Die chinesische Weltanschauung: Dargestellt auf Grund der ethischen Staatslehre des Philosophen Mong dse 9783111686004, 9783111298801


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German Pages 215 [232] Year 1912

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Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Verzeichnis der Abbildungen
Aus dem Leben des Weisen Mong
Mong dse: Erstes Buch
Mong dse: Erstes Buch
Front matter 2
Sittliches Sein und Sittliches Werden
Ghakspere
Die Renaissance
Israels Kulturentwickelung
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Die chinesische Weltanschauung: Dargestellt auf Grund der ethischen Staatslehre des Philosophen Mong dse
 9783111686004, 9783111298801

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A. 1 £ JL 4'1 & Ä + * £ L Ältestes Bild von Kung fu dse. Nach einem Steinabdruck im Tempel zu Küfu.

Die chinesische Weltanschauung Dargestellt auf Grund der ethischen Staatslehre des Philosophen

Mong dse f Von

Heinrich Mootz

Mit sechs Abbildungen

Straßburg. Verlag von Karl 3. Trübner.

1912.

L. A. Wagners Los- und ÜniverfitSlsbuchdrutkeret, Freiburg im Breisgau.

Vorwort ie chinesische Lebensauffassung und Weltan­ schauung ist uns alS blanke Münze nicht un­ mittelbar gegeben; wir dürfen auch nicht da­ von andern Nationen, namentlich von Engländern und Franzosen geschilderte Altertum Chinas als bare Münze leichten Sinnes einstreichen, wir müssen vielmehr selbst daS Edelmetall aus der chinesischen Erde, aus den alten echten Überlieferungen des gelben Volkes herausarbeiten und den gesunden Geist, der eine unbesiegbare Lebens­ kraft dieses Menschenschlages in sich trägt, mit deutschem Rüstzeug neu und voll zu fassen suchen. Nicht erzhaltiges Gestein, sondern ausgelöstes, brauchbares Metall sollten diese Betrachtungen liefern. Gleichwie sich heute unter den Gebildeten Chinas ein Geistesfrühling anzubahnen beginnt, der den alten Wein chinesischer Weisheit in neue Schläuche fassen und die Errungenschaften der west­ lichen Kultur mit den ewig gültigen Grundsätzen ihrer weisen Altvordern in Einklang bringen will, so muß auch unter den Völkern, so weit die deutsche Zunge Ringt, immer mehr Verständnis erwachen für die urwüchsigen, ostasiatischen Staat-formen und für die eigenartige, selbst­ geschaffene Kultur deS chinesischen VölkerzweigeS. hier­ zu kann die Kenntnis der alten heiligen Schriften nach

VI der Art und Weise, wie in neuerer Zeit geistig ge­ weckte Chinesen den Inhalt auffassen, ihn auf das heu­ tige Leben anwenden und die Weltverhältnisse darin spiegeln, wesentlich beitragen. Seitdem die nüchternen Lehren des Altmeisters Kung zum Dogma erhoben wurden, ist das chinesische Geistesleben erstarrt; die alten lebenskräftigen Ideen schliefen unberührt vom weckenden Lauch der Freiheit nun über ein Jahrtausend und bis in die neueste Zeit herein den Schlaf der seelen­ losen Form. In dieser Erstarrung regt sich jetzt neues Leben, da- die überlebten Formen sprengen wird. Wie sich daS alte chinesische Geistesleben verjüngt, möchten die nachstehenden Betrachtungen zeigen, die, aufgebaut auf den ethischen Staatslehren des Weisen Mong, so gehalten sind, wie sie in höheren chinesischen Schulen und in schriftlichen Abhandlungen heute etwa dargelegt werden. Die Übertragung des Texte- ins Deutsche, auch der eingeflochtenen Lieder, ist aus rein chinesischen Quellen geschöpft und unmittelbar verdeutscht und verdeutlicht. Die Schreibweise chinesischer Ausdrücke ist den deutschen Lauten möglichst eng angepaßt, wer so liest, wie ge­ schrieben ist, wird die hochchinesische Aussprache ziem­ lich sicher treffen. Es ist zu bedauern, daß wir den alten ehrlichen Kung in der verwelschten Form ConfuciuS und den geisteshellen Mong in dem verunstal­ teten Namen MenciuS haben in unsere Literatur ein­ schleppen lassen. Deutsche Sinologen sind indes an die Arbeit gegangen und werden eine lautgerechte deutsche Schreibweise de- Chinesischen schaffen, die dann im deutschen Schrifttum Anwendung finden möchte. Die

Vll

Silbe dse, die gewöhnlich lautlich unrichtig tse geschrieben wird, ist in dem Namen Mong dse lediglich Titel, den die Nachwelt dem Meister später zugelegt hat und der soviel bedeutet wie der Weise, der Philosoph, Herr. Die Übersetzung und die Aufsätze über Mong, die hier veröffentlicht werden, sind in der Zeit von 1893 an entstanden und zum Teil in Zeitschriften, namentlich in der in Tsingtau erscheinenden Kiautschou-Post, erschienen. Wenn sie nun neu bearbeitet sich in Buchform kleiden, so möchten sie nach fast zwanzigjährigem Studium des chinesischen Schrifttums als reife Frucht erscheinen nicht für einen leider noch kleinen Kreis von Sinologen, son­ dern für jedermann, der über dem AlltagSgetriebe die treibenden Kräfte im chinesischen Volkskörper erkennen will. Nicht als ob die Gedanken und Anregungen, die Meister Mong in den vorliegenden Abschnitten darbietet, erschöpft oder allseitig angewandt worden wären, sie mögen lediglich anregen zu weiterer Beschäftigung und Vertiefung in die alte chinesische Literatur, von der ja auch im deutschen Sprachgebiet das Dunkel allmählich zu weichen beginnt. Tsingtau, im Oktober 1911.

Heinrich Mooh.

Inhalt Sette

Allgemeine» über Mong.

1. Aut dem Leben de» Weisen Mong ........................... 2. Mong und fein Werk .....................................................

1 7

Erste« Bnch. Erster Teil.

1. Mong« Besuch bei dem Könige Lui von Da liang . 15 2. De« Fürsten Freude bestehl im Glück seine« Volke» 24 3. Mong» Ansichten über wirtschaftliche Maßnahmen de» König» Lui.................................................................................32 4. Der zuerst da» Lolzbild machte............................................41 5. Der Wohlwollende hat keinen Feind................................. 48 6. Der König Slang vom Reiche Wej................................. 56 7. Ein Gespräch mit dem Könige Süen von Tsi . . . 65 Erste» Buch. Zweiter Teil.

1. 2. 3. 4. 5. 6. 7.

Geteilte Freude ist doppelte Freude................................. 76 Forstgesetze im Lichte chinesischer Anschauung ... 84 Politik und Heldenmut........................................................... 91 Der Zweck fürstlicher Reisen............................................... 106 Die Fürstentage in der Lellen Lalle................................121 Ein freie» Wort.....................................................................136 Der Bestand des Staate» hängt ab von seinen Beamten 143

X Seite Gericht über ruchlose Lerrscher Das Regieren will gelernt sein Erobere ein Land nur mit Zustimmung seiner Bewohner Wie man die Feinde fernhält Lüte dich! WaS von dir auSgeht, kehrt zu dir zurück Lieber sterben als Unwürdigen dienen Zwinge dich. Gute- zu tun Der Fürst hängt nicht ab vom Land, sondern vom Volk 16. Der Weise ist abhängig vom Simmet, nicht von Menschen

8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15.

152 159 169 175 182 188 191 195

200

Verzeichnis der Abbildungen. Älteste- Bild von Kung fu dse.

Rach einem Steinabdruck im Tempel zu Küfu . dem Titelblatt gegenüber Die Mutter Mong- vor dem Webstuhl ermahnt ihren Sohn zum fleißigen Lernen. — Mong 5 dse vor dem Fürsten . . . zwischen den Setten 4 und Grabhügel von Kung fu dse mit Gedenkstein und Opferaltar . „ , „ 48 und49 Säulen am Tempel de- Kung fu „ „ „ 128 und129 dse zu Küfu Chinesische Kunst- und Kultgegen„ „ „ 166 und167 stände Altchinefischer Krieger .... .................................. Seite 206

Aus dem Leben des Weisen Mong, chantung ist das heilige Land deS Ostens. Lier hat der größte Sohn Chinas, der Altmeister Kung, gelebt und gewirkt. Von hier aus hat die geistige und sittliche Macht, die der Menschheit selbst entkeimte, das innere Leben: Herz und Gemüt, Denken und Dichten des chinesischen Volkes umgestaltet und veredelt und ist dann in der ganzen Kraft der Wahrheit weitergedrungen, hinaus in die damals be­ kannte Welt des Ostens, die Länder und Völker mit unschätzbaren sittlichen Güten» segnend. Erst an den Äsern des großen Weltmeeres im Osten, nachdem in Korea und Japan die erneuernde Lehre Anklang und Eingang gefunden hatte, erst an den ragenden, schwer übersteigbaren Gebirgen im Westen, hinter denen man das dort blühende, aber anders geartete geistige Leben hochbegabter Völker nicht ahnte, hat die tiefgehende geistige und sittliche Bewegung aus Schantung damals Äalt gemacht. And wiederum war es ein Mann aus Schantung, Meister Mong, der die hohen Gedanken Kungs in ihrer ganzen Tragweite erfaßt hatte, der die sittlichen Ideen weiter ausbaute und sie für das Leben zu einem Mootz, Die chinesische Weltanschauung.

]

2 unversiegbaren Quell geistiger Anregung und ethischer Kultur gemacht hat. 3n Mong, dem genialen Schüler

von Kung, ist die Gedankenwelt seine- Meister- erst

recht lebendig geworden.

Bei ihm haben

die alten

weisen Lehren greifbarere Gestalt und verjüngte Formen angenommen, die mit lebenweckender Kraft eine neue

Epoche der sittlichen Kultur im alten China herauf­ führten.

Ohne Mong wäre die klassische Literatur und

da- ganze Geiste-leben de- chinesischen Volke- ärmer, einseitiger. Auch heute noch gehören seine Gespräche

und Lehren zum eisernen Bestände der chinesischen Bil­ dung; es gibt keine Lütte in China, in der nicht Sprüche

von Mong bekannt wären. Auf seine Lehren baut sich auf die ganze soziale und staatliche Ordnung. Die Tugenden der Pietät, die fügsame Eingliederung deEinzelnen an seinen Platz in der Gesellschaft, wurzelt nicht zum geringsten in ihm. Wer den Weisen Mong nicht kennt noch versteht, dem bleibt die chinesische Volks­ seele verschlossen, denn er ist der ungetrübte Spiegel de-

chinesischen Geiste- für alle Zeit.

Der Weise Mong unserer Zeitrechnung,

lebte von 372 bi- 289 vor etwa einhundert Jahre später

al- sein geistiger Vorgänger Kung, der von 551 bi-

479 lebte; er war also noch ein Zeitgenosse Plato(429 bi- 347).

Sein Vater soll früh gestorben sein.

Die tugendhafte Mutter übte auf den geweckten Sohn einen nachhaltigen Einfluß aus. Die Mutter von Mong

gilt chinesischen Frauen, denen die Erziehung ihrer Söhne im Kinde-alter obliegt, al- hehre- Vorbild. In der Geschichte edler Frauen (Liä nü dschuan) wird erwähnt.

3 daß die Frau Mong eine geborene Dschang war. Auf die Erziehung und Bildung ihre- Sohne- verwandte sie die größte Sorgfalt. In der Nähe ihrer Wohnung befanden sich Gräber, die auch damals schon ihre jetzige runde, hügelige Form hatten und deren Umgebung mit Bäumen bestanden war. Unter diesen Bäumen spielte der Kleine gern. Al- die Mutter sah, daß er hier die Gebräuche beim Begräbnis nachmachte, sagte sie: dieist kein Platz für mein Kind. Da zog sie um und fand eine Wohnung in der Nähe de- Markte-. Kaum fühlte sich der Knabe dort heimisch, da spielte er den Ländler und ahmte die Marktleute nach. Da- verdroß die Mutter; sie sagte abermals: da- ist auch kein Platz für mein Kind. Sie suchte sich eine andere Wohnung und fand ein Unterkommen dicht an der Schule. 3n dieser neuen Umgebung lernte der junge Ko, wie MongRufname geheißen hat, spielend gute- Benehmen und Anstand, worüber die Mutter sehr erfreut war und au-rief: endlich habe ich einen paffenden Platz für mein Äinb gefunden. Besonders erwähnt wird, daß Mong Ko, denn so wurde Meister Mong von seinen Seitund Altersgenossen genannt, schon als Kind die Opfer­ schalen und geweihten Becken, die damals in den Schulen zu den religiösen Landlungen gebraucht wurden, vor­ schriftsmäßig geordnet aufbaute. In den Formen des kindlichen Anstande- kam ihm keiner gleich; er verbeugte sich höflich, wußte, wie man bescheiden vortteten und gemessen zurücktteten mußte. Bald trat der kleine Mong auch selbst in die Schule als Schüler ein. Sunt großen Leid seiner Mutter war er oft nachlässig in

4 seinen Schularbeiten und träge im Lernen und Vor­ bereiten auf die Schulstunden. Wenn der Junge aus dem Unterricht nach Lause kam, ließ sich seine Mutter die Arbeiten vorzeigen, fragte ihn auch: wie weit bist du denn heute gekommen? Als er im Auswendiglernen des Schih king nicht weiter kam und sagte: ich stehe noch auf dem alten Fleck, da nahm die Mutter ein Messer und durchschnitt vor den Augen ihres Lieblings den Webstuhl, womit sie für sich und ihn den AnterHalt verdiente. Der Junge fragte erschrocken: Aber was machst du denn da, Mutter! Da hielt, wie die Überlieferung berichtet, die Mutter des Weisen ihrem trägen Sohn eine Strafpredigt, indem sie sagte: Mein Kind, du bringst dich um deine Bildung, genau so, wie ich jetzt den Webstuhl durchschnitten, uns um das täg­ liche Brot bringe. Ein Junge muß lernen, wenn er ein Mann werden will, der etwas gilt; er muß durch Fragen und durch Aufmerksamkeit den engen Kreis seine- Wissens erweitern. Zu Lause gewandt und ver­ ständig, draußen im Verkehr und bei der Arbeit auf das Wohl seiner Familie bedacht, alles fernhalten, was ihr schaden könnte, das ist des Mannes Pflicht. Wenn du jetzt in der Jugend auf deine Ausbildung nicht ach­ test, wirst du dein Lebenlang ein Knecht sein, aus Kum­ mer und Not nicht herauskommen. Ich habe den Web­ stuhl durchschnitten, wir werden nun hungern; du hast deine Aufgaben liegen lassen, du wirst einmal ein armer Mann werden. Jetzt stützt du dich noch auf deine Mutter, aber woher willst du Brot nehmen, wenn du alt wirst, wenn ich nicht mehr bei dir bin? Wer in

Links: Die Mutter Mongs vor dem Webstuhl ermahnt ihren Sohn zum fleißigen Lernen.

Rechts: Mong im Gespräch mit dem Fürsten.

Mootz, Die chinesische Weltanschauung.

5 der Jugend nichts lernt, der fällt später unter die Diebe und Sklaven. — Diese Vorstellungen der Mutter sollen auf den jungen Mong Ko solchen Eindruck gemacht haben, daß er von da an von früh bis spät mit größtem Fleiß lernte. Später wird uns von der vielbesungenen Mong Mu (Mu = Mutter) nichts Geschichtliches mehr berichtet. Ihre erzieherische mütterliche Fürsorge wirkt weiter in dem Sohn. Bescheiden tritt sie von der Welt­ bühne zurück: ein Heller Stern am grauen Simmel des dunklen Altertums, und zwar einer der lieblichsten. Nach seinen ersten Schuljahren, die sich, ähnlich wie heute noch in China, darauf beschränkten, die damaligen klassischen Schriften auswendig zu lernen, kam Mong Ko zu dem Lehrer Dsese, einem Enkel des Altmeisters Kung, der im Sinn und Geist seines Großvaters die fünf heiligen Bücher: das Schih fing, Schu king, I fing, Tschun tschiu und Li dschi exegetisch erläuterte. Die alten geschichtlichen Aufzeichnungen berichten, daß Mong die fünf Klassiker durch und durch gekannt habe; das Schih fing — Buch der Lieder—und das Schu king—Buch der Geschichte — seien ihm die liebsten gewesen. Mit dem 3 fing — Buch der Wandlungen — habe er sich viel beschäftigt und, gleichwie Kung, darin aller Weisheit Anfang und Ende gesehen. Nach dem Studium begab sich Mong, wie es seiner­ zeit bei den Gebildeten Regel war, auf Reisen, um bei einem Fürsten der kleinen Nachbarstaaten Amt und Brot zu finden. Zum Regieren des Volkes, zur Verwaltung des Landes bedurfte es nicht weiterer Kenntnisse; die in den heiligen Schriften niedergelegten

6 Grundsätze galten als Landesgesetz. Jedes kleine Reich war ein in sich abgeschlossener Priesterstaat. Dem Fürsten lagen vornehmlich die religiösen Landlungen, die Belehrung deS Volkes, die Rechtsprechung in Etreitsällen und die Kriegführung ob. Denn bei all den friedlichen Grundsätzen der heiligen Bücher war Krieg mit den Nachbarstaaten an der Tagesordnung. In manchen Gebieten war das Volk zu träge zur Ar­ beit, infolgedessen arm, unwissend, roh und verwildert. Die Fürsten und Beamten lebten ihren Neigungen, frönten ihren Leidenschaften und dachten an das Volk nur dann, wenn sie etwas von ihm wollten. Der Weife Mong suchte nun bei den Fürsten seine Ideen zu entwickeln und Verständnis dafür zu finden; sie sollten sich in einem Staatswesen, das er als Ideal hinstellte, auSwirken, sich zu wirkendem Leben ent­ falten und die Menschheit von innen heraus, von der ursprünglich guten Anlage deS Menschen auS, zu wahrem Adel umgestalten. Man hat ihm bei seinen geistvollen, bilderreichen Vorträgen andächtig zugehört, seine Lehren willig ausgenommen und manches Gute eingeführt; aber eine führende Stellung in einem der Kleinstaaten hat Mong bei Lebzeiten nicht eingenommen. Erst nach und nach sind seine Gedanken inS Volk gedrungen, sind besser verstanden worden und haben sich zu einem Lehrgebäude verdichtet, in dessen weiten Lallen sich alle edel denken­ den Männer OstasienS seit zweitausend Jahren zusammen­ gefunden haben, dessen Grundlagen auch heute noch nicht morsch sind; ja, die allen Wandel der Zeiten und alle geistigen Strömungen, so verschiedenartig sie auch sein

mögen, überdauern werden. Au- dem Leben des alten Philosophen Mong, von seinen Reisen und Lehren, Gesprächen und Ermahnungen, wie sie uns in seinen Schriften und in den dazu gehörigen Erläuterungen seiner Schüler vorliegen, können auch wir heute noch manche- lernen. Namentlich aber offenbaren sie unden Charakter und den demokratischen Zug der chinesi­ schen Volksseele.

Mong und sein Werk. Wenn man Mong al- Schüler von Kung ansieht, so darf dabei nicht außer acht gelassen werden, daß er von Kung lediglich eine geistige Anregung erhielt, einen kräftigen Anstoß, der die Richtung seine- Denken- und geistigen Leben- bestimmte. Mong selbst war ein viel zu selbständiger Charakter, ein ganz und gar produk­ tiver Geist, der nicht al- geistreicher Nachbeter einer überkommenen Lehre gelten kann. AlS selbständiger Erzeuger neuer Ideen und al- Fortbildner der tiefen Gedanken der alten heiligen Könige und Weisen der Vorzeit steht er auch in ganz China nicht weit hinter dem Altmeister Kung zurück und wird insbesondere in Japan nicht unter Kung, sondern neben ihn gestellt. In dem reichen Lerzen de- alten sagenumwobenen Kaiser- Vau, der von 2375 bis 2255 vor unserer Zeit­ rechnung gelebt haben soll, offenbarte sich, der chinesi­ schen Weltanschauung zufolge, da- wahre Wesen eine­ echten, edlen Menschen. Er gllt al- der Arquell degeistigen und höheren Licht- für die Menschheit. Von

8

ihm aus floß der lautere, lichte Geistesstrom weiter auf seinen Nachfolger auf dem Thron, den Kaiser Schun, der von 2255 bis 2205 regierte. In ungetrübtem Glanze ergoß er sich in größeren oder kleineren Zwischenräumen weiter auf ör nicht darauf. Sagen alle Bewohner des Reiches: der kann das nicht, so prüfe ihn. And wenn du erkannt hast, daß er es nicht leisten kann, dann erst schicke ihn weg. 5. Sagen links und rechts alle: der hat den Tod verdient. 55ör nicht darauf. Sagen alle hohen Beamten: der hat den Tod verdient. Lör nicht darauf. Sagen alle Bewohner des Reiches: der hat den Tod verdient, so prüfe ihn. And wenn du erkannt hast, daß er den Tod verdient hat, dann töte ihn. Daher sagt man: Die Bewohner des Reiches haben ihn getötet.

6. Liernach gehandelt, dann kann man dem Volke wohl Vater und Mutter sein. Das Rückgrat des Staates bilden also nach Meister Mongs Ansicht die Beamten, nicht die Wehrmacht mit

145 ihrer Feldherrnkunst. Das Reich soll nicht durch Zwang und äußere Machtmittel zusammengehalten und vermehrt werden, sondern durch die freiwillige und zweckmäßige Zusammenschließung aller Staatsbürger zu einem geordneten Gemeinwesen, dessen Einrichtungen und Gesetze man aus innerer Überzeugung von ihrer Not­

wendigkeit anerkennt und befolgt. Darum gelten in erster Linie die Beamten als die berufenen Träger der StaatSidee, die sich durch sie im Verkehr mit dem Bürger­ tum jedem, der dem Staate angehört, mitteilen soll. Von den Beamten muß ein guter Einfluß ausgehen, der allen Widerstand in den Kerzen des Volkes bricht und jeden Einwohner zum gefügigen, folgsamen Mitgliede der Gesellschaft macht. Es ist die alte, unter vielen Völkern auftauchende Idee von einem Reiche Gottes auf Erden, daS vor aller Augen sichtbar in die Erscheinung tritt, die Welt erneut und die Menschen so gestaltet, daß jeder das Gute will und tut. Eine Idee, die man in kurzsichtiger Verkennung der menschlichen Natur, wie sie nun ein­ mal gegeben ist, auch in der christlichen Kirche ver­ wirklichen wollte, deren Lierarchie dem chinesischen Beamtentum mit dem heiligen, unfehlbaren Sohne des Kimmels an der Spitze gleicht, wie ein Ei dem andern. In der Auswahl der Beamten, die das feste Ge­ rippe des Staates bilden, muß der Fürst deshalb sehr vorsichtig sein. Als eine bedenkliche Schwäche für ein Reich, die Gefahr für seinen Bestand in sich birgt, wird es angesehen, wenn keine Beamtentradition besteht, wenn keine alteingesessenen Geschlechter vorhanden sind, Mootz, Die chinesische Weltanschauung.

146 die sich durch viele Generationen mit dem Staate ver­ wachsen

fühlen,

deren

Söhne

in

ununterbrochener

Reihenfolge im Dienste deS Staates gestanden haben. In der Tradition bewahrt sich am sichersten der alte

gute Geist, das zähe Festhalten an dem einmal als

richtig erkannten Kulturideal und infolgedessen die Stetigkeit aller Verhältnisse. Lierin kann die Stärke, aber auch die Schwäche des Staates liegen. Es kommt eben alle- auf die Personen an, die an der Spitze stehen und die Amtsgewalt in den Länden haben. Liegt

die Leitung des Staates in den Länden hervorragender

Männer, deren geistiger Lorizont über die eigenen engen Verhältnisse hinausgeht, dann werden sie mit der all­

gemeinen Weltlage und den Bedürfnissen des Volkes stet- rechnen und dafür sorgen, daß nicht Stillstand und Lässigkeit eintreten, die den Volksgeist einschläfern

und das Schwert des Geistes verrosten lassen.

Dieser

Gefahr ist, wie die Geschichte zeigt, noch kein Volk

entgangen, das im Vollgenuß seiner Kultur sich in seinen auf Wohlstand aufgebauten Einrichtungen be­

haglich streckte und gesättigt mit allen erwünschten ©fitem des Leibes und der Seele dem sorglosen süßen Genießen lebte und dabei jeden weiteren mühebringen­ den Fortschritt verdammte. Zu dem Erfordernis, daß edle Geschlechter, die im Reiche einen Einfluß haben

und die durch Generationen hindurch mit dem Staate verwachsen sind, die starken Stützen des Staates bilden

und ihm die zuverlässigsten Beamten stellen, kommt noch der Umstand, daß der regierende Fürst mit den Beamten harmoniert, daß ihn und seine Beamten eine

147 Gesinnung durchdringt, die nur da- Wohl deS Volkes und die Festigkeit des Staates im Auge hat. Der König soll tüchtige Minister haben, die mit ihm Freud und Leid teilen, mit denen er vertraut ist wie mit in­ timen treuen Freunden. Der stete Wechsel in den leitenden Stellungen ist vom Übel, an dem das Reich

Tsi krankt. Kaum hat sich ein Minister die Arbeiten angesehen, dann wird er wieder weggeschickt oder nimmt selber seine Entlassung. Auf diese Weise fehlt der Regierung die Stetigkeit, e- ist ein Zickzackkurs, der bald nach diesem, bald nach jenem Ziele schweift, wo­ durch dem Volke die Ideale des Strebens immer wieder verrückt und schließlich genommen werden, so daß in den Gemütern der Untertanen eine Reichsverdroffenheit Platz greift, die sich in Verbitterung über die Regierung und in Kritik an dem Fürsten Luft macht. Der König gibt diesen Mangel in der Regierung des Lande-, der durch den allzu häufigen Wechsel der oberen Beamten hervorgerufen wird, unverhohlen zu, entschuldigt sich jedoch mit der allgemeinen menschlichen Schwäche, mit der Unkenntnis über Personen, die oft nicht das leisten, wa- man von ihnen billigerweise er­ wartet hatte; die eS verstehen, durch ihr gefälliges Wesen zu blenden und irrezuführen, sobald sie aber Fähigkeiten zeigen sollen, offenbaren, daß sie keine be­ sitzen und daher in ihren Landlungen den auf sie ge­ setzten Erwartungen nicht entsprechen. Ein Lerrscher muß, wie Meister Mong sagt, die Tüchtigsten aus­ wählen, da- ist nun einmal seine Pflicht, die er unter keinen Umständen leicht nehmen oder umgehen darf.

148 Wenn unter den höheren Beamten sich keiner findet, der den gestellten Anforderungen entspricht, so darf man nicht davor zurückschrecken, auch einmal einen nied­ riger stehenden Beamten für einen hohen Posten aus­ zusuchen und ihn älteren Beamten vorzuziehen. Dann aber müssen wirklich gewichtige Gründe vorliegen: der auf diese Weise außer der Reihe beförderte Beamte muß auch tatsächlich eine außergewöhnliche, reichbegabte Persönlichkeit sein, die dem Ideal eines tüchtigen Be­ amten entspricht. Dies Ideal ist nach der alten chine­ sischen Auffassung: der Weise, der Leilige; eine Per­ son, die in all ihren Landlungen mit fehlloser Sicher­ heit stets das Rechte trifft und als ein Licht des Geistes und der Tugend das Land erhellt und das Volk erleuchtet, damit es zu allem guten Werk geschickt werde. Findet der König unter der Verwandtschaft seines Laufes keinen tüchtigen Minister, dann darf er getrost weiter greifen und fernstehende, dem Lose bisher fremde Persönlichkeiten heranziehen. Bei diesen außergewöhn­ lichen Maßnahmen ist indes Menschenkenntnis erforder­ lich und die größte Vorsicht geboten. Denn jede un­ bekannte Person, die sich in die neuen, ihr völlig fremden Verhältnisse nicht einleben kann, bringt Ent­ täuschungen. Wenn sich dagegen in den nächsten Be­ kanntenkreisen tüchtige Beamte finden, dann soll man diese den fernstehenden und unbekannten vorziehen, weil man im persönlichen Verkehr mit dem Menschen den Charakter und die Eigenschaften seine- Wesens am sichersten kennen lernt. Auf das Gerede der Anter-

149 gebenen, namentlich auf die Empfehlungen der Mi­ nister, die um den König sind, die „links und rechts" an seiner Seite stehen, soll der Lerrscher nicht hören, denn sie suchen nur solche Leute anzubringen und die Staatsmaschine damit zu bestücken, mit denen sie gern

zusammenarbeiten, die ihnen im Verkehr, im gesellschaft­

lichen Leben und in mancherlei andern Beziehungen genehm sind. Dagegen soll sich der König nicht ab­

halten lassen, auch solche Leute zu prüfen und, wenn tauglich befunden, anzustellen, die durch seine nächste Umgebung nicht empfohlen worden sind. Maßgebend allein ist für die Persönlichkeit eineBeamten die Stimme des Volkes; wenn das ganze Volk einem Manne zugetan ist, dann wird es als ein Zeichen des Limmels angesehen, daß der Mann einen gefestigten Charakter hat und daß eine Persönlichkeit

in ihm steckt, die Wohlwollen und Gerechtigkeit zu üben verspricht, weil sie durch Landlungen bereits vor aller

Augen bekundet hat, daß sie tief gegründet und unbe­ weglich steht im Guten.

Ist aber da- gesamte Volk

gegen eine Persönlichkeit, dann wird es als ein höherer Wink angesehen, von Anstellung eines solchen nicht gut beleumdeten ManneS im Dienste des Staates Abstand

zu nehmen.

Wenngleich der Stimme des Volke-, die

den Willen deS höchsten Wesens untrüglich offenbart. Gehör zu schenken ist, so liegt doch dem Könige die Pflicht ob, einen Beamten, dem er einen verantwor­

tungsvollen Posten anvertraut, vorher selbst zu prüfen, um sich selbständige Gewißheit über seine Fähigkeiten

und Klarheit über seinen Charakter zu verschaffen. Die

150 letzte verantwortliche Entscheidung liegt in den Länden deS regierenden Fürsten, der eben die nötige Menschen­ kenntnis besitzen muß, wenn er sein Land und Volk hochbringen will. Er hat nach genauer Prüfung darauf zu halten, daß gerade solche Leute, die einen festen un­ bestechlichen Charakter besitzen, die wegen ihrer Energie und Tatkraft, wegen Entschlossenheit und Eifer, wenn es galt gegen Lässigkeit und Schlendrian anzugehen, von der trägen verkommenen Masse gehaßt werden, daß just diese Personen an die rechte Stelle kommen und das lässige Volk aufrütteln. Deshalb muß ein weiser Lerrscher, wie hier Mong dem König Süen sagt, wohl die Stimme des Volkes beachten, aber er darf nicht blindlings darauf schwören, darf sich nicht von ihr gefangennehmen lassen. Das richtige Urteil ruht trotz aller äußeren Erkundigungen schlechterdings allein und ungetrübt in der eigenen Brust, auch wenn die vox populi ihn allseitig laut umrauscht. Das ist auch namentlich in der Rechtsprechung der Fall. Deshalb fügt Mong der Erörterung über Anstellung von Beamten einen Grundsatz über Rechtsprechung bei. Auch hierin soll der Fürst, dem damals die richterliche Entscheidung über Leben und Tod zustand, nicht nur den bestimmten Fall, der den Verbrecher vor die Schran­ ken des Strafrichters gebracht hat, sondern dessen Ver­ gangenheit, ja sein ganzes Leben in Betracht ziehen. ES gilt, die verwickelten Verhältnisse seiner Umwelt zu erforschen, den Einflüssen nachzuspüren, die auf den von Laus aus als gut angesehenen Charakter verderb­ lich eingewirkt haben, die Gründe aufzudecken, um zu

151 erkennen, warum dieser Mensch auf dem Wege des Rechts gestrauchelt und gefallen ist.

Vor dem Richterspruch, der ein Menschenleben gar leicht zerstört, muß festgestellt werden, was seine Um­

gebung von dem Verbrecher hält, waS die Stimme des Volkes im allgemeinen über ihn sagt.

daß es sich um einen handelt,

Wird erwiesen,

gemeingefährlichen Verbrecher

bei dem keine Loffnung auf Besserung er­

wartet werden kann; der durch sein der Rechtsordnung

widerstrebendes Landein und sein gesetzwidriges Leben eine stete Gefahr für andere bietet, dann muß sich der König durch weitere Prüfungen der Person des Ver­

brechers von dem Tatbestände überzeugen, und wenn sein ungetrübtes Arteil auch gefunden, daß der Mann

den Tod verdient hat, dann hat der Rechtsbrecher sein Leben in der gesellschaftlichen Ordnung verwirkt.

Der

König ist in solchem Falle der zuständige Vollstrecker

deS Volkswillens.

Denn die Befehle deS Limmels

und die Strafen deS Limmels, die mit dem Willen deS

Volkes zu

einem Begriffe zusammenfallen, hat nicht

der Lerrscher selbstherrlich als seine private Aufgabe, sondern alS höchstes lebendiges Organ des Staate- auS»

zuführen.

Gleichwie der Limmel, so soll

der Fürst

auf das ganze Volk sehen und aus dem, waS er sieht

und in der Volksseele entdeckt, seine Erkenntnis schöpfen. Er soll

gleichwie

der ioimmel auf das

ganze Volk

hören und au- dem, waS er hört und bei seinen Unter­ tanen merkt, sein Arteil bilden.

Ein Lerrscher, der so beschaffen ist, steht nicht hoch­ erhaben über dem Volk, sondern mitten im Volke drin.

152 das er hebt und trägt, zu allem Guten führt und zum Fortschritt leitet. Wer als Fürst so beschaffen ist und so zu handeln versteht, der ist dem Volke, was Vater und Mutter den Kindern ihrer Familie sind. In diesem Sinne ist der Staat die erweiterte Familie und der Herrscher der wahre Landesvater.

8.

Gericht über ruchlose Herrscher. Der Herrscher Chinas ist eine geheiligte Person. An der Spitze des Volkes stehend, soll er alle guten Eigenschaften, die der menschliche Geist je hervorgebracht hat, in sich vereinigen. DaS edelste Reis aus dem Stamme der Menschheit, fehllos gewachsen und wohl­ gestaltet, muß alle Menschenkinder mit Güte und Huld überschatten. Mit dem Himmel, der als die volle Harmonie aller guten Prinzipien gedacht wird, steht der regierende Herrscher in besonders naher Beziehung; er ist dem obersten Herrscher, Gott, verantwortlich für sein Tun und Lassen. Wie der Mensch, das Wunder im All, nach alter Anschauung hervorgegangen ist aus der zufälligen glücklichen Verbindung der edelsten Kräfte im Äniversum, so gilt der Herrscher als die Blüte der

Menschheit, die in ihrer Bestimmung in den Himmel hineinragt und von dem sittlich Guten Duft und Glanz erhält. Daher wird der Herrscher von jeher Tiän dse, d. i. Himmelssohn, genannt, eben weil er das Wesen des Himmels: Güte, Treue, Liebe, Gerechtigkeit, Wohl­ wollen, Kraft, Hoheit, Geistigkeit in sich verkörpern und die Wirklichkeit der sittlichen Idee schlechthin dar-

153 stellen soll.

Aber nicht nur das ethisch Gute, auch

physische Macht soll von ihm ausgehen zur Gesundung aller menschlichen Verhältnisse und zur Ordnung der Naturkräfte, die durch ihn in den Dienst der Menschen gestellt werden. Wie jeder einzelne Mensch als „Sim-

mel und Erde im Kleinen" angesehen wird, so ist der jeweilige Herrscher ganz besonders ein Mikrokosmos in

erhöhter Potenz. Er ist der Statthalter deS Guten auf Erden, in dem alle Empfindungen und Wünsche des Volkes zusammenlaufen sollen, weil er als der lebendige Vermittler zwischen dem ewig unveränderlich Guten, dem Simmel und der Menschenwelt mitsamt allem, was Sein und Leben hat, seines Amtes waltet

als Soherpriester und Kerrscher. Kein papiernes Dogma

der Unfehlbarkeit hat den chinesischen Kaiserthron umrankt, aber die Person des LerrscherS galt von jeher als fehlloS und erhaben über alle geltenden Gesetze;

doch immer nur so lange, als der Fürst seine Stellung im Guten leidlich zu wahren verstand. In diesen alten

chinesischen Anschauungen ruhen die Angeln, worin sich der theokratische Staat dreht und von wo er seine Auf­ gaben zur

Entfaltung

von

Kultur

entgegennimmt.

Hierin wurzelt die lange Dauer der alten ostasiatischen

Reiche, wie andrerseits auch die glühende Verehrung und der mehrtausendjährige Bestand des japanischen Kaiserhauses.

Diesem Ideal, das sich der chinesische Volksgeist von einem Herrscher nach dem Herzen des Volkes ge­ schaffen, hat bis heute noch kein Tiän dse vollkommen entsprochen. Selbst an den hochleuchtenden Vorbildern

154 der alten Zeit, von denen die Jahrhunderte und die Gunst der Verehrer alle Flecken behutsam abgewaschen

haben, haften noch manche Schatten; die alten heiligen Könige bleiben hinter dem Ideal immer noch um ein

beträchtliches zurück, auch wenn sie von dem göttlichen Recht der Könige getragen werden. Dennoch aber soll

der Lerrscher im vollen Schmuck seiner sittlichen Größe ohne Fehl und Makel, als der vollendete heilige Mensch, als das Ideal für alle Zeiten hoch erhoben bleiben und den nachfolgenden Geschlechtern als Ziel des Strebens vor Augen stehen, auch wenn die menschliche Natur jedem sagt, daß er das hochgesteckte Ziel nie klar

erreichen kann.

Wenngleich das winkende Endziel nie

erreicht werden wird, so darf doch das rastlose Streben

danach nicht erlahmen. Jedem Sohne des Äimmels, der in der unbeirrbaren Richtung auf das Gute hin seine Regierung führte

und seinen Wandel fest darauf einsetzte, ist das chi­ nesische Volk treu und hold geblieben, hat ihn in der Geschichte mit Ehren überhäuft und seinen Namen für

alle Zeiten verherrlicht.

Sobald aber ein Lerrscher

den einmal als gut erkannten Grundsätzen den Rücken kehrte und andere Bahnen einzuschlagen suchte, em­

pörte sich der gesamte Volksgeist dagegen, und oft nach langem Ringen, in dem rohe Gewalt und Unterdrückung mit den heiligen Mächten der Sittlichkeit im Kampfe

lagen, gelang eS dem Guten schließlich doch, die Ober­ hand zu behaupten und dem Volke die alte, angestammte Kultur und die mühsam erworbenen sittlichen Güter zu wahren.

Wie die erhabene Person

des LerrscherS

155 heilig und unverletzlich ist, solange sie den guten Prin­ zipien treu bleibt, so verliert sie unwiederbringlich Ach­ tung und Gehorsam, sobald feststeht, daß der Aus­ erwählte des Limmels sich zu dem hehren Berufe eines Hirten der Völker nicht mehr eignet. Wer in seinem Wesen und in seinem Charakter dem echten Sohne des Himmels nicht mehr gleicht, wer in seinen Landlungen und Taten, in Wandel und Worten bekundet, daß er nicht gesonnen ist, auf der festbestimmten Bahn in der Richtung auf das Gute die Regierung zu führen, der hat den Thron und seine Stellung an der Spitze des Volke- verwirkt; er sinkt herab in die gewöhnliche Masse der Übeltäter und wird nicht mehr geachtet als

jeder andere Sterbliche auch. DaS geistige Band, das ihn mit dem Guten, mit dem Himmel verknüpfte, ist zerrissen; seine Untertanen sehen ihn nicht mehr als ihren rechtmäßigen Herrscher an. Empörung und An­ treue, ja selbst gewaltsame Entfernung des verdorbenen Herrschers wird nicht als Sünde angesehen. Auch hier gilt die Stimme deS Volkes als die Stimme Gottes. Jedem Fürsten, der auf abschüssige Bahnen gerät, werden Ermahnungen zuteil; wenn er trotzdem auf der schiefen Ebene weiter wandelt, dann kommt da- Ende mit Schrecken gar bald heran. Das Volk hält Gericht über seinen Fürsten, der Herrscher wird von seinen Untertanen abgesetzt und verstoßen; widersetzt er sich, so hat er auch sein Leben verwirkt. Hierüber finden wir bei Meister Mong einen kurzen, aber lehrreichen Abschnitt, auf den fich seit zwei Jahrtausenden alle Königsmörder in China und alle die berufen haben.

156 die den rechtmäßigen Lerrscher verstießen und den Thron

usurpierten. 1. Der König Süen von Tsi fragte:

Tang ver­

bannte Dschieh, der König Wu tötete Dschou, ist

das wahr? Mong dse entgegnete: In den Überlieferungen

steht so. 2. Aber, ein Minister ermordet seinen Lerrscher! kann das sein? 3. Wohl, wer das Wohlwollen abtut, nennt man einen Räuber; wer die Gerechtigkeit verletzt, nennt man einen Verruchten. Ein verruchter räuberischer Mann wird ein ge­

meiner Mensch genannt.

Ich habe gehört, ein gewöhnlicher Mann Dschou sei getötet worden; ich habe nicht gehört, daß

man einen Lerrscher getötet hätte. Die chinesische Geschichte hat mit mehr Dichtung

als Wahrheit die beiden Lerrscher Dschieh gui und Dschou sin zum Ausbund alles Bösen gestempelt. Fast genau denselben Lastern und Ausschweifungen, die man

Dschou zuschreibt, soll sich auch der rund 700 Jahre ältere Dschieh hingegeben haben. Ob diese beiden Ver­

treter des Bösen all das, was man ihnen vorwirft, wirklich verbrochen haben, ist wohl nicht anzunehmen. Selbst chinesische Autoren bestreiten dies mit dem Lin-

weis, daß man einigen Personen alles Gute, andern dagegen alles Schlechte angedichtet habe. Soviel steht

157 jedoch fest, der Kern des Wesens dieser verrufenen Herrscher war durch und durch verdorben; ihr schändHaftes Lasterleben, an dem man keine lichte Seite sah, hat bei den Zeitgenossen Abscheu erregt. Daher fielen sie als faule Frucht vom Kaiserthron und bildeten das rühmlose Ende ihrer im Beginn der Herrschaft blühen­ den, aber dann durch mehrere Generationen hindurch in Wohlleben und Trägheit verkommenen Stammes­ familie. Dschieh mit dem Namen Gui war der letzte Kaiser der Liadynastie. Er war von 1818 bis 1766 auf dem Thron, wird als ein Fürst von ungewöhnlicher Körper­ kraft geschildert, der aber in Genuß und äußerem Prunk sein Leben vergeudete. Die Auflagen, die er seinem Lande machte, forderten das Letzte, wa- das Volk an Vermögen und Schätzen besaß. Als er sich nach wiederholten Vorstellungen zu keinem ehrbaren Wandel, wie er nach alten Vorbildern dem Herrscher geziemt, aufraffen konnte, ergriff ein Lehnsfürst, ermutigt und getragen von der grollenden Stimmung im Volk, die Gelegenheit und stürzte den verhaßten Dschieh im 52. Jahre seiner Regierung vom Thron. Nachdem er ihn nach Nan tsau verbannt hatte, ließ er sich selbst zum Tiän dse ausrufen und gründete unter dem Namen „Tang der Vollbringer" die Schang- oder Bindynastie. Wie die Hiadynastie, Beginn 2205, unter ihrem ersten Kaiser Bi» dem Großen dem Lande allenthalben Segen gebracht hatte, so erholte sich das Volk auch unter dem ersten Herrscher der neuen Dynastie, der Schang oder Bin, bis auch hier in dem anfänglich tüch-

158

tigen Lerrscherhause die Tugenden abnahmen und die Kräfte nachließen und der letzte Kaiser Dschou mit dem Namen Sin, dem glänzende Geistesgaben nachgerühmt werden, in demselben Lasterpfuhl endete, wie 700 Jahre vor ihm der berüchtigte Dschieh. Dschou regierte von 1154 bis 1122. Er wurde von Wu wang, dem kriegeri­ schen Sohne des vielgepriesenen heiligen Königs Wön, gestürzt und soll sich mit all seinen Schätzen in dem aus kostbaren Steinen gebauten Parkturm Lutai selbst verbrannt haben, als er sah, daß es für ihn keine Ret­ tung mehr gab. Schon in den ältesten Aufzeichnungen, die uns überliefert sind, wird Dschou als der „ver­ lassene Mann" gebrandmarkt und die Geschichte stellt ihn dar als einen Fürsten, der sein Reich „versoffen" hat. Wegen seines wüsten Gebarens hatten ihn alle befferdenkenden Äofbeamten, die noch eine Spur von Sittlichkeit und Charatter besaßen, ängstlich verlassen. Dann fielen die Lehensfürsten von ihm ab, so daß er ganz einsam, verlassen dastand. Ein Lerrscher hat nur Macht, solange ihm die Menge gehorcht, wendet sich sein Volk von ihm ab, dann ist er nicht mehr der Fürst, sondern ein Mann gewöhnlichen Schlages. Gewaltmaßregeln, wie sie hier Mong aus der Überlieferung kennt und sie nachttäg­ lich mit philosophischer Begründung gutheißt, sind aller­ dings nur in solchen Fällen gestattet, wo ein Lerrscher so schlecht ist wie Dschieh und Dschou und wo seine Richter so gut sind wie Tang und Wu.

159 9.

Das Regiere» will gelernt sein. ES fällt kein Lerrscher vom Limmel. Auch die Kunst, einen Staat weise zu regieren, erfordert Kennt­ nisse, die sich der zur Regierung berufene Fürst früh­ zeitig aneignen muß. Die Bildung eines Thronfolgers soll von seiner Jugend auf das hohe Ziel vor Augen haben, zu dem der Träger der Kron« berufen ist. An­ geborene Tüchtigkeit, normale Kräfte des Geistes und Körpers sind Voraussetzung; denn aus untauglichem Material läßt sich kein gute- Werkzeug Herstellen. Aber ohne hinreichende Ausbildung wird auch der tüchtigste Mensch nicht fähig, die Pflichten deS Lerrscherberufes allseitig zu erfassen und den Staat nach erprobten Grundsätzen zu leiten. Die alten chinesischen Fürstenfamilien kannten keine schulmäßige, methodische Ausbildung, die man mit unsern heutigen Begriffen von Erziehung und Vorbereitung auf ein Amt vergleichen könnte. Ihre Söhne wurden zu Lause erzogen und vor allem, wie da- Buch der Riten vorschreibt, in den Regeln des Anstandes und in der Musik unterrichtet. Die Bildung beschränkte sich also mehr auf die äußeren Formen, auf den anerzogenen Schliff und Takt de- gesellschaftlichen Lebens. Übung

und hinreichende Schulung der geistigen Fähigkeiten und des Denkvermögens sind selten an" Fürstenhöfen heimisch gewesen. Da- ernste Studium artet vielmehr oft in eine geistreiche Spielerei aus, weil die Lehrer in bedientenhafter Gesinnung sich mehr führen lassen als

160 selber führen und den hohen Zögling in seinen Launen und Phantasien nicht gern stören, weil sie dadurch Un­ annehmlichkeiten befürchten. Für die erwachsenen Söhne der Fürsten und nament­ lich für die Thronfolger wurden dann in der Folgezeit und bis in die neueste Gegenwart hinein die höchsten Verwaltungsbeamten des Reiches, die von Erziehung und Unterricht der Jugend gewöhnlich sehr wenig Ahnung haben, unter Beachtung glückbringender Zeichen und Tage, verbunden mit mancherlei abergläubischen Ge­ bräuchen, berufen, um zu bestimmten Stunden an vorher festgesetzten Tagen ehrerbietigst Vorlesung zu halten und über die Pflichten des Volkes zum Kerrscher, die Ver­ hältnisse zwischen Fürst und Volk zu reden. Der Thron­ folger wird seit alters dem Schutze und der Ausbildung der einflußreichsten Beamten anvertraut, auch wenn sich diese Beamten gar nicht um ihn kümmern können. Die Titel eines Erziehers des Kronprinzen sind bis heute geblieben und werden lediglich formell auch an Beamte verliehen, die weit weg von der Landeshauptstadt in einer Provinz einen Vertrauensposten bekleiden und den Kronprinzen überhaupt höchst selten zu sehen bekommen. Wenn der Fürst die Regierung in die Land ge­ nommen hatte, fehlten ihm die nötigen Kenntnisse zur Führung der Geschäfte und Leitung des Staate-. Was er ^persönlich auszuführen hatte, beschränkte sich in Friedenszeiten gewöhnlich auf das Amt des Pontifex; er war in erster Linie der Hohepriester des Volkes. Die regelmäßigen Opfer, die er dem Kimmel, den Ge­ stirnen, der Erde und den Geistern bringen mußte, die

161 Weihe des Ackerbaues, die Gebete an die Ahnen und für seine Untertanen, das alles war äußerer Formel­ kram, der keine Gedankenarbeit erforderte, der aber das ganze geistige Leben des regierenden Fürsten auSfüllte. Zur Verwaltung des Landes und zur Rechtsprechung in Streitfällen mußte sich der König Ratgeber halten, die ihm Sachen, deren Entscheidung bei dem Könige lag, vorarbeiteten und da- ersetzten, was dem Fürsten an Bildung und Verstand abging. Da kam es nun sehr darauf an, daß dem König wirklich tüchtige Leute zur Seite standen und daß der Fürst auch gewillt und beflissen war, auf die wohlbegründeten Vorschläge seiner Ratgeber einzugehen und nicht in hartnäckiger Be­ schränktheit trotzig auf seiner eigenen Meinung zu be­ harren, wenn ihm etwa- Besseres nahegelegt wurde. Der Fürst soll in Sachen, die er nicht versteht, oder nur in allgemeinen Umrissen kennt, solchen Leuten Gehör schen­ ken, die fachmännische Bildung besitzen und deren Ver­ stand durch Erfahrung gereift ist. Diesen Grundsatz einer förderlichen Regierung macht Mong in Bildern auS dem Leben klar und knüpft daran die Mahnung, in der Verwaltung des Landes und bei Maßnahmen zur Leitung des Staatswesens nicht ander- zu handeln, als es in andern Beruf-arten, die eine fachmännische Bildung voraussetzen, auch der Fall sei. 1. Mong dse besuchte den König Süen von Tsi und sprach zu ihm:

Zum Bau eine- großen Lause- läßt man sicherlich den Zimmermeister hohes Lolz au-Mootz, Die chinesische Weltanschauung.

11

162 suchen. Bekommt der Zimmermeister hohe Bäume, dann freut sich der König, weil er denkt, die paffen dazu. Wenn sie nun aber die Werk­ meister bei dem Behauen verkleinern, dann er­ zürnt sich der König, weil er denkt, die passen nun nicht mehr dazu. Leute, die etwas in der Jugend gelernt haben, wollen, wenn sie Männer geworden sind, es in die Tat umsetzen. Sagt nun der König: für jetzt legt einmal ab, was ihr gelernt habt, und folgt mir! Was dann? 2. Fände sich jetzt ein noch in rohem Gestein ein­ gewachsener Edelstein hier, gleichwohl im Werte von zehntausend ,Doppelpfund', so wird doch sicherlich ein Juwelier befohlen, der ihn stutzen und schleifen muß. Kommt man jedoch an die Regierung des Landes, dann wird gesagt: jetzt legt einmal ab, was ihr gelernt habt, und folgt mir! Warum denn hierin anders handeln, als wenn man den Juwelier beruft, der den Edelstein stutzen und schleifen soll?

Man hat hier dem Weisen vorgeworfen, daß er mit seinem Bilde aus der Rolle gefallen sei und ge­ rade das Gegenteil von dem veranschauliche, was er beabsichtigt habe. Denn in der Regierung eines Staates müsse eben der Lerrscher der sachverständige Mann sein, der erfahrene Meister, der durch seine Ausbildung in allen Zweigen der Regierung Bescheid wisse, ebenso

163 wie der Landwerker und Zimmermann beim Bau eines Laufes. And insofern müsse eben der regierungskundige Lerrfcher feine Beamten anweisen und ihnen Aufträge geben, wie sie die AmtSgeschäfte betreiben und die Re­ gierung deS Landes leiten sollten. Die Willkür deS Einzelnen dürfe nicht maßgebend fein, sondern jeder, der in dem Staatswesen arbeite, müsse auf den obersten Lenker, auf den Lerrfcher hören. Wenn eine einheit­ liche Regierung verbürgt werden solle, dann müssen eben die Beamten daS, was sie früher gelernt haben und was für die jetzige Zeit nicht mehr paffe, ablegen und den fortgeschrittenen, von höherem Gesichtspunkte erhellten Weisungen des Lerrschers folgen; dieser Grund­ satz sei der normale. Solche Einwände treffen jedoch auf daS alte China nicht zu, denn ein Fürst, der so viel mit äußeren For­ men zu tun hat, der in erster Linie Loherpriester deS Volkes ist, weiß in den mannigfach verschlungenen Fragen der Verwaltung deS Landes und in den Prin­ zipien der Rechtsprechung nicht immer genügend Be­ scheid. Er kann nicht verglichen werden mit einem sach­ verständigen Meister seines Faches, sondern er gleicht eher dem LauSherrn, dem daS Laus gehört, der aber von der Kunst deS LauSbaueS nicht viel versteht. Für die weise und gerechte Regierung seines Landes ist er auf seine Minister angewiesen, denn waS Füße und Lände für den Menschen sind, das sind tüchtige Mi­ nister für den „Leiligen"; die obersten Beamten sind für ihn Arm und Bein, Auge und Ohr, sagen alte chinesische Sprichworte.

164 Auch der König Süen hat seine Minister, die das Staatswesen und die Verwaltungsgeschäfte führen; aber das Leidige bei ihm ist der beklagenswerte Umstand, daß er nicht auf seine Untergebenen hört, ihre guten Ratschläge in den Wind schlägt und in allen wichtigen Angelegenheiten seinen Kopf durchsetzen will, zum Scha­ den des Landes und zur Last des Volkes. Darum macht ihm Mong Vorstellungen über das Unschickliche in seiner Regierungsweise, über die Art seines Ver­ haltens den von Jugend auf geschulten Beamten gegen­ über. Wie in andern Angelegenheiten, die einen geübten Fachmann erfordem, so soll der König auch in den Regierungssachen nicht alles selber machen wollen, sondern den erprobten Beamten die erforderliche Freiheit lassen. Leute, die tüchtig sind in ihrem Beruf und in langjähriger Erfahmng das Beste für das Volk und Land herausgefunden haben, können ihre bewährten Grundsätze nicht ändern wie ein neues Kleid, nicht leichthin anders handeln als sie gewohnt sind und auch nicht bei jedem Thronwechsel oder bei Sinnesänderung des Fürsten schnell umlernen. Das Rückgrat der alten Staatsverwaltung bildeten die leichtfaßlichen und doch unergründlichen Lehren der alten heiligen Könige, die sich die Nachkommenschaft der hohen Beamten in der Jugend angeeignet hatte. Diese allgemein anerkannten und von ihnen hochgeschätzten Prinzipien suchten sie, sobald die Leitung eines Amtes in ihre Lände gelegt wurde, durchzuführen. Wenn nun der König ihre An­ schauungen gering schätzte oder gar verwarf und ihnen ungewohnte Weisungen gab, die mit jenen Lehren nicht

165 übereinstimmten, dann verloren die alten Beamten jeg­

lichen Kalt und wußten nicht mehr, wie sie sich im Dienste und dem Volke gegenüber verhalten sollten. Kierin sieht der Weise eine große Gefahr für daS Land.

Ein verständiger Fürst gibt seinen Beamten, denen

das Staatswohl ebensosehr am Kerzen liegt, wie dem

Kerrscher selbst, in ihrer dienstlichen Stellung und im Bereich der ihnen obliegenden Geschäfte möglichst viel Freiheit. Er kümmert sich nicht um jede Kleinigkeit, die ohne sein Mittun ebenso pünktlich ausgeführt wird, und schenkt den erfahrenen Beamten so viel Vertrauen,

wie das ersprießliche Zusammenarbeiten erfordert.

Ze

kostbarer einem wohlwollenden Kerrscher die fürsorgliche Regierung des Landes ist, desto eher wird er gesonnen sein, die besten Kräfte im Volke an die Beamtenstellen zu berufen und ihnen die größtmöglichste Freiheit zu

lassen.

Er gleicht einem Manne, der einen kostbaren

Edelstein, eingehüllt in rohem Gestein, unbeschädigt und

unverletzt herausarbeiten lassen will, daß er zu vollem

Glanze geschliffen und geformt werde, ohne indes an seinem inneren Wert und Gewicht zu verlieren. Mit dem Ausdruck zehntausend „Doppelpfund" (zehntausend yi; ein yi ist gleich zwanzig, nach anderer Lesart gleich 24 Lot

Gold) soll nicht ein bestimmter Preis des Steines, son­

dern überhaupt ein hoher Wert des Edelsteines an­

gegeben werden, der für einen Menschen so köstlich ist, wie dem Fürsten sein Land sein soll; Volk und Land

sind der Schatz de- Fürsten. Die von Mong angeführten Beispiele veranlassen

die

chinesischen

Erklärer des Textes, auf die Ord-

166 nung der früheren Landwerke hinzuweisen, wie sie in den alten Überlieferungen geschildert werden. DaS

Landwerk ist entstanden aus der Notwendigkeit der Verteidigung gegen die Feinde der Menschen. Zur Niederkämpfung der gewaltigen und dem Menschen ge­ fährlichen Tierwelt, zur Abwehr fremder feindlicher Volksstämme mußten Gerätschaften erfunden und angefertigt werden, die den starken Arm des Mannes noch stärker machten und seine Kräfte vermehrten. Mit den Anfängen der Kultur bildete sich das Landwerk dann weiter aus zur Befriedigung der erwachten Be­ dürfnisse nach Wohnung und Kleidung, zur Erleichterung der Jagd und des Fischfanges. Ferner mußten Gerät­ schaften erfunden und angefertigt werden, die zur Pflege und Zucht des Viehes, zur Anpflanzung und Veredlung der entdeckten Nutzpflanzen verwandt wurden. Ursprüng­ lich war jeder Lausvater zugleich Landwerker, indem er sich die nötigen Geräte und Waffen selbst anfertigte. Nicht jeder zeigte darin die erforderliche Geschicklichkeit und so kam man frühe schon zur Arbeitsteilung; man tauschte sich Gerätschaften, die von geschickten Länden kunstvoll und haltbar angefertigt waren, gegen andere Wertgegenstände oder Erzeugnisse deS Bodens, gegen Tiere und Wild auS. Dadurch sonderte sich das Land­ werk ab und es bildete sich ein Stand der Landwerker, der neben dem der Landwirte, der Jäger und Krieger sich frühe schon je nach der einzelnen Beschäftigung zu Gilden zusammenschloß. Sinter den gelernten Land­ werkern verfeinerte sich die Kunst in Lerstellung der viel gebrauchten Gegenstände: das Bessere wurde auch

Mootz, Die chinesische Weltanschauung.

Chinesische Kunst- und Kultgegenstände.

167 hier der Feind des Guten; nur wer gediegene Arbeit lieferte, konnte sich als Meister eine geachtete Stel­ lung erringen. Das Landwerk gedieh nicht mehr in ungeübten Länden; jeder, der sich der Kunst widmete, ergriff damit einen Lebensberuf, dem eine längere Lehr­ zeit voraufging und die während der ganzen darauf­ folgenden Arbeit Kraft und Können voll in Anspruch nahm. Anter den Landwerkern, die Lolz verarbeiteten, unter­ schied man sieben Arten. An erster Stelle stehen die Wagner und Dreher, denen die Anfertigung der KriegSwagen, der Lanzenschäfte, der Bogen und sonstiger KriegSgeräte oblag. Die Metallarbeiter teilten sich in sechs verschiedene Landwerke. Lederarbeiter, die nament­ lich Panzer, Gürtel, Bogensehnen, Sättel und Taschen anfertigten, gab es fünferlei Arten. Färber und An­ streicher ebenfalls fünf Arten. Schleifer und Polierer, denen das Schärfen der Waffen, das Glätten und Runden der Geräte oblag, gab es fünf voneinander getrennte Landwerkszweige. Eine große Rolle spielen in der alten Zeit die Töpfer und Ziegelbrenner, denn die meisten Behälter im Lause waren gebrannte Töpfe, Vasen, Schüsseln; in der Küche und beim Mahl wurden irdene Gefäße verwandt. Früh schon benutzte man Ziegelsteine zum Bau von Läufern und Stadtmauern. Eine große Zahl der Landwerke fand Beschäftigung für Tempel und Kultstätten, die neben irdenen gebrannten Räucherbecken und Opferschalen den metallenen Drei­ fuß, dies älteste Kunstgerät aus Bronze im alten China, zur Bereitung von Opferspeisen und noch weitere Töpfe

168 -um Kochen benutzten. Die Kultgeräte wurden mit Schriftzeichen und Symbolen versehen und dem Kunst­ sinn entsprechend seiner bearbeitet. Die Furcht vor den Feinden, seien es irdische oder überirdische: reißende Tiere, fremde feindliche Menschen oder launenhafte Götter, haben die Menschheit zum Landwerk und zur Kunst getrieben. !lnd als Kunstsinn und Gewerbe­ betrieb, der mit Anfertigung der Geräte Land in Land ging, erst einmal erwacht war und Verständnis fand, hat er sich in regem Wettbewerb weiter gebildet und je nach dem Geschmack und nach dem Stand der Kultur den Bedürfnissen seines Zeitalters angepaßt. Erst bei höherem Stande der Kultur, nachdem die zahlreichen Feinde überwunden, langjähriger Friede und Ruhe in den Landen eingekehrt waren, konnte sich da- Land­ werk zum Kunstgewerbe aufschwingen und Geräte schaf­ fen, die in ihrer künstlerischen Schlichtheit und in der Güte des Materials heute noch bewundert werden. Dagegen ist die chinesische Baukunst, wie bei allen früheren noch niedrig stehenden Völkem, im alten China sehr einfach gewesen. Ebenso ist in der bildenden Kunst der Geschmack unentwickelt und der Kunstsinn in den rohen Anfängen stecken geblieben. Es hat in ganz Ost­ asien an einem künstlerischen Lauche gefehlt, der den westlichen Völkern in den Mittelmeerstaaten durch den griechischen Geist zuteil geworden ist. Ohne Griechen­ land wäre auch die westländische Skulptur, wie noch heute die chinesische: fratzenhaft, plump, unnatürlich und jedes höheren Schwünge- bar. Der ferne Osten hat eine solche Neugeburt der Kunst, wie sie Griechenland

169 gebracht hat, nicht erfahren.

Deshalb ist auch die chi­

nesische Kunst im allgemeinen über ihre ersten Anfänge

nicht weit hinausgekommen und keiner von den chinesischen Prachtbauten kann sich mit einem westländischen Kunst­

bau, keine chinesische Figur mit einem griechischen Gebilde messen.

Im Osten ist alles verzerrt, gedrückt, roh und

steif; im Westen wohlgestaltet, schlank, durchgeistet und

erhebend. Das eigenartige Leben des chinesischen Volkes spiegelt sich auch in seiner eigenwüchsigen, früh erstarrten

Kunst wieder. Die Kunst ist zum Landwerk geworden,

und das Landwerk ist mitten im Laufe nach Vollendung stehen geblieben.

Wie die chinesische Regierung ohne

ausländische Lilfe nicht mehr weiter kommt und die gelbe Raffe sich nicht ohne fremde Ideen erneuern läßt,

so ist es auch in der Kunst und im Landwerk. Leute

sollte nicht der Fürst zu seinen Ministem sagen: Laßt einmal waS ihr gelernt habt und folgt mir! sondem,

wenn er sein Volk lieb hat und es in der Reihe der

Kulturvölker hochbringen will, dann muß er sagen: Legt einmal ab waS ihr gelernt habt und folgt den Frem­

den. So bitter diese Lehre dem eingebildeten Volke auch

sein mag, so heilsam ist sie für alle chinesischen Volks­ stämme, die ohne Befmchtung vom Westen und ohne geistige Wiedergeburt nicht lebensfähig bleiben. 10.

Erobere ein Land nur mit Zustimmung seiuer Bewohner. 1. Die Bewohner von Tsi zogen zum Streit gegen

Ven und besiegten es.

170 2. Da fragte der König Süen und sprach: Die einen sagen, ich soll eS nicht nehmen, die andern sagen, ich soll eS nehmen. Denn wenn ein Reich mit zehntausend Kriegswagen ein Reich mit zehntausend Kriegswagen schlägt und in fünfzig Tagen aufhebt, da reichen menschliche Kräfte nicht hin. Nehme ich es nicht, gewiß sendet der Simmel Anglück; nehme ich es, was dann? 3. Mong dse erwidert: Willst du eS nehmen und die Bewohner von 9)en sind froh darüber, dann nimm es. Anter den Alten gab es einen, der so handelte; das war König Wu. Willst du es nehmen und die Bewohner von Ben sind nicht froh darüber, dann nimm es nicht. Anter den Alten gab es einen, der so handelte; daS war der König Wön.

4. Wenn ein Reich mit zehntausend Kriegswagen ein Reich mit zehntausend Kriegswagen schlägt, und es kommen Körbe mit Reis, Krüge mit Ge­ tränken entgegen, um des Königs Streiter zu empfangen: da liegt doch nichts andere- vor, als daß man dem Wasser und Feuer entgehen möchte. Wird das Wasser noch tiefer, das Feuer noch heißer, dann wendet man sich natürlich wieder weg. Der heldenreiche Staat QJen lag nordwestlich von Tfi. Anter seinem schwächlichen König Kuai war das Reich zerfallen; der regierungsmüde Fürst hatte Lerrschaft und Thron an seinen Minister Dsedsche abgetreten.

171 Damit wäre das Volk wohl zufrieden gewesen, wenn dieser vom Glück begünstigte Minister als fähiger Mensch Lerrschertugenden und Wohlwollen besessen hätte. Er glich aber nicht dem frommen König Schun, dem der heilige Kaiser Pau nach Zurücksetzung des eigenen Sohnes das Reich übergab, sondern der genuß­ süchtige und harte Minister war verderbt und ungeeignet zur Regierung eines so großen Landes, wie Pen da­ mals war. Das Volk erkannte ihn nicht an, die Ort­ schaften empörten sich, die festen Städte fielen vom Reichsverbande ab, Aufruhr herrschte durch das ganze Land Pen, gefährdete das Leben der Bewohner und machte Eigentum und Erwerb unsicher. Diese Verwir­ rung benutzte der rührige Fürst von Tsi, zog aus mit Leeresmacht gegen Pen und brachte einen großen Teil des Landes ohne Schwertstreich und ohne den geringsten Widerstand der Bewohnerschaft anzutreffen in seine Gewalt. In den alten Aufzeichnungen wird besonder­ hervorgehoben, daß man die Stadtmauern nicht ge­ schloffen, die Pässe nicht verteidigt habe, als die kühnen Krieger von Tsi in das offene Land einrückten. Inner­ halb von fünfzig Tagen hatten sie alle wichtigen Plätze besetzt; der Fürst von Tsi war Herr geworden über ein Land, das so groß war al- sein eigenes Königreich. Über diesen Erfolg war der König erstaunt und fühlte

sich als ganz besonderes Glück-kind, dem der Limmel gewogen sei. Er folgerte daraus, daß er nach Kriegs­ gebrauch das gewonnene Land plündern und erobern müsse, um es nach der Bestimmung des Limmels seinem Staate anzugliedern. Anter seinen Ratgebern herrschte

172 eine geteilte Stimmung, einige waren dafür, andere da­ gegen. In seiner Wankelmütigkeit wandte sich der Fürst an Meister Mong. Ob es nun, wie die Schriften Mongs angeben, wirklich der König Süen oder, nach den Aufzeichnungen der alten Geschichte zu schließen, ein anderer König von Tsi gewesen ist, sei dahingestellt. Der Weise will in seiner Antwort den Blick des Kö­ nigs von dem unsicheren Limmel, der weder Stimme noch Antwort hat, ablenken und ihm zeigen, wo er die Befehle des Limmels lesen und erkennen soll. Die lebenden Menschen des Staates: das ganze Volk ist es, dessen Meinungen maßgebend sind für das Landein des Königs, insbesondere wenn es sich darum handelt, in ein Antertanenverhältnis zu dem Fürsten als Lerrscher zu treten. Erweiterungen der Staatsgrenzen sollen nach Mong nur stattfinden, wenn die Bewohner des Gebietes, das dem Staate einverleibt werden soll, mit Freuden Untertanen des neuen Lerrschers werden wollen, wenn ihnen die neue Ordnung willkommen ist, weil sie eine Verbesserung ihrer seitherigen Lage, seien sie nun wirtschaftlicher oder kultureller Art, herbeizuführen ver­ spricht. Eine widerstrebende Bevölkerung, die gewalt­ sam aus ihrem alten Llntertanenverhältnis herausgerissen wird und einem neuen Lerrscher, dem sie kein Vertrauen entgegenbringt, dienen und gehorchen soll, ist für einen minder gefestigten Staat, der wie die alten chinesischen Reiche unter patriarchalischer Verwaltung steht, eher eine Gefahr als ein Machtzuwachs. Selbst die modernen Reiche, die nicht auf die Person eines väterlichen Lerr­ schers, sondern auf Gesetz und Recht, auf Verfassung

173 und Volksvertretung aufgebaut sind, sehen wohlweislich davon ab, den festen Bestand des Staates durch Zu­ ziehung übergroßer Gebiete mit heterogenen Bevölkerungsmaffen zu gefährden. Bei notwendigen Abrun­ dungen der Grenzen vergehen oft Jahrzehnte, bis die übernommene Bevölkerung sich wirklich gesichert und zu­ frieden fühlt, bis sie merkt, daß die neue Jacke, die an­ fänglich rauh war und juckte, doch recht gut sitzt und warm hält. Der König soll also die Stimmung des Volkes prüfen und das Gebiet seinem Staate einver­ leiben, wenn sich das Band des Vertrauens zwischen ihm und den neu zu gewinnenden Untertanen Herstellen läßt. Als der König Wu den Tyrannen Dschou stürzte, war das Volk schon vorher auf feiten des auf­ strebenden Dschoureiches, es sehnte sich nach Erlösung und fand sie durch Wu wang. Dagegen war der König Wön, der Vater von Wu, sehr zurückhaltend gewesen, und obgleich er bereits zwei Drittel von dem alten China besaß und mit seiner Macht den Kaiser absetzen konnte, diente er doch noch der Bin-Dynastie, weil sich die Bewohnerschaft noch nicht nach Befrei­ ung von dem Tyrannen sehnte. Er scheute vor einem Gewaltstreich zurück und wartete, denn er hatte wohl gemerkt, daß das alternde Herrscherhaus der Bin oder Schang ihm oder seinem Nachfolger wie eine reife Frucht in den Schoß fallen würde. Erst mußte die Zeit erfüllet sein, die dem alten Herrscher die Grenze setzte und den neuen auf den Thron erhob. Die Zeichen der Zeit, die der Fürst in den Schickungen deS Him­ mels erblicken will, sieht der Weise Mong in der Stim-

174 mung des Volkes. Solange das Volk noch an seinem Lerrscher hängt und wenn das Band auch noch so locker ist, so lange ist jedermann dem Kaiser untertänig und es ist ein Verbrechen, ihn von dem Thron zu stoßen. Sobald aber das Band zerrissen ist, was die Volksseele offenbart und der Pulsschlag des staatlichen Lebens bekundet, dann fallen alle Bedenken weg; der Fürst ist dann nicht mehr Lerrscher, sondern, wie Mong schon in dem früheren Abschnitt dartut, ein gewöhnlicher Mann. Er untersteht dann dem Willen seiner Maje­ stät des Volkes, und wem das Glück die Land bietet, der seht sich auf den Thron, umrauscht von den Luldigungsgrüßen des erlösten Volkes. Die Stimmung des Volkes tut sich kund in hand­ greiflichen sicheren Beweisen, in freundlichem Entgegen­ kommen, in wirtschaftlicher Unterstützung. Wenn die Krieger des Nachbarstaates einrücken und die Bevölke­ rung hilft mit an ihrer Verpflegung, sendet Speisen und Getränke in die Leerlager, dann gilt es als Zeichen, daß sie bereit ist, die neuen Lerren des Landes anzu­ erkennen. Als im Sommer des Jahres 1898 deutsche Truppen von Kiautschou zum Schutze des Bahnbaues weiter ins Innere der Provinz Schantung vorgeschoben werden mußten, um das in einer fruchtbaren Ebene von sanften Löhen umgebene Landstädtchen Kaum! zu be­ setzen, kamen die Bewohner mehrerer wohlhabender Dörfer, die sich der allgemeinen Letze gegen die Frem­ den nicht angeschlossen hatten, und begrüßten die ein­ rückenden deutschen Seesoldaten, indem sie Tragkörbe mit Eßwaren, Krüge mit Getränken sowie Blumen-

175 sträuße darboten. Auf roten Tuchbehängen und Schil­ dern, die vorangetragen und neben den Körben auf­ gepflanzt wurden, hatten sie in künstlerischen Schriftzeichen die Worte geschrieben: „Die glanzvollen deut­ schen Truppen, sie wollen uns au- dem Wasser und Feuer erlösen; wir begrüßen sie und machen Kotou. Gesegnet sei die deutsche Dynastie, die heute das erste Jahr ihrer Herrschaft unter uns hier begründet." Diese Leute haben für ihre Begeisterung, die sie den Frem­ den entgegenbrachten, später büßen müssen, denn nach­ dem die Gegend beruhigt, die Bahnarbeiten ungehindert weitergeführt werden konnten, zogen sich die deutschen Truppen wieder zur Küste zurück; die chinesischen Be­ amten, deren Bedrückungen mit den ungebändigten ver­ heerenden Elementen wie „Wasser und Feuer" ver­ glichen werden, suchten die Gegend heim, härter als je zuvor. Das Volk hatte hier nach den Lehren des Weisen Mong gehandelt, sich schon lange nach Befrei­ ung von einem verderbten, blutsaugerischen Beamten­ tum gesehnt und auf die hoffnungbringenden Neue­ rungen, die sich vor aller Augen abspielten, gebaut; es fühlte sich enttäuscht und betrogen, als die neue Zeit mit ihren Bürgschaften für Recht und Gerechtigkeit wieder abzog.

11. Wie man die Feinde fernhält. 1. Die Bewohner von Tsi zogen zum Streit gegen *Aen und besiegten es. Da beratschlagten die Fürsten, Mn zu befreien. Der König Süen

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sprach: Die Fürsten all beraten viel, mich zu be­ kriegen; wie soll ich mich gegen sie vorbereiten? Mong dse erwiderte: Ich habe gehört, daß ein Fürst über ein Ländchen von nur 70 Li die Regierung im ganzen Reiche lenkte; das war Tang. Ich habe nie gehört, daß einer, der tausend Li besitzt, jemand gefürchtet hätte. 2. Das Buch der Geschichte sagt: Als Tang zuerst anfing zu wirken, begann er in Go, bald hatte er das Vertrauen aller Menschen unter dem Limmel gewonnen. Wirkte er im Osten, ärgerten sich die wilden Stämme im Westen. Wirkte er im Süden, ärgerten sich die Stämme im Norden. Sie sagten: Warum seht er uns zurück? Das Volk schaute nach ihm aus, wie man bei einer großen Dürre nach den Wolken und nach dem Regenbogen ausschaut. Es gab bei den Markt­ leuten keinen Stillstand, bei den Ackerleuten keine Unterbrechung. Er hatte die Fürsten gerichtet, das Volk getröstet, wie zur rechten Zeit ein Regen herunterkommt; des Volkes Freude war groß. In der Geschichte heißt es: Wir warten unserFürsten, kommt der Fürst, dann erlebt da- Volk seine Auferstehung. 3. Also Pen bedrückte sein Volk, der König zog aus und hat den Fürsten abgetan. Da- Volk dachte, man wolle ihm aus Wasser und Feuer eine Erlösung schaffen und es kamen Körbe mit ReiS, Krüge mit Gettänken entgegen, um deKönigs (Streitet zu empfangen. Doch wenn man

177 ihre Väter und älteren Brüder tötet, ihre Kinder und jüngeren Brüder fesselt, die staatlichen Ahnen­ hallen zerstört, ihre kostbaren Gefäße wegnimmt: wie kann man auch nur so handeln? Das ganze Reich fürchtet tatsächlich die Macht von Tsi.

Wenn nun das Gebiet noch verdoppelt wird, eine wohlwollende Regierung aber nicht zustande

kommt, dann werden gerade dadurch die Waffen deS ganzen Reiches in Bewegung gesetzt.

4. Wenn der König dagegen eiligst Befehle gibt,

daß Greise und Kinder zurückkehren, die kostbaren

Gefäße stehen bleiben und dann mit den Be­ wohnern von Mn in Beratung tritt, ihnen einen Fürsten einsetzt und darauf von dort wegzieht, dann kann man die drohenden Feindseligkeiten wohl noch abhalten.

Dieser Abschnitt zeichnet ein deutliches Bild auS der Zeit der chinesischen Kleinstaaten. Kaum hat daS Tsireich den mächtigen Staat Ben erobert, da regt sich

der Neid der übrigen Fürsten, die durch den gewaltigen Machtzuwachs, der dem Könige von Tsi zugefallen ist, eine Verschiebung der staatlichen Grenzen im allgemeinen

befürchten.

Es war eine Zeit, in der jeder Landes­

herr eifrig darüber wachte, daß der Status quo erhalten bliebe, daß nicht ein Fürst sein Gebiet auf Kosten eines andern vermehren sollte.

Der obersten Rcichsgewalt,

die alle Staaten zusammenhielt und die Fürsten in ihre Grenzen wies, gehorchte man nicht mehr, denn sie ver­ sagte, wenn es galt zu handeln; sie war erschlafft und Mootz, Die chinesische Weltanschauung.

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178 führte nur noch ein Scheindasein. Bei ungewöhnlichen Ereignissen im staatlichen Leben traten deshalb die Fürsten zusammen und faßten Beschlüsse über mißliebige Land­ lungen der Nachbarreiche, die sie oft zum Glück der regierenden Fürsten vereitelten. Denn was der Fürsten­ bund beschloß, wurde meist auch durchgeführt und wer sich mit der Mehrzahl der Fürsten verfeindete, der ver­ lor gar leicht sein Land. Denn solange sich die Fürsten mit ihrer Macht untereinander die Wage hielten und keiner fähig war, die hemmenden Schranken nieder­ zustoßen, so lange mußte man im „Konzert der Mächte" mitspielen, wenn man nicht aus der Reihe der Lerrschenden ausgeschlossen werden wollte. Es ist dasselbe Bild, das sich immer wiederholt, wenn fast gleich starke Staaten sich in ihren Maßnahmen gegenseitig bewachen und keiner dem andern einen außergewöhnlichen Fort­ schritt oder gar einen Machtzuwachs gönnt. Auf solchem Felde schießt in der Regel eine ränkevolle Politik üppig ins Kraut, der selten ein Lerrscher gewachsen ist. So suchte auch der König von Tsi Rat bei dem mit den Verhältnissen an vielen Fürstenhöfen vertrauten Weisen Mong. Wie soll man sich gegen die Beschlüsse des Fürstenbundes, die das bereits eroberte Land dem Staate Tsi nicht gönnen, wappnen, um den drohenden Feind­ seligkeiten die Spitze bieten zu können? das war die Sorge, die daS Lerz deS Königs von Tsi beschwerte; eine Antwort von dem Weisen konnte immerhin einen Fingerzeig geben, zumal sich ja der Fürst mit seinen Ministern die Entscheidung vorbehielt. Meister Mong gibt nun eine Antwort, die für den König eine große

179 Ermunterung bringen konnte. Ein so große- Land wie Tsi braucht sich vor der ganzen Rotte der kleinen Fürsten nicht zu fürchten. Er verweist ihn also auf seine eigene Macht, denn der Starke ist am mächtigsten stets nur allein; das Reich Tsi konnte allen andern Staaten Trotz bieten, allerdings unter der Voraussetzung, daß der Regent des Landes so beschaffen ist, wie er nach den Ansichten Mongs sein muß, um zur Re­ gierung über das ganze Reich befähigt zu sein. Ein Fürst, der durch weise Verwaltung sein Land stark ge­ macht hat, der das Volk an sich zu fesseln versteht, der in väterlicher Fürsorge für seine Landeskinder jedem daS Seine gewährt und Recht und Gerechtigkeit mit Wohlwollen paart, kann mit einer ansehnlichen Leeres­ macht, wie sie dem Reiche Tsi zu Gebot stand, den Frieden wahren und seine Grenzen, auch die des neu­ eroberten Landes, schützen. Lieran sollte der Fürst nicht verzweifeln; er hat die Macht, Land und Volk in seinen Länden, er soll nun diese Macht auch richtig und würdig anwenden, dann werden die Feinde ringsum ferngehalten. DaS Stammland von Tang dem Voll­ bringer war nur siebzig Li groß, aber mit seiner Tat­ kraft und Amsicht hatte er es erreicht, daß seine Grund­ sätze maßgebend waren im ganzen Reiche, ja, daß alles Volk ihm anhing und die LehnSfürsten schließlich ihn als den Tiän dse anerkannten. Bei seiner weisen Staatsführung sehnten sich die Stämme Chinas nach ihm, daß er sie aus den drückenden Banden der Ty­ rannen befreie und sie aus dem „Wasser und Feuer" erlöse. Wie man sich in brennender Dürre nach Regen-

180 Wolken umschaut, die dem Felde zum Wachstum den Regen spenden, so schaut das bedrückte Volk aus nach dem rettenden Fürsten, der ihm eine glücklichere Re­ gierung bringen soll. Aber wenn man am Limmel einen Regenbogen sieht, so soll das ein Zeichen sein, daß es nicht regnet, sondern die Wolken, alle Hoff­ nungen täuschend, trocken vorüberziehen. Mit den phy­ sikalischen Kenntnissen ist es ja bei den Chinesen von jeher schlecht bestellt gewesen. Die chinesischen Erläu­ terungen zu dem Text sagen, daß es zweierlei Arten von Regenbogen gäbe, einen männlichen, der die Kräfte des Limmels widerspiegelt und Lung heißt, und einen weiblichen, der die wahren Kräfte der Erde wider­ spiegelt und Ri genannt wird. Wenn der Regenbogen Ri am Limmel erscheint, ist es ein Zeichen, daß die Erde den Regen absagt, was für das wartende Volk eine Enttäuschung ist und ihm anzeigt, daß die Zeiten der drückenden Dürre noch nicht zu Ende sind. Meister Mong ist der Ansicht, daß bei staatlichen Ländeln, die die Fürsten und ihre Leere miteinander ausfechten, das arbeitende Volk nicht in Mitleidenschaft gezogen werden soll; dieselben Gedanken, die Friedrich der Große zum Ausdruck gebracht hat, wenn er darauf hält, daß im Kriege Lande! und Verkehr, Landwirtschaft und Ge­ werbe nicht gestört werden. Ein solcher Lerrscher, der die tyrannischen Fürsten gerichtet und das Volk erlöst hatte, war Tang gewesen, darum sein Erfolg, der nicht durch das drohende Dazwischentreten der neidischen kleinen Könige gehemmt werden konnte. Sobald er sich einem fremden Staate mit seinem Leer näherte, fiel ihm

181 das Volk jubelnd zu und half ihm, den schwelgerischen Fürsten, der sich vom Fett deS Landes genähtt hatte, zu vertreiben und unschädlich zu machen. Unter dem milden und wohlwollenden Zepter des guten Königs blühte das Land und Volk auf in wirtschaftlicher und kultureller Be­ ziehung, es war eine Auferstehung, die alle Verhältnisse verjüngte und keine Reichsverdrossenheit aufkommen ließ; unter dem edlen König war es eine Lust zu leben. An dem berühmten Tang soll sich der König von Tsi ein Beispiel nehmen. Wohl ist auch er ausgezogen mit Heeresmacht und hat den Nachbarstaat QJen mit Krieg überzogen, den Fürsten seines Thrones entsetzt und dem wartenden Volke Hoffnungen auf Erlösung bereitet. Aber der Zug des Königs glich nicht den Regen bringenden Wolken, sondern dem täuschenden Regenbogen. Das Volk hatte die Tore der Städte geöffnet und die Truppen freundlich ausgenommen, ihnen Nahrung und Unterkommen gewähtt, aber man hauste nach wildgewohnter Kriegesart, tötete die waffenfähige männliche Bevölkerung und führte die Jugend in die Kriegsgefangenschaft. Tempel und Kultstätten wurden zerstört, Wertgegenstände und Kunstschätze geraubt. Statt der erhofften Erlösung fand man den Tod, die Verhältnisse wurden schlimmer als zuvor; diese Drang­ sal konnte das Volk nicht über sich ergehen lassen, eS suchte joilfe von den andern Fürsten, die den Staat 'Zen wieder herstellen sollten. Und in der Tat, wenn mit der rohen Gewaltsamkeit fortgefahren wurde, dann erwuchs allen Staaten und den verschiedenen Stämmen des chinesischen Volkes in dem rauhen, starken Staate

182 Tsi eine große Gefahr.

Deshalb mußte die Gebiets­ erweiterung verhindert werden und alle Fürsten zu­ sammenstehen, damit die Macht von Tsi in den Schran­

ken gehalten wurde. Satte der König nach dem Vor­ bilde Tangs Wohlwollen walten lassen, die Mißstände

beseitigt, die Mängel in der Verwaltung des Landes abgestellt und dem unterworfenen Volke Gut und Frei­ heit gelassen, dann wäre die Bewohnerschaft des großen Landes ihm zugefallen und niemand wäre imstande ge­ wesen, die Serrschaft des Königs zu bestreiten. Eine so ideale Kriegführung, wie sie der Weise Mong sich in der Theorie zurechtgelegt und den Fürsten wieder­

holt empfohlen hat, war indes bei dem damaligen Stand

der Kultur nicht möglich, auch wenn ein Fürst die besten Absichten dazu gehabt hätte. Wenn die halbwilden Korden der Krieger einmal losgelassen waren, hielt es

schwer, dem Laufe Einhalt zu tun; Plünderung deS überwundenen Gegners gehörte zum Recht des Sol­ daten, der seine Saut nicht umsonst zu Markte ge­

tragen hatte. Als Tang mit seiner kleinen Kerntruppe, von der er jeden einzelnen Mann selbst in der Sand hatte, sein Wert vollbrachte, herrschten andere Zustände; das große Seer des Königs von Tsi bestand nicht auS

lauter Seiligen.

Die weisen Ratschläge von Mong

ließen sich daher nicht durchführen. 12.

Hüte dich! was von dir ausgeht, kehrt z« dir znrück. 1. Zwischen Djou und Lu tobte der Kampf.

Der

Serzog Mu fragte und sprach: Von meinen

183

Offizieren fielen dreiunddreißig, und keiner von dem Volk ging für sie in den Tod. Bestrafe ich sie mit dem Tode, so kann man so viele doch nicht hinrichten; bestrafe ich sie nicht mit dem Tode, so blicken sie grimmig ihre Oberen noch

bei deren Tode an und retten sie nicht. Wie kann da Abhilfe geschaffen werden?

2. Mongdseerwidert: In Anglückszeiten oder Lunger­

jahren waren es von dem Volte des Fürsten an Alten und Schwachen, die in die Gräben und Wafferschluchten fielen und von der kräftigen Mannschaft, die zerstreut und nach allen vier Limmelsrichtungen ausgewandert war, mehrere Tausend. And des Fürsten Fruchtspeicher lagen

voll, die Schatzkammern waren gefüllt; doch keiner der Beamten hat davon berichtet. Lierin haben

die Oberen etwas versäumt und sind gegen die Antertanen grausam gewesen. Dsong dse sagt: „Lüte dich, hüte dich. kehrt zu dir zurück!"

ihnen jetzt nachträglich

Was von dir ausgeht, Nun, das Volk hat es zurückgegeben.

Fürst!

schiebe ihm deshalb die Schuld nicht zu.

3. Wenn der Fürst aber eine wohlwollende Re­ gierung in Gang setzt, dann liebt da- Volk seine Oberen und stirbt für seine Offiziere.

Das kleine Ländchen Dsou, heute ein Kreis im Re­ gierungsbezirk Ben tschou fu. ist seit den frühesten Zeiten unter dem Namen Dschu guo in der chinesischen Ge­ schichte bekannt.

Erft der Lerzog Mu, der au- der

184 freiherrlichen Familie Tsau stammte, hatte dem kleinen Fürstentum den Namen Dsou gegeben. Es war daS Leimatland des Weisen Mong, dessen Vorfahren seit undenklichen Zeiten dort wohnten und deren Nachkommen heute noch den stärksten Stamm der Bewohner von Dsou hsien bilden. Zwischen diesem Ländchen und dem benachbarten größeren Staate Lu war es zu Feindselig' feiten gekommen, zu einem „lärmenden Streit", wie man den Faustkampf bezeichnenderweise genannt hat. In diesem Getümmel hatten sich die Krieger von Dsou gedrückt und schadenfroh mit zugesehen, wie man die sie führenden Beamten, die damals zugleich Offiziersdienste taten, vor ihren Augen totschlug, Lierüber war der Lerzog außer sich, konnte indes keine Strafen über das Volk verhängen, weil jeder waffenfähige Mann davon wäre betroffen worden. Lier weiß zwar Meister Mong keinen Rat, aber er gibt dem Lerzog eine Er­ klärung über die Ursachen solcher Landlung und zeigt ihm, wie man das Volk behandeln muß, damit ähn­ liche Fälle nicht wieder vorkommen. Die Führer des Volkes, denen in ihrer Beamteneigenschaft die Be­ lehrung der Jugend, die Darbringung der Opfer und die Verwaltung des Landes oblag, hatten sich wenig um ihre Untergebenen gekümmert und in Notjahren ruhig mit angesehen, wie das Volk im Lunger dahin­ welkte. Es waren Zeiten gewesen, in denen die Be­ wohner zu Lause keine Nahrung fanden und um den Lunger zu stillen sich hinausbegaben an die Länge der Berge, wo sie eßbare Kräuter und Wurzeln suchten. Lierbei waren viele Leute verunglückt, weil sie so ent-

185 frästet waren, daß sie sich an einem steilen Lang nicht halten konnten, ohnmächtig abrutschten und in die Tiefe fielen, wo sie in Gräben und Schluchten meist tot liegen blieben. Die junge Mannschaft war ausgewandert, um sich in der Fremde Brot zu suchen, viele kamen im Elend um und fanden ihre jöeimat nicht wieder. Ein trostloseres Bild kann man sich von Notjahren nicht machen; die ältere, schwächlichere Bevölkerung windet sich vor Lunger in den Ravinen, die arbeitsfähigen Bewohner haben das Land verlassen. And doch hatten solche Zustände vermieden werden können, wenn die Oberen des Volkes Mitleid mit der darbenden Menge gezeigt hätten. Denn die Fruchtspeicher lagen noch ge­ füllt mit Getreide, die Vorratskammern im Lande waren noch nicht angebrochen worden. In hartherziger Ge­ sinnung hatten die Beamten dem Fürsten keine Mit­ teilung von der Notlage des Landes gemacht, sondern sie hielten die Getreidespeicher wohlverwahrt und ge­ statteten nicht, daß man sie dem Volk geöffnet hätte. Die Einrichtung öffentlicher Speicher, aus denen in Notjahren daS hungernde Volk Unterhalt bezog, besteht in China seit den ältesten Zeiten menschlicher Ansied­ lung. Jede Stadt und jedes größere Dorf mußten ein starkes, geräumiges Gebäude aufführen, das als Vor­ ratskammer für die Einwohner diente. Diese Vorrats­ häuser sind vielfach zur Verteidigung eingerichtet und haben das Aussehen einer festen Burg, die bei feind­ lichen Überfällen als letzte Zuflucht dient und todesmutig

verteidigt wird. In ertragreichen Jahren wurden die Äcker besteuert; jedermann mußte von der eingebrachten

186 Ernte ein Teil abgeben, der in die Getreidespeicher der

Ortschaft wanderte.

In einem Lande, das viel durch

Dürren und Lungerjahre heimgesucht wird, kamen die öffentlichen Getreidespeicher im Laufe der Zeiten zu

großer Bedeutung. Am Unzuträglichkeiten zu vermeiden, wurden sie zu einer staatlichen Einrichtung erhoben und von besonderen Beamten beaufsichtigt oder verwaltet. Leute noch stehen an der Verwaltung der Getreide­ speicher in Peking zwei Beamte, die im Range von Staatsministern über eine weitverzweigte Beamtenschaft verfügen. Ähnlich ist es in jeder größeren Stadt, namentlich in den Lauptstädten der Provinzen.

Leider

ist diese Einrichtung, die einen so guten Zweck verfolgt,

nicht immer zum Segen des Landes ausgeschlagen, weil

die Beamten, denen die Aufsicht über die Getreide­

speicher zustand, in eigennütziger Weise die Vorräte verwandten, die Speicher stets neu füllen ließen, aber

selten geneigt waren, in Notjahren billige- Getreide daraus zu verabfolgen.

Die Getreidespeicher sind oft

zu einer Fallgrube geworden, in der Beamte und Volk ihren Untergang gefunden haben.

Wenn die Not an

die Tür klopfte und die Vorräte angebrochen werden sollten, waren sie meist nicht mehr vorhanden; Staub und Moder bedeckten die leeren Böden, die das Ge­ treide bergen sollten.

Nach solchen Entdeckungen machte

sich die Volkswut Luft, indem sie die Beamten beiseite schaffte; zeitweise verwalteten dann die Gemeinden ihre

Speicher selbst, bis auch hier wieder unhaltbare Zu­

stände eintraten, die eine staatliche Beaufsichtigung er­

heischten.

Leute unterstehen

die

örtlichen Getreide-

187 speicher meist dem KreiSamtmann, der sie mit den Ortsältesten alljährlich einmal auf die Richtigkeit der angegebenen Bestände prüfen soll. In der Verwaltung der Speicher, die der Weise Mong in Dsou erwähnt, ist nicht einmal große Unord­ nung nachgewiesen, sondern nur die Lartherzigkeit der Beamten wird gerügt, die dem Volke das aufgesparte Getreide vorenthielt. Dadurch war es zum Bruch und zur Entfremdung gekommen zwischen Fürst und Volk, zwischen Beamten und Untergebenen. Die Schuld lag lediglich an den Oberen, die dem hungernden Volke gegenüber ihre Pflicht versäumt hatten. Als sich dann Gelegenheit fand, diese Lerzlosigkeit der Beamten zu vergelten, zahlte man ihnen die Lieblosigkeit mit gleicher Münze zurück. Im tobenden Kampfe gehorchte man ihnen nicht und ließ sie vom anstürmenden Feinde er­ schlagen, während die wohlbewehrten Krieger mit hämi­ scher Schadenfreude und innerem Wohlgefallen zusahen, wie ihre Offiziere dahinsanken. Mong ruft hier dem Lerzog ein Wort ins Gedächt­ nis, das ihm bekannt war. Dsong dse, ein Jünger des Altmeisters Kung, hatte den weisen Spruch getan, daß alle Taten und Äußerungen, die von einem Menschen auSgehen, wieder auf ihn zurückfallen; sie begleiten den Menschen wie sein Schatten, er kann den Wirkungen seiner Landlungen und seiner Worte nicht entrinnen. „Wie man in den Wald ruft, so schallt es einem ent­ gegen", darum: Lüte dich! hüte dich! sei vorsichtig mit deinem Wandel und mit deinen Worten. WaS von dir ausgeht, kehrt zu dir zurück! Die bewaffneten Krieger

188 von Dsou haben eS in der offenen Feldschlacht ihren Oberen zurückgegeben, was diese in Notjahren an ihnen gesündigt hatten. Soll man im Blick auf diese Ver­ geltung das gerecht denkende Volk strafen? Mong sagt: nein, das Volk ist nicht schuldig.

13.

Lieber sterben, als Anwürdigen dienen. 1. Der Lerzog Wön von Tong fragte und sprach: Tong ist ein kleines Reich und es liegt zwischen Tsi und Tschu. Soll ich nun Tsi dienen, oder diene ich Tschu? 2. Mong dse erwidert: hierüber vermag ich keinen Rat zu geben; wenn ich meine Meinung äußern soll, so habe ich nur einen Vorschlag. Vertiefe eure Wallgräben, erhöhe eure Mauern und mit dem Volke vereint halte sie. Sei zu sterben be­ reit und das Volk wird nicht von dir weichen. Das ist alles, was sich machen läßt. Der Lerzog von Tong war dem Weisen Mong kein Anbekannter. Ganz abgesehen davon, daß das Ländchen Tong an den kleinen Staat Dsou grenzte, in dem Meister Mong groß geworden war, hatte der Lerzog Wön, als er noch Kronprinz war, den Weisen in Sung besucht und mit ihm eine längere Anterredung gepflogen. Daher machte er ihm bei seiner Rückkehr einen Gegenbesuch, um mit dem Fürsten, der inzwischen zur Regierung gelangt war, über staatliche Angelegen­ heiten zu reden. Das Geschlecht der Lerzöge von Tong

189

leitete seinen Arsprung von dem heiligen König Wön, dem Vater der Dschoudynastie, ab; es besaß unter den zahlreichen Fürsten, die sich trotz ihrer oft winzig kleinen Ländchen mit hohen Titeln schmückten, viel Ansehen und gehörte zu dem vornehmsten Adel der alten Zeit. Am die Sicherheit ihres Fürstentums war es trotzdem schlecht bestellt. 3m Norden lag das starke aufstrebende Tsi, im Süden hatte Tschu seine Grenzen bis dicht an die Mauern von Tong vorgeschoben; bei dem ersten Anlaß konnte das Fürstentum aufgehoben und einem der größeren Reiche einverleibt werden. Nach der alten Staatsregel sollten sich die schwächeren Fürsten den mächtigeren gegenüber freundlich und dienstbereit stellen, weil sie dadurch die sicherste Gewähr hatten, daß ihnen Land und Thron erhalten bliebe. Der Her­ zog von Tong befand sich nun in der schwierigen Lage, zwischen zwei gleich starken Staaten, die nach Ver­ größerung strebten, wählen zu müssen. Schloß er sich einem an, der bei dem drohenden kriegerischen Zusammen­ stoß unterlag, dann war es um ihn und sein Fürsten­ tum geschehen; der Sieger hätte ihn dann büßen lassen. Es waren Verhältnisse, wie in Deutschland vor dem Bruderkrieg von 1866, wo für viele Kleinstaaten die Frage brennend wurde, ob man sich dem aufstrebenden jungen Preußen oder dem an Ehren und an Siegen reichen alten öfterreich anschließen sollte. Wie leicht solche Entscheidung zu einem Verhängnis für den Staat werden kann, lehrt die Geschichte. In dieser schwierigen Frage will nun der Äerzog von Mong eine Antwort haben, denn die Verhältnisse lagen so, daß er wohl bald

190 eine Entscheidung

treffen mußte,

wem er „bienen"

wolle. Mong, der mehr auf den inneren ethischen Gehalt der Staaten und auf die Berufstüchtigkeit der Kerr­ scher sah, kann dem Lerzog keinen Rat geben, weil

nach seinem Dafürhalten die Fürsten der beiden mäch­

tigen Staaten keine wahrhaft königliche Regierung zu führen imstande sind, sondern in all ihren Maßnahmen

den verhaßten Tyrannen offenbaren. Welches von den zwei Reichen einmal aufblühen und welches verfallen würde, war schlechterdings nicht vorauszusehen. Daher beschränkt sich Mong in seinem Ratschlag auf die alt­ chinesische Tapferkeit, auf die Pflicht des Fürsten, mit

den Geistern seines Landes und mit seinem Volke unter­ zugehen, wenn ein in'der Kultur zurückstehendes Land

gewaltsam übergreift und erobernd vordringt. Der Fürst soll sich nicht auf Gnade und Angnade ergeben, sondern sich kriegsbereit halten, alle Kräfte seines kleinen

Reiches anspannen, um, wenn es sein muß, wenigstens ruhmvoll unterzugehen. Darum sollen die Befestigungen

der Stadt ausgebeffert und verstärkt, die Wallgräben vertieft und die Mauern erhöht werden. Das Volk

soll so mit seinem Fürsten verwachsen, daß es, von der­ selben Tapferkeit durchdrungen, nicht von seiner Scholle weicht und bereit ist, mit dem Fürsten und für den

Landesherrn zu sterben.

Manchmal ist es ja, wie die

chinesische Geschichte zeigt, kleinen Städten mit einer tapferen Bevölkerung gelungen, einem größeren Be­

lagerungsheer längere Zeit standzuhallen und schließlich

den Feind zu verjagen.

Die Kreisstadt Tsimo in Echan-

191 tung steht hierin an erster Stelle. Sie wurde von *Aoyi, einem siegreichen Feldherrn des Staates