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German Pages 349 Year 1982
M I C H A E L W. F I S C H E R
Die Aufklärung und ihr Gegenteil
Schriften zur
Rechtetheorie
Heft 97
Die Aufklärung und ihr Gegenteil Die Rolle der Geheimbünde in Wissenschaft und Politik
Von
Michael W. Fischer
DUNCKER
&
HÜMBLOT
/
BERLIN
Alle Rechte vorbehalten © 1982 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1982 bei Berliner Buchdruckerei Union GmbH., Berlin 61 Printed in Germany I S B N 3 428 05133 5
Vorwort Die Ergebnisse und Koppelungen von Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftstheorie verdeutlichen, daß die Entwicklung der neuzeitlichen Wissenschaft über „Institutionalisierungsprozesse" verläuft. Das t r i f f t für die Naturwissenschaften sowie die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften i n gleicher Weise zu. Dieser Aspekt w i r d jedoch häufig verdrängt, auch etwa von Metadisziplinen wie die Rechts- und Sozialphilosophie. Gleichwohl bleibt „Institutionalisierung" ein fundamentales und zentrales Problemfeld, da sie jeweils kognitive, d. h. erkenntnismäßige Zusammenhänge m i t der sozialen Wirklichkeit vermittelt. Dies für die Rechtswissenschaften aufzuzeigen, ist eine aktuelle A u f gabe der Rechtsphilosophie, da ja sämtliche sozialen Ordnungen niemals bloß faktisch vorhanden sind, sondern anhand bestimmter Vorstellungen von „Richtigkeit", „Brauchbarkeit" usw. gemessen werden, die Geltungsansprüche setzen. Wissenschaft und Politik sind stets sich wandelnde institutionelle Ordnungssysteme, deren Bewegungsverlauf die vorliegende Arbeit i n bestimmten Sektoren verfolgt. Dabei ist „Institutionalisierung" nicht als abstrakter, d. h. einseitiger und depersonalisierter Prozeß zu sehen, sondern er bedarf auch der handelnden und tätigen Menschen. I n diesem Rahmen ist die enorme und wichtige Rolle der Geheimbünde stets zu wenig berücksichtigt worden. Sie leisten etwa i m 17. und 18. Jahrhundert institutionelle Vermittlungsaufgaben, die i n nahezu sämtliche Lebensbereiche ausstrahlen. Die historische Klammer der Arbeit ist die Reformationszeit einerseits und die Französische Revolution mit ihren Nachwirkungen bis i n den Vormärz andererseits. A u f der Ebene der „Institutionalisierungsträger" w i r d der Geheimbund der Rosenkreuzer behandelt, der sich i n der Folge zur Freimaurerei wandelt. Letztere spaltet sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts i n die politisch-antithetischen Bünde der Gold- und Rosenkreuzer sowie Illuminaten und w i r d damit zur Wurzel der modernen politischen Parteien. I n der behandelten Zeitspanne w i r d die Aufklärung zum zentralen politischen Leitbegriff. Doch gerade ihre Utopie der wissenschaftlichen Vernunft erweist sich i n dem Maße als trügerisch, als Aufklärung stets kompensatorisch von ihrem Gegenteil begleitet wird: Je lauter der Ruf nach der Ratio erklingt, u m so tiefer werden die Einbruchsteilen des Irrationalen.
6
Vorwort
Die Forderung der Institutionalisierung der neuzeitlichen Wissenschaft w i r d erstmals radikal i n den Rosenkreuzermanifesten gestellt, und zwar als politische Forderung. Sie verwirklicht sich aber nur u m den Preis der Entpolitisierung der Wissenschaft. Wissenschaft verengt sich zur Naturwissenschaft, zur „experimentellen Philosophie" und der politisch lizensierte Freiraum liegt jenseits aller „normativen" Reflexion. Die Gesellschafts- und Sozialwissenschaften werden als „normative" i n den Untergrund verwiesen und, soweit sie nicht systemkonform sind, zum „Geheimnis". I n die Bünde der Freimaurerei abgedrängt, entwickeln diese „politischen" Wissenschaften radikale und oft widersprechende Modelle, erlangen aber auch erste Formen einer praxisbezogenen Ausgestaltung. Das ganze politische Vokabular wie Aufklärung, Recht, Natur, Naturrecht, Utopie, Freiheit, Gleichheit und andere ändert sich, die begrifflichen Apparaturen werden geschärft und zu „organisierenden" Prinzipien verarbeitet. Eben dadurch birgt diese Vergangenheit Momente der Dauer, die noch für unsere Gegenwart bestimmend sind. Bei Behandlung der Geheimbünde habe ich mich auf bereits bearbeitetes Quellenmaterial gestützt. Wesentliches Anliegen war ja eine neue Sichtweise des behandelten Themas unter dem Blickwinkel von Institutionalisierungsprozessen. I n der Hauptsache wurde das Manuskript 1979 abgeschlossen und formal ist noch anzumerken: Längere Zitate und die Angabe weiterführender Literatur sollen den Leser i n Stand setzen, nicht bloß auf meine Meinung angewiesen zu sein. Der besseren Lesbarkeit halber wurde die Quellensprache vorsichtig modernisiert (nicht so i m Anhang) gemäß den allgemein i m deutschen Sprachraum geltenden Regeln. Nach Möglichkeit wurde eine von akademischer Sprachkonvention verstellte Schreibweise vermieden. Die Auswahl der Fragestellungen ist gewiß nicht frei von subjektiver Zutat, aber das gestellte Thema hat ohnehin einen solchen Zuschnitt, daß jeder Versuch der Vollständigkeit und der Ausschöpfung der vorhandenen Literatur aussichtslos wäre. A n dieser Stelle möchte ich all jenen danken, die mich bei meiner Arbeit unterstützt haben, i m besonderen Frau Dr. Dorothea MayerMaly. Salzburg i m Dezember 1981 Michael W. Fischer
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
5
1.
Wissenschaft und Neuzeit
9
1.1.
Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
9
1.2.
Neuzeit als Erfahrungswandel
25
2.
Die Rosenkreuzer: Biographie und Wirkung eines Geheimbundes..
36
2.1.
Rosenkreuzermanifeste u n d Anfänge des Utopismus
36
2.1.1. Autorenfrage u n d Symbolgehalt
36
2.1.2. „Fama" u n d „Confessio"
43
2.1.3. Die „Chymische Hochzeit"
49
2.1.4. Die Anfänge des deutschen Utopismus
54
2.2.
66
Das Echo auf die Rosenkreuzerschriften
2.2.1. Francis Bacon u n d die Rosenkreuzer
66
2.2.2. Wesentliche Repräsentanten der Rosenkreuzerphilosophie
71
2.2.3. Das weitere Echo auf die Rosenkreuzerschriften
82
2.3.
95
W i r k u n g u n d Fortsetzung des Rosenkreuzertums
2.3.1. Die Anfänge der Freimaurerei
95
2.3.2. Die Gründung der „Royal Society"
100
3.
Aufklärung als politisches Programm
106
3.1.
Allgemeine Bemerkungen
106
3.1.1. Z u r Theorie der A u f k l ä r u n g
106
3.1.2. Z u r „Organisation" der A u f k l ä r u n g
117
3.2.
143
Der Aufbruch i n die Z u k u n f t
3.2.1. I m Gefolge des rosenkreuzerischen Utopismus
144
3.2.2. Staats- u n d Gesellschaftskonzepte
155
3.3.
Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
170
3.3.1. A u f k l ä r u n g : E i n K a m p f u m den legitimen Sprachgebrauch
170
3.3.2. Schritte zur A u f k l ä r u n g s k r i t i k
188
3.3.3. Facetten der Popularphilosophie
196
Inhaltsverzeichnis
8 4.
Die Aufklärung und ihr Gegenteil
4.1.
Z u r politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
213 213
4.1.1. Deutsche Jakobiner: Geschichte u n d Konzept der I l l u m i n a t e n
215
4.1.2. Illegitime Erben: Die Gold- u n d Rosenkreuzer
242
4.2.
Präludien zum Vormärz
4.2.1. A u f k l ä r u n g jenseits der A u f k l ä r u n g
256 256
4.2.2. Rose i m Kreuz oder Eule der Minerva? Hegel u n d die Geheimbünde 264 5.
Anhang
285
Fama Fraternitatis
285
Confessio Fraternitatis
298
Literaturverzeichnis
309
Personenregister
339
1. Wissenschaft und Neuzeit 1.1. Verlaufsfiguren in der Wissenschaft Die Gegenwart ist wie kein anderer Zeitabschnitt je zuvor von der Wissenschaft geprägt. Es handelt sich dabei u m einen Entwicklungsprozeß, der m i t der Neuzeit begann. Durch Jahrhunderte und Generationen knüpfte die Menschheit an den Fortschritt des Wissens die Hoffnung auf ein irdisches Paradies. Die Philosophie — emanzipiert vom Dasein einer ancilla ecclesiae — war Motor dieser Überzeugungen und fristet jetzt ihr Schicksal als ancilla scientiae. Je häufiger der Ruf nach einer „alternativen" Wissenschaft wird, u m so notwendiger ist das Nachzeichnen derjenigen Geschichte, die die Gegenwart prägt. Dabei geht es nicht nur u m erkenntnismäßige Zusammenhänge, wie Verschiebungen i n den begrifflichen Apparaturen und den Methoden, sondern auch u m soziale Befunde und institutionelle Zusammenhänge, wie die Entstehung von Organisationen und Bünden zur Beförderung des Wissens, zur Verbesserung der Welt und anderes mehr. Zunächst seien einige prinzipielle Erwägungen vorausgeschickt, die die Wissenschaftsgeschichte betreffen und die markanten Wandlungen, die es erst ermöglichen, von Neuzeit zu sprechen. Eine gebräuchliche Unterscheidung ist heute, daß Wissenschaft einerseits i n einem „Erzeugungskontext" und andererseits i n einem „Prüfungskontext" steht. A u f diese Unterscheidung geht die Arbeitsteilung zurück, die i n unserem Jahrhundert zwischen Wissenschaftssoziologie und Wissenschaftstheorie getroffen wurde. Die Soziologie analysiert den sozialen Zusammenhang der Wissensproduktion: sie untersucht, welchen Einschränkungen die Arbeit des Wissenschafters zu unterwerfen ist, damit sein Tun als wissenschaftlich anerkannt wird. Die Wissenschaftstheorie hingegen setzt sich mit der Begründung und Verwerfung von Wissen auseinander: Hier geht es darum, welchen Kriterien Resultate der Wissenschaft genügen müssen, u m zur Wissenschaft gerechnet zu werden. So lange die Interpretation der Wissenschaft i n getrennt institutionalisierten Disziplinen erarbeitet wurde, wie seit der Entstehung der funktionalistischen Wissenschaftssoziologie und der Etablierung der kritisch-rationalistischen Wissenschaf tstheorie der Fall, waren die jeweiligen Analysen nicht, oder nur i n den seltensten Fällen, aufeinander
10
1. Wissenschaft u n d Neuzeit
bezogen. Erst als grundlegende Annahmen i n der einen oder anderen Disziplin und damit die Grenzen zwischen ihnen i n Frage gestellt w u r den, begann die Diskussion von Neuem. Wesentlichen Anstoß dazu gab die These von Thomas S. Kuhn, daß erkenntnismäßige (kognitive) Prozesse und soziale Strukturen vorab miteinander verknüpft seien 1 . K u h n lenkte mit seiner Arbeit über Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen das Augenmerk darauf, daß unter Umständen die Grundfrage der Philosophie, die Frage nach dem Verhältnis von Materie (Natur, Sein) und Bewußtsein (Geist, Denken), eine falsche Alternative darstellt 2 . Ist die Gliederung i n soziale Strukturen und geistige Gebilde vielleicht keine sinnvolle Konzeptualisierung? Die Streitfrage geht letztlich darum, ob der Vorrang den geistigen Prozessen oder den sozialen Strukturen zukomme. Wichtige Hinweise auf diese Beziehungsproblematik verdanken w i r der Marxschen BasisÜberbau-Theorie. Sie kann vereinfachend dahingehend formuliert werden, daß jeweils die ökonomischen Verhältnisse Ursachen der geistigen Vorstellungen seien 3 . Diese Theorie provozierte dann jene bekannten vulgarisierend-mechanistischen Deutungen des Determinationsverhältnisses zwischen sozialen bzw. ökonomischen und geistigen Strukturen, die keineswegs zielführend sind und sich i n dieser groben Vereinfachung auch kaum durch das Werk von Marx decken lassen4. 1 Kuhns aufsehenerregende A r b e i t erschien erstmals 1962 unter dem T i t e l „The Structure of Scientific Revolutions". Die A r b e i t w i r d zitiert nach der Ausgabe Th. S. Kuhn: Die S t r u k t u r wissenschaftlicher Revolutionen. 2. revidierte u n d u m das Postskriptum v o n 1969 ergänzte A u f l . F r a n k f u r t a. M . 1976. 2 I m m e r wieder wurde j a behauptet, daß diese Grundfrage „die höchste Frage der Philosophie" sei, v o n „deren Beantwortung die Teilung u n d E i n teilung der philosophischen Anschauungen u n d Systeme i n die beiden entgegengesetzten Grundrichtungen Materialismus u n d Idealismus sowie die grundsätzliche Lösung aller wichtigen philosophischen Probleme abhängt, insbesondere auch die Frage, w i e sich die Philosophie selbst auch zum materiellen Lebensprozeß der Gesellschaft verhält". Diese Grundfrage der Philosophie beherrscht nach gängiger Meinung i n mehr oder weniger ausgeprägter F o r m die ganze Geschichte des philosophischen Denkens. Dies betonen insbesondere die marxistischen Wissenschaftskonzeptionen. Vgl. ζ. B. G. Klaus, M . Buhr (Hrsg.): Philosophisches Wörterbuch. 10. neubearbeitete u n d erweiterte A u f l . Leipzig 1974, Bd. 1, S. 506 ff. 3 So erklärt Marx i m „ V o r w o r t zur K r i t i k der politischen Ökonomie", M E W Bd. 13 S. 8: „Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen u n d geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das i h r Sein, sondern umgekehrt i h r gesellschaftliches Sein, das i h r Bewußtsein bestimmt." 4 Marx selbst w a r j a i n einigen A r b e i t e n bemüht, gerade das vermittelte Verhältnis v o n „Geistigem" u n d „Naturwüchsigem" als Charakteristikum der „dialektischen S t r u k t u r des sozialen Prozesses" zu betrachten. Dies bestätigt beispielsweise Engels i n einem Brief an den Sozialdemokraten Conrad Schmidt v o m 27.10.1890, w o er betont, daß die gesamte Wissenschaft sehr w o h l einen „rückwirkenden Einfluß auf die ganze gesellschaftliche E n t w i c k lung, selbst auf die ökonomische" habe. (MEW Bd. 37, S. 492.) Auch i n einem
1.1. Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
11
Wesentliche Einwände gegen den Vorrang der Basis bzw. der sozialen Strukturen formulierte Max Weber 1901 i n seiner Abhandlung Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus. Er versuchte hier, den Beweis zu erbringen, daß die Beziehung zwischen frühkapitalistischer Industrialisierung und Protestantismus nicht wirklichkeitsadäquat erfaßt wird, wenn die Formel angewandt wird: Kapitalistische Unternehmer dachten i n der Kategorie der Prädestination, weil sie erfolgreiche Geschäfte machten. Die Argumente von Weber lassen eher die umgekehrte Formulierung zu, nämlich die Interpretation, daß dem Denken, d. h. hier, i m vorliegenden Fall, dem religiösen Bewußtsein der Primat zukomme 5 . Eine vermittelnde Position nimmt Vilfredo Pareto i n seinem 1916 i n Florenz erschienen Generaltraktat der Soziologie ein. Er führt eine dritte Kategorie ein, durch die der erkenntnistheoretische Stellenwert der beiden herkömmlichen Kategorien Sein und Denken verringert wird, den „psychischen Zustand" 6 . Während für logische Handlungen die materielle Umwelt bestimmend ist, entspringen nach Pareto nichtlogische Handlungen dem psychischen Zustand, „gefühlsmäßigen und unterbewußten Handlungsimpulsen" 7 . Auch i n der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung der letzten fünfzig Jahre lebt der Streit u m den Vorrang kognitiver oder sozialer Strukturen fort: Die Erklärungsprogramme der Internalisten verfolgen eine wissenschaftsimmanente Interpretation, die der Externalisten eine sozialgeschichtliche Interpretation der Wissenschaft 8 . Beide Positionen späteren Brief v o m 25.1.1894 an W. Borgius erläutert Engels nochmals: „Die politische, rechtliche, philosophische, religiöse, literarische, künstlerische etc. E n t w i c k l u n g beruht auf der ökonomischen. A b e r sie alle reagieren auch aufeinander u n d auf die ökonomische Basis. Es ist nicht, daß die ökonomische Lage Ursache, allein a k t i v ist u n d alles andere n u r passive W i r k u n g , sondern es ist die Wechselwirkung auf Grundlage der i n letzter Instanz sich stets durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit" (MEW Bd. 39, S. 206). 5 Sicherlich wäre es falsch, i n Max Weber selbst den Urheber einer „spiritualistischen" Konzeption zu erblicken. Jedoch entstand eine solche i n der Polemik, die er m i t seiner religionssoziologischen Untersuchung ausgelöst hatte. Vgl. dazu des näheren G. Lenski: The Religious Factor. 2. u n d überarbeitete A u f l . Garden C i t y - N e w Y o r k 1963, S. 5 f.; Weber selbst v e r w a h r t sich j a dagegen, „daß irgendein ,kapitalistischer Geist' (gleichviel wie definiert) das Kapitalistische allein aus sich geschaffen habe". Dies ist nach i h m „eine rein spiritualistische K o n s t r u k t i o n " , die er ausdrücklich ablehnt. Vgl. M. Weber: Antikritisches Schlußwort zum „Geist des Kapitalismus", in: Archiv für Sozialwissenschaft u n d Sozialpolitik, 31. Bd., 1910, S. 579 f. 6 Vgl. V. Pareto: Traité de sociologie générale, Genf 1968, §§ 161, 167, 268. 7 Des näheren dazu vgl. M. Fischer: Vilfredo Pareto, i n : Rombach News Nr. 2, 1974. 8 Einen guten Überblick über diese Kontroverse geben die Sammelbände v o n G. Basalla (Hrsg.): The Rise of Modern Science. External or I n t e r n a l Factors? Lexington 1968. Sowie P. Weingart (Hrsg.): Wissenschaftssoziologie I I . Determinanten wissenschaftlicher Entwicklung. F r a n k f u r t a. M . 1974.
12
1. Wissenschaft u n d Neuzeit
— sowohl Externalismus wie auch Internalismus — sind durch die Literatur hinreichend empirisch belegt, was nichts anderes heißt, als daß sowohl die relative Abhängigkeit der wissenschaftlichen Tätigkeit von sozialen Problemen und Erwartungen wie auch die relative Unabhängigkeit dieses Prozesses demonstriert werden kann 9 . Als erster gab eigentlich Max Adler der Diskussion eine entscheidende Wendung: A m 4. Deutschen Soziologentag 1924 kritisierte er Marx i n seinem Vortrag Wissenschaft und soziale Struktur dahingehend, daß die materiellen Produktionsverhältnisse nicht bloß stoffliches Substrat sind, sondern immer zugleich geistige Verhältnisse: „Es gibt keine materiellen Verhältnisse, die nicht zugleich geistige sind, weil auch die Arbeit, die sich auf die materielle Produktion bezieht, ebenso wie die Verteilung ihrer Produkte und der Genuß derselben ohne die zweck- und wertsetzende Tätigkeit des Menschen gar nicht möglich ist 1 0 ." Kuhn kommt, wenngleich er seine Analyse unterschiedlich ansetzt, zu ganz ähnlichen Schlüssen, nämlich der Vermitteltheit der ökonomisch-materiellen Bedingungen und der ideellen Sphäre. Diese A n sicht setzt sich immer stärker durch 11 . Sie besagt, daß der historische Prozeß der Entwicklung von Wissenschaft derjenigen Notwendigkeit entbehrt, wie es eine rein logische Analyse der Resultate aufzeigt. Die Wissenschaft bestimmt die Folge ihrer Probleme, die Ausweitung ihres Gegenstandsbereichs, die Wahl ihrer Forschungsstrategien und Theorien nicht gänzlich durch sich selbst. Dies bedeutet gleichzeitig, daß es eine Vielfalt von Theorien gibt, zwischen denen nicht zwingend nach Wahrheit und Falschheit entschieden werden kann. Die Wissenschaftsgeschichte besteht ja nicht bloß aus 9 A l s Vertreter der externalistischen Position seien beispielsweise erwähnt R. Merton: Science, Technology and Society i n the 17th Century England. 2. A u f l . New Y o r k 1970; E. Zilsel: Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft. Hrsg. v. W. Krohn, F r a n k f u r t a. M . 1976; W. v. d. Daele: Die soziale K o n s t r u k t i o n der Wissenschaft. I n : Experimentelle Philosophie, S. 129 bis 182. Als Vertreter der internalistischen Position vgl. beispielsweise E. Dijksterhuis: Die Mechanisierung des Weltbildes. B e r l i n - Göttingen - H e i delberg 1956; R. Hall: Die Geburt der naturwissenschaftlichen Methode 1630 bis 1720. V o n Galilei bis Newton. Gütersloh 1965. 10 M . Adler: Wissenschaft u n d soziale Struktur, i n : Verhandlungen des 4. Deutschen Soziologentages, 1924, zitiert i n : K. Lenk: M a r x i n der Wissenssoziologie. Neuwied u n d B e r l i n 1972, S. 265; zum Ausbau dieses K r i t i k a n s a t zes vgl. Ν. Leser: Die Odyssee des Marxismus. W i e n - München - Zürich 1971. 11 Vgl. z . B . P. Weingart: Wissensproduktion u n d soziale Struktur. F r a n k f u r t a. M . 1976, S. 9 - 32; G. Böhme, W. v. d. Daele, W. Krohn: Experimentelle Philosophie. Ursprünge autonomer Wissenschaftsentwicklung. F r a n k f u r t a. M . 1977; grundlegend dieselben: A l t e r n a t i v e n i n der Wissenschaft, i n : Wissenschaftspolitik — v o n wem, für wen, wie? Hrsg. v. W. Pohrt, München 1973, S. 17 - 44, sowie: Die Finalisierung der Wissenschaft, in: Theorien der Wissenschaftsgeschichte, hrsg. v. W. Diederich, F r a n k f u r t a. M . 1974, S. 296-311; i n ähnliche Richtung geht K. Hühner: K r i t i k der wissenschaftlichen Vernunft. Freiburg - München 1978.
1.1. Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
13
Tatsachen und Schlüssen aus Tatsachen. Sie enthält wie jede Geschichte auch Ideen, Deutungen von Tatsachen, Probleme, die aus widerstreitenden Deutungen entstehen, Fehler und anderes mehr. Bei genauer Untersuchung stellt sich sogar heraus, daß die Wissenschaft überhaupt keine „nackten Tatsachen" kennt, sondern daß alle „Tatsachen", die i n unsere Erkenntnis eingehen, bereits auf bestimmte Weise gesehen werden und daher wesentlich „ideell" sind 1 2 . Die Annahme einer Theorienvielfalt bedingt die Offenheit für externe wissenschaftliche Bestimmungsfaktoren, die von der W i l l k ü r des Forschers über ökonomische Bedarfssetzungen bis h i n zu allgemeinen kulturellen Vorurteilen reichen. Dennoch ist die Wissenschaftsentwicklung nicht zufällig. Wissenschaft setzt jeweils ihrer Entwicklung begrenzende Bedingungen. Sie hat eine Eigenstruktur, die ihre Funktionalisierbarkeit begrenzt und ihre Entwicklung immanenten Kriterien unterwirft. I n diesem Sinn kann die Wissenschaft nicht beliebigen gesellschaftlichen Zwecken untergeordnet werden. Eine rein machtsoziologische Reduktion des Wissenschaftssystems auf soziale Konstellationen übersieht die Mächtigkeit der internen Begriffsstrukturen systematisierter Wissenserzeugung. Weder Erfahrung und Argument noch eine Theorie sozialer bzw. ökonomischer Wandlungen kann alle Details der Wissenschaftsentwicklung verständlich machen. Soziologisch-ökonomische Betrachtungen enthüllen die Kräfte, die auf die Tradition wirken, ziehen aber die begriffliche Struktur dieser Tradition nur selten i n Betracht. Eine rationale Theorie der Ideenentwicklung untersucht diese Struktur sehr genau, ihre logischen Gesetze und methodologischen Forderungen, die sie konstituieren, vernachlässigt aber die Untersuchung nicht-ideeller Kräfte, der Hindernisse, die der eigengesetzlichen Entwicklung der Struktur entgegenwirken. Das i n der Geschichte beobachtete Resultat und jede Handlung, die zu i h m beiträgt, sind das Ergebnis einer Wechselwirkung dieser beiden Variablen und natürlich auch anderer, wobei bald die begriffliche, bald die rohe soziale Komponente die Oberhand gewinnt. Jede wissenschaftliche Tätigkeit folgt bestimmten Regeln, Orientierungskomplexen oder Orientierungsschemata 13 . Diese Regeln grenzen 12 Vgl. P. Feyerabend: Wider den Methodenzwang. Skizze einer anarchistischen Erkenntnistheorie. F r a n k f u r t a. M . 1976, S. 30; ders., Probleme des Empirismus. Schriften zur Theorie der E r k l ä r u n g der Quantentheorie u n d der Wissenschaftsgeschichte. Braunschweig - Wiesbaden 1981, S. 7 ff. u n d 273 ff. 13 P. Weingart verwendet S. 41 den Begriff Orientierungskomplex; H . Lübbe: Unsere stille K u l t u r r e v o l u t i o n . Zürich 1976, S. 77 verwendet den Begriff der Orientierungsschemata. Th. S. Kuhn behandelt diese Problematik unter dem Begriff „Paradigma". Vgl. S. 57 ff.
14
1. Wissenschaft und Neuzeit
jeweils einen bestimmten Wirklichkeitsbereich aus und machen ihn zum Gegenstand wissenschaftlicher Forschung. Was außerhalb dieses Bereiches existiert, interessiert den Wissenschafter zumeist nicht. U m die Leistung dieser Hegeln bzw. Orientierungskomplexe zu kennzeichnen, verwendet Hermann Lübbe ein Gleichnis: Hat man eine Landkarte vor Augen, so kann man sie nur deswegen gebrauchen, w e i l das von i h r projizierte B i l d der Wirklichkeit weniger kompliziert ist als diese Wirklichkeit selbst. Die notwendige Vereinfachung der überkomplizierten Wirklichkeit w i r d durch kartographische Symbolsysteme besorgt, durch deren Raster alles hindurchfällt, was w i r nicht zu wissen brauchen und auch nicht registrieren dürfen, w e i l unsere Kapazität zur Registratur des Relevanten beschränkt ist. Hält man sich dieses B i l d vor Augen, sieht man sogleich die zwei wesentlichen Leistungen wissenschaftlicher Orientierungskomplexe. Zunächst fixieren diese Orientierungskomplexe die Vorentscheidung darüber, was wissenschaftlich für wesentlich und was für unwesentlich gehalten wird. Dies ist eine Vorentscheidung praktischer A r t , die letztlich jeder Weltorientierung zugrundeliegt. Sodann entscheiden die Orientierungskomplexe darüber, was überhaupt wissenschaftlich registriert werden kann, und was auf der anderen Seite gleichsam aus dem wissenschaftlichen Weltbild herausfällt. Die allgemeinste Ebene des Orientierungskomplexes stellen zumeist Werte dar, die die Überzeugung einer grundsätzlichen Ordnung der Natur, die prinzipiell verstanden werden kann, ausdrücken, und anderes mehr. Diese Werte sind nur i n sehr großen Intervallen historischem Wandel unterworfen. Sie konstituieren den K e r n dessen, was man die jeweilige Kultur der Wissenschaft nennen könnte 1 4 . Eine weitere Ebene stellen die metaphysischen Bindungen dar, also organisierende Prinzipien, die die Wahrnehmung selbst bestimmen oder auch ganze Weltanschauungen. Derartige Prinzipien haben die Eigenschaft, die Erfahrung zu strukturieren und sind daher vortheoretisch und zugleich Ausgangspunkt der Begriffs- und Theorienbildung. Die Wandlungsintervalle sind langfristig und beziehen sich jeweils auf die von diesen Orientierungen abhängigen Theorien und Begriffssysteme 15 . Die eben 14 Ob der Geltungsbereich dieses Orientierungskomplexes das gesamte Wissenschaftssystem umfaßt, ist zumindest gegenwärtig angesichts unterschiedlicher Theoriebegriffe i n den Natur- und Sozialwissenschaften fragwürdig. So gibt es ζ. B. empirische und hermeneutische, aber auch kausale und funktionale Theoriebegriffe. 15 Ein plastisches Beispiel für derartige metaphysische Bindungen zählt Kühn, S. 57, auf: Nach Erscheinen von Descartes recht einflußreichen naturwissenschaftlichen Schriften, also etwa u m 1630, nahmen die meisten Physiker an, daß das Universum sich aus mikroskopischen Teilchen zusammensetze, daß alle Naturphänomene anhand der Form, Größe, Bewegung und Wechselwirkung der Teilchen erklärt werden können. Dieser Komplex von
1.1. Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
15
beschriebenen Wandlungen des allgemeinen Orientierungskomplexes sind auf Grund ihrer Langfristigkeit Gegenstand der Wissenschaftsund Ideengeschichte. Erste Verlaufsfiguren wissenschaftlicher Prozesse sind damit angedeutet. Jede Wissenschaft enthält Erkenntnisse, läßt sich von ihren Resultaten her betrachten; Erkenntnisse selbst haben historischen Charakter. Läßt sich dieser dadurch aufdecken, daß man beschreibt, wann und wie jemand zu bestimmten Erkenntnissen gelangt ist, die das ausmachen, was man als den jeweiligen Stand einer Wissenschaftsdisziplin bezeichnen kann? I n diesem Fall müßte eine Geschichte der Wissenschaft lediglich den allmählichen Zuwachs an Erkenntnissen i n chronologischer Reihenfolge darstellen sowie die Hindernisse, die dabei auftraten. Die Wissenschaftsgeschichte wäre damit ein Ausgliederungsprozeß aus der Philosophie, entstanden durch die Systematisierung handwerklichen Wissens sowie den Erwerb wissenschaftlicher Methoden, ein Prozeß von Mythos, Magie und wilder Spekulation h i n zur Rationalität. I n diesem Sinn wäre die fortschreitende Generalisierung einzelner Erkenntnisse zu beschreiben, die dann neue Disziplinen bildeten, und die allmählich durch fortschreitende Spezialisierung die Zahl der wissenschaftlichen Unternehmungen vergrößerte, immer mehr Bereiche der Wirklichkeit umfaßte. Demnach wäre wissenschaftliche Entwicklung der schrittweise sich vollziehende Prozeß, durch den solche Einzelheiten isoliert oder kombiniert zu einem dauernd wachsenden Bestand zusammengefügt worden sind, der die aktuelle wissenschaftliche Methode und Erkenntnis bildet. Bei einem derartigen Unterfangen bleibt aber die Geschichte der Wissenschaft äußerlich. Geschichte w i r d hier bestenfalls rückwärts geschrieben, was eine Abwertung historischer Tatsachen zur Folge hat. Produkt ist dann eine Geschichte der Wissenschaft, die sich linear oder kumulativ darstellt, als Wachstum eines verlustlosen Fortschritts. E i n Bindungen erwies sich nicht n u r als metaphysischer, sondern auch als methodologischer. Als metaphysischer sagte er den Wissenschaftern, welche E n t i täten das Universum enthielt u n d welche nicht: Es gab n u r geformte Materie i n Bewegung. Als methodologischer sagte er ihnen, welcher A r t letzte Gesetze u n d grundlegende Erklärungen sein müßten. Gesetze müssen die F o r m u n d die Wechselwirkung der Teile angeben, u n d die E r k l ä r u n g muß jedes gegebene Naturphänomen nach diesen Gesetzen auf das Verhalten v o n Teilchen reduzieren. Noch wichtiger w a r es, daß die Korpuskulartheorie des U n i v e r sums den Wissenschaftern sagte, wie viele ihrer Forschungsprojekte aussehen müßten. E i n Chemiker beispielsweise, der wie Robert Boyle, die neue Philosophie annahm, lenkte sein besonderes Augenmerk auf Reaktionen, die als Umwandlungen angesehen werden konnten. Deutlicher als alle anderen zeigten diese den Prozeß der Neuanordnungen der Teilchen, die allen chemischen Veränderungen zugrundeliegen mußten. Ähnliche W i r k u n g e n der K o r puskulartheorie können bei wissenschaftsgeschichtlichen Analysen der Optik, A k u s t i k u n d Wärmelehre beobachtet werden.
16
1. Wissenschaft u n d Neuzeit
derartiger Ansatz läßt sich als aufklärerisch-positivistische Geschichtsschreibung bezeichnen, i n der die Wissenschaftsgeschichte als ein Moment linearer, kultureller Entwicklung dargestellt w i r d 1 6 . Demgegenüber stehen Ansätze, die den periodischen Charakter der Wissenschaft hervorheben 17 . Gemeinsamer Nenner ist die Ansicht, daß die Herkunft der Wissenschaft für deren Inhalt bestimmend ist. Eine derartige Wissenschaftsgeschichte ist bemüht, die historischen Abhängigkeiten zu erarbeiten, sowie die Kostenrechnung für wissenschaftlichen Fortschritt zu erstellen. Kuhn hat einen neuartigen strukturgeschichtlichen Ansatz erarbeitet, der für die Entfaltung der Wissenschaften eine bestimmte dynamische Verlaufsfigur der Fortbewegung aufzuzeigen versucht, dessen zeitlich wiederholtes Grundmuster — „normale Wissenschaft" — „Krisensituation" — „Revolution" — von i h m vielfach belegt w i r d 1 8 . Phasen langanhaltender Entwicklung werden von kurzen Perioden heftiger Umwälzung unterbrochen, denen dann wieder ein Zeitraum langsamer Weiterentwicklung folgt. Dabei zeigt sich, daß i n den kurzen Perioden revolutionären Umbruchs jeweils das Fundament gelegt wird, auf dem die nachfolgende Kulturentwicklung aufbaut. Bereits Ernst Cassirer beschreibt den maßgebenden Sachverhalt so: „Die Geschichte des menschlichen Wissens zeigt uns immer wieder bestimmte Zeitalter — sie gehören zu den bedeutendsten und wichtigsten —, i n denen das Wissen nicht lediglich seinen Umfang zu vermehren, als vielmehr seinen Begriff und Sinn zu verändern scheint. A n die Stelle des quantitativen Wachstums scheint plötzlich ein qualitativer Umschlag zu treten; statt einer Evolution erleben w i r plötzlich eine Revolution 1 9 ." Ähnliche Zusammenhänge deckt auch A r t h u r Koestler auf 2 0 . Was bei oberflächlicher Betrachtung als ein Vorgang der ständi16 A l s historisch äußerst wirksame Repräsentanten eines derartigen K o n zepts wären Condorcet u n d Comte zu nennen. 17 Ernst Cassirer v e r t r i t t beispielsweise eine an der Geschichte der P h i l o sophie orientierte Richtung, eine andere versucht i m Gefolge v o n Karl Marx, die Geschichte der Wissenschaft i n die Periodisierungen sozio-ökonomischer Formationen einzubetten. 18 Vgl. Kuhn, S. 37 ff., 79 ff. u n d 104 ff. 19 E. Cassirer : Mathematische M y s t i k u n d mathematische Naturwissenschaft, i n : Lychnos, Uppsala 1940, S. 249. 20 Α . Koestler: Der göttliche Funke. München 1966, S. 242: „Der k o l l e k t i v e Fortschritt der Wissenschaft als ganzer u n d jeder i h r e r Einzeldisziplinen zeigt denselben Wechsel zwischen relativ kurzen, explosiven Perioden, die zur Eroberung neuer Grenzgebiete führen, u n d langen Perioden ihrer Sicherung. Dieser Prozeß der Untermauerung, Konsolidierimg u n d systematischen Auswertung einer ursprünglich revolutionären Entdeckung k a n n sich über Generationen, j a Jahrhunderte erstrecken, während i n der Folge dann die solide Phalanx der Mittelständigkeit jenes neue Terrain besetzt, das eine kleine V o r h u t großer Geister i m S t u r m genommen hat."
1.1. Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
17
gen Anhäufung von Wissen erscheint, als kumulative Verlaufsfigur, ist i n Wirklichkeit nur eine bestimmte Phase der Wissenschaftsentwicklung, nämlich die evolutionäre Phase. Diese w i r d jedoch immer wieder von Perioden revolutionärer Wissensveränderung unterbrochen, i n der sich die allgemeinen Orientierungskomplexe ändern. K u h n versucht, die Bedeutung einer wissenschaftlichen Revolution vor dem Hintergrund der vorangehenden und der nachfolgenden Perioden evolutionärer Wissenschaftsentwicklung zu erschließen. Für die Perioden evolutionärer Wissenschaftsentwicklung ist eine kumulative Wissensproduktion bestimmend und K u h n bezeichnet diese Abschnitte als Phasen normaler Wissenschaft. Diese ist dadurch gekennzeichnet, daß Wissenschafter, die ein gemeinsames Objektfeld behandeln auch einen gemeinsamen verbindlichen Orientierungskomplex („Paradigma") besitzen 21 . Einige kognitive Elemente von diesem Komplex wurden bereits aufgezählt. Es sind dies die generellsten („kosmologischen") Werte, die die jeweilige K u l t u r der Wissenschaft ausmachen, sowie die metaphysischen Bindungen. A u f einer unteren Ebene befinden sich Orientierungen, die als „allgemein anerkannte wissenschaftliche Leistungen" definierbar sind. Sie umfassen nach K u h n „Gesetz und Theorie, Anwendung und Instrumentierung". Es handelt sich hier u m Modelle, aus denen zusammenhängende Forschungstraditionen erwachsen. Noch konkretere Verbindlichkeiten für die Wissenschafter sind beispielsweise „klassische Werke" eines bestimmten Fachgebietes 22 . I m Rahmen des Orientierungskomplexes, der die Phase normalwissenschaftlicher Forschung konstituiert, können Anomalien auftreten. W i r d die Anomalie gelöst oder für andere Generationen archiviert, ist dies nicht weiter problematisch; doch die Anomalie kann auch zu einer Krise heranreifen und den verbindlichen Orientierungskomplex erschüttern. Dann kommt es nach K u h n zu einem Übergang i n eine „außerordentliche Phase der Forschung". A l l e Krisen beginnen m i t einer Aufweichung des Orientierungskomplexes und der nachfolgenden Lockerung der Regeln, die bisher für die normale Forschung bestimmend waren. Die Existenz solcher Krisen wurde von Wissenschaftern vielfach beschrieben: Albert Einstein bemerkt etwa, daß jede Theorie einem 21 Kuhns Begriff des Paradigmas hat zu einer Reihe von MißVerständnissen Anlaß gegeben u n d stand u n d steht i m Brennpunkt der K r i t i k . Kuhn hat i m Postskriptum v o n 1969, S. 186-221, den Begriff des „disziplinaren Systems" vorgeschlagen. 22 Vgl. dazu M. Masterman: Die Natur eines Paradigmas. I n : K r i t i k u n d Erkenntnisforschritt, S. 59 ff.
2 Fischer
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
allmählichen Entwicklungsprozeß unterliegt, und jede ein Stadium der Triumphe feiert, u m danach, so rasch wie möglich, i n der Versenkung zu verschwinden: „Fast jeder große wissenschaftliche Fortschritt ergibt sich aus der Krise einer überalterten Theorie 23 ." A r t h u r Koestler hingegen zeigt, daß die Krise einer Wissenschaft durch auffällige „Lockerung der Spielregeln" i n Erscheinung t r i t t : „Denkgewohnheiten und absolute Grenzen werden durchbrochen 24 ." Der gemeinsame Glaube an die Gültigkeit des Orientierungskomplexes schwindet. Die theoretischen Vorstellungen werden zunehmend Zweifeln ausgesetzt, die praktischen Verfahrensregeln immer häufiger durchbrochen 25 . Das Versagen der vorhandenen Regeln leitet die Suche nach neuen ein. I n der Krisensituation gewinnen kühne Spekulationen gegenüber der logischen Argumentation an Boden. Die Wissenschafter versuchen dann, spekulative Theorien aufzustellen, die, wenn sie erfolgreich sind, den Weg zu einem neuen Orientierungskomplex oder neuen Bestandteilen dieses Komplexes zeigen können, und, wenn sie keinen Erfolg bringen, relativ leicht aufzugeben sind. I n der Krise greifen die Wissenschafter oft auf die philosophische Analyse als Problemlösungsmittel zurück 2 6 . Wissenschaftliche Erkenntnis w i r d i n diesen Situationen keineswegs als Abfolge widerspruchsfreier Theorien gesehen, die gegen eine Idealtheorie konvergieren. Erkenntnis erscheint nicht mehr als allmähliche Annäherung an die Wahrheit, sondern eher als stets anwachsendes Meer miteinander unverträglicher Alternativen. Die Bedeutung von Krisen liegt also i n dem von ihnen gegebenen Hinweis, daß der Zeitpunkt für einen Wechsel des Orientierungskomplexes oder einzelner seiner Bestandteile gekommen ist. Allgemeine Werte wie „Wissenschaftskultur" und metaphysische Bindungen wechseln nur i n äußerst langfristigen Intervallen: Kurzfristiger hingegen sind die Revolutionen i m Bereich der allgemein anerkannten wissenschaftlichen Leistungen wie Theorie, Anwendung und Instrumentie28 A . Einstein, L. IngfelcL: Die Evolution der Physik. München - Hamburg 1950, S. 87. 24 Koestler, S. 241 f. 25 So beklagte sich beispielsweise Kopernikus, daß zu seiner Zeit die Astronomie bei i h r e n Untersuchungen so wenig einig war, „so i m Ungewissen, daß sie die ewige Größe des vollen Jahres nicht abzuleiten oder zu beobachten vermögen . . . , sondern es erging ihnen so, als w e n n jemand v o n verschiedenen Orten her Hände, Füße, K o p f u n d andere Körperteile zwar sehr schön, aber nicht i n der Proportion eines bestimmten Körpers gezeichnet, nähme, und, ohne daß sie sich irgendwie entsprächen, mehr ein M o n s t r u m als einen Menschen daraus zusammensetzt". N. Kopernikus: Über die Kreisbewegungen der Weltkörper. Hrsg. v. G. Klaus, B e r l i n 1959, S. 9 f. Dieses u n d weitere Beispiele finden sich bei Kuhn, S. 96 f. 26 Vgl. Kuhn, S. 101.
1.1. Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
19
rung oder i m Bereich der standardisierten „klassischen Werke" 2 7 . K r i sen sind also Voraussetzungen für das Auftauchen neuer Theorien. Die Zeit w i r d reif für den A k t einer gedanklichen Umwälzung, der die Tatsachen unter einem neuen Ordnungsprinzip zusammenfaßt. Alle Krisen enden m i t dem Auftreten von Anhängern eines neuen Orientierungskomplexes und dem Streit um seine Anerkennung. Der Übergang zu neuen Elementen des Orientierungskomplexes, aus dem eine neue Tradition der normalen Wissenschaft hervorgehen könnte, ist weit von einer kumulativen Verlaufsfigur entfernt. Es handelt sich vielmehr u m einen Aufbau des ganzen Gebiets auf neuen Grundlagen 28. Der Wechsel eines Orientierungskomplexes, auf welcher Stufe auch immer, bedeutet die Zerstörung eines Bezugsrahmens, der nicht nur methodologisch charakterisierbar ist, sondern sich wesentlich als geschichtlicher und geschichtlich bedingter Rahmen zu erkennen gibt. Diese Zerstörung bedeutet zugleich den Abbruch einer geschichtlichen Kontinuität. Bei den Wissenschaftern, die an einem gemeinsamen Objektfeld arbeiten, kommt es zu Polarisierungen durch den nunmehr einsetzenden Streit über die verschiedenen Orientierungskomplexe. Der Verlust der Verbindlichkeit des alten Orientierungskomplexes hat zur Folge, daß sich das Ziel des Diskutierens grundlegend ändert. Weit entfernt, ausschließlich logisch-methodologischen Regeln zu folgen, werden hier die Argumente vielmehr zu Überzeugungs-, j a Überredungsversuchen, die i m Erfolgsfall die einzelnen Wissenschafter zu „Konvertiten" des neuen Orientierungskomplexes machen. Paul Feyerabend betont, daß die Hinwendung zu neuen Ideen nicht bloß m i t Argumenten bewirkt werden kann, sondern auch m i t irrationalen M i t teln, m i t Propaganda, Gefühl, ad hoc-Hypothesen, Berufung auf Vorurteile aller A r t . Diese Mittel dienen der Aufrechterhaltung des Glaubens an die Sache so lange, bis man die Hilfswissenschaften, die Tatsachen und die Argumente gefunden hat, die den Glauben i n solides Wissen verwandeln 2 9 . Kuhn zieht Parallelen zu den politischen Revolutionen, wenn er sagt, daß es auch bei der Wahl eines Orientierungskomplexes „keine höhere Norm als die Billigung durch die jeweilige Gemeinschaft" gibt 3 0 . 27 Der Geltungsbereich einzelner wissenschaftlicher Problemlösungsversuche sollte außer Acht gelassen werden, da sich der Wandel i n relativ k u r zen Abständen vollzieht u n d hier nicht sinnvoll v o n einem Wandel eines Bestandteils des Orientierungskomplexes gesprochen werden kann. 28 Vgl. Kuhn, S. 97 f. 29 Vgl. P. Feyerabend, S. 213 u n d 287. 80 Kuhn, S. 104.
2*
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
Annahme und Ablehnung eines Orientierungskomplexes sind „nicht von der logischen Struktur wissenschaftlicher Erkenntnisse" herzuleiten 3 1 . Die Ablehnung des einen und die Durchsetzung des anderen Orientierungskomplexes ist i m wesentlichen ein sozialer Vorgang. Eben diesen bezeichnet K u h n als wissenschaftliche Revolution, als „traditionszerstörende Ergänzungen zur traditionsgebundenen Betätigung der normalen Wissenschaft" 32 . Wissenschaftliche Revolutionen sind also nichtkumulative Entwicklungsepisoden, i n denen ein älterer Orientierungskomplex ganz oder teilweise durch einen nicht mit i h m vereinbaren neuen ersetzt wird. Wissenschaftliche Revolutionen bewirken vor allem eine Verschiebung des Begriffsnetzes, durch welches die Wissenschafter bisher die Welt betrachteten. Die Gegensätze zwischen aufeinanderfolgenden Orientierungskomplexen sind weitgehend unversöhnbar. Denn sie teilen j a jeweils verschiedene Dinge über das Universum, und wie es sich verhält, mit. Der Wandel des Orientierungskomplexes veranlaßt die Wissenschafter i n einem gewissen Sinn, die Welt ihres Forschungsbereiches ganz anders zu sehen. Diese neue Sicht der Wissenschafter kann i n die Gesellschaft wirken, ja selbst zur gesellschaftlichen Erschütterung werden 3 3 . Kuhns Modell verdeutlicht den Stellenwert des Historischen. Wissenschafter lernten und lernen Begriffe, Gesetze und Theorien niemals i n abstracto und an sich: Vielmehr begegnen sie „diesen geistigen Werkzeugen von Anfang an innerhalb eines historisch . . . vorgegebenen 31
Kuhn, S. 107. Kuhn, S. 20. 33 E i n interessantes Beispiel bieten die Einwände des Kardinals B e l l a r m i n gegen Galilei. J. Broderick: Robert Bellarmin: Saint and Scholar. London 1961, S. 366 ff.: „Galilei kümmerte sich selbst wenig u m das gemeine, u n w i s sende V o l k , die Herde, w i e er es i n seiner hochmütigen H a l t u n g gegenüber allen nannte, die keine großen Mathematiker, Experimentatoren w i e er waren. Selbst w e n n sie, w i e er meinte, ihren Glauben verlieren sollten, w e n n m a n ihnen sagte, daß die Erde m i t einer Geschwindigkeit v o n 80 Meilen u m die Sonne rast, so müsse der Kopernikanismus gepredigt werden, zur Zeit w i e zur Unzeit. Der gemeine M a n n . . . w a r B e l l a r m i n i n seinem Herzen sehr teuer, u n d er konnte nicht verstehen, w i e Galilei Hals über Kopf eine A u f fassung durchpauken wollte, die den Glauben der einfachen Menschen gefährden konnte, w o er doch so leicht seine Gedanken, w i e es die Wissenschaftler heute tun, der Diskussion u n d stillen Untersuchung m i t seinen K o l legen hätte vorbehalten können. B e l l a r m i n hat gewiß das Recht, einen etwas gewichtigeren Beweis zu verlangen als die Jupitermonde, die Venusphasen u n d die Sonnenflecken, die alle ohne weiteres i n das System Tycho Brahes paßten, u n d die Erde unbewegt ließen. . . . Dieses System vertraten die jesuitischen Astronomen." A n h a n d dieser Stelle ließen sich auch die Folgelasten neuer wissenschaftlicher Entdeckungen aufzeigen. Vgl. dazu auch die Anspielungen des Anhängers des „neuzeitlichen" Weltbildes, Johann Valentin Andreae i n seiner Utopie „Christianapolis" v o n 1619, S. 55 ff. 32
1.1. Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
21
Komplexes" 3 4 . Geschichte als prozeßhafter Zusammenhang von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bestimmt bereits vor aller bewußten Beschäftigung m i t der „Geschichte" auch das wissenschaftliche Denken und Handeln. Daher ist eine Minimalkonzeption von Geschichte auch i n der Wissenschaftsgeschichte unausweichlich. Rüdiger Bubner macht darauf aufmerksam, daß eine Kategorie der „Geschichtlichkeit" bodenlos bleibt, wenn darin nicht mehr zum Ausdruck kommt, als die Möglichkeit fallweiser und damit letztlich isolierter Demonstration von konkreten Bedingungen. Dazu sind keineswegs unüberprüfbare Behauptungen über das ganze Wesen der Geschichte notwendig, womit man dann der von Popper angeprangerten „Sünde des Historizismus" schuldig wäre. Als Fundament genügt die Annahme eines Begriffs, der das Moment realer historischer Gegebenheiten enthält. Man kann sich durchaus an Hegels Begriff der Zeit orientieren, indem man den berühmten Satz aus den Grundlinien der Philosophie des Rechts heranzieht: „Philosophie ist ihre Zeit, i n Gedanken gefaßt." Zeit ist hier der jeweils konkret historische Abschnitt, der i m Selbstverständnis einer Epoche überhaupt erst als ein solcher erscheint 35 . Dieser Begriff der Geschichtlichkeit impliziert jedoch, daß jede Wissenschaft ihre Aufgaben aus VorausSetzungen erhält, über die sie nicht Herr ist und die ihr, ohne ihr eigenes Zutun, historisch gegeben sind. Wissenschaft ist ein höchst komplexer und heterogener geschichtlicher Vorgang, der undeutliche und unsystematische Vorwegnahmen künftiger Ideologien neben hochentwickelten theoretischen Systemen und alten versteinerten Denkformen enthält. Einige ihrer Bestandteile liegen i n Form eindeutig niedergeschriebener Aussagen vor, andere sind verschüttet, werden nur durch Gegenüberstellung m i t neuen und ungewöhnlichen Auffassungen erkennbar. Dies gehört zu den Voraussetzungen wohl jeder Wissenschaft. Es ist Wolf gang Wielands Verdienst, nachdrücklich darauf aufmerksam gemacht zu haben, daß es ein Unding ist, dem Ideal einer voraussetzungslosen Wissenschaft nachzujagen, da ja bereits die Rede von einer voraussetzungslosen Wissenschaft einen Widerspruch impliziert. Vielmehr geht es darum, die zunächst latenten Voraussetzungen zu reflektieren, sie zu vergegenständlichen und einer allgemeinen Kontrolle zu unterwerfen 3 6 . 34
Kuhn, S. 60. Vgl. dazu R. Bubner: D i a l e k t i k u n d Wissenschaft. F r a n k f u r t a. M. 1973, S. 108 f. 3β Wieland: Möglichkeiten der Wissenschaftstheorie. I n : R. Bubner, K. Cramer , R. Wiehl: Hermeneutik u n d D i a l e k t i k I, Methode u n d Wissenschaft, Lebenswelt u n d Geschichte, Tübingen 1970, S. 39 f. 35
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
Die Abwertung historischer Tatsachen als einer der unabdingbaren Voraussetzungen jeder Wissenschaft ist tief i n der Ideologie des wissenschaftlichen Berufs verwurzelt, obwohl gerade sonst die Wissenschaft i n sachlichen Einzelheiten anderen Dingen höchsten Wert beimißt. „Das Ergebnis ist eine beständige Neigung, die Geschichte der Wissenschaft linear oder kumulativ erscheinen zu lassen, eine Neigung, welche die Wissenschafter sogar dann erfaßt, wenn sie auf ihre eigene Forschungsarbeit zurückblicken 37 ." Hätten die Wissenschafter ein angemessenes historisches Bewußtsein, so könnten sie den gängigen Wahrheitsanspruch nicht mehr aufrechterhalten. Sie müßten zugestehen, daß es auch i n der Wissenschaft keine absolute Erkenntnis gibt. Sie müßten bekennen, daß jede Wahrheit immer nur vorläufig richtig ist. Und sie müßten die schockierende Einsicht akzeptieren, daß „aller Aberglaube alte Wissenschaft und alle Wissenschaft neuer Aberglaube ist"* 6. Aus dem Bisherigen ergibt sich, daß Begriffe nicht nur Indikatoren der geschichtlichen Bewegung sind, sondern wesentlich die Verlaufsfiguren der Wissenschaft mitbestimmen. Der Erfahrungsraum vergangener oder gegenwärtiger Zeiten sedimentiert sich i n Begriffen 3 9 . Jede wissenschaftliche Untersuchung, jede Forschung muß i n diesem Sinn durch das Wort hindurch. Überlieferte und aktuelle Texte spielen dabei herkömmlicherweise eine zentrale Rolle. Dazu gilt es, einiges methodologisch anzumerken: Der Begriff „Text" muß weit gefaßt werden. A u f einen allgemeinen Nenner gebracht umreißt er sämtliche Konstitutionen von Bewußtseinsleistungen. Jedem Text gegenüber haben w i r eine unmittelbare Sinnerwartung. Mehrere Disziplinen haben Texte zum Gegenstand: Semantik, Semiotik, Linguistik und andere. Gerade der semantischen Analyse ist das Verdienst zuzurechnen, hinsichtlich der Sprache und sprachlichen Verfassung ihre jeweiligen Totalitätsstrukturen bewußt gemacht zu haben. Damit wurden die übertriebenen Ideale der Eindeutigkeit und der logischen Formalisierbarkeit rückgebunden. Mittels der genannten Disziplinen sind Probleme der formalen Strukturanalyse zu lösen, aber nicht zugleich Fragen der Form-Inhaltsrelation. Dafür müssen w i r jeweils die Entstehung von diesen Bewußtseinsobjektivationen 87
Kuhn, S. 150. F. Strunz: Beiträge u n d Skizzen zur Geschichte der Naturwissenschaften. F r a n k f u r t u n d Leipzig 1906, S. 1. 89 Umfänglich hat diesen Ansatz Reinhard Koselleck erarbeitet. Vgl. seine Einleitung zu O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck (Hrsg.): Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches L e x i k o n zur politisch-sozialen Sprache i n Deutschland. Bisher 3 Bde., Stuttgart 1974, Bd. 1, S. X I I I - X X V I ; einen ähnlichen Ansatz vertrat bereits 1957 M. Rassem i n dem Aufsatz „Allgemeines zur Wortbedeutungslehre". Dieser ist nunmehr abgedruckt in: M. Rassem, H. Sedlmayer: Über Sprache u n d Kunst. M i t t e n w a l d 1978, S. 41 - 67. 88
1.1. Verlaufsfiguren i n der Wissenschaft
23
und deren historisch-aktuelle Geltung rekonstruieren. Denn was der Text darstellt, unterliegt ganz wesentlich den Bedingungen seiner Entstehung. Texte, die uns über Begriffe aufklären, entziehen sich dem definitiven Zugriff aufgrund ihrer vielfältigen Voraussetzungen, die kein absolutes Einheitsprinzip zulassen. Daher muß man jeweils die Rahmenbedingungen angeben, i n denen sich Verstehen abspielt 40 . Sicherheit ist hier nur u m den Preis der Begrenzung möglich. Denn m i t jeder wissenschaftlichen Fragestellung ist — ähnlich wie schon bei jeder unpräzisierten, trivialen Frage — der Bereich abgesteckt, i n dem allein die Antwort gefunden werden kann. Es ist überflüssig, darauf aufmerksam zu machen, daß der bloß u r sprüngliche Textausdruck als solcher nicht genügt, sondern daß der Text erst durch die Interpretation vergegenständlicht w i r d 4 1 . Wer eine Interpretation unternimmt, hat dies bereits implizit zugegeben. Man kann nun jeden Text unter bestimmten Voraussetzungen befragen und betrachten. Dabei meint auch der Begriff Vor Verständnis nichts anderes als latente Voraussetzungen. Dies läßt sich am Problemkreis des „hermeneutischen Zirkels" aufzeigen. Wieland macht darauf aufmerksam, daß jedes Verstehen darauf beruht, daß man schon etwas verstanden hat, und dies mehr oder weniger voraussetzt, wobei es sich u m einen für alle Wissenschaften charakteristischen Sachverhalt handelt. Hinter dem hermeneutischen Zirkel verbirgt sich nach Wieland nichts anderes als jene Wenn-DannStruktur, die an sich für jede wissenschaftliche Erkenntnis charakteristisch ist, denn jeder wissenschaftliche Satz ist der Struktur nach ein Wenn-Dann-Satz, da seine Gültigkeit immer von Voraussetzungen wie etwa den Orientierungskomplexen und anderem abhängt 42 . Man versteht also einen Text zunächst immer nur i m Rahmen der Erwartungen, Interessen und Fragen, die man selbst mitbringt, und die oft jenes hypothetisch antizipierte Ganze intendieren, aus dem das Einzelne verstanden werden soll und kann. Allgemein gesprochen: Jeder 40 Vgl. M. Fischer: Verstehen u n d Bedingungsstruktur. I n : I. Tammelo, H. Schreiner (Gesamtredaktion): Strukturierungen u n d Entscheidungen i m Rechtsdenken, W i e n - New Y o r k 1978, S. 289 ff. 41 A l s Standardwerk vgl. dazu H. G. Gadamer: Wahrheit u n d Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik. 4. A u f l . Tübingen 1975. E i n umfänglicher Überblick zur Diskusion u n d eine K l ä r u n g der Begriffsprobleme finden sich bei F. M . Wimmer: Verstehen, Beschreiben, Erklären. Z u r Problematik geschichtlicher Ereignisse. Freiburg - München 1978. Der historisch-genetische Aspekt ist vorzüglich aufgearbeitet bei H. G. Gadamer , G. Boehm: Seminar: Philosophische Hermeneutik. F r a n k f u r t a. M . 1976, 42 Vgl. W. Wieland, 43 f,
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
Text sagt nur dem etwas, der zu dem i n i h m behandelten Gegenstand irgendeine Beziehung hat. Das schließt jedoch keineswegs aus, daß der Text selbst neue und andere Fragen produzieren kann. Dies heißt aber auch zugleich, daß es nicht die „richtige" Interpretation eines Textes geben kann. Gemäß der Vielfalt von Voraussetzungen und Fragen, die man bei der Interpretation stellen kann, w i r d es plurale Deutungen geben. Vielfalt der Interpretationsmöglichkeiten ist nun kein Mangel, sondern ergibt sich vielmehr aus den Grundsätzen, die für Wissenschaft überhaupt gelten. Für Wissenschaften, zu deren Aufgabe die Interpretation von Texten gehört, ist jeder Text immer nur die Klasse seiner möglichen Deutungen. Maßgebend ist bei der Beurteilung von Interpretationen nicht die Alternative von richtig und falsch, sondern die von möglich und unmöglich. Wenn eine Interpretation zu Aussagen des Textes i n Widerspruch gerät, handelt es sich u m eine i m Hinblick auf diesen Text unmögliche Interpretation. Eine m i t den Aussagen des Textes nicht i n Widerspruch tretende Deutung schließt aber nicht aus, daß auch noch andere widerspruchsfreie Deutungen gefunden werden können 4 8 . Diese Erläuterungen erschienen insoferne nötig, da die meisten Aussagen i m Folgenden immer wieder auf Textinterpretationen zurückgeführt, aus ihnen abgeleitet, durch sie erhärtet werden. Die soziale, politische und wissenschaftliche Sprache, vor allem ihre Terminologie, werden zugleich als Faktoren und Indikatoren geschichtlicher Bewegung betrachtet. Aussagen über geschichtliche Verlaufsfiguren werden präzisiert durch Wort- gelegentlich durch Begriffsanalysen sowie durch das Aufdecken von geistesgeschichtlichen Zusammenhängen 44 . Jeder Begriff bündelt die Vielfalt geschichtlicher Erfahrung durch eine 43 Es sei hier jedoch vermerkt, daß i m H i n b l i c k auf den Text gleichmögliche Interpretationen i m Verhältnis zueinander widersprüchlich sein können. 44 Hinsichtlich der Unterscheidung zwischen W o r t u n d Begriff folge ich dem pragmatischen Ansatz v o n Reinhard Koselleck. Er verzichtet weitgehend auf das sprachwissenschaftliche Dreieck v o n Wortkörper (Bezeichnung) — Bedeutung (Begriff) — Sache i n seinen verschiedensten Varianten. „Der Übergang mag gleitend sein, denn beide, Worte u n d Begriffe, sind immer mehrdeutig, was ihre geschichtliche Qualität ausmacht, aber sie sind es auf verschiedene Weise. Die Bedeutung eines Wortes verweist immer auf das Bedeutete, sei es ein Gedanke, sei es eine Sache. Dabei haftet die Bedeutung zwar am Wort, aber sie speist sich ebenso aus dem gedanklich intendierten Inhalt, aus dem gesprochenen oder geschriebenen Kontext, aus der gesellschaftlichen Situation. E i n W o r t k a n n eindeutig werden, w e i l es mehrdeutig ist. E i n Begriff dagegen muß vieldeutig bleiben, u m ein Begriff sein zu können. Der Begriff haftet zwar am Wort, ist aber zugleich mehr als das Wort. E i n W o r t w i r d — i n unserer Methode — zum Begriff, w e n n die Fülle eines politisch-sozialen Bedeutungszusammenhanges, i n dem — u n d f ü r den — ein W o r t gebraucht w i r d , insgesamt i n das W o r t eingeht" (Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, XXII).
1.2. Neuzeit als Erfahrungswandel
25
Summe von theoretischen und praktischen Sachbezügen zu einem Zusammenhang, der als solcher nur durch den Begriff gegeben ist und wirklich erfahrbar w i r d 4 5 . Die Begriffe fungieren also als Leitfaden für das Verständnis eines jeweiligen historisch-zeitgenössischen Sprachund Orientierungshorizonts. Wissenschaftsgeschichte und Begriffsgeschichte sind i n dem Sinn aufs engste miteinander verbunden. Die folgenden Analysen zeigen eine Fülle neuer Begriffe. Anfang des 17. Jahrhunderts tauchen neue Worte und Wortbedeutungen auf, die allesamt ein Zeugnis für eine neue Weltverfassung sind, für den Ansatz einer neuen „ K u l t u r der Wissenschaft". So werden alte Ausdrücke mit Gehalten angereichert, die dann später zu den Vorfeldern der Aufklärung und des Idealismus gehören. I n viele Begriffe w i r d der Veränderungskoeffizient kommenden Wandels aufgenommen. Diese begriffs- und wissenschaftsgeschichtlich erfaßbaren Vorgänge bezeugen einen tiefgreifenden strukturellen Wandel. Die zunehmende Entfernung aus überschaubaren Lebenskreisen bewirkt einen gesteigerten Abstraktionsgrad der Begriffe; die gleichzeitig einsetzende Ideologisierung eröffnet neue Horizonte möglicher Erfahrung. Historisierung und Ideologisierung beginnen sich i n dem behandelten Zeitabschnitt immer stärker zu ergänzen. 1.2. Neuzeit als Erfahrungswandel Den Beginn der Neuzeit markiert eine Fülle neuer Sachverhalte, ein sich änderndes Verhältnis zu Natur und Geschichte, zu Welt und Zeit. Die Topoi der klassischen Antike werden neu entdeckt und gleichzeitig einem tiefgreifenden Bedeutungswandel unterzogen, so daß die ursprüngliche Wortbedeutung mit neuen Sinngehalten beladen wird. Der sich beschleunigende Erfahrungswandel zeigt, daß dieser Tatbestand selbst auch als „neue Zeit" erfahren worden ist. Plötzlich aufbrechende, schließlich anhaltende Veränderungen machen den Erfahrungshorizont beweglich. Die Frage nach dem Beginn der Neuzeit läßt sich vielfältig beantworten. Ausdrücklich als Neuzeit versteht sich die Renaissance i n ihrer Selbstinterpretation. Francesco Petrarca, der Begründer der humanistischen Bewegung, sprach als erster von der „Finsternis" des Mittelalters: Den vergangenen Glanz des römischen Zeitalters vor Augen, 45 Anders u n d m i t Kosselleck ausgedrückt: „Wortbedeutungen können durch Definitionen exakt bestimmt werden, Begriffe können n u r interpretiert werden" ( X X I I I ) ; dies hat schon Nietzsche m i t aller Deutlichkeit herausgearbeitet: „ A l l e Begriffe, i n denen sich ein ganzer Prozeß semiotisch zusammenfaßt, entziehen sich der Definition; definierbar ist n u r das, was keine Geschichte h a t " (F. Nietzsche: Werke. Hrsg. v. K . Schlechta, F r a n k f u r t a. M. - W i e n - B e r l i n 1976, 5 Bde., Bd. 3, S. 266).
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
war Petrarca überzeugt, daß seine eigene Zeit eine „geistige Wiedergeburt" (Renaissance) bewirken könne, die dem „Prozeß des Niederganges ein Ende setzen und den Beginn einer neuen Zeit" herbeiführen würde 1 . Wenn die Finsternis verschwindet, entsteht neuer und reiner Glanz. I m Rückgriff auf Piaton, dann aber auch auf Cicero und Seneca, leitet Petrarca eine „neue Epoche der Philosophie" ein. Der wesentliche Wandel war, von Dante und anderen vorbereitet und von Petrarca dann ausdrücklich formuliert, daß der Mensch „auf das Wort hören" soll, „das i h m sagt, woher er kommt und wohin er geht, und warum er i n diese mühsame Existenz hineingeboren ist" 2 . Der Humanismus als die vorbereitende Bewegung der Renaissance war zunächst philologisch, bevor er philosophisch, staatsbürgerlich und moralisch wurde. Er war an Wort und Sprache gebunden, bevor er sich auf die einzelnen Fächer auswirkte. Gewiß ist die Renaissance ein historischer Dreh- und Wendepunkt der Neuzeit, jedoch zeigen die wissenschaftsgeschichtlichen Untersuchungen, daß die allzu einfache Schablone Petrarcas den realen geschichtlichen Entwicklungsprozeß nicht voll trifft. Vertreter der Kontinuitätstheorie verweisen auf die innovativen Wirkungen der Hochscholastik, aus der die modernen Wissenschaften wesentliche Anregungen bekommen haben. Das 13. Jahrhundert w i r d hier als entscheidende Zeitformation dargestellt, sowohl i m wissenschaftlichen als auch i m nichtwissenschaftlichen Bereich. Die Technologie bekommt neue Impulse durch die Fortentwicklung der Wassermühle, das Aufkommen der Windmühlen und die Verwendung des Schwungrades. Politisch-ökonomisch entsteht komplementär zum Feudalismus die freie Stadtkultur. I n religiöser Hinsicht ist die Entstehung der häretischen Bewegungen bedeutsam und dann deren Integration i n das papistische System durch die neuen Orden des Franciscus und Domenicus 3. 1 Th. E. Mommsen: Der Begriff des „finsteren Zeitalters" bei Petrarca (1942). I n : A . Buck (Hrsg.): Z u Begriff u n d Problem der Renaissance. D a r m stadt 1969, S. 151 ff., 176. Z u r K u l t u r - u n d Sozialgeschichte der Renaissance vgl. A . Hauser: Der Ursprung der modernen Kunst u n d Literatur. Die E n t wicklung des Manierismus seit der Krise der Renaissance. 3. A u f l . München 1979, S. 3 - 92. 2 So die Formulierung v o n K . Vorländer: Philosophie der Renaissance. Bearbeitet v o n H. Knittermeyer, Reinbek b. Hamburg 1965, S. 17. 3 Vertreter dieser Kontinuitätstheorie sind: P. Duhem: Les systèmes d u monde: Histoire des doctrines cosmologiques de Platon à Copernik. 10 Bde., Paris 1913 - 1959; A . Maier: A n der Grenze v o n Scholastik u n d N a t u r w i s senschaft. 2. A u f l . Rom 1952; ders.: Metaphysische Hintergründe der spätscholastischen Naturphilosophie. Rom 1955; A . C. Crombie: Robert Grosseteste and the Origins of Experimental Science. 1100- 1700. L o n d o n - N e w Y o r k 1971; M . Clagett: The Science of Mechanic i n the Middle-Ages. Madison 1959.
1.2. Neuzeit als Erfahrungswandel
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Die Transformationstheorie hingegen betont die neuen Einstellungen und Denkformen, die neue Kosmologie, die der Mensch i n der Renaissance gegenüber der Natur und sich selbst entwickelt. Die alte SubjektObjekt-Beziehung w i r d umstrukturiert zu neuen Erkenntnisformen, die die Bedingungen für den neuzeitlichen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont bilden. Die neue Kosmologie, die i n einer neuen Religiosität und i n einem neuen Weltbild ihren Ausdruck findet, setzt die Bedingungen für den Entdecker- und Unternehmergeist des Menschen frei. Hier erscheint die Renaissance als eine Epoche der Veränderung des Erkenntnisprozesses und der Umwandlung des wissenschaftlichen Denkens. Besonders Paul Oskar Kristeller versucht, diese Wandlung der „intellektuellen Instrumente" durch eine rekonstruktive Geschichtsschreibung sichtbar zu machen 4 . Einen weiteren Ansatz bietet die Revolutionstheorie. Sie verweist zunächst einmal auf die neuen Theorien und Forschungsstrategien: Beispiele wären die auf dem Trägheitsprinzip aufgebaute Physik Galileis, die Subjekt-Objekt-Philosophie von Descartes und Bacons Konzeption eines von technischen Innovationen getragenen sozialen Fortschritts. Der weitere zentrale Faktor für die Revolutionstheoretiker ist, daß diese neuen Theorien auch i n völlig neuen Institutionen zu Anfang des 17. Jahrhunderts an sozialer Stabilität gewinnen 5 . Bei all diesen Theorien bildet die Renaissance eine gewisse Sattelzeit und sie stellen eigentlich einander ergänzende Momente ein und desselben Entwicklungsprozesses dar. So wesentlich die verschiedenen Aspekte auch sein mögen, ist es dennoch angebracht, von einem genetischen Zusammenhang von Spätmittelalter, Renaissance und früher Neuzeit zu sprechen 6 . Einen enormen Erfahrungswandel bewirkte die i n den deutschen Werkstätten aufkommende Buchdruckerkunst. Sie beschleunigte besonders nach 1460 den Gedankenaustausch i n ganz Europa. Durch die neue 4 Vgl. P. O. Kristeller: Humanismus u n d Renaissance, hrsg. v. E. Kessler. 2 Bde., München 1974 f.; E. Cassirer : I n d i v i d u u m u n d Kosmos i n der Philosophie der Renaissance. 1927. Neudruck Darmstadt 1974; ähnlich auch E. Bloch: Vorlesungen zur Philosophie der Renaissance. F r a n k f u r t a. M . 1973. 5 Wesentliche Repräsentanten der Revolutionstheorie sind A . Koyré: Descartes u n d die Scholastik. 1923. Neudruck Darmstadt 1971; sowie m i t einem differenzierten Programm Th. S. Kuhn. 6 Vgl. dazu W. Krohn: Die „neue Wissenschaft" der Renaissance. I n : G. Böhme, W. v.d. Daele, W. Krohn (Hrsg.): Experimentelle Philosophie. U r sprünge autonomer Wissenschaftsentwicklung. F r a n k f u r t a. M . 1977, S. 13 ff., bes. S. 1 9 - 3 4 ; vgl. dazu auch die kultursoziologischen Analysen v o n G. Duby: Die Grundlegung eines neuen Humanismus. 1280 - 1440. Genf 1966; A . Chastely Der Mythos der Renaissance. Genf 1969, sowie ders.: Die Krise der Renaissance. Genf 1968.
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
Technologie der Reproduktionsverfahren w i r d der K u l t u r r a u m erweitert und mobil, ja die K u l t u r der Renaissance setzt sich i m und durch das Buch durch. Es kommt zu einer breiten Anhäufung von Fakten: Während die klassische Antike bemüht war, die Wissensgebiete von „innen her vernünftig" zu ordnen und das Mittelalter eine i m höchsten Maß klassifizierte und aufgefächerte K u l t u r entwickelte, ist die Renaissance eher undifferenziert und synoptisch. Das Verlangen nach enzyklopädischem Wissen zertrümmert die traditionellen Klassifikationsordnungen, ohne die neuen Prinzipien logisch zu erfassen oder definieren zu können. Das Buch w i r d zum Instrument einer ungeheuren Ausbreitung des deskriptiven Wissens. Die beginnende Druckgraphik, der Stich, übernimmt i n vielen Fällen den wesentlichen Teil der Information. Die Zeichnung war immer ein Forschungsinstrument, der Stich hält aber ihre Eroberungen fest und macht sie gleichzeitig beliebig „multiplizierbar". Hand in Hand m i t der Buchkunst kam es auch zu einem Aufschwung der Kartographie. Durch die welterschütternden Entdeckungen, die von den Portugiesen und Spaniern auf der südlichen Halbkugel unternommen wurden, sowie durch die Erdumseglung Magellans, hatte sich ja auch der Wirtschaftsraum verändert. Eine genauere Bestimmung der Entfernungen, eine Kennzeichnung der Städte, der Häfen und Straßen mit Hilfe der Kartographie wurde unumgänglich. M i t dem neuen Vermessungsverfahren kam es gleichzeitig zu einer Blüte der Trigonometrie und der Algebra. Die Fülle des angelieferten Wissens und seine Komplexität erzeugen das Bedürfnis, Gruppen zu bilden, sei es zum Austausch von Texten und Dokumenten, sei es u m erste Formen der Arbeitsteilung i n der Wissenschaftsdiskussion herbeizuführen. Institutionen entstanden, die Akademien genannt wurden. I n der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts w i r d die „Academia Platonica" i n Florenz begründet. Marsilius Ficinus und Pico della Mirandola sind die prägenden Köpfe 7 . Allmählich taucht i n den Akademien eine gewisse Zahl von gemeinsamen Problemen auf, die die Wissenschaftskultur der Renaissance bestimmen. Zwei Faktoren werden wesentlich: A u f der einen Seite bemüht man sich, die verschiedensten Seiten ein und derselben zentralen Wirklich7 Vgl. dazu A. della Torre: Del'Academia Platonica de Firenze. 1902. Nachdruck T u r i n 1960; P. O. Kristeller: The Platonic Academy of Florence. I n : Renaissance News, H. 14, 1961, S. 147- 159. Nach w i e v o r einen guten Überblick über die Entstehungsgeschichte der Akademien liefert L. Keller: Comenius u n d die Akademien der Naturphilosophen des 17. Jahrhunderts. I n : Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 4, B e r l i n - Münster 1895, S. 1 bis 28, 69 - 96, 133 - 184.
1.2. Neuzeit als Erfahrungswandel
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keit i n einer integratio, i n einer Gesamtschau zu fassen. Dieses Streben nach völliger Übereinstimmung aller Aspekte des menschlichen Lebens ist untrennbar m i t dem Bewußtsein der renovatio verbunden, also mit einem Bewußtsein der Veränderbarkeit, das vielschichtig i n die Zukunft weist. I n dem SpannungsVerhältnis von integratio und renovatio liegen auch die Wurzeln der neuzeitlichen Geschichtsphilosophie. Die erste Folge des unbestimmten Strebens nach einer neuen Welt ist der Drang nach einer „Rückkehr zur Antike". M i t dem Blick auf die Zukunft und zur Beherrschung der Gegenwart befragt man eifrig die Vergangenheit. Die Lebensweisen und Gewohnheiten der Gesellschaft werden erstmals geschichtsphilosophisch-kritisch i n Frage gestellt 8 . Das renovatio-Denken erfaßte auch die Religion: Wie beim Studium der profanen Manuskripte strebt die philologische K r i t i k danach, den Heiligen Schriften ihre ursprüngliche Reinheit wiederzugeben. Man war überzeugt, daß die K r i t i k am Überkommenen zu echterem Glauben und wahrhafter Religionsausübung führen muß. Der Gedanke an eine Universalreligion war i n der Renaissance fest verankert. Der Neuplatonismus als zentrales Denken versuchte ja, alle Aspekte des seelischen Lebens aufzunehmen und i n der Anschauung von einer wunderbaren Einheit zu rechtfertigen 9 . Die Vorstellung, durch Rückgriff auf die Urreligion zu einer erneuerten und reinen Religion zu gelangen, bestimmte die religionsphilosophischen Diskussionen der Renaissance. Die Humanisten beschäftigten sich vor allem m i t den Urreligionen, deren Geschichte sich durch esoterische Überlieferung aus Ägypten, Chaldäa und i n den Schriften der Gnosis erhalten hatte, und zwar als eine Offenbarung, die neben der mosaischen bestand und durch periodische Kontakte m i t dieser neu belebt wurde. Die Übereinstimmung zwischen Moses und Piaton w i r d nur als Teil eines umfassenden Ganzen gesehen, dessen Schlüssel i m Geheimwissen liegt. Zugang zu i h m erhält man durch Orphik, die die Arkana der griechischen Religion erschließt, durch den Talmud und durch die Kabbala. Darin sah man die vorzüglichen Mittel, eine umfassende kosmologisch-religiöse Einheit wiederzugewinnen. I n allen Forschungsbereichen der Renaissance ist ihr Streben nach Gesamtheit und Integration bezeichnender als die Fähigkeit zum Systematischen. Daher ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß die Philosophen dieser Zeit den Grundstein zu einer metaphysischen Anthropo8 Vgl. dazu A . Buck: Das Geschichtsdenken der Renaissance. Krefeld 1957; W. v. Ley den: A n t i q u i t y and A u t h o r i t y : A Paradox i n the Renaissance Theory of History. I n : Journal of History of Ideas Nr. 19, 1958. 9 Vgl. dazu A . Angeleri: I l problema religioso del Rinascimento. Storia della critica e bibliographia. Florenz 1952.
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logie legen. Unablässig w i r d die Universalität und die Zentralität des Menschen betont. Hierin stimmen die Platoniker Marsilius Ficinus und Pico della Mirandola selbst m i t dem Aristoteliker und Averroisten Pietro Pomponazzi überein 1 0 . Die neue zentrale Rolle des Menschen, sein Verhältnis zu Natur und Raum, erschüttern das bisherige kosmologische Selbstverständnis. Dabei w i r d der Raum nicht bloß als Kosmos, sondern ebenso sehr als Zeit gefaßt, als dringliche Frage nach Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Der neu geschaffene Überblick über die menschliche Geschichte, ihre Religionen und K u l t u r e n brachte die historische Distanz, ohne welche das Gefühl, i n ein neues Zeitalter eingetreten zu sein, nicht zu klären wäre. Hinter der Neugier der Renaissance, den verschiedensten Unternehmungen und Bedürfnissen steht als gemeinsames Interesse das Bestreben, den Menschen mit dem Raum als Zeit und als Ausdehnung zu verbinden. Gerade diese Verbindung als Integration des Menschen i n die kosmische Gesamtheit und die Erneuerung als Streben nach Echtem und Wahrhaftem, ermöglichen auf religiösem Gebiet die Reformation, die gewaltsame Spaltung. Die Dimensionen dieses religiösen Dramas lösen eine Krise aus, deren politische Überwindung sich i m Begriff der Neuzeit niederschlägt. Jedoch auch die Reformation konnte den Glauben an die Einheit nicht brechen, sondern ganz i m Gegenteil, es wurde auf den Gebieten sämtlicher Wissenschaften eine Fülle von Versuchen unternommen, Einheit und Erneuerung i n ein neues Verhältnis zu stellen, zur Universalität zu bringen. Christliche Kabbalisten bemühten sich m i t Hilfe der verborgenen Beziehungen zwischen Bibelphilologie und hebräischer Geheimlehre, zu befriedigenden Ergebnissen zu kommen. Alchemisten, Magier, Anatomen, Astrologen und Mathematiker versuchten, integratio und renovatio zur Einheit zu bringen und legten damit eine zentrale Problematik des neuzeitlichen Denkens frei: Das Verhältnis von Gesetzmäßigkeit, Einheit und Fortschritt. Durch den wechselseitigen Zusammenhang von Anthropologie mit den anderen Objektfeldern der Wissenschaften w i r d immer stärker betont, daß der Mensch der Führer seines eigenen Daseins ist. Der Mensch von morgen w i r d der Mensch von unbegrenzter Erkenntnis sein und durch den Erkenntnisfortschritt eine neue Zukunft schaffen. I n diesem 10 Die zentrale Stellung der Anthropologie i n der Philosophie der Renaissance w i r d i n gegenwärtigen Analysen zumeist vernachlässigt; selbst der gediegene Philosophiehistoriker Odo Marquard berücksichtigt diesen Sachverh a l t i m „Historischen Wörterbuch der Philosophie" nicht. Vgl. Bd. 1, Sp. 362 ff.
1.2. Neuzeit als Erfahrungswandel
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Sinn erzeugte auch die Renaissance einen Prometheismus, der dann die Utopien und Fortschrittstheorien der Neuzeit einleitet. Die Renaissance w i l l auch neue Formen des menschlichen Zusammenlebens bauen: Thomas Morus entwirft i n seinem Buch De optima rei publicae statu deque nova insula utopia , das 1516 i n Löwen erscheint, eine Variante der neuen Welt 1 1 . Die Insel ist der Ort einer neuen Gesellschaft, die auf moralischen und christlichen Grundsätzen beruht. Die Utopie provoziert, indem sie i n burleskem oder idyllischem Ton eine Welt beschreibt, die i n völligem Widerspruch zu der auf W i l l k ü r , Unrecht und Gewalt gegründeten Erfahrung steht. A m Anfang der Utopie der Renaissance steht das Bewußtsein, daß die neue Zeit und die neue Gesellschaft auch einen neuen Rahmen braucht. Bedingt durch den gewandelten Erfahrungsraum eröffnet die Utopie neue Erwartungshorizonte. Nach Morus erscheinen später dann die Utopien von Campanella und Bacon. Aus den verschiedenartigen Bemühungen der Renaissance erwachsen konstitutive Denkformen der Neuzeit: Das Einheitsdenken fördert den Glauben an eine Gesetzlichkeit i n Natur und Gesellschaft und die Verfahrensweisen werden i n zunehmendem Maße experimentell 1 2 . Das renovatio-Denken führt zu einem geschichtlichen Bewußtsein der k u l turellen Entwicklung: I n wechselseitiger Abhängigkeit entwickeln sich Wissenschaft und Gesellschaft als Fortschritt. Das Einheitsdenken der Renaissance bereitet den Begriff des modernen Naturgesetzes vor 1 3 . Der Gesetzesbegriff selbst entstammt m y thologischen, theologischen und politischen Vorstellungen. Das Naturgesetz als metaphorischer Begriff impliziert die Vorstellung einer göttlichen Verordnung gegenüber der Natur, die ohne diese Verordnung vielleicht anders handeln oder gegen sie verstoßen könnte. Die mythologische Übertragung von Rechtsverhältnissen auf die Natur beinhaltet die metaphysische Vorstellung der ewigen Geltung, die auf einen Gott als vollkommenen Gesetzgeber zurückgeht. Dahinter steht aber auch ein Herrschaftsanspruch, dem die Natur „gehorcht", dessen Gesetze sie befolgt. Dieser Soziomorphismus des Naturgesetzes ist verantwortlich für den Glauben der Naturforscher an die „Unverbrüchlichkeit" des Kausal11 Th. Morus: Utopia. Nach der Übersetzung v. G. Ritten, 1922, u n d einem Nachwort ν. E. Jäckel, Stuttgart 1970. 12 Z u m folgenden vgl. W. Krohn: Zur soziologischen Interpretation der neuzeitlichen Wissenschaft. I n : E. Zilsel: S. 7 ff., sowie ders.: Die „Neue Wissenschaft" der Renaissance. I n : G. Böhme, W. v. d. Daele, W. Krohn (Hrsg.): Experimentelle Philosophie. F r a n k f u r t a. M. 1977, S. 13 ff. 13 Vgl. bei K. Vorländer, 1965, den 2. Abschnitt: „Die Begründung der m o dernen Naturwissenschaft", S. 111 - 141.
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
gesetzes, die Absolutheit seiner Geltung. Er stammt letzten Endes aus der Unverbrüchlichkeit, die der Mythos und die sich aus i h m nur allmählich loslösende Naturphilosophie dem Vergeltungsprinzip als Inhalt eines göttlichen und damit absolut verbindlichen Willens zusprach 14 . Hans Kelsen belegt diesen „Soziomorphismus" des Naturgesetzes bereits für das Alte Testament sowie für den babylonischen Schöpfungsmythos von Marduk und weist ihn auch für die vorsokratische Philosophie auf 1 5 . Gewisse Gesetze hat j a der Mensch i n seiner Entwicklung der Erkenntnis immer schon anerkannt, man denke nur an die Anfänge der Mathematik und Logik. Dort, wo aber die Erkenntnis über die Natur gesamthaft als Gesetze eines umfassenden und rational konstruierten Gesetzgebungswerkes aufgefaßt werden, w i r d ihre Klassifikation sowie ihre hierarchische Ordnung als Naturverfassung i m Prinzip erkennbar. Die Bemühungen der Wissenschaftler orientieren sich nun an der Erkenntnis dieses einheitlichen Gesetzgebungswerkes. Ein weiterer zentraler Hintergrund für die Herausbildung des Gesetzesbegriffes ist das Regelwissen, wie es Handwerk und Medizin entwickelt haben, indem sie allgemeine, über die Zeit konstante und daher tradierbare Handlungsregeln entwickelten 1 8 . Dasselbe gilt für die „regula" der experimentierenden Künstler, Ingenieure und Chemiker 1 7 . Leonardo da Vinci gewinnt aus der Reflexion, daß der Mensch Regeln i n der Natur sucht, die Überzeugung, daß sichere Naturerkenntnis nur als Erkenntnis von Regeln möglich ist 1 8 . Die Uberzeugung des Zusammenstimmens aller Gesetze i n der „Gesetzmäßigkeit der Natur" ermöglicht einen systematischen Zugang zu noch unbekannten Gesetzen. Die Idee der Gesetzmäßigkeit der Natur bildet eine Grundlage für eine völlig neue Forschungsheuristik. Das allgemeine Ziel ist nun, die einzelnen Gesetze des umfassenden Gesetzgebungswerks der Natur zu erkennen. Zu Anfang des 17. Jahrhunderts 14 H. Kelsen: Die Entstehung des Kausalgesetzes aus dem Vergeltungsprinzip. I n : Erkenntnis (Journal of Unified Science), 1940, S. 69 f. u. 83 f. 15 Z u r weiteren Begriffsgeschichte des Gesetzesbegriffs vgl. W. Krawietz, L. Pinomaa, K. Haendler, N. Herold: Gesetz. I n : Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 3, Sp. 480 ff.; zur Entstehung des naturwissenschaftlichen Gesetzesbegriffes bzw. seiner Übertragung aus dem politischen u n d theologischen K o n t e x t vgl. E. Zilsel: Die sozialen Ursprünge der neuzeitlichen Wissenschaft. Hrsg. v. W. Krohn, F r a n k f u r t a. M . 1976, S. 66 ff. 16 Zilsel, S. 83. 17 Vgl. dazu W. Gille: Ingenieure der Renaissance. W i e n - Düsseldorf 1968. 10 Vgl. Leonardo da Vinci: Philosophische Tagebücher. Hamburg 1955; des näheren auch die einschlägigen Beiträge i n dem Monumental w e r k : Leonardo da Vinci. Das Lebensbild eines Genies. Wiesbaden - B e r l i n - Novarra, 4. A u f l . 1955; J. H. Randall: The Place of Leonardo da V i n c i i n the Emergence of Modern Science. I n : Journal of the History of Ideas, X I V , Nr. 2,1953.
1.2. Neuzeit als Erfahrungswandel
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ist der neuzeitliche Gesetzesbegriff voll ausgebildet. Edgar Zilsel verweist dabei auf den Einfluß, den der beginnende politische Absolutismus hatte: Denn die analogische Beziehung, die der Gesetzesbegriff zwischen den absolutistischen Rechtsverhältnissen und den Erkenntnissen der Natur herstellt, stiftet die moderne Überzeugung von der durchgängigen und systematischen Regelmäßigkeit der Natur 1 9 . Produkt dieser Entwicklung sind dann die nomologischen Theorien der Neuzeit. Nach dem Beispiel der Naturerkenntnis hoffte man, auch auf religiösem und politischem Gebiet zu Wahrheit und einheitlicher Erkenntnis zu gelangen. Ein weiteres wesentliches Element der Neuzeit ist die Entstehung eines neuen Methodenbewußtseins. Während Methoden i m griechischen Sinn des Wortes rückwärtsgewandte Reflexionen über den Weg sind, der zu einer Erkenntnis geführt hat, bildet sich i n der Renaissance die experimentelle Methode heraus, die inventiv ist. Experimentelle Verfahren, die ja unabhängig von politischen Verhältnissen oder theologischen Vorstellungen sind, entstanden aus der Praxis von Künstlern, Ingenieuren und Medizinern. Die neuen Verfahrensweisen i m 15. und 16. Jahrhundert entwickeln sich parallel zur geänderten Einstellung zur Natur 2 0 . Das neue Methodenbewußtsein bahnt sich einen Weg zu einem Ziel, das i n der Zukunft liegt. Bereits Thomas Morus' „Utopia" und dann später die „Civitas solis" von Campanella sowie Bacons „Nova Atlantis" halten ja fest, daß für die Konstruktion der Zukunft letztlich neues Wissen zählt. Die experimentellen Verfahrensweisen zeigen eine enge Beziehung zum Fortschrittsbegriff. Das Bewußtsein möglicher Erneuerung und die A k k u mulierbarkeit dieser Neuerungen gewinnen i m Experiment seine Technik oder Methode. Der Rückgriff der Renaissance auf die Antike war gleichzeitig ein Kampf gegen die philosophischen Autoritäten der Antike wie Aristoteles, Ptolemäus, Galen. Gerade diese Auseinandersetzungen waren eine zentrale Voraussetzung für die Erneuerung des Wissens. Sie verbanden paracelsische Ärzte, alchemistische Magier, mystisch-hermetische Denker und experimentelle Philosophen. I m Widerstand gegen die Antike waren sich so verschiedene Geister wie Ficinus und Pico della Mirandola , Leonardo da Vinci und Giordano Bruno, Kopernikus und Kepler einig. Die Einigkeit lag primär i n der Berufung auf die eigene Erfahrung als Instanz der Erkenntnis. Die Anerkennung dieser Instanz wurde möglich, weil man i n der experimentellen Beobachtung 19 20
Vgl. Zilsel, S. 95 f. Vgl. Zilsel, S. 98 ff.
3 Fischer
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1. Wissenschaft u n d Neuzeit
über eine Methode verfügte, Erfahrung wiederholbar und dadurch allgemein zu machen. Auch die Entstehung des neuzeitlichen Fortschrittsbegriffs ist i n der Renaissance anzusiedeln. Insbesondere der Begriff des wissenschaftlichen Fortschritts dient häufig dazu, einen Schnitt zwischen der modernen Welt und den ihr vorhergehenden Epochen zu legen 21 . Die Philosophie der Renaissance interpretiert den Menschen als fortschrittsfähiges Wesen und die Gattung als eine fortschrittsfähige Gesellschaft: Der Mensch bekommt eine neue historische Qualität, weil i h n die Idee des Fortschritts i n ein operatives Verhältnis zu seiner Geschichte und Zukunft setzt. Wenn auch die Objektfelder des Fortschritts verschieden sind, Fortschritt der Wissenschaften, der Künste, der sozialen Verhältnisse, so ist doch die Entwicklung des modernen Fortschrittsbegriffs zentral an die Wissenschaft, d.h. zunächst an die Beförderung empirischer Einsicht, gebunden. Dafür liefert die neuzeitliche Bewertung der gesellschaftlichen Entwicklung Maßstäbe. Wurden Veränderungen bis zur Renaissance vorwiegend als Abfall vom Ursprung, als Verlust des Paradieses oder goldenen Zeitalters oder als die Wiederkehr des immer Gleichen interpretiert, so gelten jetzt technische, medizinische oder mathematische Innovationen als Fortschritte, weil sie i m Prinzip geeignet sind, Mühsal, Krankheit und Gefahr zu verringern oder gar dem Leben neue Möglichkeiten ζμ eröffnen. Die Idee des Fortschritts w i r d ein universelles und zugleich normatives Prinzip. Durch das Interpretationsmuster des Fortschritts lassen sich die historischen Ereignisse i n ein lineares Zeitverhältnis ordnen, wobei die späteren Ereignisse als die wünschenswerteren erscheinen. Der Fortschritt hängt von schöpferischen Innovationen ab, von Entdeckungen, Erfindungen oder Konstruktionen bisher unbekannter technischer, moralischer oder sozialer Verhältnisse. Dem Fortschrittsbegriff ist aber vorweg eine Last aufgebürdet, da er als Verbesserung des Wissens gleichzeitig m i t dem Begriff des verbesserten Lebens des einzelnen, der Gesellschaft oder der Menschheit identifiziert w i r d 2 2 . Die Einsicht i n die Gesetzmäßigkeit der Natur, das neue Methodenbewußtsein und die schrittweise Verbesserung des Erkenntnisstandes bewirken einen theoretischen, methodischen und sozialen Erfahrungswandel, die Neuzeit. Die Retrospektivität des mittelalterlichen Erfah21 So insbesondere J. B. Bury: The Idea of Progress: A n I n q u i r y into the O r i g i n and Growth. 1932, Neudruck New Y o r k 1955. 22 Z u r Entstehung des Begriffs des wissenschaftlichen Fortschritts vgl. Zilsel, S. 127 ff.
1.2. Neuzeit als Erfahrungswandel
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rungsraums w i r d umgepolt auf den Erwartungshorizont einer prinzipiell grenzenlosen Zukunft Die theologische Metaphysik des Mittelalters w i r d durchbrochen und dem neuzeitlichen Bewußtsein geht es nunmehr u m eine gegenständliche Erfassung von Leben und Natur. Die Wissenschaft versucht, die Herrschaft des Menschen über die Natur und seine geistige Autonomie zu begründen. Die Absage an die dogmatisch starre Bindung und Bevormundung der Kirche, das leidenschaftliche Erfassen der Naturwissenschaften als Weg zu allseitigem Fortschritt, der Besitz eines offenen Weltbildes, sowie die Sehnsucht nach einer religiösen Einheit und Gemeinsamkeit, das nach wie vor vorhandene Bemühen u m die Harmonie von Religion und Wissen und über allem der Ruf nach einer Generalreformation der „ganzen weiten Welt" integriert sich i m Geheimbund der Rosenkreuzer. Das Rosenkreuzertum bildet als Übergang zwischen der Renaissance und den wissenschaftlichen Revolutionen des 17. Jahrhunderts einen Kristallisationspunkt 2 3 . I n seiner Denkweise ist eine frühe Form der Aufklärung zu erblicken, die i n manchem konstitutiv für die weitere Entwicklung der europäischen K u l t u r und Wissenschaft ist. Um 1600, i m Deutschland der Reformation und Gegenreformation entstanden etliche Vereinigungen, zumeist Geheimbünde, die dem einzelnen inmitten der Anfechtungen und Verfolgungen einen Rückhalt gewähren wollten und i n gemeinsamer Arbeit die herrschenden Ordnungen und Anschauungen umzugestalten suchten. Die Mitglieder dieser Bünde, die sich selbst nicht an die Öffentlichkeit wagten, setzten ihre ganze Hoffnung auf die Zukunft und suchten auf deren Gestaltung durch pädagogische Arbeit Einfluß zu nehmen. Von all diesen Bewegungen erlangt das Rosenkreuzertum eine enorme wissenschaftsgeschichtliche, kulturphilosophische und soziale Bedeutung.
23 Lange Zeit w a r das Rosenkreuzertum wissenschaftliches „Niemandsland" ; eine erste umfassende Untersuchung stammt v o n H. Schick: Das ältere Rosenkreuzertum. B e r l i n 1942; nunmehr ist besonders auf F. A . Yates: A u f k l ä r u n g i m Zeichen des Rosenkreuzes. Stuttgart 1975, zu verweisen; beide Arbeiten haben das folgende K a p i t e l wesentlich mitbestimmt; des weiteren ist zu verweisen auf folgende Arbeiten: K. R. H. Frick: Die Erleuchteten — Gnostisch-theosophisch u n d alchemistisch-rosenkreuzerische Geheimgesellschaften bis zum Ende des 18. Jahrhunderts — ein Beitrag zur Geistesgeschichte der Neuzeit. Graz 1973; ders.: Licht u n d Finsternis — Gnostischtheosophische u n d freimauerisch-okkulte Geheimgesellschaften bis an die Wende zum 20. Jahrhundert. T e i l 1: Ursprünge u n d Anfänge. Graz 1975; T e i l 2: Geschichte ihrer Lehre, Rituale u n d Organisationen. Graz 1978.
3·
2. Die Rosenkreuzer : Biographie und Wirkung eines Geheimbundes 2.1. Rosenkreuzermanifeste und Anfänge des Utopismus Wesentliche Quellen des Rosenkreuzertums sind die sogenannten Rosenkreuzermanifeste, zwei Traktate, die i n den Jahren 1614 (Fama Fraternitatis) und 1615 (Confessio Fraternitatis) i n Kassel veröffentlicht wurden 1 . Die beherrschende Gestalt der Manifeste ist Vater C. R. C. oder Christian Rosencreutz, der „die Bruderschaft des hochlöblichen Ordens der Rosenkreuzer" gegründet haben soll, die nun wiederbelebt, i n ihren Manifesten andere auffordert, sich ihr anzuschließen. Als praktisches Ziel der beiden Traktate w i r d eine Generalreformation der Welt durch die Errungenschaften der modernen Wissenschaft angekündigt. Die Legende von Christian Rosencreutz und seinem Orden bildet die Traditions» und Ermächtigungsurkunde für das Hervortreten der Rosenkreuzerbrüderschaft und ihre allgemeine Reformationstätigkeit. Bereits die ersten beiden Manifeste erregten großes Aufsehen, das durch eine Veröffentlichung aus dem Jahre 1616 noch weiter zunahm. Es erschien nämlich i n Straßburg eine merkwürdige alchemistische Allegorie m i t dem Titel Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz. Anno 1459 2. 2.1.1. Autorenfrage und Symbolgehalt
Der Autor der „Chymischen Hochzeit" war Johann Valentin Andreae und die Manifeste stehen ohne Zweifel m i t dieser Schrift i n Verbindung. Diese drei zunächst anonym erschienenen Schriften gelten als die Gründungsurkunden des Rosenkreuzertums. Über die Verfasserfrage der beiden Manifeste gibt es keine einheitliche Meinung; nach Yates stammen sie nicht von Andreae, sondern von einem oder mehreren un1 Der vollständige Text u n d T i t e l der beiden Rosenkreuzermanifeste ist i m A n h a n g abgedruckt. Z u den vollständigen Titelangaben der Werke aus dieser Zeit vgl. das Literaturverzeichnis; angemerkt sei, daß die verwirrende und sich vielfach widersprechende Sdhreibweise ein Kennzeichen der meisten Buchtitel ist. 2 Die beste Textausgabe der „Chymischen Hochzeit" hat A . Rosenberg herausgegeben. München - W e i l h e i m 1957.
2.1. Rosenkreuzermanifeste u n d Anfänge des Utopismus
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bekannten Autoren. So w i r d auch unter anderem als Verfasser Joachim JungiiLs, der bekannte und von Leibniz so bewunderte Mathematiker, vermutet 3 . Jedoch ist sichergestellt, daß alle zugrundeliegenden Allegorien i n „Fama", „Confessio" und „Hochzeit" den Stempel eines einheitlichen Denkens tragen: dieses w i l l den Mythos von „Christian Rosencreutz", dem eigentlichen Mittelpunkt der Bruderschaft und des Ordens, i n der Welt verbreiten. Bis zum Beweis des Gegenteils scheint es daher angebracht, sich Schick anzuschließen, der mit einer Fülle von Argumenten und Belegen eine einheitliche Autorenschaft nachzuweisen versucht, nämlich die von Andreae 4. Der Autor der „Chymischen Hochzeit", Johann Valentin Andreae, wurde 1586 i n Württenberg geboren. Sein Leben fiel i n eine Zeit des Umbruchs: Nach den Wirren und blutigen Auseinandersetzungen i m Gefolge der Reformation hat der Augsburger Religionsfriede kaum wirkliche Befriedung gebracht. Vielmehr deuteten alle Zeichen darauf hin, daß die unheimliche Stimmung, die die Epoche beherrscht, sich i n einer Katastrophe, i n einem großen Krieg entladen wird, der die erste Hälfte des kommenden Jahrhunderts dann prägen sollte. Solche Zeichen waren Beugung des Rechts und W i l l k ü r des Adels, finsterer Aberglaube und gehässigste theologische Streiterei, Ämterkauf i n den K i r chen und Titelkauf i n den Universitäten, zunehmende Geldentwertung und Erschütterung der Wirtschaft, militärische Auseinandersetzungen zwischen den Konfessionen und anderes mehr 5 . Über Andreaes Leben wissen w i r durch seine Autobiographie Bescheid 6 . Der Großvater Andreaes war ein berühmter Theologe, der gelegentlich auch der „Luther von Württemberg" genannt wurde. Sein Vater hat sich intensiv m i t Naturwissenschaften, Alchemie und Magie auseinandergesetzt. Aus der Biographie erfahren wir, daß Andreae 1601 nach Tübingen kam, u m seinen Studien nachzugehen. I n diese Zeit fallen auch seine ersten Versuche als Autor. 1603 w i r d Andreae an der Tübinger Universität Baccalaureus, 1605 erhält er die Magisterwürde der Artistenfakultät. I n der Folge widmet er sich der Theologie, aber ebenso sehr der Mathematik, Optik, Alchemie und Astronomie. Als der angehende Theologe bereits i n den umliegenden Dörfern von Tübingen Gottesdienst abhielt, „scheint sich auf einmal die Jahre lang 3
Vgl. Yates, S. 40 sowie 102. Schick, S. 64 ff. 5 Vgl. dazu J. V. Andreae: Christianopolis. Aus dem Lateinischen übersetzt, kommentiert u n d m i t einem Nachwort hrsg. v. W. Biesterfeld. Stuttl a r t 1975, S. 9 ff., sowie Nachwort S. 154. β Vgl. zum folgenden J. V. Andreae: Selbstbiographie (Vita ab ipso conscripta). Aus dem Manuskript übersetzt von D. Ch. Seybold, W i n t e r t h u r 1799. Eine andere Ausgabe stammt v o n F. H. Rheinwald, B e r l i n 1849, Den Zitaten liegt die erstere Ausgabe zugrunde. 4
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
unterdrückte Lebenslust ihr Recht verschafft zu haben" 7 und Andreae w i r d i n einen Skandal verwickelt, der j ä h seine Universitätskarriere unterbricht. Dadurch bekommt er die unfreiwillige Gelegenheit, die damals übliche „akademische Reise" anzutreten. Diese Wander- und Reisejahre dauern von 1607 bis 1612. Zu Beginn des Jahres 1611 ist Andreae i n Genf, wo ihn die vom Calvinismus geschaffene Staatsverfassung und Gemeinschaftsordnung beeindruckt. Insbesondere faszinierte i h n die praktisch ausgerichtete Lebensorientierung des Calvinismus. Zeitlebens ging es Andreae darum, i n die zeitgenössische religiöse und politische Situation vermittelnd einzugreifen. Sein undogmatisches Interesse am Calvinismus erweckte i n i h m den Wunsch, „etwas dergleichen i n unseren Kirchen einzuführen" 8 . Er hoffte, durch organisatorische und ethische Verbesserungen das orthodoxe Pastorengezänk zu beenden und statt dessen eine Verwirklichung der konkreten Glaubensgehalte und Ideale i n der Lebenspraxis der Menschen zu erreichen. Das Ziel Andreaes war es, eine umfassende weltweite Lösung der religiösen Krise seiner Zeit zu finden. Sämtliche Aktivitäten und Organisationsversuche, ob er sich nun mit sozialen Problemen oder m i t der Verbreitung der „Rosenkreuzerischen" Vorstellungen befaßte, waren diesem Ziel gewidmet. I m Frühjahr 1612 reist Andreae über Österreich nach Italien. Hier trat er auch i n nähere Beziehung zu den Platonischen Akademien, die i n ganz Oberitalien als mehr oder weniger geheime Gesellschaften anzutreffen waren. Er wurde dort m i t den Fragestellungen konfrontiert, die sich unmittelbar an der Schwelle zur Neuzeit ergaben. Andreaes Freundeskreis, seine „intellektuelle" Sozialisation, sind aufschlußreich. Der engste Freund i n Tübingen war der Rechtsgelehrte und Universitätsprofessor Christoph Besold, der 1577 geboren wurde und 1610 das Ordinariat an der Tübinger Universität erlangte. 1630 trat er zum Katholizismus über, veröffentlichte diesen Schritt jedoch erst 1635 nach der Schlacht bei Nördlingen. I m Jahre darauf wurde er Professor i n Ingolstadt, wo er 1638 starb. Besold war für den jungen Andreae eine starke Bezugsperson: sein rastlos ringender Geist, seine Mystikernatur und seine umfassende Gelehrsamkeit faszinierten ihn gleichermaßen. Die Fülle der Veröffentlichungen zeichnen Besold eher als fleißigen Kompilierer denn als originellen Denker aus 9 . Von wesentlicher Bedeutung für Andreae waren Besolds Ansichten über die Religion: I m Zentrum seines Denkgebäudes steht i n Anleh7
Schick, S. 99. Andreae: Biographie, S. 38. • Z u Besold vgl. des näheren K. Klüpfel: Geschichte u n d Beschreibung der Universität Tübingen. Tübingen 1849, Bd. 2, S. 79 ff. 8
2.1. Rosenkreuzermanifeste u n d Anfänge des Utopismus
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nung an die großen Neuplatoniker der Renaissancephilosophie die Überzeugung, daß es n u r eine wahre Religion gibt, i n welcher Form auch immer sie sich offenbart. Es wäre ein absurder Gedanke, daß das höchste Wesen bloß die engen Schranken eines einzigen Kultus zulassen würde. Gott hat j a die verschiedensten Erscheinungsformen der Religion selbst gewollt. Dennoch ist der Verfasser sicher, daß künftig einmal alle Religionen i n eine einzige wahre Religion, nämlich das vereinte Christentum einmünden würden 1 0 . Die Analyse der Rosenkreuzerschriften w i r d zeigen, wie stark Besolds Einfluß auf wesentliche Teile der „religiösen" Generalreformation gewesen ist. Aber nicht nur das gesamte Weltbild Besolds stand Andreae i n vielen Diskussionen zur Verfügung, sondern auch sein umfängliches Wissen hinsichtlich Antike, Vorderasien, Arabien, Christentum, Humanismus usw., das die Rosenkreuzerschriften prägt. Andreae bestätigt i n seiner Biographie den vielfältigen Lernprozeß durch Besold und faßt sein Denkbeziehungsverhältnis m i t den Worten zusammen: „Seine Verdienste u m mich übertreffen alles, was ich davon sagen könnte 1 1 ." Nach seinem Selbstzeugnis war Andreae von einer unglaublichen Lesewut besessen, denn er versuchte, „alles, was die alten und neueren Zeiten Sinnreiches hervorbrachten", zu integrieren. Zu den ersten Schriften, i n denen er sich „des Vorrats", i n „mannigfacher Lektüre gesammelt, entledigte" 1 2 , führt Andreae die Chymische Hochzeit an, jenes phantastische Märchen, das ein B i l d seiner Träumereien und Sehnsüchte spiegelt. Ein weiterer wesentlicher Beeinflussungsfaktor für Andreae war Tobias Heß, der 1568 i n Nürnberg geborene Jurist, Theologe und Mediziner. Andreae nennt Heß einen guten Rechtskundigen, einen noch besseren Arzt und den besten Theologen. Er berichtet weiter: Heß „kannte den Galenus und Paracelsus so gut als seien sie seine Freunde. Darüber hinaus war er ein Mechaniker und schlauer Erfinder, der etliche Maschinen baute und sich selbst an einem perpetuum mobile versuchte. Bei all seinen Unternehmungen war i h m die Bibel die wesentliche Grundlage, u m sicherer zu gehen" 1 8 . Aus einer anderen Erwähnung w i r d ersichtlich, daß Andreae m i t Heß gemeinsam einer geheimen Brüderschaft angehört hatte: „Heß stand i m Rufe, abergläu10 Vgl. dazu R. Kienast: Johann V a l e n t i n Andreae u n d die vier echten Rosenkreuzerschriften. Leipzig 1926, S. 27. 11 Andreae: Biographie, S. 20. 12 Andreae, S. 16. 18 J. V. Andreae: Memoralia, Bene V o l e n t i u m Honori, A m o r i et Condolentiae data. Argentorati 1619. S. 17 u n d 60 f.; vgl. S. 82.
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bisch zu sein, ein Pedant, Sonderling, Phantast und m i t dem Anwachsen des Lügengerüchts hieß es, er sei das Haupt aller Utopisten, Traumdeuter und Wahrsager. Diejenigen aber, die seine vertrauten Freunde waren, geliebt wie Brüder bildeten eine fanatische Liga, eine geheime Verbrüderung, einen kleinen verborgenen Zirkel, der zuweilen durch grausame und zwischendurch auch durch lächerliche Anfeindungen getroffen wurde. Je ungeheuerlicher die Lügen waren, u m so getreuer glaubte man das B i l d des Heß zu zeichnen 14 ." Es ist also durchaus zulässig, anzunehmen, daß i n Tübingen ein enger Freundeskreis m i t geheimem Charakter bestand, dem Andreae, Besold und Heß als tragende Mitglieder angehörten. Dies erklärt uns unter Umständen auch die Wir-Form der beiden Rosenkreuzermanifeste, der „Fama" und der „Confessio" i m Gegensatz zu der Ich-Form der „Chymischen Hochzeit". Als Verfasser dieser beiden Manifeste käme also auch dieser weltanschaulich gleich orientierte Personenkreis i n Frage. Äußerst bedeutsam für Andreae w i r d seine Freundschaft m i t W i l helm von Wense und Tobias Adami. Beide vermittelten nämlich dem Tübinger Kreis die Schriften und Reformideen des Dominikaners Tomaso Campanella. Von nun an ist ein beachtenswerter Einfluß dieses Autors festzustellen. Seine Eschatologie und seine politisch-praktische Orientierung dürften die Herausgabe der „Fama" i m Jahre 1614 mit veranlaßt haben 1 5 . Als Wense 1614 von einem Besuch Campanellas aus Italien zurückkam und ganz unter dem Einfluß seiner Ideen stand, bemühte er sich, eine Vereinigung Gleichgesinnter unter dem Namen „Civitas solis" zu gründen. Über seine Rolle als Mitbegründer gibt Andreae Auskunft und auch darüber, daß er hiezu die Programmschriften entworfen hatte 1 6 . Später wandelte Andreae diesen Plan u m zur Gründung einer „Societas letteraria et Christiana", wobei wesentliche Aspekte der Verbindung der „Civitas solis" übernommen werden sollten. Es schwebte i h m dabei eine gelehrte Akademie vor, wie sie dann i n England unter Rosenkreuzerischem Einfluß verwirklicht wurde. Ein weiterer, von Italien kommender Denkanstoß für die Veröffentlichung der Manifeste waren die Bestrebungen des Satirikers Trajano Boccalini. Dieser, Giordano Bruno eng verwandte Schriftsteller griff gegen das Kirchenregiment und andere Verfallserscheinungen seiner Zeit zur Waffe der witzigen, oft beißenden Satire. 1612 veröffentlichte 14
Andreae, S. 74. Vgl. dazu Kienast, S .140. 1β Vgl. J. V. Andreae: Funera amicorum condecorata. Luneburge 1642, w o er über die gemeinsame Gründung der „Civitas solis" unterrichtet; vgl. dazu auch R. Pust: Uber V a l e n t i n Andreaes A n t e i l an der Sozietätsbewegung des 17. Jahrhunderts. I n : Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 14, B e r l i n 1905, S .240, 15
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er i n Venedig die Ragguagli di Parnasso, eine Satire, die die Gewohnheiten der Menschen, die Bestrebungen der Fürsten sowie das gesellige und politische Leben der Zeit i n scherzhafter und geistreicher Weise zu kritisieren versuchte. Die Arbeit wurde ein unglaublicher Erfolg und erlebte i n den Jahren zwischen 1612 und 1680 mehr als ein Dutzend Auflagen, dazu vielfältige Nachahmungen und Fortsetzungen. Besonders i n Deutschland haben die „Nachrichten vom Parnass" eine vielfache Beachtung gefunden 17 . Der Erstausgabe der „Fama Fraternitatis" wurde eine deutsche Übersetzung der „Ragguagli di Parnasso" i m Auszug beigegeben. U m den Einfluß dieser Schrift auf die Rosenkreuzermanifeste erfassen zu können, seien einige Elemente wiedergegeben: Alle Versuche einer Weltverbesserung von außen werden der Lächerlichkeit preisgegeben. A u f dem Parnass thront Appoll mit seinem Hofstaat: Kaiser Justinian bringt bei Appoll ein Gesetz ein, u m dem Selbstmord auf Erden zu steuern. Der Gott, der dadurch auf die Mißstände unter den Menschen aufmerksam gemacht wird, ordnet eine Generalreformation durch die Weisen und Gelehrten der Welt an. Nun tagt eine große Versammlung auf dem Parnass, i n der beispielsweise Thaies von Milet den Vorschlag macht, ein Guckfenster i n die Menschenbrust einzusetzen, damit Lüge und Falschheit aus ihren Herzen schwinde. Solon meint, eine derartige Operation könnten Ärzte unmöglich vornehmen, man sollte vielmehr alle Güter und alle Reichtümer gleichmäßig unter den Menschen verteilen, dann würde Friede und Einigkeit i n die Welt einziehen. Philon w i l l Gold und Silber, Cleobolus das Eisen aus der Welt verbannen, Dias w i l l den Verkehr zwischen den Völkern abriegeln: Friede werde es geben, sobald Flüsse, Meere, Gebirge nicht mehr überschritten werden. So wogt der Streit unter den Weisen h i n und her, auch Seneca und Cato greifen i n die Debatte ein. Schließlich w i r d das Saeculum, dem man helfen w i l l , i n die Schranken gefordert. Dies erweist sich trotz des Anscheins von Gesundheit doch innerlich so krank, daß alle Hoffnung auf Heilung des Patienten schwinden muß. U m sich aber keine Blöße zu geben, fassen die Gelehrten mit hochtönenden Phrasen einen Beschluß, der ins Lächerliche mündet: er beschränkt sich darauf, für etliche geringere Gemüsesorten wie Kraut, Rüben und Petersilie die Preise festzusetzen. Dieser Beschluß w i r d dann öffentlich verlesen und von den zusammengelaufenen Volkshaufen mit Staunen und Jauchzen als Reformwerk begrüßt. Die Satire schließt m i t den Worten: „Also 17 Vgl. dazu R. Stötzner: Der Satiriker Trajano Boccalini u n d sein Einfluß auf die deutsche Literatur. I n : A r c h i v für das Studium der neueren Sprachen u n d Literaturen. Hrsg. v. A . Brandl u n d A . Tobler, 53. Jgg., Bd. 103 (Bd. 3 der neuen Serie), Braunschweig 1899, S. 107 ff.
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kann man leicht den Pöbel an der Nase herumführen, verständige Leute jedoch wissen, daß die Welt stets Unvollkommenheiten auf weisen wird, und es ist klug, sich m i t der Tatsache abzufinden, und die Welt zu lassen, wie man sie vorgefunden hat." Dieses ironisch-pessimistische Stück w i r d der „Fama Fraternitatis" beigegeben, u m aufzuzeigen, was die Generalreformation der Rosenkreuzer kontrastierend w i l l : die Aufstellung einer positiven Forderung, eine Weltverbesserung, die auch „innere" Umkehr ist. Ein anderer Zusammenhang ist noch zu berücksichtigen, auf den Yates aufmerksam macht: Boccalini war stark von Giordano Bruno beeinflußt. Dieser hat auf vielen Reisen seine i n mythologische Form gekleidete Religion i n Frankreich, England und Deutschland verkündet. Bruno spricht selbst davon, daß er i n Deutschland eine Sekte gegründet habe, die sich Giordanisti nannte und unter den Lutheranern von großem Einfluß war. Yates zeigt i n ihrer Untersuchung, daß zwischen Brunos „Giordanisti" und dem Rosenkreuzertum mutmaßlich eine gewisse Verbindung bestand und daß seine Gedankenwelt die Entwicklung der von den Rosenkreuzern angestrebten Reform nicht nur beeinflußt hat, sondern sich auch i n den Rosenkreuzermanifesten niederschlug 18 . Und so werden 1614, sei es auf Rat von Besold, Wense oder Adami, sei es auf eigene Faust, die „Ragguagli" von Andreae der „Fama" beigegeben und beide gemeinsam i n die Welt geschickt. Über den Namen Rosenkreuz wurde vielfach gerätselt. Gewiß ist nur soviel, daß „Rosenkreuzerisch" oder „Rosenkreuzertum" von dem Namen des legendären Gründers Christian Rosencreutz stammt. Da aber symbolische Namen schon ihrer Natur nach vieldeutig sind, muß man mehrere Hinweise i n Rechnung ziehen: So z. B. die Glasmalerei des 13. Jahrhunderts, wo i n den Querschiffen der Kathedralen riesige Fensterrosen leuchten. Sie verkörpern die kosmischen Zyklen der Zeiten von Ewigkeit zu Ewigkeit und das Geheimnis Gottes, der Licht ist 1 9 . Die Rose gilt auch als Sinnbild der Liebe, als Labyrinth, i n welchem die irdische Liebe von Prüfung zu Prüfung ihr Ziel erreicht 20 . Als Guillaume de Lorris gegen 1240 i n Versen die Summe der höfischen Epik zog, hat er sie Roman de la rose genannt. Jean de Meung schreibt etwa vierzig Jahre später eine Fortsetzung dieses Gedichts unter gleichem Titel. Hier symbolisiert die Rose den unversöhnlichen Zyklus der Geschlechterfolge, der jedes Individuum zwingt zu verschwinden, 18
Vgl. dazu F. A . Yates: Giordano Bruno and the Hermetic Tradition. Chicago 1964. S. 312 f., 340 ff. sowie 411 ff. 19 Vgl. G. Duby : Das Europa der Kathedralen. Genf 1966, S. 99 ff. 20 Vgl. dazu auch Alfons Rosenberg: Christliche Bildmeditation, München 1975, S. 144 ff.
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wenn seine Zeit gekommen ist, der jedoch die Menschheit von Geschlecht zu Geschlecht weiterleben läßt. Die Rose ist auch ein alchemistisches und mystisches Symbol. Eine wesentliche Rolle spielt i n Magie und Kabbala das Pentagramm: seine fünf Punkte wurden durch das B i l d einer stilisierten Rose symbolisiert. Arnold Marx verweist auf die Bedeutung dieser stilisierten Rose i n den neuplatonischen Akademien 2 1 . Das Pentagramm als Rose ist durch Johannes Reuchlin zu einem der zentralsten Symbole des Rosenkreuzerordens geworden; er verband auch häufig Pentagramm und Kreuz 2 2 . A u f unmittelbare und persönlichere Quellen verweist Yates: So zeigte beispielsweise Luthers Siegelring ein Kreuz inmitten einer Rose und Johann Valentin Andreaes Wappen war ein von Rosen umgebenes Andreaskreuz; auch i m Wappen des Paracelsus finden sich Kreuz und Rose 23 . W i r müssen uns auf diese Andeutungen beschränken, denn eine Untersuchung der verschiedenen Symbolschichten des Rosenkreuzes würde eine gesonderte Arbeit erfordern. I m folgenden soll eine Analyse der drei wesentlichen Rosenkreuzerschriften, nämlich der beiden Manifeste und der „Chymischen Hochzeit" gegeben werden. 2.1.2. „Fama" und „Confessio"
Bereits der erste Blick auf die Manifeste ist einigermaßen v e r w i r rend. Kategorien, die üblicherweise der Aufklärung zugesprochen werden, tauchen erstmals auf: Da ist vom Fortschritt die Rede, vom Fortschreiten im Erkenntnisvermögen und der Aufklärung. Aufgrund der schweren Zugänglichkeit sind die Manifeste „Fama" und „Confessio" i m Anhang abgedruckt. Die Fama Fraternitatis w i l l den Geheimbund der Rosenkreuzer, seine Überzeugungen und Vorstellungen i n der Welt verbreiten, „ausrufen" 2 4 . Die Fama ist eine i m damaligen Schrifttum bekannte und auch oft dramatisch verwendete Figur. Andreae zeigt eine besondere Vorliebe für sie: I m Turbo, dem ersten deutschen Faust-Roman, von Andreae verfaßt, erscheint die Fama i m letzten A u f t r i t t auf Befehl der Sapientia, wendet sich nach den vier Weltgegenden und ruft aus: „Höret, ihr 21 Des näheren vgl. A . Marx: Die Gold- u n d Rosenkreuzer. E i n Mysterienbund des ausgehenden 18. Jahrhunderts i n Deutschland. Das FreimaurerMuseum, Bd. 5, Zeulenroda - Leipzig 1930, S. 75 ff. 22 Vgl. Marx, S. 82. 28 Vgl. Yates: A u f k l ä r u n g , S. 75 f. 24 Brauchbare Textexegesen u n d Kommentierungen finden sich bei R. Kienast u n d W. E. Peuckert: Die Rosenkreuzer. Z u r Geschichte einer Reformation. Jena 1928. Symbolanalysen der Rosenkreuzermanifeste u n d der „ C h y mischen Hochzeit" finden w i r bei Schick, 49 ff. sowie bei Kienast. S. 47 ff.
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Sterblichen, auf daß niemand hinfort Reichtum oder Wissenschaft oder Ehren oder ein glückseliges Leben von Fortuna vergeblich erwartet oder erbittet, sondern daß alle, die nach derlei Dingen streben, sich an die Weisheit halten, die heute noch jedem gegeben wird, der sie sich erbittet." Sapientia aber fügt an: „Ich b i n neugierig, ob jemand kommen wird." Auch noch 1630, als Andreae eine Lebensbeschreibung seines Großvaters Jakob unter dem Titel Fama Andreana reflorescens veröffentlicht, zeigt er seine Vorliebe für diese rhetorische Figur. Die Rosenkreuzermanifeste zeichnen sich durch ihre pädagogischkonkreten sowie praktisch-sozialen Zielsetzungen aus. Wie i n der Renaissanceanthropologie steht i n der „Fama" der „Mensch" i m Zentrum, sein Fortschritt, sein Bewußtsein, daß sich die „Welt bessert". Das Wissen w i r d vervollkommnet, die Erkenntnis „mehr und mehr erweitert" und es steht „eine glückliche Zeit" bevor, i n der „viele wunderliche und zuvor nie gesehene Werke" geschaffen werden. Denn Gott hat einige Männer von großer Weisheit erschaffen, die alle Künste erneuern und zur Vollkommenheit führen sollen, damit der Mensch seinen eigenen Adel und seine eigene Herrlichkeit verstünde, welcher Gestalt er i m Mikrokosmos ist und wie weit sich seine Kunst i n die Natur erstreckt. Die Generalreformation, der Weg i n die neue Zeit, ist nur über den Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnisse zu verwirklichen. Ein wesentlicher Zweck der Brüderschaft ist daher der Zusammenschluß der „Gelehrten", u m das ganze „ i n unserem Saeculo mitgeteilte Wissen", sei es nun „ i n l i b r u m naturae oder regulam aller Künste", an „das helle offenbare Licht zu bringen". Modern gesprochen drückt die „Fama" damit aus, daß die bisherige Wissenschaft i n einer Krise steckt, der bisherige Orientierungskomplex nicht geeignet ist, die Fülle der auftauchenden Probleme zu lösen. Dagegen fordert die „Fama" eine verstärkte Erforschung der Grundlagen von Mensch und Natur, Zusammenarbeit der Wissenschafter und der Wissenschaftsdisziplinen. Nur dies kann neues Wissen freisetzen. Wenn sich die Wissenschafter vereinigen, könnten sie aus dem Buch der Natur die perfekte Methode, die „regulae" aller Künste ablesen. Dabei w i r d der Begriff Regel und Regelwissen durchaus i n einem modernen Sinn verwendet, nämlich als empirisch beobachtbare Regelmäßigkeit der Natur. Bereits wesentliche Elemente des Neuen machen sich bemerkbar: Paracelsus und andere „rühmliche Helden" sind „ m i t aller Gewalt durch die Finsternis und Barbareien hindurchgebrochen". Dadurch ist die Welt mit „großer Kommotion schwanger" geworden und arbeitet
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an der „Geburt" des Neuen. Die Entwicklung, die von diesen Gelehrten vorbereitet wurde, ist bloß die Spitze eines „Trigono ingenio", dessen Flammen aber bald hell leuchten und die Welt des Neuen entzünden werden. Die Freisetzung neuen Wissens ist aber durch diejenigen gefährdet, die ihre alten Wege nicht verlassen wollen und die i m Gegensatz zu Neuplatonismus und Paracelsismus an der Autorität des alten Aristoteles und Galen festhalten. Der Verbesserung der gesamten Philosophie stellt sich das Problem entgegen, daß „neue Axiomata, die sich nicht nach der alten Philosophie richten", jeweils von den Traditionalisten „lächerlich" gemacht werden. Eben dadurch, daß diese Axiomata „noch neu" sind, haben ihre Gegner Angst, zunächst einmal, „daß ihre großen Namen geschmälert" würden und außerdem, daß sie „nun von neuem lernen" müßten und ebenso, „die Irrtümer vieler Jahre zugestehen" 25 . Die Vorstellungen der „Fama" werden anhand der Figur des Christian Rosencreutz verdeutlicht, der die Fraternität begründete und zeitlebens an einer Reformation der Wissenschaft gearbeitet hat. Es w i r d eine weltweite Bildungsreise von Rosencreutz beschrieben, die ihn m i t sämtlichen wissenschaftlichen Neuerungen und Leistungen verschiedenster Kulturkreise konfrontierte. Von den Arabern lernt er beispielsweise Mathematik, Physik und Magie. Wesentlich ist für i h n die Erfahrung, daß sich die arabischen Wissenschafter jährlich treffen, „und einander über die Künste" befragen, „ob nicht vielleicht etwas besseres erfunden oder die Erfahrung ihre rationes geschwächt hätte". Rosencreutz w i r d von dem Wert internationaler wissenschaftlicher Zusammenarbeit überzeugt. Ironisierend w i r d demgegenüber i n der „Fama" der übliche Wissenschaftsbetrieb der Zeit abgehandelt. Der Eindruck verstärkt sich noch durch den Appendix der „Ragguagli" des Trajano Boccalini, der die emphatische Geschwätzigkeit solcher Gelehrten satirisch umreißt. Eine der wesentlichen Zwecke der Bruderschaft ist somit von Anfang an, durch gemeinsame wissenschaftliche Anstrengung, Fortschritt freizusetzen. Es geht bei den „neuen Axiomata" nicht nur darum, daß bloß der Inhalt geändert wird, sondern auch darum, daß i n Form von gewissen Institutionalisierungen eine allgemeine Besserung des Wissenschaftsbetriebes ermöglicht wird. Rosencreutz zeigt sich überall bereit, all sein neues Wissen anderen Gelehrten mitzuteilen und er plädiert für eine wissenschaftliche „Sozietät", deren primäres Ziel die Regentenerziehung wäre. Das Thema des 25
Interessant ist hier die Parallele zur modernen Wissenschaftsgeschichte: Th. S. Kuhn zählt i n seiner „ S t r u k t u r wissenschaftlicher Revolutionen" ganz ähnliche Gründe auf, weshalb es so schwer ist, einen neuen Orientierungskomplex durchzusetzen. Vgl. insbesondere S. 161 ff.
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Fürstenspiegels w i r d hier angedeutet, das dann m i t Francois de Salignac, de la Mothe Fénélon u m 1700 seinen Höhepunkt erlangt. Der Regent soll durch Erziehung befähigt werden, den moralischen und wissenschaftlichen Fortschritt i n die politische Praxis umzusetzen. Rosencreutz selbst, das Haupt und der Anführer der Fraternität, stammt gemäß der „Fama" von armen, aber gleichwohl adeligen Eltern ab. Als Rosencreutz immer heftiger eine Generalreformation herbeisehnte, begann er Helfer u m sich zu scharen. Gemeinsam mit den ersten Brüdern wurde „die magische Sprache und Schrift m i t einem weitläufigen Vokabularium" erarbeitet, wie w i r sie „noch heutigen Tages zu Gottes Ehr und Ruhm gebrauchen und große Weisheit darin finden". Die Brüder einigten sich auch untereinander auf sechs Ordensregeln, die folgende Gebote enthielten: 1. Niemand soll einen anderen Beruf ausüben, außer die Kranken zu kurieren und zwar unentgeltlich. 2. Die Brüderschaft kennt keinen Kleiderzwang, sondern man trägt die Tracht des Landes, i n dem man sich befindet. 3. Die Brüder sind verpflichtet, sich jährlich beim Ordenshaus „St. Spiritus" einzufinden oder Gründe für ihr Ausbleiben namhaft zu machen. 4. Jeder Bruder soll sich u m einen tauglichen Nachfolger umsehen. 5. Das Wort „R. C." soll „Siegel, Losung und Charakter" sein. 6. Die Brüderschaft soll 100 Jahre verschwiegen bleiben. Die „Fama" fährt dann fort, die imaginäre Geschichte des Ordens zu beschreiben. Eine wesentliche Rolle spielt die spätere Entdeckung der Gruft, i n der Bruder Rosencreutz ruhte, „denn gleich wie diese Tür sich nach vielen Jahren wunderbarlicherweise geöffnet, also soll Europa eine Türe aufgehen". 120 Jahre nach dem Tod des Stifters Christian Rosencreutz, nämlich 1614, fanden die Brüder i n dem alten Gebäude „St. Spiritus" sein Grab, das von mystischen Symbolen umgeben war und Aufzeichnungen über die Ordensgeheimnisse barg. Dies sei nun für die Brüderschaft ein Grund mehr gewesen, an das Licht der Öffentlichkeit zu treten. Derartige Fundgeschichten sollen natürlich stets die ihnen folgende Erzählung legitimieren. Die Geschichte des Tempels St. Spiritus ist der Entdeckung der Tabula Smaragdina nachgebildet, einer grundlegenden Urkunde aller alchemistischen Geheimbünde seit dem 13. Jahrhundert 2 6 . Die „Tabula Smaragdina" wurde dann i n ande26 V o n Hermes Trismegistos, einem ägyptisch-hellenistischen Gott, der i m mer m i t der Erfindung der Schrift i n Zusammenhang gebracht wurde, stammt angeblich die „Tabula Smaragdina", kurze Sätze, i n denen er seine Geheimnisse preisgibt. Nach der Legende wurde diese Tafel i n Ä g y p t e n bei der E r öffnung eines Grabes i n der Hand eines Gerippes gefunden. Ruska hat die Urgeschichte der Tabula geklärt, ihren ältesten arabischen Wortlaut festgestellt u n d sie durch ihre Wirkungsgeschichte verfolgt. (Vgl. J. Ruska: Tabula Smaragdina. Heidelberg 1926.) Die Lehre des Hermes Trismegistos ist eine synkretistische Verschmelzung v o n gnostisch-hellenistischem, platonistischpythagoräischem u n d mystisch-kabbalistischem Gedankengut. Sie ist eine
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ren Rosenkreuzerschriften zum wichtigsten Symbol des Neuplatonismus umgedeutet. Wenn w i r die Fülle der Anspielungen der „Fama", aber auch der anderen Rosenkreuzerschriften auf die Alchemie bedenken, ist anzumerken, daß diese Form niemals identisch war m i t „Goldkunst" oder überhaupt mit Metallverwandlung. Wenn die „Fama" gegen das gottlose und verfluchte Goldmachen eifert und es nur als „Parergon" gelten läßt, da sie höchstens ein Stück der i n der Erhebung zu Gott erlangbaren Erkenntnis der Natur sei, ist dies nichts anderes als ein Grundaxiom der esoterischen und spirituellen Alchemie. Christian Rosencreutz scheint auch darin der Figur des Hermes Trismegistos, des legendären Verfassers der „Tabula Smaragdina", nachgebildet, daß er heilkundig war und den ärztlichen Beruf sogar zur Bedingung für die Aufnahme i n die Brüderschaft macht. I n Fragen der Medizin stellt sich der Orden schroff der damaligen, noch ganz auf dem Boden Galens stehenden Richtung entgegen und bekennt sich zum gepriesenen Vorbild des Paracelsus , der zwar die „Harmonie" der Fraternität besaß, obwohl er nicht i n sie eingetreten ist. Ohne Zweifel verstand sich die Brüderschaft zumindest i m übertragenen Sinne als Arzt, da sie die Heilung der Welt von ihren Schäden als ihre wesentliche Aufgabe ansah. Immer wieder stößt man auf eine Metaphorik, die die Neuzeit ausdrücken soll: „Europa geht schwanger und w i r d ein starkes K i n d gebären", „Europa soll eine Türe aufgehen" usw. Ebenso bemüht sich die esoterische Einführung i n das wahre Wesen der Welt u n d der i n i h r geheimnisvoll w i r k e n d e n Kräfte. Der Transmutation der Stoffe entsprechen die V o r gänge der Zeugung des Lebens, des Todes u n d der Wiedergeburt. Die eine Natur w i r k t sowohl i n dem Transmutationsprozeß der Stoffe als auch i m Leben u n d Sterben der Menschen. Wie die Stoffe durch M u t a t i o n aus zusammengesetzten zu reinen Substanzen aufsteigen, so ist die Erkenntnis des wahren Wesens der W e l t und ihrer Substanzen ein religiös-asketischer A u f stieg, dessen Stufenbau genau festgelegt ist. So vollzieht sich wenigstens bei einigen auserwählten Weisen die Erlösung der menschlichen Seele aus der verderbten Materie durch eine mystische Wiedergeburt. A l s Offenbarung höchster göttlicher Weisheit hielt m a n die „Tabula" für den Schlüssel zu den letzten Geheimnissen der Natur. M i t dem Ende des Primats des Aristotelismus u n d etwa gleichzeitig m i t dem A u f k o m m e n der ersten Elemente der Naturwissenschaften finden die hermetischen Geheimlehren fruchtbaren Boden u n d rivalisieren bis ins 17. Jahrhundert h i n e i n m i t den rationalen Legitimationsversuchen der exakten Wissenschaften. Den Anstoß für den zunehmenden Einfluß hermetischer L i t e r a t u r i n der frühen Neuzeit gab die Ubersetzimg des „Corpus hermeticum" i n das Lateinische durch Marsilius Ficinus 1471. Weitgehend unberücksichtigt ist auch, daß die Naturphilosophie des deutschen Idealismus u n d der Naturbegriff der Romantik i n ihrer Opposition gegen die Reduktion der Natur auf mathematisch formulierbare Gesetzmäßigkeiten wieder an gnostisch-mystisches Gedankengut anknüpft, ohne aber den Begriff der Hermetik ausdrücklich aufzunehmen.
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Bruderschaft für die kommenden Jahrhunderte, „gewisse Indizia" zu entdecken und zu zeigen, „worin sie müssen mit den Vergangenen konkordieren". Die „Fama" drückt aber neben dem Bewußtsein vom Fortschritt auch die Hoffnung einer Erleuchtung religiöser und spiritueller Natur aus. Durch die Brüderschaft soll nun diese neue Philosophie der Welt geoffenbart werden und eine allgemeine Reformation m i t sich bringen, die i n politischer wie religiöser Hinsicht eine neue Zeit einleitet. Die geheimnisvollen Vertreter und Initiatoren dieser Reformation und Erneuerung sind die Brüder vom Rosenkreuz. Zusammenfassend läßt sich für die „Fama" feststellen: A u f dem Hintergrund der Reformation Luthers und den sich entwickelnden modernen Naturwissenschaften w i r d eine völlige Umgestaltung bisheriger Weltanschauungen und Zielvorstellungen, m i t einem Wort, eine totale Generalreformation gefordert. Dieses Postulat drängt sich nach der „Fama" mit „Gesetzlichkeit" auf, weil die durch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse und Experimente geoffenbarte Welt Gottes das mittelalterliche Weltbild sowie die es tragende Scholastik zertrümmert. Bereits die „Fama" erregte unerhörtes Aufsehen: E i n Jahr darauf wurde das zweite Manifest der Rosenkreuzer veröffentlicht, die Confessio Fraternitatis. W i r können uns bei der Analyse dieser Schrift auf wenige Punkte beschränken, da sie viele Wiederholungen und Überschneidungen m i t der „Fama" zeigt. Die „Confessio" selbst bezieht sich immer wieder auf die „Fama" und ist gleichsam eine Fortsetzung des Berichts über die Brüder, ihre Philosophie und ihre Sendung. I m Gegensatz zur „Fama" und den ihr beigefügten Schriften, die sämtliche i n Deutsch erschienen, war die „Confessio" i n der ersten Ausgabe lateinisch abgefaßt. I m Gegensatz zur ersten populären Eröffnung über die Brüderschaft vom Rosenkreuz w i l l man hier offenkundig ein gelehrtes Publikum ansprechen. Die Absicht beider Schriften ist jedoch die gleiche. Auch hier ist das hintergründige Ziel eine abendländische Gelehrtenrepublik, deren Aufgabe es ist, vermittelt über wissenschaftliche Erkenntnisse und praktische Arbeit, durch Fürstenerziehung und Beratung der verantwortlichen politischen Führung, den Wandel zu einem neuen Weltbild herbeizuführen. Die Gelehrten Europas werden zur Mitarbeit i m Orden aufgefordert. Synopse und interkulturelles Wissen werden gepriesen und beschrieben: „Wäre es nicht herrlich, daß du an einem Ort also wohnen könntest, daß weder die Völker, so über dem Fluß Ganges i n India wohnen, ihre Sachen vor dir verbergen, noch die so i n Peru leben, ihre Ratschläge dir verhalten können?" Eine enzyklopädische Erfassung des gesamten Wissens w i r d erstrebt.
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I m Zentrum steht die Philosophie als „Caput et Summa", als „Fundament und Inhalt aller Fakultäten, Wissenschaften und Künste" sowie ihre Erneuerung. Denn obwohl vorgegeben wird, sie sei „gesund und stark", liegt sie i n ihrer traditionellen Form „fast i n den letzten Zügen". Jedoch die Therapie ist i n der Zeit und ihrem sich beschleunigenden Erfahrungswandel angelegt, und es gibt „genugsam fürträgliche M i t tel", sie gesamthaft zu heilen und zu erneuern. „Experienz und Erfahrung" als Leitlinien eines neuen Methodenbewußtseins müssen berücksichtigt werden, u m zu effektiver „Naturerkenntnis" zu kommen. M i t tels der neuen Methoden soll es zu wissenschaftlichem Fortschritt kommen, der auch gesellschaftlichen Fortschritt freisetzt. Obwohl man „Arkana und Geheimnisse nicht gering achten" soll, denn der Wissenschafter ist ethisch gebunden und trägt Verantwortung, soll das Wissen dennoch gesellschaftlich rückgebunden und „vielen gemein gemacht" werden. Das Ziel des Ordens ist Erkenntnis für den Menschen, eine sozial engagierte Wissenschaft, die durch ihre Anstrengungen „Armut, Ungemach oder Krankheit" beheben kann. Auch diese Schrift zeigt, daß sich die Bruderschaft als Avantgarde versteht, die die Umgestaltung und Reformation der Welt i n Angriff nehmen w i l l . Auch hier soll die Legende von Christian Rosencreutz nicht nur die Kontinuität der Tradition, sondern ebenso sehr die Autorität der Legitimation liefern. 2.1.3. Die „Chymische Hochzeit"
Nachdem die „Fama" 1614, die „Confessio" 1615 erschienen waren, sorgte 1616 eine weitere Veröffentlichung für Erregung: Die Chymische Hochzeit: Christiani Rosencreutz. Anno 1459. Der Name des Autors dieser phantastischen Erzählung, die i n Straßburg herausgegeben wurde, w i r d nicht genannt. Das Buch w i r d Christian Rosencreutz unterschoben. Der Verfasser dieser Schrift ist nach eigenen biographischen Angaben Andreae. Er hat diese Arbeit vermutlich zwischen 1604 und 1605 geschrieben, als er noch Student der Theologie i n Tübingen w a r 2 7 . Der Titel dieser Schrift ist allegorisch gemeint: Der Terminus „Chymisch" ist den Naturwissenschaften entnommen. Das Wort „Hochzeit" hat für Andreae eine mehrfache Bedeutung: Zunächst läßt sich einmal i n Anlehnung an die christliche Mystik das bekannte B i l d von der Seele als Braut Christi ableiten 2 8 . Andererseits ist zu bedenken, daß der Ge27 Die beste Textausgabe ist J. V. Andreae: Die Chymische Hochzeit. Hrsg. v. A . Rosenberg. München - W e i l h e i m 1957. Diese Ausgabe ist leider m i t t l e r weile vergriffen, jedoch k a m ein Abdruck der „Chymischen Hochzeit" i m A n hang wegen des erheblichen Umfangs nicht i n Frage. 28 Vgl. dazu G. Krüger: Die Rosenkreuzer. B e r l i n 1932, S. 15.
4 Fischer
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danke aller echten Mysterien die geistige Wiedergeburt des Menschen ist, die den Aufstieg zur Gottgleichheit ermöglicht. I m Mittelalter und besonders dann i n der Renaissance wurde die Alchemie zum Hauptträger des Verwandlungs- und Erneuerungsgeheimnisses. Andreae versucht i n der „Chymischen Hochzeit" festzuhalten, was echte Alchemie ist: Sie besteht i n genauen Entsprechungen zwischen dem Sichtbaren und dem Unsichtbaren, dem Oben und dem Unten, der Materie und dem Geist. Für den echten Alchemisten ist das Gold wegen seiner Lauterkeit und seiner erstaunlichen physikalischen Eigenschaften die Sonne der Materie, ein Analogon zu jener letzten Vollkommenheit, die er zu erreichen trachtet. I m Zentrum steht die Erschaffung des Menschen durch sich selbst, d. h. die volle und gänzliche Inbesitznahme seiner Fähigkeiten und seiner Zukunft. Immer wieder begegnen uns diese Anschauungen 29 . I n der genannten Schrift ist Christian Rosencreutz als Zeuge zu einer geheimnisvollen Hochzeit geladen. Die Schilderung des märchenhaften und dramatischen Geschehens ist der Roman einer Einweihung in „sieben Tagen". Wie nach dem biblischen Mythos die Welt i n sieben Tagen erschaffen wurde, so bedarf es auch hier zur Bildung des „neuen Menschen" der sieben Stufen der Einweihung, auf denen er durch harte Prüfungen zur Wiedergeburt i n einer höheren Daseinsform, zur Erhöhung und Fülle des Menschseins emporsteigt. Die „Chymische Hochzeit" erzählt am ersten Tag die Geschichte eines grübelnden Einsiedlers, des Christian Rosencreutz. A m Vorabend des Ostertages erreicht i h n inmitten seiner Meditation die Botschaft, zur Hochzeit des Königs zu erscheinen. Sofort rüstet er sich mit Wasser und Salz, bekleidet sich m i t einem weißen Leinenrock und gürtet seine Lenden kreuzweise über die Achseln m i t einem roten Band, steckt vier rote Rosen an seinen Hut und t r i t t seine spirituelle Wanderung an. A m zweiten Tag erreicht Rosencreutz das Schloß und sagt dem Türhüter, er sei der „Bruder von dem rohten Creutz". Die Gesellschaft i m Schloß mit den unzähligen Räumen und Treppen ist bunt zusammengewürfelt. Unter den Gästen befinden sich Wichtigtuer, die behaupten, sie vermögen die Musik der Sphären zu hören oder wären i m Stande, Piatons Ideen zu sehen oder Demokrits Atome zu zählen. Der dritte Tag beginnt m i t einer Wägezeremonie und alle Gäste müssen sich dieser unterziehen. Etliche kommen schlecht dabei weg und als Rosencreutz auf der Waage steht, ruft ein Page: „Er ist es!" Beim feierlichen Festmahl bekommt Rosencreutz einen Ehrenplatz angeboten. 20 Über den Zusammenhang Alchemie u n d Rosenkreuzertum vgl. G. F. Hartlaub: Alchemisten u n d Rosenkreuzer. Heidelberg 1947.
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Den Gästen w i r d das „Goldene Vlies" und ein „Fliegender Löwe" als Orden des Bräutigams verliehen. Der Rest des Tages w i r d damit verbracht, die Seltenheiten des Schlosses zu bewundern, die zahlreichen Bilder, die Bibliothek und das Uhrwerk, das die Bewegungen des Himmels zeigt, den Globus mit allen Teilen der Welt und anderes mehr. Der vierte Tag besteht hauptsächlich i n einer Theateraufführung, die vor König, Königin und allen Gästen stattfand. Die Komödie, die von „Künstlern und Studiosi" ausgeführt wurde, ist voll von biblischen Symbolen, die der Leser als Anspielungen oder Prophezeiungen verstehen soll 3 0 . Später werden sechs der Anwesenden enthauptet und i n Särge gelegt: A m folgenden Tag werden sie wieder ins Leben zurückgerufen. Rosencreutz w i r d Zeuge von Tod und Auferstehung. Auch hierin ist eine symbolische Darstellung eines alchemistischen Leitspruchs zu sehen, nämlich: keine Zeugung ohne Verwesung. A m fünften Tag durchstreift Rosencreutz die Keller des Schlosses, und seine Neugier läßt ihn zu einer geheimnisvollen Kammer vordringen, i n der er Venus schlafend auf einem Ruhebett entdeckt und den Schatz der geheimen Bücherweisheit des Königs findet. Auch andere symbolstarke Geheimnisse werden beschrieben. Der sechste Tag ist v o l l und ganz alchemistischer Arbeit gewidmet. Leben w i r d i n Gestalt eines Vogels erzeugt. A m letzten Tag versammelt sich die Gesellschaft am Ufer, u m dann zwölf Schiffe zu besteigen, deren Flaggen Zeichen des Tierkreises trugen. Ihnen w i r d mitgeteilt, daß sie nun „Ritter vom goldenen Stein" seien. Dies errettet Christian Rosencreutz von der Strafe, denn sein Eindringen i n die geheimnisvolle Kammer wurde entdeckt. Er hätte sonst als Türhüter zurückbleiben müssen, während alle übrigen heimkehren. Die Ritter müssen sich nun auf die Gesetze des Ordens verpflichten, vor allem zur Selbstlosigkeit gegenüber den Mitmenschen. Als sie i n einer Kapelle ihren Namen eintragen, schreibt Rosencreutz als Wahlspruch: Summa scientia nihil scire. S. R. Christianus Rosencreutz. Eques aurae lapidisi Anno 1459. Der Faden der verworrenen Geschichte w i r d hier gewaltsam unterbrochen, indem erklärt wird: „Hier mangeln ungefähr zwei Quartblättlein an der Geschichte und ist er (Autor huius), da er vermeinte, er müßte morgens Türhüter sein, heimgekommen." Die Erzählung ist i m Grund eine alchemistische Phantasie, die das Urbild der elementaren Verschmelzung, die Hochzeit, die Vereinigung 30
Interessant ist, daß die gesamte „Chymische Hochzeit" sowie die am v i e r ten Tag gespielte Komödie eine wesentliche Vorlage für Mozarts Zauberflöte ist. Die Zusammenhänge sind mustergültig aufgearbeitet bei A . Rosenberg: Die Zauberflöte. 2. Aufl., München 1972, S. 155 ff. 4*
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von sponsus und sponsa schildert, aber auch das Thema des Todes berührt, durch den die Elemente während des Vorgangs der Wandlung gehen müssen. Zeitgenössische alchemistische Symbole, wie w i r sie bei Michael Maier, i n der Atalanta fugiens finden, geben uns ein B i l d der alchemistischen Hochzeit, des alchemistischen Todes und der Fülle der weiteren Anspielungen, die sich i n der „Chymischen Hochzeit" finden 3 1 . Die „Hochzeit" hatte auf die Zeitgenossen eine enorme Wirkung. Die andauernde Faszination, die diese Schrift ausstrahlt, schlägt sich i n Mozarts Zauberflöte ebenso nieder wie i n einem Brief Goethes an Charlotte von Stein, wenn er von dieser Schrift als „schönem Märchen" spricht, das wiedergeboren werden soll 3 2 . Die „Chymische Hochzeit" gehört neben „Fama" und „Confessio" zu den klassischen und ursprünglichen Rosenkreuzerschriften. Ins Erscheinungsjahr der „Chymischen Hochzeit" fällt auch die Abfassung von Andreaes Erziehungs- und Bildungsdrama Turbo 3 3 . Diese Schrift verdeutlicht uns, daß die „Hochzeit" bereits wesentlich früher geschrieben wurde. I m „Turbo" haben w i r es m i t dem Niederschlag von Andreaes Selbsterfahrung zu tun, wenn er die verschiedenen Stufen menschlicher Bildung darstellt. Andreae zeigt hier, daß der Mensch nicht als Mensch geboren wird, sondern als Entwurf, den er ausfüllen muß. Diese Arbeit m i t ihrem Faustmotiv ist sowohl eine Bekenntnisschrift des Verfassers wie auch eine pädagogische Tendenzschrift: I n künstlerischer Form w i r d der ewig unruhevolle Wahrheitssucher geschildert, der vielerlei Lebenssituationen und Weltanschauungen auf ihren Bildungsgehalt h i n prüft und endlich i n der völligen Hingabe des Menschen an Gott Erlösung von allem I r r t u m findet. Und i n der Tat ist j a auch der Anfang des 17. Jahrhunderts eine wahrhaft faustische Zeit. Man wendet sich unbefriedigt vom A l t e n ab und sucht sehnsuchtsvoll nach noch nicht vorhandenem oder sich bloß andeutendem Neuen. Die Loslösung von den Autoritäten der Vergangenheit und das gigantische Durchschreiten gewaltiger Wissensgebiete trieb nicht selten den von allem Wissen und Können trotzdem Unbefriedigten auf die Bahn der Dämonologie, der falschen Astrologie und Alchemie, wie es Andreae i n der symbolischen Gestalt des Faust 31 Vgl. ζ. Β . M . Maier: A t a l a n t a fugiens . . . Oppenheim 1618. Faksimiledruck m i t 52 Stichen v o n Matthäus M e r i a n d. Ä., hrsg. v. L. H. Wüthrich. Kassel - Basel 1964, S. 145. 82 Goethe an Charlotte von Stein v o m 28. J u n i 1786 (?). I n : Werke. A r t e m i s Ausgabe, 26 Bde., 1 Registerbd., Zürich 1949 ff., Bd. 18, S. 933. Vgl. M . W. Fischer: „Die Zauberflöte", ein Weg zu höherer Wahrheit, i n : Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten 1979. 33 J. V. Andreae: Turbo, si ve moleste et frustra per cuncta divagans i n genium. I n theatrum productum helicone i u x t a parnassum, o. 0.1616.
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veranschaulicht hat. Der „Turbo" ist somit nichts anderes als ein Spiegel seiner Zeit. Bereits i n der „Chymischen Hochzeit" kämpft Andreae mit besonderem Nachdruck gegen die falschen Alchemisten. Infolge der großen Verwirrungen, die die Rosenkreuzerschriften anrichteten — es w i r d später die Rede davon sein —, distanzierte sich Andreae immer stärker vom Rosenkreuzertum und polemisierte gegen die falsch gedeutete Rosenkreuzerei, gegen ihre törichte Goldmacherkunst sowie gegen die Fülle der ihr zuströmenden Kandidaten, die alles daran setzten, u m i n diese anonyme Bruderschaft aufgenommen zu werden. Andreae verfaßte eine Reihe zynischer Satiren gegen diese „Suchenden" und besonders hervorzuheben ist der Menippus und die Mythologia Christiana 34. I m Jahre 1619 veröffentlichte Andreae die Schrift Der Turm von Babel, i n der er unmißverständlich gegen die Rosenkreuzer Stellung nimmt: I m letzten Kapitel ergreift die Fama das Wort: „Wohlan, ihr Sterblichen, ihr dürft auf keine Bruderschaft mehr warten. Die Komödie ist aus. Die Fama hat sie aufgeführt und auch wieder abgeführt. Die Fama sagte ja; jetzt sagt sie nein." A m Schluß faßt Rescipiens, d. h. der zur christlichen Einsicht Kommende, das Resultat dahingehend zusammen: „Wenn ich die Gesellschaft der Bruderschaft zwar fahren lasse, so doch niemals die wahre christliche Bruderschaft, welche unter dem Kreuz nach Rosen duftet 3 5 ." Sein Bekenntnis zur christlichen Bruderschaft klingt aus i n der Devise, die auf dem Grabmal des Vaters Rosencreutz gestanden ist: „Jesus m i h i omnia." Rescipiens, der hier spricht, ist Andreae selbst: A u f der einen Seite verwahrt er sich gegen den Zulauf Törichter zur Bruderschaft des Rosenkreuzes, hebt jedoch auf der anderen Seite ihre positiven Aspekte hervor. Vor allem geht es Andreae darum, die Kernideen des Rosenkreuzertums, die i n die Zukunft weisen, zu bewahren. Eigentlich verurteilt und bekämpft Andreae hauptsächlich jene Elemente, die bereits i n den Rosenkreuzerschriften scharf und konsequent zurückgewiesen werden: Neugierde, christusfeindliche Neuerungssucht und verdammungswürdigen Hunger nach Gold 3 6 . 84 J. V. Andreae: Menippus sive Dialogorum satiricorum centuria inanit a t u m nostratium speculum cum quibusdam aliis liberioribus. Helicone i u x t a Parnassum 1617; ders.: Mythologia Christiana sive v i r t u t e m et v i t i o r u m vitae romanae i n maginum l i b r i très. Argentorati 1619. 35 J. V. Andreae: T u r r i s Babel sive Judiciorium de Fraternitate Rosacae Crucis Chaos. Argentorati 1619, S. 69 f. 36 Des näheren vgl. W. Begemann: Johann V a l e n t i n Andreae u n d die Rosenkreuzer. I n : Monatshefte der Comenius-Gesellsçhaft, Bd. 8, H. 5/6, B e r l i n 1899, S. 145 ff.
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Gott und Natur bilden i n Andreaes Schriften die eigentlichen Pole, u m die sich seine Weltanschauung dreht. W i r haben es hier mit einer Frühform des Pantheismus zu tun. I n Kreisen der Rosenkreuzer ist dafür ein anderes Kennwort geprägt worden, unter dem sich diese Weltbetrachtung zusammenfassen ließ: Pansophie. Das Wort „Pansophie" selbst findet sich erstmalig i n einem Sammelband von Rosenkreuzerschriften aus dem Jahre 161637. Comenius hat das Gemeinte wenig später klassisch formuliert: „Allweisheit, nämlich das, worin sich das A l l lebendig widerspiegelt 38 ." I n einer derartig gefaßten Pansophie hätte sowohl Paracelsus wie Kepler, Bruno oder Campanella ihr eigenes Streben erkannt. Die Rosenkreuzer wollten eine das A l l umfassende Religion erlangen und zwar aus den beiden „großen Büchern", die Gott der Welt geschenkt hat, nämlich aus dem Buch der Natur und der Bibel. Die enge Verknüpfung des Rosenkreuzertums zur Renaissancephilosophie ist sowohl i n den drei ursprünglichen Rosenkreuzerschriften festzustellen, aber ebenso sehr i n der von ihnen ausgelösten Publikationsflut. Das Wiedergeburtsdenken der Renaissance und die Reformation des Individuums und der Gesellschaft finden i m Begriff der „Generalreformation" der Rosenkreuzer ihre Weiterentwicklung. Ein weiterer erheblicher Faktor für das Rosenkreuzertum scheint auch die Geschichtsphilosophie des Abtes Joachim von Fiori zu sein. Er w i r k t wie kein anderer als entscheidender geistiger Faktor i n die Neuzeit. 2.1.4. Anfänge des deutschen Utopismus
Joachims Überwindung der sieben traditionellen Zeitalter i n seiner Drei-Zeiten-Lehre hat die Grundlage des modernen Geschichtsbewußt87 Die Schrift hieß „Judicia clarissimorum A l i q u o t Ac Doctissimorum V i rorum, Locorum Intervallis Dissitorum, grauissima de Statu & Religione Fraternitatis celebratissimae de Rosea Cruce; P a r t i m soluta, P a r t i m Ligata Oratione Conscripta & i n gratiam verae ac solidae cum Philosophiae, cum Theosophiae studiosorum uno quasi fasciculo comprehensa. Quibus Accessere Epistolae Duae Germanicae eiusdem argumenti, p a r i ingenij acumine & iudicij maturitate commendatae. — Francofurti 1616. Darin: 1. Aulogistia è symbolo Ordinis de Rosea Cruce, 1616, S. 3 - 11; 2. (Arndt, Joh.): Oratio ad Jhesum Christum. S. 11; 3. Epistola metro ligata, 1616, S. 12 - 18; 4. A d venerandos viros . . . Epistola, 1616, S. 19 - 28; 5. Sendschreiben A n d. glorwürd. Brrschafft v. R. C., 1615, A n h . S. 1 - 11; 6. Missiva A n d. Fraternitet d. R. C., A n h . S. 12 - 18; 7. Sendschreiben a. d. v o n Gott hocherleuchtete Männer. A n h . S. 18 - 20. Vgl. des näheren dazu W. Begemann: Z u m Gebrauch des Wortes „Pansophia" vor Comenius. I n : Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 5, H. 8 - 9 , B e r l i n - München 1896, S. 210 - 221. 38 Z i t i e r t nach Begemann: a.a.O., S. 212. Z u r E n t w i c k l u n g des Pantheismus vgl. S. Wolgast: Der deutsche Pantheismus i m 16. Jahrhundert. Sebastian F r a n k u n d seine W i r k u n g e n auf die E n t w i c k l u n g der pantheistischen Philosophie i n Deutschland. B e r l i n 1972,
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seins geschaffen. Der freie abendländische zukunftsorientierte Mensch wurzelt i n seiner Philosophie. Joachim sieht die Geschichte als Stufenbau: aus der christlichen Theologie übernimmt er das Dogma der T r i n i tät und wendet es auf die irdische Geschichte an, die sich i n drei Phasen verwirklicht. Die Epoche des Vaters ist die eigentliche Basis der Geschichte, ihr Altertum; die mittlere Stufe ist die Epoche des Sohnes, das Zeitalter der Vorherrschaft der Kirche. Die letzte Epoche, auf die alles Werden des Lebendigen und alle Geschichte abzielt, ist schließlich die Epoche des Heiligen Geistes, der Vollendung und der Mündigkeit des Menschen. Indem Joachim diese drei Großepochen der Menschheit und ihrer vorwiegenden Geisteshaltungen gesetzmäßig i n kleinere Epochen unterteilt, gelangt er zu einem reich sich entfaltenden Geschichtsschema. I n immer neuen Kreisläufen, Schichten und Perioden entwickelt sich nach i h m die Menschheit i n steter Wandlung ihrer sozialen und geistigen Verfassung, ihrem Ziel der Einheit und der i m Geist gegründeten Brüderlichkeit zu. Die Geschichte ist für Joachim ein Stufenbau, dessen Spitze zum vollkommenen Menschen und zur vollkommenen Gesellschaft tendiert: er ist der Urheber des abendländischen Entwicklungsgedankens 39. Das gesamte spirituelle System dieser Geschichtsphilosophie und sämtliche sich daraus ergebenden Implikate werden von den Rosenkreuzern vollinhaltlich übernommen. Vor dem Eintritt dieser dritten Epoche werden sich die Prophezeiungen des A l t e n Testaments und der Offenbarung Johannis von den Zorngerichten Gottes an der römischen Kirche, die hier auf biblischer Grundlage wohl zum ersten Mal als das neue Babylon bezeichnet wird, erfüllen. Wenn dies auch von der Sekte der Joachiten nicht i m Sinne einer völligen Vernichtung verstanden wurde, so sollte die Kirche doch an Haupt und Gliedern gereinigt und geläutert werden. Auch aus der „Fama" der Rosenkreuzerbrüderschaft klingt uns nach Wortlaut und Sinngehalt das Echo dieser joachitischen Auffassung entgegen. Ganz offenkundig läßt sich ein Niederschlag der joachitischen Geschichtsphilosophie i n den drei ursprünglichen Rosenkreuzerschriften festhalten. Nicht nur Allegorie, Zahlenmystik und Symbolik werden übernommen, sondern auch die Idee einer stufenweisen Höherführung der Menschheit. Für die Rosenkreuzer war das Bewußtsein des angebrochenen Zeitalters des Heiligen Geistes letztlich das bewegende Zeitgefühl. Das praktische Anliegen ihrer „Aufklärung" war es, die Z i v i l i sation i n der Welt zu befördern, bessere Lebensbedingungen und allgemeine Bildung durchzusetzen. 39 Des näheren vgl. A . Rosenberg: Die Vorhersage der Geschichte. Der zyklische Verlauf des Weltgeschehens. Zürich 1975.
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Das bedeutendste Werk von Andreae ist die Beschreibung der idealen, utopischen Stadt „Christianopolis" 40. Obwohl diese Schrift nicht zu den unmittelbaren Rosenkreuzermanifesten gehört, ist sie dennoch i n einem gemeinsamen Denkkontext zu beleuchten, da sie uns über Zielansprache und Kritikfelder des Geheimbundes nähere Auskunft gibt. Christianopolis ist der erste deutsche Staatsroman, eine klassische Schrift i n der utopischen Tradition. Die zentrale Stellung dieser Arbeit ist nach wie vor zu wenig berücksichtigt. Andreae versucht hier, ein Gegenbild der Realität seiner Zeit zu zeichnen, der unvollkommenen Gesellschaft das B i l d einer vollkommenen vorzuhalten. Beispielhaft für diese A r t von Sozialutopie ist die 1516 erschienene Utopia des englischen Lordkanzlers Thomas Morus, auf den sich Andreae beruft. Morus stellt hier zunächst die negativen Zustände i m England seiner Zeit dar, u m dann einen mysteriösen Reisenden, der m i t dem berühmten Amerigo Vespuci unterwegs war, von seinen Erlebnissen auf der fernen Insel Utopia und ihrer vollkommenen Gesellschaft berichten zu lassen. Christianopolis ist i m zeitlichen Kontext der Nova Atlantis von Francis Bacon41 und des Sonnenstaates von Tomaso Campanella zu bewerten. Campanella, der jahrzehntelang i n den Kerkern der Kurie — der Ketzerei verdächtig — gefangen gehalten und gefoltert wurde, hielt sich selbst für ein „Genie, für einen Titanen, für Prometheus", und „für den letzten großen Gesetzgeber nach Moses, Salomon, Christus und Mohammed" 4 2 . Bereits als Jugendlicher war er wegen seines religiösen Fanatismus angeklagt und eingekerkert. Später wurde er aufgrund seiner kritischen Schriften zur Reform des Staates politisch verfolgt. Campanella war wie Giordano Bruno Dominikaner und führte i n Süditalien eine Revolte gegen die spanischen Besatzungsmächte an. Etwa zur selben Zeit, als Bruno i n Rom auf dem Scheiterhaufen verbrannte, mißglückte auch die Revolte Campanellas. Er wurde gefangen 40 J. V. Andreae: Rei publicae Christianopolitanae descriptio. Straßburg 1619. Z i t i e r t nach der Ausgabe J. V. Andreae: Christianopolis. Aus dem Lateinischen übersetzt, kommentiert u n d m i t einem Nachwort herausgegeben v. W. Biesterfeld. Stuttgart 1975. Zahlen i n K l a m m e r n beziehen sich auf die Seiten dieser Ausgabe. Teilweise wurde auch eine ältere Übersetzung herangezogen, u m den plastischen Ausdruck zu bewahren, u n d zwar J. V. Andreae: Reise nach der Insel Caphar Salama u n d Beschreibung der darauf gelegenen Republic Christiansburg. . . . Ubersetzt v. D. S. Georgi , Esslingen 1741. I n : H. Swoboda (Hrsg.): Der T r a u m v o m besten Staat. Texte aus U t o pien v o n Piaton bis Morris. 2. A u f l . München 1975, S. 131 ff. 41 Vgl. zu Bacon, Fludd, Comenius den nächsten Abschnitt. 42 Κ Weber zitiert nach Swoboda, S. 99.
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genommen, gefoltert und verbrachte einen großen Teil seines restlichen Lebens i n Gefangenschaft auf dem Schloß von Neapel. Während dieser Gefangenschaft entstand die „Civitas solis", und zwar zunächst u m das Jahr 1602 i n italienischer Sprache und dann nach Umarbeitungen 1612 und 1620 i n lateinischer. Zum ersten Mal wurde diese Schrift i m dritten Teil der „Realis Philosophiae epilogisticae" Campanellas von Tobias Adami 1623 i n Frankfurt herausgegeben 43 . Drei Jahre vor seinem Tod, 1636, hat Campanella das Werk noch einmal überarbeitet, was wohl ein Beweis dafür ist, wie sehr die darin ausgedrückten Ideen ihn sein Leben lang begleiteten 44 . Obwohl Campanella selbst seinen Staat nicht verwirklicht sah, wurde doch bald danach der sogenannte Jesuitenstaat i n Paraguay über ein Jahrhundert lang nach Methoden und Prinzipien verwaltet, die deutlich ihre Abkunft vom „Sonnenstaat" erkennen lassen. Zwei enge Freunde Andreaes, Tobias Adami und Wilhelm Wense, besuchten Campanella mehrfach i m Gefängnis von Neapel. Mutmaßlich genau zu der Zeit, als die Rosenkreuzermanifeste erschienen, hat Andreae i n das Manuskript Campanellas Einsicht genommen. Die „Civitas solis" ist die Beschreibung einer idealen Stadtgemeinschaft, die von hermetischen Priestern beherrscht und durch ihre wohltuende wissenschaftliche Magie glücklich und gut erhalten wird. Phantasien über das ideale Gemeinschaftsleben sind ja für die Rosenkreuzerische Denkatmosphäre, wie bereits die Manifeste zeigen, äußerst charakteristisch. Das unmittelbare Modell für die Christianopolis Andreaes ist Campanellas „Civitas solis" — eine runde Stadt m i t einem runden Sonnentempel i n der Mitte. Die hermetisch-kabbalistische, magischwissenschaftliche Atmosphäre der Stadt der Sonne beherrscht auch Christianopolis, und viele Einzelheiten i m Leben dieser Städte weisen auf unübersehbare Parallelitäten hin. Eine gängige Behauptung ist, daß Andreae tief beeindruckt nach der Durchsicht des Sonnenstaates sich entschlossen habe, eilig ein Gegenstück zu schreiben, u m der Utopie des katholischen Mönchs einen Idealstaat evangelisch-reformatorischer Prägung gegenüberzustellen. Wenn man die beiden Utopien vergleicht, dann verliert diese Behauptung stark an Glaubwürdigkeit. I m „Sonnenstaat" sind zahllose Details, die anzugreifen ein Leichtes gewesen wäre, aber Andreae unternimmt dazu nicht den mindesten Versuch. So wichtig auch Campanellas Einfluß auf die Abfassung der „Christianopolis" ist, machen sich noch 43 T. Campanella: Realis Philosophiae epilogisticae partes I V . Hrsg. v. T. Adami u n d m i t einem V o r w o r t versehen. F r a n k f u r t 1623. 44 Des näheren vgl. G. Bock: Thomas Campanella. Politisches Interesse u n d philosophische Spekulation. Tübingen 1974.
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andere und kaum untersuchte Einflüsse bemerkbar. Sie können nur angedeutet werden: Es wären beispielsweise die Parallelitäten zu Andreaes Freund, dem i n England lebenden Deutschpolen Samuel Hartlib zu untersuchen, der später die Utopien Macaria und Noland schrieb. Andreaes Betonung der großen Bedeutung der mathematischen Wissenschaften i n Verbindung mit Architektur und den schönen Künsten — die i n der Folge noch näher dargestellt werden soll — sind zwar ein Bestandteil des Daseins i n der Stadt Campanellas, aber sie haben ebenso i m zweiten Band von Robert Fludd's Utriusque Cosmi historia direkten und präzisen Ausdruck gefunden, welcher ja i m selben Jahr wie die Christianopolis, nämlich 1619, veröffentlicht wurde. Auch i n der Vorrede zu Christianopolis distanziert sich Andreae von der Rosenkreuzerbrüderschaft. Er sagt, daß die Fama, die den Mißverhältnissen der Zeit entgegentreten wollte, zwar eine „ernsthafte theologische Schrift" gewesen sei, aber dennoch ein „irreführender Scherz". Sie weckte die „herrliche Hoffnung auf Besserung der verdorbenen Zustände", hatte jedoch bloß einen unerhörten „Streit der Geister", „Unruhe" sowie „Händefuchteln der Betrüger und Finsterlinge" zur Folge. Gleichzeitig bewirkte die „Fama" eine Polarisierung der Meinungen i n zwei weltanschauliche Lager: die einen verteidigten i n „panischem Schrecken" und „um jeden Preis m i t Geschrei" ihren „alten abgedroschenen K r a m " ; die anderen hingegen klagten — durch die „Fama" sehend und wissend geworden — das „überschwere Joch der Knechtschaft an" und wollten nunmehr „die Freiheit atmen". Gerade dieses „nachdrückliche Eintreten für ein christliches Leben" wurde zum Vorwand genommen, die Redlichen „der Ketzerei und schwärmerischen Sektiererei" anzuklagen. Nach wie vor plädiert Andreae dafür, die positiven Seiten der „Fama" i n die Praxis umzusetzen, ohne jedoch auf die zweifelhafte Brüderschaft vom Rosenkreuz zu warten, „die nur i n der Aufgeblasenheit ihrer Anhänger allwissend ist" (12). Das Ziel bleibt das gleiche wie i n den Rosenkreuzermanif esten: „Das Licht zurückholen und die Finsternis vertreiben" (7), sowie ein „Bollwerk" der „Wahrheit und Güte" zu errichten (21). Trotz der „Herrschaft der Tyrannei, Sophisterei und Heuchelei" w i l l sich Andreae nochmals auf „das akademische Meer hinauswagen", „Leib und Leben den tausend Gefahren" aussetzen, „die die Wißbegierde nach sich zieht" (19). A m Ende des Vorwortes fordert er den Leser auf, ein Boot zu besteigen und nach Christianopolis zu segeln: „ I m übrigen w i r d es das sicherste sein, wenn du . . . das Schiff besteigst, das den Krebs als Zeichen führt und selbst i n glücklicher Fahrt nach Christianopolis gelangst, u m
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dort i n der Furcht des Herrn alles aufs genaueste zu erforschen" (14 f.). Das Zeichen des Krebses symbolisiert dabei die Umkehr von irdischer Befangenheit zur Klarheit der Erkenntnis h i n 4 5 . Auch w i r d dem Leser i m Vorwort versichert, daß sich Christianopolis niemand verweigern wird, der wirklichen Wert auf diese Stadt legt. A u f der i m Folgenden beschriebenen Reise w i r d nach einem Schiffbruch die Insel „Capharsalama", ein A b b i l d der ganzen Erde i m kleinen, glücklich gefunden. Das hebräische Wort ist der Bibel entnommen und heißt „Dorf des Friedens". A m Ende der „Chymischen Hochzeit" gingen ja auch Christian Rosencreutz und seine Freunde auf Schiffe, die Tierzeichen am Bug trugen. Durch diese Anspielungen verbindet Andreae das Vorwort zu Christianopolis mit der „Chymischen Hochzeit". Die Insel, auf der Christianopolis lag, wurde von Christian Rosencreutz schon auf der Reise entdeckt, zu der er am Ende der „Hochzeit" aufbrach. Verblüffend ist der zeitkritische, ja nahezu revolutionäre Inhalt dieser utopischen Schrift. Die K r i t i k w i r d hier bereits methodisch eingesetzt wie später i n den aufklärerischen Utopien des 18. Jahrhunderts. I n jedem Kapitel kontrastiert Andreae die idealen Zustände von Christianopolis m i t den Mißverhältnissen seiner Zeit. Der Kampf u m neue Orientierungen stärkt sich aus der K r i t i k der „großen Verwegenheit", mit welcher man sich der „offensichtlichsten Wahrheit" widersetzt. Andreae verspottet den Adel (42), brandmarkt das „Wüten der Gerichtsbarkeit, die Zügellosigkeit der Sitten, die Anhäufung der Schätze und die Verachtung der Ewigkeit" sowie die „Käuflichkeit der akademischen Grade" (10). Der Staat, anstatt wirklicher Staat zu sein, ist „ein Markt, auf dem man Laster kaufen und verkaufen kann". Die Wissenschaft, anstatt echte Wissenschaft zu sein, legitimiert die Korruption und klagt jeden, der reformieren w i l l , des Aufstandes an (9, 47). Die „christliche Freiheit" w i r d dem „Antichrist" verkauft, die „natürliche Freiheit der Tyrannei, die menschliche Freiheit der Sophisterei, und für ein paar Oboli" verpflichtet man sich „dem Aberglauben, der Knechtschaft und der Unwissenheit zu Dienst" (68). Gegen die negativen bestehenden Verhältnisse versucht Andreae die positiven Orientierungen von Christianopolis zu setzen. I n diesem Sinn ist die Beschreibung Andreaes nicht nur eine bloße Utopie, sondern auch der Ausdruck eines Willens zur Veränderung. Der schiffbrüchige Verfasser w i r d von den Christianopolitanern freundlich aufgenommen, hat sich jedoch drei Prüfungen zu unterziehen, und zwar bezüglich seiner „Person und Gesittung", seiner „kör45
So nach der Deutung v o n Biesterfeld
i n A n m . 11, S. 143.
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perlichen Verfaßtheit" und seiner „Geistesbildung" (21 ff.). Die Initiation ist hier i n Anlehnung an die joachitische Geschichtsphilosophie konstruiert, und nach diesen drei Prüfungen befindet sich der Verfasser, i n der Stadt und i m Zeitalter des Geistes. Es folgt dann die Beschreibung der Stadt und ihrer weitgehend von der Wissenschaft bestimmten K u l t u r 4 6 . I n gewisser Hinsicht klingt es sogar so, als sei Christianopolis die gehobene Gattung eines technischen Kollegiums und i m Mittelpunkt steht ja auch ein Kollegiumshaus. W i r finden i n Christianopolis den Entwurf einer Akademie einschließlich ihrer organisatorischen Struktur, und zwar ehe Bacons „New Atlantis" herauskam, welche gewöhnlich als der erste Anstoß zur Gründung wissenschaftlicher Akademien i m modernen Sinn angesehen wird. Andreae verfolgte durch sein ganzes Leben den Plan der Gründung einer „gelehrten christlichen Gesellschaft". Zur gleichen Zeit als Christianopolis erscheint, arbeitet er auch an zwei weiteren Schriften, die diesen Zweck verfolgen und dann 1620 i m Druck erscheinen: Die Christiana societas imago und die Christiana amoris dextera prorecta 47. I m Dreißigjährigen Krieg scheitern jedoch sämtliche Bestrebungen Andreaes. Comenius und die Engländer haben an Andreae angeknüpft. Der Gedanke einer Akademie der Wissenschaften und Künste wurzelt damit letzten Endes i m Rosenkreuzertum. Der Plan von Christianopolis gründet auf Quadrat und Kreis. Alle Häuser sind quadratisch gebaut, das größte äußerste Quadrat umschließt ein weniger großes, dieses wiederum ein noch kleineres, bis das zentrale von einem Rundtempel beherrschte Quadrat erreicht ist. Die Stadt soll also die astrologisch-symbolisch angeordnete Symmetrie der Schöpfung spiegeln. Bereits hier zeigt sich die unübersehbare Übereinstimmung mit dem B i l d des Universums, wie es das moderne wissenschaftliche Denken seit Kopernikus i n packender Weise als Gravitation u m einen ausgezeichneten Mittelpunkt zu definieren sucht. Andreae w i l l damit das Kosmisch-Spirituelle seines Anliegens verdeutlichen (25 f.). Die Aufsichtsführenden dieser Stadt tragen oft Namen von Engeln: Uriel, Gabriel, usw. und i n dem ganzen symbolischen Plan drückt sich eine kabbalistisch-hermetische Harmonie von Makrokosmos und Mikrokosmos, von Universum und Mensch aus. Die Beschreibung der Stadt ist eine faszinierende Mischung von M y thischem und Praktischem. Die Lichtmetaphorik zeigt uns diese Verschränkung ganz deutlich: Die Stadt ist z. B. sehr gut erleuchtet und 46 Über das Verhältnis v o n Utopie u n d Wissenschaft vgl. R. A . Hall: Science, Technology and Utopia i n the 17th Century. I n : P. Mathias (Hrsg.): Science and Society. 1600 - 1900. Cambridge 1972. 47 Vgl. dazu J. V. Andreae: Selbstbiographie, S. 102, sowie R. Pust, S. 240 ff.
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diese Helligkeit bedeutet für die Gemeinschaft wesentliches, denn sie verhindert Vergehen und alles Üble, das „ i m Dunklen" wohnt. Die mythische Bedeutung liegt darin, daß dies eine Stadt ist, die i m Lichte der Nähe Gottes lebt und damit auch i m Lichte der Nähe des Wissens (45 f.). Auch das Wort Aufklärung als Erleuchtung Gottes und Erleuchtung des Wissens durch neue Erkenntnis w i r d immer wieder gebraucht. Die gesamte K u l t u r der utopischen Stadt ist von der Wissenschaft geprägt. Auch die Embleme der Münzen von Christianopolis versinnbildlichen, daß das Gemeinwesen auf Christentum und Wissenschaft beruht (68). „Alles, was die Erde i n ihrem Schoß birgt, w i r d den Gesetzen und Instrumenten der Wissenschaft unterworfen" (29). Theorie und Technologie werden gleichermaßen kultiviert, und es gibt eine große, hochgebildete Handwerkerklasse. Vor allem die Handwerker fördern die Möglichkeit der freien Erfindung. Denn man geht davon aus, daß das „Experiment" die wesentlichen wissenschaftlichen Neuerungen freisetzt. Die Bewohner sind überzeugt, daß es keine Wissenschaft, keine Kunst und kein Handwerk gebe, das „so schwer sei", daß es nicht jeder „mit der Zeit lerne" (30, 32 f.). Das allgemeine Ziel der Christianstädter ist dabei „zu wissen, wie viel w i r doch nicht wissen, und von da her sich der wahren Wissenschaft anzuschließen" (64). Auch am Ende der „Chymischen Hochzeit" fällt der Satz: „Summa scientia n i h i l scire." Dieser Grundsatz der sokratischen Philosophie w i r d von Andreae immer i n der Bedeutung der Offenheit für neue Erkenntnis gebraucht (vgl. 24, 60). Die Christianstädter besitzen nicht nur „eine Bibliothek ungeheuren Umfangs" (63), sondern auch Archive, u m ein lebendiges Geschichtsbewußtsein zu erwecken (65 f.). Mechanik und mechanische Künste werden betrieben und es gibt eigene Werkstätten für den Bau mathematisch-astrologischer Instrumente. Hier findet man alles, was „Tycho Brahe" i n seiner „Astronomiae instauratae medianica" von 1598 beschrieben hat, auch das „neulich erfundene Teleskop" sowie eine Fülle anderer Instrumente zu „Forschungsversuchen" (74 f.). M i t dem Verweis auf das Teleskop bezieht sich Andreae vermutlich auf die Keplersche Verbesserung des 1609 von Galilei popularisierten, aber schon vorher i n Holland erfundenen Fernrohrs. Andauernd w i r d die Bedeutung der experimentellen Philosophie hervorgehoben und ihre zentrale Rolle für die Umwandlung des Methodenbewußtseins. Neben dem Experiment w i r d nachdrücklich auf Beobachtung und Erfahrung verwiesen (75 f.). I n großen Laboratorien beschäftigt man sich mit „wahrer und eigentlicher Chemie", i n der „die praktische Naturwissenschaft ihren Ort"
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
hat (30). Durch die chymische Forschung w i r d „der Himmel m i t der Erde vermählt" (69), d.h. die „Chymische Hochzeit" gefeiert, u m den „Stein der Weisen" herzustellen. Außer Chemie und Alchemie versucht man auch, die Naturphänomene zu „klassifizieren" und auf die Kriterien der praktischen Verwertbarkeit h i n zu untersuchen (70 f.). Für Anatomie und Sektionen gibt es spezielle Gebäude. Großer Wert w i r d auf die Medizin gelegt und besonders auf die psychologischen Faktoren bei der Genesung der Kranken. Die Auffassung vom Menschen als einer spirituellen, psychosomatischen Einheit ist vorherrschend ( l l l f . , 136 f.). Überall i n der Stadt sind Bilder, die das Lehren und Lernen leichter machen. I m „Schauhaus der Natur" und anderen naturwissenschaftlichen Laboratorien sind Phänomene der Naturgeschichte an die Wand gemalt. Astrologie, Geographie, Ethnologie, Tier- und Pflanzenwelt, Mineralogie usw. werden bildhaft dargestellt (72 f.). Die Malerei w i r d als eine der wesentlichen Künste gelehrt und von den Schülern mit Begeisterung geübt; neben dem Schmuck kommen der bildhaften Darstellung vor allem pädagogische Aufgaben zu. Diese Idealstadt ist ein riesiger pädagogischer Organismus, der für jede Gliederung und für jeden Brennpunkt ein Deutungsinstrument bereithält. Die Rolle des Auges als Erkenntnisinstrument w i r d hervorgehoben, und überall soll ein schauendes Denken verwirklicht werden. Als Untergebiete der Malkunst werden aufgezählt Architektur, Perspektive, Festungsbauwesen, Maschinenbaukunst und Mechanik. Ein wesentlicher Zug der K u l t u r dieser Stadt ist die Konzentration auf „positive" Erkenntnis, vor allem auf die Mathematik. Sie w i r d als zentrales Objektivierungsmittel der Natur angesehen. I n den Studienräumen für Mathematik w i r d die Harmonie der Gestirne beobachtet, Berechnungen für neue Werkzeuge und Maschinen angestellt, sowie die Grundgestalten der Geometrie auf neue Erkenntnisse h i n untersucht (75 f.). Die Organisation der Stadt ist i m wesentlichen praktisch orientiert: man arbeitet an der Verbesserung der Wirtschaftsführung, der Straßenbeleuchtung, der sanitären Anlagen. Die Menschen haben gefällige Wohnungen und Wasserleitungen zu jedem Haus. Es gibt ein perfektes Kanalisationswesen, i n dem die Abwässer der einzelnen Häuser von einem unterirdischen Fluß aufgenommen werden, herrliche Gärten und anderes mehr (vgl. 30 f. sowie 131 ff.). „Christianopolis" hat gediegene Ausbildungsstätten für die Jugend, wo das Bewußtsein vom „Zeitalter des Geistes" vermittelt werden soll. Scharf polemisiert Andreae i n diesem Zusammenhang gegen die K i n derarbeit (76 ff.). Sowohl Mädchen als auch Knaben werden ausgebildet, denn Andreae versteht nicht, warum das weibliche Geschlecht, „das
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von Natur aus nicht ungelehriger ist, anderswo vom Unterricht ausgeschlossen w i r d " (80). Die acht Auditorien der Künste umfassen folgendes Ausbildungsprogramm: i m ersten w i r d zunächst Grammatik gelehrt, auch die hebräische, griechische und lateinische, dann Rhetorik und verschiedene Sprachen, u m später „ m i t vielen Einwohnern der Erde" i n Verbindung treten zu können (81 ff.). „Das zweite Auditorium heißt das dialektische und ist so nach der edelsten Kunst benannt". Hier werden die „Werkzeuge der Methode" vermittelt und die „Urteilsfähigkeit" geschult. Auch „Metaphysik" w i r d gelehrt und zwar ganz i m Sinne des Neuplatonismus und seiner Kosmologie. Eine noch höhere Form der Betrachtung ist i n dieser Ausbildungsstufe die „Theosophie" (84 ff.). I m dritten Auditorium w i r d A r i t h m e t i k und Geometrie gelehrt und i n diesem Zusammenhang ein Plädoyer für die „experimentelle" Philosophie gehalten. Aber auch Kabbala und geheime Zahlenlehren werden unterrichtet, denn hinter allen Maßen und Zahlen verbirgt sich der Schöpfer, der sie gesetzt hat. Gott hat „seine Geheimnisse niedergelegt", damit die Menschen sie m i t dem „Davidischen Schlüssel", einem Symbol der Kabbala, aufschließen, „und den Messias als über alles Ausgebreiteten erkennen" und sehen, wie er i n unaussprechlicher Harmonie alles zusammenhält, alles machtvoll und weise bewegt. Die Bewohner von Christianopolis glauben, daß der über das ganze Universum gesetzte „Architekt" (eine Metapher, die später die Freimaurer aufgreifen werden) diesen ungeheuren Mechanismus nicht aufs Geratewohl schuf, sondern i h n durch Maße, Zahlen, Proportionen vervollkommnet hätte und i h n dadurch, daß er das Element der Zeit hinzufügte, zu einer wunderbaren Harmonie ergänzte (88 ff.). Denn neben dem Musischen, dem vierten Auditorium (Musik, Chorgesang, Instrumentenbau), meditieren die Bewohner der Stadt vor allem über die Werke Gottes und zwar durch tiefgründige Studien der Astronomie, der Astrologie, die als Wissenschaft der Zeit- und Raumdimension i m fünften Auditorium betrieben werden. Alte Vorstellungen ironisierend, bemerkt Andreae: „Die Christianopolitaner legen sehr viel Wert" auf diese Wissenschaften: „sie fürchten sich weder davor, durch die Erdbewegung hinausgeschleudert, noch von seltsamen Erdenbewohnern heruntergestoßen zu werden" (95 ff.). Allgemein streben die Einwohner nach „einem spirituellen Himmel" (98) und betrachten das Schaffen Gottes i n der Natur unter Bedingungen wissenschaftlicher, praktischer und technologischer Sachkenntnis. I m sechsten Auditorium w i r d die Physik als allgemeine Naturwissenschaft gelehrt. Auch die „Geschichtswissenschaft nimmt sich die Physik
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2. Die R s e n k r e u z e r : Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
zum Vorbild" : Andreae meint damit, daß man i n der Geschichtswissenschaft so unbefangen und experimentell an die Wahrheitssuche herangehen solle wie i n der Physik. „Menschen, die die Vergangenheit nicht kennen", sind „unfähig zur Gegenwart" sowie „untauglich für die Zukunft" (98 ff.). I m siebten Auditorium geht es u m die Ethik als „Meisterin aller menschlichen Tugenden". I m Vordergrund steht hier die Frage nach der Praxis ethischen Handelns. Die Staatskunst selbst ist von den Prinzipien einer Friedensordnung sowie materieller und formeller Gerechtigkeit beherrscht (102 ff.). I m letzten Auditorium w i r d die Theologie gelehrt und wie sie i n die menschliche Praxis Eingang finden soll (107 ff.). Die herrschende Religion ist eine christliche Form hermetisch-kabbalistischer Uberlieferung mit starker Betonung des Dienstes der Engel. Der Staat selbst ist christlich-sozialistisch organisiert. Es herrscht Arbeitspflicht (35, 51, 135), die Arbeitszeit ist kurz, obwohl viel verrichtet wird. „Wo es keine Sklaverei gibt, ist auch i m menschlichen Körper kein Widerwille, der beschwert und entkräftet" (35 f.). Denn nur durch aktive Tätigkeit kann der Mensch den i n i h m vorhandenen göttlichen Funken entbinden. Arbeit ist also nicht bloße Selbstreproduktion des Menschen, sondern gleichzeitig Verwirklichung von Gottes Ebenbild durch Tätigkeit. Weder Knechte noch Mägde sind i n dieser Stadt bekannt, wohl aber die Pflicht zum Sozialdienst an „Kranken, Kindern und Kindbetterinnen" (35). Auch die A l t e n werden mustergültig versorgt (134 ff.). Es gibt eine Reihe von öffentlichen Pflichten, „die für alle Bürger verbindlich sind": darunter fallen „Nachtwache, Dienst auf dem Ausguck, Ernte, Weinlese, Pflastern der Straßen, Errichtung von Gebäuden, Ableitung von Wassern" und anderes mehr. Auch werden die Einwohner manchmal „zur Mithilfe i n den Werkstätten" herangezogen. Die Produktion ist sozialistisch organisiert, ebenso die Verteilung der Güter. Ackerbau und Viehzucht werden genau beschrieben, sowie die gemeinsamen Metzgereien und anderes mehr; alles w i r d i n gemeinsamen Vorratshäusern verwahrt (vgl. 26 ff.). Niemand versucht hier, den anderen durch Reichtum zu übertreffen, weil „Tüchtigkeit und Geist hier mehr gefragt sind und Sittlichkeit und Frömmigkeit sich höchster Wertschätzung erfreuen" (35). Die Verfassung von Christianopolis ist theokratisch-republikanisch (vgl. 51 ff.). Wahrheit, Frömmigkeit und soziale Gerechtigkeit sind die ethischen Prinzipien der Verfassung (21, 104). I n der Beschreibung des Regierungssystems kommen antifeudale Tendenzen zum Tragen. Denn i n Christianopolis „gibt es keine Erbfolge der Würden oder des Blutes
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ohne die Tugend" (39). Eine monarchische Form der Regierung w i r d abgelehnt. Denn: „Christus duldet keinen absolut herrschenden Sachwalter, und ein Mann, der zu hoch erhoben wurde, sieht nicht auf zum Himmel, sondern richtet seinen Blick nach unten auf die Erde." Daher besteht die höchste Obrigkeit i n einem „Triumvirat", der „Besten und Erfahrensten des Staates". Jeder des Triumvirats hat seinen besonderen Senat, jedoch an gewissen Tagen kommen sie alle zusammen, „ u m i n allseitigem Einvernehmen über die wichtigsten Gegenstände zu beschließen". Gegenstände der Beschlußfassung sind: „Die Wahrheit der christlichen Religion, die Pflege der Tugenden, die Möglichkeiten der Schärfung des Verstandes", sowie „die Erforderlichkeit von Bündnissen, Handel, Bauwesen und Ernährung". Für sämtliche Beratungen gilt Freiheit der Meinungsäußerung (47 f.). Darüber hinaus gibt es noch Ratsherren und Bezirksvorsteher. Alle Leiter dieser theokratischen Republik sind bemüht, durch eigenes Beispiel voranzugehen, anstatt zu befehlen. Kein Verantwortlicher hat wie sonstwo Freude daran, „vor anderen zu prahlen, ihnen das Mark auszusaugen oder sich i n Muße zu mästen" (40, 130). Die gesamte Politik steht unter dem Ziel der „Erforschung der Vergangenheit", damit man u m so „aufmerksamere Sorge für die Zukunft" walten lassen kann (130). Soweit zu den Grundzügen von Christianopolis, der utopischen Stadt mit ihrer Wissenschaft und K u l t u r . Wie sehr die Gedanken einer durchgreifenden Verbesserung Andreae zeitlebens beherrscht haben, geht nicht nur daraus hervor, daß er später als Bischof von Calw ein wohlorganisiertes Sozialwesen auf der Grundlage eines christlichen Sozialismus aufbaute, sondern auch daraus, daß er am Ende seines Lebens, als sein Werk i n Calw den Greueln des Dreißigjährigen Krieges zum Opfer gefallen war, noch einmal i n der Schrift Theophilos die Grundideen der „Christianopolis" und des „Calwer Färberstifts" zu einem Reformprogramm zusammenfaßte 48 . Wesentlichen Einfluß hatte die „Christianopolis" Andreaes auf Bacons „Nova AtlantisEine bedeutende Rolle i n diesem Staatsentwurf Bacons spielt das „Haus Salomonis", die intellektuelle Führungsspitze i n dieser Utopie. Sie zeigt Logencharakter und starke esoterische Züge, so daß Held, der die „Christianopolis" ins Englische übersetzte 49 , die Vermutung äußerte, Andreaes geheime Gesellschaften hätten hier Pate gestanden. Weitere Parallelen sind bemerkbar wie etwa die eminente 48 J. V. Andreae: Theophilus, sive Christiana religionis sanctius collenda v i t a temperantius instituenda et litteratura rationabilius docenda consilium. Stuttgart 1649. 49 F. E. Held: Christianopolis, A n Ideal State of the Seventeenth Century. Oxford 1918.
5 Fischer
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Rolle der Wissenschaften. Die minutiöse Schilderung des Kanons der Wissenschaften und Künste des universal gebildeten Andreae i n der „Christianopolis" bietet einen zentralen Beleg für Geschichte, Entwicklung und Selbstverständnis der beginnenden neuzeitlichen Wissenschaften. Bei Bacon w i r d dann das Ziel des „Hauses Salomonis" die Erweiterung der Herrschaft des Menschen bis an die Grenzen des Möglichen, die materielle Veränderung der Welt. 2.2. Das Echo auf die Bosenkreuzerschriften Zum Orden der Rosenkreuzer bekannte sich eine Fülle hervorragender Wissenschafter. Zunächst sollen die Parallelen zwischen den Rosenkreuzermanifesten, der „Christianapolis" und Bacons Schriften analysiert werden. I m zweiten Teil des Abschnittes werden die wesentlichen Repräsentanten der Rosenkreuzerphilosophie, nämlich Michael Maier, Robert Fludd, Comenius und Joachim Jungius behandelt. I m dritten Teil werden weitere befürwortende beziehungsweise ablehnende Schriften zum Rosenkreuzertum dargestellt sowie die Auswirkung, die das Rosenkreuzertum i n Frankreich hatte. 2.2.1. Francis Bacon und die Bosenkreuzer
Verblüffende Parallelen gibt es zwischen dem Werk von Francis Bacon und den Rosenkreuzerschriften, einschließlich Andreaes „Christianopolis" 1 . I n vielem setzt Bacon dort an, wo die Naturphilosophie der Renaissance begonnen hatte. Jedoch hat er ein reiferes Bewußtsein von der Bedeutung der Methode sowie von den möglichen tiefgreifenden Umwälzungen durch die Wissenschaft: I h m geht es u m Erkenntnisse, die etwas bewirken können. Einen ähnlichen Manifestcharakter wie „Fama" und „Confessio" hatte Bacons Schrift über den Fortgang des Wissens 2. Diese 1605 veröffentlichte Arbeit ist eine K r i t i k am gegenwärtigen Stand des Wissens, der nach Auffassung des Autors unzureichend ist. Bacon fordert die Hinwendung zur experimentellen Philosophie: Man müsse sich vor allem der Naturwissenschaft als Grundwissenschaft zuwenden, w e i l sie die Herrschaft des Menschen über die Natur zu verwirklichen verspricht. Nur durch erweitertes Wissen über die natürlichen Vorgänge kann der Mensch seine Lage verbessern. Bei Bacon konkretisiert sich, 1 A u f die wesentlichen Zusammenhänge hat vor allem Yates, S. 129 ff. aufmerksam gemacht. 2 F. Bacon: Über die Würde u n d den Fortgang der Wissenschaft. Übersetzt u n d m i t dem Leben des Verfassers u n d einigen historischen A n m e r k u n gen hrsg. v. J. H. Pfingsten. Nachdruck der Ausgabe v o n 1783, Darmstadt 1966.
2.2. Das Echo auf die Rosenkreuzerschriften
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ähnlich wie bei den Rosenkreuzern, ein moderner Fortschrittsbegriff, der an die Wissenschaft, d. h. primär auch an die Beförderung empirischer Einsicht gebunden ist. Verbessertes Wissen und verbessertes Leben werden eins, weil nach Bacons Auffassung die neue Wissenschaft ein Garant für ideologiefreies und nützliches Wissen ist 3 . Jedoch auch eine gewisse Fragwürdigkeit der Identifikation von Fortschritt des Wissens und verbesserter Lebensqualität ist Bacon nicht fremd. Er hat den Konflikt zwischen dem machtpolitischen Dienst an seinem Land und dem wohlfahrtspolitischen Dienst an der Menschheit keineswegs übersehen. Die drei von Bacon als Insignien der Moderne herausgestellten Erfindungen — der Kompaß, der Buchdruck und das Geschütz — haben nur bedingt dem Wohle der Menschheit gedient, unbedingt aber dem Aufstieg Englands zur Seeweltmacht. Bereits bei Bacon macht sich die Überzeugung breit, daß für beide Ziele die Wissenschaft gleichermaßen tauglich ist, daß beide Ziele einander ausschließen können, daß also die Denkfigur nicht widerspruchsfrei sein kann 4 . Dennoch arbeitet Bacon eine operative Einstellung zur Geschichte heraus: Denn wesentlicher Grundsatz seiner Philosophie ist, daß der Mensch seine eigene Geschichte planen kann, daß allein i n i h m die Bedingungen weiteren Fortschritts liegen und daß die Bedingungen nicht konstant, sondern abhängig von den empirischen Einsichten sind. Eine der zentralen Aufgaben sieht Bacon i n der Institutionalisierung der Wissenschaft. Er verlangt, daß eine Bruderschaft der Erkenntnis gegründet werden solle, innerhalb deren die Gelehrten ihr Wissen austauschen. W i r finden also bereits i n der Schrift von 1605 genau dieselben Integrationsbestrebungen wie bei den Rosenkreuzern. I m Gegensatz zu dem mangelnden und bloß regionalen Wissensaustausch an den Universitäten sollte die Brüderschaft des Wissens die nationalen Grenzen überschreiten. I n der Widmung seiner Schrift Über die Würde und den Fortgang der Wissenschaften an James I., hält Bacon fest: „Genau wie die Natur Bruderschaft i n der Familie schafft und die Künste mechanisch i n der Gemeinschaft Kontakte herstellen, Gott die Gesalbten des Herrn, die Könige und Bischöfe zu Brüdern macht, so muß i m Wissen eine Bruderschaft der Erkenntnis und Erleuchtung sein, die besteht, weil Gott der Vater der Erkenntnis und des Lichtes ist 5 ." 3 Dies arbeitet Bacon v o r allem i m 1. T e i l des „ N o v u m Organon" heraus; F. Bacon: Neues Organon der Wissenschaften. Hrsg. u. übersetzt v. H. Ch. Brück, Nachdruck der Ausgabe v o n 1830, Darmstadt 1974. 4 Vgl. W. Farrington: Francis Bacon, Philosopher of Industrial Science, London 1973. δ F. Bacon: The Works. Hrsg. v. J. Spedding, R. L. Ellis, D. D. Heath. Nachdruck der Ausgabe London 1858 - 1874. Stuttgart 1964, 14 Bde., einschließlich Briefe u n d Biographie, Bd. 2, S. 13.
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
Überraschend scheint zunächst, daß Bacon hier die Erkenntnis der „Erleuchtung" gleichsetzt und daß die Brüderschaft des Wissens eine „Brüderschaft der Erkenntnis und Erleuchtung" sein soll. Denn neun Jahre nach Abfassung dieser Widmung präsentiert die Fama i n Deutschland die Rosenkreuzer als „ I l l u m i n a t i a l s Erleuchtete, als Gemeinschaft gelehrter Männer. I n den Rosenkreuzerschriften war ja ebenfalls die Verbesserung der wissenschaftlichen Arbeitsteilung sowie die Institutionalisierung der Wissenschaft zentrales Anliegen. Auch „Christianopolis" steht ganz unter dieser Zielsetzung. Verkündet w i r d immer wieder, daß die Zeit gekommen sei, i n der große und neue Fortschritte der Naturerkenntnis bevorstehen. Diese Parallelen zwingen förmlich den Vergleich zwischen der Baconschen Reformbewegung und dem Rosenkreuzertum auf. Sowohl i n den utopischen Elementen der Rosenkreuzerschriften wie auch i n Bacons „Nova Atlantis" erscheint eine geheime „Brüderschaft" von Gelehrten als institutioneller Ausgangspunkt für die Erneuerung des Soziallebens. Der Fortschritt des Wissens w i r d durch kooperative Anstrengung freigesetzt und die neue wissenschaftliche Methode garantiert den einheitlichen Zugang zur Wahrheit. Wissen w i r d letztlich zum Vehikel für die Reformation der „ganzen weiten Welt". Universalität der Erkenntnisse und Vielfalt der Methoden sollen zu einer universellen Aufklärung führen, die Produktion nützlicher Erfindungen zur Lösung der sozialen Probleme. Sowohl bei Bacon als auch i m Rosenkreuzertum ist die Legitimität des neuen Wissens an christliche Frömmigkeit und sozialen Fortschritt gebunden. Ähnlich den Rosenkreuzern zeigt sich auch bei Bacon eine starke Beeinflussung von Magie und Kabbala®. Ein weiterer wesentlicher Zusammenhang besteht zwischen dem utopischen Gehalt der Rosenkreuzerschriften, Andreaes „Christianapolis" und Bacons Nova Atlantis 7. Nach seinem Tode 1626 wurde aus hinterlassenen Manuskripten ein unvollendetes und undatiertes Buch veröffentlicht, i n dem er seinen Traum von einer idealen religiösen und wissenschaftlichen Gemeinschaft beschrieb 8 . Auch hier haben w i r es m i t einer Allegorie zu tun, i n der vom Sturm abgetriebene Seeleute ein neues Land, nämlich „Atlantis" entdecken. β Vgl. P. Rossi : Francis Bacon: F r o m Magic to Science. London 1968. S. 122 ff. 7 F. Bacon: Nova Atlantis. I n : Der utopische Staat. Übersetzt u n d m i t einem Essay „ Z u m Verständnis der Werke" hrsg. v. K. J. Heinisch. Reinbek b. Hamburg 1974, S. 171 ff. 8 Z u m folgenden vgl. Yates, S. 136 ff.
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
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Wie i n „Christianopolis" besteht auch hier eine perfekte Gemeinschaft, die von der übrigen Welt abgeschnitten lebt. Die Bewohner sind evangelische Christen, die großen Wert auf die brüderliche Gemeinschaft legen. I m Kollegium, dem „Haus Salomons", forscht ein Orden von Priestern und Gelehrten i n allen Bereichen der Künste und Wissenschaften. Alle technischen Errungenschaften, die das neuzeitliche utopische Bewußtsein anstrebt, scheinen hier verwirklicht. Es gibt Bergwerke, Forschungsinstitute und Züchtungslaboratorien; die Bewohner können nach Belieben die Bäume größer oder kleiner werden lassen, sie brauchen auch nicht auf die natürliche Reifung der Früchte zu warten, w e i l sie die Erntezeit selbst bestimmen können. Sie können die Elemente mischen und beispielsweise aus Blei Gold machen; sie erzeugen auf künstliche Weise Tiere und führen an ihnen Operationen durch, die sie für die menschliche Heilkunde auswerten. A u f Atlantis sind die Menschen gesund und langlebig und verfügen über eine ans Wunderbare grenzende Technik. Sie haben Teleskope und Mikroskope, Telephone und Mikrophone, Dampfwagen und L u f t schiffe, chemisch konzentrierte Nahrungsmittel und eine Fülle von Präventivmitteln gegen alle möglichen Krankheiten. Es gibt keine ungelösten sozialen Fragen und die neugewonnene Naturerkenntnis erlaubt es, daß die Menschen glücklich und frei von Problemen leben 9 . I n dieser Utopie faßt Bacon die Arbeiten und Ziele seines ganzen Lebens zusammen, nämlich den wissenschaftlichen Fortschritt zum Nutzen und Wohlergehen der Menschheit einzusetzen. Ähnliche Fiktionen spiegeln sich mehrfach i n den Rosenkreuzerschriften, und Yates ist der Ansicht, daß Bacon die Geschichte von Christian Rosencreutz gekannt hat. Es lassen sich eine Reihe von Belegen angeben: Der Bevollmächtigte von Neu-Atlantis überreicht den Ankömmlingen eine Schriftrolle, die Instruktionen enthielt. „Diese Rolle war m i t einem Siegel versehen, das die Flügel eines Cherubs, wenig ausgebreitet, vielmehr herabhängend, zeigte. Und neben ihnen war ein Kreuz 1 0 ." Ganz ähnlich schließt ja auch die „Fama" der Rosenkreuzer m i t den Worten: „Unter dem Schatten von Jehovas Schwingen", und die Schwingen sind charakteristische Symbole auch anderer Rosenkreuzerschriften 11 . I m Gästehaus werden die Fremden untergebracht und ihre Kranken gepflegt. Als sie für diese Hilfe Bezahlung anbieten, werden sie ab9
Bacon: Neu Atlantis, S. 195, 202 ff. Bacon, S. 176 f. 11 F. A . Yates, S. 65.
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gewiesen 12 . Dies erinnert an das Gesetz der „Fama", daß die Rosenkreuzer die Kranken gratis pflegen sollen. Ein anderer Bevollmächtigter von Neu-Atlantis trägt einen weißen Turban „ m i t einem kleinen roten Kreuz an der Spitze" 1 3 . Yates sieht darin einen weiteren Beweis, daß Bacons Schiffbrüchige i n das Land der Rosenkreuzer verschlagen worden waren. Schließlich besucht der Vorsteher von Neu-Atlantis die Fremden und erklärt ihnen bereitwillig, was sie über die Geschichte und die Sitten des Landes wissen wollen, wie ihnen das Christentum gebracht wurde und auch alles, von dem „Haus oder Collegium" Salomons und seinen wissenschaftlichen Bestrebungen 14 . Die Neu-Atlantier waren über den Stand des Wissens und über die politischen Begebenheiten i n allen Ländern unterrichtet, weil man Einwohner i n fremde Länder schickte, u m Informationen zu sammeln. Sie waren für die Menschen dort nicht sichtbar, w e i l sie die Kleidung der besuchten Länder trugen, die Sprache beherrschten und die landesüblichen Sitten annahmen und daher nicht als Fremde erkannt wurden. Auch i n den Rosenkreuzermanifesten finden w i r die Regel, keine besondere Ordenskleidung zu tragen, sondern i n Kleidung und Erscheinung sich den Einwohnern des jeweiligen Landes anzupassen. Alle zwölf Jahre reisten „drei der Mitglieder oder Brüder des Hauses Salomo" i n die Welt, u m den neuesten Stand der Künste und Wissenschaften zu erfahren. Sie brachten von ihren Reisen Bücher, Instrumente und sonstige Neuigkeiten mit. Die Neu-Atlantier erklärten, daß dies kein Handel i m gewöhnlichen Sinn sei, kein Geschäft m i t materiellen Gütern, sondern vielmehr ein Suchen nach „der ersten Schöpfung Gottes: des Lichts w i l l e n . . . , das ja schließlich an jeder Stelle der Erde hervorbricht und Leben zeugt" 1 5 . Es ist Yates zuzustimmen, daß, obwohl der Name „Rosenkreuz" i n Bacons Neu-Atlantis nie erwähnt wird, er dennoch die Rosenkreuzer kannte und sie seiner eigenen Parabel zugrundelegte 16 . Neu-Atlantis scheint von Rosenkreuzern beherrscht, die von ihrem unsichtbaren Collegium aus „als Kaufleute des Lichts" i n die Welt reisen. Auch Ethik und Politik i n Atlantis sind vom Normensystem der Rosenkreuzer geprägt und das Siegel der Cherubflügel ist identisch m i t dem der Fama. Auch zur Christianopolis Andreaes bestehen wesentliche Parallelen: So unter anderem der enge Zusammenhang von Wissen, Herrschaft 12 18 14 16
*β
Bacon: Bacon, Bacon, Bacon, Yates ,
Nova Atlantis, S. 177. S. 182. S. 183 ff. S. 195. S. 138,
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
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und Nutzen, der verhindert, daß der Fortschritt auf bloß einzelne Dimensionen festgelegt wird. Die Koppelung von Fortschritt und sozialem Nutzen ermöglicht i n beiden Schriften, daß jederzeit alle Mittel und Ziele einzelner „Fortschritte" i n Frage gestellt werden können. Jedem Mitglied der Gesellschaft soll der Zugang zur Wissenschaft offen stehen, und anders herum ist die Wissenschaft verpflichtet, allen sozialen Problemen ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Der Fortschritt der Gesellschaft ist notwendig an den wissenschaftlich-technischen Fortschritt gebunden. I m Gegensatz zu Christianopolis schreibt Bacon als erster eine Utopie, die nicht über eine stabile Ökonomie angelegt ist und deren Prinzip nicht Gerechtigkeit durch Gleichverteilung ist. Seine Utopie baut vielmehr auf Problemlösung durch empirischen Wissenszuwachs. W i r haben es also hier nicht m i t einem Null-Summen-Spiel zwischen Armen und Reichen zu tun, sondern es geht u m die Organisation eines Maximums an Problemwahrnehmung und Problemlösung. Andreae schwebte etwas ähnliches vor, doch glaubte er nicht, auf die egalitären Elemente i m Bereich des ökonomischen verzichten zu können. I n beiden Utopien ist die wichtigste Institution eine wissenschaftliche Akademie, die ständig neue Erfindungen registriert, diese selbst betreibt, Theorien und Methoden entwickelt, Analysen der Nützlichkeit von Erfindungen anführt usw. Die zeitgenössischen Leser von „Neu-Atlantis" dürften i n dieser Schrift die Rosenkreuzer und ihr unsichtbares Collegium sofort erkannt haben. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wies dann John Heydon auf die starken Parallelen zwischen Bacons „New Atlantis" und der „Fama Fraternitatis" hin: die weisen Männer von Bacons Haus Salomo wandeln sich zur Brüderschaft vom Rosenkreuz 17 . 2.2.2. Wesentliche Repräsentanten der Rosenkreuzerphilosophie
Abgesehen von Andreae und seinem unmittelbaren Bekanntenkreis, die den Mythos von den Rosenkreuzern verbreiteten, gab es noch weitere wesentliche Repräsentanten der Rosenkreuzerischen Philosophie. Zunächst sind Michael Maier und Robert Fludd zu erwähnen. Beide leugneten zwar i n ihren Schriften, daß sie Rosenkreuzer seien, sprachen aber immer wieder m i t großer Anerkennung und Interesse von den Rosenkreuzermanifesten. Auch i h r Denken entspricht der i n 17 Hey don liest Bacons W e r k praktisch wie ein Manifest der Rosenkreuzer; vgl. J. Hey don: The H o l y Guide. London 1692; zu weiteren Parellelen z w i schen Bacon u n d den Rosenkreuzer vgl. Yates.
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den Manifesten ausgedrückten weltanschaulich-wissenschaftlichen Haltung. Der verdeckte systematische Zusammenhang von „Fama", „Confessio", „Chymischer Hochzeit" und „Christianopolis" wurde von Maier und Fludd i n etlichen Bänden aufgearbeitet. Michael Maier fand den Zugang zu den Rosenkreuzerschriften nicht vom Standpunkt des religiösen Reformators oder Weltverbesserers, sondern vielmehr von dem des begeisterten Naturforschers und fanatischen Alchemisten. Nach dem Studium der Medizin und praktischer Ausübung dieses Berufes wurde Maier 1608 von Kaiser Rudolf II. an den Prager Hof berufen, wo mehrere Gelehrte von Weltruf, so Kepler und kurz zuvor Tycho Brahe wirkten. Der Kaiser, bekannt wegen seiner Vorliebe für die Alchemie, machte Maier alsbald zu seinem Privatsekretär. Später wurde er sogar i n das geheime „Konsistorium Imperialis" aufgenommen und m i t dem Pfalzgrafentitel ausgezeichnet. Als sich nach dem Tod Rudolfs die Gegenreformation i n den Habsburgischen Landen ausbreitete, übersiedelte Maier nach London und trat dort m i t dem ähnlich gesinnten Arzt und Theosophen Robert Fludd i n Beziehung. Von 1619 bis zu seinem Tod 1622 war Maier Leibarzt des ebenfalls wissenschaftlich enorm interessierten Landgrafen Moritz von Hessen 18 . Einige Aspekte der Werke Maiers sollen kurz angedeutet werden. Die 1618 erschienene Atalanta fugiens ist ein Buch, das neben Emblemen auch philosophische Kommentare enthält 1 9 . Die hervorragenden 52 Kupfer zu diesem Werk stammen von Matthäus Merian dem Älteren, und sie sind wohl die bekannteste und beste Einführung i n die Symbolwelt der Rosenkreuzer. A u f dem Titelblatt sehen w i r die arkadische Jägerin Atalanta, eine Personifizierung der Artemis, die verlockt werden soll, von ihrer Suche nach spiritueller, moralischer und wissenschaftlicher Wahrheit abzulassen. Atalanta wollte ja nur den ehelichen, der sie i m Kampf überwand: Beim Wettlauf wurde sie von ihrem Freier Hippomenes, der die goldenen Äpfel der Aphrodite fallen ließ, die sie aufhob, überlistet und besiegt: ihre Goldgier wurde ihr zum Verhängnis. Das Titelblatt w i l l somit die Bestrebungen der reinen, echten und spirituellen Alchemie ausdrücken. 18
Z u Maiers Leben vgl. J. B. Craven : Count Michael Maier, Life and Writings. K i r k w a l l 1910. 19 Der Originaltitel lautet: A t a l a n t a Fugiens, hoc est, Emblemata Nova De Secretis Naturae Chymica. Accomodata p a r t i m oculis & intellectui, figuris cupro incisis, adjectisque sententiis, Epigrammatis & notis, p a r t i m auribus & recreationi a n i m i plus minus 50 Fugis Musicalibus t r i u m Vocum, quarum duae ad u n a m simplicem melodiam distichis canendis peraptam, correspondeant, non absq; singulari jucunditate vivenda, legenda, meditanda, i n t e l l i genda, dijudicanda, canenda & audienda. Oppenheim 1618.
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
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Dieses Anliegen hat bereits Maier ein Jahr zuvor i n der Schrift locus Severus verdeutlicht 2 0 : I n dieser Fabel läßt Maier die der Pallas Athene geweihte Eule, die die Wissenschaft aller Wissenschaften, die Chemie, symbolisieren soll, durch den Schiedsspruch des Phoenix (ein den Rosenkreuzern äußerst geläufiges Symbol der Alchemie) zur Königin der Vögel erklären. Die verschiedenen Vögel greifen nun die Eule, also hier die Chemie, an und behaupten, sie mache den Menschen ungesellig, sie erschöpfe den Körper des Menschen durch Nachtwachen, verspreche den Stein der Weisen und die Kunst, Gold zu machen, und stürze damit die Experimentierenden i n Armut. Damit entziehe sie aber gleichzeitig den Menschen der Beschäftigung m i t wesentlicheren Wissenschaften, wie der Medizin oder der Rechtswissenschaft und anderen mehr. Der Habicht als Verteidiger der Eule weist alle Anschuldigungen jedes Mal zurück, und Phoenix entscheidet sich für sie. Die ganze Schrift erscheint als Verteidigung der spirituellen Alchemie und Verbeugung vor deren echten Vertretern, nämlich den Rosenkreuzern. Maier lehrt in der Atalanta fugiens eine subtile, religiöse alchemistische Philosophie durch die Embleme des Buches, von denen jedes sowohl eine musikalische als auch eine bildliche Ausdrucksform hat 2 1 . Eines der eindrucksvollsten Embleme zeigt einen Philosophen, der mit der Laterne aufmerksam den Fußstapfen der Natur folgt. Die Überschrift lautet: „Dem, der i n Chymicis versiret, sei die Natur, Vernunft, Erfahrenheit und Lesen, wie ein Führer, Stab, Bryllen und Lampen 2 2 ." Dies erinnert an eine Widmung Giordano Brunos an Rudolf II., wo er sagt, daß man die Kämpfe der Sekten aufgeben, statt dessen sich aber der Natur mittels experimenteller Philosophie zuwenden solle, die überall danach rufe, gehört zu werden 2 3 . Ähnliche Vorstellungen hatte Maier, als er i n den Jahren unmittelbar vor dem Dreißigjährigen Krieg seine religiöse und philosophische Haltung auf dem Weg des symbolistischen Aichemismus lehren wollte. Denn auch Maier ist immer wieder bemüht, die innere Einheit der ganzen Natur, ihre Gesetzmäßigkeit, zum Ausdruck zu bringen. Das neuzeitliche Wissenschaftsanliegen w i r d dabei verklausuliert und symbolhaft zum Ausdruck gebracht. So zeigt ein Bild, daß die vier Elemente aufeinander angewiesen sind und dann notwendig zugrunde 20 M. Maier: Jocus Severus, hoc est T r i b u n a l Aequum, quo Noctua Regina avium, Phoenice A r b i t r o , post Varias disceptationes et querelas V o l u c r u m earn infestantium p r o n u n c i a t o , et ob sapientiam singularem, Palladi sacrata agnoscitur. Francofurti 1617. 21 Über die Musik der „ A t a l a n t a fugiens" vgl. J. Read: Prelude to Chemistry. London 1936, S. 213 ff. 22 Maier, A t a l a n t a fugiens, S. 177 f. 23 Vgl. G. Bruno: A r t i c u l i adversos mathematicos. Prag 1588, V o r w o r t .
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
gehen müßten, wenn eines von ihnen vernichtet w i r d 2 4 . Der sich i n den eigenen Schwanz beißende Drachen „Ouroboros" ist ein Sinnbild für das All-Eine, das ewig Bestehende. Wenn sich der Drache selbst auffrißt, so entsteht er neu und verjüngt wieder aus sich selbst. Das Vergehen und Neuwerden vollzieht sich durch „Mortifikation", also durch Absterben und Verwesen und durch „Revivifaktion", durch Neugeborenwerden 25 . I n dem B i l d der „Chymischen Hochzeit" 2 6 verbindet sich Sol, der philosophische Sulphur, m i t Luna, dem philosophischen Merkur. Es handelt sich hier u m die beiden grundlegenden heteropolaren Prinzipien der Alchemie: Als männliches und weibliches drängen sie zur Vereinigung. I n der praktischen Ausübung der Alchemie bedeuten sie Gold und Silber, und das Produkt der Konjunktion ist dann der Stein der Weisen. I n allen Schriften Maiers und den dazugehörigen Illustrationen kommt immer wieder die Überzeugung zum Ausdruck, daß der Stein der Weisen i n jedem Material ruht und mit der richtigen Methode überall zu finden ist. Maiers Sache war keineswegs die Goldmacherei, vielmehr trachtete er nach der universalen Transmutationsformel. I n den Schriften Silentium Post Clamores und Themis Aurea, die i n den Jahren 1617 und 1618 i n Frankfurt herausgegeben werden 2 7 , spiegelt sich die Erregung, die die Rosenkreuzermanifeste i n den vergangenen Jahren ausgelöst hatten. Maier greift i n den i n Deutschland entstandenen literarischen Streit u m „Fama" und „Confessio" lebhaft ein und verwehrt sich gegen alle Angriffe, als sei er selber der verantwortliche Träger der Rosenkreuzeridee. 24
Maier, S. 85. Vgl. Maier, S. 65, 105,109. 26 Maier, S. 145. 27 M . Maier: Silentium Post Clamores, Hoc Eest, Tractatus Apologeticus, Quo causae non solum clamorum seu Revelationum Fraternitatis Germanicae de R. C. sed & Silentii, seu n o n redditae ad singulorum vota responsionis, una cum malevolorum refutatione, t r a d u n t u r & demonstrantur. Francofurti 1617. Deutsche Übersetzung: Silentium Post Clamores, Das ist: Apologj u n d Verantwortung, wieder etlicher ungestümmer Clamanten (so sich i n die Fraternität R. C. auffzunehmen, begehret, aber jhres Gefallens keinen A n t w o r t , erlanget) Verlästerungen, u n d Schmachreden, welche sich w i d e r dieselbige außgegossen: Beneben Gründlicher Anzeige, w a r u m gedachte Fraternität bißanhero auff solcher Clamanten unzeitiges A n h a l t e n zu antworten, u n d nach j h r e r jedem Begehren sich zuoffenbahren, wenigers dieselbe zu j h e r Gesellschafft auffzunehmen, Bedenckens getragen. F r a n k f u r t 1617; ders.: Themis Aurea, hoc est, De Legibus Fraternitatis R. C. Tractatus; Quo Earum Cum Rei Veritate Convenientia, utilitas publica & privata, nec non causa necessaria; evoluunter & demonstrantur. Francofurti 1618. Deutsche Übersetzung: Themis Aurea, Das ist, V o n den Gesetzen, u n d Ordnungen der löblichen Fraternitet R. C. E i n außführlicher Tractat u n d Bericht, Darinnen gründlichen erwiesen w i r d , daß dieselbige Gesetz nicht allein i n Wahrheit beständtig, sondern auch an sich selbst, dem Gemeinen, u n d Privat Nutzen nohtwendig, nützlich u n d ersprießlich seynd. F r a n k f u r t 1618. 25
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
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Ohne unmittelbare persönliche Bekanntschaft mit dem Tübinger Freundeskreis des Andreae glaubte Maier sich dennoch infolge seiner alchemistischen Studien i n die Geheimnisse der Rosenkreuzer voll und ganz eingeweiht: als es i h m nicht gelang, m i t den Rosenkreuzern i n Verbindung zu kommen, griff er kurzerhand den von ihnen aufgestellten Plan zur Gründung eines derartigen Ordens auf und schlug i n seinen Schriften einen Ton an, als ob der Orden bereits existiere. Er erwähnt i n beiden Schriften, daß die Brüderschaft vom Rosenkreuz tatsächlich besteht und nicht, wie vielfach behauptet wird, eine bloße Fiktion sei. A u f der anderen Seite betont er aber immer wieder, daß er ihr nicht angehört und ein zu unbedeutender Mensch sei, u m i n Verbindung mit so erhabenen Personen zu stehen. I n Silentium Post Clamores versucht Maier, das Stillschweigen der Fraternität damit zu erklären, daß die Brüder vorerst ihre Gegner zum vernünftigen Nachsinnen bringen und sie nicht zu weiteren Lästerungen reizen wollen. Gleichsam über dem ganzen Streit stehend, wiederholt er, ohne dazu autorisiert zu sein, die Einladung der Brüder, fügt aber doch hinzu, daß er nicht glaubt, die Brüderschaft der Rosenkreuzer habe seine belanglose Protektion notwendig. Er beteuert, daß die Mitglieder der Brüderschaft aufrechte und fromme Männer sind und ihre Ziele mehr als anerkennenswert. I n dieser Schrift w i r d strikt betont, daß die Brüderschaft nicht nur fromme und humanistische Ziele vor Augen habe, sondern daß ihr besonders die Erforschung der Natur wesentlich sei. Maier fordert daher die Wissenschafter auf, der Brüderschaft beizutreten. I n der Hauptsache setzt sich Maier mit den Vorwürfen auseinander, die gegen die Rosenkreuzer erhoben wurden und betont, daß sie nichts anderes als wahrhafte Philosophen seien, die dem Wesen und den verborgenen Kräften der Natur nachspüren. I n den folgenden Kapiteln rechnet Maier besonders scharf m i t jenen Gegnern ab, die sich gegen die „chymischen" Erkenntnisse der Fraternität wenden. Viele Lästerungen, meint der Verfasser, rühren auch daher, weil die Gesellschaft selbst fähige Personen vor der Zulassung i n die höheren, geheimen Grade bis zu fünf Jahre prüft, wo die Adepten vor allem die Verschwiegenheit lernen müssen 28 . Unverkennbar liegen i n der bereits hier erwähnten Gradeinteilung wie auch i n der Prüfung des Lebenswandels vor der Wahl und der die Aufnahme entscheidenden Einzelabstimmung, die Maier ebenfalls erwähnt, die Keime organisatorischer Eigenheiten der später i n England entstehenden Freimaurerei 29. 28
Vgl. Maier, S. 11 ff., 31, 103 ff., 160 f. Vgl. dazu insbesondere J. E. Buhle: Über den Ursprung u n d die vornehmeren Schicksale der Orden der Rosenkreuzer u n d Freimaurer. Eine historisch-kritische Untersuchung. Göttingen 1804, S. 207. 29
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
Nahezu eine Propagandaschrift für die Rosenkreuzer ist die Themis Aurea: Dieses „Goldene Gesetzbuch" beabsichtigt, Bedeutung und Organisation der Rosenkreuzerbrüderschaft darzulegen. Jedoch handelt es sich teilweise lediglich u m einen Auszug aus der „Fama": vor allem werden die Statuten der Rosenkreuzerbrüderschaft rekapituliert. Nach einer Einführung i n Sinn und Zweck der Brüderschaft und einem historischen Rückblick versucht Maier, die Verfassung dieses „Philosophischen Arztordens", ihren weltverändernden Gehalt darzustellen. Auch i n dieser Schrift w i r d ausdrücklich betont, daß die Brüderschaft tatsächlich existiert. Leser, die Maier und seinen Kreis kannten, waren vielleicht imstande, die Fülle seiner Anspielungen zu deuten. Zunächst ist Maier bemüht, die Gründe aufzuzeigen, warum der Versammlungsort der Fraternität verborgen bleibt. I m folgenden scheint es jedoch seine Absicht zu sein, den Ort der Zusammenkunft der Rosenkreuzer zu enthüllen: „Ich habe schon manchmal ein olympisches Haus nicht weit vom Fluß gesehen und habe eine Stadt gekannt, deren Namen, wie w i r glauben, St. Spiritus ist — ich meine Helicon oder Parnassus, wo Pegasus eine Quelle strömenden Wassers zum Fließen bringt, worin sich Diana wusch, deren Magd Venus und dienender Zeremonienmeister Saturn war. Dies w i r d die Wissenden, die es lesen, belehren, die Unwissenden aber noch mehr verwirren." Die Heilkunst der Brüder hält der Verfasser für natürliche Magie, die er m i t Origines von der teuflischen und verbotenen unterscheidet 30 . Die wahre Magie besteht darin, daß sie die verborgenen Kräfte der Natur erkennt und sich ihrer zu bedienen weiß. Die gesamte Schrift ist eine einzigartige Rechtfertigung des Rosenkreuzertums: der Kernpunkt ihrer Aussagen, nämlich Streben nach Wahrheit, Gerechtigkeit und wissenschaftlichem Fortschritt, deckt sich v o l l und ganz m i t der Anschauung der Rosenkreuzer. Die große Bedeutung Maiers besteht auch darin, daß er i n England für die Einführung des Rosenkreuzerischen Geistes sorgte 31 . Maier hat wie kaum ein anderer an der Umbildung, Weiterbildung und Konkretisierung des Andreaeschen Rosenkreuzerideals gearbeitet. Gewiß ist ihm, wenn auch auf dem Umweg über Fludd die Institutionalisierung 30
Vgl. Maier, S. 25 ff., 42, 71 ff., 143,154 f., 179 f. So wurde ζ. B. die Propagandaschrift f ü r die Rosenkreuzer Brüderschaft, die „Themis Aurea" ins Englische übersetzt; vgl. M . Maier: Themis aurea. The Laws of the Fraternity of the Rosie Crosse. W r i t t e n i n L a t i n bey Count Mich. Maierus, A n d now i n English for the Information of those w h o seek after the knowledge of that Honourable and mysterious Society of wise and renowned Philosophers. Whereto is annexed an Epistle to the Fraternity i n Latine, f r o m some here i n England. London 1656. 31
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
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der Gedankenwelt des Rosenkreuzertums i n der späteren Freimaurerei Englands zuzuschreiben 32 . Der englische Arzt und Philosoph Robert Fludd war ein persönlicher Freund und Gesinnungsgenosse Michael Maiers. Als Mystiker, Theosoph und Alchemist interessierte er sich lebhaft für die Ansichten des Paracelsus , aber auch für die Weltanschauung des Nikolaus Cusanus und verschaffte ihnen i n England einen größeren Anhängerkreis 3 3 . Vor allem aber trat Fludd als Verteidiger der Rosenkreuzer auf, deren Gedanken er sich hauptsächlich i n der Interpretation von Maier aneignete. Ja, man kann eigentlich sagen, daß erst durch Fludd und Maier der Rosenkreuzermythos eine feste Grundlage bekommt. Er beginnt nunmehr wie eine organisierte Bewegung auszusehen, hinter der ein System ernstzunehmender Literatur steht. Fludd begann seine Laufbahn als Rosenkreuzer i n ähnlicher Weise wie Maier, das heißt er publizierte zwei Werke, i n denen er seine Bewunderung für die Brüderschaft aussprach und die i n den Manifesten angedeuteten Bestrebungen begeistert teilte. Die beiden kleinen lateinischen Bücher, die Fludd zunächst veröffentlichte, u m mit den Rosenkreuzern i n Berührung zu gelangen, waren die Apologia Compendiaria , die 1611 i n Leyden erschien, und darauf ein Jahr später der Tractatus Apologeticus 34. Seine Apologia beginnt mit einer Anrufung der Traditionen der alten Weisheit, vor allem des „Hermes Trismegistos", der als deren wesentlicher Vertreter zitiert wird. Fludd glaubte, sich über diese gemeinsame geistige Grundlage den Rosenkreuzern nähern zu können. Der Tractatus beginnt mit demselben Vorwort wie die „Apologia", aber verteidigt noch intensiver die „gute Magie", also i m Endeffekt die Anfänge der experimentellen Philosophie. Fludd gibt hier eine Aufzählung der 32
Vgl. Buhle, S. 215, 228 u n d 276. Vgl. F. Freudenberg: A u s w a h l aus Paracelsus u n d Fludd. B e r l i n 1918; sowie J. E. Craven: Robert Fludd. London 1902. 34 R. Fludd: Apologia Compendiaria, Fraternitatem de Rosea Cruce suspicionis & Infamiae maculis asspersam, Veritatis quasi Fluctibus abluens & abstergens: Auctore R. de Fluctibus M. D. Lond. - Leydae 1616; ders.: Tractatus Apologeticus Integritatem Societatis De Rosea Cruce defendens. I n qua probatur contra D. L i b a v i y & aliorum eiusdem farinae calumnias, quod admirabilia nobis à Fraternitate R. C. oblata, sine improba Magiae impostura, aut Diaboli Praestigijs & illusionibus praestari possint. Authore R. de Fluctibus Anglo M . D. L. — L u g d u n i Batavorum (Leyden) 1617; deutsche Übersetzung: Tractatus Apologeticus Integritatem Societatis De Rosea Cruce defendens. I n qua probatur contra D. L i b a v i j . . . ; Schutzschrift für die Aechtheit der rosenkreutzergesellschaft, v o n dem Engländer Robert de Fluctibus der A r z neygelahrtheit Doktor zu London. Wegen seiner überaus großen Seltenheit und Wichtigkeit auf Begehren aus dem Lateinischen ins Deutsche, zugleich m i t einigen Anmerkungen übersetzt, v o n A d a M a h Booz. (d. i. A d a m Melchior Birkholz) — Leipzig 1782. 33
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
Künste und Wissenschaften und betont, daß sie alle einer Verbesserung und Erneuerung bedürfen: Naturwissenschaften, Medizin, j a selbst die mathematischen Wissenschaften sind noch unzulänglich. I n seiner weiteren Übersicht der verbesserungsbedürftigen Gebiete führt Fludd aber auch große Bereiche der Gesellschaftswissenschaften, insbesondere Ethik, Ökonomie, Politik und Jurisprudenz an, die alle gemäß einem Reformplan erneuert werden müssen. I n seinem Werk Summum bonum von 1629 muß Fludd zwar gestehen, selbst nie Mitglied der Fraternität der Rosenkreuzer gewesen zu sein, aber er hat an diese Brüderschaft genauso geglaubt wie Maier und vor allem genau wie dieser ihre Sache zu der seinen gemacht 35 . Die wesentlichen Aspekte finden w i r i m Epilog dieser Schrift: denn hier plädiert Fludd bereits für eine Abkehr vom lutherisch-christlichen Bekenntnis zugunsten einer allgemeinen, weltweiten christlichen Religion. Es heißt hier: „Wenn nun gefragt wird, welcher Religion derartige Männer sind, die sich dieser mystischen Auslegung der Heiligen Schrift bedienen, ob römisch, lutherisch, calvinisch etc. oder ob sie für sich eine besondere und von anderen verschiedene Religion haben, so w i r d ihnen sehr leicht zu antworten sein: Da nämlich alle Christen jedweder Religion nach ein und demselben Ziel, nämlich Christus selbst, welcher allein die Wahrheit ist, streben, so stimmen i n diesem einmütigen Zusammenstreben alle überein." M i t dieser Vereinheitlichungstendenz der christlichen Religion ist Fludd ein zentraler Wegbereiter der freimaurerischen Religionsphilosophie geworden. Diese Behauptung läßt sich durch die Annahme bestärken, daß Fludd Mitglied der Londoner „Society of Freemasons" w a r 3 6 . I n den Kontext des Rosenkreuzerischen Denkens gehört auch Johann Amus Komensky oder Comenius, der denselben Weg wie Andreae anstrebt, nämlich eine Generalreformation der „ganzen weiten Welt". 1613 ließ sich Comenius an der Universität Heidelberg einschreiben und hatte von da an offenkundig Kontakt m i t den Rosenkreuzern. Er kehrte nach Böhmen zurück und erwarb i n der Folge eine enzyklopädische Bildung und entwickelte ein pansophisches System universellen Wissens. Comenius beteuert immer wieder, wie stark i h n Andreae beeinflußt habe. Er ehrt Andreae als seinen „geistigen Vater" und nennt i h n unter 35 Vgl. J. Frizius (R. Fludd): Summum bonum, Quod est V e r u m Magiae, Cabalae, Alchymiae Verae, F r a t r u m Roseae Crucis verorum Subjectum. I n dictarum Scientiarum laudem & insignis calumniatoris Fratrie M a r i n i M e r senni dedecus publicatum. o. 0.1629. 36 Vgl. dazu E. Lennhoff, O. Posner: Internationales Freimaurerlexikon 1932, Nachdruck W i e n - München 1975, Spalte 485 f.
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
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denen, durch die er zur Reformierung des Schulwesens angeregt worden ist. Weiters sagt Comenius: Andreae „sollte wegen seiner Bedeutung allen voran stehen. Er hat i n seinen verschiedenen Büchern seit 1617 sehr deutlich die Krankheiten der Kirche, des Staats und der Schulen aufgedeckt, und die wünschenswerten Arzeneien dagegen aufgezeigt" 37 . Beiden geht es u m Weltverbesserung auf christlicher Grundlage und gerade die Reformgedanken verdankt Comenius weitgehend den Schriften Andreaes. So bildet er beispielsweise i n seinem Labyrinth der Welt die Darstellung der Peregrini in patria errores des Andreae aus dem Jahre 1618 Zug u m Zug ohne nähere Quellenangabe nach 38 . Die Schrift des Andreae wiederum fußt i m wesentlichen auf den „Ragguagli di Parnasso" von Trajano Boccalini. Die Schilderung ist kurz folgende: Unter Trompetenschall werden die Philosophen der Erde zusammengerufen und ihnen i n fünf Sprachen die bevorstehende Weltreformation, einschließlich der Kunst Gold zu machen und des Besitzes des Steins der Weisen, geoffenbart. Als das Urteil über diese „Fama" ganz widersprechend ausfällt, t r i t t ein Mann auf und bietet öffentlich allerlei Geheimmittel zum Kauf an. Die i n Schachteln verpackte Ware lockt noch mehr durch die vielsagenden Aufschriften, wie zum Beispiel: Porta Sapientiae, Fortalitium Scientiae, Bonum Macro-Micro-Cosmicon, Harmonia utriusque Cosmi (in Anlehnung an Fludds Opus magnum), Christiano-Cabbalisticum, DivinoMagicum, und anderes mehr. Der Verkäufer warnt die Leute davor, die gekauften Schachteln zu öffnen, da sie nur verschlossen wirken, wenn sie aber geöffnet werden, ihre Kraft verlieren. Als sie die Neugierigen trotzdem öffnen und nichts finden, fallen sie über den Verkäufer her und bezichtigen i h n des Betrugs. Der aber weist darauf hin, daß nur die Jünger der Wissenschaft zu dem Geheimnis Z u t r i t t haben und wenn nur einer unter tausenden sich finde, so sei dies nicht seine Schuld. Hier weist Comenius eindeutig auf die Rosenkreuzerbewegung hin, und den Schlußworten des Kapitels ist auch zu entnehmen, daß er selbst i n hohem Maße an einer Mitgliedschaft interessiert wäre. Eine Hoffnung auf Erfüllung seines Wunsches erweckt Andreae selbst i n Comenius, als er i h m i m Jahre 1628 von seiner Societas Christiana Mitteilung macht 8 9 . Comenius berichtet darüber: Schon früher seien 37 Vgl. J. A . Comenius: Opera didactica omnia ab anno 1627 ad Amsterdam 1657, Bd. 1, S. 742 u. S. 8. 38 Vgl. J. V. Andreae: Peregrini i n patriae errores. Utopiae 1618; Comenius: Das L a b y r i n t h der Welt u n d das Paradies des Herzens. Aus Tschechischen übersetzt v o n Z. Baudnik. Jena 1908. Die Erzählung w i r d Schick wiedergegeben. 39 Vgl. zum folgenden Schick, S. 123 ff.
1657. J. A . dem nach
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
i h m einige „Goldene Schriften des Dr. Johann Valentin Andreae, eines vortrefflichen, und nie ohne Lob zu nennenden Mannes" i n die Hände gefallen. Er selbst bewunderte vor allem das „Geschick", m i t dem A n dreae eine „große Menge von Irrtümern" an „das Licht gezogen" hat. Daher wandte er sich brieflich an ihn, u m i h n zu fragen, „welches heilige Streben seinen Schriften zugrunde läge". Er bekannte sich auch i n diesem Brief als „Bewunderer, Schüler und Sohn" Andreaes. Andreae erklärte dann i n einem Antwortschreiben seine prinzipielle Bereitschaft, vorausgesetzt, daß Comenius sich i m Vertrauen auf die Wahrheit unterordne und die christliche Freiheit unter dem Banner der Liebe fasse. Erst i n einem weiteren Schreiben aus demselben Jahr w i r d die eigentliche A n t w o r t gegeben und Andreae informiert Comenius nun eingehend von seiner „Societas Christiana" 4 0 . Die von Andreae angestrebte, aber letztlich i n der Praxis kläglich gescheiterte Weltreformation, versucht nun Comenius pragmatisch zu verwirklichen. Der Weg dazu war für i h n die Pädagogik, allerdings i n einem so umfassenden Sinn, daß sein Plan, die Menschheit i n Wissen, Sprache und Religion zusammenzuführen, letzten Endes i n der Forderung eines universalen Collegiums gipfelte, wie es bereits i n „Christianopolis" und „Neu-Atlantis" vorgeschlagen w a r 4 1 . Ähnlich wie für Andreae war für Comenius ebenfalls Campanella, den er neben Bacon als „Philosophiae restauratorum gloriosum" bezeichnete 42 , ein Anhaltspunkt, u m eine Weltverbesserung mittels einer neuen Weltweisheit zu erhoffen. Bacon bestärkte i h n i n der Fortführung des Andreaeschen Planes eines Collegiums zur Verwirklichung dieser Weltreformation 4 3 . Bereits Andreae schreibt ja i m Hinblick auf seine „Societas Christiana": „Daß w i r als Deutsche nur Deutsche wählen, war eine w i l l kürliche Bestimmung und wurde schon damals geändert. Die gute Sache läßt alle Völker als Genossen zu, besonders diejenigen, welche das christliche E x i l m i t uns vereinigt 4 4 ." Auch Comenius strebt nach einer allumfassenden christlichen „Pansophia", die aus allen Völkern Menschen zu dem von i h m beabsichtigten Bund sammelte 45 . Bald danach w i r d Comenius den Plan für ein solches „Collegium universale" vorlegen. 40
Comenius, Bd. 2, S. 283 f. Des näheren vgl. J. Patocka: Die Philosophie der Erziehung des J . A . Comenius. Paderborn 1971. 42 Comenius, Bd. 1, S. 442. 43 Vgl. Comenius, Bd. 2, S. 290. 44 Comenius, S. 284. 45 Vgl. L. Keller: Die Schriften des Comenius u n d das Konstitutionenbuch. Nach den Forschungen K a r l Christian Friedrich Krauses. I n : Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 15, B e r l i n 1906, H. 3, S. 125 - 138. 41
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
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Eine andere wesentliche Persönlichkeit i m Rosenkreuzerischen Kontext ist Joachim Jungius, der von Leibniz hochgeschätzte Mathematiker und Naturforscher, den er m i t Kopernikus, Galilei und Kepler i n einem Atemzug nennt. Auch Goethe beruft sich auf i h n als frühen Zeugen echter Naturforschung 46 . Von Bacon und den Rosenkreuzern beeinflußt, kämpfte er für die experimentelle Philosophie und sah den methodischen Wert der Mathematik i n der Erreichung „demonstrativer" Gewißheit. Jungius war m i t Andreae eng befreundet und von dessen Gedankengut wesentlich beeinflußt 4 7 . Zur Verwirklichung seiner wissenschaftlichen Vorstellungen schlug Jungius einen völlig neuen Weg ein, indem er versuchte, der neuzeitlichen Wissenschaft einen adäquaten institutionellen Rahmen zu geben. Er stiftet i m Jahre 1622 i n Rostock eine von der Universität völlig unabhängige philosophische Gesellschaft, die Societas Ereunetica oder auch Zetetica . Gewiß hat auch Jungius die wesentlichen Anregungen von den neuplatonischen Akademien der Renaissancezeit erhalten. I n den von i h m verfaßten Leges societatis ereuneticae w i r d als Zweck der Gesellschaft bezeichnet: „Die Wahrheit aus der Vernunft und der Erfahrung sowohl zu erforschen als sie, nachdem sie gefunden ist, zu erweisen; oder alle Künste und Wissenschaften, welche sich auf die Vernunft und die Erfahrung stützen, von der Sophistik zu befreien, zu einer demonstrativen Gewißheit zurückzuführen, durch eine richtige Unterweisung fortzupflanzen, endlich durch glückliche Erfindungen zu vermehren 4 8 ." Den Mitgliedern w i r d es auch zur Pflicht gemacht, i m Wetteifer miteinander nach neuen Erkenntnissen auf den verschiedensten Wissensgebieten zu ringen. Diese philosophische Gesellschaft blieb nicht ein bloßer Entwurf, sondern trat tatsächlich ins Leben und arbeitete einige Jahre hindurch 4 9 . Aber auch dieses Unternehmen ging i n den Wirren des Dreißigjährigen Krieges bald unter. Dennoch ist dieses Collegium des Joachim Jungius als erste wissenschaftliche Akademie nicht bloß i n Deutschland, sondern i m ganzen nördlichen Europa zu bezeichnen.
46 So i n einem Brief an K a r l Friedrich Zelter v o m August 1828 u n d v o m Januar 1829, Bd. 20, S. 810 f. sowie 823. 47 Vgl. die Belege bei Schick, S. 139 ff. 48 Z u Jungius vgl. G. E. Guhrauer: Joachim Jungius u n d sein Zeitalter. Stuttgart u n d Tübingen 1850. Hier sind auch die „Leges" auf S. 71 ff. abgedruckt. 49 Dies ergibt sich aus Jungius Briefwechsel, vgl. Guhrauer, S. 74 f.
6 Fischer
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes 2.2.3. Das weitere Echo auf die Rosenkreuzerschriften
I n der Folge erschien auf deutschem Boden noch eine weitere Fülle Rosenkreuzerischer Literatur, teilweise i n Form von anonymen A n t wortschreiben. Die Rosenkreuzerische Theorie hatte j a auch eine Reihe politischer Implikate: Die Gesellschaft und ihr System sei mittels wissenschaftlichen Fortschritts veränderbar. Die beharrliche Erwähnung des Wortes Aufklärung deutet an, daß die Welt eine neue Erleuchtung empfangen soll, i n der die Fortschritte der Erkenntnis eine immense Ausdehnung erfahren. Überall w i r d die Hoffnung ausgedrückt, daß ein neues Zeitalter heraufsteigt. „Die Rosenkreuzerische Aufklärung Schloß die Vision einer Notwendigkeit einer Reform der Gesellschaft ein, vor allem eine Erneuerung der Erziehung, eine dritte Reformation der Religion, die alle A k t i v i täten des Menschen umschloß — man sah all dies als eine notwendige Begleiterscheinung der neuen Wissenschaft 50 ." Die Triebkraft aus dem Hintergrund war dabei die hermetisch-kabbalistische Tradition der Renaissancewissenschaft. Sie verlor ihre Macht keineswegs nach dem Kommen bzw. Beginn der neuzeitlichen wissenschaftlichen Revolution. So versuchten n u n auf der einen Seite die Parteigänger der Rosenkreuzerbrüderschaft, diese zu verteidigen, auf der anderen Seite kam es aber auch zu einer breiten K r i t i k , die wesentlich bei der politischen Dimension dieses Denkens ansetzte 51 . Die apologetischen Schriften betonen, daß es dem Rosenkreuzertum u m eine tiefere Naturerkenntnis, u m eine Konkordanz von Philosophie und Natur geht. So bezeugt eine anonyme Schrift den Brüdern vom Rosenkreuz, daß sie tatsächlich die reine Wahrheit, die die Kenntnis der göttlichen und menschlichen Dinge umfaßt, nicht nur suchen, sondern erneuern können, nachdem sie i n verderblicher Weise durch unwissende Scholasten verdreht wurde. Das Streben der Brüderschaft, die Gesetze der Natur zu erforschen und ihnen gemäß zu leben, w i r d begrüßt, da j a ohnehin dies alles von Gott geschaffen ist. I n der Brüderschaft w i r d ein Orden gesehen, der die Perfektion des Menschen zum schönsten und vollendetsten Geschöpf des Universums anstrebt 52 . Einer der wesentlichsten und zentralsten Verteidiger der Pläne und Ideale der Rosenkreuzer ist Theophilus Schweighart aus Konstanz. Er hat vor allem für die spätere Freimaurerei große Bedeutung, da er i n seinen Werken den Ursprung der Rosenkreuzerischen Symbole zu er50
Yates, S. 243. Vgl. Schick, S. 168 ff. 52 Vgl. A n o n y m : Apokrysis seu Responsio Légitima A d Famam Laudatissimae Fraternitatis ac Societatis Rosae Crucis. F r a n k f u r t 1614. 51
2.2. Das Echo auf die Rosenkreuzerschriften
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klären versucht und wesentlichen Anteil an der Verbreitung der sinnbildlichen Figuren und Signaturen, wie zum Beispiel der Weltkugel, des Zirkels, des Richtscheits und anderer mehr hat 5 3 . Schick belegt auch, daß sich unter dem Decknamen Theophilus Schweighart und FlorentiniLS de Valentia ein und dieselbe Person verbirgt, nämlich der Leibarzt des Landgrafen Philipp von Hessen-Butzbach, Daniel Mögling. I n der Schrift Pandora versucht Schweighart, die Fraternität gegenüber den Angriffen der Vertreter der aristotelischen Philosophie und der galenischen Wissenschaft i n Schutz zu nehmen. Er betont hier, daß die Rosenkreuzerbrüderschaft auf zwei Säulen ruht, nämlich auf der Theosophie oder Gotteserkenntnis und auf der Selbsterkenntnis, der Betrachtung des Mikrokosmos: „Wahrlich, ich sag dir die Wahrheit, denkst du über die Sachen nach, läßt dir Gottes Wort, der Natur Unität und des höchsten Nutzen angelegen sein, i n simplicitate, veritate, humilitate et spe, so bist du ein Bruder des hochlöblichen Ordens vom Rosenkreuz . . . Ora et labora, deo et naturae consentaneus, et eris magnus philosophus 54 ." Immer wieder finden w i r i n Schweigharts Schriften die auf den K e r n zurückgeführte Rosenkreuzerweisheit vorgetragen i n einer klaren und kräftigen Sprache, so daß Schick die Vermutung äußert, Schweighart habe dem Tübinger Freundeskreis des Andreae irgendwie nahegestanden. Eine andere Schrift von Schweighart ist interessant, die unter dem Namen „Florentinus de Valentia" veröffentlicht wurde 5 5 . Es handelt sich dabei u m die Erwiderung auf die K r i t i k eines gewissen Menapius an den Rosenkreuzern. Auch hier macht sich die enorme Kenntnis und Belesenheit des Autors bemerkbar: Er interessiert sich für Architektur, δ3
Des näheren zu Schweighart vgl. Schick, S. 184 ff. Th. Schweighart: Sub umbra alarum t u a r u m Jehova. Pandora Sextae Aetatis, Sive Speculum Gratiae, Das ist: Die gantze Kunst u n d Wissenschafft der v o n Gott Hocherleuchten Fraternitet Christiani Rosencreutz, wie fern sich dieselbige erstrecke, auff was weiß sie füglich erlangt, u n d zur Leibs u n d Seelen gesundheit v o n uns möge genutzt werden, w i d e r ethliche deroselben Calumnianten. A l l e n der Universal Weißheit, u n d Göttlichen Magnalien waren liebhabern, treuhertziger meynung entdeckt. Durch Theophilum Schweighart Constantiensem, Pansophiae Studiosum. Cum Privilegio Dei naturae i n ewigkeit nicht umbzustossen. — (Nürnberg) 1617. Darin: 1. Th. Schweighart: Pandora sextae aetatis, S. 1 - 18; 2. Sendschreiben an die Brrschafft des Hochl. Ordens des Rosencreutzes, S. 19 - 27; 3. A d illustres atque gratiosos heroes, S. 28 - 36; Mors Christi, S. 37 - 74, S. 14. 55 Florentinus de Valentia : Jhesus Nobis Omnia! Rosa Florescens, contra F. G. Menapii calumnias. Das ist: Kurtzer Bericht u n d Widerantwort, auff die sub dato 3 J u n i i 1617 ex agro Norico i n Latein, u n d dann folgende den 15 J u l i i obgedachtes Jahrs Teutsch publicirte unbedachte calumnias, F. G. Menapii, Wider die Rosencreutzische Societet. Auß einfältigem eyffer gestellet Durch F l o r e n t i n u m de Valentiâ ord. benedicti m i n i m u m client (d. i. Theoph. Schweighart). Nürnberg 1617. 54
6*
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
M e c h a n i k , d a n n aber auch f ü r
Arithmetik, Algebra,
Harmonielehre,
G e o m e t r i e , N a v i g a t i o n u n d die schönen K ü n s t e , v o r a l l e m f ü r
Dürer.
M i t d e n R o s e n k r e u z e r n p l ä d i e r t er f ü r d i e V e r b e s s e r u n g der W i s s e n schaft. Es w i r d g e t a d e l t , daß es d e r P h y s i k a m E x p e r i m e n t m a n g l e , u n d daß insbesondere die E t h i k e i n e r R e v i s i o n u n d Ü b e r p r ü f u n g b e d ü r f t i g ist. V i e l e Passagen e r i n n e r n a n die A n s c h a u u n g v o n F r a n c i s Bacon. I n dieser A r b e i t w i r d d e r Leser d r i n g e n d gebeten, z u s a m m e n m i t
den
B r ü d e r n v o m Rosenkreuz das B u c h d e r N a t u r u n d das B u c h d e r W e l t z u erforschen u n d d a m i t
z u m Paradies z u r ü c k z u k e h r e n ,
das
Adam
einst v e r l o r . E i n e r n ä h e r e n U n t e r s u c h u n g w ü r d e n die w o r t g e w a l t i g e n des I r e n a e u s Agnostus
bedürfen,
die j e d o c h d e n R a h m e n
Schriften sprengen
w ü r d e 5 6 . I n S t r u k t u r u n d A u f b a u sind die ü b r i g e n Verteidigungsschrif5β I. Agnostus: F o r t a l i t i u m Scientiae, Das ist: Die unfehlbare volkommeliche, unerschätzliche Kunst aller Künsten u n d magnalien; welche allen w ü r digen, tugendhafften Pansophiae studiosis die glorwürdige, hocherleuchte Β rüderschafft deß Rosencreutzes zu eröffnen, gesandt. Darauß dieselbige j h r e gehorsame, kluge fromme Discipul k l ä r l i c h u n d ohne einige allegori n u n mehr i n demuth u n n d der forcht Gottes alle mysteria, seyt der Welt anfang hero verstehen u n d lernen mögen. Benebens sich gründlich u n n d augenscheinlich befindet, daß Ehrngedachter, seliger, Gottliebender Fraternitet ringste Künsten dass Goldmachen, u n d Lapis philosophicus jederzeit gewesen seyen. Subset Irenaeus Agnostus C. W. ejusdem Fraternitatis per German i a m indignus Notarius. (Nürnberg) 1617; ders.: Clypeum Veritatis; Das ist Kurtze, jedoch Gründliche A n t w o r t respectivé, u n d verthädigung, auff alle u n d jede schrifften u n d Missiven, welche an u n d w i d e r die hochlöbliche, seelige Fraternitet deß Rosencreutzes bißhero i n offendlichen Truck gegeben u n d außgesprengt worden. Darauß neben anderem k l ä r l i c h abzunemen, was i n einer Summ, u n d einmal f ü r alle m a l j h r e fromme Kunst u n d weißheit begierige Discipul v o n j h n e n nächst Gott dem Allmächtigen noch i n kleiner kurtzer zeit, frölicher u n d getroster gewisser Zuversicht zu gewarten haben. (Nürnberg) 1618; ders.: Speculum Constantiae: Das ist: Eine nohtwendige vermahnung an die Jenigen, so j h r e Namen bereits bey der heiligen gebenedeiten Fraternitet deß Rosencreutzes angegeben, daß sie sich durch etlicher böse verkehrte Schrifften nicht j r r lassen machen, sondern vest halten u n d getrost stehn bleiben sollen. Mehrertheils auff den Tractat dessen T i t t e l : Speck auff der F a l l &c. so w i d e r diese Fraternitet außgangen gerichtet. Auß sonderbahrem geheiß, u n n d befelch hochgedachter Gesellschaft ad S. S. v e r fertiget durch j h r e n u n w i r d i g e n N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. (Nürnberg) 1618; ders.: Vindiciae Rhodostauroticae, Das ist: Warhaffter gegenbericht der Gottseeligen Fraternitet deß Rosencreutzes, u n n d gegründte Widertreibung der v o r w e n i g Wochen v o n S. Mundo Christophori F. w i d e r hochermelte Gesellschaft außgestreuten i n j u r i , verleumbdung, Lügen, und Calumnien. Auß gnädigem befelch seiner H e r r n Obern verfertiget, Durch Irenaeum Agnostum C. W. — o. O. 1619; ders.: T i n t i n a b u l u m Sophorum Oder Fernere, gründliche entdeckung der gotseligen gesegneten Brüderschafft deß löblichen Ordens deß Rosencreutzes, daß, was sie bißhero i n die W e l t außgeben, i n der Wahrheit sich also verhalte, auch daran j h r e erwehlte, frome discipul keines wegs i m geringsten nicht zweiffein sollen. Mehrertheils wid'Hisaiam sub cruce Atheniensem, so w i d e r das Seculum Constantiae, sehr spöttisch u n d närrisch geschrieben, gerichtet, u n n d Auß sonderbarem geheiß, u n d befelch bocherleuchter Fraternitet verfertigt durch deroselben u n w ü r d i gen N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. (Nürnberg) 1619; ders.:
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
85
E p i t i m i a Fr. R. C. Das ist Endliche Offenbahrung, oder entdeckung u n d v e r thäydigung deß hochlöblichen Ordens deß Rosencreutzes, auch derselben r u n den, warhafften bekandtnus u n d Confession an alle Gelehrte, Stände u n d Häupter i n gantz Europa. Mehrertheils zu bevestigung, Trost, Liebe, angenemen gefallen allen Tugendhafften, Verirrten, verlassenen, unwissenden, blöden teutschen Gemühtern i n diesen betrübten, traurigen widerwärtigen Zeiten, u n d Weltläufften, wie nicht weniger zum beschlus j h r e r bißhero ans Tagesliecht gegebnen Schrifften, i n gleichem an statt eines unverwerfflichen Bürgen, oder Fidejussoris der inständigen, herbeynahenden erlösung k ü r t z lich verfertiget, Auß sonderbaren Befelch durch ehrnbemelter, Gottseliger, erleuchter Societet unwürdigen N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C . W . o.O. 1619; ders.: Fons Gratiae: Das ist, Kurtze Anzeyg u n d Bericht, wenn, zu welcher Zeit u n n d Tag der jenigen, so von der heiligen, gebenedeyten Fraternitet deß Rosen Creutz zu M i t b r ü d e r n auffgenommen, völlige Erlösung u n d perfection anfangen, u n d hergegen wessen sie sich i n principio deß Heyls, u n n d der Gnaden zuverhalten haben. Geschrieben zu Trost u n d endlicher beschließlicher praeparation, u n d Vorbereitung der berührter, demütiger, außerwehlter Discipeln auß sonderbarem Befelch hochermeldter Societet. Durch Dero unwürdigen N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. (Nürnberg) 1619; ders.: Frater Non Frater, Das ist: Eine Hochnotdürfftige Verwarnung an die Gottselige, fromme Discipul der H. gebenedeyten Societet des Rosencreutzes, Das sie sich für den falschen Brüdern, u n n d Propheten fleissig vorsehen, so unter dem Namen, u n d Deckmantel w o l ermelter Gesellschaft ad S. S. i n der W e l t zerumbstreichen: Neben andeutung gewisser kennzeichen u n d gemerck, dardurch ein falscher v o n einem w a r hafften Rosencreutzer ohnfelbar, u n d sicherlich zuunderscheiden, u n d abzunemmen. Subscribsit Irenaeus Agnostus CW. eiusdem Fraternitatis per Germaniam indignus Notarius. (Nürnberg) 1619; ders.: Regula Vitae: Das ist, Eine heylsame, nutzliche, u n d nohtwendige Erinnerung an die Jenigen, welche nach der Hochberümbten Tugendhafften Fraternitet deß Rosencreutzes ein sehnliches, hertzliches verlangen tragen u n d haben, doch derselben noch der Zeit nicht einverleibt sind. Auß gnädigem, wohlbedachtem Befelch ermeldter Heiliger, unsträfflicher Societet verfertiget durch j h r e n u n w ü r d i g e n Notar i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C . W . o. O. 1619; ders.: Thesaurus Fidei, Das ist: E i n notwendiger Bericht, u n n d V e r w a r n u n g an die Novitios, oder junge angehende Discipel, welche v o n der hochlöblichen gesegneten Fraternitet deß Rosen Creutzes auff- u n d angenommen: Daß sie i m Glauben gegen Gott, Liebe dem Nechsten, Gedult, u n n d Sanfftmut der Fraternitet biß ans Ende verharren, u n d die Laster hingegen fliehen sollen, wo fern sie anders nicht widerumb verstoßen. Auß dem Buch der glückseligen, erwehlten, bestättigten Pansophiae Studiosorum ausgelescht zu werden, u n d also zeitlichen u n d ewigen Spot u n n d H o h n zu L o h n zu bekommen begeren. (Unterz.:) Irenaeus Agnostus C . W . Ejusdem Fraternitatis per Germaniam indignus Notarius. — o. O. 1619; ders.: Apologia F. R. C. Das ist: Kurtze, Jedoch w a r haffte, u n d wohlgegriindte Ablehnung, aller derer beschuldigung, damit i n n verwichener Franckfurter Herbstmäß die Hochgelobte, Weitberühmbte Fraternitet deß Rosenkreutzes bey männiglich, insonderheit aber bey j h r e n getreuen, u n n d gehorsamen Discipulis ohn einige darzu gegebne ursach v o n Hisaia Sub Cruce A t h : fälschlich, u n d boßhafftiglich beschweret worden. A u f f ermelter, Heiliger, Gottseliger Gesellschafft sonderbaren geheiß, u n d befelch, zusammen getragen, u n d verfertiget, durch dero unwürdigen N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C . W . (Nürnberg) 1620; ders.: Liber T. Oder Portus Tranquillitatis, Das ist: E i n herrlicher, trostreicher Bericht, v o n dem höchsten Gut, welches die jenige, so v o m Bapstthumb abgewichen, u n d i n den Orden, u n n d das Collegium deß Rosen Creutzes auffgenommen worden, durch die Gnad Gottes, u n d stäten fleiß deß hochermelten gesegneten Rosen Creutzerischen Ordens, diese kurtze zeit über erlangt u n d bekommen haben. Aus sonderbarem Geheiß u n n d Befehl seiner Herren Obern u n d Prinzipaln, zu einem g r ü n d l i c h e n Bericht, notwendiger Schutzrede, Rettung der U n schuld, Beständiger V e r a n t w o r t u n g u n d anzeig was j h r e fürnembste Lehr sey, Gestellt u n d verfertigt Durch Irenaeum Agnostum Ç. W. o. O. 1620.
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
t e n d e n h i e r k u r z d a r g e s t e l l t e n sehr ä h n l i c h u n d i h r e Reihe ließe sich b e l i e b i g , aber m o n o t o n f o r t s e t z e n 5 7 . D i e Kontraschriften schen
Orthodoxie,
s t a m m e n zunächst aus d e m L a g e r d e r das d a m a l s ü b e r a u s e m p f i n d l i c h a u f a l l e
lutheriketzeri-
schen S c h w a n k u n g e n u n d A b w e i c h u n g e n reagierte. Das Z i e l w a r
die
K o n s o l i d i e r u n g e i n e r festen G l a u b e n s h a l t u n g i n n e r h a l b des P r o t e s t a n t i s m u s gegenüber d e r k a t h o l i s c h e n D o g m a t i k . V o m o r t h o d o x e n L u t h e r t u m w u r d e d e r R o s e n k r e u z e r g e d a n k e als V e r r a t a m W e r k L u t h e r s a n gesehen, insbesondere als s t ö r e n d e r E i n b r u c h i n die soeben u n t e r D a c h u n d Fach gebrachte A u g s b u r g e r
Konfession u n d
A b e r auch v o m römisch-katholischen
Standpunkt
Konkordienformel. gab es Gegenschrif-
t e n 5 8 . E i n e S c h r i f t v o n 1619 z ä h l t w e i t e r e K a t e g o r i e n v o n G e g n e r n auf, w o m i t g l e i c h z e i t i g d i e Kritikfelder
am Rosenkreuzertum
verdeutlicht
w e r d e n : zunächst seien die G r a m m a t i s t e n , Poeten, O r a t o r e n u n d Schulp h i l o s o p h e n a u f d e n P l a n getreten, d a n n die Ä r z t e u n d J u r i s t e n . D e r Angriff
richtete
sich speziell gegen d i e c a l v i n i s t i s c h e
Tendenz
der
R o s e n k r e u z e r s c h r i f t e n , gegen die S c h m ä h u n g d e r aristotelischen P h i l o sophie u n d gegen die Gesinnungsgemeinschaft d e r R o s e n k r e u z e r b r ü d e r m i t Paracelsus, d e r o f t als „ I n s t r u m e n t des T e u f e l s " gesehen w u r d e . V i e l f a c h b e f ü r c h t e t m a n auch eine neue H ä r e s i e 5 9 . 57 Interessante Aspekte könnten bei den nicht näher untersuchten A r b e i ten v o n Josef Stellatus u n d Julius Sperber zu finden sein; Josef Stellatus: Pegasus Firmamenti. Sive Introducilo Brevis I n Veterum Sapientiam, quae o l i m ab Aegyptijs & Persis Magia; Hodiè vero à Venerabili Fraternitate Rosae crucis Pansophie rectè vocatur, i n Piae ac Studiosae Juventutis gratiam conscripta A Josepho Stellato, Secretioris Philosophiae alumno. o. O. 1618; Julianus de Campis (d. i. Julius Sperber): Sendbrieff oder Bericht A n A l l e welche v o n der Newen Brüderschafft des Ordens v o m Rosen Creutz genant, etwas gelesen, oder v o n andern per m o d u m discursus der Sachen beschaffenheit, vernommen. Es seind v i e l die i m Schrancken lauffen, etliche aber gew i n n e n n u r das Kleinot. Darumb ermahne Ich. Julianus de Campis O . G . D. C. R. F. D. Das die jenigen, Welche v o n einer glücklichen direction u n d gewünschter impression guberniret worden, sich nicht durch j h r e r selbst eigenen diffidens, oder üppiger Leute unartiges j u d i c i r e n wendig machen lassen. F r a n k f u r t 1615; der s.; Echo Der v o n Gott hocherleuchten Fraternitet, deß löblichen Ordens R. C. Das ist: Exemplarischer Beweis, Das nicht allein das jenige was jetzt i n der Fama u n d Confession der Fraternitet R. C. ausgebotten, müglich u n d w a r sey, Sondern schon für neunzehen u n d mehr Jahren solche Magnalia D E I , etzlichen Gottesfürchtigen Leuten, mitgetheilet gewesen, u n d v o n j h r e n privatschrifften depraediciret worden. Wie dessen ein fürtreffliche Magisch Scriptum u n d Tractätlein, der Höchlöblichen Fraternitet R. C. dediciret u n d öffentlich durch den Druck evulgiret w i r d . Durch deß Deutschen Abeceß Laut. Danzig 1615. 58
Vgl. des näheren Schick, S. 193 ff. Christopherus Nigrinus: Sphynx Rosacea, das ist: Der Entdeckung der Brüderschaft deß löblichen Ordens deß Rosen Creutzes, u n n d deren Famae u n d Bekandtnüß Ohngefährliche Muhtmassung. Darinnen die ersten Authores oder Ansager deß Rosen Creutzes, j h r e Glaubens Bekandtmüß, u n d v i e l andere j h r e verborgene Mysteria, Geheimnüß u n d Characteres entdecket u n d männiglichen zur nachrichtung an tag gegeben werden Durch Christophor u m N i g r i n u m Philomusum, & Theologum. F r a n k f u r t 1619. Vorrede, S. 3 f. 59
87
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
A u s d e r F ü l l e d e r gegnerischen S c h r i f t e n seien n u n e i n i g e klassische zur
I l l u s t r a t i o n herangezogen. W o h l
d e r schärfste
Angriff
von
der
l u t h e r i s c h - o r t h o d o x e n G e g e n f r o n t s t a m m t v o n e i n e m gewissen Euseb i u s C h r i s t i a n u s Crucigerus.
D e r Verfasser ist d e r A n s i c h t , daß die v o n
der R o s e n k r e u z e r b r ü d e r s c h a f t beabsichtigte „Mutatio ticae"
die G e f a h r des B l u t v e r g i e ß e n s u n d A u f r u h r s
ecclesiae
ac
poli -
m i t sich b r i n g t ,
d e n n n u r m i t d e r G e w a l t c a l v i n i s c h e r F ü r s t e n k ö n n t e n die
Rosen-
k r e u z e r i h r e P l ä n e i m H e i l i g e n Römischen Reich d u r c h s e t z e n 8 0 . G e o r gius Rostius
m e i n t , daß d i e R o s e n k r e u z e r die M e n g e b e t ö r e n , da o h n e -
h i n „ i n diesen l e t z t e n T a g e n die Menschen j u c k e n d e O h r e n z u n e u e r u n d f r e m d e r L e h r e " h a b e n . Sie v e r l o c k e n die Menschen besonders d a durch, daß sie i h n e n e i n irdisches
Paradies,
einen „Rosengarten"
ver-
sprechen. D i e P r o p h e t e n aber h ä t t e n h i n g e g e n g e l e h r t , daß d e r Mensch a u f dieser E r d e e i n J a m m e r t a l d u r c h l a u f e n m ü s s e 6 1 . V o n dieser Seite w i r d also das rosenkreuzerische F o r t s c h r i t t s d e n k e n r a d i k a l i n F r a g e gestellt, j a m a n sieht i n i h m e i n revolutionäres, die bestehenden V e r h ä l t n i s s e u m w ä l z e n d e s P o t e n t i a l . I m m e r w i e d e r w i r d d a r a u f h i n g e w i e s e n , daß das e i g e n t l i c h e Z i e l d e r R o s e n k r e u z e r eine politische Reformation ist. Sie h ä t t e n , so Spaignart, „ b e i e t l i c h e n eine epikureische V e r a c h t u n g des g e p r e d i g t e n W o r t e s Gottes u n d b e i v i e l e n 60 E. Ch. Crucigerus: Eine Kurtze Beschreibung der Newen Arabischen u n d Morischen Fraternitet, l a u t I h r e r eygenen A n n o M D C X I V , zu Cassel, u n n d A n n o M D C X V , zu M a r p u r g edirten u n d publicierten Famae u n d Confeßionis, u n d dabey ethliche erhebliche u n n d Hochwichtige Ursachen u n n d gründe, Warumb sie v o n vielen Hoch u n n d nidrigen Standes Persohnen, sehr Suspect u n d verdechtig gehalten w i r d , Sampt angehängter an deroselben trewhertziger Vermahnung u n d Warnung. Menniglichen u n d insonders der Newertlehrbegirigen, gen, Lichtgleubigen u n d bald verführten Jugend zur Information u n n d unterrichtung, geschrieben Durch Eusebium Christianum Crucigerum, v o n der Fraternitet des Holtzen Creutzes Jesu Christi, o. O., o. J. (Rostock 1618), S. 59. 61 Vgl. Georgias Rostius: Heldenbuch v o m Rosengarten. Oder Gründlicher u n d Apologetischer Bericht v o n den Newen Himlischen Propheten, Rosenkreutzern, Chiliasten u n d Enthusiasten, Welche ein new Irrdisch Paradiß u n d Rosengarten auff dieser W e l t ertrewmen, u n d allerley Schrifftlose u n d U n theologische paradoxa u n d I r r t h u m b i n der w e r t h e n Christenheit, öffentlich außsprengen, Benamentlich M . Valentinus Weigelius i n tr(actatu) v o n der gelassenheit, v o n der Schul Gottes, de studio universali, &c. M . Paulus Nagelius i m Prognostico & i n tr(actatu) de Philosophia Nova, &c. Paulus Felgenhawer i m Zeitspiegel, Anonymus A u t o r i n Clangore Buccinae Propheticae, &c. Wie alle dinge i n uns verborgen sind, u n d das m a n geschwinde u n d behende ohne mühe u n d arbeit allerley gute Künste u n d Sprachen, auch ohne Bücher allein durch die Salbung k a n studiren, allerley geheimnissen verstehen, auch die zeit v o m Jüngsten Tage außf or sehen, wie Christus A n n o 1623. widerkommen, u n d ein Irrdisch Paradiß auff Erden anrichten, u n d 1000. Jahr m i t seinen reichßgenossen i n allerley wollust herrschen soll, w i e alle Juden bekehret, daß Evangelium außgebreitet, u n d der Türcke, Bapst u n d die 4. Monarchy sollen untergehen etc. Alles umbständlich, kürtzlich u n d nützlich beschreiben. Durch Georgium Rostium, Mechelburgischen Hoffprediger zu Lüptz. Rostock 1623, S. 6 ff.
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
auch Zweifel an der christlich erkannten Lehre des heiligen Evangeliums verursacht". Daher „ist es Pflicht eines Geistlichen, diesem einreißenden L ä r m und Faction, was die christliche Religion anbelangt, bei Zeiten entgegenzutreten und alle frommen Christen vor solchen Greueln m i t standhaftem Ernst zu warnen" 6 2 . Man darf nicht vergessen, daß es i m damaligen Zeitkontext bereits „politisch" war, wenn man i m Bezug auf religiöse Dinge nicht geneigt war, die „Andersgläubigen" zu verfolgen. Kennzeichnend für die Rosenkreuzer war ja unter anderem, daß sie Menschen verschiedener Bekenntnisse umschließen wollten. Bereits aus diesem Grund wurde gegen sie der Verdacht ausgesprochen, daß sie aufrührerisch, ja revolutionär sind. Einer der schärfsten Kritiker vom Standpunkt der aristotelischen Philosophie aus war Andreas Libavius, der Doktor der Philosophie und Medizin und Direktor des Casimir-Gymnasiums i n Coburg 63 . I n seinem umfangreichen Schrifttum erweist er sich als kenntnisreicher und geschickter A n w a l t einer echten Alchemie, aber ebenso als leidenschaftlicher und gründlicher Bekämpfer des Paracelsus und seiner Anhänger 6 4 . 1615 setzt sich Libavius eingehend mit der „Fama" und der „Confessio" auseinander 65 . Ein Jahr später erscheint dann eine weitere Schrift i n deutscher Sprache, wohl m i t der Absicht, seine K r i t i k einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Hier w i r d vor allem der politische Charakter des Rosenkreuzertums aufgegriffen und die Schrif62 Ch. G. De Spaignart: Theologisch Wächterhörnlein, oder Warnung, Wider das eingelegte Fewer, der selbst gewachsenen newen Propheten u n d Rosencreutzbrüder, damit sie sich unterstehen, die Christliche Kirche anzuzünden, u n d abzubrennen. A u f f vielfeltiges begeren gerichtet u n d geschrieben. Durch Christianum G i l b e r t u m de Spaignart, der heiligen Schrifft Doctorem. W i t t e n berg 1620, S. 4. 68 Dies ergibt sich aus dem T i t e l der Schrift A . Libavius: D. Ο. M . A . Examen Philosophiae novae, Quae Veteri Abrogandae Opponitur: I n quo agitur de modo discendi novo: De veterum auctoritate: De Magia Paracelsi ex Crollio: De Philosophia vivente ex Severino per Johannem H a r t m a n n u m : De Philosophia harmonica magica Fraternitatis de Rosea Cruce. Opera & studio Andreae L i b a v i i Philos. & Med. D . P . C . Halli-Saxonis, Illustris Gymnasii Casimiriani A p u d Coburg: Directoris & Professons publici. Francofurti ad Moenum 1615. 84 Des näheren vgl. dazu A . G. Debus: Guintherius, Libavius and Sennert: The Chemical Compromise i n Eearly Modern Medicine. I n : A . G. Debus (Hrsg.): Science, Medicine and Society i n the Renaissance. Bd. 1, London 1972; i n seinen „Examen Philosophiae Novae" sind weitläufige Passagen der Bekämpfung der Paracelsisten gewidmet. 85 Die Analyse der „Fama" ist i n einem eigenen großen Abschnitt v o n der „Philosophia Harmonica Magica Fraternitatis de Rosea Cruce" der „Examen Philosophiae Novae" enthalten; der Analyse der „Confessio" ist eine eigene Schrift gewidmet; vgl. A . Livabius: D. O. M . A . Analysis Confessionis Fraternitatis De Rosea Cruce Pro Admonitione E t Instructione eorum, qui, quid iudicandum sit de ista nova factione scire cupiunt. Authore Andreae Libavio M . D. P. C. Illustris Gymnasii Casim. A p u d Coburgenses Directore & Professore publico. F r a n k f u r t a. M . 1615.
89
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e t e n als S i g n a l e i n e r R e v o l u t i o n i n t e r p r e t i e r t , die gewisse
Parallelen
z u m B a u e r n k r i e g u n d z u m M ü n s t e r i s c h e n A u f s t a n d zeigen. D a h i n t e r steht n a c h L i b a v i u s d e r a l t e S t r e i t zwischen d e n A n h ä n g e r n des A r i s t o t e l e s u n d G a l e n u s a u f d e r e i n e n u n d d e n A n h ä n g e r n des P a r a celsus a u f d e r a n d e r e n Seite: d e n n i n „ F a m a " u n d „Confessio" sei j a alles „ a u f d e n Paracelsischen Schlag g e m ü n z t " . L i b a v i u s v e r m u t e t sogar, daß Rosencreutz u n d Paracelsus i d e n t i s c h sind. D i e der
Rosenkreuzer
wird
als
„talmudische,
Philosophie
kabbalistische,
astronomische, c h i r o m a n t i s c h e u n d g ä n z l i c h dämonische
magische,
Philosophie"
a n g e g r i f f e n . Das F o r t s c h r i t t s d e n k e n w i r d k r i t i s i e r t , i n d e m b e h a u p t e t w i r d , daß der G l a u b e a n die g ö t t l i c h e V o r s e h u n g h i n r e i c h e n d das W i s sen u m die Z u k u n f t e r f ü l l t 6 6 . Besonders d u r c h d i e G e g n e r s c h r i f t e n w i r d d e u t l i c h , w e l c h e e n o r m e u n d b r e i t e D i s k u s s i o n die R o s e n k r e u z e r s c h r i f t e n ausgelöst h a b e n . Sie zeigen, daß die B e w e g u n g i n i h r e n A n s ä t z e n e f f e k t i v als B e g i n n e i n e r n e u e n w e l t w e i t e n R e f o r m a t i o n gesehen w u r d e 6 7 . ββ Α . Libavius: D. Ο. M . A . Wohlmeindes Bedencken V o n der Fama u n n d Confession der Brüderschafft deß Rosen Creutzes, eine Universal Reform a t i o n u n d Umbkehrung der gantzen w e i t v o r dem Jüngsten Tage, zu einem jrdischen Paradeyß, w i e es A d a m v o r dem F a l l inne gehabt, u n d Restitution aller Künste u n d weißheit, als A d a m nach dem Fall, Enoch, Salomon, &c. gehabt haben, betreffent. A u f f erfordern u n d begehren etlicher fürnehmen Leute wohlbedächtlich gestellet. Durch A n . L i b a v i u m M . D. P. C. SAC. Theologiae Et philos, purioris studiosum. F r a n k f u r t u n d E r f u r t 1616. 12 ff., 148 f., 219 ff. 67 Dies bestätigen viele, teilweise wütende u n d polemisch überspitzte Gegnerschriften, so ζ. Β . H. Bilthius: Examinatio Brevissima, Das ist, gantz k ü r t z liche Erörterung, w o r i n sich Johannes Siverti Aeglensis i n seiner newlich außgeflogenen Mummenschantz oder Nebelkappen, die er wieder die v o n Rosen Creutz geschrieben, zimlich verhawen, u n d die liebe Warheit schrecklich an das Ohr geschlagen hat. Fürgenommen u n d gestalt durch einen Liebhaber der Warheit. o. O. 1617; J. Sivertus: Entdeckte Mummenschantze oder NebelKappen Das ist, Christliche Widerlegung der nechst v o n Cassel außgeflognen Stimpel Confesion der Newen Krugs Brüder, oder w i e sie sich nennen Rosen Creutzer, darinnen bewiesen w i r d , daß diese Leute nicht auß Gott, sondern auß dem Vater der Lügen u n d Verwirrung guter Policey herrühren u n d seyn. A l l e n rechtgleubigen Christen zur w a r n u n g i n Druck verfertiget, damit sie standhafftig bleiben auff der rechten Bahn, u n d kempffen einen guten Kampff, behalten Glauben u n d gut Gewissen, u n d endlich die K r ö n des ewigen Lebens bekommen mögen, da w i r alles das, was A d a m verlohren, I m Paradise, reichlich w i d e r u m b bekommen werden. Durch Johannem Siverti Aegl. (Magdeburg) 1617; S. F. Fischer: K u r t z e r u n n d Gegründeter Bericht, V o n der Luna compacta oder Fixa: Wie solche nach Philosophischer A r t , gantz leichtlich könne praepariret werden. Aus dem Liecht der Natur, Abbate Trithemio. Auch andern authentischen Philosophie genommen, u n d i n öffentlichen Druck verfertiget. Den Fratribus Crucis Rosatae zur Anreitzung, A l l e n Betriegern u n d Lauchrimisten aber zur Warnung. Beneben einer eingeigten Figur, Durch Samuel Friederich Fischern, Philos: & utriusq; Jur: L. & utriusq; Medicinae candidatimi, ο. Ο. 1618; S. Mundus : Speck auff der Fall, Das ist: List u n d Betruch der Newentstandnen Bruderschafft, oder Fraternitet dern. V o m Rosencreutz, M i t welchem sie, durch Verheissung grosser Künst, Reichthumb, u n d i h r Parergon das Goltmachen, so w o l die Häupter,
2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
90
Die Rosenkreuzerschriften
haben jedoch nicht n u r
in
Deutschland
f ü r große p o l i t i s c h e w i e religiöse V e r w i r r u n g u n d A u f r e g u n g gesorgt, s o n d e r n ebenso sehr i n Frankreich
u n d England.
A u c h d o r t w u r d e das
R o s e n k r e u z e r t u m h e f t i g s t d i s k u t i e r t u n d t e i l w e i s e scharf u n d r a d i k a l a b g e l e h n t . I m J a h r e 1623 s o l l e n i n Paris sein,
die
die
Anwesenheit
der
P l a k a t e angeschlagen w o r d e n
Brüder
vom
Rosenkreuz
bekannt
machten. D e r T e x t l a u t e t : „ W i r , Gesandte des w e s e n t l i c h s t e n K o l l e g i u m s der B r ü d e r v o m Rosenkreuz, h a l t e n u n s d u r c h die G n a d e des A l l m ä c h t i g e n , d e m die H e r z e n d e r G e r e c h t e n sich z u w e n d e n , s o w o h l sichtbar
als
u n s i c h t b a r i n dieser S t a d t auf. W i r zeigen u n d l e h r e n ohne B ü c h e r oder Zeichen, w i e a l l e Sprachen d e r L ä n d e r z u e r l e r n e n sind, i n d e n e n w i r u n s a u f h a l t e n , u n d die Menschen v o r I r r t u m u n d T o d b e w a h r e n w o l l e n . " Diese A n k ü n d i g u n g w i r d d a n n i n e i n e m B u c h v o n G a b r i e l
Naudé
i m selben J a h r v e r ö f f e n t l i c h t 6 8 . E i n e ä h n l i c h e V e r s i o n f i n d e t sich i n e i n e r a n o n y m e n S c h r i f t aus d e m selben J a h r :
„ W i r , die G e s a n d t e n des K o l l e g i u m s des Rosenkreuzes
w o l l e n alle jene informieren,
die a n u n s e r e r
Gesellschaft
und
Ge-
Ständt, u n n d Gelehrten, als auch andere i n Europa, an ihren Ketzerischen Glauben zuziehen, u n d also das Bapstumb gantz u n d gar auffzureiben, sich understehen. A u f f anhalten, u n d begehren, einer hohen fürnemmen Person gestellet, Durch S. M u n d u m Christophori F(ilium) Theosophiae ac pansophiae amantem. (Ingolstadt) 1618; ders.: Roseae Crucis Frater Thrasonico-Mendax. Das ist: Verlogner Rhumbsichtiger Rosencreutzbrüder. Oder Verantwortung auff die Scartecken Speculi Constantiae, so newlich w i d e r den Catholischen Tractat: Speck auff der Fallen, v o n einem vermainten Rosencreutzer außgesprengt worden. Jedermenigklich zur trewhertzigen Warnung, daß sie sich von disen Verführern, durch j h r e n wolriechenden Speck der Künsten, nicht w o l l e n auff die Rosencreutzerische, ketzerische F a l l bringen lassen. Beschriben durch S. Mundum, Christophori F(ilium) Theosophiae ac Pansophiae amantem. o. O. 1619; J. Hintnehm: Speculum Ambitionis, Das ist, Spiegel des Ehrgeitzes. I n welchem zu sehen, Wie der Teufel v o n anfang der W e l t durch diß Laster die gröste Abgötterey, Ketzerey, Rotten Secten, u n d allerley erdichte Newe Orden zuwege bracht hat. Darauff denn allzeit grosse A u f f r ü h r , Kriege, schreckliche Blutvergiessen, Veränderung, Verwüstung u n d Zerstörung mächtiger Königreiche, Länder u n d Städte, erfolgt ist. A u f f etliche außgesprengte Schrifften der Newerstandenen Sect Fratres Rosatae Crucis genant, zur Refutation angestellt. A l l e n Potentaten, u n d Christlichen Regenten, i n diesem fehrlichen Zustande Deutsch Landes, m i t schönen Exempeln H. Schrifft, beglaubten Weltlichen Historien, poetischen Gedichten u n d A l l e gorien, zum Exempel fur Augen gestellet, Durch Johannem H i n t n e m Trefurensem Historicum. o. O. 1620; M . V. Griessmann: Getreuer Eckhart. Welcher i n den ersten Neun gemeinen Fragen, der Wiedertäufferischen, Stenckfeldischen, Weigelianischen u n d Calvino-Photinianischen, Rosen-Creutzerischen Ketzereyen, i m Landen herumstreichende u n d streiffende wüste Heer zu fliehen, u n d als seelenmörderische Räuberey zu meyden verwarnet. A u f v o r nehmer Freund begehren, anhalten u n d ermahnen abgefertiget v o n M. V a l e n t i n Griessmann. P. u. S. S. S. S. Gera 1623. 68 G. Naudé: Instruction à l a France sur la vérité de l'histoire de Frères de la Rose-Croix. Paris 1623, S. 27.
2.2. Das Echo auf die R o s e n k r e u z r s c h r t e
91
meinde teilnehmen wollen. W i r werden sie das vollkommenste Wissen des Höchsten lehren, i m Namen dessen w i r heute zusammentreffen, und w i r wollen sie aus sichtbaren Menschen zu unsichtbaren machen und von unsichtbaren wieder zu sichtbaren 89 ." Naudé nun setzt sich i n seiner Schrift m i t der „Fama" und „Confessio" auseinander, ebenso auch m i t den Werken Michael Maiers. Er bestätigt den ungeheuren Eindruck, welchen die Rosenkreuzerschriften i n Frankreich gemacht haben und sagt zugleich, daß sie die Hoffnung, nunmehr vor einer neuen Zeit und einem neuen Fortschritt des Wissens zu stehen, geweckt hätten 7 0 . Ohne näher auf das Buch von Naudé einzugehen, gilt es doch als Beleg dafür, daß die Rosenkreuzermanifeste weit über Deutschland hinaus bekannt wurden und daß sie als Prophezeiung einer neuen Erleuchtung, eines über das Wissen der Renaissance weit hinausgehenden Fortschrittes betrachtet wurden 7 1 . Die Rosenkreuzer waren i n Frankreich auch erheblichen Verfolgungen ausgesetzt. Eine gute Illustration dafür liefert das Verhältnis von René Descartes zur Brüderschaft der Rosenkreuzer. Die wesentlichen Zusammenhänge erhellen sich aus der Descartes-Biographie von Adrien Baillet 72. Nach Beendigung seines Jurastudiums verläßt Descartes 1618 Frankreich und nimmt als Freiwilliger an den Feldzügen des Prinzen von Oranien teil. Dies war für einen katholischen, i n einem Jesuitenkolleg erzogenen Menschen wie Descartes ein merkwürdiger Schritt. Seine Erklärung war jedoch die, daß er die Welt sehen und seine Kenntnis über die Menschen und das Leben erweitern wollte. Descartes reist dann nach Deutschland, erlebt 1619 die Krönung Ferdinands von Österreich zum Kaiser i n Frankfurt und hört zu dieser Zeit von einer wunderlichen Bewegung, ebenso von einer Revolte i n Böhmen und einem Krieg zwischen den Katholiken und den Protestanten wegen dieser Sache. Er meldete sich als Offizier i n bayrischen Dienst, ohne jedoch die geringste Idee zu haben, gegen welchen Feind er eingesetzt wird. Allmählich sickert es durch, daß die Truppen gegen 89 A n o n y m : Effroyables Pactions faites intermediable et le prétendus I n visibles. Paris 1628, zitiert nach Yates , S. 114. 70 Vgl. Naudé , S. 22 ff. 71 Dies bestätigt auch die Schrift v o n P. Garasse : La Doctrine Curieuse Des Beaux Esprits De Ce Temps, Ou Pretendus Tels. Contenant Plusieurs, Maximes pernicieuses à l'Estat, à l a Religion, et aux bonnes Moeurs. Combattue Et Renversée Par Le P. Franco s Garassus, de l a Compagnie de Jesus. Paris 1623, besonders S. 83 ff. Die Rosenkreuzer w u r d e n hier als bösartige Zauberer angeklagt, die Religion u n d Staat gefährden. 72 Yates macht darauf S. 24 ff. aufmerksam.
92
2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
den Kurfürsten eingesetzt werden sollen, den die Böhmen zu ihrem König gewählt haben 7 3 . I m Winter 1619/20 bezieht Descartes ein langes Quartier i n der Nähe von Ulm. I n einem deutschen Bürgerhaus verfällt er i n eine Reihe tiefer Meditationen und erlebt hier seine „Erleuchtung", seine große methodisch-mathematische Entdeckung 74 . Eine Vision offenbart i h m seine Methode, die Mathematik als Einheit aller Wissenschaften. Descartes fühlte sich nunmehr zum Reformator der Wissenschaften berufen. Er glaubte, die immanente Gesetzmäßigkeit der Denkformen und damit die Schau eines absoluten Wissens entdeckt zu haben. Der nächtliche Traum i n U l m offenbart Descartes seine Sendung: Ein Denken zu erbauen, das den Menschen absolute Sicherheit gewährt gegen Täuschung und Lüge 7 5 . Zur Zeit dieser Meditationen lernt Descartes auch Menschen kennen, die i h m von einer deutschen Brüderschaft erzählen, die sich Brüder vom Rosenkreuz nannten, die eine neue Weisheit und eine „wahrhafte Wissenschaft" versprachen 76 . Was Descartes nun von den Rosenkreuzern i n Erfahrung bringen konnte, stimmte so m i t seinen eigenen Gedanken überein, daß er, wenn auch ohne Erfolg, diese Brüder zu finden versuchte. I n U l m hatte er ja einen gewissen Johann Faulhaber kennengelernt, von dessen außerordentlicher Intelligenz er beeindruckt war. Mutmaßlich von Faulhaber ist Descartes über die Rosenkreuzer informiert worden, da er einer der ersten war, der ein den Rosenkreuzern gewidmetes Werk schrieb 77 . Nach der Teilnahme Descartes an der Schlacht am Weißen Berg verweilte er i n Prag, dann i m südlichen Böhmen und setzte seine Reise durch Mähren, Schlesien, Norddeutschland und die katholischen Niederlande fort, bis er 1623 wieder i n Paris ankam. Hier war die Hetzpropaganda gegen die Rosenkreuzer i n vollem Gange. Die Biographie 73
A . Baillet: La Vie de Monsieur Descartes. Paris 1691, S. 58 f. Vgl. dazu J. Maritain: Le songe de Descartes. Paris 1929; sowie die I n t e r pretationen des Traums bei Ch. Baudouin: Psychoanalyse des religiösen Symbols. Würzburg 1962, S. 251 ff. 75 Vgl. dazu F. Heer: Europäische Geistesgeschichte. Stuttgart 1953, S. 404 f. 76 Vgl. Baillet, S. 81 ff. 77 Baillet belegt die Bekanntschaft S. 68; das W e r k Faulhabers, v o n dem Descartes gewiß Kenntnis hatte, w a r J. Faulhaber: Mysterium Arithmeticum, Sive, Cabalistica & Philosophica Inventio, nova admiranda & ardua, Qua N u m e r i Ratione Et Methodo Computentur, Mortalibus à M u n d i P r i mordio Abdita. Et A d Finem n o n sine singulari omnipotentis Dei provisione revelata. Cum Illuminatissimis Laudatissimisq; Fraternitatis Roseae crucis Famae V i r i s h u m i l i t e r & sincerè dicata. T ù m Pijs omnibus et singulis C h r i stianis fideliter & planèpro propalata. U l m 1615. 74
"2.2. Das Echo auf die Rosenkreuzèrschrììtefl
93
liefert uns interessante Hinweise: Als Descartes 1623 i n Paris ankam, erfuhr er von seinen Freunden, daß gerade i n der letzten Zeit von den Rosenkreuzerbrüdern sehr viel gesprochen wurde, und daß das Gerücht auftauchte, er selbst hätte sich ihnen angeschlossen. Descartes war vor allem darüber bestürzt, daß man die Rosenkreuzer, die er j a selbst vergeblich gesucht hatte, als Betrüger und Visionäre bezeichnete. Die Rosenkreuzer wurden i n Paris die „Unsichtbaren" genannt und es wurde behauptet, daß von den 36 Deputierten, die i h r Leiter über ganz Europa ausgesandt hatte, sechs i m Februar nach Frankreich gekommen waren und i n Paris wohnten. Sie können aber nicht m i t den anderen Menschen i n Verbindung treten, außer durch Gedanken, die vom Willen getragen werden, das heißt auf eine Weise, die den Sinnen nicht wahrnehmbar ist. Da die Rosenkreuzer n u n zur selben Zeit wie Descartes i n Paris angekommen waren, wäre es für i h n schlecht gewesen, wenn er versteckt oder zurückgezogen i n der Stadt gelebt hätte, wie er es oft während seiner Reisen tat. Aber er beschämte die Leute, die dieses Zusammentreffen der Geschehnisse benützen wollten, u m ihre Anschuldigungen zu stützen. Er ließ sich überall sehen, vor allem bei seinen Freunden, die keine weiteren Argumente brauchten, u m sich davon zu überzeugen, daß er der Brüderschaft der Rosenkreuzer oder Unsichtbaren keineswegs angehörte. Erst Descartes Gegenwart milderte die Erregung seines Freundes, des Paters Mersenne, des gelehrten Mathematikers, der sich bemühte, die mechanische Welterklärung m i t einer idealistischen Metaphysik zu verbinden. Mersenne war „ u m so bestürzter über diese Verleumdung" gewesen, da er nicht glaubte, „daß die Rosenkreuzer unsichtbar oder eine Ausgeburt der Phantasie seien, nach dem, was einige Deutsche und auch Robert Fludd, der Engländer, i m Sinne der Anerkennung über sie geschrieben hatten" 7 8 . Diese Schilderung verdeutlicht, wie stark die Reaktion auf die Rosenkreuzerbrüderschaft i n Frankreich war. Descartes mußte sich seinen Freunden zeigen, u m zu demonstrieren, daß er sichtbar und deshalb kein Rosenkreuzer sei. I n der Folge w i r d dann i n Frankreich der von den Rosenkreuzern aufgerissene Horizont zur Gattung der Sozialutopie heranreifen. Nach der Fülle bejahender oder ablehnender Schriften zum Rosenkreuzertum innerhalb einer relativ kurzen Zeitspanne fließt die Literatur dann spärlicher, u m gegen 1630 nahezu völlig aufzuhören. Sieht man von der Rosenkreuzerbewegung ab, waren i n Deutschland für das 78
Baillet,
S. 106 ff.
94
2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
gesamte 17. Jahrhundert die Sprachgesellschaften kennzeichnend 79 . Die erste dieser Gesellschaften, der „Teutsche Palmbaum" war 1617 gegründet worden und zählte 1680 über 800 Mitglieder. Diese Vereinigungen kannten bereits einen Unterschied zwischen „aufgenommenen" und „eingeschriebenen" Mitgliedern, das heißt eine Unterscheidung i n exoterische und esoterische Brüder. 1643 wurde i n Hamburg die „RosenGesellschaft" gegründet, deren Vorbild ein gleichnamiger Bund i n den Niederlanden war. Die späteren, miteinander nicht i n Zusammenhang stehenden Nachrichten von „letzten echten Rosenkreuzern" weisen alle auf die Niederlande oder auf Hamburg hin. Es kann kein Zweifel darüber bestehen, daß es sich hier i n gewissem Sinn u m Rosenkreuzervereinigungen handelt. Der Sohn von Comenius soll Mitglied der erwähnten „Rosen-Gesellschaft" gewesen sein. Auch Leibniz soll 1666 einer alchemistischen, stets als „Rosenkreuzerisch" bezeichneten Vereinigung i n Nürnberg angehört haben. Er schrieb aber später i n einem oft zitierten Brief, er habe trotz eifrigen Suchens niemals einen Rosenkreuzer ausfindig machen können und zweifle daher an ihrer Existenz 80 . Eine weitere Nachricht, die vielleicht auf das Fortbestehen der Brüderschaft i n Deutschland schließen ließe, findet sich i n dem skeptischen, 1684 veröffentlichten Nothwendigen Unterricht vom Goldmachen des Freiherrn Wilhelm von Schroeder: „Ich weiß auch nicht, was ich von denen Fratribus Rosae Crucis sagen und urtheilen soll. Ich muß glauben, daß sie ihren Anfang einigen verständigen und i n der Natur erfahrenen Philosophen schuldig seien; b i n aber anbei der Beredung, daß nachmals allerhand Zigeuner-Gesindlein, sich so thanen Titulus gebraucht und ehrlich Leut betrogen haben, und weiß ich es mehr denn zu wohl 8 1 ." Mehr ist über die Rosenkreuzer für das 17. Jahrhundert i n Deutschland nicht festzustellen. Erst zu Beginn des 18. Jahrhunderts taucht dann immer machtvoller eine Bewegung auf, die sich die Goldund Rosenkreuzer nennt. Das Rosenkreuzertum lebt aber i n England i n modifizierter und bisher kaum berücksichtigter Bedeutung fort. 79 Vgl. dazu besonders A . Wolfstieg: Werden u n d Wesen der Freimaurerei. Erste Abteilung: Ursprung u n d E n t w i c k l u n g der Freimaurerei. Bd. 1: Die allgemeine E n t w i c k l u n g der politischen, geistigen u n d wirtschaftlichen V e r hältnisse, 2. A u f l . B e r l i n 1923, S. 158 ff.; sowie L. Keller: Comenius u n d die Akademien der Naturphilosophen des 17. Jahrhunderts. I n : Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 4, B e r l i n u n d Münster 1895, H. 1, S. 1 - 28; H. 3/4, S. 69 - 96; H. 5/6, S. 133 - 184. 80 Vgl. dazu C. G. v. Murr: Über den wahren Ursprung der Rosenkreuzer u n d Freimaurerorden. Nebst einem Zusammenhang zur Geschichte der Tempelherren. Sulzbach 1803, S. 18; J. E. Buhle, S. 237. 81 W. v. Schroeder: Z i t i e r t nach A . Marx: Die Gold- u n d Rosenkreuzer. E i n Mysterienbund des ausgehenden 18. Jahrhunderts i n Deutschland. Das Freimaurer-Museum, B. 5, Zeulenroda - Leipzig 1930, S. 12.
2.3. W i r k u n g u n d Fortsetzung des Rosenkreuzertums
95
2.3. Wirkung und Fortsetzung des Rosenkreuzertums I m gesamten Schrifttum der Anhänger der Rosenkreuzer sehen wir, daß sie bemüht waren, durch die Verbreitung ihrer Philosophie oder Pansophie eine von allen religiösen Richtungen akzeptierte Grundlage für einen weltumspannenden Geheimbund zu etablieren. I n dieser Institution sollten Menschen verschiedener religiöser Zugehörigkeit friedlich zusammenleben und gemeinsam am Fortschritt der Philosophie und Wissenschaft zum Besten einer allgemeinen Hunanität arbeiten. Letztes Ziel des Rosenkreuzertums war, eine Gesellschaft für den Fortschritt der Erkenntnis und des Wissens zu gründen, wie sie später, wenn auch i n veränderter Form, i n der Royal Society Gestalt annahm. Bereits „Fama" und „Confessio" forderten nachdrücklich genug dazu auf. 2.3.1. Die Anfänge der Freimaurerei
So umstritten der Ursprung der Freimaurerei i n der Geschichtsforschung ist, so sicher steht heute fest, daß das Freimaurertum ideell, strukturell und organisatorisch i n dem nach England verpflanzten Rosenkreuzertum wurzelt Dadurch behauptet diese unterschätzte literarische und geistige Bewegung i n der Ideengeschichte des 17. Jahrhunderts zwischen Renaissance und Reformation einerseits und der i n der Französischen Revolution sich vollendenden Aufklärung andererseits einen hervorragenden Platz. Bei der Freimaurerei ist zunächst einmal zu unterscheiden zwischen ihrer legendären Geschichte und dem Problem, wann sie faktisch als organisierte Institution auftrat. Nach der Legende ist sie so alt wie die Architektur selbst. Sie geht bis zum Tempelbau Salomons zurück und zu den Gilden der Maurer, die die Kathedralen bauten. Zu einem bestimmten Zeitpunkt verwandelt sich die Maurerei als Handwerk i n die spekulative Freimaurerei, das heißt i n die moralische und mystische Interpretation des Bauens, i n eine Geheimwissenschaft m i t esoterischen Ritualen und Lehren 1 . Heute wissen w i r , daß sich das Rosenkreuzertum i n der organisatorischen Form der Freimaurerei auf der Britischen Insel vor allem durch drei Faktoren konstituierte 2 : Erstens durch die vielfache Überschneidung und wechselseitige Beeinflussung von Rosenkreuzertum und Baconismus. Zweitens durch weitere Popularisierung des von Maier und Fludd i n England verbreiteten alchemistisch-kabbalistischen Rosenkreuzerideals eines „Collegium Magiae". Drittens durch den von Comenius aufgegriffenen und 1 2
Z u r Legende vgl. die einschlägigen A r t i k e l i m Freimaurer-Lexikon. Die wesentliche Vorarbeit wurde v o n J. G. Buhle geleistet.
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
vertieften Rosenkreuzergedanken einer Pansophie, den er begünstigt von der Zeitströmung des Deismus i n Verbindung mit einem reineren Wissenschaftsstreben zur Geltung brachte. Seine Pansophie wurde i n der Folge zu jener Humanitätslehre weiterentwickelt, welche die Grundlage des späteren englischen Großlogensystems bildete. Comenius hat nicht bloß durch seine Schriften, sondern auch durch organisatorische Pläne und persönliche Einflüsse das geistige Erbe A n dreaes, das Ideal einer Weltverbesserung, nach England übertragen und dort wirksam werden lassen. I n diesem Sinn stellt er die bedeutendste und unmittelbarste Verbindung dar zwischen dem Vater des Rosenkreuzergedankens, Andreae, und den Förderern und Freunden des englischen Frühlogenwesens. Ganz i m Sinne Andreaes war auch Comenius bemüht, über die Schranken aller dogmatisch trennenden Gemeinschaften hinweg, einen großen „Menschheitsdom" zu bauen. Die religiöse Toleranz beruhte bei i h m auf dem Gedanken völliger Indifferenz gegenüber den historischen Religionen und dem Primat des Sittlichkeitsgehalts vor dem religiösen Dogma. Menschen aller Völker, Nationen, Sprachen und Religionen sollten i n dem von i h m geplanten Menschheitsbund versammelt werden. Comenius war auch stets bemüht, diese Idee i n die Praxis umzusetzen: dies w i r d deutlich durch die erstrebte Gründung eines Weltbundes, des Collegium Lucis, anläßlich seiner Reise nach England 1641. Die Ideengleichheit von Rosenkreuzertum und Freimaurerei kommt auch i n einer Fülle von identischen Symbolen zum Ausdruck. Das B i l d vom Baumeister wies von selbst auf eine Ähnlichkeit des Rosenkreuzertums m i t der Steinmetzzunft h i n und bereitete den Weg zu einer äußeren Annäherung, wie auch zur Übernahme der Symbolik. Das B i l d vom Zweck des Rosenkreuzertums als einem Gebäude hat i n der Fama Andreaes seinen Ursprung: Christian Rosencreutz errichtet sich und seinen Brüdern das Gebäude „ Z u m Heiligen Geist". Auch bei Schweighart finden sich allegorische Schilderungen des Rosenkreuzergebäudes oder Rosenkreuzer-Collegiums 3 . Es gibt gute Gründe dafür, daß i m England des 17. Jahrhunderts die Namen „Freimaurer" und „Rosenkreuzer" ein und dasselbe bezeichnen. Der Name Rosenkreuzer wurde erst wegen seiner Vermengung m i t 8 Vgl. Th. Schweighart: Speculum Sophicum Rhodo-stauroticum. Das ist: Weitläuffige Entdeckung deß Collegii u n n d axiomatum v o n der sondern erleuchten Fraternitet Christ-RosenCreutz: allen der w a h r n Weißheit B e g i n gen Expectanten zu fernerer Nachrichtimg, den unverständigen Zoilis aber zur unaußlöschlicher Schandt u n d Spott. Durch Theophilum Schweighardt Constantiensem Cum privilegio Dei et naturae i n ewigkeit nicht umbzustossen. F r a n k f u r t 1618, S. 10.
2.3. W i r k u n g u n d Fortsetzung des Rosenkreuzertums
der mehr und mehr i n Verruf geratenen „Alchemisterei" fallen gelassen4. So muß auch der Ausspruch von Henry Adamson of Perth aus dem Jahre 1638 verstanden werden, daß die „Brüder vom Rosenkreuz" das „Maurerwort" besaßen, was j a immer als der überzeugendste Beweis dafür galt, daß einer Freimaurer war 5 . Auch Comenius bedient sich i n seinen Schriften gerne biblischarchitektonischer Metaphern. Er wollte seinem pansophischen Werk den Titel Pansophiam templum, nach den Ideen, Maßen und Gesetzen des allerhöchsten Baumeisters und allermächtigsten Gottes geben 6 . Einen Tempel wollte ja bereits Andreae bauen, u m ein Reich Gottes zu verwirklichen, i n dem Frieden unter den Nationen herrscht, ebenso unter den Religionen und Ständen. Und da die „Dissonantia dogmatum", wie Andreae sagt, nicht zu beseitigen sei, so wollte er die Menschen durch eine „Consonantia morum" einander näher bringen. Auch i n „Christianopolis" sollten Menschen verschiedener Ansichten für dieselben Ziele arbeiten und an ihrer Spitze eine Akademie oder ein Kollegium gelehrter Männer stehen. Diese Pläne berührten sich mit der später erschienenen „Nova Atlantis" Bacons, deren Spitze und Krönung das „Haus Salomonis" beschreibt. Die von Andreae und Bacon ausgesprochenen und dann von Comenius weiter geführten Gedanken wurden Anstoß zur Gründung von Akademien und Sozietäten, aber auch zur Etablierung des Freimaurertums. W i r wissen, daß Comenius persönliche Beziehungen zu englischen Freimaurern unterhalten hat, so insbesonders auch zu dem deutschen Kaufmann Samuel Hartlib f der seit 1628 i n England lebte 7 . Hartlib der m i t Andreae eng befreundet war 8 , plante eine humanitäre Gesellschaft i m Sinne der Bestrebungen von Comenius. Er war es auch, der die Pansophia Prodromus von Comenius 1639 i n London herausgab. Der Plan einer solchen Gesellschaft von Gelehrten, den Hartlib verfaßte, legte er dem englischen Parlament vor, das daraufhin 1641 Comenius nach England einlud. I n der während des Londoner Aufenthaltes entstandenen Via Lucis von 1641 verfaßt Comenius einen Ent4 Vgl. F. D. Castelles: Our Ancient Brethren to Organizators of Freemasonry. A n Introduction to the History of Rosecrucianism, Dealing w i t h the Period A . D. 1300 - 1600. London 1932, S. 74. 5 Vgl. Castelles, S. 77; Adamson verfaßte das Gedicht „Musis threnodie", wo w i r den Satz finden „Denn w i r sind die Brüder v o m Rosenkreuz, w i r haben das Maurerwort u n d das zweite Gesicht". Vgl. dazu F r e i m a u r e r - L e x i kon, Spalte 13. 6 Vgl. J. A . Comenius, Bd. 1, S. 463. 7 Vgl. H. F. von Criegern: Johann Amus Comenius als Theologe. Leipzig u n d Heidelberg 1881, S. 386. 8 Vgl. Schick, S. 156 ff.
7 Fischer
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
wurf, alle Kollegien, Genossenschaften und Brüderschaften zu sammeln und i n einem Collegium Universale zu vereinen, m i t Sitz i n England. Beachtenswert ist die i n den Satzungen vorgesehene Abgeschlossenheit des Bundes und die Verpflichtung seiner Mitglieder zur Verschwiegenheit sowie die Tatsache, daß der Bund nur als Ganzes der Öffentlichkeit die Ergebnisse seiner Arbeiten übermitteln soll. Ziel des Bundes war die Weltreformation auf Grundlage der Pansophie. Obwohl die Verhandlungen i m Parlament alsbald zum Stocken kamen, ließ Hartlib i n seinem Eifer für Comenius und dessen Projekt nicht nach. Er plante nunmehr die Gesellschaft Antilia oder Macaria und bestätigt i n einem Brief, daß diese Gesellschaft eine Nachahmung einer früheren i n Deutschland tätigen, aber durch den Dreißigjährigen Krieg zerstörten Gelehrtengesellschaft sei. Hartlib nahm dann an dem sogenannten Unsichtbaren Kollegium teil, das von einem Deutschen, nämlich Theodor Haak i n Oxford gegründet wurde und aus dem die wissenschaftliche Gesellschaft, die „Royal Society", hervorging. Mitglieder dieses Kreises standen nachweislich zur Freimaurerei i n Beziehung, so Elias Ashmole und andere. Wenn auch die „ A n t i l i a " i n England selbst nicht realisiert wurde, so steht doch fest, daß die humanitären pansophischen Gedanken dieses Kreises u m Hartlib auf den geistigen Gehalt des späteren Freimaurerlogensystems von wesentlichem Einfluß waren 9 . Der erste Bericht über eine Freimaurerloge ist die Aufnahme von Robert Moray am 20. Mai 164110. Er war einer der größten Aktivisten, u m die Gründung der „Royal Society" voranzutreiben und K a r l II. zu überreden, sie durch seine Schirmherrschaft zu schützen. Nach bewegter politisch-diplomatischer Tätigkeit widmete sich Moray hauptsächlich seinen vielseitigen wissenschaftlichen Bestrebungen primär auf chemischem und mathematischem Gebiet; auch war er nachweislich dem Rosenkreuzertum sehr zugetan. Von der ersten formellen Sitzung der Royal Society 1660 bis zu ihrer Inkorporierung 1662 war er ihr Präsident 1 1 . Weiters zu belegen ist die Aufnahme von Elias Ashmole i n eine Freimaurerloge 12 . Er war einer der berühmtesten englischen Gelehrten des 17. Jahrhunderts, Polyhistor, Physiker, Astrologe, Rechtsanwalt, Medi9
Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 79. Spalte 1058 f.; Yates, S. 220. 11 Vgl. J. Jakob: Restauration, Reformation and the O r i g i n of the Royal Society. I n : History of Science 13, 1975, S. 155 - 176; sowie T. Hoppen: The Nature of the Early Royal Society. I n : B r i t i s h Journal for the History of Science, Bd. 9, 1976, S. 1 - 24 sowie S. 243 - 273. 12 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 95. 10
2.3. W i r k u n g u n d Fortsetzung des Rosenkreuzertums
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ziner, Alchemist, Botaniker, Historiker, Mitglied der späteren „Royal Society" und Verfasser bedeutender Werke über das Rosenkreuzertum. Nach Yates war er selbst aktives Mitglied der Rosenkreuzer und stand i n enger Verbindung mit Michael Maier, der seine englische Übersetzung der „Themis aurea" i m Jahre 1652 Ashmole widmete. I n dieser Schrift war Maier bemüht, die Struktur der Rosenkreuzerischen Brüderschaft und ihre Gesetze nochmals darzulegen. Ashmole berichtet i n seinem Tagebuch, daß er am 16. Oktober 1646 i n eine Freimaurerloge aufgenommen wurde. Die Loge, die also bereits bestand, hatte eine ganze Reihe prominenter Mitglieder, die Ashmole aufzählt. Einer von ihnen war Henry Manwaring, ein Anhänger Cromwells. Da Ashmole seinerseits zu den Royalisten gehörte, konnten offensichtlich Mitglieder verschiedener Parteien sich dem Freimaurertum anschließen. Ashmole gründete auch ein „Haus Salomonis" i n Anlehnung an Bacons „Nova Atlantis" gemeinsam mit dem Astrologen W i l l i a m L i l l y , dem Arzt Thomas Wharton und dem Mathematiker W i l l i a m Oughtred und anderen. Mittelpunkt der gemeinsamen wissenschaftlichen Bestrebungen war ein inbrünstiges Suchen nach den tiefen Mysterien der Natur und dem Geheimnis des menschlichen Glücks. Diese Vereinigung war sicherlich ein Platz für eine gegenseitige Durchdringung von Rosenkreuzertum und beginnendem Freimaurertum. Ein weiterer Beleg dafür findet sich bei Yates, nämlich daß Ashmole m i t eigener Hand die Rosenkreuzermanifeste abschrieb und ihnen einen ebenfalls handschriftlichen Brief beifügte, i n dem er die Bewunderung für ihre Bestrebungen aussprach und u m seine Aufnahme i n die Brüderschaft bat 1 3 . Auf jeden Fall sind Moray und Ashmole, von denen erstmals belegbar ist, daß sie Freimaurer waren, Gründungsmitglieder der Royal Society. Die Organisation der Freimaurer bestand also mindestens zwanzig Jahre vor der Gründung dieser Gesellschaft. Andreae und das ganze Rosenkreuzertum lieferten dafür eine erhebliche Basis. Ihre Tradition überlebte i n der Freimaurerei und daher dürften auch die frühen Mitglieder der Royal Society von diesen esoterischen Einflüssen bewußt oder unbewußt geprägt worden sein. Jenseits religiöser Bindungen sahen sie vielleicht den großen Architekten des Universums als einen allumfassenden religiösen Begriff, der den wissenschaftlichen Drang, das Werk des großen Architekten zu erforschen, i n sich Schloß. Rosenkreuzerische Aufklärung und „historische" Aufklärung stehen in einem Zusammenhang, wobei der Weg vom Illuminismus zum Rationalismus führte. 13
7*
Yates, S. 220.
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes 2.3.2. Die Gründung der „Royal Society"
A u f die wesentlichen Zusammenhänge zwischen dem Rosenkreuzert u m und der Gründung der englischen „Royal Society" sei noch kurz eingegangen 14 . Den ersten praktischen Anstoß gab wohl der Deutsche Theodor Haak, der 1625 nach England gekommen war und ab 1645 die namhaftesten Naturforscher wöchentlich i n einem bestimmten Haus zu wissenschaftlicher Kontroverse zusammenrief. Aus diesem geheimen Zirkel, dem Unsichtbaren Kollegium, dem auch Hartlib angehörte, wurde später die Royal Society. Robert Boyle, Physiker, Chemiker und Protagonist der experimentellen Philosophie, spricht i n seinen Briefen von diesem Unsichtbaren Kollegium: I m Oktober 1646 schreibt er seinem früheren Erzieher, daß er sich m i t Naturphilosophie beschäftigt und zwar nach den Prinzipien „unseres neuen philosophischen Kollegiums". I m Februar 1646 schreibt er dann einem anderen Freund: „Das beste daran ist, daß die Ecksteine des unsichtbaren oder (wie sie sich nennen) des philosophischen Kollegiums m i r dann und wann die Ehre ihrer Gesellschaft geben . . . Menschen eines so umfangreichen und gründlichen Wissens, daß die Schulphilosophie nichts als die unterste Stufe ihrer Erkenntnis ist; und doch sind diese genial begabten Menschen, die zwar bestrebt sind, den Weg zu einem umfassenderen Wissen zu zeigen, so bescheiden und neuem Erkennen so offen, daß sie es nicht für gering erachten, vom einfachsten Menschen geleitet zu werden, wenn er nur die Gründe seiner Einsicht darzulegen vermag. Sie sind Menschen, die geistige Enge verschmähen, die aber eine so ausgedehnte Wohltätigkeit üben, daß sie alle erreichen, die sich Menschen nennen und die nichts geringeres befriedigt als ein universeller guter Wille. Tatsächlich fürchten sie nichts so sehr als nicht genug Gutes zu tun, so daß sie die ganze Menschheit i n ihre Fürsorge aufnehmen 15 ." Die ganzen Jahre vor der Gründung der „Royal Society" deuten eine effektive Beeinflussung durch das Rosenkreuzertum an. 1625 wurde die „Fama" und „Confessio" i n die englische Sprache übersetzt und zwar von Thomas Vaughan. Er bediente sich dabei des Pseudonyms „Eugenius Philalethes" 1 6 . Gewiß hatte es bereits frühere Übersetzungen 14 Vgl. Yates, S. 181 ff. Z u r Entstehungsgeschichte der Royal Society vgl. Th. Sprat: History of the Royal Society. 1667. Hrsg. u. m i t einem kritischen Apparat versehen v o n J. Cope u. H. W. Jones. St. Louis 1957; M. Purver: The Royal Society: Concept and Creation. London 1967. 15 R. Boyle: Z i t i e r t nach Yates, S. 193. 1β E. Philalethes (Th. Vaughan): The Fama and Confession of the Fratern i t y of R: C: Commonly of the Rosy Cross. W i t h a Preface annexed thereto and a short declaration of the physical w a l k . London 1652.
2.3. W i r k u n g u n d Fortsetzung des Rosenkreuzertums
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der Rosenkreuzermanifeste gegeben, jedoch durch diese Publikation wurde die Popularität der Rosenkreuzer erheblich erweitert. Der Text lag nun offen und i n englischer Sprache dem Publikum vor. Als die Naturphilosophen sich 1660 zur „Royal Society" zusammenschlossen, mußten sie vorsichtig handeln. Die Wogen des religiösen Fanatismus schlugen noch immer hoch empor und u m sich davon zu distanzieren, betonten sie den experimentellen Charakter ihrer Philosophie und versuchten, die Wissenschaft von allen politisch-religiösen und weltanschaulichen Einflüssen zu reinigen. Wie bereits erwähnt, wurde die „Royal Society" i n einer Atmosphäre der Versöhnlichkeit gegründet und unter das Patronat von K a r l II. gestellt. Die Gesellschaft schloß auch Männer ein, die zuvor auf Cromwells Seite gestanden waren. Die Wissenschaft brachte sie i n friedlicher Arbeit m i t Royalisten zusammen, aber die Lage war nicht ganz ohne Schwierigkeiten. Es gab viele Themen, die vermieden werden mußten: utopische Reformpläne zum Beispiel gehörten der revolutionären Vergangenheit an. Die Regel bei den Zusammenkünften, nicht von religiösen Dingen zu sprechen und nur wissenschaftliche Themen zu behandeln, muß zunächst als Vorsichtsmaßnahme gesehen werden. Tatsächlich bestimmte i n den frühen Jahren Bacons experimentelles Verfahren sowie die Sammlung und Untersuchung wissenschaftlicher Daten die Arbeit der Royal Society 17 . A u f jeden Fall gab es aber jetzt eine dauernde Gemeinschaft i n der Intention des Andreae und des Bacon, die den Fortschritt der Naturwissenschaften förderte. Sie war w i r k l i c h und sichtbar und keine fiktive Institution. Allerdings war sie i m Vergleich zu der früheren Bewegung i n ihren Zielen eingeschränkt. Der Fortschritt der Erkenntnis innerhalb einer reformierten oder gar revolutionierten Gesellschaft war der „Royal Society" nicht möglich. Dennoch galt diese wohlorganisierte Gesellschaft als Beweis, daß nichts mehr den Fortschritt der Wissenschaft hemmen kann. Die neuzeitliche Wissenschaft war damit i n den Prozeß sozio-kulturellen Wandels eingespannt und wurde schrittweise i n die Gesellschaft integriert. M i t der „Royal Society" gewinnt die neue wissenschaftliche Einstellung ihre erste gesellschaftliche Anerkennung. Bis dahin hat es zweifellos auch da und dort die Praxis moderner wissenschaftlicher Arbeitsweisen gegeben und wissenschaftliche Überzeugungen lösten tradierte Überzeugungen auf. Jedoch erst die Akademiegründungen wie die „Royal Society" und i n ihrem Gefolge andere trugen zur Festigung der Wissenschaft bei, indem sie nicht mehr auf zufällige Toleranz der reli17 Vgl. dazu P. M. Rattansi: The Intellectual Origins of the Royal Society. I n : Notes and Records of the Royal Society of London, 23, 1968, S. 129 - 143.
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2. Die Rosenkreuzer: Biographie u n d W i r k u n g eines Geheimbundes
giösen und politischen Herrschaft und auf die zufällige Koinzidenz ihrer eigenen m i t der herrschenden Meinung setzen mußten. Solchen Gefahren, so zeigt uns die Wissenschaftsgeschichte, waren noch Galilei, Kepler, Descartes und andere Wissenschafter ausgesetzt. M i t der Stabilisierung der absolutistischen Staaten nach den Religionskriegen w i r d die wissenschaftliche Forschung gesellschaftlich i n einem Ausmaß anerkannt, daß ihre Existenz und Entwicklung bis auf weiteres irreversibel wird. Experimente, die Suche nach Naturgesetzen, das Bewußtsein eines wissenschaftlichen Fortschreitens hat es gewiß schon i n anderen Gesellschaften gegeben. Aber Institutionen, Akademien, Zeitschriften, i n denen die Arbeit unabhängig von ideologischen Bedenken einer theologischen Orthodoxie oder einer politischen Herrschaft öffentlich und vornehmlich der Sachkritik der Interessierten unterworfen und durchgeführt wurde, hat es andernorts nicht i n einer dauerhaften Form gegeben. Die neutrale Sphäre der Forschung bew i r k t die Einbettung der Wissenschaft i n das Gesellschaftssystem und ihre dauerhafte Festigung. Es entsteht die gesellschaftliche Definition dessen, was legitime Wissenschaft sei. Die neutrale Sphäre, die der Wissenschaft i n der „Royal Society" geschaffen worden ist, ist zugleich ein Kompromiß, den sie gegenüber Kirche, Staat und Wirtschaft eingeht. Die gesellschaftliche Integration erreichen die Wissenschafter u m den Preis, daß ihre eigene Sicherung zugleich eine Zusicherung zu sein hat, keinen Anlaß zur Gefährdung der öffentlichen Ordnung, der religiösen Orientierung und der Legitimation von Herrschaft zu geben. Wissenschaftlicher Fortschritt ist nun der Fortschritt derjenigen Künste, die für den Menschen allgemein und wertneutral nützlich sind. Die experimentelle Einstellung und die Suche nach Gesetzen, als allgemein verbindlichen Aussagen, sind jedoch keineswegs auf den bloß naturwissenschaftlichen Objektbereich beschränkt. Gesetze sind auch i n der Politik und i n der Ökonomie zu finden und eine experimentelle Einstellung zur Entdeckung neuer Möglichkeiten oder zur Überprüfung von Vermutungen ist auch hier möglich. Dies bewirkte jedoch Unsicherheit i n allen Bereichen der Gesellschaft: Die technischen Erneuerungen bedrohen die zünftige Produktionsweise und deren konservativen Traditionalismus. Die feudalen Organisationsformen i n Staat und Kirche, sowie i n den Arbeitsverhältnissen werden von der rationalen Rechtsdiskussion ausgehöhlt und i n den Städten und i n den siegreichen reformatorischen Bewegungen werden ihnen neue Organisationsformen entgegengesetzt. Die Prinzipien dieses neuzeitlichen Erkenntnisgewinns, ihre emanzipative, gegen die Autoritäten der Tradition gerichtete Stoßkraft wurde jedoch i n den neuen wissen-
2.3. W i r k u n g u n d Fortsetzung des Rosenkreuzertums
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schaftlichen Institutionen zur „positiven" Wissenschaft eingeengt. Die Institutionalisierung der Wissenschaft geschah unter Ausgrenzung all jener Disziplinen, die m i t normativer Reflexion verbunden sind wie Politik, Moral, soziale Reform, Religion. „Positive" Wissenschaft w i r d zum allgemeinverbindlichen Typus von Naturerkenntnis. Aber das Nachklingen des Rosenkreuzertums hält i n der „Royal Society" lange an. Die zweite Generation ihrer Mitglieder wurde von der großen Gestalt Isaac Newtons beherrscht, eines der bedeutendsten mathematischen Genies. 1671 w i r d er Mitglied und 1703 Präsident der „Royal Society". Es ist bekannt, daß Newton außer den überragenden Entdeckungen, die er publizierte, auch andere Interessen hatte: Er hielt sie zu seinen Lebzeiten geheim, jedoch die Masse seiner nicht veröffentlichten Schriften liefern wertvolle Hinweise. Er interessierte sich für Mystik und Alchemie und er hat sich umfänglich m i t dem Rosenkreuzertum auseinandergesetzt. Er besaß eine Kopie der „Fama" und „Confessio" i n der Übersetzung von Thomas Vaughan 1 8 . Auch i n den Büchern von Michael Maier hat Newton weitere Informationen gesucht. Newton faßte das gesamte Universum und alles, was es enthält, als ein Rätsel auf, als ein Geheimnis, das sich entschlüsseln läßt, indem man das reine Denken auf gewisse Befunde h i n anwendet, auf gewisse mystische Fingerzeige, die Gott i n der Welt verstreut hat, u m so einer esoterischen Brüderschaft Gelegenheit zu einer „philosophischen Schatzsuche" zu geben. Er war überzeugt, daß man diese Fingerzeige teils i n der Lage der Dinge am Himmel und i n der Zusammensetzung der Elemente finden kann, teils aber auch i n gewissen Schriften und Traditionen. Friedrich Heer ist sogar der Ansicht, daß Newton glaubte, durch reines Denken, durch geistige Konzentration würde es den Eingeweihten gelingen, das Welträtsel zu lösen 19 . Als tiefreligiöser Mensch versuchte er, Gott und die göttliche Einheit zu finden, die sich i n der Natur offenbart. Newtons erstaunliche physikalische und mathematische Entdeckungen hatten i h n nie ganz befriedigt. Vielleicht hegte er unbewußt oder halb bewußt die Hoffnung, daß die Alchemie der Rosenkreuzer i h n höher leiten könnte 2 0 . 18
Das Handexemplar Newtons m i t Bemerkungen u n d seiner Signatur befindet sich i n der Bibliothek der Yale-University. Newton zitiert aus der Fama, u n d zwar die Beschreibung v o m A u f f i n d e n des Leichnams v o n C h r i stian Rosencreutz (Belege für diesen bemerkenswerten Zusammenhang f i n den sich bei Yates, S. 210). 19 F. Heer: Das Wagnis der schöpferischen Vernunft. S. 279. 20 Vgl. dazu des näheren P. M. Rattansi: Newton's Alchemical Studies. I n : A. G. Debus (Hrsg.): Science, Medicine and Society i n the Renaissance. Bd. 2, London 1972; sowie R. S. Westfall: Newton and the Hermetic Tradition. I n : a.a.O.
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A n der Wiege des englischen Großlogensystems, das 1717 als erneuerter Freimaurerbund entstand, ist ebenfalls ein Mitglied der „Royal Society" und ein Freund Newtons zu finden, der reformierte Geistliche und Naturphilosoph Theophil Desaguliers und dann noch der Prediger James Anderson. Desaguliers hatte i n Oxford Philosophie und experimentelle Physik studiert und hielt alsbald selbst sehr beachtete Vorlesungen zu diesem Gegenstand. Für seine wissenschaftliche Geltung spricht nicht bloß die Freundschaft m i t Newton, sondern ebenso sehr, daß er i n die „Royal Society" taxfrei aufgenommen wurde. Desaguliers gehörte auch jenem philosophischen Zirkel an, der sich u m Christopher Wren aus Glaubensflüchtlingen aller Länder i n London gebildet hatte und unter dessen M i t w i r k u n g auch Comenius' Schrift „Vorspiel der Pansophie" zuerst veröffentlicht wurde. Desaguliers selbst war der Sohn eines französischen protestantischen Geistlichen und er mußte nach dem Edikt von Nantes 1685 sein Vaterland verlassen und nach England flüchten 2 1 . Er hat wesentlich neben Anderson auf die Abfassung des Konstitutionenbuchs der Freimaurer Einfluß genommen und das Vorwort zur Erstausgabe verfaßt 2 2 . Auch für die Konstitutionen ist noch der vermittelnde Einfluß des Rosenkreuzertums festzustellen, vor allem durch Comenius 23 . Jedoch davon w i r d noch später die Rede sein. Gewiß ist aber, daß das Rosenkreuzertum i n doppelter Hinsicht konstitutiv für die neuzeitliche Wissenschaft wird: zum einen sozial, weil es zur Institutionalisierung der Wissenschaft beiträgt, zum anderen kognitiv, weil es den i n der Renaissance entwickelten Strukturelementen der neuen Wissenschaft — Gesetz, Experiment und Fortschritt — zum Durchbruch verhilft. Ideengeschichtlich w i r k t das Rosenkreuzert u m i n drei große Bereiche: 1. Der von i h m aufgerissene Erwartungshorizont der Neuzeit, Utopismus, läßt i n Frankreich, später auch i n Deutschland Fülle sozial engagierter Utopien entstehen. Auch Campanella Bacon erlangen ihre wirkungsgeschichtliche Relevanz durch Propaganda und Diskussion dieser Bewegung.
der eine und die
2. Die Rosenkreuzerische Aufklärung setzt i m 18. Jahrhundert eine Begriffsdiskussion i n Gang, die zum Epochenbegriff der Aufklärung 21 Des näheren vgl. zu Desaguliers Freimaurer-Lexikon, Spalte 336 f. sowie zu W r e n Spalte 1724 f. 22 „Die allgemeinen Grundsätze der Freimaurer" sind i m Freimaurer-Lexikon, S. 13 ff. abgedruckt. 23 Dies hat einwandfrei nachgewiesen K. Ch. F. Krause: Die drei ältesten Kunsturkunden der Freimaurerbrüder. Dresden 1810.
2.3. W i r k u n g u n d Fortsetzung des Rosenkreuzertums
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heranreift. Die soziale Belastung des Fortschrittsbegriffs, die K r i t i k felder und Zielansprachen fächern sich von dieser Bewegung her auf. 3. Politisch wie auch historisch ist das Rosenkreuzertum die Wurzel der Freimaurerei. Von England nach Deutschland „reimportiert" w i r d die Freimaurerei zur politisch-praktischen Vorfeldorganisation der Aufklärung und damit zu einer wesentlichen Grundlage für die Entwicklung der politischen Parteien zu Anfang des 19. Jahrhunderts. Ursprüngliches Ziel der englischen Großloge war es, der i n der öffentlichen Meinung umstrittenen Toleranzidee eine widerstandskräftige Organisation zu verschaffen. Kraft des Einflusses der Logen war es möglich, daß die zunächst literarische Opposition der Aufklärer auch den Charakter einer organisierten politischen Opposition bekommen konnte.
3. Aufklärung ale politisches Programm 3.1. Allgemeine Bemerkungen 3.1.1. Zur Theorie der Aufklärung
Die Bewegung der Rosenkreuzer beeinflußt verschiedenste Bereiche der kulturellen Entwicklung Europas. I n ihr liegen die Wurzeln, aus denen allmählich der Epochenbegriff der „Aufklärung" heranreift 1 . Die neuen Errungenschaften der Wissenschaft veränderten den bisherigen Erfahrungshorizont 2 . Galileis Teleskop hatte traditionelle Bindungen zerstört. Es gibt i m Raum keine Hierarchie mehr, kein durch den „unbewegten Beweger" begrenztes sphärisches Universum: Kein Punkt zeichnet sich vor dem anderen aus, weder die Erde noch Rom noch Jerusalem, nicht einmal die Sonne. Jeder und zwar absolut jeder, hier oder anderswo, hat das Recht, den Ort, auf dem er steht, als ein Zent r u m zu betrachten, insofern er auch den relativen Charakter dieser Sicht anerkennt. Ein neues Religionsverständnis w i r d wirksam: Die an dem mechanistischen Weltbild orientierte wissenschaftliche Wahrheit setzt sich aus einer Reihe von Gesichtspunkten zusammen und der höchste, der allein den Kosmos zu umfassen vermag, ist der Gesichtspunkt Gottes. Dies hindert nicht, daß alle Gesichtspunkte wahr sind und daß jeder Ort und jeder Augenblick Zentrum eines Kreises ist, der einen Teil der Wahrheit umfaßt. Gott i n jedem Punkt des Raumes ist die alte Vorstellung der Mystiker, nach deren Definition Gott eine unendliche Kugel ist, deren Zent r u m überall, deren Peripherie aber nirgends ist. So lehrt Newton 1 Z u den folgenden Ausführungen vgl. R. Koselleck: K r i t i k u n d Krise. E i n Beitrag zur Pathogenese der bürgerlichen Welt. 2. Aufl., Freiburg - München 1959; F. Schalk: Aufklärung. I n : Historisches Wörterbuch der Philosophie. Hrsg. v. J. Ritter, Bd. 1, Basel - Stuttgart 1971, Spalte 620-633; H. Stuke: Aufklärung. I n : Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches L e x i k o n zur politisch-sozialen Sprache i n Deutschland. Hrsg. v. O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck. Bd. 1, Stuttgart 1972, S. 243 - 342. 2 Vgl. J. O. Fleckenstein: Naturwissenschaft u n d Politik. V o n Galilei bis Einstein. München 1965, S. 86 ff.; F. Heer: Europäische Geistesgeschichte. Stuttgart 1953, S. 441 ff.; H. Kearney: U n d es entstand ein neues Weltbild. Wissenschaftliche Revolution vor einem halben Jahrtausend. 2. Aufl., M ü n chen 1971, S. 188 ff.
3 . Allgemeine Bemerkungen
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beispielsweise, es gebe ein körperloses, lebendes, denkendes und allgegenwärtiges Wesen, das i m unendlichen Raum wie i m Sitz seiner Empfindung die Dinge durch und durch i n sich selbst erblickt, wahrnimmt, voll und ganz begreift, weil sie i h m unmittelbar gegenwärtig sind 3 . Ob nun Gott außerhalb des Raumes ist, wie es die Anhänger von Descartes meinen, oder ob der Raum ein A t t r i b u t Gottes ist, wie die Schule des Spinoza lehrt, so bleibt die Tatsache bestehen, daß der Raum „neutral" ist und daß sich kein Punkt i n i h m vor dem anderen auszeichnet. Da es kein absolutes Zentrum und keine endgültige Peripherie mehr gibt, kann jedes Bewußtsein das Recht für sich beanspruchen, die Welt durch seine eigene Tätigkeit und seinen Gesichtspunkt zu gestalten, indem es sein individuelles Interesse unter der Bedingung der Gegenseitigkeit rechtfertigt. Analog den Naturwissenschaften versucht man, auch das soziale Geschehen zu erfassen. Jedoch während die Natur eine vollendete Harmonie aller Teile darbietet, zeigt die Gesellschaft das B i l d schlimmster Zerrissenheit, ein Zustand, der gemäß dem mechanistischen Weltbild offenkundig durch menschlichen I r r t u m verschuldet ist. Man ist fest überzeugt, daß sich auf dem Gebiet der Ethik, des Rechts und des Sozialen ebenfalls „Naturgesetze" auffinden lassen. Denn „weshalb sollte Gott nur dem Unbelebten feste Ordnungen gegeben haben, mußte nicht vermutet werden, daß es sich auch i m Sittlichen, i m Recht, i n der Geschichte nachweisen läßt" 4 ? Mechanische Weltanschauung und der Begriff eines unveränderlichen Naturgesetzes sollen Regeln liefern, die eine gesicherte Theorie von der Gesellschaft ermöglichen 5 . Der durch die modernen Naturwissenschaften freigesetzte Erfahrungswandel schlug sich i n der sprachlichen Verfassung der modernen Welt durch Begriffe wie Aufklärung, Freiheit und Fortschritt nieder. Gleichzeitig damit änderten sich aber die Erwartungsmomente und die politischen Zielansprachen i n dem Maße, wie sich die politische Sprache änderte. Das traditionelle Weltbild w i r d durch das Wagnis einer offenen Zukunft überholt. Der durch neue wissenschaftliche Entdeckungen und Erfindungen bereicherte Erfahrungsraum ermöglicht es, eine fort3 Vgl. W. Windelband: Lehrbuch der Geschichte der Philosophie. Tübingen 1919, S. 290. 4 W. Hasbach: Die allgemeinen philosophischen Grundlagen v o n F. Quesnay u n d A . S m i t h begründeten politischen Ökonomie. Leipzig 1890, S. 144. 5 Die Erkenntnisse der neuzeitlichen Naturwissenschaften, zusammengefaßt unter dem Begriff des mechanischen Weltbildes, ermöglichen i m 17. Jahrhundert das Entstehen der großen metaphysischen Systeme eines Descartes, Spinoza u n d Leibniz.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
schreitende und dynamische „Vernunft" projizieren 6 .
i n den Erwartungshorizont zu
Bis zu den Erschütterungen, die die Renaissance auslöste, war die Zukunft an die Vergangenheit gebunden, i n dem Sinn, daß „die christliche Lehre von den letzten Dingen", wie Koselleck formuliert, den Erwartungshorizont begrenzte. Die Verheißungen künftigen Glücks waren vor der Renaissance nicht primär auf diese Welt und ihre Problemkomplexe bezogen. Sie richteten sich auf das das Diesseits transzendierende, apokalyptisch angereicherte Ende der Welt. Derartige Verheißungen und Erwartungen waren nur i n geringem Maße politisch krisenfähig, weil sie sich eben auf das Jenseits richteten. Das Verhältnis zwischen politischem status quo und den Verheißungen blieb weitgehend ungespannt und konfliktfrei. Das Wagnis einer prinzipiell offenen Zukunft änderte radikal die kosmologischen und metaphysischen Bindungen. Indem das Denken, provoziert von den neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnissen, die Dimensionen von Vergangenheit und Zukunft unterscheidet, w i r d eine genuin geschichtliche Zeit entdeckt, die durch „Fortschritt" auf einen ersten Begriff gebracht wird. Koselleck umreißt den Sachverhalt: „Die Zielbestimmungen wurden seitdem von Generation zu Generation fortgeschrieben und die i n Plan und Prognose vorausgenommenen W i r kungen werden zu Legitimationstiteln politischen Handelns". Es w i r d zur Regel, daß alle bisherige Erfahrung keineswegs ein Einwand gegen die Andersartigkeit der Zukunft ist. Die Zukunft w i r d anders sein als die Vergangenheit und zwar besser. Die Anschauungen der Rosenkreuzer liefern den Raster, auf dem Leibniz seine metaphysische, geschichtstheoretische Position entwickelt, indem er die dem Fortschritt innewohnende Zeitlichkeit beschrieb, die auf die Dynamisierung eines sich ins Unendliche vorantreibenden Prozesses abzielt. Der Weltenlauf w i r d als unendliche Perfektion begriffen und interpretiert. Für Leibniz stellt sich also die Frage, wie die beste aller möglichen Welten noch besser werden kann. Diese Frage war nur lösbar, wenn das Ziel der Vollendung i n den Vorgang des Optimierungsprozesses hineingenommen wird. So ist für Leibniz die beste Welt nur deshalb vollkommen, weil sie sich ständig verbessert: „Progressus est infinitum perfectionis". Denn wenn es zur Vollkommenheit gehört, sich zu vermehren, so folgt daraus, daß sich auch die Vollkommenheit des Universums dauernd vermehrt, „sequitur perfectionem universis semper augere" 7 . Nicht die bloß i m Jenseits erreichbare mögliche Vollβ Vgl. zont. I n : 7 Vgl. gelhardt
zum folgenden: R. Koselleck: Erfahrungsraum u n d ErwartungshoriNeue Züricher Zeitung, Nr. 19, 1976. G. W. Leibniz: Kleine Schriften zur Metaphysik. Hrsg. v. W. v. Enu n d H. Volz. F r a n k f u r t a. M . 1965, S. 368 ff.
3 . Allgemeine Bemerkungen
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kommenheit bildet den Kern der Zielreflexion, sondern die diesseitige Daseinsverbesserung. Aufklärung ist also zunächst Säkularisierung der traditional-religiösen Heilsgeschichte des Christentums und seiner Moral zu einer Heilsgeschichte i n dieser und für diese Welt. Der Fortschritt naturwissenschaftlicher Erkenntnisse ließ gleichzeitig die Frage entstehen, ob m i t und durch den wissenschaftlichen Progress auch Moral und Sitten, schließlich die ganze Gesellschaft und damit die Politik verbessert würden 8 . Denn der von den Rosenkreuzern und auch von Bacon als „progressus scientarum" thematisierte Fortschritt der Wissenschaften ließ sich durch Entdeckungen und Erfindungen empirisch einlösen. Schießpulver, Buchdruckkunst, mechanische Uhren, Magnetnadel, Fernrohr und Mikroskop, die astronomische Wende des Kopernikus und die Umschiffung des Globus, all dies war j a Bürgschaft für den Fortschritt. Nun galt es, i n Analogie zu den Naturwissenschaften auch den Fortschritt der Gesellschaft zu verwirklichen. Es entsteht ein Stil des Willens, zielbewußte Lebensvorstellungen. Eine der ersten Folgerungen, welche die Menschen des 18. Jahrhunderts aus der Feststellung der die Natur regierenden Gesetze der Mechanik zuerst glaubten ziehen zu können, war der Gedanke, auch der Mensch, die Tätigkeit des Denkens, die Anregungen dessen, was er den Willen nennt, seien durch Gesetze und Regeln bestimmt. Wenn der Mensch ein durch die Natur bestimmtes Wesen ist, vermag er dank der Wissenschaft die M i t t e l zu erlangen, die i h m erlauben, ebenfalls auf den natürlichen Ablauf von Ursachen und Wirkungen Einfluß zu nehmen. Er kann sich selbst verwandeln, sich zum Guten oder Bösen erziehen, kann das Aussehen der Welt verändern. Das Neue besteht darin, daß sich der Mensch nicht mehr an die alte Selbstbeherrschung halten muß, sondern die Beherrschung der Welt ins Auge fassen kann. Der Mensch, der die Naturgesetze kennt und i m A k t der Erkenntnis den Stützpunkt einer grundsätzlichen Freiheit besitzt, kann sich nun einem schöpferischen, weltverändernden Werk zuwenden. Das eigentliche Ziel w i r d die materielle Veränderung der Welt und die Errichtung einer Herrschaft des Verstandes i n der Gesellschaft wie auch i n der Natur. Nach den Regeln des Verstandes lassen sich alle Bereiche der W i r k lichkeit zum „Guten der Vernunft" h i n ordnen. Die Anziehungskraft solcher Regeln besteht darin, daß sie die Welt i n eine universale Ordnung bringen, die theoretische Zweifel und innere Spannungen gleichermaßen ausschließt. Die Regeln säkularisieren die alte gottgewollte 8 Vgl. dazu die grundlegende A r b e i t v o n R. Specht: Innovation u n d Folgelast. Beispiele aus der neueren Philosophie- u n d Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart - Bad Cannstatt 1972.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Welt der Tradition zu einer neuen gottgewollten Welt der ratio. Dadurch gewinnen sie eine metaphysische Aura, die der traditional-christlichen Weltordnung außerordentlich ähnlich ist. Die Regeln sind nicht nur der Kernpunkt aller Vernünftigkeit i n der Natur und i m Universum, sondern i n ihrer reinen Vollkommenheit werden sie auch zur Wesenseigenschaft Gottes selbst, des Ursprungs aller Vollkommenheit: Gott offenbart sich durch Methode 9. Christian Wolff etwa ersetzt traditionale Sicherheiten durch eine neue: durch die dogmatisch geltende und metaphysisch abgesicherte Ordnung, durch die „ungezweifelte Gewißheit". Der rationalistischen Vernunft ist jede Unregelmäßigkeit, alles Irrationale sogleich ein metaphysischer Skandal, eine Sünde wider den „methodologischen Gott". Dies gilt vor allem für die w i l l k ü r l i c h gehandhabten Herrschaftsprivilegien i n der Ständegesellschaft und für die unkontrollierbare Macht des absolutistischen Fürsten. Sie können nur akzeptiert werden, wenn sie sich allgemeingültigen Regeln unterwerfen und „more geometrico" dem „Gemeinwohl" dienen. Der Rationalismus wandelt sich zur Utopie der perfekten Ordnung. M i t seiner Systemphilosophie w i r d Wolff Wegbereiter der Idee des „aufgeklärten Absolutismus" 10. Die Unterwerfung der Untertanen unter die W i l l k ü r des absolutistischen Fürsten erweist sich i m Lichte seiner rationalistischen Philosophie als grundlos. Lediglich unter Bedingungen eines naturrechtlich streng geregelten Vertrages m i t wechselseitigen Pflichten ist eine Begründung möglich. I m Tausch gegen Unterwerfung fordert daher Wolff die aktive Leistung der Obrigkeit, die sich auf die Entwicklung des „Gemeinwohls" zum Nützlichen und Guten zu konzentrieren und jeder W i l l k ü r zu entsagen hat. Geschichtlich ist die Aufklärung zwischen zwei epochalen Ereignissen zu verorten: A m Anfang stehen die religiösen Bürgerkriege, aus deren Wirren der moderne, absolutistische Staat entstand. A m Ende steht ein weiterer Bürgerkrieg, die Französische Revolution, die dem absolutistischen Staat ein jähes Ende setzte. Sozial entsteht die Aufklärung als protestantisch-städtische, vom Rosenkreuzertum beeinflußte Teilkultur in der Nähe absolutistischer Höfe. A b etwa 1730 wandelt sie sich zur Utopie des aufgeklärten Absolutismus. Allmählich w i r d eine soziale Humanität wirksam, die sich vom Staat absondert und ab 1770 zu einer 9 Ch. Wolff: Vernünfftige Gedancken v o n Gott, der W e l t u n d der Seele des Menschen. Halle 1719, wo i n § 4 die rationalistische „Gewißheit" auf Gott übertragen w i r d . Vgl. auch Ch. Wolff: Vernünfftige Gedancken v o n der Menschen T h u n u n d Lassen. Halle 1743. Kap. 8, insbes. § 47. 10 Ch. Wolff : Vernünfftige Gedancken v o n dem gesellschaftlichen Leben der Menschen u n d insonderheit dem gemeinen Wesen. Halle 1721. Kap. 5 f.
3 . Allgemeine Bemerkungen
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offenen wie auch grundsätzlichen Staatskritik vordringt. Dieser W i r kungszusammenhang erfaßt nahezu ganz Europa. Aus den Aufklärungstheorien lassen sich zunächst folgende allgemeine Grundsätze von politischer Bedeutung festhalten. Zu den bewußtseinsleitenden Werten von universaler Reichweite gehört i n der Aufklärung die Utopie vom „glückseligen" Leben i n der Welt. Wesentliche Orientierung ist dabei die Kategorie der „Vernunft". Als Vernunft gilt i m 18. Jahrhundert das autonome, nämlich nur i n seiner Freiheit zur Selbstbestimmung ruhende Vermögen des Menschen, planvoll und widerspruchsfrei nach einem begründbaren und allgemein gültigen Endzweck erkennen und handeln zu können. Aufklärung gilt als hoher Gerichtshof der Vernunft, zu dem wissenschaftliche Erkenntnisse auffordern und zu dessen natürlichen Besitzern sich das aufstrebende Bürgertum zählt. Der bürgerliche Geist, selbstherrlich i n den Besitz dieser Vernunft gesetzt, fungiert hier ohne Gewaltenteilung als A n kläger, Richter und Partei. Die Bedürfnisse des Bürgertums werden als gesamtgesellschaftliche, ihre Ansprüche als Menschenrechte, die ihnen gemäße politische Ordnung als natürliche dargestellt. Das Menschenbild der Aufklärung setzt den tätigen und vernünftigen Menschen voraus. Jeder Mensch hat ein natürliches Kreativitätspotential, ist vernunftbegabt und soll sein individuelles Glücksbedürfnis mit dem aller i n Ubereinstimmung bringen. Jede künftige Gesellschaft erscheint als mögliches Produkt tätigen und harmonischen Zusammenwirkens. Der Staat als Zwangsinstitut soll i n den Hintergrund treten, ja für die Spätaufklärung ist der Staat i n der sich selbst verwaltenden Gesellschaft auflösbar. Der Aufbruch des Bürgertums erfolgt aus dem privaten Innenraum, auf den der absolutistische Staat seine Untertanen beschränkt hatte und die Aufklärung gewinnt i n dem Maße politisch an Boden, wie der private Innenraum zur Öffentlichkeit wurde. Die Öffentlichkeit als öffentliche Meinung w i r d zum Forum der bürgerlichen Gesellschaft, welche nun dem absolutistischen Staat gegenübersteht. Das zentrale Losungswort w i r d die „Kritik" und sie durchzieht von nun an die gesamte politische Ideengeschichte 11 . Die Orientierung an der Kategorie aufklärerischer Vernunft ermöglicht den Widerstand gegen das „praeiudicium autoritatis", wie Thomasius formuliert, gegen sämtliche autoritär geschützten Vorurteile der ständisch gebundenen Gesellschaft. Die K r i t i k ist total, erfaßt alle Gebiete und strebt, sich i n konkreter Anschauung zu verkörpern und zu bewähren. Schritt für 11 Vgl. dazu Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. I V , das Stichw o r t „ K r i t i k " von C. V. Bormann u n d H. Holzhey, Spalte 1249 ff.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Schritt beginnt eine Denkbewegung, an deren Anfang i m deutschen Sprachraum Johann Christoph Gottscheds „Versuch einer kritischen Dichtkunst für die Deutschen" von 1730 steht und dann Johann Jakob Breitingers „Kritische Dichtkunst" und „Kritische Abhandlung von der Natur, den Absichten und dem Gebrauch der Gleichnisse" von 1740, bis h i n zur K r i t i k von Lessing, Wieland, Herder und anderen, Ähnliches gilt für Frankreich und England. Von Frankreich ausgehend findet die Aufklärung i n nahezu ganz Europa ihre systematische Begründung. Besonders für die deutsche Aufklärung ist festzuhalten, daß sie von Anfang an ausländische Einflüsse vermittelt. Dies geschah vor allem durch die große Enzyklopädie, die von 1751 bis 1784 i n 35 Bänden erschien und von Diderot und d'Alembert herausgegeben wurde. Durch sie erweitert sich sowohl der begriffliche als auch der geschichtliche Gesichtskreis der Wissenschaft. I n dieser Arbeit offenbart sich ein systematischer Wille, die gesetzlichen Beziehungen zwischen den Phänomenen nicht als apriorische zu fassen, sondern sie auch aus der Fülle von Erfahrungen und Beobachtungen hervorgehen zu lassen. A n dem Werk arbeiten die bedeutendsten Vertreter der französischen Aufklärung, so beispielsweise neben den beiden Herausgebern Voltaire, Rousseau, Montesquieu, Tourgot, Holbach, Condilliac, Condorcet und andere 12 . Gerade die Enzyklopädie zeigt, wie durch den Fortschritt der Naturwissenschaften es zu Denkanstößen, Reformen, j a sogar Revolutionen auf dem Gebiet der Sozialwissenschaften kommt. Lexika und Zeitschriften bewirken breite Information und Wissensvermittlung. So erschien beispielsweise die älteste wissenschaftliche Zeitschrift Deutschlands, die Acta Eruditorum von 1682 bis 1782 i n 117 Bänden. I m 18. Jahrhundert w i r d die periodische Presse zu einem der aktiven Elemente i n der Gestaltung aufklärerischen Gedankenguts und aufklärerischer Wissensvermittlung. Viele Autoren danken gerade diesen Zeitschriften ihre beträchtliche geschichtliche Wirksamkeit 1 3 . 12 Eine gute Übersicht i n knapper A u s w a h l bietet D. Diderot: Encyclopédie. Philosophische u n d politische Texte aus der „Encyclopédie" hrsg. v. R. R. Wuthenow, München 1969. Diderots Beitrag w a r enorm, er verfaßte mehrere tausend A r t i k e l . Sie umfassen i n den v o n J. Assézat herausgegebenen „Oeuvres completes" über 2000 Seiten. 13 I m deutschsprachigen Raum erschienen beispielsweise i n Hamburg seit 1724 „Der Patriot" u n d seit 1737 die „Göttingischen Gelehrten Anzeigen". Die „Berlinische Monatsschrift" wurde 1783 gegründet u n d umfaßt 26 Bände. Friedrich Nicolais „Allgemeine deutsche Bibliothek" erschien v o n 1765 bis 1791 u n d umfaßt 6 Bände. I n Frankreich erschien seit 1750 die berühmte „Correspondence littéraire, philosophique et critique par G r i m m , Diderot, Raynal, Meister etc.", die der Wahlfranzose Melchior Grimm herausgab. Die „Correspondence" wurde i n Deutschland zur primären Informationsquelle des geistigen u n d politischen Lebens i n Frankreich. Diese Zeitschriften be-
3 . Allgemeine Bemerkungen
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Von der Aufklärung wurde auch der Weg zu einer verstärkten historischen Betrachtung freigelegt. Der durch die Vorsehung gelenkten Geschichte, i n der Gott seine Ziele ohne menschliches Wissen erreicht, hat eine erste Generation von Geschichtsphilosophen i m 18. Jahrhundert eine auf regelmäßigem Wechsel beruhende Geschichte gegenübergestellt, die sich i n „corsi e ricorsi" entfaltet, wie dies Gianbattista Vico i n seiner Scienzia nova von 1725 formuliert. Hier werden die Momente von Größe und Zerfall, von Zivilisation und Rückfall i n die Barbarei i n ständigem Wechsel aufgezeigt. Voltaire und andere gründen auf diese Einsicht Vicos ihre Geschichtsschreibung. Es entsteht das B i l d einer zielstrebigen Geschichte, deren Finalität nun aber nicht mehr i m Willen Gottes, sondern i m gemeinsamen Wollen der Menschen begründet ist, i m Erwachen des kollektiven Subjekts. Die Enzyklopädie, die auch i n Deutschland auf breiter Ebene w i r k sam wurde, vermittelte Philosophiegeschichte und Politik m i t den modernen Erkenntnissen der Naturwissenschaft und Ökonomie. Aufgrund ihrer gediegenen Informationsfülle avanciert die Enzyklopädie zur Verkünderin der Aufklärung schlechthin. Die Aufklärung verleiht der Ökonomie erstmals eine relative Selbständigkeit. Das physiokratische System m i t seinen Hauptvertretern Quesnay, Tourgot und Mirabeau ist förmlich als Produkt der Aufklärung zu sehen und beeinflußt wesentlich auch die deutsche Ökonomie. System und Politik der Physiokraten sind tief i n der Philosophie verankert 1 4 . Die leitende Vorstellung der Physiokraten ist der aus dem Naturrecht und der teleologischen Naturauffassung stammende Begriff des „Ordre naturel Dieser umreißt alle Gesetz- und Zweckmäßigkeiten, die i n den natürlichen Trieben des Menschen gelegen sind, seiner Selbsterhaltung dienen, zugleich aber auch das soziale Ganze aufs Bestmögliche fördern 1 5 . Es kam der Physiokratie darauf an, Gesetze zu finden, die die natürliche Ordnung nicht verletzen, eine Ordnung, die nicht selbst funktioniert, sondern die der Mensch beherrschen muß, damit freiten die Wissenschaften wesentlich v o n i h r e m arkanen u n d esoterischen Habitus. Nicht mehr n u r die gelehrte Welt, sondern die gesamte literarische Welt, ein kosmopolitisch gestimmtes Publikum, ein breiter Leserkreis wurde Partizipant. Des näheren vgl. die Studie v o n H. Kiesel, P. Münch: Gesellschaft u n d L i t e r a t u r i m 18. Jahrhundert. Voraussetzung u n d Entstehung des literarischen Marktes i n Deutschland. München 1977. 14 Vgl. als Zusammenfassung physiokratischer Anschauungen Mercier della Rivière: L'ordre naturel et essentiel de sociétés politiques. London 1767; dazu W. Hasbach, S. 57 ff. 15 Z u den deutschen Physiokraten vgl. J. Kuczynski: Z u r politökonomischen Ideologie i n Deutschland v o r 1850 u n d andere Studien. B e r l i n 1960, S. 19 - 33; A . Krebs: J. A . Schlettwein „Der deutsche Hauptphysiokrat". Leipzig 1909; K. Braunreuther: Die Bedeutung der physiokratischen Bewegung i n Deutschland i n der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. B e r l i n 1955. 8 Fischer
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
sie funktionieren kann. Eben dadurch unterscheidet sich der Ansatz der Physiokraten wesentlich von Adam Smith' An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations von 1776, i n dessen Theorie die natürlichen Gesetze von selbst funktionieren 1 6 . Vor allem bemühte sich aber die Aufklärung, ihre Prinzipien auch i m Bereich von Recht und Staat zur Geltung zu bringen. Der historischgenetische Blick auf das Recht w i r d geöffnet: Wichtig ist hier Montesquieu Esprit des lois von 1748, wo der Zusammenhang von Recht und Geschichte deutlich dargestellt wird. Auch sicherte Montesquieu der Rechtswissenschaft systematischen Gehalt. Die idealtypische Konstruktion, die erlaubt, i n der Fülle der empirischen Wirklichkeit das Wesen der Staatsform zu erkennen, entwickelt Montesquieu nicht i n einer abstrakten Sprache, sondern i n einem lebendigen Stil mit ironischen Seitenhieben auf den Despotismus 17 . Das Naturrecht, das sich an die Namen von Grotius, Hobbes, Pufendorf, Locke und Thomasius knüpft, war i n Christian Wolffs lus naturae methodo scientifica pertractum, dessen 8 Bände von 1740 bis 1748 erschienen, und i n den Institutiones naturae et gentium von 1750, allgemeiner Bestandteil des Unterrichts 1 8 . Es erlangte alsbald den Primat über die theologische Moral. Insbesondere Samuel Pufendorf unternahm als erster den Versuch, ein System des Naturrechts nur m i t Hilfe der „Vernunft" zu errichten. Die Rechtstheorie der Aufklärung begegnet nunmehr der W i l l k ü r des absolutistischen Staates mit den Ideen des Naturrechts. Eine eindeutige Staatskritik artikuliert sich i n Deutschland erst gegen Ende des Jahrhunderts. Bis dahin ist das chronische Ärgernis der Aufklärer weniger der absolutistische Staat selbst, auf dessen Fortschritt zum „aufgeklärten Absolutismus" große Hoffnungen gesetzt werden, als die ständische Représentations- und insbesondere die höfische Gesellschaft. M i t Rousseau und seinem Contrat social von 1762 ist eine Abkehr vom Naturrecht festzustellen und ein neuer Ansatz zur Begründung gesellschaftlicher Gemeinschaft. I n Rousseaus Denken verknüpft sich der individuelle und der allgemeine Wille zu einem System der Freiheit. Die Ungebundenheit des Naturzustandes w i r d verlassen zugun16 Vgl. dazu die Einleitung v o n H. C. Recktenwald in: A d a m Smith: Der Wohlstand der Nationen. München 1978, S. X V - L X X I X . 17 G. W. F. Hegel: Über die wissenschaftlichen Behandlungsarten des Naturrechts, seine Stelle i n der praktischen Philosophie, u n d sein Verhältnis zu den positiven Rechtswissenschaften, B d . 1, S. 531. 18 A . Verdross: Abendländische Rechtsphilosophie. Ihre Grundlagen u n d Hauptprobleme i n geschichtlicher Schau. 2. A u f l . W i e n 1963, S. 108-141: H. Welzel: Naturrecht u n d materiale Gerechtigkeit. Göttingen 1962, S. 108 ff.
3.1. Allgemeine Bemerkungen
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sten der Gewißheit und Bürgschaft der Freiheit, die i n der Bindung an das Gesetz besteht. Trotz vieler kognitiver und sozialer Gemeinsamkeiten ist für die Aufklärung eine Fülle von Konzepten kennzeichnend. Folgende Orientierungen der Aufklärung sind jedoch mehr oder minder verbindlich. 1. „Sein" w i r d als Prozeß verstanden. I m Bereich der Naturwissenschaften bewirken die neuen Erkenntnisse, daß sämtliche tradierten Wissenschaftsnormen, die mit einem statischen Seinsbegriff verbunden waren, ihre normative Kraft verlieren. Der neuzeitliche Naturbegriff ist nicht mehr durch ein Streben nach einem zentralen Typus gekennzeichnet, sondern, wie die Enzyklopädisten und insbesondere Diderot verdeutlichen, durch ein Vermögen der Variation, der Ausbreitung, der Individuation. Die Schöpfungskraft der Natur ist nicht mehr ein konzentrisches Streben, sondern eine unaufhörlich fließende Bewegung, eine auf Verschiedenheit h i n wirkende Ausbreitung. Damit ist jedoch der Blick freigegeben dafür, daß das Sein insgesamt nicht nur veränderlich ist, sondern auch veränderbar und der Optimismus, die Sinnorientierung verlagert sich i n die Fähigkeit menschlichen Handelns, i n die menschliche Praxis. Denn auch die Natur des Menschen ist auf Entwicklung, auf Zukunft und Bewegung angelegt. 2. Durch seine praktische Tätigkeit w i r d der Mensch zum Subjekt des Gestaltungs- und Veränderungsprozesses. Der Mensch verändert die Welt oder die Welt verändert sich durch den Menschen, gemäß der Leibnizsàien Formel, daß „das Denken nach dem Handeln strebt". Wie mehrfach angedeutet, w i r d das i n Plan und Prognose vorweggenommene Faustische Ziel nunmehr die materielle Veränderung der Welt 19. Jeder Veränderungs- und Gestaltungsprozeß ist immer, wenn auch i n noch so mangelhafter Form, m i t Bewußtsein verbunden, m i t Erkenntnisprozessen. 3. Dies impliziert die Erkennbarkeit des So-Seins der Welt, ihre Wirklichkeit als Voraussetzung für jede praktische Einwirkung. Verändern und Gestalten ist also zunächst ein Prozeß der Erkenntnis der Welt und dann die Wirkung des menschlichen Handelns, der Praxis. 19 Dies läßt sich vielfach für A u f k l ä r u n g u n d Idealismus belegen; vgl. I. Kant: Gesammelte Schriften, Akademie-Ausgabe. Bisher 24 Bände. B e r l i n Leipzig 1900 - 1966, Bd. 20, S. 307; J. G. Herder: Sämtliche Werke. Hrsg. v. W. Suphan, 33 Bände, B e r l i n 1877 bis 1913, Bd. 5, S. 555; F. v. Schiller: Sämtliche Werke. Säkular-Ausgabe. Hrsg. v. E. v. der Hellen u. a., 16 Bände, Stuttgart - B e r l i n o. J. (1904 f.), Bd. 3, S. 333 ff.; A . Weishaupt: Geschichte der V e r v o l l k o m m n u n g des menschlichen Geschlechts. Leipzig - F r a n k f u r t 1788, S. 44; J. F. A. Kinderling: Uber die Reinigkeit der deutschen Sprache u n d die Beförderungsmittel derselben m i t Musterung der fremden Wörter u n d W ö r t e r verzeichnissen. B e r l i n 1795, S. 319.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Gemäß dem Erkenntnisanspruch der Aufklärung ist auch der Wille zum Handeln universal 2 0 , und die Einheit von Erkennen und Handeln markiert jene dialektische Grenze, an der das Alte i n das Neue, das Vergangene i n das Zukünftige übergeht. Indem das Denken die Dimensionen von Vergangenheit und Zukunft unterscheidet, w i r d schließlich eine geschichtliche Zeit entdeckt, die durch Fortschritt auf einen ersten Begriff gebracht wird. Aufklärung und Fortschritt stehen von n u n an i n einem Naheverhältnis und Bedingungszusammenhang. Die i n Plan und Prognose vorweggenommene W i r k u n g beabsichtigter Praxis impliziert i n der möglichen Veränderbarkeit bereits den Erfolg. 4. Die wesentlichste Orientierung der Aufklärung ist der Glaube an eine Optimierung des Daseins. Aufklärung erscheint als progressiver Prozeß, nicht nur menschlicher Erkenntnis, sondern auch menschlicher Praxis, verläuft i n Richtung einer Optimierung des Daseins. Sie w i r d damit zum Sammelbecken handlungslegitimierender Theorien des Fortschritts. Geht man aber von einer Optimierung des Daseins aus, ist gleichzeitig damit die Spannung zum veränderungsbedürftigen Zustand hergestellt. Aus der Spannung zwischen „Schlecht" und „Gut" respektive „Besser" ergibt sich die K r i t i k als notwendiges Produkt. Sie entspringt der Kollision zwischen Erfahrungsraum und Erwartungshorizont und t r i t t m i t Herrschaftsanspruch auf. „Unser Zeitalter" — so formuliert dann Kant — „ist das eigentliche Zeitalter der K r i t i k , der sich alles zu unterwerfen h a t " 2 1 . Von nun an erscheint Aufklärung modern und progressiv, impliziert K r i t i k , Wandel und Neuerung, richtet sich gegen Bestehendes und Vorgegebenes und w i l l sich i n praktischer Veränderung erfüllen. Es w i r d deutlich, daß ein Kontrast zwischen Aufklärungsverheißung und gesellschaftlicher Wirklichkeit aufbrechen mußte. Ganz i m Gegensatz zu den Vorstellungen der Aufklärung stand die zunehmende Not, die u m so unbegreiflicher schien, da die Produktionskraft stetig stieg. Je mehr sich die industriellen Produktionsverhältnisse i m weitesten Sinn konsolidieren, das heißt je mehr die Arbeitskraft unter die Verwertung des Sachkapitals fiel, desto mehr schienen die sozialpolitischen Hoffnungen der Aufklärung zu scheitern 22 . Das Sozialbewußtsein der Aufklärung w i r d zum unerfüllten, aber doch zumindest theoretisch 20 Vgl. z . B . Ch. M. Wieland: Gesammelte Schriften. Akademie-Ausgabe, 3. Abt., Bd. 14, S. 320, u n d Bd. 15, S. 209. 21 Kant, Bd. 4, S. 9. 22 Z u r ökonomischen Lage allgemein vgl. W. Sombart: Der moderne K a p i talismus. 2 Bde., 2. A u f l . München - Leipzig 1916; plastische Erläuterungen finden sich bei J. Kuczynski: Studien zur Geschichte der Lage der A r b e i t e r i n i n Deutschland v o n 1700 bis zur Gegenwart. 2. A u f l . B e r l i n 1965, S. 1 7 - 4 1 ; sowie ders.: Studien zur Geschichte der Lage des arbeitenden Kindes i n Deutschland v o n 1700 bis zur Gegenwart. B e r l i n 1968, S. 1 - 86.
:3;1. Allgemeine Bemerkungen
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erfüllbaren Programm. Die geschichtsphilosophische Theorie einer möglichen Zukunft m i t ihren prognostischen Verheißungen künftigen Glücks, diese „ideale Revolution des Geistes" kollidiert m i t den schlechten Verhältnissen des status quo. Koselleck umreißt dies als Situation einer -politischen Krise. Die politische Gegenwart m i t ihren Systemen und Subsystemen w i r d zur negativen Orientierungsgröße, die Verheißungen einer möglichen besseren Zukunft zur positiven. Dabei gilt es zu bedenken, daß es i m Wesen einer derartigen Krisensituation liegt, daß eine Entscheidung fällig ist, aber noch nicht gefallen ist 2 3 . Zumeist gehört es auch zur Krise, daß offen bleibt, welche Entscheidung fällt. Die Aufklärung gerät damit i n politisch-praktische Konfliktsituationen, die eine Umsetzung bloßer K r i t i k i n politische Verhaltensweisen erfordert. Sie w i r d durch Prognosen beantwortet, und zwar regelmäßig dahingehend, daß die Veränderung oder Beseitigung des bisherigen politischen Zustandes prophezeit wird. Dabei ist es die Geschichtsphilosophie als Fortschrittsphilosophie m i t ihrem Optimierungsdeterminismus, die dem Bewußtsein der Aufklärer Evidenz liefert. Der undurchsichtige göttliche Heilsplan w i r d säkularisiert zur rationalen Geschichtsplanung. Die soziale Wirkung der Vernunft- und Fortschrittsdoktrin, ihre strikte Normativität drängte förmlich zu Institutionenbildung, zu Organisationsformen, die eine Umsetzung i n politische Verhaltensweisen ermöglichte. Dies geschah i n „Sozietäten", vorzüglich i m Freimaurertum. 3.1.2. Zur „Organisation" der Aufklärung
Der Höhepunkt der absolutistischen Macht ist gleichzeitig die Geburtskonstellation einer neuen Elite. So sehr diese auch aus verschiedenen Gruppen besteht, hat sie dennoch ein gemeinsames Merkmal: Alle sind der politischen Entscheidungsfreiheit beraubt, weil der absolutistische Staat allein i n der Person des Fürsten repräsentiert ist. Diese politische Herausforderung w i r d zum verbindenden Element der neuen Elite 2 4 . I n den bestehenden Einrichtungen des absolutistischen Staates fanden etliche Gruppen keinen hinreichenden Platz: so unter anderem der Adel, der zwar sozial anerkannt war, aber ohne politischen Einfluß; die Bank- und Kaufleute, die zwar wirtschaftliche Macht hatten, 23 Z u m folgenden vgl. R. Koselleck, S. 105 ff. sowie O. Marquard: Schwierigkeiten m i t der Geschichtsphilosophie. F r a n k f u r t a. M. 1973, insbes. S. 13 bis 23. 24 Vgl. Koselleck, S. 49; eine genaue Analyse dieses Sachverhalts für Frankreich gibt P. Sagnac: L a formation de l a société française moderne. 2 Bde., Paris 1945/46, i n Bd. 2.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
aber sozial als homini novi abgestempelt wurden; die Wissenschafter, vorweg die Philosophen, die zwar sozial ohne rechten Ort, aber von höchster intellektuell-kultureller Bedeutung waren. Aus diesen äußerst heterogenen Gruppen formierte sich eine neue Schicht. Die Spannung zwischen der sozial zunehmenden Bedeutung dieser Gruppen einerseits und der Unmöglichkeit, dieser Bedeutung einen politischen Ausdruck zu verleihen, bestimmt die geschichtliche Situation, i n der sich die bürgerliche Gesellschaft konstituierte. Man traf sich an sogenannten „unpolitischen" Orten, wie an der Börse oder i n Kaffeehäusern, i n den Akademien, wo die „neuen" Wissenschaften betrieben wurden, oder i n Klubs, i n Salons, i n literarischen Gesellschaften und Bibliotheken. Der Boden für das Auftreten von Geheimgesellschaften wurde damit wesentlich vorbereitet. I n ganz Europa entstanden zu Anfang des 18. Jhts. die Logen der Freimaurer 25. Die Aufklärung begann sich als bürgerliche Öffentlichkeit zu organisieren und zwar i n verschiedenen Institutionen, wobei jedoch die Geheimgesellschaften eine Sonderstellung einnehmen. Es kommt zu einer Ausweitung elitärer Sozietäten, deren „patriotisches" Ziel etwa i n Deutschland es war, m i t dem Prozeß der Aufklärung eine „Nation" zu schaffen. Angeregt von der Rosenkreuzerbewegung mit ihrem utopischen Konzept einer „res publica litteraria" werden nach 1650 Versuche unternommen, dies i n die Praxis umzusetzen. Der Name von Pierre Bayles kritischer Zeitschrift „Nouvelle de la République du Lettre" gibt bloß einer gegen Ende des 17. Jhts. stark ausgeprägten Tendenz innerer Selbständigkeit und weitgehender Unabhängigkeit der Gelehrten Ausdruck. Gelehrte Gesellschaften und Akademien fordern zu Erfahrungsaustausch und methodischer Sicherung der neuen Erkenntnisse auf. Aus den zahlreichen Versuchen entsteht aber keine effektive Institution, die z. B. m i t der Royal Society vergleichbar wäre. Das Scheitern der umfassenden Sozietätspläne der Rosenkreuzerbewegung, der Verzicht des frühen 18. Jhts. auf direkt politische Zielsetzungen und die offenkundige Beschränkung auf rein bildungspoli25 Z u m folgenden vgl. die einschlägigen Stichworte v o n E. Lenrihoff, O. Posner: Internationales Freimaurer-Lexikon. Unveränderter Nachdruck der Ausgabe 1932, W i e n - München 1975; zur Freimaurerei allgemein vgl. E. Lennhoff : Politische Geheimbünde. Zürich - Leipzig - W i e n 1930; J. G. Findel: Geschichte der Freimaurerei. 3. A u f l . Leipzig 1870; E. Lennhoff: Die Freimaurer. Zürich - Leipzig - W i e n 1932; D. Knoop, G. P. Jones: The Genesis of Freemasonary. Manchester 1947; W. E. Peuckert: Geheimbünde. Heidelberg 1951 sowie als grundlegendes Quellenwerk A . Wolfstieg: Werden u n d Wesen der Freimaurerei. Bd. 1 - 3 : Ursprung u n d Entwicklung. Bd. 4 - 5 : Philosophie der Freimaurerei. B e r l i n 1920 ff.
3 . Allgemeine Bemerkungen
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tische Aufgaben kennzeichnen vor allem die deutsche Aufklärung. Der politische Anspruch existiert nur i m Verborgenen. Gerade die Geheimgesellschaften der Freimaurer entwickeln Gedanken und Pläne, deren öffentliche Diskussion unmöglich war. Koselleck macht folgerichtig darauf aufmerksam, daß Aufklärung und Geheimnis von Anbeginn als ein geschichtliches Zwillingspaar auftreten 2 6 . Die Logen der Maurer scheinen also die für das neue Bürgertum typische Bildung einer indirekten Gewalt i m absolutistischen Staat zu sein. Sie waren umgeben von einem selbst geschaffenen Schleier, dem Geheimnis, dem Arcanum. Das Geheimnis, diese dem Zeitalter der Aufklärung scheinbar so widersprechende Institution, bedarf näherer Erklärung 2 7 . Auch i n den maurerischen Geheimorganisationen sind wie bei den Rosenkreuzern religiöse und politische Elemente eng miteinander verbunden. Die Bünde sind weder kirchlich noch staatlich beeinflußt, sondern stellen eine der neuen bürgerlichen Gesellschaft eigentümliche Organisationsform dar. Lessing gibt dafür einen wesentlichen Hinweis: „Ihrem Wesen nach ist die Freimaurerei ebenso alt als die bürgerliche Gesellschaft. Beide konnten nicht anders als miteinander entstehen — wenn nicht gar die bürgerliche Gesellschaft nur ein Sprößling der Freimaurerei ist 2 8 ." Diese Feststellung Lessings ist treffend, da i n den Logen und durch sie das Bürgertum eine eigene soziale Organisationsform gewinnt. Das Geheimnis der Logen t r i t t neben die Mysterien der Kirche und neben die Arcanpolitik des Staates. Die inhaltliche Bestimmung des Arcanums, die konkreten Gehalte der Geheimarbeit gingen je nach den Lehrmeinungen stark auseinander. Von System zu System hatte das Geheimnis einen anderen Charakter: es fand durch zeitliche und soziale Umstände bedingt, wie durch nationale Eigentümlichkeiten bestimmt, völlig unterschiedliche Prägungen 29 . Als gemeinsames Ziel der Freimaurerei w i r d wie bei den Rosenkreuzern, angegeben, den rohen Menschen, den „unbehauenen Stein", zu „polieren" und die Brüder i n die Regionen des Lichts zu erheben. Dieses Ziel wurde auf verschiedensten Wegen angestrebt. Je nach dem Schwerpunkt unterschieden sich die Richtungen, die von der 28
Koselleck, S. 49. Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 575 ff. 28 Vgl. dazu die Ausführungen S. 133 f. 29 Vgl. dazu die anonymen Ausführungen i m „Köthener Taschenbuch für Freimaurer aus dem Jahr 1803", abgedruckt i m Freimaurer-Lexikon, Spalte 577 f. Einen guten Uberblick liefert F. J. Schneider: Die Freimaurerei u n d i h r Einfluß auf die geistige K u l t u r i n Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Prag 1909. 27
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moralisch-humanitären Vereinigung der englischen, der „blauen" Maurerei und den deutschen Illuminateli über die ritterlichen Orden der Tempelherren bis zu den protestantisch-schwedischen System reichten und weiter zu den sektiererischen Bünden der Gold- und Rosenkreuzer oder der Philalethen, die den Menschen durch okkulte Wissenschaft zu erleuchten und erlösen hofften 3 0 . Obwohl die Logen eine rein bürgerliche Schöpfung waren, verstand man es, den sozial zwar anerkannten, aber politisch ebenfalls entrechteten Adel zu gewinnen und so auf der Grundlage sozialer Gleichberechtigung mit i h m zu verkehren. „Noblemen, gentlemen and working men" finden laut den „Constitutions of Freemasons " von 1723 i n der Maurerei Z u t r i t t und der Bürger gewann damit eine Plattform, auf der alle ständischen Unterschiede eingeebnet wurden. Jedoch diese soziale Gleichheit war eindeutig eine außerhalb des absolutistischen Staates. Der Bruder war innerhalb der Logen kein Untertan der Staatsgewalt mehr, sondern Mensch unter Menschen: er dachte, plante und handelte i n der Logenarbeit frei 31. Eine eigenartige und vermittelnde Funktion hatten die Lesegesellschaften, die i n der Folge stark von Freimaurern durchsetzt waren. Auch sie praktizierten Gleichheit der Mitglieder. So heißt es i n den Statuten der Bonner Lesegesellschaft: „Rang kömmt nicht i n Frage". Auch hier rekrutierten sich die Mitglieder aus Akademikern und teilweise Adeligen. Nach sämtlichen Statuten ist die Verbreitung von Aufklärung zentrale Aufgabe. Diese Statuten wurden gemeinsam ausgearbeitet und die Aufnahme neuer Mitglieder durch Mehrheitsbeschlüsse geregelt. Dies waren aber demokratisch-politische Prinzipien, die es außerhalb der Lesezirkel nicht gab. „Aus der altständischen Ordnung emanzipiert, erfährt sich der Bürger hier nicht als isoliertes Individuum, sondern als Teil einer von den gleichen Bildungs- und Aufklärungsidealen getragenen Gemeinschaft 32 ." Aus vielen Lesegesellschaften entwickelten sich i n der Spätaufklärung radikal-politische Klubs, so zum Beispiel aus der „Mainzer Lesegesellschaft". Ein großer Teil der Mitglieder, darunter Johann Georg Forster, wurden führende Köpfe des 1792 gegründeten Jakobinerklubs. Die zunehmenden Versuche der Obrigkeit, die Lesegesellschaften zu kontrollieren, wurden zum Indiz für ihre politische Bedeutung. I m Zentrum der Organisation von Aufklärung steht aber die Freimaurerei. 80
Vgl. dazu die einschlägigen Stichwörter i m Freimaurer-Lexikon. Koselleck, S. 57 f. 82 M . Prösener, Lesegesellschaften i m 18. Jahrhundert. E i n Beitrag zur Lesergeschichte. I n : A r c h i v f ü r Geschichte des Buchwesens. Hrsg. v. der Historischen Kommission des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Bd. X I I I F r a n k f u r t 1973, Spalte 421, vgl. 384 ff. 81
3 . Allgemeine Bemerkungen
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Die Freiheit vom bestehenden Staat war das eigentliche Politikum der bürgerlichen Logen. Das Geheimnis hatte daher von vornherein eine abweisende, eine schützende Funktion. „Die Geheimnisse und das Schweigen", heißt es 1738 ausdrücklich i n einem Zusatzprotokoll zur Verfassung der Hamburger Loge, dieser ersten Gründung auf deutschem Boden, „sind die hauptsächlichen Mittel, u m uns zu behaupten und uns den Genuß der Maurerei zu erhalten und zu bekräftigen" 3 3 . A n die Stelle des vom Absolutismus postulierten Schutzes durch den Staat t r i t t der Schutz vor dem Staat. Das Geheimnis schuf eine neuartige Gemeinsamkeit. I n i h m lag ja auch die Verheißung eines neuen, besseren Lebens. Die gemeinsame Teilhabe am selben Arcanum verbürgte zunächst die Gleichheit der Brüder, sie vermittelte die ständischen Differenzen. Ein wichtiger Beleg dafür ist die Äußerung des Freimaurers Ferdinand von Meggenhoffen aus dem Jahre 1786: „Das Geheimhalten" ist „deswegen eingeführt", u m „die weite K l u f t auszufüllen, die zwischen den verschiedenen Ständen des Staates sich befindet und befinden muß, und hiedurch eine Gleichheit unter den ungleichen Gliedern, welche bei einer gemeinschaftlichen Arbeit zu einem gemeinschaftlichen Zweck nötig zu sein scheint, herstellen zu können, welches bei publiken Gesellschaften unmöglich ist" 3 4 . Das Geheimnis verband alle Mitwisser unabhängig von ihrer Stellung i n der bestehenden Hierarchie auf neuer Ebene. I n gewissem Sinne festigte sich durch das Geheimnis das Überlegenheitsgefühl der Mitwisser, das Elitenbewußtsein der neuen Gesellschaft. Ganz ähnlich dem Rosenkreuzertum versprach das letzte Arcanum die Teilhabe an der Lichtquelle der Aufklärung. Eine gewisse Ergänzung zur schützenden Funktion des Geheimnisses war die Trennung von Moral und Politik. Diese wurde bereits bei der Neugründung der Freimaurerei bewußt festgelegt. Genau diese Trennung zu beachten, gehört zu den „ A l t e n Pflichten", die 1723 festgelegt wurden und damit auch die Intention der übrigen sich i n Europa ausbreitenden Systeme bestimmte. Der Freimaurer sei dem „moralischen Gesetz" verpflichtet, so lautet der erste Satz der Verfassung, „der Maurer ist durch seinen Beruf verbunden, dem Sittengesetz zu gehorchen". Das Sittengesetz wurde als natürliche Religion bezeichnet, i n welcher die verschiedensten Menschen, ungeachtet ihrer religiösen und politischen Herkunft, übereinstimmen könnten 3 5 . Während die Freimaurer nach Darstellung der 33
Z i t i e r t nach Koselleck, S. 58. F. v. Meggenhoffen: Meine Geschichte u n d Apologie, o. O. 1786, S. 70. 85 Die alten Pflichten sind abgedruckt i m Freimaurer-Lexikon, S. 13 ff. Hier w i r d „moral l a w " m i t Sittengesetz übersetzt; S. 15. 34
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ersten Ausgabe des Konstitutionenbuchs i n früheren Zeiten verpflichtet waren, „sich i n jedem Lande zu der jedesmaligen Religion des Landes oder der Nation zu bekennen", so heißt es statt dessen jetzt, sich nur der Moral, dieser für alle Menschen unterschiedslos gültigen Religion, zu unterwerfen. Wie der absolutistische Staat bisher die religiösen Spannungen politisch neutralisiert hatte, so wollen nun die Bürger selber alle Glaubensdifferenzen moralisch überbrücken. I n der Freimaurerei w i r d eine bürgerliche Morallehre sozial verwirklicht. M i t der Verpflichtung auf eine allgemeine Menschheitsreligion kam es sowohl zu einer Frontstellung gegen die bestehenden Staaten wie auch gegen die herrschenden Kirchen. Die Freimaurer als Bekenner dieser „Weltbürgerreligion" sprachen sich moralisch von jeder überindividuellen Autorität frei, die außer ihnen bestand und die vor ihnen aufgerichtet worden w a r 3 6 . Die Freiheit vom bestehenden Staate als Freiheit des Individuums w i r d zur letzten rechtlichen Instanz. Durch die These der moralischen Selbstbestimmung des Individuums löste sich die Freimaurerei einerseits von den dogmatischen Hemmungen der Konfessionen, andererseits von der ungeprüften Anerkennung der politischen Autorität. Das Ziel war, „Vorurteile" abzubauen und die Forderung nach religiöser Toleranz zur Forderung nach politischer Toleranz zu verallgemeinern. Scheinbar ohne den Staat zu berühren, schaffen die Bürger i n den Logen ein Subsystem i m Staate, wo unter dem Schutz des Geheimnisses die bürgerliche Freiheit bereits v e r w i r k licht wird. Die Freiheit im Geheimen wird zum Geheimnis der Freiheit. Die Maurer versichern immer wieder, keine politischen Zwecke zu verfolgen, denn unter ihrer gemeinsamen Herrschaft i m Zeichen der Tugend bedarf es keiner politischen Kunstgriffe mehr. Mögen die Staaten die Macht i n ihren Händen halten, durch das Geheimnis monopolisieren die Maurer für ihre soziale Institution die Moral. Also zunächst jenseits und vor aller politischen Planungsarbeit, die geleistet wurde, markiert das Geheimnis durch seine doppelte Funktion, die Gesellschaft zusammenzuschließen und zu schützen, eine geistige Frontlinie, die durch die absolutistische Staatenwelt hindurchlief. Durch das Geheimnis und hinter i h m vollzog sich die Organisation einer sozialen Gruppierung, die alsbald das Gewicht einer indirekten Gewalt bekam 3 7 . M i t der Ablehnung der Politik machen sich die Maurer zugleich als das bessere Gewissen der Politik selbständig. Die Trennung von Moral und Politik impliziert ein moralisches Verdikt über die herrschende 36 Vgl. die Äußerungen v o n S. L. E. de Mares: Briefe über die neuen Wächter der protestantischen Kirche. Heft 2. Leipzig 1787, S. 99. 37 Vgl. E. Dermenghem: Josef de Maistre Mystique. Paris, 2. A u f l . 1946, S. 60 ff.
3 . Allgemeine Bemerkungen
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Politik. So lange die Politik der absolutistischen Fürsten herrschte, hüllte das Geheimnis die Maurer i n den Mantel ihrer moralischen Unschuld und politischen Abwesenheit. Man denkt nur, k l ä r t auf, verkörpert den Geist und ist Träger des Lichts. Vom Boden der Logen aus w i r d bewußt neben die geltende politische Ordnung ein völlig neues Wertsystem gestellt. Direkt haben also die Maurer nichts mit der Politik zu tun, aber sie leben nach einem Gesetz, das — wenn es herrscht — einen Umsturz überflüssig macht. I m Zeichen des Maurermysteriums entstand das soziale Gerüst einer moralischen Internationale, die sich aus Kaufleuten und Reisenden, Philosophen und Emigranten, kurz dem „Kosmopolitenverein" mit dem Adel und den Offizieren zusammensetzte. Die Logen wurden zum stärksten Sozialinstitut der moralischen Welt i m 18. Jht. I h r großes Gewicht erweist sich bereits daran, daß sich auch die Staatsmänner der Logen bedienten, u m Einfluß zu gewinnen, u m politische Ziele zu verfolgen. Die Könige von Schweden, der Herzog Ferdinand von Braunschweig, die Hohenzollern und viele deutsche Fürsten zählen i n diese Reihe, i n Frankreich der Herzog Louis-Philipp von Orleans und Philipp Egalité. I m folgenden soll nun auf einige grobe Entwicklungslinien der Freimaurerei verwiesen werden, u m zu verdeutlichen, wie sehr diese zur Vorhut und Organisation der Aufklärung wurde. I m England des 17. Jahrhunderts wandelt sich die Rosenkreuzerbewegung zur Freimaurerei. Über die Entwicklung der Logen zu Beginn des 18. Jahrhunderts gibt es eine Fülle von Literatur, auf die nicht näher eingegangen w i r d 3 8 . Nach der Vorlage des Konstitutionenbuches 1723 empfing die Maurerei einen neuen erheblichen Aufschwung. Es war „als ob eine unsichtbare Macht die besten Männer der verschiedensten Nationen und aller Geistesrichtungen i n das Gehege dieser rätselhaften Arbeitsgilde trieb und eine noch weit stärkere Macht sie i n ihr festhielt und bei allen Gegensätzen der Auffassung zu einer treuen Gesinnungsgemeinschaft zusammenschmiedete" 39 . 1725 gab es bereits 52 Logen und 1732 zählte die Großloge 109 Bauhütten. Mitglieder waren Staatsmänner, Schriftsteller sowie eine Reihe anerkannter Persönlichkeiten der „Royal Society", dann Diplomaten, wie ζ. B. Graf Albrecht Wolfgang von Schaumburg-Lippe, der später Friedrich den Großen auf die Freimaurerei aufmerksam machte. 38 Vgl. zum folgenden Freimaurer-Lexikon, Spalte 420 ff.; vgl. des w e i t e r n die grundlegende A r b e i t v o n R. F. Gould : The History of Freemasonary. 6 Bde. London 1882 - 1887; sowie D. D. Darrah: The Evolution of Freemasonary. Bloomington 1920. 39 August Homeffer zitiert nach E. Lenrihoff, S. 55.
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Das wichtigste politische Ziel der frühen englischen Logen war die Verwirklichung der Toleranzidee. Comenius, Maier, Fludd und Herbert von Cherbury hatten ja schon zuvor die Idee der Toleranz i m modernen Sinn der Glaubens- und Gesinnungsfreiheit behandelt und waren i n vielen Punkten bemüht, dies auch auf den Bereich des Politischen zu übertragen. Eine wesentliche Vermittlung dieser Gedanken leistet John Locke, der unter der Regierung des reformfreundlichen Jakob II. nach Holland emigrierte, u m den Verfolgungen zu entgehen. Dort faßte er auch seinen „Ersten Brief über die Toleranz" ab. Diese Ansichten bekamen dann i n den Satzungen der Freimaurerei verbindlichen Charakter 4 0 . Von erheblicher Bedeutung für die englische Freimaurerei wurde John Toland. Erstmals war er mit einer Übersetzung Giordano Brunos „Bestia triumphante" bekannt geworden und dann durch seine Arbeit „Christianity Not Mysterious" von 169641. I n dieser Arbeit ging es Toland u m den Nachweis, daß die christliche Religion weder ein Geheimnis enthalte noch i n Zukunft enthalten könne, da es keine über die Vernunft hinausgehende, geschweige denn gegen sie gerichtete Offenbarung gibt. I m deutschen Sprachraum wurde Toland vor allem durch seine zum Teil erhaltenen Religionsgespräche mit Leibniz berühmt. I n seiner unter dem Druckort „Kosmopolis" erscheinenden Schrift „Pantheistikon oder Formel für die Feier der sokratischen Gesellschaft" von 1720 versuchte er, die „Vernunftreligion" i n eine liturgische Form zu kleiden 4 2 . Toland entwirft hier eine Menschheitsreligion der Zukunft, 40 Es sind i m ganzen vier Briefe 1689, 1690, 1692 u n d 1704 entstanden. Vgl. J. Locke: E i n Brief über die Toleranz. Übersetzt, eingeleitet u n d m i t A n merkungen u n d Erläuterungen versehen v o n J. Ebbinghaus, Hamburg 1975. Vgl. dazu auch W. Euchner: Naturrecht u n d P o l i t i k bei John Locke. F r a n k furt a. M. 1969. V o n Anfang an bekämpfte die katholische Kirche die Freimaurerei vor allem wegen der i n der Toleranzidee enthaltenen Antidogmat i k , da diese ihre dogmatische Grundlage zu erschüttern, die Disziplin ihrer Anhänger zu lockern, geeignet sei. Die erste anti-freimaurerische Bulle des Papstes Clemens X I I . von 1737 w a r f der Freimaurerei vor, daß sie eine Gesellschaft sei, „ i n welcher Menschen jeder Religion u n d Sekte . . . sich gegenseitig verbinden". Diese Auffassung kehrte i n allen späteren päpstlichen V e r dammungen wieder. Vgl. dazu die einschlägigen Stichworte i m FreimaurerLexikon. 41 Die erste Auflage erschien anonym, eine zweite Auflage i m selben Jahr jedoch m i t seinem Namen, i n dem er das Christentum rationalistisch zu erfassen suchte. Dieses Buch wurde i m September 1697 i n D u b l i n öffentlich verbrannt. Vgl. A . Lantoine, John Toland, u n précorseur de la franc-maçonnerie. Paris 1927. Z u r Wirkungsgeschichte vgl. A . Seeber: John Toland als politischer Schriftsteller. Dissertation. Freiburg i. Br. 1933. 42 Vgl. dazu die inhaltlichen Angaben u n d Auszüge i m Freimaurer-Lexikon, Spalte 1582 ff. Daß dieses Buch überhaupt gedruckt werden konnte, ist historischen Umständen zu verdanken. W i l h e l m I I I . hatte 1694 die selbst v o n Cromwell beibehaltene Zensur abgeschafft. Toland, der 1710 nach seiner
3 . Allgemeine Bemerkungen
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die i n Wahrheit und Freiheit ihre wesentlichen Grundsätze hat. Die i n dieser Schrift entworfene geheime „Sokratische Gesellschaft" zeigt eindeutig Logencharakter: ihre Mitglieder, die sich untereinander Genossen und Brüder nennen, verpflichten sich zu Forschungseifer und Wissenschaft. Die Parallelitäten zur Rosenkreuzerbewegung und zu den Utopien von Andreae und Bacon liegen auf der Hand. Die Eingeweihten galten als Feinde der Tyrannei, jeder Gewaltherrschaft, mochte sie nun von einem Monarchen, einer Adelskaste oder dem Pöbel ausgehen. Wenn auch diese „Sokratische Gesellschaft" mutmaßlich niemals bestanden hat, so sind doch etliche Parallelen und Gemeinsamkeiten m i t den Forderungen der Freimaurer zu Anfang des 18. Jahrhunderts zu erkennen. Die Übereinstimmung zwischen den politischen Theoretikern der Toleranzidee und den Satzungen der Logen ist augenfällig. Insofern w i r d die Freimaurerei zu einer weltanschaulichen Partei, die der i n der öffentlichen Meinung umstrittenen Toleranzidee „eine widerstandskräftige Organisation" verschaffen w i l l 4 3 . Bereits an der englischen Entwicklung sehen wir, daß die Logen zu einer Organisation heranreifen, die der literarischen Opposition der Aufklärung den Charakter einer politischen Opposition ermöglicht. Das erste Land, wo die Freimaurerei außerhalb Englands festen Fuß faßte, war Frankreich 44. 1725 w i r d die erste Loge erwähnt, die zweite dann 1729. Die i m Vergleich mit der englischen Verfassung von 1688 rückständigen politischen Verhältnisse Frankreichs lenkten die französischen Logen von vornherein i n eine politisch oppositionelle Richtung. I m Gegensatz zu England hatten die Reformierten i n Frankreich die Herrschaft des katholischen Klerus nur wenig erschüttert. Von einer freien Religionsausübung der Reformierten war seit der Aufhebung des Edikts von Nantes keine Rede mehr. Aufgrund dieser Aufhebung 1685 mußten vierhunderttausend Emigranten Frankreich verlassen und ergossen sich i n den nordosteuropäischen Raum. A l l e i n achtzigtausend von ihnen gingen nach England, wo sie zu begeisterten Anhängern der parlamentarischen Verfassung Emigration nach Holland u n d Deutschland nach London zurückgekehrt war, gab dieses Buch auf eigene Kosten heraus. 48 F. Mauthner: Der Deismus u n d seine Geschichte i m Abendlande. Bd. 3, Stuttgart 1922, S. 355. 44 Vgl. zum folgenden Freimaurer-Lexikon, Spalte 495 ff.; B. Fay : La Franc-Maconnerie et l a Révolution intellectuelle d u X V I I I e siècle. Paris 1935; G. Bord : La Franc-Maconnerie en France des origines à 1815. Paris 1908; A . Lantoine: Histoire de la Franc-Maconnerie Française. Paris 1925; A . v. Reitzenstein: Freimaurerei i n Frankreich. B e r l i n 1907; G. A . Schiffmann: Die Freimaurerei i n Frankreich i n der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Leipzig 1881.
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wurden. Sie gründeten i m Rain-Bow-Coffeehouse, einem Freimaurerlokal i n London, eine Informationszentrale, von wo aus sie englischen Geist, englische Philosophie und vor allem die englische Verfassung über den geistigen Umschlagplatz Holland i m absolutistischen Europa propagierten. Desmaizeaux, der Biograph Pierre Bayles, Pierre Daudé und Le Clerc, der Freund von Locke, gehörten zu dieser besonders aktiven Gruppe 4 5 . Das Eindringen der Freimaurerei i n Frankreich wurde vorweg m i t größtem Mißtrauen gesehen und es kam zu ähnlich vehementen Reaktionen wie zuvor gegen das Rosenkreuzertum 46 . A m 20. September 1735 berichtet die Londoner „St. James Evening Post" von einer Logengründung i n Paris, wo der „sehr ehrenwerte Präsident Montesquieu" hervorragte 4 7 . Die Ausbreitung der Logen wurde zunächst durch ein „Verbot an alle" erschwert, sich zu versammeln oder Vereinigungen von Freimaurern zu bilden. Die Polizei kämpfte gegen das „englische Gift" und Ludwig X V . erklärte, jeden Franzosen verhaften zu wollen, der die Großmeisterschaft des Ordens annehme. Dennoch konnte sich die Freimaurerei als oppositionelle, geheime Organisation breit entfalten 4 8 . Der Verbreitung der Freimaurerei kam vor allem die enthusiastische Anglomanie i n Frankreich zugute, deren Wortführer Voltaire war. I n seinen „Lettres philosophiques sur les Anglais" von 1731 stellt er die Locke'sche Philosophie i n populärer Fassung dar. M i t den Begriffen der bürgerlichen Freiheit und der Rechte des Individuums übernimmt Frankreich auch die neuen philosophischen Anschauungen, für deren Rezeption der Boden bereits durch die skeptischen Theorien von Pierre Bayle vorbereitet war. Auch die Newton-Rezeption ist Voltaire zu danken: durch seine Abhandlungen geht das Newtonsche Weltbild i n die politischen Zielansprachen der französischen Aufklärung ein 4 9 . Wesentliche Impulse erhielt das französische Logenwesen durch Andreas Michael Ramsay. Der geborene Schotte war ein enger Freund 45 Vgl. M. Weiss: Histoire des réfugées protestants de France. Paris 1852 f., Bd. 1, S. 272. Z u r ideologischen Charakterisierung der Flüchtlinge vgl. P. Hazard: Die Krise des europäischen Geistes. Hamburg 1931, S. 508 f. 48 Bezüglich der ersten Periode der Freimaurerei ist m a n weitgehend auf die Angaben des Astronomen Lalande angewiesen, die er i n seinen „ M é moires" niedergelegt hat. Diese sind weitgehend deckungsgleich m i t dem A r t i k e l „Freimaurer" des d r i t t e n Ergänzungsbandes zur großen Enzyklopädie. 47 Vgl. Freimaurer-Lexikon. Spalte 496. 48 Vgl. dazu die Belege bei Lennhoff, S. 65 ff. 49 Wesentlich insbesondere die Schrift „Elements de la philosophie de Newton mis à pórtee de toute le monde" von 1738.
3.1. Allgemeine Bemerkungen
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des vom Pariser Hof verdrängten Erzbischofs François Salignac de la Mothe Fénélon, des Verfassers des „Telemach" 5 0 . Er schrieb eine Biographie Fénélons und unter dem Einfluß des großen Vorbildes eine Utopie, die „Voyage de Cyrus" 5 1 . Ramsay, der auch Mitglied der „Royal Society" i n London war, ist wohl der bedeutendste Theoretiker des Maurertums i n Frankreich. 1737 hielt er i n der Pariser Großloge seine berühmten „Discours", die neben wichtigen Vorschlägen zur Reformierung auch einen wesentlichen Einblick i n die zentralen Schwerpunkte der maurerischen Philosophie liefern 5 2 . Ramsay ermahnte seine Logenbrüder, „reine Sitten", „weise Menschenliebe" und „unverbrüchliche Verschwiegenheit" als maurerische Grundtugenden zu erhalten. Darüber hinaus gelte es, die „alten Grundsätze wieder zu beleben und zu verbreiten, die, der Natur des Menschen entnommen, unsere Gesellschaft gegründet haben". Der Grund der Erneuerung dieser Forderungen lag darin, daß die königliche Kunst bei der Übersiedlung nach Frankreich den Beigeschmack geistreicher Frivolität angenommen hatte 5 3 . Ramsays Grundanliegen ist es, aus den Angehörigen der verschiedenen Völker eine „geistige Nation" zu bilden, geeint durch „das Band der Tugend und der Wissenschaft". Die Welt soll eine „große Republik" werden, i n der „alle Menschen von aufgeklärtem Geiste und guten Sitten" vereinigt sind 5 4 . Das Freimaurertum soll also zu einem Sammelbecken werden, i n dem sich die verschiedensten menschlichen Erfahrungen zu einem Wissensschatz aufspeichern, der letztendlich der ge50 „Les aventures de Télémaque, fils d'Ulysee", erschien erstmals 1699 i n einem v o m Verfasser nicht autorisierten Erstdruck. Die endgültige Version ist erst nach dem Tod des Autors i m Jahre 1717 veröffentlicht worden. Vgl. des näheren dazu Kap. 3.2.1. 51 Zur Utopie von A . M . Ramsay : Les Voyages de Cyrus, avec une discours sur la Mythologie. Paris 1727. Vgl. Kap. 3.2.1. 52 Vgl. zum folgenden die Teilabdrucke i n Freimaurer-Lexikon, Spalte 497 f. sowie 1277 f.; vgl. dazu auch W. Degener: Andreas Michael Ramsays Reden über die Freimaurerei. Leipzig 1927, S. 29 ff. 53 So zumindest nach der Ansicht v o n Schneider, S. 39. 54 Der Text dieser Passage lautet: „Die wichtigsten Unterscheidungsmerkmale der Menschen sind nicht die Sprachen, die sie sprechen, die Kleider, die sie tragen, die Länder, die sie bewohnen, noch die Würden, die ihnen verliehen wurden. Die Welt ist eine große Republik, i n der jede Nation eine Familie u n d jeder Einwohner eines ihrer K i n d e r ist. W i r w o l l e n alle Menschen v o n aufgeklärtem Geist u n d guten Sitten vereinigen . . . Durch die erhabenen Grundsätze der Tugend, der Wissenschaft, der Religion, i n w e l chen das Interesse der Brüderschaft zum Interesse des ganzen menschlichen Geschlechts w i r d , woraus alle Nationen gründliche Kenntnis schöpfen, u n d die Untertanen aller Königreiche lernen können, sich gegenseitig zu lieben, ohne auf i h r Vaterland zu verzichten. Der Freimaurerorden wurde gestiftet, u m gute Menschen, gute Bürger zu formen, Männer, die ihre Versprechungen hochhalten."
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
samten Menschheit zugute kommen soll 5 5 . Die Freimaurer i n den verschiedenen Ländern vereinigen daher „alle dem Bunde angehörigen Weisen und Künstler, u m Material zu einem universellen Handbuch zu sammeln, das alle freien Künste und Wissenschaften umfassen soll". Ramsay verwies auch darauf, daß „ein solches Werk i n England bereits begonnen" wurde 5 6 . Er verspricht sich von einer derartigen Arbeit folgendes: „Durch Zusammenwirken unserer geeigneten Brüder könnte da i n wenigen Jahren etwas Ausgezeichnetes Zustandekommen. Man erklärt darin nicht nur technische Worte und ihre Ableitung, man gibt darin auch die Geschichte jeder Wissenschaft und jeder Kunst, ihre Grundlehren und die A r t , darin zu arbeiten. Man w i r d so schließlich die Weisheit aller Nationen i n einem einzigen Werk vereinigen, i n einer Universalbibliothek alles dessen, was an Gutem, Großem, Leuchtendem und Nützlichem i n Kunst und Wissenschaft existiert. Ein solches Werk w i r d von Jahrhundert zu Jahrhundert wachsen, w i r d überall Nacheiferung erwecken". Ramsay geht es also u m die Ausarbeitung einer Enzyklopädie der Wissenschaften. Der Erfolg dieser Abhandlung Ramsays, die i n den Logen eifrig erörtert wurde, blieb nicht aus. Durch seinen Plan, das gesamte aufklärerische Wissen i n einem Universallehrbuch für das Menschengeschlecht bereitzustellen, begann die „bataille de Γ encyclopédie" , der Kampf u m eines der größten Werke aller Zeiten. Führer dieses Kampfes wurde der Freimaurer Denis Diderot. Schon 1741, also vier Jahre nach den „Discours" begann er das Werk, dessen erster Band dann 1752 erschien. I m Laufe der Zeit wurde daraus das größte und umfassendste wissenschaftliche Werk der Aufklärung. Diderot wurde i n seinen Bestrebungen rege von freimaurerischen Kreisen unterstützt. M i t der „Encyclopédie" hatte sich die Freimaurerei ein bedeutendes weltanschauliches und politisches Instrument m i t verbindlicher Wirkung geschaffen. Die zeitgenössischen Kommentare verstanden die Enzyklopädie als scharfe Waffe gegen die politische Autorität, d.h. gegen die Intoleranz der katholischen Kirche und gegen den staatlichen Despotismus der Bourbonen. Bemerkenswert ist, daß i n den „Discours" von Ramsay fünfzig Jahre vor der Französischen Revolution bereits der Gedanke einer universel 55 Daher verlangt nach Ramsay der Orden „ v o n jedem v o n uns eine rege Arbeit, die keine Akademie leisten kann, w e i l alle diese Gesellschaften n u r wenige Menschen umfassen, u n d m i t i h r e r A r b e i t ein so ausgedehntes W e r k nicht leisten können". 56 Gemeint ist w o h l hier die 1728 erschienene „Cyclopaedia" v o n Ephraim Chambers.
3.1. Allgemeine Bemerkungen
129
Zen demokratischen Republik ausgesprochen wurde. Daß diese Rede bereits damals schon so verstanden wurde, belegt Eugen Lennhoff 57: „Man kann das Geheimnis der Freimaurer sehr leicht erraten, wenn man prüft, was sie eigentlich machen. Sie nehmen ohne Unterschied die Großen und die Kleinen auf, sie stellen sich alle auf das gleiche Niveau . . . Es ist also sehr wahrscheinlich, daß von einer symbolischen Freimaurerei die Rede ist, deren Geheimnis darin besteht, unsichtbar eine universelle und demokratische Republik zu schaffen, deren Königin die Vernunft, deren höchster Rat die Versammlung der Weisen sein wird." Eine Gegnerschrift kommentierte 1747 die Rede von Ramsay dahingehend, daß sie als Prinzipien „Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit" enthalte, also die Devise, die dann i n der Französischen Revolution ausgesprochen wurde 5 8 . Daß Freiheit und Gleichheit i n der Tat nicht nur Metaphern waren, zeigt sich i n der Zusammensetzung der Logen. Sämtliche Enzyklopädisten und andere große Männer fanden sich i n ihnen ein 5 9 . Neben den bereits erwähnten Montesquieu und Diderot gehörte auch der Philosoph Claude-Adrienne Helvetius den Freimaurern an. Er erlangte insofern eine überragende Bedeutung für die französische Freimaurerei, als er Ramsays Pläne von der Erziehung des Menschengeschlechts durch die Freimaurerei aufgriff und das Ziel verfolgte, Freimaurer und Enzyklopädisten miteinander zu verschmelzen. Er faßte gemeinsam m i t dem berühmten Astronomen und Enzyklopädisten Joseph-Jerome Lalande den Plan zur Gründung einer Wissenschaftsloge, wie sie dann i n den „Noeufs Soeurs" verwirklicht wurde. Die Loge „Noeufs Soeurs" wurde i n der Folge zum geistigen Zentrum der französischen Maurerei, verantwortlich sowohl für ihre Neuausrichtung wie auch für die Politisierung eo. Condorcet, der Mathematiker und Verfasser des „Entwurfes einer historischen Darstellung der Fortschritte des menschlichen Geistes" gehörte zu den Gründungsmitgliedern, ebenso der Musiker und Naturforscher Etienne de Lacépède. Helvetius selbst erlebte die Gründung dieser „Philosophenloge" nicht mehr. Auch Voltaire, der von seinem Tusculum am Genfer See nach Paris zurückgekehrt war, wurde vierundachtzigj ährig i n diese Loge aufgenommen. Man übergab i h m als Zeichen besonderer Ehrung die 57 M i t einem Z i t a t der zeitgenössischen Schrift „ L a Franc-Maconne ou révélation des Mystères des francs-maçons par Madame***", Brüssel 1744, Lennhoff, S. 70. 08 Die Schrift, deren Autorenschaft zweifelhaft ist, „Les Francs-Maçons écrasés" ist bei E. Lennhoff, S. 71 zitiert. 59 Vgl. zum folgenden Freimaurer-Lexikon, Spalte 501 - 505. 60 Vgl. dazu B. Fay: Les esprits révolutionnaires en France et au Etat Unies â la f i n du X V I I I siècle. Paris 1925, S. 97 f.
9 Fischer
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maurerische Bekleidung des Helvetius, von dem er geschrieben hatte: „Ich liebte den Vater des esprit. Dieser Mann war mehr wert als alle seine Feinde zusammen 61 ." A u f Lalande als Stuhlmeister folgte Benjamin Franklin, der Gesandte der dreizehn Vereinigten Staaten von Amerika, der schon i n Amerika ein hoher maurerischer Würdenträger gewesen war. Durch Franklin wurden die Verfassungen der Nordamerikanischen Staaten zum allgemeinen Gesprächsstoff i n der Loge. Diderot und d'Alembert — ebenfalls Logenmitglieder — bezeichneten i h n als Verkörperung praktischer Weisheit. Dieser Loge gehörte Marquis de Lafayette ebenso an wie der Seeheld des amerikanischen Befreiungskrieges, Paul Jones, die Maler Claude-Joseph Vernet und Jean-Baptist Greuze, der Bildhauer Houdon und die Dichter André Chenier und Roucher. Weitere Mitglieder waren neben anderen der A n w a l t des dritten Standes und „Denker der Revolution" Abbé Sieyès, dann Camille Desmoulins , Danton, der Journalist Brissot, der berühmte Chemiker Fourcroy, einer der tatkräftigsten Organisatoren des öffentlichen Unterrichtswesens 62 . Aber auch i n anderen französischen Logen gab es bedeutende M i t glieder, wie Mirabeau, Beaumarchais, den Philosophen Holbach u. a. Die Freimaurerei wurde also i n Frankreich zu einer schlagkräftigen Organisation der Aufklärung. Die Herausbildung der ewigen und unveräußerlichen Rechte der Menschen i n der Unabhängigkeitserklärung von Nordamerika wurde von den französischen Freimaurern als die erste öffentliche Anerkennung ihrer Prinzipien empfunden 63 . Diese Erklärung entsprach den Freimaurern insofern, als sie bestimmte Freiheitsrechte abgrenzte, die dem staatlichen Zugriff entzogen sein sollten. Während Rousseau bereits i n seinen Schriften den Majoritätswillen als konstitutiv ansah, so stellte nun das Individuum die Bedingungen fest, unter denen es i n die Gesellschaft trat, und die es als Recht i m Staat und am Staat beizubehalten wünschte 64 . 61 Z i t i e r t nach Freimaurer-Lexikon, Spalte 685; über die Aufnahme V o l taires berichtet E. Lennhoff, S. 75: „Nachdem dann Voltaire, auf B e n j a m i n F r a n k l i n gestützt, i n den Tempel eingetreten war, beantwortete er eine» Reihe v o n philosophisch-moralischen Fragen u n d leistete den Eid. Hierauf wurde er m i t dem Schurz des verstorbenen Helvetius bekleidet. Voltaire führte i h n an die Lippen, strich m i t zarten Fingern über das Leder, bevor er i h n umband." 62 Z u r Geschichte der Loge der Noeufs Soeurs sowie ihrer Mitglieder vgl. L. Amiable: Une Loge Maçonnique d'avant 1789. La .·. L .·. Les Noeufs Soeurs. Paris 1879. 63 Vgl. M . G. Martin: L a Franc- Maçonnerie Française et la préparation de la revolution. 2. A u f l . Paris 1926, S. 70. 64 Vgl. G. Jellinek: Die E r k l ä r u n g der Menschen- u n d Bürgerrechte. 2. Aufl. Leipzig 1904, S. 53.
3.1. Allgemeine Bemerkungen
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Insofern stimmt es auch, daß die französischen Logen am Vorabend der Revolution „Propagandazellen" der Menschenrechte waren. Als die K l u f t zwischen Idee und Wirklichkeit immer drohender aufriß, gingen die Freimaurer einen Schritt weiter und benutzten ihre Verbindungen zu Klub-, Komitee- und Redaktionsstuben, u m praktische Mittel zur Verwirklichung ihrer Ideen zu erörtern 6 5 . Die Loge der „Noeufs Soeurs" war ζ. B. nicht nur i n geistiger Hinsicht ein Kampf organ gegen den absolutistischen Staat, sondern bildete zugleich ein soziales Gerüst, auf das sich nach dem Emportauchen der radikalen Elemente auch der jakobinische Parteienapparat stützen konnte 6 6 . Sie entfaltete eine breit angelegte Propagandaarbeit für die republikanischen Ideale, die Maurer selber verstanden sich als „Bürger der Freimaurer-Demokratie, die i n Amerika gerade verwirklicht wurde" 6 7 . Zu Beginn der Französischen Revolution war die Freimaurerei i n Frankreich mit knapp siebenhundert Logen weit verbreitet. Ihnen ging es i m wesentlichen u m die Grundsätze der Gerechtigkeit und Wahrheit, der Gleichheit der Rechte, der Freiheit und Brüderlichkeit, wie u m die Beseitigung der ungerechten Privilegien und u m die Emanzipation des Menschen i m allgemeinen. Inwieweit die Freimaurer aber unmittelbar an der revolutionären Planung beteiligt waren, ist und bleibt eine historische Streitfrage 68. Der Ausgangspunkt der deutschen freimaurerischen Bewegung war Hamburg. Auch hier fiel ihr Weltanschauungssystem auf einen fruchtbaren Boden, da der Gegensatz zwischen der hoffnungslosen Enge der deutschen Staaten und der weltumspannenden Weite der aufklärerischen Ideen die Freimaurerei geradezu als Institution eines künftigen Weltbürgertums erscheinen ließ. Die erste Loge wurde 1737 gegründet. Die Beamten der freien Hansestadt Hamburg wußten sich kein rechtes B i l d von dieser neuen Organisation zu machen, zumal man bereits einiges über die „Indifferentisten, Deisten und Libertiner" gehört hatte, die sich Freimaurer nannten. Zunächst beschloß der Senat, die Tätigkeit der Freimaurer durch Verbot abzustellen — ein fruchtloses Bemühen 6 9 . Denn alsbald gehörte 65
Dies ist zumindest die Ansicht v o n Martin, S. 142. Vgl. C. Brinton: Europa i m Zeitalter der Französischen Revolution. W i e n 1939, S. 65 ff. 67 Vgl. Fay , S. 144 ff. u n d 226 f. 68 Vgl. die Übersicht bei Fay , S. 265 ff. 69 Vgl. dazu E. Lennhoff, S. 89; des näheren C. Wiebe: Die große Loge v o n Hamburg u n d ihre Vorläufer. Hamburg 1905. Z u r Freimaurerei i n Deutschland vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 348-363; F. Kneisner: Geschichte der deutschen Freimaurerei, i n ihren Grundzügen dargestellt. B e r l i n 1912; C. C. F. W. υ. Nettelbladt: Geschichte freimaurerischer Systeme i n England, F r a n k reich u n d Deutschland. Vornehmlich auf Grund der Archivalien der großen Landesloge der Freimaurer v o n Deutschland. B e r l i n 1879; F. Runkel: Geschichte der deutschen Freimaurerei. B e r l i n 1931. 66
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auch der Kronprinz Friedrich von Preußen zu den Maurern und bekannte sich nach seiner Thronbesteigung 1740 öffentlich zu diesem Bund 7 0 . Die Freimaurerei wurde also durch den König selbst nach Berl i n gebracht, gleichsam „hoheitlich" eingeführt. Auch seine gesamte Regierungspolitik war i n der Folge vom Ideal der Freimaurerei bestimmt: er erließ Gesetze, die den Geist der Toleranz atmeten, die Folter abschafften und die Zensur einschränkten 71 . Unter Friedrich dem Großen wuchsen i n Deutschland bald eine große Anzahl von Logen 72 . Jedoch gerade hier war die Freimaurerei nicht nur eine Propagandaorganisation der aufklärerischen Philosophie, sie war auch gleichzeitig eine Einbruchsteile mystisch-geheimbündlerischer Strömungen. Man wandte sich teilweise von der rationalistischen Weltanschauung einer oft allzu einseitigen Aufklärung ab, u m sich den dunklen Hintergründen und rätselvollen Nachtseiten des Lebens zu verschreiben. Dies bewirkte ein Chaos freimaurerischer „Systeme" 7 3 . So wollte die „Hochgradmaurerei" zurück zu dem „alten Glauben". I m Zentrum dieses Systems stand die Ansicht, daß es eine geheimnisvoll überlieferte göttliche Offenbarung gebe, und diese von „den wahrhaft Wiedergeborenen fortgepflanzt würde". Die Führer der deutschen Hochgradsysteme, der Freiherr von Hund und der Oberhofprediger Starck ließen sich i n die katholische Kirche aufnehmen. Die Verwandlung der Freimaurerei i n einen geistlichen Ritterorden hatte zahlreiche Reformen zufolge, die etwa ab 1742 nachweisbar sind. Um den Eindruck eines Ritterordens zu erwecken, wurden über die drei Grade der rationalistischen englischen Maurerei, dem Lehrling, Gesellen und Meister, besondere Hochgrade aufgebaut 74 . Diese widersprachen dem republikanisch-demokratischen Prinzip der Maurerei, 70
Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 710 ff. Als bezeichnende freimaurerische u n d für die Epoche kühne Sätze führt Lennhoff, S. 91 folgende an: „Die Religionen müssen alle toleriert werden u n d muß der Fiskal mehr das Auge darauf haben, daß keine der anderen Abbruch tue, denn hier muß ein jeder nach seiner Facon selig werden!" „Der falsche Eifer ist ein Tyrann, die Duldung eine zärtliche Mutter." usw. 72 Die erste österreichische Loge soll 1726 unter der F ü h r u n g des Grafen Sporck i n Prag entstanden sein. 1731 wurde auf jeden F a l l der Gemahl Maria Theresias, Herzog Franz Stephan von Lothringen, der spätere Kaiser Franz I., i m Haag durch eine englische Deputation i n den B u n d aufgenommen. 1742 erfolgte dann die erste Logengründung i n Wien. Vgl. das Stichwort „Österreich" i m Freimaurer-Lexikon, Spalte 1167 ff. 73 Die einzelnen Systeme werden n u r dort erwähnt, w o sie für die Darlegungen unerläßlich sind. Z u r näheren Information vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 351 ff. 74 Damit wurde, laut Freimaurer-Lexikon, persönlicher Eitelkeit, dem Geltungsbedürfnis u n d dem Hängen an Äußerlichkeiten T ü r u n d Tor geöffnet. Vgl. Spalte 702. 71
3.1. Allgemeine Bemerkungen
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das auf voller Gleichberechtigung aller Teilnehmer des Bundes gründete. I n Deutschland lassen sich die Hochgrade, die die Brüder niederer Grade m i t Hilfe von Alchemie, Astrologie und Magie zu leiten verstanden, erstmals u m 1744 i n Hamburg nachweisen. Das bedeutendste deutsche Hochgradsystem wurde die „Strikte Observanz" 75. Die Forderung des unbedingten Gehorsams der niederen Grade gegenüber den höheren gab den Zeitgenossen, wie ζ. B. dem Freimaurer Joachim Johann Bode zu der Vermutung Anlaß, daß die Jesuiten die geheimen Oberen der Hochgradmaurerei seien 76 . Das Protektorat der über ganz Europa verbreiteten „Strikten Observanz" hatte ab 1772 der Herzog Ferdinand von Braunschweig inne. I m Rahmen dieses Systems spielte Hans Rudolf von Bischoffswerder eine bedeutsame Rolle. Er gründete nämlich innerhalb der „Strikten Observanz" den Zirkel der „Gold- und Rosenkreuzer". Grob gesprochen kann man sagen, daß sich i n Deutschland humanitäre, rationalistische Freimaurerei als eine Macht der Aufklärung und Hochgradfreimaurerei als eine Macht der Reaktion nunmehr gegenüberstanden. Der ursprüngliche Zwang zum Geheimnis hatte sich i n dem deutschen Logenwesen gleichsam verselbständigt. Er war einem Trend zur Mystifikation gewichen, der dem Glauben an eine allmächtige, geheime u n d indirekte Herrschaft jenseits des Staates Vorschub leistete. Durch die verschiedenen Grade der Geheimhaltung wurde ein Schleusensystem geschaffen, das nach innen, i n die Maurerei hinein und innerhalb der Systeme nach oben hin, offen war, aber nicht nach unten und außen. Das Geheimnis wurde damit aber auch zu einem Herrschaftsinstrument. I n der Folge beschränken w i r uns nur auf die rationalistischen Elemente der deutschen Freimaurerei, da auf die A n t i t h e t i k von progressiven und reaktionären Logen sowie ihre institutionellen Besonderheiten i n einem speziellen Kapitel eingegangen wird. I n diesem Rahmen soll noch der wesentliche Protagonist und Theoretiker der deutschen Freimaurerei kurz behandelt werden: Gotthold Ephraim Lessing. Lessing glaubte i n der Freimaurerei eine Einrichtung zu sehen, die i n der sittlichen Natur des Menschen begründet sei und eine notwendige Funktion i m Prozeß der „Erziehung des Menschengeschlechts" erfülle. Lessing gehört, wie kaum ein anderer, zur geistigen Elite der Aufklärung, der „die polemische Funktion ihres Begriffsinstrumentariums durchschaut und mitgedacht h a t " 7 7 . Er erkannte nicht nur die eminente politisch-theoretische Bedeutung der Aufklärung, sondern 75 76
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Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 1520 ff. Vgl. Schneider, S. 54.
Koselleck, S. 69.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
ebenso sehr die institutionelle Bedeutung des Freimaurertums ganisation zur praktischen Umsetzung der Aufklärung 7 8 .
als Or-
Lessing faßte nach Studienversuchen 1748 den Entschluß, den freien Schriftstellerberuf als Existenzgrundlage zu wählen. Er geht nach Berlin, w i r d zunächst freier Mitarbeiter und dann Feuilletonredakteur bei der „Berlinischen Privilegierten Zeitung", „Vossens Zeitungsschreiber" wie es allgemein hieß 7 9 . Die „Vossische Zeitung" brachte schon sehr früh Berichte über die Freimaurerei, vor allem über die Vorgänge i n Frankreich 8 0 . Erste Schriften entstehen i n Berlin, so auch das Trauerspiel „Samuel Henzi". Der demokratische Berner Journalist und Offizier Henzi zettelte eine Verschwörung gegen das Berner Willkürregiment einiger weniger patrizischer Familien an. Als dies entdeckt wurde, wurde Henzi zunächst gefoltert und dann hingerichtet. Viele Indizien sprechen dafür, daß Henzi Mitglied der Freimaurer war. 1744 kam es zu Untersuchungen gegen Logen i m Bernischen Unterland Wadt, die dann 1745 zum Verbot der Freimaurerei führten. Den Freimaurern wurde allgemein radikal republikanische bzw. demokratische Gesinnung vorgeworfen. 1746 erschien dann eine Reihe von Abwehrschriften gegen das Verbot, an denen Henzi mutmaßlich beteiligt war. Lessing verarbeitete m i t dem Bruchstück des Trauerspiels „Samuel Henzi" einen politischen Gegenwartsstoff zu einer republikanischen Tragödie. I n diesem Stück nimmt Lessing ganz unter dem Eindruck der Ereignisse Partei für die republikanisch-demokratische Gesinnung, für Humanität und gegen Tyrannei und Willkürherrschaft 8 1 . 78 Vgl. dazu H. Heine: Z u r Geschichte der Religionsphilosophie i n Deutschland. I n : H. Heine: Beiträge zur deutschen Ideologie. M i t einer Einleitung v o n H. Mayer. Frankfurt, Wien, B e r l i n 1971, S. 67, sowie F. Mehring: Die Lessing-Legende. Hrsg. nach der 2. A u f l . v o n 1906 m i t einer Einleitung versehen v o n R. Gruenter. F r a n k f u r t a. M., Berlin, W i e n 1972, S. 32. Dazu auch H. Schneider: Lessing. Z w ö l f biographische Studien. 1951; insbesondere das K a p i t e l „Lessing u n d die Freimaurer" sowie die kritische Studie über die Entstehung v o n „Ernst u n d F a l k " . 79 Aus der Fülle der Lessing-Literatur vgl. W. Drews : Lessing. Reinbek b. Hamburg 1962; W. Ritzel: Lessing. Dichter — K r i t i k e r — Philosoph. München 1978; F. Bauer: Gotthold Ephraim Lessing. Das Erwachen des bürgerlichen Geistes. B e r l i n 1949; sowie die Dokumentation J. W. Braun (Hrsg.): Lessing i m Urteile seiner Zeitgenossen. Zeitungskritiken, Berichte u n d Notizen, Lessing u n d seine Werke betreffend, aus den Jahren 1747 - 1781. 3 Bde., B e r l i n 1884 - 1897. Z u Lessings journalistischer Tätigkeit vgl. E. Conventius: Lessing u n d die Vossische Zeitung. Leipzig 1902; H. Traub: Lessings A n t e i l am periodischen Schrifttum seiner Zeit. Eine zeitungswissenschaftliche Betrachtung. München 1929. 80 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 1661 f. 81 Vgl. M . Krebs: Henzi u n d Lessing. Neujahresblatt der literarischen Gesellschaft, Bern 1903; E. Jenal: Lessings Samuel Henzi. I n : Schweizer Monats-
3.1. Allgemeine Bemerkungen
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Wolfgang Drews wertet i n seiner Lessing-Biographie dieses Stück dahingehend, daß es zwar „kein literarisches Phänomen, keine Dichtung von Bang, kein ästhetischer Wert" ist, wohl aber „ein Politikum ersten Ranges". Das Theater w i r d für den jungen Lessing zur politischen Bühne, es soll die aufgeklärten Zeitgenossen moralisch entflammen. Ein derartiges Verfahren politischer Stellungnahme ist neu, j a revolutionär. Lessing wurde „ein Entsetzen für loyale Dramaturgen, die nur gekrönten Köpfen den Sturz i n die Tragik zubilligen" 8 2 . Berlin ist auch der Ort, wo Lessing seine ersten engen Kontakte zu den Freimaurern hatte: Er stand i n regem Verkehr m i t einer Reihe von Schauspielern, die Freimaurer waren, und mit seinem Verleger, dem Freimaurer Christian Friedrich Voss. Er pflegte Umgang mit dem dichtenden preußischen Major Ewald von Kleist, der ebenso Freimaurer war wie Lessings intimer Freund, der Popularphilosoph und Buchhändler Christoph Friedrich Nicolai. Gerade Nicolai versuchte ja größtenteils, den Kampf u m die Aufklärung über die Institution der Freimaurerei zu führen 8 3 . Fest steht auch, daß Lessing m i t seinem Freund Moses Mendelssohn das Thema der Freimaurerei diskutierte 8 4 . Von 1760 bis 1765 ist Lessing Sekretär bei dem freimaurerischen Grafen von Wittenberg, dem General Immanuel von Tauentzien i n Breslau 85 . I n dieser Zeit intensivierte Lessing vor allem seine philosophischen Studien 8 6 . Nach einem zweijährigen Berlinaufenthalt w i r d hefte für P o l i t i k u n d K u l t u r . Heft 9, 1930, S. 306 ff. Lessing n i m m t dann dieses Bruchstück auch i n die erste Sammlung seiner Schriften auf. 82 Drews , S. 50 - 52. 83 Vielleicht liegt sogar Nicolais Bedeutung darin, daß er derjenige zentrale Freimaurerideologe Preußens war, der sich s t r i k t gegen den Mystizismus wandte u n d damit auch gegen die „Gold- u n d Rosenkreuzerei", die ein Sammelbecken der reaktionären preußischen K r ä f t e war. E i n I n t i m f e i n d Nicolais w a r insbesondere der Gegenaufklärer Johann Christoph von Wöllner. I n Ansätzen wurde Lessing bereits m i t den Machtkämpfen u n d I n t r i g e n der weitgehend liberal u n d fortschrittlich orientierten Freimaurer gegen die konservativen „Gold- u n d Rosenkreuzer" vertraut. Vgl. Kap. 4. 84 F. v. Biedermann (Hrsg.): Gotthold Ephraim Lessings Gespräche m i t sonstigen Zeugnissen aus seinem Umgang. B e r l i n 1924, S. 148. — I n die frühe Berliner Zeit fällt auch Lessings bekanntes Gedicht „Das Geheimnis". Der Bauernjunge Hans w i l l seinem Beichtvater ein Geheimnis nicht enthüllen. Endlich nach langem Drängen, gibt er sein Geheimnis preis: Es ist ein Vogelnest. Daran schließt sich die Fabelmoral v o n einem „ d r o l l i g V o l k , das schon seit manchen Jahren die Neugier auf der Folter h ä l t " , m i t der bissigen Schlußfolgerung: „ W a r das der Mühe wert, daß i h r es m i r gesagt u n d ich es von euch begehret." U n w i l l k ü r l i c h ist man an die ähnlichen rhetorischen Figuren erinnert, m i t der Johann Valentin Andreae der „Fama" u n d Geheimniskrämerei u m das Rosenkreuzertum entgegenwirken w i l l . 85 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 1556. 88 Hierher gehört v o r allem seine Leibniz-Beschäftigung, wodurch Lessing mutmaßlich erstmals auf die „ursprünglichen" Rosenkreuzer aufmerksam w i r d ; auch der verfemte Spinoza beginnt i h n zu interessieren u n d es ist
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
er dann 1767 für drei Jahre Dramaturg und hauseigener K r i t i k e r des Hamburger Nationaltheaters. Zu seinen guten Freunden zählen die Maurer-Dichter und Schriftsteller Herder, Klopstock und Claudius 97. Die Freimaurer-Metropole Hamburg ist für Lessing eine weltoffene Bürgerstadt, i n der nicht Gottesgnadentum, sondern bürgerliche Tüchtigkeit und Erwerbssinn regieren 88 . Neben seiner dramaturgischen Tätigkeit w i r d Lessing Verlagsbuchhändler und Johann Joachim Christoph Bode sein Partner. Bode, Sohn eines Taglöhners, war von 1762 bis 1763 Redakteur des „Hamburgischen Korrespondenten". Durch Heirat vermögend geworden, errichtete er eine Buchdruckerei und Verlagsanstalt. Er gibt fremde und eigene Werke heraus, so auch Goethes „Götz", Lessings „Hamburgische Dramaturgie" und Klopstocks „Oden" sowie Friedrich Ludwig Schröders „Hamburgisches Theater" und die Zeitschrift „Der Wandsbecker Bote", dessen Leitung er seinem Freund Matthias Claudius übertrug 8 9 . Bode selbst war exponierter Freimaurer und wurde durch den Freiherrn von Knigge i n den Illuminatenorden aufgenommen. Nach dreijähriger Tätigkeit als Dramaturg quittierte Lessing seinen Dienst. Darauf übernimmt er seine erste und einzige beamtete Stelle, nämlich die eines Bibliothekars m i t Hofratstitel an der berühmten Wolfenbüttler Bibliothek. Der Herzog von Braunschweig, zwielichtiger A n hänger und Protektor der Freimaurer, hat Lessing dorthin berufen. Bereits i n Berlin hatte Lessing freimaurerische Kontakte und i n Hamburg nahm er an den Interessen und Tätigkeiten seines Freundes Bode regen Anteil. Er äußerte schließlich den Wunsch, selbst Freimaurer zu werden 9 0 . Von den Bemühungen des Dichters u m Aufnahme durchaus Lessing, der vor Herder u n d Goethe Spinoza für die deutsche L i t e r a t u r fruchtbar macht. Vgl. K. Vorländer: Die Philosophie unserer Klassiker. B e r l i n u n d Stuttgart 1923, S. 12 f. 87 Vgl. die einschlägigen Stichworte i m Freimaurer-Lexikon. 88 I n Hamburg befreundet sich Lessing m i t den K i n d e r n des Religionsphilosophen u n d Gymnasiallehrers Samuel Reimarus, diskutiert m i t dem Hauptpastor Johann Melchior Goeze. Aus dem Nachlaß v o n Reimarus gibt Lessing die „Fragmente eines Unbekannten" zwischen 1774 u n d 1778 heraus. W o h l die glänzendste Kampfschrift der deutschen Sprache ist der „ A n t i Goeze" v o n 1788, ein D e n k m a l einer rückhaltlosen Freundschaft, die sich i n Verteidigung u n d A n g r i f f manifestiert. Des näheren vgl. dazu K. Vorländer, S. 26 - 37. 89 Bode w a r nicht zuletzt durch seine Übersetzungen, insbesondere durch die v o n Montaigne u n d Lawrence von Sterne bekannt; über Bodes Leben vgl. Ζ. A . Öttinger: Johann Joachim Christoph Bodes literarisches Leben. I n : Michel Montaigne: Gedanken u n d Meinungen über allerlei Gegenstände. Ins Deutsche übersetzt v o n J. J. Bode, W i e n u n d Prag 1797 - 1802, 7 Bde., Bd. 6, Anhang, sowie Freimaurer-Lexikon, Spalte 196 ff. 90 Hierfür schreibt Bode i n der deutschen Übersetzung des Buchs v o n Nicolas Borneville „Die Jesuiten vertrieben aus der Freimaurerei . . . " , Leipzig 1788, i n einer A n m e r k u n g : „Der Übersetzer, der lange Zeit m i t Lessing i n
3.1. Allgemeine Bemerkungen
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erfuhr der ehemalige preußische Hauptmann Georg Johann Freiherr von Rosenberg, der i n Hamburg die Winkelloge „ Z u den drei Rosen" gegründet hatte, die sich später der Landesloge unterstellte. Lessing hatte ja mittlerweile i n Wolfenbüttel i m Dienste der FreimaurerHerzoge von Braunschweig reichlich Veranlassung gehabt, sich mit der Maurerei theoretisch zu beschäftigen. Als er 1771 auf einer Urlaubsreise nach Hamburg kam, zeigte er Bode ein Manuskript mit dem Titel „Der wahre Orden der Freimaurer aus den ältesten Urkunden hergeleitet und m i t Gründen bewiesen". Bode lehnte jedoch den Druck ab, ebenso i m Oktober desselben Jahres Nicolai i n Berlin. Von diesem A u f satz erfuhr aber auch Rosenberg und es entwickelte sich u m die Person Lessings ein eigentümliches Intrigenspiel. Während Freunde wie Bode i h m vom E i n t r i t t i n die Loge abrieten, nicht zuletzt deswegen, weil sie einen derart kritischen Geist i n die teilweise desolaten Logenverhältnisse nicht einführen wollten, ist Rosenberg wie versessen darauf, den berühmten Schriftsteller und K r i tiker, den er nur ganz oberflächlich kennt, für die Loge zu gewinnen. So schreibt er am 7. September: „Ich stelle alles mögliche an, i h m habhaft zu werden und habe i h m sogar versprechen lassen, gratis zu rezipieren." A m 14. Oktober 1771 kommt es zur Aufnahme Lessings. Bode berichtet darüber folgendes: „Denselben Abend nach der Aufnahme sagte dieser Herr von Rosenberg zu Lessing: ,Nun, sehen Sie doch, daß ich die Wahrheit gesagt habe. Sie haben doch nichts wider die Religion oder den Staat gefunden!' Hier kehrte sich Lessing, der etwas wie Langeweile gefühlt haben mochte, u m und sagte: ,Ha! Ich wollte, ich hätte dergleichen gefunden, das sollte m i r lieber sein 91 .'" Lessing war zutiefst enttäuscht über die Harmlosigkeit der deutschen Maurer. Aber dennoch erkannte Lessing das Politikum des Maurergeheimnisses wie kaum ein anderer. Davon zeugt vor allem seine Schrift über die Freimaurerei „Ernst und Falk". wahrer Vertraulichkeit gelebt hat, ist es seiner Asche schuldig, folgendes zu sagen: Lessing sagte zu einem Meister v o m Stuhle der S t r i k t e n Observanz, er wisse das Geheimnis der Freimaurerei, ohne eingeweiht zu sein, u n d wolle darüber schreiben. Dieser Meister v o m Stuhl antwortet: ,Lessing, ich möchte nicht gerne i n irgendeiner Wissenschaft i h r Gegner sein, aber hier wissen sie so wenig, daß ich es leicht haben würde, meinen Speer gegen sie aufzunehmen 4 . Lessing meinte freilich, das sei n u r die Sprache eines Meisters v o m Stuhl. Indessen brachte i h n d o d i der ernsthafte T o n seines Freundes dahin, u m die Aufnahme zu ersuchen. Der Meister v o m Stuhl gab i h m die A n t w o r t : ,16h wüßte keinen Mann, den ich lieber zum Bruder hätte als sie. Aber ich muß es ihnen deswegen platterdings abraten, sich aufnehmen zu lassen, w e i l die Fortschritte i n unserem System zu langsam für i h r A l t e r u n d für i h r e n feurigen Charakter'." Z i t i e r t nach Freimaurer-Lexikon, Spalte 916 f. 91 Über diese verunglückte Aufnahme berichtet das Freimaurer-Lexikon, Spalte 917 f.
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M i t dieser Arbeit setzen sich die führenden deutschen Aufklärer auseinander, so ζ. B. Born, Campe, Hamann, Herder, Jacobi, Lichtenberg, Mendelssohn, Nicolai, Reimarus. Die Behandlung dieser Schrift ist für das Verständnis des deutschen Maurertums unumgänglich 92 . Falk, m i t dem sich Lessing identifiziert, ist der Eingeweihte, der Maurer, Ernst hingegen ist Adept, begehrt Aufklärung über den Bund. Falk gibt i h m zu verstehen, daß es, u m ein wahrer Maurer zu sein, nicht genügt, einmal i n einer Loge aufgenommen worden zu sein, sondern daß es notwendig ist, daß man „einsehe und erkenne, was und warum die Freimaurerei ist, wann und wo sie gewesen, wie und wodurch sie gefördert oder gehindert w i r d " . Dazu müsse man durch eigenes Nachdenken gelangen. Denn: „Die Freimaurerei ist nichts W i l l k ü r liches, nichts Entbehrliches, sondern etwas Notwendiges, das i n den Wesen der Menschen und der bürgerlichen Gesellschaft gegründet ist." Die Maurer breiten sich „durch Taten" aus. Aber nicht durch philantropische und pädagogische Tätigkeit zeichnen sich die Maurer vor den anderen Menschen aus, denn die praktizierte Moral gehört zur Exoterik, sondern durch Taten ganz anderer Art: „Ihre wahren Taten sind ihr Geheimnis", stellt Falk, der Eingeweihte fest. Ohne auf das Geheimnis näher einzugehen, w i r d zunächst das Arbeitsfeld der wahren Taten der Maurer umrissen: „Die wahren Taten der Freimaurer sind so groß, so weit aussehend, daß ganze Jahrhunderte vergehen können, ehe man sagen kann: ,Das haben sie getan'. Gleichwohl haben sie alles Gute getan, was i n der Welt ist — merke wohl: I n der Welt — und fahren fort, an all dem Guten zu arbeiten, was noch i n der Welt werden w i r d — merke wohl: i n der Welt." Die Welt ist also das Planungsfeld der Freimaurer und Lessing w i l l damit ausdrücken, daß jeder Maurer als Weltbürger handeln muß, nicht als Logenmitglied, nicht als „Sektierer" und daß die wahren Taten der Freimaurer, so sehr sie ein „Geheimnis" sind, der Menschheit offen liegen. 92 Diese Gespräche für Freimaurer sind 1778 (drei Gespräche) u n d 1780 (die zwei weiteren) erschienen, u n d zwar ohne Bezeichnung des Autors m i t einer Würdigung an den Herzog Ferdinand v o n Braunschweig. Der Veröffentlichung dieser Gespräche ging ein Briefwechsel m i t dem Herzog voraus. Lessing sandte i m J u l i 1778 die Urschrift an den Herzog, der dafür dankte u n d sorgsamste Aufbewahrung zusicherte. A m 19. Oktober schrieb Lessing, er habe die Gespräche drucken lassen. Darauf äußerte der Herzog sein Bedenken wegen der Veröffentlichung und bedauerte, daß nicht vorher seine Z u stimmung eingeholt wurde. Lessing entschuldigte sich u n d Schloß seinen Brief m i t den Worten: „Werde ich verstanden, so b i n ich gerechtfertigt. Werde ich nicht verstanden, so habe ich nicht geschrieben." (FreimaurerLexikon, Spalte 919.) Die Schrift „Ernst u n d Falk" w i r d zitiert nach der Ausgabe G. E. Lessing: Werke. Hrsg. v. H. Laube, 5 Bde., Wien - Leipzig - Prag, o. J., Bd. 4/5, S. 226-250. A u f Seitenangaben dieser kurzen, aber doch so wichtigen „Freymäurergespräche" w i r d verzichtet. I n vielem lehne ich mich i m folgenden an die mustergültige Interpretation dieser Schrift von Koselleck, S. 69 - 74, an.
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Die Welt ist durch drei Grundübel gekennzeichnet, „die die unauflöslichsten Einwürfe wider Vorsehung und Tugend zu sein scheinen". Es ist dies die Aufsplitterung der Welt i n verschiedene Staaten, die sich durch „Klüfte" und „Scheidemauern" gegenseitig abgrenzen und aufgrund verschiedener Interessen immer wieder i n „Collision" geraten. Das zweite Übel sind die Schichtungen, die sich durch die ständische Gliederung innerhalb der Staaten ergeben, und das dritte schließlich ist die Trennung der Menschen durch die verschiedenen Religionen. Damit liefert Lessing einen Aufriß der drei Hauptangriffspunkte der kosmopolitischen Freimaurer: Staaten, Stände, Kirchen. Jedoch zeigt Lessing, daß die aufgezählten Übel, die sich aus der menschlichen Verschiedenheit, ihren Grenzsetzungen und ihren Trennungen ergeben, keine Zufälligkeiten sind, die auch unterbleiben oder beseitigt werden können, sondern, wie Koselleck betont, sie gehören zur Struktur der geschichtlichen Realität. Die menschliche Verschiedenheit ist ihren historischen Manifestationen, den Staaten, Schichtungen und Religionen ontologisch vorgeordnet. Lessing erläutert: „Wenn jetzt ein Deutscher, einem Franzosen, ein Franzose einem Engländer oder umgekehrt begegnet, so begegnet nicht mehr ein bloßer Mensch einem bloßen Menschen, die vermöge ihrer gleichen Natur gegeneinander angezogen werden, sondern ein solcher Mensch begegnet einem solchen Menschen, die ihrer verschiedenen Tendenz sich bewußt sind, welche sie gegeneinander kalt, zurückhaltend, mißtrauisch macht, noch ehe sie für ihre einzelne Person das geringste miteinander zu schaffen und zu teilen haben." Es gibt „Übel, ohne welche auch der glücklichste Bürger nicht sein kann" und vor allem der Staat und seine Herrschaftsstruktur gehören zu solchen Übeln, denen der Mensch nicht entrinnen kann. Es liegt i m Wesen der bürgerlichen Gesellschaft und nicht erst des Staates, daß ihre Verfassung „ganz ihrer Absicht entgegen" Grenzen zieht und Unterschiede festlegt, daß sie „die Menschen nicht vereinigen kann, ohne sie zu trennen". Ähnliches gilt für die Verfassungen der Staaten selbst: „Unmöglich können alle Glieder desselben unter sich das nämliche Verhältnis haben. — Wenn sie auch alle an der Gesetzgebung Anteil haben, so können sie doch nicht gleichen A n t e i l haben, wenigstens nicht gleich unmittelbaren Anteil. Es w i r d also vornehmere und geringere Glieder geben." Derartige Differenzen herrschen auch i n Besitz und Eigentum. Lessing kommt zum Resultat, daß die Menschen „nur durch Trennung zu vereinigen" sind, „nur durch unaufhörliche Trennung i n Vereinigung zu erhalten. Das ist nun einmal so. Das kann nun nicht anders sein".
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Die Freimaurerei ist eine gewaltige Bewegung gegen die „unvermeidlichen Übel". Gegen die grundsätzlich „nachteiligen Dinge" anzugehen — und nicht nur gegen historisch bedingte Mängel, etwa einer bestimmten Staatsverfassung — ist die eigentliche und wahre Tätigkeit der Maurer. Sie sind „Leute, die es freiwillig über sich genommen haben, den unvermeidlichen Übeln des Staates entgegenzuarbeiten". Die „Unvermeidbarkeit" der Staaten und sozialer Differenzen und damit auch der Politik w i r d von den eingeweihten Maurern anerkannt: aber ihre Absicht richtet sich darauf, alle jene Übel, die mit der Politik unentrinnbar gegeben sind, „nicht größer einreißen zu lassen, als die Notwendigkeit es erfordert. I n Absicht, ihre Folgen so unschädlich zu machen, als nur möglich". Die Maurer kreuzen also, wenn auch m i t moralischer Zielsetzung, zwangsläufig den Bereich der staatlichen Politik. M i t der gleichen Notwendigkeit, wie die Übel der Politik gegeben sind, gehen die Maurer gegen sie an. Damit hat Lessing die historische Ausgangssituation der bürgerlichen Geheimverbände i n ihre geschichtliche Bestimmung verwandelt. Die Arbeit der Maurer ist politisch, auch und gerade weil die Zielsetzung nur moralisch ist. Das geheime Gebot der Moral fordert, das politisch Unmögliche zu versuchen. Die tugendhaft vollendete bürgerliche Gesellschaft, die sie als Brüder bereits verkörpern, ist für sie der Endzweck der Natur. I n eindrücklicher Kürze hält Lessing fest: „Ordnung muß also doch auch ohne Regierung bestehen können." — „Wenn jedes einzelne sich selbst zu regieren weiß, warum nicht?" — „Ob es wohl auch einmal mit den Menschen dahin kommen wird?" — „Wohl schwerlich!" — „Schade!" — „Jawohl!" Das kosmopolitische System moralischer Zwecke läßt die herrschende Staatsordnung als untergeordnetes M i t t e l für die bürgerliche Gesellschaft erscheinen, als Mittel „für die Menschen". „Die wahren Taten der Freimaurer", die also ihr Geheimnis sind, „zielen dahin, größtenteils alles, was man gemeiniglich gute Taten zu nennen pflegt, entbehrlich zu machen." Die Maurer kämpfen exoterisch gegen die täglichen Übel, erheben sich aber auch als Esoteriker über die Alltagsfront von Gut und Böse zugleich. Durch die Eliminierung des Bösen verliert das Gute seinen Sinn, insofern es selbstverständlich wird. Dies ist der beabsichtigte esoterische Annäherungswert freimaurerischer politischer Zielsetzung. Das moralische Fernziel, als solches scheinbar unverdächtig, muß früher oder später, jedenfalls zwangsläufig zur Wurzel allen Übels vorstoßen, und dies heißt geschichtlich konkret gesehen, mit dem Bereich der staatlichen Politik i n Konflikt geraten. Die moralische Tätigkeit der
3.1. Allgemeine Bemerkungen
141
Maurer ist einerseits nur möglich aufgrund der „unvermeidlichen Übel des Staates", richtet sich aber andererseits gegen diese. Nach Koselleck ist das Wissen um diese Dialektik das politische Arcanum der Maurer. Zu den vorher erwähnten Funktionen des Arcanums, die moralische Arbeit der Maurer zu schützen und zu ermöglichen, t r i t t also eine weitere Funktion, den indirekt politischen Charakter dieser Arbeit zu verbergen. „Das Totale der einzelnen Glückseligkeit aller Glieder ist die Glückseligkeit des Staates", sagt Falk zu seinem Adepten. „Außer dieser gibt es gar keine." Er fährt fort: „Jede andere Glückseligkeit des Staates", wo auch nur „einzelne Glieder leiden und leiden müssen, ist Bemäntelung der Tyrannei. Anderes nichts"! Die Widersprüchlichkeit von moralischer Totalität der Gesellschaft und all dem, was sich ihr nicht fügt, w i r d aufgezeigt. Der Gegensatz zwischen den kosmopolitischen Gesetzen und den unvermeidlichen Übeln des Staates treibt also auf einen radikalen Dualismus zu. „Ich möchte das nicht so laut sagen" entgegnet Ernst. „Warum nicht?" Ernst: „Eine Wahrheit, die jeder nach seiner eigenen Lage beurteilt, kann leicht mißbraucht werden." I n der konkreten Anwendung der moralischen Totalitätsvorstellung auf die staatliche Wirklichkeit liefert die Wahrheit der Moral einen Rechtstitel, der gefährlich wird, sowie er i n die falschen Hände gerät. Daß das Politikum der Moral besser verschwiegen wird, ist die Erkenntnis von Ernst, die ihn bereits initiiert. Falk: „Weißt Du, Freund, daß Du schon ein halber Freimaurer bist?" — „Ich?" — „Du. Denn Du erkennst schon Wahrheiten, die man besser verschweigt." — „Aber doch sagen könnte", wendet Ernst ein. „Der Weise kann nicht sagen, was er besser verschweigt." Lessing macht also keineswegs ein Geheimnis aus der inhaltlichen Zielsetzung, aus der moralischen Endabsicht der Maurer, sondern das Geheimnis verbirgt nur die politische Konsequenz. Da die menschlichen Trennungen und Klüfte ontologische Gegebenheiten sind, kann man sie nur „überbrücken", nicht aber beseitigen. Sie „völlig beheben", hieße „den Staat mit ihnen zugleich vernichten". Daß die Grenzen i n der Durchführung der moralischen Planung zwangsläufig überschritten werden, ist das Wissen des eingeweihten Falk, daß die Moral dabei zwangsläufig zu einem Politikum wird, daß man gerade dieses besser verschweigt, ist die Wahrheit, die Ernst erkennt. Das Geheimnis der Maurer impliziert also keine direkten Umsturzpläne, aber es verschleiert die politische Konsequenz der moralischen Pläne, die sich gegen den absolutistischen Staat richten. Daß der Kampf gegen diese unvermeidlichen Übel der Welt, die Staaten, sich unbemerkt, unsichtbar und leise vollzieht, ist die Aufgabe nur „würdiger
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Männer", ist das Geheimnis, die Esoterik der Maurerei. Für Lessing sollte die Freimaurerei die geistige Vormacht sein, der die „Erziehung des Menschengeschlechts" anvertraut ist. Seine Vorstellungen darüber hat ja Lessing i n hundert Paragraphen niedergelegt 93 . Die Freimaurerei w i r d also zur Organisation der Aufklärung, zunächst mit dem Zweck, Vernunft und dann auch die Utopie einer grenzenlosen menschlichen Glückseligkeit durchzusetzen. Dieser Glaube und seine oft blinde Zuversicht waren nicht vermittlungslos entstanden, sondern reichen i n den Renaissanceutopismus und die Anfänge der Rosenkreuzerbewegung zurück. Die Freimaurerei gab der bürgerlichen Opposition die wesentliche moralische Stoßkraft im Kampf gegen den absolutistischen Staat. Schon der Historiker Barthold Georg Niebuhr hat i n seiner Geschichte der Revolutionszeit bemerkt, daß lange vor der Französischen Revolution Freiheit und Gleichheit programmatische Grundlagen der Logen gewesen seien 94 . Die Menschenwürde des Naturrechts w i r d i n der Maurerei als Recht des Individuums zur politischen Teilnahme am Staat interpretiert. Die politische Freiheit rückt ins Zentrum der Aufklärung. So fordert der Freimaurer Georg Heinrich Sieveking, die traditionelle Verkleidung der freimaurerischen Ideen zu beseitigen und offen zu bekennen, daß die Forderung der Freiheit und Gleichheit die eigentlichen politischen Programmpunkte seien, die praktisch verwirklicht werden sollen 95 . Freimaurer und Aufklärer verstehen unter Freiheit etwas ebenso heterogenes wie unter „Aufklärung", wovon i m folgenden noch die Rede sein wird. Je nachdem orientieren sie sich mehr nach „vorwärts" oder mehr nach „rückwärts": h i n zur radikalen Utopie, zur demokratischen Republik oder zu liberalen Formen der konstitutionellen Monarchie; zurück zur konservativen Tradition der „alten deutschen Freiheit" i n der ständischen Selbstverwaltung 9 6 . Gleichviel: die parteipolitische Spaltung der modernen bürgerlichen Gesellschaft beginnt. Die deutsche Aufklärung bleibt durch das ganze 18. Jahrhundert von der politischen und Ideengeschichte Frankreichs abhängig. Gerade die Utopie als bewußtseinsleitender Wert der Aufklärung findet i n der französischen Literatur eine hervorragende Ausprägung. 93 Vgl. Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts u n d andere Schriften. M i t einem Nachwort v o n H. Thielicke, Stuttgart 1965, S. 7 - 31. 94 Vgl. B. G. Niebuhr: Geschichte des Zeitalters der Revolution. Bd. 1, Hamburg 1845, S. 76. 95 H. Sieveking: Georg Heinrich Sieveking. B e r l i n 1913, S. 27. 98 Vgl. F. Valjavec: Die Entstehung der politischen Strömungen 1770 bis 1815. München 1951, S. 22 f.
3.2. Der Aufbruch i n die Z u k u n f t
143
3.2. Der Aufbruch in die Zukunft Die Renaissance hatte wesentlichen Bestandteilen der politischen Philosophie der Antike wieder Geltung verschafft: A u f der einen Seite dem Naturrecht mit seinen Idealen der Freiheit und Gleichheit, auf der anderen Seite der utopischen Staatsphilosophie. Diese hatte ja selbst eine lange Tradition. Bereits Isokrates erwartete 400 v. Chr. die ideale Gemeinschaft von denen, die „verbessern wollten und wagten, zu verändern, was sich nicht gut verhalte" 1 . Piaton hat sich mehrmals m i t utopisch-staatskritischen Modellen beschäftigt, so i m „Timaios", i m „Kritias", vor allem aber i n der „Politeia" und den „Nomoi". Plutarchs „Leben des Lykurg" hatte vielfältiges Material für staatstheoretische und utopische Konstruktionen geliefert 2 . Auch Iambulos „Sonneninseln", die w i r freilich nur aus der kurzen Zusammenfassung des Diodorus Siculus kennen, haben eine bedeutende Rolle gespielt. Gewiß hat diese Tradition die Renaissanceutopien von Morus, Andreae, Campanella und Bacon beeinflußt. Angeregt durch letztere kommt es zu Ende des 17. und vollends i m 18. Jahrhundert zu einer Fülle von utopischer Literatur, die i n der beliebten Darstellung phantastischer Reiseabenteuer ihre gemäße Form fand. Jenseits der Meere bei den primitiven Naturvölkern glaubte man die ursprüngliche Gemeinschaft des „Goldenen Zeitalters" noch erhalten. Dabei handelt es sich nicht u m eine sentimentale Literaturgattung des Bedauerns und des Heimwehs nach diesem Zeitalter, vielmehr: Alles w i r d gegen den Horizont der Zukunft h i n entworfen, zur Utopie, zur imaginären Einrichtung einer versöhnten Welt. Der christliche „profectus" — zunächst ein transhistorischer Begriff, mit dem sich die Kirche als Sachwalterin des „letzten Zeitalters" bezeichnete — erschloß allmählich eine verbesserungsfähige Zukunft. Die joachitische Geschichtsphilosophie spielt dabei eine Rolle, aber wesentlicher Wendepunkt w i r d der der Rosenkreuzerei verdächtigte René Descartes. Glück w i r d für i h n weltliches Glück, „alle Vollkommenheiten, deren die menschliche Natur fähig ist" 8 . Damit w i r d dieser Begriff zum utopischuniversalen Prinzip der Menschheitswohlfahrt. Seine empirische Bestätigung findet dieser Glaube i m Jesuitenstaat von Paraguay, der bereits i m 17. Jahrhundert durch Reisebeschreibun1 Isokrates: Euagoras 7, zitiert nach Ch. Meier, in: Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 2, S. 359. 2 Vgl. M . L. Berneri: Journey through Utopia. London 1950. 3 R. Descartes: Lettre à Elisabeth v o m 18.8.1645, in: Oeuvres et Lettres, hrsg. v. A . Bridoux, Paris 1952, S. 1192.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
gen bekannt wurde 4 . Gleichzeitig begann man sich gegen Ende dieses Jahrhunderts i n Frankreich m i t den Überresten von ursprünglichen Bauerngemeinschaften i n der Auvergne auseinanderzusetzen 5 . Beiden Vorbildern entnimmt der Utopismus wesentliche Gestaltungsformen. Eine Epoche der imaginären Reisen und der Prophezeiungen wahrer Systeme beginnt, der Gesetzbücher der Natur und der „vindication of rights". Konstruktionen eines abstrakten Verstandes und kaum verhüllte Programme eines träumerischen Geistes begegnen sich. Einen Idealstaat ausdenken, ist j a nicht nur ein Spiel der Phantasie, sondern zeigt die Absicht eines Wunsches, eine Spannung, die nach Lösung verlangt: Der Wille entdeckt i n der Utopie seine Macht, nimmt eine als Fortschritt gedeutete Vergangenheit und eine als abänderungsfähig betrachtete Gegenwart zu Zeugen und macht aus der Zukunft seine i h m eigene Dimension. U m argumentieren zu können, kann die utopische K r i t i k nicht allein auf das von ihr behauptete Neue, noch Unbekannte verweisen, sondern muß auf gesicherte Bestandteile der Tradition zurückgreifen. Die K r i t i k der Utopie schließt immer auch eine affirmative Beziehung zur Tradition ein. Dadurch, daß die konkrete Ausgestaltung jedes Ideals gezwungen ist, ihr Material der gelebten Wirklichkeit zu entnehmen, trägt sie auch die typischen Züge ihrer Zeit. 3.2.1. I m Gefolge des rosenkreuzerischen Utopismus
Der Utopismus, der zumal i n Frankreich machtvoll aufbricht, leitet sich i n vielem von der rosenkreuzerisch-freimaurerischen Tradition des 17. Jahrhunderts her und i m 18. Jahrhundert w i r d dann das Maurert u m selbst zum wesentlichen Träger dieses Denkens. Wohl an erster Stelle ist hier Denis de Vairasse zu nennen. 1675 erscheint i n London seine wirkungsgeschichtlich bedeutsame Utopie „Geschichte der Seva 4 Vgl. dazu P. Lafargue: Die Niederlassung der Jesuiten i n Paraguay. I n : Geschichte des Sozialismus i n Einzeldarstellungen. Stuttgart 1897, 6. A b schnitt. Die neuplatonische Republik des Jesuitenstaates v o n Paraguay ist sicherlich eines der eigenartigsten sozialen Experimente, welches einer eingehenden u n d aktuellen wissenschaftlichen Erhellung bedürfte. Lafargue erläutert, w i e die Jesuiten aus religiösen, aber auch aus imperialistischen Zwecken zu Beginn des 17. Jhts. i n Paraguay einen theokratischen Staat m i t den indianischen Eingeborenen gründeten, der zur Zeit seiner Blüte bis zu 150 000 Einwohner zählte u n d v o n 1610 bis 1768 bestand. 5 Diese Bauerngemeinschaften waren Überreste jenes ursprünglichen Agrarkommunismus, wie er sich auf einer frühen Entwicklungsstufe vieler Völker findet. Des näheren vgl. H. Girsberger: Der utopische Sozialismus des 18. Jahrhunderts i n Frankreich. 2. Aufl. 1973, S. 105 ff.
3.2. Der Aufbruch i n die Z u k u n f t
145
ramben", die dann 1677 auch i n Paris abgedruckt wurde 6 . Vairasse wurde auch bald i m deutschen Sprachraum rezipiert: i n der von Christian Thomasius redigierten Zeitschrift „Freymüthige Gedanken" findet man eine ausführliche und zustimmende Rezension des Werkes. Allzuviel ist über den Autor nicht bekannt: M i t Gewißheit weiß man bloß, daß er Protestant war und Frankreich nach der Aufhebung des Edikts von Nantes verließ, u m nach London zu gehen. Hier stand er i n Kontakt zur „Royal Society", aber auch zu den Konventikeln der Emigranten, die sich rege an der Neuformulierung Rosenkreuzerischen Denkens i n Richtung Freimaurerei beteiligten. Vairasse war einige Zeit bei dem für die Maurerei grundlegenden Philosophen Graf Shaftesbury tätig und gleichzeitig mit Locke eng befreundet. Insofern ist seine Verankerung i n der frühen englischen Maurerei gesichert. Vairasse h ü l l t die politischen Aussagen seiner Utopie, die Darstellung der Organisation des S e var ambischen Staates, i n eine m i t Abenteuern reich verzierte Einkleidung. Wesentlich ist, daß hier erstmals eine Reihe von Grundgedanken der modernen repräsentativen Demokratie formuliert werden (195 ff.). Die Ungleichheit der Geburt widerspricht nach Vairasse der wahren Ordnung der Natur, die durch die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse entdeckt wurde. Der einzige, aber auch gleichzeitig „beste Unterschied, der unter den Menschen sein kann", ist der „der Tugend" (193). I n seinem Staatsentwurf gelangt man daher nur durch Tugend zu Ämtern und Würden, ein System, das die freimaurerischen Logen zu verwirklichen suchen. Einen breiten Raum i n dieser Utopie nimmt die Erziehung zu einem einheitlichen Menschengeschlecht ein. Dabei gibt es „Initiationsstufen" zum Zweck der Erreichung eines tugendhaften Lebens, ähnlich den Prüfungen der Maurer. I n Anlehnung an die Bauerngemeinschaften der Auvergne fordert Vairasse ein auf Gemeineigentum und Genossenschaftswesen beruhendes System, wodurch vor allem das drückende feudale Steuersystem entbehrlich w i r d (194 und 203 ff.). 6 Der T i t e l der französischen Ausgabe lautet D. de Vairasse: Histoire des Sévarambes, Peuples, qui habitent une Partie de troisième Continent ordinairement appelle Terre Australe, contenent u n Compte exacte du Gouvernement, des Moeurs, de la Religion et du Langage de cette Nation, jusqu'aujourd'hui inconnu aux Peuples de l'Europe; traduite de l'anglais. Paris 1677. Die A r b e i t w i r d nach der Textsammlung H. Swoboda, Der T r a u m v o m besten Staat. Texte u n d Utopien von Piaton bis Morris. 2. A u f l . München 1975, S. 190 - 213, zitiert. Swoboda e n t n i m m t den Text der Ausgabe D. de Vairasse, Historie der neugefundenen Völker. Göttingen 1717. I n dieser Ausgabe w i r d fälschlich A . Robertus als A u t o r genannt. — I m gesamten Kapitel 3.2. beziehen sich Zahlen i n Klammern, die i m fortlaufenden Text stehen, auf die Seiten der behandelten Quellen-Texte. Vgl. die umfassende Studie zu Vairasse v o n E. v. der Muehll: Denise Veiras et son histoire des Sévarambes. Paris 1938.
10 Fischer
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Größte Popularität erlangte eine Schrift von François Salignac de la Mothe Fénélon „Les Aventures de Télémaque, fils d'Ulysse", die erstmals 1699 i n einem vom Verfasser nicht autorisierten Druck erschien. Die endgültige Version ist erst nach dem Tod des Autors i m Jahre 1717 veröffentlicht worden 7 . Fénélon ist i n mehrfacher Hinsicht für die französische Maurerei bedeutend: Einerseits stark von Descartes beeinflußt und offen für jede Form christlicher Mystik, dürfte sich Fénélon m i t dem A u f t r i t t der Rosenkreuzer i n Paris beschäftigt haben 8 . Zum anderen war Fénélon Lehrer und Freund des Erneuerers des französischen Logenwesens, Andreas Michael Ramsay. Sein „Telemach" ist eigentlich ein Fürstenspiegel, eine bewußte K r i t i k an der Regierungsweise des Sonnenkönigs Ludwigs X I V . I m Rahmen dieses Erziehungs- und Reiseromans gibt Fénélon die Beschreibung zweier ideal organisierter Gemeinschaften 0 . Nach seiner Ansicht soll gemäß dem „Naturgesetz" keiner über den anderen herrschen, sondern sich nur Vernunft, Tugend und Weisheit unterwerfen. Wie die Freimaurerlogen, fordert er, daß sich die Macht des Staates nur auf diese drei Prinzipien berufen kann. Unmittelbar an Fénélons Roman knüpft Abbé Terrasson an. Sein „Séthos. Histoire ou vie tirée des monuments anecdote de l'ancienne Egypte, traduit d'un manuscript grec" erschien i n drei Bänden 1737 i n Paris. Dieser Roman wurde als angebliche Wiedergabe eines alten griechischen Manuskripts veröffentlicht und beschreibt die Initiationen eines ägyptischen Königssohns zur vollkommenen Weisheit. 1777/78 w i r d er von Matthias Claudius ins Deutsche übersetzt. Für die freimaurerische Weltanschauung wurde dieser utopische Roman i n vielfacher Hinsicht zu einer verbindlichen Orientierung 1 0 . Während Fénélons utopische Beschreibungen eher dem Ideal eines spartanischen Rigorismus verpflichtet sind, indem er nur i n der äußer7
Eine der ersten deutschen Übersetzungen stammt v o n Philipp Balthasar Sinold, der selbst 1723 ein utopisches I d y l l verfaßte, „Die glückselige Insel". Die wesentlichen Passagen sind abgedruckt bei H. Swoboda, S. 217 - 223. Sie sind entnommen F. S. de la Mothe Fénélon, Die Erlebnisse des Telemach. Übersetzt v o n F. Rückert. Leipzig 1878. 8 Vgl. F. Vorländer: Geschichte der philosophischen Moral, Rechts- u n d Staatslehre der Engländer u n d Franzosen m i t Einschluß Machiavells u n d einer kurzen Übersicht der moralischen u n d sozialen Lehren der neueren Zeit überhaupt. M a r b u r g a. d. L a h n 1855, Neudruck A a l e n 1964, S. 554. 9 Die erste dieser beiden Utopien ist enthalten i m 12. u n d 22. Buch des Telemach u n d behandelt die Schaffung einer neuen Verfassung u n d Gesellschaftsordnung für eine legendäre Stadt namens Salent. Die andere, weniger bekannte Passage, findet sich i m 8. Buch u n d b r i n g t eine Schilderung des Landstriches Bétique (Bätika). 10 Über die Wirkungsgeschichte dieses Romans vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 1452 f.
3.2. Der Aufbruch i n die Z u k u n f t
147
sten Einfachheit die Garantie für die Erhaltung des sozialen Ganzen und damit auch der Tugend und des Glücks sieht, geht sein Schüler und Freund Ramsay eher von einer optimistischen Daseinsfreudigkeit aus. Die „Voyages de Cyrus" sind ein Dokument der freimaurerischutopischen Vorstellungen i n der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts 1 1 . Cyrus, ein persischer Königssohn, unternimmt eine Reise durch die verschiedensten Länder und Staaten, u m sich durch genaues Studium der bestehenden Staatsformen und Institutionen auf seine Regierung vorzubereiten. Diese Informationsreise führt nach Ägypten, Sparta, Athen und schließlich nach Kreta und Babylon. Für Ramsays politisches Denken, seine freimaurerischen Zielvorstellungen ist vor allem die Darstellung der spartanischen und der athenischen Verfassung wesentlich. Cyrus lernt unter der Führung Chylons, eines weisen Spartaners, die von L y k u r g gegründeten Institutionen Spartas kennen. L y k u r g hatte, u m die i n den anderen Ländern verbreiteten Laster wie Ehrgeiz und Habgier ein für allemal abzuschaffen, Reichtum wie A r m u t aus Sparta verbannt. Eine gleiche Teilung der Güter und des Bodens sowie die Abschaffung des Goldes und seine Ersetzung durch Eisengeld, das jeden Handel mit anderen Völkern verunmöglichte, sollte das Entstehen materieller Unterschiede auf immer verhindern. Auch eine Reihe weiterer Einrichtungen bezweckt eine Stärkung der sozialen Gleichheit. Die Erziehung der jungen Spartaner hatte weniger auf die Herausbildung geistiger Werte als auf die Stärkung praktischer Tugend zu achten. Wegen des harten Asketismus v e r w i r f t Cyrus jedoch die spartanische Verfassung und damit gleichzeitig das Prinzip der Gütergemeinschaft. Sparta erscheint i h m als kulturfeindlicher Staat. Sein Ideal dagegen findet Cyrus i n der Solonischen Gesetzgebung, mit der er i n Athen durch ihren Verfasser selbst bekannt gemacht wird. Solon, zu einer Zeit der ungezügelten Volksherrschaft zum Archonten gewählt, suchte vor allem die Gefahr allzu großer Volksautorität zu beseitigen. Unter der Beibehaltung des Privateigentums hat er eine Fülle von Maßnahmen sozialpolitischer A r t angeordnet, die von der Überzeugung getragen sind, daß, wenn auch das Prinzip des Privateigentums als solches durchaus i m Interesse der Menschheit liege, seine mißbräuchlichen Auswüchse i n der allzu großen Ungleichheit des Besitzes zu bekämpfen seien. Sein Ideal geht, ähnlich wie es Fénélon i m „Telemach" entwirft, auf eine möglichst gerechte Verteilung der Güter. 11
A .M. Ramsay : Les Voyages de Cyrus, avec une discours de la M y t h o logie. Paris 1727. Diese Utopie w i r d i m folgenden nach der Darstellung v o n Girsberger, S. 195 - 199 wiedergegeben. 1
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Die sozialpolitischen Maßnahmen — ein weitgehender Schuldenerl aß, Vereinfachung der Gesetze und Verbesserung der Kindererziehung — sind Ansätze zu einer K r i t i k , die, ohne zur Beseitigung des Privateigentums zu greifen, sich m i t weniger einschneidenden Bestimmungen begnügt. I m übrigen geht Solon i m Gegensatz zur spartanischen Gesetzgebung, die nur strengste Unterdrückung der Laster kannte, davon aus, durch richtige Leitung den menschlichen Egoismus dem Ganzen dienstbar zu machen. Die Solonsche Gesetzgebung findet die volle Anerkennung des persischen Königssohns. Ramsays soziale Theorie, ihre positive Haltung zum Privateigentum drückt zunächst eine Grundüberzeugung der frühen französischen Maurerei aus. Man wollte den Weg der sozialen Reform und nicht der Revolution einschlagen. Dies änderte sich jedoch. Bevor i n der Folge die radikalen Utopien i m Umkreis der Loge der „Noeufs Soeurs" behandelt werden, ist es notwendig, auf eine der eigenartigsten und kaum behandelten Persönlichkeiten Frankreichs zu Anfang des 18. Jahrhunderts einzugehen, auf den Abbé Meslier und sein „Testament": er nimmt selbst die radikalsten Formen der Aufklärung vorweg, ja man kann i h n sogar als ersten unmittelbaren Theoretiker der Französischen Revolution bezeichnen. Das „Testament" des Abbé Meslier, der von 1664 bis 1729 lebte, ist ein vergessenes Dokument aus der Vorgeschichte der radikalen Aufklärung i n Frankreich 1 2 . Während der Regierungszeit Ludwig X I V . nimmt hier ein von allen literarischen und wissenschaftlichen Strömungen weitgehend isoliert i n den Ardennen lebender Pfarrer wesentliche Thesen der radikalen Aufklärung und des aufklärerischen Materialismus vorweg. Diese Schrift ist eine einzige Anklage gegen die Herrschaftsstrukturen des Feudalsystems und ihre Verklärung i n Religion, Philosophie und Moral. Über Mesliers Leben wissen w i r durch seine eigenen Andeutungen i m „Testament" Bescheid, aber auch durch Eintragungen i n Kirchenbüchern und die A k t e n des Erzbistums Reims 13 . 12 Ich stützte mich ursprünglich auf die erste Gesamtausgabe des Testaments, die v o n dem holländischen Freidenker Rudolf Charles D A b l a i n g van Giessenburg stammt. (Ch. Rudolf: Le Testament de Jean Meslier, curé d'Etrépigny et de B u t en Champagne, décédé en 1723; ouvrage inédit, précédé d'une préface et d'une étude bibliographique. Amsterdam 1864, 3 Bde.) Die zwischen 1970 u n d 1972 entstandene französische Gesamtausgabe der Werke Mesliers w a r m i r bloß für kurze Zeit zugänglich. (J. Deprun, R. Desné u n d A . Soboul (Hrsg.): Oeuvres complètes de Jean Meslier. Paris 1970 ff., 3 Bde.) Hier konzentrierte ich mich v o r allem auf die i n Band 1 abgedruckte Biographie v o n Roland Desné sowie die Dokumentation i n Bd. 3. M i t t l e r weile erschien dann das Testament i n seinen wesentlichen Auszügen auch i n deutscher Sprache, übersetzt v. A . Oppenheimer u n d hrsg. v. G. Menschink. (G. Menschink (Hrsg.): Das Testament des Abbé Meslier. F r a n k f u r t a. M. 1976.) Sämtliche folgende Zitate entstammen dieser Ausgabe.
3.2. Der Aufbruch i n die Z u k u n f t
149
N a c h d e n v o r l i e g e n d e n D o k u m e n t e n ist die P f a r r e des A b b é eine d e r a m besten v e r w a l t e t e n d e r Diözese 1 4 . B i s z u s e i n e m T o d i m J u n i 1729 w a r er m i t d e r A b f a s s u n g des „ T e s t a m e n t s " beschäftigt. V o n
dieser
A r b e i t ist n a c h w e i s l i c h nichts nach außen g e d r u n g e n , o b w o h l das „ T e stament"
seiner l i t e r a r i s c h e n
F o r m nach w i e eine l a n g e Reihe
von
P r e d i g t e n a n seine G l ä u b i g e n aussieht. Daß Mesliers T e s t a m e n t ü b e r h a u p t e r h a l t e n ist, ist seinen F e i n d e n zu verdanken. Als Vermächtnis
a n seine B e i c h t k i n d e r
T e s t a m e n t z u m erzbischöflichen
G e n e r a l v i k a r v o n Reims, d a n n
gelangte
das zum
Erzbischof v o n Paris, d e r die O r i g i n a l h a n d s c h r i f t a n d e n S i e g e l b e w a h r e r des Französischen K ö n i g r e i c h e s u n d andere „große H e r r e n " gab. A u f m e r k w ü r d i g e n U m w e g e n l a n d e t e das M a n u s k r i p t
weiter-
schließlich
i n der „ B i b l i o t h e q u e N a t i o n a l e " i n Paris, w o es bis h e u t e a u f b e w a h r t wird15. R o l a n d Desné b e l e g t , daß es d r e i U r h a n d s c h r i f t e n gab, v o n d e n e n a l s b a l d v o l l s t ä n d i g e K o p i e n h e r g e s t e l l t w u r d e n , die i n d e n l i t e r a r i schen K r e i s e n z i r k u l i e r t e n u n d u n t e r der H a n d recht t e u e r v e r k a u f t w u r d e n . Das G e s a m t w e r k w a r geradezu eine gesuchte R a r i t ä t auf d e m schwarzen M a r k t anstößiger K u r i o s a . A u c h Voltaire gelangte i n den Besitz e i n e r A b s c h r i f t . E r h a t sich m i t d e m F a l l M e s l i e r sehr e i n g e h e n d beschäftigt u n d die S c h r i f t a n d e r e n A u f k l ä r e r n b e k a n n t gemacht. 13 Bis zum Jahre 1965 gab es eigentlich n u r eine gedruckte Quelle zum Leben Mesliers, den zwei Seiten umfassenden „Abrégé de la vie de Jean Meslier", den Voltaire dem v o n i h m redigierten Auszug des Testaments v o r anstellte, u n d der 1751 i n Genf zum ersten M a l erschien u n d bis zur Gegenw a r t oft aufgelegt wurde. Eine breit angelegte Forschungsarbeit verfaßte dann M. Dommanget: Le curé Meslier. Paris 1965. Diese A r b e i t wurde in, der Folge durch die vorzüglich kommentierte kritische Gesamtausgabe der Werke Mesliers ergänzt. I m deutschen Sprachraum druckte als erster einen T e i l des Testaments D. F. Strauss: Voltaire. 6. A u f l . Bonn 1865 i n der 2. Beilage. Dieser Übersetzung folgt dann auch K. M. Michel (Hrsg.): Politische Katechismen. F r a n k f u r t a. M. 1966 i n dem Abschnitt „Das Testament des Curé Meslier", S. 97 f. Seit 1976 gibt es die erwähnte Ausgabe v o n G. Menschink. Auch die Sekundärliteratur i m deutschen Sprachraum ist äußerst spärlich. Z u erwähnen ist C. Grünberg: Jean Meslier u n d sein Testament. I n : „Neue Zeit" 1888, S. 337 - 350. B. Malon: Jean Meslier, communiste et révolutionnaire. I n : Revue Socialiste, Bd. 8, 1888, S. 147 ff.; G. Adler: E i n vergessener Vorläufer des modernen Sozialismus. I n : Die Gegenwart, B e r l i n 1884; H. Girsberger: Der utopische Sozialismus des 18. Jahrhunderts i n Frankreich, S. 122 ff. G. Menschink: Cartesianischer Materialismus u n d Revolution. S. 11-55. (Vorwort zur Ausgabe.) 14 Vgl. Oeuvres Complètes, Bd. 3, S. 407 das dort abgedruckte Visitationsprotokoll. Aus seinem ganzen Leben ist bloß ein einziger K o n f l i k t f a l l bekannt, den er m i t dem Seigneur v o n Etrépigny hatte. Wegen einer Bauernmißhandlung empfahl Meslier den Seigneur nicht, w i e sonst üblich während der sonntäglichen Predigt, namentlich der Fürbitte seiner Gläubigen. Vgl. des Näheren dazu Dommanget, S. 80 ff. 15 Z u r Geschichte des Testaments u n d seiner handschriftlichen und gedruckten Quellen vgl. R. Desné: Einleitung zur kritischen Ausgabe, Bd. 1, S. X L V I .
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A u f seine Initiative h i n zirkulierte sie dann unter den Freimaurerphilosophen d'Alembert, Helvetius, Holbach und Diderot. Für seinen Kampf gegen die Macht der katholischen Kirche fand Voltaire in Mesliers Pamphlet eine wirkungsvoll erscheinende Waffe und er publizierte 1761 einen Auszug aus dem Gesamtwerk. Auch die Enzyklopädisten u m die Freimaurerloge „Noeufs Soeurs" setzten sich eifrig mit dieser Schrift auseinander 16 . Während der Französischen Revolution erfuhr dann Mesliers Werk eine weitere wirkungsvolle Entstellung. Unter dem Titel „Le Bon-Sens du Curé Meslier" erschien 1791 zum ersten Mal eine Schrift, die bis dahin bereits anonym eine zehnfache Auflage erfahren hatte. Es handelte sich u m das 1772 i n erster Auflage vorliegende religionskritische Buch „Le Bon-Sens, ou Idées naturelles opposées aux idées surnaturelles", das i n Wahrheit von Holbach stammt. Ob über Holbach oder Voltaire vermittelt, gewiß ist, daß Meslier eine wesentliche, wenngleich apokryphe Quelle der französischen Aufklärung wird. Die historische Würdigung von Jean Meslier ist äußerst spärlich und beschränkt sich auf wenige Bemerkungen. „Man hört aus den furchtbaren Worten" des Testaments, so der Austromarxist Carl Grünberg, „bereits den Donner der Französischen Revolution m i t all ihrer gigantischen Wildheit heraus, die zwei Menschenalter später das ancien regime" hinwegfegen wird17. Für Mesliers Denken bildet Descartes die wesentliche Grundlage. Der Pfarrer i n dem kleinen Ardennendorf war Einzelgänger, auf sein eigenes Denken verwiesen. Descartes aber begründete gerade diese Autonomie des Subjekts, auf die Meslier aufbaute. Vom cartesianischen Rationalismus geprägt und auf sein eigenes Denken verwiesen, hat er die physische und moralische Welt auf ihren Grund zurückzuführen versucht. A m klaren Lichte des Verstandes allein sollte der gesamte I r r t u m einer zweifelhaft gewordenen Tradition zerrinnen und die wahre Bestimmung der Welt hervortreten. Neben Descartes holt sich Meslier reichliches Material aus den Essays von Michel Montaigne, dem „Telemach" Fénélons und den Schriften des französischen Moralisten Jean de la Bruyere. Das empirische Material sowie Daten zu Geschichte, aber auch Biographien, besorgte sich Meslier aus dem „Grand Dictionnaire historique" von Louis Moréri. 16 Voltaires Auszug erhielt zum ersten M a l den T i t e l „Testament", der also keineswegs authentisch ist, aber so i n die Überlieferung einging. 17 C. Grünberg, S. 345; ähnliches bestätigt auch M . Beer: Allgemeine Geschichte des Sozialismus u n d der sozialen Kämpfe, 3. A u f l . B e r l i n 1922, 4 Bde., Bd. 3, S. 97 f.; vgl. auch H. Lindemann: Vorläufer des neueren Sozialismus. Stuttgart 1895, S. 795.
3.2. Der Aufbruch i n die Z u k u n f t
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Seinen Materialismus hingegen exponierte er vor allem i n scharfer Gegnerschaft zu Nicole Malebranche 18. Konstitutiv für Mesliers Weltbild ist die These, daß die Welt von brutaler Macht beherrscht wird 19. Herrschaft ist der Angelpunkt und das Prinzip, aus dem alle politischen und gesellschaftlichen Phänomene herzuleiten sind 2 0 . Jede Hoffnung scheint trügerisch und nur „Aufklärung" des denkenden Subjekts über seine Lage kann die „eitlen I r r tümer" lindern (61). Die einzige Möglichkeit für das Subjekt „die Augen zu öffnen", u m „das unerträgliche Joch der Tyrannen abzuschütteln", ist es, „Kunst und Wissenschaften weiter zu bringen und dabei allein dem Licht der menschlichen Vernunft zu folgen" (81). Die Vernunft 21 ist für den Cartesianer Meslier die unmittelbare Vernunft, die als Wissenschaft eine historisch verändernde Macht ist und den Titel für seine umfassende und totale K r i t i k abgibt. Diese ist den Trugbildern des Bestehenden und deren Mystifikation entgegenzusetzen. Ihrer selbst gewiß soll die Vernunft widerspruchsfrei ein neues Verständnis der Welt und eine gerechte Gesellschaft konzipieren, und so das „Mysterium des Bösen" (389) entlarven. Mesliers Kritik hat ihre Grundlage i m zeitgenössischen Rationalismus, der einzig und allein auf die Evidenz der Erkenntnis abstellt. Ausgangspunkt bildet für den Autor die Religionskritik, indem er sein 18 Z u Montaigne vgl. etwa S. 78, 91, 110, 290, 365, 369; zu Fénélon vgl. S. 79, 260, 272 f.; bei Bruyere beruft sich Meslier v o r allem auf die Schrift „Die Charaktere". La Bruyere: Les charactères de Theophraste, t r a d u i t de Greque avec les charactères et les moeurs de ce siècle. Paris 1688 u. ö.; Die Charaktere oder die Sitten des Jahrhunderts. Hrsg. v. G. Hess, Leipzig 1940. Vgl. etwa S. 67, 118, 244, 269, 296. L. Moréri: Le Grand Dictionnaire historique. 10 Bde. 1677 u. ö., zuletzt 1759. Vgl. etwa S. 90, 94, u. ö. — Insbesondere w e n det sich Meslier gegen die Schrift N. Malebranche: De la recherche de la vérité où l'entraite de la nature, de l'esprit, de l'homme et de l'usage q u ' i l doit faire pour éviter l'erreur dans les sciences. 2 Bde., Paris 1674/5. Vgl. dazu die Auseinandersetzung Mesliers m i t Malebranche, S. 356 u n d 358 f. 19 U n w i l l k ü r l i c h drängen sich Parallelen zu Frankreichs „Nouvelle P h i l o sophie" auf. F ü r Bernard-Henry Levy , Jean-Marie Benoist, Christian Jambet, Michel Guérin, André Glucksmann ist j a die These v o n der strukturellen Gewalt verbindendes Gruppenelement. Vgl. dazu am besten A . Glucksmann: Die Meisterdenker. Reinbek b. Hamburg 1978. 20 „Die Tränen so vieler gebrochener Gerechter u n d das Elend so vieler von den schlechten Reichen u n d Großen dieser Erde so tyrannisch u n t e r drückter Menschen haben m i r . . . so großen Ekel u n d so große Verachtung vor dem Leben eingeflößt, daß ich . . . den Zustand der Toten f ü r weitaus glücklicher halte als den der Lebenden u n d jene, die niemals gelebt haben, für noch tausendmal glücklicher als die Lebenden, die i m m e r noch unter solcii großem Elend seufzen." (63 f.). 21 Meslier spricht ganz i n A n l e h n u n g an die Lichtmetaphorik der A u f k l ä rung i m m e r wieder v o m „Licht der V e r n u n f t " oder „hellem Licht der V e r n u n f t " oder aber auch v o n der „natürlichen V e r n u n f t " . Vgl. S. 314 f., 328, 357, 377, 400 u. ö.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Gesamtwerk i n sieben Beweise „für die Eitelkeit und Falschheit der Religionen" aufgliedert. Nachdem Meslier die Totalität von Herrschaft und Gewalt i n der bestehenden Welt konstatiert hat, stellt er eine Gegenthese auf: Das zum Selbstbewußtsein gekommene Subjekt kann keinen vernünftigen Grund für die Herrschaft von Menschen über Menschen anerkennen. Eben dies nachzuweisen, ist die Absicht der langen Erörterungen über Religion, Moral, Metaphysik und Gesellschaft. Wirkungsgeschichtlich bedeutsam ist Mesliers Religionskritik vor allem dadurch, daß sie Ansätze vorwegnimmt, die dann später i m „Wesen des Christentums" von Ludwig Feuerbach ihre reifste Formulierung erfahren (vgl. Kap. 60 - 63). So versucht Meslier zu beweisen, daß das Wesen der imaginären Götter der Antike nichts anderes als das idealisierte menschliche Wesen ist. Ähnlich wie bei Feuerbach w i r d nach Mesliers Ansicht der Mensch nur mündig, wenn er i n Gott einerseits die Antizipation seines eigenen Wesens erkennt und auf der anderen Seite den göttlichen Herrscher des Universums als Deckbild seiner eigenen Sklaverei entdeckt. Hat man dies klar erkannt, gilt es nur noch den Grundsatz zu realisieren, daß es für die Herrschaft von Menschen über Menschen keinen vernünftigen Grund gibt 2 2 . Hier stößt Meslier jedoch an Grenzen: Er w i l l die Welt aus einem einzigen Prinzip erklären, das ihr selber innewohnt. Das einzig wahre Sein, die Grundsubstanz der Welt und ihres Geschehens ist die Materie. A l l e Erscheinungen der physischen und der moralischen Welt sind nur deren Modifikationen, die auf nichts Transzendentes verweisen. Konsequent leitet dann Meslier aus diesem metaphysischen Materialismus den anthropologischen ab. W i r erfassen uns i m Denken und fühlen uns materiell existieren — also ist das Materielle Sein (vgl. 314 ff., 324 ff.). Das Prinzip der Gesellschaft wie das der Natur kann nur die wesenlose quantifizierbare Materie sein, deren Gesetzen sich jeder Wille beugen muß. Hier gelangt aber Mesliers „Aufklärung" ungewollt zum Gegenteil ihrer Absicht: Die Metaphysik, die das Ende des Elends verkünden soll, w i r d schlimmer als aller vernichtende Aberglaube zuvor, zur Lehre von seiner ewigen Notwendigkeit. Die Wesenlosigkeit des einzelnen i n einem sinnlos gewordenen Ganzen vermag nichts zu beheben. Zwar waren die meisten Menschen i n der bisherigen Geschichte stets abhängig vom unberechenbaren Willen der Herrschenden, aber nichts bürgt dafür, daß, nachdem „all die Großen der Erde und alle Adeligen 22 Genau dies ist j a dann die Konsequenz, die M a r x aus der Feuerbachschen Religionsphilosophie zieht. Vgl. dazu K. Marx: Z u r K r i t i k der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung. M E W Bd. 1, S. 378 ff.
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mit den Gedärmen der Priester erhängt und erwürgt" wurden, das Reich der Freiheit beginnen muß (74). Dieses pessimistische Moment, das jedem Materialismus offen oder versteckt innewohnt, kommt auch i n Mesliers negativer Geschichtsphilosophie zum Ausdruck. Ein qualitativer Unterschied zwischen den Epochen der menschlichen Geschichte ist für den Autor metaphysisch unmöglich. Geschichte ist die Wiederholung des immer Gleichen, die immer weiter fortgeschleppte Unterdrückung: sie ist nicht der Prozeß des Heils, sondern der Urgrund stets neuer und doch derselben Qual (vgl. 62 f. und 320 f.). Diese unerbittliche Objektivität w i r d jedoch von Mesliers revolutionärem Anarchismus durchschlagen. Die Menschheit, an die sich sein Werk auch der literarischen Form nach wie an ein historisches Subjekt wendet, soll sich der Welt bemächtigen, u m die Negativität ihres blinden Schicksals durch Revolution zu beenden. Die Revolution, die Meslier vorbereiten möchte, soll ein abrupter Neuanfang der Menschheit sein, die Herstellung des noch nie Dagewesenen. So sehr auch Meslier i n seinen metaphysischen Darlegungen Geschichte als einen subjektlosen Prozeß beschreibt, ist i n seiner Gesellschaftstheorie ein revolutionäres Subjekt schon immer vorausgesetzt: Die Menschheit soll einsehen, daß sie von den Herrschenden mit „idealistischen" Vorwänden getäuscht wurde. Nach Entlarvung des Betruges kann es den „Aufgeklärten" nur darum zu tun sein, die Gesellschaft illusionslos so einzurichten, wie es die unmittelbaren Gesetze der Natur vorschreiben (vgl. 374). Der Materialismus sowie die Evidenz des aus der Natur abgeleiteten und erkannten Prinzips, daß der Mensch nach Glückseligkeit strebt (vgl. 86 u. ö.), verlangen nach Meslier die Verwirklichung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung (vgl. 243). Meslier w i l l m i t seiner Konzeption nicht nur den hierarchischen Kosmos der Wesenheiten i n der Natur zerschlagen, sondern ebenso sehr deren Entsprechung i n der Rangordnung der feudalen Gesellschaft. Deshalb ist für i h n kein einziges Privileg mehr zu rechtfertigen, am wenigsten das Ausgenommensein von Arbeit 2 3 . Wenn die Individuen zum Bewußtsein ihres „wahren Seins" kommen, können sie ihr Dasein nur durch die Arbeit begründen: Der Mensch als Stück Materie, das nicht allein andere Materie verzeh23 M i t beißender K r i t i k attackiert er die u n p r o d u k t i v e n Klassen: Er polemisiert gegen alle Ränge u n d Stände „fauler Leute", die „ v o n keiner Nützlichkeit auf dieser Welt sind" u n d die n u r dazu dienen, „das V o l k auszupressen, auszuplündern, zu unterjochen u n d zugrunde zu richten". Klösterlicher Reichtum, überhaupt der gesamte geistliche Stand, aber auch die Müßigkeit der Bettelmönche verfallen ebenfalls der K r i t i k . Vgl. Kap. 4 4 - 4 7 , S. 252 ff. Es ließen sich noch etliche plastische Stellen vorbringen, die zeigen, daß Meslier w e i t über die zeitgenössische K r i t i k des Feudalismus hinausgeht. Vgl. z. B. S. 67 f., 272, 275 ff.
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ren darf, hat seine Kraft so zu veräußern, daß neue Güter erzeugt werden. Damit w i r d die Arbeit universal und total. Sie ist die natürliche Kraftquelle des Reichtums, der ebenso gleich zu verteilen ist wie die Arbeit. Die Forderung nach gleicher Verteilung der Arbeit ist zunächst eine Reaktion gegen die tatsächliche Verschwendung der steuerfreien Stände, die von allem, was i m Bürgertum Arbeit hieß, ausgenommen waren und doch einen übergroßen Anteil des erzeugten Reichtums für sich beanspruchten 24 . Nach dem alles befreienden revolutionären Schlag w i l l Meslier ein System agrarischer Kommunen realisiert sehen, für das die Bauerngenossenschaften der Auvergne das historische Vorbild abgeben. A m Schluß des Testaments erfolgt der radikale Appell an die Beherrschten, sich zu vereinigen und ihr Schicksal Gott und den großen Herren zu entreißen, u m sich selbst als Subjekt der Welt einzusetzen. Der Pessimismus seines Denkens, das i n der absoluten Herrschaft der Gewalt das gültige Prinzip für die Gesamtgeschichte sieht, zwingt i h n dazu, die Erlösung der Menschheit von allem zu fordern, was sie bisher beherrscht hat. Die Erhebung muß total und radikal sein, es müssen „all die Großen der Erde und alle Adeligen mit den Gedärmen der Priester erhängt und erwürgt werden" (74). I n Kapitel 96, welches die „Schlußfolgerungen aus diesem ganzen Werk" enthält, finden w i r ein Revolutionskonzept, das fast i m Flugschriftenstil verfaßt ist und eine ähnliche Textsortenqualität zeigt wie das Kommunistische Manifest 25. A u f die Frage, wer der eigentliche Träger der revolutionären Veränderung sein kann, antwortet Meslier mit einer Avantgarde-Theorie wie sie i n den radikalen Logen am Vorabend der Französischen Revolution vertreten wurde: Als Vorhut sollen „Leute von Geist" agieren, sie ist „die Aufgabe der Verständigsten und Aufgeklärtesten" (81). Diese Leute sollen dann auch nach der Umwälzung ein agrarisch-kommunistisches System aufbauen und sie haben die Aufgabe, „die anderen zu führen und zu regieren" sowie „gute Gesetze und Verordnungen 24 Vgl. dazu die Kap. 54 - 58, wo sich Meslier m i t den Verhältnissen i n Frankreich auseinandersetzt. 25 Einige Zitate sollen dies veranschaulichen: Meslier w i l l seine „Stimme v o n einem Ende des Königreiches bis zum anderen" erheben „ u n d aus Leibeskräften schreien: I h r seid v o n Sinnen, ο Menschen, i h r seid v o n Sinnen, euch derart gängeln zu lassen!" Jedoch die Menschen haben sich „an die Sklaverei gewöhnt", sie erscheint „ihnen eine Bedingung ihrer Natur zu sein. Deshalb wächst die Hoffahrt dieser abscheulichen Tyrannen auch von Tag zu Tag u n d deshalb erschweren sie auch alle Tage das unerträgliche Joch ihrer Willkürsherrschaft noch mehr". W a r u m leben sie nicht mehr, „die edlen Tyrannenmörder?" fragt Meslier, u m „alle diese abscheulichen Ungeheuer u n d Feinde der Menschheit zu erdolchen u n d zu erschlagen?" (389 ff.).
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zu erlassen, die den Erfordernissen der Zeit, des Orts und anderer Umstände gemäß die Vermehrung und Erhaltung des allgemeinen Wohls bezweckt". Sind einmal solche „Magistrate" errichtet, beginnt ein neues und glückliches Leben (393, 395). Dann werden „wahre Vernunft" herrschen, „Gerechtigkeit und Billigkeit", „allgemeine Freiheit" (397 f.). Probleme treten auf, die i n der Konsequenz von Mesliers Materialismus liegen: Ist mit den erschlossenen Ressourcen der Natur zugleich der relative Mangel aller sozialisiert, so w i r d das Naturgesetz der A r beit zum unentrinnbaren Geschick. Der immanente Zweck des sich stets auf gleicher Stufe reproduzierenden Systems kann nur die Erhaltung der Gattung sein, i n deren Dienst alle Kräfte des einzelnen zu stellen sind. Die Wesenlosigkeit des einzelnen i n einem sinnlos gewordenen Ganzen vermag Mesliers Revolution nicht zu beheben. Die durch ihre Arbeit zur formalen Gleichheit gelangten Individuen sind bloß blinde Agenten der rastlosen Veränderung der Materie. Das Testament des Abbé Meslier beinhaltet bereits jenen Widerspruch zwischen humanistischem Engagement und totalitärer Theoriekonzeption, der die geschichtliche Bewegung der Aufklärung sprengen wird. Besonders die praxis- und strategieorientierte Revolutionstheorie ist der Beginn einer Theorienkette, die die Ereigniskatarakte der Französischen Revolution auslöst. Das Testament ist ein erstes Dokument, das das Glück der Individuen verspricht und es doch einer Natur opfert, die ihr eigenes Produkt ist. Wesentlich ist Meslier für die Freimaurerbewegung insofern, als gerade durch i h n die Perspektiven von Sozialismus und Materialismus Gegenstand zunehmender Diskussionen werden. Zentrum dieser Auseinandersetzung w i r d die Loge der „Noeufs Soeurs 3.2.2. Staats- und Gesellschaftskonzepte
Die Loge der „Noeuf Soeurs" war, wie bereits erwähnt, der intellektuelle Brennpunkt der französischen Maurerei. Das Zentrum der M i t glieder bildeten die „Enzyklopädisten". Sie diskutierten eifrig die utopischen, sozialistischen und materialistischen Ansätze zur Staatsund Gesellschaftstheorie: so Vairasse' „Geschichte der Sevaramben", dann aber, durch die Vermittlung Ramsays, Fénélons „Telemach" und Abbé Terrassons Initiationsroman „Sethos". Meslier spielte wirkungsgeschichtlich eine bedeutende Rolle für die Entwicklung des französischen Materialismus etwa bei Helvetius und Holbach. Jedoch für den Kreis u m die Loge der „Noeuf Soeurs" sind noch andere Konzepte wesentlich.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Eine besondere Rolle spielen die Utopien des Abbé Morelly, und zwar die „Basiliade" von 1753 und der „Code de la Nature " von 175526. Vom Autor wissen w i r lediglich den Familiennamen und, daß er i n einem kleinen Städtchen namens Vitry-le-François Privatunterricht erteilt hatte 2 7 . Wirkungsgeschichtlich erlangt besonders der „Code de la Nature" Bedeutung, der anonym i n Lüttich erschien. Bis ins 19. Jahrhundert wurde die Arbeit Diderot und damit dem freimaurerischen Denken zugeschrieben. Babeuf und dessen „Verschwörung der Gleichen" stützten sich i n ihrem Programm auf den „Code", und 1799 berief er sich i n seiner Verteidigung auf Diderot als den Verfasser dieses Gesetzbuchs und nannte i h n den „Lehrmeister des Kommunismus" 2 8 . Die beiden Hauptwerke Morellys sind bereits von der Anlage her sehr verschieden: Was die „Basiliade" i n phantastisch-ungebundener Form faßt, versucht der „Code" mathematisch-rational i n ein System zu bringen. Die Basiliade erinnert i n vielem an Andreaes Utopie „Christianopolis", aber auch an die klassischen Rosenkreuzermanifeste. Durch die Vorführung einer erdichteten Erzählung und Schilderung eines fingierten Landes w i r d das Ideal eines vollkommenen Staatszustandes aufgestellt. Allegorische Fülle und beißende Satire an den gesellschaftlichen Gebrechen der Zeit wechseln sich ab. Nach dem Erscheinen der „Basiliade" 1753 fehlte es nicht an heftigen Angriffen gegen die politischen Ideen des Verfassers. Morelly konzipierte daher seinen Code gleichsam als eine Verteidigungsschrift für die „Basiliade". Alsbald erlangte der „Code" eine unerhörte Popula26 Morelly (anonym erschienen): Naufrage des Isles flottantes ou Basiliade de célèbre Pilpai. Poème héroïque traduit de l'indien par M r . M. . . . , Messine 1753; Morelly (anonym erschienen): Code de la Nature ou véritable Esprit de ses Lois de tout temps négligé ou inéconnu, Partout chez le v r a i sage. L ü t t i c h 1755. 27 E i n Frontispice der „Basiliade" zeigt sein Portrait, aber ob dieses w i r k lich Morelly darstellt, ist zweifelhaft; die Sekundärliteratur zu Morelly ist eher dürftig, zu erwähnen sind: E. Villegardelle: Code de la Nature par Morelly. Réimpression complète augmentée des fragments importents de la Basiliade, avec l'Analyse raissonnée du Système social de Morelly. Paris 1841; A . Reverdy: Morelly, Idées philosophiques, économiques et politiques. Diss. Poitiers 1909; R. N. Coe: Morelly. E i n Rationalist auf dem Weg zum Sozialismus. Neue Beiträge zur Literaturwissenschaft. Bd. 13, B e r l i n 1961; H. Girsberger, S. 130 ff. 28 Vgl. des näheren Th. Buonarroti: Babeuf u n d die Verschwörung für die Gleichheit, m i t dem durch sie veranlaßten Prozeß u n d den Belegstücken. Übersetzt u n d eingeleitet v. A . u n d W. Bios, Stuttgart 1909, S. 263 ff.; Κ. H. Bergmann: Babeuf. Gleich u n d Ungleich. K ö l n u n d Opladen 1965; J. Höppner, W. Seidel-Höppner: V o n Babeuf bis Blanqui. Bd. 1: Einführung; Bd. 2: Texte. Leipzig 1975, Bd. 1, S. 74 ff.; Bd. 2, S. 49 ff. Erst M i t t e des 19. Jhts. wurde endgültig festgestellt, was Melchior v. Grimm i m m e r schon behauptet hatte: Keine einzige Zeile dieses Werks stammt von Diderot, der A u t o r dieses wichtigen Textes ist vielmehr der Abbé Morelly.
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rität, besonders bei den Enzyklopädisten, und zwar wegen seiner unzweideutigen Sprache und seiner hervorragenden Systematik 29. Der Titel „Naufrage des Isles flottantes ou Basiliade de célèbre Pilpai" ist selbst allegorisch und deutet auf den Schiffbruch der Vorurteile, der oberflächlichen Meinungen hin, deren schwankender Charakter sich i n den schwimmenden Inseln verkörpert. Die Utopie selbst unterschiebt Morelly einem persischen Weisen namens Pilpai. Gleich zu Anfang entwirft der Autor das B i l d eines glücklichen Volkes, wo die Herrschaft der Natur bzw. der natürlichen Anlagen vollkommen verwirklicht wurde. I n Kürze lautet die Entstehungsgeschichte dieses Volkes folgendermaßen: Einst hatte der I r r t u m Wahrheit und Natur aus diesen Gegenden vertrieben und die Herrschaft der Laster errichtet. Zur Strafe ließ die Natur durch einen verheerenden Sturm die Küsten vom Kontinent loslösen und ins Meer hinaustreiben. Ein einziges Geschwisterpaar blieb auf dem Festland zurück. Von jedem menschlichen Einfluß entfernt, waren sie der alleinigen Erziehung der Natur überlassen. Von Erfahrung zu Erfahrung schreitend, gelangt der Mensch nach Morelly allmählich zu seiner selbsterworbenen Natur, die nur auf „natürlichen" Gesetzen gründet. Einflüsse der schottischen Moral-philosophie mit ihrem naturalistischen Optimismus werden deutlich. I m Vertrauen auf den harmonisch ausgerichteten Mechanismus des „menschlichen Triebwerkes" w i r d der Moral eine apriorische Grundlage durch Instinkt und Gefühl verliehen 3 0 . Das aus dem Geschwisterpaar hervorgegangene Volk erkannte i n der kommunistischen Ordnung, dank der von keinen Vorurteilen getrübten alleinigen Erziehung durch die Natur, die Grundlage künftigen Glücks. Das von jedem historisch-traditionellen Ballast isolierte Paar bildet den absoluten Ausgangspunkt, aus dem die sensualistische Theorie mit alleiniger Hilfe der natürlichen Einwirkung jegliche Erkenntnis deduzieren w i l l . Auch die ökonomische Organisation des Staates w i r d i n der „Basiliade" vorgestellt. Der Arbeitserfolg fußt i m wesentlichen auf der wohlorganisierten Arbeitsgemeinschaft, i m Wettstreit der Gruppen und der richtigen Zuweisung der Beschäftigungsart. Damit werden 29 Da m i r die „Basiliade" nicht zugänglich war, beziehe ich mich auf die Schilderungen von H. Girsberger, S. 131 - 137. Diesem stand der Originaltext zur Verfügung. Der „Code de la Nature" wurde 1950 i n Paris wieder abgedruckt. E i n Teilabdruck befindet sich i n Κ. M. Michel (Hrsg.): Politische Katechismen. F r a n k f u r t a. M. 1966, S. 126 - 130 sowie bei H. Swoboda, S. 226 - 243. 30 Vgl. K . Vorländer, Philosophie der Neuzeit. Bearbeitet v. H. K n i t t e r meyer. Reinbek bei Hamburg 1967, S. 10 - 28 u n d andere.
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Resultate erreicht, die i n der privatwirtschaftlich organisierten Gesellschaft undenkbar wären. Denn nach Morelly werden alle möglichen Vorteile, die das Eigentum mit sich bringt, durch seine antisoziale Wirkung kompensiert. Der Autor entwickelt auch i n diesem allegorischen Roman den Grundgedanken der Umwandlung von Arbeitsmühe i n Arbeitslust durch rationale Gestaltung der Produktionsorganisation 31 . I m „Code de la Nature " erlangt dann der utopische Staatsroman seine systematisch-wissenschaftliche Ausgestaltung 32. Die Arbeit zerfällt i n vier Abschnitte, von denen der erste die „Gebrechen der allgemeinen Grundsätze der Politik und Moral" darlegt, während der zweite es sich zur Aufgabe macht, diese „Gebrechen der Politik" i m besonderen nachzuweisen. I m dritten Teil geschieht dasselbe i n Bezug auf die einzelnen Prinzipien der Moral, während der vierte Teil der Versuch einer positiven Gesetzgebung ist, die geeignet wäre, die natürliche Ordnung in der menschlichen Gesellschaft zu verwirklichen. Vor allem dieser letzte Teil als positiver Entwurf für eine künftige Gesellschaftsordnung ist von Interesse, denn die vom Verfasser entworfenen Mustergesetze erstrecken sich über den ganzen Kreis staatlicher und gesellschaftlicher Funktionen. I m „Code" versucht Morelly auf der Grundlage des Rationalismus seiner Zeit, die Moral- und Sozialtheorie zu einer exakten, nach dem Vorbild der Mathematik betriebenen Wissenschaft zu erheben. I n seiner Analyse erscheinen i h m die politischen und ökonomischen Prinzipien wichtiger als die ethischen. Das Schlechte ist nur ein gesellschaftliches Produkt, von der Milieukomponente bedingt. Durch Änderung eben dieser Komponente läßt sich eine andere Resultante, eben das gute Individuum, erzielen. I n striktem Gegensatz zum metaphysischen Pessimismus Mesliers entwickelt Morelly auch Überlegungen zu einem umfassenden gesellschaftlichen Fortschritt. Jedoch ist für ihn der Zustand der Vollkommenheit, auf den die Menschheit hinläuft, keineswegs ein plötzlich zu erreichender, sondern nur stufenweise zu verwirklichen. Morelly formuliert ein geschichtsphilosophisches Konzept, das i h n durchaus als Vorläufer des historischen Materialismus deuten läßt. Ähnlich wie Marx formuliert er, daß die Naturgesetze immer dieselben bleiben, sie können sich aber nur sukzessive i n der mensch31 Fourier baut dann i m 19. Jht. diesen Aspekt zu einem der tragenden Elemente dieses Systems aus. Vgl. J. Höppner, W. Seidel-Höppner, Bd. 1, S. 141 ff., Bd. 2, S. 175 ff. 82 Die erste deutsche Übersetzung des „Code de la Nature" stammt aus dem Jahre 1845 v o n Ernst Moritz A r n d t .
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liehen Organisation und Gesellschaft objektivieren, da ebenso das menschliche Erkenntnisvermögen einer Entwicklung unterworfen ist. Die Entwicklung reicht vom naiven Urzustand, der unter der Vorstellung des Goldenen Zeitalters und verlorenen Paradieses allen Völkern vorschwebt, zur bewußten Konstituierung der einzig naturgemäßen Gemeinschaft. Auch die Dialektik menschlicher Entwicklung wird, wie bei Marx, als Übergang zu der, das höchste Ideal darstellenden, auf bewußter Erkenntnis der Naturgesetze gründenden Gesellschaft aufgefaßt. Die Menschheit kann dieses Endziel nur auf dem Umweg über die Irrungen, i n Erprobung aller möglichen Gesellschaftsformen, erreichen. Alle geschichtlichen Stufen sind nur Vorbereitungen zu dem einzig wahren, letzten Zustand der Vollendung, wodurch die geschichtliche Bewegung im kommunistischen Ideal zum Stillstand kommt 33. — Der bedeutendste Teil des „Code" hingegen ist der Entwurf einer positiven Gesetzgebung. Dieser gibt ja auch dem ganzen Werk den Titel. Nach der dreiteiligen Erörterung über die Irrtümer und Mängel der Weltsysteme und Institutionen folgt „gewissermaßen als Anhang" wie der Autor bemerkt, ein Verfassungstext für den Idealstaat u. Bereits zuvor hat Morelly das Eigentum als Ursache aller moralischen Entartung festgehalten: A l l e i n die organisierte Gemeinschaft soll i n einer natürlichen Ordnung Eigentümer sein. Die kommunistische Assoziation sorgt für die Gemeinsamkeit und Gleichheit des Anteils an den materiellen Gütern, für eine gleichmäßige Zuweisung der Arbeit, sie verteilt Rechte und Pflichten und regelt das gesamte soziale Leben bis i n seine letzten Äußerungen. Die positiven Gesetze des kommunistischen Staatsplans, die Morelly angibt, sind für sämtliche späteren kommunistischen Systementwürfe Vorbild. Das Verfassungs- und Fundamentalgesetz, allen übrigen vorangestellt, als „unabänderliches Grundgesetz, das alle Laster und Übel der Gesellschaft an der Wurzel abschneidet", beinhaltet folgende drei Punkte: „1. Nichts i n der Gesellschaft kann i m Privatbesitz oder Eigentum eines einzelnen stehen; ausgenommen sind hiervon lediglich die A r t i k e l des täglichen Gebrauchs, d. i. die Gegenstände, welche der einzelne für seine Bedürfnisse, für sein Vergnügen oder für seine tägliche Arbeit benötigt. 33 Deutlich werden diese Parallelitäten anhand der Studien v o n L. G. Bress: Kommunismus bei K a r l M a r x . Stuttgart 1972, oder A . Schmidt: Der Begriff der Natur i n der Lehre v o n M a r x . 2. A u f l . F r a n k f u r t a. M. 1971. 34 Der Text w i r d nach Swoboda zitiert, der i h n abgedruckt hat nach der Sammlung F. Kleinwächter: Die Staatsromane. W i e n 1891.
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2. Jeder Bürger gehört dem Staate und w i r d auf Kosten und zum Besten der Gesamtheit unterhalten und beschäftigt. 3. Jeder Bürger ist verpflichtet, nach seinen Kräften, seinen Anlagen und seinem Alter zum allgemeinen Wohle beizutragen. Demgemäß werden seine Pflichten durch das Wirtschaftsgesetz geregelt" (226). Eine Reihe weiterer Bestimmungen nun versucht die Entstehung von Eigentum von Anfang an als „staatsgefährdend" zu bekämpfen. Eine an der Eigentumslosigkeit orientierte Erziehung w i r d rechtlich verankert (237 ff.) und jeder, der versucht, das „verabscheuungswürdige Privateigentum wieder einzuschmuggeln", w i r d i m Strafgesetz äußerst drakonisch bestraft (241). I m Wirtschaftsgesetz w i r d eine föderative Verwaltungs- und Produktionsgemeinschaft entworfen (226 ff.). Dies bedeutet eine bewußte Ablehnung des Zentralismus des Ancien Regime. Zentrales K r i t e r i u m des Verteilungsmodus ist das individuelle Bedürfnis. Eine gleiche Teilung der Güter verwirft Morelly, denn das Vorhandensein ausschließlicher materieller Rechte hat sofort als logische Konsequenz Kauf und Tausch zum Inhalt, und damit Keime für künftige Ungleichheiten. Das Produkt der gemeinsamen Arbeit ist Gesellschaftseigentum, der einzelne hat nur einen ideellen Miteigentumsanteil. I m Agrargesetz kommt deutlich zum Ausdruck, daß Morellys Sozialismus, ähnlich den anderen aus der Wirklichkeit des Feudalsystems entstandenen Utopien, i m Boden den wesentlichsten Produktionsfaktor sieht: Eigentum w i r d synonym mit Grundeigentum verwendet. Dem entspricht auch die besondere Stellung der landwirtschaftlichen Produktion, die als Fundament der gesamten Güterversorgung eine eingehende Regelung erfährt. So w i r d auch für jeden ein obligatorischer Landdienst verordnet (228). Überhaupt ist das gesamte Leben der Bürger von Morellys Staatswesen strengstens reglementiert 35. Gleichheit, 35 Vgl. als Beispiele etwa das „Ehegesetz, das jede Ausschweifung v e r h i n dert" (236 f.) oder A r t . 5 des Polizeigesetzes: „Jeder Bürger w i r d v o n seinem vollendeten 10. Jahre angefangen i n demjenigen Gewerbe unterrichtet, für welches er Vorliebe hat, oder für welches er geeignet ist, w e n n er gegen letzteres keine Abneigung hat. I n der Zeit v o m vollendeten 15. bis zum 18. Jahr t r i t t er i n die Ehe, v o m vollendeten 20. bis zum vollendeten 25. Jahre w i d m e t er sich der Landwirtschaft. M i t seinem vollendeten 26. Jahre w i r d er Meister, u n d zwar i n seinem ursprünglichen Gewerbe, w e n n er sich demselben wieder zuwendet, oder i n der Landwirtschaft, w e n n er es vorzieht, bei derselben zu bleiben . . . Nach dem vollendeten 40. Lebensjahre werden alle Bürger, welche keine Charge bekleiden, »freiwillige Arbeiter', d . h . sie sind v o n der Verpflichtung zur Arbeit befreit, können sich aber ihre Beschäftigung frei wählen; ebenso sind sie Herr ihrer Erholungsstunden." Die Arbeitstage werden reichlich v o n Festen u n d Ruhetagen unterbrochen. Jeder fünfte Tag ist ein Sonntag. Öffentliche Festperioden, die jeweils sechs Tage dauern, finden zudem viermal i m Jahre statt (231 ff.).
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j a Uniformität des materiellen Lebens, sollen auch ihren sichtbaren Ausdruck bekommen, so ζ. B. i n den Bestimmungen über die Kleidung 3 6 . Auch die Städte werden nach einem zweckmäßig ausgedachten Plan angelegt und bieten das B i l d vollkommener Symmetrie und Proportion (229 f.). Erziehung und Unterricht sind ebenso zweckbestimmt, sie sollen das soziale Individuum formen. Da Morelly die soziale Umwelt für die gesamte psychische Verfassung des Menschen verantwortlich macht, und gemäß seiner materialistisch-rationalistischen Konzeption eine bewußte, nach bestimmten logischen Erkenntnissen vorgehende Gestaltung dieser Umwelt für möglich hält, w i r d die Staatspädagogik zur wesentlichen Stütze des kommunistischen Systems. Sie ist i m „Erziehungsgesetz" und i m „Unterrichtsgesetz" festgelegt (237 ff.). „Das ganze Lehrgebäude der Moral" soll als „Ausführung der unabänderlichen Grundsätze" gelehrt werden. Dabei ist „kontinuierlich auf die menschliche Gesellschaft" zu verweisen, und „stets" hervorzuheben, „daß das Glück des Einzelnen von dem der Gesamtheit untrennbar ist". Überall soll der Versuch unternommen werden, „die sozialen Tugenden der Menschheit zu wecken" (239). Morellys kommunistisches Staatswesen verehrt Gott als höchstes Wesen, und dies nicht nur provisorisch, bis es seiner nicht mehr bedarf (238 f.): „Was speziell den Gottesbegriff anbelangt, so w i r d man den Kindern sagen, daß Gott die allgütige Endursache aller Dinge ist, w i r d sich jedoch hüten, ihnen irgendwelche Vorstellungen von diesem Wesen oder seinen Eigenschaften beibringen zu wollen, sondern w i r d sich darauf beschränken, ihnen zu sagen, daß der Schöpfer des Weltalls nur i n seinen Werken erkannt werden kann, daß diese Werke uns zwingen, den Schöpfer als ein unendlich gütiges und weises Wesen zu denken, welches jedoch mit keinem sterblichen Geschöpf verglichen werden kann. Man w i r d ihnen sagen, daß i m gesellschaftlichen Triebe des Menschen sich die Intentionen der Gottheit allein manifestieren, und daß man durch die Pflege dieses Triebs dahin gelangt, zu begreifen, was Gott ist." Der Religionsunterricht hat i n Gott keinen Demiurg zu sehen, auch keine prima causa, eher eine ultima ratio: Ein letzter gründender Stein auf dem großen Gebäude, das die Menschen selbst errichtet haben nach den Plänen der Natur. I n Analogie zu den wissenschaftlichen Integrationsbestrebungen der Rosenkreuzer und den Anregungen Ramsays i n seinen „Discours" fordert Morelly einen universellen Kodex der Wissenschaften, eine Enzy36 Vgl. das „Luxusgesetz", das als Wegweiser zur einfachen Lebensführung dienen soll (232).
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klopädie. A l l e Erfindungen und Erkenntnisse werden hier eingetragen. Jedoch hat sich mittlerweile der Übergang vom kosmologischen zum anthropologischen Philosophieren deutlich vollzogen: theoretische Erkenntnisse besitzen nur mehr Wert, wenn sie der praktischen Lebensgestaltung dienen (240). Die politische Organisation ist näher festgelegt i m „Verfassungs"und i m „Verwaltungsgesetz" (232 ff.). Die Demokratie ist von föderativen Prinzipien getragen und die ganze Nation soll an der Kontrolle von Gesetzgebung und Vollziehung beteiligt sein. Der Staatschef ist der Vertreter der Allgemeinheit, seine Macht ist i h m vom Volk delegiert, das jederzeit befugt ist, sie i h m wieder zu entreißen. Zur Verhinderung einer Beamten- und Regierungshierarchie schlägt Morelly m i t äußerster Konsequenz das System der Ämterrotation vor. Denn es gibt keinen plausiblen Grund dafür, daß i n einem Staat der Gleichen dieser oder jener höher gestellt sein kann. Der „Code de la Nature" gibt also i n erster Linie eine systematischanalytische Exposition der Prinzipien des i n der „Basiliade" bloß phantastisch und deklamatorisch dargestellten Sozialismus. M i t der Wandlung vom naiv-utopischen Roman zur kritischen Analyse vollzieht Morelly zugleich den Schritt vom anarchistischen Kommunismus p r i m i tiver Völker und seiner Fundierung i n der bloß triebhaften Neigung zum organisierten Sozialismus einer entwickelten Menschheit. Die Sinnenfreude der „Basiliade" und ihr Vertrauen i n die Harmonie der natürlichen Triebe weichen einem bewußt rationellen Planen und Gestalten. Während i n der „Basiliade" der aus reinem Instinkt das Gute schaffende Naturmensch i m Zentrum steht, ist es i m „Code" der historisch gewordene Mensch m i t seinen milieubedingten Mängeln, der nur unter Zuhilfenahme fester Normen und Gesetze i n der „natürlichen Ordnung" gehalten werden kann. Jedoch auch Ansätze eines fanatischen Dogmatismus sind bei Morelly bemerkbar: Seine säkularisierte Heilslehre verfällt denselben Härten, die sie den Dienern der alten Religion als unnatürlich vorwirft. Dies illustriert eine Passage aus dem „Strafgesetz": Wer nämlich „nur den Versuch macht, das geheiligte Grundgesetz abzuändern, u m das verabscheuungswürdige Privateigentum wieder einzuschmuggeln, wird, nachdem er vom obersten Senat überführt und verurteilt worden, als ein Rasender, als ein Feind der Menschheit angesehen" und lebenslänglich i n einer i n den Friedhof eingebauten Höhle eingesperrt. Sein Namen w i r d gestrichen und er hat für seine Mitbürger aufgehört zu existieren (241). I n den Diskussionskontext der Loge der „Noeuf Soeurs" gehört aber nicht nur der lange Zeit Diderot zugeschriebene „Code de la Nature"
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von Morelly. Wesentliche Wirkung hatten auch die Schriften des Bruders von Condillac, des Abbé Gabriel Bonnot de Mably 37. Er versucht mit seiner Arbeit „De la Législation ou principes du loi", die 1776 i n Amsterdam erschien, jene psychischen Faktoren zu erfassen, die den Gang der Geschichte bestimmen. Es geht i h m darum, den bestehenden Kräften und Tendenzen i m Menschen jene Richtung zu verleihen, die ihn der natürlichen Ordnung annähern. Hauptinstrument dazu ist i h m das Recht und die Gesetzgebung. Vor allem rechtspsychologische Gesichtspunkte seien zu berücksichtigen. Mably folgt damit dem Ansatz von Morelly, daß sich die künftige Gesellschaft durch rechtstechnische Eingriffe verwirklichen lasse, nimmt aber einen differenzierteren Standpunkt ein. Das Glück der Menschheit, der Fortschritt werden zu einem rechtlichen Konstrukt. Der Gesetzgeber muß, wenn seine Tätigkeit erfolgreich sein soll, nicht nur das sittliche Streben der Menschheit nach allgemeinem Glück i m Auge haben, sondern ebenso sehr die psychologischen Fähigkeiten besitzen, i n die Tiefen der menschlichen Gefühle einzudringen. Gesetzgebung ist für diesen Autor diejenige Wissenschaft, die aufgrund der gestellten Ziele die richtigen M i t t e l zu ergreifen versteht. Es hat nach Mably keinen Sinn, den Leidenschaften offen den Krieg zu erklären, vielmehr muß der Gesetzgeber sich auf Schlauheit verlegen und aus dem Hinterhalt langsam deren Vernichtung anstreben. Gilt es ζ. B. die Habsucht zu schwächen, so hat der Gesetzgeber sich zunächst der Eitelkeit oder des Ehrgeizes der Bürger zu bedienen, Ehrenbelohnungen an Stelle der Geldbelohnungen zu setzen, u m so nach und nach die niedere Habsucht durch den höheren Ehrgeiz zu substituieren. Nach einer grundsätzlichen psychologischen Betrachtung gibt Mably i n seiner Arbeit „Über die Gesetzgebung" eine Skizze eines positiven Entwurfs, der geeignet wäre, die Gesellschaft dem Ideal des „Ordre Naturel" anzunähern, indem hauptsächlich die allzu großen materiellen Bedürfnisse und die Habsucht herabgemindert werden. Das der Gesetzgebung entsprechende Gesellschaftsbild ist gleichsam als Utopie zweiter Ordnung zu verstehen. Die K l u f t zwischen Wirklichkeit und Ideal läßt Mably nicht unüberbrückt wie Morelly, auch hofft er nicht wie Meslier, sie durch revolutionäre Erhebung zu beseitigen. Es ist 37 Vgl. G. B. de Mably: Oeuvres Complètes. Hrsg. v. G. Arnoux, 15 Bde., Paris 1794/95. Des näheren vgl. W. Guerrier : L'abbé de Mably, Moraliste et Politique étude sur la doctrine morale du Jacobinisme p u r i t a i n et sur le développement de l'esprit républicain au XVIII® siècle. Paris 1886; E. A . Wickfield: Gabriel Bonnot de Mably. London 1930; W. Bahner: Der historischgesellschaftliche Standort der Ideen Mablys. I n : Literaturgeschichte als geschichtlicher Auftrag. Hrsg. v. W. Bahner, B e r l i n 1961. Girsberger, S. 168 ff.
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vielmehr Aufgabe der Gesetzgebung, den Menschen der natürlichen Ordnung anzunähern und die langsame Vorbereitung zur vollen Verwirklichung dieser Ideale zu bewerkstelligen. Wohl eine der schillerndsten Persönlichkeiten und einer der fruchtbarsten Schriftsteller ist der Freimaurer Nicolas Edme Restif de la Bretonne* 8. Er verfaßt unter anderem eine Raumflugutopie 3 9 : Restif versucht hier, ähnlich wie Morelly, dasjenige soziale K l i m a zu finden, das durch eine spezifische gesellschaftliche Organisation alle Laster unmöglich machen würde. Denn nicht der Mensch, sondern die Vernunft ist verantwortlich für das Schlechte. Von Mably übernimmt er den rechtspsychologischen Ansatz; so heißt es: „Von der Annahme ausgehend, daß die Gleichheit unter den Menschen die einzige Quelle des Glücks, folglich aller Tugend ist, haben w i r beschlossen, ein neues Gesetzbuch bekanntzumachen" (280). Ähnlich wie bei Morelly und Mably folgen dann eine Reihe positivrechtlicher Bestimmungen. Wesentlich an diesem Werk ist der Anhang, wo Restif als fiktiver Herausgeber i n wenigen Worten ein System internationaler Zusammenarbeit skizziert, das die maurerische Idee des Weltbürgertums verwirklichen soll. Er schlägt hier „eine gewisse A r t von Amphyktionen (Bündnisse, A. d. V.) für ganz Europa" vor. „Von diesem höchsten Richterstuhl müßten alle Irrungen der Nationen untereinander entschieden werden. Jede europäische Macht führt ein Jahr lang den Vorsitz, nicht durch die Wahl, sondern nach der Folge i n einer festgesetzten Ordnung" (289). Europa soll also nach diesem Autor als System vereinter Nationen zusammengefaßt werden mit einem gemeinsamen internationalen Gerichtshof. Strukturell und inhaltlich eine ganz neue Form der Utopie hat 1770 Louis-Sebastien Mercier eingeführt, die fortan immer stärker an Popularität gewann. Er faßte seine Utopie als Zukunftsroman, während die bisherigen Werke zumeist Fiktionen neuentdeckter Inseln oder bisher unbekannter Landstriche waren. M i t Merciers „L'Ans 2440, rêve s'il en 38 Bekannt ist dieser unermüdliche Vielschreiber auch heute noch als „klassischer" Pornograph. Er hat u . a . 1776 einen Roman „ L e Pornographe" geschrieben, u n d viele andere seiner Schriften sind eine skurrile Mischung aus Philosophie u n d Pornographie, daß m a n i h n schon zu Lebzeiten den „Rousseau du ruisseau", also den Rosseau der Gosse, nannte. Vgl. dazu F. FunckBrentano: Restife de la Bretonne, Paris 1928. 39 Restif de l a Bretonne: L a Découverte australe par u n homme volant ou le Dédale français, nouvelles très philosophique. 4 Bde., Leipzig 1782; zitiert w i r d nach Swoboda: Der T r a u m v o m besten Staat, 267 ff., der sich auf die Ausgabe: Retiffe de la Bretonne: Der fliegende Mensch. Übers, v. D. C. S. Mylius, Dresden - Leipzig 1784, stützt. Solche Utopien können über Cyrano v o n Bergerac u n d Francis Goodwin bis zu L u k i a n zurückverfolgt werden. Vgl. dazu H. Swoboda: Dichterreisen zum Mond. F r a n k f u r t 1969.
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fût jamais" w i r d die Zukunft immer stärker zum Hintergrund des Utopismus 40 . Der Freimaurer Mercier war ein politisch engagierter Schriftsteller: Er stand i m politischen Tageskampf, war ein überzeugter Anhänger der Aufklärung, Bewunderer Rousseaus und persönlicher Freund von Restif de la Bretonne. Sein Zukunftsroman vom liberalen, demokratischen, aufgeklärten Paris erschien zunächst anonym i n französischer Sprache i n London. Als die Französische Revolution ausbrach, zog Mercier als Abgeordneter i n den Konvent ein, Schloß sich den Girondisten an und wurde daher vorübergehend eingekerkert. I n der Napoleonischen Ä r a wies er dann immer wieder stolz darauf hin, wie er i n seinem „Jahr 2440" die kommenden Ereignisse vorhergesehen habe 41 . Der Erzähler i n Merciers Roman geht i m Jahre 1770 schlafen und wacht i m Paris des Jahres 2440 wieder auf, bewundert staunend die neue Ordnung von Paris, dessen Leben auf eine völlig andere Grundlage gestellt ist 4 2 . Als Motto für seinen Zukunftsroman hat Mercier einen Satz von Leibniz gewählt, der für jedes utopische Denken gilt: „Die Gegenwart geht schwanger mit der Zukunft Es ist i n diesem Rahmen unmöglich, alle jene neuen Institutionen aufzuzählen, welche dem prophetischen Denken Merciers bereits i m 18. Jahrhundert vorschwebten, und die zum großen Teil dann W i r k lichkeit wurden. Was dem allgemeinen Glück i m Wege stand, ist i m modernen Paris verschwunden. Alles ist aus Nützlichkeitserwägungen geordnet und rationalisiert (251). Die steifen und kostspieligen Trachten des 18. Jhts. sind bequemer und einfacher Kleidung gewichen. Die Straßen sind rationell angelegt, erweitert, und gestatten einen Verkehr, der, obzwar riesengroß, sich dennoch völlig geordnet abspielt (246 f.). 40 Z i t i e r t w i r d nach Swoboda, 246 ff., der die Übersetzung heranzieht L. S. Mercier : Das Jahr 2440. Leipzig 1772. Vgl. zum folgenden auch Girsberger, S. 199 ff. Die Verlegung der Utopie i n die Z u k u n f t hat durchaus reale Gründe, die der Tatsache Rechnung trugen, daß m a n nunmehr unentdeckte Inseln k a u m mehr glaubhaft machen konnte; andererseits wurde so das T r a u m h a f t Phantastische m i t dem Prophetisch-Visionären verknüpft. Neu ist freilich die Technik der Zeitreise nicht, denn die vielfältigen Erscheinungsformen des Chiliasmus, des Glaubens an das Tausendjährige Reich, hatten j a meist V e r heißungen für die Z u k u n f t gebracht. 41 Des näheren zum Leben von Mercier vgl. L. Béclarde : Sebastien Mercier, sa vie, son oeuvre, son temps, Paris 1903. 42 Das D a t u m 2440 darf man nicht w ö r t l i c h nehmen. Während etwa bei George Orwells Roman „1984" anzunehmen ist, daß der Verfasser tatsächlich annähernd dieses Jahr i m Auge hatte, hat Mercier ein i n wenigen Jahrzehnten prinzipiell realisierbares Reformprogramm entweder aus Vorsicht oder — was wahrscheinlicher ist — zum Zweck der Satire, i n eine ferne Z u k u n f t verlegt: Fast 700 Jahre w i r d es noch dauern, ehe w i r endlich i n einer v e r nünftigen Welt leben.
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Das politische System ist als Rechtsstaat konstituiert: „Die Gesetze herrschen, und kein Mensch ist über sie erhaben" (255). Sie sind jedoch so einfach gehalten, daß jeder seine Sache vor Gericht selbst führen kann, und die Jurisprudenz ist aus den akademischen Studien verbannt. Eine StändeveTsammlung bildet das gesetzgebende Parlament; ein Senat m i t einem Oberhaupt, das den Ehrentitel eines Königs trägt, sorgt für die Ausübung der Gesetze. Durch die Stände ist aber das Volk die entscheidende Instanz, und König und Senat sind den alle zwei Jahre zusammentretenden Ständen verantwortlich (254). Mercier hält an der Institution des Privateigentums fest, versucht aber gerade durch die Gesetzgebung allzu großen Unterschieden sowie schädlichen Folgen zu steuern. Auch das Unterrichtswesen ist nach utilitaristischen Prinzipien geordnet. Latein und Griechisch sind als tote Sprachen erledigt und werden nicht mehr gelehrt, statt dessen Italienisch, Deutsch, Englisch und Spanisch. Die Metaphysik ist der „experimentellen Philosophie" i n Form des enzyklopädischen Denkens gewichen. I m Zentrum der wissenschaftlichen Arbeiten an der Sorbonne stehen die Naturwissenschaften und die Medizin. Theologie und Jurisprudenz sind als Wissenschaftsdisziplinen zur Gänze verbannt 4 3 . Merciers Z e i t k r i t i k ist ätzend, sie t r i t t gegen Despotismus und Aberglauben auf, sowie gegen das Ausbeutungssystem des feudalen Absolutismus: „Gegenden, von Zöllnern ausgesogen, Städte, die zu Flecken, Flecken, die zu Dörfern, Dörfer, die zu zerstreuten Hütten geworden; ihre Einwohner bleich und verhungert; kurz, Bettler statt Einwohner. Man kannte all diese Übel: Man wollte die augenscheinlichsten Grundwahrheiten nicht sehen, u m das System der Gewinnsucht zu ergreifen, und die Dunkelheit, die diese über die Wahrheit ausbreitete, autorisierte die allgemeine Plünderung" (253) 44 . 45
V o n köstlicher Ironie sind Merciers Ausführungen dort, w o er beschreibt, w i e die alten juristischen u n d theologischen Bücher i m K e l l e r aufbewahrt werden, u m i m Kriegsfall anstelle v o n K u g e l n gegen die Feinde geschossen zu werden. Die verheerende W i r k u n g dieser falschen Dogmen w i r d nach Mercier jeden weiteren K a m p f überflüssig machen. 44 A u f der anderen Seite werden Gesetzgebung, Rechtsprechung u n d der A d e l auf das Schärfste attackiert (256): „ W i r haben diese barbarische P o l i t i k nicht angenommen, die auf die Unwissenheit richtiger Gesetze oder die V e r achtung der ärmsten, u n d doch nützlichsten Menschen gegründet ist. Es gibt abscheuliche u n d grausame Gesetze, die die Menschen sogar als böse voraussetzen: Aber w i r glauben, daß sie es erst durch Einführung dieser Gesetze geworden sind. Der Despotismus hat das menschliche Herz abgemattet, u n d durch seine Verbitterung vertrocknet u n d verderbt . . . Die Klasse v o n Menschen kennt m a n bei uns gar nicht, die unter dem T i t e l des Adels (der, was das Lächerlichste ist, noch dazu feil war) u m den T h r o n umherkrochen, nichts als Soldaten oder Hofleute werden wollten, i m Müßiggange lebten, i h r e n Stolz m i t altem Pergamen nährten u n d das armselige Schauspiel einer Eitelkeit gaben, die so groß als i h r Elend war."
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Auch finden sich i n der Tat bei Mercier etliche Stellen, die eine Vorwegnähme der Französischen Revolution sind 4 5 . Wie kaum ein anderer Utopist versucht Mercier, den Erwartungshorizont an den Erfahrungsraum zurückzubinden, die Realität mit der Utopie zu vermitteln. So, wenn er sagt: „Ungeachtet der wenigen Aufmerksamkeit, die den Menschen eures Jahrhunderts so gewöhnlich war, so hatte man doch vorhergesehen, daß die Vernunft eines Tages einen großen Fortgang gewinnen wird. Die Wirkungen davon fallen i n die Augen, und die glücklichen Grundsätze einer weisen Regierung sind die erste Frucht der öffentlichen Besserung gewesen" (257). Sämtliche i n diesem Kapitel behandelten Schriften waren Diskussionsthemen in den französischen Logen. Es wurde bereits erwähnt, daß eine wesentliche Rolle für die Neuausrichtung und Politisierung der französischen Maurerei Claude Adrien Helvetius spielte. Ja der Plan zur Gründung einer Philosophenloge, wie sie dann i n den „Noeuf Soeurs" verwirklicht wurde, stammt von ihm. Helvetius selbst erlebte die Gründung nicht mehr, jedoch die beiden ersten Johannisfeste dieser Loge 1776 und 1777 wurden i m Parke des Hauses Auteuil begangen, i n dem sich die geistige Elite u m die Witwe von Helvetius versammelte 46 . Enger Gefährte von Helvetius war der Baron Paul Heinrich Dietrich von Holbach, der aus Heidelsheim i n der Pfalz stammte und dann i n Paris lebte. Der Freimaurer Holbach setzte sich ursprünglich m i t chemischen Studien auseinander und verfaßte für die Enzyklopädie auch sämtliche diesbezüglichen Artikel. Erst unter Diderots Einfluß wandte er sich der Philosophie zu und sein Haus wurde bald zum Sammelpunkt engagierter freimaurerischer Kreise 4 7 . Holbach und dann Helvetius verbanden philosophische und soziale K r i t i k und nehmen dadurch nicht nur i n der Philosophie, sondern 45 Unter etlichen Stellen sei auf folgende verwiesen: „Es brauchte n u r einer starken Stimme, das V o l k v o n einem betäubenden Schlafe aufzuwecken. Wenn die Unterdrückung auf eure Häupter herabdonnerte, so durftet i h r n u r eurer eigenen Schwachheit die Schuld beimessen. Die Freiheit u n d das Glück ist für die, die sich ihrer zu bemächtigen wissen. Alles i n der W e l t ist Revolution: Die glücklichste unter allen hat ihren P u n k t der Reise gehabt, u n d w i r ernten itzt davon die Früchte ein." U n d i n der Fußnote zu diesem Zitat v e r m e r k t Mercier: „Gewissen Staaten steht eine Epoke vor, die unausbleiblich kommen muß: eine schreckliche, blutige Epoke, die aber die Losung der Freiheit ist. Ich meine den bürgerlichen Krieg: dann erheben sich alle großen Männer: einige greifen die Freiheit an, andere verteidigen sie. Der bürgerliche K r i e g entwickelt die verborgensten Talente. Es stehen außerordentliche Menschen auf u n d scheinen würdig, Menschen zu gebieten. Es ist ein abscheuliches, aber ein notwendiges M i t t e l , w e n n ein Staat i n einer gedankenlosen Schlafsucht u n d die Seelen i n einer dummen Betäubung versenkt liegen" (252). 46 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 684 f. 47 Vgl. R. Hubert: Dietrich Holbach et ses amis. Paris 1928.
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ebenso sehr i n der Maurerei eine besondere Stellung ein. Diese Dogmatiker des Materialismus unterscheiden sich eher stilistisch, denn inhaltlich: Holbach durch seine eindeutigen radikalen Formulierungen, Helvetius durch seine zurücknehmenden, stilistisch-konservativen Ausführungen. Für Holbach ist der Mensch i n seinem Denken, Fühlen und Wollen lediglich aus dem Materiellen zu erklären. Nachweislich hat i h n das Testament Mesliers beeinflußt 4 8 . Er anerkennt nur die mechanische Kausalität und er wollte Newtons Gesetz der A t t r a k t i o n auch auf das soziale Gebiet übertragen 4 9 . I m „Système sociale" hingegen wendet sich Holbach der Moralphilosophie zu, aber auch der politischen Theorie. Er untersucht dort die verschiedenen Staats- und Regierungsformen, bekämpft den Despotismus sowie die Korruption des Ancien Régime. Die Ethik ruht bei Holbach auf einem psychologischen Grund und was i n der Physik Trägheit, Anziehung und Abstoßung ist, heißt i n der Moral Selbstliebe, Liebe und Haß. Zweck der Moral ist das Glück und sein Maßstab der praktische Nutzen und das „wohlverstandene" Interesse 50 . Konkrete Vorschläge finden sich erst i m Anhang zum „Sozialsystem", der den Titel „Über den Einfluß der Regierung auf die Sitten" hat. Gesetzgebung und Regierung werden hier als diejenigen Faktoren beschrieben, die den Charakter eines Volkes am stärksten beeinflussen. Tugend und gute Sitten sind nur unter einer gerechten Regierung, die sich das allgemeine Wohl zum Ziel setzt, möglich. Die Verbrechen fallen daher den schlechten Gesetzen zur Last, so daß eigentlich der Gesetzgeber für alle Vergehen bestraft werden müßte. Ohne die Institution des Privateigentums prinzipiell anzugreifen, empört sich der Autor über die herrschende Ungleichheit i n der Verteilung der materiellen Güter. I n seinen ökonomischen Anschauungen geht Holbach weitgehend m i t den Theorien der Physiokraten parallel, m i t dem fundamentalen Unterschied, daß er die Verwirklichung des allgemeinen Wohles nicht von einer Politik des „Laissez faire", sondern von einer rationellen interventionistischen Gestaltung des sozialen Lebens erwartet. 48 Vgl. J. Haar: Jean Meslier u n d die Beziehung v o n Voltaire u n d Holbach zu ihm. Diss. Heidelberg 1928. 49 Vgl. D. v. Holbach: Système de la nature ou du lois du monde physique et du monde morale. London 1770, S. 46 u n d 79 f.; es handelt sich hier gewiß u m k e i n Novum, denn dieselbe Analogie zwischen physikalischer u n d sozialer A t t r a k t i o n entdeckten bereits Meslier u n d auch Morelly. 50 Vgl. D. v. Holbach: Système sociale ou principes naturels de la morale et de la politique. Bd. 1 - 3 , London 1773.
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Da Holbach eine ursprüngliche Indifferenz des Menschen und dessen alleinige Formung durch die Umwelt behauptet, legt er größtes Gewicht auf die Erziehung. Gegenwärtig gründe sie auf falschen, der Religion und der spekulativen Philosophie entnommenen Prinzipien, statt den Menschen zum nützlich-sozialen Individuum zu formen. Die Religion ist daher die größte Feindin der natürlichen Moral. Sie entfremdet den Menschen der Natur und trennt sie, anstatt sie zu einigen. Das Glück der Menschheit hängt am Atheismus und der unüberwindliche Hang des Menschen zum Geheimnisvollen und Wunderbaren ist die Folge priesterlicher Beeinflussung. Allgemein vertritt Holbach einen radikalen Kulturutilitarismus, bei dem alles vom Theater bis h i n zur Gesetzgebung als moralische Erziehungsanstalt zu dienen hat. Das Denken von Helvetius ist ähnlich. Auch für ihn ist jegliche Verschiedenheit i n den geistigen und moralischen Fähigkeiten wesentlich das Produkt der Einwirkungen des physischen und geistigen Milieus. Die Menschen sind für i h n von Geburt an gleich i n ihren Anlagen und die späteren Unterschiede sind nur durch „geschichtliche Einflüsse" bedingt. Darauf gründet er ebenfalls die fundamentale Bedeutung von Erziehung und Gesetzgebung 51. Die Ausübung jeder Tugend ist an das individuelle Interesse gebunden. Die christlich-asketische Lehre, die das Streben nach eigenem Vorteil als sündhaft und m i t dem Moralischen unvereinbar hält, ist falsch, denn nie w i r d der Mensch vom Streben nach Glück ablassen und jede Moral hat deshalb auf diesem Streben zu gründen. Die moralische Erziehung wäre jedoch unvollendet, würde nicht der Gesetzgeber Hilfestellung leisten. Helvetius, wie den meisten Utopisten, geht es u m eine Verbindung von Moral und Politik. Die Moral bleibt eine wirkungslose Wissenschaft, wenn sie nicht m i t der Politik und der Gesetzgebung verbunden wird. Der Gesetzgeber hat daher, u m das allgemeine Wohl zu v e r w i r k lichen, jene Handlungen, welche dem allgemeinen Nutzen dienen, m i t Vorteilen für den einzelnen zu verknüpfen und dadurch den Egoismus dem allgemeinen Wohl dienstbar zu machen. Die Kunst des Gesetzgebers hat durch rationale Gesetze die Menschen gewissermaßen zu zwingen, m i t der Verfolgung ihres eigenen Vorteils zugleich das allgemeine Wohl zu verwirklichen. Dann ist die Tugend das Geld, das man ausgibt, u m sich das Glück zu kaufen. Damit ist man jedoch bei der Wurzel der logischen Begründung jener Omnipotenz des Gesetzgebers und Erziehers angelangt, wie sie nicht nur das freimaurerische Gedankengut durchzieht, sondern auch die 51
Vgl. zum folgenden vor allem C. A . Helvetius: De l'esprit. 1758. Erste deutsche Übersetzung: Diskurs über den Geist des Menschen. Hrsg. v. J. G. Forkert, Leipzig 1760; C. A . Helvetius: De l'homme, de ses facultés i n t e l lectuelles et de son éducation. 2 Bde., London 1773.
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späteren politisch-totalitären Systeme. Sowohl Holbach als auch Helvetius radikalisierten die Bedeutung des pädagogischen Faktors. I m Bereich der K r i t i k und der politischen Zielansprachen ist Helvetius mit Holbach weitgehend gleicher Ansicht. Die behandelten Utopien werden für die Denkentwicklung der Freimaurerei i n folgendem bedeutsam: Die den Utopien meist zugrundeliegende sozialistische Theorie schiebt die ganze Verantwortung für den einzelnen Menschen auf die Gesellschaft Den Staat als gesellschaftliches Ganzes t r i f f t die Aufgabe, für Wohl, Glück und Entwicklung des Individuums zu sorgen. Die Idee eines umfassenden Sozialstaates bekommt ihre erste Formulierung. — Neben dem Konzept einer sich selbsttätig verwirklichenden Harmonie zwischen Individual- und A l l gemeininteresse werden Konzepte entwickelt, die besagen, daß das allgemeine Wohl an eine interventionistische Gestaltung der Gesellschaft gebunden ist. Zusehends w i r d das Recht instrumental verstanden, vor allem als M i t t e l politischer Veränderungen. Auch w i r d die Kritik verstärkt „methodisch" eingesetzt, als theoretische Vorbereitung für eine gesellschaftsverändernde Praxis. — Ein weiteres gemeinsames Merkmal ist die Betonung einer an rationalen Maßstäben ausgerichteten Erziehung. Der künftige Staat w i r d als riesiger pädagogischer Mechanismus gesehen, dessen wesentliches Instrument die „aufgeklärte" Gesetzgebung ist. Die Impulse des französischen Utopismus werden für die deutsche Aufklärung und damit auch für die Freimaurerei wesentlich. Zunächst müssen w i r aber fragen, welche politischen Vorstellungen — K r i t i k felder und Zielansprachen — sich i m deutschen Sprachraum unter dem Begriff Aufklärung bündeln. 3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r 3.3.1. Aufklärung: Ein Kampf um den legitimen Sprachgebraudi
W i r haben gesehen, daß i m Rosenkreuzertum eine Frühform der Aufklärung zu sehen ist. I n den Schriften der Rosenkreuzer geht es u m „Aufklärung", „Erleuchtung", dann aber auch u m „Fortschritt", „Fortschritt der Erkenntnis", sowie u m den Anspruch der Vernunft gegenüber den überlieferten Werten und Bindungen. Aufklärung und der als „progressus scientarum" thematisierte Fortschritt sind wesentliche metaphysische Bindungen des neuzeitlichen wissenschaftlichen Orientierungskomplexes. Diese Stichworte beherrschen nicht nur die Wissenschaftskonzepte der „Royal Society" und der „Academie Française", sondern ebenso sehr die Diskussionsfelder der Freimaurerbünde und die utopischen Gesellschaftskonzepte.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r Sieht m a n v o m Rosenkreuzertum
ab, b e g i n n t
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die b r e i t
angelegte
D i s k u s s i o n u m A u f k l ä r u n g u n d F o r t s c h r i t t i m deutschen S p r a c h r a u m eher zögernd, „ v e r s p ä t e t " 1 . A u f k l ä r u n g w u r d e j a z u A n f a n g des 18. J h t s . n i c h t i m „ r o s e n k r e u z e r i s c h e n " S i n n v e r w e n d e t als u m f a s s e n d e r
Struk-
tur« u n d Bewegungsbegriff, sondern zumeist v o n dem lateinischen W o r t „serenitas" h e r g e l e i t e t , das als deutsche B e z e i c h n u n g v o r w i e g e n d Vorgänge reserviert w a r 2 . Wie konnte n u n
meteorologische rung"
zum
Sammelbegriff
verschiedener
Weltanschauungskonzepte
w e r d e n , i n d e r e n S p a n n u n g s f e l d gegen E n d e des 18. J h t s . e i n um den legitimen Das A d j e k t i v Brockes' Gottsched
Gebrauch
für
„AufkläKampf
entstand3?
„aufgeklärt"
findet
m a n erstmals
1727 i n
Barthold
„ S a m m l u n g irdischer Vergnügen i n G o t t " 4 . Johann Christoph v e r w e n d e t d a n n das V e r b u m „ a u f k l ä r e n " öfters i n der v o n
i h m besorgten Wochenzeitschrift
„Die vernünftigen Tadlerinnen",
die
v o n 1725 - 1726 erschien 6 . D i e a d j e k t i v i s c h e V e r w e n d u n g f i n d e n w i r i n 1 Vgl. dazu H. Plessner : Die verspätete Nation. Über die politische V e r f ü h r barkeit bürgerlichen Geistes. F r a n k f u r t a. M . 1974 (1. A u f l . 1935). Die v o n Plessner für A n f a n g des 20. Jhts. diagnostizierte „Angst" der Philosophie „ v o r der eigenen Überflüssigkeit" (S. 159) ist ebenso für den Anfang des 18. Jhts. konstatierbar. Descartes, Spinoza u n d Leibniz waren Gegenstand der Diskussion, u n d i m Vergleich zu dem v o n ihnen überlieferten W e r k schien jedes weitere Philosophieren „überflüssig". 2 Vgl. J. Ch. Adelung: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundart. 5 Bde. Leipzig 1774 - 1786, Bd. 1, S. 451. 3 Vgl. zum gesamten folgenden K a p i t e l K. Vorländer: Philosophie der Neuzeit. Die Aufklärung. Bearb. v. H. Knittermeyer. Reinbek b. Hamburg, 5. A u f l . 1975; F. Schalk: Aufklärung. I n : Historisches Wörterbuch der P h i losophie, Bd. 1, Spalte 620-633. H. Stuke: Aufklärung. I n : Geschichtliche Grundbegriffe, Bd. 1, S. 243-342; W. Krauss: Studien zur deutschen u n d französischen Aufklärung. B e r l i n 1963; ders.: Perspektiven u n d Probleme. Z u r französischen u n d deutschen A u f k l ä r u n g u n d andere Aufsätze. Neuwied 1965; E. Coreth: Einführung i n die Philosophie der Neuzeit. Bd. 1: Rationalismus, Empirismus, Aufklärung. Freiburg i. Br. 1972; E. Cassirer: Die P h i losophie der Aufklärung. Tübingen 3. A u f l . 1973; H. Dieckmann: Studien zur Europäischen Aufklärung. München 1974; W. Schneider: Die wahre A u f k l ä rung. Z u m Selbstverständnis der deutschen Aufklärung. Freiburg i. Br. 1974; vgl. auch die eigenwilligen Interpretationen v o n Th. W. Adorno, M. Horkheimer: D i a l e k t i k der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 1947. Neuausgabe F r a n k f u r t a. M. 1972; zur Wissenschaftsgeschichte der A u f k l ä r u n g ist das Standardwerk J. Mittelstrass: Neuzeit u n d Aufklärung. Studien zur Entstehung der neuzeitlichen Wissenschaft u n d Philosophie. B e r l i n - New Y o r k 1970. 4 B. H. Brockes: Irdisches Vergnügen i n Gott. Bd. 1, Hamburg 1721, Bd. 2 - 8 Hamburg 1727 - 1746, Bd. 9 (Nachlaß) Hamburg 1748; vgl. dazu die Ausw a h l B. H. Brockes: Irdisches Vergnügen i n Gott. A u s w a h l u n d Nachwort v. A . Eischenbroich, Stuttgart 1963. 5 Gottsched stand deutlich unter dem Einfluß der rationalistischen Philosophie Christian Wolffs sowie der englischen Moralphilosophie u n d w a r bemüht, das Wissen seiner Zeit aus den Akademien u n d Schulen zu holen u n d es allgemein zugänglich zu machen. Dennoch wäre es überspitzt, w e n n m a n die v o n Gottsched intendierte Bedeutungserweiterung des Verbs „aufklären" bereits als reine Erscheinungsform der Aufklärungsbewegung interpretieren würde.
172
3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
der Folge dann 1752 i n Johann Georg Sulzers „Versuch von der Erziehung und Unterweisung der Kinder", aber auch i n Christoph M a r t i n Wielands „Moralischen Briefen" aus demselben Jahr. Der erneute Gebrauch des Substantivs „Aufklärung" kann also aus der adjektivischen Verwendung abgeleitet werden. Zu berücksichtigen ist aber auch die enge Verwandtschaft mit der aus der Theologie stammenden Lichtmetaphorik, die ja für die Diktion des 17. und dann noch des ganzen 18. Jhts. charakteristisch ist. Indem man die „Wirkung des Lichts von einem Jahrzehnt zum anderen immer deutlicher sieht", läßt man „die Jahrhunderte der Barbarei und Verfinsterung" hinter sich, u m schließlich die Früchte der „goldenen Zeit der Humanisierung, Aufklärung und Verschönerung des bürgerlichen und gesellschaftlichen Lebens" zu genießen 6 . Gewiß ist, daß u m die Mitte des 18. Jhts. sich das deutsche Wort „Aufklärung", das bereits die Rosenkreuzer vielfach verwendeten, endgültig einzubürgern beginnt. Der begriffliche Kampf u m das Wort „Aufklärung" verläuft dann erst gegen Ende des 18. Jhts. Anlaß der Begriffsdiskussion war ein von dem Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner i n der „Berlinischen Monatsschrift" publizierter Aufsatz, wo er die Frage stellt: „Was ist Aufklärung?" und er fährt fort: „Diese Frage, die beinahe so wichtig ist wie ,Was ist Wahrheit? 4 sollte doch wohl beantwortet werden, ehe man aufzuklären anfinge!" 7 . Die „Berlinische Monatsschrift" wurde von 1783 bis 1786 von dem Bibliothekar Johann Erich Biester gemeinsam m i t dem Gymnasialdirektor Friedrich Gedike herausgegeben. Als Ideal galt dieser stark freimaurerisch ausgerichteten Zeitschrift der „Eifer für die Wahrheit" und die „Liebe zur Verbreitung nützlicher Aufklärung und Verbannung verderblicher I r r t ü m e r " 8 . Obwohl dann 1784 6 Ch. M. Wieland: Kurze Darstellung der innerlichen Verfassung u n d äußerlichen Lage v o n Athen. 1794. I n : Sämtliche Werke. Hrsg. v. J. G. Gruber, 1. A u f l . i n 53 Bden., Leipzig 1818 - 1828 (Neudruck, 36 Bde., Leipzig 1853 - 1858) Bd. 39, S. 47. 7 J. F. Zöllner: Ist es ratsam, das Ehebündnis nicht ferner durch die Religion zu sanzieren? I n : Berlinische Monatsschrift 2, 1783, S. 516. Z u dieser Frage u n d zu den einschlägigen A n t w o r t e n vgl. die gute u n d m i t einem Nachw o r t versehene Textedition v o n E. Bahr: Was ist Aufklärung? Kant, Erhard, Hamann, Herder, Lessing, Mendelssohn, Riem, Schiller, Wieland. Stuttgart 1975. 8 Vgl. Vorrede der Berlinischen Monatsschrift 1, 1783, S. 1 f. I m Munde der Gegner hieß diese Zeitschrift bald „Berlinische Aufklärungsclique" oder „Aufklärerbande". Z u i h r e n M i t a r b e i t e r n gehörten Kant (15 Beiträge), Mendelssohn (8 Beiträge), Benjamin Franklin, Christian Garvé, Ludwig Gleim, Wilhelm v. Humboldt, Thomas Jefferson, Graf Mirabeau, Justus Moser, Karl Philip Moritz, Friedrich Nicolai, Ch. F. D. Schubarth, J. H. Voss, F. Zelter, u m die bekanntesten zu nennen. Auch Goethe u n d Schiller waren durch j e einen Beitrag vertreten. Die Gegner nannten sie auch „Berliner Aufklärungssynagoge", w e i l sie auch jüdischen A u t o r e n zugänglich war. So wäre beispielsweise neben Mendelssohn noch David Friedländer, Markus Herz, Salomon Maimon u n d Moses Wessely zu nennen.
3.3. Zielansprachen und K r i t i k f e l d e r
173
Kant und Mendelssohn eigens auf Zöllners Frage A n t w o r t gaben, bleibt die Begriffsverwirrung bestehen, so daß der Freimaurer K a r l Friedrich Bahrdt 1789 zu folgendem Befund kommt: „Das Wort Aufklärung ist jetzt i n dem Munde so vieler Menschen, und w i r haben gleichwohl noch nirgends einen Begriff gefunden, der ganz bestimmt und gehörig begrenzt gewesen wäre 9 ." I m folgenden sollen nun die groben Fluchtlinien der Diskussion u m den Aufklärungsbegriff aufgezeigt werden. Zunächst artikuliert sich Aufklärung als umfassender Wissens- und Bildungsbegriff, als Begriff progressiver, fortschreitender Erkenntnis. Kants Beantwortung der Frage „Was heißt Aufklärung?" provoziert eine Reihe kritischer und differenzierter Reaktionen, von denen die von Mendelssohn und Hamann wesentlich werden. I m letzten Teil soll die politische Besetzung des Begriffs behandelt werden: Aufklärung w i r d zum Signalwort radikaler Parteilichkeit. A. Aufklärung
als Wissens- und Bildungsbegriff
Wesentlicher Exponent eines materialen Aufklärungsbegriffs ist Christoph Martin Wieland. Er sah i n der Maurerei eine institutionelle Sicherung der Aufklärung, ein „auf ein hohes, aber erreichbares, wenn auch unendliches Ziel hinarbeitendes I n s t i t u t " 1 0 . Sie hat Aufklärung als universalen Erkenntnis- und Wissensanspruch zu sichern 11 . Der Begriff Aufklärung impliziert für den Autor gleichzeitig und denknotwendig „Fortschritt" 1 2 . „Vermöge der Natur des menschlichen Geistes" ist A u f klärung „ebenso grenzenlos" wie „die Vollkommenheit, wozu die 9 K. F. Bahrdt: Über die A u f k l ä r u n g u n d die Beförderungsmittel derselben. Leipzig 1789, S. 3. 10 Z i t i e r t nach Freimaurer-Lexikon, Spalte 1702; über Wieland als Freimaurer vgl. die Biographie v o n A . v. Reitzenstein: Wieland. B e r l i n 1908. 11 Neben den bereits erwähnten „Sämtlichen Werken", die, sofern nichts anderes erwähnt ist, nach der ersten Auflage zitiert werden, w i r d Wieland noch zitiert nach Ch. M. Wieland: Gesammelte Schriften. Hrsg. v. d. K ö n i g l i chen Preußischen, später Deutschen Akademie der Wissenschaften, 3 Abt., B e r l i n 1909 ff. Vgl. etwa zur These des universalen Erkenntnis- u n d Wissensbegriffs Wieland: Sechs A n t w o r t e n auf sechs Fragen. 1785. I n : Werke. Bd. 30, 1857, S. 273. 12 W i r dürfen nicht vergessen, daß Fortschritt i m deutschen Sprachraum noch keineswegs zu einem eigenständigen historischen Perspektivbegriff geronnen ist. „Fortgang", „Fortschreiten", „Fortschritte" i m P l u r a l werden v e r wendet, u m jene zeitlichen Bewegungen zu bezeichnen, die auf dem Weg zum unendlichen Fernziel zurückgelegt werden. K a n t benutzt das W o r t „ F o r t schritt" schon länger, so i n der Schrift „Die Frage, ob die Erde veralte, physikalisch erwogen" v o n 1754, verwendet aber diesen Ausdruck i n einem geschichtsphilosophischen Sinn, erst 1784 i n seinen neuen Thesen zu einer „allgemeinen Geschichte". Vgl. I. Kant: Idee zu einer allgemeinen Geschichte i n weltbürgerlicher Absicht. 1784, Bd. 8, S. 27.
174
3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Menschheit m i t ihrer Hilfe gelangen kann und soll" 1 3 . Für Wieland w i r d die Hereinnahme eines Endzieles i n die zeitliche Erstreckung der Zukunft kennzeichnend 14 . Aufklärung unterliegt aber sowohl sozialen als auch kognitiven Bedingungen. I m sozialen, institutionellen und politischen Bereich ist die Verwirklichung der „Freiheit des Denkens und der Presse" unabdingbare Voraussetzung 15 . Die kognitive Bedingung ist die Förderung des Fortgangs der Wissenschaften, „welche für den menschlichen Verstand" notwendig sind, wie „das Licht für unsere Augen". Denn Aufklärung ist für Wieland zunächst ein progressiver Prozeß wissenschaftlicher Kenntnisse, von niederen zu höheren und höchsten Stufen. „Je weiter die Grenzen unserer Kenntnisse herausgerückt werden", u m so weiter w i r d auch „der Kreis des Möglichen". Wie bei Andreae und Bacon ist Aufklärung ein Prozeß, der unter bestimmten gesellschaftlich-sozialen Bedingungen schrittweise Utopia einholen kann 1 6 . Wissen soll nach Wieland und i n Anlehnung an die französische Aufklärung enzyklopädisch erfaßt werden als Bedingung totaler „Weltverbesserung" 17 . Jedoch der scheinbare Fortschritt und Aufklärungsoptimismus bei Wieland trügt: Immer wieder hinterfragt vor allem der alte Wieland sein Konzept m i t tiefer Skepsis. So sieht er i n der Französischen Revolution zugleich eine „wirkliche und eingebildete, echte und falsche" Aufklärung. Es wurde „eine Menge unwahrer, halbwahrer und übertriebener und gefährlicher Sätze, die i n vielen Köpfen gar seltsam durcheinanderbrausen, aber auch viele Wahrheiten von der höchsten Wichtigkeit, viel wohlbegründete Zweifel gegen manches, das man sonst für ausgemacht hielt", i n Umlauf gebracht 18 . Gerade diese Revolution gibt Wieland eine Fülle von Denkanstößen, sie verfeinert seinen geschichtlichen Sinn: Universale und totale A u f klärung erscheint i h m nicht bloß ein unerreichbares Ziel zu sein, son13 Wieland: Das Geheimnis des Kosmopoliten-Ordens, 1788. I n : A . A . , 1. Abt., Bd. 15, 1930, S. 209. 14 Vgl. S. 214 f. sowie „Eine Lustreise ins Elysium", 1787, S. 97; vgl. des weiteren noch folgende A r b e i t e n v o n Wieland: Über die Behauptung, daß ungehemmte Ausbildung der menschlichen Gattung nachteilig sei. 1770. I n : Werke, Bd. 29, S. 301 ff. u n d 324 ff., sowie: Über die v o n J. J. Rousseau v o r geschlagenen Versuche, den wahren Stand der Natur u n d des Menschen zu entdecken. Nebst einem Traumgespräch m i t Prometheus. 1770, S. 239. 15 Vgl. Wieland: Über die Rechte u n d Pflichten der Schriftsteller. 1785. I n : Α . Α., 1. Abt., Bd. 15, S. 66; sowie: Worte zur rechten Zeit an die politischen u n d moralischen Gewalthaber. 1793, S. 605. 16 Vgl. Über den Hang des Menschen, an die Magie u n d Geistererscheinungen zu glauben. 1781, Bd. 14, S. 326. 17 Über den freien Gebrauch i n Glaubenssachen, S. 136. 18 Betrachtungen über die gegenwärtige Lage des Vaterlandes. 1793, Bd. 15, S. 561.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
175
dern überhaupt m i t jeder Zunahme der Aufklärung wächst dialektisch auch ihr Gegenteil. Für i h n ist nunmehr der „Zeitpunkt der höchsten Verfeinerung" immer zugleich derjenige, der „äußersten sittlichen Verderbnis". Die „Epoke der höchsten Aufklärung" war immer diejenige, „ w o r i n alle Arten von Spekulation, Wahnsinn und praktischer Schwärmerei am stärksten i m Schwange gingen" 1 9 . Gegen Ende des Jahrhunderts erkennt dann Wieland, daß wissenschaftlicher Fortschritt und glückliche gesellschaftliche Entwicklung keineswegs zu identifizieren sind. „Was man die Aufklärung unserer Zeiten nennt", merkt Wieland ironisch an, ist nichts anderes „als das Halbdunkel, das durch die immer fortschreitende K u l t u r der Wissenschaften i n den Köpfen der Europäer nach und nach entstanden ist". Die Zeiten sind „etwas weniger finster" und resümierend konstatiert der Autor: Es gilt festzuhalten, „daß zwar einige Wissenschaften auf einen ungleich höheren Grad gestiegen sind, daß w i r eine zierlichere und schlauere Sprache reden, immer mehr Bücher schreiben, immer mehr lesen, und die Kunst, uns selbst zu belügen, ungleich mehr verfeinert haben, aber daß w i r i m Ganzen genommen weiser, besser und glücklicher werden, davon ist m i r nichts bekannt" 2 0 . Der Aufklärungsenthusiasmus ist verflogen, und Wieland formuliert, was zwei Jahre später der junge Schelling den „anti-historischen Fortschritt" nennt, der je nach dem Maßstab, den man anlegt, „eher ein Rückschritt" ist 2 1 . Die Hauptvertreter der deutschen Aufklärungspädagogik bemühen sich ebenfalls u m die Entwicklung eines materialen Aufklärungsbegriffes. Aufklärung w i r d bei ihnen als moralisch-pragmatischer Erziehungs- und Volksbildungsbegriff gefaßt 22 . Johann Bernhard Basedow, der eifrig Comenius studiert und damit den Zugang zum Rosenkreuzertum und zum Beginn der englischen 19 Vgl. Göttergespräche 12, 1793, Werke, Bd. 31 (1857), S. 484; hier hat w o h l auch der Freimaurer Wieland die Machenschaften der Gold- u n d Rosenkreuzer i m Auge. Vgl. Kap. 4.1.2. 20 Gespräche unter v i e r Augen. Nr. 11, 1798, i n : Werke, Bd. 32 (1857), S. 252 f. 21 So i n seinem „System des transzendentalen Idealismus" v o n 1800; vgl. F. W. Schelling: Werke. Nach der Originalausgabe, i n neuer Ordnung hrsg. v. M . Schröter, 6 Bde. München 1927 ff. Nachlaßband 1946, 6 Ergänzungsbände 1943 - 59. Bd. 2, S. 593. 22 Einen guten frühen Überblick über die vielfältigen Facetten der deutschen Aufklärungspädagogik liefert S. Baur: Charakteristik der Erziehungsschrifsteller Deutschlands. E i n Handbuch für Erzieher. Leipzig 1790. Dieses zunächst anonym erschienene Buch liefert i n knapper Präzision u n d dennoch umfassend ein Vademecum der deutschen Aufklärungspädagogik. I n F o r m kurzer Biographien u n d Werkwiedergaben werden i m Ganzen beinahe 400 deutschsprachige pädagogische A u t o r e n der zweiten Hälfte des 18. Jhts. erfaßt. Niemand, der irgendeinen relevanten Beitrag geleistet hat, w i r d ausgelassen.
176
3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Maurerei besitzt, geht es u m eine Gesamtverbesserung des Bildungswesens nach den Prinzipien der Natur. Auch ist dieser Pädagoge m i t dem französischen Schrifttum und der freimaurerischen Diskussion seiner Zeit bestens vertraut 2 3 . Basedow gründete 1774 ein neuartiges Erziehungsinstitut, das „Philantropinum", von dem eine Fülle von A n regungen auf das gesamte „aufgeklärte" Europa ausgingen. Die Erziehung war kosmopolitisch, interkonfessionell und international orientiert. Erklärtes Ziel war die Förderung von Tugend und Gemeinnützigkeit, u m ein „Geschlecht der Europäer" zu erziehen, die das „Evangel i u m der Menschenliebe" i n alle Länder und Völker tragen sollte 2 4 . Zur Finanzierung des Unternehmens versuchte Basedow die Freimaurer zu gewinnen, die j a für „weltbürgerliche" Erziehungsstätten ohnehin großes Interesse hatten. Obwohl Basedow selbst nicht Logenbruder war, hatte er sich doch an die „ehrwürdigen, verbrüderten Bauleute des Ratshauses der Weltbürgerschaft" gewandt: „Laßt mich vor euch, ihr Salomonslehrlinge und des Sokrates, deren Namen euch entzücken, weil ihre Tugend die Grundverfassung eurer Brüderschaft ist! Kenn ich diese? Ja! Zwar nicht als ein Geweihter! Aber ihre Früchte sind gut! Wie kann böse der Bäum, wenngleich die Wartung nur den Meistern der Gärtner bekannt wird?" Weiter sagt Basedow, die Freimaurer seien die edelsten Menschen, weil sie nicht nur die Interessen eines einzelnen Staates oder abgesonderten Volkes i m Auge hätten, sondern sich der gesamten Menschheit verschworen haben. Deshalb müßten sie auch die Verpflichtung fühlen, seine Gründung zu unterstützen 25 . Basedows Nachfolger Joachim Heinrich Campe war selbst Maurer und es kam zu einer noch engeren Verbindung zwischen Philantropinum und Freimaurerei. Unter anderem verfaßte eine geschlossene Programmschrift der Hochaufklärung Friedrich Gabriel Resewitz, m i t der sowohl das Schulwesen für die niederen Stände als auch die Gelehrtenschule als völlig unzureichend kritisiert und verworfen werden 2 6 . Rudolf Zacharias Becker entwirft i n moralpädagogischer Absicht sein berühmtes „Not23
Vgl. J. B. Basedow: Vorstellung an Menschenfreunde (1768) m i t Einleit u n g u n d Anmerkungen hrsg. v. Th. Fritsch, Leipzig o. J., Einleitung, S. 1 ff.; vgl. auch das Standardwerk von J. B. Basedow: Das Methodenbuch für Väter u n d M ü t t e r der Familien u n d Völker, A l t o n a 1770. 24 Vgl. Th. Ziegler: Geschichte der Pädagogik m i t besonderer Rücksicht auf das höhere Unterrichtswesen. Handbuch der Erziehung u n d Unterrichtslehre für höhere Schulen. Bd. 1, A b t . 1, 4. A u f l . München 1917, S. 241 f. 25 J. B. Basedow: Das i n Dessau errichtete Philantropinum. Eine Schule der Menschenfreundschaft u n d guter Kenntnisse für Lernende u n d junge Lehrer . . . Leipzig 1774, S. V I I I . 26 Vgl. F. G. Resewitz: Die Erziehung des Bürgers zum Gebrauch des gesunden Verstandes u n d zur gemeinnützigen Geschäftigkeit. 2. A u f l . Kopenhagen 1776.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
177
und Hilfsbüchlein für Bauersleute", das i n zwei Bänden 1788 und 1789 erschien, und von welchem bald eine halbe M i l l i o n Exemplare vertrieben wurden. Die Mittel, Aufklärung zu bewerkstelligen, sah der Autor i n der Verbesserung der Landschulen, i n der Niveauhebung der Predigten, Katechismen, Kalender, Wochenblätter, Volkslieder und Volksschauspiele. Zum zentralen Publikationsorgan der deutschen Aufklärungspädagogik w i r d alsbald das „Braunschweiger Journal", welches von 1788 bis 1791 erschien 27 . Hier wurden die Ideen des „Pädagogischen Jahrhunderts" i m steten Zusammenhang mit den politischen, gesellschaftlichen und ökonomischen Problemen der Zeit behandelt. Etliche Autoren der Zeitschrift sind Freimaurer, wie auch der Herausgeber Campe, alle aber sind Mitglieder der aufklärerischen Bewegung: Rochow, Kästner, Villaume, Reimarus, Bahrdt, Salzmann und Garvé. I n diesem Journal w i r d immer wieder der mündige, sittlich-autonome Bürger angesprochen, der sich seines Verstandes als Grundlage freier sittlicher Selbstbestimmung bedient. I n seinen berühmten „Briefen aus Paris während der Revolution geschrieben", formuliert Campe die Aufklärung als Inbegriff derjenigen Ideen und Lehren und Erkenntnisse über die Rechte des Menschen und des Volks, die sich gegen jede Form des Despotismus richten. Campe zeigt sich besonders von den Enzyklopädisten, aber auch von Louis-Sebastien Mercier beeinflußt. Vor allem geht es i h m u m „den dritten Stand", besonders die „untersten Klassen desselben". Dieser bedarf vor allem einer „allgemeinen Aufklärung", die es sich zum Ziel macht, „den Despotismus zu stürzen und die Menschheit i n die ihr geraubten Rechte u m so viel schneller und gewisser wiedereinzusetzen" 28 . Für eine umfassende Staatspädagogik i n Anlehnung an die französischen Utopisten plädiert Rochow. Die Unterordnung unter den aufgeklärten Staatszweck soll aufgrund des eigenen Verstandes und aus moralischer Einsicht erfolgen 29 . Auch die anderen Beiträge setzen sich m i t Staat und Schule, Bildung und Industrie, Produktion, Unterricht und Kirche, Erziehung und Umweltbedingungen auseinander. Die Fülle der humanistisch-gesellschaftlichen Bestrebungen dieser Zeitschrift gehen 27 Braunschweigisches Journal philosophischen, philologischen u n d pädagogischen Inhalts. Hrsg. v. E. Ch. Trapp, J. Stuve, C. Heusinger u n d J. H. Campe, Jgg. 1 - 4, 12 Bde., Braunschweig u n d A l t o n a 1788 - 1791. 28 Vgl. J. H. Campe, 2. Brief aus Paris. I n : Braunschweigisches Journal, Bd. 2, 1789, 12. Stück, S. 425 ff. 29 Vgl. F. Ε. v. Rochow: Handbuch i n katechetischer F o r m für Lehrer, die aufklären w o l l e n u n d dürfen. 1783, 2. verb. A u f l . 1789; ders.: Beantwortung der Frage, welche die Akademie der Wissenschaften zu B e r l i n für's Jahr 1783 aufgegeben hat. In: Braunschweigisches Journal, Bd. 1, 1788, 1. Stück, S. 48 ff.
12 Fischer
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
teilweise weit über das allgemeine Selbstverständnis der deutschen Aufklärungspädagogik hinaus, so daß die Veröffentlichung dieser Zeitschrift i n Deutschland auf wachsende Schwierigkeiten stößt. Eine wesentliche Persönlichkeit der Aufklärungspädagogik besonders für Bayern ist Lorenz v. Westenrieder. Auch sein Aufklärungsbegriff impliziert pädagogische Qualitäten, und i n Anknüpfung an die Lichtmetaphorik heißt es: „Wegräumen die mancherlei Hüllen und Decken vor den Augen, Platz machen dem Licht i n Verstand und Herz, daß es jenen erleuchte, dieses erwärme und Eintreten i n die Gebiete der Wahrheit und Ordnung, wo die Bestimmung des Menschen, die wahre Glückseligkeit, thront." Und weiter: „Eine Nation aufklären, Tag bei i h r werden lassen", heißt, „sie von denjenigen Grundwahrheiten und Maßregeln, ohne deren Befolgung i h r wahres Wohl nicht bestehen kann, überzeugen" 30 . Es ist nun i m Rahmen dieser Arbeit nicht möglich, auf die Fülle weiterer Konzepte der deutschen Aufklärungspädagogik einzugehen 31 . Gemeinsam ist den meisten Schriften, daß die vollendete öffentliche Erziehung ein „Vernunftmuster" sein soll. Generelle und spezielle Bildung sollen aufeinander bewegend zuweisen, das Volk soll durch bürgerliche Erziehung für die Wahrnehmung der öffentlichen Angelegenheiten bereit gemacht werden. Immer wieder w i r d betont, daß ein „Hoffen auf bessere Zeiten" vergeblich ist, wenn nicht der Mensch selbst gebessert wird. Daher ist eine umfassende Erziehung als öffentliche Angelegenheit i n Angriff zu nehmen. B. Im Umkreis von Kant Wie bereits erwähnt, veröffentlichte der Berliner Pfarrer Johann Friedrich Zöllner i n der Dezembernummer 1783 der „Berlinischen Monatsschrift" einen A r t i k e l gegen die Zivilehe, für die sich zuvor ein anonymer Autor ausgesprochen hatte. I m Interesse des Staates verteidigte Zöllner die kirchliche Eheschließung und polemisierte gegen die Verwirrung, die „unter dem Namen Aufklärung" i n den Köpfen und Herzen der Menschen angerichtet werde. I n einer Fußnote stellte dann Zöllner die provozierende Frage, was denn eigentlich Aufklärung sei. 80 L. v. Westenrieder: A u f k l ä r u n g i n Bayern. 1780. In: Sämtliche Werke, hrsg. v. E. Grosse, Bd. 10, Kempten 1832, S. 1 f. 31 Vgl. weiterführend etwa K . Hartmann, F. Nyssen, H. Waldeyer (Hrsg.): Schule u n d Staat i m 18. u n d 19. Jahrhundert. F r a n k f u r t a. M . 1974. I n t e r essante Aspekte würde noch die Analyse der radikalen aufklärungspädagogischen Konzepte v o n P. Villaume u n d D. H. Stephani bringen. Vgl. P. Vil laume: Geschichte des Menschen. 2. A u f l . Leipzig 1788. Oers.: Abhandlungen, das Interesse der Menschheit u n d der Staaten betreffend. 4 Preisschriften. A l t o n a 1794; D. H. Stephani: Grundriß der Staatserziehungswissenschaft. Weißenfels u n d Leipzig 1797.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
179
Diese Frage, versteckt i n einer Fußnote eines Aufsatzes eines verhältnismäßig unbekannten protestantischen Pfarrers über Eherecht, erwies sich als äußerst folgenreich und fruchtbar für die Geschichte der Aufklärungsdiskussion. Die A n t w o r t ließ nicht lange auf sich warten: bereits vor dem berühmten Aufsatz Kants veröffentlichte Moses Mendelssohn i n der Dezembernummer der Berlinischen Monatsschrift von 1784 seine Arbeit „Über die Frage, was heißt aufklären?" 3 2 . I n vieler Hinsicht ist Mendelssohn Vorläufer für jene neuen kritischen Positionen, die dann Lessing und Kant vertreten 3 3 . Aufklärung ist für Mendelssohn nicht eine bestimmte Denkart, sondern wie die K u l t u r eine bestimmte Erscheinungsform der Bildung. „Die Worte Aufklärung, K u l t u r , Bildung sind i n unserer Sprache noch neue Abkömmlinge. Sie gehören vorderhand bloß zur Büchersprache." Mendelssohn vermißt Unterscheidungskriterien i m Sprachgebrauch dieser Wörter und schlägt selbst vor, „Bildung" als Oberbegriff zu verwenden, der i n K u l t u r und Aufklärung zerfällt. Unter „Aufklärung" versteht Mendelssohn mehr die theoretische, unter K u l t u r mehr die praktische Seite der Bildung. So erläutert er beispielsweise: „Eine Sprache erlangt Aufklärung durch die Wissenschaften, und erlangt K u l t u r durch gesellschaftlichen Umgang, Poesie und Beredsamkeit. Durch jene w i r d sie geschickter zu theoretischem, durch diese zu praktischem Gebrauch. Beides zusammen gibt eine Sprache der Bildung." I m Gegensatz zu Kant, der zum Problem der Aufklärung deduktiv mit einer axiomatischen Definition einsetzt, verfährt Mendelssohn induktiv. Während die K u l t u r für den Menschen wichtig ist als „ M i t glied der Gesellschaft", ist Aufklärung unentbehrlich für den Menschen als Mensch: „Er bedarf der Aufklärung". Jedoch Mendelssohn problematisiert auch die Aufklärung indem er ihre spezifische Dialektik erkennt: „Je edler i n ihrer Blüte, desto abscheulicher i n ihrer Verwesung und Verderbtheit." Überall ist „Mißbrauch" möglich. Der Mißbrauch der K u l t u r erzeugt „Üppigkeit, Gleißnerei, Weichlichkeit, Aberglauben und Sklaverei", derjenige der Aufklärung hingegen schwächt „das moralische Gefühl, führt zu Hartsinn, Egoismus, Irreligion und Anarchie". Von den zahlreichen Antworten auf die von Zöllner gestellte Frage „Was ist Aufklärung?" ist gewiß diejenige, die Kant unmittelbar nach Mendelssohn i n der „Berlinischen Monatsschrift" veröffentlicht hatte, 32 M . Mendelssohn: Über die Frage: Was heißt aufklären? I n : Gesammelte Schriften. Hrsg. v. G. B. Mendelssohn, 7 Bde., Leipzig 1843 - 1845, Bd. 3, S. 399 ff. Dieser Text w i r d zitiert nach E. Bahr: S. 3 - 8. 33 Daß Mendelssohn nicht der „leichte Popularphilosoph" ist, als der er oft bezeichnet wurde u n d noch w i r d , g i l t m i t t l e r w e i l e als erwiesen. Vgl. dazu A . Altmann: Moses Mendelssohns Frühschriften zur Metaphysik. Tübingen 1969. Ders.: Moses Mendelssohn: A Biographical Study. Alabama 1973.
12*
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
die bekannteste 34 . Kant entwickelt seinen Aufklärungsbegriff i n engem Zusammenhang m i t seiner geschichtsphilosophischen Konzeption. Für ihn war es bekanntlich „Endzweck" und „Pflicht" des autonomen, sich selbst beherrschenden Menschen, „Fortschritt vom Schlechten zum Besseren" freizusetzen 35 . Kant vermittelte wohl als erster die empirisch-heterogene Geschichte m i t der autonomen Vernunft durch das praktische Gebot, die Zukunft in Richtung einer Moralisierung zu gestalten., Von da her gewinnt Kants Aufklärungsbegriff wesentliche Bedeutung. Während Kant i n seinen „Prolegomena zu einer jeden künftigen Metaphysik, die als Wissenschaft w i r d auftreten können" von 1783 seine Zeit noch als denkendes und aufgeklärtes Zeitalter umschreibt 38 , unterscheidet er i n seinem Aufsatz „Was ist Aufklärung?" ein Jahr danach scharf zwischen einem „aufgeklärten Zeitalter" und einem „Zeitalter der Aufklärung". Die Frage, „leben w i r jetzt i n einem aufgeklärten Zeitalter?" beantwortet er m i t „nein, aber wohl i n einem Zeitalter der Aufklärung", denn „die Hindernisse der allgemeinen Aufklärung" werden „allmählich weniger" 3 7 . Kants Aufklärungsbegriff zeigt eine Ambivalenz zwischen subjektiven und material-objektiven Kriterien. Der jeweilige Wissensstand und seine Verbreitung sind für Kant nicht die ausschließlich bestimmenden Kriterien. Vielmehr entwickelt er von der Aufklärung ein prozessuales Verständnis, indem er „Aufklärung als Vorgang" sieht. Dementsprechend lautet die berühmte und vielzitierte Anfangspassage dieses Aufsatzes „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit. Unmündigkeit ist das Unvermögen, sich seines Verstandes ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Selbstverschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn die Ursache derselben nicht am Mangel des Verstandes, sondern der Entschließung und des Muts liegt, sich seiner ohne Leitung eines anderen zu bedienen. Sapere aude! Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen! ist also der Wahlspruch der Aufklärung" 3 8 . Aufklärung ist Emanzipation aus der „beinahe zur Natur gewordenen Unmündigkeit", sie ist „Reform der Denkungsart", Übergang zum Selbstdenken, jedoch nicht dessen Vollzug und Bewährung. 34 Sie gilt heute als maßgebliches Zeugnis, wenngleich sie von Kants Zeitgenossen selbst w e n i g beachtet worden ist. I. Kant: Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?", Bd. 8, S. 33 - 42. 35 Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik (1791, verf. u n d 1804 hrsg.), Bd. 20, S. 294; Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte (1786), Bd. 8, S. 115. 36 Bd. 4, S. 380 u n d 383. 37 Bd. 8, S. 40. 38 Bd. 8, S. 35.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
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Kants Aufklärungsbegriff hat eine Fülle geschichtsphilosophischer Implikationen, insofern Aufklärung als Ausgang aus der Unmündigkeit kein einmaliger historischer Vorgang ist und das ausschließliche Wesensmerkmal einer bestimmten Zeit, sondern eine Daueraufgabe des sich entwickelnden Menschengeschlechts. Aufklärung erhält bei i h m den Rang eines geschichtsphilosophischen Fortschrittsund Perspektivenbegriffs, denn die empirisch-heterogene Geschichte w i r d ja gerade durch das praktische Gebot, die Zukunft i n Richtung einer Moralisierung zu gestalten, m i t der autonomen Vernunft vermittelt. „Daß die Welt i m Ganzen immer zum Besseren fortschreitet, dies anzunehmen b e r e c h t i g t . . . keine Theorie, wohl aber die reine praktische Vernunft 3 9 ." Daher kann auch Kant „die Geschichte der Menschengattung" als „Fortschritt zum Besseren" i m Sinne des aufklärerischen Optimierungsaxioms darstellen 40 . Der Mensch kann bei „machthabender praktischer Vernunft" möglichen Fortschritt auch immer realisieren 41 . Damit liegt Fortschritt i n einem transzendentalen Begründungszusammenhang. Die Bedingungen der Einsicht i n den moralisch notwendigen Fortschritt sind zugleich die Bedingungen seiner Verwirklichung. Der Fortschritt w i r d zu einem theoretischen Legitimationstitel für politisches Handeln. Aufklärung und Fortschritt als moralische Pflicht werden zurückgebunden an eine sich fügende und zugleich bestätigende Geschichte. Eine Folge des Kantschen Denkens war es, wenn er diese auch selbst immer vermieden hatte, daß die Kategorie des Fortschritts nunmehr über den moralischen Zwang zugunsten des Fortschritts Partei nehmen konnte und damit umgemünzt wurde i n einen politischen Parteibegriff. Gerade von diesem Ansatz Kants her legitimierten sich dann viele radikal progressive Aufklärer, aber auch der jakobinische Maurerbund der „Illuminaten" 42. Obwohl Kant selbst niemals Logenmitglied war, gilt er doch als „der bedeutendste Philosoph für die Freimaurerei". Ja es w i r d vielfach behauptet, daß er „seinem tiefsten Wesen nach Freimaurer w a r " 4 3 . Fest steht, daß Kant i n Königsberg m i t zahlreichen Freimaurern eng befreundet war, so unter anderem m i t Theodor Gottlieb v. Hippel und dem Verleger Johann Jakob Kanter. Gewiß hat Kant Aufklärung und Fortschritt zu politisch besetzbaren Perspektivbegriffen artikuliert. A u f der anderen Seite hat er aber auch 39
Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik, S. 307. Vgl. insbesondere seine A r b e i t „Idee zu einer allgemeinen Geschichte i n weltbürgerlicher Absicht" v o n 1784, Bd. 8, S. 15 - 31. 41 Über das Mißlingen aller philosophischen Versuche i n der Theodizee 1791, Bd. 8, S. 264. 42 Vgl. Kap. 4.1.1. 43 Vgl. die Belege i m Freimaurer-Lexikon, Sp. 814. 40
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gleichzeitig die Aufklärungskritik des deutschen Idealismus zumindest indirekt vorbereitet. I n seiner „ K r i t i k der Urteilskraft" von 1790 vert r i t t Kant die Ansicht, daß letztlich „das bloß Negative" die „eigentliche Aufklärung" ausmacht. Aufklärung vollbringt „Befreiung vom Aberglauben" und „Befreiung von Vorurteilen". Damit, so sagt Kant, ist das Geschäft der Aufklärung ein rein negatives, geschieht allein durch den reinen Vernunftgebrauch 44 . I n der Folge versucht er eine wesentliche Präzisierung der von der Aufklärung ständig verwendeten Kategorien, indem er sich m i t dem „oberen Erkenntnisvermögen" auseinandersetzt und zwischen Verstand, Urteilskraft und Vernunft unterscheidet 46 . Während Vernunft und Verstand von den meisten Zeitgenossen Kants undifferenziert verwendet wurden, differenziert Kant ungeachtet seiner transzendentalphilosophischen Absichten dergestalt, daß er die Vernunft als „oberste Erkenntniskraft" dem Verstand überordnet. Er bestimmt den Verstand als Vermögen der Begriffe und Kategorien oder Regeln, oder als diskursiv-analytisches Denken, welches auf den Gebrauch der Erfahrung beschränkt ist. Der so beschriebene Verstand ist bei Kant „Maxime der vorurteilsfreien Denkungsart" und i h m w i r d ausdrücklich Aufklärung zugewiesen 46 . Die Vernunft aber, bestimmt als Vermögen der Ideen und Prinzipien, als das die Erfahrung übersteigende, auf die intellegible Welt gerichtete und letztlich die „absolute Totalität" thematisierende Denken, hat allein das „Vorrecht" der „letzte Probierstein der Wahrheit" zu sein 47 . Kants Differenzierung von Verstand und Vernunft bildet die Grundlage für eine konstruktive K r i t i k an der philosophiegeschichtlichen Formation der Aufklärung und für ihre spezifischen Modifikationen i m deutschen Idealismus 48 . Aufklärung war i n Kants Gesamtwerk ein zentrales Anliegen und steht m i t seinen drei „ K r i t i k e n " keineswegs i n Widerspruch. Es darf auch nicht vergessen werden, daß es der Kant der „Reinen Vernunft" war, der sich 1784 auf die Beantwortung der Frage „Was ist Aufklärung?" einließ. Das Aufklärungsdenken blieb aber nicht unwidersprochen: Institutionell bildete sich gegen die rationalistischen Freimaurer und I l l u m i naten das Gold- und Rosenkreuzertum, kognitiv gegen die Aufklärungsphilosophie die „Schwärmerei", wie die Gegenbewegung von den Aufklärern selbst genannt wurde. Der Begriff der „Schwärmerei" ge44 45 46 47 48
K r i t i k der Urteilskraft, 1790, Bd. 5, S. 297. Vgl. Anthropologie i n pragmatischer Hinsicht. 1798, Bd. 7, S. 199 ff. Vgl. K r i t i k der Urteilskraft, 1790, Bd. 5, S. 294 f. Was heißt: Sich i m Denken orientieren? 1796, Bd. 8, S. 146. Vgl. Kap. 4.2.1.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
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hört zu den Schlüsselwörtern der zweiten Hälfte des 18. Jhts. Die deutsche Aufklärung und i m Anschluß daran, die deutsche Klassik, befanden sich i n fortwährender Auseinandersetzung mit der Schwärmerei auf den Gebieten der Philosophie, Politik, Religion, Moral und Kunst. Schwärmerei bedeutete i m damaligen Sprachgebrauch „sich von dunklen, verworrenen Vorstellungen, von seinen dunklen Gefühlen, seiner Einbildungskraft bestimmen zu lassen, ihnen folgen, sich ihnen überlassen und seine Einfälle für göttliche Offenbarung halten" 4 9 . Kant definiert Schwärmerei als die „angenommene Maxime der Ungültigkeit einer zuoberst gesetzgebenden Vernunft" 5 0 . Aber auch Lessing und Wieland, dann Goethe und Schiller, hatten dieses Problem intensiv diskutiert. Als Schwärmer galt insbesondere Johann Georg Hamann, der einer der striktesten Wortführer gegen die Aufklärung war. Insbesondere Kants Bestimmung der Aufklärung ruft Hamanns Widerspruch hervor. I n einer bemerkenswerten Umkehrung der Kantschen Definition, wobei er dennoch an dem Worte „Aufklärung" festhält, ist nach Hamann die „wahre Aufklärung" nicht „der Ausgang des Menschen aus seiner selbstverschuldeten Unmündigkeit" wie bei Kant, vielmehr besteht sie „ i n einem Ausgange des unmündigen Menschen aus einer allerhöchst selbstverschuldeten Vormundschaft". Was Hamann unter dieser Vormundschaft versteht, von der es sich durch Aufklärung, und das heißt hier zweifelsohne, durch die allgemeingültige Erkenntnis der Wahrheit zu befreien gilt, ist nichts anderes als „das Geschwätz und Räsonnement der exemierten Unmündigen, die sich zu Vormündern . . . aufwerfen" und als Licht der Erkenntnis preisen, was „für jeden Unmündigen, der i m Mittag wandelt", also i m vollen Licht der Erkenntnis, womit Hamann insbesondere das Licht der Offenbarung Gottes meint, nur „eine blinde Illumination" und ein „kaltes, unfruchtbares Mondlicht" sein kann 5 1 . Zu den Vertretern so einer illegitimen usurpierten Vormundschaft rechnet Hamann auch den von i h m ansonsten sehr geschätzten Kant, insbesondere jedoch alle „Räsonneure" und „Spekulanten", die er bezeichnenderweise nicht als Aufklärer apostrophiert. Das gilt auch für die Mitarbeiter der freimaurerisch orientierten „Allgemeinen Deutschen Bibliothek", die er meistens einfach „Nicolaiten" nennt 5 2 . 49 So umreißt Johann Christoph Adelung die „Schwärmerei" i n seinem „Grammatisch-kritischen Wörterbuch". 50 „Was heißt: Sich i m Denken orientieren?" 1786, Bd. 8, S. 145. 51 J. G. Hamann: Brief an Christian Jakob Kraus, 18.12.1784, abgedruckt bei Bahr, S. 18 - 22. 62 Vgl. J. G. Hamann: Sämtliche Werke, hrsg. v. J. Nadler, W i e n 1949 ff., Bd. 3, S. 178, 193, 319.
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Hamanns Vernunftkritik steht jedoch i n ganz engem Zusammenhang m i t der Kants. Unter immer neuen Gesichtspunkten ist er bemüht, die Grenzen der Vernunfterkenntnis aufzuzeigen. Es geht i h m u m den Nachweis der Unfähigkeit gesunder, natürlicher oder wissenschaftlicher Vernunft das zu leisten, „was sie i m aufgeklärten Jahrhundert" als ihre zentrale Aufgabe versteht: wahre Aufklärung, Erkenntnis oder Ermöglichung und Verbreitung der Erkenntnis der Wahrheit des Menschen und seiner Welt i m Ganzen zu sein. M i t Kant erreicht die Aufklärung bereits jene kritische Dimension, die den Übergang zum deutschen Idealismus vorbereitet. Herder und Schiller stehen noch vorzüglich auf diesem Weg. Zunächst sind aber noch diejenigen Theoretiker zu behandeln, die Aufklärung zum -politischen Schlagwort ummünzen und den Übergang vom humanistischen Engagement zur jakobinischen Aufklärung bewirken. I m Zusammenhang dieser Auseinandersetzungen verändert sich auch die Aufklärungsbewegung. Es gibt jetzt nicht mehr nur eine konservativ-klerikale Reaktion gegen die Aufklärung, sondern allmählich auch eine Reaktion in ihr. Dementsprechend schiebt sich die Unterscheidung zwischen „wahrer" und „falscher", „nützlicher" und „schädlicher" Aufklärung i n den Vordergrund. Zwar setzt sich i m Sprachgebrauch des späten 18. Jahrhunderts der utopiegeleitete, von Heilserwartungen bestimmte Aufklärungsbegriff endgültig durch, doch verändert sich damit auch seine soziale Geltung. C. Aufklärung
als politisches Schlagwort
Aufklärung und Fortschritt als spezifisch geschichtliche Begriffe setzten sich unter dem Einfluß Kants i n den beiden letzten Jahrzehnten des 18. Jhts. durch. 1795 registriert Johann Friedrich August Kinderling erstmals „Fortschritt" als „ein neues Wort für Zunahme, Wachstum". Dazu hält er fest: „Der eigentliche Verstand ist ein Vorschritt, welches auch neueren Schriftstellern gefällt, aber schon ein altes Wort ist. Der uneigentliche Verstand ist Vermehrung der Einsichten, der Erfahrung, des Mutes, der Fertigkeit i m Guten aber auch i m Bösen." Weiter sagt er, daß man Fortschritt m i t den Zeitwörtern „machen" oder „tun" verbindet 5 3 . Fortschritt steht hier als Handlungsorientierung m i t Praxisbezug. Aus den Geschichten der einzelnen Fortschritte ist der Fortschritt der Geschichte geworden. Dem liegt auch die Erfahrung zugrunde, daß die 53 J. F. A . Kinderling: Über die Reinigkeit der deutschen Sprache u n d die Beförderungsmittel derselben m i t Musterung der fremden Wörter u n d anderen Wörterverzeichnissen. B e r l i n 1795, S. 319 f.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
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Geschichte sich nicht wiederholt, sondern einmalig und einzigartig ist, und daß die menschliche Gattung selbst das hypothetische Subjekt dieses Fortschritts ist. A u f diesem Hintergrund entwickeln sich radikalisierte Ansätze. Aus der Fülle ist zunächst der protestantische Theologe, Freigeist und Maurer K a r l Friedrich Bahrdt zu nennen. Er unternahm den Versuch der Systematisierung der bis dahin geltenden Aufklärungsbegriffe. Durch begriffliche Präzisierung wollte er den Streit über den Sinn und Zweck der Aufklärung beenden und gleichzeitig die Bedingungen aufweisen, unter denen der entscheidende Schritt zur „Volksaufklärung" vollzogen werden kann. Er v e r t r i t t eine „absolute Aufklärungdie sich „nach und nach" als geschichtsbildende Kraft „allgemein" machen soll. I m Stil eines Parteiprogramms erklärt Bahrdt 1789: „Unser Zweck ist Aufklärung und deren möglichste Verbreitung 5 4 ." Erstmals w i r d Aufklärung ein Begriff, der vollständig politisch besetzbar wird, der der Freund- und Feindbildung dient. So spricht Bahrdt immer wieder von denjenigen, die „die Aufklärung lieben" und „durchgreifende", den „strengsten Gesetzen der Moral angemessene Mittel" zur Verbreitung derselben anwenden müssen, u m „eine Gegenwirkung hervorzubringen" gegen den „großen Haufen unserer Antipoden". I n Bahrdts Bemühung, eine freimaurerische Aufklärungsvereinigung m i t dem Namen „Deutsche Union der 22" i n Halle, 1787, zu gründen, zeichnet sich bereits die Tendenz ab, den Ausdruck „Aufklärung" als politisches Losungswort zu benutzen und i h m den Charakter eines Parteibegriffs zu geben 55 . Als Ziel dieser Vereinigung sieht Bahrdt die Beförderung „wahrer Aufklärung" an. Sein radikales Programm brachte i h m eine gerichtliche Untersuchung ein, die schließlich zu einer Verurteilung führte. Neben der „Deutschen Union" dürfte ein weiterer Grund noch derjenige gewesen sein, daß er den allmächtigen Protektor der Gold- und Rosenkreuzer, den preußischen Minister Wöllner, i n seinem Lustspiel „Das Religionsedikt" angegriffen hatte. Nach dem Tod des „Aufklärers" Friedrich I I . von Preußen, 1786, setzte unter Wilhelm II. und seinem Günstling Wöllner eine scharfe Reaktion gegen die Aufklärung ein. A b diesem Moment polarisiert sich Aufklärung zum politischen Freiheitsbegriff. Der Konflikt w i r d institutionell zwischen den Geheimbünden der rationalistischen Maurerei und den Gold- und Rosenkreuzern ausgetragen. Die neue Regierung, ganz i m Griff der Gold- und Rosenkreuzer, denunzierte die Aufklärung als religions« und staatsgefährdend. 54 Vgl. K . F. Bahrdt: Über A u f k l ä r u n g u n d die Beförderungsmittel derselben. Leipzig 1789, S. 5 ff., 43 ff., 192 ff., 196. 55 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 118 sowie 348.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
1788 wurde ein Zensuredikt erlassen und ein Zensurkollegium eingerichtet, das alle Veröffentlichungen beschlagnahmte, die „die Grundwahrheiten der Schrift zu untergraben . . . und auf unverschämte Weise unter dem Namen der Aufklärung zahllose und allgemeine Irrtümer zu verbreiten versuchen". Nicolais „Allgemeine Deutsche Bibliothek" und die „Berlinische Monatsschrift" verließen Berlin. Ein weiterer Grund für die zunehmende Politisierung der Begriffe Aufklärung und Fortschritt war das Verbot des Illuminatenordens 1785 i n Verbindung mit dem zum Teil schon früher einsetzenden Kampf gegen die „rationalistischen" aufklärerischen Geheimgesellschaften 56 . Der Ordensleiter der Illuminaten, die sich auch „Perfectibilisten" nannten, war der radikal-progressive Aufklärer Adam Weishaupt. A u f klärung und Fortschritt werden für i h n zu identischen Begriffen. Der Mensch kann die höchste Vollkommenheit erreichen, und zwar durch das „Vorhersehungsvermögen", mittels dessen das zukünftige politische Geschehen so zu steuern ist, wie es sein soll. Wenn durch richtige Prognosen die Zukunft beherrschbar w i r d , ergeben sich alle weiteren Vervollkommnungen von selbst: „Die höchste Vollkommenheit des Menschen bestünde also i n der größten Fertigkeit, sich durchaus i n seinen Handlungen nur nach entfernten Vorteilen zu bestimmen, die Zukunft i n ihren weitesten Folgen vorherzusehen 57 ." Für Weishaupt werden die i n Prognose und Plan vorausgenommenen Wirkungen zu den einzigen Legitimationstiteln menschlichen Handelns. Dabei hat er die verbalen Umschreibungen des „Fortschreitens" und „Vorrückens" i n „Vorschritt" substantiviert, damit i m Gegensatz zu dem eher neutralen „Fortgang" kein Zweifel an der Verbesserung beim Vorankommen auftaucht 58 . Ganz deutlich ist bei diesem Autor bereits die Ausrichtung auf ein Ziel zu erkennen: das Glück i n möglichster Vollendung bestimmt die irdische Erwartung der populären Aufklärung. Aufklärung ist nun ein Wort geworden, wie Schaumann verdeutlicht, „nach welchem sich die Handlungen eines großen Teiles der Menschen bestimmen; welches i n den Gemütern von Tausenden eine Revolution bewirkt hat, die sich durch die ungemeinsten Erscheinungen ankündigt, und die Losung zu einem Streite geworden ist, der nicht nur m i t der größten Hitze geführt wird, sondern von dessen Entscheidung auch, 56 57
Vgl. Kap. 4.1.
A. Weishaupt: Geschichte der V e r v o l l k o m m n u n g des menschlichen Geschlechts. F r a n k f u r t - Leipzig 1788, S. 61. 58 Weishaupt, S. 31, 107 u. ö.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
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nach dem Ausspruch der einen und der anderen Partei das Heil des Menschengeschlechts abhängt" 5 9 . Freunde und Feinde der Aufklärung stehen einander nunmehr antagonistisch gegenüber, und der alte Streit zwischen Licht und Finsternis bekommt nun die Gestalt eines Kampfes zwischen A l t e m und Neuem, Herkommen und Zukunft, Barbarei und K u l t u r . Von nun an erscheint Aufklärung als modern und progressiv, und impliziert K r i t i k , Prüfung, Wandel, Neuerung, richtet sich gegen Bestehendes und Vorgegebenes, und w i l l sich praktisch i n Veränderung erfüllen. I m Gefolge der Französischen Revolution radikalisierte sich die Diskussion noch mehr, wie ebenfalls Schaumann belegt: „Auch die Französische Revolution ist von ihren Freunden und Feinden als eine Folge der Aufklärung dargestellt worden. Die eine Partei fand i n jener großen Begebenheit Materialien zu neuen Lobpreisungen und evidenten Beweisen des vortrefflichen Einflusses der Aufklärung auf die Menschheit. Die andere Partei glaubte, durch diese Erscheinung die Verderblichkeit und Gefährlichkeit dessen, was ihre Gegner unter dem Namen Aufklärung preisen, handgreiflich erhärtet und ihren Tadel und ihre Wandlungen gerechtfertigt zu sehen 60 ." Ein Vertreter radikal-jakobinischer Aufklärung war Johann Benjamin Erhard. Aufklärung ist für i h n i n Überspitzung des „illuminatischen Standpunkts" Theorie und Strategie der Revolution, und, wie aus dem Titel hervorgeht, ein moralisches „Recht des Volkes" 6 1 . Noch i m Jahr seines Erscheinens wurde Erhards Buch i n Leipzig, Wien und München verboten. Schiller betrachtete seine „Ästhetischen Briefe" als Gegenargument zu Erhards Ideen 6 2 . Von Kant übernimmt Erhard den Begriff der „selbstverschuldeten Unmündigkeit". Denn unter „Revolution des Volkes" ist nichts anderes zu verstehen, „als daß sich das Volk durch Gewalt i n die Rechte der Mündigkeit einzusetzen und das reale Verhältnis zwischen sich und den Vornehmen aufzuheben" versucht. Legitimationstitel für die Revolution ist „die Moral als höchste Instanz", und zwar nur dann, wenn dadurch den „Menschenrechten" zur Geltung verholfen wird. Das Grund- und Menschenrecht schlechthin aber, „das dem Volkskollektiv zukommt", ist kein anderes als „das 59 Vgl. J. Ch. Schaumann: Versuche über die Aufklärung, Freiheit, Gleichheit. Halle 1793, S. 24 f. eo Schaumann, S. 7 f. 61 Vgl. i m folgenden J. B. Erhard: Über das Recht des Volkes zu einer Rev o l u t i o n u. a. Schriften. Jena u n d Leipzig 1795, S. 179 - 194. Z i t i e r t w i r d dieser T e x t nach Bahr, S. 44 - 52. 62 Vgl. S. 193 ff.
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Recht zur Aufklärung". Denn jede Konstitution oder Restitution anderer Rechte setzt Aufklärung voraus. Da die Unmündigkeit des Volkes selbstverschuldet ist, ist Revolution für Erhard nicht Rache, sondern nur das Mittel, „ u m sich mündig zu machen". Die notwendig zu erreichende Stufe politischer Aufklärung ist für Erhard die „gänzliche Kenntnis der Menschenrechte". Denn „Aufklärung hat nicht den Zweck, ein Volk glücklich, sondern es gerecht zu machen. Die Staatsverfassung soll nicht Glückseligkeit, sondern Gerechtigkeit hervorbringen". Nur dann ist Entwicklung möglich bis h i n ins „Unendliche", getragen von „Fortschritten i n Weisheit und Wissenschaft". Die Beispiele radikaler, jakobinischer Aufklärung ließen sich noch weiter fortsetzen 63 . Jedoch gerade die Reaktionen auf diese radikale Form der Aufklärung leitet die Aufklärungskritik des deutschen Idealismus ein. 3.3.2. Sdiritte zur Aufklärungskritik
Die ersten Formen der K r i t i k an der Aufklärung setzen bei den psychologischen Argumenten der Aufklärungsphilosophie an. Diese hatten ihren Ursprung i n dem Leibnizschen Gedanken, daß Dunkelheit und Klarheit die fundamentalen Unterschiede i m menschlichen Seelenleben sind und daß „Vorstellungen" bloß deren Kernelemente sind. Obwohl die Problemstellung bei Leibniz doch tiefer liegt, hatte man zunächst kein Interesse daran, denn es galt ja, den Rationalismus „handlich" zu machen: das Interesse an schulmäßiger Forschung nahm ab und man versuchte eher, zu brauchbaren und beruhigenden Resultaten zu kommen. Unter dem Schlagwort der „Verstandesaufklärung" wurde alles, was i m Bereich des Seelenlebens nicht sofort transparent war, dem Chaos dunkler Vorstellungen zugeordnet. I n der Konsequenz einer dermaßen intellektualistischen Psychologie lag es auch, daß man der Zukunft m i t großer Zuversicht entgegensah. Licht und Aufklärung, dann w i r d alles gut gehen! Theoretischer Wendepunkt war die Einsicht, daß das Seelenleben noch andere Elemente als die intellektuellen besitzt 6 4 . Insbesondere 63 Z u den interessantesten Quellen der radikalen A u f k l ä r u n g gehört etwa C. W. Frölich: Über den Menschen u n d seine Verhältnisse. 1792. Hrsg. u. eingel. v. G. Steiner, B e r l i n 1960, sowie F. H . Ziegenhagen: Lehre v o m richtigen Verhältnisse zu den Schöpfungswerken u n d die durch öffentliche E i n führung derselben allein zu bewirkende allgemeine Menschenbeglückung. Hamburg 1792. 64 Der Anstoß dazu k a m aus der englischen Psychologie. Relevant wurde A . A.-C. Shaftesbury m i t seiner A r b e i t „ A Letter Concerning Enthusiasm" v o n 1708 sowie F. Hutcheson: „ I n q u i r y into the Original of our Ideas of Beauty and V i r t u e " v o n 1725 u n d „Essay on the Nature and Conduct of the Passions and Affections" v o n 1728. Auch Rousseau t r u g m i t seinem W e r k wesentlich dazu bei, dem Gefühl gegenüber der Überschätzung der Intelligenz Geltung zu verschaffen.
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waren es die Bemühungen u m die Ästhetik als Wissenschaft, die es notwendig machten, zunächst die Eigentümlichkeiten des Gefühls als selbständige Seite des Bewußtseinslebens zu erfassen. A m Anfang dieser Bemühungen steht zunächst der Wolff-Schüler Alexander Gottlieb Baumgarten, der 1735 i n seiner Schrift „Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus" die Ästhetik als neue, erst auszubildende Wissenschaft fordert. Er ist auch der erste, der das Wort Ästhetik i m modernen Sinn als Lehre von dem Schönen gebraucht 65 . Sie ist für Baumgarten jene Lehre, die dem dunklen Vorstellen als der untersten Stufe unseres Vorstellungsvermögens Regeln aufstellt, genauso wie es die Logik beim klaren Vorstellen macht, das der eigentliche Bereich unseres Erkenntnisvermögens sei. Moses Mendelssohn hingegen machte darauf aufmerksam, daß bei dem ästhetischen Gefühl eine unmittelbare und positive Seite des seelischen Lebens vorliegt, die nicht zu ihrem Recht gelangt, wenn sie als ein Chaos dunkler Vorstellungen geschildert wird. Er zeigt, daß, wenn Baumgartens Auffassungen richtig sind, das Gefühl des Schönen bei fortschreitender Aufklärung wegfallen müßte. Diejenigen Aufgeklärten, die später einmal i m Besitze größerer geistiger Klarheit sind, wären zur Klage berechtigt über das „elende Vorrecht, das die Quelle des Vergnügens verschließt, mit welchem die unteren Wesen reichlich versehen sind" 6 6 . Die Aufklärung w i r d also gezwungen, sich gegen die Ansichten von Leibniz und Wolff zu richten und eben i m Interesse von Aufklärung die Unterscheidung zwischen Dunkelheit und Klarheit nicht als einzige, für das Seelenleben relevante zu akzeptieren. Das Dunkle, so verdeutlicht Mendelssohn, hat an sich nichts mit Lust und Unlust zu tun: Denn die Bedingungen des Lustgefühls liegen i n der Übereinstimmung des Mannigfaltigen, die sich i n der Psyche geltend machen. Dies ist aber eine positive Kraft unserer Seele und kein gehemmter Zustand, der hier zum Tragen kommt. 65 Vgl. A . G. Baumgarten: Meditationes philosophicae de nonnullis ad poema pertinentibus. 1735. Hrsg. v. Aschenbrenner u n d B. B. Holther. Lateinischer Text m i t englischer Übersetzung, Einleitung u n d Anmerkungen, Berkeley - Los Angeles 1954. 1742 trägt Baumgarten i n F r a n k f u r t an der Oder i m Rahmen der Geschichte der Philosophie zum ersten M a l Ä s t h e t i k vor. Daraus entsteht dann 1750 die nicht vollendete lateinische Veröffentlichung „Aesthetica" (Nachdruck 1961). Die Ä s t h e t i k Baumgartens entwickelt dann G. F. Meyer: Anfangsgründe aller schönen Wissenschaften, die i n drei Teilen von 1748 bis 1750 erscheint. V o n da an w i r d die Ä s t h e t i k schnell zum Modewort, so daß Jean Paul 1804 i n seiner A r b e i t „Vorschule der Ä s t h e t i k " sagen konnte: „ V o n nichts w i m m e l t unsere Zeit so sehr als v o n Ästhetikern". Des näheren vgl. J. Ritter: Ästhetik. I n : Historisches Wörterbuch der Philosophie, Bd. 1, Spalte 555 ff. 86 M . Mendelssohn: Philosophische Schriften. Verbesserte A u f l . B e r l i n 1771, Bd. 1, S. 22.
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Später bezeichnet Mendelssohn das Gefühl als „Billigungsvermögen" und deutet damit treffend die wichtige Funktion an, welche diese Seite des Bewußtseins ausübt: „Man pflegt gemeiniglich das Vermögen der Seele i n Erkenntnisvermögen und Begehrungsvermögen einzuteilen und die Empfindung der Lust und Unlust schon zum Begehrungsvermögen zu rechnen. A l l e i n mich dünkt, zwischen dem Erkennen und Begehren liege das Billigen, der Beifall, das Wohlgefallen der Seele, welches doch eigentlich von Begierde weit entfernt ist. W i r betrachten die Schönheit der Natur und der Kunst, ohne die mindeste Regung von Begierde, Vergnügen und Wohlgefallen." Daher scheint es Mendelssohn „schicklich", dieses Wohlgefallen und Mißfallen der Seele, das zwar ein „ K e i m der Begierde, aber noch nicht Begierde selbst ist, m i t einem besonderen Namen zu benennen", und zwar m i t „Billigungsvermögen" 6 7 . Einen wesentlichen Schritt macht Johann Nicolaus Tetens, indem er eine weitere Unterscheidung zwischen Empfindung und Gefühl anstellt, während die beiden Begriffe bisher bloß synonym verwendet wurden: „Gefühle", sagt er, „den Empfindungen entgegengesetzt, sind solche, wo bloß eine Veränderung oder ein Eindruck i n uns oder auf uns gefühlt wird, ohne daß w i r das Objekt durch diesen Eindruck erkennen, welche solche bewirkt hat. Empfinden zeigt auf einen Gegenstand hin, den w i r mittels des sinnlichen Eindrucks i n uns fühlen und gleichsam vorfinden" 6 8 . Damit wendet sich Tetens scharf gegen Leibniz und Wolff, die alle Elemente des Seelenlebens Vorstellungen nannten. Das Vermögen, Vorstellungen zu bilden und zu verbinden, nennt er Verstand. Er kommt daher i m Rahmen seiner Psychologie zu folgender Dreiteilung: Gefühl, Verstand und Wille. Die beiden letzteren Fähigkeiten kennzeichnen das Bewußtseinsleben von der aktiven, die erstere von der passiven Seite. Von Tetens ging dann diese psychologische Dreiteilung auf Kant über, der jedoch die Unterscheidung zwischen Empfindung und Gefühl noch konsequenter durchführt 6 9 . Immer stärker w i r d nun das Gefühl als selbständige Seite des Bewußtseinslebens anerkannt. Diese Gefühlsbewegung, die die neuen psychologischen Erkenntnisse auslösten, blieb nicht ohne politische Konsequenzen: I n Frankreich wurde sie der Mutterschoß revolutionärer Gedanken. I n Deutschland 67 M. Mendelssohn: Morgenstunden oder über das Dasein Gottes. B e r l i n 1785, S. 118 f. 68 J. N. Tetens: Philosophische Versuche über die menschliche Natur u n d ihre Entwicklung. 2 Bde., Leipzig 1776 f., Bd. 1, S. 168. 69 Des näheren vgl. dazu H. Holzhey: Kants Erfahrungsbegriff. Quellengeschichtliche u n d bedeutungsanalytische Untersuchungen. Basel - Stuttgart 1970, S. 159 - 198.
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selbst hatte es zunächst oberflächlich den Anschein, als wäre das Bedürfnis nach Beschäftigung m i t öffentlichen Angelegenheiten geringer und als würden die neuen Erkenntnisse nur i n psychologischen Studien oder künstlerischen Produktionen fruchtbar gemacht. Jedoch der A n schein, daß nur rein intellektuelle und ästhetische Interessen i m Vordergrund standen, trügt. Das psychologische Interesse der Aufklärungsphilosophie bringt diese selbst an ihre eigenen Grenzen. Wenn man so w i l l , geschah mitten i m Lager der Aufklärung der Durchbruch zu Romantik und Idealismus. Die Zeit der schönen Seelen und der edlen Herzen begann: der Mensch selbst verstand sich zu den höchsten Dingen befähigt. Der „Sturm und Drang" bleibt jedoch, was die politische Theorie betrifft, innerhalb der charakteristischen Vorstellungen der Aufklärung, die Übergänge sind fließend. Gegen Vernunft, Regel und Sitte stellt man das unmittelbare Bedürfnis des Herzens. Die ursprüngliche Kraft der Natur, die man wieder erkannt zu haben glaubte, stellte man gegen K u l t u r und Gesellschaft. Rousseaus Naturvorstellung beeinflußt die Stürmer und Dränger, beispielsweise die Einleitungssätze zu seiner Autobiographie: „Ich beginne ein Unternehmen, das bis heute beispiellos ist und dessen Ausführung keine Nachahmer finden wird. Ich w i l l meinen Mitgeschöpfen einen Menschen i n seiner ganzen Natur Wahrheit zeigen; und dieser Mensch werde ich selbst sein. Ich allein 7 0 ." Der Sturm und Drang gibt einer menschlichen Natur das Wort, die weit über die „Sittlichkeit" der Aufklärung hinausgeht und die Leidenschaft mit einschließt. Hamman hat bereits 1761 von der „Höhenfahrt der Selbsterkenntnis" gesprochen, die „den Weg zur Vergötterung" bahne. „Wenn unsere Vernunft Fleisch und Blut hat, haben muß . . . wie wollen sie es den Leidenschaften verbieten 7 1 ." Der Sturm und Drang begann die leidenschaftliche Triebnatur, die die Aufklärung als „tierisch" gebrandmarkt hatte, i n der Hoffnung auf eine neue „Glückseligkeit" ins Dasein zurückzuholen. Die Entfremdung w i r d kritisiert, die durch den Zivilisationsprozeß bedingte Entmenschlichung und anderes mehr. Diese neue Anschauung trug ihre ersten Konsequenzen auf dem Gebiet der Literatur, wo das Vermögen, neue, aus dem Inneren geschaffene Formen zu erzeugen, Geltung er70 J. J. Rousseau: Bekenntnisse I. 1712 - 1732. Ubersetzt v o n L. Schöcking, München 1971, S. 5. 71 J. G. Hamann, Abaelardus Virbius an den Verfasser der fünf Briefe der neuen Eloise betreffend. B e r l i n 1762, zit. nach R. Grimminger (Hrsg.): Deutsche A u f k l ä r u n g bis zur französischen Revolution 1680 - 1798. Hansers Sozialgeschichte der deutschen Literatur, Bd. 3. München 1980, S. 66.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
langte. Der Räuber K a r l Moor und der Träumer Werther denken an die „Privatutopie" der Sympathie und die Liebe des Herzens als natürlichem Endzweck des Menschen. Beide entfalten die zerstörerischen Kräfte ihrer Leidenschaft erst aus dem Scheitern dieses Endzwecks. Moor w i r d zum Anarchisten, dessen Aggressionen sich nach außen gegen das Unrecht wenden. Werther wendet sich gegen sich selbst. Neu ist, daß sie ihre Utopie i n der Empörung gegen Staat und Gesellschaft oder i n depressiver Selbtszerstörung einklagen. Das Gefühl begann die Vorstellungen zu bestimmen, während die Aufklärungsphilosophie von Anfang an das umgekehrte Verhältnis als das einzig mögliche aufgestellt hatte. Diese kognitive weltanschauliche Tendenzwende radikalisiert und vertieft eher die politischen K r i t i k felder und Zielansprachen. Wesentliche Schriftsteller, die i n ihrem Werk diesen Übergang vollziehen bzw. vorbereiten, sind Herder und Schiller. Herder umreißt Aufklärung als unerläßlichen Bestandteil der Humanität des Menschen. Bereits 1774 kritisiert er i n seiner Arbeit „Auch eine Philosophie der Geschichte zur Bildung der Menschheit", daß sich „Philosophie und Gelehrsamkeit" durch eine unerhörte Praxisferne auszeichnen, indem sie „unwissend und unkräftig i n Sachen des Lebens" sind 7 2 . Immer wieder betont Herder, daß Aufklärung „nie Zweck, sondern immer Mittel" ist und wo Aufklärung aufhört, M i t t e l i m Dienst des Lebens zu sein, da beginnt der „Verfall". So ein Zeichen des Verfalls waren für den aktiven Freimaurer Herder die irrationalen Elemente von Alchemie und Magie, wie sie sich i n die Freimaurerei über den Umweg des Gold- und Rosenkreuzertums einschlichen. Mutmaßlich war sein reger Kontakt zu den freimaurerischen Enzyklopädisten i n Paris 1769 der Anlaß seiner immanenten K r i t i k der deutschen Aufklärungsbewegung: Bei uns werden „Aufklärung für Glückseligkeit, Wörter für Werke" genommen 78 . Was Herder an der Aufklärung sowie ihrer institutionellen Ebene, der Freimaurerei, vermißt, ist die Handlungsorientierung, der Praxisbezug. So ist i n Herders „Briefen zur Beförderung der Humanität" das erste seiner Gespräche „Über eine unsichtbar-sichtbare Gesellschaft" eine bewußte Anknüpfung an Lessings „Ernst und Falk". Bei der Er72 J. G. Herder: Auch eine Philosophie der Geschichte zur B i l d u n g der Menschheit. 1774. I n : Sämtliche Werke. Hrsg. v. B. Suphan, 33 Bde., B e r l i n 1877 bis 1913, Bd. 5, S. 535. 73 Vgl. S. 555. Über Herder als Freimaurer vgl. Α . v. Reitzenstein: Herder. B e r l i n 1909. Sowie Freimaurer-Lexikon, Spalte 687 ff.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
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läuterung dieser Gesellschaft sagt Herder, daß Poesie, Philosophie und Geschichte die tragenden Pfeiler sind, die sich i m Begriff der „Humanität" bündeln: Unter diesem Schlüsselbegriff subsumiert der Autor gleichermaßen Vernunft, Freiheit, Billigkeit, Tugend, Toleranz, Glückseligkeit, Bildung, wahre K u l t u r , Wahrheit, Schönheit, Menschlichkeit, aber auch Menschenrechte, Menschenpflichten, Menschenwürde und Menschenliebe. Die Humanität bedarf einer aktiven Ausbildung, sie ist die geschichtsphilosophische hext- und Zielidee seines Gesamtwerkes. I n dem Brief über die Freimaurerei sagt Herder: „Gebe man diesem Begriff alle seine Stärke . . . und legte ihn als Pflicht, als unumgängliche erste Pflicht sich und anderen ans Herz; alle Vorurteile von Staatsinteressen, angeborener Religion und das törichste Vorurteil unter allen, das von Rang und Stand, sollte unschädlich gemacht werden 7 4 ." Humanität als eminent geschichtsbezogener Begriff w i r d für Herder das Medium einer „neuen Aufklärung" und die Freimaurerei deren Institution. Denn sie bringt den Menschen „über allen Unterschied der Stände, über jeden Sektengeist erhoben, die goldene Zeit zurück die i n unser aller Herzen lebet" 7 5 . Herder versucht auch erstmals i m Rahmen der Aufklärungsbewegung, „Fortgang und Entwicklung" mit den Kräften der Geschichte aufeinander abzustimmen. Denn man kann „gleichsam nie" vom „ganzen Menschen" sprechen, sondern er ist immer „ i n Entwicklung, i m Fortgang, i n Vervollkommnung" und i n der Folge differenziert Herder: „Den leisen Gang der Zeit, ihren nie zurückkehrenden Fortschritt, i n großen Veränderungen ihren Wandel- und Kreisgang sollte der Mensch wahrnehmen, u m sich danach selbst zu zeitigen, das ist i h m gleichförmig oder zuvorkommend zu leben 7 6 ." Fortschritt als geschichtliche Erkenntniskategorie bezieht sich bei Herder wie dann später bei Schiller nicht nur — wie i m Vulgärgebrauch üblich — auf den Gesamtverlauf der Geschichte, sondern bezeichnet ebenfalls die zeitliche Struktur des Menschen als eines geschichtlich stets sich überholenden Wesens. Schiller stellt i n seiner Arbeit „Über die ästhetische Erziehung des Menschen in einer Reihe von Briefen" eine K r i t i k der „theoretischen K u l t u r der Aufklärung" dar 7 7 . Er erkennt klar die immanenten 74
Vgl. Briefe zur Beförderung der Humanität. 1773 - 1797. 1., 27. u n d 28. Brief, Bd. 17; vgl. auch: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 1784, Bd. 13, S. 154. 75 Herder zitiert nach Freimaurer-Lexikon, Spalte 688. 76 Auch eine Philosophie der Geschichte der B i l d u n g der Menschheit. 1774, S. 51; Abhandlung über den Ursprung der Sprache. 1772, Bd. 5, S. 98; V e r stand u n d Erfahrung. Eine M e t a k r i t i k zur K r i t i k der reinen Vernunft. Bd. 21, S. 56. 77 F. Schüler: Über die ästhetische Erziehung des Menschen i n einer Reihe v o n Briefen. Bd. 12, S. 6 ff.; vgl. auch F. Schiller: Briefe. Hrsg. v. F. Jonas, 13 Fischer
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
Gefahren, die Aufklärung i n sich birgt. Sie reduziert die Vernunft auf den „alles trennenden Verstand", der das Prinzip eines „abstrakten Denkens" und einer „kalten" zergliederten und „bornierten" Erkenntnis ist, die sich als „Vernünftelei" oder „Abstraktionsgeist" zu erkennen gibt. Unter den Bedingungen eines solchen abstrakten Verstandes verliert aber der Mensch die „Totalität seines Lebens, seine geistigen und sinnlichen Kräfte sind entzweit, Kopf und Herz, Wille und Gefühl auseinandergerissen". Dieser inneren Zerrüttung des modernen Menschen entspricht die äußere, i n der politisch-gesellschaftlichen Welt. Wie die Französische Revolution „die losgebundene Gesellschaft nur i n das Elementarreich", das politische Chaos zu führen vermocht hat, weil sie keine Schöpfung der Vernunft gewesen ist und die moralischen Voraussetzungen ihres Gelingens i n einer verderbten, unreifen Gesellschaft fehlten, so bewegt sich die neuzeitliche Gesellschaft überhaupt zwischen den Extremen der Anarchie, des „wilden Despotismus der Triebe" und des rein „physischen Wohlseins". Die Herrschaft der materiellen Bedürfnisse beugt die „gesunkene Menschheit" unter i h r „tyrannisches Joch". Jedoch trotz dieser „Verfinsterung der Köpfe", wie sich Schiller ausdrückt, nennt er i m Anschluß an Kant seine Zeit „das Zeitalter der Aufklärung". Er versteht aber unter Aufklärung ausdrücklich nur „Aufklärung des Verstandes" oder „Aufklärung des Begriffs", also etwas Intellektuelles, Gedankliches, Lehr- und Wissensmäßiges, etwas Theoretisch-Philosophisches und nichts Praktisches, Objektives und Institutionelles 7 8 . Das Zeitalter ist also aufgeklärt, weil es allgemein über Kenntnisse verfügt, die als „Kenntnis der Wahrheit und des Rechts" und „Materialien zur Weisheit" die wesentlichen theoretischen Grundlagen liefern. Jedoch, so moniert Schiller, eine bloß theoretische K u l t u r bleibt praktisch unwirksam. Theorie und Praxis haben sich i n einer K u l t u r , die eine „Monarchie der Vernunft" darstellen soll, zu verbinden. Daher kritisiert er an der Philosophie ihre pure Intellektualität und AbstraktStuttgart - Leipzig 1893, Bd. 3, S. 333 ff. Schiller w a r zunächst ein begeisterter Anhänger der Ideen der Französischen Revolution, reagierte jedoch auf die jakobinische D i k t a t u r negativ u n d entwickelte seine ästhetische Gegenkonzeption gegen Terror u n d Revolution. Dieses Konzept einer ästhetischen Erziehung des Menschen fand seinen Niederschlag i n einer Reihe v o n B r i e fen, die Schiller 1793 an den Herzog Friedrich Chr. v. Schleswig-HolsteinAugustenburg schrieb, v o n dem er ein dreijähriges Stipendium erhalten hatte. Diese Briefe erschienen dann 1795 i n überarbeiteter u n d erweiterter Form unter dem T i t e l „Über die ästhetische Erziehung des Menschen i n einer Reihe v o n Briefen", i n den „Hören". 78 Ob Schiller selbst jemals Freimaurer war, ist umstritten. Jedoch hat er eine Reihe v o n positiven Stellungnahmen zur Freimaurerei abgegeben. Vgl. des näheren Freimaurer-Lexikon, Spalte 1391 f.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
heit und w i r f t ihr vor, unmittelbar an der Zerrissenheit dung des modernen Menschen beteiligt zu sein.
195
und Entfrem-
Neben Kant haben also wesentlich Herder und Schiller das kritische Aufklärungsverständnis des deutschen Idealismus vorbereitet. Für dieses Aufklärungsverständnis werden dann zwei Motivationen richtungweisend: Zum einen die Aufnahme und selbständige Weiterbildung der von Kant vorgenommenen präzisen Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft, zum anderen das Bedürfnis nach dem, was Hegel später die „Wiederherstellung der Totalität" nennt. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts verstärkte sich i n Deutschland ein Anliegen der Aufklärung, nämlich nicht bloß eine bestimmte Verbreitung des Wissens zu sein, sondern eine Form des Gedankengebrauchs, die auf praktische Anwendung und soziale Verwirklichung zielt. Diese Strömung erhielt dann den Namen „Popularphilosophie". Sie verstand vor allem die Vernunft als eine „Energie", als „eine Kraft, die nur i n ihrer Ausübung und Auswirkung völlig begriffen werden kann" 7 9 . Eine solche Philosophie war erst ab dem Zeitpunkt möglich, wo sich ein gebildetes Publikum entwickelt hatte. Dieses benötigte Informationen, Kriterien und Vorbilder zur Meinungsbildung und wollte seine theoretische und praktische Neugierde auf unterhaltsame Weise befriedigt sehen. Auch Kant hatte sich m i t seinen vorkritischen Schriften an der Popularisierung der Philosophie beteiligt. Die Popularphilosophie wurde zu einer „Gattung", die von allen Themen des bürgerlichen Lebens und der politischen Willensbildung handelte. Moses Mendelssohn nahm dieses Anliegen i n seinem Essay über „Leben und Charakter des Sokrates" von 1767 vorweg: „ K r i t o versah ihn mit den Notwendigkeiten des Lebens, und Sokrates legte sich anfangs mit vielem Fleiße auf die Naturlehre, die zur damaligen Zeit sehr i m Schwange war. Er merkte aber gar bald, daß es Zeit sei, die Weisheit von Betrachtung der Natur auf die Betrachtung des Menschen zurückzuführen. Dieses ist der Weg, den die Weltweisheit aller Zeiten nehmen sollte. Sie muß mit Untersuchung der äußerlichen Gegenstände anfangen, aber bei jedem Schritte, den sie tut, einen Blick auf den Menschen zurückwerfen, auf dessen wahre Glückseligkeit all ihre Bemühungen abzielen sollten 8 0 ." Doch auch die politische K r i t i k gegen die popularphilosophische Wirksamkeit wuchs rasch. M i t ihrer Publizität war sie zu einer kritischen Institution gegen den Staat geworden. 79 Vgl. E. Cassirer, Die Philosophie der Aufklärung. Grundriß der p h i l o sophischen Wissenschaft. Tübingen 1932, S. 15. 80 M. Mendelssohn, Gesammelte Schriften. Jubiläumsausgabe. Hrsg. v. F. Bamberger u. a. Bd. 3 I, Stuttgart 1972, S. 14.
1*
196
3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm 3.3.3. Facetten der Popularphilosophie
Gegen Ende des 18. Jhts. ist die deutsche Literatur und Publizistik voll von Schriften, die den Begriff der Freiheit thematisieren. Überall ist ein politisches und moralisches Aufbegehren bemerkbar, das zu allererst und zunächst nach Freiheit verlangt. Hierin ist wohl die gemeinsame „politische" Grundlage der verschiedenen Konzepte der Aufklärung zu sehen. Freiheit w i r d zu einem politisch besetzbaren Schlagwort mit universellem Geltungsanspruch. Der Ausdruck gewinnt geschichtsphilosophische Gehalte: Er w i r d zu einem Prozeß der Befreiung aus rechtlichen, sozialen, politischen und ökonomischen Abhängigkeiten verzeitlicht, mit deren Beseitigung i n Zukunft Herrschaftslosigkeit eintreten soll. Freiheit rückt zu einem zentralen Bewegungs- und Zielbegriff auf. Seitdem umgreift der Begriff Freiheit sowohl den Wandel des politischen Selbstbewußtseins, wie den i h m korrespondierenden Veränderungsprozeß. Freiheit hat die ihr auch heute noch anhaftende Modernität erreicht. Dazu gehören auch utopische Gehalte: Das Ziel jeglicher Freiheit gerät i n die Zone des sogenannten „Endes" aller bisherigen Geschichte. Der Begriff erfaßt einen Befreiungsprozeß, der sich denknotwendig so lange fortsetzen muß, wie Abhängigkeiten existieren, aus denen man sich befreien soll. I n philosophischer Sicht geht man durchaus vom traditionellen Minimaldefiniens der Freiheit aus, wie es etwa bei Bonaventura oder Duns Scotus exponiert wurde. Freiheit ist Selbstreflexion und Richtung auf Vollkommenheit. Sie ist also zunächst die Freiheit eines Willens, der sein eigenes Wollen w i l l und zugleich denkbar macht, und der i n sich selbst autonom handelt. Was sich aber wandelt, sind die Begründungen der Freiheit und die systematischen Zusammenhänge, i n denen diese Begründung geschieht. Es ändern sich die Bedingungen, unter denen der Anspruch erhoben und jeweils erneuert werden kann, Freiheit zu verwirklichen. Dahinter steht das Bewußtsein, daß Freiheit noch immer nicht ist. Für den einzelnen hat Freiheit jederzeit den Sinn, Freiheit von Zwang durch andere zu sein und Möglichkeit zu selbstbestimmten Handlungen. Jedoch ist der Freiheitsbegriff vorweg relational, kennzeichnet die Beziehung des Individuums auf das wesentlich Allgemeine, seien es nun die Gesetze der Natur oder die Ordnung der Gesellschaft. Freiheit, als Konstitution eines Selbstbewußtseins, verlagert sich immer stärker i n die Richtung vernünftigen Handelns i m Rahmen eines jeweiligen politischen Systems.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
A. Perspektiven
197
des Freiheitsbegriffes
Zentral für die Entwicklung des Freiheitsbegriffes w i r d die K o n i sche Philosophie. I h m ging es ja bekanntlich u m die „zwei Angeln", u m welche die Metaphysik sich dreht: „Erstlich, die Lehre von der Idealität des Raums und der Zeit", dann „zweitens, die Lehre von der Realität des Freiheitsbegriffes, als Begriffes eines erkennbaren Übersinnlichen" 8 1 . Die unendliche Ausdehnung des Raumes und der Zeit kann nicht nur als A t t r i b u t oder Tat Gottes gedacht werden, die Vern u n f t k r i t i k macht sie zur formalen Bedingung aller unserer Anschauung, deren „Mannigfaltiges" das Selbstbewußtsein i n einem „actus der Spontaneität" vereinigt, „indem es die Vorstellung: ich denke, hervorbringt, die alle andere muß begleiten können" 8 2 . Dieselbe Spontaneität, die Raum und Zeit ungeachtet ihrer empirischen Realität i n der Einheit des Selbstbewußtseins begründet, w i r k t auch ungeachtet der Naturkausalität als Autonomie des Willens, „sich selbst zum allgemeinen Gesetz zu machen" 83 und begründet i n dieser Freiheit die Sittlichkeit. Freiheit und Naturgesetzlichkeit stehen i n einer Antinomie, die von der Vernunft nicht zu lösen ist. Aber der praktische Begriff der Freiheit, den w i r „ i n wirklichen Handlungen, m i t h i n i n der Erfahrung" 8 4 erkennen, gründet i n ihrer transzendentalen Idee, m i t der sich die „Vernunft, die Idee von einer Spontaneität" schafft, „die von selbst anheben könne, zu handeln, ohne daß eine andere Ursache vorangeschickt werden dürfe" 8 5 . Die zweifache Kausalität w i r d versöhnt i n der „Einheit der Zwecke i n dieser Welt der Intelligenzen, welche, obzwar als bloße Natur nur Sinnenwelt, als ein System der Freiheit, aber intelligibel, das ist moralische Welt (regnum gratiae) genannt werden kann" 8 6 . A u f diesem Weg gelangt Kant zur Idee eines höchsten Gutes, zum „Endzweck". I h n bestimmt die Vernunft des Menschen, dessen Dasein den „höchsten Zweck selbst i n sich" hat, als das „Weltbeste", das „allgemeine Glückseligkeit m i t der gesetzmäßigen Sittlichkeit" verbindet 8 7 . Das „Weltbeste" macht eine philosophische Betrachtung der Geschichte „ i n weltbürgerlicher Absicht" möglich, also eine Betrachtung der Ge81 I . Kant: Preisschrift über die Fortschritte der Metaphysik. 1791, Bd. 20, S. 311. 82 K r i t i k der reinen Vernunft. 2. A u f l . 1787, Bd. 3, S. 108 f. 83 Grundlegung zur Metaphysik der Sitten. 1785, Bd. 4, S. 444. 84 K r i t i k der Urteilskraft. 1790, Bd. 5, S. 468. 85 K r i t i k der reinen Vernunft, 2. A u f l . 1787, Bd. 3, S. 363. 88 K r i t i k der reinen Vernunft, S. 529. 87 K r i t i k der Urteilskraft, S. 435 u n d 453.
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
schichte als einen Freiheitsprozeß 98. Kant geht es u m eine philosophische Rechtfertigung des Willens als mitbestimmenden Faktor i m Bereich der Freiheit, u m den Willen zur Freiheit. Ganz unter dem Einfluß Kants steht der Freimaurer-Dichter Gottfried August Bürger, der i n einer Logenrede 1790 Freiheit als „alles Wahre, alles Schöne, alles Gute, Edle und Große, dessen der Mensch i n Gedanken, Gesinnungen und Handlungen fähig ist", umreißt 8 9 . Bürger pointiert literarisch das von Kant betonte voluntaristische Moment des Freiheitsbegriffs 90 . Freiheit zeigt sich hier als politisch besetzbarer Perspektivbegriff, getragen vom Willen zur politischen Veränderung. Bürger sieht wie Kant i n der Französischen Revolution ein „mächtiges Geschichtszeichen", welches allgemeine Freiheit künftighin realisieren kann. Daher muß sich auch i n Deutschland für „Menschenrecht und Freiheit" sowie für „Menschenwürde" jeder „bewaffnen". „Gott und die Natur gebieten uns", die Freiheit „zu verteidigen, so lange w i r sie besitzen" und sie mit dem „Aufwand aller unserer Kräfte wieder zu erobern, wenn w i r sie m i t oder ohne unsere Schuld verloren haben" 9 1 . Für Herder ist der Mensch ein „König der Erde", weil er mit den „großen Gaben Vernunft und Freiheit" ausgestattet ist. „Der Mensch ist der erste Freigelassene der Schöpfung", der es nicht mehr wert ist, Mensch zu heißen, wenn er dieser ursprünglichen Freiheit wieder entsagt oder gewaltsam verlustig geht. Der Mensch ist zu Freiheit und Humanität bildbar: „Wenn noch nicht vernünftig, so doch einer besseren Vernunft fähig, wenn noch nicht zur Humanität gebildet, so doch zu ihr bildbar 9 2 ." 88 Vgl. Idee zu einer allgemeinen Geschichte i n weltbürgerlicher Absicht. 1784, Bd. 8, S. 15 - 31. 89 Vgl. zum folgenden G. A . Bürger: Ermunterung zur Freiheit. I n : Neue Monatshefte für Dichtkunst u n d K r i t i k . I (1875), S. 225 - 228 (Logenrede v o m 1. Februar 1790) Über Bürger als Freimaurer vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 241. 90 So sagt er zu seinen Brüdern: „Es ist i m ganzen genommen, niemand ein Sklav, als der es sein w i l l , oder der da glaubt, er müsse es sein. K e i n Despotenfuß vermag festen u n d sicheren T r i t t s auf einen Nacken zu treten, als n u r auf denjenigen, der sich selbst unter i h n i n den Staub auf eine menschenunwürdige Weise hinabdrückt. Siegreich u n d triumphierend w i r d meistens derjenige seine geistigen u n d leiblichen Sklavenfesseln sprengen, der sich fest u n d unerschütterlich v o r n i m m t : Ich w i l l sie zersprengen. Ο K r a f t des großen, gewaltigen Wortes: Ich w i l l ! Weiche du nie aus dem Herzen irgendeines edlen Menschen, besonders nie aus den Herzen unserer freigesinnten Brüder! Großes, gewaltiges W o r t : ich w i l l , ich w i l l , was meiner Würde und der Würde der Menschen geziemet! Laß dich n i m m e r weder durch Feuer noch Schwert des Unterdrückers vertilgen!" 91 Hier spielt Bürger auf den Streit zwischen H a m a n n u n d K a n t an, ob sich die Menschheit gegenwärtig i n einem unverschuldeten oder sehr w o h l verschuldeten Zustand der Unmündigkeit befinde. 92 J. G. Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 1784 bis 1791, Bd. 13, S. 146f.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
199
N e b e n diesen sachlichen Ä u ß e r u n g e n gab es auch p h r a s e n h a f t e F o r mulierungen Klopstock,
wie
beispielsweise
im
Kreis
um
den
Maurer-Poeten
die e i n e m a b s t r a k t - e n t h u s i a s t i s c h e n Despotenhaß h u l d i g t e n .
Es b e g a n n „ S t u r m u n d D r a n g " , m a n w o l l t e k e i n S k l a v e m e h r sein, b e geisterte sich f ü r T e i l , H e r m a n n u n d B r u t u s , u n d schrie s t ä n d i g
„In
t y r a n n o s ! " . So sehr dies auf j u n g e G e m ü t e r s t i m u l i e r e n d w i r k t e , b e r e i t e t e aber auch g l e i c h z e i t i g j e n e r F r e i h e i t s p a t h o s d e n deutsch b e t o n t e n Patriotismus bestimmt93.
v o r , d e r später die „ B e f r e i u n g s k r i e g e " v o n 1812 - 1 8 1 5
Andere
wiederum,
wie
Konrad
d u r c h seine „ B r i e f e
aus P a r i s ü b e r
Frankreich"
Freimaurer-Zeitschrift
in
der
Engelbert
Oelsner,
die n e u e s t e n B e g e b e n h e i t e n
historisch-politischen Inhalts, aufgefallen
„Minerva",
ein
w a r , sieht F r e i h e i t
der in
Journal als die
w e s e n t l i c h e B e s t i m m u n g der b ü r g e r l i c h e n G e s e l l s c h a f t 9 4 . Das politische S c h l a g w o r t F r e i h e i t w a n d t e sich auch a l s b a l d ins M o ralische. W ä h r e n d das B ü r g e r t u m u n d die F r ü h a u f k l ä r u n g gerade die Tugend a u f g e b o t e n h a t t e n , u m sich ü b e r d e n A d e l z u erheben, w i r d j e t z t auch i n diesem P u n k t n u r die ungehemmte Natur herausgestrichen. M a n sah p l ö t z l i c h i n der T u g e n d selbst eine G e f a h r a u f d e m W e g zur eigenen Befreiung. Die r a d i k a l e n popularphilosophischen A u f k l ä r e r f o r d e r n d a h e r eine „ R e p u b l i k d e r L i e b e " , i n d e r die S i n n e n l u s t k e i n 98 E i n Beispiel ist etwa das Gedicht „Die Freiheit" des schwärmerischen Klopstock-Verehrers Leopold von Stolberg: Ο Namen, Namen, festlich wie Siegesgesang! Teil! Hermann! Klopstock! Brutus! Timoleon! Ο i h r , w e m freie Seele Gott gab, Flammend ins eherne Herz gegraben! Vgl. dazu den Abdruck des gesamten Gedichts Ch. u n d L. v. Stolberg: Gesammelte Werke. Hamburg 1827, Bd. 1, S. 18 f. Über die Tätigkeit der B r ü der Stolberg i n der Freimaurerei unterrichtet das Freimaurer-Lexikon, Spalte 1516. 94 Die Frage, „Was sich m i t Recht v o n der Freiheit erwarten läßt", beantwortet Oelsner folgendermaßen: „Niemand w i r d dem anderen mehr v o n Geburtswegen auf den Nacken treten, alle werden aufrecht gehen, keiner mehr gezwungen kriechen. M a n w i r d sich ohne Rückhalt über alles, was unser Bestes betrifft, unterhalten, kühner reden, schreiben u n d handeln können; unser K o p f w i r d sich auf eine mannigfaltigere Weise bereichern, unsere Denkungsart vergrößern u n d veredeln. Der Ackerbau, die Industrie, die Künste werden v o n ihren Fesseln losgelassen, jede A r b e i t i h r e m natürlichen Eigentümer gehören. Wohlstand w i r d sich über die ganze Masse meiner Mitbürger verbreiten. Ich werde wenig u n d selten Hungrige u n d Nackende sehen. Das V o l k w i r d sich besser kleiden u n d besser essen. Es werden keine Mißheiraten mehr möglich sein. Der Reiche w i r d ohne Erröten die wohlerzogene Tochter des A r m e n wählen. Der kräftige junge Pächter w i r d das gnädige junge Fräulein glücklicher machen, als ein liederlicher Marquis . . . W e i l i n Z u k u n f t alle arbeiten, muß jeder einzelne weniger zu t u n haben, w i r werden also mehr Zeit auf Wissenschaft u n d Künste verwenden, mehrere u n d schönere K o n zerte u n d Schauspiele hören u n d sehen." Κ. E. Oelsner: Bruchstücke aus den Papieren eines Augenzeugen u n d unparteiischen Beobachters der Französischen Revolution, o. 0.1794, S. 189 f.
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Adelsprivileg mehr ist, sondern jeder seinen Trieb so befriedigt, wie sich das unter „freien Menschen von selbst versteht" 9 5 . Ein zentrales Problem für die Aufklärung bestand darin, wie man die Forderungen nach Freiheit überhaupt an den Mann bringen kann, so lange noch die Zensur besteht und die „Federfreiheit" — wie man damals sagte — bloß als Forderung bestand. Aufklärung, w i l l sie praktisch werden, bedarf des Mediums der Öffentlichkeit. Bemerkenswert ist der Umstand, daß etwa gleichzeitig m i t der Reformierung des englischen Freimaurertums eine bis dahin unbekannte literarische Gattung an die Öffentlichkeit t r i t t , die sogenannten moralischen Wochenschriften. Sie fanden alsbald Nachahmung i n Frankreich und Deutschland und wurden zu einer publizistischen Bewegung, die von Humanität und Toleranz als Grundprinzipien getragen war. Die bis dahin weitgehend uneinheitliche Frühaufklärung erhält damit intellektuell wie institutionell eine gemeinsame „Tendenz" 96. Erst damit löste sich die Presse als selbständige Potenz von der Bevormundung durch Kirche und Staat: sie wurde das Werkzeug des aufstrebenden Bürgertums, das den A n spruch erhob, der eigentliche Träger von Bildung und Erziehung des Menschengeschlechts zu sein. Ludwig Keller zeigt, daß hinter den moralischen Wochenschriften sogenannte „Sozietäten" standen, die nach außen h i n wissenschaftliche Gesellschaften waren, i n Wirklichkeit aber das Gepräge freimaurerischer Logen trugen. Die Geheimhaltung dieser Gesellschaften hatte den Sinn, die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit von ihnen abzulenken und ihrem Wirken den Anschein politischer Indifferenz zu geben 97 . Eine der ersten dieser Zeitschriften i m deutschen Sprachraum war die i n Zürich 1721 erscheinende Zeitschrift „Discourse der Mahlern", welche auf dem Titelblatt die Gestalt eines Maurers m i t Schurzfell, Hammer und Richtscheit trug 9 8 . 95 Gegen die rigide F o r m der Ehe w i r d polemisiert, W. L. Wekhrlin: Hyperboräische Briefe, o. O. 1788, S. 34 ff.; F. R. v. Grossing : Die Kirche u n d der Staat. B e r l i n 1784, S. 170 ff. plädiert für die Vielweiberei. C. I . Geiger: Reise eines Erdbewohners i n den Mars. F r a n k f u r t 1790, geht sogar so weit, die Promiskuität bis zur öffentlichen Begattung auszudehnen, u m die christlichverschämte Lüsternheit durch eine neue „Natürlichkeit" zu ersetzen. 96 Vgl. L. Salomon: Geschichte des deutschen Zeitungswesens. Bd. 1, Oldenb u r g u n d Leipzig 1900, S. 99; Z u m Gesamtkontext F. Schneider: Presse. I n : Geschichtliche Grundbegriffe. Bd. 4, S. 899 - 927. 97 Vgl. L. Keller: Die deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts u n d die moralischen Wochenschriften. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 9, B e r l i n 1900; sowie ders.: Die moralischen Wochenschriften, welche i n den Jahren 1713 bis 1761 i n deutscher Sprache erschienen sind. Bd. 10, B e r l i n 1904. 98 F. J. Schneider: Die Freimaurerei u n d i h r Einfluß auf die geistige K u l t u r i n Deutschland am Ende des X V I I I . Jahrhunderts. Prag 1909, S. 38.
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I m ersten Heft wurde verkündigt, daß diese Zeitschrift ihren Ursprung i n einer durch die ganze Schweiz verbreiteten Gesellschaft gleichgesinnter Männer habe". Daß tatsächlich hinter dieser Sozietät Freimaurer standen, beweist ein Brief des Berner Professors Altmann an den Herausgeber der Zeitschrift Johann Jakob Bodmer, der die Bitte enthielt, an die „ganze ehrende Sozietät der Herren Freimaurern" seine „gehorsame Komplimente abzulegen" 100 . I n Deutschland stammen die ersten Nachrichten über Freimaurerei ebenfalls aus der öffentlichen Presse, wie ζ. B. der „Vossischen Zeitung" 1733, der „Haude-Spenerschen Zeitung" 1743. Die älteste deutsche, von Freimaurern herausgegebene Zeitung dürfte der von Edward Milford 1737 i n nur einer Nummer erschienene „Freymäurer" gewesen sein. Hatten die moralischen Wochenschriften bisher den Zusammenhang m i t der Maurerei verheimlicht, so wich der Professor an der Universität Leipzig, Johann Joachim Schwabe von dieser Gepflogenheit ab. Die von i h m herausgegebene Wochenschrift der „Freymäurer" von 1738 „erklärte i n ihrem Vorwort geradezu, daß alle ihre Vorgängerinnen aus ein und derselben Schule" stammen, nämlich aus „der ehrwürdigen Gesellschaft", der Schwabe selbst angehörte, „der Sozietät der Freimaurer" 1 0 1 . Die moralischen Wochenschriften und später auch die „Intelligenzblatter" prägten die Publizistik des 18. Jhts. Es ging darum, durch überzeugendes Argumentieren den vernünftig-sittlich aufgeklärten Menschen zu schaffen. Durch den moralischen Anspruch bereiteten diese Zeitschriften den Schritt in das Politische vor. Die Artikulierung allgemeiner Anliegen bildete ein politisch gesinntes Publikum, das sich als „öffentliche Meinung" zu verstehen begann. Es kommt also nicht von ungefähr, wenn der Freimaurer Christoph M a r t i n Wieland als erster i m deutschen Sprachraum „öffentliche Meinung" definitorisch umreißt 1 0 2 . 99 „Gleich w i e die Sozietät zu i h r e m Objekte den Menschen genommen hat, so prätendiert sie, v o n allem denjenigen zu reden, was i n sein K a p i t e l gehört, ohne andere Ordnung, als diejenige, zu welcher i h r ihre Nebenmenschen und ihre eigene Situation v o n Zeit zu Zeit Anstoß geben werden, ihre Spekulationen w a l t e n zu lassen. I h r e Passionen, Kapricen, Laster, Fehler, Tugenden, Wissenschaften, Torheiten, i h r Elend, ihre Glückseligkeit, i h r Leben u n d Tod, ihre Relationen, die sie m i t anderen entibus haben, endlich alles, was menschlich ist u n d die Menschen angeht, gibt i h r Materie an die Hand zu gedenken u n d zu schreiben." Z i t i e r t nach Salomon, S. 201 f. 100 L. Keller: Die deutschen Gesellschaften des 18. Jahrhunderts u n d die moralischen Wochenschriften. S. 236. 101 Keller, S. 298. 102 Ch. M. Wieland: Gespräche unter vier Augen. 1798. N r . 9: Über die öffentliche Meinung. Bd. 32 (1857), S. 192 f.
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Die bedeutendste dieser maurerisch orientierten Wochenschriften war gegen Ende des Jahrhunderts die bereits mehrfach erwähnte „Berlinische Monatsschrift", aber auch die „Allgemeine Deutsche Bibliothek" ist zu nennen, die Friedrich Nicolai herausgab. Nach dem Urteil Niebuhrs war die letztere das Instrument einer „Partei", die es verstand, sich zu einer „furchtbaren Macht" und zum „Gesetz für die Leser" emporzuschwingen 103 . Die öffentliche Meinung i n Deutschland wurde weitgehend durch Nicolais Bücherzensuren geleitet. Der größte Teil dieser „Partei" gehörte der Freimaurerei an, viele außerdem dem I l l u minatenorden wie Biester, Gedike, Knigge, Feder und Mauvillon 104. Der Begriff der „Preßfreiheit" selbst ist ja erstmals bei dem Maurer und Illuminaten Johann Joachim Bode formuliert 1 0 5 . A u f dem Sektor der Presse sind daher die Proteste gegen die Freiheitsbeschränkung äußerst zahlreich. Die Popularphilosophie der Aufklärung verstand sich als Träger der „Libertas", „Publizität" und Schillerschen „Gedankenfreiheit" i n einem. „Freiheit der Gedanken" und „Freiheit der Schriften" werden dezidiert gefordert. Denn „alle Monopole i n den Gedanken sind schädlich". Einzig und allein eine Pluralität der Meinungen kann endgültigen Fortschritt freisetzen 106 . Die Situation änderte sich, als der maurerisch gesinnte Josef II. 1782 für seine Lande eine weitgehende Pressefreiheit erlaubte und auch i n Preußen Friedrich II. dem Zeitschriftenwesen relativ freie Zügel ließ. Die interessantesten Jahre der Spätaufklärung sind daher die frühen Achtziger jähre, wo selbst i n der Tagespresse manche kühnen Töne angeschlagen wurden. Zu dieser Zeit versteht sich die Presse als „Sachwalter der niedergestampften Vernunft, der gekränkten Menschheit, der unterdrückten Unschuld, der entrissenen Freiheit". Schriftsteller „bringen die Faustschläge der Tyrannei, die Meuchelschliche der Ränkesucht, die Schandstreiche des Fanatismus an das Licht des Tages, vor das Tribunal der W e l t " 1 0 7 . Das bisherige „Haupthindernis" für die Aufklärung, „die Tyrannei der Zensur" scheint beseitigt 1 0 8 . Jedoch galt dies nur für kurze Zeit. 103 B. G. Niebuhr: Geschichte des Zeitalters der Revolution. Vorlesungen an der Universität zu Bonn i m Sommer 1829 gehalten . . . , Bd. 1, Hamburg 1845, S. 78. 104 Vgl. G. Ost: Friedrich Nicolais Allgemeine deutsche Bibliothek. B e r l i n 1928, S. 44 ff. 105 Belegt bei Schneider, S. 913. ιοβ v g l . etwa J. G. Herder: V o m Einfluß der Regierungen auf die Wissenschaften u n d der Wissenschaften auf die Regierungen. 1780, Bd. 9, S. 361. 107 So der Apologet der rationalistischen Freimaurerei J. Pezzi : M a r o k k a nische Briefe. 2. A u f l . F r a n k f u r t 1784, S. 244 f. 108 Vgl. etwa J. Priedel: Briefe aus Wien. 3. A u f l . Leipzig 1784, S. 71.
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Nach Friedrichs (1786) und Josefs Tod (1790) und dem Ausbruch der Französischen Revolution setzte auf dem Gebiet der Pressefreiheit eine Rückwärtsentwicklung ein. So schimpft etwa der Freiherr von Knigge — eigentlicher Organisator des radikalen jakobinischen Illuminatenordens — schon wenige Jahre später über den herrschenden „Despotismus", der „jede freie Zirkulation der Gedanken und Meinungen hemmen w i l l " 1 0 9 . Auf den Zusammenhang von Pressefreiheit und Aufklärung macht Adam Moltke pathetisch aufmerksam: „Aufklärung! Aufklärung ist der Strom des Lebens i n der moralisch-intellektuellen Welt; freie, ungestörte Meinungsäußerung das erhabene Ufer, durch welches jener Strom stürmt, rauscht, fließt und gleitet! — das heiligste Menschenrecht. Noch einmal laut sag ich's — das heiligste Menschenrecht! Auch der leiseste Versuch, diese Freiheit zu stören, ist von der Regierung ein Mord! 1 1 0 ." Die Beispiele zur Federfreiheit ließen sich beliebig fortsetzen, denn nahezu jede aufklärerische Schrift setzte sich m i t diesem Problem auseinander. Die Suche nach der Freiheit war gleichzeitig eine Suche nach den Gründen der bestehenden Unfreiheit. Die Forderung nach Freiheit schlug so gezwungenermaßen i n die Kritik der tragenden Hierarchie und des Despotismus um. Eine Reihe der Aufklärer sprach ganz offen davon, alle unnützen Stände, deren Tätigkeit nicht darin bestand, das Los der Menschheit zu verbessern, einfach abzuschaffen 111 . „ I n allen Ländern, wo es Adel, wo es eine Stufenleiter von Ständen gibt", schreibt Konrad Engelbert Oelsner erbittert, ist „Verachtung die gangbarste Münze" 1 1 2 . Kaum eine Gelegenheit ließ sich die Popularphilosophie der Aufklärung entgehen, den Adel gänzlich als hochmütig, korrupt oder lasterhaft hinzustellen. So nannte i h n August Ludwig von Schlözer „eine Reliquie vormaliger Barbarei", die ihre Privilegien nur dazu ausnutze, Bürger und Bauern aufs schändlichste zu „kujonieren" 1 1 3 . 109 Vgl. Α . υ. Knigge: Rückblick auf den, w e n n Gott w i l l , für Deutschland n u n bald geendigten Krieg. Kopenhagen 1795, S. 113 ff. 110 A . Moltke: Reise nach Mainz zur Zeit des Bombardements. A l t o n a u n d Leipzig 1794, S. 192 f. 111 Vgl. etwa die Schrift des Mainzer Jakobiners A . J. Hoffmann: Der A r i stokratenkatechismus. Mainz 1792, abgedruckt i n Κ. M. Michel (Hrsg.): Politische Katechismen. F r a n k f u r t a. M . 1966, S. 118 - 124. 112 Oelsner, S. 18. 113 „Kujonieren" ist ein alter Ausdruck für schikanieren u n d quälen; A . L. Schlözer: Staatsanzeigen 2, 1782, abgedruckt in: J. Hermand, S. 80 f.; i n ähnliche Richtung geht die K r i t i k v o n J. H. Voss: Der Göttinger Hain. Hrsg. v. A . Kelletat, Stuttgart 1967, S. 275 ff.
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Ein Pendent zur Adelskritik bilden die vielen Proteste gegen die immer noch weithin existierende Leibeigenschaft. Das Bauerntum w a r j a auch gegen Ende des 18. Jhts. noch der zahlreichste Stand und damit die eigentliche Quelle des Volkseinkommens. Es gibt eine Reihe von Schriften, die an den Geist der alten Bauernkriege anzuknüpfen versuchen und die ländliche Bevölkerung zu einer Revolutionsbereitschaft wachrütteln wollen. Auch die Illuminatenbewegung setzt sich für die Landleute als die am meisten „verachtete Klasse" ein 1 1 4 . Zusammenfassend und beispielgebend für das Engagement der Aufklärung hinsichtlich des Bauernstandes ist Bürgers explosives Gedicht „Der Bauer an seinen durchlauchtigten Tyrannen", das mit dem Aufschrei endet: „Du nicht von Gott! Tyrann 115." I n dieser Zeile w i r d natürlich mehr attackiert als bloß der Adel. Hier geht es u m den Despotismus schlechthin, der den absoluten Gegenpol zur aufklärerischen Gesinnung bildet. Das Wort „Despot" erlebt i n den aufklärerischen Schriften dieser Jahre fast eine Inflation. Man setzte daher dem herrschenden Despotismus eine Fülle von neuen politischen Leitbildern entgegen, die endlich eine humanere Regierungsform bewirken soll. B. Der Kampf um Gleichheit Die popularphilosophischen Vorstellungen orientierten sich an einem sozialpolitischen „Erfüllungsbegriff", nämlich dem der Gleichheit, der alsbald zum zentralen politischen Schlagwort wurde. Bereits zuvor haben w i r ja gesehen, daß bei der Herausbildung der neuzeitlichen Naturwissenschaften der Gleichheitsbegriff i n einen neuen Bedeutungszusammenhang rückt. Man ging bei der Erforschung der Naturphänomene nicht mehr von Schöpfungsindividualitäten aus, sondern erkannte den Grundvorgang alles natürlichen Geschehens i n gleichförmigen Bewegungsabläufen, die quantitativ gemessen und deren Gesetzmäßigkeit berechnet werden konnte. Die Mathematik als Wissenschaft des Gleichförmigen und Meßbaren wurde zur führenden Wissenschaft und bestimmte das Denken der Zeit. Gleichheit wurde einschließlich neu gebildeter Komposita zu einem mathematisch-naturwissenschaftlichen Spezialbegriff, der auch auf das sozialpolitische Gebiet übertragen wurde. Grundlegend dafür war das sich seit der Renaissance durchsetzende neue B i l d vom Menschen als eines autonomen Subjekts i m Rahmen natürlicher Zusammenhänge. 114 Vgl. A . Weishaupt: Geschichte der V e r v o l l k o m m n u n g des menschlichen Geschlechts. F r a n k f u r t 1788, S. 207 f.; vgl. auch unter vielen etwa J. Κ Wezel: Belphegor oder die wahrscheinlichste Geschichte unter der Sonne. 1776. Hrsg. v. W. Dietze, B e r l i n 1966, S. 32 ff.; F. C. v. Moser: Politische Wahrheiten. Zürich 1796, Bd. 1, S. 84 f. 115 G. A . Bürger: Gedichte. Leipzig o. J., S. 83.
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
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Auch das neuzeitliche Naturrecht enthält j a nicht bloß eine Theorie der natürlichen Gleichheit der Menschen, sondern ebenso sehr die Forderung nach sozialer Gleichberechtigung 116. Historisch konkret und öffentlich gab es keine auf Gleichheit beruhende Gesellschaft i m 18. Jht., wohl aber abgeschirmt und geheim. Genau dies war wesentlicher Sinn der Institution der Freimaurerei, die die gesellschaftlichen Unterschiede innerhalb der Logen durch eine Gleichheit aller Mitglieder als „Brüder" überwunden bzw. verdeckt hat. Zuvor sahen wir, wie die Adelsprärogativen als gemeinschädliche Vorrechte kritisiert wurden. Diese Gedanken, aber auch die Alternativvorschläge bündeln sich i n der allgemeinen Forderung nach einer Gleichstellung aller Staatsbürger gegenüber dem Gesetz und i m Rahmen der Rechtsprechung. Diese als Rechtsgleichheit oder Gleichheit vor dem Gesetz formulierte Forderung w i r d i n Deutschland i n den Jahren nach 1770 zum ersten Mal laut. So heißt es bei Kant: „Dem Rechte nach . . sind sie dennoch als Untertanen alle einander gleich, weil keiner Irgend jemanden anders zwingen kann als durch das öffentliche Gesetz 117 ." Auch Carl Gottlieb Svarez hält i n seinen „Vorträgen" fest: „Die Gesetze des Staates verbinden alle Mitglieder desselben ohne Unterschied des Standes, Ranges und Geschlechtes 118 ." Aus den naturrechtlichen Gleichheitsvorstellungen, die bisher weitgehend theoretische Lehrbegriffe geblieben waren, werden nunmehr konkrete Forderungen abgeleitet, die populäre Verbreitung fanden und zum politischen Programm wurden. Auch hier kommt von Kant der wesentliche Impuls: Er hatte ja gelehrt, daß die Freiheit des Menschen nicht eine Naturanlage ist, sondern i n der Unabhängigkeit besteht, die sich der vernünftige Mensch gegenüber der Natur nur durch sittliche Autonomie erringt. Die Fähigkeit dazu kommt allen Menschen i n gleicher Weise zu, i n ihr besteht die Würde des Menschen, auf die alle gleichen Anspruch haben. „Und so war der Mensch i n eine Gleichheit mit allen vernünftigen Wesen, von welchem Rang sie auch sein mögen, getreten: nämlich i n Ansehung des Anspruchs, selbst Zweck zu sein, von jedem anderen auch als ein solcher geschätzt und von keinem bloß als Mittel zu anderen Zwecken gebraucht zu werden. Hierin . . . steckt der Grund der so unbeschränkten Gleichheit des Menschen 119 ." 116
Vgl. dazu O. Gierke: Johannes Althusius. 3. A u f l . Dresden 1913, S. 39 ff. I. Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag i n der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. 1793, Bd. 8, S. 292. 118 C. G. Svarez: Vorträge über Recht u n d Staat. 1746 - 1798. Hrsg. v. H. Conrad u n d G. Kleinheyer, K ö l n u n d Opladen 1960, S. 246. 119 I. Kant: Muthmaßlicher Anfang der Menschengeschichte. 1786, Bd. 8, S. 114. 117
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Kant hat damit die Theorie von der Gleichheit der Menschen auf eine neue Grundlage gestellt. Nicht nur die Berufung auf einen angenommenen Naturzustand oder auf eine gleiche Natur aller Menschen, wie i n der klassischen Naturrechtstradition, war entscheidend, sondern der allen Menschen zukommende Vemunftwille, ihre sittliche Würde und der gemeinsame Endzweck. Daraus ergeben sich eine Reihe von Folgerungen. Es war nun nicht mehr möglich, den Gleichheitssatz durch den Hinweis auf die natürlich-faktische Ungleichheit der Menschen i n Frage zu stellen. Vielmehr konnte der Begriff einer natürlichen Ungleichheit mit dem einer vernünftig-sittlichen Gleichheit jetzt gleichzeitig festgehalten werden: Gleichheit war jetzt nicht mehr Naturrecht, sondern ausschließlich und i m eigentlichen Sinne Vernunftrecht. Darüber hinaus wurde Gleichheit ein Gebot der praktischen Vernunft. Ihre Respektierung und praktische Verwirklichung war zu einer sittlichen Aufgabe geworden. Die bedeutsamste Anwendung des transzendentalphilosophisch fundierten Gleichheitssatzes geschah auf dem Gebiet der Rechtslehre: Es wurde einerseits die Forderung der Rechtsgleichheit aller Bürger vor dem Gesetz, und andererseits die Gleichheit als Verfassungsprinzip abgeleitet. I n diese Richtung hat Kant selbst argumentiert: „Die nach dem Gesetz der Gleichheit . . . gestiftete Verfassung" ist für ihn die einzige, „welche aus der Idee des ursprünglichen Vertrages hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung eines Volkes gegründet sein muß 1 2 0 ." Es lag nun durchaus i n der Tendenz des transzendental begründeten Rechtsprinzips der Gleichheit, daß seine konkrete Anwendung auch auf weitere Gebiete des gesellschaftlichen Lebens ausgedehnt wurde. Diesen Schritt vollzog insbesondere die junge, vom Revolutionserlebnis geprägte Generation der Kant-Schüler. Aufschlußreich ist hier bereits eine Stelle i n Friedrich Schlegels Kant-Rezension von 1796: „Was Kant für äußere rechtliche Gleichheit überhaupt erklärt", ist „nur das Minim u m i n der unendlichen Progression zur unerreichbaren Idee der politischen Gleichheit. Das Medium besteht darin, daß keine andere Verschiedenheit der Rechte und Verbindlichkeiten der Bürger stattfinde, als eine solche, welche die Volksmehrheit wirklich gewollt hat . . . Das Maximum würde eine absolute Gleichheit der Rechte und Verbindlichkeiten der Staatsbürger sein und also aller Herrschaft und Abhängigkeit ein Ende machen 121 ." 120 I. Kant: Z u m ewigen Frieden. 1795, Bd. 8, S. 350; vgl. auch: Über den Gemeinspruch: Das mag i n der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. S. 291 ff.; sowie die Metaphysik der Sitten. 1797, Bd. 6, S. 393 ff. 121 F. Schlegel: Versuch über den Begriff des Republikanismus. 1796. I n : J. Baxa: Gesellschaft u n d Staat i m Spiegel deutscher Romantik. Jena 1924,
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Der Begriff der politischen Gleichheit w i r d hier als das Endziel einer progressiven geschichtlichen Entwicklung aufgestellt, die m i t der Forderung nach bürgerlicher Rechtsgleichheit bereits eingeleitet ist. Daneben w i r d der Begriff einer „absoluten" gesellschaftlichen Gleichheit eingeführt, eine Vorstellung, die bisher nur Gegenstand von Utopien oder religiösen Erwartungen war. I n beiden Fällen ist „Gleichheit" zu einem säkularisierten geschichtsphilosophischen Zielbegriff geworden. Zusehends kristallisieren sich die Gleichheitsvorstellungen i n der sozialen Problematik. Die Anlehnung an die maurerischen französischen Utopien ist dabei augenfällig. Ein Musterbeispiel dafür ist die Schrift des Popularphilosophen Carl Wilhelm Frölich „Über den Menschen und seine Verhältnisse", die 1792 i n Berlin erschien 122 . Besonders auf dem Hintergrund der sozialen Gleichheitsproblematik werden nunmehr die politischen Zielansprachen formuliert und ihre Realisierungsmöglichkeiten abgestimmt.
C. Politische Zielansprachen und Tendenzen Auch i n Deutschland war die Utopie ein beliebtes Beispiel, politische Alternativfacetten aufzuzeigen 123 . Die vorherigen Beschreibungen sind auf die deutschen Utopien übertragbar, da das Problembewußtsein weitgehend aus Frankreich übernommen wird. Die Rosenkreuzer-Utopien spielen eher eine untergeordnete Rolle. Das Goldene Zeitalter w i r d wie i n Frankreich ins rein Immanente verlegt. M i t Begeisterung schildert man Inseln der Seligen, utopische Reiche auf anderen Planeten oder exotische Südseeparadiese, wo eine „naturhafte" Gleichheit und Freiheit herrscht 1 2 4 . Eine wichtige' Rolle spielt dabei das Vorbild der „Othaehiten", wie man die Bewohner Tahitis i n Anlehnung an die sensationellen Entdeckungsreisen dieser Jahre nannte. Hier schien man genau das gefunden zu haben, wovon Rousseau nur geträumt hatte: eine naturhafte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit, die Punkt für
S. 29 f. Friedrich Schlegel w a r Freimaurer u n d hat den beiden Lessingschen Freimaurergesprächen „Ernst u n d F a l k " i n seiner 1804 erschienenen LessingAntologie ein drittes Gespräch angefügt. 122 C. W. Frölich: S. 36 ff., 52 ff.; vgl. auch die packenden Passagen des Mainzer Jakobiners A . G. F. Rebmann: Kosmopolitische Wanderungen durch einen T e i l Deutschlands. Leipzig 1793, S. 115 ff. 123 Vgl. dazu H. J. Piechotta (Hrsg.): Reise u n d Utopie. Z u r L i t e r a t u r der Spätaufklärung. F r a n k f u r t a. M . 1976. 124 A l s Beispiele seien genannt: A . G. F. Rebmann: Hans Kiekindiewelts Reisen i n alle vier Weltteile u n d den Mond. Leipzig 1794; C. I . Geiger: Reise eines Erdbewohners i n den Mars. F r a n k f u r t 1790.
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P u n k t d e m I d e a l des „ e d l e n W i l d e n " entsprach. V i e l e
Vorstellungen
v o n dem t r a u m h a f t e n Wunsch Arkadiens machen uns heute lächeln125. Doch sollte m a n b e d e n k e n , daß diesen T r ä u m e r e i e n v i e l f a c h m o d e l l h a f t h e r a u s p r ä p a r i e r t e S o z i a l u t o p i e n z u g r u n d e l i e g e n , die v o r a l l e m k o r r i g i e r e n d e F u n k t i o n e n h a b e n . Es g i b t n u r w e n i g e „ i d y l l i s c h e " W e r k e i n d e r P o p u l a r p h i l o s o p h i e d e r A u f k l ä r u n g , die n i c h t z u g l e i c h e i n bewußtes Gegenbild z u m herrschenden System d a r s t e l l e n u n d d a h e r auch m e h r oder m i n d e r v e r s t e c k t i h r e r e v o l u t i o n ä r e n S e i t e n h a b e n . Dies l ä ß t sich selbst f ü r S a l o m o n Gessners I d y l l e n nachweisen. Gessners „ D e r T o d A b e l s " u n d i n gewissem Maße auch Goethes „ W e r t h e r " s i n d W e r k e , i n d e n e n das I d y l l i s c h e a n j e n e n G r e n z p u n k t f ü h r e n soll, w o die i n n e r e F o r d e r u n g d e n T o d der I d y l l e v e r l a n g t . I n d e n R a u m des Todes u n d d e r V e r g a n g e n h e i t z u r ü c k v e r s e t z t , w i r d die I d y l l e z u r Elegie, z u m s e n t i m e n t a l e n G e d i c h t des B e d a u e r n s u n d H e i m w e h s . Gegen d e n H o r i z o n t der Z u k u n f t h i n e n t w o r f e n , w e i t e t sich die I d y l l e z u r Utopie aus, z u r imaginären Einrichtung einer versöhnten Welt. I n A n l e h n u n g a n Fénélons „ T e l e m a c h " e n t s t e h e n eine F ü l l e v o n „FürstenspiegelnIn dieser der U t o p i e v e r w a n d t e n K o r r e k t i v f o r m ist m a n b e m ü h t , d e n A b s o l u t i s m u s i n eine k o n s t i t u t i o n e l l e M o n a r c h i e z u v e r w a n d e l n . D e r „ g u t e L a n d e s v a t e r " , d e r F ü r s t als „ e r s t e r D i e n e r " seines Landes w i r d z u m L e i t b i l d . E t l i c h e S c h r i f t s t e l l e r der A u f k l ä r u n g , 125
Vgl. z. B. F. L. v. Stolberg: Die Insel. Leipzig 1788. Manche dieser U t o pisten w o l l t e n aufgrund der imaginierten Seligkeit, der „falschen europäischen W e l t " endlich den Rücken kehren u n d nach T a h i t i auswandern. So berichtet der Maurer-Dichter Christian Adolf Overbeck am 17. November 1777 an seinen „Bruder" Johann Heinrich Voss, daß er den Plan habe, m i t Gerstenberg unter die „Othaehiten" zu gehen. Dieser Brief v e r m i t t e l t Naivität u n d Euphorie zugleich: „Gerstenberg u n d ich, w i r sind uns einig geworden, unsere besten Freunde allsamt aufzubieten, m i t uns die falsche europäische W e l t zu verlassen, u n d den glücklichen Gefilden eines zweiten Paradieses entgegenzueilen. Sie werden v o n Othaehiten gehört haben. Hier ist das zweite Paradies, hier ist Eden, der Lustgarten Gottes, w o m a n des Schöpfers Güte aus ungetrübter Quelle t r i n k t u n d wo man wiederfindet sein B i l d i n den Menschen, dies Bild, welches A d a m zwar verlieren, aber nicht für ein ganzes Geschlecht verlieren konnte. Haben Sie M u t , Freund, so teilen sie m i t uns diesen edlen Entschluß, der verderbten B r u t Europas den Rücken zu kehren, u n d ein Land unser besseres Vaterland zu nennen, wo ein glücklicheres Leben uns erwartet, als sich selbst die Patriarchen der V o r w e l t rühmen konnten. Unter einer Lebensart, w i e sie Arkadiens Schäfer i n ihren schönsten Träumen zu träumen pflegten, m i t dem Bewußtsein eines Verdienstes, das seit Jahrtausenden der W e l t unerhört geworden ist, m i t der seelenerhebenden Devise eines Enthusiasmus, der himmlischer Bürger nicht u n w ü r d i g sein kann, werden w i r unsere Tage auf ein halbes Jahrhundert verlängern. U n d welch ein Geschlecht werden w i r auf diese Insel pflanzen! E i n zweites Braminengeschlecht! Unsere Nachkommen erben v o n ihren Stammvätern die Einsichten der k u l t i v i e r t e n Menschheit u n d empfangen v o n den Eingeborenen Unschuld u n d Güte des Herzens, nationelle Tugend zu einer Aussteuer, die ihnen auf eine ganze Ewigkeit den Vorrang i n der Glückseligkeit verspricht" (Ch. Α. Overbeck: Aus einem Brief an Johann Heinrich Voss v o m 17.11.1777. Abgedruckt in: J. Hermand, S. 134).
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
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die sowohl vor der Anarchie als auch vor der Sklaverei zurückschreckten, sahen i m Fürstenspiegel, also i m theoretischen Appell an das Verantwortungsgefühl des Fürsten, den goldenen Mittelweg. Sie sollten ihren Söhnen eine aufgeklärte Erziehung geben, die absolute Pressefreiheit i n ihren Landen einführen und damit jeden künftigen Despotismus von vornherein unmöglich machen. Jedoch schon die Tatsache, wie weit man sich i n diesen Forderungen manchmal vorwagt, beweist, daß selbst diese Kreise den Gedanken der Monarchie bereits prinzipiell i n Frage stellen. Dabei reduziert sich oft die Funktion des „Königs" realiter auf die eines modernen Parlamentspräsidenten. Der Illuminât Adolf von Knigge schlägt deshalb i n seinem „Benjamin Noldmann" einen Idealstaat vor, i n dem die Ausübung der Gesetze einem wählbaren Oberhaupt übertragen wird, das zwar unumschränkte Gewalt genießt, aber nach sechs Jahren von der Nationalversammlung des betreffenden Staates wieder abgewählt werden kann. „Nennt i h n König oder wie ihr wollt!" heißt es h i e r 1 2 6 . I m mer stärker w i r d der Ruf nach einer „Verfassung". Freie Wahlen, Kodifikationen der Privatrechte sowie Vereinfachung des Rechtswegs werden verlangt. So heißt es i n einem anonymen Aufsatz i n der „Berlinischen Monatsschrift", daß jeder Fürst „den Staat i n eine Republik verwandeln" soll, „ i n welcher das Haupt der regierenden Familie den bloßen Vorsitz h a t " 1 2 7 . Neben diesen reformistisch orientierten Schriften gibt es aber auch andere Stimmen: Anstatt eine utopische Gesellschaft zu projizieren, oder auf die überzeugende Evidenz der Fürstenspiegel zu hoffen, kommt es i n diesen Kreisen zu einer Revolutionsbereitschaft, die i n einer konstitutionellen Monarchie bloß einen verächtlichen Kompromiß sieht. Dahinter steht vor allem ein aus der Dynamik des Geschehens abgeleitetes Geschichtsbewußtsein. Herder entwickelt ein wirkungsgeschichtlich bedeutsames Konzept der „Geschichte der Menschheit". I n Vorwegnahme Hegelscher Gedanken formuliert er: „Grausenvoll ist der Anblick, i n den Revolutionen der Erde nur Trümmer auf Trümmer zu sehen, ewige Anfänge ohne Ende, Umwälzungen des Schicksals und bedauernde Absicht! Die Kette der Bildung allein macht aus diesen Trümmern ein Ganzes, i n welchem zwar Menschengestalten verschwinden, aber der Menschengeist unsterblich und fortwirkend lebt." Revolutionen sind für i h n ein „Maschinenwerk", sie bilden den Motor der Geschichte. Sie sind daher „unse129 A . v. Knigge: B e n j a m i n Noldmanns Geschichte der A u f k l ä r u n g i n Abessinien. 2 Bde., Göttingen 1791, Bd. 2, S. 183 ff. 127 A n o n y m : Neuer Weg zur Unsterblichkeit für Fürsten. I n : Berlinische Monatsschrift 5, 1785, S. 239 ff.
1
Fischer
210
3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
r e m Geschlecht so n ö t i g , w i e d e m S t r o m seine W o g e n , d a m i t e r n i c h t e i n stehender S u m p f w e r d e . I m m e r v e r j ü n g t i n seinen G e s t a l t e n b l ü h t d e r G e n i u s d e r H u m a n i t ä t auf, u n d ziehet p a l i n g e n e t i s c h i n V ö l k e r n , G e n e r a t i o n e n u n d Geschlechtern w e i t e r " 1 2 8 . A d a m Weishaupt,
d e r r a d i k a l e I l l u m i n a t e n f ü h r e r , z i e h t daraus erste
Konsequenzen. R e v o l u t i o n e n s i n d f ü r i h n die Folge e i n e r „ i m S t i l l e n herangewachsenen, m i t d e n ä l t e r e n F o r m e n u n v e r e i n b a r e n D e n k u n g s a r t " 1 2 9 . V o n solchen Ä u ß e r u n g e n ist es bis z u r ideologischen gung
der praktischen
r i c h Schlegel
Revolution
Rechtferti-
n u r noch e i n k l e i n e r S c h r i t t 1 3 0 . F r i e d -
v e r t r i t t i n seinem „Versuch über den Republikanismus"
v o n 1796 die These, daß e i n k o n s e q u e n t e r A b s o l u t i s m u s , i n d e m sich das P r i n z i p des A n t i - S t a a t e s v e r w i r k l i c h e , die „ I n s u r r e k t i o n " „ r e c h t m ä ß i g " m a c h e 1 3 1 . J e a n Paul
geradezu
sieht i n d e r U n g l e i c h h e i t „ d i e p o l i t i -
schen D r u c k w e r k e u n d D r u c k p u m p e n " , w o b e i R e v o l u t i o n e n d i e V e n t i l f u n k t i o n zukomme: „ A l l e V ö l k e r w e r d e n n u r i n gemeinschaftlicher A u f b r a u s u n g h e l l ; u n d d e r N i e d e r s c h l a g ist B l u t u n d T o d . " Danach, als P h ö n i x aus d e r Asche, ist v i e l l e i c h t so etwas w i e „ e i n goldenes Z e i t 128
J. G. Herder: Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit. 1784 - 1791, Bd. 13, S. 352 f. 129 „ M a n fängt an, einzusehen, daß sich manche der bisherigen Formen u n d Einrichtungen m i t dem vorhergesehenen Wohlstand nicht gänzlich vertragen. M a n fängt an, den älteren Besitz gewisser Rechte zu bezweifeln, i n Anspruch zu nehmen. Die älteren Besitzer sind so b e r e i t w i l l i g nicht, als m a n glaubt, i h r e n bisherigen Vorteilen zu entsagen; sie schreien über Neuerungen, stekken sich unter ehrwürdige Namen des Staats u n d der Religion, u m solche verdächtig zu machen. Die Sache k o m m t zu einer öffentlichen Gärung, zum Streit; die Zeiten werden u n r u h i g : Nach verschiedenen oft unglücklichen V e r suchen, trotz alles Kämpfens u n d gegenseitigen Bestrebens, fällt doch am Ende der Sieg auf die Seite, w o h i n er nach dem Plan der Voraussicht fallen soll. Die ältere Denkungsart räumt der neueren das Feld, w e i l es i h r an Macht fehlt, sich ferner zu erhalten; sie sieht den einzigen Vorteil, der i h r noch ü b r i g ist, sie weicht der Überlegenheit: neue Formen, Einrichtungen, Rechte u n d Stände der Menschen k o m m e n zum Vorschein, u n d ruhigere Zeiten sind die Folgen eines solchen Sturms, bis sich abermals auf obige A r t , ein ähnlicher V o r r a t v o n mehr geläuterten Begriffen sammelt, ebenso geläufig u n d allgemein, u n d dadurch eine Nation oder das ganze Geschlecht reifer w i r d , ein Schritt weiter seiner V e r v o l l k o m m n u n g entgegenzugehen." (A. Weishaupt: Apologie der Illuminaten. F r a n k f u r t 1786, S. 134 - 136.) 130 Vgl, z . b . J. L. Ewald: Über Revolutionen, ihre Quellen u n d die M i t t e l dagegen. B e r l i n 1792, S. 5 ff.; N. Vogt: Uber die europäische Republik. F r a n k f u r t 1788, S. 54. 131 Gültiges M o t i v „der rechtmäßigen Insurrektion ist absoluter Despotismus, d. h. ein solcher, welcher nicht provisorisch ist, u n d also bedingterweise erlaubt sein kann, sondern ein solcher, welcher das republikanische Bildungsprinzip (durch dessen freie E n t w i c k l u n g allein der politische I m p e r a t i v allmählich w i r k l i c h gemacht werden kann) u n d dessen Tendenz selbst zu vernichten u n d zu zerstören strebt, u n d also absolut unerlaubt ist, das heißt v o m allgemeinen W i l l e n nie zugelassen werden kann. Der absolute Despotismus ist nicht einmal ein Quasistaat, sondern vielmehr ein Antistaat u n d (wenn auch vielleicht physisch erträglicher) doch ein ungleich größeres politisches Übel, als selbst die Anarchie. Diese ist bloß eine Negation des Politisch-Positiven; jener eine Position des Politisch-Negativen", (Schlegel, S. 49.)
3.3. Zielansprachen u n d K r i t i k f e l d e r
211
alter" möglich, eine Welt, „wo das Volk am Denken und der Denker am Arbeiten Anteil n i m m t " 1 3 2 . Die Spekulationen, die die Popularphilosophie der Aufklärung, aber auch die beginnende Romantik und der Idealismus zum „besten Staat" anstellen, haben die Republik und die Demokratie zum Vorbild. Überall begegnet man dem Lob „popularischer Verfassungen" und man begeistert sich ebenso sehr für die Schweiz wie für den neuen Kolonistenstaat i n A m e r i k a 1 3 3 . Den wesentlichen A n t e i l an dieser Diskussion haben gewiß die deutschen Freimaurer und Illuminaten. Für Knigge gibt es als einziges Prinzip nur mehr die „Mehrheit der Stimmen" 1 3 4 . Kant definierte 1793 den modernen Bürger ausdrücklich als „Citoyen" und „Mitgesetzgeber", dessen rechtlicher Zustand auf „Freiheit, Gleichheit und Selbständigkeit" beruhe, wodurch er zwangsläufig zum Staatsbegriff der parlamentarischen Demokratie und ihres Repräsentativsystems vorstößt 1 3 5 . Er stellt daher i n seiner Schrift „Vom ewigen Frieden" von 1795 die höchst lapidare Forderung auf: „Die bürgerliche Verfassung i n jedem Staate soll republikanisch sein 1 3 8 ." Kant versteht hier unter Republikanismus eine Staatsverfassung, worin weder einer noch alle die Herrschaft ausüben, sondern das Ganze auf einer Balance der Gewalten beruht, deren gesetzlich verankerte Koexistenz den „ewigen Frieden" garantiert. Georg Wedekind, der radikale Mainzer Jakobiner, umreißt das demokratische Prinzip, wenn er sagt: „ I n Demokratien gibt es aber keine Untertanen, weil i n ihnen jeder Einwohner ein Teil des souveränen Volkes ist, und sowohl zu der Abfassung wie zu der Ausübung der Gesetze seine Stimme geben kann. Oder, wenn ihr wollt, i n einer Demokratie jeder Einwohner sowohl Souverän als wie Untertan: Souverän, insofern er seinen A n t e i l an der Regierung, Untertan, inwiefern er sich den Gesetzen unterwerfen muß 1 3 7 ." Noch einen Schritt weiter geht Friedrich Schlegel, wenn er einen Demokratiebegriff ins Auge faßt, der überhaupt keine staatlichen Grenzen mehr anerkennt, da sich der „ewige Frieden" nach seiner Meinung nur i n einem „Weltreich der Freiheit" verwirklichen lasse. „Nur durch 132
J. Paul: Hesperus. 1795. I n : Sämtliche Werke. Hrsg. v. E. Behrend, W e i mar 1929, Bd. 3, S. 384 ff. 133 Vgl. etwa J. G. Ch. Thiele: Was u n d wo ist Freiheit? o. O. 1791, S. 32 ff. 134 Vgl. Knigge, Bd. 2, S. 175 ff. 135 vgi # ι Kant: Über den Gemeinspruch: Es mag i n der Theorie richtig sein, taugt aber nicht für die Praxis. Bd. 8, S. 294, 290 ff. 138
I . Kant: Z u m ewigen Frieden. 1795, Bd. 8, S. 349. G. Wedekind: Z i t i e r t nach C. Träger (Hrsg.): Mainz zwischen Rot u n d Schwarz. B e r l i n 1963, S. 190 f. 137
14*
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3. A u f k l ä r u n g als politisches Programm
einen universellen Republikanismus kann der politische Imperativ vollendet werden. Dieser Begriff ist also kein Hirngespinst träumender Schwärmer, sondern praktisch notwendig, wie der politische Imperativ selbst. Seine Bestandteile sind: 1. Polizierung aller Nationen; 2. Republikanismus aller Polizierten; 3. Fraternität aller Republikaner; 4. die Autonomie jedes einzelnen Staates, und die Isonomie aller. Nur universeller und vollkommener Republikanismus würden ein endgültiger, aber auch allein hinlänglicher Definitivartikel zum ewigen Frieden sein . . . Der universelle und vollkommene Republikanismus, und der ewige Friede sind unzertrennliche Wechselbegriffe 138 ." Lessings interessanter Standpunkt zum „besten Staat" i n seinen Freimaurergesprächen „Ernst und Falk" haben w i r bereits kurz umrissen. So sehr auch Lessing den „Zweck der Natur" i n einer allmählichen Herausbildung einer freiheitlich-bürgerlichen Gesellschaft sieht, verliert er jedoch nie die tiefe Antinomie zwischen Freiheit und Bindung aus dem Auge, wonach Staat und Natur selbst i n den edelsten Formen der menschlichen Vergesellschaftung notwendige Gegensätze bleiben müssen. Sein „bester Staat" ist daher nur ein ideeller Annäherungswert, der sich zwar i n Richtung auf eine absolut ständelose Gesellschaft entwickelt, aber immer wieder i n den dialektischen Widerspruch zwischen Einzelwillen und Gesamtwillen gerät, der selbst i n einem Staat ohne Staat nicht ganz aufgehoben werden kann. Endgültiger Fortschritt scheitert nach Lessing jeweils an den unaufhebbaren Gegensätzen, die die Tragik des Lebens der Menschen bestimmen. I m Folgenden geht es u m die späte Aufklärung und die Reaktion gegen sie. Gerade die deutsche Freimaurerei war längst aufgebrochen und die Aufklärung und ihr Gegenteil institutionalisierten sich i n den radikalen Flügeln der Illuminaten und der Gold- und Rosenkreuzer.
138
F. Schlegel, S. 44 f.
4. Die Aufklärung und ihr Gegenteil 4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
Bereits zuvor wurde deutlich, daß eine der wesentlichen Forderungen der „rationalistischen" Freimaurerei darin bestand, durch Organisation von Aufklärung und Moral einen „natürlichen" Zustand von Freiheit und Gleichheit i n der menschlichen Gesellschaft zu errichten. Die literarischen und philosophischen Diskussionen fanden i n der Maurerei ihre politische Institution und Organisation. Das eigenartigste Gebilde freimaurerischer Wirksamkeit gegen Ende des 18. Jhts. war der radikal aufklärerische Illuminatenbund 1. Wie i n keinem anderen Geheimbund geht es hier darum, Aufklärung institutionell zu verwirklichen. Bis i n den Vormärz hinein galt der Illuminatismus neben dem Jakobinismus als Inbegriff eines die bestehende Gesellschaftsordnung bedrohenden Systems. Dieser radikale Flügel der Freimaurerei entwickelte sich nicht bloß aus der Aufklärung, sondern er war ebenso eine erste A n t w o r t auf die konservative Reaktion gegen den aufgeklärten Absolutismus. Das Bürgertum sah i n letzterem m i t seinen beachtlichen Leistungen auf dem Gebiet der Verwaltung, der Schule, des Rechtswesens sowie des wirtschaftlichen Lebens seine politischen Ideale weitgehend verwirklicht. Die konservative Gegenaufklärung sah i m 1 A l s wichtige L i t e r a t u r zum I l l u m i n a t e n b u n d sind von den älteren Darstellungen anzuführen: A . Barruél: Denkwürdigkeiten zur Geschichte des Jakobinismus. Nach der i n London erschienenen französischen Originalausgabe ins Teutsche übersetzt v o n einer Gesellschaft verschiedener Gelehrter. 4 Bde., Münster - Leipzig 1800 - 1803. L . Engel: Geschichte des I l l u m i n a t e n ordens. E i n Beitrag zur Geschichte Bayerns. Vorgeschichte, Gründung (1776), Beziehung zur Freimaurerei, Verfolgung durch die Jesuiten, Fortentwicklung bis zur Jetztzeit. B e r l i n 1906. Dieser A u t o r w o l l t e den Illuminatenorden neu begründen. Äußerst fundiert u n d kritisch ist die A r b e i t R. Le Forestier : Les Illuminés de Bavière et la Franc-Maconnerie Allemande. Paris 1915. Trotz seiner eindeutig nationalsozialistischen Orientierung ist auch heute noch grundlegend die A r b e i t v o n A . Rossberg: Freimaurerei u n d P o l i t i k i m Zeitalter der Französischen Revolution. B e r l i n 1942. Die maßgebende A r b e i t aus jüngster Zeit ist R. v. Dülmen: Der Geheimbund der Illuminaten. Darstellung, Analyse, Dokumentation. Stuttgart - Bad Cannstatt 1975. I m A n h a n g sind v o r allem die wichtigen Texte der v o m Kurfürsten K a r l Theodor von Bayern beschlagnahmten „Illuminatenschriften", also die Satzungen, Programme, Instruktionen, Briefe u n d Berichte abgedruckt. I m Folgenden w u r den die Arbeiten v o n Rossberg herangezogen, v o r allem aber die erschöpfenden Ausführungen v o n Dülmen.
214
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
aufgeklärten Absolutismus hingegen ein widernatürliches und unchristliches System. Auch diese kulminierte i n einem Geheimbund, und zwar dem der Gold- und Rosenkreuzer. Die Gegenaufklärung gewann i m öffentlichen Bewußtsein bereits vor der Französischen Revolution ein erstes Profil, und zwar gerade i n der Auseinandersetzung m i t den progressiven Flügeln der rationalistischen Maurerei. Vor allem versuchte sie, der Aufklärungskritik zugunsten des absolutistischen Staates die Spitze zu brechen. Bald nach der Revolution und dem Scheitern der Jakobinerherrschaft wurde sie zur vorherrschenden Meinung und bot der von der Aufklärung k r i t i sierten Fürstengewalt starken Rückhalt. Dies wiederum führte zu einer Radikalisierung der ursprünglichen Anhänger und Förderer des aufgeklärten Absolutismus. Das Dilemma progressiver und konservativer Flügel i m Rahmen der Freimaurerei war entstanden. Die Antithetik zwischen Illuminaten und Gold- und Rosenkreuzern wurde zu einem Politikum ersten Ranges. Die radikale Aufklärung und ihre Gegenbewegung entsprang, wenn auch unterschiedlich motiviert, dem Unbehagen am absolutistischen System 2 . Die einen waren enttäuscht, daß der Absolutismus sich nicht zum Rechts- und Verfassungsstaat weiterentwickelt hatte, die anderen fühlten sich bedroht, weil das aufgeklärte Herrschaftssystem die christ lich-ständische Gesellschaft aufheben wollte. Beide Kräfte rangen bereits vor der Französischen Revolution u m die wesentlichen Posten i n der Bürokratie und i n den damaligen Medien der Öffentlichkeit. Die Einheit der Freimaurerei war aufgebrochen: an ihre Stelle traten zwei völlig entgegengesetzt orientierte Gesellschaften, die „rechten" Rosenkreuzer und die „linken" Illuminaten. Sie knüpften an der alten Gegensätzlichkeit von irrational-schwärmerischer und rational-aufklärerischer Haltung innerhalb der Freimaurerei an. Vollends unter dem Einfluß der Französischen Revolution radikalisieren sich die ohnehin schon bestehenden Widersprüche zwischen Spätaufklärung und Staat. Der offenen Staatsreaktion gegen die Aufklärung steht auf der anderen Seite der nicht minder offen vertretene, demokratische Republikanismus der „deutschen Jakobiner" gegenüber. Die Profilierung i n zwei große weltanschauliche Lager bedeutet ein qualitativ neues Element der politischen Geschichte. Außerdem verstärkt sich m i t der Franzö2 Vgl. v o n H. Gerth: Die sozialgeschichtliche Lage der bürgerlichen I n t e l l i genz u m die Wende des 18. Jahrhunderts. E i n Beitrag zur Soziologie des deutschen Frühliberalismus. Diss. B e r l i n 1935; J. Droz: L'Allemagne et la Révolution Française. Paris 1949; Κ . Epstein: Die Ursprünge des Konservatismus i n Deutschland. Der Ausgangspunkt: Die Herausforderung durch die französische Revolution, 1778 - 1806. F r a n k f u r t - B e r l i n 1973.
4.1. Zur politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
215
sischen Revolution die gegenaufklärerische-konservative Literatur, die nicht nur K r i t i k an der Revolution selbst übt, sondern die Aufklärung insgesamt als staats- und sittengefährdend, revolutionär, jakobinisch und radikal bezeichnet. I n der Folge gerät der überwiegende Teil der ursprünglich von der Revolution begeisterten deutschen Intelligenz i n ein Dilemma: weder ist sie eindeutig staatstreu und konservativ, noch kann sie sich ab 1793 mit der revolutionären Gewalt identifizieren, die jeder friedlichen Utopie aufklärerischer Vernunft widerspricht. Die einsetzende Suche nach einer apriori gesetzmäßig geordneten Welt w i r d verstärkt, verdichtet sich zum Idealismus. Weiterhin w i l l die politische Philosophie Aufklärung, aber jenseits bisheriger Aufklärung. 4.1.1. Deutsche Jakobiner: Geschichte und Konzept der Illuminaten
Hat man die enorme politische Bedeutung des Illuminatenordens vor Augen, mutet sein Anfang eher bescheiden an. Der Orden wurde 1776, also i m Jahre der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung, von Adam Weishaupt i n Ingolstadt gegründet. Er war zunächst als Gegenschlag gegen jede religiöse Bevormundung gedacht: die Jesuiten herrschten trotz der kirchlichen Aufhebung von 1773 i m Kurstaat Bayern und versuchten, jede Berührung m i t dem protestantischen Norddeutschland zu unterbinden. Der Abbau dieser Bevormundung ist seit dem Stiftungstag erklärtes Ziel, ebenso eine bewußte Frontstellung gegen den Absolutismus. Weishaupt, 1748 i n Ingolstadt geboren, wuchs i n den schwelenden Kampf zwischen Aufklärung und Jesuiten hinein. Es war, wie er schreibt, „ein unaufhörliches Kämpfen und Ringen nach Macht, vom Fallen und Steigen der einen oder anderen Partei gekennzeichnet" 3 . Bereits am Gymnasium setzte er sich mit den französischen Utopisten und Enzyklopädisten auseinander und erhielt i m A l t e r von 26 Jahren den Lehrstuhl für kanonisches Recht an der Universität Ingolstadt 4 . Adolf von Knigge, sein späterer Mitstreiter, achtet i h n als einen „vortrefflichen Kopf, einen tiefen Denker", dessen Herz von dem „uneigennützigen Eifer" glühte, „etwas Großes und der Menschheit Wichtiges" zu unternehmen 5 . Die merkwürdige Selbsteinschätzung von Weishaupt und seinen glühenden Missionsgeist verdeutlicht, daß er sich den Or8
A . Weishaupt: Apologie der Illuminaten. F r a n k f u r t - Leipzig 1786, S. 202 f. Des weiteren vgl. zu Weishaupt Rossberg, S. 32 ff. sowie Dülmen, S. 25 ff. 5 A . v. Knigge: Philo's endliche E r k l ä r u n g u n d A n t w o r t auf verschiedene Anforderungen und Fragen, die an i h n ergangen, seine Verbindung m i t dem Orden der I l l u m i n a t e n betreffend. Hannover 1788, S. 59. 4
216
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
densnamen „Spartacus" zulegte, und damit den Anspruch erhob, Befreier der vom Aberglauben und Tyrannei unterjochten Menschheit zu sein. Erste Kontakte zur Freimaurerei hatte Weishaupt 1774. Er war sogleich von ihren Ideen fasziniert 6 . Da sich die von Weishaupt gewünschte Aufnahme verzögerte, reifte nunmehr i n i h m der Entschluß, selbst einen Geheimbund zu gründen, zumals ein Gold- und Rosenkreuzerzirkel aus Burghausen unter den Ingolstädter Studenten warb, dessen „alchemistische Torheiten" i h n abstießen. Weishaupt faßte den Plan, einen Studentenorden zu gründen 7 . Vorweg wollte er i h n als „geheimen Weisheitsbund" konzipieren, i n dem junge Akademiker aufgenommen werden sollten, damit sie sich ungestört dem Studium widmen, welches „Dummheit und Pfaffeneigennutz von den öffentlichen Kathedern verbannt hat" 8 . Bereits für diesen war strenge Wahrung des Ordensgeheimnisses sowie Aufhebung des Standesunterschiedes kennzeichnend (17). Die Mitglieder hatten die Aufgabe, weitere anzuwerben und sich auf die Lektüre der alten und neuen Philosophie zu konzentrieren. Daran änderte sich auch nichts, als Weishaupt 1777 i n die Münchner Loge „Zur Behutsamkeit" eintrat 9 , u m hier i m Interesse seines Ordens „einen neuen Nexum" herzustellen (184). Für die Entwicklung des Illuminatenordens hatte dann ein ehemaliger Schüler von Weishaupt, nämlich Franz Xaver v. Zwackh, der spätere Hofrat und Regierungspräsident von der Pfalz, eine wesentliche Bedeutung. Er wurde unter dem Decknamen Cato bald zu einem wichtigen Mitstreiter: Erst durch seine Hilfe drang der Geheimbund über engen Provinzialismus hinaus 1 0 . Der lose geheime Studentenbund bekam nun das Gefüge eines entschieden aufklärerischen Geheimbundes. Aus der Stätte der Zuflucht für Studenten wurde eine Zentrale des Angriffs. I n dieser Zeit bürgerte sich auch der Namen „Illuminatenbund" ein. 6 Vgl. A . Weishaupt: Pythagoras oder Betrachtungen über geheime W e l t u n d Regierungskunst. F r a n k f u r t - Leipzig 1790, S. 647 ff. 7 Vgl. F. X. v. Zwackh: Geschichte des Illuminatenordens. 1787, abgedruckt i n : Dülmen, S. 329 - 340. Vgl. auch: Einige Originalschriften des I l l u m i n a t e n ordens, welche bey Zwackh vorgenommene Hausvisitation zu Landshut den 11. u n d 12. Oct. 1786 vorgefunden worden. A u f höchsten Befehl seiner Churfürstlichen Durchlaucht zum Druck befördert. München 1787, S. 173. Zahlenangaben i n K l a m m e r n beziehen sich auf diese Dokumentation. 8 Vgl. Zwackh, S. 329 ff. 9 Z u dieser Loge vgl. B. Beyer: Die Freimaurerei i n München u n d A l t bayern. Hamburg 1973, S. 57 ff. 10 Des Näheren zu Zwackh vgl. A . Kleinschmidt: K a r l Theodor Friedrich zu Salm u n d Franz Xaver v. Zwackh. Heidelberg 1897, S. 199 ff.
4.1. Zur politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
217
Neben Weishaupts Schülern kamen nun eine Reihe Münchner Hofbeamte zu dem Bund: so zum Beispiel der Weltgeistliche und Schulinspektor i n Landsberg Joseph Socher 11, der Direktor der philosophischen Klasse der Akademie der Wissenschaften, Ferdinand M. Baader, durch dessen Hilfe der Illuminatenorden wesentlichen Einfluß auf das Münchner Logenwesen gewann 12 . Weitere neue Mitglieder waren der Hof-, Kommerzien- und Zensurrat Savioli-Corbelli, der zugleich Direktor der belletristischen Klasse der Akademie war, dann der Hofrat Baron von Montgelas, der später bayrischer Minister wurde 1 3 sowie der Hofkammerrat Graf von Constanzo u, der für den Orden wichtige Personen warb, so unter anderen auch Knigge. Die politischen Ziele des Ordens werden straffer formuliert: er soll sich „ m i t öffentlichen Schulen, Erziehung, Toleranz, Theologie und Staatsverfassung" auseinandersetzen (215) und Weishaupt faßt zusammen: „Der Endzweck des Ordens ist also, daß es Licht werde, und w i r sind Streiter gegen Finsternis, dieses ist der Feuerdienst" (331). Der Orden ist nunmehr ein auf Reform der ganzen Gesellschaft h i n orientiertes Bildungs- und Moralsystem. Strukturell und organisatorisch schien Weishaupt dies nur realisierbar über die Ausbildung eines der Maurerei ähnlichen Gradsystems. Die Mitglieder sollen je nach Reife und Aufklärung, aber auch Verdienst u m den Orden und die bürgerliche Gesellschaft, unabhängig von ihrem Stand von der untersten zur höchsten Stufe aufsteigen können (vgl. 373, 231). Das Erziehungssystem des Ordens war bereits von Anfang an i n drei Klassen geteilt. Die erste Klasse bildete die „Pflanzschule" des ganzen Bundes. Unter Leitung eines Oberen sollte hier der Aufgenommene ein moralisches Leben führen, sich selbst und andere Menschen beobachten lernen und bestimmte Bücher lesen, damit alle Mitglieder „von einem Geist beseelt" werden. Vor allem antike und aufklärerische Schrifsteller werden empfohlen. I n Abhandlungen und Gesprächen mit den Oberen soll der Mangel des gegenwärtigen politischen Systems analysiert werden, damit die Novizen lernen, wie die Menschen gerade durch ihre Uneinigkeit Gelegenheit zur eigenen Unterjochung geben (210, 319). 11 Des näheren vgl. E. Schmitt: Joseph Socher. Der bayrische Abbé Sièyes? E i n Beitrag zur Frage der K o n t i n u i t ä t der ständisch-parlamentarischen Repräsentation i n Deutschland. I n : Zeitschrift für Landesgeschichte 30, 1967, S. 264 - 297. 12 Vgl. dazu Engel, S. 371. 13 Uber Montgelas u n d seine I l l u m i n a t e n t ä t i g k e i t vgl. E. Weis: Montgelas, 1759 - 1799. Zwischen Revolution u n d Reform. München 1971, S. 33 ff.; zur Montgelas-Zeit i m allgemeinen vgl. W. R. Beyer: Zwischen Phänomenologie u n d Logik. Hegel als Redakteur der Bamberger Zeitung. 2. ergänzte u n d erweiterte Aufl., K ö l n 1974, S. 232 ff. 14 Z u Constanzo vgl. Forestier, S. 200 ff.
218
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
Darüber hinaus soll i n der „Pflanzschule" die Notwendigkeit von Zusammenkünften „gleichgesinnter Menschen" begründet werden 1 5 . Zur Bildung eines solchen „Corps des Geistes" verlangte Weishaupt von den Ordensmitgliedern absoluten Gehorsam gegenüber den Oberen. Als Ausgleich zu dieser Forderung wurden „quibus-licet"-Berichte eingeführt, i n denen ein Mitglied alle Klagen über die Oberen oder die anderen Mitglieder aufschreiben und geschlossen weiterleiten konnte (II, 2). Dies war natürlich auch ein Mittel zu umfassender Information der Ordensspitze. Schien der Novize den Anforderungen des Ordens zu entsprechen, wurde er Mitglied der „Minervalklasse", die Weishaupt das „Fundament" des Ordens nannte. Er verstand diese als eine „gelehrte Akademie", als „gelehrte Gesellschaft" (216), i n deren Mittelpunkt die „Erkenntnis und Ausrottung der Vorurteile" stand (I, 39). Die Beschäftigung m i t der praktischen Philosophie, den Naturwissenschaften, der politischen Ökonomie, den freien Künsten und schönen Wissenschaften waren weitere Tätigkeitsfelder 1 6 . I m Rahmen dieses zweiten Grades sollten vor allem Lesegesellschaften gegründet und Bibliotheken errichtet werden. Lektüre waren die französischen Utopisten und Enzyklopädisten sowie die deutschen Aufklärer (209 ff., 325 ff., 333 f.). Die Minervalen waren i n Logen zusammengefaßt und wurden von einem „erleuchteten" Minervalen, der der Ordensspitze angehörte, geleitet. Nur die Fähigsten sollten i n die dritte Stufe befördert werden, wo die völlige Einsicht i n die Politik des Ordens erfolgte. I n diesem obersten „Conseil" werden die Projekte entworfen, „wie den Feinden der Vernunft und Menschlichkeit nach und nach auf den Leib zu gehen sei" (216). Weishaupt hatte jedoch von diesem ganzen Ordenssystem nur ein loses Konzept. Gänzlich neue Impulse brachte für den Illuminatenbund der E i n t r i t t Adolf v. Knigges. Von Graf Constanzo 1780 geworben, wurde er bald zum eigentlichen Organisations - und Propagandachef des Bundes 17 . Knigge sah seine wesentliche Aufgabe i m Dienst der Aufklärung und 15 Nachtrag v o n weiteren Originalschriften, welche die Illuminatensekte überhaupt, sonderbar aber dem Stifter derselben A d a m Weishaupt, betreffen, u n d bey der auf dem Baron Bassusischen Schloß zu Sandersdorf, einem bekannten Illuminaten-Neste, vorgenommenen Visitation entdeckt, sofort auf Churfürstlich höchsten Befehl gedruckt u n d z u m geheimen A r c h i v genommen worden sind, u m solche jedermann auf Verlangen zur Einsicht vorlegen zu lassen. A b t e i l u n g I u n d I I , München 1787, A b t . I : Korrespondenz, A b t . I I : Dokumente. I I , 4; Zahlen i m fortlaufenden Text, denen I oder I I vorangestellt ist, beziehen sich auf diese Dokumentation. 16 A . Weishaupt: Vollständige Geschichte der Verfolgung der I l l u m i n a t e n i n Bayern. F r a n k f u r t - Leipzig 1786, S. 130. 17 Vgl. Forestier , S. 343 ff.
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
219
der moralischen Stärkung des Bürgertums, wobei i h m die Freimaurerei zunächst als die ideale Organisationsform erschien. Wie kaum ein anderer kannte er das literarisch-gesellschaftliche Leben zu Ende des 18. Jhts. und verfaßte zahlreiche Romane, moralische Betrachtungen, philosophische Abhandlungen und politische Traktate und Polemiken 1 8 . Knigge war ein wesentlicher Wegbereiter der späteren preußischen Reformpolitik, indem er i n seinem gesamten Schrifttum immer darauf aufmerksam machte, daß rechtzeitige und ausreichende Reformen einer revolutionären Bewegung zuvorkommen mußten, damit i n Deutschland eine gewaltsame Revolution überflüssig gemacht werden kann. Er war m i t dem zersplitterten Freimaurerwesen, das er vergeblich zu reformieren wünschte, unzufrieden und glaubte, i m Illuminatenbund genau den Orden zu erkennen, der seinen Bedürfnissen entsprach (vgl. 357). 1780 nahm Weishaupt Knigge unter dem Ordensnamen „Philo" i n den „Areopag" auf. Er hatte i h n jedoch insofern getäuscht, als er den Orden, der sich noch i n seinen ersten Anfängen befand, als ein vollständig ausgearbeitetes Erziehungssystem schilderte. A u f diese Zusicherung gestützt hatte Knigge einen gewaltigen Werbefeldzug i n Nord- und Westdeutschland eingeleitet, und eine Anzahl von einflußreichen Persönlichkeiten gewonnen 19 . Durch die Fülle der Anhänger gedrängt, Näheres zur Organisation und Struktur des Bundes mitzuteilen, sah sich Knigge „ i n unerhörter Verlegenheit" 2 0 und folgte dem Wunsch Weishaupts nach Bayern zu kommen, u m unter seiner Initiative aus dem „unbedeutenden Minervalorden" ein „neues maurerisches System" zu machen (I, 28 ff.). Knigge versuchte nun, den Illuminatismus als ein neues Prinzip in die allgemeine Freimaurerei einzupflanzen. Jeder Illuminât sollte sich zu diesem Zweck i n andere Logen aufnehmen lassen, u m dort als ein geheimer Agent und Propagandist zu wirken. Knigge wollte das neue System so einrichten, „daß unsere Leute i n den Logen der verschiede18 Knigge hat als Verfasser des „Umgangs m i t Menschen", der nach seinem eigenen Verständnis als moralische Hilfe für das sich seiner Bedeutung bewußt werdende B ü r g e r t u m gedacht w a r , bis i n die Gegenwart h i n e i n einen m e r k w ü r d i g e n Nachruhm erlebt, der die andere Seite seines bürgerlich-politischen Engagements i n den H i n t e r g r u n d drängte. Uber Knigge vgl. J. Popp: Weltanschauung u n d Hauptwerke des Freiherrn A d o l f v. Knigge. Diss. M ü n chen 1931; Th. Grabe: Das Geheimnis des Freiherrn v. Knigge. Hamburg 1936; H. Spengler: Die publizistische Tätigkeit des Freiherrn A d o l f v. Knigge w ä h rend der Französischen Revolution. Diss. Bonn 1931. Eine gute A u s w a h l der Werke bietet H. Voegt: A d o l f Freiherr v. Knigge. Der T r a u m des H e r r n Brick. Essays, Satiren, Utopien, B e r l i n 1968. 19 Vgl. Knigge: Philo's, S. 37 f. u n d 52 f. 20 Knigge, S. 54.
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nen Systeme die Oberhand bekämen, u m den müßigen Orden der Freimaurerei für die gute Sache i n Tätigkeit zu setzen" 21 . Nach der Erzählung des Straßburger Juristen Johann Benedikt Scherer hatte Knigge i n Heidelberg bereits verkündet, daß der Illuminatenbund dereinst „die Welt kommandieren würde" 22. Knigge schwebte also schon immer das Ziel vor Augen, alle anderen maurerischen Systeme der Illuminatenidee zu unterwerfen. Es war also eine erklärte Absicht des Ordens, durch „Unterwanderung" nicht bloß der Freimaurerei, sondern auch der Behörden und Ministerien, institutionell Einfluß zu gewinnen. Weishaupt und Knigge ging es vor allem darum, „die Ämter nach und nach m i t unseren Leuten zu besetzen" 23 . Insbesondere sollten die politischen Entscheidungszentralen besetzt werden, wie das Zensurkollegium, das Schulwesen und andere Stellen. Bereits zu dieser Zeit entbrannte ein sehr heftiger Kampf der Illuminaten mit den Gold- und Rosenkreuzern u m die politische Macht (vgl. 1,144 f.). Eine weitere Etappe i n der Entwicklung des Illuminatenordens war der Freimaurerkonvent von Wilhelmsbad 1782. Hier sollte der Versuch unternommen werden, die untereinander zerstrittenen Freimaurer zu reformieren 24 . Unter dem Protektorat des Herzogs Ferdinand von Braunschweig nahmen an diesem Konvent nicht nur die führenden Freimaurer aus Deutschland, sondern ebensosehr aus Ungarn, der Schweiz, Polen, Frankreich und Rußland teil. Die Vertreter des I l l u minatenordens waren Knigge und der Reichskammerassessor FranzDietrich von Ditfurth. Sie verstanden es, die Streitigkeiten innerhalb der Freimaurerei für den Illuminatenbund zu nützen. Doch gab es i n ihrer Vorgangsweise wesentliche Unterschiede, die gleichzeitig für die Zwiespältigkeit der bestehenden Ordenspraxis repräsentativ waren. Während D i t f u r t h von Weishaupt lebhaft unterstützt (vgl. I, 27, 115) auf die völlige Zerstörung der bisher geltenden „Strikten Observanz" hinarbeitete, gegen deren schwärmerisch-religiöse Haltung er „allerorten ohne Unterschied den Deismus auskramte" und radikale Standpunkte vertrat (I, 200), versuchte Knigge zurückhaltend und vorsichtig, ohne jede Provokation, einzelne prominente Vertreter der „Strikten Oberservanz" dadurch für den Orden zu gewinnen, daß er 21
Knigge: Philo's, S. 78. J. B. Scherer: Wichtige Anekdoten eines Augenzeugen über die Französische Revolution. B e r l i n - Leipzig 1800, T e i l I I , S. 10. 23 Vgl. den Brief Weishaupts an Zwackh v o m 21.2.1782, abgedruckt bei Dülmen, S. 260 f. 24 Vgl. dazu: Forestier, S. 354 ff.; Rossberg, S. 74 ff.; Freimaurer-Lexikon, Spalte 859 ff. 22
4.1. Z u r politischen A n t t h e t i k der G e h e i m b n d e
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ihnen das System der Illuminaten als Erfüllung ihrer Wünsche darstellte. Er war entrüstet über den „unklugen Eiferer" D i t f u r t h (I, 126), dessen Aktionen die schlechteste A r t sei, dem Illuminatenorden Freimaurer zuzuführen: „Man muß m i t der Wahrheit nicht Hurerei betreiben", sagte Knigge. „Sie ist ein züchtiges, schamhaftes Weib, und der Proselitengeist und die Intoleranz eines Deisten ist ebenso arg als die eines Pfaffen" (I, 205). Dennoch konnte der Illuminatenorden die allgemeine Verwirrung und Ratlosigkeit des Konvents ausnutzen und viele unzufriedene M i t glieder anderer Freimaurersysteme dem Orden zuführen. I n seinem offiziellen Bericht über den Konvent von Wilhelmsbad schreibt Knigge: „Die Deputierten i n Wilhelmsbad aber kommen fast alle zu mir, und da sie (ich weiß nicht woher) geschlossen Nachricht von der Existenz unserer Verbindung hatten: so baten sie mich alle u m die Aufnahme" (vgl. I, 211 ff.). Der ergebnislose Ausgang des Kongresses hatte den Illuminaten Tür und Tor ins Freimaurerlager geöffnet. Eine der bedeutendsten Neuerwerbungen dieser Zeit war Johann Joachim Christoph Bode 25 , der sich stark für das Programm der Illuminaten engagierte (vgl. I, 219). Nach dem Verfall der „Strikten Observanz" durch den Wilhelmsbader Konvent gründete Ditfurth 26 m i t anderen 1783 den „Eklektischen Bund", eine lockere Vereinigung verschiedener Maurersysteme, die auch i n Verbindung zu den Illuminaten stand 2 7 . Diesem Bund ging es u m die Wiederherstellung der „echten" Freimaurerei, und der I l l u m i natenorden gab auch i n diesen Logen die richtungsweisende Auffassung von der Freimaurerei 2 8 . Der Bund bot den Illuminaten eine weitere Möglichkeit, die Freimaurersysteme zu unterwandern. So schreibt Weishaupt: „Das ist unser größtes Interesse, i n der Freimaurerei eine Eklektik einzuführen: und dann haben wir, was w i r wollen" (I, 85). Inwieweit der eklektische Bund als reines Instrument des Illuminatenordens betrachtet werden kann, ist heute kaum mehr festzustellen. Zwar gehörten zahlreiche von den Illuminaten unterwanderte Freimaurerlogen diesem Bund an, doch verblieb bis zur Aufhebung des 25
Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 196 ff. Vgl. Spalte 373. 27 Vgl. Spalte 412. 28 Aus welchen Logen die Assoziation des „Eklektischen Bundes" bestand, ist bei Rossberg abgedruckt. S. 78 f.; es gehörten dazu i n F r a n k f u r t a. M. die Loge „ Z u r Einigkeit" sowie beispielsweise i n Salzburg die Loge „ Z u r F ü r sicht", deren Meister v o m Stuhl der I l l u m i n â t Friedrich Graf v. Spaur w a r . I n der Illuminatensprache gehörte zum Inspektionsbereich „Archaia" als erste Provinz „Griechenland", d . h . der bayrische Kreis. I n diesem w a r das D i r e k t o r i u m der Stadt Salzburg. 26
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
Illuminatenordens zu wenig Zeit, als daß hier eine eindeutige „ i l l u m i natische" Politik sichtbar werden konnte. Nach dem fehlgeschlagenen Konvent kam es zu einer enormen Ausbreitung des Illuminatenordens, und zwar nicht nur i n Deutschland, sondern ebenso i n Österreich, Dänemark, Schweden, Polen, Ungarn, Schweiz und Frankreich. Von der M i t w i r k u n g am absolutistischen Staate ausgeschlossen, suchte das aufgeklärte Bürgertum i m Orden ein Ventil für eine geheime politische Wirksamkeit. Beamte, Räte, Minister, aufklärerisch gesinnte Fürsten ließen sich wegen Aussicht auf Geistesbildung oder i n der Hoffnung auf eine neue und bessere Welt, aufnehmen 29 . Vor allem zwischen den bayrischen und den österreichischen I l l u minaten bestand ein reger Austausch 30 . Eine beachtliche Schaltstelle zwischen diesen Ländern war die Sozietät i n Salzburg. I h r Gründer war Lorenz Hübner, den Leopold Alois Hoffmann, berüchtigter „Heerführer der Obskuranten" als orthodoxen und leibeigenen Schildknappen des Barons Knigge glossierte 31 . I n Österreich hatte ja die Freimaurerei schon längst festen Fuß gefaßt. So gingen auch die wesentlichen Impulse zu den staatspolitischen Reformen des Josefinismus von der Maurerei aus 32 . Zur Durchführung seiner Reformpläne bedurfte Kaiser Josef II. der Mitarbeit aller „Freunde der Aufklärung", u m ein Gegengewicht zum konservativen Klerus zu schaffen. Dies veranlaßte i h n nach seiner Thronbesteigung, die Freimaurer gesetzlich anzuerkennen. Da nahezu alle hervorragenden Männer Wiens der Maurerei angehörten, bekam diese den Status einer Partei 3 3 . Etliche waren auch Mitglieder des Illuminatenbundes. 29 Vgl. dazu Κ. A . Menzel: Geschichte unserer Zeit seit dem Tode Friedrich I I . Bd. 1; B e r l i n 1827, S. 21 ff. sowie L. Maenner: Bayern v o r u n d i n der Französischen Revolution. B e r l i n - Leipzig 1927, S. 85. 30 Vgl. des näheren Rossberg, S. 57 ff. 31 Vgl. F. Sommer: Die Wiener Zeitschrift 1792 - 1793. Die Geschichte eines anti-revolutionären Journals. Diss. B o n n 1932, S. 139; vgl. R. Koch: Bruder Mozart. Freimaurer u n d I l l u m i n a t e n b u n d Reichenhall 1911, S. 37. 32 Vgl. A . Menzel: E i n österreichischer Staatsphilosoph des X V I I I . Jahrhunderts. Österr. Rundschau, I , W i e n 1905, S. 295 ff.; ders.: Kaiser Joseph I I . u n d das Naturrecht. Zeitschrift für Öffentl. Recht. Bd. I , W i e n - Leipzig 1919. Hier w i r d v o r allem auf die bedeutende Rolle des Freimaurers u n d Naturrechtsprofessors Carl A n t o n v o n M a r t i n i verwiesen. A l l g e m e i n vgl. österreichische Freimaurerlogen. Humanität u n d Toleranz i m 19. Jahrhundert. Katalog des österreichischen Freimaurermuseums Schloß Rosenau bei Z w e t t l . 4. A u f l . W i e n 1981. 33 Vgl. dazu E. Lennhoff, S. 136 ff.; sowie die einschlägigen Stichworte i m Freimaurer-Lexikon. Die Freimaurer hatten ihre Männer i n allen Ressorts sitzen: folgende Persönlichkeiten seien beispielsweise erwähnt: Ignaz Edler von Born, K . u. K . Hofrat i n der Hofkammer; Johann Graf Kobenzl, W i r k l i cher Geheimer Rat, Hof- u n d Staats-Vizekanzler für Auswärtige Geschäfte;
4.1. Zur politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
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Das geistige Zentrum der Aufklärung i n Österreich war die Loge „Zur wahren Eintracht" i n Wien, die unter der Leitung des Hof rats Ignaz v. Born stand, der j a bekanntlich als Vorbild zu Sarastro in Mozarts „Zauberflöte" — dem Hohelied der Freimaurerei — diente 8 4 . I n dem Bemühen, die Loge zum geistigen Zentrum Österreichs zu machen, wurde Born insbesondere von seinem „Illuminatenbruder" Joseph von Sonnenfels unterstützt. Sonnenfels wandte sich m i t der Zeitschrift „Der Mann ohne Vorurteil" an die breite Öffentlichkeit, wobei er versuchte, immer wieder die Nachteile einer starren Traditionsbindung aufzuzeigen. I n dieser Zeitschrift kämpfte er unablässig gegen Aberglauben, Vorurteile, Selbstsucht, gegen den Tiefstand der Bildung. Er regte auch die Gründung des von Aloys Blumauer geleiteten „Journal für Freymäurer" an, und war dessen Mitarbeiter 3 5 . Über die fast parteipolitische Ausrichtung der Loge „Zur wahren Eintracht" berichten die zeitgenössischen Aufzeichnungen des Philosophen K a r l Leonhard Reinhold, des Freundes von Schiller. Er mußte von Wien wegen seiner aufklärerischen Gesinnung nach Weimar fliehen, wurde dort der Schwiegersohn Wielands und dessen Mitarbeiter am „Teutschen Merkur", erhielt 1787 einen Ruf an die Universität Jena und las vor allem über Kantsche Philosophie. Reinholds Sohn schreibt nach den Aufzeichnungen seines Vaters: „ U m diese Zeit bildete sich ein Verein der vorzüglichsten Köpfe Wiens, größtenteils junger Männer von Reinholds A l t e r unter der Leitung des edlen und geistvollen Ignaz v. Born. Der Zweck dieses Vereins war, zur Beförderung der nunmehr von der Regierung begünstigten Gewissens- und Denkfreiheit zu wirken und den Aberglauben und die Schwärmerei zu bekämpfen" 3 6 . Johann Baptist Karl Fürst von Dietrichstein, Wirklicher Geheimer Rat, Oberhofstallmeister; Tobias Gebler, W i r k l i c h e r Geheimer Rat u n d M i t g l i e d der Böhmisch-österreichischen Hofkanzlei; Franz Freiherr von Kressl, K . u . K . Geheimrat u n d Präsident der Geistlichen Hofkommission; Carl Anton Freiherr von Martini, K . u. K . Staatsrat u n d ehemaliger Professor der Universität Wien; Franz Graf Vinzendorf, W i r k l i c h e r Geheimer Rat u n d Präsident des Appellationsgerichts i n Wien; Joseph von Sonnenfels, K . u. K . Hofrat der Hofkanzlei, Rat der Studien-, Hof- u n d Bücherzensurkommission i n Wien, ehemaliger Professor der Polizei- u n d Finanzwissenschaften der Universität Wien u. a. m. 84 Vgl. dazu die umfassende A r b e i t v o n A . Rosenberg: Die Zauberflöte. München 2. A u f l . 1973, sowie ders.: W. A . Mozart. Der verborgene Abgrund. Zürich 1976. Z u r Loge „ Z u r wahren Eintracht" vgl. die Dokumentation v o n H. Wagner: Freimaurerei u m Joseph I I . Die Loge zur w a h r e n Eintracht. Österreichisches Freimaurermuseum. W i e n 1980. 35 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 192, 1162 ff. sowie 1477. 36 E. Reinhold: K a r l Leonhard Reinholds Leben u n d literarisches W i r k e n nebst einer A u s w a h l v o n Briefen Kants, Fichtes, Jacobis u . a . philosophierender Zeitgenossen an ihn. Jena 1825, S. 18.
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4. Die A u f k l ä r u n g und i h r Gegenteil
Auch Johann Georg Forster , der m i t seinem Vater an Cooks zweiter Reise u m die Welt teilnahm, dann i n Paris Mitglied der berühmten Loge der „Noeufs Soeurs" war, schreibt: „Die Loge zur wahren Eintracht ist diejenige, welche am allermeisten zur Aufklärung w i r k t . Sie gibt ein Journal für F. M. heraus, w o r i n über Glauben, über den Eid, über die Schwärmerei, über die Zeremonien, kurz über alles freier gesprochen wird, als man bei uns, d.h. i n Niedersachsen herumtun würde." Die „besten Köpfe" Wiens unter den Gelehrten und die „besten Dichter sind Mitglieder darinnen. Man spottet darin über alles, was Heimlichkeit bei der Sache ist, und hat die ganze Sache zu einer Gesellschaft wissenschaftliche Aufklärung liebender, von allen Vorurteilen freier Männer umgeschaffen". Wenn m i t der Freimaurerei je etwas Gutes gemacht werden könne, so müsse es auf diesem Weg geschehen, den diese Loge einschlage, u m der Vernunft ihr ganzes Recht wiederzugeben. Die Brüder seien i m Unterschied von anderen Systemen von religiöser Schwärmerei frei. Auch dieser Hinweis deutet an, daß diese Loge i n erklärter Gegnerschaft zu den Gold- und Rosenkreuzern stand 37 . Viele Mitglieder der Loge „Zur wahren Eintracht" waren Illuminaten, so unter anderem Born, Sonnenfels, Blumauer und Kolowrat. Durch Sonnenfels w i r d der illuminatische Einfluß auch i m „Wiener Journal für Freymaurer" spürbar, das sicherlich eine der radikalsten Zeitschriften am Vorabend der Französischen Revolution gewesen ist. Die A r t i k e l darin fordern auf, „als Weltbürger" zu handeln und das „große Gesetz der Gleichheit" zu verwirklichen 3 8 . Gesamthaft kann man sagen, daß Freimaurer und Illuminaten äußerst aufmerksam das Josefinische Österreich verfolgten. Großes Interesse fand bei ihnen vor allem der Versuch Josefs II., den Bayrischen Kurfürsten zum Tausch Bayerns m i t Belgien zu überreden. Letztlich war es aber gerade die Einmischung der Illuminaten i n diese Frage, die bei Josef II. Mißgunst hervorrief 3 9 . 37 Georg Forster an Sömmering v o m 14. August 1784; zitiert nach D. Blavis: Einiges aus dem Leben u n d der Zeit zweier wenig bekannter Freimaurer des 18. Jahrhunderts. Freimaurer-Museum, Bd. 5, Zeulenroda u n d Leipzig 1930, S. 190. 38 Journal für Freymaurer, als Manuskript gedruckt für die Brüder u n d Meister des Ordens. Herausgegeben v o n den Brüdern der Loge zur wahren Eintracht i m Orient v o n Wien. Jgg. 1 u n d 2, W i e n 1784 u n d 1785, 2. Jgg., 3. Vierteljahr, S. 117 f. 39 Vgl. V. v. Fuchs: Die Freimaurerei unter Josef I I . W i e n 1897. Über die A b k e h r Joseph I I . v o n den Freimaurern u n d I l l u m i n a t e n vgl. Rossberg, S. 126 ff.
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
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Die Werbungen Knigges hingegen verzweigten den Orden i n ganz Norddeutschland. Frankfurt am Main bildete bald ein illuminatisches Zentrum und hier vor allem die Loge „ Z u r EinigkeitNeben München war das größte Zentrum der Illuminaten Mainz, das gleichzeitig eine Hochburg der katholischen Aufklärung war. Der vorbildlich aufgeklärte Absolutismus dieser Stadt und die wohl angesehendste katholische Universität des Reiches, die selbst Protestanten tolerierte, genossen einen beachtlichen Ruf. Hier galt der Illuminatenbund vor allem als wesentliche Stütze der Aufklärung 4 0 . Aus dem Kreis der Illuminaten rekrutierte sich dann später das Reservoir der Mainzer Jakobiner. I n Kassel war für den Illuminatenbund der Gewinn von Jacob Mauvillon wesentlich, der Professor an der Kriegsakademie war. Er machte sich als Mitarbeiter des freimaurerischen Grafen Mirabeau einen Namen, dem er das Material zu der Schrift „Sur Moses Mendelssohn et les Juives" zur Verfügung stellte, sowie für das Werk „La Monarchie Prusienne sous Frédéric le Grand" 4 1 . Knigge spricht über i h n i n den höchsten Tönen: „ N u n habe ich i n Kassel den besten Mann gefunden, zu dem ich uns nicht genug Glück wünschen kann: es ist Mauvillon, Meister vom Stuhl einer von Royal York aus konstituierten Loge. Also haben w i r m i t i h m auch ganz gewiß die ganze Loge i n unseren Händen" (361). I n Göttingen gehörten die Philosophieprofessoren Feder, Spittler und Meiners dem Orden an (I, 39), aber auch eine beachtliche Anzahl von Studenten. I n Braunschweig sorgte für eine Verbreitung des Illuminatenbundes der von Kassel dorthin berufene Oberstleutnant Mauvillon und der Pädagoge Ernst August Krabb, der gemeinsam m i t dem Aufklärungspädagogen Joachim Heinrich Campe an die Spitze des Schuldirektoriums gestellt wurde. Über das von Campe herausgegebene „Braunschweigische Journal" wurde bereits gesprochen. Eine „sehr große Akquisition" (I, 208) war der damals i n Braunschweigischen Diensten stehende Minister K a r l August von Hardenberg, der spätere Staatskanzler Preußens. Der Zufluchtsort verfolgter Illuminaten und dann später Jakobiner war die freie Hansestadt Hamburg, i n der von jeher ein „kosmopoliti40 Vgl. A . Ph. Brück: Die Mainzer theologische Fakultät i m 18. Jahrhundert. Wiesbaden 1955; H. Mathy: Gelehrte, literarische, okkulte u n d studentische Vereinigungen u n d Gesellschaften i n Mainz am Ende des 18. Jahrhunderts. I n : Jahrbuch des Vereins „Freunde der Universität Mainz", Nr. 18, 1969, S. 70 - 103; W. Dotzauer: Mainzer I l l u m i n a t e n u n d Freimaurer v o m Ende der kurfürstlichen Zeit bis zu den Freiheitskriegen, in: Nassauische Annalen, Nr. 83, 1972, S. 120 - 146. 41 Vgl. dazu Freimaurer-Lexikon, Spalte 1013 sowie die weiteren Belege bei Rossberg, S. 59.
1
Fischer
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scher" Zug herrschte. Eine zentrale Figur war hier der Kaufmann Georg Heinrich Sieveking, der sich den Illuminaten anschloß. Als Meister vom Stuhl der Loge „St. Georg" plädierte er dafür, m i t dem Bekenntnis zu den Ideen der Freiheit auch i n die Öffentlichkeit zu treten 4 2 . Sein Haus war alsbald ein internationaler Illuminatentreffpunkt; bei i h m verkehrten Knigge, Mauvillon, August von Hennings, der das verbotene „Braunschweigische Journal" unter dem Schutz der dänischen Pressefreiheit fortsetzte 43 . Auch Bode gehörte zu seinem Freundeskreis, der 1778 von Hamburg nach Weimar übersiedelte. Dort soll dann Bode etliche Mitglieder der Loge „Amalia" für den I l l u m i natenbund geworben haben, so unter anderem Karl August, Goethe und Herder 4 4 . Eher i n seltenen Fällen stießen die Illuminaten auf eine ablehnende Haltung. So etwa bei Johann Caspar Lavater und Friedrich Schiller* 5. Als Bode u m die Mitgliedschaft von Gottfried Christian Körner und Schiller warb, schrieb Körner an seinen Freund Schiller über die grundsätzliche Problematik des Geheimbundes: „Wenn er dich zum Proseliten machen w i l l , so ist es für die Illuminaten, welche einige Freimaurerlogen i n Besitz genommen haben. Wenn er aber dieser Anarchie der Aufklärung eifert, so möchte man i h n fragen: ob denn durch Despotismus der Aufklärung viel mehr gewonnen sein werde? Die edelsten Zwecke i n Händen einer Gesellschaft, die durch Subordination verknüpft ist, kann nie von einem Mißbrauch gesichert werden, der den Vorteil weit überwiegt 4 6 ." Körner hat damit genau den Punkt angesprochen, der alsbald zu einem Zerwürfnis zwischen Knigge und Weishaupt führen sollte. Denn i n dem Maße, wie der Orden sich überraschend schnell, wenngleich konzeptlos über das ganze Reich verbreitete, vergrößerten sich auch die Probleme: Knigge warf Weishaupt sein despotisches Verhalten vor. Weishaupt wiederum warf Knigge vor, i n allem „übereilt" und „hitzig" zu handeln, nie „Geduld" zu haben und schließlich befürchtete er, als Knigge Kontakte m i t den Herzögen Ferdinand von Braunschweig und Ernst von Gotha und dem Landgrafen Karl von Hessen aufnahm, daß er „hinter uns arbeitet und etwas anderes errichtet" (vgl. I, 69, 81 f.). Knigge hingegen lehnte strikt das von Weishaupt geforderte 42 H. Sieveking: Georg Heinrich Sieveking. Lebensbild eines Hamburgischen Kaufmanns aus dem Zeitalter der Französischen Revolution. B e r l i n 1913, S. 27. 48 Vgl. O. Brandt: Geistesleben u n d P o l i t i k i n Schleswig-Holstein. B e r l i n u n d Leipzig 1925. 44 Vgl. die Belege bei Rossberg, S. 61. 45 Z u Lavater vgl. die Belege bei Dülmen, S. 312 ff. u n d S. 67. 46 Z i t i e r t nach Rossberg, S. 63.
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System der Subordination ab: „Ich b i n ein freier Mann, erbettle von keinem Menschen auf Gottes Erdboden Schutz, Wohltätigkeit oder Gefälligkeit, verlange von keinem mehr, als man von der Gerechtigkeit und dem guten freien Willen billigerweise fordern kann 4 7 ." Als Knigges Forderung nach Demokratisierung des Ordens nicht erfüllt wurde, brach 1783 sein ganzer Unwille aus: Weishaupts „jesuitisches Verfahren, durch welches er uns so oft untereinander entzweit hat, u m despotisch über Menschen zu herrschen", ist der unmittelbare Anlaß (I, 99). Er, Knigge, sei keineswegs geeignet, „eine subalterne Rolle, blinde Befehle von einem Jesuiten-General", entgegenzunehmen (I, 125) und so kündigte er Weishaupt allen Gehorsam auf. Sollte Weishaupt aber weiterfahren, „mich m i t meinen Leuten, die alle blindlings auf mich trauen, zusammenzuhetzen" (I, 107), so werde sich Knigge gezwungen sehen, „alles, was er getan hat und t u n kann, über den Haufen zu werfen" (1,112). Dennoch gab Knigge auch nach seinem Austritt i n der Schrift „Philo's endliche Erklärung und A n t w o r t " von 1788 ein gutes B i l d vom Bund. Doch blieb sein Urteil aufrecht, daß ein Orden, „der auf diese A r t die Menschen mißbraucht und tyrannisiert", als Spartacus die Absicht hat, „die Menschen i n ein ärgeres Joch bringe, als die Jesuiten" (I, 117). Die Auseinandersetzung m i t Knigge 1783 hätte Weishaupt Warnung genug sein können, eine Revision durchzuführen. Denn Knigge hatte, wie kein anderer, die Ordensziele ernst genommen und blieb ihnen auch Zeit seines Lebens treu. Erste Reaktionen gegen den Illuminatenbund machten sich breit 4 8 . Insbesondere durch eine Flugschrift „Über Freymaurer. Erste Warnung" von 1784 wurden die Illuminaten dermaßen angeprangert, daß jede weitere Wirksamkeit überhaupt unmöglich schien. Hinter dieser ersten anti-illuminatischen Schrift dürften die Gold- und Rosenkreuzer gestanden sein. Der Verfasser, Josef Marius Babof entlarvte die angeblich friedlichen Freimaurer als gefährliche Illuminaten und ihren Orden als einen Fürsten wie Religion bedrohenden „Staat i m Staate", der auf Landesverrat, Sittenlosigkeit und Jugendverführung hinarbeite. „Aus euren Logen strömt ein Haufen zerrütteter Phantasten, lachend über Religionsgebräuche und Religion, über Gesetze und Pflicht, räsonnieren sie dem guten Bürger seinen besten Trost weg, geben ihren Eltern Arroganz statt Dank zurück, spotten der väterlichen Ermahnung, weil sie es nun besser wissen. Nichts ist ihnen heilig, nichts bleibt 47
Knigge: Philo's, S. 8. Vgl. zum folgenden L. Wolfram: Die I l l u m i n a t e n i n Bayern u n d ihre Verfolgung. Erlangen 1899/1900; Forestier . S. 497 ff. 48
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unangetastet 49 ." Der Name Freimaurer sei nur ein Vorwand für die „Errichtung schädlicher Komplotte". Die Rädelsführer, von denen Zwackh, Savioli und Constanzo bereits als die „gefährlichsten" namentlich angeführt werden, mißbrauchen ihre Mitglieder für ihre Absichten. Diese „ehrgeizigen, rachsüchtigen Menschen" züchten „eine Brut von Schurken i m Staat, die wie das Ungeziefer sich durch sich selbst vermehren, und unvertilgbar sind". Der ganze Nachwuchs von Staatsbediensteten, „alle Jugend von Erstem- und Mittelstand" sei schon verdorben, das „Gift schleicht sich nach und nach i n die gemeine Denkungsart ein", so daß es nur eine Frage der Zeit sei, „wann Religion und Sittlichkeit aufhören werden". Die erste öffentliche Anklage gipfelt schließlich i n dem Vorwurf, gegen das Vaterland die gefährlichsten Projekte zu schmieden, aus den Archiven, wo ihre Mitglieder angestellt seien, die wichtigsten Papiere zu stehlen, und zu kopieren und sie „ i n die Hände des Ordens zu liefern". Sämtliche Illuminaten verdienen nach dieser Schrift „Galgen und Rad". Kaum eine anti-illuminatische Schrift hat später den Orden und seine Mitglieder so direkt angeklagt und denunziert wie diese. Noch bevor die Illuminaten sich zur Wehr setzen konnten, traf sie ein neuer Schlag, der diesmal gegen Weishaupt gerichtet war. Daß Weishaupt der Gründer des Geheimbundes war, wußte zu dieser Zeit nur die Führungsspitze des Bundes (vgl. I, 223). Jedoch ein österreichischer Gesandtschaftsbericht zu Ende des Jahres 1784 verwies darauf, daß Weishaupt Führer des Illuminatenbundes sei 50 . I m selben Jahr wurde ein erstes Edikt gegen die Illuminaten erlassen. Alsbald wurde Weishaupt von konservativen Hochschullehrern in Ingolstadt angeklagt, Schriften der radikalen französischen Aufklärer für die Universitätsbibliothek zu empfehlen. Er sollte vor dem akademischen Senat das Glaubensbekenntnis ablegen, da dies Bücher seien, „worin die christliche Religion i n ihren ernsten Grundwahrheiten angefochten, und der Samen des Unglaubens zu weiterer Fortpflanzung mit vollem Maß ausgestreut w i r d " . Als sich Weishaupt weigerte und ihn ein kurfürstlicher Erlaß vom 11. Februar 1785 seines Amtes für verlustig erklärte, entschloß er sich kurzerhand, Ingolstadt zu verlassen und zunächst i n Regensburg und dann i n Gotha Schutz zu suchen 51 . 49 J. M . Babo: Über Freymaurer. Erste Warnung, o. O. 1784, S. 22, weitere Zitate S. 24, 54, 56, 58. 60 Vgl. Kaiserlicher Bericht an die K . u. K . Gesandtschaft i n München, Wien, 23. Nov. 1784, abgedruckt bei Dülmen, S. 368 ff. 61 Belege bei B. Beyer: Freimaurerei i n München u n d Altbayern, S. 171 f.; vgl. dazu auch Wolfram, S. 12 ff. sowie Weishaupts Selbstdarstellung in: A. Weishaupt: Vollständige Geschichte der Verfolgung der I l l u m i n a t e n i n Bayern. F r a n k f u r t u n d Leipzig 1786, S. 110 ff.
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
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Die Anklagen und Beschuldigungen kamen nun von allen möglichen Seiten: E i n Protestschreiben der Illuminaten ist insofern aufschlußreich, als es alle bis dahin genannten Anschuldigungen aufführt: Die Mitglieder des Ordens sollen erstens das Aufhebungsdekret des Fürsten K a r l Theodor nicht befolgt haben, es verberge sich zweitens hinter den Illuminaten ein gegen Religion und Staat gerichtetes System, das drittens den Deismus lehre, viertens sich durch „Kabalen" i n die „innere Staatsgeschichte" und fünftens vor allem i n auswärtige Geschäfte, sich auch sechstens i n Justizangelegenheiten einmische. Siebentens soll der Orden über die innere Verfassung Bayerns aus den A r chiven veröffentlicht und achtens die bekannten „Briefe eines reisenden Franzosen" und eine Reihe anderer Schriften m i t Beleidigungen gegen den Kurfürst gefördert haben, neuntens Gift herstellen und Selbstmord sowie Sodomie verteidigen (vgl. 396 - 400). Ohne den I l l u minaten auch nur irgendeine Rechtfertigungsmöglichkeit zu geben, erfolgte am 2. März 1785 ein zweites kurfürstliches Dekret, das die Illuminaten erstmals beim Namen nannte und das Verbot jeder Zusammenkunft noch strenger wiederholte 5 2 . I n der Folge versuchten die Gold- und Rosenkreuzer, jedes neue A n zeichen eines Weiterbestehens des Illuminatenordens zum Anlaß zu nehmen, u m den höchst ängstlichen Kurfürsten einzuschüchtern und ihre eigene Machtbasis i n der Regierung gegenüber allen unliebsamen Gegnern zu erweitern. Montgelas durchschaut das Intrigenspiel der Gold- und Rosenkreuzer 1787, wenn er schreibt: Die Absichten der Verfolger der Illuminaten „sind alles andere als fein. Sie versuchen, der Philosophie, der Wissenschaft und Literatur einen tödlichen Schlag zuzufügen. Man w i l l all diejenigen als Illuminaten abstempeln, die sich jenen Gebieten widmen, und sie unter dem Vor wand ins E x i l treiben" 5 3 . Es ist nun i n diesem Rahmen nicht möglich, alle Verfolgungsaktionen gegen die Illuminaten aufzuzählen. Weishaupts „Vollständige Geschichte der Verfolgung der Illuminaten i n Bayern" von 1786 sowie etliche andere Schriften geben ausführlichen Bericht. Vor allem die zeitgenössische Publizistik widmete der Illuminatenverfolgung seit 1787 hohe Aufmerksamkeit 5 4 . Die politische Reaktion erhielt durch die Illuminatenverfolgung einen erheblichen Auftrieb, Zeitschriften wurden stärker als bisher 52
Das Dekret ist bei Beyer, S. 227 f. abgedruckt. E. Weis: Montgelas. 1759 - 1799. Zwischen Revolution u n d Reform. M ü n chen 1971, S. 69. 54 Vgl. des näheren: Das Verzeichnis der gedruckten Quellen bei Dülmen, S. 423 - 429. 53
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
reglementiert, Aufklärer verfolgt und Gesellschaften jeder A r t bespitzelt. So heißt es i n einer Freimaurerzeitung von 1787: „ N u n muß die Religion zum Deckmantel der Verfolgung dienen, weil sonst die Feinde des Illuminatismus i n einer schändlichen Blöße erscheinen würden 5 5 ." M i t den Illuminaten wurden nun alle Anhänger der Aufklärung als politische Feinde des Systems denunziert und 1789 schließlich als Jakobiner und Sympathisanten, wenn nicht gar als die eigentlichen Urheber der Französischen Revolution bezeichnet. Es kam zu einer politischen Polarisierung: Denn für die radikal aufklärerische Bewegung, die nun erstmals i n die Defensive geriet, offenbarte sich die Verfolgung der Illuminaten als das Produkt einer noch immer existierenden Fürstenwillkür, die sie stets bekämpft hatten und als Beweis, daß auch dem aufgeklärten Absolutismus die menschliche Freiheit letztlich nichts gilt. Weitaus stärker als die Wirksamkeit des Ordens selbst, lösten die Aufdeckung und Verfolgung des Illuminatenbundes nach 1786/87 eine Politisierung der Öffentlichkeit aus, ohne die die Ausbildung der radikalen Aufklärung wie des politischen Konservatismus nicht zu verstehen ist. Zunächst müssen w i r aber nach den politischen Theorien des Illuminatenordens fragen und nach den Versuchen, diese i n Praxis umzusetzen. Der Gründer des Illuminatenordens, Adam Weishaupt, sieht i n den Geheimbünden ein Mittel zur Emanzipation der menschlichen Gesellschaft Die geistigen Grundlagen, auf die er sich berief, waren vor allem der französische Utopismus, die Enzyklopädisten und die deutsche Aufklärungsphilosophie. Leitendes Prinzip des Illuminatenordens war die Idee vom steten Fortschreiten der Menschheit (II, 52 ff.). Es geht u m die „Erziehung des Menschengeschlechts": Lessing spricht i n der gleichnamigen Schrift davon, daß ein drittes Zeitalter, das sich von den beiden ersteren dadurch unterscheiden sollte, daß das Gute u m seiner selbst w i l l e n verrichtet würde, nunmehr anbricht 5 6 . Durch Aufklärung und Humanität soll der Mensch zur Vernunft und von der Vernunft zur Tugend und von der Tugend zur Freiheit und Gleichheit geführt werden. Die Erziehungsmacht, welche den Anbruch dieses dritten Zeitalters vorbereiten soll, ist für Lessing die Freimaurerei. Auch Weishaupt sieht i n den Geheimgesellschaften eine welthistorische Funktion: „Gott und die Natur, welche alle Dinge der Welt, die größten so gut wie die kleinsten zur rechten Zeit und am gehörigen Ort geord55
Z i t i e r t nach Engel, S. 344. Vgl. G. E. Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts u n d andere Schriften, S. 28 f. 56
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
231
net hat, bedienen sich solcher Mittel, u m ungeheure, sonst nicht erreichbare Endzwecke zu erreichen" (II, 51). Obwohl Weishaupt kein systematisches philosophisches Werk hinterlassen hat, das als ideologische Grundlage seines Ordens angesprochen werden kann, gibt es doch hinreichend Dokumente, die ein B i l d von seinem „idealistischen System" und den Zielvorstellungen des Ordens vermitteln. Wesentlich ist Weishaupts „Anrede an die neu aufzunehmenden I l l u m i n a t i dirigentes" von 1782 (II, 44 - 121). Aufgabe des aufgeklärten Zeitalters ist es, die menschlichen Rechte, die der Despotismus zerstört hat, wiederherzustellen und durch Förderung von Aufklärung und Moral, die Vernunft als das „alleinige Gesetzbuch der Menschen" einzusetzen, damit das Menschengeschlecht „dereinst eine Familie und die Welt der Aufenthalt vernünftiger Menschen werde" (II, 80 f.). Aufklärung ist für Weishaupt nicht nur eine geistige oder rein erkenntnismäßige, sondern vor allem eine moralische und politische Qualität. Aufklärung heißt nicht bloß Erkenntnis von abstrakten, spekulativen und theoretischen Ideen und Problemen, sondern etwas, das das „Herz" bessert (II, 91), die Menschen und ihre Gesellschaft verändert und vervollkommnet. Er plädiert für „Demokratie" durch Gesinnungswandel (II, 94) und das heißt für ihn: Herrschaft ohne W i l l k ü r , Herrschaft der Vernunft und des gleichen Rechts für alle. Die Moral, die die Menschen zu ihrer höchsten Vollendung führt, ist die „verkannte, vom Eigennutz mißbrauchte und ihrem wahren Sinn nach bloß insgeheim fortgepflanzte und auf uns überlieferte Lehre Jesu und seiner Jünger": denn Jesu Forderung der Nächstenliebe und der Gütergemeinschaft bedenkt den Naturzustand des Menschen und bahnt den Weg i n die Freiheit (II, 98). Aber wie die aufkommende Fürstenherrschaft, der weltliche Despotismus und die Zivilisation das menschliche Naturparadies zerstört haben, hat die Priesterherrschaft, der geistliche Despotismus und die Theokratie die Lehrinstitutionen Jesu gänzlich verunstaltet. Der eigentliche Gehalt des ursprünglichen Christentums blieb nur verborgen erhalten, nämlich i n der „Hülle der Freimaurerei". Diese allein repräsentiert ein „tätiges Christentum" durch die Verbreitung der Lehre Jesu und durch die Aufklärung der Vernunft (II, 113). A l l e r dings hat auch sie ihr A m t durch Eigennutz „entweiht, weil sie dem Gold nachjagte und Zeremonien einführte. Ihre Lehren wären dem sicheren Untergange geweiht, wenn nicht eine Legion von Auserwählten, nämlich der Bund der Illuminaten, Vernunft und Moral gerettet
232
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
hätte. Zwar hat dieser Bund das Ziel noch nicht erreicht, doch ist der Weg i n die neue und einzig richtige Zukunft eröffnet (II, 116 f.). Der Vervollkommnungsprozeß der Menschheit ist i m Weltenplan gegründet und der Illuminatenorden sein Mittel (II, 118): Wenn die Verwirklichung vielleicht noch Jahre und Jahrzehnte oder Jahrhunderte dauern werde, ist es doch das unaufhaltsame Ziel der Natur, „ i h r Tagwerk" zu vollenden. Der Orden leistet Geburtshilfe, er ist nur „Werkzeug" der Natur, indem er unter den Menschen Aufklärung, Wohlwollen und gute Sitten verbreitet 5 7 . Eindeutig war das politische Ziel des Illuminatenbundes, eine kosmopolitische Weltordnung ohne Staat und ohne Fürsten und ohne Stände zu errichten. Bei Erreichung des Grades eines „Schottischen Ritters" mußte sich das Mitglied verpflichten, auch ein politischer Kämpfer zu sein: „Nie w i l l ich ein Schmeichler der Großen, nie ein Fürstenknecht sein. Sondern mutig, aber mit Klugheit für Tugend, Freiheit und Weisheit streiten. Dem Aberglauben, dem Laster, dem Despotismus w i l l ich, wo es dem Orden und der Welt wahren Nutzen bringen kann, kräftig widerstehen" (II, 47 f.) 58 . Weishaupt sah als ursprüngliche Aufgabe der Freimaurerei „die durch Jesum bewirkte große, noch nicht vollendete Revolution" fortzuführen (II, 70). Der „Schottische Rittergrad" des Ordens baute die christliche Religion i n das System bewußt ein. Die Illuminaten erschienen als die echten Christen, die das Werk ihres Heilands zum Sieg führen und den Traum der Menschheit vollenden wollen. Uberall dort, wo Weishaupt den Zweck und die Absicht des Ordens zu definieren versucht, betont er, daß eine Besserung der Welt nicht allein durch die Propagierung von Aufklärung und Tugend zu bewirken ist: Es bedarf vielmehr eines „allgemeinen Sittenregiments", das 57 So heißt es A . Weishaupt: Das verbesserte System der I l l u m i n a t e n m i t all seinen Einrichtungen u n d Graden. F r a n k f u r t u n d Leipzig 1785, S. 26 f.: „Es muß der Zweck der N a t u r selbst sein; Menschen sollen dabei n u r Geburtshilfe leisten. I m Plan, i n der Ordnung der Natur, i n der Kette des Ganzen muß diese Gesellschaft selbst als M i t t e l eingeflochten sein, dessen sich die Gottheit bedienet, u m höhere Sittlichkeit unter Menschen zu verbreiten, u m unser Geschlecht seiner Vollkommenheit näherzubringen." 58 Die politische I n t e n t i o n geht auch aus der Schrift A . Weishaupt: Nachtrag zur Rechtfertigung meiner Absichten. F r a n k f u r t u n d Leipzig 1787, S. 86 f. hervor, w o sich der A u t o r zusehends v o n den politischen Zielen seines B u n des distanziert: „Ich möchte noch hinzusetzen, daß ich v o n dieser kosmopolitischen, so wohltätigen Idee, welche durch das Lesen des Lessingschen Gesprächs Ernst u n d F a l k zum ersten M a l i n m i r erweckt worden, i n etwas zurückgenommen sei. Ich glaube n u n nicht mehr, daß Fürsten u n d Nationen v o n der Erde dereinst verschwinden werden, ich glaube nicht mehr, daß aller Unterschied der Stände aufhören werde." D a m i t ist bestätigt, daß dies sehr w o h l die ursprüngliche Absicht des Ordens w a r .
4.1. Zur politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e a l l e i n e i n Geheimbund
233
e r r i c h t e n k a n n 5 9 . D e r B u n d ist i n s o f e r n e i n p o l i -
tisches N o v u m , da er m i t seiner s t r e n g d u r c h r a t i o n a l i s i e r t e n
Organi-
s a t i o n s f o r m a l l e menschliche T ä t i g k e i t a u f e i n politisches Z i e l h i n o r i e n t i e r e n b z w . f ü r dieses Z i e l n u t z b a r m a c h e n w i l l . Das G e h e i m n i s h a t nicht w i e bei den F r e i m a u r e r n oder gar w i e bei den Rosenkreuzern e i n e n W e r t i n sich, s o n d e r n ist v o n bloß funktionaler
Bedeutung:
Sein
Z w e c k ist d e r Schutz d e r A v a n t g a r d e r a d i k a l e r A u f k l ä r e r , u m u n t e r diesem D e c k m a n t e l die k o n k r e t e V e r ä n d e r u n g d e r Gesellschaft i n A n griff zu nehmen. D i e O r g a n i s a t i o n s f o r m selbst g r ü n d e t a u f Hierarchie und Subordination. So v e r l a n g t d e r O r d e n v o n d e n M i t g l i e d e r n „ t o t a l e U n t e r w ü r f i g k e i t " 6 0 u n d „ewiges Stillschweigen i n unbrüchlicher Treue u n d Geh o r s a m a l l e n O b e r e n u n d S a t z u n g e n des O r d e n s " gegenüber. D e r N e u a u f g e n o m m e n e m u ß t e geloben: „ I c h t u e auch h i e r t r e u l i c h V e r z i c h t auf m e i n e P r i v a t e i n s i c h t u n d E i g e n s i n n , w i e auch a u f a l l e n m e i n e n e i n g e s c h r ä n k t e n G e b r a u c h m e i n e r K r ä f t e u n d F ä h i g k e i t e n " (76). Das e i n zelne M i t g l i e d ist b l o ß e i n Instrument f ü r das a n g e p e i l t e Ordensziel. E i n spionageähnlich ausgearbeitetes Kontrollsystem schien W e i s h a u p t die einzige S i c h e r u n g f ü r die E r r i c h t u n g des „ S i t t e n r e g i m e n t s " z u sein. Das Subordinationsprinzip des O r d e n s v e r t e i d i g t e er als die „einfachste A r t , t a u s e n d Menschen i n B e w e g u n g u n d F l a m m e z u setzen" (I, 32). Es
59 Vgl. etwa H. Faber (Hrsg.): Der ächte I l l u m i n â t oder die wahren unverbesserten Rituale der Illuminaten. Enth. 1. die Vorbereitung, 2. das Noviziat, 3. den Minervalgrad, 4. den kleinen u n d 5. den großen Illuminatengrad. Ohne Zusatz u n d Hinweglassung. Edessa F r a n k f u r t 1788, S. 206 f.: „Der ganze Plan des Ordens beruht darauf, den Menschen zu bilden, aber nicht durch Deklamationen, sondern durch Begünstigung u n d Belohnung der Tugend. M a n muß den Beförderern des Unwesens unmerklich die Hände binden, sie regieren, ohne sie zu beherrschen. M i t einem Wort, m a n muß ein allgemeines Sittenregiment einführen, eine Regierungsform, die allgemein über die ganze Welt sich erstreckt, ohne die bürgerlichen Bande zu lösen, i n welche alle übrigen Regierungen i h r e n Gang fortgehen u n d alles t u n können, n u r nicht den großen Zweck vereiteln, das Gute wieder über das Böse siegen zu machen. Dies w a r schon Christi Absicht, bei der Einführung der reinen Religion. Die Menschen sollten weise u n d gut werden, sollten sich von den Weisen u n d Besseren leiten lassen, zu i h r e m eigenen Vorteil. Damals aber, da alles verfinstert war, konnte schon das Predigen hinreichen. Die Neuheit der Wahrheit gab überwiegenden Reiz. Heutzutage ist es nicht also. Es müssen kräftigere M i t t e l als das bloße Lehren angewendet werden, der Tugend äußeren Reiz für den sinnlichen Menschen geben. Leidenschaften lassen sich nicht ausrotten, m a n muß sie n u r auf edle Zwecke zu leiten wissen . . . So müssen denn alle unsere Leute n u r auf einen T o n gestimmt werden, fest aneinanderhalten, n u r einen Zweck v o r sich haben, sich einander beistehen, u n d so i n aller Welt durchdringen. M a n muß u m die Mächtigen der Welt her eine Legion v o n Männern versammeln, die unermüdet sind, alles zu dem großen Plan, zum Besten der Menschheit zu leiten, u n d das ganze L a n d umzustimmen: dann bedarf es keiner äußeren Gewalt." 60 Vgl. dazu den bei Dülmen abgedruckten Bericht von Johann Consandey v o m 3. A p r i l 1785, S. 379 ff.
Sultitius
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4. Die A u f k l ä r u n g und i h r Gegenteil
sollte dann i n dem Maße abnehmen, i n dem der einzelne i m Orden aufstieg. Alle Versuche, dem Orden eine demokratische Struktur zu geben, scheiterten am Widerstand Weishaupts, der allen ständigen Mitgliedern „Widerspruchsgeist" und „Eigenmächtigkeit" vorwarf. Die nahezu totalitäre Haltung stieß nach der Veröffentlichung der Ordenspapiere bei den nichteingeweihten radikalen Aufklärern auf heftigsten Widerspruch. Deutlich w i r d die hierarchische Struktur aber auch die geistigpolitische Ausrichtung des Illuminatenbundes durch das Gradsystem el. Der „Welterziehungsplan" 6 2 wurde den i n den Bund Aufgenommenen nur Schritt für Schritt mitgeteilt (vgl. 28; I, 5): „Jeder Grad hat seinen eigenen wichtigen Unterricht, jedes Mitglied kann zur Vollkommenheit des Ganzen beitragen. Jeder unserer Schritte führt näher zur Vollendung, zur Erhöhung; jeder Grad gibt neue Einsichten, einen neuen Gesichtspunkt zu Beschäftigungen, die eines vernünftigen Mannes würdig sind; jede dieser Beschäftigungen ist ein wesentlicher Bestandteil unserer Glückseligkeit, macht uns fähiger, i n andere zu w i r k e n und Gutes hervorzubringen 6 3 ." Je mehr sich ein Mitglied für Tugend, Aufklärung und die Ordensziele einsetzte und i n der Ordenshierarchie aufstieg, u m so mehr begann es an der Ordensweisheit zu partizipieren, bis es am Ende „die totale Einsicht i n die Politik und die Maximen des Ordens" erlangte (216). Sowohl die Unabgeschlossenheit des Weishauptschen Ordenssystems wie auch die politischen Zielsetzungen dürften etlichen Mitgliedern unbekannt gewesen sein. Denn Weishaupt gab vor, der Orden sei von Männern geleitet, die i n Weisheitsschulen ausgebildet seien und an der Spitze aller geheimen Gesellschaften und aller Freimaurersysteme stehen und dementsprechend wissen, „was gut, echt, nützlich oder nicht ist" 6 4 . Sieht man vom Noviziat ab, bestand der Orden aus Minervalen und leitenden Illuminaten. Die Minervalklasse war ein Institut kritischer Ausbildung, die Klasse der leitenden Illuminaten war, gemeinsam mit dem Ordensgeneral, das eigentliche politische Gremium, das die Aufklärung dirigierte, deren Verbreitung organisierte und den Orden politisch einsetzte. Prinzipiell konnte jeder aufgenommen werden, der 61
Des näheren dazu Dülmen, S. 19 ff.; Forestier, S. 251 ff. L. A . Ch. v. Grolmann (Hrsg.): Die neuesten A r b e i t e n des Spartacus und Philo i n dem Illuminaten-Orden; jetzt zum ersten M a l gedruckt u n d zur Beherzigung bey gegenwärtigen Zeitläuften. F r a n k f u r t 1793, S. 162. es Faber, S. 96. 64 Faber, S. 33. 82
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
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„nicht für sich allein, sondern für die Welt, für das menschliche Geschlecht leben und sich über alle engeren Verbindungen hinwegsetzen" wollte (II, 33). Hatte sich der Novize bewährt, wurde er ohne viel Zeremoniell als Minerval aufgenommen. Hatte dieser sich die nötigen Kenntnisse und auch die Urteilskraft angeeignet, rückte er i n die Klasse der leitenden Illuminaten auf, deren ersten Grad die Freimaurerei bildete. Blieb ein weiterer geistiger oder politischer Fortschritt aus, war dies der letzte Grad: hier konnte man „seine Muße auf Entzifferung von Hieroglyphen und auf die unbedeutenden Logenarbeiten" verwenden 6 5 . War das M i t glied jedoch von „besserem Stoff", wurde es zum Illuminatus Minor befördert 66 . Seine Hauptaufgabe war, Minervale auszubilden und über ihren Fortschritt genauesten Bericht zu erstatten. Sie hatten die i n den Händen des Ordens liegenden Freimaurerlogen zu leiten sowie die eintreffenden Berichte der Minervalen auszuwerten, die zur Grundlage einer „Menschenkunde", einer „Semiotik der Seele", wie sich Knigge ausdrückte, dienten. Die letzte Stufe dieser sogenannten Maurerklasse bildete der Grad der Illuminati Dirigentes, die auch „Schottische Ritter" genannt wurden. Diese dritte Hauptklasse umfaßt die höheren Grade, die „Mysterien Sie war unterteilt i n die kleineren Mysterien m i t dem Priester- und Regentengrad und die größeren Mysterien, die m i t der eigentlichen Leitung des Geheimbundes betraut waren. M i t dem Priestergrad wurde ein Mitglied des Bundes erstmals i n die geheimen Pläne eingeführt, es wurde i h m verdeutlicht, daß der Orden als Instrument zur Errichtung eines Sittenregiments dient. Primäre Aufgabe des Priesters war es, die „ K u l t u r und Aufklärung nach unserem Plan" zu lenken 6 7 , alle wissenschaftlich-literarischen Operationen der Illuminaten i n den einzelnen Provinzen zu leiten, durch die Mitglieder alles Wissen der Welt zu sammeln und ein eigenes Wissenschaftssystem zu errichten (II, 13). Deutlich w i r d hier Weishaupts Absicht, daß der Geheimbund gleichzeitig eine gelehrte Akademie m i t absolutem Monopol auf Wissen und Erkenntnis sein sollte. Der Bund hätte dies Wissen gleichsam „als Depot bewahrt, und der Welt gerade immer so viel davon mitgeteilt", als „ i n jedem Zeitalter m i t Rücksicht auf Bedürfnis und Grad der Aufklärung nützlich geschienen wäre" 6 8 . Während die Priester also die wissenw M 67 68
Knigge, Philo's, S. 92. Vgl. Faber, S. 82 ff. Grolmann, S. 117. Knigge, Philo's, S. 115.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
schaftliche Leitung des Ordens betreiben sollten, galten die Regenten als die politischen Führer des Geheimhundes. Als die „edelsten, aufgeklärtesten und ausgebildetsten" Männer waren sie von jeder Subordination frei, sie unterstanden keinem unbekannten Oberen mehr, sondern entschieden eigenverantwortlich. Der Illuminatenorden verfolgte gewiß ein die Freimaurerei überschreitendes Programm: System, Zielsetzung und Programmatik sowie die Politik der Unterwanderung der Freimaurerlogen, Lesezirkel, staatlicher Ämter und Schulen zeigen, daß es sich hier u m einen rein politischen Geheimbund handelt, mit dem Ziel der Änderung der gesellschaftlichen Ordnung. Die Illuminaten verstanden sich als das institutionelle Zentrum zur Durchführung europäischer Aufklärung. Ein Plan, der bereits i n den Rosenkreuzerischen Utopien angestrebt wurde, w i r d von den Illuminaten machtvoll aufgegriffen: Es geht darum, ein Wissenschaftsmonopol aufzubauen, über andere durch Aufklärung zu herrschen, eine geheime gelehrte Gesellschaft zu bilden zum Zwecke der Weltreformation. Nunmehr ist diese Idee von Andreae, Campanella, Bacon, aber auch Comenius i n ein neues Gewand, i n eine neue Philosophie gekleidet. Politisch wandte sich der Orden gegen jede Form des Absolutismus m i t seinen Privilegien, gegen W i l l k ü r und Intoleranz, er plädierte für den Aufbau einer neuen politischen Ordnung und Weishaupt verstand diesen Aufbau als eine „Revolution"* 9. Dies sollte i m Rahmen des vorgegebenen Systems verwirklicht werden, durch Innovation, d. h. ohne jeden gewalttätigen Umsturz 7 0 . Das Konzept war eine evolutionäre Entwicklung vom Willkürstaat zum Rechtsstaat, vom Privilegienstaat zum Verfassungsstaat, von der Fürstenherrschaft zu einem kosmopolitischen Republikanismus, innerhalb dessen allein die Vervollkommnung der Menschheit, die Herrschaft der Vernunft und die Wiederherstellung von Gleichheit und Freiheit möglich ist. Träger dieser „großen Veränderung" sollte die Moral sein (vgl. II, 96). Gewiß bildet dieser Bund den institutionellen Höhepunkt aufklärerischer Entwicklung i n Deutschland vor der Französischen Revolution. Er strahlte aber auch noch i n andere Bewegungen und Strömungen seiner Zeit. 69
Vgl. Grolmann, S. 133. Faber, S. 205 f.: „Bei diesem Vorhaben stehen uns aber Pfaffen u n d Fürsten u n d die heutigen politischen Verfassungen sehr i m Wege. Was sollen w i r also tun? Revolutionen begünstigen, alles umwerfen, Gewalt m i t Gewalt vertreiben, Tyrannen m i t Tyrannen vertauschen? Das sei fern. Jede gewaltsame Reform ist verwerflich, w e i l sie die Sache nicht besser macht, so lange die Menschen m i t i h r e n Leidenschaften bleiben, w i e sie sind, u n d w e i l die Weisheit solchen Zwanges nicht bedarf." 70
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der Geheimbiinde
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I m Illuminatenbund war der Plan entstanden, den gesamten Büchermarkt unter Kontrolle zu bringen. Diesen Gedanken griff der den Illuminaten nahestehende Theologe K a r l Friedrich Bahrdt auf. Er hatte engen Kontakt zu Weishaupt und stellte eine Reihe von Überlegungen an, wie der inzwischen i n Süddeutschland verbotene Orden seine Propaganda fortführen könne, ohne daß die Polizei Verdacht schöpft 71 : I n verstärktem Maße müsse man — so Bahrdt — den „unsichtbaren Faden", das „unbemerkbare Triebrad" kontrollieren, nämlich „das Bücherwesen". Dadurch könne eine erneuerte Maurerei „ m i t der ganzen Welt i n Verbindung treten, die ganze Welt zum Beitritt einladen", ohne daß man weiß, wer die eigentlichen Urheber sind. Zu diesem Zweck versuchte Bahrdt, die „Deutsche Union der Zweiundzwanzig" zu gründen, u m ein „untrügliches und durch keine menschliche Macht zu hinderndes Mittel" zu erhalten, die Hindernisse der Aufklärung „nach und nach zu zerstören" 72 . Die Leitung der Gesellschaft sollte i n der Hand eines geheimen Kapitels liegen, welches „eigentlich die Union" bildet. Diese dirigierenden Brüder sollten überall Lesegesellschaften bilden, ohne daß die Öffentlichkeit die wahren Motive dieser Gründung kennenlernt 7 3 . Vorzügliche Aufgabe der Gesellschaften ist Propaganda und Beeinflussung der Zeitungen und Wochenblätter. Der jeweilige Sekretär einer Gesellschaft soll die „nach dem Zweck der Union ausgewählten Bücher" beschaffen und ausleihen. A n jedem Ort muß ein Buchhändler „gewonnen und beeidigt werden", damit „der Buchhandel nach und nach eingehen und i n die Hände der Union fallen werde". M i t dieser Strategie sei — so Bahrdt — eine enorme moralische Macht zu gewinnen: „Wenn man begreift, was die Aufklärung gewinnen und der Aberglauben verlieren muß, erstens wenn i n allen Lesegesellschaften von unseren Verbrüderten die Bücher gewählt werden; zweitens, wenn w i r an allen Orten unsere Vertrauten haben, welche sich zum eigenen Geschäft machen, Aufklärung fördernde Schriften bis i n die Hütten des Volkes zu verbreiten; drittens, wenn w i r die lauteste 71 Vgl. den Brief von Karl Friedrich Bahrdt v o m 2. September 1787 an Weishaupt, abgedruckt bei Rossberg, S. 89 f. 72 Das Projekt der Deutschen U n i o n der Zweiundzwanzig. I n : Latomia. Freimaurerische Vierteljahresschrift. Bd. 21, S. 32. 78 „ Z u dem Ende bekommt die Sache eine neue Außenseite. Nämlich die eigentlichen Mitglieder sprechen n u r an i h r e m Orte, wo sie leben, gar nicht von Union, v o n Gesellschaft, v o n Beförderung der A u f k l ä r u n g u n d so w e i ter, sondern sie t u n sich an allen Orten bloß als eine literarische Gesellschaft zusammen, laden dazu alle Freunde der Lektüre u n d nützlichen K e n n t nisse ein, — u n d das sind dann die gemeinen Brüder, die nichts wissen, als daß an ihren Orten ihre Gesellschaft existiert, aber keineswegs, daß diese Gesellschaften i n Verbindung stehen, u n d daß alle ein so großes Ganzes ausmacht." S. 34.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
Stimme i m Publikum haben und i m allgemein gelesenen Intelligenzblatt die Schriften des Fanatismus entweder ganz ins Dunkel hinabdrängen oder davor warnen, und die Werke des Lichts allein bekannt machen und empfehlen können; viertens, wenn w i r nach und nach, indem die guten Schriftsteller alle ihre Schriften durch uns editieren, den Buchhandel ganz an uns ziehen, und dadurch verursachen, daß zuletzt die Schriftsteller, die für den Aberglauben schreiben, weder Verleger noch Publikum behalten, wenn w i r endlich fünftens durch unsere Ausbreitung alle guten Köpfe an uns ziehen und dadurch i n den Stand gesetzt werden, an allen Orten, Familien, Höfen usw. i m Stillen zu wirken, und auf Besetzungen der Hofmeisterstellen, der Sekretariate, der Pfarreien usw. Einfluß bekommen 74 ." Die Generalliste der „Deutschen Union" enthielt 230 Namen, die sich auf mehr als 130 Orte Deutschlands und des Auslandes verteilten. Offenkundig war die Organisation bereits einigermaßen vorangeschritten. Unter den Mitgliedern der Union befanden sich viele Illuminaten 7 5 . Wenn es die Illuminaten später für notwendig hielten, sich von der Union zu distanzieren, weil Bahrdt sein Projekt als M i t t e l benutzte, sich zu bereichern 76 , so behielten sie doch die Methode als solche bei, besonders nach ihrem Verbot. Ebenso wie i n den Lesegesellschaften setzten die Illuminaten nach ihrem Verbot die politische Propaganda i n gelehrten Gesellschaften und wissenschaftlichen Akademien fort, die einer polizeilichen Überwachung schwer zugänglich waren. Weishaupt hatte j a darauf verwiesen, daß „der Name einer gelehrten Gesellschaft eine sehr schickliche Maske" für die unteren Grade der Illuminaten sei, hinter der man sich verstecken könne, wenn jemand irgendetwas von den Zusammenkünften des Ordens erfahre oder sie verbieten wolle 7 7 . So war beispielsweise die Göttinger Akademie von Freimaurern und Illuminaten durchdrungen, wie beispielsweise den Professoren Feder, Meiners und Spittler 78. Dem Wiener Illuminatenfeind Leopold Alois Hoffmann gab diese Akademie Anlaß dazu, vor den Schleichwegen der I l l u m i naten zu warnen 7 9 . 74
Ebd., S. 35. Vgl. S. 40 ff. 76 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 348. 77 Grolmann, S. 165. 78 Vgl. des näheren L . Keller: Die „Deutsche Akademie" i n Göttingen i m 18. Jahrhundert. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 9, B e r l i n 1900, S. 108 ff. 79 L. A . Hoffmann: Höchst wichtige Erinnerungen zur rechten Zeit über einige der allerernsthaftesten Angelegenheiten dieses Zeitalters. T e i l 2, Wien 1795, S. 8 ff. 75
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
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Die Gelehrtengesellschaften hatten einen wesentlichen Einfluß auf Bildung und Erziehung, nicht bloß an Universitäten und Akademien 8 0 . Ein Musterbeispiel dafür ist die Berliner „Mittwochs-Gesellschaftdie am Ende des 18. Jhts. die einfluß reichsten Juristen, Theologen, Pädagogen und Journalisten Berlins zusammenfaßte. Auch hier war die politische Absicht der Gesellschaft durch das Geheimnis geschützt. Jedes Mitglied hatte sich unter Verpfändung seines Ehrenwortes zu verpflichten, über alles zu schweigen, was i n der Gesellschaft gesprochen wurde, ja von der Gesellschaft selbst nicht zu reden. Nicht nur die Aufnahmebedingungen, sondern auch die Auswahl der Mitglieder gab der Gesellschaft einen logenähnlichen Charakter. Es scheint, als hätten überhaupt nur Freimaurer Z u t r i t t erlangt. Nicht nur der Sekretär der Gesellschaft, der Bibliothekar Johann Erich Biester, sondern auch die Mitglieder, der Pädagoge Friedrich Gedike, der Verlagsbuchhändler Friedrich Nicolai, der Kammergerichtsrat Ernst Ferdinand Klein, der Geheime Archivar Christian Wilhelm von Dohm und der Prinzregentenerzieher Franz Leuchsenring, waren Freimaurer, teilweise sogar Illuminaten und spielten eine führende Rolle i m Berliner Logenleben. Moses Mendelssohn gehörte der Gesellschaft als Ehrenmitglied an. Auch dieser Gesellschaft ging es letztlich darum, durch Aufklärung eine Revolution der Denkweise hervorzubringen 8 1 . Die politisch-praktische Wirkung war enorm: so konnte sie durch ihre Mitglieder Gottlieb Svarez und Ernst Ferdinand Klein besonders die Rechtsentwicklung in Preußen wesentlich beeinflussen. Während der Revolutionsjahre 1790/92 gelang es, Svarez als Lehrer des Kronprinzen zu empfehlen. Er war maßgebend an der Reform des preußischen Landrechts beteiligt, stellt i n den Vorträgen, die er dem Thronfolger hielt, die unveräußer80 Vgl. dazu L. Keller: Die Berliner Mittwochs-Gesellschaft. Monatshefte der Comenius-Gesellschaft, Bd. 5, B e r l i n u n d Münster 1896, S. 69. 81 Dieser Plan w a r auch das L e i t m o t i v eines v o n dem A r z t Nöhsen i n der Gesellschaft gehaltenen Vortrage über das Thema: „Was ist zu t u n zur A u f k l ä r u n g der Mitbürger?" Dieser programmatische Aufsatz, zu dem sämtliche Mitglieder der Gesellschaft schriftlich Stellung nahmen, sprach die Hoffnung aus, daß die Macht der A u f k l ä r u n g bald v o n B e r l i n aus auf das ganze Reich übergreifen würde. „Die A u f k l ä r u n g einer so großen Stadt w i e B e r l i n " , so schrieb Nöhsen, „hat Schwierigkeiten; sind sie aber behoben, so verbreitet sich das Licht nicht allein i n der Provinz, sondern i m ganzen Lande, u n d w i e glücklich w ü r d e n w i r nicht sein, w e n n auch n u r einige Funken hier angefacht, m i t der Zeit ein Licht über ganz Deutschland, unser allgemeines Vaterland, verbreitet." Die Aufgabe der Mittwoch-Gesellschaft besteht darin, „die Mängel u n d Gebrechen" i n den Vorurteilen u n d i n den Sitten der V ö l k e r aufzusuchen u n d m i t der Ausrottung der schlimmsten I r r t ü m e r zu beginnen. (Zitiert nach L. Keller, S. 74; vgl. auch S. 70 ff.)
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
liehen Rechte des Menschen i n den Vordergrund und erzog i h n i m Sinne der Aufklärung 8 2 . Uber den Einfluß der Freimaurer und dann insbesondere der I l l u m i naten auf das Zeitungswesen wurde bereits einiges gesagt. Eine gegnerische Schrift urteilt folgendermaßen: „Die Zeitungscomptoires, die Journalfabriken, die Zensurtribunale, die Buchhändlerbuden, die Lesebibliotheken und Lesegesellschaften, kurz alles, was nur den Anstrich von Erudition vertragen konnte, alles war nun vom Geist des I l l u m i natismus impregniert, demselben von ferne und von nahe affiliert, und i n das Interesse und die Absichten desselben, für manchen ganz unvermerkt hineingezogen. Daraus erklärt sich nun von selbst der Gang und die Wendung, welche die deutsche Literatur von nun an m i t Riesenschritten nahm. Da ward nun i n der Allgemeinen Deutschen Bibliothek, i n gelehrten Zeitungen, wie i n der Jenaischen und Oberdeutschen A l l gemeinen Literaturzeitung, i n der Gothaischen, Erfurtischen und anderen Zeitungen, i n Journalen, wie i n der Berlinischen Monatsschrift, dem Braunschweigischen oder Schleswigschen Journal, i m Deutschen Zuschauer, i n Weckherlins Broschüren und dergleichen, i n Romanen, deren Knigge selbst einige schrieb, und i n anderen Schriften, wo m i t Bahrdt, Schulz, Riem und mehrere dieses Gelichters die Welt überschwemmten, desgleichen i n Komödien und Gedichten, die positive Religion heruntergerissen, die Bibel verspottet und auf gut illuminatiseli exegisiert, die Regenten verkleinert und persifliert, die Regierenden gelästert, der Naturalismus und Deismus laut gepredigt, und überhaupt Grundsätze über Religion, Moral und Staat, ganz i m echten Geist des Illuminatismus allenthalben ausgestreut 83 ." Von den genannten Zeitschriften standen tatsächlich sowohl die Allgemeine Deutsche Bibliothek durch Nicolai als auch die Berlinische Monatsschrift durch Biester und Gedike, die Oberdeutsche Allgemeine Literaturzeitung durch Hübner, das Braunschweigische Journal durch Trapp und Campe und das Schleswigsche Journal durch von Hennings unter der Schriftleitung von Illuminaten. Einen ähnlichen Eindruck vermittelt auch ein zeitgenössischer Geheimbericht der österreichischen Staatspolizei, der bei Alfred Rossberg abgedruckt ist 8 4 . Er spricht von einer geheimen Verbindung, die durch tausende von Druckschriften „nie rastende Neuerungssucht" und „Aufwiegelungsgeist" verbreitet. Sie nennen sich i n der Öffentlichkeit bald 82 Vgl. C. G. Svarez, die „Kronprinzenvorträge", S. 3 ff. sowie seine „ V o r träge vor der Mittwochs-Gesellschaft", S. 627 ff. 83 L. A . Ch. v. Grolmann: Endliches Schicksal des Freymaurer-Ordens i n einer Schlußrede gesprochen. Gießen 1794, S. 29 f. 84 Rossberg, S. 100.
4.1. Zur politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
241
„Maurer", bald „Jakobiner", bald „Illuminaten", dann wieder „Demokraten". Dahinter stehe aber eine geschlossene „Partei", die alles daransetzt, „ihre Zwecke zu erreichen". Es ist i n diesem Zusammenhang darauf zu verweisen, daß erstmals i n der Diskussion u m die Illuminaten der Parteibegriff i n einem modernen politischen Sinn i m deutschen Sprachraum verwendet wird. Die Warnung der Konservativen, daß jede Aufklärung letztlich die Grundfesten von Herrschaft und Religion antastet, schien die Französische Revolution zu bewahrheiten. Anlaß dazu gab auch die Schrift „Benjamin Noldmanns Geschichte der Aufklärung i n Abessinien" von Knigge, die i m Jahre 1791 erschien und unter dem Schleier der Allegorie mitteilte, daß die Französische Revolution eine Folge der „Lumières" auf politischem Gebiet sei 85 . Da man Ähnlichkeiten zwischen dem Programm der Illuminaten und dem der Jakobiner sah, wurden die Illuminaten allgemein der Verschwörung angeklagt und als Urheber der Französischen Revolution bezeichnet. Man fand ja i n der wichtigsten, i m Jahre 1793 publizierten Illuminatenschrift „Die neuesten Arbeiten des Spartakus und Philo i n dem Illuminaten-Orden; jetzt zum erstenmal gedruckt und zur Beherzigung bey gegenwärtigen Zeitläuften herausgegeben", die These bestätigt, daß ein Jakobiner „nichts mehr und nichts weniger" ist, als ein praktizierender Illuminât 8β. Hauptvertreter der sogenannten Verschwörungstheorie, die i m Illuminatismus die Ursache der Revolution sah, waren vor allem die konservativen Gold- und Rosenkreuzer. Ein extremer Wortführer dieser Gesinnung war der Wiener Professor Leopold Alois Ho ff mann, dessen Publikationsorgane „Wiener Zeitschrift" und „Eudemonia" zu den bekanntesten antirevolutionären Blättern zählten 8 7 . Für diese Zeitschriften war der Illuminatismus nicht nur dem Jakobinismus „verbrüdert", da beide die gleichen Grundsätze, Absichten und Mittel hätten, sondern der Jakobinismus ist „Ausfluß des Illuminatismus, beide sind ein und dasselbe Ungeheuer, das nur i n diesem Lande diesen, i n jenem einen anderen Namen trägt". A n anderer Stelle heißt es: „Die Absichten dieses abscheulichen Bundes gehen dahin, die Altäre umzustürzen, die Throne zu untergraben, die Moral 85
Vgl. Forestier, S. 639 ff. So eine Äußerung Hoffmanns, zitiert nach H. Grassi, Aufbruch zur Rom a n t i k . Bayerns Beitrag zur deutschen Geistesgeschichte 1775 - 1785. München 1968, S. 269. 87 Vgl. etwa L. A . Hoffmann: Fragmente zur Biographie des verstorbenen Geheimen Rats Bode i n Weimar. M i t zuverlässigen Urkunden. Rom (Wien) 1795; vgl. F. Sommer: Leopold Alois Hoff mann u n d seine Wiener Zeitung. Das Freimaurer-Museum, Bd. 7, Zeulenroda - Leipzig 1932. 86
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
zu verderben, die gesellschaftliche Ordnung übern Haufen zu werfen, kurz jede bürgerliche und religiöse Einrichtung einzureißen und Heidentum, Mordgericht und alle Greuel einer demagogischen Anarchie dafür einzuführen." Das gegenwärtige Frankreich zeige ohnehin „die Praxis dieser Grundsätze und die parteiliche Ausführung ihrer Entwürfe" 8 8 . Besonders Knigge zog sich mit seinen Schriften, die offen für die Französische Revolution eintraten, die heftige Feindschaft der Goldund Rosenkreuzer zu. Er wurde zum Illuminaten und Jakobiner par excellence hochstilisiert, der diejenige Theorie zuerst gelehrt und begründet habe, „von welcher nachher die Französische Revolution und die ganze, seitdem projektierte Weltumwälzung die Praxis ist" 8 9 . Von nun an werden der Anti-Illuminatismus und die antiaufklärerische Haltung hervorstechende Merkmale der konservativen Politik. Schließlich wurde immer wieder behauptet, der Illuminatenbund habe nie zu bestehen aufgehört und habe sich i n anderer Form fortgesetzt. Diese Behauptung gab stets Anlaß zu neuen Maßnahmen. I n diesen Auseinandersetzungen profilierte sich der Geheimbund der Gold- und Rosenkreuzer als schlagkräftige Organisation konservativer Politik. 4.1.2. Illegitime Erben: Die Gold- und Rosenkreuzer
Es wurde bereits gesagt, daß es sich bei Freimaurerei nicht u m eine Organisation m i t einer geschlossenen und einheitlichen Weltanschauung handelt: Sie war nicht nur eine Propagandaorganisation der aufklärerischen Philosophie, sondern ebenso eine Einbruchstelle mystischer Strömungen. I n dieser Ambivalenz befindet sich die Maurerei das ganze 18. Jahrhundert hindurch. Die Wurzeln der mystischen Gegenströmungen lagen i n Frankreich i m Jansenismus und i n Deutschland i m Pietismus. Man wandte sich von den Erkenntnissen der rationalistischen Weltanschauung ab, u m sich den dunklen Hintergründen der menschlichen Existenz zu öffnen. M i t einer erneuerten religiösen Hingabe verknüpfte sich der Glaube, daß es eine geheimnisvolle überlieferte göttliche Offenbarung gebe, und daß diese Uberlieferung von den wahrhaft Wiedergeborenen fortgepflanzt würde. Hochgradmaurerei und strikte Observanz, wollten zurück zu dem alten Glauben 9 0 . So feierten auch die ursprünglichen Rosenkreuzer nach mehr als einem Jahrhundert ihre Auferstehung i n einer Bewegung, die sich 88 89 90
Z i t i e r t nach Dülmen, S. 94 f. Vgl. die Auszüge aus der „Eudemonia" bei Dülmen, S. 417 - 419. Vgl. die einschlägigen Stichworte i m Freimaurer-Lexikon.
4.1. Zur politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
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„Gold- und Rosenkreuzer" nannte. Gleichwohl nahm dieser Geheimbund eine Entwicklung, die den Absichten der ursprünglichen Rosenkreuzer widersprach. Genau i n dem Maße, wie man das 17. und 18. Jahrhundert als Weg zu einem neuen Rationalismus deuten kann, ist man gezwungen, die kompensatorischen Strömungen anzuerkennen, die die Aufklärung begleiteten: Der durch Verstandesaufklärung einseitig fixierten Wahrheit stand eine spirituelle, mystische Wahrheitssuche gegenüber. Die Gold- und Rosenkreuzer, ihr Orden und ihre politische Bedeutung, müssen i n diesem Zusammenhang bewertet werden 9 1 . Die Auseinandersetzungen u m den Orden der Gold- und Rosenkreuzer beginnen erst i m Jahre 1770, d. h. i n dem Augenblick, wo sich der Orden erheblich ausweitet und an politischer Öffentlichkeit gewinnt. Bis zu diesem Datum gibt es nur spärliche Quellen. Ausgangspunkt bildet mutmaßlich das Jahr 1710: I n einer Arbeit des schlesischen Predigers Samuel Richter, die unter dem Namen Sincerus Renatus veröffentlicht wurde, taucht erstmals der Orden der Rosenkreuzer wieder auf und w i r d m i t dem „Gold" i n Verbindung gebracht. Was bisher niemals der Fall war, w i r d zur Regel: Dauernd w i r d nun das „Gold" dem Namen der Rosenkreuzer beigefügt. Der Titel der Arbeit des Predigers lautet: „Die Wahrhaffte und vollkommene Bereitung des philosophischen Steines der Bruderschaft aus dem Orden des Gülden- und Rosen Creutzes, denen Filiis Doctrinae zum Besten publiciert von S. R. d. i. Sincerus Renatus." Aus dem Buch läßt sich schließen, daß u m diese Zeit eine Brüderschaft des Goldenen und Rosenkreuz sich neu bzw. wieder organisiert hatte. Deutlich w i r d eine Verbindungslinie zu den alten Rosenkreuzern gezogen 92 . Der Text w i r d m i t allerhand alchemistischen Vorschriften er91 Die wichtigsten A r b e i t e n über den Orden der Gold- u n d Rosenkreuzer sind: C. C. F. W. v. Nettelbladt: Geschichte freimaurerischer Systeme i n England, Frankreich u n d Deutschland. 2. A u f l . B e r l i n 1897; I. G. Findel: Das Zeitalter der Verirrungen i m Maurerbunde. Leipzig 1892; G. A . Schiffmann: Die Entstehung der Rittergarde i m Maurerbund. B e r l i n 1897; B. Beyer: Das Lehrsystem des Ordens der Gold- u n d Rosenkreuzer. Leipzig - B e r l i n 1925, Freimaurer-Museum, Bd. 1; A . Marx: Die Gold- u n d Rosenkreuzer. E i n Mysterienbund des ausgehenden 18. Jahrhunderts i n Deutschland. Zeulenroda - Leipzig 1930, Freimaurer-Museum, Bd. 5; G. Krüger: Die Rosenkreuzer. B e r l i n 1932. 92 So heißt es i n der Vorrede: „Diese unsere Congregation w a r v o n diesen v o n unseren alten Helden m i t sehr strengen Klauseln u n d Gesetzen aufgerichtet worden, durch welche unsere neue Brüderschaft wahrgenommen, u n d daß dieses allein die Ursach sei, w a r u m jetzo so wenig derselben gefunden werden. Deswegen haben sie u m das Jahr 1624 durch die ganze W e l t i h r V o t u m u n d Stimme ergehen lassen, u m die Brüder zu prüfen, v o n welchen n u n n u r neun u n d zwei Lehrlinge gefunden worden, welche nach längerer u n d weiser Unterredung endlich beschlossen haben, daß man diese Brüderschaft vermehren muß." U n d weiter heißt es: „Es ist die wahrhafte Praxis der Brüderschaft des Rosencreutzes, zugleich deren Ordnung, nebst denen
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
öffnet, auch ist wiederholt von „unseren Brüdern" die Rede. Dann folgt eine eher wirre „Regul, welche die Brüderschaft des Güldenen Creutzes observieren müssen, nachdem sie die Profession getan haben". I m A n schluß daran ist ein längeres „Gebet, so nach abgelegtem Jurament insgesamt verrichtet w i r d " , angegeben. Zum Schluß folgt eine Reihe alchemistischer Anweisungen. Der Erkennungsgruß lautet: „Ave, frater", worauf der Begrüßte antwortet: „Rosae et aureae" und der erste schließt: „Crucis!" 9 3 . Dennoch darf man nicht glauben, daß der i n dieser Schrift genannte Bund die „Fama" und „Confessio" der Rosenkreuzer oder die „Themis Aurea" von Michael Maier zu neuem Leben erwecken w i l l . Der hier beschriebene Geheimbund ist nichts anderes als eine hermetische Gesellschaft. Über die Geschicke des angeblichen Ordens gibt es keinerlei weitere Hinweise. Eine weitere Quelle findet sich erst wieder i m Jahre 1759. Unter dem Pseudonym Hermann Fictuld veröffentlicht Johann Heinrich Schmidt 94 einen Traktat m i t dem Titel „Aureum Vellus oder Goldenes Vlies, das ist verhoffte Entdeckung was dasselbige sey"? Diese i n Leipzig erschienene Schrift spricht an zwei Stellen von einer „Sozietät der goldenen Rosen-Kreuzerdie Erbe der Ritter vom Goldenen Vlies sei. Es bleibt fraglich, ob Schmidt m i t einem i m Geheimen wirkenden Bund i n Berührung stand, ob er selbst die erste Organisation schuf oder sogar von sich aus eine neue Verbindung unter dem altbewährten Namen ins Leben rief. Gewiß ist aber i n dieser Schrift eine erste organisatorische Grundlage der Gold- und Rosenkreuzer zu sehen. Die wesentliche Forschung zur Geschichte der Gold- und Rosenkreuzer hat A r n u l f Marx geleistet: Er datiert die eigentliche Gründung des Ordens auf das Jahr 1757, da nach den von Schmidt verfaßten Statuten alle zehn Jahre Ordensreformen vorgenommen werden sollten und tatsächlich 1767 wie 1777 auch solche stattgefunden haben. Aus den i m „Aureum Vellus" abgedruckten Ordensstatuten ist zu entnehmen, daß gegenüber der konfessionellen Toleranz des Sincerus Renatus — von der antipäpstlichen Stellung der alten Rosenkreuzer ganz zu schweigen — hier der katholische Charakter und nicht etwa bloß die religiöse Einstellung scharf betont wird. So ist etwa ausdrücklich die Aufnahme von Deisten und Heiden verboten. zwei Orden, w o sie stets zusammen benennet, welche sie aber itzo verändert, w e i l keiner mehr v o n denselben i n Europa, sondern v o r ethlichen Jahre nach I n d i e n gegangen, u m daselbst i n besserer Ruhe zu leben." Sincerus Renatus zitiert nach Krüger, S. 28 f. 93 Ebd., S. 29. 94 Vgl. Nettelbladt, S. 766.
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Das erste konkrete historische Ereignis ist die Aufhebung des Prager Zirkels der Gold- und Rosenkreuzer i m Jahre 1764 und die Bestrafung der drei Leiter zu sechs Jahren Kerker. Bereits hier, wo der Orden erstmals öffentlich i n Erscheinung t r i t t , ist eine enge Verbindung mit den Freimaurern nachweisbar: Der Prager Zirkel führte den maurerischen Namen „Zur schwarzen Rose". I h m gehörten eine Fülle von Mitgliedern anderer Prager Freimaurerlogen an. Das Aufhebungsdekret spricht ausdrücklich von „Winkelmaurerei", und 1766 erfolgt dann nochmals ein Edikt gegen die „sogenannte Freimaurer- und Rosenkreuzer Brüderschaft" 95 . Gewiß dürften die Gold- und Rosenkreuzer zunächst als esoterischer Geheimbund konzipiert gewesen sein, jedoch entwickelte sich daraus bald eine weitverzweigte Organisation. Historisch gesichert ist, daß die Gold- und Rosenkreuzer mit ihren ursprünglichen Vorfahren kaum mehr gemeinsam haben als den Namen. Dies behaupteten nicht nur ihre Gegner: Viele Vertreter des Ordens leugnen die Herkunft von der Brüderschaft des Rosenkreuzes. Selbst die wichtigsten Schriften der alten Rosenkreuzer werden als „teils ganz und gar untergeschoben, teils sehr verfälscht" erklärt 9 6 . Johann Salomon Semmler behauptet wiederum: „Die Rosenkreuzer dieses Jahrhunderts . . . haben sich öffentlich losgesagt von jenen ersten Urkunden dieser Brüderschaft, i n dem vorigen Jahrhundert . . . indem sie nun ihre Abstammung viel höher hinaufsetzen, bis gar unter die sogenannten Patriarchen 97 ." Vor allem verweist dieser Autor darauf, daß die älteren Rosenkreuzer sich ausschließlich mit der „Experimentalphysik", also der experimentellen Philosophie, befaßt hätten, niemals aber, so wie die jetzigen, mit Kabbala und Magie. I n unserem Zusammenhang ist es unmöglich, auf die esoterische Lehre der Gold- und Rosenkreuzer einzugehen, ihre Kabbala und Magie, ihre Ansichten über die Grundursachen und die Einswerdung mit Gott, ihre Dämonologie und ihre spirituelle Alchemie 9 8 . Den Kern der Geheimwissenschaft der Gold- und Rosenkreuzer bilden kabbalistische Gedankengänge, die seit der Renaissance i n den Mysterienbünden Europas heimisch geworden sind. Sie wollten aber wegen ihrer betont christlichen Frömmigkeit gerade den Zusammenhang mit der Kabbalistik verschleiern. 95
Vgl. dazu die Belege bei Marx, S. 17 - 19. Vgl. Chrysophiron: Die Pflichten der G. u n d RC alten Sistems, in: Jounioratsversammlungen, abgehandelt v o n Chroysophiron nebst einigen beygefügten Reden anderer Brüder. B e r l i n 1782. Vorrede S. X V I I . 97 J. S. Semmler: Unparteiische Sammlungen zur Historie der Rosenkreu zer. Stück I - I V , Leipzig 1786 ff. Vorrede S. I I I . 98 E i n guter Überblick befindet sich bei Marx; des weiteren sei verwiesen auf E. Bischoff: Elemente der Kabbala. 2 Bde., 2. A u f l . B e r l i n 1921; W. Buosset: Hauptprobleme der Gnosis. Göttingen 1907. 96
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Die Gold- und Rosenkreuzer greifen jedoch nicht unmittelbar auf die Renaissanceauslegung der Kabbala zurück, sondern stützen sich primär auf die Theosophie von Jakob Böhme, der i n fast jeder ihrer Schriften zitiert wird. Sie „feiert i n den geheimen Gesellschaften zwar nicht ihre Auferstehung, aber doch eine ganz neue Epoche ihrer Blüte" 9 9 . Böhme w i l l , wie kaum ein anderer Mystiker, nur die innere Erleuchtung gelten lassen und lehnt rationalistische Erkenntnisversuche ab. Gemeinsam m i t Böhme polemisieren die Gold- und Rosenkreuzer gegen die verhaßten Schulgelehrten. Jedoch muß festgehalten werden, daß ihre Lehre kein einheitliches, selbst geschaffenes Werk ist, sondern ein aus mehreren Systemen entstandenes Gebilde 1 0 0 . Als auf deutschem Boden die erste Loge i n Hamburg gegründet wurde, machten sich nicht nur rationalistische Einflüsse, sondern sogleich auch solche anderer A r t bemerkbar. Der genaue Ablauf der Einbruchstellen des Mystischen i n die an sich zunächst rationalistisch orientierte Freimaurerei läßt sich nicht genau klären. I n Verbindung m i t der schottischen Stuart-Reaktion kam von Frankreich das System der Hochgrade, zunächst des „Schottengrades" auch nach Deutschland, aus dem sich zur Zeit des Siebenjährigen Krieges das Clairmontsche, später das Rosa Clairmontsche System mit seinen sieben Graden entwickelte. Die „Ritter" dieses Systems fußten auf einer Legende, derzufolge sich der neue Orden als Fortsetzung des alten Tempelordens ausgab, der zu Anfang des 14. Jhts. vernichtet worden war, angeblich aber i m Geheimen weitergelebt hatte und seine Weisungen von unbekannten, i n Zypern sitzenden Oberen empfing 1 0 1 . Die Gold- und Rosenkreuzer überboten aber auch noch diese Geschichte. Sie setzten den Anfang des Ordens überhaupt i n das „graue AltertumNach ihrer Version verdanken sie die erste Festsetzung der inneren Verfassung m i t der Einteilung i n Stufen und Grade den uralten ägyptischen Priestern, die die Geheimnisse des dreifachen Lichts, nämlich der natürlichen, geistlichen Magie, der engelischen Kabbala und der wahren Naturwissenschaft i n systematische Ordnung gebracht haben. Zur Zeit des weisen Salomo und des Hiram Abif 102 erhielt dieser Geheimbund die Abteilung der Klassen und überhaupt die Gestalt, i n der sie „bis auf unsere Zeiten unter dem Namen der ächten und rechten Freimaurer fortblüht". 99 F. J. Schneider: Die Freimaurerei u n d i h r Einfluß auf die geistige K u l t u r i n Deutschland am Ende des 18. Jahrhunderts. Prag 1919, S. 129. 100 Vgl. des näheren Marx, S. 59 ff.; vgl. auch W. Höhler: Hermetische P h i losophie u n d Freimaurerei. Ludwigshafen 1905. 101 Vgl. dazu die einschlägigen A r t i k e l i m Freimaurer-Lexikon. 102 v g l . Freimaurer-Lexikon, Spalte 698 ff. sowie 1373 f.
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I m Lauf der Zeit nun sank die Brüderschaft nach ihrer Verbreitung über die ganze Welt durch die Schwächen der Menschheit von ihrer stolzen Höhe, bis sie nach den einen i m 4. und 5. Jht., nach den anderen erst i m 6. und 7. Jht. durch sieben weise Meister reformiert wurde und i n diejenige Gestalt umgegossen, die sie durch göttliche Gnaden und für alle Zeiten behalten wird. Dies ist zumindest die Fassung nach einer der wesentlichsten Propagandaschriften der Gold- und Rosenkreuzer, die von Carl Hubert Lobreich von Plumenoek stammt 1 0 3 . Das Anliegen dieser Schrift besteht darin zu beweisen, daß der Orden der Gold- und Rosenkreuzer die einzige „Pflanzschule ächter Maurerei" ist. Dieselbe Ansicht vertritt auch der „Compaß der Weisen", welcher 1779 erschien 104 . I n der Vorrede dieser Arbeit w i r d „die Geschichte dieses erlauchten Ordens, vom Anfang seiner Stiftung an deutlich und treulich vorgetragen". Hier w i r d auch die Verbindung zu der sogenannten „Templerlegende" gezogen 105 . Von Anfang an ist bei den Gold- und Rosenkreuzern ein Streben erkennbar, die Freimaurerei ihren Zielen dienstbar zu machen. Sie verfolgen eigentlich von der politisch konservativen Seite genau denselben Weg, wie die Illuminaten von der radikal aufklärerischen. 1782 hat man sogar von Berlin aus, einem der Hauptsitze der Rosenkreuzer, den amtlichen Versuch unternommen, sich die i n Wilhelmsbad versammelten Freimaurer gefügig zu machen. Wer Rosenkreuzer werden wollte, mußte — das war immer der Gedanke — zunächst Freimaurer gewesen sein. War dies nicht der Fall, so ließen i h n die Oberen aus eigener Machtvollkommenheit die bekannten drei Grade der Freimaurerei alten Stils durchlaufen, u m ihn dann i n ihre eigenen Grade stufenweise einzuführen 1 0 6 . Die Rosenkreuzer behaupteten sogar, daß die Freimaurerei von ihrem höchsten Ordensoberen bloß erfunden worden sei: die Freimaurerei sei der Vorhof des Tempels, dessen verborgener Eingang die Gold- und Rosenkreuzerei ist. U m 1780 erscheinen eine Reihe von Büchern, „ i m Auftrag der Ordensoberen geschrieben" und unter der Flagge der Freimaurerei 1 0 7 . 103
Vgl. C. H. L. v. Plumenoek: Geoffenbarter Einfluß i n das allgemeine W o h l der Staaten der ächten Freymaurerey. Amsterdam 1777, S. 11. 104 Vgl. Ketmia Vere: Der Compaß der Weisen v o n einem M i t v e r w a n d t e n der inneren Verfassung der ächten u n d rechten Freymäurerey beschrieben; hrsg. v. Ketmia Vere, B e r l i n u n d Leipzig 1779, S. 103. 105 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 563 ff. sowie 1565 ff.; Ketmia Vere , S. 57. 108 Uber das Gradsystem der Rosenkreuzer vgl. die grundlegende Schrift v o n B. Beyer. 107 Vgl. dazu die Analyse der L i t e r a t u r bei Marx, S. 145 ff.
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Neben diesen, ihre propagandistische Absicht gar nicht verleugnenden Büchern, wurden für den Gebrauch der Brüder noch andere gedruckt, die sämtliche die Freimaurerei als die von den Rosenkreuzerischen Oberen eingerichtete „Pflanzschule" erklärten. Auch hier wiederum findet man verblüffende Parallelitäten zu den Illuminaten: Die Rosenkreuzer wollten nur als die eigentliche Krönung des richtig aufgeführten, aber noch unvollkommenen Baus der Freimaurerei gelten. Die Analysen Bernhard Beyers und A r n u l f Marx' zur organisatorischen Struktur der Rosenkreuzer verdeutlichen die vielen strategischen Parallelitäten zu den Illuminaten. Ein geheimnisvolles Dunkel schwebte über jedem Adepten eines unteren Grades. Das hat oft zu schweren Enttäuschungen geführt, und Verrat, so schwer er auch angeblich bestraft wurde, war unvermeidlich 1 0 8 . I n der „Geheimen Geschichte eines Rosenkreuzers" w i r d i n der Form eines Romans dargestellt, wie i n Hamburg ein gebildeter junger Mann namens Cedrinus erst i n die mystizisierende Bewegung der damaligen Freimaurerei hereingezogen wird, wie dann die Rosenkreuzer i h n gewinnen, weil er bei ihnen seinen Durst nach letzter Erkenntnis zu löschen hofft, bis er schließlich, auch hier enttäuscht und das Doppelspiel seines „Zirkeldirektors" gegenüber seiner Freimaurerloge durchschauend, allen Drohungen zum Trotz sich von den Rosenkreuzern löst und seinen mystischen Träumen entsagt. Als beispielsweise 1785 ein solcher Verräter die Satzungen der Gold- und Rosenkreuzer zweiten Grades durch Druck bekannt gab, sah sich der Hamburger Zirkel veranlaßt, seine „Arbeiten vorübergehend einzustellen" 1 0 9 . Die Glieder des höchsten Grades, die „Magi" blieben unbekannte Größen. Was man ihnen zutraute, sagt der „Hauptplan" von 1777: „Diesen Brüdern ist außer denen göttlichen Geheimnissen und Kräften der Natur nichts verborgen, und vermöge dieser Kenntnis sind sie gleich wie Moises, Aaron, Hermes, Salomon, Hiram, Meister über alle 1 1 0 ." Sicher ist, daß sie aufgrund des Vertrauens, das man i n ihre besonderen Kräfte setzte, eine unheimliche Gewalt über die untergeordneten Ordensgenossen ausgeübt haben. 108 Aufschlußreich ist hier die „Geheime Geschichte eines Rosenkreuzers", welche 1792 i n Hamburg erschien. H. C. Albrecht: Geheime Geschichte eines Rosenkreuzers, aus seinen eigenen Papieren. Hamburg 1792. 109 Die anonym erschienene Schrift stammt v o n Graf Loehrbach: Die theoretischen Brüder oder die zweite Stuffe der Rosencreutzer u n d ihrer Instruct i o n das erstemahl ans Licht herausgegeben v o n einem Prophanen neben einem A n h a n g aus dem d r i t t e n u n d fünften Grad als Probe. A t h e n (Berlin), 1785, zur Zeit der Aufklärung. 110 Dieser Hauptplan ist bei B. Beyer i m A n h a n g abgedruckt, vgl. v o r allem S. 250 ff.
4.1. Zur politischen A n t i t h e t i k der G e h e i m b n d e
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Das Christentum der Gold- und Rosenkreuzer, mag es sich auch noch so kirchlich gebärden, ist von nahezu monomaner A r t . Wenn die Führer der Gold- und Rosenkreuzer auch versichern, sie hielten sich nicht für besser als andere, weil Gott sie erwählt habe, und daß dies nicht ihr Verdienst, sondern Gnade sei, halten sie sich doch von der Ewigkeit her für erwählt, ehe der Weltgrund gelegt w a r 1 1 1 . Die Oberen der Goldund Rosenkreuzer sind „durch den Besitz derjenigen Weisheit, davon Salomon redet, so hoch über den Rest der Sterblichen erhaben, daß nur noch eine ganz dünne Scheidewand zwischen ihnen und jenen seligen Geistern ist; oder vielleicht sind ihre höchsten Oberen, und die lichtvollen Seraphim (die höchste Stufe der Engelshierarchie, A. d. V.) schon lange vertraute Freunde". So kennen die Magier nicht nur jedes Geheimnis auf Erden, sondern sie wissen auch, wer sonst i n seinem Besitze ist 1 1 2 . Und i n der „geheimen Konstitution der Magier" heißt es: „ W i r besitzen die wahre göttliche Magie, kraft welcher wir, wie Moses und Elias, uns persönlich mit Gott unterreden oder unsere wechselnden Botschaften durch die i m Feuer gereinigten und wohnenden Geister schicken. W i r besitzen die zwei Hauptwissenschaften Jehovah: Das ist die Gebärung und die Zerstörung aller natürlichen Dinge. W i r können wie Josuah ganze Städte durch den Schall der Instrumente i n Schutt verwandeln. W i r können der Sonne, dem Mond und den Sternen und den Winden gebieten, w i r können wie die Propheten die Sterne verwandeln und an verschiedene Orte versetzen 113 ." Unter dem Vorwand, nach letzten naturwissenschaftlichen und religiösen Erkenntnissen zu streben, geht es aber den Gold- und Rosenkreuzern vor allem u m die Durchsetzung ihrer politischen Orthodoxie. Die Legitimation und Berufung auf eine echte, gottgewollte Freimaurerei ist dabei der der Illuminaten ganz ähnlich. So heißt es: „Der ganze Orden ist aus Jesus allein gebauet. Es ist ein Jesusorden, die Mitglieder sind kleine Jesus; Christus selbst wohnt i n dem Kreis direkt 1 1 4 ." Auch das Geheimnis hat bei den Gold- und Rosenkreuzern eine ähnlich funktionale Bedeutung wie bei den Illuminaten. Es ist integrierender Bestandteil der Eidesformel, deren wesentliche Punkte Verschwiegenheit nach außen h i n ist, unverbrüchliche Treue und Gehorsam, aber 111 Vgl. Chrysophiron: Die Pflichten der G. u n d RC alten Sistems, i n Jounioratsversammlungen abgehandelt v o n Chrysophiron nebst einigen beygefügten Reden anderer Brüder. B e r l i n 1782, S. 199. 112 Vgl. dazu Marx, S. 47 sowie 105 f. 113 Z i t i e r t nach Marx, S. 106. 114 Z i t i e r t nach Beyer, S. 20.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
gleichzeitig die Pflicht auferlegt, kein Geheimnis gegenüber den Oberen zu verschweigen 115 . Genau wie bei den Illuminaten w i r d das Geheimnis aber nicht nur nach außen gewahrt, sondern ebenso sehr innerhalb des Ordens, jedoch für die Oberen selbst aufgehoben. Die „Quibus-licet" genannten Berichte der Illuminaten scheinen bei den Rosenkreuzern keinen besonderen Namen gehabt zu haben. Die Verpflichtung, i n der Eidesformel den „Oberen niemals etwas Heimliches zu verschweigen", w i r d dahingehend kommentiert, daß bei sehr delikaten Angelegenheiten nur „der präsidierende Magus" davon etwas erfahren soll. I m übrigen w i r d bis ins Einzelne aufgezählt, daß erstens alles auf den Orden Bezügliche, zweitens alle Verrätereien eines Bruders, drittens alle kleinen Plaudereien der Brüder untereinander, viertens alle unerlaubten Handlungen und jede gesetzwidrige Aufführung den Oberen hinterbracht werden müßte. Welch ungeheure Wichtigkeit diesem Spionieren aller gegen alle beigemessen wurde, geht daraus hervor, daß zur Beschwichtigung etwaiger Bedenken der Kommentar sich zu einer fast unglaublichen Gottähnlichkeitserklärung versteigt: Es gibt kein Naturgeheimnis, noch ein anderes auf dieser Welt, das nicht bereits i m Besitz des Ordens und den höchsten Oberen längst bekannt ist. Also hat der Orden eigentlich keinen Nutzen von solchen Anzeigen, sondern der anzeigende Bruder selbst; wenn der Magus wolle, wisse er das Geheimnis nicht nur, sondern auch, daß der Bruder es i n Besitz habe 1 1 6 . M i t dem Aufstieg des Hochstaplers und Schankwirtes Johann Georg Schrepfer begann eine mißliche Entwicklung des Ordens. Noch verlief dieser Prozeß i m Verborgenen. Während es nach außen h i n zu einer Machtentfaltung der Gold- und Rosenkreuzer kam, begann i m Inneren der ideologische Zersetzungsprozeß. Wenngleich der Geisterbeschwörer Schrepfer durch Selbstmord endete, darf er doch den traurigen Ruhm für sich i n Anspruch nehmen, den Gold- und Rosenkreuzern absurde Formen der Magie oktroyiert zu haben 1 1 7 . Johann Rudolf von Bischoffswerder war einer der ersten Gefolgsleute Schrepfers. Durch Schrepfer war auch der Boden für andere Scharlatane bereitet wie etwa den 115 Vgl. J. Ch. Bode: Starke Erweise aus den eigenen Schriften des hochheiligen Ordens der Gold- u n d Rosenkreuzer. . . . Rom, 1555 (1788), S. 67. Jedoch ist n u r der H a u p t t i t e l Bodes Werk. Unter dem Nebentitel „ V o n obristbrüdlicher Wahl, Macht u n d Gewalt bestätigter Eingang zur ersten Klasse des preiswürdigen Ordens, 1777 Wien / Regensburg / B e r l i n bei der hohen B.Oberen 1788", folgt ein Originalstück, das Organisation u n d Ritual des Ordens oder wenigstens der unteren Ordensstufen aufdeckt. 116 Vgl. Bode, S. 74 f. u n d 113. 117 Vgl. des näheren Freimaurer-Lexikon, Spalte 1415 ff.
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
markgräflich-badischen Kammerherrn und Geheimen Hofrat Gottlieb Franz von Gugomos 118.
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Baron
Diesem gelang es, dem Prinzen Ludwig von Kassel glaubhaft zu machen, daß er die „wahren Geheimnisse" der Freimaurerei kenne. Aufgrund von Gesprächen mit einem Petriner Mönch i n Rom sei Gugomos klargeworden, daß die bisherige Freimaurerei nichts als „Tand, falscher Wahn, Nachspiegelung, falsche Lehre" gewesen sei. Das „Goldene Buch der Weisheit", das Gugomos zu kennen vorgab, weise keinen i n Deutschland bekannten Namen auf. Es gäbe überhaupt nur sechs wahre Mitglieder des innersten Ordens der alten echten Templer, und er sei jetzt eins von ihnen, „für Deutschland, Frankreich, Holland und die nordischen Länder geweiht". Von i h m nunmehr als „Abgesandten der wahren Ordensoberen" ging eine Einladung an alle Logen „Strikter Observanz" zu einer Versammlung nach Wiesbaden zu kommen. Dort verkündete Gugomos 1776, daß er i m Auftrag des wahren Templerordens gekommen sei, u m sein Volk zu erretten, u m diesem jene Vollkommenheit zu übermitteln, die Gottes Geist m i t seinem Ebenbilde teile — „wenn des Oberpriesters Finger den fruchtvollen Samen auf unseren Scheitel legt und Brust und Nacken m i t Chrisma benetzt". Er legte ein prunkvolles lateinisches Patent vor, gezeichnet von Wilhelmus Albanus Georgius „des hochheiligen Stuhles von Jerusalem Pater, Großmeister der Streiter Christi und des Salomonischen Tempels". Neben dieser Fälschung legte Gugomos auch einen Auszug der Geschichte des Tempelordens, eine Liste der angeblichen Großmeister und der geheimen Fortsetzer des Ordens vor, und erklärte, auch Ignatius von Loyola sei Tempelherr gewesen 119 . Zwar warnte der I l l u minât Bode als Vertreter des Herzogs Ferdinand von Braunschweig vor diesen Betrügereien, aber umsonst. Die Deputierten strömten i n Wiesbaden zusammen. Zu den glühenden Verehrern von Gugomos gehörte Bischoffswerder, der bereits A n hänger Schrepfers war. Dieser Konvent war für die weitere Entwicklung der Maurerei äußerst folgenreich. Nach Gugomos Flucht und der Entdeckung, daß seine sämtlichen Urkunden und Abzeichen von i h m selbst angefertigt waren, brach das Vertrauen der Freimaurer i n die bisherigen Systeme zusammen. Nur so erklärt sich das Aufblühen der beiden Ordensorganisationen, die während des folgenden Jahrzehnts miteinander i m Streit um die Erbschaft lagen: die Gold- und Rosen118
Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 650 ff. Vgl. die Belege i m Freimaurer-Lexikon; gewiß liegt h i e r i n auch ein Grund, daß die Gold- u n d Rosenkreuzer immer m i t den Jesuiten identifiziert werden. 119
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
kreuzer und der Illuminatenbund. Von den eigentlich geradezu entgegengesetzten oder doch mindestens schwer miteinander i n Einklang zu bringenden Zielen, wie sie die deutsche Freimaurerei bisher verfolgt hatte, führten die Rosenkreuzer die mystisch-kabbalistischen und die kirchlichen weiter, während die Illuminaten sich der radikalen Aufklärung anschlossen. Auch der große Aufschwung der Gold- und Rosenkreuzer ist also auf den gescheiterten maurerischen Konvent zurückzuführen. Denn die enttäuschten Maurer suchten jetzt die Zuflucht i n einem Mysterienbund, der nachweisbar auf ein hohes Alter blicken konnte: dies war ja durch das ursprüngliche Rosenkreuzertum und die Berufung auf es gewiß der Fall. Ein weiterer Grund für die Ausbreitung des Ordens ist das Zusammentreffen zweier Männer, die als Gold- und Rosenkreuzer alsbald verhängnisvoll i n die Geschicke Preußens eingreifen sollten: der eine ist Johann Rudolf von Bischoffswerder, ein preußischer General und späterer Minister, der andere Johann Christoph von Wöllner, preußischer Staatsminister und Chef des Departements für geistliche Angelegenheiten. Bischoffswerder, der für jeden magischen und alchemistischen Schwindel seiner Zeit zugänglich w a r 1 2 0 , machte aus der Loge „Zu den drei Weltkugeln" i n Berlin ein Zentrum der Goldund Rosenkreuzer. Der Kampf gegen Aufklärung wurde nun die wesentliche Mission. Die kaum verständliche Hingabe der Ordensmitglieder erwuchs aus dem Glauben — wie bereits erwähnt —, daß ihre Oberen geheime Mittel besäßen, die Menschen wieder zu einem Ebenbild Gottes zu machen. Die Behauptung, m i t der Vorsehung i n Verbindung zu stehen, ermöglichte es diesen, die Ordensmitglieder zu ihren willenlosen Werkzeugen zu machen. So konnte der Orden verlangen, daß sich der Ordensbruder als „rechtmäßig erworbenes Eigentum" des Ordens zu betrachten habe. Die Oberen handelten angeblich „dem heiligsten Willen des Herrn gemäß" und vollführten nichts anderes „als was Gott selbst unmittelbar t u n würde, wenn er unmittelbar handeln w ü r d e " 1 2 1 . Vor allem versuchten sie, die Rolle von Beichtvätern und Endberechtigten göttlicher Verheißung zu spielen. Bei etlichen politisch mächtigen Persönlichkeiten gelang ihnen dies voll und ganz 1 2 2 . So bemächtigten sich Wöllner und Bischof fswerder des schwachen Prinzen Friedrich Wilhelm und durch ihren Einfluß wurde seine Regierung eine der traurigsten Episoden i n Preußens Geschichte. Bi120 v g l . Freimaurer-Lexikon, Spalte 185 f.
121 122
Vgl. Bode, S. 86 f. Vgl. Bode, S. 46 ff.
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
253
schoffswerder, der Schrepfers Apparate geerbt hatte, ließ vor Friedrich W i l h e l m Geister erscheinen, so ζ. B. Julius Cäsar, Marc Aurel, und Leibniz, die strenge Ermahnungen an i h n richteten. Der Prinz zweifelte nicht einen Augenblick an der mystischen Macht seiner Meister, die dann den Geisterzauber zu einer ständigen Einrichtung erhoben. Er wußte nicht, daß hinter den Erscheinungen der sächsische Bauchredner und Physiognomiker Steinert stand 1 2 3 . Durch den Einfluß Wöllners auf den König wurde j a dann auch fast alles wieder zerstört, was unter Friedrich II. an Toleranz und aufklärerischem Geist ins Land gekommen war. Schier unglaublich mutet Wöllners Weihrede des Prinzen vom 17. Juni 1782 an: Als Magus würde der Prinz die K r a f t besitzen: erstens, alle Menschen, die er i n wichtigen Ä m t e r n vorfinde, ganz und untrüglich zu prüfen und nach der Prüfung die Unwürdigen zu entfernen, die Redlichen und Tugendhaften aber u m sich zu sammeln; zweitens, die Untertanen, ohne über sie Bericht einzufordern, — denn deren bedarf ein Magus nicht — glücklich zu machen; drittens, i n die Geheimnisse der fremden Kabinette zu schauen, und ihre Anschläge zu vereiteln, ehe sie zum Ausbruch kommen könnten; viertens i m Kriege zu siegen; fünftens, als ein profaner Gottgelehrter i n der ganzen Welt die wahre von der falschen Religion zu unterscheiden 124 . Rasch durchlief der Prinz die Grade und bewahrte dem Orden bis zuletzt die Treue. Magus ist er freilich nicht geworden. Die Gold- und Rosenkreuzer waren nun gewiß kein esoterischer Geheimbund mehr: i h r Streben galt der Macht schlechthin, und zwar auf geistigem, religiösem und politischem Gebiet. Dies rief Widerstand hervor, der etwa seit 1780 bemerkbar ist. Abgesehen von den politischkirchlichen Bestrebungen warf man ihnen hauptsächlich vor, daß i h r eigentliches Geheimnis, also die vorgeblich esoterische Lehre, i n Wahrheit nur eine überlebte Alchemie zum Gegenstande habe. Die von den Gold- und Rosenkreuzern Angegriffenen gingen aber auch zur Gegenattacke über. Der Aufklärung und den Illuminaten ging es nun vor allem darum, nachzuweisen, daß der Rosenkreuzerorden ein Werkzeug der Jesuiten und der konservativen Reaktion ist. Zunächst sind die Enthüllungen zu erwähnen, die ein vor zwölf Jahren dem Orden beigetretener Rosenkreuzer an die „Berlinische Monatsschrift" 1785 schickt, die dann m i t Rosenkreuzerischen Anmerkungen versehen wurde. Die Rosenkreuzerischen Anmerkungen dürf123 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 1720; v o n diesen Seancen gibt ea mehrere ironisierende Stahlstiche v o n Daniel Chodowiecki. 124 Dargestellt nach Krüger, S. 38.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
ten von Wöllner stammen 1 2 5 . Weitere militante Gegnerschriften erschienen anonym, stammen aber von Freiherrn von Knigge 126. Immer deutlicher wurde der Verdacht ausgesprochen, daß dahinter die jesuitische Machtpolitik stand 1 2 7 . I n München war beispielsweise der Ex-Jesuit Pater Frank gleichzeitig Beichtvater des Kurfürsten Karl-Theodor und Zirkeldirektor der Rosenkreuzer. Er versuchte, seinen ganzen Einfluß geltend zu machen, daß der Kurfürst die Illuminaten verbot. Frank stand auch i n engster Beziehung zu Wöllner: von i h m erhielt er i m Herbst 1785 die „ausgewitterte" Liste der wichtigsten Illuminaten zugeschickt; aber auch i n seiner Eigenschaft als Jesuiten-Beichtvater bewegte er Himmel und Hölle, den langmütigen Kurfürsten zu der die Illuminaten verbietenden „Resolution" zu bewegen 128 . Es läßt sich somit nicht i n Abrede stellen, daß es eine enge Verbindung zwischen den Gold- und Rosenkreuzern und den Mitgliedern des aufgelösten Jesuitenordens gab, und daß dies besonders i n Bayern der Fall war. Andererseits darf man nicht verkennen, daß gegenüber dem I l l u m i natenorden eine Interessengemeinschaft aller kirchlich eingestellten Richtungen bestand. Gerade die Rosenkreuzer hatten Grund genug, die Illuminaten von sich aus zu hassen, da diese, wie bereits gezeigt wurde, ihre aussichtsreichsten Rivalen u m die Nachfolge i n der Strikten Observanz waren. Den Sieg, den die Gold- und Rosenkreuzer m i t Hilfe der Jesuiten über die Illuminaten errangen, hatte jedoch letztlich für sie auch negative Folgen. Selbst die treuesten Mitglieder, die bis dahin noch an das Idealprogramm des Ordens geglaubt hatten, erfaßte Mißtrauen gegen die dogmatisch-kirchliche Haltung der Ordensleitung und Skepsis gegenüber der gesamten Lehre. 125 So nach Nettelbladt f S. 543. Der Abdruck dieses Schreibens findet sich i n „Probierstein für ächte Freymaurer. E i n Denkzettel für Rosenkreuzer, I l l u m i n a t e n u n d irrende R i t t e r " . Kopenhagen 1786: Hier w i r d der F a l l berichtet, daß einem Diakonus eingeredet w i r d , m a n müsse rechtmäßig geweihter Priester der Kirche sein, u m i n den vollkommenen Genuß der Geheimnisse zu kommen. I n der protestantischen Kirche stamme die Weihe nicht v o n den Aposteln, i m Gegensatz zur ununterbrochenen Folge der Abstammung bei den Katholiken. Die Priesterweihe erfordere keine Glaubensartikel, sondern sei eine bloße, obwohl höchst kräftige Zeremonie. E i n m i t den Brüdern verbundener katholischer Bischof könne i h n rechtmäßig zum Priester w e i hen, ohne ein Glaubensbekenntnis zu verlangen, so daß er also ein ebenso guter Protestant bleibe w i e bisher. Tatsächlich erhielt der Diakonus die sieben katholischen Weihen. 126 A . v. Knigge: Uber Jesuiten, Freimaurer u n d deutsche Rosencreutzer. Hrsg. v. Joseph Alois Maier der Gesellschaft Jesu ehemaligen Mitgliede. Leipzig 1781; Beytrag zur neuesten Geschichte des Freymaurerordens i n neun Gesprächen m i t Erlaubnis der Oberen herausgegeben. B e r l i n 1786. 127 Vgl. des näheren Engel, S. 242 ff. sowie Nettelbladt, S. 546 ff. 128 v g l . Freimaurer-Lexikon, Spalte 491 sowie Spalte 775 ff.
4.1. Z u r politischen A n t i t h e t i k der Geheimbünde
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Man erkennt diesen Zusammenhang deutlich aus dem Brief eines „achtgradigen" Bruders an Wöllner vom A p r i l 1786 129 . „Ich bekenne Ihnen vor dem Angesicht Gottes, daß ich keine Neben- oder bösen Absichten habe, allein erstens sind w i r nicht Jesuiten und wenn ich auch annehme, daß dies unter Voraussetzungen noch anginge, zweitens wie soll und kann das Verfahren gegen die Illuminaten verantwortet, j a nur entschuldigt werden? Drittens, kann es verantwortet werden, daß vom Juniorat bis zum achten Grad lauter Chemie betrieben wird? Viertens, von wem möchten Sie wohl mit Gewißheit behaupten, daß er den Lapis zustandegebracht?" Was der Orden braucht, ist jetzt „ein offenes Herz, kein Verschweigen und kein Verstoßen dessen, der nur die Miene anderer Gesinnung anlegt". Das verlangt nach Ansicht des Bruders noch weiteres: „Dazu gehört ferner, nicht postulieren, nicht voraussetzen wollen, was nicht nach richtigen Gründen, historischen Factis und Anwendung gemeinen Menschenverstandes von beiden Seiten als bestimmt angenommen werden kann." Dabei ist dieser Schreiber selbst kein Aufklärer, sondern ein überzeugter Mystiker, der den Grad des Magisters erreicht h a t 1 3 0 . Wöllner antwortet nun dem Bruder, daß er den Orden nie richtig beurteilen werde, wenn er sich nicht zu der Annahme aufschwingen könne, daß es jetzt noch Auserwählte Gottes unter dem Menschengeschlecht gäbe, welche durch Reinlichkeit der Seele über den Rest der Sterblichen erhaben sind und daher mit dem Hauptschlüssel der Natur versehen zur verborgenen Ökonomie Gottes i n dieser Welt gehören. — Der Orden hatte durch seine blanke Machtpolitik auch das Vertrauen der treuesten Anhänger zerstört, und vor allem ihren Glauben an Esoterik und Mystik. Vergeblich versuchten die wenigen Schriften der Rosenkreuzer, die jetzt noch herausgegeben wurden, dies zu vertuschen. Der „Hirtenbrief" von 1785 zieht noch einmal alle Seiten der theosophischen A l chemie i n Verbindung m i t der „geheimen Naturkunde" und der „Experimental-Physik", noch einmal finden sich hier alle Beweise für die Möglichkeit der Metallverwandlung und alle Versprechungen, „durch die philosophische Wiedergeburt zu einem vollkommenen, paradiesischen, nicht mehr durch Krankheit, nicht mehr dem Druck der A r m u t unterworfenen Wesen zu gelangen". Auch w i r d die Hoffnung ausgesprochen, daß die Brüder zu der wahren Auffassung der Alchemie, d. h. 129 130
Abgedruckt bei Nettelbladt,
S. 773 f.
Dies belegt ein Brief, der bei Marx, S. 71 ff. abgedruckt ist, wo einige Jahre zuvor der A u t o r die Hoffnung ausspricht, durch beharrliche A r b e i t m i t dem höchsten Schöpfer i n engste Berührung treten zu können.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
zu der Erkenntnis gelangen, daß die Goldbereitung „nur Zwischenmittel sein kann, sein muß und sein soll" 1 3 1 . Waren nunmehr die Gold- und Rosenkreuzer als esoterischer Geheimbund untergegangen, waren sie als politischer Geheimbund mächtiger denn je. Was Wöllner und seine Umgebung politisch anstrebten, gelang ihnen vollkommen. Finanz-, Justiz-, geistliche und Schulangelegenheiten, Handelsgesetzgebung und auch auswärtige Politik kamen i n ihre Hände. Den König i m Hintergrund, konnte der Orden ohne Umschweife sich i n die Politik mischen, und die oberste Schulaufsicht völlig als „Ordensangelegenheit" behandeln 1 3 2 . I n der Folge bekämpfen die Gold- und Rosenkreuzer m i t größter Energie Illuminaten und Aufklärer, die von ihnen als revolutionäre und atheistische Sekte bezeichnet wurden, als „gefräßige Wölfe" und „Seelenmörder". Der mystische Sinn des Gold- und Rosenkreuzerordens ist durch die Machtpolitik verraten worden. Dennoch ist die Tradition des Mystizismus nicht abgerissen: sie hat sich immer irgendwie geltend gemacht. So finden w i r Parallelen, wie sie zwischen den Welten der Kabbala und dem Hegeischen Da-sein, An-sich-sein, Für-sich-sein gegeben sind, oder zwischen der Kant-Laplaceschen Theorie der Entstehung des Sonnensystems durch eine Kontraktion, die Verdichtung des Urnebels und der Kontraktion der Kabbala, oder auch zwischen Schellings Naturphilosophie, die von der Mystik Jakob Böhmes geprägt ist. Von Interesse ist aber, welche Rolle der Begriff Aufklärung i m deutschen Idealismus spielt und inwieweit die Antithetik der Geheimbünde w i r kungsgeschichtlich erhalten bleibt.
4.2. P r ä l u d i e n z u m V o r m ä r z 4.2.1· Aufklärung jenseits der Aufklärung
W i r haben bereits vorher gesehen, daß neben Kant wesentlich Herder und Schiller das kritische Aufklärungsverständnis des deutschen Idealismus vorbereiten. Für diese Aufklärung jenseits der geschichtsphilosophischen Formation der Aufklärung sind zwei Motivationen richtungweisend: 1. Die Aufnahme und selbständige Weiterbildung der von Kant vorgenommenen präzisen Unterscheidung zwischen Verstand und Vernunft. Der Verstand verfällt der Kritik: I m Zeichen seiner Herrschaft 131 Der Hirtenbrief an die wahren u n d ächten Freymaurer alten Systems, 1785, S. 186 f. 132 Vgl. M . Philippson: Geschichte des preußischen Staatswesens v o m Tode Friedrichs des Großen bis zu den Freiheitskriegen. Bd. 1, Leipzig 1880, S. 207.
4.2. Präludien zum Vormärz
257
wurde i n der modernen neuzeitlichen Welt die Erkenntnis auf endliche Dinge beschränkt: die Existenz all dessen, was sich m i t Verstandesbegriffen nicht fassen läßt, wurde bestritten oder als leere Idealität und Unendlichkeit der endlichen Wirklichkeit beziehungslos gegenübergestellt. Der Idealismus versteht sich als eine Bewegung gegen eine derartige „Verstandeskultur". 2. Diese K r i t i k führt zu einem neuen epochalen Lebensgefühl, zu einer neuen Utopie der Ordnung. Sie w i r d von Hegel als „Bedürfnis nach Wiederherstellung der Totalität" umschrieben, von Friedrich Schlegel als „Sinn fürs Unendliche", von Fichte als Sinn „für die Religion oder die Religiosität" und von Novalis als Sinn „für Poesie". Gleichzeitig ist festzuhalten, daß eine Differenzierung der Begriffe „Aufklärung", „Bildung" und „ K u l t u r " unternommen wurde, zumal dem Bildungsbegriff etliche Bedeutungen auferlegt wurden, die bis gegen Ende des 18. Jahrhunderts noch der Aufklärungsbegriff umfaßte. Novalis fügt Aufklärung i n die „Geschichte des modernen Unglaubens". Sie ist für i h n jene „Philosophie", die „das Resultat der modernen Denkungsart" ist, und alles umfaßt, „was dem A l t e n entgegen war", die „rein wissenschaftliche Ansicht der Dinge geltend" macht und sich zum „neuen Weltsystem" hochstilisiert. Hauptmerkmal dieser k u l t u r kritisch gefaßten Aufklärung sind nach Novalis die Entgegensetzung von „Wissen und Glauben", die „Vernichtung alles Positiven", die T i l gung „jeder Spur des Heiligen" 1 . Jedoch Aufklärung wurde nicht nur negativ verortet: Das Aufklärungsverständnis des deutschen Idealismus ist ein kritisches, d. h. es geht u m eine Modifikation i n der begrifflichen Struktur der permanenten Aufgabe der Aufklärung, und nicht u m ihre Negation. So bewertet 1793 Fichte beispielsweise die Aufklärung i n seiner Schrift „Zurückforderung der Denkfreiheit von den Fürsten Europens, die sie bisher unterdrückten", bei der er als Druckort „Heliopolis, i m letzten Jahre der alten Finsternis" angibt, äußerst positiv: Aufklärung ist hier eine, auf ungehinderter und unbegrenzter „Denkfreiheit" und „freie Untersuchung aller A r t " beruhende und primär durch ihr „allmähliches Fortschreiten" zur Verbesserung der Staatsverfassung führende Erkenntnis und Verbreitung der „anerkannten und nützlichen Wahrheiten". Als m i t dem „Fortgang des menschlichen Geistes" graduell sich vergrößerndes Wissen vom „Menschenwert und Menschenrechten" zielt Aufklärung für Fichte einerseits auf „Verminderung 1 Novalis (Friedrich Freiherr v. Hardenberg): Schriften. Hrsg. v. P. Kluckhöhn u n d jR. Samuel. 2. Aufl., 4 Bde. m i t Begleitband. Darmstadt 1960 ff. „Die Christenheit oder Europa" 1799, Bd. 3, S. 515 f. Vgl. auch früher angegebene L i t e r a t u r zum Aufklärungsbegriff.
17 F i s c h e r
258
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
unseres Elends und Erhöhung unserer Glückseligkeit" und verweist andererseits auf jene „plötzlich hereinbrechende Erleuchtung, die entstehen würde, wenn jeder aufklären dürfte, so viel er könnte" 2 . Dort, wo sich Fichte kritisch gegen die vulgarisierende Aufklärung wendet, gebraucht er den Ausdruck „Auf klär er ei"*. I n seiner Analyse der „Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters", die Fichte 1804 und 1805 als Vorlesungen i n Berlin hielt, w i r d für ihn, ebenso wie für Kant, der Verstand Ansatzpunkt der K r i t i k . Besonders i n der Gestalt des „gesunden Menschenverstandes" gilt er diesem Zeitalter als „Maßstab allen seinen Denkens, Meinens". Es ist daher ein „Zeitalter der absoluten Gleichgültigkeit gegen alle Wahrheit" und erweist sich, verglichen mit den anderen Zeitaltern, allein als „das dem Inhalt nach durchaus vernunftwidrige" 4 . Auch i n seinen „Reden an die deutsche Nation" von 1808 polemisiert Fichte gegen die „Aufklärung des nur sinnlich berechnenden Verstandes" 5 . Jedoch neben dieser Aufklärung erscheint eine positiv aufgefaßte begriffliche Einheit von Aufklärung und Vernunft logisch durchaus denkbar und w i r d von Fichte nirgendwo definitiv ausgeschlossen. Hegels Interesse an der philosophiegeschichtlichen Formation „Aufklärung" ist vielschichtig und von einer Fülle unterschiedlichster Gesichtspunkte geprägt. Einerseits folgt er dem kritischen Ansatz von Kant, andererseits hadert er mit der „Gemeinheit des Verstandes und seine eitle Erhebung über die Vernunft" 6 , gegen die „Plattheit" der Aufklärung 7 und bezeichnet sie als „heftigste Gegnerin der Philosophie" 8 . Die französische Aufklärung lobt er wegen des von ihr provozierten „Empören des Denkens", das alles mitriß, was „Genie, Geist, Talent, Edelmut besaß". Dieser aus Frankreich kommende „große Impuls" bewirkte nach Hegel i n Deutschland zwei philosophisch-weltanschauliche Richtungen, die bloß i n einem, nämlich „ i m Interesse der Freiheit des Geistes übereinkamen". 2 J. G. Fichte: Sämtliche Werke. Hrsg. v . I . H. Fichte, 8 Bde., B e r l i n 1846 1848; Neudruck B e r l i n 1965 (enthält i n den Bänden 9 - 1 1 auch die nachgelassenen Werke Fichtes), Bd. 6, S. 4 ff. u n d 25. 3 So i n seiner polemischen Schrift „Friedrich Nicolais Leben u n d sonderbare Meinungen. E i n Beitrag zur Literaturgeschichte des Vergangenen u n d zur Pädagogik des angehenden Jahrhunderts". 1801, Bd. 8, S. 74. 4 Vgl. die Grundzüge des gegenwärtigen Zeitalters. 1806, Bd. 7, S. 10 ff. u n d 64 ff. 5 Bd. 7, S. 272. 6 G. W. F. Hegel: Über das Wesen der philosophischen K r i t i k überhaupt u n d i h r Verhältnis zum gegenwärtigen Zustand der Philosophie insbesondere. 1802, Bd. 1, S. 186. 7 Phänomenologie des Geistes. 1807, Bd. 2, S. 433. 8 So i n seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Religion", die Ph. Marheineke erstmals 1832 herausgab. Bd. 16, S. 353.
4.2. Präludien zum Vormärz
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Die eine Richtung, die Hegel durch „Seichtigkeit des Wissens und Geistes" kennzeichnet, ist für i h n i n der „Gesamtperson" Allgemeine Deutsche Bibliothek vereinigt. Er nennt: Nicolai, Mendelssohn, Teller, Spalding , Zöllner, Eberhard, Steinbart, Jerusalem. Diese nun betreiben gegen die andere Richtung, die sich nach Hegel durch „Genie, Geist und Vernunftliebe" auszeichnete, eine „verhöhnende Opposition", indem deren Mitglieder „aufs gehässigste angegriffen und herabgesetzt" wurden. Zu diesem „Kranz origineller Individualitäten" zählt Hegel: Herder, Wieland, Lessing, Kant, Hippel, aber auch Schiller, Goethe, Fichte und Schelling 9. Einen anderen und wesentlichen Aspekt Hegelscher Aufklärungseinschätzung finden w i r dort, wo er nicht müde wird, ihre Errungenschaften aufzuzählen und ihr tiefes geschichtliches Recht darzustellen 10 . Sie war es, so Hegel, die „ m i t den Naturgesetzen" dem „ungeheuren Aberglauben der Zeit" entgegentrat und „Recht und Sittlichkeit" auf den „einzig präsenten Boden", nämlich den „des Willens der Menschen gegründet" hat. „Daß der Inhalt vom Geiste selbst i n freier Gegenwart eingesehen werde", ist seit der Aufklärung „das absolute K r i t e r i u m " 1 1 . Hier w i r d jedoch die philosophiegeschichtliche Formation der A u f klärung geschichtsphilosophisch gewertet als Moment einer Entwicklung, für die keineswegs der Nachweis geistesgeschichtlicher Endlichkeit erbracht werden kann, sondern die nur — wie Hegel sich ausdrückt — aufgehoben werden kann als reicherer und tieferer Inhalt, als theoretische und praktische Kontinuität. Aufklärung ist hier „Gestalt des Bewußtseins" oder „Gestalt der Philosophie", sie ist der von Stufe zu Stufe i n einer Reihe von Gestaltungen fortschreitende Entwicklungsproze ß. Hegel reserviert jedoch für die andauernde historische Aktualität einen anderen Begriff: Er nennt dies nicht Aufklärung, sondern Fortschritt. „Fortschritt", „Fortgang" und „Fortschreiten", aber auch „Entwicklung" und „Prozeß" sollen die immanente geschichtliche Spannung zwischen Bewahren und Verändern auf den Begriff bringen. Denn nur dort, wo Wechsel und Dauer aufeinander bezogen werden, läßt sich Fortschritt begreifen. Damit ist aber auch Aufklärung sowohl ein kognitiver wie auch ein realgeschichtlicher Entwicklungsprozeß. Das heißt nichts anderes, als 9
Über Hamanns Schriften 1828, Bd. 20, S. 206 - 208. Vgl. Phänomenologie des Geistes. 1807, Bd. 2, S. 418 ff., sowie: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, erstmals hrsg. v. E. Gans, 1837, Bd. 11, S. 548 ff. 11 Bd. 11, S. 550 - 552. 10
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
daß Hegel die Grundaxiome der Aufklärung zusammendenkt: Aufklärung, als Fortschritt auf den Begriff gebracht, repräsentiert nunmehr sowohl eine Verlaufsbestimmung als auch eine Handlungskategorie und einen Erkenntnisbegriff, sowie ein Strukturmerkmal der Geschichte überhaupt. I n seiner „Geschichte der Philosophie" und seiner „Philosophie der Geschichte" zeigt Hegel die Innen- und Außenseite desselben Geschehens, der Bewegung des Geistes, der sich selbst hervorbringt, und sich zugleich i n konkrete historische Gestaltungen hinein entäußert. Indem nun Hegel Aufklärung als Fortschritt zum Strukturmerkmal der Geschichte macht, w i r d die philosophiegeschichtliche Formation Aufklärung „aufgehoben". Alle transhistorisch gesetzten Ziele von Aufklärung werden restlos i n den Vollzug der Geschichte hineingenommen. Von nun an konvergieren Aufklärung als Fortschritt und Geschichte i n der Kategorie des Prozesses 12. Hegel wendet sich vor allem gegen den abstrakten Fortschrittsoptimismus der Aufklärung. I h m geht es darum zu erkennen, daß das sich selbst hervorbringende Bewußtsein des Absoluten i n der Geschichte aufgeht, daß es „ w i r k l i c h die Weltgeschichte regiert und regiert h a t " 1 3 . Perfektibilität und blinder Fortschrittsoptimismus werden gleichermaßen attackiert: „ I n der Tat ist die Perfektibilität beinahe etwas so Bestimmungsloses als die Veränderlichkeit überhaupt; sie ist ohne Zweck und Ziel" (149). Durch solche Anschauungen degradiert man das Heute, u m sich auf ein Morgen einzustimmen, das sich ins Unendliche verflüchtigt: „Das Höchste scheint das Verändern zu sein", ohne daß man einen Maßstab für diese Veränderung besitzt (150). Hegel erkennt die Gefahr, die der utopische Erwartungshorizont des 18. Jhts. aufgerissen hat. A u f der anderen Seite betont aber Hegel, daß aus der Geschichtlichkeit ohnehin niemand entlassen wird: „Was das Individuum betrifft, so ist es ohnehin jedes ein Sohn seiner Zeit; so ist auch die Philosophie ihre Zeit i n Gedanken erfaßt. Es ist ebenso töricht zu wähnen, irgendeine Philosophie gehe über ihre gegenwärtige Welt hinaus als ein Individuum überspringe seine Zeit 1 4 ." Denn, so führt Hegel mehrmals aus, wer eine andere Zukunft anstrebe „wolle 12 Vgl. die Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte. Bd. 11 sowie Vorlesungen über die Geschichte der Philosophie, erstmals hrsg. v. K . L. Michelet, 1833, Bd. 17, S. 27 - 184. 18 G. W. F. Hegel: Die Vernunft i n der Geschichte. Hrsg. v. Hoffmeister, 5. A u f l . Hamburg 1955, S. 182. Zahlen i n K l a m m e r n beziehen sich auf diese Ausgabe. 14 Grundlinien der Philosophie des Rechts oder Naturrecht u n d Staatswissenschaften i m Grundrisse. Erstmals 1821, dann 1833 i n der Ausgabe v o n E. Gans m i t Zusätzen aus Vorlesungsschriften versehen, Bd. 7, S. 35.
4.2. Präludien zum Vormärz
261
nur eine andere Gegenwart", und wer das Sollen gegen die Wirklichkeit ausspiele, verfehle diese selbst. Hegel ging es darum, die fortschreitenden Bewegungsweisen der Geschichte konkreter zu begründen als bisher. Dies zeigt auch Hegels K r i t i k an dem überkommenen „Zwiespalt zwischen Moral und Politik". Die Diskrepanz beruht nach i h m auf einem irrigen „Formalismus": Man fragt gern, ob „die Menschen i m Fortschreiten der Geschichte und mit ihrer Bildung aller A r t besser geworden, ob ihre Moralität zugenommen habe". Diese Frage verfehle „die Weltgeschichte", die sich „auf einem höheren Boden bewegt", als i h n die Privatgesinnung der Individuen erreicht. Widerstand gegen politische Handlungen, die der „Fortschritt der Idee des Geistes notwendig machte" mag sittlich hoch einzuschätzen sein (170), aber moralische Postulate, deren Erfüllung zugegebenerweise i n der Unendlichkeit liegen, machen aus der Wirklichkeit ein bloßes Provisorium, einen „Zwischenzustand". Die Moralität zehrt davon, daß „Fortschreiten zur Vollendung, wenigstens sein soll", aber damit zeige sich nur, daß es „ i n der Wirklichkeit nicht ist". Hegel w i l l dagegen den Fortschritt i n seinem Vollzug als „das Fortschreiten der Geschichte" begreifen 15 . Die bekannte Formel lautet lapidar: „Die Weltgeschichte ist der Fortschritt i m Bewußtsein der Freiheit, ein Fortschritt, den w i r i n seiner Notwendigkeit zu erkennen haben" (63). Der Weg, den der Geist zurücklegt, ist für Hegel ein Stufengang, auf dem sich die Menschen m i t zunehmendem Bewußtsein ihrer Freiheit versichern und so i n der Welt einrichten. Es kommt darauf an, daß sich der sich selbst wissende Geist „zu einer vorhandenen Wirklichkeit verwirklicht" (74). Der Geist ist also zugleich Antriebskraft und Vollzugsweise des Fortschritts. I n der Spannung zwischen Affirmation und Negation, die den Sog i n die noch nicht gegenwärtige Zukunft auslöst, vollzieht sich die Geschichte als Fortschritt. I m Gefolge Hegels, insbesondere dann der Linkshegelianischen Tradition, bekommt Aufklärung als Fortschritt und Prozeß systematische Funktion, w i r d zum Prinzip und Strukturmerkmal der Gesamtgeschichte der Menschheit. Die Geschichte realisiert ihren Fortschritt über Aufklärungsprozesse, lautet eine wesentliche politische Überzeugung des Vormärz. Dabei ist man bemüht, aus diesem System- und Richtungsbegriff jene programmatischen Kriterien abzuleiten, die für jede gegenwärtige und zukünftige Aufklärung generell konstitutiv sein müssen. 15
Phänomenologie des Geistes. Bd. 2, S. 477.
262
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
Hier ist i n erster Linie K a r l Friedrich Koppen zu nennen, der sich u m die Korrektur fehlgreifender Interpretationen hinsichtlich der Hegeischen Einschätzung der philosophiegeschichtlichen Formation der Aufklärung bemühte und ihr dauerndes Anrecht als Bewußtseinsgestaltung, Geistesrichtung und Erkenntnisprinzip darzustellen versuchte 16 . Aufklärung ist für ihn die Philosophie „als Weltbewußtsein", ein w i r k sames Prinzip der modernen Welt, nämlich „die zur Macht der Wirklichkeit erhobene Philosophiein der „die ganze Zukunft der Menschheit involviert" 1 7 . Arnold Rüge fordert eine „neue Periode der Aufklärung", die die Transformation über Emanzipation und K r i t i k zur „modernen Welt" zu leisten hat. Rüge hält die Rekonstruktion der Aufklärung des 18. Jhts. für notwendig, denn die fortschreitende Radikalisierung der Linkshegelianischen Religionskritik sowie die politische Auseinandersetzung mit den konservativen Kräften seiner Zeit erscheinen i h m als eine neue Aufklärung: „Unsere Zeit ist die fundamentalste Aufklärungsperiode, die es je gegeben hat 1 8 ." Für Rüge sind „Aufklärung, Rationalismus und Liberalismus die drei großen Kategorien der neuesten Geschichte". Dabei versteht er unter Aufklärung eine gnosiologische „Allgemeinheit des Wissens", die zusammen mit dem Rationalismus als dem Inbegriff des „rationalen Systems" der Philosophie die Kategorie der „selbstgewissen und nur sich selbst anerkennenden Vernunft" bildet. Dem gegenüber bedeutet Liberalismus die Kategorie „der sich selbst unerbittlich verwirklichenden Vernunft". Aufklärung und Rationalismus auf der einen Seite, und Liberalismus auf der anderen, verhalten sich demgemäß zueinander wie Theorie und Praxis, Philosophie und Politik 1 9 . Der Aufklärungsbegriff impliziert für Rüge sowohl den theoretischen, als auch den praktischen Aspekt der Autonomie des Geistes, indem sein „innerster Sinn" i n der „Revolution" besteht, die den Menschen ihre „Rechte" restitutiert 2 0 . I n ähnlichem Zusammenhang wie Rüge spricht Bruno Bauer von Aufklärung als progressivem, universalem und totalem Vorgang, ver16 Vgl. dazu insbesondere K. F. Koppen: Friedrich der Große u n d seine Widersacher: Eine Jubelschrift. Leipzig 1840. 17 K. F. Koppen: Rezension v o n Schlosser: Geschichte des 18. Jahrhunderts u n d des 19. I n : Deutsche Jahrbücher 1842, S. 18; vgl. auch: Z u r Feier der Thronbesteigung Friedrich I I . I n : Hallesche Jahrbücher 3, 1840, S. 1180 ff. 18 A . Rüge: Briefwechsel u n d Tagebuchblätter aus den Jahren 1825 - 1880. Hrsg. v. P. Nerrlich, Bd. 1, B e r l i n 1886, S. 220 u n d 246 ff. 19 A . Rüge: Koppen u n d Varnhagen. E i n Gegensatz unserer Zeit. I n : H a l lesche Jahrbücher 3, 1840, S. 1235. 20 A . Rüge: Briefwechsel, S. 259.
4.2. Präludien zum Vormärz
263
wendet aber i m selben Bedeutungskontext „Kritik", „Theorie", „wahre, rücksichtslose Theorie". Es w i r d das Bekenntnis „zur Aufklärung, K r i t i k und ihrem Resultate, der freien Menschlichkeit" gefordert 21 . Aufklärung als Theorie des Fortschritts unterliegt der allgemein von den Linkshegelianern geforderten „Verwirklichung der Philosophie". Sie w i r d zum Zentralbegriff, der die M i t t e l nennt, m i t deren Hilfe K r i t i k den Emanzipationskampf führt. Diese Mittel sind: Rücksichtsloses, intensives und zielbewußtes „Belehren", „Entlarven", „Enthüllen". Aufklärung bezeichnet damit die Praxis der „wahren Theorie". So fordert dann auch K a r l Marx 1843 i n bewußter Anlehnung an die Aufklärungstradition den „kategorischen Imperativ", alle Verhältnisse umzuwerfen, i n denen der Mensch ein „erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist". Die Praxis einer dermaßen entworfenen „Theorie w i r d zur materiellen Gewalt" 2 2 . Die Linkshegelianer, aber besonders dann Marx, verschmolzen die i n der philosophiegeschichtlichen Formation Aufklärung erarbeiteten politischen Zielvorstellungen m i t dem geschichtsphilosophischen Ansatz Hegels, Aufklärung als Fortschritt sowohl kognitiv als auch real i n der Kategorie des Prozesses zu erfassen. Damit hatte der Vormärz seine radikale und dynamische politische Philosophie gefunden. Durch sie ließ sich nun eine Zukunft anvisieren, die stärker als bisher sozial beziehbar ist, und aus deren Ansatz Handlungsanweisungen abgeleitet werden können, unter dem Motto, stets „fortschrittlicher" und „aufgeklärter" zu sein als die anderen. Daß Hegel für die politische Philosophie des Vormärz und darüber hinaus, aber auch für die Wissenschaftsentwicklung bis i n die Gegenwart eine hervorragende Rolle behauptet, ist eine unbestreitbare Tatsache. U m so erstaunlicher ist, daß Hegels Verhältnis zu den Geheimbünden — den Freimaurern, Illuminaten sowie Gold- und Rosenkreuzern — bloß andeutungsweise behandelt wurde 2 3 . Es geht nun i m Folgenden nicht darum, unter diesem Blickwinkel Hegels Leben und Wirken zu reproduzieren, vielmehr gilt es zu zeigen, wie stark die Antithetik der radikalen Bünde i n das 19. Jahrhundert reicht.
21 Vgl. B. Bauer: Feldzüge der reinen K r i t i k . Hrsg. ν. H. M . Sass, Frankf u r t a. M. 1968. U n d v o r allem hier die Stellen aus der grundlegenden Schrift: Die Fähigkeit des heutigen Juden u n d Christen, frei zu sein (1843), S. 189 bis 194. 22 K. Marx: Zur K r i t i k der Hegeischen Rechtsphilosophie. Einleitung. 1844, Bd. 1, S. 385. 23 Vgl. etwa J. D'Hondt: Verborgene Quellen des Hegeischen Denkens. B e r l i n 1972; ders.: Hegel u n d seine Zeit. B e r l i n 1973. Vgl. R. HoSevar, Hegel u n d der preußische Staat, München 1973.
264
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil 4.2.2. Rose im Kreuz oder Eule der Minerva? Hegel und die Geheimbünde
Der Freundeskreis aus den „Tübinger Stiftsjahren" — Hegel, Hölderlin und Schelling — waren dem aufklärerischen Freimaurertum aufs engste verbunden. Einige Beispiele sollen dies belegen: 1795 schreibt Hegel i n einem programmatischen Appell an seinen Freund Schelling: „Vernunft und Freiheit bleiben unsere Losung, und unser Vereinigungspunkt die unsichtbare Kirche." Die „unsichtbare Kirche" ist die bekannte zeitgenössische Metapher für die Freimaurerei. Schelling wiederum berichtet Hegel 1796 von den Fragen, „die man hie und da wegen meiner gemacht hat, ob ich Demokrat, Aufklärer, Illuminât usw. sei" 2 4 . Hölderlin, dem Hegel ein m i t freimaurerischer Symbolik beladenes Gedicht, nämlich „Eleusis", gewidmet hat 2 5 , verwendete sich für ihn 1796 bei der Frankfurter Groß- und Weinhändlersfamilie Gogel wegen einer Hauslehrerstelle, und zwar erfolgreich. Diese Familie bildete i n Frankfurt eine berühmte Freimaurer dynastie 26. Die Frankfurter „Loge zur Einigkeit", i n der die Gogels immer wieder höchste Funktionen hatten, war bekannt für Illuminatenfreundlichkeit, Egalitarismus und Liberalismus 27. Dies illustriert auch eine Proklamation dieser Loge: „Die Gleichheit des Maurers besteht darin: 1. daß i m ganzen Orden weder auf Stand, noch Geburt, noch Reichtum, noch auf irgend andere Verhältnisse, welche i m bürgerlichen Leben oft so drückend sind, die geringste Rücksicht genommen wird. 2. daß jeder Maurer ohne Unterschied zu den höchsten Ehrenstellen i m Orden gelangen kann, sobald er das Vertrauen seiner Brüder verdient und besitzt. 3. daß die Vorgesetzten nichts anderes sind als seine eigenen Repräsentanten 28 ." Hegels Denken wurde ohne Zweifel von dieser freimaurerischen A t mosphäre wesentlich geprägt, zumal er auch i n der Familienbibliothek der Gogels alle damals greifbaren Abhandlungen zur Freimaurerei 24 Briefe v o n u n d an Hegel. Hrsg. v. J. Hoffmeister und F. Nicolin, 3. A u f l . Hamburg 1969, 4 Bde., Bd. 1, S. 18 u n d 37. 25 Vgl. Dokumente zu Hegels Entwicklung. Sammlung v o n unveröffentlichten Schriften aus verschiedenen Epochen. Hrsg. v. J. Hoffmeister, in: Texte u n d Forschungen zur deutschen Philosophie. Hrsg. v. H. Glockner, Bd. 2, 1936, S. 380 ff. 26 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 620. 27 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 491 ff. 28 Annalen der Loge „ Z u r Einigkeit". F r a n k f u r t 1842, S. 281.
4.2. Präludien zum Vormärz
265
und selbst wenig publik gemachte Dokumente konsultieren konnte. Für Jacques d'Hondt ist der „fast ausschließlich maurerische Charakter der Frankfurter Bekanntschaften" unbestreitbar 2 9 . Auch ist bekannt, daß Hegel die Zeitschrift „Minerva" las, „ein Journal historisch-politischen Inhalts", wie es sich selbst nannte. Hegel bestätigt dies und dieser Hinweis erlaubt, einige noch wenig bekannte Aspekte seines geistigen Milieus aufzudecken. Hegel lernt 1794 i n Bern Konrad Engelbert Oelsner, einen Mitarbeiter der „Minerva" kennen, den Verfasser der „Briefe aus Paris" 3 0 . Oelsner war, ebenso wie der Herausgeber der Zeitschrift „Minerva" Johann Wilhelm von Archenholz, Freimaurer. Wie w i r von seinen Biographen wissen, trat Archenholz vehement gegen das Gold- und Rosenkreuzertum auf und verurteilte deren Machtpolitik scharf 31 . Er hatte auch gute Verbindungen zu den Illuminaten und sein publizistisches Werk unterstützte augenfällig diese Denkrichtung. Ein enger Freund von i h m war Bode, der nach Weishaupts Rücktritt die treibende Kraft der mittlerweile verbotenen Illuminatenbewegung war. Hegel las aber nicht nur die Freimaurerzeitschrift „Minerva", er verfolgte auch ein anderes Organ der Freimaurer und Aufklärer, nämlich die „Berlinische Monatsschrift". I n verschiedenen Zeiträumen hat er ihr zahlreiche Auszüge entnommen 32 . Besonderes Interesse fanden bei Hegel die Streitigkeiten der „Berlinischen Monatsschrift" mit der Zensur wegen bestimmter Beiträge von K a n t 3 3 . 1792 hatte der Zensor die Veröffentlichung des Kantschen Texts „Über das Radikal-Böse i n der menschlichen Natur" geduldet, doch die Fortsetzung dieses Beitrages „Von dem Kampf des guten Prinzips m i t dem bösen u m die Herrschaft über den Menschen" wurde zensuriert und die Veröffentlichung i n der „Berlinischen Monatsschrift" verboten. Kant hatte dann die ersten Texte durch weitere Kapitel ergänzt, und so das Buch „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" zusammengestellt, das er 1793 i m damaligen Ausland, nämlich i n Jena, erscheinen ließ. Hegel hat sich zu dieser Zeit, wie seine „Frühschriften" 29
Vgl. J. D'Hondt: Verborgene Quellen des Hegeischen Denkens, S. 242 ff. Hegels Bekanntschaft m i t Oelsner ist belegt durch die „Briefe", Bd. 1, S. 11 f.; vgl. auch Κ. E. Oelsner: Briefe aus Paris über die neuesten Begebenheiten i n Frankreich. I n : Minerva, 14. 1792. I n der Nummer 15 ändert sich der T i t e l i n : „Historische Briefe über die neuesten Begebenheiten i n Frankreich". Vgl. auch Κ . E. Oelsner: Bruchstücke aus den Papieren eines Augenzeugen u n d unparteiischen Beobachters der Französischen Revolution, o. O., 1794. 31 Vgl. L. F. Ruof : Johann W i l h e l m v o n Archenholz. B e r l i n 1915, S. 11. 32 Vgl. dazu Dokumente zu Hegels Entwicklung. 33 Dazu vgl. E. Cassirer: Kants Leben u n d Lehre. B e r l i n 1921, S. 460 ff. 30
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
belegen, lebhaft für „Die Religion" interessiert; sie war vielleicht das erste Buch von Kant, welches er genau studiert hat. Überdies veröffentlichte 1793 die „Berlinische Monatsschrift" einen Beitrag von Fichte, den Hegel damals für einen ganz wesentlichen Philosophen ansah. Hegels Lektüre der Maurerzeitschrift „Minerva" ist i n mehrfacher Hinsicht bedeutsam: Bereits von der Emblematik ist bekannt, daß die Minerva die Wissenschaft versinnbildlicht 3 4 . Die Namenswahl der Zeitschrift verrät auch eine andere Absicht, denn sehr viele Freimaurerlogen nannten sich damals „Minerva". Das Verständnis w i r d tiefer, wenn man die allegorische Gravierung betrachtet, welche die erste Nummer der Minerva ziert; sie zeigt u. a. eine Säule mit der Inschrift: „Den Priestern der Weisheit aller Zeiten". Ein kleines K i n d legt letzte Hand an diese Säule und benutzt eine Maurerkelle, dazu i m Schatten eines Baumes eine Frau, von Kindern umringt. Neben i h r ein Schild mit einem Medusenhaupt und der berühmten, auf Leibniz zurückgehenden Formel: „Die gegenwärtige Zeit ist schwanger mit der Zukunft." Wie sehr dies gerade der Leitspruch der Freimaurer war, wurde bereits angedeutet. A u f der Monumentalsäule erhebt sich aus einem Korb hervorkommend, eine Eule zum Flug, der Vogel jener Minerva, deren Namen die Zeitschrift trägt. Auch die Eule versinnbildlicht Eifer für die Wissenschaft und als Eule der Minerva geistige Arbeit bei Nacht 35 . Damit w i r d auf die i m Verborgenen vor sich gehende Arbeit der Maurer verwiesen. Unten auf der Seite findet sich eine Inschrift, diesmal i n Englisch: „To show the very age and body of the time, its form and pressure." Dieses Motto stammt aus Shakespeares „Hamlet" und lautet i n der Sc/iZegeZ-Übersetzung: „ . . . dem Jahrhundert und Körper der Zeit den Abdruck seiner Gestalt zeigen". Es wurde bereits erwähnt, daß der Minerval die zweite Stufe des Illuminatenordens war, i n die der Novize durch Einweihung gelangte. Er trug ein Medaillon, welches eine Eule mit einem Buch und dem Buchstaben P. M. C. V. (Per me coeci vident) trug. Die Tätigkeit der Minervalenversammlung hatte den Charakter einer Gelehrtenakademie. Der Minerval Illuminatus hatte die Aufgabe, die jüngeren Brüder zu unterweisen und ihren Willen i n Richtung des Ordens zu lenken. 84 Petrus Costalius setzt unter spruch: „ A m besten ist es, w e n n Philosophen herrschen." Vgl. A . Handbuch zur Sinnbildkunst des Sp. 1736 f. 85 Vgl. Costalius, Sp. 97.
das Emblem der M i n e r v a folgenden Sinnentweder Könige philosophieren oder die Henkel, A. Schöne (Hrsg.): Emblemata. 16. u n d 17. Jahrhunderts. Stuttgart 1967,
4.2. Präludien zum Vormärz
267
Die „unsichtbare Kirche" des Illuminatenordens wurde auch Minervalkirche genannt und bedeutete die Versammlung i n der Loge 36 . Dieser Hintergrund läßt uns eine ganze Reihe von Begriffen und Sätzen des Hegeischen Werks neu und anders interpretieren: so läßt sich als bündige Formulierung freimaurerischer Zielvorstellungen, j a sogar illuminatischer, unter anderem folgender Satz lesen: „Die theoretische Arbeit, überzeuge ich mich täglich mehr, bringt mehr zustande i n der Welt als die praktische; ist erst das Reich der Vorstellung revolutioniert, so hält die Wirklichkeit nicht mehr aus 37 ." Dieser Satz könnte genauso aus dem strategischen Programm des Illuminatenführers Weishaupt stammen. Ähnliches drückt auch ein Brief an Goethe aus, wo Hegel den Begriff der „Transsubstantiation " verwendet. Damit ist nichts anderes gemeint, als daß „Denken als politische Tat" i n den Bereich äußerlicher Erscheinungen treten muß. Es geht u m die Transsubstantiation der Bewußtseinsgestalten i n Seinsgestalten und der Seinsgestalten i n Bewußtseinsgestalten 38 . Weitere Parallelitäten drängen sich auf: So ist es durchaus eine mögliche Interpretation, einen Zusammenhang zwischen Hegels „Phänomenologie des Geistes" von 1807 und Goethes großem Roman „Wilhelm Meisters Lehrjahre" von 1795/96 zu ziehen 39 . Beide Werke zeigen, obwohl sie unterschiedlichen Gattungen angehören, Verwandtschaften. Das eine erzählt das Leben eines Menschen und wie er die Erfahrung erwirbt, die es i h m ermöglicht, sich dessen bewußt zu werden, was er ist. Das andere sucht die Reihenfolge der Etappen zu erschließen, die ein menschliches Bewußtsein durchmißt, bis es das Bewußtsein dessen erlangt hat, was es ist. Eine gemeinsame philosophische Grundlage läßt sich eruieren: beide Werke zeigen, jedes auf seine A r t , daß das Bewußtsein sich entdeckt, indem es sich schafft, daß es nicht unmittelbar das verwirklicht, was es i m Grunde verlangt, daß es sich i n einem schrittweisen Bewußt-Werden bereichert, daß es sich i n seiner Vollendung als Resultat und nicht als unmittelbare Gegebenheit darbietet. Es klingt die Idee einer Entwicklung des individuellen Bewußtseins an, das — selbst wenn es von A n fang an hervorragende Wirkungsmöglichkeiten besitzt, diese realisieren muß, u m wirklich zu existieren: Werde, was du bist! I n der Phänomenologie durchmißt das Bewußtsein einen Weg, zwingt zu beunruhigenden Proben, aber jede bestandene Probe offenbart eine neue Wahrheit, 36
Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 1041 f. Briefe, Bd. 1, S. 253. 38 Briefe, Bd. 2, S. 275 f. 39 Vgl. J. W. Goethe: W i l h e l m Meisters Lehrjahre. Artemis-Ausgabe, Zürich u n d Stuttgart, Bd. 7. 87
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
die selbst noch partiell — einseitig, und daher provisorisch ist. Erst am Ende gelangt das Bewußtsein zum absoluten Wissen. I n beiden Texten stellt sich die Entwicklung des Individuums als Erziehung dar, nicht als Erziehung i n Bücherweisheit, die Zugang zu einer fertigen Wahrheit verschafft, sondern als Erziehung, die i n der tätigen persönlichen Erfahrung des Irrtums und seiner Überwindung fortschreitet: Jeder kommt durch seine eigenen Anstrengungen voran, nach so vielen anderen, jedoch dank aller Vorläufer schneller und leichter. Ein derartiges B i l d zeichnet schon Lessing i n seiner Arbeit „Die Erziehung des Menschengeschlechts". I n § 93 heißt es: „Eben die Bahn, auf welcher das Geschlecht zu seiner Vollkommenheit gelangt, muß jeder einzelne Mensch (der früher — der später) erst durchlaufen haben. — I n einem und eben demselben Leben durchlaufen haben? Kann er i n eben demselben Leben ein sinnlicher Jude und ein geistiger Christ gewesen sein? Kann er i n eben demselben Leben beide überholt haben 40 ?" Lessing scheint dort zu zögern, wo Hegels Phänomenologie und Goethes Wilhelm Meister mit einem eindeutigen Ja antworten. Dies entspricht auch dem humanen Optimismus der Freimaurerei. Beide Werke sind getragen von diesem Vertrauen i n den Menschen, i n die Nützlichkeit seiner Bemühungen, i n die Bedeutung seines Lebens. A m Schluß des Wilhelm Meister und am Ende der phänomenologischen Entfaltung hat der Mensch etwas errungen: er hat Festigkeit und Beständigkeit angenommen; er weiß, was er w i l l , weil er das w i l l , was er weiß; i h n stützt jetzt eine Weisheit, die das offene und verborgene Geheimnis der Freimaurer zugleich ist. Bereits Goethes Titel „Wilhelm Meisters Lehrjahre", dessen Erziehung einer geheimen Gesellschaft anvertraut ist, ist eine Anspielung auf die Freimaurerei — auf den Weg des Lehrlings bis h i n zur Erreichung des Meistergrades 41 . I n Wilhelm Meister wie i n der Phänomenologie geht es u m ein etappenweises Vordringen zur Wahrheit, welche sich von Stufe zu Stufe klarer zeigt. Die Phänomenologie bezeichnet nach Hegel einen „Weg der Seele", welche die Reihe ihrer Gestaltungen, als durch „ihre Natur ihr vorgestreckter Stationen durchwandert", als „Weg des Zweifels . . . oder eigentlicher als Weg der Verzweiflung" 4 2 . 40
G. E. Lessing: Die Erziehung des Menschengeschlechts, S. 30. Das Werk berührt Freimaurerintentionen aller A r t , u n d die Maurer selbst erkannten darin durchaus den Stempel eines der Ihren. Vgl. A . Wolfstieg, B. Beyer: Bibliographie der freimaurerischen Literatur. Leipzig 1911 1926, w o W i l h e l m Meister aufgezählt w i r d als Nr. 41561. 42 Phänomenologie des Geistes. Bd. 2, S. 71. 41
4.2. Präludien zum Vormärz
269
Dort, wo Hegel i n seiner „Ästhetik" die symbolische Architektur behandelt und die Mitrashöhlen beschreibt, finden w i r folgenden erläuternden Satz: „Auch i n diesen Mitrashöhlen finden sich Wölbungen, Gänge, die einerseits den Lauf der Gestirne, andererseits auch (wie auch heutzutage i n den Freimaurerlogen, wo man i n viele Gänge geführt wird, Schauspiele sehen muß, usw.) die Wege symbolisch anzudeuten bestimmt scheinen, welche die Seele i n ihrer Reinigung durchzumachen hat 4 3 ." Gewiß kann man Hegels „Phänomenologie" nicht auf einen Anschauungsunterricht des Freimaurertums reduzieren, auch nicht auf einen Kommentar zu „Wilhelm Meister" oder auf eine Auslegung der „Erziehung des Menschengeschlechts" von Lessing. Hegel geht darüber hinaus. I n diesem Darüberhinausgehen hat er jedoch viele Elemente seiner maurerischen Kontakte bewahrt. I n diesem Sinn und i n diesen Grenzen ist der Einfluß der Freimaurerei und der freimaurerischen Schriftsteller auf Hegel nicht zu vernachlässigen. Dies ermöglicht aber auch bei Hegel eine bessere Deutung bestimmter Denkgewohnheiten, die sich seinem Geist aufdrängen, bestimmter Figuren, an denen seine Vorstellungskraft besonders hängt. I n seinem Werk findet sich immer wieder das Problem von Tod und Auferstehung, das Spannungsverhältnis von Werden und Untergehen, indem sich geschichtlicher Fortschritt und Fortschreiten als philosophischer Begriff realisiert 4 4 . A u f die gesellschaftlichen Verhältnisse bezogen, handelt Hegel dieses Problem i n der „Vorrede" zur „Phänomenologie des Geistes" ab 4 5 . Er durchläuft ja eine stürmisch bewegte Epoche, wo man das noch unlängst für ewig Gehaltene untergehen sieht, un43
G. W. F. Hegel: Vorlesungen über die Ästhetik. Erstmals herausgegeben 1835 v o n H. G. Hotho t Bd. 13, S. 290. 44 Vgl. dazu insbesondere den ersten Abschnitt des ersten Buchs v o n Hegels „Wissenschaft der L o g i k " , Bd. 4, S. 87 ff. 45 Vgl. Bd. 2, S. 18 f.: „Es ist übrigens nicht schwer zu sehen, daß unsere Zeit eine Zeit der Geburt u n d des Übergangs zu einer neuen Periode ist. Der Geist hat m i t der bisherigen Welt seines Daseins u n d Vorstellens gebrochen, u n d steht i m Begriffe, es i n die Vergangenheit hinab zu versenken, u n d i n der A r b e i t seiner Umgestaltung. Z w a r ist der Geist nie i n Ruhe, sondern i n immer fortschreitender Bewegung begriffen . . . So reift der sich bildende Geist langsam u n d stille der neuen Gestalt entgegen, löst ein Teilchen dea Baues seiner vorhergehenden Welt nach dem anderen auf, i h r Wanken w i r d n u r durch einzelne Symptome angedeutet; der Leichtsinn w i e die Langeweile, die i m Bestehenden einreißen, die unbestimmte A h n u n g eines Unbekannten, sind Vorboten, daß etwas anderes i m Anzüge ist. Dies allmähliche Zerbröckeln, das die Physiognomie des Ganzen nicht verändert, w i r d durch den Aufgang unterbrochen, der . . . das Gebilde der neuen W e l t hinstellt. . . . Dem Bewußtsein dagegen (ist) der Reichtum des vorhergehenden Daseins noch i n der Erinnerung gegenwärtig. Es vermißt an der neu erscheinenden Gestalt die Ausbreitung u n d Besonderung des Inhalts; noch mehr vermißt es die Ausbildung der Form, wodurch die Unterschiede m i t Sicherheit bestimmt u n d i n ihre festen Verhältnisse geordnet werden."
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
aufhörlich etwas anderes entsteht, das rasch dieselben Ewigkeitsansprüche gewinnt, u m sie alsbald seinerseits wieder zu verlieren. Aber i n diesen plötzlichen Wandlungen des sozialen, nationalen und kulturellen Lebens setzt die Menschheit nichts desto weniger ihren Weg fort, bei jedem Zunichte werden erwacht sie lebendiger. Das B i l d des i n der Zerrüttung aufeinanderfolgender Formen fortdauernden Lebens verdichtet und sammelt sich i m Sinnbild des Phönix. Hegel spricht von dem großen Gedanken, welchen dieses B i l d symbolisiert, nämlich „daß aus dem Leben Tod, aber aus dem Tod Leben hervorgeht" 4 6 . I n t u i t i v geriet ja auch Hölderlin immer wieder i n dieses Problem, wenn er schreibt: „ W i r sterben, u m zu leben 4 7 ." Ebenso versinnbildlicht für Hegel der Phönix das spontane Sichaufheben der Natur: „Das Ziel der Natur ist es, sich selber zu töten und ihre Rinde des Unmittelbaren, Sinnlichen zu durchbrechen, sich als Phönix zu verbrennen, u m aus dieser Äußerlichkeit verjüngt als Geist hervorzutreten 4 8 ." Auch bei den Freimaurern finden w i r j a den Phönix als Wiedergeburtssymbol, vermittelt von der Antike her über die christliche Gedankenwelt. So siegeln ja auch manche Logen m i t dem Phönix und der Unterschrift „Ardeat, ut v i v a t 4 9 ! " Das B i l d des Phönix schwingt auch dort mit, wo Hegel das Leben des Geistes als fortwährenden Tod aus sich selbst beschreibt. Die Phänomenologie schildert die lange Folge von Opfern und schöpferischen Erneuerungen, die das Erfahrungsgefüge des Bewußtseins ausbildet: „Aber nicht das Leben, das sich vor dem Tode scheut und von der Verwüstung rein bewahrt, sondern das i h n erträgt und i n i h m sich erhält, ist das Leben des Geistes." Der Geist, fährt Hegel fort, „gewinnt seine Wahrheit nur, indem er i n der absoluten Zerrissenheit sich selbst findet: diese Macht ist er nicht, als das Positive, welches vom Negativen wegsieht, wie wenn w i r von etwas sagen, dies ist nichts oder falsch und nun, damit fertig, davon weg zu irgendetwas anderem übergehen; sondern er (der Geist; A. d. V.) ist diese Macht nur, indem er dem Negativen ins Angesicht schaut, bei i h m verweilt. Dieses Verweilen ist die Zauberkraft, die es (das Negative; A. d. V.) i n Sein u m k e h r t " 5 0 . 46
Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Bd. 11, S. 112. Vgl. F. Höderlin· Hyperion oder der Eremit i n Griechenland. 1. Bd. 1797. I n : Sämtliche Werke. Hrsg. v. F. Beissner, Stuttgart 1943 ff., Bd. 3, S. 9: „Eins zu sein m i t allem, was lebt, i n seliger Selbstvergessenheit wiederzukehren ins A l l der Natur, das ist der Gipfel der Gedanken u n d Freuden, das ist die heilige Bergeshöh, der Ort der ewigen Ruhe . . . u n d aus dem Bunde der Wesen schwindet der Tod." 48 G. W. F. Hegel: System der Philosophie. 2. Teil: Die Naturphilosophie, Bd. 9, S. 721. 49 Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 1209. 60 Phänomenologie des Geistes. Bd. 2, S. 34. 47
4.2. Präludien zum Vormärz
271
Ganz ähnliche Gedanken prägen j a die Freimaurerei. Der E i n t r i t t i n den Mysterienbund w i r d als E i n t r i t t i n ein neues Leben, als eine nochmalige Geburt des Menschen gedeutet. Die Idee der Wiedergeburt ist eine der ältesten symbolischen Ideen des Menschengeschlechts. Sie selbst kann ohne Wachstumsstufen nicht vollständig und nicht dauerhaft sein, sie bedarf der Betätigung und Entwicklung. Sterben und Wiedererwachen beherrscht die ganze Natur. Dies ist auch die Wanderung des Novizen, wie sie beispielsweise i n Mozarts „Zauberflöte" dargestellt wird, durch Dunkel und Schrecken, seine Wanderung zu den Todesgottheiten, über Totengebeine hinweg, bedrängt von Müdigkeit und Verlassenheit bis h i n zum Licht. Dabei preist Hegel nicht nur Mozarts Musik, sondern ebensosehr Schickaneders Libretto, das „den rechten Punkt getroffen" habe. Die Gegenüberstellung vom „Reich der Nacht" und dem „Sonnenreich" faszinieren Hegel, aber auch die „ M y sterien, Einweihungen, die Weisheit, Liebe, die Prüfungen" 5 1 . Der Grundgedanke, den Hegel teilt, nämlich die Peripathie vom Leben zum Tod und wiederum zum Leben, bleibt immer derselbe und durchzieht das ganze Ritual der Freimaurerei. Auch für Hegel ist die fortwährende Verjüngung des Geistes sowie seine Erhöhung und sein Gestaltwechsel das Ablegen von Schleier u m Schleier und Hülle u m Hülle. Soweit die kursorischen Bemerkungen, die die Beziehungen Hegels zum Gedankengut der Maurerei abstrakt, d. h. primär hinsichtlich der kognitiven Orientierungsschemata skizziert haben. Es gilt nun zu beweisen, daß sich Hegel auch politisch-konkret m i t dem Freimaurertum identifiziert. Die These für das folgende lautet, daß Hegel — von i h m selbst bestätigt — auf die Antithetik der radikalen Flügel des Freimaurertums i n seiner „Philosophie des Rechts" anspielt. I n der berühmt-berüchtigten Vorrede zu dieser Schrift spricht er von der „Rose im Kreuz", welche die Rosenkreuzer meint, und von der „Eule der Minerva", welche die Freimaurer meint 5 2 . Diese Anspielungen sind nur aus dem unmittelbaren Zeitkontext zu deuten: 51 Vorlesungen über die Ästhetik, Bd. 14, S. 203. Vgl. auch S. 524 sowie Bd. 12, S. 376. 52 So heißt es i n zwei Rezensionen Hegels, die i n den „Jahrbüchern für wissenschaftliche K r i t i k " 1829 erschienen, i n einer Replik folgendermaßen: „ F ü r die Talentlosigkeit des Verfassers zum Spaßhaften, i n welchem er es nicht über die dürre Sucht des Hohnes hinausbringt, könnte noch sein Herumreiten auf einer Anspielung angeführt werden, die j a auf die Redensart „Hic Rhodus, hic salta" u n d auf das bekannte Symbol der Rosenkreuzer, welches seine Unwissenheit nicht zu erkennen scheint, gefunden hat." (Bd. 20, S. 392.) I n seinem Aufsatz „Wer denkt abstrakt?", der erst nach Hegels Tod veröffentlicht wurde, n i m m t Hegel scharf u n d negativ gegen die Rosenkreuzerei Stellung, die f ü r i h n identisch ist m i t der Reaktion v o n Kotzebue (vgl. Bd. 20, S. 448 f.).
272
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
Als Hegel 1818 nach Berlin kommt, hatte sich bereits „offen genug" der „Geist der Reaktion" angekündigt. Zu Beginn der Hegeischen „Wirksamkeit fielen die Anfänge jenes unseligen Verfolgungssystems, welches noch die Erinnerung beschämt und erbittert. Gerade Preußen ging voran i n jenen Maßregeln von kleinlichstem Tyrannenstil, welche die Vorboten der Karlsbader Beschlüsse, die Einleitung zu der Politik wurden, ganz Deutschland unter polizeiliche Aufsicht zu stellen" 6 3 . Zwischen der Abfassung der Hegeischen Rechtsphilosophie und ihrer Publikation fallen die Karlsbader Beschlüsse von 1819. Diese Beschlüsse — ein Triumph der konservativen Gold- und Rosenkreuzerischen Polit i k — richten sich gegen die noch bestehenden Reste der Aufklärung, gegen die fortschrittliche freimaurerische Reformpolitik und gegen die Umtriebe der radikalen Burschenschaften. W i r dürfen nicht vergessen, daß gegen Ende des 18. Jhts. die Studentenorden an den Universitäten stark vom Illuminatismus geprägt waren. Die wichtigsten Orden waren die Amicisten, Constantisten, Unitisten und Harmonisten oder Schwarzen Brüder; sie werden Sprecher und Führer weiter Teile der Studentenschaft. Solche Orden gab es i n Göttingen, Halle, Jena, Gießen, Marburg, Mainz, Erlangen, Erfurt, Tübingen, Leipzig, Würzburg und Berlin 5 4 . Sie waren allesamt maurerisch orientiert und begeisterten sich für die Ideen der Französischen Revolution. Durch diese Studentenorden ist eine große Anzahl von einfluß reichen Männern gegangen: So hat der Illuminât und spätere preußische Minister von Hardenberg als Student i n Göttingen einem solchen Orden angehört 55 . Ein führendes Mitglied des Constantistenordens 5β, der sich von Halle aus vor allem an den norddeutschen Universitäten verbreitet hat, war der preußische Zollrat Hans von Held. Nach dem Ausbruch der Französischen Revolution, die von den Constantisten als Morgenröte eines neuen Tages begrüßt wurde, ging Held daran, den Orden auf eine breitere Grundlage zu stellen. Varnhangen von Ense berichtet i n seiner Biographie von Hans von Held über diesen Orden 5 7 , daß er „ein fester Bund" war, der durch „gemeinschaftliche und zusammentreffende Kräfte" das „Joch nichtswürdiger Vorurteile abwerfen wollte". Es gibt nur wenige Menschen, die Energie hätten, sich „dem Strome der Ver53
R. Haym: Hegel u n d seine Zeit. B e r l i n 1857, S. 362. Vgl. des näheren W. Ficht: Die Entstehung u n d der Niedergang der Studentenorden des 18. Jahrhunderts u n d deren enge Verwandtschaft m i t der Freimaurerei. Bayreuther Bundesblatt, Jgg. 14, Nr. 8, Bayreuth 1914, S. 5 ff. 65 Rossberg, S. 111. δβ Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 301. 57 Κ. A. Varnhagen von Ense: Hans v o n Held. Leipzig 1845, S. 5, 13 f. u. 19 f. 54
4.2. Präludien zum Vormärz
273
schlimmerung" entgegenzustellen: Diese müßten den Mantel der Verschwiegenheit u m sich werfen, weil der Verstand von der intoleranten und anmaßungsvollen Dummheit belästigt würde. Erst wenn die Welt schon den Endzustand der Vollkommenheit erreicht hätte, wären die geheimen Gesellschaften überflüssig. Als Hauptzweck der Constantisten w i r d die „Veredelung und Vollkommenwerdung" der Mitglieder angegeben sowie die „praktische Ausübung und Verbreitung" der Tugenden. Die Mitglieder haben vor allem die Pflicht, ihre staatsbürgerlichen Obliegenheiten nur zu erfüllen, „so lange diese nicht i n zu auffallenden Widerspruch treten m i t den höheren Pflichten der Menschlichkeit und den ursprünglichen Forderungen des Naturrechts". Noch enger als der Orden der Constantisten war der Orden der „Schwarzen Brüder" oder „Harmonisten", der i n Jena seinen Hauptsitz hatte, mit der Freimaurerei verknüpft 5 8 . Jena blieb das Zentrum der radikalen Burschenschaften auch zu Hegels Zeiten; sie nannten sich die „Unbedingten". Ideologisch stand diesem Kreis auch der Theologiestudent K a r l Ludwig Sand nahe. A m 23. März 1819 ermordete er den konservativen Schriftsteller Kotzebue — Sympathisant der Gold- und Rosenkreuzer, Feind der „Demagogen" und Nationalisten, zaristischer Spion — i n Mannheim. Es setzten rigorose Maßnahmen gegen die Presse, gegen die nationale und liberale Bewegung, gegen die Freimaurer und gegen die Universitäten ein. Der radikale Flügel der Burschenschaften vertrat eine Theorie individuellen Terrors, i n dem der politische Mord als Krieg einzelner gegen einzelne gutgeheißen wurde. Die philosophischen Wortführer und Rechtfertigungsideologen dieser Burschenschaften waren Jakob Friedrich Fries und der protestantische Theologe De Wette. Die Feindschaft Hegels mit Fries ist alt und datiert nicht erst aus der Vorrede zur Rechtsphilosophie von 1821, wo Hegel wütend Fries attackiert. Fries kam, wie er selbst sagt, durch „Jacobis Gefühlsstimmungen", welche für ihn „von besonderer Bedeutung" waren, zur Überzeugung, daß es „irgendeine Wahrheit des Übersinnlichen" geben müsse, denn: „die allem Sinnlichen überlegenen Ideen von Gottheit und Freiheit könnten aus dem Sinnlichen nicht entsprungen sein" 5 9 . Solide Grundlage für die Feindschaft i n wissenschaftlicher Hinsicht ist Fries' Verbindung von Kantianismus und Sentimentalismus, eine Lehre, die Hegel gänzlich verwirft. Bereits 1811 nimmt Hegel i n einem Brief an Niethammer über Friesens „System der Logik", welches i m selben Jahr i n Heidelberg er58
Vgl. Freimaurer-Lexikon, Spalte 673. E. L. Ch. Henke: Jakob Friedrich Fries. Aus seinem handschriftlichen Nachlaß dargestellt. Leipzig 1867, S. 23. 59
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
schienen ist, Stellung: „Ich kenne den Fries längst, daß er über die Kantsche Philosophie insoweit hinausgekommen ist, als er sie bei ihrer allerletzten Seichtigkeit aufgefaßt hat und sie selbst redlich und fortwährend i n dieselbe verflacht und verwässert. Die Paragraphen seiner Logik und die Erläuterungen dazu sind als besondere Werke abgedruckt. Das erste, die Paragraphen, ist geistlos, gänzlich seicht, kahl, trivial, ohne alle Ahndung von wissenschaftlichem Zusammenhang; die Erläuterungen sind gänzlich seicht, geistlos, kahl, trivial, das saloppeste, erläuternde, unzusammenhängende Kathedergewäsch, das nur ein Plattkopf i n der Verdauungsstunde von sich geben kann 6 0 ." Darüber hinaus dürfte es auch noch persönliche Gründe für die Feindschaft gegeben haben. Hegel sah i n Fries einen vom Schicksal begünstigten Konkurrenten; beide wurden 1804 Privatdozenten und 1805 außerordentliche Professoren. Fries wurde aber bereits 1805 ordentlicher Professor i n Heidelberg, Hegel erst 11 Jahre später, 1816, ebenfalls i n Heidelberg. De Wette, der theologische Anhänger von Fries i n Berlin, versuchte, Hegels Berufung zu vereiteln und die Majorität der Senatoren für Fries zu gewinnen 6 1 . Fries hatte insofern für den Anarchismus und Terrorismus der Burschenschaften die Rechtfertigungsideologie geliefert, da für ihn das Gefühl höher zu bewerten ist als die Erkenntnisprinzipien des Denkens 62 . Die politische Brisanz der Gesinnungsethik wurde i n der Folge der Ereignisse u m Sand noch deutlicher. So schrieb der Theologe de Wette 60 Briefe, Bd. 1, S. 88 f.; Hegel ist nicht der einzige harte K r i t i k e r an Fries. 1814 veröffentlicht Fries einen A r t i k e l i n den „Heidelberger Jahrbüchern" über Farbentheorien, w o die Goethesche Lehre geringschätzig behandelt w i r d u n d Hegel der V o r w u r f gemacht w i r d , daß er sie b i l l i g t . 1816 fragt Goethe bei seinem Freund Boisserée, dem berühmten Kunstsammler an, welches I n d i v i d u u m diesen A r t i k e l geschrieben habe. Boisserée antwortet 1817: „Die Rezension . . . ist v o m Philosophen Fries, da es i h m m i t der Philosophie schlecht ergangen, sich i n einer Damenastronomie, hierauf i n eine Behelfs-Physik u n d n u n endlich i n Judenhaß u n d Teutonismus geworfen, alles u m des lieben Brotes w i l l e n . . . Das Anmaßende, hie u n d da i n eine heuchlerische Wissenschaftsliebe versteckte, seichte Rede von Fries hat eine v o l l k o m m e n ungünstige W i r k u n g bei allen Befangenen gemacht." (Goethe über Fries, Briefe, Bd. 2, S. 418.) Fries hat also neben Hegel etliche Feinde, die i h m nicht verzeihen, daß er die Burschenschaften m i t Gesinnungsethik, Teutonismus u n d Antisemitismus initiierte. 61 Dies bestätigt Karl Rosenkranz u n d er führt weiter aus: „ M a n sieht schon bei diesem W a h l k a m p f u n d den leidenschaftlichen Agitationen, die i h n begleiten, die beiden Parteien, die auf der Berliner Universität sich immer entschiedener einander entgegenstrebten, u n d i n denen sich der große Gegensatz widerspiegelte, der jene ganze Zeit durchdrang." K . Rosenkranz: Hegel als deutscher Nationalphilosoph. Leipzig 1870, S. 148. 62 Vgl. J. F. Fries: System der Philosophie als evidente Wissenschaft. Leipzig 1804. Ders.: Wissen, Glauben u n d Ahndung. Jena 1805; des näheren zur Philosophie v o n Fries vgl. die gute Einführung v o n M . Hasselbladt: Jakob Friedrich Fries. München 1922, bes. S. 32 - 52.
4.2. Präludien zum Vormärz
275
am 31. März 1819 i n einem Brief an die Mutter Sands: „Ein jeder handle nur nach seiner besten Überzeugung, und so w i r d er das Beste t u n . . . So wie die Tat geschehen ist, durch diesen reinen frommen Jüngling, m i t diesem Glauben, dieser Zuversicht, ist sie ein schönes Zeichen unserer Zeit 6 3 ." I n dem Brief eines Studenten vom 20. A p r i l 1819 fand man die Nachricht, de Wette habe i n einer Studentenversammlung geäußert: Wenn Sand einen unwiderstehlichen Trieb zu der Tat gefühlt habe, so habe er Recht getan, sich als Werkzeug Gottes zu betrachten und als Märtyrer Gottes für eine gute Sache zu sterben 64 . Genau solche Ansichten teilten die radikalen Flügel der Burschenschaften, besonders die Jenenser „ U n b e d i n g t e n d e n e n K a r l Ludwig Sand nahestand. Sie vertraten den Friesianischen Grundsatz, daß dort, wo eine durch den freien Willen und eigene Erkenntnis gewonnene Überzeugung vorliegt, dem davon Überzeugten alle Mittel gestattet sind, auch wenn sie dem allgemeinen Sittenkodex widersprechen. Die Tat muß lediglich vor der eigenen Überzeugung verantwortet werden 6 5 . Wie stark die Bindung der radikalen Burschenschaften an ihre Lehrer war, zeigt, daß Sand noch i m Gefängnis De Wettes „Dogmatik" las. A m Abend vor seiner Hinrichtung soll er auf den inneren Deckel von De Wettes „Lehrbuch der christlichen Moral" Gedanken über Leben, Tod und Unsterblichkeit niedergeschrieben haben 6 6 . Aus dieser Überzeugungsethik hatte der Führer der Jenenser „Unbedingten", K a r l Folien, revolutionäre Konsequenzen gezogen und eine Theorie des individuellen Terrors entwickelt: Der politische Mord sei „la guerre des individues, der Krieg einzelner gegen einzelne" 67. Es ist bekannt, daß sich Hegel bereits vor den Karlsbader Beschlüssen gegen De Wettes Friesianismus und gegen einige Aspekte des politischen Treibens der Burschenschaften gewandt hatte. Hegel weist eindringlich Gesinnung und Überzeugung als hinreichende Rechtfertigungsbasis des Handelns zurück. So ist es auch nicht weiter verwunderlich, daß Hegel i n der Vorrede der Philosophie des Rechts abermals Subjektivität, Sentimentalismus und Seichtigkeit der Friesischen Philosophie angreift: Fries hatte sich ja zuvor am Wartburgfest machtvoll 63 Briefe, Bd. 2, S. 449; vgl. auch Κ. A . v. Müller: K a r l L u d w i g Sand. M ü n chen, 2. A u f l . 1925, S. 176. 64 Vgl. M . Lenz: Geschichte der könglichen Friedrich-Wilhelms-Universität zu Berlin. 4 Bde., Halle 1910, Bd. 2, S. 65. 85 K . G. Faber: Student u n d P o l i t i k i n der ersten deutschen Burschenschaft. I n : Geschichte i n Wissenschaft u n d Unterricht. Bd. 21, 1970, S. 77. 88 Müller, S. 172 u n d 195. 87 Vgl. R. Pregizer: Die politischen Ideen des K a r l Folien. E i n Beitrag zur Geschichte des Radikalismus i n Deutschland. Tübingen 1912, S. 69 ff.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
vor den Burschenschaftern zur Schau gestellt. Er w i r d i n dieser Vorrede vor allem vom philosophischen Standpunkt aus kritisiert. Hegel verurteilt nicht das Wartburgfest als solches, sondern besonders die gefühlvollen Phrasen von Fries. Gegen die Grundsätze des Friesianismus und seiner Vertreter spricht sich Hegel eindeutig aus: „Es ist vorzüglich eine der verderbten Maximen unserer Zeit", daß man sich „bei unrechtlichen Handlungen für die sogenannte moralische Absicht" interessiert. „Teils aber ist diese Lehre i n gesteigerter Gestalt wieder aufgewärmt und die innere Begeisterung und das Gemüt . . . zum K r i t e r i u m dessen, was recht, vernünftig und vortrefflich sei, gemacht worden, so daß Verbrechen und deren leitende Gedanken, wenn es die plattesten, hohlsten Einfälle und törichsten Meinungen seien, darum rechtlich, vernünftig und vortrefflich wären, weil sie aus dem Gemüt und der Begeisterung kommen 6 8 ." Diese Sätze richten sich ohne Zweifel gegen die „Überzeugungsethik" Sands, Follens und ihrer Lehrer Fries und De Wette. Hegel lehnt Sands Tat, den politischen Mord, deutlich ab, verurteilt die ihr zugrundeliegende Theorie, verurteilt das, was De Wette ein „schönes Zeichen unserer Zeit" nannte. Hegel sah vor allem die Gefahr darin, daß die burschenschaftlichen Verbindungen nunmehr „den Regierungen Anlaß und Vorwand" gaben, „die demokratische Bewegung als eine demagogische zu verfolgen" 6 9 . „ I n der Stellung, welche sich jetzt ein Mann wie Fries den politischen Tagesfragen gegenüber gab", erblickte Hegel „alles beisammen, was i h m für wissenschaftlich falsch oder für sittlich verkehrt galt". I n den Auswüchsen und „Exzentrizitäten" der Burschenschaften sah Hegel nur „die natürlichen praktischen Konsequenzen einer seichten Gefühls- und einer oberflächlichen Verstandesphilosophie" 70 . Hegel ging es vor allem darum, die Burschenschaften vor dieser gefährlichen Ideologie zu warnen. Verstärkt wendet sich nun Hegel eben gerade gegen diejenigen, die das Bestehende verwerfen, ohne es erkannt zu haben, gegen eine Philosophie, die sich i m Aufstellen willkürlicher Ideale erschöpft. Bereits dem jungen Hegel ging es ja u m „das Verstehen dessen, was ist", denn, so fährt er fort: „nicht das, was ist, macht uns ungestüm und leidend, sondern, daß es nicht ist, wie es sein soll; erkennt man aber, daß es ist, wie es sein muß, das heißt nicht nach W i l l k ü r und Zufall, so erkennen w i r auch, daß es so sein soll" 7 1 . «8 Grundlinien der Philosophie des Rechts, Bd. 7, S. 184 f. 69 Rosenkranz, S. 150. 70 Heym, S. 363. 71 Vgl. G. W. F. Hegel: Die Verfassung Deutschlands. 1800 - 1802, in: Sämtliche Werke, Suhrkamp-Ausgabe, Bd. 1, S. 463; vgl. auch Bd. 7, S. 35 f.
4.2. Präludien zum Vormärz
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Die Karlsbader Beschlüsse, die, wie noch zu erläutern sein wird, ein Produkt und Erfolg der Gold- und Rosenkreuzerischen Machtpolitik sind, bewirkten neben anderem, daß nach Beginn der Restauration die rationalistischen Freimaurerlogen zu Vereinigungspunkten von Liberalen und Demokraten wurden. Ein Teil der Opposition Schloß sich i n diesen Logen zusammen 72 . Die „Rose im Kreuz" t r i t t ins Blickfeld. Bekanntlich wandelt Hegel i n seiner Vorrede zur Rechtsphilosophie dort, wo er sich m i t der geschichtlichen Bedingtheit der Philosophie und ihrer Aufgabe einer Versöhnung m i t der Wirklichkeit auseinandersetzt, das Sprichwort „Hic Rhodus, hic saltus" i n „Hier ist die Rose, hier tanze" um. Er differenziert i n der Folge die Vernunft erstens als „selbstbewußten Geist" und zweitens „als vorhandene Wirklichkeit" und gibt den Grund für die Differenz an: „Die Fessel irgendeines Abstraktums, das nicht zum Begriff befreit ist." Hingegen ist es Aufgabe, die „Vernunft als die Rose i m Kreuz der Gegenwart zu erkennen", und „zu begreifen" 7 3 . Hegel rät also seinen Schülern, die Rose i m Kreuz der Gegenwart zu entdecken. Ein Satz m i t Doppelsinn; w i r müssen fragen: Welche Gegenwart lastet wie ein Kreuz, was bedeutet die Rose und was die Rose i m Kreuz? Zweifellos ist für Hegel das Kreuz der Gegenwart die politische Restauration, der Triumph der Gold- und Rosenkreuzer i n der Hauptstadt Preußens, i n Berlin. Wie Wöllner und Bischof fswerder zuvor die Gunst Wilhelm II., so hatte auch die nächste Generation der Gold- und Rosenkreuzer die Gunst Wilhelm III. erworben. Hier ist insbesondere der Erzieher Wilhelm IV., der restaurative Staatstheoretiker Friedrich Ancillon zu nennen, aber auch der „extremste Wortführer" der sich verbreitenden großen europäischen Reaktion K a r l Ludwig von Haller. Wie ehedem Wöllner und Bischoffswerder gegen die Aufklärung und ihr zentrales Produkt, das „Allgemeine preußische Landrecht" polemisieren, so nun Ancillon und sein Kreis gegen die preußische Reformpolitik und dann gegen den Hegelianismus 74 . Gottlieb Svarez, der eigentliche Schöpfer des Allgemeinen preußischen Landrechts, systematisierte ein Gesellschaftsrecht, das unabhängig von den Standesrechten, den neuen und kommenden Vereinigungsformen einen staatlich lizensierten Raum ausmaß. Das Gesetz stellte es nämlich allen Mitgliedern frei, so lange sie m i t dem Gemeinwohl har72 Vgl. dazu die guten Erläuterungen unter dem Stichwort „Geheime Gesellschaften" bei C. Rotteck / C. Welcker: Staats-Lexikon, 2. A u f l . A l t o n a 1845 ff., 12 Bde., Bd. 5, S. 427 - 454. 75 Bd. 7, S. 35. 74 Vgl. dazu des näheren M . Fischer: Historische u n d theoretische Voraussetzungen des Hegeischen Klassenbegriffs. I n : Hegel-Jahrbuch 1975, K ö l n 1976, S. 108 ff. u n d 114 ff.; R. Koselleck: Preußen zwischen Reform u n d Revolution. Stuttgart 1967, S. 23 ff., 143 ff., 163 ff.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
monisieren, sich zu assoziieren 75 . Damit war die rechtliche Möglichkeit des Übergangs von altständischen Korporationen zu neuen Vereinsbildungen gegeben. Die stürmische Entwicklung des sich wirtschaftlich entfaltenden Bürgertums bekam ihre legale Grundlage. Dies war insbesondere für das Handelsrecht, das j a selbst eine völlig neue Schöpfung des A L R ist, von Bedeutung 76 . Die Entwicklung der modernen bürgerlichen Gesellschaft war damit freigesetzt. Svarez war sich des instrumentalen Charakters dieser Kodifikation durchaus bewußt: „Jede Neuerung i n der Gesetzgebung . . . kann nie erfolgen, ohne daß der Staat oder gewisse Klassen seiner Mitbürger eine A r t von Erschütterung erleiden 7 7 ." Er verstand den einen oder anderen Paragraphen als einen „ W i n k für die Z u k u n f t " 7 8 . Auch der Justizreformer K l e i n weist darauf hin, daß i m A L R vorgeplant wurde, „wo man notwendig weiterrücken muß". Verständige würden überall den „Keim" des Kommenden herausfinden 79 . Es ist vielfach belegt, daß Hegel sich sehr für diese i n die Zukunft weisenden Aspekte des Landrechtes interessiert hat 8 0 . Die Schöpfer des Allgemeinen Landrechts hatten jedoch ihren E n t w u r f i n die sozialen Gegebenheiten weitgehend eingeordnet. Die preußischen Reformbeamten hingegen planten i n der Folge, eine neue Gesellschaft nach ihrem Entwurf zu schaffen oder zumindest die Bedingungen, die eine solche Gesellschaft ermöglichten. Den politisch-theoretischen Hintergrund, daß eine Gesellschaft „machbar" sei, liefert Kants Philosophie. Kant entwarf i n seiner „Metaphysik der Sitten" bekanntlich jene bürgerliche Verfassung, „nach der zu streben uns die Vernunft durch einen kategorischen Imperativ verbindlich macht" 8 1 . Dieses Ziel läßt sich, u m Zufall auszuschließen, nur auf dem Weg der Reform erreichen. M i t Hardenberg, K a r l von Stein und K a r l von Altenstein war die preußische Reformpolitik fest i n der Hand der Freimaurer. Der preußische Regierungschef Hardenberg war auch Mitglied der Illuminaten 75 Allgemeines Landrecht f ü r die preußischen Staaten. 2 Bde., B e r l i n 1796, 3. A u f l . Identisch m i t dem Allgemeinen Gesetzbuch für die preußischen Staaten, B e r l i n 1791, dem die Veränderungen des A L R vorgebunden sind. § 6, I I , 6. 76 Vgl. I I , 8, Abschn. 8 - 10. 77 Svarez zitiert nach R. Koselleck f S. 127. 78 Κ. A. v. Kamptz: Jahrbücher f ü r die preußische Gesetzgebung, Rechtswissenschaft u n d Rechtsverwaltung. Hrsg. i. A . des Königlichen Justizministeriums, B e r l i n 1820 ff., Bd. 41, S. 176. 79 E. F. Klein: A n n a l e n der Gesetzgebung u n d Rechtsgelehrsamkeit i n den preußischen Staaten. Bd. 4, B e r l i n - Stettin 1789, S. 335 ff. 80 Vgl. etwa § 215 der Rechtsphilosophie, Bd. 7, S. 294 f. sowie „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte", Bd. 11, S. 551. 81 I. Kant: Metaphysik der Sitten. 1797, Bd. 6, S. 318.
4.2. Präludien zum Vormärz
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— Knigge hatte i h n geworben 82 . Altenstein gibt als Ziel der Reform an, die alte Verfassung zu beseitigen, i n der „der Mensch nicht als solcher geachtet, sondern nur als Sache anderer Menschen i m Staate" betrachtet werde 8 3 und Hardenberg betont: „Der Wahn, daß man der Revolution am sichersten durch Festhalten am A l t e n und strenge Verfolgung" ihrer „Grundsätze" begegnen könne, ist politischer Wahnsinn. Denn die „Gewalt dieser Grundsätze" ist nach i h m „so groß, sie sind so allgemein anerkannt und verbreitet, daß der Staat, der sie nicht annimmt, entweder seinen Untergang oder der erzwungenen Annahme derselben entgegensehen muß" 8 4 . Hardenberg betont, daß „nicht ein Stand vor dem anderen" begünstigt werden soll, „sondern den Staatsbürgern aller Stände ihre Stellen nach gewissen Klassen" angewiesen werden sollen. „Die natürliche Freiheit" darf nicht weiter beschränkt werden, „als es die Notwendigkeit erfordert". Daraus soll die „Herstellung des freien Gebrauchs der Kräfte der Staatsbürger" folgen 85 . Die Gegner der Reformpolitik und des Hegelianismus, dessen Protektorat ja Hardenberg selbst übernommen hatte, die Gold- und Rosenkreuzer, die durch Mystik, Theosophie, Magie und Alchemie zu den letzten Erkenntnissen gelangen wollten, waren für Hegel freilich die Fessel eines Abstraktums. Jedoch auch anderes drückt Hegel mit der „Rose i m Kreuz" aus: Hegel erinnert damit an die einheitsstiftende und wissenschaftsorientierte K r a f t des älteren Rosenkreuzertums 8β. 82 Knigge schrieb, daß die Werbung Hardenbergs „eine sehr große A k q u i sition sei". 83 Z i t i e r t nach G. Winter: Die Reorganisation des preußischen Staates unter Stein u n d Hardenberg. I. Teil: Allgemeine Verwaltungs- u n d Behördenreform. Bd. 1, Leipzig 1931, S. 391. 84 Winter, S. 305 f.; Die Zitate stammen aus der „Rigaer Gedenkschrift an den K ö n i g " , i n der die Grundgedanken u n d politischen Ziele der Reformation des Staates formuliert sind. A u f Geheiß Napoleons wurde Hardenberg nicht n u r v o m K ö n i g abgesetzt, sondern zur Auswanderung gezwungen. Er fand m i t anderen preußischen Patrioten i n Riga Zuflucht und verfaßte dort die Schrift i m Jahre 1807 unter der M i t h i l f e v o n Altenstein u n d Niebuhr. 85 Winter, S. 316 u n d 319. 88 Daß Hegel das ursprüngliche Rosenkreuzertum gekannt hat, läßt sich über die Bekanntschaft m i t Goethe belegen. Vgl. die zahlreichen Belege für die Bekanntschaft bei F.Nicolin (Hrsg.): Hegel i n Berichten seiner Zeitgenossen. Hamburg 1970. Goethe hat sich nämlich m i t dem Rosenkreuzertum i n den „Geheimnissen" auseinandergesetzt. I m M i t t e l p u n k t der Dichtung steht eine Persönlichkeit, Humanus genannt. Dieser w i r d m i t einem Bunde v o n Männern i n Verbindung gebracht, die ein Kreuz m i t Rosen u m w u n d e n verehren. „Wer hat dem Kreuze Rosen zugesellt? Es schwillt der Kranz, u m recht v o n allen Seiten das schroffe Holz m i t Weichheit zu begleiten. U m leichte Silber-Himmelswolken schweben, m i t Kreuz u n d Rosen sich emporzuschwingen. U n d aus der M i t t e q u i l l t ein h e i l i g Leben dreifacher Strahlen, die aus einem Punkte dringen." (Goethe: Die Geheimnisse, Bd. 3, S. 271 bis 283, S. 275).
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
Dies ist die Rose, die Trost bringt — das Wiedergeburtssymbol — als selbstbewußter Geist, den die vorhandene Wirklichkeit i n ihrem Reifungsprozeß bloß überschatten kann 8 7 . Die Weltanschauung der Goldund Rosenkreuzer bekämpft Hegel i n seiner Philosophie auf allen Linien: Sei es nun, daß er gegen Haller, den „extremsten Wortführer" der Restauration polemisiert, sei es, daß er sich m i t aller Vehemenz gegen Hallers alter ego, gegen Ancillon, ausspricht 88 . Berühmt wurde Haller vor allem durch seine „Restauration der Staatswissenschaften 4' 89. I n der Vorrede zu dieser Arbeit sagt er selbstherrlich, er „ w i r d den Grundirrtum einer falschen Wissenschaft ausrotten". Nachdem die Revolution „ i n ihren Werkzeugen und größtenteils i n ihren Resultaten vernichtet" ist, fordert Haller dazu auf, „auch die Wurzel" zu vernichten, „auf daß sie nicht neue Blätter hervortreibe" 9 0 . Er selbst schmückt sich m i t dem Prädikat eines „Restaurators der Throne und der Völkerfreiheit". Wo Haller diese „Wurzeln" sieht, w i r d alsbald deutlich: „Die herrschende Idee, von der alles ausgeht, und auf die sich h i n wieder alles bezieht, ist immer Freiheit und Gleichheit; welche Formeln dann je nach den Umständen und der Empfänglichkeit der Adepten bald i m engeren, bald i m breiteren Sinn ausgelegt wird, aber stets auf Vereinzelung der Menschen, auf Verwerfung jeder höheren Macht und auf Lösung der geselligen Verhältnisse hindeutet 9 1 ." Immer wieder betont er, daß die Freimaurer die Fürsten zu bloßen Dienern des Staates degradieren wollen und ihre Diener zu öffentlichen Beamten erheben. Nicht Freiheit und Gleichheit ist der natürliche Zustand des Menschen, wie die Maurer behaupten, sondern Herrschaft und Dienstbarkeit. Die Maurerei ist eine „gottlose Sekte", die gleich der Schlange Haut und Farbe wechselt, bald Philosophie und Aufklärung, bald Freiheit und Gleichheit, bald Geist der Zeit und Humanität, bald Einheit und Gleichförmigkeit i m Munde führe 9 2 . 87
Vgl. Phänomenologie des Geistes. Bd. 2, S. 18 f. Vgl. dazu v o r allem § 258 seiner Rechtsphilosophie, Bd. 7, S. 228 - 236 sowie seine „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte", Bd. 11, S. 151 u n d 191 f. 89 Sie erschien erstmals von 1816 - 1825, vgl. C. L. von Haller: Restauration der Staatswissenschaft oder Theorie des natürlich-geselligen Zustands, der Chimäre des künstlich-bürgerlichen entgegengesetzt, 6 Bde., Neudruck der 2. A u f l . Aalen 1964; des näheren vgl. zu Haller E. Reinhard: Carl L u d w i g v o n Haller, der „Restaurator der Staatswissenschaft". München 1933; W. H. v. Sonntag: Die Staatsauffassung Carl L u d w i g v o n Hallers. Jena 1929. 90 Bd. 1, S. I I I ff. 91 C. L. v. Haller: Die Freimaurerei u n d i h r Einfluß i n der Schweiz. Schaffhausen 1840, S. 6. 92 Vgl. des näheren W. Öchsli: Die Geschichte der Schweiz i m 19. Jahrhundert. Bd. 2, Leipzig 1913, S. 541 - 546. 88
4.2. Präludien zum Vormärz
281
Der Staat ist für Haller kein politisches Gemeinwesen, sondern eine Privatexistenz: Das Hauswesen des Fürsten. Die Herrschaft des Fürsten ist daher weder ein A m t noch eine Pflicht, sondern die Ausübung eines absoluten und daher uneingeschränkten Eigentumsrechts. Staatszwecke gibt es überhaupt nicht: Die landesherrlichen Rechte fließen aus der Unabhängigkeit des Fürsten und seinem Eigentum. Staatsbeamte, deren Aufgabe die Regelung nationaler Angelegenheiten ist, gibt es ebenso wenig, weil alle Beamten nur Diener des Fürsten sind. Der Fürst ist oberster Richter und alleiniger Gesetzgeber. Er kann alle Gesetze willkürlich ändern, kann nach Belieben Privilegien und Gnaden erteilen und widerrufen. Der Fürst ist den „Untertanen" i n nichts verpflichtet. Der Bürger w i r d zum „Ding" fürstlicher W i l l k ü r degradiert. Staaten und Reiche sind kraft des Eigentumsrechts erblich und können rechtmäßig veräußert oder geteilt werden. Sklaverei und Leibeigenschaft sind durchaus rechtens und äußern sich i n den Steuern, Tributen und Frondiensten der Masse. Haller hat damit der Machtpolitik der Gold- und Rosenkreuzer ein enormes Argumentationspotential angeliefert. A n den großen deutschen Höfen, die damals mitten i n der Demagogenhetze waren, fanden Hallers Ansichten freudige Aufnahme. A m Hof in Berlin machte sich besonders durch die rege Werbung Ancillons die Ansicht breit, Hallers Arbeit sei ein äußerst brauchbares Werk. Man überlegte sogar, Haller nach Berlin zu berufen, was jedoch durch seinen Abfall vom Protestantismus vereitelt wurde 9 3 . Zusammenfassend umreißt Öchsli Hallers politisches Denken: „Verblüffend war die Folgerichtigkeit, mit der Haller jeden idealen Staatszweck, jede Regentenpflicht leugnete, m i t der er nicht bloß der Revolution i n all ihren Schattierungen, sondern auch dem aufgeklärten Depotismus den Krieg erklärte und alles, was man insgemein als staatsfeindlich und staatsauflösend betrachtete, das Lehenswesen, die weltliche und geistliche Kleinstaaterei, die schroffe Scheidung der Stände, die Leibeigenschaft, die Gerichts- und Steuerprivilegien des Adels, kurz alles Mittelalterliche, Verrottete, bis auf den alten Kanzleistil hinunter als recht und gut i n Schutz nahm 9 4 ." Hegel versucht i n seiner Rechtsphilosophie, die Widersprüche der Hallerschen Doktrin zu enthüllen: Vor allem wendet er sich gegen die Behauptung, daß „die Einführung des Rechtsprechens von Seiten der Fürsten und Regierungen als bloße Sache einer beliebigen Gefälligkeit und Gnade anzusehen" sei. Es ist vielmehr die Aufgabe, die Institutio93 94
Vgl. öchsli. W. Öchsli: Geschichte der Schweiz. Bd. 1, Leipzig 1903, S. 753 f.
282
4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
nen i n ihrer Vernünftigkeit und Notwendigkeit darzustellen 95 . Hallers Restauration ist nach Hegel nur i n einem Punkt konsequent, nämlich i n der „völligen Inkonsequenz" und ihrer „Gedankenlosigkeit". Er w i r f t i h m „den bittersten Haß gegen alle Gesetze, Gesetzgebung, alles förmlich und gesetzlich bestimmte Recht" vor. Dies alles zeigt nach Hegel „Fanatismus", „Schwachsinn" und „Heuchelei" 9 6 . Hegel bekämpft hier Haller anstatt die Gold- und Rosenkreuzer, wen er aber wirklich meint, hat er i n seiner Vorrede zur Rechtsphilosophie angedeutet. Ähnliches wie für Haller gilt für sein alter ego i n Berlin, Friedrich Ancillon. Er übernimmt i m wesentlichen die Lehren von Haller. 1816 vertritt Ancillon die Ansicht, daß das Volk „das Bedürfnis hat, regiert zu werden wie die Kinder; denn beide haben das Bedürfnis, gesichert, entwickelt und erzogen zu werden". Dagegen wendet sich Hegel äußerst scharf i n seinen „Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte": Er sieht darin, daß die handlungsunfähigen Bürger als Rechtssubjekte den Kindern gleichgestellt werden und „ohne eigenen Willen und ohne eigene Einsicht" zu gehorchen haben, die Wurzeln des Despotismus. Genau dasselbe hat j a bereits Kant 1793 festgehalten 97 . Dennoch stellt Ancillon die Völker immer wieder unmündigen Kindern gleich und bestreitet, daß die Souveränität vom Volk ausgehe, preist hingegen den Adel, rechtfertigt den unveräußerlichen Großgrundbesitz i n Junkerhand, lobt das Mittelalter und seine Einrichtungen und sieht i n jeder Aufklärung eine politische Ungeheuerlichkeit 98 . Damit löst sich aber auch Hegels Anspielung auf „die Eule der M i nerva", die „erst m i t der einbrechenden Dämmerung ihren Flug" beginnt. Bei den Illuminaten wurde der Eule eine ganz bestimmte Würde zuerkannt. Sie war dort Zeichen eines wichtigen Grades, des Minervalgrades, und zwar deswegen, weil sie „der Vogel der Minerva, das Emblem der Weisheit und der nächtlichen Arbeit ist", letztlich das Symbol der reformorientierten Logen der Freimaurer. 95
Rechtsphilosophie, Bd. 7, S. 301. Rechtsphilosophie, S. 332 ff. 97 Hegel, Bd. 11, S. 151 u n d 191 f.; I. Kant: Über den Gemeinspruch: Das mag i n der Theorie richtig sein, taugt aber nichts für die Praxis. 1793, Bd. 8, S. 290 f. heißt es: „Eine Regierung, die auf dem Prinzip des Wohlwollens gegen das V o l k als eines Vaters gegen seine K i n d e r errichtet wäre, das ist eine väterliche Regierung (imperium paternale), wo also die Untertanen als unmündige Kinder, die nicht unterscheiden können, was ihnen w a h r h a f t i g nützlich oder schädlich ist, sich bloß passiv zu verhalten genötigt sind, um, w i e sie glücklich sein sollen, bloß v o n dem Urteile des Staatsoberhaupts, daß dieser es auch wolle, bloß v o n seiner Gütigkeit zu erwarten: ist der größte denkbare Despotismus (Verfassung, die alle Freiheit der Untertanen, die alsdann gar keine Rechte haben, aufhebt)." 98 F. Ancillon: Über die Souveränität u n d Staatsverfassungen. B e r l i n 1816, S. 3, 35, 54 f., 76 u n d 93. 98
4.2. Präludien zum Vormärz
283
Gerade zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse und der darauf folgenden Restauration wurde die Unterdrückung der Illuminaten und rationalistischen Freimaurer zu einer A r t Symbol des Kampfes gegen Tyrannei und gegen Gold- und Rosenkreuzertum. Wenn schon nicht ein Bruder, so spricht doch ein Gleichgesinnter zu dem Illuminaten und Freimaurer, dem Staatskanzler Fürst von Hardenberg, dem seit 1819 selbst i n so vielen Dingen die Hände gebunden waren, wenn Hegel bei der Ubergabe seiner neuen Rechtsphilosophie schreibt: „Die wissenschaftliche Bestrebung" dieses Buches ist es, diejenigen Grundsätze zu beweisen, „welche die Natur des Staates überhaupt braucht" und die der preußische Staat „unter der weisen Leitung eurer Durchlaucht . . . teils erhalten, teils noch zu erhalten das Glück h a t " 9 9 . M i t der „Eule der Minerva", die Hegel i n der Vorrede dort erwähnt, wo er die Entfremdung als Bedingung der Philosophie behandelt, bestätigt Hegel zum wiederholten Male seinem Freund und Protektor, auf welcher Seite er unverbrüchlich steht. Der Geist der rationalistischen Freimaurerei und des Illuminatentums w i r k t e fort bis weit i n den Vormärz hinein. Dies kann bloß angedeutet werden: L u d w i g Börne 100 etwa verherrlicht die Freimaurerei als weltgeschichtliche Macht, welche die Mission habe, die Aufspaltung der Menschheit wieder rückgängig zu machen. „ I n dem Bestreben der Freimaurerei spricht sich der höchste Zweck der Menschheit aus" verkündet er i m Jahre 1809, „denn sie suchen alle die Spaltungen, welche durch die Verschiedenheit der Staaten, der Religionen, der Sitten und der Sprachen i n das Menschengeschlecht gebracht worden sind, aufzuheben und abzugleichen". Die Freimaurerei habe noch eine gewaltige Wegstrecke vor sich. Sie könne sich erst dann rühmen, ihre Sendung erfüllt zu haben, wenn sie die Einheit der Menschheit wieder hergestellt habe. „Wenn der Bau geendet ist, gehen die Maurer auseinander. Dann werden alle Menschen als Brüder sich umarmen und die ganze Erde w i r d eine gemeinschaftliche Loge sein 1 0 1 ." Auch die liberale Opposition gegen die konservative Regierungspartei ist vom Gedanken des Illuminatentums und der Freimaurerei getragen. Die Nachwirkung des Ordens war so groß, daß man i m Programm der Liberalen die Parolen Weishaupts und Knigges wiederzuerkennen glaubt 1 0 2 . Eine Analyse des Liberalismus, wie er sich i m 99
Briefe, Bd. 2, S. 241 f. 100 v g l Freimaurer-Lexikon, Spalte 210.
101
Ludwig Börne, zitiert nach Rossberg, S. 231 f. 102 vgl jr Hurther: Denkwürdigkeiten aus dem letzten Dezennium des 18. Jahrhunderts. Schaffhausen 1840, S. 228, A n m . 2.
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4. Die A u f k l ä r u n g u n d i h r Gegenteil
Staatslexikon von Carl Rotteck und Carl Welcker These bestätigen.
darstellt, könnte diese
Der geheimbündlerische Charakter der politischen Auseinandersetzungen t r i t t jedoch immer mehr i n den Hintergrund: die dezidierten politischen A n - und Absichten sind nicht länger Arcanum, Geheimnis, sondern werden zusehends offen ausgetragen. Bereits 1793 erkennt der Freimaurer Ludwig Timotheus Spittler i n der Antithetik der Geheimbünde ein notwendiges Element eines demokratischen und parlamentarischen Prozesses, wenn er schreibt: „ A l l die herrlichen Gesetze aber, wodurch Englands Verfassung während dieser Zeit endlich zur vollendeten Form und Ausbildung gediehen, waren ein Resultat, das sich aus den steten wechselweisen Untersuchungen und Reibungen dieser Parteien ergab." Parteien sind für Spittler Überzeugungsgruppen, „Faktionen" hingegen die Machtträger. M i t dem Blick auf die politische A n tithetik der Geheimbünde sieht er eine künftige politische Differenzierung in Parteien voranschreiten 103 . Die Geburtsstunde der Parteien als öffentliche politische Gesinnungsgemeinschaften hat geschlagen und der moderne Parteibegriff i m politisch-ideologischen wie auch i m verfassungspolitischen Sinn bürgert sich i n die deutsche Sprache ein. „Partei" sei bereits ein „unentbehrliches Schlagwort" geworden, notiert Anfang 1843 K a r l Rosenkranz 104. Damit scheint sich wirkungsgeschichtlich ein vorläufiger Kreis i n dem Maße zu schließen, wie er sich für weitere Fragestellungen öffnet. Bei all den Vereinfachungen und Beschränkungen des behandelten Themas w i r d deutlich, daß den Geheimbünden von Anfang des 17. Jahrhunderts bis i n den Vormärz hinein ein Stellenwert für die Entwicklung der Politik und der Wissenschaften zukommt, der bislang i n seinen umfassenden Zusammenhängen kaum berücksichtigt wurde. Die Geschichte ist j a weder nur kognitiv, noch nur sozial und institutionell: sie ist beides. Der Aufklärung und ihrem Gegenteil korrespondiert im behandelten Zeitabschnitt die sich entwickelnde politische Antithetik der Geheimbünde.
103 L. Th. Spittler, Rezension Th. Sommerville, The History of Political Transactions and of Parties f r o m the Restoration of K i n g Charles the Second to the Death of K i n g W i l l i a m 1793, in: Sämtliche Werke, hrsg. v. Κ . Wächter. Stuttgart, Tübingen 1827 - 1837, Bd. 14, S. 462; vgl. auch: Vorlesungen über P o l i t i k , Bd. 15, S. 118 f. 104 K . Rosenkranz, Über den Begriff der politischen Partei. Rede zum 18. Januar 1843, am Krönungsfeste Preußens. Königsberg 1843, in: H. Lübbe (Hrsg.), Die Hegeische Rechte. Stuttgart 1962, S. 65.
5. Anhang F a m a Fraternitatis
Allgemeine und General Reformation, der gantzen weiten Welt. Beneben der Fama Fraternitatis, deß Löblichen Ordens des Rosenkreutzes, an alle gelehrte und Häupter Europae geschrieben: Auch einer kurtzen Responsion von des Herrn Haselmeyer gestellet, welcher deswegen von den Jesuitern ist gefänglich eingezogen, und auff eine Galleren geschmiedet: Itzo öffentlich i n Druck verfetiget, und allen trewen Hertzen communiceret worden. Gedruckt zu Cassel, durch W i l helm Wessel, Anno M D C X I V . Wihr die Brüder der Fraternitet des R. C. Entbieten allen vnd jeden, so diese vnsere Famam Christlicher meinung lesen, vnsern Gruß, Liebe vnd Gebett. Nachdem der allein weyse vnd gnädige Gott, i n den letzten Tagen sein Gnad vnd Güte so reichlich über das Menschliche Geschlecht außgossen, daß sich die Erkantnuß, beydes seines Sohns v n d der Natur, je mehr vnd mehr erweitert, vnd w i h r vns billich einer glücklichen zeit rühmen mögen, daher dann nicht allein das halbe theil der vnbekandten vnd verborgenen Welt erfunden, viel wunderliche v n d zuvor nie geschehne Werck vnd Geschöpf der Natur, vns zuführen, vnd dann hocherleuchte Ingénia auffstehen lassen, die zum theil die vervnreinigte vnvolnkommene Kunst wieder zu recht brächten, damit doch endlich der Mensch seinen Adel vnd Herrlichkeit verstünde, welcher gestalt er Microcosmus, vnd wie weit sich seine Kunst i n der Natur erstrecket. Ob wol nun auch hiermit der vnbesonnenen Welt wenig gedienet, vnd des Lästerns, Lachens vnd Gespöts jmmermehr ist, auch bey den Gelehrten der Stoltz v n d Ehrgeitz so hoch, daß sie nicht mögen zusammen tretten, vnd auß allem, so Gott i n vnserm seculo reichlich m i t getheilet, i n l i b r u m naturae, oder regulam aller Künsten, sondern möchten, sondern je ein theil dem andern zu wieder thut, bleibt man bey der alten Leyren, vnd muß Bapst, Aristoteles, Galenus, j a was nur einem Codice gleich siehet, wieder das helle offenbahre Liecht gelten, die ohn zweiffei selbsten, so sie lebten, mit großer Frewden sich corrigirten: hie aber ist man so großen Worten zu schwach, v n d ob wol i n Theologia, Physica vnnd Mathematica, die Wahrheit entgegen gesetzt, lesset doch der alte Feind seine list vnd grollen mit hauffen sehen, da
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5. A n h a n g
er durch Schwärmer vnfried vnd Landleuffer, solchen schönen Lauff hindert, vnd verhaßt machet. Zu solchem intent einer general Reformation, hat sich auch hoch vnd lange zeit bemühet, der weyland Andächtige, Geistliche und Hocherleuchtete Vatter Fr. C. R. ein Teutscher vnserer Fraternitet Häupt und Anfänger, dieser, nachdem er auß A r m u t (seiner gleichwohl Adelichen Eltern) i m fünfften Jahr seines Alters, i n ein Kloster versteckt worden) vnd also beyde Spraachen, Griechische vnd Lateinische ziemblich erlernet, w i r d er einem Bruder P. A. L. so eine Reyse zum Heyligen Grab fürgenommen, (auff sein embsig flehen vnd bitten) noch i n blüender Jugend, zugegeben: Ob wol aber dieser Bruder i n Cypern gestorben, vrid also Jerusalem nicht gesehen, kehret doch vnser Fr. C. R. nicht vmb, sondern schiffet vollend hinüber, vnd zohe auff Damascum zu, willens, von dannen Jerusalem zubesuchen, als er aber wegen Leibesbeschwerlichkeit alldar verharren, vnd wegen des Artzneyens (dessen er nicht onbericht war) der Türcken Gunst, erhielte, würde man ohnegefehr der Weysen zu Damasco i n Arabia zu rede, was Wunders dieselben trieben, vnd wie jhnen die gantze Natur entdeckt were, hierdurch wurde das hohe und edle ingenium Fr. C. R. C. erweckt, daß jhme Jerusalem nicht mehr so hoch, als Damasco, i m sinn läge, kondte auch seine Begierde nicht mehr meistern, sondern verdinget sich den Meistern Arabern, jne vmb gewisses Geld nach Damascon zu lieffern, nuhr 16. Jahr war er alt, als er dahin kahme, gleichwohl eines starcken teutschen Gewächs, da entpfingen j h n die Weysen, als er selber bezeuget, nicht wie einen Frembden, sondern gleichsamb auff denen sie lange gewartet hetten nenten jne auch mit Nahmen, zeigten jhme auch andere Heimblichkeiten auß seinem Kloster an, dessen er sich nicht genugsamb verwundern können, allda lehrnet er die Arabische Spraach besser, wie er dann gleich i n folgendem Jahr das Buch v n d l i b r u m M. i n gut Latein gebracht, vnnd m i t sich genommen: Diß ist der ort, da er seine Physic und Mathematic geholet, deren sich billich die Welt hette zu erfrewen, wann die Liebe grosser, vnd des mißgunstes weniger were: Nach drey Jahren kehret er wieder vmb, mit guter Erleubnuß, schiffet auß dem sinu Arabico i n Ägypten, da er nicht lange geblieben, allein daß er nunmehr besser achtung auff die Gewächß vnd Creaturn acht gebe, überschiffete das gantz Mare mediterraneum, auff daß er kähme gen Fez, dahin jhnen die Arraber gewiesen, v n d ist das billich eine schand, daß so weit entlegene Weysen nicht allein eynig, v n d allen Zanckschrifften zu wieder, sondern auch i n Vertrawung v n d eröffnung jhrer Heimlichkeiten so geneigt vnd w i l l i g sein. Alle Jahr schicken die Arraber vnd Africaner zusammen, befragen einander auß den Künsten, ob nicht vielleicht etwas bessers erfunden,
Fraternitatis
287
oder die Erfahrung jhre rationes geschwächt hette, da kommet järlich etwas herfür, dadurch Mathematica, Physica v n d Magia (dann hierinn sind die Fessaner am besten), gebessert werden, wie es dann Teutschland nunmehr, weder an Gelehrten, Magis, Cabalistis, Medicis vnd Philosophis nicht mangelt, da man es einander möchte zu lieb thun, oder der gröste hauff nicht wolte, die waid allein abfretzen: Z u Fessanum (oder Fez) machet er kundschafft zu den (wie man sie zu nennen pflegt) Elementarischen Inwohnern, die jhme viel des jhrigen eröffneten, wie dann auch w i r Teutschen viel des vnserigens köndten zusammen bringen, da gleiche Eynigkeit vnter vns, vnd da man m i t gantzem ernst zusuchen begerete: Von diesen Fessanern bekendt er offt, daß j h r Magia nicht aller rein, auch die Cabala m i t jhrer Religion befleckt were, nichtsdestoweniger wüste er sie jhme treflich nutz zu machen, vnd befand noch bessern grund seines Glaubens, als welcher just mit der gantzen Welt Harmonica concordiert, auch allen periodis seculorum wunderbarlichen i m p r i m i r t were, vnd hierauß schlossen sich die schöne Vereynigung, daß gleich wie i n jedem Kernen ist ein guter gantzer Baum oder Frucht, also die gantze grosse Welt i n einem kleinen Menschen were, dessen Religion, Policey, Gesundheit, Glieder, Natur, Spraache, Worte vnd Wercke, alle i n gleichem tono v n d Melodey, m i t Gott, Himmel vnd Erden ginge, was darwieder, das were jrrung, Verfälschung, vnd vom Teuffei, welcher allein das erste mittel vnd die letzte vrsach der Weltlichen Dissonantz, Blindheit, v n d Dumbensucht: Also möchte freylich einer alle v n d jede Menschen des Erdbodens examiniren, würde er befinden, daß das Gute v n d Gewisse jmmerdar m i t jhme selbst eins, das ander m i t Tausenderley jrriger meinung befleckt ist. Nach zweyen Jahren verließ Fr. R. C. Fessam, vnd fuhr mit vielen köstlichen stücken i n Hispaniam, verhoffend, weil er solche Reyse jhme selbsten so wol angelegt, da würden sich die Gelehrten Europae höchlich m i t jhme erfrewen, vnd nunmehr alle jhre Studia nach solchen gewissen fundamenten reguliren: Besprachte sich derowegen m i t den Gelehrten i n Hispania, worinnen es vnsern artibus fählete, vnd wie jhnen zu helffen, worauß die gewisse Indicia volgender seculorum zunehmen, vnd worinnen sie müssen m i t den vergangenen concordiren, wie der Ecclesiae mangel vnd die gantz Philosophia moralis zuverbessern: er zeigte jhnen newe Gewächs, newe Früchte, Thiere, die sich nicht nach der alten Philosophia richteten, vnd gab jhnen newe axiomata für die Hand, so durchauß alles salvierten, aber es war jhnen alle lächerlich, vnd weil es noch new, besorgten sie, j h r grosser Nähme würde geschmälert, so sie erst lehrnen, v n d jhre vieljährige j r r u n g bekennen solten, des jhren weren sie gewohnet, vnd hette ihnen auch
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5. Anhang
genug eingetragen: Ein anderer, deme mit Vnruhe gedienet, möchte eben wohl reformiren. Diß Liedlein wurde jhme von andern Nationen auch vorgesungen, welches jhnen destomehr bewegte, weil er sichs i m wenigsten nicht versehen, vnd nuhn bereit were, alle seine Künste miltiglich den Gelehrten mitzutheilen, da sie allein solcher mühe, auß allen faculteten, scientien, Künsten, vnd der gantzen Natur, gewiße ohnfehlbahre axiomata zuschreiben, sich vnterwinden wollen, als welche er wüste, daß sie als einem globo gleich, sich nach dem eynigen Centro richten würden, vnd wie es bei den Arabern i m brauch, allein den Weysen zu einer Regul dienen sollen, daß man also auch i n Europa ein Societet hette, die alles genug von Goldt vnd Edelgestein habe, vnd es den Königen zu gebührenden propositis mittheilen köndte, bey welchen die Regenten erzogen würden, die alles das jenige, so Gott dem Menschen zu wissen zugelassen, wüsten, vnd i n Notfällen möchten (als der Heyden Abgötter) theils gefragt werden, gewißlichen w i h r müssen bekennen, daß die Welt schon damahls m i t so grosser Commotion schwanger gangen, vnd i n der Geburt gearbeitet, auch so vnverdrossen rühmliche Helden herfür gebracht, die mit aller Gewalt durch die Finsternuß v n d Barbarien hindurch gebrochen, vnd vns schwächern nur nachzudrucken gelassen, vnd freylich der Spitz i n Trigono igneo gewesen, dessen Flammen nunmehr je heller leuchtet, vnd gewißlichen der Welt den letzten Brand anzünden wird. Ein solcher ist auch i n seiner Vocation gewesen, Theophrastus, so gleichwohl i n vnsere Fraternitet nicht getretten, aber doch den L i b r u m M. fleissig gelesen, v n d sein scharffes ingenium dardurch angezündet: Aber diesen Mann hat der Gelehrten v n d Naßweysen Vbertrang, auch i n dem besten Lauff gehindert, daß er sein Bedencken von der Natur nimmer friedlichen mit andern conferiren, v n d deßwegen i n seinen Schrifften mehr der Fürwitzigen gespottet, als daß er sich gantz sehen lassen, doch ist gedachte Harmonia gründlich bey jhme zu finden, die er ohn zweiffei den Gelehrten mitgetheilet hette, da er sie grösserer Kunst, dann subtiles vexirens würdiger befunden, wie er dann auch m i t freyem vnachtsamen Leben seine zeit verlohren, vnd der Welt jhre thörichte Frewde gelassen. Damit w i r aber vnsers geliebten Vatters Fr. C. R. nicht vergessen, ist selbiger nach vielen müheseligen Reysen, v n d übel angelegten trewen Informationen, wiederumb i n Teutschland gezogen, welches er (vmb schirestkünff tiger änderung vnd wunderbarlichen gefehrlichen Kampff s willen) hertzlich lieb hatte, allda, obwol er mit seiner Kunst, besonders aber de transmutatione metallorum wol hette können prangen, ließ er jhme doch den Himmel vnd dessen Bürger, den Menschen viel höher angelegen sein, dann allen Pracht, bawete jedoch i h m ein fügliche vnd
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saubere habitation, i n welcher er seine Reysen, vnd Philosophiam ruminirte, vnd i n ein gewiß Memorial brachte) i n diesem Hause sol er ein gute zeit mit der Mathematick zugebracht, v n d vieler schöner Instrumenten, ex omnibus hujus artis partibus, zugerichtet haben, davon vns doch nichts, als ein wenig geblieben, wie nachfolgendes zu vernehmen: Nach fünff Jahren kahm jhme die erwünschte reformation abermal zu sinn, vnd weil er an anderer Hülff vnd Beystand verzagte, darneben aber für seine Person arbeitsam, hurtig v n d unverdrossen war, nimpt er jhme für, mit wenigen adjuncten vnd Collaboranten selbsten ein solches zu tentiren, begehrt derohalben auß seinem ersten Kloster (als zu welchen er besondern affect trüge) drey seiner Mitbrüder, Fr. G. V. Fr. I. A. vnd Fr. I. O. als welche ohne das i n Künsten etwas mehrers, dann damahln gemein, gesehen: diese drey verobligirte er jhme auffs höchste, getrew, embsig, vnd verschwiegen zu sein, auch alles das jenig, dahin er jhnen würde anleytung geben, m i t höchstem fleiß auffs Pappier zu bringen, damit die posteritet, so durch besondere Offenbarung künfftig sollen zugelassen werden, nicht m i t einer Silben oder Buchstaben betrogen würde. Also fieng an die Brüderschafft des R. C. erstlich allein unter 4. Personen, vnd durch diese ward zugericht, die Magische Spraache vnd Schrifft m i t einem weitleufftigen Vocabulario, weil w i r vns deren noch heutiges Tages, zu Gottes Ehr v n d Ruhms gebrauchen, v n d grosse Weißheit darinnen finden: Sie machten auch den ersten Theil des Buchs M. weil jhnen aber die Arbeit zu groß worden, vnd der Krancken vnglaublichen zulauff sie sehr hinderten, auch allbereit sein newes Gebäw S aneti Spiritus genennet, vollendet war, beschlossen sie noch andere mehr i n j h r Gesell- vnd Brüderschafft, zu ziehen: hierzu wurden erwehlet Fr. R. C. seines verstorbenen Vatters Bruder Sohn Fr. B. ein geschickter Mahler G. G. v n d P. D. jhre Schreiber, alle Teutschen biß an I. A. daß j h r also achte, alle lediges Standes vnd Verlobter Jungfrawschafft waren, durch welche gesamblet würde, ein Volumen, alles dessen so der Mensch jhme selbst wünschen, begehren oder hoffen kan: Ob w i h r nun wohl freywillig bekennen, daß sich die Welt innerhalb hundert Jahren treflich gebessert, seynd w i h r doch vergewissigt, daß vnsere axiomata vnbeweglichen werden bleiben, biß an den Jüngsten Tag, vnd nichts w i r d die Welt auch i n jhrem höchsten vnd letzten A l t e r zusehen bekommen, dann vnsere Rotae nehmen jhren anfang von dem Tag, da Gott sprach: Fiat, vnd enden sich, wann er sprechen wird, Pereat, doch schlägt Gottes V h r alle minuten, da vnsere kaum die gantze stunden: W i r gläuben auch festiglich, da vnsere geliebte Vätter vnd Brüder, weren i n jtziges vnsers helles Liecht gerahten, sie hetten dem Bapst, Machomet, Schrifftgelehrten, Künstlern vnd Sophisten, besser i n die Woll gegriffen, v n d ihr hülffreichs gemüht, nicht nuhr m i t seufftzen vnd wünschung der Consumation erwiesen. Fischer
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5. A n h a n g
Als nuhn diese acht Brüder dergestalt alles disponirt vnd gerichtet hatten, daß numehr keine sondere Arbeit vonnöhten, vnd auch jeder ein vollkommen diseurs der heimlichen vnd offenbahren Philosophy hatte, wolten sie auch nicht lenger beyeinander bleiben, sondern wie es gleichs anfangs verglichen, theileten sie sich i n alle Land, damit nicht allein ihre axiomata i n geheimb von den Gelehrten schärffer examiniret würden, sondern auch sie selbst, da i n einem oder andern Land einige observation ein jrrunge brächte, sie einander möchten berichten. Ihre Vergleichung war diese: 1. keiner solle sich keiner andern profession außthun, dann krancken zu curiren, vnd diß alles umbsonst: 2. keiner sol genötigt sein, von der Brüderschafft wegen ein gewiß Kleid zu tragen, sondern sich der Landes art gebrauchen: 3. ein jeder Bruder soll alle Jahr sich auff C. Tag bey S. Spiritus einstellen, oder seines aussenbleibens vrsach schicken: 4. ein jeder Bruder sol sich vmb ein tügliche Person vmbsehen, die j h m auff den fall möchte succediren: 5. daß Wort R. C. sol j h r Siegel, Losung vnd Character sein: 6. die Brüderschafft sol ein hundert Jahr verschwiegen bleiben. A u f f die 6. A r t i c u l verlobten sie sich gegen einander, v n d zogen die 5. Brüder davon, allein die Brüder B. vnd D. blieben bey dem Vatter Fr. R. C. ein Jahrlang, als diese auch auszogen, blieb bey j h m sein Vetter vnd Fr. I. O. daß er also die Tag seines Lebens immer zween bey sich hatte: V n d wiewol die Kirch noch ohngeseubert war, wissen w i r doch, was sie von jhro gehalten, vnd worauff sie m i t verlangen warteten: A l l e Jahr kamen sie m i t Frewden zusammen, vnd thaten jhres verrichtens außführliche relation, allda muß es freylich lieblich gewesen sein, alle Wunder so Gott i n der Welt h i n und wieder außgestrewet, warhafftiglich vnd ohne gedieht anhören zuerzehlen: Sol auch männiglich vor gewiß halten, daß solche Personen, die von Gott v n d der gantzen Himmlischen Machina zusammen gerichtet, v n d von den weysesten Männern, so i n etlichen seculis gelebt, außgelesen worden, i n höchster Eynigkeit, gröster Verschwiegenheit, vnd möglichster Gutthätigkeit vnter sich selbsten, vnd vnter andern gelebt: i n solchem jhrem löblichsten Wandel, gieng j h r Leben dahin, vnd wiewohl jhre Leiber aller Kranckheit v n d Schmertzen befreyet waren, köndten doch die Seelen den bestimpten puneten der Auflösung nicht überschreiten: Der erst auß dieser Fraternitet, war I. O. starb i n Engelland, wie j h m Fr. C. längst zuvor gesagt hatte, er war i n der Cabala sehr fertig, v n d besonders gelehrt, wie dann sein Büchlein H. genennt, solches bezeuget, i n Engelland weiß man auch viel von jhme zu sagen, besonders weil er einem jungen Graffen von Nortfolgt den Aussatz vertrieben: Sie hatten beschlossen, daß so viel immer müglich, jhre Begräbnussen verborgen blieben, wie vns dann heut zu Tage nicht bewust, wo jhrer etzliche ge-
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blieben, doch ist jedes stelle mit einem tauglichen successore ersetzt worden, daß wollen w i r aber Gott zu Ehren hiermit öffentlich bekennt haben, daß, was w i h r auch auß dem Buch M. heimlichs erfahren, (wiewohl w i h r der gantzen Welt imaginem vnd contrafactur können für äugen haben) ist vns doch weder vnser Vnglück vnd Sterbstündlein bewust, welchs jhme der grosse Gott vorbehelt, vnd vns i n steter bereitschafft w i l haben, darvon aber weitläufftiger i n vnserer Confession, darinnen w i h r auch 37. Vrsachen anzeigen, warumb w i h r an jetzo vnser Brüderschafft eröffnen, vnd solche hohe mysteria freywillig, vngezwungen, vnd ohne alle Belohnung anbieten, auch mehr Goldt, als der König i n Hispania auß beyden Indien bringet, versprechen, dann Europa gehet schwanger, vnd w i r d ein starkes K i n d gebären, das muß ein grosses Gvatterngeld haben. Nach Fr. O. Todt, feyret Fr. R. C. nicht, sondern berüfft die andere, so bald er mochte, zusammen, vnd w i l vns schier bedüncken, damahls möchte sein Grab erst gemacht worden sein: Ob wohl w i r (die Jüngere) bißher gar nicht wüsten, wann vnser geliebter Vatter R. C. gestorben, vnd mehr nicht hatten, als die blosse Nahmen der Anfänger, vnd aller Sucessorn, biß auff vns, wüsten w i r vns doch wohl noch einer Heimlichkeit zu erinnern, so A. des D. Successor, der der letzte aus dem andern Reyen m i t vielen auß vns gelebet, durch verborgene Reden von den 100. Jaren, vnd vns den dritten Reyen vertrawet, sonstet müssen w i r bekennen, daß nach A. Todt, vnser keiner das wenigste von Fr. R. C. vnd seinen ersten Mitbrüdern gewust, ausser deme, was i n vnser Philosophischer Bibliotheca von jhnen vorhanden gewesen, darunter vnser Axiomata das fürnembste, Rotae Mundi das künstlichste, v n d Proteus das nützlichste von vns gehalten worden, wissen also nicht gewiß, ob die, des andern Reyen, gleicher Weißheit, m i t den ersten gewesen, vnd zu allem zugelassen worden: Es sol aber der großgünstige Leser nachmahln erinnert sein, daß, was w i r an jtzo von seiner des Fr. R. C. Begräbnuß nicht allein erfahren, sondern auch hiermit öffentlich kundt thun, also von Gott versehen, erlaubt, vnd injungiret worden, deme w i r mit solchen Trewen nachkommen, daß wo man mit bescheidenheit vnd Christlicher Antwort, vns wiederumb w i r d begegenen, w i h r nicht schewens haben wollen, vnser Tauff vnd Zunahmen, vnserer Zusammenkunfft, vnd was jmmer an vns möchte begehret werden, i n offenem Truck zueröffnen. So ist nuhn die Warheit vnd gründliche relation, der erfindung des Hocherleuchten Manns Gottes Fr. C. R. C. diese: Nachdem A. i n Gallia Narbonensi seliglich verschieden, kahm an seine statt vnser geliebter Bruder N. N. dieser, als er sich bey vns eingestellt, v n d das solenne Fidei et silentij Juramentum praestiren sollen, berichtet er vns i n ver*
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trawen, es hette jhnen A. vertröstet, diese Fraternitet würde in kurtzem nicht so geheim, sondern dem gemeinen Vatterland Teutscher Nation, behülflich, nothwendig vnd rühmlich sein, dessen er sich i n seinem Stand i m wenigsten nicht zubeschämen: Folgends Jahr, als er schon sein Schulrecht gethan, vnd seiner gelegenheit nach, mit so stattlichem Viatico oder Fortunatus Säckel zuverreysen willens, gedachte er (als der sonsten ein guter Bawmeister war) etwas an diesem Gebäw zuverändern, vnd füglicher anzurichten, i n solcher renovatur kahm er auch an die memorial tabellen, so von Messing gegoßen, v n d eines j e d e m der Brüderschafft Nahmen, sampt wenigem anderm innen hielte, diese wolt er i n ein ander vnd füglicher Gewölb transferiren, dann wo Fr. R. C. (oder wann er gestorben, auch i n was Landen er möchte begraben sein) wurde von den A l t e n verhalten, v n d war vns vnbewust: A n dieser Taffei nun steckte ein grosser Nagel etwas stärcker, also daß, da er mit gewalt außzogen wurde, er einen ziemblichen Stein von dem dünnen Gemäwr oder Incrustation, über die verborgen Thür m i t sich nähme, vnd die Thür ohnverhofft entdeckte, dahero w i h r m i t Frewden vnd verlangen, das übrige Gemäwr hinweg geworffen, vnd die Thüre geseubert, daran stund gleich oben m i t großen Buchstaben geschrieben: Post C X X annos patebo
Sampt der alten Jahrzahl darunter, darüber w i r Gott gedanckt, vnd desselbigen Abends (weil w i r vns erst i n vnserer Rota wolten ersehen) beruhen lassen, (zum drittenmal referieren w i h r vns auff die Confession, dann was w i r hie offenbahren, geschieht den Würdigen zum behelff, den Vnwürdigen sol es ob Gott w i l , wenig frommen, dann gleich wie vnsere Thüre sich, nach so viel Jahren, wunderbarlicher Weyse eröffnet, also sol Europae eine Thüre auffgehen (so das Gemäwre hinweg ist) die sich schon sehen lesset, v n d von nicht wenigen mit begierd erwartet wird), des morgens öffneten w i r die Thür, v n d befand sich ein Gewölb, von sieben seyten vnd ecken, vnd jede seyten von fünff schuen, die höhe 8. schue, dieses Gewölb, ob es wohl von der Sonnen niemahls bescheinet wurde, leuchtet es doch helle, von einer andern, so dieses der Sonnen abgelernet, vnd stund zu öberst i n dem Centro der Bühnen, i n der mitten war an statt eines Grabsteins ein runter A l t a r überlegt, m i t einem mässinen Blätlein, darauff diese Schrifft: A. C. R. C. Hoc universi compendium vivus m i h i sepulchrum feci 1 , Vmb den ersten Reiff oder Rand herumb stund: 1 Ich A . C . R . C , habe m i r diese A b b i l d u n g des Universums zum Grabmal gemacht.
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Jesus m i h i omnia 2 , I n der mitten sein 4. Figuren i m circkel eingeschlossen, deren Vmbschrifft sein: 1. Nequaquam Vacuum 3 , 2. Legis Jugum 4 , 3. Liberias Evangelij 5 , 4. Dei Gloria intacta 6 . Diß ist alles klahr v n d lauter, wie auch die siebende seyten, vns die zween siebende Triangel. Also knieten w i h r allezumahl nieder, v n d danckten dem allein Weysen, allein Mächtigen, allein Ewigen Gott, der vns mehr gelehret, denn alle Menschliche Vernunft köndte erfinden, gelobet sey sein Nähme: Dieses Gewölb theileten w i r ab i n drey theile, die Böhne oder H i m mel, die Wand oder Seyten, den Boden oder Pflaster, von dem Himmel werdet j h r diß mahl von vns mehr nicht vernehmen, ohn daß er nach den sieben seyten i n dem lichten Centro i m Triangel getheilet (was aber hierinnen, sollen, (ob Gott wil) viel ehe ewere (die j h r des Heyls erwarten) Augen selbst sehen) sein jede seyte i n 10. gevierdte spacia abgetheilet, jede m i t seinen figuren vnd sententien, wie die allhier i n vnserm Büchlein Concentratum, auffs fleißigste vnd trewlichste abgerissen, beygelegt, der Boden ist auch widerumb i m Triangel abgetheilet, aber weil hierinnen des vndern Regenten Herrschafft vnd Gewalt beschrieben, lest sich solches nicht der fürwitzigen gottlosen Welt zum mißbrauch prostituiren, was sich aber m i t dem Himmlischen antidoto verstehet, t r i t t der alten bösen Schlangen ohne schew vnd schaden auff den Kopff, darzu sich vnser seculum gar wohl schicket. Eine jede der seyten, hatte eine Thür zu einem Kasten, darinnen vnterschiedliche Sachen lagen, besonders alle vnsere Bücher, so w i h r sonsten auch hatten, sampt deme Vocabulario Theoph: P. ab: Ho. vnd denen so w i h r täglich ohne falsch mittheilen: Hierinn funden w i h r auch sein Itinerar i u m v n d Vitam, darauß dieses meisten theils genommen: I n einem andern Kasten waren Spiegel von mancherley Thugend, also auch anderstwo Glöcklein, brennende Ampeln, sonderlich etliche wunder 2
Jesus m e i n Alles. Nirgends leerer Raum. 4 Die Strenge des Gesetzes. 5 Die Freiheit des Evangeliums. • Die unversehrte Herrlichkeit Gottes. 8
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künstliche Gesänge, i n gemein alles dahin gerichtet, daß auch nach viel 100. Jahren, da der gantze Orden oder Brüderschafft solte zu grund gehen, selber durch solch eynig Gewölb wiederumb zu restituieren were: Noch hatten w i r den Leichnam vnser s so sor gf eltigen vnd klugen Vatters, nicht gesehen, rückten derowegen den A l t a r beseits, da ließ sich eine starcke Mässingen Blatten, auffheben, vnd befand sich ein schöner vnd ruhmwürdiger Leib, unversehret, vnd ohne alle Verwesung, wie derselbe hierbey auffs ehnlichste mit allem ornat vnd angelegten stücken, Conterfeyet zusehen, i n der Hand hielt er ein Büchlein auff Bergament mit Goldt geschrieben, so T. genandt, welches numehr nach der Bibel vnser höchster Schatz, v n d billich nicht leichtlich der Welt censur soll vnterworffen werden: Zu ende dieses Büchleins stehet folgendes Elogium: Granum pectori Jesu insitum 7 , C. Ros. C. ex nobili, atq; splendida Germaniae R. C. familia oriundus, V i r sui seculi, divinis revelationibus, subtilissimis imaginationibus, indefessis laboribus, ad coelestia atq; humana mysteria, arcanave, admissus, postq., suam (quam Arabico et Affricano itineribus) collegisset, plusq. regiam aut imperatoriam Gazam, suo seculo nondum convenientem, posteritati eruendum custodivisset, et j a m suarum artium, ut et nominis, fidos ac conjunctissimos haeredes, instituisset, mundum minutum, omnibus motibus magno i l l i respondentem fabricasset, hocq., tandem praeteritatum praesentium et futurarum rerum compendio extracto, centenario major, non morbo (quem ipse nunquam corpore expertus erat, nunq., alios, infestare sinebat) ullo pellente, sed Spiritu Dei evocante illuminatum animam (inter fratrum amplexus et ultima os7 E i n i n das Herz Jesu gesätes Samenkorn. A l l h i e r ist den Augen der Welt v o n seinen Freunden auf 120 Jahre entzogen worden der Leichnam des Chr. Rosenkreutz. Er w a r einer vornehmen u n d adeligen Familie i n Deutschland entsprossen u n d ein sehr großer M a n n seines Zeitalters. Durch göttliche Offenbarungen, durch den erhabensten Unterricht u n d durch unermüdetes Bestreben fand er den Zugang zu allen Geheimnissen u n d Verborgenheiten des Himmels u n d der menschlichen Natur. A u f seinen Reisen nach Arabien u n d A f r i k a hatte er einen mehr als königlichen u n d kaiserlichen Schatz gesammelt, der aber seinem Zeitalter noch nicht angemessen w a r u n d deshalb v o n i h m für eine würdigere Nachkommenschaft verborgen ward. Nachdem er dieses i n Richtigkeit gebracht, treue u n d aufs genaueste verbundene Erben seiner großen Kenntnisse u n d seines Namens eingesetzt, auch eine verjüngte Welt gebauet hatte, die allen Bewegungen des großen Weltalls v ö l l i g harmonisch war, u n d endlich einen zuverlässigen Auszug aller geschehenen, geschehenden u n d zukünftigen Begebenheiten gemacht hatte: So gab er, nachdem über Einhundert Jahre hinaus seine W a l l f a h r t sich erstreckt hatte, w i e w o h l ohne irgend ein vorangegangenes Gebrechen u n d K r a n k h e i t , die er nie an seinem Leibe erfahren, auch nie an anderen geduldet hatte, sondern auf den Ruf des Geistes Gottes, seine erleuchtete Seele, unter den Umarmungen u n d letzten Küssen seiner Brüder i n die Hand seines Gottes u n d Schöpfers zurück — er, unser geliebtester Vater, teuerster Bruder, getreuester Lehrer μηςϊ aufrichtigster Freund,
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cula) Creatori Deo reddidisset, Pater dilectissimus, Fr. suavissimus, praeceptor fidelissimus, amicus integerrimus, a suis ad 120. annos hic absonditus est. Zu vnterst hatten sich vnterschrieben: 1. Fr. I. A. Fr. C. H. electione fraternitatis caput 8 . 2. Fr. G. V. M. P. G. 3. Fr. R. C. junior haeres S. Spiritus 9 4. Fr. F. Β. M. P. A. pictor et architectus 10 . 5. Fr. G. G. M. P. I. Cabalista 11 Secundi Circuii 1 2 , 1. Fr. P. A. Successor 13 Fr. I. O. Mathematicus 14 . 2. Fr. A. successor 15 Fr. P. D. 3. Fr. R. successor patris C. R. C. cum Christo triumphantis 1 6 . Zu ende stehet: Ex Deo nascimur, i n Jesu morimur, per spiritum reviviscimus 1 7 . Sein also schon damahln Fr. I. O. v n d Fr. D. verschieden gewesen, wo ist nun j h r Begräbnuß zufinden? Vns zweiffeit aber gar nicht, es werde der alt Bruder senior, als etwas besonders zur Erden gelegt, oder vielleicht auch verborgen worden sein: W i h r verhoffen auch, es sol diß vnser Exempel andere erwecken, fleißiger jhre Nahmen, die w i r darumben eröffnet, nachzufragen, vnd dero Begräbnuß nach zusuchen, dann der mehrerteil wegen der Medicin noch vnter vhralten Leuten bekandt vnd gerühmet werden, so möchte vielleicht vnsere Gaza gemehret, oder zum wenigsten besser erleutert werden: Den minutum mundum belangend, funden w i h r den i n einem andern Altärlein verwahret, gewiß schöner, als j h n auch ein verständiger Mensch jhme 8
Durch die W a h l der Brüderschaft dermaliges Haupt. Erbe zum heiligen Geist. 10 Maler u n d Architekt. 11 Kabbaiist. 12 V o m zweiten Kreise. 1θ Nachfolger. 14 Mathematikus. 15 Nachfolger. 18 Nachfolger des m i t Christo triumphierenden Vaters C. R. C. 17 Aus Gott werden w i r geboren, i n Jesu sterben w i r , durch den heiligen Geist werden w i r wieder lebendig. 9
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selbst einbilden möchte, dene lassen w i r ohn abgerissen, biß vns auff diese vnsere trewhertzige Famam vertrawlich geantwortet wird, also haben w i h r die Platen wieder übergelegt, den A l t a r darauff gestellt, die Thüre wiederumb verschlossen, vnd m i t vnser aller Sigili versichert, darüber auß anleytung vnd befehlch vnser Rotae, etliche Büchlein, darunter auch die M. gehören (so anstatt etlicher Haußsorge, von dem löblichen M. P. gedichtet worden) evulgirt, auch endlich, nach gewohnheit wieder von einander gezogen, vnd die natürliche Erben i n possessione vnserer Kleinodien gelassen: Erwarten also, was vns hierauf von Gelehrten oder Vngelehrten für ein Bescheid, V r t h e i l oder Judicium werde erfolgen: Wiewol w i r nun wol wissen, daß es vmb ein ziemliches, noch nicht an dem, da wieder unserm verlangen, oder auch anderer hoffnung, mit allgemeiner reformation d i v i n i et humani, solle genug geschehen, ist es doch nicht vnbillich, daß ehe die Sonne auffgehet, sie zuvor ein hell oder dunckel Liecht i n den Himmel bringt, vnd unter dessen ethliche wenige, die sich werden angeben, zusammen tretten, vnsere Fraternitel mit der zahl vnd ansehen vermehren, vnd des gewünschten vnd von Fr. R. C. fürgeschriebenen Philosophischen Canons, einen glücklichen anfang machen, oder ja i n vnserer Schätz (die vns nimmermehr außgehen können) m i t vns i n Demut vnd Liebe genießen, die mühsambkeit dieser Welt überzuckern, vnd i n den Wunderwercken Gottes nicht also blind umbgehen: Damit aber auch ein jeder Christ wisse, was Glaubens vnd Vertrawens w i r Leut seyen, so bekennen w i h r vns zur Erkantnuß Jesu Christi, wie dieselbige zu dieser letzten zeit, besonders i n Teutschland, hell vnd klahr außgangen, vnd noch heut zu Tag (abgeschlossen aller Schweriner, Ketzern und falschen Propheten) von gewissen vnd aufgezeichneten Ländern erhalten, bestritten vnd propagiert wird, genießen auch zweyer Sacramenten, wie die angesetzt mit allen Phrasibus vnd Ceremoniis der ersten renovirten Kirchen: Jn der Policey erkennen w i h r das Römische Reich vnd Quartam Monarchiam, für vnser vnd der Christen Haupt: Wiewol w i r nuhn wissen, was für änderung bevorstehen, v n d dieselben andern Gottes Gelehrten hertzlichen gerne mittheilen wollen, ist diß vnser Handschrift, welche w i r i n Händen haben, w i r d vns auch kein Mensch, ohne der eynige Gott, Vogelfrey machen, vnd den Unwürdigen zu gebrauchen geben: w i r werden aber der bonae Causae verborgene Hülffe thun, nachdeme vns Gott erlaubet oder wehret, dann vnser Gott nicht blind, wie der Heyden Fortuna, sondern der Kirchen Schmuck, vnd des Tempels Ehre, vnser Philosophia ist nichts newes, sondern wie sie Adam nach seinem Fall erhalten, vnd Moses und Salomon geübet, also solle sie nicht viel Dubitiren, oder andere meinungen wiederlegen, sondern weil die Wahrheit eynig, kurtz, v n d j h r selbst jmmerdar gleich, besonders aber m i t Jesu ex omni parte, vnd allen membris überein
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kömpt, wie er des Vatters Ebenbild, also sie sein Conterfeyt ist, So sol es nicht heißen: Hoc per Philosophiam verum est. sed per Theologiam falsum, sondern worinnen es Plato, Aristoteles, Pythagoras vnd andere getroffen, wo Enoch, Abraham, Moses, Salomo den außschlag geben, besonders wo das große Wunderbuch die Biblia concordiret, das kommet zusammen, vnd w i r d eine sphera oder globus, dessen omnes partes gleiche weite vom Centro, wie hiervon i n Christlicher Collation weiter vnd außführlich: Was aber sonderlich zu vnser zeit, das gottloß v n d verfluchte Goldmachen belangt, so sehr überhand genommen, daß zuforderst vielen verlauffenen henckermäßigen Leckern, große Büberey hierunter zutreiben, vnd vieler fürwitz und Credulitet sich mißzubrauchen anleytung geben, als auch von bescheidenen Personen numehr dafür gehalten wird, als ob die mutatio metallorum der höchste apex vnd fastigium i n der Philosophia were, darumben alles zuthun, vnd derselbe Gott besonders lieb sein müsse, so nuhr große Goldmassen vnd klumpen machen köndte, dahin sie m i t ohnbedachtem bitten, oder Hertzleydischen saursehen, den Allwissenden Hertzkündigern Gott verhoffen zubereden: So bezeugen w i r hiermit öffentlich, daß solches falsch, vnd es m i t den wahren Philosophie also beschaffen, daß jhnen Gold zumachen ein geringes vnd nur ein parergon ist, derengleichen sie noch wol andere etlich tausend bessere stücklein haben. V n d sagen mit vnserm lieben Vatter, C. R. C. Pfuh aurum, nisi quantum aurum, dann welchem die gantze Natur offen, der frewt sich nicht daß er · machen kan, oder wie Christus sagt, jhme die Teuffei gehorsamb seyen, sondern daß er siehet den Himmel offen, vnd die Engel Gottes auff vnd absteigen, vnd sein Nahmen angeschrieben i m Buch des Lebens: W i r bezeugen auch, daß vnter den Chymischen Nahmen sein Bücher vnd Figuren außkommen, in Contumeliam gloriae Dei, wie w i r solche i n seiner zeit benennen, vnd den reinen Hertzen einen Catalogum mittheilen wollen: Vnd bitten alle Gelehrten, i n dergleichen Büchern gute sorge zu haben, dann der Feind sein Vnkraut zu sähen, nicht vnterlesset, biß es jhme ein stärckerer vertreibt: Also ersuchen w i r nach Fr. C. R. C. meinung, w i h r seine Brüder, zum andernmahl alle Gelehrten i n Europa, so diese vnsere Famam, (in fünff Spraachen außgesandt) sampt der Lateinischen Confession werden lesen, daß sie mit wohlbedachtem Gemüht, diß vnser erbitten erwegen, jhre Künste auffs genäest v n d schärffst examiniren, gegenwertige zeit mit allem fleiß besehen, vnd dann jhre bedencken, entweder Communicato Consilio oder singulatim, vns Schrifftlich i m Truck eröffnen, dann ob wol weder w i r noch vnsere Versamblung dieser zeit benennet, solle vns doch gewißlichen eines jeden (was Sprach das auch ist) Judicium zukommen: Es soll auch keinem, der seinen Nahmen w i r d angeben, fählen, daß er nicht mit vnser einem entweder Mündlich, oder da er es je bedenckens hette, Schriftlich solle
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5. Anhang
zu Sprach kommen: Diß sagen w i h r aber für gewiß, daß, wer es ernstlich v n d hertzlich m i t vns w i r d meinen, der sol dessen an Gut, Leib v n d Seel genießen, da aber ein Hertz falsch, oder nur nach Geld gerichtet, der w i r d vns zuforderst nicht schaden bringen, sich aber i n das höchste v n d eußerste Verderben stürtzen: Es soll auch wohl vnser Gebäw, da es auch hundert tausendt Menschen hetten von nahem gesehen, der gottlosen Welt i n Ewigkeit ohnberühret, ohnzerstöret, vnbesichtigt, v n d wohl gar verborgen bleiben. Sub umbra alarum tuarum Jehova 1 8 . Confessio Fraternitatis
Secretioris Philosophiae Consideratio brevis a Philipp a Gabella, Philosophiae St(studioso?) conscripta, et nunc p r i m u m una cum Confessione Fraternitatis R. C. i n lucem edita Cassellis, Excudebat Guilhelmus Wessellius I l l m i . Princ. Typographus. Anno post natum Christum M D C X V . A u f der Rückseite des Titelblattes: — Gen. 27. De rore Caeli et Pinguedine Terrae det t i b i Deus 19 . Vorrede A n den Weisheit begierigen Leser der Confession
Hie hast du günstiger Leser vnsers Vorhabens v n n d Jntents sieben vnnd dreyssig vrsachen, der Confession inuerleibet, welche du deines gefallene auß derselben herfür suchen, v n n d gegen einander conferiren, auch bedencken magst, ob sie wichtig gnug seyn, dich zu bewegen v n d auff vnsere Seite zubringen. Zwar es bedarff nit wenig Mühe, daß jenige zu bestettigen, was man noch n i t siehet, wenn es aber dermal eins am tage seyn wird, zweiffeit vns gar nicht, man werde sich als denn solcher vermuthungen vnnd Conjecturen billich Schemen. Gleich wie w i r aber jetzunder gantz sicher, frey v n d ohne einige gefahr den bapst zu Rom, den Antichrist nennen, welches hiebeuor für eine Todtsünde gehalten worden, v n d an allen Orten, als Capital, m i t dem Leben verbüsset werden müssen, Also wissen w i r gewiß, es werde noch einmal die zeit kommen, da w i r daß jenige, so jetzunder noch ingeheim gehalten w i r d t , frey öffentlich, m i t heller Stimme außruffen, 1β
Unter dem Schatten Deiner Flügel, Jehova! Dieser Band enthält die erste Ausgabe der „Confessio Fraternitatis R. C., A d Eruditos Europae" i n 14 Kapiteln. Texte und Übersetzungen der Fama und Confessio sind Yates, S. 245 ff. entnommen. 19
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vnd vor jederman bekennen werden, welches denn der günstige Leser mit vns, daß es auff dz aller bäldeste geschehen möge, von Hertzen wüntschen wolle. Confessio oder Bekandtnuß der löblichen Bruderschafft deß hochgeehrten Rosen Creutzes, an die Gelehrten Europae geschrieben
Das 1. Capitel. Was von vnser Fraternitet oder Bruderschafft auß hiebeuor angefertigter Fama, menniglich zu Ohren kommen vnd offenbahr gemacht worden, das soll niemand für vnvorbedächtlich, verwegentlich oder erdichtet achten, viel weniger aber als auß vnserm Gutdüncken hergeflossen vnnd entstanden, auffnehmen. Der Herr der Jehovah ist es, welcher (nach dem die Welt nunmehr fast den Feyrabend erreicht, v n d nach vollendetem Periodo oder Vmblauff wider zum Anfang eylet, den Lauff der Natur vmbwendet, vnd was hievor mit großer Mühe vnnd vnablässiger Arbeit gesuchet worden, jetzunder denen, die es nicht achten, oder wol nicht einmal daran gedencken, eröffnet, andern aber die es begeren, freywillig anbeut, vnnd denen, die es nicht begeren, gleichsam auffzwinget, auff daß den Frommen zwar alle deß menschlichen Lebens Mühseligkeit gelindert, vnnd deß vnbeständigen Glücks Vngestümmigkeit auffgehaben, den Bösen aber jre Boßheit, vnnd die darauff gehörige Straffen gemehret vnnd gehäuffet werden. Ob w i r nun wol keiner Ketzerey oder einiges bösen beginnens v n d Vornemmens, wider das weltliche Regiment bey jemand verdächtig sey können, die w i r so wol deß Orients als deß Occidents (verstehe deß Mahomets vnd Bapstes) Lesterung, wider vnsern Herrn Jesum Christum verdammen, v n d dem Obersten Haupt deß Römischen Reichs, vnser Gebett, Heimligkeiten, vnnd große Goldtschätze gutwillig praesentiren vnd anbieten. Jedoch hat es vns für ratsam vnd gut angesehen, vmb der Gelehrten willen, noch etwas weiter hinzu zuthun vnnd besser außzuführen, ob jrgend i n der Fama etwas zu tieff verborgen, vnd zu dunckel gesetzt, oder auß gewissen Vrsachen gar außgelassen worden were, verhoffende hiemit die Gelehrten vns desto geneigter, vnd zu vnserem Vorhaben vmb so viel desto mehr bequemer vnnd williger zu machen. Das 2. Capitel. Von verenderung nun v n d Verbesserung der Philosophy haben w i r (so viel noch der Zeit von nöten) erkläret, daß nemblich dieselbe gantz kranck vnd mangelhafft sey: j a es ist gar kein Zweiffei bey vns, daß obwohl der mehrer theil fälschlich fürgibt, daß sie, ich weiß nicht wie, gesund vnd starck sey, sie dennoch fast i n letzten Zügen lige, vnd auff der Hinfart seye.
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Gleich wie aber gemeiniglich an eben demselben ort, da etwan ein newe vngewöhnliche kranckheit entstanden, die Natur auch ein Artzney für dieselbe entdecket, also erzeigen sich auch bey so mancherley Kranckheiten vnnd Paroxysmus der Philosophy, v n d wachsen herfür die einige rechte vnd vnserm Vatterland genugsam fürträgliche Mittel, dadurch sie widerumb gesund werde, v n d gleichsam gantz new der Welt, so jetzt soll verneuwert werden, fürkomme vnd erscheine. W i r haben aber keine andere Philosophy, als welche ist Caput & Summa, das Fundament vnd Jnhalt aller Faculteten, Wissenschafften vnnd Künste, welche, wenn w i r auff vnser Seculum sehen, viel von der Theology vnd Medicin, wenig aber von Juristischer Weißheit begreiffet, vnnd zugleich Himmel vnd Erde fleißig durchsuchet, oder kürtzlich darvon zu reden, welche den einigen Menschen gnugsam erkundiget vnd abbildet, davon denn alle Gelehrten, die sich auff vnser brüderlich anmahnen vnd beruffen bey vns angeben vnd einstellen werden, mehr wunderbare geheimniß bey vns finden werden, als sie biß her erfahren, erkundigen, glauben vnnd außsprechen können. Das 3. Capitel. Derhalben, damit w i r vnser meynung hievon kürtzlich entdecken, so müssen w i r vns mit allem fleiß dahin bemühen, dz man sich nicht allein vber vnser Einladung vnd Anmahnung verwundere, sondern ein jeder auch wisse, daß w i r zwar solche Arcana vnd Geheimnusse nicht gering achten, vnnd es aber doch nicht vngerecht sey, daß die Kundtschaft vnd Wissenschaft derselben vielen gemein gemacht werde. Denn es je wol zu gedencken vnd zu glauben, daß diß vnser vnverhofftes gutwilliges anbieten, viel v n d mancherley Gedancken bey den Leuten erwecken werde, welchen die Miranda sextae aetatis noch nicht bekandt worden, oder welche wegen deß Lauffs der Welt die künfftige Dinge den gegenwertigen gleich achten, v n d durch allerhand Vngelegenheit dieser jhrer Zeit verhindert werden, daß sie nicht anders i n der Welt leben vnd wandeln, als die blinden, welche auch mitten am hellen Tage nichts, ohn allein durchs fühlen vnd angreiffen, zu discerniren vnnd zu erkennen wissen. Das 4. Capitel. Was nun das erste Stück belanget, von demselben halten w i r also, dz die Meditationes, Erkundigungen v n d Erforschungen vnsers geliebten Vatters Christiani vber alle das jenige, so von Anfang der Welt her von Menschlichem Verstand, entweder durch Göttliche Reuelation vnd Offenbarung, oder durch der Engel v n d Geister Dienst, oder durch Scharpffsinnigkeit deß Verstandes, oder durch langwirige Obseruation, Vbung vnnd Erfahrung erfunden, erdacht, herfür gebracht, verbessert, v n d bißhieher propagiret oder fort
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gepflantzet worden, so fürtrefflich, herrlich vnd groß seyn, daß ob schon alle Bücher solten vmbkommen, vnnd durch deß Allmächtiges Gottes Verhengnuß, aller Schrifften, & totius rei literariae interitus, oder Vntergang fürgehen solte, die Posteritet dennoch auß denselben allein ein newes Fundament legen, vnnd ein newes Schloß oder Veste der Warheit wider auffbauwen köndte, welches dann auch vielleicht nicht so schwer seyn möchte, als daß man erst soll anfangen das alte so vnformliche Gebäw zu destruieren vnd zu verlassen, vnnd bald den Vorhoff erweitern, bald den Tag i n die Gemach bringen, die Thüren, Stegen, vnnd anders, wie vnser Jntention solches mitbringet, verendern. Wem wolte nun aber dieses nicht annemblich seyn, da es nur männiglich kundt werden möchte, vnd nicht viel mehr alß ein besondere Zier für die bestimpte künfftige Zeit behalten vnd gesparet würde? Warumb wolten w i r nicht i n der einigen warheit (welche die Menschen durch so viel Jrrwege vnd krumme Straßen suchen) hertzlich gerne ruhen vnd bleiben, wenn es Gott gefallen hette, das sechste Candelabrum nur vns alleine anzuzünden, oder leuchten zu lassen? Were es nit gut, daß man sich weder für hunger noch Armut, weder für Kranckheit noch Alter zubesorgen, vnnd zu befahren hette? Were es nicht ein köstlich Ding, daß du köndtest alle Stunde also leben, als wenn du von Anfang der weit bißher gelebet hettest, vnnd noch ferner biß ans End derselben leben soltest? Were es nicht herrlich, daß du an einem Orth also wohnen köntest, daß weder die Völcker, so vber dem Fluß Ganges i n India wohnen, jre Sachen für dir verbergen, noch die so inn Peru leben, jre Rathschläge dir verhalten köndten? Were es nit ein köstlich ding, daß du also lesen kündest i n einem Buch, daß du zu gleich alles wz i n allen Bücher, die jemals gewesen, noch seyn, oder kommen vnd außgehen werden, zu finden gewesen, noch gefunden w i r t , vnnd jemals mag gefunden werden, lesen, verstehen, vnnd behalten möchtest? Wie lieblich were es, wann du also singen köntest, daß du an statt der Steinfelsen eitel Perlen vnd Edelgesteine an dich brechtest, an statt der wilden Thiere die Geister zu dir locketest, v n d an statt deß hellischen Plutonis, die mächtige Fürsten der Welt commouiretest, vnd bewegetest? Ο j r Menschen, Gottes Rath ist viel anders, welcher beschlossen, die Zahl vnser Fraternitet jetziger Zeit zu vermehren vnnd größer zu
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machen, welches w i r denn mit solcher Frewdigkeit auff vns genommen, mit welcher w i r zu diesen großen Schätzen ohne vnsern Verdienst, ja ohne einige vnsere Hoffnung oder Verlangen hiebevor auch kommen seyn, vnd m i t solcher Trewe inns Werck zu richten gedencken, daß vns auch das mitleiden vnd erbarmen vnser eignen Kinder, die etliche vnter vns i n der Fraternitet haben, davon nicht abwenden soll, weil w i r wissen, daß diese vnverhoffte Güter weder ererbet, noch ohne Vnterscheid jederman angetragen werden mögen. Das 5. Capitel. Ob nun jemand seyn möchte, der i m andern Theil vber vnser Discretion klagen wolte, daß w i r vnsere Schätze so freygebig vnd ohne einigen Vnterscheid jederman anbieten, vnnd nicht viel mehr der Frommen, Gelehrten, Weisen, oder wol gar hoher Fürstlicher Personen, als des gemeinen Mannes hierinn wahrnemen, demselben seyn w i r nicht zu wider, sintemal solches nicht ein schlechte oder geringe S ach ist, aber w i r sagen gleichwol so viel, daß vnsere Arcana vnnd Heimligkeiten keines Weges gemein, vnnd bekannt gemacht werden, obwohl die Fama i n fünff Sprachen außgangen, vnd jedermänniglich geoffenbart ist worden, weil w i r zum theil wol wissen, daß die grobe vnverständige v n d stupida ingenia sich deren nicht annemen, oder hoch darumb bekümmern werden, vnnd w i r auch die Würdigkeit deren, so i n vnsere Fraternitet sollen auffgenommen werden, nicht auß Menschlicher Sorgfeltigkeit, sondern auß der Regel vnserer R e f l a t i o nen vnd Offenbarungen schetzen vnnd erkennen, derhalben ob schon die Vnwürdigen tausent mal schreyen vnnd ruffen, sich auch tausend mal vns offeriren vnd anbieten solten, hat doch Gott vnsern Ohren gebotten, daß sie keinen derselben hören sollen, ja es hat vns Gott auch m i t seinen Wolcken vmbgeben, daß vns seinen Knechten kein Gewalt angethan vnnd zugefüget werden kan, daher w i r dann auch von niemand, er habe dann Adlers Augen, können gesehen vnd erkannt werden. Zwar die Fama hat i n eines jeden Muttersprach können auß gefertiget werden, damit die jenigen nicht defraudiret, vnnd derselben Wissenschafft beraubet würden, welche (ob sie schon nit gelert seyn) Gott dennoch nicht abgeschlossen hat von der Glückseligkeit dieser Bruderschafft, so i n gewisse Gradus soll vnterschieden v n d abgetheilet werden, wie die jenigen, so i n der statt Damcar i n Arabia wohnen, ein weit andere Policey Ordnung haben, als die andern Araber, weil eitel weise vnd verständige Leute darinn herrschen, welchen es vom König zugelassen, besondere Gesetz daselbst zu machen, nach deren Exempel auch das Regiment, (wie w i r dessen eine von vnserm Vatter Christiano gestellte Beschreibung haben) inn Europa von vns soll angestellet werden, wenn das jenige w i r d t verrichtet vnd geschehen seyn, so vor-
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her gehen soll, vnd nun vnsere Posaune m i t hellem Schall, vnd großem Geschrey öffentlich erschallen wird, wenn nemlich daß jenige, dauon albereit Jhrer wenig murmeln, vnd es als etwas zukünfftiges i n Figuren vnd Bildnuß weise heimlich andeuten, den gantzen Erdboden erfüllen vnd frey öffentlich außgeruffen werden w i r d t : nicht änderst als hiebeuor viel Gottseliger Leute deß Babsts Tyranney heimlich vnd gantz verzagt angestochen vnd Er hernach auß Deutschlandt m i t großem Ernst vnd besonderem Eyffer vom Stuel abgestoßen vnd gnugsam mit Füßen getretten worden: dessen endtlicher Vntergang biß auff vnsere Zeit versparet wirdt, da er auch gleichsam m i t den Nägeln zerkratzet, vnnd seinem Eselgeschrey durch eines Löwen newe Stimme vnnd Brüllen ein Ende gemacht werden soll: welches w i r wissen, daß es vielen Gelehrten i n Teutschland schon ziemlichermaßen offenbahr und bekanndt worden, i n massen dann jhre Schrifften vnnd heimliche Cong r a t u l a t i o n s oder Glückwünschungen solches gnugsam bezeugen. Das 6. Capitel. W i r köndten allhie wol einführen v n d besehen die gantze Zeit, so von Anno 1378. i n welchem Jahr vnser geliebter Vatter Christian geboren, bißhero verflossen, da w i r dann wol erzelen möchten, was er die hundert vnd sechs Jahr seines Lebens vber, für Verenderung i n der Welt gesehen, vnnd vnsern Brüdern, wie denn auch vns selbst, nach seinem glückseligen Abschied zu erfahren verlassen habe. Aber die kürtze deren w i r Vns hie befleißen müssen, leidets auff diß mal nicht, kan vielleicht ein ander mal füglicher geschehen, vnd außgeführet werden. Jetzunder ist es genug, für die, so vnsere Erinnerung nicht verachten, dz w i r kürtzlich dasjenige berühret haben, dardurch sie jnen den Weg zu einer m i t vns stärckern Vereinigung oder nähern Verwandtnus bereiten mögen. Zwar welchem es zugelassen, daß er die große Buchstaben vnd Characters, so Gott der Herr den Gebäw Himmels vnd der Erden eingeschrieben, vnd durch die Verenderung der Regimenten, für vnd für ernewert hat, anschawen, vnd zu seinem Vnderricht gebrauchen kann, derselbe ist schon allbereit nahe, vnangesehen jhme von vnns noch vnwissend, vnd wie w i r wissen, daß er vnser Beruffen nicht verachten werden, also soll er steh keines Betrugs befahren, denn w i r verheißen vnd sagen öffentlich, daß keinen seine Auffrichtigkeit vnd Hoffnung betrieben soll, der vnter dem Sigili der Verschwiegenheit sich bey vns angeben, vnd vnser Gemeinschaft begeren w i r t . Den falschen Heuchlern aber, vnnd denen, so etwas anders als Weißheit suchen, sagen vnnd bezeugen w i r hiemit öffentlich, daß w i r nicht können offenbar gemacht, oder zu vnserm Verderben verrahten, viel weniger ohne oder wider den Willen Gottes gezwungen werden, auff j m aber w i r t die i n vnserer Fama vermeldte Betrowung vnnd Straff
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ersitzen bleiben: also jre Gottlose Anschläge sie selber treffen, vnnd vns hergegen vnsere Schätze wol vnberühret gelassen werden, biß daß der Löwe kommen, vnd dieselben für sich fordern, einnemen, empfangen, vnd zu seines Reichs Bestetigung anwenden w i r t . Das 7. Capitel. Mvssen demnach dieses allhie wohl mercken, vnd jedermann zu verstehen geben, daß Gott gewiß vnd eigentlich beschlossen, der Welt vor jhrem Vntergang, welcher bald heranch erfolgen wird, noch eben ein solche Warheit, Liecht, Leben vnd Herrligkeit widerfahren zu lassen vnnd zu geben, wie der erste Mensch, Adam nemblich, i m Paradeiß verlohren vnd verschertzet hat, da hernach seine Nachkommen m i t j m ins Elendt verstoßen v n d vertrieben worden. W i r t also alle Dienstbarkeit, Falschheit, Lügen vnd Finsternuß weichen vnd auffhören müssen, welche allgemach m i t Vmbweltzung der großen Weltkugel, i n alle Künste, Wercke vnd Herrschafften der Menschen sich eingeschleichet, vnnd dieselben zum grösten Theil verdunckelt haben, dann daher ist so ein vnzehliche Menge allerhand falscher Opinionen vnnd Ketzereyen entstanden, welche auch schier den allerweisesten Leuthen den Delectum oder die Wahl schwer gemacht, vnnd nicht leichtlich haben können vnterschieden werden, weil sie auff einer Seiten durch das ansehen der Philosophen v n d gelehrter Leute, auff der andern Seyten aber durch die Warheit der Experientz vnd Erfahrung auff gehalten vnnd j r r e gemacht worden. Welches alles wenn es dermal eins w i r d t auffgehaben seyn, vnnd w i r n u n sehen werden, daß an die statt ein richtige vnd gewisse Regel eingeführet worden, so w i r d zwar denen, so sich darinn bemühet, die Dancksagung gebüren, daß gantze Werck aber an j m selbst w i r t der glückseligkeit vnsers seculli müssen zugeschrieben werden. Gleich wie w i r nun gerne bekennen, daß viel vortrefflicher Leuthe der zukünfftigen Reformation mit Schrifften jhres Theils nicht geringen Vorschub thun, also begeren w i r vns dieser Ehre gar n i t zuzuschreiben, als wenn ein solch Werck vns allein befohlen vnd aufferleget were, sondern w i r bekennen vnd bezeugen öffentlich m i t dem Herrn Christo, dz ehe es an Executoren vnnd Vollstreckern des Göttlichen Raths diß falls mangeln solte, sich ehe die Steine herfür thun würden. Das 8. Capitel. Es hat zwar Gott der Herr schon etiliche bottschafften vorher gesandt, die von seinem Willen bezeugeten, nemblich, etliche newe Sterne, so am Himmel i m Serpentario vnnd Cygno entstanden, welche dann als des großen Rahts Gottes kräfftige Signacula menniglich bezeugen v n d zuerkennen geben, wie er zu allem dem, so der mensch erfindet seine heimliche verborgene schrifften vnd Characteres dienlich sein lasse, damit das große Buch der Natur zwar allen Menschen vor
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äugen vnd offen stehe, vnnd dennoch jhrer wenig dasselbe lesen vnd verstehen können. Dann gleich wie den Menschen zum Gehör zwey Organa, deßgleichen auch zum sehen zwey, vnd zum riechen zwey, aber nur eins zum reden gegeben worden, vnd man die Sprache von den Ohren oder die Vnterschiedung der Stimmen vnd des Gethöns von den Augen vergeblich erwartet oder erfordert, Also seyn Secula oder Zeiten gewesen, die gehöret, gerochen vnd geschmecket haben, Nun aber ist noch vbrig, daß m i t Abkürtzung der Zeit, der Zungen auch jhre Ehre gegeben, vnd durch dieselbe, was man vor zeiten gesehen, gehöret vnd gerochen hat, nun endtlich einmal auß gesprochen werde, wenn die Welt nemblich die auß dem Kelch deß Giffts vnnd Schlummers empfangene Vollerey außgeschlaffen haben, vnnd der new auffgehenden Sonnen mit eröffnetem Hertzen, entblößtem Haupt, vnnd nacketen Füßen frölich vnd frewdig entgegen gehen w i r t . Das 9. Capitel. Solche Characteres, Buchstaben, vnnd Alphabet, wie dieselben Gott h i n vnd wider der Heiligen Bibel einverleibet, also hat er sie auch dem wunderbaren Geschöpff Himmels vnnd der Erden, ja aller Thiere, gantz deutlich eingetruckt, daß eben auff solche weise, wie ein Mathematicus vnnd Sternseher die zukünfftige Finsternussen lange zuvor sehen kan, also w i r auch die Obscurationes vnnd V e r d u n k e l u n gen der Kirchen, vnd wie lange sie wehren sollen, eigentlich abnemen vnd erkennen können, von welchen Buchstaben w i r denn vnsere Magische Schrifften entlehnet, vnnd vnns ein newe Sprache zuwegen gebracht haben, i n welcher zugleich die Natur aller dinge außgetrucket vnd erkläret wirt, daß es daher kein Wunder, daß w i r i n andern Sprachen nit so zierlich seyen, welche w i r wissen, daß sie keines Weges mit vnsers ersten Vatters Adams oder Enochs Sprache sich vergleichen, sondern durch die Babylonische Verwirrung gantz verdecket worden. Das 10. Capitel. Dieses müssen w i r aber nicht vnterlassen, daß alldieweil noch etliche Adler Federn vnserm vornemen i m Wege stehen, vnnd hinerlich seyn, w i r menniglich zu fleißiger vnd jmmerwehrender Lesung der Heiligen Bibel vermahnen, denn wer an derselbigen all sein Gefallen hat, der soll wissen, daß er j m ein stattlichen Weg gemacht habe, zu vnser Fraternitet zu kommen. Dann gleich wie diß die gantze Summa vnnd Jnhalt vnser Regel ist, daß kein Buchstab i n der Welt seyn soll, welcher nicht wol i n Gedächtnuß gefasset, vnd i n acht genommen werde: Also seyn die jenigen vns fast gleich vnd nahe verwannt, die das eintzige Buch, die heilige Bibel ein Regel jres Lebens, vnd alles Studierens Ziel vnd Zweck, ja der gantzen Welt Compendium vnnd Jnnhalt seyn lassen, vnnd sich der20 F i s c h e r
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selben also wohl gebrauchen, daß sie dieselbe zwar nicht stätigs i m munde füren, i n massen, wie solches nit erfordert, sondern daß sie dero eigentlichen Verstand auff alle Zeiten v n d Alter der Welt wol zu applicieren vnd zu richten wissen: denn auch vnser Gebrauch nit ist, (wie sönsten wol geschihet) die Heilige Schrift zu prostituieren vnd gemein zu machen, da eine vnzehliche Menge der Außleger gefunden w i r t , derer etliche dieselbe auff jhre Meynung ziehen, etliche aber cavilliren, verschimpffen, vnnd gewohnter boßhafftiger weise nach einer wächsenen Nasen vergleichen, die zu gleich den Theologis, Philosophis, Medicis vnd Mathematicis dienen könne: sondern w i r bezeugen vielmehr hierwider, daß von anfang der Welt kein fürtrefflicher, besser, wunderbarlicher vnd heilsamer Buch den Menschen gegeben worden, als eben die H. Bibel: vnnd selig ist, der dieselbe hat, noch seliger, der sie fleißig lieset, am allerseligsten aber, der sie außstudiret, v n d welcher sie recht verstehet, der ist Gott am allergleichsten v n d ehnlichsten. Das 11. Capitel. Was aber i n der Fama von Verfluchung vnnd abschew der betrieger wider die Verwandlung der Metallen v n d höchste medicin i n der weit gesaget worden, daß wollen w i r also verstanden haben, dz diese so fürtreffliche gäbe Gottes keines wegs von vns vernichtet oder verkleinert werde, sondern dieweil sie n i t allezeit der natur erkanndtnus mit sich bringet, vnd nit allzeit die transformation der metallen, vnd die medicin, oder auch sonst vnzehlich viel andere heimligkeiten vnnd wunder der natur gnug lehret vnd eröffnet, es billich sey, dz man sich am allermeisten den verstand v n d Wissenschaft der Philosophy zu erlangen befleiße, vnnd sollen demnach vortreffliche Ingénia nit eher zur Tinctur der metallen angefüret werden, biß sie zuvor i n erkantnus der natur sich w o l geübet haben. Der muß je w o l ein vnbesonnener thörichter mensch seyn, der so weit kommen, dz j m kein armut, vngemach oder kranckheit schaden kan, ja welcher gleichsam höher als alle menschen erhaben, vber das jenige herrschet, darvon andere Leute gequelet, geängstiget, vnnd gepeinigt werden, vnd sich doch erst darum wider zu nichtigen dingen wendet; häufiger bawet, Krieg führet, oder sonst stoltzieret, weil von Golt v n d silber ein vnerschöpffliche quelle vorhanden. Gott hat es aber viel anders gefallen, denn derselbe erhöhet die Niedrigen, aber die Hoffertigen kräncket er m i t Verachtung, denen so still vnnd von wenig Worten seyn, schicket er die heiligen Engel zu, daß sie m i t jhnen sprach halten, aber die vnnützen Wescher verstoßet er i n die wüsten vnd Einöde, welches denn der rechte Lohn ist deß Römischen Verführers, welcher seine Gotteslästerungen m i t vollem Halse wider Christum außgespihen, vnd auch noch bey hellem Liecht, da i n Teutschland sein Grewel vnd abschewliche Holen alle entdecket
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worden, von seiner Lügen mit abstehet, damit er das Maß der Sünden ja wol erfülle, vnd zur Straffe recht zeitig werde. W i r t derohalben ein mal ein Zeit kommen, da diese Otter zu pfeifen aufhöret, vnd die drey fache K r ö n zu nichte gemacht werden wirdt, wie hievon zu vnser Zusammenkunfft weitläufftiger vnnd eigentlicher soll gehandelt werden. Das 12. Capitel. Zum Beschluß vnser Confession, müssen w i r noch dieses mit fleiß erinnern, dz man wegthun soll, wo nicht alle, doch die meisten Bücher der falschen Alchymisten, welche es für ein Schertz vnnd Kurtzweil halten, wenn sie entweder der Heyligen Hochgelobten Dreyfaltigkeit zu vnnützen Dingen mißbrauchen, oder m i t wundersetzamen Figuren vnd dunckelen verborgenen reden die Leute betriegen, vnd die Einfeltigen vmbs Gelt bringen, wie denn solcher Bücher zu dieser jetzigen Zeit viel außgangen, vnd an Tag kommen seyn, vnter welchen der Amphitheatralische v n d zum verführen genugsam sinnreiche Histrio vnd Comediant ein fürnemer ist: welche Bücher alle der Feind Menschlicher Wolfarth zu dem Ende vnter den guten Samen vermischet, daß man desto schwerlicher der Warheit glaube, weil dieselbe schlecht, einfeltig vnnd bloß, die Lügen aber prächtig, stattlich, ansehentlich, vnd mit einem besondern schein Göttlicher vnd Menschlicher Weißheit geschmücket ist. Meydet vnd fliehet dieselben Bücher, die j h r witzig seyet, vnd wendet euch zu vns, die w i r nicht ewer Gelt suchen, sondern vnsere große Schätze euch gutwillig anbieten: W i r stellen ewren Gütern nicht nach, mit erdichteten lügenhafften Tincturen, sondern w i r begeren euch vnserer Güte theilhafftig zu machen: W i r reden nicht m i t euch durch Sprichwort, sondern wolten euch gerne zur schlechten einfeltigen, vnd gantz verstendlichen Außlegung, Erklärung vnd Wissenschafft der Geheimnussen anführen: W i r begeren nicht von euch auff vnd angenommen zu werden, sondern w i r laden euch i n n vnsere mehr denn Königliche Häuser vnd Palläste, vnd das alles zwar nit auß eigenem Gutdüncken, sondern (daß jhrs eben wisset) auff Antrieb des Geistes Gottes, von Gott ermahnet, von vnserm geliebten Vatter i n n seinem hinterlassenem vnverbrüchlichem Testament also geheißen vnd durch gegenwertiger Zeit Beschaffenheit vnd w i l l e n darzu gezwungen. Das 13. Capitel. Was meynet j r nun lieben Leute, vnd wie ist euch zu muthe, nach dem j h r jetzt verstehet vnd wisset, dz w i r vns zu Christo rein vnnd lauter bekennen, den Bapst verdammen, der wahren Philosophy zugethan seyn, ein Christlich Leben führen, vnd zu vnser Gesellschafft noch viele andere, denen eben dieses Liecht von Gott auch erschienen, täglich beruf f en, laden vnd bitten? Gedencket j r nicht, wie j r nicht allein i n n Erwegung der Gaben so i n euch seyn, vnnd der Erfahrung so j h r inn Gottes Wort habet, neben fleißiger betrachtung der 20*
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Vnvollkommenheit aller Künste, vnnd viel vngereimbter Sachen i n denselben, endtlich mit vns anfangen möget, nach der Verbesserung zu trachten, Gott stille zu halten, vnd euch i n die Zeit, i n welcher j r lebet, recht zu schicken? Fürwar wenn j r das thun werdet, w i r d t euch dieser Nutz dar auß erwachsen, daß alle Güter, so die Natur an alle örter der Welt wunderbarlich zerstrewet hat, euch zugleich mit einander werden verliehen vnd mitgetheilet werden, wie j h r denn auch alles, was den menschlichen Verstandt verdunckelt, vnd dessen Würckung verhindert, leichtlich werdet ablegen, vnd wie alle Eccentricos vnd Epicyclos auß der Welt abschaffen können. Das 14. Capitel. Welche aber vorwitzig seyn, vnnd entweder von dem Glantz deß Goldes verblendet, oder (eigentlicher darvon zu reden) welche jetzunder zwar fromb seyn, aber durch den vnverhofften Zufall so vieler Güter, leichtlich möchten verderbt vnd bewegt werden, sich i n Müssiggang zu begeben, vnd ein vppiges vbermütiges Leben anzutretten, dieselben wollen gebetten seyn, daß sie m i t j h r e m vnzeitigen Geschrey vns i n vnserm wohlbedächtlichem Geistlichem Stillschweigen nicht vnrühig machen, sondern gedencken, ob schon ein Artzney möchte vorhanden seyn, die zu gleich alle Kranckheiten heilet, dennoch die jenigen, welche Gott beschlossen mit Kranckheiten zu plagen, vnd allhie vnter der Ruthen zu halten, zu derselben Artzney nimmermehr kommen vnd gelangen mögen: Eben also, vnd gleicher Gestalt, ob w i r wol die gantze Welt reich vnd gelehrt machen, v n d von vnzehlichem Jammer erledigen können, mögen w i r doch keinem Menschen ohne Gottes sonderbare Schickung nimmermehr offenbar vnd bekanndt werden, ja es fehlet so weit, daß jemand vnser, ohne vnnd wider den W i l len Gottes genießen, vnd vnser Gutthaten theilhafftig werden kan, daß er auch eher das Leben i m suchen vnd nachforschen verlieren w i r t , als daß er vns finde, vnnd also gelange vnd komme zur gewünschten Glückseligkeit der Fraternitet deß Rosen Creutzes.
Literaturverzeichnis Adelung, J. Ch.: Versuch eines vollständigen grammatisch-kritischen Wörterbuchs der hochdeutschen Mundarten. 5 Bde. Leipzig 1774 - 1786. Adler, G.: E i n vergessener Vorläufer des modernen Sozialismus. I n : Die Gegenwart, B e r l i n 1884. Adorno, Th. W., M . Horkheimer: D i a l e k t i k der Aufklärung. Philosophische Fragmente. 1947. Neuausgabe F r a n k f u r t a. M. 1972. Agnostus, I.: Apologia F. R. C. Das ist: Kurtze, Jedoch warhaff te, u n d w o h l gegründte Ablehnung, aller derer beschuldigung, damit i n n verwichener Franckfurter Herbstmäß die Hochgelobte, Weitberühmbte Fraternitet deß Rosenkreutzes bey männiglich, insonderheit aber bey j h r e n getrauen, u n n d gehorsamen Discipulis ohn einige darzu gegebne ursach v o n Hisaia Sub Cruce A t h : fälschlich, u n d boßhafftiglich beschweret worden. A u f f ermelter, Heiliger, Gottseliger Gesellschaft sonderbaren geheiß, u n d befelch, zusammen getragen, u n d verfertiget, durch dero unwürdigen Notar i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. (Nürnberg) 1620. — Clypeum Veritatis; Das ist Kurtze, jedoch Gründliche A n t w o r t respective, u n d verthädigung, auff alle u n d jede schrifften u n d Missiven, welche an u n d w i d e r die hochlöbliche, seelige Fraternitet des Rosencreutzes bißhero i n offendlichen Truck gegeben u n d außgesprengt worden. Darauß neben anderem klärlich abzunemen, was i n einer Summ, u n d einmal für alle m a l j h r e fromme Kunst u n d Weißheit begierige Discipul v o n j h n e n nächst Gott dem Allmächtigen noch i n kleiner kurtzer zeit, frölicher u n d getroster gewisser Zuversicht zu gewarten haben. (Nürnberg) 1618. — Epitimia Fr. R. C. Das ist Endliche Offenbahrung, oder entdeckung u n d verthäydigung deß hochlöblichen Ordens deß Rosencreutzes, auch derselben runden, warhafften bekandtnus u n d Confession an alle Gelehrte, Stände u n d Häupter i n gantz Europa. Mehrertheils zu bevestigung, Trost, Liebe, u n d angenemen gefallen allen Tugendhafften, Verirrten, verlassenen, unwissenden, blöden teutschen Gemühtern i n diesen betrübten, t r a u rigen widerwertigen Zeiten, u n d Weltläufften, w i e nicht weniger zum beschlus j h r e r bißhero ans Tagesliecht gegebnen Schrifften, i n gleichem an statt eines unverwerfflichen Bürgen, oder Fidejussoris der inständigen, herbeynahenden erlösung kürtzlich verfertiget, Auß sonderbaren Befelch durch ehrnbemelter, Gottseliger, erleuchter Societet unwürdigen N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. o. O. 1619. — Fons Gratiae: Das ist, Kurtze Anzeyg u n d Bericht, wenn, zu welcher Zeit u n n d Tag der jenigen, so v o n der heiligen, gebenedeyten Fraternitet deß Rosen Creutzes zu M i t b r ü d e r n auffgenommen, völlige Erlösung u n d perfection anfangen, u n d hergegen wessen sie sich i n principio deß Heyls, u n n d der Gnaden zuverhalten haben. Geschrieben zu Trost u n d endlicher beschließlicher praeparation, u n d Vorbereitung der berührter, demütiger, außerwehlter Discipeln auß sonderbarem Befelch hochermeldter Societet. Durch Dero unwürdigen N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. (Nürnberg) 1619.
Literaturverzeichnis F o r t a l i t i u m Scientiae, Das ist: Die unfehlbare volkommeliche, unerschätzliche Kunst aller Künsten u n d magnalien; welche allen würdigen, tugendh a f t e n Pansophiae studiosis die glorwürdige, hocherleuchte Brüderschafft des Rosencreutzes zu eröffnen, gesandt. Darauß dieselbige j h r e gehorsame, kluge, fromme Discipul k l ä r l i c h u n d ohne einige allegori nunmehr i n demuht u n n d der forcht Gottes alle mysteria, seyt der W e l t anfang hero verstehn u n d lernen mögen. Benebens sich gründlich u n n d augenscheinlich befindet, daß Ehrngedachter, seliger, Gottliebender Fraternitet ringste Künsten daß Goldmachen, u n d Lapis philosophicus jederzeit gewesen seyen. Subset Irenaeus Agnostus C . W . ejusdem Fraternitatis per Germaniam indignus Notarius. (Nürnberg) 1617. Frater N o n Frater, Das ist Eine Hochnotdürfftige V e r w a r n u n g an die Gottselige, fromme Discipul der H. gebenedeyten Societet des Rosencreutzes, Das sie sich für den falschen Brüdern, u n n d Propheten fleissig v o r sehen, so unter dem Namen, u n d Deckmantel wolermelter Gesellschaft ad S. S. i n der W e l t zerumbstreichen: Neben andeutung gewisser kennzeichen u n d gemerck, dardurch ein falscher v o n einem warhafften Rosencreutzer ohnfelbar, u n d sicherlich zuunderscheiden, u n d abzunemmen. Subscribsit Irenaeus Agnostus C . W . eiusdem Fraternitatis per Germaniam indignus Notarius. (Nürnberg) 1619. Liber T. Oder Portus Tranquillitatis, Das ist: E i n herrlicher, trostreicher Bericht, v o n dem höchsten Gut, welches die jenige, so v o m Bapstthumb abgewichen, u n d i n den Orden, u n n d das Collegium deß Rosen Creutzes auffgenommen worden, durch die Gnad Gottes u n d stäten fleiß deß hochermelten gesegneten Rosen Creutzerischen Ordens, diese kurtze zeit über erlangt u n d bekommen haben. Aus sonderbarem Geheiß u n n d Befehl seiner Herren Obern u n d Prinzipaln, zu einem g r ü n d l i c h e n Bericht, notwendiger Schutzrede, Rettung der Unschuld, Beständiger Verantwortung, u n d anzeig was j h r e fürnembste Lehr sey, Gestellt u n d verfertigt Durch Irenaeum Agnostum C. W. o. O. 1620. Regula Vitae: Das ist, Eine heylsame, nutzliche, u n d nohtwendige Erinnerung an die Jenigen, welche nach der Hochberümbten Tugendhafften Fraternitet deß Rosencreutzes ein sehnliches, hertzliches verlangen tragen u n d haben, doch derselben noch der Zeit nicht einverleibt sind. Auß gnädigem, wohlbedachtem Befelch ermeldter Heiliger, unsträfflicher Societet verfertiget durch j h r e n unwürdigen N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. o. O. 1619. Speculum Constantiae: Das ist: Eine nohtwendige vermahnung an die jenige, so j h r e Namen bereits bey der heiligen gebenedeiten Fraternitet deß Rosencreutzes angegeben, daß sie sich durch etlicher böse verkehrte Schrifften nicht j r r lassen machen, sondern vest halten, u n d getrost stehn bleiben sollen. Mehrertheils auff den Tractat dessen T i t t e l : Speck auff der F a l l &c. so w i d e r diese Fraternitet außgangen gerichtet. Auß sonderbahrem geheiß, u n n d befelch hochgedachter Gesellschaft ad S. S. verfertiget durch j h r e n u n w i r d i g e n N o t a r i u m Germanicum Irenaeum Agnostum C. W. (Nürnberg) 1618. Thesaurus Fidei, Das ist: E i n notwendiger Bericht, u n n d V e r w a r n u n g an die Novitios, oder junge angehende Discipel, welche v o n der hochlöblichen gesegneten Fraternitet deß Rosen Creutzes auff- u n d angenommen: Das sie i m Glauben gegen Gott, Liebe dem Nechsten, Gedult, u n n d Sanfftmut der Fraternitet biß ans Ende verharren, u n d die Laster hingegen fliehen sollen, w o fern sie anders nicht w i d e r u m b verstoßen. Auß dem Buch der
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rechtgleubigen Christen zur Warnung i n Druck verfertiget, damit sie standhafftig bleiben auff der rechten Bahn, u n d kempffen einen guten Kampff, behalten Glauben u n d gut Gewissen, u n d endlich die K r ö n des ewigen Lebens bekommen mögen, da w i r alles das, was A d a m verlohren, I m Paradise, reichlich widerumb bekommen werden. Durch Johannem Siverti Aegl. (Magdeburg) 1617. Sombart, W.: Der moderne Kapitalismus. 2 Bde. 2. Aufl. München - Leipzig 1916. Sommer, F.: Die Wiener Zeitschrift 1792 - 1793. Die Geschichte eines antirevolutionären Journals. Diss. B o n n 1932. — Leopold Alois Hoffmann u n d seine Wiener Zeitung. Das FreimaurerMuseum, Bd. 7. Zeulenroda - Leipzig 1932. Sonntag, W. H. v.: Die Staatsauffassung Carl L u d w i g von Hallers. Jena 1929. Spaignart, Ch. G. de: Theologisch Wächterhörnlein, oder Warnung, Wider das eingelegte Fewer, der selbst gewachsenen newen Propheten u n d Rosencreutzbrüder, damit sie sich unterstehen, die Christliche Kirche anzuzünden, u n d abzubrennen. A u f f vielfeltiges begeren gerichtet u n d geschrieben, Durch Christianum G i l b e r t u m de Spaignart, der heiligen Schrifft Doctorem. Wittenberg 1620. Specht, R.: Innovation u n d Folgelast. Beispiele aus der neueren Philosophieu n d Wissenschaftsgeschichte. Stuttgart - Bad Cannstatt 1972. Spengler, H.: Die publizistische Tätigkeit des Freiherrn A d o l f v. Knigge w ä h rend der Französischen Revolution. Diss. Bonn. 1931. Spittler, L. Th. v.: Sämtliche Werke. Hrsg. v. K . Wächter. Stuttgart - T ü b i n gen 1827 - 1837, Bd. 14 u n d 15. Sprat, Th.: History of the Royal Society. 1667. Hrsg. u. m i t einem kritischen Apparat versehen v. J. Cope u. H. W. Jones. St. Louis 1958. Stellatus, J.: Pegasus Firmamenti. Sive Introducilo Brevis I n Veterum Sapientiam, quae o l i m ab Aegyptijs & Persis Magia; Hodiè vero à Venerabili Fraternitate Rosae crucis Pansophie rectè vocatur, i n Piae ac Studiosae Juventutis gratiam conscripta A Josepho Stellato, Secretions Philosophiae alumno. o. O. 1618. Stephani, D. H.: Grundriß der Staatserziehungswissenschaft. Weißenfels Leipzig 1797. Stötzner, R.: Der Satiriker Trajano Boccalini u n d sein Einfluß auf die deutsche Literatur. I n : A r c h i v für das Studium der neueren Sprachen u n d Literaturen. Hrsg. v. A . B r a n d l u. A . Tobler, 53. Jgg., Bd. 103, (Band 3 der neuen Serie). Braunschweig 1899, S. 107 ff. Stolberg, Ch. u. L. v.: Gesammelte Werke. Hamburg 1827. Stolberg, F. L. v.: Die Insel. Leipzig 1788. Strauss, D. F.: Voltaire. 6. A u f l . Bonn 1865. Ströker, E.: Geschichte als Herausforderung. I n : Neue Hefte f ü r Philosophie. Hrsg. v. R. Bubner, K . Cramer, R. Wiehl. Göttingen 1974. H. 6/7, S. 27 - 66. Strunz, F.: Beiträge u n d Skizzen zur Geschichte der Naturwissenschaften. F r a n k f u r t - Leipzig 1906. Stuke, H.: Aufklärung. I n : Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches L e x i k o n zur politisch-sozialen Sprache i n Deutschland. Hrsg. v. O. Brunner, W. Conze, R. Koselleck. Stuttgart 1972. Bd. 1, S. 243 - 342.
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Personenregister A a r o n 248 A b r a h a m 297 Adami, T. 40, 42, 57, 314 Adamson, H. 97 Adelung, J. Ch. 171, 183, 309 Adler, G. 149, 309 Adler, M . 12 Adorno, Th. W. 171, 309 Agnostus, I. 84 f., 309 ff. Albrecht, H. C. 248, 311 d'Alembert, J. B. 112, 130, 150 Altenstein, K . v. 278 f . Althusius, J. 205, 319 A l t m a n n , A . 179, 311 Amiable, L. 130, 311 Ancillon, F. 277, 280 ff., 311 Anderson, J. 104 Andreae, J . V . 20, 36 ff., 43 ff., 49 ff., 54 ff., 66 ff., 71 ff., 95 ff., 125, 135, 143, 156, 174, 236, 311 ff., 323, 331 Angeleri, A . 29, 312 Archenholz, J. W. v. 265, 333 Aristoteles 30, 33, 47, 83, 86, 89, 285, 297, 334, 336 A r n d t , Ε. M. 158 A r n o u x , G. 163, 327 Aschenbrenner, A . 189, 313 Ashmole, E. 98 f. Assézat, J. 112 Averroes 30 Baader, F. M. 217 Babeuf, G. 156, 313 f., 322 Babo, J. M. (Pseudonym) 227 f., 312 Bacon, F. 27, 31, 33, 56, 60, 65 ff., 80 f., 84, 95, 97, 101, 104, 109, 125, 143, 174, 236, 312, 317, 332 Bahner, W. 163, 312 Bahr, E. 172, 179, 187, 312 Bahrdt, K . F. 173, 177, 185, 237 f., 240, 312 Baillet, A . 91 ff., 312 Bainton, R. H. 312 Bamberger, F. 195 22·
Barruél, Α . 213, 312 Basalla, G. 11, 312 Basedow, J. B. 175 f., 312 Baudnik, Z. 79, 315 Baudouin, Ch. 92, 312 Bauer, Β . 262, 312 Bauer, F. 134, 313 Baumgarten, A . G. 189, 313 Baur, S. 175, 313 B axa, J. 206, 334 Bayle, P. 118, 126 Beaumarchais, P.-A. G. de 130 Becker, R. Ζ. 176 Béclarde, L. 165, 313 Beer, M . 313 Begemann, W. 53 f., 313 Behrend, E. 211 Beissner, F. 270, 322 Bellarmin, R. 20, 314 Benjamin, W. 313 Benoist, J.-M. 151 Bergmann, K . H. 156, 313 Berneri, M. L. 143, 313 Besold, Ch. 38 f., 42 Beyer, B. 216, 228 f., 243 ff., 268, 313, 338 Beyer, W. R. 217, 313 Biedermann, F. v. 135, 313 Biester, J. E. 172, 202, 239 f. Biesterfeld, W. 37, 56, 59, 311 Bilthius, H. 89, 313 Birkholz, A . M. (AdaMah Booz) 77,319 Bischoff, E. 245, 313 Bischoffswerder, J. R. v. 133, 250 ff., 277 Blanqui, L . - A . 156, 322 Blavis, D. 313 Bloch, E. 27, 313 Bios, A . 156, 314 Bios, W. 156, 314 Blumauer, A . 223 f. Blumenberg, H. 313 Boccalini, T. 40 ff., 45, 79, 335 Bock, G. 57, 313
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Personenregister
Bode, J. J. Ch. 133, 136 f., 202, 221, 226, 241, 250 ff., 265, 314, 330 Bodmer, J. J. 201 Boehm, G. 23, 319 Böhme, G. 12, 27, 31, 316, 325 Böhme, J. 246, 256, 320, 324 Börne, L. 283 Boisserée, S. 274 Bonaventura (Johannes Fidanza) 196 Bord, G. 125, 314 Borgius, W. 11 Bormann, C. V. 111 Born, I. v. 138, 222 ff. Borneville, N. 136 Boyle, R. 15, 100 Brahe, T. 20, 61, 72 Brandl, A . 41, 335 Brandt, O. 226, 314 B r a u n , J . W . 134, 314 Braunreuther, K . 113 Breitinger, J. J. 112 Bress, L. G. 159, 314 Bridoux, A . 143 Brinton, C. 131, 314 Brissot, J. P. 130 Brockes, B. 171 Broderick, J. 20, 314 Brück, A . Ph. 225,314 Brück, H. Ch. 67, 312 Brunner, O. 22, 106, 314, 335 Bruno, G. 33, 40, 42, 54, 56, 73, 124, 314, 338 Bruyere, J. de la 150 f., 325 Bubner, R. 21, 314, 325, 335, 337 Buck, Α . 26, 29, 314, 329 Bürger, G. Α . 198, 204, 314 Buhle, J. E. 75, 77, 94, 314 Buhr, M. 10, 323 Buonarroti, Th. 156, 314 Buosset, W. 245, 314 Burckhardt, J. 314 Burckhart, T. 314 Bury, B. 34, 314 Calvin, J. 38, 78, 86 f., 90, 320 Caesar 253 Campanella, T. 31, 33, 40, 54, 56 ff., 80, 104, 143, 236, 313 f. Campe, J. H. 138, 176, 225, 240, 314 Cassirer, E. 16, 27, 171, 195, 265, 315 Castelles, F. D. 97, 315 Cato 41 Chambers, E. 128
Chastel, A . 27,315 Chenier, A . 130 Cherbury, H. v. 124 Chodowiecki, D. 253, 316 Chrysophiron 245, 249, 315 Cicero 26 Clagett, M. 26, 315 Claudius, M . 146 Clemens X I I . 124 Cleobolus 41 Coe, R. N. 156, 315 Collins, A . B . 315 Comenius, J. A . (Komensky) 28, 40, 53 f., 56, 60, 66, 78 ff., 94 ff., 104, 124, 175, 200, 236, 238 f., 313, 315, 323, 330 f. Comte, Α . 16 Condilliac, E. B. de 112, 163 Condorcet, M. J. A . N. C. de 16,112,129 Conrad, H. 205, 336 Consandey, J. S. 233 Constanzo, Graf v. 217 f., 228 Conventius, E. 134, 315 Conze, W. 22, 106,314, 335 Cook, J. 224 Cope, J. 100, 335 Coreth, E. 171, 315 Costalius, P. 266 Cramer, K . 21, 325, 335 Craven, J . B . 72, 77, 315 Criegern, H. F. v. 97, 315 Crombie, A . C. 26,315 Cromwell, O. 99, 101, 124 Crucigerus, E. Ch. 87, 315 f. Cusanus, N. 77, 316, 321 f. Cyrano de Bergerac 164 Daele, W . v . d. 12, 27, 31,316 Dangelmayr, S. 316 Dante, A . 26 Danton, G. J. 130 Darrah, D. D. 123, 316 D a r w i n , Ch. 320 Daudé, P. 126 Debus, A . G. 88, 103, 316, 331, 337 Degener, W. 127,316 Dehnert, P. 316 Demokrit 50 Deprun, J. 148, 328 Dermenghem, E. 122, 316 Desaguliers, Th. 104 Descartes, R. 14, 27, 91 ff., 102, 107, 143, 146, 150, 171, 312, 324, 328
Personenregister Desmaizeaux 126 Desmoulins, C. 130 Desné, R. 148 f., 328 Diderot, D. 112, 115, 128 ff., 150, 156, 162, 167, 316 Dieckmann, H. 171, 316 Diederich, W. 12, 316 Dietrichstein, J. Β . K . Fürst v o n 223 Dietz, A . 316 Dietze, W. 204, 337 Dijksterhuis, E. 12, 316 Dilthey, W. 316 Diodorus Siculus 143 D i t f u r t h , D. v. 220 f. Dohm, Ch. W. v. 239 Domenicus 26 Dommanget, M. 149, 316 Dotzauer, W. 225, 316 Drews, W. 134 f., 316 Droz, J. 214, 316 Dubnow, S. 316 Duby, G. 27, 42, 316 Dülmen, R. v. 213, 215 ff., 316, 338 Dürer, A . 84 Duhem, P. 26, 316 Ebbinghaus, J. 124, 326 Eberhard, J. A . 259 Einstein, A . 17 f., 106, 316, 318 Eliade, M. 316 Ellis, R. L. 67, 312 Eischenbroich, A . 171 Engel, L. 213, 217, 230, 254, 317 Engelhardt, W. v. 108, 325 Engels, F. 10 f., 328 Enoch 89, 297 Epstein, K . 214 Erasmus v. Rotterdam 312 Erhard, A . 317 Erhard, J. B. 172, 187 f., 312, 317 Ernst v. Gotha 226 Euchner, W. 124, 317 Ewald, J. L. 210, 317 Faber, H. 233 ff., 317 Faber, K . G. 275, 317 Farrington, W. 67, 317 Faulhaber, J. 92, 317 Fay, Β . 125, 129, 131,317 Feder, J. G. H. 202, 225, 238 Federmann, R. 317 Felgenhawer, P. 87
Fénélon, F. de Salignac de la Mothe 46, 127, 146 f., 150 f., 155, 208, 317 Ferdinand, Herzog v. Braunschweig 133, 136, 138, 220, 226, 251 Ferguson, J. 317 Feuerbach, L. 152 Feyerabend, P. 13, 19, 317 Ficht, W. 272,317 Fichte, J. G. 223, 257 ff., 266, 317, 332 Fichte, I. H. 258, 317 Ficinus, M. 28, 30, 33, 47, 315, 325 Fierz-David, H. E. 318 Findel, J. G. 118, 243, 318 Fischer, D. H. 318 Fischer, M. W. 11, 23, 52, 277, 318 Fischer, S. F. 89, 318 Fleckenstein, J. 0.106, 318 Fludd, R. 56, 58, 66, 71 f., 76 ff., 93, 95, 124, 315, 318 f. Foigny, G. de 319 Folien, Κ . 275 f., 331 Forkert, J. G. 169, 321 Forster, J. G. 120, 224 Fourcroy, A . F. de 130 Franciscus v. Assisi 26 Frank, S. 54, 254, 338 F r a n k l i n , B. 130, 172 Franz I. (Stephan v. Lothringen) 132 Freudenberg, F. 77, 319 Frick, K . R. H. 35, 319 Friedel, J. 202, 319 Friedländer, D. 172 Friedrich I I . 123, 132, 185, 202, 225, 253, 262, 324, 328, 331 Friedrich Chr., Herzog v. SchleswigHolst.-Augustenburg 194 Friedrich W i l h e l m I I . 185, 252 f., 277 Friedrich W i l h e l m I I I . 124, 277 Friedrich W i l h e l m I V . 277 Fries, J. F. 273 ff., 319, 321 f. Fritsch, Th. 176 Frizius, J. s. F l u d d Frölich, C. W. 188, 207, 319 Fuchs, V. v. 224, 319 Funck-Brentano, F. 164, 319 Gadamer, H. G. 23, 319 Galen (Galenus) 33, 39, 47, 89, 285 Galilei, G. 12, 20, 27, 61, 81, 102, 106, 318, 320 Gans, E. 259 f. Garasse, P. 91, 319 Garvé, Ch. 172, 177
342
Personenregister
Gebler, T. 223 Gedike, F. 172, 202, 239 f. Geiger, C. I. 200, 207, 319 Georgi, D. S. 56, 311 Gerstenberg, H. W. v. 208 Gerth, H. 214, 319 Gessner, S. 208 Gierke, Ο. 205, 319 Gilbert, C. 319 Gille, W. 32, 319 Giorgione (Giorgio da Castelfranco) 321 Girsberger, Η . 144, 147, 149, 156 f., 163, 165, 319 Gleim, L. 172 Glockner, H. 264, 321 Glucksmann, A . 151, 319 Goethe, J. W. V. 52, 81, 136, 172, 183, 208, 226, 259, 267 f., 274, 279, 319, 338 Goeze, J. M . 136 Gogel 264 Goldammer, K . 319, 330 Goodwin, F. 164 Gottsched, J. Ch. 112, 171 Gould, R. F. 123, 319 Grabe, Th. 219, 320 Grassi, H. 241, 320 Greene, J. C. 320 Greuze, J.-B. 130 Griesmann, M. V. 90, 320 G r i m m , M. 112, 156 Grimminger, R. 191, 320 Grolmann, L. A . Ch. v. 234 ff ., 320 Grosse, E. 178, 337 Grosseteste, R. 26, 315 Grossing, F. R. v. 200, 320 Grotius, H. 114 Gruber, J. C. 172, 337 Grünberg, C. 149 f., 320 Gruentner, R. 134, 328 Grunsky, H. 320 Guérin, M. 151 Guerrier, W. 163, 320 Gugomos, G. F. v. 251 Guhrauer, G. E. 81, 320 Guintherius 88, 316 Haak, Th. 98,100 Haar, J. 168, 320 Habermas, J. 320 Haendler, K . 32, 325 H a l l , R. A . 12, 60, 320
Haller, K . L. v. 277, 280 ff., 320, 332, 335 Hamann, J. G. 138, 172 f , 183 f., 191, 198, 259, 312, 320 Hardenberg, Κ . A . v. 225, 272, 278 f , 283,338 Harnack, A . 321 Hartlaub, G. F. 50, 321 H a r t l i b , S. 58, 97 f., 100 Hartmann, K . 178, 321 Hasbach, W. 107, 113, 321 Hasselbladt, M . 274, 321 Haubst, R. 321 Hauser, A . 26 Haym, R. 272, 276, 321 Hazard, P. 126, 321 Heath, D. D. 67, 312 Heer, F. 92, 103, 106, 321 Hegel, G. W. F. 21, 114, 152, 195, 209, 217, 257 ff., 264 ff., 313, 321 f., 332 Heine, H. 134, 321 Heinisch, K . J. 68, 312 Heisenberg, W. 321 Held, F. E. 65, 321 Held, H. v. 272, 336 Hellen, Ε. v. d. 115, 334 Helvetius, C.-A. 129 f., 150, 155, 167 ff., 321 Henke, E. L. Ch. 273, 321 Henkel, Α . 266, 321 Hennings, Α . v. 226 Henzi, S. 134, 322, 325 Herder, J. G. v. 112, 115, 136, 138, 172, 184, 192 ff., 198, 209 f., 226, 256, 259, 312, 321, 332 Hermand, J. 203, 208, 330 Hermes Trismegistos 46 f., 77 Herold, N. 32, 325 Herz, M . 172 Hess, G. 151, 325 Heß, T. 39 f. Hettner, H. 321 Heusinger, C. 177, 314 Heydon, J. 71, 322 Hintnehm, J. 90, 322 Hippel, Th. G . v . 181, 259 H i r a m , A . 246 Hobbes, Th. 114 Hoöevar, R. 263, 322 Höhler, W. 246, 322 Hölderlin, F. 264, 270, 322 Höppner, J. 156, 158, 322 Hoffmann, A . J. 203, 322
Personenregister Hoffmann, L. Α . 222, 238, 241, 322, 335 Hoffmeister, J. 260, 321 Holbach, P. H. D. v. 112, 130, 150, 155, 167 f f , 320, 322 Holther, Β . B. 189, 313 Holzhey, H. 111, 190, 322 d'Hondt, J. 263, 265, 316 Hoppen, T. 322 Horkheimer, M. 171 Horneffer, A . 123, 322 Hotho, H. G. 269 Houdon, J. A . 130 Hubert, R. 167, 322 Hübner, K . 12, 322 Hübner, L. 222, 240 Humboldt, W. v. 172 Hund, Frh. v. 132 Hurther, F. 283, 322 Hutcheson, F. 188 Iambulos 143 Ignatius v. Loyola 251 Ingfeld, L. 18, 316 Isokrates 143 Jäckel, E. 31, 329 Jacobi, F. H. 138, 223, 273, 332 Jacobi, K . 322 Jakob, J. 322 Jakob I I . 124 Jambet, Ch. 151 James I. 67 Jefferson, Th. 172 Jellinek, G. 130, 322 Jenal, E. 134, 322 Jerusalem, K . W. 259 Joachim v. F i o r i 54 f., 60, 143 Jonas, F. 193, 334 Jones, G. P. 118, 324 Jones, H. W. 100, 335 Jones, P. 130 Josef I I . 202, 222 f f , 319, 328, 337 Jung, C. G. 323 Jungius, J. 37, 66, 81, 320 Kästner, A . G. 177 Kamptz, K . A . v. 278, 323 Kant, I. 115 f , 172 f , 178 f f , 184, 187, 190, 194 f , 197 f , 205 f , 211, 223, 256, 258 f , 265 f , 273, 278, 282, 312, 315, 322 f , 332, 336 Kanter, J. J. 181 K a r l I I . 98, 101
K a r l v. Hessen 226 K a r l Theodor, Fürst v o n Bayern 213, 229, 254 Kearney, H. 106, 322 Keller, L. 28, 80, 94, 200 f , 238 f , 322 Kelletat, A . 203, 337 Kelsen, H. 32, 323 Kepler, J. 33, 54, 61, 72, 81, 102 Kessler, E. 27, 325 K h u n r a t h , H. 323 Kienast, R. 39 f , 43, 323 Kiesel, H. 113, 323 Kinderling, J. F. A . 115, 184, 323 King, P. 338 Klaus, G. 10, 18, 323 f. Klein, E. F. 239, 278, 324 Kleinheyer, G. 205, 336 Kleinschmidt, A . 324 Kleinwächter, F. 159, 324 Kleist, Ε. v. 135 Klopstock, F. G. 136, 199 Klossowski de Rola, St. 324 Kluckhohn, P. 257, 330 Klüpfel, K . 38, 324 Kneisner, F. 131, 324 Knigge, A . Frh. v. 136, 202 f , 209, 211, 215, 217 f f , 254, 279, 283, 320, 324, 331, 335 f. Knittermeyer, H. 26, 157, 171, 336 f. Knoop, D. 118, 324 Kobenzl, J. Graf 222 Koch, R. 222, 324 Kocher, Κ . E. 324 Koppen, Κ . F. 262, 324, 333 Körner, G. Ch. 226 Koestler, A . 16, 18, 324 Kolakowski, L. 324 Kolowrat, J. N. K . v. 224 Kopernikus, N. 18, 20, 26, 33, 81, 109, 313, 316, 324 Kopp, H. 324 Koselleck, R. 22, 24 f , 106, 108, 117, 119 f f , 133, 139, 141, 277 f , 314, 324, 335 Kotzebue, A . F. F. v. 271, 273 Koyré, A . 27, 324 Krabb, E. A . 225 Kramnick, J. 324 Kraus, Ch. J. 183 Krause, K . Ch. F. 80, 104, 323 f. Krauss, W. 171,324 f. Krawietz, W. 32, 325 Krebs, A . 113, 325
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Personenregister
Krebs, M. 134, 325 Kressl, Franz Frh. v. 223 Kristeller, P. O. 27 f., 325 K r o h n , W. 12, 27, 31 f., 316, 325, 338 Krüger, G. 49, 243 f., 253, 325 Krüger, L. 325 K r u g , W. T. 325 Kuczynski, J. 113, 116, 325 Kuhlenbeck, L. 314 K u h n , Th. S. 10 f f , 27, 45, 320, 325 Lacépède, E. de 129 Lafargue, P. 144, 325 Lafayette, Marquis de 130 Lakatos, I. 325 Lalande, J.-J. 126, 129 f. Lantoine, A . 124 f , 325 Laplace, P. S. 256 Laube, H. 138, 326 Lavater, J. C. 226 Le Clerc, J. 126 Le Forestier, R. 213, 217 f , 220, 227, 234, 241, 325 Leibniz, G. W. 37, 81, 94, 107 f , 115, 124, 135, 165, 171, 188 f f , 253, 266, 325 Lenk, K . 12, 325 Lennhoff, E. 78, 118, 123, 126, 129 f f , 222, 325 Lenski, G. 11, 326 Lenz, M. 326 Leonardo da V i n c i 32 f , 326, 331 Leser, N. 12, 326 Lessing, G. E. 112, 119, 133 f f , 172, 183, 192, 207, 212, 230, 259, 268 f , 312 f f , 315 f , 325 f , 328, 332, 334 Leuchsenring, F. 239 Levy, B.-H. 151 Leyden, W. v. 29, 326 Libavius, A . 77, 88 f , 316, 318, 326 Lichtenberg, G. Ch. 138 Liebert, A . 331 L i l l y , W. 99 Lindemann, H. 150, 326 Lippmann, Ε. Ο. v. 326 Locke, J. 114, 124, 126, 145, 326 Loehrbach, Graf v. 248, 326 Lorris, G. de 42 Louis-Philipp, Herzog v. Orleans 123 L u d w i g v. Kassel 251 L u d w i g X I V . 146, 148 L u d w i g X V . 126 Lübbe, H. 13 f , 284, 326
L u k i a n 164 Luther, M. 43, 48, 78, 86 f. L y k u r g 143, 147 Mably, G . B . de 163 f , 312, 320, 327, 337 Machiavelli, Ν . 146, 336 Maenner, L. 222, 327 Mahnke, D. 327 Maier, A . 26, 327 Maier, J. A . 254 Maier, M. 52, 66, 71 f f , 91, 95, 99, 103, 124, 244, 315, 327 Maimon, S. 172 Maistre, J . d e 122, 316 Malebranche, N. 151, 328 Malon, B. 149, 328 Manwaring, H. 99 Marc A u r e l 253 Marés, S. L. E. de 122, 328 Marheinke, Ph. 258 Maria Theresia 132 Maritain, J. 92, 328 Marquard, O. 30, 117, 328 M a r t i n , M. G. 130 f , 328 M a r t i n i , C. A . v. 222 f. M a r x , A . 43, 94, 243, 328 M a r x , K . 10, 12, 16, 152, 158 f , 263, 314,325 f , 328, 334 Masterman, K . 17, 328 Mathias, P. 60, 320 Mathy, H. 225, 328 Mauthner, F. 125, 328 Mauvillon, J. 202, 225 f. Mayer, H. 134, 321 Meggenhoffen, F. v. 121, 328 Mehring, F. 134, 328 Meiners, Ch. 225, 238 Meister, H. 112 Menapius, F. C. 83 Mendelssohn, G. B. 179, 328 Mendelssohn, M. 135, 138, 172 f , 179, 189 f , 195, 225, 239, 259, 311 f , 328 Menschink, G. 148 f , 328 Menzel, A . 222, 328 Menzel, K . A . 222, 328 Mercier, L.-S. 164 f f , 177, 313, 328 Merian, M. d. Ä . 52, 72 Mersenne, M. 93 Merton, R. 12, 328 Meslier, J. (Abbé) 148 f f , 155, 163, 168, 316, 320, 328, 333 Meung, J. de 42
Personenregister Meyer, G. F. 189 Michel, Κ . M. 149, 157, 203, 322, 328 Michelet, K . L. 260 Milford, E. 201 Mirabeau, H. G. V. R. de 113, 130, 172, 225 Mirandola, P. della 28, 30, 33, 331, 334 Mittelstrass, J. 171, 328 Mögling, D. 83 Mohammed 56, 289, 299 Moltke, A . 203, 329 Mommsen, Th. E. 26, 329 Montaigne, M. 136, 150 f., 330 Montesquieu, Ch. de Secondât 112, 114, 126, 129 Montgelas, Baron v. 217, 229, 337 Moray, R. 98 f. M o r e l l y (Abbé) 156 f f , 164, 168, 315, 329, 336 Moréri, L. 150 f. Moritz v. Hessen 72 Moritz, K . Ph. 172 Morris, W. 56, 145, 311 Morus, Th. 31, 33, 56, 143, 329 Moser, J. 172 Moser, F. C. v. 204, 329 Moses 29, 56, 248, 296 f. Mozart, W. A . 51 f , 222 f , 271, 324, 332 Muehll, E. v. d. 145, 329 Müller, Κ . A . v. 275, 329 Münch, P. 113, 323 Mundus, S. 89 f , 329 M u r r , C. G. v. 94, 329 Musgrave, A . 325 Mylius, D. C. S. 164, 332
Nadler, J. 183, 320 Nagelius, M. P. 87 Napoleon 165, 279 Naudé, G. 90 f , 329 Nerrlich, P. 262, 333 Nettelbladt, C. C. F. W. v. 131, 243 f , 254 f , 329 Newton, I. 12, 103 f , 106, 126, 168, 320, 331, 337 Nicolai, Ch. F. 112, 135, 137 f , 172, 183, 186, 202, 239 f , 258 f , 330 Nicolin, F. 264, 279, 321, 330 Niebuhr, B. G. 142, 202, 279, 330 Niethammer, F. I. 273 Nietzsche, F. 25, 330 Nigrinus, Ch. 86, 330
Nöhsen, H. 239 Novalis (F. Frh. v. Hardenberg) 257, 330 Nyssen, F. 178, 321 Öchsli, W. 280 f , 330 Oelsner, K . E. 199, 203, 265, 330 ö t t i n g e r , Ζ. Α . 136, 330 Oppenheimer, Α . 148 Orieux, J. 330 Orwell, G. 165 Obst, G. 202, 330 Oughtred, W. 99 Overbeck, Ch. A . 298, 330 Paracelsus, Th. B. 39, 43 f f , 47, 54, 77, 86, 88 f , 319 f , 330 Parekh, B. C. 338 Pareto, V. 11, 330 Patocka, J. 80, 330 Paul, J. 189, 210 f. Petrarca, F. 25 f , 329 Peuckert, W. E. 43, 118, 330 Pezzi, J. 202, 330 Pfingsten, J. H. 66, 312 Philipp Egalité 123 Philipp v. Hessen 83 Philippson, M. 256, 331 P h i l o n 41 Piechotta, H. J. 207, 331 Pinomaa, L. 32, 325 Platon 26, 28 f , 38, 50, 56, 143, 145, 297, 311, 315 f , 325, 336 Plessner, H. 171,331 Plethon, G. 336 Plumenoek, C. H. L. v. 247, 331 Plutarch 143 Pocock, J. G. A . 331 Pohrt, W. 12, 331 Pomponazzi, P. 30 Popp, J. 219, 331 Popper, K . R. 21 Posner, O. 78, 118, 325 Pregizer, R. 275, 331 Prösener, M. 120, 331 Ptolemäus 33 Pufendorf, S. 114 Purver, M . 100, 331 Pust, R. 40, 60, 331 Pythagoras 216, 297, 337 Quesnay, F. 107,113, 321
346
Personenregister
Ramsay, Α . M. 126 f f , 146 f f , 155, 161, 316, 331 Randall, J. H. 32, 331 Rassem, M . 22, 331 Rattensi, P. M . 101, 103, 331 Raynal, G. 112 Read, J. 73, 331 Rebmann, A . G. F. 207, 331 Recktenwald, H. C. 114 Reimarus, H. S. 136, 138, 177 Reinhard, E. 280, 332 Reinhold, E. 223, 332 Reinhold, K . L. 223, 332 Reitzenstein, A . v. 125, 173, 192, 332 Resewitz, F. G. 176, 332 Restif de la Bretonne, Ν . E. 164 f , 319, 332 Reuchlin, J. 43 Reverdy, A . 156, 332 Rheinwald, F. H. 37 Richter, S. (Renatus Sincerus) 243 f. Riedel, M. 332 Riem, A . 172, 240,312 Ritten, G. 31, 329 Ritter, J. 106, 189, 332 f. Ritzel, W. 134, 332 Rivière, M. de 113, 332 Robertus, A . 145 Rochow, F. E. v. 177, 332 Roller, H. D. 320 Rosenberg, A . 36, 42, 49, 51, 55, 223, 311, 332 Rosenberg, G. J. v. 137 Rosenkranz, K . 274, 276, 284, 332 Rossberg, A . 213, 215, 220 f f , 272, 283, 332 Rossi, P. 68, 332 Rostius, G. 87, 332 f. Rotteck, C. 277, 284, 333 Roucher, J. A . 130 Rousseau, J.J. 112, 114, 164 f., 174,188, 191, 207, 333 Rudolf, Ch. (d'Ablaing v a n Gießenburg) 148, 333 Rudolf I I . 72 f f , 334 Riickert, F. 317 Ruge, A . 262, 333 Runkel, F. 131, 333 Ruof, L. F. 265, 333 Ruska, J. 46, 333 Sagnac, P. 117, 333 S aim, K . Th. F. zu 216, 324
Salomon, L. 200, 333 Salzmann, A . G. 177 Samuel, R. 257, 330 Sand, K . L. 273 f f , 329 Sass, H. M. 263, 312 Savioli-Corbelli 217, 228 Schalk, F. 106, 171, 333 Schaumann, J. Ch. 186 f , 333 Schaumburg- Lippe, A . W. v. 123 Schelling, F. W. 175, 256, 259, 264, 333 Scherer, J. B. 220, 333 Schick, H. 35, 37 f , 79, 81 f f , 86, 333 Schickaneder, E. 271 Schiffmann, G. A . 125, 243, 333 Schiller, F. v. 115, 172, 183 f , 187, 193 f f , 202, 223, 256, 259, 312, 334 Schlecht a, K . 25, 330 Schlegel, A . W. 266 Schlegel, F. 206 f , 210 f f , 257, 334 Schlettwein, J. A . 113, 325 Schlözer, A . L. v. 203 Schmidt, A . 159, 334 Schmidt, C. 10 Schmidt, J. H. (Fictuld, H.) 244, 317 Schmitt, Ch. 334 Schmitt, E. 217, 334 Schneider, F. 200, 202 Schneider, F. J. 119, 127, 133, 200, 246, 334 Schneider, H. 134, 334 Schneider, H. E. 334 Schneider, W. 171, 334 Schöcking, L. 191, 333 Schöne, A . 266, 321 Schreiner, H. 23, 318 Schrepfer, J. G. 250, 253 Schröder, F. L . 136 Schroeder, W. v. 94 Schröter, M. 175, 333 Schubarth, Ch. F. D. 172 Schulz, F. 240 Schulz, W. 320 Schwabe, J. J. 201 Schwarzenfels, G. V. 334 Schweighart, Th. (Florentinus de Valentia) 82 f f , 96, 318, 334 Scotus, D. 196 Sedlmayr, H. 22, 331 Seeber, A . 334 Seidel-Höppner, W. 156, 158, 322 Semmler, J. S. 245, 334 Seneca 41 Sennert, D. 88, 316
Personenregister Serouya, H. 334 Seybold, D. Ch. 311 Shaftesbury, A . A.-C. 145, 188 Shakespeare, W. 266 Sieveking, G. H. 142, 226, 334 Sieveking, A . 142, 226, 334 Sieyès, E. J. 130, 334 Sinold, Ph. B. 146 Sivertius, J. 89, 334 f. Smith, A . 107, 114, 321 Soboul, A . 148, 328 Socher, J. 217, 334 Sömmering, S. Th. v. 224 Sokrates 176, 195 Solon 41, 147 f. Sombart, W. 116, 335 Sommer, F. 222, 241, 335 Sommerville, Th. 284 Sonnenfels, J. v. 223 f. Sonntag, W. H. v. 280, 335 Spaignart, Ch. G. 87 f,, 335 Spalding, G. L. 259 Spaur, F. v. 221 Specht, R. 109, 335 Spedding, J. 67, 312 Spengler, H. 219, 335 Sperber, J. (Julianus de Campis) 86, 314 f. Spinoza, B. 107, 135 f., 171 Spittler, L. T. 225, 238, 284, 335 Sporck, Graf v o n 132 Sprat, Th. 100, 335 Starck, J. A . v. 132 Stein, Ch. v. 52 Stein, K . v. 278, 338 Steinbart, G. S. 259 Steiner, G. 188, 319 Steinert, J. 253 Stellatus, J. 86, 335 Stephani, D. H. 178, 335 Sterne, L. v. 136 Stötzner, R. 41, 335 Stolberg, Ch. v. 335 Stolberg, L. v. 199, 209, 335 Strauss, D. F. 149, 335 Ströker, E. 335 Strunz, F. 22, 335 Stuke, H. 335 Stuve, J. 177, 314 Sulzer, J. G. 172 Suphan, W. 115, 192, 321 Svarez, C. G. 205, 239 f., 277 f., 336 Swanson, G. E. 336
Swoboda, H. 56, 145 f., 157, 159, 164 f., 311 Tammelo, I. 23, 318 Tauentzien, I. v. 135 Taylor, F. Sh. 336 Taylor, J. W. 336 Teller, W. A . 259 Terrasson, Abbé 146, 155 Tetens, J. N. 190, 336 Thaies v. M i l e t 41 Thiele, J. G. Ch. 211,336 Thielicke, H. 142, 326 Thomas v. A q u i n 315 Thomasius, Ch. 111, 114, 145 Tobler, A . 41, 335 Toland, J. 124 f., 325, 334 Torre, A . della 28 Toulmin, St. 336 Tourgot, A . R. J. 112 f. Träger, C. 211, 336 Trapp, E. Ch. 177, 240, 314, 332 Traub, H. 134, 336 Vairasse, D. de (Veiras) 144 f., 155, 329,336 V a l j avec, F. 142, 336 Varnhagen von Ense, Κ . Α. 262, 272, 333, 336 Vaughan, Th. (Eugenius Philalethes) 100, 103,331 Verdross, A . 114, 336 Vere, K e t m i a 247, 336 Vernet, C. J. 130 Vespucci, A . 56 Vico, G. 113 Villaume, P. 177 f., 336 Villegardelle, E. 156, 336 Vinzendorf, F. v. 223 Voegt, H. 219, 336 Vogt, N. 210, 336 Voltaire, F. M. A. 112 f., 126, 129 f., 149 f., 168, 320, 330, 335 Volz, H. 108, 325 Vorländer, F. 146, 336 Vorländer, Κ . 26, 31, 136, 157, 171, 336 f. Voss, Ch. F. 134 f., 172, 201, 203, 208, 315, 330, 337 Wächter, K . 284, 335 Wagner, H. 223, 337 Waldeyer, H. 178, 321
348
Personenregister
Weber, Κ . 56 Weber, M. 11, 337 Wedekind, G. 211 Weigel, M. V. (Weigelius) 87, 90, 320 Weingart, P. 11 ff. Weis, E. 217, 229, 337 Weishaupt, Α . 115, 186, 204, 210, 215 ff., 265, 283, 337 Weiss, M. 126, 337 W e k h r l i n , E. L. 200, 240, 337 Welcker, C. 277, 284, 333 Welzel, H. 114, 337 Wense, W. v. 40, 42, 57 Wessel, W. 285, 298 Wesseley, M. 172 Westenrieder, L. v. 178, 337 Westfall, R. S. 103, 337 de Wette, W. M. L. 273 ff. Wezel, J. K . 204, 337 Wharton, Th. 99 Wickfield, E. A . 163, 337 Wiehe, C. 131, 337 Wiehl, R. 21, 325, 335 Wieland, Ch. M. 112, 116, 172 ff., 183, 201, 223, 259, 312, 332, 337
Wieland, W. 21, 23, 337 Wimmer, F. M. 23, 337 Windelband, W. 107 Winter, G. 279, 338 Wöllner, J. Ch. v. 135, 185, 252 ff., 277 Wolff, Ch. 110, 114, 171, 189 f., 338 Wolfram, L. 227 f., 338 Wolfstieg, Α . 94, 118, 268, 338 Wolgast, S. 54, 338 Wolin, S. S. 338 Wren, Ch. 104 Wüthrich, L. H. 52, 327 Wuthenow, R. R. 112, 316 Yates, F. A . 35 ff., 66, 68 f f , 99 f , 103, 298, 338
82, 91,
Zelter, K . F. 81, 172 Ziegenhagen, F. H. 188, 338 Ziegler, Th. 176, 338 Zilsel, E. 12, 31 f f , 34, 338 Zimmermann, R. Th. 338 Zöllner, J. F. 172 f , 178 f , 259, 338 Zwackh, F. X . v. 216, 228, 324, 330, 338