konstrukt
73
fung, hier qua Gentest, lohnt.88 Die internationalen Kriterien sind also ein Merkmalsraster, mit dem diejenigen identifiziert werden, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit dafür haben, durch einen Gentest ein genetisches Risiko für Darmkrebs bescheinigt zu bekommen: B: Ähm (–) und man aufgrund dessen sagen kann, dass da die Familienanamnese schon (– –) Hinweis darauf gibt, dass da, dass was Erbliches vorliegen könnte.
Die Genetikerin betont das „könnte“. Frau M. wurde nun anhand der Kriterien in eine Klasse gesteckt, in der „die Wahrscheinlichkeit gegeben ist, dass da diese erbliche Form vorliegen kann“, wie die Beraterin an anderer Stelle sagt. Aufgrund ihres Stammbaumes und ihrer Vorgeschichte ist Frau M. also als jemand eingestuft, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine genetische Disposition bzw. ein genetisches Risiko hat – genau genommen also eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für eine erhöhte Wahrscheinlichkeit. Anhand eines Merkmalsrasters, eines internationalen Kriterienkataloges, ist sie als „verdächtig“ klassifiziert worden, als „Risikoperson“. Damit gehört sie zur Zielgruppe der potenziellen Gentest-Kandidaten. Und ist daher aufgefordert, eine informierte Entscheidung darüber zu treffen, ob sie das Testangebot in Anspruch nehmen will oder nicht (siehe Kap. 3.3). Die Genetikerin hat geprüft, ob sie bei Frau M. bestimmte Merkmale feststellen kann, und hat anhand dieser Merkmale ein Risikoprofil erstellt, ein statistisches Abstraktum. Dieses Risikoprofil hat sie ihrer Klientin zugeschrieben, und zwar als etwas vermeintlich Persönliches, als scheinbaren Gradmesser für ihre Aussicht, dass sie das gleiche tragische Schicksal ereilt wie ihren Onkel oder ihre Tante. Mit der Person, die dort munter und mit fragendem Blick am Tisch sitzt, hat das Risikoprofil nicht viel zu tun. Alles, was Frau M. ausmacht, alles Konkrete, Einmalige, Leibhaftige ist aus dem Risikoprofil verschwunden. Übrig geblieben ist nur, was statistisch berechenbar ist: ein Set aus Variablen. Diese Abstraktion ist nicht etwa Ignoranz, sondern Voraussetzung für Statistik: „In statistical affairs … the first care before all else is to lose sight of the man taken in isolation in order to consider him only as a fraction of the species. It is necessary to strip him of his individuality to arrive at the elimination of all accidental effects that individuality can introduce into the question“ (Poisson, S.-D. et al. 1835, zit. n. Hacking 1990, 81). Statistik befasst sich also prinzipiell nicht mit konkreten Personen, sondern
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3 Die informierte Entscheidung
nur mit gesichtslosen Fällen. Einen solchen gesichtslosen Fall, ein „Bruchstück“ der menschlichen Spezies hat die Genetikerin aus Frau M. gemacht. Sie hat ihre Klientin epistemisch verwandelt. Diese Verwandlung hat es ihr ermöglicht, Frau M. mit anderen statistischen Doppeln gleichzusetzen, in einen Topf zu werfen und statistisch zu verrechnen.89 Nach dieser Verrechnung konnte ihr die Genetikerin schließlich die Erkrankungswahrscheinlichkeiten dieser statistischen „Eintöpfe“, also Populationen, als vermeintlich persönliche Risiken zuweisen. Und suggerieren, damit eine bedeutsame Aussage über ihre Person gemacht zu haben.
3.2.3
Die pathogenen Auswirkungen ärztlich attestierter Risiken 3.2.3 Die pathogenen Auswirkungen ärztlich attestierter Risiken
Dass Menschen Risiken haben können, ist ein recht junges Phänomen. Noch die Generation meiner Großeltern hatte Angst vor konkreten Gefahren, aber nicht vor bezifferten Risiken. Das Risiko, das man vorwegnehmen, kalkulieren und versichern kann, war lange Zeit Kaufleuten und Versicherungsvertretern vorbehalten. Anfang des 20. Jahrhunderts wanderte das Wort schließlich aus dem Wirtschafts- und Versicherungswesen in die deutsche Umgangssprache ein, wo es so viel wie „Gefahr“ und „Wagnis“ bedeutete. 1934 sprach man bereits davon, dass der Straßenverkehr Risiken berge, und in den 1960er Jahren propagierten Gesundheitsapostel die Filterzigarette als „risikofreie Rauchware“. Heute dagegen ist die epistemische Verwandlung von Personen in Risikoprofile alltäglich. Die Arztpraxen sind voll mit Menschen, denen nicht ein Ungemach, sondern eine Risikovorhersage das Wohlbefinden geraubt hat. Ob weltweite Seuche, frühe Vergreisung, außergewöhnliches Kind oder Knoten in der Brust – in der „Risikogesellschaft“90 wird alles, was passieren könnte, als Risiko vorweggenommen. „Risiko“ bezeichnet jedoch keine konkrete Realität, sondern eine bestimmte Form der Objektivierung möglicher Ereignisse. Risiken an sich gibt es also nicht. Was umgekehrt auch heißt, dass aus allem ein Risiko werden kann: „Nothing is a risk in itself. There is no risk in reality. But on the other hand, anything can be a risk“ (Ewald 1991, 199). Das, was diese Form der Objektivierung von möglichen Ereignissen als Risiken gedanklich voraussetzt, nämlich die Herstellung gesichtsloser Fälle, verbleibt jedoch meist im Dunkeln. Daher führt die epistemische
3.2.3 Die pathogenen Auswirkungen ärztlich attestierter Risiken
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Verwandlung von Klienten in Risikoprofile fast zwangsläufig auch zur epistemischen Verwirrung: zur Verwechslung des „Ich“ oder „Du“ in einer umgangssprachlichen Aussage mit dem statistischen Konstrukt, über das Genetiker Aussagen machen. Die Genetikerin spricht ihre Klientin persönlich an; sie adressiert ihre Aufklärung über Gene und Risiken direkt an ihr Gegenüber, an ein „Du“. Adressat und Referent ihrer Ansprache klaffen jedoch auseinander: Das, was sie sagt, bezieht sich nicht auf Frau M., sondern auf ein statistisches Konstrukt. Per definitionem beziehen sich Wahrscheinlichkeiten nicht auf eine konkrete Person, sondern auf einen konstruierten Kasus; niemals auf das „Ich“ oder „Du“ in einer umgangssprachlichen Aussage, sondern immer nur auf einen Fall aus einer statistischen Population. Die epistemische Verwirrung zwischen einem statistischen Konstrukt und einem umgangssprachlichen „Du“ ist nicht nur irreführend, sondern auch pathogen. Als Frau M. zur genetischen Beratung kommt, hat sie die Befürchtung, dass sie an Darmkrebs erkranken wird. Dennoch ist sie erschrocken, als die Beraterin sie als „Hochrisiko-Person“ einstuft. „Das hört sich ja hart an“, entgegnet sie. Offenbar hat das Risikoattest ihr noch eine andere Botschaft vermittelt als das, was sie bereits selbst vermutet: Es wäre möglich, dass sie an Darmkrebs erkrankt. Da die Beraterin das Risiko als konkrete Aussage, ja als eine Art Diagnose dargestellt hat, muss es so erscheinen, als wäre die Zukunft von Frau M. nicht mehr offen. Das Risikoattest macht glauben, sie stünde der Krankheit schon sehr nahe. Die bloße Möglichkeit ist durch das Risiko zur Latenz geronnen. Das „Entweder-oder“ – es kann passieren oder nicht – hat sich in ein „Noch-nicht“ verwandelt. Die vorweggenommene Zukunft, durch eine Analogie zum Glücksspiel vorausberechnet, mutiert zur versteckten Gegenwart. Frau M. verwandelt sich dadurch in eine neue Art von Patientin: Sie leidet an einer Vorhersage. Sie kann sich nicht mehr gesund fühlen, sondern lebt in einem eigenartigen neuen Zustand: Sie ist noch nicht krank.91 Dieser neue Zustand des konstruierten „Noch-nicht“, in den Menschen durch Risikoatteste versetzt werden, ist pathogen. Auf die Höhe der bezifferten Risiken kommt es dabei gar nicht an; sie sind zwar für Genetiker und Statistiker entscheidend, aber nicht für die Betroffenen. Wie Interviews zeigen, vergessen die meisten Menschen die genauen Zahlen sowieso bald wieder, soweit sie sich diese überhaupt merken konnten.92 Für sie ist viel eher die Frage bedeutsam, ob sie „normal“ sind oder nicht.93 Selbst ein niedriges Risiko kann krank machen, da es eine Bedrohung heraufbe-
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3 Die informierte Entscheidung
schwört und die Gesundheit infrage stellt: „If people have an all-ornothing perspective of harm or contagion, this concept (of risk, S. S.) will seem unfamiliar. The idea of safety is zero risk. Anything else is seen as dangerous“ (Adelswärd und Sachs 1996, 1181). Da niemand, der bei Sinnen ist, das eigene Leben probabilistisch denken kann, verwandelt sich ein Risiko oft in eine Gewissheit. Die Risiko-Attestierten gehen dann beispielsweise davon aus, dass sie das vorhergesagte Schicksal treffen wird – so wie Frauen, denen ein hohes Brustkrebsrisiko attestiert wurde: „[…] many of these women described their risk in absolute rather than probabilistic terms – they felt they would definitively develop cancer in the future“ (Hallowell 1999, 605). Patienten, denen ein Risiko bescheinigt wird, wähnen sich daher oft am Rande des Abgrundes. Sie fühlen sich nicht mehr gesund und meinen, sich auf direktem Weg zu einer beängstigenden Erkrankung zu befinden (Gifford 1986, Kavanagh und Broom 1998). Obwohl sie kerngesund sind, verwandelt das Risikoattest ihren Körper in eine Quelle latenten Unheils. Daher will sich eine Frau, der nach einem PAPTest94 ein erhöhtes Risiko für Gebärmutterhals-Krebs bescheinigt wurde, alles herausschneiden lassen, was sie nicht unbedingt zum Leben braucht: „Because the tiniest bit can go wrong, and if that’s not there, well, you can’t have a problem with it“ (Kavanagh und Broom 1998, 440).95
3.2.4
Leben im Modus irrealis 3.2.4 Leben im Modus irrealis
Besonders deutlich zeigen sich die pathogenen Auswirkungen ärztlich attestierter Risiken am Beispiel der Beratung schwangerer Frauen. Eine Schwangere befindet sich in einem besonderen Zustand: Sie erwartet ein Kind. Dieses Kind ist noch nicht auf der Welt, aber latent schon gegenwärtig. Die Frau trägt gewissermaßen die Zukunft im Leib.96 In einem solchen besonderen Zustand, in dem ein werdendes „Du“ latent gegenwärtig ist, sind Frauen anfällig für Ängste. Bis vor wenigen Generationen war es daher Brauch, Rücksicht zu nehmen und Schwangere vor Erschreckendem und Angstmachendem zu beschützen. Heute jedoch ist genau das Gegenteil der Fall: In einer besonders sensiblen Lebenssituation werden Frauen von professionellen Beratern belagert, die ihnen einreden, sie müssten sich Risiken vergegenwärtigen und informierte Entscheidungen treffen. Auf welche Weise die Aufklärung über Gene und Risiken bei Frauen bodenlose Ängste und Bedürfnisse erzeugt, das zeigt das Beispiel von
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Frau G. Zusammen mit ihrem Mann betritt sie an einem sonnigen Maitag die genetische Beratungsstelle in S. Sie macht einen unruhigen Eindruck. Gleich zu Anfang der Sitzung berichtet sie, in ihrer Familie würde das Gerücht kursieren, eine Cousine hätte einen Schwangerschaftsabbruch mit der Diagnose „Down-Syndrom“ gehabt. Das sei der Grund, weshalb ihr Frauenarzt sie zur genetischen Beratungsstelle überwiesen habe. Frau G. ist verunsichert und hofft sichtlich auf beruhigende Worte. Unter ihrem Pullover zeichnet sich deutlich ein Bäuchlein ab – sie ist bereits im 6. Monat schwanger. Der Genetiker, der schon seit vielen Jahren in der genetischen Beratung tätig ist, kann ihr das, was sie bräuchte, nicht geben. Allein schon aus rechtlichen Gründen ist es für ihn nicht möglich, seine Klientin zu beruhigen. Würde sich dann nach der Geburt herausstellen, dass das Kind doch nicht gesund ist, dann hätte er sich nach deutscher Rechtsprechung schuldig gemacht – schuldig an der Geburt eines behinderten Kindes.97 Daher beschränkt er sich darauf, Frau G. über Eventualitäten, Möglichkeiten und Optionen zu unterrichten. Er spult das normale Informationsprogramm für schwangere Frauen ab, um seine Klientin darauf vorzubereiten, eine informierte Entscheidung zu treffen. Wie in jeder genetischen Beratung beginnt der Genetiker zunächst mit einer ausführlichen Befragung. Die Geschichte ihrer Cousine, wie sie Frau G. von ihrer Schwiegermutter zu Ohren gekommen ist, bleibt für den Genetiker unklar. Da es weder vor noch nach dem Abbruch eine Chromosomenanalyse gegeben hat, kann er nur Vermutungen anstellen und wird später die Chromosomenstörungen besonders ausführlich zum Thema machen. Nun geht er zu seinem normalen Beratungsprogramm für werdende Mütter über. Er fragt Frau G. nach ihrer Schwangerschaft und ihrem Befinden und blättert etwas im Mutterpass. Anschließend nimmt er den Stammbaum auf. Um mögliche Risiken nicht zu übersehen, wie er sagt, fahndet er in der Verwandtschaft des Ehepaares nach Auffälligkeiten. Als Frau G. erwähnt, dass ihr Neffe und ihre Mutter schwerhörig sind, hakt er nach. Er will wissen, ob die Schwerhörigkeit von Geburt an besteht, ob der Neffe Hörgeräte hat, wann es festgestellt wurde, und macht sich sorgfältig Notizen. Auch bei der Fehlgeburt ihrer Mutter wird der Genetiker hellhörig, räumt dann aber ein, dass das „bei der Häufigkeit […] jetzt auch nichts zum sagen“ hat. Nachdem er keine weiteren „Auffälligkeiten“ ausmachen kann, stellt er fest, dass offenbar keine weiteren Risikofaktoren vorliegen. Nun konstruiert er anhand der Daten, die er über Frau G. gesammelt hat, ein Risikoprofil: 31 Jahre, in der 23. Woche schwanger,
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Cousine mit Abort aus ungeklärten Gründen, Verdacht auf Trisomie 21, Schwerhörigkeit beim Neffen. Dieses statistische Doppel dient ihm als Grundlage für die weitere Beratungssitzung: Von den Merkmalen leitet der Genetiker statistische Wahrscheinlichkeiten ab, die er seiner Klientin als etwas Persönliches und Bedeutsames zuweist. Nach der einleitenden Fragerunde geht der Genetiker zum belehrenden Teil der Sitzung über. Er macht den werdenden Eltern klar, dass er nun die Grundlage für ihre informierte Entscheidung legen will. B: Ich wollte jetzt im Zusammenhang mit dieser Problematik ein bisschen weiter ausholen. Um ihnen das auch mit den Chromosomen, was das zu tun haben kann, ausführlicher zu erklären. Und da gehört’s immer dazu, dass wir auch eine Grundlage schaffen für das Verständnis und für den Umgang mit dem Problem. Ich möchte Ihnen jetzt keine Ängste machen. Aber das gehört einfach dazu.
Ehepaar G. erfährt, dass beim Kinderkriegen allerhand schiefgehen kann. Allein die Tatsache, dass Frau G. schwanger ist, macht sie aus medizinischer Sicht risikoträchtig, und der Genetiker zählt die zahlreichen Risiken auf, die Frau G. mit ihrer Schwangerschaft eingegangen ist98. Ihr Kind, so führt er aus, könne nicht nur Down-Syndrom haben, sondern auch jede Menge anderer Krankheiten und Behinderungen. Da sie schwanger sei, so erklärt er, habe sie ein sogenanntes „Basisrisiko, dass mal mit ’nem Kind was nicht stimmen kann“. Dann legt er seiner Klientin nahe, dieses Risiko wieder zu vergessen: B: Wenn man dran denken würde, […] würden keine Kinder mehr geboren werden. Ist klar, dass sich jeder ein gesundes Kind wünscht.
Anschließend fährt er mit seinen Erläuterungen fort: Dieses Basisrisiko betrage 3–5 Prozent. Er listet auf, welche Krankheiten und Missbildungen alle darunter fallen: „Chromosomenstörungen“ und vererbbare Erkrankungen wie „Mukoviszidose“, „Liliputaner“, „Knochenwachstumsstörungen“, „Albinismus“ und „Schwerhörigkeit“. Außerdem gebe es noch multifaktorielle Erkrankungen wie „Lippen-Kiefer-Gaumenspalten“, „Herzfehler“, „offener Rücken“. Ausführlich informiert er die werdenden Eltern darüber, was ihrem Kind alles fehlen könnte. Anschließend kommt er auf ein besonderes Risiko zu sprechen: das Risiko für Chromosomenstörungen. Die werdenden Eltern lernen, wie sich Chromosomen während der Keimzellbildung verhalten und nach welchen Regeln sie sich aufteilen. Da-
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bei, so erwähnt der Genetiker, könne allerdings mal was schiefgehen. Wenn drei statt zwei Chromosomen Nr. 21 in einer ihrer Eizellen gelandet sein sollten, so könnte das Kind Trisomie 21 haben, das Down-Syndrom. „Und das kann uns alle mal treffen“, kommentiert er. Es komme aber häufiger vor, wenn die Frauen älter werden. Er listet ein paar Zahlen auf und erklärt, dass das Risiko ab 35 Jahren „ziemlich steil“ zunimmt. Deshalb biete man Frauen ab 35 eine Fruchtwasseruntersuchung an; jedoch auch jüngere Frauen würden sie immer häufiger in Anspruch nehmen. Ihr eigenes Risiko betrüge „eins zu achthundertsechsundzwanzig“, führt der Berater aus, während er die Zahl protokolliert. B: Es gibt sicher auch junge Eltern, die es mal treffen kann, weil die ja auch eher die Fruchtwasseruntersuchung nicht machen.
Dann weist er auf das Fehlgeburtsrisiko hin und stellt klar: „Aber jede entscheidet’s für sich und kriegt die Untersuchung, wenn man’s wünscht“. In seltenen Fällen gibt der Berater weiterhin zu bedenken, könne eine solche Trisomie 21 auch vererbt werden – wenn nämlich zwei Chromosomen aufeinander kleben, eine sogenannte „Translokation“. Ausführlich erläutert er nun die Vererbungsvorgänge bei Vorliegen einer Translokation und die möglichen Folgen für die Leibesfrucht. Er würde jetzt aufgrund der Geschichte der Cousine nicht davon ausgehen, dass so etwas vorliege – „aber es soll’s geben“, weiß er zu berichten. „Es steht in Büchern geschrieben“. Ausgeschlossen sei es daher erst nach einem entsprechenden Test. Wenn sie da sicher sein wolle, könne sie ihre Chromosomen untersuchen lassen. Das Kind könne dann immer noch eine Trisomie 21 haben, aber eben keine erbliche mehr. Wenn sie aber sicher gehen wolle, dass das Kind auch keine zufällige Chromosomenstörung hat, dann müsse sie sich einer Fruchtwasseruntersuchung oder Nabelschnurpunktion unterziehen. Mit diesen Untersuchungen ginge sie allerdings das Risiko ein, eine Fehlgeburt zu provozieren. Bei einer Fruchtwasserpunktion erhielte sie das Ergebnis auch erst im 7. Monat. Außerdem gebe es bei positivem Befund keine Heilung. „Wenn man was finden würde, was man dann damit macht“, gibt er zu bedenken. Und stellt klar: „Da muss ich Ihnen die Entscheidung überlassen, ich kann Sie nur informieren“. Abschließend kommt der Genetiker noch auf die Schwerhörigkeit zurück. Er erklärt, dass diese „autosomal rezessiv“ vererbt wird und dass es sicherlich „mehrere Gene“ gibt, die „Schwerhörigkeit machen“ können. Haben beide Eltern das Gen, betrage die Wiederholungswahrscheinlichkeit 25 Prozent. Da die Erkrankung aber
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in der weiteren Verwandtschaft vorgekommen wäre, würde es sich eher nicht wiederholen – aber „treffen kann uns da auch alle mal was, weil wir eins bis zu zehn solcher veränderten Gene in uns haben“. Für das kommende Kind errechnet er schließlich eine Wiederholungswahrscheinlichkeit von ein Sechszehntel und bezeichnet diese als „gering“. Die Sitzung mit dem Genetiker hat Frau G. nicht beruhigt, im Gegenteil: Statt ihr die Ängste zu nehmen, hat er ihr weiteren Anlass zur Verunsicherung gegeben. Gegen Ende der Sitzung macht Frau G. einen verstörten Eindruck und drängt auf eine Chromosomenuntersuchung von ihr und ihrem Mann. Herr G., der im Unterschied zu seiner Frau ein frohgemutes Naturell hat und recht zuversichtlich zur Beratung kam, sieht während der Sitzung immer bedrückter aus. Als der Berater kurz ins Nebenzimmer geht und ich Frau G. die Toilette zeige, stößt er einen tiefen Seufzer aus: „Huh, Leute, Leute, Leute!“, ruft er und klingt fassungslos. Über sich selbst oder ihr kommendes Kind hat Frau G. während der Beratung nichts erfahren. Irgendeinen Hinweis darauf, dass mit dem kommenden Kind etwas nicht stimmen könnte, gibt es nicht. Der Genetiker kann es nur nicht ausschließen. Und über das, was eben nicht ausgeschlossen werden kann, hat er fast eine Stunde lang spekuliert – und hat damit den Horizont beängstigender Zukunftsmöglichkeiten ausgeweitet.99 Seine Rede war gespickt mit Sätzen, in denen von „könnte“ oder „würde“ die Rede war. Diese Art und Weise der Aussage, die Rede in spekulativen Möglichkeiten, nennt die Grammatik den Modus irrealis, die Unwirklichkeitsform. Sie bezeichnet das, was nur vorgestellt, möglich, spekulativ und fantastisch ist. In der genetischen Beratung ist diese Aussageform sehr dominant. Sobald Genetiker ihre biostatistische Expertise auf ihre Klienten anwenden, sie also als Risikoprofile behandeln, gehen sie in den Modus irrealis über: Sie spekulieren über das, was alles passieren könnte, und untermauern dieses „könnte“ mit Wahrscheinlichkeitszahlen und Risikokurven. Doch der Genetiker spricht nicht nur im Modus irrealis, sondern versetzt auch seine Klientin in einen unwirklichen Zustand. Er fordert sie auf, sich Risiken bewusst zu machen. Risikobewusstsein fixiert jedoch den Blick auf eine mögliche Zukunft und lähmt den Sinn für die Gegenwart. Klienten werden dazu aufgefordert, dort zu sein, wo sie noch gar nicht sind und vielleicht auch nie hinkommen werden. Von dieser Vorwegnahme einer spekulativen Zukunft und der Lähmung des Gegenwartssinnes erzählt das Grimmsche Märchen von der klugen Else. Die kluge Else ist
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geradezu ein Sinnbild für das Leben im Modus irrealis: Sie bleibt beim Bierzapfen weinend und gelähmt unter einer eingemauerten Kreuzhacke im Keller sitzen, weil diese das Kind, das sie noch gar nicht hat, erschlagen könnte. Oben bei ihren Eltern wartet Hans, ihr Brautwerber. Beim Anblick der Kreuzhacke nimmt Else ihre gemeinsame Zukunft und ein mögliches Unglück vorweg: Würde sie den Hans heiraten, und würden sie Kinder bekommen, und würden sie eines Tages ihr Kind zum Bierzapfen in den Keller schicken, dann könnte es hier durch die herunterfallende Kreuzhacke den Tod finden. Angesichts dieser Bedrohung bleibt Else im Keller sitzen und beweint das mögliche Schicksal. Als genetisch aufgeklärte Schwangere lebt auch Frau G. unter dem Damoklesschwert einer spekulativ vorweggenommenen Zukunft. Als sie das Beratungszimmer betrat, war sie beunruhigt über das Gerücht von ihrer Cousine. Nun, als sie es wieder verlässt, hat sie unzählige Risiken im Kopf, die ihrem Mutterglück den Garaus machen könnten. Der Berater hat sie aufgefordert, sich verschiedene beängstigende Vorstellungen von der Zukunft mit ihrem Kind zu machen. Sie soll sich vergegenwärtigen, dass ihr Kind Genmutationen, unbekannte Fehlbildungen und insbesondere Chromosomenstörungen haben könnte. Frau G. soll also damit rechnen, künftiges Unheil in sich zu tragen. Handfeste Gründe gibt es dafür nicht. Während sich die kluge Else durch den Anblick einer eingemauerten Kreuzhacke lähmen ließ, die sie im Geiste auf ihr zukünftiges Kind fallen sah, hat Risikoangst keinen wahrnehmbaren Grund. Sie beruht auf dem Konstrukt von Probabilitäten; ihr Anlass ist nicht erfahrbar oder wahrnehmbar, sondern vollkommen abstrakt. Risikoangst macht daher hilflos. Dass Frau G. sich testen lassen möchte, ist verständlich. Wer im Modus irrealis lebt, kann nicht bei Sinnen bleiben und wird von Experten und technischen Apparaten abhängig. „Gute Hoffnung“, die in Risikoangst verkehrt wird, erzeugt ein grenzenloses Bedürfnis nach Rückversicherung: nach Tests, die die Sicherheit versprechen, dass das heraufbeschworene Unheil – wahrscheinlich – noch nicht da ist.
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Das genetische Risiko 3.2.5 Das genetische Risiko
Zählt man die vielen kurzen Aufklärungsgespräche über Fehlbildungen und Schwangerschaftsrisiken in Frauenarztpraxen hinzu, so werden Hunderttausende Frauen jährlich in den Modus irrealis versetzt, in einen risi-
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koträchtigen Zustand. Zu diesen kommt eine wachsende Anzahl von Frauen und Männer hinzu, die weder schwanger sind noch irgendetwas anderes haben. Sie landen deswegen in der Unwirklichkeitsform, weil ihnen Genetiker Risiko-Gene unterstellen. Ganz ähnlich wie Frau G. lernen sie, dass sie vielleicht ihr zukünftiges Unheil schon in sich tragen, allerdings nicht in Form eines kommenden Kindes, sondern in Form eines Gens. Das, was kommen könnte, so wird ihnen weisgemacht, wäre als Krebsgen oder Genfehler bereits in ihrem eigenen Leib gegenwärtig. Im Unterschied zu Frau G., bei der dieser Zustand auf neun Monate begrenzt ist, bleibt er bei Genträgern jedoch das ganze Leben bestehen. Frau M. musste lernen, dass der Genfehler, den ihr ein Gentest wahrscheinlich bescheren würde, Teil ihres Bauplanes ist. Die Beraterin hat sie ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine solche Genveränderung, die Krebs „verursacht“, in jeder Zelle steckt und „von Anfang an da“ ist. Risiken, die von Genen abgeleitet sind, haben daher eine besondere Wirkmacht: Im Unterschied zu anderen körperlichen Risiken, wie beispielsweise dem Krebsrisiko nach einem positiven PAP-Test, ist ein genetisches Risiko weder zeitlich noch räumlich begrenzt. Es ist immer und überall, es ist Grundlage der eigenen Existenz. Tatsächlich räumt die Genetikerin dem Risiko, das sie Frau M. nach einem genetischen Test bescheinigen würde, einen besonderen Status ein. Sie unterscheidet es grundsätzlich von dem Risiko, das sie vom Stammbaum und vom Polypenbefund abgeleitet hat. Während sie letzteres als „abgeschätzt“ bezeichnet, nennt sie die Erkrankungswahrscheinlichkeit nach einem Gentest ein „konkretisiertes“ Risiko. Damit suggeriert sie, das vom Stammbaum abgeleitete Risiko wäre nur spekulativ, das von Gentests abgeleitete Risiko hingegen handfest und real: B: Die Untersuchung ist wirklich die Konkretisierung des Risikos, was ja jetzt im Moment ’n Abschätzen ist.
Solche Formulierungen machen glauben, ein Risiko, das von DNA-Merkmalen abgeleitet wird, unterscheide sich grundsätzlich von anderen Risiken. In einer anderen Beratungssitzung, der Beratung mit Frau K. über den Brustkrebs-Gentest, trifft sie die gleiche Unterscheidung noch deutlicher: Das vom Stammbaum abgeleitete Risiko sei „nur auf dem Papier“, während Frau K. das vom Gentest abgeleitete Risiko dann tatsächlich „hat“, wie sie sagt. Mit dieser Unterscheidung befördert die Genetikerin ein folgenreiches Missverständnis: Genetische Risiken, so behauptet sie,
3.2.5 Das genetische Risiko
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bezifferten etwas Konkretes, eine innerliche Bedrohung oder körperliche Anfälligkeit. Sie macht damit glauben, genetische Risiken wären keine Spekulation, sondern Diagnosen. Ganz gleich jedoch, wovon ein Risiko abgeleitet ist – seine Aussagekraft bleibt immer gleich. Risiken können sich quantitativ unterscheiden, aber nicht qualitativ. Sowohl Stammbaumdaten als auch genetische Daten fungieren auf gleiche Weise als Merkmale, anhand derer Klientinnen in statistische Populationen gesteckt werden. Auch das genetische Risiko kann daher nichts Handfestes über Frau M. oder Frau K. sagen. Auch mit dem genetischen Risiko schreibt die Genetikerin ihren Klientinnen nur eine statistische Wahrscheinlichkeit zu. Diese ist weder konkret, noch kann ein Mensch sie „haben“ wie ein Geschwür im Bauch oder ein Loch im Zahn. Wie widersprüchlich dieses vermeintlich „tatsächliche“ oder „konkrete“ genetische Risiko ist, das der Test ans Tageslicht bringen soll, zeigt sich in der Beratung mit Frau K. Frau K. ist Anfang zwanzig und kerngesund. Die Schwester ihres Vaters war in jungen Jahren an Brustkrebs erkrankt, ebenso seine Mutter. Damit erfüllt Frau K. die internationalen Kriterien, die sie zu einer Hochrisikoperson machen. Sie wird also zu einer Grundgesamtheit gezählt, bei der die Wahrscheinlichkeit erhöht ist, dass ein Gentest positiv ausfällt. Die Beraterin bietet ihr daraufhin den Test als Option an. Sie erläutert, welche Befunde er bringen könnte und was diese bedeuten würden. Fiele er negativ aus, so würde Frau K. aus der Risikogruppe entlassen und zur Durchschnittspopulation mit Durchschnittsrisiko gezählt.100 Vor Brustkrebs wäre sie damit nicht sicher, sie könnte trotzdem erkranken, wie jede andere Frau auch.101 Fiele der Test jedoch positiv aus, so würde sie in eine Population mit hohem Risiko gesteckt: B: Also wenn eine Veränderung in BRCA1 oder 2 getragen wird. F: Ja. B: Dann hat eine Frau, die diese Veränderung trägt, statistisch gesehen, was ja überhaupt noch nichts persönlich sagt, lebenslang ein etwa 80–85-prozentiges Risiko, an Brustkrebs zu erkranken.
Inzwischen gilt die Zahl von 80 – 85 Prozent als überhöht. Je nachdem, wer, wie und an wem eine statistische Studie durchführt, variieren die Risikozahlen stark. „Insgesamt scheint eine Risikoannahme zwischen 40 % und 50 %, in bestimmten Gruppen bis maximal 80 % realistisch zu sein“, fasst Kuhlmann bereits 2002 zusammen (Kuhlmann 2002, 86). Bereits seit 2003 gibt die Bundesärztekammer die Erkrankungswahrscheinlichkeit daher
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mit einer großen Spannbreite an; dort ist von 40 – 80 Prozent die Rede (Bundesärztekammer 2003, A 1298).102 Doch von der Höhe und Validität der statistischen Korrelation einmal abgesehen: Die Genetikerin weist hier ausdrücklich darauf hin, dass auch das vermeintlich „konkrete“ und „tatsächliche“ genetische Risiko nichts über eine Person aussagt. Sie räumt ein, dass auch nach dem Gentest offen bliebe, was mit Frau K. geschehen wird. Der genetische Befund wäre lediglich ein neues Merkmal, das ihr Risikoprofil modifizieren würde. Dieses neue Risikoprofil würde der Genetikerin folgende Aussage erlauben: Würde Frau K. hundert Mal leben, dann würde sie in etwa 80 Fällen irgendwann bis zum Alter von 79 Jahren an Brustkrebs erkranken, und in 20 Fällen nicht.103 Tatsächlich lebt Frau K. jedoch nur einmal. Was ihr in diesem einen Leben geschehen wird – die einzige Frage, die für Frau K. bedeutsam ist – stünde weiterhin in den Sternen. Im nächsten Satz zeigt sich die ganze Widersprüchlichkeit vermeintlich „persönlicher Risiken“. Die epistemische Verwirrung zwischen Person und Risikoprofil führt zu unsinnigen, ja geradezu absurden Aussagen: Obwohl die Beraterin soeben klipp und klar gesagt hat, dass das genetische Risiko „statistisch gesehen“ ist und „überhaupt noch nichts persönlich sagt“, hält sie Frau K. für bedroht. Sie mahnt Frau K., „vorsichtig“ zu sein und drängt sie, sich regelmäßig überwachen zu lassen: B: Also, das sind schon enorme Zahlen auch. F: Hm=hm. B: Das heißt, man muss vorsichtig sein. Und das ist auch der Grund, warum man eben diese (–) engmaschigen Früherkennungs-Empfehlungen empfiehlt.
Innerhalb weniger Sätze macht die Genetikerin sehr widersprüchliche Aussagen. Sie stellt klar, dass auch das genetische Risiko nichts über Frau K. sagt – und erklärt sie dennoch für bedroht. Solche Brüche oder absurden Aussagen sind in der genetischen Beratung üblich. In einer anderen Beratungssitzung bescheinigt eine Genetikerin ihrer schwangeren Klientin beispielsweise ein sehr niedriges Risiko für ein Kind mit Zystischer Fibrose; als diese sich gerade beruhigt zurücklehnen will, fügt sie hinzu: „Wenn es einen doch trifft, ist es allerdings 100 Prozent“. Ganz offensichtlich leiden nicht nur Laien, sondern auch Experten unter epistemischer Verwirrung. Sie verwechseln das statistische Konstrukt, über das sie Aussagen machen, mit der konkreten Person, die sie
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ansprechen. Obwohl der Genetikerin bewusst ist, wie bedeutungslos eine Wahrscheinlichkeit für den Einzelfall ist, hält sie ihre Klientin dennoch für bedroht. Offenbar bringt sie ihr klinisches Denken, das von konkreten Patienten ausgeht, mit der Logik von Populationen und Wahrscheinlichkeiten durcheinander. Frau K. ist jedoch nicht aufgrund irgendeines Indizes oder eines konkreten Hinweises „verdächtig“, sondern, wie bei einer präventiven Rasterfahndung, einzig und allein wegen ihres Risikoprofils. Sie hat Merkmale, die dem Suchraster entsprechen, mit dessen Hilfe eine Zielgruppe möglicher „Täter“ – hier Betroffener – hergestellt wird. Ganz ähnlich, wie das Merkmalsraster „männlich, Alter 18 bis 40 Jahre, (ehemaliger) Student, islamische Religionszugehörigkeit, nahöstliches Geburtsland“104 Menschen zu einen „noch-nicht Terroristen“ macht, so verwandelt die Merkmalskombination „weiblich, Anfang 20, zweimal Brustkrebs unter 40 in väterlicher Verwandtschaft“ Frau K. in eine „noch-nicht Krebskranke“. Der Gentest würde an dieser Abstraktion nichts ändern; der Befund BRCA1 oder 2 positiv fügte diesem Profil lediglich eine weitere Variable hinzu, eine Variable, die den Kreis der präventiv Verdächtigen deutlich verkleinert. Nicht ein klinisches Symptom, eine körperliche Anfälligkeit oder eine Diagnose begründet also den medizinischen Krebsverdacht, sondern die bloße Tatsache, dass Frau K. aufgrund von Merkmalen zu einer Risikogruppe gezählt wird. Die Genetikerin mahnt Frau K. deshalb „vorsichtig“ zu sein, weil ihr Risikoprofil dem Suchprofil für noch-nicht Krebskranke entspricht. „Vorsichtig“ sein heißt jedoch nicht, dass Frau K. tatsächlich irgendwelchen konkreten Gefahren ausweichen oder sonst irgendetwas Handfestes tun könnte – schließlich ist sie ja auch gar nicht konkret bedroht. „Vorsichtig sein“ bedeutet hier, sich in den Modus irrealis zu begeben. Bereits jetzt, als potenzielle Genträgerin, soll Frau K. ihr Leben in einem künstlichen „NochNicht“ verbringen. Alle halbe Jahre, so legt ihr die Beraterin nachdrücklich nahe, solle sie durch Ultraschall105 der Brust und des Unterbauches sicherstellen, dass es – wahrscheinlich – noch nicht losgegangen ist.106 Ein positiver Gentest würde ihr diesen Modus irrealis geradezu einverleiben: Trotz bester Gesundheit müsste sie mit dem Gefühl leben, die Vorstufe einer beängstigenden Erkrankung in sich zu tragen. Sie gälte nicht mehr als gesund, sondern als noch nicht krank. Was es bedeutet, im Modus irrealis zu leben, das erfährt auch Frau M. Als Genträgerin, so wird sie unterrichtet, stecke nicht nur der gefürchtete Darmkrebs in ihr, sondern auch zahlreiche andere Erkrankungsmöglich-
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keiten. Die Genveränderung, die sie wahrscheinlich hat, macht ihren Körper zum Subjekt und Objekt einer umfassenden und ungreifbaren Bedrohung. Nachdem die Genetikerin Frau M. über Mutationen und den angebotenen Gentest aufgeklärt hat, offenbart sie ihr, dass ein mutiertes Gen nicht nur Darmkrebs „triggern“ kann, sondern auch jede Menge weitere Krebserkrankungen. Das „Darmkrebs-assoziierte Gen“ bescherte ihr also nicht nur ein erhöhtes Darmkrebsrisiko, sondern auch eine ganze Anzahl weiterer Risiken – eines beängstigender als das andere. Magen, Gebärmutter, Harnwege – ihr gesamter Körper wäre risikoträchtig, würde sich in ein erschreckendes „Noch-Nicht“ verwandeln: B: Und dann gibt es weitere Krebserkrankungen, die man eben bei diesen Familien gefunden hat. Und dazu gehört ähm … es kann gehäufter Magenkrebs ((Frau M. rollt Augen)) auftreten. […] B: Ähm, (– –) dann ähm (–) gibt es Gebärmutterkrebs ((Frau M. lehnt nach vorne, hat große Augen)), der gehäufter auftreten kann, das ist auch, das ist auch nicht selten, so dass für Sie ganz wichtig sein sollte ’ne gynäkologische Früherkennung zu machen. […] B: und auch Eierstöcke und das ist auch eine Krebserkrankung, die etwas häufiger im Vergleich zur Durchschnittsbevölkerung auftritt. […] B: Ne? Dann ähm, gibt es etwas häufiger auch einen Krebs im Bereich der ableitenden Harnwege ((F. zieht Stirn in Falten und Augenbrauen hoch)). […] B: Dann gibt es etwas häufiger noch und … ähm, Krebserkrankungen die im Bereich auch so von der Bauchspeicheldrüse, Gallengang so bisschen auftreten, und das sollte dazu … früherkennungsmäßig dazu führen, dass man einmal im Jahr ’n Bauchultraschall auch kriegt.
Genetik und Statistik schaffen einen neuen „divinatorischen Raum“, wie die Anthropologin Margaret Lock (1998, 9) schreibt. Anlass zum Handeln wird eine neue Vorstellung vom eigenen Körper: der Körper als Zeitbombe. Würde Frau M. tatsächlich eine Genveränderung attestiert, so könnte sie sich nicht mehr wohlfühlen in ihrer Haut. Sie wäre überall von Entartung und Krankheit bedroht. Bereits jetzt, als wahrscheinliche Genträgerin, legt ihr die Beraterin nahe, sich den entsprechenden Über-
3.2.6 Das genetische Selbst
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wachungsmaßnahmen zu unterziehen. Frau M., die ursprünglich Angst vor Darmkrebs hatte, muss nun regelmäßig nachprüfen lassen, ob sie vielleicht schon Magenkrebs, Gebärmutterkrebs, Eierstockkrebs, Harnröhrenkrebs oder Bauchspeicheldrüsenkrebs hat.
3.2.6
Das genetische Selbst 3.2.6 Das genetische Selbst
Die Anthropologin Emily Martin untersucht, wie sich gesellschaftliche Verhältnisse im Körperverständnis widerspiegeln. In ihrer Monografie „Die Frau im Körper“ analysiert sie, wie die Grundbegriffe und Leitbilder der Industriegesellschaft, beispielsweise „Produktion“ und „Hierarchie“ die wissenschaftliche Sicht auf den weiblichen Körper bestimmten – und schließlich auch die Art und Weise, wie sich Frauen selbst erlebten (Martin 1989). Wie sich dieses Körperverständnis in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts grundlegend änderte, das ist Thema ihres zweiten Buches „Flexible Bodies“ (Martin 1994). In einer Zeit, in der Eigenverantwortung, Flexibilität und Selbstmanagement zu den neuen Leitbildern in der Arbeitswelt avancierten, wurde zunehmend auch der Körper in entsprechenden Begriffen beschrieben: Der solide, maschinenähnliche und hierarchisch kontrollierte Körper des Industriezeitalters verwandelte sich in den flexiblen, offenen und bedrohten Körper des Systemzeitalters. Inbegriff dieses neuen Körperbildes ist das Immunsystem: ein dynamisches System, das sich immer neu an seine Umgebung anpasst. Es ist nie fest und sicher, sondern immer offen und in Veränderung begriffen. Daher fordert das Immunsystem fortwährende Überwachung und Optimierung – auf die gleiche Weise, wie auch die moderne Arbeitskraft sich ständig selbst managen und optimieren muss, um den Anforderungen der neuen Unternehmenswelt zu genügen. Auf beunruhigende Weise decken sich hier gesellschaftliche und ökonomische Anforderungen auf der einen Seite und wissenschaftlich vermitteltes Körperverständnis auf der anderen Seite: „People are, so to speak, coming to see themselves as mini-corporations, collections as assets that each person must continually invest in, nurture, manage, and develop“ (Martin 1994, 77). In den 1990ern hat das Gen das Immunsystem abgelöst. Heute sind es vor allem die Gene, die den Körper in ein risikoträchtiges und überwachungsbedürftiges System umdeuten. Wie sehr der genetische Körper den gesellschaftlichen Ideologemen des 21. Jahrhunderts entspricht, illus-
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triert ein kurzer Dialog aus der Darmkrebs-Beratung mit Frau S. Die Genetikerin unterrichtet ihre Klientin, die wie Frau M. wegen der Darmkrebs-Erkrankungen ihrer Verwandten zur genetischen Beratungsstelle gekommen ist, über die Folgen einer potenziellen Genveränderung. B: Das ist ein sogenannter mismatch-repair, das heißt, das ist eine Funktion, bei der, wenn mal Basenaustausche in versch… bei … bei der, äh, bei der Vervielfältigung von Genmaterial, wie’s beim Wachsen von Zellen immer wieder stattfindet, wenn da mal zufällig Fehler passieren, dass die wieder korrigiert werden. F Hm=hm. B Da gibt es spezifische Eiweißmoleküle im Körper, die dafür verantwortlich sind. F Wie die Polizei. B Genau, das ist wie ’ne Polizei. Und das ist gen… das ist genau diese Funktion dieser Gene. F Hm=hm. B Und um … und wenn die nicht genau funktionieren, dann ist es logisch, dass sich solche Veränderungen fortsetzen können. F Ja, hm=hm. B In anderen Genen, die wiederum zum Beispiel Tumorsupressor-Gene sind oder so was, also die darauf aufpassen, dass die Zellen nicht weiter entarten. Und wenn da, wenn die dann funktionslos werden, dann kann’s Richtung Krebs gehen.
Vermutlich hat Frau S. bereits in Zeitschriften oder im Fernsehen von der Polizei im Zellkern gehört.107 Nun stellt sie sich ihren Körper in Analogie zum modernen Überwachungsstaat vor. Sie meint, ein genetisches Polizeisystem in sich zu haben, das „aufpasst“, das also ständig drohende Unruhen und Störungen ausfindig macht, ausräumt und so die Gesundheit stabilisiert. Fällt dieses System aus, weil Gene verändert oder fehlerhaft sind, dann gerät der Körper außer Kontrolle. Das Aufkommen der Risiko- bzw. Überwachungsmedizin hält der Medizinsoziologe David Armstrong deshalb für einschneidend, weil die „Überwachungsmaschinerie“ Menschen ein grundlegend neues Selbstverständnis zuweist: Ein Selbstverständnis, das er „Risiko-Identität“ nennt (Armstrong 1995, 405). Diese neue „Identität“ steht im Schatten einer risikoträchtigen Zukunft. Sie ist nicht mehr, wie zu Zeiten der klinischen Medizin, vom konkreten Körper abgeleitet, sondern von statistischen Populationen und Möglichkeitsräumen. „Surveillance analyses a
3.3 Der Zwang zum Risikomanagement: die Entscheidung
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four-dimensional space in which a temporal axis is joined to the living density of corporal volume“ (Armstrong 1995, 402).108 Eine solche „Risiko-Identität“, also einen unsicheren, prekären Körper, in dem eine bedrohliche Zukunft steckt, weist die Genetikerin ihrer Klientin zu. Sie reformuliert die Frage nach ihrer Gesundheit in eine Frage der „inneren Sicherheit“. Der größte Feind, so suggeriert ihre Aufklärung, kommt von innen: als Genfehler und molekulare Störung.109 Frau S. lernt, sich nicht mehr als konkrete Person mit einzigartiger Biografie und offener Zukunft wahrzunehmen, sondern als Verkörperung von Möglichkeiten und Risiken. Ihr Dasein als Genträgerin wurzelt nicht mehr in erlebter Vergangenheit und Gegenwart, sondern ist von einer statistisch vorweggenommenen Zukunft abgeleitet. Durch diese Umdeutung scheint es für Frau S. plausibel, Gesetzmäßigkeiten von statistischen Kohorten und Wahrscheinlichkeitsverteilungen zu ihren eigenen zu machen. Sie wird geradezu körperlich kompatibel mit populationsbezogenen Risikoberechnungen und Präventionsstrategien. Diese epistemische Verwandlung können die Beratenen nicht infrage stellen. Die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen, Zweifel anzumelden, eigene Erfahrungen dagegenzusetzen und sich ein eigenes Urteil zu bilden, gibt es im Rahmen genetischer Aufklärung nicht. Das, was dort als Wissen und neues Selbstverständnis vermittelt wird, ist autoritativ und nicht diskursiv. Es knüpft nicht an die Alltagserfahrung an und erlaubt daher keinen Einspruch des Common Sense. Damit haben die Genetiker das Wichtigste bereits vorgegeben: den begrifflichen und weltanschaulichen Rahmen, innerhalb dessen die Beratenen sich und die geforderte Entscheidung verstehen sollen. Was nach einer solchen Erziehung zum genetischen Selbstverständnis überhaupt noch „Entscheidung“ heißt, das wird Thema des folgenden Kapitels sein.
3.3
Der Zwang zum Risikomanagement: die Entscheidung 3.3 Der Zwang zum Risikomanagement: die Entscheidung
Eine dreiviertel Stunde hat die Genetikerin über Gene und Risiken doziert, um Frau M. mit dem Selbstverständnis auszustatten, das sie aus professioneller Sicht für eine selbstbestimmte Entscheidung braucht. Nun kommt sie auf den Gentest zu sprechen, der eigentliche Anlass des Beratungsgespräches. Ziel der Sitzung ist es ja, Frau M. zu einer informierten Entscheidung über diesen Test zu befähigen.
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3 Die informierte Entscheidung
„Sie gehören zu den Hochrisikopersonen“, das war die zentrale Aussage, die die Genetikerin über ihre Klientin gemacht hat. Dieses Risikoattest ist der Grund dafür, dass Frau M. zu den potenziellen Kandidaten für den Gentest gezählt wird und soll ihr auch als Grundlage für ihre informierte Entscheidung dienen. Für was Frau M. sich entscheiden soll, das sagt ihr die Genetikerin nicht. Die Expertin ist sehr darauf bedacht, ihrer Klientin den Test in keiner Weise zu empfehlen. Im Gegenteil: Zu der Frage, ob der Test ratsam ist oder nicht, bezieht sie keine Stellung. Sie möchte ihn als bloßes Angebot verstanden wissen. Es ist die Aufgabe von Frau M., so stellt die Genetikerin immer wieder klar, eine eigene Entscheidung zu treffen. Um deutlich zu machen, dass der Test lediglich eine Option, aber keine Einladung oder gar eine Empfehlung ist, distanziert sie sich durch ein eingeflochtenes „theoretisch“ von ihrem Testangebot: B: Sie gehören zu den Hochrisikopersonen […] und wir bieten Ihnen theoretisch diese molekulargenetische Untersuchung an.
Erklärt jemand eine Möglichkeit „theoretisch“ für machbar, gibt er zu verstehen, dass damit noch nichts über die praktische Umsetzung gesagt ist. Häufig folgt auf eine solche Formulierung ein „aber“, also ein Einwand, der gegen diese Möglichkeit spricht. In diesem Sinne versucht auch die Genetikerin, sich hier von ihrem eigenen Angebot zu distanzieren: Sie will klarstellen, dass es sich hier um ein Kann handelt, aber nicht um ein Soll. „Wir können nur sagen, was getan werden kann, aber nicht, was getan werden soll“, wie eine andere Beraterin sagt. Auch im weiteren Verlauf der Sitzung betont die Genetikerin immer wieder, dass Frau M. selber wissen müsse, was sie tun will. Der Test, und damit auch das „Zweitgespräch“, das auf diesen vorbereiten soll, würden nur auf ihren ausdrücklichen Wunsch hin durchgeführt: B: Das würde bedeuten, (–) ((sehr betont:)) wenn Sie das möchten, das sollten Sie sich reiflich überlegen und dann gibt’s eben gegebenenfalls noch dieses Zweitgespräch. F: Ja, hm=hm.
3.3.1 Der Imperativ der selbstbestimmten Entscheidung
3.3.1
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Der Imperativ der selbstbestimmten Entscheidung 3.3.1 Der Imperativ der selbstbestimmten Entscheidung
Auf den ersten Blick könnte die Aufforderung zur eigenen, informierten Entscheidung als Freiheit von paternalistischer Bevormundung und als Empowerment der Klientin erscheinen. Noch vor wenigen Jahrzehnten war die Forderung, Patienten sollten selbstbestimmte Entscheidungen treffen, eine Provokation. Ärzte nahmen an, dass Bürger zu eigenen Entscheidungen in Gesundheitsfragen gar nicht in der Lage wären, und erwarteten daher, dass sie ihren Vorschriften widerspruchslos Folge leisteten. Doctor knows best, so brachte man im Angelsächsischen die ärztliche Autorität in Sachen Gesundheit auf den Punkt. Das Recht, darüber informiert zu werden, wie der Mediziner sie behandeln würde, das mussten Patientenverbände und Frauenbewegung hart erkämpfen: In den USA konnten sie Anfang der 1970er Jahre nach erhitzten öffentlichen Auseinandersetzungen und gegen die empörte Ärzteschaft durchsetzen, dass „die Pille“ als erstes Pharmakon mit einer Packungsbeilage für die Verbraucherinnen versehen wurde. Was Ärzte als Eingriff in das Arzt-Patienten-Verhältnis bitter bekämpft hatten, kam ihnen jedoch bald sehr gelegen: Konnten sie die informierte Einwilligung* der Patientin nachweisen, so waren sie vor möglichen Prozessen sicher. Das Risiko gesundheitlicher Schäden durch die Pille mussten sie nicht mehr selbst verantworten, sondern konnten es auf ihre Patientinnen abwälzen (Watkins 1998). Kurze Zeit später, im Jahre 1976, brachte der Oberste Gerichtshof die medizinische Expertenherrschaft schließlich höchstrichterlich zu Fall: In einem bahnbrechenden Urteil entschied er, dass nicht Mediziner, sondern die Betroffenen über lebensverlängernde Maßnahmen entscheiden dürften. Sie sprachen den Eltern einer hoffnungslos im Koma liegenden jungen Frau das Recht zu, die künstliche Beatmung ihrer Tochter gegen ärztliche Weisung abzubrechen.110 In Deutschland dauerte es jedoch noch bis weit in die 1980er Jahre, bis die informierte Einwilligung ein allgemeines Patientenrecht wurde und Eingang in die medizinische Alltagspraxis fand. Dort ist sie in erster Linie ein Ritual, das die Ärzte vor Regressansprüchen absichert: Patienten müssen unterschreiben, dass sie das Risiko übernehmen, nach der Narkose mit durchstoßenem Darm oder überhaupt nicht mehr aufzuwachen. Inzwischen hat das Recht auf eine informierte Entscheidung ihren ursprünglichen Zweck, Bürger vor medizinischen Übergriffen zu schützen,
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3 Die informierte Entscheidung
weitgehend eingebüßt. Eine selbstbestimmte Entscheidung zu treffen, ist heute kein Freiheitsrecht, sondern eine neue Pflicht. Der moderne Mensch, so die Soziologen Beck und Beck-Gernsheim, ist zum Homo optionis geworden. Ob Geschlechterrollen, Glaubensfragen oder genetische Testangebote: Als selbstbestimmt gilt heute derjenige, der auswählt. Kaiserschnitt oder Hausgeburt? Alternativschule oder Regelschule? Single oder Familie? Buddha, Allah oder der liebe Gott? Aktive oder passive Sterbehilfe? Für jede Lebenslage hält die „Entscheidungsgesellschaft“ (Schimank 2005) Optionen bereit, und der moderne Mensch muss nur noch eines: wählen. Besonders ausgeprägt ist der Aufruf zur selbstbestimmten Entscheidung im Gesundheitswesen. Schwangere lernen, Kaiserschnitt und vaginale Geburt abzuwägen, Krebspatienten bilanzieren die Erfolgsquoten von Chemotherapie, Bestrahlung und Totaloperation und der Palliativarzt stellt seine Patientin vor die Optionen „Sterbehilfe“ oder „Weiterleben“. Die Geschichte dieser Einbeziehung des Patienten in seine medizinische Verwaltung haben William Arney und Bernard Bergen (1984) geschrieben, und zwar nicht, wie meist üblich, als Emanzipation von ärztlicher Bevormundung, sondern als Geschichte ausufernder Medikalisierung. In dem Maße, in dem die Autorität des Arztes schwindet, wächst sein Zuständigkeitsbereich. Der Experte verliert seine Vormachtstellung und wird zum Fazilitator, also „Ermöglicher“ und „Unterstützer“ von Entscheidungen. Gleichzeitig nimmt die Risikomedizin jedoch nicht mehr nur die Kranken, sondern auch die Gesunden ins Visier – einschließlich ihres familiären, psychologischen und sozialen Kontextes. Die Medizin beschränkt sich also nicht mehr auf das Pathologische, sondern macht es sich zur Aufgabe, Menschen lebenslang und umfassend zu managen und sie zum Selbstmanagement anzuhalten. „Medicine became an integrated organization that extended outside the boundaries of the hospital and managed patients instead of treating diseases. The organization would be regulated not in accordance with normality but in accordance with social utility and would incorporate the anomaly by creating him or her as the ,chronic patient‘ in need of total care“ (Arney und Bergen 1984, 80). Die genetische Beratung ist geradezu paradigmatisch für dieses Bemühen, Menschen zu Managern und Entscheidungsträgern in eigener Sache auszubilden. Ausdrücklich verstehen sich genetische Berater als Entscheidungshelfer; ihre Dienstleistung hat das Ziel, eine informierte Entscheidung zu produzieren. Tatsächlich verfolgen Genetiker dieses Ziel nicht nur
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auf dem Papier, sondern tatsächlich auch in der Praxis. In allen Beratungssitzungen, die ich beobachtet habe, pochten die Berater darauf, dass die Klienten eine eigene Entscheidung treffen – und die Folgen selbst verantworten: „Sie müssen entscheiden, denn wir tragen ja nicht die Konsequenzen“, wie eine Beraterin gebetsmühlenartig wiederholt. Und ein Berater stellt gleich zu Beginn der Sitzung klar, „dass Sie den Ratschlag bei sich selbst […] finden müssen“ (Samerski 2002, 230).
3.3.2
Die entscheidungsbedürftige Option: der Test 3.3.2 Die entscheidungsbedürftige Option: der Test
Frau M. hat die genetische Beratungsstelle aufgesucht, um vorbeugend etwas gegen Darmkrebs tun zu können und wird nun zur selbstbestimmten Entscheidungsträgerin in Sachen Gene und Risiken ausgebildet. Die Genetikerin weist ihr ein Risikoprofil zu und leitet sie dazu an, informiert über das Angebot eines Gentests zu entscheiden. Als sie nach einer guten halben Stunde Beratung auf den Test zu sprechen kommt, erläutert sie vor allem dessen genetische Hintergründe. Sie geht das Prozedere durch, unter anderem die nötige Voruntersuchung von Polypengewebe, nennt die Gene, die da dingfest gemacht werden sollen, und weist darauf hin, dass der Test auch ohne Ergebnis bleiben kann, weil keine bekannte Genveränderung gefunden wird. Zunächst erfährt Frau M., dass der Krebs ihrer Familie als „HNPCCSyndrom“ klassifiziert wird, als „hereditary non-poliposal colorectal cancer“, und dass die entsprechenden Gene bekannt sind: B: Und zwar sind das Gene, das sind jetzt einfach nur Namen, die sagen Ihnen nicht viel, das ist MSH2, MLH1, und ’n paar andere Gene noch, die man in insgesamt etwa 60, 70 Prozent der Fälle identifizieren kann.
Die Gene, von denen die Gesundheit von Frau M. abhängen soll, nennt die Genetikerin hier beim Namen. Das, was für Frau M. eine ungreifbare Bedrohung ist, scheint für die Expertin so klar und greifbar, dass sie diese benennen kann. Die Genetikerin erwähnt allerdings nur Abkürzungen, deutet also etwas an und bemerkt dann, dass das alles Frau M. sowieso nichts sagt. Für den Test, so erklärt die Beraterin, würde man zunächst das Polypengewebe von Frau M. genetisch analysieren. Es würde untersucht, ob die
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Gene eine „Veränderung“ aufweisen und eine Funktion nicht so ist wie „normalerweise“: B: Und zwar haben diese Gene, die ich Ihnen hier gezeigt habe ((blättert)), haben eine bestimmte Eigenschaft gemeinsam, eine sogenannte Mikrosatelliten-Instabilität. Das ist (–) für Sie ein Fremdwort. F: Ja, hm=hm. B: Das ist einfach eine typische ähm Funktion, die diese … die die zugehörigen Eiweißmoleküle dieser Gene ausüben. Und wenn eine Veränderung in einem dieser Gene vorhanden ist, dann ist diese Funktion nicht so wie normalerweise.
Auch hier macht die Genetikerin Andeutungen, die Frau M. nicht nachvollziehen kann. Sie gibt jedoch zu verstehen, dass bei Frau M. etwas verändert sein könnte und dann nicht mehr normal funktioniert. Letztlich kann Frau M. hier nur heraushören, dass sie genetisch vielleicht nicht normal ist und Genetiker darüber etwas wissen können. Würde im Polypengewebe die Mikrosatelliten-Instabilität gefunden, was als Zeichen für eine Genveränderung gilt, dann würde man Frau M. Blut abnehmen, die DNA isolieren und B: … dann ganz konkret für diese Gene untersuchen. Das heißt also, diese Gene durchgehen und die Base für Base durchgucken, ob das dies, ob da alles normal ist oder ob an irgendeiner Position eine Veränderung ist, die krankheitsverursachend sein kann.
Genetiker können also nachgucken, so suggerieren diese Formulierungen, ob Frau M. eine Anomalie im Inneren hat (siehe Kap. 3.1.4). Wenn die Beraterin nun anschließend erklärt, mit dem Test ließe sich das Risiko „konkretisieren“, dann scheint es, als würde dieses Risiko die gesundheitliche Verfassung von Frau M. beziffern, also eine Unstimmigkeit oder Störung auf genetischer Ebene.111 Tatsächlich ergibt der Test jedoch nur ein genetisches Merkmal, das die Getesteten klassifiziert. Man könne die getesteten Familienmitglieder durch den Gentest „differenzieren“, so führt die Genetikerin aus, und zwar in zwei Gruppen: in diejenigen mit Durchschnittsrisiko und diejenigen mit Hochrisiko. Letzteren ließe sich dann „qualifiziert“ Früherkennung anbieten. Die Genetikerin hat nun den Test aus ihrer Sicht beschrieben. Sie hat ihn als Möglichkeit dargestellt, versteckte Krankheitsursachen und Anomalien dingfest zu machen und die Vorsorge zu verbessern – also als Weg,
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der Klärung, Wissen und Handlungsmöglichkeiten verspricht. Irgendwelche Gründe, die gegen den Test sprächen, nennt sie nicht. An einer Stelle merkt sie an, dass es Leute gibt, die den Test nicht wollen. Wie sie dieses „Nein“ jedoch begründen, und ob es eventuell nachvollziehbar oder vernünftig ist, darüber sagt sie nichts. Empfehlen will sie den Test jedoch auch nicht. Obwohl sie durch ihre Aufklärung den Weg zum Test bahnt, legt sie größten Wert darauf, dass Frau M. eine eigene Entscheidung trifft.112 Mehrfach betont sie, dass es auch die Option gibt, keinen Test zu machen. Frau M. könne auch während des laufenden Testverfahrens jederzeit wieder aussteigen, stellt sie klar. Als sie erwähnt, dass die Söhne von Frau M. erst bei Volljährigkeit getestet werden können, betont sie erneut, dass die Entscheidung eine ganz persönliche Sache ist: B: Die müssen sich ja auch erstmal überlegen, ob sie das überhaupt möchten, es gibt ja auch viele Personen, so wie Sie auch von Ihrer Schwester ((F. zieht Augenbrauen hoch)), ihrer Ältesten gesagt haben, die will das nicht. F: Ja, ja. B: Und wer weiß, vielleicht sind die Kinder … Da ist jeder individuell auch anders und wir wollen ja niemandem in ’ne Untersuchung auftrumpfen, sondern wir möchten wirklich mit Ihnen gemeinsam den richtigen Weg finden.
Frau M. ist sich sicher, dass sie den Gentest machen lassen will. F: Also ich möchte auf jeden Fall ((fuchtelt etwas mit den Armen)) äh, die (–) die Gene äh wissen.
Frau M. zeigt keine Zweifel. „Auf jeden Fall“ sagt sie und betont damit ihre Entschiedenheit. Auch die anderen Klientinnen, an deren Sitzungen ich teilnahm, waren fest zum Test entschlossen. Frau R. möchte nicht „blauäugig und ahnungslos“ bleiben, und Frau S. ruft aus, dass sie ja nicht „den Kopf in den Sand“ stecken will.113 Überraschend sind diese Reaktionen nicht: Auch, wenn die Berater auf einer eigenen Entscheidung pochen – die Aufklärung über vermeintlich persönliche Risiken und genetische Testoptionen erzeugt unvermeidlich Denk- und Handlungszwänge. In Interviews erzählen Frauen, wie sie sich durch die Beratung unter Druck gesetzt fühlen. Die Verheißung von Machbarkeit und Entscheidbarkeit macht sie dafür verantwortlich, die Krankheit zu verhindern. Ihr Schicksal scheint plötzlich in ihre Hände gelegt (Hallowell 1999). Die Frauen, hier
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mit einem erhöhten Risiko für Brustkrebs belastet, fühlten sich regelrecht verpflichtet, alles, was möglich ist, zu tun, um sich nicht dem Schicksal zu überlassen. Keine hatte das Gefühl, sich frei entscheiden zu können. Alle empfanden es als ein Muss, sowohl den Test als auch andere Eingriffe machen zu lassen: „For most, obtaining risk information and managing cancer risk was not seen as a matter of choice, but as a matter of necessity“ (Hallowell 1999, 613). Auch Frau M. erhofft sich von dem Test Wissen und damit eine neue Handhabe gegen die gefürchtete Erkrankung. Sie meint, etwas tun zu müssen, und der Test ist für sie der erste Schritt in diese Richtung: F: Ja. Also ich möchte auf jeden Fall ((fuchtelt etwas mit den Armen)) äh, die (– –) die Gene äh wissen. B: Ja. F: Also ob die = B: = Ob da was ist. F: Ob da was ist, ähm … Ja! Das ist für mich interessant, und dann äh, (– –) inwieweit man das noch eingrenzen kann und (–) also (– –), was ich dann daran noch tun kann, außer vielleicht jedes Jahr … und ob man dann sagen kann, äh (– – –) ob man noch genauer sagen kann, was das für ’ne Art Krebs ist und (– –) wie ich …. Was ich eben selber tun kann, also dass man so sagt, okay, da wurde jetzt alles Gesunde weggenommen, aber wenn das jetzt irgendwo wiederkommt, ob man ein Stück Darm rausnimmt oder irgendwie so, also; mich interessiert es dann quasi, wie’s dann weitergeht, also, wenn’s tatsächlich so ist, wie geht’s dann weiter, was kann ich machen.
Für das Früherkennungsprogramm von Frau M. macht es keinen Unterschied, ob sie sich testen lässt oder nicht. Jeder wachsame Internist müsste ihr bereits wegen ihres Polypen eine regelmäßige Darmspiegelung empfehlen. Auch die Genetikerin legt ihr sehr nahe, jährlich zur Koloskopie zu gehen. Frau M. reicht das jedoch nicht: Sie erhofft sich von dem Test handfestes Wissen, das sie zum aktiven, eigenen Handeln befähigt: F: Wie ist es, wie sieht’s für mich weiter aus, was kann ich noch mehr tun, oder was soll ich andres tun, soll ich keine Hormone mehr nehmen oder was auch immer. […] Auch ob’s irgendwas gibt, was ich … ich bin leicht übergewichtig, stört das auch? Also, all so was (–) ähm, wo kann ich anfangen, was zu tun.
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Frau M. möchte also durch den Test etwas über sich selbst erfahren, um eine Handhabe gegen die drohende Krebserkrankung zu bekommen. Offenbar glaubt sie, die Gene würden noch mal etwas Bedeutsames über ihre Gesundheit und ihre Zukunft eröffnen – eine Art innere Wahrheit, die ihr bisher verborgen geblieben ist. Sie geht davon aus, dass der Gentest etwas Handfestes, ja Körperliches ans Tageslicht bringt. Entsprechend hatte die Genetikerin den Test dargestellt: als Weg, der Klärung bringt und verstecktes Wissen offenbart. Die Hoffnung, der Gentest würde neue Erkenntnisse über die persönliche Befindlichkeit eröffnen, trügt jedoch. Der Gentest ermöglicht keine Diagnose, anhand derer sich dann gezielt, z. B. durch Ernährung oder Bewegung, auf die körperliche Konstitution einwirken ließe – so, wie ein Arzt beispielsweise Zöliakie diagnostiziert und den Verzicht auf glutenhaltiges Getreide empfiehlt. Das, was die Genetikerin ihr aufgrund des genetischen Befundes mitteilen kann, ist letztlich nicht viel: Der Gentest würde nichts anderes sagen als das, was sie bereits von ihrer Mutter zu hören bekam. Ihre Mutter habe sie immer gewarnt, so erzählt Frau M: „Hallo, bei uns sind alle an Darmkrebs gestorben, ihr müsst vorsichtig sein“. Weder der Gentest noch die Beratung bringen Frau M. diesbezüglich etwas Neues. Frau M. hatte bereits einen Polypen. Sie weiß, dass sie Darmkrebs bekommen könnte und deshalb „vorsichtig“ sein sollte. Mehr kann ihr weder die Genetikerin noch der Test offenbaren.114 Doch auf einer ganz anderen Ebene sagt und fordert die genetische Beratung viel mehr als die Mahnung der Mutter. Die Genetikerin hat die Tatsache, dass Frau M. erkranken könnte, als genetisches Risiko objektiviert und ihr als etwas Körperliches zugeschrieben. Frau M. soll sich nun vorstellen, dass sie das, was geschehen könnte, als risikoträchtiges Gen in sich trägt. Dadurch scheint es, als wäre das Schicksal von Frau M. greifbar, vorhersehbar und entscheidbar geworden. Das genetische Risiko suggeriert, Frau M. könnte sich ihrer Zukunft bemächtigen – indem sie sich informieren, testen und überwachen lässt. Diese Verheißung bürdet Frau M. eine neue Verantwortung auf: die Verantwortung für das, was mit ihr geschehen könnte. Nina Hallowell, die zahlreiche BrustkrebsRisikoträgerinnen interviewte, kommt daher zum Schluss, dass die genetische Beratung keine selbstbestimmte Entscheidung ermöglicht, sondern Frauen neue Verantwortlichkeiten und Pflichten auferlegt: Die Verantwortung dafür, ihre Gesundheit zu erhalten, und die Pflicht, Risiken zu managen: „It can be argued that by labelling individuals as
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3 Die informierte Entscheidung
,at risk‘, and presenting genetic risks as manageable, genetic counseling implicitly places individuals under an obligation to modify these risks“ (Hallowell 1999, 599).
3.3.3
Selbstbestimmte Ohnmacht
Verpflichtung zum Risikomanagement Verpflichtung zum Risikomanagement
Die Genetikerin hat den Gentest zwar als sinnvoll, vernünftig und hilfreich dargestellt – hat aber ebenso betont, dass auch das Nein zum Test eine akzeptable Option wäre. Ließe Frau M. keinen Test machen, so würde die Genetikerin nichts dagegen sagen. Für sie ist das Wichtigste, dass ihre Klientin eine informierte Entscheidung trifft – egal, wie diese ausfällt. Als informiert gilt die Entscheidung aber nur, wenn sich Frau M. in den Rahmen begibt, den die Genetikerin ihr durch ihre Aufklärung abgesteckt hat. Ziel der genetischen Beratung ist es, „die Ratsuchende in die Lage zu versetzen, eine eigenständige Entscheidung darüber zu treffen, wie sie mit ihrem genetischen Risiko umgehen möchte“ (Schmutzler et al. 2003, 496). Auf jeden Fall soll Frau M. lernen, sich als Risikoträgerin zu verstehen und sich für „ihr“ genetisches Risiko verantwortlich zu fühlen. Unter dieser Voraussetzung wäre auch ein „Nein“ zum Gentest akzeptabel – und zwar als alternativer Weg des Risikomanagements, als eine zum „Ja“ analoge Option. Nagelprobe für das Risikobewusstsein von Frau M. sind die empfohlenen Früherkennungsuntersuchungen. Ob ihre Klientin tatsächlich mündig und selbstbestimmt ist, also verantwortlich mit ihrem genetischen Risiko umgeht, zeigt sich für die Genetikerin an ihrer Bereitschaft, sich regelmäßig onkologischen Check-ups zu unterziehen. Mit Nachdruck macht sie Frau M. darauf aufmerksam, dass ihre Zukunft von ihrem Risikomanagement abhängt. Sie formuliert nicht nur einen Imperativ der Entscheidung, sondern auch einen Imperativ des Risikomanagements.115 Die Früherkennung, so mahnt sie Frau M., legt ihre Gesundheit in ihre eigenen Hände: B: Also, ich glaub das Wichtigste, das Aller-Aller-Wichtigste, was Sie grundsätzlich machen können: die Früherkennung. Das ist sozusagen das, was irgendwo auch in Ihren Händen liegt.
Verpflichtung zum Risikomanagement
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Würde der Test positiv ausfallen und Frau M. wäre mit einem vermeintlich „tatsächlichen“ Risiko behaftet, dann wäre die Darmspiegelung aus Sicht der Genetikerin nicht nur ein Soll, sondern sogar ein Muss: B: Wenn es einen bestätigten Verdacht gibt, das heißt für familiäre Formen, muss das einmal im Jahr gemacht werden.
Für attestierte Genträger sind Kontrolluntersuchungen also keine Frage der Entscheidung, sondern eine ausdrückliche Notwendigkeit. Ein herkömmliches ärztliches Soll, eine medizinische Indikation ist dieses Muss jedoch nicht. Die Genetikerin leitet ihre Empfehlung nicht von Symptomen oder einer Diagnose ab, beispielsweise die Polypen von Frau M., die ja als Vorstufe eines bösartigen Tumors betrachtet werden können, sondern ausschließlich von ihrem Risikoprofil.116 Hätte sie keinen Polypen gehabt, sondern würde allein wegen der Erkrankungen in ihrer Verwandtschaft die Risiko-Kriterien erfüllen, würde die Genetikerin genau das gleiche Soll aussprechen. Nicht Symptome oder Hinweise auf die körperliche Verfassung von Frau M. sind Anlass für die Überwachung, sondern die Tatsache, dass sie aufgrund von statistischen Merkmalen als Risikoperson gilt. Die Genetikerin versteht auch alle anderen Risiken, die sie Frau M. zuschreibt, als Grund für Check-ups.117 Auch alle anderen berechneten Erkrankungsmöglichkeiten, so mahnt die Genetikerin, sollte Frau M. regelmäßig überwachen lassen. Durch jährlichen Abstrich, Unterbauch-Ultraschall, vaginalen Ultraschall und eine Urinanalyse soll sie sicherstellen, dass auch in der Gebärmutter, an den Eierstöcken, in der Bauchspeicheldrüse und im Gallengang oder in der Harnröhre keine Tumore wachsen. Eine jährliche Magenspiegelung erwähnt die Genetikerin ebenfalls, will sie aber „nicht so in den Vordergrund stellen“, weil Frau M. genetisch noch nicht getestet ist. Im Zeitalter des Risikomanagements gilt Nichtstun als unmündig, ja geradezu als fatal. Risikoträger, die ihr Risiko nicht aktiv verwalten, sind entweder beratungsbedürftig oder entscheiden sich bewusst für ihr Unglück. Im Rahmen der Genmedizin, so stellt der Soziologe Thomas Lemke fest, ist Selbstbestimmung „an gesellschaftliche Normen und materiale Zielbestimmungen rückgekoppelt, die eine ,informierte‘ Selbstbestimmung, d. h. einen bestimmten Gebrauch der Freiheit, sicherstellen“ (Lemke 2000, 253). Und die Zielbestimmung lautet: eigenverantwortliches Risikomanagement. Als mündig gilt daher nur derjenige, so Lemke weiter, der „aus dem Informationsangebot die richtigen, d. h. risikominimierenden und
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vorausschauenden Schlüsse“ zieht (Lemke 2000, 252). Auf die empfohlenen Überwachungsmaßnahmen zu verzichten, sei es aus Widerwillen, Gottvertrauen, Skepsis oder Gleichgültigkeit, wäre in der Logik der Risikomedizin fatal. Es würde entweder als Folge mangelnder Information und Beratung angesehen oder als bewusste Entscheidung für die Erkrankung.118 Frauen, die aufgrund des Gentests in eine Hochrisikogruppe gesteckt wurden, beeilen sich daher zu erklären, dass sie alles tun, was möglich ist: „Many made clear during the interviews that they had done all they could do, or were currently prepared to do, to manage their cancer risk“ (Hallowell et al. 2004, 562). Eine zentrale Funktion von Präventionskampagnen ist es, so die Anthropologin Lisbeth Sachs, Bürgern die Verantwortung für ihre Gesundheit aufzubürden. Obwohl sie ihre Lebensumstände immer weniger bestimmen und gestalten können, wird ihnen eingeredet, es läge an ihnen, ob sie krank werden oder nicht. Diese eingeredete Verantwortung mobilisiert. Die Verheißung von Machbarkeit und Entscheidbarkeit hält Menschen in dauernder Angst, etwas zu verpassen und nachher an der eigenen Misere selbst schuld zu sein.119 Diese Angst kann größer und quälender sein als die Angst vor der Erkrankung selbst. Als sie ihre Zukunft nicht mehr als manipulierbar betrachteten und sich dem Schicksal anvertrauten, konnten sich „Hochrisiko“-Frauen von ihrer Angst befreien: „In the present study, by describing themselves as accepting what ever the future might bring, the majority of women presented themselves as able to contain or manage their fears about a future that they felt they could not longer manipulate and lead an anxiety-free existence“ (Hallowell et al. 2004, 563). Solange ihre Gesundheit jedoch als machbar gilt, können sie keinen Frieden finden. Würden sie krank, müssten sie die Schuld bei sich selbst suchen. Krankheit wäre kein Schicksalsschlag, sondern Folge und Zeichen ihrer Unfähigkeit – der Unfähigkeit, die richtigen, informierten Entscheidungen zu treffen120: „A health that can be chosen […] testifies more than just a physical capacity, it is the visible sign of initiative, adaptability, balance and strength of will. In this sense, physical health has come to represent, for the neo-liberal individual who has ,chosen’ it, an objective witness to his or her suitability to function as a free and rational agent“ (Greco 1993, 369/ 70).121
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Was auf den ersten Blick naheliegend und rational erscheinen mag, nämlich das Streben nach Wissen, Prävention und entsprechende Entscheidungsoptionen, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als hochgradig irrational. Die Mobilisierung zum Risikomanagement in eigener Sache verstrickt Klienten in lähmende Widersprüche. Das, was sie sich erhoffen, ist nicht das, was Genetiker ihnen anbieten können. Zwischen ihren Sorgen und Wünschen auf der einen Seite und dem genetischen Fachwissen der Experten auf der anderen Seite liegt eine Kluft. Frau M. sucht persönliche Gewissheit und erhält Risikozahlen. Sie erwartet Wissen, das sie zum Handeln befähigt und erhält Laborbefunde und statistische Vorhersagen. Sie möchte etwas für ihre Gesundheit tun und wird zum Management von berechneten Risiken aufgefordert. Diese Widersprüche und Aporien, in die Frauen durch das Versprechen von Wissen und Entscheidung geführt werden, zeigt sich besonders deutlich in der Beratungssitzung mit Frau K. (siehe auch Kap. 3.2.3). Frau K., jung und gesund, möchte einen Gentest machen lassen. Sie hofft, dass sie das Ergebnis beruhigen wird. Wie sie selbst sagt, möchte sie die Möglichkeit, dass der Brustkrebs in ihrer Familie „ererbt worden sein könnte“, „ein bisschen mehr ausschließen“. Über das, was auf sie zukäme, wenn der Test nicht die erhoffte Entwarnung gäbe, erfährt sie in der Beratung nichts. Offensichtlich reicht es aus Sicht der Genetikerin für eine informierte Entscheidung aus, über DNA-Sequenzen aufgeklärt worden zu sein. Die Genetikerin ist regelrecht erleichtert, als Frau K. einwilligt, das Thema „positiver Testbefund“ zu verschieben: B: Ich weiß nicht, ob wir jetzt schon über den Themenkomplex noch weiter reden sollen so was, was ist möglich, wenn eine genetische Veränderung (–) diagnostiziert wird.
Frau K. lenkt sofort ein und macht noch mal ihre Hoffnung deutlich, dass sowieso nichts gefunden wird: F: Ich denke mal, das müssen wir noch nicht. B: Ich glaube auch, das können wir dann … F: Das können wir dann, wenn überhaupt was sein sollte.
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3 Die informierte Entscheidung
Offenbar ist es der Genetikerin unangenehm, eine junge und lebensfrohe Frau mit den Folgen ihrer Dienstleistungen zu konfrontierten. Würde Frau K. nämlich ein „Brustkrebsgen“ bescheinigt, dann bliebe nichts wie vorher.122 Bereits jetzt, als Hochrisikoperson ohne genetischen Befund, ist Frau K. dazu aufgefordert, sich regelmäßig durchchecken zu lassen – „sicherheitshalber“, wie die Genetikerin betont: halbjährliche Mammografie oder Ultraschall, abtasten der Brust, Ultraschall des Unterbauches. Das, was jetzt noch als Vorsichtsmaßnahme erscheint, weil etwas passieren könnte oder auch nicht, würde dann zur überlebensnotwendigen Dauerüberwachung. Der Gentest würde das „Könnte“ in ein genetisch begründetes „Noch-Nicht“ verwandeln. Ihre Hoffnung und Zuversicht würden jäh in schlechte Erwartung umschlagen. Sie müsste ihr weiteres Leben mit dem Gefühl verbringen, trotz bester Gesundheit eine Krankheit in sich zu tragen – eine beängstigende Krankheit, die jederzeit ausbrechen kann. Zudem würde ihr, ähnlich wie Frau M., nicht nur ein genetisches Risiko für Brustkrebs attestiert, sondern auch noch eine ganze Reihe weiterer Risiken. Durch jährliche Check-ups müsste sie dann auch überprüfen lassen, ob sie vielleicht schon Eierstockkrebs, Hautkrebs, Bauchspeicheldrüsenkrebs, Darmkrebs oder Gebärmutterkrebs hat. 123 Was auf sie zukäme, das wüsste sie jedoch trotz der attestierten Gene und Risiken nicht. Ob sie erkranken wird oder nicht und falls ja, wann, ob schon mit 30 oder erst mit 75 – alles das, was im Leben wirklich bedeutsam ist, kann ihr niemand vorhersagen. Ihre Zukunft bliebe genauso offen wie vorher. Das vorausberechnete Unheil vermeiden könnte sie auch nicht. Die dringend empfohlene Früherkennung macht glauben, es ließe sich etwas gegen die drohende Erkrankung tun. Dieses Versprechen ist Voraussetzung dafür, dass Gentests und Risikovorhersagen bedeutsam erscheinen: „If the future is perceived as unmanageable […] then risk assessment (whether it is based upon one’s lifestyle or one’s genes) essentially looses its meaning or, at the very least, its perceived usefulness“ (Hallowell et al. 2004, 563). Ob Mammografie jedoch überhaupt einen Nutzen hat und wenn ja, welchen, ist umstritten.124 Durch die Darmspiegelung, der sich Frau M. unterziehen soll, können Polypen noch vor ihrer Entartung entfernt werden. Mammografie dagegen ist keine solche Vorsorge, sondern, wie es eine Klientin formuliert, lediglich eine „Nachsorge“: Sie kann nichts verhindern, sondern nur feststellen und auch das nur als Momentaufnahme. Zudem sind Frauen mit „genetischem Risiko“ möglicherweise besonders strahlenempfindlich, sodass
3.3.4 Die Entscheidungsfindung
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Mammografie sogar Brustkrebs auslösen kann. Außerdem ist nicht gesagt, dass eine frühe Diagnose immer etwas nützt. „Früher ist nicht immer besser“, so das Nationale Netzwerk Frauengesundheit, das über die Techniker Krankenkasse eine Broschüre zur Brustkrebs-Früherkennung herausgegeben hat (Nationales Netzwerk Frauengesundheit 2007, 15). Es ist unklar, wie oft Früherkennung nur die Lebenszeit im Schatten der Diagnose verlängert, aber nicht die Lebenszeit an sich. Bei mancher Frau verschiebt sie lediglich den Diagnosezeitpunkt nach vorne, aber nicht ihren Todeszeitpunkt nach hinten (Nationales Netzwerk Frauengesundheit 2007, Mühlhauser und Höldke 2000, Perl 2000, Rothman 1998).125 Es gibt nur einen einzigen Weg, das Risiko nachweislich zu verringern: die prophylaktische Selbstverstümmelung. Das Deutsche Krebshilfe Konsortium für familiären Brust- und Eierstockkrebs empfiehlt positiv getesteten Frauen daher ausdrücklich, Eierstöcke und Brust vorsorglich zu entfernen (Steiner, Gadzicki, und Schlegelberger 2009, 28).126
3.3.4
Die Entscheidungsfindung: das Paradox der persönlichen Risikoabwägung 3.3.4 Die Entscheidungsfindung
Für Klientinnen wie Frau M. und Frau K., die zu den Kandidatinnen für einen Krebs-Gentest gezählt werden, ist der Entscheidungsunterricht nun zu Ende. Knapp anderthalb Stunden sind sie über Gene, mögliche genetische Störungen, vermeintlich persönliche Erkrankungsrisiken, Test- und Überwachungsmöglichkeiten instruiert worden. Damit hat die Genetikerin ihren Klientinnen den Input gegeben, den sie aus ihrer Sicht für eine informierte und damit selbstbestimmte Entscheidung brauchen. Auf welche Weise sie die Entscheidung treffen sollen, das hat die Genetikerin nicht ausgeführt. Da sie ganz offensichtlich keine Gründe sieht, den Test nicht machen zu lassen, betont sie das Prinzip der Entscheidungsfreiheit und überlässt das Für und Wider der Fantasie ihrer Klientinnen. Ganz anders verläuft der genetische Entscheidungsunterricht, wenn eine Schwangere zur Beratung kommt. Da eine Fruchtwasseruntersuchung ein Eingriffsrisiko mit sich bringt und das Ergebnis die Schwangerschaft infrage stellen kann, erteilen die Genetiker ihren Klientinnen hier nicht nur Lektionen über Gene und Risiken, sondern instruieren sie auch in risikobezogener Entscheidungsfindung. Ausführlich gehen sie auf die verschiedenen Chancen und Risiken der Optionen „Test“ und
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3 Die informierte Entscheidung
„kein Test“ ein und erklären, was dabei zu bedenken ist. Um zu einer Entscheidung zu kommen, so lernen die Schwangeren, müssen sie eine Risikoabwägung vornehmen – und sich überlegen, welche Risiken sie eingehen wollen.
Die Fruchtwasseruntersuchung: ein unbegründeter Test? Die Fruchtwasseruntersuchung: ein unbegründeter Test?
Frau A. kommt mit ihrem Mann zur genetischen Beratungsstelle eines Universitätsklinikums, weil sie 39 Jahre alt ist. Ihr Arzt hat ihr empfohlen, sich einer Fruchtwasseruntersuchung zu unterziehen. An der Klinik ist es üblich, dass Frauen genetisch beraten werden, bevor sie einen Termin für die Punktion bekommen. Eine solche Routineberatung geht verhältnismäßig schnell: Nach einer guten halben Stunde hat der Berater die werdenden Eltern für ihre Entscheidungsaufgabe präpariert. Frau A. durchläuft ein ähnliches Beratungsprogramm wie Frau G. (siehe Kap. 3.2.4), jedoch weniger ausführlich. Der Berater erstellt ein Risikoprofil der werdenden Mutter und unterrichtet sie dann über mögliche Chromosomenanomalien, über ihr sogenanntes Altersrisiko und schließlich über das Pro und Kontra einer Fruchtwasseruntersuchung. Der Berater ist ein Frauenarzt mit langjähriger Beratungserfahrung. Er leitet die Gynäkologie der Universitätsklinik und führt selbst Fruchtwasserpunktionen durch. Auch, wenn Fruchtwasseruntersuchungen sein täglich Brot sind: Keinesfalls will er seine Klientinnen zum Test drängen. In einem anderen Beratungsgespräch gibt er auf Nachfrage der Schwangeren offen zu, dass seine Frau keine Fruchtwasseruntersuchung machen lassen würde. Down-Syndrom auszuschließen, das wäre ihnen nicht wichtig. Davon abraten möchte er jedoch auch nicht. Er ist sehr darauf erpicht, die Beratenen zu einer eigenen, informierten Entscheidung anzuhalten. Frau A. erklärt gleich zu Beginn der Sitzung, warum sie die genetische Beratungsstelle aufgesucht hat: „Ich bin 39 Jahre alt, das ist nämlich das Problem“, wie sie sagt. Die Korrelation zwischen mütterlichem Alter und der Häufigkeit von chromosomalen Trisomien hat sich bei ihr im Bewusstsein niedergeschlagen, dass sie ein „Problem“ hat – ein Problem, das sie hofft, durch Beratung und Tests lösen zu können. Der Berater spult nun sein Routine-Beratungsprogramm ab. Zunächst fragt er das Ehepaar nach Krankheiten und Auffälligkeiten in der Verwandtschaft. Als er keine weiteren Risiken ausmachen kann, kommt er auf die Frucht-
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wasseruntersuchung zu sprechen. Er erklärt, dass sich damit im Routinefall Chromosomenanomalien feststellen ließen. Nachdem er sich nach dem Alter der werdenden Eltern erkundigt hat, leitet er davon eine Risikozahl ab: B: Ähm, dann würde man aus dieser Alterskombination ein Risiko von ungefähr 2–2,5 Prozent, (– –) ja bleiben wir mal bei 2 Prozent für Chromosomenstörungen, äh, ablesen.
Dass er das Alter des werdenden Vaters einbezieht, ist vollkommen antiquiert. Doch davon einmal abgesehen: Er schreibt Frau A. bzw. dem kommenden Kind ein Risiko zu. Im folgenden Satz macht er allerdings klar, dass er nicht sagen kann, was dieses Risiko für Frau A. bedeutet. Während die Genetikerin von Frau M. die paradoxe Einschätzung abgab, dass ein Risiko von 80–85 Prozent zwar „nichts persönlich sagt“, aber bedrohlich hoch ist, zieht dieser Berater sich ganz anders aus der Affäre: Er fordert seine Klientin einfach dazu auf, das Risiko selbst einzuschätzen: B: Das ist erstmal ja nur ’ne Zahl. Zwei auf hundert, die kann man hoch oder niedrig finden, das ist mit gutem Recht ’ne völlig persönliche Einschätzung. Ähm, jedenfalls können Sie in diesem Umfang durch die Untersuchung (–) Sicherheit gewinnen.
Frau A. kann also im Umfang von 2 – 2,5 Prozent Sicherheit gewinnen. Dieser Sicherheitsgewinn ist laut Berater der Vorteil der Fruchtwasseruntersuchung. Aber: Er hätte auch seinen Preis. B: Der Nachteil einer Fruchtwasseruntersuchung, das habe ich nun noch nicht gesagt gehabt, liegt darin, dass man in seltenen Fällen dadurch eine Fehlgeburt auslösen kann. F: Das ist auch meine Angst. B: Das passiert nun nicht so oft, dass man das dramatisieren müsste, aber wissen müssen Sie es schon. Wenn wir es 200-mal machen, wird es einmal passieren, und wir wissen nicht bei wem.
Welche anderen Folgen die Fruchtwasseruntersuchung haben könnte, darüber schweigt sich der Berater aus. Er klärt die werdenden Eltern weder darüber auf, dass sie auch mit unerwarteten und unklaren Befunden rechnen müssen, noch darüber, was nach einem auffälligen Test passiert. Brächte der Test nämlich nicht den erhofften Sicherheitsgewinn, sondern ein auffälliges Ergebnis, dann würde er dem Ehepaar A. eine dramatische
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3 Die informierte Entscheidung
Entscheidung aufzwingen: Sie müssten überlegen, ob Frau A. das Kind trotz chromosomaler Normabweichung austrägt oder ob sie die Schwangerschaft abbricht. Dieses Thema sprechen Genetiker nicht gerne an – schließlich sitzen sie einer Schwangeren gegenüber, die sich in aller Regel auf das Kind freut. Darüber hinaus handelt es sich bei einem solchen Schwangerschaftsabbruch auch nicht um ein einfaches Absaugen, sondern um eine hormonell ausgelöste Geburt im 5. Monat. Offenbar ist das jedoch nichts, was Schwangeren für eine informierte Entscheidung klar sein sollte. In vielen Beratungssitzungen blenden sowohl Berater als auch Klientinnen die Frage, was auf einen auffälligen Befund folgt, einfach aus. Auch während der Beratung von Ehepaar A. kommt das Thema Schwangerschaftsabbruch kein einziges Mal zur Sprache.127 Nachdem der Gynäkologe das Ehepaar über das Risiko für Chromosomenstörungen bei ihrem Sprössling sowie über die Chancen und Risiken der Fruchtwasseruntersuchung aufgeklärt hat, stellt er klar, dass er ihnen nun nicht mehr weiterhelfen kann. Ausdrücklich fordert er das Ehepaar dazu auf, selbst zu einer Entscheidung zu kommen. Als Experte ist er ratlos: B: Es gibt keine, äh, es gibt keinen medizinischen Gesichtspunkt, weshalb man Ihnen jetzt sagen müsste, nun müssen Sie jenes tun oder jenes lassen. So einfach geht das nicht.
Tatsächlich kann eine Fruchtwasseruntersuchung nicht medizinisch indiziert sein (Schmidtke 1995). Auch, wenn der Berater den Eingriff nachher für die Krankenkasse mit der sogenannten Altersindikation begründen wird: Der Begriff „Indikation“ ist in diesem Zusammenhang irreführend. Zum einen, weil ein vorgeburtlicher Chromosomencheck keine Gründe für eine Therapie, sondern nur Gründe für einen Schwangerschaftsabbruch liefern kann.128 Und zu einem solchen Schwangerschaftsabbruch kann ein Arzt, wenn er nicht Eugeniker oder Psychiater sein will, nicht raten. Zum anderen ist der Begriff „Indikation“ aber auch deshalb irreführend, weil Frauen wie Frau A. oder Frau G. eigentlich nichts fehlt: Sie werden nicht deshalb zu Testkandidatinnen, weil sie irgendwelche Beschwerden oder Symptome haben oder ein Verdacht vorliegt, sondern ausschließlich wegen ihrer statistischen Klassifikation – also deshalb, weil sie aufgrund von Merkmalsvariablen zu einer Risikogruppe gezählt werden. Von einer Wahrscheinlichkeit, „die ja gar nichts persönlich sagt“, um die Genetikerin von Frau M. zu zitieren, kann ein Arzt jedoch keine Indi-
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kation ableiten. Statistisch gesehen, so der Humangenetiker Schmidtke, könne sowieso bei keiner Frau ein genetisches Risiko ausgeschlossen werden. Deshalb möchte er die pränatalen Tests einfach allen Frauen anbieten. Und ihnen beibringen, informierte Entscheidungen zu treffen.
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Die Fruchtwasseruntersuchung ist also keine medizinisch empfehlenswerte diagnostische oder therapeutische Maßnahme, sondern eine Option des Risikomanagements. Eine Option, für die es kein ärztliches Soll gibt, und für die sich Frauen daher aus eigenen Stücken entscheiden müssen. Frau A. und ihrem Mann wird soeben vom Genetiker beigebracht, eine solche Entscheidung informiert und aufgeklärt zu treffen. Sie erfahren, dass sie zwei Entscheidungsmöglichkeiten haben, nämlich die Option „Test“ und die Option „kein Test“. Beide Optionen, so der Berater, bringen Risiken mit sich. Ihre Aufgabe sei es nun, sich für eine der risikobehafteten Optionen zu entscheiden. Sie müssten überlegen, welches der beiden Risiken sie „klären“ und welches sie „in Kauf nehmen“ möchten. Nachdem er der werdenden Mutter das Risiko von 2 Prozent für eine Chromosomenstörung attestiert hat, macht er ihr klar, welche Frage sich nun stellt: B: […] die Frage heißt, ist diese Fragestellung, oder ist dieses Risiko für Sie so schwerwiegend, dass, ähm, dass Sie’s geklärt haben möchten, um den Preis, dass Sie das halbe Prozent Fehlgeburtsrisiko dafür in Kauf nehmen müssen.
Da es keine „medizinischen Gesichtspunkte“ für den Test gibt, wie er gesagt hat, kann Frau A. nun auch nichts falsch machen. Der Berater redet seiner Klientin ein, dass diese Risikoabwägung eine persönliche Sache wäre. Genauso, wie die Beraterin von Frau M. fortwährend unterstrichen hat, dass die Entscheidung ganz individuell ist und sie mit Frau M. gemeinsam den „richtigen Weg“ finden will, so betont auch dieser Berater, dass es hier um die Suche nach dem persönlich Angemessenen geht:129 B: Es geht darum, was ist angemessen, ja? Was passt zu Ihrer jetzigen Lage? Und es geht nicht um richtig oder falsch. F: Hm=hm. Hm=hm.
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3 Die informierte Entscheidung
Was der Berater von Ehepaar A. fordert, ist paradox. Zum einen verdonnert er sie zur eigenen, persönlichen Entscheidung mit der Begründung, dass man keine medizinischen oder wissenschaftlichen Kriterien anlegen könne. Zum anderen leitet er sie dazu an, die Entscheidung auf statistischen Konstrukten zu gründen. Frau A. lernt, dass sie als Schwangere Risiken bilanzieren und eingehen muss. Mit der Option „kein Test“ ginge sie das erhöhte Risiko ein, ein Kind mit einer Chromosomenveränderung zu bekommen. Mit der Option Fruchtwasseruntersuchung nähme sie das Risiko in Kauf, eine Fehlgeburt zu provozieren. Um hier den richtigen Weg zu finden, soll die Schwangere diese Risiken nun gegeneinander abwägen. Was das genau bedeutet, das führt der Genetiker auf Nachfrage des werdenden Vaters wenige Sätze später aus: M: Um noch mal jetzt das (– –), das mathematisch anzubringen: Das Risiko eines mongoloiden Kindes steht 100:2, richtig? B: Ja, also 2 Prozent, 2 von 100. M: Ja, das Risiko eines Schwangerschaftsabbruches steht 200:1. B: Ja. M: Gut. B: Wenn uns jetzt mal, wenn wir jetzt mal uns vorstellen, 200 Frauen wären in Ihrer, oder 200 Familien wären in Ihrer Lage, und wir würden bei allen diesen Frauen eine Fruchtwasseruntersuchung machen, dann würden wir erwarten, ähm, dass wir von …, bei diesen 200 Fruchtwasseruntersuchungen vier mal eine Chromosomenanomalie finden, auf jeweils 100 nämlich zwei. Und wir würden aber in Kauf nehmen müssen, dass wir durch diese 200 Fruchtwasserentnahmen einmal eine Fehlgeburt auslösen. Wir wissen halt nicht, bei wem. F: ((schnauft)): Mh, ja.
Zuvor hat der Berater noch davon gesprochen, dass sich Ehepaar A. für das entscheiden soll, was angesichts ihrer Lage „angemessen“ ist. Seine Formulierungen suggerierten, es ginge hier um etwas Persönliches, um einen eigenen Weg, den sie finden sollen. Das, was er ihnen nun für die Entscheidung beibringt, ist jedoch in keiner Weise persönlich. Er instruiert die werdenden Eltern, eine hochgradig abstrakte Abwägung vorzunehmen: Sie sollen vier Chromosomenanomalien auf zweihundert Schwangere gegen einen Schwangerschaftsabbruch auf zweihundert Schwangere abwägen. Der Genetiker fordert die werdenden Eltern auf, eine Risikobilanz vorzunehmen, eine Kosten-Nutzen-Abwägung. Sie sollen statistische Risi-
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ken nach Gusto bewerten und anschließend bilanzieren. Sie sollen den Wahrscheinlichkeiten ihre persönlichen Präferenzen hinzufügen und sie anschließend gegeneinander abwägen.130 Eine solche Kosten-NutzenAbwägung ist eine Entscheidungstechnologie, die ihren Ursprung in der Ökonomie hat. Sie dient eigentlich dazu, die Wirtschaftlichkeit von Maßnahmen und Interventionen sicherzustellen. Die erwarteten, statistisch berechneten Kosten werden dabei gegen den erwarteten, statistisch berechneten Nutzen aufgerechnet. Ein Gesundheitsökonom, der die Wirtschaftlichkeit der Maßnahme „Fruchtwasseruntersuchung“ prüfen will, würde ein solches Verfahren anwenden. Ihm käme es darauf an, statistisch erfassbare Kosten und Nutzen131 zu bilanzieren. Dazu würde er die Häufigkeiten von unerwünschten Nebenwirkungen, darunter die induzierten Fehlgeburten, mit der Häufigkeit von erwünschten Ergebnissen, nämlich festgestellten Chromosomenaberrationen, vergleichen. Je nach Ausgangsfrage würde er dann vielleicht vorschlagen, bestimmte Parameter der Maßnahme zu verändern, um das Verhältnis zwischen Kosten und Nutzen zu optimieren. So könnte beispielsweise die Veränderung der Testpopulation dazu beitragen, den gesundheitsökonomischen Nutzen zu verbessern. Der Ersttrimestertest beispielsweise hat genau diese Funktion: Er „verringert […] nachhaltig die Rate der invasiven Diagnostik und der damit verbundenen eingriffsbezogenen Aborte bei einer gleichzeitigen Steigerung der Detektionsrate“, wie es zwei Humangenetiker formulieren (Eiben und Glaubitz 2005). Eine Risikobilanz dient also dazu, statistisch messbare und bewertbare Gesamtergebnisse abzuwägen. Für die Schwangere jedoch, die dem Genetiker gegenübersitzt, macht eine solche Entscheidungstechnik keinen Sinn. Für sie sind statistische Gesamtergebnisse irrelevant – sie sorgt sich um das eine Kind, das da kommen soll. Darauf ein ökonomisches Kalkül anzuwenden, ist nicht nur unmenschlich, sondern auch absurd.132 Der Berater hat seiner Klientin jedoch keine fachfremden Kalküle abverlangt, sondern sie in die Logik eingeführt, die seiner Dienstleistung zugrunde liegt. Die gesamte Pränataldiagnostik baut auf Risikobilanzen auf. Wird beispielsweise einer Schwangeren ein „erhöhtes Risiko“ für ein Kind mit Down-Syndrom attestiert, so beruht auch dieses – scheinbar medizinische – Attest auf einer Kosten-Nutzen-Abwägung. Ob Altersrisiko oder als „auffällig“ klassifizierter Ersttrimestertest: Ein Risiko wird als „erhöht“ eingestuft und gilt damit als Anlass für einen Test, wenn es größer ist als 1:300. Dieser Cut-off-Point hat keinen medizinischen Grund, sondern
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beruht auf einer Risikobilanz. Mit etwa 1:200 wird die Wahrscheinlichkeit angegeben, durch eine Fruchtwasserpunktion eine Fehlgeburt auszulösen. Damit – statistisch gesehen, also auf lange Sicht – nicht mehr Fehlgeburten ausgelöst als Trisomien gefunden werden, wird hauptsächlich denjenigen Frauenpopulationen die Fruchtwasseruntersuchung angeboten, bei denen das Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom höher ist als das Fehlgeburtsrisiko. Die Schwangeren, denen eine Trisomie-Wahrscheinlichkeit attestiert wird, die geringer ist als 1:300, werden daher nicht zur Zielgruppe der Testkandidatinnen gezählt. Sie gelten als „unauffällig“, als nicht verdächtig und bekommen die Fruchtwasseruntersuchung nur dann, wenn sie darauf bestehen. Schwangere mit einer Trisomie-Wahrscheinlichkeit, die größer als 1:300 ist, zählen hingegen zur Zielgruppe der Testkandidatinnen. Sie gelten als „auffällig“, also „verdächtig“ und werden in Arztgesprächen und Beratungssitzungen zur informierten Entscheidung über einen möglichen Chromosomencheck aufgefordert. In einer anderen Beratungssitzung macht eine Genetikerin die KostenNutzen-Rechnung, auf der das Altersrisiko beruht, explizit. Als sie die Fruchtwasseruntersuchung erörtert, legt sie ihrer schwangeren Klientin eine Tabelle vor, auf der die Wahrscheinlichkeit für Trisomie 21 in Abhängigkeit vom Alter verzeichnet ist. Sie kommentiert: B: Es ist ja, wissen Sie ja auch, ein bisschen ein Fehlgeburtsrisiko auch mit drin. Ist zwar gering, aber null ist es sicher nicht. Sonst … es würden sonst hier ((sie deutet in der Tabelle auf das Alter unter 35)) mehr gesunde Kinder zu ’nem Abgang kommen, als dass man mal was finden würde. Ab hier ((sie deutet in der Tabelle auf das Alter von 35)) fängt das in etwa auch im Verhältnis an zu stehen, dass man mal was finden könnte.
Das sogenannte Altersrisiko ist also nichts anderes als ein Instrument zur Herstellung von Testpopulationen, für die sich der Chromosomen-Check statistisch gesehen lohnt. Es ist ein Merkmal, mit dem eine Zielgruppe für eine weitere Überprüfung hergestellt wird. Würden nämlich alle Schwangeren einer Fruchtwasseruntersuchung unterzogen, dann käme es in der Gesamtbilanz zu mehr Abgängen „gesunder Kinder“ als zur Entdeckung von Chromosomenveränderungen. Wird jedoch eine Population von Schwangeren ausgesiebt, in der die Wahrscheinlichkeit von auffälligen Befunden größer ist als die Wahrscheinlichkeit einer ausgelösten Fehlgeburt, dann ist die Gesamtbilanz positiv. Sowohl das Altersrisiko als auch der
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Ersttrimestertest oder der Triple-Test dienen als ein solches Sieb zur Herstellung von Testpopulationen. Die Tests werden als Screenings* eingesetzt und erfassen biologische und sonografische Merkmale, anhand derer Frauen schließlich ein Risikoprofil zugewiesen werden kann – ein Risikoprofil, das sie zu potenziellen Testkandidatinnen macht oder nicht. Der Genetiker hat Frau A. nun dazu aufgefordert, anhand dieser Kosten-Nutzen-Logik über ihre Schwangerschaft zu entscheiden. Sie soll sowohl „2 von 100“ und „1 von 200“ als auch „Fehlgeburt“ und „Sicherheit gewinnen“ miteinander bilanzieren. Die nackten Wahrscheinlichkeiten reichen für das Entscheidungskalkül nicht aus. Sie stecken nur den Rahmen ab, innerhalb dessen die Entscheidung getroffen werden soll. Frau A. muss den Risikozahlen noch ihre persönlichen Bewertungen hinzufügen. Sie soll ihre Wünsche, Ängste und Hoffnungen mit den Risiken verrechnen, um zu einer zugleich eigenen und rationalen Entscheidung zu kommen. Der Genetiker fordert sie daher nachdrücklich auf, die jeweiligen Risiken persönlich zu bewerten und eine individuelle Kosten-Nutzen-Abwägung vorzunehmen: B: Wenn am Ende in Ihrer Einschätzung die Vorteile einer Fruchtwasseruntersuchung einen höheren Stellenwert haben als der Nachteil des Fehlgeburtsrisikos, (–) wenn das so ist, dann wäre eine Untersuchung sicher angebracht. Wenn’s aber gerade nicht so ist und Sie das Fehlgeburtsrisiko der Fruchtwasseruntersuchung mehr fürchten (–) als Sie den Vorteil schätzen, dann sollten Sie es lieber nicht tun.
Der Genetiker führt seine Schwangere in das managerial decision-making* ein, in eine Entscheidungstechnologie, die aus dem Unternehmensbereich stammt. Sie soll Chancen und Risiken mit persönlichen Präferenzen verrechnen und dann eine Risikoabwägung vornehmen. Auf diese Weise soll sie zwischen Optionen wählen, die er ihr als risikoträchtig und entscheidungsbedürftig präsentiert hat – und die letztlich den Fortgang ihrer Schwangerschaft betreffen. Damit verlangt er von der werdenden Mutter, eine ökonomische Perspektive auf ihre Schwangerschaft einzunehmen – und entsprechend zu handeln. Er macht sie zur Managerin ihres kommenden Kindes.
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3 Die informierte Entscheidung
3.4
Die Entscheidungsfalle 3.4 Die Entscheidungsfalle
Am Beispiel des pränatalen Entscheidungsunterrichtes wird besonders deutlich, welche Haltung und welche Denkweise die informierte Entscheidung verlangt. Gegenüber einer Schwangeren buchstabieren Genetiker die geforderte Entscheidung genau durch. Ausdrücklich und Schritt für Schritt weisen sie ihre Klientinnen in einen ökonomischen Denkstil ein, in eine unternehmerische Entscheidungsstrategie. Doch am Beispiel schwangerer Frauen zeigt sich nicht nur, welche Denkform der informierten Entscheidung zugrunde liegt, sondern auch, welchen Preis sie hat. „Frauen lassen sich auf ein vernunftgeleitetes Suchen von Information und Wahlmöglichkeiten ein und finden sich in einem Albtraum wieder“, so beschreibt Rothman (1989, 182) die Erfahrung von Schwangeren, denen zu spät aufging, worauf sie sich da eingelassen hatten. Die Aufforderung zur Entscheidung anhand von Optionen und Risiken stellt nicht nur ihr Selbstvertrauen, ihre Intuition und ihre Zuversicht infrage, sondern noch viel mehr: ihr kommendes Kind. Mit der Aufklärung über Risiken, Testoptionen und Wahlmöglichkeiten redet der genetische Berater seiner Klientin ein, der Ausgang ihrer Schwangerschaft sei Sache ihrer Entscheidung. Sie ist dazu aufgefordert, sich zu überlegen, ob sie das Ungeborene angesichts seines derzeitigen Risikoprofils austrägt, oder ob sie sein Kommen von weiteren Tests abhängig macht. Sie soll ein managerial decisionmaker sein über ein werdendes Du, das sie unter dem Herzen trägt. Eine solche Management-Entscheidung fordert eine Form der Wahrnehmung und des Denkens, die mit dem, was Schwangerschaft und Mutterwerden bis vor Kurzem bedeutete, nichts mehr zu tun hat. Die vorgeburtlichen Risikoabwägungen, zu denen Frauen heute routinemäßig aufgefordert werden, zerstören jene Haltung, die bis vor wenigen Generationen Sinnbild für die Schwangerschaft war: die gute Hoffnung. Bis zur Einführung der Pränataldiagnostik in den 1970er Jahren mussten Frauen, die ein Kind erwarteten, keine Entscheidungen treffen.133 Sie waren in „anderen Umständen“ und versuchten schlechte Gedanken, ungestillte Gelüste, einen erschreckenden Anblick oder andere schädliche Einflüsse zu vermeiden. Bei allem jedoch, was sie taten oder ließen – der Ausgang der Schwangerschaft blieb immer ungewiss (Duden 2002b). Die Wirklichkeit dessen, was bereits latent in ihnen gegenwärtig war, würde sich erst bei der Geburt offenbaren. Bevor Biologie und Medizin im
3.4 Die Entscheidungsfalle
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19. Jahrhundert das Ungeborene als Fötus objektivierten, gab es daher auch keine objektivierbare Schwangerschaft. „Schwanger“, das war der Ausdruck für die besondere Haltung der Frau dem kommenden Kind gegenüber, ihre somatische hexis134 (Duden 2000). Frauen befanden sich also in einem besonderen Zustand des „Noch-Nicht“. Sie waren, wie man im Deutschen so schön sagt, guter Hoffnung. Ultraschall, pränatale Tests und risikobezogene Schwangerenvorsorge machen diese besondere Haltung einer Frau weitgehend unmöglich. Biologie und Medizin haben das Schwangersein in einen entwicklungsbiologischen Vorgang umgedeutet, der von Experten überwacht und gemanagt werden muss. Im Zentrum der medizinischen Aufmerksamkeit steht heute nicht die schwangere Frau, sondern ein technogenes Konstrukt: der Fötus und seine normgerechte Entwicklung. Durch sonografische Überwachung und Labortests wird das fötale Wachstum auf Risikofaktoren und potenzielle Abweichungen überprüft. Aufgabe der Schwangeren ist es nun, bei der Überwachung und Verwaltung dieses zugeschriebenen Leibesinneren mitzuwirken. Es gilt als Pflicht einer verantwortungsvollen Mutter, das ungeborene Risikoprofil zu managen. Fötale Entwicklungsrisiken soll sie reduzieren und optimale Bedingungen für sein Wachstum herstellen, sei es durch Käseverzicht, Vitamintabletten, sonografische Beschallung oder Chromosomencheck.135 Der genetische Entscheidungsunterricht spitzt diese Verwandlung der werdenden Mutter in eine fötale Risikomanagerin weiter zu. Der Genetiker verpflichtet die Schwangere nicht nur zu Käseverzicht und Ultraschall, sondern bürdet ihr eine ganz neue Aufgabe auf: Sie muss selbst entscheiden und sich für die Risiken, die sie damit eingeht, verantwortlich fühlen. Einfach ihre Pflicht erfüllen, indem sie die medizinischen Vorschriften befolgt, kann sie nun nicht mehr. Mit Folsäure-Tabletten, regelmäßigen Arztbesuchen und Ultraschallkontrollen ist es jetzt nicht mehr getan. Der entlastenden Illusion, alles richtig gemacht zu haben, wenn sie nur die ärztlichen Vorschriften befolgt, der kann sie sich jetzt nicht mehr hingeben. Sie wird nun selbst für das Management des fötalen Risikoprofils verantwortlich gemacht – und damit auch für den Ausgang der Schwangerschaft. Ratgeberliteratur, Frauenärzte und Genetiker bläuen ihr ein, dass sie selbst wissen muss, wie sie mit dem Risikoprofil in ihrem Inneren umgeht: welche Untersuchungen sie in Anspruch nimmt, wie sie die Risiken einschätzt und welche Konsequenzen sie daraus zieht. Die Schwangere wird also geradezu genötigt, risikobezogene Entschei-
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3 Die informierte Entscheidung
dungen über ihre Schwangerschaft zu treffen – ganz gleich, ob sie über Ersttrimestertest oder Fruchtwasseruntersuchung entscheiden soll und ob sie schließlich „Ja“ oder „Nein“ sagt.136 Die genetische Beratung von Frau A. hat diesen Zwang zum managerial decision-making über das Ungeborene deutlich gemacht. Als Schwangere, so der Berater, hat Frau A. zwei Entscheidungsmöglichkeiten: Entweder, sie bringt ihr Kind ungetestet zur Welt und geht damit das Risiko von 2 Prozent ein, dass es eine Trisomie haben könnte. Oder sie lässt sich testen und nimmt dafür das Risiko in Kauf, eine Fehlgeburt auszulösen sowie die Möglichkeit, bei auffälligem Befund über den Fortgang ihrer Schwangerschaft entscheiden zu müssen.137 Beide Möglichkeiten, Test oder kein Test, hat der Genetiker als Optionen dargestellt, die einer Entscheidung bedürfen. In beiden Fällen muss die Schwangere das, was auf ihre Entscheidung folgen könnte, selbst verantworten. Kann Frau A. sich der Logik der genetischen Aufklärung nicht entziehen, so sitzt sie anschließend in einer Falle: in der Entscheidungsfalle. Ihr bleibt nichts anderes übrig, als zwischen risikobehafteten Optionen zu wählen. Sie ist gezwungen, ihre gute Hoffnung aufzugeben und sich zu einer Abwägung zu entschließen.138 Das ist der versteckte Lehrplan der zahlreichen Beratungs- und Aufklärungsvorgänge rund um die moderne Schwangerschaft: Frauen wird eingeredet, dass es zu den Aufgaben einer verantwortungsbewussten Schwangeren gehört, eine kalkulierte, abwägende Entscheidung über ihr kommendes Kind zu treffen. Einmal in der Entscheidungsfalle, gibt es nur noch informierte Entscheidungen. Der pränatale Entscheidungsunterricht verwandelt auch die Ablehnung in eine vorgefertigte und risikoträchtige Option.139 Der fundamentale Unterschied zwischen einem „Ja“ und einem „Nein“ zu vorgeburtlichem Checkup und „Schwangerschaft auf Abruf“ (Rothman 1989) löst sich auf. Die Ablehnung wird zu einer der Annahme analogen Option. Selbst, wenn sie einfach nur schwanger sein und sich auf ihr Kind freuen will, muss sich die Schwangere ausdrücklich für die Fortsetzung ihrer Schwangerschaft entscheiden und die vorhergesagten Risiken eingehen. Die Geburt des Kindes ist also zur Option geworden, die die werdende Mutter wählen muss – und für die sie anschließend verantwortlich gemacht werden kann. Die Entscheidungsfalle macht das, was in der Generation meiner Eltern Mutterwerden bedeutete, unmöglich: ihr kommendes Kind ohne Wenn und Aber auf die Welt zu bringen. Wird heute ein Kind geboren, so war die Schwangere nicht mehr guter Hoffnung, sondern hat sich infor-
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miert entschieden. Und zwar nicht dafür, eine Familie zu gründen oder die Schwangerschaft trotz flüchtigen Kindsvaters auszutragen, nein – sie musste eine ganz andere Entscheidung fällen: die berechnete Entscheidung, dieses Risikoprofil auf die Welt zu bringen und sich dafür verantwortlich zu fühlen.140
4
Schluss: Entmündigende Selbstbestimmung
4.1
Die Tyrannei der Entscheidung 4 Schluss: 4.1 Entmündigende Die TyranneiSelbstbestimmung der Entscheidung
Was entschieden werden kann, muss auch entschieden werden. Das Leben wird heute nicht mehr von Tradition, Natur und Schicksal bestimmt – so eine soziologische Binsenweisheit –, sondern ist bis ins Biologische hinein von eigenen Entscheidungen abhängig geworden (Beck und Beck-Gernsheim 1994, Beck-Gernsheim 1995). Nicht nur Beruf, Partner und Lebensstil seien wählbar geworden, so heißt es, sondern auch das, was bisher als „Körper“ oder „Natur“ gegeben und unverfügbar schien. Wissenschaft und Technik könnten das menschliche Sein bis in seine molekularen Grundlagen hinein steuern und gestalten und hätten es damit unseren Entscheidungen anheim gestellt. So lässt sich der Tenor zahlreicher sozialwissenschaftlicher Analysen zusammenfassen, die den neuen Entscheidungszwängen unserer Zeit gewidmet sind. Vor diesem Hintergrund erklären sie auch die informierte Entscheidung über genetische Tests zu einem unausweichlichen Sachzwang, ja zum Menschheitsgeschick. Selbst Autoren, die der spezifischen Macht der Biopolitik auf die Spur kommen wollen, kolportieren diesen Mythos der technischen Machbarkeit. Die moderne Biopolitik zeichne sich dadurch aus, so beispielsweise Nikolas Rose, dass sie Menschen als biologische Wesen gestalten und steuern kann: „Vital politics […] is concerned with our growing capacities to control, manage, engineer and reshape, and modulate the very vital capacities of human beings as living creatures“ (Rose 2007, 3). Das, was Rose „autonomization“ und „responsibilization“ im Gesundheitswesen nennt, also das Aufbürden von Selbstbestimmung und Verantwortung, erscheint dann als unvermeidliche Folge dieser neuen Machbarkeiten. Angesichts der neuen Gentests, so bestärkt auch der Soziologe Thomas Lemke die neuen Entscheidungszwänge, führe kein Weg mehr an der genetischen Selbstbestimmung vorbei: Auch das „Nein“ zum Test sei eine Form der Selektion, nämlich die Auswahl eines „natürlichen genetischen Make-ups“.141 Durch die Tests ließe sich also nicht nur das Schicksal entscheiden, so Lemke, sondern Entscheidung sei auch unser Schicksal geworden: „Die bloße Ver-
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4 Schluss: Entmündigende Selbstbestimmung
fügbarkeit eines Gentests zwingt zur Entscheidung, sich testen zu lassen oder dies nicht zu tun, sie erfordert notwendig eine Wahl zwischen verschiedenen Optionen. Dabei handelt es sich weniger um die Alternative zwischen Selbstbestimmung und Schicksal, eher ist Selbstbestimmung unser Schicksal geworden“ (Lemke 2004, 92). Die genetische Beratung hat das Ziel, Bürger zu eben jener neuen Selbstbestimmung zu erziehen. In welche Widersprüche und Aporien sie dabei geführt werden, zeigen die Beratungssitzungen von Frau M., Frau K., Frau G. und Frau A. sehr deutlich. Die Verheißung von Wissen, Entscheidung und Machbarkeit entpuppt sich bei genauem Hinsehen als Falle. Den Beratenen wird eingeredet, sie müssten entscheiden und Risiken eingehen, ohne dass sie jedoch beeinflussen können, was sie tatsächlich betrifft. Die Expertise des Genetikers, die ihnen als bedeutsames Wissen aufgetischt wird, und die angebotenen Dienstleistungen gründen sich auf statistische Artefakte: auf Risikoprofile und mögliche Ereignisse in Populationen. Diese möglichen Ereignisse – ob Krebserkrankungen oder behinderte Kinder – nimmt der Genetiker als berechenbare Risiken vorweg. Die Höhe dieser Risiken bestimmt er anhand von statistischen Merkmalen der Klientin, indem er sie zu entsprechenden Populationen zählt und ihr deren Wahrscheinlichkeiten als vermeintlich persönliche Risiken zuschreibt. Was Frau M., Frau K. oder Frau A. durch ihre Entscheidungen beeinflussen können, ist dieses Risikoprofil. Wählen sie eine der vorgegebenen Optionen, so verändern sie ein Merkmal, werden daraufhin zu einer anderen Population gezählt und modifizieren somit auch die Höhe der attestierten Risiken. Wählt Frau K. beispielsweise die Option Gentest, verändert sich – durch die Einbeziehung eines genetischen Merkmals – die Eintrittswahrscheinlichkeit für die Krebserkrankung. Sie wird zu einer neuen statistischen Population gezählt, und bekommt deren probabilistischen Eigenschaften als neues Risiko zugewiesen. Wählt Frau A. die Option Fruchtwasseruntersuchung, so minimiert sie das Risiko für mikroskopisch erkennbare Chromosomenveränderungen, ruft dafür aber das Risiko für eine induzierte Fehlgeburt auf den Plan.142 Diese Korrelation zwischen Merkmalen auf der einen Seite und Ereignissen in Populationen auf der anderen Seite suggeriert, dass das, was jemandem in Zukunft passieren könnte, in der Gegenwart manipulierbar wäre. Mithilfe von Statistik und Wahrscheinlichkeitstheorie konstruieren die Berater also eine vorweggenommene Zukunft, die berechenbar und verfügbar erscheint.143
4.2 Selbstbestimmte Entscheidung als Sozialtechnologie
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Was mit Frau K. und Frau A. tatsächlich geschehen wird, steht jedoch auf einem ganz anderen Blatt. Auch, wenn sie ihr Risikoprofil pflichtbewusst managen: Das, was für sie bedeutsam ist, können sie dadurch nicht entscheiden. Wie es ihnen nachher ergangen sein wird, das lässt sich durch Risikomanagement nicht vorwegnehmen. Ob Frau K. irgendwann im Leben einen Knoten in der Brust haben wird, in welchem Alter, und wie die Krankheit dann verläuft, das bleibt offen. Und ob das Kind von Frau A. gesund auf die Welt kommt und ein normales Leben führen kann oder nicht, das kann ebenfalls niemand bestimmen. Dennoch hat die Beratung beide Frauen in eine Zwangslage gebracht. Die Genetiker haben ihnen eingeredet, dass sie auf jeden Fall eine Entscheidung treffen müssen und damit die entsprechenden Risiken eingehen.144 Nun sitzen sie in der Entscheidungsfalle. Die Pflicht zur informierten Entscheidung macht sie zum decision-maker, wo sie nichts tun können, und erklärt sie verantwortlich, wo sie machtlos sind. Hinterrücks kann ihnen nun das, was passiert, zur Last gelegt werden. Bekommt Frau K. Brustkrebs, sind ihre risikoträchtigen Gene schuld, die sie nicht sorgfältig genug gemanagt hat. Bekommt Frau A. ein behindertes Kind, so war das ihre Wahl; schließlich hat sie sich für die Geburt dieses Risikoprofils entschieden.
4.2
Selbstbestimmte Entscheidung als Sozialtechnologie 4.2 Selbstbestimmte Entscheidung als Sozialtechnologie
Bereits 1981 beschrieb der französische Sozialwissenschaftler Robert Castel die Verwaltung von Risikoprofilen als neue Form der Sozialtechnologie, die nicht mehr von Menschen ausgeht, sondern von statistischen Konstrukten. Menschen werden durch Risikoprofile „gekennzeichnet“, wie es Castel nennt, und bestimmten „Laufbahnen“ zugewiesen: „Man steht vor der Perspektive einer automatisierten Steuerung der Populationen auf der Basis von differentiellen Profilen“, so fasste er vor rund drei Jahrzehnten die neue Form einer risikobezogenen Sozialtechnologie zusammen (Castel 1983). Zu einer „automatisierten Steuerung“ ist es jedoch nicht gekommen. Weitaus effektiver als ein administratives Regime, das von oben steuert, ist die gelenkte Selbstbestimmung: die Anleitung zu informierten Entscheidungen. Bürger werden nicht zu passiven Verwaltungsobjekten degradiert, sondern zum Risikomanagement in eigener Sache mobilisiert.145 Sie bekommen keine Laufbahn vorgeschrieben, sondern müssen selbst entscheiden. Genetiker weisen ihnen Risikoprofile zu, bieten ihnen
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4 Schluss: Entmündigende Selbstbestimmung
verschiedene Laufbahnen als Entscheidungsmöglichkeiten an und fordern sie auf, für alles Weitere selbst die Verantwortung zu übernehmen. Als Immanuel Kant vor rund 250 Jahren den Begriff „Selbstbestimmung“ prägte, konnte er sich eine solche Verkehrung von Aufklärung und Mündigkeit wohl noch nicht vorstellen. Mit der Fähigkeit, „sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen“146, hat das expertengelenkte Selbstmanagement des 21. Jahrhunderts nichts mehr zu tun. Wer heute als mündig gelten will, muss sich für seine Entscheidungen professionell anleiten lassen. Wer heute als selbstbestimmt gelten will, muss sich von Experten sagen lassen, was dieses „Selbst“ überhaupt ist – und welche Optionen für seine „Bestimmung“ im Angebot sind. Was Bürger dann lernen, ist, sich selbst als statistisches Artefakt zu behandeln. Im Namen von Selbstbestimmung werden sie dazu aufgefordert, ihre Subjektivität, ja ihre Person zu verleugnen. Damit ist Jürgen Habermas’ Schreckensvision von der genetischen Instrumentalisierung des Menschen bereits Wirklichkeit geworden (Habermas 2001).147 Nicht erst der gentechnisch hergestellte Mensch, wie Habermas glaubt, sondern bereits seine gedanklichen und weltanschaulichen Voraussetzungen verwischen „anthropologisch tief sitzende kategoriale Unterscheidungen zwischen Subjektivem und Objektivem, Gewachsenem und Gemachtem“ (Habermas 2001, 112). Nicht erst die gentechnische Manipulation verwandelt unverwechselbare Menschen in etwas Berechenbares und Machbares, sondern bereits die Pflicht zur informierten Entscheidung. Welche Abgründe sich auftun, zeigt sich besonders dann, wenn eine Schwangere zur informierten Entscheidung aufgerufen ist. Die genetische Aufklärung stellt nicht nur ihr Selbstverständnis und ihren Gegenwartssinn infrage, sondern auch ihre Haltung zum werdenden „Du“. Die Genund Risikolektionen fordern sie nicht nur dazu auf, ihre eigene Person zu verleugnen, sondern auch die Einzigartigkeit ihres kommenden Kindes. Indem der Genetiker seine Klientin zum managerial decision-making über ihre Schwangerschaft anhält, fordert er sie zur Entmenschlichung dessen auf, was sie unter dem Herzen trägt. Für die informierte Entscheidung, zu der er sie anleitet, soll sie das „Du“, das in ihr wächst, als Risikoprofil vorwegnehmen, als gesichtslosen Fall. Und daraufhin abwägen, ob sie es annehmen will oder nicht.
4.3 Schlusswort: Was nun?
4.3
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Schlusswort: Was nun? 4.3 Schlusswort: Was nun?
Wenn ich Vorträge halte oder Interviews gebe, werde ich häufig gefragt: „Was nun? Sollen etwa die Mediziner wieder entscheiden?!“ Schnelle Lösungen kann ich nicht anbieten. Keinesfalls geht es mir darum, Pflichten und Entscheidungsbefugnisse hin und her zu schieben oder in den Chor derjenigen einzustimmen, die noch mehr professionelle Beratung fordern – neben der medizinischen auch noch patientenzentrierte, ganzheitliche oder psychosoziale. Mein Anliegen ist ein anderes: Mir geht es darum, die Gegenwart zu verstehen, um mich an ihr zu befremden. Ich möchte mir und anderen die Erfahrung eröffnen, dass man auch „anders denken kann, als man denkt, und anders wahrnehmen kann, als man sieht“ (Foucault 1986, 15). Daher habe ich versucht, den Denkzwängen „Gen“, „Risiko“ und „informierte Entscheidung“ ihre Macht zu nehmen. Ich wollte zeigen, dass sie eine Denkweise voraussetzen, in der Menschen zu berechenbaren Konstrukten verkommen, zu gesichtslosen Risikoprofilen. Ich hoffe, dass ich damit Mut machen konnte: Mut, auf Herz und Verstand zu vertrauen und sich nicht in die Entscheidungsfalle führen zu lassen – damit die Gartentomate nicht zum Genfood und der Nächste nicht zum Genträger mutiert.
Glossar Glossar
Dieses kritische Glossar soll mit der Materie weniger vertrauten Leserinnen und Lesern die Lektüre erleichtern. Daher nutze ich es sowohl zur Erläuterung von Fachausdrücken wie „Amniozentese“ oder „Korrelation“ als auch für kleine Exkurse zu ausgewählten Themen bzw. Begriffen wie „Eugenik“ oder „Information“. Keinesfalls erhebe ich hier Anspruch auf eine umfassende Darstellung; mir kommt es vielmehr darauf an, diejenigen Zusammenhänge und Hintergründe zu kommentieren, die mir für das Verständnis der „Entscheidungsfalle“ wichtig erscheinen. Amniozentese (Fruchtwasseruntersuchung/Fruchtwasserpunktion) Amniozentese ist der lateinische Fachausdruck für die Fruchtwasseruntersuchung. Dafür wird der Schwangeren ab der 15. Schwangerschaftswoche (SSW) – für die riskantere Frühamniozentese auch schon ab der 12. SSW – mit einer Kanüle durch die Bauchdecke gestochen und Fruchtwasser entnommen (Punktion). Dort befinden sich Zellen des Ungeborenen, die kultiviert und genetisch untersucht werden. Bei einer Routine-Amniozentese wegen des Altersrisikos oder eines auffälligen Ersttrimestertestes* wird ein sogenanntes Karyogramm erstellt, ein Chromosomenbild. Dabei können Veränderungen der Chromosomenanzahl sowie mikroskopisch sichtbare strukturelle Veränderungen entdeckt werden. Eine der häufigsten Chromosomenveränderungen – und Zielscheibe der meisten pränatalen Check-ups – ist die Trisomie 21*, der chromosomale Befund für das Down-Syndrom*. Darüber hinaus wird auch der Gehalt an AFP (Alpha-Feto-Protein) im Fruchtwasser bestimmt, der Hinweise auf mögliche Neuralrohrdefekte geben kann, also auf Verschlusstörungen an der Wirbelsäule („offener Rücken“). Die Punktion kann eine Fehlgeburt auslösen; die Wahrscheinlichkeit wird in der Regel mit 0,5 Prozent (1 : 200) angegeben. Die Kultivierung der Zellen für die Chromosomenuntersuchung dauert etwa zwei Wochen, sodass die Schwangere das Ergebnis erst in der 17. bis 18. SSW erhält. Der sogenannte pränatale Schnelltest oder FISH-Test, der bereits nach zwei Tagen ein erstes Ergebnis liefern kann, ersetzt diese langwierige Erstellung eines Chromosomenbildes nicht. Die Schwangere muss also im fünften Monat entscheiden, ob sie die Schwangerschaft aufgrund des Laborbefundes austrägt oder abbricht. Attestiert der Genetiker seiner Klientin aufgrund der Familiengeschichte ein erhöhtes Risiko für eine genetisch bedingte Erkrankung, dann können nach der Fruchtwasserpunktion auch entsprechende Gentests durchgeführt werden.
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Die erste Fruchtwasserpunktion unter Ultraschallkontrolle, nach der eine Chromosomenanomalie in den Zellen des Ungeborenen festgestellt wurde, fand 1968 in den USA statt. In den 1970ern wurde die Amniozentese in die medizinische Schwangerenvorsorge eingeführt, zunächst als Sondermaßnahme für eine kleine Gruppe von Frauen: Für diejenigen, die aufgrund ihres Lebensalters zu einer Schwangerenpopulation gezählt werden, in denen Trisomie 21 häufiger vorkommt. Dieses sogenannte Altersrisiko wurde zunächst allen Schwangeren ab 38 angehängt, später ab 35. Im Alter von 35 Jahren nähert sich die statistische Wahrscheinlichkeit, ein Kind mit Down-Syndrom zu gebären, mit etwa 1:380 dem Risiko an, durch die Punktion eine Fehlgeburt auszulösen. Heute hat das Altersrisiko allerdings an Bedeutung verloren. Nicht-invasive Screeninguntersuchungen* wie der Ersttrimestertest werden allen Schwangeren angeboten und weisen ihnen ein sogenanntes individuelles Risiko zu. Gemeinhin wird die Risikoziffer von 1:300 als Schallgrenze gehandelt, ab der ein Risiko als „erhöht“ und damit als Grund für eine Fruchtwasseruntersuchung gilt. Bioinformatik Die computergestützte Verarbeitung (molekular-)biologischer Daten wird Bioinformatik genannt und ist inzwischen eine unverzichtbare Grundlage der Lebenswissenschaften*. Die Genomforschung produziert eine Datenlawine über DNASequenzen, Proteine, Genexpression etc., die in großen Datenbanken gespeichert und mithilfe von Software-Programmen statistisch-mathematisch ausgewertet wird. Diese Programme dienen beispielsweise dazu, Molekülstrukturen zu modellieren, DNA-Sequenzen zu vergleichen, genetische Regulationsmodelle zu erstellen oder Assoziationen zwischen mehreren genetischen Markern* und phänotypischen* Eigenschaften herzustellen. Ohne bioinformatische Methoden wäre Genom-Sequenzierung (Humangenomprojekt*) nicht möglich; mit deren Hilfe werden sequenzierte Fragmente zu einer Gesamtsequenz zusammengefügt. Bioinformatik ist inzwischen an zahlreichen Hochschulen ein eigenes Studienfach. Chorionzottenbiopsie Die Chorionzottenbiopsie kann früher durchgeführt werden als die Amniozentese; empfohlen wird sie in der Regel ab der 11. SSW. Dabei wird der Schwangeren, meist durch die Bauchdecke, fötales* Gewebe aus dem Mutterkuchen entnommen. Anschließend können die gleichen chromosomalen und genetischen Tests durchgeführt werden wie nach einer Fruchtwasseruntersuchung; erste Ergebnisse liegen allerdings schon nach wenigen Tagen vor. Der Eingriff löst jedoch öfter Fehlgeburten aus als die Amniozentese; die angegebenen Zahlen schwanken zwischen 1– 5 Prozent. Außerdem passiert es häufiger, dass die Ergebnisse unklar sind, sodass die Biopsie wiederholt oder eine Fruchtwasseruntersuchung durchgeführt wird.
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Decision-making Im Englischen lassen sich die Tätigkeiten „entscheiden“ (to decide) und decisionmaking unterscheiden. Letzterer ist ein Terminus, der von der Entscheidungstheorie geprägt ist, also von der wissenschaftlichen Erforschung und Modellierung von Entscheidungen in Situationen der Ungewissheit (Ian Hacking definiert die Entscheidungstheorie als „theory of deciding what to do when it is uncertain what will happen“, siehe Hacking 1975, 62). „Entscheidung“ als entscheidungstheoretischer Fachterminus hat eine sehr technische Bedeutung, die mit der umgangssprachlich bezeichneten Tätigkeit „entscheiden“ nichts mehr zu tun hat: Alles, was sich als Entscheidungsknoten von zwei oder mehr Optionen mit ungewissen Folgen modellieren lässt, analysiert die Entscheidungstheorie als „Entscheidung“ – ganz gleich, ob Kinder sich Eis aussuchen dürfen, Fliegen vor einer Fliegenpatsche fliehen oder Computerprogramme zusammenbrechen. Großen Einfluss hat die Entscheidungstheorie in der Ökonomie, wo es darum geht, Entscheidungsstrategien zu entwickeln, durch die Gewinnchancen maximiert und Verlustrisiken minimiert werden. Eine grafische Darstellung der Strategie des decision-making ist der Entscheidungsbaum: An jedem Entscheidungsknoten werden die jeweiligen Optionen aufgelistet sowie deren mögliche outcomes. Diesen möglichen outcomes – bei der Fruchtwasseruntersuchung z. B. „Fehlgeburt“ und „keine Fehlgeburt“ – werden Eintrittswahrscheinlichkeiten und individuelle Nutzwerte zugeordnet, die miteinander verrechnet werden. Wenn es sich nicht um messbaren Nutzen wie beispielsweise monetäre Gewinne oder Verluste handelt, bewerten die decisionmaker den Nutzen ihren individuellen Präferenzen entsprechend mit Ziffern zwischen 0 und 1. Die Verrechnung von Wahrscheinlichkeit und Nutzwert ergeben den Erwartungswert oder erwarteten Nutzen. Die Erwartungswerte der verschiedenen Optionen werden bilanziert, um die optimale Entscheidung zu finden. Decision-making ist also eine statistisch-ökonomische Strategie, um nutzenmaximierende und risikominimierende Entscheidungen zu treffen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat das decision-making jedoch auch Wissenschaftsbereiche wie die Soziologie oder Psychologie erobert und ist schließlich in den Alltag ausgewandert. Dort hat es das Verständnis von „entscheiden“ grundlegend umgedeutet. Inzwischen gibt es regaleweise Ratgeberliteratur, die decision-making als Allheilmittel in allen Lebenslagen preisen: „Should I get married now, or wait? Should I have children? If so, how many?“ – auch solche Fragen sollen Menschen heute, so propagieren es beispielsweise die Entscheidungstheoretiker Hammond, Keeney und Raiffa (1999, Klappentext, 1), nicht mit Herz und Verstand angehen, sondern als berechnende decision-maker. Vor diesem Hintergrund, dem Siegeszug der Entscheidungstheorie als „Metatheorie der Wissenschaften“ (Der große Brockhaus 1975, s. v. „Entscheidung“), erscheint das Aufkommen der informierten oder selbstbestimmten Entscheidung als Ziel von medizinischen, pädagogischen und psychologischen Dienstleistungen
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in neuem Licht. Experten haben die selbstbestimmte Entscheidung der Beratenen zum neuen Ziel ihrer Dienstleistungen gemacht – aber auch zum Gegenstand neuen Expertenwissens und zur Zielscheibe wissenschaftlich begründeter Steuerungs- und Optimierungsversuche. Das, was Klienten nach einer genetischer Beratung tun, ist bereits vielfach als decision-making untersucht worden. Die meisten Forscher versuchten dabei, einen berechenbaren Zusammenhang herzustellen zwischen der vermittelten Information und der geforderten Entscheidung, beispielsweise für oder gegen eine genetische Untersuchung (Reif und Baitsch 1986, Frets 1990, Griffin et al. 1977, Moser 1980, Oetting und Steele 1982, Somer, Mustonen und Norio 1988). Nicht wenige dieser Studien modellieren Beratung und Entscheidung als Input-Output-Relation mit dem Ziel, Entscheidungsverhalten zu optimieren. Vorwissen der Klienten, Didaktik, Gesprächsverhalten der Berater – es sollen Einflussgrößen auf die Entscheidung der Klienten dingfest gemacht werden und zwar so, dass diese sich auch gezielt verstellen und manipulieren lassen. Down-Syndrom (siehe auch „Trisomie“) Im Zeitalter der Pränataldiagnostik* ist das Down-Syndrom, früher „Mongolismus“ genannt, zum Emblem für das vermeidbare und entscheidbare behinderte Kind geworden. Die pränataldiagnostische Maschinerie, ob Ersttrimester-Screening oder Fruchtwasseruntersuchung, ist vor allem darauf ausgelegt, Kinder mit Down-Syndrom bereits im Mutterleib aufzuspüren und ihre Geburt infrage zu stellen. Schätzungen zufolge brechen weit über 90 Prozent der Frauen, die nach einer Fruchtwasseruntersuchung mit dem Befund „Trisomie 21“ konfrontiert werden, die Schwangerschaft ab. Allerdings liegt zwischen dem Laborbefund „Trisomie 21“ und dem Kind, das die Mutter nach der Geburt in den Armen halten würde, eine unüberbrückbare Kluft. „There is no way to ,be prepared‘ when given a diagnosis of Down syndrome precisely because the diagnosis doesn’t tell much about what the person might be. In other words, the diagnosis may be clear – see that third 21st chromosome and you can be sure that the fetus will have Down syndrome. But the prognosis – what will become of this fetus – is not at all clear. Women contemplating prenatal diagnosis often say that they would terminate the pregnancy for severe mental retardation, but not for mild retardation. What you cannot tell looking at the chromosomes is how severe the retardation will be“ (Rothman 1998, 187). Genetik kann lediglich eine chromosomale Normabweichung feststellen, anhand derer vorhergesagt werden kann, in welche diagnostische Schublade das Kind nach seiner Geburt gesteckt wird. Wie jedoch das Kind sein wird, und wie sich das Leben mit ihm gestaltet, das lässt sich anhand eines Laborbefundes nicht vorhersagen. Von den Schwangeren wird jedoch verlangt, das diagnostische Schubladendenken zur Grundlage einer folgenreichen Entscheidung zu machen: Der Entscheidung darüber, ob sie das Kind zur Welt bringen oder nicht.
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Ersttrimestertest Der sogenannte Ersttrimestertest ist in der medizinischen Schwangerenvorsorge sehr verbreitet. Er wird zwischen der 11. und 14. Schwangerschaftswoche durchgeführt und liefert ein – irrtümlich so genanntes – individuelles Risiko dafür, ein Kind mit Down-Syndrom zu bekommen. Auf dem Ultraschallbildschirm werden die Nackentransparenz (Flüssigkeitsansammlung im Nackenbereich) des Ungeborenen sowie weitere Merkmale und Messdaten erfasst, die dann zusammen mit bestimmten Serumwerten aus dem mütterlichen Blut und dem Lebensalter der Schwangeren verrechnet werden. Ein Computerprogramm ermittelt eine bezifferte Wahrscheinlichkeit, die angibt, wie viele Frauen in der Population mit diesem Risikoprofil* ein Kind mit Down-Syndrom bekommen würden. Ob diese errechnete Wahrscheinlichkeit als „auffällig“ oder „erhöht“ gilt, ist rein konventionell und bemisst sich ungefähr am Durchschnittsrisiko einer 35-jährigen Schwangeren. Oftmals wird die Schallgrenze mit 1:300 angegeben. Ist das errechnete Risiko höher, dann wird der Frau eine Fruchtwasseruntersuchung angeboten bzw. empfohlen. Ist es niedriger, so gilt der Test als unauffällig. Die Entdeckungsrate für Kinder mit Down-Syndrom durch dieses Verfahren wird mit etwa 90 Prozent angegeben. Der Ersttrimestertest wird heutzutage als Screeninguntersuchung eingesetzt, also als Siebtest, der aus der Gesamtpopulation aller Schwangeren diejenigen herausfiltert, die als Risikopersonen gelten und daher für weiterführende, invasive Tests wie die Fruchtwasseruntersuchung (siehe „Pränataldiagnostik“) infrage kommen. Er soll das von Medizinern und Genetikern häufig beklagte „Problem“ lösen, dass das Altersrisiko alle Frauen ab 35 zu potenziellen Testkandidatinnen macht, zahlenmäßig jedoch die meisten Kinder mit Down-Syndrom von der Kohorte jüngerer Frauen geboren werden, weil in dieser Population die Geburtenrate viel höher ist. Durch den Ersttrimestertest steht heute fast jede Schwangerschaft im Schatten chromosomaler Normabweichungen, berechneter Risiken und einer möglichen Entscheidung über das kommende Kind. Eugenik Im Jahre 1883 prägte der Naturforscher, Statistiker und Vererbungsforscher Francis Galton den Begriff der Eugenik und definierte sie schließlich als „the science which deals with all influences that improve the inborn qualities of a race; also with those that develop them to the utmost advantage“ (Galton 1904, 1). Anfang des 20. Jahrhunderts wuchs eine international verbreitete und sehr einflussreiche Eugenikbewegung heran, die eine neue Bedrohung der menschlichen Rasse ausgemacht hatte: degenerierte bzw. schadhafte Erbanlagen (Kühl 1997). In Deutschland gründeten Ärzte wie Wilhelm Schallmayer (1857–1919) und Alfred Ploetz in den 1890er Jahren die angewandte Wissenschaft der „Rassenhygiene“, eine deutsche Variante der Eugenik (zur Geschichte der Eugenik in Deutschland siehe u. a.
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Kaufmann 1998, Weindling 1989, Weingart, Kroll und Bayertz 1992; zu Österreich siehe Wolf 2008). Eugeniker und Rassenhygieniker plädierten dafür, die Familiengründung nicht mehr den Einzelnen zu überlassen, sondern zum Gegenstand einer wissenschaftlich begründeten Fortpflanzungspolitik zu machen (Paul 1995). Dabei schreckten sie vor drastischen Zwangsmaßnahmen nicht zurück: Die USA und zahlreiche europäische Länder wie Dänemark, Schweden, Schweiz, Finnland etc. erließen in den 1920er und 1930er Jahren Sterilisationsgesetze, um Tausende zwangssterilisieren zu lassen; auch restriktive Einwanderungsgesetze gingen auf den Einfluss der Eugeniker zurück. In den meisten Ländern verhinderten die demokratischen Freiheitsrechte jedoch die rigorose Durchsetzung einer biologischen Fortpflanzungspolitik. Daher begrüßten die deutschen Eugeniker und Rassenhygieniker begeistert den Nationalsozialismus: Endlich konnten genetische Modelle und Theorien auch am Menschen erprobt werden. Durch EhetauglichkeitsPrüfungen, Zwangssterilisationen, Ehe- und Sexualverbote und schließlich die planmäßige „Vernichtung unwerten Lebens“ versuchten die Nationalsozialisten, eine an genetischen Konzepten orientierte rassenhygienische Politik durchzusetzen (die Weimarer bzw. nationalsozialistische Ehe- und Familienpolitik haben u. a. Czarnowski 1991 und Usborne 1994 beleuchtet). Auch wenn die Eugenikbewegung reaktionär und rassistisch ausgerichtet war, weshalb viele Genetiker sich in den 1930ern von ihr abwandten – der Kern ihres Programmes bestand darin, wissenschaftliche Erkenntnisse auf die Gesellschaft anzuwenden. Sie plädierte dafür, das Kinderkriegen der rationalen Planung durch Experten zu unterwerfen (zur Rolle von Experten u. a. im Nationalsozialismus siehe Raphael 1998). Eugenik „was a paragon of rational scientific planning applied to the management of the most hitherto unregulated aspect of human life, the reproductive process itself. Eugenics was dedicated to the preservation of the most important of all human resources, the germ plasm of future generations. Eugenics was thus based on the knowledge of a special class of experts, those trained in reproductive biology and genetics. It was rational planning par excellence“ (Allen 1997, 83). Fötus (fötal) „Fötus“ oder „Fetus“ ist der aus dem Lateinischen stammende medizinische Fachausdruck für die weibliche Leibesfrucht ab der 8. oder 9. Schwangerschaftswoche, nachdem sich die Organe ausgebildet haben. Bis dahin sprechen Mediziner und Biologen vom Embryo, was sich wohl am besten als „Keimling“ übersetzen ließe. Wie aus der weiblichen Leibesfrucht und dem ungeborenen Kind ein objektivierbarer Fötus wurde, hat Barbara Duden untersucht (Duden 2002a). Bis zum Ende des 18. Jahrhunderts waren alle Abbildungen des Ungeborenen symbolisch; dargestellt waren kommende Kinder. Durch „eine neue Zeichentechnik der standpunktlosen Verkartung“ (Duden 2002a, 69) gelang es dem Anatom Thomas Sömmering
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im ausgehenden 18. Jahrhundert, fötale Entwicklungsstadien und einen mutterlosen, objektiven Fötus zu konstruieren. Er stellte nicht mehr dar, was er sah, sondern das, was er vermessen hatte. Duden hält diese Geburt des bezugslosen Fötus für einen tief greifenden Umbruch in der Geschichte der Schwangerschaft: „Die Schwangerschaft wird vom haptisch-kinästhetischen, einzig der Frau erfahrbaren Erlebnis zur Tatsache nach optischer Imputation; die Geburt wird von der Epiphanie des Kindes zu einem Punkt in einem Prozess“ (Duden 2002a, 77). Popularisiert wurde dieses wissenschaftliche Konstrukt „Fötus“ schließlich durch die ersten intrauterinen Fotografien in den 1960er Jahren und durch den Ultraschall in der Schwangerenvorsorge, der Frauen nahelegt, sich diesen objektivierten Fötus als ihr Leibesinneres zuzuschreiben („optische Imputation“). genetic literacy und genetic citizenship Das englische Wort literacy beinhaltet die Fähigkeiten Lesen und Schreiben sowie, davon abgeleitet, Belesenheit und Bildung. Es lässt sich nicht griffig ins Deutsche übersetzen. In vielen wissenschaftlichen und technischen Bereichen rufen heute Experten zur Alphabetisierung der Bevölkerung auf – so gibt es inzwischen Erziehungsziele wie computer literacy, scientific literacy, statistical literacy und eben auch genetic literacy. Der Common Sense ist überholt, so die Grundannahme dieser Erziehungsbemühungen; wer in einer technikbestimmten Welt nicht verschaukelt werden will, dem bleibt nichts anderes übrig, als ihre Gesetzmäßigkeiten zu den eigenen zu machen. Auch wenn die Diskussion um das Public Understanding of Science das Ende des sogenannten Defizit-Modells proklamiert hat, nach dem Wissenschaftler im Besitz des richtigen Wissens sind, mit dem sie die aufklärungsbedürftige Bevölkerung beliefern sollen – genetic literacy ist weiterhin ein vorrangiges wissenschaftliches und politisches Erziehungsziel (Kerr 2003; kritisch zum Defizit-Modell siehe u. a. Hilgartner 1990). Selbst diejenigen, die eine genetische Gesellschaft beschwören, in der die traditionellen Grenzziehungen zwischen Natur und Kultur, Laie und Experte, Wissenschaft und Alltag usw. obsolet geworden sind, fordern schließlich doch auch wissenschaftlichen Input: „Die wissenschaftlich-technische Alltagserfahrung bedarf […] der wissenschaftlichen Begleitung. Um sie zu gewährleisten, muss sich die Wissenschaft an die Orte begeben, an denen ihre Produkte Verwendung finden“ (Nowotny und Testa 2009, 68). Während genetic literacy ausdrücklich ein Erziehungsziel formuliert, wird der Begriff genetic citizenship („genetische Staatsbürgerschaft“) meist beschreibend gebraucht. Bürger nehmen sich selbst immer stärker als Genträger wahr, handeln als solche und werden als solche behandelt – so lässt sich die These der „genetic citizenship“ wohl am einfachsten zusammenfassen (Heath, Rapp und Taussig 2004). Sie sehen sich als Brustkrebs-Genträger oder als Genträger für Zystische Fibrose, schließen sich in Interessenverbänden zusammen, eignen sich hoch spezialisiertes Fachwissen an und versuchen, auf Forschungs- und Gesundheitspolitik
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Einfluss zu nehmen. Nikolas Rose hat diesen Begriff erweitert und den Übergang zur biological citizenship verkündet: „I use the term ,biological citizenship‘, descriptively, to encompass all those citizenship projects that have linked their conceptions of citizens to beliefs about the biological existence of human beings, as individuals, as men and women, as families and lineages, as communities, as populations and races, as species“ (Rose 2007, 132). Doch auch mit dem Begriff genetic citizenship wird nicht immer nur ein Ist-Zustand beschrieben, sondern häufig auch ein politisches Soll: Bruce Jennings, der das Erziehungsziel genetic literacy ausformuliert hat, will Bürger nicht nur das genetische ABC pauken lassen, sondern sie auch in „genetische Bürger“ umformen (Jennings 2004). Sie sollen aufgeklärte und informierte Konsumenten genetischer Dienstleistungen werden und die Genetisierung der Gesellschaft aktiv mitgestalten. Genau dieses Ziel verfolgen partizipative Verfahren wie Konsensuskonferenzen, Bürgerforen etc. Sie erziehen Bürger zu informierten Entscheidungen und zur „aktiven Bürgerschaft“ („active citizenship“) (Irwin 2001, Kerr 2004, 123 –142). Erziehungsziel ist heute also nicht mehr passive Akzeptanz, sondern aktives Mittun. Aus diesem Grund fanden auch die viel gerühmten dänischen Bürgerkonferenzen zum Thema Gentechnik statt: Vom Dialog mit der Bevölkerung versprachen sich Unilever und Novo Nordisk gesellschaftliche Unterstützung und willige Konsumenten (Behrens, MeyerStumborg und Simonis 1997). Grundsätzliche Fragen an den technologischen und wissenschaftlichen Fortschritt zu stellen, ist in öffentlichen Auseinandersetzungen nicht vorgesehen. In der Regel deuten Experten sie in definierbare Risiken um, die schließlich abgewogen, reduziert, umverteilt und gemanagt werden können (Robins 2001). Der Rahmen, innerhalb dessen in Diskursprojekten und an runden Tischen nachgedacht werden soll, ist bereits abgesteckt: „There is an assumption that science is an important force for human improvement and that it offers a uniquely privileged view of the everyday world […] Finally, science is portrayed in these accounts as if it were a value-free and neutral activity“ (Irwin und Wynne 1996, 6). Genetischer Fingerabdruck Der genetische Fingerabdruck ist ein DNA-Profil, mit dem Individuen identifiziert werden. Zu diesem Zweck werden mehrere sehr variable Segmente der DNA auf ihre Länge hin analysiert. Dabei handelt es sich um Abschnitte, in denen sich bestimmte kurze Sequenzmuster direkt hintereinander wiederholen und die nicht als „codierend“, also als Gene gelten. Zentral dafür, ob ein DNA-Profil als genetischer Fingerabdruck dienen kann, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das DNA-Profil der Probe (z. B. am Tatort) und das DNA-Profil eines Getesteten zufällig übereinstimmen könnten. Dieser Wahrscheinlichkeit liegen statistische Annahmen über die Häufigkeit der getesteten genetischen Marker in der Referenz- bzw. Gesamtpopulation zugrunde. Je mehr genetische Marker verwendet werden, desto geringer
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wird diese random match probability. Erst der Bezug zur Population individualisiert also das DNA-Profil und macht eine Identifikation möglich. Die Aussage, die sich von einem genetischen Fingerabdruck ableiten lässt, bleibt jedoch immer statistisch: Eine Übereinstimmung der Profile steckt den Getesteten genaugenommen nur in die Grundgesamtheit derjenigen, von denen die DNA-Probe stammen könnte – auch, wenn die Wahrscheinlichkeit einer zufälligen Übereinstimmung rechnerisch extrem klein ist. Zur Konstruktion von „Population“ im Zusammenhang mit dem genetischen Fingerabdruck siehe M’charek 2000; zu forensischen Fehlschlüssen aufgrund eines genetischen Fingerabdrucks siehe Gigerenzer 2002. Humangenomprojekt (HGP) Wissenschaft, Industrie und Staat brachten im Jahre 1990 in beispielloser Kollaboration das wohl mächtigste internationale Großforschungsprojekt der Geschichte auf den Weg: die sogenannte Entschlüsselung bzw. Sequenzierung des menschlichen Genoms. Fünf Jahre später gründete auch Deutschland mit finanzieller Unterstützung des BMBF und der DFG das Deutsche Humangenomprojekt. Pünktlich zur Jahrtausendwende sollte es dann so weit sein. Im April 2000 verkündete zunächst die Konkurrenz des HGP, das private Unternehmen Celera Genomics von Craig Venter, es habe das menschliche Erbgut weitgehend entschlüsselt. Im Juni folgte schließlich auch das HGP, woraufhin Politik und Wissenschaft einen „historischen Moment in der hunderttausendjährigen Geschichte der Menschheit“ (Reich 2000) ausriefen, der feierlich im Weißen Haus begangen wurde. Wenn die Buchstaben nun auch noch richtig gelesen und entziffert würden, so Präsident Clinton, dann ließe sich „die Sprache verstehen, in der Gott das Leben geschaffen hat.“ Er fabulierte außerdem über die an diesem Tag sprunghaft gestiegene Lebenserwartung und die absehbare Heilung von Krebs, Alzheimer, Parkinson und Diabetes. Seit 2003 gilt das menschliche Genom als vollständig sequenziert und das HGP ist damit abgeschlossen. Umrahmt wurde das HGP von viel Medienrummel, ethischer und sozialwissenschaftlicher Begleitforschung und planmäßiger Lenkung der öffentlichen Wahrnehmung. In den USA gab die Humangenom-Organisation zahlreiche Reportagen, Fernsehserien und Spielfilme in Auftrag. Gezielt wurden bestimmte Leitvorstellungen und Bilder in die Gesellschaft implantiert, wie z. B. der Genetiker als heroischer Mediziner im Kampf gegen menschliches Leid oder die Sequenzierung des Genoms als wissenschaftlicher Entdeckungsfeldzug, quasi in Tradition von Kolumbus und Lewis und Clarke (Dijck 1998). Die Medien- und Kulturwissenschaftlerin José van Dijck geht davon aus, dass dieses millionenschwere public perception management die bis dahin verbreiteten Bilder von Gentechnik als einer zwielichten und anrüchigen „Schöpfung im Labor“ oder „Schöne Neue Welt“ verdrängt und maßgeblich zur „Veralltäglichung“ von Genetik beigetragen hat: „The ,geneticization‘ of society seems to be the flip side of
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the ,medicalization‘ of genetics. Despite its abstract theoretical goal, human genome mapping managed to generate overwhelming enthusiasm among the general public. A true ,biohporia‘ in popular representations of the genome project resulted from a strong injection of powerful images and imaginations in the public domain …“ (Dijck 1998, 120). Zum Humangenomprojekt siehe u. a. Cook-Degan 1994; Gannett 2008. Information Der Sprachwissenschaftler Uwe Pörksen zählt die alltagssprachliche „Information“ zu einer neuen Wortart: den Plastikwörtern. Seit „Information“ in den Informationswissenschaften zum Terminus technicus wurde und wieder in die Umgangssprache auswanderte, hat es sowohl seine umgangssprachliche Vielschichtigkeit und Beweglichkeit als auch seine wissenschaftliche Denotation verloren. Es ist zum konnotativen Stereotyp gefroren, zu einem aufgeblähten, aber leeren Wort, das nichts Genaues mehr bezeichnet. Alles kann heute „Information“ sein, die Abfahrtszeiten der Bundesbahn, der Klatsch der Nachbarin, eine Statistik über geplatzte Bockwürste, das Programm eines Computers oder eine politische Enthüllungsstory. Gleichzeitig klingt „Information“ jedoch objektiv, gewichtig und bedeutsam und gilt als allerhöchstes Gut (Pörksen 1988). Diese unklare, aber appellative Bedeutung hat auch die Information in der Genetik. Lily Kay nennt „genetische Information“ eine Katachrese, eine leere Metapher: „Ihres technischen Inhalts entleert, wurde Information wirklich zur Metapher einer Metapher, zu einer Bedeutung ohne Referent. Ihre wissenschaftliche und kulturelle Wirksamkeit beeinträchtigte das jedoch keineswegs“ (Kay 2001, 178). Auch heute noch ist „Information“ ein erkenntnisleitender Begriff in der Biomedizin und Genetik: Die molekulare Medizin, so der Mediziner Norbert Paul und der Genetiker Detlev Ganten, versteht „Krankheitsprozesse als Störungen in der Übertragung oder der Interpretation biologischer Information“ (Paul und Ganten 2003, 105). Und Hans Lehrach, Direktor des Max-Planck-Instituts für Molekulare Genetik, feiert die genetische Information auch im 21. Jahrhundert noch als Schlüssel zum Leben: „Grundsätzlich beruhen alle Lebensvorgänge auf der Umsetzung der Information, die im Genom als Abfolge der Basen in einer Desoxyribonukleinsäure (DNS) in jeder Körperzelle gespeichert ist. Diese Information wird durch die ,Maschinerie‘ der Zellen und durch ihre Interaktion ausgewertet und bestimmt schließlich den gesamten Organismus“ (Lehrach 2003, 37). informed consent/Informierte Einwilligung Die informierte Einwilligung von Patienten ist heute eine Conditio sine qua non für die Rechtmäßigkeit medizinischer Eingriffe. Sie sieht vor, dass Patienten umfassend aufgeklärt werden und auf dieser Grundlage in die ärztlich empfohlene Maßnahme einwilligen. In der Praxis- oder Klinikroutine handelt es sich bei der
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informierten Einwilligung meist um ein Ritual, mit dem sich Ärzte gegen mögliche Regressansprüche absichern: Patienten müssen unterschreiben, dass sie das Risiko eingehen, nach der Operation zu erblinden, ein Auge weniger zu haben oder überhaupt nicht mehr aufzuwachen. Den Vorläufer der informierten Einwilligung formulierte der Nürnberger Kodex (1947), der nach dem Schrecken der nationalsozialistischen Menschenversuche verabschiedet wurde. Er schreibt als Bedingung für medizinische Experimente fest, dass die Teilnehmer aufgeklärt sind und freiwillig zugestimmt haben. Rund zwanzig Jahre später wird unter dem Begriff informed consent die Pflicht des Arztes diskutiert, Informationen offenzulegen und die Einwilligung des Patienten einzuholen, damit auch im Klinikalltag therapeutische Versuche rechtmäßig sind. In den 1970er Jahren wurde aus dem juristischen Konstrukt für Sonderfälle schließlich ein allgemeines Patienten-Recht (Faden und Beauchamps 1986, Rothman 1991). In Deutschland ist es erst seit den 1980er Jahren üblich, dass Ärzte vor einer Blinddarmoperation oder einer Darmspiegelung eine informierte Einwilligung einholen (Beller 2000). Dass der informed consent nicht nur eine rechtliche Funktion hat, sondern auch eine soziale, argumentieren Koch und Svendsen 2005. Sie halten die informierte Einwilligung für eine Form der Sozialtechnologie, für ein Instrument zur Verwaltung und Steuerung von Entscheidungen: „… informed consent might be seen as the crucial and decisive means of governing the decisions of counselees through directive appeals to the responsibility of the individual“ (Koch und Svendsen 2005, 831). Korrelation Korrelation ist ein statistischer Fachbegriff, der die stochastische Abhängigkeit zweier Ereignisse bezeichnet. Besteht eine Korrelation, so haben die Ereignisse oder Variablen einen mathematisch modellierbaren Zusammenhang. Sie treten statistisch gesehen nicht unabhängig voneinander auf. Eine Korrelation widerlegt also die Nullhypothese, die annimmt, dass stochastische Unabhängigkeit besteht. Es wäre jedoch falsch, einen solchen statistischen Zusammenhang für einen Nachweis von Ursächlichkeit zu halten. Aussagen darüber, ob es zwischen den korrelierenden Ereignissen einen kausalen Zusammenhang gibt, erlaubt die Statistik grundsätzlich nicht. Über die Aussagekraft und Missverständlichkeit von Korrelationen und anderen statistischen Zusammenhängen siehe u. a. Gigerenzer 2002, Gould 1996. Kybernetik (Systemtheorie) Ihren Ursprung hat die Kybernetik in den Denkschmieden der Militär- und Industrieforschung der 1940er Jahre. Als Vater der Kybernetik gilt der Mathematiker Norbert Wiener (1894 –1964), der im Auftrag des National Defense Research Council daran arbeitete, die amerikanische Flugabwehr zu verbessern. Zu diesem Zweck
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modellierte er das erste Mensch-Maschinen-System und schuf damit den Eckstein für eine neue Steuerungswissenschaft, die Kybernetik. Bereits Wiener feierte die Kybernetik als neue Weltanschauung: Er übertrug sein ballistisches Rückkopplungsmodell auf jegliches „zweckgerichtete Verhalten“ und pries das Denken in Begriffen wie „Kommunikation“, „Kontrolle“, „Verhalten“, „Input“ und „Output“ als neue Grundlage für die Steuerung von Mensch und Gesellschaft (Wiener 1950). Auch, wenn die kybernetische Euphorie bereits in den 1970er Jahren wieder abgeklungen ist, so hat sie doch die Erkenntnisgrundlage vieler Wissenschaftsdisziplinen nachhaltig verändert. Wörter wie „Kommunikation“, „Rückkopplung“, „System“, „Information“, „Selbstorganisation“ sind heute sowohl aus den Lebenswissenschaften als auch aus Disziplinen wie Soziologie und Linguistik nicht mehr wegzudenken. Bis heute liefert die Kybernetik einen „imaginären Standort“, „der eine neue, nach wie vor aktuelle Art von Erkenntnis hervorbringt“ (Hagner und Hörl 2008, 7– 8). Michael Hagner und Erich Hörl sprechen von der „Transformation des Humanen“. Die Aufsätze des gleichnamigen Sammelbandes verdeutlichen, wie sich die Ideen von kommunikativen Regelkreisen, Feedback und Selbstorganisation nicht nur in anderen Wissenschaftsdisziplinen, sondern auch im Management, in psychotherapeutischen Selbsterfahrungsgruppen und in neuen Techniken der professionellen Menschenführung niedergeschlagen haben. Schließlich haben Kybernetik und Systemdenken auch die Wahrnehmung des eigenen Körpers umgestülpt: Das Immunsystem, eine Analogie zum flexiblen Abwehrsystem, hat das Verständnis von Krankheit und Gesundheit, von Eigenem und Fremden oder von den Grenzen der eigenen Person grundlegend verändert. Wieners ballistisches Rückkopplungssystem wird hier schließlich zum erlebten Selbst (Martin 1994). Lebenswissenschaften Der Begriff „Lebenswissenschaften“ ist eine Übersetzung des Englischen Life Sciences. Er fasst zahlreiche Disziplinen und Forschungsfelder wie Genetik, Neurobiologie, Molekularbiologie, Biochemie, Bioinformatik, Ernährungswissenschaften, Pharmakologie usw. zusammen. Im Deutschen ist oftmals synonym auch von den Biowissenschaften die Rede. Fachverbände definieren die Lebenswissenschaften als jeden „Forschungszweig der Natur- und Ingenieurwissenschaften, der sich mit Strukturen und Verhalten lebender Organismen beschäftigt“ (Verband deutscher Biologen und biowissenschaftlicher Fachgesellschaften e. V. – vdbiol 2005). Obwohl diese Definition auch für die Biologie zutreffen würde, konnotiert der Begriff „Lebenswissenschaften“ jedoch etwas anderes als Zoologie und Botanik: Wenn das BMBF das Jahr 2001 zum Jahr der Lebenswissenschaften kürt, dann geht es dabei vor allem um die Förderung von Genetik, Gentechnologie, Molekularbiologie, Ernährungswissenschaften etc. – also von hoch technisierten und anwendungsorientierten Forschungsgebieten, die das Ziel haben, biologische
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Vorgänge technisch zu analysieren, zu rekonstruieren und zu optimieren. Insbesondere die Industrie favorisiert den Begriff Life Science (im Englischen ist die Formulierung Life Science Industry geläufig), weil er ganzheitlicher klingt und positiver besetzt ist als beispielsweise der Begriff „Gentechnologie“. Marker Der Begriff „Marker“ bezeichnet „Auffälligkeiten“ oder Merkmale, die statistisch mit anderen Merkmalen bzw. Krankheitsdiagnosen assoziiert werden. Ein ursächlicher Zusammenhang, oder auch nur eine Hypothese über einen ursächlichen Zusammenhang zwischen Marker und Erkrankung oder Behinderung ist nicht vonnöten. Marker sind also keinesfalls Symptome oder Hinweise. Die messbare fötale Nackentransparenz auf dem Ultraschallbildschirm wird beispielsweise als Marker bezeichnet, der mit Trisomie 21 assoziiert ist. Marker sind also statistische Merkmale, die mit anderen diagnostizierbaren oder messbaren Zuständen korrelieren. Ist von genetischen oder molekularen Markern die Rede, so sind damit in der Regel DNA-Sequenzen gemeint, die im Genom lokalisiert werden und mit phänotypischen Eigenschaften in Verbindung gebracht werden können. Monogene Erbkrankheiten „Monogen“ („ein Gen“) bedeutet, dass die entsprechend klassifizierte Erkrankung oder Eigenschaft nur auf ein einzelnes Gen zurückgeführt wird. Eigenschaften werden als „monogen“ klassifiziert, wenn sie den Mendelschen Gesetzen gehorchen, also nach statistisch vorhersagbaren Regelmäßigkeiten vererbt werden. Davon unterschieden werden sogenannte polygene Eigenschaften, die nicht auf eine einzige Erbeinheit zurückgeführt werden, weil sie unregelmäßiger auftreten. Monogene Erbkrankheiten sind selten; zu ihnen zählen beispielsweise die Bluterkrankheit (Hämophilie), Zystische Fibrose*, Muskeldystrophie oder Chorea Huntington. Für weit über Tausend dieser zum Teil äußerst raren Erkrankungen sind inzwischen Gene lokalisiert worden, die bis dahin meist als einzige und eindeutige Ursache gegolten hatten. Die Hoffnung der Humangenetik, nun anhand des entsprechenden Gentests die Erkrankung sicher und eindeutig vorhersagen zu können, hat sich jedoch weitgehend zerschlagen. Inzwischen gelten auch die monogenen Erbkrankheiten als komplex; anhand des Genotyps kann nicht vorhergesagt werden, ob jemand tatsächlich erkrankt und wenn ja, wann und wie schwer. Bei der Zystischen Fibrose reichen die Symptome beispielsweise von einer behandelbaren Bauchspeicheldrüsenstörung bis hin zur fortschreitenden Zerstörung der Lunge. Inzwischen sucht die genetische Forschung nach sogenannten modifizierenden Genen und nach Umwelteinflüssen, welche die Variabilität der Ausprägung erklären und vorhersagbar machen sollen.
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Nabelschnurpunktion Die Nabelschnurpunktion wird nur unter bestimmten Umständen durchgeführt, weil der Eingriff ein relativ hohes Risiko für eine Fehlgeburt mit sich bringt. Es wird mit bis zu 5 Prozent angegeben. Der Arzt sticht durch die Bauchdecke der Schwangeren in die Nabelschnur und entnimmt Blut, das daraufhin auf seine Zusammensetzung oder mögliche Infektionen hin untersucht werden kann. Auch ein Chromosomenbild kann aus der Blutprobe erstellt werden. Non-Direktivität Der Begriff der „Non-Direktivität“ bzw. „Nicht-Direktivität“ geht auf das klientenzentrierte Beratungskonzept des Psychotherapeuten Carl Rogers (1902–1987) zurück. Dort steht es für eine Gesprächsführung, bei welcher der Berater von dem ausgeht, was der Klient über sich und seine Situation sagt. Der Berater macht keine Vorgaben, sondern hilft seinem Klienten, sich im Verlauf der Sitzungen über Probleme und mögliche Lösungen klar zu werden. Wie auch andere Beratungsdiziplinen haben genetische Berater den Begriff für ihre eigene Beratungspraxis übernommen; dort steht er nicht mehr für ein psychotherapeutisches Beratungskonzept, sondern meint den Grundsatz, keinen Ratschlag zu geben. Non-Direktivität ist heute eine weltweit anerkannte Grundregel der genetischen Beratung. Ausnahme sind allerdings Länder wie beispielsweise Indien oder Peru, in denen es genetische Berater durchaus als ihre Aufgabe verstehen, die Geburt von Kindern mit Krankheiten oder Behinderungen zu verhindern. Wertz und Fletcher (2004) begründen dies mit den knappen Ressourcen der jeweiligen Gesundheitssysteme. Wer aus ökonomischen Gründen medizinisch nicht behandelt werden kann, wird abgetrieben. Koch und Svendsen (2005) sehen die Nicht-Direktivität in genetischen Beratungen, in denen es nicht um die Geburt von Kindern, sondern um die Vorhersage von Krebserkrankungen geht, grundsätzlich aufgeweicht. Die Aufforderung zum Risikomanagement – und damit auch Inanspruchnahme der Präventionsprogramme – gilt hier nicht als Einschränkung, sondern als Beförderung von Selbstbestimmung. „In predictive genetic counselling choosing prophylaxis and informing relatives is the responsible thing to do. The assumed shared goal is health promotion“ (Koch und Svendsen 2005, 829). In diesem Sinne verpflichtet ein Bericht der WHO genetische Berater ausdrücklich dazu, ihren Klienten das Gefühl von Verantwortung einzuimpfen, so dass sie ihre Verwandten über Gene und genetische Risiken aufklären. Dadurch soll erreicht werden, dass alle Menschen informierte Entscheidungen treffen (World Health Organization Human Genetics Programme 1998). Phänotyp und Genotyp Im populärwissenschaftlichen Verständnis meint „Phänotyp“ das äußere Erscheinungsbild eines Organismus und „Genotyp“ sein genetisches Make-up. Die Be-
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griffe gehen auf den Botaniker und Genetiker Wilhelm Johannsen zurück, der 1909 auch das „Gen“ prägte. Johannsen selbst führte damit eine statistische Unterscheidung ein, die sich nicht auf konkrete Wirklichkeiten, sondern auf Populationen bezieht. Genotyp und Phänotyp bezeichnen also die Zugehörigkeit zu einem Typus, zu Klassen. Der Genetiker Richard Lewontin definiert die Begriffe daher folgendermaßen: „The ,phenotype‘ of an organism is the class of which it is a member based upon the observable physical qualities of the organism, including its morphology, physiology, and behaviour at all levels of description. The ,genotype‘ of an organism is the class of which it is member based upon the postulated state of its internal hereditary factors, the genes“ (Lewontin 1992, 137). Genotyp und Phänotyp können miteinander korreliert werden. Keinesfalls lässt sich jedoch im Einzelfall vom Genotyp auf den Phänotyp schließen: „As is true for living systems in general, relations between genotype and phenotype are contingent, varying from case to case“ (Lewontin 2004). Prädiktiver Gentest Prädiktive, also „voraussagende“ Gentests prophezeien gesunden Menschen eine mehr oder weniger wahrscheinliche morbide Zukunft. In den allermeisten Fällen leiten Genetiker von den Testbefunden nur Risiken ab, also statistische Erkrankungswahrscheinlichkeiten. Den Getesteten wird beispielsweise vorhergesagt, dass sie mit einer Wahrscheinlichkeit von 40 bis 80 Prozent im Laufe ihres Lebens an Brustkrebs erkranken werden. Lediglich bei sehr seltenen Erkrankungen wie Chorea Huntington wird angenommen, dass anhand des genetischen Befundes mit fast hundertprozentiger Sicherheit auf den Ausbruch der Erkrankung geschlossen werden kann. Oberstes Ziel prädiktiver Gentests ist die Prävention, also die Überwachung und Minimierung von Krankheitsrisiken. Sogenannte Risikopersonen werden dazu angehalten, sich regelmäßigen Check-ups zu unterziehen, vorsorglich Medikamente einzunehmen, ihre Lebensweise umzustellen oder sich prophylaktisch Organe entfernen zu lassen. Viel versprechen sich Mediziner auch von Gentests, welche die Verträglichkeit und Wirksamkeit von Medikamenten vorhersagen sollen. In Zukunft, so schwebt ihnen vor, wird auf der Grundlage bevölkerungsweiter Screenings allen Menschen ein „individuelle[s] ,genetisches Profil‘“ (Schmidtke 2007, A2789) für verschiedene Erkrankungen und Unverträglichkeiten zugewiesen, an dem sie dann ihren Lebensstil, ihre Konsumgewohnheiten und ihre medizinische Behandlung ausrichten sollen. Pränataldiagnostik/vorgeburtliche Diagnostik Die Rede von der pränatalen oder vorgeburtlichen Diagnostik ist eigentlich irreführend. Die Aussage, dass das kommende Kind gesund ist, erlaubt sie nicht. Mithilfe von Testverfahren wie Ultraschall, Ersttrimestertest oder Fruchtwasseruntersuchung, die in der modernen medizinischen Schwangerenvorsorge rou-
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tinemäßig zum Einsatz kommen, lassen sich nur Auffälligkeiten festmachen oder bestimmte Störungen gezielt ausschließen. Mit Ausnahme des Ultraschalls liefern diese Tests biochemische oder genetische Befunde, die mit bestimmten Risiken oder Diagnosen assoziiert werden. Gemeinhin werden sogenannte invasive und nichtinvasive Untersuchungen unterschieden; zu den ersteren gehören die Fruchtwasseruntersuchung und die Chorionzottenbiopsie*, die aufgrund der Punktion ein Eingriffsrisiko mit sich bringen. Nichtinvasive Verfahren sind Ultraschall und Bluttests bzw. die Kombination aus beiden (Ersttrimestertest). In seltenen Fällen werden durch Ultraschall behandelbare Fehlbildungen wie z. B. Herzfehler entdeckt, sodass das Kind nach der Geburt sofort medizinisch betreut werden kann. Oberstes Ziel der Pränataldiagnostik ist es jedoch, kommende Kinder, die nicht den modernen Gesundheitsanforderungen entsprechen, frühzeitig zu erfassen und zu selektieren. Die Schwangere muss nach einem auffälligen Testergebnis entscheiden, ob sie ihre Schwangerschaft angesichts der verringerten Entwicklungschancen des Ungeborenen abbricht oder austrägt – trotz des schlechten Omens und auf eigene Verantwortung. Risikoprofil „Mein Traum ist es, eines Tages aus einer Reihe von körpereigenen Biomarkern und genetischen Eigenarten ein individuelles Risikoprofil zu errechnen, das schon beim Gesunden verrät, ob er wahrscheinlich später eine Depression entwickelt. Man könnte dann gegensteuern, bevor sie zum Ausbruch kommt“, so die Vision von Florian Holsboer, dem Leiter des Münchner Max-Planck-Institutes für Psychiatrie (Albers 2009). Ein solches Risikoprofil „individuell“ zu nennen – so wie die Medizin, die dieses verwalten soll, „personalisierte Medizin“ – ist jedoch trügerisch. Ein Risikoprofil ist ein statistisches Konstrukt, ein zusammengestelltes Bündel aus standardisierten Merkmalen bzw. Markern, die mit Krankheitsereignissen statistisch assoziiert sind. Die sogenannte personalisierte Medizin behandelt nicht konkrete Menschen, sondern statistische Fälle – Ableitungen von künstlichen Kollektiven, von Populationen (zur „Population“ als neuem Wissensgegenstand siehe auch Jansen 2002). Gilles Deleuze betont daher, dass die Erfassung von „potenziellen Kranken“ und Risikogruppen „keineswegs von einem Fortschritt zur Individuierung zeugt, wie man sagt, sondern den individuellen oder numerischen Körper durch die Chiffre eines dividuellen Kontroll-Materials ersetzt“ (Deleuze 2006, 13). Wenn Nikolas Rose im Zusammenhang mit Genetik und Biomedizin von „somatischen Individuen“ (Rose 2007) spricht, führt er seine Leser daher in die Irre: Er verwischt die epistemische Kluft zwischen Person und statistischem Konstrukt und suggeriert, Risikoprofile würden sich letztlich doch auf etwas Individuelles und Körperliches beziehen. Ganz gleich, ob in der Kriminalistik oder Medizin, die modernen Risikotechnologien (oder aktuarischen, also ver-
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sicherungsmathematischen Technologien, wie Jonathan Simon schreibt) gehen nicht mehr von konkreten Menschen aus: „The sort of classifications developed by modern actuarial technologies […] lack the subjectivity underlying the categories of earlier classification practices. That is, as forms of knowledge they do not assume any particular subject; as strategies of power they to not target subjects“ (Simon 1988, 790). Was Holsboer anstrebt, ist eine Gesellschaft, in der Menschen im Namen von „Gesundheit“ und „personalisierter Medizin“ als Wahrscheinlichkeits-Gespinste verwaltet werden, als gesichtslose Abstrakta. Screening Tests, die ohne individuelle Verdachtsmomente in ganzen Bevölkerungsgruppen durchgeführt werden, heißen „Screening“. Beispielsweise wird die Mammografieuntersuchung für die Kohorte aller Frauen über 50 als Screening bezeichnet oder der Ersttrimestertest für alle Schwangeren. Es handelt sich also um Siebtests, die aus Populationen diejenigen herausfiltern, die als Risikopersonen oder symptomlose Kranke gelten. Die meisten Screeninguntersuchungen führen zu einem Paradox, das oftmals als Präventionsparadox bezeichnet wird: Es werden sehr viele Menschen durch die Tests geschleust, aber nur bei ganz wenigen findet sich das, was gesucht wird. Unvermeidlich sind solche Tests zudem so kalibriert, dass sie zahlreiche Menschen durch Risikoatteste oder falsch positive Testergebnisse verunsichern. So müssen beispielsweise 1000 Frauen durch die Mammographie geschleust, in großer Zahl (250) wegen falsch positiver Testergebnisse beunruhigt und zu Dutzenden sogar beschädigt werden (durch Gewebeproben oder gar Verstümmelungen), damit statistisch gesehen eine Frau weniger Brustkrebs stirbt als ohne Screening (3 von 1000 statt 4 von 1000) (Mühlhauser und Höldke 2000). Sozialtechnologie (insbesondere Beratung und Entscheidung als Sozialtechnologie) Der Begriff „Sozialtechnologie“ ist kein definierter Fachbegriff. Sehr allgemein wird darunter die planmäßige, wissenschaftlich begründete Einwirkung auf das Soziale gefasst. Damit überschneidet sich „Sozialtechnologie“ auch mit den Begriffen der „sozialen Kontrolle“ und „Sozialplanung“ oder des social engineering. Seine kritische Bedeutung erhielt der Begriff „Sozialtechnologie“ vor allem durch Jürgen Habermas, der damit Luhmanns Systemtheorie als „Hochform eines technokratischen Bewusstseins“ kritisierte (Habermas 1971). Heute ist Beratung und Aufklärung mit dem Ziel, Bürger zu informierten Entscheidungen zu mobilisieren, zu einer wichtigen Sozialtechnologie avanciert. Sie hat die Funktion, Bürger zur „autonomen Selbstführung [zu] aktivieren“ (Duttweiler 2004, 25). In einer liberalen Gesellschaft, so analysiert Dominique Memmi, steht Bürgern alles Mögliche frei: Abtreibung, künstliche Befruchtung, Selbsttötung im Alter, alles ist legal oder zumindest straffrei. Voraussetzung ist nur, dass
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sie einmal vor einem Experten ihre Gründe darlegen und sich rechtfertigen. Anknüpfend an Foucault versteht Memmi diesen Zwang zur Beratung als eine Fortführung der pastoralen Geständnistechnologien („Beichte“), die auf eine Formung und Steuerung des Inneren abzielen – als Technik des „governing social behaviour through speech“ (Memmi 2003, 648). Beratungen wie die genetische Beratung, die eine informierte Entscheidung herstellen, wirken vor allem dadurch, dass sie Klienten das Gefühl von Verantwortung einflößen (Samerski 2009). Auf diese Weise, so Koch und Svendsen (2005), funktioniert die genetische Beratung und der Imperativ der Entscheidung als Mittel, gesundheitsförderndes – genauer genommen risikominimierendes – Verhalten zu forcieren: „This process of knowledge transmission creates autonomous individuals who, through the medium of choice, consent voluntarily to take personal responsibility for themselves and their relatives“ (Koch und Svendsen 2005, 823). Eindrückliches Beispiel für den Einsatz von „Beratung“ und „informierter Entscheidung“ als sozialtechnisches Mittel ist auch die neue Beratungspflicht, die der Gemeinsame Bundesausschuss148 2007 beschlossen hat: Statt Bürger – wie ursprünglich vorgesehen – zu risikobehafteten Früherkennungsuntersuchungen zu zwingen, müssen sie sich nun beraten lassen und selbst entscheiden. Damit diejenigen, die an Darmkrebs, Brustkrebs und Gebärmutterhalskrebs erkranken, den Anspruch auf volle Zuzahlung haben, müssen sie von einem Arzt über Chancen und Risiken von Vorsorgeangebote belehrt worden sein (was in einem Präventionspass zu dokumentieren ist). Sich nicht um Risiken scheren, Gottvertrauen haben, sich auf sein Gefühl verlassen oder unbekümmert zu sein, ist nun nicht mehr möglich. Die Beratungspflicht stellt sicher, dass Bürger (zunächst nur bestimmte Alterskohorten) eine „informierte und ausgewogene Entscheidung“ treffen – und damit hinterrücks sowohl für die unnötige Biopsie als auch für den spät erkannten Brustkrebs verantwortlich gemacht werden können (Gemeinsamer Bundesausschuss 2007). Suszeptibilitäts-Gen („Risiko-Gen“) Das englische susceptibility würde im Deutschen mit „Anfälligkeit“ oder „Empfänglichkeit“ übersetzt. Suszeptibilitäts-Gene sind also Gene, so die Theorie, die Menschen für bestimmte Erkrankungen anfällig machen. Anders als die alltagssprachlichen Konnotationen von „Anfälligkeit“ oder „Empfänglichkeit“ suggerieren, verweist eine solche „Suszeptibilität“ oder „genetische Disposition“ für Herzinfarkt, Krebs oder Demenz jedoch auf nichts Körperliches. Suszeptibilität ist hier ein rein statistisches Konstrukt. Das Apolipoprotein E-e4-Gen beispielsweise gilt als Suszeptibilitäts-Gen für Alzheimer. Die Häufigkeit dieses Gens korreliert mit der Häufigkeit der Alzheimer-Krankheit; es ist jedoch weder eine Ursache, noch eine Voraussetzung dafür, im Alter verwirrt zu werden und die Diagnose „Alzheimer“ zu erhalten. Bei der Mehrzahl der Alzheimer-Kranken lässt sich dieses Gen nicht nachweisen, und umgekehrt werden die meisten Genträger im Laufe
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ihres Lebens gar nicht erkranken (die Zahlen über Genhäufigkeit und Erkrankungswahrscheinlichkeit klaffen je nach Studie sehr weit auseinander, siehe u. a. Lock et al. 2006, 283 – 285). Das sogenannte Gen ist hier nichts anderes als eine Variable in einem mathematischen Modell; ein molekularer Marker, mit dessen Hilfe sich Risikoprofile für Gedächtnisschwund im Alter konstruieren lassen. Ziel der Suche nach Suszeptibilitäts- und Risiko-Genen ist es, entsprechende prädiktive Gentests* auf den Markt zu bringen, durch die Bürgern ein sogenanntes „individuelles genetisches Risikoprofil“ zugewiesen sowie entsprechende Präventionsstrategien nahegelegt werden können. Im Zusammenhang mit Brustkrebs haben Forscher jüngst die Existenz von Risiko-Genen verkündet, die sowohl mit familiärem Brustkrebs assoziiert sein sollen als auch mit dem sogenannten sporadischen Brustkrebs in der Normalbevölkerung. Bald könne bei jeder Frau das sogenannte individuelle Brustkrebsrisiko bestimmt und eine maßgeschneiderte Prävention offeriert werden, so die Vision der Genetiker (Schmidtke 2007, Wagenmann 2010). Selbst Erkrankungen, die bisher als eindeutig umweltbedingt galten, werden durch die Verrechnung von Umweltdaten mit genetischen Daten inzwischen zum genetischen Problem. Das Environmental Genome Project beispielsweise sucht gezielt nach environmentally responsive genes, um die genetischen Grundlagen dafür zu erforschen, dass manche Menschen von Pestiziden, Abgasen und Weichmachern krank werden, andere aber nicht. Siehe u. a. Bauer 2003, 2008. Trisomie 1958 entdeckte der französische Genetiker Jérôme Lejeune (1926–1994), dass Menschen mit Down-Syndrom ein Chromosom mehr haben als andere. Wenige Jahre zuvor war noch heftig darüber debattiert worden, wie viele Chromosomen beim Menschen überhaupt zu finden sind. Es dauerte bis zur Mitte der 1950er Jahre, bis man sich auf 46 einigte. Bei einer Trisomie sind von einem bestimmten Chromsom nicht wie gewöhnlich zwei, sondern drei im Zellkern zu finden – sodass sich die Gesamtzahl der Chromosomen auf 47 erhöht. Sie gilt daher als Störung, als sogenannte Chromosomenaberration. Bei der Trisomie 21, dem genetischen Befund für das Down-Syndrom, ist das Chromosom Nr. 21 dreimal vorhanden. Sie geht, in den meisten Fällen, auf eine zufällige Fehlverteilung der Chromsomen während der Eizellbildung zurück und ist daher zwar angeboren, aber nicht vererbt. Durchschnittlich wird etwa eines von 650 Kindern mit einer Trisomie 21 geboren, wobei die Wahrscheinlichkeit mit dem Alter der Mutter ansteigt: Bei einer 20-Jährigen beträgt sie ca. 1 : 1500, bei einer 30-Jährigen 1 : 900 und bei einer 40-Jährigen 1 : 100. Weitaus seltener als Kinder mit Down-Syndrom werden auch Kinder mit Trisomie 13 (Pätau-Syndrom) und Trisomie 18 (EdwardsSyndrom) geboren; sie sind in der Regel schwer beeinträchtigt und ihre durchschnittliche Lebenserwartung beträgt nur Monate oder wenige Jahre. Eine Verdreifachung des X-Chromosomens (Triple-X) beispielsweise hat hingegen keine
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Auswirkungen und auch andere Veränderungen der Geschlechtschromosomen, die bei einer Amniozentese ebenfalls festgestellt werden, wirken sich weder auf die Lebenserwartung noch auf geistige Fähigkeiten aus. Zystische Fibrose Lange Zeit galt die Zystische Fibrose, auch Mukoviszidose genannt, als Inbegriff einer monogenen Erbkrankheit. Wenn beide Eltern den entsprechenden Genfehler haben und ihn auf ihr Kind übertragen, so war in allen genetischen Lehrbüchern zu lesen, wird dieses krank: Die zwei defekten Genkopien führen zu einer Störung der Drüsensekretion, sodass die Bauchspeicheldrüse, der Dünndarm und besonders gravierend die Lunge beeinträchtigt sind. Als das entsprechende Gen schließlich 1989 lokalisiert und erforscht wurde, stellte sich nach und nach heraus, dass der Zusammenhang zwischen DNA und Krankheitsausprägung jedoch keineswegs so monokausal, linear und eindeutig ist, wie man sich das vorgestellt hatte. Anhand eines Gentestes lässt sich nicht sicher auf die Ausprägung der Erkrankung schließen. Selbst bei denjenigen, bei denen sich die häufigste, als „schwerwiegend“ klassifizierte Mutation DF508 nachweisen lässt, treten manchmal nicht die typischen Symptome auf. Besonders folgenreich bei Zystischer Fibrose ist der zähe Schleim in der Lunge, ein Nährboden für schwere Infekte, die schließlich das Lungengewebe angreifen. Diese Symptomatik lässt sich anhand des Gentests jedoch nicht vorhersagen. „No predictions can be made about the occurrence of common complications of cystic fibrosis or the severity or course of pulmonary disease, because of the wide variability in each group of patients carrying the cystic fibrosis genotypes studied“ (The Cystic Fibrosis Genotype-Phenotype Consortium 1993, 1311). Fast anderthalb Jahrzehnte später müssen auch Slieker et al. 2005 festhalten: „The variation in cystic fibrosis (CF) lung disease and development of CF related complications correlates poorly with the genotype of the CF transmembrane regulator (CFTR)“ (Slieker et al. 2005, 7, siehe auch Castellani et al. 2009). Inzwischen suchen Forscher nach sogenannten „modifizierenden Genen“, um die Variabilität der Erkrankung erklären und vorhersagen zu können (u. a. Cutting 2005).
Transkriptionskonventionen Transkriptionskonventionen
nach Selting 1998 B:
Berater, Beraterin
F:, M:
Frau, Mann
(–), (– –), (– – –)
kurze, mittlere und längere Pause
=
unmittelbarer Anschluß, Verschleifungen
hm, ja, nee
einsilbige Rezeptionssignale
hm=hm, nee=e
zweisilbige Rezeptionssignale
Nicht
Betont
((lacht))
außersprachliche Vorgänge
Anmerkungen Anmerkungen
1 Das Projekt hatte die Fördernummer 01GP0206+01GP0256. 2 Im Eurobarometer wurde diese Frage mehrere Jahre hintereinander gestellt,
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siehe zuletzt Eurobarometer 2006, 57. Eine fundierte Kritik an solchen Befragungen formuliert Wynne 1995. Die Alltagssprache (bzw. Umgangssprache) ist, auch in ihrer höchsten Abstraktion, von der sinnlichen Erfahrung und Wahrnehmung abgeleitet: „Die Kategorien und Ideen des menschlichen Verstandes haben ihre letzte Quelle in der menschlichen Sinneserfahrung, und alle Begriffe, die unsere geistigen Fähigkeiten beschreiben, ebenso wie ein großer Teil unserer Begriffssprache leiten sich aus der Welt der Sinne her und werden metaphorisch gebraucht“ (Arendt 2000, 379). Bei meiner Unterscheidung zwischen Wissenschaftssprache und Alltagssprache beziehe ich mich vor allem auf die Arbeiten des Sprachwissenschaftlers Uwe Pörksen, siehe Pörksen 1986, 1988. Einen kurzen Überblick über verschiedene „Erscheinungsformen der deutschen Sprache“ gibt u. a. Hugo Steger; er geht dabei sehr komprimiert auf die grundlegenden Unterschiede zwischen Fachsprache und Alltagssprache ein, siehe Steger 1988, 296 –7. Siehe hierzu u. a. Beurton, Rheinberger und Falk 2000, Burian 1986, Falk 1984, Rheinberger und Müller-Wille 2009, Strohman 1997. Auch wissenschaftliche Objekte haben daher eine „Biographie“, siehe Daston 2000. Alles das, was ich bis 1989 für mein Genetikstudium an der Universität Tübingen paukte, ist heute veraltet: Das „zentrale Dogma der Molekularbiologie“, dass alle Information von der DNA ausgeht, ist ebenso obsolet wie die sogenannte „Ein Gen-ein Enzym-Hypothese“ (inzwischen kennt die Genetik DNA-Abschnitte, die für Tausende von Proteinen codieren können). Das, was uns noch als „Junk“-DNA beigebracht wurde, also als evolutionärer Müll, gilt heute als Ort hochkomplexer Genregulation. Und die RNA ist nicht mehr nur passiver Bote, sondern wurde als Steuerungsmolekül entdeckt, das aktiv Gene und Genaktivität oder Genprodukte verändert. Der Sammelband von Beurton, Rheinberger und Falk 2000 fasst die wichtigsten wissenschaftsgeschichtlichen und -theoretischen Reflektionen über das Gen zusammen. Im Vorwort konstatieren die Herausgeber einen tiefgreifenden Umbruch im biologischen Denken: „Somewhat detached from
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the gene as a public icon, but also unknown to many biologists, these new findings have caused a watershed during the last few decades. The more molecular biologists learn about genes, the less sure they seem to become of what a gene really is“ (Beurton, Falk und Rheinberger 2000 ix–x). Gene verursachen und determinieren nicht, sie enthalten keine Instruktionen, sie sind nicht unabhängig von ihrer zellulären oder organismischen Umwelt, sie sind nicht isolierbar und auch nicht stabil – ja, sie sind überhaupt nicht wirklich zu definieren: „Rather than ultimate factors, genes begin to look like hardly definable temporary products of a cell’s physiology. Often they have become amorphous entities of unclear existence ready to vanish into the genomic or developmental background at any time“ (Beurton, Falk und Rheinberger 2000, x). Aktuell und aufschlussreich ist auch der Eintrag „Gen“ in der Stanford Encyclopedia of Philosophy, siehe Rheinberger und Müller-Wille 2004. Das Phlogiston ist eine hypothetische Substanz, die man im 18. Jahrhundert als Ursache der Brennbarkeit ausmachte. Zwischen 1700 und 1789 galt es als wissenschaftliche Tatsache, und obgleich es sich schließlich als „Trugbild“ herausstellte, so war es doch fast ein Jahrhundert lang als forschungsleitendes Konstrukt sehr erfolgreich und hat die moderne Chemie mit auf den Weg gebracht. Zum Phlogiston als „Wissenschaftsmärchen“ siehe Pörksen 2003. Wie sich „Vererbung“ als ein Objekt konstituierte, das wissenschaftlich erforscht und schließlich auch manipuliert werden konnte, und wie dieses Objekt im Laufe der Geschichte verschiedene Gestalten annahm, haben Rheinberger und Müller-Wille 2009 untersucht. Indem die Natur mittels Gentechnik an die Bedürfnisse der Industrie angepasst wird, soll die Umwelt gesünder und sauberer werden, siehe u. a. Jacobsen 2005. Eine empirisch fundierte Kritik an den Verheißungen der Gentechnik-Industrie liefert eine Studie des BUND, siehe Sprenger 2008. Das Argument, mithilfe der Gentechnik könne der Hunger auf der Welt beseitigt werden, haben Buntzel und Sahai 2005 auseinandergenommen. Ein Beispiel für die populärwissenschaftliche Verbreitung von Gen-Gläubigkeit im Namen wissenschaftlicher Aufklärung ist das Themenheft GEOkompakt „Der Mensch und seine Gene“ 2006, in dem es u. a. um die genetischen Grundlagen von Krankheiten, männlichem Imponiergehabe und Altern geht. „The presumption that genes operate independently has been institutionalized since 1976, when the first biotech company was founded. In fact, it is the economic and regulatory foundation on which the entire biotechnology industry is built“ (Caruso 2007). In der New York Times im Juli 2007 spricht ein neuseeländischer Molekularbiologe daher vom „industriellen Gen“: „The industrial gene is one that can be defined, owned, tracked, proven acceptably safe, proven to have uniform effect, sold and recalled“ (Heinemann, zit. n. Caruso 2007). Siehe hierzu auch Then 2008.
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12 Das Genethische Netzwerk bietet eine kleine Sammlung verschiedener „Gene
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für“ an, siehe http://www.gen-ethisches-netzwerk.de/gen-fuer. Das „GottesGen“ verkündet der gleiche Genetiker, der 1993 sehr pressewirksam behauptete, er hätte das Schwulen-Gen entdeckt, siehe Hamer 2006. Ganz gleich ob Grippe oder Selbstmord – Gene haben heute überall ihre Finger im Spiel: „In the United States, 9 out of 10 leading causes of death have known genetic components: heart disease, cancer, stroke, chronic obstructive pulmonary disease, pleumonia/influenza (though the immune system), diabetes, suicide (through tendency to depression), kidney disease and chronic liver disease. Together, they account for 76 % of deaths in the USA. At the same time, genetics offers hope for effective treatment or cure“ (Wertz und Fletcher 2004, 284). Für die genetische Erforschung von „Krankheiten des Zentralen Nervensystems“ wie Alkoholismus, Schizophrenie, manische Depression etc. siehe u. a. Propping et al. 2004 sowie allgemeiner u. a. Lehrach 2003, Paul und Ganten 2003, Peltonen 2003, Propping und Nöthen 2003. Michel Foucault bezeichnet die moderne Gesellschaft als „Normalisierungsgesellschaft“: Die Humanwissenschaften, ob Medizin, Psychologie oder Soziologie, konstruieren eine (statistisch definierte) Norm, an welcher Menschen gemessen werden. Abweichungen von dieser Norm gelten als pathologisch und damit behandlungsbedürftig. Der Genozid, also der Mord an ausgegrenzten und problematisierten Volksgruppen, kann eine extreme Maßnahme einer solchen „Behandlung“ sein, die das Ziel hat, eine wissenschaftlich begründeten Gesellschaftsordnung herzustellen, siehe Foucault 1993. In seiner Auseinandersetzung mit dem Holocaust als Auswuchs rationaler Sozialplanung betont auch Zygmunt Bauman 2002, dass moderne Gesellschaften, die eine künstliche soziale Ordnung schaffen wollen, inhärent rassistisch sind. Diejenigen, die nicht in diese anvisierte Ordnung passen, werden zum Problem, das sozialplanerisch, medizinisch und im Extremfall durch Vernichtung gelöst werden soll: „Es gilt, die Gesellschaft neu zu erschaffen, um sie in ein übergreifendes, an wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiertes Schema zu zwingen“ (Bauman 2002, 106). Genetik wird zur Grundlage einer aktiven „Regierung des Selbst“. Genetische Begriffe und Konzepte bestimmen alltägliche Überlegungen und Entscheidungen und erzeugen neue Verantwortlichkeiten. Siehe hierzu u. a. Bunton und Petersen 2005, Kerr 2004, Novas und Rose 2000, Petersen und Bunton 2002 und Rose 2007. Abby Lippman hat den Begriff der „Genetisierung“ geprägt (Lippman 1991), womit sie die zunehmende Bezugnahme auf Gene in ganz verschiedenen Zusammenhängen, ob Medizin, Kriminalitätsbekämpfung oder andere bezeichnet: „Geneticization refers to the ongoing process by which priority is
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given to searching for variations in DNA sequences that differentiate people from each other and to attributing some hereditary basis to most disorders, behaviours, and psychological variations“ (Lippman 1994, 13). „Autonomy is viewed not as a natural given but as an achievement that demands that the subject be fully ,informed’ about their susceptibility to risk and about available options, the assumption being that more genetic information will create more choices“, so kommentiert Alan Petersen (2002, 139) diese neue Autonomie. Ein krasses Beispiel für die Propagierung von Selbstbestimmung und Empowerment durch Aufklärung über Gene ist die populärwissenschaftliche Broschüre „Your Genes, Your Choices: Exploring Issues Raised by Genetic Research“ (Baker 1997), herausgegeben von der einflussreichen Wissenschaftsorganisation American Association for the Advancement of Science und finanziert vom US Department of Energy. Die Beschreibungen und wörtlichen Zitate aus Vorträgen basieren auf den Protokollen, die ich während meiner teilnehmenden Beobachtung des Kongresses angefertigt habe. Die Bundeszentrale für politische Bildung 2003 hat die Veranstaltung im Internet dokumentiert. Faktisches und Fiktionales lässt sich gerade in Bezug auf die Lebenswissenschaften tatsächlich nur schwer auseinanderhalten. Das, was die Betreiber des Genshops noch für fiktional hielten, nämlich ihr Angebot „book a baby“ für Karrierefrauen, die erst später Kinder bekommen möchten, wurde bald darauf von der Wirklichkeit eingeholt: Anfang 2006 berichtete der Spiegel von einer neuen Dienstleistung für Frauen, sich Eizellen für ihre spätere „Familienplanung“ einfrieren zu lassen, siehe Stockinger 2006. In Deutschland gibt es inzwischen zahlreiche Wissenschaftsmuseen und Science Center, u. a. das Universum Bremen, Phänomenta Bremerhaven, Flensburg, Lüdenscheid und Peenemünde, das Spectrum Berlin usw. Auch ältere Museen wie das Deutsche Hygiene-Museum in Dresden und das Deutsche Museum in München bieten heute meist „Wissenschaft zum Anfassen“. Zur Geschichte naturwissenschaftlicher Museen und der Entwicklung und Pädagogik der neuen Science Center siehe u. a. Noschka-Roos und Teichmann 2006. Barbara Duden kritisiert das visuelle Infotainment dieser Ausstellungen als „pädagogische Anleitung zur Selbstentkörperung“, siehe Duden 2002a, 187–199. Das BMBF fördert zahlreiche Diskursprojekte zum Thema Genetik, Biomedizin und Bioethik, aktuell siehe http://www.gesundheitsforschungbmbf.de/de/186.php, 14. 11. 09. „Streitfall Gendiagnostik“ am Dresdener Hygienemuseum im Jahre 2001 war die erste große Bürgerkonferenz zum Thema Genetik in Deutschland. Siehe hierzu Schicktanz und Naumann 2003. Im Winter 2003/ 2004 fand in Berlin
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die „Bürgerkonferenz zur Stammzellforschung“ statt, siehe Tannert und Wiedemann 2004. Im Jahre 2000 schickte das BMBF das Science-Life-mobil durch Deutschland, um die „umfassende Kenntnis der Sachfragen“ in den Lebenswissenschaften zu fördern (http://www.bmbf.de/press/90.php, 31. 10. 2009). Seit 2003 tourt durch Baden-Württemberg das „Bio-Lab“, das vor allem Schulen ansteuert und „Gentechnik zum Anfassen“ sowie Diskussionsveranstaltungen bietet (www.biolab-bw.de, 31. 10. 2009). Finanziert wird das BioLab aus öffentlichen Mitteln und von der Industrie; betreut und organisiert hat die rollenden Labore die Werbeagentur „Flad & Flad Communication Group“. Siehe die Ausschreibung des BMBF vom Sommer 2006 (http://www.gesundheitsforschung-bmbf.de/de/1276.php, 5. 1. 2010): Die „Fortschritte in den modernen Lebenswissenschaften, insbesondere die in der Humangenomforschung und der Molekularen Medizin“ würden „gewichtige ethische, rechtliche und soziale Fragen“ aufwerfen, so ist da zu lesen. „In einer offenen und zunehmend wissensbasierten Gesellschaft kann die kritische Diskussion dieser Fragen nicht nur einem kleinen Expertenkreis vorbehalten bleiben, sondern muss auch von einer gut informierten Öffentlichkeit mitgestaltet und mitgetragen werden.“ Siehe auch http://www.bmbf.de/de/1237.php, 5. 1. 2010. Das BMBF fördert neben den bereits erwähnten Diskursprojekten (siehe Fußnote 22) auch die Initiative „Wissenschaft im Dialog“, die Veranstaltungen und Fortbildungen zur Wissenschaftskommunikation organisiert, siehe http://www.wissenschaft-im-dialog.de/, 5. 1. 2010. „Die öffentliche Diskussion über die Chancen und Risiken sowie die ethischen Grenzen moderner Technologien ist häufig emotional geprägt. Notwendig ist es aber, Entscheidungen auf nachvollziehbare Fakten und rationale Begründungen zu stützen“, siehe http://www.bmbf.de/de/1056.php, 2.12.09. Die Einbeziehung der Öffentlichkeit in bioethische Diskurse hat vor allem die Funktion, eine bestimmte Form des Sprechens einzuüben, so die These von Kathrin Braun, Svea Hermann und anderen. Es werden keine Urteile vorgegeben, stattdessen jedoch die Art und Weise, wie über Genetik und Biomedizin nachgedacht und gesprochen werden soll, siehe Braun et al. 2008. Hermann 2009 hat in diesem Zusammenhang die Funktion von Bioethik untersucht: Indem die sozialen und kulturellen Folgen der Biomedizin als ethische Probleme gefasst werden, die subjektiv unterschiedlich bewertet werden, erscheint schließlich das Recht auf eine individuelle Entscheidung als einzige angemessene Lösung – womit die Auseinandersetzung entpolitisiert ist. Auch in anderen Ländern bemühen sich Genetiker vor allem um die Jugend, und zwar mit ähnlichen Zielen wie hier: um die genetische Alphabetisierung zu fördern, Begeisterung für Genetik und Gentechnologie zu wecken und
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Nachwuchs zu werben. Siehe u. a. American Society for Human Genetics 2004. In Science Cafés, Schülerforen und Schülerparlamenten üben Jugendliche eine biopolitische Perspektive auf die Wirklichkeit ein. Auf der Grundlage von sogenanntem Faktenwissen und mithilfe von Experten lernen sie, sich innerhalb weniger Tage eine Meinung zu bilden, sei es zu Gentests, zum Klonen oder zur Präimplantationsdiagnostik. Dabei sind diese Veranstaltungen oft als Zukunftswerkstätten angelegt; es geht also von vorneherein darum, keine grundlegenden Fragen zu stellen, sondern sich nur noch über das „wie“ Gedanken zu machen – also darüber, unter welchen Bedingungen die jeweiligen Technologien angewendet werden sollen. So wurden beispielsweise die Schüler des Bremer Schülerforums dazu aufgefordert, das Problem der Finanzierung einer genetisierten Medizin zu lösen. Siehe auch genetic literacy*. Siehe u. a. http://www.genlabor-schule.de/cgi-bin/s_357.cgi?V_ac=l05, 24. 1. 2010. Einen Einblick in Ziele, Finanzierung, Organisation und Ausrichtung der Labore sowie verschiedene Initiativen und Netzwerke gibt die Dokumentation „Genlabor und Schule“, siehe Maxton-Küchenmeister und Dähnhardt 2005. „Dieser Versuch bringt im wahrsten Sinne Licht in die Technik der Übertragung und des Anschaltens von Genen“, verspricht die Versuchsbeschreibung des Gläsernen Labors in Berlin-Buch. „Ihr übertragt das Gen für ein grünfluoreszierendes Protein einer Leuchtqualle auf Coli-Bakterien. Im Ergebnis leuchten diese ebenfalls.“ Siehe http://www.genlabor-schule.de/cgi-bin/ s_357.cgi, 30. 10. 2009. Fleck nennt die Weltanschauung das Ziel der Populärwissenschaft: „Der Gipfel, das Ziel populären Wissens ist die Weltanschauung, ein besonderes Gebilde gefühlsbetonter Auswahl populären Wissens verschiedener Gebiete entstammend“ (Fleck 1980, 149, Herv. i. O.). Das Laborpraktikum konnte ich im Gläsernen Labor in Berlin Buch im Oktober 2004 teilnehmend beobachten. „Improved technical understanding would enrich society and improve the quality of decision-making“, so die Grundannahme staatlicher und wissenschaftlicher Programme zur Verbesserung des Public Understanding of Science (Irwin und Wynne 1996, 5). Das Februar 2010 in Kraft getretene Gendiagnostikgesetz schreibt diesen Vorbehalt fest. Eine eigenständige Profession „genetischer Berater“ gibt es in Deutschland nicht. In den meisten anderen Ländern hingegen, ob USA, Kanada, Großbritannien oder Australien, ist es möglich, sich ohne Medizinstudium durch eine zwei- bis dreijährige Ausbildung zum genetischen Berater zu qualifizieren – was dort vor allem Frauen in Anspruch nehmen.
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36 Hier sind Gespräche zur Diagnose- und Prognosestellung bei kranken und
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behinderten Kindern eingeschlossen. Solche Gespräche habe ich für meine Untersuchung nicht berücksichtigt, weil hier nicht eine Entscheidung im Mittelpunkt steht, sondern vielmehr genuin medizinische Fragen: Was fehlt dem Patienten, welche Ursache hat es, welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Neben der Fruchtwasseruntersuchung gibt es noch zwei weitere Methoden des vorgeburtlichen Chromosomenchecks: Die Chorionzottenbiopsie* und die Nabelschnurpunktion*. Alle Zahlen sind aus Schmidtke und Pabst 2007. Die Zahlen der vorgeburtlichen Chromosomenanalysen sind leicht rückläufig. Zwischen 1997 und 2002 lagen sie jährlich zwischen 70 und 80 000, während sie im Jahre 2004 auf mehr als 60 000 zurückgingen, was „möglicherweise auf die zunehmend verbesserte Pränataldiagnostik mit Ersttrimester-Screening und speziellen Ultraschalluntersuchungen zurückzuführen ist“ (Schmidtke und Pabst 2007, 198). In Bezug auf Gentests schätzt Schmidtke, dass sich in Deutschland und anderen OECD-Ländern etwa alle drei Jahre die Anzahl der Personen, die sich einem solchen Test unterziehen, verdoppeln wird, siehe Schmidtke 2008. Der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Humangenetik, Claus Bartram, hat im Jahre 2005 einen Bedarf von jährlich 120 000 genetischen Beratungen diagnostiziert, siehe http://www.gfhev.de/de/presse/pressemitteilungen/GfH2005_Statement_Bartram.pdf, 7. 12. 2009. Im Deutschen wurde lange von „Erbanlagen“ gesprochen, ein Begriff, der auch in genetischen Beratungssitzungen bis heute synonym mit „Gen“ verwendet wird (Samerski 2002). Im Englischen hingegen hat sich das Wort gene viel früher durchgesetzt. Eine Form der subtilen, zwanglosen Anpassung ist beispielsweise die Erzeugung von „Bedürfnissen“, die Experten definieren, anderen zuschreiben und nur selbst befriedigen können – nämlich durch ihre eigenen Dienstleistungen. Beispielhaft hierfür ist das Bedürfnis nach Medizinkonsum, nach „Entwicklung“ oder nach Schule. Zur „Macht der Bedürfnisse“ siehe u. a. Gronemeyer 1988, Illich 1993. Foucault leitet diese auf das Innere zielende Machttechnologie von der Pastoralmacht ab, also von den seelsorgerlichen Führungstechnologien der Kirche, siehe u. a. Foucault 1977, Foucault 1987. „Die Wissensvermittlung diente hier nicht nur der öffentlichen Beglaubigung der gesellschaftlichen Relevanz medizinischer Maßnahmen, was aus Sicht der aktuellen Wissenschaft als zweifelsfrei belegt galt, sondern mit ihrer Praxis wurde zugleich der Graben zwischen Laien und Experten manifestiert und vertieft, denn Diagnose und Therapie hatten in der Hand der Ärzte zu
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verbleiben, die als die einzig legitimierten Wissensvertreter in der Öffentlichkeit angesehen werden wollten“ (Nikolow und Schirrmacher 2007, 16). Folgt man Zygmunt Baumans Definition von Rassismus, dann ist der Rassismus mit dem Rassenwahn nicht verschwunden. Er hat sich lediglich zu subtileren Formen der Klassifizierung und Ausgrenzung verschoben – hin zu immer feineren und „objektiveren“ Diagnosen von Normalität und Anormalität. Siehe Bauman 2002. „It is my impression that my practice of divorcing the two concepts of eugenics and genetic counseling contributed to the rapid growth of genetic counseling. Genetic counseling would have been rejected, in all probability, if it had been presented as a technique of eugenics“ (Reed 1974, 335–336). Führende Humangenetiker des 3. Reiches, beispielsweise Fritz Lenz und Otmar von Verschuer, wurden allerdings schon wenige Jahre nach dem Krieg wieder auf Lehrstühle berufen und nahmen an internationalen Kongressen teil, siehe Weingart, Kroll und Bayertz 1992, S. 562–581. Humangenetiker brauchten ihre eugenischen Ziele noch nicht aufzugeben. Eugenik wurde damals einfach in „genetische Prävention“ umgetauft. Der Humangenetiker Gerhardt Wendt, der die Institutionalisierung der genetischen Beratung in Deutschland entscheidend vorantrieb, pries die genetische Beratung beispielsweise als Mittel, um die Gesellschaft vor einem „Zustrom“ an Behinderten und den entsprechenden finanziellen Belastungen zu bewahren, siehe Wendt 1978, 442. Siehe auch Baitsch 1970, Fuhrmann und Vogel 1975, Lenz und Lenz 1968. In Deutschland trat 1976 eine Neufassung des § 218 in Kraft, nach der ein Schwangerschaftsabbruch bei bestimmten Indikationen, darunter die sogenannte eugenische Indikation, straffrei bleibt. Die Fristenlösung, nach der ein Abbruch bei Einwilligung der Schwangeren in den ersten drei Monaten grundsätzlich straffrei bleiben sollte, hatte das Bundesverfassungsgericht 1975 abgelehnt. Zunächst konnten Genetiker mithilfe genetischer Marker sogenannte indirekte Gentests durchführen, die besagten, dass das Ungeborene mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit ein Stück Chromosom geerbt hat, auf dem ein krankheitsassoziiertes Gen liegt. Mit der Entdeckung von „Genen für“ wie dem „Gen für“ Zystische Fibrose (1989) oder dem Huntington-Gen (1993) wurden schließlich auch direkte Gentests möglich, bei denen direkt auf den entsprechenden DNA-Abschnitten nach Mutationen gesucht wird. Genaue Zahlen siehe Schmidtke und Pabst 2007. Die im § 219 festgeschriebene Zwangsberatung, der sich Frauen unterziehen müssen, wenn sie eine Schwangerschaft abbrechen lassen wollen, hat Barbara Duden kritisch unter die Lupe genommen, siehe Duden 1996. Die im Karlsruher Urteil von 1993 „richterlich unterstützte Verwandlung der Schwanger-
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schaft aus einer kulturell erlebbaren zu einer diagnostizierten unsinnlichen Tatsache“ würde „eine Verquickung heterogener Wirklichkeitsebenen nicht nur grundgesetzlich sanktionier[en], sondern durch Beratungszwang das Erlebnis dieser Verquickung zur Pflicht“ machen (Duden 1996, 96). Rechtlich wird nicht das Kind zum Schaden erklärt, was gegen das Grundgesetz verstoßen würde, sondern die Unterhaltspflicht der Eltern für das Kind. Der BGH hat solche Urteile, die den gesamten Unterhalt für ein Kind, das nicht so ist wie gewünscht, als Schaden für die Eltern ansehen, am 18. Juni 2002 durch ein entsprechendes Urteil bestätigt. Zur deutschen Rechtssprechung in Bezug auf Pränataldiagnostik, ärztliche Aufklärung, genetische Beratung und das Kind als „Schaden“ siehe u. a. Degener 1992, Nippert 2001, Pap 1995. Eine Chronologie verschiedener Beratungskonzepte und -paradigmen hat Anne Waldschmidt 1996 verfasst, wobei sie in Anlehnung an Foucault die jeweils verschiedenen Formen von Subjektivierungsstrategien und damit Machtausübung analysiert. Ist in der Familie bereits ein Kind mit einer Krankheit oder Behinderung auf die Welt gekommen, die als genetisch gilt, so kommen Frauen oder Paare oftmals auch vor einer (weiteren) Schwangerschaft zur genetischen Beratung. Die Beratungen unterscheiden sich jedoch nicht grundsätzlich von denjenigen, bei denen die Frauen bereits schwanger sind. Genetischen Beratungssitzungen mit schwangeren Frauen habe ich bereits eine Analyse gewidmet, siehe Samerski 2002. Für das Forschungsprojekt „Das Alltags-Gen“ habe ich Beratungsgespräche untersucht, die ich für meine vorherige Untersuchung zwar mitgeschnitten, aber nicht analysiert hatte. Zudem nahm ich im Frühjahr 2004 vier Beratungssitzungen zum Darmkrebs- und Brustkrebs-Gentest auf. In Deutschland sind 12 universitäre Zentren im Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs organisiert, und im Verbundprojekt Familiärer Darmkrebs 6 Zentren. Die Beratungen zu prädiktiven Gentests, auf die ich hier eingehe, fanden an einem dieser Zentren statt. Ich verzichte bewusst auf die Nennung der Orte, weil ich nicht einzelne Beratungsstellen oder Berater kritisieren möchte. Die Absurditäten und Verwirrungen im Beratungsgespräch, die ich im dritten Kapitel beschreibe, sind typisch für die genetische Beratung im Allgemeinen. Es wäre ein Trugschluss, sie einzelnen Beratungsstellen oder Beratern anzulasten. „Genetische Beratung soll einem Einzelnen oder einer Familie helfen, medizinisch-genetische Fakten zu verstehen, Entscheidungsalternativen zu bedenken und individuell angemessene Verhaltensweisen zu wählen“, so beschreibt die Gesellschaft für Humangenetik den Sinn und Zweck einer derartigen Sitzung (Berufsverband Medizinische Genetik e. V. 1996, 1).
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58 Barbara Duden hat das Gen in der Umgangssprache „reflexives Gen“ ge-
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nannt, da es unvermeidlich Angesprochene und Sprechende in Genträger umdeutet, siehe Duden und Samerski 2007. Jörg Schmidtkes Vortrag hatte den Titel: „Der unerschütterliche Glaube an die Macht der Gene – kritische Analyse aus Sicht eines Humangenetikers“. Diesen Vortrag hielt er auf der Tagung: „Was heißt denn schon normal?“ Vorstellungen von Gesundheit, Krankheit und Behinderung in Genetik und Gesellschaft, 6.–7. Oktober 2005 in Hannover. Veranstaltet wurde die Tagung vom Zentrum für Gesundheitsethik an der Ev. Akademie Loccum in Kooperation mit dem Institut „Mensch, Ethik und Wissenschaft“ in Berlin. Die Zitate sind wörtlich meinem Protokoll während des Vortrags entnommen. Mit diesem Anliegen ist Schmidtke keine Ausnahme. Seit dem Gen-Hype der 1990er Jahre treten Genetiker verstärkt als Aufklärer auf, die ihre Mitmenschen von falscher Gen-Gläubigkeit befreien wollen. Siehe hierzu u. a. Fraser 2001. Nach Vorträgen wird mir öfter vorgehalten, ich hätte randständige Beratungsstellen und unprofessionelle Berater ausgesucht. Die Zitate sind jedoch nicht ungewöhnlich, sondern typisch für genetische Beratungsgespräche. Alle Beratungen, aus denen ich zitiere, fanden an hochrangigen Universitätsinstituten und Universitätskliniken statt. Auch andere Genetiker, die sich für die sogenannte Wissenschaftskommunikation engagieren, streuen in ihre Aufklärung immer wieder Fachausdrücke ein, mit denen sie ganz offensichtlich beeindrucken wollen. Als Jörg Schmidtke beispielsweise auf seinem Vortrag in Hannover sein Publikum davon überzeugen will, dass ein einzelnes Gen einen immensen Einfluss auf das menschliche Erscheinungsbild haben kann, spricht er davon, dass es „eine Differenzierungskaskade triggert“. Damit gibt er seinen Zuhörern lediglich zu verstehen, dass er im Besitz bedeutsamen Wissens ist, welches das Verständnis der anwesenden Laien übersteigt. Sie kann es bestenfalls durch anderes autoritatives Wissen aus zweiter Hand, also durch andere Expertenmeinungen ersetzen. Beispielsweise die Entdeckung des sogenannten Positionseffekts, also der unterschiedlichen Genwirkung je nach Position auf den Chromosomen. In der genetischen Beratung greifen die Genetiker in der Regel auf Lehrbuchzeichnungen zurück, also auf schlichte Schwarz-Weiß-Abbildungen. Science Center, Museen, Gläserne Labore oder populärwissenschaftliche Zeitschriften setzen jedoch auf die Macht der bunten Bilder. Sie versuchen, ihre Besucher mit farbenfrohen Illustrationen und Computeranimationen zu bannen. Je unanschaulicher und abstrakter die wissenschaftliche Tatsache, desto aufgepeppter und kunstvoller ihre populärwissenschaftliche Darstellung.
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Das Magazin GEOkompakt „Der Mensch und seine Gene“ (2006), unter Anleitung namhafter Wissenschaftler erstellt, ist beispielsweise gespickt mit computergeneriertem Infotainment auf Hochglanzseiten. Kunstvolle dreidimensionale Bilder suggerieren den Einblick in die Zelle; was eine Weltraumvision von Salvadore Dali sein könnte, soll darstellen, wie „Befehle der DNA“ aus dem Zellkern ins Zellplasma wandern. Eine solche Kunstwelt soll in erster Linie Faszination und Bewunderung hervorrufen: Faszination für die Geheimnisse des Lebens, und Bewunderung für die Wissenschaft, die diese lüften kann. Nivea vertreibt beispielsweise ein „DNAge Anti-Age“ Gesichtscreme für Männer, die mit dem Schutz der DNA vor schädlichen Umwelteinflüssen wirbt. Auf den Produkten ist eine sehr abstrakte Doppelhelix abgebildet. Siehe http://www.niveaformen.de/produkte/gesichtspflege/dnage-anti-agegesichtspflege.html, 6. 3. 2010. Uwe Pörksen weist darauf hin, dass die Doppelhelix eine besonders zügige Karriere gemacht hat. Ludwik Fleck hat das Werden einer wissenschaftlichen Tatsache in drei Stufen beschrieben: Von der unsicheren Hyopthese in der Zeitschriftenwissenschaft über die sichere wissenschaftliche Tatsache in der Handbuchwissenschaft zur scheinbar allgemeingültigen populärwissenschaftlichen Sache. Die Doppelhelix war jedoch von Anfang war nicht nur Hypothese, sondern bereits stabiles Modell und ist dann schließlich zu ganz neuen Art des wissenschaftlichen Bildes aufgestiegen: zu einem kulturellen Emblem oder Idol. Siehe Pörksen 1997, 105–135. Es ist üblich, die Sprachbilder in der Wissenschaft bzw. Populärwissenschaft als Metaphern zu untersuchen. Kovác und Frewer sprechen in ihrer Untersuchung der genetischen Beratung beispielsweise von der „objektivierenden Kraft der Metapher“ (Kovác und Frewer 2009, 208). Ich verzichte jedoch bewusst darauf, diese Bilder oder Übertragungen als Metaphern zu verstehen. Metaphern sind „Sinnfähren“; sie übertragen Bedeutung von einer Sphäre in eine andere und „versinnfälligen“ durch Analogie. Gene mit „Verwaltungsvorschriften“ zu vergleichen oder den „genetischen Code“ mit einem Text ist jedoch etwas grundsätzlich anderes, als über den „Hafen der Ehe“ zu sprechen. Die „genetische Verwaltungsvorschrift“ spannt zusammen, was fundamental verschieden und unvergleichbar ist. Analogien zwischen Alltagswelt und Labor schreiben wissenschaftlichen Tatsachen Sinn und Bedeutung zu, den sie nicht haben können. Die Frage wäre, ob genetische Metaphern wie die genetische Information oder die Chromsomen als Verpackung nicht besonders krasse Formen des Bildbruches sind: Sie verbinden miteinander, was heterogen und unvergleichbar ist. Der Gendefekt ist ein sehr geläufiges Bild in der genetischen Beratung, siehe auch Kovác und Frewer 2009, 213.
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70 Über die Einübung in das wissenschaftliche Beobachten hat Fleck einen bis
heute aufschlussreichen Aufsatz geschrieben, siehe Fleck 1936. 71 Zur Geschichte des trivialisierten Ursachenverständnisses in der Genetik
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siehe Schwartz 2000. Sie zeigt, dass experimentell nicht das Verhältnis zwischen Gen und Merkmal untersucht wurde, sondern zwischen Genveränderung und Merkmalsveränderung. Wenn eine bestimmte Mutation die Augenfarbe verändert, heißt das ja noch nicht, dass damit die alleinige Ursache für die entsprechende Augenfarbe entdeckt worden wäre. In der Theoriebildung gerann der verändernde Faktor jedoch zur Ursache, zum „Gen für“. „Theory and research were not guided by the same premises“ (Schwartz 2000, 31). So berichten beispielsweise die Genetiker Ruth Hubbard und Richard Lewontin von einem Geschwisterpaar, denen beiden das gleiche „Gen für“ eine erbliche Augenerkrankung (Retinis pigmentosa) attestiert wurde: Die eine Schwester ist blind, die andere fährt nachts LKW. Siehe Hubbard und Lewontin 1996. Der Vergleich mit dem Tonband ist ebenfalls gängig, siehe u. a. Kovác und Frewer 2009, 214. Der Biologe und Arzt Henry Quastler versuchte vergeblich, „in technisch angemessener Form“ (Kay 2001,164) eine auf Information beruhende Biologie zu begründen und ist, obgleich sein „diskursives Begriffsgerüst überlebte und gedieh“ (Kay 2001, 165), vollkommen in Vergessenheit geraten. Siehe Kay 2001, 164–178. Ähnlich erfolglos wie Quastler war im Übrigen die sogenannte „Entschlüsselung“ des genetischen Codes: Genetiker, Mathematiker und Kryptographen bissen sich während des kalten Krieges jahrelang die Zähne daran aus, den Code zu knacken. Erst biochemische Fleißarbeit, nämlich die mühsame experimentelle Zuordnung von Aminosäuren zu den Basentriplets der DNA, brachte schließlich die berühmte Codesonne hervor. „Vom linguistischem und kryptoanalytischem Standpunkt aus gesehen ist der genetische Code gar kein Code; eher ist er eine machtvolle Metapher für Korrelationen zwischen Nukleinsäuren und Aminosäuren“ (Kay 2001, 3 1 – 32). Auf welche Weise die Zuschreibung defekter Gene die Selbstwahrnehmung verändert, zeigen Interviews mit Menschen, denen ein genetischer Testbefund mitgeteilt wurde. Eine Frau, die ihren Brustkrebs auf eine genetische Mutation zurückführte und während der Krankheit, nach einem entsprechenden Test, ein genetisches Risiko für Darmkrebs bescheinigt bekam, erzählte rückblickend: „I was thinking, what other genes are also defective? … I wanted a new identity, I didn’t want to be the person I was anymore“ (Porz 2009, 56). Sie war sich ihrer selbst nicht mehr sicher und fühlte sich sozial entfremdet.
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76 Das Wort „triggern“ stammt vom Englischen to trigger ab, das ursprünglich
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„ziehen“ bedeutete (das deutsche Wort „Trecker“ hat die gleiche etymologische Herkunft). In der Bedeutung von „Abzug“ oder „Zieher“ ist der „Trigger“ als „Schalter“ und „Auslöser“ in die Technik eingewandert und von dort aus offenbar wieder zu einem Neologismus in der deutschen Umgangssprache geworden, wo „triggern“ so viel wie „auslösen“ bedeutet, aber einen technischen Beigeschmack hat. „Hinzu kommt, dass technische Ausdrücke erst im spezifischen experimentellen Kontext, in dem sie benutzt werden, die erforderliche Präzision gewinnen. Ausdrücke wie Gen können eine Vielfalt verschiedener Bedeutungen annehmen; lokal aber vermeidet man Missverständnisse, da man über charakteristische Marker verfügt, die unzweideutig mit spezifischen experimentellen Verfahren verknüpft sind. Im Rahmen dieses Verfahrens hat der Marker einen klaren und eindeutigen Bezug. Wechselt man das Verfahren, muss auch ein anderer Marker verwendet werden. Die verschiedenen Marker greifen dabei ganz unvermeidlich etwas unterschiedliche physikalische Entitäten heraus. Trotzdem kann der Ausdruck Gen, solange man sich im Kontext gegebener klar verstandener experimenteller Konventionen bewegt, immer noch gefahrlos als Betriebskürzel dienen, das den Marker mit direkter experimenteller Bedeutung anzeigt (oder auf ihn hinweist)“ (Keller 2001, 179). Bereits Ludwik Fleck hat darauf hingewiesen, dass Populärwissenschaft sowohl Motivation als auch Ideengeber für die Fachwissenschaft ist. Jeder Fachmann ist Laie auf anderen Gebieten, und seine fachwissenschaftlichen Ideen schuldet er seinem populären Wissen. Darüber hinaus ist der populärwissenschaftliche Glaube an die Wirklichkeit und Bedeutsamkeit seiner Forschungsergebnisse für den Wissenschaftler eine entscheidende Triebkraft. Populärwissenschaft ist also immer konstitutiver Teil fachwissenschaftlicher Begriffsbildung. Siehe Fleck 1980, insbesondere 149–150. Dass die Naturwissenschaften nicht frei von sozialer und kultureller „Kontamination“ sind, sondern in hohem Maße von ihrem sozialen und kulturellen Kontext abhängig, das haben die Science in Context-Studien und die jüngere Wissenschaftsgeschichte detailliert dargelegt. Nicht nur hat der „Pearsonsche Korrelationskoeffizient seine Wurzeln in der Eugenik“ oder ist „die Formulierung von Bohrs Komplementaritätsprinzip auf die Fin-de-siècle-Lebensphilosophie zurückzuführen“ (Daston 1998, 22), sondern auch die Kriterien für wissenschaftliche Objektivität haben einen solchen sozialhistorischen Ursprung (Daston 1998). Siehe auch Shapin 1994. Zur Geschichte der Objektivität und zum Unterfangen, Naturwissenschaft kulturgeschichtlich zu begreifen, siehe v. a. Daston 1998, Daston 2000, Daston 2001, Daston und Galison 2007. Die Sprachwissenschaftlerin Elizabeth Shea hat „Gen“ als rhetorische Figur
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untersucht und kommt zum Ergebnis, das es von Anfang an, seit seiner Prägung durch Johannsen 1909, als eine Art Metonym gedacht war: Als Wort, das ein abstraktes und komplexes Phänomen so bezeichnet, als ob es sich dabei um ein körperliches Ding handeln würde. Siehe Shea 2001. F: Ich wusste nicht, wie hoch das Risiko ist, wie viel Prozent und so, ich hab gedacht: Gut, das ist bei uns erblich, das tritt so massiv auf, irgendwie ist das für mich klar: Wir haben ’n Problem mit Darmkrebs. Jetzt könnte mir höchstens noch gesagt werden, äh: Dein Risiko ist nicht so groß. Also für mich kann’s irgendwie letztlich nur positiv ausgehen, weil alle anderen hatten’s schon und äh= B: =Sie gehen einfach eigentlich davon aus, dass sie’s kriegen= F: =Ja, ja, genau. Mit der Konstruktion des Durchschnittsmenschen hat Quételet den Grundstein gelegt für einen tiefgreifenden Umbruch im Verständnis von Individuum und Gesellschaft: „Mit der Theorie des Durchschnittsmenschen begründet Quételet einen Modus der Individualisierung der Individuen, der nicht mehr von ihnen selbst ausgeht, von dem, was ihre Natur ist oder ihr Ideal zu sein hätte, sondern von der Gruppe, der sie angehören. Die Theorie des Durchschnittsmenschen ist nichts anderes als ein Instrument, das es ermöglicht, eine Population, eine Kollektivität – und die Individuen, aus denen sie besteht – nicht mehr auf etwas zu beziehen, das außerhalb von ihnen liegt, etwa auf ihren verborgenen Ursprung, ihre glückliche Zukunft, auf ein Ziel, sondern auf sich selbst. Mit der Konstruktion des Durchschnittsmenschen hat Quételet zweifellos jenen die Soziologie begründenden Weg eröffnet, der es ermöglicht, die Gesellschaft und die Individuen, aus denen sie besteht, ohne Bezugnahme auf etwas anderes als auf sie selbst zu denken“ (Ewald 1993, 192). Eine detailreiche und informative Geschichte des Risiko- und Wahrscheinlichkeitsdenkens hat Peter Bernstein 1996 geschrieben. Lorraine Daston 1988 hat die Wahrscheinlichkeitstheorie im 17. und 18. Jahrhundert untersucht, die das vernünftige Denken beschreiben sollte – „good sense reduced to calculus“. Ian Hacking 1990 hat eine inzwischen einschlägige Geschichte der Wahrscheinlichkeitstheorie und Statistik vorgelegt, in der er auch den sozialen und kulturellen Auswirkungen dieser neuen Denkform nachgeht. Das Aufkommen des Wahrscheinlichkeitsdenkens und seine Auswirkungen in verschiedenen Wissenschafts- und Gesellschaftsbereichen haben Krüger, Daston und Heidelberger 1987 sowie Krüger, Gigerenzer und Morgan 1987 erforscht. Eine konzise Zusammenfassung der Ergebnisse ist in Gigerenzer et al. 1989 veröffentlicht. Wandert das Risiko aus der Statistik in die Arztpraxis oder ans Krankenbett aus, verwandelt es sich grundlegend: Ärzte (und Patienten) interpretieren
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Risikofaktoren als objektive, klinische Krankheitszeichen („objective clinical signs of disease“, siehe Gifford 1986, 222). Solche „klinischen Risiken“ sind strenggenommen keine richtigen Risiken, wie Lorna Weir betont, weil sich die Zukunft eines einzelnen Patienten gar nicht berechnen lässt; sie beruhen auf einer Vermischung unvereinbarer Denkweisen, nämlich die Feststellung von Risikofaktoren einerseits und Diagnose von Normalität und Anormalität andererseits: „Clinical risk comprises an unstable amalgam of incompatible forms of reasoning“ (Weir 2006, 19). Der Kognitionspsychologe Gerd Gigerenzer hat einen Teil seiner Forschung der Vermittlung und dem Verständnis von Risiken gewidmet. In seinem „Einmaleins“ des Risikodenkens klärt er die gängigen und sowohl bei Experten als auch Laien weit verbreiteten Missverständnisse in Bezug auf Wahrscheinlichkeiten und Risiken. Er macht eindrücklich auf die präzise, aber begrenzte Aussagekraft von Testbefunden und Statistiken aufmerksam und propagiert dabei gleichzeitig das kritisch ausgewertete Wahrscheinlichkeitskalkül als Inbegriff aufgeklärten Denkens. Siehe Gigerenzer 2002. Die Berater sprechen häufig von „Auffälligkeiten“; sowohl eine Erkrankung in der Verwandtschaft als auch ein Testergebnis kann „auffällig“ sein. Eine „Auffälligkeit“ steht daher in der Regel für ein Merkmal, von dem ein erhöhtes Risiko abgeleitet wird. Sowohl in den Beratungen zu Darmkrebs als auch zu Brustkrebs ist die Familienanamnese (familiäre Vorgeschichte) eine Grundlage der Risikoabschätzung. „Es bleibt jedoch ein erheblicher Interpretationsspielraum, ab wie viel Krankheitsfällen und welchem Verwandtschaftsgrad eine Frau der Hochrisikogruppe zugeordnet wird“, stellt Ellen Kuhlmann im Hinblick auf Brustkrebs fest (Kuhlmann 2002, 86). Im Unterschied zur Rasterfahndung werden bei der genetischen Risikopersonen-Suche nicht Datenbanken aktiv durchsucht, sondern das Merkmalsraster wird auf diejenigen angewendet, die sich freiwillig in der Humangenetik melden und dort ihre Daten weitergeben, sowie auf deren Verwandte. Zu den Parallelen zwischen der kriminologischen und genetischen Fahndung nach Risikopersonen siehe Baureithel 2003. Diese Verrechnung führt die Genetikerin hier nicht selbst durch; sie ist aber Grundlage dafür, überhaupt eine Wahrscheinlichkeit kalkulieren zu können. Der Begriff „Risikogesellschaft“ geht auf Ulrich Beck und sein gleichnamiges Buch aus dem Jahre 1986 zurück. Die Stärken und Schwächen seiner Analyse und seines Risikobegriffs sind inzwischen vielfach diskutiert, siehe u. a. Wynne 1996. Ich verwende den Begriff „Risikogesellschaft“ hier nicht nur im Beck’schen Sinne, sondern möchte damit etwas plakativ eine Gesellschaft bezeichnen, in der sich Verwaltung und Politik die Erfassung, Kalkulation, Reduktion und Umverteilung von Risiken zur Hauptaufgabe gemacht haben
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– ganz gleich ob bei der Kriminalitätsbekämpfung, in der Wirtschaftspolitik, im Gesundheitswesen oder in der Sozialpolitik. In der Literatur werden risikobehaftete Gesunde tatsächlich als „präsymptomatische Kranke“ oder als „gesunde Kranke“ bezeichnet. Viele Beratene können sich bereits wenige Wochen nach der Sitzung schon gar nicht mehr an die Ziffer sowie deren Bedeutung erinnern. „The majority of participants had transformed the estimates they had been given into accounts that ,fit‘ with their experience“ (Lock 2009, 75). Hallowell und Richards 1997, die eine ganze Reihe empirischer Studien zur Risikowahrnehmung nach genetischer Beratung unter die Lupe genommen haben, schlagen daher vor, das Risikoverständnis nicht zum Erfolgskriterium für die Beratung zu machen, da sie sonst sehr ineffektiv wäre. Um abstrakte Risikozahlen irgendwie einschätzen zu können, beziehen sowohl Experten als auch Laien diese immer wieder auf Grenzwerte, die als Meßlatte für Normalität verstanden werden: „The numbers conveyed a message that no-one ignored, although over time the actual figures seemed to be of no importance. What mattered was their position in relation to the boundaries of normalcy“ (Adelswärd und Sachs 1996, 1186). Schwangere, denen nach einem Ersttrimestertest ein Risiko für ein Kind mit Down-Syndrom genannt wird, interpretieren dieses im Hinblick auf den Grenzwert 1:300 – auch, wenn dieser rein konventionell ist. Ist das attestierte Risiko kleiner, dann sind sie beruhigt. Ist es hingegen höher, dann glauben sie, dass mit ihnen bzw. mit ihrer Schwangerschaft etwas nicht stimmt. Siehe Schwennesen, Koch und Svendsen 2009. Beim PAP-Test, benannt nach seinem Erfinder, dem griechischen Arzt George Papanicolaou, wird ein Abstrich des Gebärmutterhalses auf Zellveränderungen untersucht. Er ist als Screening für alle Frauen empfohlen. Häufig werden dabei Zellveränderungen festgestellt, die sich meistens jedoch wieder von alleine zurückbilden. Die betroffenen Frauen gelten nach einem solchen auffälligen Test jedoch als Risikopersonen und wähnen sich meist am Rande einer bedrohlichen Krebserkrankung. Siehe Kavanagh und Broom 1998. Tatsächlich ist die vorsorgliche Verstümmelung heute eine medizinische Option, um Risiken zu reduzieren. Frauen, denen ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs attestiert wird, weil sie als BRCA1 oder BRCA2 positiv gelten, wird die prophylaktische Amputation von Eierstöcken und Brüsten empfohlen. Siehe Fußnote 126. Auf welche Weise Frauen ihr Schwangersein vor der Verwissenschaftlichung durch Biologie und Medizin erlebt haben, hat Barbara Duden sehr eindrücklich beschrieben, siehe u. a. Duden 1991, Duden 2000, Duden 2002a. Ein Genetiker an der gleichen Beratungsstelle fürchtet, wie er sagt, den Vor-
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wurf: „Warum haben Sie mir das nicht gesagt. Und in Hanau gab’s ein Urteil, da ist … eine vierunddreißigjährige Frau gegen einen Frauenarzt geklagt hat, das Kind hat Down-Syndrom. Sie wäre nicht gut genug drauf hingewiesen worden. Und der Frauenarzt ist zu Unterhalt verdonnert worden“ (Samerski 2002, 222). Siehe auch Kap. 2.3.3. Mit Risiken behaftet ist aus Sicht der Medizin ausnahmslos jede Schwangerschaft. Etwa drei von vier Schwangerschaften werden heute zudem ausdrücklich als „Risikoschwangerschaft“ klassifiziert, siehe Schwarz und Schücking 2004. Die Humangenetik, so stellen May und Holzinger 2003 fest, produziert Ungewissheit: „Die Konsequenzen humangenetischer Forschung haben in epistemischer Hinsicht eine paradoxe Doppelstruktur: Humangenetische Methoden führen zu einer Steigerung von Wissen bei gleichzeitiger Produktion von Ungewissheit“ (May und Holzinger 2003, 69, Herv. i. O.). Zu fragen wäre allerdings, was „Wissen“ hier überhaupt bedeutet, wenn es Ungewissheit produziert. Was für eine Form von Wissen sind beispielsweise statistische Wahrscheinlichkeiten aus der Perspektive einer werdenden Mutter? Bei einem Brustkrebs-Gentest wird in Deutschland zunächst immer eine erkrankte Verwandte getestet. Nur, wenn bei dieser eine Genveränderung gefunden wird, testet man auch die eigentliche Testkandidatin. Sollte der Test bei der erkrankten Verwandten jedoch negativ ausfallen, hier bei der Cousine von Frau K., dann gehen Genetiker davon aus, dass die Erkrankung zwar genetisch, das entsprechende Gen jedoch nicht bekannt ist. Die Kandidatin selbst wird dann gar nicht mehr getestet. Gälte Frau K. nicht als Genträgerin und bekäme trotzdem Brustkrebs, dann würde ihre Erkrankung nur anders klassifiziert. An anderer Stelle erklärt die Beraterin: „Wenn man bei Ihrer Cousine, sagen wir mal, was finden würde und bei Ihnen nicht, und Sie würden dennoch an Brustkrebs erkranken, dann würde man sagen, es ist nicht erblich.“ Siehe v. a. Begg 2002. Dass die Korrelation zwischen Genotyp und Phänotyp, also zwischen BRCA1 und 2 und Erkrankung deutlich geringer ist als 80– 85 Prozent, wird heute kaum noch bestritten; siehe u. a. Antoniou et al. 2003, Fu et al. 2007. Inzwischen werden verschiedene mathematische Modelle bzw. Computerprogramme getestet, die neben genotypischen Markern auch die Familiengeschichte einkalkulieren und eine multivariate Risikoberechnung vornehmen, siehe Euhus 2001, Fasching et al. 2007. Ziel ist es, das Erkrankungsrisiko nicht nur vom BRCA1 und 2-Gen abzuleiten, sondern anhand verschiedener genotypischer und phänotypischer Merkmale ein „individuelles“ Risikoprofil zu erstellen. Die Studien legen meist eine Lebenserwartung von 79 Jahren zugrunde. Das Bundesverfassungsgericht hat im April 2006 eine präventive Rasterfahn-
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dung ohne konkrete Bedrohung verboten, weil sie das informationelle Selbstbestimmungsrecht verletzt. Verschiedene Länder hatten nach dem 11. September 2001 eine Rasterfahndung nach sogenannten Schläfern durchgeführt. Siehe http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/ bvg06-040.html, 6. 10. 09. Frau K. hat Wassereinlagerungen und Verhärtungen in der Brust und geht daher öfter zum Arzt. Mammografie, berichtet sie, sei bei ihr nicht aussagekräftig. Daher empfiehlt ihr die Genetikerin den Ultraschall. Testresultate können keine Gesundheit garantieren. Es wäre irreführend, sich von Testresultaten Sicherheit zu erhoffen. Die Aussage, dass nichts vorliegt, lässt sich immer nur für den Moment und mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit treffen. Das Bild der Polizei kommt auch in anderen genetischen Beratungen vor, wo es von den Genetikern selbst ins Gespräch gebracht wird, siehe z. B. Kovác und Frewer 2009, 215–16. Auch das Epigenom-Netzwerk beschreibt auf seiner Website den Krebs als einen „innere[n] Feind, das kriminelle Element, das die Harmonie der Zellgemeinschaft unseres Körpers zerstört. Unsere interne Polizei, unser Immunsystem, tut alles in ihrer Macht stehende, um diese Unruhe stiftenden Zellen aufzuspüren und zu entwaffnen“, siehe http://epigenome.eu/de/2,54,0, 16. 02. 2009. Die kurzen Texte sind mit Bildern illustriert, die eine Polizeitruppe mit Schlagstöcken und einen Mann in Handschellen zeigen. Auf den Bildern sind keine Gesichter zu sehen, sodass Menschen auf bloße Funktionsträger reduziert sind. Zur Bedeutung von Zeit in einer zukunftsorientierten Medizin und zur Veränderung des Krankheitsverständnisses siehe Greco 1993. In einem Artikel des Times Literary Supplement setzt der der Autor Gene tatsächlich mit Terroristen gleich: „If our genes are a society, then some are terrorists. They have the power to kill, maim, or make life downright miserable for us and our children. Some strike at birth, others ,sleep‘ for decades, and, like good terrorists, they are so well intergrated into our body politic that, until the last few years, their exact whereabaouts were a mystery: their individual extirpation (or more properly correction) is still well nigh impossible. Too often, the only cure is the destruction of the body which harboures them, whether literally or, more humanely, by preventing its reproduction“ (Turner 2001, 8). Den Umbruch von der medizinischen Expertenherrschaft zum formalisierten und bioethisch geprüften decision-making am Patientenbett in den USA hat David Rothman 1991 beschrieben. In 30 Prozent der Fälle mit HNPCC-Syndrom finde man jedoch nichts, fährt die Beraterin fort: „Da guckt man einfach die Gene an und findet nichts“. Das bedeute jedoch nicht, dass die Krankheit nicht genetisch bedingt sei: Das
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entsprechende Gen sei nur noch nicht bekannt: „Wir kennen halt heutzutage noch nicht alle Gene“. Dass die genetische Aufklärung die Entscheidung zum Gentest zwar nicht fordert oder erzwingt, aber durchaus anbahnt, scheint auch in anderen genetischen Beratungsstellen üblich zu sein. Eine Studie über genetische Beratung in Schweden kommt zu dem gleichen Ergebnis: „While the autonomy of the individual or the family is often expressly valued and respectfully mentioned by the counsellor, the dialogue also makes clear that a genetic test creates an avenue to make a knowledge-based choice of prevention“ (Koch und Svendsen 2005, 828). Auch Schwangere haben oft den Eindruck, dass sie zwar wählen sollen, aber eigentlich keine Wahl haben, siehe Schwennesen, Koch und Svendsen 2009. Schmutzler et al. 2003 halten fest, dass sich in Deutschland 60 Prozent der Hochrisikopersonen für familiären Brustkrebs einem genetischen Test unterzogen und etwa 80 Prozent dem empfohlenen Früherkennungsprogramm unterworfen haben, siehe Schmutzler et al. 2003, 504. Da Frau M. bereits einen Polypen hatte, ist kaum davon auszugehen, dass der Test „Entwarnung“ geben wird: Und selbst dann, wenn er aus irgendeinem Grund negativ ausfiele, so wäre es wohl ärztlich vernünftig, weiterhin vorsichtig zu sein und vom Darmbefund und nicht vom Genbefund auszugehen. Diese Beobachtung, dass die genetischen Berater in den Krebs-Beratungen von ihren Klienten sowohl eine selbstbestimmte Entscheidung verlangen als auch das „verantwortliche“, also medizinisch vorgeschriebene Management der attestierten Risiken, haben auch Koch und Svendsen 2005 gemacht. Entscheidungen, die nicht dem präventiven Risikomanagement dienen, sind für die Berater nicht akzeptabel: „Thus, while the notion of choice is emphasised all the way through, some choices are more easily accepted than others. If counsellees take the decision in line with the ideology of prevention, these are accepted right away whereas decisions that do not lead in that direction are contested“ (Koch und Svendsen 2005, 829). Sie stellen fest, dass Genetiker ihre Klientinnen zur Risikoprävention verpflichten, und nicht selten auch zum Gentest. Dazu appellieren sie an die Verantwortung für die eigene Gesundheit und die Gesundheit der Verwandten. Koch und Svendsen sprechen hier von einem zweifachen Imperativ, vom Imperativ der Entscheidung und der Prävention, siehe Koch und Svendsen 2005, 824. In der Risikomedizin oder „Überwachungsmedizin“, wie Armstrong schreibt, werden Krankheitssymptome in Risikofaktoren umgedeutet: „Symptoms and signs are only important for Surveillance Medicine to the extent that they can be re-read as risk factors“. Die Genetikerin versteht den Polypen von Frau M. also nicht mehr als Symptom oder Zeichen einer „tieferliegenden“
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Erkrankung oder Anomalie, sondern als Omen: „It is no longer the symptom or sign pointing tantalisingly at the hidden pathological truth of disease, but the risk factor opening up a space of future illness potential“ (Armstrong 1995, 400). William R. Arney beschreibt die Medizin in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts als Medizin des monitoring, der dauernden Überwachung, deren Ziel die präventive Optimierung ist: „The new medical logic proposes to meet disruption and dislocation with a policy of ,preventive optimization and not alleviation‘ which extends over the entire life course“ (Arney und Bergen 1984, 113, Herv. i. O.). Siehe auch Arney 1982. Der moralische Appell an „Verantwortung“ ist ein Appell an die Pflicht zum Risikomanagement: „Responsibility is equated with the capacity to behave rationally, the term presupposes a calculation of expected benefits and risks, and a decision to follow the path with the greatest possibility of benefit with the least risk“ (Ruhl 1999, 96). Welche Handlungszwänge mit der Verheißung technischer Machbarkeit einhergehen und wie sie Wünsche und Hoffnungen in Bedürfnisse umformen, das beschreibt u. a. Franklin 1997 am Beispiel der Reproduktionstechnologie. Präventionskampagnen stellen Krankheiten oft als Folge ungesunder Entscheidungen dar. Herzerkrankungen, so stellen beispielsweise Davison und Frankel in ihrer Studie zur „Laienepidemiologie“ fest, gelten hier als Folge von Unwissenheit oder Undiszipliniertheit: „,Choosing health‘ is thus central to the official ideology, with the strong implication being that much heart disease is attributable either to ignorance or to a lack of self-discipline“ (Davison, Frankel und Davey Smith 1992, 3). Die Tatsache, dass Patienten und Beratene nicht „Opfer oder Objekt genetischen Wissens“ sind, sondern „Akteure und ,MitspielerInnen‘“ (Kollek und Lemke 2008, 183), ist daher kein Zeichen für Eigenwilligkeit und Selbständigkeit, wie Lemke und Kollek suggerieren, sondern vielmehr für die Effektivität einer Machttechnologie, die zu informierten Entscheidungen mobilisiert. Nur bei einem Teil der Hochrisikofamilien wird überhaupt eine Mutation auf einem der BRCA-Gene gefunden. Bei allen anderen ist der Test nicht aussagekräftig. Daher suchen Genetiker eifrig nach weiteren sogenannten Krebsgenen sowie nach Kombinationen von Risiko-Genen, siehe Wagenmann 2010. Viele Frauen tun sich schwer, wenn sie das Ergebnis des Gentestes erfahren. Nicht selten wird ihnen daher eine „psychoonkologische Beratung“ angeboten, und das Konsortium Familiärer Brust- und Eierstockkrebs der Deutschen Krebshilfe hat eine Checkliste bzw. ein Merkmalsraster erstellt, mit dessen Hilfe „psychosoziale Risikopatienten“ herausgefiltert werden sollen – also Frauen, denen ein erhöhtes Risiko zugeschrieben wird, dass sie
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mit dem Testergebnis nicht zurechtkommen. Siehe Schmutzler et al. 2003, 499 – 500. Zur Wirksamkeit von Mammographie als Bevölkerungs-Screening siehe u. a. Gøtzsche und Olsen 2000, Gøtzsche 2003, Mühlhauser und Höldke 2000, Nationales Netzwerk Frauengesundheit 2007, Perl 2000. Zur Wirksamkeit von Früherkennung und anderen Präventivmaßnahmen wie Hormontherapie etc. für Hochrisikopersonen siehe u. a. Calderon-Margalit und Paltiel 2004, Lux, Fasching und Beckmann 2006, Schmutzler et al. 2003. Obwohl die Wirksamkeit von Präventionsangeboten nicht belegt ist oder widersprüchlich bewertet wird, verbreiten Mediziner und Genetiker häufig „optimistische Prognosen“, wie Kuhlmann feststellt. „Wo Fakten fehlen oder nicht überzeugen, wird also die faktische Deutungsmacht der Expertenmeinung gegen die möglichen Bedenken der KritikerInnen gesetzt“ (Kuhlmann 2002, 104). Dieses Buch ist kein Gesundheitsratgeber. Ob gengetestete und risikoüberwachte Frauen länger oder kürzer leben als andere, das ist nicht mein Thema. Ich möchte die Frage nach der sozialen und symbolischen Funktion genetischer Aufklärung unabhängig vom medizinischen body count stellen. Ein nüchterner Blick auf die Statistiken trägt jedoch dazu bei, sich nicht von den Krankheitsdrohungen und Gesundheitsversprechen der Risikomedizin ins Bockshorn jagen zu lassen. Es sind vor allem technikgläubige Ärzte und irreführende Statistiken, die die grassierende Krebs-Angst und das Bedürfnis nach Gesundheits-Überwachung schüren. Die Risikomedizin ist also ein herausragendes Beispiel für die Irrationalität einer Gesellschaft, die vom Glauben an technische Machbarkeit beherrscht wird. Siehe hierzu u. a. Duden 2002a, 166–186, Weymayr und Koch 2003 sowie Fußnote 124. Etwa jede zehnte Frau nach positivem Gentest lässt sich in Deutschland die Brust amputieren; in den USA ist es etwa jede vierte, und in einer Rotterdamer Klinik jede zweite (Steiner, Gadzicki und Schlegelberger 2009, 29). Steiner, Gadzicki und Schlegelberger räumen jedoch ein, dass auch hier die Risikoreduktion nur wahrscheinlich ist: „Da bisher noch keine Daten aus Langzeitstudien vorliegen, ist noch keine endgültige Aussage über ein Überlebensvorteil durch die risikoreduzierenden Operationen möglich“ (Steiner, Gadzicki und Schlegelberger 2009, 28–29). Dass die Schwangeren nicht auf die Möglichkeit unerwarteter und unklarer Befunde hingewiesen werden, ist üblich. Auch das, was ein Spätabbruch bedeuten würde, wird in der Regel nicht angesprochen. Siehe u. a. Braun 2006, Samerski 2002. Befunde, die eine vorgeburtliche Behandlung ermöglichen, z. B. eine Hormonbehandlung, sind eine seltene Ausnahme. Nicht nur hier in diesem Klinikum oder in Deutschland, sondern überall in
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Europa und den USA stellen genetische Berater diese Entscheidung als etwas „Persönliches“ dar, siehe beispielsweise Bosk 1992, Pilnick 2002, Rapp 1999. Die Frauen sollen also eine Zahl persönlich bewerten, die gar nichts mit ihnen persönlich zu tun hat. Daher tun sich die meisten Schwangeren sehr schwer, dem Risiko irgendeine Bedeutung abzuringen. Siehe u. a. Rothman 1989, Samerski 2002, Schwennesen, Koch und Svendsen 2009. Die Frage nach dem Nutzen ist hier natürlich unmenschlich. Immer wieder gibt es volkswirtschaftliche Untersuchungen, die die finanziellen Kosten der Fruchtwasseruntersuchung gegen die Einsparungen aufrechnen, die gemacht werden, wenn ein Kind mit Down-Syndrom nicht lebend auf die Welt kommt. Sie kommen dann zum Ergebnis, dass die Fruchtwasseruntersuchung der Volkswirtschaft ökonomisch nützt. Den Preis jedoch, den vor allem Frauen, letztlich jedoch alle Mitglieder der Gesellschaft dafür zahlen, wenn Menschen, die nicht den Normvorstellungen entsprechen, vorgeburtlich selektiert werden, den berücksichtigen Ökonomen natürlich nicht. Ich habe bewusst darauf verzichtet, die Beratenen nach den Sitzungen zu interviewen. Wie sie Beratungen erlebten, konnte ich lediglich anhand ihrer unmittelbaren Reaktionen erahnen. Wie verwirrt, ratlos, unberührt oder verärgert genetisch Beratene sein können, und welche Last ihnen die informierte Entscheidung auferlegt, kommt aber in zahlreichen Interviewstudien zur Sprache. Bereits der genetisch-medizinische Fachjargon flößt den Beratenen oftmals Angst ein, siehe Chapple, Champion und May 1997; an die zentralen Informationen können sich die Beratenen schon nach kurzer Zeit nicht mehr erinnern oder haben sich ihren ganz eigenen Reim darauf gemacht, siehe Friedrich, Henze und Stemann-Acheampong 1998, LippmanHand und Fraser 1979a, 1979b, 1979c, Lock 2009; ihnen wird autoritatives Wissen versprochen, das jedoch nichts gewiss macht, sondern nur das Spektrum beängstigender Zukunftsmöglichkeiten ausweitet, siehe Sarangi 2002, Zuuren, Schie und Baaren 1997; und schließlich erleben viele Beratene die Entscheidung für einen Test gar nicht als freie Entscheidung, sondern als Pflicht, siehe Hallowell 1999, Schwennesen, Koch und Svendsen 2009; oder sie fühlen sich zwar informiert, aber ratlos und aufgeschmissen, siehe Lippman-Hand und Fraser 1979a, 1979b; oder sie lassen sich auf einen Test ein in völliger Ignoranz dessen, was damit auf sie zukommen kann, siehe Friedrich, Henze und Stemann-Acheampong 1998. Diese Interviewstudien zeigen eindrucksvoll, was die Aufforderung zur informierten Entscheidung anhand genetischer und statistischer Konstrukte den Beratenen abverlangt. Ausdrücklich spreche ich hier von Frauen, die ein Kind erwarteten, und nicht von denjenigen, denen das Blut stockte und die gar nicht erst guter Hoffnung sein wollten. Barbara Duden spricht nicht von „körperlich“, sondern von „somatisch“, weil
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sie weder den biologisch definierten „Körper“ der Wissenschaft noch den abstrakten „Körper“ im akademischen Körperdiskurs meint, sondern den erlebten Leib. Das griechische Wort hexis ließe sich im Deutschen am besten durch „zweite Natur“, Gewohnheit oder Haltung übersetzen. Die Geschichte der Medikalisierung von Schwangerschaft und Geburt hat u. a. Ann Oakley 1984 aufgearbeitet. William Arney 1982 hat gezeigt, wie die Medizin im Laufe des 20. Jahrhunderts Schwangerschaft und Geburt zunehmend als ein regulierungs- und überwachungsbedürftiges Unterfangen begriff, in das die Frau aktiv einbezogen werden muss. Lorna Weir 2006 hat dem Verlust der Geburt als Schwelle der Menschwerdung ein Buch gewidmet und argumentiert, dass das Konzept der „perinatalen Mortalität“ ab den 1950ern ein neues Terrain für medizinische Forschungen, rechtliche Regulierungen, ärztliche Eingriffe und staatliche und professionelle Disziplinierung erschloss: die intra- und extrauterine Entwicklung. Selbst dann, wenn vorgeburtliche Tests, wie beispielsweise der Ersttrimestertest, immer mehr zur Routine werden, wird von den Schwangeren eine ausdrückliche Entscheidung verlangt – eine Entscheidung für etwas, das letztlich schon entschieden ist: „[…] the decision to undergo prenatal risk assessment was experienced as a routine part of a ,normal‘ pregnancy trajectory rather than a discrete choice. We might even say that the couples experienced no choice but to choose“ (Schwennesen, Koch und Svendsen 2009, 196). Schätzungen zufolge lassen weit über 90 Prozent der Schwangeren, deren Kind vorgeburtlich in die diagnostische Klasse „Down-Syndrom“ gesteckt wird, ihre Schwangerschaft abbrechen. Auch Befunde, die kaum oder vielleicht sogar gar überhaupt keine Auswirkungen haben, vermitteln den werdenden Eltern vor allem die Botschaft: „Das Kind ist nicht normal“ und überschatten die Schwangerschaft (Rothman 1989). Das kommende Kind, das sie ja noch nicht sehen und in den Arm nehmen können, mutiert zu einem modernen Wechselbalg, zu einem bedrohlichen Fremdkörper: „Es überkam mich das furchtbare Gefühl, ein ,Monster‘ in meinem Bauch zu haben. Mein erster Impuls war der dringliche Wunsch, es so schnell wie nur möglich wieder loszuwerden“, so eine Schwangere nach einem auffälligen Ultraschallbefund (Schirmer 2009, 122). Diese Pflicht zur Entscheidung und Verantwortung ist wohl die zentrale symbolische Funktion des vorgeburtlichen Testbetriebes. Das Widersinnige ist ja, dass die Freiräume aus rechtlichen, versicherungstechnischen und sozialen Gründen immer enger werden, und zwar für alle Beteiligten, während die Schwangeren immer mehr zu eigenen Entscheidungen aufgerufen sind. „Die Pränataldiagnostik lässt für alle Beteiligten kaum noch Entscheidungsspielräume zu … Die Hürde, sich gegen bestimmte vorgeburtliche Unter-
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suchungen zu entscheiden, wird immer höher“ (Braun 2006, 2). Der Aufruf zur eigenen Entscheidung muss daher wohl als Ritual mit symbolischer Funktion gedeutet werden. 139 Diese Feststellung macht auch Annegret Braun, Leiterin der unabhängigen Beratungsstelle PUA: „Heute wird Frauen mit der Fruchtwasseruntersuchung und den dazu wegbereitenden Screeningprogrammen inklusive Ultraschalluntersuchungen dieser letzte Ausweg schon im Vorhinein mit ins Paket der Schwangerenvorsorge gepackt“ (Braun 2006, 2). 140 Ich möchte hier das, was von Schwangeren verlangt wird, und das, was sie nachher tatsächlich tun, natürlich nicht gleich setzen. Interviewstudien zeigen, wie schwer sich Frauen mit diesen Entscheidungen tun. Die meisten treffen wahrscheinlich gar keine informierten Entscheidungen, oder sie tun es in einem regelrecht schizoiden, also gespaltenen Zustand. Viele Studien deuten darauf hin, dass eine „fundamentale Diskrepanz“ besteht „zwischen der theoretischen Entscheidung auf der Grundlage abstrakter Überlegungen und der existenziellen Betroffenheit, die akut wird, wenn die Untersuchung ansteht und damit auch die Möglichkeit eines auffälligen Befundes näherrückt“ (Friedrich, Henze und Stemann-Acheampong 1998, 106). Siehe hierzu auch Rothman 1989. Ein großer Teil der befragten Frauen, so stellen die Göttinger Medizinsoziologen Friedrich, Henze, und Stemann-Acheampong fest, zeigte „immer wieder charakteristische Konfusionen, Widersprüche und Erinnerungslücken, vereinzelt geradezu eine Amnesie, was basale Fakten und Abläufe betraf“ (Friedrich, Henze und Stemann-Acheampong 1998, 118). Die Verwirrungen waren keinesfalls auf mangelnde Aufklärung zurückzuführen. Die Autoren folgern daher, dass es offenbar kaum möglich ist, „den Entschluss zur Pränataldiagnostik in Einklang zu bringen mit biographisch bedeutsamen Erfahrungen und mit dem unmittelbaren psychischen und körperlichen Erleben“ (Friedrich, Henze und Stemann-Acheampong 1998, 106). 141 Autoren wie Nikolas Rose und Thomas Lemke halten es tatsächlich nicht für möglich, sich der informierten Entscheidung zu entziehen. Sich auf Philipp Kitcher beziehend, behauptet Lemke, auch das „Nein“ zu genetischer Diagnostik und pränataler Selektion sei letztlich eine genetische bzw. eugenische Entscheidung: „Whether we like it or not, even the seemingly ,non-eugenic‘ decision against genetic diagnostics and selective abortion has a eugenic quality, since it is based on a (normative) decision: the decision that it is better not to decide. The choice of a ,natural‘ genetic make-up for an individual is only one option and one ,selection‘ among others, in any case it is an option – neither fate nor unchangeable“ (Lemke 2005, 198). Lemke räumt hier der Genetik die volle Deutungsmacht über die Wirklichkeit ein: Er deutet das „Ja“ zum kommenden Kind in eine Entscheidung für eine genetische Konfiguration um. So ist kein Standpunkt jenseits von Genen und infor-
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mierter Entscheidung mehr denkbar. Auch das „Nein“ wird zu einer vorgefertigten Option innerhalb derjenigen Rationalität, gegen die sich dieses „Nein“ eigentlich richtet. Durch ihre Entscheidungen beeinflussen die Klientinnen nicht nur ihr Risikoprofil, sondern auch die allgemeine Berechnungsgrundlage der Risiken, nämlich die entsprechende statistische Datenlage und oftmals auch die verwendeten Algorithmen. Der Ersttrimestertest ist beispielsweise so angelegt: Diejenigen Ärzte, die diesen Test durchführen, melden ihre Ergebnisse an das Londoner Pränatal-Zentrum von Kyprus Nikolaides zurück, wo die entsprechende Berechnungs-Software mit dem sogenannten „Nikolaides-Algorithmus“ entwickelt worden ist und anhand der eingehenden Daten optimiert wird. Auch Schwennesen, Koch und Svendsen 2009 kommen in ihrer empirischen Studie zum Ersttrimestertest in Dänemark zu dem Ergebnis, dass die Aufforderung zur informierten Entscheidung den Frauen Verantwortung für die Zukunft aufbürdet. „With the principle of informed choice, and the ideal of the pregnant woman as an autonomous individual, the woman and her partner are constituted as responsible for the choice they are making and thereby also for the future which is created through their decision making“ (Schwennesen, Koch und Svendsen 2009, 202). Da die Autorinnen die Kluft zwischen den epidemiologischen Risiken und der konkreten Schwangeren zwar erkennen, aber nicht als epistemologische Kluft verstehen, so übersehen sie auch die Kluft zwischen den vorhergesagten Risiken einerseits und dem, was nachher tatsächlich geschehen sein wird und gelebt worden ist. „The risk figure was explained to me in a very professional manner, but I was not able to make sense of it […]“, beklagte eine Schwangere. Trotzdem wurde sie in der genetischen Beratung dazu gedrängt, eine Entscheidung zu treffen und sich verantwortlich zu fühlen: „They emphasized over and over again, that is, well, it is your choice […] So I had to take responsibility“ (Schwennesen, Koch und Svendsen 2009, 202). „Pregnant women“, so fasst Anne Balsamo zusammen, „are both disempowered and held responsible at the same time“ (Balsamo 1996, 110). Auf welche Weise das Risiko als Grundlage und Mittel für neue Formen von Sozialdisziplinierung und Sozialsteuerung dient, ist inzwischen vielfältig untersucht, siehe u. a. Dean 1998, Ewald 1991, 1993, Weir 1996. Es ist „ein Bestandteil der unterschiedlichen Formen kalkulierender Rationalität, mit der sich das Verhalten von Individuen, Gruppen und Populationen steuern lässt“ (Dean 1998, 131). Wird den Betroffenen die Fähigkeit zu Verantwortung und Selbstbestimmung abgesprochen, so verknüpfen sich mit risikobezogenen Sozialtechnologien durchaus auch autoritäre Formen der Sozialdisziplinierung, siehe Kaufert und O’Neil 1993, Weir 2006.
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146 „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbst verschuldeten
Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines anderen zu bedienen. Selbst verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muthes liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Muth, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung“ (Kant 1784, 35). 147 Habermas äußert sich besorgt darüber, dass in Zukunft durch die Manipulation des Genoms nicht nur geborene Personen einander begegnen, sondern auch „gemachte“ (Habermas 2001, 112). Gemachte Personen aber würden durch ihren Status die Grundlagen der Moral, ja der Möglichkeit für Moral untergraben. Eine gentechnische Instrumentalisierung des Menschen würde ganz neue Formen von Paternalismus und Abhängigkeit schaffen und das „gattungsethische Selbstverständnis“ des Menschen infrage stellen, so Habermas. 148 Der Gemeinsame Bundesausschuss ist das oberste Beschlussgremium der Selbstverwaltung der Ärzte, Zahnärzte, Psychotherapeuten, Krankenhäuser und Krankenkassen.
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Sachregister Sachregister
Abbildungen, Schaubilder 47, 52–55, 129, 154 – 155 Abstraktion (Abstraktum) 70–74, 85, 89, 89, 139 Alphabetisierung, genetische 25–26, 130, 149, siehe auch genetic literacy Amniozentese, Fruchtwasseruntersuchung 30, 36 – 37, 40, 79, 103–111, 118, 123 –124* Arzthaftung, Kind als Schaden 39, 77, 153, 160 –161 Beratungspflicht, Beratungszwang 30, 32, 39, 41, 140, 152 –153 Bioinformatik 20, 124* Brustkrebs, erblicher 83–5, 101–103, 163 Brustkrebs-Gen, BRCA 64, 83–85, 101– 103, 160, 161 Chorionzottenbiopsie 124*, 138, 151 Chromosomenstörung, -veränderung, -anomalie 37, 78 – 79, 81, 104–108, 123 – 124, 141–142, Common Sense 24, 27, 45, 89, 130 Darmkrebs, erblicher 43–44, 67, 70– 73, 93 – 94 Darmkrebs-Gen 59 – 60, 88–89, 93– 94 decision-making, managerial 8, 111– 112, 114, 119 – 120, 125–126*, 162 Distanzierung, methodische 8, 14–15
Down-Syndrom: 37, 77–79, 104, 109, 110, 123–124, 126*, 141–142, 160–161, 166–167, siehe auch Trisomie Entmündigung siehe Mündigkeit Entscheidungsfalle 7, 14–15, 119, 121 Entscheidungspflicht, Entscheidungszwang 12, 21, 92, 113, 117, 119, 120, 167 Epistemische Verwandlung 74, 75, 89 Epistemische Verwirrung 75, 84 Ersttrimestertest 37, 109, 111, 124, 127* Eugenik 20–21, 31–35, 40–41, 127–128* Fötus 36, 113, 128–129* Fruchtwasseruntersuchung siehe Amniozentese Früherkennung siehe Prävention „Gen für“ (determinierendes Gen) 19–20, 58, 152, 156, siehe auch Ursache Gendefekt siehe Genfehler Genetische Beratung Allgemein 29–31, 41–42, 112, 118–120, 126, 136–137, 140, 153, 154, 160, 163, 166 Brustkrebs 29, 37, 42, 83–85, 101–103, 118–120, 159 Darmkrebs 29, 42, 43–4, 46–50, 59–60, 63–68, 70–75, 80–83,
190
Sachregister
85 –87, 88 – 90, 93–99, 118–120, 153, 158, 159, 162–163 Geschichte 32, 34–40, 153 während der Schwangerschaft 29, 37, 42, 76 – 81, 103–115, 118–120, 160, 161, 165, 168–169 Genetischer Fingerabdruck 28, 130– 131* Genfehler 48, 52, 55–60, 63–64, 82, 89, 142, 156, Gen-Gläubigkeit, Gen-gläubig 14, 15, 20, 66, 146, 154 genetic citizenship 25–26, 129–130* genetic literacy 25–26, 129–130* Genotyp siehe Phänotyp Gentechnik zum Anfassen 27–28, 149 Gentest allgemein 37, 95, 117–118, 124, 135, 142, 151, 156, 163 Brustkrebs 42, 82, 83–85, 101–103, 161, 163, 164–165, 165 Darmkrebs 42, 59, 73, 82, 89–90, 93 – 98, 162 –163 in der Schwangerschaft 49, 152 Genveränderung, verändertes Gen 28, 44, 46, 48, 49, 55, 59, 60, 62–65, 67, 80, 82, 83, 86, 88, 94, 156 Grafische Darstellung siehe Abbildungen HNPCC 93, 162 Humangenomprojekt 17, 57, 131– 132* Hypostasierung 65, 66
Information, genetische 28, 46, 49, 60–62, 132*, 155 informed consent, informierte Einwilligung 26, 91, 132–133* Kluge Else 80–81 Korrelation 20, 58, 64, 104, 118, 133*, 141, 161 Kybernetik (Systemtheorie) 19, 61, 133–134*, 140 Lebenswissenschaften 26, 148, 134– 135* Lehrplan, versteckter 13, 15–16, 41, 114 Marker, genetischer 58, 64, 124, 130, 135* Mammografie 102, 139, 165 Mitbestimmung, politische bzw. demokratische siehe Partizipation Mobilisierung 12, 21, 26, 100, 101, 119, 140, 164 Modus irrealis, Unwirklichkeitsform 76, 80, 81, 82, 85 Monogene Erbkrankheiten 37, 58, 135–136, 142 Mündigkeit, mündig 7, 12, 13, 21, 23, 25–26, 31, 98–100, 120, 170 Nabelschnurpunktion 79, 136* Noch-Nicht 57, 75, 85–86, 102, 113 Non-Direktivität bzw. Nicht-Direktivität 40, 136*
Objektivität, objektivieren, objektiv 14, 53, 62, 63, 66, 74, 97, 113, 120, Immunsystem 87, 134, 162 129, 157, 159 Indikation embryopathische bzw. eugenische Partizipation, demokratische bzw. 3 6 – 38, 152 politische Mitbestimmung 11, 12, Fruchtwasseruntersuchung 106–107 23–27, 129–130 Vorsorgeuntersuchungen 99
Sachregister
Phänotyp-Genotyp 20, 58, 59, 63, 136 –137*, 142, 161 Populärwissenschaft, Popularisierung 33– 34, 51, 52, 54, 61, 63–66, 150, 154, 155, 157 Population, Grundgesamtheit 35, 37, 68–74, 83, 88 – 89, 110–111, 118 – 119, 124, 127, 130–131, 137, 138 – 139, 158 Prädiktive Gentests (im Allgemeinen) 30, 39, 40 – 42, 137* Pränataldiagnostik bzw. pränatale/ vorgeburtliche Diagnostik 37–40, 106 –115, 123, 126, 137–138*, 151, 153, 167, 168, siehe auch Amniozentese, Ersttrimestertest Prävention 35, 36, 40, 43–44, 84, 86, 89, 94, 96, 98, 100 –103, 136–137, 139, 140, 141, 152, 160, 163, 164, 165, siehe auch Schwangerenvorsorge Rasterfahndung 72, 85, 159, 161, 162 Risikoabwägung, Kosten-NutzenAbwägung 104, 107–115 Risikoattest, Risiko als Diagnose 68– 71, 74 – 76,83, 90, 97, 109–110, 118, 160 Risiko-Gen siehe Suszeptibilitäts-Gen Risiko, genetisches 41, 73, 81–87, 97– 98, 102, 107, 156 Risikomanagement 35, 38, 97–102, 107, 113, 119, 136, 163, 164 Risikomedizin, Überwachungsmedizin (Surveillance medicine) 35, 37, 87– 88, 163 – 164 Risikoprofil 69 –75, 77, 80, 84–85, 94, 99, 104, 11, 3, 115, 118–121, 127, 138 – 139*, 141, 161 Schaubilder siehe Abbildungen
191
Scheinkonkretion 53–55, 69, 82–85, 94, siehe auch Hypostasierung, Verdinglichung Schülerlabor, Gläsernes Labor 26, 27–29, 150, 154 Schwangerenvorsorge 35–36, 113, 124, 127, 129, 138, 168 Schwangerschaftsabbruch 36, 38–40, 77, 106, 108, 152, 165 Screening, Siebtest 111, 124, 127, 137, 139*, 160, 165 Selbstbestimmung 7, 12, 16, 21, 31, 44, 46, 91–93, 97, 98, 99, 117–120, 126, 136, 148, 162, 163, 169 Selbstmanagement 87, 92, 120 Selbstwahrnehmung, Selbstverständnis, genetisches Selbst 28–29, 44–47, 63, 87–89, 120, 156 Sozialtechnologie (und Sozialdisziplinierung) 12, 19, 33, 132, 139–140*, 169 Stammbaum 70–71, 73, 77, 82–83 Statistisches Konstrukt, statistisch konstruieren 69, 70, 70–73, 75, 77, 81, 84, 108, 118, 119, 121, 138–139, 140, 158, 166, siehe auch Risikoprofil Subjektivierung (des Gens) 63–64, 66, siehe auch Hypostasierung Suszeptibilitäts-Gen, Risiko-Gen 20, 41, 82, 140–141*, 164 Systemtheorie siehe Kybernetik Trisomie 21, 37, 78–79, 104, 110, 114, 123–124, 126, 141–142*, siehe auch Down-Syndrom Ursache, Ursächlichkeit, Kausalität, kausal 17, 19–20, 45, 57–59, 62–64, 94, 133, 135, 140, 142, 146, 156, siehe auch Korrelation
192
Sachregister
Verantwortung, verantwortlich 24, 33, 34, 39, 40, 93, 95, 97–98, 100, 113 –115, 117, 119, 120, 137, 138, 140, 147, 163, 164, 167, 169 Verdinglichung, dinghaftes Gen 54 – 56, 65, siehe auch Hypostasierung, Scheinkonkretion Vorgeburtliche Diagnostik siehe Pränataldiagnostik Vorsorge siehe Prävention
Wahrscheinlichkeiten (Definition und Aussagekraft) 68–70, 75 Wissenschaftliche Tatsache 14–15, 18–19, 51–53, 62, 146, 154, 155 Zukunft 38, 40, 69, 72, 75–76, 80–82, 88–89, 97–98, 100, 102, 118, 159, 169 Zystische Fibrose 57, 58, 135, 142*