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German Pages 329 Year 1991
UWE SCHEFFLER
Die überlange Dauer von Strafverfahren
Schriften zum Strafrecht Heft 89
Die überlange Dauer von Strafverfahren Materiellrechtliche und prozessuale Rechtsfolgen
Von Dr. iur. Dr. phil. Uwe Schemer Privatdozent an der Freien Universität Berlin
DUßcker & Humblot . Berliß
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Schemer, Uwe:
Die überlange Dauer von Strafverfahren : materiellrechtliche und prozessuale Rechtsfolgen / von Uwe Scheffler. - Berlin : Duncker und Humblot, 1991 (Schriften zum Strafrecht ; H. 89) Zugl.: Berlin, Freie Univ., Habil.-Schr., 1990/91 ISBN 3-428-07244-8 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1991 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübemahme: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin 61 Druck: Druckerei Gerike GmbH, Berlin 36 Printed in Germany ISSN 0558-9126 ISBN 3-428-07244-8
Meinen Eltern
Vorwort Diese Arbeit hat dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin im Wintersemester 1990/91 als Habilitationsschrift vorgelegen. Literatur und Rechtsprechung sind bis November 1990 berücksichtigt; auf Neueres, insbesondere das Einstellungsurteil des LG Berlin im sog. "SchmückerVerfahren" I, habe ich gelegentlich noch in den Fußnoten hingewiesen. Ich habe vielfliltigen Dank abzustatten. Dies gilt zuallererst für Herrn Prof. Dr. Axel Montenbruck, der mir in den Jahren, die ich an seinem Lehrstuhl tätig war, wohlwollendste Förderung zuteil werden ließ. Ohne seine ständige Anteilnahme unter Gewährung wissenschaftlichen und zeitlichen Freiraums wäre die Entstehung dieser Arbeit kaum möglich gewesen. Ihm fühle ich mich zutiefst verpflichtet. Zu danken habe ich auch Herrn Prof. Dr. Klaus Geppert für zahlreiche Anregungen und die schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Ferner gilt mein Dank meinen Assistentenkollegen, den Herren Gero Meinen und Thomas Babel, die in freundschaftlicher Solidarität so manche durch meine Habilitation bedingte Mehrlast getragen haben. Herr Assessor Günter Räcke hat durch einige scharfsinnige Gedanken meine Überlegungen gefördert. Es ist mir insbesondere auch ein großes Bedürfnis, Frau Sabine Rabbel meine Dankbarkeit dafür auszusprechen, daß sie die ganzen Jahre über das sich ständig verändernde Manuskript mit größter Sorgfalt und Zuverlässigkeit erstellt hat. Herrn Professor Norbert Simon und seinen Mitarbeitern danke ich für die verlegerische Betreuung. Meine Eltern haben meinen wissenschaftlichen Werdegang in jeder nur denkbaren Hinsicht beständig gefördert. Ihnen widme ich dieses Buch. Berlin, im September 1991
Uwe Scheffler
I Nunmehr als Dokumentation abgedruckt in StV 1991, S. 371 - 397; ich habe das Urteil in einem Aufsatz für die JZ ausführlicher besprochen.
Inhaltsübersicht Einleitung ............................................................................
19
Erster Teil Grundlagen der Rechtsfolgenbestimmung überlanger Verfahrensdauer Forschungsstand, Beschl~unigungsproblematik, Begriff der Uberlänge
21
1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand. Zur Notwendigkeit weiterer Erörterung der Rechtsfolgen . ............ ..... ...................................
21
2. Kap.: Schwierigkeiten der Beschleunigung von Strafverfahren. Zur Relevanz eines umfassenden Rechtsfolgensystems .................................
49
3. Kap.: Aufgliederung des Begriffs der überlangen Verfahrensdauer. Zur ErmögIichung neuer Rechtsfolgenbestimmung ..................................
105
Zweiter Teil Die einzelnen Rechtsfolgen Freispruch, Einstellung, Beweiserleichterung, Strafmilderung, Entschädigung
131
4. Kap.: Freispruch wegen Verwirkung des Strafanspruchs ................ ......
134
5. Kap.: Einstellung wegen Verletzung von Verfahrensrecht .....................
155
6. Kap.: Beweiserleichterung wegen Unterganges von Beweismitteln .... .......
184
7. Kap.: Strafmilderung wegen Strafzumessungsrelevanz ......................... 201 8. Kap.: Entschädigung wegen Schadenszufligung
262
Schlußbetrachtung
271
Anhang: Auszüge aus nicht (vollständig) veröffentlichten höchstrichterlichen Entscheidungen zu den Rechtsfolgen überlanger Verfahrensdauer .... 276 Schrifttumsverzeichnis ............ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
283
Inhaltsverzeichnis Einleitung
19 Erster Teil
Grundlagen der Rechtsfolgenbestimmung überlanger Verfahrensdauer Forschungsstand, Beschleunigungsproblematik, Begriff der Überlänge 21 Erstes Kapitel
Überblick über den Forschungsstand Zur Notwendigkeit weiterer Erörterung der Rechtsfolgen
21
A. Entwicklung zur heute herrschenden Meinung ................................. I. Der Weg der Rechtsprechung .......... ................. ... ...... .......... 1. BGHSt 21, 81 ........................................................... 2. BGHSt 24, 239 .......................................................... 3. BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, 967 .. ................... 4. BGHSt 35, 137 .......................................................... 11. Der Diskussionsstand in der Literatur ..................................... 1. Zur Verfahrensdauer allgemein ......................................... 2. Zu den Rechtsfolgen überlanger Verfahrensdauer ................. ....
23 23 24 27 30 33 36 36 39
B. Kritik der heute herrschenden Meinung ..... ... ............. ............... .... I. Zum qualitativen Umschlagen in den Extremfall überlanger Verfahrensdauer ......................................................................... 11. Zum Vorliegen von Verzögerungen ............... ....... .... ............. III. Zur dogmatischen Begründung ............................................
42 42 43 45
Zweites Kapitel
Schwierigkeiten der Beschleunigung von Strafverfahren Zur Relevanz eines umfassenden Rechtsfolgensystems A. Verfahrensbeschleunigung durch den Gesetzgeber ............................. I. Verhinderung von Verzögerungen. .................. ...... ............ .... 1. Fristsetzungen ..................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Personelle und organisatorische Maßnahmen .......................... 11. Vereinfachungen der Verfahrensstruktur .................................. 1. Strafprozeßreform - Einige Beispiele ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Die Argumentation des Gesetzgebers .............................. b) Zur empirischen Absicherung ....................................... c) Zur Problematik von Strukturänderungen ................. ......... aa) Die Rügepräklusion gemäß § 222 b StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Das Selbstleseverfahren gemäß § 249 11 StPO ................
49 49 51 51 54 56 56 58 59 61 62 63
8
Inhaltsverzeichnis d) Das Problem von Fristverlängerungen . . . .. . . .. .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Die Nichtverfolgung gemäß § 154 I Nr. 2 StPO ........... ........ 2. Reformvorschläge - Einige Beispiele ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Neuerungen für das Strafprozeßrecht ............................... b) Übertragungen aus dem Ordnungswidrigkeitenrecht .............. aa) Der Umfang der Beweisaufnahme gemäß § 77 OWiG ....... bb) Die Zulassung der Rechtsbeschwerde gemäß § 80 OWiG ...
66 68 70 70 71 72 74
B. Verfahrensbeschleunigung durch den Beschuldigten....... ........... ..... .... I. Obliegenheit des Beschuldigten? .......................................... 11. Befugnis des Beschuldigten ................................................ 1. Anträge (Lw. S.) an das verzögernde Organ........................... a) Antrag und Gegenvorstellung ....................................... b) Ablehnungsgesuch wegen Befangenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Verfahrensverzögerung ....... ......... ..... ........ ... ......... bb) Nicht- oder Falschbescheidung ............ ............. ....... 2. Rechtsbehelfe (L w. S.) ................................................. a) Beschwerde, § 304 StPO . ............... ......... ................... b) Antrag auf gerichtliche Entscheidung, §§ 23 ff. EGGVG ......... c) Dienstaufsichtsbeschwerde .......................................... d) Strafanzeige .......................................................... aa) Zur Strafbarkeit des Amtsträgers bei grammatikalischer Auslegung der §§ 336, 258 a StGB ................................ bb) Zur Straflosigkeit des Amtsträgers bei restriktiver Interpretation der §§ 336, 258 a StGB ................................... e) Wiederaufnahme des Verfahrens, § 359 StPO .... ..... ....... ..... f) Verfassungs- und Menschenrechtsbeschwerde .... ...... ........... aa) Verfassungsbeschwerde ..... .......... ..... ........... ......... bb) Menschenrechtsbeschwerde ...... ............. .......... .... ...
75 76 77 77 77 78 78 80 82 82 85 87 89 91 93 97 98 99 103
Drittes Kapitel
Aufgliederung des Begriffs der überlangen Verfahrensdauer Zur Ermöglichung neuer Rechtsfolgenbestimmung
105
A. Zur Unterscheidung von Verfahrenslänge und -verzögerungen '" ... ......... I. Untersuchungshaftdauer .................................................... 11. Verfahrensdauer .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
107 108 109
B. Zur Einordnung mit Hilfe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes .............. I. Geeignetheit und überflüssiges Tun ....................................... 11. Erforderlichkeit und Verzögerungen....................................... III. Proportionalität und Dauer ................................................. 1. Verjährung als abschließende Regelung ............................... 2. Aufhebung des Haftbefehls als Hilfserwägung .... .......... .......... 3. Entkriminalisierung von Bagatellsachen als Konsequenz ......... .... a) Die vereinfachten Kriminalstrafverfahren .......................... b) Die entkriminalisierten Verfahren .................................. IV. Zumutbarkeit und Belastungen .... ........... .............. ............... V. "Vernünftigkeit" und Gesamtwürdigung ....... ....... ....... .............
111 112 113 117 117 118 119 120 122 124 126
Inhaltsverzeichnis
9
Zweiter Teil
Die einzelnen Rechtsfolgen Freispruch, Einstellung, Beweiserleichterung, Strafmilderung, Entschädigung
131
Viertes Kapitel
Freispruch wegen Verwirkung des Strafanspruchs
134
A. Zur Verwirkbarkeit des Strafanspruchs .... .......................... ........... I. Verwirkung durch Arglist .................................................. 1. Rügeverwirkung zu Lasten des Beschuldigten .................. ...... 2. Verzögerung zwecks Verurteilung ...... .......................... ..... 11. Verwirkung durch Zeitablauf .............. ................................ 1. Rechtsbehelfsverwirkung zu Lasten des Beschuldigten.. ............. 2. Enttäuschung berechtigten Vertrauens .. ........................ .......
138 141 141 143 145 146 147
B. Zum Freispruch infolge Srafaufhebungsgrundes .. ...................... .......
151
Fünftes Kapitel
Einstellung wegen Verletzung von Verfahrensrecht
155
A. Überlange Verfahrensdauer als Verfahrenshindernis ........ ........ ........... I. Verfahrensdauer und Verjährung .. ........................................ 11. Verfahrensbelastungen und Verhandlungsunfahigkeit ...... .... .......... 111. Verfahrensverzögerungen und Verfahrenshindernis praeter legem ...... 1. Menschenrechtskonvention und Einstellung.... .......... ............. 2. Strafprozeßordnung und Einstellung ............................ .......
155 156 160 162 163
B. Schwerwiegende Rechtsstaatswidrigkeit als Verfolgungsverbot ........ ....... I. Der Meinungswandel zum Verfolgungsverbot .................... ........ 1. ,,Ein" Vorprüfungsausschuß des Bundesverfassungsgerichts ......... 2. Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs ........................ ...... 11. Der qualitative Sprung zum Verfolgungsverbot .. ........................ 1. Rechtsverweigerung ......... .............. ......... ..................... 2. Verfahrensstillstand .. ..... ............... ...... ............ ..... ........ 3. Willkür........................................ ........................... 4. Irreparabilität ............................................................ a) Beweismittelverlust durch Verzögerungen............ ............. b) Rechtsverluste durch sonstige Rechtsstaatswidrigkeiten ...........
165 165 166 168 169 171 173 174 176
164
177
179
Sechstes Kapitel
Beweiserleichterung wegen Unterganges von Beweismitteln
184
Die Ausgangslage ........ ....................................
184
B. Beweisvereitelung - Das Extrem .............................................. I. Die gesetzlichen Anknüpfungspunkte........ ........ ........ ............. 1. Beeinträchtigung des Erinnerungsvennögens, § 136 allStPO ....... 2. Beseitigung einer Urkunde, § 444 ZPO ................................
186 187 187 188
A. Beweisverlust -
10
Inhaltsverzeichnis 11. Die rechtlichen Parallelen.................................................. 1. Indizbeweis und Alibi ................................................... 2. Indizbeweis und Blutalkoholkonzentration ............................ III. Die praktische Umsetzung .... ........ ....... ... .......... ........ ..... ....
188 190 191 193
C. Unterlasse,l1e Beweissicherung - Der Hauptfall ............. ........ .......... I. Freie Beweiswürdigung - Die faktische Gleichstellung mit dem Beweisverlust ....................................................................... 11. Beweiserleichterung - Die normative Gleichstellung mit der Beweisvereitelung ......................................................... . . . . . . . . . 1. Verspätete Beweiserhebung - Die erste Sorgfaltspflichtverletzung ... 2. Verkennung der Sicherungsbedürftigkeit - Die zweite Sorgfaltspflichtverletzung .........................................................
194 194 197 197 198
Siebtes Kapitel Strafmilderung wegen Strafzumessungsrelevanz
201
A. Verzögerungen als Strafzumessungsgrund ......... ..... ..... ......... .... ... ... I. Flexibilität - Das pragmatische Argument ............................... 1. Erste Probleme mit der Strafzumessungslösung ....................... 2. Das Versagen der Strafzumessungslösung . ............ ................ 11. Strafzumessungsirrelevanz - Der dogmatische Einwand ............... 1. Zum schuldabhängigen Milderungsgrund .............................. 2. Zum schuldunterschreitenden Milderungsgrund .......................
201 202 202 205 206 207 208
B. Tatfeme als Strafzumessungsgrund .. ............ ........ ............ ........... I. Verringertes Strafbedürfnis und Stratböhenbemessung ................... 1. Sprunghafter Wegfall? - Das Verhältnis zur Verfolgungsverjährung 2. Kontinuierliche Abschwächung? - Das Verhältnis zur Integrationsprävention ................................................................ 11. Verbesserte Sozialprognose und Strafaussetzung zur Bewährung .......
211 212 214
C. Belastungen als Strafzumessungsgrund ......... ......... .......... ............. I. Verzögerungen und Belastungen.......... .......... ........ ............... 1. Belastungen als abgeleiteter Strafzumessungsfakor ................... 2. Belastungen als selbständiger Strafzumessungsfaktor ................. 11. Verfahrensdauer und Belastungen ...... ........ .... .... .... ............... 1. Anrechnung - Der objektive Maßstab ................................ a) Zur Anrechenbarkeit von Untersuchungshaft ...................... b) Zur Anrechenbarkeit von Verfahrensbelastungen ...... ..... ....... 2. Schon-bestraft-Sein - Der gemischte Maßstab ..... ........... ....... a) Anwendungsbereich ......... .......... ........... ........ ... ........ aa) Absehen von Strafe ............................................. bb) Strafmilderung .................................................. cc) Strafaussetzung zur Bewährung ... .......... ....... ....... ..... dd) Strafvollstreckungs- und -vollzugserleichterungen (Strafmilderung i. w. S.) .............................................. b) Rechtsfortbildung ....................................................
219 220 220 223 224 224 227 228 230 230 230 234 235
217 218
237 238
Inhaltsverzeichnis 1lI. Verschleppung und Belastungen... ................ .... .................... 1. Konfrontationsstrategie des Beschuldigten ............................. a) Erschleichen von Strafmilderung ................................... b) Selbstbegünstigung ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Rechtsmißbrauch ..... ..... ... ................ .... .... ........ ........ 2. Kooperationsstrategie des Beschuldigten .............................. IV. Verfahrensbeendigung und Belastungen ............................. ...... 1. Vor der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Während der Hauptverhandlung ........................................ 3. Nach der Hauptverhandlung ...... .... ................... ...... ......... a) Eigene Sachentscheidung des Revisionsgerichts bei Rechtsverletzung, § 354 StPO ................................................. b) Eigene Sachentscheidung des Revisionsgerichts bei Änderung der Rechtslage, § 354 a StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
11 241 241 244 245 247 250 254 255 256 257 258 260
Achtes Kapitel Entschädigung wegen Schadenszufügung
262
A. Allgemeines Staatshaftungsrecht - Überblick über den Anwendungsbereich bei überlanger Verfahrensdauer ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 I. Amtshaftung ........... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 263 11. Aufopferung ................................................................. 265 B. Strafrechtsentschädigungsrecht - Ausblick auf Erweiterungsmöglichkeiten hinsichtlich überlanger Verfahrensdauer ........................................ 267 I. Analoge Anwendung der Anspruchsgrundlagen, §§ 1, 2 StrEG ......... 267 11. Analoge Anwendung der Zuständigkeitsregeln, §§ 8, 9 StrEG 268 Schlußbetrachtung
271
Anhang: Auszüge aus nicht (vollständig) veröffentlichten höchstrichterlichen Entscheidungen zu den Rechtsfolgen überlanger Verfahrensdauer .... 276 Schrifttumsverzeichnis .............................................................
283
Abkürzungsverzeichnis a. A.
a. a. O.
Abs. Abschn. AcP AB ÄndG a. F. AG AG Strafrecht AK AlsbE Alt. Anh. Anm. AnwBI. AO AöR ArbGG Art. AT Aufl. AuR BA Bad.-württ. AGGVG BAG BAGE BAK BayObLG BayObLGSt Bay. StGB BayVerfGHE
BB
Bd. BOO
= anderer Ansicht = am angegebenen Ort = Absatz
= Abschnitt
= Archiv für die civilistische Praxis
= Altemativentwurf
= Änderungsgesetz
= alte Fassung = Amtsgericht = Arbeitsgemeinschaft Strafrecht = Alternativkommentar
= Die strafprozessualen Entscheidungen der Oberlandesgerichte, herausgegeben von Alsberg und Friedrich
= Alternative = Anhang
= Anmerkung = Anwaltsblatt
= Abgabenordnung = Archiv des öffentlichen Rechts
= Arbeitsgerichtsgesetz = Artikel = Allgemeiner Teil = Auflage = Arbeit und Recht = Blutalkohol = Baden-württembergisches Gesetz zur Ausführung des Gerichtsverfassungsgesetzes = Bundesarbeitsgericht = Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts = Blutalkoholkonzentration = Bayerisches Oberstes Landesgericht = Entscheidungen des Bayerischen Obersten Landesgerichts in Strafsachen = Bayerisches Strafgesetzbuch = Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes = Der Betriebs-Berater = Band = Bundesdisziplinarordnung
Abkürzungsverzeichnis bearb. BEG Begr. Bf.
BFH
BGB BGH BGHR BGHSt BGHZ BonnKomm BRat BRatE BR-DrS BSG BT BT-DrS BtMG BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BZRG bzw. ca. CD CHip DAR DAV DB ders. d. h. Diss. DJT DJZ DNotZ DÖV dpa DR DR DRB DRiG DRiZ
13
= bearbeitet = Bundesentschädigungsgesetz = Begründung = Beschwerdeführer = Bundesfinanzhof = Büfgerliches Gesetzbuch = Bundesgerichtshof = BGH-Rechtsprechung in Strafsachen = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen = Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen = Bonner Kommentar zum Grundgesetz = Bundesrat = Gesetzesentwurf des Bundesrates = Drucksachen des Deutschen Bundesrates = Bundessozialgericht = Besonderer Teil = Drucksachen des Deutschen Bundestages = Betäubungsmittelgesetz = Bundesverfassungsgericht = Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts = Gesetz über das Bundesverfassungsgericht = Bundesverwaltungsgericht = Bundeszentralregistergesetz = beziehungsweise = circa = Collection of Decisions, Sammlung der Entscheidungen der Europäischen Kommission für Menschenrechte = Bürgerrechte und Polizei = Deutsches Autorecht = Deutscher Anwaltverein = Der Betrieb = derselbe = das heißt = Dissertation = Deutscher Juristentag = Deutsche Juristenzeitung = Deutsche Notar-Zeitschrift = Die Öffentliche Verwaltung = Deutsche Presse-Agentur = Decisions and Reports, Sammlung der Entscheidungen und Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte = Deutsches Recht = Deutscher Richterbund = Deutsches Richtergesetz = Deutsche Richterzeitung
14 DuR DVBl. E 1962 EGGVG EGH EGMR EGMR EGOWiG EGStGB Einl. EKMR EMRK etc. EuGRZ evtl. EZSt f.
ff. FamRZ FG Fn. FS GA GebGabe GebColloquium gern. GerS gesetzl. GG ggf. GKG GS GVG Halbbd. HansOLG HdB HESt h. L. RR Hrsg. hrsg.
Abkürzungsverzeichnis = Demokratie und Recht = Deutsches Verwaltungsblatt = Regierungsentwurf eines Strafgesetzbuches (E 1962), BT-DrS IV /650 = Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz = Ehrengerichtshof = Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (Deutsche Übersetzung) = Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte = Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten = Einführungsgesetz zum Strafgesetzbuch = Einleitung = Europäische Kommission für Menschenrechte = Europäische Menschenrechtskonvention = et cetera = Europäische Grundrechte-Zeitschrift = eventuell = Entscheidungssammlung zum Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht = folgende = fortfolgende = Zeitschrift für das gesamte Familienrecht = Festgabe = Fußnote = Festschrift = Goltdammer's Archiv für Strafrecht = Geburtstagsgabe = Geburtstagscolloquium = gemäß = Der Gerichtssaal = gesetzlich = Grundgesetz = gegebenenfalls = Gerichtskostengesetz = Gedächtnisschrift = Gerichtsverfassungsgesetz = Halbband = Hanseatisches Oberlandesgericht = Handbuch = Höchstrichterliche Entscheidungen. Sammlung von Entscheidungen der Oberlandesgerichte und der Obersten Gerichte in Strafsachen = herrschende Lehre = Höchstrichterliche Rechtsprechung = Herausgeber = herausgegeben
AbkÜTZungsverzeichnis HWiStR i. d. F. Infonnation insbes. IntKomm IPBR i. S. d. i. S. v. iur. i. w. S. JA JGG JherJb. JK JMBl. NW JR Jura JurBüro JuS Justiz JVA JVBl. JW JZ Kap. KB KG KK KI. KMR
KO
KpS Krim KrimJ KritJ KritV KV 1. LAG Lehrkomm. Lfg. LG lit. LK
= Handwörterbuch des Wirtschafts- und Steuerstrafrechts
15
= in der Fassung = Deutscher Richterbund. Infonnation = insbesondere = Internationaler Kommentar zur Europäischen Menschenrechtskonvention = Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte = im Sinne des / der = im Sinne von = juristisch = im weiteren Sinne = Juristische Arbeitsblätter = Jugendgerichtsgesetz = Jherings Jahrbücher für die Dogmatik des bürgerlichen Rechts = Jura-Kartei = Justizministerialblatt für das Land Nordrhein-Westfalen = Juristische Rundschau = Juristische Ausbildung = Juristisches Büro = Juristische Schulung = Die Justiz = Justizvollzugsanstalt = Justizverwaltungsblatt = Juristische Wochenschrift = Juristenzeitung = Kapitel = Kriminalsoziologische Bibliographie = Kammergericht = Karlsruher Kommentar = Kläger = Kleinknecht / Müller / Reitberger = Konkursordnung = Kriminalpolizeiliche personenbezogene Sammlung = Kriminalistik = Kriminologisches Journal = Kritische Justiz = Kritische Vierteljahresschrift = Kostenverzeichnis = letzte(r) = Landesarbeitsgericht = Lehrkommentar = Lieferung = Landgericht = litera = Leipziger Kommentar zum Strafgesetzbuch
16 LM
AbkÜTZungsverzeichnis
= Lindenmaier /
Möhring, Entscheidungen des Bundesgerichtshofs LR = Löwe / Rosenberg LwVG = Gesetz über das gerichtliche Verfahren in Landwirtschaftssachen = Monatsschrift für Deutsches Recht MDR m.E. = meines Erachtens = Anordnung über Mitteilungen in Strafsachen MiStra MRK = (Europäische) Menschenrechtskonvention = Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform MschrKrim = Militärstrafgesetzbuch MStGB = Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch MünchKomm = mit weiteren Nachweisen m.w.N. Nachtr. = Nachtrag = Nachweise Nachw. = Niedersächsisches Gesetz zur Ausführung des GerichtsverfasNds. AGGVG sungsgesetzes = Niedersächsische Rechtspflege NdsRpfl. n. F. = neue Fassung NJW = Neue Juristische Wochenschrift NJW-RR = Neue Juristische Wochenschrift - Rechtsprechungs-Report Zivilrecht Nr. = Nummer = Nationalsozialismus NS = Neue Entscheidungssammlung für Strafrecht NStE NStZ = Neue Zeitschrift für Strafrecht NuR = Natur und Recht NZVR = Neue Zeitschrift für Verkehrsrecht = Neue Zeitschrift für Wehrrecht NZWehrr = Österreichische Juristenzeitung ÖJZ OGH = Oberster Gerichtshof (Österreich) = Oberster Gerichtshof für die Britische Zone OGHBZ OGHSt = Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische Zone in Strafsachen = Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs für die Britische OGHZ Zone in Zivilsachen OLG = Oberlandesgericht OLGSt (alt) = Entscheidungen der Oberlandesgerichte zum Straf- und Strafverfahrensrecht (alte Folge) OLGSt (neu) = Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Straf-, Ordnungswidrigkeiten- und Ehrengerichtssachen (neue Folge) = Entscheidungen der Oberlandesgerichte in Zivilsachen OLGZ Olshausen's Komm. = Olshausen's Kommentar zum Strafgesetzbuch
Abkürzungsverzeichnis OVG OVGE OWi OWiG Polizei RdJB RegE RG RGBI. RGSt RGZ RiStBV RJGG RKG Rn. RPfleger RuP RzW
S.
SchIHA SchSch SchwZStR SK sog. Sp. StA StGB StPÄG StPO StrÄndG StrEG StrRG StrRK st. Rspr. StV StVÄG StVG StVollzG StVRG 1. StVRGErgG StVZO teilw. abw. u. a.
u. a.
2 Scheffler
17
= Oberverwaltungsgericht
= Entscheidungen des Oberverwaltungsgerichts
= Ordungswidrigkeit
= Gesetz über Ordungswidrigkeiten
= Die Polizei
= Recht der Jugend und des Bildungswesens = Regierungsentwurf = Reichsgericht = Reichsgesetzblatt = Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen = Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen = Richtlinien für das Strafverfahren und das Bußgeldverfahren = Reichsjugendgerichtsgesetz = Reichskammergericht = Randnummer = Der Deutsche Rechtspfleger = Recht und Politik = Rechtsprechung zum Wiedergutrnachungsrecht = Seite = Schleswig-Holsteinische Anzeigen = Schönke/Schröder = Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht = Systematischer Kommentar = sogenannte(r) = Spalte = Staatsanwaltschaft = Strafgesetzbuch = Gesetz zur Änderung der Strafprozeßordnung = Strafprozeßordnung = Strafrechtsänderungsgesetz = Gesetz über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen = Gesetz zur Reform des Strafrechts = Strafrechtskommission = ständige Rechtsprechung = Strafverteidiger = Strafverfahrensänderungsgesetz = Straßenverkehrsgesetz = Strafvollzugsgesetz = Gesetz zur Reform des Strafverfahrensrechts = Gesetz zur Ergänzung des Ersten Gesetzes zur Reform des Strafverfahrensrechts = Straßenverkehrs-Zulassungs-Ordnung = teilweise abweichend = unter anderem = und anderen
18 u. U.
v. VereinfVO VereinhG Verh. VersR VfGH VG vgl. VO VOll.
VRS
VV VwGO wistra WM WStG ZAkDR ZaöRV
z. B. ZHR zit. b. zit. n. ZPO ZRP ZSchwR ZStW Zweitbearb. ZZP
Abkürzungsverzeichnis = unter Umständen
= von, vom
Vereinfachungsverordnung Vereinheitlichungsgesetz Verhandlungen Versicherungsrecht Verfassungsgerichtshof (Österreich) = Verwaltungsgericht = vergleiche = Verordnung = vorIetzte(r) = Verkehrsrecht-Sammlung = Verwaltungsvorschriften zum Strafvollzugsgesetz = Verwaltungsgerichtsordnung = Zeitschrift für Wirtschaft, Steuer, Strafrecht = Wertpapier-Mitteilungen = Wehrstrafgesetz = Zeitschrift der Akademie für Deutsches Recht = Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht = zum Beispiel = Zeitschrift für das gesamte Handels- und Wirtschaftsrecht = zitiert bei = zitiert nach = Zivilprozeßordnung = Zeitschrift für Rechtspolitik = Zeitschrift für Schweizerisches Recht = Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft = Zweitbearbeitung = Zeitschrift für Zivilprozeß = = = = =
Einleitung Es war Beccaria, der sich schon 1764 vehement gegen die überlange Dauer von Strafverfahren wandte: "Der Prozeß selber muß in möglichst kurzer Zeit abgeschlossen werden" 1. Feuerbach betonte ein halbes Jahrhundert später: ,,Nicht zögern ist Richterpflicht"2. Obwohl Hommel1778 meinte, man habe "in Deutschland eher Ursache, sich über Eilfertigkeit, als Verzögerung, zu beklagen"3, dürfte wohl eher davon auszugehen sein, "daß der Prozeßverschlepp jahrhundertelang ungeheuerlich gewesen sein muß"4. Nun ist die Strafjustiz heute von solchen Zuständen weit entfernt. Überlange Verfahrensdauer hat sich erst Anfang der siebziger Jahre zu einem ernsteren Problem entwickelt s. Grund hierfür dürfte neben der ansteigenden Verfahrensflut die seitdem intensivere Betreibung von Wirtschaftsstrafverfahren 6, die gestiegene Aufklärungsschwierigkeit in NS-Sachen 7 und der Beginn der Terroristenprozesse sein. Seitdem beschäftigen sich verstärkt Gesetzgebung, Rechtsprechung und 1 Beccaria, Über Verbrechen und Strafen, S. 93. 2 Feuerbach in: Kleine Schriften vennischten Inhalts, S. 132. 3 Hommel, Des Herrn Marquis von Beccaria unsterbliches Werk von Verbrechen und Strafen, S. 95; kritisch dazu auch Hillenkamp, IR 1975, S. 133. 4 Kip, Das sogenannte Mündlichkeitsprinzip, S. 25; vgl. auch Vollkommer, ZZP 81 (1968), S. 121 f.; Baur, Iustizaufsicht und richterliche Unabhängigkeit, S.9; Döhring, Geschichte der deutschen Rechtspflege seit 1500, S. 28. So hatte Friedrich der Große in einem Reskript vom 31. Oktober 1765 Anlaß zu dem Befehl, auf die Beschleunigung von Strafsachen ein besonderes Augenmerk zu richten, "daß die Inquisiten durch Verzögerung der Prozesse nicht zu viel leiden mögen" (zit. n. Kern, MschrKrimPsych 15 , S. 240 - unrichtig wiedergegeben bei HiIlenkamp, IR 1975, S. 133 Fn. 3 -; vgl. auch Baur, a. a. 0., S. 8 f.; Eb. Schmidt, Kammergericht und Rechtsstaat, S. 25; 27; Vollkommer, a. a. 0., S. 110 f.). Das Reichskammergericht (RKG), allerdings weniger in Strafsachen tätig (vgl. etwa Rüping, Grundriß der Strafrechtsgeschichte, § 61 c bb; Weitzel, Der Kampf um die Appellation ans Reichskammergericht, S. 34 Fn. 38; unklar Schmidt-v. Rhein, NJW 1990, S. 489), hatte regelmäßig die Territorialgerichte aufgrund der gemeinrechtlichen Beschwerde wegen Iustizverweigerung und Iustizverzögerung (querela denegatae vel protractae justitiae) zu rügen (vgl. Döhring, a. a. 0., S. 28; Weitzel, a. a. 0., S.44; Vollkommer, a. a. 0., S. 121 f.; Baur, a. a. 0., S. 6; Gritschneder, DRiZ 1988, S.453). Aber auch am RKG selbst sah es nicht besser aus (vgl. Rüping, a. a. 0., § 6 I c aa; Vollkommer, a. a. 0., S. 121 f.; Gritschneder, a. a. 0., S. 452). So berichtet Goethe, 1772 Praktikant am RKG von der "nach und nach aufschwellenden ungeheuren Anzahl von verspäteten Prozessen" (Goethe, Aus meinem Leben - Dichtung und Wahrheit, 3. Teil, 12. Buch, S. 143). 5 Vgl. Hammerstein in: Absprache im Strafprozeß, S.95; Wolfslast, NStZ 1990, S.41O. 6 Schünemann, Verh. 58. DIT, S. B 16. 7 Vgl. Rückerl, NS-Verbrechen vor Gericht2 , S. 269 f.; 273 f.
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Einleitung
Wissenschaft mit der Thematik. Dies geschieht in unterschiedlicher Weise: Der Gesetzgeber hat sich in, wie Kohlmann meint 8, "bislang wenig erfolgreichen Bemühungen" für eine Vereinfachung der Verfahrensstruktur eingesetzt. Von der Literatur ist die Strafprozeßreform - wenngleich auch gelegentlich kritisch - begleitet worden, wobei vor allem die Suche nach möglichen Ursachen überlanger Verfahrensdauer den Ausgangspunkt darstellte. Seit einigen Jahren beherrscht nun mehr und mehr das Thema "Verständigung im Strafverfahren" die wissenschaftliche Diskussion; sowohl das Aufkommen von Verständigungen soll danach Folge längerer Verfahrensdauer 9 als auch ihr weiterer Ausbau probates Mittel gegen lange Verfahrensdauer \0 sein. Die Rechtsprechung schließlich hat sich vor allem - bedingt durch ihre Funktion - mit im Einzelfall in Rede stehender überlanger Verfahrensdauer beschäftigen müssen, wobei es regelmäßig um die Frage der rechtlichen Konsequenzen für das konkrete Strafverfahren gegangen ist. Das Problem der Rechtsfolgen überlanger Dauer von Strafverfahren soll Gegenstand der nachfolgenden Untersuchung sein. Sie ist insofern gerade auch darauf ausgerichtet, der Rechtsprechung Hilfestellung anzubieten. Demzufolge legt sie einen Schwerpunkt auf die kritische Überprüfung der Lösungsansätze der bisherigen Judikatur. Im 1. Kapitel des 1. Teils, der Grundlagen der Rechtsfolgenbestimmung überlanger Verfahrensdauer vorbehalten ist, wird der Meinungsstand in Rechtsprechung und Literatur erörtert. Im 2. Kapitel sind - zunächst - die Bemühungen von Gesetzgebung und Wissenschaft um eine Beschleunigung von Strafverfahren zu betrachten. Zu prüfen ist, ob von weiteren Änderungen des Strafprozeßrechts erwartet werden könnte, überlange Verfahrensdauer rein tatsächlich zu verhindern. Dies hätte zur Folge, daß das Suchen nach Rechtsfolgen nur das Ansetzen an den Symptomen eines zu beseitigenden Mißstandes wäre. Danach ist zu erörtern, inwieweit für den Beschuldigten Möglichkeiten bestehen, drohender überlanger Verfahrensdauer entgegenzutreten, so daß insoweit die Einräumung umfassender Rechtsfolgen unnötig sein könnte. Im 3. Kapitel soll dann der Begriff der überlangen Verfahrensdauer präzisiert werden. Es ist zu fragen, nach welchen Kriterien sich entscheidet, ob ein Verfahren "überlang" ist und deshalb Rechtsfolgen auslösen soll. Im 2. Teil schließlich werden in den Kapiteln 4-8 die einzelnen in Betracht kommenden Rechtsfolgen zu diskutieren sein, wobei ein weiter Rechtsfolgenbegriff zugrunde zu legen ist: ,,Rechtsfolgen" sind danach nicht nur solche des 3. Abschnitts des StGB (§§ 38 ff.), sondern auch sonstige, insbesondere prozeßrechtliche Konsequenzen innerhalb des Strafverfahrens.
Kohlmann, FS Pfeiffer, S. 210. Siehe etwa Schüoemann, Verh. 58. DJT, S. B 16. \0 Siehe etwa Schmidt-Hieber, FS Deutsche Richterakademie, S. 193 ff.: ,,Beschleunigung des Strafverfahrens durch Kooperation". 8
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Erster Teil
Grundlagen der Recbtsfolgenbestimmung überlanger Verfahrensdauer Forschungsstand, Beschleunigungsproblematik, Begriff der Überlänge
Erstes Kapitel
Überblick über den Forschungsstand Zur Notwendigkeit weiterer Erörterung der Rechtsfolgen
Die Schwierigkeit der Rechtsfolgenbestimmung zeigt sich schon bei einern ersten Blick auf einige ,,Meilensteine" in der Entwicklung der Rechtsprechung zur überlangen Verfahrensdauer: -
21. 12. 1962: Der 4. Strafsenat des BGH erklärt, der Länge des Strafverfahren komme "grundsätzlich keine rechtliche Bedeutung" zu 1.
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12.6.1966: Der 1. Strafsenat des BGH führt aus, eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes habe ,,jedenfalls nicht ohne weiteres die Unzulässigkeit des Verfahrens zur Folge"2.
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10. 11. 1971: Für den 2. Senat des BGH ist ,,nicht Verfahrenseinstellung, sondern Berücksichtigung bei der Strafzumessung das geeignete Mittel", überlanger Verfahrensdauer Rechnung zu tragen 3•
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2.7.1974: Der 5. Strafsenat des BGH stellt ein Verfahren nach § 206a StPO ein, weil es sich "ungewöhnlich lange hingezogen" habe 4 •
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24.11.1983: Ein Vorprüfungsausschuß des BVerfG befindet, ,,in extrem gelagerten Fällen" von Verfahrensverzögerung läge es nahe, "von Verfassungs 1
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BGH, DAR 1963, S. 169. BGHSt 21, S. 81 (84). BGHSt 24, S. 239 (242). BGH, Beseh!. v. 2.7.1974 -
5 StR 48/74 (Anhang 3).
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1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand wegen ein Verfahrenshindernis unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleiten" 5 •
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9.12.1987: Der 3. Strafsenat des BGH ordnet den Abbruch eines Strafverfahrens wegen "willkürlicher und schwerwiegender Verletzung des Beschleunigungsgebots" an, was sich "nicht notwendig mit der Annahme eines allgemeinen Verfahrenshindernisses der überlangen Verfahrensdauer" decke 6 •
Auch ein Blickrichtungswechsel auf drei spätere Urteile in spektakulären Verfahren, und zwar einem NS-Verfahren, einem Terroristenprozeß und einer Wirtschaftsstrafsache (also in Beispielen der drei Hauptgruppen von Großverfahren 7), ergibt, daß bislang die Rechtsprechung dogmatisch keinen festen Standpunkt gefunden hat: -
1988 hebt der 2. Strafsenat des BGH im sog. Euthanasie-Verfahren gegen Bunke und Ullrich die Verurteilung wegen Beihilfe zum Mord in mindestens 11.000 bzw. 4.500 Fällen zu je vier Jahren Freiheitsstrafe auf: Der Schuldspruch sei auf 9.200 bzw. 2.340 Mordfälle zu beschränken. Vor allem weil die Ermittlungsverfahren bereits vor über 28 Jahren eingeleitet wurden, verwies der BGH zur Rechtsfolgenbestimmung nicht zurück, sondern setzte selbst (vgl. § 354 I StPO) die Strafe auf die Mindeststrafe von drei Jahren fest 8 •
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Im sog. Schmücker-Verfahren, das als "längster Prozeß der deutschen Justizgeschichte" bezeichnet wird 9, erklärte Anfang 1989 der 5. Strafsenat des BGH nach rund dreizehn Jahren Verhandlungsdauer und sieben Jahren Untersuchungshaft für die Hauptangeklagte 10 bei der dritten Urteilsaufhebung, es lägen keine "besonderen Umstände" vor, die Veranlassung gäben, das Verfahren durch Einstellung "abzubrechen"; er verwies zur vierten Hauptverhandlung über den Mordvorwurf zurück 11.
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Ende 1989 stellte wiederum der 2. Senat dann im sog. Herstatt-Komplex ein Verfahren anstatt der an sich gebotenen Zurückverweisung nach § 153 StPO ein: Zwar habe, sollte sich der Anklagevorwurf bestätigen, der zu zwei Jahren
BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, S. 967. BGHSt 35, S. 137 (142 f.). 7 Vgl. K. Peters in: Strafprozeß und Refonn, S. 82; Rebmann, NStZ 1984, S.241; Herrmann, ZStW 85 (1973), S. 256 ff.; Baumann, FS Klug, S. 463 f. 8 BGH, NStZ 1989, S. 238 (239). 9 Vgl. etwa Strate, DuR 1986, S. 363; J. Blau, DuR 1989, S. 251. Das eben erwähnte Euthanasie-Verfahren dauerte insofern nicht 28 Jahre, als es 16 Jahre wegen Verhandlungsunfähigkeit der Angeklagten vorläufig eingestellt war (vgl. dazu Renz, Lauter pflichtbewußte Leute, S. 126). Zuvor kam dieser Titel zunächst dem 1971 beendeten Contergan-Verfahren zu (LG Aachen, JZ 1971, S.507 ; Bruns, FS Maurach, S. 469; Tiedemann in: Die Verbrechen in der Wirtschaft!, S. 37), dann dem MajdanekProzeß (Renz, a.a.O., S. 144). Im Juni 1991 wurde das Schmücker-Verfahren inzwischen endgültig beendet. 10 Vgl. Grünwald, StV 1987, S. 457. 11 BGH, StV 1989, S. 187 (188). 5
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A. Entwicklung zur heute herrschenden Meinung
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und sechs Monaten Freiheitsstrafe verurteilte Angeklagte nicht nur geringe Schuld auf sich geladen. Insbesondere aufgrund der langen Verfahrensdauer und des jahrelangen Verfahrensdrucks sei jedoch nunmehr trotzdem § 153 StPO anwendbar l2 •
A. Entwicklung zur heute herrschenden Meinung I. Der Weg der Rechtsprechung Die Entwicklung in der Dogmatik der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur überlangen Verfahrensdauer ist also nicht geradlinig verlaufen. Auch die praktische Bewältigung spektakulärer Strafverfahren erweckt den Eindruck, vor allem auf Lösungen für den Einzelfall orientiert zu sein. Es scheint so, als ob der konkrete Entscheidungsdruck 13 den BGH in Fällen überlanger Verfahrensdauer gelegentlich veranIaßt hat, zum Erreichen des für richtig gehaltenen Ergebnisses mehr oder weniger weitreichende Modiftkationen bisheriger Rechtsprechung vorzunehmen 14. Manchmal wird dies wohl dadurch hervorgerufen, daß in einer früheren höchstrichterlichen Entscheidung ein Satz aufgestellt wurde, der dort das gewünschte Ergebnis ermöglichte, hier nun aber im Wege steht. Darüber hinaus kann die Unsicherheit der Rechtsprechung auch zu vagen und vorsichtigen Formulierungen führen, mit denen eine Festlegung der Rechtsentwicklung offenbar vermieden und jede Entscheidungsmöglichkeit für die Zukunft offengehalten werden soll. Dann ist aber nicht auszuschließen, daß genau diese Rechtsfrage bald wieder zu entscheiden ist, weil Verteidiger sie bei nächster Gelegenheit für ihre praktischen Fälle nutzbar zu machen suchen 15 und untere Gerichte dies gelegentlich aufgreifen und die Rechtsunsicherheit vergrößern 16. Dieses Problem könnte sich in Zukunft noch verstärkt stellen, da zu den nun schon seit rund einem Jahrzehnt existierenden Spezialzeitschriften (NStZ, StV, wistra) einige strafrechtliche Entscheidungssammlungen (EZSt, NStE, BGHR) getreten sind, so daß praktisch ,,keine Entscheidung der obersten Richter mehr der Veröffentlichung" entgeht 17.
BGH, wistra 1990, S. 65. Vgl. Schlüter, Das Obiter dictum, S. 32 f. 14 Vgl. dazu Hattenhauer, Die Kritik des Zivilurteils, S. 128 ff.; E. Schneider, MDR 1971, S. 184. 15 Vgl. Bruns, NStZ 1985, S. 565; Hillenkamp, NJW 1989, S. 2845 Fn.54. 16 Vgl. Strate, StV 1990, S. 393. 17 E. Blankenburg, KritV 1988, S. 111. 12
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1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand 1. BGHSt 21, 81
Ein solcher Fall findet sich, vollzieht man die Entwicklung der Rechtsprechung nach, gleich am Anfang der Historie: Nachdem die erwähnte Entscheidung des 4. Strafsenats des BGHI8, Verfahrensdauer sei für die Rechtsfolgen schlechterdings unbeachtlich, kaum auf Resonanz stieß 19 und auch nur relativ entlegen veröffentlicht wurde, hat 1966 der 1. Strafsenat seine Entscheidung sogar in die amtliche Sammlung aufnehmen lassen (BGHSt 21,81): Ihr lag die ,,nicht alltägliche Revisionsrüge" eines "einfallsreichen Verteidigers" zugrunde 20, wonach das Recht des Beschuldigten "auf alsbaldige und schnelle Verhandlung" nach Art. VII Abs. 9lit. ades NATO-Truppenstatuts durch die lange Verfahrensdauer nicht gewahrt worden sei, was zur Einstellung des Verfahrens zwinge. Das LG Bad Kreuznach als Instanzengericht hatte dies apodiktisch abgelehnt 21. Der Senat führte aus, eine Verletzung des Beschleunigungsgrundsatzes habe - auch unter dem Blickwinkel von Art. 6 I EMRK, der Gehör innerhalb einer "angemessenen Frist" garantiert - ,jedenfalls nicht ohne weiteres" die Unzulässigkeit des Verfahrens zur Folge 22 • Zwar möge eine gewisse Verzögerung eingetreten und das staatsanwaltschaftliehe Ermittlungsverfahren etwas unzulänglich gefördert worden sein; unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Schwere des Tatvorwurfs (Totschlag), sei es aber zweifelhaft, ob das Recht des Beschuldigten auf alsbaldige und schnelle Verhandlung in nennenswertem Maß verletzt worden sei 23. Immerhin erging das angefochtene tatrichterliche Urteil auch nur gut eineinhalb Jahre nach Tat und Verhaftung des Beschuldigten 24 • Diese Entscheidung beschäftigte in den nächsten Jahren Literatur und Rechtsprechung. Unklarheiten entstanden nicht zuletzt dadurch, daß der Senat im Leitsatz der Entscheidung lediglich formulierte: ,,nicht ohne weiteres", also das Wort ,jedenfalls" wegließ25. So waren demzufolge zwei Interpretationen möglich 26 : Zum einen die, der 1. Strafsenat habe die Möglichkeit des Verfahrenshindernisses offen gelassen 27, aber auch die, er habe prinzipiell, beschränkt auf besondere Fälle, das Prozeßhindemis der überlangen Verfahrensdauer anerkannt. 18 BGH, DAR 1963, S. 169. 19 Zustimmend aber Bruns, Strafzumessungsrechtl, S. 411. 20 Hübner, LM Nr. 1 zu NATO-Truppenstatut. 21 Siehe dazu Schwenk, ZStW 79 (1967), S. 721; vgl. auch LG Duisburg, NJW 1965, S. 643 (644), das die Norm überhaupt nicht erwähnt. 22 BGHSt 21, S. 81 (84). 23 BGHSt 21, S. 81 (82). 24 Vgl. Hübner, LM Nr.l zu NATO-Truppenstatut; Schwenk, ZStW 79 (1967), S. 721 f. 25 Vgl. dazu Sarstedt/Hamm, Die Revision in Strafsachens, Rn. 515; Hattenhauer, Die Kritik des Zivilurteils, S. 145. 26 Ähnlich Schwenk, ZStW 79 (1967), S. 737; JZ 1976, S. 583; Kramer, Menschenrechtskonvention, S. 59.
A. Entwicklung zur heute herrschenden Meinung
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So hat etwa kurz darauf das OLG Stuttgart zwar im konkreten Fall Verzögerungen verneint, aber in einem obiter dictum aus dieser BGH-Entscheidung gefolgert, man könne aus einer Verletzung der genannten Bestimmung des NATO-Truppenstatuts für den Fall ihrer Mißachtung ,.keineswegs schlechthin" auf die Unzulässigkeit des folgenden Verfahrens schließen, sondern es müßten irgendwelche besonderen Umstände vorhanden sein, die ausnahmsweise eine Sperre des weiteren Verfahrens begründen könnten 28 • 1970 nahm mit dem LG Frankfurt erstmals, soweit ersichtlich, ein Gericht an, daß aus dem Verbot überlanger Verfahrensdauer in Art. 6 I EMRK ein Verfahrenshindernis gefolgert werden könnte 29 • Das LG Frankfurt knüpfte an den 1. Strafsenat des BGH sowie an eine Bemerkung Tiedemanns bezüglich des Contergan-Verfahrens an, das dessen Ansicht zufolge wegen Verletzung des Beschleunigungsprinzips hätte eingestellt werden müssen 30. Noch darüber hinausgehend äußerte das Landgericht, daß dann, wenn im Einzelfall die Dauer eines Strafverfahrens die angemessene Frist in Art. 6 EMRK überschritten hat, die Konsequenz nur darin bestehen könne, wegen eines Prozeßhindernisses einzustellen. Da Auslegungsrichtlinien und Präzedenzentscheidungen nicht existierten, versuchte das LG Frankfurt selbst, den Begriff der Angemessenheit i. S. v. Art. 6 I EMRK auszulegen. Zuvörderst seien sachbezogene Umstände heranzuziehen: Es sei die für das Verfahren benötigte Zeit in Verhältnis zu setzen zu der Bedeutung des Verfahrensgegenstands, dem Maß der Schuld des Beschuldigten, der Aussicht auf zuverlässige und vollständige Wahrheitsermittlung, der Straferwartung im Falle der Verurteilung, dem Umfang der Sache, dem Schwierigkeitsgrad der Ermittlungen und der Führung des Ermittlungsverfahrens 3!. Ergibt nicht schon diese Prüfung, daß ein Strafverfahren unangemessen lang sei, so ist für das LG Frankfurt weiterhin "personenbezogen" zu untersuchen, ob der Beschuldigte durch die Dauer des Verfahrens gesundheitlich und wirtschaftlich so sehr betroffen worden ist, daß dessen Fortsetzung ihm nicht mehr zugemutet werden kann 32. Ohne Bezug auf diese Entscheidungen stellte kurz darauf das LG Aachen im "Contergan-Beschluß" etwas mißverständlich fest, ein Verfahrenshindernis bestünde nicht, weil keine Vorschrift "im vorliegenden Falle" einen Verfahrensabbruch "gebieten" würde 33 • 27 So BGHSt 24, S.239 (243); OLG Karlsruhe, NJW 1972, S.1907 (1909); LG Frankfurt,lZ 1971, S. 234 (235); LG Krefeld, lZ 1971, S. 733 (735). 28 OLG Stuttgart, NJW 1967, S. 508 (509 f.); vgl. auch OLG Koblenz, NJW 1972, S. 404 f.; Hillenkamp, IR 1975, S. 137 Fn. 65; Schultz, MDR 1971, S. 191. 29 LG Frankfurt, lZ 1971, S. 234. 30 Tiedemann in: Die Verbrechen in der Wirtschaftl, S. 37. Vgl. auch Schultz, MDR 1971, S. 191. 3! LG Frankfurt, lZ 1971, S. 234 (236). 32 LG Frankfurt, lZ 1971, S. 234 (236). 33 LG Aachen, lZ 1971, S. 507 (521); siehe auch StA Aachen, DRiZ 1971, S. 45.
1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand
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Dem LG Frankfurt widersprach wenige Monate später das LG Krefeld 34: Es käme nicht auf tat- und persönlichkeitsbezogene Umstände an, sondern ausschließlich darauf, ob die tatsächliche Verfahrensdauer, gemessen an der notwendigen Verfahrensdauer, unangemessen lang gewesen sei. Ob dies "ohne weiteres" die Unzulässigkeit des Verfahrens zur Folge hätte, ließ die Kammer mit Hinweis auf die Entscheidung des 1. Strafsenats des BGH offen, da dies hier schon deshalb nicht in Betracht käme, weil der zur Revisionsaufhebung und damit zur Verfahrensdauer führende Verfahrensfehler auch auf das Verhalten der Verteidigung zurückzuführen sei 35. Ende 1971 erwog das LG Lübeck dem Revisionsgericht zufolge, ein Verfahren wegen Verstoßes gegen Art. 6 I EMRK einzustellen 36• Das OLG Koblenz 37 , das den 1. Strafsenat des BGH dahingehend verstand, daß dieser grundsätzlich schon für bestimmte Fälle das Vorliegen eines Verfahrenshindernisses bejaht hätte 38, schränkte den Anwendungsspielraum zur gleichen Zeit gegenüber den genannten Landgerichten dadurch ein, daß ein Prozeßhindernis erst dann vorliegen sollte, wenn das Beschleunigungsprinzip in so unerträglicher, in so gravierender und unzumutbarer Weise verletzt sei, daß die eingetretene Verzögerung einer ,,Rechtsverweigerung" gleichkomme. Das OLG nahm diese Einschränkung vor, nachdem es das insgesamt über neunjährige Ermittlungsund Eröffnungsverfahren als zum Teil verzögert angesehen hatte. Auch das OLG Karlsruhe knüpfte in seinem Urteil vom 20. 1. 1972 noch an die Entscheidung des 1. Strafsenats an 39 und ließ dahingestellt sein, ob unter ganz besonderen Umständen eine Verfahrensverzögerung einmal ein Verfahrenshindernis begründen könnte 40. Das OLG Karlsruhe stand allerdings vor dem Problem, daß es aufgrund jahrelanger Nichtbetreibung des Verfahrens auch bei dieser Einschränkung Art. 6 I EMRK als an sich verletzt ansah. Es hielt dem aber entgegen, daß dem Beschuldigten auferlegt sei, wollte er aus einer Verfahrensverzögerung Rechte herleiten, sein Recht auf Förderung des Verfahrens bei von ihm feststellbaren Verzögerungen mit Entschiedenheit, insbesondere mittels einer Dienstaufsichtsbeschwerde, geltend zu machen.
LG Krefeld, JZ 1971, S. 733. LG Krefeld, JZ 1971, S. 733 (735). 36 Vgl. BGH, Beschl. v. 2.7.1974 5 StR 48/74 (Anhang 3). 37 OLG Koblenz, NJW 1972, S. 404. 38 Vgl. auch BGH, Urt. v. 14.6.1972 2 StR 3/72 (Anhang 2). 39 Die Entscheidung des OLG Karlsruhe erging zwar nach der Grundsatzentscheidung des 2. Senats (BGHSt 24, S. 239 vom 10. 11. 1971); offenbar war dieses Urteil dem OLG Karlsruhe jedoch noch nicht bekannt. Allerdings wies das OLG ebenfalls auf die erstmals in dem Urteil des 2. Senats ausgesprochene - Möglichkeit der Strafmilderung hin. 40 OLG Karlsruhe, NJW 1972, S. 1907. 34 35
A. Entwicklung zur heute herrschenden Meinung
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2. BGHSt 24, 239
Die Zurückhaltung der Oberlandesgerichte, auf Verfahrensverzögerungen mit Einstellungen zu reagieren, wurde durch eine Grundsatzentscheidung des 2. Strafsenats des BGH bestätigt 41 • Auch der 2. Senat stellte fest, "daß die ungewöhnlich lange Dauer des Vorverfahrens zu einem wesentlichen Teil auf unzulängliche Förderung durch die für seinen Fortgang verantwortlichen Organe zurückgeführt werden muß", und folgerte daraus einen Verstoß gegen Art. 6 I EMRK. Trotzdem lehnte der BGH jedoch die Möglichkeit des Vorliegens eines Verfahrenshindernisses grundsätzlich und apodiktisch ab. Die Berücksichtigung bei der Strafzumessung sei "das geeignete Mittel", einer Verletzung des Beschleunigungsprinzips Rechnung zu tragen. Die Strafzumessung gewähre einen Spielraum, der ausreiche, um auf unangemessene Verzögerungen des Verfahrens zu reagieren. Dies könne in den vom Gesetz vorgesehenen Fällen bis zum völligen Absehen von Strafe gehen. Bei Vergehen könne das Verfahren nach § 153 StPO eingestellt werden, bei Verbrechen sei regelmäßig die Möglichkeit des Zurückgehens auf die gesetzliche Mindeststrafe ausreichend 42 • Diese überraschende Entscheidung läßt sich vielleicht tatsächlich, wie Kristian Kühl meint, durch die "Schubkraft" des Art. 6 I EMRK 43 und durch das WemhoffUrteil des EGMR erklären, in dem dieser 1968 erstmalig - und zwar gegen die Bundesrepublik Deutschland - über eine Verletzung des Beschleunigungsprinzips zu befinden hatte 44. Der 1. Strafsenat hätte 1966 in seiner mehrfach erwähnten Entscheidung das Vorliegen überlanger Verfahrensdauer, hielte er es für strafzumessungsrelevant, nicht einfach dahingestellt lassen dürfen 45, sofern der Beschwerdeführer, wie es regelmäßig geschieht 46, (auch) die allgemeine Sachrüge erhoben hatte 47 • Der 2. Senat vertrat die Auffassung, daß die Entscheidung des 1. Senats nicht seinem Ergebnis entgegenstehen würde. Es habe sich dort nur um eine beiläufige Erörterung der Folgen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsprinzip gehandelt; die Worte "nicht ohne weiteres" sollten nur die vorgreifliche Beantwortung einer für die Entscheidung unerheblichen Frage vermeiden, nicht aber die Möglichkeit der Entstehung eines Verfahrenshindernisses im Grundsatz bejahen. BGHSt 24, S. 239. BGHSt 24, S. 239 (242 f.). 43 K. Kühl, ZStW 100 (1988), S. 642. Kritisch aber Ress in: Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 276. 44 EGMR, JR 1968, S. 463. 45 BGHSt 21, S. 81 (82). 46 Vgl. etwa Grethlein, Problematik des Verschlechterungsverbotes im Hinblick auf die besonderen Maßnahmen des Jugendrechts, S. 29 Fn. 26a; Kodde, Zur Praxis der Beschlußverwerfung von Revisionen (§ 349 Abs. 2 StPO), S. 27. Vgl. aber auch Sarstedt I Hamm, Die Revision in StrafsachenS, Rn. 10; Doller, MDR 1977, S. 370. 47 Vgl. BayObLG, StV 1989, S. 394 (395); Ulsamer, FS Zeidler, S. 1804 f. 41
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1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand
So richtig diese Begründung im Ergebnis sein dürfte, so sind im einzelnen doch erhebliche Zweifel anzumelden. Zunächst spricht gegen die Annahme eines "unverbindlichen Schlenkers"48 durch den 1. Strafsenat, daß diese Ausführungen den Inhalt des - noch dazu einzigen - Leitsatzes der Entscheidung darstellen 49 , die der 1. Senat zur Veröffentlichung in der amtlichen Sammlung für geeignet gehalten hat. Zwar sind solche Darlegungen gerade beim 1. Senat nicht unüblich, wie etwa die Senatsentscheidungen BGHSt 32, 345 so; 35, 308 s1 und StV 1986, 374 s2 zeigen. Sie dürften aber doch wohlbedacht sein, etwa, um damit ganz allgemein Hinweise an die Tatrichter zu geben oder um die anderen BGH-Senate zu beeinflussen S3. Zudem mag aus der Formulierung des Leitsatzes - und nur die hat der 2. Senat wiedergegeben - kaum die sprachliche Auslegung möglich sein, daß hier eine Rechtsfrage offengelassen werden sollte. Die Gedankenführung des 2. Senats dürfte allerdings dann richtig sein, wenn man das beim 1. Senat in der Begründung auftauchende Wort ,jedenfalls" mit zur Würdigung heranzieht. Selbst wenn man jedoch eine Unvereinbarkeit zwischen den beiden Entscheidungen feststellen sollte, wäre auch dann der 2. Strafsenat nicht zu einer Vorlage an den Großen Strafsenat des BGH gemäß § 136 I GVG genötigt gewesen, da die Entscheidung des 1. Senats nicht auf dieser Passage beruht S4• Die gegen die Entscheidung des 2. Senats erhobene Verfassungsbeschwerde verwarf das BVerfG mit der Begründung, die Ablehnung der Verfahrenseinstellung und die Berücksichtigung der langen Verfahrensdauer bei der Strafzumessung verstoße hier nicht gegen rechtsstaatliche Grundsätze SS. Allerdings deutet diese Entscheidung, was in der Literatur regelmäßig übersehen wird s6, schon an, daß in schwerwiegenderen Fällen anderes gelten könnte. Die dagegen eingelegte Menschenrechtsbeschwerde sah die Kommission als zulässig an S7 • Das Verfahren konnte durch einen freundschaftlichen Ausgleich (vgl. Art. 28 lit. b EMRK) beendet werden, nachdem dem Beschwerdeführer der Rest der dreijährigen Freiheitsstrafe nach Verbüßung von wenig mehr als einem Drittel im Gnadenwege bedingt erlassen wurde 58.
48 Kramer, Menschenrechtskonvention, S. 59. 49 Vgl. Bruns, MDR 1987, S. 177; vgl. aber auch Sarstedt/ Hamm, Die Revision in StrafsachenS, Rn. 8. so Vgl. Bruns, StV 1984, S. 389 f. 51 Vgl. G. Blau, BA 1989, S. 4. S2 Vgl. Metzger, GebColloquium Kielwein, S. 97. 53 Vgl. Bruns, StV 1984, S. 389 f. S4 Vgl. BGHSt 9, S. 24 (29); 11, S. 159 (162); 19, S. 7 (9). ss BVerfG (Vorprüfungsausschuß), Beschl. v. 21.6.1972 - 2 BvR 146/72 (Anhang 1). S6 Vgl. Vogler, ZStW 89 (1977), S. 781; Peukert, EuGRZ 1979, S. 264 Fn. 20. 57 EKMR, CD 44 (1973), S. 81. S8 Vogler, ZStW 89 (1977), S. 781 f. Siehe auch Peukert, EuGRZ 1979, S. 274.
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Nachdem der 2. Senat 1972 in einem Hinweis an den Tatrichter wiederholte, daß aus Art. 6 I EMRK kein Verfahrenshindernis hergeleitet werden könne, stellte 1974 der 5. Strafsenat des BGH ein Strafverfahren wegen Verstoßes gegen diese Vorschrift ein, weil die Taten erst abgeurteilt worden seien, "nachdem sich das Verfahren über die dreifache Verjährungsfrist (§ 67 Abs. 2 StGB) und annähernd 2 weitere Jahre hingeschleppt hat"59. Wenngleich der 5. Senat betonte, hierin würde sich dieses Verfahren wesentlich von demjenigen unterscheiden, das dem Urteil BGHSt 24, 239 zugrunde lag, hätte er gemäß § 136 I GVG die - für beide Entscheidungen erhebliche - Rechtsfrage, ob aus Art. 6 I EMRK ein Verfahrenshindernis herleitbar ist, dem Großen Senat vorlegen müssen. Allerdings hat die Entscheidung des 5. Senats die Rechtsentwicklung nicht beeinflußt. Selbst nicht veröffentlicht, ist sie, soweit ersichtlich, weder in der Literatur noch in der (veröffentlichten) Rechtsprechung jemals auch nur erwähnt worden. Lediglich der 5. Senat selbst zitierte die Entscheidung zwei Jahre später in einem ebenfalls unveröffentlichten Urteil mit der Bemerkung, er halte an der dort niedergelegten Auffassung nicht fest 60 • In der Ablehnung der Annahme eines Verfahrenshindernisses und der Befürwortung der Berücksichtigung von Verfahrensverzögerungen in der Strafzumessung schlossen sich in der Folgezeit auch alle anderen Senate des BGH - also ebenfalls der 1. Senat - dem 2. Strafsenat an 61 • Lediglich der 3. Strafsenat akzeptierte in einer Entscheidung, daß die ca. zehnjährige Verfahrensdauer vom Tatgericht nicht strafmildernd herangezogen wurde 62 • Im einzelnen präzisierten vor allem der 2. und der 3. Senat die "Strafzumessungslösung": Strafmilderung dürfe es nur im Rahmen der gesetzlichen Voraussetzungen geben 63, überlange Verfahrensdauer könne aber auch für die Strafaussetzung zur Bewährung Bedeu59 BGH, Besch!. v. 2.7.1974 - 5 StR 48/74 (Anhang 3).
BGH, Urt. v. 6.7.1976 - 5 StR 184/76 (Anhang 7). 1. Senat: GA 1977, S.275; NStZ 1987, S.232; StV 1988, S.487; NStZ 1989, S.526; wistra 1990, S.20; Urt. v. 24.2.1977 - 1 StR 554/76 (Anhang 8); Urt. v. 5.7.1990 - 1 StR 135/90 (Anhang 16; jetzt auch bei Detter, NStZ 1991, S. 274). 2. Senat: NStZ 1982, S.291; 1983, S. 135; 1986, S. 162; S.217; 1989, S.238; NJW 1986, S. 75; StV 1983, S. 502; 1985, S. 322; S. 411; wistra 1990, S. 65; BGHR StPO § 154a Abs. 3 Wiedereinbeziehung 1; wohl auch BGHR StGB § 46 Abs. 2 Nachtatverhalten 4 (insoweit nicht in NStZ 1987, S. 171 abgedruckt); Urt. v. 14.6.1972 - 2 StR 3/ 72 (Anhang 2); Urt. v. 18.2.1976 - 2 StR 566/75 (Anhang 4); Urt. v. 19.2.19762 StR 585/73 (Anhang 5); Urt. v. 5.1.1978 - 2 StR 425/77 (Anhang 12). 3. Senat: BGHSt 27, S. 274; 35, S. 137; StV 1982, S. 266; wistra 1982, S. 108; 1983, S. 106; bei Mösl, NStZ 1983, S. 494; Urt. v. 31.3.1976 - 3 StR 502/75 (Anhang 6). 4. Senat: Urt. v. 24.11.1977 - 4 StR 459/77 (Anhang 11). 5. Senat: BGH, StV 1989, S. 187 (188); bei Pfeiffer / Miebach, NStZ 1987, S. 19; Urt. v. 6.7.1976 - 5 StR 184/76 (Anhang 7); Urt. v. 5.7.1977 - 5 StR 771/76 (Anhang 9); Besch!. v. 25.10.1977 - 5 StR 616/77 (Anhang 10); Urt. v. 4.3.1980 - 5 StR 14/80 (Anhang 13). 62 BGH, Urt. v. 31.3.1976 3 StR 502/75 (Anhang 6). 63 BGHSt 27, S. 274. 60 61
1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand
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tung erlangen 64. Verzögerungen von Mitbeschuldigten dürfen dem Beschuldigten genausowenig entgegengehalten werden 65 wie der durch sein eigenes Leugnen verursachte Zeitablauf66 • Auch von den Oberlandesgerichten wurde diese Rechtsprechung nicht in Frage gestellt. So hat das OLG Koblenz 1978 in Abweichung zu seiner erwähnten Entscheidung von 1971 67 auch die Strafzumessungslösung übemommen 68 . Allerdings ist gelegentlich eine leichte Distanz spürbar geworden. Das OLG Stuttgart hat etwa weiterhin nicht ausgeschlossen, daß ein Verfahrenshindernis im Einzelfall möglich sein könnte 69 • Das OLG Hamm bemerkte, der ihm vorliegende Fall weise keine Besonderheiten auf, die zu einer vom BGH abweichenden Beurteilung Anlaß geben könnten 70. Von den Instanzengerichten hat das LG Köln 1975, wie aus der aufhebenden Entscheidung des 2. Senats des BGH zu entnehmen ist 71 , ein Verfahren mit der Begründung eingestellt, "das Recht des Angeklagten auf Durchführung des Strafverfahrens innerhalb einer angemessenen Frist sei seitens der Justiz in unerträglicher Weise verletzt worden"72. 3. BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, 967
Erst 1983 wurde diese nahezu einhellige Rechtsprechung erstmalig wieder in Frage gestellt durch ein "Vorbeben"73: Ein - damals noch so genannter Vorprüfungsausschuß des BVerfG führte nunmehr in einem obiter dictum aus, daß die Auffassung des BGH, aus einer Verletzung des Beschleunigungsgebots könne in keinem Falle ein Verfahrenshindernis hergeleitet werden, verfassungsrechtlichen Bedenken unterliege. Im Einzelfall sei eine so erhebliche Verletzung des Rechtsstaatsgebots im Strafverfahren möglich, daß ein anerkennenswertes Interesse an weiterer Strafverfolgung, die allgemein dem verfassungsrechtlich gebotenen Rechtsgüterschutz dient, nicht mehr besteht und eine Fortsetzung des Verfahrens rechtsstaatlich nicht mehr hinnehmbar ist. In solch extrem gelagerten BGH, StV 1983, S. 502; 1985, S. 322; S. 411. Siehe auch schon BGH, Beschl. v. 5 StR 616/77 (Anhang 10). 65 BGH, NStZ 1982, S. 291 (292). 66 BGH, wistra 1983, S. 106. 67 OLG Koblenz, NJW 1972, S. 404. 68 OLG Koblenz, Beschl. v. 23.1.1978 (zit. n. Krey, Strafverfahrensrecht I, Rn. 137 64
25.10.1977 -
Fn.30).
OLG Stuttgart, JZ 1974, S. 268. 70 OLG Hamm, NJW 1975, S. 702. 71 BGH, Urt. v. 18.2.1976 - 2 StR 566/75 (Anhang 4). 72 Im Fall Eckle hat das LG Köln 1977 nicht, wie die Ausführungen des EGMR, EuGRZ 1983, S. 553 (555), zur Entschädigung nach Art. 50 EMRK zu bedeuten scheinen, wegen überlanger Verfahrensdauer das Verfahren eingestellt; vgl. EGMR, EuGRZ 1983, 69
S. 371 (377; 379).
73 Hillenkamp, NJW 1989, S. 2842; 2843; 2845.
A. Entwicklung zur heute herrschenden Meinung
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Fällen sei ein Verfahrenshindernis unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleiten 74. Diesen Ausführungen kommt gerade deshalb besondere Bedeutung zu, weil es sich um ein obiter dictum handelt, was für Karlheinz Meyer sogar eine "offensichtliche Überschreitung" der "Befugnisse nach § 93a Abs. 3 BVerfGG" darstellt 75. Der Vorprüfungsausschuß sah sich also offensichtlich aufgrund der ständigen Rechtsprechung des BGH genötigt 76, sich zu diesem Punkt zu äußern, was dann auch mit deutlichen Worten geschehen ist 77. Allerdings dürfte dieser Beschluß wohl weniger als Reaktion auf das EckleUrteil 78 des EGMR von 1982 anzusehen sein, durch das die Bundesrepublik zum ersten - und bisher einzigen - Mal wegen überlanger Dauer eines Strafverfahrens verurteilt wurde 79. Denn nach den vorsichtigen Ausführungen des erwähnten Nichtannahmebeschlusses gegen BGHSt 24, 239 80 ließ 1979 ein Vorprüfungsausschuß des BVerfG zur überlangen Verfahrensdauer eines Konkursverfahrens ausdrücklich offen, ob "über die in §§ 202 ff. KO gesetzlich vorgesehenen Einstellungsmöglichkeiten hinaus eine Einstellung des Konkursverfahrens in Betracht kommt oder sogar ... unter verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten geboten sein kann"81. Diese Bemerkung könnte eher durch das König-Urteil 82 initiiert sein 83, das der Dreierausschuß ausdrücklich erwähnt und das 1978 die erste Verurteilung der Bundesrepublik wegen überlanger Verfahrensdauer, nämlich eines Verwaltungsverfahrens, darstellte. Der Beschluß des Vorprüfungsausschusses zur überlangen Strafverfahrensdauer von 1983 wurde durch zwei weitere Nichtannahmebeschlüsse, die zu dem Problemkreis der völkerrechtswidrigen Verschleppung ergingen, bekräftigt 84. In beiden Entscheidungen, die der Dreierausschuß, seit 1986 Kammer genannt, in jeweils völlig anderer Besetzung traf, tauchte der Satz auf, daß auch in der Rechtsprechung das Eingreifen eines Verfahrenshindernisses von Verfassungs wegen in Fällen überlanger Verfahrensdauer "als möglich erachtet" würde. Dies muß überraschen, weil jedenfalls vor Fassung des ersten der beiden Beschlüsse seit über zehn Jahren keine Entscheidung mehr - außer eben der des Vorprü74 75 76 77
BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NJW 1984, S. 967. K. Meyer, FS Kleinknecht, S. 272. Vgl. auch Bruns, StV 1984, S. 389. So auch K. Meyer, FS Kleinknecht, S. 272. Kritisch zu dieser Praxis des BVerfG Sarstedt / Hamm, Die Revision in Strafsachens, Rn. 8 Fn. 21. 78 EGMR, EuGRZ 1983, S. 371. 79 Vgl. dazu K. Kühl, ZStW 100 (1988), S. 605. 80 Siehe oben, 2. 81 BVerfG (Vorprüfungsausschuß), EuGRZ 1979, S. 363 (364). 82 EGMR, EuGRZ 1978, S. 406. 83 Vgl. dazu Ress in: Europäischer Menschenrechtsschutz, S. 276. 84 BVerfG (Vorprüfungsausschuß), NStZ 1986, S. 178 (179); (Kammer), NStZ 1986, S. 468; vgl. auch NJW 1987, S. 1874.
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1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand
fungsausschusses - veröffentlicht worden war 85, in der ein Verfahrenshindernis auch nur für denkbar gehalten wurde. Wenngleich Entscheidungen des Dreierausschusses gern. § 31 I BVerfGG keine Bindungswirkung haben, weil in einem summarischen Verfahren lediglich die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung abgelehnt wird 86, haben diese Entscheidungen die gefestigte Rechtsprechung ins Wanken gebracht und, wie auch sonst häufig 87 , die Rechtsentwicklung mitbestimmt. Unter Berufung auf den Beschluß des Vorprüfungsausschusses des BVerfG zur überlangen Verfahrensdauer stellte 1987 das LG Düsseldorf ein Strafverfahren ein 88, nachdem zuvor (in anderer Sache) schon das OLG Düsseldorf hatte dahinstehen lassen, ob aufgrund des obiter dictum des Vorprüfungsausschusses ein Verfahrenshindernis denkbar sei 89. Überlange Verfahrensdauer könne ein unmittelbar aus dem Rechtsstaatsgebot des Grundgesetzes abzuleitendes Verfahrenshindernis sein, wenn eine extreme, vom Beschuldigten nicht zu vertretende Verfahrensverzögerung vorliegt. Aus dieser sei zu folgern, daß ein anerkennenswertes Interesse an weiterer Strafverfolgung nicht mehr besteht. Auch das OLG Karlsruhe 90 und das OLG Koblenz 91 folgten nunmehr der Argumentation des Vorprüfungsausschusses. Aber auch in die Rechtsprechung des BGH kam Bewegung, wenngleich sich die Vermutung von Miehsler / Vogler, durch die Entscheidung des Vorprüfungsausschusses sei die bisherige Ansicht des BGH überholt, zunächst nicht als richtig erwies 92. Insbesondere der 2. Strafsenat erwähnte den Nichtannahmebeschluß allenfalls, um darauf hinzuweisen, der Vorprüfungsausschuß habe die Strafzumessungslösung des BGH gebilligt 93 • 85 Zuletzt OLG Hamm, NJW 1975, S. 702. K. Schäfer in LR24, Einl. Kap. 12 Rn. 91 Fn. 184, führt hier zu Unrecht das LG Flensburg, MDR 1979, S. 76, an. 86 BVerfGE 23, S. 191 (207); 33, 1 (11); 53, S.336 (348); Schmidt-Bleibtreu in Maunz / Schmidt-Bleibtreu / Klein / Ulsamer, BVerfGG, § 93b Rn. 14; Pestalozza, Verfassungsprozeßrecht2, § 14 vor I. Soweit die fehlende Bindungswirkung damit begründet wird, die Entscheidung des Vorprüfungsausschusses beruhe nicht auf diesen Erwägungen (BGHSt 32, S. 345 ; Pfeiffer in KK StP02, Einl. Rn. 131) bzw. es handele sich um ein obiter dictum (Rieß in LR24, § 206a Rn. 56), ist dies deshalb nur vom Ergebnis her richtig. 87 Vgl. dazu Gilles, JuS 1981, S.405; Jekewitz, StV 1982, S. 124; K. Meyer, FS Kleinknecht, S. 272; Hillenkamp, NJW 1989, S. 2842; Zuck, NJW 1990, S. 2450; dagegen Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, S. 125 f. 88 LG Düsseldorf, NStZ 1988, S. 427. 89 OLG Düsseldorf, NJW 1986, S. 2204 (2205); vgl. aber auch NStE Nr. 56 zu § 46 StGB. 90 OLG Karlsruhe, StV 1986, S. 10 (11). 91 OLG Koblenz, GA 1987, S. 367 (368). 92 Miehsler / Vogler in IntKomm, Art. 6 Rn. 329 Fn. 4. Richtiger die Einschätzung von Bruns, StV 1984, S. 393: Es sei "Hoffnung auf eine Änderung der Rechtsprechung zwar gegeben", diese dürfe aber ,,nicht überschätzt werden"; zurückhaltend auch Rieß, JR 1985, S. 46.
A. Entwicklung zur heute herrschenden Meinung
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Auch der 1. Senat zeigte sich von der Entscheidung offenbar "unbeeindruckt"94, wenn er ausführt, sie beruhe nicht auf dieser Erwägung und der zuständige Senat des BVerfG habe sich zu dieser Frage noch nicht geäußert 95 • Wie der 1. zitierte auch der 3. Senat des BGH die "Auffassung", die "ein" Vorprüfungsausschuß vertreten hat, um sich von dieser sogleich zu distanzieren 96. Dieser womöglich mit abwertender Tendenz gemeinte Hinweis 97 ist insofern nicht präzise, als durch anders besetzte Dreierausschüsse der Entscheidung zugestimmt worden ist. Da hierbei nicht nur die Entscheidung einstimmig getroffen werden muß (vgl. §§ 92a 11 a. F., 93b I n. F. BVerfGG), sondern auch Einstimmigkeit in der rechtlichen Begründung gefordert wird 98, haben somit sieben Richter des 2. Senats des BVerfG dieser Auffassung beigepflichtet: Zeidler, Wand, Träger, Steinberger, Böckenförde ,Niebler und Klein 99. Die Vermutung Karlheinz Meyers, die drei Richter des Vorprüfungsausschusses würden bei einer späteren Senatsentscheidung zur überlangen Dauer von Strafverfahren ein Sondervotum abgeben müssen 100, dürfte sich als nicht zutreffend erwiesen haben. Der 5. Senat schließlich stellte 1986 fest, überlange Verfahrensdauer begründe nach der Rechtsprechung des BGH kein Verfahrenshindernis; er halte an dieser Auffassung trotz des Beschlusses des Vorprüfungsausschusses ,jedenfalls für die Fälle" fest, in denen der Tatrichter dem Zeitablauf bei der Strafzumessung (i. w. S.) in angemessener Weise Rechnung tragen könne lOl • Der 5. Senat sah sich interessanterweise zu dieser Entscheidung deshalb genötigt, weil 1985 das LG Frankfurt - wiederum - ein Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer eingestellt hatte. Auch in einer späteren Entscheidung folgte der 5. Senat nicht dem Vorprüfungsausschuß "angesichts der Schwere des Tatvorwurfs und der Schwierigkeit der Beweislage" 102. 4. BGHSt 35, 137
Ende 1987 kam es dann zu einem heftigen Beben: Der 3. Strafsenat des BGH stellte ein Verfahren wegen überlanger Verfahrensdauer ein 103, dem "unvorstellBOR, NJW 1986, S. 75 (76); ähnlich NStZ 1986, S. 162. 94 Krey, Strafverfahrensrecht I, Rn. 126 Fn. 7a. 95 BORSt 32, S. 345 (351). 96 BORSt 35, S. 137 (140); allerdings kommt der 3. Senat doch zur Verfahrenseinstellung, siehe dazu unten, 4. 97 Vgl. Bruns, StV 1984, S. 391; Becker, StV 1985, S.400. 98 Schmidt-Bleibtreu in Maunz I Schmidt-Bleibtreu I Klein I Ulsamer, BVerfOG, § 93b Rn. 10; Rupprecht, JZ 1970, S. 209 f. 99 Vgl. EuGRZ 1984, S. 95; 1986, S. 21; 1987, S. 93. 100 K. Meyer, FS Kleinknecht, S. 272 Fn. 30. 101 BOR bei Pfeiffer I Miebach, NStZ 1987, S. 19. 102 BGR, StV 1989, S. 187 (188). 103 BORSt 35, S. 137. 93
3 Scheffler
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1. Kap.: Überblick über den Forschungsstand
bare Geschehnisse" 104 zugrunde lagen: Entgegen § 347 StPO waren die Akten vom LG Frankfurt fast fünf Jahre lang nicht an den BGH weitergeleitet worden \05. Der BGH meinte nun an sich, die Sache (auch) aus sonstigen sachlich-rechtlichen Gründen zurückverweisen zu müssen. Er sah das Dilemma, daß durch die dann folgende Hauptverhandlung, die - es lag ein Fall von Wirtschaftskriminalität vor - wiederum erhebliche Zeit in Anspruch nehmen dürfte, das Verfahren weitere Jahre dauerte. Zudem bestand für den Senat eine gewisse Wahrscheinlichkeit' daß die erneute Hauptverhandlung mit einem Freispruch enden würde, so daß er den Weg, das Problem der überlangen Verfahrensdauer über die Strafzumessung zu lösen, verbaut sah. Da dem BGH selbst für eine Einstellung gemäß § 153a StPO die Freispruchswahrscheinlichkeit zu groß war und die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht sich gegen eine Einstellung nach § 153 StPO sperrte, stellte er schlichtweg ohne Angabe einer Rechtsgrundlage ein 106. Aufgrund des Geschäftsverteilungsplans des BGH \07 und der gesonderten Verfolgung eines Mitbeschuldigten hatte wenige Wochen nach der Entscheidung des 3. Strafsenats der 2. Strafsenat einen letztlich sehr ähnlichen Sachverhalt \08 zu entscheiden 109. Ohne die Entscheidung des 3. Senats, die dem 2. Senat bekannt gewesen sein dürfte, auch nur zu erwähnen, traf hier der 2. Senat eine eigene Sachentscheidung und sprach frei. Dies mag zwar aufgrund im einzelnen nuancierender tatsächlicher Feststellungen in den beiden tatrichterlichen Urteilen gerechtfertigt sein, deutet aber doch an, daß der 2. Strafsenat nicht den Weg des 3. Senats gehen wollte. Ferner mußte der 2. Senat, um zu dem Ergebnis der Verfahrensbeendigung zu kommen, in Erweiterung der umstrittenen Rechtsprechung zur Wiedereinbeziehung ausgeschiedener Tatteile in der Revisionsinstanz I \0 unter Hinweis auf das Beschleunigungsprinzip es ablehnen, die Sache zur Verhandlung über den ausgeschiedenen Tatteil zurückzuverweisen 111. Auch in einer weiteren EntKühne, EuGRZ 1988, S. 306. Zum Hintergrund teilt Leppert, Frankfurter Rundschau v. 25.8.1988, S. 12, mit: " ... über Jahre nicht verfügbar waren die Akten eines ... Frankfurter Richters, der sich vorzeitig pensionieren ließ. Immer hatte er an seiner Akte noch etwas verändern oder verbessern wollen - bis es dem Bundesgerichtshof in einem Fall zu viel wurde ... " 106 Dies mißversteht Hasserner, JuS 1989, S. 146 f., dem zufolge der BGH der Einstellung § 153 StPO zugrunde gelegt hat. 107 Sämtlichen vor dem LG Frankfurt Angeklagten - die Verantwortlichen der zusammengebrochenen Selmi-Bank AG, Frankfurt - war u. a. eine Zuwiderhandlung gegen § 129 StGB vorgeworfen worden. Daher war die Staatsschutzkammer gern. § 74a I Nr. 4 GVG zuständig mit der Folge, daß nach dem Geschäftsverteilungsplan des BGH der 3. Strafsenat zuständig gewesen ist. Zur Zuständigkeit des 2. Strafsenats bezüglich des einen gesonderten verfolgten Angeklagten kam es dadurch, daß dieser von der Schweiz ausgeliefert werden mußte und das schweizerische Bundesgericht die Auslieferung allein wegen des Vorwurfs der Untreue bewilligte, so daß es bei der Zuständigkeit des 2. Strafsenats für die Revisionen des Bezirks des OLG Frankfurt blieb. \08 Vgl. den redaktionellen Hinweis in wistra 1988, S. 230. 109 BGH, wistra 1988, S. 227. 110 BGHSt 21, S. 326 (328 f.). 104
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scheidung vennied der 2. Senat die Erwähnung des Urteils des 3. Senats 1\2, traf aber selbst eine abschließende Sachentscheidung unter äußerst extensiver Interpretation von § 354 I StPO 113. Ob sich etwas anderes aus einem neueren Beschluß des 2. Strafsenats ergibt, in dem dieser ein Verfahren nach § 153 StPO einstellte und erwähnte, der BGH habe ein Verfahrenshindernis "bisher" verneint, bleibt abzuwarten 114. Immerhin wird hier das verfahrensbeendende Urteil des 3. Strafsenats wenigstens zitiert, der inzwischen Gemeinsamkeiten zwischen beiden Entscheidungen hervorgehoben hat 115. Der 1. Strafsenat des BGH erwähnte die Entscheidung BGHSt 35, 137 in einem Beschluß zwar, jedoch ausschließlich als Beleg dafür, daß nach der ständigen Rechtsprechung des BGH eine der Vorschrift des Art. 6 I EMRK zuwiderlaufende Verfahrensverzögerung zugunsten des Angeklagten strafmildernd berücksichtigt werden müsse, ging jedoch auf die sonstige dort angesprochene Problematik mit keinem Wort ein, sondern wies die Sache unter Aufhebung des Strafausspruchs an das Landgericht zurück 116. In anderen Entscheidungen zur überlangen Verfahrensdauer wurde das Urteil des 3. Strafsenats überhaupt nicht erwähnt ll7 • Vor allem dieser Senat scheint mit Krey übereinzustimmen, der davor warnt, die Entscheidung des 3. Senats überzubewerten: ,,hard cases make bad law" 118. Der 5. Senat bekräftigte u. a. unter Berufung auf BGHSt 35, 137 nochmals, daß ungewöhnlich lange Verfahrensdauer "grundsätzlich" kein Verfahrenshindernis begründe; er lehnte einzelfallorientiert und ohne nähere Begründung ab, das Verfahren durch Einstellung "abzubrechen", weil die besonderen Umstände, die den 3. Senat dazu veranlaßt hätten, im konkreten Fall nicht vorlägen 119. Das OLG Zweibrücken nahm unter Bezug sowohl auf die Entscheidung des Vorprüfungsausschusses des Bundesverfassungsgerichts als auch die des 3. Senats des BGH in einem Fall "schwerwiegender Verfahrensverzögerung" ein Verfahrenshindernis an 120. In dem Verfahren war wegen Fahrens ohne Führerschein eine Geldstrafe verhängt worden. Im Rechtsmittelverfahren waren, wie das OLG Zweibrücken berichtet, zahlreiche Verfahrensfehler unterlaufen, so u. a. die beantragte Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsfrist nicht gewährt 111 BGHR StPO § 154a Abs. 3 Wiedereinbeziehung 1 (insoweit nicht in wistra 1988, S. 227 abgedruckt). 1\2 BGH, NStZ 1989, S. 238. 113 Vgl. Daub, KritJ 22 (1989), S. 330. 114 BGH, wistra 1990, S. 65. IIS BGHSt 36, S. 363 (372). 116 BGH, StV 1988, S. 487. 117 BGH, NStZ 1989, S. 526; wistra 1990, S. 20; Urt. v. 5.7.1990 1 StR 135/90 (Anhang 16; jetzt auch bei Detter, NStZ 1991, S. 274). 118 Krey, Strafverfahrensrecht 11, Rn. 587. 119 BGH, StV 1989, S. 187 (188). 120 OLG Zweibrücken, StV 1989, S. 51.
3*
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und Ersatzfreiheitsstrafe vollstreckt worden. Ein Ausgleich über die Strafzumessung schied insofern von vornherein aus. Mit Rücksicht auf das außergewöhnliche Ausmaß der durch Justizorgane verursachten Verzögerung und der dadurch bedingten Gesamtdauer des Strafverfahrens, das nicht besonders erhebliche Gewicht des Tatvorwurfs und Verfahrensgegenstandes einerseits und die beträchtlichen tatsächlichen, auf den Zeitablauf zurückzuführenden Beweisschwierigkeiten andererseits sowie aufgrund der Prozeßmängel in der ersten Instanz und der durch die Strafvollstreckung und sie begleitende Zwangsmaßnahmen verstärkten - Belastung des Angeklagten durch das Verfahren sah es das OLG als geboten an, das Verfahren einzustellen. Andere Gerichte haben in der darauffolgenden Zeit ihnen vorliegende Sachverhalte immer wieder an den Kriterien des 3. Senats des BGH geprüft, jedoch jeweils die Auffassung vertreten, daß die "besonderen Umstände" des dortigen Falles nicht vorlägen 121.
11. Der Diskussionsstand in der Literatur 1. Zur Verfahrensdauer allgemein In der Literatur wird die Diskussion um die überlange Verfahrensdauer vor allem von der Rechtstatsachenforschung bestimmt. Nachdem der Gesetzgeber in der Begründung zum 1. StVRG 1974 122 und vor allem zum StVÄG 1979 123 statistisches Material zur Dauer von Strafverfahren vorgelegt hatte, präsentierte 1981 RießI24 umfangreiche, neuere Daten. Einige aktuelle Zahlen veröffentlichte vor kurzem Caesar l2S • Älteres Datenmaterial findet sich bei Ritter 126 und bei Stein/ Schumann / Winter 127. Bei diesen Statistiken ist zu beachten, daß sie nicht einmal Aussagen über korrelative Zusammenhänge zwischen Verfahrensdauer und bestimmten Verfahrensereignissen zulassen 128. Rechtstatsächliche Untersuchungen, die solche Aussagen erlauben, haben 121 OLG Düsseldorf, MDR 1989, S.935; BayObLG, StV 1989, S.394; LG Köln, NStZ 1989, S. 442. So auch der 3. Strafsenat des BGH selbst (BGHSt 36, S. 363