Die eine heilige christliche und apostolische Kirche: Berufung und Sendung der Gemeinde. Ekklesiologie in reformatorischer Perspektive, Bd. I [1 ed.] 9783666540875, 9783525540879


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Die eine heilige christliche und apostolische Kirche: Berufung und Sendung der Gemeinde. Ekklesiologie in reformatorischer Perspektive, Bd. I [1 ed.]
 9783666540875, 9783525540879

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34mm

FRTh

Michael Weinrich

15

Die eine heilige christliche und apostolische Kirche

Der Autor Michael Weinrich war zuletzt von 2005 bis 2015 Lehrstuhl­ inhaber des Lehrstuhls für Systematische Theologie: Ökume­ nik und Dogmatik und Direktor des Ökumenischen Instituts der Fakultät für Evangelische Theologie an der Ruhr-Univer­ sität in Bochum.

Es gehört zum Wesen der Kirche, dass sie sich in der Krise befindet. Entscheidend wird es darauf ankommen, dass sie immer wieder neu nach ihrem besonderen Auftrag fragt. Sie hat nur dann tatsächlich etwas zu sagen, wenn sie nicht von sich selbst, sondern von Gott redet. Sie ist darin lebendig, dass sie sich dabei auf ihren jeweiligen konkreten Kontext ein­ lässt und in ihm aus der Freiheit heraus handelt, die ihr sowie der weltweiten Kirche von ihrem Bekenntnis zu Jesus Christus eröffnet wird. Als solche ist die Kirche immer im Werden. Sie lebt nicht aus der Vergangenheit, sondern vergewissert sich ihrer Sendung im je aktuellen Hören auf das Wort Gottes. Michael Weinrich erschließt die Vielfalt der unterschiedlichen theologischen Perspektiven auf eine aktuelle reformatorische Ekklesiologie.

ISBN 978-3-525-54087-9

9 783525 540879

9783525540879_Weinrich_Umschlag.indd Alle Seiten

Weinrich  Die eine heilige christliche und apostolische Kirche

Forschungen zur Reformierten Theologie, Band 15

Berufung und Sendung der Gemeinde Ekklesiologie in reformatorischer Perspektive, Bd. I

FRTh 15

Forschungen zur Reformierten Theologie

20.07.22 16:25

Forschungen zur Reformierten Theologie

Herausgegeben von Marco Hofheinz, Michael Weinrich und Georg Plasger Band 15

Michael Weinrich

Die eine heilige christliche und apostolische Kirche Berufung und Sendung der Gemeinde Ekklesiologie in reformatorischer Perspektive, Bd. I

Vandenhoeck & Ruprecht

Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.de abrufbar. © 2023 Vandenhoeck & Ruprecht, Theaterstraße 13, D-37073 Göttingen, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, V&R unipress und Wageningen Academic. Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Umschlaggestaltung: SchwabScantechnik, Göttingen Satz: le-tex publishing services, Leipzig Druck und Bindung: Hubert & Co. BuchPartner, Göttingen Printed in the EU Vandenhoeck & Ruprecht Verlage | www.vandenhoeck-ruprecht-verlage.com ISSN 2567-9287 ISBN 978-3-666-54087-5

Inhalt

Prolegomena zur Ekklesiologie. Vorwort ................................................. 11 Teil I Fundamentalorientierungen .......................................................... 19 1.

Welche Kirche meinen wir? Die Theologie und die verfasste Kirche .. 1.1 Die Kirche als ‚corpus permixtum‘.............................................. 1.2 Die Verborgenheit der Kirche ................................................... 1.3 Die Sichtbarkeit der Kirche ....................................................... 1.4 Welche Kirche meinen wir? ...................................................... 1.4.1 Kyrie Eleison und Hallelujah .......................................... 1.4.2 Die geglaubte Kirche ..................................................... 1.4.3 Die gestaltete Kirche ..................................................... 1.4.4 Gemeinschaft der Heiligen .............................................

2.

Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift. Die ekklesiologische Bedeutung des reformatorischen Schriftprinzips .... 2.1 Das Wort Gottes und die Kirche ................................................ 2.2 Vom Hören des Wortes und Lesen der Schrift ............................. 2.3 ‚Sola scriptura‘ ........................................................................ 2.4 Der reformatorische Anspruch und die ekklesiologische Reichweite des ‚sola scriptura‘ ................................................... 2.4.1 ‚Verbum externum‘ ......................................................... 2.4.2 Der Geist der Schrift und die religiöse Begeisterung ................................................................ 2.4.3 ‚Viva vox evangelii‘ ......................................................... 2.4.4 Die pünktliche Mündlichkeit der Schrift .......................... 2.4.5 Die hörende Kirche ....................................................... 2.4.6 Beunruhigung und Anfechtung ...................................... 2.5 Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips .. 2.5.1 Die Schrift als gedrucktes Buch ....................................... 2.5.2 Historische Kritik und Wort Gottes ................................. 2.5.3 Biblizismus und Fundamentalismus ................................ 2.5.4 Vielfalt und Kohärenz der Schrift .................................... 2.5.5 Die Inspiration der Schrift .............................................. 2.5.6 Schrift und Ökumene ....................................................

23 26 35 45 60 61 63 65 67

73 76 83 86 92 92 94 96 97 99 100 101 102 106 109 110 112 116

6

Inhalt

3.

4.

5.

The Openness and Worldliness of the Church. On the Framework of Reformed Ecclesiology .............................................. 3.1 Confession in the Life of the Church .......................................... 3.2 The View of the Scriptures ........................................................ 3.3 The Worldliness of the Church .................................................. 3.4 The Distress of the Church ....................................................... 3.5 Confessional Existence Today ................................................... 3.6 Conclusion ............................................................................. Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels. Theologische Annäherungen an eine Israel-bezogene Ekklesiologie .. 4.1 Das ‚Volk Gottes‘ als eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts........... 4.2 Historische Aspekte ................................................................. 4.2.1 Die Anfänge ................................................................. 4.2.2 Das Volk der Laien ........................................................ 4.2.3 Die völkische Bewegung des 19. Jahrhunderts................... 4.2.4 Der politisierte Volkswahn ............................................. 4.3 Systematische Entdeckungshorizonte ......................................... 4.3.1 Das Zweite Vatikanische Konzil ...................................... 4.3.2 Der ökumenische Aufbruch............................................ 4.3.2.1 Die zersplitterte Christenheit: das eine Volk Gottes ....................................................... 4.3.2.2 Amtsträger und Laien: das ganze Volk Gottes ........ 4.3.3 Die Theologie der Befreiung ........................................... 4.3.4 „Das gespaltene Gottesvolk“ ........................................... 4.3.4.1 Die Zwei-Wege-Lehre ......................................... 4.3.4.2 Der ungekündigte Bund ...................................... 4.3.4.3 Die Völkerwallfahrt zum Zion ............................. 4.3.4.4 Das eine Gottesvolk aus Israel und Kirche ............. 4.4 Kirche als Volk Gottes.............................................................. 4.4.1 Das Motiv der Erwählung .............................................. 4.4.2 Der Bund als Unterpfand der Erwählung ......................... 4.4.3 Das Volk und die Völker ................................................ 4.4.4 Die Treue Gottes ........................................................... 4.4.5 Das bleibende Geheimnis ............................................... 4.5 Resümee ................................................................................ Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche. Perspektivenwechsel ......... 5.1 Freiheit ist Können ................................................................. 5.2 Die Wahlfreiheit...................................................................... 5.3 Die Freiheit zur Selbstverwirklichung .......................................

119 119 123 126 130 134 140

143 143 146 146 148 148 149 151 151 153 153 154 155 157 157 159 160 161 163 164 166 168 169 170 171 175 176 179 180

Inhalt

5.4 Die Freiheit zur Beziehung ...................................................... 5.4.1 Die Funktionalisierung Gottes und das Anthropozän ........ 5.4.2 Freiheit verbindet .......................................................... 5.5 Die Freiheit der Kirche.............................................................

185 188 193 196

Teil II Die klassischen Attribute der Kirche.............................................. 199 6.

Einheit bekennen. Zum ökumenischen Profil reformierter Ekklesiologie ................................................................................. 6.1 Bekennende Kirche ................................................................. 6.2 Tradierende Kirche .................................................................. 6.3 Lehrende Kirche...................................................................... 6.4 Reformatorische Katholizität .................................................... 6.5 Einheit bekennen ....................................................................

201 201 203 205 209 211

“Hallowed Be Thy Name”. Some Theses on God’s Holiness and the Holiness of the Church ......................................... 7.1 God’s Holiness ........................................................................ 7.2 The Holiness of the Church ...................................................... 7.3 Hallowed Be Thy Name ............................................................

215 217 220 225

8.

Die Katholizität der Kirche .............................................................. 8.1 Die reformatorische Wiederentdeckung der Katholizität .............. 8.2 Die Universalität der Kirche...................................................... 8.3 Die Katholizität des biblischen Zeugnisses .................................. 8.4 Katholizität als Fundament der Ökumene...................................

227 227 232 234 238

9.

Die Apostolizität der Kirche............................................................. 9.1 Die Apostolizität im Zusammenhang der vier Attribute der Kirche ............................................................................. 9.2 Der theologische Fokus der Apostolizität.................................... 9.3 Ekklesiologische und ökumenische Konsequenzen ......................

243

7.

245 248 255

Teil III Perspektiven............................................................................... 259 10. Confessio and Traditio. A Reformed Approach in Dialogue with the Lutheran Tradition............................................................. 10.1 Introduction ........................................................................... 10.2 Confessing Church – The Church’s Confessions .......................... 10.3 Confession, Doctrine and Tradition ...........................................

263 263 264 272

7

8

Inhalt

11. Justified for Covenant Fellowship. A Key Biblical Theme for the Whole of Theology .................................................................... 11.1 The Different Justice (iustitia aliena) .......................................... 11.2 Created for Freedom in Relationship.......................................... 11.3 The Exclusiveness of Self-Centered Consciousness....................... 11.4 The Covenanting God: God’s Inclusive Faithfulness ..................... 11.5 God’s Loving Justice: Humanity’s Liberating Justification ..............

275 278 282 285 290 294

12. Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität. Protestantische Anregungen zur ökumenischen Bedeutung des Reformatorischen................................................... 12.1 Einleitung .............................................................................. 12.2 Kirche jeweils an ihrem Ort – Kontextualität .............................. 12.3 In Gemeinschaft mit der universalen Kirche – Katholizität ........... 12.4 Zusammenfassung...................................................................

299 299 301 304 306

13. Die Profanisierung der Bilder. Zur Bildproblematik zwischen Kult und Kunst in der reformatorischen Theologie ............. 13.1 Einleitung: Religion und Bild .................................................... 13.2 Bilderflut und Kirchenkritik ..................................................... 13.3 Die Bilderkritik der Reformation............................................... 13.3.1 Bilderkritik als Kultkritik ............................................... 13.3.2 Martin Luther ............................................................... 13.3.3 Huldrych Zwingli und Johannes Calvin ........................... 13.4 Die Bilder der „Kirche des Wortes“ ............................................ 13.5 Die Profanisierung der Bilder ...................................................

309 309 312 314 314 317 320 323 327

14. Die Wahrheit des Bilderverbots. Historische und theologische Aspekte ..................................................................... 14.1 Einleitung .............................................................................. 14.2 Vom Almosengeben zum Bilderdienst ....................................... 14.3 Die Grenze des Bilderverbots: Von der Notwendigkeit des Unzulänglichen ................................................................. 14.4 Die Wahrheit des Bilderverbots: Von der Unzulänglichkeit des Notwendigen............................................

331 331 333 337 341

15. Missio Dei und die Sendung der Kirche. Systematisch-theologische Anregungen in der Perspektive von Karl Barth ............................................................................... 349 15.1 Das erste Gebot als Einweisung in die Welt ................................. 351 15.2 Das Zeugnis der Kirche und die Missio Dei ................................. 355

Inhalt

15.3 Missio Dei und das Zeugnis der Kirche....................................... 359 16. Der Moderator. Leitung im Kollegium – Episkopé als modernes Management ................................................................. 16.1 Das Fundament reformierter Ekklesiologie................................. 16.2 Kirche als Leib Christi.............................................................. 16.3 Kirchenleitung im Team...........................................................

363 365 368 370

Und zum Schluss der Anfang. Anstelle eines Nachworts: 17. Das Geheimnis der Kirche nach dem Evangelisten Lukas. Eine biblische Meditation ............................................................... 379 17.1 Zurück nach Emmaus .............................................................. 380 17.2 Das Geheimnis der Kirche........................................................ 385 Literatur ............................................................................................... 393 1. Quellen .................................................................................. 393 2. Literatur................................................................................. 395 Namensregister .................................................................................... 419 Sachregister ......................................................................................... 425

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Prolegomena zur Ekklesiologie Vorwort

Die Kirche ist immer in der Krise, und es gehört zu ihrer Lebendigkeit dazu, um die Krisenhaftigkeit ihrer Existenz zu wissen, die ihr aus höchst verschiedenen Gründen unabschüttelbar anhaftet. Das gilt es weniger zu beklagen als vielmehr zu verstehen. Es sind keineswegs nur die sich ständig verändernden geschichtlichen Umstände, die sie bedrängen, sondern es sind auch ihre göttliche Berufung und Sendung, die ihr immer wieder neu zu schaffen machen und sie dabei durchaus grundsätzlicher in die Krise versetzen als es durch die historischen Umstände jemals geschehen könnte. Da sie in ihrem Anspruch als Zeugin und Botschafterin der unser Leben betreffenden Koexistenz Gottes immer auch durch und durch ein Teil dieser Welt ist, bleibt sie auch mit allen Problemen behaftet, mit der sich diese Welt herumzuschlagen hat, und zugleich bezeugt sie eine den Menschen bereits heute tragende Hoffnung, nach der er nicht darauf angewiesen bleibt, allein mit sich selbst zurechtkommen zu müssen. Es wird stets darauf ankommen, dass sie nicht sich selbst bezeugt, sondern die in ihrer Verborgenheit doch höchst wirkliche und zugleich heilsame Zugewandtheit Gottes zum Geschick des Menschen in der überaus verletzlichen und auch längst schmerzlich verletzten Wirklichkeit der Schöpfung. Es geht also nicht nur um eine uns heute in besonderer Weise auferlegte und zu bestehende Krise, sondern immer auch um eine Ambivalenz, in der sich die Kirche von ihren ersten Anfängen an befindet und in der sie sich immer wieder neu zu finden hat. Nun bieten sich tatsächlich höchst unterschiedliche Zugangsweisen zum Thema Kirche an. In jedem Falle legt es sich nahe, sich Rechenschaft über den Zustand abzulegen, in dem die Kirche heute angetroffen wird. Ob auf diesem Wege allerdings wirklich bis zu einer angemessenen Vorstellung von der Kirche durchzukommen ist, kann nicht nur deshalb bezweifelt werden, weil gewiss höchst unterschiedliche Eindrücke von der gegenwärtigen Kirche zusammenkämen, aus denen sich wohl kaum eine stimmige Antwort auf die Frage nach der Kirche ergeben würde. Es bliebe vor allem die Frage nach der Bestimmung der Kirche offen, von der aus es überhaupt erst möglich wird, qualifizierte Unterscheidungen im Blick auf ihr tatsächliches Erscheinungsbild vorzunehmen. Mit der Frage nach ihrer Bestimmung wird die Frage nach der Kirche zu einer theologischen Frage. Die Theologie rückt die anzutreffende Praxis der Kirche in das kritische Licht ihrer besonderen Konstitution und Sendung. Dabei bleibt sie immer auch an der tatsächlich existierenden Kirche interessiert, weil ihr ja schließlich die von ihr zu machenden Unterscheidungen zu bedenken gegeben werden sollen, aber dabei sollte sie eben auch von dem

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Vorwort

besonderen Charakter der Botschaft aus orientiert werden, zu deren Ausrichtung sie die Kirche berufen sieht und ohne welche der Kirche ihre spezifische Substanz verloren ginge. Die zwar schrumpfenden, aber immer noch großen Volkskirchen müssen sich heute eingestehen, dass nicht einmal mehr unter ihren eigenen Mitgliedern die Unterschiede zwischen den Konfessionen noch in irgendeiner relevanten Weise im Bewusstsein gegenwärtig sind. Wenn es in der römisch-katholischen Kirche einen Skandal zu beklagen gibt – ich schreibe dies in einer Zeit, in der die katholische Kirche in geradezu bestürzender Weise von einem Skandal nach dem anderen eingeholt wird –, steigen auch in der evangelischen Kirche die Austrittszahlen in bemerkenswertem Maße an; und es wird auch umgekehrt so sein, dass die katholische Kirche für Fehlauftritte in der evangelischen Kirche mit abgestraft wird. Die Kirche, der jemand angehört, wird – zumindest im Horizont der volkskirchlich bestimmten Wirklichkeit – als die Kirche wahrgenommen, und ob man ihr angehört oder eben nicht entscheidet sich an ganz anderen Wahrnehmungen als denjenigen, in denen sich die Kirchen von sich aus wahrgenommen sehen wollen. Es hat sich jenseits aller mühsamen und wankelmütigen Anstrengungen um die Ökumene längst eine Ökumene durchgesetzt, von der die theologischen Bemühungen um eine gegenseitige Annäherung der Konfessionen und eine tragfähige Gemeinschaft (koinonia) schlicht dadurch disqualifiziert werden, dass sie ignoriert und damit eben auch kommentarlos für überflüssig erklärt werden. So zufällig man in die eine oder eben in die andere Kirche hineingeraten ist, so gleichgültig bleibt für einen großen Teil ihrer Mitglieder, was für ihre Kirche in besonderer Weise kennzeichnend ist. Zwar haben die Kirchen begonnen, diesen Umstand wahrzunehmen, aber es lässt sich keineswegs absehen, auf welche Weise sie sich überhaupt mit dieser Situation auseinandersetzen wollen, oder ob sie in ernüchterter Resignation hinsichtlich ihrer tatsächlichen Einflussmöglichkeiten es vorziehen, so lange es eben noch möglich ist von den unausgesprochenen Vorteilen der im Vagen gehaltenen Situation stillschweigend zu profitieren. Es wäre erst noch zu klären, wie die angesprochene Entwicklung zu bewerten ist. Kann sie im signifikanten Kontrast zu den noch Mitte des 20. Jahrhunderts verbreiteten gegenseitigen Anzüglichkeiten zwischen den Konfessionen als ein Gewinn gefeiert werden oder sollte sie doch eher als ein eingetretenes Prekariat registriert werden? Kann die Entwicklung als das Geschenk eines kontingenten Entwicklungssprungs anerkannt werden, den bisher kaum jemand auch nur zu träumen gewagt hat und dessen faktisches Entspannungspotential ganz und gar zu begrüßen wäre? Oder ist in ihr das Resultat einer um sich greifenden Selbstausdünnung und inhaltlichen Entleerung der Bedeutung von Kirchenmitgliedschaft zu beklagen, die nicht mehr dazu in der Lage ist, eine eigene Bindungskraft zu entwickeln und damit bestenfalls noch religionssoziologisch als ein unverbindlicher Marker für ein nur noch unterbewusstes und als solches nicht recht zu identifizierendes kulturelles

Vorwort

Zugehörigkeitsgefühl bewertet werden kann? Ist den Selbstauskünften der Kirchen zu folgen, nach denen diese Entwicklung vor allem vielschichtigen gesellschaftlichen Veränderungsprozessen geschuldet ist, die von den Kirchen nicht beeinflusst werden können und denen auch andere Institutionen wie etwa die Gewerkschaften unterworfen seien? Oder müssen sich die Kirchen selbstkritisch die Frage stellen, inwieweit sie sich selbst ausdrücklich und teilweise mit erhobener Hand an ihrer inhaltlichen Selbstausdünnung beteiligt haben, indem sie in einer apologetisch inszenierten Selbstsäkularisierung den allgemein angesagten weltanschaulich imprägnierten Konzepten einer möglichst konsequenten Individualisierung oder eines undifferenzierten Pluralismus hinterhergelaufen sind, anstatt ihnen überzeugende Optionen für eine gegenseitig für einander einstehende Gemeinschaft oder eine sich durch gegenseitige Achtsamkeit bereichernde Vielfalt gegenüberzustellen? – Zu jeder dieser Fragen wird es gewiss mehrere Antworten geben, so wie sich die Fragen bei näherem Hinsehen mehr ergänzen als dass sie sich gegeneinander ausspielen ließen. In jedem Fall aber bleibt die Frage ausdrücklich aufzugreifen, ob sich nun das Problem der Konfessionalität der Kirche stillschweigend in Luft aufgelöst habe? Und diese Frage ist – um es gleich dazu zu sagen – mit einem entschiedenen „Nein“ zu beantworten, auch wenn es noch näher zu entfalten gilt, in welcher Weise Konfessionalität sinnvoll verstanden werden kann. Das ist ein zentrales Anliegen dieses Buches. Die Aufmerksamkeit der sechzehn Kapitel ist weniger auf die Gestalt des konkreten geschichtlichen Auftritts der Kirche als vielmehr auf die Bedeutung ihrer besonderen Begründung und Bestimmung gerichtet. Natürlich hängen die verschiedenen Perspektiven miteinander zusammen, aber sie konzentrieren sich doch auf unterschiedliche Blickrichtungen. Um den Anspruch der folgenden systematischen Erhellungen nicht zu überladen, wäre es im Blick auf dieses Buch wohl am angemessensten, von Prolegomena zur Ekklesiologie zu sprechen. Einerseits werden theologisch grundsätzliche Klärungen angesprochen und andererseits erheben diese nicht den Anspruch, eine vollständig durchbuchstabierte Ekklesiologie vorzutragen. Tatsächlich scheint es mir eine ernsthaft abzuwägende Frage zu sein, ob sich die Theologie im Blick auf die Ekklesiologie nicht überhaupt auf solche Prolegomena beschränken sollte. Als kritische Reflexion der aktuellen kirchlichen Praxis nimmt die Theologie die Kirche vornehmlich von den Grundsätzen aus in den Blick, von denen aus sich Kirche überhaupt erst verlässlich identifizieren lässt. Es sind eben solche Grundsätze wie sie in den Prolegomena bedacht werden. Jenseits der Prolegomena käme es dann darauf an, tatsächlich Kirche zu sein und sich nicht mit unablässigen Selbstklärungen stillzulegen, mit denen sich die Kirche immer wieder gern von ihrer tatsächlichen Bestimmung auf Abstand hält. Vielmehr präsentiert sie in ihrer Praxis die in ihr wirksame Ekklesiologie, d. h. erst in ihrer Praxis formiert sich ihre tatsächlich bestimmende Dogmatik. Die theologische Kritik der Praxis der

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14

Vorwort

Kirche ist im Horizont der Ekklesiologie die Kritik der in ihr tatsächlich wirksamen Dogmatik, und diese wird von der Theologie dadurch vollzogen, dass sie die kirchliche Praxis hinsichtlich ihrer Verbundenheit mit den essenziellen Voraussetzungen sowohl der Selbstentdeckung der Kirche als auch der Begründungsfähigkeit ihrer Orientierungen kritisch befragt. Sie verweist also die praktizierte Ekklesiologie auf die Prolegomena zur Ekklesiologie. Mit dieser Konzeptualisierung wird die unvergleichliche Angewiesenheit der praktizierten Lehre auf die von ihr möglichst konsequent in dem Blick zu haltenden spezifischen Voraussetzungen und Begründungsperspektiven markant unterstrichen. Damit soll aber keineswegs behauptet werden, dass das, was sich hier einigermaßen deutlich für die Ekklesiologie als sinnvoll erweist, sich auch auf andere Lehraspekte der Theologie übertragen ließe. Aber für die Ekklesiologie legt sich das Konzept einer „Doing Theology“, einer sich in ihrem praktischen Vollzug formierenden Theologie nahe, weil sich die Wahrnehmung der Freiheit, in die sie von ihrer Konstitution und Bestimmung, wie sie in den Prolegomena zur Ekklesiologie bedacht werden, hineingestellt ist, nur schwerlich in einer theologischen Lehre fassen lässt, selbst wenn sie ihren Anspruch auf Konkretion einigermaßen bescheiden halten sollte. Vielmehr gilt es, im Horizont der im Auge zu haltenden Sendung beherzt und entschlossen Kirche zu sein, anstatt sich unablässig mit kaum belebbaren und ständig neu anzupassenden Verallgemeinerungen zu beschäftigen, die sich auf eine Form konzentrieren, in der sie sich für überlebensfähig halten soll. Die Kirche kann dadurch zu der größten Gefährderin ihrer selbst werden, dass sie sich ständig selbst zu retten versucht, nicht selten mit einer eigens dazu instrumentalisierten Theologie. Sie betreibt damit zu einem keineswegs geringen Teil ihre eigene öffentliche Selbstwiderlegung. Die Kirche wird nicht daran bemessen, wie konform und modern sie sich der modernen Gesellschaft anbietet. Als Spiegel der jeweils herrschenden gesellschaftlichen Umstände bleibt sie hoffnungslos unterbestimmt. Ihre spezifische Bedeutung kommt erst mit der besonderen Botschaft in den Blick, für die sie steht und auf die sie mit ihrer Existenz aufmerksam zu machen versucht. Die Bekenntnisfrage mag sich geändert haben, aber die Kirche wird niemals darum herumkommen, sich zu vergegenwärtigen, dass es schließlich doch entscheidend auf ihr Bekenntnis ankommt, wenn sie mehr zu vertreten beansprucht als eine religiöse Begleitung des sich je seiner selbst vergewissernden Individuums und des doch vor allem zu akzeptierenden Status quo der globalen Dynamiken des Weltgeschehens. Und das Individuum kann sich – nebenbei bemerkt – genau genommen nur dann tatsächlich seiner selbst versichern, wenn es Gott eine Absage erteilt.1

1 Vgl. dazu mit Verweis auf Franz Overbeck Dieter Schellong: Es geht in der Theologie um unser Gottesverhältnis, 18.

Vorwort

Wenn sich die Kirchen nicht weiter in die zunehmende Redundanz ihres besonderen gesellschaftlichen Auftritts verflüchtigen wollen, werden sie sich daran zu erinnern haben, dass sie ihre Bestimmung vor allem in der Bezeugung und Verkündigung der ebenso heilsamen wie verheißungsvollen Zuwendung Gottes zu dem sich stets bestenfalls nur mit ambivalentem Erfolg selbst behauptenden Menschen haben. Sie haben sich auf die für alle Kirchen orientierende Sendung zu besinnen, durch welche sie alle Anteil bekommen an der die ganze Christenheit umfassenden einen Kirche. Indem sie den Menschen das ihnen immer schon bereits geltende und ihnen zugleich verheißene Handeln Gottes bezeugen, können sie sich in das Handeln Gottes in der einen weltweiten Kirche einbezogen wissen. Wo sie das nicht tun, agieren sie im eigenen Namen und lassen nicht nur Gott in seinem Handeln allein, sondern werden zu einem relativen Konkurrenten im allgemeinen Weltanschauungsgerangel. Die Kirchen sind also nicht per se oder schon gar nicht exklusiv das Medium des Handelns Gottes, sondern nur da, wo sie tatsächlich dem Handeln Gottes assistieren, denn da ereignet sich im qualifizierten Sinne Kirche. Dazu wird es notwendig bleiben, eben überhaupt ein Handeln Gottes vorauszusetzen und diesem auch so konsequent wie möglich entsprechen zu wollen. Indem es die vornehmste Aufgabe der Kirche ist, das Handeln Gottes zu bezeugen, wird sie sich selbst achtsam dazu angehalten sehen, dem Handeln Gottes nicht etwa durch Abzweigung eines Teils der Ehre Gottes auf ihre eigene Selbstdarstellung in den Weg zu treten. Es ist für die Kirche eine überaus empfindliche Angelegenheit, möglichst weitgehend die Übereinstimmung mit dem zu wahren, was sie tatsächlich zur Kirche macht. Sie wird stets Anlass dazu haben, selbstkritisch darüber nachzudenken. Das ist die Verlegenheit, welche keine Kirche jemals hinter sich lassen kann. Damit hängt ein implizit bereits von den bisherigen Überlegungen vorausgesetzter Umstand zusammen, den es auch ausdrücklich zu bedenken gilt. Wir sind ja nicht Mitglieder der einen weltweiten Kirche, so sehr wir uns dazu rechnen mögen, sondern immer Mitglieder in einer der vielen historischen Konfessionskirchen. Auch wenn es selbst im Bewusstsein von einigen Kirchenmitgliedern nicht mehr unmittelbar gegenwärtig zu sein scheint, gibt es eben nicht die Kirche, sondern immer nur diese oder jene verfasste Kirche. Kirche gibt es nicht an und für sich und so lässt sich auch nicht unabhängig von den vielen verfassten Kirchen treffend beschreiben, was denn angemessen unter Kirche oder unter Christentum zu verstehen ist. Gewiss verstehen sich alle Konfessionen von der „einen, heiligen, christlichen und apostolischen Kirche“ her, aber keine von ihnen kann für sich in Anspruch nehmen, diese Kirche zu sein. In diesem Sinne betonte 1950 die (im Übrigen eher als problematisch zu bewertende) Toronto-Erklärung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen mit dem ausdrücklichen Hinweis, dass auch Rom dieser Einsicht zustimme: „Die Mitgliedskirchen erkennen an, daß die Mitgliedschaft in der Kirche umfassender ist als die Mitgliedschaft in ihrer

15

16

Vorwort

eigenen Kirche.“2 Anders herum formuliert heißt das, dass jede tatsächlich existierende Kirche hinter dem zurückbleibt, was sie von der Kirche bekennt. Kirche ist grundsätzlich mehr als die jeweils verfasste Kirche. Faktisch sind wir aber eben immer Mitglieder einer verfassten Kirche. Wenn dies in der Ökumene gemeinsam statuiert wird, bleibt aber auch zu realisieren, dass der gemeinsam annoncierte Umstand in den verschiedenen Kirchen recht unterschiedlich beschrieben und verstanden wird, aber das steht auf einem anderen Blatt. Wenn es zutrifft, dass es Kirche nur konfessionell gibt, wird damit zugleich eingestanden, dass auch die Theologie immer mit einer konfessionellen Prägung einhergeht. Als eine Anstrengung, in der sich die Kirche über ihr Reden und Tun selbstkritisch Rechenschaft ablegt, hat die Theologie grundsätzlich Anteil an den konfessionellen Besonderheiten der jeweiligen Kirche, was ja nicht ausschließt, dass sie auch Elemente ihrer eigenen Tradition kritisch betrachtet oder gar ablehnt. Solange die Theologie im Kontakt mit einer geschichtlichen Kirche betrieben wird, partizipiert sie unweigerlich auch an der konfessionellen Prägung dieser Kirche. Die entscheidende an dieser Stelle zu stellende Frage ist nicht die Frage nach der Einwilligung in diesen Umstand, sondern die Frage, wie sie mit diesem umgeht. Die schlechteste Antwort, die sie auf diese Frage geben könnte, wäre wohl in der Auskunft gegeben, dass es ihre Aufgabe und ihr Ziel sei, die jeweilige Tradition zu wahren und gegen ihre Nivellierung zu verteidigen. Die Theologie wird nicht einfach die tatsächliche Konfessionalisierung begrüßen können, auch wenn sie ihr ebenso wenig zu entkommen vermag. Wenn diese Prolegomena zur Ekklesiologie in einer reformatorischen und insbesondere reformierten Perspektive verfasst sind, so ist es nicht ihr Anliegen, die reformierte Tradition zu verteidigen. Es kann nicht darum gehen, mit einem bestimmten Trikot in die theologischen Auseinandersetzungen zu gehen, um das eigene Trikot möglichst unversehrt bis zum Ende durchzubringen. Das reformierte Trikot verweist vielmehr allein auf einige charakteristische Elemente der mitgebrachten Prägung, aus der heraus der Verfasser zu seinen sachlichen Einschätzungen und Zugangsweisen zu einer begründeten Bearbeitung theologischer Fragen kommt. Recht verstanden sollte die konfessionelle Prägung nicht mehr als eine in der eigenen Kirche bereits mit einem gewissen Erfolg erprobte Zugangsweise zu einer theologischen Fragestellung sein, die dann aber selbst je aktuell zu bearbeiten ist und dabei immer auch die mitgebrachte konfessionelle Prägung kritisch zu befragen und eben neu zu evaluieren hat. Diese Prolegomena zur Ekklesiologie folgen einer reformatorischen und insbesondere reformierten Perspektive und konzentrieren sich auf das der reformatorischen Theologie zugehörige reformierte Selbstverständnis der Kirche, ohne das

2 In: Die Einheit der Kirche, 257.

Vorwort

weite Feld der ökumenischen Herausforderungen direkt zu betreten. Es ist geplant, dass die ökumenischen Konsequenzen und Konkretionen in einem bald folgenden weiteren Band zur Diskussion gestellt werden sollen. Aber es liegt in der Natur insbesondere des reformierten Zugangs, dass in allen substanziellen Elementen der Ekklesiologie immer auch die ökumenische Dimension deutlich erkennbar in unmittelbarer Sichtweite steht und deshalb auch schon in diesem ersten Band nicht ganz ausgeblendet werden kann. Die meisten Kapitel dieses Bandes wurden bereits als Einzelstudien publiziert. Das bringt den Vorteil mit sich, dass sie je für sich verständlich sein sollten, und zugleich den Nachteil, dass es gelegentlich zu Doppellungen kommt, da sich die Bedeutung einiger zentraler Einsichten in unterschiedlichen Zusammenhängen auswirkt, so dass erneut auf sie Bezug genommen wird. Das Gesamtkonzept spiegelt sich in den drei Hauptteilen, deren einzelne Kapitel jeweils durch eine kurze Einführung redaktionell auf ihren Zusammenhang hin markiert werden. Die Anmerkungen verweisen auf ein für alle Kapitel gemeinsames Quellen- und Literaturverzeichnis. Alle bereits publizierten Beiträge wurden erneut durchgesehen und in unterschiedlicher Intensität überarbeitet. Es entspricht der Internationalität der Reihe „Forschungen zur reformierten Theologie“, wenn die ursprünglich auf Englisch publizierten Beiträge nun auch in diesem Band auf Englisch erscheinen. Es gibt aber auch Kapitel, die auf Deutsch abgedruckt sind, zu denen es auch eine englische Fassung gibt, auf die dann in der ersten Anmerkung ausdrücklich hingewiesen wird. Für die Ermutigung zu diesem Projekt danke ich den beiden Mitherausgebern dieser Reihe, den geschätzten Kollegen und Freunden Marco Hofheinz und Georg Plasger. Für zuverlässige Beratung und professionelle Begleitung von Seiten des Verlags gilt mein Dank besonders Jörg Persch, Jehona Kicaj und Miriam Espenhain. Für die mühevolle und ebenso entsagungsvolle Unterstützung beim Korrekturlesen danke ich meiner Frau, Rosemarie Weinrich, die sich immer wieder ein wenig darüber wundert, dass es auch bei einigermaßen klar erscheinenden Problemkonstellationen so vieler Worte und teilweise komplizierter Gedankenverschränkungen bedarf. Schließlich haben die Karl Barth-Gesellschaft und die Lippische Landeskirche diese Publikation mit einem Druckkostenzuschuss unterstützt, wofür beiden ebenfalls verbindlich gedankt sei. Möglichweise scheint ein erheblicher Teil meiner Überlegungen heute ein wenig aus der Zeit gefallen zu sein. Für die Theologie bleibt aber grundlegend zu bedenken, dass es bleibend und entscheidend darauf ankommt, welchen Referenzen sie für ihre Wahrnehmungen den Vorrang gibt. Bezieht sie sich auf das allgemeine Gegenwartsbewusstsein und die jeweils vorherrschenden Einschätzungen und Wahrnehmungen, von deren Debatten sie sich die Tagesordnung vorgeben lässt, oder tritt sie in erster Linie deshalb auf den Plan, weil sie dem Bekenntnis der Kirche zu dem sie ansprechenden Gott zu einer möglichst adäquaten Artikulation und

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Vorwort

eben einem gegenwartserschließenden Verständnis verhelfen soll. Sie geht nicht davon aus, dass wir immer schon wissen, was es heute zu sagen gilt, sondern eben davon, dass es im Entscheidenden darum geht, sich etwas gesagt sein zu lassen, um erst dann und von da aus unsere Wahrnehmungen und Einschätzungen zu diskutieren. Sie ist keine Inszenierung von je aktuellen Überzeugungen, die sich um die Intensivierung ihres Einflusses bemühen, sondern der respektvolle Versuch, dem christlichen Glaubenszeugnis von der unsere Wirklichkeit orientierenden Lebendigkeit Gottes zu einem möglichst angemessenen Verständnis und einer aktuellen Artikulation zu verhelfen. Natürlich bleibt sofort einzuräumen, dass bei genauerem Hinsehen diese Alternative zu simpel ist und bestenfalls einen Aspekt der theologischen Herausforderung trifft, aber sie spricht doch einen Fundamentalaspekt an, der für die Theologie auf eine Grundlagenentscheidung verweist, die prägend den Charakter all ihrer Bemühungen bestimmt und deshalb auch bewusst zu vollziehen ist. Zweifellos sind stets beide Dimensionen dieser stilisierten Alternative zu bedenken und zusammenzuhalten, aber nur wenn immer wieder neu dem Vorrang der Wirklichkeit Gottes die entscheidende Regie freigehalten wird, wird sie tatsächlich etwas Besonderes zu sagen haben. Es kann auch zugespitzter gesagt werden: Nur wenn es in der Theologie vorrangig um Gott und seine lebendige Koexistenz mit seiner Schöpfung und insbesondere dem Menschen geht, kommen auch unsere Einsichten über den Menschen und seine Lebenswirklichkeit in die rechte Perspektive. Dies fundamental und konsequenzenreich für das Leben der Kirche wahrzunehmen, ist das zentrale Anliegen dieses Buches.

Teil I Fundamentalorientierungen

Es liegt auf der Hand, mit einem grundlegenden Teil zu beginnen, in dem die orientierenden Zugänge zur Ekklesiologie und die sich daraus ergebenden Perspektiven bedacht werden. Wenn von der Kirche gesprochen wird, wird kaum jemand zuerst an ein traditionell durch seinen Turm besonders charakterisiertes Gebäude denken, auch wenn der Begriff Kirche in diesem Zusammenhang als vergleichsweise eindeutig gelten kann. Vielmehr wird er wohl eher mit der weltweiten Religionsgemeinschaft der Christen in Verbindung gebracht, wo sich dann bei genauerem Hinsehen schnell zeigt, dass er durchaus in unterschiedlicher Weise gebraucht wird, je nachdem, ob er die Christenheit insgesamt in den Blick nimmt oder ihre konfessionelle Zergliederung oder aber die von ihr zu vernehmende Botschaft, um nur drei unter weiteren Möglichkeiten zu nennen. Gemeinsam ist den verschiedenen Perspektiven, dass sie in jedem Fall ihre entscheidende Bestimmung im christlichen Glauben haben, dessen irdisch-geschichtliche Darstellung sich offenkundig in höchst unterschiedlicher Weise identifizieren lässt. Auch die Kirche selbst hat es bereits von ihren Anfängen an als ein Problem empfunden, was nun genau mit dem Begriff Kirche zu bezeichnen ist, wie sie auch die Notwendigkeit anerkannt hat, immer wieder so genau wie möglich, aber auch so offen wie nötig formulieren zu müssen, wie angemessen mit dem Verständnis der Kirche umzugehen ist. Die entscheidende Spannung, die dabei zu bedenken ist, liegt in der unabstellbaren Differenz zwischen dem Anspruch der Kirche und ihrem tatsächlichen geschichtlichen Auftritt. Steht die verfasste Kirche für die Verifikation ihrer Botschaft oder konstituiert die Botschaft ihrerseits eine Gemeinschaft des Glaubens, die als solche nicht einfach von der verfassten Kirche abgebildet wird. Es erweist sich offenkundig als notwendig, Differenzierungen in das Verständnis der Kirche einzuführen, die eine schlichte Identifikation der Kirche mit ihrer verfassten Gestalt verhindern. Da wird etwa von der wahren Kirche gesprochen, zu welcher der Glaube in Verbindung steht. Es wird aber schnell deutlich, damit allein noch nicht das Problem hinter sich zu haben, denn es wäre wohl eine absurde Vorstellung, diese wahre Kirche ganz und gar von der verfassten abzuheben, so dass es gelingen muss, eine Verbundenheit auch mit der verfassten Kirche zu denken, mit der sich die verfasste Kirche weder übernimmt noch in Bedeutungslosigkeit egalisiert. In diesem Sinne beginnen unsere Überlegungen im ersten Teil mit der Frage: Welche Kirche meinen wir? Für den Protestantismus ist nichts ebenso kennzeichnend wie seine alle anderen Einlassungen überragende Bindung an die Bibel als das maßgebliche Zeugnis von

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Teil I Fundamentalorientierungen

der Offenbarung Gottes und damit die entscheidende Orientierungsquelle sowohl für die Selbstvergewisserung des Glaubens als auch für die Gestalt und Gestaltung der Kirche in allen Bereichen ihres geschichtlichen Handelns (Kap. 2). Das reformatorische „sola scriptura“ verweist nicht nur auf den unversöhnlichen Konflikt im frühen 16. Jahrhundert, aus dem dann der Protestantismus in seinen bald auch unterschiedlichen Erscheinungsweisen hervorgegangen ist, sondern es steht zugleich bis heute für das seine unterschiedlichen Prägungen übergreifende Merkmal seiner weltweit ausgebreiteten Konfessionsfamilie. Die prinzipielle Überordnung des biblischen Zeugnisses bezeichnet also sowohl seinen historischen Ursprung als auch seine bleibende qualitative Bestimmung, die auch angesichts der inzwischen in den anderen Konfessionsfamilien im Grundsatz anerkannten Höchstgeltung des biblischen Zeugnisses keineswegs ihre spezifische Brisanz verloren hat. Erst bei näherem Hinsehen zeigen sich die im Auge zuhaltenden Grenzziehungen des reformatorischen „sola scriptura“ und die mit ihnen einhergehenden Selbstverpflichtungen wie auch die von ihnen ermöglichten Freiheiten. Es sind diese im Zuge der Geschichte auch immer wieder zu justierenden Differenzierungen, die es erforderlich machen, dass sich auch der Protestantismus selbst dem ihn ausmachenden Schriftprinzip immer wieder neu zu stellen hat. Die Grenzmarkierungen sind keineswegs automatisch mit der Reklamation der Höchstgeltung der Schrift verbunden und haben ebenso in der Ökumene wie in der neueren Geschichte des Protestantismus auch kontroverse Diskussionen ausgelöst. Es handelt sich keineswegs um ein starres und unbewegliches Prinzip, sondern um eine immer wieder zu vergewissernde Leseanleitung, deren Treffsicherheit immer wieder gewissen Modifikationen im Horizont von sich verändernden exegetischen Einsichten und systematischen Bewertungen unterliegt. Angesichts des Umstandes, dass wir in jüngerer Zeit auch in der evangelischen Theologie vermehrt auf grundsätzliche Infragestellungen der Bindungskraft des reformatorischen Schriftprinzips stoßen, wird die Frage nach seiner aktuellen Bedeutung zu stellen sein. Aus meiner Sicht steht damit allerdings nichts Geringes als die Überlebensfähigkeit des Protestantismus als solchen zur Debatte. Es entspricht der Zentralität dieser Frage, dass das Verhältnis von Kirche und Schrift gleich im zweiten Kapitel zur Sprache gebracht wird. Es ist die bleibende Differenz von wahrer und verfasster Kirche, die auch dem Reformbedarf der verfassten Kirche seine Permanenz auferlegt. Das „semper reformanda“ verlangt von der Kirche eine essenzielle Offenheit, in der sie sich vor allem selbst immer wieder neu als Hörerin der von ihr zu bezeugenden Botschaft versteht. Die dieser Offenheit entsprechende Selbstrelativierung bedarf zugleich eines ebenso konstruktiven wie selbstkritischen Umgangs mit ihrer eigenen Weltlichkeit, in der sie mit der sie umgebenden Welt in essenzieller Weise solidarisch bleibt (Kap. 3). Es gehört zu der Besonderheit der Kirche, dass sie substanziell mit der Geschichte Israels verknüpft ist (Kap.4). Dabei ist die Geschichte Israels nicht nur

Teil I Fundamentalorientierungen

eine Voraussetzung der Geschichte der Kirche, sondern eben auch ihre bleibende Herausforderung bei der Bestimmung des besonderen Charakters ihrer Sendung, deren Universalitätsanspruch in der die Treue Gottes einzigartig bezeugenden in Kraft stehenden Erwählung auch des nicht an Christus glaubenden Israel eine spezifische und als solche im Blick auf ihr Selbstverständnis eigens zu bedenkende Grenze hat. Insbesondere wird diese in der Selbstwahrnehmung der Kirche als Volk Gottes eine grundlegende Bedeutung zu spielen haben. Alle gebotenen und auch bereits vollzogenen Erneuerungen des Verhältnisses zwischen der Kirche und dem Judentum, wie sie in vielen Kirchen seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts angegangen wurden, gehen ins Leere, wenn die an dieser Stelle notwendige theologische Neujustierung nicht tatsächlich entschlossen und konsequent genug vollzogen wird. Deshalb gehört eine problembewusste Einbeziehung Israels in die Ekklesiologie bereits zu den Fundamentalorientierungen der Kirche, ohne welche sie die Ausrichtung ihrer spezifischen Sendung nur missverstehen könnte. Die reformatorische Tradition hebt gern und ebenso offensiv ihre spezifische Ausrichtung auf die Freiheit hervor, welcher nach allgemeiner Einschätzung auch die neuzeitliche Freiheitsgeschichte entscheidende Impulse verdanke. Da es allerdings inzwischen beinahe flächendeckend üblich geworden ist, seine spezifischen Interessen über den mit ihnen verbundenen Freiheitsgewinn zu bewerben, ist die Freiheit zu einem einigermaßen unscharfen und durchaus auch ambivalenten Begriff verwässert, der sich mit sehr unterschiedlichen Perspektiven verbunden hat. Auch das große aufklärerische Freiheitsprojekt der Neuzeit ist mit einer zumindest ambivalenten Wirkungsgeschichte verbunden. Es ist also geboten, sich genauer Rechenschaft darüber abzulegen, was gemeint sein könnte, wenn im Horizont der Kirche von Freiheit gesprochen wird (Kap. 5). Dabei legt es sich nahe, den vom christlichen Bekenntnis aus angemessenen Charakter des Freiheitsverständnisses eben in seiner Unterscheidung von anderen Perspektiven, deren Einfluss durchaus verbreiteter ist, zu bestimmen. Nur dann kann es theologisch sinnvoll sein, in theologisch ausgewiesener Weise von der Kirche als einer „Kirche der Freiheit“ zu sprechen.

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1.

Welche Kirche meinen wir?

Die Theologie und die verfasste Kirche1 Am zweiten Tag der Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Nürnberg 2002 saß ich zum Frühstück zusammen mit einem mir bereits recht gut bekannten kirchenleitenden Verantwortungsträger. Im Gespräch kamen wir auf die seinerzeit angelaufenen konzeptionellen Überlegungen zu einem Sammelband über das Thema ‚Kirche‘ zu sprechen. Als ich ihm den Titel nannte – „Bloß ein Amt und keine Meinung? – Kirche“ –, war seine spontane Reaktion, dass es uns Herausgebern ähnlich wie den meisten, die sich heute öffentlich mit der Kirche befassen, wohl auch um das allseits negativ gezeichnete Bild von der Kirche gehe. Bisweilen falle es ihm ein wenig schwer, in der Kirche immer wieder gegen die Theologievergessenheit aufzutreten, während es gleichzeitig auch von der Theologie in der Regel nur zu hören gibt, wie höchst problematisch, wenn nicht gar anstößig die real existierende Kirche doch sei. Er wolle nicht missverstanden werden: Es ist durchaus anerkannt, dass die Kritik der Kirche zu den wesentlichen Aufgaben der Theologie gehöre, aber erliegt die Theologie nicht bisweilen der Neigung, mehr den außenstehenden notorischen Kirchenkritikern in die Hände zu spielen als mit ihren Beiträgen die Kirche in ihren unbestreitbaren Defiziten und Schwächen mit einer tatsächlich aufhelfenden Kritik zu begleiten? Und er spitzte es dann noch ein wenig zu – die Formulierungen erinnere ich nicht genau: Offenkundig erscheine es der Theologie opportuner, die Kirche – wenn sie denn überhaupt in den Blick genommen werde – ihrerseits mehr von außen zu vergegenständlichen als eben aus ihrer Existenz heraus zu reflektieren. Da ich mich selbst zu denjenigen zähle, für die das gesellschaftliche Subjekt der Theologie die Kirche ist – und zwar im konkret konfessionellen Sinne –, sind mir die Bemerkungen meines geschätzten Gesprächspartners, die wir dann in der natürlichen Eile eines Frühstücks vor einem übervollen Tag nicht weiter vertiefen konnten, immer wieder nachgegangen, besonders aber dann, als ich schließlich begann, diesen Beitrag für eben diesen geplanten Sammelband zu konzipieren. Dabei stand für mich nicht im Vordergrund, dass ich mich nicht verstanden gefühlt hätte in dem, was ich bisher zur theologischen Selbstkritik der Kirche geschrieben habe. Ebenso wenig hat mich etwa der Eindruck beschlichen, dass es das besondere Amt gewesen sein könnte, das meinem Gesprächspartner die kritischen Worte in den Mund gelegt hat. Vielmehr hatte er ein Missverhältnis zwischen der Relativität

1 Erste Fassung in: Jürgen Ebach, Hans-Martin Gutmann, Magdalene Frettlöh u. Michael Weinrich (Hg.), Bloß ein Amt und keine Meinung? – Kirche (Jabboq 4), Gütersloh 2003, 214–272.

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der konkreten kirchlichen Gegebenheiten und der Grundsätzlichkeit der Theologie angesprochen, das ganz und gar zu Lasten der Wahrnehmung der kirchlichen Wirklichkeit zu gehen scheint. Da dieses Missverhältnis niemals kritisch thematisiert wird, präsentiert es sich als Normalzustand, der dadurch gekennzeichnet ist, dass die real existierenden Kirchen keine andere Wahl haben als eben als die mehr oder weniger grundsätzlich missglückten Verwirklichungsgestalten einer an sich guten ‚Idee‘ bzw. in sich richtigen Theologie dazustehen. Es bleibt eine fundamentale Differenz – in diese Richtung habe ich meinen Gesprächspartner verstanden –, ob die Aufgabe der Theologie in der Kritik der Kirche oder in der Selbstkritik der Kirche zu sehen ist. Da gibt es einen ebenso feinen wie entscheidenden Unterschied zu bedenken, dessen leicht unterlaufende Überspielung zu dem angesprochenen Missverhältnis führt. Gewiss begibt man sich mit dieser Frage im Horizont des Protestantismus auf einen äußerst unsicheren Boden,2 aber der Hinweis auf die vielen Einbruchstellen, mit denen hier zu rechnen ist, kann noch keinen ausreichenden Grund dafür liefern, dass die Theologie der verfassten Kirche eine ernstzunehmende theologische Wahrnehmung verweigert. Wenn es auf der einen Seite unstrittig ist, dass die Theologie nicht zu einem willfährigen Legitimationslieferanten für die jeweils vorgängige kirchliche Praxis verkommen darf, sollte auf der anderen Seite zumindest der Versuch anerkannt werden, die Theologie auf ihr Verhältnis zu der verfassten Kirche anzusprechen, für deren theologische Inhalte und Äußerungsformen sie sich in ihrer wissenschaftlichen Arbeit zumindest mitverantwortlich fühlt. So ergibt sich die provozierende Frage: Gibt es auch für den Protestantismus eine begründbare Veranlassung, die historisch überkommene Kirche ausdrücklich anzuerkennen und diese in ebenso achtsamer wie respektvoller Teilnahme im Blick zu halten? Wie weit geht die von der Reformation vollzogene theologische Ernüchterung gegenüber der verfassten Kirche? Verordnet sie nicht geradezu den Rückzug auf eine theologisch gereinigte Kirche, die als solche natürlich niemals sichtbar sein kann, während sie gleichzeitig die verfasste Kirche so restlos profanisiert, so dass sie für ihre theologische Selbstvergewisserung mehr oder weniger konsequent ausgeblendet werden kann und bestenfalls für die gelebte Frömmigkeit eine Rolle beanspruchen kann? Mit drei Gedankenbögen möchte ich mich dieser Frage annähern und dabei von Überlegungen und Lösungen Gebrauch machen, mit denen sich die theologische Tradition zu dieser Frage bereits verhalten hat:

2 Im Folgenden kommt vornehmlich die protestantische Perspektive in Betracht. Für die römischkatholische Theologie stellt sich die Frage unter anderen Voraussetzungen, die sich nicht nebenbei erörtern lassen. Sie wird in ökumenisch anregender Weise aufgegriffen und erörtert von Norbert Mette, Römisch-katholisch – unveränderliches System oder offener Suchprozess?

Welche Kirche meinen wir?

1. Das, was geschichtlich als Kirche in Erscheinung tritt, ist – ganz gleich aus welcher Perspektive es betrachtet wird – ein ambivalentes Phänomen. Es lässt sich vom Betrachter nicht entscheiden, was dort aus vollkommener Überzeugung oder eben aus Heuchelei getan wird. Ebenso ist es offenkundig, dass längst nicht alle Anstrengungen der Förderung des Glaubens und der von ihm begründeten Gemeinschaft, sondern eben auch – möglichst in geistlicher Verpackung – ganz anderen Interessen und Ambitionen dienen. Wir werden hier an den auf Augustin zurückweisenden differenzierten Kirchenbegriff erinnert, nach dem die Kirche – gemeint ist konkrete geschichtlich verfasste Kirche – als ein corpus permixtum in Erscheinung tritt, der zumindest eine zweifache Betrachtungsweise erforderlich macht. Es ist uns nach diesem Verständnis nicht möglich, irgendwelche Verwirklichungsformen der Kirche als die wahre Kirche zu identifizieren, so wie es uns umgekehrt nicht ansteht, auf wahrgenommene Mängel oder gar Irrtümer mit genereller Verdammung der verfassten Kirche zu reagieren. 2. Die befriedende und integrative Bedeutung des differenzierten Kirchenbegriffs hat sich jedoch nicht als ausreichend widerstandsfähig gegenüber zwei in ihm liegende Anfälligkeiten erwiesen. Schon die Alte Kirche kannte die Unterscheidung zwischen der unsichtbaren und der sichtbaren (Dimension der) Kirche, auch wenn beide im Laufe der Geschichte durchaus unterschiedlich verstanden wurden. Offenkundig gibt es keine in sich stimmige, dauerhafte Verhältnisbestimmung beider Seiten zueinander, so dass die Unterscheidung eine breite Varianz zulässt. Zwei Anfälligkeiten liegen auf der Hand. Einmal kann die angesprochene Zurückhaltung gegenüber konkreten Identifikationen in Vergessenheit geraten, so dass der Neigung zur Identifikation der Kirche mit ihrer sichtbaren Gestalt zu viel Raum gegeben wird. In der Abweisung dieser Neigung liegt ein Grundmotiv der reformatorischen Ekklesiologie in ihrer Betonung der verborgenen Kirche, wie sie insbesondere von Luther vorgenommen wurde. 3. Die andere Anfälligkeit des differenzierten Kirchenbegriffs liegt genau in der umgekehrten Neigung, nämlich die Kirche gleichsam zu verflüchtigen in die Reinheit einer abstrakten Idee, welche die wahre Kirche vollkommen von der geschichtlich verfassten Christenheit abhebt und isoliert. Wenn Calvin gegen jeden ekklesiologischen Doketismus in besonderer Weise wieder auch die Sichtbarkeit der Kirche hervorhob, wird darauf zu achten sein, welches Verständnis von Sichtbarkeit ihm dabei vor Augen gestanden hat und welche Bedeutung dem Glauben im Blick auf die betonte Sichtbarkeit zukommt. Immerhin galt ihm auch die Rede von der unsichtbaren Kirche als theologisch unverzichtbar. Im Anschluss an diese drei theologiegeschichtlich ausgerichteten Gedankenbögen soll schließlich der Versuch unternommen werden, auf die im Titel dieses Beitrages gestellte Frage zu antworten. Es wird kaum mit einer alle Unklarheiten ausräumen-

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Welche Kirche meinen wir?

den Antwort zu rechnen sein, aber es sollten sich doch eine Reihe von benennbaren Aspekten ergeben haben, die in einer theologisch verantwortlichen Weise einen Blick auf die verfasste Kirche ermöglichen, der sich nicht allein in begründeten Distanzierungen erschöpft.

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Die Kirche als ‚corpus permixtum‘

Das Problem ist beinahe so alt wie die Kirche selbst. Spätestens als im 4. Jh. die allgemeine Skepsis gegenüber dieser vom Judentum abgespalteten Sekte zur weichen begann und die Kirche zu einer gesellschaftlich anerkannten Größe wurde, kam das Problem auf die Tagesordnung, ob die Kirche überall dort, wo sie in Erscheinung trete, ein angemessenes Bild von dem abgebe, was der christliche Glaube Kirche nennt. Von Anfang an wurde die verfasste Kirche von Unzufriedenheit, Enttäuschung und Frustration begleitet, die sich nicht selten auch in einer harschen Kirchenkritik Luft machten. Schon Paulus beklagte sich über die mangelnde Stimmigkeit von Glauben und Leben in den Gemeinden. Er erinnerte sie an den sie tragenden Grund und ermahnte sie gerade in ihrer Vielfalt zu Gemeinschaftlichkeit und Treue (1Kor 12; Eph 4), die sich auch im Umgang miteinander niederzuschlagen habe, aber er sprach ihnen an keiner Stelle ihr „Kirchesein“ ab. Nachdem das Christentum unter Theodosius d. Gr. zur offiziellen Staatsreligion des römischen Reiches erklärt worden war (380) und schon bald die Mehrheit der gesamten Bevölkerung repräsentierte, setzte sich Augustin um die Wende des 4. zum 5. Jh. herum mit der Frage nach der Dignität der verfassten Kirche auseinander. Die Kirche war mehr und mehr zu einer Art ‚Volkskirche‘ angewachsen und hatte im Zuge des vermehrten Eindringens diverser Elemente der überkommenen Volksfrömmigkeit „eine gewisse Paganisierung“3 zu verkraften. Hinzu kam die beschleunigte Institutionalisierung der Kirche, die ebenfalls keineswegs nur theologischen Gesichtspunkten folgen konnte. Die Kirche wurde zum ersten Mal substanziell mit der nicht einfach aufzulösenden Spannung zwischen ihrem Anspruch und ihrer faktischen Gestalt konfrontiert, die sie seitdem nicht mehr losgelassen hat und somit auch heute noch auf der Tagesordnung von Theologie und Kirche steht. Ein wichtiger Grund für die gesuchte Klärung eines angemessenen Verständnisses der verfassten Kirche lag in der sich bereits seit einem Jahrhundert hinschleppenden Auseinandersetzung mit den später so genannten Donatisten, in die sich Augustin zu Beginn des 5. Jh.s entschieden und mit aller Konsequenz einschaltete. Die Donatisten hatten sich 311/12 (Datierung nicht ganz sicher) anlässlich der Bischofsweihe des als Verräter eingeschätzten Diakons Caecilian von der Großkirche

3 Kurt Aland, Geschichte der Christenheit, Bd. I, 201.

Die Kirche als ‚corpus permixtum‘

abgespalten, weil diese eine zu laxe Observanz insbesondere gegenüber der Sittlichkeit des Klerus walten lasse und damit die Wirksamkeit des kirchlichen Handelns – im Zentrum der Aufmerksamkeit standen die Sakramente – zumindest einschränke, wenn nicht gar ganz gefährde. Sie beanspruchten im Laufe der Auseinandersetzungen die wahre, weil ‚reine‘ Kirche „ohne Flecken und Runzeln“ (Eph 5,27) zu sein, während sie in der römischen Toleranz das erfolgreiche Wirken des Antichristen witterten.4 Dabei rückten sie die Heiligkeit der Kirche in den Vordergrund und rechneten – noch im Schatten der Christenverfolgung unter Diokletian (303–305) – die Bedrängnis der Kirche zu ihren Wesensmerkmalen. In ihrem essenziellen Gegensatz zum diabolischen Reich der Welt stelle die Kirche das Reich Gottes dar.5 Die Einzelheiten dieser Auseinandersetzung mit den Donatisten, die nach dem als einflussreich eingeschätzten Bischof Donatus von Karthago benannt wurden, der bald nach dem Schisma zum Wortführer der abgespaltenen rigoristischen Kirche wurde (gest. 355), müssen uns hier nicht interessieren, ebenso wenig wie die mit ihnen verquickten soziologischen Beweggründe.6 Augustin hob gegen die Donatisten das zentrale Moment der universalen Einheit der Kirche als Ausdruck ihrer Heiligkeit hervor und verteidigte die eine und einzige katholische Kirche gegen den Purismus und Rigorismus der Donatisten. Dabei trug er Überlegungen vor, die auch unabhängig von ihren spezifischen Begründungszusammenhängen im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder aufgegriffen wurden und heute noch – auch für Protestanten – ein plausibles Argumentationspotential enthalten. Im Zentrum stand die Frage nach der wahren Kirche. Der Konflikt entzündete sich im Kern an der Frage, ob sich die Wahrheit der Kirche an ihrer geschichtlichen Gestalt gleichsam demonstrieren lasse, wie es die Donatisten für sich in Anspruch nahmen. Augustin sah dagegen die Kirche nicht bereits an ihrem Ziel, sondern auf der Wanderschaft zu ihrer eschatologischen Reinigung entsprechend dem Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24–30), nach dem „der Herr [das Unkraut] wachsen läßt zugleich mit dem Weizen bis zur Ernte; ‚die Ernte‘ aber, so erklärt das Gleichnis der Herr, ‚ist das Ende der Weltzeit […]‘.“7 Um des hohen Gutes der Einheit willen ertrage es die eine wahre Kirche, dass es sich unter den Gliedern der

4 Vgl. Henry Chadwick, Augustin, 83. 5 So der Donatist Tyconius, auf den die Lehre von den zwei Staaten (Reichen bzw. Bürgerschaften) zurückgeht, mit der sich Augustin in seinem großen Werk ‚De civitate dei‘ auseinandergesetzt hat. 6 Vgl. dazu Bernhard Kriegbaum, Kirche der Traditoren oder Kirche der Märtyrer?; Hans von Campenhausen, Lateinische Kirchenväter, 185–194; Chadwick, Augustin, 81ff; Ernst Benz, Augustins Lehre von der Kirche, 24–26. Susanne Hausamann hebt besonders die nichttheologischen Faktoren hervor und sieht den Ausbruch des Konflikts vor allem in politischen Spannungen begründet; erst später seien dann auch theologische Differenzen dazugekommen; vgl. Alte Kirche, Bd. 3, 399–415. 7 De civitate dei XX, 9 zit. n. BKV Bd. 28, Kempten/München 1916, 286.

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Kirche derzeitig nicht klar entscheiden lasse, wer das ewige Heil erlangen werde und wer nicht.8 Wie Augustin in einem Brief formuliert, ist es die Pflicht der Kirche, auch „die Bösen […] um der Einheit willen mit größtmöglicher Geduld [zu] ertragen; sonst könnten wir, wie Christus sagt, auch den Weizen entwurzeln […]. Laß uns also die Arche erkennen, die ein Vorbild der Kirche war; miteinander wollen wir in ihr reine Tiere sein, aber auch nichts dagegen haben, daß mit uns in ihr sich bis zum Ende der Welt auch unreine Tiere befinden. Wohl befanden sie sich auch in der Arche, doch brachte Noë nicht etwa auch von ihnen dem Herrn ein Opfer des Wohlgeruches. Auch verließen die Reinen nicht etwa wegen der Unreinen vor der Zeit die Arche.“9

Wenn man nicht umkommen will, muss man in der Arche bleiben, auch wenn einem dort manches ‚stinken‘ mag. Im Zentrum des kirchlichen Lebens habe die auf Christus blickende einheitsfördernde ‚caritas‘ – die sich gegenseitig tragende Liebe – zu stehen. Wer die Einheit der Kirche nicht wahrt, könne sich nicht auf die Liebe Gottes berufen.10 Angesichts der offenkundig unausräumbaren Zersplitterung der Menschen und Staaten untereinander sei das Wunder der Einheit der Kirche ein deutlicher Hinweis darauf, dass die Kirche nicht ein menschliches Gebilde, sondern das Werk des Heiligen Geistes sei. Das entscheidende theologische Argument ist m. E. jedoch darin zu sehen, dass Augustin daran gelegen ist, Christus selbst die Urheberschaft und Wirksamkeit der Gnade zu überlassen und diese nicht in die Verfügung menschlicher Beurteilungen zu nehmen. Das auf sich selbst bezogene kirchliche Reinheitsbedürfnis schmälert unweigerlich das auf den auferstandenen und somit lebendigen Christus gesetzte Vertrauen. Und in umgekehrter Perspektive darf die schlichte Kirchenzugehörigkeit nicht einfach als Teilhabe am Heil verstanden werden, denn das Heil würde dann unweigerlich zu einem Resultat menschlicher Entscheidungen. Damit sind die entscheidenden Voraussetzungen für den ‚differenzierten Kirchenbegriff ‘ von Augustin angedeutet.11 Zwar galt mit Irenäus von Lyon und Cyprian von Karthago 8 Augustin argumentiert hier in grundsätzlicher Übereinstimmung mit den Donatisten mit der Vorstellung der göttlichen Erwählung (Prädestination) (vgl. De civitate dei XV, 1 u. XX, 15), die aber in der Hand Gottes bleiben müsse und nicht in die Verfügung der Kirche genommen werden dürfe. 9 Zweiter Brief an Macrobius (409), zit. n. BKV Bd. 29, München 1917, 446 u. 447. 10 De baptismo 3,21. 11 In missverständlicher Weise ist immer wieder – insbesondere von protestantischen Interpreten Augustins – von einem „doppelten Kirchenbegriff “ gesprochen worden (vgl. Hermann Reuter, Augustinische Studien [Die Kirche ist sichtbare Heilsanstalt und unsichtbarer coetus electorum]), der zudem noch sachlich unausgereift bzw. in sich widersprüchlich sei (vgl. u. a. Friedrich Loofs, Leitfaden zum Studium der Dogmengeschichte, 369ff; Adolf von Harnack, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 3, 141ff; Reinhold Seeberg, Lehrbuch der Dogmengeschichte, Bd. 2, 437ff;

Die Kirche als ‚corpus permixtum‘

auch für Augustin, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gebe,12 aber die Mitgliedschaft in der Kirche kann nicht mit einer Heilsgarantie verknüpft werden, so puristisch und asketisch sie sich auch um ihre Erscheinungsgestalt bemühen mag.13 Die Kirche ist keine eigenständige Größe, sondern sie lebt aus ihrer Verbindung zu Christus. Die vitale Verknüpfung der Ekklesiologie mit ihrem lebendigen Grund in Christus verhinderte ein eigenes Interesse an den kirchenrechtlichen Fragen,14 die erst dann im Mittelalter die Aufmerksamkeit auf sich ziehen. Auch wenn uns die dualistische Grundierung von Augustins (nicht nur ekklesiologischem) Hauptwerk De civitate dei15 befremdlich geworden ist, so bleibt doch die qualitative Unterscheidung des Gegensatzes der beiden dort entfalteten Reiche erwägenswert. Während die civitas dei durch ihre Liebe zu Gott gekennzeichnet ist, bezieht sich die Liebe der civitas terrena auf sich selbst. Genau genommen schafft diese unterschiedliche Ausprägung der Liebe erst die beiden civitates.16 Die Diffe-

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Benz, Augustins Lehre von der Kirche). Ekkehard Mühlenberg weist zu Recht darauf hin, dass Augustins Vorschlag in die Richtung einer Theologie der Geschichte weise und insofern nicht von dem Nebeneinander von zwei Kirchen die Rede sein könne; vgl. Von Augustin bis Anselm von Canterbury, 406–566. Wolf-Dieter Hauschild spricht – in Übereinstimmung mit der römischkatholischen Forschung – im Blick auf Augustin von einem ‚differenzierten Kirchenbegriff ‘; vgl. Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, Bd. 1, 238ff. De baptismo 4,17.24. Dass Augustin in der Konsequenz seines theologischen Arguments schließlich auch ein gewaltsames staatliches Vorgehen gegen die Donatisten befürwortete, womit nicht zuletzt ein geschichtliches Muster für die spätere Inquisition geschaffen wurde, sei zumindest am Rande erwähnt; vgl. Cornelius Mayer, Aurelius Augustinus, 201f. Im Blick auf die konkrete historische Situation bleibt daran zu erinnern, dass die Donatisten, die in Nordafrika – und so eben auch in Hippo Regius, dem Amtssitz von Augustin – eine selbstbewusste Mehrheit darstellten, ihrerseits in zunehmendem Maße – insbesondere mit Hilfe der sogenannten Circumcellionen (vgl. dazu Hausamann, Alte Kirche, Bd. 3, 408ff) – zu äußerst grausamer Gewaltanwendung griffen. Das identitätsstiftende Bewusstsein, dass die Verfolgung wesensmäßig zur rechten Kirche gehöre, ließ alle diplomatischen Rückgewinnungsversuche von Augustin scheitern. Augustin selbst bleibt nur durch einen Zufall von einem Anschlag verschont (vgl. Chadwick, Augustin, 83f). Diese donatistischen – und als solche auch antirömisch motivierten – Ausschreitungen in Numidien zwangen die Reichsregierung zum Handeln, und die Erfolge des Eingreifens – auch in Hippo – veranlassten schließlich Augustin, seine Bedenken gegen die Gewaltanwendung, die nach Hausamann nicht prinzipieller Art waren, mehr und mehr zurückzustellen und die Gewaltanwendung zu rechtfertigen. Später konnte man sich beim gewaltsamen Vorgehen gegen Ketzer jeder Art auf entsprechende Zitate Augustins berufen, wovon die kanonischen Rechtsgelehrten dann einseitigen Gebrauch machten; vgl. auch von Campenhausen, Lateinische Kirchenväter, 185–194. Vgl. von Campenhausen, Lateinische Kirchenväter, 203; Kurt Flasch, Augustin, 388. Wie Licht und Finsternis (Gen 1,4) sind der Gottesstaat und der Staat des Satans bzw. der gefallenen Engel, der schließlich im irdischen Staat seinen geschichtlichen Ausdruck findet, in einem antagonistischen Gegensatz von einander geschieden; vgl. De civitate dei XIff. Vgl. De civitate dei XIV, 28.

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renz von Gottesliebe und Selbstliebe beschreibt den Gegensatz von Glauben und Unglauben. Der Glaube steht in einer Entsprechung zum Willen Gottes (secundum deum), während der Unglaube darin den sündigen Menschen anzeigt, dass er an sich selber glaubt und somit dem eigenen Willen folgt (secundum hominem);17 hier erscheint bereits sachlich das incurvatus in seipsum, das In-sich-selbst-gekehrt-Sein des Menschen, das später für Luthers Sündenverständnis zentral werden sollte. Auch der auf sich selbst bezogene Mensch liebt nicht einfach das ‚Böse‘, sondern er liebt böse, weil er seine Hoffnung auf etwas setzt, was diese nicht tatsächlich zu tragen und rechtfertigen vermag, und zugleich an dem vorübergeht, was ihr einen wirklichen Grund geben könnte.18 Indem sich die Selbstliebe des Menschen zwangsläufig an vergängliche Dinge hängt, ist sie nicht nur begrenzt, sondern auch unstet, d. h. sie ist dazu genötigt, immer wieder neu das jeweils nützlichste Objekt zu ihrer Verwirklichung zu bestimmen, was nach der Ansicht von Augustin zwangsläufig zu unfriedlichen, von Missgunst vergifteten Verhältnissen führt, die Einheit und Frieden gefährden und schließlich auf die Selbstzerstörung hinauslaufen. Der Konkurrenzindividualismus ist das natürliche Produkt der konkreten Verwirklichungsformen menschlicher Selbstbezogenheit. Das gilt sowohl im Blick auf das Verhältnis der irdischen Staaten zueinander sowie im Blick auf die Beziehungen der Individuen untereinander, trifft aber auch auf eine Brechung, die durch den einzelnen Menschen hindurchgehen kann, denn auch er erfährt sich im Glauben in der Spannung von ‚neuem‘ und ‚altem‘ Menschen (Röm 6,6). Es war nun nicht so, dass Augustin diese qualitative Differenz als Unterscheidungsmerkmal zwischen Kirche und Welt positionierte. Vielmehr unterstrich er, dass sich in geschichtlicher Zeit nicht eindeutig entscheiden lasse, welcher civitas ein Mensch tatsächlich verpflichtet sei und folglich welcher Orientierung das Lebensengagement eines Menschen gelte. Zwar sei die verfasste Kirche zweifellos die wahre Kirche, die als solche auch universal, d. h. katholisch ist, aber eben noch nicht in vollkommener Reinheit, zu der sie erst in ihrer eschatologischen Vollendung gelangen wird. „In dieser argen Welt also, in diesen bösen Tagen, da die Kirche auf dem Weg über die gegenwärtige Erniedrigung die künftige Erhöhung gewinnt und durch den Stachel vielfältiger Furcht, durch die Qual mannigfachen Leidens und die Mühsal beständiger Arbeit erzogen wird, nur in Hoffnung freudig als in der einzig vernünftigen Freude, mischen sich viele Verworfene unter die Guten, und die einen wie die anderen sammeln sich sozusagen in dem Netz, von dem das Evangelium spricht, und schwimmen, unterschiedslos darin eingeschlossen, in dieser Welt wie in einem Meere, bis man das Gestade erreicht, wo dann

17 Vgl. De civitate dei XIV, 9. 18 Vgl. De civitate dei XII, 8.

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die Schlechten von den Guten gesondert werden und Gott in den Guten als in seinem Tempel ‚alles in allem sein wird‘.“19

Insofern kann auch die katholische Kirche keineswegs einfach mit der civitas dei gleichgesetzt werden, auch wenn sie beansprucht, seine geschichtliche und als solche aber nur vorläufige Darstellung zu sein. Alle Identifikationen, die sich bei Augustin immer wieder finden, sind konditional zu verstehen, d. h. es gilt genau die jeweiligen Bedingungen zu beachten, unter denen sie ausgesprochen werden, ohne zu absoluten Festlegungen zu werden. In geschichtlicher Zeit bleibt die Kirche ein durchmischter Leib Christi – corpus Christi permixtum.20 Wollte man dagegen das donatistische Kriterium ernsthaft einführen, dass unheilige Glieder die Existenz der Kirche aufhöben, so müsste man unweigerlich zu der nüchternen Konsequenz kommen, dass es überhaupt keine Kirche gibt.21 Diese Überlegungen Augustins wären missverstanden, wenn sie als eine Verunsicherung der Kirche gegenüber verstanden würden.22 Um einem solchen Missverständnis zu wehren, hat Augustin nie einen Zweifel darüber aufkommen lassen, dass keine andere als eben die verfasste Kirche die wahre Kirche ist. Sie kann sogar als die Fortsetzung der Inkarnation in der Geschichte angesehen werden. Doch auch ihr gegenüber hat aus theologischen Gründen eine gewisse Nüchternheit zu walten, denn selbst in ihr bleibt derzeitig noch die Bürgerschaft des eschatologischen Reiches Gottes, d. h. die letzte Gewissheit im Blick auf die Teilhabe an der allein von Gott bewirkten ewigen Seligkeit verborgen.23 An dieser Unsichtbarkeit hängt Entscheidendes, denn sie entzieht sowohl den Repräsentanten der Kirche sowie ihren Mitgliedern die Möglichkeit, anhand von irgendwelchen Kriterien, für deren Interpretation sie nur selbst verantwortlich zeichnen könnten, über andere Menschen zu Gericht zu sitzen und Urteile zu fällen. Indem die Unsichtbarkeit solche Urteile grundsätzlich verbietet, verhindert sie auch die verheerenden Folgen,

19 De civitate dei XVIII, 49 zit. n. BKV 28, 177f. 20 Vgl. De civitate dei XX, 9. Ob dieser Begriff bereits in die Richtung eines soziologischen Kirchenbegriffs blickt, wie Hauschild annimmt (Lehrbuch, Bd. 1, 239), ist aus den angeführten theologischen Gründen zu bezweifeln, womit freilich nicht ausgeschlossen werden soll, dass diese Fassung des Kirchenbegriffs einen sachlichen Anschlusspunkt auch für eine soziologische Betrachtung impliziert. 21 Vgl. von Harnack, Lehrbuch, Bd. 3, 146. 22 Im Gegenteil ging es Augustin angesichts der Plünderung Roms durch die Goten unter Alarich vom 24. bis 27. August 410 in De civitate dei um eine ausdrückliche Verteidigung der Kirche gegenüber dem ‚heidnischen‘ Vorwurf, dass das Christentum und die Schwäche seines Gottes für die Niederlage Roms verantwortlich zu machen seien. Zur historischen Situation und der Intention dieses Werkes vgl. Chadwick, Augustin, 102–113; v. Campenhausen, Lateinische Kirchenväter, 195–221. 23 Obwohl Augustin von der Kirche als dem Reich Gottes auf Erden sprechen kann, wäre es falsch, von einer Enteschatologisierung des Christentums zugunsten der verfassten Kirche zu sprechen (gegen Martin Werner, Die Entstehung des christlichen Dogmas, bes. 655–666).

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die sich zwangsläufig einstellten, wenn irgendjemand dazu ermächtigt würde, ein Urteil auszusprechen. Die wohl unvermeidliche Folge wäre, dass jede und jeder alle Anstrengungen aufbieten würde, um in den Augen dieser menschlichen Urteilsinstanz ein möglichst günstiges Bild abzugeben – man würde gleichsam um die Gunst (Gnade?) dieses menschlichen Schiedsgerichts zu buhlen haben, das dann die Stelle Gottes eingenommen hätte, dem seinerseits nichts anderes übrigbliebe, als ganz und gar im Jenseits zu verschwinden, um dort auf diejenigen zu warten, die ihm von der Kirche zugewiesen werden. Der Respekt vor der Souveränität des barmherzigen Gottes gebietet den unbedingten Schutz der auch für den Menschen nur als heilsam anzusehenden Undurchsichtigkeit der Kirche. Ihre Wahrheit bleibt eine Wahrheit des Glaubens, und zwar nicht des Glaubens an die Kirche, sondern an den auferstandenen Christus, der sich nicht für die Frommen, sondern die Gottlosen hingegeben hat. Das Verhältnis zur politischen Machtausübung der civitas terrena mag bei Augustin einschließlich seiner kirchenpolitischen Optionen überaus problematisch geblieben sein, aber der religiösen Machtausübung ist hier an zentraler Stelle eine strenge Grenze gesetzt, die der Kirche theologisch einen beurteilenden Zugriff verbietet. Es überrascht nicht, wenn Augustin nur selten triumphalistische Bilder für die Kirche benutzt.24 Charakteristischer bleiben für ihn Bilder, die sowohl die Bescheidenheit der Kirche als auch die zu erwartende Demut der Einzelnen in ihrem Verhältnis zur Kirche betonen. Beispielhaft mag dafür folgendes Zitat stehen: „Haltet dies eine fest: Der Schafstall Christi ist die katholische Kirche. Wer immer zum Schafstall eintreten will, trete ein durch die Tür, verkünde den wahren Christus. Und nicht nur verkünden soll er den wahren Christus, sondern auch Christi Ehre suchen, nicht die seine; denn viele haben, indem sie ihre eigene Ehre suchten, die Schafe Christi mehr zersprengt als gesammelt. Demütig und niedrig ist nämlich die Türe, Christus der Herr: wer durch die Türe eintreten will, muß sich ducken, um heilen Hauptes eintreten zu können. Wer sich nicht demütigen will, sich vielmehr erhebt, der will über die Mauer klettern: wer aber über die Mauer klettert, der steigt, um zu fallen.“25

24 Es ist problematisch, wenn „der massive kirchliche Positivismus im katholischen Sinne“ in das Zentrum der Apologetik von Augustin gerückt wird, wie es bei Benz geschieht (Augustins Lehre, 9), weil dann die theologischen Fundierungen so weit relativiert werden, dass sie schließlich als Sekundärargumente erscheinen. Vielmehr legt es sich dagegen nahe, in der Identifikation mit der römischen Kirche vor allem eine pragmatisch stimmige Konsequenz und eben nicht den alles bestimmenden Begründungshorizont zu sehen. 25 Zitiert aus der für diesen Beitrag weitgehend ungenutzten interessanten Quellensammlung von Hans Urs von Balthasar, Augustinus, 296.

Die Kirche als ‚corpus permixtum‘

Gerade die Widersprüchlichkeit der geschichtlichen Erfahrungen wird als nachhaltiges Bewährungsmotiv für den lebendigen Glauben gesehen, der permanent von der pervertierenden Versuchung der Selbstliebe angegriffen und herausgefordert wird. Für Augustin ist die Kirche der Ort, an dem der Mensch durch die stets erneute Selbsthingabe an Gott seine Selbstliebe überwindet26 – dadurch ist die Pilgerschaft der Kirche in besonderer Weise ausgezeichnet. Es ist deutlich, dass die soziale Dimension die individuelle orientiert. Ebenso deutlich ist in dem immer wieder aufgenommenen Bild des Pilgers, dass offenkundig für die Kirche ebenso wie für das christliche Leben eine gewisse Genügsamkeit – um nicht zu sagen Askese – als wesentlich angesehen wird. Gewiss gibt die Vorbereitung auf die letzte Erfüllung auch dem diesseitigen Leben bereits eine Erfüllung, die sich jedoch vor allem in der Kraft der Hoffnung zeigt, dass Gott seine Verheißung verwirklichen werde, und sich nicht in einem diesseitig aufzeigbaren Gewinn demonstrieren lässt.27 Auf dem Hintergrund, dass bereits für Augustin die fundamentalen Kennzeichen der Kirche in Wort und Sakrament liegen,28 soll schließlich noch ein Impuls erinnert werden, dessen hohe ökumenische Bedeutung bisher noch nicht in den Blick gekommen ist. Augustin unterscheidet zwischen der Sakramentengemeinschaft aller Kirchenglieder (communio sacramentorum) – das ist die verfasste Kirche als corpus Christi permixtum – und der in der geschichtlichen Kirche nicht identifizierbaren Heilsgemeinschaft (societas bzw. congregatio sanctorum). Indem die Sakramente an das Wort gebunden sind und die Verlässlichkeit des Hörens auf das Wort nicht überprüfbar ist, können die Sakramente gerade nicht für einen reinen Kern der Kirche stehen, sondern sind gleichsam die öffentlichen und offensichtlichen Sammelplätze aller, die sich von der Kirche angesprochen fühlen. Ihnen eignet zwar ein hohes Maß an Inklusivität. Auch stehen sie gewiss allein für eine innere Angelegenheit der Kirche, d. h. sie können nicht das Instrument sein, mit dem die Kirche um die Aufmerksamkeit der sie umgebenden Welt wirbt. Aber als innere Angelegenheit sind sie entschieden weder das Allerheiligste noch ein rein geistlicher Ort, wollen sie doch gerade auch die leibliche Seite des Glaubens ins Blickfeld rücken. Ihre exklusive Beanspruchung lädt ihnen ein geistliches Gewicht auf, das sie schwerlich tatsächlich tragen können. So sehr sie an das innerste Geheimnis des Glaubens rühren, so sehr bleibt einzugestehen, dass sie als Zeichen keinerlei Garantie dafür mitbekommen haben, in unzweideutiger Weise wirkmächtig zu sein. Dies kann heute gegenüber der allseits blühenden Renaissance eines mystischen Sakramentalismus auch in den protestantischen Kirchen nicht deutlich

26 Vgl. De civitate dei X, 6 u. XIX, 23. 27 Vgl. De civitate dei XIX, 20. 28 Vgl. u. a. von Harnack, Lehrbuch, Bd. 3, 154.

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genug unterstrichen werden. All die Überlegungen, die wir oben im Blick auf einen differenzierten Kirchenbegriff angestellt haben, ließen sich in exemplarischer Weise an den Sakramenten bestätigen und vertiefen. Für Augustin können sie deshalb gleichsam als Symbole für die Kirche als corpus permixtum stehen. Die fundamentale Differenz zwischen Augustin und der Gegenwart besteht nun darin, dass die Christenheit heute in viele unterschiedliche Varianten zersplittert ist, die jeweils für sich in Anspruch nehmen, Kirche zu sein. Die Katholizität der Kirche kann nicht mehr einfach auf eine verfasste Kirche bezogen werden. Die Kirche, für die Augustin das getan hat, ist – auch wenn sie selbst nicht nachlässt, dies mit unterschiedlicher Deutlichkeit zu bestreiten – heute römisch-katholisch, d. h. sie repräsentiert eine im Laufe der Kirchengeschichte konfessionell gewordene Variante von Katholizität, die in anderer Weise von jeder Glaubensgemeinschaft in Anspruch genommen wird, die sich zu Recht als Kirche bezeichnet. Die Katholizität hat die Identifikation mit einer bestimmten Kirche verloren und ist zu einem unsichtbaren Element geworden, das die verfassten Kirchen transzendiert und auf einer nichtinstitutionellen Ebene auf einander bezieht. Die katholische Kirche ist zu einem corpus permixtum unterschiedlicher Konfessionen geworden, die ihrerseits in je eigener Weise ein corpus permixtum darstellen. Damit ist die Katholizität der einen heiligen Kirche noch weiter aus der Sichtbarkeit zurückgetreten, als es bereits für Augustin galt, und der vorläufige Charakter ihrer geschichtlichen Erscheinung als eine durchmischte Größe ist weiter in den Vordergrund gerückt. Für die theologische Beurteilung hat sich die Situation damit aber nicht grundsätzlich geändert, auch wenn sich die konkreten Bezugsgrößen weitreichend modifiziert haben. Die in allen Kirchen gefeierten Sakramente – und wohl auch nur diese – signalisieren die Ökumenizität der Kirchen als die unsichtbare Katholizität einer Kirche. Von der wahren Kirche im Sinne Augustins kann nur noch im Blick auf die Ökumenizität der Kirchen gesprochen werden, deren Katholizität in den gemeinsam anerkannten Sakramenten angezeigt wird. Indem die Sakramente selbst als Symbole des corpus permixtum anzusehen sind, ist zur gegenseitigen Anerkennung keine gemeinsame reine Sakramententheologie erforderlich. Vielmehr sind sie – wie gesagt – die den Kirchen geschenkten und zum Wohl ihrer Katholizität anvertrauten „öffentlichen und offensichtlichen Sammelplätze“, die sie in der Hoffnung auf die entscheidende und als solche unverfügbare Bewahrheitung durch das im Heiligen Geist recht erschlossene Wort mit der gebotenen Selbstrelativierung in Ehren halten. Zur Feststellung von reiner Heiligkeit sind sie nicht bestellt. Diese kann vielmehr nur im Glauben an die Verheißung und in grundsätzlicher Spannung zu ihrer stets ambivalenten geschichtlichen Erscheinungsweise bekannt werden.

Die Verborgenheit der Kirche

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Die Verborgenheit der Kirche

Wir machen einen Sprung zu Martin Luther, ohne seine ausdrückliche Verbindung zu Augustin eigens in den Blick zu nehmen. Dabei konzentrieren wir uns auf den Akzent, den Luther auf die Verborgenheit der Kirche gelegt hat und der in besonderer Weise für ihn kennzeichnend ist und bis heute in der lutherischen Tradition nachwirkt. Luthers Ekklesiologie bezog ihre kritische Pointe ebenfalls aus einer Grenzziehung gegenüber einem vorgefundenen Kirchenverständnis, von dem Luther überzeugt war, dass es der Kirche schadet. Seine Kritik zielte insbesondere auf die Autorität der Kirche und ihre institutionelle Repräsentanz, die für sich in Anspruch nahm, die wahre Kirche sichtbar in Erscheinung treten zu lassen. Luther problematisierte grundsätzlich die verschiedenen denkbaren Varianten eines Glaubens an die Kirche und den damit verbundenen Gehorsam gegenüber einer Kirche, die nichts mehr gegen den Anschein unternahm, als sei ihr zumindest auf Erden alle Gewalt gegeben. Das Regiment Christi war nicht mehr vom Regiment der Kirche zu unterscheiden. Die Kirche war für die Glaubenden an die Stelle Christi getreten, denn es herrschte die Vorstellung, dass es nur durch den Gehorsam ihr gegenüber möglich sei, in ein tragfähiges und verlässliches Verhältnis zu Christus zu kommen. Die Kirche hatte die augustinische Hemmung gegenüber ihrer Selbstvergöttlichung verloren und vergessen, dass jede Identifikation mit der Wahrheit die geschichtliche Wirklichkeit der Kirche überfordert und unweigerlich einen theologisch nicht begründbaren Machtanspruch mit sich bringt, der infolge der mit ihm einhergehenden Überforderung zwangsläufig früher oder später zu einer Korruption der Kirche führt. Dem puristischen Exklusivitätsanspruch der Donatisten stellte Augustin die Inklusivität der Katholizität der Kirche gegenüber, die ebenso vertrauensvoll wie geduldig auf die allein Gott vorbehaltene Exklusivität ausblickt. Allerdings reicht es nicht aus, Luthers entschiedene Betonung der Unsichtbarkeit der Kirche gegenüber der Anstößigkeit der sichtbaren Kirche in den Blick zu nehmen. Karl Holl hatte die Konzentration auf die Unsichtbarkeit zu der These verführt, dass die Ekklesiologie bei Luther bereits vor dem Ablassstreit zu ihrer spezifischen Gestalt gefunden habe, die sich dann in der Hauptsache nicht mehr verändert habe. Die Kirche Christi sei „ihrem Wesen nach unsichtbar“, doch das rechtfertige keinen Zweifel daran, dass sie als solche „wirklich da ist“.29 Dagegen bleibt allerdings zu berücksichtigen – wie insbesondere Hans Joachim Iwand gezeigt hat30 –, dass es sehr unterschiedliche Vorstellungen von der Unsichtbarkeit (invisibilitas) gibt.

29 Vgl. Karl Holl, Zur Entstehung von Luthers Kirchenbegriff, 296–298. 30 Vgl. Hans Joachim Iwand, Zur Entstehung von Luthers Kirchenbegriff; ders., Luthers Theologie, 235–254.

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Wenn der junge Luther die Unsichtbarkeit zur Wesensbestimmung der wahren Kirche erhob, stand eine neuplatonische Weltanschauung im Hintergrund, nach der die wahre Welt nicht in Erscheinung trete, sondern ihrem Wesen nach unsichtbar bleibe, was dann auch für die Kirche zutrifft, die als solche zwar sichtbar ist, aber in ihrem wahren Wesen unsichtbar bleibe. Nur in entschlossener Entweltlichung kann man in dieser Perspektive mit der wahren Kirche in Kontakt kommen. Mit dem Glauben betritt der Mensch eine eigene geistliche Wirklichkeit, die nicht der fleischlichen Ordnung dieser Welt unterworfen ist. Das ist eine Theologie, die den Schritt ins Kloster nahelegt. Mit einer solchen Position stand der junge Luther keineswegs allein da, so dass sich der in die Kirchenspaltung führende reformatorische Konflikt kaum mit dem Hinweis auf diese Einsicht plausibel erklären ließe. Luther hätte lediglich – wie es mit unterschiedlichen philosophischen Konzepten praktiziert wurde – ein allgemeines Argument auf die Kirche angewandt, ohne dabei die besondere Bestimmung der Kirche berücksichtigen zu müssen. Das damit gewonnene Schutzargument gegenüber einer Identifikation mit der vorfindlich verfassten Institutionalität der Kirche bezieht seine kritische Kraft weniger aus einem theologischen als vielmehr aus dem philosophischen Begründungszusammenhang und wäre dann auch folglich auf dieser Ebene zu diskutieren, d. h. anzuerkennen bzw. abzuweisen gewesen. Erst die später von Luther aus theologischen Motiven heraus betonte Unsichtbarkeit der Kirche führte in den Konflikt mit der verfassten Kirche. Hier ging es um die Frage der Reichweite der den Menschen anvertrauten Macht der Kirche (potestas ecclesiae). Wie verhält sich das Reden und Urteilen der Kirche zum Evangelium, bzw. das von Menschen in der Kirche zu verantwortende Wort zum Wort Gottes? Wenn Luther unnachgiebig betont, dass die Kirche Geschöpf (creatura Euangelii bzw. creatura verbi divini31 ) sei, dann ist damit ein unumkehrbares Begründungsgefälle angedeutet, das die Kirche zum Wort Gottes in das Verhältnis des Geschöpfes zu seinem Schöpfer setzt. „Das Wort ist ursprünglich und autoritativ Gottes Wort, nicht das Wort der Kirche, außer in passiver und dienender Weise. Also ist die Kirche unter dem Wort und dem Auftrag Gottes und nicht darüber.“32 – „Die Kirche wird nämlich geboren durch das Wort der Verheißung mittels des Glaubens und durch eben dieses Wort erhalten und bewahrt, d. h.: sie wird durch die Verheißung Gottes begründet, nicht die Verheißung Gottes durch sie. Das Wort Gottes ist nämlich in unvergleichlicher Weise über der Kirche, in dem sie als ein Geschöpf nichts zu bestimmen, zu ordnen und zu schaffen hat, sondern nur bestimmt,

31 WA 2, 430,6–8; vgl. WA 7, 721,9–14. Karl Gerhard Steck betont, dass Luther „immer von der Grunderkenntnis der Kirche als creatura verbi ausgeht“: Lehre und Kirche bei Luther, 68. 32 WA 7, 682,1–3 (Übersetzungen auch im Folgenden weithin nach Iwand).

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geordnet und geschaffen zu werden hat. […] Sonst wäre sie auch Gott übergeordnet, an den man glaubt, weil die Kirche predigt, dass Gott sei.“33

Das Geschöpf ist durch den Schöpfer definiert. Jeder Versuch des Geschöpfes, seinen Schöpfer zu bestimmen, bleibt ein Widerspruch in sich selbst, dem nicht nur kein Erfolg zugemessen werden kann, sondern der sich in seinen Folgen unweigerlich selbstzerstörerisch auswirkt. Es wäre, als „lehret [das] Ei das Huhn und [die] Kachel den Töpfer“ bzw. führe „der Wagen vor den Rossen“.34 So wie der Mensch nur im Glauben an den Schöpfer Geschöpf sein kann, so kann es Kirche nur im Glauben an die Wahrheit des Wortes Gottes geben. Die Artikel des Glaubens sind substanziell nicht das Resultat kirchlicher Lehrautorität, sondern sie kommen – so sie zu Recht gelehrt werden – von Gott, und die Kirche hat keine Macht, über ihre Geltung und Reichweite zu entscheiden.35 In ihrer Substanz ist die Lehre „Gotteslehre“. Dabei ist wichtig zu beachten, dass Lehre hier nicht eine theologische Theorie oder gar eine abstrakte Wahrheit meint, sondern sie ist Einweisung ins Leben: „Gott hat uns gezeigt, wo das Leben ist, nämlich in seinem Wort“.36 Auch in diesem Sinne ist der Grundakt der Kirche nicht die Lehre – sie lehrt als Kirche im Grunde nichts –, sondern die Anerkennung der von ihr zu bezeugenden Wahrheit, durch die sie selbst gesetzt wird – das ist die Lehre des Wortes Gottes bzw. des Evangeliums. Luther greift die überkommene Vorstellung der ‚approbatio‘ des Evangeliums durch die Kirche auf, entzieht sie aber der von der Kirche beanspruchten richterlichen Beurteilungsmacht und beschränkt sie auf die Anerkennung, vergleichbar der Anerkennung, die ein Knecht dem Siegel seines Herrn entgegenbringt.37 Darin war Maria für Luther ein eindrucksvolles Bild für die Kirche, dass sie auch gegen die eigene Einschätzung ihrer Situation dem Wort des Boten Gottes glaubt.38 Mit dieser entschiedenen Gegenüberstellung von Kirche und Wort Gottes ging Luther über das Mittelalter hinaus.39 Es geht darum, dass das Wort Gottes Recht bekommt und d. h., dass das Urteil Gottes die ihm zustehende Anerkennung erhält. Die Kirche kann keine eigene Autorität beanspruchen, sie kann sich nur als mehr oder weniger zuverlässige Schülerin des biblischen Zeugnisses verstehen, die ganz und gar auf die Leben spendende Autorität des Wortes Gottes setzt. Der Ton, der auf der Unsichtbarkeit liegt, bezieht seine Kraft weniger aus dem Gegensatz zur Sichtbarkeit als vielmehr aus dem Konstitutionszusammenhang in

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WA 6, 560,33–561,1.6f. WA 38, 218. Vgl. Iwand, Luthers Theologie, 241. WA 47, 397; vgl. dazu Steck, Lehre und Kirche bei Luther, 62ff. Vgl. Steck, Lehre und Kirche bei Luther, 81. Vgl. Luthers Auslegung des Magnificat, WA 7, 538–604. Vgl. Iwand, Luthers Theologie, 243.

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dem Wort, aus dem die Kirche lebt. Es kommt nicht auf das Fühlen und Erleben an, sondern auf das Hören und Glauben – eben durchaus in dem immer wieder neu zu erwartenden Widerspruch zum Fühlen und Erleben.40 Das verbum dei ist für Luther eine fundamentale eigene Kategorie, die ganz und gar vom Menschenwort zu unterscheiden bleibt. Es geht bei der Kirche nicht um die Transformation des Wortes Gottes in unser Menschenwort, nicht um eine möglichst anschauliche Übersetzung in den menschlichen Erfahrungsbereich, sondern um unsere Transformation in dieses uns von außen ergreifende Wort Gottes.41 „Deshalb sieht niemand die Kirche, sondern glaubt sie nur durch das Zeichen des Wortes.“42 Zur Wahrnehmung der Kirche gilt es also, allein auf Gottes Wort zu achten; das Hören auf das Wort Gottes ist das verlässlichste Zeichen der Kirche. Als heiliges Wort heiligt es alles, mit dem es sich verbindet, und Kraft des Heiligen Geistes sammelt es das heilige Volk der Kirche.43 Im Blick auf die Spannung des Wortes Gottes zu dem Menschenwort, wie es in der sichtbaren Kirche zu vernehmen ist, galt für Luther das für ihn so charakteristische „entweder … oder“ bzw. „ganz oder gar nicht“, d. h. jedes „sowohl … als auch“ führt hier nach Luther in die Irre. Die im Wort Gottes gründende Kirche ist ihrem Wesen nach unsichtbar und kann als solche nur geglaubt und bekannt werden.44 Hans Joachim Iwand weist darauf hin, dass diese unsichtbare Kirche nicht als eine so oder so vorzustellende „Personengemeinschaft“ (Karl Holl) verstanden werden darf. „Die Sache liegt tiefer. Die Kirche ist unsichtbar, weil in ihr und durch sie das regnum Christi als regnum fidei ‚mitten unter uns‘ ist.“45 Wird zu direkt auf die Kirche als ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ zugesteuert, so besteht die Gefahr, dass die systematische Bedeutung der Unsichtbarkeit unterschätzt bzw. ihre sachliche Plausibilität ausgehöhlt wird. Nicht die Gemeinschaft macht die Kirche zur Kirche, sondern es ist das Wort Gottes,46 welches identisch ist mit Jesus Christus. Die Radikalität der Unsichtbarkeit sperrt sich zunächst gegen alle Imaginationen einer kirchlichen Sozialgestalt. Im Vordergrund steht das theologische Motiv, dass Christus durch den Heiligen Geist Macht über uns gewinnt, und das geschieht 40 In dem antagonistischen Spannungsverhältnis von Glauben und Erleben sah Luther nicht nur den Grund für die Anfechtung, sondern eben auch ihre Unausweichlichkeit; vgl. dazu Michael Weinrich, Die Anfechtung des Glaubens; Ingolf U. Dalferth, Wirkendes Wort, 292. 41 „Und so verwandelt er uns in sein Wort, nicht sein Wort in uns.“ So Luther zu Röm 3,4: WA 56, 227,4f. 42 WA 7, 722,6. 43 Vgl. WA 50, 629. Vgl. dazu ausführlicher Kap. 2: Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift. 44 Vgl. Iwand, Zur Entstehung von Luthers Kirchenbegriff, 227. 45 Ebd., 229. 46 Vgl. auch Martin Doerne, Gottes Volk und Gottes Wort, 67: „Die ‚Gemeinschaft der Gläubigen‘ gehört durchaus zum Wesen der Kirche, aber sie ist nicht das Wesen selbst“, diese liege vielmehr im Wort Gottes.

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im Glauben, der aus dem Wort Gottes kommt. In diesem Sinne kann durchaus gesagt werden, dass Christus selbst durch sein Wort in unvertretbarer Weise regiert. Gewiss ertönt auch das Wort Gottes allein im Menschenwort, aber nur da, wo es nicht Menschenwort bleibt, sondern zum Wort Gottes wird, begründet es Kirche im pointierten Sinne. Wenn Luther die Unsichtbarkeit der wahren Kirche betonte, wurde diese nicht in eine ferne Distanz versetzt oder gar in die Unerreichbarkeit des Jenseits, sondern das ganze theologische Gewicht liegt auf ihrer lebendigen Gegenwart in strikter Entsprechung zur Gegenwart Christi. Trotz der deutlich pneumatologischen Kontur der Lebendigkeit der Kirche betonte Luther ihre Christusunmittelbarkeit. Ohne die Voraussetzung der Gegenwart Christi kann es keine sinnvolle Rede von der wahren Kirche geben. Der Unsichtbarkeit der Gegenwart Christi entspricht die Unsichtbarkeit der Kirche, deren Wirklichkeit aber ebenso real ist, wie die lebendige Nähe Gottes. Das Verständnis der Kirche wird somit zum Inbegriff der Gegenwart Gottes, denn das Bekenntnis zur Kirche bedeutet in der Sache vor allem: Christus ist mitten unter uns – jetzt und immerdar. Geht es aber tatsächlich um die Präsenz Gottes selbst, dann bekommt die prinzipielle Unsichtbarkeit der Kirche eine unabweisliche Plausibilität, die nicht zuletzt der verfassten Kirche – mit Karl Gerhard Steck gesprochen – „jedes töricht-stolze Protzen auf die garantierte Gegenwart des hl. Geistes“47 verunmöglicht. Die Nähe Gottes in der Kirche hängt an ihrer Unverfügbarkeit, insbesondere an ihrer Unsichtbarkeit. Dagegen ist es gerade die Versuchung der Kirche, die auf ihre Sichtbarkeit setzt, dass sie als greifbare Repräsentantin einer erst von ihr in ungreifbare Ferne gerückten wahren Kirche auftritt, um sich sogleich als Vermittlerin zu der unsichtbaren Wirklichkeit anzubieten. Solange die sichtbare Kirche nicht einfach von sich selbst behauptet, dass in ihr die wahre Kirche unverstellt in Erscheinung trete – was in ungebrochener Form wohl keine Kirche für sich in Anspruch nimmt –, so lange wird sie nicht umhinkommen, eine mehr oder minder große Differenz zur wahren Kirche einzuräumen, die sie sich freilich stets zu verkleinern und zu überbrücken bemüht. Wo immer sie sich in diesem Sinne als sichtbare Vermittlerin von Unsichtbarem versteht, wird sie unweigerlich ganz und gar von der Gestaltung ihrer Sichtbarkeit in Beschlag genommen. Einen Teil ihres kultischen Lebens widmet sie ausdrücklich dieser von ihr vermeintlich zu leistenden Überbrückungsaufgabe. Eben deshalb werden insbesondere die Sakramente vor allem in ihrem darstellenden Charakter gewürdigt, sie seien die sichtbare Form der unsichtbaren Gnade.48 Die ganze Unternehmung Kirche gerät zu einer Transformationsinstanz, die Unsichtbares sichtbar macht und Unfassliches erfahrbar. Die Kirche vermakelt

47 Steck, Lehre und Kirche bei Luther, 82. 48 Vgl. dazu Iwand, Zur Entstehung, 220, bes. Anm. 52.

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dem Menschen sonst Unerreichbares, indem sie die Geheimnisse der verborgenen göttlichen Wahrheit in den Horizont unserer diesseitigen geschichtlichen Existenz vermittelt. Darin besteht ihr Charakter als Heilsanstalt, der ihr zugleich eine Exklusivität verleiht, die sich dann auch in ihrer institutionellen Gestalt sichtbar widerspiegelt. Wenn dagegen das Wort zum entscheidenden Zeichen der Kirche wird, wird deutlich, dass Luther bei ‚Zeichen‘ nicht an einen Vorgang der Sichtbarmachung denkt. Das Zeichen bezeichnet vielmehr die Präsenz und wahrt dabei die Unsichtbarkeit.49 Indem es aber Menschen sein müssen, welche das Wort ergreifen, damit auch das von Menschen nicht zu sagende Wort Gottes laut wird, bleibt schließlich anerkannt, dass es durchaus sichtbare und akustisch vernehmbare menschliche Anstrengungen auch um eine Sozialform der Kirche geben muss, wo Menschen dieses Wort sprechen. Insofern geriete alles in eine Schieflage, wollte man behaupten, bei Luther sei die Unsichtbarkeit ein Zeichen der Kirche. Indem es zugleich aber nicht in die Macht der Menschen gelegt ist, das Wort Gottes zu sagen, sondern auf ihrem Reden nur die Verheißung liegt, dass Gott sein Wort selbst sagen wird, legt es sich andererseits nahe, dass die Phantasie und Energie bei diesen geschichtlichen Gestaltungsaufgaben nicht auf einer möglichst eindrucksvollen Sichtbarkeit der menschlichen Institution, sondern auf die zu wahrende Aufmerksamkeit für das die Kirche gründende Unsichtbare gelegt werden sollten. Allen Institutionalisierungen wird ein weitreichender Vorbehalt eingebrannt, der dann von den konkreten Gestaltungen nicht konterkariert werden darf, wenn sich die Kirche nicht selbst an die Stelle Christi stellen will. In allem Sichtbaren muss gleichsam der Verweischarakter der Kirche zum Unsichtbaren als ihre entscheidende Dimension erkennbar bleiben oder zumindest stimmig zugeordnet werden können. Deshalb soll die Kirche „nicht machen noch wandeln, sondern allein reichen und geben […] das Euangelion, von Christus befohlen zu predigen.“50 Die sichtbare Kirche soll sich weder von ihrer noch überhaupt von einer Sichtbarkeit aus definieren, sondern sie bleibt auf die Bestimmung von dem Unsichtbaren aus angewiesen. Die prinzipielle Nichtfassbarkeit der Kirche schützt die Kirche vor allem vor dem Zugriff des Menschen, in dessen Hand sie früher oder später unweigerlich zu einem Ausdrucksmittel seiner Frömmigkeitsbedürfnisse verkommt. Iwand fasst die damit beschriebene theologische Existenz der Kirche in folgendes Bild:

49 Das gilt durchaus auch für die Sakramente, die ja nichts Verborgenes sichtbar machen, sondern das Verborgene als Verborgenes und somit Unsichtbares in Raum und Zeit vergegenwärtigen. Auch sie sind vom Wort her zu verstehen und nicht von den Elementen bzw. Vollzügen. 50 WA 38, 238f.

Die Verborgenheit der Kirche

„Luther baut den Tempel ab. Alles das, was jetzt an Kirchenordnungen geschaffen wird, gleicht dem Notbau der Stiftshütte. Die Ordnungen, unter denen die Versammlungen Gottes unter dem Wort stattfinden, dürfen niemals etwas Bleibendes sein. Sie müssen ein Ausdruck des wandernden Gottesvolkes sein.“51

Es ist deutlich, dass es nicht ausreicht, nur von dem die Kirche begründenden Wort Gottes zu sprechen, vielmehr ist auch von den Menschen zu reden, die dieses Wort Gottes hören. Zum Wort Gottes gehört die ‚Gemeinschaft der Heiligen‘ unmittelbar dazu. „Denn Gottes Wort kann nicht ohne Gottes Volk sein“.52 Doch auch das Volk Gottes ist nicht vorrangig eine Sozialform, sondern eine theologische Bestimmung, die allerdings auch konkrete Konsequenzen für die Gestaltung einschließt. Das Wort ergeht um der Erschließung der wahren Wirklichkeit des Menschen willen, d. h. es ist adressiert und setzt einen Adressaten voraus, den es auch erreicht, wenn anders es ins Leere ginge. Dabei liegt die Vorstellung zugrunde, dass sich das Wort gleichsam selbst seine Adressaten schafft, indem es – obwohl es aus dem Munde von Menschen kommt – als Wort Gottes gehört wird. Die Energie, welche die Kirche in die Sichtbarkeit steckt, verrät ihren Unglauben oder – etwas milder formuliert – ihren Kleinglauben. Auch die ‚Ungläubigen‘ „verneinen das Evangelium nicht, aber, indem sie Zusätze machen zu den Worten des Evangeliums mit ihren eigenen Glossen, führen sie uns hinweg, allmählich und ohne daß wir es merken, von dem königlichen Weg des Glaubens.“53 Eine Kirche, die tatsächlich auf den Glauben setzt, weiß um den verborgenen Charakter der Kirche und beklagt ihn deshalb auch nicht. Wo immer Klage über das Erfahrungsdefizit und die Erlebnisarmut als ein Defizit der Kirche erhoben wird, mag es gute Gründe dafür geben, aber auf die reformatorische Theologie wird man sich dabei schwerlich berufen können. Die Kirche ist entweder im Glauben konstituiert, oder sie hat bereits eine problematische Richtung eingeschlagen, die sie unweigerlich von dem Wesen der Kirche abbringt. Dies sei nochmals mit einem häufig zitierten Absatz Luthers von 1520 zusammengefasst: „Diese Gemeinde oder Versammlung heißet aller derer, die in rechtem Glauben, Hoffnung und Liebe leben, als daß der Christenheit Wesen, Leben und Natur sei nicht leibliche Versammlung, sondern eine Versammlung der Herzen in einem Glauben, wie Paulus sagt Eph 4: eine Taufe, ein Glaube, ein Herr. Also ob sie schon sein leiblich voneinander zerteilt tausend Meilen, heißen sie doch eine Versammlung im Geist, dieweil ein jeglicher predigt, glaubt, liebt und lebt wie der andere, wie wir singen vom heiligen Geist: ‚Der du hast

51 Iwand, Luthers Theologie, 250. 52 WA 50, 629,34f. 53 WA 7, 725,25ff.

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allerlei Sprache in die Einigkeit des Glaubens versammelt‘, das heißt nun eigentlich eine geistliche Einigkeit, von welcher die Menschen heißen eine Gemeinde der Heiligen, welche Einigkeit alleine genug ist, zu machen eine Christenheit, ohne welche keine Einigkeit, es sei der Stadt, Zeit, Person, Werk oder was es sein mag, eine Christenheit machet.“54

Das ökumenische Credo zur gottgegebenen Einheit der Kirche wird zur Fundamentaleinsicht der Ekklesiologie.55 Nur solange das Bekenntnis zu der im Glaubensbekenntnis bekannten Kirche im Blick ist, kann auch all das, womit Kirche geschichtlich in Erscheinung tritt, den Glauben bekräftigen. Umgekehrt jedoch funktioniert es nicht: die Gestaltungen und Bräuche der geschichtlich verfassten Kirche können niemals zur Grundlegung des Glaubens werden – vielleicht im Sinne religiöser Sozialisation, aber nicht im theologisch substanziellen Sinne. Zu den überkommenen Gestaltungen können wir niemals in ein Verhältnis der Gewissheit gelangen, denn sie können der Ambivalenz von tatsächlichem Frömmigkeitsausdruck und formgetreuer Heuchelei nicht entnommen werden. Angesichts der verfassten Kirche wird die Frage nach der wahren Kirche niemals zur Ruhe kommen können. Will der Glaube aber auch hinsichtlich der Kirche zur Gewissheit gelangen – und damit dem grundlegenden reformatorischen Impetus entsprechen –, so kann dies nur auf der vom Glaubensbekenntnis in Anspruch genommenen Ebene geschehen. Die Akzentverschiebung auf die Unsichtbarkeit ist also im Sinne Luthers keine Verflüchtigung der Kirche, sondern sie soll die mit der Kirche verbundene Gewissheit stärken bzw. überhaupt erst wieder zurückgewinnen. Bei der dem Glauben erschlossenen unsichtbaren Kirche legte Luther den Ton auf die Präsenz und Nähe eben des christusunmittelbaren Reichs des Glaubens. Die wahre Kirche bedarf ebenso wenig einer Vermittlung, um in Erscheinung zu treten, wie sie auf eine sichtbare Repräsentanz angewiesen ist. Jede Vorstellung eines (sichtbaren) Stellvertreters Christi greift zu hoch hinaus und verdrängt Christus aus seiner Rolle. Die Differenz, um die es hier geht, ist – mit den Worten Luthers – die Differenz zwischen ‚regieren‘ und ‚dienen‘. „Ein Stellvertreter regiert in Abwesenheit des Fürsten; daher ist dort, wo ein Stellvertreter Gottes regiert, überhaupt kein Gott. Wo nämlich Gott gegenwärtig ist, braucht es keinen Stellvertreter, sondern nur Diener.“56

54 WA 6, 293,1ff. 55 Vgl. dazu Weinrich (Hg.), Einheit bekennen; Ders, Protestantische Aspekte einer ökumenischen Theologie. 56 WA 7, 742,13–15; vgl. WA 9, 458,27–29; vgl. dazu Luthers sogenannte Schmalkaldische Artikel von 1537, in der ausführlich eine grundsätzliche Abweisung des Papsttums exponiert wird. Die Schmalkaldischen Artikel zählen zu den Bekenntnisschriften der Lutherischen Kirche; vgl. bes. BSLK, 427–433.

Die Verborgenheit der Kirche

Indem die Kirche durch ihren Dienst definiert wird, verbietet sich die Institutionalisierung jeder Hierarchie, durch welche zwangsläufig Über- und Unterordnungsverhältnisse in der Gemeinde etabliert werden. Jeder Dienst, der gleichzeitig auch regiert, indem er sich anderen Diensten gegenüber als besonders ausgezeichnet oder voraussetzungsvoll ansieht, steht im flagranten Widerspruch zum göttlichen Recht der Gemeinschaft (ius communis): „Daher haben wir alle ein und dasselbe Recht. Der Name der Brüderlichkeit und Gemeinschaft erlaubt nämlich nicht, dass einer über dem anderen stehe oder mehr Erbbesitz oder Recht habe, insbesondere in geistlichen Dingen, die wir hier behandeln.“57 Es ist nicht in unser Ermessen gestellt, hier so oder auch anders zu denken, sondern ganz pointiert hebt Luther hervor, dass die Gläubigen „entweder kein Priesteramt haben, das von dem der Laien unterschieden ist, oder ein Priesteramt des Teufels haben“.58 Indem jeder Einzelne allein in Christus konstituiert ist, kann auch die Gemeinschaft in nichts anderem als in Christus allein konstituiert sein. Nach Luther wird es in der Gestalt der Kirche durchaus erkennbar werden, wie ernst sie es damit nimmt, in Christus und nicht in irgendeinem eigenen Vermögen konstituiert zu sein. Diese göttliche Anordnung bleibt auch in Kraft, wenn es um die Beurteilung der Lehre der Kirche geht. Indem die Gemeinde eine Kreatur des Wortes ist, kommt auch ihr das Urteil über die rechte Lehre zu. So mögen die kirchlichen Amtsträger und theologischen Gelehrten wohl ihre Lehre vortragen, „aber die Schafe sollen urteilen, ob sie die Stimme Christi lehren oder eine fremde Stimme“.59 In der spezifischen Gesellschaftsform der Kirche im Gegenüber zum auf weltlicher Herrschaft gründenden Staat liegt die entscheidende Pointe in der Aufhebung des von Menschen wahrgenommenen Priestertums in das allgemeine Priestertum, das wegen des faktischen Klerikalismus auch in den protestantischen Kirchen kaum je eine reale Verwirklichung erfahren hat.60 Freilich darf bei einer solchen Bemerkung auch nicht übersehen werden, dass die von Luther hier ins Auge gefasste urteilsfähige Gemeinde nicht einfach durch die Mitgliedschaft der geschichtlich verfassten Kirche gestellt wird. Vielmehr bleibt auch diese Gemeinde verborgen, aber eben in, mit und unter der verfassten Kirche. Wenn Ulrich Kühn den Begriff der Unsichtbarkeit für missverständlich hält und es vorzieht, von der Verborgenheit der Kirche zu sprechen, dann tritt er zu Recht

57 WA 12, 189,9–12. 58 WA 12, 189,31f. 59 WA 11, 409,27f. Es soll nicht verschwiegen werden, dass diese in den fundamentalen reformatorischen Auseinandersetzungen von Luther immer wieder betonte Souveränität der Gemeinde im Urteil über die rechte Lehre schon in der vor allem von Melanchthon verantworteten CA von 1530 keinen Niederschlag gefunden hat, wo das Urteil über die Lehre zu den besonderen Aufgaben der Bischöfe gerechnet wird (vgl. CA XXVIII, BSLK 120ff). 60 Vgl. dazu Weinrich, Das Priestertum ohne Priesteramt.

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dem Eindruck entgegen, als sei die Kirche eine körperlose, gleichsam geistlichinnerliche Angelegenheit.61 Gegen ein solches platonisierendes Missverständnis bleibt festzuhalten, dass Luther zwar in strengen Gegensätzen dachte – wie oben angedeutet wurde –, dass er diese Spannungsverhältnisse aber ebenso in dialektischen Gleichzeitigkeiten denken konnte. Besonders berühmt ist Luthers simul iustus et peccator (gerecht und sündig zugleich). Die Gegensätzlichkeit dieser Gleichzeitigkeit ist nicht immer so offenkundig wie in diesem Beispiel. Wenn es um die Kirche und ihre Gleichzeitigkeit von Sichtbarkeit und Verborgenheit geht, legt sich zunächst ein Vergleich mit der Betrachtung unserer Welt nahe, die auch nicht unmittelbar durch ihre Erscheinungsweise zu erkennen gibt, dass sie Gottes Schöpfung ist.62 Die Kirche „ist und wird in der Welt wahrgenommen und dennoch ist sie nicht Welt“.63 Man geht gleichsam an der Kirche vorbei, wenn man sie auf ihre unbestrittene Sichtbarkeit hin anspricht, so wie auch die Kirche sich selbst verfehlt, wenn ihre Sorge vor allem ihrer Sichtbarkeit gilt. Auch wenn Luther von äußerlichen Zeichen der Kirche spricht, geht es stets um Zeichen, die dem Glauben eine Hilfe sein sollen, und eben nicht um Zeichen, in denen die Welt die Kirche zu erkennen vermag. Und die Zeichen sind – wie ebenfalls bereits angedeutet – auch nur Hinweise auf äußerliche Umstände, auf denen in besonderer Weise die Verheißung liegt, dass unter ihnen die Kirche verborgen ist. Aber diese eher harmlos daherkommende Gleichzeitigkeit von sichtbarer und verborgener Kirche hatte für Luther gerade in seinen Auseinandersetzungen mit der römischen Papstkirche auch noch eine dramatischere Dimension, in der wiederum das strenge „entweder … oder“ auftaucht, auch wenn beide Dimensionen faktisch immer wieder unauflöslich miteinander verschlungen sind. Luther beruft sich auf Augustin, wenn er zwei Kirchen – die wahre und die falsche Kirche – miteinander im Konflikt sieht. Hier geht es um die angesprochene Machtfrage. Indem der Papst selbst Herrschaft ausübt und damit die Entfaltung der Herrschaft Christi behindert, steht er gegen Christus, gegen das in Christus liegende Heil und ist somit eben der ‚Antichrist‘.64 Die Grenze zwischen wahrer und falscher Kirche mag theologisch klar bestimmbar sein, aber sie lässt sich in der geschichtlichen Kirche nicht eindeutig aufzeigen, so dass Luther nach dem Bruch auch umgekehrt stets damit gerechnet hat, dass es auch in der Papstkirche noch rechten Glauben im Sinne der wahren Kirche gibt. In diesem Sinne kann es von ihm aus auch keinen totalen Bruch mit dieser Kirche geben: Mit dem dennoch vollzogenen radikalen Bruch muss sich in diesem Konflikt die reformatorische Seite ihr Gewissen nicht belasten.

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Vgl. Ulrich Kühn, Kirche, 24f. Vgl. WA 39 II, 162,6f. WA 39 II, 149,22f. Vgl. besonders eindrücklich WA 7, 759.

Die Sichtbarkeit der Kirche

Auch für die wahre Kirche bleibt die rechtfertigungstheologische Einsicht festzuhalten, dass sie allein in Christus heilig ist, während sie vor Gott bis zum jüngsten Tag eine untertänige Sünderin bleibt.65 Das ist kein pessimistischer Defätismus, sondern die befreiende Bedingung der Möglichkeit, nun auch entschlossen und tatkräftig mit aller Phantasie sichtbare Kirche zu gestalten, ohne sich dabei jemals unter den Druck gestellt zu sehen, damit die Wahrheit der Kirche in Szene setzen zu müssen. Hier gilt eben das allein zu höchst vorsichtigem Gebrauch formulierte „pecca fortiter“ – „sündige kräftig“: Die sichtbare Gestaltung der Kirche folgt den Entscheidungen der Menschen, die auch, wo sie in größtmöglicher Treue zum gehörten Evangelium getroffen werden, niemals über die Ambivalenz menschlicher Gestaltungen hinauszukommen vermögen. Damit aus diesem Umstand nicht der nahe liegende Schluss erwächst, die Hände in den Schoß zu legen, weil sie nichts Reines hervorzubringen vermögen, ertönt die Ermutigung des „pecca fortiter“, d. h. entschlossen nach jeweils bestem Gewissen zu handeln und dabei stets auf die Verheißung der vergebenden Barmherzigkeit Gottes zu vertrauen, nicht als berechnendes Kalkül für gezielte Schandtaten oder opportunistische Doppelbödigkeiten, sondern als Befreiung von skrupulöser Lähmung und perfektionistischer Zaghaftigkeit. In diesem Sinne bleibt Karl Gerhard Steck zuzustimmen, dass es in der konsequenten Konzentration auf die verborgene Kirche nicht zuletzt um die besondere Freiheit der Kirche gehe.66

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Die Sichtbarkeit der Kirche

Wenn wir uns in einem dritten Gedankenbogen nun noch Johannes Calvin zuwenden, so geht es ebenso wenig wie bei Luther um eine Erfassung der ganzen Breite seiner Ekklesiologie, sondern um einen bestimmten Akzent, der allerdings für sein Verständnis der Kirche im Laufe seines Lebens zunehmend an Bedeutung gewann, nämlich die Sichtbarkeit der Kirche und ihre theologische Bewertung. Freilich wäre es absurd zu behaupten, die sichtbare Kirche spiele bei Luther keine Rolle,67 aber in ihrer theologischen Würdigung steht sie im Schatten seines Verständnisses von der verborgenen Kirche. In der theologischen Bewertung oder gar Würdigung der konkreten Gestaltungselemente der Kirche blieb Luther aus Furcht vor der Aufrichtung einer neuen Gesetzlichkeit zurückhaltend. Das änderte sich in der zweiten Generation der Reformation auch im lutherischen Einflussbereich. 65 Vgl. WA 38, 216. 66 Vgl. Steck, Lehre und Kirche bei Luther, 20. 67 In welchem Sinn auch Luther offensiv von der sichtbaren Kirche sprechen konnte, ohne freilich von dem auf der Unsichtbarkeit liegenden Akzent jemals etwas zurückzunehmen, zeigt etwa die Studie von Ernst Rietschel, Das Problem der unsichtbar-sichtbaren Kirche bei Luther.

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Bei Calvin als einem prägenden Theologen der reformierten Tradition stoßen wir auf ein eigenes ekklesiologisches Profil, das einerseits auf andere historische Bedingungen reagierte und andererseits auch eigenen theologischen Akzentsetzungen folgte.68 Im Unterschied zu Luther war die Ekklesiologie ein Hauptthema seiner Theologie.69 Dabei stand nicht die Seligkeit der Glaubenden im Vordergrund, sondern die Ehre Gottes.70 Über das besondere Profil von Calvins Idealbild der geschichtlichen Kirche kann gewiss gestritten werden, nicht aber darüber, dass sein Engagement stets der konkreten Gestaltung der Kirche galt.71 Mit Luther teilte Calvin nicht nur die besondere Wertschätzung Augustins, sondern er fühlte sich insgesamt als dankbarer Schüler der Theologie Luthers,72 was sich auch in der anfangs – vor allem gegenüber der sichtbaren Selbstdarstellungsneigung der römischen Papstkirche – favorisierten Konzentration auf die unsichtbare

68 Luther und Calvin stimmten darin überein, dass die Menschen von den Irreführungen und Belastungen des spätmittelalterlichen Kultbetriebs befreit werden mussten; vgl. dazu auch unten Kap. 13: Die Profanisierung der Bilder. Geprägt von den unterschiedlichen Gegebenheiten und Mentalitäten der beiden Personen schlägt das gemeinsame Anliegen recht unterschiedliche Wege ein. Der „charismatische Reformer“ (so Luther nach Alister Edgar McGrath, Johann Calvin, 32), setzte auf die Befreiungskraft des Glaubens und entwickelte in seiner eher provinziell-kleinstädtischen Umgebung wenig Interesse an der kommunalen Erneuerung (vgl. dazu auch Bernd Moeller, Reichsstadt und Reformation). Calvin sah insbesondere von Straßburg aus die teilweise chaotischen Entwicklungen des öffentlichen Lebens in den deutschen Gebieten der lutherischen Reformation und zog für sich daraus die Konsequenz der Notwendigkeit einer lebensfähigen Ordnung (McGrath, ebd., 136). Zudem bleibt zu beachten, dass Calvin eine städtische Situation im Blick hat, in der sich ohnehin Umbrüche abzeichneten, die zunächst nichts mit den religiösen Fragen unmittelbar zu tun hatten, und es ging nun nicht zuletzt darum, diese Veränderungen in geordnete Bahnen zu lenken. Mit den beiden Biographien von McGrath und Bernard Cottret (Calvin, 1998) kann davon ausgegangen werden, dass mindestens in dem Maße, in dem Calvin versuchte, auf die theologische Situation der Kirche gestaltend einzuwirken, umgekehrt die konkrete Situation auf Calvin und seine konkreten Gestaltungsoptionen eingewirkt hat. 69 Vgl. Gottfried Wilhelm Locher, Calvin. Anwalt der Ökumene, 10f. Unter den Reformatoren war er zusammen mit Martin Bucer der leidenschaftlichste Vertreter der Ekklesiologie; vgl. Otto Weber, Calvins Lehre von der Kirche, 19. 70 Dies formulierte Calvin nicht gegen Luther, sondern gegen die römisch-katholische Kirche, vgl. u. a. seine ‚Antwort an Kardinal Sardolet‘ (1539). 71 Die „Kraft zu gestalten und zu verwirklichen [war] Calvins eigenste Gabe“; Karl Holl, Johannes Calvin (1909), 255. 72 Zwar ist für Calvin das Amt des Apostels auf die ersten Jahre des Aufbaus der Kirche beschränkt gewesen, aber Gott könne auch zu anderen Zeiten wieder Apostel erwecken (Institutio IV 3,4). Damit habe Calvin nach Weber ohne Zweifel Luther gemeint, zumal er ihn an anderen Stellen ausdrücklich einen Apostel nenne; vgl. Calvins Lehre von der Kirche, 33. „Calvin hat nie zu verbergen versucht, wie viel er Luther verdankte.“ (Holl, Johannes Calvin, 262) Ebenso ist Calvin zeitlebens nicht auf die Idee gekommen, in den Lutheranern eine andere Kirche zu sehen – sein Engagement galt stets der ganzen reformatorischen Kirche.

Die Sichtbarkeit der Kirche

Kirche zeigt, wie sie sich in der ersten Ausgabe der Institutio von 1536 findet73 – die Kirche ist (mit Alexandre Ganoczy formuliert) zu glauben „als die unsichtbare Einheit der in Christus Erwählten“.74 Wir können uns an dieser Stelle kurzfassen, da Calvin hinsichtlich der unsichtbaren bzw. verborgenen Kirche in der Hauptsache die Einsichten Luthers teilte und auch zeitlebens vorausgesetzt hat.75 Indem es Gottes Erwählung (nicht von Einzelnen, sondern von Gliedern des Leibes Christi) ist, welche die Kirche (bereits vor der Geschichte) konstituiert,76 kann sie sich von einer unantastbaren Stabilität getragen wissen, in der sie dem geschichtlichen Wandel getrost entgegensehen kann. Die Kirche wird einerseits radikal der menschlichen Selbstgefälligkeit und aller eigenen Macht entzogen, während sie sich andererseits zugleich allen Angriffen der Welt gegenüber überlegen wissen darf.77 In der folgenden Ausgabe der Institutio, die schon nach einer relativ kurzen Zeit praktischer Erfahrungen und Enttäuschungen 1539 erschien, tritt der Aspekt der Sichtbarkeit der Kirche mit einem nachdrücklichen eigenen Akzent daneben. Das spezifische Profil von Calvins Kirchenverständnis findet sich dann in der Ausgabe von 1543. Hier blickt Calvin auf seine Erfahrungen in Straßburg (1538–1541) zurück, wo er in engen Kontakt mit Martin Bucer gekommen war, dem er viele Impulse für die konkrete Gestaltung des kirchlichen Lebens verdankt. Wenn sich die folgenden Überlegungen dennoch vor allem an der Ausgabe der Institutio von 1559 orientieren, dann ist der Grund nicht darin zu suchen, dass es noch zu weiteren Änderungen gekommen sei. Die Ausgabe von 1559 ist nicht nur die wirkungsgeschichtlich bedeutungsvollste, sondern auch insofern die ausgereifteste, als sie deutlicher als die vorherigen Ausgaben darum bemüht ist, die biblische Fundierung zu entfalten und die polemischen Grenzziehungen zu markieren.78

Während Calvins Position in Genf, wo er zeitlebens kein citoyen – mit allen Rechten ausgestatteter Bürger – war,79 zunächst überaus machtlos war, verdankte er seine

73 Vgl. insbes. das Widmungsschreiben der Institutio (1536) an König Franz I. 74 Alexandre Ganoczy, Ecclesia ministrans, 147. 75 Vgl. Paul Wernle, Der evangelische Glaube nach den Hauptschriften der Reformatoren, Bd. III: Calvin, 52. Vgl. auch den allerdings sehr an der aktuellen Frage nach den Grenzen der Volkskirche orientierten Aufsatz von Heinrich Quistorp, Sichtbare und unsichtbare Kirche bei Calvin. 76 Vgl. dazu Werner Krusche, Das Wirken des Heiligen Geistes nach Calvin, 316ff. 77 Vgl. Wilhelm Niesel, Die Theologie Calvins, 181f. 78 Vgl. Wernle, Der evangelische Glaube, Bd. III, 392. Zur Unterscheidung der verschiedenen Ausgaben der Institutio vgl. ebd., 49–67, 355–390, 403–407. Wernle stellt im Blick auf das IV. Buch der Institutio von 1559 fest: „Neu ist nichts an diesen Gedanken; sie spinnen nur weiter, was die Institutio von 1543 lehrte.“ (Ebd., 406) Die Belege im Text beziehen sich auf die Ausgabe der Institutio von 1559. 79 Das Genfer Ratsprotokoll nennt ihn anfangs ohne Namen einfach „ille Gallus“ (vgl. Weber, Johannes Calvin, 7). Die Einwohner Genfs waren in drei Kategorien unterschieden: 1. die citoyens, die

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wachsenden Einflussmöglichkeiten in der Mitte der 1550er Jahre vor allem den reichlich zuwandernden Glaubensflüchtlingen aus Frankreich, aber auch aus Italien, England und Schottland, die sich eng um ihn scharten. Einerseits wurden diese aufgrund der mitgebrachten oder in Genf neu entfalteten Wirtschaftskraft schnell zu einer einflussreichen Macht, mit der sie es auch verstanden, die ablehnende Haltung des Rates gegenüber Calvin soweit zu lockern, dass dieser zumindest in den die Kirche betreffenden Fragen einen eigenen Spielraum durchzusetzen vermochte.80 Andererseits erlangte Genf durch diese Flüchtlinge eine wohl einmalige Internationalität, welche diese Stadt bis heute in besonderer Weise auszeichnet. Dabei handelt es sich um eine wechselseitige Entwicklung, denn die Flüchtlinge wandten sich nach Genf, weil ihnen Calvin und sein Wirken in Genf besonders durch die große Verbreitung seiner Institutio längst eine wichtige Orientierung geworden war, während umgekehrt die Flüchtlinge in gewisser Weise die reformierte Ökumene nach Genf brachten, indem über sie weitreichende konkrete Beziehungen zu deren Herkunftsregionen ermöglicht und auch faktisch realisiert wurden, was nicht zuletzt einem abgestimmten Vorgehen in kirchenpolitischen Fragen zugutekam. Calvins Ekklesiologie ist sowohl durch eine deutliche Strenge als auch eine geduldige Weite geprägt. Die Strenge Calvins liegt vor allem in der eigenen Genfer Situation begründet, in der nur eine in sich gefestigte und klar positionierte Gemeinde den Ansprüchen der Politik auf die Kirche wirksam trotzen konnte. Zugleich hatte Calvin im Blick, dass sich außerhalb von Genf ein unübersichtlicher Rechtsliberalismus ausbreitete,81 in dem sich nicht nur die Machthaber anmaßten, ihr eigenes Recht mehr oder weniger willkürlich festzulegen, sondern die Menschen sich insgesamt immer weniger an gemeinsame Maßstäbe gebunden fühlten.82 DesAltbürger, 2. die bourgeois, die privilegierten Neubürger und 3. die habitants, die übrigen Bürger, „die nicht wählen, keine Waffen tragen und kein öffentliches Amt bekleiden durften“, mit der Ausnahme des Pfarramtes oder des Lektors. Calvin war ein solcher habitant und wurde erst 1559 zum bourgeois; vgl. McGrath, Johannes Calvin, 144. Gegen den immer noch nicht ganz ausgeräumten Ruf, der ‚Diktator von Genf ‘ gewesen zu sein, stellt McGrath fest: „Calvin konnte drängen, gut zureden und flehentlich bitten, was er auch tat; aber er konnte nicht befehlen“ (ebd., 146). 80 Calvin kämpfte vor allem darum, dass nicht – wie es gegen die erklärte Position Calvins in Genf üblich war – der Rat den Ausschluss einer Person vom Abendmahl wirksam werden lässt, sondern dass dies zu den genuinen Aufgaben der vom Staat deutlich zu unterscheidenden Kirche gehört; vgl. dazu McGrath, Johannes Calvin, 160ff. Indem Calvin die Aufgabe der Kirchenzucht den Ältesten zuwies, schlug er einen Weg zwischen ihrer Säkularisierung (in der die Obrigkeit für Zucht zuständig erklärt wird) und ihrer Sakralisierung (wo sie in Hände der Pfarrer wie etwa in der Hochschätzung der Beichte bei Luther) gelegt wird; vgl. Weber, Calvins Lehre von der Kirche, 86. 81 In Frankreich, der Schweiz, den Niederlanden, England, aber auch in Oberdeutschland und am Niederrhein. 82 Hier liegt ein gravierender Unterschied zum Umfeld der lutherischen Reformation, in der die obrigkeitliche Ordnung weithin anerkannt wurde, so dass Luther selbstverständlich die Zuständigkeit

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halb betonte Calvin so sehr die bindende Kraft der vom Evangelium bewirkten Freiheit. Die Weite hängt dagegen mit Calvins entschieden ökumenischer Einstellung zusammen. Er wollte keinen anderen Gemeinden seine Ansichten aufzwingen. Die Einheit der Kirche kommt nicht aus der Homogenität der menschlichen Praxis, sondern hängt an der Übereinstimmung im Empfangen des Wortes, das Calvin auch als das einzige und ausreichende Kennzeichen der Kirche bezeichnen konnte (Institutio IV 2,4).83 Die Hugenotten von Poitier empfanden Calvins Position ausdrücklich als zu lax, und sie standen damit keineswegs allein.84 So wie sich Gott in der Verhüllung des Menschen Jesus von Nazareth in besonderer Weise offenbar gemacht hat, so benutzt er auch irdische Mittel („irdene Gefäße“ 2Kor 4,7), um den Menschen nahe zu sein. Gott hat von sich aus den Weg in die Sichtbarkeit gewiesen, indem er seine Instrumente bestimmt hat, mit denen er öffentlich erkennbar in der Kirche wirken will. Zwar garantiert die Praxis dieser Instrumente keine automatische Präsenz des Heiligen Geistes und somit das Ereignis der wahren Kirche, aber umgekehrt bleibt zu unterstreichen, dass da, wo diese Instrumente nicht praktiziert werden, auch die wahre Kirche ganz gewiss nicht sein kann.85 Die Sichtbarkeit der göttlichen Instrumente lässt keinen unmittelbaren Rückschluss auf die von ihnen gegründete menschliche Gemeinschaft zu. Die tatsächliche Wirksamkeit dieser Instrumente bleibt unseren Augen verborgen. So wie die Erwählung allein von Gott gewirkt wird, so werden auch die Erwählten – als Teil der sichtbaren Kirche – allein von Gott gesehen. Wenn von der sichtbaren Kirche die Rede ist, wird die Aufmerksamkeit weder zuerst noch zuletzt auf den Menschen und seine stets unvollkommenen Gestaltungsversuche gelenkt. Von Interesse ist allein das, worin sich Gott sichtbar zu machen versprochen hat. Nicht unsere subjektiven Urteile über das Erscheinungsbild sind gefragt, sondern allein die Aufmerksamkeit auf die von Christus selbst eingesetzten Erkennungszeichen. Die Sichtbarkeit, von der hier die Rede ist, ist keine Offensichtlichkeit, sondern sie steht in einem essenziellen Kontakt zum Glauben, der seinerseits nicht anders als gottgewirkt gedacht werden kann. Die sozialen Ausdrucksmöglichkeiten und

für die Ordnung bei der Obrigkeit beließ, während die Kirche für die Verkündigung des Evangeliums zuständig sein sollte. Er war wohl der – sich später ein wenig leichtfertig erweisenden – Ansicht, dass die Obrigkeit die gesellschaftliche Ordnung fest im Griff habe, so dass die Kirche hier nicht ihre Energien verschwenden müsse; vgl. Weber, Calvin Lehre von der Kirche, 5f. 83 Vgl. auch Calvin, Streitschrift gegen die Artikel der Sorbonne (1544), 73–75. 84 Vgl. Weber, Calvins Lehre von der Kirche, 13f. 85 Hier ist Krusche gegen Peter Barth, Wilhelm Niesel, Wilhelm Kolfhaus und Heinrich Quistorp Recht zu geben, dass es bei Calvin keinen an der Sichtbarkeit der Kirche vorbeigehenden Begriff einer wahren Kirche gibt, so unbestritten auch Calvin weiterhin um die verborgene Seite der Kirche wusste; vgl. Das Wirken des Heiligen Geistes, 315f.

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Lebensgestalten menschlicher Frömmigkeit kommen in diesem grundlegenden Argumentationszusammenhang zunächst noch gar nicht in den Blick.86 Wenn Calvin in der Überschrift zum IV. Buch der Institutio von „äußeren Mitteln oder Beihilfen“ spricht, ist von vornherein angezeigt, dass es um die relative Bedeutung der Kirche gehen soll. Relativ allerdings vor allem in dem Sinne, dass die zu bedenkenden Gestaltungsfragen der Kirche bezogen bleiben müssen auf die theologischen Einsichten, die in den drei vorausgegangenen Büchern gemacht wurden. Relativität bezeichnet also keine Nivellierung der Bedeutung, sondern ihre sie auszeichnende Bindung. Es stehen keine einfach ins Belieben gestellten Vorschläge zu erwarten, denn es wird sogleich auf die Einladung und den Erhaltungswillen Gottes verwiesen. Die Kirche ist entschieden nicht der Grund und auch nicht der Gegenstand des Glaubens, ebenso wenig wie sie die Arena der Scheidung zwischen Weizen und Spreu ist. Der Glaube schließt aber die Gliedschaft am Leibe Christi seinem Wesen nach ein. Und so existiert die Kirche im Vollzug des Glaubens (qua creditur). Sie existiert gleichsam durch die glaubende Partizipation (Institutio IV 1,3). Als solche könnte sie auch als unsichtbare gepriesen werden. Doch Calvin schreitet sofort weiter zur sichtbaren Kirche: „Ebenso also, wie es für uns vonnöten, jene unsichtbare, allein für Gottes Augen wahrnehmbare Kirche zu glauben, wird es uns auch aufgetragen, diese Kirche, die im Blick auf die Anschauung der Menschen Kirche heißt, hochzuhalten und die Gemeinschaft mit ihr zu pflegen.“ (Institutio IV 1,7)

Der Ton, den Calvin nun vor allem auf die sichtbare Kirche legte, steht ganz und gar im Zeichen der Fürsorge Gottes, in der er seine „Kinder“ versammelt.87 Ihre Notwendigkeit resultiert aus der Grobsinnigkeit, der Trägheit und auch der Eitelkeit des Menschen, unter denen der Glaube schnell zum Erliegen käme, wenn die Kirche – als das irdische Wirkmittel Gottes – nicht seiner Schwachheit immer wieder aufhelfen würde (Institutio IV 1,1). Die in der Kirche in Erscheinung tretende Fürsorge Gottes zeigt sich in der Einrichtung des differenzierten Amtes und in den Sakramenten, welche „höchst nutzbringende Mittel sind, um den Glauben zu erhalten und zu stärken“ (Institutio IV 1,1). Damit ist die Bestimmung der Kirche insgesamt zusammengefasst.

86 Vgl. Niesel, Die Theologie Calvins, 186; Krusche, Das Wirken des Heiligen Geistes, 313. 87 Das ist die Metaphorik, in deren Horizont Calvin das von der Alten Kirche gern gebrauchte Bild von der Kirche als der Mutter der Glaubenden (vgl. bes. Institutio IV 1,4) und die Wendung von Cyprian (De unitate eccl. 6) aufnimmt: „Wer also Gott zum Vater hat, der muß auch die Kirche zur Mutter haben“ (Institutio IV 1,1); vgl. auch Francois Wendel, Calvin. Ursprung und Entwicklung seiner Theologie, Neukirchen-Vluyn 1968, 260.

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Das Amt war für Calvin deshalb zentral, weil es in besonderer Weise für die gegenwärtige Wirksamkeit des erhöhten Christus steht, dessen Herrschaft (regnum Christi spirituale) Calvin in besonderer Weise mit der Kirche verbunden sah.88 Zwar ist Christus allein der König der Kirche, die er durch sein Wort regiert, aber er bedient sich dabei als Werkzeug des Dienstes der Menschen. Kirche gestaltet sich als Amtskirche,89 wobei genau hinzusehen bleibt, in welcher Weise Calvin das Amt beschreibt, damit sich hier kein klerikalistisches Missverständnis einschleicht. Die ökumenische Diskussion um das Amt im 20. Jahrhundert legt hier eine ganz besondere Vorsicht nahe. Das rechte Verständnis hängt hier an der Wahrnehmung des Argumentationsgefälles. Zielt die Beschreibung der Kirche als Christusgemeinschaft 90 auf die Hervorhebung der Gemeinschaft durch Christus oder vor allem auf die Hervorhebung von Christus durch die Gemeinschaft? Die Betonung der christologischen Fundierung des Amtes kann in zwei sehr unterschiedliche Richtungen weisen, wobei die eine eben die römisch-katholische ist, in der die Kirche und das Amt mit einer besonderen Macht (potestas) ausgestattet werden, während Calvin nicht nachlässt, immer wieder zu unterstreichen, dass keine andere Macht als die des lebendigen Christus bestimmend sein kann. Die Hervorhebung der Regierungsmacht Christi hat eine herrschaftskritische Pointe, indem sie sich gegen jede Form der Menschenherrschaft in der Kirche wendet. Die Kirche ist allein darin Leib Christi, dass Christus ihr Haupt ist. Calvin beginnt seine Überlegungen über das Amt mit der Frage nach der Bedeutung des Faktums, dass Gott uns sein Wort durch Menschen ausrichten lässt. Damit sei 1. das Vertrauen erwiesen, das Gott in seiner Liebe in den Menschen setze, 2. werde die Demut der Gemeinde geübt, indem diese in ihrer Frömmigkeit sich nicht auf ein offenkundiges Machtwort Gottes, sondern tatsächlich auf den Glauben verlassen müsse, und 3. diene dies dem Zusammenhalt der Gemeinde, welche die Belehrung in geordneter Weise aus einer Hand empfange, so dass sich niemand dazu verführt sehen müsse, sich dadurch hervorzutun, dass er das Wort an sich reißt (Institutio IV 3,1). Die Kirche soll durch Menschen geleitet werden, 88 Vgl. dazu ausführlicher Krusche, Das Wirken des Heiligen Geistes, 333ff. 89 Vgl. Weber, Calvins Lehre von der Kirche, 31. Dagegen konzentriert sich die existentialistisch geprägte Interpretation von Peter Barth ganz und gar auf die eschatologisch ausgerichtete Gemeinde als communio sanctorum, ohne dass das Amt auch nur erwähnt würde; damit wird zumindest eine fundamentale Dimension von Calvins Kirchenverständnis ausgeblendet; vgl. Calvins Verständnis der Kirche (1930). 90 Wilhelm Kolfhaus sieht das Zentrum der Ekklesiologie Calvins in der Einpflanzung der Kirche in Christus – insitio in Christum. Sie eint die Kirche mit Christus (unio cum Christo) und begründet als diese Christusgemeinschaft das Verständnis der Kirche als Leib Christi, das Calvin in zugespitzter Weise so zum Ausdruck bringen kann, als sei die Kirche Christus; vgl. Christusgemeinschaft bei Johannes Calvin (1939).

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deren Autorität jedoch allein in dem von ihnen zu verrichtenden Dienst besteht: Sie sollen nichts lehren, was sie nicht selbst von Gott gelernt haben (Institutio IV 8,5). Im pointierten Sinne ist Calvin der Ansicht, dass es Gott selbst ist, der durch Menschen an uns handelt und seine Kirche leitet.91 Die Differenziertheit des vierfachen Amtes soll nicht nur einer monarchischen Hierarchie wehren helfen, sondern entspricht auch der Berücksichtigung der paulinischen Charismenlehre, nach der den Menschen unterschiedliche Charismen zukommen. Aus der Gliedschaft am Leibe Christi – und das ist entscheidend – lassen sich keine Über- und Unterordnungen zwischen den Gemeindegliedern einschließlich der Amtsträger ableiten. Wenn die Charismen dann doch auch Unterschiede in der Gemeinde bezeichnen, so betreffen diese nicht die Person, sondern ihre Aufgabe. Um dem ideologischen Missbrauch des Dienstgedankens zur Verbrämung von faktischer Herrschaft keinen Raum zu geben, sollte im Blick auf Calvins Ekklesiologie pointiert von einer funktionalen Kirchentheorie gesprochen werden,92 die allerdings nicht – wie etwa bei Trutz Rendtorff, Gert Otto oder Karl-Wilhelm Dahm – von den humanwissenschaftlich identifizierten Bedürfnissen der Gemeinschaft aus orientiert wird, sondern von den Erfordernissen, die das in den weiten Horizont des Gottes-Dienstes versetzte Leben der Gemeinschaft stellt. Indem sich die unterschiedlichen Begabungen einander ergänzen, bedürfen sich die Menschen auch gegenseitig. Die Gemeinde setzt sich aus unterschiedlichen Individuen (Individualitäten) zusammen, aber sie verträgt keine Individualisten, die ihren eigenen Nutzen verfolgen.93 Die Vielfalt (der Gaben des Geistes) gefährdet die Einheit nicht, sondern gibt ihr ganz im Gegenteil den besonderen Zusammenhalt (in der Gemeinschaft des gleichen Geistes). Die Einheit schließt ausdrücklich die Unterschiedenheit mit ein. Die Geistesgaben stehen bei Calvin vor dem Amt, das in seinen unterschiedlichen Gestalten aus ihnen abgeleitet und deshalb als ‚pneumatisch-charismatisches Amt‘ zu verstehen ist.94 Sie sind deshalb ganz und gar funktional zu verstehen (Institutio IV 7,14), während ihre Träger durch die Gliedschaft am Leibe Christi allen anderen gleichgestellt sind.

91 Es gehört in diesen Kontext, dass Calvin sich zu seinem Tun in Genf von Gott berufen wusste, was jedoch für ihn vor allem eine Verpflichtung bedeutete und keineswegs als Ausdruck einer hervorgehobenen Selbstwertschätzung verstanden werden darf; vgl. McGrath, Johann Calvin, 36f, 99f. 92 Dieser Aspekt wird besonders hervorgehoben von Jan Remmers Weerda. Die Gemeinde kann insgesamt über das Amt, an dem sie partizipiert, als eine ‚Funktionsgemeinschaft‘ aufgefasst werden; vgl. Ordnung zur Lehre, 151. 93 Vgl. Krusche, Das Wirken des Heiligen Geistes, 320. 94 Vgl. Josef Bohatec, Calvins Lehre von Staat und Kirche, 430. Die christokratisch begründete Ekklesiologie vollzieht sich ‚pneumatokratisch‘; vgl. ebd., 432f.

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Nach den Ordonnances ecclésiastiques von 1541 und 156195 favorisiert Calvin unter Einfluss von Martin Bucer96 das viergliedrige Amt: Pastoren, Lehrer, Älteste und Diakone.97 Eine eindeutige biblische Grundlage für diese Einteilung gibt es nicht, so wie im Neuen Testament auch keine Kirchenverfassung zu finden ist. Wichtig bleibt vor allem, dass einerseits mit den Ämtern alle für das Leben der Kirche notwendigen Funktionen in den Blick kommen und andererseits die Partizipation der Gemeinde fest etabliert wird. Präzise beschrieben geht es stets nur um ein Amt, das im Sinne einer differenzierten Einheit in diese vier Funktionen zu unterscheiden ist. Das Amt des Hirten ist zentral (was nicht meint vorrangig!), d. h. die anderen Ämter nehmen an diesem Amt teil, denn alle Ämter unterstehen dem Wort, dessen Verkündigung die vorzügliche Aufgabe der Pastoren ist. Der Gemeinde kommt bei der Wahl ihrer Pastoren – sowie auch der anderen Amtsträger – eine große Bedeutung zu.98 Die Lehrer sind die auf das alttestamentliche Amt der Propheten zurückgehenden Theologen, welche die rechte Lehre zu verbreiten und über deren Berücksichtigung zu wachen haben. Den Ältesten und den Diakonen fallen die beiden in keiner Gemeinde verzichtbaren Aufgaben zu, nämlich die Gemeinde zu leiten (gubernatio) und den Armen eine besondere Fürsorge (Institutio IV 3,8) sowie den Kranken die notwendige Pflege zukommen zu lassen (Institutio IV 3,9).99 Zur stets kollektiv bzw. kollegial zu gestaltenden Leitung der Gemeinde gehört die besonders sensible, von Calvin allerdings als fundamental eingeschätzte Aufgabe der Zurechtweisung der öffentlichen Anstoß erregenden Gemeindeglieder, die ggf. vom Abendmahl auszuschließen sind, damit dieses tatsächlich zur Ehre Gottes begangen werden kann – die sogenannte Kirchenzucht.100 Die Ältesten sind zudem autorisiert, den Pastoren die ggf. erforderliche Kritik zukommen zu lassen.

Es ist deutlich, dass alle herrschaftskritischen Aspekte bei Calvin im Rahmen eines theologisch begründeten Herrschaftskonzepts bleiben, so dass etwa im Unterschied 95 In: Calvin Studienausgabe, Bd. 2, 227–279. 96 Vgl. Martin Bucer, Von der wahren Seelsorge (1538). 97 Wir vernachlässigen hier Calvins unverkrampftes Verhältnis zum Bischofsamt (Institutio IV 3,8), das er allerdings u. a. unter Berücksichtigung von Apg 20,17 mit dem Presbyteramt gleichsetzt. 98 Es ist allerdings eher zweifelhaft, dass im Sinne Calvins die Gemeinde grundsätzlich für die Wahlen aller Amtsträger zuständig sein sollte, zumindest wird festzustellen sein, dass dies in Genf längst nicht in allen Fällen praktiziert wurde. Sicher ist lediglich, dass sie ggf. die Bischöfe – die Presbyter – zu wählen hat, während sie in anderen Fällen u. U. nur zu hören ist, d. h. sie darf von der Berufung eines Amtsträgers nicht ausgeschlossen werden; vgl. dazu Weber, Calvins Lehre von der Kirche, 38f; Wendel, Calvin, 268. 99 Zur Diakonie vgl. Weerda, Kirche und Diakonie in der Theologie Calvins. 100 Hans-Joachim Kraus schlägt zur Vergegenwärtigung des Anliegens der Kirchenzucht eine Brücke zu Dietrich Bonhoeffers Kritik der billigen Gnade; vgl. Die Aktualität der Theologie Calvins, 384.

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zu Luther der (anarchistisch eingefärbte) Gedanke des allgemeinen Priestertums aller Glaubenden bei ihm keinen eigenen ekklesiologischen Raum bekommt. Immerhin kommt auch nach Calvin der Gemeinde die Fähigkeit zu, die rechte von der falschen Lehre am Maßstab der Heiligen Schrift zu unterscheiden. Deshalb betont Calvin, dass nicht allein von der Leitung durch den Geist gesprochen werden solle, sondern stets Wort und Geist zusammen zu nennen seien.101 Um im Blick auf die Herrschaft zu einem tragfähigen Urteil kommen zu können, wäre vor allem der Frage nach dem besonderen Charakter der Herrschaft Gottes nachzugehen, wo durchaus mit sachlichen Überraschungen (etwa im Blick auf ihren zutiefst tröstlichen Charakter) zu rechnen ist. Doch wir wollen unsere Überlegungen zum Amt bei Calvin in diese Richtung hier nicht weiter vertiefen. Im Blick auf die Sichtbarkeit der Kirche bleibt zu unterstreichen, dass Calvin das Amt nicht zu den Kennzeichen der Kirche zählt, obwohl er es für die lebendige Praxis der Kirche unbedingt voraussetzt. Damit ist deutlich angezeigt, dass sich der kirchenleitende Verantwortung tragende Jurist Calvin zwar zum Amt keine Alternative vorstellen konnte, denn ebenso wie in jeder Stadt und in jedem Dorf bedarf es auch in der Kirche befugte und ermächtige Verantwortungsträger, d. h. eines legitimierten Regiments. Aber neben dem grundsätzlichen Unterschied zwischen der politischen bzw. bürgerlichen und der kirchlichen bzw. geistlichen Herrschaft (Institutio IV 11,1) ging Calvin grundsätzlich davon aus, dass der von dem Amt wahrzunehmende Dienst in durchaus unterschiedlicher Gestalt vollzogen werden kann – eben je nach den konkreten situativen Bedürfnissen der verschiedenen Kirchen. Wie bereits angedeutet, unterscheidet Calvins Blick auf die sichtbare (!) Kirche stets zwei Fokussierungen. Die eine Ausrichtung nimmt die fundamentale Bedeutung der Einheit der Kirche in den Blick und ist somit auf die Universalität der Kirche in ihrer Verstreuung über die ganze Welt gerichtet (1). Der andere Fokus gilt der konkret verfassten Lokalkirche in Stadt und Land (2). Die erste Perspektive blickt vor allem auf das, woran Gott selbst die Kirche erkennbar machen will. In der zweiten Perspektive werden dann die historischen Konkretionen und ihre Bedingungsfaktoren bedacht. 1. Die universale Kirche kommt nach dem ‚Urteil der Liebe‘ (iudicium caritatis) in den Blick: „danach sollen wir die Menschen als Glieder der Kirche erkennen, die durch das Bekenntnis des Glaubens, durch das Beispiel ihres Lebens und durch die Teilnahme an den Sakramenten mit uns den gleichen Gott und Christus bekennen.“ (Institutio IV 1,8) Jede weiter reichende Skepsis hinsichtlich der Redlichkeit des Glaubens hat zu unterbleiben, denn das Urteil darüber kommt allein Gott

101 Vgl. Antwort an Kardinal Sardolet, 362–365.

Die Sichtbarkeit der Kirche

zu. Das Entscheidende ist für Calvin das ‚Bekenntnis der Frömmigkeit‘, denn dieses eröffnet die Möglichkeit der Zurechnung zur Kirche auch für diejenigen, die außerhalb der Kirche stehen, solange sie nicht ausdrücklich ausgeschlossen sind (Institutio IV 1,9). Das Bekenntnis als kurze und einfache Zusammenfassung des christlichen Glaubens (gemeint ist das apostolische Glaubensbekenntnis) steht in unüberbietbarer Weise für die rechte Katholizität und Einheit der Kirche, so dass auch vereinzelte Christen der Kirche zuzurechnen sind. Hier wird deutlich, dass auch Calvin – ebenso wie Luther – stets damit gerechnet hat, dass es auch in der römisch-katholischen Papstkirche, die als solche nicht als Kirche anzusehen sei, rechte Christen geben könne, die (auch unabhängig vom Hinweis auf die erhalten gebliebene Taufe) der Kirche zugerechnet werden müssen (vgl. Institutio IV 2,11f).102 In Übereinstimmung mit der Confessio Augustana (1530) Artikel VII103 werden in der Regel nur Wort und Sakrament als Kennzeichen der Kirche angesehen (vgl. Institutio IV 1,11 u. 12).104 Diese eher uncalvinische Beschränkung – etwa gegenüber den eben zitierten Bestimmungen des ‚Urteils der Liebe‘ – unterstreicht vor allem das große Gewicht, das Calvin auf die Einheit der universalen Kirche gelegt hat.105 Zudem zeigt sich hier eine durch die Erfahrung leicht zu bestätigende theologische ökumenische Grundeinsicht: Um die Einheit ist es nur solange gut bestellt, wie sich die Kirche auf das Bekenntnis zum Handelns Gottes beruft. So wichtig Calvin auch der Lebenswandel der einzelnen Christen war, so sehr hebt er auf der anderen Seite hervor, dass die Kirche „über und über mit vielen Gebrechen bedeckt“ sein kann (Institutio IV 1,12).106 Diese gefährden aber nicht

102 Der Hinweis auf die erhalten gebliebene Taufe veranlasst Calvin, zumindest nicht zu bestreiten (non negamus), dass es in der Papstkirche auch über den einzelnen Christen hinaus noch Kirchen geben mag; vgl. seine Antwort an Kardinal Sardolet, 394–397. 103 Die christliche Kirche „ist die Versammlung aller Glaubigen, bei welchen das Evangelium rein gepredigt und die heiligen Sakrament lauts des Evangelii gereicht werden“ (BSLK, 61). Calvin hatte 1539 die CA in der ursprünglichen Fassung unterschrieben und sich fortan an den öffentlich erklärten Konsens gehalten. 104 So bereits im Widmungsschreiben der Institutio (1536) an König Franz I, 92. 105 Kaum etwas vermag mehr die Wertschätzung Calvins für Luther und die Sehnsucht nach Zusammenschluss der reformatorischen Kirchen zu unterstreichen als die hier erkennbare Selbstzurücknahme, mit der sich Calvin ganz und gar auf die Position Luthers zubewegt, wie sie auch in dem häufig zitierten Satz Luthers zusammengefasst ist: „Wo du siehst, dass die Taufe, das Brot und das Evangelium sei, da ist – ganz abgesehen vom Ort und von den Menschen – ohne Zweifel die Kirche.“ (WA 7, 720,36–38). 106 Hier wird deutlich, dass die viel diskutierte Kirchenzucht bei Calvin nicht in erster Linie auf die tugendhafte Lebensführung ausgerichtet gewesen sein kann. Vielmehr stand sie ebenfalls im Dienst der Verkündigung des Evangeliums und zielte darauf, diejenigen, die der Kirche den Rücken gekehrt bzw. sich von ihr distanziert hatten, zur Umkehr und somit zum Verbleib in der Kirche zu bewegen. – Calvin unterscheidet sich von anderen Reformierten gerade darin, dass er die Zucht nicht zu den Zeichen der Kirche zählt; vgl. Weerda, Kirche und Diakonie, 119; McGrath,

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die Einheit der Kirche, solange die beiden von Gott gegebenen Kennzeichen in der Kirche anzutreffen sind. Nach seiner Vertreibung aus Genf 1538 wollten dort seine Freunde nicht mehr am Abendmahl teilnehmen, das von den Gegnern Calvins geleitet wurde; doch Calvin fordert sie um der Einheit der Kirche willen nachdrücklich auf, diese Demonstration zu unterlassen.107 Das gilt dann auch im Blick auf die theologische Lehre. Hier wird Calvin als entschiedener Ökumeniker erkennbar, indem er bereits in einem sehr weitreichenden Sinne die Einheitserwartungen von zu hohen Anforderungen im Lehrkonsens entlastet: „Denn nicht alle Stücke der wahren Lehre sind von gleicher Gestalt. Einige unter ihnen sind derart notwendig zu wissen, daß sie bei allen unerschütterlich und unzweifelhaft fest stehen müssen, gleichsam als die eigentlichen Lehrstücke der Religion. Dazu gehören zum Beispiel folgende Aussagen: Es ist ein Gott, Christus ist Gott und Gottes Sohn, unser Heil besteht in Gottes Barmherzigkeit, und andere Aussagen gleicher Art. Dann gibt es andere Lehrstücke, über die unter den Kirchen Meinungsverschiedenheiten herrschen, die aber die Einheit im Glauben nicht zerreißen.“ (Institutio IV 1,12)

Es ist nicht unwichtig, darauf hinzuweisen, dass Calvin niemals eine geschlossene Aufzählung der „eigentlichen Lehrstücke“ vorgetragen hat. Eine solche Festlegung stünde in der Versuchung, den Glauben auf die Lehre, statt auf Christus zu fixieren.108 Lehrverschiedenheiten in weniger zentralen Fragen dürfen unter Christen kein Grund zur Entzweiung sein. Es ist auffällig, dass Calvin hier plötzlich von „Kirchen“ (Plural als der „grammatikalische Modus der Relativität“109 ) spricht. In der Wahrung der beiden Kennzeichen sind sie alle Teile der universalen Christenheit, der einen universalen Kirche. Die Angemessenheit der Verkündigung des Evangeliums als das eine Kennzeichen der sichtbaren Kirche bemisst sich an den notwendig zu wissenden eigentlichen Lehrstücken bzw. ist mit ihnen identisch. Hier handelt es sich – wiederum vergleichbar mit Luthers Verständnis – nicht um eine Lehre der Kirche, sondern um Gottes Unterweisung des Glaubens, die sich nicht in

Johann Calvin, 221; Wendel, Calvin, 265f, Willem Nijenhuis, Calvin, 585. In der Sache vgl. auch Kolfhaus, Christusgemeinschaft, 88. Sie fehlt auch in der Confession de Foy (1559), an der Calvin mitgewirkt hat, während sie in der Confessio Scotica Art. 18 (1560) und der Confessio Belgica Art. 29 (1561) genannt wird (vgl. Die Bekenntnisschriften der reformierten Kirche). Damit soll nicht in Abrede gestellt werden, dass für Calvin die Disziplin eine große Bedeutung hatte. Aber es würde die Substanz seiner ökumenischen Intention in Frage stellen, wenn er als Unterzeichner der CA ein weiteres Kennzeichen für die Kirche als notwendig erklärt hätte. 107 Vgl. CR 10b, 309; vgl. Cottret, Calvin, 183. 108 Vgl. Weber, Calvins Lehre von der Kirche, 63; ders., Die Einheit der Kirche bei Calvin, 116. 109 Marc Bloch zit. von Cottret, Calvin, 152.

Die Sichtbarkeit der Kirche

rezitationsfähigen Satzwahrheiten erschöpft, die aus dem Wort Gottes eine Theorie machen. 2. Es machte Calvin auf der anderen Seite keine Mühe, sich innerhalb der einen universalen Kirche durchaus eine große Anzahl verschiedener Einzelkirchen vorzustellen, „die jeweils stadtweise oder dorfweise nach der unter Menschen notwendigen Ordnung verteilt sind, daß jede einzelne den Namen und die Geltung einer Kirche rechtmäßigerweise trägt“ (Institutio IV 1,9110 ). Diese Formulierung zielt auf die konkreten Erfordernisse, die sich aus den jeweils unterschiedlichen Situationen ergeben und denen auch Rechnung zu tragen ist. Es geht genau um das Ernstnehmen der Fragen, die wir heute mit dem Stichwort der Kontextualität benennen. Das Eingehen auf die besonderen regionalen Erfordernisse mag eine eigene Organisationseinheit als eine eigene Kirche sinnvoll erscheinen lassen, aber dies rechtfertigt in keiner Weise die Aufkündigung der Einheit mit der einen universalen Kirche, die hier für die in aller Kontextualität zu wahrende Katholizität der Kirche steht.111 Die kirchlichen Gebräuche und die gottesdienstlichen Formen stehen nicht unter dem Druck einer Vereinheitlichung. Ihre Gestaltung fällt in die Freiheit der Gemeinden.112 Zu viel Vereinheitlichung birgt die Gefahr einer Überbewertung der Form in sich, die bis hin zu ihrer Vergötzung reichen kann. In diesem Sinne ist Vielfalt durchaus erwünscht. Calvin hat sich niemals auf eine bestimmte Ordnung etwa des Amtes oder der Gottesdienstgestaltung festgelegt.113 Deutlich stellt er fest: „Es wäre unerhört, wenn wir in den Dingen, in denen uns der Herr Freiheit gelassen hat, damit wir umso mehr Möglichkeit hätten, die Kirche zu erbauen, eine sklavische Gleichförmigkeit erstreben wollten, ohne uns um den wahren Aufbau der Kirche zu kümmern. Denn wenn wir einmal vor den Richterstuhl Gottes treten werden, um Rechenschaft abzulegen von unseren Taten, werden wir nicht nach den Zeremonien gefragt werden. Überhaupt wird eine solche Gleichförmigkeit in den äußeren Dingen keine Beachtung finden, wohl aber der rechte Gebrauch der Freiheit. Als rechter Gebrauch wird aber der gelten, der am meisten zur Auferbauung der Kirche beigetragen hat.“114

Die Bindung an Christus eröffnet in diesen Fragen eine große Freiheit. Der kritische Punkt ist an einer anderen Stelle zu suchen: Die Grenzen einer lokalen Kirche

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Übersetzung nach: Der Glaube der Reformatoren, 472. Vgl. dazu ausführlicher Kap. 12: Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität. Vgl. CR 14, 285; 15, 538. Vgl. Krusche, Das Wirken des Heiligen Geistes, 306. OS 1, 432 (zit. n. Niesel, Die Theologie Calvins, 198).

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dürfen nicht mit den Grenzen der einen Kirche Jesu Christi verwechselt werden. Keine Kirche ist berechtigt, ihre Begrenztheit zu theologisieren und daraus ein besonderes Selbstbewusstsein abzuleiten, durch das sie anderen Partikularkirchen gegenüber herausgehoben sei. Vielmehr hat sie sich als ein Teil des einen Leibes Christi zu verstehen, der irdisch-geschichtlich jenseits aller Mängel allein in der rechten Verkündigung des Evangeliums und der einsetzungsgemäßen Praxis der Sakramente in Erscheinung tritt. Energisch bestreitet Calvin den Vorwurf, er betreibe Kirchenspaltung, den er mit dem Vorwurf respondiert, dass sich Rom von der Kirche getrennt habe und zu einer Sekte geworden sei, die sich durchaus mit der Sektiererei der Täufer vergleichen lasse, weil beide – die römisch-katholische Kirche eben in ihrer Bindung an den Papst – auf unterschiedliche Weise individualistisch orientiert seien.115 Die von Calvin ins Auge gefasste sichtbare Einheit der Kirche ist identisch mit der spezifischen Bestimmung ihrer Sichtbarkeit überhaupt. In diesem Sinne hat Calvin der Unionsgedanke nahegestanden.116 Weniger missverständlich wäre von dem starken Akzent zu sprechen, den Calvin auf die theologisch profilierte Katholizität der Kirche legte – hier liegt der sachliche Anschlusspunkt für die entschiedene Ökumenizität seiner Ekklesiologie. Der auf die Katholizität gelegte Ton bewahrt die Ökumene vor einer geographischen oder historischen Engführung ihres Verständnisses und weist ausdrücklich darauf hin, dass Katholizität und somit auch die Ökumenizität keine Leistung der Kirche ist, sondern eine nicht tatsächlich zu gefährdende, vielmehr mit allen Kräften zu bewahrende Gabe Gottes.117 Die Bewahrung und Förderung der Einheit hat sich Calvin auch zu einer eigenen Aufgabe gemacht, die weit über die mühsam gelungene Einigung mit Zürich im Consensus Tigurinus (1549)118 hinausging. Calvin hat sich stets um einen Zusammenschluss aller reformatorischen Kirchen bemüht, und es bestanden gegenseitig weithin gut präparierte Aussichten auf eine Einigung mit den lutherischen Kirchen. Aber es war ausgerechnet die vollzogene Einigung mit Zürich, die dann aufgrund der Zögerlichkeit von Melanchthon und einer weniger sachlichen als vielmehr emotionalen, aber dann wohl ausschlaggebenden Reaktion von dem kontroverstheologisch aggressiven Hamburger Hauptpastor und Superintendenten Joachim Westphal119 alle

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Brief an Kardinal Sardolet, 364ff. Vgl. dazu Gerhard Reichel, Calvin als Unionsmann (1909). Vgl. Locher, Calvin, 13. In: Calvin Studienausgabe, Bd. 4, 1–27. Es kann gewiss auf Westphal bezogen werden, wenn Locher das Scheitern des Brückenschlags zu den Lutheranern auf die Lutheraner zurückführt, „die wohl des Meisters Grobheit, nicht aber seine Glaubenstiefe geerbt hatten“ (Calvin, 21); vgl. dazu Calvins werbenden Brief an die sächsischen und niederdeutschen Pfarrer vom 5. Januar 1556, in dem Calvin inhaltlich die große Übereinstimmung benennt; in: Calvin, Johannes Calvins Lebenswerk in seinen Briefen, Bd. 2, 129. Holl bemerkt da-

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Erfolgsaussichten im Blick auf die lutherischen Kirchen auf weite Sicht vereitelte120 und damit der Geschichte eines oft kleinlichen Konfessionalismus ihren Lauf ließ. Calvins ökumenische Praxis ist in besonderer Weise von der oben angesprochenen Strenge und Weite charakterisiert. Jede Gemeinde hat um der Verteidigung ihrer Selbstständigkeit willen eine möglichst konsequente Ordnung zu praktizieren, aber diese Ordnung muss sich jede Gemeinde selber geben und kann ihr nicht von außen auferlegt werden. Und so drängte Calvin im Blick auf die Ortsgemeinde auf Konsensualität, während er im Blick auf die universale Kirche auf die Freiheit setzte.121 Diese Dezentralisierung war der entscheidende Motor der von Calvin gemeinten Ökumene.122 Die Selbstverantwortlichkeit der Lokalkirche kann grundsätzlich zu angemesseneren Lösungen finden als jeder Zentralismus. Calvins Nachsichtigkeit beschränkte sich keineswegs nur auf den Blick nach außen. Sie galt auch im Umgang mit den Unvollkommenheiten der Geschwister in der eigenen Gemeinde. Er spricht von einem „falschen Wahn einer vollkommenen Heiligkeit“ (Institutio IV 1,13) und erinnert unter anderen an die Donatisten, mit denen sich Augustin herumgeschlagen habe. In dem Ideal verwirklichter Heiligkeit lauert stets die Zwietracht, so dass Calvin in ihm eine besondere List des Satans erkennt. Ähnlich wie Augustin verweist Calvin darauf, dass nach Mt 13 weder alle Fische, die vom Netz der Kirche gehalten und eingebracht werden, gute Fische seien, so wie eben auch nicht alles Unkraut aus dem Acker ausgejätet werden könne (Institutio IV 1,13). Der proklamierte Lebenspurismus ist vor allem darin anstößig, dass er die Gemeinschaft konditioniert und somit limitiert. Da führen Vorbehalte zu zwischenmenschlichen Grenzziehungen, die nicht der den Glauben begründenden Barmherzigkeit entsprechen. Calvin weist auf die Auseinandersetzungen mit den Korinthern und den Galatern, denen Paulus auch trotz der großen Verfehlungen nicht abspricht, Kirche zu sein (Institutio IV 1,14). Gewiss kann sich die Gemeinschaft dazu veranlasst sehen, dem Fehlverhalten einzelner nachzugehen und gegebenenfalls in seelsorgerlicher Abzweckung ‚Kirchenzucht‘ zu üben (vgl. dazu ausführlich Institutio IV, 12),123 aber es kann nicht dem Geschmack der Einzelnen überlassen werden, mit wem sie Gemeinschaft halten und mit wem nicht.

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zu: „Jederzeit sind die Reformierten im Vergleich mit den Lutheranern die Entgegenkommenderen gewesen.“ (Johannes Calvin, 275). Vgl. auch Irene Dingel, Westphal, Joachim. Faktisch haben die dann folgenden Großereignisse wie der Augsburger Religionsfriede (1555), das Trienter Konzil (bis 1563) und das lutherische Konkordienbuch (1580) mehr zur Spaltung der Kirche als zu deren Einigung beigetragen. Vgl. Weber, Calvins Lehre von der Kirche, 60. Vgl. dazu Weinrich, Calvin und die andere Ökumene. Weber übersetzte mit „brüderlicher Zurechtweisung“, was heute wohl noch ein weiteres Mal übersetzt werden müsste; vgl. Johannes Calvin, 11. Holl weist darauf hin, dass Calvins Erwartungen „nicht allzu weit über das auch anderweits Erstrebte hinaus“ gingen (Johannes Calvin, 268) – zumal Calvin häufig lediglich alte Regelungen fortschrieb (ebd., 269).

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Calvin gibt schließlich zu bedenken, dass die schwachen Menschen möglicherweise keineswegs mit ihren Verfehlungen im Frieden leben, sondern selber unter ihnen leiden. Ein schlichtes Aburteilen trifft in der Regel nicht die tatsächliche Situation. Gerade um ihrer Schwächen willen sind die anstößigen Menschen u. U. in ganz besonderer Weise der Gemeinschaft bedürftig (Institutio IV 1,16). Die Heiligkeit der Kirche ist noch nicht vollkommen, so dass der Herr Tag für Tag an ihren Schwächen und Hässlichkeiten arbeitet, damit sie als Braut Christi schließlich keine Flecken oder Runzeln habe (Eph 5,25–27) (Institutio IV 1,17).124 Die Heiligkeit steht nicht im Zeichen der Makellosigkeit, sondern lenkt die Aufmerksamkeit auf das erkennbare Bemühen, dem Gott eben die Heiligung nicht verweigere. Der Beitrag der Einzelnen zu diesem Prozess kann nur darin bestehen, bei sich selbst anzufangen (Institutio IV 1,15). Es waren immer unvollkommene Menschen, denen Gott seine Barmherzigkeit erwiesen hat. Es bleibt mit einer Heiligkeit der Kirche zu rechnen, die nicht einfach an der jeweiligen Erscheinungsform abgelesen werden kann.125 Die Verheißung der Heiligkeit gilt nicht irgendeiner unverwirklichten Idealkirche, sondern der geschichtlichen Realkirche. Die pragmatische Seite der Ordnung der Gemeinde steht für Calvin im Zeichen der Berechenbarkeit und Verlässlichkeit des Zusammenlebens, d. h. gegen Individualismus und mögliche Willkür. In der Betrachtung aus einer vollkommen veränderten Situation erscheinen diese verrechtlichten Regelungen in einem eher befremdlichen Licht, weil ihr autoritär statuarischer Charakter nicht mehr erkennbar macht, welche konkreten Probleme mit ihnen jeweils geregelt werden sollten. Zudem ist es uns generell fremd geworden, dass die Autorität Gottes uns in konkreten Grenzziehungen entgegentreten könne. Das zuletzt angesprochene Problem verdiente an anderer Stelle eine eigene Erörterung.

1.4

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Nach den theologiegeschichtlichen Vergegenwärtigungen komme ich auf das eingangs skizzierte Problem einer theologischen Würdigung der verfassten Kirche zurück. Ich versuche auf die in der Überschrift gestellte Frage mit vier Überlegungen zu antworten:

124 In zweierlei Hinsicht spielt bei Calvin – insbesondere unter Berufung auf Eph 4,11–16 – das Motiv der Erziehung und des Wachstums des Glaubens immer wieder eine große Rolle. Einmal im Blick auf die wachsende Heiligung der Kirche, aber eben auch im Blick auf den wachsenden Glauben ihrer Mitglieder, für welche die Kirche eine Erzieherin bzw. Schule darstelle, aus der wir während unseres irdischen Lebens nicht entlassen werden (Institutio IV 1,4); vgl. auch Quistorp, Sichtbare und unsichtbare Kirche, 88f. 125 Vgl. auch Wernle, Der evangelische Glaube, 59f.

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1.4.1

Kyrie Eleison und Hallelujah

Jede Rede von der Kirche ist mit einer kaum zu vermeidenden Unschärfe behaftet. Es ist eine Unschärfe, die vor allem dadurch zustande kommt, dass in ihr ein verheißener unanschaulicher Wahrheitsanspruch mit einer irdisch-geschichtlichen Gestalt zusammenstößt. Die auf der Kirche liegende Verheißung, der Leib Christi zu sein, steht in einem unausräumbaren Konflikt mit der überaus ambivalenten Gestalt, in der sie sich durch die Geschichte hindurch – von Anfang an bis auf den heutigen Tag – präsentiert hat. Keine Kirche nimmt heute für sich in Anspruch, die auf der Kirche liegenden Verheißungen, wie sie insbesondere in den vier im nizänischen Glaubensbekenntnis aus dem Jahre 381 der Kirche zugeordneten Attributen zum Ausdruck gebracht werden, in vollkommener Weise widerzuspiegeln. D.h. jede Kirche weiß, gemessen an diesen Attributen, um ihre Begrenztheit und Gebrochenheit, auch wenn diesem Wissen in den verschiedenen Traditionen ein höchst unterschiedliches Gewicht zugemessen wird, so dass es auch in ebenso unterschiedlicher Weise in ihrem Leben präsent ist. Selbst wenn eine Kirche – wie etwa die orthodoxe oder auch die römisch-katholische – mit dem Anspruch auftritt, die sichtbare und in gewisser Weise auch exklusive Gestalt der wahren Kirche zu sein, so weiß sie doch um ihre bleibende Angewiesenheit sowohl auf ihre Erneuerung durch den Heiligen Geist als auch auf die vergebende Gnade Gottes. In diesem Sinne möchte ich unterstreichen, dass alle Kirchen in substanzieller Weise immer auch von dem Kyrie eleison, dem „Herr, erbarme dich!“, geprägt sind, was sich auch in ihren öffentlichen Vollzügen mehr oder weniger deutlich erkennen lässt. Wo dieser ökumenische Konsens verlassen wird, indem sich etwa eine Kirche im unverwirkbaren Besitz der Gnade Gottes wähnen sollte, geraten wir wohl definitiv in einen Bereich, in dem sich die Hybris der Kirche so sehr gegen ihre Bestimmung gekehrt hat, dass sie schließlich selbst zum Inhalt ihres Zeugnisses und Bekenntnisses geworden ist und damit aufgehört hat, eine Kirche Jesu Christi bzw. des dreieinigen Gottes zu sein. Dieser Gefahr einer aufgeblähten Selbstzerstörung der Kirche durch Hybris steht die Gefahr der Selbstverflüchtigung gegenüber. Es gibt eine Betonung der Vorläufigkeit der geschichtlichen Kirche, die sich so weit von der ihr verheißenen Wahrheit distanziert, dass sie keine Möglichkeit des Kontaktes zur Wahrheit mehr für praktizierbar hält. Wird in dem zuerst genannten Fall die eschatologische Dimension der auf der Kirche liegenden Verheißung zugunsten der Behauptung ihrer gegenwärtigen Erfülltheit geopfert, so wird hier der Verheißung ganz und gar ihre präsentische Kraft entzogen, um sie einer unbestimmten Zukunft anzuvertrauen, zu der sich die Gegenwart in kein anschlussfähiges Verhältnis setzen lässt. Alle Belehrungen des Glaubens wären vor allem Ermahnungen zu permanenter Selbstunterscheidung von der Geschichte Gottes, welche die Welt im Grunde noch nicht tatsächlich erfasst hat. Eine Kirche, die allein unter dem Gesichtspunkt ihrer

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Unangemessenheit betrachtet wird, befindet sich bei genauerer Betrachtung in einer unvergleichlich trostloseren Situation als die sie umgebende säkulare Welt, die immerhin bei nüchterner Selbstbetrachtung zwischen den in ihr liegenden Möglichkeiten und den sie überfordernden Erwartungen unterscheiden könnte. Eine in ihrer geschichtlichen Existenz vollkommen von ihrer Verheißung unberührte Kirche dagegen wäre gleichsam auf die ständige Feststellung ihres Defizits abonniert und müsste zu einer unablässigen selbstmitleidigen Klagegemeinschaft werden. Jedes Hallelujah könnte nur der dem Glauben abverlangte Vorgriff auf den immer noch ausstehenden Selbsterweis Gottes sein. Gott würde in diesem Fall in strikter Trennung von seinem Volk gepriesen als jemand, der in unbestimmter Freiheit konsequent die Geschichte meidet und dessen Entscheidungen erst noch fallen werden. Bei konsequenter Realisierung dieser Perspektive ließe sich das Verhältnis zur Kirche nur als ein Fatalismus beschreiben, der mehr oder weniger grundlos und deshalb überaus berechnend darauf hofft, von Gott schließlich einmal in seiner Weltverachtung bestätigt zu werden. Die ‚reine‘ Kirche, die allein durch die Übereinstimmung mit ihr einen Heilsgenuss verspricht, erweist sich als ebenso unangemessen wie eine im Blick auf sich selbst nur hoffnungslose Kirche, die sich von vornherein und bleibend für unzuständig erklärt, weil sie ihrem eigenen Anteil an der Verheißung Gottes nicht traut. Wenn Augustin die wahre Kirche in der vorfindlichen Kirche als corpus permixtum erkennt, dann kommt die für die Kirche essenzielle Wahrheit in den Blick, dass die Verheißung ihr als einer geschichtlichen Einrichtung gilt, die als solche niemals die unmittelbare Darstellung ihrer Bestimmung ist. Die Wahrheit bleibt die Wahrheit einer Verheißung, aber diese darf und sollte auf die geschichtliche Kirche bezogen werden, ohne dass sie sich deshalb gleich mit ihr identifiziert. Insofern kann von der geschichtlichen als der wahren Kirche gesprochen werden, als sie dazu berechtigt ist, die Wahrheit der Verheißung auf sich zu beziehen. Nicht die geschichtliche Kirche ist wahr – im unmittelbar aufzeigbaren Sinne ist gar nichts wahr –, aber sie steht unter der Verheißung ihrer Bewahrheitung, die sie sich nicht selbst zumessen kann, die ihr aber gilt und nicht einem sich selbst erwählenden Kreis von Frömmigkeitsvirtuosen, die schon ihrem eigenen Vermögen den Beweis des Geistes und der Kraft zutrauen. Der Bewahrheitung durch Gott kann nicht vorgegriffen werden, und wo das geschieht, da bleibt Skepsis angesagt. Und zugleich muss umgekehrt gesagt werden: Wer die Wahrheit der Verheißung in Zweifel zieht, saniert damit ja nicht nur die berechtigte Skepsis gegenüber der geschichtlichen Kirche, sondern bezweifelt auch grundsätzlich die von Gott versprochene Achtsamkeit im Blick auf diejenigen, die sich in seinem Namen versammeln bzw. von seinem Namen zusammenrufen lassen. Nun spreche ich in diesem Zusammenhang nicht ohne Grund von der ‚geschichtlichen‘ Kirche. Das ist ein unscharfer Begriff, der keine direkten Bezüge verbindlich macht. Immerhin stellt er sicher, dass es um eine öffentlich in Erscheinung tretende

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Größe geht. Aber es kann grundsätzlich nicht darum gehen, dass von der Öffentlichkeit ein Urteil darüber erwartet werden könnte, was denn wahre Kirche sei. Es wäre von vornherein verfehlt, auch nur den Versuch anzustrengen, sich der Öffentlichkeit als die wahre Kirche präsentieren zu wollen, denn ohne eine Überhebung kann es dabei nicht abgehen. Jede Vergegenständlichung des in Anspruch genommenen Wahrheitsverständnisses bleibt konsequent zu vermeiden. Die Wahrheit, um die es hier geht, ist die Wahrheit, die im Genus eines Bekenntnisses ausgesprochen wird, nämlich des Bekenntnisses zum Vertrauen auf die Verheißung Gottes, die nicht irgendwelchen idealen Verwirklichungsformen, sondern den Menschen gilt, die ihren Zusammenhalt, ihre Gemeinschaft und ihr Engagement unter den Namen Jesu Christi gestellt sehen. Jeder Satz über die wahre Kirche bleibt ein Glaubenssatz. An seinem Verständnis zeigt sich in gewisser Weise die Mentalität dessen, was wir Glauben nennen. Bezieht er sich nur auf eine ‚Dimension der Tiefe‘126 und die von ihr aufgerührten Sinn- und Letztbegründungsfragen, oder hat er etwas mit der Geschichtlichkeit unserer Existenz zu tun? Verweist er uns nur auf Unbedingtheit, oder verwickelt er uns in besonderer Weise mit unserer Bedingtheit? Aber welchen Bedingungen folgen wir in unserer Bedingtheit? Kann es auch einmal dazu kommen, dass wir einer Verheißung Gottes mehr zutrauen als unserem empirischen Eindruck? Was wäre umgekehrt von einem Glauben zu halten, der mit einer solchen Möglichkeit nicht mehr rechnen könnte? Ein Erprobungsfeld für diese Fragen scheint mir der Umgang mit der Frage nach der Kirche zu sein. 1.4.2

Die geglaubte Kirche

Natürlich ist es gut und sinnvoll, sich in aller Konsequenz vor Augen zu führen, dass das Kirchesein von Kirche nicht unmittelbar sichtbar werden kann. Es ist ebenso wenig sichtbar, wie der Glaube sichtbar ist oder wie andere Gegenstände des Glaubens sichtbar sind. Die Kirche bleibt in dem, was sie begründet und trägt und dann hoffentlich auch bewegt, unfassbar. Sichtbar sind da mehr oder weniger religiöse Menschen, die sich mit den ihnen zur Verfügung stehenden Mitteln der Religion, welche die Ambivalenz ihrer Erscheinungsweise nicht abzuschütteln vermögen, darum bemühen, ihrem Glauben einen gemeinschaftlichen Ausdruck zu verschaffen. Aber dass sie bewegende Credo bleibt unsichtbar. Die Verhaltensweisen können redlich oder auch geheuchelt sein, so auch jedes Glaubenszeugnis, denn das, was den Grund des Glaubens ausmacht, lässt sich nicht unabhängig vom Glauben aufweisen. In diesem Sinn bleibt es für das Verständnis der Kirche essenziell, im Bewusstsein zu halten, dass sie die Gemeinschaft der Glaubenden und eben nicht die

126 Vgl. Paul Tillich, Die verlorene Dimension.

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Gemeinschaft der Sehenden und schon gar nicht die Gemeinschaft der Besitzenden ist. Unter diesem Gesichtspunkt wird die Kirche zu erwägen haben, ob es sich bei ihrer Selbstdarstellung nun besonders nahelegt, vor allem auf das Auge und die äußere Erscheinungsweise der Kirche zu setzen. Sind diese Anstrengungen nicht immer von dem Missverständnis umwittert, dass sich die Substanz des Kircheseins in irgendeiner Weise vor Augen stellen lasse? Wenn die Reformatoren gegen die augenfällige Selbstdarstellung der Kirche und die Praxis des Bilderdienstes in ihr entschieden auf das Wort und somit auf das Hören verwiesen,127 wird auch einer der Sinne des Menschen angesprochen. Gewiss machen wir uns auch beim Hören unsere Bilder, die uns in eine problematische Richtung drängen können. Deshalb ist immer wieder neu zu hören. Grundsätzlich aber haben die Reformatoren die Hör-Bilder und die Wort-Bilder von den Bild-Bildern unterschieden, welche die BetrachterInnen in einen kaum entrinnbaren Bann ziehen, der unweigerlich zu Fixierungen und Vergegenständlichungen und damit zu sachlich höchst problematischen Engführungen führt.128 Es kann jetzt nicht um eine Debatte über das Verhältnis des christlichen Glaubens zur Kunst gehen – da ließe sich im Blick auf die zeitgenössische Kunst gewiss auch manches sagen, was die reformatorischen Unterscheidungen getrost hinter sich lassen kann. Vielmehr geht es um eine besondere Achtsamkeit im Blick auf Darstellbarkeit und prinzipielle Verborgenheit. Einer Kirche sollten die hier begründet gebotenen Hemmungen anzumerken bleiben. Auch dabei geht es um das Ernstnehmen des Glaubens, der eben nicht Schauen ist. Eine Kirche, die alle mit ihr gegebenen Verlegenheiten durch die Bedienung aller Sinne überspielt, steht wiederum in der Gefahr, sich selbst als Gegenstand des Glaubens zu präsentieren. Wenn uns insbesondere Luther so energisch an die Verborgenheit der Kirche erinnert, verweist er uns in einer Welt der Bilder, deren Manipulierbarkeit durch die elektronischen Bearbeitungsmöglichkeiten heute keine Grenze mehr kennt – wie man nicht nur in Kriegszeiten erfahren kann – auf die Unanschaulichkeit des die Kirchen begründenden Wortes Gottes. Wenn darin wohl zu Recht keine Relativierung der Kirche gesehen werden soll, so bleibt jedoch festzuhalten, dass es Luther um die Etablierung eines Kriteriums ging, an dem sie nur zu ihrem Schaden vorbeigehen kann. Nicht zuletzt bleibt auf die fundamentale ökumenische Bedeutung der verborgenen Kirche hinzuweisen, denn sie eröffnet den ökumenischen Anstrengungen

127 Vgl. dazu unten Kap. 13: Die Profanisierung der Bilder. 128 Vgl. dazu unten Kap. 14: Die Wahrheit des Bilderverbots.

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einen Weg, auf die vom Glaubensbekenntnis bekannte Einheit zuzugehen, ohne eine vollständige sichtbare Vereinigung der Kirchen herstellen zu müssen.129 1.4.3

Die gestaltete Kirche

Wenn Calvin auf seine Weise den Ton auch wieder auf die sichtbare Kirche verschiebt, so kann es sich nicht um einen Gegensatz zu dem handeln, was wir gerade angesprochen haben, vielmehr geht es ihm um eine allerdings hoch eingeschätzte sachliche Ergänzung. Calvins Argumentation für die sichtbare Kirche hat zwei voneinander zu unterscheidende Dimensionen. Auf der einen Seite hebt er die äußerlichen Erkennungszeichen der Kirche hervor, ohne die es keine Kirche geben könne. Damit bleibt er auf der Linie von Augustin, Luther und der Confessio Augustana, die wir nun über das bereits Erörterte hinaus nicht weiterverfolgen müssen. Auf der anderen Seite betont Calvin die vor aller Augen stehende Menschlichkeit der Kirche und die aus dieser Menschlichkeit resultierende Gestaltungsverpflichtung, die theologisch sorgfältig bedacht sein will. Es ist nicht ein Mangel der Kirche, wenn sie diese zweifellos niemals perfekte menschliche Gestalt hat, vielmehr entspricht die Menschlichkeit dem Willen Gottes, und deshalb muss der menschlichen Gestalt auch eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Hier liegt eine besondere Pointe von Calvins Verständnis, die uns mit der eingangs gestellten Frage nach dem Verhältnis der Theologie zur verfassten Kirche konfrontiert. Im Umgang mit der offenkundigen Menschlichkeit der Kirche liegt ein besonderes Kriterium für ihre angemessene Wahrnehmung. Die Menschlichkeit ist sowohl eine der Kirche gesetzte Grenze als auch eine ihr anvertraute Verpflichtung. Die Grenze soll die Kirche mit beiden Beinen auf den Boden dieser Welt stellen. Sie ist keine religiöse Rettungsinsel, auf die man sich aus der Welt zurückziehen kann, so wie sie keine erhobene oder erhebende Plattform ist, von der aus der Mensch einen privilegierten Blick ins Jenseits – oder von oben herab auf das Diesseits – werfen kann. Und schließlich ist sie auch keine unmittelbare Institution für Gottesbegegnungen, dessen Personal nun über besondere Vermittlungsfähigkeiten verfügte oder von Gott die Verwaltung irgendwelcher Heilsschätze anvertraut wären. Der theologische Sinn der Menschlichkeit liegt vielmehr in der Fokussierung der Kirche auf den Glauben und die von ihm orientierte Freiheit. Alles, was dem Glauben dient, hat einen hohen Stellenwert in der Kirche, und alles, was von ihm ablenkt oder ihn beeinträchtigt, d. h. vor allen Dingen, alles, was ihn überflüssig zu machen scheint oder gar macht, gilt es kritisch zu beurteilen. Dabei ist der Glaube zumindest in dem gleichen Maße, wie er die Verbundenheit zu

129 Vgl. dazu Harding Meyer, Ökumenische Zielvorstellungen, 17ff.

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Gott vergegenwärtigt, die eher schmerzliche Erinnerung daran, dass wir von Gott auch noch geschieden sind. Inszenierungen, die dieses Faktum vergessen machen könnten, dienen nicht dem Glauben, sondern lenken das Vertrauen auf trügerische Verlässlichkeiten. Es ist deutlich, wie sehr die mit der Menschlichkeit der Kirche gegebene Verpflichtung mit der in ihr liegenden Grenze zusammenhängt. Die Sichtbarkeit, um die es hier geht, gründet sich auf das Vertrauen auf die Verheißungen Gottes für die Kirche und die in ihr agierenden Menschen. Der von der Kirche zu vollziehende Gottes-Dienst konkretisiert sich in vier Funktionsbereichen, wie sie im vierfachen Amt vor Augen gestellt werden. Hier zeigen sich die fundamentalen Dimensionen des Kircheseins, in denen die vom Glauben zu erwartenden Aktivitäten der Kirche in Erscheinung treten: Verkündigung (Pastoren), Theologie als kritische Begleitung der Verkündigung (Lehrer), Mitspracherecht der Gemeinde durch gewählte Vertreter (Presbyter) und konkrete Lebenshilfe (Diakone). Gewiss lassen sich diese verschiedenen Funktionen verschieden gestalten – auch die Bezeichnungen müssen nicht unbedingt diesen biblischen Bezeichnungen entsprechen, aber sie beschreiben in Calvins Perspektive zusammengenommen das Proprium, d. h. den essenziellen Aktionsradius des Kircheseins, der einer möglichst gedeihlichen und praktikablen Gestaltung bedarf. Wo eine dieser Dimensionen fehlt oder unangemessen wahrgenommen wird, nimmt die ganze Kirche Schaden, so dass sie sich aufgefordert sehen sollte, den jeweiligen Mangel zu beheben. Der hier gemeinte Blick des Glaubens ist auf das Spezifische der Kirche ausgerichtet, d. h. auf den von ihr in dieser Welt zu verrichtenden Gottes-Dienst. Daneben gibt es aber auch noch einen anderen Blick auf die Kirche, der sie von außen trifft und sie als ein Phänomen des Allgemeinen wahrnimmt. Da es sich bei diesen verschiedenen Funktionen immer auch um geschichtliche Phänomene handelt, zeigen sie sich auch dem nicht von der Verheißung Gottes geschärften Auge. Karl Barth betont, dass sie nicht nur beiläufig, sondern durchaus auch wesentlich jedem Auge sichtbar sind. Wo Calvin den Ton auf die Menschlichkeit der Kirche legt, wird er von Barth auf ihre Weltlichkeit gelegt: „das Volk Christi existiert […] mitten im Weltgeschehen […] nicht als ein in dieses eingebetteter Fremdkörper […], sondern indem es selber am Weltgeschehen teilnimmt, selber eines seiner Elemente: selber ganz und gar, durch und durch weltlich ist.“130 Die Kirche hat sich auch mit dieser öffentlichen Sichtbarkeit und den mit ihr verbundenen Möglichkeiten und vor allem aber auch Gefahren auseinanderzusetzen. Die Außenperspektive stellt die Kirche zwangsläufig in eine Konkurrenz zu anderen Religionen und setzt sie eben dem prinzipiellen Missverständnis aus, dem alle Religionen in ihrer Außenwahrnehmung ausgesetzt sind.131 Im entschlossenen

130 KD IV/3, 827f; vgl. unten Kap. 3: The Openness and Worldliness of the Church. 131 Zum Dialog mit den Religionen vgl. Weinrich, Von der Humanität der Religion.

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Ernstnehmen dieser Weltlichkeit besteht die Chance, die ihr gebotene Solidarität mit der sie umgebenden Welt angemessen wahrzunehmen, was ihr freilich keineswegs immer auch die Zustimmung dieser ihrerseits zu eigenen Verklärungen neigenden Welt einbringt.132 Da zeigen sich sowohl die Abhängigkeit der Kirche von der Welt sowie ihre besondere Freiheit,133 ebenso wie ihre unausräumbare Schwäche, in der auch ihre spezifische Kraft schlummert.134 Die Kirche ist also weder ein von der Welt zu unterscheidender eigener Raum noch ein der Welt gegenüber neutrales Gebilde. Sie ist immer bereits in der Welt positioniert und hat diese Positionierung auch ihrerseits zu bedenken und zu gestalten. In dem Gefälle unserer Überlegungen wird diese Gestaltung nicht auf eine Betonung der Selbstunterscheidung von der Welt hinauslaufen können, sondern eine besondere Wahrnehmung von Menschlichkeit und Weltlichkeit im Auge haben. Das wäre aus meiner Sicht der besondere reformatorische und unter den jeweiligen Umständen immer auch ‚protestantisch‘ wahrzunehmende Beitrag im Ringen um das rechte Verständnis von Kirche. Der mit Calvins Perspektive zusammenhängende besondere Realismus tritt in dem nüchternen und als solchem entschiedenen Gebrauch des Wortes „Kirche“ im Plural auf. Die Universalität der Kirche gestaltet sich geschichtlich immer nur lokal, d. h. sie erscheint in einer Vielzahl von nach unterschiedlichen Erfordernissen gestalteten Kirchen, die ihre Universalität darin wahren, dass sie sich alle zu der „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ bekennen, die sich als solche einer irdisch-geschichtlichen Gestaltung entzieht, aber in allen irdischgeschichtlichen Gestaltungen im Blick bleiben muss.135 1.4.4

Gemeinschaft der Heiligen

Schließlich müssen wir noch auf die soziale Dimension der Kirche zu sprechen kommen. Das, was Glaube und Kirche ausmachen, sind Beziehungen. Der auf sich selbst gestellte Mensch, die möglichst auf Selbststeigerung ausgerichtete Ich-AG oder auch nur das sich in seiner Einsamkeit beklagende Individuum sind weder der Ausgangspunkt noch überhaupt eine Perspektive von Glauben oder Kirche. Vielmehr geht es sowohl um Selbstzurücknahme als auch um Neukonstitution des Menschen. Dabei wird weder das Individuum noch die Individualität angeprangert, sondern die Ich-Gefangenschaft und der Selbstzentrismus. Wenn hier von Beziehung gesprochen wird, steht diese ganz und gar im Zeichen der Befreiung 132 Zum Problem der religiösen Existenz der Kirche vgl. Weinrich, Die religiöse Verlegenheit der Kirche. 133 Vgl. dazu KD IV/3, 840–849. 134 Vgl. dazu KD IV/3, 849–859. 135 Vgl. dazu Weinrich, Kirche bekennen.

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aus der Selbstsklaverei. Für eine Weile mag der Individualismus durchaus seine vergnüglichen Seiten haben, aber er vermag weder dem Leben über die Selbstgenügsamkeit hinaus einen externen Grund zu geben, noch stellt er auf die Dauer eine sozialverträgliche Lebensform dar. Das auf die Dauer Selbstzerstörerische, mit dem man sich bei erwachsenen Menschen u. U. abfinden könnte, ist aber zugleich das, was eine Gesellschaft in eine permanente Erosion versetzt. Ein zum Prinzip erhobener Konkurrenzindividualismus ist in seiner Sozialunverträglichkeit sowohl ein Angriff auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt als auch auf die wirtschaftliche Basis eines Gemeinwesens.136 Wie stark sich die neuzeitliche Mentalität des sich selbst verwirklichenden Individuums bei uns ausgebreitet hat, zeigt sich einerseits an der erstaunlichen Widerstandslosigkeit, in der unsere Gesellschaft die absehbaren Folgen der in eine ganz bestimmte Richtung weisenden ökonomischen Globalisierung und den zwangsläufig damit verbundenen und noch rasant zunehmenden Sozialabbau hinzunehmen bereit ist. Andererseits hat sie sich längst ausgeweitet zu einem religiösen Konsumismus, der sich mehr und mehr in das bekanntlich manipulierbare Konzept von Angebot und Nachfrage einfügt. Es ist weniger das Preisbewusstsein, was hier durch Angebot und Nachfrage reguliert wird, sondern der jeweils vermutete konkrete Nutzen, für den dann auch hohe Preise hingenommen werden.137 Auch wenn sich das Faktum nicht leugnen lässt, dass sich die Religionen und so eben auch die Kirchen unweigerlich auch auf einem Markt befinden, so wenig Grund gibt es, aus jeder Marktkirche nun tatsächlich eine ‚Markt‘-Kirche machen zu wollen. Die allseits feststellbaren fundamentalistischen Tendenzen sind übrigens zumindest im Christentum kein Widerpart dazu, sondern auf ihre Weise ein eigener Beschleuniger.138

Kehren wir zurück zu den Bestimmungen von Glaube und Kirche. Wenn der Glaube substanziell als Befreiung verstanden wird (Gal 5,1), sind auch solche Versklavungsund Dienstverhältnisse im Blick, dem dann der Gottes-Dienst als Ausdrucksform von Freiheit gegenübergestellt wird.139 Der Glaube antwortet auf die Zuwendung Gottes, durch welche der Mensch in eine Beziehung zu Gott versetzt wird, in der er nicht mehr darauf beschränkt wird, sich zu sich selbst zu verhalten. Die Wirklichkeit konstituiert sich nicht mehr in den Möglichkeiten des Ichs im Zugriff auf die von ihm erreichbare Umgebung, die als solche als unendlich eingeschätzt wird, sondern sie bekommt einen exzentrischen Grund, der ihrer Endlichkeit eine Bestimmung 136 Vgl. dazu grundlegend und ausführlich Hartmut Rosa, Resonanz. 137 Vgl. dazu Hartmut Zinser, Der Markt der Religionen, München 1997; Panorama der neuen Religiosität (2005). 138 Vgl. dazu Weinrich, Christlicher Fundamentalismus: Die Flucht nach vorn. 139 Zum theologischen Freiheitsverständnis vgl. unten Kap. 5: Kirche der Freiheit, vgl. auch Weinrich, Zur Freiheit befreit.

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gibt. Gott tritt dabei als der dem Menschen Zugewandte in Erscheinung, d. h. als einer, der nicht ohne den Menschen, nicht ohne das von ihm erwählte Volk Israel und eben auch nicht ohne die Kirche sein will. Wenn Gott in Erscheinung tritt, geht es sofort um Beziehungsverhältnisse, die als solche auch Sozialverhältnisse sind, denen im Lichte der Zuwendung Gottes die Bestimmung des Menschen gilt. Die Kirche hat sich von Anfang an mit Hilfe von Familienmetaphorik beschrieben. Die Alte Kirche hat gerne von der Kirche als der ‚Mutter der Frommen‘ (Cyprian) gesprochen. Dieses Bild wurde zwar auch von den Reformatoren – insbesondere von Calvin – aufgenommen, hat aber faktisch vor allem das traditionelle römischkatholische Verhältnis zur Kirche geprägt. In der protestantischen Tradition wird mit der Familienmetaphorik vor allem die horizontale Verwandtschaft betont, indem hier der Ton auf der Geschwisterlichkeit liegt, den berühmt-berüchtigten „Brüdern und Schwestern“. Damit soll eine besondere Qualität der Gemeinschaft hervorgehoben werden, die nicht durch einen erst von uns herzustellenden Zusammenhang begründet wird, sondern unseren Bemühungen voraus liegt. Gewiss muss dieser Zusammenhang dann auch gelebt und gestaltet werden, aber die Familienmetaphorik entzieht die Zusammengehörigkeit unserer Sympathie und Entscheidungsfreiheit und verweist uns auf eine unseren Neigungen prinzipiell vorauslaufende Verbundenheit, die zum Wesen der Kirche gehört. Der Glaube kann sich aus diesem Verwandtschaftsverhältnis zur Kirche und den Geschwistern in ihr nicht verabschieden, ohne einen Teil seiner Substanz dabei aufzugeben. Die Kirche ist der Ort, wo die Glaubenden miteinander verbunden sind, ohne sich rechtfertigen oder verteidigen zu müssen. Sie haben es immer schon mit Verwandten zu tun, was – wie man weiß – ein durchaus ambivalentes Vergnügen sein kann, aber in der Regel doch den nur wenig genutzten Vorteil hat, so sein zu können, wie man ist, ohne um sich herum erst eine besondere Imponiermaskerade zu veranstalten. Wenn man allerdings beginnt, näher zu beschreiben, was es mit der Verwandtschaft auf sich hat, zeigen sich sofort auch die Grenzen dieser Metaphorik. Unbezweifelbar ist jede Verwandtschaft Trägerin eines bestimmten Milieus, und eben dieser Begriff wird ja nicht nur in der Kirchensoziologie in unterschiedlicher Abfassung auf die realexistierende Kirche angewandt. Der Begriff des Milieus hat ebenfalls einen ambivalenten Klang. Gegenwärtig trägt er meist einen problematisierenden Ton. Aber es bleibt auch auf die positive Bedeutung hinzuweisen. Es gibt Gepflogenheiten, Bräuche und Umgangsformen, aber auch Denkformen, mit denen sich die Kirche von ihrer Umgebung unterscheidet. Jedenfalls sollte das so sein, und zwar mit einer koketteriefreien Selbstverständlichkeit, auch auf das Risiko hin, dass diese immer auch in der Gefahr stehen, ein wenig schrullig zu wirken, wie etwa die gegenseitige Anrede als Bruder oder Schwester. Wenn ich in meinem ehemaligen Fachbereich an der Freien Universität in Berlin, in dem ich der einzige aktive Professor für evangelische Theologie war, zur Beantragung einer Beurlaubung für eine Synode oder eine ökumenische Konferenz ein Einladungsschreiben

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vorlegte, das mit der Anrede „Lieber Bruder Weinrich“ beginnt – in der Ökumene folgen dann in der Regel: „warm greetings from Geneva“ –, gab es am Telefon nicht nur humorvolle Kommentierungen, sondern es stand der Eindruck im Raum, als sei ich zu einer nicht für alle offen stehenden, eher konventikelhaften und somit zumindest wissenschaftlich nicht ganz seriösen Veranstaltung eingeladen worden. Es hat schlicht etwas mit der Selbstunterscheidung der Kirche von ihrer Umwelt und mit dem von ihr gepflegten Binnenzusammenhalt zu tun, dass sie immer auch ein eigenes Milieu repräsentiert, weil sie – mit Niklas Luhmann gesprochen – ein eigenes System darstellt, das als solches Interferenzen mit seiner Umwelt mit sich bringt, die ihrerseits aus verschiedenen Systemen besteht. Es muss nur dafür gesorgt sein, dass es neben den Interferenzen auch Resonanzen gibt, ohne welche die Kirche auf ihr Milieu fixiert wäre und tatsächlich zu einem schrulligen Konventikel verkümmerte. Zu dem besonderen Milieu der Kirche gehört in besonderer Weise die Betonung der Gemeinschaftlichkeit. Sie hat ihre ‚Heiligkeit‘ allein in dieser Gemeinschaftlichkeit. Deshalb reden wir von Brüdern und Schwestern. Wenn von der Gemeinschaft der Heiligen gesprochen wird, steht die Gemeinschaftlichkeit des Glaubens im Mittelpunkt des Gedankens. Ohne diese kann Kirche nicht Kirche sein. Der Glaube ist seinem Wesen nach eine soziale und zugleich auf weitere Sozialisation ausgerichtete Angelegenheit. Er verbindet zu einer Hoffnungsgemeinschaft und befriedigt nicht in erster Linie individuelle Heilsbedürfnisse. Ein wohl kaum geringer Teil sowohl der gegenwärtig wahrzunehmenden Erosion der Kirchen als auch der Entfremdung der akademischen Theologie von der Kirche hat etwas mit dem allgemein schwindenden Bewusstsein für die Bedeutung der sozialen Verbundenheit für das menschliche Leben zu tun. Wie in den meisten Fällen, so kann auch hier nicht ein einziger Grund für eine zureichende Erklärung gehalten werden, aber hier scheint mir ein wesentlicher Schaden zu liegen, der sich auch umgekehrt bereits in dem öffentlichen Gebaren der Kirchen widerspiegelt, indem sie nun selber in merkwürdiger Weise den Eindruck nähren, als liege ihnen in besonderer Weise die Verwirklichung und Pflege einer möglichst vielfältigen Individualität am Herzen. Welche Kirche meinen wir eigentlich? Unter dieser Frage sollte das Verhältnis der Theologie zur verfassten Kirche bedacht werden. Es haben sich verschiedene Brücken ergeben, die aber alle ihrem Wesen nach nicht ganz bis an die verfasste Kirche heranführen. Es kann wohl eine theologische Reflektion der Verfassung einer Kirche geben, aber ihre lebendige Alltäglichkeit wird damit nicht erreicht. Und es wird am Ende eine Antwort auf die Frage weniger von der Kirche als vielmehr von der Theologie und ihrer Kirchlichkeit zu geben sein. Es kann sich doch stets nur um die Kirche handeln, in der eine Theologin oder ein Theologe selbst lebt und agiert. Wir können nur die Kirche meinen, in der wir selbst gestaltend mitwirken. Dies tun wir, weil wir die auf der Kirche liegenden Verheißungen nicht auf eine

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ungeschichtliche Abstraktion projizieren können. Es kann sich immer nur um eine im doppelten Sinne sichtbare Kirche handeln, die einmal dem Auge des Glaubens immer ein wenig mehr zu sehen gibt, als was tatsächlich zu sehen ist, und die als ein Stück Welt auch von jedem anderen Auge mit höchst unterschiedlichen Eindrücken wahrgenommen wird. Der Anschluss der Theologie an den Alltag einer konkreten Kirche kann nur praktiziert werden. Das schließt ja nicht aus, dass man sich gerade über seine eigene Kirche gelegentlich und durchaus einigermaßen kontinuierlich auch ärgert. Das ist auch kein Wunder, denn die eigenen Begrenztheiten sind natürlich auch in der Kirche zu finden. Aber es ist manchmal gut, sich zu fragen, ob man die ganze Palette des Familienstreits ausreizen muss, um sich über seine Verwandtschaft zur Kirche klar zu werden. Wem diese Antwort allerdings zu wenig ist, möge sich fragen, ob er sich nicht auf der Suche nach einem Ideal befindet, für das es aber zumindest in der Bibel keine entsprechende Verheißung gibt.

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2.

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Die ekklesiologische Bedeutung des reformatorischen Schriftprinzips1 Es war Karl Barth, der mit einer kompromisslosen Nachdrücklichkeit die Existenzberechtigung des Protestantismus ganz und gar an seine Treue zum Zeugnis der Bibel gebunden hat. Sie mache die alles entscheidende Substanz der reformatorischen Kirchen aus. Wo immer diese Bindung relativiert oder gar grundsätzlich problematisiert werde, erübrige sich auch ihre Daseinsberechtigung, deren Entstehung und theologische Legitimation sich zentral der konsequenten inhaltlichen und eben auch kriteriologischen Unterordnung der Kirche unter die Schrift verdanke.2 Allein in der Treue zum biblischen Zeugnis und der aus dieser Treue zu gewinnenden Kontur der Zuwendung Gottes zum Menschen kann es der Kirche möglich sein, sich tatsächlich am Wort Gottes zu orientieren, ohne neben ihm und dann eben unversehens über ihm auch anderen Ansprüchen gerecht werden zu wollen. Der angesprochene Umstand firmiert seit der Konfessionalisierung im 19. Jahrhundert unter dem Begriff des „reformatorischen Schriftprinzips“,3 mit dem ein auf die Reformatoren – insbesondere Martin Luther – zurückgeführtes systematisches Konzept des rechten Umgangs der Kirche und auch der Theologie mit der Bibel annonciert wird. Es erhebt den Anspruch, auf eine verlässliche Weise die Wahrheitsfähigkeit des biblischen Zeugnisses vor allen externen Bevormundungen schützen zu können, indem es konsequent die Evidenz der Selbstbewahrheitung der Bibel hervorhebt. Seine spezifischen Systematisierungen hat das Schriftprinzip

1 Dieses Kapitel ist eigens für diesen Band verfasst worden unter Verarbeitung eines bereits veröffentlichten deutlich kürzeren Vortrags: Michael Weinrich, Das reformatorische Schriftprinzip und seine gegenwärtige Bedeutung, in: Josef Rist u. Christof Breitsameter (Hg.), Wort Gottes. Die Offenbarungsreligionen und ihr Schriftverständnis (Theologie im Kontakt. Neue Folge 1), Münster 2013, 115‒128; vgl. auch Ders., Die Bibel legt sich selber aus. 2 Vgl. Karl Barth, KD I/1, 279f. Auch Stefan Alkier sieht gewiss aus anderen Gründen in dem Sola scriptura „das Herzstück protestantischer Identität“, Sola Scriptura 1517–2017, XI; Ders., Hermeneutik und Methodik im Zeichen des Sola Scriptura heute, 95. Ulrich Luz verweist darauf, dass die Geschichte des Protestantismus als „eine einzige Widerlegungsgeschichte des protestantischen Schriftprinzips“ erscheinen könne und markiert damit eine ernst zu nehmende Verlegenheit, zu der sich der Protestantismus zu verhalten habe: Was heißt „Sola scriptura“ heute?, Zitat S. 28. 3 Vgl. dazu Friedemann Stengel, Sola scriptura im Kontext, 26ff; Ingolf U. Dalferth, Wirkendes Wort, 1.

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in der lutherischen und reformierten Orthodoxie erfahren,4 wo zugleich auch die Wurzeln für seine spätere Problematisierung zu suchen sind. Es wird damit eine komplexe und vielschichtige Problematik angesprochen, in der es aber um nicht weniger als um die Freiheit des Wortes Gottes geht, die sich wohl schwerlich unter der Regie von kirchlichen Lehrentscheidungen oder theologischen Stringenzerwartungen bewahren lässt. Es gilt, den Textbestand eines Kanons, das Verständnis der Bibel als heiliger Schrift und das Wort Gottes selbst in ein sich gegenseitig ergänzendes wechselseitiges Verhältnis zu bringen, das sich unabhängig von der Autorität der Kirche bzw. eines ihr zugemessenen Lehramtes selbst zu autorisieren vermag. Die Reformatoren haben noch nicht von einem „Schriftprinzip“ gesprochen, waren sich aber darin einig, dass für die Kirche alles daran hänge, dass sie sich allein an die Orientierungskraft der Schrift halte. Wenn Luther von sola scriptura sprach, ging es genau um diesen Vorrang, dessen Relativierung unweigerlich zu einer nicht hinnehmbaren Selbsterhebung der Kirche über das Wort Gottes führe. Wenn dann im Blick auf die sich anschließende Geschichte des Protestantismus auch vom „Schriftprinzip“ die Rede sein soll, so geschieht das nicht, um damit irgendeiner stringenten Definition Recht zu geben, sondern ausschließlich um der Unterstreichung willen, dass der an dieser Stelle für das biblische Zeugnis in Anspruch genommene Vorrang in dem Sinne prinzipiell ist, dass jede Ausnahme abzuweisen ist. Die Verteidigung des Schriftprinzips steht in diesem Zusammenhang also für eine klare theologische Positionierung in der kontroversen neuzeitlichen Debatte um die Bedeutung der Schrift sowohl für das Selbstverständnis von Kirche als auch für das Selbstverständnis eines verantworteten christlichen Glaubens. In seinem Kern ging es in dem reformatorischen Konflikt um die konsequenzenreiche Frage, auf welche Art und Weise das von der Bibel bezeugte Wort Gottes zu der ihm entsprechenden Klarheit und Verbindlichkeit kommt, mit denen es dem von ihm konstituierten Glauben zu der ihn ausmachende Gewissheit verhilft. Einig war sich Luther mit der überkommenen kirchlichen Tradition darin, dass sich die Bibel nicht einfach durch den Geist ihrer Leser bzw. Hörer, also nicht durch das jeweilige Gutdünken des menschlichen Verstandes erschließe, sondern es bedürfe in jedem Fall einer Mitwirkung des Geistes, in dem sie verfasst wurde. Die Auseinandersetzung, die dann zu der bis heute anhaltenden konfessionellen Aufspaltung der Kirche geführt hat, konzentrierte sich vielmehr auf das Problem, auf welche Weise die erforderliche Erschließungskraft des Heiligen Geistes wirksam werden will. Die herrschende Kirche verwies auf das Wirken des Geistes in der Kirche, der sie vor den Irrtümern bewahre, von denen sich kein Mensch freisprechen

4 Vgl. Johann Anselm Steiger, Schriftprinzip; und im Blick auf die lutherische Orthodoxie Dalferth, Wirkendes Wort, 135–175; vgl. auch Walter Sparn, Subtilitas intelligendi, explicandi, applicandi.

Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

könne, indem er ihre Lehre rein erhalte und vor Irrtum bewahre. Damit wurde dem Lehramt der Kirche das rechte Verstehen des von der Bibel bezeugten Wortes Gottes anvertraut und der Kirche die erforderliche Autorität zu seinem rechten Verständnis zugemessen. Die Reformatoren haben dagegen in einer bis dahin nicht konsequent zu Ende gedachten Entschiedenheit auf die Selbstreferentialität des Wortes Gottes gesetzt und der zeitgenössischen Kirche vorgeworfen, dass sie sich einen Anspruch anmaße, durch den sie sich faktisch über das biblische Zeugnis stelle und seine Verbindlichkeit in ihre Regie nehme. Dagegen beriefen sich die Reformatoren auf die Selbsterklärungskraft der Schrift durch den Heiligen Geist, der sich an die biblische Bezeugung des lebendigen Wortes Gottes gebunden habe. Durch den Heiligen Geist steht Gott selbst für die Evidenz des biblischen Zeugnisses ein, durch welche es zu der Gewissheit führt, unter deren Verheißung es als Heilige Schrift steht. Es ist offenkundig, dass die sich hier gegenüberstehenden Positionierungen unmittelbar mit grundsätzlich unterschiedlichen Vorstellungen darüber einhergehen, was in angemessener Weise unter Kirche zu verstehen ist. Auch wenn die Terminologie nicht erst von den Reformatoren aufgebracht wurde, wird von ihnen die Kirche konsequent auf ein Selbstverständnis konzentriert, in dem sie sich konsequent als creatura verbi divini versteht. Sie ist ein Geschöpf des Wortes Gottes und steht damit nicht für die besonders begnadete Autorität seiner Auslegung oder gar Bewahrheitung. Dieses Verständnis stellt die Kirche nicht nur unter das Wort Gottes, sondern auch konsequent unter die Schrift als dessen authentische Bezeugung. Sie bleibt auf die lebendige Orientierungskraft des biblischen Zeugnisses angewiesen, durch welche sich das Wort Gottes je neu vernehmbar macht und ohne deren aktuelle Selbstvergegenwärtigung es von der Kirche nichts wirklich Bedeutungsvolles zu sagen gibt. Sie hat also allen Grund für einen bescheidenen Auftritt, der niemals den Eindruck erweckt, dass sie es sei, die das Wort Gottes lebendig erhalte. Diese reformatorische Selbstbegrenzung der Kirche richtete sich grundsätzlich gegen das überkommene Selbstverständnis der Kirche. Das betrifft sowohl die Begründung der Kirche, aber auch das Verständnis ihrer Sendung. Die zentralen Problemaspekte werden in diesem Kapitel mehr skizziert als eingehend entfaltet. Im ersten Teil wird die zentrale Bedeutung des Wortes Gottes und seine Erschließungskraft sowohl für das Gottesverständnis als auch für das Selbstverständnis der Kirche bedacht (2.1). Der zweite Teil thematisiert das Verhältnis der Gesprochenheit und des Hörens des Wortes zu der Schriftlichkeit des biblischen Zeugnisses, das gelesen und eben auch ausgelegt (exegesiert) wird (2.2). Der dritte Teil beschäftigt sich mit dem reformatorischen sola scriptura im engeren Sinne (2.3), während es anschließend um den mit diesem sola scriptura verbundenen Anspruch sowohl im Blick auf die Selbsterschließungskraft des Wortes Gottes als auch hinsichtlich des Selbstverständnisses der Kirche geht (2.4). Schließlich gilt es angesichts der einschneidenden neuzeitlichen Veränderungen im Umgang

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

mit dem biblischen Zeugnis insbesondere durch die unterschiedlichen Spielarten der historisch-kritischen Methode, nach der aktuellen Bedeutung des reformatorischen sola scriptura zu fragen. Angesichts des Umstands, dass seit einiger Zeit um das sogenannte reformatorische Schriftprinzip eine kontroverse und überaus konsequenzenreiche Debatte geführt wird, bleibt zumindest mit einigen markanten Akzenten seine gegenwärtige Relevanz zu bestimmen und damit mehr indirekt als direkt die eingangs von Barth aufgeworfene Frage aufzugreifen, wie es gegenwärtig um das spezifische Profil des Protestantismus bestellt ist (2.5).

2.1

Das Wort Gottes und die Kirche

Auch in der Kirche ist Gott nicht einfach anzutreffen. Auch ihr ist es nicht möglich, Gott so in Szene zu setzen, dass er sich unmittelbar erkennen ließe. Sie befindet sich der Gotteserkenntnis gegenüber durchaus in der gleichen Verlegenheit, in der sich auch sonst der Mensch Gott gegenüber befindet. Es könnte sich grundsätzlich wohl nur um ein Missverständnis handeln, wollten wir Gott einfach als einen Gegenstand unserer Erkenntnis ansehen. Die häufig zitierte Formulierung von Dietrich Bonhoeffer, dass es einen Gott, den „es gibt“, nicht gibt,5 macht darauf aufmerksam, dass es nicht der Mensch ist, der Gott erkennt; ein Gott, der sich den Erkenntnismöglichkeiten des Menschen unterwirft bzw. sich seinen Erkenntnisambitionen fügt, kann nicht tatsächlich Gott sein. Gott lässt sich nicht vergegenständlichen und kann somit auch kein unmittelbarer Gegenstand unserer Erkenntnis sein. Gott kann sich vielmehr nur selbst zu erkennen geben. Gott kann nur da erkannt werden, wo er nicht das Objekt, sondern vor allem eben auch das Subjekt der Erkenntnis ist. Gott bestimmt selbst die Bedingungen seiner Erkennbarkeit, oder es handelt sich um einen vom Menschen ermächtigten Götzen, der mit usurpierten Verlässlichkeiten vom Menschen zum Gott promoviert wurde. Gott ist nicht die Nominierung von uns bisher nicht zugänglichen Mächten und Geschehnissen, und so steht er auch nicht für eine Entschlüsselungsverheißung des uns bisher Unerschließbaren. Gott kann nur in seiner Selbsterschließung erkannt werden, d. h. in seiner Offenbarung. Es geht ja nicht darum, was wir für Gott halten, sondern um das, worin Gott sich selbst zu erkennen gibt und von uns erkannt werden will. Im jüdisch-christlichen Verständnis tritt Gott dadurch in Erscheinung, dass er in besonderer Weise spricht und der Mensch dies vernimmt. Was sich uns von Gott erschließt, ist das Wort Gottes. Es steht für die uns zugekehrte und uns adressierende Seite Gottes. Indem der Mensch auf die Anrede Gottes hört, verändert sich grundlegend seine ganze Wahrnehmung der Wirklichkeit. Durch das Wort Gottes

5 Dietrich Bonhoeffer, Akt und Sein, 112; vgl. dazu auch Hans Küng, Existiert Gott?

Das Wort Gottes und die Kirche

wird der Mensch zu einem Blick auf die Wirklichkeit und sich selbst ermächtigt, der fundamental über seine eigenen Möglichkeiten hinausgeht. Elementar und eindrucksvoll wird dies in der Erzählung von der Gottesepiphanie am brennenden Dornbusch in Szene gesetzt. In seiner wundersamen Anrede bleibt Gott Mose verborgen und zugleich offenbart er sich. Für Mose war nach der Epiphanie nichts mehr so, wie es vorher war, weil sie die ganze Geschichte des in Ägypten versklavten Volkes Israel in eine grundlegend neue und hoffnungsvolle Perspektive gerückt hat. Dabei gehen Offenbarung und Verhüllung in voneinander nicht ablösbarer Weise zusammen. Das klingt paradox, trifft aber exakt den Umstand, der grundsätzlich jede Selbstmitteilung Gottes begleitet. Gott wird nicht offensichtlich, aber er vergewissert dem Menschen eine neue Perspektive und ermöglicht ihm einen Glauben, der seine Situation in ein grundsätzlich verändertes und veränderndes Licht rückt, ohne dass ihm etwas an die Hand gegeben wird, mit dem sich diese Veränderung demonstrieren ließe. Auf die Frage von Mose nach dem Namen Gottes heißt es: „Ich werde sein, der ich sein werde“ (Ex 3,14). Die hebräische Formulierung kann auch wiedergegeben mit: „Ich bin, der ich bin“ – „Ich bin der, als der ich mich erweisen werde“ – „Ich werde dasein, als der ich dasein werde.“ Die Formulierung dieses Geheimnisses bleibt selbst ein Geheimnis – ebenso wie der brennende und nicht verbrennende Dornbusch (Ex 3,2) als das Wunder, welches das Wort Gottes begleitet und dieses gleichsam als solches ausweist. Mose wird geboten, ihm nicht zu nahezutreten (Ex 3,5). Die besondere Prägung des christlichen Verständnisses von der Selbstoffenbarung Gottes in seinem Wort liegt in der christologischen Pointierung und Konkretion, in der sich Gott mit seinem Wort auf den Menschen und sein Geschick einlässt und damit den inkarnatorischen Charakter seines Wortes in kaum überbietbarer Weise hervorhebt. Indem das Wort Gottes nicht nur anzeigt, was Gott will, sondern eben auch, was er tut – Gott handelt in seinem Wort – kommt seinem performativen Charakter eine essenzielle Bedeutung zu (Ps 33,9). Dass Gott sich nicht nur in seiner von uns aus unnahbaren Transzendenz bewegt, sondern auch auf seine Weise tatsächlich in das Geschehen und die Geschichte dieser Welt eingreift, bekommt in der Inkarnation seines Wortes in Jesus Christus, d. h. in der Menschwerdung seines Wortes in Jesus Christus seinen unverwechselbaren Charakter. „Das Wort, der Logos, wurde Fleisch und wohnte unter uns.“ (Joh 1,14) Dabei handelt es sich nicht um ein ebenso kontingentes wie möglichweise auch nur epochal limitiertes Zwischenereignis, dessen Realität sich nach einiger Zeit auch wieder erschöpft. Der Evangelist Johannes betont ausdrücklich, dass es sich hier um das Wort handelt, das von Ewigkeit her bei Gott und selbst seines Wesens war (Joh 1,1). Damit wird ihm eine Bestimmtheit zugemessen, die uns dazu veranlasst, in seinem Inerscheinungtreten einen Akt der freien Selbstbestimmung Gottes zu erkennen, in dem er vom Menschen erkannt werden will und seinem Willen entsprechend dann auch erkannt werden kann. Genau dies hat beispielsweise 1934 die

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

Barmer Synode der Bekennenden Kirche aufgegriffen, wenn sie in der brisanten Situation der massiven Bedrängnis der Kirche sagt, dass „Jesus Christus, wie er uns in der Heiligen Schrift bezeugt wird, […] das eine Wort Gottes [ist], das wir zu hören, dem wir im Leben und im Sterben zu vertrauen und zu gehorchen haben.“6 Hier entscheiden sich das Sein und Nichtsein der Kirche sowie die inhaltliche Perspektive des Glaubens. So deutlich und wirklichkeitsverändernd in Jesus Christus das Wort Gottes zu identifizieren ist, bleibt es doch genau das Wort Gottes, das Mose am brennenden Dornbusch erreichte und bei aller Klarheit des von ihm proklamierten Evangeliums – der Befreiung des Volkes Israel aus der ägyptischen Sklaverei – mit der Betonung der Verborgenheit des Geheimnisses Gottes einhergeht (Ex 3,8). Die neue Situation, in die sich Mose durch das Wort Gottes versetzt sah, bleibt nur in dem Festhalten des an ihn ergangenen Wortes lebendig. Und damit wir dabei nicht auf uns gestellt bleiben, verspricht Gott seine Gegenwart, bei Mose ebenso wie bei Christus, der seine Jünger und Jüngerinnen seiner Gegenwart durch den Heiligen Geist bis an der Welt Ende versichert (Mt 28,19). Und so ist eben auch im Rückschluss die Einsicht von grundlegender Bedeutung, dass das an Mose ergangene Wort Gottes als die Offenbarung des gleichen Gottes zu verstehen ist, der sich in Jesus Christus geoffenbart und gehandelt hat. Als solches ist „Wort Gottes“ keine zitierbare Formulierung, auch wenn wir in der Bibel immer wieder auf Formulierungen stoßen, die als wörtliche Rede Gottes übermittelt werden. Vielmehr ist die Rede vom Wort Gottes – mit Ingolf U. Dalferth gesprochen – „am besten als theologische Metapher [zu] verstehen – als eine Metapher dafür, wie Gott sich selbst uns verständlich macht.“7 Oder anders formuliert: Das Wort Gottes ist „die theologische Metapher für das kreative Veränderungsgeschehen, das allein Gott zu verdanken ist und sich allein durch Gottes Geist als Gottes Wirken verstehen lässt.“8 Die Metapher bezieht sich auf ein Ereignis des Handelns Gottes, mit dem er sich dem Menschen wahrnehmbar macht und in dem er ihm verlässliche Orientierung gibt. „Wort Gottes“ heißt: „‘Gott redet‘ und alles, was weiter von ihm zu sagen ist, muß als Exegese, nicht aber als Einschränkung oder Negation dieses Satzes zu verstehen sein.“9 Es geht um das Wort, das von Ewigkeit her bei Gott und mit ihm gleichen Wesens ist. Es spricht im Alten Testament und bewegt damit in besonderer Weise sowohl die Geschichte als auch Hoffnung Israels, die von Anfang an auch über Israel hinausweist. Nach dem christlichen Bekenntnis besteht dies Wort entscheidend darin, dass es in Jesus Christus Mensch wird und die in der ewigen Erwählung 6 7 8 9

Die Barmer Theologische Erklärung, 39. Dalferth, Wirkendes Wort, 281. Ebd., 358. Barth, KD I/1, 137.

Das Wort Gottes und die Kirche

Gottes in den Blick gerückte Versöhnung des Menschen mit Gott realisiert. Indem Gott sein Wort und damit sich selbst inkarniert in den jüdischen Menschen Jesus von Nazareth, so dass dieser eben das ebenso offenbare wie verhüllte Wort Gottes ist, kann dem Schluss nicht ausgewichen werden, dass überall und stets, wo und wann das Wort Gottes ergangen ist und ergeht, auch Jesus Christus in ihm als gegenwärtig vorausgesetzt werden muss. Wenn heute – insbesondere im Blick auf das jüdisch-christliche Gespräch – aus welchen Gründen auch immer eine christologische Interpretation des Alten Testaments infrage gestellt wird, steht unversehens die empfindliche Frage nach der Selbigkeit und Treue Gottes zur Debatte. Natürlich kann es ganz und gar nicht darum gehen, Jüdinnen und Juden diese hermeneutische Pointe anzutragen, aber es sollte sich theologisch plausibel machen lassen, dass gerade das besondere und niemals zur Disposition zu stellende Verhältnis der Kirche zu Israel ganz und gar davon abhängt, dass für die Kirche diese Voraussetzung gilt. Denn in der Frage der Identität des einen Gottes entscheidet sich fundamental die Substanz der Versöhnungsbotschaft des Neuen Testaments und mit der Frage der Treue Gottes die Tragfähigkeit der Rede vom Festhalten Gottes an seiner Erwählung, die allerdings nicht nur für das Verhältnis der Kirche zu Israel von entscheidender Bedeutung ist,10 sondern ebenso auch für jede Glaubensgewissheit im Horizont der Kirche. Gewiss bleibt eine besondere Sensibilität gegenüber dem Eigenzeugnis des Alten Testament geboten, auf die schon beginnend mit Johannes Calvin insbesondere in der reformierten Tradition hingewiesen wird, aber hinsichtlich der Selbigkeit des von beiden Testamenten bezeugten einen Gottes darf nicht der geringste Zweifel aufkommen, wenn es nicht zu einer heillosen Vernebelung des konstitutiven sachlichen Zusammenhangs des biblischen Zeugnisses in seiner tatsächlichen Vielfalt kommen soll. Diese Blickrichtung wird auch von Calvin ausdrücklich unterstrichen: „So haben also die heiligen Menschen von jeher Gott nicht anders erkannt, als indem sie ihn im Sohne wie in einem Spiegel anschauten. Wenn ich das sage, so verstehe ich es so: Gott hat sich den Menschen niemals anders offenbart als durch den Sohn, das heißt durch seine einige Weisheit, sein einiges Licht und seine einige Wahrheit. Aus diesem Brunnquell haben Adam, Noah, Abraham, Isaak, Jakob und andere alles geschöpft, was sie an himmlischer Lehre besaßen.“11

Es ist nicht übertrieben, wenn wir feststellen, dass wir es hier mit der Drehangel zu tun haben, in welcher die Reformatoren in all ihren Impulsen den entscheidenden Halt sowohl für ihr Schriftverständnis als auch für die Theologie insgesamt gesehen

10 Vgl. dazu unten Kap. 4: Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels. 11 Institutio IV 8.5.

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haben. „Die ganze Schrift handelt überall allein von Christus, wenn man zuinnerst hineinschauen darf; mag es dem Anschein nach anders klingen,“ statuiert Luther12 , und Calvin bestätigt ebenso offensiv: „Wir müssen die Schrift mit der Absicht lesen, Christus in ihr zu finden. Wer von diesem Ziel abweicht, der mag Zeit seines Lebens sich mühen und studieren, er wird nie zu der Erkenntnis der Wahrheit gelangen.“13 Wenn das Wesen der Offenbarung Gottes das Wort ist, das er gesprochen hat und spricht, wird es im Blick auf die Gemeinde entscheidend darauf ankommen, dass sie dieses tatsächlich vernimmt. Die von Gott angesprochenen Menschen erkennen sich als in besonderer Weise auf sein Wort angewiesen. Es ist das Wort, unter dem die Kirche steht. Wenn von der Kirche als der „Kirche unter dem Wort“ die Rede ist, wird jedem möglichen Eindruck entgegengetreten, dass es etwa die Kirche sein könnte, auf die umgekehrt das Wort Gottes angewiesen sei, damit es durch die Zeiten hindurch lebendig gehalten und jeweils so präsentiert werde, wie es für die herrschenden Umstände erforderlich ist. Dem damit angesprochenen unumkehrbaren Begründungsverhältnis kommt eine fundamentale Bedeutung zu. Es verläuft immer vom Wort Gottes aus hin zu der von ihrem Verkündigungsauftrag her zu verstehenden Kirche, und niemals umgekehrt von der Kirche zu einem auf ihre theologischen Einsichten und Festlegungen wartenden oder gar setzenden Gott. Wird auch nur an einer Stelle den Gläubigen zugemutet, dass sich die Gewissheit ihres Glaubens an die Interpretation durch die menschlich verfasste Kirche zu richten habe, dann wird mit dieser einen Überordnung der Kirche über das Wort Gottes die Substanz des die Kirche tragenden Begründungsgefälles als ganze gefährdet. In diesem Sinne geht es hier um eine prinzipielle Frage. Solange der Kirche eine heilsmittlerische Rolle zugemessen wird – so bescheiden und moderat diese auch sein mag –, wird der mit dem dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses bekannte Glaube an den Heiligen Geist so sehr an die in diesem Artikel des Glaubens von ihm unterschiedene Kirche herangerückt, dass der Glaube der Kirche zu einem Glauben an die Kirche wird. Der hier zur Debatte stehende Heilige Geist ist, pointiert gesagt, ebenso wenig ein Wirrkopf wie er ein Geheimniskrämer ist, der dann erst von theologischen oder kirchlichen Hell-Sehern verständlich gemacht werden müsste. Die Botschaft ist vielmehr klar und verständlich, so wie das Evangelium kein kompliziert verschlüsseltes Kreuzworträtsel ist, sondern den am Kreuz vollzogenen Freispruch von unserer säkularen oder auch frommen, in jedem Fall aber heillosen Gottesfeindschaft verkündet und damit unsere von Gott herbeigeführte Versöhnung mit ihm und die Verwirklichung des von ihm gestifteten Bundes zu einem Leben aus der damit wieder ermöglichten Beziehung zu Gott.

12 Zit. nach Hermann Noltensmeier, Reformatorische Einheit, 22. 13 CR 47, 125 (zit. n. Noltensmeier, Reformatorische Einheit, 67).

Das Wort Gottes und die Kirche

Wie kein anderer hat Luther immer wieder die Selbstmächtigkeit des Wortes Gottes herausgestellt.14 Bekannt ist das Zitat aus seinen Invokavitpredigten 1522: „Ich bin dem Ablass und allen Papisten entgegen gewesen, aber mit keiner Gewalt, ich hab allein Gottes Wort getrieben, gepredigt und geschrieben, sonst hab ich nichts getan. Das hat, wenn ich geschlafen habe, wenn ich Wittenbergisch Bier mit meinem Philippus und Amsdorf getrunken hab, also viel getan, dass das Papsttum also schwach geworden ist, dass ihm noch nie kein Fürst noch Kaiser so viel abgebrochen hat. Ich hab nichts getan, das Wort hat alles gehandelt und ausgerichtet.“15 „Gott wirkt mit seinem Wort mehr, als wenn Du und ich alle Gewalt auf einen Haufen zusammenbrächten.“16

Das Wort Gottes steht für die Freiheit und die Selbstdurchsetzungskraft Gottes, und als solches lässt es sich weder von der Theologie noch von der Kirche als eine bestimmte Lehre verstehen, sondern es bleibt selbst der Ausgangspunkt für alles, was es in der Kirche zu lehren gibt. Wenn von der Kirche als creatura verbi divini gesprochen wird, geht es streng genommen nicht um die Schrift. Indem das Wort Gottes aber seine unvergleichliche Klarheit aus seiner Identität mit Christus bezieht, wie sie uns in der Schrift erschlossen wird, kommt ihre Maßgeblichkeit unversehens immer mit in den Blick.17 Es gilt also die unverbrüchliche Korrelation von Wort Gottes – Jesus Christus – Heilige Schrift – göttliche Lehre. Es wird deutlich, dass nach reformatorischem Verständnis die Kirche eine in beinahe jeder Hinsicht nachgeordnete Größe ist. Das nimmt ihr aber in keiner Hinsicht ihre Bedeutung, ganz im Gegenteil. Nur indem sie dient, kommt ihr eine Bedeutung zu, und wo sie religiöse Herrschaft auszuüben versucht, verliert sie ihre Bestimmung und stellt sich gegen sich selbst. In besonderer Weise hat sich ihre grundsätzlich sekundäre Rolle in ihrer konsequenten Unterordnung unter das Zeugnis der Schrift zu bewähren. Ganz entschieden formuliert Martin Luther: „Denn die Kirche entspringet aus dem Wort der Verheißung durch den Glauben und wird eben mit demselben Wort der Verheißung ernähret und erhalten, d.i., sie wird durch die Verheißung Gottes und nicht die Verheißung durch sie gestiftet. Denn das Wort Gottes ist unvergleichlicher Weise über der Kirche, über welches Wort Gottes die Kirche als eine Kreatur nicht Macht hat, etwas zu stiften, zu ordnen oder zu tun, sondern sie soll gestiftet, geordnet und gemachet werden. Denn wer kann seinen Vater oder Mutter gebären?“18

14 15 16 17 18

Vgl. dazu Werner Führer, Das Wort Gottes in Luthers Theologie. WA 10 III, 18. WA 10 III, 16. Vgl. Dalferth, Wirkendes Wort, 124f. De captivitate Babylonica ecclesiae, WA 6, 560f; Übersetzung nach: Martin Luther, Ausgewählte Werke, hg. v. Hans Heinrich Borcherdt u. Georg Merz, Bd. 2, München 3 1962, 237f.

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

Die Kirche wird konstituiert und erhalten im Hören auf das in der Schrift enthaltene Wort Gottes. In diesem Sinne ist sie konsequent als creatura verbi divini zu verstehen. Allein aus dieser spezifischen Geschöpflichkeit erwächst ihr auch ihre besondere Erwählung und Sendung, während sie sich jenseits dieser Geschöpflichkeit nur selber missverstehen kann, so sehr sie sich auch selbst mit Bedeutung aufladen und darstellen mag. Auch nach Calvin ist die Autorität der Kirche ganz und gar von der Schrift abhängig. Die Kirche kann sich je und je stets nur auf eine geliehene Autorität berufen.19 Mithilfe einer Inanspruchnahme eines besonderen Interpretationsrechtes kann die Kirche dem Wort Gottes keinen besonderen Schutz in Aussicht stellen, vielmehr bindet sie die Gemeinde an ihre menschlichen Mutmaßungen; der vorgegebene Schutz wäre vor allem ein Schutz vor der Bibel.20 Als ihr Fundament geht die Schrift der Kirche voraus und bleibt als solche die Richtschnur, der sie sich unterzuordnen hat.21 Deshalb verbietet es sich, das Verständnis der Schrift von dem „Gutdünken der Kirche“ anhängig zu machen: „Als ob Gottes ewige und unverletzliche Wahrheit auf menschliche Meinung gegründet wäre! […] ‚Also‘ – so sagt man […] – ‚hängt es von der kirchlichen Bestimmung ab, welche Verehrung der Schrift zukommt und welche Bücher ihr überhaupt zuzurechnen sind!‘ So machen sich diese Menschen, die Gott die Ehre rauben, […] gar keine Sorge darüber, in was für Widersinnigkeit sie sich und andere verwickeln – wenn sie nur einfältigen Leuten die Meinung aufdringen, die Kirche hätte Vollmacht zu allem! Was soll aber aus den armen Gewissen werden, die feste Gewissheit des ewigen Lebens suchen, wenn alle Verheißungen, die darüber bestehen, allein auf Menschenurteil beruhen?“22

Es ist deutlich, dass wir es hier – gewiss mit unterschiedlichen Akzentsetzungen, aber im Grundsatz zutiefst übereinstimmend – mit dem gemeinsamen Fundament der Reformatoren zu tun haben und damit mit dem entscheidenden Schlüssel zum Verständnis der Reformation insgesamt.23

19 20 21 22 23

Vgl. Jean Calvin, Antwort an Kardinal Sadolet, 425. Vgl. Dieter Schellong, Calvins Auslegung der synoptischen Evangelien, 23. Vgl. Calvin, Institutio I 7.2. Institutio I 7.1. Vgl. dazu ausführlicher Noltensmeier, Reformatorische Einheit. Auch wenn die heute normative Höchstgeltung des Wortes Gottes sowohl von der orthodoxen als auch von der römisch-katholischen Theologie grundsätzlich anerkannt werden, so bleibt doch die konsequente systematische Unterordnung der Kirche unter die Schrift ein spezifisches Charakteristikum der reformatorischen Tradition. So jüngst erst besonders pointiert Konstantinos Nikolakopoulos, Verständnis und Interpretation der Heiligen Schrift in der Orthodoxen Kirche, 142: „Nicht aus der Bibel ist die Kirche hervorgegangen, sondern dem kirchlichen Leben sind die biblischen Texte entsprossen.“ Der kritische Punkt ist die damit begründete exklusive Schriftauslegungsautorität der Kirche.

Vom Hören des Wortes und Lesen der Schrift

2.2

Vom Hören des Wortes und Lesen der Schrift

Ist erst einmal die fundamentale Selbstbindung der Reformation an das Wort Gottes und seine Selbstbezeugung durch das biblische Zeugnis verstanden, gilt es gleich in einem zweiten Schritt auf die Gefahr eines biblizistischen oder gar fundamentalistischen Missverständnisses aufmerksam zu machen. Dies ist umso mehr geboten, da es sich nicht nur um eine theoretische Gefahr handelt. Schon in der Reformationszeit selbst und dann insbesondere in der altprotestantischen Orthodoxie haben diese Missverständnisse zu teilweise heftigen Auseinandersetzungen geführt, und sie sind eben auch heute noch durchaus verbreitet anzutreffen. Die Reformatoren verweisen das rechte Verständnis des Glaubens zwar exklusiv auf das biblische Zeugnis, aber sie haben niemals von einem Glauben an die Bibel gesprochen. Indem sie ganz und gar auf Christus und seine Selbstbezeugung setzten, um die es nach ihrer Meinung in dem biblischen Zeugnis gehe, sahen sie sich zwar ganz auf das biblische Zeugnis verwiesen, aber sie haben damit entschieden nicht einer Buchreligion den Weg bahnen wollen.24 Zwar haben die Reformatoren der Mitwirkung des Heiligen Geistes beim Verfassen der biblischen Texte ein so hohes Maß eingeräumt, dass sie sogar einigermaßen unbefangen davon sprechen konnten, dass sie vom Heiligen Geist verfasst worden sei, aber zugleich haben sie doch ausdrücklich eine kritische Distanz zwischen dem Wort Gottes und seiner biblischen Überlieferung festgehalten, indem sie auch um den menschlichen Anteil beim Zustandekommen der Texte wussten, der sich nicht zuletzt in zueinander in Spannung stehenden Aussagen oder gar Widersprüchen ebenso wie in tatsächlichen Irrtümern besonders bemerkbar macht. Darin mag eine gewisse Verdunkelung gesehen werden, aber die Reformatoren betonen im Zusammenhang mit dem an dieser Stelle zu machenden Eingeständnis, dass diese Trübungen der Klarheit des von der Bibel bezeugten Gotteswortes keinen bemerkenswerten Abbruch täten. Die erforderlichen Klarstellungen sehen sie konsequent der Selbsterklärungskraft des biblischen Zeugnisses untergeordnet, d. h. die prinzipielle Überordnung der Bibel wird von diesen Mängeln nicht berührt. So bleibt gesichert, dass die Vergewisserung des Wortes am Ende nicht doch den Leserinnen und Lesern des biblischen Textes oder eben der Kirche anvertraut werden muss, die dann im Zweifelsfall dem undeutlich gewordenen Wort Gottes zu der nötigen Deutlichkeit verhelfen müssten. Damit wäre der solennen Berufung auf die Bibel sofort wieder die Substanz entzogen und ihrer externen Auslegung käme die entscheidende Bedeutung zu. Die Reformatoren nehmen sich zwar in unterschiedlicher Intensivität die Freiheit zur Sachkritik an der Bibel heraus, aber dies geschieht in der festen Überzeugung, dass davon niemals die Klarheit der biblischen Botschaft betroffen ist. Es ist insofern

24 Vgl. auch Jähnichen, Traugott, Sola Scriptura, 130; Dalferth, Wirkendes Wort, 122f, 247.

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eher das Gegenteil der Fall, als es eben diese Klarheit der biblischen Botschaft ist, von der sie sich auch zu ihrer Sachkritik an der Bibel ermächtigt sehen. Die in diesem Zusammenhang durchschlagendere Erkenntnis ist aber an einer anderen Stelle zu suchen, nämlich der bedeutungsvollen Unterscheidung zwischen der Mündlichkeit des Wortes Gottes (des Evangeliums) und seiner schriftlichen Bezeugung.25 Dem Umstand, dass Gottes Handeln am Menschen durch sein Wort geschieht und dieses Wort als ein lebendiges Wort zu verstehen ist, wird am unmittelbarsten entsprochen, wenn dieses Wort gehört wird. Es entspricht ja auch dem zugrundeliegenden Geschehen, dass das Gesprochenwerden in jeder Hinsicht seiner Bezeugung vorausgeht. Und auch wenn nicht an das unmittelbare Handeln Gottes gedacht wird, sondern lediglich an die Weitergabe seines Wortes, dann ist es an erster Stelle die mündliche Verkündigung des Evangeliums, durch die es den Menschen ‚laut‘ wird. Die Predigt steht für die Urform des Evangeliums, in der es öffentlich verkündet wurde, und die Schrift kann bestenfalls als eine abgeleitete Form der mündlichen Predigt angesehen werden, die dann wiederum ganz und gar auf die Predigt ausgerichtet ist.26 „Das Evangelium sollte eigentlich nicht Schrift, sondern mündliches Wort sein […] wie Christus selbst nicht geschrieben, sondern nur geredet hat, und seine Lehre ist nicht Schrift, sondern Evangelium genannt hat, das ist eine gute Botschaft oder Verkündigung. Dieses soll nicht mit Federn sondern mit dem Mund geschrieben werden.“27

Ja, die Schrift wird von Luther sogar nur als eine Notmaßnahme bezeichnet, mit der sich die Kirche den bereits in ihren Anfängen aufkommenden Verfälschungen entgegenstellte: „Dass man aber hat Bücher müssen schreiben ist schon ein großer Abbruch und ein Gebrechen des Geistes, dass es die Not erzwungen hat, und nicht die Art des Neuen Testaments. Denn da anstatt der frommen Prediger aufstanden Ketzer, falsche Lehrer und mancherlei Irrtum, die den Schafen Christi Gift zur Weide gaben, da musste man das letzte versuchen, das zu tun und nötig war, auf dass doch etliche von den Schafen vor den Wölfen errettet würden; da fing man an zu schreiben, um doch durch die Schrift, so viel als möglich war, die Schäflein Christi in die Schrift zu führen und damit erreichen,

25 Vgl. dazu auch Jähnichen, Sola Scriptura, 114–120. 26 Vgl. Noltensmeier, Reformatorische Einheit, 19. Historisch bekräftigend verweist Jähnichen auch auf den Umstand, dass im 16. Jahrhundert die Buchdruckerkunst noch in ihren Anfängen steckte und somit der Zugang zu Büchern keineswegs allen offenstand, zumal auch die Fähigkeit des Lesens nur besonders ausgebildeten Menschen zur Verfügung stand; vgl. Sola Scriptura, 118f. 27 WA 10 I/1, 17.

Vom Hören des Wortes und Lesen der Schrift

dass doch die Schafe sich selbst weiden möchten und vor den Wölfen bewahren, wo ihre Hirten nicht weiden oder zu Wölfen werden wollten.“28

Die Schrift wird von Luther hier ausdrücklich der Gemeinde zugewiesen, damit diese gefahrlos die nötige Nahrung zu sich nehmen kann, die sie am Leben erhält, und sich nicht durch die Einnahme unkontrollierbarer Angebote vonseiten unzuverlässiger Hirten in Gefahr begeben muss. Auch um von vornherein jeder Spekulation und Phantasterei den Weg zu verstellen – Luther hat dabei vornehmlich die von ihm sogenannten Schwärmer im Blick –, kommt der Schrift die erforderliche Orientierungskraft zu, um die Gemeinde vor allen Verirrungen durch eigenwillige Inanspruchnahmen des Heiligen Geistes zu bewahren. Dem Wort Gottes entspricht am unmittelbarsten die mündliche Rede. Das Evangelium steht für „eine Predigt und Geschrei von der Gnad und Barmherzigkeit Gottes […] und ist nicht eigentlich das, das in Büchern stehet und in Buchstaben verfasset wird.“29 Aber neben der rechten Predigt sah Luther das Evangelium bzw. das Wort Gottes exklusiv auch in der Schrift enthalten, allerdings muss es dort erst aufgesucht werden, denn sie ist nicht selbst das Wort Gottes. Im Zweifel bleibt schließlich der nötige Orientierungsbedarf jedoch ganz und gar auf die Schrift verwiesen, denn außerhalb der Schrift lässt sich das lebendige Wort Gottes nicht finden.30 Das ist die Maßgabe, die für die Gemeinde und somit für die Kirche als essenziell zu gelten hat. Wenn Simon Kuntze in seiner jüngst vorgelegten Rekonstruktion des Lutherischen Schriftprinzips den zunächst paradox erscheinenden Titel „Die Mündlichkeit der Schrift“ gibt, will er uns noch einen Schritt über die beschriebene Problemkonstellation hinausführen, indem er die mediale Schriftlichkeit des biblischen Zeugnisses ganz und gar, und das heißt eben auch bis hinein in den praktischtheologischen Gebrauch der Bibel als Schrift, in den Horizont seiner impliziten Mündlichkeit rückt. Indem das Evangelium von der Vergebung der Sünde in aller Welt einerseits von Luther an das mündliche Wort gebunden wird, was seinen Niederschlag auch in den lutherischen Bekenntnisschriften gefunden hat,31 und gleichzeitig die unbedingte Autorität der Schrift exponiert wird, gilt es einen genuinen Zusammenhang zu bedenken und dann auch für das Verständnis des sogenannten Schriftprinzips festzuhalten, der nicht schon dadurch erfasst ist, dass beide Dimensionen strickt aufeinander bezogen werden. Die entscheidende Kontur des reformatorischen sola scriptura, vermittels derer es auch heute noch gegenüber

28 WA 10 I/1, 627 (zit. nach Simon Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 117). 29 WA 12, 259 (zit. n. Noltensmeier, Reformatorische Einheit, 19). 30 Dabei bleibt es bemerkenswert, dass nicht von den Schriften, sondern von der Schrift in Entsprechung zum Wort Gottes und dem Evangelium gesprochen wird; vgl. dazu Dalferth, Wirkendes Wort, 303–307. 31 Vgl. Schmalkaldische Artikel 1539, BSLK 449.

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dem Schriftverständnis anderer Konfessionen verteidigungswürdig bleibt, ist darin verstanden, dass auch der graphischen Medialität des biblischen Zeugnisses selbst die spezifische Mündlichkeit des Evangeliums konzeptionell inhärent ist,32 d. h. „das evangelische Schriftprinzip [weiß] die ‚mündliche Tradition‘ gleichsam in der Schrift wirksam“.33 Erst in dieser konsequenten Zuspitzung kann das reformatorische sola scriptua den Einwänden des tridentinischen Konzils, das den je aktuell auftretenden Klärungsbedarf im rechten Verständnis der Bibel der Kirche anvertraut (und damit die bestehende vorherrschende Praxis bestätigt) hat, sachlich standhalten. Bevor diese besonderen Implikationen weiter vertieft werden sollen, wenden wir uns unter Bezug auf die Konkordienformel34 zunächst den inneren Verweisungszusammenhängen dieses sola scriptura im engeren Sinne im Verständnis von Luther zu.

2.3

‚Sola scriptura‘

Auch für Luther war keineswegs strittig, dass die Bibel ausgelegt werden müsse, weil sie sehr voraussetzungsvoll und teilweise auch in rätselhafter Verschlüsselung spricht. Der Konflikt, an dem sich dann auch die Reformation insgesamt entzündete, ist – wie bereits gezeigt wurde – in der Frage aufgebrochen, welcher Autorität zu folgen ist, wenn es um die rechte Schriftauslegung geht. Ist die Kirche vermittels ihres Lehramtes autorisiert, unter Berufung auf die von ihr verantwortete Tradition Auslegungsfragen zu entscheiden, oder gilt im Blick auf die Bibelauslegung eine andere Autorität, der sich auch die Kirche und das Lehramt zu unterwerfen haben? In dem Maße, in dem sich im Mittelalter die zunehmende Kritik an der Kirche auf die Bibel berief (z. B. in den Armutsbewegungen, bei den Waldensern, Jan Hus oder auch Franz von Assisi), wurde vonseiten der Kirche ihre besondere Auslegungsautorität und die Vollmacht ihrer Lehre betont. Je mehr die Theologie den Charakter einer sich ausdifferenzierenden Lehre angenommen hatte, umso

32 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 16f. 33 Ebd., 18. 34 Die Heilige Schrift „bleibt allein […] der einig Richter, Regel und Richtschnur, nach welcher als dem einigen Probierstein (lapis Lydius) sollen und müssen alle Lehren erkannt und geurteilt werden, ob sie gut oder bös, recht oder unrecht sein.“ Konkordienformel 1577, BSLK, 769. Friedemann Stengel macht auf den bemerkenswerten Umstand aufmerksam, dass in den lutherischen Bekenntnisschriften außer in der zitierten Einleitung der umstrittenen Konkordienformel dem Schriftprinzip keine explizite Aufmerksamkeit gewidmet wurde; vgl. Sola scriptura im Kontext, 19ff. Stengel selbst hält das protestantische Schriftprinzip für eine überholte Konstruktion des 19. Jahrhunderts; vgl. ebd., 26ff.

‚Sola scriptura‘

mehr geriet die Bibel unter einen zunehmenden Erwartungsdruck, die teilweise komplizierten theologischen Konstruktionen zu bestätigen, die in der Regel vor allem im kritisch-konstruktiven Gespräch mit der Philosophie ihre systematische Gestalt entwickelten. In dem Maße, in dem sich die Theologie darum bemühte, vor allem philosophischen und formallogischen Theorieansprüchen zu genügen, in eben dem Maße geriet die produktive inhaltliche Bezugnahme auf das biblische Zeugnis gleichsam stillschweigend und somit auch weithin unbemerkt ins Hintertreffen. Der strenge syllogistische Aufbau beispielsweise der ‚Summa Theologica‘ von Thomas von Aquin (1225–1274) wird nicht gefährdet, wenn die biblischen Bezüge herausgenommen würden. Das hat schon seinen Zeitgenossen Bonaventura (1221–1274) zu der Klage veranlasst, dass „die neuen Theologen oft vor der Heiligen Schrift selber zurückscheuen“, weil sie ihrem Interesse an eindeutiger Lehre „ungewiß, ungeordnet und einem finsteren Walde ähnlich“ erscheine.35 Und es ist genau dieses Motiv der Dunkelheit der Bibel, auf das sich der im Übrigen überaus kirchenkritische Humanist Erasmus von Rotterdam berief, als er gegen Luther hervorhob, dass der Bibel die nötige Eindeutigkeit fehle, so dass um des Friedens willen der Kirche in Auslegungskonflikten eine Entscheidungsautorität zugestanden werden müsse. Genau gegen diese Wahrnehmung der Hilfsbedürftigkeit der Bibel, zu deren Behebung sie auf die Kirche angewiesen sei, richtete sich Luthers energischer Widerstand. Wenn Luther entgegen der Ansicht von Erasmus entschlossen die entscheidende Autorität der Bibelauslegung in der Bibel selbst lokalisiert sah, widersprach er der in seinen Augen desaströsen Behauptung, dass die Bibel nicht klar sei, so dass ihr die nötige Deutlichkeit erst von außen – eben durch die Kirche – gegeben werden müsse. Wenn die Bibel nicht für sich selbst zu reden in der Lage ist, dann steht sie nicht mehr für das Wort Gottes, das uns orientiert, sondern dann ist es die Kirche, die mit ihrer menschlichen Einsicht und ihrem menschlichen Urteilsvermögen festlegt, was das Wort Gottes ist. Das läuft dann auf nichts anderes hinaus als dass es schließlich der Mensch selbst ist, der darüber zu entscheiden hat, was das Wort Gottes ist. Aber das kann er nicht, weil er sich von sich aus keinen Zugang zu Gott bahnen kann. Er bleibt ganz und gar darauf angewiesen, dass die Initiative von Gott ausgeht. Die Anbindung des Verständnisses der Bibel an die jeweilige menschliche Auslegungskompetenz der Kirche käme einer Absage an die in der Bibel zu suchende und wahrzunehmende Offenbarung des Wortes Gottes und somit schlussendlich einer vollständigen Bankrotterklärung der Bibel gleich. Wenn es um Gott geht, hängt alles daran, dass er es selbst ist, der uns orientiert. Wenn aber das Lehramt die entscheidende Auslegungsautorität zu sein beansprucht, dann lassen

35 Zit. n. Heinrich Karpp, Schrift, Geist und Wort Gottes, 75. Vgl. auch Tim Lorentzen, Sola scriptura vor Luther.

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wir uns nicht durch das von seinem Geist zu erschließende Zeugnis orientieren, sondern sehen uns grundsätzlich in der Lage, uns selbst zu orientieren, auch wenn wir dabei einen unterschiedlich intensiven Gebrauch von der Bibel machen. Die Stichhaltigkeit dieses entschiedenen Einspruchs Luthers hängt daran, dass er – wie er es in der Leipziger Disputation geäußert hatte – Lehramtsentscheidungen der Kirche ihrem Wesen nach als Entscheidungen von fehlbaren Menschen ansah. Luther berief sich im Juli 1519 auf die unwidersprochene lehramtliche Position des Erzbischofs von Palermo Panormitanus (1386–1445),36 der für den extremen Ausnahmefall, dass der Papst versagt und dann aber auch das Konzil und weiter bis zum einzelnen Theologen gleichsam alle Instanzen versagen, ausdrücklich auf die Möglichkeit hinwies, dass dem Urteil einer einzelnen Person Recht gegeben werden müsse, wenn sich diese auf bessere Gründe aus der Schrift berufen könne als die ganze kirchliche Hierarchie.37 Auch wenn es sich bei Panormitanus möglicherweise nur um eine theoretisch durchgespielte Grenzbestimmung gehandelt haben mag, ist sie aber als extreme Ausnahmemöglichkeit eben doch schlüssig formuliert worden. Allerdings stand ihr eine Übermacht von allgemein anerkannten Bekräftigungen gegenüber, mit denen sich die Kirche in ihren Lehrentscheidungen ihre Unfehlbarkeit bescheinigt hatte. Zudem wird einzuräumen sein, dass bereits seit Jahrhunderten in dieser Frage widersprüchliche oder zumindest nicht konsequent vollständig durchdeklinierte Positionen einigermaßen unbehelligt nebeneinanderstanden.38 Luthers Intervention kann als ein Versuch verstanden werden, in dieser Frage die ausstehende Klärung herbeizuführen. Dabei wurde es ihm zum Verhängnis, dass er sich offensiv für die Minderheitsposition verwandte, die sich zwar nicht einfach bestreiten ließ, sich aber eben nur auf eine sehr geringe Resonanz berufen konnte. Vielmehr wurde ihm unversehens die Ketzerei des vor etwa einem Jahrhundert verurteilten und verbrannten Jan Hus vorgeworfen, wodurch die Auseinandersetzung von vornherein eine kirchenpolitische Schlagseite bekam.39 Für Luthers Verständnis des sola scriptura kommt es entscheidend auf die Wahrnehmung an, dass die Bibel kein verschlüsseltes (dunkles) und mysteriöses Buch ist, sondern klar und verständlich sage, was sie mitteilen möchte und worum es ihr geht. Bereits die unvoreingenommene Lektüre der überlieferten Schrift führt nach Luther unweigerlich zu dem Ergebnis, dass in ihrer Mitte Jesus Christus und sein Eintreten für uns am Kreuz steht. Dem Bild des dunklen Waldes, wie es von

36 WA 59, 467; vgl. auch WA 7, 431. 37 „Denn in Dingen, die den Glauben betreffen, wäre auch das Urteil einer einzelnen Privatperson dem Urteil des Papstes vorzuziehen, wenn jene durch bessere Gründe und Autoritäten des Neuen und Alten Testaments bewegt würde als der Papst.“ Zit. n. Martin Keßler, Klare Schrift oder helle Vernunft, 31. 38 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 31. 39 Zu den historischen Umständen vgl. Albrecht Beutel, „Sola scriptura mus sein“.

‚Sola scriptura‘

Bonaventura gebraucht wurde, stellte Luther das Bild vom hell erleuchteten Marktplatz in der Mitte des Dorfes gegenüber, dessen Licht sich in die Gassen ergießt, die vom Marktplatz bis in die Seitengassen der Außenbezirke führen. Es komme darauf an, dass die dunklen Stellen eben durch das erhellt werden, was deutlich und klar in der Mitte zu finden ist. Mit starkem Akzent betonte Luther bereits die äußere Klarheit der Schrift, die es sogar dem „Feind der Christen“ ermögliche zu „wissen, was die Christen für notwendig und nützlich und was sie nicht dafür halten“.40 Dass es in der Bibel um die exklusive Heilsbedeutung Christi geht, bringe der grammatikalisch-syntaktisch verstehbare Wortlaut des biblischen Textes unmissverständlich zum Ausdruck. Und so stellte Luther dem ‚sola scriptura‘ das ‚solus Christus‘ zur Seite, das, weil Christus für das Gnadenhandeln Gottes steht, identisch ist dem ‚sola gratia‘ – allein aus Gnade wird der Mensch errettet. Dieser Kern des Evangeliums wird nicht erst im Glauben erschlossen, sondern er lässt sich bereits im äußeren Wortlaut der Bibel entdecken. Allerdings ist dieses Wissen, das man sich allein durch das Lesen aneignen kann, noch nicht das rechte Verstehen der Wahrheit – Wissen und Verstehen sind zweierlei: das Wissen registriert unser Verstand, während sich das Verstehen in unserem Herzen vollzieht. Wenn uns tatsächlich etwas zur Wahrheit werden soll, muss es über den wahrnehmenden Verstand hinaus weiter in unser Herz gelangen. Um das, was man durch die schlichte Lektüre wissen kann, auch tatsächlich verstehen zu können, reicht die äußere Klarheit der Schrift nicht aus. Vielmehr muss nun auch noch die innere Klarheit der Schrift hinzukommen, die als ein Werk eben des Heiligen Geistes angesehen werden müsse, der auch bei der Abfassung der Schrift selbst mitgewirkt habe. Hier kommt schließlich das dritte ‚sola‘ ins Spiel, nämlich das ‚sola fide‘, denn erst dem Glauben erschließt sich das Wissen zu einer den erkennenden Menschen selbst betreffenden Wahrheit. Daraus ergibt sich der folgende Verweisungszusammenhang, von dem das exponierte sola scriptura erst recht verstanden werden kann.

40 WA 18, 610. Übersetzung nach Luther, Dass der freie Wille nichts sei, 19.

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

Dieser wechselseitige Verweisungszusammenhang von Schrift, Christus (Gnade) und Glaube beschreibt den theologisch anzukennenden hermeneutischen Zirkel, in dem sich die unabschließbare Auseinandersetzung mit der Schrift zu bewegen habe und damit sowohl mit dem Hinweis auf die inhaltliche Konzentration als auch auf die Unverfügbarkeit des Heiligen Geistes jeden fundamentalistischen Umgang mit der Bibel ausschließt. Luther blieb mit seinem Vorstoß durchaus im Rahmen von bereits vor ihm bedachten Problemkonfigurationen. Seine durchschlagende Pointe zeigt sich in der vorrangigen Verknüpfung des Geistes mit der Schrift, durch welche die prinzipielle Überordnung der Schrift auch gegenüber der Kirche begründet wird. Damit widersprach er einerseits der überkommenen Koalition zwischen Kirche und Geist und andererseits der spiritualistischen Koalition der sogenannten Schwärmer, die den Geist unmittelbar mit den Wahrnehmungen ihrer persönlichen Frömmigkeit in Verbindung brachten und sich damit über den Wortlaut der Schrift erhaben fühlten. Beide kamen darin überein, dass der erforderliche Geist bei den Auslegern der Schrift zu suchen sei. Durch das sola scriptura wurden dagegen sowohl die Kirche als auch die spontane fromme Lebendigkeit (Begeisterung) ihrerseits in das ebenso inhaltlich verbindliche wie sachlich kritische Licht der Schrift gestellt, die sich nur durch ihren eigenen Geist recht erschließen lässt. Es ist nicht die Kirche, welche die Bibel auslegt, sondern die Bibel legt sich selber aus („ut sit ipsa per sese certissima, facillima, apertissima, sui ipsius interpres, omnium omnia probans, iudicans et illuminans“41 – dass sie selber durch sich selbst sei die allergewisseste, ganz und gar mühelos zugängliche, verständlichste, die sich selbst auslegt, die allen alles prüft, urteilt und erleuchtet).42 Wenn Luther diesen 41 WA 7, 97. 42 Zur Übersetzung vgl. auch Alkier, Hermeneutik und Methodik im Zeichen des Sola Scriptura heute, 104. Alkier macht darauf aufmerksam, dass es Luther nicht um die grundsätzliche Abweisung

‚Sola scriptura‘

Aspekt so nachdrücklich unterstreicht, stellt er keinen neuen hermeneutischen Grundsatz auf, sondern er beruft sich auf eine Tradition, deren Wurzeln bis in die rabbinische Exegese zurückreichen, und stellt diese gegen die zu seiner Zeit verbreitete Praxis, in der diese Berufung auf die Selbstreferentialität der Bibel offenkundig in Vergessenheit geraten war. Es ging ihm durchaus im konsequenten Sinne um Re-Formation. Das, was in der Bibel dunkel erscheint, wird durch das erhellt, was in aller Klarheit erkennbar ist. Als hermeneutischer Grundsatz auch für innerbiblische theologische Sachkritik galt für Luther das Kriterium, „ob sie [sc. die Texte] Christum treyben, odder nit“.43 Christus ist das aus dem biblischen Zeugnis zur vernehmende Wort Gottes. Die entscheidende Pointe der Selbstauslegungskraft der Schrift, die zugleich die entscheidende Begründung für den prinzipiellen Vorrang der Bibel darstellt, gilt es darin anzuerkennen, dass es am Ende nicht darauf ankommt, dass die Bibel recht ausgelegt wird, womit sowohl der Einzelne wie eben auch die Kirche überfordert sind, sondern dass es dazu kommen muss, wahrzunehmen, dass wir und eben auch die Kirche durch die Bibel ausgelegt werden, weil weder wir recht um uns selbst noch die Kirche recht um sich selbst wissen kann, solange der Selbsterkenntnis nicht durch die Schrift auf die Sprünge geholfen wird. Es ist eben diese Zielsetzung, die von vornherein die menschlichen Fähigkeiten überschreitet, denn der Mensch mag zwar so oder so über sich denken und wird dies dann wohl auch zu jeder Zeit wieder ein wenig anders tun, aber über Mutmaßungen kann er dabei grundsätzlich nicht hinauskommen, solange ihm nicht gesagt ist, wer er tatsächlich ist. Und genau darum geht es sowohl in der Offenbarung Gottes als auch in dem diese Offenbarung verkündigenden Zeugnis der Schrift. Deshalb verfehlt auch jede in das Zentrum gerückte Sorge um die Unversehrtheit der Schrift die Pointe der betonten reformatorischen Berufung auf die Bibel. In der Schrift ist das entscheidende Urteil über den Menschen und auch über die Kirche zu finden. Fraglich ist nicht das von der Bibel bezeugte Wort Gottes, sondern der vor Gott stehende und mit der Frage nach der Bestimmung seines Lebens überforderte Mensch.44 Nicht der Mensch legt aus, sondern er wird von der Schrift auslegt. Es geht nicht um vom Menschen verwaltbare Lehren, sondern um das aus der Bibel zu vernehmende Wort Gottes, welches die Reformatoren auch die göttliche Lehre (doctrina) nennen konnten. Nur wo dieses nicht umkehrbare Gefälle dann auch tatsächlich zum Tragen kommt, dass uns etwas gesagt wird, was wir uns grundsätzlich nicht selber sagen können und

bereits vorliegender Auslegungen, sondern eben um die Höchstgeltung der allein von der Bibel zu erwartenden Selbstauslegung ging, der gegenüber es die dem niemals zu identifizierenden Wort Gottes gegenüber gebotene Demut zu üben gelte. Vgl. auch Volker Leppin, Wie legt sich nach Luther die Schrift selbst aus? 43 WA DB 7, 284. 44 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 145f.

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

was aber für unsere Selbsterkenntnis und dann auch für unsere Gotteserkenntnis fundamental ist, da wird der Schrift die Bedeutung zugemessen, die ihr zuzumessen ist. Sie steht unvergleichlich über allem, was von unserem Urteil durchmessen und entschieden werden könnte.45

2.4

Der reformatorische Anspruch und die ekklesiologische Reichweite des ‚sola scriptura‘

Um die Implikationen und die Reichweite des Schriftprinzips in systematischer Hinsicht noch ein wenig zu vertiefen, sollen sechs Aspekte hervorgehoben werden. Dabei wird auch – wie angekündigt – die bisher nur angedeutete Problematik der „Mündlichkeit der Schrift“ erneut aufgegriffen und weiter entfaltet. 2.4.1

‚Verbum externum‘

Durch die Betonung des prinzipiellen Vorrangs der Bibel wird ein seit der Alten Kirche in der Schwebe gehaltener Grundkonflikt um die angemessene und zureichende Auslegungsautorität der Bibel entschieden. Im Hintergrund dieses Grundkonfliktes steht das eigens wahrzunehmende Problem, dass die Bibel nicht einfach durch die Zeiten hindurch immer dasselbe sagt, bzw. da wo dies so vorausgesetzt werden sollte, einzugestehen bleibt, dass sie unweigerlich unter einer solchen strenggenommenen Annahme im Laufe der Veränderungen der Zeit stets etwas anderes sagt. Wer immer dasselbe sagt, sagt damit keinesfalls zu allen Zeiten das Gleiche. Und so bedarf es einer Instanz, die im Verlauf der sich verändernden Zeit für die Pünktlichkeit des jeweils zu vernehmenden Wortes sorgt. Genau besehen gilt die Sorge um die Schrift nicht allein der Identifikation der legitimen Auslegungsautorität, sondern immer auch ihrem je neu zu realisierenden Geltungsanspruchs.46 Indem Luther die Schrift der Verfügung der Kirche entzog, um sie nun der Kirche gegenüberzustellen und zugleich überzuordnen, stellte er sich entschieden gegen eine Entwicklung, in der sich die Kirche gern darauf berief, dass sie gleichsam der natürliche Wirkungshorizont des Heiligen Geistes sei, in dem er nun nach der Himmelfahrt Jesu bevorzugt wirke, so dass ihren Auslegungen eine besondere und schließlich auch unfehlbare Zuverlässigkeit und Normativität einzuräumen sei. Konkret ging es Luther angesichts einer von Rom gedeckten, theologisch und auch gesellschaftlich skandalösen Bußpraxis um die Befreiung der Schrift aus ihrer kirchlichen Instrumentalisierung und die Rückgewinnung der

45 Zu Thema der Selbstauslegung der Schrift vgl. vertiefend Dalferth, Wirkendes Wort, 321–377. 46 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 15.

Der reformatorische Anspruch und die ekklesiologische Reichweite des ‚sola scriptura‘

authentischen Selbstbezeugung des Heiligen Geistes aus dem biblischen Zeugnis, das sich nicht nur seiner besonderen Mitwirkung bei seiner Entstehung verdankt, sondern sich eben auch durch die Zeiten hindurch allein durch seine besondere Mitwirkung erschließt. Der Vorrang der Bibel kann theologisch nur durch die konsequente Absage an alle außerhalb der Schrift fixierten Kriterien zur Geltung gebracht werden. Ihr kommt eine solitäre Stellung zu, die weder von der Kirche noch von den Bedarfen individueller Frömmigkeit vereinnahmt werden darf. Es galt die Bibel als Referenz für das dem Menschen nicht zur Verfügung stehende Wortes Gottes und somit strikt als verbum externum zum entscheidenden kritischen Prinzip von Theologie und Kirche zu machen, das sich weder den jeweiligen Regiebedürfnissen der Theologie noch denen der Kirche unterordnen lässt. So gewiss die Kirche ebenso wie der individuelle Glaube unter der Verheißung des Wirkens des Heiligen Geistes stehen – Luther hat dies niemals infrage gestellt –, so gewiss bleibt er ihnen gegenüber auch ein Gegenüber, auf das sich ihr Glaube richtet und auf das sie auch immer wieder angewiesen bleiben. Mit ihrem besonderen Autoritätsanspruch stellte sich die Kirche gegen sich selbst, weil sie das Bekenntnis zur Göttlichkeit des Heiligen Geistes desavouierte. In seiner theologischen Spitze wandte sich Luther mit dem sola scriptura gegen die kirchliche Vereinnahmung des Heiligen Geistes für ihre außerordentlichen Auslegungsambitionen. Das sola scriptura steht kontradiktorisch etwa der pointierten Feststellung von Johann Eck entgegen, der sagen konnte: „Die Schrift wird nicht authentisch verstanden ohne die Autorität der Kirche.“47 Eine Kirche, die für sich ein bestimmtes Auslegungsprivileg reklamiert, ist permanent der Gefahr ausgeliefert, nicht der Schrift, sondern ihrer Eigenwilligkeit zu folgen und damit in ein sektiererisches Fahrwasser zu geraten, weil sie die Wahrheit des Glaubens in den Abwägungshorizont von menschlichen Pointierungen und Autoritäten hineinstellt. Die unterstellte Selbstauslegung der Schrift hat darin ihren prinzipiellen Charakter, dass sie die einzige Hoffnung für eine tatsächliche Konfliktlösung darstellt, während alle anderen Lösungen niemals darüber hinauskommen können, den Streit in der Schwebe zu halten.48 Das gilt eben auch dann, wenn sich diese Hoffnung keineswegs immer erfüllt. Pointiert formuliert stand im Konflikt um die Auslegungsautorität der Bibel die Göttlichkeit Gottes und ihre freie Selbstreferentialität auf dem Spiel. Damit wird deutlich, dass es aus der Perspektive der Reformatoren nicht um eine Randfrage ging, sondern um das Ganze. Die Bibel gibt sich selbst zu verstehen, weil sie selbst den Geist beinhaltet, der sie verständlich macht. Sie kann „allein durch den Geist verstanden werden, durch

47 „Scriptura non est authentica sine autoritate ecclesiae.“ Johann Eck, Enchir., 1529, De ecclesia, c. objecta 3 (zit. n. Karl Barth, KD I/2, 526). 48 Vgl. Führer, Das Wort Gottes in Luthers Theologie, 113.

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

den sie geschrieben ist, welchen Geist du nirgends gegenwärtiger und lebendiger finden kannst, denn eben in der heiligen Schrift, die er geschrieben hat.“49 Weil Luther in dieser Frage das Ganze auf dem Spiel stehen sah, spitzte er den Gegensatz derartig zu, dass er die Schrift gleich ganz und gar als verloren preisgab, wenn sie der Auslegung durch die Kirche unterworfen wird. Mit scharfen Worten attackierte er das Geistprivileg der Kirche, durch welches die Schrift jeder Bedeutung verlustig gehe, so dass jede in sie investierte Mühe unsinnig wird: „Denn dieweil sie der Meinung sind, der Geist verlasse sie nicht, sie seien so ungelehrt und böse, wie sie können, werden sie kühn festsetzen, was sie nur wollen. Und wo das wäre, wozu wäre die heilige Schrift not und nütze? Lasset sie uns verbrennen und an den ungelehrten Herrn zu Rom begnügen […].“50 In dem Maße, in dem das Verstehen der Schrift auf das Wirken des Geistes angewiesen ist, gehört die Bibel – das ist der Sinn der Rede von der heiligen Schrift – auf die Seite Gottes, ohne dass damit auch nur für einen Moment der Umstand ignoriert wird, dass es Menschen waren, die sie aufgeschrieben haben. Damit wird der Geist nicht einfach in einem natürlichen und unerschütterlichen Verhältnis zur Kirche angesehen. Die Kirche wurde auch mit ihren besonderen Verheißungen von den Reformatoren deutlich auf der Seite des Menschen situiert. Sie ist nicht automatisch der Schrift gegenüber sanktioniert, sondern wird ihrerseits von ihr angeredet und dabei eben auch immer wieder in ein kritisches Licht gestellt. Gewiss wird auch die Kirche immer wieder durch den heiligen Geist geheiligt, aber das lässt sich – wenn überhaupt – immer nur am Maßstab der Schrift ermessen. In ihrer besonderen Situation haben die Reformatoren vor allem die kirchenkritische Bedeutung der Schrift stark gemacht, ohne welche die Kirche nicht Kirche bleiben kann, sondern zu einer kritikimmunen, eigenwilligen und machtorientierten Religionsinstanz verkommt, die am Ende in der Gefahr steht, vor allem an sich selber zu glauben. Genau dies haben sie zu weiten Teilen der zeitgenössischen Kirche vorgeworfen. 2.4.2

Der Geist der Schrift und die religiöse Begeisterung

Aber die Kritik der Reformatoren ging – wie bereits angedeutet – auch noch in eine andere Richtung und zwar ebenso intensiv und entschieden, nämlich in die Richtung der sogenannten Schwärmer. Luther wurde beschuldigt, nach einem verheißungsvollen Aufbruch schließlich aber nur den Papst durch einen „papierenen Papst“ ersetzt zu haben, der nun mit der Herrschaft des Buchstabens die Menschen knechte, so dass die in Aussicht gestellte evangelische Freiheit unversehens wieder

49 WA 7, 96. 50 WA 6, 411.

Der reformatorische Anspruch und die ekklesiologische Reichweite des ‚sola scriptura‘

verflogen sei,51 was am Ende zu einer noch strengeren Knechtschaft als vorher geführt habe.52 Die gerade erst von der Gnade befreiten Gewissen wehrten sich gegen die Disziplinierung durch den Verweis auf die Schrift. Solche selbstgerechten Inanspruchnahmen des Geistes und die mit ihnen verbundenen Relativierungen der Schrift stehen für eine Gefährdung der Kirche, die in der Gegenwart ungleich brisanter zu sein scheint als die kirchliche Usurpation des Heiligen Geistes. In der Berufung auf individuelle Geisterfahrungen sah Luther einzelne Menschen und selbsternannte Propheten auftreten, die sich weniger zur rechten Buße und den daraus zu ziehenden praktischen Konsequenzen aufgerufen sahen als vielmehr zum revolutionären Durchsetzen des Reiches Gottes nach den ihnen sinnvoll erscheinenden Maßstäben und Perspektiven. Auch hier ist die unvermittelte Berufung auf den Heiligen Geist das Problem. Es war die Berufung auf die individuelle Geisterfahrung, die – so haben es zumindest die Reformatoren wahrgenommen – unmittelbar zum Maßstab der eigenen Freiheit erhoben wurde, ohne sich der kritischen Frage zu stellen, inwiefern sich der Heilige Geist eben von anderen Geistern unterscheidet und worin der Heilige Geist erkannt werden will. Wenn allein die eigene individuelle ‚Spiritualität‘ zum Maßstab genommen wird, um den rechten vom falschen Geist zu unterscheiden, zeigt sich auch hier die sektiererische Versuchung in ihrer usurpatorischen Entstellungskraft. Mit gleicher Entschiedenheit wie bei der kirchlichen Inbesitznahme des Heiligen Geistes wandte sich Luther gegen die subjektiven Erfahrungsprivatisierungen des Geistes, in denen der Mensch mit seiner Frömmigkeit nicht Gott, sondern vor allem sich selbst bzw., in der scharfen Polemik Luthers, dem Teufel begegnet – was in diesem Fall auch dasselbe sein mag: „Wenn man sie aber fragt: wie kommt man denn zu demselbigen hohen Geist hinein? So weisen sie dich nicht aufs äußerliche Evangelium sondern ins Schlaraffenland und sagen: ‚Stehe in der ‚Langeweile‘, wie ich gestanden bin, so wirst du es auch erfahren; da wird die himmlische Stimme kommen, und Gott selbst mit dir reden.‘ […] Siehest du da den Teufel, den Feind göttlicher Ordnung? Wie er dir mit den Worten ‚Geist, Geist, Geist‘ das Maul aufsperret, und doch dieweil beides, Brücken, Steg und Weg, Leiter und alles umreißt, dadurch der Geist zu dir kommen soll, nämlich die äußerliche Ordnung Gottes

51 Der mystische Spiritualist Sebastian Franck (1499–1542) wollte mit der Vorstellung einer unsichtbaren Geistkirche über die Reformation hinausgehen, denn diese bleibe einem „papierenen Papst“ und einem widersinnigen Sakramentenstreit, den er ein „Affenspiel des Teufels“ nennt, verhaftet; vgl. Peter H. Uhlmann, Reformation, Gegenreformation und die erste Zeit danach, 32. 52 In evangelikalen Kreisen dagegen scheint es durchaus salonfähig zu sein, sich tatsächlich positiv auf einen „papierenen Papst“ zu berufen. Beispielsweise betont der neue Generalsekretär der Weltweiten Evangelischen Allianz (WEA) Thomas Schirrmacher am 27. Feb. 2021 in seiner Antrittsrede zum neuen Amt: „Wir sind stolz, einen papierenen Papst zu haben!“ (vgl. www.bibelundbekenntnis.de/ aktuelles/was-heisst-evangelikal; Zugriff am 11.04.2022).

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in der leiblichen Taufe Zeichen und dem mündlichen Wort Gottes, und will dich lehren, nicht wie der Geist zu dir, sondern wie du zum Geist kommen sollst, daß du lernen sollst auf den Wolken fahren und auf dem Winde reiten; und sagen doch nicht, wie oder wann, wo oder was, sondern Du sollst es selbst erfahren wie sie (auch).“53

In der Suche nach dem rechten Geist können wir uns nicht auf unsere Phantasie (Träume, Erfahrungen, Sehnsüchte) oder auf unser Spekulationsvermögen verlassen, sondern er will in der Schrift gesucht werden, wo er sich auch finden lässt. Auch dem frommen Menschen gegenüber bleibt die Schrift extern, weil der Heilige Geist nicht einfach mit der menschlichen Frömmigkeit (Spiritualität) gleichgesetzt werden kann, wenn er sich nicht heillos im Subjektiven verflüchtigen soll. Er hat sich in seiner Freiheit an die Schrift gebunden, aus der heraus er sie dann auch je neu zur Geltung bringen will. 2.4.3

‚Viva vox evangelii‘

Allein der Heilige Geist hat als Mitautor des biblischen Zeugnisses ein Auslegungsprivileg, das er in Treue zum biblischen Zeugnis wahrnimmt. Wenn überall dort, wo tatsächlich geglaubt wird, der Heilige Geist mit im Spiel gesehen wird, ist er eben auch einzubeziehen, wenn die biblischen Autoren ihren Glauben bezeugen und in ihren Schriften darlegen. Die Berufung auf den Heiligen Geist provoziert keine autoritativen Entscheidungen außerhalb der Bibel, die den biblischen Text dann doch im Dunkeln beließen, sondern er schließt den Text selbst auf und macht ihn verstehbar. Erst im Verstehen kommt der Geist zu seinem Ziel. Die Schriftauslegung hat nicht jenseits der Dunkelheiten der Bibel zu entscheiden, sondern Licht in die Dunkelheit zu bringen; kein amtlich beschlossenes Dekret soll geschluckt werden, sondern die bisweilen verdeckte Klarheit der Schrift soll verstanden werden. Soweit wir es nicht selbst vermögen, ist allein der gegenwärtig wirkende Heilige Geist in der Lage, Gewissheit und Klarheit zu bringen. Das gilt auch, wenn es – wie die Erfahrung zeigt – mit dem Wirken des Heiligen Geistes nicht immer so pünktlich klappt, wie es wünschenswert sein mag. Bei aller Gewissheit hinsichtlich der Klarheit der Schrift wusste Luther auch um den Schweiß, der darein zu setzen ist, die Schrift recht zu verstehen, ebenso wie er darum wusste, dass wir mit unserem Verstehen nie zu einem Abschluss kommen können, sondern stets nur Anfänger bleiben – „Wir sind Bettler. Das ist wahr.“54 Es ist allemal verheißungsvoller, 53 WA 18, 137 zit. n. Luther, Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525), in: Luther Deutsch3 4, 149. 54 WA 48, 241. Nicht zuletzt rührt der Schweiß eben daher, dass es einer besonderen Anstrengung bedarf, die vorgefassten Ansichten abzulegen, mit dem der Geist des Auslegers der Bibel allzu gern ins Wort fällt; vgl. Walter Mostert, Scriptura sacra sui interpres, 62f.

Der reformatorische Anspruch und die ekklesiologische Reichweite des ‚sola scriptura‘

der Schrift gegenüber in Zweifel und Anfechtung zu verharren, als sich aufgrund zweifelhafter Entscheidungen der Kirche oder der ‚inneren Stimme‘ in einer trügerischen Sicherheit zu wiegen. All die Auseinandersetzungen, die Luther um das rechte Verstehen der Schrift auch in reformatorischen Kreisen hatte, haben ihn niemals dazu gebracht, an der von ihm unterstellten Klarheit zu zweifeln. Er wusste auch, dass sie keineswegs immer offen zutage liegt. Und so galt für ihn umgekehrt, dass sich gerade in der Auseinandersetzung die Klarheit zu erweisen habe.55 Das sola scriptura ist keine Auslegungsmethode der Bibel. Die Kirche wird durch das sola scriptura nicht aus der Aufgabe entlassen, die Schrift auszulegen. Es ist also kein Zufall, dass sowohl Luther als auch Calvin tatsächlich weniger als Dogmatiker als eben als Schriftausleger gewirkt haben und auch als solche verstanden werden wollten.56 Die Kirche hat sich immer wieder neu in den anspruchsvollen Zirkel zu begeben, in dem unablässig von der Schrift nach der rechten Kirche und von der Kirche nach der recht verstandenen Schrift zu fragen ist. Es geht schließlich nicht um die Dokumentation von als bewahrenswert eingeschätzten alten Geschichten, sondern um die ‚viva vox evangelii‘. Der Ton liegt entschieden auf der Gegenwart, in der das Wort Gottes ergeht.57 Es ist ja das Wort des lebendigen Gottes, das es zu vernehmen gilt und nicht um die Bezugnahme auf ein Wort Gottes in der Vergangenheit, das uns bereits bekannt erscheinen mag. Allem Bescheidwissen über die Bibel hält Luther entgegen: „Wer […] glaubt, er habe schon alles begriffen […], der hat schon Christus und das Evangelium verloren. Und der, welcher meint, er wisse, weil er spekulierend so Großes begreift, der ist, wie Jakobus sagt, wie ein Mann, der sein Angesicht im Spiegel schaut und, da er weggeht, wieder vergißt, wie er war.“58 2.4.4

Die pünktliche Mündlichkeit der Schrift

Die Geistpräsenz im biblischen Zeugnis, auf die es bei seinem rechten Verständnis ankommt, verweist auf das in ihm gegenwärtig zu hörende lebendige Wort Gottes, das es zu hören gilt, damit es den Glauben weckt (fides ex auditu). Auf der Schrift liegt die sie auszeichnende Verheißung, dass sie nicht nur auf das Wort Gottes verweist, sondern dieses durch ihr Zeugnis auch selbst ergeht, weil in dem von ihr vergegenwärtigten Geist der Sprecher dieses Wortes selbst präsent ist. Beim Wort Gottes geht es nicht nur um eine Mitteilung von irgendwelchen Informationen oder

55 Vgl. Alexander Kupsch, Eindeutig umstritten, 92f, 105f. 56 Was im Blick auf Luther bereits verbreitete Anerkennung genießt, gilt es für Calvin, der verbreitet vor allem mit seiner Institutio identifiziert wird, eigens hervorzuheben; vgl. Schellong, Calvins Auslegung der synoptischen Evangelien, 9; Christian Link, Die Theologie Calvins, 39ff. 57 Vgl. auch Dalferth, Wirkendes Wort, 247. 58 WA 40/I, 130, zit. n. Bernhardt Rothen, Die Klarheit der Schrift (Teil 1), 140.

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einen Bericht von bestimmten Ereignissen, die sich auch mit einer schriftlichen Übermittlung weitergeben ließen, sondern um eine seine Hörer direkt adressierende Anrede, die aus der Anwesenheit seines Sprechers wahrgenommen wird. Die Bibel verweist nicht nur auf das Wort Gottes, sondern sie enthält es auch selber, so dass es sich selbst aus ihr vernehmbar macht; freilich nicht immer und an jeder Stelle, aber doch als ihr zentrales konzeptionelles Element. Bei der Verteidigung der Schrift steht also keineswegs die Schrift im Mittelpunkt.59 Der Ton liegt vielmehr auf dem aus ihr gegenwärtig sprechenden Evangelium, womit nicht nur Gottes Geistesgegenwart benannt wird, sondern ebenso auch seine je konkrete Einlassung auf den jeweiligen Hörer. Insofern wird die Schrift wesentlich durch diese spezifische Mündlichkeit geprägt, d. h. sie ist auf die pünktliche Wahrnehmung der sich durch ihre Anrede vollziehende Veränderung angelegt. Es geht um die Selbstanzeige des Wortes Gottes, um seine Lebendigkeit und seine Wirksamkeit.60 Christus erkennen, heißt Gott reden hören, was durch den Geist geschieht. Das Wort des dreieinigen Gottes ereignet sich gleichsam am Menschen, für den sich im Vernehmen des Wortes Gottes seine Versöhnung mit Gott vollzieht. Weil es genau um dieses den Menschen betreffende Geschehen geht, kommt es darauf an, dass an keiner Stelle die Gewissheit erst durch eine menschliche Interpretation oder gar Entscheidung zustande kommt, denn es ist allein Gott, der den Menschen aus den Zwängen seiner Selbstinterpretation befreien kann. So wie es in der menschlichen Verkündigung darauf ankommt, dass durch sie hindurch Gott selbst spricht, so gilt auch für das schriftliche Zeugnis dieser Verkündigung, dass es erst im Vernehmen der lebendigen Anrede Gottes angemessen verstanden werden kann. Die spezifische Qualität der Mitteilung des Evangeliums hat für Luther eine Entsprechung in der Botschaft des Sieges Davids über Goliath, denn auch diese fällt zusammen mit der Kundgabe der Rettung Israels aus der Hand der Feinde. Das Vernehmen der Botschaft fällt unmittelbar zusammen mit einer grundlegenden Veränderung der Situation, denn die Wahrnehmung ihres Inhalts steht für das tatsächliche Eintreten des von ihr annoncierten Umstands der Befreiung.61 Auch die Botschaft des Evangeliums als das „Geschrei von der Gnade“,62 die sich in Kreuz und Auferstehung Jesu Christi ihren Weg gebahnt hat, kann nur als eine unmittelbar mit ihrer Kundgabe einhergehende grundlegende Veränderung der Situation des Menschen vor Gott verstanden werden, die uns im Unterschied zum Sieg Davids über Goliath eben nur durch Gott selbst mitgeteilt werden kann. Wenn

59 Friedemann Stengel weist darauf hin, dass die Formel „sola scriptura“ von Luther nur zehnmal gebraucht wird, so dass es zweifelhaft sei, ob sie tatsächlich das zentrale Schlagwort zur Kennzeichnung des Schriftprinzips war; vgl. Sola scriptura im Kontext, 24. 60 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 88. 61 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 106f. 62 WA 12, 259.

Der reformatorische Anspruch und die ekklesiologische Reichweite des ‚sola scriptura‘

auch die Bibel selbst nicht unmittelbar als das Wort Gottes angesehen werden kann, so thematisiert sie doch unablässig die Begegnung zwischen Gott und Mensch,63 in der sich das Evangelium in seiner über den Augenblick hinausweisenden Lebendigkeit erweist. Um der Bewahrung dieser unvergleichlichen Auszeichnung willen, wird das Evangelium als Zeugnis von dem lebendigen Wort Gottes auch schriftlich festgehalten. Aber nur indem es sich selbst auch aus dieser Konservierung wieder vernehmbar macht, evoziert es eine Öffentlichkeit, die das Wort nicht nur unbeteiligt wie eine allgemeine Mitteilung über möglicherweise interessante, sie aber nicht unmittelbar betreffende Veränderungen zur Kenntnis nimmt, sondern für welche der Inhalt dieser Botschaft unmittelbar für ihre Rettung und Bewahrung steht. Der Sinn des reformatorischen sola scriptura ist wohl am präzisesten darin ausgemacht, dass allein der Schrift die Fähigkeit zugesprochen werden kann, diese spezifische Mündlichkeit zu bewahren, damit sich auch – wie es in dem oben zitierten Absatz von Luther heißt – die um ihre Hirten gebrachten Schafe zur Not selbst weiden können.64 Wenn begründet gesagt werden kann, dass die Schrift spricht, ist genau an die hier erörterte Mündlichkeit der Schrift zu denken. 2.4.5

Die hörende Kirche

Indem die Kirche durch die Überordnung der Schrift ihre selbstverständlich für sich selbst beanspruchte Verwandtschaft zum Heiligen Geist verlor, ergaben sich für die Reformatoren folgenreiche Veränderungen für die Ekklesiologie, die dann auch den entscheidenden Grund für die Ausgrenzung der Reformation aus der römischen Kirche ausmachten und die bis heute eine fundamentale Differenz zur römisch-katholischen Ekklesiologie beinhalten, auch wenn sich inzwischen viel getan hat, um die Spannung deutlich zu mindern. Das sola scriptura macht in seiner Konzentration auf das Wort Gottes aus der vollmächtigen und triumphierenden Kirche eine hörende Kirche. Eine der Schrift gegenüber tatsächlich erwartungsvolle Kirche kann kein fest umrissener Handlungsapparat sein, der nach festgelegten Maximen funktioniert. Der Unabschließbarkeit des Verstehens der Bibel entspricht vielmehr die Unabschließbarkeit der Reformation der Kirche (semper reformanda).65 Eine ihrer selbst gewisse Kirche, die meint, sie teile in der Welt das Heil aus, wird in diesem Horizont undenkbar. Es ging den Reformatoren mit der Befreiung der Schrift aus der kirchlichen Bevormundung um die Rückgewinnung eines Verständnisses der Kirche, wie es im Glaubensbekenntnis annonciert wird, wenn 63 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 96. 64 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 117f. 65 Das Zweite Vatikanische Konzil anerkennt ausdrücklich diesen permanenten Reformbedarf auch für die katholische Kirche an, vgl. u. a. Unitas Redintegratio 6 (Karl Rahner/Herbert Vorgrimmler, Kleines Konzilskompendium, 236f).

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da von der „una, sancta, catholica et apostolica ecclesia“ gesprochen wird. Dieses qualitative Verständnis überschreitet grundsätzlich die verfasste und historisch verfestigte Institution der Kirche und öffnet sich einer von der Bibel zusammengehaltenen Ökumenizität und Katholizität der weltweiten Kirche, die als solche niemals unmittelbar sichtbar werden kann.66 2.4.6

Beunruhigung und Anfechtung

Daraus folgt: das sola scriptura steht nicht für Stabilisierung oder gar theologische Beruhigung der Kirche, sondern für deren Beunruhigung, die dann durchaus auch über die Kirche hinausgeht. Es ist „das stetige Los des Wortes Gottes […], dass seinetwegen die Welt in Unruhe ist“.67 Unruhe kommt vor allem deshalb auf, weil im Lichte des biblischen Zeugnisses die tatsächlichen Verhältnisse in der Kirche und der Welt bloßgelegt werden. Die Bibel führt nicht aus der Welt hinaus, sondern erst recht in sie hinein und schärft den Blick für das immer noch anhaltende Leiden Gottes an und in dieser Welt einschließlich der Kirchen dieser Welt. Wollten wir die von der Bibel ausgehende tiefgreifende Beunruhigung besänftigen oder gar beseitigen wollen, so hieße dies nichts anderes, „als das Wort Gottes aus dem Wege räumen und nicht zulassen wollen“.68 Schließlich bringt die Schrift neben der heilsamen Beunruhigung nicht nur deshalb auch Anfechtung mit sich, weil sie nur als ganze verstanden werden kann, sondern die Anfechtung erhebt sich auch gerade in dem, was sie uns zu verstehen gibt. Auch ihr kommt vor allem eine positive Bedeutung zu. Denn solange „die Menschen Frieden und Sicherheit genießen, verachten und versäumen sie das Wort, wenn aber die Anfechtung kommt, dann erst glauben sie, dass dasjenige wahr sei, wozu sie vorher durch das Wort ermahnt worden sind.“69 Und so nannte es Luther „die gefährlichste Anfechtung, wenn keine Anfechtung da ist“.70 Indem er die Heilige Schrift in den Horizont der Pneumatologie stellte und sie damit vor unseren Domestizierungen schützen wollte, bekommt die Anfechtung eine geistliche Bedeutung. Sie zielt nicht im Gegenzug zur Glaubensgewissheit, auf die Luther so großes Gewicht gelegt hat, auf eine vergleichgültigende Verunsicherung, sondern bringt den Widerspruch zu Bewusstsein zwischen dem, was Gott für den Menschen getan hat (und tut) und unserer tatsächlichen Existenz. Zwar dringt im Glauben, d. h. im rechten Verstehen des Evangeliums Christus in das Herz des Menschen und verhilft ihm damit zu einem rechten Selbstverständnis coram Deo, aber das 66 67 68 69 70

Vgl. dazu unten Teil II: Die klassischen Attribute der Kirche. WA 18, 626. Ebd. WA 23, 189. WA 6, 223.

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

ändert nichts an dem Umstand, dass es eben immer noch das Herz des alten Adam ist, d. h. Christus nimmt nicht Wohnung im Gerechten, sondern im Sünder71 (das besagt die berühmte Formel „simul iustus et peccator“). Die Anfechtung wird als der Reflex des Erschauerns über die ungeahnte Schärfe des Kontrastes zwischen beiden Seiten verstanden. Nicht die Stimme unseres Gewissens, sondern das Hören auf die Schrift konfrontiert uns mit dieser besonderen Herausforderung des Heiligen Geistes.72

2.5

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

Wenn es nun die aktuelle Bedeutung des ‚sola scriptura‘ der Reformation zu bedenken gilt, blicken wir nicht nur auf die Reformation zurück, sondern auch auf die altprotestantische Orthodoxie, die Aufklärung, die idealistische Geistphilosophie und die Anthropologisierung der Offenbarung, die Konfessionalisierung der Theologie und die Historisierung der Religion, um vor allem die Entwicklungen zu nennen, die uns heute einen ungebrochenen Anschluss an die Reformation verstellt haben. Terminologisch schließen wir uns der gebräuchlichen Rede vom „reformatorischen (protestantischen) Schriftprinzip“ an und beschränken uns auf eine skizzenhafte Markierung von Herausforderungen, denen sich die Theologie heute zu stellen hat. Dabei bestätigt sich einmal mehr die substanzielle Abhängigkeit der Ekklesiologie von dem der Kirche zugemessenen Umgang mit dem biblischen Zeugnis. Es sind vor allem überaus weitreichende exegetische Horizonterweiterungen und grundlegende religionsgeschichtliche Erkenntnisse, welche die Frage aufwerfen, ob es unter den grundlegend veränderten Bedingungen noch sinnvoll bleiben könne, die Theologie und dann eben auch die Kirche an das reformatorische Schriftprinzip und die Konsequenzen seiner systematischen Implikationen zu binden.73 Indem die Zeit der undialektischen Herrschaft der historischen Kritik nun an ihr Ende gekommen zu sein scheint, lässt sich immerhin beobachten, dass sich in diesem Zusammenhang auch ein neues Gespür für seine fundamentale Bedeutung regt, das darauf ausgerichtet ist, das Schriftprinzip unter den Bedingungen der veränderten Gesamtlage neu zu rekonstruieren, weil natürlich eine schlichte Repristination

71 Vgl. Kuntze, Die Mündlichkeit der Schrift, 113. 72 Vgl. dazu ausführlicher Weinrich, Die Anfechtung des Glaubens. 73 Vgl. dazu Weinrich, Die Bibel legt sich selbst aus, 423–426; Frederike van Oorschot, Die Krise des Schriftprinzips; Dies., Schriftbindung evangelischer Theologie.

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nicht infrage kommen kann.74 In den weitreichenden Auseinandersetzungen stellen die vollkommene Verabschiedung jeder besonderen Schriftautorität auf der einen Seite75 und das strikte Festhalten an der alles normierenden und Klarheit stiftenden Kraft der Bibel auf der anderen Seite76 die beiden Extrempositionen dar, zwischen denen sich dann ein weites Spektrum unterschiedlicher Positionierungen finden lässt, die aus verschiedenen Perspektiven und mit keineswegs gleichen Motiven daran interessiert sind, der besonderen Orientierungskraft der Bibel in Theologie und Kirche zu einer möglichst belastbaren Begründung zu verhelfen, was allerdings teilweise bereits als gelungen ausgegeben wird, wenn es sich dabei nur um historische bzw. wirkungsgeschichtliche Gründe handelt. Diese vielseitige Diskussion kann in diesem Rahmen nicht solide ausgemessen werden. Immerhin kann dazu auf eine Fülle an aktuellen Publikationen verwiesen werden, die sich leicht mit den Stichworten „Sola scriptura“, „(reformatorisches) Schriftprinzip“ oder „(Bibel- bzw. Schrift-)Hermeneutik“ erschließen lässt.77 Wir konzentrieren uns in unterschiedlicher Intensität auf sechs fundamentale Fragestellungen und beginnen mit einem theologisch bedeutsamen kulturgeschichtlichen Aspekt, dessen Reichweite in diesem Zusammenhang in der Regel nicht ausreichend bedacht wird. 2.5.1

Die Schrift als gedrucktes Buch

Schon häufig wurde auf die sich gegenseitig befördernde Koinzidenz der Erfindung der Buchdruckerkunst mit dem rasanten Erfolg der Reformation hingewiesen. Luther und seine Mitstreiter haben sich ebenso intensiv wie dann auch seine Gegner der Möglichkeiten bedient, die sich durch die unkomplizierte massenhafte Vervielfältigungstechnik des Drucks gerade erst aufgetan hatten, so dass es nicht zuletzt möglich war, über schnell aufgesetzte Flugschriften in bisher nicht gekannter Weise sehr viele Menschen zu erreichen. Auch die von den Reformatoren exponierte Schrift konnte vermittels der Buchdruckerkunst aus ihrer Exklusivität für die Gelehrten befreit und in muttersprachlicher Übersetzung der Gemeinde und dem propagierten Priestertum aller Glaubenden zugänglich gemacht werden, was natürlich nicht explosionsartig geschah, aber doch bereits im 16. Jahrhundert in einer sich selbst beschleunigenden Weise bemerkenswerte Fahrt aufgenommen

74 In diesem Sinne geht es für Stefan Alkier ausdrücklich um die Leitfrage, „ob und wie die Schrifthermeneutik im Zeichen von sola scriptura für das 21. Jahrhundert neu formuliert werden kann.“ (Hermeneutik und Methodik im Zeichen des Sola Scriptura heute, 95) 75 Vgl. u. a. Falk Wagner, Auch der Teufel zitiert die Bibel. 76 Vgl. u. a. Reinhard Slenczka, Kirchliche Entscheidung in theologischer Verantwortung. 77 Stellvertretend für viele sei nur eine besonders einschlägige jüngere Publikation genannt: Alkier (Hg.), Sola Scriptura 1517–2017.

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

hat. Auch wenn die Zahlen schwanken, ist unbestritten, dass heute die Bibel das weltweit am meisten verbreitete Buch ist, das als ganzes in mehr als 700 und in Teilen in mehr als 3500 Sprachen übersetzt wurde. Laut des Weltverbandes der Bibelgesellschaften (United Bible Societies) wurden allein 2019 mehr als 40 Millionen sogenannte Vollbibeln ausgegeben. Was die Verbreitung der Bibel anlangt, überbietet eine Erfolgsmeldung die andere, und zugleich wird es als ein dringlicher Auftrag angesehen, dass es immer noch etwa 20% der Weltbevölkerung gibt, die keinen muttersprachlichen Zugang zur Bibel haben. Es stellt sich allerdings die Frage, ob die nun beinahe allseits greifbare Bibel überhaupt die Schrift ist, die von den Reformatoren so entschieden sowohl in die Mitte des Lebens der Kirche als auch der Bemühungen der Theologie gestellt wurde. Wenn die Reformatoren die Schrift über alle anderen Autoritäten in Theologie und Kirche stellten, ging es ihnen nicht um das Buch, sondern um eine ganz bestimmte Erwartung, die allerdings mit einem spezifischen Umgang mit diesem Buch in Verbindung stand. Es ging um den für das Selbstverständnis der Kirche unbedingten Vorrang des Wortes Gottes, das allein der Kirche ihre spezifische Berufung zu geben vermag. Es ging genau genommen um ein Handeln Gottes an der Kirche, ohne welches alle Anstrengungen, die aus menschlicher Verantwortung in ihr bemüht werden, nicht zu ihrer eigentlichen Bestimmung gelangen können. Mit der Schrift stand die Lebendigkeit der Kommunikation Gottes mit der Kirche zur Debatte, in der es darauf ankommt, dass dem Wort Gottes die ihm entsprechende Freiheit belassen bleibt. Die Kirche orientiert sich deshalb zuerst und grundsätzlich vorrangig – so ließe sich wohl das reformatorische „sola“ heute verstehen – an dem biblischen Zeugnis, weil das auch gegenwärtig lebendige Wort Gottes nirgends authentischer bezeugt und somit auch verheißen ist als in der daraufhin erwartungsvoll wahrzunehmenden biblischen Überlieferung. Die Schrift ist die von der Gemeinschaft der Glaubenden um ihres Glaubens willen wahrgenommene Bezeugung des Wortes Gottes, von dessen Lebendigkeit auch die Lebendigkeit der Kirche ganz und gar abhängig ist. Sie ist insofern ein essenzielles Element der Kommunikation zwischen Gott und Mensch und auch Mensch und Gott, als sie in der Überzeugung der Gegenwart des lebendigen Gegenübers Gottes eben tatsächlich mehr gehört als gelesen wird. In reformatorischer Perspektive bezeichnet die „Schrift“ also einen theologisch überaus voraussetzungsvollen intentionalen Umgang mit der Bibel, der gewiss auch schon in der vorreformatorischen Tradition immer wieder prägend gewesen ist, aber nicht in der ausdrücklichen Konsequenz, zu der sich die Reformatoren unter den sie bedrängenden Umständen gezwungen sahen. Wenn es bei dem sola scriptura um einen ganz bestimmten Umgang mit der Bibel geht, kann es nicht überraschen, dass es auch andere Formen des Umgangs mit der Bibel zu konstatieren gibt. Sie kann eben nicht nur in dem angedeuteten Sinne als Heilige Schrift wahrgenommen werden, sondern auch schlicht als ein Buch neben

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

anderen Büchern, als eine umfassende und durchaus bunte Textsammlung antiker Texte, über die sich jede und jeder so seine eigenen Gedanken machen kann. Damit kommt eine Unterscheidung in den Blick, die wohl kaum ohne die vom Buchdruck ermöglichte Zeitenwende eine so fundamentale Bedeutung bekommen hätte, wie es heute tatsächlich der Fall ist. Der Buchdruck hat eine massenhafte Verbreitung der Bibel ermöglicht und damit zu einer konsequenzenreichen Individualisierung des Umgangs mit ihr geführt, in dem nicht mehr die erhoffte Kommunikation bzw. Interaktion mit dem annoncierten Wort Gottes bestimmend ist, sondern wo es vor allem auf die Aktivitäten der Lesenden und ihrer jeweiligen Bedürfnisse ankommt. Als allseits verfügbares Buch verlässt die Bibel ihre bisherige gottesdienstliche Einhegung und wird dem allgemeinen öffentlichen Interesse angeboten. Sie steht nun allen zur Verfügung als ein überaus schillernder Gegenstand für höchst unterschiedliche Formen der Rezeption, über die ihre jeweiligen Leserinnen und Leser je nach Interessenlage entscheiden können. Als ein allen zugängliches Buch ist sie nicht vorrangig der Horizont der lebendigen Begegnung mit dem Wort Gottes, sondern zunächst einmal ein schriftliches Dokument, ja eine kleine Bibliothek alter Texte, für die man sich aus höchst unterschiedlichen Gründen interessieren kann. Die Buchdruckerkunst hat die Bibel weltweit verbreitet, aber damit nicht zugleich auch ihren Gebrauch als heilige Schrift; sie hat die Texte in gewisser Weise allpräsent gemacht, aber deshalb noch längst nicht ihren spezifischen Gebrauch im christlichen Leben befördert.78 Möglicherweise ist sogar das Gegenteil der Fall, weil nun auch in der Kirche eher das Buch zur eigenen Selbstbedienung in den Vordergrund gerückt wurde als sein besonderer Gebrauch als Heilige Schrift. Es handelt sich hier nicht nur um eine kulturgeschichtliche Entwicklung, in der eine Epoche von einer anderen abgelöst wird, sondern ebenso um die Etablierung eines implikationsreichen Nebeneinanders von zwei systematisch grundlegend voneinander zu unterscheidenden Umgangsweisen mit der Bibel, über das sich insbesondere die Kirche deutlich bewusster Rechenschaft ablegen müsste als es gemeinhin geschieht. Es ist vor allem Ingolf U. Dalferth, der die fundamentale Bedeutung der Unterscheidung zwischen Schrift und Bibel erhellend dargelegt hat. Bei der Schrift geht es um die Lebendigkeit der Gottesbeziehung der Kirche und des christlichen Lebens, während die Bibel das gedruckte Buch ist, von dessen Texten aus vergangenen Zeiten zu konstatieren ist, dass sie sowohl für die Entstehung als auch für das gegenwärtige Leben der Kirche eine besondere Bedeutung haben. „Wort Gottes“ und „Evangelium“ sind allein auf der Seite der „Schrift“ zu finden, während „Bibel“ allein auf den Text des Buches verweist.79

78 Dalferth, Wirkendes Wort, 245. 79 Vgl. ebd., 75f, 131.

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

Die „Bibel ist nicht die Schrift, und weder die Schrift noch die Bibel sind das Wort Gottes. Die Bibel ist vielmehr die Druckfassung der Texte der Schrift, während die Schrift der Gebrauch dieser Texte als Schlüssel zum Verstehen des Wortes Gottes ist. Sie ist weder identisch mit dem Wort Gottes noch die Summe der biblischen Texte. Sie ist vielmehr der evangeliumszentrierte Gebrauch dieser Texte in der christlichen Kirche und im christlichen Leben.“80

Die Bezeichnung des biblischen Zeugnisses als Schrift bezieht sich also nicht auf den Text, der sich als ein Buch käuflich erwerben lässt, sondern auf den spezifischen Gebrauch, nämlich „dem prophetischen (deutenden), kerygmatischen (verkündenden), liturgischen (feiernden), paränetischen (lebensorientierenden), katechetischen (lehrenden) und theologischen (reflektierenden) Gebrauch der biblischen Texte in der Kirche.“81 Im Horizont von Theologie und Kirche kommt es nicht auf das Buch an, wohl aber auf die Schrift, die allerdings auch das Buch voraussetzt. Der kirchliche und theologische Umgang mit der Schrift, die es mehr zu hören als zu lesen gilt, zielt auf die „direkte Kommunikation unter Anwesenden“82 , in der sich der Hörer/die Leserin als Adressat der aktuellen Anrede Gottes erfährt. Es ist diese „kopräsentische[r] Kommunikation unter Anwesenden“, die auch den entscheidenden Horizont für die von den Reformatoren der Schrift zugemessenen Selbstauslegungskraft ausmacht.83 Dagegen lenkt die Lektüre der Bibel die Aufmerksamkeit auf Geschehnisse der Vergangenheit, die gleichsam in den Aktionsradius der Lesenden geraten, was – ebenso wie bei der Lektüre jedes anderen Buches – nicht ausschließt, dass sich diese von dem, was sie jeweils wahrnehmen, in dieser oder jene Hinsicht auch beeindrucken lassen. Tatsächlich wird aber wohl davon auszugehen sein, dass der unvergleichlich weiten Verbreitung der Bibel als Buch keine auch nur annährend vergleichbare Steigerung ihrer Lektüre entspricht. Für die Theologie ist es nicht die entscheidende Frage, wie die Bibel auszulegen sei – da bieten sich in der Tat eine ganze Fülle unterschiedlicher Methoden an –, sondern was eigentlich ausgelegt werden soll.84 Der Eindruck, dass sich beinahe alles irgendwie mit der Bibel belegen lasse, ist ja so lange nicht ganz falsch wie man sich keine Rechenschaft darüber ablegt, worauf es bei der Lektüre ankommen soll, was die Lektüre in Erfahrung bringen will. Für die Wahrnehmungen kommt es entscheidend auf die Erwartungen an, von denen die Lektüre bestimmt wird. „Wir werden in ihr immer gerade so viel finden, als wir suchen.“85 Wer Moral in ihr 80 81 82 83 84 85

Ebd., 394; vgl. ebd., 312. Ebd., 118. Ebd., 84; vgl. 110–112. Vgl. ebd., 344. Vgl. ebd., 129. Barth, Die neue Welt in der Bibel, 323.

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sucht, wird diese finden, und wer Religionsgeschichte in ihr sucht, wird auch diese finden, usw. Für die Kirche wird es allerdings entscheidend darauf ankommen, dass sie als das lebendige Gotteszeugnis gelesen wird. Dreht sich die Kirche nicht nur um sich selbst, so weiß sie sich auf das Wort Gottes angewiesen, das ihr in der als Heilige Schrift gelesenen und wahrgenommenen Bibel verheißen ist. Eben auf dieses Wort Gottes hin ist die Bibel auszulegen und deshalb liest die Kirche diese als Heilige Schrift. Damit sind gewiss die Methodenfragen noch nicht beantwortet, aber sie haben eine inhaltliche Perspektive bekommen, ohne welche alle Antworten abstrakt und arbiträr blieben. Und auch im Blick auf die immer wieder sehr freihändig geführte Debatte über die Kanonizität des biblischen Zeugnisses bleibt dies festzuhalten: Die Bibel kann keine kanonische Geltung beanspruchen, wohl aber die für die Kirche maßgebliche Schrift, die sich als solche nicht eindeutig als Text identifizieren lässt.86 Auch der Kanon ist eine von der Kirche zu beantwortende Frage der spezifischen Fokussierung auf das biblische Zeugnis. 2.5.2

Historische Kritik und Wort Gottes

Es war insbesondere die Aufklärung, die sich nicht zuletzt auf dem Hintergrund der verheerenden Konfessionskriege87 gegen die Unterwerfung der Vernunft unter von ihr nicht unmittelbar nachvollziehbare Autoritäten wandte. Diese Kritik zielte zunächst auf die von der Kirche aufgestellten Lehren und damit auf die von der Kirche für sich selbst in Anspruch genommene Autorität. Die Bibel kam dabei insofern mit in den Fokus der Kritik als die Kirche sich – wenn auch keineswegs durchgängig – zur Begründung ihrer Lehren in häufig intransparenter Weise auf einzelne biblische Aussagen berief. Tatsächlich aber galt die Kritik weniger der Bibel selbst als vielmehr dem missbräuchlichen Umgang mit ihr, der vor allem darin auszumachen sei, dass die Bibel von der Kirche im Laufe der Geschichte mehr und mehr einer ausgeklügelten und teilweise abstrusen Dogmatik unterworfen worden sei, die ihrem ursprünglichen einfachen Sinn entgegengerichtet sei. Bereits die Auseinandersetzungen um die Trinitäts- und die Zwei-Naturen-Lehre in der Alten Kirche hätten sich solcher dogmatisierenden Unterstellungen bei der Lektüre der Bibel bedient, was dann in der mittelalterlichen Theologie zu besonders skurrilen Spekulationen geführt habe. Und so wurde im Zuge der Aufklärung beispielsweise die Forderung laut, die Bibel nicht auf in ihr vermutete Dogmen hin oder von ihr der Kirche unterstellen Dogmen her, sondern ganz praktisch und eben auch

86 Vgl. Dalferth, Wirkendes Wort, 131 und ausführlicher zum Kanon 207–247. 87 Vgl. dazu Weinrich, Religion und Religionskritik, 25–62.

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

historisch zu lesen, denn dann zeige sich einerseits die Willkür, von der ihre dogmatischen Vereinnahmungen gekennzeichnet seien, und andererseits die bisher übersehene lebenspraktische Seite, in der sie einfache und nachvollziehbare, also vernünftige Lebensanweisung erteile.88 Der Vorwurf trifft also genau den theologischen Gebrauch der Bibel als Schrift und fordert einen unvoreingenommenen Umgang mit der Bibel ein, wie er sich auch bei jedem anderen Buch gezieme. Und so benutzte zwar auch die Aufklärung gelegentlich das biblische Zeugnis wie die Reformatoren oder auch schon die mittelalterlichen innerkirchlichen Reformbewegungen (wie z. B. Waldenser, Wyclifiten und Hussiten) als ein Instrument zur Kirchen- und Lehrkritik, nun aber nicht, um sich in neuer Weise von dem aufgezeigten Selbstverständnis als Heiliger Schrift leiten zu lassen, sondern vor allem um den in den Vordergrund gerückten praktischen und moralischen Bedürfnissen des aufgeklärten Bewusstseins besser entsprechen zu können. Sie hatte also eine ganz neue eigene Vorstellung davon, was es in der Bibel zu finden gibt und woraufhin sie zu lesen sei. Hier sind auch die Wurzeln der historischen Kritik zu suchen, deren Anliegen in einer konsequenten Unterwerfung der Texte unter die Kriterien der natürlichen Vernunft und somit ihrer konsequenten Profanisierung bestand. Sie empfiehlt eine an die gegenwärtigen Verhältnisse angepasste bedarfsorientierte Lektüre der Bibel und unterscheidet sich darin nicht grundsätzlich von der abgelehnten dogmatischen Lektüre, nur dass sich der Bedarf gründlich geändert hat, auf den hin die Bibel zu lesen empfohlen wird. Durch die Historisierung werden alle Aussagen der Bibel ganz und gar mit den unterstellten allseits zugänglichen irdisch-geschichtlichen Bedingungen verrechnet. Zugleich bleibt deutlich, dass dabei durchaus wissentlich die Erkenntnis von einer strategisch eingenommenen Position aus gesteuert wurde, wie es von David Friedrich Strauß dann auch einigermaßen unbefangen mit kaum zu überbietender Deutlichkeit angesprochen wurde, als er sich so entschieden für eine konsequent historische Lektüre engagierte: Soviel „ist richtig: wem an der jetzigen Kirche und Theologie das unerträglich ist, daß wir das Christentum als eine übernatürliche Offenbarung, den Stifter desselben als den Gottmenschen, sein Leben als eine Kette von Wundern ansehen sollen, dem bietet sich als sicherstes Mittel, seinen Zweck zu erreichen, dessen was ihn drückt loszuwerden, eben die geschichtliche Forschung dar.“89 Die historische Verstehensweise galt der nach den Grundsätzen der Aufklärung zu vollziehenden Befreiung der Kirche sowohl von allen Offenbarungsabhängigkeiten als auch den daraus abgeleiteten Dogmen, die vom Glauben anzuerkennen seien. Die historische Forschung kann nur das 88 Vgl. beispielsweise als Vertreter der Neologie Friedrich Germanus Lüdke, Vom falschen Religionseifer, Berlin 1767, 109ff, 140ff (dokumentiert in: Theologiekritik in der Neuzeit. Theologische Texte aus dem 18. bis 20. Jahrhundert, 14f.). 89 David Friedrich Strauß, Das Leben Jesu [1864], XXII.

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

akzeptieren, wozu es auch sonst im Leben Analogien gibt und stellt somit das Verstehen ganz und gar in den Horizont der Immanenz.90 Hier zeigt sich, dass die historische Methode keine theologische, sondern eine profane Methode ist, deren Ergebnisse sich ganz und gar im profanen Bereich ergehen. Sachlich entspricht sie der Profanisierung der Schrift zur Bibel. Was hier vorgeführt wurde, ist die sachlich einigermaßen unsinnige Ausspielung der säkularisierten Bibel gegen den Gebrauch der Bibel als Heilige Schrift. Wir sehen heute einerseits die Berechtigung einer historisch-kritischen Bibellektüre – immerhin ist die Bibel ein von Menschen unter teilweise rekonstruierbaren Umständen formuliertes Buch – und erkennen andererseits aber auch ihre prinzipielle Grenze, weil sie nur auf das menschliche Zeugnis blickt, ohne sich aber von der von diesem Zeugnis bezeugten Wirklichkeit noch in irgendeiner Weise ernsthaft erreichen zu lassen. Sie geht mit bisweilen recht kühnen Hypothesen in einem historisch nur äußerst spärlich identifizierbaren Areal den geschichtlichen Bedingungen von menschlichen Impressionen vom Handeln Gottes in der Vergangenheit nach und ihren Auseinandersetzungen mit bzw. Assimilationen an ihre vermutete zeitgenössische Weltwahrnehmung, weniger aber oder auch gar nicht der Wirklichkeit, welche die Verfasser der biblischen Zeugnisse bewegt und um derer willen sie das Wort ergriffen haben.91 Im Blick auf das Schriftprinzip ergibt sich die Notwendigkeit, genauer die Bestimmungen für einen Weg zu benennen, der unseren Umgang mit dem biblischen Zeugnis auf der einen Seite tatsächlich vor der dogmatisch-kirchlichen Vereinnahmung bewahrt und auf der anderen Seite aber auch vor ihrer historischen Profanisierung, was nur gelingen kann, wenn der spezifischen nichtgegenständlichen Gegenständlichkeit ihrer zweifellos sehr vielfältigen Bezeugung der Selbstoffenbarung Gottes auch eine entsprechend ausdrückliche Aufmerksamkeit gewidmet wird, denn in ihr ist die besondere bleibend aktuelle theologische Orientierungskraft des biblischen Zeugnisses zu suchen. Im Sinne des Schriftprinzips ist erneut danach zu fragen, was die Bibel zur Heiligen Schrift macht. Die Antwort auf diese Frage wird gewiss anders und differenzierter als bei den Reformatoren ausfallen müssen, aber es wird theologisch nicht hinzunehmen sein, auf eine Antwort auf diese Frage zu verzichten. Wenn dem Wort Gottes keine Eigenevidenz mehr eingeräumt bleibt, verliert die Theologie das sie herausfordernde Gegenüber, weil der Wahrnehmung der lebendigen Freiheit Gottes die allein erhellende Aufmerksamkeit abgeschnitten wird. Mit der Aufklärung könnte es bestenfalls die Religion sein, die ihre Bedarfe in einer je eigens zu eruierenden Fokussierung auf die biblischen Texte bearbeiten würde.

90 Vgl. dazu Ernst Troeltsch, Über historische und dogmatische Methode in der Theologie. 91 Vgl. dazu Weinrich, Grenzen der Erinnerung; Ders., „Kritischer müßten mir die HistorischKritischen sein.“

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

Dabei würde sich Gott zwangsläufig auf den Horizont der subjektiven religiösen Selbstbehauptung des Menschen zu beschränken haben. Es ginge lediglich noch um eine so oder so gefasste Selbstanrede des Menschen, bei der es dann im Grunde nicht mehr darauf ankommt, ob wir von Gott reden oder nicht. 2.5.3

Biblizismus und Fundamentalismus

Der Herausforderung durch die historische Kritik steht auf der anderen Seite die Herausforderung des Fundamentalismus gegenüber. Sie tritt überall da auf, wo der Geist der Bibel mit ihren Buchstaben mehr oder weniger gleichgesetzt wird. Wie oben bereits angedeutet, wurde den Reformatoren vonseiten religiöser Enthusiasten bzw. moralischer Rigoristen vorgehalten, mit dem Schriftprinzip an die Stelle des abgewiesenen Papsttums nun einen „papierenen Papst“ zu setzen. Hier wird das Schriftprinzip mit einem mehr oder weniger naiven Biblizismus gleichgesetzt. In zugespitzter Form werden die Reformatoren gleichsam als rechthaberische Fundamentalisten attackiert. Dagegen bleibt einzuwenden, dass das Schriftprinzips für den Schutz der Selbstevidenz des Wortes Gottes eingetreten ist und eben nicht für die Verteidigung des Buchstabens des biblischen Zeugnisses. Wenn man so will, stand die Unantastbarkeit des Wortes Gottes im Zentrum, und dieser gilt das Zeugnis der Schrift, die vor allem deshalb als oberste Orientierungskraft zu gelten habe, weil es diesen Schutz authentischer und zuverlässiger zu gewährleisten vermag als Papst und Konzilien oder fromme Enthusiasten, die sich auf ihre unmittelbare Beziehung zu dem Geist beriefen. Aus der Perspektive des Schriftprinzips stellen Biblizismus und Fundamentalismus Formen der Domestizierung des Wortes Gottes dar, weil sie mit der Einschließung Gottes in die von Menschen verfassten greifbaren Buchstaben sich das Wort Gottes gleichsam selbst in die Verfügung geben und sich damit über den lebendigen Geist Gottes stellen. Es wird von der problematischen Unterstellung ausgegangen, dass sich Gott im biblischen Wortlaut so konsequent in die Welt des Menschen begeben habe, dass er in der Bibel unmittelbar und jederzeit vom Menschen aufgefunden werden könne. Die Fixierung der Offenbarung auf die Buchstaben führt zwangsläufig zu einer Einreihung Gottes in die Gegenständlichkeit der vom Menschen beherrschbaren und zu gestaltenden Welt. Das ist auch eine Art und Weise, Gott vor allem den eigenen Weltanschauungsbedürfnissen und den geschichtlichen Handlungsoptionen der jeweiligen Religionsagenten und Kultpropheten zu unterwerfen, wie sich besonders aus dem erschreckend anwachsenden weltweiten Phänomen auch des sich christlich gebenden Fundamentalismus zeigt.92

92 Vgl. dazu Weinrich, Die demütigen Sieger; Ders., Christlicher Fundamentalismus.

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Das Schriftprinzip hat mit solchen Habitualisierungsbedürfnissen und Besitzergreifungstendenzen der Bibel nicht das Geringste zu tun. Vielmehr wollte es im Gegenteil die Bibel gerade vor theologischen und kirchlichen Inbesitznahmen in Schutz nehmen, weil diese de facto nichts anderes als die Inbesitznahme des de iure unverfügbaren Wortes Gottes wären. Orthodoxie, Biblizismus und Fundamentalismus machen aber deutlich, wie schmal der mit dem Schriftprinzip bezeichnete Grat zwischen externer und interner Bevormundung des biblischen Zeugnisses durch den Menschen ist. Hatten die Reformatoren noch vor allem die externe Bevormundung der Bibel durch die außerhalb der Schrift installierte Autorität des kirchlichen Lehramtes oder des frommen, begeisterten Individuums im Blick, so bleibt von uns heute auch die von der anderen Seite eifernde Gefahr einer internen Bevormundung zu beachten, die aus einem angemaßten Bescheidwissen und einem unerschütterlich selbstgewissen Umgang mit der in Besitz genommenen Bibel erwächst. 2.5.4

Vielfalt und Kohärenz der Schrift

Eine ganz besondere Herausforderung des reformatorischen Schriftprinzips liegt in dem Umstand, dass wir heute zurückhaltender geworden sind, eine bestimmte Grundeinsicht – etwa Jesus Christus oder die Rechtfertigung allein aus Glauben – als die alles bestimmende Mitte des biblischen Zeugnisses anzusehen.93 Der Reichtum und die Unerschöpflichkeit des biblischen Zeugnisses haben gerade ihren Grund darin, dass es in ihm nicht einfach die Wahrheit zu finden gibt, sondern in zuhöchst unterschiedlichen Umständen und Lebenssituationen eine Perspektive zur Wahrheit hin erschlossen wird. Was in der einen Situation zu erkennen hilfreich ist, kann in einer anderen Situation auf Unverständnis stoßen. Was es zu den Mächtigen zu sagen gibt, ist etwas anderes als was dem Verzagten und Ohnmächtigen zu sagen ist. Was in der einen Situation stumm bleibt, wie etwa die Schöpfungslehre im Rausch des optimistischen Aufblühens der Naturwissenschaften im 19. Jahrhundert, beginnt in einer anderen Situation plötzlich wieder zu sprechen, nämlich angesichts der immer noch keineswegs beherrschten ökologischen Krise. Nicht immer ist im biblischen Zeugnis alles gleich beredt, so wie ja auch nicht alles in der gleichen Situation abgefasst wurde, aber es bleibt gerade in seiner Vielfalt den unterschiedlichen Erfahrungen durch die Zeiten hindurch ausreichend gewachsen, um sich mit ihrem Zuspruch und Einspruch konkret vernehmbar zu machen.

93 Stefan Alkier versucht beispielsweise das sachliche Anliegen zu verteidigen, indem er anstatt von der „Mitte der Schrift“ von ihrem „dynamischen Objekt“ spricht, dass er mit der „Auferweckung des Gekreuzigten“ benennt (Sola scriptura als epistemologisches […] Konzept, 465). Vgl. vertiefend zu diesem Kapitel Dalferth, Wirkendes Wort, 293–320.

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

Es wird darauf ankommen, die wahrzunehmende Vielfalt nicht als eine diffuse und damit verwirrende Pluralität zu sehen, sondern als eine durchaus konzentrierte Vielfalt, deren unterschiedliche und teilweise gar gegensätzlich erscheinenden Perspektiven in der hinter ihr stehende Wirklichkeit des einen Gottes und seines Bundes mit der Schöpfung und den Menschen ihren gemeinsamen Haftpunkt haben.94 Der Ton liegt dabei auf der besonderen Erschließungskraft der vorauszusetzenden und zugleich unverfügbaren Gegenwart Gottes, durch die das Wort Gottes durch das Zeugnis der Schrift vernehmbar wird und Gott sich selber ansprechbar macht.95 Dabei bleibt auch die christologische Perspektive insofern in Kraft als im Blick auf das Verstehen Gottes grundsätzlich nicht von der von Christus ausgehenden und zweifellos auch in sich durchaus vielfältigen Erschließungskraft abgesehen werden kann.96 In jedem Fall bleibt der systematisch entscheidende Aspekt des reformatorischen Schriftprinzips gewahrt, dass „das Kriterium rechter Schriftauslegung nicht außerhalb der Schrift zu suchen ist, sondern dass die Schrift selbst als der Maßstab ihrer Auslegung zu gelten hat.“97 Auch wenn wir heute skeptischer geworden sind hinsichtlich der Möglichkeit, die Wahrheit in irgendwelchen Formulierungen festhalten zu können, sie gleichsam mit unseren allzumal begrenzten Formulierungsmöglichkeiten erfassen zu können, so gilt doch nach wie vor das in das biblische Zeugnis gelegte Vertrauen auf die gerade aus seiner Vielfältigkeit immer wieder zu vernehmende Lebendigkeit des Wortes Gottes. Es geht heute wohl weniger um ein Prinzip, auf dessen Verlässlichkeit sich die Theologie angesichts des durchaus rasanten Wechsels der Zeiten unerschütterlich berufen könnte, wohl aber um die Treue zum biblischen Zeugnis, in dem die besondere Treue Gottes mit ihrem Trost und ihrer Ermutigung, aber auch mit ihrer Ernüchterung und ihrem Einspruch zur Sprache drängt. Die Klarheit der Schrift besteht darin, dass im biblischen Zeugnis in unvergleichlicher Weise eine Nähe und Vertrautheit des menschlichen Redens mit dem Reden Gottes vorausgesetzt wird, so dass mit guten Gründen das Hören auf sie sich von der Hoffnung getragen wissen darf, durch es hindurch das lebendige Wort Gottes immer wieder vernehmen zu können.98 Die Treue zum biblischen Zeugnis in diesem immer neu zu fassenden 94 Vgl. dazu Weinrich, Biblical Multiplicity and the Unity of the Church. Auch Peter Wick, der für das Verstehen biblischer Texte auf einen multiperspektivischen Paradigmenwechsel setzt, verweist ausdrücklich auf die Notwendigkeit, dass „an der Einheit Gottes und seiner Wirklichkeit im Glauben festgehalten“ werde müsse (Exegese und Realität, 59). 95 Vgl. Dalferth, Wirkendes Wort, 298–302. 96 Zur aktuellen Bedeutung der christologischen Hermeneutik vgl. Karl-Wilhelm Niebuhr, Schriftauslegung in der Begegnung mit dem Evangelium, 87ff. 97 Friederike Nüssel, Schriftauslegung als Projekt der Theologie, 251. 98 Vgl. Gerhard Sauter, Schrifttreue ist kein ‚Schriftprinzip‘, 266. Wenn Peter Wick vorschlägt, von einem „Prä der Heiligen Schrift“ zu sprechen, könnte abgewogen werden, ob „Treue“ oder „Prä“ eine engere Bindung an das biblische Zeugnis versprechen (vgl. Peter Wick, Vom

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Vertrauen zu ihr ist immer auch ein Akt der Umkehr und der Erwartung, von ihr etwas zu vernehmen, was wir uns nicht einfach selber sagen können.99 Jenseits ihres Gebrauchs als Heilige Schrift löst sich allerdings die Stringenz ihrer Kohärenz bis zur Unkenntlichkeit auf, denn im säkularen Gebrauch umfasst die Bibel „eine Vielzahl von Texten mit unterschiedlichen Themen, die kein interpretatorischer Gewaltakt auf einen Nenner bringen kann, ohne wenigstens einige von ihnen zu vergewaltigen.“100 Die Feststellung der Kohärenz des biblischen Zeugnisses unterliegt den theologischen Prämissen, durch welche die Bibel in der Kirche zur Heiligen Schrift wird. 2.5.5

Die Inspiration der Schrift

Auch wenn das empfindliche Problem indirekt bereits verschiedentlich angesprochen wurde, soll es doch auch noch eigens thematisiert werden, nämlich die Frage nach dem auf das biblische Zeugnis gesetzten besonderen Vertrauensvorschuss hinsichtlich der Wahrnehmung des Wortes Gottes. Weil es sich dabei um ein heute eher verdrängtes Problem handelt, soll es ein wenig eingehender bedacht werden. Wenn es um die Evidenz der Schrift geht, setzen wir ja nicht allein darauf, dass uns ihre Sätze und Aussagen grammatikalisch und aussagelogisch zugänglich sind. Wenn einzuräumen bleibt, dass auch auf dieser Ebene nach wie vor mit Schwierigkeiten zu rechnen ist, so bleibt dies im Blick auf das rechte Verstehen deutlich das kleinere Problem. Das unvergleichlich größere Problem ist vielmehr, dass hinsichtlich des biblischen Zeugnisses darauf gesetzt wird, dass die von ihm bezeugte Wirklichkeit sich auch ihren Hörerinnen und Lesern mit ihrem über unsere unmittelbare Erfahrung hinausgehenden Anspruch auch tatsächlich erschließen möge. Dieser essenzielle Optimismus hinsichtlich der Selbstbezeugung Gottes durch das Zeugnis der Schrift hat in der Theologie traditionell seinen spezifischen Ausdruck darin gefunden, dass sie von der „Inspiration der Schrift“ gesprochen hat. Die Verwendung eines Genitivs wie diesen ist häufig mit dem Risiko behaftet, falsch verstanden zu werden. Mindestens zwei durchaus verschiedene Lesarten

sola scriptura-Prinzip zu einem Prä der Heiligen Schrift) oder ob dem Einwand von Stefan Alkier nachzugehen sein sollte, dass die Rede von dem „prae“ insofern eine zu weitgehende Ermäßigung des Vorrangs des biblischen Zeugnisses darstelle, als sie bereits in der mittelalterlichen Theologie ohne die entsprechende Konsequenz üblich gewesen sei (vgl. Alkier, Hermeneutik und Methodik im Zeichen von Sola Scriptura heute, 100). Wenn ich die Diskussion an dieser Stelle nicht mit der erforderlichen Intensität führen kann, soll doch betont werden, dass nach meiner Wahrnehmung das theologische Interesse der verschiedenen Positionen doch grundsätzlich in eine gemeinsame Richtung blickt. 99 Vgl. Michael Beintker, Anmerkungen zur Kategorie der Texttreue, 288. 100 Dalferth, Wirkendes Wort, 246.

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

lassen sich unterscheiden. Wird er als ein genitivus objectivus gelesen, dann steht er für die Bezeichnung des Objekts der ausgedrückten Bestimmung, d. h. in diesem Fall, dass es das biblische Zeugnis ist, dessen Inspiriertheit zum Ausdruck gebracht werden soll. Es kann sich aber auch um einen genitivus subjectivus handeln, nach dem der Begriff im Genitiv für das Subjekt der ausgesagten Bestimmung steht, das hieße in diesem Fall, dass von der Inspiration gesprochen wird, die von dem biblischen Zeugnis ausgeht und ihre Leserinnen und Hörer erreichen will. In unserem Fall erweist sich diese Doppeldeutigkeit allerdings nicht als ein Risiko, weil nicht eine Verstehensweise die richtige und die andere die falsche ist. Vielmehr treffen ausdrücklich beide zu und ergänzen sich gegenseitig. Einerseits bleibt es bedeutungsvoll, dass die Unzulänglichkeiten und Unstimmigkeiten, welche die Bibel als menschliches Zeugnis prägen, nicht so gravierend sind, dass sie den Inhalt bzw. die Wirklichkeit, auf welche die Texte verweisen wollen, verdunkeln oder gar ganz verstellen. Vielmehr orientieren wir uns an der Bibel mit der Unterstellung, dass sie diese Wirklichkeit in einer angemessenen Weise wahrnehmbar machen kann. Wenn das biblische Zeugnis als Heilige Schrift bezeichnet wird, soll damit attestiert werden, dass es als dieses menschliche Zeugnis mit all seinen Unzulänglichkeiten an der besonderen Inspirationskraft der von ihr bezeugten Geschehnisse teilhat, wodurch sie im Blick auf den Inhalt ihres Zeugnisses eine unvergleichliche Authentizität beanspruchen kann. Andererseits ist es kein Automatismus, dass die von der Bibel bezeugte Wirklichkeit tatsächlich ihre Hörerin oder ihren Leser erreicht. Die über ihre vom Glauben erfüllten Verfasser in das biblische Zeugnis eingetragene Inspiration ist zugleich auch mit der Hoffnung und Verheißung verbunden, dass sich in ihrem Gebrauch diese Inspiration auch weiter auf ihre Leserinnen und Hörer zu allen Zeiten weiter überträgt. In diesem Sinne steht die Inspiration sowohl für die Lebendigkeit des Zeugnisses als auch die Lebendigkeit des Bezeugten. Inzwischen haben wir gelernt, dass die Botschaft eines Textes nicht allein von ihm selbst oder gar der Intention des jeweiligen Autors geprägt wird. Die Literaturwissenschaft weist darauf hin, dass das Verständnis eines Textes zu einem erheblichen Anteil von seinen Leserinnen und Lesern mitkonstituiert wird. Insofern sind literarische Texte niemals abgeschlossen, sondern sie bleiben gleichsam für unterschiedliche Vollendungen in der Rezeption offen. Die Literaturwissenschaft beschreibt diesen Umstand als Rezeptionsästhetik (reader-response criticism). Auch wenn die Autorinnen für den Wortlaut der Texte verantwortlich bleiben, können die Texte mit ihrer Fixierung noch nicht als fertig angesehen werden, sondern sie werden in einen offenen Raum entlassen, in dem sie unabschließbar für unterschiedliche und eben auch immer neue Pointierungen offenstehen. Das Verstehen von Texten wird als ein multi-perspektivischer Vorgang verstanden. Ihre „Wahrheit“ wird weder von ihrem Wortlaut verwaltet, noch obliegt sie allein ihren Rezipienten und ihren

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jeweiligen Umständen, auch wenn sich nicht bestreiten lässt, dass sie von beiden nicht unberührt sein wird. Für die theologische Hermeneutik (Auslegungskunst) wird es allerdings entscheidend darauf ankommen, dass nicht nur damit gerechnet wird, dass neben den Verfassern auch die Rezipienten einen bedeutenden Einfluss auf das Verständnis eines Textes haben, sondern es wird zudem darauf gesetzt, dass sich auch die vom Text bezeugte Wirklichkeit der besonderen Gegenwart Gottes selbst Ausdruck verschaffen kann, indem grundsätzlich damit gerechnet wird, dass im Hören auf das Zeugnis auch der lebendige Geist Gottes selbst einen Einfluss auf Text und Rezipient haben kann. Zum Vernehmen seiner lebendigen Botschaft bleibt der biblische Text immer auch darauf angewiesen, dass auch der lebendige Geist Gottes gegenwärtig ist, ohne den der Mensch zu keiner Gotteserkenntnis gelangen kann, die mehr als ein Selbstbetrug ist. Die dem Text unterstellte Autorität kann sich nur selbst autorisieren, und die von ihm bezeugte Wahrheit kann sich nur selbst bewahrheiten. Das ist die mit der Bibel verbundene Verheißung, die sie zur Heiligen Schrift macht, womit sie zu dem entscheidenden Medium der Selbstbezeugung Gottes erklärt wird. Das ist in der Tat ein ungeheurer Anspruch, hinter dem wir aber nicht zurückbleiben können, wenn wir nicht doch wieder ganz auf uns selbst zurückgeworfen werden wollen. Auch die Redeweise, dass sich durch die Bibel das lebendige „Wort Gottes“ vermittele, funktioniert nur mit der Unterstellung einer besonderen Inspiration. Diese Perspektive erinnert an die essenzielle Bedeutung des Heiligen Geistes, dem es auch zugetraut werden muss, dass er den rezeptionsästhetischen Subjektivitätsanteil der Leserinnen und Hörer beim Verstehen der Texte soweit relativiert, dass er dem Vernehmen der durch den Text vermittelten Anrede nicht im Wege steht. Dabei ist in jedem Fall dafür gesorgt, dass auch den subjektiven Anteilen ausreichend Raum eingeräumt bleibt. Die beiden Seiten des benannten Genitivs legen es nahe, von einer doppelten Inspiration zu sprechen, die sich einerseits auf die bleibende Aktualität des Inhalts der Textbotschaft und andererseits auf die Ermöglichung eines existenziellen Verstehens bezieht. So wie dem biblischen Zeugnis attestiert wird, dass es zwar nicht das Wort Gottes ist, dieses aber lebendig zu bezeugen vermag, so geht es auch bei seinem je aktuellen Verstehen darum, in ihm nicht nur die fromme Selbstbezeugung einer antiken Glaubenswelt erschlossen zu sehen, sondern aus ihm nicht weniger als eben das lebendige Wort Gottes zu vernehmen. Es sind diese beiden essenziellen Implikationen, in deren Konsequenz der Umgang mit der Bibel als Heiliger Schrift daran gekoppelt ist, in irgendeiner Form eine Inspiration vorauszusetzen, so gewiss diese in unterschiedlicher Weise verstanden werden mag. Ob nun der inspirierte Verfasser, der inspirierte Text oder der inspirierte Leser dabei in den Blick genommen wird, oder eine der verschiedenen denkbaren Kombinatio-

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

nen daraus,101 in jedem Fall bleibt der Bibel eine Begegnungsdimension mit der Lebendigkeit Gottes einzuräumen und freizuhalten, ohne die ihr die spezifische Besonderheit vorenthalten bliebe, durch welche sie allein eine unvergleichliche Wertschätzung beanspruchen kann. Das hat die Kirche von ihren ersten Anfängen an getan und bleibt auch in der Gegenwart bestimmend. Ohne eine Hoffnung auf die lebendige Präsenz des Heiligen Geistes wäre die säkularisierte Bibel der Kirche oder unserer diesseitsbegrenzten Subjektivität überlassen. Ohne eine Anerkennung der Potenzialität zu einer Form der Selbstauslegung der Bibel kann unser Verstehen nicht die uns gesetzte Grenze unserer Vorstellungskraft überschreiten, auch wenn sie sich darauf einlassen mag, sich den Wundern und Sonderlichkeiten ihrer Narrative zu stellen. Solange wir die Bibel konsequent vergegenständlichen, indem wir uns für diejenigen halten, denen es zukommt, sie auszulegen, wird der fundamentale Aspekt stillgelegt, dass es dem theologischen Anspruch nach die Substanz ihres Zeugnisses ist, dass wir es sind, die der Auslegung bedürfen. Gott kann im Entscheidenden nicht tatsächlich zum Objekt einer Auslegung werden, deren Subjekt wir sind. Wohl aber kann er uns darin in den Blick kommen, dass er uns zum Subjekt unserer Selbstauslegung wird. Auf diesen freilich immer nur begrenzt gelingenden Wechsel von Subjekt und Objekt kommt es entscheidend an, wenn die Bibel nicht nur ein Echoraum unserer Selbstreflektion sein soll. Es kann nur die lebendige Anrede Gottes sein, die uns aus dem unentrinnbaren Zirkel unserer Selbsterkenntnis herausnimmt und in eine Wirklichkeit stellt, in der wir uns nicht dazu verdammt sehen, uns permanent nur um uns selbst zu drehen. Deshalb hängt die besondere Wertschätzung des biblischen Zeugnisses an der Unterstellung, in ihr mehr zu finden als subjektive Frömmigkeitsbekundungen und mancherlei Glaubensaushandlungen antiker Menschen. Die Bibel kann allein dann zu einem Treffpunkt mit dem lebendigen Geist Gottes werden, wenn ihr auch zugestanden bleibt, selbst ein Zeugnis dieses Geistes zu enthalten. Diesem Umstand wird theologisch konsequent Rechnung zu tragen sein. Es handelt sich gewiss um einen hermeneutischen Zirkel, aber in systematischer Hinsicht steht er für eine Befreiung und damit gegen eine diesseitsfixierte Selbstverriegelung des Menschen gegenüber der heilsamen Möglichkeit, aus der Anerkennung einer nicht von ihm selbst veranstalteten Wirklichkeit leben zu dürfen und auch zu können. Und somit handelt es sich bei diesem Zirkel um die Befreiung aus dem immanenzfixierten Zirkel, in dem der Mensch in allem, was er über sich selbst zu sagen versucht, schließlich immer wieder auf den Anfang in sich selbst verwiesen wird, weil ihm

101 Vgl. dazu Ulrich H.J. Körtner, Der inspirierte Leser; John Webster, Holy Scripture; Weinrich, Das Schriftprinzip und die Kirche(n).

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Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift

alle noch so differenzierten Einsichten keine tatsächlich verlässlichen Auskünfte über sich selbst zu geben vermögen. 2.5.6

Schrift und Ökumene

Als letzte Herausforderung des reformatorischen Schriftprinzips in der Gegenwart möchte ich die immer noch zu wenig ernst genommene ökumenische Herausforderung des sola scriptura ausdrücklich hervorheben. Die sachliche Vorordnung der Schrift vor Kirche und Theologie stellt das biblische Zeugnis in ein kritisches Gegenüber zu allen Kirchen und allen Theologien. Dieses kommunikative kritische Gegenüber zielt im Zuge einer mehrfachen Ernüchterung über die verschiedenen existierenden Kirchen hinaus auf eine solide fundierte und zugleich auch konkret gestaltbare Ökumene: Die erste Ernüchterung ist eine aus der Kirchengeschichte zu lernende Lektion. Sie besteht darin, im Blick auf das eigene Selbstverständnis als Kirche endlich aus der Tradition der gescheiterten Versuche auszusteigen, die Vielfalt des biblischen Zeugnisses auf eine von ihm selbst nicht formulierte Vorstellung von der Einheit der Kirche festlegen zu wollen. Die Weite des Heiligen Geistes sollte von uns ebenso wenig beschnitten werden wie von uns die Weisheit der Alten Kirche zu tadeln ist, in der sie eben diesen farbenprächtigen und variationsreichen Kanon bestätigt hat, einerseits um dem bereits eingetretenen Umstand Rechnung zu tragen, dass sich im konkreten Leben der Kirche durchaus sehr unterschiedliche Gestaltungen der Kirche nahelegen, und andererseits um auch für die Zukunft der Kirche keinen unangemessen Zwang zur Vereinheitlichung aufzuerlegen, weil es nicht ihre äußere Gestalt ist, die für Einheit steht, sondern Christus als das eine Haupt, dem ein Leib aus sehr unterschiedlichen Gliedern zuzuordnen ist. Die Vielfalt der Schrift, die auch ein Zeichen ihrer spezifischen Weite und Freiheit darstellt, ist ein theologisch durchschlagendes Argument gegen die Einfalt der Harmonisierungsund Homogenisierungstendenzen, mit denen sich die Kirchen jeweils ihr eigenes Kirchenverständnis abzusichern versuchen. Die zweite Ernüchterung hängt unmittelbar damit zusammen: Wir sollten von der Kirche und unter den Kirchen nicht mehr Einheit erwarten als vom biblischen Zeugnis, dessen Reichtum nicht zuletzt in seiner Vielfalt als ausgemacht gilt. Ekklesiologisch betrachtet gehört zur Koinonia wesentlich die Vielfalt dazu. Wäre eine konsequente Einheitlichkeit gemeint gewesen, so erübrigte sich die Sorge um die Koinonia unter den Gemeinden und Kirchen. Nicht die Vielfalt der Kirchen ist zu beklagen, wohl aber der Mangel an Koinonia. Es sind die Selbstansprüche und die abgrenzenden Identitätsbedürfnisse, mit denen die Kirchen die Gräben zwischen sich offenhalten. Warum soll es nicht verschiedene Kirchen geben, so wie es verschiedene Gemeinden gibt, die sich bisweilen auch erheblich voneinander unterscheiden? Kritisch wird es erst dort, wo die Gemeinschaft aufgekündigt

Aktuelle Herausforderungen des reformatorischen Schriftprinzips

wird und eine Kirche sich zum Vorbild für das rechte Kirchesein stilisiert. Die Vielfalt der einen Schrift könnte für die im doppelten Sinne zerstreute Kirche der gemeinschaftliche Kommunikationshorizont sein, in dem sie ohne alle Vereinheitlichungsambitionen nach ihrer angemessenen Sendung fragt. Die prinzipielle Vorordnung der Schrift bringt uns schließlich eine dritte befreiende Ernüchterung ein, nämlich die Ernüchterung gegenüber unseren Bekenntnissen und unserer Theologie. Nicht dass sie entwertet würden – der Kirche bleibt die Mühe um ein selbst formuliertes Bekenntnis ebenso wenig erspart wie die immer wieder neu in Angriff zu nehmende theologische Verstehensarbeit. Aber in dem Maße, in dem die Kirche im lebendigen Gegenüber zur Schrift lebt, in dem Maße verliert sich das in die eigene Selbstdefinition gelegte Pathos zugunsten einer unstillbaren Neugier auf die Unerschöpflichkeit biblischer Weisheit, Erfahrung, Belehrung und auch Erbauung. Diese Ernüchterung gegenüber unseren Bekenntnissen und unserer Theologie ist von besonderer ökumenischer Relevanz, weil sie die Fiktion eines die Kirchen zusammenführenden dogmatischen Konsenses zerstreut. Vielmehr demonstriert die Schrift (durchaus auch sichtbar) die bestehende vielfältige Einheit der Kirche, und die Kirchen hätten lediglich dafür zu sorgen, diese von der Schrift bezeugte Einheit nicht durch ihre Eigenwilligkeiten zu verdrängen. Ökumenische Arbeit ist also nicht in dem Sinne produktiv, dass sie etwas Neues, noch nicht Bestehendes schafft, sondern in dem Sinne, dass sie entschlossen in die immensen Kräfte unseres Selbstbehauptungswillens und damit unseres Widerstands gegen die Kirchenleitung ihres tatsächlichen Hauptes, Jesus Christus, eingreift, die dieser in nicht unwesentlichem Maße durch das Zeugnis der Schrift hindurch vollziehen will und vollzieht. Und so ist schließlich um Christi willen die Frage nach dem Vorrang des biblischen Zeugnisses keine Frage, der man sich theologisch stellen kann oder nicht, sondern sie bleibt uns drängend gestellt, auch dann, wenn man diesen Vorrang durchaus anders zu beschreiben versucht, als es mit den hier vorgelegten Überlegungen versucht wurde.

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3.

The Openness and Worldliness of the Church

On the Framework of Reformed Ecclesiology1

3.1

Confession in the Life of the Church

The formula ecclesia reformata semper reformanda,2 which originated within the Reformed sphere, reflects the view that the historical form of the church will never completely correspond to its destiny. Rather, the church’s destiny and promise continually goes beyond the form of the church – however perfect it may be – given to it by human beings. Leaving aside the basic belief that the church’s fundamental destiny is to give glory to God, it can even be said that the church’s knowledge of its true destiny is itself continually imperfect and provisional. What it actually means to give glory to God at this time is not at all self-evident but is mediated through a process of understanding that from time to time is filled with conflict and in no way always leads to a satisfactory conclusion. The semper reformanda is directed at this process of understanding which keeps the church moving. It is therefore not the ongoing need for reformation that applies to every organization or institution, thereby avoiding relegation to the status of museum pieces. The issue is not that the church always needs to be changed or renewed – if only to ensure its status quo. The task of continual renewal is just as selfevident for the church as it is for every other institution. But the semper reformanda goes beyond this, to the point where the concern is not only the optimization of the practical needs of an organization. Rather, the church is to remember that it does not live out of itself and can only be the living church if it shapes its existence and perspective as a response to the continually new address by God that it hears. The semper reformanda points the church not to itself but beyond itself to that Word of God which it hears, to which it has to respond and to which it is responsible. The church is vitally reminded of the fact that it is neither grounded in itself nor capable of maintaining itself. It owes not only its calling but also its preservation

1 Published in: Wallace A. Alson, Jr. a. Michael Welker (Eds.), Reformed Theology. Identity and Ecumenicity, Grand Rapids (Michigan) / Cambridge (U.K.) 2003, pp. 412–434. 2 Otto Weber attributes the formula, which corresponds to the spirit of Calvin, to his comrade-inarms and successor, Theodore Beza, but without giving any concrete evidence. Cf. Calvins Lehre von der Kirche, p. 58. Certainly, if even the explanations of the concept reformare do not note any evidence in the Reformers for this formulation, it seems obviously to concern a formulation that is difficult to trace to its origin but which in no way must be opposed to the possibility that it is used widely at a later point as a basic reformational formula. Cf. Wilhelm Maurer, Reformation, pp. 861ff.

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The Openness and Worldliness of the Church

and mission to its living opposite, to God, i. e. to the Word of God that is continually to be heard anew and that is offered to it as gospel and command. The church’s strength lies in the knowledge that it is, in principle, weak. It is not called for its own sake or to develop a particular splendour which all too quickly tempts it toward a problematic self-consciousness. Neither does it have any special authorization or qualifications that it can summon up over against the world in order to derive a special self-consciousness. It is not an institution of salvation and does not have at its disposal means of grace that it can simply distribute. It is, indeed, called upon to absolve in the name of God, i. e. to bestow forgiveness of sins, but it does so not on its own initiative or out of its own power but in the name of God, whose will is that the church testifies to him, his activity and will in the world. The church exists for sake of the glory of God. This glory is not taken seriously if the church thinks too highly of itself and awaits own glory. Rather, the church’s witness takes a central position. This witness is also the continual expression of its own relativization, while it refers to God who has indeed called the church to make his acts for the world known but who has not entrusted the church to do his work for him on the earth. The church is to testify that Christ is our representative before God, but the church does not represent God to the world. No saint or other mediator is needed, for the content of the gospel is precisely that Christ is the mediator. These fundamental insights into the essential relative nature of the church are mirrored in its relationship to and dealing with confessions. Because a confession is not the Word of God but the response of the church to that Word, it shares in the church’s relativity in its continually fluctuating state. Thus, as a church that perfectly corresponds to its destiny cannot exist historically, no confession can be a response that corresponds perfectly to the address of God. Certainly, the church hopes for the presence of the Holy Spirit in its search for a response to God’s address but it cannot simply assume that this is so and, indeed, it cannot reserve this Spirit permanently for itself. In this way it will continue to have a healthy and life-preserving scepticism towards everything that it produces, so that it can readily seize the next opportunity for formulating its response better and in a more contemporary way. Not only does the formulation of a confession remain an open process in the Reformed tradition but it must remain so. This is not a devaluation of the church’s previous confessions. Rather, it is for that reason that they are viewed with the highest regard, for they serve as the theologically grounded and historically preserved orientation and guide for one’s own confession. They therefore enjoy particularly high esteem, for in them a suitably condensed written form of the Christian faith can be seen. But their existence does not entail that the church no longer has any need to formulate new confessions.

Confession in the Life of the Church

Confession is not only citation or adoption out of a feeling of obligation to the tradition. Rather, it is done as a living response, i. e. as a contemporary response in which the church responds not only to the Word of God which it perceives but also to the specific challenges which the church faces in its time. It is certainly conceivable that a contemporary appropriation – that is something completely different from a citation out of obligation to tradition – of, for example, the Apostles’ Creed can be seen as a suitable answer to the contemporary challenges to the church, but this is by no means self-evident or at all compulsory. While the confession of the church, indeed, must be directed not only inward but also outward to the surrounding world, it seems to me in many cases that it is particularly undesirable that the church render itself more incomprehensible than comprehensible through citing its old formulations over against the world. If the church had only repeated the Apostles’ Creed instead of formulating the Barmen Declaration (1934) at the time of National Socialism, it could hardly have called attention to the reformanda that was needed precisely at that point in time. The same obtains, for example, for the Belhar Confession in connection with racism particularly in South Africa (1982). But the numerous other confessions that have arisen precisely in the second half of the twentieth century also clarify the concrete double-sided character of the answer in current formulation of confessions.3 While the semper reformanda can also and is to be particularly related to the confessional existence of the church, confession is included with that which belongs to human action in the church. Confession belongs to the historical life of the church. The vitality of the church is not least to be detected from its ability to confess and therefore from its participation in the process of formulating a confession. The essentially open character that is thereby included in the formulation of a confession contains on the one hand a strong temptation that always arises in the Reformed tradition. On the other hand, in this openness lies a potential that has as yet been much too timidly employed, which should obtain as decisive primarily for the future and is to be fearlessly discovered and applied. The temptation consists in always understanding the freedom connected with this openness as an invitation to special roads and individual views which have often led to splits and separations. The particular temptation associated with the Reformed tradition is to a considerable extent the consequence of a problematic appeal to the openness of the formulation of confessions. It is problematic insofar as it consists in the claim to a contradictory mixture of freedom and a simultaneously proclaimed exclusivity. To state the matter pointedly, the openness is employed in order to put a stop to it through the use of the freedom it provides. The decisions

3 Lukas Vischer (Ed.), Reformiertes Zeugnis heute; Margit Ernst, „In Leben und Tod gehören wir Gott“; Eberhard Busch, Die Nähe der Fernen.

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The Openness and Worldliness of the Church

enjoyed in the freedom made possible by it are raised to an exclusivity which is expressed in the claim that the Christian faith or the existence of the church stands or falls with the acknowledgement of that confession. This is not an awareness of openness in the sense of semper reformanda but a usurpation of openness for one’s own options. The tradition of ecclesiastical confessions, which also had the ecumenicity of the church in view, is thus abandoned, for the church does not witness to itself but to the one church elected by Christ: “The old Confessions did not confess in order to declare apologetically outwards the individual good of a particular church or aesthetically inwards in order to experience the beautiful but in order to declare: The Church that expresses this recognition is, in its place, representative of the one, holy, catholic and apostolic Church.”4 It is certainly easier to state the problem in so pointed a way than to solve it in a concrete case. In actuality, the necessary distinctions cannot be made so clearly and simply. It is all the more important that one be as conscious as possible of the temptations that arise with every distinction, even if it means that in a particular case a false road will be taken. This temptation – to which every church is susceptible – to become a particular church looms especially large in the Reformed tradition, because this tradition virtually invites one not only to be content with the traditional confessions but also to take upon itself its own responsibility for the open formulation of confessions. The confessions must be inclusive with respect to the invisible church confessed in faith and thus keep the catholicity of the church in view. We succumb to the temptation, however, if the confession is exclusive with respect to the visible church that expresses the confession. To be sure, in assessing the fragmented ecclesiastical landscape caution is needed. It would be very one-sided if we saw only a particularist obstinacy in this landscape. One cause for this landscape that is to be judged completely differently can also be found in the exalted significance that the non-hierarchical Reformed ecclesiology attaches to the congregation. According to the Reformed understanding, the congregation is not the smallest cell of a church that exists above it. It does not represent a church existing apart from it but is viewed as the nucleus of a church that develops out of it. The fragmentation can – at least partially – be seen as the expression of the plurality of churches. This decentralized, congregation-oriented ecclesiology is mobile enough to enter into the highly different living conditions of churches with their different challenges. It does not support any compulsion towards homogeneity which subjects all churches to the same self-understanding and expects an identical orientation in doctrine and life. Rather, the principial openness in the formation of confessions means a desired flexibility of the churches towards a specific contextuality. It takes into account the fact that confessions, if

4 Busch, Die Nähe der Fernen, p. 592 (Translation M.W.).

The View of the Scriptures

they are not to evaporate into abstract generalities, can be continually expressed “in the relatively manageable space […] of a concretely responsible group.”5 It is from this that the conclusion that there is no global Reformed confession receives its absolutely compelling material evidence.6 This addresses the positive potential of openness, which encounters its admittedly ambivalent forms of existence in schisms within the church. The special potential of openness lies rather in the function of gathering together. It does not have an exclusive but an inclusive perspective and grants a genuine right of existence to plurality and binds it to the common basis of the biblical witness for direction, which is sufficient to safeguard precisely the predicate of catholicity that was also so highly esteemed by Protestantism. It is the same Word of God that people hear in different situations and under quite different circumstances. That is the decisive catholic basis that admits a plurality as wide as that already found in the biblical witness. It was precisely the actual ecclesiastical use of the controversial writings that was, incidentally, one of the decisive criteria in the formation of the canon – thus an aspect that was directed at the catholicity of the church.7 This openness thus had its focus and limits in the catholicity that was to be preserved. Consequently, openness proves to be a fundamental qualification for an ecumenicity that is conceived not from the perspective of homogeneity but from that of a biblically grounded catholicity. The Reformed tradition is, in line with its essence, an ecumenical tradition directed at plurality and difference. That is, in my view, an essential dimension of the Reformed self-understanding, whose significance and range has remained undiscovered until now. The flexibility based on the individual congregations’ right to self-determination represents a specifically modern acquisition that until now has not been self-confidently applied.

3.2

The View of the Scriptures

The Reformed annulment of the authoritative magisterium of the church and consequently its cancelling of the difference between the clergy who mediated salvation and the people of the church, the laity, is connected to an incomparable revaluation of the Bible. Until then the Bible was protected by the magisterium installed by the clergy so that it stood not only over against the laity but also with the interpretative authority of the church which, on its own initiative, became dominant through appealing to its special spiritual gift. The ecclesiastical magisterium provided the

5 Ibid, p. 590. 6 Cf. below chapter 10: Confessio and Traditio. 7 Heinrich Karpp, Schrift, Geist und Wort Gottes, p. 19.

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desired clarity and perspicuity of the Bible and decided in cases of conflict how a disputed statement was to be understood. Indeed, the priority of Scripture was also always emphasized by the magisterium, but in fact the decision-making powers of the magisterium meant a dominance of the church over Scripture. If necessary, the authority of the church over against the Scripture was explicitly grounded in the claim that because the biblical canon was finally the work of the church inspired by the Holy Spirit, the church was also entitled to decide how it was to be correctly understood – an argumentation that is represented in the orthodox tradition up until the present as almost unapproachably obvious. Whereas the Reformation consistently placed all office-bearers within the congregation, the specially emphasized interpretative authority of the magisterium within the church was lost, with the result that, since then, on the one hand no spiritual ranks were to be distinguished within the church and, on the other, the Scripture now became the sole foundation for the orientation of the church. In the Reformation the biblical witness was given an exclusivity that was previously nowhere to be found in the church in a comparable way.8 It is both an inevitable and far-reaching standard, to which the semper reformanda of the church has to be oriented. The simplicity and clarity of this standard will always be disputed, but such discussions are a fundamental element of a living church. The inclusion of the clergy within the congregation resulted in a concentration of the full authority and normativity on the Scripture, for it now had assumed the whole of the authority that had been allotted to the clergy until that time. That is, it was now allotted the authority that it had had to share with the magisterium. Through its special inspiration it was exalted in principle to a position above the inspiration of the clergy and the congregation who interpreted it. It now stood alone for the presence of the Spirit in which it would be made clear and unambiguous (sui ipsius interpres). The exclusivity that was hereby transferred to it can in a certain sense be understood as a sacralization of the Bible. This did not mean a transportation of the Bible to heaven nor an untouchable mystification of its contents. Rather, it meant a spiritual and theological gain in authority, for now the Scripture alone – sola scriptura – was the source of content and the material criterion (fons et iudex) for the recognition of faith. Holy Scripture, with reference to the Holy Spirit, was no longer in competition with the ordained clergy but alone possessed the gift par excellence for making the Holy Spirit and his effects known. Because a trustworthy power for orientation is given only to the biblical witness and not to those – more or less pious – people who interpret it, the Bible is brought into a hermeneutically necessary proximity to the Holy Spirit, for it is finally not only the letter that convinces and brings one closer to faith, even if, as evidence, it is thought

8 Cf. also for the following chapter 2: Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift.

The View of the Scriptures

to attain an unusually high level (external clarity). It is rather through the Spirit, in whom the Bible is written as a human witness, that it is given its faith-awakening clarity and is able to help one achieve a certainty grounded in God himself.9 The effect of the Reformation in making the congregation answerable only to Scripture was that the Bible became the preferred place for the encounter with the promised Holy Spirit. This was not a Bible that was viewed as obscure (first by Tertullian and finally also by Erasmus in his dispute with Martin Luther on the interpretation of Scripture10 ) – at least not generally – and clarified by a magisterium that was spiritually gifted for this task. Rather, it was a Bible that proved itself (externally and internally) to be true through itself, that is, through the Spirit of God who was connected with its witness in a special way. Sola scriptura did not signify a paper pope, as the anti-Reformation polemic was wont to say. It comes decisively down to the Spirit who stands behind the letter, to the promise of the Spirit only to turn also our contemporary explanations and imaginings into a promising undertaking. The Spirit of the inspiration of the Bible – not of the individual words or letters (!) – is precisely the Spirit who makes us expect the special nature of the Scripture and its exegesis in the present time as well. That is the sacralization of the Bible that resulted from the de-sacralization of the church, which gave it an incomparably sensitive place in the church. Because the church lives out of its communication with the biblical witness, the Reformation placed the Bible not only over against the congregation but at the same time also within it in a particular way. The immediacy of the congregation’s access to the Bible was also a special theological acknowledgement of the congregation as is expressed particularly in the idea of the priesthood of all believers (Luther). The church must not draw its nourishment through secondary means, because it itself was considered worthy and capable of embarking on a ‘search for nourishment’ itself and to judge for itself what was important and was not important. The Scripture itself was impressive enough to be seen and considered as actually authoritative – i. e. trustworthy and reliable – on the basis of its content.11 This is an attack on dogma, the more or less orthodox church doctrine with its to some extent fantastic speculations – here the Reformers had in view the logically formal scholasticism of the ‘late Middle Ages’ which had occasionally reached the point of absurdity. The witness of the Bible with all its embarrassments and surprises, with all its living drama and continual wrestling with the presence of God, its plurality and simultaneous focus on the wholly inscrutable God who guides history, stands incomparably closer to life than all the conceptually oriented teachings of

9 Martin Luther, De servo arbitrio, WA 18, pp. 600–787, pp. 606–609. 10 Cf. Erasmus von Rotterdam, Vom freien Willen, pp. 12f. 11 This was the opposite of “authoritarian”, i. e. requiring unconditional, uncritical obedience.

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dogmatics. According to the Reformed self-understanding, the Scripture is the decisive instrument through which God builds up and preserves the congregation. Therefore, constant communication with the Bible is the decisive result also of the Reformation’s theological recognition of the congregation. Here also it concerns an openness, a process that always refers to something beyond itself, in which the congregation above all is not preoccupied with itself but seeks to fulfil its special calling and mission correctly. Objectively, the openness of the formation of confessions sketched above remains grounded finally in the subordination of the confessions to the Scripture which always speaks afresh.

3.3

The Worldliness of the Church

Dietrich Bonhoeffer explicitly reminded the church of the fact that it exists not for itself but for others,12 i. e., it exists ‘for the world’. The radicality of this proexistence of the church, however, is realized only if one also keeps in mind Reformational ecclesiology, i. e. the view that the church is itself part of the world.13 If the word ‘world’ is used in what follows in a somewhat cryptic way, this is not because of a Johannine inclination towards distantiation nor to a secret reproach to paganism. It simply has to do with the society still stamped by a secularized self-consciousness, by which the church in western and central Europe is surrounded and with which the church’s boundaries are entirely fluctuating. The church is part of a society that does not understand itself above Christianity, from which it cannot separate itself and to which it at the same time also finds itself to be an opposite, which is to be defined more closely. The definition of the relationship to be used here is typified somewhat by the concepts ‘church’ and ‘world’. If the church seeks a responsible relationship to the ‘world’, it must remember its own worldliness, for without that perception the church all too easily becomes trapped in an artificial opposition to the ‘world’ in which it believes, on the basis of a certain superiority, that the ‘world’ can benefit from it in some way. If, on the contrary, it believes that it shares in the embarrassment of the ‘world’, that it cannot prove the existence of God any more than the ‘world’ can prove his non-existence, then its relation to the surrounding ‘world’ is determined by an essential connectedness and solidarity, from which every concept of above and below remains excluded. The recognition of the church’s own worldliness is not in the first place an ethical question but one belonging to the field of systematic theology.

12 Cf. Dietrich Bonhoeffer, Widerstand und Ergebung, p. 560. 13 Cf. also to the following Weinrich, Die Weltlichkeit der Kirche.

The Worldliness of the Church

There are at least three possible ways for the church to understand its relationship to the ‘world’, to view its own worldliness. The first possibility consists in the church simply seeking to appropriate the self-understanding of the ‘world’ as its own. It acknowledges – not without high appreciation – the maturity of the ‘world’ and establishes the genuine agreement of the gospel with the freedom realized by the ‘world’, so that it attains complete solidarity with the ‘non-religious’ world precisely where freedom is promoted. The church becomes the advocate for freedom which has in the meantime become secularized, feeling, on the basis of the gospel, also responsible for the advancement and maintenance of this freedom. It does so above all by helping the ‘world’, which is trapped in the problem of self-explanation, discover the necessary blessing of a total meaning which the church is to preserve from all ideological petrifications in which the freedom that has been gained will inevitably be squandered. The church succeeds in this through a theological interpretation of secularization, which it then seeks to mark off as impressively as possible from the temptation toward secularism, the end of which is nothing other than the loss of the freedom that was expected. In the preservation of their created freedom, in which human beings realize their destiny as beings capable of history, the salvation of human beings is completed. “Thus, the salvation that is realized by God and only by him occurs in this independence of the decision which is given to the human being in his concrete historical existence.”14 Karl Barth speaks of such an extroverted self-understanding of the church pursuing the ‘world’ and the offer that the church gives to the ‘world’ to become ideologically rounded off as the “church in defect”.15 The second possibility points exactly in the opposite direction, by mourning the spreading secularization as the specific danger for a society that is endangering itself. Only religion gives society an integrating centre without which it falls apart. The obvious process of religious decline in modern society will continue to the extent that “the needed reflection on the religious foundations of Western ideas that are normative for political life and the political order is avoided or deferred.”16 In order to counteract the “devitalization and barbarization” of a secularist society tumbling downwards in an “indifferentist pluralism”17 a powerful reunited world-church is hoped for in which the ‘world’ can be given an example of unity and integrity that will serve as a model for its politics. The church that has been driven from the centre of the village by secularization will once again become the centre of a directionless ‘world’ that has shrunk to a village, in which the superiority of Christianity has already been proven historically. It is this specific superiority of the church, which has taken upon itself a specific responsibility for the ‘world’, that the ‘world’ on its 14 15 16 17

Friedrich Gogarten, Verhängnis und Hoffnung der Neuzeit, p. 204 (Translation M.W.). Karl Barth, The Christian Life, pp. 141–144 (German: Das christliche Leben, pp. 227–231). Wolfhart Pannenberg, Anthropology in Theological Perspective, p. 478. Ibid., p. 484.

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The Openness and Worldliness of the Church

own cannot see as appropriate. If the first possibility of understanding the relation between the church and the ‘world’ tends in the direction of the self-dissolution of the church into the secular ‘world’, this second possibility expects a conversion of the ‘world’ to the authoritative orientations as they are now to be found only within the church. It can certainly be conceded that for both Roman Catholic and Orthodox ecclesiology such orientations are to be seen as self-evident, but if Protestantism proposes such an understanding – as happens when Wolfhart Pannenberg argues for an isolated surpassing of all theoretical apologies of religion centring on function – one can only be extremely surprised.18 Obviously, clericalism seems to be the first and ineradicable temptation for the church. The third possibility does not run exactly between the two possibilities sketched above, as one might imagine by way of a kind of compromise, but is independent of them, for it does not assume an opposition between the church and ‘world’ that determines the understanding of the relation. Rather, the church is itself part of the ‘world’, continually related in a dynamic way to its environment and inconceivable apart from this relation. It is not to be distinguished in principle from the surrounding ‘world’ but only in that it sees the ‘world’ which it shares with all other people in a particular light. Because the church’s starting point is that the ‘world’ is not self-explanatory and that its reality becomes evident only by means of a certain interpretation, it is already in discussion with the ‘world’ on the need for explaining the ‘world’. But also because the church cannot present its particular perception of the ‘world’ in any way that is certain and clear (because it is not capable of demonstrating God to the ‘world’ simply, so that it can speak of God and his history with human beings in principle only in questionable ways), at the same time it shares with the ‘world’ the unavoidable embarrassment of not being able to prove its particular interpretation of reality as either generally evident or at all compelling. Also, if it speaks of God, it does so while standing with both feet on the ground of this ‘world’, thus rendering any kind of special view into heaven impossible and every explanation subject to general scepticism and doubt. Thus, as the ‘world’ that does not believe in God cannot take its non-knowledge of God as compelling proof for his non-existence, so the church that is certain of its God cannot, on its own initiative, lay the foundation of proof for his living effects. It proves to be, not least of all, a part of this ‘world’ in sharing with the ‘world’ embarrassment over the final foundation of its self-understanding. Conversely, it witnesses to a God who is not only with the church but is active in the whole ‘world’. The message that is the subject of the church’s discussion with the surrounding ‘world’ witnesses to the completed reconciliation of the world with God in Christ (2 Cor 5:19), i. e. from the start it is neither a private ecclesiastical message

18 Cf. Armin Lange, Religion als Weltbemächtigung.

The Worldliness of the Church

nor an advertisement by which the church can be distinguished as a particular entity. The difference between the church and the ‘world’ proves in this case to be most relative, for Christ also stands over against his church as he stands over against the ‘world’. The people in the surrounding ‘world’ and the people in the church are created by God, who as such stand over against their Creator. In this theological perspective, as it is presented in a specific way by Karl Barth, the church is bound in a constitutive way to the ‘world’ around it in its self-understanding, without drawing its self-consciousness from the current self-consciousness of the ’world’. The church neither curries favour with the ‘world’ nor gets carried away in an imposition of its will upon it. Whereas the church can only witness to God or confess him in the ‘world’, it shares with the ‘world’ the suffering of the hiddenness of God. Its advantage consists merely in the belief that God can be called upon in Jesus Christ as the one in whom God’s participation in this ‘world’ is actually carried out. In the perception of its worldliness the church can and should, in fact, be an example for the ‘world’, for the ‘world’ is in no way free from the inclination to explain itself by another religious or ideological means. Barth can say that the church is more profane than the ‘world’ around it: “In the Church the limits of what is human is preserved and guarded, in the Church no gods are worshipped, in the Church no ideologies are cultivated, in the Church the human being must see and understand himself soberly […]. The mystery of the world is, however, the non-existence of its gods. And it costs the world tears and blood enough that it must always again deny this mystery and would populate nature and history with gods. The basis for its unrest is its refusal to confess its profanity. The Church knows of this mystery of the world. It should not allow itself to be disconcerted by small reproaches and accusations. It is precisely in that that it maintains faithfulness with the world.”19

Thus, it can in no way be a matter of the church attempting to outdo the world religiously. All too quickly it becomes lost in one of the religions forbidden by the first commandment and therewith falls back into its ‘heathen’ past. The Reformed tradition has been particularly aware of this danger of the church – falling back into ‘paganism’ – in distinction from the Lutheran tradition which is more inclined to being attentive to the lurking danger of works righteousness (and therewith the fall back into Judaism).20 If the general issue is one of surpassing the ‘world’, it

19 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie [1934], p. 193 (Translation M.W.). 20 Busch, Die Nähe der Fernen, pp. 598f., appealing to Albert Schweitzer, who maintained in his doctrinal works “that we see the Lutherans (sc. Protestantism) as turning out primarily to be antiJewish and the Reformed anti-pagan.”

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The Openness and Worldliness of the Church

can be such only in humanity and worldliness. Only in that way can the church effectively resist the temptation towards a clericalism which attempts to unfold its ignominious power in the exercise of religious domination, which precisely is “the most fearsome, quite simply monstrous form of human domination” in that it presents “a greater or lesser domination of the conscience through external or intellectual means in the name of God.”21 Every attempt of the church to place itself over against the ‘world’ will make the fallenness of the church visible to the ‘world’. While it wishes to demonstrate to the ‘world’ in this way above all the misery of the God who has fallen into the hands of men, it feeds above all the scepticism towards the message of the humanity of God. The promise lies only in that the church actually lets itself be placed in the ‘world’ in order to appeal to God and to pray in the power of the Holy Spirit that it will not take part in the incessant attempts at self-sanctification and becoming unworldly with which the ‘world’ attempts to deceive itself about its creaturely finitude. Furthermore, and in a consistent continuation in prayer there is sufficient to do, both in the building up of the congregation as well as in religion in the everyday ‘world’. That is the double openness of the church, which give rises to thought against this background. It is the openness of an actual contemporaneity that will not be realized without reflection on the living presence of God nor without a concrete reference to the order of the day in the ‘world’ with all its difficulties and embarrassments. Both here and there it concerns our living worldly answer, which on the one hand comes out of hearing, understanding and repeating the history that God has travelled and travels today with his people and, on the other hand, in living and as such also open contemporary context lets itself respond to its current concrete responsibility. This is one dimension of the semper reformanda that the Reformed tradition emphasizes particularly strongly. Here the cosmopolitan qualification of Christian existence becomes accessible through the gospel: “You are the light of the world. A city on a hill cannot be hidden. Neither do people light a lamp and put it under a bowl. Instead they put it on its stand, and it gives light to everyone in the house. In the same way, let your light shine before men, that they may see your good deeds and praise your Father in heaven.” (Mt 5:14–16)

3.4

The Distress of the Church

The Reformational demythologization of the church places the church with both feet on the ground of this world. This grounding does not only give the ‘world’ the status of the natural environment of the church but at the same time stresses

21 Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, p. 199 (Translation M.W.).

The Distress of the Church

the genuine relationship the church has with the ‘world’. In the Protestant view, the church exists entirely on the grass-roots level, on the same level within the horizontal dimension as the whole of humanity and in the vertical dimension it is referred to God as above it. But to be connected with humanity means above all to be acquainted with its misery, its suffering, its tears and therefore also its longing and hope. Whoever lives on this earth, rather than in an exalted artificial reality, hears the sighing of the creatures in distress. If we, as the most well-situated members of affluent societies, do not drown out that sighing with the noise with which we gladly surround ourselves then we have no choice when perceiving the misery of this ‘world’ but to join in with this sighing ourselves. The reality of this distress is so evident – only acute deafness or total blindness can ignore it – that in respect to them the question of the expectations or of the needs of people that has been posed by the church for its own self-renewal suddenly fades or is even given a cynical tone. Obviously, modern people, presenting themselves as enlightened, are so successful in suppressing the actual distress that even in the church the question of the expectations and needs is in no way felt to be misplaced. A course is thus indicated whose consistent continuation substantially exhausts speech and action in the church, so that in the church its essential openness to the actual distress of humankind is to be recalled. Its solidarity with the ‘world’ is not to be presented in the obligingness with which the church offers itself for the satisfaction of this or that need22 but proves itself to be effective in that it attempts by its witness to free human beings from the apparent need to defy their finitude. The question of expectations and needs gives rise – if actually seriously intended – to the appearance that everything is open. The self-evidence of the misery of human existence is denied or proportioned in the form of a wish that can be limited. The great distress of the human being, i. e. having to limit his life in view of the permanent decay into nothingness will be drawn, by and large, by the shift in a space shaped by expectations and needs where it is trapped in a proximity – equally egalitarian and fictive – to a profusion of small inevitable needs so that inevitably all resistant hopes that go beyond the feasible will at the least be cut off.23 The result of this reduction is also that finally people no longer ask about God but only about what the church out of itself or through a power it feigns to have in the manner of a Potemkin village can achieve. More and more we in the church are also looking at only that which can be managed, that which can be directed and guaranteed by us.

22 Cf. on this Weinrich, Kirche in der Säkularisation. 23 Cf. for a different treatment with respect to content but with a related focus Barth, Die Not der evangelischen Kirche [1931].

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The Openness and Worldliness of the Church

That obtains at least for that part of humanity that against the background of the high level of satisfaction of needs that they have reached does not pose either first or final questions but merely inquires into an optional increase and optimum of a life that is already ensured in its fundamental needs. In a friendly turn we can allow ourselves to be addressed by Friedrich Schleiermacher who stated: “You have succeeded in making the earthly life so rich and multifaceted that you no longer need eternity, and since you have created a universe yourself you feel no need to think about that which has created you.”24 That the fullness can become emptiness is effectively blocked through the fact that the fullness continually produces new needs and therefore keeps people busy in wanting still more and better things. In a permanent climate of increase, new perspectives of optimization are made or artificially produced. The principle of a restless life obtains, as was formulated already in the seventeenth century by Thomas Hobbes as characteristic for the modern period: “Felicity, therefore, (by which we mean continual delight), consisteth not in having prospered but in prospering.”25 The relatively assured fundamental needs and the restless activity in the service of the fulfilment of life that maintains itself are the prevailing conditions for the people described by Schleiermacher as content with this world, who have made themselves relatively weatherproof against the first and final questions. The expectations and needs are limited to the space that we have created for them. And thus, the question of expectations and needs is immediately connected to the duties which we pursue anyway. Probably it is for that reason that the question seems so obvious. It can certainly be doubted whether we are actually aware here of the limited range of this question of needs. The distress rises as the great misery of the human being not in the space of the too optimizing self-organization by human beings but from beyond the limits of our possibilities. Its unapproachable and therefore so readily suppressed character makes a difference in that it confronts us not with our own possibilities but places before us with our impossibilities the limitation of these possibilities that can be set in motion by us. Human self-consciousness remains challenged by the reality of their finitude. The human need that appears here can certainly be more or less successfully suppressed for a time, and this suppression can also be organized to a certain extent in society – as our postmodern experiential world brings home to us thoroughly and impressively – but it cannot be eliminated. It could be shown without difficulty that it exercises its suppression subcutaneously in defiance of a scarcely overrated power in our individual and social lives. Perhaps its power is even greater when one seeks to suppress it.

24 Friedrich Schleiermacher, Über die Religion, p. 19 (Translation M.W.). 25 Thomas Hobbes, The Elements of Law, Natural and Politic, p. 30.

The Distress of the Church

If we speak of the church, then certainly all the small needs of human beings are not unimportant, especially since they can also vary in importance. To look at this fully would require a separate paper and I will not elaborate on it here. But certainly, in the church the great human misery should come into view in a special way from the knowledge that humans can only escape it temporarily. The church should know that not infrequently in dealing with the minor needs the “invisible hand” of the great need also moves unnoticed in the background. It should maintain a particular, distinctive sensorium for all the deceptive ideas and explanations in order to remain open also to the distress to which the ‘world’ all too willingly attempts to turn a deaf ear. Certainly, the church also does not simply stand outside the distress that has been indicated – this distress cannot be escaped in this world. But the church contradicts the abysmal loneliness in which human beings are placed by that distress. It contradicts the eloquent monologue of the shrill silence of the violent cutting back of life’s unfolding as it is present to all every day. It does not contradict it because it experiences something other than the ‘world’ around it. Neither does it not contradict it because it can look successfully beyond the borders of our finitude – thus as if it could see beyond – and thus could delight the ‘world’ with some conjectures about the beyond. It does not contradict it on the basis of some privileges that have been granted to it but because it does not see human beings as bounded by nothingness. In the place of the nothingness with which death threatens us stands God, who as Creator and Redeemer does not wish to abandon it to the self-depression of its empirical knowledge of the world. While the church shares in this experience, which confirms the finitude of the world, at the same time it hears the promise of God. Because it trusts this promise it has to witness to the ‘world’ in word and deed that it is not the distress that is the true motor of all worldly events. Rather, in the midst of the doubt and distress it confesses that the ‘world’ has not been abandoned to itself but has an opposite that is turned toward it, which has combined itself with the destiny of the ‘world’ in a simply salvific way so that in all its distress the ‘world’ can create courage and hope out of that. It is certainly not given to the church – as has already been indicated – to demonstrate convincingly to the ‘world’ that it speaks of more than the strange selfprescription of a Baron von Münchhausen, who pulled himself out of the quagmire by his own hair. The church is and remains part of this ‘world’. The church is not called to romp about in the ‘Beyond’. The ‘Beyond’ becomes accessible to the church only when it is recognized in the here and now, i. e., if it reveals itself, whereby this revelation cannot become simply subjected to the conditions of this world. Revelation does not authorize demonstrations; it corresponds to confession and witness. The missio of the church is realized in that – it is to confess and to witness to the special turning of God to the world.

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The Openness and Worldliness of the Church

And thus, in this respect everything that the church can do and not do is, at bottom, never something that arises out of itself. The church is not the earthly agent of God but his worldly witness (Acts 1:8). The Protestant church is a worldly church in that it knows that it does not possess God’s Word, does not manage it and does not distribute it more or less generously. The church itself has to hear the Word continually anew, always has to seek it anew like manna in the desert. That is the fundamental meaning of semper reformanda. This does not produce any triumphalism of possession and salvation, no pleasure in religion and no guarantee of durability. Every emotionalism on the part of one who confesses is just as inappropriate as the substitution of faith for the vision of God. Rather, the world remains, even if it is caught in the living light of God, a world in which the trees do not grow into heaven. Faith remains faith and that means also that the certainty recognized by it is continually given over to the challenge of experience.26 Faith continually transcends what one can see and that is what makes it so fragile and delicate. It is always more hope than fulfilment and thus includes, in accordance with its essence, the complaint that we do not yet see what we believe.

3.5

Confessional Existence Today

In a final intellectual turn we will, with respect to the openness of the church, direct our attention to a specific phenomenon in the currently perceptible management crisis in the church, which is in no way only a German issue but has an absolutely ecumenical dimension – certainly particularly in the welfare societies of the socalled First World where the churches currently find themselves in a drastic crisis. In this crisis too the reference to the openness of the church can mobilize the necessary Reformational forces, whereas the orientation to ecclesiastical existence brings the restorative forces into play. With this a continually recurring fundamental problem in the perception of the semper reformanda is addressed. People readily describe the crisis of the church by means of the concept of the break with tradition. This is intended to mean first a major loss of religious socialization in societies that have in the meantime become widely secularized. Most recently, the church has in fact become a terra incognita for the children of the members who have become distanced from it. In religious education those who still hope that religious education or confirmation as well as adult church education can somehow find a point of contact in existing knowledge are fighting a losing battle. The most elementary assumptions of which we until recently perhaps asserted a little boldly that they belonged to the obvious field of general education

26 Cf. on this with regard to Martin Luther Weinrich, Die Anfechtung des Glaubens.

Confessional Existence Today

can no longer be made. If until recently, for example, teachers complained that the children knew hardly any biblical stories, many consider themselves lucky if children in general have any knowledge of keys words like ‘church’, ‘Bible’, or even ‘Jesus’. An illiteracy regarding Christianity is spreading, which in no way stops at the doors of the university. Thus, for example, one can read in the notes of a German dissertation the comment that “… for they do not know what they are doing” (Luke 23:34) is the German title of the James Dean film Rebel Without a Cause.27 This illiteracy is reflected not least of all in the extremely awkward, if not entirely materially distorted, press reports on ecclesiastical events or conflicts. On another level this ‘break with tradition’ is encountered in an almost unlimited indifference towards the confessional profile of the church. Thus, for example, the governing bodies of Protestant churches are attacked because of some statement made by the Pope. Every defence of a theologically grounded position are as a rule lost on the public from the start, because obviously the level on which theological sentences are formulated and on which one is to struggle with theological sentences is completely dismissed as a relevant area of communication. The result is that every theological eros seems to be foreign if not entirely perverse – I think here only of the theme of the virgin birth and the all too simple slip of the tongue, which, for example, Eugen Drewermann introduced into the discussion by insisting that the crucial emphasis of the tradition would be on Mary’s intact hymen. It is easy to reject such a ridiculous position and such a rejection will be confirmed immediately by the general public. At present the churches are constantly in the questionable situation of having to respond to one theological absurdity or another. Here they are basically fighting a losing battle before they even open their mouths, for the level of argument which is in no way without presuppositions, in which faith struggles for understanding, is more or less consistently excluded from general communication. The result is that they can no longer be made suitably understandable – at best major simplifications are involved that exclude every complex argument. The churches, in their notorious theological abstinence, are certainly not entirely uninvolved in this pauperization. It is easier than ever today to attack the church with all kinds of trite antipathies that have certainly not arisen without reason. But this does not mean that they are always on target. The churches are currently confronted with a radical loss of the confessional dimension and an accompanying loss of theology – putting all abstinence from theology until now in the shade – which has already had its effect on the expectations of many students of theology.28

27 Cf. Jürgen Ebach, Das bekannte Buch – das fremde Buch, p. 7. 28 As soon as the theological abstinence of the churches is critically noted, it should then be confessed, with respect to the theological abstinence of students of theology, that an academic theology, equally complacent and introverted – as is dominant at least in German-speaking areas – has contributed in no mean way to this development.

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The Openness and Worldliness of the Church

The description of this situation is one thing; how it is to be interpreted and then changed is another. One interpretation should certainly be excluded from the start, for we can get away too easily namely by placing the blame one-sidedly on the increasing decadence of our society which also stamps our churches. In the general discussion the churches favour a different perspective for interpretation. They speak of a drastic break with tradition and promote a regaining of the identity of the church. However, this interpretation is also problematic. With respect to analysis, the concept of a break with tradition does not go far enough and with respect to constructive attempts, the concept of identity points in a false direction. Both objections should be somewhat elaborated. Undoubtedly, far beyond the everyday praxis of the churches, there is something like a wide break with tradition in our society. Nobody will seriously deny this. However, a more accurate look reveals that in the church much more is at stake than the break with tradition. It does not only concern the loss of customs and usages, not only the passing away of traditional frameworks of orientation and lifestyles, but it also concerns the dimension of confession that is essential for the church. The loss of the confessional dimension was to be greeted as if it meant the overcoming of confessionalist petrifications. But the cut goes deeper and does not only concern the dissolution of formulations of the traditional confessions and the accompanying theological intellectual background. Rather, it concerns the act of confession itself. The hostility is directed not only at the recitation – that would be the break with tradition – but also beyond this at the act of confession in general. It would be exciting if the church would begin a truly beneficial discussion on the current treatment of the traditional confessions, but what I see in our culture is an attack on the confessional existence of the church and an essential questioning of the church in general. The rhetoric of the break with tradition is a playing down of the situation, for it is not able to mark the critical boundary where the break with tradition, which can be discussed in one way or another, and the substance of the church is the issue, whose loss the church inevitably allows to degenerate into a harmless and remarkably unhurried concern of religion, which participates, without any criteria, in the general (above all media-driven) infantilization of our narcissistic society, even if it does not take the lead here – at any rate there are already definite signs in this direction. One should note that it does not concern the preservation of a certain confessional tradition of the church but that which belongs to the essence of the church, that it came into being for something and can also state what the reason for that was and precisely why it exists for that. If it no longer wishes to confess, the church must abandon its role of witnessing to the reconciliation of the world with God. The church can forget about every substantial reflection on its mission, every speaking of a missio if it no longer bears the marks of unwieldiness that the promises of God entail. To avoid all misunderstanding as much as possible

Confessional Existence Today

I will also attempt to use the word “confessionality” very sparsely and speak instead of the completion of a confessorial existence of the church. The accent lies on the completion of participation, on the act of entering for the witness of faith into the conflicts of the present. Confessorial existence is the expression for the church wanting to remain the church and not accepting being only one religion among others, which it admittedly is but also not only that. If the current danger of the church in its confessorial substance is taken into view, that it is not enough to speak of a break with tradition; rather, this term glosses over the actual explosiveness and temptation that is concealed in the present radical change. The general answer to the established break with tradition in ecumenicity seems to me to be the tendency towards reconfessionalization that can be seen since the beginning of the 1990’s. In the different attempts at reconfessionalization the concept of identity constantly reappears. This takes us to the second objection to the general diagnosis and therapy of our contemporary crisis that I wish to consider.29 Many of the church’s efforts – particularly in theological respects – are, in my view, associated above all with the slogan: “Forward into the Past”. The recollection of one’s own tradition is announced as a means of salvation against the loss of the tradition. The memory of allegedly better times is recalled in order to gain promising perspectives for present problems. In those days, since the church represented something and was not timid, it could present itself in a firm way – most certainly helpful to authorities. In order to deal with the present erosion, the church should above all first gain more self-awareness. Its own identity is called the pre-condition for entering into dialogue with others and to be able to exist in this dialogue. The retreat into itself is looked upon as a precondition for a promising participation in general discourse. This obtains for the general discussion among the churches, thus for ecumenicity – including interreligious dialogue – as well as for the discussion with the ‘world’, whatever the latter may mean. To me, the concept of identity seems to have brought with it precisely that which the church has not infrequently attacked as the “mania of finding oneself ” in modern humanity.30 In this use the extremely blurry concept of identity acquires the profile that one becomes aware of oneself and through the description of one’s distinction from others is invigorated in order thus to strengthen one’s own self-awareness. At the moment the fact that it concerns a search which from the point of view of the social sciences is illusory should perhaps occupy us less than the strangely ecclesiological longing that places its hope in such a process of yield-oriented formation of identity.

29 Cf. on this also Weinrich, Herausforderungen „christlicher Identität“ in den Umbrüchen Europas. 30 On the problem cf. also Margit Ernst-Habib, Reformierte Identität weltweit, pp. 11ff, 57ff.

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The Openness and Worldliness of the Church

The problem arises not only from the fact that the church wishes to be something for itself but also and primarily from the fact that in this it believes that it can recapture this on the basis of the strengths of its particular tradition. In this process of self-renewal, one should note, mention is made not only of the rediscovery of the biblical roots or the biblical promises for the church in the world – here indeed an actual ecumenical point of departure for the church presents itself – but also explicitly of the Roman Catholic tradition, the Protestant heritage or the Orthodox way. The present ecumenical moratorium still has, in my view, its ground in this restorative tendency of reconfessionalization. The extent to which the theological imagination of an ecumenical rediscovery of ecclesiology reaches back is the extent to which theology presents itself as an advocate of the past. Since the theological courage for forward-looking steps in ecclesiology from an all too hesitant selfunderstanding has been strongly restrained in the ecumenical movement until now, in general only the voice of the tradition was allowed to speak, i. e. dialogue was entered into with what had been brought along and which one now attempted to place on stage in the exchange so that it agreed with other positions or at least appeared to be capable of being connected.31 With respect to its understanding of the church, ecumenicity has not succeeded in developing its own vision which would in fact challenge the different confessions and denominations for the church, whereas it did succeed with respect to the conciliar process in the area of ethics. That has become particularly clear in the present crisis in that the churches in their efforts at reform did not place them in ecumenical perspective but attempted to reflect on that which they by themselves saw as tenable and capable of bearing the strain. The discovery of confessional identity can, against this background, be described as an attempt at retreat. The question of “Where did we come from?” takes precedence over the question of “Where are we going?” Here the impression seems to be confirmed that, if confession is an issue, it is primarily a matter of retreat. This certainly does not only involve the fact that conservative Christians like to present themselves as the true keepers of the confessions. However, this retrospective use of the confessions is justified neither by the essence of the historical confessions nor by the confessional dimension of the essence of the churches. Rather, the issue in the formulation of the confessions is continually that the church has to respond to a certain contemporary challenge. It is never concerned with preservation of the tradition but always with the proof of its worth for the future. That which is obvious from, for example, the Barmen Declaration – that the church must respond to a concrete, historical challenge – obtains in specific ways for all confessions in church history. Their perspective was continually that of testing, of the direction-giving participation, which also precisely

31 Cf. Weinrich, Ökumene am Ende?, pp. 59ff, 67ff.

Confessional Existence Today

could not be completely answered by the recitation of the tradition but needed its own contemporary instrumentarium in which the church had to formulate its own responsibility to its time. Only in retrospect do confessions become tradition, for when they are formulated their concern for the perception of the present applies with respect to the future. We would also then understand the confessions of the past much better, if the concrete challenges to which they had reacted, the conflicts they sought to resolve or the concrete endangerment or temptation they had sought to reject were still present so that we would have some sense of the drama behind them, which has today been silenced through their liturgical recitation. A church that gives up asking about its specific contemporary challenges, in order to react in a truly responsible way to this challenge becomes inevitably part of a tradition which as such may perhaps have an ‘identity’ but hardly lives out of its prescribed mission. To be church does not consist simply in being a church, and therefore the preservation of tradition and identity cannot be its decisive perspectives for reform. Rather, it belongs to its confessional existence to confess continually more than it is and than it can ever present. It is not to itself that it has to witness in the ‘world’ but to the reconciliation and the coming of the Kingdom of God in word and deed. Only to the extent that it actually does that can it also be of interest to the ‘world’, although it therefore also has to take into account that the ‘world’ in its inclination towards a vain self-idolization and to a non-salvific religious explanation of itself makes a stand against the demythologization of the gospel. It also lies entirely in the interest of the ‘world’ to stylize the humans as a subject of needs and thereby, in fact, to make them an object of their needs. Then every reminder of the finitude and distress of those humans is disturbing. But these humans are suppressed and silenced only temporarily. And where people do not allow themselves to be suppressed, it does not help if the church speaks of itself and its possibilities for the origins of the distress are beyond our possibilities. But the church is to speak of God, which we cannot do on our initiative as people of this world but which we – thank God – can do through God, not indeed as his plenipotentiary but as his witness which never points to itself but to him. If the church can find its way to its confessorial existence in this sense, it could also turn again decisively to its special mission. The church then stands actually on the side of and in solidarity with the modern human being, if it actually becomes a worldly church and finds its way to its commanded sobriety and modesty instead of pursuing all tendencies in order to offer itself in all respects as a flexible agency of religion, value or the attribution of meaning. On this open and honestly travelled road the church will, in my view, also – without playing the religious strongman – will be audible to modern contemporaries. People everywhere are fobbed off with self-confident solutions and presumptuous general answers. The complexity of our world does not allow any more superficial slogans. Nevertheless, whoever uses such slogans should recognize

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The Openness and Worldliness of the Church

that he seeks to escape from this world into a synthetic one. Every kind of fundamentalism ignores the reality of the world, even though fundamentalism as a whole is understood as a collective aid in escape.32 Over against the surplus of mutually silencing solutions there is to a large extent a lack of correct questions, a lack of space for the confessions of the weak or powerless as well as a lack of courage in mentioning the embarrassment and perplexity, and finally a lack of strong perspectives of hope in a world that in its lack of restraint in appropriating freedom to itself does everything to rob itself of that freedom step by step. In this the church can be recognizable in a special way in that it speaks up for the explanation of the world beyond itself in the light of the gospel. Beyond this it is not called to demonstrate the realization of allegedly steadfast principles and maintainable values but to the continually new search to live the humanity of humans in solidarity with the world and its needs.

3.6

Conclusion

Ecclesia reformata semper reformanda – on all levels of ecclesiology this demand remains virulent. These considerations were focused first of all on the foundational dogmatic orientations that stamp, in the Reformed view, an ecclesiology. Certainly, it will always be so that where these foundational brief considerations end, the problems in the concrete situation only begin. It is relatively easily said that the church needs to direct itself continually to the Word of God, but how, in cases of conflict, can we distinguish between what the Word of God says and what we would only like the Word of God to say? Where do we actually derive the certainty, if one constantly raises the question of division? Critical solidarity to the ‘world’ – Yes!, but to what extent does that solidarity go and where does criticism begin? And what does it mean in the situation of radical change, clearly marked by pluralism, in which many of the traditional customs are no longer meaningful? We are experiencing a high-speed social life, from which the church will also not escape unchanged, but where do the potential advances exist and how are they to be determined? One should frankly concede that the distinctions are considerably more complex in concrete everyday life than in the horizon of theological teaching, but that does not in any way take away from the right and necessity of these fundamental considerations. It clarifies, to be sure, that in the life of the church, we are still a long way from being able to express a proper theology. It will seem, to be sure, incomparably hopeless for the concrete decisions, if the church must make do with a vague theology or even without any theology at all. It would be nice, if the

32 Cf. Weinrich, Christlicher Fundamentalismus.

Conclusion

worry that the latter could be the case were generally unfounded. In that case, these considerations can be left in obscurity.

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4.

Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels

Theologische Annäherungen an eine Israel-bezogene Ekklesiologie1

4.1

Das ‚Volk Gottes‘ als eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts

Gemessen an den mehr als 19 Jahrhunderten der Kirchengeschichte ist der Begriff des ‚Volkes Gottes‘ als umfassend gemeinte Bestimmung der Kirche eine Neuentdeckung, die erst im 20. Jahrhundert gemacht wurde.2 Dabei war nicht das Motiv einer neuen Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Israel bzw. zwischen Christentum und Judentum bestimmend, vielmehr hängt die Entdeckung des ‚Volkes Gottes‘ mit dem verbreiteten Aufkommen ökumenischer Visionen zusammen. In einer immer mehr zum Dorf schrumpfenden Welt rückt zunehmend der Weltmaßstab in die Aufmerksamkeit, nicht nur in spekulativer und ideologischer Hinsicht, sondern auch in empirischer und pragmatischer Absicht. In gewisser Weise hat sich im 20. Jahrhundert die unendliche und zugleich abstrakte Weite wirklichkeitsumfassender Universalperspektiven, die in unterschiedlicher Ausprägung die Geistesgeschichte des 19. Jahrhunderts jedenfalls im deutschsprachigen Bereich prägten, zu einem bodenverbundeneren Weltverständnis und Weltverhältnis ernüchtert. An die Stelle weltumspannender Ganzheitsvorstellungen und abstrakter Globaltheorien tritt ein konkret motiviertes Verantwortungsbewusstsein, das in seinen Gestaltungsoptionen auch die größeren Dimensionen einer verantwortlichen Weltgestaltung wahrzunehmen beginnt. In diesem Zusammenhang steht auch das Erstarken des ökumenischen Gedankens und die mit ihm verbundene Entdeckung des ‚Volkes Gottes‘. Theologisch steht der Begriff ‚Volk Gottes‘ für einen Wechsel von einem vertikal orientierten Verständnis der Kirche zu einem die realexistierenden Kirchen

1 Erweiterte Fassung eines Vortrags, gehalten auf der dritten Tagung der Konsultationsgruppe der Leuenberger Lehrgespräche zum Thema „Kirche und Israel“ am 19. Sept. 1997 in Warschau; zuerst publiziert in: Michael Weinrich, Kirche glauben. Evangelische Annäherungen an eine ökumenische Ekklesiologie, Wuppertal 1998, 190–223. 2 Vgl. auch John May, „Volk Gottes“ als Grundlage einer Theologie der Religionen, 235. Im Rahmen der römisch-katholischen Ekklesiologie war Dom Ansger Vonier einer der ersten, die den Begriff in den Vordergrund gestellt haben: The People of God (1937). Er kommt aus der exegetisch orientierten heilsgeschichtlichen Theologie, die sich in den 1920er und 1930er Jahren im protestantischen Bereich entwickelt hatte; vgl. Oliver Rousseau, Die Konstitution im Rahmen der Erneuerungsbewegungen in Theologie und Seelsorge während der letzten Jahrzehnte, 29f.

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wahrnehmenden und somit zumindest partiell horizontal orientierten Verständnis. In der Akzentverschiebung der römisch-katholischen Ekklesiologie vom universalistisch verstandenen „corpus Christi mysticum“ zu einem heilsgeschichtlich entfalteten Verständnis der Kirche als ‚Volk Gottes‘ – darauf wird noch zurückzukommen sein – spiegelt sich dieser Wechsel in besonderer Weise wider. Mehr oder weniger lautlos hat sich der Begriff in die Ekklesiologie eingeschlichen und ist dort inzwischen zu einer selbstverständlich erscheinenden Selbstbezeichnung der Kirche geworden, über deren theologische Reichweite nur relativ wenig nachgedacht wird.3 Die biblische Ökumenizität des Begriffs garantiert noch keineswegs, dass die Inanspruchnahme dieser Bezeichnung auch tatsächlich dem biblischen Verständnis und seinem spezifischen Gefälle gerecht wird. Wenn es dazu kommt, dass das ‚Volk Gottes‘ thematisiert und nicht nur in unkommentierter Selbstverständlichkeit in Anspruch genommen wird, geschieht dies in der Regel keineswegs ‚Israel-vergessen‘. Vielmehr findet sich häufig der Hinweis, dass seiner Tradition nach zunächst Israel das Volk Gottes sei. Doch wie sich dieser Anspruch zu dem daneben gestellten kirchlichen Anspruch verhält bzw. wie beide Ansprüche aufeinander bezogen sind oder gar in einer unauflöslichen Verbindung miteinander stehen, bleibt immer dann offen, wenn man nicht mehr von der Kirche als der heilsgeschichtlichen Ablösung Israels sprechen will. Die schlichte Erwähnung Israels hebt noch nicht die überkommene theologische Apartheid auf, auch wenn die traditionellen Verwerfungen nicht mehr ausgesprochen werden. Vorsicht und Zurückhaltung ergeben ein meist änigmatisches Bild, in dem das herbeizitierte Israel ein wenig deplatziert herumsteht wie ein mit mühselig formulierten, abstrakten Ehrungen der Freundschaft geschmückter Gast, der nur aus Gründen politischer ‚correctness‘ eingeladen wurde. Zwar scheint es anerkannt zu sein, dass sich die Kirche nicht ‚Volk Gottes‘ nennen kann, ohne dabei an Israel als das Volk Gottes zu denken, aber was dieses Denken an Israel für das Verständnis der Kirche als ‚Volk Gottes‘ im Einzelnen erbringt oder auch nur erwarten ließe, scheint weithin unklar und diffus zu sein. Für meine weiteren Überlegungen knüpfe ich an den kirchenoffiziell unwidersprochenen Konsens an, wie er in der Studie der EKD „Christen und Juden II“ von

3 Es scheint mir symptomatisch zu sein, dass selbst in einer Aufsatzanthologie, die sich unter dem Titel „Volk Gottes, Gemeinde und Gesellschaft“ präsentiert (JBTh 7, 1992), im Grunde kein aufschlussreicher Beitrag zur ekklesiologischen Bedeutung des Begriffs ‚Volk Gottes‘ zu finden ist. Ebenso überraschend ist es, dass in einer so dezidiert ökumenisch ausgerichteten Ekklesiologie wie der von Jürgen Moltmann die Dimension des ‚Volkes Gottes‘ fast gar keine Rolle spielt; vgl. Kirche in der Kraft des Geistes (1975); vgl. ebenso die ausdrücklich ökumenische Ekklesiologie von Miroslav Volf, Trinität und Gemeinschaft. Eine große Hilfe bietet dagegen die exegetische und gleichwohl problemorientierte Studie von Wolfgang Kraus, Das Volk Gottes. Zur Grundlegung der Ekklesiologie bei Paulus.

Das ‚Volk Gottes‘ als eine Entdeckung des 20. Jahrhunderts

1991 festgestellt wird. Folgende zwei Aspekte sind für unser Thema zentral: 1. „Die Erwählung des jüdischen Volkes bleibt bestehen, sie wird durch die Erwählung der Kirche aus Juden und Heiden nicht aufgehoben oder ersetzt.“4 2. Der christliche Glaube ist unlösbar mit dem Judentum verbunden.5 Dieser Konsens gilt nicht nur für die EKD, sondern kann sowohl für die ganze verfasste Ökumene als auch für die römisch-katholische Kirche vorausgesetzt werden.6 Auch wenn eingeräumt werden muss, dass sich diese Erkenntnisse recht unterschiedlich verstehen lassen, so ist doch mit der grundsätzlichen Abweisung der Vorstellung von der Enterbung bzw. Ersetzung Israels durch die Kirche ein tragfähiger Boden für die theologische Verpflichtung gelegt, der inneren Verknüpfung des christlichen Glaubens und der Kirche mit dem Judentum eine besondere Aufmerksamkeit zu widmen. Bei der Frage nach dem Volk Gottes liegt diese Bezugnahme unmittelbar auf der Hand, denn die Feststellung der bleibenden Erwählung Israels – der Bund mit Israel ist nicht gekündigt – schließt ein, dass Israel nach wie vor Volk Gottes ist und von der Kirche als solches zu thematisieren ist.7 Der für das Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ konstitutive Israelbezug macht deutlich, dass für die Kirche die Bezeichnung keineswegs so selbstverständlich ist, wie es allzu meist den Anschein hat.8 Die Rede vom ‚Volk Gottes‘ kann nicht von der Kirche privatisiert werden und ist daher nicht dazu geeignet, den spezifischen Charakter der Kirche zu benennen. Vielmehr 4 Christen und Juden II, in: Die Kirchen und das Judentum, Bd. II, 627–668, 636. 5 Insbesondere werden genannt: „das Juden und Christen gemeinsame Gotteszeugnis der Schriften des Alten Testaments und, darin wurzelnd, das gemeinsame Bekenntnis zu Gott als dem Schöpfer des Himmels und der Erde sowie die Verpflichtung auf Gerechtigkeit und Liebe als Weisungen Gottes für das ganze Leben. Auch die Erwartung eines neuen Himmels und einer neuen Erde verbindet Juden und Christen.“ Ebd., 635. 6 Für die Ökumene vgl. u. a. Die Kirchen und das jüdische Volk, Erklärung der „Konsultation Kirche und Jüdisches Volk“ des Ökumenischen Rates der Kirchen (1988). Zur Position der römisch-katholischen Kirche vgl. Wilhelm Breuning, Evangelisch-katholische Übereinstimmung im Verhältnis zu den Juden? 7 Wenn die folgenden zusammenfassenden Formulierungen von George C. Papademetrion für die orthodoxe Theologie als repräsentativ angesehen werden können, stellt sich jedoch die Frage, inwiefern der ökumenische Konsens von der orthodoxen Theologie mitgetragen wird: „In the new Israel, the church, all human beings are incorporated without regards to their race and gender – united in one Body of Christ, both Jews and gentiles, brought together in Christ. The formerly ‘separated’ and ‘distanced’ Jews and gentiles now exist in harmony in the church as the Body of Christ. The salvific mission of Christ is universal. By creating the church, Christ introduces a ‘new creation’ and ‘a new human person’. The ‘new human person’ (Eph. 4:24) is the renewal of the ‘old human person’ that now has a new existence in Christ. The ‘new creation’ constitutes the people of God who exist in Christ and are manifested in His Body the Church. All humanity is called to participate in this ‘renewed’ existence as one Body of God in the incarnate Logos.” The People of God: An Orthodox Perspective, 24. 8 Es ist daher problematisch, die Bezeichnung „Volk Gottes“ als „die allgemeinste Grundlage der Ekklesiologie“ anzusehen; gegen Elmar Klinger, Das Volk Gottes auf dem Zweiten Vatikanum, 308.

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bleiben alle unbekümmerten Selbstzumessungen der Volk-Gottes-Bezeichnung für die Kirche solange anmaßend, wie sie nicht eine ausdrückliche Bezugnahme auf das bleibende Faktum vornehmen, dass Israel nicht nur zuerst das erwählte Volk gewesen ist, sondern dass wir auch heute im Blick auf das Judentum von dem ‚Volk Gottes‘ zu reden haben. Es ist Ulrich Körtner zuzustimmen, wenn er in Bezug auf die Ökumene pointiert formuliert, dass die der Welt vor Augen zu stellende Einheit der Kirche als Volk Gottes „solange ideologisch [ist], wie angesichts der Fortexistenz des Judentums die von Paulus in Röm 9–11 thematisierte Differenz von Gottesvolk und Kirche unterschlagen wird.“9 Körtner bezeichnet es als „eine der wichtigsten Aufgaben heutiger ökumenischer Theologie“, das „Verhältnis der drei Größen Volk Gottes, Kirche und Israel völlig neu zu bestimmen“.10 Bevor ich mich mit einigen Annäherungen dieser Aufgabe stellen will, möchte ich den Wahrnehmungshorizont unseres Themas mit einigen sehr fragmentarischen historischen und einigen mehr systematischen Erinnerungen an den bisherigen Umgang mit dem Begriff des ‚Volkes Gottes‘ in der Kirche erweitern, die m. E. bei einer gegenwärtigen Thematisierung der Kirche als ‚Volk Gottes‘ im Bewusstsein sein sollten.

4.2

Historische Aspekte

4.2.1

Die Anfänge

Auch wenn die Forschungslage durchaus kontrovers ist,11 kann aufs Ganze gesehen für die Alte Kirche gesagt werden, dass sie sich nicht in erster Linie, und für die Mittelalterliche Kirche, dass sie sich gar nicht von der Bezeichnung ‚Volk Gottes‘ her verstand. Dieser Befund steht durchaus in Einklang mit dem neutestamentlichen Zeugnis, wo der Begriff des ‚Volkes Gottes‘ als Bezeichnung für die christliche Gemeinde auch nur sehr sparsam verwandt wird. Nur zweimal wird die Kirche ausdrücklich ‚Volk Gottes‘ genannt. Dabei benutzt sowohl der erste Petrusbrief als auch der Titusbrief eine der alttestamentlichen Tradition entlehnte Formulierung,

9 Ulrich H.J. Körtner, Volk Gottes – Kirche – Israel, 59. 10 Ebd., 69. Die gleiche Vorsicht, wie bei der Identifizierung der vorfindlichen Kirche mit dem Volk Gottes, gilt es nach Körtner auch hinsichtlich des empirischen Judentums zu beachten; es geht um einen theologisch bestimmten und somit auch nur theologisch nachvollziehbaren Begriff. Mit der Möglichkeit oder gar Notwendigkeit, dass ein theologisch bestimmter Begriff in einer bestimmten theologischen Perspektive auch mit einer empirischen, zumindest aber mit einer geschichtlichen Größe zu identifizieren ist, rechnet Körtner allem Anschein nach nicht. Über diesen Punkt wird noch weiter nachzudenken sein. 11 Vgl. dazu Max Keller, „Volk Gottes“ als Kirchenbegriff, Zürich/Einsiedeln/Köln 1970, 15 ff.

Historische Aspekte

die nun in pointierter christologischer Interpretation auf die Gemeinde angewandt wird. Durch die Selbsthingabe Christi wird die Gemeinde aus ihrer Ungerechtigkeit erlöst und als Volk zu seinem Eigentum, damit es „nach guten Werken strebt“ (Tit 2,14; vgl. Ex 19,5)12 . In Christus werden die Ungläubigen zum „Volk des Eigentums“, das nun die Wohltaten Christi verkündigen soll (1Petr 2,9; vgl. Dtn 4,20; 7,6). Paulus verwendet den Begriff nur in alttestamentlichen Zitaten, deren Verständnis er auch auf die hinzugekommenen Heiden bezieht.13 Den Begriff des neuen Gottesvolks sucht man im Neuen Testament vergeblich (bezeichnenderweise taucht er jedoch in der hinzugefügten Zwischenüberschrift zu 1Petr 2 in der Lutherbibel auf). Die Rede vom Volk Gottes in 1Petr 2, 9–11 und Tit 2, 14 zielt nicht auf eine Herabsetzung Israels. Doch schon bei den Apostolischen Vätern bekam der Begriff des ‚Volkes Gottes‘ eine polemische Konnotation, von der er sich dann nicht mehr befreite. Im Barnabasbrief ist von laòs kainòs die Rede (5,7; 7,5). „Ihr Bund wurde zertrümmert, damit der Bund des geliebten Jesus fest in unseren Herzen versiegelt würde durch die Hoffnung des Glaubens an ihn.“ (Barn 4,8) Es kam im Zuge der beiderseitigen Abgrenzungsbemühungen zu polemischen und schroffen Gegenüberstellungen. Der Begriff des ‚Volkes Gottes‘ verlor rasch seine neutestamentliche Unschuld und verschwand gleichsam in der altkirchlichen Substitutionspolemik. Die Rückbindung an den biblischen Reichtum des Volk-Gottes-Verständnisses, der seinen Dreh- und Angelpunkt in der Erwählung durch Gott hat, ging durch die exklusive kirchliche Selbstzumessung verloren und machte aus dem im Grunde substanziell doxologischen Begriff ein „Schlag“-Wort zur demonstrativen Enterbung Israels, wie es im Barnabasbrief bereits mit allen einschlägigen Argumenten nachzulesen ist. Wenn später bei den Apologeten von den Christen als dem tertium genus die Rede ist, so soll mit dieser Bezeichnung signalisiert werden, dass die Distanz zwischen der Kirche und dem Judentum ebenso groß ist wie die Distanz der Kirche von den Heiden.14 Aufs Ganze gesehen lässt sich jedoch zeigen, dass sich die Christenheit nicht unter dem Begriff des ‚Volkes Gottes‘ vereint wusste, sondern ihre Gesamtheit vor allem mit he katholikè ekklesía bezeichnete. 12 Zürcher Bibel 2007. Im Unterschied zur Revision 1984 fehlt in der Lutherbibel 2017 der Begriff des Volkes. 13 Vgl. dazu Josef Hainz, Vom „Volk Gottes“ zum „Leib Christi“. Allerdings ist vor dem automatischen Schluss zu warnen, dass die traditionsgebundene Verwendung des Begriffs bereits als Hinweis auf seine untergeordnete Bedeutung zu werten sei. Wolfgang Kraus versucht in seiner Studie (Das Volk Gottes) den exegetischen Nachweis zu erbringen, dass das Gegenteil der Fall ist. Dies wiederum bedeutet keineswegs, dass deshalb auch die urchristliche und altkirchliche Ekklesiologie von hier aus bestimmt waren. 14 Vgl. Dirk van Damme, Gottesvolk und Gottesreich in der christlichen Antike, 160f. Die Bezeichnung der Kirche als ‚drittes Volk‘ ist zudem ein Hinweis darauf, dass sich die Kirche in ihren Anfängen ihres übernationalen Charakters offensiv bewusst war.

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4.2.2

Das Volk der Laien

Im Zuge des Erstarkens der Christenheit zu einer relevanten und schließlich dominanten sozio-politischen Größe betonte das Christentum seinen Kosmopolitismus und fühlte sich dadurch ausdrücklich dem völkischen und nationalen Selbstverständnis Israels überlegen. Die Gegenüberstellung zwischen christlichem Kosmopolitismus und jüdischem Volkspartikularismus lässt sich die ganze Kirchengeschichte hindurch belegen und findet sich im 20. Jahrhundert etwa noch bei Max Scheler besonders ausgeprägt wieder.15 Gleichzeitig wurde das ‚Volk‘ (populus) infolge der Hierarchisierung der Kirche und der damit augenfällig werdenden innerkirchlichen Differenzierung zu einer Partikularbezeichnung der Kirche; es meinte nun das ‚gemeine‘ Kirchenvolk (plebs), das Volk der Laien neben der Hierarchie (clerus), die sich nun im Unterschied zum Volk als besonders von Gott ausgezeichnet zu präsentieren verstand. Dieses Volksverständnis verdrängte mehr und mehr die Rede vom ‚Volk Gottes‘ und blieb in dieser Verwendung ebenfalls bis ins 20. Jahrhundert hinein gebräuchlich. Im Zuge der Entwicklung der ökumenischen Bewegung erhält es sogar eine überraschende Renaissance, wie noch zu zeigen sein wird. 4.2.3

Die völkische Bewegung des 19. Jahrhunderts

Es folgt nun ein sehr großer Sprung, weil weder im Mittelalter noch in der frühen Neuzeit – auf Luther wird an anderer Stelle noch eingegangen – dem Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ eine aus dem Rahmen der bisherigen Tradition fallende Bedeutung zugemessen wurde. Erst in der Romantik des 19. Jahrhunderts fand eine weitere Verschiebung und somit Distanzierung vom biblischen Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ statt. Einerseits wurde das Verständnis der Kirche besonders im römisch-katholischen Bereich mystifiziert – der ekklesiologische Zentralbegriff des Ersten Vatikanischen Konzils lautete entsprechend „corpus Christi mysticum“ –, und andererseits wurde besonders im protestantischen Bereich der völkische und vaterländische Charakter der Kirche propagiert und umhegt. Die Liebe zur Kirche zeige sich in der Liebe zum Volk, sowie die Liebe zum Volk ihre Reinheit durch die Kirche bewahre.16 Die Vorstellungen von einem umfassenden ‚Organismus‘

15 „Darum verabscheut der christliche und wahre Kosmopolitismus ebenso sehr den politischen Nationalismus als die altjüdische durch Christus überwundene ‚auserwählte Volks‘-Idee.“ Max Scheler, Die christliche Gemeinschaftsidee, 659. 16 Jesu Tränen über Jerusalem (Lk 19,41–44) bezieht August Tholuck – um nur ein Beispiel zu erwähnen – auf das Völkische und predigt seiner Gemeinde: „Wir sollen uns fühlen als eines Volkes, als einer vaterländischen Kirche Glieder; ihre Leiden, ihre Freuden, soll man in unserem Auge sehen können. […] ‚Mein Volk‘ – ei welch’ ein schöner, süßer Klang! Fühlt ihr denn auch etwas bei diesem Worte? Es war eine Zeit bald nach den Befreiungskriegen, wo keiner unter Deutschlands Männern,

Historische Aspekte

und einem ‚Gemeingeist‘ bestimmen das romantische Volksverständnis, wobei die nationale Komponente zumindest subkutan mitschwingt. Hier hat auch der Gedanke der Volkskirche seine Wurzeln (Schleiermacher), was man sich meist nicht mehr klarmacht, wenn wir heute über die Volkskirche debattieren. 4.2.4

Der politisierte Volkswahn

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts kam es innerhalb der völkischen Bewegung zu einer weiteren Radikalisierung, in der sich bereits alle Elemente der späteren nationalsozialistischen Volksideologie ausmachen lassen. Mit der Volksverherrlichung verband sich sowohl ein zunehmend aggressiv werdender Antisemitismus als auch die vor allem von Arthur de Gobineau entwickelte Vorstellung von der in Nordwest-Europa lebenden germanischen Eliterasse. Die konsequente Folge dieser weiteren Aufladung des emphatisch gepflegten Volksverständnisses war eine zunehmende Politisierung, die ihr Ziel in einem völkischen Staat suchte.17 Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gesellte sich schließlich noch der Antibolschewismus dazu. So schrieb etwa der ‚Deutsch-völkische Schutz- und Trutzbund‘ den Kampf gegen Judentum und Bolschewismus und für eine national-völkische Regierung auf seine Fahnen.18 Spätestens hier stehen alle ideologischen Elemente bereit, die dann vom Nationalsozialismus in die politische Praxis umgesetzt wurden. Der Nationalsozialismus hat lediglich die bereits vorhandenen Ideologeme zusammengeführt und sie mit dem entsprechenden machtpolitischen Durchsetzungsvermögen ausgestattet. Diese letzte Entfremdung des Volksbegriffs gegenüber dem biblischen VolkGottes-Verständnis in der schließlich auf den Nationalsozialismus zulaufenden völkischen Erweckung gehört deshalb in diesen Kontext, weil sie auch eine theologische Rezeption erfahren hat. 1927 mutmaßte beispielsweise Otto Dibelius für das von ihm etikettierte „Jahrhundert der Kirche“, dass Gott die Kirche als „eine volksumspannende Organisation“ brauche,19 und Paul Althaus glaubte, in der Bindung an das Volk „dem Heiligen und Unbedingten“ zu begegnen.20 Das Volk entspricht schließlich nach Friedrich Gogarten einer von Gott eingerichteten Ordnung, der sich die Kirche gläubig unterwerfe.21 Um das Volk in der Fasson zu halten, bedürfe

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Frauen, Jünglingen war, dem das Herz nicht wallte, wenn es heißt: mein Volk, die Thränen und Opfer meines Volkes. Es war das eine schöne Zeit der Begeisterung. Hätte sie nur mit reinem Tone fortklingen können!“ (Zeitpredigten und Predigten, 28f.) In der Volksfrömmigkeit war beispielsweise „vom ‚deutschen Gott‘, der Eisen wachsen ließ“, die Rede; vgl. Hans Hohlwein, Völkische Bewegung, 1427. Vgl. ebd., 1426. Vgl. Otto Dibelius, Das Jahrhundert der Kirche, 129 f. Vgl. Paul Althaus, Grundriß der Dogmatik, Bd. I, 17 f. So schon vor 1933 vgl. u. a. Die Schuld der Kirche gegen die Welt (1928), 10.

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es des auf Autorität gegründeten Staates, dessen Herrschaft vergleichbar sei mit der Herrschaft Gottes.22 Gottes Wille begegne den Menschen „in den Forderungen des Staates, des Volkes und der Sitte.“23 Volksgedanke und Staat gehören hier unauflöslich zusammen. 1934 formulierte Gogarten dann unmissverständlich: „Der deutsche Mensch der Gegenwart, dessen tiefste Not es war, daß er […] niemandem mehr, keinem Gott und keinem Menschen gehörte, er weiß wieder, daß er seinem Volk gehört und in seinem Volk dem Staat, in dem der Wille des Volkes zur souveränen Macht geworden. […] Der Mensch gehört dem Staat, weil er seinem Volk gehört!“24 In diesem Kontext verwundert es dann nicht mehr, wenn etwa die Godesberger Erklärung in Adolf Hitler einen neuen Mose erkannte, „der unser Volk aus Knechtschaft und Not zu Freiheit und herrlicher Größe geführt hat.“25 In dieser theologischen Rezeption des nationalsozialistischen Volkswahns zeigt sich der beschämende Gipfel der neuzeitlichen Geschichtstheologien, aber keineswegs deren prinzipielle Überwindung, wie sich beispielsweise an der gegenwärtig an verschiedenen Orten wahrnehmbaren Beteiligung von Theologie und Kirche(n) an der anachronistischen Renationalisierung zeigen ließe.26 Der Grundschaden liegt in der mehr oder weniger konsequenten Umdrehung des Begründungsgefälles: Nicht mehr Gott erwählt sich sein Volk und schließt seinen Bund mit ihm, sondern das Volk erwählt sich selbst und bestellt dann gleichsam Gott zu seinem überirdischen Schutzpatron, der ihm schließlich all die Gunst und Weihe zukommen lassen soll, die nötig sind, um dem längst insinuierten religiösen Charakter des Volkes einen transzendenten und somit unnahbaren Grund zu geben. Damit ist der Begriff des ‚Volkes Gottes‘ in jeder Hinsicht in sein Gegenteil verdreht. – Ich breche hier ab und komme nun zu den verschiedenen systematischen Entdeckungshorizonten,

22 Vgl. Friedrich Gogarten, Staat und Kirche, 395 – Wenig später kann es dann heißen: „Wenn ein Volk, das so außer Form geraten ist, wie das unsere, wieder in Form gebracht werden soll, dann muß es in Uniform gebracht werden.“ Ders., Einheit von Evangelium und Volkstum?, 19. 23 Gogarten, Ist Volksgesetz Gottesgesetz?, 10. 24 Einheit von Evangelium und Volkstum?, 2. veränderte Aufl., 1934, 11. Da nehmen sich die Richtlinien der deutschen Christen vom 16. Mai 1933 vergleichsweise harmlos aus, wo es u. a. heißt: „Christliche Kirche im deutschen Volk ist sie [sc. die Kirche] nur, wenn sie Kirche für das deutsche Volk ist, wenn sie dem deutschen Volke in selbstlosem Dienst dazu hilft, daß es den von Gott ihm aufgetragenen Beruf erkennen und erfüllen kann.“ (Das Zeitalter der Weltkriege und Revolutionen, hg. v. Martin Greschat u. Hans-Walter Krummwiede, 81f) 25 Quellen zur Geschichte des deutschen Protestantismus 1871–1945, 300. 26 Man lese u. a. die Ausführungen über das Volk als Schöpfungsordnung, die sich bei Althaus auch in seiner überarbeiteten Neuauflage seines ‚Grundrisses der Ethik‘ (1953) finden. Vgl. zur älteren Diskussion Hans Helmut Eßer, Volk und Nation in der evangelischen Ethik; und im Blick auf die gegenwärtige Problematik Dietrich Braun, „Gott mit uns“. Aufschlussreich waren auch zahlreiche Äußerungen und offizielle Stellungnahmen der Kirchen anlässlich des Zusammenschlusses der beiden deutschen Nachkriegsstaaten.

Systematische Entdeckungshorizonte

in denen der Begriff des ‚Volkes Gottes‘ im 20. Jahrhundert neu in die theologische und kirchliche Debatte eingeführt wurde.

4.3

Systematische Entdeckungshorizonte

4.3.1

Das Zweite Vatikanische Konzil

Problemgeschichtlich an erster Stelle ist das bereits erwähnte Zweite Vatikanische Konzil zu nennen.27 Während in der Liturgiekonstitution noch die überkommene Vorstellung von den Laien als dem „populus christianus“ bestimmend ist, das zu mehr aktiver Beteiligung am Gottesdienst geführt werden soll,28 kommt in der Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ ein Verständnis der Kirche als ‚Volk Gottes‘ zum Tragen, das sich als eine fundamentale ekklesiologische Neuerung verstehen lässt. In einer heilsgeschichtlichen Konzeption wird Israel als das Gottesvolk des alten Bundes hervorgehoben. In seiner Geschichte offenbarte sich Gott und sein Heilswille. Israel ist als dieses Volk Gottes „praeparatio“ und „figura“ des im Alten Testament verheißenen und durch Christus geschlossenen neuen Bundes, der das „messianische Volk“ der Kirche konstituiert, die aber ihrerseits auch erst „am Ende der Weltzeiten in Herrlichkeit vollendet“ wird,29 d. h. durch das eschatologische Tun Christi auch relativiert wird. Zwar wird in missverständlicher Weise von der Kirche auch als dem „neuen Gottesvolk“ gesprochen,30 aber dieser unbiblische Begriff darf nicht im Sinne einer Enterbung oder Substitution verstanden werden, denn dadurch wäre der Grundgedanke der Heilsgeschichte wieder in seiner Substanz zerstört worden. Die heilsgeschichtliche Konzeption impliziert vielmehr – bei aller hier jetzt nicht zu entfaltenden Problematik – die Hervorhebung der Heiligung Israels und des in ihr sich offenbarenden Heilswillens Gottes, so dass man zwar den in dieser Konzeption verborgenen evolutionistischen Gradualismus beklagen kann, aber eben nicht mehr den Anfang der Heilsgeschichte gleichsam

27 Vgl. auch zu den unterschiedlichen Bewertungen Klinger, Das Volk Gottes; Keller, „Volk Gottes“, 237ff; De ecclesia. Beiträge zur Konstitution „Über die Kirche“ des Zweiten Vatikanischen Konzils; verschiedene Beiträge in: Volk Gottes. Zum Kirchenverständnis der katholischen, evangelischen und anglikanischen Theologie; Joseph Ratzinger, Das neue Volk Gottes; Siegfried Wiedenhofer, Das katholische Kirchenverständnis. 28 Vgl. Karl Rahner, Herbert Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, SC 14. 29 LG 2 (s. Anm. 28). 30 Keller weist darauf hin, dass dieser Begriff „erst am 28.10.1965 infolge der Opposition gegen die ‚Judenerklärung‘ eingeführt“ wurde; „Volk Gottes“, 239 Anm. 23.

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nachträglich wieder mit Verwerfungsvorstellungen annullieren kann.31 Die Kirche ist auch nur ein weiterer Schritt – und keineswegs bereits die Vollendung – des auf die ganze Menschheit zielenden Heilswillens Gottes. Als Heilsgeschichte ist und bleibt auch der erste Schritt gültig und wirksam und gegenüber aller anderen Geschichte herausgehoben, so sehr auch der zweite Schritt über den ersten Schritt hinausführen mag. Als das wandernde Gottesvolk sucht auch die Kirche nach der „kommenden und bleibenden Stadt (vgl. Hebr. 13,14)“.32 Indem es dabei immer wieder der Reinigung von seinen Sünden bedarf,33 lebt es nicht aus eigener Kraft, sondern von seinem es lenkenden Hirten Jesus Christus,34 „von dem als Quelle und Haupt jegliche Gnade und das Leben des Gottesvolkes selbst ausgehen.“35 Hinsichtlich der universalen Ausrichtung der Kirche, die jede besondere Identifikation mit einem einzelnen Volk ausschließt, kommen auch die nicht römisch-katholischen Kirchen in den Blick, indem sie nicht mehr wie vorher mit dem Hinweis auf ihre Irrtümer jenseits des Heils angesiedelt werden, sondern sie werden in eine freilich nur zaghaft angedeutete Perspektive des auf seiner Wanderschaft wachsenden Gottesvolkes gestellt36 – auch hier wollen wir die bleibenden Probleme auf sich beruhen lassen.37 Die konstitutive Verknüpfung mit dem zu verkündigenden Wort Gottes38 bewahrt das Volk Gottes sowohl vor hochmütiger Selbstzurechnung als auch vor exklusiver Selbstabgrenzung. Diese letzten Hinweise machen deutlich, dass im Zweiten Vatikanischen Konzil auch in der römisch-katholischen Kirche der ökumenische Gedanke zarte Wurzeln geschlagen hat, die unmittelbar mit der Entdeckung des ‚Volkes Gottes‘ als einer ekklesiologischen Bestimmung zusammenhängen.39 Damit sind wir bei dem zweiten hier zu benennenden theologischen Entdeckungshorizont.

31 Zu den Wurzeln der heilsgeschichtlichen Theologie in der vor allem protestantischen Exegese der 20er und 30er Jahre vgl. Brigitte Schroven, Theologie des Alten Testaments zwischen Anpassung und Widerspruch. 32 LG 9 (s. Anm. 28). 33 LG 8 f (s. Anm. 28). 34 LG 21 (s. Anm. 28). 35 LG 50 (s. Anm. 28). 36 LG 16.11; UR 2 f (s. Anm. 28). 37 Vgl. dazu Weinrich, Ökumene am Ende?, 128–130. 38 PO 4 (s. Anm. 28). 39 Je nach Bewertung fällt die Beurteilung der Leistung des Zweiten Vatikanums sehr unterschiedlich aus. Norbert Lohfink beklagt beispielsweise die allzu oberflächliche Art, in der das Konzil mit dem Begriff des ‚Volkes Gottes‘ umgegangen sei (Unsere großen Wörter, 111-126), während Klinger von einem ‚epochalen Vorgang‘ spricht („Volk Gottes“, 310), durch den sich „die Kirche grundlegend“ verändere (311).

Systematische Entdeckungshorizonte

4.3.2

Der ökumenische Aufbruch

4.3.2.1 Die zersplitterte Christenheit: das eine Volk Gottes

Eines der Grundmotive des ökumenischen Aufbruchs im 20. Jahrhundert ist die Sammlung des zerstreuten ‚Volkes Gottes‘. Für die Phase bis 1961 – dritte Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Neu Delhi – stand das Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ weithin unter dem prägenden Einfluss protestantischer Ekklesiologie. Die Einheit der Kirche ist nicht in erster Linie in einer sichtbar vereinigten Kirche zu suchen, sondern sie wird als unsichtbare Einheit vom Glauben bekannt. Das Bekenntnis zur wahren Kirche, d. h. zur ‚una sancta catholica et apostolica ecclesia‘, ist identisch mit dem im dritten Artikel formulierten Bekenntnis zum Heiligen Geist. Darin haben alle ökumenischen Bemühungen ihre besondere Verheißung. Das ist exakt der Zusammenhang, in dem auch bei Luther, der sonst von dem Begriff des ‚Volkes Gottes‘ keinen Gebrauch machte, zumindest der Begriff des Volkes auftaucht. Allein das „geystliche volck im glauben“ bildet „die wahrhafftige kirche“.40 Während der Papst, die Kardinäle, Bischöfe, Mönche und Priester die „illusores populi dei“ sind,41 konstituiert sich die innere Gemeinschaft der Kirche im Glauben. „Nu sind in der welt mancherley Voe lker, Aber die Christen sind ein besonder beruffen Volck und heissen nicht schlecht Ecclesia, Kirchen oder Volck, das da gleubt an Christum, darumb es ein Christlich Volck heist, und hat den Heiligen Geist, der sie teglich heiligt […], davon sie heissen ein heilig Volck.“42 Das Volk Gottes wird durch die Verkündigung des Wortes Gottes konstituiert. „Denn Gottes wort kan nicht on Gottes Volck sein, widerumb Gottes Volck kan nicht on Gottes wort sein.“43 Die Kirche ist keine klar abgrenzbare institutionelle Größe, sondern ein im Glauben lebendiges „Christlich Volck“.44 Gleich im ersten Absatz des Berichts der Sektion I heißt es auf der Gründungsversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam: „Gott hat in Jesus Christus seinem Volk eine Einheit gegeben; nicht wir haben sie erreicht, sondern Er hat sie geschaffen. Wir loben Ihn und danken Ihm für die mächtige Tat des Heiligen Geistes, durch die wir zusammengeführt wurden, und durch die wir erkennen, daß wir trotz unserer Trennungen in Jesus Christus eins sind.“45

40 41 42 43 44

WA 6, 297. WA 7, 713f. WA 50, 624. WA 50, 629. Keller weist darauf hin, dass Zwingli in seiner „Fidei ratio“ die Kirche im umfassenden Sinne als Volk Gottes versteht; „Volk Gottes“ (43). 45 Amsterdamer Dokumente, 27.

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Diese Formulierung zeigt eine deutliche Spur der reformatorischen Ekklesiologie, die in ihrer spezifischen Betonung der Katholizität der Kirche als eine essenziell ökumenische zu verstehen ist.46 Willem A. Visser’t Hooft betonte, dass „die Einheit des Volkes Gottes zu bezeugen“ ist,47 und Clarens T. Craig bekräftigte in seinem Vortrag: „Wir glauben alle, dass die Kirche ihrer wahren Natur nach eins ist. Da Gott einer ist, kann es auch nur ein Volk Gottes geben. Dies Gottesvolk besteht aus allen, die Gott in Christo erlöst hat.“48 (Auf den hier akzentuierten spezifischen Singular werden wir im Zusammenhang mit der Verhältnisbestimmung zwischen Kirche und Israel noch zurückkommen müssen.) Ohne den Bestand der einzelnen verfassten Kirchen in Frage zu stellen, nahm die Ökumene für sich die Perspektive des nichtinstitutionalisierbaren ‚Volkes Gottes‘ in den Blick, um die Einheit der Kirche – wenn schon nicht sichtbar, so doch – wenigstens dem Zeugnis der zersplitterten Kirchen nach vernehmbar zu machen. Neben der erwähnten protestantischen Tradition spielte in dieser Konzentration auch die heilsgeschichtliche Theologie eine bedeutsame Rolle. 4.3.2.2 Amtsträger und Laien: das ganze Volk Gottes

Längst vor dem von Konrad Raiser für die Ökumene erwarteten Paradigmenwechsel49 hat sich allerdings im Blick auf das Volk-Gottes-Verständnis im Zusammenhang mit der sich immer mehr in den Vordergrund schiebenden Amtsdiskussion ein signifikanter Wandel – um nicht zu sagen Rückschritt – auf breiter Front Bahn gebrochen. Die ökumenische Dimension der ekklesiologischen Bestimmung der Kirche als ‚Volk Gottes‘, wie sie auch im zweiten Vatikanum durchschimmert, ging mehr und mehr verloren zugunsten der nach protestantischem Verständnis allemal mühseligen Debatte um das innerkirchliche Verhältnis von Amt und sogenannten Laien. Wenn etwa die Konvergenzerklärungen zu Taufe, Eucharistie und Amt (Lima 1982) von der „Berufung des ganzen Volkes Gottes“ sprechen,50 so geht es nicht mehr um die umfassende Sammlung der vielen Kirchen, sondern um eine Aufwertung der Rolle der sogenannten Laien innerhalb der Kirche. Der Ton liegt nicht auf dem (universalen) ‚Volk Gottes‘, sondern auf dem ganzen Volk Gottes und eben nicht nur einem Teil davon. Jenseits fundamentaler reformatorischer Einsichten, die allerdings auch in vielen reformatorischen Kirchen in Vergessenheit geraten zu sein scheinen, werden auch diese in den ökumenischen Auseinandersetzungen wieder in eine von ihnen bereits verabschiedete, theologisch hochgeladene 46 47 48 49 50

Vgl. dazu Weinrich, Ökumene am Ende?, 110–121. Amsterdamer Dokumente, 116. Vgl. auch Willem A. Visser’t Hooft, Das Volk und die Völker. Die Kirche in Gottes Heilsplan, in: Amsterdamer Dokumente, 147–152, 148. Vgl. Ökumene im Übergang (1989). Taufe, Eucharistie und Amt, 29.

Systematische Entdeckungshorizonte

Unterscheidung von Amtsträgern und Laien zumindest partiell zurückverpflichtet, um dann die Rede von der Berufung des ganzen ‚Volkes Gottes‘ wieder neu als einen Fortschritt zu feiern, auch wenn sie dann zu Recht die allerdings keineswegs verwunderliche Tatsache bemängeln, dass dieser Ansatz sachlich nicht durchgehalten wird.51 Das Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ ist m. E. in der Ökumene von dem hier erkennbar werdenden Diskussionszusammenhang weitgehend absorbiert.52 Im Blick auf das Verhältnis Kirche und Israel kann inzwischen – es war nicht immer so53 – von dem für die EKD eingangs festgestellten Konsens ausgegangen werden, auch wenn die tatsächliche Bedeutung dieser Position für die in der Ökumene relevante Theologie eher gering zu veranschlagen ist. In einer Erklärung aus dem Jahr 1988 heißt es: „Wir erkennen mit dem Apostel Paulus an, daß das jüdische Volk keineswegs von Gott verworfen worden ist (Röm 11,1.11). Auch nach Christus sind (Präsens) sie Israeliten, und ihnen gehört (Präsens) die Kindschaft und die Herrlichkeit und der Bund und das Gesetz und der Gottesdienst und die Verheißungen‘ (Röm 9,4).“54 – Offenkundig laufen in der ökumenischen Diskussion mehrere Linien unverbunden nebeneinander her. 4.3.3

Die Theologie der Befreiung

Zielte das ökumenische Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ ursprünglich vor allem auf die Sammlung der aus den Völkern in den Bund gerufenen Christen, so entdeckt die Theologie der Befreiung das Volk Gottes in einer anderen Perspektive, nämlich der besonderen Parteinahme und Fürsorge Gottes für sein schwaches und gedemütigtes Volk.55 Betont die Ökumene die Berufung Gottes und die aus der Berufung resultierende Verantwortung, so steht in der Theologie der Befreiung das befreiende Handeln Gottes an dem in die Knechtschaft geratenen Volk im Zentrum

51 Vgl. u. a. die Kommentierungen v. Reinhard Frieling, in: Konfessionskundliches Institut (Hg.), Kommentar zu den Lima-Erklärungen 1983, 113ff, Erich Geldbach, Ökumene in Gegensätzen, 26ff; Die Diskussion über Taufe, Eucharistie und Amt 1982–1990, 78f. 52 Im Register des offiziellen ‚Berichts aus Canberra‘: Im Zeichen des Heiligen Geistes, hg. v. Walter Müller-Römheld, findet sich unter dem Stichwort ‚Volk Gottes‘ schließlich nur noch der Hinweis: „siehe Laien“. 53 Vgl. etwa noch den Bristol-Report „Die Kirche und das jüdische Volk“ von 1967, in dem neben einigen Impulsen der Erneuerung deutliche Meinungsunterschiede hinsichtlich der bleibenden Erwählung Israels konstatiert werden, in: Die Kirchen und das Judentum. Bd. I, 350–363, bes. 356f. 54 Die Kirchen und das jüdische Volk (s. Anm. 6), 64. 55 Vgl. u. a. Clodovis Boff, Mit den Füßen am Boden; Fernando Castillo (Hg.), Theologie aus der Praxis des Volkes; Carlos Mesters, Die Botschaft des leidenden Volkes. Für den asiatischen Bereich vgl. u. a. Byung-Mu Ahn, Draußen vor dem Tor. Kirche und Minjung in Korea; Jürgen Moltmann (Hg.), Minjung. Theologie des Volkes in Südkorea; Israel Selvanayagam, People of God and Peoples of God – A Review of Discussions in the Asian Context.

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Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels

der Aufmerksamkeit. Nicht das unsichtbare Volk Gottes, das vom Glauben auch gegen den Augenschein bekannt wird, ist gemeint, sondern das allzu augenfällig leidende und entrechtete Volk, dem Gottes Fürsorge und Solidarität gilt. Dabei spielt auch die für die römisch-katholische Tradition charakteristische Unterscheidung von Klerus und Laien eine bedeutsame Rolle. Die Laien, das ‚Volk‘, sind „populus“, „plebs“ oder gar „Pöbel“, je nachdem, welchen Ton man der Rede vom Volk gerade geben wollte. Die Theologie der Befreiung legt nun den Ton ganz auf Gottes Sympathie für die, die ganz unten sind. Ein antiklerikaler und antihierarchischer Unterton ist dabei deutlich zu vernehmen, ebenso wie eine gewisse Volksromantik, die sich aus dem lange vorenthaltenen und aus eigener Kraft errungenen Selbstbewusstsein unschwer erklären lässt. In dem Maße, in dem die leidenden Menschen ihr Schicksal nicht einfach als gottgewollt hinnehmen, sondern lernen, ihre Not und deren Ursachen zu beschreiben, in dem Maße entdecken sie sich als Volk und die auf dem in Knechtschaft gehaltenen Volk liegende Verheißung, die ihnen die besondere Nähe Gottes zusichert. So erkennen sie sich als Volk Gottes, zwar ohne den bestimmten Artikel – das Volk Gottes –, aber in einer selbstbewussten Widerständigkeit gegenüber den sie bedrängenden Mächten und Gewalten. Hier wird ein wichtiger Aspekt des biblischen Volk-Gottes-Verständnisses in den Mittelpunkt gerückt, der im Zweiten Vatikanum kaum eine Rolle und in der Ökumene nur eine nachgeordnete Rolle spielt. Zwar hat überall das Exodus-Motiv eine Bedeutung, aber der Exodus kommt in spezifisch unterschiedlicher Weise in den Blickpunkt. Während das Konzil ebenso wie die ökumenische Bewegung aus der dankbaren Erinnerung an den auch für die Kirche bereits vollzogenen Exodus nun die Führung Gottes auf der weiteren Wanderschaft hervorheben, nährt in der Theologie der Befreiung die im Exodus dokumentierte Macht Gottes die Hoffnung für das heute noch in ‚Ägypten‘ bedrängte Volk, dass es von diesem Gott ebenfalls befreit werde. Gott hört das Schreien des unterdrückten Volkes, das – so formuliere ich ein wenig überspitzt – durch die Pression und Entrechtung zu seinem Volk wird, zumindest in besonderer Weise für die Aufmerksamkeit Gottes qualifiziert ist. Ist im Blick auf die Wanderung der Kirche nach dem Exodus ein auch die Gegenwart wahrnehmender Israelbezug vorstellbar, so ergeben sich für die Theologie der Befreiung in dieser Hinsicht größere Schwierigkeiten, denn Gott wird hier nicht über die Berufung seines Volkes, den dann geschlossenen Bund und besonders die verheißene Treue angesprochen, die auch die vom Ungehorsam des Volkes heraufbeschworenen Krisen überdauert, sondern vor allem über die spezifische Qualität seiner Empfindlichkeit und seiner souveränen, die Mächtigen dieser Welt bloßstellenden Zuwendung. Israel in Ägypten kann in dieser Perspektive kaum mehr als ein Beispiel sein, und so verwundert es nicht, wenn in der Theologie der Befreiung – das gilt auch für die Theologien der Befreiung im weiteren Sinne (schwarze Theologie, Minjung, die meisten Konzepte der feministischen Theologie) – das Thema Israel in der Regel substanziell nicht vorkommt, was vermutlich

Systematische Entdeckungshorizonte

eher positiv zu bewerten ist. Denn im Horizont der die aktuellen „historischen“ Erfahrungen derartig betonenden Hermeneutik angesichts des heutigen Staates Israel ist es keineswegs ausgemacht, was für ein Bild Israels uns hier begegnen würde – Beispiele für zum Teil abenteuerliche Entgleisungen gibt es leider genug.56 Immerhin muss eingeräumt werden, dass der insistente Hinweis auf das spezifische Gefälle der Parteinahme Gottes und seines Weges der Gerechtigkeit eine wichtige und durchaus zentrale Dimension für das Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ in Erinnerung ruft, deren herausfordernder Charakter beim Bedenken eines angemessenen Volk-Gottes-Verständnisses gewiss nicht einfach übergangen werden kann. 4.3.4

„Das gespaltene Gottesvolk“

Der vierte, von uns besonders aufmerksam wahrzunehmende Entdeckungshorizont des Volk-Gottes-Begriffs findet sich im jüdisch-christlichen Dialog, der – von wenigen, meist resonanzlosen Anläufen abgesehen – nach einer Zeit beschämten Schweigens nach dem Zweiten Weltkrieg seine Wurzeln in den frühen 1960er Jahren hat.57 Provokativ wurde hier vom „gespaltenen Gottesvolk“ gesprochen,58 nicht nur um dem offenkundigen Riss zwischen Kirche und Israel einen Namen zu geben, sondern vor allem um eine Zusammengehörigkeit beider zu signalisieren, ohne die sich die Kirche nicht als ‚Volk Gottes‘ bezeichnen kann. Es ist nun ein Anliegen des jüdisch-christlichen Dialogs, nicht nur das aus dem Riss resultierende Nebeneinander in ein möglichst freundliches Licht zu stellen, sondern sich die durchaus schwierige Aufgabe zu eigen zu machen, im Gespräch mit gegenwärtiger jüdischer Theologie zu ermitteln, wie tragfähig und begründet sich das Verhältnis von Kirche und Israel in der Perspektive des ‚Volkes Gottes‘ beschreiben lässt. Da wir den im jüdisch-christlichen Gespräch erarbeiteten und inzwischen kirchenoffiziell rezipierten Konsens für unsere ganzen Überlegungen bereits vorausgesetzt haben, wende ich mich sofort exemplarisch vier Lösungsvorschlägen zu, die im Horizont des jüdisch-christlichen Gesprächs unterbreitet wurden.59 4.3.4.1 Die Zwei-Wege-Lehre

Für die erste – allerdings bis heute nachwirkende – Phase des jüdisch-christlichen Gesprächs sind unterschiedliche Vorstellungen von zwei nebeneinander verlau-

56 Vgl. dazu u. a. Hermann Brandt, Die Benutzung des Judentums in der Befreiungstheologie. 57 Vgl. dazu ausführlicher Weinrich, Jüdisch-christlicher Dialog. A. Aus evangelischer Sicht; Hans Hermann Henrix, Jüdisch.christlicher Dialog. B. Aus katholischer Sicht. 58 Vgl. Helmut Gollwitzer, Elenore Sterling (Hg.), Das gespaltene Gottesvolk. 59 Zu den unterschiedlichen Verhältnisbestimmungen zwischen Kirche und Israel vgl. auch (mit umfangreichen Literaturhinweisen) Berthold Klappert, Israel – Messias/Christus – Kirche.

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fenden Heilswegen vorherrschend, die ihren gemeinsamen Bezugspunkt in dem einen Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs haben. Die Zwei-Wege-Lehre besagt – in kaum zu verantwortender Vergröberung gesprochen –, dass für Israel die Tora und für die Völker Christus der Weg zu diesem Gott sei. In der Unterscheidung der beiden Wege geht Paul van Buren am weitesten, indem er den Christus der Kirche strikt von dem Messias Israels unterscheidet. Die Juden erkennen in Jesus gemäß ihrer Tradition nicht ihren Messias, wohl aber die Heiden ihren Christus, durch den sie zum Gott Israels gezogen werden, um ihm zu dienen.60 In einem schöpfungstheologisch begründeten und eschatologisch perspektivierten Gesamtrahmen werden zwischenzeitlich und vorläufig zwei Wege – van Buren deutet an, dass prinzipiell auch weitere Wege vorstellbar sind61 – beschrieben, die von Gott für Juden und Heiden eingerichtet sind: „Wir wissen, daß zu Gottes Bund mit seinem Volk um seiner Schöpfung willen ein Nachtrag geschrieben wurde. Unsere Namen sind in diesem Nachtrag aufgezeichnet. Es ist nicht ein Neues Testament, das das Alte ersetzen könnte. Gott ist nicht treulos. Sein Bund mit seinem Volk steht fest. Aber es gibt einen Nachtrag, der dem Weg für sein Volk eine Möglichkeit für die Heiden hinzufügt, auf ihre eigene Weise auf seinem Weg zu gehen.“62 Christus hat hier seine spezifische Funktion für die Heiden: Jesus „ist Gottes erwählter Jude, um viele Nichtjuden zum ursprünglichen Zweck der Vollendung und Heiligung seiner geliebten aber unvollendeten Schöpfung heranzuziehen. Durch ihn sind wir Nichtjuden erwählt, eine verantwortliche Rolle in seinem Werk zu übernehmen. […] Durch unser Zusammenwirken mit dem Gott Israels kommen wir zu einer Zusammenarbeit mit Israel.“63 Israel ist und bleibt das Volk Gottes, während die Kirche eben die aus den Völkern berufene Kirche ist.64

60 Vgl. Paul van Buren, Ein Modell systematischer Verhältnisbestimmung von Israel und Kirche, 147f. Zur Zwei-Wege-Lehre vgl. auch Hans Joachim Schoeps, Paulus. 61 Vgl. van Buren, Ein Modell, 152. In dieser Perspektive verflüchtigt sich dann schnell das Problem in einer allgemeinen Theologie der Religionen, die leicht dazu tendiert, die Ernsthaftigkeit der ‚Religion‘ überhaupt so weit zu relativieren, dass die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion schließlich beliebig wird. Dass allerdings eine solche offene Option tatsächlich auch anschlussfähig an das liberale Judentum ist, mag folgendes Zitat belegen: “I believe that all people who live a religious life, who have responded to God’s Call, who have chosen God, are in turn God’s People. If we can accept one another’s religious vocations, we will abolish religious triumphalism, a source of spiritual evil that infected our world. Will we not be helping to make the promised Kingdom of God a reality? Is it not for this task, the Kingdom, we are All Chosen by God?” León Klenicki, The Chosen People: A Contemporary Personal Jewish Perspective, 15. 62 Van Buren, Eine Theologie des christlich-jüdischen Diskurses, 170. 63 Van Buren, Ein Modell, 151. 64 Van Buren, Eine Theologie des christlich-jüdischen Diskurses, 165. Die Bezeichnung der Kirche als Volk Gottes in Tit 2,14; 1Petr 2,9ff u. Offb 21,3 wertet van Buren als Spiegel einer unhistorischen Debatte des 1. Jahrhunderts um den Anspruch auf das ‚wahre‘ Israel.

Systematische Entdeckungshorizonte

Kritisch betrachtet besagt die Zwei-Wege-Lehre kaum mehr als eine theologische Sanktionierung des Status quo im Horizont der Anerkennung des ungekündigten Bundes Gottes mit Israel. So galant sich die Lösung auch präsentiert, so wenig wird sie sowohl dem neutestamentlichen Zeugnis als auch den tatsächlich an eine substanzielle Verbundenheit von Kirche und Israel zu stellenden Ansprüchen gerecht. Auch die immer wieder vergessene wichtige Kontrollfrage nach den Judenchristen bringt diese Konzeption in große Argumentationsschwierigkeiten. Christoph Hinz weist in seinem inhaltsreichen Aufsatz über den jüdisch-christlichen Dialog nach 1945 zu Recht darauf hin, dass im Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15) Jesus zwar für Juden und Heiden ein verschiedenes Wort findet: „Aber ein Wort hat Jesus an beide! Das Wort an Israel aber heißt: Freust Du Dich mit über die Heimholung des Verlorenen, das heißt nach Ostern: über die Sendung der Kirche zu den Völkern?“65 Es muss sich auch aus der christlichen Perspektive heraus eine substanzielle und tragfähige Bestimmung des jüdischen Weges ergeben, wenn seine Wahrnehmung nicht einfach der Beliebigkeit jeweiliger Stimmungslagen ausgeliefert sein soll. Erst wenn das christliche Zeugnis eine eigene theologisch begründete Aussage zu Israel als Volk Gottes machen kann, ist Israel wirksam davor geschützt, je nach Großwetterlage mal so und mal so bewertet zu werden. Natürlich ist es eine andere Frage, wie die jüdischen Geschwister ihren eigenen Weg beschreiben. Für den christlichen Glauben kann es jedoch nicht um die Apartheid zweier Wege gehen, sondern um die unterschiedliche Wirkungsweise Jesu gegenüber Juden und Heiden.66 4.3.4.2 Der ungekündigte Bund

Ein entscheidender Schritt zur Überwindung der Vorstellung von den zwei Wegen liegt auch in der theologisch produktiven Würdigung des „ungekündigten Bundes“67 . Diesem Zugang liegt in seiner ausgearbeiteten Gestalt die inzwischen auch exegetisch breit untermauerte These zugrunde, dass es sich bei dem vom Neuen Testament bezeugten neuen Bund nicht um einen zweiten Bund handelt, sondern um den erneuerten Bund und somit um eine erneute Bestätigung und spezifisch

65 Christoph Hinz, Entdeckung der Juden als Brüder und Zeugen, 194 – Hinz erinnert in diesem Zusammenhang an Franz Rosenzweig. Vgl. dazu auch Johannes Oestreicher, Unter dem Bogen des Einen Bundes – Das Volk Gottes. 66 Zur Kritik an der Zwei-Wege-Lehre vgl. auch Erich Zenger, Israel und Kirche in einem Gottesbund?, 101–104. 67 Die erste Dokumentation der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag erschien unter dem programmatischen Titel „Der ungekündigte Bund“, hg. v. Dietrich Goldschmidt u. Hans-Joachim Kraus.

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interpretierte Entfaltung des bereits mit Israel geschlossenen Bundes.68 Bereits Karl Barth hebt in KD IV/1 die Bedeutung des ungekündigten Bundes mit Israel als die Voraussetzung für die Versöhnung heraus.69 In Fortführung seines Ansatzes heißt es 1990 in den Leitsätzen des Reformierten Bundes: „Gott hat seinen Bund mit Israel nicht gekündigt. Wir beginnen zu erkennen: In Christus Jesus sind wir, Menschen aus der Völkerwelt – unserer Herkunft nach fern vom Gott Israels und seinem Volk –, gewürdigt und berufen zur Teilhabe an der Israel zuerst zugesprochenen Erwählung und zur Gemeinschaft im Gottesbund.“70 Die tatsächliche Entfaltung dieser programmatischen Formulierungen steht noch weithin aus. Ob jedoch der Bund auch aus neutestamentlicher Sicht tatsächlich die zentrale theologische Integrationskategorie für Israel und Kirche darzustellen vermag, ist zumindest umstritten. Für Paulus bleibt die Vorstellung fremd, dass die Heiden in den Bund Gottes mit Israel integriert werden. „Auch setzt er das Judentum nicht mit dem Stamm oder der edlen Wurzel, worin die Heiden eingepfropft würden, gleich (Röm 11,16ff), vielmehr ist auch hier die Teilhabe an der Väterverheißung von ausschlaggebender Bedeutung.“71 Das schließt aber keineswegs aus, dass der Bund dennoch als eine entscheidende theologische Klammer zwischen beiden Testamenten anzusehen ist. Allerdings kann es nicht einfach als ausgemacht gelten, dass der Bund innerhalb der jüdischen Theologie die zentrale Bedeutung hat, die wir ihm im Rahmen des ‚Alten Testaments‘ zumessen.72 4.3.4.3 Die Völkerwallfahrt zum Zion

Besonders gegenüber der Zwei-Wege-Lehre hat die etwa von Bertold Klappert in den Mittelpunkt gerückte Vorstellung von der Völkerwallfahrt zum Zion den großen

68 Dies Verständnis ist bereits für Jer 31 vorauszusetzen, wie Christoph Levin gezeigt hat: Die Verheißung des neuen Bundes; vgl. Norbert Lohfink, Der niemals gekündigte Bund. Allerdings bleibt gegen die verbreitete christliche Auslegungstradition darauf hinzuweisen, dass Jer 31 für das neutestamentliche Bundesverständnis nur eine geringe Bedeutung hat; vgl. Peter Welten, „Unter dem Bogen des einen Bundes“; vgl. dazu auch Hermann Lichtenberger / Ekkehard Stegemann, Zur Theologie des Bundes in Qumran und im Neuen Testament. 69 Vgl. KD IV/1, § 57.1: Der Bund als Voraussetzung der Versöhnung. 70 Wir und die Juden – Israel und die Kirche. Leitsätze in der Begegnung von Juden und Christen [1990], in: Die Kirchen und das Judentum, Bd. II, 603–612, 608f. 71 Wolfgang Kraus, Das Volk Gottes, 360f: „Daher ist die Kategorie ‚Bund‘ nicht geeignet, ohne nähere Spezifizierung ein Modell zur Bestimmung des Verhältnisses von Juden und Christen abzugeben.“ Ganz anders Zenger, der in dem biblischen Bundes-Konzept eine verheißungsvolle Perspektive für die Verhältnisbestimmung von Kirche und Israel sieht (Israel und Kirche); vgl. auch Lohfink, Der neue Bund und die Völker. 72 Vgl. dazu Alan F. Segal, Bund in den rabbinischen Schriften.

Systematische Entdeckungshorizonte

theologischen Vorteil, an eine gemeinsame Verheißungs- und somit Hoffnungstradition anzuschließen. Das ohnehin eschatologisch perspektivierte christliche Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ wird hier in einen nachvollziehbaren Zusammenhang mit einem fundamentalen Hoffnungsaspekt Israels gebracht, und die Kirche wird von vornherein von allen Überlegungen befreit, bestimmen zu müssen, wo sich nun das wahre Israel finde. Die auch vom Neuen Testament benannten Vorzüge Israels bleiben anerkannt, und die Völker werden zu „Miterben der Verheißung“ (Eph 2).73 Dieses Verständnis ist weithin in die zweite EKD-Studie Christen und Juden eingegangen.74 Die Integrationsperspektive zielt auf die Gemeinschaft mit Israel, in welcher der Gott Israels gelobt werden wird (Röm 15,8ff), und nicht darauf, dass Israel schließlich noch in das von der Kirche vorausdargestellte universale Menschheitsvolk eingehen und in ihm aufgehen werde, wie es etwa von Wolfhart Pannenberg beschrieben wird.75 Durchaus reizvoll könnte in dieser Perspektive schließlich die relativierende Nebenordnung der Kirche neben all die anderen Völker sein, die in dieser Verheißung ja mitgemeint sind.76 Gleichzeitig wird die Frage aufgeworfen, welchen sachlichen Ort der Volk-Gottes-Gedanke überhaupt und insbesondere für die Kirche im Vorstellungshorizont der Völkerwallfahrt zum Zion hat, wobei zu bedenken bleibt, dass auch die biblischen Vorstellungen von der Völkerwallfahrt zum Zion recht vielschichtig und verschiedenartig sind.77 Die besondere Erwählung der Kirche im Sinne des neutestamentlichen Zeugnisses – gleichsam als vorläufige Mittelinstanz – wird in dieser Lösung allerdings vernachlässigt. Der überbetonte eschatologische Akzent relativiert alle Differenzierungen, so dass am Ende das eigentlich zu lösende Problem mit vielen respektablen Aspekten mehr wegdiskutiert als tatsächlich gelöst worden ist. 4.3.4.4 Das eine Gottesvolk aus Israel und Kirche

Der spezifische Singular, der m. E. mit dem Volk Gottes verbunden ist, ohne den es seine besonderen Bestimmungen – auf die im nächsten Kapitel im Einzelnen

73 Vgl. Klappert, Miterben der Verheißung. Christologie und Ekklesiologie der Völkerwallfahrt zum Zion Eph 2,11–22; ders., Eine Christologie der Völkerwallfahrt zum Zion; vgl. auch Lohfink, Der neue Bund und die Völker. 74 Vgl. Klappert, Israel – Messias/Christus – Kirche, 81ff. 75 Vgl. Wolfhart Pannenberg, Die Kirche als Gottesvolk, Systematische Theologie, Bd. 3, 501–523. 76 Wenn John May in seinem Verständnis des ‚Volkes Gottes‘ nun nicht nur die Christen, sondern auch all die anderen Religionen versammeln möchte, so blickt er ebenfalls – vielleicht am Ende auch noch zu zaghaft – in die Richtung dieser Verheißungsdimension (vgl. „Volk Gottes“). 77 Vgl. dazu und generell zum Problem der Eingliederung der Heiden in das Gottesvolk im Frühjudentum Wolfgang Kraus, Das Volk Gottes, 16–110.

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eingegangen werden soll – verliert, führt im Zusammendenken von Kirche und Israel zu einer inneren Differenzierung des ‚Volkes Gottes‘, wie sie beispielsweise von Peter von der Osten-Sacken gesehen wird. Im Anschluss an die so häufig und beinahe ebenso unterschiedlich interpretierten Ausführungen des Apostels Paulus in Röm 9–11 (bes. 11) zeigt er, dass Paulus drei unterscheidbare Größen im Volk Gottes beieinander sieht: den heidenchristlichen Teil der Gemeinde Jesu Christi, den judenchristlichen Teil der Gemeinde Jesu Christi und – gleichsam als Triumph des ‚sola gratia‘ – „Israel, sofern es nicht ans Evangelium glaubt (verankert im Wort Gottes, bekräftigt durch den judenchristlichen Teil als endzeitliche Erstlingsgabe).“78 Ein Verlust der nicht an Christus glaubenden Juden aus dem Volk Gottes hätte nach Paulus eine Auflösung des Evangeliums bedeutet.79 Wolfgang Kraus hebt für das Volk-Gottes-Verständnis des Paulus den Verheißungscharakter hervor, in dem Juden und Christen rechtfertigungstheologisch miteinander verbunden sind. Allein in der Wahrnehmung der fundamentalen Verheißungsdimension biete sich eine dem neutestamentlichen Text gerecht werdende Lösung an, nach der Kirche und Israel weder Sorge um ihren Vorrang noch um ihre Erwählung zu haben brauchen.80 Als ein Resultat dieser Überlegungen sollte festgehalten werden, dass die Inanspruchnahme des Volk-Gottes-Titels für die Kirche nur dann angemessen ist, wenn damit auch die besondere Verbundenheit der Kirche mit Israel ausdrücklich annonciert werden soll.81 Dieser Titel ist die ekklesiologische Bezeichnung, die wie keine andere für diesen Zusammenhang von Kirche und Israel steht. Geht es dagegen um den spezifischen Charakter in Unterscheidung zu Israel, so stehen ausreichend andere Bezeichnungen für die Kirche zur Verfügung.82 Die Bezeichnung 78 Peter von der Osten-Sacken, Vom Gottesvolk zu den Gottesvölkern, 219. 79 Vgl. ebd., 218. In diesem Sinn ist es auch zu verstehen, wenn Karl Barth davon spricht, dass „die Kirche mit ihrer Bruderschaft und Solidarität gegenüber dem ungläubigen Israel“ „steht und fällt“; KD II/2, 223 (Hervorhebung M.W.). 80 „Die Kategorie der Promissio ermöglicht es Paulus, einerseits die bleibende Erwählung Israels, andererseits die volle Teilhabe der glaubenden Heiden am Erbe auszusagen. Die Umkehrung der Vorstellung von der Völkerwallfahrt zum Zion bietet die Möglichkeit, die gegenwärtige Dialektik, die den Status Israels kennzeichnet, eschatologisch aufgehoben sein zu lassen. Damit ist die Einheit des Gottesvolkes gewahrt. Dadurch ist zugleich die universale Bedeutung des Todes Jesu festgehalten und damit die Einheit der paulinischen Christologie und Soteriologie.“ Wolfgang Kraus, Das Volk Gottes, 359f. Kraus betont dabei, dass auch mit der paulinischen „Umkehrung der traditionellen Vorstellung der Völkerwallfahrt zum Zion“ heute nicht einfach unhistorisch und ohne eine Rückkopplung „an das Selbstverständnis des heutigen Judentums“ umgegangen werden darf. Vgl. zum ganzen auch ders., „Volk Gottes“ als Verheißungsbegriff bei Paulus, bes. 139–141. 81 Der Vorschlag von Ratzinger (Kirche III. Systematisch, 175) die Selbstbezeichnung ‚ecclesia‘ mit ‚Volk Gottes‘ zu übersetzen, ist aus diesem Grund abzuweisen. 82 Zenger empfiehlt eine grundsätzliche Zurückhaltung in der Verwendung des Volk-Gottes-Begriffs, vor allem weil es sich hier um eine isreal-spezifische Bezeichnung handelt. Er befürchtet zu Recht

Kirche als Volk Gottes

der Kirche als ‚Volk Gottes‘ (aus den Völkern) signalisiert eine intimere Nähe der Kirche zu Israel als zu den sie weiterhin umgebenden Völkern der ‚Heiden‘. In dieser spezifischen, d. h. terminologisch bewusst zugespitzten Verwendung scheint es mir bedeutungsvoll zu sein, die Bezeichnung der Kirche als ‚Volk Gottes‘ neu zu entdecken und zu verwenden. In diesem letzten Lösungsvorschlag sehe ich die meisten Anknüpfungspunkte für eine systematisch-theologische Vertiefung unserer Fragestellung. Schon hier möchte ich darauf hinweisen, dass in dieser Perspektive die zu suchende Lösung einerseits ein eschatologisches Gefälle aufweist und daher andererseits auch gegen den Augenschein zu bekennen ist, d. h. in die konfessorische Bestimmung der Kirche hineingehört. Mit der Aufgabe dieses Bekenntnisses kommt der Kirche für die Gegenwart eine besondere Rolle zwischen den nach wie vor ‚ungläubigen‘ Völkern und Israel zu, in der sie den ‚Heiden‘ nicht nur das Evangelium zu bezeugen hat, sondern zugleich stets auch ihre Berufung an der Seite Israels zu verkündigen hat. In dieser spezifischen Berufung der Kirche für die Gegenwart liegt der theologische Gewinn dieser Lösung gegenüber der Vision von der Völkerwallfahrt zum Zion.

4.4

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Es ist bereits deutlich geworden, welche Sensibilitäten in der Titulierung der Kirche als ‚Volk Gottes‘ liegen. In einem vorläufig letzten Gedankenbogen soll nun versucht werden, die mit diesem Titel verknüpften theologischen Ansprüche zusammenzustellen, die in den Blick genommen werden müssen, um biblisch und somit theologisch angemessen vom ‚Volk Gottes‘ sprechen zu können.83 Nachdem wir uns diese Ansprüche vor Augen geführt haben, wird schließlich selbstkritisch zu fragen sein, ob und in welcher Weise sich die Bezeichnung der Kirche als ‚Volk Gottes‘ sachlich nahe legt oder ob ihr gegenüber nicht vielmehr eine gewisse Zurückhaltung angezeigt sein könnte. Vielleicht erübrigt es sich nicht ganz, daran zu erinnern, dass ich aus christlich-theologischer Perspektive argumentiere. Fünf Aspekte gebe ich zu bedenken:

eine sachliche Nivellierung der spannungsreichen Differenz zwischen dem Gottesvolk und den Völkern (Israel und Kirche, 104–107). Indem aber die Berufung der Kirche nicht einfach als eine flächendeckende Erwählung der Völker angesehen werden darf, bleibt diese Unterscheidung in spezifischer Gestalt weiterhin in Kraft. 83 Vgl. zum Ganzen auch die in verschiedenen Aspekten freilich ein wenig antiquierte Einführung von Hans-Joachim Kraus, Das Volk Gottes im Alten Testament, Zürich 1958.

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4.4.1

Das Motiv der Erwählung

Auch wenn traditionsgeschichtlich das Motiv der Erwählung nicht am Anfang stehen mag,84 so bleibt es doch für die Rede vom ‚Volk Gottes‘ in systematischer Hinsicht fundamental. Im Unterschied zum genealogisch orientierten Konzept des Zwölf-Stämme-Volkes, das als ein weitverbreitetes „Konzept der Gesellschaftsorganisation früher Völker“ anzusehen ist, ist die Vorstellung, dass Israel das ‚Volk Gottes‘ sei, singulär.85 Israel ist kein an sich existierendes Volk, sondern es wird erst von Gott zu einem Volk gemacht, indem er „sich ein Volk mitten aus einem [anderen] Volk herausholt“ (Dtn 4,34) und es zu seinem Volk macht.86 Es gehört zum Kernbestand des Erwählungsverständnisses des Alten Testaments, dass Gott sich aus reinem Erbarmen einer in Gefangenschaft und Unterdrückung geratenen beinahe unscheinbar kleinen Menschengruppe in Ägypten zuwendet, um sie aus ihrer Knechtschaft hinauszuführen. Die Unscheinbarkeit verdient vor allem wegen der mit ihr verbundenen Hilflosigkeit und Machtlosigkeit besondere Beachtung. Es gibt keinen Vorzug der Zahl (Dtn 5,7), der Kraft (Dtn 8,17) oder der Gerechtigkeit, sondern die Erwählung gründet allein in der sich erbarmenden Liebe Gottes und der Verheißung an die Väter (Dtn 7,8; 9,5; 10,14f). Exemplarisch dafür steht Dtn 7,6–8: „Denn du bist ein Volk, das dem Herrn, deinem Gott, geweiht ist. Dich hat der Herr, dein Gott, aus allen Völkern auf der Erde für sich erwählt als sein eigenes Volk. Nicht weil ihr zahlreicher wäret als alle anderen Völker, hat sich der Herr euch zugewandt und euch erwählt – denn ihr seid das kleinste unter allen Völkern –, sondern weil der Herr euch liebte und weil er den Eid hielt, den er euren Vorfahren geschworen hatte, darum führte euch der Herr heraus mit starker Hand und befreite dich aus dem Sklavenhaus, aus der Hand des Pharao, des Königs von Ägypten.“ (Zürcher Bibel 2007)

Die Pointe liegt nicht auf dem Adel Israels, sondern auf der spezifischen Offenbarung Gottes, der sich hier in seiner grundlosen Barmherzigkeit zeigt. Der Akzent, der auf dem Handeln Gottes liegt, verdeutlicht, dass es in keiner Weise um einen Anspruch des Menschen oder eines Volkes geht – von Israel kann es auch heißen, dass es ein „halsstarriges Volk“ sei (Dtn 9,6) –, sondern immer, wenn es in der Bibel um Erwählung geht, steht die grundlose Liebe und Barmherzigkeit Gottes im Mit-

84 Vgl. u. a. Georg Christian Macholz, Das Verständnis des Gottesvolkes im Alten Testament, 175ff; Rolf Rendtorff (Hg.), Arbeitsbuch Christen und Juden, 67. 85 Vgl. Rainer Albertz, Volk Gottes und die Völker, 279ff. 86 Zur Diskussion um die historischen Umstände der Volkwerdung Israels vgl. u. a. Paul D. Hanson, War das Alte Israel einmalig?

Kirche als Volk Gottes

telpunkt des Gedankens.87 In diesem Zusammenhang bleibt es erinnerungswürdig, dass das Volk keine der Schöpfung zugeordnete Größe darstellt. Gott schafft den Menschen, aber nicht die Völker, sondern diese sind ein Produkt der postparadiesischen Geschichte.88 Das Motiv der Erwählung lenkt die Aufmerksamkeit auf das Handeln Gottes und zieht sie damit zugleich von allen Ansprüchen ab, mit denen sich die Menschen aus sich heraus vor der Welt hervorzutun versuchen. Aus sich selbst heraus ist das Volk wie Gras, das verdorrt (Jes 40,8); erst durch die tätige Zuwendung Gottes kommt die Auszeichnung dieses Volkes zustande. Die hebräische Bibel kann – auch wenn dies keineswegs durchgängig geschieht – das von Gott erwählte Volk mit dem hebräischen Wort ’am von den Israel umgebenden natürlichen Völkern mit der Bezeichnung goj bzw. gojim unterscheiden.89 Die Gefährdung Israels, zu einem ‘Nicht-mein-Volk’ (lo ’ammi; Hos 1,9) zu werden, ist die Gefahr, dass Israel auch nur ein goj werden könnte, d. h. ein auf sich selbst vertrauendes Volk. Diese Bestimmungen verdeutlichen, dass der Volksbegriff „weder soziologisch noch biologisch, sondern eindeutig theologisch begründet“ ist.90 Damit ist zugleich gesagt, dass die Rede vom ‚Volk Gottes‘, die im Alten Testament das wichtigste Kennzeichen des Selbstverständnisses Israels darstellt, ein Bekenntnis, ein Glaubensbekenntnis bezeichnet, das sich seinem Wesen nach nicht empirisch verifizieren lässt. Die Theologie impliziert jedoch ihre eigene Soziologie, denn die Vorordnung der Gemeinschaft vor den einzelnen, die ja keine Missachtung oder gar Aufhebung des Einzelnen ist, eröffnet eine folgenreiche Gestaltungsperspektive. Dieses Konkretisierungsgefälle findet sich auch im Erwählungshandeln Gottes selbst, denn wenn Israel das Eigentumsvolk Gottes genannt wird (Dtn 4,20), so ist dabei der Erbbesitz des Landes mit im Blick.

87 Vgl. von der Osten-Sacken, Die Erwählung des jüdischen Volkes in ihrer Bedeutung für die Kirche, 224f. 88 Gott erschafft den Menschen nach seinem Bilde. „Diese erste Aussage über Menschen in der Bibel steht jeder ursprungsmythischen oder ontologischen Rede von Völkern, Nationen, Kulturen kritisch gegenüber. Weder Völker noch Staaten noch Herrschaft von Menschen über Menschen sind schöpfungstheologisch gesetzt. Die rabbinische Auslegung hat gerade darum an der Lehre von der Abstammung aller Menschen von einem Stammvater festgehalten.“ Jürgen Ebach, Gottes Geist und Gottes Volk in der Vielfalt der Völker und Kulturen, 33; vgl. Albertz, Volk Gottes und die Völker, 322f. „Von Völkern als Schöpfungsordnung kann also keine Rede sein.“ Eßer, Volk und Nation, 11. 89 Auch wenn eine eindeutige Abgrenzung nicht möglich ist, kann doch gesagt werden, dass ’am das Volk stärker aus der Innenperspektive und goj stärker aus der Außenperspektive thematisiert, d. h. einen mehr objektiv beschreibenden Charakter hat; vgl. Albertz, Volk Gottes und die Völker, 278f. Vgl. dazu auch Martin Buber, Die Erwählung Israels. 90 Otto Bächli, Israel und die Völker, 140.

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Ägypten bleibt das Urdatum der Erwählung; deshalb spielt die aktive Erinnerung an die Knechtschaft in Ägypten in unterschiedlichen Zusammenhängen eine zentrale Rolle. Wenn Robert Raphael Geis von der besonderen „Gnade der Machtlosigkeit“ spricht, interpretiert er die furchtbaren Leiden Israels als Martyrium für seine Erwählung.91 Sobald sich der Erwählungsgedanke mit der Macht verknüpft und somit nicht mehr als das spezifische Errettungshandeln Gottes aus der menschlichen Hilflosigkeit verstanden wird, verabschiedet er sich von dem spezifischen biblischen Argumentationsgefälle und neigt sich unversehens ideologischen Verwertungsversuchungen zu. Aber nicht nur Bedrängnis und Armut gehören zu den Kennzeichen des ‚Volkes Gottes‘, auf die sich heute die Befreiungstheologie zu Recht beruft, sondern auch die alle hierarchischen Unterscheidungen unterlaufende Gleichheit aller Glieder des Volkes vor Gott.92 Ganz und gar in dem angezeigten Gefälle formuliert auch Paulus in 1Kor 1,26–29: „Nicht viele Weise nach dem Fleisch, nicht viele Mächtige, nicht viele Vornehme sind berufen. Sondern was töricht ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er die Weisen zuschanden mache, und was schwach ist vor der Welt, das hat Gott erwählt, damit er zuschanden mache, was stark ist; und was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist, auf dass sich kein Mensch vor Gott rühme.“ (Luther 2017)

Auch das aus den Völkern erwählte Volk der Kirche steht nicht unter der Verheißung einer machtvollen Karriere, aus der es ein besonderes Selbstbewusstsein ableiten könnte, sondern hat seinerseits die Perspektive einer Minderheit, wie sie nach biblischem Verständnis für das Volk Gottes charakteristisch ist.93 Es ist nicht zum Machterweis, sondern zum Zeugnis erwählt. Auch wenn im Neuen Testament zweifellos dem Einzelnen eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet wird, so gerät dabei doch niemals die Perspektive der Gemeinschaft aus dem Blick.94 4.4.2

Der Bund als Unterpfand der Erwählung

Die Erwählung schließt die Verpflichtung des Volkes mit ein. So wie der Exodus das Urdatum der Erwählung ist, so ist der Bund das Unterpfand der Erwählung. Vor jedem Abschnitt der Schriftlesung im Sabbatgottesdienst wird Gott von seinem Volk Israel für die Erwählung und die Gabe der Weisung durch das Gesetz gepriesen: 91 Vgl. Robert Raphael Geis, Der Auftrag Israels an die Völker, 203. 92 Vgl. bes. Ex 19,4–6; diese Stelle bildete in der Reformation den Hauptbeleg für den ekklesiologisch zentralen Gedanken eines Priestertums aller Gläubigen. 93 Vgl. Günther Harder, Kontinuität und Diskontinuität des Volkes Gottes, 160. 94 Vgl. v.d. Osten-Sacken, Die Erwählung des jüdischen Volkes, 232.

Kirche als Volk Gottes

„Gepriesen seist du, Ewiger, unser Gott, du regierst die Welt. Aus allen Völkern hast du uns erwählt um uns deine Thora zu geben. Gepriesen seist du, Ewiger. Du gibst die Thora.“95

Die Einzigkeit Gottes stellt alles Tun des Menschen in den Horizont des ersten Gebots. Die Einweisung des ‚Volkes Gottes‘ in den Willen Gottes kulminiert in dem Ausschluss des Götzendienstes, wodurch sich das Volk von den es umgebenden Völkern unterscheiden soll. So häufig sich das Volk wie die anderen Völker organisieren will, so häufig wird es daran erinnert, dass es nicht einfach wie die Völker sein darf (Ez 20,32 u. ö.). Das besondere Volksein des Volkes hängt konstitutiv mit dem besonderen Gottsein Gottes zusammen: „Ich will euer Gott sein und ihr sollt mein Volk sein.“ (Ex 6,7; Lev 26,12 u. ö.).96 Dieses spezifische personale Verhältnis ist für das Volk-Gottes-Verständnis fundamental.97 Es gehört zum Wesen von Erwählung, dass sie auch eine Abgrenzung – mit all den damit verbundenen Versuchungen – vollzieht. Diese erscheint in der Gestalt einer besonderen Indienstnahme. In dem Bund wird die ganze Existenz in Beschlag genommen, d. h. in den Dienst dieses besonderen Gottes gestellt. Die Existenz als Gottesvolk ist weder eine ontologische Gegebenheit noch ein vorhandener Besitz, sondern es verwirklicht sich stets neu, indem es die besondere Beauftragung durch Gott wahrnimmt.98 Daraus folgt ein praktischer Nonkonformismus, der unverbrüchlich zum Selbstverständnis des Gottesvolkes dazugehört,99 nicht aus Narzissmus, sondern in der antwortenden Treue auf Gottes Festhalten an seiner Erwählung. Es ist dieser praktische Nonkonformismus, der Israel auch immer wieder die Missgunst anderer Völker, ja der übrigen Menschheit einbringt. Von hier aus ist es verständlich, wenn im Judentum immer wieder die Erwählung mit dem Leiden in einen engen Zusammenhang gebracht wird.100 Man „kann nicht wahrhaft handeln, ohne zu leiden.“101 Die Verfehlung des Willens Gottes bedeutet zugleich auch immer die Verfehlung der Berufung zum erwählten Volk. Das Volk Gottes ist immer schon das Volk Gottes und zugleich muss es auch stets erst noch das Volk Gottes werden.102 Diese Dialektik steht hinter der Rede vom

95 96 97 98 99 100

Seder hat-tefillôt: Das jüdische Gebetbuch, Bd. 1, 107. Vgl. dazu Rudolf Smend, Die Mitte des Alten Testaments, 48, 52 u. ö. Vgl. Albertz, Volk Gottes und die Völker, 282f. Vgl. u. a. ebd., 284. Vgl. Clemens Thoma, Das wandernde Volk Gottes, 175. In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass sich das Volk Gottes als der Gottesknecht, der für die Völker leidet, verstehen konnte; vgl. u. a. Leo Baeck, Dieses Volk, 89; Odil Hannes Steck, Gottesvolk und Gottesknecht in Jes 40–66. 101 Baeck, Dieses Volk, 61. 102 Juden und Christen II, in: Die Kirchen und das Judentum, Bd. II, 649f.

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wandernden Gottesvolk.103 Begründet und getragen bleibt diese Dialektik von dem ungekündigten Bund Gottes mit seinem Volk. Der in Christus erneuerte und neu auf die Völkerwelt ausgerichtete Bund impliziert seinerseits die Verpflichtung auf die lex Christi (vgl. 1Kor 9,21), seine Weisung, mit der er seine berufene Gemeinde in Dienst nimmt, so dass im Blick auf das Volk Gottes im Horizont des Bundes im Neuen Testament kein prinzipiell andersartiger Vorstellungszusammenhang ins Blickfeld kommt.104 4.4.3

Das Volk und die Völker

Auch die nun ins Auge zu fassende menschheitliche Perspektive des ‚Volkes Gottes‘ bestimmt das ganze biblische Zeugnis. Stets versteht sich das Volk Gottes gerade in seinem praktischen Nonkonformismus in einer positiv-produktiven Spannung zu den Völkern, die in den an Israel ergangenen Verheißungen immer auch anwesend und indirekt adressiert sind. Als Volk Gottes ist Israel der erstgeborene Sohn (Ex 4,22), der als solcher gemäß der Abrahamverheißung (Gen 12,1–3) „mitten auf Erden“ Quell des Segens (Jes 19,24) und Licht für alle Völker (Jes 42,6) sein soll.105 Es geht nicht um „einen qualitativen Vorzug Israels gegenüber den Völkern, geschweige denn irgendwelche Herrschaftsansprüche Israels über die Völker“, sondern ihm dient die Erwählungsvorstellung dazu, „eine Möglichkeit zu eröffnen, daß Israel trotz seiner Marginalität gerade in der Wahrung seiner Besonderheit an der Universalität seines Gottes festhalten kann.“106 Es soll eine Herausforderung für die übrigen Völker sein, damit sie an Israel erkennen mögen, dass Gott Herr ist (Ez). Diese eschatologische Dimension kulminiert in der Vision der Völkerwallfahrt zum Zion (Jes 2,2–6; 60,2f), ist aber keineswegs auf diese spezifische Verheißung beschränkt. Gott ist nicht nur der Gott Israels, sondern der König der Welt und aller Völker (Dtn 10,14f). Das mit dem Erwählungsbewusstsein einhergehende erwähnte Minderheitsbewusstsein ist seinem Wesen nach hoffnungsvoll auf die Völker bezogen. Die faktische Diaspora des Judentums hat es nie zur Weltflucht verleitet, obwohl es dazu überreichlich Anlass gegeben hätte, sondern immer auch deutliche Spuren der Solidarität mit der Welt hinterlassen. Unverkennbar findet sich dieser positive Weltbezug auch im Neuen Testament: Licht der Welt und Salz der Erde soll die Kirche sein, so wie sie ihrerseits bereits eine Gemeinschaft der Völker darstellen soll. In eschatologischer Perspektive gewinnt

103 Vgl. dazu u. a. Paul Bormann, Das wandernde Gottesvolk; Thoma, Das wandernde Volk Gottes; Hans-Joachim Barkenings, Das eine Volk Gottes, 180. 104 Vgl. Die Barmer Theologische Erklärung, These II und III. 105 Baeck: „In einem Bunde, der alle Völker in sich schließt, ihnen allen gilt, steht dieses Volk auf Erden“ (Dieses Volk, 17). 106 Albertz, Volk Gottes, 327.

Kirche als Volk Gottes

auch hier die Bezugnahme auf die Völker eine menschheitliche Dimension, zu der sich die Partikulargemeinschaft der Kirche wie ein schließlich überflüssig werdender Mittler verhält.107 Es ist deutlich, dass es in diesem Gefälle nicht mehr möglich ist, Israel als partikularistisch und die Kirche in betonter Unterscheidung als universalistisch zu bezeichnen. Vielmehr ist für beide eine dialektische Spannung zwischen Partikularismus und Universalismus kennzeichnend, die ihr inhaltliches Profil aus der Partikularität bzw. dem Besonderen der Erwählung bezieht.108 4.4.4

Die Treue Gottes

Es gehört zum Realismus der Bibel, dass sie in aller Klarheit und Nüchternheit auch die drastische Selbstverfehlung des ‚Volkes Gottes‘ zur Sprache bringt und schonungslos beklagt, wie die Schärfe prophetischer Kritik unzweideutig belegt. Israel wendet sich ab von Gott und räuchert vor den Bildern der Götzen (Hos 11,2). Es will eben doch immer wieder so sein wie die anderen Völker (1Sam 8,20). Gott aber gibt sein Volk nicht preis (Hos 11,8). Gott hält seinem Volk die Treue: „dich habe ich erwählt und nicht verworfen – fürchte dich nicht, denn ich bin mit dir!“ (Jes 41,9f) Diese Treue spiegelt sich in der Vorstellung, dass dies Volk Gottes Eigentum sei (Ex 19,5; Dtn 7,6), die sich dann auf die Kirche bezogen im Neuen Testament fortsetzt (Tit 2,14). Gott ringt um sein Volk und ist damit nicht einfach am Ende. Wie anders wollte auch die Kirche angesichts ihrer Geschichte noch bestehen, wenn nicht einzig und allein aufgrund der Treue und Beständigkeit des Eintretens Gottes für sein Volk. Die Berufung der Kirche wird von Paulus ebenfalls als Akt der Treue Gottes verstanden, die als saftreiche Wurzel auch den wilden hinzugenommenen Zweigen Anteil an dem Leben in der Erwählung gibt (Röm 11,17). In Aufnahme von Dtn 32,43 und Ps 117,1 gibt Paulus den Heidenchristen die Bestimmung, Gott zusammen mit seinem Volk zu preisen (Röm 15,10f). Es ist das spezifische Zeugnis von der Treue Gottes, durch das die Vorstellung, dass die Heiden nun zu Miterben, Miteinverleibten und Mitgenossen der Verheißung werden (Eph 3,6), überhaupt erst ihre sachliche Plausibilität gewinnt.109 Die Vorstellung von der Enterbung Israels bedeutete nicht nur die Feststellung der Untreue Gottes,110 sondern brächte zugleich die Verlässlichkeit aller der Kirche gegebenen Verheißungen hoffnungslos ins Wanken.

107 In Analogie zu Jes 42,6, wo Israel als Bundesmittler für die Völker bezeichnet wird. 108 Vgl. dazu auch Ebach, Gottes Geist und Gottes Volk, 37ff. 109 Klappert weist darauf hin, dass das, was im Blick auf den Römerbrief inzwischen Konsens sei (vgl. Otto Betz und Otfried Hofius) von Franz Mußner nun auch für den Epheserbrief gezeigt worden sei; vgl. Miterben der Verheißung, 204. 110 Vgl. auch Juden und Christen II, in: Die Kirchen und das Judentum, Bd. II, 657f.

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Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels

4.4.5

Das bleibende Geheimnis

Schließlich scheint mir eine gewisse Zurückhaltung unserer theologischen Plausibilisierungsversuche gegenüber der göttlichen Erwählungspraxis geboten zu sein. Für Paulus jedenfalls gründet die Erkenntnis der bleibenden Erwählung Israels und seiner eschatologischen Rettung in der Offenbarung Gottes, die als solche ein Geheimnis (Röm 11,25) darstellt.111 Theologische Mutmaßungen können schnell einen vor allem Gott gegenüber zudringlichen Charakter bekommen, zumal Theologen ja ohnehin immer leicht dazu neigen, über Gottes Handeln und Planen deutlich besser Bescheid zu wissen als er uns zu wissen mitteilen wollte. Ulrich Körtner weist m. E. zu Recht darauf hin, dass die Rede vom Volk Gottes ihrem Genus nach Bekenntnis ist und nicht einfach eine empirische Größe bezeichnet.112 Erst in eschatologischer Dimension vermag die Bestimmung des ‚Volkes Gottes‘ zu der ihr eigenen Bestimmtheit durchzudringen. Eine angemessene Würdigung des Verheißungscharakters, der konstitutiv mit dem Begriff ‚Volk Gottes‘ verbunden ist, sichert die bleibende Erwählung Israels, ohne für die Kirche auf den Begriff ‚Volk Gottes‘ verzichten zu müssen,113 gleichzeitig impliziert die theologische Realisierung der mit dem ‚Volk Gottes‘ angesprochenen promissio eine nachhaltige Hemmung für unsere theologischen Systematisierungsgelüste.114 Allen Erklärungsversuchen haftet entweder etwas Kleinkrämerisches oder etwas allzu Verschwenderisches an, das allzumal über das hinausgeht, was uns vom Ratschluss Gottes offenbar ist. Ob es um die Rede vom gespaltenen Gottesvolk, den zwei Heilswegen, der heilsgeschichtlichen Arbeitsteilung, der Sammlung des wandernden Gottesvolkes,115 das als gespaltenes unterwegs sei, oder das etwas unförmige Bild eines erweiterten ‚Volkes Gottes‘116 geht, es lässt sich bei jedem Lösungsvorschlag zeigen, dass er sich ein wenig forsch bis an die Grenze zum Geheimnis Gottes vorwagt. Angesichts dieses bleibenden Geheimnisses zeigt sich die begrenzte Erklärungskraft all unserer theologischen Erklärungsmodelle, die uns schließlich aber nicht die Notwendigkeit abnehmen, das ‚Volk Gottes‘ in der Ökumene aus Kirche und Israel mit dem biblischen Zeugnis konkret zu bekennen und für dieses Bekenntnis dann auch einzustehen. So sehr wir die heilsame Bedeutung des jüdischen Nein zu Christus für die Völker (Röm 11,28) auch in den Blick nehmen, so rätselhaft und unzulänglich bleibt die

111 Vgl. Wolfgang Kraus, „Volk Gottes“ als Verheißungsbegriff, 143. 112 Vgl. Körtner, Volk Gottes – Kirche – Israel, 59f; dieser Hinweis bleibt wichtig, auch wenn man nicht alle Konsequenzen mitvollzieht, die von Körtner vorgetragen werden. 113 Vgl. Kraus, „Volk Gottes“ als Verheißungsbegriff, 144. 114 Vgl. zum Ganzen auch Manuel Goldmann, „Die große ökumenische Frage …“, 387–389. 115 Vgl. Barkenings, Das eine Volk Gottes. 116 Vgl. Franz Mußner, Traktat über die Juden, 24.

Resümee

Vorstellung von der Verstockung Israels zugunsten dieses Nein (Röm 11,25) – übrigens liegt hier ein bisher nicht zum Zuge gekommenes zwingendes theologisches Argument gegen die Judenmission, da es bei ‚Verstockung‘ um ein heilsgeschichtlich motiviertes Handeln Gottes geht. Die geschichtliche Unklarheit der klaren Heilsabsichten Gottes soll uns nicht die Prämissen durcheinanderbringen, indem wir uns ständig mit Problemen übernehmen, deren Lösung uns nicht zugemessen ist, während wir gleichzeitig das, was klar vor Augen steht – die Verheißung auch für ganz Israel – verschwimmen lassen und durch unser Zaudern in das historische Zwielicht bringen, aus dem heraus für Israel noch nie etwas Gutes zu erwarten war. Vielmehr können wir uns auch hier – ähnlich wie bei der die Menschen heilsam in ihre geschöpflichen Grenzen zurückstellenden Sprachverwirrung anlässlich ihres gigantomachischen Turmbaus zu Babel – allein darauf verlassen, dass von Gott veranlasste Schismen dem Schutz des rechthaberischen und eigenwilligen Menschen vor sich selber dienen; ein Aspekt, aus dem sich angesichts der triumphalistischen Neigungen der Kirchen auch für die innerkirchliche Ökumene noch manch ein Erkenntnisgewinn ziehen ließe.

4.5

Resümee

Wenn wir nach den eben skizzierten biblisch-theologischen Bestimmungen nicht dazu neigen, auf den Ehrentitel ‚Volk Gottes‘ für die Kirche zu verzichten, weil sie so sehr über das hinausgehen, was je in der Kirche geschichtliche Wirklichkeit werden kann, wird deutlich geworden sein, dass es sich um eine theologisch sehr spezifische Bezeichnung handelt, die nur mit entsprechender Vorsicht und Genauigkeit gebraucht werden sollte. Wenn wir umgekehrt uns daran haben erinnern lassen, dass es bei tatsächlich so zu nennenden theologischen Bestimmungen stets um ein kühnes Überschreiten unseres meist erbärmlichen Status quo des Schauens durch die bekennende Kraft des Glaubens geht, können wir uns auch mit dem nötigen Respekt dem Anspruch des auch der Kirche zugeschriebenen Titels ‚Volk Gottes‘ hoffnungsvoll stellen. Unterhalb dieser empfindlichen Erkenntnisse wird es redlicherweise nicht mehr zugehen können. Wenn wir also auf der spezifischen Ebene theologischer Argumentation117 von der Kirche als ‚Volk Gottes‘ sprechen wollen, so bleiben aus meiner Sicht folgende neun Gesichtspunkte festzuhalten: 1. Die christlich-theologischen Bestimmungen des Volk-Gottes-Verständnisses stellen nicht den Versuch dar, das Selbstverständnis Israels als Volk Gottes bestim117 Zahllose Missverständnisse gehen darauf zurück, dass die spezifische Ebene theologischer Argumente als Rechenschaftsablage des Glaubens nicht mehr recht bewusst ist, so dass in Verkennung des Status einer theologischen Erkenntnis ihre umgangssprachliche Inanspruchnahme zwangsläufig zu befremdlichen Merkwürdigkeiten führt.

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men zu wollen, wo anerkanntermaßen auch andere Aspekte eine Rolle spielen. Vielmehr geht es allein um den spezifischen Zugang, der für die Kirche zur Bezeichnung als ‚Volk Gottes‘ ins Auge zu fassen ist. Wenn dabei unumgänglicherweise auch israeltheologische Aussagen gemacht werden, so machen diese dem Judentum in keiner Weise den Raum streitig, seinerseits ein auch andersartig profiliertes Selbstbewusstsein als Volk Gottes zu formulieren. Für die Kirche aber bleibt es wesentlich, ihren eigenen theologischen Zugang zu Israel zu reflektieren, um ihr Verhältnis zu Israel nicht allein den wetterwendischen Interpretationsspielräumen allgemeiner Humanitätsvorstellungen zu überlassen. 2. Anders als alle anderen Bezeichnungen der Kirche signalisiert der Titel ‚Volk Gottes‘ die besondere Verbundenheit der Kirche mit Israel. Wenn diese Verbundenheit nicht ausdrücklich in den Blick genommen werden soll, gibt es ausreichend andere Bezeichnungen für die Kirche. Allerdings kann mit allen nur für die Kirche spezifischen Bezeichnungen niemals die volle Ökumenizität der Kirche ausgedrückt werden, die eben ohne Israel theologisch nicht zu haben ist.118 3. Wenn es um das ‚Volk Gottes‘ geht, ist von einem erwählten Volk und nicht von mehreren die Rede. Der dem Volk Gottes wesensmäßig eignende heilige Singular schließt aber keineswegs unterschiedliche Zugänge zu ihm aus, die im Sinne einer inneren Differenzierung zu verstehen sind. Israel und Kirche bilden das eine Gottesvolk, das als eine differenzierte Einheit vorzustellen ist. 4. Durch die Bezeichnung ‚Volk Gottes‘ ist die Kirche verbunden mit der besonderen Erwählungsgeschichte Israels und der mit ihr angezeigten Einsamkeit in der Welt der nach wie vor die Götzen anbetenden „Heiden“. Ohne diesen Aspekt der Aussonderung aus der sich im Ränkespiel der Macht ergehenden Völkerwelt wird der Titel des ‚Volkes Gottes‘ nicht angemessen gebraucht. 5. Der von Gott gewährte Bund ist das Unterpfand der Erwählung des ‚Volkes Gottes‘. Er ist die unanschauliche, allein dem Glauben zugängliche Basis für das Selbstbewusstsein des ‚Volkes Gottes‘, das sich in ihm sowohl der Erwählung als einer Gabe Gottes als auch der Wegweisung durch den Willen Gottes erinnert. Dieses Bundesverständnis gilt in seinen Grundbestimmungen für beide Testamente, auch wenn die inhaltlichen Ausgestaltungen voneinander abweichen. 6. Der Titel ‚Volk Gottes‘ stellt die Kirche in einen sie selbst heilsam relativierenden größeren Gesamtrahmen, der die menschheitliche Perspektive des Heilswillens Gottes für seine Schöpfung anzeigt. Neben dem erwählungs- und bundestheologischen Begründungszusammenhang ist die eschatologische Perspektive das Hauptkennzeichen eines theologisch qualifizierten Begriffs vom ‚Volk Gottes‘.

118 In aller Konsequenz ist dieser bisher allein von Karl Barth hervorgehoben worden, was in der Ökumene bisher noch nicht in angemessener Weise rezipiert worden ist; vgl. dazu Weinrich, Karl Barth, 278–281, 456–459.

Resümee

7. Die Bezeichnung der Kirche als ‚Volk Gottes‘ ist keine Selbstbezeichnung – als solche könnte sie nur Ausdruck von Hybris sein –, sondern ein (sola gratia) zugesprochener Ehrentitel, der die Kirche angesichts ihres faktischen Erscheinungsbildes eher beschämen als bestätigen müsste. Aus sich heraus kann die Kirche nicht beanspruchen, ‚Volk Gottes‘ zu sein, und somit kann sie aus dieser Bezeichnung für sich vor der Welt auch nichts ableiten. Sie kann allein immer wieder neu die Verleihung und den Zuspruch dieser Ehrenbezeichnung in der Praxis des lebendigen Christus an ihr entdecken und preisen. 8. Das Genus der Rede vom ‚Volk Gottes‘ ist – das folgt notwendig aus den bereits formulierten Thesen – weder statuarisch noch phänomenologisch oder gar historisch-soziologisch, sondern konfessorisch, d. h. die Kirche bekennt mit dieser Bezeichnung ihre Zugehörigkeit zu der empirisch nicht demonstrierbaren Gemeinschaft der Heiligen, die als Miterben der an Israel ergangenen Verheißungen aus der im Heiligen Geist lebendigen Treue Gottes leben, und zur empirisch zu bestätigenden Gemeinschaft „Israels“, der nach wie vor die Verheißungen gelten. 9. Die gängige gegenwärtige Praxis der Verwendung der Bezeichnung ‚Volk Gottes‘ für die Kirche lässt begründeten Zweifel daran aufkommen, dass sich die erwähnten für den Begriff konstitutiven Aspekte in sein Verständnis importieren lassen. Es ist daher vorläufig dieser Bezeichnung gegenüber eine bewusste Zurückhaltung geboten, zumal nach wie vor all die aus der Tradition zu beklagenden geschichtstheologischen Versuchungen immer noch nachwirken oder sogar eine Renaissance erleben. Der positive Israelbezug und die entschiedene Distanzierung von allen Volksideologien bleiben als die Minimalbedingungen für jede Verwendung des Volk-Gottes-Begriffs in der Kirche festzuhalten.

173

5.

Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

Perspektivenwechsel1 Freiheit ist ein großes Wort. Wir benutzen es selbstverständlich, so als sei klar, wofür es stehe. Es steckt voller Verheißungen, wobei im Einzelnen zu überprüfen bleibt, in welchem Maße sie möglicherweise nur Illusionen sind. Es gibt gute Gründe, sich einen nüchternen und realistischen Blick zu bewahren. Es sind schon zu viele folgenlose Feuerwerke im Namen der Freiheit abgefackelt worden, um von den ebenfalls im Namen der Freiheit über unzählige Menschen gebrachten Verheerungen einmal ganz zu schweigen. Wo politische Parteien sich ausdrücklich der Freiheit verschrieben haben, bleibt genau hinzusehen, wen und welche Weltanschauung sie damit ermächtigen wollen. In der Realpolitik wird die Freiheit gern als Programmbegriff ins Fenster gestellt, der seine spezifische ideologische Aufladung in der Regel verborgen hält. Freiheit gilt es zu verteidigen, notfalls auch im erbitterten Kampf. Sie steht bereit zur Rechtfertigung aggressiv ausgenutzter Handlungsspielräume und zwar mindestens bis zum Hindukusch. Schließlich ist die Freiheit nicht davor gefeit, zu einem verklärenden Treibriemen für Konsumversklavungen oder gesellschaftserodierende Selbstverwirklichungsmanien zu verkommen. Psychologische Experten unterstützen die Manipulationen des Herdentriebes. Der Markt gibt sich als frei, ebenso wie diejenigen, die ihn in Schwung halten, als Könige geschmeichelt werden. Selbst die unverschämtesten Verwirrungen und Usurpationen der menschlichen Bedürfnisse glänzen gern mit einer Freiheitspatina. Allzu schnell wird vergessen, dass nicht alles Gold ist, was glänzt. Je dunkler es wird, um so verführerischer erscheint selbst der kümmerlichste Glanz. Unter den Kirchen ist es vor allem die reformatorische Familie, die sich gerne als Anwalt der Freiheit präsentiert. Es ist gewiss kein Zufall, dass beispielsweise das Impulspapier, mit dem in der Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) im Jahre 2006 ihr umstrittener Reformprozess angestoßen wurde, von dem schönen Titel „Kirche der Freiheit“ geziert wurde, obwohl in dem Papier keinerlei substanziellen

1 Weitreichende Überarbeitung eines Vortrags im Deutschen Ökumenischen Studienausschuss (DÖSTA) am 22. April 2016 in Wittenberg. Dieser Vortrag bezog sich seinerseits auf einen Kurzvortrag, den ich am 30. September 2011 auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes in Emden gehalten habe (Freiheit verbindet. Von der Befreiung zum Leben, in: Die Reformierten. upd@te, 2011, Heft 3, 26–32). Die Wittenberger Fassung ist publiziert: (Ver)Bindungen der Freiheit. Perspektivenwechsel, in: Thomas Söding/Bernd Oberdorfer (Hg.), Kontroverse Freiheit. Die Impulse der Ökumene (Questiones Disputatae 284), Freiburg i. Br. 2017, 338–352. Auch in der hier nochmals erheblich erweiterten Fassung bleibt der Vortragscharakter erhalten. Vgl. zudem Michael Weinrich, Zur Freiheit befreit.

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

Aussagen zum Thema Freiheit zu finden sind. So wird auch gern Luthers Schrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ zitiert, die zu seinen reformatorischen Hauptschriften des Jahres 1520 zu zählen ist, ohne dass etwas von dem zutiefst dialektischen Charakter der hier thematisierten Freiheit auch nur geahnt wird, die nur sehr wenig mit der individualisierten bürgerlichen Freiheit im neuzeitlichen Sinne zu tun hat. Es wird generell kaum noch damit gerechnet, dass in der theologischen Wahrnehmung der Freiheit ein durchaus besonderes und als solches keineswegs einfach verallgemeinerbares Profil von Freiheit in den Blick gerückt wird, das sich nicht von einem allgemeinen Freiheitsverständnis aus erschließt. Angesichts des offenkundig höchst sensiblen, um nicht zu sagen abgründigen Charakters des Begriffs der Freiheit, ist es durchaus erstaunlich, wie wenig Mühe wir uns in der Regel machen, genauer zu benennen, was unter Freiheit verstanden werden kann und wie sie tatsächlich im konkreten Leben zum Zuge kommt. Die allgemeine Verwirrung um ihr Verständnis ist jüngst im Horizont der Covid19-Pandemie facettenreich greifbar geworden, insbesondere ihre privatisierende Inanspruchnahme, die in einer fundamentalen Spannung zu den ebenso schillernden wie beschwörenden Solidaritätsbekundungen stand. Hier wird einmal mehr in unabweisbarer Deutlichkeit offenkundig, dass Freiheit mit dramatisch unterschiedlichen Ansprüchen thematisiert und eingefordert wird. Diese lassen sich keineswegs untereinander verrechnen, sondern fassen auch höchst unterschiedliche Lebenshorizonte und Wirklichkeitswahrnehmungen ins Auge. Von daher ist es geboten, den Differenzen in den unterschiedlichen Perspektiven etwas näher auf den Grund zu gehen, um dann auch die besonderen Anforderungen an eine theologisch ausgewiesene Thematisierung der Freiheit etwas genauer profilieren zu können. Gerade eine Kirche der Freiheit hat sich ausdrücklich darüber Rechenschaft abzulegen, was denn die besondere Freiheit der Kirche ist. Fünf Perspektiven der Freiheit möchte ich im Folgenden bedenken, von denen jede ihre eigene Wichtigkeit hat. Zunächst ist Freiheit grundlegend als ein Können zu verstehen und die Sehnsucht nach ihr von einem Nicht-Können bestimmt (5.1). Anschließend geht es viermal um die Ermöglichung und Verwirklichung eines bestimmten Könnens, das erst durch die in ihm vorausgesetzte Freiheit von Bedeutung ist: 1. Die Wahlfreiheit (5.2), 2. die Freiheit zur Selbstverwirklichung (5.3), 3. die Freiheit zur Beziehung (5.4) und 4. die Freiheit der Kirche (5.5). Es wird jedes Mal in eine andere Richtung geblickt und es lohnt sich, genau hinzusehen, für welchen Bedingungshorizont die Freiheit jeweils in Anspruch genommen wird.

5.1

Freiheit ist Können

Wer im Gefängnis einsitzt, sehnt sich nach nichts mehr als nach Freiheit. Je näher sie dann kommt, umso mehr drängt sich die Frage auf: „Was wird dann sein,

Freiheit ist Können

wenn ich hier raus bin?“ Welche Freiheit eröffnet sich nach dem langjährigen Drücken der Schulbank? „Noch die eine Hürde muss genommen werden, und dann bin ich frei – nie wieder eine Prüfung!“ „Wenn die Kinder erst einmal aus dem Haus sind …, wenn wir erst einmal aus dieser engen Wohnung raus sind …, wenn ich endlich meine Schulden abgezahlt habe …, wenn doch die Lottofee ein Einsehen hätte …“ – Der Freiheitsgewinn durch Geld scheint in unserer Gesellschaft besonders evident zu sein, auch wenn der keineswegs geistreichere Einwand gleich auf dem Fuße folgt, dass Geld allein ja nicht glücklich mache. Aber vielleicht macht ja auch die Freiheit allein noch nicht glücklich? – Und schließlich winkt auch der Ruhestand nach einem mehr oder weniger erfüllten Berufsleben mit einer Aussicht auf Freiheit, die allerdings – je näher sie kommt – ebenso schnell von Ratlosigkeit und Leerstellen eingeholt werden kann, wie auch all die anderen Freiheitsverheißungen. In diesem Horizont ist Freiheit etwas, was im Moment noch nicht ist, aber doch sehnlich erwartet wird. Sie erscheint als das Ende einer spezifischen Bedrängnis, gleichsam ihr Jenseits, von dem bisweilen auch nur wenig mehr bekannt zu sein scheint als uns auch sonst vom Jenseits zugänglich ist. All die genannten Freiheitssehnsüchte markieren mehr die Gefangenschaften, in denen wir uns jeweils befinden, als dass sie tatsächlich Auskunft über die Freiheit geben, die als die Verabschiedung der jeweiligen Probleme herbeigesehnt wird. Freiheit erscheint vor allem als das Ende bzw. die Überwindung der von uns wahrgenommenen Zwänge und Gefangenschaften. Aber eben auch dies wird durch die leicht verlängerbare Liste dieser Abhängigkeiten bewusst gemacht: Freiheit ist nicht einfach eine Gegebenheit. Im Gegenteil ist vielmehr einzuräumen, dass sich unser Leben stets unter von uns nicht ohne weiteres abzustellenden Umständen und Bedingungen vollzieht. Mit unserem Leben werden wir von vornherein in ein durchaus eng geknüpftes Bedingungsnetz hineingestellt, das wir uns nicht aussuchen und ebenso wenig einfach abstreifen können. Wir leben unablässig unter zahlreichen Gegebenheiten, die unsere Freiheit in ein enges Korsett zwängen, das sie nicht nur gelegentlich auch ganz zum Erliegen bringen kann. Wir können nicht, was wir wollen, wobei zu fragen bleiben wird, ob die Ermöglichung jedes Wollens bereits als Verwirklichung von Freiheit anzusehen ist. Das Verlangen nach Freiheit beklagt ein Nicht-Können. Dieses Nicht-können ist die Folge eines Müssens, dem wir unterworfen sind und das uns in einer bedrängenden Weise in Beschlag nimmt. Umgekehrt kann Freiheit als ein Können angesehen werden, das keinem Müssen folgt, und zwar unabhängig davon, ob es dann tatsächlich wahrgenommen wird oder nicht. Zunächst ist sie nur ein Können-Können jenseits von allem Müssen-Müssen. Da wo die Freiheit des Können-Könnens dann auch konkret wahrgenommen wird, kommt es zudem auch noch auf das Können an, mit dem von dem Können-Können Gebrauch gemacht werden soll. Um segeln zu können, reicht es nicht aus, ein Segelboot zur Verfügung zu haben, sondern

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

es will auch angemessen gehandhabt werden. Selbst da, wo es um die konkrete Verwirklichung von Freiheit geht, kommt unversehens und unweigerlich auch wieder ein Müssen mit ins Spiel. Selbst wenn uns ein Traum einmal der Wunsch erfüllt wird, wie ein Vogel fliegen zu können, müssen wir, um abheben zu können, beispielsweise unsere Arme als Flügel gebrauchen oder aber eine andere besondere Fähigkeit für uns in Anspruch nehmen. Selbst in der Welt des Traums verlässt uns nicht das Bewusstsein, dass Fliegen sich nicht einfach von selber vollzieht, sondern eine durchaus voraussetzungsreiche Kunst bleibt, die von bestimmten Bedingungen abhängig ist, selbst dann, wenn sie uns einmal in unserer unterbewussten Traumfabrik ermöglicht wird. Der besondere Reiz ebenso wie die Authentizität des Traums hängt an der Überzeugungskraft seines Realismus, durch den er uns in seinen Bann zieht. Obwohl über den Wolken die Freiheit grenzenlos ist – sagt man –, fliegen wir selbst im Traum nicht bedingungslos, sondern es gelingt uns ebenso plötzlich wie wundersam, die Bedingungen zu erfüllen, uns einmal wie ein Vogel in die Luft aufschwingen zu können. Selbst im Traum bedarf es eines zumindest plausibel erscheinenden Grundes, warum wir so unversehens fliegen können. Wir fliegen nicht einfach wie ein vom Wind in die Höhe getriebenes Laubblatt, sondern wir können plötzlich fliegen und die Freiheit genießen, um die wir doch gelegentlich die Vögel beneiden – das ist etwas ganz anderes. Die erfahrene Freiheit hat immer etwas mit unserem Können zu tun, auch wenn uns dies nur einmal im Traum ermöglicht wird. Freiheit steht nicht für die Annullierung der Bedingungen unserer Wirklichkeit, sondern für das Vermögen, in ihnen etwas aus eigenem Antrieb und mit eigener Intention verrichten zu können. Es geht also um ein Können im Horizont der unser Leben jeweils prägenden Bedingungen, die sich nicht einfach suspendieren lassen. Philosophen, die ihren Blick nicht nur auf die Freiheit des Geistes konzentrierten, sahen sich genau von diesem Konflikt intensiv herausgefordert, wie beispielsweise Immanuel Kant oder in ganz anderer Weise Nicolai Hartmann.2 Die Vorstellung einer Autonomie, die meinen könnte, sich einfach selbst die Bedingungen der Freiheit setzen zu können, sollten wir also getrost als wirklichkeitsfremde Schwärmerei in den umfangreichen Akten menschlich-narzisstischer Spekulationsseligkeit abheften. Die Benennung der Bedingung ihrer Möglichkeit rückt die Freiheit nur der Form nach in den Blick. Tatsächlich beschränkt sich häufig die Reklamation der Freiheit auf ihre schlichte Gegebenheit, von der längst nicht immer auch klar ist, in welcher Weise sie dann auch genutzt werden will, so dass sie dann, wenn sie sich einstellt, auch Ratlosigkeit oder gar Leere hervorrufen kann, weil sie keine Perspektive

2 Vgl. Immanuel Kant, Kritik der reinen Vernunft, 462ff, 465ff, 522ff; Nicolai Hartmann, Ethik, 621ff.

Die Wahlfreiheit

mit sich bringt, in der sie sich entfalten kann. Es kann eben auch so etwas wie eine Freiheitsverwahrlosung entstehen, die der Freiheit über ihre Gegebenheit hinaus nichts zu tun anbietet, worin sie ihre herbeigesehnte Attraktivität unter Beweis stellen könnte. Die Freiheit bleibt hier unterbestimmt, weil sie auf ihre Form beschränkt bleibt und keine eigene Perspektive entwickelt, für die sie erforderlich ist. Von den vielen möglichen Perspektiven sollen im Folgenden vier vorgestellt werden.

5.2

Die Wahlfreiheit

Sprechen wir zuerst von der Wahlfreiheit, d. h. von der Freiheit, unter verschiedenen sich anbietenden Möglichkeiten aussuchen und entscheiden zu können. Obwohl sie für ein belastbares Verständnis von Freiheit nicht von prägender Bedeutung ist, können wir sie nicht ganz übergehen, weil sie eine grundlegende Voraussetzung auch für die weiterreichenden Perspektiven der Freiheit darstellt. Die Wahlfreiheit könnte als trivial angesehen werden, jedenfalls solange es um die Entscheidungsfreiheit innerhalb eines gegebenen einigermaßen äquivalenten Angebots geht, und zugleich ist sie als die Ermöglichung eines eigenständigen Umgangs mit Alternativen die fundamentale Bedingung für jedes realitätsverbundene Verständnis von Freiheit. Es ist trivial, ob ich mich entscheide, ein grünes, ein schwarzes oder eben ein blaues Auto zu kaufen – etwa nach dem Motto: die Farbe ist egal, aber rot muss es sein. Schon beim Kauf von einem Paar Schuhe werde ich meiner Freiheit nicht mehr ganz so freien Lauf lassen können, sollen sie doch zu meinen Füßen und dann auch zu den von mir getragenen Kleidungsstücken passen. Es ist zu hoffen, dass dann immer noch genug Auswahl bleibt, und es ist nicht von weitreichender Bedeutung, wie ich mich entscheide. Natürlich kann ich mich auch entscheiden, gar keine Schuhe zu kaufen und von der entsprechenden Wahlfreiheit keinen Gebrauch zu machen, aber eine solche Entscheidung wird sich – wenn überhaupt – nur unter bestimmten Bedingungen und für eine befristete Dauer als sinnvoll erweisen. Ich bin frei, mir aus einem großen Angebot an verschiedenen Smartphones eines auszusuchen, aber gibt es auch noch die Freiheit, sich gar keins auszusuchen? In ganz besonderer Weise zeigt auch der psychologisch von der Werbung massiv beeinflusste Markenwahn nicht nur unter Jugendlichen, welch ein Druck auf der Wahlfreiheit liegt und wie wenig trivial es ist, sich nicht den Kanalisierungen dieses Drucks zu beugen. Was wäre es für ein Gewinn, wenn wirklich die Möglichkeit sanktionsfreier Wahl bestünde. Auch die Angebotsalternativen appellieren keineswegs geduldig an die von uns zu betätigende Freiheit, sondern werden uns in meist psychologisch subtiler Weise geradezu aufgedrängt.

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Und wir können das Problem auch noch weiter zuspitzen, um zu zeigen, wie sehr auch mit der Wahlfreiheit ein keineswegs immer gegebenes Können verbunden ist, indem wir der Wahlfreiheit einmal die Angebotsalternativen entziehen und diese damit gleichsam in die Luft stellen, was ja keineswegs nur ein intellektuelles Gedankenspiel darstellt. Gewiss ist die Möglichkeit, zwischen verschiedenen Brotsorten aussuchen zu können, nicht essenziell für das menschliche Leben, wohl aber die Möglichkeit, überhaupt Brot kaufen zu können. Die Freiheit der Wahl zwischen verschiedenen Brotsorten liegt jenseits der Hoffnungen der Hungernden, für die sich jede Wahl für ihr Leben erübrigt, weil sie keinen Zugang zu dem haben, was allein für den Erhalt ihres Lebens schlechterdings notwendig ist. Ihrem Wollen entspricht kein Können, entweder weil nichts zu bekommen ist oder weil sie es nicht bezahlen können. Der Hinweis, dass die Gedanken doch frei seien, könnte an dieser Stelle wohl nur zynisch sein, zumal es auch nicht schwer ist, diese zu erraten. Es gibt durchaus Situationen, in denen Freiheit essenziell mit Geld verbunden ist, ohne welches man der Gefangenschaft des Elends anheimfällt. Zweifellos ist die marktgesteuerte Wahlfreiheit ein mit vielen Illusionen behaftetes Luxusproblem unserer Konsumgesellschaft, an dem sich auch eine spezifische Armut unseres Reichtums aufzeigen ließe. Aber wir werden in diesem Horizont einzugestehen haben, dass insbesondere diejenigen die Qual haben, die eben nicht die Wahl haben. Würde uns dieser Zusammenhang von unserer Wahl und der Qual derjengen, die nicht die Wahl haben, vor Augen stehen, würde sich auch für die Wahlfreiheit eine Perspektive eröffnen, in der sie dann ganz und gar nicht trivial ist, doch in diese Richtung werden wir jetzt direkt nicht weiter vordringen, weil sie indirekt in den folgenden Perspektiven mit angesprochen wird.

5.3

Die Freiheit zur Selbstverwirklichung

Es waren zunächst vor allem die Philosophen, die in unterschiedlichen Tonlagen den Menschen ermutigt, umworben, herausgefordert oder auch beschworen haben: Werde, der du bist! Sie sind von der Erfahrung belehrt, dass der Mensch aus Trägheit oder fehlgeleitetem Eifer die Neigung hat, unter seinem Niveau zu bleiben und sich in kurzsichtige Fehlorientierungen zu verstricken. Die meisten Schatten, die auf der menschlichen Geschichte liegen, sind der Selbstverfehlung des Menschen zur Last zu legen, und die Aussichten auf Besserung werden überaus unterschiedlich beurteilt, von stoisch-resignativ bis himmelstürmend-prometheisch, von pessimistisch ernüchtert bis unerschütterlich optimistisch. Wo der Glanz der Erfolge des Menschen in den Vordergrund gerückt wird, weiß man sich auf Erfolgskurs – nicht, weil der Mensch wie eine Katze immer auf seine Füße fällt, wohl aber weil ihm einigermaßen kühn die Fähigkeit zugeschrieben wird, angesichts jeder Krankheit auch bald auf die rechte Medizin zu kommen. Wo hingegen das vom

Die Freiheit zur Selbstverwirklichung

Menschen zu verantwortende und unablässig neu produzierte Elend und Leiden im Blickpunkt stehen, fallen die Prognosen zurückhaltender aus oder es wird gar – wie etwa von Camus – die redliche Treue zur Absurdität als ein Akt realitätsgerechter Freiheit eingefordert.3 Nur in radikaler Illusionslosigkeit können die tatsächliche Freiheit des Menschen und das mit ihr verbundene Können in den Blick kommen. Auch der spezifische Realismus der biblischen Wahrnehmungen des Menschen und seiner Angewiesenheit auf die Gnade Gottes ließe sich in diesem Horizont lebhaft diskutieren. In der Aufforderung „Werde, der du bist!“ liegt der Ton ganz und gar auf dem „Werde!“ und der Beschwörung des dazu erforderlichen Könnens: „Du kannst werden, der du bist!“ – „Du hast die Freiheit, aus dir das zu machen, was tatsächlich ein Mensch genannt zu werden verdient“ – oder weniger philosophisch ausgedrückt: „Bleib nicht hinter dir zurück, mach etwas aus dir! Du bist, was du aus dir machst!“ Der Appell zielt auf eine zu verwirklichende, aber bisher noch unverwirklichte Möglichkeit, die aber im Horizont des jeweils unterstellten Könnens angesiedelt ist. Es ist die sich selbst wollende Freiheit, die hier umworben wird. Ihre Lebensverheißung liegt in dem, was heute so gern und wohl doch ein wenig gedankenlos ein ‚gelingendes Leben‘ genannt wird. Der ins Auge gefasste Höhenflug greift heute allerdings dann doch recht regelmäßig zu der eher bescheidenen Variante, in der es schließlich nur noch heißt: „Nimm dich an, wie Du bist!“ – eine ebenfalls eher unbiblische Empfehlung. Es handelt sich nur um die andere Seite derselben Medaille, die auf beiden Seiten die Freiheit an die Bindung des Individuums an sich selbst verweist. Der weltanschauliche Charakter dieser Sichtweise zeigt sich in der aus anderen Zusammenhängen bereits bekannten Behauptung, dass das, was dem Einzelnen dienlich ist, auch der Gemeinschaft zugutekommt. Es ist der Eigennutz, der für den Gemeinnutz als förderlich gilt. Die Freiheit zur Selbstverwirklichung als gesellschaftliches Ideal ist keineswegs zufällig die Lebensmaxime einer Gesellschaft, die wirtschaftlich auf das Lebenselixier der am Wachstum und Gewinn orientierten Konkurrenz setzt und vor allem die dafür erforderliche Freiheit schützt. Dabei gilt das Credo, dass die für sich selbst investierte Energie und Phantasie im Erfolg auch die Anderen in förderlicher Weise erreicht, zumal diese immer bereits ein Element des eigenen Erfolges darstellen. Theologisch findet sich diese Weltanschauung etwa in der populär-psychologisch getrimmten Ausweitung des Doppelgebotes der Liebe zu Gott und dem Nächsten zu einem Dreifachgebot, wobei eben das Dritte: ‚die Liebe zu sich selbst‘ insofern zentral wird, als sich die Liebe zu Gott und zum Nächsten allein an ihr qualifizieren. Immer wieder geistert die biblisch schwer zu begründende Selbstliebe auch

3 Vgl. Albert Camus, Der Mythos von Sisyphos, 101.

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durch theologisch gemeinte Empfehlungen, denn sie kann dann dazu herangezogen werden, die Investitionen in Gott und den Nächsten, ja in die Religion und die Frömmigkeit sinnvoll erscheinen zu lassen. Schleiermachers Werbung für die Religion4 war genau in diesem Sinn ganz und gar an dem Zugewinn orientiert, den selbst der an sich schon selbstzufriedene aufgeklärte Mensch für sich und dann eben auch für die Gesellschaft aus der Frömmigkeit zu ziehen vermag. Es ist kein Zufall, wenn das vom Glauben eingestandene schlechthinnige Abhängigkeitsgefühl schließlich auf ein schlechthinniges Freiheitsbewusstsein zielt. Die Religion appelliert gleichsam an das am Selbstgewinn des Individuums orientierte Freiheitspathos und der damit verbundenen utilitaristischen Zweckrationalität, wie es von den Religionsapologeten unterschiedlicher Couleur bis heute immer wieder propagiert wird.5 Diesen theologischen Überbietungsversuchen der Aufklärung gegenüber nimmt sich die Aufklärung selbst – jedenfalls in der anspruchsvollen Gestalt von Immanuel Kant – geradezu bescheiden aus. Kant setzt der Maßlosigkeit des individuellen Freiheitswunsches vor allem das Maß der Sozialverträglichkeit der Freiheit entgegen und erhebt die Gemeinschaftsfähigkeit unserer Freiheitsansprüche zu einem Gesetz, zum kategorischen Imperativ, der uns – negativ gewendet – auf ein Maß der Freiheit verpflichtet, das konsequent den Freiheitsanspruch des Anderen wahrt. Er lautet bekanntlich – ein wenig vereinfachend gesagt: Meine Freiheit endet dort, wo sie die Freiheit des anderen einschränkt. Nur wenn sich die Freiheit in den Grenzen hält, die grundsätzlich auch allen zugestanden werden, ist sie keine Bedrohung und Auszehrung des gemeinschaftlichen Zusammenlebens. Kant wusste um die Übergriffigkeit der am Individuum orientierten Freiheit, von der Hobbes noch den Leviathan in der Gestalt des starken Staates herausgefordert sah, damit die unterstellte anthropologische Fundamentalbestimmung zur möglichst erfolgreichen Selbstdurchsetzung überhaupt mit lebensfähigen gesellschaftlichen Verhältnissen zusammengebracht werden könne.6 Die von Hobbes dem Staat zugewiesene Zähmung der Freiheit wird bei Kant nun zu einem substanziellen Element der Freiheit selbst. Kant flankiert die Freiheit kategorisch mit dem moralischen Gesetz, an dem der Mensch beweisen kann, dass er auch in der Wahrnehmung seiner Freiheit tatsächlich ein Mensch und nicht nur ein allen seinen Wünschen und Trieben nacheiferndes Wesen ist. Die Orientierung am Eigennutz wird auch von ihm nicht infrage gestellt, aber sie soll sich in einem Rahmen vollziehen, der grundsätzlich auch von jedem anderen in Anspruch genommen werden kann.

4 Vgl. Friedrich Schleiermacher, Über die Religion (1799). 5 Vgl. dazu Michael Weinrich, Religion und Religionskritik, 239–262. 6 Thomas Hobbes, Leviathan [1651].

Die Freiheit zur Selbstverwirklichung

Diese Logik klingt stimmig. Ob sie sich als stringent durchhalten lässt, mag an dieser Stelle dahingestellt bleiben. Kant konditioniert gleichsam die Freiheit mit der moralischen Pflicht, damit sie auf das Niveau durchfindet, auf dem sie in ihrer Eigenwilligkeit sozialverträglich bleibt. Die Freiheit wäre falsch verstanden, wenn sie allein den Gesetzen unserer Wünsche folgt – Kant nennt das Heteronomie.7 Sie kann nur dann recht Freiheit genannt werden, wenn sie den kategorischen Imperativ zur Gemeinschaftlichkeit nicht aus den Augen verliert, sich also von dem moralischen Gesetz verpflichten lässt. Wenn Kant hier dann tatsächlich auch von Autonomie spricht, so allein deshalb, weil das moralische Gesetz erst in seiner individuellen Realisierung zu seiner Bestimmung gelangt. Die Freiheit ist bei Kant mit einem besonderen anthropologischen Anspruch verbunden, der sich auf ein spezifisches Können des Menschen beruft, denn er ist dadurch ausgezeichnet, dass er die grundlegende Einsicht des moralischen Gesetzes verstehen kann, wie sie vom kategorischen Imperativ zusammengefasst wird. Genau genommen erscheint die Freiheit, die sich schon bei ihm – und nicht erst bei den modernen Hirnforschern – empirisch nicht aufzeigen lässt,8 überhaupt nur als ein Postulat der reinen praktischen Vernunft, weil ohne sie dem moralischen Gesetz seine Substanz entzogen wäre.9 Da sie sich nicht aufzeigen lässt, muss sie postuliert werden, weil es nur im Horizont von Freiheit möglich ist, den Menschen als moralisch verantwortliches Wesen zu betrachten und damit den Menschen als Menschen zu retten. Die den Menschen auszeichnende Freiheit zur Selbstverwirklichung ist – ob nun mit oder auch eher ohne Kant – in jedem Fall vor allem eine auf die Selbstkonstitution des Individuums bezogene Freiheit für sich selbst, auch wenn sie den Umstand im Auge hält, dass sich der Mensch auch immer mit anderen zu arrangieren hat. Sie ist für den anderen, weil sie für sich selbst ist. Sie jagt den jeweiligen Verhältnissen alle Möglichkeiten ab, die zur Selbstverwirklichung entweder geeignet erscheinen oder dafür als geeignet eingeräumt werden. Und sie jagt eben auch den Mitmenschen den Raum ab, den sie für sich beansprucht. Dabei ist es charakteristisch für diese Freiheit, dass der Nächste, der Mitmensch zunächst und entscheidend als die Begrenzung meiner Freiheit in den Blick kommt. Zwar bietet der Mitmensch mir die Möglichkeit meiner moralischen Verwirklichung, und zugleich bleibt er als solcher immer auch eine Limitierung meiner Freiheit, was sich nicht zuletzt in dem im Zusammenhang mit dem moralischen Gesetz konstatierten Begriff der Pflicht seinen Ausdruck verschafft. Der und die Andere treten mir als eigener zu respektierender Freiheitsanspruch gegenüber. Wo seine 7 Vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 39 (§ 8 Lehrsatz IV). 8 Siehe oben Anm. 2. 9 Vgl. Kant, Kritik der praktischen Vernunft, 151–153; Ders., Grundlegung zur Metaphysik der Sitten, 71ff.

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

und ihre Freiheit beginnt, da endet die meinige. Und weil ich ja weiß, dass auch der und die Andere meine Freiheit zu respektieren haben, reibt sich die eine an der anderen Freiheit. Die Soziologen nennen das Konkurrenzindividualismus. Zugespitzt gesagt ist der ebenfalls seine Freiheit verteidigende Mitmensch stets eine potentielle Bedrohung meiner Freiheit. Zwar ist die Konditionierung der Freiheit der Sozialität der Menschen verschrieben, aber ihre konkrete Wahrnehmung bleibt grundsätzlich im Horizont der Selbstpflege des Individuums, eben aus sich selbst das zu machen, was sinnvoller Weise ein Mensch genannt zu werden verdient, und das ist eben der für das moralische Gesetz freie, d. h. von diesem freiwillig in Pflicht genommene Mensch, der sich selbst dem moralischen Gesetz verschreibt und eben in diesem Sinne im ganz wörtlichen Verständnis autonom ist. Genau genommen ist die Begegnung mit dem Anderen im Grundsatz keine Beglückung, sondern die konkrete Erinnerung an die meine Freiheit herausfordernde Pflicht. In jeder Begegnung aktualisiert und konkretisiert sich auch immer die prinzipielle Rivalität, in der sich das Leben vollzieht. Einerseits muss jede sehen wie sie durchkommt, und andererseits müssen sich alle miteinander arrangieren, obwohl sie Konkurrenten sind. Dabei folgt die Freiheit den abzuwägenden Opportunitätsgründen des Ich, das sich mit der Apartheit des und der Anderen zu arrangieren hat. Wir haben es mit einer Freiheit der moralisch gezähmten freien Wildbahn zu tun, auf der jeder seinen Lebenskampf führt und dabei durchaus auch die anderen in das Kalkül der eigenen Interessen einbezieht; man und frau ist eben so frei. Des Guten ist da schnell zu viel getan, und die Freiheit des anderen gerät unversehens ins Hintertreffen, ist doch das Ziel die Selbstverwirklichung, und diese wird am Ende nicht daran bemessen, wie ich die Freiheit des anderen geachtet habe, sondern daran, was ich schließlich aus mir gemacht habe. Wer hätte nicht schon bemerkt, in welchem Maße unser Alltag immer wieder von egomanen Grenzverletzungen und teilweise demonstrativen Rücksichtslosigkeiten in ein Nerven angreifendes Reizklima versetzt wird. In unseren Massengesellschaften bestimmt die Ellenbogenfreiheit weithin die Dynamik des Geschehens, nicht nur auf der Autobahn. Dass unsere Gesellschaft durch die Freiheit zusammengehalten werde, wie es angesichts der Bedrohung etwa durch den menschenverachtenden Terrorismus gerne heißt, scheint mir doch eine recht kühne und zugleich naive Wunschvorstellung zu sein, auch wenn dies aus dem Munde von Politikern und Politikerrinnen immer wieder zu vernehmen ist.10 Wie heißt es doch so treffend und knapp in der Werbung: „Unterm Strich zähl ich.“ Dieser Appell an die Freiheit klingt in meinen Ohren deutlich realistischer, und es ist gewiss kein Zufall, wenn die Werbung eben diese

10 In besonders exzessiver Weise hat sich der ehemalige Bundpräsident Joachim Gauck dieses Narrativs bedient.

Die Freiheit zur Beziehung

Wendung aufgreift. Man kann es auch dramatischer ausdrücken, wie es dem Staatsphilosophen Thomas Hobbes angesichts des rasanten Aufblühens der modernen Konkurrenzwirtschaft zugeschrieben wird: Homo homini lupus est – der Mensch ist des Menschen Wolf.11 Im signifikanten Unterschied zu den Wölfen scheut der Mensch nicht davor zurück, sich gegenseitig aufzufressen, wenn er nicht durch rechtliche und administrative Regulationen in dieser Neigung gehemmt würde. Das haben Hobbes und Kant je auf ihre Weise erkannt und recht unterschiedliche, in jedem Fall aber die Freiheit streng konditionierende Schlüsse daraus gezogen. Im Anschluss an dieses vom neuzeitlichen Menschen einerseits ausdrücklich angestrebte und ihm dann ebenso ausdrücklich verordnete Selbstbild und die von ihm evozierte gesellschaftliche Wirklichkeit hat der inzwischen beinahe vergessene Berliner Theologe Helmut Gollwitzer die Perspektive seines seinerzeit verbreitet wahrgenommenen gesellschaftlichen Engagements darin gesehen, den Menschen weniger wölfisch zu machen. Es ging ihm dabei darum, die Freiheit aus der IchFixierung zu befreien – damit kommt nun eine ganz andere Freiheitsperspektive in Blick, der wir uns jetzt zuwenden.

5.4

Die Freiheit zur Beziehung

Es hat sich gezeigt, dass das Verständnis der Freiheit wesentlich davon abhängt, als was bzw. wen sich der Mensch selbst versteht. Ist er tatsächlich wesentlich dieses moralisch zu zähmende Konkurrenzsubjekt, oder kann er auch ganz anders wahrgenommen werden? Es kann davon ausgegangen werden, dass das mit der Freiheit annoncierte Können einigermaßen pünktlich den anthropologischen Fundamentalbestimmungen entspricht, die jeweils für den Menschen annonciert werden. Dem wölfisch geprägten Menschenbild, dem ja ein gewisser Realismus nicht abgesprochen werden kann, entspricht eine wölfisch geprägte Freiheit, die es dem Wolf einerseits ermöglicht sich auszuleben und die andererseits zugleich den einen Wolf in dem anderen seine Grenze erkennen und anerkennen lässt, damit sich – im Bild gesprochen – das Rudel nicht selbst gefährdet. Die Freiheit ist gleichsam maßgeschneidert für ein ganz bestimmtes Menschenbild und stabilisiert seine Grundannahmen. Würde ein anderes Menschenbild mit anderen Grundannahmen bestimmend sein, so müsste auch die Passgenauigkeit der Freiheit

11 Das Zitat findet sich nicht, wie immer wieder unterstellt wird, im „Leviathan“, es entspricht aber einer der in diesem Werk vorgetragenen Argumentationslinien. Die Wendung geht zurück auf die Komödie „Asinaria“ (Eseleien) von Titus Maccius Plautus (ca. 154–184 v. Chr.): Lupus est homo homini.

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

überprüft und nachjustiert oder eben ganz neu orientiert werden.12 Wenn sich der Mensch mehr und mehr zu einem willfährigen Konsumsubjekt reduzieren lässt, kann es nicht verwundern, wenn er bereits mit einer banalen Konsumfreiheit zufriedengestellt werden kann. Es wäre das Armutszeugnis des vom materiellen Wohlstand ins Wachkoma versetzten Menschen. Man könnte jetzt verführt sein, den Wolf durch ein geeigneteres Referenztier wie etwa die Ameise, die Biene oder den Pinguin, zu ersetzen, über die wir inzwischen überaus erstaunliche Sozialeigenschaften in Erfahrung gebracht haben, die möglicherweise besser den an den Menschen zu stellenden Anforderungen entsprechen, der sein Leben in einem umfassenden und differenzierten Sozialorganismus organisieren muss, so dass er sich in tatsächlich gedeihlicher Weise in einer modernen zivilgesellschaftlichen Wirklichkeit entfalten kann. Als Theologe möchte ich allerdings dieser Versuchung den Rücken kehren, nicht weil sich natürlich auch im Blick auf die Wölfe ein charakteristisches Sozialverhalten nutzbar machen ließe, sondern weil die Analogien zur Tierwelt ausgerechnet an dieser Stelle grundsätzlich problematisch bleiben. Dabei kann ich mich auf das Schöpfungsnarrativ beziehen, nach dem der Versuch Gottes ausdrücklich scheitert, dem Menschen mit den Tieren ein geschöpfliches Gegenüber zu schaffen (Gen 2,18–20). Erst mit der Erschaffung Evas, die von Adam als das seine Einsamkeit überwindende Gegenüber anerkannt wird (Gen 2,23), erreicht Gott sein Ziel und macht damit den Menschen zu dem Geschöpf, das er schaffen wollte. Das Narrativ lässt den Schöpfer selbst ausdrücklich darauf hinweisen, dass für den Menschen der Maßstab zunächst nur der Mensch selbst sein kann, aber nicht irgendein Mensch, sondern eben der von Gott geschaffene Mensch, der dazu erwählt ist, als sein Geschöpf gemeinschaftlich im Gegenüber zu seinem Schöpfer sein Leben als Antwort auf die Zuwendung Gottes zu gestalten.13 In der theologischen Perspektive, welche die Wirklichkeit im Lichte des vom Glauben bekannten Gott zu verstehen versucht, kann die Betrachtung des für sich seienden individuellen Menschen grundsätzlich nur eine Abstraktion darstellen, in der die entscheidenden Bedingungen seiner Existenz ausgeblendet bleiben. Der

12 Auf die dem Menschen und der Gesellschaft aus dem Hofieren des selbstkonstitutiven Individuums erwachsende Selbstgefährdung und die Notwendigkeit eines grundlegenden Perspektivenwechsels wird insbesondere von dem Soziologen Hartmut Rosa hingewiesen: Resonanz. Eine Soziologie der Weltbeziehung (2016). 13 Wenn heute tatsächlich in zunehmendem Maße ein Tier als probates Gegenüber zu dem sich im Übrigen auf sich selbst verlassenden Menschen gewählt wird, scheint mir das vor allem ein Beleg dafür zu sein, dass auch der kulturell auf seine Selbstzufriedenheit trainierte Mensch nicht ganz auf den Halt durch ein lebendiges Gegenüber verzichten kann. So wählt er sich ein Gegenüber, das ihm zur Verfügung steht und von dem die Prämissen seiner Selbstzentriertheit nicht infrage gestellt werden.

Die Freiheit zur Beziehung

Mensch ist nicht einfach für sich. In dem bereits erwähnten Narrativ von der Schöpfung sieht Gott die Schöpfung des Menschen erst dann als seinem Willen entsprechend an als er ihm einen anderen Menschen zur Seite gestellt hatte, mit dem er in einer gegenseitigen Beziehung leben kann. Wenn sich nach dem sogenannten ersten Schöpfungsbericht der Bibel (Gen 1,1–2,4) Gott entschließt, den Menschen nach seinem eigenen Bild zu schaffen, schuf er den Menschen (Singular), indem er zwei Menschen schafft, nämlich Mann und Frau. Der von Gott geschaffene Mensch wird fundamental in das verbindliche Gegenüber und damit in die Gestaltung der Beziehung zu dem Anderen gestellt. Der Ton liegt aus heutiger Sicht wohl weniger auf Mann und Frau als vielmehr darauf, dass es eben zwei verschiedene sind, die sich in ihrer Beziehung gegenseitig ergänzen. Es ist nicht vorgesehen, dass der Mensch allein mit sich selbst auskommt. Wenn danach gefragt wird, wer der Mensch ist, wird von dieser essenziellen Sozialität keinen Moment abgesehen werden können. Jede Möglichkeit einer individuellen Selbstkonstitution sowohl als Verhängnis als auch gar als erstrebenswertes Ideal ist dem biblischen Denken zutiefst fremd. Und wenn sie doch als ein von der menschlichen Sünde eingeschlagener Weg in den Blick kommt, bezieht sie sich zunächst auf die Eigenwilligkeit Gott gegenüber, dem die Anerkennung der eigenen Geschöpflichkeit verweigert wird, weil sich der Mensch selbst gern als Erhalter oder gar Schöpfer seiner Welt zu gerieren versucht. Nur der seiner eigenen geschöpflichen Existenz entfremdete Mensch usurpiert sich zur eigenen Selbstverwirklichung und versucht sich mit dem zu beweisen, was er aus sich selbst herauszuholen vermag. Die Selbstzurücknahme sowie die aus ihr resultierende Befreiung von dem Druck, möglichst allen Möglichkeiten der Selbstermächtigung nachlaufen zu müssen, verdankt der Mensch der Erkenntnis seiner Geschöpflichkeit. Sie stellt ihn in ein Gegenüber zu Gott, in dem die Frage nach seiner Bestimmung immer schon beantwortet ist, so dass der Mensch sein Leben in der Anerkennung dieser Antwort aus der damit verwirklichten Freiheit ganz in der Beziehung zu Gott und der Beziehung zu seinen Mitmenschen leben kann. Er ist davon befreit, der Welt den Nachweis seiner spezifischen Freiheit dadurch zu präsentieren, dass er sich durch eine eigene Bestimmung hervortun kann. In der theologischen Perspektive kommt es entscheidend auf den Umgang mit der Gottesfrage an. Ist es der Mensch, der in seiner Bedürftigkeit die Aufmerksamkeit bzw. seine Phantasie auf Gott lenkt, ebenso wie sie im Horizont seiner Ängste und Wünsche auch auf andere Gegenstände seiner Erkenntnis gelenkt werden, oder ist es das Inerscheinungtreten Gottes, durch das es überhaupt erst zu einer belastbaren Selbsterkenntnis des Menschen kommt? Dahinter steht die konsequenzenreiche Frage, ob Gott nur ein Produkt unserer mehr oder weniger phantasievollen Spekulation oder ein eigenes den Menschen ansprechendes Subjekt ist. Ist Letzteres der Fall, so sind wir, wenn es um ihn gehen soll, auf seine Selbstmitteilung, d. h. auf seine Offenbarung angewiesen, weil uns seine Erkenntnis nicht einfach zur

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

Verfügung steht, denn er ist grundsätzlich mehr und wohl auch grundsätzlich anderes, als wir uns auch mit unserer religiösen Phantasie selbst sagen könnten. Die so zugespitzte Frage beantwortet sich selbst, wenn wir uns nicht mit einem selbst choreographierten Gott zufriedengeben wollen. Die Evidenz dieser Einsicht wird aber sofort irreparabel verletzt, wenn Gott weltanschaulich eingereiht wird in die dem Menschen offenstehenden Möglichkeiten seiner Selbstwahrnehmung. Wo Gott zu einer Option des Menschen wird, kann die Option Gottes auf den Menschen nicht mehr in den Blick kommen, auch dann nicht, wenn sie noch so sehr in den Vordergrund gerückt werden mag. Bevor wir uns im Blick auf die Freiheit mit Gottes Option für den Menschen (5.4.2) beschäftigen, werden wir uns zunächst mit genau dieser sich selbst vorbehaltenen Option des Menschen für Gott zu beschäftigen haben, weil sie in der Neuzeit zu der bevorzugten Option geworden ist (5.4.1), die eben auch heute noch selbst in Theologie und Kirche weithin die Szene bestimmt, indem sie als eine Spielart der Freiheit des Menschen stilisiert wird. 5.4.1

Die Funktionalisierung Gottes und das Anthropozän

Um das Abenteuer des großen neuzeitlichen Freiheitsexperiments angemessen in den Blick bekommen zu können, muss die Aufmerksamkeit zunächst auf das Desaster gelenkt werden, mit dem die Kirche im Übergang vom 15. zum 16. Jahrhundert sowohl mit ihrem unbeugsamen Machtanspruch als auch ihrer unersättlichen Ausbeutungspraxis, die zu einer systematischen Verarmung ganzer Gesellschaftssegmente geführt hatte, die Mehrheit der Bevölkerung gegen sich aufgebracht hatte. Die anfänglich äußerst rasanten Erfolge der Reformation hatten durchaus etwas mit diesem von der Kirche forcierten Prekariat zu tun. Die machtpolitische Austragung des von der Reformation evozierten theologischen Wahrheitsantagonismus zwischen der überkommenen Kirche und den Reformatoren führte auch angesichts des sogenannten Augsburger Religionsfriedens von 1555 zu unerbittlich geführten Konfessionskriegen. Es waren nicht zuletzt die Verheerungen dieser nachreformatorischen Konfessionskriege, die dazu geführt hatten, den von den diametral gegeneinanderstehenden Kirchen vertretenen Wahrheitsansprüchen sozialverträgliche Grenzen aufzuerlegen und sie allgemein nachvollziehbaren Anforderungen zu unterwerfen, um die von ihnen ausgehende ebenso gnadenlose wie besinnungslose Militanz zu befrieden. In erster Linie waren es nicht die Kirchen, die zur Befriedigung der brennenden Konflikte etwa auf gewaltfreie Auseinandersetzungsstrategien drängten, sondern es waren vor allem diejenigen, die selbst nicht unmittelbar den Konflikt angeheizt hatten, aber dennoch unweigerlich mit in ihn hineingezogen wurden, nämlich die aufstrebenden Handelsgilden und das an Bedeutung gewinnende Stadtbürgertum, aber eben auch die Philosophen und die politischen Machthaber, die nicht mehr bereit waren, sich von den allzu konstan-

Die Freiheit zur Beziehung

tinisch agierenden Kirchen mörderisch gegeneinander aufhetzen zu lassen. Alle Wahrheitsansprüche wurden von ihnen unter den moralischen Imperativ ihrer Eignung für ein friedliches Zusammenleben gestellt. Hier beginnt die sich dann immer konsequenter durchsetzende Beerbung der Theologie durch ein vor allem vernunftorientiertes Selbstverständnis des Menschen. Im Horizont des gebotenen Einspruchs gegen die militante Durchsetzung verlässlicher Glaubenseinsicht durch den Menschen kommt es zu fundamentalen Verschiebungen der anzuerkennenden Prämisssen. Durch die nicht von der Kirche, sondern von der leidtragenden Welt ausgehende Mäßigungsinitiative geriet allerdings nicht nur die alleinige Zuständigkeit der Kirche für das rechte Verstehen der Glaubenswahrheit in die Kritik, sondern die Skepsis trat unversehens auch allen transzendenzbasierten Wahrheiten selbst entgegen. Ihr Anspruch hatte sich konsequent einerseits den allgemeinen Kriterien der dem Menschen zur Verfügung stehenden Vernünftigkeit zu unterwerfen und andererseits den je aktuellen moralischen Bedarfen gegenüber als förderlich zu erweisen. Die von den Kirchen allzu sehr mit ihren diesseitigen Ansprüchen verquickte Wahrheit verlor nicht nur den offen ausgetragenen diesseitigen Machtkampf, sondern zugleich auch die ihr unterstellte jenseitige Dignität und musste sich nun den Optionen derjenigen ergeben, denen es gelungen war, den von der Kirche zur geschichtlichen Selbstbehauptung angezettelten absurden Krieg zu beenden. Tatsächlich wurde es nun zu einer praktischen Aufgabe, über die Wahrheit zu entscheiden bzw. ihre Entfaltung zu so disziplinieren, dass sie dem menschlichen Regiment nicht weiterhin in die Quere kommen kann. Mit der Wahrheit geriet damit unversehens auch Gott und die von ihm anzuerkennenden Offenbarungen in ein Abhängigkeitsverhältnis von den Zuweisungen eines adäquaten Aufenthalt- und Entfaltungsraumes, der ihnen von der menschlichen Vernunft noch überlassen wurde, die hier im Zuge ihres berechtigten Einspruchs gegen die usurpatorische Kirche in das strategische Zentrum der zeitgenössischen Wahrheitsverwaltung drängte. Der Geiselnahme durch die autoritäre Inanspruchnahme vonseiten der Kirche setzten die vom Überdruss befeuerten Opponenten einen Freiheitsanspruch der Vernunft entgegen, der nicht mehr bereit war, sich von den Reklamationen überkommener Autoritätsansprüche in die Tagesordnung reinreden zu lassen. Auch wenn die Wurzeln über die Reformation hinaus bis in den Renaissancehumanismus zurückreichen, kam hier wirkungsgeschichtlich das großangelegte und in gewisser Weise revolutionäre neuzeitliche Freiheitsprojekt des sich selbst in den Mittelpunkt rückenden Menschen zum Durchbruch. Substanziell ging es schließlich spätestens seit René Descartes um die Selbstkonstitution des Menschen als freies Subjekt. Descartes schlug mit der vom konsequen-

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

ten Zweifel ermöglichten Selbstvergewisserung des Menschen14 nicht weniger als eine grundlegende Neuausmessung der ganzen Wirklichkeit unter konsequenter Bevorzugung naturgesetzlich gesicherter Evidenzen der empirisch verifizierbaren Welt vor. Wenn Descartes dabei auf Gott als die unendlich über den Menschen erhabene Voraussetzung verwies, trägt dieser von ihm festgehaltene Gott deutlich deistische Züge, die darin erkennbar werden, dass Gott als der unergründliche Schöpfer die Welt so wohlbedacht und in ihren Potenzialen vollkommen geschaffen habe, dass er sie dann auch unbesorgt dem Menschen überlassen konnte. Gewiss mag eingeräumt werden, dass Descartes davon ausging, dass ohne Gott Vollkommenheit nicht konsequent gedacht werden kann, aber dies spricht ihn nicht davon frei, Gott philosophisch instrumentalisiert zu haben, auch wenn er ihn betont zur Voraussetzung seines Denkens erklärte.15 Gott wird gleichsam zu der metaphysischen Wahrheitsgarantie für die vom Menschen identifizierten und in Anspruch genommenen mathematisch fundierten Naturgesetze. Immerhin hält Descartes damit ausdrücklich die Notwendigkeit einer metaphysischen Einbindung unserer Erkenntnis und damit die Ausrichtung auf so etwas wie Wahrheit für essenziell,16 auch wenn zwischen Subjektivität und Wahrheit eine sich leicht gegenseitig verletzende und gefährdende Spannung entstand, von welcher unsere Geschichte seitdem begleitet wird.17 Die spezifische Kühnheit der metaphysischen Verankerung der von Descartes angeregten Wirklichkeitserschließung bestand darin, dass sie im Unterschied zu allen überkommenen Konzepten Gott durch eine für den menschlichen Geist als essenziell ausgegebene Schlussfolgerung auf die Bühne des Weltgeschehens stellt. Gott steht nicht für den Ausgangspunkt der Überlegungen, sondern findet seinen Platz im Horizont ihrer Konsequenzen, wo ihm aus gnoseologischen bzw. erkenntnistheoretischen Gründen ein Platz freigehalten blieb, dessen Besuch allerdings im Grunde vor allem der Bestätigung der eigenen Ermächtigung dient, auch wenn er darin nicht aufgehen mag. Gott wurde zu einem transzendentalphilosophischen Argument einer radikal entgötterten Welt, mit dem sich die menschliche Erkenntnis

14 René Descartes: „Alsbald fiel mir auf, daß, während ich auf diese Weise zu denken versuchte, alles sei falsch, doch notwendig ich, der es dachte, etwas sei. Und indem ich erkannte, daß diese Wahrheit: „ich denke, also bin ich“ [je pense, donc je suis; cogito ergo sum] so fest und sicher ist, daß die ausgefallensten Unterstellungen der Skeptiker sie nicht zu erschüttern vermöchten, so entschied ich, daß ich sie ohne Bedenken als ersten Grundsatz der Philosophie, die ich suchte, ansetzen könne.“ – Es ist die rückhaltlos in die Hand des Menschen gegebene Vernunft, welche der Mensch „auf ebendieselbe Weise zu allen Zwecken verwenden“ und auf diese Weise die Menschen „so zu Herren und Eigentümern der Natur machen“ kann (Von der Methode des richtigen Vernunftgebrauchs und der wissenschaftlichen Forschung, 53 [4.1] u. 101 [6.2]). 15 Vgl. dazu Karl Löwith, Das Verhältnis von Gott, Mensch und Welt. 16 Vgl. dazu Wolfgang Röd, Descartes, 102–118. 17 Vgl. dazu grundlegend Christian Link, Subjektivität und Wahrheit.

Die Freiheit zur Beziehung

ihrer eigenen Vertrauenswürdigkeit versichert. Auch wenn Descartes es aus guten Gründet vermied, von seinem spekulativen Gottesverständnis aus die zeitgenössische Theologie zu kritisieren,18 und stattdessen versuchte, die seine Frömmigkeit steuernde unvergleichliche Ermächtigung des Menschen durch eine eigene Variante des ontologischen Gottesbeweises19 vor dem Bannstrahl der Kritik zu schützen,20 blieb seine durchaus kühne anthropozentrische Ausrichtung nicht verborgen, was aber ihrem Einfluss auf die spezifische Prägung des neuzeitlichen Selbstbewusstseins des Menschen in keiner Weise im Wege gestanden hat. Eher wird sie den späteren aufklärerischen und kirchenkritischen Elan befördert haben, der dann die metaphysischen Einbettungen von Descartes weithin hinter sich gelassen hat. Alles musste nun durch das Nadelöhr des menschlichen Zweifels. Wenn Gott nicht von vornherein jenseits dieses Nadelöhrs bereits als abgesichert gelten kann, kommt er wohl unausweichlich in die Situation des berühmten Kamels (Mk 10,25), das auf eine recht schmale Hoffnung verwiesen wird, dort tatsächlich hindurchkommen zu können. Die Wahrnehmung Gottes wurde zu einer domestizierten Dispositive, die dem auf seine Selbstkonstitution bedachten neuzeitlichen Menschen bestenfalls noch zu seiner individuellen Entscheidung anvertraut wurde. Damit wurde der Rede von Gott jeder Bezug auf eine eigene souveräne Wirklichkeit entzogen, was nichts anderes heißt, dass ihr jede ernstzunehmende Substanz bestritten wurde, durch welche sie dem Menschen in irgendeiner Weise eine eigene Orientierung geben könnte. Selbstgewiss und mit Pathos übernahm der Mensch selbst das Stellwerk seiner Orientierungen und versprach mit der dabei gewonnenen Übersichtlichkeit auch seine Verlässlichkeit, für die er sich bald immer rückhaltloser auf die Wissenschaft berief.21 Gerät Gott in die Bedingungsverhältnisse der ihn identifizierenden

18 Als abschreckendes Beispiel stand ihm vermutlich vor allem Giordano Bruno vor Augen, der am 17. Februar 1600 von der Inquisition wegen seiner Kritik am geozentrischen Weltbild und vor allem seiner pantheistischen Thesen in Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. 19 Die klassische Gestalt des „ontologischen“ Gottesbeweises (die Bezeichnung stammt von Immanuel Kant) findet sich bei Anselm von Canterbury (1033–1109). Gott sei „das, worüber hinaus nichts Größeres gedacht werden kann“ (id, quo nihil maius cogitari potest). Wenn er als solcher nur im Verstand existieren würde, ließe sich Größeres denken, nämlich, dass er auch in Wirklichkeit existiere. Daraus kann nur der Schluss gezogen werden, dass Gott tatsächlich existiert. 20 Vgl. René Descartes, Meditationen über die Grundlagen der Philosophie, 61–97. Die Widmung dieser Schrift an die altehrwürdige theologische Fakultät der Sorbonne in Paris, in welcher der Verfasser die Hoffnung hervorhebt, mit ihr der Religion einen Dienst zu erweisen, verfing nicht; die Schrift wurde auf den Index gesetzt und ebenfalls sowohl von protestantischer als auch von staatlicher Seite abgewiesen. 21 Das ist auch die Geburtsstunde eines missionarisch regen weltanschaulichen Wissenschaftsglaubens und des mit ihm einhergehenden plakativen Atheismus (Vgl. u. a. Ludwig Büchner, Kraft und Stoff oder Ernst Haeckel, Die Welträthsel), der heute eine wenig belehrte und dafür umso polemischer

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

Vernunft, mutiert er unweigerlich zu einem Spekulationsprodukt des sich selbst bestimmenden Menschen, dem es eben noch gefällt, sich von Gott entweder die eine oder andere Blöße verbergen zu lassen oder sich in besonders hemmungsloser Weise einmal mehr den eigenen Adel bescheinigen zu lassen. Der aufklärerisch domestizierte Gott nimmt dem Menschen ja nichts mehr ab so wie er ihm auch nichts mehr zumutet (im doppelten Sinn des Wortes), sondern steht nur noch fakultativ für eine religiöse Garnierung seiner Selbstermächtigung zur Verfügung, die dem Menschen in der Beschäftigung mit sich selbst für seine Selbstpräsentation und Selbstverwirklichung möglicherweise weiterhin opportun zu sein scheint. Der domestizierte Gott nimmt es dem Menschen keineswegs ab, bei sich selbst die Bestimmung der Substanz des Lebens zu suchen und zu finden. Er wird sich selbst zum Subjekt der Wirklichkeit erklären müssen, auch wenn er sich dabei hier und da noch als willig zeigen wollte, Gott in der Nische seiner religiösen Selbstpflege eine bestimmte Rolle zu überlassen. Der Mensch muss sich dem Imperativ der sich selbst zugemessenen Freiheit beugen, wenn er sich nicht von vornherein eingestehen will, dass er sich in seinem Selbstvertrauen einigermaßen besinnungslos übernommen hat. Im Horizont der für sich selbst in Anspruch genommenen Freiheit kommt er nicht darum herum, sie nun auch zu dem entscheidenden Schlüssel dafür zu erheben, seiner selbst aufgesuchten Einsamkeit des Alleinseins eine sinnvolle Bestimmung zu geben. Die in diesem Horizont reklamierte Freiheit ist darin so ambivalent, dass der von ihr zu beziehende Gewinn allein auf dem Wege einer entschlossenen Selbstinvestition erzielt werden kann. In seiner Selbstermächtigung kettet sich der Mensch zugleich ganz und gar an sich selbst, indem er der Gestaltung dieser in Anspruch genommenen Freiheit nun im Blick auf die wahrzunehmende Wirklichkeit und eben auch auf sich selbst auch alles abverlangen muss. Die Freiheit steht hier vor allem für die Kündigung aller Bindungen mit dem Anspruch, diese nun selbst substituieren zu können, aber eben auch zu müssen. Es läuft faktisch genau auf den an den Menschen zu stellenden Absolutheitsanspruch hinaus, dessen ambivalente – um nicht zu sagen verheerende – Wirkungsgeschichte sich in dem zeigt, dessen epochaler Niederschlag heute mit dem Begriff des Anthropozäns bezeichnet wird, von dem keineswegs sicher ist, dass wir es überleben werden. Auch wenn die Reichweite der vom Menschen usurpierten Wirklichkeit umstritten sein mag, wird sich kaum das Eingeständnis vermeiden lassen, dass als Resultat des menschlichen Titanismus bisher weniger Prometheus als vielmehr der Zauberlehrling herausgekommen ist, wobei uns Goethe wohl kaum wirklich dabei behilflich sein kann, welcher Meister

zugespitzte Renaissance erlebt (vgl. u. a. Pascal Boyer, Richard Dawkins, Daniel C. Dennet, Sam Harries u. Michel Onfray; vgl. dazu Uwe Swarat, Kein wissenschaftlich fundiertes Denksystem).

Die Freiheit zur Beziehung

nun dem Zauberlehrling aus der angerichteten permanent anschwellenden Patsche zu helfen vermag. Nüchtern betrachtet sind die Erfolge dieser im Grunde hybriden Freiheitskultur schließlich doch vor allem entsprechend deprimierend und eben nicht gerade ermutigend. Dass die Freiheitskultur anhaltend weiter am Selbstgewinn und der Selbststeigerung orientiert bleibt oder – wie im Umgang mit der derzeitigen Pandemie – öffentlich weithin banalisiert oder gar populistisch instrumentalisiert wird, bremst deutlich den Elan in dem allgemeinen Tauziehen um die Freiheit. 5.4.2

Freiheit verbindet

Das hatten wir bereits gesagt: Für das Verständnis der Freiheit kommt es entscheidend darauf an, wie sich der Mensch selbst versteht. Und für das Selbstverständnis des Menschen kommt es entscheidend darauf, ob und in welcher Weise er sich in seinem Selbstverständnis auf Gott bezieht. Das letzte Kapitel hat gezeigt, dass die anthropologische Domestizierung Gottes den Versuch unternommen hat, die Freiheit Gottes auf den Menschen zu übertragen und Gott auf die Rolle des ursächlichen Garanten dieser Auszeichnung des Menschen zu reduzieren. Auf beiden Seiten ist das Abenteuer nicht aufgegangen: Der Mensch droht offenkundig an seiner Selbstüberforderung zu scheitern, und der entmachtete Gott lässt sich intellektuell kaum noch sinnvoll denken, so dass es nicht wirklich verwundern kann, wenn diesem längst weithin eine ausdrückliche Absage erteilt wird, so dass die „transzendentale Obdachlosigkeit“ (Georg Lukács) weithin zu Normalität geworden ist. Theologisch ist es geboten, aus dem Schatten der offenbar gewordenen Dialektik des großen neuzeitlichen Freiheitsexperiments zu treten, um den homo incurvatus in seipsum, den in sich selbst verstrickten Menschen, von den selbst um sich gelegten Fesseln zu befreien, in denen ihm schließlich allein die bereits zweifelhaft gewordene Hoffnung auf sich selbst geblieben ist. – Hier wird eine die Theologie tatsächlich von Anfang an begleitende grundsätzliche Herausforderung in Erinnerung gerufen – die Formel vom homo incurvatus geht bereits auf Augustin zurück –, die wohlgemerkt nicht die Freiheitssehnsucht des Menschen problematisiert, wohl aber die mit ihr einhergehende aggressive Privatisierungsneigung attackiert. Der christliche Glaube bekennt nicht nur, dass der Mensch ein Gegenüber hat, was ja sehr Unterschiedliches bedeuten könnte, sondern er bekennt sich zu einem Gott, der ihn aus seiner Einsamkeit befreit und mit ihm sein will, so dass die menschliche Existenz einen über sie selbst hinausgehenden Lebenshorizont bekommt. Die von Gott eröffnete Beziehung verhilft dem Menschen zu einem gehaltenen Leben, das in dem Gegenüber zu einer eigenen Bestimmung ermutigt wird. Der Mensch wird aus der Einsamkeit der permanenten Selbstevaluation befreit und in eine Beziehung verwickelt, die seiner Existenz eine Bedeutung verleiht, die er sich selbst zu geben niemals in der Lage wäre. Dazu ist nicht mehr – aber auch nicht weniger –

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

erforderlich als die Bereitschaft, sich etwas schenken lassen zu können, welche die Anerkennung dafür mitbringt, dass er nicht das Zentrum der Wirklichkeit darstellt. Der Glaube ist die Signatur für eine bestimmte Empfänglichkeit, aus der heraus sich das ganze Leben gestaltet. Der Gott der jüdisch-christlichen Tradition hat im biblischen Zeugnis den schönen Namen Immanuel: Gott mit uns. Der Mensch lebt in Koexistenz mit Gott. „Ich will euer Gott sein, und ihr sollt mein Volk sein.“ (Jer 31,33)22 Der Mensch ist dazu befreit, sich an seinen Befreier zu halten und allen anderen Verheißungen mit nüchterner Skepsis zu begegnen. Und Gott ist der Gott, „der Bund und Treue hält ewiglich und nicht preisgibt die Werke seiner Hände“ (vgl. Ps 146,6; Ps 138,8b). Es ist dieses Gegenüber, diese Beziehung Gottes zu ihm, die den Menschen auszeichnet. In sie ist er hineingestellt und in ihr kann er sein, wozu er erschaffen ist. Es ist der Bund, der den Raum der Wirklichkeit bezeichnet, in dem der Mensch immer schon ist, wer er ist. Es ist dieser Bund, in dem Gott in Beziehung zu seinem Geschöpf bleibt und damit eben auch die Beziehungen der Menschen untereinander über die zweckorientierten Kalkulationen erhebt, die sich am gegenseitigen Nutzen orientieren, weil auch den Mitmenschen ausnahmslos die Zuwendung Gottes gilt. Die Bestimmung folgt nicht der Selbstkonstitution, sondern geht dieser immer schon voraus und gilt bedingungslos. Wir erkennen uns zunächst einmal gleichsam von uns selbst befreit und damit in eine Freiheit versetzt, die uns mit keinem anderen Anspruch konfrontiert als uns eben als solche anzuerkennen, denen die befreiende Zuwendung Gottes gilt. Das Bekenntnis, dass wir uns dem Schöpfer verdanken, schließt unsere Rechtfertigung mit ein. Die Freiheit ist keine Aufforderung zur Selbsterprobung, sondern die Eröffnung lebendiger Beziehung, sowohl zu Gott als auch zu den Mitmenschen. Wir haben unsere Freiheit nicht für uns und müssen sie deshalb auch nicht zur Wahrung der eigenen Möglichkeiten verteidigen, sondern sie ereignet sich im Horizont dieser beziehungsreichen Wirklichkeit, in der niemand seine Freiheit in einer Konkurrenz zur Freiheit der Anderen wahrnehmen muss, sondern sie in der gegebenen Bezogenheit auf die Anderen ausleben darf. Bei dieser Freiheit geht es nicht darum, etwas aus sich zu machen. Vielmehr hat sie die Aufrichtung und Anerkennung jedes Einzelnen von uns zur Voraussetzung. Sie hängt nicht am Selbstbeweis des Ich, sondern an dem von Gott bereiteten und verwirklichten Bund. Sie wird ermöglicht durch den Lebensraum dieses Bundes, dessen Stilllegung durch die Gottlosigkeit des Menschen in der Selbsthingabe Gottes in Jesus Christus ein für alle Mal gebannt ist. Es ist wesentlich für das Verständnis der Freiheit, dass ihre Realisierung nicht an uns hängt, eben auch nicht an unserer Entscheidung, sie als ein Angebot Gottes erst einmal ausdrücklich anzunehmen.

22 Es war vor allem Karl Barth, der sich gerne auf diesen Gottesnamen berief und mit ihm seine bundestheologische Grundierung der Theologie ausgewiesen hat; vgl. dazu Weinrich, Bund, 315.

Die Freiheit zur Beziehung

Nur in der konsequenten Abweisung unserer Beteiligung an dem Zustandekommen dieser Befreiung entkommt die von ihr verwirklichte Freiheit der paradoxalen Spannung, in der ihr Ereignis von der Erfüllung eines Imperativs abhängig gemacht und damit wieder in unsere Hände gegeben würde. Sie wird nur da angemessen ergriffen, wo sie keinen Zweck mehr erfüllen muss und keinem Beweis mehr zu dienen hat, weil ihre Wirklichkeit immer schon unserer Wahrnehmung vorausgeht, weil ihre gegebene Ermöglichung nur anzuerkennen ist. Wir müssen uns nur auf sie aufmerksam machen lassen, und wir werden auf sie aufmerksam, wo sich das Wort Gottes bei uns Gehör verschafft, weil es sich um das Wort des sich in seiner Freiheit den Menschen erwählenden Gottes handelt. Es ist diese in der Ewigkeit Gottes vollzogene und unser Verstehen übersteigende Erwählung, die Karl Barth die „Summe des Evangeliums“ genannt hat.23 Diese besondere Verankerung des Menschen im freien Willen Gottes macht den unvergleichlichen Charakter der Beziehung Gottes zum Menschen aus. Indem die Bestimmung des Menschen zum freien Partner Gottes zudem bereits seiner Schöpfung vorausgeht, erschließt sich in ihr die freie Entschiedenheit des Willens Gottes, eben der Gott dieses Menschen sein zu wollen. Deshalb liegt die Besonderheit dieser sich im Glauben erschließenden Freiheit in ihrer vollkommenen Bedingungslosigkeit, in der sie dem Menschen gilt. Und zugleich zeigt sich darin auch ihr besonderer Segen, der für die theologische Thematisierung der Freiheit fundamental bleibt, denn nur eine geschenkte Freiheit befreit von den Zwängen der Selbstbefreiung. Sie entfaltet sich allein da, wo sie nicht Bedingung, sondern Voraussetzung ist. Sie erschließt die Selbsterkenntnis des Menschen und platziert ihn in die Wirklichkeit des Bundes, in dem ihm die Zuwendung Gottes und die Gemeinschaft seines Volkes gilt. Seine Freiheit wird nicht von der Freiheit der anderen bedrängt, sondern bestätigt und erfüllt. Seine Freiheit endet nicht angesichts der Anderen, sondern sie wird von ihnen herausgefordert und mit Leben erfüllt. Es sind die Beziehungen zu Gott und den Anderen, welche die Freiheit zum Leben erwecken und ihr einen Ereignishorizont geben, einen lebendigen Resonanzboden. Der und die Andere sind nicht zu fürchten. Sie geben vielmehr dem Leben seine Bedeutung – eine Ausrichtung, die weder einfach ins Leere geht noch immer wieder nur bei sich selbst selber endet. Auch bei dieser Freiheit geht es um ein Können, eine wahrzunehmende Ermöglichung, eben das Können und die Ermöglichung, in Beziehung zu leben und antworten zu können. Es ist das Privileg des Menschen, auf die Anrede Gottes antworten und Gott auch von sich aus anrufen zu können. Es geht um die Freiheit, die offen ist für die Anrede, eine Freiheit, die aus der Wahrnehmung des Anderen und somit der gottgegebenen Wirklichkeit und eben nicht nur in der auf sich

23 Vgl. dazu Barth, KD II/2, § 32.

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

selbst beschränkten dirigistischen Abstraktion lebt. Leben hat immer auch mit Empfangen zu tun, weshalb es auf Offenheit angewiesen bleibt. Nicht der überraschungsimmune Monolog, in dem wir die Varianten unseres Selbstverhältnisses durchbuchstabieren, sondern lebendiger und zum Leben animierender Dialog. Nicht die Gebundenheit an die eigenen Interessen und die penible Verteidigung des eigenen Freiheitsraumes, sondern die Offenheit, die Empfänglichkeit für den und die Andere geben der Freiheit ihre Lebensfülle. Freiheit zeigt und ereignet sich in unseren konkreten Begegnungen immer wieder in ungeahnter und unplanbarer Weise. Sie eröffnet uns ein Leben, in dem die Aktionen, auf die es ankommt, Interaktionen sind. Es sind nicht die vielen zur Auswahl stehenden Dinge und die von ihnen verheißenen Möglichkeiten, sondern es ist das aufeinander bezogene Leben, von dem unsere Freiheit erweckt wird. Sie ereignet sich in der Zugewandtheit auf das Du, und das bedeutet: Freiheit verbindet. Beide Schöpfungserzählungen unterstreichen, dass der Mensch ein Beziehungswesen ist. Wir haben schon darauf hingewiesen, dass in der ersten Schöpfungserzählung Gott den Menschen schafft, indem er Mann und Frau schafft (Gen 1,27); sie sind der Mensch und eben nicht schon einer von beiden – es könnte sich bestenfalls um die Hälfte handeln, von der die andere bekanntlich die bessere ist. Der Mensch ist immer mehr als einer, und so heißt eben Menschsein: Zusammensein, Antworten, Für-einander-da-sein. Und in der zweiten Schöpfungserzählung kommt – wie ebenfalls bereits erwähnt wurde – die Schaffung Adams erst da an ihr Ziel als ihm schließlich auch Eva als gleichwertiger Partner zur Seite steht. Erst die überwundene Einsamkeit lässt ihn Hoffnung für sein Leben fassen. Der Einzelne bleibt eine Abstraktion. Durch das Gegenüber werden wir zu Menschen und durch die Interaktion zu lebendigen Menschen. Der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber unterstreicht zu Recht, dass der Mensch am Du zum Ich wird. „[E]inander reichen die Menschen das Himmelsbrot des Selbstseins.“24 Wie sollte es da eine Freiheit geben können, von der dieses Du nicht auch umfasst wird. Es sind der und die Andere(n), die uns zur Selbstbestimmung verhelfen. Sie fordern unsere Freiheit heraus, geben ihr einen Ereignishorizont und geben so dem Leben eine ihm entsprechende Erfüllung.

5.5

Die Freiheit der Kirche

Was für den Einzelnen gilt, gilt auch für die Kirche. Indem aber die Gemeinschaft dem Einzelnen grundsätzlich vorausgeht, bleibt schließlich die Kirche als der immer auch über sich hinausweisende genuine Lebenshorizont der im Glauben realisierten

24 Martin Buber, Urdistanz und Beziehung, 423.

Die Freiheit der Kirche

Freiheit eigens hervorzuheben. Sie ist ihrem Wesen nach eine ‚Kirche der Freiheit‘, oder sie nicht Kirche. Dabei importiert sie nicht irgendein vorfindliches Freiheitsverständnis, sondern bezeugt der sie umgebenden Welt ein eigenes Genus der Freiheit, wie wir es oben bedacht haben. Es ist die von der Kirche zu bezeugende Auskunft über den Menschen, dass er sich als der erwählte Bundesgenosse Gottes verstehen darf, die ihm ein Selbstverständnis erschließt, in dem er sich in die Gemeinschaft mit Gott und mit seinen Mitmenschen gestellt weiß. Wird jenseits dieser Beziehung der Mensch als Einzelner betrachtet, der er freilich immer auch ist und als welcher er auch wahrgenommen zu werden beanspruchen kann, so müssen diese Beziehungen im Blick bleiben, damit er weder in die Überforderung der individuellen Selbstkonstitution gedrängt wird noch der ebenso drohenden Unterforderung überlassen wird, schon die rein technische Lebensbewältigung als das Leben zu betrachten. Die Gefahr der Überforderung könnte sich im Blick auf den ihm abverlangten Glauben an sich selbst ergeben, und die der Unterforderung darin, bereits in dem äußeren Umstand des materiellen Versorgtseins das Leben erkennen zu sollen.25 Der Mensch soll nur schlicht der sein, der er immer bereits ist: Gottes Bundespartner; nicht allein, sondern in Beziehung zu den Anderen, die auch Bundespartner Gottes und untereinander zu einer lebendigen Gemeinschaft berufen sind. In der die Kirche ausmachenden Gemeinschaft sind die Menschen versammelt, die sich nicht um die ihnen geltende Gnade Gottes Sorgen machen, sondern die darin zusammenstehen, nicht aus der ihnen von Gott eröffneten Gemeinschaft herauszufallen. Wenn also im Blick auf die Kirche von der Freiheit die Rede ist, geht es nicht um ihre Beteiligung an irgendeinen Menschheitstraum einer vollkommen unbeeinträchtigten Selbstentfaltung des Menschen. Sie ist kein Zweckverband all der einsamen Sammler und Jäger, ebenso wenig der für zwischenzeitliche Entspannung sorgende Rastplatz für stets auf eigene Rechnung und eigenen Nutzen handelnde Ich-AGs oder der abenteuerlichen einsamen Goldschürfer auf der Suche nach einer besonderen Glücksmine, aber auch nicht der unverbindliche sympathische bürgerliche Wohlfühlraum zur Absegnung möglichst vieler Formen religiöser Selbststabilisierung, sondern sie ist die Gemeinschaft, in der die Freiheit um Gottes und des Menschen willen alle den Menschen knechtende Dienstverhältnisse in Frage stellt oder aufkündigt, die der Gemeinschaft mit Gott und der Gemeinschaft untereinander im Wege stehen. Es sind nicht die Sympathien oder gemeinsamen Interessen, welche die Menschen wie in einem Club zusammenführen, sondern

25 Dorothee Sölle hat diese Gefährdung treffend als den „Tod am Brot allein“ beschrieben; Vgl. Die Hinreise, 7–23. Es könnte sich dabei beispielsweise um eine keineswegs unrealistische Form einer Wohlstandsverwahrlosung handeln.

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Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche

es ist Gott, der sie zusammenbringt und zwar ausdrücklich auch über die von uns gezogenen Sympathiegrenzen hinaus.26 Es kommt eben entscheidend darauf an, als wen sich der Mensch selbst erkennt. Nicht als Wölfe zum Lebenskampf um uns selbst sind wir geschaffen, und so sollten wir uns auch nicht durch andere dazu machen lassen oder gar selber auf die Idee verfallen, solche sein zu wollen. Wir sind für einander und zum Lobe Gottes und somit zur Freiheit des lebendigen Miteinanders geschaffen. Das ist, was wir sind und zugleich immer wieder verleugnen. Im Unterschied zum Konkurrenzindividualismus hat diese Freiheit das Zeugnis der Bibel auf ihrer Seite und auch Luthers ebenso berühmte wie unbekannte Freiheitsschrift „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, die sowohl die souveräne freie Gottespartnerschaft des Menschen preist, in der er sich aus den Knechtschaften dieser Welt befreit wissen darf, als auch seine ihn herausfordernde Verbundenheit mit den Zeitgenossen, in der er sich für die Anderen verlieren kann und darin seine Freiheit als lebendig erfährt. Wären wir, was wir sind, und wäre die Kirche, was sie ist, dann wäre auch die Freiheit der Kinder Gottes mit Händen greifbar, ja sie würde dem biblischen Zeugnis bestätigen, dass der Glaube Berge versetzen kann. Die Tatsache, dass so wenige Berge versetzt werden, müsste uns eigentlich erschreckend vor Augen führen, wie wenig wir die uns von Gott eröffnete Freiheit tatsächlich wahrnehmen und mit eigenem Leben erfüllen. – Gott helfe uns.

26 Vgl. dazu Dietrich Bonhoeffer, Gemeinsames Leben, 18, 32–34. Bonhoeffer geht so weit, dass er in diesem Zusammenhang ausdrücklich die Feindesliebe als die zu stellende Kontrollfrage ins Spiel bringt; vgl. ebd., 30.

Teil II Die klassischen Attribute der Kirche

In wohl allen Landeskirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland ist es ebenso wie in vielen anderen Kirchen der Ökumene guter Brauch, an hohen kirchlichen Feiertagen in den Gottesdiensten anstelle des Apostolischen Glaubensbekenntnisses das „Glaubensbekenntnis von Nizäa-Konstantinopel“ aus dem Jahr 381 als „das im weitesten Sinn ökumenische Glaubensbekenntnis“ zu sprechen (EG 854). Damit soll unterstrichen werden, dass sich weltweit die Kirchen in besonderer Weise im Feiern dieser ihnen gemeinsamen Höhepunkte des liturgischen Jahres und somit in den für sie zentralen Begründungen ihrer Existenz auch angesichts der tatsächlich zu beklagenden Spannungen und Spaltungen in einer Kirche miteinander verbunden wissen. Im sogenannten dritten Artikel dieses Bekenntnisses, dem Bekenntnis zum Heiligen Geist als der dritten Erscheinungsweise des einen trinitarischen Gottes, kommt auch die von ihm begründete und durch und in ihn lebendige Kirche zur Sprache. Diese Kirche wird von vier prägenden Eigenschaften charakterisiert, in denen sie sich in besonderer Weise vom Heiligen Geist getragen und erhalten weiß. Recht verstanden geht es bei der theologischen Antwort auf die Frage nach der Kirche eben um „die eine, heilige, katholische (christliche) und apostolische Kirche.“ Die vier von dem Bekenntnis benannten klassischen Attribute verbinden die Existenz der Kirche genuin mit dem lebendigen Wirken des Heiligen Geistes. Sie versteht sich gehalten und getragen von der Begleitung und Erhaltung durch Gottes eigene lebendige Gegenwart als die Gegenwart des auferstandenen Christus, welche die Kirche in dem Wirken des Heiligen Geistes erreicht. Sie wird darin recht als Kirche verstanden, dass sie in besonderer Weise um ihre Einheit, ihre Heiligkeit, ihre Katholizität und ihre Apostolizität weiß. Diese Attribute wären allerdings grundsätzlich missverstanden und verlören unversehens die mit ihnen verbundene Prägnanz, wenn eine Kirche versuchen wollte, die Reichweite der mit ihnen signalisierten Bestimmungen ihrer partikularkirchlichen Verfügungen zu unterwerfen. Sie müssen konsequent ökumenisch gedacht werden oder führen unweigerlich zu einer eigenwilligen Selbstverkapselung der Kirche. Damit bleibt festzuhalten, dass jede Ekklesiologie – auch wenn sie nicht ausdrücklich in einer ökumenischen Perspektive bedacht wird – essenziell mit einer über ihre historischen Grenzen hinausreichenden Ausrichtung einherzugehen hat. Dabei sind es insbesondere diese vier Attribute der Kirche, die das in jeder Kirche liegende ökumenische Potenzial, ja ihre wesentliche Ökumenizität ausmachen.

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Teil II Die klassischen Attribute der Kirche

Es lässt sich allerdings beobachten, dass sich die ökumenische Weite einer Kirche eher dann zeigt, wenn sie gerade nicht ausdrücklich ökumenisch unterwegs ist und sich um eine tragfähige Gemeinschaft mit den anderen Konfessionen bemüht. Wenn es hingegen tatsächlich um ökumenische Übereinkünfte geht, wird von diesen vier Attributen meist kein bevorzugter Gebrauch gemacht und stattdessen kommen häufig konfessionelle Beharrungskräfte zum Vorschein, deren Bedeutung im sonstigen Alltag der Kirche kaum noch eine vitale Beachtung Rolle spielen. Ich bezeichne es als ein ökumenisches Paradox, dass die ökumenische Perspektive dieser Attribute des Glaubensbekenntnisses ausgerechnet da am wenigsten Wirkung zeitigt, wo sich die Kirchen um eine gemeinschaftliche Bezeugung ihrer Verbundenheit bemühen, während sie in den einzelnen Kirchen durchaus ihre theologische Relevanz behalten haben. Es hat bisweilen den Anschein, als sei die Kirche ausgerechnet dann am wenigsten ökumenisch ausgerichtet, wenn die Ökumene tatsächlich auf der Tagesordnung steht. Diesen flagranten Widerspruch gilt es immer wieder kritisch in die Aufmerksamkeit zu rücken. Deshalb kommt der Vergegenwärtigung der theologischen Reichweite dieser vier klassischen Attribute immer wieder die Aufgabe zu, auch ihre fundamentale Bedeutung für die real existierende Ökumene und ihre Aktivitäten zu unterstreichen.

6.

Einheit bekennen

Zum ökumenischen Profil reformierter Ekklesiologie1 Ein keineswegs einfach abzustellendes Dilemma unserer ökumenischen Bemühungen liegt darin, dass sie es nicht nur mit unterschiedlichen theologischen Lehr-, Denk- und Lebenstraditionen zu tun haben, sondern dass eben auch die Hoffnungen, die auf die Ökumene gesetzt werden, und die Vorstellungen von ihren Realisierungen so eng mit diesen Traditionen zusammengehören, dass wir es in der Ökumene mit beinahe genauso vielen unterschiedlichen ökumenischen Visionen wie beteiligten kirchlichen Traditionen zu tun haben. Das ist deshalb nicht tatsächlich verwunderlich, weil die Ökumene traditionell eine Frage der Ekklesiologie ist und insofern genuin mit dem jeweiligen Selbstverständnis als Kirche zusammenhängt. Indem es vorzüglich die verschiedenen Ekklesiologien sind, durch welche die Kirchen voneinander getrennt sind, liegt es nahe, dass sich auch in dem der Ekklesiologie entspringenden Verständnis der Ökumene ganz ähnliche Differenzen wiederfinden, wie in den unterschiedlichen Selbstbeschreibungen. Wenn im Folgenden versucht werden soll, die ökumenische Vision in einer reformierten Perspektive zu skizzieren, dann kommt eben auch ihr genuiner Zusammenhang mit der reformierten Ekklesiologie besonders in den Blick.

6.1

Bekennende Kirche

Die Bestimmung und Verheißung der Kirche gehen stets über das hinaus, was auch in der vollkommensten Gestalt der geschichtlich verfassten Kirche in Erscheinung treten mag. Die Kirche lebt nicht aus sich selbst heraus und kann nur darin lebendige Kirche sein, dass sie versucht, durch ihr Leben und ihre Gestalt Antwort auf die immer wieder neu zu hörende Anrede Gottes zu geben. Die gern zitierte Formel „ecclesia reformata semper reformanda“ weist die Kirche gerade nicht auf sich selbst, sondern über sich hinaus auf das von ihr zu vernehmende Wort Gottes, auf welches sie zu antworten hat und demgegenüber sie verantwortlich ist. Weil die Kirche substanziell „creatura verbi divini“ ist, muss sie eben dies auch immer wieder werden.2

1 Erweiterte und überarbeitete Fassung meines Beitrags: Kirche bekennen. Ökumene in reformierter Perspektive, in: Ökumenische Rundschau 52 (2002), 145–156. Englisch version: Confessing Unity. A Reformed Perspective on Ecumenism, in: Reformed World 53 (2003), 170–180. 2 Vgl. dazu oben Kap. 2: Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift.

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Einheit bekennen

Die damit anerkannte prinzipielle Relativität der verfassten Kirche bringt einen spezifischen Umgang mit den von der Kirche formulierten Bekenntnissen mit sich. So wie es geschichtlich nicht die vollkommen ihrer Bestimmung entsprechende Kirche geben kann, so kann es auch nicht die vollkommen der Anrede Gottes entsprechende Antwort des Bekenntnisses geben. Deshalb ist in der reformierten Tradition die Bekenntnisbildung nicht nur nicht abgeschlossen, sondern sie gilt auch als unabschließbar. Das ist keine Missachtung der alten Bekenntnisse der Kirche. Diese genießen vielmehr deshalb hohe Wertschätzung, weil sie als theologisch begründete und geschichtlich bewährte Orientierungen und Anleitungen zum eigenen Bekennen dienen. Als solche bleiben sie aber dem eigenen aktuellen Bekennen, das sie der Kirche für die Gegenwart nicht einfach abnehmen können, nachgeordnet. Bekennen vollzieht sich nach diesem Verständnis nicht durch Übernahme der Tradition, sondern in erster Linie im jeweils gegenwärtigen Antworten auf das gehörte Wort Gottes im Horizont der spezifischen Herausforderungen, denen sich die Kirche in ihrer jeweiligen Gegenwart ausgesetzt weiß. Indem das Bekenntnis der Kirche nicht nur nach innen, sondern vor allem auch nach außen gerichtet ist, kommt es entscheidend auf seine Deutlichkeit an. Es geht um eine öffentliche Positionierung der Kirche, mit der sie deutlich zu machen versucht, wofür sie steht. Hätte die Kirche im Nationalsozialismus anstelle des Barmer Bekenntnisses (1934) zur Besinnung nur an das Apostolische Glaubensbekenntnis erinnert, so wäre es wohl kaum gelungen, verstehbar auf die spezifische Brisanz der wahrgenommenen Gefährdung in ihrer aktuellen konkreten Situation aufmerksam zu machen. Gleiches gilt beispielsweise auch für das Bekenntnis von Belhar im Zusammenhang mit dem Rassismus in Südafrika (1982).3 Die Existenz als bekennende Kirche rangiert über ihrem Selbstbewusstsein als Bekenntniskirche, d. h. ihr konfessorisches Ereignis – ihre bekennende Lebendigkeit – steht über der konfessionellen Identität. Damit kommt eine konsequenzenreiche Grundentscheidung reformierter Ekklesiologie in den Blick. Die Kirche kennt weder eine hierarchische Zentrierung noch bezieht sie sich auf einen fest umrissenen Lehrbestand. Die Gemeinde ist nicht die Kleinstzelle einer ihr übergeordneten Kirche, sondern versteht sich als die Keimzelle einer aus ihr erwachsenden Kirche. Dieses kongregationalistische Ferment gibt der Ekklesiologie die Beweglichkeit, auf die höchst verschiedenen Lebensbedingungen mit ihren unterschiedlichen Herausforderungen in der jeweils gebotenen Freiheit eingehen zu können. Die prinzipielle Offenheit in der Bekenntnisbildung steht für eine gewollte Flexibilität der Kirchen zu je spezifischer Kontextualität. Sie trägt dem Faktum Rechnung, dass Bekenntnisse, wenn sie sich nicht in abstrakte Allgemeingültigkeit verflüchtigen wollen, stets nur „in einem

3 Vgl. Reformierte Bekenntnisschriften.

Tradierende Kirche

relativ überschaubaren Raum […] von einer konkret verantwortlichen Schar“4 ausgesprochen werden können. Von hier aus begründet sich der Umstand, dass es kein reformiertes Weltbekenntnis gibt.5 Vielmehr wird der Vielfalt ein genuines Recht eingeräumt, das an die gemeinsame Orientierungsbasis des seinerseits vielfältigen biblischen Zeugnisses zurückgebunden ist, die ausreichend ist, um das gerade von den Reformierten sehr hoch geschätzte Prädikat der Katholizität zu sichern. In diesem Horizont wird Ökumene nicht unter Homogenitätsaspekten, sondern in der Perspektive einer biblisch fundierten Katholizität konzipiert.6

6.2

Tradierende Kirche

Diese Hervorhebung des Bekennens gegenüber dem Bekenntnis wird von verschiedenen Akzentsetzungen bestätigt, die für das reformierte Selbstverständnis charakteristisch sind, so dass sie sich in allen Formen des Umgangs mit der Tradition der Kirche widerspiegelt.7 Dabei steht wohlgemerkt nicht die theoretische Alternative zur Debatte, ob der Tradition eine Bedeutung zugemessen werden soll oder nicht. Alle Kirchen bleiben immer auch auf ihre Tradition verwiesen, ohne die sie keine gemeinsame Kommunikationsbasis hätten, auf der sie über die ihr gegenwärtig abverlangten Entscheidungen sinnvoll nachdenken könnten. Darüber hinaus ist allerdings ein höchst unterschiedlicher Umgang mit der Tradition vorstellbar. Die reformierten Kirchen verstehen die Tradition weniger als einen zu wahrenden Schatz oder einen zu sichernden Bestand als vielmehr als eine Ermutigung und Ermächtigung. Ihr gilt nicht um ihrer selbst willen oder wegen ihres inspirierten Charakters der Respekt der Kirche, sondern weil sie das unverzichtbare und als solches inspirierende Werkzeug auch für das gegenwärtig zu bestehende Leben der Kirche bereitstellt. Dabei wird sie weniger im Blick zurück als vielmehr im Blick nach vorn wahrgenommen. Der Umgang mit der Tradition ist nicht davon geprägt, diese zu bewahren, sondern der Ton liegt darauf, sie zu bewähren. Sie ist nicht der Hort einer stabilen Identität, sondern die Herausforderung zu immer wieder neuer Identifikation. Und so kann es nicht im Vordergrund stehen, die Tradition zu hüten und zu pflegen. Ihre kriteriologische Funktion rangiert unterhalb ihrer instrumentellen, d. h. ihr kommt nicht in erster Linie Bedeutung als eine mehr

4 5 6 7

Eberhard Busch, Die Nähe der Fernen, 590. Vgl. dazu unten Kap. 10: Confessio and Traditio. Vgl. dazu unten Kap. 12: Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, daran zu erinnern, dass nach protestantischem Verständnis die Heilige Schrift nicht zur Tradition der Kirche gehört, sondern der Kirche als ihre fundamentale Orientierungsquelle und ihr kritischer Maßstab prinzipiell übergeordnet ist.

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204

Einheit bekennen

oder weniger empfindliche Kontrollinstanz für die gegenwärtig zu verantwortende Lehre zu, sondern sie ist der Kirche behilflich, indem sie ihr Instrumentarien an die Hand gibt, mit denen sie ihren gegenwärtig wahrzunehmenden Auftrag als Fortschreibung eines nicht erst heute mit ihr beginnenden Weges besonnen und gelassen in Angriff nehmen kann. In Entsprechung zu der oben im Blick auf das Bekenntnis getroffenen Sprachregelung ließe sich formulieren, dass es der reformierten Kirche nicht um die Tradition, sondern um das Tradieren geht. Sie versteht sich nicht als Traditionskirche, aber sie sieht sich dazu herausgefordert, auf die je von ihr selbst zu verantwortende Weise bekennende Kirche zu sein und dadurch die Tradition weiterzuschreiben. Sie versteht sich selbst als ein Teil einer lebendigen Tradition, die dazu in der Lage ist, auf sich verändernde Anfragen und Herausforderungen zu reagieren. Dabei geht sie weder von der Vorstellung aus, dass die Entscheidungen der Vergangenheit theologisch grundsätzlich zuverlässig seien, noch von der umgekehrt hochmütigen Ansicht, dass sie nun alles besser machen werde. Sie rechnet ebenso mit Unzulänglichkeiten und auch Irrtümern in der Tradition wie mit ihrer eigenen Unvollkommenheit. Sie fühlt sich nun nicht dazu berufen, diese Unzulänglichkeiten im Einzelnen auszuforschen, sondern sie blickt in die andere Richtung und fragt nach der gegenwärtigen Tragfähigkeit, die nicht einfach automatisch vorausgesetzt werden kann, sondern für die sie immer auch eine eigene Mitverantwortung trägt. Die Tradition ist keine sichere Rückzugsbasis, auf der man im Zweifel allen zu erwartenden Stürmen gelassen entgegenblicken kann. Vielmehr kann sie für die Kirche immer nur der durchaus mit manchen Fragezeichen versehene Ausgangspunkt für das ihr je neu abverlangte Wagnis sein, unter den sich verändernden Bedingungen neu und vernehmbar ihr eigenes Wort zu sagen. Um das Problem ein wenig anschaulicher zu machen, komme ich noch einmal auf den Umgang mit dem Bekenntnis zurück. Wenn vom Glaubensbekenntnis die Rede ist, denken wir zunächst an die geschätzten ehrwürdigen Formulierungen der Alten Kirche. Es lässt sich kaum vermeiden, dass die Erwähnung der Bekenntnisse den Blick auf eine als verlässlich eingeschätzte Vergangenheit lenkt. Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass sich konservative Christen gern als (die wahren) Hüter der Bekenntnisse präsentieren. Doch diese retrospektive Inanspruchnahme der Bekenntnisse wird weder dem Wesen der historischen Bekenntnisse gerecht noch der konfessorischen Dimension des Wesens der Kirche. Vielmehr ging es auch bei der Formulierung der altkirchlichen Bekenntnisse zunächst einmal darum, dass sich die Kirche zu einer bestimmten zeitgenössischen Herausforderung zu verhalten hatte. Wenn die Kirche Bekenntnisse formuliert hat, ging es – um die bereits benannte Unterscheidung noch einmal aufzunehmen – niemals allein um die Bewahrung der Tradition, sondern immer vor allem um ihre Bewährung in einem konkreten Konflikt, in dem von der Kirche eine Entscheidung zu fällen war (und auf diesem Wege dann auch um ihre Bewahrung). Das, was etwa im Blick auf

Lehrende Kirche

die Barmer Theologische Erklärung – das Barmer Bekenntnis – offenkundig ist, dass hier die Kirche auf eine konkrete geschichtliche Herausforderung reagiert, gilt in je spezifischer Weise für beinahe alle Bekenntnisse der Kirchengeschichte. Ihre Perspektive war stets die der Bewährung, d. h. der richtungweisenden Parteinahme, die eben nicht einfach durch die Rezitation der Tradition angemessen vollzogen werden konnte, sondern eines eigenen Aktes des Bekennens bedurfte, in dem die Kirche die ihr gegenwärtig auferlegte Verantwortung öffentlich zu formulieren versuchte. Erst im Rückblick werden Bekenntnisse zu Tradition. Da, wo sie formuliert werden, gilt ihre Sorge der Wahrnehmung der gegenwärtigen Verantwortung im Blick auf die Zukunft. Wir würden auch die Bekenntnisse der Vergangenheit sehr viel besser verstehen, wenn uns jeweils gegenwärtig wäre, auf welche konkrete Herausforderung sie reagiert haben, welchen Konflikt sie zu lösen versuchten bzw. welche konkrete Gefährdung oder Versuchung sie abzuweisen versucht haben, um zu ahnen, welches Drama auch hinter den Bekenntnissen steht, die wir heute weithin auf die liturgische Rezitation reduziert haben. Heute ist die gottesdienstliche Rezitation des Bekenntnisses weithin zu einer problematischen liturgischen Verbeugung der Kirche vor ihrer Tradition geworden. Selbst wenn es nicht beabsichtigt sein mag, gilt offenkundig die Vergangenheit der Kirche als verlässlicher als etwa die Lesung aus dem Alten Testament oder den Briefen des Neuen Testaments. In der mir geläufigen Gottesdienstpraxis bleibt die Gemeinde bei diesen Lesungen sitzen, während sie sich zum Glaubensbekenntnis genauso wie zum Hören des Evangeliums (d. h. eines Textes aus den Evangelien) erhebt – beides nicht unmittelbar plausibel. Die kirchliche Sozialisation sorgt immer noch dafür, dass wohl beinahe jedes Gemeindeglied das Glaubensbekenntnis auswendig kann, aber das besagt – wie die Erfahrung in zahllosen Gesprächen zeigt – nichts darüber, inwieweit es auch inwendig verstanden wird.8 Nach reformiertem Verständnis zeigt sich da ein Problem, das unmittelbar an die lebendige Substanz der Kirche geht. Wenn dem Tradieren etwas vorwärts Drängendes fehlt, gerät es unversehens in die Gefahr, musealen Charakter anzunehmen, der zwar in Ehren gehalten werden mag, von dem aber für das Leben der Kirche nichts Substanzielles mehr ausgeht.

6.3

Lehrende Kirche

Eng verknüpft mit den Fragen um das Bekenntnis und die Tradition ist das im Horizont der Ökumene ebenso umstrittene Problem der Lehrautorität bzw. – weniger

8 Gern verweise ich darauf, dass „auswendig lernen“ im Englischen mit „learning by heart“ übersetzt wird.

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Einheit bekennen

institutionell ausgedrückt – der Verbindlichkeit. Im Verständnis des Begriffs der Verbindlichkeit entscheidet sich die Bedeutung, die von der Kirche auf ihre Lehre gelegt wird. Ebenso entscheidet sich am Zuschnitt des Verständnisses der Verbindlichkeit bereits die Gestalt, in der eine Kirche ihre Lehre präsentiert. Bekanntlich ist unter den Kirchen umstritten, ob sich ihre Lehre in Dogmen manifestiert und welche Autorität diesen Dogmen zugemessen werden kann. Zwar wird durchaus auch konfessionsübergreifend von der theologischen Lehre als einer Dogmatik gesprochen, aber diese Redeweise verbirgt die fundamentalen Differenzen, die sich hinter dem gemeinsam benutzten Begriff verborgen halten. Dabei ist vor allem strittig, in welchem Maße es möglich und darum auch wünschenswert bzw. sogar verpflichtend ist, die Wahrheit des christlichen Glaubens wenigstens mit einer relativen Haltbarkeit und somit Verbindlichkeit in Lehrformulierungen fixieren zu können. Je höher das Maß an Verbindlichkeit, umso voraussetzungsvoller werden die Formulierungen. Die Verbindlichkeit entspringt jedoch nicht den jeweils gemachten Aussagen, sondern sie muss den jeweiligen Aussagen von einer dazu autorisierten Seite aus zugesprochen werden. Es ist die Kirche, die bestimmte Aussagen für verbindlich erklärt und damit festlegt, dass sie sich selbst an diesen Formulierungen messen lassen will und eben auch die anderen Kirchen an ihnen bemisst, wie es insbesondere in den orthodoxen Kirchen und in der römisch-katholischen Kirche der Fall ist. Dabei liegt ein Verständnis von Kirche zugrunde, nach dem die Kirche zu solchen Festlegungen ermächtigt ist. Ihre Kraft entwickelt die einmal festgestellte Verbindlichkeit schließlich darin, dass sie nicht einfach wieder aufgehoben werden kann. Würde jederzeit diese Entscheidung wieder zur Disposition gestellt werden können, so wäre die Verbindlichkeit von vornherein mit einem Vorbehalt versehen und damit nur als fakultativ verstanden. Damit wäre die Fähigkeit der Kirche zur Formulierung verbindlicher Lehrwahrheiten infrage gestellt. Es liegt dagegen ganz und gar in der Konsequenz eines einmal durch Lehrentscheidungen betretenen Weges der Verbindlichkeit, dass er seinem Wesen nach nur ergänzt, komplettiert und weiter differenziert, aber niemals ohne Weiteres revidiert oder gar ganz neu ausgerichtet werden kann.9 Die notwendige Beweglichkeit wird auf diesem Weg allein durch eine am Wortlaut festhaltende Kombinations- und Interpretationsartistik der Theologie – um nicht von einer Anwendungssophistik zu sprechen – erhalten, die den Lehrbestand auf die jeweils konkrete Situation zu beziehen hat. Ein gewisses Maß an Kasuistik lässt sich dabei nicht vermeiden; das liegt in der Konsequenz dieses vom Rechtsdenken geprägten Wahrheitsverständnisses. Hier zeigt sich, dass

9 Vgl. dazu Michael Beintker, Das Problem der Revidierbarkeit kirchlicher Lehraussagen in ökumenischen Dialogen.

Lehrende Kirche

es nicht nur um ein methodologisches Problem geht, wenn im ökumenischen Gespräch der Kirchen immer das jeweils strengste Verständnis von Verbindlichkeit das Bemühen dominiert, während bescheidenere Vorstellungen hinsichtlich der verbindlichen Lehrfähigkeit der Kirche hier grundsätzlich zurückstehen müssen, was zu einer Asymmetrie führt, wie sie in zahlreichen ökumenischen Dialogen anzutreffen ist, die als solche in der Ökumene inzwischen aber wahrgenommen wird, was sich teilweise auch in den Resultaten ihrer Bemühungen widerspiegelt. Wenn beispielsweise die römisch-katholische Kirche durch ihre Unterschrift die Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre für sich in den Rang verbindlicher Lehre erhebt (was auch dann ein beachtliches Ereignis bleibt, wenn diese Erklärung inhaltlich zurückhaltend beurteilt wird), dann bezieht sich das streng auf den mühsam ausgehandelten Wortlaut. Es stand in dem Dialog niemals ernsthaft zur Debatte, dass die Verwerfungen des 16. Jahrhunderts revidiert werden könnten, sondern es wurde nur erörtert, ob sich im Blick auf die Rechtfertigungslehre Gemeinsames sagen lässt, was sich jenseits der gültig bleibenden Verwerfungen formulieren lässt. Wenn sich der Lutherische Weltbund dabei tatsächlich dem Verbindlichkeitsverständnis der römisch-katholischen Kirche anpassen wollte, müsste er sich faktisch dazu bereitfinden, zumindest implizit die Verwerfungen des 16. Jahrhunderts anzuerkennen. Indem dies niemand von ihm verlangt hat, wird von vornherein anerkannt, dass für die lutherische Seite ein anderes Verständnis von Verbindlichkeit orientierend ist als für die römisch-katholische Seite. Welches Verständnis von Verbindlichkeit für die lutherische Seite orientierend ist, ist allerdings schwerlich zu sagen, denn immerhin stimmt sie ja grundsätzlich dem Weg verbindlicher Lehrformulierungen zu, auch wenn es sich in diesem Fall um einen sogenannten differenzierten Konsens handelt. In reformierter Perspektive wird hier ein grundsätzliches Problem aufgeworfen. Es gibt oberhalb des Evidenzkriteriums keine anerkannte Möglichkeit zusätzlicher Sicherung von Verbindlichkeit, d. h. eine zur Debatte stehende Lehrfrage kann grundsätzlich nicht durch einen Rückgriff auf einen fixierten Lehrbestand gelöst werden, sondern sie bedarf je neu der sachlichen Erhellung. Auch kirchliche Lehrentscheidungen können sich im Konfliktfall nicht einfach auf irgendeinen Wortlaut berufen, sondern stehen unter der Verpflichtung, den inhaltlichen Gehalt des Konfliktes darzulegen und die sachliche Evidenz ihrer Option zur Diskussion zu stellen. Zweifellos muss dann irgendwann entschieden werden, und dabei kann eine Berufung auf die Tradition erst dann überzeugen, wenn die damit erinnerte Sache unter den veränderten Gegebenheiten bestätigt werden kann. In diesem Sinne wird auch im reformierten Bereich im Zuge der sachlichen Klärung einer Frage stets auch reichlich von der theologischen Tradition und den Bekenntnissen der Kirche Gebrauch gemacht, aber es gibt keinen die Zeiten überdauernden Anspruch für irgendwelche Formulierungen, einfach als Formulierungen in die Waagschale geworfen werden zu können, sondern von ihnen kann nur dann Gebrauch gemacht

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Einheit bekennen

werden, wenn sie sich in der andersartigen Situation sachlich erneut als evident erweisen.10 Das ist der Grund dafür, warum gerade in der reformierten Tradition häufig so sehr und auch durchaus kontrovers um die Lehre gerungen wird, was dann auch immer wieder dazu geführt hat, dass sich die Wege innerhalb einer Kirche getrennt haben. Insofern dabei gewiss auch immer menschlicher Eigenwille im Spiel ist, bleibt diese Situation zu beklagen. Auf der anderen Seite ist das schlichte Faktum einer vielfältigen kirchlichen Landschaft solange nicht grundsätzlich anzuprangern, wie die eingangs erwähnte Bescheidenheit hinsichtlich des eigenen Kircheseins ebenso im Blick bleibt wie das Bewusstsein um die unsere Kirchengrenzen überschreitende Katholizität des Leibes Christi, der sich als solcher auch nicht durch eine geeinte Weltkirche institutionalisieren ließe. Bezogen auf die Lehre ist die reformierte keine Lehrkirche, sondern eine lehrende Kirche, die als solche eine auch eine lernende Kirche bleiben muss. Die Lehre steht im Dienst der aktuellen Verkündigung und vollzieht sich nicht im Rahmen eines zu pflegenden und immer weiter auszubauenden Lehrgebäudes. Sie ist ebenso wie die Theologie eine ‚Funktion kirchlicher Praxis‘ (Karl Barth), die sich auf eine im permanenten Wandel begriffene Realität bezieht und sich eben deshalb ihrerseits in einem permanenten Wandel befindet. Es bleibt eine Selbsttäuschung, durch das Festhalten am Wortlaut einmal gefällter Lehrentscheidungen eine verlässliche Stabilität diesem Wandel entgegenstellen oder sich auch nur als Halt an die Seite stellen zu können. Es ist vielmehr umgekehrt: die Stabilität des Inhalts hängt an der Fähigkeit, ihn immer wieder neu zur Sprache bringen zu können – wer immer das Gleiche sagt, sagt im Laufe der Zeit immer etwas anderes. In diesem Sinne entspricht die Verbindlichkeit der Lehre in diesem Argumentationsgefälle der nach menschlichem Ermessen von der Kirche jeweils optimal wahrgenommenen Verantwortlichkeit hinsichtlich ihres besonderen Auftrags. Diese Verantwortlichkeit wird sich niemals ohne den Rückgriff auf bereits artikulierte Lehre angemessen wahrnehmen lassen, aber sie wird sich ebenso gewiss nicht einfach in der Wiederholung bereits ausformulierter Lehre erschöpfen dürfen.

10 Vgl. dazu Weinrich, Bekenntnis als dynamischer Prozess. 2017 ist dann nach zunächst ausdrücklicher Zurückhaltung (siehe dazu: Reformed World 52 [2002], Heft 1) auch die Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen in Verbindung mit einem eigenen Statement der Gemeinsamen Erklärung zur Rechtfertigungslehre beigetreten. Bemerkenswerterweise hat inzwischen die römisch-katholische Kirche betont, dass es nicht dazu kommen dürfe, dass die nach der Erstunterzeichnung 1999 hinzugekommenen Kirchen (Methodisten, Anglikaner und Reformierte) den Ton auf ihre hinzugefügten Statements und weniger auf den Wortlaut der Erklärung selbst legen. Es zeigt sich, dass nach wie vor die überkommene Spannung keineswegs nur im Hintergrund schwelt.

Reformatorische Katholizität

6.4

Reformatorische Katholizität

In diesem Absatz wenden wir uns ausdrücklich Calvin zu. Die entscheidende Voraussetzung für Calvins gelassenes Verhältnis zum faktischen Plural der vielen regionalen Kirchen liegt in seinem Verständnis von Katholizität und damit des heiligen Singulars der Kirche. Um es in der hier gebotenen Kürze pointiert zu sagen steht für Calvin das „Bekenntnis der Frömmigkeit“ für die Katholizität der Kirche. Ihm stand dabei das apostolische Glaubensbekenntnis vor Augen. Überall, wo dies gesprochen wird, tritt die universale Kirche in Erscheinung, selbst wenn es nur von einem Einzelnen gesprochen werden mag.11 Hier geht es strickt um die menschlich nicht verfügbare Kirche, was ja nicht heißt, dass in ihr keine Menschen sind, wenn anders es unsinnig wäre, überhaupt von Kirche zu sprechen. Die Kirche kommt von der Anerkennung ihres göttlichen Grundes aus in den Blick. Diese Katholizität sperrt sich gegen eine Institutionalisierung und weist diese auf eine prinzipiell nachgeordnete Ebene. Es ist die Katholizität des den Leib Christi zusammenhaltenden Glaubens und seines geschichtlichen Bekenntnisses etwa im apostolischen Glaubensbekenntnis. Jedes Sprechen des Glaubensbekenntnisses – eben hier und da und weltweit – ist ein hörbares Zeichen der Katholizität der Kirche. Da es glücklicherweise ohnehin Gott vorbehalten bleibt, in die Herzen derjenigen zu blicken, die dies Bekenntnis auf den Lippen haben, muss es uns für die Wahrnehmung der Katholizität der Kirche und damit eben auch für die Anerkennung als Kirche genügen, dass wir der Bekundung nach in den fundamentalen Bestimmungen des Glaubens übereinstimmen. Wenn Calvin dabei das apostolische Glaubensbekenntnis nicht ausdrücklich nennt, so will er den Eindruck vermeiden, als glaubte die Kirche an ihr Bekenntnis. Zwar gibt es fundamentale und somit unverzichtbare Grundeinsichten des christlichen Glaubens, wie sie im Glaubensbekenntnis aufgeführt werden, aber um der Ehre Gottes willen sollte sich die Kirche davor hüten, diese zu kanonisieren. Die Bindung an Gott muss erkennbar über der Bindung an unsere Einsichten über ihn stehen. Dass dies kein Freibrief für theologisches Freischärlertum ist, zeigen die umfassenden und in sich konsistenten dogmatischen und katechetischen Klärungsbemühungen Calvins. Dass die Reklamation der Katholizität der Kirche auf der anderen Seite auch keine billige und somit folgenlose Floskel ist, wird wiederum aus dem entschiedenen Engagement Calvins für die Einheit der Kirche deutlich.12 Ausdrücklich warnt er davor, allzu viel Eifer in eine möglichst weitreichende Homogenität von Lehre und Gestalt der Kirche zu investieren. In dem Maße, in dem die Gleichförmigkeit betont wird, rückt zwangsläufig die Form in den Vordergrund,

11 Vgl. Institutio IV 1,9. 12 Vgl. dazu Weinrich, Calvin und die andere Ökumene.

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Einheit bekennen

was bis hin zu ihrer Vergötzung führen kann. „Es wäre unerhört“, so kann er sagen, „wenn wir in den Dingen, in denen uns der Herr Freiheit gelassen hat, damit wir umso mehr Möglichkeit hätten, die Kirche zu erbauen, eine sklavische Gleichförmigkeit erstreben wollten, ohne uns um den wahren Aufbau der Kirche zu kümmern.“13 Wichtiger als das, was die Kirche hat und gestaltet, bleibt, was sie empfängt und immer wieder neu empfangen muss. In diesem Sinne konnte Calvin – ganz und gar wie auch Luther – hervorheben, dass alles darauf ankomme, dass die Kirche unter dem Wort bleibe.14 Eben deshalb kommt es entscheidend darauf an, immer wieder neu die Kommunikation mit Gott und seinem Wort zu suchen und diese nicht durch die Verwaltung eines so oder so gestalteten Lehrbestandes zu ersetzen. Katholisch wird eine Kirche nicht durch das, was sie aufzuweisen hat, sondern nur in dem anhaltenden Vertrauen auf das, was ihr immer wieder neu gegeben werden muss. Wenn man so will, steht die Katholizität der Kirche im Sinne der Reformatoren für die Treue Gottes, der seine Kirche – eben die universale Schar derer, die seinen Namen bekennen – nicht sich selbst überlässt. Es sind vor allem zwei ökumenische Gründe, die Calvins Verständnis der Katholizität auch im Blick auf die menschliche Seite der Kirche stützen. Zum einen eröffnet es den notwendigen Spielraum, um mit Lehre und Gestalt der Kirche den unterschiedlichen regionalen Bedingungen gerecht werden zu können – heute würden wir hier von Kontextualität und Inkulturation sprechen.15 Calvin war bereit, eine Vielzahl kleiner Einzelkirchen anzuerkennen, „die jeweils stadtweise oder dorfweise nach der unter Menschen notwendigen Ordnung verteilt sind.“16 Die Probleme stellen sich erst da ein, wo versucht wird, die allein praktisch begründete lokale Begrenztheit in einem exklusiven Sinne zu theologisieren. Genau in diese Richtung geht der Vorwurf gegen die romzentrierte Kirche, dass sie ihre Begrenztheit künstlich mit einem von scheinbar theologischen Gründen getragenen Anspruch versehen habe, so dass die Katholizität in den Bann von diesen menschlich erhobenen Ansprüchen geraten und damit faktisch sektiererisch geworden sei.17 Und zum anderen wehrt sich diese Bestimmung der Katholizität nachhaltig gegen ein auf die reine Lehre gesetztes Vertrauen und attackiert damit die Fiktivität der durch theologische Lehre gewinnbaren Gewissheit. Indem auch für Calvin die rechte Lehre ‚Gottes-Lehre‘ ist, die als solche auf das Leben zielt, bleibt die

13 zit. n. Wilhelm Niesel, Die Theologie Calvins, 198. 14 Vgl. Institutio IV 2,4; Streitschrift gegen die Artikel der Sorbonne (1544), 73–75. 15 Vgl. dazu zum Beispiel Mercy Amba Oduyoye u. Hendrik M. Vroom (Hg.), One Gospel – Many Cultures. 16 Institutio IV 1,9. 17 Vgl. Calvin, Antwort an Kardinal Sardolet (1539), 364ff. Calvin geht hier so weit, dass er die Papstkirche mit den Widertäufern auf eine Stufe stellt, weil sie beide nicht dem Wort Gottes folgen, sondern individualistische Positionen in den Vordergrund rücken.

Einheit bekennen

Kirche auf die lebendige Beziehung zu ihm angewiesen, denn er ist es ja und nicht irgendeine menschliche Kirchenleitung, der die Kirche ‚regiert‘, eben die „eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“. Die Überlegungen zeigen, dass nach protestantischem Verständnis die Identifikation der Katholizität mit einer bestimmten Gestalt Kirche und erst recht mit einer bestimmten geschichtlichen Verfassung der Kirche theologisch grundsätzlich unhaltbar ist. Angesichts der kaum noch zu leugnenden faktischen Konfessionalisierung aller Kirchen – eben auch der orthodoxen und der römisch-katholischen Kirche – bleibt zu fragen, ob das altkirchliche Konzept einer sichtbaren Katholizität nicht geschichtlich obsolet geworden ist und heute vor allem nur noch als ein antiökumenisches Symbol wirkt.

6.5

Einheit bekennen

Im ökumenischen Kontext bekommt die unsichtbare bzw. verborgene Kirche als die geglaubte Kirche regelmäßig schlechte Karten. Zweifellos kann die Berufung auf die verborgene Kirche Ausdruck eines nachlässigen Verhältnisses zur sichtbaren Kirche und unserer Verantwortung für sie sein. Umgekehrt bleibt im Blick auf die sichtbare Kirche nüchtern darauf hinzuweisen, dass auch bei genauerem Hinsehen das, worauf es ankommt, nicht sichtbar wird. Es kann nur geglaubt werden, dass das, was da sichtbar ist, die eine, heilige, allgemeine und apostolische Kirche ist, denn keines dieser Attribute lässt sich unmittelbar mit einer eindeutigen Darstellungsgestalt identifizieren. Das heißt, dass die Evidenz der in die Sichtbarkeit gelegten Ansprüche nicht einfach am äußeren Erscheinungsbild der Kirche abgelesen, sondern von diesem als repräsentiert verstanden wird bzw. im besten Fall in diesem wiedergefunden werden kann. Im theologischen Sinn kann Sichtbarkeit grundsätzlich nicht Offensichtlichkeit sein. Karl Barth spricht von einer „sehr besonderen Sichtbarkeit“18 , die nicht ohne die Unterstützung durch den Heiligen Geist zustande kommt. Das, worauf es bei der Betonung der sichtbaren Kirche ankommt, kann seinem Wesen nach nicht unmittelbar sichtbar werden. Es ist vielmehr der die äußere Erscheinung transzendierende Glaube, der die entsprechenden Attribute mit der konkreten sichtbaren Kirche verbindet. Das, was da zu sehen ist, zeigt sich allein dem Auge des Glaubens, das stets mehr zu sehen vermag als der rein physiologische Blick. Es verhält sich bei diesem doppelten Blick auf die Kirche ganz ähnlich wie bei der Natur, die ebenfalls unterschiedlich gesehen werden kann. Das Offensichtliche ist ihre äußere Gestalt mit all der in ihr liegenden Faszinationskraft. Wenn wir aber von der Natur als

18 KD IV/1, 731.

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Einheit bekennen

der Schöpfung sprechen, setzen wir das Auge des Glaubens voraus, das auch hier ‚mehr‘ als nur das Offensichtliche sieht, weil es um den Schöpfer weiß. Der wahre Leib Christi bleibt grundsätzlich verborgen, und gerade als solcher ist er wirklich, ebenso wirklich wie der auferstandene Christus. Er ist die unverfügbare Wirklichkeit der Kirche, die es möglich und dann auch unausweichlich macht, in der verfassten Kirche eine ernst zu nehmende Entsprechung zu der wahren Kirche und in diesem Sinne in ihr auch die wahre Kirche selbst zu sehen. Es kann nicht darum gehen, neben oder hinter der sichtbaren, d. h. der geschichtlich verfassten Kirche noch eine andere zu suchen. Und so gilt beides. Einmal: Keine Kirche kann das unmittelbar sichtbar machen, worauf es in ihrem Kirchesein ankommt. Und zum anderen: Nirgends anders als in der geschichtlich in Erscheinung tretenden Kirche kann sich das zeigen, was der Glaube von seiner Kirche bekennt, auch wenn es sich schwerlich einfach aufzeigen lässt. Genau dies hatte Calvin im Blick, wenn er so nachdrücklich auch die sichtbare Kirche hervorgehoben hat.19 Die reformierte Ekklesiologie hält gerade aus ökumenischen Gründen an der in der sichtbaren Kirche verborgenen Kirche fest – nicht zuletzt zum Trost und zur Ermutigung für ein entschiedenes Eintreten für die sichtbare Kirche. Die dialektische Spannung zwischen Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit gehört übrigens bereits seit Augustin zu den Grundbestimmungen der Ekklesiologie. Das Institutionalisierungsproblem wird damit in keiner Weise einfach profanisiert, aber es rückt auf die theologisch keineswegs bedeutungslose menschliche Seite der Konstitution von Kirche. Diese ist nicht unwesentlich davon geprägt, dass sie die grundlegende göttliche Seite der Konstitution der Kirche, nämlich die in Christus vollzogene Erwählung der Kirche bekennt und möglichst bei all ihren Bemühungen im Blick hält. Für die Wahrnehmung der sichtbaren Kirche kommt es eben auch auf alle Verheißungen an, die im Glaubensbekenntnis von ihr bekannt werden und um derer willen sie eine besondere Bedeutung beanspruchen kann. Den entscheidenden Grund für dieses Festhalten an der reformatorischen Option sehe ich darin, dass allein auf diesem Weg der prinzipielle Vorrang der in und von Christus begründeten Kirche vor unseren geschichtlichen Darstellungsversuchen unterstrichen wird. Das impliziert die ökumenisch höchst grundlegende Einsicht, dass der Leib Christi unseren Verwirklichungsbemühungen um die Kirche nicht etwa mehr oder weniger bestätigend hinterherkommt, sondern diesen immer schon voraus ist, und wir sind es, die hinter seiner Wirklichkeit mit unseren Vorbehalten und Eigenwilligkeiten zurückbleiben. So wie der Auferstandene uns sterblichen Menschen prinzipiell voraus ist, so dass wir allen Grund zum Glauben haben, obwohl wir ihn nicht sehen können, so ist uns auch sein Leib, der ja der Leib des Auferstandenen ist, prinzipiell voraus – unbeschadet all der denkbaren

19 Vgl. dazu oben Kap. 1.3: Die Sichtbarkeit der Kirche.

Einheit bekennen

Möglichkeiten, einen theologischen Unterschied zwischen dem einen und dem anderen reklamieren zu können. In theologischer Perspektive von der Kirche zu sprechen, heißt: Kirche bekennen. Kirche kann nur aufgrund ihres Gegebenseins gewagt werden – alles andere wird früher oder später von der Frage nach der Quelle des Vertrauens eingeholt, von dem wir uns bei unseren Inszenierungen getragen wissen. Es kann wohl schlechterdings nicht das Selbstvertrauen sein, das uns Gott gleichsam vorgreifen und auf seine Bestätigung hoffen lässt, sondern es wird sich um das Vertrauen auf die gegenwärtige Lebendigkeit des Auferstandenen handeln müssen, der nicht nur geistlich, sondern nach dem Zeugnis des Neuen Testaments leiblich (nicht fleischlich!) auferweckt wurde – so wenig es uns auch möglich ist, eine Vorstellung von dieser ‚verwandelten‘ Leiblichkeit (vgl. 1Kor 15,35ff) zu haben.20 Die Berufung der Kirche ist immer bereits ihre Konstitution, so dass sich die Kirche auf ihre Berufung nur beziehen kann, indem sie auf ihre bereits in Christus vollzogene Konstitution verweist. Sie ist nur als erwählte auch berufene Kirche, d. h. ihre Konstitution ist nicht die vom Menschen zu vollziehende Konsequenz aus einer wahrgenommenen Berufung, sondern nach biblischer Logik bleibt die Berufung die Konsequenz bzw. ein Implikat der bereits vollzogenen Verwirklichung. Von hier lassen sich nun auch die Konsequenzen für die ökumenische Vision nach reformiertem Verständnis leicht erahnen: Keine Kirche befindet sich in der Lage, gleichsam von sich aus die Bedingungen für die Einheit der Kirche festlegen zu können. Vielmehr gehört die Einheit der Kirche zu den essenziellen – bereits vom altkirchlichen Glaubensbekenntnis unterstrichenen – Eigenschaften dessen, was da als Leib Christi bekannt werden kann. Auch hier muss grundsätzlich zunächst gelten: Einheit bekennen. Sie ist uns immer bereits voraus. Das gilt nicht nur für den ökumenischen Indikativ, sondern prägt auch den ökumenischen Imperativ – um es einmal in der Terminologie von Harding Meyer auszudrücken.21 Daraus folgt, dass die gegenseitige Anerkennung der Kirchen als Kirchen nicht erst ein Produkt der oft schwierigen Verständigungsbemühungen sein kann, sondern ihnen vorausgehen und diese prägen sollte. Es wird in diesem Horizont theologisch widersinnig, die im Bekenntnis formulierte Einheit der Kirche nur in sich selbst verwirklicht zu sehen. Vielmehr geht es um eben das besondere Sehvermögen des Glaubens, von dem eben die Rede war, dass der Glaube mehr als das Offensichtliche zu sehen vermag. Der Glaube kann überall dort Kirche sehen, wo Gottes Versöhnungshandeln in Christus bekannt wird. Die unsere Verständigungsbemühungen tragende Sorge kann grundsätzlich nicht die sein, ob wir die Einheit der Kirche – auf welche Weise auch immer – nun darin befördern, dass wir sie sichtbar

20 Vgl. dazu Weinrich, Auferstehung des Leibes. 21 Vgl. Harding Meyer, Ökumenische Zielvorstellungen, 17ff.

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Einheit bekennen

im Sinne von offensichtlich zu machen versuchen, sondern vor allem die, inwiefern wir selbst unser eigenes Bekenntnis zu der einen Kirche tatsächlich ernst nehmen. Es kann in der Ökumene nicht nur darum gehen, den Blick vor allem zurück auf die jeweiligen Traditionsbestände der verschiedenen Kirchen zu lenken, sondern es hängt Entscheidendes daran, wie ernsthaft wir uns von unserem Bekenntnis dazu ermächtigen lassen, vertrauensvoll mit dem Bewusstsein in die Zukunft zu gehen, dass uns im Blick auf die anderen Kirchen der Glaube an die in Christus gegebene Einsicht nicht verlassen möge. Wir sind es doch, die diese Sichtbarkeit trüben und nicht etwa irgendwelche rätselhaften Wege Gottes. Es ist doch unser Kleinglaube, der uns die Augen hält, so dass sie nur die eigene Kirche sehen. Alle Erwartungen im Blick auf mehr Sichtbarkeit sollten zunächst vor allem die Hoffnung auf einen stärkeren Glauben sein, der uns ‚mehr‘ sehen lässt als was unmittelbar vor Augen steht. Nur ein Weg, der die Einheit der Kirche nicht nur als Voraussetzung, sondern auch als tatsächliche Wirklichkeit anerkennt, vermag sie schließlich auch geschichtlich deutlicher werden zu lassen als bisher. Alle anderen Wege werden uns vor allem immer wieder zu uns selbst und unseren Eigenwilligkeiten führen. Dieser Weg wird dann schließlich auch erweisen, ob all die Bemühungen, die wir in eine gegenseitige Abstimmung unserer Lehre investieren, tatsächlich in eine verheißungsvolle Richtung führen.22

22 Die Überlegungen über den essenziellen Zusammenhang von Kirche und Israel (siehe oben Kap. 4) legen eine grundsätzlich andersartige Orientierungsperspektive nahe, die an dem Bekenntnis zu dem gemeinsamen Gott hängt, der seinerseits mit dem ersten Gebot einen ebenso weiten wie klar konditionierten Raum der Freiheit (siehe oben Kap 5) eröffnet. Es wäre zu überlegen, ob die Ökumene nicht doch eher in der Gotteslehre anstatt in der Ekklesiologie zu thematisieren ist.

7.

“Hallowed Be Thy Name”

Some Theses on God’s Holiness and the Holiness of the Church1 Our theological endeavours require both sobriety regarding the church as a human enterprise and, at the same time, an explicit appreciation of the ambitious demands on and claims made by the church with regard to its divine foundation and mission. Both these sides of ecclesiology are of theological importance and have to be kept together. In our Protestant tradition we are perhaps more in need of an emphasis on a modest and sober approach to our understanding of the church. The criticism of clericalism in particular belongs to the vital engagements of the Reformation period and is still of contemporary importance. However, all our efforts at being critical of and reflecting soberly on the human side of the church will head in the wrong direction should we forget that the foundation of the church rests on God’s election, God’s passion for the covenant with God’s elected people (including Israel), the holiness of the communion of the faithful and the divine promises that carry and sustain the church. Since we are normally better at emphasising the relativity and the limitations of the church, this article tries to draw our attention to the divine foundation and, in particular, to the holiness of the church as one of the four characteristics of the church mentioned in the Nicene Creed from 381. When approaching a concept as wide-ranging as “holiness” with the hope of presenting some substantial insights in a short contribution, one has to make some choices in advance. This I did: 1. In the nineteenth and twentieth centuries in particular, a wide-ranging discourse on “holiness” arose mainly in the field of comparative religious studies. This discourse also influenced theological debates, at least in the German-speaking countries. I do not intend to enter into this discussion,2 because theologically I do not share the methodological approach that it took. In my understanding, theological thinking does not progress from the ‘general’ to the ‘particular’ but the other way round. At the starting point of theology is the particular nature of God’s revelation, the meaning of which theology then has to search for by referring to the ‘general’. This

1 Revised version of a lecture on the 8th meeting of the Reformed-Orthodox Dialogue (World Alliance of Reformed Churches and Ecumenical Patriarchate of Constantinople) in Sâmbăta de Sus (Romania) on 5 September 2003. A lack of space accounts for an almost inevitably dogmatic rigor and sharpness in this essay. First published in: Len Hansen, Nico Koopman, Robert Vosloo (Eds.), Living Theology. Essays presented to Dirk J. Smit on his sixtieth birthday, Wellington 2011, 349–360. 2 Cf. Friedrich Schleiermacher, Rudolf Otto, Mircea Eliade, Carsten Colpe et al. Cf. Colin Crowder, Rudolf Otto’s The Idea of the Holy Revisited.

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is the appropriate logical sequence in theological thinking even if it is in conflict with what is commonly thought of as the way in which reason works. John Webster claims that reason capable of recognising holiness must itself be touched by holiness – that is, it must be “holy reason”.3 With regard to methodological questions, this point of view is quite fundamental and of grave consequence, since it gives a special shape to theology’s particular way of working. 2. It is not very Reformed to omit biblical studies in any account of a theological subject. “Sola scriptura” is not only a theologically highlighted principle embracing various dogmatic implications; it is also a kind of general theological mentality that forms the indispensable basis of all theological insights.4 In Christian theology the concept of holiness has to derive its specific profile from biblical witness.5 Dogmatic insights cannot be more than tentative attempts at drawing connections between different biblical topics, which provide some help towards a possible proper reception of the biblical tradition. 3. The church is not holy by itself. It is the triune God who promised and promises the church its holiness. God is and remains the Creator of the holiness of the church and sustains it. It is impossible to speak of the holiness of the church without first pointing towards the holiness of God. For this reason, I will first reflect on the understanding of God’s holiness and then some essential insights about the holiness of the church. 4. Finally, I want mention two basic assumptions that will not be explained further, namely: i) The roots of the Reformed concept of holiness are strictly tied to Western tradition6 . The self-understanding of the church assumed its special shape in the

3 Cf. John Webster, Holiness, pp. 8ff. This reminds us of the famous and much discussed theological circle. It is not the subject that has to follow the rules of reason, but the other way round: Reason receives the ability of recognition only by following the rules of the subject, which really remains the subject (now in another sense) of the process. 4 Cf. in more detail above chapter 2: Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift. 5 Cf. Diether Kellermann, Heiligkeit II. Altes Testament, and Michael Lattke, Heiligkeit III. Neues Testament; Stephen C. Barton (Ed.), Holiness Past and Present. 6 This is something which is shared by all varieties of Reformation theology. However, it could be said that the accent is placed differently than in the Lutheran tradition: Whereas the latter tradition is mainly interested in the question of the certitude of faith, the Reformed tradition is centred on the glorification of God. In short: Whereas Lutheran theology is the theology of the cross, Reformed theology is the theology of the gospel and the law of the first commandment. This could be one reason why the Reformed tradition pays more attention to the holiness of God than the Lutheran tradition. On Protestant ecclesiology cf. above chapter 1: Welche Kirche meinen wir?

God’s Holiness

protracted confrontation with the Donatists in the fourth and fifth centuries. It was particularly Augustine who spoke about the church as a corpus permixtum, which was to be understood mainly as a pilgrim under the guidance of God’s Word.7 If one really was to rely on the empirical purity of the church, as the Donatists did, one would have to admit that there has never been a church nor will there ever be a church. According to Augustine, there is no reason for the church, as the true church (which is nothing else than the Roman Catholic Church), to behave in triumphalistic way. There is no glory in the church itself besides the glory of the triune God and the trustworthiness of God’s promises, which refer to God’s own presence in the church and not to any ability of the church and its members. ii) The Reformed tradition, like the Lutheran tradition, remains comparatively reserved about speaking in terms of holiness. Calvin, for instance, prefers to speak about God’s “glory” instead of God’s “holiness”. Along the same lines it should be noted as well that “the church” is not a main theme of Protestant theology.8 Even Calvin, whose account of the church forms by far the greatest part in the fourth book of his Institutes, reminds his readers again and again that the church can never be the main subject of discussion – even when the church makes itself a subject of discussion.9 On the one hand, everything that theology does is aimed at the church; on the other hand, the subject of the church is not the church itself, but its witness. Karl Barth complains that the church always offers much of interest for discussion instead of simply being the church.10 The Reformed tradition is always somewhat suspicious of anybody who takes the church too seriously. Since the reserved use of holiness and, in particular, the holiness of the church is under consideration in this paper, this fact at least should be mentioned, as some kind of inverted commas for what follows.

7.1

God’s Holiness

The holiness of God can never be the result of a human decision to face God’s holiness. By ourselves, we have no conception of holiness. Rather, we have to put aside our own images of holiness in order to be ready to receive God’s incomparable holiness. Holiness is not an element in the empirical world or of the intellect. It does not occur in the ordinary course of life in some or other way. Unless it is revealed to us, we have no idea what it might be. Even when God’s holiness is revealed to us, 7 Cf. in more detail above chapter 1.1: Die Kirche als ‚corpus permixtum‘. 8 Cf. Hans-Martin Barth, Dogmatik, pp. 663f. 9 In the chapter heading on the church Calvin speaks about the church as an “outward agent” or “assistant” – Institutio IV 1,1. 10 Cf. Karl Barth, Dogmatics in Outline, p. 141.

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we have no definition, no precise image of what it is. When John Webster stresses that holiness is „not primarily a matter of categorization but of confession“,11 he means that the recognition of holiness presupposes an initiative taken by God in entering into a relationship with humankind. We are drawn into a relationship that cannot be described without our being affected by it. It is impossible to remain neutral once touched by the holiness of God, that is, by the living God. To speak of holiness is, therefore, primarily to acknowledge that it is God who has spoken to us in a way that changes everything. In this sense the most appropriate way to say something about holiness is by way of confession. “Confession or acknowledgement is recognition.”12 Holiness is the essence of the otherness of God as the triune One. It refers to God’s “Name” (HaSchem) and not to a special quality of God. The holiness of God’s name implies that God cannot be approached: „Do not come near“ (Ex. 3:5). God’s holiness is a summery and the recapitulation of the sovereignty of God‘s majesty. The one and only appropriate human reaction to this holiness is awe, the fearful veneration God inspires and deserves. The German word for „awe“ is Ehrfurcht – a combination of ‘honour’ and ‘dread’. This reminds us that we cannot honour God without at the same time fearing God.13 God’s grace is not without God’s judgement. “The holiness of God consists in the unity of His judgement with His grace. God is holy because His grace judges and His judgement is gracious.”14 In this sense holiness reminds us of the prohibition against making an image of God (Ex. 20:4). In God’s otherness God is in principle more than we ever could grasp. Holiness is also the essence of God’s perfection as the triune God. God’s attributes are God’s perfections15 or – as Wolf Krötke puts it – God’s “clarities” (plural)16 . It is an ingredient among God’s attributes17 rather than another attribute. However, this does not mean that the triune God is merely a complex combination of – the totality of – various attributes, perfections or clarities, a kind of summation of God’s abilities. Rather, in the “inexhaustible fullness” of God’s holiness we are confronted by God’s superior and incomparable simplicity.18 God’s holiness shows

11 Webster, Holiness, p. 37. 12 Ibid., p. 67. 13 Calvin observes that – according to Scripture – even the saints were thrown to the ground when confronted with God’s majesty (cf. Institutio I 1,3). 14 Karl Barth, Church Dogmatics II/1, p. 363. 15 Cf. ibid., p. 362. 16 Cf. Wolf Krötke, Gottes Klarheiten. 17 Cf. Edmund Schlink, Ökumenische Dogmatik, p. 761. 18 Augustine: simple multiplicity or manifold simplicity; cf. Webster, Holiness, p. 39.

God’s Holiness

– as Augustine emphasises – that God is “simple beyond all comparison”.19 In God’s holiness God is the Lord of the glory. All our knowledge of God’s holiness is derived from God’s actions on behalf of humankind. In God’s holiness God presents Godself by entering into a relationship – first to God’s chosen people, Israel, and then also with the gentiles, inviting them all into communion with God. It is not metaphysical speculations that lead us to God, for we have no comprehensive knowledge about the being of God. For this reason, in the Reformed tradition, theology does not have the task of constructing any kind of distinct ontology.20 Everything we know about God’s holiness derives from God’s actions: “God is what God does, and so God’s holiness is to be defined out of God’s works”21 – in which God reveals Godself as Creator, Saviour and Perfecter. As God’s holiness points towards his otherness and the distance between God and humankind, it is, at the same time, the foundation and dynamic of God’s nearness to humankind as the inner reason of creation.22 Holiness is the manner in which God, as the wholly Other, relates to us. What is decisive for an appropriate understanding of God is that God be acknowledged as the Holy One, that is, as a transcendent (not earthly and not worldly) existing personal Subject whom we know about because this Subject is, nevertheless, acting earthly and worldly. Holiness keeps God’s transcendent being and his immanent acting together. “God is holy precisely as the one who in majesty and freedom and sovereign power bends down to us in mercy […] the Holy One ‘in your midst’ […] (Hos. 11:9).”23 In this sense Webster defines God’s holiness as „pure majesty in relation“.24 In God’s holiness God is the giver of the covenant. On closer inspection, God’s activity is characterised as covenant-creating: „You shall be holy for I the Lord am holy“ (Lev. 19:2; cf. 1 Pet. 1:15). As God is not only the giver of the covenant but also its Saviour and Perfecter, the whole soteriological character of God’s acting becomes obvious.

19 Augustine, De Trinitate VI 4,6. 20 This does not mean that it is impossible to make any ontological statement. Indeed, to include ontological implications is inevitable. However, we are not quite in a position really to give any reasonable account of a substantial ontology – not only concerning God, but also concerning the condition of the world. 21 Webster, Holiness, p. 39. 22 It was Barth who spoke about creation as the “external basis” of the covenant and about the covenant as the “internal basis” of creation; cf. Church Dogmatics III/1, § 41.2 and § 41.3. 23 Webster, Holiness, p. 45. 24 Ibid., p. 41.

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“God’s holiness is precisely that which is made known in his mercy, in his coming to the aid of his people, in his taking up their cause, in his bearing their sin, in his purifying of them and his binding them to his own life.”25

In this respect God’s holiness may be summarized in his uncompromising covenantfaithfulness. The full range of God’s holy covenant-faithfulness is not realized before we become aware of the unholiness and lowliness of God’s counterpart in that covenant. It is the relation of the Holy to the unholy. The counterpart in the God-given covenant deserves God’s gift not because of their virtue, faithfulness or integrity. On the contrary, God’s holiness reveals the lack of holiness of the people God elects. As holiness is the mirror of God’s graceful majesty, it is at the same time the mirror of the wickedness of God’s elected partner in the covenant. God’s mercy is not without justice. God’s love is not without judgement. Grace without judgement would imply the absurd assumption that God accepts human unfaithfulness and resistance to God’s gift. But if God accepted humankind’s sin, it would contradict the purpose of God’s covenant and thus God’s own holiness as well. God’s holiness stands both for the justice of God’s love and for the love of God’s justice. This is the pivotal point of the jealousy of the covenant-creating God that God – in God’s undeflected purposiveness – holds God’s own against the unthankful creature26 that destroys itself “by trying to cease to be a creature and to make itself.”27 God’s jealousy is not a contradiction but an ingredient of God’s holiness, the holiness which loves in justice and judges in love.

7.2

The Holiness of the Church

The holiness of the church is not its own holiness but is derived exclusively from the holiness of the triune God. Referring to the holiness of the church means referring to God’s attitude towards the church. As holiness is less an attribute than a characterization of God’s Name, it remains an unapproachable matter not possible to capture in any definition. This does not change when holiness is spoken of in reference to the church. Holiness is, in the first place, a promise to the church; as such it can never be something the church possesses or even one of its visible attributes. The church’s holiness is an ingredient of the same grace that called the 25 Ibid., p. 48. 26 Cf. ibid., pp. 50f. „God’s jealousy is his holiness in his work of restoration and mercy, as we are cleansed by the blood of Jesus (1 Jn. 1.7) and sanctified by the washing of regeneration and renewal in the Holy Spirit (Tit. 3.5).“ (51) 27 Ibid., p. 49.

The Holiness of the Church

church into existence28 and is less a gift bestowed on it than a basic life-condition that is out of its reach. The church lives from something that cannot be produced or recreated by the church itself. John Webster reminds us of the wisdom of an alien sanctity,29 which means “at heart sanctitas passiva, a matter of faith’s trustful reliance upon and reference to the work of the triune God.”30 The non-possessable Spirit, as God’s non-fixable presence in the church, makes it holy: without the Holy Spirit there is no holiness. Without the activity of the triune God, the church remains profane – only Christ can make it Christian.31 “Like its unity, its catholicity and its apostolicity, the Church’s holiness is that which it is by virtue of its sheer contingency upon the mercy of God.”32 The church’s holiness is rooted in its undeserved election by God. According to Jean Calvin, “all our holiness and innocence of life flow from the election from God.”33 The “language of election draws attention to the way in which the Church has its being in the ever-fresh work of divine grace.”34 This makes the church an assembly sui generis, – an assembly which, in its foundation, is incomparable; impossible to compare with other human assemblies, such as societies, nations, classes, cultures, associations, companies, political parties, unions, teams, tribes, (charity-)groups, (fan-)clubs etc.35 Although all churches present their own respective sociological structures, not one of them can be grasped with regard to its substance by referring to social or psychological features. Although all churches are human assemblies, with all the limitations and weaknesses of such assemblies, none of them is recognised in its pivotal destination referring to human attributes and abilities. The distinctiveness of the church derives not from its human shape – and, therefore, neither from its traditions and activities – but from the holiness of its divine election, which is beyond the domain of all human decisions. In this sense the church is not an empirical object. Empirical holiness would either lead to the exclusion of members who are deemed unacceptable or would

28 In this sense Karl Barth emphasises extra Christum nulla salus instead of extra ecclesiam nulla salus. Concerning the church he stresses that Christianity is not a private matter. When we come to faith, we are added to the community of the church, which may be summarized with the distinct formula: extra ecclesiam nulla sanctitas; cf. Church Dogmatics IV/1, pp. 688f. 29 Cf. Webster, Holiness, p. 56, 62. 30 Ibid., p. 58. 31 Cf. Barth, Church Dogmatics IV/1, pp. 693f. This is the reason why one should always be hesitant to use the attribute ‘Christian’. 32 Webster, Holiness, p. 57; cf. p. 67. The “great ontological rule for the church” is announced in Eph. 2:8–10: “The church is what it is by grace.” Ibid., p. 63. 33 John Calvin, The Epistles of Paul the Apostle to the Galatians, Ephesians, Philippians and Colossians, p. 125. 34 Webster, Holiness, p. 56. 35 Cf. Karl Barth, Credo, New York 1962, pp. 138f.

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inevitably create a problematic distinction between the church and its members (and what is a church without its members?).36 But with regard to its substance, the church is not supposed to be seen by everyone. As holiness is a matter of confession, the church, in its holiness, has to be confessed. It exists by being professed. That is the sense of affirming that we do not believe in the church but believe the church (fides qua creditur).37 Only faith is able to see in the church more than a human assembly exhibiting specific behaviour.38 The holiness of the church belongs to its credo as a spiritual approach to the visible church. The public appearance of the church makes it comparable to other communities and religions; its holiness can only be disclosed by revelation and has to be professed. As already stated, it is faith that recognises and acknowledges the promise of the church’s holiness, which relates to the visible church.39 In this respect Webster names four elements of the visibility of the church’s holiness as an echo of God’s covenant-faithful holiness: “First, the Church’s holiness is visible as it hears afresh the promise and command of the gospel”; “Second, […] as it confesses its sin in penitence and faith”; “Third, […] as it bears witness to the world”; “Fourth, the holiness of the Church is visible in its prayer: ‚Hallowed be thy name!’”40 As the church’s holiness remains in the faithful hands of the triune God, confessing the holiness of the church implies that the holiness of the church is indestructible (the early church spoke about the infallibility of the church). The church is unable to sanctify itself and thus also unable to destroy its divine sanctification. The church lives by the promise that it will remain Christ’s body, albeit doubtlessly existing in a weak state of too little faith.41 Confidence in the indestructibility of the church’s holiness is a special strength of the church, a strength that is unassailable: it cannot be damaged or even touched by anyone. What may first appear to be the church’s greatest weakness emerges as its invincible strength that endows it with a faithful patience, especially in times of crisis or persecution. As it is impossible for a human being to use reason to convince others about the truth of the church’s message, so it is also impossible for a human being to destroy the truth of the church. No doubt the truth of the church will be attacked and derided at times, but these assaults 36 Cf. Alister E. McGrath, Christian Theology. p. 422. 37 Cf. Barth, Church Dogmatics IV/1, p. 686. The objection that this makes the church dependent on our subjective faith fails to grasp the point. The existence of the church depends not on human abilities, but only on the work of the Holy Spirit. The church only exists where the Spirit is at work. 38 This is what Barth calls a “very special visibility” as a spiritual event; Church Dogmatics IV/1, p. 653. 39 „Take good note, that a person who does not believe that in this congregation of his, including those men and women, old wives and children, Christ’s congregation exists, does not believe at all in the existence of the Church.” Barth, Dogmatics in Outline, p. 143. 40 Webster, Holiness, pp. 72–75 [italics in original]. 41 Cf. Barth, Church Dogmatics IV/1, p. 691.

The Holiness of the Church

will all fail. The human assembly and its public appearance may be assailed – and sometimes it is quite useful to listen to the complaints of and accusations levelled by outsiders – but the truth of the church is not at the disposal of its members and can, therefore, never be tarnished. This unassailability of the church’s substance constitutes its distinct holiness. Confessing the church’s holiness includes professing that God governs the church. The church is a creatura dei, not only with respect to its origins, but also when it is termed a creatura verbi (divini)42 . God teaches and recreates the church through the word of Scripture (this is why it is called the “Holy Scripture”). In this sense the sixteenth-century reformers could say that for our faith doctrine is more important than life, by which they meant not human doctrine but that of God.43 The church is not only established, but also sustained – that is, nurtured, guided and ruled – by the triune God.44 This is the essential reason why the ministry is not mentioned as a mark of the church in the Protestant tradition. The communion of Saints is the communion of believers.45 Faith is the appropriate answer to the election by God. In substance, faith is the confession that we are creatures of God who are reconciled in Christ and living through the Holy Spirit. Faith is the confession that we belong to God by God’s grace; that is to say, faith is the acknowledgement of God’s faithfulness to the covenant, in which God sanctifies us as God’s children. The holiness of the church is the confession that God wants the church as God’s body. We can trust in God as the One who sanctifies God’s church again and again in faithfulness to God’s election. Believing in God’s sanctifying action is at the centre of the Judeo-Christian tradition. “Holy” means: “put aside” for God. Confessing the church’s holiness always implies the acceptance of its separation from the conditions of the world. The church exists in the world and everything that it does – all its human activity – is worldly. However, though existing in the world, it does not live from the world; not from the conditions prevailing in the world. The church has its own living conditions that are not in its own hands. Being a holy church – listening to the

42 Cf. Martin Luther, WA 2, p. 430; WA 7, p. 721; cf. Karl Gerhard Steck, Lehre und Kirche bei Luther, p. 68; cf. above chapter 2.1: Das Wort Gottes und die Kirche. 43 Cf. Hans Joachim Iwand, Luthers Theologie, p. 241; Steck, Lehre und Kirche bei Luther, pp. 62ff. 44 This is the same for Luther as for Calvin. According to Barth, the foundation of the church is God’s action in Jesus Christ, “[w]ho gave Himself to His own by giving to them His Spirit, that makes the Church a fact, an event, amongst men, that makes it an event in the shape of a human assembly and community, of a place in the human scene, formed and staged be men, a piece of human history. But it is just in this event which founded the Church that He still rules the Church. Without doubt this act cannot by any means become a thing of the past. There could be no room for a government of the Church after or alongside of this act; such a government would be meaningless. He, Jesus Christ, rules the Church, and none beside Him.” Credo, p. 140. 45 In the Protestant tradition these are synonyms; cf. Schlink, Ökumenische Dogmatik, p. 589.

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Word of God – means keeping a noticeable distance to worldly demands and rules. The holy church is not asked to represent the majority of a given society. Rather, because it represents the people of God, it has to listen to the Word of God and to God’s will. This is the only reason why the church, to a certain extent, remains a stranger in the world. If it is God who sanctifies the church, its basic activity can be nothing but asking for God’s sanctification in all that it does and speaks. Without God it is nothing; it therefore lives from the promise that God will not deny God’s presence and will send God’s Holy Spirit to provide the church with the power that it needs. The life of the church depends on the daily renewal of its sanctification by God. It is never in the position to take God’s presence for granted. This fact makes the prayer to the Holy Spirit, “Veni creator spiritus!”, the fundamental act of the church. As a human enterprise the church is in a continuous process of becoming. Calvin speaks about the Holy Spirit and the Scripture as the church’s teachers who are educating it in an eschatological process. The church is not yet perfect.46 When the letter to the Ephesians speaks about the church as Christ’s beloved bride without any spot or wrinkle (5:26f.), it can only be Christ himself who daily purifies and sanctifies the church anew.47 The church is on its way and has to learn more and more in its relationship to God and to the world, as well as in its relationship to itself. The more the church trusts in God, the less it expects from itself. In this sense, too, the church may say: “He must increase, but I must decrease” (Jn. 3:30). The growth of the church is not a question of quantity of membership and power, but of humility. The church’s growth lies in Christ – when he grows in the church, the church grows. Being holy, the church is on the way to holiness as long as it remembers that Christ is the head of his body. The holiness of the church is a matter not only of its distinctiveness but also of its special appointment and mission. In this sense it is linked to its obedience to the will of God. Because it is sanctified, the church has to be holy.48 For Barth, holiness does not serve as a kind of umbrella to protect the church from the rain of the world; instead, the church’s holiness is the pillar of cloud and the pillar of fire (Ex. 13:21f.) that day and night shows it the way to get through the desert.49 It is, in fact, impossible to identify the correspondence between God’s will and the

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Cf. Calvin, Institutio IV 1, 13, 17–20. Cf. Calvin, Institutio IV 8, 12. Cf. Schlink, Ökumenische Dogmatik, p. 587. Cf. Barth, Church Dogmatics IV/1, p. 700. “The question of its holiness […] can be answered only with reference to the holiness of its Head. The basis of its holiness is its living Head, present to it as His body and acting in it and to it. This being the case, it is the conditio sine qua non of the only possible answer to this question of its holiness that it accepts the question of obedience which is raised by it, and takes into account in every aspect of its human Church work.” (ibid.)

Hallowed Be Thy Name

church’s obedience. Nonetheless, only a church that is aware that holiness is always a matter of life – of God’s life and its own – may hope for righteousness with respect to its holiness. From this perspective the church should always follow the pillar of cloud and the pillar of fire in every decision which it takes in its life on earth. It cannot offer the world an image of holiness but only a sense of what it means to be elected for the sake of the honour of God. The church is called to arouse the world’s interest in its way of life, not because the latter will be attractive in earthly terms but because it seeks to be righteous. The fact that for all its effort the church never achieves more than provisional results does not allow it to weaken or to slacken its activity. Even though the church will never achieve perfection, it is called to grow continuously in holiness through its own righteous efforts as guided by God’s will.

7.3

Hallowed Be Thy Name

The church is called to take up the “service as ambassador”50 in the world in order to proclaim the merciful holiness of the triune God. All its zeal should be directed to the honour and glory of God’s Name, just as in the Lord’s Prayer: “Hallowed be thy name”.51 Importantly this invocation in the Lord’s Prayer is directed at God; that is to say, it is not a form of self-encouragement by the church aimed at mobilising its own resources. Rather, the wish expressed in the Lord’s Prayer is based on the acknowledgement that the church is completely dependent upon God’s graciousness and support. The church is not in a position to hallow God’s Name if God’s holiness is not present to it. The church is not an eternal institution. It is God’s enterprise for the time between Pentecost and Christ’s final return at the end of time. Until then the church has an intercessory function; it is not by itself the final goal of God’s actions. Its hope is not primarily directed towards its own perfection, but towards the coming kingdom of heaven. The church has to be satisfied with never being more than only the church52 . Its awareness of this limitation is an important part of its holiness.

50 Barth, Dogmatics in Outline, p. 141, 146f. 51 Calvin emphasizes that this request includes the confession of human wickedness (Institutio III 20, 41). 52 “When the Kingdom of God has come, the Church will no more exist. As long as the Church exists, the Kingdom of God must be its boundary. And as long as the Kingdom of God is its boundary, it can and must, with all that belongs to it, reconcile itself to be merely Church.” Barth, Credo, p. 148. Or as Barth puts it elsewhere: “In the Church we may be just like a bird in a cage which is always hitting against the bars.” Barth, Dogmatics in Outline, p. 147.

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8.

Die Katholizität der Kirche1

Meine Überlegungen über die Katholizität der Kirche aus protestantischer Perspektive vollziehen vier Schritte. Zunächst lenke ich die Aufmerksamkeit auf die Reformation und erinnere daran, dass es völlig absurd wäre anzunehmen, man habe sich hier von dem „Katholischen“ abgewandt, um jetzt „evangelisch“ zu werden. Vielmehr ging es den Reformatoren entschieden um eine Rückgewinnung einer angemessenen Katholizität, wie sie von den altkirchlichen Glaubensbekenntnissen annonciert wird. In meinem zweiten Schritt wende ich mich der Näherbestimmung des Charakters der Universalität zu, die mit der Katholizität in den Blick gerückt wird. Auf welcher Ebene und mit welcher Reichweite kann von einer Universalität der Kirche gesprochen werden? Sodann komme ich drittens zur Katholizität des biblischen Zeugnisses, dessen herausgehobene Bedeutung uns eine Veranschaulichung über die Vielfalt und die Konzentration von Katholizität gibt. Und schließlich soll viertens noch ausdrücklich die besondere ökumenische Relevanz dieses dritten Kirchenattributs bedacht werden.

8.1

Die reformatorische Wiederentdeckung der Katholizität

Im Alltag der protestantischen Kirchen taucht der Begriff „katholisch“ heute weithin nur noch als eine Konfessionsbezeichnung für die Römisch-Katholische Kirche auf.2 Das ist vor allem das Ergebnis der nachreformatorischen Entwicklung, die von dem Umstand geprägt war, dass sich nun zumindest zwei Kirchen gegenüberstanden, die sich auf unterschiedliche und zueinander in Spannung stehende

1 Überarbeitete Fassung eines Vortrags im Rahmen des 11. Gesprächs im bilateralen Dialog zwischen der Rumänischen Orthodoxen Kirche und Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) vom 1.–7. April 2006 in Eisenach; Publikation der ursprünglichen Fassung: Michael Weinrich, Die Bedeutung der Katholizität der Kirche für ihre ökumenische Existenz, in: Dagmar Heller u. Johann Schneider (Hg.), Die Ökumenischen Konzilien und die Katholizität der Kirche (Beiheft zur Ökumenischen Rundschau 83), Frankfurt/M. 2009, 132–148. 2 Diese Sprachregelung galt sogar weithin in der ökumenischen Bewegung bis in die 1960er Jahre. Protestantisch und katholisch galt auf der Gründungsvollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam als Gegensatz; vgl. Bericht der Sektion I, in: Amsterdamer Dokumente, 27–35, 28f. Erst auf der vierten Vollversammlung des ÖRK 1968 in Uppsala (also nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil) wird der Katholizität der Kirche eine die ganze Welt umfassende Bedeutung zugemessen; vgl. Reinhard Groscurth, Katholizität, Evang. Verständnis.

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Bekenntnisgrundlagen bezogen.3 Im Unterschied zu Calvin hat Luther in der Regel das Fremdwort ‚katholisch‘ um der Verständlichkeit willen mit ‚christlich‘ übersetzt – so auch in seiner Übersetzung des Glaubensbekenntnisses.4 Das ist aber gerade kein Hinweis auf eine Distanzierung von diesem Kirchenattribut, sondern signalisiert im Gegenteil sein Interesse daran, dieses Attribut in besonderer Weise ernst zu nehmen und wieder von seinem Inhalt her neu zur Geltung zu bringen,5 auch wenn durch den terminologischen Wechsel der Begriff ‚katholisch‘ für die protestantische Verständigung damit weithin verloren gegangen ist. Das sollte m. E. heute neu überdacht werden, auch aus ökumenischen Gründen. Blicken wir auf den sachlichen Gehalt des Attributs der Katholizität, so gehört es für die Reformatoren nicht nur zu den selbstverständlichen Charakteristika der wieder auf ihre ursprüngliche Bestimmung zurückzuführenden Kirche, sondern es genießt in der Perspektive der angestrebten Reformen sogar eine durchaus bevorzugte Wertschätzung6 und macht einen Teil des ökumenischen Anspruchs der Reformation aus.7 Wie kein anderes von den vier Attributen, die im nizänokonstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis aufgeführt werden, ist der theologisch fundierte Hinweis auf die Katholizität dazu geeignet, die Kirche aus den Fesseln ihrer geschichtlichen Determiniertheit zu befreien und in den Horizont ihrer göttlichen Stiftung zu stellen. Da den Reformatoren auch nicht im Entferntesten so etwas wie eine konfessionelle Spaltung der Kirche vor Augen stand,8

3 Zum unterschiedlichen Gebrauch des Begriffs „katholisch“ im Laufe der Geschichte vgl. u. a. Max Seckler, Katholisch als Konfessionsbezeichnung. Seckler weist darauf hin, „daß ‚katholisch‘ als Konfessionsbezeichnung wenigstens in logischer Hinsicht ein Nonsens ist.“ (Ebd., 421f.) 4 Vgl. Luthers Katechismen, BSLK 511, 653. Luther folgte darin einer mittelalterlichen Praxis, die er in antiklerikaler Zuspitzung übernahm: „Cattolica kan man nicht wol besser deudschen denn Christlich, wie bis her geschehen, Das ist: wo Christen sind in aller Welt, da wider tobt der Bapst und wil seinen hof allein die Christliche Kirche geheißen, leugt aber.“ (WA 50, 283) 5 Werner Elert betont, dass Luther großen Wert darauf gelegt habe, niemals die Katholizität der Kirche angetastet zu haben. Auch das Luthertum hat sich noch im 17. Jahrhundert zur wahrhaft katholischen Kirche gerechnet (Morphologie des Luthertums I, 240–255; vgl. Ernst Kinder, Evangelische Katholizität, 70f.) Man verstand sich als die „katholisch-evangelische“ Kirche; vgl. Ernst Wolf, Die Einheit der Kirche im Zeugnis der Reformation, 153f. 6 Vgl. dazu Johannes Bernard, Zur Katholizität der Confessio Augustana. 7 Vgl. dazu Weinrich, Protestantische Aspekte einer ökumenischen Ekklesiologie, 187; ähnlich schon Kinder, Evangelische Katholizität, 82; Kristen E. Skydsgaard, Die Reformation als ökumenisches Ereignis. 8 Das deutsche Schlusswort der Apologie des Confessio Augustana betont ausdrücklich: „Also ist der Teufel mit seinen Gliedern, so sich wider Gottes Wort legt, Ursach der Spaltung und Uneinigkeit; denn wir zum höchsten Frieden gesucht haben, des wir noch zum höchsten begehren, so fern, daß wir nicht gedrungen werden Christum zu lästern und zu verleugnen. Denn Gott weiß, der aller Herzen Richter ist, daß wir an dieser schrecklichen Uneinigkeit nicht Lust oder Freud haben. So hat der Gegenteil bis anher kein Frieden machen wollen, darin nicht gesucht sei, daß wir die heilsame Lehre

Die reformatorische Wiederentdeckung der Katholizität

ging es ihnen nicht um die Abwendung von ihrer zeitgenössischen Kirche, um eine anderen zu etablieren, sondern es ging notorisch und entschieden stets allein um die eine recht verstandene Kirche,9 zu der es zurückzufinden gelte, weil sie diese – milde gesprochen – von den seinerzeit herrschenden Umständen mehr verhindert als befördert sahen. Sie knüpften dabei an eine zentrale Dimension des altkirchlichen Verständnisses von Katholizität im Sinne von Rechtgläubigkeit an.10 Es ging ihnen darum, Katholizität wieder inhaltlich zu füllen, weil ihre formale Reklamation durch die im Mittelalter immer deutlicher werdende Betonung der romanitas11 mehr und mehr an Überzeugungskraft verloren hatte.12 Dieser Bedeutungsverlust veranlasste die Reformatoren nicht dazu, dieses geschwächte Attribut nun preiszugeben. Vielmehr betonten sie die in ihm liegende essenzielle Substanz für das Wesen der Kirche,13 deren Verlust sie mehr oder weniger zwangsläufig zu einer Sekte machen würde.14 Für Luther wird die Kirche durch ihre Katholizität in besonderer Weise auf ihre lebendige Mitte fokussiert, nämlich das Evangelium. Seine Übersetzung mit „christlich“ bindet die Aufmerksamkeit an das Verständnis der Kirche als Leib Christi15 – ganz im Sinne der erstmaligen Titulierung der Kirche als ‚katholisch‘ durch Ignatius von Antiochien: „dort, wo Christus ist, ist die katholische Kirche.“16 Dabei liegt der Ton darauf, dass Gott es ist, der durch seinen Geist den Glauben an das in Christus beschlossene Evangelium wirkt. Die Katholizität der Kirche ist die Katholizität des lebendigen Evangeliums. Es ist das Wort Gottes, das niemals resonanzlos ergeht (Jes 55,10f.), was Luther zu der pointierten Feststellung veranlasst:

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von Vergebung der Sünde durch Christum ohn Verdienst sollten fallen lassen, dadurch doch Christus zum höchsten gelästert würde.“ (BSLK, 403) Nicht ohne Grund heißt das reformatorische Hauptwerk von Huldrych Zwingli „De vera et falsa religio“ (1525) – „Kommentar über die wahre und falsche Religion“. Zum altkirchlichen Verständnis von Katholizität vgl. John Norman Davidson Kelly, Die Begriffe „Katholisch“ und „Apostolisch“ in den ersten Jahrhunderten. Vgl. Peter Steinacker, Katholizität, 75f. In der Literatur wird in der Regel die quantative von der qualitativen Katholizität unterschieden. Pointiert heißt es im 20. Jahrhundert bei Karl Barth: „Kirche ist katholisch oder sie ist nicht Kirche.“ (KD IV/2, 784) Genau dieses wirft Calvin in seiner Verteidigungsschrift an Kardinal Sardolet mit einer pejorativen Verwendung des Begriffs ‚secta‘ der römisch-katholischen Kirche vor; vgl. Antwort an Kardinal Sardolet (1539), 366,21. Vgl. Ernst Sommerlath, Die Katholizität der Kirche, 152. IgnSm 8,2 (Brief an die Gemeinde zu Smyrna im Jahre 110); vgl. dazu John D. Zizioulas, Abenmahlsgemeinschaft und Katholizität der Kirche, 32ff. Es geht um eine „christologische Wirklichkeit“. Die Kirche „ist zu allererst deshalb katholisch, weil sie der Leib Christi ist. Ihre Katholizität hängt nicht von ihr selbst, sondern von ihm ab. Sie ist katholisch, weil sie dort ist, wo Christus ist.“ (Ebd., 42.)

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„Daher sind wir sicher, dass [es] unmöglich ist, dass nicht Christen sein sollten, da das Evangelium gehet, wie wenig ihrer immer seien, und wie sündig und gebrechlich sie auch seien, gleichwie es unmöglich ist, dass da Christen und nicht eitel Heiden sein sollten, da das Evangelium nicht gehet, und Menschenlehren regiern, wie viele ihrer auch immer seien, und wie heilig und fein sie immer wandeln.“17

Wenn es die Botschaft des Evangeliums ist, die sich ihre Hörerinnen und Hörer schafft, dann können selbst in einer im Irrtum befangenen Kirche, wie sie die Reformatoren in der auf Rom zentrierten Kirche wahrnahmen, nicht nur wahre Christen gefunden werden, sondern auch noch wahre Kirche. Kurt Dietrich Schmidt formuliert pointiert im Blick auf Luthers Position: „Nicht nur trotz der Ketzerei in Rom, sondern sogar durch die Tätigkeit der Ketzer dort gibt es in Rom die wahre Kirche Jesu Christi.“18 Im Zuge der mit der nachreformatorischen Konfessionalisierung verbundenen Ernüchterung wurde dieses Motiv – um eine unvermittelte Verbindungslinie zur moderneren ökumenischen Diskussion anzudeuten – in der Toronto-Erklärung des Zentralausschusses des Ökumenischen Rates der Kirchen von 1950 zu der entscheidenden theologischen Begründung für das ökumenische Engagement der Kirchen im 20. Jahrhundert.19 Die Katholizität kann grundsätzlich nicht auf die Mitglieder der eigenen Kirche beschränkt werden.20 So sehr nach Ansicht der Reformatoren die wahre Kirche nur im Glauben lebendig ist (fides qua creditur), so wenig ist der Glaube ihr Fundament, sondern er weist über sich hinaus auf den ihn begründenden überindividuellen Inhalt (fides quae creditur), das lebendige Wort Gottes, das von ihren ersten Anfängen an die Kirche regiert und am Leben erhält.21 Damit wird deutlich, dass sie nicht – wie bisweilen von orthodoxer Seite im Blick auf die protestantische Ekklesiologie zu vernehmen ist – auf der Subjektivität der Glaubenden, sondern auf der transsubjektiven und alle Christen vergemeinschaftenden Kraft des zu allen Zeiten lebendig ergehenden Evangeliums gründet. Von hier aus bezieht die reformatorische Emphase auf die Katholizität gerade ihr entscheidendes Profil, das ausdrücklich darauf ausgerichtet ist, wieder aus dem partikularen Subjektivismus menschlicher Lehren, die von den Reformatoren besonders im Blick auf das zeitgenössische Papsttum beklagt wurden, herauszuführen. Der Vorwurf der Subjektivierung geht ganz und gar an der Intention der Reformatoren vorbei, auch wenn er im Blick auf manche Erschei-

17 WA 11, 408 (orthographisch modernisiert). 18 Kurt Dietrich Schmidt, Luthertum und Ökumene, 133. 19 Vgl. Die Kirche, die Kirchen und der ökumenische Rat der Kirchen (Toronto 1950), in: Die Einheit der Kirche. Material der ökumenischen Bewegung, 257. 20 Vgl. auch Sommerlath, Die Katholizität der Kirche, 149. 21 Vgl. u. a. WA 6, 560f, WA 7, 682.

Die reformatorische Wiederentdeckung der Katholizität

nungsweisen des neuzeitlichen und insbesondere gegenwärtigen Protestantismus durchaus berechtigt sein mag. Die Katholizität der Kirche bleibt ein Element des dritten Artikels des Glaubensbekenntnisses, d. h. sie ist im Credo verankert und behält von hier aus ihre besondere Orientierungskraft, die von den jeweiligen historischen Umständen zwar angefochten werden mag, aber eben niemals tatsächlich aufgehoben werden kann. Dem Glauben kann diese geglaubte Katholizität durchaus auch sichtbar werden, aber sie wird niemals von ihrer Sichtbarkeit aus begründet oder verifiziert. Jenseits des Credos gibt es nichts zu sehen, weil Katholizität niemals einfach offensichtlich ist. Vielmehr liegt ihre Evidenz – ebenso wie auch bei den anderen Attributen der Kirche – im Entdeckungshorizont des Glaubens und seiner besonderen Weltwahrnehmung.22 Katholizität wird nicht als geschichtliche Errungenschaft der von den Menschen operationalisierten Kirche verstanden, sondern als eine Gabe Gottes bzw. als eine Schöpfung des Heiligen Geistes. Als solche unterliegt sie auch in ihrer zweifellos einzuräumenden Geschichtlichkeit nicht den vom Menschen verwalteten Instrumentarien der Geschichte und einer von ihnen zu wahrenden Kontinuität, sondern sie schafft sich diese Kontinuität selbst durch die sich im Evangelium immer wieder neu vergegenwärtigende lebendige Zuwendung Gottes.23 Zugleich macht dies ihren eschatologischen Charakter aus, den sie ebenfalls mit den anderen Kirchenattributen teilt.24 Aber es wäre eine folgenreiche Verkürzung, wollte man die Attribute der wahren Kirche allein von ihrer eschatologischen Bedeutung aus verstehen. Um diese inhaltlich bestimmte Katholizität der Kirche ging es den Reformatoren. Dass sie mit der Rückgewinnung einer vom Evangelium aus konzentrierten Katholizität in ein Partikularkirchentum gedrängt wurden, fällt nicht unmittelbar in ihre Verantwortung. Aus ökumenischen Gründen sahen sich die Reformatoren genötigt, diesen Bruch nicht zuletzt um der Katholizität willen hinnehmen zu müssen.25 Nüchtern bleibt zu konstatieren, dass sich auf diese Weise faktisch auch die römisch-katholische Kirche entgegen ihres eigenen Anspruchs und ungewollt zu einer Konfessionskirche gemacht hat. 22 Vgl. dazu Weinrich, Die Einheit der Kirche aus reformatorischer Perspektive, 198ff.; Kinder, Der evangelische Glaube und die Kirche, 93–103; Barth, KD IV/1, 791. 23 Die Verabsolutierung der historischen Kontinuität bietet keinen wirksamen Schutz gegen die menschlichen Usurpationen der Katholizität, die der Kirche unweigerlich einen sektiererischen Charakter verleihen und sich damit gegen alle Attribute erheben, die das Glaubensbekenntnis der Kirche zuordnet. 24 Zu dem im Rahmen dieses Beitrages nicht weiter thematisierten eschatologischen Charakter der Katholizität vgl. u. a. Wolfhart Pannenberg, Die Bedeutung der Eschatologie für das Verständnis der Apostolizität und Katholizität der Kirche; vgl. auch Jean Bosc, Die Katholizität der Kirche; Urs Küry, Von der Katholizität der Kirche. 25 Vgl. o. Anm. 7.

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8.2

Die Universalität der Kirche

Für Luther bezeichnet die Katholizität die räumliche, zeitliche und qualitative Reichweite dessen, was Kirche zu heißen verdient: „daher heißt eine heilige catholica oder christliche Kirche, dass da ist einerlei reine und lautere Lehre des Evangelii und äußerlich Bekenntnis derselben an allen Orten der Welt und zu jeder Zeit, unangesehen, was sonst an Ungleichheit und Unterschieden des äußerlich leiblichen Lebens oder äußerlicher Ordnungen, Sitten und Zeremonien sind.“26

Wenn Luther hier die exponierte Bedeutung der Lehre hervorhebt, bleibt zu beachten, dass er von der Lehre des Evangeliums spricht und nicht etwa von einer theologischen Lehre oder von ausformulierten Dogmen.27 Auf dem Hintergrund von so pointierten Aussagen der Reformatoren, wie die eben zitierte Feststellung Luthers, verwundert es nicht, wenn sowohl in den Bekenntnisschriften der lutherischen als auch der reformierten Kirche bei der theologischen Bestimmung des Wesens der Kirche der Katholizität eine hohe Bedeutung zugemessen wird.28 Dabei vollzieht sich eine gewisse Verschiebung in die Richtung einer Konfessionalisierung ihres Verständnisses, die unter den gegebenen Umständen nicht zu vermeiden war.29 Diese Konfessionalisierung bestand zunächst schlicht in einer lehrmäßig möglichst pointiert vollzogenen Abgrenzung, die vor allem zur Identifikation des eigenen Selbstverständnisses formuliert wird. In der Apologie zu dem bekannten Artikel VII der Confessio Augustana, die übrigens 1539 auch von Calvin unterzeichnet wurde, findet sich unter ausdrücklicher Bezugnahme auf das altkirchliche Bekenntnis die entscheidende Aussage zur Katholizität der Kirche:

26 WA 22, 299f. 27 „Gott hat uns gezeigt, wo das Leben ist, nämlich in seinem Wort.“ WA 47,397; vgl. dazu Karl Gerhard Steck, Lehre und Leben bei Luther, 62ff. 28 Elert erinnert in diesem Zusammenhang an das Justinianische Corpus juris civilis, das zur Zeit der Reformation als kaiserliches Recht galt und in einem aus dem Jahre 380 stammenden Gesetz festhält, dass die Katholizität des Christen an der doctrina evangelica zu bemessen sei, und genau diesen Nachweis beansprucht die Confessio Augustana im Jahre 1530 zu erbringen. Vgl. Die Botschaft des VII. Artikels der Augsburgischen Konfession, 19. 29 Bei nüchterner Betrachtung hat diese Konfessionalisierung trotz aller Problematik auch eine geschichtlich unvermeidliche Seite, denn in ihr werden gleichsam die Koexistenzbedingungen niedergelegt, durch welche die unversöhnlichen Kirchen ein Stück weit davon entlastet werden, sich permanent mit ihren Exklusivitätsansprüchen gegenseitig aufreiben zu müssen. Angesichts des Eingeständnisses, dass die Widersprüche auf absehbare Dauer als unausräumbar eingeschätzt werden, trägt die Konfessionalisierung zu einer gewissen Normalisierung bei, indem sie den Gegensätzen eine gewisse Kalkulierbarkeit verleiht.

Die Universalität der Kirche

„dass wir gewiss sein mögen, nicht zweifeln, sondern fest und ganz glauben, dass eigentlich eine christliche Kirche bis an das Ende der Welt auf Erden sein und bleiben werde, dass wir auch gar nicht zweifeln, dass eine christliche Kirche auf Erden lebe und sei, welche Christi Braut sei, obwohl der gottlose Haufen mehr und größer ist, dass auch der Herr Christus hier auf Erden in dem Haufen, welcher Kirche heißt, täglich wirke, Sünde vergebe, täglich das Gebet erhöre, täglich in Anfechtungen mit reichem, starkem Trost die Seinen erquicke und immer wieder aufrichte, so ist der tröstliche Artikel im Glauben gesetzt: ‚Ich glaube eine katholische, allgemeine, christliche Kirche‘, damit niemand denken möchte, die Kirche sei, wie eine andere äußerliche Polizei, an dieses oder jenes Land, Königreich oder Stand gebunden, wie von Rom der Papst sagen will; sondern dass gewiss wahr bleibt, dass der Haufen und die Menschen die rechte Kirche seien, welche hin und wieder in der Welt, vom Aufgang der Sonne bis zum Niedergang, an Christum wahrlich glauben, welche denn ein Evangelium, einen Christus, einerlei Taufe und Sakrament haben, durch den heiligen Geist regiert werden, obwohl sie ungleiche Zeremonien haben.“30

Ebenso prägnant heißt es auf reformierter Seite im Zweiten Helvetischen Bekenntnis von 1562 (1566): Da „es immer nur einen einzigen Gott gibt, nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Messias Jesus, einen Hirten der ganzen Erde, ein Haupt dieses Leibes, schließlich einen Geist, ein Heil, einen Glauben und ein Testament oder einen Bund, so folgt daraus notwendig, dass es auch nur eine einzige Kirche gibt. Deshalb nennen wir sie die katholische christliche Kirche [catholicam], weil sie allumfassend ist, sich über alle Teile der Welt und über alle Zeiten erstreckt und weder durch Ort noch Zeit eingeschränkt ist.“31 Wir lehren „mit allem Fleiß, man solle darauf achten, worin am ehesten die Wahrheit und Einheit der Kirche liege, damit wir nicht leichtfertig Spaltungen erzeugen und in der Kirche begünstigen. Jene liegt nicht in den äußeren Zeremonien und gottesdienstlichen Gebräuchen, sondern vielmehr in der Wahrheit und Einheit des katholischen christlichen Glaubens. Der katholische christliche Glaube ist uns aber nicht durch menschliche Satzungen überliefert, sondern durch die göttliche Schrift, deren Zusammenfassung das Apostolische Glaubensbekenntnis ist.“32

Gemeinsam ist beiden Positionen, dass sie ein formales Verständnis von Katholizität nicht gelten lassen. Die Katholizität bezieht ihre Kontur aus ihrem theologischen

30 BSLK, 236 (orthographisch modernisiert). 31 Confessio helvetica posterior, BSRK, 195f. (Übersetzung zit. n. Reformierte Bekenntnisschriften, 213; in Anlehnung an Luthers Sprachgebrauch fügt die Übersetzung zu „katholisch“ jeweils noch das Wort „christlich“ hinzu). 32 BSRK, 199 (Übersetzung zit. n. Reformierte Bekenntnisschriften, 219).

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Die Katholizität der Kirche

Rückbezug auf den dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses. Der geschichtlichen Institutionalität der Kirche wird kein eigenes theologisches Gewicht zugemessen. Die Universalität der Kirche bemisst sich an ihrem Glauben an Christus und der Übereinstimmung in der göttlichen Lehre, wie sie von der Schrift bezeugt und im Glaubensbekenntnis zusammengefasst wird. Die Anerkennung des Glaubensbekenntnisses reicht aus, um einen Menschen der katholischen Kirche zurechnen zu können – und selbst da wäre es ein folgenreiches Missverständnis, wollte man sich hier streng auf die Wörtlichkeit versteifen. Es geht um die inhaltliche Übereinstimmung mit den fundamentalen Lehraussagen, denn der Glaube bezieht sich ja nicht auf den Wortlaut des Glaubensbekenntnisses, sondern auf Christus und sein rettendes Eintreten für uns.33 Auf der anderen Seite verdeutlicht der Rekurs auf die Lehre, dass eine Limitierung der Katholizität allein auf die unsichtbare Kirche zu kurz greift. Die Berufung auf den Inhalt des Glaubensbekenntnisses inkludiert immer auch das geschichtliche Auftreten der Kirche, die ihren Glauben öffentlich bekennt34 und damit auch ihre eigene Verwiesenheit auf ein Bemühen um die sie orientierende Lehre anerkennt.35 Dennoch kann Katholizität nicht einfach von der Kirche statuiert werden. Und sie kann schon gar nicht von irgendeiner geschichtlichen Kirche nur für sich selbst in Anspruch genommen werden, denn sie umfasst nicht nur den ganzen Erdkreis, sondern eben auch alle Zeiten. Sie bleibt bei allen theologischen Näherbestimmungen ein Credo, das seinem Wesen nach nicht auf die Grenzen einer verfassten Kirche limitiert werden kann.

8.3

Die Katholizität des biblischen Zeugnisses

Zwar stimmten die Reformatoren mit der bekannten Regel des Vincent von Lerin (gest. Mitte 5. Jh.) überein, nach welcher sich die Katholizität an der universitas, der antiquitas und dem consensio zu bemessen habe, ergänzen diese drei Kriterien aber durch den Hinweis auf das Schriftprinzip.36 Im Blick auf die Alte Kirche sah man keine Spannung zwischen der Tradition und dem Schriftprinzip, d. h. man ging davon aus, dass eine Lehre, die nicht mit der Lehre der Alten Kirche übereinstimmte, in der Regel auch nicht schriftgemäß sein könne. Der überaus weitreichende Konsens mit den Kirchenvätern, die zugleich für die antiquitas der Lehre standen, hatte für die offensive Reklamation der Katholizität durch die Reformatoren eine hohe Bedeutung. 33 34 35 36

Vgl. dazu Calvin, Institutio IV 1,12. So schließt das Athanasium mit „haec est fides catholica …“; BSLK 30. So im Blick auf die CA Bengt Hägglund, Katholizität und Bekenntnis, 245. Vgl. ebd., 243.

Die Katholizität des biblischen Zeugnisses

Die Grundbestimmung der Katholizität der Schrift liegt in der Katholizität des von ihr bezeugten Evangeliums. Um das sagen zu können, muss man nicht allen Bestimmungen zustimmen, die mit dem reformatorischen Schriftprinzip verbunden sind und über die wir an dieser Stelle jetzt nicht diskutieren müssen.37 Ich möchte auf drei Aspekte hinweisen, von denen ich hoffe, dass sie auf Zustimmung stoßen, auch wenn es keinen vollständigen Konsens im Blick auf das Schriftprinzip gibt: a) Der Prozess der Kanonisierung des biblischen Zeugnisses kann – bei allen gebliebenen Differenzen – als ein Beispiel praktizierter Katholizität angesehen werden. Als die entsprechenden Beschlüsse gefasst wurden, war er faktisch bereits längst in Geltung – Heinrich Karpp spricht von einem „formlos eingetretenen Sachverhalt“,38 der dann durch die späteren Beschlussfassungen nur noch bestätigt wurde. Die Anerkennung der Geltung der verschiedenen Texte hatte etwas mit dem faktischen Gebrauch der Texte zu tun. Zweifellos gab es auch Lehrentscheidungen bei der Frage, welche Schriften für die Kirche orientierend sein sollen und welche nicht – die Abweisung der Vorschläge Marcions ist wohl das exponierteste Beispiel –, aber bei einigen Schriften gab es unterschiedliche Einschätzungen, d. h. es gab Befürworter und Skeptiker. In der Regel wurde dann nach der Maßgabe des Gebrauchs dieser Schriften – wie zum Beispiel der Johannesapokalypse – entschieden, d. h. ihre Geltung wurde nicht weiter problematisiert, wenn sie im Leben eines Teils der Gemeinden in Gebrauch standen.39 Von vornherein wurde dem Kanon eine hohe Bedeutung für den überregionalen Zusammenhalt der Kirche zugemessen. Er galt als der besondere Ausdruck ihrer Katholizität. Das Vertrauen, das er für sich in Anspruch nehmen konnte, gründete nicht nur – wie bereits angedeutet wurde – auf einer theologischen Überprüfung der Texte, sondern daneben gab es – insbesondere für die Zweifelsfälle – auch noch das Kriterium ihrer geistlichen Relevanz, die sich nirgends besser ablesen ließ als eben an ihrem praktischen Gebrauch im Gottesdienst. Im Konflikt hat sich die Kirche nicht für die restriktive Lösung entschieden, sondern es wurde nach Möglichkeit nach einem Weg gesucht, auf dem sich die Zusammengehörigkeit der verschiedenen Gemeinden mit ihren unterschiedlichen Texttraditionen wahren ließ, d. h. die Kirche hat bei ihrer Entscheidung über den Kanon im Vertrauen auf den heiligen Geist der gelebten Katholizität auch ein eigenes Gewicht zugemessen.

37 Vgl. dazu oben Kap. 2. 38 Vgl. Heinrich Karpp, Schrift, Geist und Wort Gottes, 16. 39 Vgl. ebd., 19.

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Die Katholizität der Kirche

b) Der zweite Aspekt hängt unmittelbar mit dem soeben bedachten Umstand zusammen: Das biblische Zeugnis ist kein theologisches Lehrbuch und schon gar nicht eine Sammlung unverrückbarer Dogmen. Vielmehr ist es ein Dokument einer lebendigen Vielfalt, das nicht nur höchst verschiedene Erfahrungswirklichkeiten widerspiegelt, sondern auch auf die ganze Fülle unterschiedlicher Lebenssituationen zielt. Die versammelten Schriften durchmessen eine lange Geschichte und verarbeiten ein weitreichendes Spektrum konkreter Lebensumstände. Das hat immer wieder zu dem problematischen Eindruck verführt, dass sich mit der Bibel alles begründen bzw. legitimieren lasse, und in der Tat bleibt die Frage nach der Eindeutigkeit des biblischen Zeugnisses ein keineswegs leicht zu lösendes Problem, das bereits die ganze Kirchengeschichte begleitet und auf recht unterschiedliche Weise gehandhabt wurde und wird. Die Glaubensbekenntnisse lassen sich nicht zuletzt als eine Antwort auf dieses Problem verstehen, d. h. sie können auch als Leseanleitung der Bibel verstanden werden. Das Lehramt kann als eine eher formal ausgerichtete Antwort verstanden werden, so wie Luthers christologische Hermeneutik eine inhaltliche Verstehenshilfe darstellt.40 Keine dieser Antworten ist heute unumstritten. Wahrscheinlich wäre es auch eher ein schlechtes und alarmierendes Zeichen, wenn die Auseinandersetzung um das rechte Verständnis des biblischen Zeugnisses nicht mehr geführt würde, denn eben diese macht einen wesentlichen Teil des Lebens der Kirche aus. Bei aller Umstrittenheit wird man aber mit guten Gründen dem Eindruck entgegentreten können, dass es vollkommen willkürlich und somit beliebig sei, wie die Texte zu verstehen seien bzw. welchen man ein besonderes Gewicht zumesse und welchen nicht. Die Vielfalt der Bibel markiert im Horizont des Glaubens keine Beliebigkeit, sondern sie hat eine eigene Konzentration. Die Konzentration dieser weitreichenden Vielfalt liegt in der Beziehung auf den gleichen Gott, der nicht als sein widersprüchliches Schicksal mit dem Kosmos spielt, sondern sich in freier Treue zu seiner Schöpfung hält als ihr Schöpfer, Versöhner und Erlöser. Die Bibel bezeugt diese Geschichte Gottes mit seiner Schöpfung und insbesondere mit dem Menschen als dem durch die Gottebenbildlichkeit ausgezeichneten Geschöpf, die sich wie ein roter Faden durch die ganze Vielfalt des biblischen Zeugnisses hindurch zieht und diese in ihren Höhen und Tiefen in besonderer Weise kenntlich macht und orientiert. Es gibt ein deutlich erkennbares Gefälle des Willens und des besonderen Weges Gottes, das sich nur gegen den Zusammenhang und die gemeinsame Perspektive der Texte umdrehen lässt. Zweifellos gibt es dunkle und möglicherweise auch unverständliche Texte, doch diese lassen sich weithin nach der von Luther wieder hervorgehobenen Regel verstehen, dass sie in das Licht der

40 Vgl. dazu auch Weinrich, Die Bibel legt sich selber aus.

Die Katholizität des biblischen Zeugnisses

hellen und klaren Texte zu stellen seien, derer es mehr als genug gebe.41 Selbst wenn wir hinsichtlich der äußeren Klarheit der Texte heute nicht mehr ganz so optimistisch sein mögen, wie es die Reformatoren – insbesondere Luther42 – waren, kann wohl kaum Zweifel an dem zentralen Gewicht der Botschaft von der dem Menschen immer wieder voraus laufenden heilsame Zuwendung Gottes geben, die unserem Leben einen allen irdischen Sicherungen überlegenen Grund gibt. Man geht wohl nicht zu weit, wenn man feststellt, dass der schlichte Textbestand der beiden Testamente die unerschütterliche Dominanz der Barmherzigkeit und des wirksamen Heilswillens des von ihm bezeugten Gottes zu erkennen gibt. Darüber hinaus erweist sich das biblische Zeugnis im Blick auf ihre innere Klarheit bzw. ihre Inspiration darin als katholisch, dass es sich immer wieder neu in den unterschiedlichsten Situationen der Geschichte und des persönlichen Lebens als lebendig erweist, indem sich durch sie die von ihr bezeugte Wirklichkeit selbst vergegenwärtigt. Diese auf dem biblischen Zeugnis liegende Verheißung macht die besondere Qualität ihrer Katholizität aus, die sie sowohl allen theologischen Fixierungen als auch allen partikular-kirchlichen Unterwerfungen entzieht. In diesem Sinne möchte ich von einer lebendigen Katholizität des biblischen Zeugnisses sprechen. c) Auch der dritte Aspekt der Katholizität des biblischen Zeugnisses hängt eng mit dem ersten zusammen, blickt aber mehr in eine formale als in eine inhaltliche Richtung. Es ist das biblische Zeugnis, das wie nichts anderes die Katholizität der Kirche sichtbar zu machen vermag – gewiss auch nicht eindeutig, weil im Sichtbaren nichts eindeutig ist, aber doch in einem unvergleichlich hohen und auch evidenten Maße. Bei allen Unterschieden im Schriftgebrauch und im Schriftverständnis wird von keiner Kirche in Frage gestellt, dass das biblische Zeugnis nicht nur eine wichtige und hilfreiche Orientierungsquelle sei, sondern es genießt in allen Kirchen eine mit nichts zu vergleichende bevorzugte Stellung als die lebendige Quelle für die von der Kirche zu hörende und dann auch zu verkündigende Botschaft von dem dreieinigen Gott und seiner Geschichte mit seiner Schöpfung im bereits benannten Sinne. In allen Kirchen ist die Bibel die fundamentale Quelle, aus welcher die Kirche die entscheidende Orientierung für sich selbst und ihr Tun bezieht, auch wenn die Bibel gewiss nicht die einzige Quelle ist. Es wird sich wohl auf die Dauer in keiner Kirche eine Lehre halten können, die in offenkundigem Widerspruch zu den Hauptaussagen der Bibel steht. Die Hochschätzung der Schrift bestätigt sich darüber hinaus sowohl in ihrem liturgischen Gebrauch als auch in ihrer selbstverständlichen Geltung zur Begründung

41 Vgl. WA 18, 606f. 42 Vgl. WA 18, 609.

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Die Katholizität der Kirche

theologischer Aussagen. Sie zeigt sich ebenso in den unterschiedlichen Bildersprachen der Kirchen als auch in ihren Gesängen und Gebeten. In keinem Bereich des kirchlichen Lebens lässt sich das biblische Zeugnis wegdenken; zumindest auf indirekte Weise ist sie in allen spezifischen Lebensformen der Kirche präsent, und zwar – und darauf kommt es mir hier an – über die Konfessionsgrenzen hinweg. Die Bibel ist deshalb auch ein (das) unverzichtbare(s) Element für eine aussichtsreiche Verständigung zwischen den Kirchen. Sie appelliert an unsere Gemeinsamkeit und stiftet – jenseits all der im Laufe der Geschichte eingetretenen Entfremdungen – auch die wohl wichtigste Basis für eine gebliebene gegenseitige Vertrautheit und dann hoffentlich auch für ein tragfähiges Vertrauen. Gewiss bleibt nüchtern einzuräumen, dass die Bibel auch die Quelle unserer Unterschiede ist. Dietrich Ritschl sieht in der angesprochenen innerbiblischen Vielfalt – er spricht von einer „Polyzentrie der biblischen Themen“43 – sowohl die Ursache für die unterschiedlichen theologischen und dann auch konfessionellen Verständigungsräume – diese nennt er unterschiedliche „semiotische Systeme“ – als auch die entscheidende Basis für die Entwicklung eines gut begründeten gegenseitigen Vertrauens. Wenn wir uns gegenseitig trotz aller Unterschiede einen sorgfältigen und verantwortlichen Umgang mit der Schrift konzedieren würden, könnte das Vertrauen in die Katholizität der Schrift zu einer hoffnungsvollen Basis auch für das gegenseitige Vertrauen über die bestehenden Unterschiede hinweg werden.

8.4

Katholizität als Fundament der Ökumene

Wir bleiben ganz in der Linie der bisherigen Argumentation, wenn das mit der Kirche verbundene Credo der Katholizität als das theologisch produktivste Attribut für die Öffnung eines ökumenisches Weges angesehen wird, der nicht durch einen übergroßen Homogenitätsdruck versperrt wird, bevor er tatsächlich betreten wurde. Ein Blick „auf die altkirchliche Praxis der Lokalkirchen zeigt, daß die Verschiedenartigkeit der Riten und Bräuche keineswegs kirchentrennend war.“44 Es scheint mir kein Zufall zu sein, dass es besonders die Zeit nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil war, in der es eine über die Konfessionsgrenzen hinweggehende Wiederentdeckung des Kirchenattributs der Katholizität gegeben hat.45

43 Dietrich Ritschl, Theorie und Konkretion in der Ökumenischen Theologie, 108. 44 Wolfgang Beinert, Katholizität als Grundlage ökumenischer Haltung, 28f. 45 Zum Verständnis der Katholizität des Zweiten Vatikanischen Konzils vgl. u. a. ebd., 18ff; Ders., Die Katholizität als Eigenschaft der Kirche; Bernard, Zur Katholizität der CA, 31ff; Emmanuel Lanne, Die Ortskirche; Harald Wagner, Aspekte der Katholizität. Vgl. auch die vorkonziliare Bestandsaufnahme von Thomas Sartory, Was heißt katholisch?

Katholizität als Fundament der Ökumene

In seinem Verständnis haben sich im Laufe der Kirchengeschichte verschiedene Problemaspekte in den Vordergrund geschoben, die in gewisser Weise alle noch präsent sind. Zugleich gibt es eine neue Nuance, die mit der neuen Aufmerksamkeit auf die Ökumene seit dem 20. Jahrhundert zusammenhängt. Unmittelbar nach dem Konzil erwartete der römisch-katholische Theologe Max Seckler eine theologische Aufwertung des Phänomens „Christenheit“, das durch eine Verwendung des Begriffs der Katholizität, der die gemeinsame Verbundenheit in Christus hervorhebt, eine eigene ökumenische Wirklichkeit ins Bewusstsein heben könnte.46 Katholizität rückte dann ganz und gar in die Nähe von Ökumenizität, behielte aber den Vorteil, nicht nur die geschichtlich besser unterfütterte, sondern auch die theologisch pointiertere Bezeichnung zu sein, die in einem unmittelbaren Kontakt zu den Bestimmungen der Kirche in den alten Bekenntnissen steht.47 Es gibt einen weitreichenden über das reformatorische Verständnis von Katholizität hinausgehenden Konsens, dass Katholizität weder von uns verwaltet noch von uns einfach hergestellt werden kann, sondern gemäß dem Glaubensbekenntnis zu den der Kirche zugeordneten Gaben des Heiligen Geistes gehört, die sich die Kirche immer wieder neu schenken lassen muss.48 Dabei kommt es der Kirche nicht zu, das Wirken des Heiligen Geistes auf sich selbst zu beschränken. Das den Glauben auszeichnende Vertrauen in die souveräne Überlegenheit Gottes impliziert eine nach außen gerichtete Offenheit, die in keiner Weise mit einer Selbstrelativierung verwechselt werden darf. Es gilt, einfach und zugleich konsequent mit der Möglichkeit zu rechnen, dass sich die Universalität des Wirkens Gottes auch im Blick auf die Kirche nicht einfach geschichtlich identifizieren lässt. Katholizität als Gabe verweist mehr auf die Beziehung Gottes zur Kirche als auf irgendeine Homogenität der irdischen Gestalt der Kirche. Es ist gerade die Besin46 Vgl. Seckler, Katholisch als Konfessionsbezeichnung, 424ff. Seckler zitiert am Schluss seiner Überlegungen Johann Adam Möhler: „Zwei Extreme im kirchlichen Leben sind aber möglich, und beide heißen Egoismus: wenn ein jeder oder wenn einer alles sein will; im letzten Fall wird das Band der Einheit so eng und die Liebe so warm, daß man sich des Erstickens nicht erwehren kann; im ersten fällt alles auseinander, und es wird so kalt, daß man erfriert; der eine Egoismus erzeugt den anderen; es muß aber weder einer noch jeder alles sein wollen; alles können nur alle sein, und die Einheit aller nur ein Ganzes. Das ist die Idee der katholischen Kirche.“ (Die Einheit der Kirche oder das Prinzip des Katholizismus, 237) 47 Zudem unterstreicht diese Synonymität den ekklesiologisch essenziellen Charakter der Ökumene, die eben „kein kirchlicher oder theologische Luxusartikel [ist], sondern notwendiges Element des Christseins heute“. Beinert, Katholizität, 16. Pannenberg verweist auf den besonders engen sachlichen Zusammenhang des ersten und dritten Kirchenattributs, wobei die Katholizität insofern über die Einheit hinausgeht, als sie über die Schranken der bestehenden Kirchen hinaus auf die universale Bestimmung der Kirche zielt (Die Bedeutung der Eschatologie,104); vgl. Barth, KD IV/1, 784f. 48 Vgl. u. a. Hägglund, Katholizität, 250; Zizioulas, Abendmahlsgemeinschaft, 42f.; Pannenberg, Die Bedeutung der Eschatologie, 108f.; Beinert, Katholizität, 27.

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Die Katholizität der Kirche

nung auf ihren göttlichen Grund, in welcher die Kirche ihre Katholizität entdeckt. In diesem Sinne trifft die Formel von Anders Nygren: „Der Weg zur Einheit ist der Weg zum Zentrum.“49 Es ist das Vertrauen in den Christus praesens,50 das zu der Freiheit verhelfen kann, in dem Christusbekenntnis derjenigen, die nicht zu der eigenen historisch gewachsenen Kirche gehören, einen Ausdruck von Katholizität hören und dann auch sehen zu können. Es geht um ein Zusammenrücken der Kirche unter dem Kreuz,51 über das sich keine Kirche triumphalistisch hinwegsetzen kann. Es sind ja nicht die Verschiedenheiten an sich, welche die Einheit der Kirche zum Problem machen, sondern die exklusiven Bewertungen der Verschiedenheiten. Es geht um die unterschiedliche Bestimmung bzw. Füllung des „satis est“ (CA VII). Ist dieses erst erreicht, wenn wir unser ganzes Kirchentum in ihm untergebracht haben, oder weist sein Sinn nicht vielmehr in die Richtung des Glaubensbekenntnisses, in dem wir ja in allen Punkten mehr bekennen als sich jemals in einem Kirchentum vor Augen führen ließe. Wenn Barth im Blick auf die Katholizität von „einer in allen Verschiedenheiten sich überlegen durchsetzenden Identität, Kontinuität und Universalität“52 spricht, dann setzt er auf das wahrhaft Verbindende unter den Kirchen, dem auch allein die Autorität und Konsequenz für eine Trennung zugestanden werden darf. In diesem Sinne steht die Katholizität der Kirche dem theologischen Gehalt nach einerseits im Zeichen einer von den Kirchen immer wieder ernst zu nehmenden Bescheidenheit. Durch diese werden sie dazu ermahnt, sich weder mit Gott zu verwechseln noch sich zu seinem exklusiven Werk zu erklären. Andererseits verweist die Katholizität die Kirchen auf eine immer wieder erst zu entdeckende Freiheit.53 Diese Freiheit erinnert sie daran, dass sie weder sich selbst noch die anderen in die Perspektive einer bestimmten Form stellen müssen, sondern von dem vom Geist gewirkten Glauben die entscheidende Kraft zur Auferbauung der Kirche erwarten dürfen. Die entscheidende Herausforderung sollte von der jeweils zu vernehmenden Botschaft ausgehen, und nicht von den Lehren, die wir aus dieser Botschaft gemacht haben. Es kommt darauf an, dass unser Lob Gottes sich als unsere Antwort auf die von Gott zu vernehmende Botschaft ausweisen kann, und nicht darauf, dass dieses Lob in einer ganz bestimmten Form ergeht. Die Form bleibt auf die Entsprechung zum Inhalt angewiesen, während umgekehrt der Inhalt nicht an eine bestimmte Form gebunden ist. So kann die Treue zur Form ein ebenso begründeter

49 50 51 52 53

Zit. n. Kinder, Evangelische Katholizität, 84. Vgl. Ritschl, Theorie und Konkretion in der Ökumenischen Theologie, 67ff, 190ff. Vgl. Steinacker, Katholizität, 80. KD IV/1, 783. Mit sachlich weitreichender Entsprechung zu „Freiheit“ und „Bescheidenheit“ spricht Beinert von „Großmut und Demut“ (Katholizität als Grundlage ökumenischer Haltung, 28).

Katholizität als Fundament der Ökumene

Weg zur Wahrung des Inhalts sein, wie auch einzuräumen bleibt, dass der Inhalt in unterschiedlichen irdenen Gefäßen (2Kor 4,7), die alle von einer unübersehbaren Zerbrechlichkeit gezeichnet sind, gefasst werden kann. Das kann durchaus ein Ausdruck des Reichtums der von uns bekannten Katholizität der Kirche sein. Ich schließe mit einem nachdenkenswerten Zitat aus einem Referat, das der orthodoxe Theologie Nikos A. Nissiotis 1961 auf der dritten Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen in Neu-Delhi gehalten hat: „Und da wir nicht mehr in der Vergangenheit leben, sollten wir einander auch nicht mehr ‚Schismatiker’ nennen. Es gibt keine ‚Schismatiker’, vielmehr stellen die geschichtlichen Kirchen in ihren Spaltungen einen schismatischen Zustand in der Einen ungeteilten Kirche dar. […] Nicht um ‚Konfessionen’ geht es, sondern um die Anerkennung der Tatsache, dass sie als Kirchen innerhalb der allgemeinen Kirche leben, in der der Heilige Geist die geschichtlich-charismatische Ordnung einer kirchlichen Institution schafft, heiligt und formt. Und diese Institution ist nicht von Menschen erfunden, sondern durch die Pfingstgnade geschaffen, in der wirkliche Freiheit in ungebrochener Gemeinschaft erfahren wird.“54

Das verstehe ich als ein engagiertes Plädoyer für die Katholizität im Sinne der vorgetragenen Überlegungen.

54 Nikos A. Nissiotis, Zeugnis und Dienst der orthodoxen Christenheit für die eine ungeteilte Welt, 550f.

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9.

Die Apostolizität der Kirche1

Zwei Vorbemerkungen sollen die folgenden Überlegungen ein wenig situieren: 1. Die Apostolizität ist in ökumenischer Hinsicht ein weites und auch durchaus umstrittenes Thema, das mit sehr verschiedenen Aspekten verknüpft ist. Dabei geht es nicht zuletzt um die sachliche Reichweite dessen, was mit dem Begriff der Apostolizität umfasst werden soll: Geht es eher um ein sehr spezifisches und pointiertes Verständnis oder um ein weitläufiges, in dem der Begriff mit durchaus unterschiedlicher Bedeutung oder zumindest Intensität in theologischen wie auch kirchlich-institutionellen Zusammenhängen verwendet wird? Wolfgang Beinert macht darauf aufmerksam, dass das Leitbild der Apostolizität aus vielen Elementen bestehe, so dass sich in ihrem unterschiedlichen Verständnis das Problem der konfessionellen Differenzen in der Ekklesiologie verberge.2 Ich werde mit meinen Überlegungen nicht versuchen, das ganze thematische Spektrum abzuschreiten, das in der Ökumene von dem Begriff der Apostolizität affiziert wird. Auch die inzwischen weitläufige exegetische und religionswissenschaftliche Debatte kann hier nicht zur Sprache kommen. Immerhin, so viel sei von diesen Debatten auch hier gelernt: Es ist keineswegs so klar und eindeutig, wer und was die Apostel waren, wie es in der späteren kirchlichen Tradition und auch in der christlichen Ikonographie den Anschein hat. 2. Die Apostolizität gehört zu den vier Prädikaten bzw. Attributen (proprietates), die im Nizäno-konstantinopolitanischen Glaubensbekenntnis der Kirche zugeordnet werden. Dieses Glaubensbekenntnis wiederum zählt zu dem unbestrittenen Traditionsbestand auch der reformatorischen Kirchen, zumindest der lutherischen und auch der reformierten Familie. Insofern gehört auch die Apostolizität zu den essenziellen Aspekten der reformatorischen Ekklesiologie.

1 Bearbeitete Fassung eines Vortrags im Rahmen des 12. Gesprächs im offiziellen Dialog der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) mit der Orthodoxen Kirche in Rumänien vom 11.–15. März 2010 im Kloster Brancoveanu von Sâmbăta de Sus (Rumänien). Publikation der ursprünglichen Fassung: Michael Weinrich, Die Apostolizität der Kirche aus reformatorischer Perspektive, in: Martin Illert u. Martin Schindehütte (Hg.), Theologischer Dialog mit der Rumänisch Orthodoxen Kirche. Die Apostolizität der Kirche (12. Begegnung im bilateralen Dialog) – Heiligkeit und Heiligung (13. Begegnung im bilateralen Dialog) (Beihefte zur Ökumenischen Rundschau Nr. 97), Leipzig 2014, 65–82. 2 Vgl. Wolfgang Beinert, Ökumenische Leitbilder und Alternativen, 143.

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Die Apostolizität der Kirche

Wenn diese etwas verwinkelte Art und Weise, in das Verständnis der Apostolizität in der reformatorischen Rezeption einzuführen, den Verdacht wecken sollte, dass die Apostolizität eher nur beiläufig als tatsächlich substanziell zur reformatorischen Tradition gehört, so enthält diese Wahrnehmung sowohl ein gewisses Wahrheitsmoment als auch ein klar abzuweisendes Missverständnis. Das Wahrheitsmoment hat zwei Facetten. Einerseits trifft es zu, dass dem Attribut der Apostolizität in der reformatorischen Tradition relativ wenig explizite Aufmerksamkeit und Entfaltung gewidmet wurde. Weder bei Luther oder Calvin noch in den reformatorischen Bekenntnisschriften finden sich dazu eingehende Thematisierungen. Andererseits bleibt auch qualitativ einzuräumen, dass für die reformatorische Tradition innerhalb der ganzen Reichweite, die von der orthodoxen und in anderer Weise auch von der römisch-katholischen Theologie dem Verständnis der Apostolizität zugemessen wird, nur ein bestimmter Ausschnitt für das Verständnis prägend ist, während andere Aspekte mit einer zurückhaltenderen Bewertung bedacht werden. Das Missverständnis, das sich nun angesichts dieser Zurückhaltung einschleichen könnte, aber ist die Unterstellung, dass der Apostolizität in der reformatorischen Tradition nur eine unterbestimmte stiefmütterliche Schattenexistenz zukomme. Dagegen bleibt zu unterstreichen, dass sich einerseits für die quantitative Sparsamkeit klar benennbare Gründe anführen lassen, und sich andererseits die qualitative Konzentration nicht nur zufällig einstellt, sondern ihrerseits qualitativen Wahrnehmungen und Entscheidungen folgt, so dass in dem, was als Apostolizität festgehalten und unterstrichen wird, das volle theologische Gewicht liegt, welches aus reformatorischer Sicht dem Attribut der Apostolizität in biblisch verantworteter Weise zugemessen werden kann. Nach Harding Meyer und Heinz Schütte kann es „nicht den geringsten Zweifel darüber geben, daß auch nach lutherischer Auffassung und im Sinne der CA die ‚Apostolizität‘ zu den wesentlichen Attributen der Kirche zählt. Das ‚beständige Bleiben in der Apostel Lehre‘ (Apg 2,42), das Gegründetsein auf dem ‚Fundament der Apostel‘ (Eph 2,20) ist für die Kirche konstitutiv. Das Bekenntnis der CA zur Kontinuität der Kirche schließt das grundsätzlich mit ein.“3 Es wird sich schließlich zeigen, dass ein Teil dessen, was in anderen Traditionen unter dem Stichwort der Apostolizität abgehandelt wird, in der reformatorischen Tradition im Horizont der Schrifthermeneutik bzw. des Schriftprinzips bedacht wird. Darauf werde ich im Laufe meiner Überlegungen kurz eingehen.

3 Die Auffassung von der Kirche im Augsburgischen Bekenntnis, 175.

Die Apostolizität im Zusammenhang der vier Attribute der Kirche

9.1

Die Apostolizität im Zusammenhang der vier Attribute der Kirche

Auch wenn die Begriffe nicht durchgängig in gleicher Weise verwendet werden, gilt in der reformatorischen Ekklesiologie eine klare Unterscheidung zwischen den Prädikaten (Barth u. a.) bzw. den Attributen (Pannenberg, Huber, Wenz u. a.) der Kirche, wie sie in den Glaubensbekenntnissen formuliert werden, und den Kennzeichen der Kirche, wie sie besonders in kontroverstheologischen Debatten seit der Reformation für die reformatorische Ekklesiologie als kennzeichnend angesehen werden. Wenn in der Literatur von den notae ecclesiae die Rede ist, können allerdings auch beide gemeint sein.4 Einerseits unterscheiden Wolfgang Huber und Gunther Wenz die notae als die ‚äußeren Mittel‘ bzw. die ‚äußeren Kennzeichen‘ der verfassten Kirche von den Attributen als den Wesenseigenschaften der geglaubten Kirche,5 während andererseits auch in der ekklesiologischen Literatur des Protestantismus seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Anerkennung des römisch-katholischen und orthodoxen Sprachgebrauchs wieder ganz bewusst eben die altkirchlichen Prädikate bzw. Attribute (proprietates) als die notae ecclesiae erörtert werden – so etwa von Karl Barth,6 Jürgen Moltmann,7 Wolfhart Pannenberg8 und Peter Steinacker.9 Die Verankerung in den Bekenntnissen verdeutlicht, dass den Attributen der Kirche ein ganz besonderer Rang zugemessen wird, der theologisch für die Kirche substanziell ist. Das wird heute auch von keiner Seite infrage gestellt. Wenn zu ihrer Zeit die Reformatoren die Erkennbarkeit der Kirche auf die rechte Verkündigung des Evangeliums und die einsetzungsgemäße Praxis der neutestamentlich konstituierten Sakramente konzentrierten (CA VII), ging es dezidiert um eine theologisch ausgewiesene konkrete Identifizierbarkeit der Kirche, die sie mit Hilfe der vier Attribute nicht für möglich hielten. Sie beriefen sich auf essentielle Elemente des öffentlich wahrnehmbaren Lebens der Kirche, die sowohl einerseits nur durch ihre göttliche Einsetzung begründet und zugleich geschichtlich auch

4 Peter Steinacker verwendet in seiner Habilitationsschrift den Begriff zunächst für die in den Glaubensbekenntnissen benannten Wesensmerkmale der Kirche, von denen dann die beiden reformatorischen Kennzeichen als äußere Erkennungszeichen abgeleitet werden (vgl. Die Kennzeichen der Kirche). Wilfried Härle schlägt vor, die letzteren als ‚notae externae‘ zu bezeichnen, um sie von den Wesenseigenschaften der Kirche, zu denen sie in einer unmittelbaren Beziehung stehen, zu unterscheiden (vgl. Apostolizität, 654). 5 Vgl. Wolfgang Huber, Kirche, 39, 90; vgl. Gunther Wenz, Kirche, 59, 66. 6 Vgl. Karl Barth, KD IV/1, 746–809. 7 Vgl. Jürgen Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes, 363–388. 8 Vgl. Wolfhart Pannenberg, Thesen zur Theologie der Kirche, 44. 9 Vgl. Steinacker, Die Kennzeichen der Kirche.

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Die Apostolizität der Kirche

konkret identifizierbar sind.10 Diese bezeichneten sie anstelle der vier Attribute nun als notae ecclesiae. Dabei darf die konkrete ökumenische Absicht von Melanchthon beim Abfassen des Augsburger Bekenntnisses nicht vergessen werden, in der er sich um der angestrebten Einheit willen auf die notwendig abzustimmenden Minimalbedingungen der Bekenntnisgrundlagen beschränkt hat, wenn er in diesen beiden Kennzeichen einen gemeinsamen Treffpunkt für die gegeneinanderstehenden Positionen gesehen hat. Wenn ich im Folgenden bei dieser traditionell reformatorischen Sprachregelung bleibe, so geschieht das ohne jeden kontroverstheologischen Impetus. Als ein Attribut der Kirche ist die Apostolizität eine mit dem Heiligen Geist in genuiner Verbindung stehende Wesenseigenschaft, die der Glaube in der Kirche mit sachlich gleichem Gewicht gegeben sieht wie die Einheit, Heiligkeit und Katholizität. Jedes dieser vier Attribute hat einen eigenen irreduziblen Akzent, und zueinander können sie im Verhältnis einer vollständigen Komplementarität gesehen werden,11 d. h. sie beschreiben umfassend das Wesen der Kirche, so dass keine weiteren Ergänzungen mehr gemacht werden müssen. Es sind wohl gemerkt keine Errungenschaften der Kirche oder ihr gesetzte Zielsetzungen, auch wenn es der Kirche unablässig auferlegt bleibt, den geschichtlichen Verdunkelungen dieser Attribute entschlossen entgegenzutreten, damit sie nicht mit sich selbst in einen Widerspruch gerät. Vielmehr handelt es sich um auf der Kirche liegende Verheißungen, anhand derer es uns möglich ist, einen Begriff von der vom Heiligen Geist belebten Kirche zu haben. Und auf diese Kirche kommt es entscheidend an, wenn die Kirche nicht nur eine diffuse religiöse Gesinnungsversammlung sein will. Diese Verheißungen können auch als ein keineswegs immer von der Erfahrung bestätigter Trost verstanden werden, der unserer Kritik an der geschichtlich verfassten Kirche eine heilsame Grenze setzt, indem sie diese davor warnt, in Selbstgerechtigkeit und individualistische Perspektivierungen zu verfallen. Die Anordnung der vier Attribute ist weder nach Priorität gereiht, noch liegt ihr eine aufsteigende Klimax zugrunde. Wie bereits unterstrichen, heben sie je ein Wesensmoment hervor und erklären sich zugleich auch gegenseitig, d. h. sie stehen in einem gegenseitigen Implikationsverhältnis, indem jedes immer auch ein besonderes Licht auf die drei anderen wirft. Allerdings kann gesagt werden, dass sowohl dem Attribut der Einheit als auch dem Attribut der Apostolizität insofern eine gewisse Redundanz zukommt, weil das erste im Grunde als selbstverständlich angesehen werden könnte (es kann schließlich nur einen ‚Leib Christi‘ geben) und

10 Calvin hat eben deshalb darauf verzichtet, die ihm wichtige Kirchendisziplin zu den notae ecclesiae zu rechnen, weil es für sie keine unmittelbare göttliche Einsetzung gibt. Siehe oben Kap. 1, 55, Anm. 106. 11 Yves Congar spricht von einer gegenseitigen „circuminsessio“ (gr. perichoresis M.W.) der Wesenseigenschaften; Die Wesenseigenschaften der Kirche, 362.

Die Apostolizität im Zusammenhang der vier Attribute der Kirche

das vierte schlicht als die Zusammenfassung der drei ersten Attribute aufgefasst werden kann. Diese Wahrnehmung wird durch das Faktum bestätigt, dass etwa das Apostolische Glaubensbekenntnis nur zwei Attribute benennt und damit ja keine andere Kirche im Auge hat: „sanctam ecclesiam catholicam“ heißt es dort.12 Wenn sich dies Bekenntnis insgesamt als apostolisch bezeichnet, wird hervorgehoben, dass sich die Apostolizität nicht allein auf die Kirche, sondern auf alles bezieht, was der Glaube zu bekennen hat. Der Legende nach habe bei einer Versammlung der Apostel nach der Himmelfahrt des Auferstandenen jeder der zwölf Apostel unter dem Einfluss des Heiligen Geistes eine der zwölf Aussagen des Glaubensbekenntnisses beigesteuert. Das darin liegende Wahrheitsmoment kann wohl darin gesehen werden, dass sich dieses Glaubensbekenntnis in der Tat ganz eng an die apostolische Überlieferung anschließt. Auf der anderen Seite hat es ebenso eine tiefe Bedeutung, gerade im heutigen Kontext, wenn das Bekenntnis von 381 die Einheit der Kirche angesichts der die Kirche von Anfang an begleitenden Spannungen hervorhebt – schon die berühmte Beschwörung der Einheit im Epheserbrief geht ja davon aus, dass die von ihm betonte Einheit nicht einfach ein geschichtliches Faktum, sondern eben ein die geschichtlichen Spannungen übergreifendes Bekenntnis darstellt. Und ebenso hat es eine tiefe Bedeutung, die Apostolizität explizit zu machen, damit unmissverständlich klar bleibt, dass Heiligkeit und Katholizität keine beliebig auszufüllenden theologische Bestimmungen sind, sondern verbindlich an die biblische Fundierung gebunden bleiben. So kann Karl Barth einerseits feststellen, dass die Apostolizität zu den anderen drei Prädikaten der Kirche nichts Neues hinzufüge, und zugleich andererseits betonen, dass im Blick auf die Einheit, Heiligkeit und Katholizität alles an der Apostolizität hänge, so dass er – ähnlich wie der Lutheraner Peter Brunner13 – in ihr die Klimax der vier Prädikate sieht14 und sogar pointiert sagen kann, dass das Apostolische „die einzige nota ecclesiae“ sei.15 Wahrt die Kirche die Apostolizität, so wird es automatisch auch gut bestellt sein um die anderen Attribute der Kirche. Und so ist es durchaus kein Gegensatz zu dem eben Gesagten, wenn das Apostolische als die Eigenschaft der Kirche angesehen wird, „die durch den Heiligen Geist bewirkt wird, der die Gläubigen eint, heiligt und sie durch die Jahrhunderte hindurch in Kontinuität mit dem Glauben der Apostel, ihrer Lehre und den Strukturen ihres Gemeindelebens erhält“ – so in der Formulierung des 2009

12 13 14 15

BSLK, 21. Peter Brunner, Die Kirche und die Kirchen heute, 227. Vgl. Barth, KD IV/1, 795. Vgl. ebd., 797.

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Die Apostolizität der Kirche

im Druck erschienenen Studiendokuments der Lutherisch/Römisch-katholischen Kommission für die Einheit.16 Um mich an dieser Stelle kurz zu fassen, steht bei dem Attribut der Einheit der Erwählungscharakter der Kirche im Zentrum des Motivs, wobei theologisch auch die bleibende Erwählung Israels mit im Blick bleiben muss.17 Das Attribut der Heiligkeit hebt die göttliche Wirklichkeit der Kirche hervor, die es neben der mehr oder weniger offenkundig unbefriedigenden menschlichen Wirklichkeit der Kirche zu bekennen gilt. Und das Attribut der Katholizität hebt die verschiedenen Dimensionen der Universalität der Kirche hervor, sowohl synchron als auch diachron bzw. sowohl räumlich als auch zeitlich, um die Kirche über das Faktum ihres tatsächlich unausräumbaren Provinzialismus zu erheben, der ihr von den unterschiedlichen regionalen und historischen Prägungen relativ leicht erkennbar anhaftet und eine eigene partikularisierende Wirkung mit sich bringt. Alle drei Bestimmungen bleiben auf das Geistwirken Gottes in der Kirche bezogen, überschreiten sie doch erkennbar prinzipiell die dem Menschen gegebenen Möglichkeiten für die geschichtliche Einrichtung und Verwirklichung der Kirche. Die Apostolizität habe ich zunächst ausgelassen, weil diese nun zum Hauptgegenstand der folgenden Überlegungen werden soll.

9.2

Der theologische Fokus der Apostolizität

Es ist das Besondere der Apostolizität, dass sie die Verbindung der Kirche zu ihrem Ursprung in das Zentrum der Aufmerksamkeit stellt. Damit ist sowohl eine geschichtliche Dimension als auch eine sich durch die Zeiten erhaltende besondere qualitative Dimension angesprochen. Die geschichtliche Dimension verweist auf die fundamentale Bedeutung, welche die Apostel bei der Konstitution der ersten christlichen Gemeinden und Kirchen hatten. Es ist durchaus bemerkenswert, dass Christus zwar der Grund der Kirche, aber eben nicht ihr Gründer ist. Zumindest nach Lukas ist der Auferstandene erst in den Himmel aufgefahren, um dann – nachdem durchaus etwas Zeit verstrichen war, was sich ja auch in unserem Kirchenjahr niedergeschlagen hat – seinen Geist zu schicken und die von ihm berufenen Jünger zu beauftragen, der ganzen Welt das Evangelium zu verkündigen und in seinem Namen die Taufe zu vollziehen. Auch bei Matthäus werden die Jünger als die Zeugen des Auferstandenen adressiert, womit unterstrichen wird, dass erst in der Auferstehung die Sendung Jesu zu ihrem Ziel gekommen ist, so dass eben auch erst jetzt erkannt werden kann, dass nicht

16 Die Apostolizität der Kirche (Literaturangabe unter: Quellen), 54 (Abs. 85). 17 Siehe oben Kap. 4: Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels.

Der theologische Fokus der Apostolizität

nur die Verkündigung Jesu weiterzugeben ist, sondern Jesus als der Auferstandene auch selbst der zu Verkündigende ist. Die Begründung der Kirche vollzieht sich durch Berufung menschlicher Akteure, denen Gott seinen Geist gibt und seine Präsenz verheißt. Wie es bei der Erwählung Israels war, die sich durch die Berufung von Mose geschichtliche Geltung verschaffte, so ist es auch bei der Erwählung der Kirche, die durch die Berufung der Apostel zum Zuge kommt. Gott agiert nicht selbst als Religionsgründer, und auch die irdische Existenz Jesu kulminiert nicht darin, dass er die Kirche begründet. In unterschiedlichen Übersetzungen ist der immer wieder zitierte Satz von Alfred Loisy (Bibelwissenschaftler in Paris; 1857–1940) bekannt: „Jesus hatte das Reich angekündigt, und dafür ist die Kirche gekommen.“18 Dieser Satz hat so manche Phantasie geweckt, die von dem Verfasser gar nicht im Blick war. Das entscheidende Wahrheitsmoment könnte darin liegen, dass die Gottursprünglichkeit der Kirche keine direkte, sondern eine vermittelte, eine durch besonders berufene Menschen vermittelte ist. Sie ist weder mit dem Reich Gottes zu verwechseln noch erschöpft sich ihre Botschaft in der vom Reiche Gottes. Im Unterschied zum Reich Gottes ist die Kirche keine unmittelbare göttliche Veranstaltung. Die sie auszeichnende Göttlichkeit wird durch die Apostel vermittelt und verbirgt sich im Akt ihrer Berufung und Autorisierung. Die Erwählung der Kirche wird wirksam durch die Berufung der Apostel, welche die Botschaft vom Handeln Gottes in Christus mit dem Ziel verkünden, dass sich die von dieser Verkündigung erreichten Menschen versammeln, um diesem Gott die Ehre zu erweisen und in der Welt ihren Glauben bekennen, indem sie durch Wort und Tat die ihren Glauben tragende Botschaft weitertragen. Die Apostel werden als die Gründer der Kirche verstanden. Deshalb gilt Pfingsten als der Geburtstag der Kirche. Sowohl die göttliche Initiative als auch die menschliche Vermittlung sind konstitutiv. Den hier ermächtigten Menschen kommt eine einmalige und herausragende Rolle zu, der alle späteren Generationen verpflichtet bleiben. Wenn eine spätere Generation bedeutender Lehrer der Kirche die Apostolischen Väter genannt werden, so wird zwar ihre Nähe und Treue zu den Aposteln hervorgehoben, aber in keiner Weise der Eindruck erweckt, dass sie nun auch Apostel seien – Ignatius stellt ausdrücklich fest, dass er nicht als ein Apostel agiere.19 Die auch in seiner Offenbarung gewahrte Transzendenz Gottes führte zu einer besonderen Exposition von einzelnen Menschen. Das war nicht nur bei Mose so, sondern zeigte sich auch bei allen Propheten und dann eben auch bei den Aposteln. Es waren nicht besonders talentierte Persönlichkeiten – keine Virtuosen vorbildlicher Frömmigkeit, die nun ihre Begabung und ihr Geschick in den Dienst

18 Zit. n. Peter Neuner, Loisy, 454. 19 Vgl. Peter Staples, Apostolocity, 51.

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Die Apostolizität der Kirche

einer guten Sache stellten, sondern ihre Auszeichnung liegt gerade nicht in dem, was in ihnen ist, sondern in dem, was ihnen aufgetragen wurde, in dem Auftrag, zu dem sie berufen wurden – die Treue zu diesem Auftrag macht sie zu Aposteln. In einer immer noch lesenswerten kleinen Schrift hat Sören Kierkegaard das Genie, das alles aus sich selbst und seinem Vermögen herausholt, konsequent abgegrenzt von dem Apostel, der eben ganz und gar von sich absieht und sich allein an seine Berufung hält, die ihm die Vollmacht gibt, im Namen Gottes zu sprechen, so wie ein Bote des Königs im Namen des Königs spricht.20 Es ist diese Vollmacht, die den Aposteln ihre exponierte und darin einmalige Bedeutung gibt. Indem es die Apostel waren, welche die Botschaft des Evangeliums überbrachten, bleibt auch für uns heute die Klarheit und Deutlichkeit des Evangeliums daran zu bemessen, ob es das apostolische Evangelium ist. Die Apostolizität ist sowohl auf die besonderen Träger der Botschaft als auf ihre besondere Botschaft bezogen.21 Wenn also von den Aposteln nicht als dem Grund, wohl aber als dem Ursprung der Kirche gesprochen wird, so hat das neben dem geschichtlichen auch einen qualitativen Aspekt. Der geschichtliche Anfang der Kirche bleibt verbunden mit einer bestimmten Botschaft, mit der die göttliche Initiative zur Berufung der Apostel verbunden ist. Es geht also nicht nur um den Anfang, sondern immer auch um die qualitative Orientierung, die der Kirche durch ihre Verkündigung gegeben worden ist. Es wird hier gern das Bild einer Quelle gebraucht, die sich nach wie vor als aktiv erweist. Die Apostel sind nach Eph 2,20 der Grund, zu dem Christus der Eckstein ist, oder in der Metaphorik der Offenbarung des Johannes gesprochen: ihre Namen stehen auf den Grundsteinen der Stadtmauer des neuen Jerusalem geschrieben (Apk 21,14). Im Zentrum der Botschaft steht die Verkündigung der Auferstehung Jesu, weshalb unter den die Apostel auszeichnenden Kriterien von Paulus und dann auch der späteren kirchlichen Tradition die unmittelbare Begegnung mit dem Auferstandenen in besonderer Weise hervorgehoben wurde.22 Karl-Wilhelm Niebuhr hat auf die fundamentale Bedeutung des Ostergeschehens für das apostolische Christuszeugnis hingewiesen.23 Neben dieser unmittelbaren Zeugenschaft bleibt auch die Beauftragung als ein eigner Akt Gottes durch seinen Geist festzuhalten, damit die Sammlung der Gemeinde nicht nur als eine menschliche Reaktion von privilegierten Zeugen der Auferstehung verstanden wird, sondern auch ihrerseits als ein von Gott selbst initiiertes Geschehen erkannt werden kann. Die Gründung der Kirche ist nicht eine Reaktion gewesen, die sich den Menschen, die dem Auferstandenen begegnet sind, als sinnvoll nahegelegt hat, sondern wir feiern Pfingsten, 20 21 22 23

Sören Kierkegaard, Über den Unterschied zwischen einem Genie und einem Apostel. Vgl. Staples, Apostolocity, 50. Vgl. u. a. Barth, KD IV/1, 806. Karl-Wilhelm Niebuhr, Gemeinschaft der Apostel, 51f.

Der theologische Fokus der Apostolizität

weil auch die Berufung und Sendung der Apostel noch einmal als eine eigene Tat Gottes zu würdigen bleibt. In diesem sich an den Aposteln vollziehenden besonderen Handeln Gottes liegt ihre unvergleichliche Herausgehobenheit begründet. Darin liegt – mit Karl Barth gesprochen – der prinzipielle „Unterschied, in dem Propheten und Apostel als berufene Zeugen der Offenbarung […] allen übrigen Menschen gegenüberstehen. Dieser Dienst ist ein solcher, der von dem aller übrigen Menschen, auch von dem größten Lehrer der späteren Kirche dadurch prinzipiell unterschieden ist, daß ihr Verhältnis nicht zu Gott, aber zu seiner Offenbarung ein unmittelbares war. An sie richtete sich die urgeschichtliche Offenbarung, erst durch ihren Dienst auch an uns […] Wir glauben und erkennen auf ihr Zeugnis hin. Das haben Augustin und Luther und Calvin und wen man immer nennt, ihnen gegenüber mit uns gemeinsam.“24

Im Zentrum steht dabei der pneumatologische Aspekt, der dann auch für das reformatorische Schriftprinzip ins Zentrum rückt, denn nach Luther kann die Schrift allein „durch den Geist verstanden werden, durch den sie geschrieben ist, welchen Geist du nirgends gegenwärtiger und lebendiger finden kannst, denn eben in seiner heiligen Schrift, die er geschrieben hat“.25 Die Bedeutung der Apostolizität für die Herausbildung des Kanons, die gewiss nicht das einzige Kriterium war, hat aber darin seine exponierte Bedeutung, dass sie als ein verlässliches Bindeglied zu dem pneumatologischen Grund der Kirche angesehen wurde. Hier sehe ich auch eine spezifische Brücke zum orthodoxen Verständnis der Apostolizität, das – wenn ich recht sehe – vor allem die Wirksamkeit des Geistes bei den Aposteln hervorhebt, eben des Geistes, der auch heute in der Kirche, in ihrem Gottesdienst, ihrer Lehre und im Leben der Gläubigen wirkt.26 In der reformatorischen Tradition hat nun für die nähere Bestimmung der Apostolizität eine historische Erfahrung ein besonderes systematisches Gewicht erhalten, nämlich die Erfahrung der Differenz zwischen der geschichtlichen Verfasstheit

24 Barth, Die christliche Dogmatik im Entwurf, 443f. 25 Assertio omnium articolorum [1529], WA 7, 96f. 26 „In der Tat wäre das Zeugnis der Apostel wertlos ohne das Pfingstwunder, ohne die Niederkunft des Heiligen Geistes nicht nur auf die Zwölf, sondern auf die Gesamtkirche. Die Kirche ist also begründet durch die Apostel und auf die Apostel, zugleich aber im Heiligen Geist.“ (Johannes Meyendorff, Die orthodoxe Kirche, 11) – „Zu Pfingsten beginnt die Zeit der Kirche und fordert gebieterisch eine Tradition, eine Überlieferung, nicht aus einem Museum, sondern aus einem lebendigen theologischen Ort, wo Gott fortfährt, den Menschen jeder Epoche sein Wort zu sagen und wieder zu sagen. Die Tradition ist das Bewußtsein der Kirche, dieser Ort zu sein.“ (Paul N. Evdokimov, Grundzüge der orthodoxen Lehre, 64)

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Die Apostolizität der Kirche

der Kirche und ihrer apostolischen Begründung und Bestimmung. Die apostolische Kontinuität ist keine unantastbare Gegebenheit, auf die sich die Kirche allen möglichen Einsprüchen gegenüber einfach berufen könnte, sondern ein in der menschlichen Geschichte auch immer wieder marginalisiertes Element. Wenn auch die reformatorische Tradition – wie bereits gesagt wurde – die Kontinuität der Kirche durchaus hervorhebt (CA VII: „Es wird auch gelehret, daß alle Zeit müsse ein heilige christliche Kirche sein und bleiben“27 ), so liegt der Ton auf der Kontinuität der Wirksamkeit des Evangeliums in der Kirche, wie sie in besonderer Weise durch das Schriftprinzip hervorgehoben wird, weil das biblische Zeugnis das kritische Kriterium für die Identifikation des Heiligen Geistes ist, der dem apostolischen Zeugnis seine grundlegend orientierende Kraft gegeben habe. In diesem Sinne hebt Gerhard Ebeling hervor: „Das sola scriptura ist der Garant der bleibenden Apostolizität der Kirche.“28 Hier liegt auch der entscheidende Grund für die von den Reformatoren hervorgehobene Selbstreferentialität des biblischen Zeugnisses, nach der nicht wir die Schrift auslegen, sondern sie sich eben selbst auslegen muss.29 Wenn es dabei recht zugeht, dann erfahren wir uns als die von der Schrift Ausgelegten, denn wir bedürfen als in uns selbst Gefangene (incurvatus in seipsum) der Erhellung von außen um zu wissen, wie es um uns bestellt ist. Nur als von der Bibel Ausgelegte können wir auch zu ihrem Ausleger werden – das ist die entscheidende Pointe des reformatorischen Schriftprinzips, in dem sich ein wesentlicher Teil des theologischen Gehalts versammelt, der für das reformatorische Verständnis der Apostolizität essenziell ist. Es steht im doppelten, wenn nicht dreifachen Sinn des Wortes die Schrifttreue im Zentrum: Einmal die Treue, in der sich die Schrift vermittels des mit ihr verbundenen Geistes in der Kirche als hilfreich erweist, sodann die von der Schrift in ihrem Zentrum bezeugte Treue Gottes, und mit einem gewissen Abstand dazu auch drittens die Treue, die wir aufgrund der beiden ersten Aspekte nun auch unsererseits der Schrift zu erweisen haben.30 Friedrich Mildenberger weist in seinem Artikel über die Apostolizität darauf hin, dass in den Lehrbüchern der Dogmatik an zwei Stellen essenziell auf die Apostel verwiesen werde: einmal im Zusammenhang mit dem Schriftverständnis in den Prolegomena – gleichsam als eine grundlegende hermeneutische Prämisse für die ganze Dogmatik – und ein zweites Mal in der Ekklesiologie als eine der Wesenseigenschaften der Kirche.31 Beide Perspektiven kommen darin zusammen, dass die Kirche selbst als eine ‚creatura verbi divini’ gilt, so dass es durchaus pointiert 27 28 29 30 31

BSLK, 61. Dogmatik des christlichen Glaubens, Bd. III, 376. Vgl. dazu oben Kap. 2: Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift. Vgl. dazu Gerhard Sauter, Schrifttreue ist kein ‚Schriftprinzip‘. Friedrich Mildenberger, Apostel/Apostolat/Apostolizität, 471.

Der theologische Fokus der Apostolizität

heißen kann, dass sich da, wo Menschen um dieses Wort versammelt sind und wo auf dieses Wort gehört wird, Kirche ereignet. Ich erinnere an die bekannte Aussage Luthers: „Wo zwei oder drei versammelt sind, es sei gleich auf dem Meere oder in der Tiefe der Erde, wenn sie nur Gottes Wort vor sich haben, demselben glauben und trauen, da ist gewisslich die rechte, uralte und wahrhaft apostolische Kirche.“32 In diesem Sinne ist die Verkündigung des Evangeliums das eigentliche Kennzeichen der Kirche.33 Bei dem Apostel Paulus heißt es pointiert in Röm 10,9: „Denn wenn du mit deinem Munde Jesus als den Herrn bekennst und mit deinem Herzen glaubst, das Gott ihn von den Toten auferweckt hat, wirst du gerettet.“ In dem ekklesiologischen Horizont, in dem diese Aussage steht, verweist sie auf das die Kirche tragende Zentrum der apostolischen Botschaft. Der Aspekt der Kontinuität hat bei den Reformatoren seinen Fokus auf der Kontinuität der rechten Verkündigung der apostolischen Botschaft bzw. des apostolischen Glaubens. Ihre Hochschätzung der Lehre meint ja nicht die Einsichten der Theologie, sondern die göttliche Lehre, die Lehre des Evangeliums, die autorisierte Lehre der Apostel – diese sei wichtiger als das Leben, was sich wohl so von der Theologie wohl kaum sagen ließe. In der Verkündigung der Apostel findet sich diese göttliche Lehre, durch welche die Kirche zur Kirche wird. Alles andere folgt daraus und hat von daher sekundären Charakter, weil es eben auch immer wieder an dieser apostolischen Botschaft zu bemessen und neu zu justieren ist, wenn sichergestellt bleiben soll, dass nicht irgendwann etwas Andres an die Stelle dieser Botschaft tritt. Bei Calvin hat die Zurückhaltung gegenüber den geschichtlichen Errungenschaften der Kirche eine ganz besondere Ausprägung, auch wenn er andererseits etwa auf das Amt ein durchaus großes Gewicht gelegt hat. So sehr er beispielsweise das Apostolische Glaubensbekenntnis als zutreffende Zusammenfassung des Glaubens geschätzt hat, so sehr hat er sich gescheut, den Inhalt des Glaubens einfach mit einem Verweis auf den Text des Bekenntnisses zu benennen, denn der Glaube gilt dem lebendigen Christus, wie er im biblischen Zeugnis bezeugt wird und nicht einer Lehrzusammenfassung der Kirche, so angemessen sie auch sein mag. Es muss jeder Anschein vermieden werden, dass die Kirche an einen Text glaubt, weshalb Calvin auch einer Überbewertung der Form der Kirche gegenüber skeptisch blieb, weil sie von der Versuchung gefährdet werde, sich im Glauben allzu sehr in den Vordergrund zu drängen und dabei die Aufmerksamkeit von dem abzulenken, worauf sich der Glaube tatsächlich stützen kann. Die Frage nach der Apostolizität ist freilich noch nicht mit dem Hinweis auf das biblische Zeugnis beantwortet. Ihre besondere Aufmerksamkeit gilt der Wahrnehmung der spezifischen inhaltlichen Orientierungskraft des biblischen Zeugnisses.

32 WA 47, 778. 33 Vgl. Hans Graß, Christliche Glaubenslehre, Bd. II, 112.

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Die Apostolizität der Kirche

Luther konnte dazu pointiert feststellen: „Was Christum nicht leret, das ist nicht Apostolisch, wens gleich Petrus oder Paulus leret, Widerumb, was Christum predigt, das ist Apostolisch, wens gleich Judas, Annas, Pilatus vnd Herodes thett“.34 Es geht entschieden um den durch den Geist im biblischen Zeugnis sprechenden Christus und eben nicht um den einen ‚Papier gewordenen Papst‘, der auf fundamentalistische Weise uns durch den Buchstaben regiert. Die Bibel ist nicht Vorschrift, sondern Zeugnis; es geht nicht um die Übereinstimmung im Wortlaut, sondern um die Übereinstimmung mit ihrer Blickrichtung auf den lebendigen Christus.35 Im Zentrum steht die Wahrung der Freiheit des Geistes, der den apostolischen Ursprung der Kirche geprägt hat. Der Bindung der Apostolizität an die Sukzession des Amtes steht in der reformatorischen Theologie nach wie vor eine prinzipielle Skepsis entgegen, auch dort, wo das Amt durchaus als ein Teilmoment der apostolischen Beauftragung der Kirche gesehen wird (so 1974 in einer Erklärung des Ökumenischen Ausschusses der VELKD).36 Neben den nicht unbegründeten historischen Zweifeln liegt der entscheidende Grund dafür vor allem in der Abweisung des Gedankens, dass sich die christliche Wahrheit durch die „Wahrung äußerer Formen bzw. durch die Etablierung amtlicher Formalautorität“ gewährleisten lasse.37 Dagegen wird das in der Schrift dokumentierte apostolische Zeugnis ins Zentrum gerückt; in diesem Sinne heißt auch nach Barth ‚apostolisch’: „in der Nachfolge, in der Schule, unter der maßgebenden Autorität, Belehrung und Anleitung der Apostel, in Übereinstimmung mit ihnen, weil auf sie hörend und ihren Auftrag aufnehmend.“38 Der Ton kann nur auf der Sukzession des Dienstes, nicht aber auf dem institutionalisierten Amt liegen.39 Der Lutherische Weltbund (LWB) sieht darin den besonderen Akzent der Reformation, den er heute in folgender Weise festhält: „Die Kritik der Reformation diente […] dazu, das Leben der Kirche wieder auf das Evangelium als Mitte auszurichten und sie für den Dienst an der Vermittlung des Evangeliums neu zu ordnen. Die Reformation wollte die Kontinuität mit der apostolischen Kirche erneuern durch die Zentrierung des kirchlichen Lebens auf die Schrift und ihre Auslegung in der Predigt, durch die Taufe und die tägliche Erinnerung an sie, durch die gemeinsame Feier des Herrenmahls, durch die pastorale Ausübung der Schlüsselgewalt im Umgang mit der Sünde und durch die erneute Betonung, dass das Amt Dienst an der Vermittlung

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WA.DB 7, 384. Vgl. Karl Barth, KD IV/1, 807. Vgl. Mildenberger, Apostel/Apostolat/Apostolizität, 472. Wenz, Kirche, 100, 106. KD IV/1, 798. Vgl. ebd., 804.

Ekklesiologische und ökumenische Konsequenzen

des Evangeliums ist. Durch die Predigt und diese grundlegenden Formen vergegenwärtigt sich das Evangelium von Jesus Christus selbst in der Kirche.“40

Ausdrücklich einbezogen in das reformatorische Verständnis der Apostolizität sind die altkirchlichen Bekenntnisse, weil sie in Übereinstimmung mit dem Zeugnis der Schrift gesehen werden. In diesem Sinne teilte die Reformation Tertullians Betonung der Kontinuität der Kirche in der Teilhabe am gleichen apostolischen Glauben.41 Tatsächlich bedeutet die Apostolizität für die Kirche eine stetige Herausforderung zur Reform ihrer geschichtlichen Gestalt.42 Wie das eben gehörte Zitat des LWB verdeutlicht, geht es nicht um eine Reduktion des kirchlichen Lebens auf nur bestimmte Aspekte, sondern um die Rückbindung des ganzen kirchlichen Lebens und der ganzen kirchlichen Lehre an das die Kirche tragende Evangelium.43 Und zugleich bleibt anzuerkennen, dass alles Bleiben in der Wahrheit stets Gottes eigenes Werk ist: „Wenn Gott uns verlässt und uns mit uns allein lässt, sind unsere Weisheit, unser Wissen usw. nichts, wenn er selbst uns nicht unaufhörlich erhält, nützt uns die höchste Erkenntnis, die ureigenste Theologie nichts.“44 Das ist wohl gemerkt keine wohlfeile Floskel, mit der sich die Theologie die Zier der Bescheidenheit zu geben versucht, sondern der fundamentale Hinweis auf den pneumatologischen Vorbehalt, unter dem alle ekklesiologischen Überlegungen stehen.

9.3

Ekklesiologische und ökumenische Konsequenzen

Es ist diese am Schluss des letzten Absatzes benannte Vorbehaltlichkeit, die der reformatorischen Ekklesiologie ein antitriumphalistisches Selbstverständnis auferlegt, das hinsichtlich der geschichtlichen Erscheinung der Kirche von zwei fundamentalen Einsichten ernährt wird. Einerseits bleibt zu konstatieren, dass die geschichtliche Kirche immer auch eine Verdunklung der vom Heiligen Geist berufenen Kirche darstellt. Die wahre Kirche tritt niemals anders als eben in geschichtlich getrübter Gestalt in Erscheinung. Oder anders (positiv) formuliert: Die Kirche ist immer mehr als ihre jeweilige geschichtliche Darstellung. Eben deshalb ruft die Kirche nicht nur zur Umkehr auf, sondern sieht sich auch selbst immer wieder neu vor die Aufgabe der Umkehr gestellt. In dieser Bereitschaft zur eigenen Umkehr zu

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Die Apostolizität der Kirche (Literaturangabe unter: Quellen), 61 (Abs. 100). Vgl. Staples, Apostolicity, 51. Vgl. Die Apostolizität der Kirche (Literaturangabe unter: Quellen), 70f (Abs. 127). Vgl. dazu auch ebd., 71f (Abs. 129 u. 133). Vgl. WA 40/I, 205 (zu Gal 2,13).

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Die Apostolizität der Kirche

ihrem apostolischen Ursprung liegt auch ein zentrales Moment ihres ökumenischen Potentials. Das semper reformanda ist also nicht nur ein konfessioneller Aspekt für die reformatorischen Kirchen. Vielmehr sind alle Kirchen aufgerufen, sich immer wieder neu ihres Grundes und ihrer Sendung zu vergewissern und daraus entsprechende Schlüsse für ihr geschichtliches Erscheinungsbild zu ziehen. Wo die Kirche – mit Calvin gesprochen – nicht immer wieder „bis zur Quelle der Wahrheit zurückgeht, nicht nach dem Haupt fragt und die Lehre des himmlischen Meisters nicht bewahrt“,45 da verliert sie sich in unverträgliche Eigenwilligkeiten. Im Umkehrschluss heißt das, dass die Kirche da ihrer verheißenen und im Geist gegebenen Einheit, Heiligkeit und Katholizität zur Geltung verhilft, wo sie sich immer wieder neu an ihrer apostolischen Begründung orientiert. Das hat dann stets per se auch eine ökumenische Dimension, insbesondere dann, wenn unter Ökumene nicht nur eine menschliche Harmonisierung oder gar ein geschichtlich zu verabredender Kompromiss verstanden wird, sondern eine essenziell mit dem Kirchesein verbundene Dimension, durch die sie dazu angehalten wird, stets in inklusiver Weise die auf der Kirche liegende und in ihr wirkende Verheißung zu bezeugen. Die vier Prädikate der Kirche im Glaubensbekenntnis sind sowohl Ausdruck des Vertrauens in das Wirken des Heiligen Geistes in der Kirche und haben somit ebenso einen doxologischen Charakter so wie sie zugleich für die Maßgabe und den Auftrag der Kirche stehen, ihre geschichtliche Gestalt dem Bekenntnis entsprechend grundsätzlich in Bewegung zu halten. Die Apostolizität hat dabei eine zentrale Bedeutung, indem sie für die die Kirchen zusammenführende verheißungsvolle ökumenische Bemühung steht, sich immer wieder neu an ihrem Ursprung und ihrer Bestimmung zu orientieren. Sie ist eine grundlegende qualitative Bestimmung für die in der Einheit angestrebte Perspektive der Ökumene. Sie zeigt zudem, dass die Ekklesiologie als die Selbstreflexion der Kirche und die Ökumene nicht zwei verschiedene Themen sind mit unterschiedlichen Begründungshorizonten, sondern dass sie essenziell zusammengehören, weil sie auf denselben Begründungshorizont bezogen sind. So wie die der Kirche auferlegte antitriumphalistische Bescheidenheit das Selbstbewusstsein der Kirche nach innen prägt, so hat sie andererseits auch eine nach außen gerichtete Dimension. Sie besteht schlicht darin, dass sie sich mit der sie umgebenden Welt in ihrem Wissen um Gott in einer vergleichbaren Verlegenheit befindet wie diese in ihrem Nichtwissen um Gott. Das hat eine ernüchternde und eine tröstende Seite. Das Ernüchternde liegt darin, dass es keine Veranlassung für die Kirche gibt, sich der Welt als unfehlbarer Ratgeber mit göttlich autorisierten Orientierungen zu empfehlen. Die Kirche verfügt über keinen Schatz, den sie nun mit vollen Händen in der Welt zu deren Erstaunen austeilen könnte, sondern alles,

45 Calvin, Mahnschreiben an Karl V., 279.

Ekklesiologische und ökumenische Konsequenzen

was sie austeilen kann, können im besten Fall nur Gutscheine sein, deren Wert sie zwar mit allen ihr zur Verfügung stehenden Mitteln bekunden kann, deren Deckung sie aber weder inszenieren noch demonstrieren kann. Wenn die Kirche nur das sagen würde, wofür sie selbst einstehen kann, könnte sie grundsätzlich nicht mehr sagen als alle anderen. Wenn sie aber das sagt, was sie zu sagen hat, dann sagt sie prinzipiell mehr, als Menschen von sich aus sagen können. Die Kirche, wenn sie recht Kirche ist, sagt stets mehr als sie beglaubigen kann. Sie bleibt auf die Selbstbeglaubigung dessen angewiesen, was sie bezeugt. Daraus sollte eine gewisse Ernüchterung der Kirche sich selbst gegenüber resultieren. Diese Selbsternüchterung hat durchaus auch die tröstliche Seite, dass sich die Kirche nicht selbst überfordern muss. Sie ist es nicht, von der die Sache Gottes abhängt. Wenn sie in der angemessenen Selbsternüchterung gewissenhaft ihren Auftrag versieht, kann sie getrost alles Weitere dem Heiligen Geist überlassen, der zwar nicht ohne uns wirken will, aber eben die Kirche auch nicht als seinen Stellvertreter agieren lässt. So wie dies an den Aposteln – insbesondere an dem Apostel Paulus – selbst zu erkennen ist, so gehört diese Ernüchterung und dieser Trost auch zur Apostolizität der Kirche. Nur wenn die Kirche in ihrem Zeugnis tatsächlich auch mit der Selbstbezeugung Gottes rechnet (d. h. mit dem prophetischen Amt Christi), kann sie gelassene und getröstete und somit dann hoffentlich auch frohe und Zuversicht ausstrahlende Kirche sein. Die Gewissheit, dass der Heilige Geist in der Kirche wirkt, lässt nicht einfach den Umkehrschluss zu, dass da, wo die Repräsentanten oder Mitglieder der Kirche wirken, auch automatisch der Heilige Geist wirke. Gott kann niemals zu einem Kalkül menschlicher Praxis werden, so sehr er uns auch seine Begleitung zugesagt hat. Der Glaube an den Heiligen Geist hat nach reformatorischem Verständnis eine wichtige Pointe darin, dass er für die wirksame Kraft von Gottes Souveränität steht, die niemals vom Menschen und eben auch nicht von der Kirche vereinnahmet werden kann. Deshalb besteht die Grundform der Existenz der Kirche in der Bitte um den Heiligen Geist. Ich schließe mit einer kurzen Bemerkung zu einem Zugewinn in der reformatorischen Tradition durch die ökumenische Bewegung insbesondere in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert. Die von mir in der reformatorischen Theologie im Blick auf die Apostolizität unterstrichene Orientierung am historischen und theologischen Ursprung der Kirche hat insofern eine Ausweitung erfahren, als dieses Prädikat nun auch ausdrücklich im Blick auf die Sendung der Kirche in Anwendung kommt. Nicht dass die Kirche nicht auch vorher schon um ihre Sendung und ihren Dienst gewusst hätte, aber sie wurde entweder als Ethik im Horizont der Heiligung thematisiert – als Verantwortung im Sinne der vom Menschen zu gebenden Antwort auf die Anrede Gottes – oder als Mission (Sendung) im Horizont des Missionsbefehls. Das Apostolat der Kirche als ganzer taucht in den reformatorischen Kirchen das erste Mal 1950 in einem offiziellen Kirchendokument auf, nämlich im

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Die Apostolizität der Kirche

Artikel VIII der Kirchenordnung der Nederlandse Hervormde Kerk.46 Wenn es im Zuge der ökumenischen Bewegung – insbesondere seit der Vollversammlung des ÖRK in Uppsala 196847 – nun auch eine Öffnung der Verwendung des Begriffs der Apostolizität im Blick auf die Sendung der Kirche zu registrieren gibt, so wird dies als eine theologische Aufwertung des Dienstes der Kirche an der Welt zu bewerten sein. Jürgen Moltmann hebt im Blick auf die Apostolizität ausdrücklich die messianische Sendung der Kirche für das kommende Reich hervor48 und wagt sich damit bis an die Grenze vor, die sich die reformatorischen Kirchen bisher gesetzt sahen. Streng genommen wird damit anerkannt, dass es in der Ethik eben auch um Bekenntnisfragen geht. Natürlich kann dies auch zu einem inflationären Gebrauch führen, indem nun, wenn auch nicht gleich von einen apostolischen Stuhl, so aber doch von allen möglichen Tätigkeiten der Kirche als apostolisch geredet wird, was bisher aus guten Gründen, von denen ich einige benannte habe, eben nicht geschehen ist. Es ist aber grundsätzlich zu begrüßen, wenn durch die ökumenischen Begegnungen und Verbindungen auch Erweiterungen und Veränderungen in den verschiedenen Traditionen stattfinden. Dabei wäre aber auch zu wünschen, dass diese Veränderungen mit ausgewiesenen und klarsichtigen Perspektiven vollzogen werden und eben nicht – wie es im Eifer der Kirchendiplomatie auch immer wieder geschieht – einfach so unterlaufen. Da es bei der Apostolizität in der reformatorischen Tradition zwar um ein recht sparsam benanntes und doch zugleich sachlich ganz fundamentales Prädikat der Kirche geht, kann eine weiterführende Auseinandersetzung um ihr Verständnis nur begrüßt werden. Es gibt deutlich unbedeutendere Themen, um welche in der Ökumene mit teilweise erstaunlichem Eifer gerungen wird.

46 Vgl. Mildenberger, Apostel/Apostolat/Apostolizität, 475. 47 „Die Kirche ist insofern apostolisch, als alles, was die Kirche zur Kirche macht, von Christus durch die Apostel herkommt. Apostolizität bedeutet auch die ständige Weitergabe des Evangeliums an alle Menschen und Völker durch gottesdienstliche Handlungen, Zeugnis und menschlichen Dienst in der Welt. Die Kirche ist darum apostolisch, weil sie dem Glauben und der Sendung der Apostel treu bleibt.“ Aus dem angenommenen Bericht der Sektion I: Bericht aus Uppsala, 13. 48 Moltmann, Kirche in der Kraft des Geistes, 383.

Teil III Perspektiven

Die folgenden Kapitel wenden sich verschiedenen Themen zu, die in einem prägenden Verhältnis zum reformatorischen und insbesondere zum reformierten Selbstverständnis der Kirche stehen. Auch wenn sie sich teilweise nur höchst sporadisch ausdrücklich mit den traditionellen Fragen nach der Begründung und der angemessenen Gestalt der Kirche beschäftigen, greifen sie doch Problemstellungen auf, deren eingehende Bearbeitung einen unmittelbaren Einfluss sowohl auf den Charakter des geschichtlichen Erscheinungsbildes der Kirche als auch ihre konkrete Lebenspraxis hat. Es geht jeweils um Positionierungen, deren spezifische Wahrnehmung für das konfessionelle Profil des reformierten Kircheseins in besonderer Weise aussagekräftig sind, auch wenn ihre Bedeutung keineswegs auf diesen Bereich beschränkt werden kann. Zunächst werden die Maßnahmen und Mittel angesprochen, mit denen die Kirche versucht, ihren besonderen Anspruch auf Treue zu ihrer Bestimmung zu wahren. Hinter der Frage nach der Relevanz von Bekenntnis und Tradition in den reformatorischen Kirchen (Kap. 10) steht das Problem, auf welche Weise die Kirche über den anerkannten Vorrang des biblischen Zeugnisses hinaus im Horizont ihrer theologischen Lehre zu verbindlichen Aussagen kommt. Es geht um die Bestimmung der Wahrheitsfähigkeit der von der Kirche zu ihrer eigenen Selbstvergewisserung angestrengten Theologie, d. h. um eine Rechenschaft darüber, wie nah sich die Kirche in ihrer Verkündigung und eben insbesondere in ihrem Reden von Gott an der von ihr zu bezeugenden Wahrheit wähnt. Auch wenn sich die Lutheraner und die Reformierten hinsichtlich des prinzipiell allen theologischen Erkenntnissen überzuordnenden inspirierten Schriftzeugnisses weitgehend einig sind, hat sich in der Wahrnehmung ein immerhin bemerkenswerter Unterschied im Umgang mit der jeweils eigenen konfessionellen Bekenntnistradition fest etabliert, der auf seine tatsächliche Reichweite hin kritisch zu untersuchen ist. Es zeigt sich, dass sich die Wahrnehmung der strittigen Differenz nur mit einer unterstrichenen Relativierung bestätigen lässt. Es sind nicht so sehr die systematischen und hermeneutischen Prämissen, in denen sich die beiden reformatorischen Kirchen in ihrem Umgang mit der Theologie voneinander unterscheiden, sondern vielmehr unterschiedliche Kohärenzerwartungen, die von den beiden Traditionen mit dem geschichtlichen Auftritt der Kirche verbunden werden. Pointiert formuliert orientiert sich das Luthertum eher am römisch-katholischen Konzept einer Weltkirche und hebt eben deshalb eine möglichst große Reichweite der Verbindlichkeit ihrer Lehre hervor, während die Reformierten von Anfang an mit einem ebenso begründeten wie

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Teil III Perspektiven

freiheitsbewussten kongregationalistischen Ferment einhergehen, von dem aus die ausgewiesene Erreichbarkeit allgemein verbindlicher Lehraussagen deutlich bescheidener eingeschätzt wird, was aber umgekehrt nicht nur nicht ausschließt, sondern ausdrücklich einschließt, dass sich die Kirche in Situationen, in denen sie die Klarheit und Konsequenz ihres Zeugnisses in Bedrängnis geraten sieht, mit einem pointierten Bekenntnis unmissverständlich positioniert (z. B. Barmen 1934 oder Belhar 1986). Ein weiterer durchaus sensibler Unterschied zwischen Lutheranern und Reformierten ist im Blick auf den Umgang mit der von beiden als fundamental hervorgehobenen Rechtfertigungslehre zu markieren, und zwar weniger hinsichtlich der an dieser Stelle traditionell gern hervorgehobenen Differenz in der Balance von Rechtfertigung und Heiligung, sondern vielmehr im Blick auf ihre gesamtbiblische Fundierung, nach der sie eben nicht allein von der Versöhnungslehre bzw. der Soteriologie konstituiert wird, sondern auf die ganze Geschichte Gottes mit dem Menschen zu beziehen ist. So steht in der reformierten Tradition nicht nur bereits ein spezifischer schöpfungstheologischer Aspekt mit der Rechtfertigungslehre in Verbindung, sondern sie wird in die alttestamentlich begründete bundestheologische Perspektive eingezeichnet und auf diese Weise auch bereits mit der Erwählungslehre und ihrer trinitätstheologischen Begründung in einer konstitutiven Verbindung gesehen (Kap. 11). Die Geschichte Jesu Christi wird damit entschlossen in den gesamtbiblischen Zusammenhang des Bundeswillens Gottes gestellt, wodurch auch der besonderen Verbundenheit der Kirche mit Israel eine zusätzliche substanzielle Begründung zuwächst. Das bereits angesprochene kongregationalistische Ferment in der reformierten Tradition resultiert aus ihrer betonten Achtsamkeit auf die konkrete Kontextualität der Kirche. Kirche ist immer Kirche vor Ort, was ja nicht heißt, dass es der Ort ist, welcher die Kirche begründet, aber er ist eben ausdrücklich von ihr zu adressieren. Das kann sie aber nur dann verlässlich gestalten, wenn sie sich immer auch zugleich in die Gemeinschaft der universalen Kirche eingebunden weiß. Es gilt, in der Kirche Kontextualität und Katholizität stets eng aufeinander bezogen zu halten. In der Kontextualität geht es um die konkrete Pünktlichkeit der Universalität ihrer Botschaft, so wie das gleichzeitige Ernstnehmen ihrer Universalität als eine notwendige und auch wirksame Prävention vor jeder Gefangennahme durch den Kontext zu gelten hat (Kap. 12). Im Zusammenhang mit der reformatorischen Kultkritik im 16. Jahrhundert haben der variantenreiche gebührenpflichtige Kult um gestiftete Bilder und Votive, die ebenso unzähligen wie unablässigen Seelenmessen an all den dazu eingerichteten Seitenaltären insbesondere in den Stadtkirchen und die mit unlauteren Verheißungen umworbene Selbstverpflichtung zur Zahlung etwa von Wachszinsen für all die neu erfundenen Kultveranstaltungen eine nicht unerhebliche Rolle gespielt, die dem herumvagabundierenden Ablasswesen keineswegs nachstand und den ver-

Teil III Perspektiven

breiteten Überdruss an der Kirche mit beförderte. Die allgemein-reformatorische Bilderkritik, die auch Luther ausdrücklich unterstütze, hat zu einer folgenreichen Neuausrichtung des Bildverständnisses und seiner theologischen Bewertung geführt (Kap. 13). Bei den Unterschieden zwischen Luther und den Reformierten handelt es sich tatsächlich nur um Nuancen, die sich dann teilweise auch noch mit den höchst unterschiedlichen Umständen verrechnen lassen. Erst in der weiteren Wirkungsgeschichte wird aus diesen Unterschieden eine grundlegende Differenz konstruiert, die sich dann im Laufe der Zeit zu einer tatsächlichen Differenz ausgewachsen hat. Möglicherweise hängt diese spätere Betonung der Unterschiede mit dem für die reformierte Tradition allerdings charakteristischen Umstand zusammen, dass in ihr – in größerer Nähe zu der jüdischen Zählung – das Bilderverbot als ein eigenes, eben das zweite Gebot gezählt wird, während es in der lutherischen Kirche, die damit einfach die überkommene Tradition fortgeführt hat, als eigenes Gebot übergangen wird, was dann dazu geführt hat, aus dem ursprünglich zehnten Gebot gegen unterschiedliche Formen des Begehrens zwei Gebote zu machen, um wieder auf die Anzahl von zehn Geboten zu kommen. Das Verbot des Gottesbildes wird einerseits sehr weitreichend interpretiert, während es auf der anderen Seite auch in der reformierten Tradition als anerkannt gilt, dass in der Kirche niemals ohne Bilder auszukommen ist, denn der Glaube sowie auch die Theologie verwenden unablässig Bilder, ohne die sie dazu verurteilt wären, ganz und gar verstummen zu müssen. Es kann also auch in der reformierten Tradition nur um eine problemsensible Unterscheidung der Bilder und eine möglichst deutliche Anweisung zu einem rechten Umgang mit ihnen gehen (Kap. 14). Auch wenn kaum bestritten wird, dass die Mission zu den genuinen Lebensäußerungen der Kirche gehört, kann heute mit einem weit verbreiteten Bewusstsein dafür gerechnet werden, dass die bis in das 20. Jahrhundert hineinreichende Missionspraxis aus verschiedenen Gründen entschieden abzulehnen ist, so dass die Frage, wie Mission in einer angemessenen Weise von der Kirche wahrgenommen werden kann, grundlegend neu beantwortet werden muss. Die missionstheologische Konzentration auf die missio Dei hat Mission als eine eigene ausdrücklich auf die Expansion der Kirche ausgerichtete Partikularanstrengung abgelöst durch eine Neufassung des Verständnisses der Sendung der Kirche (englisch ebenfalls: mission), deren missionarischer Auftrag alle Tätigkeitsbereiche der Kirche bzw. alle Ausdruckformen kirchlichen Lebens betrifft und somit zu einer Fundamentaldimension ihrer Existenz insgesamt wird (Kap. 15). Kirche ist als ganze missionarische Kirche. Dabei wird allerdings vorausgesetzt, dass ihre Sendung in ihrer Berufung zur Botschafterin des Evangeliums besteht und nicht etwa in einer Beauftragung zur Heilsvermittlung oder Religionsverwaltung. Sie ist nach reformiertem Verständnis zu ihrem Zeugnis berufen, von dem all ihre Lebensäußerungen imprägniert sein sollten. In diesem Sinne ist die Kirche ihrem Wesen nach missionarische Kirche.

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Teil III Perspektiven

Es handelt sich um eine Mission, mit der sie sich auch immer wieder an sich selbst gewiesen wissen sollte. Unter den zahlreichen kirchenleitenden Ämtern und Titeln ist der im reformierten Bereich gelegentlich anzutreffende „Moderator“ etwas Besonderes, und es lohnt sich, gerade im Zuge der aktuellen Debatten um die Fragen der Leitung in der Kirche dem Zuschnitt dieses Amtes des Moderators in seiner besonderen Bestimmung einmal nachzugehen (Kap. 16). In jedem Fall steht die Ausrichtung dieses Amtes einer modernen Auffassung von Management und sozialverträglicher „Betriebsleitung“ deutlich näher als alle hierarchieorientierten Konzepte, auch wenn diesen in einem gewissen Anachronismus zurzeit in den Kirchen wieder unerwartete Sympathien gelten.

10.

Confessio and Traditio

A Reformed Approach in Dialogue with the Lutheran Tradition1

10.1

Introduction

I would first like to emphasise the far-reaching consensus between the Lutheran and the Reformed approaches to their confessional traditions, including the confessional writings. Compared to the significance of Scripture, their importance is explicitly secondary – which does not mean that they have no importance. It should also be said that the sober realisation that they are historical in character means that they have to be read in a contextualised way regarding the circumstances of their emergence, and therefore they are open for adjustment in the present time. On the other hand, the remaining differences are still remarkable, but with regard to fundamentals they do not differ very much. The differences are rooted in various definitions of the central focus of theology. The central focus for Lutheran theology is the soteriological concentration to which all other aspects of theology are related. To a certain extent, one may say that in Lutheran understanding theology is soteriology (centred on the doctrine of justification). The Christological extra nos generates its importance from its relation to justification and reconciliation. This is the well-known articulus stantis et cadentis ecclesiae.2 In the Reformed understanding justification is “the main hinge on which religion turns”.3 This underscores its unsurpassable importance within the rambling edifice of theology, and at the same time the wording shows that justification does not stand for the whole. The hinge makes the system function, but it does not represent the structure and destiny of the whole.4 In the Reformed understanding, theology aims to glorify God and praising God is the purpose of human life. To say it more provocatively, the centre of theology is the glory of God and not the salvation

1 This is a revised version of a paper given at the second meeting of the Lutheran-Reformed Joint Commission (LWF and WARC) in Windhoek, Namibia, 11–17 August 2007. First published in: Jerald D. Gort, Henry Jansen, and Wessel Stoker (Hg.), Crossroad Discourses between Christianity and Culture. Festschrift in honor of Hendrik M. Vroom on the occasion of his 65th birthday (CurEn 38), Amsterdam/New York 2010, pp. 545–562. 2 This phrase was first mentioned by Valentin Ernst Löscher in 1712; see Friedrich Loofs, Der articulus stantis et cadentis ecclesiae. In his exegesis of Ps 130:4 Martin Luther said, “The church stands, if this article stands, and the church falls, if it falls” (WA 40/III, p. 352). 3 John Calvin, Institutes III 11.1, p. 726. 4 Cf. Michael Weinrich a. John Burgess (Eds), What is justification about?

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Confessio and Traditio

of human beings. Theology’s central perspective is not directed at true faith or authentic witness but at God’s truth. It is more about God’s justice than it is about human justification. The theological attention extends beyond God’s efficiency and relevance for human self-knowledge and his formative meaning for a proper Christian existence. Rather, it is God himself who deserves our full commitment, and it is for this commitment that we are justified. In my view, the switch leading to the difference between Lutherans and Reformed people lies in a particular perspective on God’s divinity: Lutherans look at the point where God meets human beings, and Reformed people refer to the reality of God who meets human beings in the way the Gospel informs us. Both sounds very similar, but there is a peculiar difference –which does not divide us but leads to a great variety of different aspects and accents spread throughout the whole range of theological subjects. One of these differences can be found in the different ways of dealing with the confessions of the church and their authority.

10.2

Confessing Church – The Church’s Confessions

As André Birmelé has impressively shown in his paper for the joint LutheranReformed Commission in Windhoek in 2007, confession is an essential part of the being of the church.5 Either the church is a confessing church or it is not a church.6 At its very beginning we encounter the confession of Christ as the resurrected, who is the Lord (Phil. 2:11), and all the later confessions are reconfirmations and further drafts of this first confession. In its substance every confession is an actualization of the connection to the resurrected and living Christ. In the particular tradition of the Reformation, confessions are the public proclamation of the agreement of the church’s teaching with the witness of Scripture.7 They are, in principle, the secondary witness to the primary witness of Scripture.8 If we look more closely at the earliest Christian confessions, we will realise that even they are secondary in character. They are responses to the self-revelation of the risen Christ, answers to the particular address made by the Resurrected to the mourning disciples. To be precise, in most cases the disciples were not able

5 Cf. André Birmelé, Meaning and authority of the confessions of faith in Lutheran Churches. Received in advance for the Lutheran-Reformed Commision (cf. note 1); not yet published. Cf. also Johannes Wirsching, Bekenntnisschriften, p. 487. 6 Cf. Birmelé (cf. note 5). A church lacking a confession is “ipso facto eine tote Kirche” (ipso facto a dead church); cf. Karl Barth, Das Bekenntnis der Reformation und unser Bekennen, p. 7. Cf. also above chapter 6: Einheit bekennen. 7 Cf. Heiner Faulenbach, Einleitung, p. 1. 8 Cf. Heinz Rügger, Neuere reformierte Bekenntnisse, pp. 320f.

Confessing Church – The Church’s Confessions

to recognise the Resurrected just by seeing him. It is not they who understand that he is resurrected but always Christ himself or an angel at any rate who solved the mystery of the appearance by explaining or at least hinting at an appropriate explanation. The disciples may have seen but they did not understand, and so they had to be helped by having Jesus’ appearance explained to them. Then their eyes were opened; they recognised him and Jesus vanished (Lk. 24:31). We do not have an explanation for Jesus’ appearance nor is it self-evident – it has to be explained to us. The reality of the living Christ explains itself, and the disciples simply respond with their confession. In other words, the disciples do not confess but are led to confess. In this sense we can follow Alasdair Heron, who emphasises: “There is a great temptation for Christians, reformed and other, to imagine that confession and testimony means, first, last and all the time, their confession, their testimony, their witness before the world and God to the Gospel and the person of Jesus Christ, to set themselves in the role of the witness who is faithful and true. But that designation is reserved for another: the witness, testimony and confession on which Christian faith and hope and love depend from start to finish are not ours but those of Jesus Christ, the one ‘faithful and true witness’ (Rev. 3:14).”9

This order is important for understanding the theology of the Reformers. It is always God’s activity that precedes human activity and provides the reality to which the confession may be the proper response. Confessions are in principle secondary – even the earliest ones in church history were so. They are not an address but a response to being addressed; they are the human response to the recognition of God’s activity regarding the conditions of our self-realisation. They are made possible by God’s activity, but finally they have to be expressed by human words and deeds. Confessions come from the human side with respect to their wording. Even if we imply the assistance of the Holy Spirit, they are still human responses. There are no reasons at all to overestimate the church’s confessions as durable safeguards of divine truth: they are inevitably infected by all the weaknesses that are characteristic of human abilities and enterprises. They are also possibly inspired by the Holy Spirit, but this is a conviction that needs the Spirit’s confirmation and cannot be stated by the church – the church can only hope. Confessions bear the traces of history and struggle with the restrictions of human language. That is why their authority also has a relative character in the double sense of the meaning of the word: On the one hand, they relate to God’s explicit activity toward us and, in this sense, mark this inconceivable relation in the wording of a confession. On the other, they are

9 Alasdair Heron, Confessional in the Reformed Family of Churches, p. 150.

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derived and not absolute, simply relative in a pejorative way in comparison with the divine truth. There is also no reason to underestimate the possibility that the words of the church are true and its witness faithful. On the one hand, it is God’s faithfulness that enables the church to be his witness and, on the other, the structured ministry of the church in the understanding of the Reformers provides a transparent and accessible procedure of decision making in which the congregation always has the opportunity to intervene. Beyond all differences between Lutherans and Reformed regarding the concrete realisation of the structured ministry we share the important insight of the highly-valued control by the congregation.10 This is the pivotal point, and the differences regarding the concrete shape of the ministry are not really significant. The difference between the Lutheran and the Reformed assessment of confession depends to a great deal on their different confidence in the human capacity to create sentences that convey divine truth, at least approximately. The optimism regarding the closeness of human formulations to divine truth may be a bit higher in the Lutheran tradition than in the sobriety of the Reformed tradition. This makes a difference beyond the far-reaching consensus on this question. If taken seriously, in the Reformed understanding one could never claim that a confession can be a regula fidei; at best, it can only be a support for the faith’s attempt at its own clarity but not a source for the certainty of faith. One may possibly distinguish the particular weight of the old church’s creeds from the later confessions and confessional writings, but this does not change the general perception.11 (The particular reference to the old church’s creeds may be taken as an explicit reference to the church’s catholicity, which should also be implied by every single confession.12 ) For further illustration, I will give an eloquent example from the early twentieth century that demonstrates the particular Reformed approach to the problem. For the 12th General Council of the World Alliance of Reformed Churches (WARC) in Cardiff in 1925 Karl Barth was asked to give a keynote address on the question “Is a common Statement of Faith (Creed or Confession) desirable or practicable for the Reformed Churches of the World?”13 It is worth mentioning that a committee had already been established at the meeting of the council in 1880 to prepare a

10 Cf. the further explanations in: Was gilt in der Kirche? Ein Votum der Arnoldshainer Konferenz, pp. 44–63. 11 As a comprehensive account of the Reformed understanding of confessions cf. Lukas Vischer, Bekenntnis und Bekennen in der Reformierten Kirche; Joachim Guhrt, Bekennen und Bekenntnisbildung. 12 Cf. above chapter 8: Die Katholizität der Kirche. 13 Cf. the editor’s introduction to the edition of the German version: Karl Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit eines reformierten Glaubensbekenntnisses, p. 604.

Confessing Church – The Church’s Confessions

“Consensus of the Reformed Confessions” for the next meeting, but the thinking in the three branches of that time, the American, the British and the European churches, were so divergent that the project was dropped.14 The notion came up again in the 1920s, and Karl Barth agreed to speak on this at the council in Cardiff. In his sceptical paper we find, at least in my understanding, all the characteristic aspects of the Reformed understanding of confession and confessions.15 The long version of Barth’s paper includes the following comprehensive definition of a confession in its first chapter: “A Reformed Confession of Faith is a descriptive statement, spontaneously and publicly formulated by a local restricted Christian community. It must be a standard, valid until revised, which differentiates this body from other bodies, and, as regards the community’s own doctrine and practice, indicating a trend of thought also capable of being changed. It is a description of the insight hitherto bestowed upon the universal Christian Church into the revelation of God in Jesus Christ, according to the sole testimony of the Holy Scriptures.”16

Right from the beginning it was not about the possibility of reciting a confession. Barth describes a confession as an ecclesiological existential act in which the church actually confesses something concrete in its particular situation. One may “believe with others, no matter how far away”17 but the act of confession arises “on the

14 Cf. Alexander Martin in his paper from the Cardiff meeting, in: Proceedings of the Twelfth General Council, pp. 108f. 15 Three papers were given in Cardiff, outlining three different options. As in the committee established in 1880 it is the Canadian speaker, J.M. Shaw from Halifax, who was in favour of a common Reformed confession, while the British, Alexander Martin from Edinburgh, and the European, Karl Barth, who were opposed. It is astonishing that the reasons ‘pro’ and ‘contra’ in the first two cases are very similar. Because the Reformed are always ready to improve their confessions, the formulation of a common statement should not entail any risk, expressing in its very shape that a confession “is no mere assent to truth, but consent to a way of life” (cf. J.M. Shaw in: Proceedings of the Twelfth General Council, pp. 117–128). The arguments also can be turned in another direction: since, in a Reformed understanding, confessions do not always retain their value, the extraordinary effort at achieving a common statement should be avoided (cf. Martin in: Proceedings, pp. 107–117). Karl Barth was the only one who sought an appropriate theological basis for a reasonable confession in a deeper sense (cf. Proceedings, pp. 128–143). The council in Cardiff decided (again) to establish a small committee to prepare a proposal for the next general council as to how to proceed. The committee’s recommendation for the council in Boston in 1929 said that there should be no further steps regarding a common statement of faith; cf. Joint Report of the Eastern and Western Sections on a Common Statement of Faith, pp. 387f. 16 Barth, The idea of a Reformed Confession of Faith, p. 100. 17 Proceedings of the Twelfth General Council, p. 133.

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ground of concrete reality.”18 As at the time of the Reformation, it has to be “an act, an effect, an activity, not only exhibiting a knowledge of God in His revelation, but also at the same time demonstrating a real earthly association among them [wirklicher menschlich-irdischer Gemeinschaft]”.19 Real authority can be generated only in the distress of a particular situation. And therefore, confessions in a Reformed understanding are related to a particular date and time.20 Beyond such concrete challenges the church may “give world-wide praise to certain things, which are proclaimed and listened to, but have never hitherto won the belief of any man.”21 In his assessment of the meaning of confessions Barth is focused exactly on the query for authority and commitment. But before making any claims to authority he tries to clarify the possibility of authority in the reality of our world. It makes no sense for him to claim an authority that remains an illusion. It is a special kind of practical realism to cut off these self-affirming activities, which require enormous effort and lead to nothing really important but only prevent the church from realising its true mission.22 It may be worth considering that even unions of churches in most cases do not come up with a new confession.23 Authority and commitment arise in situations where the church is realising the distress it is in.24 As long as the church only looks for its affirmation without realising that it is not just one of the world’s possibilities but a stranger in the world it will continue to fail in its efforts at authority.25

18 Ibid., p. 134. 19 Ibid., p. 134. “A Church which would to-day write a Confession must have the courage to express her present insight gained from the Scriptures on the modern problems of life which oppress her members to-day. […] To-day, for instance, to take one example, in this matter of the Fascistic Nationalism, which since the war has appeared in a similar form in all countries – does the Church say ‘yes’ or ‘no’ to this spirit? Does she say ‘yes’ or ‘no’ to Anti-Semitism?” [1925!] Barth also saw the question of war at stake and asked for “an unconditional and unmistakable ‘no’ to place on the candlestick.” Ibid., p. 141. 20 Vischer, Neues Bekenntnis und neues Bekennen, p. 42. 21 Proceedings of the Twelfth General Council, p. 135. 22 This was the main reason why Barth hesitated to join the special kind of ecumenism, which later became embodied in the World Council of Churches; cf. Barth and Willem Visser’t Hooft, Briefwechsel 1930–1968. 23 Cf. Vischer, Neues Bekenntnis und neues Bekennen, p. 39. The Roman Catholic ecumenical theologian Peter Neuner even emphasizes that no church unions were ever established on the basis of a doctrinal consensus; cf. Peter Neuner, Vor dem Ende der Konsensökumene?, p. 61. 24 Cf. Barth, Die Not der Evangelischen Kirche. 25 Cf. Barth, Quousque tandem …?. On Barth’s positioning in the church struggle (Kirchenkampf) cf. Weinrich, Karl Barth Kampf gegen die religiöse Versuchung des Nationalsozialismus.

Confessing Church – The Church’s Confessions

“There are things that you may and can do only when you must. To this category belong Christian Confessions of Faith. […] Every other ‘Credo’ is lazy incantation [fauler Zauber], and of the devil, even if it be the Apostles’ Creed, word by word.26

And more on the level of pragmatic realism, Barth says: “A Confession without serious theological preparation can never be anything but terribly wearisome, unoriginal, eclectic and purposeless. […] God preserve us from a theologically meaningless, perhaps designedly meaningless [wohl gar bedeutungslos sein wollenden], Confession.”27

This is another decisive point. Barth saw the possibility that a church, especially in its dealing with its confessions, may fail to confess. As Eberhard Jüngel later underscored: “Where the freedom of creating a confession is missed, the obligation to confessions is a mockery of the confession.”28 The church can be tempted to interpret the old confessions again and again without realising the contemporary need for a confession. It may be, as in the struggle of early Confessing Church against the influence of National Socialism on the church, that there are only individuals, like Barth and Bonhoeffer, or a particular committed group within the church who achieve the given status confessionis, but the church has no choice but to take up this challenge; otherwise its unity is threatened. A realised status confessionis urges to a decision, and a confession implies a possibly clear decision in every case. In most cases the church will be too drowsy to recognise the contemporary temptations and challenges, but it should be willing to wake up, if someone or some of its members speak up to call the church’s attention to a status confessionis.29 At least the church has to initiate a processus confessionis in which the needed clarity in correspondence to well-reasoned biblical insights has to be worked out. The church is challenged to a public confession that intends to make a decision before the forum of the public.

26 Proceedings of the Twelfth General Council, p. 137. For Barth, it is important that dogmatic insights imply ethical decisions. The dogmatic consistency is proven in its implicit ethical clarity. And thus, he complains about the church’s ethical inconsistency: “We see more vacillation and inconsistency in her ethic than in her dogmatic, sometimes silent where she should speak, sometimes speaking where she should be silent, always two steps behind with her deliberations, while the world goes on its way regardless, defiant, and self-confident. She is confident only in matters where she has nothing to fear for herself; she is full of the best will to all, but certainly, quite certainly, she has no prophetic sentinel voice sounding over the chaos of other voices.” (Ibid., p. 141). 27 Ibid., p. 138. 28 Eberhard Jüngel, Bekennen und Bekenntnis, p. 94 (Translation M.W.). 29 Cf. Barth, Die politische Entscheidung in der Einheit des Glaubens.

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In this case, confession is the result of a serious search for the will of God in a concrete situation. Viewed soberly, we easily realise that just the fact of the necessity of a confession at the time of National Socialism shows that the church was going to become lost. It was the weakness of the church that made the confession necessary, and not its strength. The church was not what it should be and so had to be called back to its authentic faith. At no time is the church really what it should be, and so the church is always in a need of being called back to its original confession of its Lord. The difference is only that this may be more urgent in one period than in another, but there is no period in which it is entirely superfluous. Quite another way for the church to position itself publicly may be a qualified silence, especially in a situation in which particular social powers or interests expect support from the church.30 The silent rejection of such an expectation can also be a kind of confession.31 When Barth speaks about status confessionis, he does not mean anything exceptionally extraordinary but the need for clear words by the church in a matter that affects the faith of the believers.32 The use of status confessionis in the sense Barth shows how a church experiences its self-consciousness of being a confessing church. In most cases, the extraordinary dramatization of using the words status confessionis is simply an indication of a church that wants to be untouched by the contemporary problems of the world. Since the church is itself a part of the world, it may not escape the world’s problems; rather the church has to contribute its political service to God (“politischer Gottesdienst”) beyond and in addition to the celebration of its regular services.33 This relaxed use of the status confessionis mirrors the Reformed understanding of the church’s confessions precisely, at least since Barmen 1934. “Relaxed” does not at all mean unserious. Confessions are not to be overestimated, but in the situation when they are proclaimed, they speak with the church’s highest attainable authority (cf. 1 Pet. 3:15: “Always be prepared to give an answer [Luther: Verantwortung] to everyone who asks you to give the reason for the hope that you have”). This shows that confessions in a Reformed understanding are linked closely to the first commandment. To say it once more briefly, it is about giving the glory to God.34 Insofar as there is no time at which the church does not need to ask for the appropriate understanding of God’s will, to a certain extent one can say that the

30 Cf. Was gilt in der Kirche? Ein Votum der Arnoldshainer Konferenz, pp. 36f. 31 This was the decided recommendation of Barth’s famous work “Theologische Existenz heute“ (1934). 32 Regarding status confessionis also cf. Guhrt, Bekennen und Bekenntnisbildung, pp. 43f. 33 Cf. Barth, Gotteserkenntnis und Gottesdienst, pp. 203–216. 34 Cf. Heron, Confessional in the Reformed Family of Churches, p. 151.

Confessing Church – The Church’s Confessions

church is always in the situation of asking for the proper contemporary confession. For Barth, merely repeating insights or decisions from the past generally falls under the suspicion of heresy.35 At no time can the church avoid giving its own answer to God’s address and that means that it cannot avoid finding its respective own confession – not in a general sense but “We, here and now, confess this.”36 According to Barth, the Lutheran claim to the universal authority of their confession (and later of their confessional writings) follows historically the medieval idea of a corpus Christianum, which already became obsolete in the areas where the Reformed communities emerged.37 The difference between the Lutheran and the Reformed understanding refers to two models of ecumenicity arising for mainly historical reasons: on the one hand, the ideal of one universal visible body of the church, which at the latest became obviously anachronistic through the historical results of the Reformation and, on the other, the idea of an ecumenical commitment by different churches, each striving for the catholicity of the universal church.38 The Reformed understanding was not as much infected by the Constantinian ties of the late Middle Ages, which began to dissolve by the time of Reformation. In this sense one may take Barth’s hesitation regarding an authoritative, agreed common confession as a plea for an ecumenical attitude with low boundaries but substantial reasoning. If we look at these historical circumstances as an important reason for the different usage of our confessional writings, the difference should lose much of the emphasis that still occasionally emerges from it. This should also be an aspect of the above-mentioned historicized understanding of the confession. I think that even the idea of ecumenism should be reassessed in light of this insight.

35 Cf. Barth, Einführung in die Evangelische Theologie, p. 93. 36 Barth, The Idea of a Reformed Confession of Faith, p. 103. 37 Barth: “In the shadow of this œcumenical authority [of the Church in the Holy Roman Empire] Lutheranism found a refuge, when it laid its Confession before the Emperor and the Empire at Augsburg; and thereby it broke the ban of schism in idea, and, what was more important, in point of law. It was not its intrinsic merit [ihr innerer Wert], but this quasi-œcumenical character, its quality in publicum scriptum, which has made its Augsburg Confession so dear to Lutheranism – and must also make adherence to the Augsburg Confession desirable in certain circumstances for those who are not Lutherans. These circumstances were present in Germany, where the idea of the Corpus Christianum has possessed an altogether exaggerated practical importance right up the threshold [Schwelle] of modern times, to a much greater extent than in Switzerland, Holland, and the French and Anglo-Scottish West. […] Calvin – and the Reformed community as such in general – has not further relations in principle with the medieval corpus Christianum; and therefore where there are no practical political circumstances requiring to be met, such as they were in Germany, he has no interest in an œcumenical confession, orientated in this sense towards the past.” (Proceedings of the Twelfth General Council, pp. 130ff) 38 Cf. Weinrich, Some Aspects of Reformed Catholicity.

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Every constitutional commitment to a commonly agreed confession causes endless and for the most part needless discussions, which do not make things better but just more complicated. Commonly agreed confessional writings may tighten the identity of single churches, but they are not a promising road along which mutual acceptance and ecumenical commitment will be successfully enhanced. The meaning of confessions will be fundamentally overrated as a tool for creating reliability and the relativity would be diminished to something that may finally be overlooked. The confessions tend to attract all importance to their cultivation and raise unnecessary obstacles to an ecumenical coexistence at the basis of the catholicity of the church. The modest emphasis put on its confessions in the Reformed tradition has to be understood offensively as part of its essential ecumenical commitment. The fewer barriers there are the easier the needed unity is to achieve – this is an important point especially for John Calvin.

10.3

Confession, Doctrine and Tradition

To give a clear picture of the difference between confession, doctrine and tradition briefly is a delicate affair. A confession may be the initial stage for theological explanations and doctrinal consideration,39 and at the same time it may be a kind of summary in a process of doctrinal clarification.40 Doctrine may be of divine origin, since Christ himself is seen as the teacher of his church, and at the same time it can be a decision of the church or simply an individual theological model for systematizing the contemporary self-understanding of faith. And it is the same with respect to tradition. Tradition may focus on the biblical origins and the circumstances of their generation, and at the same it may be a sample of historical traces and usages that are characteristic for this or that church and its development. In a wider sense, tradition is not simply a theological term but includes different kinds of non-theological factors like cultural, sociological, psychological and even political and economic aspects. These non-theological factors are normally underestimated, and so they do not attract the serious attention in ecumenical debates as they should. On the one hand, they are always mentioned; on the other, they are not really in view.41 Often, the Protestant use of the word “tradition”, in contrast to the principle of Scripture, also includes a pejorative connotation over against the Roman

39 The structure of many dogmatic textbooks is taken from the ancient church’s creeds, especially the Apostles’ Creed. 40 The ancient church’s creeds are the conclusion of a long process of arguments on the nature(s) of Christ and a proper understanding of the Trinity. For modern reasons and attitudes of confessions cf. Rügger, Neuere reformierte Bekenntnisse. 41 Cf. on this Piet J. Naudé, Identity and Ecumenicity.

Confession, Doctrine and Tradition

Catholic understanding of tradition. But in the meantime we have learned that we are always dealing with tradition, otherwise we would have to reconsider everything anew.42 In this question, i. e. the relation between the principle of Scripture and the esteem for tradition, the ecumenical movement made a remarkable progress, so that the controversy lost much of its sharpness.43 Finally, we always have to be aware of the unavoidable ambivalence of tradition. It may provide familiar space for communication and interaction, but, on the other side, it can get in the way of change and renewal and may hold a church captive and keep it on the path most familiar to it. This lasting ambivalence has to be faced with a particular critical awareness. The function and the meaning of all three terms depend basically on the particular prevalent use. The reference to these terms became much more relaxed and differentiated in the last decades. Reasons for this change may be found in the current far-reaching breaking away from traditions and the obvious loss of clear doctrinal distinctions and the expectation of contemporary theological clarifications. In a proper understanding doctrines are not objects of faith but supports to its understanding. Doctrines are agreements on what has to be said through faith about the Gospel.44 If doctrines do not serve as an aid, they are useless and subject to misunderstanding.45 Used properly, doctrines aim at a consensus for the understanding of truth.46 The confessional writings, which are a genuine occurrence within the churches of the Reformation,47 can fit in all three categories. They are confessions, they provide doctrines, and they are also a specific part of the tradition of the respective churches. Even if they claim the catholicity of the universal church (as they do), they belong in fact to the confessional characteristics of particular churches. Also, the Lutheran perspective of a world church is not able to overcome the restriction that the envisaged world church is simply one particular church among others. Actually, the confessional writings have to be taken as doctrinal impulses for an ongoing doctrinal discussion (Lehrgespräch) as proposed, for example, by the Concord of Leuenberg in 1973 and is still practised by the Communion of Protestant Churches in Europe (CPCE).48

42 Michael Beintker emphasises that the Reformers struggled against the principle of tradition but not against tradition as such: Tradition VI. Dogmatisch, p. 721. 43 Cf. Ulrich H.J. Körtner, Wohin steuert die Ökumene?, pp. 44–70. 44 Cf. Gerhard Sauter, Verbindlichkeit als Lehre?, p. 126. 45 Cf. Dietrich Ritschl, Theorie und Konkretion in der ökumenischen Theologie. 46 Cf. Ritschl, Lehre, p. 614. 47 Cf. Wirsching, Bekenntnisschriften, p. 488. 48 Cf. Ritschl, Lehre, pp. 614f.

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To a certain extent, and this is what I want to emphasise, confessions, doctrines and traditions are the same. They all are not static containers of truth but useful aids for communication in the respective contemporary search for an appropriate manner of confessing, teaching and passing on the tradition. It is not the church’s confessions, doctrines and traditions that are at stake but its possibly clearest confession to the public of its time. If we are unable to use this communicative meaning that they have, they are possibly more obstacles to the churches’ life than they are its fruitful supporters. George A. Lindbeck spoke of doctrines as the grammar of faith.49 They provide some rules for communication, but they do not substitute the communication. For a language it is important to know the grammar, but one cannot speak a language just through knowing the grammar. It is possible to speak a language without knowing the grammar, but it is impossible to speak a language simply on the basis of knowing its grammar. The game has to be played in always changing situations, and it will be easier to play it if one pays attention to some of the rules that have been handed down. But it always has to be played anew. Its authority depends on the authenticity in which it responds to the respective present situation. Let me conclude with a final remark. The biblical witness is a striking example of this pointed conclusion. It did not simply tell the Gospel once. There was a need to tell it again in another way, and even a third and fourth time. And the different versions were retained as equally important. It is obvious that how the Gospel is proclaimed is very much related to the situation in which it occurs. The biblical witness is nothing beyond the different situations; rather, its catholicity is grounded in the ability to address even contrary situations. The richness of the biblical witness is the richness of the life envisaged. The great variety is not arbitrary but substantial. This is not only an appropriate model for understanding the church’s catholicity but also for its ecumenicity and its joint attempts at communion.

49 Cf. George A. Lindbeck, The Nature of Doctrine.

11.

Justified for Covenant Fellowship

A Key Biblical Theme for the Whole of Theology1 There is a kind of overestimation of the doctrine of justification, especially in the Lutheran tradition. But there is also, especially in the Reformed tradition, an underestimation of it by concentrating predominately on the meaning of the law for the justified. Both views are problematic and miss the decisive discovery of the Reformers. They emphasized, on the one hand, the foundational significance of God’s prior grace as the centre of the gospel and drew – partly different – conclusions from this basic insight for all areas of church life and theology, on the other. The conclusions were probably more controversial than the content of the doctrine itself, which is actually quite simple and commonly accepted. It is essentially because of its far-reaching consequences that Protestant theologians view justification as more than one topic among many others. In this sense, justification is not a doctrine that can be clearly separated from others. It has often been stated that the understanding of the doctrine of justification is crucial for the existence of the church: articulus stantis et cadentis ecclesiae.2 As Luther said, “The church stands, if this article stands, and the church falls, if it falls.”3 Luther’s words, we should note, appeared not in the context of Christology but in relation to Psalm 130:4: “But there is forgiveness with you, so that you may be revered.” This is the epitome of Christian doctrine and the “sun which illuminates God’s holy church.” Luther called the doctrine of justification the “sole solid rock”4 on which the whole church is based. He believed that if one is right on this point, one will also be right on all other theological questions.5 In the Schmalkaldic Articles, which now belong to the binding confessions of the Lutheran Church, he emphasized that no one should deviate from this article or relent even if heaven or earth were to collapse.6 In the Reformers’ context, “articles” (articuli) are principles

1 First published in: Michael Weinrich u. John P. Burgess (Eds.), What is Justification about? Reformed Contributions to an Ecumenical Theme, Grand Rapids (MI)/Cambridge (U.K.) 2009, pp. 8–34. 2 This phrase is first mentioned by Valentin Ernst Löscher in 1712; cf. Friedrich Loofs, Der articulus stantis et cadentis ecclesiae. 3 WA 40/III, p. 352 (translation M.W.). 4 WA 40/I, p. 33 (translation M.W.). 5 Cf. WA 40/I, p. 441. 6 Cf. Martin Luther, Schmalkaldische Artikel (1537), part 2, art. 1, in: Die Bekenntnisschriften der evangelisch-lutherischen Kirche (BSLK), p. 415.

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Justified for Covenant Fellowship

of faith that shape the church’s profession of faith.7 Philipp Melanchthon, author of the Augsburg Confession of 1530, therefore defended the chapter on justification as key to understanding Holy Scripture in its entirety.8 Similarly, John Calvin, who signed the Augsburg Confession in 1539, called the question of justification “the most important pillar of our reverence of God.”9 If we are to consider the Reformed contribution to ecumenical discussion of justification and the range of its meaning, the far-reaching theological convergence with Luther should be emphasized first. Apart from all differences in detail, the Reformers were substantially in agreement on the importance and the central content of the doctrine of justification.10 Calvin was convinced that his understanding of justification was completely the same as Luther’s, even if they developed its implications differently. Actually, the divergences between Lutherans and Reformed are taken much more seriously today than they were taken by the Reformers themselves. And important too is this: it was clear to all of the Reformers that the doctrine of justification has revolutionary impact on the whole of theology. Virtually every theological question is affected and changed by it. At stake is the catholicity of the church and thus the church as such. Justification is not one isolated article among others of equal importance – which is what the Joint Declaration on the Doctrine of Justification would have us believe11 – but is rather a kind of theological yeast that has the power to make a consistent and stable whole from the entire range of theological ingredients. This means that the exclusiveness of the doctrine of justification must be understood in terms of its substantial theological inclusiveness. We must nevertheless remember that every theological key or guideline – and thus also justification – remains relative to the main goal of theology: to support our human worship (in a broad sense) in response to God’s affection for us. Not we and our religious needs stand at the centre of our theological efforts but God and God’s

7 Cf. Gerhard Sauter, Zur Einführung, p. 11. 8 Cf. Philipp Melanchthon, Apologia der Confession, BSLK, p. 159. 9 Johannes Calvin, Institutio III 11.1 (translation M.W.). The McNeill edition of the Institutio speaks of justification as “the main hinge on which religion turns.” Cf. John Calvin, Institutes 3 11.1, p. 726. 10 After hinting at all the differences, Alasdair I.C. Heron emphasizes “a core of unity in the assertion over against the semi-Pelagian tendencies of late medieval theology and piety that the justification of the ungodly – i. e., of sinners – is a divine work, founded alone in God’s free will and gracious goodwill and apprehended and appropriated solely by faith, which is not in any sense a ‘work’ or achievement, but itself the gift of God. On this point […] there was no confessional dispute between the Lutheran and the Reformed traditions.” Cf. Heron, Justification and Sanctification in the Reformed Tradition, p. 113. 11 Cf. Joint Declaration on the Doctrine of Justification; cf. also Weinrich, The Reformed Reception of the Joint Declaration.

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glory.12 We do not believe in dogmas but in the triune God. “Soli Deo Gloria!” has to remain the decisive horizon of all theological considerations, whatever they are. The doctrine of justification too has to be clearly related to Soli Deo Gloria. In the case of justification, the doctrine’s relative significance is clearly related to its special emphasis. Beyond this fundamental differentiation, we should also distinguish other ways justification can be understood. On the one hand, focus can fall on the juridical dimension of God’s soteriological act in Christ’s crucifixion and resurrection, the high point of God’s intercession for sinful humanity. On the other hand, this particular divine act places all of God’s acts in a special light. Nowhere are we allowed to disregard this high point as it is mirrored in the history of God with humankind. If the cross and resurrection are characteristic for God and God’s attitude to humans, we meet this same God beyond the cross and resurrection in all divine acts to which the Bible witnesses. We would otherwise have to speak of different gods. In this view, justification may be envisaged as a key theme in the Bible as a whole, even where the Bible does not speak explicitly about justification and the juridical side of God’s justice. There is a non-juridical use of justification that functions as the yeast in the whole of God’s history with Israel and all humanity. This is what this article is about: God’s particular act in Christ is reflected in the whole of his intentions and in all realizations of his will.13 For this reason, we will draw on the terminology of justification wherever it helps us to understand God’s faithfulness, both to us and to himself.14 To put it more in terms of content: it is critical for a proper understanding of justification that the biblical message cannot be measured simply by ordinary understandings of law or justice. In common usage, law does not apply just to judgments made by particular people – rather, Justitia is a blindfolded woman with a pair of scales in her hands. We should not neglect the deep meaning of this image for human law and its implementation in societal life. Nevertheless, the theological meaning of justification goes far beyond human law. We face God’s law, and this means that all legal terms also have a theological dimension. If we speak about God’s law, we must never abstract our insights from the will of God as creator, reconciler, and redeemer. Rather, we have to be aware that an appropriate understanding of justification depends on a proper consciousness of the whole

12 Cf. John Webster, Rector et iudex super omnia genera doctrinarum? 13 In regard to these themes, cf. also Otfried Hofius, ‘Rechtfertigung des Gottlosen’ als Thema biblischer Theologie, in: Ders., Paulusstudien (WUNT 51), Tübingen 1989, pp. 121–147. Hofius provides an exegetical study in which the doctrine of justification is regarded as the chief theme of the entire Bible. It thus underpins the concern of this contribution. 14 My intention in no way contradicts John Webster’s (cf. footnote 12) with regard to content. Our perspectives should be distinguished clearly from one another, but they do not exclude each other.

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reality of God as we know it in creation and in his special relationship to Israel and the whole of humankind. Wherever God acts, God is righteous; God gives his justification to what he created, and in the end, God justifies himself – “so that God may be all in all” (1 Cor. 15:28). Justification, broadly speaking, is a key theme of God’s history throughout the biblical canon. Even where no legal terms as such appear, wherever God is saying or doing something we are confronted with God’s righteousness, which always implies justification. To a certain extent, one may say that justification is the means by which human beings become aware of God and God’s will – wherever we face the distinction between righteousness and unrighteousness, we inevitably touch on the question of the specific character of God’s justice. The divine justice determines what will and will not be justified by God. My considerations will proceed along five steps. First, I will emphasize the special character of the theological understanding of justice. Justice is not simply justice; it always needs an interpretative framework. The theological use of justice stands in the framework of God’s relation to humankind as his creatures. The theological concept of reality is rooted in the vitality of this relationship. Second, I will show that the meaning of this relationship is based on justification. If we want to focus on reality from the perspective of the biblical witness, we have to look at relationships. Third, we have to consider how humanity rejects God’s justifying inclusiveness and instead tries to develop a consciousness of itself based on itself. Humans exclude God in order to try to realize themselves. The fourth point will consider God as the covenanting God who wants to bring humans back into the reality of relationship. God justifies Israel and humankind by making them covenant partners. The plurality of biblical covenants reflects God’s will to be the covenanting God in particular contexts. The seriousness of God’s will is related to God’s faithfulness, which lies at the heart of justification. And finally, fifth, we will sum up the results by underlining the indissoluble relation between God’s loving justice and the human being’s liberating justification as the core of the biblical witness in its entirety.

11.1

The Different Justice (iustitia aliena)

To get some idea of the range of the meaning of justification, we have to reconstruct the question that best fits the doctrine of justification as its answer. What are the theological prerequisites for a proper understanding of justification? These prerequisites concern God’s justice, but God’s justice has to be understood on the basis of its divine character. We cannot draw conclusions from our common understandings of justice to God and his justice. What are we saying about God’s relationship to humankind when we claim that he is a just God? What kind of justice do we envisage when we understand God’s relation to his creation as just?

The Different Justice (iustitia aliena)

What are the implications if we concede that God is righteous? This issue concerns not the notion that God is righteous per definitionem but rather the special character of his justice and the righteousness in which he acts and is revealed to us. Justice is not justice as such but rather only in reference to the reality from which it gains its importance. This leads immediately to the question of what reality is, because reality also is not self-evident but rather a question of interpretation and the criteria of its interpretation.15 Different people encounter the same event yet experience it differently because of their different interpretations of what happened. The same event means something different to each of them. What strikes fear in one person may create hope in another. It depends on one’s personal hermeneutics as to whether something is important or not. On what do we rely and what gives us the courage to trust in anything at all? We are prepared to justify something as long as it fits our understanding of reality. Whatever contradicts or confuses our understanding of reality, we refuse to acknowledge and accept. Instead, we become critical. The measure of what we call right or wrong depends on our specific understanding of reality. For theologians, the proper thing to do is to consult the biblical witness. The first time the Bible speaks about human, it says that God will create humankind in his own image: “Let us make humankind in our image, according to our likeness” (Gen. 1:26). And so it happens: “God created humankind in his image, in the image of God he created them; male and female he created them” (Gen. 2:27). Strictly speaking: God creates man (singular) by creating two. Right from the beginning humankind exists in the plural and with a degree of dissimilarity: male and female. We can understand this literally as well as symbolically: every human is as different from another as man and woman are different. According to the biblical witness, God too is a kind of plural, and the human plural emerges in analogy to God’s plural. The image of God is not one human but at least two humans – the one human being is differentiated just as the oneness of God can be differentiated. That means that the image of God exists only in the relationship of human to human on the one hand and of humans to God on the other. In the biblical understanding, a single human would be an abstraction from the image of God which exists in that twofold relationship and as such “was very good” (Gen. 1:31). Here God explicitly justifies what he created. Within this framework, justification is something the creator does and not the creature. This is important, as we will note later. A creature is unable to justify itself. Its justification as the creator’s creature comes from outside itself and is not something that it can achieve on its own. The creature has an honor of its own

15 Cf. Weinrich, Theologie und Biographie, pp. 63–79.

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in its limited existence as a creature, but it is an honor provided by the creator’s acceptance of the creature – so to speak by God’s justification.16 If we speak of human as the image of God, we have to understand the plurality on both sides.17 The “Godlikeness” of human is expressed more in this plurality than in the imagery of any particular capacity of a single human being. The plural is not just the prerequisite for biological reproduction but also the basis for relationship and partnership (“a helper as his partner” [Gen. 2:18]). The similarity lies in the understanding that to be is not to be alone. The decisive act of God’s free love in eternity is to elect humankind as his partner. God decided to be God in relationship to humankind. The divine self-determination is directed toward covenant, and for there to be the covenant, God created humankind as a partner who is able to respond as a subject. That God created humankind in his own image means that he created humans as beings capable of answering when they are addressed by God. It is their privilege to have access to God through their free ability to interact with God, whereas all other beings are completely dependent on God’s access to them. This and nothing else is the distinct nobility of humankind – that humans have the possibility of a reciprocal relationship to God and to their fellow humans.18 This implies that humankind cannot realize itself unless it makes use of this distinctive ability. Self-knowledge, if it involves looking only at the self, does not hold much promise; we have to go beyond ourselves to get at the reality of humankind. Humans have to look at their relationships if they want to get an idea of who they are. Let us recall an insight from the modern human sciences: there is no selfknowledge without an awareness of one’s social context – no identity that does not take into account the relationships that make us what we are.19 An individual’s true self is to be found only in relation to another’s.20 This may be said on a general level as well as on a theological level. In the words of Karl Barth, “Human life participates in the freedom of all God’s creatures to the extent that it does not have its aim in itself and cannot therefore be lived in self-concentration and self-centeredness, but only in a relationship which moves outwards and upwards to another.”21 God 16 Cf. Barth, CD III/4, § 56, pp. 565–685. 17 There are many good reasons for Christian theology to appeal immediately to Christology and the doctrine of the triune God. This theme of relationality is also evident in the Old Testament without the explicit Christological criterion. Gary Deddo has shown how key the concept of relationality is in Barth’s theology: The Grammar of Barth’s Theology of Personal Relations. In some ways, Barth’s Christological perspective is more a matter of methodology than of content. It integrates his decisive insights. But even in regards to content, Barth’s observations are more powerful than those of most other theologies. 18 Cf. Weinrich, Wir sind aber Menschen, esp. pp. 68–72. 19 Cf. the controversial debate in Harriet A. Harris, Should We Say that Personhood Is Relational?. 20 Cf. Barth, CD III/4, p. 473. 21 CD III/4, p. 477f.

The Different Justice (iustitia aliena)

provides space and time for the distinctive creature that he wishes to be a partner for his covenant.22 In theological perspective the creation is the prerequisite for God’s covenant, that is, for the realization of God’s will to live in relationship to humankind.23 In this framework life is not just action but rather interaction. Life is the circumstance of being addressed and having the opportunity to answer. We are not challenged first and foremost by objects and facts. Life is challenged by life – by the living God and the living next-door neighbor. In the words of Gary Deddo, “life-giving relations consist in engaging in a history of interactions, of encounters with others in a way which tells the other the truth about themselves as God has determined them to be.”24 Reality is not a situation that is merely given and, as such, silent; rather, it is more of an event. Reality is not real as long as nothing happens. Modern times would have us believe that human life is meant to exist in a permanent competition of everybody against everybody. The principle of modern economics has simply been transferred into anthropology: one exists if one competes. One proves oneself to be a subject by competing with others. And in this competition the subjectivity of the other is a natural threat to one’s own subjectivity. Human reality is shaped by a permanent rivalry resulting in painful sacrifices. This is exactly the counter-image to that of biblical anthropology, which sees the individual’s subjectivity as not threatened or limited by the subjectivity of others but as stirred to life by it: life is one subject being inspired by the other. Real life can only be found in the mutuality of subject and subject. It is life that encourages life – in contradiction to Thomas Hobbes, who asserted that success is the basis of human subjectivity and happiness.25 Not the lonely thinking subject and its fundamental skepticism, à la René Descartes, is the result of God’s creative act but rather social subjects who enjoy the ability to communicate and interact. Again, in Barth’s words, “the humanity of each and every man […] consists in the determination of man’s being as a being with others, or rather with the other man. It is not as he is for himself but with others, not in loneliness but in fellowship, that he is genuinely human, that he achieves true humanity, that he corresponds to his determination to be God’s covenant-partner.”26 This points in the direction of the biblical words

22 This is exactly why Barth speaks about creation as the external reason for the covenant (CD III/1, § 41,2) and the covenant as the internal reason for the creation (CD III/1, § 41,3). 23 This anthropocentric view of creation implies no disparagement of non-human creation, intended as the good living space for humankind and not as a resource for unlimited exploitation. 24 Deddo, Gary, The Grammar of Barth’s Theology of Personal Relations, p. 194. 25 “Felicity, therefore (by which we mean continual delight), consisteth not in having prospered but in prospering.” Thomas Hobbes, The Elements of Law, Natural and Politic, p. 30. 26 CD III/2, p. 243.

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shalom and tzedakah. Human community is the place where life may flourish in shalom and tzedakah. We have been so deeply socialized by the modern idea of the human self-centered subject that whatever is done for its justification can expect to win our approval. This is why the biblical idea of the social subject and an intersubjective understanding of life look so strange to us. Our distance from the theological understanding of justification is rooted in our fundamental estrangement from the biblical view of humankind as a social being. It is through relationships that a person is justified or not justified. There is no justification simply for itself. Moreover, it is through relationship to God that we are justified or not justified. And finally, it is humanity that is justified or not and not an abstract single subject that claims to remain a subject even when it retreats into itself. It is a mistake to expect the question of justification to be a common question to contemporary people. It never was a common question. It has always been something with which humans have to be confronted, because justification by God is alien (iustitia aliena) to people, who are always used to justifying themselves. People may ask about the meaning of life, but this question is quite different from that of justification.27 Luther was convinced that the doctrine of justification is not a matter for apologetics, for justification is about yielding to God and not about giving free rein to one’s own possibilities. In a fundamental sense, the question answered by the doctrine of justification concerns the relation between God as the creator and humankind as God’s creature. What brings humanity into the position to accept itself as creature? – only God’s revelation of himself as the creator, because the notion that God could actually will relationship with us is inaccessible to us. Justification never rests on a human decision but only on God’s. Reconciliation in a theological sense means that the godless, who claimed to be their own creators (with the result that the whole world has been damaged) are restored to their rightful status as creatures who realize the grace of living in relationship to their creator and to each other.

11.2

Created for Freedom in Relationship

In theological perspective, the realization that we are justified depends not on a law, a quality, or a kind of moral value but rather on the existential awareness of not being alone. We are called to interaction – to listen and to react to what is said to us. This is also the way to understand the word responsibility in its fullest sense.

27 Cf. Weinrich, On the Way into Psychology. On a Modern Change in the Understanding of Justification; cf. also Vroom, Hendrik M., Understanding the Gospel Contextually.

Created for Freedom in Relationship

Justification points to a dimension of life that no one can achieve alone. It is this reality of relationship that delivers humans from the loneliness of having to justify themselves. The recognition of being justified is linked fundamentally to a special kind of freedom. Freedom in this respect is not so much an ontological or metaphysical term attesting that humans have the opportunity to begin anew without being forced to do so by external or internal reasons. It is an ethical term. It was Immanuel Kant who rejected an empirical approach to freedom, envisaging the need for freedom in the social sphere of ethics.28 If we reflect on the sociality of life, said Kant, it is not enough to realize that the limit of one’s freedom is the freedom of the other. Rather, freedom is needed as a constructive possibility for a reasonable ethics. Kant saw no possibility of pointing to freedom in itself, but because of the needs of human beings living together, he postulated freedom as the human capacity to decide for reasons of duty to make life worthwhile. According to Kant, life becomes worthwhile with respect to its social dimensions only when they are regulated by ethical decisions, and these decisions can be ethical only if they are made in freedom. In this view, freedom is defined by its limits and determined by duty. It is quite clear to Kant that the dignity of humankind is rooted in its selfless responsibility for the sociality of life. Freedom has to be postulated solely for the sake of recognizing the ethical destiny of human life. The background of this perspective is that fellow humans turn out to be limitations to my own freedom. And this is the reason why this concept remains problematic. As long as I view my fellow humans as competitors or limiters of my opportunities to develop, freedom will be debased to nothing more than a duty of reason. In the perspective of theological anthropology, fellow humans are not primarily limitations but the basis of life’s fullness. The fellow human is not a challenge or an opportunity to prove my ethical ability and dignity but rather a gift that makes life lively and rich. Barth says, “This is not a collapse of one into another, but the recognition that the law of my own being is fulfilled in being so completely with the other. In this correspondence there is the sense of an unimpeachable appropriateness and freedom and so joy.”29 In its first sense, freedom is not probation. It means rather to make something possible. Freedom in its deep sense is not only the possibility to act but also the already mentioned space for interaction.30 It is not so much a demand as, rather, the existential realization of life’s reality. It is not the necessity of struggling for life by using and exploiting everything, i. e., by ruling all objects for one’s own benefit (which too often has meant that fellow humans are also used as objects). The specific

28 Cf. above chapter 5: Kirche der Freiheit – Freiheit der Kirche, esp. 5.2. 29 CD III/2, p. 267. 30 Cf. Weinrich, Wir sind aber Menschen, pp. 73–77.

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freedom of human beings is stimulated at its best in the encounter of subject and subject. Existing in fellowship constitutes the specific space for human freedom in which real life can emerge. Human subjectivity is meant to be inclusive and not usurpatory. Freedom does not mean human power to make one’s own decisions but rather interactive aliveness. It is not so much an authorization as an aptitude. God’s own inclusiveness has its image in his creation: in this alignment of life for life, humankind is the image of God. Creation of humankind means: God provides space for this lively freedom for a life in covenant fellowship. We miss the purpose and the reality of creation if we do not recognize this interactive freedom.31 The dignity of the particular human creature lies in the fact that it has the possibility to respond to the relationship that God has opened to it. That God is the creator means that he wants to be the God of his creation. As God wants to relate to humankind, humans are also intended to relate to their neighbors. The meaning of creation is deeply undervalued if we just state that God is the first or final cause of everything. Creation means qualifying things more than it does creating them.32 As God qualifies himself in his creation as the creator, he also qualifies his image as his particular creation. He himself will be measured by his creation in this specific sense. In his freedom, God submits himself to a certain extent to the question of justification. The biblical caution regarding the human “I” is not a criticism of human subjectivity but of its self-centeredness. The modern idea of competition as the natural reality of humankind is more an ideology than a description of human nature. Being an “I” includes being a person to others in mutuality. “I am as I am in relationship.”33 Being human includes being open to fellow humans. If the “I” is abstracted from its social basis, it loses its reality.34 Only within its sociality can the subjectivity of the “I” realize its destiny and justification.

31 “This is the meaning and purpose of creation, to find its being in fellowship with another.” Deddo, The Grammar of Barth’s Theology of Personal Relations, p. 218. 32 The core of Barth’s theology of creation is: from chaos God separates a space for created life to live in; he provides reasonable conditions and an order for a worthwhile life – this is the meaning of creation out of nothing. Chaos is nothing, but after giving living things the sense that there is something one can rely on, there is creation. 33 Barth, CD III/2, p. 246. 34 “Do I see what is really at stake? It is really a matter of myself. I cannot be without accepting this claim of the other, without letting him come to me, and therefore without hearing him. […] I am affected myself if I do not hear him, and do so in all seriousness.” Barth, CD III/2, pp. 258f. We cannot understand subjectivity as the monarchical perspective of the “I” if we look at nature as God’s creation. “As I myself am, and posit myself, I confront the other no less than he does me with his being and positing. He is my Thou, he is reached and affected by me no less than I am by him.” Barth, CD III/2, p. 247. Barth refers in his description of the inter-human reality to Martin Buber’s concept of “I and Thou” as a concept of anthropological reality.

The Exclusiveness of Self-Centered Consciousness

Sociality does not limit particular opportunities of individual development. Rather, it makes subjectivity possible in a proper sense. Encounter with the other enlarges and enriches one’s own life.35 Fellowship is the fertile soil in which humans can cultivate their creational subjectivity, which is based and will reach its perfection in reverence toward God. Within this framework, it is unthinkable that people could worship God without being related to other people. We would misjudge the goodness of creation if we did not realize that the richness of interhuman relations is the root of life. This insight is decisive for the question of justification and its proper understanding. In the first and fundamental sense, being justified is more a matter of trust in the intention of the creator than a legal question.

11.3

The Exclusiveness of Self-Centered Consciousness

The question posed by contemporary people is not that of justification. If there is any question at all, it probably concerns the problem of the meaning of life. The answer to this question does not necessarily depend on a human or divine counterpart. In the modern period, the world has become more and more monopolar, concentrated in the self-centered human subject. Modern people do not accept the idea of being dependent on a justification from outside of themselves. Of course, they have many interpersonal relationships and perhaps even networks of relationships, but in most cases these relationships are based merely on what benefits oneself. This precisely mirrors the philosophy of not only the predominant economic system but also all major social institutions and organizations, i. e., the ideology that society will flourish best if everyone looks especially after his or her own interests. Self-reliance seems to be a kind of magic formula that is supposed to solve every problem and threat. And this mentality also shapes people’s concept of life, their hopes and fears for the future, and the guidelines by which they live in the present. The world is becoming smaller and smaller, but no rules are globally accepted, and if one is skillful enough, one can get almost whatever one wants. The individual alone is responsible for his or her success. Success becomes an instrument for self-acceptance. We engage in a kind of self-justification. And if success eludes one, one feels lost to society and to oneself. Without success, it is impossible to justify oneself. In a self-centered world, one cannot justify oneself unless one has something to show for one’s efforts. Whatever is missing in the individual’s life has to be provided by the individual himself. It is therefore not surprising that people today have quit asking the question of justification, because there can be no real

35 Cf. Deddo, The Grammar of Barth’s Theology of Personal Relations, p. 204.

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Justified for Covenant Fellowship

answer to this question as long as the world is centered in the human subject. A question for which no one expects an answer makes no sense. The quest for the meaning of life reflects this situation in which we are not supposed to expect any answers for life beyond ourselves. The quest for meaning is a sign that meaning is absent, and the question arises because there is no answer. Insofar as this question clearly confirms the non-existence of what it calls for, it is its own answer. If the world is merely centered on the human subject, we cannot expect to encounter concepts of life that emphasize response. The German psychologist Horst Eberhard Richter speaks of a God complex that emerges in a Cartesian world.36 Humankind gradually became subject to the delusion that it was omnipotent. In modern times, the self-centered consciousness has made people individualistic but also lonely. Humans claim to be the center of reality, especially of history. According to Friedrich Nietzsche, they killed God, and so they had to do everything that God did for them before. This was (and still is) the prominent expression of selfjustification. Humans have not claimed to be God but have taken over God’s role in nearly all areas of life. They may continue to speak about God and to participate in religious services, but their deeds reveal their true attitudes, i. e., that they do not truly take God in account as they live their lives. According to Ludwig Feuerbach, God is simply a relic of the past that still preoccupies many people. He is no more than a “ghost in their heads.”37 This “ghost,” however, prevents people from discovering their fellow humans. It was this God who shaped relationship more and more as self-relationship. Even inter-human relations have lost their human counterparts. Other people merely serve as objects whereby I ensure the righteousness of myself as the predominant “I”. Theologically, we are confronted here with the second side of biblical anthropology. We spoke first about the anthropological perspective of human beings as the image of God. This remains fundamental but has to be supplemented by a second equally fundamental aspect: from the very beginning of human history humans have had to face the inexplicable fact that they constantly appear to be sinners. They have never truly been ready to respond to the trust that God placed in them. According to the wisdom of the Bible, human history always took place east of Eden. The story of the so-called fall in Genesis is not an explanation but rather a narrative of what is actually the case, or to echo the philosopher Ludwig Wittgenstein, the story is about “was der Fall ist” – the German language uses the same word, “fall,” in the sense of sin and in the sense of what is in fact “the case”. For the moment, let us focus on the meaning of sin.

36 Cf. Horst Eberhard Richter, Der Gotteskomplex. 37 Ludwig Feuerbach, Das Wesen des Christentums, p. 10.

The Exclusiveness of Self-Centered Consciousness

The narrative in Genesis 3 does not relate a single incident but rather “what never happened but always is.”38 And this applies to the whole Urgeschichte in Genesis 1–11. As such, this Urgeschichte can tell us what history is about. We are looking at humans who are easily persuaded to act against God’s explicit will, who want to be like God and forget that the creature cannot be the creator. We are looking at humans who kill their brothers out of uncontrolled jealousy. We are looking at human beings who choose evil and reject good. Thus, it is easy to understand God’s wrath toward them. And, finally, we are looking at people filled with hubris who imagine themselves to be almighty and then build a tower “with its top in the heavens” (Gen. 11:4), without any fear that they could fail. We are looking into a huge mirror in which we see the actual condition of humanity as it is today and as it has obviously been throughout history. This story tells us that there was no need for any of this to have happened, because it all began in the Garden of Eden. We call it paradise because it provided all of life’s necessities. Nobody needs more than everything, and for someone who already has everything, it is not reasonable to want more. To expect more than everything can only mean to have something less. It is mistrust of the creator’s assurance that everything is already provided, insinuating that God as the creator is imperfect. As soon as someone claims to have a better solution, he or she is claiming to be a better creator, whether this is even possible or not. Indeed, this is the story about humans in the Garden of Eden. God did not create people with mistrust as part of their condition. The story speaks of a serpent that leads these two people into temptation. But the serpent simply stands for the powerless evil that needs to find a subject in order to become powerful. Evil needs a helper – an assistant or abettor – to become real. By itself it is too weak to do anything against God’s will. Only humans can be such helpers and supporters, for they are created as subjects free to give their own answer when God addresses them. This ability is not the possibility to refuse to answer God. Nor is it the possibility of submitting to the appeals of evil. Nevertheless, it does not exclude these possibilities, however unforeseen (and impossible) they seem.39 And this is exactly the weak point that the serpent uncovers. Indeed, it must have been “more crafty than any other wild animal that the LORD God had made” (Gen. 3:1). Evil had to look for subjects who were able to transform it into reality. Humans exercise power beyond all possibilities for one particular impossible possibility – namely, the impossible possibility of a creature becoming a creator. Since God had already completed his creation, there was nothing to add to it. If everything is created, the creation needs no further creator. If one, however, wants to be a creator, he or she has only one possibility: to create something that God did

38 Erich Zenger, Das Blut deines Bruders schreit zu mir, p. 11. 39 Barth spoke of sin as the impossible possibility.

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not want in his creation. There was only the possibility of calling something into existence that God wanted to keep in “non-existence.” This is the only possibility left to humans by God, and this is precisely where the serpent strikes. Humans tried to make themselves the free interpreters of God’s will, and they used the space opened up by the subjunctive of the serpent’s question (“did God say—i. e., would God say?” [Gen. 3:1]). They wanted their action to appear as something that happened according to God’s will. They claimed to have a higher way of understanding God’s commandment, not as stated literally but in its intentions. By assuming that God always wants the best for humankind, they felt free to decide for themselves what was best for them and did not shrink from violating the only explicit prohibition given to them. What exactly is sin in this case – violation of God’s prohibition or human selfishness? In the nineteenth century the fall was celebrated as the happiest event in human’s history: felix culpa! Friedrich Schiller and Georg Friedrich Hegel called the fall a stroke of luck, because it indicated that humans had come of age and had become responsible and free citizens.40 According to Schiller, “The human fall away from instinct […] is without question the happiest and greatest event in human history. From this moment on, his freedom is authorized, and the first piece of his moral foundation is laid.”41 From this optimistic perspective, historical development is continuous progress toward humanity’s final determination and perfection. The worst place for humans would be the Garden of Eden, where God provides everything and humans simply rely on him. Without a well-measured dose of healthy selfishness, humanity would never have developed and progressed. This view belongs to a variety of ideas in the modern period that minimize the meaning of sin. The question is whether they are on the mark, and here there may be some doubt. The biblical perspective always harks back to one crucial insight: it is not so much human selfishness but the shameful human’s mistrust of God’s intentions and reliability that offends God. Once more, the story does not tell us that the mistrust originated within humans themselves. It was inaugurated, rather, by the serpent with the simple but subtle question: “Did God say, ‘You shall not eat from any tree in the garden?’” (Gen. 3:1). Apparently, the serpent knows about God’s commandment and uses this knowledge to sow uncertainty about the clarity and resoluteness of God’s will. In this way, the serpent opens the door to the possibility

40 Cf. Christine Axt-Piscalar, Sünde VII. Reformationszeit und Neuzeit; Wolfgang Trillhaas, Felix culpa: Zur Deutung der Geschichte vom Sündenfall bei Hegel. 41 “Dieser Abfall des Menschen vom Instinkte […] ist ohne Widerspruch die glücklichste und größte Begebenheit in der Menschheitsgeschichte, von diesem Augenblick her schreibt sich seine Freiheit, hier wurde zu seiner Moralität der erste entfernte Grundstein gelegt.” Friedrich Schiller, Etwas über die erste Menschengesellschaft nach dem Leitfaden der mosaischen Urkunde, p. 769 (translation M.W.).

The Exclusiveness of Self-Centered Consciousness

of doubt. Upon hearing the serpent’s question, Adam and Eve could immediately sense the doubt in the air. But they did not reject the question and its powerful implications;42 instead, they entered into a debate that they were bound to lose. And so they did. They accepted the serpent’s teaching about God, the doubt by which the serpent interprets God, i. e., evil’s interpretation of God. If human knowledge about God has vanished or at least become cloudy, knowledge about fellow humans will inevitably be blurred too. One’s relationship to fellow humans changes from a necessary and essential relationship of one’s existence into an arbitrary one. And fellow humans, who are their own subjects in reciprocal relationship to us, become objects of our desires and fears. There is a close link between respect for God and respect for one’s neighbor. As Barth notes, misapprehension of God culminates in misapprehension of people: “[…] man, who in virtue of […] his foolish attempt to equate God with himself and himself with God, does not know God […] does not know his fellow man either. His ignorance of God culminates and manifests itself in his ignorance of his fellow man. He regards him as an object to whom he as subject may or may not be in relation according to his own free choice and disposal, whom he may pass by as he does so many other objects, or with whom, if this is out of the question, he may have dealings as its suits himself within the limits of what is possible for him. He does not know him as a fellow subject whom God has set unavoidably beside him, to whom he is unavoidably linked in his relation to God, so that apart from him he cannot himself be a subject, a person. He is not for him an indispensable, but in certain cases a dispensable, companion, associate, and fellow – not to mention brother. He can get along just as well without him as with him. By chance or caprice or free judgment he can just as well be to him a tyrant or slave as a free supporter, just as well a hater as an admirer, a foe as a friend, a corrupter as a helper […]. In relationship to his fellow man, also, he exists in total ambivalence […]. [T]here is no necessary and solid relationship between man and man but only incidental, arbitrary, and temporary connections.”43

Barth draws a strict parallel between recognition of God and treatment of fellow humans. In his view, inter-human relationships depend on how well humans respect God and his will to create human beings in his image. This is the reason why the biblical witness focuses in the first place on the relationship of humans to God. The biblical option is resolute. If trust in God is damaged, the relationship to God is fundamentally flawed. God may still be present in a human’s life, but he is

42 On the manipulative power and suggestiveness of questions, cf. the psychologist Aron R. Bodenheimer, Warum? Von der Obszönität des Fragens. 43 Barth, The Christian Life, pp. 131f.

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Justified for Covenant Fellowship

marginalized. God is no longer the counterpart in a relationship in which humankind discovers its justification. Even after they noticed their nakedness in paradise, nota bene, God himself made them “garments of skins […] and clothed them” (Gen. 3:21). But things had changed so fundamentally that they could not stay in the Garden of Eden. To a certain extent God accepted their self-reliance – as he had done before – and sent them to a place where they could demonstrate it in the distance from God that they had claimed for themselves. Paradise was already lost before history began, but we are told about it so that we will be aware that God’s goal for humanity was different from that chosen by humans. Human reservation over against God implies a separation. Humankind attacks the core of God’s confidence in his creation, while at the same time provoking God by behaving as though it were its own creator. Nothing is the same as before or – to put it more precisely – nothing in the human sphere is as God intended it any longer. Separation from God leads inevitably to self-enslavement. This is the unavoidable result of the essential exclusiveness of human self-centeredness. Mistrust causes loneliness, and loneliness estranges us from God. Reliance on mere self-confidence leads to inevitable separation from God. So the circle is closed. Humankind chose the impossible possibility of competing with God and has run from failure to failure and from misery to misery. Now it seems as if God is dependent on humanity to justify itself. We do not adequately grasp the situation unless we recognize the deep violation done to God and understand God’s wrath to be thoroughly justified.

11.4

The Covenanting God: God’s Inclusive Faithfulness

We will stay with the Urgeschichte of Genesis 1–11. This time we will look not at the shape of humanity that becomes visible in these chapters but at God’s response, his way of punishing people, and his search for new ways into the future. Usually, we focus on God’s harsh reactions, the punishments that show the severe character of God’s justice. It is not necessary to go so far as to say that God’s wrath shows his love for the law more than for humanity. We need not be friends of Marcion, yet may nevertheless emphasize that God demonstrates his sovereignty especially in the Urgeschichte by being the almighty Lord of the cosmos and history. In this regard, the Flood seems to function as the outstanding example of God’s character. The only criterion for what happens seems to be God’s unshakable will to pursue his objectives. There may be reasons for such a view, but the overwhelming majority of God’s acts point in another direction and place his severity in a different light. In no case do we find severity without mercy. God’s severity always leads to new arrangements to benefit life. In my understanding, the Urgeschichte better reveals the far-reaching challenges with which God is confronted in his affection for his creatures than it

The Covenanting God: God’s Inclusive Faithfulness

does the harshness of his rule. It remains remarkable that every punitive measure has protective aspects. Indeed, I would express this more pointedly: whatever God does, he does for the sake of his mercy. As long as God’s mercy is not immediately visible, we have to open our eyes and ears to discover it, because otherwise we will miss the decisive point of God’s actions. When God drove Adam and Eve from the Garden of Eden, he kept them from touching the other tree – “the tree of life.” The “tree of life” promised eternal life, and God obviously cannot agree that a life based on mistrust should become eternal. This would have destroyed the whole project of creation as it aimed at the covenant. Because God allowed his creature to do almost everything, he originally had the confidence that it would respect his only prohibition for its own sake. But after the experience regarding the “tree of the knowledge of good and evil,” God interferes before the enterprise collapses by itself. Outside the Garden of Eden conditions become harder, but life no longer exists in the danger that one deed could threaten everything. God protected Adam and Eve from being able to destroy themselves as God’s creatures, i. e., God defended and saved them by banishing them from the Garden of Eden. If we look at Cain, we note that his deed left its marks on his life. But we also see that the special mark upon him is God’s, “so that no one who came upon him would kill him” (Gen. 4:15). God marked Cain not to minimize Cain’s deed – he had to suffer the consequences – but rather to stop evil, to interrupt the self-nurturing process of violence. The mark was intended both to stigmatize him as a murderer and to protect him. Although God could not prevent Cain’s deed, he could prevent the consequences of the deed from prevailing in later history. It is especially difficult to see God’s mercy and grace in connection with the Flood. God himself decided, “I will blot out from the earth the human beings I have created” (Gen. 6:7). God repented of creation (Gen. 6:6), or to be more exact, not for the whole of creation but for the creation of human beings. They are at the heart of creation, and if this heart is evil the whole becomes rotten. God is not just disappointed. Human beings put God’s confidence in them into question, and so they questioned God as such. The relationship for which the whole enterprise was set up is destroyed, and that means that the whole enterprise of God’s generosity has failed. So God wanted to put an end to everything – there was no reason to continue – but with one exception. God protected Noah and his family, and only then let the Flood take its course. One may get the impression that God changed his mind about humanity because of the pleasing fragrance of Noah’s offer after the Flood.44 Yet, nothing has really

44 Jürgen Ebach, Noah: Die Geschichte eines Überlebenden, p. 119. Ebach speaks of God’s double repentance.

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Justified for Covenant Fellowship

changed: “the inclination of the human heart is evil from youth” (Gen. 8:21). The only thing that has changed is that God now makes the rule out of what had been the exception. Here for the first time that the biblical witness speaks of a covenant: “I am establishing my covenant with you and your descendants after you” (Gen. 9:9). It is not just any covenant but expressly God’s covenant (“my covenant”). It is decisive for the understanding of the whole Bible that this covenant is mentioned already in the Urgeschichte. The aim of the Flood narrative is this covenant. This story establishes that God’s covenant precedes the history that follows.45 Although “the inclination of the human heart is evil from youth,” God establishes his covenant, and – as the biblical witness testifies – he will reconfirm his intentions many times. These may appear to be different covenants, but they are all expressions of the oneness of God’s covenanting will. That is why the covenant had to be included in the Urgeschichte. We cannot properly recognize God until we realize that God establishes his covenant not only for pious people but for all human beings as they are. We cannot be closer to the issue of justification than here. The Urgeschichte establishes that justification is key for the whole of the biblical witness and thus for the whole of theology.46 Unconditional covenantal love is the center of God’s self-revelation. In Barth’s words: “God is He who seeks and creates fellowship with us, and who (because His revelation is also His self-revelation) does this in Himself and in His eternal essence. […] He wills to be ours, and He wills that we should be His. He wills to belong to us and He wills that we should belong to Him. He does not will to be without us, and He does not will that we should be without Him […]. That He is God – the Godhead of God – consists in the fact that He loves, and it is the expression of His loving that He seeks and creates fellowship with us.”47

The covenant – as Gary Deddo summarizes it – “is not a kind of contractual agreement between two parties on the basis of mutually agreed terms which if violated annuls the contract. It is a commitment to the benefit of the other by doing whatever is lovingly necessary to include them in fellowship originally active in the Triune life.”48 This means in anthropological terms that the determination of humanity culminates in its determination as the covenant partner of God. 45 It may be that the plot of the Flood narrative was already given and was inserted in a specific perspective into the Urgeschichte. 46 Calvin and Barth especially emphasized the centrality of covenant. This may be a special Reformed accent, but it is also one of the main threads of the biblical witness. 47 CD II/1, pp. 274f. 48 Deddo, The Grammar of Barth’s Theology of Personal Relations, p. 202.

The Covenanting God: God’s Inclusive Faithfulness

The last scene in the special choreography of the Urgeschichte is the Tower of Babel. This story is perhaps not primarily about justification, but it is nevertheless a wonderful story about God’s protective grace, the result of which always means justification. God does not wait – as he could have done – until the gigantic tower caves in by itself, which clearly would have occurred if the master builder had built it “with its top in the heavens” (Gen. 11:4). The aim to reach the heavens reveals the hubris of the builders and the self-destructive character of the project. The longer people worked on it, the greater was the threat that it would collapse and kill everyone involved. If human beings are determined to enter “the heavens” or to “make a name for themselves,” nobody will be able to stop them. Even God needed a special trick to convince them that they should give up this project before it collapsed on itself. The grace of the confusion of language is that they had to halt their efforts at building and had to invest instead in learning to communicate with each other.49 The end of the towering project saved their lives. There is something protective about the need for communication. Unless we pay attention to communication, our relationships fall apart. It is a great but also a wonderful challenge to learn to understand one another – this is what should be at the top of our agenda and not towers stretching into the heavens. The need to communicate helps prevent such gigantically tragic projects. Here again, God stopped the enterprise before it destroyed itself. God saves people from self-destruction. In this case, it was not a Flood sent from God but rather humankind’s own ambitions that threatened – and still threaten – the existence of human life. The Urgeschichte provides vivid images of the fundamental tension between God’s determination of and care for his creature on the one hand and the creature’s mistrust and ungrateful selfishness on the other. Like a magnifying glass, the Urgeschichte concentrates our attention on the immense disproportion between God’s genuine, concerned relatedness to humanity and the latter’s unconcerned and aggressive attempt to prove its ability to live independently. God’s trust is answered by mistrust. From the very beginning there is a fundamental discrepancy between the creation as justified by God and justice as defined by humans. Instead of living the justification granted by God, humans ask God to justify himself. This is the breakthrough achieved by the serpent and its question: “Did God [truly] say?” The amazing thing in the Urgeschichte is that God does not give up but does everything to find a way to humanity in spite of the destroyed relationship. God again and again looks for a way to justify his disobedient creature. The wonder of the justification of the creation is surpassed by the wonder of justification

49 Even if I, a German, suffered and felt handicapped by being forced to write this contribution in English!

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Justified for Covenant Fellowship

through the covenant established for fallen humanity. The Urgeschichte gives us a condensed characterization of the relationship between God and human beings. God is revealed in his unconditional and faithful option for the established covenant and for human beings, despite their self-aggrandizing confidence in their own possibilities for building up the world in virtually open competition with God. As God is introduced to us in the Urgeschichte, we are also introduced to ourselves – perhaps in a surprising manner but nevertheless a much less surprising manner than the introduction of God to us. The biblical understanding of God is impossible without the accompanying understanding of human beings. There is no doctrine of God without anthropology and no anthropology without a proper understanding of God. That is something everyone knows but always forgets. Instead of the Urgeschichte, which, as the beginning of history, is not itself history, we could have looked at the history that begins with Abraham and ends with the later epistles of the New Testament. Perhaps the picture would be much more complex, as not everything fits without difficulty into the framework outlined by the Urgeschichte.50 We would have realized that there are always unexpected solutions, unexpected promises, and also unexpected letdowns. Biblical history is not just a story about victories and triumphs. And so it is necessary to tell the whole history, with both its high points and its low points. From the very beginning, we are a part of it. All the strange twists and turns are related to us to reveal to us our place in this story, which is not everywhere but somewhere. The story is complicated because everything we can learn from it confirms the unintended and not easily accepted lesson that even if we are very pious and upright, we are at best comparable to Peter – who denied the Lord not only once. And again, the only thing we can do is to rely on the promise that this (pious) denier is – as the story relates – nevertheless a beloved disciple of Jesus. This is how biblical realism treats human beings – their doubts, unfaithfulness, and wickedness, even in their piety.

11.5

God’s Loving Justice: Humanity’s Liberating Justification

We have to come back to the role of justification as the leaven of the whole of theology. The pivotal point is the mutual connection between love and justice. It is not enough to say that God loves justice or that God is the loving God also in his justice. Rather, God’s justice is the expression of his love, just as his love always expresses itself in acts of justice and justification.

50 Generally speaking, it is not a question of which part of the Bible we are dealing with, but of the hermeneutical approach to scripture as Holy Scripture. On this important issue cf. John P. Burgess, Why Scripture Matters; John Webster, Holy Scripture: A Dogmatic Sketch.

God’s Loving Justice: Humanity’s Liberating Justification

The most concrete expression of this connection is God’s faithfulness to the covenant that he initiated with Noah and reconfirmed many times throughout history, ultimately in Jesus Christ (Lk. 22:20; 1 Cor. 11:25). Because this covenant had to be adjusted several times, its earlier forms may now appear outdated and even obsolete (the harshest judgments in this direction can be found in Heb. 8:13 and 9:1551 ), but in all of these covenants, the will of God remains the same to promote the justification of individual humans, the people of Israel, and even the whole of humanity as partners in a reciprocal relationship to the living God. We may choose to distinguish different covenants, but God’s intention does not change. The form of the covenant may differ from one situation to another, but each reflects the justice of God’s love – his loving justice in which our justification is entirely his achievement again and again. God is still the God of Israel, and we too rely on his faithfulness to his covenant with Israel. God never cancelled his covenant with Israel (Rom. 11:1), and Christians would not have reason to trust in God’s faithfulness to them if they felt that God had ceased to be faithful to Israel. The reason for God’s faithfulness is not the church’s behavior in the world, nor is it Israel’s history that convinces God to stand by Israel. Rather, it is simply God’s own loving justice, through which he sticks to his covenant and the promise of its final fulfillment.52 This is exactly what the Reformers rediscovered – that it is God alone who establishes, nurtures, and fulfills his relationship to humanity, while human beings do everything they can to mistrust and marginalize God. At best, human beings employ a kind of calculable justice: they hope to gain access to God by doing this or that. They are not free to revere God for his own sake. We creatures fail to thank the creator for ourselves. We do not view God as being righteous, even though he views us as righteous. We do not respond to God’s trust in us with a comparable trust in him. It remains an asymmetrical situation in which we completely depend on God’s faithfulness to the covenant that he established east of Eden in a world already branded by sin rooted in the apparently irresistible temptation of mistrust. The poison of mistrust destroys human relationship with God, and no one is able to heal the breach. This is not simply a question of good or bad will. Rather, the reality based on the reciprocal relationship of God and human beings has been destroyed. God does everything to protect humanity from self-destruction. God establishes his merciful covenant and even justifies sinful people as his partners, but mistrust and unfaithfulness remain on the human side. Even human piety becomes an expression

51 For a proper understanding of these points cf. Knut Backhaus, Der neue Bund und das Werden der Kirche. 52 Cf. above chapter 4: Die Kirche als Volk Gottes an der Seite Israels.

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Justified for Covenant Fellowship

of mistrust because it becomes mere obedience to God’s commandments for the sake of personal salvation. God justifies the godless, but they still live in alienation from God. There seems to be no way out of the reality of destroyed relationship, and even God’s hands seem to be tied as long as he wants to be faithful to his creature as its own subject. In his free love, God as creator makes himself dependent on the human answer. God justifies human beings as his creation but has to wait for the creature’s trust in its creator. God seems to be the prisoner of his own generous election of human beings to relationship. Here we face age-old questions of Christology. In the words of Anselm of Canterbury, “Cur deus homo?”53 , I will touch on this matter, but only briefly. God needs a human being to reestablish the destroyed reality of relationship. But no one emerges. The only possibility is for him himself to act. It is his Word which “became flesh and lived among us, and we have seen his glory, the glory as of a father’s only son, full of grace and truth” (Jn. 1:14). God’s Word becomes incarnate in Jesus Christ, who was the true human being, living in relationship with God and fulfilling God’s intentions for all humanity. Christ gives the necessary human answer. In him the covenant was not only reconfirmed but fulfilled, i. e., it arrived at its destination. Christ is the real and true human being, the representative of all humanity, and his cross illumines our situation in relation to loving justice. As the accused, he becomes the accuser, just as the accusers become the accused. Our recognition of justification is linked to our recognition of sin. They belong together, but in this order. Here we face the core of Christological dogma. But the focus of this chapter is in a different direction. On the one hand, we want to state that Christology is the decisive key for the understanding of faith; on the other, Christology tells us nothing that we could not learn from other parts of the Bible. Or to put it in another way, Christology teaches us to recognize the same God throughout the Bible, just as the whole Bible enriches our understanding of Christ. Scripture is not just disconnected bits and pieces of literature. Rather, it has continuous lines that hold the plurality and variety of its content together. In my view, it is very significant that Karl Barth begins his explanation of justification and reconciliation as the center of the Christian message by referring to the prophet Isaiah and his use of the name Immanuel, “God with us,” which is then cited in Matthew 1:21ff.54 What happens in Christ is not an isolated event but rather the goal of all divine deeds: as Barth says, “… the eternal activity in which He is both in Himself and in the history of His acts in the world created by Him. It is of this that the ‘God with

53 Cf. Stephen R. Holmes, The Upholding of Beauty. 54 Cf. CD IV/1, § 57, pp. 3–154.

God’s Loving Justice: Humanity’s Liberating Justification

us’ speaks.”55 God’s faithfulness in Christ allows us to recognize God’s justifying attitude throughout the whole of history. I will not try to sum up my reflections. Theological doctrines are always abstractions and conclusions of things that the biblical witness tells us in a great variety of narratives. Proper theological insight can never be more than an aid to entering into the spirit and mind of the biblical witness and its views of the relationship between God and human beings. We always have to touch ground with the biblical narratives, even though they may complicate our doctrinal conclusions. In the end, the important thing is not how to safeguard the doctrinal insights that have been passed on to us but to be reminded of the vivid divine and human reality of God’s merciful covenant that justifies us in order to arouse our weak and sleepy faith.

55 Cf. ibid., p. 8.

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12.

Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität

Protestantische Anregungen zur ökumenischen Bedeutung des Reformatorischen1

12.1

Einleitung

Wenn wir uns im ökumenischen Kontext aus unseren recht unterschiedlichen Perspektiven über die Bedeutung der Reformation für unsere Kirchen und dann eben auch für ihre Gemeinschaft verständigen wollen, könnte schon die Frage „Was ist Reformation?“ eine weitreichende Diskussion auslösen. Innerhalb der anglikanischen Tradition lässt sich beispielsweise wahrnehmen, dass es einerseits durchaus empfindlich vermieden wird, die eigene Kirche als eine Kirche der Reformation zu verstehen,2 während von anderen die Verbindung zu den reformatorischen Impulsen im 16. Jahrhundert durchaus unterstrichen wird. Das hat mit geschichtlich niemals ganz überwundenen Spannungen zwischen High-Church und Low-Church zu tun, die bis heute einen Teil des Lebens der Anglikanischen Kirche ausmachen. Von diesen unterschiedlichen Akzentsetzungen bleibt allerdings die Anerkennung des Umstandes unberührt, dass es vom 16. Jahrhundert ausgehend Veränderungen für unsere Kirchen wahrzunehmen gibt, die bis heute ihr Selbstverständnis und ihre Praxis prägen – was im Übrigen auch für die Römisch-katholische Kirche gilt. De facto ist keine Kirche von der Reformation im 16. Jahrhundert unberührt geblieben, ganz gleich ob sie sich dann als reformatorisch bezeichnet oder nicht.

1 Es handelt sich um die geringfügig überarbeitete deutsche Fassung eines Kurzvortrags auf der im Rahmen der Meißen-Ökumene von der EKD und der Church of England veranstalteten Theologischen Konferenz „Reformation then and now“ vom 12. bis 15. Januar 2016 in The Royal Foundation of St. Katherine, London. Zuerst publiziert in: Magdalene L. Frettlöh u. Frank Mathwig (Hg.), Kirche als Passion. FS f. Matthias Zeindler (reformiert! 6), Zürich 2018, 109–118. (Original English version: The Church between Contextuality and Catholicity, in: Richard Chartres / Christoph Ernst / Leslie Nathaniel / Friederike Nüssel (Eds), Reformation Then and Now. Contributions to the Ninth Theological Conference within the Framework of the Meissen Process [Beihefte zur Ökumenischen Rundschau, vol. 109], Leipzig 2016, 55–64.) Es gibt partielle Übereinstimmungen mit Weinrich, Die Weltlichkeit der Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität. Das Zeugnis vom Wort Gottes in der Geschichte, in: Wilhelm Damberg / Ute Gause / Isolde Karle / Thomas Söding (Hg.), Gottes Wort in der Geschichte. Reformation und Reform in der Kirche, Freiburg i. Br. 2015, 266–277. 2 Die Anglikanische Kirche hat seinerzeit ihre Bereitschaft, bei der Gründung des Ökumenischen Rates der Kirchen mitzuwirken, davon abhängig gemacht, dass es sich abgesehen von ihr nicht um ein allein von den reformatorischen Kirchen getragenes Unternehmen handele.

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Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität

Eine eher formale und randständig erscheinende, tatsächlich aber fundamentale Veränderung spiegelt sich in der inzwischen auch ökumenisch anerkannten Notwendigkeit, dass sich die Kirche unablässig zu verändern hat, wenn sie ihre Botschaft unter den sich ständig wandelnden geschichtlichen und gesellschaftlichen Umständen angemessen und konkret ausrichten will. Eine lebendige Kirche bleibt eine Kirche im Wandel, auch wenn sie ihrer eigenen Tradition eine hohe Wertschätzung entgegenbringt. Die Kirchen werden nicht zuletzt davon in Bewegung gehalten, sich immer wieder neu auf ihren Grund und ihre Bestimmung auszurichten. In der lebendigen Wahrnehmung dieser immer wieder aktuell zu vollziehenden Umkehr bzw. „Hinkehr“3 liegt eine fundamentale ökumenische Öffnung, wie sie sich durchaus auch bereits für die Reformationen im 16. Jahrhundert konstatieren lässt. Recht verstanden kann sich Reformation immer nur in ökumenischer Ausrichtung vollziehen.4 Die hier ins Auge zu fassende ökumenische Öffnung wird vor allem durch zwei Orientierungshorizonte bestimmt. Kurz und knapp formuliert geht es um die immer wieder neu ins Auge zu fassende Katholizität und die Kontextualität der Kirche. Die kritische theologische Vergewisserung der Kirche hinsichtlich ihrer Fundamente und ihrer Bestimmung gilt in ökumenischer Hinsicht der Katholizität der Kirche. Dabei handelt es sich nicht um etwas, was sich die Kirche selbst zumessen könnte, sondern um ein Attribut der Kirche, das sie im Glaubensbekenntnis bekennt und dem sie sich in ihrer geschichtlichen Gestalt verpflichtet fühlen sollte.5 Ohne die achtsame Wahrung der Weite der Katholizität droht die Partikularität unserer Kirchen infolge einer überdimensionierten Bindung etwa an ihre nationale, kulturelle oder gesellschaftliche Identität auf einer Sandbank der Eigenwilligkeit zu stranden, wenn sie nicht gar – wie im Fundamentalismus – zu einem sektiererischen Unternehmen verkommt. Das haben auch die Reformatoren durchaus deutlich gesehen: Kirche muss ihrem Wesen nach katholische Kirche (Luther: christliche Kirche) sein wollen oder sie verliert sich an sich selbst. Der andere Orientierungshorizont wird durch die Kontextualität, d. h. die konkrete lokalkirchliche Einbindung und die mit ihr verbundenen spezifischen Akzentsetzungen benannt. Als einem spezifischen Anspruch geht es bei der Kontextualität um die Pünktlichkeit zur jeweils konkreten Situation, die zu erkennen gibt, dass sich die Kirche nicht in einer unanfechtbaren raum- und zeitlosen abstrakten Eigenexistenz bewegt, sondern stets an einem konkreten Ort und in einer konkreten Zeit. Der jeweilige spezifische Kontext ist dabei nicht nur die Blickrichtung, in die sie ihre besondere Botschaft adressiert, sondern er ist bereits der Horizont, in

3 Dorothea Sattler, Modelle kirchlicher Einheit – Statement aus römisch-katholischer Sicht, 26. 4 Vgl. dazu Weinrich, Protestantische Aspekte einer ökumenischen Ekklesiologie. 5 Vgl. oben Kap. 8: Die Katholizität der Kirche.

Kirche jeweils an ihrem Ort – Kontextualität

dem sie selbst die Botschaft vernimmt und in dem sie auf die von ihr vernommene Botschaft auch antwortet und sich damit in erkennbarer Weise positioniert. Es geht um die jeweils neu zu bedenkende „theologische Existenz heute“. Diese beiden Orientierungshorizonte – Katholizität und Kontextualität – erfassen zwar nicht substanziell das, was unter Reformation zu verstehen ist, aber sie benennen nach meinem Verständnis recht präzise, was das Reformatorische ausmacht, das die Reformatoren bewegt hat. Ich möchte unsere Aufmerksamkeit auf das über die Reformation hinausreichende bleibende Reformatorische lenken, das sich nicht einfach mit der Reformation bzw. den Reformationen6 erledigt hat, sondern dem wir uns immer wieder neu und eben auch heute zu stellen haben. Die berühmte – aber nicht aus der Reformationszeit stammende7 – in unterschiedlichen Fassungen kursierende Formulierung „ecclesia reformata semper reformanda est“ steht für ein Charakteristikum der Reformationen und des Reformatorischen des 16. Jahrhunderts. Paul Tillich hat pointiert vom protestantischen Prinzip gesprochen.8 Heute können wir feststellen, dass zwar nicht unbedingt die Formulierung, wohl aber das von ihr annoncierte Anliegen zu einem ökumenischen Gemeingut der Kirchen geworden ist,9 das uns gegenwärtig als ein wichtiger Schlüssel zu einer Vertiefung und Festigung der Gemeinschaft unter den Kirchen über die konfessionellen Grenzen hinweg dienen kann. Im Folgenden werden diese beiden zusammengehörigen Orientierungshorizonte des Reformatorischen in umgekehrter Reihenfolge weiter profiliert.

12.2

Kirche jeweils an ihrem Ort – Kontextualität

Die Welt als eine Allgemeinheit gibt es immer nur im Besonderen dieser oder jener konkreten Situation, so wie auch der Mensch nicht einfach als Menschheit angemessen verstanden wird, sondern im Entscheidenden nur konkret als dieser oder jener Mensch. Und so ist auch die Kirche nicht einfach in der Welt, sondern sie bewegt sich stets im Horizont von konkreten Lebensumständen, die sich nicht 6 Mit guten Gründen spricht der Kirchenhistoriker Heiko A. Oberman von drei Reformationen; vgl. unter anderem Oberman, Via Calvini. Möglicherweise ist mit weiteren Differenzierungen zu rechnen. 7 Sie wird Jodocus van Lodenstein (1620–1677) oder gar erst Karl Barth (1947) zugeschrieben; vgl. Theodor Mahlmann, „Ecclesia semper reformanda“, 384–388; Leo J. Koffeman, „Ecclesia reformata semper reformanda“. 8 Vgl. Paul Tillich, Protestantismus als Kritik und Gestaltung. 9 Beispielsweise lässt das Zweite Vatikanische Konzil verlauten: „Die Kirche wird auf dem Wege ihrer Pilgerschaft von Christus zu dieser dauernden Reform gerufen, derer sie allzeit bedarf, soweit sie menschliche und irdische Einrichtung ist.“ (Unitas Redintegratio 6), Rahner/Vorgrimler, Kleines Konzilskompendium, 237.

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Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität

einfach verallgemeinern lassen. Ob sie es will oder nicht, sie befindet sich immer in einem konkreten Kontext, auf den sie selbst auch dann bezogen bleibt, wenn sie sich möglichst konsequent von ihm abzugrenzen versuchen sollte. Wenn es die Aufgabe der Theologie ist, die Praxis der Kirche im Blick auf ihre Angemessenheit kritisch zu begleiten, wird auch die Theologie der Kontextualität der Kirche nicht einfach den Rücken kehren können. Es wird anzuerkennen sein, dass „kontextuelle Theologie“ nicht nur in einer besonders engagierten Variante der Theologie in Erscheinung tritt, wie sie uns in den unterschiedlichen Gestalten der „Theologie der Befreiung“ bekannt ist.10 Vielmehr impliziert jede relevante Theologie kontextuelle Prägungen, die sie auch in Spannung zu Theologien versetzt, die sich in anderen kontextuellen Horizonten artikulieren. Der Anspruch auf Wahrheit hat nichts zu tun mit einer abstrakten Richtigkeit, sondern es geht um die Erschließungskraft der Theologie, die sich nur in ihren konkreten Lebensbezügen zeigen kann. In der Ökumene haben wir gelernt, dass alle Vorstellungen von der Einheit der Kirche an der Wirklichkeit der Kirche vorbeigehen, die mit der Einheit schlicht die Erwartung einer Gleichförmigkeit verbinden. Dem Facettenreichtum der Vielfalt ist vielmehr eine eigene produktive Kraft für die Lebendigkeit der Kirche beizumessen. Hinsichtlich seiner Lebendigkeit unterliegt auch das Wort Gottes den verschiedenen Kontexten, in denen es gehört wird.11 Und noch deutlicher wird die Bedeutung des Kontextes sein, wenn die Kirche versucht, ihrerseits auf das Wort Gottes zu antworten, indem sie in ihren konkreten Lebensumständen ihren Glauben bekennt. Wo sie sich darauf ausruht, dass andere bereits das Bekenntnis der Kirche formuliert haben, so dass dies nur zu wiederholen ist, wird sie früher oder später ein lebendiges Verhältnis zu ihrem Bekenntnis verlieren. Das ist weithin das Schicksal des Apostolischen Glaubensbekenntnisses in unseren Kirchen. Ich habe auch an der Universität die Erfahrung gemacht, dass dem altkirchlichen Bekenntnis eher Befremden als Verständnis entgegengebracht wird, und habe es deshalb meiner Einführungsvorlesung in die Dogmatik zugrunde gelegt. Da gäbe es in der deutschen Diskussion schon eine mehr als 200-jährige Debatte etwa von Johann Salomo Semler über den sogenannten Apostolikumstreit12 bis hin zur Gegenwart zu erinnern. Es hätte beispielsweise in der Auseinandersetzung der Kirchen mit den sogenannten Deutschen Christen zur Zeit des Nationalsozialismus wohl keinerlei

10 Dazu gehören auch die „Schwarze Theologe“, die „Feministische Theologie“ oder die MinjungTheologie, um nur einige Bespiele zu nennen. 11 Das biblische Zeugnis des Wortes Gottes ist bereits selbst ein Dokument der Vielfalt, die wesentlich auch mit unterschiedlichen Kontexten zusammenhängt; vgl. dazu Weinrich, Biblical Multiplicity and the Unity of the Church. Vgl. auch oben Kap. 2: Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift. 12 Vgl. dazu Wilfried Härle / Heinrich Leipold (Hg.), Lehrfreiheit und Lehrbeanstandung, Bd. 1: Theologische Texte, 84–114.

Kirche jeweils an ihrem Ort – Kontextualität

Aufmerksamkeit erregt, wenn den Deutschen Christen lediglich das von der Kirche hoch geachtete Apostolische Glaubensbekenntnis entgegengehalten worden wäre. Vielmehr galt es 1934, um tatsächlich gehört werden zu können, ein eigenes aktuelles und klar formuliertes Bekenntnis zu sprechen, wie es dann in der Barmer Theologischen Erklärung geschehen ist. Sie ist ausdrücklich ein Dokument kontextueller Theologie. Es war Karl Barth, der nicht unwesentlich an diesem Bekenntnis beteiligt gewesen ist,13 der das Bekennen der Kirche strickt an die Wahrnehmung des lokalen Kontexts gebunden hat. Aus seiner reformierten Perspektive hat er bereits 1925 den Charakter eines kirchlichen Bekenntnisses definiert als „die von einer örtlich umschriebenen christlichen Gemeinschaft spontan und öffentlich formulierte, für ihren Charakter nach außen bis auf weiteres maßgebende und für ihr eigenes Lehren und Leben bis auf weiteres richtunggebende Darstellung der der allgemeinen christlichen Kirche vorläufig geschenkten Einsicht von der allein in der Heiligen Schrift bezeugten Offenbarung in Jesus Christus.“14

Zu der hier von Barth unterstrichenen Pünktlichkeit des Bekenntnisses gehören ebenso die Entschlossenheit wie auch das Bewusstsein seiner Befristung. Es ist auf Verbindlichkeit ausgerichtet („maßgebend“ und „richtunggebend“) und zugleich gilt es zunächst einmal jetzt und nicht gleich für alle Zeiten („bis auf weiteres“ und „vorläufig geschenkte Einsicht“). Es geht wohlgemerkt um die über die religiöse Regelmäßigkeit hinausgehende inhaltliche Erkennbarkeit der Kirche an ihrem konkreten Ort und nicht um allgemeine Glaubensaussagen, wie sie vom Apostolischen Glaubensbekenntnis möglicherweise in zutreffender Weise festgehalten werden. In dieser Perspektive ist die Wahrheit, konsequent zu Ende gedacht, eben immer auch eine praktische Angelegenheit, die konkret verantwortet werden will, wie es uns beispielsweise die Reformatoren unter den konkreten Bedingungen ihrer Zeit vor Augen geführt haben. In dem Maße, in dem die Kontextualität gewiss eine Begrenzung und Beschneidung der Allgemeinheit einer Aussage darstellt, so bedeutet sie ebenso gewiss zugleich einen Zugewinn und eine Schärfung ihrer Pünktlichkeit und Treffsicherheit, mit der sie das konkrete Leben derjenigen erreicht, die sie erreichen will. Das hat keineswegs immer die Dramatik und Konsequenz, wie sie mit der Barmer Theologischen Erklärung oder später auch mit dem Belhar-Bekenntnis (1986)15 verbunden waren, bedeutet aber immer auch einen Schritt über die bereits von

13 Vgl. dazu Weinrich, God’s Grace and the Freedom of the Church. 14 Karl Barth, Wünschbarkeit und Möglichkeit eines allgemeinen reformierten Bekenntnisses, 610. 15 Vgl. Reformierte Bekenntnisschriften, 267–273.

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Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität

der Kirche umfasste Tradition hinaus. Das ist der entscheidende Punkt, an dem sich die Lebendigkeit der Kirche in besonderer Weise zeigt. Die Kontextualität bringt die Einsicht an ihr Ziel, dass es das Allgemeine nur im Besonderen gibt.16 Nur dann wird die Kirche den Zeitgenossen etwas zu sagen haben, wenn sie sich auch berühren lässt von den Schräglagen, Gefahren, Versuchungen, Reibungen und Verwerfungen, Anfechtungen, Abgründen, Ängsten, Verzweiflungen, aber auch Erwartungen und Hoffnungen der je konkreten Situation, in der jene sich befinden. Es wird stets Anlass genug geben, überkommene Sprachmuster zu revidieren und durch den langjährigen Gebrauch stumm gewordene Wendungen zu verabschieden. Die Lebendigkeit der Botschaft der Kirche und ihrer eigenen Existenz wird sich in der Konsequenz zeigen, in der sie ihrer konkreten Kontextualität gerecht zu werden versucht.

12.3

In Gemeinschaft mit der universalen Kirche – Katholizität

Wir haben die Kontextualität als einen notwendigen Orientierungshorizont des Reformatorischen bedacht. Wenn es jetzt noch einen zweiten Orientierungshorizont zu bedenken gilt, dann deshalb, weil die Kontextualität der zu gestaltenden Kirche zwar notwendig, aber als solche nicht hinreichend ist. Erst wenn die Kontextualität in ein sachlich angemessenes Verhältnis zur Katholizität gebracht wird, kann davon ausgegangen werden, dass sich das Reformatorische, das unsere Kirchen in Bewegung halten soll, nicht in sich selbst verliert und nur zu einer Partikularangelegenheit verkümmert. Die bisherigen Überlegungen betonen, dass die Kirche vor allem Ortskirche ist. An ihrem je konkreten Ort kann ohne jeden Abstrich von der Gemeinde als Kirche gesprochen werden. Doch das gilt nur dann, wenn sie nicht die Kirche des Ortes, sondern die Kirche am Ort ist, d. h., wenn sie nicht die lokalen Existenzbedingungen zu den Bedingungen ihres Kircheseins macht, so sehr sie auch stets auf diese bezogen bleibt. Aus der Kontextualität allein kann auch von der Kirche nichts anderes erwartet werden als von jedem anderen Akteur in einer konkreten geschichtlichen Situation. Erst wenn ihre Kontextualität essenziell mit der Katholizität verbunden ist, hat die Kirche auch etwas Besonderes zu sagen. Die Kontextualität der Kirche ist stets die Kontextualität der katholischen, d. h. der universalen und weltweiten

16 Gewiss hören wir heute nicht ohne Anteilnahme die nachdrücklichen ethischen Appelle von Papst Franziskus zur Versöhnung, zum Frieden oder zur Gerechtigkeit, aber zugleich ist zu spüren, dass sie in ihrer Allgemeinheit dann doch vor allem ins Leere gehen und keine konkrete Herausforderung transportieren. Sie verdeutlichen, dass sie den entscheidenden Schritt zur Konkretion, die im je aktuellen Kontext zu formulieren ist, noch vor sich haben, der dann von den Kirchen vor Ort zu gehen sein wird, wenn die Appelle nicht wirkungslos verhallen sollen.

In Gemeinschaft mit der universalen Kirche – Katholizität

Kirche, die sich eben auch in anderen Kontexten findet, und zwar nicht erst heute, sondern von ihren Anfängen im alten Israel bis zum Ende unserer Geschichte. Die Kontextualität der Kirche kann nur tragfähig funktionieren, wenn sie gehalten, ermutigt und auch begrenzt wird von der Wirklichkeit und der Perspektive der universalen Kirche, in der sich die Zusammengehörigkeit und die gegenseitige Verwiesenheit aller Ortskirchen zeigt als dem einen – wenn auch vielgestaltigen – Leib, der in Christus sein verbindendes Haupt hat. Die zu bedenkende Katholizität ist kein klar definiertes Regulativ, das sich kriteriologisch auf alle Situationen anwenden ließe, sondern sie ist eher als der Geist zu verstehen, in dem die Kirche in ihrer konkreten Situation ihre Wahrnehmungen macht und der ihr beim Abwägen ihres Redens und ihrer Entscheidungen Orientierung gibt. Sie ist die Dimension, in der sich die konkrete verfasste Kirche mit der geglaubten universalen Kirche verbunden und von ihr getragen weiß. Die Katholizität hält die Kirche im Blick, wie sie im Glaubensbekenntnis in Verbindung zum dritten Artikel, dem Bekenntnis zum Heiligen Geist, annonciert wird, die als solche ja nirgends unmittelbar sichtbar wird, die aber zugleich nirgends anders als eben in der sichtbaren Kirche zu suchen bleibt. Es verhält sich durchaus ähnlich wie mit dem gerechtfertigten Menschen, der als solcher ebenfalls nicht unmittelbar sichtbar wird, der aber dem Glauben dennoch in jedem sichtbaren Menschen in Erscheinung tritt. Der Katholizität entspricht in besonderer Weise die Redeweise von der Kirche als dem Leib Christi. Weder gehört sich die Kirche selber noch ist sie eine autopoietische Unternehmung. Die Leib-Metaphorik impliziert eine Vorstellung von der Einheit der Kirche, welche genügend Raum lässt für eine weitreichende Vielfalt. Die Reichweite der Vielfalt wird durch ihre Konzentration auf Christus zusammengehalten, so dass sie auf der anderen Seite eben auch vor grenzenloser Beliebigkeit geschützt ist. Luther hat den fraglichen Umstand mit folgender schlichten Formulierung treffend charakterisiert: „Wenn einer aus Indien oder dem Morgenland käme, oder wo er sonst herkäme, und sagte: Ich glaube an Christus, so würde ich sagen: so glaube ich auch und so werde ich auch selig. Die Christen stimmen im Glauben und im Bekenntnis miteinander überein, obwohl sie sonst in der ganzen Welt hin und her zerstreut sind. Denn es heißt nicht eine römische, noch nürnbergische oder wittenbergische Kirche, sondern eine christliche [sc. katholische] Kirche, in die denn alle gehören, die an Christus glauben.“17

17 WA 47, 235f. Leider ist infolge der Ersetzung von „katholisch“ durch „christlich“ im lutherischen Protestantismus das Bewusstsein für die Katholizität der Kirche ein wenig ins Hintertreffen geraten. Bei Calvin wird auch sprachlich an der Katholizität festgehalten, vgl. beispielsweise die Auslegung des Glaubensbekenntnisses im Genfer Katechismus von 1542.

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Kirche zwischen Kontextualität und Katholizität

Die gegebene Einheit der Kirche bildet sich vor allem im Christusbekenntnis ab, das die Katholizität der Kirche qualitativ ausmacht und sie in unmittelbarer Beziehung zu ihrem Haupt hält, und zwar in Indien ebenso wie im Morgenland, in London ebenso wie in Hannover – und eben auch in Bern wie in Paderborn, d. h. vor Ort im Horizont der konkreten Lebensumstände und den mit ihnen verbundenen Nöten und Unwägbarkeiten. In diesem Horizont wird deutlich, dass Kontextualität als konkretisierte Katholizität zu verstehen ist. Und das gilt auch umgekehrt: Katholizität gibt es nicht anders als konkret, d. h. kontextuell. Kontextualität ist die Ortsgebundenheit der allgemeinen christlichen, also der katholischen Kirche. Katholizität ist das lebendige ökumenische Band, das die verschiedenen Ortskirchen in einer lebendigen Gemeinschaft zusammenhält, die sich vor allem ihrem auferstandenen Herrn gegenüber verantwortlich weiß. Auch im Detail geht es um das Ganze, ebenso wie es das Ganze immer nur im Kontext gibt. Oder ganz knapp und pointiert formuliert: Kontextualität ist Katholizität vor Ort, und Katholizität ist immer wieder neu zu konkretisierende Universalität. Das ist genau das Spannungsverhältnis, in dem sich das vollzieht, was ich das für alle Kirchen essenzielle Reformatorische nenne. Kontextualität und Katholizität werden in eine unausweichliche Beziehung zueinander gesetzt, von der es allerdings leichtfertig wäre anzunehmen, dass sie allein in die Richtung von Katholizität hin zur Kontextualität verläuft. Wenn es stimmt, dass es Katholizität nicht anders als örtlich gibt, wird unweigerlich die Kontextualität auch zu einem Bestimmungsmoment der Katholizität, ohne das sich Katholizität nicht angemessen bestimmen lässt. Ekklesiologisch bleibt gerade unter Berufung auf die christologische Orientierung eine weitreichende Dezentralisierung der Kirche unausweichlich.

12.4

Zusammenfassung

1. Kirchesein vollzieht sich in einem seinem Wesen nach niemals vollständig abschließbaren Veränderungsprozess, der darauf ausgerichtet ist, in den sich unablässig wandelnden Umständen immer wieder neu nach ihrem Grund und ihrer Bestimmung zu fragen, um der Kirche in ihrer je konkreten Gegenwart zu einem möglichst angemessenen Reden und Handeln zu verhelfen. 2. Um tatsächlich auf der Höhe ihrer jeweiligen Situation sein zu können, muss sich die Kirche über die Bestimmungsfaktoren und Lebensdynamiken ihrer lokalen, kulturellen und gesellschaftlichen Situation, in der sie selbst die von ihr zu verkündigende Botschaft vernimmt und auf diese zu antworten versucht, nüchtern und differenziert Rechenschaft ablegen, wenn sie nicht nur als ein unverbindliches abstraktes religiöses Angebot erlebt werden will, sondern tatsächlich dazu in der Lage ist, dem konkreten Anspruch ihrer Botschaft in den

Zusammenfassung

jeweiligen Lebensumständen zu entsprechen. Die Kirche muss ihre Kontextualität offensiv ernst nehmen. 3. Die Kirche hat aber nur dann in ihrem konkreten Kontext etwas Besonderes zu sagen, wenn sie nicht allein aus ihren jeweiligen Zeitumständen heraus lebt. In ihrer Bezogenheit auf die von der Verheißung des Heiligen Geistes getragene universale, d. h. katholische Kirche liegt die lebendige Quelle für die besondere Botschaft, von der sie sich zusammen mit allen anderen Kirchen getragen weiß. In der achtsamen Rücksicht auf die ihr zugesprochene Katholizität wird sie dazu ermächtigt, grundsätzlich für mehr und Entschiedeneres einzutreten, als sie jemals selbst verbürgen könnte. Nur als katholische Kirche kann sie recht kontextuelle Kirche sein. 4. Kontextualität ist pünktliche Katholizität, so wie Katholizität erst in ihrer kontextuellen Konkretion ihre Bestimmung erreicht. Beide Dimensionen gilt es konsequent zusammenzuhalten, wenn die Kirche ihrer unablässigen Reformbedürftigkeit gerecht werden will. Sie sind in formaler Perspektive der Orientierungshorizont für das Reformatorische im konkreten Leben der Kirche.

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13.

Die Profanisierung der Bilder

Zur Bildproblematik zwischen Kult und Kunst in der reformatorischen Theologie1

13.1

Einleitung: Religion und Bild

Religion und Bild gehören genuin zusammen. Die Religion ist ihrem Wesen nach auf Bilder angewiesen. Sie verweist stets auf mehr als unmittelbar sichtbar ist und macht sich Bilder von dem, was man nicht sehen kann. Die Bilder sollen unserem Vorstellungsvermögen – wenigstens vorläufig – etwas begreiflich machen, was die in ihm liegenden diesseitig begrenzten Möglichkeiten übersteigt. Die Botschaft der Religion bleibt verschlüsselt in Bildern, weil sie unter den Bedingungen und mit den Mitteln der Endlichkeit eine Dimension der Wirklichkeit zur Sprache zu bringen versucht, welche die vor Augen stehenden Bedingtheiten der Endlichkeit transzendiert. Die uns verborgene Transzendenz zeigt sich allein in metaphorischen Veranschaulichungen, deren Bilder der diesseitigen Welterfahrung entnommen sind. Mit ihrer Hilfe rückt die Religion die sichtbare Endlichkeit in ein Licht, das ihre nicht einfach offensichtliche Gestalt und Ordnung erkennbar macht und so dem menschlichen Leben Orientierung und Perspektive gibt. Von dem, von dem man nicht sprechen kann, wird hier nicht geschwiegen, sondern es beginnen Bilder zu sprechen, freilich auf sehr unterschiedliche Weise und in höchst unterschiedlichen Begründungszusammenhängen, um einerseits ein wenig hinauszublicken auf das, was man nicht sehen kann, aber auch um andererseits hineinzulassen, was dem diesseitigen Blick erst zu der notwendigen Klarheit und Weite verhelfen kann. Überall, wo mehr gesehen wird als man sehen kann, da werden Bilder gesehen. Die Verwiesenheit der Religion auf die Bilder macht aber nicht nur ihren schier unendlich erscheinenden Reiz aus, sondern bezeichnet ebenso prägnant ihre Grenze. Die Religion bestätigt sich in ihren Bildern als eine Angelegenheit des Menschen, denn sie signalisieren auch die Begrenztheit ihrer Mittel und die Unmittelbarkeit ihrer Grenzen. Alle Bilder der Religion bleiben zu der von ihnen transportierten Wirklichkeit relativ, endliche Abschattungen von Unendlichkeit, diesseitiger Ausdruck von jenseitigem Eindruck. Bei allem möglicherweise mit ihnen verbundenen 1 Vortrag am 25.11.1996 im Rahmen der Vortragsreihe „Bilder Reden. Zur Bildhaftigkeit religiöser Sprache und zur religiösen Sprache des Bildes“, veranstaltet vom Seminar für Katholische Theologie der Freien Universität Berlin in Kooperation mit der Diözesanakademie Berlin. Zuerst publiziert in: Andreas Hölscher u. Rainer Kampling (Hg.), Religiöse Sprache und ihre Bilder. Von der Bibel bis zur modernen Lyrik (Schriften der Diözesanakademie Berlin, Bd. 14), Berlin 1998, 151–174. Wiederabdruck in leicht überarbeiteter Fassung.

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Die Profanisierung der Bilder

Glanz bleiben sie die stets vorläufigen Platzhalter für den erhofften Selbsterweis des durch das Bild Bezeichneten, von dem jede Religion weiß, dass er alle Bilder sprengen wird, die sich die Menschen zwischenzeitlich von ihm gemacht haben. Indem die Religion zu den Bildern greift, bekennt sie ihre Verlegenheit, die schlicht darin besteht, dass es ihr nicht möglich ist zu beweisen, was sie behauptet. Damit gesteht sie ihre eigene Entfremdung und zumindest vorläufige Trennung von dem ein, auf das sie die Hoffnung der Menschen lenken will. Die Religion umwirbt die Herzen der Menschen mit Bildern, die allein darin ihr begrenztes Recht haben, über sich hinauszuweisen, indem ihnen als endlichen Mitteln für eine sonst unvermittelbare Unendlichkeit eine überaus riskante und zugleich asymmetrische Mittlerrolle zugemutet wird. Randvoll gefüllt mit Transzendenz stehen sie doch fest auf dem Boden der Diesseitigkeit und müssen sich als solche mit den Grenzen unserer Phantasie arrangieren. Der Hinweis auf das in jedem Bild liegende Risiko macht es plausibel, dass die Bilder in zahlreichen Religionen stets umstritten waren und umstritten sind. Allzu schnell tritt das Bild selbst an die Stelle des von ihm Bezeichneten, oder ihm wird Verführung bzw. Irreführung vorgeworfen. Der Streit um die jeweils angemessenen Bilder ist stets ein Streit um die Kriterien, denen die Bilder genügen sollen, und nach denen sie zu gestalten sind. Bilderstreit ist stets Streit um die Bedingungen der Wirklichkeitshermeneutik einer Religion. Er wird umweglos zu einem fundamentaltheologischen Streit. Und das gilt eben auch umgekehrt: wo es in der theologischen Auseinandersetzung tatsächlich um etwas geht, da, wo theologischer Streit tatsächlich geboten ist, handelt es sich stets um einen Bilderstreit, d. h. um einen Streit um unsere Bilder, die wir uns mit unserem jeweiligen Glaubensbekenntnis machen. Indem es in allem theologischen Streit immer nur um unsere Bilder geht, verbietet sich einerseits jeder letzte und unerbittliche Ernst für unsere theologischen Auseinandersetzungen. Indem aber in der Theologie die Bilder und der Umgang mit ihnen das einzige und somit höchste Gut sind, durch das der Glaube zu einer menschlichen Sprache findet, kommt andererseits dem Streit um die Bilder trotz aller Lokalisierung im irdischen Reich des Vorletzten höchste Ernsthaftigkeit zu, sind sie doch die ultimativen Mittel menschlicher Möglichkeiten, die wir als solche zu nutzen und ernst zunehmen haben, solange wir es in unserer Religion noch wagen wollen, von Gott und nicht nur von uns selbst zu reden. Zweifellos ist die Zweinaturenlehre in der Christologie ebenso ein – gewiss unzureichendes – Bild wie auch die Trinitätslehre. Die Vorstellung von der Inkarnation ist ebenso ein Bild wie die Rede von der Auferstehung. Dass wir vom Reich Gottes nur in Bildern sprechen können, lehren uns schon die neutestamentlichen Gleichnisse, aber ebenso verhält es sich mit allen anderen wichtigen Inhalten der christlichen Hoffnung: Die unterschiedlichen Redeweisen vom Heiligen Geist, das Sitzen Christi zur Rechten Gottes des Vaters, sein Eintreten für uns, das Jüngste Gericht und das ewige Leben. Die Theologie ist weithin eine Collage aus Bildern,

Einleitung: Religion und Bild

um die sich zu streiten lohnt, weil die von ihnen repräsentierte Wirklichkeit unseren Glauben trägt. Theologischer Streit ist folglich weithin Bilderstreit – etwas menschlich Normales und auch menschlich überaus Ernsthaftes, aber eben etwas Menschliches. Wenn ich zu Beginn meiner Überlegungen einen so weiten und allgemeinen Rahmen abstecke, dann geht es mir um den Hinweis auf die Normalität von Bilderstreitereien in der Theologie und damit um die Unausweichlichkeit des Bilderstreits. Auch die Bilderstürmerei ergeht um der Bilder willen. Nicht selten macht dies der Ikonoklasmus sinnenfällig deutlich, indem er selbst auch als Bildgestaltung auftritt.2 Strittig zwischen Bilderfeinden und Bilderfreunden ist nicht die menschliche Verwiesenheit auf Bilder, sondern die Art der Bilder und der Umgang mit ihnen. Nicht jede Form des Bildes ist zu jeder Zeit und an jedem Ort angemessen. Die Inhaltsfragen – das wissen wir heute – sind stets auch Formfragen, die als solche wiederum Zeit- und Ortsfragen sind. Wenn ich dies so pointiert formuliere, wird vorausgesetzt, dass das Standbild oder das gemalte Bild nur zwei Möglichkeiten in einem weiteren Spektrum verschiedener Bildgestalten sind, die für die Artikulation des Glaubens zur Verfügung stehen. In dem, was wir traditionell den Bilderstreit zu nennen gewohnt sind, ging es freilich vor allem um das gemalte und das figürliche Bild, und auch dieser Streit begleitet die Christenheit bereits von ihren ersten Anfängen an, zumal ihre Wurzeln in dem bilderkritisch geprägten Judentum liegen.3 Auch wenn der Osten und der Westen bald unterschiedliche Wege eingeschlagen haben, so bleibt die Kirchengeschichte stets auch von grundsätzlicher Skepsis gegenüber bildlichen Darstellungen begleitet, die immer wieder zu Auseinandersetzungen geführt hat. Im Blick auf das von mir besonders ins Auge zu fassende Zeitalter der Reformation kann mit Hans von Campenhausen generell vorausgesetzt werden, dass die „Bilderkritik seit dem Hochmittelalter ein fester Bestandteil aller oppositionellen Kirchenkritik“4 war. Dabei tritt die Bilderkritik insofern als Herrschaftskritik auf, als mit den Bildern die von ihnen öffentlich repräsentierte – um nicht zu sagen offiziell demonstrierte – jeweils dominante Religionsausübung und somit der konkrete Machtanspruch einer Religion in Frage gezogen wird. Es ist von der Macht der Bilder zu sprechen, von denen, die die Bilder machen und davon, was sie mit ihnen und somit aus

2 Vgl. Martin Warnke, Durchbrochene Geschichte? Die Bilderstürme der Wiedertäufer in Münster 1534/35. 3 Vgl. dazu u. a. Hans von Campenhausen, Die Bilderfrage als theologisches Problem der alten Kirche. Campenhausen sieht in dem Konflikt um die Bilder das Ringen des bilderfreundlichen griechischen Denkens mit dem bilderasketischen Orient. 4 von Campenhausen, Die Bilderfrage in der Reformation, 365.

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Die Profanisierung der Bilder

ihren Betrachtern machen.5 Es geht stets um mehr als um die Bilder, weil eben die Bilder auch mehr als nur Bilder sind. Damit bin ich bei den vier Schritten, die ich mit meinen folgenden Überlegungen gehen möchte. Zunächst soll es um die allgemeine Situation im ausgehenden Mittelalter gehen: Welche Rolle spielten hier die Bilder und wie wurden die Bilder beurteilt? Auf diesem Hintergrund sollen dann die unterschiedlichen Wege der reformatorischen Bilderkritik skizziert werden. Anschließend soll auf die Bedeutung der Bilder in der reformatorischen Theologie hingewiesen werden, um dann schließlich als Resümee auf die durch die Reformation unterstützte Profanisierung der Bilder zu sprechen zu kommen.

13.2

Bilderflut und Kirchenkritik

War bereits das ganze Mittelalter durch einen beständig wachsenden Bilderreichtum gekennzeichnet, so lässt sich um die Wende zum 16. Jahrhundert noch einmal geradezu eine Explosion an unterschiedlichen Bildern, Figuren und Altären beobachten. Der Zeitgenosse Gerold Edlibach zählt allein im engen Stadtgebiet von Zürich 96 Altäre,6 wobei die gewiss erheblich größere Zahl an Andachts- und Heiligenbildern in und an den Kirchen sowie den öffentlichen Gebäuden und die Wegkreuze und Bildstöcke noch gar nicht erwähnt werden. Mit der Zahl steigert sich zwangsläufig die Üppigkeit der jeweiligen Ausstattung, da sich jede neue Einrichtung in der Fülle der bereits vorhandenen Bilderlandschaft nur durch besondere Attraktivität bemerkbar machen konnte. Das private Stiftungswesen blühte mit dem zu Wohlstand kommenden Bürgertum auf und entwickelte eine sich gegenseitig hochschaukelnde Konkurrenz-Dynamik, in der sich die Stifter nicht nur ihres Seelenheiles zu versichern bemühten, sondern auch ihr öffentliches Image zu pflegen wussten. Deutlicher als etwa durch Ablasskauf ließ sich durch Bilderstiften die eigene Frömmigkeit öffentlich demonstrieren.7 Mit vielen Bildern und Altären verband sich auch eine bestimmte Frömmigkeitspraxis, die weithin als eine kultische Bilderverehrung bezeichnet werden kann. Dieser Kult erforderte seinen eigenen Aufwand, nicht nur durch Messelesen und liturgische Feiern, sondern auch ganz materiell durch Kerzen und Öllampen, stets zu erneuernden Schmuck und wächserne oder silberne Votive. Bleiben wir zunächst in Zürich, so beziffert sich allein der jährliche Aufwand für das erforderliche Wachs an den Bildtafeln, welche die Gräber der Stadtheiligen Felix und Regula im 5 Vgl. dazu auch Dietrich Neuhaus, Wort und Bild, 92–95. 6 Gerold Edlibach, Aufzeichnungen über die Zürcher Reformation 1520–1526, 71f. 7 Vgl. auch Gottfried Seebaß, Bernd Moeller, Von der reformatorischen Bewegung zur evangelischen Kirche, 385.

Bilderflut und Kirchenkritik

Großmünster schmückten, in einer Höhe, die einem Meisterlohn von 74 Tagen entsprach.8 Vor allem die Landbevölkerung hatte die Kosten zu tragen, was konkret bedeutete, dass fast jeder Hof mit Wachszinsen für eines der Bilder belastet war, die allerdings noch bescheiden ausfielen im Vergleich zu den Abgaben für Seelenmessen bzw. den am Großmünster zelebrierenden Klerus mit immerhin 24 Stiftsherren und 32 Kaplänen. Besonders die Kirchen und Klöster als die Besitzer der Bilder waren an der wirtschaftlichen Ausnutzung der Bilderfrömmigkeit interessiert. Es ist durchaus nicht übertreiben, wenn von einem ‚religiös getarnten kommerziellen Schwindel‘ gesprochen wird.9 Die sozialen Spannungen wurden durch das wachsende Missverhältnis zwischen Bildaufwand und sich ausbreitender Armut weiter gesteigert. Bevölkerungswachstum, Verknappung der Landreserven, Missernten und folglich steigende Preise führten zu Massenarmut und verbreiteten Hunger, wie sie für die Zeit vor und während der Reformation an vielen Orten zu finden waren. Allein die den Bilderkult unterhaltende allgemeine Belastung der Bevölkerung war ein fruchtbarer Nährboden für die Sympathie mit den Bilderkritikern und dann auch den Bilderstürmern, wie sie im Umfeld der Reformation an verschiedenen Orten aufgetreten sind. Immer wieder werden von den Bilderstürmern soziale Argumente als Motiv für ihre Aktionen genannt, nicht erst im ausgehenden Mittelalter, sondern in den meisten Bilderkonflikten seit der Spätantike.10 Martin Warnke beschreibt beispielsweise den Bildersturm in Münster als eine vom Bürgertum getragene Sozialrevolte, die zu gerechteren gesellschaftlichen Verhältnissen führen sollte.11 Der Bilderkult befand sich in einem verhängnisvollen, sich selbst beschleunigenden Zirkel, denn er war nicht nur ein Moment der allgemeinen Ausbeutung der Bevölkerung, sondern gleichzeitig auch Ausdruck der gespannten Situation, in der sich die Menschen befanden. „Die Bilderverehrung war Teil einer Kultur, die auch als System von Überlebenspraktiken in einer dem Menschen feindlich gesinnten Welt begriffen werden kann. In der Bedrohung helfen die Heiligen, und der Verkehr mit ihnen ist dinglich. Mit der Schau ihrer Abbilder, einer erbrachten Leistung oder der Einhaltung eines Verzichts glaubte man, sich der überirdischen Hilfe versichern zu können.“12 Die Volksfrömmigkeit wurde unter der Verheißung individueller Wunscherfüllung fest an den Bilderdienst gebunden, der sich im

8 Vgl. auch zum folgenden Peter Jezler, Elke Jezler, Christine Göttler, Warum ein Bilderstreit? Der Kampf gegen die „Götzen“ in Zürich, 89ff. 9 Werner Hofmann, Die Geburt der Moderne aus dem Geist der Religion, 33. Vgl. – auch für die übrigen Aspekte dieses Aufsatzes – das umfangreich dokumentierte und kommentierte Bildmaterial in diesem Band und in: Martin Luther und die Reformation in Deutschland. 10 Vgl. dazu Horst Bredekamp, Kunst als Medium sozialer Konflikte. 11 Vgl. Warnke, Durchbrochene Geschichte? 12 Jezler, Jezler, Göttler, Warum ein Bilderstreit?, 84.

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Die Profanisierung der Bilder

Horizont der Vorstellung von der Wundertätigkeit der Bilder vollzog, so dass „das Bild zum Fetisch, zur Allerweltshure, zur käuflichen Ware wurde.“13 Besonders in humanistischen und städtisch-bürgerlichen Kreisen wurde die allgemeine kultische Inflation spöttisch kritisiert. Das „Narrenschiff “ von Sebastian Brant aus dem Jahre 149414 oder das „Lob der Torheit“ von Erasmus von Rotterdam aus dem Jahre 1509 sind nur zwei Beispiele. Erasmus wandte sich gegen die vielen Spielarten der Leistungsfrömmigkeit, durch die sich der Glaube artikuliere. Dabei gerieten die prunkvollen Kirchenbauten, die unzähligen Weihegaben und Lichtopfer ebenso in die Kritik, wie die mathematisch berechneten Ablässe, die Pilgerreisen nach Rom oder Jerusalem oder das Herunterleiern der Gebete. Für jedes Gebrechen gab es einen zuständigen Heiligen, dem ebenso wie den Bildern und Statuen eine genau ausgeklügelte jeweils partikulare Schutzwirkung zugesprochen war. Es wird freimütig die Dummheit angeprangert, mit der die Bilder „von jenen Stumpfsinnigen und Einfältigen selbst als Gottheiten angebetet werden.“15 Doch die spezifischen Argumente der Frömmigkeitskritik aus der Zeit um die Wende zum 16. Jahrhundert finden sich – wenn auch weniger expressiv – längst vorher schon etwa bei Bernhard von Clairvaux. Er wandte sich gegen „die vorwitzigen Gemälde, die, während sie den Blick der Beter auf sich ziehen, zugleich die Hingabe hindern […] Die Menschen laufen zum Küssen, werden zum Schenken eingeladen; und sie bewundern mehr das Schöne als daß sie das Heilige verehren […] Die Kirche glänzt an den Wänden und darbt in den Armen.“16 Bernhard hat seine Kritik nicht zu einer prinzipiellen Bilderkritik ausgeweitet, aber die Verführungspotenz des Bilderkults klar benannt. Dieses Motiv findet sich bei vielen Bußpredigern des Mittelalters wieder, aber auch – hier bereits in radikalisierter Gestalt – in den verketzerten Bewegungen der Waldenser, Wyclifiten und Hussiten.

13.3

Die Bilderkritik der Reformation

13.3.1 Bilderkritik als Kultkritik Auf dem Hintergrund der soeben skizzierten spätmittelalterlichen Situation ist es nicht mehr überraschend, wenn im Blick auf die Reformation zunächst festgestellt werden muss, dass sie weder der Initiator der Bilderkritik war, noch überhaupt die Bilderfrage zentral im Auge hatte. Es kann durchaus zugespitzt formuliert werden: Die Reformation hat nicht den Bildersturm entfacht, vielmehr hat das 13 14 15 16

Hofmann, Die Geburt der Moderne, 33. Vgl. bes. Kap. 11 u. 92. Erasmus von Rotterdam, Lob der Torheit, 61. PL 182, 194. 195, zit. n. Walter von Löwenich, Bilder, 545.

Die Bilderkritik der Reformation

bilderkritische Klima im Spätmittelalter die Reformation befördert und mit zu ihrer historischen Wirksamkeit beigetragen. Faktisch sind sowohl Luther als auch Zwingli erst durch die jeweiligen Umstände dazu gezwungen worden, sich eingehender mit der Bilderfrage zu beschäftigen, und dabei sind sie dem aufwallenden Volkszorn vor allem mäßigend entgegengetreten. Gewiss konnten die Bilderstürmer dann auch für sich in Anspruch nehmen, von der reformatorischen Lehre zu ihrem Tun ermuntert worden zu sein, aber ihre Begründungsmuster entsprachen weithin mehr der allgemeinen spätmittelalterlichen Sozialkritik als dem spezifischen Anliegen der reformatorischen Theologie. Von der Reformation bezogen die Bilderstürmer vor allem die Freiheit, nun endlich das tun zu können, was sie gern längst getan hätten. Es war diese Freiheit, die sie mit der Reformation sympathisieren ließ und die sie nun auch praktisch demonstrieren wollten. Sie brachten damit die Reformatoren in die in solchen aufgeheizten Situationen stets schwierige Lage, einerseits dem generellen Wahrheitsmoment der Bilderkritik Recht geben zu müssen und andererseits sowohl das konkrete Verfahren als auch die besonderen Begründungen im Einzelnen korrigieren zu müssen. Je nach Situation erschien der eine dabei schnell als obrigkeitshöriger Konterrevolutionär – so Luther selbst in den Augen von Zwingli –, während der andere als Bilderdieb attackiert wird – so Zwingli von der römisch-katholischen Kirche –, obwohl es ihm im Einvernehmen mit dem Rat der Stadt Zürich gelang, die aufgewühlten Emotionen in relativ geordnete Bahnen zu zügeln, und so das in der aufgeheizten Stimmung zu befürchtende Chaos verhinderte. Aus dem Konterrevolutionär Luther wurde in der Wirkungsgeschichte dann bald der weitherzige Bilderfreund und aus dem Bilderkritiker Zwingli der fanatische kompromisslose Bilderfeind (hier kann dann getrost auch Johannes Calvin mitgenannt werden) – zumindest in der lutherisch dominierten Wahrnehmung in Deutschland.17 Weder der relative Charakter der Bilderkritik der Reformatoren wird noch wahrgenommen, noch die überaus weitreichende Übereinstimmung unter den verschiedenen Reformatoren, die sie allerdings auch selbst auf Grund der unzulänglichen gegenseitigen Kommunikation nicht recht realisiert haben. Der Konsens der Reformatoren bestand zunächst in der prinzipiellen Ablehnung aller Bilderverehrung – von der Anbetung ganz zu schweigen, die auch von der offiziellen Theologie des Spätmittelalters abgewiesen wurde, auch wenn sich diese Abwehr in der Praxis offenkundig als unwirksam erwies. Die Bilderkritik der Reformatoren ist Teil ihrer Kultkritik, an der sich der reformatorische Konflikt zunächst entzündet hatte. Ihrem Selbstverständnis nach wollten sie die Kirche von Missbräuchen reinigen, die im Laufe des Mittelalters in sie eingewandert waren,

17 Diese Wahrnehmung deckt sich weithin bereits mit der Wahrnehmung des Tridentinums; vgl. dazu Hubert Jedin, Entstehung und Tragweite des Trienter Dekrets über die Bilderverehrung.

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um die Kirche wieder das werden zu lassen, was sie von ihren Ursprüngen her war. Wenn sie sich dabei nicht direkt auf die Bibel beriefen, schlossen sie gern an die Kirchenväter der Alten Kirche an, in deren Kontinuität sie sich sahen, während sie ihrer zeitgenössischen Kirche vorwarfen, den altkirchlichen Konsens verlassen und sich in eigenwillige ungedeckte Sonderlehren zur Legitimation einer noch sonderlicheren Praxis verloren zu haben.18 Der Glaube wird von den Reformatoren dem Hören und nicht dem Schauen zugeordnet. Der Glaube lässt sich nicht von „den Wänden […] erlernen, sondern wir müssen ihn allein von den gnädigen Zielen Gottes aus seinem eigenen Wort lernen.“19 Nur da, wo das Sehen im Dienst des Hörens steht, kann es gerechtfertigt werden. Wo es aber vom Hören ablenkt oder gar das Hören verhindert, wird es als Behinderung des Glaubens angesehen und somit abgewiesen. Obwohl es in den Augen der Reformatoren gewiss auch anstößige Bilder gab, sind aufs Ganze gesehen nicht die Bilder an sich anstößig, sondern ihre Verehrung, d. h. die in die Bilder gelegte Dignität und damit das von den Bildern ausgehende religiöse Verführungspotential, die weithin den religiösen Alltag des spätmittelalterlichen Menschen bestimmten. Dass die Kirche den Aberglauben des Volkes nicht nur duldete, sondern ihrerseits förderte und für sich selbst instrumentalisierte, dass die Kirche zusah, wie ihr Gottesdienst entleert und – mit Luther gesprochen – zu einem „Affenspiel“20 depraviert wurde, rief die reformatorische Kritik in aller Schärfe hervor. Hier lag das Zentrum der Bilderkritik, in der sich die Reformatoren einig waren. Es ging zunächst um ein Ernstnehmen des ersten Gebots und des von diesem Gebot geforderten Gottesdienstes des Glaubens in Abweisung der vielen Praktiken des Götzendienstes, die vor allem den Unglauben nährten. Nur wenn diese breite Gemeinsamkeit unter den Reformatoren im Bewusstsein steht, kann nun auch von den Unterschieden zwischen Luther und den Schweizer

18 Der Konfusion einer praktisch dekonzentrierten Kirche hielten sie die Konzentration auf den in Christus offenbaren Gott entgegen, der als die Mitte des Evangeliums in allen Lehren und dann auch in allen Betätigungen der Kirche wiedererkennbar bleiben müsse. Indem aber Gott ebenso wie die Gottheit Christi auch für das Spätmittelalter als unabbildbar galten, liegt es als eine Konsequenz der theologischen Konzentration auf die Gottesproblematik auf der Hand, dass die Reformatoren den Bilderkult mit gleicher Skepsis wahrnahmen wie das in der Ablasspraxis verkommene Bußwesen der Kirche. Die Kirche müsse vor allem „Kirche des Wortes“ sein, denn so wie Gott sich durch sein Wort geoffenbart habe, so kann auch in der Kirche nur durch das Wort Gottes etwas wichtig und bedeutungsvoll werden. Damit sind keineswegs die Bilder von vornherein disqualifiziert, aber sie müssen sich in ihrer Gestalt und in ihrem Gebrauch am Wort bemessen lassen, dem sie wohl zur Seite, aber nicht entgegenstehen dürfen. 19 Huldrych Zwingli, Werke II, CR 89, 657. 20 WA 10/3, 16.

Die Bilderkritik der Reformation

Reformatoren gesprochen werden.21 Doch zuvor noch eine Bemerkung zu einer Gemeinsamkeit, die im Blick auf die kunstgeschichtliche Bewertung der reformatorischen Bilderkritik von großer Bedeutung ist. Der reformatorische Bilderstreit war zunächst auf der ganzen Linie kein Streit um das Recht und den Sinn der Kunst: Es ging um den rechten Gottesdienst und nicht um ein Kunstproblem.22 Zwar bewirkte die Reformation eine Profanisierung der Bilder – davon wird noch die Rede sein –, aber sie verfolgte dabei keine bestimmte Kunstperspektive. Mit ihrem Verständnis des Bildes als schlichte Nachbildung durchaus im naturalistischen Sinne bewegten sich die Reformatoren im Horizont des damals üblichen Bilderverständnisses. Die Kunst war nicht durch eine eigene ästhetische Bestimmung geprägt, sondern sie war vor allem abhängige Auftragskunst, die an diejenigen vergeben wurde, die sich auf die „kunst des molens“ (Albrecht Dürer) verstanden, d. h. über die entsprechenden handwerklichen Fähigkeiten verfügten.23 13.3.2 Martin Luther Wahrscheinlich hatte Luther gehofft, dass sich mit den fälligen Kirchenreformen die Bilderfrage von selbst erledigen würde. Zwar hatte er in der Frühphase der Reformation auch die Bilder im Zusammenhang all der zu beklagenden Verirrungen der Kirche genannt, aber sie fanden keine eigene Thematisierung, aus der sich schließen ließe, dass in den Bildern etwa einer besonders gefährlichen Versuchung zu widerstehen sei.24 Die Bilder waren vielmehr eingereiht in all die anderen Frömmigkeitswerke, die den rechten Gottesdienst mehr verhinderten als beförderten. Sie waren ein Element unter vielen anderen, mit denen sich die Menschen dem Wahn hingaben, sie könnten sich durch ihr Tun irgendwelche Verdienste vor Gott

21 Diese Betonung der Gemeinsamkeit, wie sie etwa auch von Magarete Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, unterstrichen wird, findet nicht die Zustimmung aller; während Günter Rombold Luther eher an die Seite der römisch-katholischen Auffassung stellt und die reformierte Position deutlich von ihm abhebt („Luther und die Folgen«), sieht etwa Hans v. Campenhausen in Luther die vollendete Lösung für eine in der Kirchengeschichte lange schwelende Auseinandersetzung, wobei er den reformierten Weg in seinem „versteiften dogmatischen Misstrauen“ negativ von der Lösung Luthers abhebt, indem er ihm eine „negative[n] Gesetzlichkeit“ bescheinigt (Die Bilderfrage in der Reformation, 405f); – diese Typisierung hat allzu deutlich den Klang der traditionellen lutherisch-reformierten Kontroverstheologie. 22 Vgl. v. Campenhausen im Blick auf Luther, Die Bilderfrage in der Reformation, 383. 23 Vgl. dazu Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, 124ff. 24 Beim Stichwort Gottesdienst denke man „an den Glockenklang, an Stein und Holz der Kirchen, an das Räucherfaß, an die Flammen der Lichter, an das Geplärre in den Kirchen, an das Gold, Seide, Edelstein der Chorkappen und Meßgewänder, an die Kelche und Monstranzen, an die Orgeln und Tafeln [gemeint sind die Bilder], an die Prozession und Kirchgang, und das Größte an das Maulplappern und Pater noster Steine zählen. Dahin ist der Gottesdienst gekommen.“ WA 7, 596.

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erwerben. Der Vorwurf der Werkgerechtigkeit, den Luther vor allem mit dem Bilderstiften verband, ist der spezifische Akzent von Luthers Bilderkritik, die aber bis 1522 eingereiht blieb in eine weiterreichende Kritik des entstellten Gottesdienstes und der von ihm verführten selbsttrügerischen Frömmigkeitspraxis. Besserung versprach sich Luther jedoch nicht durch eine Veränderung der äußerlichen Bräuche, sondern durch eine Festigung des rechten Glaubens an das Evangelium, der all dieser irreführenden Stützen nicht mehr bedarf. Deshalb forderte Luther nicht einfach die Entfernung der Bilder, sondern vor allem die rechte Predigt. Aus eigener Kraft könne sich der Mensch nicht von dem Frömmigkeitskult befreien, sondern ihm sei das Evangelium zu predigen; der Glaube komme aus der Predigt, und er sei es, der den Menschen dann aus der Macht des Aberglaubens befreie. Vorläufig müsse im Sinne des Paulus auf die Schwachen Rücksicht genommen werde; sie sollen langsam vom Werkglauben zum rechten Glauben und zum rechten Gottesdienst geführt werden, zu dem „man keiner Glocken, keiner Kirchen, […], keiner Lichter noch Kerzen, keiner Orgeln noch Gesang, keines Gemäldes noch Bildnisses, keiner Tafeln noch Altäre […] bedarf.“25 Im Januar 1522 erschien Karlstadt‘s bilderfeindlicher Traktat „Von der Abtuung der Bilder“, und gut eine Woche später kam es in Wittenberg zum Bildersturm. Luther hatte sich in Folge der über ihn ausgesprochenen Reichsacht seit mehr als einem halben Jahr in den Schutz der Wartburg zurückgezogen, kehrte nun aber aufgrund der Unruhen nach Wittenberg zurück, weil er sein ganzes reformatorisches Werk gefährdet sah, und mischte sich mäßigend in den Bilderstreit ein. In seinen berühmten Invokavit-Predigten bekräftigte er seine Bilderkritik. „Ich wollt es wären keine [sc. Bilder] auf den Altären“ und „wenn man sie anbetet, so sollte man sie zerreißen und abtun“26 – es wäre besser, „wir hätten derselbigen Bilder keins um des leidigen vermaledeiten Missbrauchs willen. Ich bin ihnen auch nicht hold.“27 Obwohl sich Luther in anderem Zusammenhang durchaus für eine Entfernung der Bilder durch die „ordentliche Gewalt“ aussprechen konnte,28 hebt er später (1528) hervor: „Bilder, Glocken, Messgewand, Kirchenschmuck, Altarlichter und dergleichen halte ich für frei. Wer da will, der kanns lassen, obwohl ich Bilder aus der Schrift und von guten Historien für sehr nützlich halte, aber doch frei und in eines jeden Ermessen. Denn mit den Bilderstürmern halte ich es nicht.“29 Während Karlstadt die Bilder abweist, weil sie angebetet werden, erhebt sich Luthers Missmut den Bildern gegenüber, sofern sie angebetet werden.30 Er verwarf den Rigorismus

25 26 27 28 29 30

WA 10/1,1, 38,15–39,14. WA 10/3, 28. WA 10/3, 36. WA 18, 68. WA 26, 509. Vgl. Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, 47.

Die Bilderkritik der Reformation

der Bilderstürmer, welche die Freiheit des Evangeliums dazu missbrauchten, ein neues Gesetz aufzurichten, indem sie den Missbrauch der Bilder dazu benutzten, den Bildern die Schuld zuzuschreiben. Doch die Bilder als solche sind „weder gut noch böse“,31 und der Missbrauch kann nicht einfach den rechten Gebrauch aufheben, sonst müssten wir auch – mit Luther gesprochen – den Wein und die Weiber, das Silber und das Gold verbieten oder die fälschlicherweise angebeteten Gestirne vom Himmel reißen, – im Grunde müssten wir uns konsequenterweise selbst umbringen, „denn wir haben keinen schädlicheren Feind als unser Herz.“32 Da sich die Bilder nicht aus der Welt schaffen lassen, gilt es vor allem, die Einstellung zu den Bildern durch Überzeugungskraft zu beeinflussen. Den Götzenbildern, die sich in den Herzen der Menschen gebildet haben,33 ist entgegenzutreten, dann wird sich die Bilderfrage von selbst relativieren. Jede Gewaltmaßnahme schätzte Luther als kontraproduktiv ein: Sie führe auf der Seite der Bildergegner zur Zerstörung der gerade gewonnenen christlichen Freiheit und auf der Seite der Bilderbefürworter zu einer zwangsläufigen Aufwertung der Bilder. Beide Auswirkungen waren für die noch junge reformatorische Bewegung eine substanzielle Gefährdung. Die zum Teil tumultuarischen Verhältnisse machten die Möglichkeit einer gewaltsamen Wiederherstellung der Ordnung immer wahrscheinlicher. Es gab konkrete Anzeichen in dieser Richtung, deren Botschaft Luther auf alle Fälle zuvorkommen wollte.34 Allein von hier aus erklärt sich auch die Schärfe in der Polemik Luthers gegen die Bilderstürmer.35 Spezifisch für Luther ist einerseits die konsequente Abweisung des Verdienstkalküls der Bilderfrömmigkeit, die er besonders in dem Brauch des Bilderstiftens geradezu etabliert sah, und andererseits seine weitreichende Ernüchterung hinsichtlich der Macht der Bilder. „Denn ich vermein, es sei kein Mensch oder ihrer gar wenig, der nicht den Verstand hab: das Kruzifix, das da stehet, ist mein Gott nicht, denn mein Gott ist im Himmel, sondern nur ein Zeichen.“36 Das Bild, das Luther also vor Augen hat, ist nicht mehr als ein Zeichen, das die Erinnerung weckt und nicht der bevorzugte Ort des Zugangs zu dem Abgebildeten oder gar seiner

31 WA 10/3, 35. 32 WA 10/3, 33f. 33 Luthers Einschätzung ist in diesem Punkt mit der späteren von Calvin durchaus zu vergleichen, indem Calvin das menschliche Herz als die eigentliche fabrica idolorum, als Götzenfabrik bezeichnete; vgl. Institutio I 11.8. 34 Vgl. auch Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, 26ff. 35 Damit streifen wir ein für die lutherische Reformation brisantes und in dieser Diskussion nach wie vor unausgestandenes Thema, nämlich Luthers Verhältnis zur Obrigkeit und seine notorische Angst vor allem Aufruhr – doch darauf kann hier nicht weiter eingegangen werden. 36 WA 10/3, 31.

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Präsenz. Obwohl Luther nicht nur über ‚Herrn Omnes‘, sondern auch über den ‚Pöbel‘, die ‚rohen Leute‘ und den ‚gemeinen Haufen‘ auf dem Hintergrund einer von ihm nicht in Frage gestellten ständischen Gesellschaft recht herbe Abschätzigkeiten äußern konnte,37 bleibt er doch recht zurückhaltend hinsichtlich der Unterstellung eines allgemeinen Aberglaubens und räumt an dieser Stelle der Masse eine für mich durchaus überraschende Differenzierungsfähigkeit und Mündigkeit ein. Möglicherweise handelt es sich hier auch nur um ein suggestives Argument, das er strategisch gebrauchte. Doch unabhängig von der Einschätzung des Status dieses Arguments, zeigt sich in ihm Luthers eigenes Bilderverständnis an. Dem Bild selbst kommt keinerlei Dignität zu, es ist ein profanes Zeichen mit einer bestimmten Information, die in den Betrachtern auf eine vorbereitete Resonanz stößt. Darin hat das Zeichen seine Bedeutung, dass es diese Resonanzräume aktiviert, damit die in ihnen gleichsam eingelagerte Wirklichkeit lebendig und gegenwärtig gehalten wird. Damit komme ich zunächst zu den Besonderheiten der Schweizer Reformatoren, also der Grundlegung der reformierten Tradition. 13.3.3 Huldrych Zwingli und Johannes Calvin Die spezifische Differenz zwischen Luther und den Schweizer Reformatoren ist m. E. zunächst in der unterschiedlichen Einschätzung der Macht der Bilder zu suchen. Wenn Zwingli die in den Kirchen aufgehängten Bilder als Götzen bezeichnet, so schätzt er die Verführungspotenz der Bilder deutlich höher ein als Luther. Im Unterschied zu Leo Jud, Farel oder Karlstadt maß Zwingli ihnen zwar keine dämonische Macht zu, sondern bezeichnete sie als „Nichtse“, aber die schlichte Tatsache, dass die Bilder in der Kirche als dem Ort der Anbetung die Gemeinde gleichsam ständig ansehen, bedeute geradezu eine permanente Aufforderung zur Devotion. Bilder dienen zur Zier oder dem Gedächtnis, doch in den Kirchen lassen sie sich nicht auf diesen neutralen Gebrauch beschränken, sondern werden zwangsläufig zum Objekt der gläubigen Verehrung und somit zu Götzen.38 Das Bücken und Dienern vor den Bildern ist sinnenfälliger Ausdruck eines Verehrungsverhältnisses.39 Wenn Zwingli gegen Luther formulierte, dass derjenige, der Bilder schütze, damit Aberglauben schütze40 , wird deutlich, dass Zwingli ein anderes Bildverständnis als Luther hatte. Der diagnostizierte bzw. unterstellte Götzencharakter mäßigt verständlicherweise auch Zwinglis Langmut gegenüber den Schwachen,41 denn die Schwäche ist es ja

37 Vgl. nur beispielsweise die in diesem Zusammenhang bedeutungsvolle Schrift: Wider die himmlischen Propheten, von den Bildern und Sakrament (1525), WA 18, 62–214. 38 Werke IV, CR 91, 122. 39 Werke IV, CR 91, 100, 25ff. 40 Vgl. Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, 148. 41 Vgl. ebd., 144.

Die Bilderkritik der Reformation

gerade, durch die den Bildern überhaupt erst die von ihnen ausgehende Macht zuwächst, so dass die Schwäche ebenso als ein Argument gegen die Bilder ins Feld geführt werden kann; immerhin – so argumentiert Zwingli gegen Luther – hat Paulus auch um der Schwachen willen auf das Götzenopferfleisch verzichtet.42 Allerdings befand sich Zwingli insofern in einer grundsätzlich anderen Situation als Luther, als der Rat der Stadt Zürich für die reformatorische Bilderkritik durchaus zugänglich war und lediglich ein geordnetes Vorgehen forderte. Dieser Forderung schloss sich Zwingli an und trat gleichzeitig den spontanen Bilderstürmern energisch entgegen. Zwingli griff in zwei vom Rat erbetenen Gutachten das biblische Bilderverbot auf und brachte es ebenso wie Luther in einen engen Zusammenhang mit dem ersten Gebot, legte nun aber den Ton auf die Abweisung des Götzendienstes, zu dem eben die Bilder in den Kirchen verleiteten. Am 15. Juni 1524 gab der Rat die Zustimmung zum Entfernen der Bilder, und so vollzog sich das Abnehmen der Bilder in „planmäßigen Aktionen der politischen Instanzen“43 , die dann begleitet von den Klagen der Altgläubigen in einem „großen und fröhlichen Gottesdienst“ (Bullinger) vom 2. bis 17. Juli vollzogen wurden.44 Bilderdienst sei seinem Wesen nach heidnisch, er könne sich auf keinerlei Anordnung durch Christus berufen. Christuserkenntnis könne sich nur durch das Wort ereignen, die Bilder lenken jedoch vom Wort ab und sind somit der rechten Erkenntnis abträglich. Im Übrigen – so betonte Zwingli – habe die Kirche in ihrer Geschichte den Bilderdienst immer wieder mit guten Gründen abgewiesen.45 Ein zweites Argument ist für Zwingli – ebenso wie dann auch für Calvin – kennzeichnend, das bei Luther nur am Rande auftaucht,46 das aber – wie ich oben gezeigt habe – in dem sich ausbreitenden Unmut über die Bilder durchaus verbreitet vorzufinden war: Der üppige Aufwand für die Bilder sei angesichts der sich ausbreitenden Armut ein sozialer Skandal. Der Bilderdienst verschlang ja nicht nur Geld, das den Armen vorenthalten wurde, sondern war seinerseits eine durchaus relevante Ursache für die sich ausbreitende Armut. Am meisten durchsystematisiert ist die Bilderkritik bei Johannes Calvin, was nicht zuletzt seinen Grund darin hat, dass Calvin in dem ungeheuren Vorteil war, immer schon auf die andernorts durchstandenen Konflikte zurückblicken zu können, so dass er sich nicht mehr mit dem auch strategisch sensiblen Kalkül eines Pioniers eine

42 CR 92, 824; CR 91, 131. Man lasse ja schließlich auch nicht die Buben bei der Tochter herumsitzen; Werke IV, CR 91, 103f. 43 Seebaß, Moeller, Von der reformatorischen Bewegung zur evangelischen Kirche, 386. 44 Vgl. v. Loewenich, Bilder, 551. Ähnlich verlief die Entfernung der Bilder 1528 in Bern; vgl. Seebaß, Moeller, Von der reformatorischen Bewegung zur evangelischen Kirche, 387. 45 Insbesondere beruft sich Zwingli auf das 6. allgemeine Konzil zu Konstantinopel von 680 (Belege bei v. Loewenich, Bilder, 551). 46 Vgl. beispielsweise WA 10/3, 34.

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feste Position erarbeiten musste, sondern es auch im Blick auf seinen Wirkungsort Genf stets mit bereits bewährten Positionen zu tun hatte – in Genf wurden 1535 die Bilder entfernt, die ersten Äußerungen Calvins zur Bilderfrage datieren in das Jahr 1536. Die fundamentale Anstößigkeit der Bilder sah Calvin in der mit ihnen verbundenen heidnischen Vorstellung, dass in ihnen Gott den Menschen nahe sei. Die Vermenschlichung Gottes läuft der Ehre Gottes zuwider, denn sie verbietet es, ihm eine bestimmte Gestalt anzudichten. Gott lässt seine Stimme hören, aber er zeigt sich nicht. Zwar mag es Bilder von historischen Ereignissen geben, an denen der Mensch seine Freude haben mag, aber in den Kirchen haben sie nichts zu suchen. Durch Bilder lasse sich die von den Menschen zu preisende Majestät Gottes prinzipiell nicht verehren. Vor allem im Gefolge von Calvin hat in der reformierten Tradition das Bilderverbot als das zweite Gebote des Dekalogs einen festen Platz erhalten, während es in der lutherischen Tradition, wo es nicht als eigenes Gebot gezählt wird,47 vollständig vom ersten Gebot aufgesogen wurde und im Zuge der Profilierung gegenüber der Schweizer Reformation auch sachlich eingeebnet wird. Doch diese Wirkungsgeschichte verzerrt den tatsächlichen Befund der unterschiedlichen Argumentationen. Vielmehr ist zusammenfassend mit Margarete Stirm gegen die späteren Typologisierungen festzuhalten: „Das Bild, das Calvin ablehnt, ist nicht das Bild, das Luther erlaubt und wünscht. In Ablehnung und Zustimmung zu einigen Bildarten stimmen sie teilweise überein. Da sie in ihrem Anliegen von verschiedenen Bildern reden, können sie nicht gegeneinander ausgespielt werden. Jeder muß in seinem Anliegen gehört werden.“48 Weiter heißt es bei Stirm: „Das Bild Christi, das Luther wertvoll war, ist jedoch nicht das Bild Christi, das Calvin ablehnt.“49 „Ebensowenig wie jeder, der ein Bild fordert, sich auf Luther berufen darf, kann jeder, der ein Bild ablehnt, sich auf Calvin berufen.“50 Der lutherischen Bilderfreundlichkeit wird ebenso Unrecht getan, wenn sie zur Bedenkenlosigkeit stilisiert wird, wie der Bilderkritik der Reformierten, wenn sie als mehr oder weniger starrsinnige Einseitigkeit annonciert wird. M.E. spiegeln sich in den Differenzen unter den Reformatoren zu einem erheblichen Teil die unterschiedlichen Kontexte wider, in denen jeweils der Bilderkonflikt ausbrach. Es sind also nicht so sehr unterschiedliche theologische Konzeptionen in Erwägung zu ziehen, sondern die Aufmerksamkeit sollte mehr auf die unterschiedlichen konkreten zeitgeschichtlichen Konfliktlinien der Reformatoren gerichtet werden.

47 48 49 50

Zur Problematik der Zählung der Gebote vgl. Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, 229ff. Ebd., 224 (Hervorhebung M.W.) Ebd., 225. Ebd., 226.

Die Bilder der „Kirche des Wortes“

13.4

Die Bilder der „Kirche des Wortes“

Nun lässt sich zeigen, dass sich neben der geschilderten Bilderkritik bei den Reformatoren auch eine sehr positive und geradezu offensive Zuwendung zu Bildern finden lässt, die sich auch zeitgenössische Bildpraktiken zu Nutzen machte. Der emphatischen Formulierung von Dietrich Neuhaus, dass Luther „ein von Bildern geradezu besessener Mensch war“,51 kann durchaus zugestimmt werden, und in abgeschwächter Form gilt sie auch für die anderen Reformatoren. Ich kann jetzt nur Bereiche markieren, in denen die Bilder eine besondere Rolle spielten, ohne diese Bereiche im Einzelnen entfalten zu können. 1. Bilder wecken die Freude der Betrachter. Sie haben einen anziehenden Charakter, weil sie gefallen. Das Bild, das – mit welcher Botschaft auch immer – irgendwo schlicht zum Erquicken der Herzen aufgehängt ist, wird in der Reformation nirgends in Frage gestellt. In den kritischen Auseinandersetzungen ging es stets nur um die Bilder in den Kirchen und nicht um die Bilder in Privathäusern oder öffentlichen Gebäuden. Gerade die anerkannte Freude an den Bildern gibt der Frage nach ihrer Adäquanz in den Kirchen eine spezifische Brisanz. 2. Die Bilder, die in der Kirche ihren Ort haben, sollen über die Ohren in die Herzen der Menschen dringen und nicht ihre Augen fixieren. Die Offenbarung Gottes muss zu Wort kommen, sie stellt sich nicht vor Augen. Und so ist das Ohr und nicht das Auge das entscheidende Organ zur Wahrnehmung der Offenbarung Gottes.52 Indem sie aber zu Wort kommt, malt sie zwangsläufig auch Bilder – Hörbilder, die im Unterschied zu den gemalten oder geschnitzten Bildern beweglich bleiben. Luther konnte von lebendigen im Unterschied zu toten Bildern sprechen. Deshalb forderte er von den gemalten Bildern auch eine Beschränkung auf die Erinnerung, das Festhalten der Vergangenheit, Bilder als Gedächtnis. Aber die Vergegenwärtigung und somit die aktuelle Lebensdramatik der Überlieferung erwartete er allein vom gesprochenen Wort, denn der „Glaube kommt vom Hören, das Hören aber kommt aus dem Wort oder Geschrei von Christo.“53 Das Wort hat aber bei Luther seine eigene Bilddramatik. Wir kommen nicht umhin, „die geistlichen Sachen in […] Bildnis [zu] fassen“,54 auch wenn es sich stets nur um ein ‚grobes, äußerliches Bild‘

51 Neuhaus, Wort und Bild, 88; vgl. dazu auch Hermann Steinlein, Luthers Anlage zur Bildhaftigkeit. 52 „Nur die Ohren sind die Organe eines Christenmenschen.“ WA 57, 222; vgl. auch Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, 121. Hier hat auch die besondere Bevorzugung und theologische Hochschätzung der Musik bei Luther ihren tieferen Grund; vgl. auch v. Campenhausen, Die Bilderfrage in der Reformation, 404. 53 WA 17/2, 73,27. 54 WA 46, 308,2.

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handelt.55 Dabei war Luther die bedrohliche und als solche diffuse Dimension, die durch das so oder so in Szene gesetzte Bild heraufbeschworen werden kann, keineswegs fremd, wie nicht nur aus seinem Umgang mit der Offenbarung des Johannes hervorgeht, zu deren Auslegung sich Luther schließlich doch durchringt, um ihr durch das auslegende Wort zu der nötigen Klarheit und Eindeutigkeit zu verhelfen.56 Wenn er darauf hinweist, dass „Christi Reich ein Hör-Reich, nicht ein Sehe-Reich“57 sei, so bleibt auch das Wort auf die Gleichnisse,58 auf die zumindest vierdimensionalen Szenen, Beispiele und Parabeln verwiesen, bei denen jedes Ohr auch das Auge beteiligt, nicht nur um den Bildern das Laufen zu lehren, sondern um sie für die individuelle Kommunikation zu präparieren, in denen sich dann auch der Heilige Geist als die fünfte Dimension als lebendig erweisen kann.59 Die Stabilität des Wortes verträgt die Labilität der Bilder, und umgekehrt hat die Individualität der erbaulichen Imaginationen ihre Grenze an der Allgemeinheit der Heiligen Schrift als dem Hort des Wortes Gottes. Allerdings ist für den Menschen der Eindruck des Sehens stärker als der des Hörens, so dass die herausragende Bedeutung des Hörens stets in der Gefahr steht, von den stärkeren Eindrücken des Sehens dominiert und nivelliert zu werden. Das ist exakt der Ort, an dem der dem Hören verpflichtete Glaube und die aus dem Schauen resultierende Erfahrung unabgleichbar aufeinandertreffen. Glaube und Erfahrung stehen stets in einer tiefgreifenden Spannung zueinander, und Luther hat immer wieder die sich aus dieser Spannung erhebende Anfechtung vor allem als Zeichen der Lebendigkeit des Glaubens und nicht als glaubenszerstörerische Hingabe an die Erfahrung thematisiert. Die Anfechtung hat vor allem die Funktion, den Glauben gegen die Erstarrung in leblose Selbstzufriedenheit und gegen die ihm unvermeidlich widersprechenden Erfahrungen zu stärken.60 Auf der anderen Seite bleibt für die mit dem Wort Gottes zur Sprache kommende Wirklichkeit das gemalte Bild zu eng, und seine kultischen Erweiterungsmöglichkeiten führen in die Irre, so dass auch die Bilder der Befreiung durch das Wort bedürfen. Das Wort erweist sich als überaus geschickte und vielseitige Malerin eindrucksvoller Bilder, deren Allgemeinheit ihre Individualität ist, deren Individualität aber von dem in seiner Besonderheit allgemeinen Wort Gottes gehalten wird. Insofern kann

55 Vgl. WA 37, 64,8. 56 Denn „solange solche Weissagung ungedeutet bleibt und keine sichere Auslegung kriegt, ist es eine verborgene, stumme Weissagung und noch nicht zu ihrem Nutzen und Frucht gekommen, den sie der Christenheit geben soll […]“ WA DB 7, 408. 57 WA 51,11, 29. 58 „Wie Christus selbst allenthalben im Evangelium dem Volk das Geheimnis des Himmelreichs durch sichtbare Bilder und Gleichnisse vorhält.“ WA 36, 64,7ff; 10/2, 458,19f. 59 Vgl. dazu oben Kap. 2: Die Kirche, das Wort Gottes und die Schrift, bes. 2.4.3 und 2.4.4. 60 Vgl. dazu Weinrich, Die Anfechtung des Glaubens.

Die Bilder der „Kirche des Wortes“

die Betonung der „Kirche des Wortes“ gerade in ihrer Bilderskepsis auch als eine Bildbefreiung und Bilderweiterung verstanden werden. 3. Im Horizont dieses durch das Wort erweiterten Bildverständnisses kann auch dem zunächst ausgeräumten gemalten Bild wieder ein Platz eingeräumt werden, und zwar in ernüchterter Wahrnehmung dessen, was es ist und als solches vermag. Dies gilt nun in bevorzugter Weise für Luther, der gleichsam eine eigene Bilddidaktik entwickelte, mit der er die Bilder in den Dienst der auf vielerlei Weise zu vollziehenden Verkündigung des Evangeliums stellte.61 Hier hat die Bilderbibel62 ebenso ihren Ort wie Luthers Vorstellung vom künstlerisch gemalten Bild. Als Mittel zur Veranschaulichung und Bekräftigung sollten die Bilder streng am Wortlaut des Textes orientiert sein, nichts hinzufügen und nichts weglassen, was im Grunde voraussetzt, dass sich der Künstler selbst unter den zu malenden Text gestellt weiß, so dass er ihn nicht eigenwillig verdreht. Besonders ist darauf zu achten, dass die Bilder keine falschen Vorstellungen evozieren, etwa von einem unbarmherzig richtenden Christus oder von einem naiv menschlich abgebildeten Gott.63 Bilder sollen Beispiele mit möglichst paränetischem Charakter sein, die sowohl als Anschauungsmaterial verwendet werden können, als auch als Andachtsbild (Trostbild, Anregung zum Lob Gottes).64 In diesem Sinne konnte Luther die Bilder als Hilfsmittel des Glaubens verstehen. Die Betrachtung der Bilder setzt stets das Hören oder Lesen der entsprechenden biblischen Texte voraus. Im Zweifelsfall soll die Eindeutigkeit des Wortes der bisweilen ausschweifenden Vieldeutigkeit des Bildes zu der nötigen Klarheit verhelfen. Die Bilder sollen nicht bekehren, sondern zur Antwort auf Gottes gnädige Zuwendung stimulieren.

61 „Man kann dem gemeinen Mann die Wort und Werk Gottes nicht zu viel oder zu oft vorhalten, wenn man gleich davon singet und saget, klinget und predigt, schreibt und lieset, malet und zeichnet.“ WA 10/2, 458. 62 Luther konnte sich in der von Gregor dem Großen (gest. 604) inaugurierten Tradition durchaus eine bebilderte „Laienbibel“ (bzw. „biblia pauperum“) vorstellen (vgl. WA TR 3, 3674), in der die Bilder allerdings nach den von ihm geäußerten Vorstellungen zu gestalten wären. 63 Vgl. dazu Dieter Koepplin, Reformation der Glaubensbilder; Seebaß, Moeller, Von der reformatorischen Bewegung zur evangelischen Kirche, bes. 398–410. Zu den von Luther abgewiesenen Darstellungen vgl. auch: Luther und die Folgen für die Kunst, 249–266; die hier dokumentierte Hamburger Ausstellung belegt auch eine eigene von reformatorischer Theologie geprägte Bildtradition zu den Themen Gesetz und Gnade (ebd., 210–216), Nachfolge Christi (217–227), Taufe, Abendmahl und Predigt (228–233), der gute Hirte (234–236), Beruf als Gottesdienst (237–241), Christus als Kinderfreund (241–243) und die christliche Familie (244–248); vgl. dazu auch Steinlein, Luthers Anlage zur Bildhaftigkeit, 14ff, 25ff. 64 Vgl. Stirm, Die Bilderfrage in der Reformation, 78ff.

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4. Schließlich bedient sich die Reformation vor allem in Flugschriften aller zeitgenössischen Möglichkeiten der Bildpolemik.65 Die Bildpolemik, wie wir sie heute meist in vergleichsweise harmloser Form etwa in den Karikaturen der Zeitungen finden, war gegenseitig und bediente sich einer verbreiteten Bildsymbolik, die auch von den leseunkundigen Menschen, d. h. mindestens 90 % der Bevölkerung, weithin verstanden wurde. Dabei ließen die Bilder im Blick auf ihre Eindeutigkeit in der Regel keinen Wunsch offen. Sie waren aggressiv und setzten beinahe schamlos auf die Schadenfreude der Betrachter. Konrad Hoffmann unterscheidet in problemgeschichtlicher Abfolge vier Bereiche, in denen das „Bild als situationsbezogenes Kampfmittel der Massenkunst“66 verwandt wurde: a) Die Verehrung (Verklärung) der Person Luthers in seinem Kampf gegen die Papstkirche: Der im Glanz seiner gottgefälligen Lauterkeit präsentierte Luther befindet sich in einem Kampf gegen Tiere und dämonische Monster. Umgekehrt erscheint Luther in der Polemik von der anderen Seite teilweise ebenso in tierischer oder dämonischer Gestalt. b) Die Polemik gegen die überkommene Kirche: In häufig apokalyptischen Szenarien erscheint die an Rom orientierte Kirche als das sich gegen Gott erhebende Tier aus dem Abgrund bzw. der die Kirche angreifende und zerstörende Antichrist. Immer wieder werden auch der weltliche Prunk und die triumphalistische Selbstdarstellung der Kirche als raffsüchtige und krämerische weltliche Macht attackiert, deren Fundamente jedoch bereits ins Wanken geraten sind. Die Verteufelung des Gegners versucht die jeweils eigene Angst vor dem Teufel in anschauliche und somit konkret benennbare Bahnen zu lenken. c) Die kontroverstheologische Darstellung des alten und des ‚neuen‘ Glaubens: Die mittelalterliche Papstkirche wurde – wie bereits erwähnt – als die eigenwillig von der Bestimmung der Kirche abgefallene Kirche dargestellt, deren Neuerungen weder mit dem biblischen Zeugnis noch mit der maßgeblichen Tradition der Alten Kirche in Einklang zu bringen sind, während sich die Reformation – im wörtlichen Verständnis des Begriffs – in Kontinuität zur rechten Tradition der Kirche und Wahrerin der ursprünglichen Bestimmung der Kirche präsentierte. Die häufig dem Prinzip der Antithesen verpflichtete Bilddidaktik stellte die Betrachter gern in eine Entscheidungssituation, die vom Bild aber längst entschieden war.67 Die reformatorische Konzentration auf das Wort und somit die Predigt ist charakteristisch für die Selbstdarstellung der reformatorischen Kirche. 65 Vgl. auch zum folgenden Konrad Hoffmann, Die reformatorische Volksbewegung im Bilderkampf. 66 Ebd., 219. Werner Hofmann spricht vom Bild als einer „Propagandawaffe“, Die Geburt der Moderne, 29. 67 Vgl. dazu Peter-Klaus Schuster, Abstraktion, Agitation und Einfühlung, 117–122.

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d) Die Betonung des Priestertums aller Gläubigen: Polemisch gegen das obrigkeitliche Erscheinungsbild der Papstkirche sprach die Reformation in besonderer Weise die unteren Stände und das langsam zu eigenem Selbstbewusstsein findende Stadtbürgertum an, indem sie in besonderer Weise den ‚gemeinen Mann‘ hervorhebt. In diesem Horizont bricht sich auch eine durchaus weitreichende Sozialkritik an den zeitgenössischen gesellschaftlichen Verhältnissen Bahn.68 Die „oft drastischen und rüden Bilderfindungen“ komplementieren „das Sprachgewitter, mit dem Luther seine Gegner überzog“, und dokumentieren eine Freiheit der Satire,69 die auch in der nichtlutherischen Reformation und ebenso auf römischkatholischer Seite breit belegt ist. Offenkundig bleibt ein markanter Unterschied zu machen zwischen der die Phantasie beinahe hemmungslos freigebenden polemischen Satire und der didaktisch motivierten biblischen bzw. theologischen Darstellung, wo es vor allem um eine verlässliche Aussage geht.

13.5

Die Profanisierung der Bilder

Werner Hofmanns Diktum, das Luther „einem neuen, schlechthin modernen Kunsturteil den Weg bahnte“,70 provoziert einen zweiten Blick auf die Frage nach Luthers Verhältnis zur Kunst.71 Zunächst bleibt festzustellen, dass sich in der Kunst zweifellos Folgen der Reformation registrieren lassen. Ob diese Folgen jedoch auf einen aktiven Einfluss der Reformation auf die Kunst zurückgehen, bleibt hingegen umstritten. M.E. wird man in dieser Hinsicht eher zurückhaltend urteilen müssen, zumal es ohnehin zu dieser Zeit kaum eine tatsächlich so zu nennende Debatte um die Kunst als einer eigenständigen Größe gegeben hat. Zwar lassen sich Abhandlungen über verschiedene Formen der Bildgestaltung, der Erfassung

68 Vgl. dazu auch Volker Press, Gottfried Seebaß, Bauernkrieg und radikale Reformation. 69 Vgl. Hofmann, Die Geburt der Moderne, 31f. 70 Hofmann, Vorwort in: Luther und die Folgen für die Kunst, 17–19, 17. Hofmann sieht in der reformatorischen Ernüchterung gegenüber den Bildern die Voraussetzung für deren Aufwertung, wie sie sich dann in der Neuzeit und ihrer Entdeckung der Kunst Bahn gebrochen hat. „Theoretisch beginnt die Musealisierung des Kunstwerks mit der Reformation: sie ist das Korrelat seiner Entideologisierung, bedeutet aber letztlich nur den Wechsel von einer Ideologie zu einer anderen, zur Kunstreligion. Rückte die protestantische Bilderangst das Kunstwerk in eine neutrale, von Bildmagie unberührte Wirkungssphäre, so eröffnete sie ihm auf weite Sicht die Duldung, welche es heute atheistischen Staaten erlaubt, ihre ehemaligen Gotteshäuser als Kunstmuseen offen zu halten. Auf die Kunst, die der Religion gehört, folgt die Religion der Kunst, deren Glaubensartikel der jeweilige Beschauer mit sich selber auszumachen hat.“ Die Geburt der Moderne, 51. 71 Kritisch zur These von Hofmann vgl. auch Rombold, „Luther und die Folgen“.

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des Raumes in zweidimensionaler Reproduktion, über die Technik des Malens, der Herstellung von Farben usw. auffinden, aber eine eigene umfassende Kunsttheorie hat es nicht gegeben. Sie war auch bis dahin insofern nicht nötig, da sowohl das von der Kirche geprägte Weltbild als auch die von diesem Weltbild regulierte Lebensführung einschließlich der Ängste und Hoffnungen der Menschen weithin von allen Menschen geteilt wurden. Gewiss lassen sich auch kunsttheoretische Maximen für diese Zeit rekonstruieren, aber es ist schwerlich vorstellbar, dass sie in der allgemeinen Diskussion präsent waren. Außer einigen trivialen Allgemeinplätzen, die sich ohne spezifische Akzente auch bei den Reformatoren finden lassen, lässt sich auf der Ebene direkter Äußerungen aus der Reformation wohl wenig Honig für eine spezifische Kunsttheorie saugen. Anders sieht es aus, wenn man danach fragt, was in der Reformation mit den Bildern geschehen ist, was sich in der Einschätzung und im Umgang mit den Bildern gegenüber der bisherigen Tradition verändert hat, und welche neuen Möglichkeiten sich aus diesen Veränderungen für die Kunst ergeben. In dieser Frageperspektive bleibt für die Reformation eine radikale und folgenreiche Ernüchterung gegenüber den Bildern zu konstatieren. Die Bilder werden ebenso wie die Ehe, die Erziehung und weithin auch die Kirche selbst ganz auf den Boden dieser Erde gestellt. Sie werden zu weltlichen Angelegenheiten, die in die menschliche Zuständigkeit fallen und deshalb auch keiner besonderen Weihen und somit auch keines andauernden Kultes bedürfen. Luther sprach immer wieder gern vom „weltlich Ding“ etwa im Blick auf die Ehe. Diese Redeweise kann ohne weiteres auf die Bilder übertragen werden, was bedeutet, dass sie sich aus der kirchlichen Bevormundung emanzipieren können. Sie selbst sind weder „gut noch böse“, sondern das, was wir aus ihnen machen bzw. was wir ihnen zubilligen, dass sie aus uns machen, – so wie der Wein, das verführerische Geld oder die Gestirne, die erst dadurch Macht über uns gewinnen können, wenn wir sie ihnen verleihen. Die Profanisierung der Bilder bedeutet nicht, dass nun die Inhalte ihrer Darstellungen nur noch weltliche sein sollen, sondern dass ihre Darstellungsweisen freigegeben, aber zugleich auch der allgemeinen Auseinandersetzung zugänglich gemacht werden. Es geht nicht mehr um einen religiösen, sondern um einen sachlichen Umgang mit ihnen. Als menschliche Produkte stehen sie der menschlichen Diskussion offen, ohne dabei für sich eine besondere sakrale Würde beanspruchen zu können. Die Profanisierung der Bilder entzieht sie der allgemeinen Frömmigkeitspraxis und gibt sie frei, so dass sie in ihrer Profanität einen eigenen Raum erobern und ausfüllen können. Die Absage der Nutzung als religiöse Gebrauchskunst, in der die Bilder der Mediatisierung gegenstandsorientierter Frömmigkeitsoptionen dienten, billigt den Bildern eine selbstexplikative Aura zu, deren Entfaltung und Gestaltung schließlich dem Ermessen des Betrachters überantwortet wird. In gewisser Weise kann in diesem Zusammenhang Werner Hofmann zugestimmt werden, wenn er den Wandel so charakterisiert, dass an die Stelle der Instrumentalisierung der Bilder

Die Profanisierung der Bilder

für das Frömmigkeitsleben nun die Auslieferung der Bilder an ihre Interpreten tritt: „Das Wort siegt über das Bild“.72 Die durch die konsequente Ernüchterung der Bilder vollzogene Befreiung entfaltet weitreichende theologische Konsequenzen in zwei Richtungen: Zum einen bedeutet sie eine Rückgewinnung der Freiheit Gottes gegenüber allen bildlich fixierten Zudringlichkeiten des Menschen. Zum anderen vollzieht sie eine folgenreiche Befreiung des zum Bilderdienst erniedrigten Menschen.73 Die Betonung des Wortes eröffnet dabei einen eigenen Raum unmittelbarer Kommunikation mit und über Gott. Eben dadurch, dass für alle Reformatoren die Bilder zu den Dingen gerechnet werden, die prinzipiell auch verzichtbar sind, die somit in die Relativität und Austauschbarkeit aller menschlichen Produkte eingereiht werden, bekommen sie auch einen neuen Raum eröffnet, der nicht mehr von der Kirche usurpiert ist, sondern wo in jedem einzelnen Fall die Frage zu erörtern ist, inwiefern ein Bild auch dazu geeignet ist, ein Zeugnis des christlichen Glaubens zu sein oder eben nicht. Damit ist der Diskurs eröffnet, und es ergibt sich nun die ja auch bald genutzte Möglichkeit, eigenständige Theorien für die Kunst zu entwickeln. Die Reformation kann auch in diesem Bereich wohl kaum als die Wurzel der Neuzeit angesehen werden, wohl aber sammeln sich in ihr eine durchaus nennenswerte Anzahl von grundlegenden Weichenstellungen, die dann auch für die Neuzeit tragend und durchschlagend geworden sind.

72 Hofmann, Die Geburt der Moderne, 23. 73 „Indem die Reformatoren die von Kerzen und Weihrauch auratisch gesteigerte Würde des Bildes als angemaßt zu entlarven versuchen, entrücken sie nicht nur die Würde Gottes dem Zugriff der Kunstfertigkeit, also der Menschenhand, sie geben auch dem Gläubigen die Würde der Standhaftigkeit zurück, die er preisgibt, wenn er sich vor einem ‚Idol‘ prosterniert […].“ Ebd., 34.

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14.

Die Wahrheit des Bilderverbots

Historische und theologische Aspekte1

14.1

Einleitung

„Zwingli und die Taliban“ – so lautete eine Überschrift in der Neuen Zürcher Zeitung am 21. März 2001. Wir erinnern uns – es war noch vor dem dann vom Westen geführten Afghanistankrieg: Die kulturbeflissene Welt war entsetzt und protestierte lautstark als die Taliban in Afghanistan begannen, die berühmten Buddha-Statuen von Bamian zu zerstören. Es bestand weithin Einigkeit in der Beurteilung, dass sich hier ein blindwütiger religiöser Fanatismus an einem unwiederbringlichen Kulturerbe der Menschheit vergeht. Mohammed Omar wurde als der für die Sprengungen verantwortliche muslimische Geistliche als „mittelalterlicher Barbar“ bezeichnet. Und da wagt es nun ein Autor der Neuen Zürcher Zeitung, die Barbarei der Taliban mit dem geachteten Namen des Reformators Huldrych Zwingli in Verbindung zu bringen. Gewiss, Zwingli war der Hauptverantwortliche für den ebenfalls obrigkeitlich geregelten Bildersturm in Zürich insbesondere im Jahre 1524. Aber war das nicht etwas ganz anderes? Ihm ging es doch um die Reinigung der Kirchen von den götzendienerischen Praktiken, mit denen die Gläubigen geistlich verknechtet und zudem finanziell ausgebeutet wurden. Aber auch für die Zerstörung der Buddha-Monumente stand das Stichwort des Götzendienstes im Vordergrund.2 Wir wollen jetzt diesen Faden nicht weiterverfolgen. Immerhin wird zu konstatieren sein, dass beiderseits davon ausgegangen wurde, dass Gott nicht in Bildern abgebildet werden dürfe. Beide kannten ein Bilderverbot und wussten, dass dieses vor allem der Versuchung des Götzendienstes entgegentritt. In der jüdisch-christlichen Tradition lautet das Bilderverbot: „Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist. Du sollst dich

1 Mit wenigen Kürzungen gehaltener Vortrag auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes am 14. Juni 2002 in Nürnberg. Der Vortrag wurde in den folgenden Jahren noch mehrfach an verschiedenen Orten und in unterschiedlichen Zusammenhängen gehalten. Zuerst publiziert: Jörg Schmidt (Hg.), Von den Bildern befreit zum Leben. Wahrheit und Weisheit des Bilderverbotes (Reformierte Akzente 6), Wuppertal 2002, 17–42. Wiederabdruck in geringfügig überarbeiteter Fassung. 2 Der tiefgreifende und entscheidende Unterschied liegt freilich darin, dass es sich bei den Taliban zunächst um den Götzendienst einer anderen Religion und eben nicht den der eigenen Glaubensgemeinschaft handelte.

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nicht niederwerfen vor ihnen und ihnen nicht dienen, denn ich, der Herr, dein Gott, bin ein eifersüchtiger Gott, der die Schuld der Vorfahren heimsucht an den Nachkommen bis in die dritte und vierte Generation, bei denen, die mich hassen, der aber Gnade erweist tausenden, bei denen, die mich lieben und meine Gebote halten.“ (Ex 20,4–6; Zürcher Bibel 2007)

Dieses Gebot gehört nach reformierter Tradition zu den vier Geboten der so genannten linken Tafel, denen es um die Wahrung der Gottheit Gottes geht. Offenkundig ist diese Wahrung der Besonderheit Gottes so gefährdet, dass sie gleich von vier Geboten bewacht wird. Allzu gern schielen wir auch nach anderen Göttern als dem, der Israel aus Ägypten herausgeführt hat. Oder wir machen ihn uns so zurecht, wie wir ihn haben möchten. Wir machen uns unser Gottesbild und sichern dies in einer möglichst windstillen Ecke der Kirche, die in der Regel ausreichend davor geschützt ist, von dem Hauch des Heiligen Geistes überrascht zu werden. Ich beschränke mich mit meinen Überlegungen auf drei Aspekte der Wahrheit des Bilderverbots: In einem ersten Gedankenbogen möchte ich darauf aufmerksam machen, dass ein falscher Gottesdienst nicht nur Gott etwas vorenthält, sondern sich auch am Mitmenschen vergeht. Der Bilderdienst macht nicht nur Gott zu einem weisungsgebundenen Angestellten der Kirche bzw. zu einem der beliebten religiösen Überraschungseier, aus denen erfahrungsgemäß niemals mehr herauskommt als was zuvor in dies hineingetan wurde, sondern Bilderdienst kehrt sich auch unmittelbar gegen den Mitmenschen. Er ist nicht nur unverträglich mit Gott, sondern eben auch sozial unverträglich; dazu möchte ich unter der Überschrift „Vom Almosengeben zum Bilderdienst“ einige historische Erkenntnisse und theologische Beurteilungen vortragen. In diesem Zusammenhang wird auch der reformatorische Umgang mit dem Bilderverbot zur Sprache gebracht (14.2). Ein zweiter Gedankenbogen wendet sich dann dem Dilemma zu, dass wir uns aber über Gott gar nicht anders verständigen können als eben in Bildern. Hier ist dem Bilderverbot eine Grenze gesetzt, ohne die wir es aufgeben müssten, uns sinnvoll über Gott verständigen zu wollen. Von Gott reden heißt, in Bildern reden – aber was sind das für Bilder, mit denen wir da von Gott reden können? (14.3) Schließlich soll in einem dritten Gedankenbogen darüber nachgedacht werden, in welcher Weise das Bilderverbot auch den für unsere Verständigung über Gott notwendigen Bildern eine Grenze setzt. Worin besteht die Wahrheit des Bilderverbots angesichts unserer unausweichlichen Verwiesenheit auf Bilder? (14.4) Kurz und prägnant gesagt geht es in den drei Gedankenschritten 1. um den abzuweisenden Bilderdienst, 2. um die Verwiesenheit auf den Dienst der Bilder und 3. um die Wahrung der Grenzen der Bilder.

Vom Almosengeben zum Bilderdienst

14.2

Vom Almosengeben zum Bilderdienst

Zwingli hat noch darum gewusst, wie es zu dem Bilderdienst gekommen ist, unter dem die spätmittelalterliche Kirche weithin zu erstarren drohte. Er erhob die Forderung, dass die erheblichen Geldsummen, die für die Kerzen und Öllampen und das Messelesen an den Heiligenbildern und den zahlreichen üppig ausgestatteten Seitenaltären aufgebracht werden mussten, besser den Armen zugutekommen sollten. Damit sprach er exakt den historischen Ausgangspunkt an, aus dem sich im Laufe der Geschichte erst die Bilder und dann auch der Bilderkult herausgebildet hatten. Von vornherein ging es um Geld, das spekulativ eingesetzt wurde, um möglichst gut im Himmel angeschrieben zu sein. Gleich am Anfang stand ein Missverständnis, das sich festgesetzt hat, weil man offensichtlich auch schon in der Alten Kirche nicht genau genug auf das biblische Zeugnis gehört hat. Wir kennen alle die Geschichte, in der Jesus dem reichen Jüngling den Ratschlag gibt, sich um seines Heils willen von der Bindung an sein Geld zu befreien und dieses den Armen zu geben. So habe er einen Schatz im Himmel (Mt 19,16–21). Aus der Freiheit des Glaubens, die es nur da geben kann, wo die Bindung an Gott durch nichts getrübt wird, wurde unversehens eine Art himmlische Sparkasse, in die man einzahlen konnte, indem man den Armen Geld gab. Und damit ja nicht der Eindruck aufkommt, dass dieses Geld etwa an die Armen verschwendet würde, betont nicht nur Johannes Chrysostomos in der zweiten Hälfte des 4. Jh.s, dass es ja nicht die Armen seien, denen das Geld gegeben werde, sondern Christus bekomme es.3 Da die hier praktizierte Nächstenliebe nicht tatsächlich den Armen galt, sondern einem vermeintlich höheren Zweck, der aber faktisch darin bestand, in das eigene Heil zu investieren, rückte zunehmend das Geld in den Mittelpunkt, während gleichzeitig die Armen immer mehr aus den Augen verloren wurden. An die Stelle der Armen trat dann die Armut, von der eben auch und insbesondere die Kirche gezeichnet sei. Und so sammelte sich bald auch jeder einen Schatz im Himmel, der finanziell etwas zur Ausschmückung der kargen Kirchengebäude beisteuerte. Im Mittelalter galten Gaben für die Kirchenzierde als gleichbedeutend mit dem Almosen für die Armen. Das führte dann bald dazu, dass der Weg über die Armen als Umweg empfunden wurde, zumal das für die Kirchenzierde gestiftete Geld zu unmittelbar sichtbaren und zumindest mittelfristig haltbaren Resultaten führte. Es kann kaum verwundern, wenn schließlich immer mehr Geld in die Ausschmückung der allseits errichteten Kirchenbauten gesteckt wurde. In der Zeit zwischen dem 12. und dem 16. Jh. wurde ein immer größerer Anteil des Volksvermögens für die Ausstattung der Kirchen und die Pflege des dort praktizierten Kultes abgezogen, der natürlich an anderer Stelle fehlte. Die Erfindung

3 Vgl. auch zum Folgenden Peter Jezler, Von den guten Werken zum reformatorischen Bildersturm.

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Die Wahrheit des Bilderverbots

des Fegefeuers im Hochmittelalter4 eröffnete dann einen halbwegs kalkulierbaren Weg, auf dem sich mit Hilfe guter Werke, die sich am leichtesten durch Geldzahlungen zustande bringen ließen, relativ verlässlich insbesondere die armen Seelen reichlich gebender Menschen dem zu erwartenden Purgatorium entreißen ließen. Indem auch gute Werke für bereits verstorbene Menschen einbezogen wurden, erschloss sich ein beinahe unbegrenzter Markt, der allerdings verheerende Auswirkungen auf die ganze übrige Wirtschaft hatte. Mit dem Faustpfand der Toten griff die Kirche nach dem Geld der Lebenden. Es kam zu einer ausufernden Bilderblüte und einer geradezu explodierenden Zahl von individuellen Sponsoren finanzierter Seelenmessen. Die Nennung der Namen der Sponsoren bzw. der von ihnen begünstigten Verstorbenen bekräftigte diesen die Hoffnung, nun auch von Gott in besonderer Weise gehört zu werden. Ein beispielloses Fundraising-System, mit dem verglichen unsere heutigen Geldeintreibungsversuche nur lächerlich erscheinen können. Wir können uns die Szenerie wahrscheinlich gar nicht so recht vorstellen. Es wird beispielsweise überliefert, dass zur Zeit Zwinglis im engen Stadtgebiet von Zürich 96 Altäre und eine noch erheblich größere Anzahl von Andachts- und Heiligenbildern, Wegkreuzen und Bildstöcken zu finden waren. Allein am Großmünster zelebrierten 24 Stiftsherren und 32 Kapläne Seelenmessen – gegen Barzahlung, versteht sich. Der jährliche finanzielle Aufwand für das Wachs an den Bildtafeln der beiden Stadtheiligen Felix und Regula entsprach dem Meisterlohn von 74 Tagen. Auch auf dem Lande war beinahe jeder Hof mit Wachszinsen für eines der Heiligenbilder belastet. Damit deutet sich an, dass der Bilderkult nicht nur den Rahm des Wohlstands abzuschöpfen verstand, sondern seinerseits längst zu einer Ursache von einer dramatisch um sich greifenden Verarmung geworden war. Von vielen Seiten wurde Kritik an dieser exzessiven Ausbeutungspraxis der Kirche erhoben, doch von kirchlicher Seite wurden die Schrauben immer fester angezogen. Die beinahe flächendeckende finanzielle Ausbeutung funktionierte durch ein ausgeklügeltes System seelischer Geiselnahmen und eine kasuistisch ausgearbeitete Preisliste für die entsprechenden Auslösesummen. Die Entrichtung der entsprechenden Beträge an die als wundertätig eingeschätzten Bilder sollte zur Erfüllung individueller Wünsche führen.5 Damit kehren wir zurück zu Zwingli und zunächst zu seinem zweiten Argument gegen die zeitgenössische Bilderpraxis: Sie sei aus zwei Gründen ein sozialer Skandal, denn sie enthalte zum einen den Armen die ihnen zustehende Unterstützung vor und führe zweitens ihrerseits zu einer weiteren Ausbreitung der Armut.

4 Eine dogmatische Definition wurde erst durch das Konzil von Trient vorgenommen. 5 Vgl. ausführlicher zum ganzen Absatz Kap. 13: Die Profanisierung der Bilder, bes. 13.3.

Vom Almosengeben zum Bilderdienst

Im Zuge der konkreten Abschaffung der mit den Bildern verbundenen Werkund Verdienstfrömmigkeit kam dann auch ausdrücklich das Bilderverbot in den Blick6 – zunächst 1522 bei Karlstadt und dann eben bei Zwingli. Er hielt die Bilder in den Kirchen für Götzen, weil man sich der von ihnen ausgehenden Aufforderung zur Devotion nicht entziehen könne. Während die Bilderbefürworter damit argumentierten, dass Jesus es uns bestimmt mitgeteilt hätte, wenn er keine Bilder gewollt habe, dreht Zwingli dieses Argument um. Er verweist darauf, dass es keine Anordnung Jesu zum Bilderdienst gebe, so dass er seinem Wesen nach als heidnisch abzuweisen sei. Calvin prangerte die Bilder als frevlerischen Angriff auf die Ehre Gottes an und stellte pointiert fest: „Wer eine sichtbare Gestalt Gottes haben will, der fällt von ihm ab!“7 Es entspreche unserem Hang zum Götzendienst,8 dass wir uns eine Gestalt Gottes ausdenken und dieser dann unsere Referenz erweisen, obwohl der törichte und selbsttrügerische Charakter eines solchen Verhaltens offen zutage liege. Natürlich komme niemand, der noch halbwegs bei Verstand sei, auf die Idee, die Bilder selbst als Gott anzusehen, aber sie dienen als bevorzugte Orte der Nähe und Anwesenheit Gottes, die einen besonderen Kontakt mit ihm ermöglichen. Calvin macht darauf aufmerksam, dass auch das goldene Kalb nicht einfach als ein selbst gemachter Gott angesehen wurde, sondern das goldene Standbild meinte keinen anderen als den bisher angerufenen Befreier aus Ägypten, aber das Volk wollte diesem Gott nun in dieser von ihm selbst ausstaffierten Gestalt nahe sein.9 Es gibt wohl nichts, was in diesem Zusammenhang die Bedeutung des Bilderverbots prägnanter erhellt, als dieses goldene Stierbild. Es sollte dazu beitragen, den Gottesdienst erlebnisreicher zu gestalten. Der Hingabe und Ganzheitlichkeit sollte im wahrsten Sinn des Wortes auf die Sprünge geholfen werden, aber was herauskam, war ganz-heidnisch. Es wurde ein prachtvolles Standbild errichtet, um in frommer Hingabe um dieses Bild herum für Gott tanzen zu können. Und so wird getanzt, gewiss nicht freudlos, aber wohl etwas leichtfüßig. Alles, was wertvoll ist, wird in dieses Stierbild eingeschmolzen, die goldenen Ringe und unsere Phantasie von Kraft und Stärke – ein Standbild mit Augen betörendem Glanz, ein Gott zum Anfassen, zusammengegossen aus der ganzen Herrlichkeit dieser Erde. Auch der 6 Es ist ebenso interessant wie bezeichnend, dass sich die erste durchschlagende Intervention gegen den Bilderdienst gar nicht auf das Bilderverbot berief, sondern in strikter Entsprechung zum historischen Ablauf der Entwicklung den himmelschreienden Missbrauch der guten Werke anprangerte. Den entscheidenden Bruch mit dem theologischen Missbrauch des Bilderkults vollzog zunächst Luther 1520 mit seiner Schrift: „Von den guten Werken“, mit der er – mit Peter Jezler gesprochen – das „ganze System mittelalterlicher Jenseitsvorsorge […] ins Wanken“ brachte; Jezler, Von den guten Werken zum reformatorischen Bildersturm, 22. 7 Johannes Calvin, Institutio I 11.2. 8 Der „Menschengeist [ist] zu allen Zeiten sozusagen eine Werkstatt von Götzenbildern gewesen […].“ Institutio I 11.8. 9 Vgl. Institutio I 11.9.

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Tanz um den goldenen Stier – diesem kapitalen Potenzdemonstranten – kostet so manche Anstrengung – und viele sind bereit, alles zu geben. Hier kann man am Ende wenigstens mit sich selbst zufrieden sein. Nichts befriedigt mehr als die Erschöpfung nach einem für Gott getanzten Tag. Doch da erscheint Mose, dieser Spielverderber und Bilderstürmer, mit dem Gebot Gottes in der Hand und bereitet dem bunten Treiben ein jähes Ende. Erst liegt das Gebot Gottes in Scherben, dann aber der goldene Stier. Dieser mit hohen Investitionen mühsam errichtete Inbegriff menschlicher Werte und irdischer Schönheit liegt zerstört am Boden – eine Kulturleistung par exellence – ebenso unwiederbringlich, wie die Buddha-Statuen von Bamian. Diejenigen, die hier des Trostes bedürfen, werden kaum damit zufrieden zu stellen sein, dass es nicht lange dauern wird, bis ein neues Stierbild aufgerichtet ist – dann gewiss aus anderen Rohstoffen, denn der Stoff, aus dem die Träume sind, verändert sich. Wieder wird man sich an den Händen fassen, und ab geht die Post. Kein Gebot wird so häufig und mit hoch erhobener Hand übertreten wie das Gebot der Abgötterei, zu dem auch das Bilderverbot gehört. Während Gott uns mit Wolke und Feuersäule den Weg durch die ungastliche Wüste in das gelobte Land zu weisen sucht, schlagen wir ein Lager auf und versuchen gegen den Frust anzutanzen, den die Wüstenwanderung so mit sich bringt. Ein bisschen von dem gelobten Land soll sich doch jetzt schon einmal vorwegereignen. Das allein ist noch gar nicht das Problem. Vielmehr besteht es darin, dass uns der Stier zudem hier in der Wüste festhalten wird. Er hat uns eine Menge gekostet, und wie gesagt: er betört das Gemüt, so dass man die Wüste drum herum zu vergessen beginnt. In Las Vegas – diesem perfekten Vergnügungszentrum mitten in der Wüste – ist immer etwas los, eine ebenso betörende wie trügerische Glitzerwelt, in der sich im besten Fall genau das gewinnen lässt, was dort investiert wird, vielleicht auch etwas mehr, aber eben nichts anderes. Wahrscheinlicher aber ist, dass wir das, was wir in diesen Wüstenglimmer investieren, verlieren werden. Noch hat kein goldener Stier eine Wüste fruchtbar gemacht, um vom gelobten Land ganz zu schweigen. Der religiöse Goldrausch beschäftigt uns mit uns selbst. Der Gottesdienst wird zur religiösen Selbsthilfe. Und das macht ihn dann auch asozial, denn die Investitionen, die in den goldenen Stier gesteckt werden, gelten ja vor allem den Investoren selbst. Im Unterschied zu den Armen wird uns das goldene Gottesbild den Glanz nicht verweigern, den wir in es hineinlegen. Es antwortet uns zuverlässig, und solange wir ihm sagen, was wir hören wollen, werden wir mit ihm zufrieden sein. Und weil bei dieser religiösen Selbstbespiegelung immer einige Zweifel bleiben, treten wir immer wieder erneut vor den Spiegel unserer Gottesbilder und hoffen wie die narzisstische Stiefmutter von Schneewittchen auf die ersehnte Bestätigung. Ein endloses Spiel der Selbstbeweihräucherung, in dem jede und jeder mit seinem intimen Gottesbild für sich bleibt. Wenn der Mensch zu Gott nicht aus sich herausgeht und dabei dann auch den anderen begegnet, sondern sich in seiner

Die Grenze des Bilderverbots: Von der Notwendigkeit des Unzulänglichen

Frömmigkeit in sich selbst hineintanzt, ist es kein Wunder, wenn er dann am Ende auch allein sich selbst begegnet. Solange das Almosengeben auf eine Kapitalisierung in dem zu gewinnenden himmlischen Schatz setzt, so lange läuft der Gottesdienst mehr oder weniger direkt auf eine Selbstbeweihräucherung zu. Das entspricht durchaus den ihre Stifter umwehenden Weihrauchschwaden an den spätmittelalterlichen Seitenaltären und Heiligenbildern. Die Antwort Jesu an den reichen Jüngling, sein Geld an die Armen zu geben, ist kein Investitionsvorschlag, sondern ein Befreiungsappell gegenüber den religiösen Kapitalmärkten. Es gehört zu unserem Bildermachen, dass wir Jesus – anstatt ihm nachzufolgen – lieber auf einen von uns bedienbaren Markt postieren, um ihn an unseren religiösen Schiebereien zu beteiligen. Nicht er nimmt uns in seinen Dienst, sondern wir machen ihn zu einem Element unseres Lebenskultes bzw. des Kultes der Kirche, und unversehens wird er zu einem selbst geschnitzten Gottesbild, das vom Bilderverbot getroffen wird. – Damit bin ich bei meinem zweiten Gedankenbogen, den ich zu bedenken geben möchte.

14.3

Die Grenze des Bilderverbots: Von der Notwendigkeit des Unzulänglichen

Ganz gleich, auf welche Weise wir von Gott zu reden versuchen, wir kommen nicht darum herum, uns eine Vorstellung und somit ein Bild von ihm zu machen. Auch die Rede vom Wort Gottes ist ein Bild, sogar ein sehr kompliziertes und vielschichtiges Bild. Auch da, wo nur etwas zu hören ist, gibt es stets etwas zu sehen. Begriffe und Bezeichnungen sind Wort-Bilder. Selbst wenn sie etwas ganz Abstraktes zur Sprache bringen wie etwa der Begriff ‚Transzendenz‘ oder das Adjektiv ‚unsichtbar‘, bleiben sie noch in unmittelbarer Verbindung mit den wesentlichen Eigenschaften von Bildern: sie geben den Anstoß dazu, dass sich zumindest in unserem Kopf etwas bildet. Jedes an uns gerichtete Wort ergreift uns gegenüber die Initiative und nimmt uns in Beschlag mit einem bestimmten Anspruch. Darin können die Wort-Bilder bisweilen auch entschiedener nach uns greifen als BildBilder. Dem Wort eignet die Kraft, die Bilder in Bewegung zu bringen, so dass es uns mehr zu sehen geben kann als wir fassen können. Ein Wort-Bild kann noch in ganz anderer Weise auf uns eindringen als ein Bild-Bild, das eben so oder so stillhalten muss und dem wir schon unsere Stimme leihen müssten, damit es tatsächlich auf uns einreden kann. Beispielsweise in der Bildzeitung sind es in der Regel nicht so sehr die meist offenherzigen, aber häufig eben unspezifischen Bilder, die uns mit der Illusion flirten lassen sollen: Bild dir eine Meinung!, sondern gerade die Bildzeitung setzt entschieden auf die dazu gegebenen Texte und somit auf die durchschlagende Bildkraft der markigen Worte. – Wenn wir vom

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Worte Gottes sprechen, ist diese besondere nach uns greifende Kraft des Wortes im Blick. Es geht insbesondere um die unauflösliche Verknüpfung dieser beiden Sinne Hören und Sehen, um die – wie die Formulierungen zeigen – auch schon die Erörterung der Frage ihrer Unterschiedlichkeit nicht herumkommt.

Auch wenn es um Gott geht, bleiben wir auf unsere Worte verwiesen, die uns hier allerdings vor allem an unsere Grenzen stoßen lassen. All unsere Vorstellungen bleiben in dem begrenzten Rahmen dessen, was wir aus unserer diesseitigen Welt kennen. Wir müssen uns anmaßen, mit der von unseren Worten begrenzten Vorstellungskraft auch das auszudrücken, was sich seinem Wesen nach nicht den Bedingungen der Diesseitigkeit unterwerfen lässt.10 Wir sind nicht nur gezwungen, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, sondern dazu aufgefordert, Licht mit den Mitteln der Finsternis zu beschreiben, bzw. Wasser mit dem Staub der Wüste, einen Kreis mit Hilfe von Vierecken oder eine Flüssigkeit mit Hilfe eines Geodreiecks. Wir müssen wie Blinde von der Farbe sprechen und sollten froh darüber sein, dass das überhaupt geht, auch wenn es nur mehr schlecht als recht gelingt. Wir sollten unsere Bilder niemals für das halten, was sie abbilden wollen, denn das Vorstellungsmaterial, aus dem sie geformt werden, ist tatsächlich himmelweit von dem entfernt, was mit ihm beschrieben werden soll – eben so weit wie das Licht von der Finsternis bzw. der Wüstenstaub vom Wasser. Unser Instrumentarium, auch wenn es noch so phantasievoll religiös oder meditativ sensibilisiert sein mag, reicht grundsätzlich nur bis an die uns vom Diesseits gesetzten Grenzen heran und eben nicht darüber hinaus. Das ist in der Bibel nicht anders. Auch sie spricht von Gott in Bildern. Selbst wenn von Gott in größtmöglicher Unanschaulichkeit etwa nur als „dem Namen“ (haSchem) gesprochen wird, lässt sich zwar die Vorsicht spüren, die Unvergleichlichkeit Gottes möglichst unberührt zu lassen, aber zugleich wird deutlich, dass auch die Unvergleichlichkeit eben nur durch Vergleichliches ausgesprochen werden kann. Anders als beim Namen Gottes ist den meisten biblischen Bildern allerdings die mit ihnen verbundene Vorsicht nicht auf die Stirn geschrieben. Gott wird als König, als Vater, als Fels, als Schild, als Licht, aber eben auch als Mutter, als Henne oder Amme umschrieben. Gott ist wie eine Burg, wie ein Löwe, wie ein Vogel – ein Adler –, eine Quelle, ein Fluss, wie die Sonne. Gott ist der Befreier der Gefangenen, der auch den Witwen zu ihrem Recht verhilft. In seiner Auflistung biblischer Gottesbilder macht Jürgen Ebach darauf aufmerksam, dass sich die Metaphorik auch ganz überraschender Bilder bedienen kann: Gott erscheint etwa in der Schöpfungsgeschichte „wie ein Metallarbeiter, der die Himmelsplatte wie eine Kupferschale

10 Vgl. dazu Weinrich, Wir sind aber Menschen. Von der Unmöglichkeit, von Gott zu reden.

Die Grenze des Bilderverbots: Von der Notwendigkeit des Unzulänglichen

herstellt und von diesem und anderen Werken, wörtlich (Genesis 2,2): ‚seiner Maloche‘, ausruht.“11 Wenig später sieht die Bibel Gott durch den Garten Eden einen Abendspaziergang machen, oder er erscheint dem ahnungslos vor seinem Zelt hockenden Abraham in der Gestalt von drei Männern, was Abraham aber offenkundig nicht daran hindert, ihn wahrzunehmen (Gen 18). Insbesondere in den neutestamentlichen Gleichnissen finden sich noch ganz andere, keineswegs weniger überraschende Gottesbilder: Da wird Gott mit einem verreisten Hausbesitzer verglichen, mit einem ungerechten Richter, mit einem Geldverleiher, einem Sämann, der blindlings seinen Samen auch unter die Dornen, auf den Weg und sogar auf den Fels auswirft, mit einem rigorosen Unkrautausrupfer, mit einem doch seltsamen Hirten, der für ein verlorenes Schaf all die anderen allein lässt, mit einer glücklichen armen Frau, die ihren verlorenen Groschen wiederfindet. Oder er wird einem Weinbergbesitzer verglichen, der alle seine Tagelöhner großzügig mit dem ganzen Lohn bedenkt, obwohl manche von ihnen noch nicht einmal richtig mit ihrer Arbeit begonnen hatten. Und dann diese tragische und in ihrer Großzügigkeit unberechenbare Königsgestalt, der bei ihrer Hochzeitsfeier zunächst die Gäste ausbleiben, die sich dann aber als befremdlich cholerisch erweist, als sie die wunschgemäß eilends von den Straßen herbeigeschafften Verlegenheitsgäste inspiziert und jemanden unter ihnen findet, der nicht angemessen gekleidet ist (Mt 22,1–14). Alle diese biblischen Wort-Bilder Gottes kennen wir, und es gibt gewiss noch viel mehr. Kann sich nun jede und jeder heraussuchen, was sie oder er für richtig hält? Oder müssen wir uns nun eingestehen, dass sich die nun heraufbeschworene Konfusion nicht recht auflösen lässt? Kann uns in dieser Frage das Bilderverbot eine Hilfestellung geben? Zunächst sollten wir uns Rechenschaft ablegen über den spezifischen Charakter der biblischen Wort-Bilder. Es ist angesichts all der Bilder, die wir eben gehört haben, von vornherein problematisch, wenn wir glaubten, in all den Wort-Bildern Gottes nun zu sehen zu bekommen, wer oder was Gott ist. Damit stoßen wir auf ein fest im Auge zu haltendes Problem: Die Bilder sind alle nicht am Sein Gottes bzw. weniger philosophisch ausgedrückt: an Gott als einer eigenen Gestalt interessiert, auch nicht in der Weise, als ließe sich das Wesen Gottes zwar nicht einfach in einem Stück – so wie beim goldenen Stier –, aber eben doch Facette für Facette beschreiben. Die nebeneinander gestellten Bilder ergeben nicht wie ein Mosaik am Ende ein Ganzes. Wir kennen Gott nicht an und für sich. All die von der Theologie unternommenen Bestimmungsversuche der Vollkommenheit und Allmacht, der Allgegenwärtigkeit, der Allwissenheit und insbesondere der Unveränderlichkeit Gottes greifen hoch hinaus und bleiben stets von der Versuchung umgeben, Gott

11 Jürgen Ebach, Gottesbilder im Wandel, 159; vgl. ebd. zum Folgenden.

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mit seinen Ehrentiteln gleichsam stillzulegen. Allzu gerne hätten wir ein klares Persönlichkeitsprofil mit Psychogramm, um zu wissen, auf wen man sich da einlässt, wenn es um Gott geht. Niemand lässt sich einfach vereinnahmen. Doch – ob uns das passt oder nicht – an einer solchen möglichst umfassenden Bestimmung des Seins Gottes, auf die wir dann in aller Ruhe so oder so oder auch gar nicht reagieren könnten, sind die biblischen Bilder von Gott nicht interessiert. Ich kann es auch ganz anders sagen: Nach dem Zeugnis der Bibel ist Gott nicht so eine Art ‚Fort Fun‘ oder gar ‚Phantasialand‘, dem sich je nach Bedarf ein vergnüglicher Besuch abstatten lässt; er ist keine sich permanent bereithaltende Möglichkeit, die in ihrer Ohnmacht durch die Kirchen für sich werben lässt. Vielmehr geht es um eine immer bereits lebendige Wirklichkeit, die sich ereignet. Wir wissen von Gott nicht, weil er existiert, sondern allein deshalb, weil er zu uns in Beziehung steht – das ist ein großer Unterschied. Wir kennen Gott nur als den, der an uns handelt und der sich in seiner Aktion zu erkennen gibt. Und wir wissen von den Aktionen Gottes deshalb, weil sie ihrem Wesen nach Interaktionen sind. All die biblischen Wort-Bilder haben keine Seinswirklichkeit, sondern diese Beziehungswirklichkeit im Blick, in die der Mensch in der Tat immer schon vereinnahmt ist, sobald er von ihr Wind bekommt. Sie erzählen von den Beziehungsverhältnissen, in denen sich Gott dem Menschen erwiesen hat, weil er sich in eben diesen Beziehungsverhältnissen erweisen will. Sie sind grundsätzlich keine Zustandsbeschreibungen, sondern Begegnungsorte bzw. Treffpunkte, an denen sich etwas ereignet, das uns nicht als Zuschauer daneben stehen lässt. Diese Gottesbilder wollen uns vor allem deshalb erreichen, weil uns das Geschehen, auf das sie verweisen, bereits erreicht hat. Natürlich niemals alles auf einmal, auch nicht einfach der Reihe nach, und manches unter Umständen auch gar nicht. Das hängt dann auch von unserem Leben ab, das ebenso vielfältig ist wie die Wort-Bilder Gottes. Und so kommt uns Gott mal in diesem und mal in jenem Bild entgegen, um uns für sich und seinen Weg und schließlich auch für sein Ziel zu vereinnahmen – wohlgemerkt nicht pauschal, nicht über einen Kamm, keine falsch terminierten Gleichheitsparolen, sondern darin allen gleich, dass es jedem und jeder besonders gilt, weil es tatsächlich alle meint. Das heißt gerade nicht: jedem das Seine, sondern allen das Gleiche, was wegen all der Verschiedenheiten eben nur geht, wenn es nicht immer dasselbe ist. Die biblischen Wort-Bilder sind die Interaktionsbotschaften, auf die sich Gott ansprechen lassen will, sobald wir erkannt haben, dass wir von ihm längst angesprochen wurden.

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In diesem letzten Gedankenkreis müssen wir uns nun die Grenzen vor Augen rücken, die den Bildern durch das Bilderverbot gezogen werden. Ich beschränke mich auf drei Grenzmarkierungen: Zunächst zieht das Bilderverbot erstens eine klare Grenze zwischen den WortBildern und den Bild-Bildern. Es ist den Wort-Bildern eigen, dass zu ihnen vor allem der unbestimmte Artikel passt: Gott ist wie ein Vater, eine Mutter, ein Hirte, ein Haushalter, eine arme Witwe oder ein Weinbergbesitzer. Es ist eine unbestimmte, zumindest aber unterbestimmte Bestimmtheit, die all diesen Wort-Bildern eignet. Auch wenn man nun versuchen würde, den unbestimmten durch einen bestimmten Artikel zu ersetzen – Gott sei also der Vater, die Mutter, der Hirte usw. –, so bleibt die Wirkung dieser Veränderung recht begrenzt, denn nicht nur bei Vater und Mutter erscheinen uns höchst verschiedene Bilder, sondern auch bei der Witwe und dem Weinbergbesitzer. Bei den Bild-Bildern aber ist es genau umgekehrt: Sie müssen sich – ob sie es wollen oder nicht – für einen bestimmten Artikel entscheiden, und selbst, wenn sie ausdrücklich nur irgendeinen Vater oder irgendeine Witwe abbilden wollen, so können sie doch nur eben diesen einen und diese eine vor Augen stellen, die dann eben faktisch der Vater und die Witwe sind.12 Es war insbesondere Zwingli, der auf eine Macht der Bild-Bilder verwies, der man sich nicht einfach entziehen könne. Wie bereits erwähnt, schätzte er die Verführungspotenz der die Gemeinde während der Gottesdienste konstant anstarrenden Bilder so groß ein, dass er von Götzen sprach, die zwar einerseits als Nichtse zu beurteilen seien, die aber andererseits eben als solche unwillkürlich und permanent zur Devotion, zur Verehrung aufforderten. Die Selbstlosigkeit, die von den Bildern Gottes zu fordern ist, geht den Bild-Bildern grundsätzlich ab. Sie präsentieren ihre Fixierungen in einer Penetranz, auf die man immer wieder zurückgeworfen wird, wenn es heißt, über sie hinauszugehen. Ihre Animation ist immer auch eine Gefangennahme, die zwar erst im Bilderdienst öffentlich eingestanden, aber längst vorher vollzogen wird. Diese Gefangennahme liegt in der mit der Animation verbundenen Nötigung zur Reduktion auf den bestimmten Artikel. Hier tritt nun der Unterschied zwischen Bild-Bild und Wort-Bild deutlich hervor. Er lässt sich gut an der Differenz veranschaulichen, der zwischen einem Roman

12 Natürlich stellt sich auch bei den Bild-Bildern auf einer anderen Ebene wieder das Problem, dass sie auch sehr verschieden wahrgenommen werden, so dass die Meinungen weit auseinander gehen können. Dann aber stehen nicht der Vater oder die Witwe als Metaphern für Gott, sondern eben dieser Vater und diese Witwe zur Debatte, d. h. die Auseinandersetzung gilt weniger der Didaktik Gottes, sich bei uns zu vergegenwärtigen als vielmehr unserer Phantasie, Gott möglichst angemessen bei uns unterzubringen.

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und seiner Verfilmung liegt.13 Das kennen wir alle: Im besten Fall kann der Film eine mit dem Buch vergleichbare Qualität erreichen, in der Regel bleibt er jedoch weit hinter dem Roman, d. h. hinter dem Wort-Film, zurück. Das relativ neue Phänomen, dass sich mit der Verfilmung dann auch ein entsprechender, von der Filmindustrie gesteuerter Kult inszenieren lässt, bestätigt zudem die fließenden Grenzen zwischen bildlicher Fixierung und Bilderdienst. Wenn es um Gott geht, kommen nur Bilder mit unbestimmtem Artikel in Frage. Damit fallen aus den angedeuteten Gründen die Bild-Bilder grundsätzlich heraus. Die Verleihung des bestimmten Artikels hat eine schwer zu limitierende Ermächtigung der Bilder zur Folge, die sie für den von ihnen zu leistenden Dienst untauglich macht. Das Bilderverbot zieht zwischen Wort-Bild und Bild-Bild eine Grenze, deren Überschreitung die erstrebte Beziehung zu Gott bis zu ihrer Verstellung beeinträchtigt.14 Doch auch im Umgang mit den Wort-Bildern bleibt das Bilderverbot zu bedenken. Ich komme damit zu meiner zweiten Grenzmarkierung: Das Bilderverbot schützt den Plural, die Vielzahl der Wort-Bilder. Damit schützt es das Bild als Bild,15 das nicht mehr als ein Bild ist und auch nicht weniger, eben ein Bild, das als solches im Blick auf Gott immer nur überaus ausschnitthaft, unvollkommen und vorläufig bleibt. Jedes Bild bedarf weiterer Bilder, bevor man im Bilde ist und sich nicht nur einbildet, Bescheid zu wissen. Was uns für die arme Witwe einleuchten mag, dass sie als Bild nicht allein für die ganze Fülle Gottes stehen kann, ist schon keineswegs mehr so selbstverständlich, wenn wir an den guten Hirten denken, der uns beschützt und jedem verlorenen Schaf nachgeht. Auch wenn dieses Bild für uns kaum noch eine tatsächlich erlebbare Wirklichkeit repräsentiert, scheint dieses Wort-Bild immer noch vorzüglich dafür geeignet zu sein, das besondere Verhältnis Gottes zu den Menschen abzubilden. Vielleicht hat aber diese vorzügliche Eignung gerade damit zu tun, dass wir für die raue Wirklichkeit der Hirten im Grunde keine rechte Anschauung mehr haben, so dass wir uns frei fühlen, die Güte dieses Hirten mit all unseren Wünschen und Erwartungen zu befrachten, die wir von einem für uns sorgenden Gott meinen erwarten zu können.

13 Darauf hat auch Georg Plasger verwiesen: Das Bild und die Bilder, 62. 14 Persönlich möchte ich anmerken: Ich empfinde eine bildlose Synagoge oder Moschee, die ja beide deshalb nicht schmucklos sein müssen, als gotteswürdiger, respektvoller und somit andachtsvoller als eine italienische oder bayerische Barockkirche. Der von der Kirche mit den Bild-Bildern eingeschlagene und von einer ebenso komplizierten wie praktisch nicht durchzuhaltenden Bildtheologie legitimierte Weg (vgl. dazu Jean Wirth, Soll man Bilder anbeten) hat die Kirche mehr von ihrer Bestimmung abgebracht als dass er sie ihr nähergebracht hätte. 15 In diesem Zusammenhang wurde bereits mehrfach zitiert: „Gerettet wird das Recht des Bildes in der treuen Durchführung seines Verbots.“ Max Horkheimer / Theodor W. Adorno, Dialektik der Aufklärung, 24.

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Damit stoßen wir nun genau auf die Grenze, die den Bildern vom Bilderverbot gezogen ist. Immer wenn wir im Begriff sind, uns gleichsam mit einem möglichst schönen Bild von Gott einzurichten, meldet es sich zu Worte: „Du sollst dir kein Gottesbild machen noch irgendein Abbild von etwas, was oben im Himmel, was unten auf der Erde oder was im Wasser unter der Erde ist.“ Wir könnten es an dieser Stelle auch ganz anders formulieren: „Pass auf, dass aus dem Bild des guten Hirten, in dem dir Gott begegnen kann, dass aus diesem Wort-Bild Gottes, dieser Selbstbebilderung, die sich in der Spur des Handelns Gottes am Menschen zeigt, nicht ein von dir selbst geschnitztes Standbild von Gott wird. Du darfst dir das Bild vom guten Hirten nicht einfach nach Belieben ausmalen, sondern du hast darauf zu achten, wie Gott selbst dieses Bild längst ausgemalt hat, denn dieser gute Hirte ist nicht einfach dein guter Hirte, sondern es ist ein guter Hirte, der wie die arme Witwe ist. Und eben nicht nur das: Es ist der gute Hirte, der wie ein ungerechter Richter, wie ein Weinbergbesitzer und dieser merkwürdige Hochzeitsausrichter ist, der übrigens kommen kann, wie der Dieb in der Nacht. Du sollst dir kein Bildnis machen, sondern auf die Bilder achten, in denen Gott in eine Beziehung zu dir getreten ist. Weil es sich hier um ein Geschehen handelt, ist niemals mit einem Bild auszukommen, sondern achte darauf, wie sich die unterschiedlichen Bilder gegenseitig besprechen.“ Die Beschränkung auf möglichst wenige Gottesbilder ist nicht automatisch Ausdruck von Bescheidenheit. Vielmehr kann auch eine anmaßende Unbescheidenheit darin zum Ausdruck kommen. Je mehr wir die Fülle der Bilder reduzieren, die uns zum Verstehen Gottes zur Verfügung steht, um uns auf dieses oder jenes Bild zu konzentrieren, umso mehr steigert sich die Bedeutung, die dem jeweiligen Bild zugemessen wird. Die Bilder verlieren mehr und mehr ihre mediale Funktion, in der sie über sich hinaus auf das Handeln Gottes weisen, und erwecken den Anschein, als seien sie selbst der Name Gottes. Sie entwickeln schließlich eine eigene Macht, mit der sie weniger auf Gott verweisen als dass sie zurück nach uns greifen und uns in Beschlag nehmen. So schützt das Bilderverbot den Plural der Wort-Bilder. Immer wenn wir uns auf ein Bild genauer einlassen, werden wir feststellen, dass es mit den Farben all der anderen biblischen Wort-Bilder Gottes gemalt ist und eben nicht einfach mit den Lieblingsfarben, mit denen wir es gemalt hätten. Insofern schützt das Bilderverbot nicht nur die Vielzahl, sondern eben auch jedes einzelne Bild vor den Übertünchungen mit unseren Farben. Das kann ganz schnell gehen, weil wir ja keine vollkommen anderen Bilder malen, sondern ganz ähnliche, wie sie uns von der Bibel überliefert werden: Wenn etwa Johannes alles, was es von Gottes Engagement für den Menschen zu erzählen gibt, zusammenfasst in dem Wort-Bild, dass Gott die Liebe sei – eben die Liebe, die all die Farben dieser besonderen Geschichte Gottes mit den Menschen trägt –, dann lässt uns das Wort Liebe aufmerken. Gerade dieses Wort-Bild hören wir besonders gern, denn was Liebe ist, glauben wir zu

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kennen, und unversehens entsteht aus dem biblischen Bild, dass Gott die Liebe sei, unter den Pinselstrichen unserer eigenen Liebeskompetenz ein sehr ähnliches, aber doch grundsätzlich anderes Bild mit dem umgedrehten Titel: Die Liebe ist Gott. Es kann auch anders herum funktionieren: Weil wir nun einmal auch schlechte Väter kennen, glauben wir uns im Recht, gegen Gott als Vater intervenieren zu dürfen. Weil wir nun einmal in der Regel auch schlechte Machtausübung von Menschen über Menschen kennen, glauben wir uns im Recht, auch die Herrschaft Gottes unter Verdacht zu stellen. Und weil wir eben in der Regel zumindest mit dem Wort Liebe keine Probleme zu haben meinen, können wir uns diese als Gott ganz gut vorstellen. Da ist es dann nicht mehr weit zu all den selbst komponierten Gottesbildern nach der Melodie: Für mich ist Gott ein erfrischender Sommerregen, der die Dürre meiner vertrockneten Lebensroutine erfrischt. Oder er ist gar die erholsame Hängematte inmitten der Hektik des Lebens, in der ich nicht nur meine Seele baumeln lassen kann. Der Vielzahl der Bilder ist hier keine Grenze gesetzt, aber es bleiben eben unsere Bilder, die wir uns mit unseren Lieblingsfarben von Gott machen. Es ist keineswegs auszuschließen, dass an ihnen immer auch ein Körnchen Wahrheit sein kann, aber sie leiden im Unterschied zu den biblischen Bildern an einem Grundproblem: Es ist nicht Gott, der sich hier uns in den Bildern entdeckt, sondern wir sind es, die sich hier für kompetent halten, Gott in den Bildern zu entdecken, die uns zur Verfügung stehen. Die Richtung stimmt hier nicht mehr: Da ist kein Bild mehr, was uns erreichen will, sondern wir wollen mit unseren Bildern Gott erreichen. Auf eben diesen Richtungssinn kommt es entscheidend an: Will uns da in dem Bild etwas erreichen, oder wollen wir mit dem Bild etwas erreichen – das ist ein gravierender Unterschied. Wenn das Bilderverbot den Plural der biblischen Wort-Bilder schützt, dann wacht es auch über den Richtungssinn der Bilder, der sich nicht einfach umkehren lässt. Und zum Schluss noch eine dritte Grenzmarkierung: Das Bilderverbot steht auch gegen den theologischen Bilderdienst.16 Auch da, wo es überhaupt nicht um Bilder geht, kann es zu einem Konflikt mit dem Bilderverbot kommen. Wenn wir das bisher Gesagte damit zusammenfassen, dass es in dem Bilderverbot um die Wahrung der Souveränität und Freiheit Gottes gegenüber unseren Fixierungen geht, dann müssen wir unsere Aufmerksamkeit auch auf die Fixierungen richten, die sich selbst nicht als Gottesbilder verstehen, die sich aber faktisch in ihrem expliziten Bescheidwissen über Gott als Gottesbilder erweisen. Die Zeit der ebenso wohlmeinenden wie faktisch nichts sagenden Gottesbeweise ist wohl endgültig vorbei. Aber damit ist noch nicht die theologische Versuchung stillgelegt, mit dem

16 Darauf hat insbesondere Christian Link aufmerksam gemacht: Das Bilderverbot als Kriterium theologischen Redens von Gott.

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Anspruch aufzutreten, über den Willen Gottes, seine Motive und Ziele und somit über Gott selbst Bescheid zu wissen. Da beruft man sich dann auf die Offenbarung und darauf, dass Gott doch Mensch geworden sei. Offenbarung meint aber nicht eine Selbstpräsentation Gottes, und die Menschwerdung ist kein kurz zusammengefasstes Aktionsprogramm, in dem vorgeführt wird, was Gott alles kann, so dass wir nun wissen, in welchen Zusammenhängen sich Gott bei Bedarf sinnvoll einsetzen lässt. Vielmehr gelten Offenbarung und Menschwerdung der Aufhebung der verhängnisvollen Verstrickung des Menschen in sich selbst. Der Mensch hängt dem überaus riskanten Wahn an, sich irgendwann einmal aus eigener Kraft seiner selbst als würdig und dann eben auch als mächtig zu erweisen, um sich dann als sein eigener Meister auch selbst preisen zu können. Diese Selbstverstrickung haben die Reformatoren als ein Gefängnis beschrieben, aus dem sich der Mensch aus eigener Kraft nicht befreien kann. Jeder Versuch, sich aus ihm zu befreien, und sei es auch in entschiedener Zuwendung zu Gott, kann faktisch nichts anderes sein als ein erneuter Versuch, sich selbst zu helfen, womit die gerade aus ihrem Schloss gelöste Tür seines Gefängnisses nur umso fester in ihr Schloss zurückgeworfen wird. Weil die Selbstbefreiung nur mit Hilfe einer Selbstgeiselnahme – mit einer unabdingbaren Selbstinanspruchnahme – funktioniert, endet ihre Karriere im günstigsten Fall in der Rolle des diensthabenden Gefängniswärters, der nun die Tür von der anderen Seite zu bewachen hat. Aus dem Gefängnis kommen wir nicht heraus, ganz gleich, auf welcher Seite der Tür wir zu stehen meinen: Das Drama der Selbstverwirklichung bleibt eine Inszenierung in oder vor der Einzelzelle. Indem Gott in seiner Offenbarung nun nicht etwa einen Besuch in der Einzelzelle abstattet, um dort im besten Fall eine gute Erinnerung zurückzulassen, sondern indem sich seine Offenbarung als Aufhebung der Haft und ihrer Bedingungen vollzieht, kommt sie der Versetzung des Menschen in einen anderen Lebensraum gleich. Und Gott selbst hält sich dafür bereit, die von ihm durchgesetzte Befreiung nun auch im Bund mit dem Menschen zu bewahren – jeden Tag neu. Das ist das lebendige Beziehungsverhältnis, um das es immer geht, wenn von Gott gesprochen wird. Diese Beziehungswirklichkeit ist das ebenso nahrhafte wie leicht verderbliche Manna des Evangeliums, mit dem die Freiheit des Glaubens genährt werden will. Diese Freiheit ist kein Zustand, der sich nun durch seine dogmatische Ausmessung und Absicherung irgendwie institutionell fixieren und auf Dauer stellen ließe, sondern sie lebt aus der Kommunikation mit Gott und den Mitmenschen. Wenn die Theologie nicht diesem von Gott befreiten und zur Freiheit mit Gott bestimmten Leben dient und sich stattdessen darin bei der Sache sieht, dass sie meint, die Wahrheit des Handelns Gottes in ihre Obhut nehmen zu müssen, gerät sie mit dem Bilderverbot in Konflikt. Unversehens ist sie damit beschäftigt, die unfasslich reichen biblischen Quellen in die wenigen engen Wasserleitungen zu kanalisieren, mit denen sie durchaus wohlmeinend glaubt, das menschliche Gefängnis mit dieser

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oder jener Erfrischung ausreichend versorgen zu können. Da werden dann von den Theologen komplizierte und verzweigte Leitungen von damals bis heute verlegt, möglichst viele Filter zur Reinerhaltung des Wassers eingebaut; auch Zusätze zum Wasser werden wegen seines hohen Alters nicht grundsätzlich gescheut; es wird auf ein möglichst mittleres Maß temperiert und am Ende findet sich dann eben ein Segen spendender kirchlicher Wasserkran, der das Wasser in überschaubarer Dosierung freigibt, damit sich die Menschen einmal die Hände (möglicherweise in Unschuld) waschen oder gar vollständig duschen können. Aber das Ganze findet eben nicht im Freien statt, sondern in geschlossenen Räumen, so als sei noch nichts geschehen. Alles bleibt beim Alten. Das nahrhafte Manna des Evangeliums wird nicht eingesammelt, um sich die notwendige Kraft für den gerade anstehenden Tag zu holen. Vielmehr wird es gesammelt und in wohl portionierten Mengen eingetütet, um ordentlich sortiert in der Hoffnung tiefgefroren zu werden, dass es sich dann im Bedarfsfalle schnell auftauen und zum allseitigen Nutzen genießen lässt. Der Fehler bei der Einrichtung dieser göttlichen Tiefkühlkost ist ein dreifacher: Zum einen wird die momentane Bedürftigkeit verkannt, so als brauche man jetzt nichts, so dass es für schwierigere Zeiten aufgehoben werden soll. Zum anderen steht die kleingläubige Furcht im Raum, dass das Manna gerade dann ausbleiben könne, wenn es ganz besonders gebraucht werde. Und zum Dritten kann es nur eine Selbstüberschätzung sein, wenn man sich selbst zutraut, für Gott einspringen zu können, wenn sich dieser gerade einmal nicht bereit zu halten scheint. Ein Fehler ist hier mit dem anderen verkeilt, und sie alle sammeln sich in einem im Grunde immer als zu früh empfundenen und somit im Voraus abgestatteten Dank an Gott dafür, etwas für uns bereit zu halten, von dem wir nicht so recht wissen, wann wir es tatsächlich brauchen werden. Es will uns nicht so recht überzeugen, dass wir uns ohne Gott in einem Gefängnis befinden, aber für den Fall, dass wir einmal in Gefangenschaft geraten, wollen wir es uns mit Gott auch nicht verderben. So danken wir – gleichsam vorsorglich – einem Befreier, von dem wir zumindest teilweise hoffen, dass wir ihn selbst nicht tatsächlich benötigen werden, der also im Blick auf uns selbst immer auch noch unverrichteter Dinge dasteht, so dass wir uns immer erst noch die Zeit nehmen, uns auszumalen, worin er dann auch für uns wichtig werden könnte. Gott tritt aber seinem Wesen nach nicht unverrichteter Dinge in Erscheinung. Wo Gott unverrichteter Dinge in Erscheinung tritt, kann es sich nur um eines der vom Bilderverbot verbotenen Gottesbilder handeln, mit denen wir glauben, uns einem Gott empfehlen zu können, der dann unseren Empfehlungen folgen möge. Es gibt so eine ebenso fromme wie selbstzufriedene Dankbarkeit, die dem immer erst kommenden Gott für die von ihm erhoffte Geduld dankt, d. h. für das zu erwartende Gnadenszenario, dessen gegenwärtige Huldigung vor allem dazu

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dient, nicht schon jetzt darauf gestoßen zu werden, dass die Dinge längst anders sind als wir sie wahrhaben wollen. Hatten wir eine Zeit lang vergessen, dass Gott als der Gekommene immer auch noch der Kommende ist, so haben wir heute bisweilen vergessen, dass der Kommende eben der schon Gekommene ist. Das sind die gebräuchlichen Farben der Theologie, mit denen sie ihre lehrhaften Gottesbilder malt: Vergangenheit und Zukunft. Mit diesen Bausteinen errichtet sie ihre Lehrgebäude und kann dafür eine Menge plausible Gründe beibringen. Im Grunde bleibt ihr auch gar nichts anderes übrig. Aber sie soll das, was sie da mit Blick auf Vergangenheit und Zukunft zu Stande bringt, nicht an die Stelle der Gegenwart Gottes stellen, sondern vielmehr immer wieder neu auf den von ihr freizuhaltenden Platz der Gegenwart Gottes hinweisen, in der sich Gott mit seinem „Es ist vollbracht!“ (Joh 19,30) ebenso selbst erweist wie mit der Hoffnung darauf, dass er schließlich alle Tränen abwischen wird (Jes 25,8; Apk 7,17; 21,4). Eine Theologie, die nicht vor allem darauf ausgerichtet ist, Gott selbst zu seinem Fleisch gewordenen Wort kommen zu lassen in dem Wissen, dass sie dieses Wort niemals recht sprechen kann, und stattdessen auf ihr eigenes Reden setzt, betreibt Bilderdienst und übertritt damit das Bilderverbot. Alle, die an eine Christologie glauben und nicht an den gegenwärtig lebendigen Christus, betreiben Idolatrie. Die Wahrheit des Bilderverbots ist die Wahrheit, dass wir die Wahrheit nicht haben, und jede und jeder, die oder der sich einbildet, sie zu haben, kann dies nur im flagranten Bruch des Bilderverbots vollziehen. Was wir aber haben, ist eine Fülle von über sich hinausweisenden Bildern, die uns das Geschehen der Wirklichkeit Gottes vor Augen führen wollen, in dem wir uns immer bereits befinden. Auch in der Vielfalt dieser Bilder ist dafür gesorgt, dass nicht einfach alles mit Gott in Verbindung gebracht werden kann. Die Bibel bleibt in dem Punkt nun wirklich nicht unklar, wo die Leidenschaften und die Abneigungen Gottes liegen. Seine Geschichte hat eine deutliche Perspektive, die mit dem Reich Gottes bezeichnet wird, und ist bestimmt von einer prägnanten wirklichkeitsverändernden Praxis, die im Kreuz Christi ihren Höhepunkt erfahren hat, damit uns über ihn und über uns selbst die Augen aufgehen und die Herzen brennen mögen (Lk 24, 13–3117 ). Und so fasse ich die Wahrheit des Bilderverbots zusammen: Weil Gott keine Anstrengung gescheut hat, uns deutlich zu machen, dass es nur Bilder Gottes gibt, in denen auch wir bereits vorkommen, haben wir allen Grund, Gott nicht damit zu brüskieren, dass wir immer wieder den unmöglichen Versuch anstellen, ihn auf sich selbst zu beschränken. Und zu dieser Wahrheit des Bilderverbots gehört eben auch der Richtungssinn dazu: Weil dafür gesorgt ist, dass sich Gott mit seinen Bildern uns erschließen will, sollen wir die hoffnungslosen Versuche einstellen, ihn

17 Vgl. dazu unten Kap. 17: Das Geheimnis der Kirche nach dem Evangelisten Lukas.

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mit unseren Bildern festlegen zu wollen. Jeder Gott nach dem Bilde des Menschen bleibt eine im Blick auf den Menschen ebenso kühne wie im Blick auf Gott überaus bescheidene Perspektive. Nicht wir ermöglichen Gott mit unseren Bildern sein In-Erscheinung-Treten, sondern es ist Gott, der uns in den Bildern seines Handelns über uns selbst ins Bild setzt. Das ist die Wahrheit des Bilderverbots.

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Missio Dei und die Sendung der Kirche

Systematisch-theologische Anregungen in der Perspektive von Karl Barth1 Im Ökumenischen Institut an unserer Fakultät in Bochum hatten wir kürzlich Bischof Zephania Kameeta von der Evangelisch-Lutherischen Kirche der Republik Namibia zu Gast. Er kam zu uns als ein Missionar aus dem Süden, der dem Norden helfen will, sich von seiner andauernden Distanzierung gegenüber der Mission aufgrund der belasteten Vergangenheit zu befreien. Ich muss gestehen, dass ich mich unmittelbar angesprochen fühlte als jemand, für den das Wort Mission so belastet ist, dass es im Grunde in meinem konstruktiven theologischen Vokabular gar nicht vorkommt. Es ist ja nicht nur die Vergangenheit, sondern auch in der Gegenwart tritt Mission insbesondere im evangelikalen Spektrum in höchst problematischer Weise in Erscheinung: In theatralisch inszenierten Großveranstaltungen wird ein auf das eigene individuelle Heil bezogener Frömmigkeitsstil propagiert, der mehr zur religiösen Selbstbestätigung als zu tatsächlicher Ehrfurcht vor Gott geeignet erscheint. Wenn das Mission ist, möchte ich dazu weiterhin meine Distanz wahren. Auch die erstaunliche Konjunktur, die heute das Wort Spiritualität genießt, lässt mich in der Regel etwas ratlos am Rande stehen, weil mich die verbreitete Zustimmung zu etwas so Nebulösem und beinahe beliebig Adaptierbarem bisher mehr befremdet als überzeugt. Nun war Bischof Kameeta nicht aus Namibia zu uns gekommen, um uns einfach ein gutes Gewissen zu machen oder uns gar reinzuwaschen von den Hypotheken der Missionsgeschichte. Aber er wollte uns daran erinnern, dass Kirche und Mission in gewisser Hinsicht Synonyme seien: Nicht für sich kann Kirche rechte Kirche sein, sondern sie ist es erst in ihrer Sendung (im Deutschen kann ich das Wort ‚Mission‘ ersetzten, während im Englischen hier von mission die Rede wäre). Ohne die Sendung bleibt jedes Verständnis der Kirche ein Widerspruch in sich selbst. Das kann auch nicht durch die überaus problematische Missionsgeschichte in Frage

1 Geringfügig überarbeitete Fassung eines Vortrags auf der von der Church of England und der EKD im Rahmen der Meißenvereinbarung durchgeführten siebten theologischen Konferenz „Ekklesiologie in missionarischer Perspektive“ vom 11.–14. Jan. 2011 in Salisbury. Infolge meiner Erkrankung konnte der Vortrag nur schriftlich vorgelegt werden. Zuerst publiziert in: Christoph Ernst / Christopher Hill / Leslie Nathaniel u. Friederike Nüssel (Hg.), Ekklesiologie in missionarischer Perspektive – Ecclesiology in Mission Perspective. Beiträge zur siebenten Theologischen Konferenz im Rahmen des Meissen-Prozesses der Kirche von England und der Evangelischen Kirche in Deutschland, Salisbury/ England 2011, Leipzig 2012, 91–103. English Version: Ibid., 104–115.

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gestellt werden, es sei denn man würde die Legitimation der Kirche insgesamt infrage stellen. Wenn das aber so ist, dann muss sich umgekehrt begründet benennen lassen, wie die missionarische Dimension der Ekklesiologie zu verstehen ist. In der Literatur wird immer wieder die Weltmissionskonferenz 1952 in Willingen genannt als der Wendepunkt zu einem grundlegend neuen Missionsverständnis, das nicht in erster Linie auf die Aktivitäten der Kirche fokussiert ist, sondern seinen Ausgang in der missio Dei findet, ohne die alle menschlichen Anstrengungen ins Leere gehen. Und dann wird gern darauf verwiesen, dass es Karl Barth gewesen sei, der dieses Konzept der missio Dei bereits in den 1930-er Jahren bedacht habe.2 Darrell L. Guder sieht in Barth einen Pionier für eine grundlegende Neuorientierung in der Ekklesiologie und im Missionsverständnis.3 Der lutherische dänische Missionstheologe Johannes Aagard nennt Barth den entscheidenden protestantischen Missionstheologen seiner Zeit.4 Der südafrikanische Missionstheologe David Jacobus Bosch, der sowohl vom Ökumenischen Rat der Kirchen als auch von der Weltweiten Evangelischen Allianz geachtet wird, attestiert Barth in seinem grundlegenden Werk zum Wandel in der Missionstheologie eine überzeugende und konsistente missionarische Ekklesiologie.5 Der methodistische Ethiker Wessel Bentley – ebenfalls Südafrika – stellt Barths Ekklesiologie ganz und gar in den Horizont der Mission.6 All dies war für mich Grund genug, bei Barth einmal genauer nachzusehen und zu fragen, ob uns von hier aus für unsere gegenwärtige Situation hilfreiche Anregungen erreichen können. Es können nur erste Früchte des Fragens sein, die ich heute präsentieren kann. Wenn ich durchaus hoffnungsvoll so weit zurückblicke, gehe ich davon aus, dass Barth zu den wenigen Theologen des 20. Jahrhunderts gehört, die nüchtern und ohne einen fehlgeleiteten Eifer von einer weitreichenden, auch in die Kirche hin-

2 Zuletzt Paul Avis, Reshaping Ecumenical Theology, 35. Als ich meinen Vortrag vorbereitete war es mir nicht möglich, das kürzlich erschienene Buch von John G. Flett, The Witness of God. The Trinity, Missio Dei, Karl Barth and the Nature of Christian Community, einzusehen. Flett zeigt auf, dass es zwischen Barth 1932 und Willingen 1952 keine wirklich aufzeigbare Verbindung gibt. Flett bietet einerseits ein sehr differenziertes Bild der Entstehung des Missio Dei Konzepts und entfaltet andererseits die substanziell missionarisch geprägte Gestalt der Ekklesiologie Barths. Selbst wenn es zwischen den beiden Themen keine unmittelbare Verbindung gibt, fühle ich mich doch entschieden bestätigt im Blick auf den herausgehobenen Akzent, den Barth auf die Mission als der entscheidenden Bestimmung der Kirche legt. In dieser Hinsicht sehe ich meine Überlegungen zu Barth von Flett in ihrem Hauptanliegen ganz und gar unterstrichen und zugleich durch weitere Aspekte bereichert. 3 Darrell L. Guder, From Mission and Theology to Missional Theology, 42f. 4 Johannes Aagard, Some Main Trends in Modern Protestant Missiology, 238. 5 David Jacobus Bosch, Transforming Mission, 373, 390. 6 Wessel Bentley, Karl Barth’s understanding of Mission.

Das erste Gebot als Einweisung in die Welt

einreichenden Säkularisierung der Gesellschaft ausgehen.7 Und zugleich hebt er gegenüber den anhaltenden religiösen Neigungen gerade auch der säkularisierten Welt die radikale Weltlichkeit der Kirche hervor, in der er die Kirche in konsequenter Solidarität an die Seite der „Welt“ gestellt sieht.8 Seine breite Erörterung des prophetischen Amtes Jesu Christi in seiner Versöhnungslehre (KD IV/3) weist ihn als einen modernen Theologen aus, der unter Verzicht auf alle Apologetik, die zwangsläufig auf eine Selbstüberforderung hinausläuft, die Ekklesiologie ganz und gar in den Horizont der Sendung der Kirche gestellt hat.9 Folgende Fragen möchte ich im Folgenden bedenken: 1. Wie ist das Verhältnis der Kirche zur Welt zu denken? 2. Warum kommt es auf die Missio Dei an? 3. Was heißt missionarische Ekklesiologie in der Perspektive von Karl Barth?

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Das erste Gebot als Einweisung in die Welt

Die einen sehen die Kirchen von der nicht nachlassenden Brandung der um sich greifenden Säkularisierung bedroht. Heute kommt ein neuer missionarisch und teilweise aggressiv auftretender Atheismus dazu.10 Andere wittern einen religiösen Frühling und schwärmen bereits bei vereinzelten Knospen von der zu erwartenden Blütenpracht, während wiederum andere genau diese Blütenpracht eher fürchten als begrüßen, weil es von der Religion, die da mit ihren Reizen zu wuchern beginnt, mehr zu befürchten als zu erhoffen gibt. Die einen fordern von der Kirche eine konsequente Unterstützung der religiösen Selbstinterpretation des Sinn suchenden säkularen Individuums, andere trommeln für eine entschlossene Förderung der Spiritualität, um die diagnostizierte Flut der Religion auf die Mühlen der Kirchen zu lenken, während wiederum andere auf eine marktorientierte und offensive Traditionsfortschreibung setzen, in der die vermuteten eigenen Stärken in besonderer

7 Vgl. beispielsweise Karl Barth, Das Evangelium in der Gegenwart [1935], 826ff; vgl. dazu Dieter Schellong, Karl Barth als Theologe der Neuzeit; Eberhard Busch, Die Kirche am Ende ihrer Weltgeltung. 8 Vgl. oben Kap. 3: The Openness and the Worldliness of the Church. 9 Vgl. dazu Annelore Siller, Kirche für die Welt; Weinrich, Karl Barth. 10 Neben den auflagenstarken Publikationen von Einzelfiguren wie Pascal Boyer, Richard Dawkins, Daniel C. Dennet, Sam Harries, Nobert Hoerster, Michel Onfray u. a. ist in Deutschland auch auf die Aktivitäten der Humanistischen Union und anderen Weltanschauungsgemeinschaften zu verweisen. Problemgeschichtlich können die als neu vorgetragenen Positionen weithin als bereits im 19. Jahrhundert hinreichend diskutierte Fragestellungen angesehen werden, die vor allem auf eine weltanschauliche Verteidigung des naturwissenschaftlichen Empirismus zielen, die weder dem Selbstverständnis der Naturwissenschaften noch den Fragestellungen der Theologie gerecht wird; vgl. dazu Uwe Swarat, Kein wissenschaftlich fundiertes Denksystem. Der „Neue Atheismus“ und seine Kritiker.

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Weise ins Fenster gestellt werden sollen. In jedem Fall beruft sich die Diagnose auf gesellschaftliche Entwicklungen und darin identifizierbare Veränderungen, die spezifische Reaktionen und neue Optionen erforderlich machen. Die in der veränderten Situation ins Auge zu fassenden Perspektiven setzen auf zu mobilisierende Potenziale der verfassten Kirchen, die um ihrer Erhaltung und eben auch – was unter unseren gesellschaftlichen Umständen einigermaßen kühn erscheint – ihres Wachstums willen nun eine bisher vernachlässigte besondere Aufmerksamkeit verdienen. In Deutschland spiegelt sich das in zwei durchaus zusammengehörigen Parolen: „Wachsen gegen den Trend“ und „Evangelisch aus gutem Grund“, die wie zwei verheißungsvolle Blankoschecks herumgereicht werden, auf denen dann jeder den Betrag eintragen mag, den er einzubringen in der Lage ist, ohne zu wissen, ob die Schecks überhaupt über die nötige Deckung verfügen. Nicht weniger merkwürdig klingt auch die Parole „Kirche ist Zukunft“, wie sie derzeitig (2021) von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gern in ihrer Selbstpräsentation annonciert wird. Niemand wird bestreiten wollen, dass es Reformbedarf gibt; für eine Kirche, die so gern vom „semper reformanda“ spricht, sollte dies auch keine Überraschung sein. Es ist evident, dass es immensen Bedarf gibt, neu und auch selbstkritisch über die Sendung der Kirche nachzudenken. Es ist allerdings die Frage, wie grundsätzlich dieses Nachdenken vorgenommen wird und auf welche Weise es sich zu orientieren versucht. Einer der Grundimpulse der Reformation war die feste Verankerung der Kirche in der Welt. Die Ernüchterung gegenüber der Autorität des Papstes ging mit einer konsequenten Ernüchterung gegenüber dem Repräsentanzmotiv der Kirche bzw. des kirchlichen Amtes einher. Die Vorstellung, dass die Kirche oder auch nur ihr Amt in irgendeiner Hinsicht als eine Repräsentation Christi in dieser Welt anzusehen sei, wird abgewiesen. Die Kirche ist in keiner Weise der irdische Spiegel einer himmlischen Wirklichkeit, als welcher sie sich der Welt präsentieren und empfehlen könnte, sondern sie bleibt auch in ihrem Erwähltsein von Gott ganz und gar ein Teil dieser Welt, der grundsätzlich den gleichen Bedingungen unterworfen ist wie die sie umgebende Welt. Weder sie noch auch nur das in ihr hervorgehobene Amt sind in irgendeiner Weise über die Welt erhoben oder könnten gar dieser gegenüber auf bei ihr zu findende oder gar zu erlebende Privilegien verweisen. Die Kirche zeichnet sich nicht dadurch aus, dass sie einen besonderen Blick in den Himmel vermitteln könnte, um infolge ihrer besonderen Nähe zu Gott einen Teil seines Geheimnisses erhellen zu können. Sie hat keinen Schatz, den sie nun mit mehr oder weniger vollen Händen in der Welt austeilen könnte, um damit die Welt zu beglücken und sich auf diese Weise in der Welt attraktiv zu machen. Vielmehr unterscheidet sie sich von der sie umgebenden Welt vor allem dadurch, dass sie die Welt nicht nur in dem Licht sieht, mit dem sich die Welt selbst zu beleuchten versucht, sondern sie sieht die Welt und somit auch sich selbst im Lichte Gottes, wie

Das erste Gebot als Einweisung in die Welt

er sich in Jesus Christus gezeigt hat und von dem es im Johannesevangelium heißt, dass er das Licht der Welt sei (Joh 8,12). Es kann also – mit Karl Barth gesprochen – weder die Aufgabe der Theologie noch der Kirche sein, „mit einem auf der Erde aufgestellten Scheinwerfer den Himmel abzuleuchten […], sondern sie wird versuchen, die Erde im Lichte des Himmels zu sehen und zu verstehen.“11 Es geht nicht um religiöse Erhebung über diese Welt, ebenso wenig wie um eine religiöse Verklärung. Religion und Spiritualität können entschieden nicht das Primäre sein; sie stehen nur dann unter einem guten Stern, wenn sie etwas Sekundäres sind – eben die menschliche und somit weltliche Reaktion auf etwas Primäres, was nicht wir Menschen inszenieren, sondern was vom Handeln Gottes ausgeht und zwar von dem Handeln Gottes, in dem er uns die Augen über uns und den Zustand der Welt öffnet. Glaubenserkenntnis ist fundamental und nachhaltig Welterkenntnis, d. h. die Erkenntnis der im Lichte des lebendigen Gottes wahrgenommenen Welt. Der Glaube entnimmt uns nicht der Welt – er ist ganz und gar nicht das Angebot, der Welt den Rücken zukehren zu dürfen12 –, sondern er steht für eine besondere Art der Einweisung in diese Welt, die dadurch ermöglicht wird, dass ihre wahre Wirklichkeit erst im Lichte Gottes erkennbar wird. Die Welt erklärt sich nicht selbst. Gewiss gibt sie viel zu sehen, und manche Zusammenhänge lassen sich auf diesem Wege erkennen und beschreiben. Aber ihre Bestimmung liegt nicht offen zutage, so dass auch immer wieder und teilweise sogar mit missionarischem Eifer die nicht einfach von der Hand zu weisende Vermutung geäußert wird, dass sie keine habe. Doch damit hat sich die Menschheit in der Regel nicht zufriedengegeben. Vielmehr hat sie entweder eigene – meist flackernde – Lichtlein angezündet oder ist den Lichtern gefolgt, die von den Göttern in ihr angezündet wurden, wobei die Menschen auch immer wieder der Neigung nachgegeben haben, diesen Göttern ihre eigenen Fackeln in die Hand zu drücken. Ohne uns von diesem Selbstbetrug irritieren zu lassen, folgen wir gern vor allem den Erhellungen, die wir selbst veranlassen, auch wenn die Erfahrung zeigt, dass sie allzu schnell vom Zweifel wieder verdunkelt werden können, um dann neuen Ideen Platz zu machen, die sich schließlich ebenso wenig als dauerhaft haltbar erweisen werden. Die Wirklichkeit der Welt zeigt sich im Schein höchst unterschiedlicher Lichter, so dass im Grunde von unterschiedlichen Wirklichkeiten gesprochen werden könnte. Die zahlreichen Erhellungsversuche werfen je andere Schatten und lassen uns

11 Barth, Das erste Gebot als theologisches Axiom, 234. 12 Die Kirche ist keine Rettungsinsel, auf der wir der von Sünde und Tod gezeichneten Welt entkommen könnten, d. h. sie kann „keineswegs als göttliche Veranstaltung zur Befriedigung der hinsichtlich dieser Erfüllung vorliegenden Bedürfnisse“ angesehen werden (KD II/2, 474). Die Kirche existiert nicht als Selbstzweck, sondern sie ist das Organ, durch das die mannigfaltige Weisheit Gottes bekannt gemacht werden soll (475); sie ist im doppelten Sinne apostolisch: sie bezieht sich auf die Apostel und ist zugleich, wie diese, eine gesendete Kirche (477).

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jeweils eine andere Welt entdecken, je nachdem, was das Licht gerade ins Helle rückt bzw. im Dunkel verschwinden lässt. Unsere Weltanschauungen sind solche Beleuchtungen unserer Wirklichkeit, die dann zu Ideologien werden, wenn sie sich als die wahre Wirklichkeitsbeleuchtung aufspielen. Wenn die Kirche von Gott redet, spricht sie auch von einem Licht, das uns die Wirklichkeit erhellt. Sie ist davon überzeugt, dass das von ihr wahrgenommene Licht das alles erhellende Licht ist, das alle anderen Lichter überstrahlt bzw. sich in ihnen widerspiegelt. Wenn die Kirche sich selber treu ist, folgt sie dem trinitarisch verstandenen ersten Gebot, dass zwar keine anderen Lichter ausschließt, diese aber konsequent diesem einen Licht unterordnet. Im Lichte dieses Himmelslichtes verblassen unsere irdischen Laternen der Selbsterhellung, so dass sie eingereiht werden in die irdische Wirklichkeit, ohne dass ihnen noch letztinstanzliche Bedeutung zugemessen werden kann. Barth spricht pointiert von einer Entgötterung der Welt, die sich durch das In-Erscheinung-Treten des lebendigen Gottes vollziehe, denn das Offenbarwerden Gottes komme einer Entmythologisierung der Welt gleich. Das Licht Gottes entlarvt nicht nur die Kurzatmigkeit unserer selbst aufgestellten Lichter, sondern auch die zu besonderer Verehrung gepflegten Lichter all der Götter, denen sich auch der moderne Mensch nach wie vor zu verschreiben gewohnt ist. Auch die säkulare Welt ist nicht frei von Göttern, die möglicherweise gerade dadurch ihre ganz besondere Macht entfalten, dass sie nicht ausdrücklich als Götter auftreten, ohne aber auf die von den Menschen zu erbringende Verehrung und eben auch Opferbereitschaft zu verzichten. Im Blick auf die Wirklichkeit der Welt tritt also die Kirche in gewisser Weise in eine Konkurrenz mit den Selbstinterpretationen der Welt. Pointiert hebt Barth hervor, dass die Kirche „weltlicher als die Welt“ sei, weil sie um die Nichtexistenz der von der Welt gehuldigten Götter weiß, mit denen der Mensch die Natur und die Geschichte nach wie vor zu ihrer keineswegs ungefährlichen Selbstverklärung immer wieder bevölkert.13 Es sind diese teilweise opferhungrigen Götter dieser Welt, von denen in durchaus erstaunlicher Vitalität ein Großteil des Elends und Leidens in der Welt ausgeht, indem sie die Menschen mit ihrem vordergründigen Glanz betören und ihre Vernunft korrumpieren. Es war beispielsweise der Psychologe Erich Fromm, der bereits 1976 den von der Reklame ausgehenden Schaden für die Menschheit als unermesslich größer ansah als alle lebensfeindlichen Wirkungen, die weltweit durch den Genuss harter Drogen bewirkt werden.14 Weil in unserer Welt diese Götter wohl nicht von sich aus verschwinden werden, liegt auf der Sendung der Kirche an die Welt und somit der Mission in jedem Falle eine

13 Vgl. Barth, Offenbarung, Kirche, Theologie, 192f. 14 Vgl. Erich Fromm, Haben oder Sein, 185.

Das Zeugnis der Kirche und die Missio Dei

bleibende Aufgabe. Allerdings bleibt diese Aufgabe mit einer spezifischen Schwierigkeit behaftet, weil nämlich die Kirche selbst auch nur als ein Teil dieser Welt agieren sein kann, denn sie ist ja nicht selbst das Licht der Welt, in dem sich ihre Wirklichkeit erschließt. Damit komme ich zu meinem zweiten Punkt.

15.2

Das Zeugnis der Kirche und die Missio Dei

Wenn die wohl von allen Kirchen geteilte Einsicht, dass sich die Kirche nicht selbst konstituieren kann, tatsächlich ernst genommen wird, dann wird sie konsequenter Weise auch einräumen müssen, dass nicht sie es sein kann, die nun dafür sorgen könnte, der bisher abgeneigten Welt das Licht des Glaubens zu vermitteln. Pointiert mit Barth gesagt: „Die Gemeinde kann niemanden zum Christen machen.“15 Gewiss kann dieses Argument als Entschuldigung für die eigene Trägheit missbraucht werden, aber noch problematischer als ein solcher missionarischer Quietismus wäre doch wohl die Ansicht, dass der Erfolg und der Misserfolg der Geschichte Gottes mit den Menschen von unserer Phantasie und unseren möglichst kreativen missionarischen Anstrengungen abhängen würde. Das wäre nicht nur eine kaum zu tragende Bürde, mit deren Anspruch wir uns prinzipiell überheben würden, sondern auch die Dokumentation des Erliegens vor der immer wieder auftretenden Versuchung, dass wir und die von uns verantwortete Kirche die Menschen vor allem durch die eigene Attraktivität überzeugen und zum Glauben bringen könnten. Soweit es an uns liegt, können wir auch nur mit dem beeindrucken, was durch uns oder eben auch die geschichtliche Gegebenheit der Kirche überzeugt. Und so präsentiert sich die Kirche als eine besondere Wohltäterin in der Gesellschaft, die gewiss nicht frei von Fehlern ist, aber ohne die es in unseren schwierigen Zeiten noch deutlich frostiger und unmenschlicher in unserer Gesellschaft zuginge – und darin liegt ja auch mehr als nur ein Körnchen Wahrheit, das allerdings nicht besagt, dass nun alle Hoffnung auf eine Umkehr der Gesellschaft vor allem auf die Kirche gesetzt werden könne. In dem Maße, in dem die Kirche als einladende Kirche vor allem zu sich selbst einlädt, in dem Maße wird sie im Blick auf den Inhalt ihrer Verkündigung unweigerlich zu anthropologischen Reduktionen und damit zu religiösen Selbstverklärungen greifen, wie sie auch von den nichtkirchlichen Apologeten der Religion vorgetragen werden.16 Da wird dann mit der Lebensdienlichkeit des Glaubens und der heilsamen Wirkung der Frömmigkeit geworben; die befreiende Wirkung der Selbstrelativierung und die gemeinschaftsfördernde

15 KD III/4, 577; vgl. KD IV/3, 1003. 16 Beispielhaft seien genannt für die Philosophie Hermann Lübbe, für die Soziologie Niklas Luhmann und für die Psychologie Erich Fromm oder Viktor Frankl.

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Kraft unterschiedlicher Formen der Traditionspflege werden annonciert; biographieprägende Rituale gelten als identitätsstärkend, Beheimatungsszenarien werden Isolations- und Verlorenheitsdramen gegenübergestellt, so dass der kaum zu vermeidende Eindruck entsteht, dass die Attraktivität des Glaubens auf die Attraktivität der Kirche zu beziehen sei. Weil sich mit der Attraktivität des Glaubens nicht unmittelbar werben lässt – denn wir haben ihn nicht einfach zur Verfügung –, wird der Weg über die Glaubenden bzw. die „Heiligen“ und die ihnen dienlich erscheinenden Instrumentarien gewählt. Aus der missionarischen Kirche wird unweigerlich die sich vor allem selbst wollende Kirche, und das ist zwangsläufig eine Kirche, die mehr von ihrem Vermögen als von ihrer Bedürftigkeit überzeugt ist; das ist zwangsläufig die Kirche, die mehr von dem lebt, was sie glaubt, an die bedürftige Welt austeilen zu können, als eben davon, sich in ihrer Anrufung Gottes mit der Not und der Verlegenheit der Welt zu solidarisieren, die eben auch ihren Göttern gegenüber immer wieder in Anfechtung und Zweifel verfällt. Nur eine Kirche, die um ihre eigene Verlegenheit Gott gegenüber weiß, die weiß, dass sie Gott nicht prinzipiell nähersteht als die sie umgebende Welt, kann zu einer Kirche werden, die sich angesichts ihrer missionarischen Herausforderung nicht hoffnungslos übernimmt. Sie ist mit der sie umgebenden Welt deutlich eher verwechselbar als mit dem Reich Gottes. Indem sie um die Schwäche ihres eigenen Glaubens und deshalb auch um ihre eigene Missionsbedürftigkeit weiß, kann sie ihrer geschichtlichen Realität gerecht werden. Mission impliziert immer die Gefahr einer usurpatorischen Überhebung; alle denkbaren Missionsmotive enthalten die Möglichkeit, sich selbst etwas zuzuschreiben, was uns, recht verstanden, nicht zukommt.17 In seinem Vortrag auf der Brandenburgischen Missionskonferenz am 11. April 1932 in Berlin betont Karl Barth, dass als Mission im Sinne eines kirchlichen Handelns nach außen grundsätzlich nichts anderes in Frage kommt als etwas, was sich die Kirche auch nach innen immer wieder neu selbst zu bekennen hat. Recht verstanden „ist alles Handeln der Kirche Mission, auch wo es nicht ausdrücklich so heißt.“18 Es geht um die spezifische und als solche immer wieder neu zu vollziehende Ausrichtung auf das Gottsein Gottes, wie es sich in Jesus Christus als seinem einen Wort, das wir zu hören haben (Barmen I), gezeigt hat und eben auch heute noch zeigt. Barth hebt dabei konsequent auf den auferstandenen Christus ab, der als solcher der lebendige und sich im Heiligen Geist selbst vergegenwärtigende Christus ist, der sich mit der Himmelfahrt also nicht zurückgezogen hat, um sich nun durch die Kirche vertreten zu lassen. Die Parusie Christi wird nicht erst am Ende der Zeit erwartet, sondern sie hat begonnen mit der Auferweckung Christi

17 Vgl. Barth, Die Theologie und die Mission in der Gegenwart, 187f. 18 Ebd., 166.

Das Zeugnis der Kirche und die Missio Dei

und charakterisiert somit auch unsere Gegenwart als die Zeit der Geistesgegenwart Christi.19 Unsere Angewiesenheit auf die Rechtfertigung durch Gott entspricht hermeneutisch unserer bleibenden Angewiesenheit auf seine Offenbarung, dass er eben selbst zu uns sprechen muss, wenn es wirklich etwas zu hören geben soll, was wir uns nicht auch selber sagen können. Hier entscheidet sich, ob die Kirche die Kirche des lebendigen Christus ist oder eben die Kirche, die sich selbst der Welt eindrücklich zu machen versucht. Ein Handeln der Kirche und somit auch eine Mission, die in ihrer Substanz etwas anderes sein wollte als „eine bestimmte Gestalt des Bekenntnisses zu Gottes Selbstoffenbarung in Jesus Christus“,20 müsste sich die Frage gefallen lassen, auf wessen Rechnung da eigentlich agiert wird. Und sollte sich bei der Antwort dann herausstellen, dass es nur unsere eigenen Rechnungen sind, die da bedient werden, so wird sich doch jede und jeder fragen müssen, weshalb sich jemand nun ausgerechnet auf diese menschlichen Rechnungen in so besonderer Weise einlassen soll. Was die Kirchen in ihrer Mission zu bringen haben, ist bei genauerer Betrachtung nichts anderes, als was sie auch für sich selbst – und dann stets auch stellvertretend für die ganze Welt21 – immer nur erwarten und erbitten können. Die Kirche tritt nicht mit der Ehre und Eitelkeit der Welt in Konkurrenz, sondern stellt sich – als ein Teil dieser Welt, d. h. in ihrer ganzen Weltlichkeit – im Verweis auf die allein Gott gebührende Ehre an die Seite der sie umgebenden Welt und bittet um den erhellenden Geist Gottes. Sie teilt auch in ihrem Wissen um Gott und sein Eintreten für den Menschen die Verlegenheit mit der Welt, dass auch sie ihren Gott ebenso wenig beweisen kann wie die Welt diesen Gott tatsächlich zu bestreiten vermag. Auch als Handeln der Kirche bleibt Mission – so hebt Barth hervor – eine „Sache göttlicher Absicht und Bestätigung“,22 was nichts anderes besagt, als dass sie allein durch die freie Selbstbezeugung Gottes zu ihrem Ziel kommen kann. Im Entscheidenden treten nicht wir für Gott ein, sondern Gott tritt für uns ein – das gilt auch für die Mission und beschreibt im Sinne Barths das, was wir heute gewohnt sind mit missio Dei zu bezeichnen. Ausdrücklich erinnert Barth daran, dass in der alten Kirche der Begriff der missio für die göttliche Selbstsendungen in Sohn und Geist steht, was „auch dem treuesten Missionar, auch dem überzeugtesten Missionsfreund zu denken geben“ sollte.23 Wenn Barth im dritten Teil seiner Versöhnungslehre (KD IV/3) so pointiert die Berufung des Menschen und die Sendung der Kirche hervorhebt, so geschieht dies konsequent im Horizont der Selbstbezeugung Gottes

19 Zu Barths Verständnis von Auferstehung und Parusie Christi vgl. Weinrich, Christus als Zeitgenosse. 20 Barth, Die Theologie und die Mission, 165. 21 Vgl. Barth, KD I/2, 468. 22 Barth, Die Theologie und die Mission, 172. 23 Ebd., 187.

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in der Herrlichkeit des Mittlers, der von der Kirche in der Regel eher verdunkelt als tatsächlich bezeugt wird, weil sie immer wieder der Neigung erliegt, sich selbst und nicht ihren Herrn zu verkündigen und somit mehr ihrer eigenen als der Ehre Gottes verpflichtet lebt – eben auch darin gleicht sie ganz und gar der sie umgebenden Welt. Die Kirche steht allemal der sich selbst rechtfertigenden Welt näher als der Botschaft von der Rechtfertigung des Gottlosen, was sich ihrem eigenen Reden entgegen ja auch deutlich bis hinein in ihren geschichtlichen Strukturen zeigen ließe. Die Erosionen des Konkurrenzindividualismus mit seinen Karriereangeboten haben die Kirche ebenso befallen wie die Welt, wo es vor allem darum geht, das eigene Schäfchen ins Trockene zu bringen, was nicht zuletzt auch einen massiven Grund für die Stagnation in der Ökumene darstellt. Selbstzurücknahme aus tatsächlich freier Entscheidung prägt nicht gerade das Leben unserer verfassten Kirchen. Ohne die lebendige Kraft der Selbstbezeugung Jesu Christi wird auch heute die Wirkkraft der Mission vor allem desaströs sein, übrigens auch dann, wenn sie vordergründig tatsächlich zu einem Wachstum gegen den Trend führen würde. Wir mögen wohl Leuchttürme aufstellen und Best-praxis-Konzepte preisen und Kompetenzzentren errichten, sie entnehmen uns nicht der Verlegenheit, dass das, worauf es schließlich ankommt, niemals von uns kommen kann, so missionarisch und einladend wir uns auch in Szene setzen. Es wird erst dann wirklich etwas zu hören und erst dann auch wirklich etwas zu sehen geben, wenn Gott selbst zu uns spricht und uns die Augen öffnet, d. h. wenn sich unser Zeugnis und Tun der missio Dei zur Verfügung stellt und alles Gelingen in ihre Verheißung stellt. Eine Kirche die vital um ihre eigene Missionsbedürftigkeit weiß und wissen sollte, wird nicht auf die Idee verfallen, dass sie es sein könnte, in der die Welt auf das Heilige stoßen könnte und sollte.24 In ihrem Zeugnis und Tun setzt sie ganz und gar auf den Anfang, den sie nicht setzen kann und den sie schon gar nicht in der sie umgebenden Welt bereits als gegeben vorfindet, sondern den sie im Entscheidenden ganz und gar dem verheißenen Geist überlassen muss. Sie kann möglicherweise hier und da ein wenig Genesung bewirken, aber niemals wird sie in unmittelbar evidenter Weise von Auferstehung sprechen können, und auf eben nichts Geringeres käme es an, wenn es um den Glauben geht.25 Wir können zwar davon sprechen, was es heißt, die Welt und ihre Wirklichkeit im Lichte Gottes zu sehen. Es ist uns aber nicht gegeben, unser Reden von dem Reden der Baalspriester, die immer gleich nebenan stehen, zu unterscheiden. Sie stehen uns so sehr zur Seite, dass es uns längst nicht immer auffällt, dass wir auch gelegentlich in ihr allseits zu vernehmendes Horn blasen, um uns Gehör zu

24 Vgl. ebd., 174f. 25 Vgl. ebd., 176.

Missio Dei und das Zeugnis der Kirche

verschaffen. Dabei ist schnell vergessen, dass es Gottes Angelegenheit bleibt, Elia Recht zu geben und die Baalspriester ins Unrecht zu versetzen (1Kön 18); es bleibt Gottes Angelegenheit, sich selbst zu erweisen, d. h. unser Zeugnis in seiner ganzen Unzulänglichkeit zu rechtfertigen. Eben dazu hat er seinen Geist verheißen. Rechtes Zeugnis der Kirche setzt auf diese Verheißung, d. h. sie setzt auf die Lebendigkeit der missio Dei.

15.3

Missio Dei und das Zeugnis der Kirche

Nur wenn wieder an erster Stelle steht, was in theologischer Perspektive an erster Stelle stehen muss, die missio Dei, kann sinnvoll über das Zeugnis der Kirche und eben auch über die missionarische Sendung der Kirche nachgedacht werden. Man sollte nicht – wie es verbreitet üblich ist – zu schnell von diesem Ersten zu dem dann auch zu sagenden Zweiten übergehen. Natürlich haben wir auch eine selbst zu verantwortende missionarische Aufgabe als Kirche, aber diese kann nur in achtsamer Wahrung der missio Dei angemessen wahrgenommen werden. Es muss gewährleistet bleiben, dass dieses Erste nicht nur pflichtgemäß in Erinnerung gerufen wird, um dann im Zweiten doch der kirchlichen Selbstverantwortlichkeit und ihren Ambitionen freien Lauf zu lassen. Vielmehr sollte darauf geachtet werden, dass all das, was in der Tat zu unserer Verantwortung zu sagen ist, auch tatsächlich mit den grundlegenden Einsichten in substanziellem Kontakt bleibt, die wir aus theologischer Überzeugung im Blick auf den prinzipiellen Vorrang der missio Dei gerade noch einmal in Erinnerung gerufen haben. Pointiert stellt Barth fest, dass die Kirche gerade als missionarische Kirche und somit als Zeugin der missio Dei „gewissermaßen nur liturgischer Assistent des allein effektiv handelnden Gottes“26 ist. Lassen Sie mich fünf Konsequenzen für eine missionarische Ekklesiologie im Sinne Barths zur Diskussion stellen: 1. Es bleibt im Bewusstsein zu halten, dass die Verkündigung nicht etwas zur Geltung bringt oder gar erst in Kraft setzt, sondern sie verkündigt etwas, das bereits gilt und somit in Kraft steht. Sie unterscheidet sich fundamental von jeder Propaganda dadurch, dass sie etwas zur Sprache bringt, was auch unabhängig von ihrem aktuellen Zur-Sprache-Bringen gilt. Die Verkündigung deutet nicht Möglichkeiten an, sondern spricht Wirklichkeiten aus.27 Recht verstanden wendet sich Mission grundsätzlich an Menschen, die bereits von der Wirklichkeit Gottes betroffen sind.28 Es liegt weder an der Kirche noch an den angesprochenen Menschen, durch 26 KD III/3, 75. 27 Vgl. KD IV/2, 305. 28 Christus ist nicht nur das Haupt der Kirche, sondern auch der Welt, so dass auch die Menschen außerhalb der Kirche als die Seinigen und „eben darauf de iure anzusprechen“ sind; KD IV/2, 305.

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ihre Entscheidung nun Gottes Aufmerksamkeit auf sie zu richten. Mission würde einem grundsätzlichen Missverständnis erlegen sein, wenn sie sich als eine kirchliche Rettungsaktion verstehen würde, in der dann womöglich die menschliche Bekehrung Gott die Möglichkeit dazu einräumen würde, an diesen Menschen zu handeln. Was wäre das für eine Wirklichkeit, wenn diese erst durch unseren Glauben ins Dasein träte.29 In der Mission geht es nicht „um den ‚Ruhm’ dieses oder jenes Christentums in seinem Verhältnis zu den Bedürfnissen und Postulaten des Menschen“,30 sondern um die Bezeugung der in Christus vollzogenen Versöhnung der Welt mit Gott (2Kor 5,19). Wenn Barth davon von spricht, dass Gott bereits gesprochen hat (Deus dixit), dann hat er den Satz Christi am Kreuz im Blick: „Es ist vollbracht.“31 Das ist auch der ontische und noetische Ausgangspunkt für die Mission. 2. In der Mission geht es um den Kontrast zwischen dem Wissen der Gemeinde und dem Nichtwissen der Welt. Es ist der Inhalt des Wissens der Gemeinde – nämlich die alle Menschen angehende Wahrheit hinsichtlich des Handelns Gottes an dieser Welt –, der sie wesenhaft zu einer missionierenden Kirche macht. Solange die Kirche die Mission nur als eine ihr nahe gelegte Möglichkeit betrachtet und eben nicht als ihre eigentliche Bestimmung, hat sie die Reichweite der von ihr zu verkündigenden Wahrheit noch nicht tatsächlich erkannt.32 Von hier aus ist Kirche missionarische Kirche, oder sie ist eben keine Kirche.33 Mission ist „geradezu die Wurzel der Existenz und damit auch des ganzen Dienstes des Christenvolkes.“34 Die Kirche ist niemals Selbstzweck,35 sondern existiert wie die Apostel „gewissermaßen exzentrisch“, was voraussetzt, dass sie zu sich selbst eine gewisse Distanz wahrt, indem sie ihren weltlichen Charakter anerkennt und deshalb auch „mit offenen Türen und großen Fenstern, hinter denen sie sich besser nicht durch die Anbringung von frommen Glasmalereien nun doch wieder in sich selbst“36 verschließt, der Welt zugewandt bleibt. „Sie ist heilig […] in ihrer Zuwendung zur Profanität des allgemeinen menschlichen Lebens. […] Ihre Sendung ist kein Zweites neben ihrem Sein, sondern sie ist, indem sie gesendet und kraft ihrer Sendung tätig ist.“37 3. In ihrer Mission sagt die Kirche in der Sache grundsätzlich nichts anderes, als was auch ihr gesagt werden musste und immer wieder neu gesagt werden muss.

29 30 31 32 33 34 35 36 37

Vgl. KD I/1, 159. KD I/2, 368. Vgl. KD I/1, 119. Vgl. KD III/2, 738. Vgl. KD III/3, 74; III/4, 578; IV/3, 1003. KD IV/3, 1002. Vgl. KD IV/1, 168 u. ö. KD IV/1, 809. Ebd.

Missio Dei und das Zeugnis der Kirche

Sie verkündigt nicht sich selbst, so sehr sich auch bemühen sollte, als die Gemeinschaft derer in Erscheinung zu treten, für die das, wovon sie in der Welt Zeugnis abzulegen versucht, auch tatsächlich gilt. Wir alle wissen, wie weit wir unablässig davon entfernt bleiben. So sehr dies die Glaubwürdigkeit unseres Zeugnisses trüben mag, so wenig ist dieses im Entscheidenden von unserem Demonstrationsgeschick abhängig, sondern kann allein durch das Wirken des Geistes Gottes selbst bewahrheitet werden. Die Kirche wird dann in dem Maße ihrer missionarischen Sendung gerecht, in dem sie der Botschaft treu bleibt, der sie ihre eigene Existenz verdankt, weil diese Botschaft nicht nur ihr gilt – und insofern eben nicht kirchlich privatisiert werden kann –, sondern der ganzen Welt. Im Vordergrund steht also die Bekanntmachung des Evangeliums und nicht die Erweiterung des kirchlichen Einflusses auf die Gesellschaft oder auch nur die Verteidigung kirchlicher Bestände.38 4. Wenn Barth mit der kirchlichen Tradition auch betonen konnte, dass es außerhalb der Kirche kein Heil gebe, so bleibt zweierlei zu beachten: a) Barth stellt diese Aussage in den Horizont der Erwählungslehre,39 in der die Kirche und das mit ihr verbundene Heil ganz und gar in die Hände Gottes gelegt wird. Und b) betont Barth zugleich, dass es der Kirche gegenüber kein absolutes Draußenstehen gibt, vielmehr kann der Draußenstehende unversehens zu meinem Nächsten werden „wie der Samariter für den Schwerverwundeten“ und deshalb ist er durchaus hoffnungsvoll in den Blick zu nehmen.40 Diese durchaus überraschende Umdrehung ist auch im Blick, wenn Barth von den Lichtern spricht, die der Kirche aus der Welt als Zeichen der Universalität des Lichtes Christi entgegenstrahlen können,41 um sie in ihrer selbstgefälligen Lethargie bzw. in ihrer schweren Verwundung, die sie sich dann in der Regel wohl nicht eingestehen wird, zu beschämen. Es ist auch für die Kirche schlechterdings hoffnungsvoll zu wissen, dass Gottes Zuwendung nicht auf das beschränkt bleibt, was geschichtlich als Kirche in Erscheinung tritt. 5. Mission ist mehr als Verkündigung. Barth hebt hervor, dass es sich in der Mission „um die Verrichtung des ganzen kirchlichen Dienstes“42 an der Welt handelt, in der sich die Kirche nun einmal befindet und mit der sie in fundamentaler Solidarität verbunden ist. Die Kirche ist darin mit allen Menschen, welcher Religion oder Ideologie sie auch angehören mögen, solidarisch, dass sie sich mit den durchaus auch ganz praktischen Nöten verbunden weiß, gegen die sie sich mit ihrer Religion bzw. ihrer Ideologie anzugehen aufmachen. Es kann nicht darum gehen, den verschiedenen Religionen nun die eigene Religion entgegenzustellen. Die Kirche wird nicht gegen die Religionen „streiten, wie die Religionen für sich 38 39 40 41 42

KD IV/3, 1004. Vgl. KD II/2, 217. Vgl. KD I/2, 466. Zu Barths Lichterlehre vgl. KD IV/3, 153ff. KD IV/3, 1004.

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selbst streiten.“43 Wohl aber wird sie für die Freiheit der Gewissen und gegen alle Formen der Knechtung des Menschen, wie sie sich auch unter dem Etikett von Weltanschauungen und Religionen (auch dem Etikett der christlichen Religion) allseits ereignen. Barths Missionstheologie verfolgt eine konsequent befreiungstheologische Perspektive, weil das, worum es im Evangelium geht, nichts anderes als die Freiheit des Menschen ist – und zwar konsequent.

43 Barth, Fragen an das „Christentum“, 155.

16.

Der Moderator

Leitung im Kollegium – Episkopé als modernes Management1 Was ein Moderator oder eine Moderatorin ist, muss in der Regel nicht weiter erklärt werden. Vor allem aus dem Fernsehen sind sie uns bekannt und genießen eine verbreitete Wertschätzung als diejenigen, die möglichst souverän und unangestrengt den Ablauf einer Sendung steuern, unterschiedliche Szenarien miteinander verknüpfen, in einer Diskussion die Fragen zuspitzen, die sachliche Konzentration zu halten versuchen, aus den verschiedenen Teilnehmenden den je von ihnen zu erwartenden spezifischen Beitrag hervorlocken und auch sich abzeichnende Ergebnisse hervorheben. Häufig stehen sie für ein bestimmtes Format einer Sendung, die in einer gewissen Regelmäßigkeit zu sehen ist und ganz und gar mit dem Namen der Moderators bzw. der Moderatorin verbunden ist wie etwa Reinhold Beckmann, Maybrit Illner, Günther Jauch, Johannes B. Kerner, Markus Lanz, Sandra Maischberger, Frank Plasberg oder Anne Will.2 Auch wenn es sich um möglicherweise sachkundige Persönlichkeiten handelt, sind nicht sie es, die für bestimmte Inhalte stehen, sondern es ist ihre Aufgabe, einerseits ihren eingeladenen Gästen ein möglichst publikumswirksames Forum zu bereiten, auf dem sie sich mit dem entfalten können, was sie zu dem jeweiligen Anlass einzubringen haben, und andererseits dem Publikum ein möglichst differenziertes Bild von dem jeweils aufgegriffenen Thema zu erschließen, zu dem es in der Regel unterschiedliche Zugänge, Wahrnehmungen und Schlussfolgerungen gibt. Ihr Geschick wird mehr im Blick auf die Konsistenz des Ablaufs einer Veranstaltung als auf ihren jeweiligen Inhalt gefordert. Zwar sollen sie die meist in sehr unterschiedliche Richtungen ziehenden Zügel zusammenhalten, aber sie sind darauf ausgerichtet, dass es am anderen Ende des Zügels etwas Bedeutsames zu sehen bzw. zu hören gibt, dem die eigentliche Aufmerksamkeit des Publikums gelten sollte. Es geht um eine möglichst gut informierte Inszenierung einer mehr oder weniger repräsentativen Kontroverse

1 Zuerst publiziert in: Hans-Georg Ulrichs (Hg.), Der Moderator. Ein Dank für Peter Bukowski, Hannover 2015, 9–22. Für den Wiederabdruck wurde der Beitrag überarbeitet und erweitert. 2 In unserem Zusammenhang erscheint es mir bemerkenswert, dass im Fernsehen die Grenzen zwischen einem Moderator, einer Moderatorin und einem Showmaster, einer Showmasterin – wie etwa Guido Cantz, Frank Elstner, Peter Frankenfeld, Thomas Gottschalk, Eckart von Hirschhausen, HansJoachim Kuhlenkampff, Jörg Pilawa, Hans Rosenthal oder Barbara Schöneberger – durchaus fließend sein können, auch wenn erkennbar die Funktion eine deutlich andere ist, wie bereits aus der – heute vielleicht ein wenig aus der Mode gekommene – Bezeichnung hinreichend deutlich hervorgeht. Salopp gesagt hat ein Showmaster auch zu moderieren, aber ein Moderator hat nicht die Aufgabe eine Show zu inszenieren.

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Der Moderator

zu einem gerade auf der Tagesordnung stehenden Thema, die im besten Fall die jeweiligen Kontrahenten selbst aufeinandertreffen lässt. Der Begriff Moderator enthält das lateinische Verb moderare, was mit steuern, lenken, regeln, einrichten oder zügeln, besänftigen, verlangsamen, mäßigen, aber auch mit kontrollieren, überprüfen übersetzt werden kann. Alle drei Bedeutungsfacetten lassen sich, wenn auch in unterschiedlicher Intensität, sinnvoll mit der Aufgabe des Moderators in Verbindung bringen, besonders dann, wenn man auch die Funktionen eines Konfliktmoderators oder eines Gruppenmoderators etwa für Selbsthilfegruppen mit in den Blick nimmt. Hier eröffnet sich noch ein weites Feld unterschiedlicher Aufgabenprofile für Moderatoren und Moderatorinnen, die über das hinausgehen, was von dem Radio- oder Fernsehmoderator zu sagen ist. Eine spezifische Variante des Moderators bzw. der Moderatorin mit weiter zurückreichenden Wurzeln findet sich im kirchlichen Bereich, insbesondere in den Kirchen der reformierten Tradition. In Deutschland ist damit vor allem das Amt des Moderators des Reformierten Bundes im Blick, das zwischen 2019 und 2022 zum ersten Mal von einer Frau wahrgenommen wurde. Laut Auskunft von Wikipedia (Art. Moderator) bezeichnet das Amt „in der evangelisch-reformierten Kirche den Vorsitz des Moderamens“, also der verantwortlichen Leitung einer reformierten Gemeinde/Kirche (bzw. ihrer Synode) oder des Reformierten Bundes, der aus den reformierten Kirchen, einzelnen reformiert geprägten Gemeinden und reformierten Einzelpersonen in Deutschland gebildet wird. Es lohnt sich, einen genaueren Blick auf das Amt des Moderators zu werfen, und wir konzentrieren uns dazu auf den Moderator bzw. die Moderatorin des Reformierten Bundes. Einerseits steht es für die Aufgabe der offiziellen Repräsentation der mit ihm verbundenen Institution – also des Reformierten Bundes – und bringt somit eine öffentlich wahrzunehmende kirchenleitende Funktion mit sich. Es ist also offenkundig ein exponiertes Amt. Andererseits ist es weder mit einer besonderen Entscheidungsautorität noch mit einer eigens ihm zur Verfügung stehenden Institution ausgestattet, so dass sein Inhaber oder seine Inhaberin de facto vor allem auf die je eigenen individuellen Ressourcen angewiesen bleibt. Bei aller Exposition ist es also zugleich ein durchaus schwaches Amt, dem über die je persönlichen Fähigkeiten hinaus ausdrücklich kein exklusiver Aktionsradius eingeräumt wird, in dem der Amtsinhaber bzw. die Amtsinhaberin nicht auch gleich wieder in eine kollegiale Struktur eingebunden wäre. Diese Ambivalenz ist nicht der Spiegel der spezifischen Minderheitssituation des Reformiertentums in Deutschland, sondern sie ist der gewollte Ausdruck einer konzeptionellen Verfassung, die ein wesentliches Element des weltweiten Selbstverständnisses der reformierten Kirchen darstellt. Ein Vergleich etwa mit den Schweizerischen Kirchen oder auch der Church of Scotland, die zumindest in ihrer geschichtlichen Prägung keine Minderheitskirchen sind, zeigt, dass es sich um die institutionelle Konsequenz eines theologisch durchdrungenen Kirchenverständnisses handelt, das weltweit in besonderer Weise

Das Fundament reformierter Ekklesiologie

für das Reformiertentum charakteristisch ist – auch wenn es hier natürlich die sprichwörtlichen Ausnahmen gibt, welche bekanntlich die Regel bestätigen. In diesem kleinen Beitrag möchte ich das Profil des Amtes eines Moderators/ einer Moderatorin im Horizont der reformierten Ekklesiologie charakterisieren und in seiner Praxis im gegenwärtig schwierig gewordenen Fahrwasser evaluieren. Das geschieht in drei Schritten: Zunächst sollen kurz die Dimensionen beschrieben werden, die nach reformiertem Verständnis das Wesen der Kirche ausmachen – also das Fundament der reformierten Ekklesiologie (16.1). Wir haben es hier mit einer Zusammenfassung von grundlegenden Aspekten zu tun, die an anderer Stelle in diesem Buch bereits ausführlicher erörtert worden sind. In dem zweiten Schritt sollen die institutionellen Konsequenzen aus diesen Fundamentalorientierungen gezogen werden und dabei dem Amt des Moderators/der Moderatorin eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden (16.2). Zum Schluss soll dann ein Blick auf die tatsächliche Praxis geworfen werden, in welcher sich das Modell zu bewähren hat. Wir befinden uns in einer Zeit, in der überkommene Strukturen und Arbeitsweisen nicht mehr selbstverständlich funktionieren, so dass im Sinne einer Realitätskontrolle auch ein paar Überlegungen zu der gegenwärtigen Diskussion über funktionsgerechte und arbeitsfähige kirchenleitende Strukturen formuliert werden sollen (16.3).

16.1

Das Fundament reformierter Ekklesiologie

Keiner der nun folgenden Aspekte des reformierten Kirchenverständnisses kann als ein Alleinstellungsmerkmal des Reformiertentums angesehen werden. In je eigenen Varianten finden sich alle Elemente auch in anderen Ekklesiologien, freilich mit unterschiedlichen Verknüpfungen und in anderen Begründungszusammenhängen. Wenn also nach dem Spezifischen im reformierten Kirchenverständnis gefragt wird, geht es nicht um besondere individuelle Merkmale, sondern einerseits lediglich um besondere profilbildende Akzentsetzungen im Blick auf ekklesiologische Bestimmungen, die sich auch in anderen Konfessionen finden, und andererseits um die Abgrenzung gegenüber Zuweisungen an die Kirche, die sich unter den veränderten geschichtlichen Rahmenbedingungen des 16. Jahrhunderts nicht mehr plausibel machen ließen. Dieser Hinweis soll auf den ökumenisch ausgerichteten Orientierungshorizont hinweisen, der die reformierte Kirche als Glied der „einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche“ ausweist. Durch die in diesem Glaubensbekenntnis genannten Attribute sieht sich die reformierte Kirche in einer qualifizierten Verbundenheit mit allen Kirchen, die ihr Kirchesein im Sinne dieser Formulierung bekennen. Die damit vollzogene Verankerung der Kirche im dritten Artikel des Glaubensbekenntnisses und somit in der lebendigen Gegenwart des Heiligen Geistes bleibt der im Bewusstsein zu haltende Ausgangspunkt. Wenn es

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Der Moderator

dennoch mehr und Spezifisches zur reformierten Ekklesiologie zu sagen gibt, so allein deshalb, weil es im Blick auf die konkrete geschichtliche Gestaltung der vom Glaubensbekenntnis annoncierten Kirche unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, auf welche Weise die Verantwortung gegenüber der gemeinsam bekannten Grundlage geschichtlich am angemessensten wahrgenommen wird. Und es soll auch gleich hinzugefügt werden: Da, wo diese Verantwortung gegenüber der gemeinsam bekannten Grundlage nicht als verletzt angesehen werden muss, gibt es für die reformierten Kirchen auch keinen Grund, die vom Heiligen Geist erhaltene Gemeinschaft in der einen Kirche Jesu Christi in Frage zu stellen. Vor allem vier fundamentale Aspekte sind für die reformierte Ekklesiologie hervorzuheben: So wie die Kirche in theologischer Perspektive nicht vom Menschen begründet wird, sondern der Initiative Gottes folgt (Missionsbefehl, Pfingsten), so untersteht sie auch nicht menschlicher Leitung, sondern der Leitung des auferstandenen und somit lebendig gegenwärtigen Christus in der Kraft des Heiliges Geistes. Christus ist das Haupt seines Leibes, neben dem es nicht noch andere Häupter oder irdische Repräsentanten seiner himmlischen Herrschaft gibt. Wenn im Blick auf Gott von Herrschaft gesprochen wird, bleibt konsequent ihr besonderer Charakter zu beachten, der seine Analogie nicht in den ambivalenten Erscheinungsformen menschlicher Herrschaft und Machtausübung hat, sondern in der Selbstlosigkeit des stellvertretenden Eintretens Gottes für den Menschen in Jesus Christus. Die hier vor Augen gestellte besondere Qualifikation von Herrschaft bedeutet eine konsequente Umkehrung all der uns geläufigen Vorstellungen von Herrschaft. Als Leib Christi ist die Kirche mitsamt ihren Aufgaben allein Jesus Christus als ihrem Haupt untergeordnet, d. h. auf der menschlichen Seite kann es grundsätzlich nur Dienste geben, die so zu gestalten sind, dass sie dem Auftrag ihres Herrn Jesus Christus entsprechen. Bestenfalls kann es um die Mitwirkung an der Kirchenleitung Christi gehen, die aber niemals darin bestehen kann, dass aus dieser Mitwirkung Hierarchien innerhalb der Gemeinde abgeleitet werden können. Indem auch die Pastoren konsequent zur Gemeinde gehören und dieser nicht gegenüberstehen, bleiben sie ebenso wie alle Gläubigen auf das Hören des Wortes angewiesen und sind damit in die Gemeinschaft gestellt, auf deren Bewahrung es im Leben der Kirche ankommt. Als solche ist die Kirche Gottes Gegenüber in dem einen auf die ganze Menschheit gerichteten Bund als ihrem geschichtlichen Lebensraum. a) Vergleichbar mit Martin Luther, dem einstigen Augustiner-Mönch, verstand auch Johannes Calvin die Kirche als ein corpus permixtum. Augustin hatte sich auf das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen (Mt 13,24–30) berufen, nach dem um des Weizens willen auch das Unkraut zu dulden ist – erst bei der Ernte wird es aussortiert, was dann allein dem Herrn der Kirche überlassen

Das Fundament reformierter Ekklesiologie

bleibt.3 Die wahre Kirche, wie sie in dem Glaubensbekenntnis bekannt wird, ist als solche nicht sichtbar; sie bleibt in der auch von Heuchlern und Scharlatanen durchsetzten geschichtlichen Kirche verborgen. Auf dieses unverzichtbare Wahrheitsmoment haben die Reformatoren großen Wert gelegt. Ohne von der Bedeutung dieser Einsicht etwas zu ermäßigen, hebt Calvin daneben auch die sichtbare Kirche hervor.4 Dabei geht es um eine theologische Würdigung der verfassten Kirche, die sich nicht schon mit dem Faktum der Verborgenheit der wahren Kirche zufriedengeben darf. Gewiss bleibt es ein geschichtlich nicht zu realisierendes Unterfangen, die wahre Kirche herstellen zu wollen, so dass dieser Hybris gegenüber Abstand zu halten bleibt. Aber die verfasste Kirche ist dennoch eine verheißungsvolle Gabe Gottes, die als ein „irdenes Gefäß“ (2Kor 4,7) zu würdigen ist, in dem der Schatz des erfüllten und somit zu lebenden Bundes enthalten ist. Die verborgene Kirche – das hat auch bereits Augustin betont – ist nirgends anders zu suchen als in der sichtbaren Kirche. Und so betont die reformierte Tradition, dass der sichtbaren Kirche um der in ihr verborgenen wahren Kirche willen die größtmögliche Achtsamkeit und Fürsorge im Blick auf ihre Gestalt und ihre Vollzüge zukommen müssen, ohne dabei auf eine möglichst große Gleichförmigkeit verpflichtet zu sein. Es geht schlicht um die geschichtliche Entsprechung zu der auf der Kirche liegenden Verheißung des Heiligen Geistes, auch wenn es der Kirche grundsätzlich verwehrt bleibt, die Präsenz dieses Geistes zu inszenieren. Sichtbarkeit meint hier keine Offensichtlichkeit, sondern bezieht sich – in Analogie zur Wahrnehmung Jesu von Nazareth als den Christus – auf den Glauben, der nicht nur ihre äußere Gestalt, sondern auch das in ihr verborgene Handeln Gottes in den Blick nimmt. Wenn Calvin von der Kirche als den „äußeren Mitteln und Beihilfen“ spricht,5 so geht es um die besondere Fürsorge, die Gott seinem Gegenüber im Bund zur Stärkung seines Glaubens zukommen lässt. b) Damit die von Christus selbst eingesetzten Erkennungszeichen im Zentrum stehen bleiben, ist die Kirche aufgefordert, sich eine theologisch wohl bedachte Ordnung zu geben – wiederum nicht um damit die wahre Kirche zu inszenieren, wohl aber um den besonderen Gefährdungen, die sie nicht zuletzt aus ihrer Geschichte kennt, möglichst entschlossen und wirksam entgegenzuwirken. Die Frage der Ordnung der Kirche und auch des christlichen Lebens ergibt sich weder von selbst noch kann sie dem Zufall überlassen bleiben. Sie ist vielmehr eine der fundamentalen Bestimmungen, für welche die Gemeinde in

3 Vgl. dazu oben ausführlicher Kap. 1: Welche Kirche meinen wir? 4 Vgl. Johannes Calvin, Institutio IV 1,7. 5 So bereits in der Überschrift zum vierten Buch in der Institutio, in dem die Ekklesiologie erörtert wird.

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Entsprechung zum Evangelium von Jesus Christus verantwortlich ist und die dann auch das Leben der Gemeinde prägen soll. c) In der Frage der von Christus selbst eingesetzten Erkennungszeichen der Kirche (nota ecclesiae) stimmt die reformierte Tradition zumindest in der Genfer Prägung mit der lutherischen Tradition überein: Kirche ist da, wo das Evangelium recht gepredigt (Calvin fügt hinzu: „und gehört“6 ) wird und die beiden neutestamentlich bezeugten Sakramente Taufe und Abendmahl gefeiert werden (Confessio Augustana Art. VII).7 Calvin konnte aber – ebenso wie Luther – auch von dem Wort Gottes als dem einzigen Kennzeichen der Kirche sprechen:8 Die Kirche ist sichtbar, „wo Christus erscheint und wo sein Wort gehört wird.“9 Weder die Kirchendisziplin noch das Amt rechnet Calvin zu den Kennzeichen der Kirche, so sehr er in beiden recht wichtige Bestandteile der Kirchenverfassung gesehen hat. Aber sie kommen eben nicht von Christus, sondern sind von der Gemeinde zu verantworten, indem sie in ihrer je konkreten Situation versucht, angemessen auf das Wort Gottes zu antworten, und haben von daher eine grundsätzlich geringere Verbindlichkeit.

16.2

Kirche als Leib Christi

Für die konkrete Gestaltung der Kirche bleibt die mit der Metapher des Leibes Christi verbundene Unterscheidung zwischen dem Haupt der Kirche und eben ihrem Leib fundamental. Herrschaft kann allein dem Regieren Christi zugemessen werden, der durch sein Wort und seinen Geist die Kirche beruft, erhält und sendet. Daraus folgt einerseits, dass sich alles, was die Vollzüge konkreter menschlicher Gestaltung der Kirche anlangt, von diesem Vorrang Christi bestimmen lassen muss; und andererseits, dass es in der organisatorischen Gestaltung grundsätzlich nicht um die Aufrichtung einer menschlichen Herrschaft neben dem Regieren Christi gehen kann, sondern allein um die Wahrnehmung der verschiedenen Aufgaben, die sich unmittelbar an der „Kirchenleitung“ Christi ablesen lassen. Es geht um die Wahrnehmung derjenigen Aufgaben, die zum Wesen der an Christus orientierten Kirche gehören: Verkündigung, Lehre, praktische Nächstenliebe und Kirchenleitung. Ohne die erkennbare Wahrnehmung dieser vier Aufgabenbereiche kann Kirche nicht recht Kirche sein. Fehlt einer dieser Aufgabenbereiche, so wäre die

6 Calvin, Institutio IV 1,9. 7 Es gibt reformierten Kirchen, die als drittes Kennzeichen der Kirche die Kirchendisziplin anführen, vgl. das Schottische Bekenntnis von 1560 (Confessio Scotica) Art. 18. 8 Vgl. Institutio IV 2,4. 9 Calvin, Streitschrift gegen die Artikel der Sorbonne (1544), 75.

Kirche als Leib Christi

Kirche defizitär, d. h. ihr mangelte es an einer Dimension der ihrer Berufung entsprechenden Beauftragung. Um diese vier Aufgabenbereiche ebenso kontinuierlich wie auch angemessenen wahrnehmen zu können, werden ihnen Ämter zugeordnet, die mit der verantwortlichen Befassung mit diesen verschiedenen Aufgaben beauftragt werden. Es sind diese Ämter, die dazu eingerichtet werden, um die der Kirche von Gott gegebene Sendung in der jeweils gegebenen Situation konkret zu gestalten. Ihnen werden keine Herrschaftsbereiche, sondern Zuständigkeiten zugewiesen, denen die in den verschiedenen Bereichen zu verrichtenden Dienste zufallen. In diesem Sinne formuliert im 20. Jahrhundert die vierte These des Barmer Bekenntnisses: „Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes.“10 Es wird darauf ankommen, dass der Begriff des Dienstes nicht ideologisch missbraucht wird, indem er zur Verbrämung von faktisch ausgeübter Herrschaft herangezogen wird. Es gilt hier, was die Confessio Augustana ausdrücklich für das Bischofsamt unterstreicht, dass es „sine vi humana, sed verbo“ – ohne menschliche Gewalt, sondern allein durch Gottes Wort – wahrzunehmen sei.11 Der Dienst ist niemals schon in sich selbst begründet und legitimiert, sondern bezieht sich auf eine Referenz, die über ihn hinausgeht und der er sich gegenüber verantwortlich zu erweisen hat. Er vollzieht sich prinzipiell im Auftrag, in diesem Fall im Horizont des Auftrages, den Christus der Kirche gegeben hat und gibt. Unbeschadet der Einsicht, dass die Gemeinde allen oben genannten vier Aufgabenbereichen der Kirche als ganze nachzukommen habe, hat Calvin ihnen vier besondere Ämter zugeordnet, die von der Gemeinde zu besetzen sind, die sich dadurch eine Organisationstruktur gibt, die in sinnvoller Weise für jeden Aufgabenbereich eine funktionsgerechte Wahrnehmung verspricht. Dem Verkündigungsauftrag der Kirche und der Sakramentsverwaltung entspricht das Amt der Pastoren. Der Wahrnehmung der Aufgabe der Schriftauslegung und der Ausbildung der Pastoren entspricht das Amt der Doktoren (Lehrer). Damit wird bemerkenswerter Weise das Amt zur Verkündigung vom Amt der theologischen Lehre unterschieden. Es wird unterstrichen, dass die Verkündigung nicht in der Weitergabe theologischer Lehre besteht, und zugleich hervorhoben, dass die Verkündigung auf eine solide Orientierung durch theologische Lehre angewiesen bleibt. Dem Auftrag zu tätiger Nächstenliebe besonders an den Armen, Kranken und Gefangenen wird das Amt der Diakone zugeordnet. Und für die Gemeindeleitung und die Einhaltung der Lebensordnung steht das Amt der Presbyter.12 Damit ist der Horizont angegeben, in 10 Die Barmer Theologische Erklärung, 40. 11 CA 28,21, BSLK, 124. 12 Zu den Bestimmungen der vier Ämter vgl. Calvin, Die Ordonnances ecclésiastiqes (1541) 1561, 239–259.

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dem sich die unterschiedlichen Begabungen und Fähigkeiten an der Gestaltung des Gemeindelebens beteiligen können, was je nach Aufgabenbereich durchaus in sehr unterschiedlicher Intensität vorstellbar ist. Die Metapher des Leibes Christi wird konkretisiert durch die Benennung des spezifischen Organismus, der arbeitsteilig den differenzierten Anforderungen an seine geschichtliche Existenz entspricht. Zentral für den Organismus des Leibes Christi bleibt einerseits die Komplementarität der Dienste, die sich – modern gesprochen – nach den Prinzipien der Kollegialität zueinander zu verhalten haben, und andererseits – unmittelbar damit verbunden – ihr hierarchiekritischer Charakter in der Ausrichtung auf die Monarchie seines Hauptes, d. h. des auferstandenen Christus. In kritischer Perspektive bietet die Metaphorik auch die Vorstellung der Möglichkeit eines vom Haupt unabhängig funktionierenden Organismus, doch es wäre faktisch das verbliebene organische Funktionieren eines Hirntoten, dem keine Perspektive mehr zukäme. Und so wird anhaltend alles darauf ankommen, sich gleichsam nicht selber dadurch in den Zustand eines Hirntoten zu versetzen, dass die Kommunikation zu dem Lebendigkeit verleihenden Haupt vernachlässigt wird. Kirchenleitung wird in diesem Vorstellungshorizont von den Presbytern wahrgenommen, ein von vornherein bereits in sich auf Kollegialität hin angelegtes Amt. Die Wahrnehmung der Verantwortung wird nicht einer einzelnen Person zugewiesen, sondern dem Austausch und der Abwägung eines Kollegiums anvertraut, das sich um möglichst einmütige Entscheidungen bemühen soll. Es sind allein organisationspraktische Gründe, die dazu führen, dass einem Mitglied dieses Gremiums die Leitung anvertraut wird. Es muss dafür gesorgt werden, dass nicht alle durcheinanderreden, dass die Auseinandersetzungen zielführend geführt und später dann auch autorisiert kommuniziert werden. Dieses als primus inter pares wahrzunehmende Amt der Leitung des Leitungskollegiums wird in den verschiedenen reformierten Kirchen mit sehr unterschiedlichen Titeln – bis hin zum Titel des Bischofs – belegt. Ein besonders charakteristischer unter diesen Titeln ist der des Moderators, der auf dem Hintergrund der gemachten Ausführungen bereits selbst in treffender Weise seine Funktionsbestimmung annonciert. Der Moderator bzw. die Moderatorin moderiert die Kirchenleitung, der er bzw. sie als Kollegium angehört, und kommuniziert deren Meinungsbildung und Entscheidungen. Der bescheiden klingende Titel entspricht durchaus dem Charakter der de iure auszufüllenden Rolle, die auf der anderen Seite hinsichtlich der zu ihrer Wahrnehmung erforderlichen Geschicklichkeit de facto allerdings nicht unterschätzt werden sollte.

16.3

Kirchenleitung im Team

Mit den letzten Sätzen sind wir bereits über die Erkundung der reformationstheologischen Wurzeln hinausgegangen. Die kirchengeschichtliche Wirklichkeit hat

Kirchenleitung im Team

im Blick auf die Realisierung der amtstheologischen Fundamentaleinsichten recht unterschiedliche Wege eingeschlagen, nicht nur im Blick auf die Nomenklatur, sondern auch hinsichtlich der Autoritätszuweisungen und Machtbefugnisse. Es wäre gewiss sehr interessant, hier einmal eine weltweite Karte der unterschiedlichen Leitungsmodelle in den reformierten Kirchen zu erstellen,13 doch hier wollen wir uns auf das Amt des Moderators bzw. der Moderatorin konzentrieren. Zuletzt war von der erforderlichen besonderen Geschicklichkeit die Rede, die für dieses Amt im Blick auf die Balance zwischen Kollegialität und Leitung erwartet werden muss. Qualifizierte Moderation erfordert Initiative, Sachkompetenz und Konsequenz bis hinein in die Umsetzung der Entscheidungen und deren Evaluation. Das bringt unausweichlich eine gewisse Exposition mit sich, die konsequent im Horizont der Wahrung der fundamentalen Kollegialität zu gestalten ist. Die Kollegialität hingegen basiert auf der Fähigkeit zu einer achtsamen Selbstzurücknahme. Sie steht sowohl den individuellen Machtambitionen als auch der nicht selten damit verbundenen persönlichen Eitelkeit entgegen. Neben der sachlichen Kompetenz ist diese Fähigkeit zur Selbstzurücknahme eine besondere und keineswegs allseits anzutreffende Anforderung, auch wenn sie auf jedem christlichen Tugendkatalog gewiss recht weit oben stehen würde. Sie wird aber heute in allen kollegial wahrzunehmenden Leitungsfunktionen auch in der Politik, der Wissenschaft oder der Wirtschaft erwartet und entspricht damit einer weithin anerkannten Maxime modernen Managements.14 Allerdings wird offenkundig diese hohe Anforderung längst nicht von allen Funktionsträgern erfüllt. So erhebt sich die Frage, ob dies ein Webfehler in der Amtsdefinition, eine vorläufige Überforderung der immer noch nachwirkenden autoritätsorientierten Praxis oder gar eine organisationsideologische Illusion darstellt, mit der sich die tatsächlichen Machtstrukturen opportun übertünchen lassen. Wenn abschließend diesen Fragen ein wenig nachgegangen werden soll, geht es mir um eine realitätsorientierte Gegenprobe zu den oben skizierten durchaus steil daherkommenden theologischen Fundamentalbestimmungen sowohl hinsichtlich ihrer tatsächlichen Realisierung als auch im Blick auf ihre konkrete Umsetzbarkeit in einer sich in weitreichendem Wandel befindlichen kirchlichen Realität. Dabei ist davon auszugehen, dass das Amt des Moderators nicht nur hinsichtlich des eigenen Anforderungsprofils recht voraussetzungsvoll ist, sondern mit ihm verbunden auch ein handlungsfähiges Kollegium voraussetzt, das für die Beteiligung der ganzen Gemeinde steht, ohne die es für den Moderator nichts zu moderieren gäbe. Überaus ambitioniert hat Luther vom Priestertum aller Getauften gesprochen und damit 13 Zur Fragestellung ohne die Konzentration auf die reformierten Kirchen vgl. Thomas Barth, Elemente und Typen landeskirchlicher Leitung. 14 Ob die jüngst allseits aufkommende leichtfertige Demokratiemüdigkeit hier einen grundsätzlichen Wandel erwarten lässt, muss hier zunächst dahingestellt bleiben.

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den Akzent auf die Selbstverantwortlichkeit der ganzen Gemeinde gesetzt. Auch für Calvin kommt der Selbstverantwortlichkeit der Gemeinde eine fundamentale Bedeutung zu, auch wenn er die Vorstellung des Priestertums der Glaubenden aus guten Gründen nicht aufgegriffen hat. Die Befreiung von der Priesterherrschaft war mit einer ausdrücklichen Verantwortungsübertragung auf die Gemeinde verbunden. Die entschlossene Aufhebung der qualitativen Differenz zwischen Klerus und Laien setzt auf die mündige Gemeinde, die um die Bedingungen der Wahrung des rechten Bekenntnisses weiß. Die Kollegialitätserwartung an den Moderator bzw. die Moderatorin geht von der Gegebenheit dieser Ressource aus, ohne die sie einigermaßen in der Luft stünde. Um die damit angesprochenen gegenwärtigen Verlegenheiten ein wenig transparenter zu machen, sollen die aktuellen Entwicklungen in den Blick genommen werden, denen unsere Kirchen in jüngster Zeit unterworfen waren. Es sind zwei gegenläufige Tendenzen, die besonders in den letzten vierzig Jahren zumindest im Horizont der landeskirchlichen Wirklichkeit eine immer deutlicher werdende Veränderung kirchlicher Praxis und vor allem ihrer Steuerung mit sich gebracht haben. Einerseits hat sich in den Kirchen eine immer weiter ausdifferenzierte Institutionalisierung und Professionalisierung vollzogen. Damit folgen sie einerseits den sich verändernden und gleichzeitig deutlich ausweitenden Aufgabenstellungen und andererseits schlicht der kaum abwendbaren soziologischen Regel der Selbstverfestigung von Institutionen, in denen alle Funktionalisierungen neue institutionelle Bedarfe mit sich bringen, ohne dass im gleichen Maße bestehende Ressorts abgebaut werden können. Daraus kann den Kirchen zunächst kein Vorwurf gemacht werden, aber sie haben sich dem ihnen aus ihrer Institutionalität erwachsenden Problem bisher noch nicht entschlossen genug gestellt. Je größer die Aufgabendifferenzierung, umso größer die Intransparenz der Institution, was für diese unbeabsichtigt eine weitere Stärkung mit sich bringt, indem sie hinsichtlich der Entscheidungsabläufe zunehmend ein Wissen erforderlich macht, zu dem längst nicht jedes Kirchenmitglied einen unmittelbaren Zugang hat. In dem Maße, in dem die Effektivierung kirchlicher Arbeit mit einer wachsenden Professionalisierung verbunden ist, kommt zu der Stärkung der Institution eine prinzipielle Herausforderung der Kommunikation hinzu, weil die verschiedenen Fachdiskurse eigene Sprachwelten entwickeln, die alltagsprachlich nur noch begrenzt zugänglich sind. Der Beteiligung ganz „normaler“ Gemeindeglieder in kirchlichen Beratungsund Entscheidungsgremien werden auf diese Weise immer höhere Hürden gesetzt. Der Anteil der Kräfte, die in der Kirche allein durch ihre institutionell ausdifferenzierte Gestalt gebunden werden, scheint trotz anhaltendem Mitgliederschwund gewachsen zu sein, so wie gleichzeitig der Anteil der Gemeindeglieder schrumpft, die sich noch in der Lage sehen, sinnvoll in Gemeinderäten, Synoden oder kirchlichen Ausschüssen mitwirken zu können. Vielerorts wurde beispielsweise bereits die Anzahl der Mitglieder im Gemeindekirchenrat (Presbyterium) reduziert, um

Kirchenleitung im Team

diesen überhaupt noch ordentlich besetzen zu können. Auch sinkt immer noch die Anzahl der Gemeindepfarrerinnen und -pfarrer im Verhältnis zu den Funktionspfarrämtern, die häufig auf eine eigene Refinanzierung zurückgreifen können und daher den landeskirchlichen Haushalt nicht direkt belasten. Diese beiden gegeneinander laufenden Entwicklungslinien berühren sich einander nicht direkt, so dass sie voneinander unbehelligt die zwischen ihnen liegende Spannung potenzieren. Damit ist bereits die zweite der wachsenden Institutionalisierung gegenläufige Tendenz angesprochen. Immer weniger Gemeindeglieder – auch in der sogenannten Kerngemeinde – haben noch einen Zugang zu den Basisorientierungen hinsichtlich des Gehalts des christlichen Glaubens und seinen biblischen Begründungen. Die allgemeine gesellschaftliche Individualisierung und Pluralisierung hat nicht nur die Kirchen als einen Teil der Zivilgesellschaft erreicht, sondern wird von diesen – zumindest im protestantischen Raum – auch ausdrücklich begrüßt und geradezu programmatisch gewollt, was dann aber der von ihr beanspruchten Orientierungsfunktion entgegenschlägt und unweigerlich dazu führt, dass die Kirche schließlich mehr über ihre Gestalt als über den von ihr bezeugten Glauben in die Aufmerksamkeit rückt. In der volkskirchlichen Wirklichkeit scheint dies längst der Zustand zu sein, in dem sich die Kirche mehr oder weniger als ganze bereits befindet. Über die unterschiedlichen Gründe der Kirchenbindung geben die empirischen Kirchenmitgliedschaftsuntersuchungen Auskunft, deren letzte im März 2014 erschienen ist.15 Es zeigt sich, dass zwar die Bereitschaft zum sozialen Engagement nach wie vor verbreitet ist, theologische oder gar konfessionelle Fragen die Gemeindeglieder aber ebenso wenig bewegen wie die institutionellen und kirchenpolitischen Herausforderungen. Die Folgen dieser Entwicklung zeigen sich auch längst im Alltag der Kirchen, eben etwa, wenn es darum geht Kandidaten und Kandidatinnen für das Presbyterium oder andere kirchliche Gremien zu finden und eine auch so zu nennende Wahl durchzuführen. Die wachsende Zurückhaltung, sich in kirchlichen Gremien und Ausschüssen zu engagieren oder sich auch nur an einer Gemeindewahl zu beteiligen, ist zu einem quantitativ nicht bezifferbaren Anteil Folge des gewachsenen Professionalisierungsgrades und der mit ihr verbundenen Entpersonalisierung der kirchlichen Praxis, die sich mit einem möglicherweise genau damit zusammenhängenden gesamtgesellschaftlich zu beobachtenden Institutionenüberdruss verbindet. Zudem zeigen sich in dieser Entwicklung auch die Folgen einer hingenommenen oder auch ausdrücklich beförderten Selbstsäkularisierung der Kirche, in der sich die Kirche in der allgemeinen Öffentlichkeit vor allem als ein wohlmeinender

15 Engagement und Indifferenz. Kirchenmitgliedschaft als soziale Praxis. V. EKD-Erhebung über Kirchenmitgliedschaft, Hannover 2014.

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Wohlfahrtsverband präsentiert, auf den die Gesellschaft nicht ohne eine Selbstschädigung verzichten könne. Das Priestertum aller Gläubigen ist weiter denn je in eine unerreichbare Ferne gerückt, was zu einer automatischen Stärkung des ordinierten Amtes führt, das auch in den kirchlichen Gremien nach wie vor den Ton angibt. Zwar wird das Priestertum aller Glaubenden immer wieder gerne auf den Schild gehoben, faktisch aber spielt es keine ernst zu nehmende Rolle, während sich gleichzeitig auch in den protestantischen Kirchen die Rede von den Laien wieder einen selbstverständlichen Platz gesichert hat, was die so etikettierten Laien auch mit Demut hinzunehmen scheinen. Die Gemeinden sind weithin Personalgemeinden, deren Lebendigkeit und Engagement immer noch deutlich auf die hauptamtlich Wirkenden zentriert sind. Die Gremienkommunikation wird mehr und mehr zu einer Insiderkommunikation, die nicht dazu angetan ist, „normale“ Gemeindemitglieder zu einem eigenen Engagement zu ermutigen.16 Zudem wurde in den letzten Jahren in der Kirche viel und teilweise recht forsch über Leitung diskutiert. Einerseits stand im ökumenischen Horizont wiederholt das Verständnis von Amt und Episkopé zur Debatte.17 Es bestätigt sich dabei immer wieder, dass hier die tatsächlichen Hindernisse für ein Zusammenrücken der Kirchen liegen, und zwar in einer Tiefendimension, die von sachlich geführten theologischen Debatten nicht wirklich erreicht werden kann.18 Zum anderen wurde im Zuge der empfindlich registrierten Reformdebatte gern an den Mut zur Leitung appelliert, ohne den zielgerichtete Veränderungsprozesse nicht realisiert werden könnten. Es waren auffälliger Weise häufig durchsetzungswillige mit Leitungsaufgaben betraute Personen, die auf eine höhere Durchschlagskraft von Leitung und damit auf schneller zu realisierende Entscheidungen setzten. Dabei kam es auch in zunehmendem Maße zu Problematisierungen der basisorientierten Entscheidungsstrukturen in der evangelischen Kirche, weil diese längst nicht mehr flächendeckend tatsächlich qualifiziert ausgefüllt werden können, so dass durch die Schwächung der Partizipation der Gemeindeglieder auch eine deutliche Schwächung der Handlungsfähigkeit der Kirche insgesamt zu registrieren sei. Gerade im Blick auf unpopuläre Entscheidungen müssten die hierarchischen Elemente der

16 Im Moderamen des Reformierten Bundes hat es mehrere Versuche gegeben, das Prekariat dieser Situation zu thematisieren, was aber über die Bekundung des guten Willens hinaus nicht zu irgendwelchen Veränderungen geführt hat. 17 Vgl. beispielsweise das Lehrgesprächsergebnis der GEKE „Amt – Ordination – Episkopé“. 18 So kann etwa die unterschiedliche Auffassung vom historischen Bischofsamt und der Episkopé zwischen EKD und der Church of England im sogenannten Meißenprozess als akademisch ausdiskutiert gelten mit dem Resultat, dass es keine ernsthaft belastbaren Gründe zu einer Verweigerung der gegenseitigen Anerkennung gibt, aber die daraus resultierende Annäherung ist damit noch längst nicht erfolgt; vgl. dazu u. a. Mark Chapman u. a. (Hg.), Revisiting the Meissen Declaration after 30 Years.

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Kirchenverfassung eine faktische Stärkung erfahren. Der gegenwärtigen Leitungsdebatte steht allzu deutlich die Verlegenheit auf der Stirn geschrieben, aus einer Not eine Tugend machen zu wollen. Dass in diesem Zusammenhang von einem reformierten Theologen der Vorschlag in die Debatte geworfen wurde, doch anstelle all der unterschiedlichen Bezeichnungen für die reformierten leitenden Kirchenrepräsentanten nun endlich doch auch den Bischofstitel einzuführen, weist – selbst wenn dies nicht beabsichtigt gewesen sein sollte – unweigerlich in die Richtung einer Aufwertung der Amtsautorität, die mit den theologischen Grundsätzen jedenfalls der überkommenen reformierten Ekklesiologie nicht ohne weiteres zusammenpasst.

Nach wie vor lassen sich die protestantischen Kirchen im ökumenischen Spektrum vor allem von dem amtsbewussten „rechten“ Flügel der Kirchen beeindrucken und zeigen dem keineswegs bedeutungslosen „linken“ Flügel der amtskritischen und kongregationalistisch verfassten Kirchen eher die kalte Schulter, wie es schon Karl Barth in einer bemerkenswerten aber weithin unbekannten Rede vor dem reformierten Konvent auf der Gründungsvollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen 1948 in Amsterdam kritisch anmerkte.19 Gewiss lassen sich geschichtlich erworbene Grundsätze wieder verändern, aber die Änderungen werden sich gegenüber den überkommenen ekklesiologischen Einsichten auch theologisch zu verantworten haben, was bisher nicht erkennbar ist. Insgesamt bleibt die pragmatische Tendenz bestimmend, die Theorie der Praxis anzupassen, weil man sich offenkundig von ihr davon überzeugen lässt, dass gegen die Normativität des Faktischen nicht anzukommen sei, wenn man nicht früher oder später als Don Quichotte enden will. Das Amt des Moderators, wie wir es begründet und profiliert haben, wird in diesem Horizont zu einem Auslaufmodell, es sei denn, das derzeitige Unverhältnis von Theorie und Praxis wird nicht allein der Theorie angelastet. Was Theodor W. Adorno für die Gesellschaftswissenschaften reklamiert, dass es ja auch an der Praxis liegen könnte, wenn Theorie und Praxis nicht zusammenpassen, sollte der Theologie keine fremde Erwägung sein, auch und gerade dann nicht, wenn ihr die Rolle der kritischen Reflexion der kirchlichen Praxis zukommt. Aus meiner Sicht steht hier die Frage zur Debatte, ob der gegenwärtig nicht ausreichend abgedeckte Leitungsbedarf durch eine Ermächtigung der Ämter und Institutionen befriedigt werden soll, oder ob nicht vielmehr umgekehrt, die Energie auf eine Verbesserung der Partizipationsmöglichkeiten in den Gemeinden konzentriert werden sollte, auch wenn dies möglicherweise nicht von heut auf morgen funktioniert. In jedem

19 Vgl. Karl Barth, Unsere reformierten Kirchen und der Weltrat der Kirchen.

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Fall aber müssten sich auch theologische Erkenntnisse beibringen lassen, die aufzeigen können, warum die gemeindeorientierte Ekklesiologie der Reformatoren nicht oder nicht mehr aufgeht. Nur dann ließe sich der Anachronismus kommunizieren, dass ausgerechnet in einer Zeit, in welcher zumindest vorläufig noch der gesellschaftliche Wandel bis hinein in die Orientierungen des modernen Managements in besonderer Weise durch Demokratisierungsprozesse bestimmt wird, in den Kirchen wieder mit hierarchischen Modellen geliebäugelt wird, was nicht selten mit einem nur als skurril zu bezeichnenden Anwachsen des offenkundig unausrottbaren Klerikalismus einhergeht, der mir ein nicht zu unterschätzender Erzfeind der Kirche zu sein scheint, weil er in der Regel die geforderte Kompetenz durch den schlichten Auftritt des Anspruchs der agierenden Institution ersetzt. Da eine solche theologische Kehrtwende aber nicht zu erwarten steht, kann es m. E. nur darum gehen, einerseits ernsthaft an der Gemeindenähe der sich vor allem an sich selbst festhaltenden Institution und andererseits kreativ an zeitgemäßen Partizipationskonzepten zu arbeiten, die es den Gemeinden ermöglichen, die auf ihnen liegende Verantwortung auch tatsächlich ausfüllen zu können. Und das kann eben nicht – wenn ich dies einmal ganz pointiert sagen darf – mit erwachsenbildnerischen Bespaßungsprogrammen oder spirituell ausgelegten Pilgerwegen funktionieren, sondern bedarf einer ausdrücklichen Bildungsanstrengung, die auf die Mündigkeit der Gemeinden ausgerichtet ist. Auch in diesem Punkt könnte uns in mancherlei Hinsicht die Reformation ein Vorbild sein, die eben – wie Michael Welker nicht zu betonen nachlässt – auch ein energischer und wirksamer Bildungsimpuls gewesen ist. Ohne ernsthafte Bildungsanstrengungen wartet wohl vor allem der Fundamentalismus mit seinen ausgebreiteten Armen auf diejenigen Gemeindeglieder, die sich mit dem Dahindämmern der religiös halb sedierten Kirche nicht mehr einfach zufriedengeben wollen. Ohne einen erkennbaren Anteil bekennender Theologie und bekennender Existenz ist die Kirche nicht lebensfähig. Nicht zuletzt kann auch der wachsende evangelikale Flügel in unseren Kirchen nur dann vor weiterer Verhärtung und einer unseligen Zunahme seiner fundamentalistischen Neigungen im Horizont einer tatsächlich so zu nennenden „Kirche der Freiheit“ gehalten werden, wenn die Wahrheitsmomente seiner Kritik die Kirche zu einer eigenen theologisch ebenso differenzierten wie auch klaren Antwort provozieren, die deutlich macht, was es heißt, eine Kirche zu sein, die sich im Horizont der gegenwärtigen Verlegenheiten und Bedrängnisse zu Jesus Christus als ihrem lebendigen Herrn bekennt. Das kann an dieser Stelle nun nicht weiter konkretisiert werden. Wohl aber soll „gegen den Trend“ entschieden am Amt des Moderators und der mit ihm verbundenen Vorstellung von Gemeindeleitung bzw. Kirchenleitung gleichsam als einem Stachel im Fleisch festgehalten werden, der uns an die gemeinsame Verantwortung erinnert, welche die ganze Kirche und nicht nur ein bestimmtes Organ in ihr zum Leib Christi macht. Alle Versuche, dem lahmenden Leib Christi nun bevorzugt der

Kirchenleitung im Team

Kirchenleitung einen Herzschrittmacher zu implementieren, verkennen schließlich, dass es nur Christus selbst sein kann, der durch seinen Geist seinen Leib belebt. Jede Anstrengung, die diese Fundamentalbestimmung nicht ausdrücklich in den Blick nimmt und auf andere Animationen setzt, bedient leichtsinnig die Hoffnung, das Fundament der Kirche mit Sand stabilisieren zu können. D.h. es geht darum, die ekklesiologisch zentrale Unterscheidung vom Haupt und dem Leib der Kirche nicht zu einer allgemeinen nichtssagenden Formel verkommen zu lassen, weil es nur von ihr aus zu angemessenen Vorstellungen über den Leib und seine zweifellos in Betracht zu ziehenden Differenzierungen kommen kann. Es gibt keine Evidenzen dafür, dass die Verheißung dieses Geistes vor allem den Kirchenleitungen gilt. Dadurch wird die Dignität ihrer anspruchsvollen Aufgabe keineswegs geschmälert. Der Leib als ganzer funktioniert nur über sein organisches Zusammenspiel. Und weil sich dies – im Unterschied zu einem biologischen Leib – nicht einfach automatisch vollzieht, bedarf es einer Moderation, die durch eine Moderatorin oder einen Moderator wahrgenommen wird. Der Reformierte Bund ist jedenfalls – salopp gesprochen – damit bisher einigermaßen erfolgreich durch das Auf und Ab der Zeiten gekommen. Provokativ formuliert ist die systematische Alternative dazu – konsequent zu Ende gedacht – eben eine „Papstkirche“, die zu wollen angesichts des faktischen Zustandes des Protestantismus sich ja auch benennbare Gründe denken lassen, die aber unweigerlich mit einer endgültigen Kapitulation des Protestantismus einhergingen.20 Wir haben gezeigt, wie anspruchsvoll das Amt des Moderators, einer Moderatorin, ist. Seine partizipative Einbindung in die hierarchiefreie Gemeinde bleibt essenziell, und alles, was in diesem Zusammenhang mehr zu sein scheint, ist in dem thematisierten Horizont in Wahrheit weniger. Es hängt freilich nicht an der Bezeichnung, sondern an der Funktion, die auch von Menschen mit anderen Amtsbezeichnungen vorgenommen werden kann. Wenn man aber in der glücklichen Lage ist, diese Funktion dann auch gleich in der Bezeichnung des Amtes zu benennen, scheint mir an dieser Stelle wohl der geringste Druck in Richtung auf eine Reform vorzuliegen.

20 Als mir ein katholischer Kollege auf die Frage, was angesichts seines ausdrücklichen ökumenischen Engagements der entscheidende Grund dafür sei, warum er sich doch auch entschieden als „katholisch“ beheimatet versteht, antwortete, dass es die Institution des Papstes sei, war ich zunächst außerordentlich verblüfft, konnte dieser Antwort aber bald nach und nach den ihr gebührenden Respekt durchaus verständig einräumen. Wenn der Widerspruch gegen das Papstamt keinen systematisch zwingenden Charakter mehr hat, wie es in einem grundsätzlich hierarchiekritischen im Protestantismus der Fall sein sollte, werden sich kaum evidente Gründe beibringen lassen, die sich dem Anspruch dieses Amtes überzeugend entgegenhalten lassen. Vgl. dazu oben Kap. 1: Welche Kirche meinen wir?, 42, Anm. 56.

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Und zum Schluss der Anfang Anstelle eines Nachworts 17.

Das Geheimnis der Kirche nach dem Evangelisten Lukas

Eine biblische Meditation1 Blicken wir zum Schluss doch einmal auf den Anfang. Es geht dabei nicht um eine Konklusion und schon gar nicht um eine Ergebnissicherung all der zur Diskussion gestellten Überlegungen. Vielmehr erscheint es mir am Ende des bisweilen auch holprigen oder eben auch nur improvisierten Weges sinnvoll zu sein, zumindest exemplarisch auf die immer wieder neu zu entdeckenden biblischen Voraussetzungen für die hier vorgelegten Prolegomena zur Ekklesiologie zu verweisen, die wohl nur im Horizont des Evangeliums von der Auferstehung Jesu gesucht werden können. Wir setzen uns dem Evangelisten Lukas zu Füßen und lassen ihn erzählen vom Geheimnis der Kirche, so wie er es sieht. Die Geschichte von den beiden Emmaus Jüngern (Lk 24,13–35): (13) Und da waren am selben Tag zwei von ihnen unterwegs zu einem Dorf namens Emmaus, das sechzig Stadien von Jerusalem entfernt ist. (14) Und sie redeten miteinander über all das, was vorgefallen war. (15) Und es geschah, während sie miteinander redeten und sich besprachen, dass Jesus selbst sich zu ihnen gesellte und sie begleitete. (16) Doch ihre Augen waren gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten. (17) Er aber sagte zu ihnen: Was sind das für Worte, die ihr da unterwegs miteinander wechselt? (18) Der eine aber, mit dem Namen Klopas, antwortete ihm: Du bist wohl der Einzige, der sich in Jerusalem aufhält und nicht erfahren hat, was sich in diesen Tagen dort zugetragen hat. (19) Und er sagte zu ihnen: Was denn? Sie sagten zu ihm: Das mit Jesus von Nazaret, der ein Prophet war, mächtig in Tat und Wort vor Gott und dem ganzen Volk, (20) und wie unsere Hohen Priester und führenden Männer ihn ausgeliefert haben, damit er zum Tod verurteilt 1 Bibelarbeit auf der Hauptversammlung des Reformierten Bundes 1998 in Emden; zuerst in: Reformierte Kirchenzeitung 139 (1998), 281–286; wiederabgedruckt in: „Das Geheimnis der Kirche“ Hauptversammlung des Reformierten Bundes Emden, 11.–13. Juni 1998, Dokumentation, im Auftrag des Moderamens des Reformierten Bundes hg. v. Hermann Schaefer, Wuppertal 1998, 18–30, wiederabgedruckt in: Matthias Blum, Rainer Kampling (Hg.), Grenzen und Wege (Spiritualität vor Ort 1), Berlin 2000, 119–133.

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Das Geheimnis der Kirche nach dem Evangelisten Lukas

würde, und wie sie ihn gekreuzigt haben. (21) Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde; doch jetzt ist es schon drei Tage her, seit dies geschehen ist. (22) Doch dann haben uns einige Frauen, die zu uns gehören, in Schrecken versetzt. Sie waren frühmorgens am Grab, (23) und als sie den Leib nicht fanden, kamen sie und sagten, sie hätten gar eine Erscheinung von Engeln gehabt, die gesagt hätten, er lebe. (24) Da gingen einige der Unsrigen zum Grab und fanden es so, wie die Frauen gesagt hatten; ihn aber haben sie nicht gesehen. (25) Da sagte er zu ihnen: Wie unverständig seid ihr doch und trägen Herzens! Dass ihr nicht glaubt nach allem, was die Propheten gesagt haben! (26) Musste der Gesalbte nicht solches erleiden und so in seine Herrlichkeit eingehen? (27) Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften über ihn steht. (28) Und sie näherten sich dem Dorf, wohin sie unterwegs waren, und er tat so, als wolle er weitergehen. (29) Doch sie bedrängten ihn und sagten: Bleibe bei uns, denn es will Abend werden, und der Tag hat sich schon geneigt. Und er ging hinein und blieb bei ihnen. (30) Und es geschah, als er sich mit ihnen zu Tisch gesetzt hatte, dass er das Brot nahm, den Lobpreis sprach, es brach und ihnen gab. (31) Da wurden ihnen die Augen aufgetan, und sie erkannten ihn. Und schon war er nicht mehr zu sehen. (32) Und sie sagten zueinander: Brannte nicht unser Herz, als er unterwegs mit uns redete, als er uns die Schriften aufschloss? (33) Und noch zur selben Stunde standen sie auf und kehrten nach Jerusalem zurück und fanden die elf versammelt und die, welche zu ihnen gehörten; (34) die sagten: Der Herr ist tatsächlich auferweckt worden und dem Simon erschienen. (35) Und auch sie erzählten, was unterwegs geschehen war und wie er von ihnen am Brechen des Brotes erkannt worden war. (Zürcher Bibel 2007)

17.1

Zurück nach Emmaus

Die Geschichte von den beiden Emmaus Jüngern ist uns allen bekannt: die Geschichte von den beiden, für die nach der Hinrichtung Jesu vor den Toren Jerusalems der Jesustraum ausgeträumt war und die sich deshalb abwandten von der schrumpfenden Schar seiner Begleiterinnen und Begleiter. Sie kehrten dahin zurück, woher sie gekommen waren – tief enttäuscht, aber doch nicht ziellos. Sie haben zunächst keine Namen, und die Erzählung des Lukas benennt sie nach einem kleinen Dorf in der Provinz nahe bei Jerusalem mit Namen Emmaus. Dort kommen sie her und dorthin wollen sie wieder zurückkehren, – gründlich ernüchtert von der religiösen Begeisterung, in der sie sich seinerzeit mit vielen anderen diesem Wanderprediger Jesus – ihrem Meister, wie sie zu sagen pflegten – angeschlossen haben. Obwohl uns die Namen unbekannt sind, sind uns die beiden keineswegs unbekannt, die wir auch alle aus der Provinz kommen, die mehr über uns aussagt als unsere Namen.

Zurück nach Emmaus

Wir verlassen mit den beiden die kleine von Jesus zurückgelassene Schar, diese eben noch beim Aufstieg nach Jerusalem begeisterten Anhänger Jesu, die nach den katastrophalen Ereignissen der letzten Tage so verstört, verunsichert und verängstigt auf dem heiligen Berge sitzen, dem Himmel vielleicht etwas näher als anderswo, aber dem Leben inzwischen schon recht fern gerückt. Die beiden werden sich wohl gesagt haben: ‚Nun ist es aus mit diesem Jesus, auf den wir unsere Hoffnung gesetzt haben. Jetzt kehren wir besser dorthin zurück, woher wir gekommen sind – da kennen wir uns wenigstens aus. Worauf sollen wir hier noch warten?‘ So mögen sie gedacht haben, sind kurzerhand aufgestanden, hinausgegangen und haben sich auf den Heimweg gemacht. Damit das Warten kein Warten auf Godot wird, ziehen die beiden Emmaus Jünger schulterzuckend und zugleich entschieden die Konsequenz. Ihre Erwartungen haben sich nicht bestätigt. Ihre Hoffnungen auf die so erfolgreich angelaufene religiöse Erneuerungsbewegung dieses Jesus sind dahin. Am Ende ging es dann wohl zu hoch hinauf, nicht etwa nur weil Hochmut vor dem Fall käme, sondern weil man zu Gott nicht einfach hinaufpilgern kann, so als ließe er sich von uns aus erreichen. Gottes Nähe entzieht sich unserer Regie, auch wenn wir uns ausdrücklich zu ihr aufmachen. Sie ist nicht einfach die Verlängerung unserer Aufbrüche – gleichsam ihr selbstverständliches Ziel – und auch nicht einfach die Erfüllung unserer frommen oder gar spirituellen Hoffnungen. Der heilige Berg war immer für eine Überraschung gut, und ohne Furcht und Zittern ist es niemals dabei abgegangen. Da treten wir dann lieber den Abstieg an, dorthin, wo wir herkommen. Gewiss unterscheiden wir uns von den Emmaus Jüngern darin, dass es uns heute besser gelingt, unsere Enttäuschung zu verbergen, so dass wir in unserer jeweiligen religiösen Provinz weiterhin mit unserer mehr oder weniger bunten Alltagsreligion zufrieden sind. Schnell schütteln wir unsere Enttäuschung über die abermals nicht gelungene Überwindung der Unsichtbarkeit Gottes aus den Haaren und machen es uns gemütlich in unserer religiösen Provinz, da, wo wir uns zu Hause fühlen, und rufen uns immer wieder gern zu: „Oh wie schön ist Panama!“2 Das scheint mir unsere Versuchung zu sein, dass wir glauben, das Geheimnis der Kirche sei zusammengefasst in Sätzen wie diesen: „Oh wie schön ist Panama!“ Weil wir mit uns selbst ganz gut zufrieden sind, ermuntern wir dazu, die mit Panama verbundenen Verheißungen und Träume bei uns selbst zu suchen; wenn nur lange genug gesucht wird, werden wir bei uns selber finden, was wir suchen. Aufbruch in die Heimat – nicht zu neuen Ufern. Wir haben ja unsere Tigerente zum Selberziehen, die folgt uns überall hin und sorgt stets für die benötigte Exotik, so wie es sich nun einmal für eine Tigerente gehört. Wir horchen in uns hinein und meinen nach meist knapp bemessener Zeit, sogar Gott aus uns sprechen zu hören. 2 So lautet der Titel eines seinerzeit allseits und gewiss auch heute noch verbreitet bekannten Kinderbuches vom Janosch, das 1976 erschienen ist.

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Das Geheimnis der Kirche nach dem Evangelisten Lukas

Was soll man da noch weit herumziehen, wenn man alles bei sich selber hat. Was sollen wir da in Jerusalem, wenn das, was wir suchen, doch überall zu finden ist. Ja, Panama ist überall und ganz besonders da, wo wir gerade sind. Alles Fernweh und die Sehnsucht nach dem Reich Gottes führt schließlich wieder zu uns selbst und dem Bekenntnis: Das Geheimnis der Kirche ist sie selbst. Es gibt diese merkwürdig geschäftige Sesshaftigkeit in der Kirche, welche die Wege immer auf ihren Ausgangspunkt hinsteuert. Und es gibt diese keineswegs weniger merkwürdige klerikale Versorgung in unserer Kirche, die versucht, das Grau des Alltags mit ein paar Farbtupfern und möglichst einer Schnur zum Selberziehen zu versehen. Dann und wann gilt es, etwas Weihrauch aufsteigen zu lassen, um der dahin plätschernden Zeit zu ein paar spirituellen Höhepunkten zu verhelfen, so dass wir uns unter Palmen, wenn nicht gar im Paradiese wähnen. So manch ein Prediger scheint zu glauben, dass es auch mit dem Glauben so gehen müsse wie in dem schönen Kinderbuch, wo der kleine Bär und der kleine Tiger in ihrer Suche nach dem Glück schließlich bei sich selber ankommen. In zeitgemäßer Formulierung lautet dann das Evangelium: Bleibe, wo du bist; was du suchst, bist du selbst – zu Hause ist es noch am schönsten, jedenfalls wenn man gelernt hat, die Dinge ein wenig anders zu sehen. Du kommst immer schon von Panama, du hast es nur noch nicht gemerkt. Und in jedem Fall bist du o.k. – das ist die heute so gern gepredigte Rechtfertigung ohne Glauben. Wer wollte schon bestreiten, dass an dieser Botschaft etwas dran ist, – aber das Geheimnis der Kirche ist es nicht. Es ist diese leichtfertig idealisierte Sesshaftigkeit, die bei uns die ganze Geographie durcheinanderbringt. Wir unterscheiden nicht mehr so recht zwischen Jerusalem und der Provinz. Panama ist überall. Wir haben keinen Sinn mehr für den heiligen Berg und tun so, als könne jede beliebige Anhöhe ein heiliger Berg sein. Allen ehrenwerten Indianerweisheiten zum Trotz erweisen sich die auserkorenen Anhöhen oft genug bei genauerem Hinsehen als ausgesprochen flach, so als wolle man den Nordseedeich als den Himalaja ausgeben. Irgendwie scheint da das Gespür für angemessene Proportionen ein wenig durcheinander geraten zu sein in unserer Symbolmanie, in der wir uns nicht damit abfinden wollen, dass wir Gott eben nicht in die Hand nehmen können, dass wir ihn eben nicht fühlen, riechen oder schmecken können, auch nicht in kleinen Portionen. Auch da unterscheiden wir uns von den Emmaus Jüngern, denn sie wussten durchaus noch, dass Jerusalem nicht Emmaus ist. Und wenn man von Jerusalem nach Emmaus geht, geht man eben nicht doch insgeheim wieder nach Jerusalem, weil eben Jerusalem nicht überall ist. Und so steht ihnen im Unterschied zu manchem von uns, die den heiligen Berg verlassen, um sich in den Weiten Panamas zu verlieren, die Enttäuschung im Gesicht. Der mit dem Aufstieg nach Jerusalem verbundene Optimismus scheint ihnen historisch widerlegt zu sein. Es ist ein Gebot des Realismus, nach der Grablegung Jesu den Traum von einer neuen Welt erst einmal zu verabschieden. Es hat keinen Sinn, sich weiter etwas vorzumachen.

Zurück nach Emmaus

Da ist von Auferstehung die Rede, so haben es die Engel am Grabe Jesu gesagt. Das kann man glauben oder nicht. Tatsächlich aber ist es eher unglaublich, doch gerade deshalb ist es nur zu glauben. Eine weitere Diskussion erübrigt sich. Aber die Jüngerinnen und Jünger in Jerusalem fingen in all ihrer Ratlosigkeit an zu diskutieren, um sich zurechtzulegen, wie das, was die Engel gesagt haben, wohl gemeint sein könnte. Sie beginnen, theologisch zu spekulieren, wie denn die Auferstehung zu verstehen sei, denn als aufgeklärter Mensch weiß man doch, dass natürlich nichts geschehen war. Hören wir doch einen Moment dem theologischen Streit der Jünger und Jüngerinnen zu: Da war davon die Rede, dass Jesus nicht wirklich auferstanden sei, sondern er sei in die Verkündigung der Gemeinde auferstanden. Ein anderer versucht, der irritierten Schar Mut zu machen, indem er ihr mitteilt, dass die Sache Jesu weitergehe, wenn nur die Gemeinde ihn lebendig bezeuge; er sei gleichsam in der Gemeinde lebendig. Eine engagierte Jüngerin stellt in hanseatischer Direktheit fest, dass nach dem Tode Gottes nun die Kirche an der Reihe sei, nachdem Jesus ihr den Weg gezeigt habe. Die Christen seien Gottes Stellvertreter. Jetzt komme es auf uns an, ob wir Jesus weiterleben lassen oder ob wir ihn für begraben erklären. Und die Vorschläge werden immer phantastischer: Von hinten ruft einer, dass er Jesus vor seinem inneren Auge lebendig gesehen habe – er habe eine Vision gehabt. Aus einer anderen Ecke kommt der Einwand, dass eine subjektive Vision zur Behauptung der Auferstehung nicht ausreiche, es müsse schon etwas Objektives sein. Und so kam es schließlich zu der ‚objektiven Visionshypothese‘,3 die heute noch von manchen Kandidatinnen und Kandidaten der Theologie für das Examen gelernt wird. Die gedrückte Stimmung und der Eifer der Debatte verhinderten, dass die Komik des Vorschlags bemerkt und entlarvt wurde – vielleicht sollten die Theologen häufiger an das Märchen von des Kaisers neuen Kleidern erinnert werden. Doch plötzlich stehen da einige auf, die den staunenden anderen mitteilen, die Auferstehung sei eine Tatsache, ja ein historisches Ereignis, nur so könne sie von Bedeutung sein. Um zwischen den verschiedenen Positionen zu vermitteln, wird vorgeschlagen, man solle zumindest mit einem historischen Rand rechnen, gleichsam einem Geländer, das dem schwankenden Glauben einen Halt geben könne. Und während des Gezänks der Theologinnen und Theologen darüber, wie denn die Auferstehung mit unseren Verstehensmöglichkeiten in Einklang zu bringen sei, verließen die beiden Jünger aus Emmaus gerade die eifrige Runde, als ein Göttinger Jünger aus der vorletzten Reihe nun noch einmal zum Überdruss beinahe aller Anwesenden mit großem rhetorischen Gestus – vor allem im Blick auf die anwesend geglaubte Presse – wiederholte, dass Jesus doch im Grabe geblieben und die Auferstehung nur eine bestimmte Interpretation des Kreuzes sei. Laut und beinahe pathetisch rief er noch aus der Tür bevor auch er den Raum verlässt: „Es gibt nichts

3 Vgl. dazu Hans Graß, Ostergeschehen und Osterberichte.

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Das Geheimnis der Kirche nach dem Evangelisten Lukas

zu sehen, und wo es nichts zu sehen gibt, da ist auch nichts.“ Gesagt ist gesagt. Eine solche Dummheit eignet sich dazu, eine merkwürdige Verblüffung zu verbreiten. Es wird unruhig in der Runde. Der Überdruss der meisten ist groß, obwohl sie mit etwas feinsinnigeren Worten vorher doch im Grunde dasselbe gesagt haben. Doch wenn es dann einmal so platt herausposaunt wird, dann wollen sie nichts mehr damit zu tun haben. Und so ist das Gezänk bis heute nicht an ein Ende gekommen. Wundern Sie sich bitte nicht, wenn Sie nicht alles verstehen – manches ist auch nicht ganz zu verstehen. Übrigens waren die drei Frauen, welche die Engelsbotschaft überbracht hatten, schon vorher gegangen. Sie hatten es gleich gemerkt, dass auf diesem Weg nicht weit zu kommen ist, und hatten sich kommentarlos verabschiedet. Für sie war es klar – entweder ist den Engeln am Grabe zu glauben oder nicht. Für sie war klar, es geht um den Glauben, denn über das, was nach dem Tode ist, können wir, die wir noch alle vor dem Tode sind, nichts wissen – es sei denn, wir seien der Ansicht, Jesus sei nur scheintot gewesen oder reanimiert worden, worauf natürlich aber schon einer gekommen war und zwar bereits im 19. Jahrhundert. Wenn es um ein Leben nach dem Tode geht, dann helfen keine theologischen Diskussionen, deren Vorstellungshorizont zwangsläufig auf die Welt vor dem Tod begrenzt bleibt. Wenn selbst Engelsworte nicht zu überzeugen vermögen, dann kann man sich die Diskussionen der Theologinnen und Theologen allzumal sparen. Und so gingen die Frauen hinaus, die sie die Engel selber gehört hatten und ließen die Jünger in ihrer hoffnungslosen Diskussion allein. Sie ahnten bereits von dem Geheimnis der Kirche, während die Jünger in ihrem gut gemeinten Entmythologisierungseifer, in dem sie glaubten, alle Geheimnisse lüften zu können, dem Geheimnis unversehens die Seele austrieben und es unseren alten Vorstellungsbedingungen unterstellten, wo es zwangsläufig genauso verkümmern musste, wie der Traum von Panama, der seine Erfüllung schließlich in den eigenen vier Wänden findet. Die beiden Emmaus Jünger taten es den Frauen später gleich; zunächst hatten sie geglaubt, dass die Auseinandersetzung zu etwas führen könnte. Sie merkten, dass die Erklärungsversuche gründlich an der Sache vorbeigingen. Die Auferstehung Jesu erklären zu wollen, komme – wie Hans-Georg Geyer einmal gesagt hat – dem unsinnigen Versuch gleich, beweisen zu wollen, ob Wasser rund oder viereckig sei.4 Und so wandten sich auch die beiden Emmaus Jünger ab von Jerusalem und gingen zurück in die Provinz, enttäuscht von dem Scheitern Jesu und gebeugt von dem Zusammenbrechen all der Hoffnungen, die sie auf ihn gesetzt hatten: „Wir aber hofften, er sei es, der Israel erlösen werde.“ (V. 21a)

4 Vgl. Hans-Georg Geyer, Die Gegenwart Christi: Die Auferstehung, 181.

Das Geheimnis der Kirche

17.2

Das Geheimnis der Kirche

Jetzt kommt der Hauptteil der Erzählung des Lukas, und dieser Hauptteil ist eine brillante Einführungslektion in das Geheimnis der Kirche, die eben auch immer wieder Jerusalem den Rücken kehrt und dahin zurück strebt, wo sie herkommt. Es ist schon recht kompliziert mit der Geographie des Glaubens, in der es nicht ausreicht zu wissen, wo die einzelnen Orte liegen, sondern wo es häufig mehr auf die Richtung ankommt, aus der man kommt und in die man geht. Nicht die räumliche Position auf der Landkarte steht im Vordergrund, sondern die gegenseitigen Verbindungen, nicht die regionalen Differenzen, sondern die verknüpfenden Verkehrswege. Entscheidend ist nicht, die heilige Stadt Jerusalem und Emmaus, Leer, Detmold oder Siegen zu lokalisieren, sondern wichtiger ist es, sich darüber klar zu sein, dass wir immer entweder von Jerusalem kommen oder aber nach Jerusalem gehen. Begleiten wir doch die beiden Jünger nach Emmaus und hören zu, was sie beschäftigt. Sie sprechen nicht von Emmaus und was sie dort erwarten wird, wenn sie wieder zurück sind. Vielmehr sprechen sie „über all das, was vorgefallen war“ – wie es in V. 14 heißt – d. h. sie sprechen über das unerwartete Ende dieser hoffnungsvoll begonnenen Geschichte mit diesem Jesus aus Nazareth. Doch nun ist es aus mit dieser Episode, so sehr auch die Jünger oben in Jerusalem mit ihren Diskussionen noch zu retten versuchen, was zu retten ist. Es spricht durchaus für diese beiden Jünger aus Emmaus, dass sie sich nicht übernehmen wollten, sondern ehrlich und enttäuscht ihren Unglauben eingestehen. Das, was ihnen da erzählt wurde, war schlicht unglaublich. Wenn er tatsächlich auferstanden ist, warum zeigt er sich dann nicht wenigstens bei denen, die ihm nachgefolgt sind? Die Botschaft von der Auferweckung scheint ihnen doch nur eine psychologische Selbstberuhigungsmasche zu sein. Sie gehen nicht zuletzt, weil sie dieses besserwisserische Getue der Theologinnen und Theologen nicht mehr ertragen können, wo sich nun jeder seinen Jesus zurechtbastelt, wie er ihn gerade braucht.5 Kaum jemand wartet da tatsächlich auf den Auferstandenen, sondern sie sind es selbst, die Jesus auferwecken wollen. Was sie da plötzlich alles wissen, wie und wo sich Jesus zeige und welche Rolle sie selber dabei spielen, das ist ihnen nun zu viel – sie treten aus diesem allzu geschwätzigen Verein aus und verbergen ihre Trauer nicht. Sie haben die merkwürdige Botschaft der Engel im Ohr und gestehen sich ihre Ratlosigkeit ein.

5 Dieter Schellong hat darauf aufmerksam gemacht, dass die Suche nach dem historischen Jesus vor allem dazu diene, sich Jesus so zu präparieren, dass er für die Rekonstrukteure sympathisch erscheine. Der ganz ins Menschliche gezogene Jesus ergibt dann „den sympathischen historischen Jesus (SHJ)“, der mal diese und mal andere Sympathien bedient; vgl. „Was sucht ihr den Lebendigen bei den Toten?“ Rückfragen zur Suche nach dem „historischen Jesus“ (Zitat S. 30).

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Das Geheimnis der Kirche nach dem Evangelisten Lukas

Vielleicht wäre es um die Kirche manchmal hoffnungsvoller bestellt, wenn auch ihr die Not der Unsichtbarkeit Gottes deutlicher anzumerken wäre. „Komm, ach komm, Herr Jesus Christ!“ Sie könnte gewiss auch überzeugender von ihrer Hoffnung sprechen, wenn sie den Mut aufbrächte, auch erkennbarer ihre Verlegenheit und Schwäche einzugestehen. Es geht ja keineswegs nur um die Sorgen und Bedürfnisse der anderen, von denen sich die Kirche auf den Plan gerufen weiß, sondern auch um die eigene Not der Kirche, um die Bedrängnis der anhaltenden Verborgenheit Gottes, von der sie ebenso betroffen ist, wie die sie umgebende Welt, und die sie allzu oft mit ihr zu überspielen versucht. Die Kirche ist ja nicht nur der Welt gegenüber in der Verlegenheit, Gott nicht einfach demonstrieren zu können, sondern sie kann sich auch selbst ihres Gottes nicht einfach sicher sein. So gewiss sie ihres Gottes sein mag, ganz notlos kann sie niemals von ihm reden. In ihrer Nüchternheit und Redlichkeit sind die beiden Emmaus Jünger Kirche, die sich einzugestehen hat, dass sie aus eigener Kraft den Engeln am Grabe Jesu nicht glauben kann. Sie sind darin Kirche, dass sie ihre Hoffnungen auf Jesus nicht erfüllt sehen und ihre Klage nun nicht einfach mit religiöser Geschäftigkeit zum Schweigen bringen. Sie machen sich nichts vor: Emmaus ist nicht Panama – da mag träumen wer da will. Emmaus ist nicht Panama, so wie auch bei größter Bemühung weder Leer oder Detmold noch Siegen einfach Jerusalem sind. Die beiden Emmaus Jünger sind vor allem darin Kirche, dass sie sich ihre Not eingestehen, dass es weder selbstverständlich noch allgemein überzeugungskräftig ist, wenn wir Menschen uns auf Gott und sein Handeln berufen. Die Kirche übernimmt sich hoffnungslos, wenn sie von sich glaubt, den Menschen das Heil bringen zu können. Sie bleibt in all ihrem Reden und Tun auf das ebenso schwer und häufig gar nicht auszumachende Handeln Gottes angewiesen. Und da nützt es auch nur wenig, wenn sie viele Worte macht, denn das, worum es im Entscheidenden geht, ist nicht einmal verständlich, wenn es uns von Engeln verkündigt wird. Die beiden Emmaus Jünger sind schließlich darin Kirche, dass sie den übereifrigen und doch hilflosen Theologenkonvent mit all seinen hochgreifenden Rationalisierungsversuchen verlassen und dahin zurückkehren, wo der Alltag weitergeht, jenseits der heiligen Stadt und ihrer Gelehrten. Unterwegs gesellt sich ihnen ein Unbekannter zu, der den Eindruck macht, als käme er von weit her. Er muss ein Fremder sein, wenn er nicht darum weiß, was in den letzten Tagen geschehen ist. Ja, er scheint nicht von dieser Welt zu sein, wenn ihm unbekannt ist, wovon alle Welt redet. Und in der Tat – wir wissen das – er ist nicht aus dieser Welt, der sich ihnen da zugesellt und mit ihnen geht. Es ist der Auferweckte selbst, aber sie erkennen ihn nicht. „Ihre Augen waren gehalten, so dass sie ihn nicht erkannten.“ (V. 16) Da geht er mit ihnen, der, dessen Abwesenheit sie gerade beklagen, aber er gibt sich nicht zu erkennen. Er ist anwesend während ihrer Diskussion über seine Abwesenheit.

Das Geheimnis der Kirche

Es gibt auch einen wichtigen Grund, warum er sich nicht so einfach zu erkennen gibt. Er muss nämlich befürchten, dass sie nur den wiedererkennen, den sie gerade verabschiedet haben, von dem sie bereits ein festgefügtes Bild, ein bestimmtes religiöses Image haben. Wie ist doch diese Furcht so berechtigt, angesichts der phantastischen Phantasielosigkeit unseres skeptischen und beweisgierigen Glaubens. Aus gutem Grund will er nicht nur als der wiedererkannt werden, den sie bereits kennen, sondern als der, den sie von sich aus nicht kennen können. Das, was vorher an ihm nicht zu sehen war, macht ihn nun zu dem Unbekannten, den sie zwar sehen, aber nicht wiedererkennen, weil er als der Auferweckte, der jenseits des Todes ist, uns der Fremde bleibt, die wir noch alle diesseits des Todes leben. Er krönt nicht einfach das Bild, das sich seine Jüngerinnen und Jünger von ihm gemacht haben, indem er sie mit der Erfüllung ihrer Hoffnungen und Wünsche beglückt. Er zerstreut nicht einfach alle Zweifel, sondern er führt seine Jünger ein in die spezifische Didaktik seiner Offenbarung, ohne deren Beachtung es in der Kirche nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts zu glauben gibt, jedenfalls nichts, was mit ihm und seiner lebendigen Wirklichkeit zu tun hat. Lukas führt uns hier an der Seite der Emmaus Jünger in den spezifischen Weg der Glaubenserkenntnis ein, der seinen verheißungsvollen Anfang darin hat, dass Gott als Begleiter auch dann schon dabei sein kann, wenn er als solcher noch nicht erkannt wird. Das ist die besondere Verheißung, die auf der Auslegung der Bibel liegt, wenn nicht wir sie auslegen, sondern sie Ihn auslegen lassen. „Und er fing an bei Mose und allen Propheten und legte ihnen aus, was in allen Schriften über ihn steht.“ (V. 27) Da hängt dann plötzlich eines mit dem anderen zusammen, auch wenn es zunächst wie ein Gegensatz erscheint. Da gibt es Verknüpfungen und Verweisungszusammenhänge. Da bespricht das eine das andere. Bisweilen mag es so aussehen, als ginge es um ganz verschiedene Dinge – und das ist häufig auch so –, aber die ganze Vielfalt ist weder Willkür noch Beliebigkeit, sondern hat in dem einen Gott und seinem Handeln seine verborgene Konzentration, die den Emmaus Jüngern die Herzen brennen lässt (V. 32). Der unerkannte Auferweckte legt den Jüngern die Bibel ans Herz. Keine unmittelbare Gottesoffenbarung, sondern Schriftauslegung, die darin die Nähe Gottes ahnen lässt, dass sie die Herzen brennen lässt. Keine langweilige Religionsstunde, kein trockenes exegetisches Seminar, und auch keine von den ach noch so mühseligen Predigten, die mit einem historisch eingeschlafenen Text nun auch ihre Hörerinnen und Hörer zum Einschlafen bringen. Nicht dieses pflichtgemäße Bemühen um die Bibel, dessen Erwartungslosigkeit und Spannungslosigkeit auch den dramatischsten und herausforderndsten Text zur Kapitulation nötigt und den jeweiligen, meist ebenso mühseligen wie biederen Auslegungsinteressen unterwirft. Keine Auslegung, die schon vor der Lektüre des Textes alles weiß, und erst recht keine Einlegung, in der wir nur noch auslegen, was wir in den Text eingelegt haben, wobei dann recht unverblümt die Langeweile und Spannungslosigkeit unseres Lebens herauskommt, sondern eine Auslegung,

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die ihre Aufmerksamkeit auf Gott gerichtet hat, d. h. auf sein Ringen um den Menschen und auf die keineswegs konfliktlose Geschichte des Kampfes Gottes für den Menschen, das immer wieder überraschende Eingreifen seiner Fürsorge all den Demütigungen und dem menschlichen Widerstand zum Trotz. Es kann nur Unverstand und Trägheit sein, wenn sich uns die Dramatik der biblischen Geschichten nicht erschließt. So sagt es jedenfalls der unerkannte Auferweckte zu den beiden Jüngern aus Emmaus: „Wie unverständig seid ihr doch und trägen Herzens! Dass ihr nicht glaubt nach allem, was die Propheten gesagt haben!“ (V. 26) Doch bleiben wir auch hier bescheiden, denn mit der Schriftauslegung ist es nicht getan. Die Kirche ist keine Buchreligion. So nötig die Schriftauslegung auch ist, so wenig ist sie hinreichend. Zwar brannte den beiden Jüngern das Herz, wohl weil sie zu verstehen begannen, was ihnen bisher unverständlich war, weil sie plötzlich Zusammenhänge entdeckten, die sie von sich aus kaum gewagt hätten herzustellen, weil ihnen aufging, in welcher Treue und Konsequenz Gott seinen beinahe ebenso konsequent treulosen Geschöpfen nachgeht. Es ging ihnen zu Herzen, dass das Kreuz Jesu nicht nur als sein Scheitern angesehen werden muss, und dass sogar möglicherweise etwas dran ist an dem, was da die beiden Engel am Grabe gesagt haben, dass er auferweckt worden sei und damit nach dem Willen Gottes den Tod überwunden habe, dessen Herrschaft damit in dieser Welt zu Ende sei. Das sind starke Worte. Wem brennt da nicht das Herz, wenn solches gesagt wird. Und doch erkannten sie noch nicht an seinen Auslegungen, dass er lebt und mit ihnen war. Selbst wenn die Schriftauslegung zu zeigen versteht, dass die ganze Geschichte auf die Auferweckung zuläuft, führt sie nicht zur Erkenntnis des Auferweckten. Das Herz mag zwar brennen, aber es ist nicht bestimmt auszumachen, warum es brennt. Die Geschichte Gottes mit den Menschen mag klar vor unseren Augen liegen, aber sie scheint uns nicht zu betreffen. Sie ist zwar durchaus faszinierend und gerade in ihrem überraschenden Verlauf bewegend und anrührend, aber die Kenntnis dieser Geschichte vermittelt nicht die Gewissheit, dass auch wir bereits in ihr vorkommen, dass es sich auch um unsere Geschichte handelt. Um diese Gewissheit zu erlangen, muss sich der Auferweckte selbst zu erkennen geben. Allein er selbst kann uns zu der nötigen Gewissheit verhelfen. Wenn es um den Glauben geht, dann reicht nicht die Bibel, sondern erst, wenn Gott sich selbst als lebendig erweist, kann es zu dem Glauben kommen, der tatsächlich Glauben genannt zu werden verdient. Es ist vielleicht nicht zufällig, dass den Emmaus Jüngern beim Gebet die Augen aufgehen. Indem ihnen aber die Augen aufgehen, müssen sie ihn nicht mehr sehen. Da, wo sie ihn erkennen, entschwindet er ihnen. In dem Moment, wo die ganze Geschichte an ihr Ziel kommt, erübrigt sich das Beweisinteresse. Wenn er sich selbst als lebendig erweist, verliert sich unser misstrauisches Drängen auf allgemein nachvollziehbare Beweise, da verliert sich dieses beckmesserische Anstoßnehmen an allem Ungewohnten, dieses hausbackene Harmoniebedürfnis mit dem Gewohnten und dem uns Bekannten, dieses

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etwas kleinkrämerische Maßnehmen an vermeintlich bewährten und verlässlichen Kriterien. Erinnern wir uns doch noch einmal an den theologischen Disput der Jüngerinnen und Jünger, wie sie sich da die Nachricht von der Auferstehung zurechtgelegt haben, um sie nicht glauben zu müssen; wie lange sie alle Eventualitäten durchbuchstabieren, um diese Botschaft mit ihrem alten Weltbild wieder in Einklang zu bringen. Und weil in jedem Fall eine Übereinstimmung mit dem herauskommen muss, was auch ohne die Auferstehung gilt, deshalb merken sie auch nicht die Kuriosität und Komik der vorgeschlagenen Lösungen. Aber so ist das eben, solange wir von uns glauben, wir müssten für die Auferstehung einstehen, wir müssten mit nachvollziehbaren Argumenten die anderen überzeugen, es läge an uns, ob sie das Evangelium verstehen oder nicht. Wenn Er sich nicht selbst zu erkennen gibt, wenn Er nicht selbst unseren hoffnungslosen Plausibilisierungsversuchen ein Ende setzt, dann bleiben wir in unseren alten Maßstäben gefangen. Wenn Er sich aber zeigt, dann werden wir von unserer beweisorientierten Stilllegungsphantasie lassen, dann kommt es nicht mehr auf das Sehen, Fühlen und Nachrechnen an, denn diese Registraturbedürfnisse, dieses Abgleichinteresse mit der Normalität wird vom Glauben überboten. „… sie erkannten ihn. Und schon war er nicht mehr zu sehen.“ (V. 31) Keine theologischen Lehrbücher, nicht einmal Engelsworte können einem solchen Glauben auf die Sprünge helfen. Wir können ihn nicht lebendig reden, sondern nur er selbst kann sich als lebendig erweisen. Und wenn er sich dann zeigt – das können wir bei den beiden Emmausjüngern sehen – dann verändert sich alles, dann hindert auch die einbrechende Dunkelheit nicht daran, umzukehren, neu aufzubrechen, nicht irgendwohin, sondern in Richtung Jerusalem. Doch was ist aus diesem Aufbruch geworden? Wo befinden wir uns gerade in dieser Geschichte? Wahrscheinlich sitzen wir immer noch bei den ratlosen Jüngern und diskutieren mehr oder weniger eifrig, wie wir die Angelegenheit nun selbst in die Hand nehmen können. Wir hoffen darauf, uns die Wege theologisch ebnen zu können, und vergessen dabei, dass man selten gut beraten gewesen ist, wenn der Theologie die Aufgabe zugeschoben worden ist, den verschlungenen Weg zu begradigen und die Hindernisse auszuräumen, damit der Glaube möglichst unbehelligt promenieren könne. So eine begradigter Promenadenglauben kann nämlich unserem Leben nicht gerecht werden, in dem wir auch nicht einfach geradeaus stolzieren können. Will der Glaube mit unserem Leben Schritt halten, so muss er auch seinen Verschlingungen und Holprigkeiten, seinen Komplikationen und Abgründen Stand halten können. Aber hier wie dort halten wir unsere Verlegenheiten nicht aus und versuchen, sie meist mehr mit Worten als durch Taten zu überspielen. Es hat ganz und gar den Anschein als habe sich der auferweckte Christus bei uns rar gemacht, denn weder brennen uns die Herzen, noch machen wir uns auf, kehren um und geraten in Bewegung wie die beiden Emmaus Jünger.

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Wer glaubt, der muss nicht sehen. Solange sie ihn auf dem langen Weg von Jerusalem bis Emmaus sahen, erkannten sie ihn nicht, d. h., sie glaubten nicht daran, dass er lebt. In dem Moment, wo sie ihn erkennen, d. h., wo sie von seiner Lebendigkeit überzeugt sind, da sehen sie ihn nicht mehr. Wir sehen unsere Todeswelt. Das Leben, das den Tod überwindet, das glauben wir unserem Sehen zum Trotz, nicht weil wir etwa über den Tod hinausblicken könnten, sondern weil Gott sich selbst in unsere Todeswelt hineinbegeben hat. Das ist das Geheimnis der Kirche – ja, nicht nur der Kirche, sondern es ist das Geheimnis unserer Welt. Von diesem Geheimnis lebt die Kirche und gerät in Bewegung. Und auch wenn uns der Aufbruch zwischenzeitlich ein wenig schwerfällt, haben wir von diesem Geheimnis zu reden. Wir können es aber auch auf die Verheißung hin, dass sich der lebendige Gott durch seinen Geist selbst vergegenwärtigt. Um möglichst nüchtern und realistisch von der Kirche zu sprechen, sei betont: Wir sollten – wenn uns im Moment die Kraft nicht zu einem neuen Aufbruch gegeben ist – wenigstens auf den Auferstandenen warten, und nicht mit uns selbst zufrieden sein, so als könnten wir an seine Stelle treten. Lassen wir uns nicht einreden, Panama sei überall. Passen wir nicht unsere Hoffnung den vorfindlichen Verhältnissen an, sondern tragen wir dazu bei, dass sich die Verhältnisse unseren Hoffnungen annähern, auch wenn wir auf ihre vollkommene Erfüllung schließlich nur warten können. Uns zum Trost sei daran erinnert, dass das Warten mit zum Wesen der Kirche gehört, denn das, worauf es ankommt, hat sie nicht und darüber verfügt sie nicht – so viel Weihrauch sie auch um sich herum verbreiten mag, sondern darauf wartet sie, indem sie um Sein Erscheinen und das Kommen Seines Reiches bittet. Es sollte uns wohl auch nicht nur verwundern, dass es in unseren Kirchen nach beinahe 2000 Jahre Wartezeit bisweilen ein wenig langweilig zugeht, denn zu einem gewissen Teil gehört die Langeweile auch zum Wesen der Kirche, schon um der Versuchung wirksam widerstehen zu können, sie selbst mit dem Reich Gottes zu verwechseln. Natürlich kann die Kirche niemals mit ihrer Langweile zufrieden sein, aber sie sollte auch nicht der hybriden Ansicht sein, dass sie selbst von sich aus diese Langeweile vollkommen überwinden könne. Vielmehr gilt es, ebenso energisch und tatsächlich erwartungsvoll um den Selbsterweis des auferstandenen Christus zu bitten. Als die beiden dann nach Jerusalem noch in der gleichen Nacht zurückkehrten, waren auch die Jüngerinnen und Jünger schon weiter als vorher, wie Lukas berichtet. Wir wissen nicht genau, auf welche Weise den dort diskutierenden Jüngerinnen und Jüngern die Augen geöffnet wurden. Wohl aber wissen wir, welchen Weg die Offenbarung bei den beiden Emmaus Jüngern genommen hat. Setzen wir doch darauf, dass der Auferstandene auch uns selbst begleiten wird, wenn wir ihn in der Bibel suchen, so dass uns die Herzen brennen und er sich uns als lebendig erweisen wird, selbst wenn er sich unseren Blicken entzieht. Darauf kommt es an, und ohne

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dies bleibt alles andere willkürlich und abstrakt. Das ist das Geheimnis der Kirche, jedenfalls so, wie es der Evangelist Lukas uns zu erzählen versucht …

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Literatur

Wiedenhofer, Siegfried: Das katholische Kirchenverständnis. Ein Lehrbuch der Ekklesiologie, Graz 1992. Wirsching, Johannes: Bekenntnisschriften, in: TRE 5, Berlin/New York 1980, 487–511. Wirth, Jean: Soll man Bilder anbeten? Theorien zum Bilderkult bis zum Konzil von Trient, in: Cécile Dupeux u. a. (Hg.), Bildersturm. Wahnsinn oder Gottes Wille, München 2000, 28–37. Wolf, Ernst: Die Einheit der Kirche im Zeugnis der Reformation, in: Ders., Peregrinatio. Studien zur reformatorischen Theologie und zum Kirchenproblem, München 2 1962, 146–182. Zenger, Erich: Das Blut deines Bruders schreit zu mir, in: Dietmar Bader (Hg.), Kain und Abel. Rivalität und Brudermord in der Geschichte des Menschen, Regensburg 1983, 9–28. — : Israel und Kirche in einem Gottesbund?, KuI 6 (1991), 99–114. Zinser, Hartmut: Der Markt der Religionen, München 1997. Zizioulas, John D.: Abendmahlsgemeinschaft und Katholizität der Kirche, in: Katholizität und Apostolizität. Theologische Studien einer gemeinsamen Arbeitsgruppe zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und dem Ökumenischen Rat der Kirchen, hg. v. Reinhard Groscurth (Beiheft Nr. 2 zu KuD), Göttingen 1971, 31–50. Huldreich Zwinglis sämtliche Werke. Corpus Reformatorum [CR], Serie III, Bd. 88–101, unter Mitwirkung des Zwingli-Vereins Zürich hg. v. Emil Egli u. a., Berlin/Leipzig/Zürich 1905ff. Zwingli, Huldrych: Kommentar über die wahre und falsche Religion (1525), in: Ders., Schriften, Bd. III, Zürich 1995, 31–452.

417

Namensregister

A Aagard, Johannes 350 Abraham 79, 158, 168, 294, 339 Adam 79, 101, 186, 196, 289, 291 Adorno, Theodor W. 342, 375 Ahn, Byung-Mu 155 Aland, Kurt 26 Albertz, Rainer 164, 165, 167, 168 Alkier, Stefan 73, 90, 102, 110, 112 Althaus, Paul 149, 150 Anselm v. Canterbury 191, 296 Augustin 25–35, 44, 46, 59, 62, 65, 193, 212, 217–219, 251, 366, 367 Avis, Paul 350 Axt-Piscalar, Christine 288 B Bächli, Otto 165 Backhaus, Knut 295 Baeck, Leo 167, 168 Balthasar, Hans Urs v. 32 Barkenings, Hans-Joachim 168, 170 Barth, Hans-Martin 217 Barth, Karl 66, 73, 76, 78, 105, 127, 129–131, 160, 162, 172, 194, 195, 208, 211, 217–219, 221–225, 229, 231, 239, 240, 245, 247, 250, 251, 254, 264, 266–271, 280, 281, 283, 284, 287, 289, 292, 296, 301, 303, 349, 375 Barth, Peter 49, 51 Barth, Thomas 371 Barton, Stephen C. 216 Beinert, Wolfgang 238–240, 243 Beintker, Michael 112, 206, 273 Bentley, Wessel 350 Benz, Ernst 27, 29, 32

Bernard, Johannes 228, 238 Bernhard von Clairvaux 314 Betz, Otto 169 Beutel, Albrecht 88 Beza, Theodore 119 Birmelé, André 264 Bloch, Marc 56 Bodenheimer, Aron R. 289 Boff, Clodovis 155 Bohatec, Josef 52 Bonaventura 87, 89 Bonhoeffer, Dietrich 53, 76, 126, 198, 269 Bormann, Paul 168 Bosc, Jean 231 Bosch, David Jacobus 350 Boyer, Pascal 192, 351 Brandt, Hermann 157 Brant, Sebastian 314 Braun, Dietrich 150 Bredekamp, Horst 313 Breuning, Wilhelm 145 Brunner, Peter 247 Bruno, Giordano 191 Buber, Martin 165, 196, 284 Bucer, Martin 46, 47, 53 Büchner, Ludwig 191 Buren, Paul van 158 Burgess, John P. 263, 294 Busch, Eberhard 121, 122, 129, 203, 351 C Caecilian 26 Calvin, Johannes 25, 45–60, 65–67, 69, 79, 80, 82, 97, 119, 209, 210, 212, 217, 218, 221, 223–225, 228, 229, 232, 234, 244, 246, 251, 253, 256, 263, 271, 272, 276,

420

Namensregister

292, 305, 315, 319, 320, 335, 366–369, 372 Campenhausen, Hans v. 27, 29, 31, 311, 317, 323 Camus, Albert 181 Castillo, Fernando 155 Chadwick, Henry 27, 29, 31 Chapman, Mark 374 Chrysostomos, Johannes 333 Colpe, Carsten 215 Congar, Yves 246 Cottret, Bernard 46, 56 Craig, Clarens T. 154 Crowder, Colin 215 Cyprian von Karthago 28, 50, 69 D Dahm, Karl-Wilhelm 52 Dalferth, Ingolf U. 38, 73, 74, 78, 81, 83, 85, 92, 97, 104–106, 110–112 Damme, Dirk van 147 Dawkins, Richard 192, 351 Deddo, Gary 280, 281, 284, 285, 292 Dennet, Daniel C. 192, 351 Descartes, René 189–191, 281 Dibelius, Otto 149 Dingel, Irene 59 Diokletian 27 Donatus von Karthago 27 Drewermann, Eugen 135 E Ebach, Jürgen 135, 165, 169, 291, 338, 339 Ebeling, Gerhard 252 Eck, Johann 93 Edlibach, Gerold 312 Elert, Werner 228, 232 Eliade, Mircea 215 Erasmus v. Rotterdam 87, 125, 314 Ernst(-Habib), Margit 121, 137 Eßer, Hans Helmut 150, 165

Eva 196 Evdokimov, Paul N.

251

F Farel, Guillaume 320 Faulenbach, Heiner 264 Feuerbach, Ludwig 286 Flasch, Kurt 29 Flett, John G. 350 Franck, Sebastian 95 Frankl, Viktor 355 Franz I. 47, 55 Franz v. Assisi 86 Franziskus (Papst) 304 Frieling, Reinhardt 155 Fromm, Erich 354, 355 Führer, Werner 81, 93 G Ganoczy, Alexandre 47 Gauck, Joachim 184 Geis, Robert Raphael 166 Geldbach, Erich 155 Geyer, Hans-Georg 384 Gobineau, Arthur de 149 Gogarten, Friedrich 127, 149, 150 Goldmann, Manuel 170 Gollwitzer, Helmut 157, 185 Göttler, Christine 313 Graß, Hans 253, 383 Gregor der Große 325 Groscurth, Reinhard 227 Guder, Darrell L. 350 Guhrt, Joachim 266, 270 H Haeckel, Ernst 191 Hägglund, Bengt 234, 239 Hainz, Josef 147 Hanson, Paul D. 164 Harder, Günther 166

Namensregister

Härle, Wilfried 245, 302 Harnack, Adolf v. 28, 31, 33 Harries, Sam 192, 351 Harris, Harriet A. 280 Hartmann, Nicolai 178 Hausamann, Susanne 27, 29 Hauschild, Wolf-Dieter 29, 31 Hegel, Georg Friedrich 288 Henrix, Hans Hermann 157 Heron, Alasdair 265, 270, 276 Hinz, Christoph 159 Hobbes, Thomas 132, 182, 185, 281 Hoerster, Nobert 351 Hoffmann, Konrad 326 Hofheinz, Marco 17 Hofius, Otfried 169, 277 Hofmann, Werner 313, 314, 326–329 Holl, Karl 35, 38, 46, 58, 59 Holmes, Stephen R. 296 Horkheimer, Max 342 Huber, Wolfgang 245 Hus, Jan 86, 88 I Ignatius v. Antiochien 229, 249 Immanuel 194, 296 Irenäus v. Lyon 28 Isaak 79, 158 Iwand, Hans Joachim 35–40, 223 J Jakob 79, 158 Janosch 381 Jedin, Hubert 315 Jesus v. Nazareth 49, 79, 135, 158, 249, 379–381, 383–385 Jezler, Elke 313 Jezler, Peter 313, 333, 335 Jud, Leo 320 Jüngel, Eberhard 269

K Kain 291 Kameeta, Zephania 349 Kant, Immanuel 178, 182, 183, 185, 191, 283 Karlstadt (Andreas Bodenstein) 318, 320, 335 Karpp, Heinrich 87, 123, 235 Keller, Max 146, 151, 153 Kellermann, Diether 216 Kelly, John Norman D. 229 Keßler, Martin 88 Kierkegaard, Sören 250 Kinder, Ernst 228, 231, 240 Klappert, Berthold 157, 160, 169 Klenicki, León 158 Klinger, Elmar 145, 151, 152 Koepplin, Dieter 325 Koffeman, Leo J. 301 Kolfhaus, Wilhelm 49, 51, 56 Körtner, Ulrich H.J. 115, 146, 170, 273 Kraus, Hans-Joachim 53, 159, 163 Kraus, Wolfgang 144, 147, 160–162, 170 Kriegbaum, Bernhard 27 Krötke, Wolf 218 Krusche, Werner 47, 49–52, 57 Kühn, Ulrich 43 Küng, Hans 76 Kuntze, Simon 85, 86, 88, 91, 92, 98, 99, 101 Kupsch, Alexander 97 Küry, Urs 231 L Lange, Armin 128 Lanne, Emmanuel 238 Lattke, Michael 216 Leipold, Heinrich 302 Leppin, Volker 91 Levin, Christoph 160 Lichtenberger, Hermann

160

421

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Namensregister

Lindbeck, George A. 274 Link, Christian 97, 190, 344 Locher, Gottfried W. 46, 58 Lodenstein, Jodocus van 301 Lohfink, Norbert 152, 160, 161 Loisy, Alfred 249 Loofs, Friedrich 28, 263, 275 Lorentzen, Tim 87 Löscher, Valentin E. 263, 275 Löwenich, Walter v. 314 Löwith, Karl 190 Lübbe, Hermann 355 Lüdke, Friedrich Germanus 107 Luhmann, Niklas 70, 355 Luther, Martin 25, 30, 35–46, 48, 54–56, 64, 65, 73, 74, 80, 81, 84–86, 91–100, 102, 125, 134, 153, 176, 198, 210, 223, 228–230, 232, 233, 236, 244, 251, 253, 254, 261, 263, 270, 275, 276, 282, 300, 305, 315–317, 320–328, 335, 366, 368, 371 Luz, Ulrich 73 M Macholz, Georg Chr. 164 Mahlmann, Theodor 301 Marcion 235, 290 Maria 37 Martin, Alexander 267 Maurer, Wilhelm 119 May, John 143, 161 Mayer, Cornelius 29 McGrath, Alister E. 46, 48, 52, 55, 222 Melanchthon, Philipp 43, 58, 246, 276 Mesters, Carlos 155 Mette, Norbert 24 Meyendorff, Johannes 251 Meyer, Harding 65, 213, 244 Mildenberger, Friedrich 252, 254, 258 Moeller, Bernd 46, 312, 321, 325 Möhler, Johan Adam 239

Moltmann, Jürgen 144, 155, 245, 258 Mose 77, 78, 150, 249, 336, 387 Mostert, Walter 96 Mühlenberg, Ekkehard 29 Mußner, Franz 169, 170 N Neuhaus, Dietrich 312, 323 Neuner, Peter 249, 268 Niebuhr, Karl-Wilhelm 111, 250 Niesel, Wilhelm 47, 49, 50, 210 Nietzsche, Friedrich 286 Nijenhuis, Willem 56 Nikolakopoulos, Konstantinos 82 Nissiotis, Nikos A. 241 Noah 291, 295 Noltensmeier, Hermann 80, 82, 84, 85 Nüssel, Friederike 111 Nygren, Anders 240 O Oberman, Heiko A. 301 Oduyoye, Mercy Amba 210 Oestreicher, Johannes 159 Omar, Mohammed 331 Onfray, Michel 192, 351 Oorschot, Frederike van 101 Osten-Sacken, Peter von der 162, 165, 166 Otto, Gert 52 Otto, Rudolf 215 Overbeck, Franz 14 P Pannenberg, Wolfhart 127, 128, 161, 231, 239, 245 Panormitanus, Abbas 88 Petrus 254, 294 Plasger, Georg 17, 342 Plautus, Titus Maccius 185 Press, Volker 327

Namensregister

Q Quistorp, Heinrich

47, 49, 60

R Ratzinger, Joseph 151, 162 Reichel, Gerhard 58 Rendtorff, Rolf 164 Rendtorff, Trutz 52 Reuter, Hermann 28 Richter, Horst Eberhard 286 Rietschel, Ernst 45 Ritschl, Dietrich 238, 240, 273 Röd, Wolfgang 190 Rombold, Günter 317, 327 Rosa, Hartmut 68, 186 Rothen, Bernhardt 97 Rousseau, Oliver 143 Rügger, Heinz 264, 272 S Sartory, Thomas 238 Sattler, Dorothea 300 Sauter, Gerhard 111, 252, 273, 276 Scheler, Max 148 Schellong, Dieter 14, 82, 97, 351, 385 Schiller, Friedrich 288 Schirrmacher, Thomas 95 Schleiermacher, Friedrich 132, 149, 182, 215 Schlink, Edmund 218, 223, 224 Schmidt, Kurt Dietrich 230 Schoeps, Hans Joachim 158 Schroven, Brigittes 152 Schuster, Klaus-Peter 326 Schütte, Heinz 244 Seckler, Max 228, 239 Seebaß, Gottfried 312, 321, 325, 327 Seeberg, Reinhold 28 Segal, Alan F. 160 Selvanayagam, Israel 155 Semler, Johann Salomo 302

Shaw, J.M. 267 Siller, Annelore 351 Skydsgaard, Kristen E. 228 Slenczka, Reinhard 102 Smend, Rudolf 167 Sölle, Dorothee 197 Sommerlath, Ernst 229, 230 Staples, Peter 249, 250, 255 Steck, Karl Gerhard 36, 37, 39, 45, 223, 232 Steck, Odil Hannes 167 Stegemann, Ekkehard 160 Steiger, Johann Anselm 74 Steinacker, Peter 229, 240, 245 Steinlein, Hermann 323, 325 Stengel, Friedemann 73, 86, 98 Sterling, Eleonore 157 Stirm, Magarete 317–320, 322, 323, 325 Strauß, David Friedrich 107 Swarat, Uwe 192, 351 T Tertullian 125, 255 Theodosius d. Gr. 26 Tholuck, August 148 Thoma, Clemens 167, 168 Tillich, Paul 63, 301 Trillhaas, Wolfgang 288 Troeltsch, Ernst 108 Tyconius 27 U Uhlmann, Peter H.

95

V Vincent von Lerin 234 Vischer, Lukas 121, 266, 268 Visser’t Hooft, Willem A. 154, 268 Volf, Miroslav 144 Vonier, Dom Ansger 143 Vroom, Hendrik M. 210, 282

423

424

Namensregister

W Wagner, Falk 102 Wagner, Harald 238 Warnke, Martin 311, 313 Weber, Otto 46–49, 51, 53, 56, 59, 119 Webster, John 115, 216, 218, 219, 221, 222, 277, 294 Weerda, Jan Remmers 52, 53, 55 Welker, Michael 376 Welten, Peter 160 Wendel, Francois 50, 53, 56 Wenz, Gunther 245, 254 Werner, Martin 31

Wernle, Paul 47, 60 Westphal, Joachim 58 Wick, Peter 111 Wirsching, Johannes 264, 273 Wittgenstein, Ludwig 286 Wolf, Ernst 228 Z Zenger, Erich 159, 160, 162, 287 Zinser, Hartmut 68 Zizioulas, John D. 229, 239 Zwingli, Huldrych 315, 320

Sachregister

A Abendmahl 48, 53, 56, 368 Ablass/Ablassstreit 35, 81, 260, 312, 316 Alltag 71, 184, 200, 227, 316, 372, 373, 382, 386 Almosen 333, 337 Alte Kirche 25, 69, 146, 234 – altkirchlich 229, 232, 238, 245, 255, 302, 316 Älteste 48, 53 Ambivalenz, ambivalent 11, 15, 21, 25, 34, 42, 45, 61, 63, 69, 123, 192, 273, 289, 364, 366 Amt 23, 43, 50–54, 57, 154, 253, 254, 262, 352, 364, 365, 368–371, 374, 375 – Amtskirche 51 – Amtsträger 53, 154, 155 – vierfaches 52, 53, 66, 369 Anfechtung 38, 97, 100, 101, 324, 356 Anglikaner 208 Antichrist 44, 326 Antisemitismus 149, 268 Apostolizität 199, 243 – Sukzession 254 Armut 166, 180, 313, 321, 333, 334 Armutsbewegungen 86 articulus stantis et cadentis 263, 275 Askese, asketisch 29, 33 Auferstehung, Auferweckung 98, 110, 248, 250, 310, 356, 358, 379 – objektive Visionshypothese 383 Aufklärung 101, 106–108, 182 – aufgeklärt 131, 182, 383 Augsburger Bekenntnis s. Confessio Augustana Augsburger Religionsfriede 59, 188

B Barmer Theologische Erklärung 78, 121, 138, 168, 202, 205, 260, 303, 356, 369 Barnabasbrief 147 Bedrängnis 166, 177, 260, 376, 386 Bedürfnisse 52, 54, 70, 104, 107, 109, 110, 116, 119, 131–133, 139, 140, 175, 276, 283, 353, 360, 386 Befreiung 45, 67, 68, 78, 92, 98, 99, 107, 115, 187, 195, 324, 329, 337, 345, 372 Beichte 48 bekennende Kirche 201, 202, 204, 264, 269, 270 Bekenntnis 14, 21, 39, 42, 54, 55, 61, 63, 117, 119, 123, 136, 138, 170, 202, 204, 205, 209, 218, 222, 223, 232, 258, 260, 263, 303, 357, 372 Bekenntnisschriften 232, 244 – lutherisch 42, 85, 86 – reformiert 56, 202 Belhar-Bekenntnis 121, 202, 260, 303 Berufung 11, 103, 119, 126, 154–156, 163, 167, 169, 213, 249–251, 261, 357, 369 Bescheidenheit 32, 139, 208, 240, 255, 256, 343 Beunruhigung 100 Beziehungswirklichkeit 218, 282, 295, 340, 345 Bibel, biblisches Zeugnis 19, 20, 37, 73, 115, 117, 123, 126, 168, 170, 194, 198, 203, 234, 236, 252–254, 259, 277, 286, 292, 296, 302, 326, 333, 338, 340, 343, 347, 387, 390 – Bilderbibel 325 – Buchstabe 94, 109, 254

426

Sachregister

– Sachkritik 83, 91 – Widersprüche 83 Biblizismus 109, 110 Bild, Bilder 37, 309 – Bild-Bild 64, 337, 341, 342 – Wort-Bild 64, 337, 339–344 Bilderdienst, Bilderkult 64, 313, 314, 321, 329, 332, 333, 341, 342, 344, 347 Bildersturm 311, 313–315, 318, 319, 321, 331, 336 Bilderverbot, Bilderkritik 261, 311–314, 321–323, 331 Bildpolemik 326 Bischof 369, 370, 374, 375 böse, das Böse 30, 94, 287, 289, 291, 292, 319, 328 Bristol-Report 155 Buchdruck 84, 102, 104 Buchreligion 83, 388 Bund 145, 147, 150, 155, 156, 158, 160, 166, 168, 172, 194, 215, 219, 220, 223, 233, 280, 281, 290, 295–297, 345, 366, 367 – ungekündigter Bund 159 Bürgertum 188, 312, 313, 327 Buße, Bußpraxis 92, 95, 314, 316 C CA s. Confessio Augustana Christenheit, Christentum 15, 19, 25, 26, 31, 34, 41, 56, 68, 107, 126, 127, 135, 143, 147, 148, 153, 221, 239, 311, 324, 360 Christenverfolgung 27 Christologie 280, 296 Christus 28, 29, 32, 35, 38, 39, 42, 43, 45, 49, 56, 57, 78–80, 83, 98, 101, 111, 120, 122, 129, 145, 147, 153, 158, 214, 224, 233, 234, 239, 248, 272, 296, 305, 321, 353, 367 – Christus praesens 240, 366

– der auferstandene Christus 32, 51, 173, 199, 212, 253, 254, 264, 277, 356, 370, 389, 390 – Haupt der Kirche 51, 116, 117, 152, 305, 359, 366, 370, 376 – Himmelfahrt 356 – König der Kirche 51 – Kreuz 277 – Messias 158 – Mitte der Schrift 88 – Parusie 356 – Selbsthingabe 147 – Selbstoffenbarung 264 – Wort Gottes 78, 81, 91, 356 Circumcellionen 29 civitas dei 29, 31 civitas terrena 29, 32 Confessio Augustana 43, 55, 56, 65, 228, 232, 240, 244–246, 252, 271, 276, 368, 369 Confessio Belgica 56 Confessio Scotica 56, 368 Confession de Foy 56 Consensus Tigurinus 58 corpus Christi mysticum 144, 148 corpus Christianum 271 corpus permixtum 25, 26, 62, 217, 366 creatura verbi divini 36, 75, 81, 82, 201, 252 Credo s. Glaubensbekenntnis D Demut 32, 51, 91 Dezentralisierung 59, 306 Diakon, Diakone 53, 66, 369 Dienst 43, 51, 52, 54, 167, 168, 251, 254, 257, 258, 332, 360, 361, 366, 369, 370 doctrina 91 Dogmatik 13, 106, 206, 252 Dogmen 106, 107, 206, 232, 236 Doketismus 25

Sachregister

Donatisten 26, 27, 29, 35, 59, 217 doxologisch 147, 256 dualistisch 29 E Ehrfurcht 218 Einheit 27, 28, 30, 42, 49, 52–56, 58, 116, 117, 127, 146, 153, 162, 172, 209, 211, 233, 239, 240, 247, 248, 256, 269, 272, 302, 305, 306 Engel 384, 386 Episkopé 374 Erfahrung 33, 38, 41, 96, 112, 134, 246, 279, 324 Erlöser 133, 219, 236, 277 Ernüchterung 24, 111, 116, 117, 230, 257, 319, 327–329, 352 Erstes Vatikanisches Konzil 148 Erwählung 21, 28, 47, 49, 78, 79, 82, 160, 162–164, 167, 169, 172, 195, 212, 215, 221, 223, 249, 260, 296, 361 – Erwählung Israels 145, 147, 155, 162, 168, 170, 248 eschatologisch 27, 30, 31, 51, 61, 151, 158, 161–163, 168, 170, 172, 224, 231 Exklusivität 15, 35, 40, 147, 232, 240, 276, 285 extra ecclesiam nulla salus 221 F Familienmetaphorik 69 Fegefeuer, Purgatorium 334 fides qua creditur 50, 222, 230 fides quae creditur 230 Frankreich 48 Freiheit 14, 21, 45, 49, 57, 59, 65, 67, 81, 94, 121, 127, 140, 175, 198, 240, 282, 288, 315, 319, 333, 345, 362 – hybride Freiheitskultur 193 Frieden 30, 87, 100, 228

Frömmigkeit 24, 40, 62, 90, 93, 95, 96, 115, 182, 249, 295, 312, 314, 318, 328, 337, 355 – Bilderfrömmigkeit 319 Fundamentalismus 83, 90, 109, 110, 140, 254, 300, 376 G Gebet 130, 222, 224, 225, 388 Gebote 261, 288, 296, 322, 332, 336 – erstes Gebot 129, 167, 214, 216, 270, 316, 321, 351 Gegenwart 39, 61, 78, 97, 103, 111, 114, 130, 156, 163, 199, 202, 221, 224, 347, 357 Geheimnis 33, 77, 78, 129, 170, 265, 379 Gehorsam 35, 224, 296 Gemeinde 41, 43, 48, 52–54, 57, 59, 60, 66, 85, 122–126, 202, 222, 266, 304, 366, 369, 371, 374–376 Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre 207, 208, 276 Gemeinschaft 12, 13, 41, 43, 59, 63, 67, 70, 116, 161, 165, 166, 168, 196, 197, 241, 260, 306 Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa 273 Genf 47, 48, 52, 53, 56, 322 Gerechtigkeit 145, 157, 220, 264, 277, 278, 290, 294, 296 Geschwisterlichkeit 69 Gesellschaft 68, 126, 127, 136, 181, 182, 184, 186, 224, 351, 355, 361, 374 Gesetz 155, 166, 182–184, 319 Gesetzlichkeit 45 Gewalt 29, 81, 319, 369 Gewissen 45, 95, 101, 362 Gewissheit 31, 42, 74, 75, 80, 82, 96, 98, 125, 134, 210, 266, 388 Glaubensbekenntnis 42, 65, 204, 205, 212, 213, 234, 239, 300, 305, 366, 367

427

428

Sachregister

– apostolisches 55, 121, 202, 209, 233, 247, 253, 269, 272, 303 – nizänisches 61, 99, 199, 215, 228, 243, 365 Glaubensflüchtlinge 48 Gnade 28, 61, 89, 90, 95, 98, 152, 181, 197, 218, 220, 221, 223, 275, 282, 291, 293 Gott – Andersheit Gottes 218, 219 – Barmherzigkeit 45, 56, 60, 85, 164, 219–221, 237, 291 – Bundesgott 278, 292 – Bundeswille Gottes 260 – Deus dixit 360 – dreieiniger 61, 98, 199, 216–218, 220, 222, 223, 225, 237, 277, 280, 354 – Ehre Gottes 15, 46, 53, 82, 119, 120, 209, 217–219, 225, 249, 270, 277, 296, 322, 335, 357, 358 – Eifersucht 220 – Einfachheit 219 – Fürsorge Gottes 50, 155, 156, 367, 388 – Geschichte Gottes 61, 236, 260, 277, 296, 343, 355, 388 – Gottes Liebe 292, 294, 296 – Gottes Majestät 322 – Gottesbild 218, 261, 279, 332, 336–338, 340, 343, 344, 346, 347 – Handeln Gottes 15, 84, 103, 108, 155, 164, 165, 170, 171, 249, 251, 343, 353, 367, 386 – Herrschaft Gottes 54, 344, 366 – Lebendigkeit Gottes 98, 103, 115 – Liebe Gottes 28, 30, 51, 164, 220, 280, 290, 343 – Nähe Gottes 39, 156, 219, 322, 335, 381, 387 – Name 194, 220, 225, 296, 338, 343

– Schöpfer 36, 37, 129, 133, 186, 190, 194, 212, 216, 219, 236, 277, 279, 282, 284, 285, 287, 295, 296 – Sein Gottes 219, 339 – Selbstbezeugung 83, 112, 114, 257, 357 – Selbsterschließung 76 – Selbsthingabe 194 – Selbstoffenbarung 77, 108, 292, 357 – Souveränität 32, 218, 219, 257, 290, 344 – Strenge Gottes 290 – Subjekt 76, 219 – transzendentalphilosophisches Argument 190 – Treue Gottes 21, 79, 111, 169, 173, 210, 220, 223, 236, 252, 266, 277, 278, 290, 295, 297, 388 – Verborgenheit 129, 386 – Vollkommenheit 218 – Wille Gottes 224, 236, 270, 277, 295, 345, 388 – Wirken Gottes 78, 239, 248 – Wirklichkeit Gottes 264, 278, 347, 359 – Zorn Gottes 287, 290 Gottesbeweis 191, 344 Gottesdienst 57, 151, 205, 235, 316, 317, 335–337 – Baalspriester 358 – politischer Gottesdienst 270 Gotteserkenntnis 76, 92, 114, 187 Götze, Götzendienst 76, 167, 169, 172, 316, 319–321, 331, 335, 341 – fabrica idolorum 319 – goldenes Kalb 335, 336, 339 – Idolatrie 347

Sachregister

H Hallelujah 62 Heiden, heidnisch 145, 147, 158–160, 163, 169, 172, 321, 322, 335 Heiliger Geist 28, 34, 38, 49, 61, 74, 78, 80, 83, 85, 89, 92–96, 99, 101, 114–116, 120, 124, 130, 153, 199, 211, 221–224, 231, 235, 246, 252, 256, 257, 265, 305, 307, 356, 367 Heiligkeit 27, 34, 59, 60, 70, 199, 215, 216, 221, 246–248 Heilsgeschichte 144, 151, 152, 170, 171 Hermeneutik 114, 157, 236 Herrschaftskritik 51, 53, 311 Heuchelei 25, 42 Hierarchie 43, 52, 88, 148, 202, 366, 370, 374, 376 historische Kritik 101, 106 historisch-kritisch 76, 108 Hoffnung 11, 30, 33, 34, 70, 111, 115, 134, 196, 225, 310 Homo homini lupus est 185 Hören 38, 64, 82, 105, 114, 316, 323–325 Hugenotten 49 Hussiten 107, 314 I Identität 116, 136–139, 202, 203, 240, 272, 280, 300 Ikonoklasmus s. Bildersturm incurvatus in seipsum 30, 193, 252 Individualisierung 13, 104, 373 Individuum 14, 67, 68, 110, 181–184, 186, 351 Inkarnation 31, 77, 79, 145, 296, 310 Inklusivität 33, 35, 122, 123, 256, 276, 278, 284, 290 Inquisition 29, 191 Inspiration 112, 114, 124, 125, 203, 237, 259

Israel 20, 69, 77, 78, 98, 143, 173, 215, 219, 249, 260, 277, 278, 295, 305 Italien 48 iustitia aliena 282 J Jerusalem 250, 314, 380, 382, 385, 389 Juden 21, 79, 143, 173, 311 Judenchristen 159 Judenmission 171 K Kanon 74, 106, 116, 123, 124, 235, 251, 278 Katholizität 34, 35, 55, 57, 58, 100, 122, 123, 154, 199, 203, 208, 209, 221, 227, 246–248, 260, 266, 271–274, 276, 299 Kennzeichen der Kirche 33, 49, 54, 55, 245, 253, 368 Kirche – Anspruch 19, 26, 27, 34, 35, 39, 61, 75, 82, 93, 95, 99, 106, 144, 162, 173, 210, 212, 231, 234, 355 – Autorität 35, 37, 52, 75, 82, 86, 87, 93, 106, 120, 205 – Braut Christi 60, 224, 233 – differenzierter Kirchenbegriff 25, 28, 34 – Erosion der Kirche 70, 137, 358 – existierende Kirche 11, 23, 24, 69, 116, 143 – extravertierte Kirche 127 – falsche Kirche 44 – gefährdete Kirche 14, 80, 95, 202, 205, 253, 367 – geglaubte Kirche 38, 63, 211, 245, 305 – Gemeinschaft der Heiligen 38, 51, 173, 223 – geschichtliche Kirche 16, 33, 44, 46, 61, 62, 119, 121, 234, 241, 255, 367

429

430

Sachregister

– – – – – – – – – – – – – – – – – –

– – – – – – – – – – – – –

gestaltete Kirche 51, 65, 67 Gnadenmittel 120 Heilsanstalt 28, 40, 80, 120, 123 hörende Kirche 38, 99 Idealkirche 60 Institution 13, 36, 65, 100, 119, 234, 241, 364, 372, 376 Institutionalisierung 26, 40, 43, 208, 209, 212, 372, 373 Kirche bekennen 213 Kirche der Freiheit 175, 176, 197, 376 Kirche des Wortes 316, 323, 325 Kirche unter dem Wort 36, 80, 210 Kirchenleitung 211, 366, 368, 370, 376 Klagegemeinschaft 62 konstantinisch 189, 271 Korruption der Kirche 35 Langeweile 390 Lebendigkeit 11, 39, 90, 103, 104, 119, 124, 202, 302, 304, 374 Leib Christi 31, 51, 61, 145, 209, 212, 213, 222, 224, 229, 246, 305, 366, 368, 376 Machtanspruch 35, 188, 311 Menschlichkeit 65–67 nachgeordnete Größe 81 Nichtfassbarkeit 40 Offenheit 20, 121, 126, 130, 131, 134, 202, 239 Realkirche 60 Rettungsinsel 65, 353 Schwäche der Kirche 67, 120, 221, 222, 270, 356, 386 Selbstrelativierung 239, 355 Selbstsäkularisierung 13, 373 Selbstverflüchtigung 61 Selbstzerstörung 30, 61 Selbstzweck 353, 360

– Sichtbarkeit, sichtbare 25, 35, 39–41, 44, 45, 61, 63, 65, 66, 71, 100, 122, 130, 153, 211, 212, 214, 222, 271, 305, 367, 368 – Sünderin 45 – triumphierende Kirche 99, 134 – Universalität, universale 21, 30, 54–57, 59, 67, 144, 152, 169, 209, 210, 232, 239, 240, 248, 260, 271, 273, 305 – unsichtbare, verborgene 25, 35, 47, 50, 64, 122, 211, 212, 367 – verfasste Kirche 15, 16, 19, 20, 24–26, 30, 31, 33, 34, 36, 39, 42, 43, 54, 65, 70, 80, 100, 201, 202, 212, 234, 245, 246, 305, 352, 358, 367 – Verlegenheit 15, 64, 76, 256, 356, 357, 375, 386 – Volk Gottes 143, 145, 173, 224 – wahre Kirche 19, 20, 25, 27, 30, 31, 34–36, 39, 42, 44, 45, 49, 61–63, 153, 154, 212, 230, 231, 255, 367 – wanderndes Gottesvolk 41, 152, 168, 170 – Weltlichkeit 66, 67, 126, 351, 357 Kirchenkritik 26, 135, 222, 311, 312 Kirchenmitgliedschaft 12, 373 Kirchenrecht, kirchenrechtlich 29 Kirchensoziologie 69 Kirchenspaltung 36, 58 Kirchenverfassung 53, 368, 375 Kirchenzucht, Kirchendisziplin 48, 53, 55, 59, 246, 368 Kirchenzugehörigkeit 28 Kleinglaube 41, 214 Klerikalismus 43, 51, 128, 130, 215, 376 Kloster 36 Koinonia s. Gemeinschaft Konfession, Konfessionen 12, 15, 34, 86, 200, 231, 241, 365 Konfessionalisierung 73, 101, 211, 230, 232

Sachregister

Konfessionalismus, konfessionalistisch 59, 136 Konfessionalität 13 konfessionell 16, 19, 23, 34, 74, 200, 202, 228, 238, 243, 256, 259, 301, 373 Konfessionsfamilie/n 20 Konfessionskriege 106, 188 konfessorisch 137, 139, 163, 173, 202, 204 kongregationalistisch 202, 260, 375 Konkordienformel 59, 86 Konkurrenzindividualismus 30, 68, 184, 198, 358 Konsumgesellschaft 180 Kontextualität 57, 122, 202, 210, 260, 299, 302, 303 Konventikel 70 Konzil von Trient s. Trienter Konzil Kosmopolitismus 148 Krise 11, 134, 137, 138, 156, 222 Kritik 13, 23, 24, 35, 53, 86, 94, 140, 189, 191, 215, 246, 254, 314, 316, 318 Kultkritik 260, 314 Kunst 64, 309 Kyrie eleison 61 L Laien 43, 148, 151, 154–156, 372, 374 Lehramt 74, 75, 86–88, 110, 123–125, 236 Lehre 37, 43, 52–54, 56, 81, 86, 87, 106, 122, 125, 140, 204, 206–210, 214, 230, 232, 234, 237, 240, 253, 255, 259, 264, 272–274, 297, 316, 368, 369 – Lehre der Apostel 244, 247, 251, 253 – Lehre Gottes, göttliche Lehre 37, 81, 91, 210, 223, 234, 253, 256, 272 – Lehrentscheidung 74, 88, 206–208, 235 Lehrer 53, 66, 251, 369 Lehrgespräch 273 Leipziger Disputation 88 Liebe 28, 29, 54, 145, 148, 239, 343, 344

– Doppelgebot der Liebe 181 – Feindesliebe 198 – Nächstenliebe 333, 368, 369 – Selbstliebe 30, 33, 181 Lokalkirche s. Ortskirche Lumen gentium 151 lutherisch 35, 45, 46, 48, 58, 59, 74, 129, 207, 216, 217, 243, 244, 261, 263, 266, 271, 273, 275, 305, 315, 319, 322, 368 Lutherischer Weltbund 207, 254 M Management 134, 262, 371, 376 Manna 134, 345, 346 Markt 68, 175, 180, 334, 337, 351 Mensch – Absolutheitsanspruch 192 – alter Mensch 30 – Beziehungswesen 69, 187, 193, 196, 282 – Bundesgenosse 197 – Bundespartner 194, 197, 278, 281, 292, 295 – coram Deo 100 – eigenwillig 171 – Eitelkeit 50 – fehlbarer Mensch 88 – frommer 95, 96, 336 – gerechtfertigter Mensch 305 – Geschöpf 37, 186, 220, 223, 236, 278, 279, 282, 284, 287, 293, 295, 296 – Gottebenbildlichkeit 236, 280, 284, 286 – Hilflosigkeit 166 – Konsumsubjekt 186 – Menscheit 152 – Menschenbild 185 – Menschheit 161, 168, 169, 172, 278, 295, 301, 331, 353, 354, 366 – Mitmensch 183, 184, 187, 194, 197, 280, 283, 284, 286, 289, 332, 345

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Sachregister

– – – – – – –

neuer Mensch 30, 67 neuzeitlicher 185, 191 Partner Gottes 195, 198, 280, 295 rechthaberisch 171 Selbstbehauptung 109 Selbstbewusstsein 191, 286 Selbsterkenntnis 91, 92, 115, 187, 195, 280 – Selbstermächtigung 192 – Selbstgefälligkeit 47 – Selbstgenügsamkeit 68, 188, 191 – Selbstkonstitution 187, 189 – Selbstrechtfertigung 285, 286, 317 – Selbstüberforderung 193 – Selbstvergewisserung 190 – Selbstverriegelung 115 – Selbstverstrickung 345 – Selbstverwirklichung 67 – Selbstzentriertheit 15, 30, 189, 280, 284–286, 290 – spätmittelalterlicher Mensch 316 – Subjekt, Subjektivität 187, 280–282, 284–287, 296 – sündiger Mensch 30, 187, 290 – Titanismus 192 – Trägheit 50, 180 – überforderter Mensch 91 – „Tod am Brot allein“ 197 – Verlegenheit des Menschen 76 – Vernunft 189 – Zauberlehrling 192 Metaphern 78, 341, 368, 370 Methodisten 208 Milieu 69, 70 missio Dei 261, 350, 351, 357–359 Mitgliederschwund 372 Mittelalter 29, 37, 46, 86, 106, 107, 112, 125, 146, 228, 229, 271, 311–316, 326, 333–335, 337

N Nationalsozialismus 121, 149, 150, 202, 269, 270, 302 neuplatonisch 36 Neuzeit, neuzeitlich 68, 74, 75, 148, 150, 176, 191, 231, 327, 329 – neuzeitliches Freiheitsprojekt 21, 188, 189, 193 nichttheologische Faktoren 272 nota ecclesiae s. Kennzeichen der Kirche Nüchternheit 31, 169, 175, 193, 211, 386 O Obrigkeit 48, 49, 315, 319, 327, 331 Offenbarung, offenbart 20, 49, 76–80, 87, 91, 101, 107, 109, 133, 151, 164, 187, 189, 215, 217, 222, 249, 251, 267, 279, 282, 294, 303, 323, 345, 354, 357, 387, 390 Öffentlichkeit, öffentlich 14, 23, 33, 46, 49, 53, 61, 63, 66, 70, 84, 99, 104, 202, 205, 234, 245, 303, 312, 364, 373 Ökumene 12, 16, 20, 48, 58, 59, 145, 146, 154–156, 170, 172, 199–201, 203, 214, 256, 258, 271, 302, 358 – Asymmetrie 207 – ökumenische Vision 143, 201, 213 – ökumenisches Paradox 200 ökumenisch 17, 24, 33, 49, 51, 55, 56, 59, 64, 116, 123, 134, 138, 143, 144, 199, 200, 228, 230, 231, 238, 243, 246, 271, 272, 276, 299–301, 306, 365, 375 Ökumenischer Rat der Kirchen (ÖRK) 15, 153, 227, 230, 241, 299, 350, 375 Ökumenizität 34, 58, 100, 122, 123, 137, 138, 172, 199, 239, 271, 274 Ontologie, ontologisch 165, 191, 219, 283 Ordnung 41, 46, 48, 57, 59, 60, 149, 210, 232, 241, 309, 319, 367 Orthodoxe Kirche 61, 145, 206, 211, 230, 244, 245, 251

Sachregister

Orthodoxie, lutherische/reformierte 74 – altprotestantische Orthodoxie 83, 101 Ortskirche 54, 59, 238, 304–306 P Paganisierung 26 Papst, Papsttum 42, 44, 58, 81, 88, 94, 109, 153, 230, 233, 352, 377 – papierener Papst 94, 109, 125, 254 Papstkirche 44, 46, 55, 210, 326, 327, 377 Paradies 286–288, 290, 291, 295, 339 Partikularität, Partikularismus 148, 169, 261, 300, 304 Partikularkirchen 58, 231 Pastor, Pastoren 53, 66, 366, 369 pecca fortiter 45 Pilgerschaft 33, 301 Pluralisierung 373 Pluralismus 13, 127, 140 Pluralität 111 Predigt 37, 84, 85, 254, 318, 326, 368, 387 Prekariat 12, 188, 374 Priestertum aller Getauften/Glaubenden 43, 54, 102, 125, 327, 371, 374 profan, Profanität 108, 129, 221, 320, 328, 360 Profanisierung 24, 107, 108, 212, 312, 317, 328 Professionalisierung 372, 373 Prolegomena 13, 14, 16, 252, 379 protestantisch 24, 28, 33, 43, 67, 69, 86, 131, 134, 135, 138, 143, 148, 153, 154, 203, 211, 215, 217, 223, 227, 228, 230, 272, 273, 275, 301, 327, 350, 373–375 Protestantismus 19, 20, 24, 73, 74, 123, 128, 231, 245, 305, 377 Purismus, puristisch 27, 29, 35, 59

R Rechtfertigung 45, 110, 162, 194, 207, 260, 263, 275–279, 282–285, 290, 292, 293, 357, 358 – Rechtfertigung ohne Glauben 382 Rechtsliberalismus 48 reformiert 16, 48, 79, 202–205, 207, 208, 212, 213, 217, 219, 233, 259–261, 275, 276, 303, 332, 365 Reformierter Bund 23, 160, 364, 377 regnum fidei 38 Reich Gottes 27, 31, 139, 225, 249, 258, 310, 347, 356, 382, 390 Rekonfessionalisierung 137, 138 Religion 63, 66, 68, 101, 108, 127, 128, 134, 136, 137, 139, 182, 222, 309, 310, 351, 353, 355, 361 religiös 14, 32, 42, 63, 65, 68, 81, 109, 188, 192, 197, 246, 303, 306, 313, 316, 332, 336–338, 349, 351, 353, 355, 376, 381, 387 Rezeptionsästhetik 113, 114 Rigorismus 27, 109, 318 römisch-katholische Kirche 12, 34, 51, 55, 58, 61, 69, 145, 148, 152, 206–208, 211, 217, 229, 231, 245, 299, 315 S Sakralisierung 124, 125 Sakrament, Sakramente 27, 33, 34, 39, 40, 50, 54, 55, 58, 233, 245, 368 – Zeichen 33 Sakramentalismus 33 Säkularisierung 48, 127, 351 sanctitas passiva 221 Schmalkaldische Artikel 42, 275 Schöpfung 44, 110, 111, 158, 172, 186, 187, 195, 196, 212, 219, 236, 237, 260, 278, 281, 284, 285, 287, 290, 291, 293, 296 Schottland 48

433

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Sachregister

Schrift, heilige Schrift 54, 82, 203, 234, 237, 251, 252, 255, 303, 324 – apostolisches Zeugnis 254 – Bevormundung der Schrift 73, 99, 110 – Dunkelheit der Schrift 87, 91, 96 – Geltungsanspruch 92 – Gewissheit 96 – Katholizität 235, 238 – Klarheit 74, 83, 89, 91, 96, 102, 111, 125, 237 – Kohärenz 112 – Mitte der Schrift 110 – Mündlichkeit 85 – Schrift als Notmaßnahme 84 – Schriftlichkeit 85 – Schrifttreue 111, 252 – Selbstauslegung 91, 93, 105, 115 – Selbsterklärungskraft 75, 83 – Selbstreferentialität 91, 93, 252 – Verbindlichkeit 74 – Wahrheitsfähigkeit 73 Schriftprinzip 20, 234, 235, 244, 251, 252 Schwärmer 85, 90, 94 Sekte, sektiererisch 95, 210, 229, 231, 300 semper reformanda 20, 99, 119, 121, 122, 124, 130, 134, 140, 201, 256, 301, 352 Sendung 11, 14, 15, 21, 75, 82, 117, 120, 126, 136, 139, 159, 215, 224, 248, 251, 256–258, 261, 268, 369 simul iustus et peccator 44, 101 Sinn des Lebens 282, 285, 286 Sintflut 290–293 sola fide 89 sola gratia 89, 162, 173 sola scriptura 20, 73, 74, 85, 86, 97–101, 103, 112, 116, 124, 125, 216, 252 soli Deo Gloria 277 Solidarität 67, 126, 127, 131, 139, 140, 156, 168, 176, 351, 361 solus Christus 89

Sozialisation 42, 70, 134, 205, 282 Sozialkritik 315, 327 Spiritualität 95, 96, 349, 351, 353 Staat 29, 43, 48, 149, 150, 182 Staatsreligion 26 status confessionis 269, 270 Stellvertreter 42, 257, 383 sui ipsius interpres 90, 124 Sünde, Sünder 30, 45, 85, 101, 152, 187, 220, 222, 230, 233, 254, 286, 288, 295, 296 – Sündenfall 286, 288 – unmögliche Möglichkeit 287, 290 Synode 364, 372 T Taufe 55, 248, 254, 368 Täufer 58 Teufel 29, 43, 59, 95, 228, 269, 326 Toronto-Erklärung 15, 230 Tradition 24, 61, 74, 86, 91, 103, 121, 122, 134, 136–138, 202–205, 207, 234, 251, 272–274, 304, 326, 361 Trienter Konzil 86, 334 Turmbau zu Babel 171, 287, 293 U Umkehr 55, 112, 255, 300, 355 Unfehlbarkeit 88, 222 Union 58, 268 Urgeschichte 287, 290, 292–294 V Vaterunser 225 Veni creator spiritus 224 Verantwortung 36, 54, 86, 103, 119, 122, 126, 127, 130, 139, 143, 155, 181, 204, 205, 211, 257, 270, 282, 283, 285, 288, 303, 355, 359, 366, 368, 370, 372, 375, 376

Sachregister

Verbindlichkeit 124, 206–208, 259, 264, 265, 268, 270, 271, 274, 303, 368 Vergangenheit 97, 105, 108, 137–139, 204, 205, 223, 241, 271, 323, 347 Verheißung 33, 34, 36, 40, 44, 45, 60–63, 66, 75, 81, 93, 97, 113, 114, 119, 125, 130, 133, 153, 156, 161, 164, 166, 169, 171, 201, 220, 222, 224, 237, 256, 280, 294, 295, 307, 358, 359, 367, 377, 387, 390 Verkündigung 49, 53, 55, 56, 58, 66, 80, 84, 98, 153, 208, 245, 249, 250, 253, 259, 325, 355, 359, 361, 368, 369, 383 Vernunft 106, 107, 183, 189, 190, 192, 216, 222, 283, 354 Verschiedenheit 56, 123, 129, 240, 263, 264, 266, 271, 276, 340 Versöhner 219, 236 Versöhnung 79, 80, 98, 128, 136, 139, 160, 213, 263, 282, 296, 360 – Versöhnungsbotschaft 79 – Versöhnungslehre, Soteriologie 260, 351, 357 Verstehen 75, 89, 94, 96, 99, 100, 105, 108, 111–115, 119, 130, 135, 189, 195, 219, 270, 273–276, 279, 288, 292, 294, 296, 343 Versuchung 33, 39, 56, 95, 121, 122, 127, 128, 130, 137, 139, 167, 173, 186, 205, 253, 265, 269, 287, 295, 317, 331, 339, 344, 355, 381, 390 Verwerfung 144, 207 Vielfalt 13, 26, 52, 57, 79, 110, 116, 203, 227, 236, 238, 264, 274, 288, 296, 297, 302, 305, 347, 387 viva vox evangelii 97 Volk Gottes s. Kirche Volk Gottes Völkerwallfahrt zum Zion 160–163, 168 völkisch 148, 149 Volksfrömmigkeit 26, 313 Volkskirche 12, 26, 149 volkskirchlich 12, 373

W Wahrheit 27, 32, 35, 37, 40, 45, 57, 61–63, 79, 80, 82, 89, 93, 110, 111, 113, 114, 188–190, 206, 222, 233, 244, 254, 255, 259, 264–267, 273, 274, 281, 302, 303, 345, 347, 360 Waldenser 86, 107, 314 Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen 208 Werke, Werkgerechtigkeit 318, 334, 335 Werte 139, 140, 282, 336 Wirklichkeit 36, 41, 68, 76, 108, 112, 113, 115, 128, 186, 190–192, 194, 195, 237, 265, 278, 279, 281, 283, 286, 297, 309, 311, 320, 324, 340, 353, 354, 359, 360, 387 Wissen 89, 255, 256, 347, 357, 360 Wort Gottes 36–38, 40, 41, 57, 73, 81, 91, 97, 99, 104, 106, 109, 111, 119, 121, 123, 134, 140, 153, 195, 201, 217, 224, 228, 229, 253, 296, 324, 368, 369 – Beunruhigung 100 – Eigenevidenz 108 – Gegenwart 97 – Gott redet 78 – Kennzeichen der Kirche 38 – Lebendigkeit 103, 104, 111, 114, 230, 302 – Metapher 78, 337 – performatives Wort 77 – Selbstbezeugung 83 – Selbstmächtigkeit 81 – Selbstreferentialität 75 – Selbstvergegenwärtigung 75 Wort und Sakrament 33, 55 Wyclifiten 107, 314 Z Zeichen 44, 319, 320 Zentralismus 59 Zeremonien 57, 136, 140, 232, 233, 272

435

436

Sachregister

Zeugen 248, 250, 251 Zirkel, theologischer 90, 97, 115, 216, 290

Zweites Vatikanisches Konzil 99, 151, 152, 154, 156, 227, 238, 301