Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff [1 ed.] 9783428501632, 9783428101634

Um den Rechtsgutsbegriff rankten sich im Strafrecht eine Vielzahl von Problemen. Eines davon nimmt sich der Frage an, ob

108 94 18MB

German Pages 191 Year 2000

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Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff [1 ed.]
 9783428501632, 9783428101634

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MATIHIAS KRÜGER

Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

Kölner Kriminalwissenschaftliche Schriften Herausgegeben von Klaus Bernsmann, Hans Joachim Hirsch Günter Kohlmann, Michael Walter Thomas Weigend Professoren an der Universität zu Köln

Band 35

Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

Von Matthias Krüger

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Krüger, Matthias: Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff / von Matthias Krüger. - Berlin : Duncker und Humhlot, 2000 (Kölner kriminalwissenschaftliche Schriften; Bd. 35) Zugl.: Halle, Univ., Diss., 1999/2000 ISBN 3-428-10163-4

Alle Rechte vorbehalten

© 2000 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0936-2711 ISBN 3-428-10163-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 97069

Meinen Eltern

Vorwort Die Arbeit hat im Wintersemester 1999/2000 der Juristischen Fakultät der Martin-Luther-Universität zu Halle-Wittenberg als Dissertation vorgelegen. Für die Drucklegung konnten Rechtsprechung und Schrifttum bis Ende Dezember 1999 berücksichtigt werden. Mein aufrichtiger Dank gebührt zunächst Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Hans Joachim Hirsch. Er hat nicht nur das Thema der Untersuchung angeregt, sondern die Arbeit trotz der räumlichen Distanz zwischen Köln und Halle/S. bis hin zur Veröffentlichung umfassend betreut und durch seine zahlreichen wertvollen Ratschläge wesentlich gefördert. Ein besonderer Dank gilt ferner Herrn Prof. Dr. Hans Lilie und Herrn Prof. Dr. Frank Zieschang für die überaus rasche Erstellung des Zweit- und Drittgutachtens und für die hierbei gegebenen Anregungen. Herzlich danken möchte ich an dieser Stelle auch Herrn Prof. Dr. Joachim Renzikowski, an dessen Lehrstuhl ich während der Anfertigung der Dissertationsschrift als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig war. Er hat mir stets die für die Bearbeitung erforderlichen Freiräume gewährt und das Entstehen der Arbeit mit großem Interesse verfolgt. Nicht zuletzt bin ich meinen Eltern zu tiefer Dankbarkeit verpflichtet. Sie haben fortwährend die Erstellung der Abhandlung verständnisvoll und geduldig begleitet und mir dabei Unterstützung in jedweder Form angedeihen lassen. Ihnen ist die Arbeit gewidmet. Halle/S., im Januar 2000

Matthias Krüger

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

15

I.

Problemaufriß. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

15

11. Die verschiedenen Funktionen des Rechtsgutsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

16

1. Teil

Überblick über die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

20

l. Kapitel

Die Entmaterialisierungstendenz beim RechtsgutsbegritT im Wirtschaftsstrafrecht

20

Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Subventionswesens beim Subventionsbetrug (§ 264 StGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. l. Schrifttum....................................................... 2. Rechtsprechung.................................................. 3. Zusammenfassung................................................

20 20 22 22

11. Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts. . . . . . . . . . . . . . . .. l. Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB) .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Verbotene Insider-Geschäfte (§§ 14, 38 WpHG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Zusammenfassung................................................

23 23 24 25

III. Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens beim Versicherungsmißbrauch (§ 265 StGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. I. Die Neufassung des § 265 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz .. 2. Schrifttum....................................................... 3. Rechtsprechung.................................................. 4. Zusammenfassung................................................

25 25 27 29 31

IV. Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Kreditwesens. . . . . . . . . . . . . . . . .. l. Kreditbetrug (§ 265b StGB)....................................... 2. Das Insolvenzstrafrecht der §§ 283 ff. StGB. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Zusammenfassung................................................

31 32 33 34

I.

V. Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des bargeldlosen Zahlungsverkehrs beim Mißbrauch von Scheck- und Kreditkarten (§ 266b StGB) .. . . . . .. . .. 35 VI. Das Rechtsgut des freien und redlichen Wettbewerbs . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 36

10

Inhaltsverzeichnis 1. Wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen (§ 298 StGB)......................................................... 2. Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr (§ 299 StGB)......................................................... 3. Zusammenfassung..............................................

37 38 39

VII. Das Rechtsgut der Vertragsfreiheit beim Wucher (§ 291 StGB).. . . . . . . .. 39 VIII. Zusammenfassung.................................................

39

2. Kapitel

Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff im Umweltstrafrecht 1.

Die ökologisch-anthropozentrische Rechtsgutskonzeption ............... "

40 40

II. Die anthropozentrische Rechtsgutskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 41 III. Die ökozentrische Rechtsgutskonzeption .................. . . . . . . . . . . . .. 42 IV. Die administrative Rechtsgutskonzeption ............................. "

43

V. Zusammenfassung................................................... 45 3. Kapitel

Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff im Straßenverkehrsstrafrecht 1.

45

Gefährdung des Straßenverkehrs (§ 315c StGB) ........................ 46 1. Schrifttum....................................................... 46 2. Rechtsprechung.................................................. 47

H. Trunkenheit im Verkehr (§ 316 StGB) ............................... "

47

II1. Räuberischer Angriff auf Kraftfahrer (§ 316a StGB). .. ... . .... . . . . .. . . .. 48 1. Schrifttum....................................................... 48 2. Rechtsprechung.................................................. 49 IV. Zusammenfassung.. .. . .. . .. . .. ... .. ... .. ..... . .. .. ... ... .. . .. . . .. . ..

50

4. Kapitel

I.

Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff im Bereich der Straftatbestände zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität

50

Bildung krimineller Vereinigungen (§ 129 StGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Schrifttum....................................................... 2. Rechtsprechung.................................................. 3. Zusammenfassung................................................

50 50 51 53

II. Geldwäsche (§ 261 StGB). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 53 III. Zusammenfassung ................................................. "

55

Inhaltsverzeichnis

11

2. Teil

Auseinandersetzung mit dem Schrifttum zur Entmaterialisierungstendenz beim RechtsgutsbegritT

56

1. Kapitel

Ursachen der Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff nach dem Schrifttum

56

Ursache der Konstituierung überindividueller Rechtsgüter im Wirtschaftsstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

56

11. Ursache der Konstituierung überindividueller Rechtsgüter im Umweltstrafrecht. .. . . .. . .. . .. ... .. . .. .. . .. .... ... ... ... ... . .. .. . . ... ... . ... .. ..

57

I.

III. Ursachen der Konstituierung überindividueller Rechtsgüter im Straßenverkehrsstrafrecht und im Bereich der Straftatbestände zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Vorverlagerung des strafrechtlichen Schutzes von Individualrechtsgütern .......................................................... 2. Strafrahmendiskrepanzen. . ... .. .. ..... . .. . .. . ..... . ... .... . .... . .. IV. Zusammenfassung.. . . . . . . .. .. . .. .... . .. ... ... ...... . ... ... ..... .....

58 58 59 61

2. Kapitel

I.

Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff und systemtranszendenter Rechtsgutsbegriff

62

Auffassungen der Anhänger eines systemtranszendenten Rechtsgutsbegriffs zur Entmaterialisierungstendenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die reduktionistische Auffassung von Hassemer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Die reduktionistische Auffassung des 12. Strafverteidigertages 1988. . .. 3. Zusammenfassung................................................

62 62 64 65

11. Auseinandersetzung mit den Anhängern eines systemtranszendenten Rechtsgutsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ausgangspunkt der Reduktionisten - Beschränkung auf aktuelle Strafgesetzgebung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Historische Gründe in der Auseinandersetzung mit der Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Historische Parallelen aus dem Nebenstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Übergang von der Rechtsverletzungs- zur Rechtsgutsverletzungstheorie.. . . . . . . . . . . . . . . . . . .... .. . ... .. . . . . .. . . ... ... . .... ... .. c) Zusammenfassung............................................. 3. Universalrechtsgüter des modemen Strafrechts und systemtranszendenter Rechtsgutsbegriff einer personalen Rechtsgutslehre. . . . . . . . . . . . . . .. a) Zur Konstitution eines systemtranszendenten Rechtsgutsbegriffs bei Hassemer ............ " .. .. .. ... . . .. . .. . .. ... . . ... ... . . . . . . ..

65 65 68 69 70 73 74 74

12

Inhaltsverzeichnis b) Vereinbarkeit der Universalrechtsgüter des modernen Strafrechts mit dem Rechtsgutsbegriff einer personalen Rechtsgutslehre . . . . . . . . . .. 4. Vorfeldschutz von Individualrechtsgütern und personale Rechtsgutslehre 5. Zur Kritik am speziell strafrechtlichen Rechtsgutsbegriff. . . . . . . . . . . . ..

76 78 78

IH. Zusammenfassung......................................... . . . . . . . . ..

80

3. Kapitel

Die Entmaterialisierungstendenz beim RechtsgutsbegritT und das Verfassungsrecht

81

Auffassungen im Schrifttum zum Einfluß des Verfassungsrechts auf Strafrecht und Rechtsgutsbegriff. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1. Die Auffassung von Paulduro ..................................... 2. Die Auffassung von Lagodny. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Die Auffassung von Appel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4. Die Auffassung von Stächelin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

81 81 82 84 85

11. Auseinandersetzung mit verfassungsrechtlichen Vorgaben für Strafrecht und Rechtsgutsbegriff im Hinblick auf die Entmaterialisierungstendenz . . ..

86

IH. Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

94

I.

4. Kapitel

Die Entmaterialisierungstendenz beim RechtsgutsbegritT und seine Relativierung

94

Die Auffassung von Kindhäuser. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

94

11. Die Auffassung von Stratenwerth. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

99

I.

5. Kapitel

Die Entmaterialisierungstendenz beim RechtsgutsbegritT und positivrechtlicher RechtsgutsbegritT I.

104

Das Rechtsgut als positivrechtlicher Begriff ............................ 104

11. Die Rationalisierungsfunktion des positivrechtlichen Rechtsgutsbegriffs . . .. 1. Die Rationalisierungsfunktion des positivrechtlichen Rechtsgutsbegriffs auf der Ebene der Verhaltensnorm für das Verhältnis von Verletzungsund Gefährdungsdelikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. a) Sicherheit des Straßenverkehrs und Deliktsnatur der Straßenverkehrsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. b) Relativierung des Rechtsgutsbegriffs bei Kindhäuser und Deliktsnatur abstrakter Gefährdungsdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. c) Relativierung des Rechtsgutsbegriffs bei Stratenwerth und das Verhältnis von Verletzungs- und Gefährdungsdelikten. . . . . . . . . . . . . . . .. d) Zusammenfassung .............................................

106 107 109 111 114 115

Inhaltsverzeichnis

13

2. Die Rationalisierungsfunktion des positivrechtlichen Rechtsgutsbegriffs auf der Ebene der Sanktionsnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 III. Zusammenfassung ................................................... 118

3. Teil

Überindividuelle Rechtsgüter in den einzelnen Bereichen des Strafrechts und positivrechtlicher Rechtsgutsbegriff

119

I. Kapitel

Überindividuelle Rechtsgüter im Wirtschaftsstrafrecht I.

119

Argumente für die Rechtsgutsfrage aus Wortlaut und Systematik der Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 119

11. Die Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts als abstrakte Gefahrdungsdelikte und positivrechtlicher Rechtsgutsbegriff. ............................. " l. Rechtsgutsbestimmung bei abstrakten Gefahrdungsdelikten ............ 2. Abstrakte Gefahrdung der Wirtschaftsinstitutionen durch die einzelne Wirtschaftsstraftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Immaterielle Auswirkungen der einzelnen Wirtschaftsstraftat im Rahmen der Rechtsgutsbestimmung ............... " ................... 4. Abstrakte Gefahrdung der Wirtschaftsinstitutionen durch das Zusammenwirken einer Vielzahl von Wirtschaftsstraftaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

124 124 125 130 132

III. Zusammenfassung der Auseinandersetzung mit den Wirtschaftsinstitutionen als Rechtsgüter des Wirtschaftsstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 IV. Legitimität der Tatbestände des Wirtschaftsstrafrechts als reine Vermögensdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 136 I. Einwand von der Illegitimität des Pönalisierens abstrakter Vermögensgefahrdungen ............................................... " ... 137 2. Die Derivate des Betrugstatbestands als reine Vermögensdelikte ....... 138 V. Zusammenfassung .................. . ................................ 142 2. Kapitel

Überindividuelle Rechtsgüter im Umweltstrafrecht I.

143

Die ökozentrische Rechtsgutskonzeption . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 143

11. Die administrative Rechtsgutskonzeption .......... " ................... 1. Administrative Rechtsgutskonzeption und Pönalisierung bloßen Verwaltungsungehorsams . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2. Administrative Rechtsgutskonzeption und materielle Genehmigungsfahigkeit ungenehmigten Verhaltens. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 3. Zusammenfassung ................................................

146 146 149 153

14

Inhaltsverzeichnis

III. Die ökologisch-anthropozentrische Rechtsgutskonzeption und Auseinandersetzung mit der anthropozentrischen Rechtsgutskonzeption ............... 153 IV. Zusammenfassung ................................................... 158 3. Kapitel Überindividuelle Rechtsgüter im Straßenverkehrsstrafrecht I.

158

Der Tatbestand der Straßenverkehrsgefährdung (§ 315c StOB) ............ 159

H. Der Tatbestand des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer (§ 316a StOB) .. 161 1. Der Tatbestand des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer als Delikt gegen die Sicherheit und Funktionsfähigkeit des Straßenverkehrs ...... 161 2. Der Tatbestand des räuberischen Angriffs auf Kraftfahrer als raubähn1iehes Sonderdelikt. .. . . . .. . .. . .. .. . .. . .. .. . . .. .. . .. . .. . .. . . .. . . .. 163 4. Kapitel Überindividuelle Rechtsgüter im Bereich der Straftatbestände zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität I.

165

Die Straftatbestände zur Bekämpfung der Organisierten Kriminalität als Delikte gegen die innere öffentliche Sicherheit. ......................... 165

H. Der Tatbestand der Bildung einer kriminellen Vereinigung (§ 129 StOB) als Delikt des vorverlagerten Reehtsgütersehutzes ....................... 167 Zusammenfassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 170 Literaturverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 Sachwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 189

Einleitung I. Problemaufriß

Es gibt eine "Tendenz des Rechtsgutsbegriffs, sich zu verflüssigen, zu vergeistigen, zu entmaterialisieren"t. Mit diesen Worten gibt Hassemer eine Entwicklung wieder, welche die strafrechtliche Diskussion seit einiger Zeit verstärkt beschäftigt. Auslöser dieser Debatte waren und sind die neueren Bereiche des Strafrechts, namentlich das Wirtschafts- und Umweltstrafrecht. Im Wirtschaftsstrafrecht etwa sind Rechtsprechung und Schrifttum überwiegend von Rechtsgütern wie Subventions-, Versicherungs- oder Kreditwesen geprägt2 • Im Umweltstrafrecht zeigt sich diese Entwicklung darin, daß nicht der Schutz menschlicher Interessen, sondern zunehmend der Schutz der Umwelt und der einzelnen Umweltmedien in den Vordergrund gerückt wird 3 . Anstelle klassischer Individualrechtsgüter, wie Vermögen oder Leben, Leib und Gesundheit, sollen diese "großflächigen,,4, "wolkigen"S oder "luftigen,,6 Rechtsgüter geschützt sein. Dieser Entwicklung einer "Inflation der Rechtsgüter,,7, welche mit dem Schlagwort der Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff umschrieben wird8 , nimmt sich die vorliegende Arbeit an.

Hassemer in: NK, Vor § 1 Rdnr. 265. Vgl. die Darstellung im 1. Teil, 1. Kapitel. 3 Zu den Rechtsgutskonzeptionen im Umweltstrafrecht vgl. im 1. Teil, 2. Kapitel. 4 Baratta, KrimJ 1984, 132, 137; Seelmann, NJW 1990, 1257, 1258 f.; Hassemer, ZRP 1992, 378, 381; Müssig, Schutz abstrakter Rechtsgüter, S. 1; ähnlich Jakobs, ZStW 107 (1995), 843, 856: "Zerdehnung [... ] ins Großflächige". 5 Hassemer, JuS 1990, 850. 6 Weigend in: Festschr. für O. Triffterer, S. 695, 699. 7 Weigend in: Festschr. für O. Triffterer, S. 695, 711. 8 Dieser Begriff wurde von Müssig, Schutz abstrakter Rechtsgüter, S. 1 geprägt. Hassemer, auf den sich Müssig beruft, spricht - ohne Unterschied in der Sache von einer Verflüssigung des Rechtsgutsbegriffs, vgl. Hassemer in: NK, Vor § 1 Rdnr. 265. Andere sprechen von einer Entindividualisierungstendenz, vgl. Eser in: Festschr. für E.-J. Mestmäcker, S. 1005, 1013; Weigend in: Festschr. für O. Triffterer, S. 695, 700. I

2

16

Einleitung

11. Die verschiedenen Funktionen des RechtsgutsbegrifTs Im Rahmen einer Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung soll zum Ausgangspunkt genommen werden, daß "in der Strafrechts wissenschaft der Satz nicht ernsthaft bestritten [wird], daß Rechtsgüterschutz die Aufgabe des Strafrechts ist,,9. Von dieser Funktion des Strafrechts als Instrument des Rechtsgüterschutzes, die nach § 2 Abs. 1 AE 1966 dem Strafgesetzbuch als Richtlinie vorangestellt werden sollte lO , geht nicht nur die nahezu unbestrittene Auffassung im strafrechtlichen Schrifttum aus 11. Ein solcher Standpunkt wird ebenso vom Bundesverfassungsgericht eingenommen. Es hat in seiner Rechtsprechung "als allgemeine Aufgabe des Strafrechts bezeichnet, die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens zu schützen"t2. Es ist somit Rechtsgüterschutz als Sinn und Zweck des Strafrechts weitgehend anerkannt. Diese Funktion des Strafrechts, von der man nicht erst heute, sondern bereits seit längerer Zeit in der Diskussion um den Rechtsgutsbegriff ausgeht t3 , wurde lediglich während einer geschichtlichen Epoche ernsthaft in Abrede gestellt. Die nationalsozialistische Strafrechtslehre der Kieler Schule sah die Aufgabe des Strafrechts nicht im Rechtsgüterschutz, sondern in der Verhinderung von Pflichtverletzungen l4 . Eine nähere Auseinandersetzung mit dieser Richtung kann hier aber unterbleiben. Bereits von anderer Seite wurde darauf hingewiesen, daß sie nur vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Weltbildes erklärbar ist l5 . Dieser Streit hat sich somit allein aufgrund der historischen Gegebenheiten erledigt und braucht daher hier nicht mehr aufgegriffen zu werden. Ann. Kaufmann, Aufgabe des Strafrechts, S. 5. § 2 Abs. 1 AE 1966 lautet: "Strafen und Maßregeln dienen dem Schutz der Rechtsgüter und der Wiedereingliederung des Täters in die Rechtsgemeinschan". II Baumann/Weber/Mitsch, AT, § 3 Rdnr. 10 ff.; Jescheck/Weigend, AT, S.7; Maurach/Zipf, AT I, § 7 Rdnr. 4; Roxin, AT I, § 2 Rdnr. 1; Rudolphi in: SK, Vor § 1 Rdnr. 2; Gropp, AT, § I Rdnr. 122 mit § 3 Rdnr. 26. Selbst Jakobs, AT, 2/24 meint trotz seiner Kritik an der Rechtsgutslehre, es "verspreche keinen Gewinn, diese Lehre überhaupt zu verwerfen und stets ohne Vermittlung über ein Rechtsgut das Delikt durch die Sozialschädlichkeit des Verhaltens zu bestimmen". 12 BVerfGE 45, 187,253 f. m. w.N. 13 Einen historischen Überblick über die Entwicklung der Rechtsgutslehre bieten die Monographien von Sina, Dogmengeschichte; Amelung, Rechtsgüterschutz. 14 Vgl. für diese Auffassung Schaffstein, DStR 1935, 97 ff.; ders., DStR 1937, 335 ff.; Dahm, ZStW 57 (1938), 225, 233 ff. Während der 30er Jahre erfuhr diese Ansicht insbesondere Kritik von Schwinge/Zimmerl, Wesensschau und konkretes Ordnungsdenken, S. 60 ff. Vgl. ausführlich zu dieser Auseinandersetzung Sina, Dogmengeschichte, S. 70 ff., 79 ff.; Amelung, Rechtsgüterschutz, S. 216 ff. IS Wonns, Bekenntnisbeschimpfung, S. 69; Hohmann, Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 120. 9

10

Einleitung

17

Eine solche Auseinandersetzung legen auch nicht Bestrebungen im neueren Schrifttum nahe, welche die Probleme, denen sich das Strafrecht in der modemen Gesellschaft ausgesetzt sehen soll, durch eine Relativierung des Rechtsgutsbegriffs glauben lösen zu können. Sie zwingen deshalb nicht zu einer Beschäftigung mit der Diskussion um den Rechtsgutsbegriff in den 30er Jahren, weil sie zum einen nicht an diesen Streit anknüpfen und zum anderen zur Lösung jener Probleme Wege aufzeigen 16, die sich von der Konzeption unterscheiden, welche die Kieler Schule als Alternative zum Rechtsgüterschutzgedanken im Strafrecht offeriert hatte. Die Richtigkeit des Satzes, daß "in der Strafrechtswissenschaft der Satz nicht ernsthaft bestritten [wird], daß Rechtsgüterschutz die Aufgabe des Strafrechts ist,,17, braucht somit an dieser Stelle nicht mehr nachgewiesen zu werden. Jenseits dieser Aussage herrscht dagegen über die Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs für das - materielle 18 - Strafrecht weitgehend Dissens. Einigkeit besteht nur noch in dem Punkt, daß er eine Funktion als methodisches Instrument für die (teleologische) Auslegung und Anwendung des positiven Rechts wahrnimmt 19, etwa in der Frage eines Notwehrrechts oder im Rahmen der Dispositionsbefugnis bei der rechtfertigenden Einwilligung2o . Insoweit wird auf den systemimmanenten Aspekt des Rechtsgutsbegriffs angesprochen 21 . In diesem Punkt läßt sich noch ein Konsens innerhalb des Schrifttums ausmachen. Im nächsten Punkt spaltet es sich dagegen in zwei große Lager. Ein Teil des Schrifttums schreibt dem Rechtsgutsbegriff noch eine weitere Funktion zu. Ein systemtranszendenter Rechtsgutsbegriff soll als überpositiver und vorstrafrechtlicher Topos dem Strafgesetzgeber Schranken setzen können und insofern eine strafbarkeitslimitierende Funktion wahrnehmen 22 , sei es auch nur in Gestalt eines "gewichtigen Argumentationstopos,,23. Es ist Siehe hierzu näher im 2. Teil, 4. Kapitel. Ann. Kaufmann, Aufgabe des Strafrechts, S. 5. 18 Mit der Bedeutung des Rechtsgutsbegriffs für die Bestimmung der Verletzteneigenschaft im Rahmen des Klageerzwingungsverfahrens der §§ 172 ff. StPO beschäftigt sich Hefendehl, GA 1999, 584, 590 ff. 19 Hassemer, Theorie, S. 19 ff.; Nelles, Untreue, S. 287; Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 31 ff.; Stratenwerth in: Festschr. für T. Lenckner, S. 377, 378. 20 Vgl. insoweit statt aller nur Jescheck in: LK, Vor § 13 Rdnr. 6 m. W.N. 21 Für die terminologische Unterscheidung zwischen dieser und der folgenden Funktion des Rechtsgutsbegriffs wird im weiteren Verlauf der Arbeit an das Begriffspaar von Baratta in: Festschr. für Arth. Kaufmann, S. 393 angeknüpft. Vgl. zu anderen Begriffspaaren in diesem Zusammenhang Stächelin, Strafgesetzgebung, S. 32 f. 22 Dies versprechen sich Rudolphi in: Festschr. für R. Honig, S. 151, 156; Marx, Definition, S. 3; Wonns, Bekenntnisbeschimpfung, S. 68; Hohmann, Rechtsgut der Umweltdelikte, S. 136 von ihren Bemühungen um den Rechtsgutsbegriff. 16

17

2 Krilger

18

Einleitung

seinen Befürwortern, trotz zahlreicher Bemühungen24 , jedoch bislang nicht gelungen, eine auch nur im Grundsatz akzeptierte Definition für einen solchen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff zu bilden. "Der materielle Verbrechensbegriff und die Rechtsgutslehre gehören [... ] noch heute zu den am wenigsten exakt geklärten Grundlagenproblemen des Strafrechts,,25, konstatiert vielmehr mit Roxin sogar ein Anhänger eines systemtranszendenten Rechtsgutsbegriffs. Daher wird dem Rechtsgutsbegriff ein solcher systemtranszendenter, stratbarkeitsbeschränkender Aspekt vom anderen Teil des Schrifttums auch abgesprochen26 . Allenfalls im Hinblick auf die im Jahre 1973 erfolgte Refonn des Sexualstrafrechts, angesichts dessen man sich in der Nachkriegszeit erstmals wieder näher mit dem Rechtsgutsbegriff befaßt hatte 27 , wird ihm eine solche Funktion zugestanden 28, im übrigen aber müßten "die Bemühungen um eine überpositive materielle Rechtsgutslehre als weitgehend gescheitert angesehen werden,,29. Die Diskussion um einen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff steckt somit in einem Dilemma. Einerseits wird die Konstituierung eines solchen Rechtsgutsbegriffs von seinen Befürwortem vehement gefordert3o. Zugleich ist es ihnen andererseits aber bislang nicht gelungen, eine Definition in dieser Hinsicht zu bilden. Dieses Dilemma scheint nun für jene Autoren angesichts der im modemen Strafrecht zu verzeichnenden "Tendenz des Rechtsgutsbegriffs, sich zu verflüssigen, zu vergeistigen, zu entmaterialisieren,,3l, sogar zu einem Trilemma zu geraten. Hassemer in: NK, Vor § 1 Rdnr. 289. Vgl. die Monographien von Man, Definition; Worms, Bekenntnisbeschimpfung; Hohmann, Rechtsgut der Umweltdelikte. Siehe hierzu und zu weiteren Bemühungen in dieser Hinsicht den Überblick bei Kareklas, Rechtsgut und Umweltstrafrecht, S. 58 ff. 25 Roxin, AT I, § 2 Rdnr. 48 a.E. 26 Otto in: Müller-Dietz (Hrsg.), Strafrechtsdogmatik und Kriminalpolitik, S. 1, 14 f.; Hirsch in: Festschr. für H. Welzel, S. 775, 785; Günther, JuS 1978, 8,9; Vogler, ZStW 90 (1978), 132, 138 ff.; Volk, JZ 1982, 85, 88; Baratta, KrirnJ 1984, 132, 137; ders. in: Festschr. für Arth. Kaufmann, S. 393, 407; Frisch in: Festschr. für W. Stree und J. Wesseis, S. 69, 71 ff.; ders. in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 135, 136 f.; Kuhlen in: Wolter/Freund (Hrsg.), Straftat, Strafzumessung und Strafprozeß, S. 77, 92. 27 Jäger, Strafgesetzgebung und Rechtsgüterschutz bei Sittlichkeitsdelikten, S. 6 ff. 28 Jakobs, AT, 2/13; Frisch in: Festschr. für W. Stree und J. Wessels, S. 69, 72; Stratenwerth in: Festschr. für T. Lenckner, S. 377, 389. 29 Fischer, NStZ 1988, 159, 163 (Hervorhebung im Original). 30 Vgl. etwa Roxin, AT I, § 2 Rdnr. 7 a.E. 31 Hassemer in: NK, Vor § 1 Rdnr. 265. 23

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Einleitung

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Um einem solchen Trilemma nicht ebenfalls von vornherein zu unterliegen, soll daher nach einem Überblick über die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff die Diskussion um einen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff zwar nicht zum Ausgangspunkt für die weitere Auseinandersetzung genommen werden. Vielmehr sollen die von seinen Befürwortern behaupteten Konsequenzen, die ein solcher Rechtsgutsbegriff für diese Entwicklung haben soll, näher gewürdigt werden. Die Erkenntnisse einer diesbezüglichen Untersuchung lassen aber auch Rückschlüsse für die Diskussion um einen systemtranszendenten Rechtsgutsbegriff zu. Insoweit läßt sich die Arbeit zugleich als ein Beitrag zur allgemeinen Rechtsgutslehre verstehen. Sie versucht, etwas den "dunklen Nebel" um den "zu rätselhafter Unklarheit im Bereich des Tatbestandes führenden Gegenstand [... ] des Rechtsguts,,32 zu lichten.

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Gössel in: Festsehr. für D. Oehler, S. 97, 98.

1. Teil

Überblick über die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff 1. Kapitel

Die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff im Wirtschaftsstrafrecht Ein Bereich, in dem sich in Rechtsprechung und Schrifttum die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff in besonderem Maße zeigt, ist das Wirtschaftsstrafrecht. Dabei sind insbesondere die Derivate des allgemeinen Betrugstatbestands zu nennen, die Tatbestände des Subventions-, Kapitalanlage-, Kredit- und Ausschreibungsbetrugs. Im Zusammenhang mit diesen Strafvorschriften ist ferner der Versicherungsmißbrauch gemäß § 265 StGB zu sehen. Des weiteren interessieren vorliegend noch die Rechtsgutskonzeptionen zum Insolvenzstrafrecht der §§ 283 ff. StGB, zum Tatbestand des Mißbrauchs von Scheck- und Kreditkarten gemäß § 266b StGB sowie zum Wuchertatbestand des § 291 StGB.

I. Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Subventionswesens beim Subventionsbetrug (§ 264 StGB) 1. Schrifttum

Im Schrifttum zum Subventionsbetrugstatbestand lassen sich in der Diskussion um das geschützte Rechtsgut drei Ansichten ausmachen 1. Die h. L. ist der Ansicht, daß zwei verschiedene Rechtsgüter strafrechtlichen Schutz erfahren. Neben dem staatlichen Subventionsvennögen soll noch ein überindividuelles Rechtsgut geschützt sein, das von einigen Autoren - unter Berufung auf die Gesetzesmaterialien 2 - in der staatlichen Planungs- und Dispositionsfreiheit erblickt wird 3 • Von anderer Seite wird insofern vom Schutze I V gl. ausführlich zu den einzelnen Meinungen Hack, Subventionsbetrug, S.19ff. 2 BT-Drs. 7/5291 S. 5. 3 Heinz, GA 1977.225 f.; Schmidt-Hieber, NJW 1980,322,324.

1. Kap.: Wirtschaftsstrafrecht

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der Institution der Subvention als einem wichtigen Instrument staatlicher Wirtschaftslenkung und der mit ihr verfolgten wirtschaftspolitischen Zielsetzungen gesprochen4 • An nächster Stelle ist vom Allgemeininteresse an einer wirksamen staatlichen Wirtschaftsförderung durch Subventionen die Rede 5 . Daneben gibt es noch weitere Formulierungen6 , welche in der Sache aber auf dasselbe hinauslaufen. Unterschiede innerhalb der h. L. bestehen nur hinsichtlich der Akzentuierung. Vereinzelt wird das Subventionsvermögen als vorrangig geschützt angesehen 7 . Demgegenüber wird allerdings überwiegend der dem Subventionszweck entsprechende Einsatz staatlicher Mittel im Allgemeininteresse als das in erster Linie geschützte Rechtsgut des Subventionsbetrugstatbestands genannt8 . Die h. L. konstituiert somit bei § 264 StGB neben dem staatlichen Vermögen noch ein Rechtsgut des Subventionswesens. Andere Autoren gehen noch einen Schritt weiter als die innerhalb der h. L. überwiegend vertretene Auffassung. Der Tatbestand des Subventionsbetrugs soll überhaupt nicht das staatliche Vermögen schützen. Ausschließliches und alleiniges Rechtsgut des § 264 StGB sei vielmehr die Planungsund Dispositionsfreiheit der öffentlichen Hand im Wirtschaftsbereich9 oder - lediglich anders formuliert - die öffentliche Vermögensplanungshoheit IO • An anderer Stelle ist - in der Sache gleichbedeutend - vom Interesse an einer sachgemäßen staatlichen Wirtschafts förderung die Rede 11 • Nach dieser Ansicht soll beim Subventionsbetrugstatbestand mithin allein das Subventionswesen als Institution unserer Wirtschaftsordnung geschützt sein. Eine dritte Richtung im Schrifttum erblickt das von § 264 StGB geschützte Rechtsgut dagegen ausschließlich und allein im staatlichen Subventionsvermögen 12. Ein Schutz des Subventionswesens soll allenfalls über Schönke/Schröder/Lenckner, § 264 Rdnr. 4. Lackner/Kühl, § 264 Rdnr. 1; Wessels/Hillenkamp, BT 2, § 16 Rdnr. 680; Krey, BT 2, § 14 Rdnr. 520; Arzt/Weber, LH 4, Rdnr. 18. 6 Vgl. die Nachw. bei Sannwald, Rechtsgut und Subventionsbegriff, S. 60 unter Fn. 10-13. 7 Schönke/Schröder/Lenckner, § 264 Rdnr. 4. 8 Lackner/Kühl, § 264 Rdnr. 1; Wessels/Hillenkamp, BT 2, § 16 Rdnr.680; Jung, JuS 1976, 757, 758; Heinz, GA 1977, 225 f.; Schmidt-Hieber, NJW 1980, 322,324. 9 Felix/Rainer, DB 1978,959; Kindhäuser, JZ 1991,492,494; Tröndle/Fischer, § 264 Rdnr. 3. 10 Tiedemann in: LK, § 264 Rdnr. 14 a.E.; vgl. ferner noch Blei, JA 1976, 741, 744. 11 Otto, BT, § 61 Rdnr. 8. In dieser Richtung noch Göhler/Wilts, DB 1976, 1609, 1610: "Das zu schützende Rechtsgut ist nicht wie beim Betrugstatbestand das individuelle Vermögen, sondern der sinnvolle Einsatz staatlicher Mittel zum Wohle der Allgemeinheit". 4

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1. Teil: Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

den Vennögensschutz erfolgen, der einen diesbezüglichen Schutzreflex beinhalten soll 13 • Diese Auffassung verbleibt somit bei § 264 StGB dem Gedanken vom Schutze eines traditionellen, klassischen Rechtsguts verhaftet. 2. Rechtsprechung

Ausdrückliche Stellungnahmen des BGH zum Rechtsgut des Subventionsbetrugstatbestands gibt es nicht. Die Tatsache aber, daß er eine Schadenskompensation bei § 264 StGB - anders als im Falle des § 263 StGB ablehnt l4 , spricht aber dafür, daß er das Vennögen des Staates jedenfalls nicht als allein und vorrangig geschützt ansieht. Im Ergebnis dürfte daher zwischen der überwiegenden Ansicht im Schrifttum und dem BGH darin Übereinstimmung bestehen, daß neben dem staatlichen Vennögen das Subventionswesen als weiteres Rechtsgut geschützt sein soll. Im Gegensatz zur Judikatur des BGH finden sich in der Rechtsprechung der Oberlandesgerichte Ausführungen zu diesem Punkt. Hier wird die Planungs- und Dispositionsfreiheit der öffentlichen Hand im Wirtschaftsbereich ausdrücklich als Rechtsgut des § 264 StGB genannt l5 . Dabei scheint sogar vom ausschließlichen und alleinigen Schutz dieses überindividuellen Rechtsguts ausgegangen zu werden, weil das staatliche Vennögen daneben keine Erwähnung mehr findet und ferner ausgeführt wird, daß der Subventionsbetrug kein Vennögensdelikt sein soll 16• Die Rechtsprechung der Oberlandesgerichte betont somit explizit den überindividuellen Aspekt des § 264 StGB, der im Schutze des Subventions wesens gesehen wird. 3. Zusammenfassung

Die Darstellung der Ansichten in Rechtsprechung und Schrifttum zur Frage des von § 264 StGB geschützten Rechtsguts hat deutlich werden lassen, daß Stimmen, wonach ausschließlich und allein das staatliche Subventionsvennögen geschützt sein soll, vereinzelt sind. Dagegen wird von der h. M. mit dem Subventions wesen eine Institution unserer Wirtschafts12 Hack, Subventionsbetrug, S. 73; Maiwald, ZStW 96 (1984), 66, 77 f.; Ranft, JuS 1986, 445, 447 ff.; Schmidhäuser, BT, 11/97; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 41 Rdnr. 165; Gössel, BT 2, § 23 Rdnr. 31; Hirsch in: Kühne/Miyazawa (Hrsg.), Neue Strafrechtsentwicklungen, S. 11, 18 und wohl auch Sannwald, Rechtsgut und Subventionsbegriff, S. 65. \3 Hack, Subventionsbetrug, S. 65 ff., 71. 14 Vgl. BGHSt. 34, 265, 268 ff.; 36, 373, 374 ff. IS OLG Karlsruhe NJW 1981, 1383; OLG Hamburg NStZ 1984,218. 16 OLG Hamburg NStZ 1984,218.

1. Kap.: Wirtschaftsstrafrecht

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ordnung genannt, welche neben dem Vermögen des Staates oder sogar an seiner Statt geschützt sein soll. Anstelle des klar konturierten Rechtsguts Vermögen wird beim Subventionsbetrugstatbestand somit überwiegend dieses vage und konturenlose Gut in den Mittelpunkt des strafrechtlichen Schutzes gestellt. 11. Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts

Ein nächstes Beispiel für die Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts ist ein Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts. Auf ein solches stößt man vor allerni? im Schrifttum zum Straftatbestand des Kapitalanlagebetrugs gemäß § 264a StGB und zu den Strafvorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) vom 26.7.1994 18 . 1. Kapitalanlagebetrug (§ 264a StGB)

Der weitaus überwiegende Teil des Schrifttums geht unter Berufung auf die Gesetzesbegründung 19 davon aus, daß § 264a StGB nicht nur dem Schutze des Vermögens der Kapitalanleger dienen soll, sondern daneben noch der Kapitalmarkt und dessen Funktionsfähigkeit geschützt werden2o • Streit herrscht zwischen den Vertretern dieser Ansicht nur in dem Punkt, welches Schutzinteresse vorrangig verfolgt werde. Während man den Schwerpunkt des Unrechtsvorwurfs vorwiegend im Angriff auf jenes überindividuelle, soziale Rechtsgut ausmacht21 , wird es zuweilen aber auch als lediglich gleichrangig geschützt angesehen 22 • Einigkeit besteht aber jedenfalls darin, daß sich Sinn und Zweck des § 264a StGB nicht im Schutze des Individualvermögens der potentiellen Kapitalanleger erschöpfen sollen. Eine andere, bislang vereinzelt gebliebene Stimme in der Literatur sieht - insoweit in Übereinstimmung mit der h. L. - im Tatbestand des Kapital17 Aus dem Nebenstrafrecht ist noch § 88 Börsengesetz zu nennen, der nach Schlüchter, Wirtschaftskriminalität, S. 137 den Schutz des Börsenwesens, nach Fichtner, Börsen- und depotrechtliche Strafvorschriften, S. 79 wie § 264a StGB den Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts bezwecken soll. IS BGBl. I S. 1749. 19 BT-Drs. 10/318 S. 22. 20 Tiedemann in: LK, § 264a Rdnr. 13 mit umfangreichen Nachw. in Fn. 11. Vgl. ferner Richter, wistra 1987, 117, 120; Otto, WM 1988,729,736 m.w.N. unter Fn. 62; ders., Jura 1989,24,31; Mutter, NStZ 1991,421,422. 21 Vgl. statt aller nur Schönke/Schröder/Cramer, § 264a Rdnr. 1; Tröndle/Fischer, § 264a Rdnr. 4 - jeweils m. w. N. 22 Mutter, NStZ 1991,421,422.

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I. Teil: Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

anlagebetrugs ebenfalls eine Norm zum Schutze eines Universalrechtsguts, das im Funktionieren des Kapitalmarkts erblickt wird. Im Gegensatz zur h. L. wird aber das Individualvermögen als zumindest mitgeschütztes Rechtsgut nicht mehr genannt 23 . Diese Ansicht löst sich mithin völlig von Individualinteressen und stellt bei § 264a StGB allein auf den Schutz einer Wirtschaftsinstitution ab. Neben diesen bei den Auffassungen gibt es ferner eine Ansicht, wonach das Individualvermögen der potentiellen Kapitalanleger das alleinige und ausschließliche Rechtsgut des § 264a StGB sein so1l24. Ein institutioneller Schutz der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts wird dagegen geleugnet. In der höchstrichterlichen Judikatur stößt man hinsichtlich der Frage des von § 264a StGB geschützten Rechtsguts zunächst auf eine Entscheidung des 2. Strafsenats des BGH aus dem Jahre 1994. Dort gibt er lediglich die Auffassung der Vorinstanz wieder, nach der es Sinn und Zweck des § 264a StGB sei, den "Gefahren für die individuellen Vermögensinteressen" insbesondere unerfahrener Kapitalanleger vorzubeugen 25 . Die Rechtsprechung des BGH scheint somit eher dahin zu tendieren, das geschützte Rechtsgut des § 264a StGB allein im Individualvermögen zu erblicken. Keinesfalls handelt es sich dabei aber um eine gesicherte Aussage. Demgegenüber deutlicher zu tage tritt der Standpunkt des Oberlandesgerichts Köln. In einem Beschluß aus dem Jahre 1999 26 schloß es sich der im Schrifttum vorherrschend vertretenen Ansicht an, wonach § 264a StGB mit dem Schutz der Funktionsfahigkeit des Kapitalmarkts und dem Schutz der Vermögensinteressen potentieller Kapitalanleger kumulative Zwecke verfolge.

2. Verbotene Insider-Geschäfte (§§ 14, 38 WpHG) Auf ein Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts stößt man ferner noch im Rahmen der Auseinandersetzung um das Rechtsgut des § 38 WpHG. Er stellt den sogenannten Insidermißbrauch, also die Vornahme von gemäß § 14 WpHG verbotenen Insider-Geschäften, unter Strafe. Eine weitaus überwiegende Mehrheit des Schrifttums meint, daß durch die Vorschriften der §§ 14, 38 WpHG vorrangig ein Universalrechtsgut geschützt sein soll. Dieses wird - im Einklang mit den GesetzesmateriaKnauth, NJW 1987, 28. Joecks, wistra 1986, 142, 143 f.; Wonns, Anlegerschutz, S. 307 ff., 316; ders., wistra 1987, 242, 245; Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 41 Rdnr. 166; Gössel, BT 2, § 23 Rdnr. 69; Samson/Günther in: SK, § 264a Rdnr. 7. 2S BGHSt. 40, 385, 386. 26 OLG Köln NStZ 1999,565, 567. 23

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1. Kap.: Wirtschaftsstrafrecht

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lien 27 - in der institutionellen Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts erblickt. Das Vermögen der Kapitalanleger soll demgegenüber allenfalls mittelbar geschützt werden 28 . Anders als noch im Rahmen der §§ 264, 264a StGB erfährt diese Auffassung sogar, jedenfalls im gegenwärtigen Schrifttum29 , kaum nennenswerte Kritik 3o . Die weithin unbestrittene Ansicht zum Tatbestand des Insidermißbrauchs nimmt somit eine Kumulation des Schutzes von Individual- und Kollektivinteressen an, wobei letzteren der Vorrang eingeräumt wird. 3. Zusammenfassung

Während sich, wenn auch nur vereinzelt, im Schrifttum zu § 264a StGB somit noch Stimmen ausmachen lassen, nach denen sich Sinn und Zweck dieser Vorschrift im Schutze des Individualvermögens der Kapitalanleger erschöpfen sollen, bleiben individuelle Interessen bei den Strafvorschriften des Wertpapierhandelsgesetzes nahezu vollständig unberücksichtigt. Statt dessen wird das überindividuelle Rechtsgut der institutionellen Funktionsfähigkeit des Kapitalmarkts vollends in den Mittelpunkt des strafrechtlichen Schutzes gerückt. Es ist daher im besonderem Maße Beleg für die zu verzeichnende Tendenz, den Rechtsgutsbegriff auf dem Gebiet des Wirtschaftsstrafrechts zu entmaterialisieren. III. Das Rechtsgut der Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens beim Versicherungsmißbrauch (§ 265 StGB) 1. Die Neufassung des § 265 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz

Der nunmehr als Versicherungsmißbrauch rubrifizierte Tatbestand des § 265 StGB erfuhr durch das 6. Strafrechtsreformgesetz vom 26.1.1998 BT-Drs. 12/6679 S. 33 f. Assmann in: ders.lSchneider (Hrsg.), WpHG, Vor § 12 Rdnr. 38 a.E.; ders., ZGR 1994, 494, 499; Dierlamm, NStZ 1996, 519. Vgl. aus rechtsvergleichender Sicht Heldmann, SJZ 1992,305,312 ff. m.w.N. 29 Demgegenüber vertraten die Verfasser des Alternativ-Entwurfs die Auffassung, daß sich der Insider-Handel gegen die Vermögensinteressen der Kapitalanleger und der Teilnehmer am Börsenverkehr richten soll, vgl. Alternativ-Entwurf, BT, Straftaten gegen die Wirtschaft, S. 79. 30 Etwas im unklaren bleibt allerdings der Standpunkt von Ransiek, Unternehmensstrafrecht, S. 173 ff., der einerseits unter Hinweis auf den Alternativ-Entwurf davon spricht, daß eine strafrechtliche Sanktion des Insider-Handels ohnehin dem Schutz der Kapitalanleger dienen würde (S. 174), andererseits aber auch die Funktionsrahigkeit des Kapitalmarkts als überindividuelles Interesse nennt (S. 176). 27

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1. Teil: Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

eine umfassende Umgestaltung 3!. Es wurden in Anlehnung an § 256 Abs. 2 E 1962 verschiedene Verhaltensweisen unter Strafe gestellt, die der Vorbereitung eines Betrugs dienen. Ferner ist er nicht mehr als Verbrechen, sondern nur noch als Vergehen eingestuft. Des weiteren stellt die Subsidiaritätsklausel in § 265 StGB n. F. nunmehr ausdrücklich das Verhältnis zu § 263 StGB klar, eine Frage, die zuvor Gegenstand eines Meinungsstreits war32 . Völlig der Vergangenheit gehört die alte Fassung des § 265 StGB jedoch nicht an. Sie findet sich mit gewissen Modifizierungen als Regelbeispiel für einen besonders schweren Fall des Betrugs in § 263 Abs. 3 Nr. 5 StGB wieder33 . Die Neufassung des § 265 StGB wird in mehrerlei Hinsicht Einfluß auf die Diskussion um das von dieser Vorschrift geschützte Rechtsgut nehmen. Der Gesetzgeber des 6. Strafrechtsreformgesetzes bezieht in dieser Frage selbst allerdings keine eindeutige Stellung. Zwar spricht er davon, daß ,,§ 265 neu ein gegenüber dem Betrug selbständiger Tatbestand" sei und dies "auch in der Überschrift durch das Wort ,Versicherungsmißbrauch ' anstelle des bislang verwendeten Wortes ,Versicherungsbetrug' zum Ausdruck kommen" so1l34. Dies legt die Annahme nahe, daß er § 265 StGB n. F. als ein Delikt ansehen möchte, das sich ausschließlich gegen ein überindividuelles Rechtsgut richtet. Letztlich läßt er die Frage aber offen, ob es sich bei den in § 265 StGB n. F. pönalisierten Handlungen um solche "im Vorbereitungsstadium [des Betrugs] oder um Taten eigener Art handelt,,35. In dieser Hinsicht läßt sich somit den Motiven des Gesetzgebers keine eindeutige Stellungnahme entnehmen. BGBl. I S. 164. Vgl. zu diesem, durch die Neufassung des § 265 StGB nunmehr überholten Punkt noch Schönke/Schröder/Lenckner, § 265 Rdnr. 16 m. w. N. zum Streitstand. 33 Dieses Vorgehen läßt sich aber schwerlich als geglückt bezeichnen. Indem das Regelbeispiel des § 263 Abs. 3 Nr. 5 StGB an die alte Fassung des § 265 StGB anknüpft, macht das ,,Fossil" der Schiffsversenkung und -strandung (Kohlhaas, VersR 1965, 1, 3) den späteren Betrug im Regelfall zum Betrug in einem besonders schweren Fall, wohingegen etwa der Sachverhalt, daß ein Kraftfahrzeugeigentümer seiner Kaskoversicherung ein Fahrzeug als gestohlen meldet, das er von organisierten Kraftfahrzeugverschiebern ins Ausland bringen ließ, allenfalls zur Annahme eines unbenannten besonders schweren Falls des Betrugs führen kann [so Mitsch, ZStW III (1999), 65, 115; krit. zu einem solchen methodischen Vorgehen aber Otto, JZ 1985, 21, 24] Diese Konsequenz ist deshalb als mißglückt zu bezeichnen, weil es gerade die Fälle organisierter Kraftfahrzeugverschiebereien waren, die den Gesetzgeber zur Neufassung des § 265 StOB veranlaßt haben (BT-Drs. 13/8587 S. 65 und 13/9064 S. 19). In diesem Punkt ist die Reform somit in sich nicht stimmig und wohl Konsequenz der allseits beklagten Hektik und Eile des Gesetzgebers bei der Verabschiedung des 6. Strafrechtsreformgesetzes (vgl. nur Dencker/Struensee/Nelles/Stein, 6. Strafrechtsreformgesetz, S. 1). 34 BT-Drs. 13/9064 S. 20. 35 BT-Drs. 13/9064 S. 20 (Einschub vom Verf.). 31

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1. Kap.: Wirtschafts strafrecht

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Endgültige Klarheit besteht dagegen nunmehr in einem Punkt: Da den Tathandlungen des § 265 StGB n. F. nicht zwangsläufig eine Gemeingefahr anhaftet, ist der Meinung die Grundlage entzogen, die in § 265 StGB a. F. ein gemeingefährliches Delikt sah 36 . Daher kann hier auch dahingestellt bleiben, ob diese Auffassung den Unrechtsgehalt des § 265 StGB a. F. zutreffend charakterisiert hatte 37 . De lege lata ist sie nicht mehr haltbar.

2. Schrifttum Der weitaus überwiegende Teil des Schrifttums 38 ist der Ansicht, daß bei § 265 StGB nicht nur das Vermögen der Sachversicherungsunternehmen geschützt sein soll, sondern daneben noch die soziale und volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Versicherungswirtschaft als überindividuelles Rechtsgue 9 . Strittig ist unter den Anhängern dieser Auffassung nur, ob dem Schutze jenes Universalrechtsguts der Vorrang einzuräumen ist40 oder ob es lediglich gleichrangig neben dem Vermögen der Versicherungsunternehmen geschützt wird41 . Vereinzelt wird im Schrifttum ein Schutz des Vermögens der Sachversicherer sogar gänzlich geleugnet. Vielmehr soll § 265 StGB ausschließlich und allein den Zweck verfolgen, die Funktions- und Leistungsfähigkeit des Versicherungswesens zu schützen42 . 36 Vgl. für diese Auffassung Maurach/Schroeder/Maiwald, BT 1, § 41 Rdnr. 199 m. w.N.; Schroeder, JR 1975,71, 74; v. Rintelen, Überindividuelle Rechtsgüter, S. 92. 37 In der abschließenden Beratung des 6. Strafrechtsreformgesetzes im Rechtsausschuß des Bundestags wird dieser Auffassung implizit mit dem Argument eine Absage erteilt, daß einer durch die Tathandlung des Versicherungsmißbrauchs zugleich hervorgerufenen Gemeingefahr "wie schon bisher durch die Anwendung des jeweils einschlägigen gemeingeflihrlichen Delikts Rechnung getragen" wird, vgl. BTDrs. 13/9064 S. 20 (Hervorhebung vom Verf.). Zu nennen ist insoweit § 306b Abs. 2 Nr. 2 StGB, auf den Zopfs, VersR 1999, 265, 268 in diesem Zusammenhang ebenfalls hinweist. 38 Umfassend zur Rechtsgutsfrage v. Rintelen, Überindividuelle Rechtsgüter, S. 9 ff.; Seier, ZStW 105 (1993), 321 ff. 39 Zur Neufassung des § 265 StGB in diesem Sinne Klipstein in: Schlüchter (Hrsg.), 6. Strafrechtsreformgesetz, § 265 Rdnr. 5; Tröndle/Fischer, § 265 Rdnr. 2; Lackner/Kühl, § 265 Rdnr. 1; Wessels/Hillenkamp, BT 2, § 15 Rdnr. 652; Mitsch, ZStW III (1999), 65, 116 in Fn. 148. Krit. in dieser Hinsicht Rönnau, JR 1998, 441, 442. Vgl. zu § 265 StGB a.F. die umfangreichen Nachw. bei Tiedemann in: LK, § 265 Rdnr. 6 unter Fn. 11. 40 Tiedemann in: LK, § 265 Rdnr. 8. 41 In dieser Richtung Lackner/Kühl, § 265 Rdnr. I. 42 Nach der Neufassung des § 265 StGB ausdrücklich in diesem Sinne Dtto, BT, § 61 Rdnr. 1. Vgl. zu § 265 StGB a.F. insoweit Geerds in: Festsehr. für H. Welzel, S. 841, 853 f.

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1. Teil: Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

Diese Ansicht könnte sich im Zuge der Reform des Versicherungsmißbrauchstatbestands vermehrt durchsetzen. In § 265 StGB n. F. wurde auf das Erfordernis einer "betrügerischen Absicht" auf seiten des Täters verzichtet. Dieses Merkmal war in den Fällen, in denen ein Dritter den "Versicherungsfall" herbeigeführt hat, nur in den Konstellationen der sogenannten Repräsentantenhaftung erfüllt43 , die zur Konsequenz haben, daß der Versicherer von seiner Leistungspflicht befreit wird. Nunmehr wird jeder Sachverhalt - auch der berühmte vom Reichsgericht unter Anwendung einer Analogie entschiedene Fall des in der Stadt lebenden Sohns eines Großbauern44 - vom Tatbestand des § 265 StGB n. F. erfaßt, soweit der Dritte dem Versicherungsnehmer nur Leistungen aus dessen Sachversicherung verschaffen will. Daher ließe sich argumentieren, daß angesichts dieser Fälle das Vermögen der Versicherungsunternehmen deshalb nicht geschütztes Rechtsgut des § 265 StGB n. F. sein könne, weil der Versicherungsnehmer hier einen Anspruch auf die Versicherungssumme hat. Wegen des Verzichts auf das Merkmal der "betrügerischen Absicht" könnte sich mithin das Unrecht des § 265 StGB n. F. ausschließlich und allein gegen das überindividuelle Rechtsgut der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens richten 45. Diesem auf den ersten Blick zwingend erscheinenden Argument läßt sich allerdings entgegenhalten, daß man jedenfalls deshalb noch von einer abstrakten Gefährdung des Vermögens der Sachversicherungsunternehmen sprechen kann, weil sie Gefahr laufen, ihren gemäß § 67 Versicherungsvertragsgesetz bestehenden Regreßanspruch gegen den Täter mangels Kenntnis oder Bonität desselben nicht durchsetzen zu können. Allein aus dem Verzicht auf das Tatbestandsmerkmal der "betrügerischen Absicht" in § 265 StGB n. F. darauf schließen zu wollen, daß es nicht mehr um den Schutz des Versicherungsvermögens gehen könne, ist daher nicht zwingend. Entgegen den zuvor dargestellten Auffassungen soll nach einem Teil des Schrifttums mit der Vorschrift des § 265 StGB einzig und allein das Vermögen der Versicherungsunternehmen geschützt werden. Ein Schutz des Versicherungswesens erfolge allenfalls über einen bloßen mittelbaren Schutzreflex, der im Vermögensschutz mit intendiert sei. Keineswegs könne

43 Vgl. zu diesen Fällen statt aller nur SchänkelSchräderiLenckner, § 265 Rdnr. 12 m.w.N. 44 RGSt. 75, 60, 61. 45 Ausdrücklich in dieser Richtung Hömle, Jura 1998, 169, 176. Ein solcher Argumentationsansatz findet sich bei SchönkelSchröderlLenckner, § 265 Rdnr. 2 bereits zu § 265 StGB a.F. Darauf will wohl ferner noch Dtto, BT, § 61 Rdnr. 1 mit seinem Argument hinweisen, daß § 265 StGB n. F. kein betrügerisches Verhalten mehr erfasse.

1. Kap.: Wirtschaftsstrafrecht

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aber in der Leistungs- und Funktionsfähigkeit der Versicherungswirtschaft ein selbständiges Rechtsgut gesehen werden46 • Diese Ansicht scheint ebenfalls die Neufassung des Versicherungsmißbrauchstatbestands für sich beanspruchen zu können. Seine gegenüber § 263 StGB nunmehr gesetzlich angeordnete Subsidiarität wird von ihren Anhängern insoweit geltend gemacht47 . Die Subsidiaritätsklausel des § 265 StGB n. F. läßt sich widerspruchslos mit einem Rechtsgut Vermögen erklären, dagegen schwerlich, sieht man noch ein überindividuelles Gut des Versicherungswesens als von § 265 StGB n. F. geschützt an. Der Meinungsstand im Schrifttum zu § 265 StGB entspricht somit jenem, welcher bereits bei den Straftatbeständen der §§ 264, 264a StGB aufgezeigt wurde. Nach überwiegend vertretener Ansicht soll der überindividuelle Aspekt des Schutzes der Leistungs- und Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens im Vordergrund stehen. Daneben tritt das Vermögen der Sachversicherer als Individualrechtsgut in den Hintergrund. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Neufassung des § 265 StGB durch das 6. Strafrechtsreformgesetz etwas am Gefüge innerhalb dieses Meinungsbildes zu ändern vermag. Es ist aber wohl eher anzunehmen, daß in Zukunft wegen des Verzichts auf das Tatbestandsmerkmal der "betrügerischen Absicht" in § 265 StGB n. F. verstärkt nur noch die Funktionsfähigkeit des Versicherungswesens als geschütztes Rechtsgut genannt werden wird. 3. Rechtsprechung

Die Rechtsprechung spiegelt ein uneinheitliches Bild in der Frage des von § 265 StGB a. F. geschützten Rechtsguts wider. Sowohl das Reichsgericht als auch später der BGH wechselten im Laufe ihrer Rechtsprechung die Fronten in diesem Streit. 46 Nach der Refonn des § 265 StGB in diesem Sinne Rengier, BT I, § 15 Rdnr.2; Geppert, Jura 1998, 382, 383; Bussmann, StV 1999, 613, 617. Zu § 265 StGB a. F. vgl. etwa Kohlhaas, VersR 1955, 465 (in VersR 1965, 1, 4 allerdings zugunsten der h.M. aufgegeben); Ranft, Jura 1985, 393, 399; Schmidhäuser, BT, 11141; Gössel, BT 2, § 23 Rdnr. I ff., 3; Samson/Günther in: SK, § 265 Rdnr. 1. 41 In diesem Sinne Rengier, BT I, § 15 Rdnr. 2; Geppert, Jura 1998, 382, 383; Bussmann, StV 1999, 613, 617. Die Argumentation mit einer Subsidiaritätsklausel in der Diskussion um das geschützte Rechtsgut ist keineswegs neu, sondern begegnet uns bereits beim Streit um das Rechtsgut des § 164 StGB, vgl. Langer, Falsche Verdächtigung, S. 49 f. einerseits und Hirsch in: GedSchr. für H. Schröder, S. 307, 321 f. andererseits. An den Argumenten der Subsidiaritätsklausel und des Verzichts auf das Merkmal der "betrügerischen Absicht" wird bereits deutlich, daß der Gesetzeswortlaut die entscheidende Quelle für die Frage nach dem geschützten Rechtsgut ist, vgl. hierzu später im 2. Teil, 5. Kapitel unter I.

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1. Teil: Entmaterialisierungstendenz beim Rechtsgutsbegriff

Eine frühe Entscheidung des Reichsgerichts läßt die Annahme nahelegen, daß es der Ansicht zu folgen scheinen wollte, die im Vermögen der Feuerund Schiffsversicherer das alleinige und ausschließliche Rechtsgut des § 265 StGB a. F. sah. In den Urteilsgrün