Die Anfänge der Wiener SS 9783205791867, 9783205784685


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Die Anfänge der Wiener SS
 9783205791867, 9783205784685

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Christiane Rothländer

Die Anfänge der Wiener SS

Böhl au Ver l ag Wien · Köln · Weimar

Gedruckt mit der Unterstützung durch:

Bundesministerium für Wissenschaft und Forschung in Wien

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie  ; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http  ://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-205-78468-5 Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, ­insbesondere die der Über­ setzung, des Nachdruckes, der Entnahme von ­Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf ­fotomechanischem oder ­ähnlichem Wege, der Wiedergabe im Internet und der Speicherung in Daten­ver­arbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. © 2012 by Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar http  ://www.boehlau-verlag.com Umschlaggestaltung: Judith Mullan Umschlagabbildung: Aufmarsch einer Formation der 11. SS-Standarte unter der Führung von Boris Plachetka in der Gumpendorfer Straße am 22. 10. 1932; © Hakenkreuz über Österreich, Filmarchiv Austria Gedruckt auf umweltfreundlichem, chlor- und säurefrei gebleichtem Papier. Druck  : UAB Balto print, Vilnius

Für meinen Vater Herbert Rothländer (1940–2006)

Inhaltsverzeichnis

Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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1. Die Gründung der Wiener SS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Das Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933 . . . . . . . . . 1.2 Die Organisation und Entwicklung der Wiener SS bis zum Frühjahr 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Die Aufgabenbereiche der SS . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Die Aufnahme in die SS. . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Der Dienstbetrieb der SS . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4 Die SS-Geldverwaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4.1 Die Aufgaben der SS-Geldverwalter . . . . . . . 1.2.4.2 Die SS-Beiträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.4.3 Die Geldverwaltung der Fördernden Mitglieder . 1.3 Stärkestand und Sozialstruktur der Wiener SS 1930 bis 1932 .

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21 26

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44 49 57 60 65 65 67 70 71

2. Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Die Hochblüte der Heimwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Bündnisversuche zwischen Heimwehr und NSDAP . . . . . . . . . . . .

85 85 92

3. Die Entwicklung der Wiener NSDAP unter Alfred Eduard Frauenfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Die Wiener Wahlen im Frühjahr 1932 . . . . . . . . . . . . . 3.2 Das erste Opfer der Wiener SS  : Der Tod Karl Schafhausers . . 3.3 Der Ausgang der Wahlen.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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. 97 . 103 . 107 . 115

4. Der Aufstieg der Wiener SS im Sommer 1932 . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.1 Die Expansion der Wiener SS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 4.1.1 Die Motorstürme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124

8

Inhaltsverzeichnis

4.1.2 Der Musikzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 4.1.3 Das Sanitätswesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 4.1.4 Das Reiterkorps . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 4.1.5 Der Fliegersturm.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 4.2 Aktions- und Verlaufsformen der Gewaltausübung der Wiener SS im Sommer 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 4.2.1 Der Überfall auf den Country Club. . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4.2.2 Die Schießerei anlässlich des „Klebinder-Prozesses“ . . . . . . . . . 138 4.2.3 Der Überfall auf das sozialdemokratische Parteiheim in Eisenstadt . 140 4.2.4 Der SS-Einsatz beim Film- und Funkfest der NSDAP . . . . . . . 143 5. Das Verhältnis der Wiener SS zu SA und Politischer Leitung . . . . . . 158 5.1 Die Disziplinarstraf- und Beschwerdeordnung der SS . . . . . . . . . . . 170 6. Die sozialen Betreuungsmaßnahmen der Wiener NSDAP . . . . . . . . 173 7. Der heiße Herbst 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Die Reorganisation der Wiener SS im Herbst 1932 . 7.2 Der Gauparteitag der Wiener NSDAP . . . . . . . . 7.3 Die innenpolitische Entwicklung im Oktober 1932 . 7.4 Der „Simmeringer Blutsonntag“ und seine Folgen . .

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191 191 203 211 214

8. Die Reaktion der Justiz auf die nationalsozialistische Gewalt. . . . . . 229 8.1 Nationalsozialisten und „Marxisten“ vor den Wiener Gerichten . . . . . . 229 8.2 Juden und Nationalsozialisten vor Wiener Gerichten. . . . . . . . . . . . 244 9. Die Krise der Wiener SS im Winter 1932 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Die Errichtung des SS-Verwaltungsamtes VIII . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Die Unterwanderung der Wiener SS durch die Arbeiter-Zeitung. . . . . . 9.3 Vom Straßenkampf zur terroristischen Aktion – Der Tränengasanschlag auf das Kaufhaus Gerngroß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.4 Das Ende der Spitzelaffäre und die Aufklärung des GerngroßAnschlages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.5 Die Lage der Wiener SS nach dem Ende der Spitzelaffäre . . . . . . . . .

251 255 265 280 288 299

10. Die Wiener SS auf dem Weg in die Illegalität . . . . . . . . . . . . . . . 305 10.1 Die Forcierung der militärischen Ausbildung der Wiener SS im Frühjahr 1933 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310

Inhaltsverzeichnis

9

10.2 Die Zuspitzung der deutsch-österreichischen Verhältnisse im Mai 1933. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 321 10.3 Die Wiener SS auf dem Weg in den Untergrund . . . . . . . . . . . . 331 Exkurs  : Die innen- und außenpolitische Entwicklung Österreichs nach der Ausschaltung des Parlaments . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 334 11. Der Terrorismus der Wiener SS im Sommer 1933. . . . 11.1 Die Terroranschläge der Wiener SS im Juni 1933 . . . . 11.2 Die Wiener SS in der Illegalität.. . . . . . . . . . . . . 11.3 Die Aufstellung des SS-Oberabschnitts Donau und der Abschnitt VIII unter Karl Franz Grimme . . . . . . . .

. . . . . . . . 358 . . . . . . . . 363 . . . . . . . . 376 . . . . . . . . 399

12. Die Entwicklung der Wiener SS vor dem Juliputsch. . . . . . . . 12.1 Die Aufstellung der 89. SS-Standarte.. . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Der Stärkestand der österreichischen SS im Juli 1934 . . . . . . . 12.3 Der Beginn der Verschwörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4 Der Nachrichtendienst der österreichischen Landesleitung und der Wiener SS vor dem Juliputsch . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Der Nachrichtendienst in Wien und München. . . . . . . 12.4.2 Der Nachrichtendienst in Budapest. . . . . . . . . . . . . 12.5 Die Übernahme der 11. SS-Standarte durch Hubert Kölblinger .

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405 405 414 416

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429 429 436 440

13. „… im Gefecht“ – Die Rolle der SS während des Juliputsches . . . 13.1 Die Vorbereitungen der 11. SS-Standarte auf den Juliputsch . . . . . 13.2 Der Mordplan der SA gegen Engelbert Dollfuß . . . . . . . . . . . . 13.3 Hitlers Zustimmung zur Durchführung des Juliputsches . . . . . . . 13.4 Himmlers Personalrochaden und der Abbruch der SS-Befehlslinien im Juli 1934 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Die Aktionen der 11. SS-Standarte während des Juliputsches. . . . . 13.6 Der versäumte Putsch – Die Lage der SS in den Bundesländern . . .

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444 448 451 458

14. Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938 . . . . . . . . . 14.1 Die österreichische SS im Lager Lechfeld . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Die Errichtung des SS-Hilfswerkslagers Dachau.. . . . . . . . . . 14.3 Die Errichtung der SS-Sammelstelle . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Der 1. Sturm der SS-Sammelstelle im Lager Waischenfeld . 14.3.2 Der 2. Sturm der SS-Sammelstelle in Ranis . . . . . . . . .

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. 462 . 469 . 475 486 486 492 497 502 515

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Inhaltsverzeichnis



14.3.3 Die Aufstellung des „aktiven Bataillons“ II/SS 1 . . . . . . . . . 516 14.3.4 Das SS-Hilfswerkslager Schleißheim bei Dachau . . . . . . . . 524

15. Die Gründung des NSDAP-Hilfswerks für Flüchtlinge und Hinterbliebene nach dem Juliputsch. . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Grundzüge der deutschen Politik gegenüber den österreichischen ­F lüchtlingen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus. . . . . . . . . . . . 15.1.2 Die Finanzierung der Flüchtlingsfürsorge.. . . . . . . . . . 15.1.3 Die Einbürgerungspraxis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.4 Die Arbeitsmöglichkeiten für österreichische Flüchtlinge . . 15.1.5 Die Regelung der Parteimitgliedschaft . . . . . . . . . . . . 15.2 Die Aufgaben der SS im Rahmen des NSDAPFlüchtlingshilfswerks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Die Kontrollstellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Die Straflager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16. Exemplarische Karriereverläufe österreichischer SS-Männer in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1 Karl Pichl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Heinrich Weitzdörfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3 Gustav Lorenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4 Das Patronagesystem innerhalb der SS und Karriereverläufe ehemaliger Offiziere der k.u.k. Armee . . . . . . . . . . . . .

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. . 529 . . . . . .

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531 531 535 539 540 542

. . 548 . . 548 . . 552 . . . .

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556 560 565 568

. . . . . 569

17. Ausblick auf die Neuformierung der österreichischen SS nach dem „Anschluss“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 Schluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Anhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Kurzbiografien.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Satzungen des Vaterländischen Schutzbundes . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dienstgradverzeichnis und Rangabzeichen ab 28. November 1931. . . . . . . Organigramm der Gauleitung Wien der NSDAP 1932/1933.. . . . . . . . . Stärkestand des Führerkorps des HWL Dachau bzw. der SS-Sammelstelle .. Die Führer der 11. SS-Standarte 1931–1945.. . . . . . . . . . . . . . . . . .

581 581 608 609 610 611 612

Inhaltsverzeichnis

11

Quellen und Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 613 Abkürzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 Abbildungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 641 Tabellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 642 Personenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 643

Danksagung

An dieser Stelle sei all jenen Personen und Institutionen, die zum Entstehen dieses Buches beigetragen haben, herzlichst gedankt. An erster Stelle gilt dies meiner Familie sowie den Freundinnen und Freunden, die meinen langen Rückzügen während des Schreibprozesses mit so viel Verständnis begegneten und mich jederzeit tatkräftig unterstützt haben. Ao. Univ.-Prof.in Dr.in Ilse Reiter-Zatloukal und Mag.a Pia Schölnberger haben die Studie nicht nur durch zahlreiche Anregungen bereichert, sondern das Manuskript auch lektoriert und Korrektur gelesen. Michael Loebenstein (Filmmuseum Wien) und Dr. Christian Dewald (Filmarchiv Austria) halfen in großzügiger Weise bei der Herstellung der Stills aus dem Film „Hakenkreuz über Österreich“, Mag.a  Pamela Stückler (Universitätsbibliothek Wien) bei der Beibringung von Fotos. Univ.-Prof. Dr. Christoph Wagner gestattete mir den Abdruck des Tagebuchs von Eduard Zambaur. Auch möchte ich mich bei Univ.-Prof. Dr. Michael Hubenstorf nicht nur für die spannenden Diskussionen, sondern auch für die Hilfe bei der Beschaffung der Fotos aus dem Bundesarchiv Berlin bedanken. Weiters gebührt Hofrat Mag. Josef Mötz vom Bundesministerium für Landesverteidigung mein Dank für die Klärung zahlreicher Fragen zu Schießtechnik, Waffen- und Munitionskunde. Zahlreiche Personen haben mir dankenswerter Weise in unterschiedlichster Form ihre Hilfe zuteilwerden lassen  : ao. Univ.-Prof. Dr. Walter Manoschek, Mag.a MarieNoëlle Yazdanpanah, Univ.-Doz. Dr. Siegfried Mattl, Petra Fenz, Mag.a Julia Friedrichkeit, Mag.a Bettina Fraunbaum, Martin Czitober, Claudia Blake-­W iletel, Barbara Joachim, DI Alexander Kubik, Dr. Franz Josef Gangelmayer. Das Fehlen geschlossener Quellenbestände und die Suche nach den weit verstreuten Dokumenten machten umfangreiche Recherchen in zahlreichen Archiven in Österreich und Deutschland notwendig. Mein Dank gilt somit den Archivarinnen und Archivaren in den von mir benutzten Institutionen  : Im Österreichischen Staatsarchiv konnte ich stets auf tatkräftige Unterstützung zählen, insbesondere durch Heinz Placz, Dr. Rudolf Jeřábek und Mag.a Hana Keller  ; großzügige Hilfe und Entgegenkommen erfuhr ich im Wiener Stadt- und Landesarchiv vor allem durch Dr. Heinrich Berg, Dr.in Brigitte Rigele und Dr.in Michaela Laichmann  ; besonderer Dank gebührt Michael Winter vom Archiv der Bundespolizeidirektion Wien ebenso wie den MitarbeiterInnen des Bundesarchivs Berlin, des Dokumentationsarchivs des Österreichischen

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Danksagung

Widerstandes, des Archivs des Instituts für Zeitgeschichte in Wien und der Wiener Stadt- und Landesbibliothek. Dr. Günther Schefbeck gewährte mir in dankenswerter Weise trotz des schlechten konservatorischen Zustands eine partielle Einsichtnahme in die im Parlamentsarchiv befindlichen Akten der Gauleitung Wien. Für Rückhalt, Freundschaftlichkeit und jahrelange, überaus konstruktive Zusammenarbeit danke ich Univ.-Prof. Dr. Mitchell Ash. Mag.a Birgit Johler danke ich ganz besonders für ihre stete Hilfsbereitschaft und Anteilnahme, ihre Toleranz und Generosität.

Letzter Appell Sie haben uns durch Schlamm und Tod getrieben, sie haben uns zertreten und bespien  ! Sie haben uns zermahlen und zerrieben, im Eis des Winters, in der Sonne Glühn. Sie haben maßlos sich an uns vergangen, uns ausgeraubt, beleidigt und geschändet, gepeitscht, gejagt, zerfetzt, gehangen  ! Wie viele sind es, die durch sie verendet  ?

Und dennoch, Brüder, ist die Front geworden  ! Dort, wo die Peitsche über uns geknallt, hat sie aus tausend Toten, tausend Morden, aus Blut und Schweiß und Tränen sich geballt. Die Zähne haben grimmig wir verbissen  : Was eben in Verzweiflung noch entglitt, das haben kraftgeeint wir hochgerissen zu einem Willen und zu einem Schritt. Was einst gestöhnt, geblutet hat in Fronen, was einst zerrissen war … das ist nicht mehr  ! Denn jetzt, im Gleichklang der Nationen marschiert der Konzentrationäre freies Heer. Hinaus in alle Länder, Dörfer, Städte streun wir die Saat, die hier gedieh, und unsrer Hände fest geeinte Kette zwingt auch den letzten Feind noch in die Knie. Er ist noch nicht zutiefst ins Herz getroffen  ! Doch wir sind stärker als der Tod  ! Hinaus Genossen  ! Unser Tor ist offen, rot glüht der Morgen und die Sonne … rot  ! Bruno Apitz

Buchenwald, 14. Mai 1945

Einleitung

Am 23. März 1938 umfasste der österreichische SS-Abschnitt neun Standarten mit insgesamt 11.560 Mitgliedern. Angesichts dieser Zahlen erscheint es überraschend, dass die Geschichte der österreichischen Schutzstaffel bisher nicht Gegenstand des forscherischen Interesses geworden ist. Insbesondere die Frühzeit der SS ist bis heute völlig unerforscht geblieben. So sind weder die Eckdaten ihrer Entstehung noch die Namen ihrer Gründer bekannt. Dies erweckt den Anschein, dass die SS in Österreich, mit Ausnahme der 89. SS-Standarte während des Juliputsches, keine Rolle in der Geschichte der österreichischen NSDAP vor dem „Anschluss“ gespielt habe, während die genannte Zahl vom März 1938 diesen ersten Eindruck widerlegt. Ähnlich gelagert ist aber auch die Forschungslage über die Entstehungsgeschichte der SS in Deutschland, der in Überblicksarbeiten zur SS zumeist nur wenig Raum eingeräumt und lediglich aus dem Blickwinkel ihrer Gründer und ersten Führer erzählt wird, ebenso wie fundierte regionale Studien vollständig fehlen. Eine ähnliche Einschätzung lieferte bereits Bernd Wegner in seiner 1982 erschienenen bahnbrechenden Arbeit zur Waffen-SS, in der er feststellte,1 „wie immens die Diskrepanz zwischen der lawinenartig anwachsenden Fülle von Titeln und der nach wie vor bescheidenen Ausbeute an gesicherter und wissenschaftlich relevanter Erkenntnis“ sei. Fast dreißig Jahre später gilt dieser Befund nach wie vor für die Allgemeine SS, die insgesamt 125 SS-Standarten umfasste, zu denen weder Einzelstudien noch wissenschaftlich fundierte Überblicksdarstellungen vorliegen. Ein Grund für diese Forschungsdesiderate liegt sicherlich in der schwierigen Quellenlage. So existiert bis auf das im Herbst 1932 geschaffene SS-Verwaltungsamt der gesamtösterreichischen SS kein geschlossener Aktenbestand zur Wiener SS. Ebenso gibt es keine Standeslisten oder Mitgliederverzeichnisse aus dieser Zeit. Die Illegalisierung der NSDAP und ihrer Gliederungen im Juni 1933 brachte einen Verlust an Diskursivität mit sich, der sich als Quellenproblem niederschlägt. So fehlt auch jede Spur zu den Akten der Wiener SS-Standarte, die bereits im Mai 1933 von der SS-Führung an einem geheimen Ort in Sicherheit gebracht wurden. Die Entstehung der SS aus dem Blickwinkel einer Standarte zu beschreiben bedeutete somit, völliges Neuland zu betreten. 1 Wegner (72006), S. 15.

18

Einleitung

Ausgangspunkt für die vorliegende Untersuchung und die Annahme, dass die SS – zumindest in Wien – lange vor dem Einmarsch bereits eine hohe Mitgliederstärke erreicht hatte und eine entscheidende Funktion in der Durchsetzung der Terrorismuspolitik der NSDAP übernahm, war ein Forschungsprojekt über die politisch motivierten Ausbürgerungen in Wien 1933 bis 1938. Dabei konnte festgestellt werden, dass fast 18 Prozent (141 Personen) aller Ausbürgerungsverfahren, die in diesem Zeitraum gegen nach Deutschland geflüchtete NationalsozialistInnen eingeleitet worden waren, und mehr als zwanzig Prozent (103 Personen) der tatsächlich durchgeführten Ausbürgerungen von Wiener NationalsozialistInnen auf Mitglieder der Wiener SS entfielen. Die ganz überwiegende Zahl betraf Mitglieder der ersten, in Wien gegründeten 11. SS-Standarte und nicht am Juliputsch beteiligte SS-Angehörige der erst im Frühjahr 1934 aufgestellten 89. SS-Standarte. Im Zuge der weiteren Untersuchung über die nach der Verübung von terroristischen Anschlägen nach Deutschland geflüchteten NationalsozialistInnen stellte sich heraus, dass die ersten großen Bombenanschläge im Juni 1933, die den Beginn des terroristischen Kurses der österreichischen NSDAP markierten, von der Wiener SS organisiert und durchgeführt wurden. Damit war die SS vom Straßenkampf zur gezielt geplanten terroristischen Aktion übergegangen und zum Schrittmacher auf dem Weg in den Terrorismus geworden. Diese ersten Befunde legten nahe, dass die SS bereits zu dieser Zeit weder hinsichtlich ihres Stärkegrades noch ihrer Funktion für die Politik der NSDAP eine untergeordnete Rolle gespielt hatte, sondern dass ihr eine entscheidende Funktion bei der Radikalisierung der NSDAP zukam. Ungeklärt bleibt aufgrund fehlender Vergleichsstudien, ob dieses Phänomen ausschließlich auf die Wiener SS zutrifft. Erschwerend wirkt sich bei der Klärung dieser Frage aus, dass in der Literatur zur nationalsozia­ listischen Gewalt zumeist nicht unterschieden wird, welcher Gliederung die Täter angehörten. Einen Hinweis, dass auch deutsche SS-Standarten am Ende der Weimarer Republik zu terroristischen Einzelaktionen übergingen und damit eine besondere Funktion in der Ausübung nationalsozialistischer Terroraktionen übernahmen, stellen aber die am 1. August 1932 parallel durchgeführten Bombenanschläge der SS in Altona und Königsberg dar. Aufgrund der Quellenlage war eine Rekonstruktion der Geschichte der Wiener SS-Standarte nur über die Untersuchung der biografischen Netzwerke möglich. In einem ersten Schritt wurden dafür die Ausbürgerungsakten, die Berichte der BundesPolizeidirektion, der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, die Dienstalterslisten der SS und Zeitungsberichte untersucht. Diese Quellen geben aber nur in den seltensten Fällen Auskunft über die SS-Zugehörigkeit der betroffenen Personen. Eine erste gezielte Identifikation der SS-Angehörigen war über die Datenbank der Akten des Berlin Document Centers (BDC) im Bundesarchiv Berlin möglich. Im nächsten

Einleitung

19

Schritt wurde über die BDC-Personalakten (SS-Offiziers- und Mannschaftsakten, Akten der Parteikorrespondenz und des Rasse- und Siedlungsamtes, der Reichsstatthalterei und Diversa-Akten) und die Gauakten im Österreichischen Staatsarchiv sowie im Wiener Stadt- und Landesarchiv die weitere Rekonstruktion der personellen Zusammensetzung durchgeführt. Auf diese – ausgesprochen mühevolle – Weise konnten etwa sechzig Prozent jener Wiener SS-Männer ermittelt werden, die zwischen 1930 und 1932 der SS beitraten. Dies ermöglichte die Untersuchung der Gründer, des ersten Führerkorps und der Sozialstruktur der Wiener SS. Allerdings ging die personelle Untersuchung der Wiener SS weit über diesen Personenkreis hinaus und umfasste etwa auch die Erforschung des Führerkorps des österreichischen SS-Abschnitts VIII bzw. – ab Februar 1934 – des Oberabschnitts Donau oder die Aufstellung der 89. SSStandarte. Für die Frage nach der Organisation und Entwicklung der SS wurden die ebenfalls im Bundesarchiv Berlin einliegenden Akten des Persönlichen Stabes des Reichsführers SS, des SS-Wirtschafts- und Verwaltungsamtes, des SS-Führungshauptamtes, des SS-Personalamtes und der Sturmabteilungen untersucht. Anhand der Personalakten konnte der Aufbau der Sonderformationen der Wiener SS analysiert werden. Über die im Österreichischen Staatsarchiv befindlichen Akten der NS-Parteistellen und der Akten der Gauleitung Wien war es möglich, das Verhältnis der Wiener SS zu SA und Politischer Leitung sowie die Betreuungsmaßnahmen der NSDAP zu analysieren. Allerdings konnten die im Archiv des Österreichischen Parlaments befindlichen Originalakten der Wiener Gauleitung aufgrund ihres schlechten konservatorischen Zustandes nur einer partiellen, oberflächlichen Einsichtnahme unterzogen werden. Ein Teil dieses Aktenbestandes befindet sich jedoch in Kopie im Wiener Stadt- und Landesarchiv. Ein weiterer wichtiger Komplex der Studie befasst sich mit der Untersuchung der Polizei- und Gerichtspraxis betreffend die unterschiedliche Durchführung von Verfahren je nach politischer und/oder „rassischer“ Zugehörigkeit, wofür neben den Akten der Bundes-Polizeidirektion und der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit die Akten des Wiener Landesgerichts eingesehen sowie umfangreiche Zeitungsrecherchen durchgeführt wurden. Auch hier wurden ergänzend biografische Untersuchungen durchgeführt. Die Rekonstruktion der Terrornetzwerke, der (Ober-) Ab­schnittsführung, der Rolle der 11. SS-Standarte vor und während des Juliputsches sowie der österreichischen SS in Deutschland wurde fast ausschließlich über biografische Analysen geleistet. Darüber hinaus wurden die Akten der Partei-Kanzlei, des Auswärtigen Amtes, der Parteidienststellen der NSDAP und der Kanzlei des Führers herangezogen. Im Gegensatz zu den meisten anderen Fragestellungen erwies sich die Aktenlage zur deutschen Politik gegenüber den österreichischen Flüchtlingen als durchaus er-

20

Einleitung

giebig, während zu den Einrichtungen der SS in Deutschland nur spärlichste Quellen aufgefunden werden konnten. Eine erste Rekonstruktion derselben konnte wiederum weitgehend nur aufgrund von Personalakten geleistet werden. Da sich die Arbeit mit potenziell oder realiter gewalttätigen Männern auseinandersetzt, wurde in der Darstellung im Zusammenhang mit Gewalttaten von einer geschlechtergerechten Sprache abgesehen, da in den Quellen kein Fall dokumentiert ist, in der eine Frau im Zusammenhang mit terroristischen Aktionen der Wiener SS als Täterin in Erscheinung trat. Mit der vorliegenden Studie wurde somit der Versuch unternommen, die Anfänge der Wiener SS eingebettet in die Geschichte der Wiener NSDAP sowie der politischen Entwicklungen am Ende der Ersten Republik und nicht als isolierte Parteigliederung darzustellen. Trotz der diffusen und schwer zu durchdringenden Quellenlage, welche die Forschungen nachgerade zu einem Experiment machte, konnte mit dieser Untersuchung ein Beitrag zur Schließung einer wesentlichen Forschungslücke in Geschichte der österreichischen SS geleistet werden.

1. Die Gründung der Wiener SS

Der erste Schritt zur Aufstellung der SS in Österreich wurde Ende 1929 von einer kleinen Gruppe Wiener SA-Mitglieder gesetzt.2 Der Vorschlag stieß bei Himmler auf Zustimmung, der am 1. Jänner 1930 den 39-jährigen Elektrotechniker und SASturmführer Walter Turza mit der „Organisierung der SS in Wien“ beauftragte3 und die Aufstellung von „SS-Staffeln in Linz, Wien, Klagenfurt u. ev. Graz“ befahl.4 Weiters kündigte er an, im April selbst nach Österreich zu kommen, um in mehreren österreichischen Städten diesbezügliche Werbeversammlungen abzuhalten.5 Mit der Aufstellung des Wiener SS-Sturms 77 wurde im März 1930, mehr als fünf Jahre nach Gründung der SS in Deutschland,6 die erste Formation der Schutzstaffel in Österreich ins Leben gerufen. Die SS stand zu diesem Zeitpunkt noch ganz in der Abhängigkeit der SA.7 Zwar 2 Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, Österreichisches Staatsarchiv (=  ÖSTA)/Archiv der Republik (=  AdR), Bundeskanzleramt-Inneres (= BKA-I), allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876. 3 Bundesarchiv Berlin (=  BArch) (ehm. Berlin Document Center) (=  BDC), Personalkorrespondenz (= PK)  : Walter Turza. 4 Rundverfügung Nr. 22, NSDAP (Hitlerbewegung), Landesleitung (= LL) für Österreich v. 26. 2. 1930, BArch/R 187, Zl. 305. 5 Diese sollten in Salzburg, Klagenfurt, Graz, Wien, Krems und Linz stattfinden. Ob Himmler die Reise tatsäch­lich unternahm, ist unbekannt, jedoch ernannte er am 4. April 1930 den Kärntner SA-Scharführer Otto Schatzmayr zum SS-Führer des Gaus Kärnten und befahl die Aufstellung eines zwölfköpfigen SS-Trupps in Klagenfurt, Elste (1997), S. 144. Der Bericht über die Entstehung und Entwicklung des SS-Abschnitts VIII gibt die Gründung der SS in Klagenfurt fälschlicherweise mit Sommer 1931 an, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876. 6 Die SS wurde im März 1923 als „Stabswache“ zum persönlichen Schutz Adolf Hitlers gegründet, die wenig später von Joseph Berchtold zum „Stoßtrupp Adolf Hitler“ formiert wurde. Nach dem Hitlerputsch im Bräu­haus­keller im November 1923 wurden die NSDAP und ihre Untergliederungen verboten. Im Frühjahr 1925 begann Julius Schreck nach der Wiederzulassung der Partei mit dem Aufbau der Schutzstaffel, die damals aus einem Führer und acht Männern bestand. Als offizieller Gründungstag wurde der 9. November 1925, der zweite Jahrestag des gescheiterten Putsches, festgesetzt. Ende des Jahres gehörten der Schutzstaffel etwa hundert Mitglieder an. Der Inspekteur für Statistik an den RFSS v. 1. 3. 1943, BArch/NS 19, Zl. 2097. Zur Frühgeschichte der SS in Deutschland vgl. ausf. Buchheim (1999), S. 30–33  ; Koehl (1983)  ; Höhne (1995)  ; Reitlinger (1956)  ; Graber (1991), S. 1–48  ; Neusüss-Hunkel (1956), S. 7f. 7 Die Unterstellung der SS unter die SA war am 1. November 1926 erfolgt, vgl. dazu u.a. Bennecke (1962), S. 142–155  ; Koehl (1983), S. 36–42  ; Longerich (2003), S. 52–59.

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Die Gründung der Wiener SS

durfte Himmler den Titel „Reichsführer-SS“ (RFSS) tragen,8 war aber dem Obersten SA-Führer (OSAF) unterstellt. Diesem stand das Recht zu, den Führer der Schutzstaffel vorzuschlagen, der dann vom 1. Parteivorsitzenden ernannt wurde, und festzulegen, in welchen Orten SS-Staffeln gegründet werden durften.9 Die Aufstellung von SSEinheiten wurde vom OSAF nach einem „festgelegten Aufstellungsplan“ geregelt und die Stärkezahl im Einvernehmen mit dem RFSS festgelegt.10 Ab April 1929 war die SA verpflichtet, bei der Neuaufstellung von SS-Verbänden einen Führer und fünf bis zehn SA-Männer zur Schutzstaffel zu überstellen. Diese „ausgesucht leistungsfähigen“ Männer mussten mindestens seit einem Jahr der Partei angehören, zwischen 23 und 35 Jahre11 alt sein und mit Ausnahme ehemaliger Soldaten eine Mindestgröße von 1,70 m aufweisen. Der Übertritt durfte nicht willkürlich von einzelnen SA-Angehörigen vollzogen werden, sondern war nur nach einvernehmlicher Zustimmung beider Einheitsführer möglich. Die weitere Ergänzung der SS musste dann durch Anwerbungen außerhalb der SA erfolgen. Ausgeschlossene SA- oder SS-Männer durften nicht in die jeweils andere Formation aufgenommen werden. Aufgrund der Spaltung der österreichischen „Deutschen Nationalsozialistischen Arbeiter­partei“ (DNSAP) und der Unterstellung der im Mai 1926 neugegründeten NSDAP-Hitlerbewegung12 unter die deutsche Reichsleitung unterstanden auch alle Gliederungen der NSDAP in Österreich ihren vorgesetzten Stellen in Deutschland. Die österreichische NSDAP war somit keine nationalsozialistische Auslandsorganisation, sondern eine Landesgruppe der deutschen NSDAP. Daneben bestand in Österreich für die beiden Brachialorganisationen der Partei aus vereinsrechtlichen Gründen auch ein eigener Verein, der sog. „Vaterländische Schutzbund“, in dem die SA und SS   8 Diese Bezeichnung taucht erstmals in einem Rundschreiben vom 14.  April 1926 des damaligen SSFührers Joseph Berchtold auf, in dem er sich „Reichsführer der Schutzstaffeln“ nannte, Rundschreiben Nr. 1 von Joseph Berchtold/Oberleitung der Schutzstaffel der NSDAP v. 14. 4. 1926, BArch/NS 19, Zl. 1934. Der Titel dürfte im Unterschied zur bisherigen Annahme also bereits vor der Unterstellung der SS unter die SA im November 1926 eingeführt worden sein, vgl. Höhne (1995), S. 29  ; Koehl (1983), S. 126  ; Longerich (2008), S. 121.   9 Gruppenbefehl der SA (= GRUSA) VII/Schutzstaffel v. 12.  4.  1929, BArch/NS 19, Zl.  1934  ; Koehl (1983), S. 27. 10 GRUSA VII/Schutzstaffel (SS) v. 12. 4. 1929, BArch/NS 19, Zl. 1934. 11 Mit der „Vorläufigen Dienstordnung für die Arbeit der SS“ vom Juni 1931 wurde das Mindestalter von 23 Jahren bestätigt. Ausnahmen durften nur „in besonderen Fällen“ gemacht, mussten speziell begründet und von der Oberleitung genehmigt werden, BArch/NS 19, Zl. 1934. 12 Anfang Mai 1926 traten neun Wiener Ortsgruppen aus der von Karl Schulz geführten DNSAP aus und grün­deten am 4.  Mai in den Sofiensälen unter der Führung Richard Suchenwirths den „Natio­ nal­sozialisti­schen Verein (Hitler-Bewegung)“, der sich der reichsdeutschen NSDAP unterstellte. Der „Vaterländische Schutzbund“ und ein Teil der Jugendorganisation schlossen sich diesem an, vgl. ausf. Rosenkranz (2004), S. 222–226  ; Carsten (1977), S. 133–139  ; Pauley (1988), S. 51–55.

Die Gründung der Wiener SS

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organisiert waren.13 Nach § 3 der Statuten stellte der Verein eine „nicht militärische private Einrichtung zum Wohle und zur Aufrechterhaltung der Republik“ dar, der den Zweck verfolgte, „die Kräfte aller vaterländisch gesinnten, deutschösterreichischen Staatsbürger zusammenzufassen“. Sein 5-Punkte-Programm beinhaltete die „Sicherung der freistaatlichen Staatsverfassung und der gesetzlichen Ordnung“, den „Schutz von Personen und Eigentum jener Vereinigungen, welche auf dem Boden der Gesetze stehen“, die „Unterstützung der bestehenden Sicherheitsorganisationen bei der Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung und Abwehr einer jeden gewaltsamen Störung oder eines Putsches“, das „Eingreifen bei Elementarereignissen“ und die „Mitwirkung und Unterstützung der zur Sicherung von Veranstaltungen und Kundgebungen gesetzlicher Organisationen berufener Faktoren“. Mitglied konnte jeder „Deutschösterreicher“ werden, der das 16. Lebensjahr vollendet hatte, sowie alle „Körperschaften(,) die nachweisbar auf dem Boden der gesetzlichen Staatsordnung“ standen. Die Anmeldung der Mitgliedschaft hatte bei der zuständigen Ortsgruppe der Vereinigung zu erfolgen, die auch über die Aufnahme entschied. Letztlich bestimmend für die österreichischen SS-Angehörigen waren allerdings nicht die Vereinsstatuten, sondern die Anordnungen der RFSS, die wesentlich strengere Aufnahmekriterien vorsahen. Laut einem Bericht vom Juni 1933 über die Gründung und Entwicklung des österreichischen SS-Abschnitts bis Herbst 193214 wurden zur Aufstellung der Wiener SS zehn der „kampferprobtesten“ Männer des SA-Sturms 33 zur Schutzstaffel überstellt, denen sich bis Ende 1930 noch einige „tatkräftige junge Burschen“ anschlossen. Mit der Formierung des SS-Sturms 77 beauftragte Himmler neben Walter Turza noch den 24-jährigen Gärtnergehilfen und SA-Truppführer Karl Pichl.15 Zu weiteren Gründungsmitgliedern der Wiener SS, die bis Mai 1931 dem Sturm beitraten, zählten der Kaufmann Heinrich Weitzdörfer (geb. 1906), der technische Zeichner Herbert Hranitzky (geb. 1910), der Bankbeamte Franz Weilguny (geb. 1903), der Lagerist Josef Reuschauer (geb. 1908) und der Elektrotechniker Anton Ziegler (1897). Mit Ausnahme von Hranitzky, der 1926 der HJ beigetreten, und Ziegler, der ab 1927 in der Politischen Organisation (P.O.) engagiert war, hatten die ersten SS-Männer vor ihrem Übertritt fünf bis sieben Jahre lang der SA 13 ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. Zu den vollständigen Statuten s. Anhang, S. 608. 14 Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876. Der Bericht stammt aus dem Umfeld des späteren Führers des österreichischen SS-Abschnitts, Walter Graeschke, und diente auch als Rechtferti­gungsschrift für die unter Graeschke vorgenommene Entmachtung mehrerer alter österreichischer SS-Füh­rer bzw. zur Hervorhebung von Graeschkes Tätigkeit in Österreich. Die Ungenauigkeiten und z.T. falschen Angaben, die der Bericht aufweist, legen den Schluss nahe, dass er von einer mit der Gründungsgeschichte der österreichischen SS wenig vertrauten Person verfasst wurde. 15 BArch (ehem. BDC), PK  : Karl Pichl.

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Die Gründung der Wiener SS

angehört. Ab Herbst konnte eine weitere Gruppe für die SS rekrutiert werden, darunter der Schlosser Franz Mazanek (geb. 1901) und der Mechanikergehilfe Leo Libardi (geb. 1911). Ende 1930 umfasste die Wiener SS mindestens 21 Mitglieder.16 Der Sturm 77 war im Gegensatz zur euphemistischen Darstellung des Berichts über die Entstehung des österreichischen SS-Abschnitts zu Beginn alles andere als eine einsatzstarke Spezialtruppe, sondern bestand vielmehr aus einigen wenigen, zumeist kriegsinvaliden ehemaligen Unteroffizieren und Mannschaftsdienstgraden der k.u.k. Armee und des Bundesheeres sowie einer kleinen Schar junger Männer zwischen 18 und 20 Jahren. Von den 1930 eingetretenen SS-Männern gehörten neunzig Prozent der Nachkriegsgeneration an, das Durchschnittsalter lag bei knapp unter 24 Jahren. Acht SS-Männer hatten die von der RFSS vorgegebene Altersgrenze von 23 Jahren nicht erreicht, womit fast 43 Prozent vorschriftswidrig in die SS aufgenommen worden waren. Ein Drittel der Gründungsmitglieder hatte eine militärische Ausbildung durchlaufen  : Im Ersten Weltkrieg hatten drei SS-Männer an der Front gekämpft, wobei der damals 17-jährige Julius Pfaffenmayer ohne fundierte militärische Ausbildung in den letzten Kriegsmonaten auf eigenen Wunsch an die Front geschickt worden war. An den „Abwehrkämpfen“ der Freikorpsverbände hatten Anton Ziegler und Franz Mazanek teilgenommen. Darüber hinaus hatten außer Mazanek noch Pichl und Max Peschke im Bundesheer gedient, während Johann Ziegler II17 der französischen Fremdenlegion beigetreten war. Von den militärisch ausgebildeten Männern war mit Turza, Pichl und Ziegler II fast die Hälfte der ehemaligen Soldaten Invalide. Auch später traten nur wenige ehemalige Frontsoldaten bzw. abgerüstete Bundesheerangehörige der SS bei.18 Das Fehlen militärisch ausgebildeter Männer sollte für die 16 Dazu gehörten Roman Greylinger (geb. 1912), Max Peschke (geb. 1904), Hans Ziegler (geb. 1906), Otto Sild (geb. 1908), Ernst Weigensamer (geb. 1903), Julius Pfaffenmayer (geb. 1900), Karl Regnemer (geb. 1910), Josef Pötzl (geb. 1912), Leopold Teimel (geb. 1907), Johann Ziegler II (geb. 1906), Walter Dienelt (geb. 1912) und Leopold Heidenreich (geb. 1910). Unklar ist die Zugehörigkeit des Wieners Leo Arbter (geb. 1908), der sich zum Zeitpunkt seines Eintritts in die SS im September 1930 in Kärnten aufhielt, später jedoch ebenfalls der Wiener SS angehörte. Hingegen schlossen sich die in dem Bericht über die Entstehung des SS-Abschnitts als Gründungsmitglieder genannten SS-Männer Max Plobner und Franz Veigl erst An­fang 1931 der SS an, Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876. 17 1930 schlossen sich zwei SS-Männer dieses Namens der Schutzstaffel an  : Johann Ziegler (geb. 11.12.1906) und Johann Ziegler II (geb. 10.7.1906). Johann Ziegler II war während seiner Dienstzeit bei der Frem­ denlegion durch zwei Schussverletzungen schwer verwundet worden. Nach seiner Flucht aus Österreich 1934 wurde er als truppenuntauglich befunden, zunächst zur SA versetzt und schließlich aus der „Österreichi­schen Legion“ entlassen, Wiener Stadt- und Landesarchiv (= WStLA), Gauakten Wien (= GAW)  : Johann Ziegler, Zl. 28.295  ; WStLA, Magistratsabteilung (= M.Abt.) 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Ziegler. 18 Für Angehörige des österreichischen Bundesheeres war der Eintritt in die SS verboten. Die nationalsozialistisch gesinnten Soldaten waren im „Deut­schen Soldatenbund“ organisiert.

Die Gründung der Wiener SS

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SS bis zum Parteiverbot im Juni 1933 ein ständiges Problem bleiben und sich im Zuge der Expansion der Schutzstaffel ab Frühjahr 1932 in einem Mangel an geeigneten Führungskräften niederschlagen, wenngleich die SS ab Mitte 1932 auch einen ersten Zulauf von ehemaligen Offizieren der k.u.k. Armee erhielt. Marginal blieb der Einfluss der Freikorpsverbände auf die SS  :19 Von den 1930 eingetretenen SS-Mitgliedern hatten nur zwei dem „Bund Oberland“ und je einer dem „Freikorps Roßbach“ bzw. „Schlageter“ angehört. Auch in der weiteren Folge erhielt die SS nur wenig Zulauf von ehemaligen Freikorps-Angehörigen. Ein ähnlicher Befund lässt sich auch hinsichtlich der Heimwehren feststellen, von denen gleichfalls nur einige wenige Mitglieder der SS beitraten bzw. in diese aufgenommen wurden. Inwieweit dies ein Wiener Phänomen darstellt, ist aufgrund fehlender Untersuchungen zur SS in den Bundesländern ungeklärt. Der geringe Zulauf von Heimwehr-Männern zur Wiener SS hing sicherlich auch damit zusammen, dass die Wiener NSDAP einer möglichen Kooperation mit der Heimwehr ablehnender gegenüberstand, als dies in anderen Bundesländern der Fall war. So legte etwa der Mitbegründer und Führer der Wiener SA-Standarte,20 Hubert Kölblinger, 1928 das Kommando aus Protest über die Haltung des österreichischen SA-Führers Hermann Reschny21 zur Heimwehr zurück, die ihm „alles andere als (…) eindeutig“ erschienen war.22 Ebenso gespannt war auch das Verhältnis des Wiener Gauleiters Alfred Eduard Frauenfeld zur Heimwehr. Hingegen gestaltete sich die Verbindung von Wiener SS-Mitgliedern zum Deutschen Turnerbund deutlich enger, da dieser bereits seit den frühen 1920er-Jahren von der Wiener NSDAP infiltriert wurde23 und sowohl SS als auch SA auf dessen Schießstätte in Wien-Kagran ihre Waffenübungen abhielten. Der überwiegende Teil der SS-Mitglieder, die sich bis zum Parteiverbot der Schutzstaffel anschlossen, kam entweder aus der Partei und ihren Gliederungen  ; nur ein kleiner Prozentsatz trat direkt in die SS ein. Von den Gründern der Wiener SS hatten acht SS-Männer bereits vor der Spaltung 1926 der DNSAP angehört, der Großteil war in der SA oder HJ bzw. ihren Vorläu19 Zur Geschichte der Freikorps vgl. Venner (1974)  ; Sprenger (2008)  ; Thoms/Pochanke (2001)  ; Roßbach (1950)  ; Kameradschaft Freikorps und Bund Oberland (1996). 20 Der sog. Ordnertrupp, die Vorläuferorganisation der SA, bestand seit spätestens 1922 in Österreich. 1924 wurde in Wien die erste SA-Formation aufgestellt, Lebenslauf von Fritz Höng, undat., ÖSTA/ AdR, Gauakt (= GA)  : Fritz Höng, Zl. 247.481. 21 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 443f. 22 Lebenslauf von Hubert Kölblinger v. 23. 4. 1934, BArch (ehem. BDC), SS-Offiziersakt (= SSO)  : Hubert Kölblinger. Zur Annäherung der NSDAP an die Heimwehr s. Kapitel 2.2. 23 So gab etwa der spätere kommissarische Führer der Wiener SS, Karl Heinz Urban, an, dass er 1924 von Kölblinger den Auftrag erhielt, im Turnverein Margarethen für die NSDAP zu werben, ÖSTA/AdR, GA  : Karl Heinz Urban, Zl. 247.552. Zu den z.T. engen Personalverflechtungen zwischen der NSDAP und dem Deutschen Turnerbund in Vorarlberg vgl. ausf. Weber (1995).

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Die Gründung der Wiener SS

ferorganisation, der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (NSDAJ), drei in der P.O. engagiert gewesen. Insgesamt waren 14 SS-Männer vor ihrem Eintritt in die SS vier bis acht Jahre in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen aktiv gewesen. Allerdings wurden vier SS-Männer erst kurz vor bzw. gleichzeitig mit ihrem Eintritt in die SS auch in die Partei aufgenommen, erfüllten also die Vorgabe der einjährigen Parteimitgliedschaft nicht. DNSAP

NSDAP

SA

NSDAJ/HJ

P.O.

1922

1









1923





2

1



1924

2









n = 1924

1925

5



3

2



1926



 3

1

5



1927



 5

2



2

1928



 3





1

1929



 2

3



1

1930



 6

2

1



GESAMT

8

19

13

9

4

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Tabelle 1  : „Vordienstzeiten“ der Wiener SS-Angehörigen 1930

Von den Gründungsmitgliedern stiegen bis zum Parteiverbot sieben SS-Männer in das Führerkorps der Wiener Schutzstaffel auf, über das bislang keine Untersuchungen vorliegen bzw. deren Mitglieder zum überwiegenden Teil nicht einmal namentlich bekannt sind. Die im Folgenden skizzierten Kurzbiografien umfassen all jene SS-Führer, die bis zum Parteiverbot Offiziersgrade erreichten. Berücksichtigt wurde somit nicht die Dienststellung, sondern der Dienstrang vom Sturmführer aufwärts. 1.1 Das Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933

Walter Turza (SS-Nr. 1.746) Walter (von) Turza25 wurde 1890 als Sohn eines Beamten in Olbersdorf, dem zur Habsburgermonarchie gehörenden Teil Schlesiens, geboren. Nach dem Besuch der 24 Über Leo Libardi, der 1932 tödlich verunglückte, und Leopold Heidenreich konnten bisher keine Perso­ nal­ak­ten ausfindig gemacht werden. 25 BArch (ehem. BDC), SSO, PK, Oberstes Parteigericht-Nachträge (=  OPG-NA)  : Walter Turza  ; WStLA, GAW  : Walter Turza, Zl. 87.942, 89.659, 273.860  ; Preradovich (2008), S. 281–285.

Das Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933

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Volks- und Bürgerschule absolvierte er am Technikum in Teplitz-Schönau eine Ausbildung zum Elektrotechniker. Von 1911 bis 1913 diente Turza in der k.u.k. Armee und kämpfte nach Ausbruch des Ersten Weltkrieges bis 1918 an der russischen und italienischen Front als Elektrosappeur (Gefreiter einer Elektroformation), wo er schwer verwundet wurde. 1918 rüstete er im Rang eines Zugsführers stehend mit einer 25- bis 35-prozentigen Kriegsinvalidität ab. Nach dem Zusammenbruch der Monarchie kehrte Turza nicht mehr in seine Heimat zurück, sondern ließ sich in Abb. 1: Walter Turza, ca. 1932, WStLA Wien nieder. Er nahm die österreichische Staatsbürgerschaft an und eröffnete 1919 ein Geschäft für Elektrobedarf, das seinen Angaben zufolge später aufgrund seiner nationalsozialistischen Betätigung in Konkurs ging. 1920 heiratete er die aus Kärnten stammende Anna Weixlederer, die eine Tochter in die Ehe mitbrachte. 1924 schloss sich Turza, der laut seinen Angaben „als Sudetendeutscher (…) schon seit der frühesten Jugend im nationalen Kampf (stand)“, der nationalsozialistischen Partei und im Jahr darauf der SA an. Nach der Spaltung der österreichischen N ­ SDAP 1926 trat er der Hitlerbewegung bei und wurde zum Führer des SA-Sturms 1 ernannt, „der zusammen mit dem Sturm 13 (Sturmführer [Alois] Peschel) den Kern der neu aufzubauenden SA bildete“.26 Am 28.  April 1930 wurde Turza zum ersten SS-Sturmführer und ein Jahr später zum Sturmbannführer ernannt. Im Juni 1931 beförderte ihn Himmler zum Standartenführer und beauftragte ihn neben der Führung der Wiener SS auch mit der Verwaltungsführung der steirischen 38. SS-Standarte.27 Nach Aufstellung des österreichischen SS-Abschnitts VIII wurde Turza zum Stabsführer ernannt.

26 Baldur von Schirach an Karl Scharizer v. 8. 10. 1941, BArch (ehem. BDC), PK  : Walter Turza. 27 Turza führt in seinem Lebenslauf an, dass er ab 1931 neben der Wiener auch die 37. (Linz) und 38. SS-Stan­darte (Graz) geführt habe, was jedoch weder aus seinen SS-Stammkarten noch aus seiner Dienstlauf­bahnbeschreibung hervorgeht, BArch (ehem. BDC), PK, SSO  : Walter Turza.

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Die Gründung der Wiener SS

Karl Pichl (SS-Nr. 2.257) Karl Pichl28 wurde 1906 in ärmlichsten Verhältnissen in Wien geboren. Er besuchte sechs Klassen Volks- und Bürgerschule und musste im Alter von zwölf Jahren auf Wunsch der Eltern frühzeitig die Schule abbrechen, um durch Aushilfsarbeiten den Familienunterhalt aufzubessern. In späteren Jahren absolvierte er eine Ausbildung zum Dekorationsgärtnergehilfen, konnte aber in seinem erlernten Beruf keine Anstellung finden und schlug sich in der Folgezeit als Hilfsarbeiter und Vertreter durchs Leben. Abb. 2: Karl Pichl, ca. 1936, BArch 1923 schloss sich Pichl dem Freikorps „Bund Oberland“ an und wurde kurz darauf Mitglied in der NSDAP. Über seinen Eintritt in die SA liegen unterschiedliche Angaben vor  ; gesichert ist lediglich, dass er zwischen 1924 und 1926 beitrat. Ab März 1926 diente er im österreichischen Bundesheer und wurde Mitglied der deutschen Soldatengewerkschaft. Während seiner Wehrdienstzeit zog sich Pichl eine schwere Lungenverletzung zu und schied 1928 mit einer 35- bis 45-prozentigen Invalidität aus dem Bundesheer aus. Bis zu seinem Übertritt zur SS gehörte er dem SA-Sturm 33 in Wien an und war als Truppführer der österreichischen SA-Führung zugeteilt. Im März 1931 wurde Pichl zum SS-Sturmführer und im Februar 1932 zum SS-Sturmhauptführer ernannt. Wenig später musste er aufgrund seines Lungenleidens einen halbjährigen Erholungsurlaub antreten und fungierte nach seiner Rückkehr nach Wien im Oktober 1932 zunächst als Adjutant der 11. SS-Standarte. Einen Monat später übernahm er die Führung des Sturmbanns I/11. Nach der Eröffnung des „Adolf-Hitler-Hauses“, der Parteizentrale der Wiener NSDAP, im Winter 1931 erhielt Pichl eine Anstellung in der Registratur der Gauleitung und fungierte auch als einer der diensthabenden Führer der SS-Hauswache.29

28 BArch (ehem. BDC), SSO, Akten des Rasse- und Siedlungsamtes (= RS)  : Karl Pichl  ; WStLA, GAW  : Karl Pichl, Zl. 53.788, 101.811. 29 Vernehmung von Karl Pichl v. 14. 6. 1933 durch das Sicherheitsbureau (= S.B.) der Bundes-Polizeidirektion (= BPD) Wien, WStLA, Landesgericht für Strafsachen (= LGfS) Wien I, Vr 4345/33.

Das Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933

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Anton Ziegler (SS-Nr. 2.658) Zusammen mit Turza und Pichl trug Anton Ziegler nach der Gründung des Sturms 77 ganz entscheidend zum Aufbau der Wiener SS bei.30 Ziegler wurde 1897 in Wien geboren und war wie Turza gelernter Elektrotechniker. 1915 wurde er in die k.u.k. Armee eingezogen und kämpfte in Italien, Albanien und unter dem Kommando des deutschen Generalfeldmarschalls August von Mackensen in Rumänien. Laut Polizeibericht gehörte Ziegler, ein „begeisterter Anhänger preußischer Verwaltung u(nd) Militärdisziplin“,31 von 1918 bis März 1919 als Korporal der „Volkswehr“ an und wurde mit der deutschen und ungarischen Frontkämpfermedaille ausge- Abb. 3: Anton Ziegler, ca. 1938, BArch zeichnet.32 Nach seiner Rückkehr nach Wien arbeitete er zunächst als Mechaniker für das Volksernährungsamt und war ab 1921 als Archivar bei der Credit-Anstalt beschäftigt, für die er zuletzt fünf Großbank-Archive selbstständig leitete. 1931 heiratete er Anna Neudorfer, die 1928 der NSDAP beigetreten und bei der Wiener Polizei als „eifrige Anhängerin“ der Partei bekannt war.33 1932 wurde Ziegler infolge der Wirtschaftskrise im Rahmen einer größeren Entlassungswelle abgebaut und lebte von da an von seiner monatlichen Pension und einer stattlichen Abfindung.34 Ziegler trat 1926 im bereits fortgeschrittenen Alter von 29 Jahren der Hitlerjugend und im Oktober 1927 der NSDAP bei, innerhalb der er eine rege Tätigkeit entfaltete. So nahm er nicht nur an allen größeren Aufmärschen der österreichischen NSDAP teil, sondern war bis 1930 auch als Blockwart, Zellen- und Ortsgruppenleiter tätig. Ab August 1929 gehörte er der SA an, bis er im Mai 1930 in die SS überwechselte. 30 BArch (ehem. BDC), SSO, PK, SA  : Anton Ziegler  ; WStLA, GAW  : Anton Ziegler, Zl. 812, 214.089. Zieglers Gauakt mit der Nummer 237.350 konnte im Österreichischen Staatsarchiv nicht aufgefunden werden. 31 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Anton Ziegler. 32 WStLA, GAW  : Anton Ziegler, Zl. 812. 33 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Anton Ziegler. 34 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Beschlagnahmeakt Anton Ziegler.

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Die Gründung der Wiener SS

Im Jänner 1931 wurde er zum SS-Gruppenführer (= Scharführer) ernannt,35 ab März 1931 fungierte er unter gleichzeitiger Beförderung zum Sturmführer als Adjutant des Sturmbanns I/11,36 den er ab August 1931 nach Ernennung zum Sturmbannführer auch kommandierte.37 Von Juni bis September 1932 war Ziegler mit der Führung der 11. SS-Standarte beauftragt, bis er von Josef Fitzthum abgelöst wurde, den er in der Folge auch zeitweise vertrat. Im Dezember 1932 übernahm er kurzfristig die Motorstaffel der Wiener SS, bis er im April 1933 um Überstellung zur SA ersuchte, um dort die Führung einer Standarte zu übernehmen. Im Mai gab Himmler seiner Bitte statt. Ziegler zählte zum Freundeskreis des Wiener SA-Führers Rudolf May, mit dem er nach seinem Ausscheiden aus der SS eng zusammenarbeitete. Er wurde zunächst zum Inspekteur der SA-Brigade Wien und wenig später zum Führer einer SA-Standarte ernannt, die er jedoch aufgrund des Verbots der NSDAP nur noch für kurze Zeit kommandierte. Im Juli 1933 flüchtete Ziegler nach Deutschland und trat der Österreichischen Legion bei.38 Franz Mazanek (SS-Nr. 3.131) Mit Franz Mazanek39 trat im September 1930 jener SS-Mann in die Schutzstaffel ein, der für die militärische Durchführung der Terroranschläge der Wiener SS ab Dezember 1932 verantwortlich zeichnen sollte. Mazanek wurde 1901 als Sohn eines Schlossers in Wien geboren, wo er auch die Volksschule besuchte. 1911 übersiedelte er mit seiner Familie nach Schlesien und lernte nach Abschluss der Bürgerschule bei seinem Vater das Schlosserhandwerk. Bei Kriegsende schloss sich der damals 17-Jährige dem schlesischen Grenzschutz und nach dessen Auflösung der 35. Reichswehrbrigade, der sog. „Eisernen Division“, an, mit der er im Baltikum kämpfte. Im Herbst 1919 kehrte Mazanek nach Wien zurück, wo er zunächst wieder als Schlosser arbeitete, bis er 1921 eine zweijährige Dienstzeit im österreichischen Bundesheer ableistete. 1926 trat Mazanek in die NSDAP und SA ein und war Gruppenführer des „Stoßtrupps Wien“. Im Jahr darauf übersiedelte er nach Tirol, wo er im SA-Dienst verwun35 SA-Führer-Fragebogen v. Anton Ziegler, ausgest. am 20.  3.  1935, BArch (ehem. BDC), SA  : Anton Ziegler. 36 Ernennungsdekrete des RFSS v. 31. 3. 1931, BArch (ehem. BDC), SSO  : Anton Ziegler. 37 SA-Führer-Fragebogen v. Anton Ziegler, ausgest. am 20.  3.  1935, BArch (ehem. BDC), SA  : Anton Ziegler. Die von Hurton (2011), S. 463f. angeführten Daten über Zieglers Beförderungen in der SS sind sowohl falsch als auch unvollständig. So heißt es dort, dass er im Juni 1932 zum Scharführer und am 24. Dezember 1932 zum Sturmführer ernannt worden sei. 38 Anton Ziegler an die RFSS v. 13. 2. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Anton Ziegler. Laut einer Karteikarte von Anton Ziegler befand er sich ab 1. August 1933 in Deutschland, WStLA, GAW  : Anton Ziegler, Zl. 812. 39 BArch (ehem. BDC), SSO, PK  : Franz Mazanek  ; ÖSTA/AdR, GA  : Franz Mazanek, Zl. 343.390  ;

Das Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933

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det wurde. Nach seiner Rückkehr nach Wien gehörte er bis zu seinem Übertritt in die SS dem SA-Sturm 33 an. 1929 heiratete er die Parteigenossin Frieda Gontarski, die 1927 der NSDAP beigetreten war. Im November 1931 wurde Mazanek zum SS-Gruppenführer (=  Scharführer) ernannt, im Jahr darauf zum Oberscharführer und 1932 zum Sturmführer befördert. Spätestens ab Juli 1932 führte er den Sturmbann II der Wiener SS, absolvierte im gleichen Jahr zusammen mit Karl Pichl als erster Wiener SS- Abb. 4: Franz Mazanek, 1932, Filmarchiv Austria (FAA) Führer die RFSS-Schule40 in München und wurde im September 1932 zum SSSturmhauptführer befördert.41 Nach Errichtung des „Adolf-Hitler-Hauses“ arbeitete Mazanek dort zunächst als Heizer, wurde im November 1932 als Hausmeister mit Dienstwohnung im Haus angestellt und fungierte als Führer der SS-Hauswache. Mazanek war bereits in jungen Jahren wegen Diebstahls, Gefährdung der körperlichen Sicherheit, Trunkenheit und gefährlicher Drohung gegen obrigkeitliche Personen zu insgesamt mehr als zwölf Monaten Kerkerhaft verurteilt worden. Auch sein Einsatz für die Bewegung schlug sich, insbesondere ab Sommer 1932, durch zahlreiche Einträge in den Evidenzen der Wiener Polizei nieder.42 Franz Weilguny (SS-Nr. 2.390) Zu den Gründungsmitgliedern der Wiener SS zählte weiters Franz Weilguny,43 ein 26-jähriger Beamter der Oesterreichischen Nationalbank, der zunächst als Geldverwalter des Sturms 77 fungierte und ab 1931 auch die Geldverwaltung des österreichischen SS-Abschnitts aufbaute. Weilguny wurde 1903 in Wien als Sohn eines Kauf

WStLA, GAW  : Franz Mazanek, Zl. 5.589  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Franz Mazanek. 40 Der erste SS-Führerkurs wurde vom 31. Jänner bis 20. Februar 1932 in der sog. Reichsführerschule der Partei in München abgehalten, Longerich (2008), S. 146. 41 WStLA, GAW  : Franz Mazanek, Zl. 5.589. 42 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Franz Mazanek. 43 BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny  ; ÖSTA/AdR, GA  : Franz Weilguny, Zl. 140.747  ; WStLA, GAW  : Franz Weilguny, Zl. 49.029  ; Preradovich (2008), S. 327f.

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Abb. 5: Franz Weilguny, ca. 1938, BArch

Die Gründung der Wiener SS

manns geboren und wuchs als Halbwaise auf, nachdem seine Mutter kurz nach seiner Geburt verstorben war. Infolge eines Nervenschocks litt Weilguny von Kindheit an unter einer Sprachstörung.44 Nach dem frühen Tod seines Vaters im Jahr 1922 trat er der NSDAP bei, die er nach der Parteispaltung wieder verließ. 1927 schloss er sich endgültig der NSDAP-Hitlerbewegung an. Von 1923 bis zu seinem Übertritt in die SS im Februar 1930 war Weilguny ununterbrochen in der Wiener SA organisiert und fungierte auch als Ortsgruppen-Kassenwart. Im April 1931 wurde er zum SS-Sturmführer ernannt, im Oktober des gleichen Jahres zum Sturmhauptführer und Leiter der Geldverwaltung des österreichischen Abschnitts und im Oktober 1932 zum Sturmbannführer befördert

Heinrich Weitzdörfer (SS-Nr. 2.259) Am Aufbau der Wiener SS war von Beginn an auch der 1906 in Wien als Sohn eines Oberrechnungsrats des Postsparkassenamtes geborene Kaufmann Heinrich Weitzdörfer beteiligt. Nach dem Abschluss der Handelsakademie erhielt er eine Anstellung in der Bundeskrankenkasse, die er im Jänner 1934 aufgrund seiner nationalsozialistischen Betätigung verlor. 1923 trat Weitzdörfer der SA und im Oktober 1926 der Partei bei. Im Dezember 1929 wurde er zunächst als Anwärter und drei Monate später definitiv in die Schutzstaffel aufgenommen. Innerhalb der Wiener SS fungierte er ab September 1930 als SS-Gruppenführer und erhielt ab Jänner 1931 im Range eines Truppführers stehend das Kommando über den Sturm 2/I/11. Im Februar 1932 erfolgten seine Ernennung zum Sturmführer und die Überstellung zum österreichischen Abschnitt VIII, bis er im November 1932 die Geldverwaltung der neu aufgestellten 52. SS-Standarte in Niederösterreich übernahm.

44 WStLA, Vg 5212/47, Volksgerichtsverfahren gegen Franz Weilguny.

Das Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933

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Von den Gründern der Wiener SS konnten lediglich Walter Turza und Franz Weilguny ihre Karrieren nach dem „Anschluss“ fortsetzen. Die übrigen waren danach nur noch als nebenamtliche Führer aktiv bzw. als Unteroffiziere oder Mannschaftsdienstgrade der Waffen-SS zugeteilt. Im Vergleich dazu erreichten jene SS-Männer, die 1931 der Schutzstaffel beitraten und bis zum Parteiverbot ins Führerkorps aufgenommen wurden, die höchste Karriereentwicklung und sollten ganz entscheidend zur Radikalisierung der Wiener SS beitragen. Im Unterschied zu den Gründern der Wiener SS erreichten sie ihre höheren Führungspositionen nicht aufgrund ihres frühen Eintritts, sondern wurden innerhalb der SS sozialisiert und stiegen erst im Laufe der Jahre weiter auf. Boris Plachetka (= Franz Lang) (SS-Nr. 8.853) Boris Plachetka45 wurde 1907 in St. Petersburg als Sohn des späteren österreichisch-ungarischen Generalkonsuls in Charkow geboren. Er erhielt zunächst Privatunterricht und besuchte danach ein russischsprachiges Gymnasium. Während des Krieges blieb sein Vater auf seinem Posten und wurde zusammen mit seiner Familie nach Ostrachan am Kaspischen Meer verbannt, von wo ihnen 1916 unter dem Schutz der dänischen Gesandtschaft die Flucht nach Österreich gelang. Nach Wien zurückgekehrt, besuchte Plachetka zunächst das Internat Abb. 6: Boris Plachetka, n. 1937, BArch St. Josef in Strebersdorf, wo er auch eine militärische Ausbildung erhielt. Nachdem die Familie infolge des Zusammenbruchs der Monarchie ihr gesamtes Vermögen verloren hatte, absolvierte Plachetka die Bürgerschule in Wien. Seine Ausbildung an der Handelsakademie musste er ohne Abschluss abbrechen und sich in den folgenden Jahren als „Beamter, Vertreter, Schlosser, Monteur, Hilfsarbeiter und Bauarbeiter“ durchs Leben schlagen.46 Im Oktober 1923 schloss sich Plachetka dem Ordner-Trupp, der Vorläuferorganisation der SA, an und wurde im Jahr darauf Mitglied der NSDAP sowie der nationalsozialistischen Jugendorganisation. Weiters war er Mitbegründer der rechtsradikalen 45 BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Lang (= Boris Plachetka). 46 Lebenslauf von Boris Plachetka v. 5. 12. 1932, ebd.

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Die Gründung der Wiener SS

Bauer-Jugend in Wien.47 Nach der Parteispaltung verließ er die NSDAP, gehörte aber seit 1925 ununterbrochen der SA an. 1931 wurde er Mitglied der NSDAP-Hitlerbewegung. Über Plachetkas Aufnahme in die SS, die zwischen Jänner und Juni 1931 erfolgte, liegen unterschiedliche Angaben vor. Im Jänner 1932 wurde er zum Obertruppführer ernannt und sechs Monate später von Franz Mazanek zum Adjutanten des Sturmbanns II/11 vorgeschlagen. Im September 1932 beförderte ihn Himmler zum Sturmführer. Kurz darauf schlug ihn die Standartenführung zum neuen Führer des selbstständigen Sturmbanns III vor. Seine definitive Bestellung erfolgte Anfang Jänner 1933. Ab November 1932 war Plachetka als hauptamtlicher SS-Führer vom Dienst im „Adolf-Hitler-Haus“ angestellt. Thomas Schabel (SS-Nr. 31.074) Auch Thomas Schabels tatsächlicher Eintritt in die SS ist nicht gesichert. Laut seinen Personalunterlagen erfolgte dieser im April 1931, jedoch scheint er aufgrund seiner relativ hohen SS-Nummer erst nachträglich zur Anmeldung gelangt zu sein. Schabel wurde 1896 als Sohn eines Kommerzialrates in Wien geboren. Nach der Matura wurde er zum Kriegsdienst eingezogen und kämpfte im Regiment der Tiroler Kaiserjäger an der russischen und italienischen Front, wo er verwundet wurde. Bis 1932 arbeitete er als Prokurist für die Firma Swift & Comp. 1927 schloss sich Schabel der NSDAP an und war Propagandaleiter und RedAbb. 7: Thomas Schabel, ca. 1933, BArch ner der Bezirksleitung Hietzing. Innerhalb der SS fungierte er zunächst als Geldverwalter und ab Sommer als Adjutant der 11.  SS-Standarte. Nach der Errichtung des Verwaltungsamtes VIII der österreichischen SS übernahm er als hauptamtlicher Führer im Oktober 1932 dessen Leitung. Im 47 Oberst a.D. Max Bauer war im Februar 1923 nach Wien gekommen und leitete den Aufbau von Wehrverbän­den nach bayrischem Vorbild. Er hatte im Ersten Weltkrieg in der Obersten Heeresleitung bei General Ludendorff und später als sein politischer Unterhändler gedient, war als Adjutant von Wolfgang Kapp am Putsch im März 1920 beteiligt gewesen, gehörte zum engeren Kreis um Hermann Ehrhardt und war Mitglied des „Bund Oberland“, vgl. Botz (1983), S. 116  ; Carsten (1968), S. 136f.; Venner (1974), S. 204f., 242.

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April 1932 wurde Schabel zunächst zum Untersturmführer und nach seiner Ernennung zum Leiter des Verwaltungsamtes zum Sturmhauptführer befördert. Max Peschke (SS-Nr. 4.387) Über Max Peschke48 existieren aufgrund seines frühen Todes im Juli 1938 nur wenige Personalakten. Seine Laufbahn in der SS ist dementsprechend nur lückenhaft rekonstruierbar. Peschke wurde 1904 als Sohn eines Fabriksbeamten in Wien geboren und absolvierte eine Fleischhauerlehre. Im Oktober 1930 trat er in die NSDAP und wenige Monate später in die SS ein. Im August 1931 wurde er zum SS-Scharführer ernannt und ein Jahr später zum Sturmführer befördert. Peschkes mangelhafte Führerqualitäten und die sich mehrenden Beschwerden seitens der politischen Leitung49 führten Ende 1932 zur zeitweiligen Auflösung seines Sturms und zu seiner Absetzung. Im Oktober 1932 erhielt er einen Posten als Telefonist in der Wiener Niederlassung der Landesleitung der österreichischen NSDAP in der Seidengasse im 7. Bezirk,50 für die er während der Illegalität auch eine Schlüsselrolle innehaben sollte. Johann (Hans) Smirtschek (= Hannes/Hans Hauch) (SS-Nr. 7.234) Hans Smirtschek51 wurde am 24.  Mai 1908 in Amstetten geboren. Er übersiedelte später mit seiner Familie ins mährische Iglau, wo sein Vater, der nach dem Zusammenbruch der Monarchie die tschechoslowakische Staatsbürgerschaft angenommen hatte, als Stadtgarteninspekteur arbeitete. Nach Beendigung der Schulzeit begann Smirtschek 1923 eine Lehre als Handlungsgehilfe in einer Wiener Feinkosthandlung und erhielt nach Ende seiner Ausbildung eine Anstellung als Verkäufer bei der Firma Gebrüder Wild, der größten Feinkosthandlung Wiens. Im September 1932 wurde er seinen Angaben zufolge aufgrund seiner politischen Einstellung „auf Veranlassung der industriellen Bezirkskommission“ entlassen und war danach arbeitslos. Smirtschek hatte sich bereits in Iglau dem nationalsozialistischen Jugendbund angeschlossen und trat 1923, zu Beginn seiner Lehrzeit in Wien, in die NSDAJ52 ein. In der NSDAJ und später auch in der HJ war er zunächst als Jungwehrführer in Hernals aktiv 48 BArch (ehem. BDC), SSO, PK  : Max Peschke  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Stefanie Peschke. 49 Jahresbericht 1932 der Bezirksgruppe Hietzing v. Jänner 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 3. 50 Vernehmung von Max Peschke durch das LGfS v. 16.  6., 21.  6., 4.  7.  1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 51 BArch (ehem. BDC), PK  : Hannes Smirtschek, ebd., PK  : Hans Smirtscheck  ; WStLA, GAW  : Johann Hauch (= Hans Smirtschek), Zl. 198.363. 52 Bei Gehmacher findet sich kein Hinweis auf Smirtscheks Aktivitäten in der NSDAJ und HJ, Gehmacher (1994).

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Die Gründung der Wiener SS

und gründete 1928 die HJ in der Josefstadt. Die „Gründungsworte“ sprach dabei Horst Wessel. Von Jänner 1929 bis Juni 1930 kehrte Smirtschek in die Tschechoslowakei zurück, um seinen Militärdienst abzuleisten, wo er sich ebenfalls eifrig für die NSDAP betätigte. So übernahm er die Führung der NSDAJ in Olmütz, trat in 120 Heimabenden sowie 36 öffentlichen Versammlungen als Sprecher auf und nahm an Kundgebungen in Sternberg und Troppau teil. Nach dem Ende seiner Militärdienstzeit kehrte er nach Wien zurück, wo er seine Arbeit für die HJ wieder aufnahm und infolge seiner politischen Betätigung mehrmals verhaftet wurde. 1930 erfolgte seine Ernennung zum Kreisjugendführer der Wiener HJ, die er erfolgreich weiter aufbaute. Als er diese im April 1931 verließ, konnte er der Gebietsführung Österreich 17 Wiener Ortsgruppen mit insgesamt 417 Mitgliedern übergeben. Mit dem Eintritt in die SS begann für Smirtschek „eine neue Kampfepoche“. Im Dezember 1931 wurde er seinen Angaben zufolge aufgrund seines „Diensteifer(s)“ und seiner „Fähigkeit“ zum SS-Scharführer und Ausbildner des Lehrsturms der 11. SS-Standarte ernannt. Im Mai 1932 erfolgte seine Beförderung zum SS-Truppführer unter gleichzeitiger Bestellung zum Führer des Lehrsturms 3/I/11. Im Jänner 1933 ernannte ihn Himmler zum SS-Sturmführer. Max Plobner (SS-Nr. 5.050) Mit Max Plobner53 trat im Jänner 1931 jener SS-Mann in die Schutzstaffel ein, der die 11. SS-Standarte in den „Anschluss“ führen sollte. Plobner wurde 1902 als Sohn eines Kunsttischlermeisters in Wien geboren. Nach der Schulzeit begann er eine Lehre als Maurergehilfe und setzte seine Ausbildung danach an der höheren Staatsgewerbeschule fort. Nach dem Tod des Vaters 1920 musste er sein Studium abbrechen. 1922 fand er eine Anstellung als technischer Zeichner und arbeitete ab 1927 bis zum „Anschluss“ als Expedient bei einer Papierwarenfirma. Plobner war einer der wenigen Wiener SS-Führer, der seinen Arbeitsplatz wähAbb. 8: Max Plobner, ca. 1938, BArch rend der Illegalität behalten konnte und dessen Aktivitäten für die SS der Wiener Polizei weitgehend verborgen blieb. 53 BArch (ehem. BDC), SSO, RS, PK  : Max Plobner  ; ÖSTA/AdR, GA  : Max Plobner, Zl. 228.620.

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Plobner war als 14-Jähriger dem Wiener Jungschützenkorps beigetreten, das zur militärischen Jugendausbildung gegründet worden war und unter der Leitung aktiver Offiziere der k.u.k. Armee stand. 1918 schloss er sich zunächst der großdeutschen Volkspartei an, wurde zwei Jahre später Mitglied der schlagenden Verbindung „Markomannia“ und trat 1925 in die NSDAP sowie in die SA ein. Nach der Parteispaltung wurde Plobner Mitbegründer der NSDAP-Hitlerbewegung und übernahm 1926 neben verschiedenen Funktionen in der Ortsgruppe Mariahilf auch den dortigen SASturm, bis er im Jänner 1931 in die SS übertrat. Vier Monate später wurde er zum Schar- und im Dezember 1931 zum Truppführer ernannt. Ab August 1932 kommandierte er den Sturm 2/II/11. Seine Ernennung zum SS-Sturmführer erfolgte Ende Jänner 1933. Hans Mußil (SS-Nr. 8.435) Als sich Hans Mußil 1947 vor dem Wiener Volksgericht zu verantworten hatte,54 blickte er auf eine fast zwanzigjährige, erfolgreiche Karriere in der NSDAP und SS zurück. Mußil wurde 1910 als Sohn eines Inspekteurs der Gaswerke in Wien geboren.55 Im Juli 1926 trat er im Alter von 16 Jahren der SA und dem Stahlhelm bei, seine Mutter und Schwester wurden Abb. 9: Hans Mußil, 1932, FAA gleichzeitig Mitglieder der NSDAP.56 Im Februar 1927 wurde Mußil während eines „Volkskampfs Bummels“ in der Kärntner Straße erstmals verhaftet „und dem Amte überstellt“.57 Im Jänner 1928 übernahm Mußil die Führung einer SA-Schar, musste aber im Jahr darauf eine kurze Kampfpause einlegen, da ihm „infolge mehrerer politischer Konflikte mit den Behörden der Hinauswurf aus dem Realgymnasium drohte“.58 So war er u.a. auch anlässlich der Demonstration gegen die Aufführung von Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“ im Jänner 1928 verhaftet und zu 20 Schilling Geldstrafe bzw. 48 Stunden Arrest verurteilt worden.59 54 WStLA, Vg 1326/47, Volksgerichtsverfahren gegen Hans Mußil. 55 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Musil (sic  !)  ; BArch (ehem. BDC), SSO, RS, PK  : Hans Mußil  ; ÖSTA/AdR, GA  : Hans Mußil, Zl. 336.310. 56 BArch (ehem. BDC), PK  : Leopoldine Mußil. 57 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Mußil. 58 BArch (ehem. BDC), PK  : Hans Mußil. 59 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Musil (sic  !). Im Jänner 1928 fanden anläss-

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Nach der Matura begann Mußil 1930 an der Universität Wien mit dem Studium der Rechtswissenschaften, trat der NSDAP bei und fungierte ein Jahr lang als stellvertretender Propagandaleiter des Gaus Wien.60 Nach einem kurzen Zwischenspiel beim Nationalsozialistischen Kraftfahrkorps (NSKK) fand er am 7. Jänner 1931 seine endgültige Heimat in der SS. Im Juli 1931 nahm ihn die Polizei bei Krawallen an der Universität Wien fest und erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien I wegen öffentlicher Gewalttätigkeit und tätlichen Angriffs gegen einen Wachebeamten. Die Untersuchung verlief wie auch alle weiteren gegen ihn eingeleiteten Verfahren im Sande. Im November 1931 war Mußil laut Zeugenaussagen neuerlich an Zusammenstößen zwischen nationalsozialistischen und jüdischen Studierenden an der Wiener Universität beteiligt. Im Juli 1932 wurde er zum Scharführer ernannt und übernahm im September 1932 die kommissarische Führung des SS-Sturms 1/II/11, der die Bezirke Josefstadt, Ottakring, Hernals und Währing umfasste. Am 16. Oktober 1932 war Mußil – vermutlich an vorderster Front – am „Simmeringer Blutsonntag“ beteiligt  ; seine Schießausbildung hatte er 1930 an der Universität Wien absolviert.61 Im Jänner 1933 erfolgte seine Ernennung zum SS-Sturmführer. Karl Heinz Urban (SS-Nr. 17.113) Karl Heinz Urban62 sollte jener SS-Führer werden, der die 11. SS-Standarte bis zum „Anschluss“ am längsten führte. Urban wurde 1901 als Sohn eines Tischlermeisters in Wien geboren. Er besuchte zunächst acht Klassen einer evangelischen Privatschule und durchlief nach Absolvierung der Handels- und Gewerbeschule eine Ausbildung zum Drogisten. Von 1915 bis 1934 arbeitete er bei der „Großdrogenhandlung“ Wallace und leitete zuletzt das kosmetische Laboratorium. 1919 trat Urban dem Deutschen Turnerbund bei, in dem er als Turnwart der Jugendabteilung Margarethen aktiv war. Urban war ein begeisterter Sportler und unternahm zahlreiche Reisen und Bergtouren nach Norwegen, Schweden, Dänemark, Italien, Kleinasien und auf den Balkan. Ab 1921 gehörte er der NSDAP und dem Ordnertrupp, der späteren SA, an. Im Auftrag des damaligen Führers der Wiener lich der Uraufführung von Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“ zahlreiche Protestveranstaltungen und De­monstrationen der NSDAP, des Deutschen Turnerbundes und anderer völkischer Vereinigungen in Wien statt. Am 27. Jänner wurden während der Aufführung mehrere Glasphiolen mit Schwefelwasserstoff und „Niespul­ver“ ausgestreut, ÖSTA/AdR, Berichte der Polizeidirektion (= PDion) Wien v. 13. 1., 18. 1., 19. 1., 22. 1. und 28. 1. 1933. 60 WStLA, GAW  : Kartothekblätter Hans Mußil. 61 Vgl. dazu Kapitel 7.4. 62 BArch (ehem. BDC), SSO, RS, PK  : Karl Heinz Urban  ; ÖSTA/AdR, GA  : Karl Heinz Urban, Zl. 247.522  ; WStLA, GAW  : Karl Heinz Urban, Zl. 89.657.

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SA, Hubert Kölblinger, begann Urban ab 1924, im Turnverein Margarethen für die NSDAP zu werben, der seinen Angaben zufolge „einer der ersten Turnvereine Deutsch-Österreichs war(,) der in seiner Gesamtheit nationalsozialistisch fühlte und handelte“.63 1927 trat er aufgrund der nach der Parteispaltung auftretenden Streitigkeiten aus der NSDAP aus, blieb aber weiterhin in der SA, wo er aufgrund seines Berufes zunächst als SA-Sanitätsführer, später als Führer der Sanitätsstaffel Wien eingeteilt war. 1930 schloss er sich neuerlich der NSDAP an und war als Blockwart und Sprengelleiter tätig. Zwischen August und Oktober 1931 trat Urban der SS bei, wurde nach zwei Monaten mit der Führung eines Trupps und drei Monate später mit der eines Sturms Abb. 10: Karl Heinz Urban, ca. 1933, WStLA 64 beauftragt. Anfang September 1932 zog er sich bei einer Auseinandersetzung mit politischen Gegnern eine schwere Stichverletzung zu, wurde nach seiner Genesung im Jänner 1933 definitiv mit der Führung des Sturms 2/II/11 betraut und gleichzeitig zum SS-Sturmführer ernannt. 64

Von den 1932 eingetretenen SS-Angehörigen wurden bis zum Parteiverbot noch vier in das Führerkorps aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt begann sich das Profil der SS wesentlich zu verändern, da sie nun verstärkt Zulauf von Studenten, ehemaligen Offizieren und Angehörigen höherer sozialer Schichten erhielt ; eine Entwicklung, die sich auch in der Führungsriege der SS niederschlug. Walter Ott (SS-Nr. 46.085) Walter Ott65 wurde 1906 als Sohn eines Bankbeamten in Wien geboren. Während seines Studiums an der Medizinischen Fakultät der Universität Wien schloss er sich 63 ÖSTA/AdR, GA  : Karl Heinz Urban, Zl. 247.522. 64 Die vermutlich von einem Beamten der Staatspolizei nach dem Krieg verfasste Anmerkung am linken Rand des Fotos lautet: „will kein Nazi sein ?“. 65 BArch (ehem. BDC), PK  : Walter Ott  ; vgl. auch Schafranek (2011), S. 208.

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Abb. 11: Walter Ott, ca. 1942, BArch

Die Gründung der Wiener SS

Abb. 12: Josef Fitzthum, ca. 1932, DÖW

Ende 1929/Anfang 1930 der NSDAP an und war unmittelbar nach seinem Eintritt im Jänner 1930 Mitbegründer des NS-Ärztebundes. Im April desselben Jahres beendete er sein Studium und arbeitete danach als Assistenzarzt im Franz-Josef-Spital in Wien. Im Jänner 1931 trat Ott auch der SA bei, für die er als stellvertretender Gruppenarzt der SA-Gruppe Österreich tätig war, bis er im Jänner 1932 die Funktion des Standartenarztes der Wiener SS übernahm. Mit Walter Otts Eintritt in die SS konnte die Wiener Standarte mit dem Aufbau eines Sanitätskorps beginnen. Ein Jahr später erfolgte Otts Ernennung zum Sturmführer und im Juni 1933 zum Sturmhauptführer. Josef Fitzthum (SS-Nr. 41.936) Josef Fitzthum66 wurde 1896 im niederösterreichischen Loimersdorf als ältester von vier Söhnen eines Gutsverwalters geboren. Er absolvierte eine Kadettenschule und danach die Militärakademie. 1913 verlor er im Alter von 17 Jahren seinen Vater. Nach Ende seiner Ausbildung wurde er an die Front abkommandiert, wo er zunächst im Kaiserregiment diente und zuletzt als Führer der Fliegerkompanie des Edelweiß66 BArch (ehem. BDC), SSO, RS, PK  : Josef Fitzthum  ; WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl.  291.193  ; Preradovich (2008), S. 94–98. Fitzthums im Österreichischen Staatsarchiv befindlicher Gauakt konnte nicht aufgefunden werden.

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Korps kämpfte. Nach Ende des Krieges rüstete er als hochdekorierter Hauptmann der k.u.k. Armee ab67 und arbeitete danach als Sekretär in der Wiener Kunstgewerbeschule. Im Jänner 1931 trat Fitzthum, beeinflusst durch seinen Bruder Max,68 der einen Sturmbann der niederösterreichischen SA führte, der NSDAP und im April 1932 der SS bei. Nach Angaben von Gauleiter Frauenfeld zählte Fitzthum zu dessen „engstem Freundeskreis“.69 Im Juni 1932 übernahm Fitzthum zunächst die Führung eines SS-Sturms, im August den Sturmbann I und am 9. September das Kommando über die Wiener SS.70 Richard Kaaserer (SS-Nr.46.104) Zum neuen Führer des Sturmbanns I der Wiener SS wurde im September 1932 Richard Kaaserer71 ernannt, der erst im Februar desselben Jahres in die ­NSDAP und im Juli in die SS eingetreten war. Kaaserer wurde 1896 als Sohn eines k.u.k. Gendarmerie-OberleutnantRechnungsführers im damals zur Monarchie gehörenden Trient geboren. Nach dem Tod seiner Mutter 1910 verstarb drei Jahre später auch sein Vater. Kaaserer besuchte die Militär-Unter- und Oberrealschule und danach die Theresianische Militärakademie in Wiener Neustadt. Während des Krieges war er zunächst in Zagreb stationiert und kämpfte danach an der russischen Front. Als Oberleut- Abb. 13: Richard Kaaserer, n. 1933, BArch nant, ausgezeichnet u.a. mit der Eisernen Krone, dem Militärverdienstkreuz und dem Signum laudis, wurde er nach Ende des Ersten Weltkrieges im Kärntner Abwehrkampf als Verbindungsoffizier eingesetzt und war von 1919 bis 1922 im Kriegsministerium beschäftigt. Danach schlug er sich, inzwischen verheiratet und Vater 67 Frauenfeld (1978), S. 67. 68 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 406.  69 Ebd. 70 WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Josef Fitzthum. 71 BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer  ; WStLA, GAW  : Richard Kaaserer, Zl. 87.706  ; Preradovich (2008), S. 248–251.

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zweier Kinder, mehr schlecht als recht durchs Leben. In seinem Lebenslauf listete er seine zahlreichen Berufswechsel penibel auf  : So arbeitete er als „Korrespondent, Kassier, Tarifeur in der Speditionsbranche, sodann als Korrespondent und Tarifeur in der Steinbranche, (…) als Prokurist, dann in der Schreibmaschinenbranche, (…) in der chemisch technischen Industrie“, in einer Rechtsanwaltskanzlei und zuletzt als „selbständiger Reklame Unternehmer“. Von 1922 bis 1925 gehörte er dem Freikorps „Bund Oberland“ an und war von 1928 bis zu seinem Eintritt in die NSDAP Mitglied im Steirischen Heimatschutz. Kaaserer machte ebenso wie Fitzthum rasch Karriere in der SS  : Zwei Monate nach seinem Eintritt wurde er im September 1932 zum Sturmführer ernannt, im Dezember erfolgte seine Beförderung zum Sturmhauptführer und im März 1933 zum Sturmbannführer. Kaaserer gehörte nur wenige Monate der Wiener SS an, da er bereits im Dezember 1932 mit der Führung der niederösterreichischen 52. Standarte beauftragt wurde. Insgesamt wurden bis zum Parteiverbot 16 SS-Männer in das Führerkorps der Schutzstaffel aufgenommen. Sieben (43,6 %) gehörten der Gründergeneration der Wiener SS an, sechs (37,5 %) waren 1931, drei (18,6 %) 1932 in die SS eingetreten. Die Dienstränge der SS waren in das höhere und mittlere Führerkorps sowie die Unterführer untergliedert und wurden bis 1938 mehrfach verändert  : Dienstränge

1930 Reichsführer-SS

1931 Reichsführer-SS

1932 Reichsführer-SS

höheres Führerkorps

ab 1933 Reichsführer-SS Oberstgruppenführer (ab 7. 4. 1942)

Obergruppenführer

Obergruppenführer

Obergruppenführer

Gruppenführer

Gruppenführer

Gruppenführer Brigadeführer (ab 5. 1933)

Oberführer

Oberführer

Oberführer

Oberführer

Standartenführer

Standartenführer

Standartenführer

Standartenführer

mittleres ­Führerkorps

Obersturmbannführer (ab 5. 1933) Sturmbannführer

Sturmbannführer

Sturmbannführer

Sturmbannführer

Sturmhauptführer

Hauptsturmführer Obersturmführer (ab 5. 1933)

Unterführer

Sturmführer

Sturmführer

Sturmführer

Untersturmführer

Gruppenführer

Truppführer

Haupttruppführer

Sturmscharführer (ab 1. 1938)

Das Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933 Dienstränge

1930

43 1931

1932

ab 1933

Obertruppführer Truppführer Scharführer

Hauptscharführer

Hauptscharführer

Oberscharführer

Oberscharführer

Scharführer

Scharführer

Unterscharführer

Unterscharführer Rottenführer

Tabelle 2  : Dienstränge der SS 1930–1945

Von den 1930 und 1932 eingetretenen Führern der Wiener SS wurden bis 1945 je zwei in das höhere Führerkorps aufgenommen. Innerhalb der mittleren Führungsschicht verzeichneten die 1931 eingetretenen SS-Führer, die mit Ausnahme von Thomas Schabel zum Zeitpunkt des Parteiverbots nur im Rang von Sturmführern standen, den höchsten Karriereaufstieg, während die Mehrheit der Gründer ihren endgültigen Dienstgrad bereits vor dem Parteiverbot erreicht hatte und keinen weiteren Karriereaufstieg mehr nahm.

n = 17

1930

1931

1932

Gruppenführer





1

1930–1932 1

Brigadeführer









Oberführer

1



1

 2

Standartenführer

1





 1

Obersturmbannführer

1

4

1

 6

Sturmbannführer

2

2



 4

Hauptsturmführer

1





 1

Obersturmführer

172





 1

Untersturmführer









Gesamt

7

6

3

17

72

Tabelle 3  : Karriereverlauf des ersten Führerkorps der Wiener SS bis 1945

Das Durchschnittsalter der SS-Männer lag bei ihrer Aufnahme in das Führungskorps bei etwa dreißig Jahren, wobei die Gruppe der 22- bis 26-Jährigen fünfzig Prozent ausmachte. Als jüngster SS-Führer wurde im Jänner 1933 Hans Mußil in das Korps 72 Obersturmführer Max Peschke verstarb kurz nach dem „Anschluss“.

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Die Gründung der Wiener SS

aufgenommen, der mit 22 Jahren noch nicht einmal das für die SS damals vorgeschriebene Eintrittsalter erreicht hatte. Fünf SS-Führer hatten im Ersten Weltkrieg an der Front gekämpft, drei als Offiziere abgerüstet. Der Ausbildungsgrad der SS-Führer lag deutlich über jenem der Unterführer und Mannschaftsdienstgrade. So hatten sieben SS-Führer (43,6 %) eine Gymnasialausbildung abgeschlossen, davon entfielen nur zwei auf die Gründungsgruppe, deren Ausbildungsstand deutlich niedriger lag. Auffallend ist der hohe Anteil an Protestanten, die 43,6 Prozent des Führungskorps ausmachten, während 1934 in Wien lediglich 5,9 Prozent der Bevölkerung evangelischen Glaubens waren.73 Auch die Anzahl der Verheirateten lag deutlich höher als bei den sonstigen SS-Angehörigen. Mehr als 62 Prozent hatten vor dem Parteiverbot geheiratet, einer verehelichte sich kurz danach. Ausschlaggebend dafür dürften neben der höheren Altersstruktur und dem besseren Bildungsstandard die niedrigen Arbeitslosenraten innerhalb des Führerkorps gewesen sein. Mit Ausnahme von Hans Smirtschek war kein SS-Führer arbeitslos,74 fünf arbeiteten in Dienststellen der NSDAP, einer war als hauptamtlicher SS-Führer beschäftigt. 1.2 Die Organisation und Entwicklung der Wiener SS bis zum Frühjahr 1932

Der Aktionsradius der Wiener SS beschränkte sich nicht nur auf die Bundeshauptstadt, sondern erstreckte sich auch auf Niederösterreich, wo unter ihrem Einfluss weitere kleine SS-Scharen entstanden, die direkt der Wiener SS unterstellt waren. Die niederösterreichische SS entwickelte sich jedoch nur langsam. Eine Ausnahme bildete der SS-Trupp in Korneuburg,75 der „zur Terrorgarde des ganzen Gebietes“ ausgebildet wurde und „mit Hilfe gebefreudiger Pg.s“ so gut ausgestattet worden war, dass er „der Wiener SS stets als Musterbeispiel vorgeführt wurde“. Ende 1932 erfolgte dann mit der Aufstellung der niederösterreichischen 52. SS-Standarte die Trennung von der Wiener SS. Das Kommando wurde dem Wiener SS-Führer Richard Kaaserer übertragen, der die Standarte von der Bundeshauptstadt aus führte und mit Amon Göth einen weiteren Wiener SS-Mann zu seinem Adjutanten ernannte. Der Kontakt zwischen den beiden Standarten blieb somit auch weiterhin ein enger. Die österreichischen SS-Einheiten unterstanden zunächst dem SS-Abschnitt I in München, den Sepp Dietrich leitete.76 Im Juni 1931 wurde am „Deutschen Tag“ in 73 Bundesamt für Statistik (1935), S. 45. 74 Hinzugerechnet wurden der Student Hans Mußil und der pensionierte Anton Ziegler. 75 Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876. 76 Ebd. Josef „Sepp“ Dietrich, 1892 im Unterallgäu geboren, schloss sich nach Ende des Krieges, in dem

Die Organisation und Entwicklung der Wiener SS bis zum Frühjahr 1932

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Abb. 14: „Die Führung der Standarte Wien“, ca. Mai 1931: 1. Reihe sitzend, 2. v. l. Walter Turza, 1. Reihe stehend, ganz re. Anton Ziegler, ganz li. Karl Pichl, Der Kampfruf, Privatbesitz

Mürzzuschlag die Aufstellung des österreichischen SS-Abschnitts VIII unter dem Kommando des reichsdeutschen SS-Standartenführers Josias zu Waldeck-Pyrmont77 beschlossen, im Zuge dessen alle österreichischen SS-Einheiten diesem unterstellt wurden. Mit der Stabsführung wurde Walter Turza betraut, der als Waldeck-Pyrmonts er zuletzt als Vizefeldwebel einer bayerischen Sturmpanzer-Abteilung gekämpft hatte, dem Münchner Reichswehrregiment an und wurde von der bayerischen Landespolizei als Wachtmeister übernommen. Mit dem Freikorps Oberland beteiligte er sich an der Niederschlagung der Revolution und der Beseitigung der Räterepublik. Er gehörte in den 1920er-Jahren dem Stoßtrupp Adolf Hitlers an und nahm am 9. November 1923 am Hitler-Ludendorff-Putsch teil. 1927 verließ er den Polizeidienst und wurde im Mai des folgenden Jahres Mitglied der NSDAP und SS. In München stellte er die 1. SS-Standarte auf und wurde im November 1929 zum Standartenführer ernannt. Ab 1930 war Dietrich Reichstagsabgeordneter der NSDAP. Im glei­chen Jahr erfolgte seine Beförderung zum SS-Oberführer und nach der Niederschlagung des „Stennes-Put­sches“ seine Ernennung zum SS-Gruppenführer. Im Dezember 1931 wurde Dietrich zum Führer der SS-Gruppe Süd ernannt, vgl. dazu Wistrich (1983), S.  52f.; Schulz/ Wegmann (2003), S. 237–239. 77 Zur Biografie von Waldeck-Pyrmont vgl. ausf. Schmeling (1993).

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Die Gründung der Wiener SS

Stellvertreter die österreichische SS praktisch leitete. Bis zum Sommer 1932 verblieb der Sitz des Abschnitts in der Schottenfeldgasse 41-43 im 7. Wiener Gemeindebezirk78 und wurde dann nach Linz verlegt, wo auch die Landesleitung der österreichischen NSDAP ihren Sitz hatte. Weiters wurden am „Deutschen Tag“ die österreichischen SS-Einheiten zu drei Standarten zusammengefasst. Der Wiener SS-Sturm, der im März 1931 zum Sturmbann I formiert worden war, wurde als 11. SS-Standarte aufgestellt, weiters wurden in Linz die 37. SS-Standarte (Oberösterreich, Salzburg, Tirol) und in Graz die 38. SS-Standarte (Steiermark, Kärnten)79 errichtet. Das Kommando über die Wiener SS übernahm Walter Turza, der gleichzeitig auch als Verwaltungsführer der 38. SS-Standarte eingesetzt war.80 Zum Adjutanten der 11. SS-Standarte wurde zunächst Anton Ziegler ernannt, der wie auch Karl Pichl und Franz Weilguny im Frühjahr 1931 zum Sturmführer befördert worden war. Die Wiener SS-Standarte umfasste zwei Sturmbanne, die ab Herbst 1931 von Ziegler und Pichl kommandiert wurden. 1932 wurde ein weiterer Sturmbann, der selbstständige Sturmbann III, der die Bezirke Leopoldstadt und Floridsdorf umfasste, aufgestellt. Standartenführer

Sturmbannführer

Sturmführer

Truppführer

Scharführer

Walter TURZA

Anton ZIEGLER 9.1931

Anton ZIEGLER 3.1931

Heinrich WEITZDÖRFER

Max PLOBNER

Karl PICHL

Leo LIBARDI

Max PESCHKE

Franz WEILGUNY

Franz MAZANEK

Franz VEIGL Hans SMIRTSCHEK Gustav LORENZ

Tabelle 4  : Das Führer- und Unterführerkorps der 11. SS-Standarte von Juni 1931 bis Dezember 1931

Die Standarten und ihre Stürme waren mit arabischen Ziffern, die Sturmbanne mit römischen nummeriert. So bedeutet etwa die Bezeichnung „2/II/11“ den zweiten Sturm im Sturmbann II der 11. SS-Standarte. Jede Standarte umfasste drei bis vier Sturmbanne. Diese setzten sich wiederum aus drei Stürmen, diese aus drei Trupps mit drei Scharen zusammen. Die Stärke der SS-Einheiten war folgendermaßen festgelegt  : Schar (4–12 Mann), Trupp (20–60 Mann), Sturm (70–200 Mann), Sturmbann 78 Vgl. dazu die Rubrik „Aus der Bewegung“ in der NSDAP-Zeitung Der Kampfruf. 79 Den Grundstock der 38. SS-Standarte bildeten die SS-Staffeln in Graz, Leoben und Klagenfurt, Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/ AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876. 80 Turza führt in seinem Lebenslauf an, dass er ab 1931 neben der Wiener auch die 37. und 38. SSStandarte geführt habe, BArch (ehem. BDC), PK  : Walter Turza. Aus seinen Personalakten geht eine diesbezügliche Bestellung jedoch nicht hervor.

Die Organisation und Entwicklung der Wiener SS bis zum Frühjahr 1932

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(250–600 Mann), Standarte (1.000–3.000 Mann).81 Laut den Angaben des damaligen Führers der Wiener SS, Josef Fitzthum, lag der „volle Stand“ einer SS-Standarte 1933 bei ca.  1.200 Mann.82 Im Mai 1931 führte Himmler neue Bezeichnungen für die Einheiten der Allgemeinen SS ein, deren Organisationsstruktur ab diesem Zeitpunkt weitgehend beibehalten wurde  : ab Mai 193183

ab Jänner 193284

ab November 1933

RFSS

RFSS

RFSS

Oberleitung

Gruppe

Oberabschnitt

Abschnitt

Abschnitt

Abschnitt

Standarte

Standarte

Standarte

Sturmbann

Sturmbann

Sturmbann

Sturm

Sturm

Sturm

Trupp

Trupp

Trupp

Schar

Schar

Schar Rotte

83 84

Tabelle 5  : Die Organisation der Allgemeinen SS ab 1931

Die Abschnitte, Standarten und Sturmbanne verfügten zumindest über einen Adjutanten und einen Geldverwalter, während den Stürmen nur Geldverwalter zugeteilt waren. Darüber hinaus hatte jede Standarte einen Sanitätsführer zu bestellen. Gliederung einer Standarte  : • Führer der Standarte • Verwaltungsführer der Standarte • Adjutant und Personalreferent der Standarte • I/11 Führer des Sturmbanns I • I/11 Verwaltungsführer des Sturmbanns I • I/11 Adjutant und Personalreferent des Sturmbanns I • II/11 Führer des Sturmbanns II • II/11 Verwaltungsführer des Sturmbanns II 81 Höhne (1995), S. 58. 82 Einvernahme von Josef Fitzthum v. 11. 7. 1933 durch das LGfS, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. Im Feb­ruar 1934 ordnete Röhm folgende Mindest- und Höchststärken für die SA-Einheiten an  : Sturm (100-250 Mann), Sturmbann (1.000–2.000 Mann), Standarte (3.000–6.000 Mann), Brigade (20.000– 35.000 Mann), Der OSAF v. 19. 2. 1934, BArch/NS 19, Zl. 4042. 83 SS-Befehl-D-Nr. 68 v. 31. 12. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. Der Befehl trat mit 1. Jänner 1932 in Kraft. 84 SS-Befehl Nr. 25 v. 12. 5. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934  ; vgl. Longerich (2008), S. 131.

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• • • • •

Die Gründung der Wiener SS

II/11 Adjutant und Personalreferent des Sturmbanns II IIi/11 Führer des Sturmbanns III IIi/11 Verwaltungsführer des Sturmbanns III IIi/11 Adjutant und Personalreferent des Sturmbanns III Sanitäts-Oberstaffel der Standarte

Ab Sommer 1931 wurden die neu in die SS eintretenden Männer in einem eigenen „Rekruten-Sturm“ gesammelt. Innerhalb der einzelnen Sturmbanne erhielten diese sog. „Lehrstürme“ die Nummer 3 (z.  B. 3/I/11).85 Den Standarten und Sturmbannen waren als Sonderformationen die Musik- bzw. Spielmannszüge, Motor-, Reiter-, Radio- und Nachrichtenstürme unterstellt,86 während die Fliegerstaffel dem SS-Abschnitt unterstand. Ab November 1931 wurde zwischen Dienstgrad und -stellung unterschieden,87 wobei der Dienstgrad nicht mit der Dienststellung übereinstimmen musste.88 So konnte etwa ein Sturmbannführer mit der Führung einer Standarte betraut werden. Die Ernennung der Unterführer (Schar- und Truppführer) und der Sturmgeldverwalter oblag bis 1931 dem jeweils zuständigen Sturmbannführer, alle übrigen fielen in den Zuständigkeitsbereich des RFSS bzw. (in dessen Auftrag) des Chefs des Stabes.89 Danach wurden die Scharführer vom Kommandeur ihrer Standarte, die Truppführer vom Abschnittsführer, alle weiteren vom RFSS oder in seinem Auftrag vom Chef des Stabes ernannt. Bei längerer Vakanz einer Dienststelle konnte ein geeigneter SS-Mann oder -Führer „mit der Führung beauftragt“ werden, wobei diese Stellung im Schriftverkehr durch das Kürzel „m.d.F.b.“ ausgewiesen war. Neben dem allgemeinen Führerkorps gab es weiters noch das Sanitäts- und Verwaltungskorps, wobei Letzteres sowohl die Geldverwaltung als auch die Zeugmeisterei umfasste. Nach Sepp Dietrichs Ausbildungsrichtlinien90 stellten die Unterführer „die eigentlichen Träger der Ausbildung“ dar, welche die höheren Führer zu unterstützen und im Bedarfsfall zu ersetzen hatten. Die Sturmführer waren für den inneren und äußeren Dienst ihrer Einheit verantwortlich, sollten aber auch über die Lebensverhält85 SS-Führerbesprechung v. 13. u. 14. 6. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 86 Nach der „Machtergreifung“ wurden die Motor-, Reiter-, Radio- und Nachrichtenstürme aus dem Befehlsbe­reich der Standarten aus- und zu eigenen Dienststellen umgegliedert. Insgesamt wurden vier sol­­cher Spezialeinheiten der Allgemeinen SS gebildet, nämlich die Nachrichteneinheiten (Na.), Reiter­ standar­ten (R), Pioniereinheiten (Pi.) und Kraftfahrstürme (K). 87 Zum Dienstgradverzeichnis und den Rangabzeichen ab November 1931 s. Anhang, S. 609. 88 Der OSAF, Erlaß Nr. 4 v. 28. 11. 1931, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 89 Ebd. 90 SS-Oberführer Befehl Nr. 8 des SS-Abschnitts I v. 1. 4. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934.

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nisse ihrer Männer Bescheid wissen und deren Namen, Alter, Beruf und „häusliche Verhältnisse“ ebenso „genau kennen“ wie ihre „Sinnesart, körperlichen und geistigen Fähigkeiten sowie ihre Stellung im Kameradenkreise“. Der Führer eines Sturmbanns war verantwortlich für die gesamte Ausbildung seiner Trupps und hatte die Ausbildungsrichtlinien je nach dem Ausbildungsstand seiner Männer zu entwickeln. Weiters war er für die Anleitung der Sturmführer zuständig, vor allem für jene, „denen die Sicherheit in der Handhabung des inneren und äußeren Dienstes fehlt, hatte ihr Selbstvertrauen zu befestigen und ihre Schaffensfreude zu steigern“. Zumindest einmal im Monat sollte ein Dienst des gesamten Sturmbanns im Freien abgehalten werden. Das höhere Führerkorps hatte „die für die Ausbildung verantwortlichen Führer so wenig als möglich zu beschränken“ und nur dann einzugreifen, wenn sich „Missgriffe und Zurückbleiben“ bemerkbar machten. 1.2.1 Die Aufgabenbereiche der SS

Die Schutzstaffel war wie auch die SA eine der Partei angeschlossene Gliederung, die nur „auf Anforderung“ des politischen Leiters91 in Aktion treten durfte und somit weisungsgebunden war. Von der Politischen Leitung unabhängig war sie jedoch hinsichtlich Organisation, Stärkestand, Ausbildung, Mitgliederaufnahme, Verwaltung, Disziplinarvorschriften etc. Die SS sollte all jene Aufgaben übernehmen,92 für welche die SA „nicht geeignet“ war, für die die Politische Leitung „aber dennoch disziplinierte, mannhafte Kämpfer“ benötigte, die als „Einzelmänner“ für Sonderaufgaben eingesetzt werden konnten.93 Im Gegensatz zu der „in geschlossener Abteilung“ auftretenden SA waren die „Anforderungen an den einzeln wirkenden Mann (SS) größer“, weshalb die SS deshalb „aus ausgesuchtem, tüchtigem, besonders umsichtigem Menschenmaterial (zu) bestehen“ hatte. Ausdrücklich hatte bereits Julius Schreck festgehalten, dass „die Schutzstaffel nicht mit der S.A. zu verwechseln“ sei.94 Die SS sei „weder eine Wehrorganisation noch ein Haufen Mitläufer, sondern eine kleine Schar Männer, auf die sich unsere Bewegung und unser Führer verlassen kann“. Ihre Mitglieder müssten „in der Lage“ sein, die Parteiversammlungen „gegen Störenfriede und (…) ‚Berufsstänkerer‘ zu schützen. Ein ‚Wenn‘ und ein ‚Aber‘ gibt es bei den Schutzstaffeln nicht, sondern nur Partei91 Richtlinien zur Aufstellung von Schutzstaffeln, übersandt von der Oberleitung der Schutzstaffel am 21. 9. 1925, Rundschreiben Nr. 1 von Joseph Berchtold/Oberleitung der Schutzstaffel der NSDAP v. 14. 4. 1926  ; SA-Befehl Nr. 1 (gleichzeitig für SS) v. 16. 1. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 92 SA-Befehl Nr. 4 v. 4. 11. 1926, abgedr. b. Bennecke (1962), S. 239. 93 Ebd. 94 Schreiben der Oberleitung der Schutzstaffel an alle Gauleitungen und selbstständigen Ortsgruppen v. 21. 9. 1925, BArch/NS 19, Zl. 1934.

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Die Gründung der Wiener SS

disziplin“. So bestand für die SS-Angehörigen eine verpflichtende Teilnahme an den Mitgliederversammlungen der Partei, in deren Diskussionen sich die SS-Männer aber ebenso wenig einmischen durften wie in die „Streitigkeiten innerhalb mancher Ortsgruppen“.95 In der Frühzeit wurde die SS auch als Propagandatrupp zur Verteilung von Flugblättern und Werbematerial, für den Zeitungsverkauf und Plakatierungen etc. eingesetzt. Weiters hatte sie Parteimitglieder sowie Abonnenten und Inserenten für den Völkischen Beobachter anzuwerben. Hinsichtlich der Wiener SS gibt es, zumindest ab 1932, keinen Hinweis darauf, dass sie im Gegensatz zur SA von der Politischen Führung auch als Propagandatruppe eingesetzt worden wäre. Nach den „Grundsätzlichen Anordnungen der SA“ vom April 192996 war die SS hinsichtlich der Regelung und Vollziehung des Innendienstes von der SA unabhängig, unterstand aber hinsichtlich des Außendienstes vollständig dem Kommando der SAFührung. Dieser umfasste „Massenauftreten, Propagandamärsche, Terror-Abwehr, sowie die dazu erforderlichen Vorbereitungen, Übungen, Appelle und Besichtigungen“. Die seit 1926 der SA-Führung unterstellte SS war „als Sonderformation der SA ordnungsmäßig eingegliedert“. Auch die Politische Leitung musste SS-Mannschaften bei dem für den Außendienst zuständigen SA-Führer anfordern. „In der Regel“ sollte die SS „zur unmittelbaren Anforderung“ freigegeben werden, außer dass dadurch der von der SA geplante Außendienst „gestört wurde“. Somit hatte sich die Politische Leitung hinsichtlich der Einteilung der Brachialformationen zum Parteidienst deren Dienstbetrieb unterzuordnen. Die Anordnung machte das bereits gespannte Verhältnis zwischen SA und politischer Führung deutlich, das kurz vor der Reichstagswahl im Sommer 1930 im Zuge der sog. „Stennes-Krise“ endgültig eskalierte.97 Hintergrund der Krise war die Forderung der SA, dass mehrere hohe SA-Führer auf der Reichstagsliste platziert werden sollten, was Hitler ablehnte. Daraufhin stürmten SA-Einheiten unter der Führung von Walter Stennes die Berliner Gaugeschäftsstelle. Erst die von der SS alarmierte Polizei konnte die Ruhe wiederherstellen. Nach dem Rücktritt des OSAF Franz Pfeffer von Salomon unterstellte Hitler am 2. September 1930 die SA seiner direkten Führung und behielt auch nach der Ernennung von Ernst Röhm zum Stabschef der SA am 5. Jänner 1931 diese Funktion bei.98 Im April 1931 besetzten dann neuerlich mehrere hundert SA-Männer das Parteigebäude der Berliner NSDAP, um dem von Hitler als Nachfolger von Stennes eingesetzten neuen Berliner SA-Führer 95 Rundschreiben Nr. 1 von Joseph Berchtold/Oberleitung der Schutzstaffel der NSDAP v. 14. 4. 1926, ebd. 96 GRUSA VII/Schutzstaffel v. 12. 4. 1929, ebd. 97 Vgl. dazu ausf. Bennecke (1962), S. 147–154  ; Bessel (1984), S. 62–65  ; Longerich (2003), S. 103–105. 98 Das Rücktrittsschreiben Franz Pfeffer von Salomons und Hitlers Kundmachung über seine Übernahme der OSAF sind abgedr. b. Bennecke (1962), S. 251f.

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den Zutritt zu verwehren. Stennes wie­derum erklärte Hitler für abgesetzt. Der Putsch wurde von der SS niedergeschlagen und Stennes ebenso wie seine Anhänger aus der NSDAP ausgeschlossen. Als Anerkennung für ihre Loyalität während des „StennesPutsch“ erhielt die SS ihren Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“ verliehen.99 Nach der „Stennes-Krise“ verlor die SA ihre weitreichenden Machtbefugnisse über die SS, die sich während des Konflikts auf die Seite der Politischen Leitung und gegen die SA gestellt hatte. Am 7. November 1930 kündigte Hitler an,100 dass „ein grundsätzlicher Befehl … in Vorbereitung (ist), wonach SA und SS völlig voneinander getrennt werden“. Ihre Aufgabenbereiche seien „durchaus verschieden“. Aufgabe der Schutzstaffel sei „zunächst die Ausübung des Polizeidienstes der Partei“. Bis zur „Herausgabe des … grundsätzlichen Befehls“ sei kein SA-Führer berechtigt, der SS Befehle zu erteilen und umgekehrt. Alle SA-Angehörigen und Parteigenossen hatten im Falle, dass die SS zum Absperrungs- und Ordnerdienst eingesetzt sei, „den Weisungen der SS Folge zu leisten“. Weiters untersagte er den beiden Brachialorganisationen, sich gegenseitig Mitglieder abzuwerben, jedoch dürfe kein Sturmführer „das Einverständnis“ zum Übertritt in die jeweils andere Formation verweigern. Himmler konnte jedoch nicht die völlige Selbstständigkeit der Schutzstaffel von der SA erreichen, da der RFSS formal dem Stabsleiter der SA unterstellt blieb.101 Allerdings erfolgte nun die „restlose Trennung“ der beiden Brachialorganisationen hinsichtlich „Organisation und Aufgabenbereich“.102 Damit endete Anfang Dezember 1930 die Dominanz und Kontrolle der SA über die Schutzstaffel, die keine „Sonderformation der SA“103 mehr darstellte, sondern ihren Dienstbetrieb nun eigenständig organisieren konnte.104 Mit der Übernahme der OSAF durch Hitler änderte sich das Verhältnis der beiden Brachialformationen zueinander ganz entscheidend und brachte einen Machtverlust für die SA, deren Forderung nach einer Aufwertung gleichfalls unerfüllt blieb und die auch weiterhin nur als „Hilfstruppe“ der P.O. zu fungieren hatte.105 Mit dem SA-Befehl Nr. 1 vom 16. Jänner 1931 wurde die Aufgabenverteilung für den Parteidienst zwischen den beiden Brachialformationen neu geregelt, wodurch die SS weitgehende Befugnisse und einen deutlichen Machtzuwachs erhielt.106 Zum Par 99 Geschichte der SS. Entstehung, Zweck und Ziel, Gliederungen, BArch/MF-Rolle DS/J 35. 100 SA-Anordnung v. 7.  11.  1930, in  : Adolf Hitler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte, Bd. 4/Teil 1, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-Datenbank (= Online-DB), K. G. Saur-Verlag. 101 SA-Befehl Nr. 1 (gleichzeitig für SS) v. 16. 1. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 102 SS-Befehl Nr. 20 v. 1. 12. 1930, BArch/MF-Rolle DS/J 35. 103 GRUSA VII/Schutzstaffel (SS) v. 12. 4. 1929, BArch/NS 19, Zl. 1934. 104 Vgl. auch Höhne (1995), S. 57f. 105 Vgl. Longerich (2003), S. 105–107. 106 SA-Befehl Nr. 1 (gleichzeitig für SS) v. 16. 1. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934.

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Die Gründung der Wiener SS

teidienst sollten nach Möglichkeit beide Brachialformationen gleichzeitig herangezogen werden. Während die SA den Schutz der Versammlung und der Saaleingänge sowie den Dienst an der Kasse zu übernehmen hatte, fiel der SS der Schutz der Redner, der politischen Leitung und der als Gäste anwesenden Führer zu. Die Gesamtführung übernahm entweder ein eigens dazu bestimmter Führer oder der dienst- und rangälteste Führer der SA oder SS. Somit konnte die gesamte Aufmarschtruppe auch einem SS-Führer unterstellt werden. Bei Aufmärschen fiel der SA als „Hauptaufgabe … der Propagandamarsch“ zu, während die SS die Absperrungen, den Sicherungs- und Ordnungsdienst, wie etwa Straßenpatrouillen, übernahm. Die restlichen SS-Männer waren für die Schlusssicherung der Marschkolonne verantwortlich. Den Anordnungen der diensthabenden SS-Männer hatten alle Parteigenossen, politischen Leiter sowie die gesamte SA und SS inklusive der Führer Folge zu leisten. Die SS musste ihren Dienstbetrieb nach den Mitgliederversammlungen der Partei ausrichten und die SS-Führer hatten den Dienstplan ihrer Einheiten dementsprechend einzuteilen.107 Die Anforderung der Brachialorganisationen, aber auch aller anderen Gliederungen zum Parteidienst erfolgte durch die Politische Leitung, die etwa bei einer Massenkundgebung der Wiener NSDAP in der Nordwestbahnhalle am 6.  März 1933 folgendermaßen vonstatten ging  : Die Verantwortung für die Durchführung und Organisation von Parteiveranstaltungen unterstand der Hauptabteilung VII (Werbung) der Gauleitung.108 Eine Woche vor der Veranstaltung erließen der Gauorganisations- und Propagandaleiter eine Dienstanweisung, in welcher nicht nur die Ordnung des Aufmarschzuges streng reglementiert, sondern auch die Stärkezahl der teilzunehmenden Mitglieder der P.O., SS, SA, HJ sowie der Studentenorganisation (S.O.) festgelegt waren. Die Veranstaltungsleitung selbst oblag dem Führer der Propagandaabteilung,109 der sich um 16 Uhr, etwa vier Stunden vor dem Einlass, am Podium neben dem Rednerturm aufhalten musste. Gleichzeitig hatten pro Bezirksgruppe fünf Blockwarte für die Kassenkontrolle und zur Platzanweisung, für den Abzeichenvertrieb und Ordonnanzdienst „gestellt zu sein“. Drei Stunden vor Beginn der Kundgebung hatten sich 500 SA-Männer auf dem Fiakerplatz zur Verstärkung der Absperrungen in der Halle sowie zwei SA-Ärzte und zehn Sanitäter zur Errichtung einer Sanitätsstation und fliegender Ambulanzen einzufinden. Um 18 Uhr nahmen die für den Führerschutz eingeteilten sechzig SS-Männer beim Podium Aufstellung. 107 Gaurundschreiben Nr. 11 v. 1. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2. 108 Zum Organigramm der Gauleitung Wien, s. Anhang, S. 610. 109 Dienstanweisung der H.A. VII des Gaus Wien v. 27. 2. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4.

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Abb. 15: Gauleiter Frauenfeld (ganz li. mit hellem Mantel) mit der SS-Leibwache unter der Führung von Boris Plachetka (re. dahinter mit Schirmkappe) am „Simmeringer Blutsonntag“, 16.10.1932, FAA

Um 19.30  Uhr mussten die gesamte Wiener SA mit Fahnen und Standarten, die vollzählige SS und die politischen Funktionäre bis zum Sprengelleiter ebenfalls mit Fahnen sowie Abordnungen der HJ und der Studentenorganisation in der Stärke von je hundert Personen auf dem Fiakerplatz erscheinen. „Erwünscht“ war weiters die Teilnahme der gesamten Motorstaffel, die sich ebenfalls auf dem Platz sammeln sollte. Um 19.45 mussten SA, HJ und die Studentenorganisation beim Führer der SA-Untergruppe sowie die politischen Funktionäre beim Gauinspekteur eine „Standesmeldung“ abgeben. Am Tag vor der Kundgebung erging dann ein Befehl der SAUntergruppe Wien, in dem neben der Organisation der Aufmarschleitung und den detaillierten Anweisungen über den Aufmarsch der SA-Einheiten auch bekannt gegeben wurde, dass die SS während der gesamten Kundgebung dem SA-Aufmarschleiter unterstand.110 Um 20 Uhr erfolgte „auf Hornsignal“ der Einmarsch in die Halle,111 wobei die Reihenfolge der teilnehmenden Einheiten minutiös geregelt war.112 Die Formationen hatten in der Halle Aufstellung zu nehmen. Auf dem Podium postierten sich links und rechts vom Rednerturm je 14 SA- und zehn P.O.-Fahnengruppen. Die Bezirksleiter nahmen vor der Fahnengruppe ihres Bezirks Aufstellung. Auf den Stufen des Podiums war links und rechts von der Kapelle die SS zum Sicherungsdienst aufgestellt. Im Stehplatzraum vor dem Podium positionierten sich rechts und links vom Rednerturm SA, SO, P.O. und HJ. Nach dem Absingen des Deutschlandliedes wurden alle Ein- und Ausgänge für die BesucherInnen freigegeben. Beim Abmarsch 110 Untergruppen-SA-Befehl Nr. 4 v. 5. 3. 1933, ebd., Kt. 19. 111 Ebd. 112 Dienstanweisung der H.A. VII des Gaus Wien v. 27. 2. 1933, ebd., Kt. 4.

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der Formationen hatte die SS am Beginn und Ende des Zuges sowie vor der Gauleitung aus dem Saal zu marschieren. Ein weiterer Aufgabenbereich der SS umfasste von Beginn an auch die Übernahme von nachrichtendienstlichen Agenden. So beinhalteten „die Richtlinien zur Aufstellung von Schutzstaffeln“ vom September 1925 auch die Anweisung, dass die SS-Führer „alle über die Bewegung schreibenden Zeitungen und Zeitschriften“ an das Archiv der SS-Führung in München einzusenden hatten.113 Zum Aufbau einer Warnkartei waren „Spitzel, Hochstapler, Betrüger und sonst unzuverlässige Elemente (…) der Oberleitung“ zu melden. Im September 1927 erging dann „als Grundlage“ eines aufzubauenden „Nachrichtendienstes“ der Befehl,114 dass „jeder S.S. Mann (alle) beim Gegner auffallenden Neuigkeiten“ und „alle besonderen Ereignisse, die im politischen oder sonstigen Leben der Stadt vorkommen und … von Interesse sein könnten“ ihrem SS-Führer anzuzeigen hatten. Zeitungen, in denen über die Bewegung berichtet wurde, mussten der Propaganda-Abteilung eingesendet werden. Aber auch die Überwachung der politischen Führung und der SA wurde nun angeordnet. So sollten die SS-Führer bei Verdacht, „daß im politischen und S.A. Betrieb irgend etwas nicht in Ordnung ist“, dies monatlich, in „dringenden Fällen“ jedoch „sofort“, der Oberleitung melden. Die weiteren Maßnahmen blieben dieser vorbehalten. In den Zuständigkeitsbereich der SS fiel des Weiteren die Überwachung der Parteihäuser. So übernahm die Wiener SS ab Herbst 1931 auch die Bewachung des „Adolf-Hitler-Hauses“, der neuen Machtzentrale der Wiener NSDAP.115 Nach der Dienstordnung116 bestand die SS-Wache in „normal(en)“ Zeiten aus einem Führer vom Dienst, einem SS-Mann als Ordonnanz sowie drei Wachmännern. In „unruhigen Zeiten“ wurde der Sicherheitsdienst auf fünf SS-Wachen aufgestockt. Darüber hinaus hatte während des Nachtdienstes ebenfalls ein politischer Leiter Journaldienst zu leisten, der als Vorgesetzter des Sicherheitsdienstes fungierte. Mit Franz Mazanek, der zunächst als Heizer, später auch als Hausmeister angestellt war, wohnte darüber hinaus ein Sturmbannführer der Wiener SS ständig im „Adolf-Hitler-Haus“. 1932 stellte die Gauleitung dann Boris Plachetka als Führer vom Dienst sowie die beiden 113 Richtlinien zur Aufstellung von Schutzstaffeln, übersandt von der Oberleitung der Schutzstaffel am 21. 9. 1925, BArch/NS 19, Zl. 1934. 114 Befehl Nr. 1 der Schutzstaffel-Oberleitung v. 13. 9. 1927, ebd. 115 Ein Forschungsprojekt zum „Adolf-Hitler-Haus“ wird derzeit von der Autorin gemeinsam mit Mag.a Marie-Noëlle Yazdanpanah unter der Projektleitung von ao. Univ.-Prof.in Dr.in Ilse Reiter-Zatloukal am Institut für Rechts- und Verfassungsgeschichte der Universität Wien durchgeführt. Eine „Werkstattschau“ zum Projekt wurde von 22. Oktober bis 20. Dezember 2009 im Bezirksmuseum Wien-Mariahilf realisiert (Kuratorin  : Mag.a Birgit Johler, Ausstellungsgestaltung  : Dipl.-Ing. Alexander Kubik)  ; vgl. dazu Rothländer (2009)  ; vgl. auch Steele (1991), S. 337–343. 116 Hausordnung im „Adolf-Hitler-Haus“, o. D., WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2.

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Abb. 16: Aufmarschskizze für die NSDAP-Versammlung in der Nordwestbahnhalle am 6.3.1933, WStLA

SS-Scharführer Franz Tüchler und Franz Hansmann als hauptamtliche Wachen ein,117 die während der Geschäftszeiten den Tagdienst übernahmen. Für die Wochenendund Nachtdienste war pro Monat abwechselnd ein SS-Sturmbann eingeteilt,118 der die Führer und Wachen zu stellen hatte. Die Dienstdauer variierte dabei zwischen fünf und 24 Stunden. Darüber hinaus waren weitere SS-Angehörige als Mitarbeiter in den Dienststellen der Gauleitung oder als Kellner in der im Haus untergebrachten Gastwirtschaft beschäftigt. 1932 wohnte der Großteil des Führerkorps der Wiener SS in der Nähe des „Adolf-Hitler-Hauses“. Der Dienst im „Adolf-Hitler-Haus“ wurde als besondere Auszeichnung angesehen, als „eine Schule und ein Prüfstein für Zuverlässigkeit, Selbständigkeit und Ent117 Diensteinteilung für den Monat November 1932 des Sturmbanns II/11. Standarte v. 20. 10. 1932, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien  ; Vernehmung von Boris Plachetka v. durch das LGfS 23.12.1932, WStLA, LGfS Wien I, Vg 8210/32  ; Vernehmung von Franz Hansmann durch das S.B. v. 14. 6. 1933  ; Vernehmung von Franz Tüchler durch das LGfS v. 16. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vg 4343/33. 118 Diensteinteilung des Sturmbanns II/11. Standarte v. 20. 10. 1932, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien.

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schlossenheit“ der SS-Männer.119 Diese hatten bei „Normaldienst (in) Zivil“ und „auf besonderen Befehl (im) (…) Dienst­ anzug“ zu erscheinen. Zutritt zum Haus war ohne vorherige Anmeldung nur Personen gestattet, die sich beim diensthabenden SS-Mann im Schalterraum am Eingangsbereich des Hauses mit Mitgliedskarte oder ‑buch ausweisen konnten. Bei Nichtmitgliedern musste mit der betreffenden Abteilung, welche die BesucherInnen aufsuchen wollten, Rücksprache gehalten werden. Angehörige von Untergruppen, die keine Parteimitglieder waren, mussten der SA-Ordonnanz überwiesen werden und durften das Haus nicht ohne Begleitung betreten. Nach Dienstschluss hatte der diensthabende SS-Führer die Räume zu kontrollieren, die „peinlich sauber“ hinterlassen und verschlossen werden mussten, „allfällige Übelstände“ waren im Dienstbuch zu vermerken. Die Schlüssel waren bei VerAbb. 17: „Adolf-Hitler-Haus“, 1932, Der Notschrei, lassen des Hauses dem SS-Posten „im BPD Wien Parterr (sic  !) in Verwahrung“ zu geben, der darüber „ein eigenes Schlüsselprotokoll“ zu führen hatte. In den Aufgabenbereich des diensthabenden Führers fiel die Führung des Melde- sowie des Fernsprech-Buches. Er durfte das Haus unter keinen Umständen verlassen und musste bei „plötzlicher Erkrankung“ so lange auf seinem Posten verbleiben, bis „einer der zwei nachfolgenden Führer vom Dienst hievon (…) verständigt“ war, der dann den Dienst übernahm. Ab 22 Uhr durften Führer und Ordonnanz abwechselnd ruhen und hatten sich bei „Normal-Dienst“ alle zwei Stunden abzulösen. Dem Wachdienst war die Mitnahme alkoholischer Getränke verboten, das Rauchen war nur im Wartezimmer erlaubt. Der Dienst wurde nicht bezahlt und die Männer hatten auch für ihre Verpflegung selbst zu sorgen  ; ausgenommen davon waren die hauptamtlichen Führer vom Dienst, die durch die Gastwirtschaft im „Adolf119 Hausordnung im „Adolf-Hitler-Haus“, o. D., WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2.

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Hitler-Haus“ verpflegt wurden.120 Für die restliche Wachmannschaft wurden seitens der Gauleitung nur die Fahrtauslagen abgegolten.121 1.2.2 Die Aufnahme in die SS

Die Kriterien für eine Aufnahme in die SS waren im September 1925 von Julius Schreck, der nach Wiederzulassung der NSDAP in Deutschland mit dem Aufbau der Schutzstaffel begonnen hatte, erlassen und in den folgenden Jahren von seinen Nachfolgern übernommen worden.122 Demnach musste, wie bereits erwähnt, jeder SS-Anwärter mindestens ein Jahr lang Parteimitglied gewesen sein, zwei Bürgen, darunter eine „maßgebende Person“ der zuständigen Ortsgruppe, vorweisen können und zwischen 23 und 35 Jahre alt sowie „gesund und kräftig gebaut“ sein.123 Als Mindestgröße waren 1,70 m vorgeschrieben, ausgenommen davon waren Kriegsteilnehmer.124 Im Oktober 1932 wurde das Höchstalter auf dreißig Jahre herabgesetzt,125 für die Aufnahme älterer Männer musste ein besonderer Antrag an den RFSS gestellt werden. Eine besondere Regelung galt wiederum für ehemalige Soldaten, denen der Eintritt in die SS bis zum 45. Lebensjahr gestattet war. Allerdings scheinen die damaligen Richtlinien nicht sehr genau befolgt worden zu sein, wie die Aufnahme von Wiener SS-Männern zeigt. So regte etwa auch ein SSOberführer auf einer Führerbesprechung im Juni 1931 an,126 dass auf solche „Aeus­ serlichkeiten“ wie etwa die erforderliche Körpergröße „nicht zu grosse(r) Wert (zu) legen“ sei und ein SS-Führer „andere Fähigkeiten mitzubringen“ habe „als diese rein aeusserlichen“. Bei Führern, die durch „Militärdienstzeit und Führerfähigkeiten“ 120 Kostenaufstellung für September 1932 von Friedrich Rothmund, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien. 121 11. SS-Standarte an die Hauptkassa des Gaus Wien v. 27. 1., 1. 4., 28. 4. und 29. 4. 1933, WStLA, Gauar­chiv Wien, Kt. 1. 122 Richtlinien zur Aufstellung von Schutzstaffeln, übersandt von der Oberleitung der Schutzstaffel am 21. 9. 1925, BArch/NS 19, Zl. 1934  ; „Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS“ v. Juni 1931, ebd. 123 Ab 1. Oktober 1934 wurden alle SS-Männer und Unterführer bis einschließlich der SS-Rottenführer, die das 26. Lebensjahr überschritten hatten, in die SS-Reserve überführt, Der RFSS/Der Chef des SSAmtes v. 28. 8. 1934, BArch/NS 19, Zl. 4042. Laut Gunter d’Alquen wurden hingegen alle SS-Männer nach vollen­detem 35. Lebensjahr auf Antrag in die SS-Reserve überstellt und bei Überschreiten des 45. Lebensjahres in die SS-Stammabteilung überführt, d’Alquen (1939), S. 19. 124 Richtlinien zur Aufstellung von Schutzstaffeln, übersandt von der Oberleitung der Schutzstaffel am 21. 9. 1925, BArch/NS 19, Zl. 1934  ; „Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS“ v. Juni 1931, ebd. 125 Der RFSS/Verteiler V v. 4. 10. 1932, ebd., Zl. 1720. 126 Führerbesprechung v. 13. und 14. 6. 1931, ebd., Zl. 1934.

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ihre Brauchbarkeit bewiesen hätten, reiche auch eine Körpergröße von z. B. 1,62 m aus. Auch im Fall der Wiener SS, die es mit derlei Äußerlichkeiten ebenfalls nicht allzu genau nahm, lässt sich feststellen, dass die Befehle der Münchner Reichsleitung bestenfalls als wohlgemeinte Anregungen aufgefasst wurden. So erfüllten etwa Hans Smirtschek,127 Walter Ott,128 Johann Ziegler129 oder Walter Dienelt130 die erforderlichen körperlichen Kriterien nicht, da sie die vorgeschriebene Körpergröße nicht erreicht und auch keinen Militärdienst absolviert hatten. Ab Juni 1931 konnte die SS-Oberleitung die Unterschreitung des Mindestalters „in besonderen Fällen, die begründet sein müssen“, gestatten.131 Auch in dieser Hinsicht stellte für die Wiener SS die Ausnahme eher die Regel dar, da sie permanent das Alterslimit unterschritt. So machte die Altersgruppe der 17- und 18-Jährigen innerhalb der Wiener SS einen ganz beträchtlichen Anteil der Neuaufgenommenen aus. Auch der direkte Eintritt ohne vorherige Parteizugehörigkeit war innerhalb der Wiener SS gängige Praxis. Zu diesem Zeitpunkt war kein Ahnennachweis für die Aufnahme in die SS erforderlich. Ärztliche Untersuchungen wurden erst ab Jänner 1932 durchgeführt,132 wobei nicht nur die Anwärter, sondern auch alle bisher eingetretenen SS-Männer auf ihre körperliche und geistige Eignung überprüft wurden. Die Aufnahme in die SS wurde als „Auszeichnung“ angesehen und durfte nicht aufgrund persönlicher Freundschaften erfolgen,133 sondern sollte sich nur danach richten, ob „die gegebenen Voraussetzungen erfüllt“ waren. Ausgeschlossen davon waren „chronische Säufer, Waschweiber und mit anderen Lastern Behaftete“. Aber auch hier zeigen sich hinsichtlich der Wiener SS erhebliche Unterschiede zwischen Theorie und Praxis. So stand etwa der SS-Mann Ernst Demmer beim Kommissariat Meidling „als Trinker in Vormerkung“,134 und auch die regelmäßigen Alkoholexzesse, bisweilen mit anschließender Prügelei, von Karl Regnemer, einem Gründungsmitglied des Sturms 77, sollten die Geduld der Oberführung nach dem „Anschluss“ strapazieren.135 Vor der Aufnahme in die SS mussten die Bewerber ihren Aufnahme- und Heimatschein, drei Passbilder, falls vorhanden Militärpapiere und SA-Buch beibringen, über ihren Leumund Auskunft geben, einen Lebenslauf anfertigen und zwei Bürgen be127 WStLA, GAW  : Hans Hauch (= Hans Smirtschek), Zl. 198.362  ; ebd. LGfS Wien I Vr 5356/33. 128 BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Ott. 129 BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Huber (= Johann Ziegler). 130 SS-Karteiblatt von Walter Dienelt, WStLA, GAW  : Otto Dokoupil, Zl. 39.121. 131 Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 132 SS-Befehl A-Nr. 1 v. 24. 1. 1932, BArch/NS 19, Zl. 1934. 133 Richtlinien zur Aufstellung von Schutzstaffeln, übersandt von der Oberleitung der Schutzstaffel am 21. 9. 1925, ebd. 134 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Ernst Demmer. 135 BArch (ehem. BDC), PK  : Karl Regnemer  ; WStLA, GAW  : Karl Regnemer, Zl. 5.577.

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nennen. Die Aufnahmegebühr belief sich in Deutschland auf 0,50 RM. Die offizielle Aufnahme in die SS sollte erst nach der Absolvierung einer Probezeit als SS-Anwärter erfolgen, wobei diese auch entfallen und die sofortige Ernennung zum SS-Mann ausgesprochen werden konnte. Dies betraf all jene Bewerber, die zuvor der SA oder einer mit der SA oder SS „verbündete(n) oder zusammengeschlossene(n)“ Organisation,136 etwa einem Freikorpsverband, angehört hatten oder denen der Eintritt in die SS durch ihre Zugehörigkeit zum Bundesheer bisher nicht möglich gewesen war. In diesen Fällen konnte auch eine Einstellung mit einem höheren Dienstgrad erfolgen. Prinzipiell war das Überspringen von Dienstgraden jedoch unzulässig. Spätestens ab Oktober 1932 konnten SS-Anwärter, sofern sie die Aufnahmekriterien (Alter und Mindestgröße) erfüllten und aufgrund der ärztlichen Untersuchung für tauglich befunden worden waren, sofort zum SS-Dienst herangezogen werden.137 Jeder SS-Angehörige musste sich also „von unten herauf arbeiten“,138 durfte „allerhöchstens im Notfalle, wenn kein geeigneter SSF (SS-Führer) am Orte“ war, als SS-Truppführer beginnen. Dadurch sollte er „das Wohl und Wehe des einzelnen Truppführers“ kennenlernen und ein Führer werden, der aus der SS „selbst herausgewachsen“ war. Geeignete Führer würden nach Himmlers Ansicht „nach ein paar Monaten SS-Dienst von selbst die einzelnen Dienstgrade“ hinaufsteigen, würden dann jedoch „jeden Dienst und alle Schwierigkeiten“ kennen und wären dadurch „mit dem Trupp bezw. Sturm vollkommen verwachsen“. Dieses Prozedere sollte das gewünschte „kameradschaftliche“ Verhältnis zwischen Führern und ihrer Mannschaft festigen. Den Ablauf einer solchen Aufnahme beschrieb der Wiener SS-Mann Eduard Zambaur 1933 in seinem Trupp-Tagebuch. Zambaur gehörte dem Sturmbann II an, der von Franz Mazanek kommandiert wurde, und war dem Sturm 2 unter der Führung von Karl Heinz Urban zugeteilt. Die Aufnahme der SS-Anwärter erfolgte im Rahmen eines Sturmbannappells.139 Um „Punkt 20 Uhr“ waren „die Stürme 1 und 2 sowie auch 3 (Lehrsturm) nahezu angetreten“. Wenige Minuten später erschien Mazanek mit seinem Adjutanten. Nachdem der Führer des Sturms 1, Max Plobner, Meldung erstattet hatte, wurden „aus dem Sturm 3 (Lehrsturm) 20 Mann hervorgerufen, deren Überstellung zur aktiven Truppe erfolgen“ sollte. Die neuen Männer hatten „gegenüber dem ersten Sturm, mit der Front gegen den Sturmbann“ anzutreten. Nach Verlesung ihrer Namen nahm Sturmhauptführer Mazanek „den neu überstellten SS-Männern in feierlicher Weise den Handschlag ab“. Die Männer wurden von Urban übernom136 Der OSAF, Erlaß Nr. 4 v. 28. 11. 1931, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 137 Der RFSS, Verteiler V v. 4. 10. 1932, BArch/NS 19, Zl. 1720. 138 Referat von Himmler bei einer Führerbesprechung am 13. u. 14. 6. 1931, ebd., Zl. 1934. 139 Eintrag von Eduard Zambaur im Tagebuch des Trupps 2 im Sturm 2/II/11 v. 2. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

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men, der nun den gesamten Sturm antreten ließ. „Nach einer markigen Ansprache des Sturmführers an die neuen Männer“ wurden „die Personalien derselben von den Trupp- und Scharführern aufgenommen und die Aufteilung der Männer auf die einzelnen Scharen durchgeführt. Nach Verlesung von Befehlen und Verlautbarungen“ wurde „im Sturmverband exerziert“ und „um 22 h … weggetreten“. 1.2.3 Der Dienstbetrieb der SS

Mit den SS-Befehlen vom 13. September 1927140 und Juni 1931141 wurde der Dienstbetrieb für die SS einheitlich geregelt. Zur „politischen Schulung“ der SS-Angehörigen hatten diese „vollzählig in Uniform bei ihren zuständigen Ortsgruppen an jedem ersten Sprechabend im Monat“ teilzunehmen.142 Dadurch sollte jeder SS-Mann zum „beste(n) und überzeugendste(n) Propagandist(en) für die Bewegung“ ausgebildet werden, der um die Ziele der Bewegung und „die Probleme unserer Weltanschauung“ Bescheid wissen musste.143 Während der Vorträge bestand für die SS Rauchverbot, sie durfte das Lokal nicht verlassen und sich „niemals an der Diskussion in Mitgliederversammlungen“ beteiligen. Grundsätzlich galt, dass „der S.S. Mann und S.S. Führer schweigt und (…) sich niemals“ in die Belange der politischen Führung oder der SA einmischt, die „ihn nichts angeh(en)“.144 Die SS habe sich „von jedem Streit fern“ zu halten, die Nichtbefolgung dieses Befehls ziehe „unnachsichtlich“ den Ausschluss aus der Staffel nach sich. Neben der Teilnahme an öffentlichen Versammlungen und dem Parteidienst mussten ab September 1927 zumindest zweimal im Monat SS-Abende abgehalten werden.145 Fanden in einem Monat nicht zumindest vier Veranstaltungen statt, an denen die SS anwesend zu sein hatte, war eine Propagandafahrt bzw. ein ‑marsch in eine der nächstliegenden Ortschaften oder eine Zusammenkunft mit der nächsten SS-Staffel zu organisieren. Vor Beginn einer Veranstaltung hatte „die S.S. der Größe nach in zwei Gliedern“ zur „Anzug- und Ausweiskontrolle“ anzutreten.146 Die Uniformierung der Schutzstaffel bestand aus einem braunen Hemd mit Selbstbinder, schwarzer Mütze mit Totenkopf und schwarz-weiß-roter Kokarde, Reithose (Breches-Form) mit Wickel- oder Lederga140 Befehl Nr. 1 der Schutzstaffel-Oberleitung v. 13. 9. 1927, BArch/NS 19, Zl. 1934. 141 Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, ebd. 142 Ebd. 143 Befehl Nr. 1 der Schutzstaffel-Oberleitung v. 13. 9. 1927, ebd. 144 Ebd. 145 Ebd.; Vorläufige Dienstord­nung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, ebd. 146 Befehl Nr. 1 der Schutzstaffel-Oberleitung v. 13. 9. 1927, ebd.; Vorläufige Dienstord­nung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, ebd.

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maschen, einem breiten ledernen Leibriemen und Armbinde.147 Weiters waren der SSAusweis, das Parteibuch, das „offizielle Parteiliederbuch“, die „Zeitungs-Werbehefte“ und Parteiaufnahmescheine mitzubringen.148 Ab Sommer 1931 erhielt die SS ein neues Koppelschloss,149 auf dem ihr Wahlspruch „Meine Ehre heißt Treue“ eingraviert war. Anfang 1932 führte Himmler den schwarzen Dienstrock ein, um die „SS-Angehörigen deutlich von den ‚Braunhemden‘ der SA“ abzuheben.150 Die ersten Aufnahmen von Wiener SS-Führern, die vereinzelt schon den schwarzen Dienstrock trugen, datieren jedoch erst vom Herbst 1932, während der Großteil noch im Braunhemd uniformiert war. „Ein für allemal“ ordnete Himmler im Juni 1931 an,151 dass SS-Männer, „die irgendwie wegen Waffentragens oder Benützung von verbotenen, waffenähnlichen Dingen bei der Polizei angezeigt werden, aus der SS. und Partei wegen parteischädigenden Verhaltens ausgeschlossen werden“ und der Führer der davon betroffenen Staffel abgesetzt werde, „wenn ihm eine Fahrlässigkeit in der Unterrichtung und Kontrolle einer Staffel nachzuweisen ist“. In der Realität sah dies freilich anders aus. So berichtete der Wiener SS-Angehörige Walter Leubuscher,152 dass sich viele SS-Männer keine Uniform leisten konnten und im „Räuberzivil“ ihren Dienst versahen. Schulterriemen wurden zum Teil mit Stahleinlagen geliefert, „um als Schlaginstrumente dienen zu können(,) (…) ostentativ (wurde) eine Hundepeitsche getragen (…)“. Gewehre waren Mangelware, jedoch hatte zumeist eine Unterabteilung zumindest ein Gewehr für Demonstrationszwecke zur Verfügung, das unter den einzelnen Trupps ausgetauscht wurde. Pistolen befanden sich Leubuscher zufolge angeblich nur im Privatbesitz der SS-Angehörigen. Im Rahmen der Appelle waren „Ordnungsübungen“,153 wie etwa „Stillstehen, Rühren, Wendungen, Antreten in jeder Form, Abzählen, Gruß (…) (und) Singen“, im Mindestausmaß von 45 Minuten abzuhalten.154 Weiters befahl Himmler,155 dass „bei jeder dienstlichen Zusammenkunft (…) in guten und schlechten Tagen“ das Lied „Wenn alle untreu werden“ gesungen werde, wobei die letzte Strophe, „mit den die SS. stets aufs neue verpflichtenden Worten  : ‚Wir wollen das Wort nicht brechen und Buben werden gleich, wollen predigen und sprechen vom heiligen deutschen Reich‘ (…) stehend gesungen“ werden musste. 147 Richtlinien zur Aufstellung von Schutzstaffeln, übersandt von der Oberleitung der Schutzstaffel am 21. 9. 1925, ebd. 148 Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, ebd. 149 Referat von Himmler auf einer Führerbesprechung am 13. u. 14. 6. 1931, ebd. 150 Longerich (2008), S. 146. 151 Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 152 Leubuscher (1937), S. 21. 153 Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 154 Befehl Nr. 1 der Schutzstaffel-Oberleitung v. 13. 9. 1927, ebd. 155 Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, ebd.

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Ab 1927 wurde innerhalb der Staf­ feln ein „Verständigungsdienst“ ein­ge­ richtet,156 demzufolge die SS-Angehörigen in der Lage sein mussten, binnen zwölf Stunden zu einem Appell zusammenzutreten. Dazu waren die SS-Staffeln „in Sektionen von 3 bis höchstens 5 Leuten einzuteilen“,157 die in der gleichen Straße oder zumindest im gleichen Stadtteil wohnten. Für jede „Sektion“ war ein SS-Mann zu bestimmen, der dafür verantwortlich war, dass seine Leute in ordnungsgemäßer Uniformierung zum Dienst erschienen. Er hatte eine halbe Stunde vor Beginn des Appells mit seinen Männern zusammenzutreten, um „dann noch die Möglichkeit zu haben, einen fehlenden Kameraden in der Wohnung aufzusuchen und zum SSAbb. 18: Karl Gratzenberger in der Uniform der SS, Dienst heranzuholen oder nachzusehen, 1931, WStLA ob er wirklich aus Krankheits- oder privatdienstlichen Gründen nicht kommen“ könne. Die „Sektion“ hatte sich dann gemeinsam zum Lokal zu begeben, wodurch „gegnerische Überfälle auf einzelne Leute erschwert“ werden sollten. Unentschuldigtes Fehlen zog eine schriftliche Rüge nach sich, bei zweimaligem Fernbleiben wurde der Ausschluss aus der Staffel angedroht und eine Rüge vor der versammelten Mannschaft erteilt, im Wiederholungsfalle der Ausschluss ausgesprochen. Nach den von Sepp Dietrich im April 1931 erlassenen „Richtlinien für die Ausbildung der SS“158 im Abschnitt Süd musste „die Ausbildung individuell“ gestaltet sein, da „anhaltendes Ueben desselben Gegenstandes (…) Geist und Körper (ermüdet)“ und „nicht die Länge, sondern die wohldurchdachte Anordnung des straff durchgeführten Dienstes (…) die Vorbedingung des Erfolges“ sei. Die Ausbildung des SS-Mannes wurde von Dietrich als „Kunst“ angesehen, die der „Vielseitigkeit der Kampfmittel“ Rechnung zu tragen habe. Im Vordergrund sollte die sportliche Ertüchtigung stehen. 156 Befehl Nr. 1 der Schutzstaffel-Oberleitung v. 13. 9. 1927, ebd. 157 Vorläufige Dienstordnung für die Arbeit der SS v. Juni 1931, ebd. 158 SS-Oberführer Befehl Nr. 8 des SS-Abschnitts I v. 1. 4. 1931, ebd.

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Ebenso wie Dietrich sprachen sich die Spitzen der SS auf einer Führerbesprechung Mitte Juni 1931 gegen „Kadergehorsam“ und „Kasernenhofdrill“ aus.159 Das letzte Wort hatte dann Himmler, der kategorisch feststellte, dass diese „nichts weiter als Schlagworte“ seien. Der Eintritt in die SS sei ein freiwilliger, kein erzwungener und „wer zu uns kommt“, so Himmler, „hat sich zu fügen, sonst verzichten wir gern auf ihn“. Drill und Gehorsam mussten demnach gar nicht erst trainiert werden  ; sie waren Voraussetzung für einen Eintritt in die SS. Weiters erklärte Himmler,160 dass es nichts „aus(mache), wenn der Führer manchmal seine SSM (SS-Männer) auch anschnauzt, wenn er sie auch nicht immer mit Glacé-Handschuhen anfässt (sic  !), (…) denn einem richtigen SSM ist ein strenger Führer immer noch tausendmal lieber als irgendein schlapper Kerl, der es nicht einmal wagt, ein lautes Wort zu sprechen. Wir wollen überhaupt nur Kerle, und keine Sch … Kerle.“ Die Führer hatten für ihre Formationen klare „Ausbildungszwecke“ zu formulieren und dazu entsprechende Dienstpläne zu erstellen.161 Die SS sollte „insbesondere“ auf die „schwierigen Dinge“, wie etwa den Sicherheits- und Absperrdienst, der selbstständiges Handeln und Eigeninitiative voraussetzte, vorbereitet werden und nicht stundenlang „tote Formen“ trainieren. Neben der „notwendigen Uebung im Verband“ wurde daher „besonderes Gewicht“ auf Sport und Leibesübungen sowie auf die Einzelausbildung etwa in Jiu-Jitsu oder Boxen gelegt. Nach Dietrich müsste die SS,162 die sich zahlenmäßig zumeist in der Minderzahl befinden werde, „schon durch ihr bestimmtes Auftreten alle ordnungsfeindlichen Elemente in Schach halten und sich ihnen gegenüber durchsetzen“. Der SS-Führer sollte, so Dietrich weiter, „Lehrer und Erzieher“ seiner Männer sein, ihnen „den Stempel seiner Persönlichkeit“ aufdrücken und sich ihr „Herz und Vertrauen (…) nicht durch Weichheit und Nachgiebigkeit, sondern durch Fürsorge und Gerechtigkeit“ sowie „eigene(s) vorbildliche(s) Verhalten (erwerben)“. Wiederholt betonte er die Wichtigkeit, das Selbstvertrauen der Männer zu heben, mit Lob nicht zu sparen und die Bedeutung der Fürsorge der Führer für ihre Männer zu betonen. Die „freiwillige Unterordnung selbständiger Personen“ dürfe nicht „auf Zwang oder Furcht beruh(en)“. Im Vordergrund sollte die emotionale Bindung der Männer an ihre Führer und Gruppe stehen. Im Oktober 1933 ordnete Himmler an,163 dass die höheren Führer die Ausbildung „in grösserem Masse, als es bisher geschehen ist, zu überwachen“ hätten, nachdem ein 159 Führerbesprechung am 13. u. 14. 6. 1931, ebd. 160 Referat von Himmler auf einer Führerbesprechung am 13. u. 14. 6. 1931, ebd. 161 SS-Oberführer Befehl Nr. 8 des SS-Abschnitts I v. 1. 4. 1931, ebd. 162 Ebd. 163 Heinrich Himmler, Führungsstab Tgb. Nr. 8918 v. 20. 10. 1933, ebd., Zl. 4041.

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SS-Sturm einen achtwöchigen Dienstplan eingereicht hatte, der „20 Minuten Stillstehen, 20 Minuten Richten, 10 Minuten Wendung auf der Stelle, 10 Minuten Wendung in der Bewegung“ vorsah. Er befahl, solch „grobe(n) Unfug“ abzustellen, da die SS-Männer „zu schade“ seien, um „mit solchen geisttötenden und in ihrer dauernden Wiederholung völlig überflüssigen Übungen angeödet (zu) werden“. Nach Eduard Zambaurs Trupp-Tagebuch scheinen aber zumindest die Truppappelle der Wiener SS ähnlich „geisttötend“ verlaufen zu sein. Die Appelle der Wiener Standarte fanden entweder am Lenauboden oder im Gasthof „Zum Grünen Tor“ in der Lerchenfelderstraße 14 im 8. Bezirk und jene des Sturmbanns II in der Van-der-Nüll-Gasse 40 im 10. Bezirk statt. Dort sowie in der Margarethenstraße 51 im 5. Bezirk wurden auch die Appelle des Sturms 2/II/11 abgehalten. Nach Zambaurs Tagebuch für den Zeitraum vom 2.  April bis 20.  Juni 1933 fanden wöchentlich ein Sturmappell und zusätzlich zumindest viermal im Monat Treffen im Truppverband statt, wovon zwei Ausbildungseinheiten am Wochenende als Wehrsportübungen im Wienerwald absolviert wurden. Hinzu kamen noch der Versammlungsschutz, die Teilnahme an Demonstrationen sowie der Wachdienst im „AdolfHitler-Haus“. Im April 1933 absolvierte Zambaurs Trupp elf, im Mai 21 Dienste und Appelle,164 wobei die Wachdienste im „Adolf-Hitler-Haus“ nicht vermerkt sind. Die Appelle dauerten in der Regel zwei Stunden und fanden abends zwischen 20 und 22  Uhr statt. Bei den Truppappellen wurden ausschließlich Exerzierübungen abgehalten und militärische Kommandos eingeübt, wie z.  B. „,das Gew(ehr) über‘, ‚Gew(ehr) ab‘, ‚Ladet‘ “.165 Den Abschluss bildeten Schießübungen mit Kapselpatronen, das sog. Konusschießen.166 Etwas abwechslungsreicher verliefen die Sturmappelle, bei denen zunächst die administrativen Angelegenheiten geregelt wurden, wie etwa die Verlesung von Abschnitts- und Standartenbefehlen, die Erledigung laufender Sturmangelegenheiten, z. B. die Ernennung neuer Unterführer, die Beurlaubung von Angehörigen des Sturms oder das Einkassieren der Mitgliedsbeiträge durch den Geldverwalter. Zwar fanden auch bei den Sturmappellen Exerzierübungen mit dem Gewehr im Schar-, Trupp- und Sturmverband statt, daran schlossen sich aber auch technische und praktische Vorträge an, wie etwa über „Die geschichtliche Entwicklung der Handfeuerwaffe“167 oder „Das Verhalten des SS Mannes im Falle der Verhaftung 164 Tagebuch des Trupps 2 im Sturm 2/II/11 von Eduard Zambaur, April–Juni 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 165 Ders. v. 3. 4. 1933, ebd. 166 Beim Konusschießen wurde mit einer Kapsel, einem Ladekonus, geschossen. Vgl. dazu ausf. Mötz (1996). Herzlich gedankt sei an dieser Stelle Mag. Josef Mötz für seine freundliche Hilfe. 167 Tagebuch des Trupps 2 im Sturm 2/II/11 von Eduard Zambaur v. 25. 4. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

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(Verhalten bei der Polizei, vor dem Untersuchungsrichter, Anwaltshilfe u.s.w.)“.168 Appelle des Sturmbanns wurden nicht regelmäßig, sondern nur bei Bedarf abgehalten, während im April und Mai 1933 je ein Standartenappell angesetzt war. Nach Ende der Appelle stand der gemeinsame Wirtshausbesuch in einem der SS-Lokale auf dem Programm, wie etwa dem Gasthaus Wegenstein im 4. Wiener Gemeindebezirk, wo Zambaurs Sturm regelmäßig verkehrte. 1.2.4 Die SS-Geldverwaltung

Die SS erhielt im Gegensatz zur SA von der Partei keinen Etat und musste sich somit selbst finanzieren.169 1925 war ihr dazu von Hitler das Recht eingeräumt worden,170 sog. „Fördernde Mitglieder“ (FM) zu werben. Auch die „Dienstanweisung für Ortsgruppen und Stützpunkte vom 1. Juni 1931“, nach der nur noch die Politische Leitung berechtigt war, Geldsammlungen vorzunehmen, und die Untergliederungen die ausdrückliche Erlaubnis derselben für Spendensammlungen benötigten,171 tangierte dieses Recht der SS nicht. 1.2.4.1 Die Aufgaben der SS-Geldverwalter

Die Dienststellen der SS-Geldverwaltung (GV) waren ebenso wie jene der aktiven SS-Führung organisiert. Somit hatten alle Stürme, Sturmbanne, Standarten und Abschnitte einen oder mehrere Verwaltungsführer zu bestellen, welche die Geldgeschäfte der jeweiligen Dienststelle organisierten. Die Angelegenheiten der Geldverwaltung waren über den sog. „Geldverwalter-Dienstweg“ zu erledigen. Ausgewiesen waren die Geldverwalter durch Dreieckstern(e) am linken Kragenspiegel der SS-Uniform. Bei Gründung einer neuen Dienststelle hatte der aktive SS-Führer einen Geldverwalter in Vorschlag zu bringen und diesen „auf dem Dienstweg der Geldverwaltung nebst notwendigen Unterlagen an die Reichsgeldverwaltung-SS“ zu melden. War bei einer Dienststelle bereits ein Geldverwalter ernannt worden und wurden weitere benötigt, so hatte der bereits aktive Geldverwalter im Einvernehmen mit dem zuständigen SS168 Ders. v. 4. 4. 1933, ebd. 169 Spätestens ab Juli 1931 erhielt die österreichische SA je zwanzig Groschen vom Mitgliedsbeitrag der Parteiangehöri­gen und fünfzig Groschen von der „Mitgliedsaufnahmegebühr“, NSDAP/Reichsleitung, Parteibe­fehl an die NSDAP, Hitlerbewegung, in Oesterreich v. 6. 7. 1931, BArch/R 187, Zl. 305. 170 Adolf Hitler an die RFSS v. 15. 3. 1929, abgedr. in  : SS Dienst-Vorschrift für F.M.-Geldverwaltungen, o.S., WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 171 Auszug aus dem Partei-Verordnungsblatt, Folge 17 v. 15. 2. 1932, abgedruckt in  : SS Dienst-Vorschrift für F.M.-Geldverwaltungen, ebd.

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Führer geeignete SS-Männer vorzuschlagen. Die Ernennung zum Geldverwalter erfolgte dann durch den RFSS, dessen Dienstelle auch die Geldverwalterausweise ausstellte und diese über den Dienstweg der Geldverwaltung dem SS-Führer bzw. dem Geldverwalter, der den Vorschlag eingereicht hatte, übersandte. Die Hauptaufgaben der Geldverwalter bestanden in der Einhebung der FMund SS-Beiträge (Einziehung, Verwaltung und Abrechnung der Gelder), der Einhebung und Überweisung der Hilfskassenbeiträge sowie der Führung der Kleiderund Reisekasse. Die Geldverwalter waren für die „ordnungsgemässe Einziehung der Kleiderschulden“172 der SS-Männer verantwortlich und hatten zu deren Abrechnung ein eigenes „Kleiderkassenbuch“ anzulegen. Die SS-Kasse war „für die dienstlichen Bedürfnisse des SS-Führers und Geldverwalters vorhanden“, in die alle Anteile der FM- und SS-Beiträge, diverse Spenden und sonstige Einnahmen flossen. Die Verwalter hatten eine monatliche Kassenmeldung an das SS-Verwaltungsamt zu erstatten. Aufgrund der zahlreichen Aufgaben waren sie vom aktiven SS-Dienst freigestellt, hatten aber bei den Appellen anwesend zu sein, um dort die verschiedenen Beiträge oder Kleiderschulden einzutreiben. Bei Sturmbann- und Standarten-Treffen hatte der Geldverwalter „eingehende Belehrungen über den Verwaltungsdienst in der Geldverwaltung“ abzuhalten. Die Geldverwaltung der Wiener SS hatte im Mai 1930 Franz Weilguny übernommen, der ein Jahr später auch zum Standarten-GV der steirischen 38. SS-Standarte bestellt wurde. Nach der Errichtung des SS-Abschnitts VIII leitete er ab Oktober 1931 die GV der österreichischen SS, während Thomas Schabel die Geldverwaltung der Wiener SS übernahm. Im Herbst 1932 wurde mit der Errichtung des Verwaltungsamtes des Abschnitts VIII (SS-VA) das erste Verwaltungsamt überhaupt aufgezogen,173 dessen Leitung Thomas Schabel übertragen wurde und zu dessen Finanzierung auch die österreichischen Standarten ihren Anteil beizusteuern hatten. Weitere Einnahmequellen für die SS brachten neben den SS- und FM-Beiträgen sowie Spendensammlungen die Spesenbeiträge für den SS-Musikzug, der für jeden Auftritt dreißig  Schilling erhielt.174 Spendensammlungen durften nur mit den von der RFSS ausgegebenen, nummerierten Spendenkarten stattfinden und mussten am 1. und 15. jeden Monats an diese eingesendet werden, die eine fallweise Prüfung der „Kassengeschäfte“ vorzunehmen hatte. „Unregelmäßigkeiten“ waren sowohl strafrechtlich als auch mit dem Ausschluss aus der SS zu ahnden. Im Unterschied zur 172 SS-Kassenbefehl Nr. 5 der Reichsgeldverwaltung SS v. 24. 3. 1931, ebd., Kt. 4. 173 Josef Spacil an den Untersuchungsführer des SS-Oberabschnitts (SS-Oa) Österreich v. 27.  5.  1938, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. Zum SS-VA vgl. Kapitel 9.1. 174 Tätigkeitsbericht von Gaupropagandaleiter Karl, o. D., ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4.

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Werbung Fördernder Mitglieder musste jedoch die Sammlung von Spenden von der Politischen Führung bewilligt werden. Im Gegensatz zu den Parteirednern bekamen die Brachialorganisationen und politischen Leiter keine Vergütung für den geleisteten Parteidienst.175 Hinsichtlich der SS lässt sich jedoch feststellen, dass sie zumindest bei größeren Kundgebungen von der Wiener Gauleitung entlohnt wurde, wie etwa bei einer Versammlung am 1. Mai 1933, für die sie eine „Zuwendung“ von 100 Schilling erhielt.176 Ebenso wie für den Wachdienst im „Adolf-Hitler-Haus“ erstattete die Gauleitung den diensthabenden SS-Männern nur die Fahrtauslagen für den Versammlungsschutz.177 1.2.4.2 Die SS-Beiträge

Der Mitgliedsbeitrag der österreichischen SS-Angehörigen betrug fünfzig Groschen im Monat. Bereits Joseph Berchtold, damaliger Führer der Schutzstaffel, hatte 1925 gefordert,178 dass es die „verdammte Pflicht und Schuldigkeit“ der SS-Mitglieder sei, „dafür Sorge zu tragen“, dass der monatliche Mitgliedsbeitrag abgeführt werde. „Zum Krieg führen gehört Geld“, so Berchtold, „und zum Organisieren gehört vielleicht noch mehr Geld“, und „dass wir keines besitzen, brauche ich Ihnen schliesslich auch nicht zu sagen, das verspüren Sie vielleicht noch mehr“. All jene, denen es nicht möglich war, den Beitrag zu bezahlen, waren daher stattdessen zum Spendensammeln heranzuziehen.179 Ab April 1931 durften die Standarten zum weiteren Aufbau der unteren und mittleren Dienststellen die SS-Beiträge vollständig einbehalten und mussten davon nichts mehr an die Reichsgeldverwaltung-SS (RGVSS) abgeben.180 Davon erhielten die Stürme und der Sturmbann jeweils mindestens dreißig, die Standarte mindestens vierzig Prozent. Dies änderte sich jedoch mit der Errichtung des SS-VA VIII. Angaben über die Höhe und Aufteilung der SS-Beiträge der österreichischen SS-Standarten liegen erst ab März 1933 vor. Unklar ist, wie die Verteilung davor gehandhabt wurde. Zu diesem Zeitpunkt erhielten die Stürme, Sturmbanne und die Standarte je zehn Groschen, das SS-VA VIII zwanzig Groschen. 175 Bezirksleiter Sobolak an die H.A. Ia (Gauleiter Frauenfeld) des Gaus Wien v. 18. 7. 1932, ebd. 176 H.A. II (Kassenverwaltung) an das VA der 11. SS-Standarte v. 6. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 177 Abteilung VIIa des Gaus Wien an den Bezirksleiter Hietzing v. 29. 12. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Partei­stellen, Kt. 19. 178 Rundschreiben Nr. 1 von Joseph Berchtold/Oberleitung der Schutzstaffel der NSDAP v. 14. 4. 1926, BArch/NS 19, Zl. 1934. 179 SS-VA VIII an die FM-GV i. Ber. d. 37. und 38. SS-Standarte v. 10. 3. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 180 SS-Kassenbefehl Nr. 5 der Reichsgeldverwaltung SS v. 24. 3. 1931, ebd., Kt. 4.

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Zum SS-Beitrag kam weiters die SA-Versicherung hinzu, die alle SS-Mitglieder zu entrichten hatten. Ab August 1932 wurde diese durch die Hilfskasse ersetzt, die von der Landesleitung der österreichischen NSDAP für alle Parteimitglieder eingeführt worden war.181 In Wien mussten die Listen der Einzahler bezirksweise ausgestellt und beim Standarten-GV abgeliefert werden, der die Überweisung der Beiträge an die Hilfskasse durchführte. Der monatliche Beitrag belief sich auf fünfzig Groschen, für die Mitglieder der Motor-SS machte er 1,50 Schilling aus. Bei Nichtbezahlung des Beitrags hatte der Verwaltungsführer den betreffenden SSMann darauf aufmerksam zu machen, dass er im Schadensfall keinen Anspruch auf Arztkosten und Taggeld hatte. Spätestens 1932 wurde der Beitrag für die Hilfskasse für alle SS-Angehörigen verpflichtend vorgeschrieben, nicht versicherte SS-Männer oder SS-Anwärter mussten außer Dienst gestellt werden.182 Unklar ist, inwieweit die Anordnung tatsächlich eingehalten wurde, da sich laut einem Befehl der SAUntergruppe Wien „die Fälle (häufen), daß SA-Männer bei der Hilfskasse nicht versichert werden und dennoch zu SA-Dienst schwerer Natur herangezogen werden“, weshalb „neuerdings die Verfügung der Obersten SA-Führung in Erinnerung gebracht“ wurde, „daß jeder SA-Mann versichert sein muß“. Bei Nichtbefolgung werde „der Führer der betreffenden SA-Einheit zur Verantwortung gezogen“.183 Im Mai 1933 wiesen die einzelnen Bezirksgruppen jedoch weiterhin „minimale Stände an S.A. Versicherten“ auf.184 Darüber hinaus hatten die SS-Angehörigen noch den Parteimitgliedsbeitrag zu bezahlen. Dieser betrug ab Juli 1931 monatlich 1,30 Schilling, der ermäßigte Beitrag siebzig Groschen,185 wobei die Ortsgruppen bei gutsituierten Parteigenossen auf freiwilliger Basis auch höhere Beträge einheben konnten.186 Ob diese für Angehörige der Brachialorganisationen niedriger lag als für einfache Parteimitglieder, ist unklar. Im November 1932 schlug Thomas Schabel nämlich vor, dass die SS-Angehörigen nur einen Schilling, Ausgesteuerte, Arbeitlose und sonstige Einkommenslose fünfzig Groschen bezahlen sollten.187 Neben den monatlichen Beiträgen kamen noch die Kosten für die Uniformierung hinzu. Anfang 1933 verrechnete die Wiener Zeugmeisterei für ein SA-Hemd mit 181 GV-Rundschreiben VIII/S v. 16. 8. 1932, ebd., Kt. 6. 182 SS-VA VIII an die FM-GV i. Ber. d. 37. und 38. SS-Standarte v. 10. 3. 1933, ebd. 183 Untergruppen SA-Befehl Nr. 2 v. 19. 1. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 184 Rundschreiben Nr. 11 des Gaus Wien v. 1. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2. 185 NSDAP/Reichsleitung, Parteibefehl an die NSDAP, Hitlerbewegung, in Oesterreich v. 6.  7.  1931, BArch/R 187, Zl. 305. 186 LL Österreich an RFSS v. 11. 3. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 4. 187 Thomas Schabel an das SS-VA v. 23. 11. 1932, ebd., Kt. 6.

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Abb. 19: „Quittungskarte“ der Hilfskasse der NSDAP von Josef Fitzthum, 1932, WStLA

schwarzem Binder 13,50 Schilling (ca. € 40,–), für eine SS-Mütze 10,50 (ca. € 31,–). Die Kosten für eine komplette SS-Uniform beliefen sich auf ca.  150 Schilling (ca. €  450,–).188 Fallweise übernahm die Gauleitung Wien zumindest für einen Teil der anlaufenden Kosten die Bürgschaft bei der Zeugmeisterei.189 Weiters erhielten SSMänner von ihr auch Darlehen zur Anschaffung von Fahrzeugen, um die Motorisierung der Brachialformationen weiter ausbauen zu können.190

188 Laut Bestellung umfasste diese  : 1  Paar Stiefel, 1  SA-Hemd mit schwarzem Binder, 1  Leibriemen, 1  Koppel­schloss, 1  Schulterriemen, 1  Spiegel, 1  Armbinde, 1  Ärmelstreifen, 1  Kragenschnur, 1  Paar Man­schettenknöpfe, 1  Mütze neu, 2,40  Meter schwarzen Cord (inkl. „Macherlohn“), 1  Halsbinde, 1  Parteiabzei­chen groß, Zeugmeisterei Österreich (Vaterländischer Schutzbund) an die Gauleitung (GL) der NSDAP v. 17. 1. 1933, ebd., Kt. 1. 189 Zeugmeisterei Österreich an die GL der NSDAP v. 17. 1. 1933, ebd. 190 Franz Tüchler an die NSDAP „Hitlerbewegung“, H.A. II Gau Wien (Eingangsstempel v. 1. 7. 1932), ebd., Kt. 2.

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1.2.4.3 Die Geldverwaltung der Fördernden Mitglieder

Der Schwerpunkt der Arbeit der SS-Geldverwalter lag im Aufbau der FM-Organisation und umfasste die Werbung von Fördernden Mitgliedern, das Anlegen und Führen der einzelnen Beitragslisten, das Kassieren der Beiträge und die Durchführung der monatlichen Abrechnung mit der RGVSS.191 Bis März 1933 waren die Verwaltungsführer sowohl für das SS-Beitrags-Inkasso als auch für die FM-Verwaltung zuständig, danach wurden die beiden Bereiche voneinander getrennt.192 Die FM-Verwalter unterstanden in dienstlicher Hinsicht ihrem jeweils ranghöheren Geldverwalter, in disziplinärer jedoch dem Führer des Verbandes, in dessen Bereich sie ihren Dienst versahen.193 Die Gewährung von monatlichen Zuschüssen aus den FM-Beiträgen erfolgte nur aus jenen der RGVSS zur Verfügung stehenden Mitteln der jeweiligen FM-Organisation und wurde „nach Maßgabe der Entwicklung derselben“ im Bereich der einzelnen Dienststellen und „unter Berücksichtigung des Verwaltungsetats beim RFSS“ gewährt.194 Als Mindestetat erhielten die Standarten fünf Prozent aus den Bruttobeiträgen ihres Bereiches. Ab November 1927 wurden der Einfluss und die Kontrolle der Oberleitung über die einzelnen Staffeln dahingehend erweitert, dass diese die Beiträge ihrer FM zur Gänze an die Oberleitung abführen mussten und nur noch „gut arbeitende SS am 15. jeden Monats Prämien“ erhielt.195 Mit Erlass des SS-Kassenbefehls Nr. 5 im Jänner 1932 wurden die FM-Anteile, welche die SS-Dienststellen erhielten, dann wesentlich erhöht, da diese nun nur noch fünfzig Prozent der FM-Beiträge an die Reichsgeldverwaltung abzuführen hatten.196 Von ihrem Anteil verblieben 25 Prozent bei den SS-Trupps, zehn Prozent bei den Stürmen und 15 Prozent beim Sturmbann. Jedoch scheint dies nicht durchgängig praktiziert worden zu sein, da die österreichischen Standarten noch im Mai 1933 einen fixen monatlichen Etat von 300 Schilling zugewiesen erhielten.197 Der Mindestbeitrag für FM betrug einen Schilling und war nach oben hin offen, jedoch war die Zahlung von „Teilbeträgen von Schillingen“ (z. B. 1,50, 2,50 etc.) ver191 Grundsätzliche Ausführungsbestimmungen zur Organisation der Reichs-Geldverwaltung SS, S.  6, ebd., Kt. 4. 192 SS-VA VIII an die Verwaltungsführer d. 11. und 52. SS-Standarte und d. FM-GW i. Ber. d. 37. und 38. SS-Standarte, ebd., Kt. 6. 193 SS-Dienst-Vorschrift für F.M.-Geldverwaltungen, S. 5, ebd. 194 Grundsätzliche Ausführungsbestimmungen zur Organisation der Reichs-Geldverwaltung SS, S.  6, ebd., Kt. 4. 195 Zusatz zu Befehl Nr. 1 v. 13. 9. 1927 der Schutzstaffel-Oberleitung v. 23. 11. 1927, BArch/MF-Rolle DS/J 35. 196 SS-Kassenbefehl Nr. 5 der Reichsgeldverwaltung SS v. 24. 3. 1931, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 4. 197 SS-VA VIII an das SS-VA v. 31. 5. 1933, ebd., Kt. 6.

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boten. Die von der Reichsführung geforderte Zahl von FM sollte bei einem durchschnittlichen FM-Beitrag von zwei Schilling mindestens doppelt so hoch sein wie der Aktivstand der SS. Somit sollten auf jeden SS-Mann mindestens zwei Fördernde Mitglieder mit je zwei Schilling Förderbeitrag bzw. vier Fördernde Mitglieder mit je einem Schilling entfallen. Die FM-Mitgliedschaft war insofern attraktiv, als die SS für ihre Fördernden Mitglieder neben besonderen Vergünstigungen und Dienstleistungen, wie etwa die „Bevorzugung bei Vergebung von Aufträgen, Stellenbesetzungen und sonstige Möglichkeiten“,198 als eine Art Security fungierte, indem sie den „Schutz für Leben, Haus, Hof und Scholle bei Angriffen politischer Gegner“ übernahm. Die Aufstellung und der Ausbau der SS zu einer schlagkräftigen Truppe lagen somit nicht nur im Interesse der Politischen Leiter, deren Schutz sie zu übernehmen hatte, sondern auch im persönlichen Interesse der FM. Im Frühjahr 1932 wurde auf einer Abschnittsgeldverwalter-Besprechung festgestellt, dass der österreichische SS-Abschnitt „absolut und relativ am wenigsten FM“ aufweise und „weit hinter dem vorgeschriebenen FM-Mindeststand“ liege.199 Weilguny ordnete daraufhin an, „dass dieser Übelstand ehestens behoben“ werde müsse. Bis September 1932 gelang es dem österreichischen SS-Abschnitt, ca. 2.400 FM zu gewinnen.200 Wie hoch die tatsächlichen Einnahmen waren, lässt sich nicht genau feststellen, da die diesbezüglichen Angaben von Weilguny (3.905,– Schilling)201 und Schabel (2.959,50 Schilling)202 doch erheblich differieren. Im Mai 1933 hatte die SS ihre FM-Beiträge bereits auf 6.629,70 Schilling steigern können. Der Beitrag der Wiener SS schlug dabei mit 1.624,– Schilling zu Buche. Die Steigerung der Fördernden Mitglieder hing sowohl mit der verstärkten Werbetätigkeit als auch mit dem stetigen Anwachsen der SS zusammen. 1.3 Stärkestand und Sozialstruktur der Wiener SS 1930 bis 1932

Laut dem Bericht über die Entstehung des österreichischen SS-Abschnitts hatte der Wiener SS-Sturm bis Ende des Jahres 1930 einen Stärkestand von sechzig SS-Männern inklusive der Anwärter erreicht.203 Diese Angabe dürfte zu hoch gegriffen sein, da Hans 198 Thomas Schabel an die FM-Geldverwalter i. Ber. d. 11., 37., 38. und 52. SS-Standarte v. 9. 2. 1933, ebd. 199 GV-Rundschreiben VIII/2 v. 1. 5. 1932, ebd. 200 „FM-Stände am 31. 9. 1932“, Aufstellung von Franz Weilguny für das SS-VA v. 19. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 201 Ebd. 202 SS-VA VIII an das SS-VA v. 31. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 4. 203 Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876.

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Die Gründung der Wiener SS

Smirtschek angab, dass er im April 1931 als 45. SS-Mann in die Wiener Schutzstaffel aufgenommen wurde.204 Ein Problem bei der Untersuchung des Stärkestandes der Wiener SS besteht darin, dass die in den SS-Akten angeführten Aufnahmedaten nur zum Teil Auskunft über den tatsächlichen Eintritt in die SS geben. So wurde in manchen Fällen das Datum des Antritts der Anwärterschaft, in anderen wiederum jenes des Endes der Probezeit und der regulären Aufnahme in die SS berücksichtigt. Auch weichen die SS-Nummern in manchen Fällen vom tatsächlichen Eintrittsdatum ab, wie etwa bei Amon Göth, der Ende 1930/Anfang 1931 der SS beitrat, offensichtlich aber erst später zur Anmeldung gelangte bzw. aufgenommen wurde und dadurch eine wesentlich höhere SS-Nummer (43.673) erhielt.205 Ähnlich verhielt sich der Fall von Otto Gustav Wächter, der sich im Frühjahr 1932 der SS angeschlossen und ab Herbst als Rechtsberater der Wiener Standarte fungiert hatte, jedoch nie zur Anmeldung gelangt war. Als Grund dafür gab Josef Fitzthum später an,206 dass „(b)is zum Frühjahr 1932 die Aufarbeitung der Anmeldungen zur österreichischen Schutzstaffel sehr im argen (sic  !) (lag)“, da sich die Abschnittsführung in München befand. Erst mit der Aufstellung der AbschnittsDienststelle in Linz sei „dieser Seite des Dienstbetriebes entsprechendes Augenmerk gewidmet“ worden, jedoch hätten es die mittlerweile „entstandenen Rückstände und die im Sommer 1932 in ungewöhnlichem Maße angestiegenen Anmeldungen zur SS sowie schließlich die unterdessen erlassenen strengeren Vorschriften bezüglich der zu erfüllenden Formalitäten bei der Anmeldung“ mit sich gebracht, „daß weder die Standarten-Dienststellen, noch der Abschnitt diese Arbeit geregelt zu bewältigen vermochten“. So verstrich „in sehr vielen Fällen ein ganzes Jahr, bis die Anmeldung durch die Reichsführung-SS vollzogen war“. Hinzu kam, dass sich Fitzthum zufolge im Frühjahr 1933 herausgestellt habe, dass „die sowohl im Stabe der 11. SS-Standarte, sowie die im Stabe des SS-Abschnitts VIII mit der Behandlung der Anmeldungen befassten SSAngehörigen eine große Anzahl von Anmeldungspapieren unterschlagen und sie der Staatspolizei ausgeliefert“ hätten. „Insbesondere“ seien die Unterlagen „von Personen, die eine öffentliche Stelle inne hatten“, ausgehändigt worden. Die SS-Nummern lassen somit nur bedingt Rückschlüsse auf das tatsächliche Eintrittsdatum zu. Ein weiteres Problem hinsichtlich der österreichischen SS besteht darin, dass viele SS-Männer während der Illegalität nicht zur Anmeldung gelangten und erst nach dem „Anschluss“ mit dementsprechend hohen Nummern aufgenommen wurden. Auch hinsichtlich der Stellenbesetzungen können in der Frühzeit der Wiener 204 BArch (ehem. BDC), PK  : Hannes Smirtschek. Johann (Hans) Smirtschek nahm später den Namen „Hannes Hauch“ an. 205 BArch (ehem. BDC), SSO, PK  : Amon Göth  ; WStLA, GAW  : Amon Göth, Zl. 91.944. 206 Bestätigung von Josef Fitzthum für Otto Gustav Wächter v. 21. 9. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Gustav Wächter.

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SS, als der Verwaltungsapparat noch nicht existierte bzw. im Aufbau begriffen war, die genauen Daten nicht immer verifiziert werden. Dementsprechend erfolgten Beauftragungen zum Teil eigenmächtig und wurden erst nachträglich durch die Reichsleitung bestätigt. So hatten SS-Männer oft bereits Monate, bevor sie überhaupt für eine Position vorgeschlagen wurden, diese faktisch längst inne. Wenig hilfreich zur Klärung des Stärkestandes der SS erweist sich auch die vom Inspekteur für Statistik 1943 zusammengestellte Schätzung betreffend die Stärke der SS,207 da sie, wie schon Longerich vermutete,208 keineswegs zutreffend ist. Laut den dort angegebenen Zahlen hatte die Stärke der SS vor Himmlers Ernennung zum RFSS im Jänner 1929 nur rund 280 SS-Angehörige betragen, jedoch war der österreichische SS-Mann Hans Pöttinger bereits im Juni 1928 der Schutzstaffel beigetreten und hatte die SS-Nummer 1.109 zugeteilt bekommen.209 Walter Turza erhielt bei seinem Eintritt im Jänner 1930 die Nummer 1.746, während die Statistik für Dezember 1929 rund tausend SS-Männer angibt. Ebenso führten die Anfang 1931 eingetretenen österreichischen SS-Männer allesamt Nummern jenseits der 5.000, während die Statistik zu diesem Zeitpunkt von lediglich 2.727 SS-Männern, also etwa der Hälfte, ausgeht. Insgesamt konnten bisher 73 Wiener SS-Männer eruiert werden, die bis Ende 1931 in die Schutzstaffel aufgenommen worden waren. Verhältnismäßig ähnlich gering dürfte zu diesem Zeitpunkt auch die Stärke der deutschen SS gewesen sein, die im Juni 1931 in manchen Regionen über den Stand einer Schar nicht hinausgekommen war.210 So umfasste etwa das euphemistisch als 22. SS-Standarte bezeichnete SS-Grüppchen in Schwerin geschätzte elf SS-Männer, davon sechs Anwärter, die brandenburgische 15. SS-Standarte hatte einen Stärkestand von ca. 47 SS-Angehörigen, davon zwanzig Anwärter, erreicht und auf ganz Berlin entfielen etwa 411 SS-Mitglieder, wovon ca. die Hälfte Bewerber waren.211 Der niedrige Stärkestand der SS dürfte hauptsächlich durch die völlige Abhängigkeit von der SA bis Ende 1930 bedingt gewesen sein, die sowohl über die Aufstellung von SS-Einheiten als auch die Anzahl der SS-Männer bestimmte. Erst die Trennung der beiden Brachialformationen und der im Jänner 1931 erlassene Befehl über die Neuorganisation der SA und SS sollten sich entscheidend auf die Expansion der SS auswirken. Dieser Befehl ordnete nämlich hinsichtlich der Aufstellung von SS-Ein207 „Stärkemeldungen und Schätzungen der SS von ihrer Gründung bis 1. 1. 1943“, Der Inspekteur für Statistik an den RFSS v. 1. 4. 1943, BArch/NS 19, Zl. 2097. 208 Longerich (2008), S. 122. 209 BArch (ehem. BDC), SSO  : Johann Pöttinger. 210 Führerbesprechung v. 13. u. 14. 6. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 211 Laut Befehl Himmlers sollte die Berliner SS einen Stärkestand von 600 Mann, die Brandenburgische 319 und die Schweriner 200 SS-Angehörige erreichen.

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Die Gründung der Wiener SS

heiten an,212 dass nicht mehr nur eine festgelegte Zahl von SA-Angehörigen in die SS übernommen werden konnte, sondern zur Neuaufstellung „ein Führer und eine entsprechende Zahl von SA-Männern“,213 zumindest fünfzig Prozent der für den Ort vorgesehenen Stärke, an die SS abgegeben werden mussten. In ländlichen Bereichen war es auch möglich, reine SS-Standorte festzulegen. Die beiden Brachialformationen durften sich ihre Mitglieder zwar nicht gegenseitig abwerben, hatten aber einem Übertritt von einer zur anderen Formation „grundsätzlich zu entsprechen“. Eine Ablehnung war nur „in besonderen Ausnahmefällen“ gestattet. Falls die für ein Vierteljahr festgesetzte Stärke der neu aufzustellenden SS durch freiwillige Meldung oder Werbung nicht erreicht werden konnte, hatte die SS das Recht, einen Antrag auf weitere Überstellungen einzubringen, dem die SA-Führung stattgeben musste. Der SSStandartenführer konnte die überstellten SA-Männer, wenn sie für die Aufgaben der SS nicht geeignet erschienen, zurückweisen. Die Neuaufstellung von SS-Verbänden erfolgte bei einem SA-Appell unter Anwesenheit beider Formationsführer. Prinzipiell wurde festgelegt, dass die Stärke der SS auf zehn Prozent „der vierteljährlich festgestellten Stärke der SA“ beschränkt blieb, ein höherer Prozentsatz jedoch durch den Stabschef der SA festgelegt werden konnte. Die Stärke war gauweise zu errechnen. Laut einer Meldung Himmlers an Hitler konnte die SS ihre Stärkezahl nach Erhalt ihrer Selbstständigkeit von der SA enorm steigern und umfasste Anfang Oktober 1931 inklusive der Anwärter bereits 13.000 Mann.214 Nach den Aufnahmenummern der Wiener SS lag die Gesamtstärkezahl der Schutzstaffel in Deutschland und Österreich zusammen Ende 1931 bei ca. 17.000–18.000 Mann, womit die SS ihren Stand binnen eines Jahres verdreifacht hatte. Ende 1932 waren bereits ca. 58.000–60.000 Männer der SS beigetreten. Der Zulauf zur SS setzte in Österreich im Vergleich zur deutschen Entwicklung mit etwa einjähriger Verspätung ein. Erst ab Mitte 1932 konnte sie ihren Stärkestand parallel zum Aufstieg der NSDAP zur Massenpartei enorm steigern. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte der österreichische Abschnitt seinen Stand kaum weiter ausbauen können, der im Juni 1932 bundesweit bei ca. 600 Mann lag.215 So bestand etwa in Tirol Ende 1931 nur bei der Ortsgruppe Innsbruck eine SS-Abteilung mit dreißig Mitgliedern, und bis Juni 1932 hatte die Innsbrucker SS ihren Mitgliederstand nur auf fünfzig 212 SA-Befehl Nr. 1 (gleichzeitig für SS) v. 16. 1. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 213 Ebd. 214 Heinrich Himmler an den Obersten SA-Führer v. 2. 10. 1931, ebd. Nach der vom Inspek­teur zusammengestellten Schätzung lag der Stärkestand am 31. 12. 1932 bei 14.964 Mann. Die Auf­stellung enthielt somit nicht nur die SS-Männer, sondern auch die Anwärter. „Stärkemeldungen und Schät­zungen der SS von ihrer Gründung bis 1. 1. 1943“, Der Inspekteur für Statistik an den RFSS v. 1. 4. 1943, ebd., Zl. 2097. 215 Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876.

Stärkestand und Sozialstruktur der Wiener SS 1930 bis 1932

75

SS-Angehörige ausbauen können.216 In Bregenz wurde überhaupt erst 1932 eine SSEinheit von Deutschland aus gegründet, die dem Sturm 2/I/29 in Lindau unterstellt war. Kleinere SS-Gruppen hatten sich auch in Niederösterreich gebildet. Die SS in Baden zählte im Oktober 1932 sieben SS-Männer, weitere drei SS-Standorte existierten im Gebiet Wien–Semmering, die zusammen etwa 20 bis 25 SS-Angehörige umfassten.217 Zwischen Juli und September 1932 konnte die österreichische SS ihren Stärkestand dann um 130 Prozent steigern,218 was auch dadurch bedingt war, dass ab diesem Zeitpunkt ein in Österreich tätiger Abschnittsführer eingesetzt war, der ebenso wie Stabsführer Turza hauptamtlich für die SS arbeitete, und die SS erstmals über eine professionell geführte Organisation verfügte. Im November 1932 gab die damals bestens informierte Arbeiter-Zeitung (AZ) den Stärkestand der Wiener SS mit 580 Mann an.219 Die einzige von der Wiener SS selbst kolportierte Angabe über ihre Mitgliederzahl stammt aus einem Bericht von Anton Ziegler vom März 1933, nach dem 490 SS-Männer, davon 296 Anwärter, der 11. Standarte angehörten.220 Für die vorliegende Untersuchung konnten 211 SS-Mitglieder ermittelt werden, die allein 1932 in die SS aufgenommen wurden, womit nach bisherigem Kenntnisstand in diesem Jahr fast dreimal so viele SS-Männer in die SS eingetreten waren wie in den Jahren 1930 und 1931 zusammen. Nach Zieglers Aufstellung verteilten sich die Wiener SS-Männer im Frühjahr 1933 auf folgende Einheiten  : n = 490

SS-Anwärter

Gesamtstand

Sturmbann I

67

105

172

Sturmbann II

53

92

145

Sturm III

38

39

77

Motorstaffel 11

21

31

52

Musikzug

8

28

36

Standartenstab

7

1

8

194

296

490

221

Gesamt

SS-Männer

221

Tabelle 6  : Organisation und Stärkestand der 11. SS-Standarte, März 1933 216 Albrich (1995), S. 68. 217 Einvernahme von Otto Bayer durch den SD, o. D. (18. 2. 1936, CR), BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer. 218 SS-Abschnitt VIII der NSDAP an die OSAF v. 22. 9. 1932, BArch/NS 19, Zl. 1934. 219 AZ v. 20. 11. 1932, S. 5 („Rebellion im Nazilager“). 220 Meldung des Stärkestandes der 11. SS-Standarte v. 3.  3.  1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 221 Der selbstständige Sturmbann III war im Dezember 1932 aufgelöst worden und wurde erst nach März 1933 wieder aufgestellt.

76

Die Gründung der Wiener SS

Die Angaben der Arbeiter-Zeitung dürften somit zutreffend sein, da infolge der Unterwanderung der SS mit Spitzeln der AZ im Winter 1932 ein Sturm sowie der gesamte Sturmbann  III aufgelöst worden waren und sich diese Einheiten erst wieder im März 1933 im Aufbau befanden. Damit hatte die Wiener SS im Herbst 1932 das vorgeschriebene Stärkeverhältnis zur SA bei Weitem überschritten. Die Wiener SA hatte im Dezember 1931 1.279 Mann umfasst222 und war bis Oktober 1932 auf 2.172 SA-Angehörige angewachsen. Aber gerade in jenem Zeitraum, in dem die SS ihre Mitgliederzahl verdreifachen konnte ( Juli bis September 1932), verzeichnete die Wiener SA kaum Zuwachs. So gab Alois Peschel den SA-Stand im Juli 1932 mit 2.115 Mann an.223 Zu diesem Zeitpunkt bestand die Wiener SA aus den Standarten 4 und 24, der Motorstaffel sowie einem Nachrichtentrupp und hatte in allen Bezirken einen Bezirkssturm aufgestellt.224 Das Stärkeverhältnis der SS zur SA dürfte im Herbst 1932 somit nicht mehr, wie vorgeschrieben, bei 1  :10, sondern bei annähernd 3,7  :10 gelegen haben, womit die SS ca. 27 Prozent des Stärkestandes der SA erreicht hatte. Ähnliches lässt sich etwa auch im Bezirk Hietzing feststellen, wo der Bezirksleiter im Jänner 1933 meldete,225 dass der dortige SS-Sturm 42 SS-Mitglieder (davon 26 Anwärter) umfasste, während der Hietzinger SA 136 Männer angehörten. Auch dort lag das Stärkeverhältnis der SS zur SA bei fast 31 Prozent. Gleichzeitig hatte aber auch der dortige SA-Sturm, der im Jänner 1932 noch bei 45 Mann gelegen war, binnen eines Jahres seinen Stärkestand verdreifachen können. Hinzu kamen weiters 18 Männer der SA-Reserve und 17 NSKK-Mitglieder mit acht Maschinen, womit im Bezirk über 216 Angehörige des „Vaterländischen Schutzbundes“ organisiert waren. Im Gegensatz zur SA bestanden im Herbst 1932 noch nicht in allen Bezirken Wiens SS-Einheiten, wie etwa im Bezirk Landstraße, wo sich im November einige Mitglieder der P.O. dazu entschlossen, „aus eigenen Stücken zur SS überzutreten“, um „endlich“ auch dort „eine Truppe aufstellen zu können“.226 Eine ähnliche Entwicklung wie in Wien lässt sich auch für die anderen österreichischen Standarten feststellen. Ende Jänner 1933 umfasste etwa die 37. SS-Standarte 523 SS-Männer.227 Der 38. SS-Standarte hatten sich Anfang Mai 1933 436 SS-Män222 Gruppenführung Oesterreich, Nr. 507 v. 18. 12. 1931, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. Nach einem internen Bericht der SA-Oberführung vom Oktober 1931 waren damals 6.042 Männer in der öster­reichischen SA organisiert, Der OSAF (Abt. I.) an die Reichsführerschule München v. 16. 12. 1931, BArch/NS 23, Zl. 337, zit. n. Schafranek (2006), S. 75. 223 Alois Peschel an die OSAF v. 9. 7. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 224 Vierteljahresbericht des Führers der Untergruppe Wien an die OSAF v. 8. 10. 1932, ebd. 225 Jahresbericht 1932 der Bezirksgruppe Hietzing v. Jänner 1933, ebd., Kt. 3. 226 Bericht der Bezirksgruppe Landstraße über den Monat Oktober 1932 v. 10. 11. 1932, ebd. 227 Bericht der 37. SS-Standarte an den SS-Abschnitt VIII über die „Entwicklung der 37. SS Standarte“ v. 8. 2. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933.

Stärkestand und Sozialstruktur der Wiener SS 1930 bis 1932

77

ner angeschlossen,228 und der niederösterreichischen 52. SS-Standarte waren ebenfalls bis Mai 1933 835 Mann beigetreten.229 Im Frühjahr 1933 hatte der österreichische SS-Abschnitt somit einen Stärkestand von mindestens 2.200 Mann erreicht. Dies war jedoch erst der Anfang einer stetig steigenden Entwicklung. Insgesamt konnten 284 SS-Männer ermittelt werden, die sich bis Ende 1932 der SS anschlossen.230 Der Großteil davon entfiel auf ledige Männer unter 24 Jahren, die über 60 Prozent der SS-Mitglieder ausmachten. Den größten Zulauf erhielt die SS mit nicht ganz 15 Prozent von Männern im Alter von 19 Jahren, über 26 Prozent hatten das Mindestalter von 23 Jahren nicht erreicht und waren entgegen der Vorschriften in die SS aufgenommen worden. Nach einer Untersuchung von Gerhard Botz machte die Gruppe der 18- bis 20-Jährigen, die zwischen 1926 und 1933 in die österreichische NSDAP eintraten, 9,5 Prozent aus.231 Das Durchschnittsalter der SS-Angehörigen bei ihrem Eintritt in die Schutzstaffel 1930 bis 1932 lag bei 24,2 Jahren, jenes der bis zum Parteiverbot in das Führerkorps beförderten Männer bei 28,3 Jahren.

228 Abrechnung der SS-Beiträge für den Monat April 1933 der 38. SS-Standarte v. 5. 5. 1933, Archiv des Parla­ments, Gauarchiv Wien. 229 Abrechnung der SS-Beiträge für den Monat Mai 1933 der 52. SS-Standarte v. 23. 5. 1933, ebd. 230 Für die Untersuchung der Sozialstruktur der SS kann Peter H. Merkls (1980) Analyse der „Abel Collec­tion“, einer Sammlung von 583 autobiografischen Berichten von deutschen Nationalsozialisten, die sich vor 1933 der NSDAP anschlossen, als Vergleichsmaterial nicht herangezogen werden, da die SS-Mitglieder nicht einzeln, sondern gemeinsam mit der SA ausgewertet wurden und für die SA keine besonderen Auf­nahmekriterien vorgeschrieben waren. Gleiches gilt für die Arbeit über das SS-Führerkorps von Herbert F. Ziegler (1989). Als Untersuchungsbasis diente dem Autor das gesamte SS-Führungskorps des Jahres 1938, als die NSDAP bereits fünf Jahre an der Macht war. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich etwa die berufli­che Situation der SS-Angehörigen ganz entscheidend verbessert. Weiters wurde bei der Untersuchung zwi­schen Allgemeiner SS, SS-Totenkopfverbänden sowie SSVerfügungstruppe unterschieden. Auch hinsicht­lich der Altersstruktur veränderte sich das Führungskorps mit der Aufstellung der Verfügungstruppe, der späteren Waffen-SS, als nach Absolvierung der einjährigen Ausbildung in den SS-Junkerschulen zahlreiche noch sehr junge SS-Angehörige in das Führerkorps aufstiegen. Auch Michael H. Kater (1983) geht in seiner Untersuchung zum sozialen Profil der NSDAP-Mitglieder 1919 bis 1945 mit Ausnahme der Analyse der sozialen Mobilität von SS-Offizieren zwischen 1925 und 1944 (S. 259) nicht auf die SS ein. 231 Botz (1981), S. 180.

78

Die Gründung der Wiener SS

1930 n = 21

1931 n = 50

1932 n = 153

Gesamt 1930–1932 n = 224

NSDAP 1926–1933232

SS-Führer 1930–1933 n = 17

41–50 Jahre





  3,9 %

  2,7 %

  6,1 %



31–40 Jahre

  9,5 %

  2 %

11,1 %

  9,4 %

14,6 %

29,4 %

21–30 Jahre

57,1 %

68 %

50,3 %

54,9 %

42,6 %

64,7 %

16–20 Jahre

33,3 %

28 %

34,6 %

  33 %



  5,9 %

18–20 Jahre









  9,5 %



232

Tabelle 7  : Eintrittsalter der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932

Während die SS in den Jahren 1930 bis 1931 fast ausschließlich Zulauf von weniger qualifizierten und sozial nicht arrivierten Schichten erhielt, begann sich ihre Sozialstruktur 1932 deutlich zu verändern. Allerdings muss der kritischen Betrachtung von Gerhard M. Wolf über die Möglichkeiten und Grenzen der beruflichen bzw. sozialen Zuordenbarkeit und der Auswertung serieller Quellen zugestimmt werden,233 die „immer nur eine mehr oder weniger präzise Annäherung an die Realität“ zulassen, wodurch eine „klare Abgrenzung“ oftmals nicht möglich ist. Insbesondere die hohe Arbeitslosenrate innerhalb der SS, die dadurch bedingten häufigen Unterbrechungen der Berufstätigkeit und zahlreichen Berufswechsel erschweren eine Analyse der Sozialstruktur der SS. Die Probleme der Zuordenbarkeit zu einer bestimmten Berufsgruppe aufgrund der hohen sozialen Mobilität während der Weltwirtschaftskrise zeigt etwa die bereits erwähnte Berufslaufbahn von Boris Plachetka oder Richard Kaaserer. Aber auch die von Botz234 für die Sozialstruktur der NSDAP-Mitglieder herangezogene Mitgliederkartei im Berlin Document Center wurde von Christoph Schmidt einer kritischen Analyse unterzogen, der die dortigen Angaben mit 74 „Kampfberichten“ früher NSDAP-Mitglieder verglich. Dabei stellte er fest,235 dass „von Zuverlässigkeit und Aussagekraft der Mitgliederkartei nicht die Rede sein“ kann. Gleiches lässt sich bei der Überprüfung der Angaben etwa in Polizeiberichten oder der „Ausbürgerungsliste“ mit den autobiografischen Lebensläufen in den Personalakten Wiener SS-Männer feststellen. So findet sich in den zum Zeitpunkt der Amtshandlung erstellten Quellen entweder der erlernte oder aber der gerade ausgeübte Beruf. Weiters geben sie oftmals keinen Hinweis auf die Arbeitslosigkeit des Betroffenen, ebenso wie unter der Bezeichnung „Hilfsarbeiter“ ungelernte Arbeiter gleichermaßen subsumiert 232 Ebd. 233 Wolf (2008), S. 195. 234 Vgl. u.a. Botz (1977, 1980, 1981). 235 Schmidt (1981), S. 22.

Stärkestand und Sozialstruktur der Wiener SS 1930 bis 1932

79

wurden wie Arbeitslose, die kurzfristig einer Gelegenheitsarbeit nachgingen. In den Ausbürgerungslisten236 wurden aufgrund ihrer nationalsozialistischen Betätigung relegierte Studenten entweder unter dieser Bezeichnung oder unter der Kategorie „ohne Beruf“ geführt. In der nachfolgenden Untersuchung wurde – soweit möglich – der erlernte Beruf berücksichtigt, wobei auch hier, wie Wolf gleichfalls feststellt,237 „eine klare Abgrenzung (…) in Wirklichkeit kaum (existiert)“ und „die Grenzen (…) fast immer fließend“ sind. Nach der Berufsstruktur entfiel fast die Hälfte der SS-Angehörigen auf Handwerksgesellen, Lehrlinge und Handlungsgehilfen (23,6 %) sowie Angestellte (25,1 %). Zu einem ähnlichen Ergebnis kam auch Wolfgang Meixner,238 der hinsichtlich der Tiroler „illegalen NS-Aktivisten“ feststellte, dass 1933 der Anteil von ungelernten Arbeitern und Handwerkern bei fast 36 Prozent lag. Die ersten Akademiker traten ebenso wie ehemalige Offiziere der k.u.k. Armee erst 1932 der SS bei und machten einen nur geringen Prozentsatz aus. Hingegen wurde die SS bereits 1931 für die Studenten attraktiv, deren Prozentsatz in diesem Jahr rapide auf über 13 Prozent anstieg.239 Hingegen machten sie nach der Untersuchung von Botz zur sozialen Gliederung der NSDAP in Wien im Jahre 1933 nur 4,9 Prozent aus.240 Umgekehrt war der Anteil der Öffentlichen Bediensteten in der SS im Vergleich zu dieser Studie nur gering. Etwa 10,5 Prozent aus dieser Berufsgruppe trat in die SS ein, während nach Botz 19,7 Prozent in der Partei organisiert waren.

236 ÖStA/AdR/02/ZEST Nr. 42, Ausbürgerungsverzeichnis der Listen 1–15, 1933–1936  ; Ausbürgerungs­ listen 1–17 sowie Berichtigungslisten, ÖSTA/AdR, ÖVB/Konsulat Malmö, Kt. 3. Nach der Ausschaltung des Parlaments im März 1933 und der wenig später einsetzenden massenhaften Flucht österreichischer NationalsozialistInnen nach Deutschland erließ die Regierung im August 1933 eine Verordnung, mit der die Möglichkeit der Ausbürgerung von politischen Oppositionellen geschaffen wurde (BGBl. 369/1933). Neben AnhängerInnen der NSDAP betraf diese auch Mitglieder der Kommunistischen Partei Österreichs (KPÖ), die bereits im Mai 1933 verboten worden war, und wurde nach dem Verbot der Sozialdemokratischen Partei im Februar 1934 auf diese ausgeweitet. Nach den Ausbürgerungslisten wurde bis Jänner 1938 mindestens 10.250 RegimegegnerInnen die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt  ; vgl. dazu ausf. Gehmacher (1996)  ; Reiter (2000, 2006, 2006a, 2010)  ; Rothländer (2007, 2010a)  ; Reiter/Rothländer (2010)  ; Meixner (2006). 237 Wolf (2008), S. 195. 238 Meixner (1993), S. 96. 239 Zur Radikalisierung der Studentenschaft vgl. Gehler (1989) sowie Kapitel 8.2. 240 Botz (1980), S. 123.

80

Die Gründung der Wiener SS 1930 n = 21

1931 n = 46

1932 n = 132

Gesamt n = 199

  9,5 %

  4,3 %

10,6 %

  9,0 %





  3,8 %

  2,5 %

Angestellte

28,6 %

32,6 %

22,0 %

25,1 %

Selbstständige in Handel und Gewerbe

  9,5 %

  8,7 %

  6,1 %

  7,0 %

Höhere technische Berufe, Chemiker, Baumeister, Architekten

  4,8 %

  8,7 %

12,1 %

10,6 %

Handwerker unsicherer Zuordnung

14,3 %

  8,7 %

  5,3 %

  7,0 %

Arbeiter, Lehrlinge, Gesellen und Gehilfen in ­Handel und Gewerbe

28,6 %

23,9 %

22,7 %

23,6 %

Schüler/Studenten

  4,8 %

13,0 %

15,9 %

14,1 %





  1,5 %

  1,0 %

Öffentliche Bedienstete Akademische Berufe

Sonstige

Tabelle 8  : Berufsstruktur der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932

Hohen Zulauf erhielt die SS von Arbeitslosen, die einer Angabe von Josef Fitzthum zufolge innerhalb der Wiener SS 1933 achtzig Prozent ausmachten.241 Unter dem Druck der Weltwirtschaftskrise hatte sich die Arbeitslosenrate zwischen 1930 und 1932 von 11,2 auf 21,7 Prozent beinahe verdoppelt.242 Ende Dezember 1932 waren in ganz Österreich fast 450.000 Menschen ohne Beschäftigung, davon 189.000 in Wien, womit 42 Prozent aller Arbeitslosen auf die Bundeshauptstadt entfielen.243 Am stärksten betroffen waren Arbeiter ohne Berufsausbildung sowie Jugendliche und insgesamt die Gruppe der Zwanzig- bis Vierzigjährigen.244 Etwa ein Viertel der Jugendlichen dürfte während der Krise ohne Beschäftigung gewesen sein.245 Diese Befunde spiegeln sich auch bei den Arbeitslosen innerhalb der SS wider, deren Anteil an jungen Männern mit niedrigerem Bildungsgrad sehr hoch war. Nach einer Stichprobe von 57 arbeitslosen SS-Männern entfiel nur ein Prozentsatz von 3,5 Prozent auf die Jahrgänge 1890 bis 1900, während er bei den Jahrgängen 1901 bis 1905 bei 17,5 Prozent lag. Die höchste Arbeitslosenrate entfiel mit 45,6 Prozent auf die zwischen 1906 und 1910 Geborenen. Der geringere Prozentsatz von 33,3 Prozent bei den Jahrgängen 1911 bis 1914 ist durch die beträchtliche Zahl von Schülern und Studenten zu erklären. Deutlich überrepräsentiert unter den Beschäftigungslosen waren mit 52 Prozent Handwerksgesellen, Lehrlinge und Gehilfen. Diese hohe Zahl korrespondiert mit einer 241 Vernehmung von Josef Fitzthum durch das LGfS v. 29. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 242 Stiefel (1979), S. 29. 243 Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung 1932 (1933), S. 44. 244 Melinz/Ungar (1996), S. 24. 245 Benczak (1984), S. 41.

Stärkestand und Sozialstruktur der Wiener SS 1930 bis 1932

81

für die Jahre 1920 bis 1937 erstellten „Lehrlingsstatistik“,246 wonach zwischen 1926 und 1933 auf hundert Lehrstellenangebote etwa 250 bis 300 Lehrstellensuchende fielen. Verschärfend für die ökonomische Lage dieser Berufsgruppe kam hinzu, dass die Lehrlinge in der ersten Phase ihrer Lehrzeit kein Entgelt erhielten und nach ihrer Freisprechung sofort entlassen wurden, womit die Unternehmen verhinderten, ihnen den kollektivvertraglichen Gehilfenlohn zu zahlen. Nach dem Geburtsort stammte der ganz überwiegende Teil (achtzig Prozent) der Gründer der Wiener SS aus Wien, während dieser Wert bei den 1931 eingetretenen auf ca. 62 und 1932 auf nicht ganz 59 Prozent absank. Nur minimale Veränderungen lassen sich beim Zulauf von SS-Männern, die aus den ehemaligen Kronländern der Monarchie stammten, feststellen, der zwischen 12,3 und 15 Prozent lag. Im Vergleich zum Führerkorps war der Anteil der Protestanten innerhalb der gesamten Wiener SS mit 19 Prozent nicht so hoch, überschritt aber trotzdem deutlich den bevölkerungsweiten Durchschnitt. Wenig überraschend ist aufgrund der geschilderten Befunde die hohe Zahl von Ledigen, die 73,2 Prozent ausmachten.

1930 n = 20

1931 n = 45

1932 n = 114

Gesamt n = 179

SS-Führer 1930–1933 n = 16

Wien

80 %

62,2 %

58,8 %

62,0 %

68,8 %

Bundesländer

  5 %

20,0 %

27,2 %

22,9 %

12,5 %

ehemalige Kronländer

15 %

13,3 %

12,3 %

12,8 %

12,5 %



  4,4 %

  1,8 %

  2,2 %

  6,3 %

Ausland

Tabelle 9  : Geburtsorte der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932

1930 n = 18

1931 n = 33

1932 n = 80

Gesamt n = 131

SS-Führer 1930–1933 n = 16

römisch-katholisch

77,8 %

78,9 %

81,3 %

80,2 %

62,5 %

evangelisch

22,2 %

21,2 %

17,5 %

19,1 %

37,5 %





  1,3 %

  0,8 %



ohne Bekenntnis

Tabelle 10  : Konfessionszugehörigkeit der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932

246 Ebd., S. 43.

82

Die Gründung der Wiener SS

Gesamt n = 157

SS-Führer 1930–1933 n = 16

17 %

35 %

62,5 %

76,6 %

73,2 %

37,5 %

4,5 %



1930 n = 21

1931 n = 42

verheiratet

33,3 %

28,6 %

ledig

66,7 %

69 %



2,4 %

6,4 %

geschieden

1932 n = 94

Tabelle 11  : Personenstand der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932

Mit dem raschen Anwachsen der SS sanken die „Vordienstzeiten“ der SS-Angehörigen kontinuierlich ab. Hatten die Gründer der Wiener SS vor ihrem Eintritt durchschnittlich vier Jahre der Partei oder einer ihrer Gliederungen angehört, waren die 1931 aufgenommenen Mitglieder 3,2 Jahre und die Gruppe der 1932 eingetretenen nur noch 1,2 Jahre in der Partei oder einer ihrer Gliederungen organisiert gewesen. Gleichzeitig stieg der Anteil jener, die erst kurz vor bzw. gleichzeitig mit ihrem SSEintritt in die Partei eintraten. 1930 machte diese Gruppe einen Prozentsatz von 31,6 aus, steigerte sich 1931 auf fast 43 und 1932 auf über fünfzig Prozent. Den Hauptanteil jener SS-Angehörigen, die zuvor in der NSDAP oder einer ihrer Gliederungen organisiert waren, machten mit 37,9 Prozent ehemalige SA-Männer aus, auf frühere HJ-Mitglieder entfielen zwanzig Prozent, wobei ein Teil über die HJ und SA zur SS gekommen war. Von den 284 ermittelten SS-Männern wurden bis Kriegsende mindestens 120 (42,3 %) in das Führerkorps der SS aufgenommen. In das höhere Führerkorps (vom Standartenführer aufwärts) stiegen 5,8 Prozent auf, in den oberen Bereich des mittleren Führerkorps (Obersturmbann- und Sturmbannführer) 17,5 Prozent.

Stärkestand und Sozialstruktur der Wiener SS 1930 bis 1932

83

1930 n = 15

1931 n = 34

1932 n = 71

Gesamt n = 120

Gruppenführer





1 1,4 %

1 0,5 %

Brigadeführer









Oberführer

1 6,7 %



1 1,4 %

2 1,7 %

Standartenführer

1 6,7 %

1 2,9 %

2 2,8 %

4 3,3 %

Obersturmbannführer

1 6,7 %

7 20,6 %

1 1,4 %

9 7,5 %

Sturmbannführer

2 13,3 %

5 14,7 %

5 7 %

12 10 %

Hauptsturmführer

3 20 %

7 20,6 %

9 12,7 %

19 15,8 %

Obersturmführer

6 40 %

9 26,5 %

26 36,6 %

41 34,2 %

Untersturmführer

1 6,7 %

5 14,7 %

26 36,6 %

32 26,7 %

Tabelle 12  : Aufnahme von Wiener SS-Angehörigen 1930–1932 in das SS-Führerkorps bis 1945

Ebenso wie bei der Untersuchung des Karriereverlaufs des Führerkorps der Wiener SS 1930 bis 1933 zeigt sich auch hier, dass die 1931 eingetretenen SS-Männer die höchste Karriereentwicklung nahmen. Aus dieser Gruppe erreichten von den insgesamt 52 ermittelten SS-Männern 34 (65 %) einen Offiziersrang, während der Prozentsatz bei den 1932 eingetretenen 211 eruierten SS-Männern nur 33,6 Prozent ausmachte. Dienstgrade vom Hauptsturmführer bis zum Obersturmbannführer erreichten von den 1931 Eingetretenen fast 56 Prozent im Unterschied zu jenen von 1932 mit 21,1 Prozent. Von den insgesamt neun Obersturmbannführern kamen sieben aus dieser Gruppe der 1931 eingetretenen SS-Männer. Als einziges Unterscheidungsmerkmal zwischen den beiden Gruppen konnte festgestellt werden, dass die 1931 eingetretenen SS-Führer deutlich länger der DNSAP/NSDAP und/oder einer ihrer Gliederungen angehört hatten. Acht SS-Männer (23,5 %) waren gleichzeitig oder kurz vor ihrem Eintritt in die SS Parteimitglieder geworden, die restlichen 26 gehörten durchschnittlich 5,2 Jahre der Bewegung an. Im Unterschied dazu waren fast fünfzig Prozent der 1932 eingetretenen SS-Führer zuvor nicht oder erst kurz in der NSDAP organisiert gewesen. Aus der Gruppe der 1931 Eingetretenen rekrutierten sich jene jungen Männer, die ab 1932 zu Sturmführern aufstiegen und ganz erheblich zur Radikalisierung der SS beitragen sollten. Die österreichische Zwischenkriegszeit war von Beginn an von gewalttätigen Zusammenstößen zwischen den verschiedenen politischen Richtungen geprägt, deren

84

Die Gründung der Wiener SS

Ausmaß und Intensivität sich ab 1927 zum „latenten Bürgerkrieg“ steigerten.247 Die Kämpfe wurden zunächst vornehmlich zwischen Heimwehr und Republikanischem Schutzbund, der paramilitärischen Formation der Sozialdemokratie, ausgetragen. Ab 1932 löste dann die NSDAP die Heimwehr im „antimarxistischen Straßenkampf“ ab.248

247 Botz (1983), S. 188. 248 Ebd.

2. Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP

2.1 Die Hochblüte der Heimwehr

Die Heimwehr entstand aus den überparteilichen Selbstschutzverbänden, die sich nach Ende des Ersten Weltkrieges in den Bundesländern gebildet hatten. Im November 1926 schlossen sich zunächst sechs Landesgruppen der Heimwehr unter der Leitung des Innsbrucker Rechtsanwalts Richard Steidle249 zusammen.250 Eine österreichweite Vereinigung gelang aber erst nach dem Brand des Justizpalastes am 15. Juli 1927.251 Bereits im Oktober 1926 war der „Bund österreichischer Selbstschutzverbände“ gegründet und im Juli des folgenden Jahres der steirische Heimwehrführer Walter Pfrimer252 zum Führer des Bundes gewählt worden.253 Auf dem Höhepunkt ihrer Macht 1928 umfasste die Heimwehr „Mitglieder aller politischen und sozialen Gruppen“.254 Walter Wiltschegg nimmt an,255 dass die „Zahl der Anhänger im weitesten Sinn des Wortes“ zu diesem Zeitpunkt bei 300.000–400.000 gelegen haben dürfte. Wie sich die innenpolitische Situation nach dem Erstarken der Heimwehr gestaltete, illustriert die erste große Kraftprobe zwischen Heimwehr und Republikanischem

249 Zur Biografie Steidles vgl. Wiltschegg (1985), S. 187–193. 250 Pauley (1972), S.  47f. Zur Geschichte der Heimwehr vgl. u.a. auch Edmondson (1978)  ; Lauridsen (2007). 251 Ende Jänner 1927 waren bei einer Kundgebung der Sozialdemokratischen Partei im ­burgenländischen Schat­tendorf ein achtjähriges Kind und ein kriegsinvalider Schutzbündler von Mitgliedern der faschisti­ schen Frontkämpfervereinigung erschossen worden. Weiters wurden aufseiten der Sozialdemokraten fünf Personen schwer, drei leicht verletzt sowie drei Frontkämpfer ebenfalls leicht verwundet. Nachdem der am 14. Juli 1927 stattfindende Geschwornenprozess mit einem Freispruch geendet hatte, kam es in Wien am folgenden Tag zu spontanen Demonstrationen sozialdemokratischer AnhängerInnen, in deren Verlauf der Justizpalast in Brand gesteckt wurde. Bei den zwei Tage andauernden gewalttätigen Auseinandersetzungen wurden vier Polizisten und 85 Demonstranten getötet, etwa sechshundert Polizisten und über tausend De­monstrantInnen verletzt, vgl. Botz (1983), S. 142–158, sowie zu den Opferzahlen Bundes-Polizeidirektion Wien (1927). 252 Zur Biografie Pfrimers vgl. Wiltschegg (1985), S. 194–197. 253 Pauley (1972), S. 50f. 254 Ebd., S. 29. 255 Wiltschegg (1985), S. 292.

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Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP

Schutzbund256 im niederösterreichischen Wiener Neustadt. Dort kündigte die örtliche Heimwehr im Frühjahr 1928 an, am 7. Oktober mit 30.000 Mann durch das überwiegend sozialdemokratische Wiener Neustadt marschieren zu wollen,257 woraufhin die sozialdemokratische Partei, die Gewerkschaften und Genossenschaften ihrerseits für den 7. Oktober einen „Arbeitertag“ ausriefen.258 In den folgenden Monaten kam es immer wieder zu „außerordentlich heftigen Auseinandersetzungen“ in Wiener Neustadt. Die SDAP versuchte schließlich einzulenken und bot die Absage des eigenen Aufmarsches an. Während der christlichsoziale Landeshauptmann von Niederösterreich, Karl Buresch, bereit war, diesem Wunsch nachzukommen, blieb sein Parteigenosse Bundeskanzler Ignaz Seipel dabei, dass der Aufmarsch stattfinden sollte. Im September sicherte Seipel der Heimwehr zu, sie im Falle von Zusammenstößen mit der bewaffneten Macht zu unterstützen.259 Schützenhilfe erhielt die niederösterreichische Heimwehr auch von den steirischen Kameraden, die durch ein Täuschungsmanöver des Gendarmerie-Oberinspektors August Meyszner unter der Führung des Landesstabsleiters Hanns Rauter 4.200 Gewehre, mehrere Maschinengewehre und 400 Verschläge Munition aus der Grazer Gendarmeriekaserne stahlen und einen Teil davon der niederösterreichischen Heimwehr übergaben. Auch Mussolini, der die Heimwehr seit 1928 regelmäßig materiell unterstützte, hatte für die kostspielige Angelegenheit Gelder in der Höhe von 126.784 Schilling (ca. € 380.000) zur Verfügung gestellt.260 Ebenso ließ sich auch die österreichische Regierung die Kraftprobe einiges kosten und steuerte mindestens 395.000 Schilling (ca. € 1,2 Mio.) bei, wobei laut Botz andere Berichte von einer Million sprechen. 2.500 Gendarmen, Polizisten und mehrere tausend Mann Militär, insgesamt 14 Infanteriebataillone, drei Batterien und eine Schwadron des Bundesheeres, wurden aufgeboten, um für einen sicheren Ablauf des Spektakels zu sorgen. Der Stabschef der Heimwehr, Major Waldemar Pabst, schlug in der Wiener Polizeidirektion „eine Art Hauptquartier“ auf, während der Republikanische Schutzbund in Wiener Neustadt zehn mobile Ambulanzen, vier Notspitäler und 300 zusätzliche Krankenhausbetten bereitstellte, um allfällige Verletzte versorgen zu können.261 Die Stadt befand sich mittlerweile im Belagerungszustand. Inzwischen war auch die Weltpresse eingetroffen  : 380 Pressevertreter, darunter hundert ausländische, waren vor Ort, um von der 256 Zur Geschichte des Republikanischen Schutzbundes vgl. ausf. McLoughlin (1990)  ; Naderer (2004)  ; Tramer (1969)  ; Vlcek (1971)  ; Duczynska (1975). 257 Vgl. dazu Zumpf (1998)  ; Botz (1983), S. 164–167  ; Gedye (1947), S. 37. 258 Die nachfolgende Darstellung folgt, falls nicht anders angegeben, Wiltschegg (1985), S. 44–47. 259 Carsten (1977), S. 117f. 260 Botz (1983), S. 166. 261 Ebd.

Die Hochblüte der Heimwehr

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Schlacht zu berichten. Das Bundesheer richtete mit Stacheldraht, spanischen Reitern und MG-Stellungen eine „neutrale Zone“ zwischen den Aufmarschgebieten ein und stellte in der Umgebung Reserven bereit. Entgegen allen Annahmen verliefen die Aufmärsche jedoch ruhig. Am Vormittag marschierte zunächst die Heimwehr durch die Stadt, am Nachmittag dann der Schutzbund zum Hauptplatz. Über die Stärkezahlen der Verbände gingen die Meldungen stark auseinander.262 Die Kraftprobe von Wiener Neustadt bildete den Auftakt für ähnliche Aktionen in den folgenden Jahren. Nach Botz sah es „zeitweise so aus, als würde die Bundeshauptstadt von der Heimwehr in strategischen Aufmärschen systematisch eingekreist werden“, die „in der Tat in Zusammenhang mit Putsch- und seit Mitte 1930 mit Staatsstreichplänen angesetzt worden (waren), und als wichtiges Element einer psychologischen Kriegsführung gegen die sozialdemokratische Arbeiterschaft, zum Teil sicher auch gegen große, noch an demokratischen und rechtsstaatlichen Prinzipien festhaltenden Gruppen des Bürgertums, geplant“ waren. Dagegen wirkten die „seltener vorkommenden Aufmärsche des Republikanischen Schutzbundes in den Zentren des Heimwehrfaschismus (…) eher als Akte der Verzweiflung denn als ernsthafte Drohung“.263 Große Heimwehraufmärsche mit schweren Zusammenstößen fanden im Oktober 1928 in Linz und im November desselben Jahres in Innsbruck statt. In der Steiermark264 verging zwischen Ende 1927 und während des gesamten Jahres 1928 „kaum eine Woche, in der (…) nicht eine neue Heimatschutzgruppe gegründet wurde, ein Aufmarsch oder eine Kundgebung stattfand“.265 Eine der gewalttätigsten Auseinandersetzungen der österreichischen Zwischenkriegszeit ereignete sich dann auch in der Steiermark, die eine Sonderstellung unter den unzähligen Zusammenstößen zwischen 262 Nach Wiltschegg meldete die Heimwehr „18.500 Mann, die Polizei zählte 14.300, die sozialdemokratischen Zeitungen gaben 10.000 an. Die Zahl der aufmarschierten Schutzbündler wurde von der eigenen Führung mit 20.000 angegeben, dazu kamen 35.000 Zivilisten, die Polizei ermittelte 16.560 plus Zivilisten, die Heimwehr wollte 14.800 Schutzbündler und 31.000 Zivilisten gesehen haben“, Wiltschegg (1985), S. 47. Auch die Berichte über die Reaktion der Bevölkerung klafften weit auseinander  : Laut der Darstellung des sozialdemokratischen Journalisten Jaques Hannak marschierte die Heimwehr „durch eine tote Stadt, durch ein eisiges Schweigen der Verachtung“, Hannak (1952), S.  354. Die Polizei hingegen meldete, dass die Heimwehr „von der Bevölkerung mit Zurufen und Tücherschwenken sehr warm begrüßt und mit Blumen beworfen“ wurde, Wiltschegg (1985), S. 47. 263 Botz (1983), S. 171. 264 Der Einfluss des Steirischen Heimatschutzes stieg ab Herbst 1927 kontinuierlich an, nachdem zunächst der Grazer Frontkämpferverein ein Wehrbündnis mit ihm eingegangen und v.a. im Dezember 1927 der An­schluss der christlichsozialen Steririschen Heimwehr erfolgt war. Bis Ende 1928 wuchs der Steirische Hei­matschutz rasant an, Pauley (1972), S. 51f. 265 Ebd., S. 52.

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Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP

Heimwehr und Sozialdemokratie einnahm, als am 18. August 1929 Heimwehrtruppen eine sozialdemokratische Festveranstaltung anlässlich des zehnjährigen Bestehens der Lokalorganisation St. Marein-St. Lorenzen angriffen.266 Die Festrede sollte Koloman Wallisch, Landtagsabgeordneter und Vizebürgermeister von Bruck an der Mur, halten, was Konstantin Kammerhofer, Führer des Steirischen Heimatschutzes, verhindern wollte, indem er seinerseits ebenfalls eine Veranstaltung anmeldete. Obwohl die SozialdemokratInnen mit mehr als tausend TeilnehmerInnen rechneten und sowohl Heimwehr als auch SDAP mehrere weitere Veranstaltungen in der Umgebung von Graz abhielten, verstärkte die Landesregierung auf Drängen von Wallisch den Gendarmerieposten St. Marein auf gerade einmal 25 Mann und stationierte die Einheit in dem elf Kilometer entfernten Bruck an der Mur. Dem um die Sicherheit besorgten Bundeskanzler Ernst Streeruwitz wurde fälschlicherweise mitgeteilt, dass 300 Gendarmen bereitstünden. Nach Botz scheinen die steirischen Christlichsozialen und Heimwehrführer versucht zu haben, „eine Einschaltung der Zentralbehörden zu verhindern“.267 Als am 18. August etwa 220 Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes, teilweise mit Spaten bewaffnet, aus Bruck an der Mur zum Bahnhof zogen, wurden ihnen diese von der Polizei abgenommen. Wallisch bestand darauf, dass auch die Heimwehr entwaffnet werde, nachdem bereits bekannt geworden war, dass starke Heimwehrtruppen nach St. Lorenzen abgegangen waren. Die Entwaffnung der Heimwehr erfolgte in der Art, dass sie ihre Waffen in einem Schloss in der Nähe von St. Lorenzen deponieren durfte. Als die SozialdemokratInnen auf der Festwiese eintrafen, fanden sie diese von der Heimwehr unter der Führung von Hanns Rauter besetzt vor, die bereits die Einrichtungen des Festplatzes zu zerstören begonnen hatte. Wallisch verlegte die Veranstaltung daraufhin auf den Kirchplatz, wo eine Kundgebung stattfinden sollte. Daraufhin intervenierte Rauter gegen die angeblich ungesetzliche Abhaltung der Veranstaltung bei der Behörde. Der Bezirkshauptmann untersagte die Kundgebung, obwohl dem Gesetz nach eine behördlich genehmigte Versammlung im Verhinderungsfall zur gleichen Zeit an einem anderen Ort abgehalten werden konnte. Nachdem das Verbot der Versammlung mitgeteilt worden war, Wallisch jedoch seine begonnene Rede fortsetzte und die Veranstalter die Kundgebung nicht sofort auflösten, marschierte die Heimwehr zum Kirchplatz. Die Beschimpfungen entluden sich in einer Schlägerei, die zunächst mit Stahlruten, Prügeln, Lederriemen und Zaunlatten geführt wurde und wenig später in eine wilde Schießerei überging. Am Ende des Tages waren aufseiten der Sozialdemokraten drei Schutzbündler getötet, zwei weitere schwer und zahlreiche 266 Vgl. dazu ausf. Botz (1983), S. 171–179  ; Pauley (1972), S. 57f.; Hasiba (1978). 267 Botz (1983), S. 173.

Die Hochblüte der Heimwehr

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Abb. 20: Aufmarsch des Republikanischen Schutzbundes in Wien, 1930er-Jahre, BPD Wien

leicht verletzt worden, während die Heimwehr dreißig Schwer- und zwanzig Leichtverletzte zählte. In dem vom Bundeskanzleramt in Auftrag gegebenen Bericht führte Ministerialrat Heinrich d’Elvert an, dass „die Verluste der Heimwehr (weit schwerer)“ gewesen seien,268 und „vergaß“ dabei, dass auf sozialdemokratischer Seite drei Tote zu beklagen waren. Ab Frühjahr 1929 lassen sich neben den großen Aufmärschen auch vermehrt gewalttätige Auseinandersetzungen mit Schlägereien und Schießereien zwischen kleineren und größeren gegnerischen Gruppen feststellen. Versuche, die Lage zu entspannen, wurden in Wien und Niederösterreich mit der Verhängung eines Aufmarschverbotes unternommen, das aber immer wieder durchbrochen wurde. Nach Seipels Rücktritt im April 1929 begann sich in Teilen des bürgerlichen Lagers eine wachsende Opposition gegen die Heimwehr zu bilden. So trat Vizekanzler Vinzenz

268 Ebd., S. 177.

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Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP

Schumy aus der Heimwehr aus und gründete gemeinsam mit dem Landbund269 die Bauernwehr, aber auch die Front zu den christlichen Gewerkschaften verfestigte sich in der Folgezeit.270 Nachdem Streeruwitz unter dem Druck der Heimwehr, die dessen gemäßigte Politik missbilligte, zurückgetreten war, wurde am 26. September 1929 der Wiener Polizeipräsident Johannes Schober zum neuen Bundeskanzler ernannt. In Schober glaubte die Heimwehr, einen Verbündeten für ihre Machtansprüche gefunden zu haben, da dieser seit Langem in einem engen Verhältnis zu ihr stand und sie auch mit Waffen versorgte.271 Schober stellte sich jedoch gegen die radikalen Pläne der Heimwehr und geriet bald in Opposition zu ihr. Innerhalb der Heimwehr zeigten sich immer tiefgreifendere Spaltungserscheinungen, worüber Schober im Februar 1930 auch Mussolini informierte, der sein Vertrauen in die Heimwehr zunehmend zu verlieren begann. Am 18. Mai 1930 bekannte sich die Heimwehr mit dem „Korneuburger Eid“ offen zum Faschismus,272 zur Ablehnung des demokratischen Parlamentarismus und des Parteienstaates, was zu weiteren Turbulenzen im bürgerlichen Lager führte. Einen schweren Schlag für die Heimwehr stellte die Landesverweisung ihres reichsdeutschen Stabschefs, Major Pabst, durch Kanzler Schober dar. Unterdessen begann der Aufstieg Ernst Rüdiger Starhembergs innerhalb der Heimwehr, der im Juli 1929 zum oberösterreichischen Landesführer gewählt worden war und, unterstützt von Seipel und Schober, am 2. September 1930 zum Bundesführer der Heimwehr ernannt wurde. Auch unter Starhemberg gelang es in den folgenden Jahren nicht, die weitere Zersplitterung der Heimwehr aufzuhalten, die ab 1929 „in zwei einander bekämpfende Teile, einen regierungsfreundlichen, pro-italienischen und einen großdeutschen, regierungsfeindlichen Flügel“ zerfiel.273 Mit dem Aufstieg des Nationalsozialismus wandte sich der deutschnationale Teil zunehmend der NSDAP zu und wurde schließlich vollständig von ihr aufgesogen. Nach dem Sturz Schobers im September 1930 ging der christlichsoziale Heeresminister Carl Vaugoin ein Bündnis mit der Heimwehr ein. Starhemberg wurde zum Innenminister, Franz Hueber, der Schwager Hermann Görings, zum Justizminister ernannt. Nachdem Vaugoin für November 1930 Neuwahlen ausgeschrieben hatte, versuchte die Heimwehr, ein Bündnis mit der NSDAP einzugehen, was jedoch am 269 Zur Geschichte des Landbundes und der Biografie seines Vorsitzenden Franz Winkler vgl. Haas (2000) ; Scheuch (1987) ; Winkler (1935). 270 Wiltschegg (1985), S. 49f. 271 Vgl. dazu ausf. Hubert (1990), S. 233–239. 272 Vgl. dazu ausf. Wiltschegg (1985), S. 55f.; Carsten (1977), S. 160f. 273 Pauley (1972), S. 29.

Die Hochblüte der Heimwehr

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Widerstand des Reichsorganisationsleiters Gregor Strasser scheiterte.274 Die Wahl endete mit einer Niederlage des Heimatblocks, dem politischen Arm der Heimwehr, der nur acht Mandate erzielte, während die Sozialdemokratie stimmenstärkste Partei blieb und die Christlichsozialen sieben Mandate verloren. Die Heimwehr ging in Opposition und spaltete sich in den folgenden Jahren in mehrere Gruppierungen. Der Heimatblock spielte im Parlament zwar keine Rolle mehr, machte jedoch immer wieder durch Krawallszenen auf sich aufmerksam. So etwa im Juli 1932, als der Abgeordnete Sepp Hainzl den Führer der SDAP, Otto Bauer, mit einem Zündstein beschoss und ihm eine blutende Kopfwunde zufügte,275 oder am 30. Oktober, als laut Bericht der Neuen Freien Presse 276 „im Laufe einer ganz freundschaftlich beleidigend geführten Debatte plötzlich (…) auf eine harmlos allgemeine Verdächtigung hin ein Abgeordneter, zu dem kein Mensch etwas Ehrrühriges gesagt hatte, mit der äußersten Rechten ein Tintenfaß (ergriff ), um es gegen die äußerste Linke zu schleudern“. Am 12. September 1931 mobilisierte Heimwehrführer Walter Pfrimer ca. 14.000 Mann des Steirischen Heimatschutzes, besetzte im Laufe des Tages mehrere steirische Ortschaften und die Landeshauptstadt Graz, ließ die sozialdemokratischen Funktio­ näre verhaften und teilte der Polizei mit, dass er die Macht übernommen habe.277 Eine 600 Mann starke Truppe versuchte, nach Wien vorzudringen, wurde jedoch in Niederösterreich gestoppt. Widerstand seitens der Polizei gab es keinen, obwohl die Behörden mehrere Warnungen erhalten hatten. Nachdem die anderen Heimwehrverbände sich dem Putsch nicht anschlossen, das Bundesheer und auf Befehl von Koloman Wallisch auch der Republikanische Schutzbund in Marsch gesetzt worden waren,278 gab Pfrimer den Rückzugsbefehl. Er flüchtete zunächst nach Jugoslawien, stellte sich später aber dem Gericht und wurde ebenso wie einige seiner Unterführer am 18. Dezember 1931 von der Anklage des Hochverrats einstimmig freigesprochen, wobei die Geschwornen nach Verkündung des Urteils gemeinsam „mit den Angeklagten den Arm zum Faschistengruß erhoben“.279

274 Siehe dazu ausf. S. 98–101. 275 Vgl. dazu u.a. Neue Freie Presse (NFP) v. 20. 7. 1932, S. 1–5 („Ein unerhörter Rohheitsakt im Budgetausschuß“, „Tätlichkeiten im Budgetausschuß“)  ; Reichspost (RP) v. 30.  7.  1932, S.  3 („Kampf mit Wurfgeschoß im Finanzausschuß“)  ; Wiltschegg (1985), S. 62. 276 NFP v. 30. 10. 1932, S. 12 („Der österreichische Nationalrat in der Tinte“). 277 Vgl. ausf. Hofmann (1965)  ; Pauley (1972), S. 114–126  ; Wiltschegg (1985), S. 178f., 194f.; Botz (1983), S. 184–188. 278 Gedye (1947), S. 41. 279 Carsten (1977), S. 172.

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Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP

2.2 Bündnisversuche zwischen Heimwehr und NSDAP

Ende der 1920er-Jahre hatte die NSDAP, zu dieser Zeit eine marginale Randerscheinung innerhalb des rechtsradikalen Spektrums, gelegentlich gemeinsame Massenversammlungen mit der Heimwehr abgehalten. In Wien gründete der Jurist und Universitätsprofessor Hans Frisch im Februar 1928 zusammen mit den späteren natio­nalsozialistischen Parteianwälten Georg Ettingshausen280 und Alois Bernwieser sowie dem Führer der österreichischen SA Hermann Reschny den Verein „Heimwehr Wien“. Am 23. April hielt der Verein eine Versammlung ab, bei der laut Polizeibericht281 „einer der Führer (…) den Zweck des Vereines erläuterte, der in der ‚Zusammenfassung aller vaterländischen und deutschgesinnten wehrhaften Gruppen Wiens im Gedanken des Heimatschutzes unter Ausschaltung jeder Art von Parteipolitik‘ bestehe  ; die Juliereignisse282 des Vorjahres hätten der friedliebenden Bevölkerung zum Bewusstsein gebracht, wie notwendig gerade in Wien die Errichtung eines Heimatschutzes sei, um die Bewohner dieser Stadt vor dem Bolschewismus zu bewahren. Hierauf begrüsste ein Vertreter der steirischen Heimwehren die Erschienenen im Namen dieser Organisation. (…) Mit dem Vortrage eines kurzen vaterländischen Gedichtes wurde die Versammlung geschlossen.“ Während der Versammlung demonstrierten vor dem Lokal kleinere Gruppen von politischen Gegnern, zumeist Jugendliche, die „durch demonstrative Rufe die Versammlung zu stören versuchten“, aber von der Sicherheitswache zerstreut wurden.283 Anfang November 1928 beschäftigte die „Heimwehr Wien“ nochmals die Behörden, nachdem ein ehemaliges Mitglied der Polizei mitgeteilt hatte, dass Mitglieder des Vereins angeblich einen Anschlag auf Otto Bauer und die Redaktion bzw. Druckerei der linksliberalen Zeitung Der Abend vorbereiteten. Die Polizei kam in ihrer Untersuchung zu dem Schluss, dass die vermeintlichen Pläne nicht ernst zu nehmen seien, unterzog den Verein jedoch einer „vereinsbehördlichen Überprüfung“.284 Die „Heimwehr Wien“ dürfte sich wenig später wieder aufgelöst haben.285 Im Juni 1928 hielten die Gauführer der österreichischen NSDAP gemeinsam mit Gregor Strasser, Heinrich Himmler und dem Reichstagsabgeordneten Walter Buch „vertrauliche Besprechungen“ in Wien ab, um „über die gegenwärtige Situation der Partei und ihre Stärke“ zu diskutieren. Als Redner trat neben den Gauleitern und den 280 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 403. 281 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 9. 5. 1928. 282 Brand des Justizpalastes. 283 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 9. 5. 1928. 284 Ebd., v. 2. 11. 1928. 285 Wiltschegg (1985), S. 117.

Bündnisversuche zwischen Heimwehr und NSDAP

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Abb. 21: Eingeschlagene Scheiben des Cafés Residenz anlässlich der Heimwehr- und NSDAP-Demonstration gegen den Film „Im Westen nichts Neues“ in Wien am 7.1.1931, BPD Wien

SA-Führern Hermann Reschny und Alois Peschel auch der steirische Heimwehrführer Walter Pfrimer auf.286 Die österreichische SA bot damals ein jämmerliches Bild. So musste Reschny im September 1928 den „Deutschen Tag“ in Bruck an der Mur absagen,287 da „die Anmeldungen (…) noch trauriger“ waren „als die ohnehin schon stark herabgesetzten Hoffnungen“. Zehn Tage vor dem Treffen hatten sich nur 126 Teilnehmer angemeldet, von denen bis dahin lediglich 43 ihren Beitrag für den bestellten Sonderzug bezahlt hatten. Reschny „traute“ sich nun nicht, „die Sache mit dem Sonderzug perfekt zu machen, weil niemand die Verantwortung (…) für die 300 bestellten Fahrkarten“ übernehmen wollte. Er halte es „unter diesen traurigen Umständen (…) für das Beste, wenn das Treffen ‚verboten‘ werden würde, damit uns eine Blamage erspart bleibe“. 286 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 22. 6. 1928. 287 Administrative Landesgeschäftsführung der NSDAP (Hitlerbewegung), Graz v. 7. 9. 1928, BArch/R 187, Zl. 305.

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Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP

Die Landesgeschäftsführung der NSDAP stimmte Reschnys Vorschlag zu, dass sie „unter den obwaltenden Umständen (trachten)“ müsste, „ein Verbot zu erzielen (…), um unser Ansehen wenigstens nach aussen hin zu retten“. Der christlichsoziale Landeshauptmann der Steiermark, Anton Rintelen, sollte nun darum ersucht werden, die Veranstaltung zu verbieten. Als Begründung schob die NSDAP die „gespannte Situation“ vor, die „eine Zersplitterung unserer Mittel und Kräfte nicht erlaubt“. In den folgenden Jahren kam es immer wieder zu gemeinsamen Veranstaltungen zwischen Heimwehr und NSDAP, die jedoch regional begrenzt blieben, wie etwa bei den Protestveranstaltungen zur Aufführung des Films „Im Westen nichts Neues“ im Jänner 1931.288 Laut Francis L. Carsten betrachteten „die Nationalsozialisten Anfang der 30er Jahre die Heimwehren als Organisation, mit der sie bei Gelegenheit zusammenarbeiten, aber von der sie auch viele neue Mitglieder gewinnen könnten  : eine Taktik, die mehr als erfolgreich war.“289 Anfang 1930 versuchte der damals noch stellvertretende Vorsitzende der NSDAP, Alfred Proksch, „zu einer Art Einverständnis“ mit der Heimwehr zu gelangen, scheiterte jedoch am Widerstand der SA und der Hitlerjugend.290 Aber auch weiterhin forderte Proksch, dass die NSDAP „eine freundliche Haltung“ gegenüber der Heimwehr einnehmen sollte, wie er etwa im September 1931 gegenüber Theo Habicht, dem Landesinspekteur der österreichischen NSDAP, erklärte. Dieser schlug wiederum eine „Totschweigetaktik“ gegenüber der Heimwehr vor,291 während der Wiener Gauleiter Alfred Eduard Frauenfeld für eine strikte Trennung von der Heimwehr eintrat, die seiner Ansicht nach „bald ‚als legitimistischchristlichsoziale Auffangvorrichtung für völkische Stimmen‘ entlarvt“ werden würde und deren „weitere Entwicklung (…) die Nationalsozialisten zwingen (würde), einen klaren Trennungsstrich zwischen sich und den Heimwehren zu ziehen, da diese ‚durch reaktionär-legitimistische Kreise mißbraucht‘ werden“. Im Sommer 1931 gelang es Habicht,292 einen „Burgfrieden“ mit dem Steirischen Heimatschutz, dem „radikalst deutschnationale(n), antisemitische(n) (…) und unruhigste(n) Teil der Heimwehr“, herzustellen, in dem die NSDAP auch den „Schlüssel zur Aufsaugung der gesamten deutschnationalen Rechten in Österreich“ erkannten, wofür sich mittlerweile auch Frauenfeld aussprach.293 288 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 8. 1. 1931. 289 Carsten (1977), S. 179. 290 Pauley (1988), S. 79. 291 GL Wien an die LL in Linz v. 22. 9. 1931, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 6, zit. n. Carsten (1977), S. 180. 292 Pauley (1988), S. 79. 293 Carsten (1977), S. 180.

Bündnisversuche zwischen Heimwehr und NSDAP

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Am 31.  Oktober 1931 ging der Steirische Heimatschutz ein Bündnis mit der ­NSDAP ein, das jedoch im Dezember desselben Jahres wieder zerbrach, nachdem die NSDAP durch massive Angriffe auf Starhemberg die Heimwehr zu spalten versucht hatte.294 Ende 1931 erklärte die NSDAP dann offiziell, dass die Führung der Heimwehren „nach wie vor als unser Gegner zu betrachten, aber nur streng sachlich und würdig zu kritisieren“ sei.295 Die nationalsozialistische Einflussnahme auf die Heimwehr erwies sich, wenngleich regional unterschiedlich, als erfolgreiches Konzept. So traten etwa im Herbst 1931 in Amstetten 200 Heimwehrmänner der NSDAP bei und bildeten einen SA-Sturm. Und auch die Polizei stellte im April 1932 fest, dass die NSDAP in den vergangenen Monaten durch ihre Propagandaveranstaltungen den Heimwehren viele Mitglieder abgeworben hatte und in manchen Gegenden schon stärker als die Heimwehr geworden war.296 Frauenfeld blieb gegenüber der Heimwehr weiterhin zurückhaltend. So erklärte er bei Verhandlungen über einen Burgfrieden zwischen NSDAP und Heimatschutz im Februar 1932,297 dass bei Nichtzustandekommen einer Einigung der Wiener Heimwehrführer Major a. D. Emil Fey,298 an dessen „nationaler Einstellung (…) kein Zweifel mehr bestünde“, mit der Wiener Heimwehr zur NSDAP „stoßen möge, wo er auf Grund seiner Qualitäten bestimmt einen entsprechenden Wirkungskreis erhalten würde“. Fey lehnte dies kategorisch ab, da er „kein Parteimann, sondern nur Heimwehrmann“ sei und für ihn nur ein „Burgfrieden“ oder ein „eventuell fallweises Bündnis gegen gemeinsame Gegner in Frage käme“. Nachdem Frauenfeld in Reaktion auf diese Stellungnahme gefordert hatte, dass der Heimatschutz auf eine eigene Wahlbeteiligung bei den bevorstehenden Landtags- und Gemeinderatswahlen verzichten sollte, da sie eine „nur reine Wehrformation“ sei, brach Fey die Verhandlungen ab, erklärte sich aber bereit, solange seitens der NSDAP keine Angriffe erfolgten, den Burgfrieden zu halten. In ihren regelmäßigen Meldungen berichtete die Wiener SA, wie etwa der Führer des Sturmbanns I/24, Walter Könitzer,299 Ende September 1932 vom „langsame(n) 294 Vgl. Pauley (1972), S. 127–136  ; ders. (1988), S. 79–81. 295 „Gaunachrichten der N.S.D.A.P. (Hitlerbewegung)“, Folge 51–53, zit. n. Carsten (1977), S. 181. 296 Carsten (1977), S. 179f. 297 Auszug aus der Denkschrift von Hauptmann Reichel (Wiener Heimwehr) und Levino Kugelmayer (NSDAP) v. 26. 2. 1932, in  : Morgenblatt v. 4. 3. 1932, BArch/R 187, Zl. 305. Jagschitz zitierte in diesem Zusammenhang eine Sitzung des Bataillons-Kommandos der Heimwehr vom 18. Februar 1932. Seinen An­gaben zufolge stritt Frauenfeld später gegenüber Habicht das Gespräch ab, Jagschitz (1976), S. 55, 213. 298 Zur Biografie Feys vgl. ausf. Oswald (1964). 299 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 423f.

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Der antimarxistische Kampf – Die Ablösung der Heimwehr durch die NSDAP

Aufsaugen der brauchbaren Männer ehemaliger Heimwehrverbände“.300 Allerdings stellte das „stärkste Aktivum in der Entwicklung der SA“ die Zusammenarbeit mit dem Deutschen Turnerbund dar,301 wenngleich auch „Heimwehrkreise und Deutsche Wehr (…) vielfach Verbindung mit der SA“ suchten.302 So gelang es etwa der Hietzinger SA,303 die „Starhemberg-Jäger zu zerschlagen“, die sich zum Teil der SA anschlossen, teilweise zurückzogen und von denen zuletzt nur noch ein kleines Grüppchen übrig blieb. Aber auch Himmler nahm unmittelbar nach Gründung der Wiener SS Kontakt zu Heimwehrführer Starhemberg auf. In seiner Autobiografie berichtete Frauenfeld,304 dass dieser Mitte 1930 „in Wien auf(kreuzte)“, um mit ihm „die Möglichkeit“ zu besprechen, durch „Einschaltung“ des SS-Führers Josias zu Waldeck-Pyrmont Starhemberg für die NSDAP zu gewinnen, „indem man ihm die Führung der SS antrug“. Laut Frauenfeld stand der Heimwehrführer und damalige Vizekanzler dem Angebot prinzipiell positiv gegenüber, machte dann aber auf Druck von Kanzler Vaugoin einen Rückzieher.305

300 Vierteljahresbericht des Führers des Sturmbanns I/24 v. 30.  9.  1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Par­ teistel­len, Kt. 19. 301 Im Juli 1931 hatten NSDAP und Turnerbund ein „Uebereinkommen“ getroffen, nach dem die NSDAP „vorläu­fig“ keine Turn- oder Sportabteilungen gründen und stattdessen ihre Mitglieder „tunlichst (…) dazu anhalten“ würde, „ihre körperliche Ertüchtigung in Vereinen des Deutschen Turnerbundes zu suchen“. Im Gegenzug verpflichtete sich der Turnerbund gemäß seines „geltenden Grundsatzes der Geistesfreiheit“, die NSDAP „in ihrer parteipolitischen Tätigkeit“ nicht zu behindern. Auch würden den Turnern „keine Schwie­rigkeiten bereitet werden“, sich der SA anzuschließen, Landesleitung Oesterreich der NSDAP (Hitlerbewe­gung) (1932), S. 110. 302 Vierteljahresbericht v. April–Juni 1932 des Führers des Sturmbanns I/24 Walter Könitzer, v. 30. 6. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. Nach einem Bericht des Führers des SA-Sturmbanns III/24 umfasste der „Bund Oberland“ im Juli 1932 nur noch ca. neunzig Männer und stand in „Interes­ sengemeinschaft“ mit der „Deutschen Wehr“, die beide „hauptsächlich vom Ehrgeiz einzelner Führer zusammengehalten“ werden, Fortsetzung des Vierteljahresberichtes des Führers des Sturmbanns III/24 Ludwig Gärtner, v. 1. 7. 1932, ebd. 303 Fortsetzung des Vierteljahresberichtes des Führers des Sturmbanns III/24 Ludwig Gärtner v. 1. 7. 1932, ebd. 304 Frauenfeld (1978), S. 39. Waldeck-Pyrmont und Starhemberg hatten nach Ende des Ersten Weltkrieges gemeinsam im „Bund Oberland“ in Schlesien gekämpft, ebd., S. 38. Während seines Studiums in München gehörte Starhemberg – seinen eigenen Aussagen zufolge – zu „Hitlers glühendsten Anhängern und Kämpfern“ und nahm auch am Novemberputsch 1923 teil. Zu dieser Zeit „verband“ ihn „ein sehr kameradschaftliches Verhältnis“ zu Waldeck-Pyrmont, Starhemberg (1971), S. 61, 119  ; vgl. auch Wiltschegg (1985), S. 200. 305 Ebd., S. 39f.

3. Die Entwicklung der Wiener NSDAP unter Alfred Eduard Frauenfeld

Mit der Übernahme der Gauleitung durch Alfred Eduard Frauenfeld306 im Jänner 1930 begann auch in Wien der allmähliche Aufstieg der NSDAP. Zum Zeitpunkt von Frauenfelds Amtsantritt wies der Gau den kläglichen Mitgliederstand von 1.045 ParteigenossInnen auf,307 wovon nach Frauenfelds Angaben mehr als die Hälfte „Karteileichen“ waren.308 Der Sitz der Partei war in einem Kellerlokal in der Florianigasse untergebracht. Nach Vorbild Joseph Goebbels’ entwickelte Frauenfeld in den folgenden Jahren eine gezielte Propagandastrategie,309 um die Partei einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu machen. So erstellte er im Herbst 1931 einen „ZweimonatePlan“,310 in dessen Rahmen die Partei allein im Oktober und November 268 allgemein zugängliche Versammlungen, zahlreiche Sprech- und Übungsabende sowie Appelle u. dgl. abhielt.311 Am 4. Dezember wurde die Versammlungskampagne mit 28 Veranstaltungen beendet, die laut Polizeibericht von fast 10.000 Personen besucht wurden. Ein Jahr später reichte dann schon eine einzige NSDAP-Versammlung aus, um diese BesucherInnenzahl um ein Vielfaches zu übertreffen. In seiner Funktion als Wiener Gauleiter sprach Frauenfeld selbst in den zweieinhalb Jahren seiner Amtstätigkeit in über tausend Versammlungen. Frauenfeld wurde 1898 als Sohn eines Oberlandesgerichtsrates in Wien geboren und entstammte einer alten Adelsfamilie.312 Nach der Matura meldete er sich freiwillig an die Front und diente zuletzt als Leutnant des Fliegerkorps in der k.u.k. Armee. Nach Kriegsende studierte er an der Technischen Hochschule in Wien, musste aber sein Studium aufgrund der prekären finanziellen Situation seiner Familie aufgeben. 1922 erhielt er einen Posten als Bankbeamter bei der Österreichischen Bodenkreditanstalt, nach deren Zusammenbruch er 1929 entlassen wurde. In den 1920er-Jahren arbeitete 306 Vgl. dazu ausf. Steele (1992). 307 Carsten (1977), S. 177  ; vgl. auch Beutl (2006), S. 132. 308 Frauenfeld (1978), S. 30f.; Carsten (1977), S. 150. 309 Zur Propaganda der Wiener NSDAP vgl. ausf. Beutl (2006). 310 Steele (1991), S. 317  ; Beutl (2006), S. 122. 311 Bericht der BPD Wien an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit (= GföS) v. 4. 2. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 151.674-GD. 2/1933. 312 Zu Frauenfelds Biografie vgl. ders. (1978)  ; Steele (1992), S. 71–94  ; Beutl (2006), S. 94–99.

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Die Entwicklung der Wiener NSDAP unter Alfred Eduard Frauenfeld

er auch als Schriftsteller und Journalist für verschiedene österreichische Zeitungen, wie etwa für die Zeitungen der Frontkämpfervereinigung von Oberst Hermann Hiltl, welcher er bis 1927 angehörte.313 Nach der Übernahme der Gauleitung investierte er seine Abfindung in die Gründung der nationalsozialistischen Zeitung Der Kampfruf,314 der zahlreiche weitere Blätter folgten, wodurch sich der Gau Wien zwischen 1930 und 1933 zu einem Zentrum der österreichischen NS-Presse entwickelte.315 Ein Jahr nach Frauenfelds Amtsantritt hatte sich der Mitgliederstand im Gau Wien zwar verdreifacht, stand aber im Jänner 1931 noch immer bei bescheidenen 3.302 Mitgliedern. Ein Grund dafür war die uneinheitliche Führung der österreichischen NSDAP. Der chaotische Zustand, in dem sich die Partei unter ihrem stellvertretenden Vorsitzenden Alfred Proksch im Herbst 1930 befand, geht aus einem bisher unbekannten Bericht eines Parteifunktionärs namens Wilhelm Grölman vom 9. November 1930 hervor, der auch die Ergebnisse der Nationalratswahl in einem neuen Licht erscheinen lässt.316 Am Abend vor der Wahl erhielt Grölman einen Anruf vom Landesstabsleiter der Heimwehr Oberösterreich, Major a. D. Skribenski, der ihm mitteilte, „dass um acht Uhr abends Pg. Proksch mit der Landesleitung der H.W. in Verbindung getreten sei zwecks Verhandlung über die Massnahmen, die sofort getroffen werden müssten auf Grund einer Entscheidung der obersten Wahlbehörde, durch welche die N.S.D.A.P. in letzter Stunde vor den Wahlen in eine sehr bedrängte Lage gekommen sei“. Dem überraschten Grölman wurde mitgeteilt, „dass es seitens der N.S.D.A.P. in fünf Wahlkreisen und zwar in Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg (ganz Oesterreich hat 25 Wahlkreise) versehentlich unterlassen worden sei, rechtzeitig den gesetzlich vorgeschriebenen Antrag auf Zusammenfassung der Reststimmen zu stellen. Der verspätet eingebrachte Antrag wurde nicht angenommen und die Beschwerde dagegen von der obersten Wahlbehörde abgewiesen.“

Grölman vermutete, dass „wahrscheinlich die gesamten in diesen Gebieten abgegebenen Stimmen für die N.S.D.A.P. verloren gehen“, und befürchtete, „dass bei Bekanntwerden dieser unerhörten Leichtfertigkeit eine berechtigt schwere Misstimmung bei denjenigen eintritt, die zum ersten Mal in Oesterreich unsere Partei wählen konnten“. Nichtsdestotrotz hatte Frauenfeld ihn „gebeten“, davon Mitteilung zu machen, dass „in seinen und auch Pg. Reschny’s Wahlkreisen alles in bester Ordnung“ sei. 313 Zur Frontkämpfervereinigung vgl. Messerer (1963). 314 Zur Propaganda- und Pressepolitik vgl. ausf. Beutl (2006). 315 Beutl (2006), S. 326. 316 Bericht von Wilhelm Grölman v. 9. 11. 1930, BArch/R 187, Zl. 305a.

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Die Situation, in der sich die NSDAP befand, war nicht nur hinsichtlich des möglichen Stimmenverlusts prekär, sondern auch ausgesprochen peinlich für die Partei. Im Oktober hatten nämlich Verhandlungen zwischen Hitler und Strasser mit Starhemberg, seinem Stabschef Rauter und Justizminister Hueber über eine mögliche Wahlkoalition stattgefunden. Das Bündnis war letztlich an Strassers Ablehnung, Starhemberg die Führung einer gemeinsamen Nationalratsfraktion zu überlassen, gescheitert.317 Alfred Proksch musste nun Skribenski darum bitten,318 dass der Heimatblock der NSDAP ein Mandat abtrete, während diese im Gegenzug „dafür sorgen (werde), dass unsere Wähler den Heimatblock wählen“. Grölman hielt diesen Vorschlag aufgrund der fortgeschrittenen Stunde für „praktisch und auch technisch Abb. 22: Alfred Eduard Frauenfeld, 1932, Der Notschrei, BPD Wien vollkommen undurchführbar“. Nach Erhalt der Mitteilung kontaktierte er nun seinerseits Starhemberg und bat ihn, um elf Uhr abends mit der Dienststelle der österreichischen NSDAP in Linz Verbindung aufzunehmen. Dort war jedoch entgegen der Vereinbarung niemand mehr anwesend. Starhemberg beauftragte daraufhin seinen Landesstabsleiter, Proksch zu erreichen und ihm Folgendes mitzuteilen  : „Um nicht sämtliche Stimmen zu Gunsten der Roten verloren gehen zu lassen, soll Pg. Proksch versuchen, wenigstens in den vier noch technisch zu erreichenden Orten Linz, Wels, Salzburg und Ried die N.S.D.A.P. Wähler zu veranlassen, den Heimatblock zu wählen.“ Er wäre „zu Gegendiensten in irgend einer Form bereit, zumal es in näherer Zeit doch wahrscheinlich zu einem engeren Zusammenarbeiten zwischen ihm und der N.S.D.A.P. kommen würde“.

317 Pauley (1988), S. 71. 318 Bericht von Wilhelm Grölman v. 9. 11. 1930, BArch/R 187, Zl. 305a.

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Über das „ob und wie“ der praktischen Durchführung dieses Vorschlags war Grölman zwar nicht informiert, er nahm jedoch an, nachdem er keine weiteren Mitteilungen erhalten hatte, dass Proksch auf den Vorschlag eingegangen war. „Wir werden also“, so Grölman weiter, „an verschiedenen Orten heute das beschämende Bild sehen, dass Nationalsozialisten in Uniform vor Wahllokalen stehen und den staunenden Wählern verkünden, dass nicht natio­

nalsozialistisch(,) sondern vielmehr der Heimatblock gewählt werden soll. Eine derartige Unterlassungssünde – um nicht gleich direkt Sabotage zu sagen – ist doch noch nie und bei keiner Partei dagewesen. Es muss festgestellt werden, dass durch die Leichtfertigkeit der verantwortlichen Führer zehntausende von Stimmen verloren gehen, und dass das Vertrauen zu unserer in Oesterreich jungen Partei – noch dazu berechtigt – eine schwere Erschütterung erleiden wird“.

Am gleichen Abend unterrichtete er auch den thüringischen Innenminister Wilhelm Frick in Anwesenheit der in Wien versammelten NSDAP-Führer und bat ihn, die Parteileitung in München von den Vorfällen zu verständigen. Grölman schlug „im Einvernehmen“ mit Frauenfeld vor, „dass entweder umgehend ein mit allen Vollmachten versehenes Mitglied der Parteileitung nach Oesterreich kommt, dessen Aufgabe es wäre, sofort alle Schuldigen zur Verantwortung zu ziehen, oder, dass in den allernächsten Tagen sämtliche österreichische Führer und auch ich zu einer Besprechung nach München befohlen werden“. Abschließend empfahl er, den Hauptschriftleiter der von Frauenfeld herausgegebenen Deutschösterreichischen Tageszeitung (DÖTZ), Franz Schattenfroh, zum „Obersten Gauleiter für Österreich“ zu ernennen. Die Wahlen verliefen enttäuschend für die NSDAP, die lediglich 111.627 Stimmen bzw. drei Prozent erhielt.319 Inwieweit die örtlichen NSDAP-Funktionäre noch informiert werden konnten, um ihre WählerInnen aufzufordern, für den Heimatblock zu stimmen, ist nicht bekannt. Vergleicht man die in dem Bericht angesprochenen fünf Wahlkreise, in denen der Antrag auf Zusammenfassung der Reststimmen nicht gestellt worden war, mit den übrigen Wahlkreisen, so blieb die NSDAP in Tirol und Vorarlberg mit ca. einem Prozent der Stimmen weit unter dem Bundesdurchschnitt von 2,7 Prozent. Der Heimatblock hatte nur in Tirol kandidiert, wo er 8,5 Prozent der Stimmen gewinnen konnte und deutlich über dem Bundesdurchschnitt von 5,5 Prozent lag. In Oberösterreich blieb die NSDAP mit 2,2 Prozent nur leicht unter dem Bundesdurchschnitt, dies war vor allem durch das schlechte Abschneiden im Inn- und Mühl319 Zu den Nationalratswahlen 1930 und den Landtags- und Gemeinderatswahlen 1931 vgl. ausf. Hänisch (1998), S. 85–96.

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viertel bedingt, wo sie auf etwas mehr als ein Prozent kam, während der Stimmenanteil in Linz-Umgebung bei 3,4 Prozent lag. Auch hier schnitt der Heimatblock mit 7,5 Prozent wesentlich besser als im Bundesdurchschnitt ab und erhielt etwa in Linz 10,4 Prozent der Stimmen. In Salzburg gewann die NSDAP hingegen 3,2 Prozent der Stimmen, während der Heimatblock mit 4,9 Prozent unter dem Bundesdurchschnitt lag. Bei den wenige Monate später in einigen Bundesländern abgehaltenen Landtags- und Gemeinderatswahlen konnte die NSDAP ihren Stimmenanteil zum Teil nur geringfügig steigern. Inwieweit sich dabei das Chaos bei den Nationalratswahlen auf das Ergebnis niederschlug, ist nicht feststellbar. Eine Ausnahme bildeten die Gemeinderatswahlen in den Städten Salzburg, Hallein und Maxglan (29.  März 1931), wo die NSDAP ihren Stimmenanteil kräftig steigern konnte (Salzburg  : von 3,8 auf 6,8 %, Hallein  : von 3,1 auf 9,8 %, Maxglan  : von 4,3 auf 7,5 %), vermutlich aber vom Nichtantreten des Heimatblocks profitierte. Bei den Gemeinderatswahlen in Innsbruck (17. Mai 1931) gelang der NSDAP eine Stimmensteigerung von zwei auf drei Prozent. Auch dort kandidierte der Heimatblock nicht. Aber auch in dem vom Organisationsfehler bei den Nationalratswahlen nicht betroffenen Bundesland Kärnten steigerte die NSDAP bei den Gemeinderatswahlen in Klagenfurt im Februar und Mai 1931 ihren Stimmengewinn von 10,6 auf 15,7 bzw. 19,7 Prozent, wobei der Heimatblock bei der ersten Wahl leicht dazugewann, bei der zweiten nicht mehr antrat. In Oberösterreich (19. April 1931) erhöhte sich der Stimmenanteil der NSDAP um nur 0,7 Prozent, während jener des Heimatblocks von 7,5 auf 3,5 Prozent sank. Das Organisationsfiasko der österreichischen Parteileitung führte in den Monaten nach der Wahl zu erbitterten Rangkämpfen innerhalb der NSDAP, da Frauenfeld vehement die Absetzung von Proksch forderte und selbst Anspruch auf den Posten des österreichischen Führers der NSDAP erhob.320 Aber auch Grölman hatte in seinem Bericht den Frauenfeld nahestehenden Wiener Franz Schattenfroh zum „Obersten Gauleiter“ vorgeschlagen, was einer Kampfansage an Proksch gleichkam. In der Folgezeit forderte Frauenfeld wiederholt von Strasser, eine Landesleitung in Wien einzurichten, woraufhin Proksch sich in einem Brief an den Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss321 (USchla) der Partei darüber beschwerte, dass Frauenfeld den 320 Vgl. dazu ausf. Steele (1992), S. 206–285. 321 Dem Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss (H.A. VIII) oblag die „Gerichtsbarkeit der Partei“. Er be­stand aus einem Vorsitzenden, zwei Beisitzern, von denen einer der SA oder SS angehören musste, und zwei Ersatzbeisitzern. Das Urteil wurde vom Politischen Leiter (Bezirks-, Gau- oder Landesleiter) „als Vertreter der Gesamtheit“ gefällt, während der USchla lediglich den Strafantrag einbrachte. Bei Streitig­keiten innerhalb der Partei durften erst nach Behandlung durch den USchla die ordentlichen Gerichte ange­rufen werden. Jedes Parteimitglied war verpflichtet, vor dem USchla auszusagen,

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Kampfruf nur deshalb gegründet habe, um seiner Zeitung Die Volksstimme Konkurrenz zu machen. Außerdem habe dieser ihn als „jüdischen Geschäftemacher“ bezeichnet und vor der Reichsleitung lächerlich gemacht.322 Frauenfeld wurde zwar vom Parteigericht freigesprochen, jedoch versuchte Proksch später, ihn als Gauleiter abzusetzen, was aber von der Reichsleitung verhindert wurde. Am 6.  Juli 1931 bestimmte Hitler die „administrative Landesleitung“ der österreichischen NSDAP „zur verantwortlichen, politischen Landesleitung“ und bestellte Alfred Proksch als Landesleiter.323 Gleichzeitig wurde ihm aber der reichsdeutsche Theo Habicht, bisher Ortsgruppenführer von Wiesbaden,324 als Landesgeschäftsführer zur Seite gestellt, womit dieser praktisch die Führung der österreichischen NSDAP übernahm, während Proksch ein ehrenvolles Schattendasein führte. Frauenfelds und Habichts anfänglich gespanntes Verhältnis scheint sich gegen Ende des Jahres 1932 wesentlich gebessert zu haben, wie der durchaus in freundschaftlichem Ton geführte Briefwechsel der beiden zeigt.325 Eine weitere Folge der Nationalratswahl vom November 1930 war Frauenfelds Forderung nach einer strikten Trennung von Heimwehr und NSDAP. So gab er ohne vorherige Absprache mit Landesleiter Proksch und den übrigen Gauleitern bekannt, dass Rundschreiben Nr. 1 der H.A. I der Bezirksgruppe Leopoldstadt, o. Dat., ÖSTA/AdR, BKA-I, NSParteistellen, Kt. 20. In Wien wurde die Hauptabteilung VIII vom Sektionsrat im Bundesministerium für Landesverteidigung, dem Juris­ten Walter Ilz, geleitet, der 1928 in die NSDAP eingetreten war und auch als stellvertretender Gauleiter fungierte. Nach seiner Flucht nach Deutschland und dem Verlust der österreichischen Staatsbürgerschaft 1934 war Ilz zunächst als Leiter der Flüchtlingsstelle Berlin des Flüchtlingshilfswerks der NSDAP beschäf­tigt. Zwischen 1937 und 1938 wurde er für einige Monate zum Gauleiter von Thüringen bestellt. Nach dem „Anschluss“ arbeitete Ilz in der von Otto Gustav Wächter geleiteten Abteilung im Amt des Reichsstatthalters in Österreich in der Abteilung für „öffentlich-rechtliche Wiedergutmachung“. Im März 1939 wechselte er ins Reichsverwaltungsgericht. Ilz war Mitglied des Obersten Parteigerichts der NSDAP, BArch (ehem. BDC), PK  : Walter Ilz. WStLA, GAW  : Walter Ilz, Zl.  150.290. WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Walter Ilz  ; Geschäftsverteilungsplan des Amtes des Reichsstatthalters und des Ministeriums für innere und kulturelle Angelenheiten v. 22. 7. 1938, Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 12813, zit. n. Natio­nalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 322 Pauley (1988), S.  66  ; Alfred Eduard Frauenfeld an den Vorsitzenden des Reichs-USchla v. 10.  4. u. 4. 3. 1931, ÖST/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 6. 323 NSDAP/Reichsleitung, Der Oberste Partei- und SA-Führer  : Partei-Befehl an die NSDAP, Hitlerbewegung in Oesterreich v. 6. 7. 1931, BArch/R 187, Zl. 305. 324 Zur Tätigkeit Habichts in Wiesbaden vgl. ausf. Zenker-Oertel (1976). 325 Vgl. dazu ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 6. In seinen späteren Memoiren beschrieb Frauenfeld sein Verhältnis zu Habicht folgendermaßen  : „Bei seiner hohen Intelligenz erkannte er aber sehr schnell, wie die Dinge wirklich lagen, sprach sich mit mir aus, und von da an bestand zwischen ihm und mir nicht nur dienstlich, sondern auch privat ein vorzügliches Verhältnis und eine gute Zusammenarbeit“, Frauenfeld (1978), S. 85.

Die Wiener Wahlen im Frühjahr 1932

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Abb. 23: Alfred Eduard Frauenfeld bei einer Wahlkampfveranstaltung am Karlsplatz, 16. 4.1932, re. dahinter Kurt Barisani, Führer des Wiener NSKK, FAA

alle Parteimitglieder aus der Heimwehr auszutreten hätten, und drohte bei Nichtbefolgung den Ausschluss aus der Partei an.326 Die Heimwehr hatte zu diesem Zeitpunkt den Zenit ihrer Machtentfaltung bereits überschritten, während die NSDAP sich zur Massenpartei zur entwickeln begann. 3.1 Die Wiener Wahlen im Frühjahr 1932

Anfang März 1932 begann die Wiener Gauleitung mit ihrer „Wahlschlacht“ für die im April stattfindende Gemeinderatswahl, die ganz im Zeichen der explodierenden Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise stand. Der Wahlkampf wurde „mit allen erdenklichen und zur Verfügung stehenden Propagandamitteln und -methoden

326 Carsten (1977), S. 153.

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Die Entwicklung der Wiener NSDAP unter Alfred Eduard Frauenfeld

offensiv und aggressiv geführt“,327 indem etwa mehrere hunderttausend Flugblätter, Klebemarken, Broschüren, Plakate, Versammlungseinladungen etc. hergestellt wurden, wobei die Zentralisierung der Gauleitung und ihrer Gliederungen im wenige Monate zuvor eröffneten „Adolf-Hitler-Haus“ die Durchführung der Arbeiten wesentlich erleichterte.328 Erstmals trat während des Wahlkampfes auch das Nationalsozialistische Kraftfahrkorps in Erscheinung,329 das fast täglich im Einsatz stand und auch in weit entfernte Dörfer Niederösterreichs vordrang. Bis auf kleinere Zusammenstöße einzelner Personen und Gruppen verlief der Wahlkampf zunächst relativ ruhig. Krawalle fanden in Wien etwa am 14.  März in Hernals statt, wo die KPÖ anlässlich der Einweihung eines NS-Heimes zu einer Protestversammlung aufgerufen hatte, in deren Verlauf ein 17-jähriger Kommunist niedergeschossen und sechs Personen durch Stockhiebe und Faustschläge leicht verletzt wurden. Am 14. April machten sich die Nationalsozialisten Alfred Posch, Stefan Stafa und Paul Fuchs zum Café Rebhuhn auf,330 wo sie den Herausgeber der linksliberalen Wiener Sonn- und Montags-Zeitung (WSMZ) sowie der Wochenblätter Der Morgen und Der Abend, Ernst Klebinder, mit einer Hundepeitsche angriffen,331 weil er in einer Extraausgabe „die erschütternde Nachricht“ mitgeteilt hatte, dass „Hitler (…) gar nicht Hitler, sondern Schücklgruber (heiße)“.332 Klebinder wurde nur leicht verletzt, da ihm die Gäste des Cafés zu Hilfe kamen und nun ihrerseits die drei Angreifer verprügelten, die schließlich von der Polizei in Sicherheit gebracht wurden. Bei einer Wahlkampfrede auf dem Karlsplatz „streifte“ Gauleiter Frauenfeld auch diesen Vorfall und erklärte, dass dem „Berufsverleumder“ Klebinder „durch einige Ohrfeigen die verdiente Lektion erteilt“ worden sei.333 Jedoch schritt Frauenfeld Bernd Beutl zufolge Anfang April gegen die Aktionen der SA ein, um einerseits „zumindest nach außen den Schein einer ‚friedlichen‘ Wahlpropaganda … zu wahren“, andererseits aber auch, um „den Einfluss der SA zu reduzieren und gleichzeitig den ihm ergebenen Apparat seiner politischen Leiter – als Gegengewicht – auszubauen“.334 327 Beutl (2006), S. 198  ; zur NS-Gewalt in Wien 1932/33 vgl. auch Bauer (2005). 328 Beutl (2006), S. 198. 329 Kampfruf am Montag v. 11. 6. 1932, S. 2 („Die Stürme auf eisernen Rädern“)  ; Der Kampfruf v. 16. 4. 1932, S. 3 („Zwei Tage NSKK-Dienst“). 330 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 149.578-GD. 2/1932, Kt. 5176. 331 Das Kleine Blatt (Kl.  Bl.) v. 15.  4.  1932, S.  9 („Hakinger, die prügeln wollten, werden verprügelt“)  ; WSMZ v. 18. 4. 1932, S. 3 („Bangemachen gilt nicht  !“)  ; WSMZ v. 27. 6. 1932, S. 5 („Politik und Row­ dietum“). 332 Die Stimme v. 1. 7. 1932, S. 2 („Eine Woche Hakenkreuz“). 333 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 17. 4. 1932. 334 Beutl (2006), S. 198f.

Die Wiener Wahlen im Frühjahr 1932

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Abb. 24: Wahlkampfveranstaltung der Wiener NSDAP, Frühjahr 1932, FAA

Weitere Zwischenfälle zwischen NationalsozialistInnen und „MarxistInnen“ ereigneten sich am 21. März in Favoriten und am 16. April im niederösterreichischen Schwechat. Anfang April ging die Wiener NSDAP mit einer antisemitischen Plakatkampagne auf Stimmenfang, woraufhin das Präsidium der Israelitischen Kultusgemeinde beim Polizeipräsidium Wien, der Staatsanwaltschaft und dem Justizministerium „schärfsten Protest“ einlegte.335 Wenige Tage später überfielen etwa dreißig bis vierzig Nationalsozialisten „in Schwarmlinien“ jüdische PassantInnen in der Leopoldstadt und verletzten einige davon leicht. Laut Bericht der jüdischen Wochenzeitung Die Stimme forderte ein verprügelter jüdischer Student einen Wachmann „vergeblich auf (…), gegen die Hakenkreuzler einzuschreiten“. Am 18. April war noch immer „ganz Wien mit zahllosen Plakaten“ antisemitischen Inhalts „überschwemmt“, woraufhin die Wiener Sonn- und Montags-Zeitung die Staatsanwaltschaft aufforderte, endlich gegen diese „Schande für unsere Stadt“ einzuschreiten.336 335 Die Stimme v. 7. 4. 1932, S. 1 („Die Wirkung der Hetzpropaganda“). 336 WSMZ v. 18. 4. 1932, S. 2 („Staatsanwaltschaft erwache  !“).

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Eine weitere Form der nationalsozialistischen Aktivitäten bestand im Abreißen von gegnerischen Plakaten und dem Beschmieren von Hauswänden u.  Ä. So berichtete etwa die linke Tageszeitung Das Kleine Blatt,337 dass die NationalsozialistInnen „schon seit längerer Zeit (…) die Wände vieler Gemeindebauten (beschmieren). Besonders eifrig seien sie in Währing am Werk.“ Nachdem nationalsozialistische AnhängerInnen die Wände des Gemeindebaus in der Gersthoferstraße wiederholt mit Hakenkreuzen bemalt sowie kleine Propagandazettel angeklebt hatten und am 9.  April gleich „eine ganze Sturmabteilung“ im Haus auftauchte, in allen Stiegenhäusern Flugzettel ausstreute und „wieder Miene (machte), die Wände zu beschmutzen“, wurden sie von den BewohnerInnen verprügelt und hinausgeworfen. Als am 20. April ein Trupp Nationalsozialisten Propagandamaterial im Karl-Marx-Hof zu verteilen begann und sich anschickte, die Wände zu beschmieren, entwickelte sich eine Schlägerei mit den HausbewohnerInnen, die von der Sicherheitswache beendet wurde.338 Auch vor einem Gemeindebau in Währing kam es zu kleineren Ausschreitungen. Die SozialdemokratInnen revanchierten sich wiederum, indem sie ihren Lautsprecherwagen vor dem „Adolf-Hitler-Haus“ auffahren ließen und dort verkündeten  : „Hitler, der Held – nimmt Judengeld  ! Gebt Hitler die Macht – und alles verkracht  !“339 Als nicht eben förderlich dürfte sich in dieser ohnedies schon gespannten Situation ein Prozess am Bezirksgericht Leopoldstadt ausgewirkt haben.340 Dort war ein Nationalsozialist, der einen Coloniakasten der Gemeinde Wien, einen Teil des Trottoirs und die Feuermauer eines Hauses mit Hakenkreuzen beschmiert hatte, wegen boshafter Beschädigung fremden Eigentums angeklagt und vom Richter freigesprochen worden, weil nach dessen Ansicht keine „Wertverminderung“ und „Beeinträchtigung der Gebrauchsfähigkeit“ von Mistkiste und Gehsteig vorliege. Zu ersten größeren Krawallen zwischen NationalsozialistInnen und „MarxistInnen“ kam es dann am Wochenende vor der Wahl, als die SDAP ihre Großkundgebungen abhielt, die jedoch noch relativ glimpflich verliefen. War der Wahlkampf bis dahin weitgehend durch Gewaltrhetorik und kleine Scharmützel bestimmt gewesen, radikalisierte sich die Stimmung drei Tage vor der Wahl. Zu blutigen Ausschreitungen mit zahlreichen, zum Teil schwer Verwundeten kam es im niederösterreichischen Krems, wo NationalsozialistInnen eine christlichsoziale WählerInnenversammlung zu sprengen versuchten und erst das Bundesheer die Ruhe wiederherstellen konnte. In Judenburg führte ein sozialdemokratischer Wahlumzug zu einer Schlägerei mit natio337 Kl. Bl. v. 9. 4. 1932, S. 3 („Hakenkreuzler provozieren in einem Gemeindebau“). 338 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 20. 4. 1932. 339 Kl. Bl. v. 21. 4. 1932, S. 6 („Buam, kommts her, das Horuckerl ist da  !“). 340 Kl. Bl. v. 21. 4. 1932, S. 10 („Die Hakinger dürfen schmieren.“).

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Abb. 25: SS-Angehörige des Sturms 1/1/11, 1932, Der Kampfruf, Universitätsbibliothek Wien (UBW)

nalsozialistischen AnhängerInnen, bei der auch Schüsse fielen und mehrere Personen das Krankenhaus aufsuchen mussten. Der schwerste Zwischenfall des Wahlkampfes sollte dann auf das Konto der Wiener SS gehen. 3.2 Das erste Opfer der Wiener SS  : Der Tod Karl Schafhausers

Die Liesinger NSDAP hatte für den 21.  April im Brauhaus eine WählerInnenversammlung einberufen341 und zu diesem Zweck SS- und SA-Mannschaften sowohl aus der Umgebung als auch aus Wien für den Saalschutz zusammengezogen.342 Vom Sturm 1/I/11 wurden der von Leo Libardi kommandierte Trupp 1 und zwei Scharen von Leopold Teimels Trupp 2, die von Gustav Lorenz und Heinrich Korb ­befehligt wurden, nach Liesing abkommandiert. Insgesamt dürften etwa vierzig bis fünfzig Wiener SS-Männer in Liesing zum Einsatz gekommen sein. Der Sturm 1/I/11 war im Frühjahr 1932 führerlos, da Karl Pichl aufgrund seines Lungenleidens von der Truppe 341 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 23. 4. 1932  ; vgl. weiters die Berichterstattung in AZ, NFP, RP, Wiener Zeitung (WZ), Kl. Bl. v. 22. bis 24. 4. 1934. 342 WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33.

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Abb. 26: Josef Ginthör, ca. 1933/1934, WStLA

beurlaubt war.343 Als den dienstältesten Truppführern war Libardi und Teimel abwechselnd das Kommando übertragen worden.344 Das gesamte Unterführerkorps bestand somit aus jungen Männern im Alter zwischen 21 und 25 Jahren, von denen sich einige zwar bereits als brutale Schläger hervorgetan hatten, denen jedoch die Erfahrung fehlte, um kritische Situationen in ihrer ganzen Tragweite erfassen zu können. Unter den Abkommandierten befand sich etwa Gustav Lorenz,345 der seine erste große Schlacht 1925 in Mödling beim Zusammenstoß mehrerer Freikorpsverbände und rechtsradikaler Formationen mit sozialdemokratischen Arbeitern geschlagen hatte, bei dem ein Sozialdemokrat getötet und

343 Einvernahme von Karl Pichl durch das S.B. v. 14. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 344 Einvernahme von Leopold Teimel durch das S.B. v. 30. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 345 Lorenz wurde 1907 als Sohn eines Eisenbahners in Reichenberg geboren. Nach dem Tod des Vaters 1912 wuchs er in ärmlichsten Verhältnissen auf. Neben seiner Ausbildung zum Elektrotechniker bei der Firma AEG besuchte er Fortbildungskurse am technologischen Gewerbemuseum und anderen Lehranstalten, musste die Schule jedoch vor Ablegung der Staatsprüfung aus finanziellen Gründen verlassen. Erschwerend wirkte sich neben dem frühen Tod des Vaters vor allem die Versorgung seiner körperbehinderten Schwester aus. 1926 übersiedelte er nach Innsbruck, wo er kurzfristig einen Arbeitsplatz fand und sich danach mit di­versen Gelegenheitsarbeiten durchs Leben schlug. 1929 kehrte er nach Wien zurück und war ab 1931 mit kleinen Unterbrechungen ständig arbeitslos. Im November 1932 starb auch seine Mutter an einer Lungen­entzündung. Lorenz trat 1922 im Alter von 15 Jahren in die DNSAP und die NSDAJ ein, wurde jedoch auf­grund seiner Körpergröße und der geringen Stärke der SA noch im gleichen Jahr in diese aufgenommen. Ende 1923 wurde er Mitglied des damals neu gegründeten „Freikorps Roßbach“, das Lorenz zufolge als „5. Kompanie der SA-Wien“ geführt wurde. Nach der behördlichen Auflösung des Freikorps wurde es unter den Decknamen „Reichsverband deutscher Wanderer“ und „Sportklub Rapid“ weitergeführt. Nach dem Zu­sammenstoß in Mödling stand er zunächst unter Mordverdacht und wurde ins Wiener Landesgericht einge­liefert, die Anklage jedoch wieder fallen gelassen. Nachdem seine Beteiligung durch die Zeitungsberichter­stattung publik geworden war, verlor er noch vor Ende der Lehrzeit seinen Arbeitsplatz bei der Firma AEG. Es gelang ihm schließlich, seine Lehre in einem kleinen Betrieb zu Ende zu führen. Nach seiner Übersie­delung nach Innsbruck trat er der dortigen SA bei und gründete nach der Parteispaltung den SA-Sturm 10/Tirol. Im Sommer 1931 trat er in die Wiener SS ein, wurde im Februar 1932 zum Truppführer ernannt und ein Jahr

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ein Nationalsozialist schwer verletzt worden waren,346 und der bis zum Parteiverbot nicht weniger als 76 Polizeistrafen erhielt, im Parteidienst zwei Stichverletzungen davontrug und im Oktober 1933 als erster österreichischer SS-Mann im Anhaltelager Wöllersdorf interniert wurde. Weitere nach Liesing entsandte schlagkräftige SS-Männer waren u.a. Franz Hansmann, der als ständiger Torposten im „Adolf-Hitler-Haus“ angestellt war und maßgeblich am Anschlag auf das Kaufhaus Gerngroß im Dezember 1932 beteiligt sein sollte, der spätere Sturmbannführer der „Leibstandarte-SS ‚Adolf Hitler‘ “ Jakob Hanreich,347 der nachmalige Hauptsturmführer Kurt Kowarik, der sich ein Jahr später beim Bom- Abb. 27: Heinrich Korb, n. 1938, BArch benbasteln selbst in die Luft sprengen sollte,348 oder Josef Ginthör,349 der nach seiner Flucht aus Österreich in die „Leibstandarte-SS ‚Adolf Hitler‘ “ (= LSSAH) eintrat, zum Obersturmführer aufstieg und als Begleitschutz von Außenminister Joachim von Ribbentrop fungierte. Die Führung hatte an diesem Abend Libardi inne, jedoch war auch Teimel nach Liesing gekommen, um sich dort tatkräftig in das Geschehen einzumischen. Eine Besonderheit stellt der Fall insofern dar, als die an dem Zusammenstoß beteiligten SS-Männer ganz im Gegenteil zur üblichen Praxis der SS bei ihrer späteren gerichtlichen Einvernahme detailliert ihr Vorgehen schilderten. Daraus geht hervor, wie die jungen Unterführer versuchten, ihre dürftigen militärischen Kenntnisse umzusetzen, und dass sich ihre unroutinierte, dafür umso gewaltbereitere Truppe bedingungslos ihren Befehlen unterwarf.

später mit der Führung des bis dahin von Hans Smirtschek kommandierten Lehrsturms 3/I/11 beauftragt, BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Gustav Lorenz  ; ÖSTA/AdR, GA  : Gustav Lorenz, Zl. 242.526. 346 Vgl. dazu Botz (1983), S. 102–104. 347 BArch (ehem. BDC), SSO  : Jakob Hanreich. 348 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 188.191-GD. 1/1933. 349 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Josef Ginthör  ; WStLA, GAW  : Josef Ginthör, Zl.  103.419  ; ebd., M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Josef Ginthör.

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Am frühen Abend hatte sich der Großteil der nach Liesing abkommandierten SS im Brauhaus eingefunden, wartete aber noch auf eine fünfköpfige Schar, die ­verspätet aus Wien aufgebrochen war. Diese wurde von dem 21-jährigen Medizinstudenten Heinrich Korb angeführt, der 1928 in die HJ und ein Jahr später in die Partei eingetreten war. Nach einer kurzen Dienstzeit in der SA hatte Korb auf eigenen Wunsch um Überstellung zur SS angesucht und war im Mai 1931 in die Schutzstaffel aufgenommen worden. Im Jänner 1932 erfolgte seine Ernennung zum SS-Scharführer. Korbs Affinität zu jeglicher Form von Stichwaffen war in der SS und ihrem engeren Umfeld allgemein bekannt. So erklärte Teimels Lebensgefährtin bei ihrer polizeilichen Einvernahme, dass Korb „immer ein Messer und zwar (…) ein stilettartiges bei sich trug“350 und „öfters“ geäußert habe, „dass ihm Messer gefallen“.351 Teimel zufolge war Korb jedoch kein Einzelfall,352 da auch „viele andere S.S. Leute“ sich vornehmlich „Messer mit feststellbarer Klinge“ bedienten. Korbs Waffenbegeisterung scheint sich jedoch nicht nur auf Messer beschränkt zu haben,353 da er im Besitz zweier Waffenpässe war und die Polizei bei einer späteren Hausdurchsuchung noch einen Gummiknüttel in seiner Wohnung vorfand. Der Beginn der Wahlveranstaltung war auf 20 Uhr angesetzt worden, musste aber um eine dreiviertel Stunde verschoben werden, da sich laut Aussage des Gendarmerierevierinspektors Johann Fiedler erst etwa sieben bis acht Personen im Lokal eingefunden hatten.354 Im Unterschied zur kläglichen BesucherInnenzahl der NSDAP hatten sich im Laufe des Abends in dem sozialdemokratisch dominierten Liesing etwa 200 bis 300 politische GegnerInnen versammelt,355 die lautstark auf der Straße demonstrierten, vermutlich aber auch ihr Parteiheim beschützen wollten, das sich in der Nähe des Brauhauses befand.356 Teimel, der befürchtete, dass Korbs Schar nicht mehr durchkommen werde und „zusammengehauen“ werden könnte, machte Libardi „unter dem Hinweis seiner Verantwortlichkeit gegenüber dem Sturmbannführer auf das Bedrohliche der Situation aufmerksam“.357 Dieser ging daraufhin, so Teimel, „an der Tête358 der Schaar (sic  !) Lorenz“ der Gruppe entgegen und versuchte, danach wieder zum Brauhaus zurückzu350 Einvernahme von Helene M. v. 17. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 351 Zeugenvernehmung von Helene M. v. 30. 10. 1933, ebd. 352 Zeugenvernehmung von Leopold Teimel v. 30. 10. 1933, ebd. 353 Bericht der BPD Wien an die Staatsanwaltschaft (= St.A.) Wien I v. 19. 10. 1933, ebd. 354 Einvernahme von Gendarmerierevierinspektor Johann Fiedler v. 6. 12. 1933, ebd. 355 Einvernahme von Gendarmerierevierinspektor Wilhelm Anderle und Gendarmerierayoninspektor Franz Baar v. 6. 12. 1933, ebd. 356 NFP v. 22. 4. 1932, S. 3 („Ein Toter und ein Schwerverletzter in Liesing“). 357 Einvernahme von Leopold Teimel v. 17. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 358 Der vorderste Teil eines Truppenkörpers.

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kehren. Kurz davor ließ er jedoch, in der Hoffnung, die Gegnerschaft einschüchtern zu können, „die ganze Abteilung mit der Front nach links in zwei Gliedern antreten“.359 Im Unterschied zu Sepp Dietrichs Ausbildungsrichtlinien,360 nach denen die in der Minderzahl befindliche SS „schon durch ihr bestimmtes Auftreten alle ordnungsfeindlichen Elemente in Schach halten und sich ihnen gegenüber durchsetzen“ sollte, zeigten sich die Liesinger „MarxistInnen“ durch Libardis Aktion wenig beeindruckt. Teimel befahl daraufhin Libardis im Brauhaus verbliebenen Trupp, ihren Kameraden zu Hilfe zu kommen, die nun ebenfalls auf die Straße „stürmten“.361 Weiters gab er Libardi „den Rat, einen Angriff gegen die Gegner zu versuchen“, da er befürchtete, dass die „Marxisten“ das Brauhaus stürmen könnten, wo inzwischen die Versammlung begonnen hatte. Diese stand allerdings unter dem Schutz der Gendarmerie. Nachdem Libardi „tatsächlich seinen Leuten das Signal zum Angriff“ gegeben hatte,362 „(stürmte) die vereinigte S.S. Abteilung (…) nun aufgelöst über die ganze Breite der Gasse“ bewaffnet mit Gummiknütteln und Schulterriemen „gegen die Menschenmenge“.363 Dieser gelang es jedoch, die SS-Männer zurückzudrängen, woraufhin Libardi mit Teimel Kriegsrat abhielt und vorschlug,364 sich von der im Brauhaus befindlichen SA Waffen zu besorgen. Teimel riet davon ab, da er befürchtete, dass dann „ein Blutbad entstünde“, und erklärte, dass es wohl „am besten“ wäre, wenn sich Libardi „dadurch Luft schaffe“, indem er „noch einmal angreife und mit den Fäusten die Leute auseinanderprügeln lasse“. Immerhin handelte es sich, so Teimel, „um die Ehre unserer Bewegung“. Libardi ließ seine Männer daraufhin nochmals „ausschwärmen und gab den Befehl zum Angriff“, während Teimel „hinter der Front (ging)“ und darauf „achtete, gleichsam als Feldgendarm“, dass „sich niemand von unseren Leuten zurückziehe“. Gänzlich unbewaffnet hatte die SS ihren Angriff dann doch nicht gestartet, da Korb wie auch andere SS-Männer später vor dem Wiener Landesgericht zugaben, mit Messern, Gummkinütteln,365 Hundspeitschen,366„Schlagringe(n) und dergleichen“367 bewaffnet auf die Menge losgegangen zu sein. Korb vermutete später,368 dass sich die SS-Männer deshalb nicht ins geschützte Brauhaus zurückgezogen hatten, weil sie dem „Kommando zum Vorgehen“ zu folgen hatten, „unsere Leute überdies sehr aufgeregt 359 Vernehmung von Heinrich Korb v. 21. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 360 SS-Oberführer Befehl Nr. 8 des SS-Abschnitts I v. 1. 4. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 361 Einvernahme von Leopold Teimel v. 17. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 362 Ebd. 363 Vernehmung von Heinrich Korb v. 21. 10. 1933, ebd. 364 Zeugenvernehmung von Leopold Teimel v. 30. 10. 1933, ebd. 365 Vernehmung von Heinrich Korb v. 21. 10. 1933, ebd. 366 Zeugenvernehmung von Otto Berger v. 6. 11. 1933, ebd. 367 Zeugenvernehmung von Eduard Karl v. 13. 9. 1933, ebd. 368 Vernehmung von Heinrich Korb v. 21. 10. 1933, ebd.

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waren und wir eben den nachdrängenden Gegner zurückhalten wollten, bis zum Brauhaus nachzudrängen und unsere Versammlung zu stören“. In der nun folgenden Schlägerei zog Korb ein Messer und stach damit auf seine Gegner ein. Inzwischen war auch Revierinspektor Fiedler der SS-Gruppe gefolgt und sah,369 „wie sich N.S. und ihre Gegner gegenseitig mit Steinen bewarfen“. Die Gendarmerie griff schließlich ein und befahl Libardi mit seinen Männern, ins Brauhaus zurückzukehren. Auf seine anfängliche Weigerung erklärte ihm Rayoninspektor Baar, dass „zum Ordnungmachen wir Gendarmen da sind“.370 Mit erhobenem Karabiner wurde die SS von der Gendarmerie in das Brauhaus „dirigiert“ und der Menge befohlen, das „Steinewerfen“ einzustellen, was diese auch befolgte.371 Erst jetzt bemerkte die Gendarmerie, dass zwei politische Gegner von der SS schwer verletzt worden waren  : Der Schutzbündler Karl Schafhauser, der durch zwei Messerstiche verwundet worden war, verstarb noch am Tatort, der Schlossergehilfe Alexander Valentin musste mit einer Stichverletzung ins Krankenhaus eingeliefert werden. Nachdem der Direktor des Brauhauses bekannt gegeben hatte, dass ein Mann getötet worden war, brach der Redner die Versammlung ab, und die ZivilistInnen verließen den Saal.372 Korb versteckte daraufhin sein Messer und setzte Teimel davon in Kenntnis, dass er vermutlich der Täter sei.373 Dieser ließ laut Aussagen mehrerer SS-Männer die Waffen einsammeln und schaffte sie aus dem Brauhaus, was er selbst später heftig bestritt. Obwohl das Versammlungslokal „bereits von Gendarmerie (…) zerniert war“, fuhr Teimel mit seinem Adjutanten „ungehindert“ nach Wien zurück374 und erstattete im „Adolf-Hitler-Haus“ Sturmbannführer Anton Ziegler Bericht über die Vorfälle.375 Unterdessen perlustrierte die Liesinger Gendarmerie zwar die Nationalsozialisten, verhörte jedoch nur einen Teil von ihnen. Auch Korb wurde nach erfolgter Perlust­ rierung, ohne einem Verhör unterzogen worden zu sein, mit seinen Kameraden in einem Überfallsauto zur Straßenbahn gebracht und dort freigelassen.376 Als dringend tatverdächtig verhaftete die Polizei hingegen Leo Libardi, in dessen Besitz ein „scharf geschliffenes Taschenmesser und eine Hundspeitsche vorgefunden wurde(n)“377 und den „Augenzeugen (…) mit Bestimmtheit erkannt haben wollten“.378 Libardi wurde 369 Einvernahme von Gendarmerierevierinspektor Johann Fiedler v. 6. 12. 1933, ebd. 370 Einvernahme von Gendarmerierayoninspektor Franz Baar v. 6. 12. 1933, ebd. 371 Einvernahme von Gendarmerierevierinspektor Wilhelm Anderle v. 6. 12. 1933, ebd. 372 NFP v. 22. 4. 1932, S. 3 („Ein Toter und ein Schwerverletzter in Liesing“). 373 Fortsetzung der Einvernahme von Leopold Teimel v. 17. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 374 Einvernahme von Leopold Teimel v. 17. 10. 1933, ebd. 375 Zeugenvernehmung von Leopold Teimel v. 30. 10. 1933, ebd. 376 Vernehmung von Heinrich Korb v. 17. 10. 1933, ebd. 377 WZ v. 23. 4. 1932, S. 6 („Schlägereien zwischen Sozialdemokraten und Nationalsozialisten“). 378 NFP v. 22. 4. 1932, S. 3 („Ein Toter und ein Schwerverletzter in Liesing“).

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mehrere Wochen im Wiener Landesgericht in Untersuchungshaft genommen, während die SS Stillschweigen bewahrte und abwartete. Auf Teimels mehrmaliges Nachfragen versicherte ihm Ziegler, dass Libardi bald freikommen werde. Allerdings war sich Teimel damals nicht sicher, ob nicht auch Libardi „selbst zugestochen (…) habe“, was er ihm durchaus „zugetraut“ hätte.379 Auch ein am 27. Mai abgehaltener Lokalaugenschein, zu dem 23 SS-Männer in Liesing zu erscheinen hatten, brachte keine neuen Erkenntnisse.380 Libardi wurde schließlich mangels Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt  ; der Fall, wie so oft, ad acta gelegt. Erst im Herbst 1933 wurde der Fall aufgrund der Aussage des Nationalsozialisten Eduard Karl wieder aufgerollt.381 Karl war im April 1932 als Angehöriger der SA in Liesing gewesen und hatte sich danach der SS angeschlossen. Nachdem er unter Verdacht geriet, am Anschlag auf die Villa des Ministers a. D. Eduard Heinl in Perchtoldsdorf, bei Sprengstoffanschlägen auf die Firma Krupnik und an einem Überfall auf die Heimwehr und an einem Waffendiebstahl beteiligt gewesen zu sein, flüchtete er 1933 nach Deutschland. Kurze Zeit später kehrte er nach Österreich zurück und wurde verhaftet. In seiner Aussage vor dem Wiener Landesgericht gab er an, dass er sich im KZ Dachau und im Lager der „Österreichischen Legion“ in Lechfeld aufgehalten habe,382 wo sich „einige Kammeraden (sic  !) (…) ihrer Taten rühmten, (wie) Bombenwerfen bei Futterweit u. dgl.“ und auch erwähnt hätten, dass „Teimel (…) Schafhauser erstochen hätte“.383 Daraufhin leiteten die Behörden die Untersuchung gegen Teimel ein. Dieser war im Herbst 1932 aus der SS ausgetreten, gehörte zwar weiterhin der NSDAP an, war aber bei der SS in Ungnade gefallen und wurde von ihr überwacht.384 Nachdem die an dem Angriff in Liesing beteiligten SS-Männer allesamt Teimel beschuldigten und mit Details über ihren Angriff nicht sparten, kann angenommen werden, dass Karl die Gelegenheit nutzte, um mit seiner Aussage eine Strafmilderung für sich und Teimels Verurteilung zu erwirken. Allerdings hatte die SS nicht damit gerechnet, dass Korb offenbar die Nerven verlor, sich der Polizei stellte und gestand, dass er während des Tumults ein Messer gezogen und angeblich 379 Zeugenvernehmung von Leopold Teimel v. 30. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 380 Georg Ettingshausen an die GL Wien v. 1. 6. 1932, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien. 381 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 375.759-St.B./1936. 382 Aktenvermerk des S.B. v. 13. 9. 1933, Einvernahme von Eduard Karl v. 17. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. Ein Foto von Karl, das ihn mit einer Gruppe österreichischer SS-Männer im Lager Dachau zeigt, ist abgedruckt in Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte (1934), S. 33. 383 Aktenvermerk über die Vernehmung von Eduard Karl v. 13.  9.  1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 384 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Vrlbg., Zl. 300.678-St.B./1935.

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in Notwehr auf jemanden eingestochen hatte.385 Er verteidigte sich damit, dass er bei dem „riesigen Wirbel von allen Seiten Schläge“ bekommen habe, „etwas blinken“ sah, „förmlich in einem Traumzustand handelnd“ sein Messer zog und „instinktiv“ zweimal zustach. Das Messer habe er zwar in seiner Hosentasche mit sich getragen, es aber nur „zum Brotschneiden verwenden“ wollen, und „(nicht) daran (…) gedacht“, „es als Waffe zu verwenden“. Weiters sagte er aus, dass er sich nach dem Vorfall in Liesing „nicht in demselben Masse (sic  !) wie früher“ in der Partei „betätigt“ habe und im Jänner 1933 aus der SS ausgetreten sei.386 Am 20. Dezember 1933 wurde Korb nach zweimonatiger Untersuchungshaft auf Kaution aus dem Landesgericht entlassen. Einen Monat später verurteilte ihn das Landesgericht Wien wegen Vergehens gegen die Sicherheit des Lebens (§ 335) unter Anwendung des „außerordentlichen Milderungsrechts“ zu zwei Monaten strengen Arrests unter Anrechnung der Untersuchungshaft.387 Gleichzeitig sprach es unsinnigerweise eine zweijährige Probezeit aus, obwohl gar keine Strafe mehr ausständig war. Nach Ansicht des Gerichts habe Korb nicht „in gerechter Notwehr“ gehandelt, da die SS-Männer selbst angegriffen hatten, er somit die gefährliche Situation heraufbeschworen habe und bei keinem der GegnerInnen eine Schuss- oder Stichwaffe oder Ähnliches vorgefunden worden war. Kein Zweifel bestand jedoch daran, dass Korb „aus Bestürzung, Furcht und Schrecken die Grenzen der nötigen Verteidigung überschritten habe“. Als außerordentliche Milderungsgründe erkannte das Gericht sein Geständnis, seine Unbescholtenheit und Aufregung an. Am 14. März 1934 gab der Oberste Gerichtshof der Berufung der Staatsanwaltschaft nach Erhöhung des Strafmaßes nach und verurteilte Korb unter Anrechnung der Untersuchungshaft zu vier Monaten Haft mit zweijähriger Bewährungsfrist.388 Der Schuldspruch war letztlich ein Fehlurteil, da das Gericht nicht eindeutig klären konnte, ob Korb tatsächlich auf Schafhauser eingestochen hatte, und war wohl den veränderten politischen Verhältnissen geschuldet.389 Fraglich ist, ob Korb Schützenhilfe durch den Gerichtssachverständigen erhielt, da mit der Untersuchung Philipp Schneider beauftragt worden war, der 1933 in die NSDAP eingetreten und ab Juli 1934 für den Sicherheits- und Nachrichtendienst der SS tätig war. Nach dem „Anschluss“ wurde Schneider Leiter des „Instituts für Gerichtliche Medizin und Kriminalistik“ in Wien und des „Krimi385 Vernehmung von Heinrich Korb v. 21. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 386 Ebd. 387 Hauptverhandlung v. 22. 1. 1933, ebd. 388 Beschluss des Obersten Gerichtshofs v. 14. 3. 1934, ebd. 389 Kurt Bauers Darstellung, dass Korb Schafhauser „durch einen gezielten Stich ins Herz“ getötet habe und „zu nur zwei Monaten Arrest bedingt verurteilt“ wurde, ist nicht korrekt, Bauer (2005), S. 126.

Der Ausgang der Wahlen

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naltechnischen Institutes des Reichskriminalpolizeiamtes“.390 Unaufgeklärt blieb der Angriff auf Alexander Valentin. Aus Korbs SS-Akten geht nicht hervor, dass er tatsächlich oder auch nur kurzfristig aus der SS ausgetreten sei.391 In den folgenden Jahren wurde er mehrmals verhaftet, von der Universität relegiert und kehrte schließlich in seine Heimatstadt Linz zurück, wo er in der Buchhandlung seines Vaters arbeitete.392 Dort fungierte er zunächst als Adjutant des Sturmbanns I der 37. SS-Standarte, dessen Führung er 1936 auch übernahm, und war ab Herbst 1935 auch für den SD im Einsatz. Im Frühjahr 1936 wurde er wegen Verdachts des Hochverrates ins Landesgericht Linz eingeliefert, nach drei Monaten Untersuchungshaft aber aus Mangel an Beweisen wieder auf freien Fuß gesetzt. Am 13.  März 1938 wurde er zum SS-Sturmbannführer befördert und zum Stabsführer des österreichischen SS-Abschnitts ernannt. Kurz darauf gab Himmler jedoch seiner Bitte um Überstellung zum SD nach und ernannte ihn am 21.  März 1938 zum Führer des SD-Unterabschnitts Oberösterreich. Ab Juni 1940 war Korb im Kriegseinsatz, diente aber nicht in der Waffen-SS, sondern in der Wehrmacht. 3.3 Der Ausgang der Wahlen

Am 23. April 1932, dem Tag vor der Wahl, kam es zu weiteren Zwischenfällen,393 als etwa eine Gruppe „Marxisten“ mit einem Lastauto vor einem NS-Wahllokal vorfuhr und das Haus mit Eiern beschoss, die mit Tinte gefüllt waren. In Wiener Neustadt ereigneten sich kleinere Plänkeleien zwischen sozialdemokratischen und nationalsozialistischen AnhängerInnen sowie eine Schießerei zwischen Schutzbündlern und Heimatschützern. In Brunn am Gebirge verprügelten Arbeiter einen Heimatschützer, der daraufhin einen Revolver zog und drei Schüsse abgab, jedoch niemanden verletzte. Im niederösterreichischen St.  Valentin an der Westbahn versuchten Nationalsozialisten eine christlichsoziale Versammlung zu sprengen. Am Tag der Wahl wurden in Wien 6.400 Wachebeamte in Alarmbereitschaft versetzt, fliegende Patrouillen einge390 Die Angabe von Alfred Baubin, dass Schneider mit Himmler verschwägert gewesen sei, wurde von Arias widerlegt, Arias (2009), S. 14–21. Das Protokoll von Baubin ist abgedruckt bei Oswald (1964), S. VI/1–2. 391 BArch (ehem. BDC), SSO  : Heinrich Korb. 392 Vernehmung von Heinrich Korb v. 21. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien II, Vr 4869/33. 393 Vgl. dazu die Berichterstattung in NFP, RP, AZ, Kl. Bl. v. 24. 4. 1932. Dem Sprengstoffattentat auf den Altbürgermeister und den ehemaligen Gemeinderat von Andritz am 23.  April 1932 dürften private Motive zugrunde gelegen sein. Angeklagt wurde u.a. auch der Sohn des Altbürgermeisters, der jedoch freige­sprochen wurde, RP v. 15. 12. 1932, S. 8 („Der Bombenanschlag in Andritz“)  ; NFP (Abendblatt) v. 14. 12. 1933, S. 4 („Der Bombenanschlag auf den Andritzer Altbürgermeister“).

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richtet, alle öffentlichen Gebäude und führenden Politiker unter rigorose Bewachung gestellt.394 „Nie wieder dürfen solche Wahlen abgehalten werden“, forderte die Neue Freie Presse in ihrem Resümee des Wahlkampfes und verurteilte sowohl die Ausschreitungen und „infame Verwilderung“ als auch die Passivität des Bürgertums. Trotz allem ging sie davon aus, dass sich am „Gesamtbild“ sehr wenig ändern werde. Möglicherweise würden „die Christlichsozialen ein wenig zurückgedrängt und die Deutschnatio­ nalen durch Nationalsozialisten im Gemeinderat abgelöst“ werden.395 Ebenso hatten Christlichsoziale wie Sozialdemokraten trotz der gewaltigen Wahlkampfpropaganda und des regen Besuchs der nationalsozialistischen Veranstaltungen diese völlig unterschätzt.396 Der überraschende Ausgang der Wahlen erschütterte das politische Gleichgewicht erheblich und stellte eine Zäsur in der Geschichte der Ersten Republik dar.397 Die Großdeutsche Volkspartei und der Landbund verzeichneten dramatische Stimmenverluste zugunsten der NSDAP und konnten nirgends mehr die für ein Grundmandat erforderlichen Stimmen erreichen. Auch für die Christlichsoziale Partei (CSP) brachten die Wahlen in Wien katastrophale Einbußen, erreichte sie doch in der Bundeshauptstadt nur 20,16 Prozent der Stimmen, während die SDAP gegenüber den Wahlen 1927 lediglich einige wenige tausend Stimmen einbüßte und ihre absolute Mehrheit mit 59 Prozent behaupten konnte. Hingegen waren die Verluste der CSP in den Bundesländern, wo sie stimmenstärkste Partei blieb, nicht so hoch, während die SDAP dort größere Einbrüche hinnehmen musste. Als Sieger der Wahl ging klar die NSDAP hervor, die in Wien auf 201.411 Stimmen kam, während sie bei den Nationalratswahlen 1930 in Wien gerade einmal 27.540 Stimmen, in ganz Österreich 111.627 erreicht hatte. Ein Ergebnis, mit dem auch Frauenfeld nicht annähernd gerechnet hatte, zumal er Ende 1931 davon ausgegangen war, dass rund 1.500 bis 2.000 Stimmen für den Gewinn eines Bezirksratsmandats nötig sein dürften und „mit etwa 50 Bezirksratsmandaten in Wien zu rechnen“ sei.398 Auch in den Bundesländern vervielfachte die NSDAP ihre Stimmen, wenn auch nicht so massiv wie in Wien, wo sie mit 15 Mandaten in den hundertköpfigen Gemeinderat einzog. Damit war die NSDAP in Wien mit 17,39 Prozent als drittstärkste Partei zwar die kleinste Fraktion im Gemeinderat, jedoch zu einer politischen Kraft geworden, die nicht länger übergangen werden konnte. Aber auch die KPÖ hatte 394 NFP v. 24. 4. 1932, S. 8 („Die polizeilichen Vorkehrungen am heutigen Tag“). 395 NFP v. 24. 4. 1932, S. 2 („Wahlen des Unsinns“). 396 Vgl. ausf. Schausberger (1995), S. 120–134. 397 Vgl. dazu Landtagswahlen (Gemeinderatswahlen) für Wien, Landtagwahlen für Niederösterreich und Salz­burg v. 24. April 1932, in  : Statistische Nachrichten 6 (1932)  ; Danneberg (1932)  ; Hänisch (1998). 398 Rundschreiben der GL Wien, o.  D. (ca.  Ende 1931, CR), ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

Der Ausgang der Wahlen

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Stimmengewinne verzeichnen können. Während die radikalen Parteien als Sieger aus der Wahl hervorgingen, war der bürgerliche Block gesprengt worden und gelang es der NSDAP in den folgenden Monaten, die deutschnationalen AnhängerInnen auf ihre Seite zu bringen. Die Wahlen hatten zu einer Zersplitterung des bürgerlichen Blocks geführt und das Zwei-Parteien- war durch ein Drei-Parteien-System abgelöst worden. Den erfolgreichen Wahlkampf beging die Wiener NSDAP mit einer „judenfreien Woche“, deren Auftakt das Verprügeln „missliebiger“ Studierender an der Technischen Universität (TU) bildete. Während das Rektorat keinerlei Schritte gegen die Krawalle unternahm, wurden zehn Studierende verletzt.399 In einem nach den Wahlen entwickelten „Generalsplan für den Nationalratswahlkampf“400 legte die Landesleitung der österreichischen NSDAP unter dem Punkt „Der ‚Ton‘ im Parlament“ ihre Richtlinien über das Auftreten der gewählten Vertreter fest  : Deren Aufgabe „besteht (…) nicht darin, sich anzupassen, der fragwürdigen ‚Würde des Hohen Hauses‘ Rechnung zu tragen, leise zu treten und gedämpft zu reden“. Überall dort, „wo Nationalsozialisten einziehen(,) hat sofort alles anders zu werden. Die NSDAP ist eine Kampfbewegung, die sich zum Ziel gesetzt hat, die Macht im Staate zu erobern. Eroberer aber treten nicht in Filzpantoffeln auf, sondern in Kürassierstiefeln. Sie geben auf jeden Schlag, der gegen sie geführt wird, zweie zurück und setzen auf jeden groben Klotz einen noch gröberen Keil. Darunter braucht im übrigen (sic  !) die sachliche Leistung nicht im mindesten zu leiden. Man kann saugrob und gleichzeitig ungeheuer sachlich und tüchtig sein.“ Wie sich die Politik zukünftig gestalten sollte, machte dann gleich die erste Sitzung des Wiener Gemeinderates am 24.  Mai deutlich.401 Schon Stunden vor Beginn der Sitzung waren Rathaus und Parlament sowie die Seitenstraßen von einem Polizeikordon abgesperrt, auch berittene Polizei war aufgeboten worden und Überfallsautos schafften immer neue Polizeikräfte heran, bis die Umgebung des Rathauses „einem Heerlager glich“.402 Im Laufe des Nachmittags hatten sich bereits zahlreiche NationalsozialistInnen eingefunden und vor dem Volksgarten die ersten jüdischen PassantInnen verprügelt. Gleichzeitig kam es vor dem Parlament und der Reichsratstraße zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Nationalsozialisten und Kommunisten, die von hinzukommenden Sozialdemokraten Unterstützung erhielten. 399 NFP v. 26. 4. 1932, S. 2 („Es wird wieder geprügelt“)  ; Kl. Bl. v. 26. 4. 1932, S. 4 („Plattenbrüder an der Hoch­schule“). 400 Generalsplan für den Nationalratswahlkampf der LL Österreich der NSDAP (Abt. Ia), o.  D. (nach 24. 4. 1932, CR), BArch/R 187, Zl. 305, Herv. i. Orig. 401 Vgl. dazu ausf. Schausberger (1995). 402 RP v. 25. 5. 1932, S. 3 („Konstituierung des Gemeinderates unter Polizeiassistenz“).

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Die Entwicklung der Wiener NSDAP unter Alfred Eduard Frauenfeld

Inzwischen hatten sich Gauleiter Frauenfeld und die nationalsozialistischen Gemeinderäte unter Begleitung einiger hundert AnhängerInnen vom Gasthaus Tischler403 zum Rathaus begeben,404 wo sie von „tosenden Sprechchören und wiederholten ‚Heil-Hitler‘-Rufen“ ihrer ParteigängerInnen begrüßt wurden.405 Nachdem die nationalsozialistischen Gemeinderäte das Gebäude betreten hatten, versuchten die vor dem Burgtheater postierten NationalsozialistInnen, den Wachekordon zu durchbrechen. Obwohl die Polizeireihen rasch verstärkt wurden, gelang es ca. 150 NationalsozialistInnen auf die Treppen vor dem Rathaus vorzudringen, wo ihnen von der Wiener Gemeindewache der Zutritt verwehrt wurde. Unterdessen begann im Sitzungssaal des Rathauses, dessen Galerie mehrheitlich von sozialdemokratischen AnhängerInnen besetzt war, der Einzug der Abgeordneten, wobei das gegnerische Publikum die in Parteiuniform erschienenen Nationalsozialisten mit der üblichen Begrüßung „Nazdar, Pane Suchanek“, „Nazdar, Pane Kusicza“ empfingen, womit auf die tschechische Herkunft der „aufgenordeten“ Abgeordneten Richard Suchenwirth406 und Raimund Haintz hingewiesen wurde. Während der stürmischen Sitzung, in deren Verlauf sich die gegnerischen Parteien in den üblichen Beschimpfungen ergingen, kam es zwischenzeitlich zu einem „bedrohlichen Augenblick“, der kurzzeitig ein „Handgemenge befürchten“ ließ.407 Dieses trat dann aber erst während einer längeren Sitzungsunterbrechung ein, als sich auf den Stiegen und Gängen des Rathauses sozialdemokratische und nationalsozialistische ParteigängerInnen eine „erbitterte Rauferei“ lieferten.408 Inzwischen hatten sich in der Umgebung des Rathauses etwa 2.000 nationalsozialistische DemonstrantInnen versammelt, die nach Beginn der Sitzung von der Polizei zerstreut wurden. Daraufhin griff ein Trupp Nationalsozialisten einen Straßenbahnzug an, weil „die Fahrgäste“ angeblich „abfällige Bemerkungen auf die Straße gerufen“ hätten, und demolierten die Scheiben des Wagens.409 Vor dem Burgtheater attackierten sie einen „jüdisch aussehende(n) Passanten“,410 im Garten des „Künstlercafés“ wurden Sessel und Tische umgeworfen und die Gäste in der Milchbar im Votivpark von „kleine(n) Stoßtruppen“ angegriffen.411 Vor der Universität verprügelte ein nationalsozialistischer Mob einen jüdischen Studenten, stürmte jüdische Geschäfte 403 Im Gasthaus Tischler hatte 1926 die erste Sitzung der neugegründeten österreichischen NSDAPHitlerbewe­gung stattgefunden. 404 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 24. 5. 1932. 405 RP v. 25. 5. 1932, S. 5 („Demonstrationen vor dem Rathaus“). 406 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 455. 407 NFP v. 25. 5. 1932, S. 4 („Stürmische Konstituierung des Wiener Gemeinderates und Landtages“). 408 RP v. 25. 5.1932, S. 4 („Konstituierung des Gemeinderates unter Polizeiassistenz“). 409 NFP v. 25. 5. 1932, S. 4f. („Straßenunruhen rings um das Rathaus“). 410 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 24. 5. 1932. 411 RP v. 25. 5. 1932, S. 5 („Die Demonstrationen vor dem Rathaus“).

Der Ausgang der Wahlen

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Abb. 28: Die NSDAP-Gemeinderäte vor dem Wiener Rathaus, 1932, Archiv der BPD Wien

und attackierte deren Inhaber ebenso wie jüdische Passanten auf der Straße. Ein ca. dreißig Mann starker Nazi-Trupp marschierte in die Judengasse ein, wo Geschäftsscheiben eingeschlagen wurden. Die jüdischen Kaufleute setzten sich mit Holzprügeln und Stangen gegen die Eindringlinge zur Wehr,412 bis es der Polizei schließlich gelang, die Gasse zu räumen. Zwei Nationalsozialisten wurden dabei leicht verletzt. Auch bei der Augartenbrücke kam es zu einer Schlägerei zwischen Nationalsozialisten und jüdischen Passanten. Während der stundenlang andauernden Krawalle verhaftete die Sicherheitswache 13 Personen. In ihrem Abschlussbericht nannte die Bundes-Polizeidirektion Wien ausschließlich die Verletzungen von Nationalsozialisten und stellte fest, dass „die aus Anlass dieser Vorgänge verbreiteten Gerüchte über schwere Ruhestörungen und Gewalttätigkeiten (…) nicht den Tatsachen (entsprechen)“.413 Mit dem Einzug der nationalsozialistischen Regierungsvertreter veränderte sich die politische Kultur schlagartig. Die Gewalt der Straße setzte sich nun auch auf politi412 Kl. Bl. v. 25. 5. 1932, S. 4 („Nazistrolche aus der Judengasse hinausgeprügelt“). 413 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 24. 5. 1932.

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Die Entwicklung der Wiener NSDAP unter Alfred Eduard Frauenfeld

scher Ebene fort, handgreifliche Auseinandersetzungen zwischen nationalsozialistischen Abgeordneten und ihren GegnerInnen lösten die politischen Diskussionen im Wiener Gemeinderat und Landtag ab.414 Die lautstarken, zeitweise in tätliche Krawalle mündenden Debatten sollten laut der Darstellung Frauenfelds vor allem den Sitzungen im Landtag vorbehalten bleiben, da hier die Geschäftsordnung keinen Ausschluss von der Sitzung, sondern nur Ordnungsrufe vorsah. Die politischen Debatten fingen Frauenfeld zufolge415 „bei Zwischenrufen an“, die von der Gegenseite entsprechend beantwortet wurden, und mündeten dann in die „üblichen Tumulte“. Diese Taktik wurde erstmals am 1. Juli im Wiener Landtag angewandt, den die NS-Mandatare in einen „Kriegsschauplatz“ verwandelten.416

414 So kam es am 30. September 1932 zu einer Schlägerei im Gemeinderat zwischen mit Gummiknütteln und Stahlruten bewaffneten nationalsozialistischen Gemeinderäten und Abgeordneten der Sozialdemokratie, die sich mit Aschenbechern, Wassergläsern und Sesseln zur Wehr setzten. Verletzt wurden dabei aufseiten der Nationalsozialisten die Abgeordneten Frauenfeld, Johann Grießler, Kurt Hanke, Richard Suchenwirth sowie Johann Hölzl, auf sozialdemokratischer Seite Hermann Fischer, Anton Grolig und Leopold Albrecht, Botz (1983), S. 359. 415 Frauenfeld (1978), S. 74. 416 RP v. 2. 7. 1932, S. 3 („Großrauftag im Wiener Landtag“). Auslöser der Schlägerei war der Versuch der nationalsozialistischen Abgeordneten, „den von der Mehrheit gewählten Dr. Danneberg vom Vorsitz im Wiener Landtag zu vertreiben“. Dannebergs Versuch, eine reguläre Sitzung abzuhalten, „versank in einem Chaos von Lärm und Zwischenrufen“, bis Frauenfeld plötzlich „aus seiner Bank auf die Sozialdemokraten zu(stürzte), seine Parteifreunde (…) ihm im Nu (folgten) und in derselben Sekunde (…) eine regelrechte Keilerei zwischen beiden Parteien im Gange (war). Fäuste trommeln beiderseits auf die Köpfe. Man kann dabei die Beobachtung machen“, so die christlichsoziale Reichspost, „daß die Nationalsozialisten in solchen Dingen beschlagen sind. Das Raufen verstehen sie. Etliche Sozialdemokraten bekamen dabei tüchtige Hiebe ab, aber auch bei einigen Nationalsozialisten geriet die Frisur in Unordnung. Unter den Sozialdemokraten drängte sich Abg. Jalgotzy (sic  !, richtig  : Alois Jalkotzy, CR), vor, der unvorsichtigerweise den Zwicker auf der Nase beließ. Er bekam einen Hieb ab, der die Augengläser zertrümmerte. Wie berichtet wird, ist ein Auge Jalgotzys (sic  !) verletzt. Die Rauferei dauert fort, bis es den sozialdemokratischen Ordnern endlich gelang, sich zwischen die Raufenden zu schieben und sie zu trennen. Die Nationalsozialisten blieben stolz auf der Kampfstätte, während sich die Sozialdemokraten verdattert auf ihre Bänke zurückziehen und weiterhin die ganze Landtagssitzung hindurch die Hitlerleute in ihrem Treiben kaum mehr ernstlich stören.“ Die erneuten Versuche Robert Dannebergs, die Sitzung fortzuführen, wurden mit Sprechchören der Nazis, wie „Horuck nach Palästina  !“, „Kein Landtag mit Dr. Danneberg mehr  !“ und „Herunter mit dem Juden  !“ sowie dem Absingen von Kampfliedern verhindert, ebd.

4. Der Aufstieg der Wiener SS im Sommer 1932

4.1 Die Expansion der Wiener SS

Seit Anfang 1932 hatten die rege Propagandatätigkeit der Partei und die Wahlerfolge der deutschen NSDAP den Ortsgruppen gewaltige Stimmenzuwächse gebracht, deren Mitgliedszahlen nach den erfolgreichen Wahlen kontinuierlich anstiegen. Während im Oktober 1931 etwa 4.200 Mitglieder in der Wiener NSDAP organisiert waren,417 umfasste sie ein Jahr später bereits 18.050 ParteigenossInnen.418 Im Jänner 1933 waren bundesweit 43.129 Mitglieder in die NSDAP eingetreten, wovon mehr als 28.700 auf Wien und Niederösterreich entfielen.419 Einschränkend muss jedoch bemerkt werden, dass die von der Gauleitung Wien angegebenen Stärkezahlen – zumindest in einzelnen Bezirken – nicht immer mit dem tatsächlichen Mitgliederstand übereinstimmten. So stellte der Leiter der Bezirksgruppe Hernals im Mai 1933 bei der Überprüfung der Kassengebarung fest, dass der tatsächliche Mitgliederstand des Bezirks in den Monaten Juli 1932 bis April 1933 zwischen vierzig und 150 Personen niedriger gewesen war als die an die Landesleitung gemeldete Zahl.420 Ähnlich wie die Partei konnten auch die paramilitärischen Einheiten einen raschen Zuwachs ihrer Mitglieder verzeichnen, jedoch ist Francis L. Carstens Einschätzung zuzustimmen,421 dass die Sicherheitsbehörden, bedingt durch die wachsende öffentliche Präsenz der NSDAP, die tatsächliche Mitgliederzahl überschätzten. So ging die Wiener Polizei Anfang Februar 1932 von 40.000 Parteimitgliedern aus, wovon 14.000 allein auf Wien entfallen sollten.422 Tatsächlich hatte die Gauleitung Wien mit 7.771 Mitgliedern nur etwa die Hälfte der angenommenen Stärke erreicht.423 Nach dem gleichen Polizeibericht waren in der SA bundesweit ca. 11.000

417 Carsten (1977), S. 177. 418 Beutl (2006), S. 132. 419 Carsten (1977), S. 185. 420 Bezirksgruppe Hernals v. 22. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 421 Carsten (1977), S. 234. 422 Bericht der BPD Wien an die GföS v. 4. 2. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 151.674-GD. 2/1933. 423 BArch/R 187, Zl. 303.

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Der Aufstieg der Wiener SS im Sommer 1932

Mann organisiert,424 während ein Bericht der OSAF vom Oktober 1931 nur 6.042 Mitglieder anführt.425 Neben dem allgemeinen Aufschwung, den die NSDAP ab Mitte 1932 nahm, hing das schnelle Anwachsen der österreichischen SS auch damit zusammen, dass sie ab Sommer 1932 die Organisation des Abschnitts wesentlich professionalisieren konnte, da am 16. Juni 1932 der reichsdeutsche Jurist und SS-Standartenführer Walter Graeschke426 zum Kommandanten des Abschnitts VIII ernannt wurde, der ebenso wie Stabsführer Turza als hauptamtlicher Führer eingesetzt war. Unter Graeschkes Führung konnte der inzwischen nach Linz verlegte österreichische Abschnitt auf organisatorische Beine gestellt werden und begann eine intensive Werbetätigkeit für die SS. Gleichzeitig führten Graeschkes überzogene Ansprüche an die Standarten sowie sein undiplomatisches und unvorsichtiges Auftreten in den folgenden Monaten zu zahlreichen Streitigkeiten innerhalb der SS und seiner frühzeitigen Abberufung. In Wien erhielt die SS tatkräftige Unterstützung durch Gauleiter Frauenfeld, der in ständigen Differenzen mit SA-Führer Reschny stand und den Ausbau der SS förderte.427 So lehnte er etwa die Forderung Reschnys,428 nach der alle aktiven Parteimitglieder in die SA eintreten sollten, ab. Der Wiener SA-Standartenführer Alois Peschel beschwerte sich wiederum bei Reschny über die unzureichenden finanziellen Mittel und die mangelhafte Ausrüstung der Wiener SA.429 Ende Juni 1932 konstatierte der Wiener SA-Sturmbannführer Walter Könitzer,430 dass zwischen der SA und „gewissen Gliederungen der Partei eine zunehmende Entfremdung“ eingetreten und der Einfluss der SA völlig hinter jener der politischen Führung zurückgetreten sei  : 424 Bericht der BPD Wien an die GföS v. 4. 2. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 151.674-GD. 2/1933. 425 Der OSAF (Abt. I.) an die Reichsführerschule München v. 16. 12. 1931, BArch/NS 23, Zl. 337, zit. n. Schafra­nek (2006), S. 75. 426 Walter Graeschke, 1898 als Sohn eines Ökonomierates in Berlin geboren, hatte sich nach dem Abitur freiwil­lig zur Front gemeldet und zuletzt als Leutnant in einem Feldartillerieregiment gedient. Nach Kriegs­ende schloss er sich 1919 den Gardekavallerieschützen an. Als Mitglied des „Schutzregiments Großberlin“ war er am Kapp-Putsch beteiligt gewesen, trat 1921 dem oberschlesischen Selbstschutz und später dem „Kampfverband Olympia“ bei. 1919 begann er an der Universität Berlin mit dem Studium der Rechtswis­senschaften, das er an der Universität Gießen abschloss. 1926 wurde er Mitglied der NSDAP und der SA und wechselte im Oktober 1931 zur SS über, in welcher er nach bereits acht Monaten zum Standartenführer und im September 1932 zum Oberführer befördert wurde, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Graeschke. 427 So u.a. Schausberger (1978), S. 225  ; Walser (1983), S. 67. 428 Frauenfeld (1978), S. 66. 429 Beutl (2006), S. 145  ; zu den Streitigkeiten zwischen P.O. und SA vgl. auch Steele (1991), S. 390–392. 430 Vierteljahresbericht v. April–Juni 1932 des Führers des Sturmbanns I/24, Walter Könitzer, v. 30. 6. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

Die Expansion der Wiener SS

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„Während früher die SA das Fundament der Bewegung war, und dieser Stellung entsprechende Rechte und hiedurch entsprechenden Auftrieb besass, wird heute die Bewegung durch die Politische Organisation verkörpert. Alle Macht und so auch die Finanzhoheit liegt (sic  !) in den Händen der politischen Leitung. Diese besitzt eine exakte rein politische Zielsetzung, die in hochaktiver Arbeit erreicht wird und der alle Mühen und Opfer der SA ausschließlich zugute kommen, während die Truppe immer weiter zurückgedrängt wird.“

Zwar sei die „Einstellung der politischen Leitung im Sturmbannbereich keinesfalls SA-feindlich“, jedoch „unterbleibt jede nennenswerte Förderung der SA, weil sich die Truppe der politischen Leitung gegenüber in einem Zustande völliger Rechtlosigkeit befindet, und die nüchterne Einstellung dieser Leitung anderen Parteigliederungen gegenüber nur jene Leistungen erwarten lässt, zu denen sie parteiamtlich verpflichtet erscheint“. Die Finanzierung könne überhaupt nur noch durch „parteiillegale Handlungen am Leben“ gehalten werden. Hingegen stellte Könitzer fest, dass die „politische Leitung in der SS ein brauchbares Instrument“ sehe, „da sie dieser Truppe weitgehende Förderung angedeihen lässt“. Handschriftlich hatte der Führer der Standarte, Otto Schuckat, noch am Rand hinzugefügt, dass „der Anlass zu diesem Missverständnis von der Gauleitung gegeben werde“. Neben Frauenfelds Streitigkeiten mit Reschny dürfte die SS auch deshalb bevorzugt behandelt worden sein, weil die Politische Leitung zur Durchführung ihrer zahlreichen Aktivitäten eine schlagkräftige SS-Truppe für Ordnerdienste und Versammlungsschutz sowie für den aufwendigen Wachdienst im „Adolf-Hitler-Haus“ benötigte. Ihre Effizienz als schnelle Eingreiftruppe hatte die SS bereits während des Wahlkampfes unter Beweis gestellt. Durch den ständigen Wachdienst im „AdolfHitler-Haus“ war es der SS möglich, eine schnelle Mobilisierung ihrer Mitglieder durchzuführen. Gleichzeitig zentrierte sich bis Ende 1932 die Führungsspitze der SS rund um das „Adolf-Hitler-Haus“, in dessen Garage ständig ein Personenauto sowie drei Motorräder mit Beiwagen eingestellt waren431 und wo auch die diensttuenden SA-Männer der Motorstaffel ihre Beiwagenmaschinen unterzubringen hatten.432 Im Zusammenhang mit der Schilderung einer Propagandafahrt im Zuge des Wahlkampfes berichtete ein Mitglied des Wiener NSKK auch über den Einsatz der SS als schneller Einsatztruppe.433 Die vier Mann zählende NSKK-Schar war kurz vor der Wahl „mit Kleistertiegel, Flugzetteln, Plakaten und einer großen Dosis Unterneh431 Meldung des Kommissariats Neubau v. 21. 12. 1932, WStLA, LGfS Wien I, Vg 8210/32. 432 SA-Befehl Nr. 5 des Führers der Untergruppe Wien v. 13. 9. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 433 Der Kampfruf v. 16. 4. 1932, S. 3 („Zwei Tage NSKK-Dienst“).

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mungsgeist (ausgerüstet)“ zunächst ins niederösterreichische Laab am Walde aufgebrochen, um die am Tag darauf stattfindende Versammlung vorzubereiten, indem sie den „ganzen Ort mit Flugzetteln überschwemmt(e)“. Auf der Rückfahrt trafen sie in Traiskirchen, wo die örtliche NSDAP eine Versammlung abhielt, auf eine aufgeregte Menschenmenge und sahen „einige verwundete SA-Leute (heran)wanken“. Diese teilten ihnen mit, dass gerade eine Saalschlacht mit den „Marxisten“ in Gange und die Gendarmerie zu schwach sei und sie dringend Verstärkung aus Wien bräuchten. Die NSKK-Männer fuhren daraufhin zur Stadtgrenze und erstatteten vom ersten auffindbaren Fernsprecher Meldung im „Hitlerhaus“. Der SS-Wachdienst teilte ihnen „kurz und knapp“ mit, dass „in zwanzig Minuten (…) 35 Mann SS startbereit“ wären. Wenig später traf ein SS-Mann, vermutlich der Führer der Truppe, bei den NSKK-Männern ein und kurz darauf auch der Wagen der SS. Gemeinsam fuhren sie nach Traiskirchen, wo aber mittlerweile wieder Ruhe eingekehrt war. Dennoch „durchstreifte“ die SS den Ort, bis ihnen von der Gendarmerie mitgeteilt wurde, dass die NationalsozialistInnen diesen bereits verlassen hatten, woraufhin die Gruppe wieder nach Wien zurückfuhr. Neben der sprunghaften Steigerung der Mitgliederzahlen zeigt sich die Expansion der Wiener SS auch anhand des Aufbaus ihrer Sonderformationen. Bis Ende 1932 stellte die Standarte neben den drei Sturmbannen mit insgesamt neun Stürmen eine Motorstaffel mit drei Stürmen, einen Musikzug mit zwei Spielmannszügen, einen Reiter- und Fliegersturm sowie eine Sanitätsabteilung auf. 4.1.1 Die Motorstürme

Die Bildung des ersten Motorsturms (MST) der Wiener SS ging auf die Initiative des 27-jährigen Kunstglasergehilfen Ernst Weigensamer434 zurück, der Ende 1930 der SS beigetreten war. Nach der Aufstellung der 11. SS-Standarte übernahm er, da er als einer der wenigen SS-Mitglieder ein Motorrad besaß, die Führung der „motorisierten Verbindungsschar“ zum Abschnitt. Weigensamer hatte vor seinem Eintritt in die Schutzstaffel weder der Partei noch einer ihrer Gliederungen angehört, sondern kam über die Freikorpsverbände zur NSDAP. Bereits als Jugendlicher hatte er sich dem militärischen Knabenfort und den Jungschützen angeschlossen und war danach im „Freikorps Roßbach“ aktiv gewesen. Von 1922 bis 1929 hielt er sich in Italien auf, wo er als Geschäftsführer eines großen Glasereibetriebes tätig war. Ein Jahr nach seiner Rückkehr nach Wien trat er in die NSDAP und SS ein.

434 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Ernst Weigensamer.

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Als weitere Führer der Motorstaffel kamen im Laufe der folgenden Jahre u.a. noch der Chauffeur Franz Kunze435 und der Gastwirt Robert Bandera,436 der ab 1933 den Motorradsturm der Wiener SS anführte, hinzu. Im Dezember 1932 übernahm Anton Ziegler die Führung der Motorstaffel,437 mit Rudolf Ammersin als Stabsführer,438 der auch als Chauffeur für Standartenführer Fitzthum fungierte. Bis Anfang März 1933 hatten sich der Wiener Motorstaffel 52 SS-Männer angeschlossen.439 Die Inspektion aller Motorstürme und ‑staffeln der SA und SS oblag spätestens ab Juli 1931 dem stellvertretenden Führer des NSKK, Major a. D. Adolf Hühnlein, der jedoch nur „eine beratende“ Funktion hatte und dem Chef des Stabes Abb. 29: Ernst Weigensamer, BArch unterstellt war.440 Hühnleins Aufgabe bestand darin, die „kraftfahrtechnische Ausbildung“ der motorisierten Einheiten „auf eine möglichst hohe Stufe zu bringen und die Einheitlichkeit der Organisation und Ausbildung sicherzustellen“. Als Vertreter Hühnleins fungierte der SS-Reichsstaffelführer Major a. D. Heinrich Häfner, der ihn bei Abwesenheit zu vertreten hatte und berechtigt war, „bei Ausübung seiner Außentätigkeit für die SS-Motorstürme Fragen der SA-Motorstürme im Auftrage mitzuerledigen“. Der innere Dienst verlief für die Angehörigen der motorisierten Truppe ähnlich wie für die übrigen Einheiten.441 Sie hatten zumindest einmal wöchentlich einen Appell abzuhalten und möglichst geschlossen an den Appellen der Standarten und Sturm435 BArch (ehem. BDC), RS  : Franz Kunze  ; ÖSTA/AdR, GA  : Franz Kunze, Zl. 193.661. 436 BArch (ehem. BDC), PK, RS  : Robert Bandera. 437 WStLA, GAW  : Anton Ziegler, Zl. 812. 438 BArch (ehem. BDC), SSO  : Rudolf Ammersin. 439 Meldung des Stärkestandes der 11. SS-Standarte v. 3.  3.  1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 440 Dienstanweisung für den Inspekteur der SA- und SS-Motorstürme und Staffeln v. 31. 7. 1931, ÖSTA/ AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 441 RFSS, Anweisungen über Ergänzung, Ausbildung und Verwendung etc. der SS-Motorstürme v. Dezember 1930, BArch/NS 19, Zl. 1934.

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Der Aufstieg der Wiener SS im Sommer 1932

banne teilzunehmen. „Zur Festigung der Disziplin“ waren Frei- und Einzelübungen im Gruppenverband abzuhalten. Bei jedem Appell hatte neben der Fahrzeugkontrolle auch „theoretischer Unterricht über Behandlung der Fahrzeuge, Behebung kleinerer Störungen etc.“ stattzufinden. Weiters waren Fahrübungen in der Kolonne und in Verbindung mit „praktischen Aufträgen“ sowie kleinere Treffen für gemeinsame Ausfahrten durchzuführen. Sternfahrten, Rennen etc. durften nur mit Genehmigung der Leitung erfolgen. Jedes Vierteljahr waren Stafettenfahrten durch einzelne Gaue oder über größere Strecken abzuhalten, um „das Zusammenspiel der MST untereinander (zu) erhöhen“. Die Fahrt zum Reichsparteitag war von der Motorstaffel als Sternfahrt zu absolvieren. Die Motorstaffel hatte weiters die „Bereitstellung von Kraftfahrzeugen aller Art für die Zwecke der SS, Beförderung von führenden Persönlichkeiten der SS, (den) Propagandadienst, die Verbesserung der Verbindung innerhalb der Ortsgruppen, Bestellung zuverläßiger Melder, sowie sonstige Spezialaufgaben“ zu übernehmen. Im August 1931 ordnete Himmler an,442 dass all jene „Parteimitglieder und Freunde“, die sich den SS-Motorstürmen zwar zur Verfügung stellen möchten, aber etwa aus beruflichen Gründen nicht in der Lage seien, an den Dienstappellen teilzunehmen, als „beurlaubt“ in die Motorstürme aufgenommen werden sollten, sofern sie sich verpflichteten, einmal im Monat zu einem Appell zu erscheinen und allen Fahrtanforderungen nachzukommen. 4.1.2 Der Musikzug

Die Musikabteilung der Wiener SS war Anfang 1931 von den beiden Amateurmusikern Julius Pfaffenmayer und Karl Regnemer gegründet worden, die beide im Dezember 1930 der SS beigetreten waren. Im Gegensatz zum Großteil der frühen SS-Mitglieder stammte der damals dreißigjährige Kaufmann Julius Pfaffenmayer,443 dessen Vater eine Metallwarenfabrik besaß, aus gut situierten Verhältnissen. Pfaffenmayer hatte sich als 17-Jähriger freiwillig zur Front gemeldet und war bis Kriegsende im 4. Sappeur-Bataillon im Einsatz gewesen. 1925 trat er in die SA und NSDAP ein und gründete nach seinem Übertritt zur SS den Spielmannszug der Wiener Schutzstaffel. Nach dem Parteiverbot führte Pfaffenmayer bis zum „Anschluss“ den Sturmbann  I der Wiener SS. Karl Regnemer,444 1910 in Wien geboren, arbeitete als Schlosser bei der Zentrale der Österreichischen Bundesbahnen. 1925 wurde er im Alter von 15 Jahren in 442 SS-Befehl A-Nr. 40 v. 20. 8. 1931, ebd. 443 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Julius Pfaffenmayer. 444 BArch (ehem. BDC), PK  : Karl Regnemer  ; WStLA, GAW  : Karl Regnemer, Zl. 5.577.

Die Expansion der Wiener SS

Abb. 30: Julius Pfaffenmayer, 1932, FAA

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Abb. 31: Karl Regnemer, n. 1937, WStLA

die DNSAP aufgenommen, die er nach der Parteispaltung verließ. 1928 trat er der ­NSDAP bei. 1924 wurde er zunächst Mitglied des „Freikorps Schlageter“, bis er über die HJ 1927 zur SA kam. Im Dezember 1930 schloss er sich der SS an, für die er zunächst als Kornettist, danach auch als Leiter eines Spielmannszugs aktiv war. Seine ersten Auftritte bestritt der Wiener Spielmannszug bei zwei im September und Dezember 1931 abgehaltenen Führerappellen.445 Anfang März 1933 zählte das Musikkorps der Wiener Standarte inklusive der Anwärter 36 Mitglieder.446 Als Spielmannszug (SZ) wurde der Musiktrupp eines Sturmbanns, als Musikzug (MZ) jener einer Standarte bezeichnet. Ab Juli 1931 hatte jeder vollständig aufgestellte Sturmbann einen Spielmannszug zu initiieren.447 Dieser bestand aus je acht Trommlern und Pfeifern mit Ordonnanztrommeln und Querpfeifen sowie dem Führer des Zuges, der einen Tambour-Majorstab und als Sturmbannhornist ein Signalhorn zu führen hatte. Die Pfeifer durften „auf besonderen Befehl“ darüber hinaus auch Signalhörner 445 Der Kampfruf v. 2. 1. 1932, S. 6 („Ein Jahr des Kampfes und des Aufstieges in Wien“). 446 Meldung des Stärkestandes der 11. SS-Standarte v. 3.  3.  1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg. 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 447 SS-Befehl Nr. 35 v. 13. 7. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934, Herv. i. Orig.

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Der Aufstieg der Wiener SS im Sommer 1932

Abb. 32: Spielmannszug der SS am „Simmeringer Blutsonntag“, 16.10.1932, re. daneben Karl Heinz Urban, ­dahinter Johann Ziegler und Oskar Riesenhuber, FAA

oder -trompeten führen. Der Musikzug einer Standarte bestand aus 24 Musikern und drei Reserveleuten sowie dem MZ-Führer. Jede Standarte erhielt von Himmler einen „besonderen Parademarsch“ zugeteilt.448 Die Mitglieder des Spielmannszuges waren durch „Schwalbennester mit senkrechten schwarz-silbernen Streifen ohne Fransen“ an der Uniform gekennzeichnet und trugen in der Mitte des linken Spiegels eine kleine silberne Lyra. Sie hatten „in erster Linie SS-Männer, in zweiter Linie Spielleute oder Musiker zu sein“ und genossen keine Sonderrechte. Die Musik- und Spielmannszüge verfügten über eigene Geldverwalter und durften bei Konzerten nur mit einem vom RFSS vorgeschriebenen Vertrag auftreten.

448 Über die den österreichischen Standarten zugeteilten Märsche konnten keine Hinweise aufgefunden werden.

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4.1.3 Das Sanitätswesen

Mit Erlass vom 22. April 1931449 wurde für die SA und SS eine Reichsärzteführung eingerichtet, die aus dem Reichsarzt, seinem Stellvertreter und nach Bedarf ein bis zwei Hilfskräften bestand. Der Reichsarzt hatte den Chef des Stabes in allen Sanitätsangelegenheiten zu beraten. Für alle Einheiten vom Abschnitt abwärts bis zum Sturmbann sollte ein Arzt bestellt werden, der als Fachberater zu fungieren und die Organisation des Sanitätswesens zu übernehmen hatte. Die Ärzte wurden auf Vorschlag des Führers ihrer Formation nach Zustimmung durch den Reichsarzt und den RFSS vom Obersten SA-Führer ernannt. Sie trugen keine Sanitätsarmbinde, sondern waren durch den Äskulapstab auf dem Kragenspiegel der Uniform gekennzeichnet. Weiters waren die SS-Ärzte für die Ausbildung der Sanitätsmänner450 zuständig. Auf jeweils dreißig SA- oder SS-Männer sollte ein Sanitätsmann entfallen, der neben der allgemeinen noch eine Sonderausbildung zu absolvieren hatte, wobei die Kurse des Roten Kreuzes als die „beste(n) und vorteilhafteste(n)“ angesehen wurden. Im Falle, dass der SS-Arzt die Ausbildung selbst vornahm, mussten die Sanitätsmänner am Ende in Anwesenheit der aktiven Führer eine Prüfung ablegen. Im Gegensatz zu den Ärzten trugen die Sanitätsführer eine Sanitätsbinde am linken Oberarm des Dienstanzuges. Bei Aufmärschen und Parteitagen konnten die Sanitätsmänner zu einer Sanitätsformation zusammengezogen werden, deren Führung ein Sanitätstruppführer zu übernehmen hatte. Mitte November 1932 wurde in Wien ein ärztlicher Dauerdienst der SA- und SS-Sanitätsstellen eingerichtet. Der zum „Hauptdienst“ eingeteilte Arzt musste sich in telefonischer Bereitschaft halten, sich bei Straßenveranstaltungen im „Adolf-Hitler-Haus“, bei großen Veranstaltungen zusammen mit dem Sanitätspersonal am Versammlungsort aufhalten.451 Für die Aufstellung der Wiener SS-Sanität wurde im Jänner 1932 der stellvertretende Gruppenarzt der SA-Gruppe Österreich, Walter Ott, zur SS überstellt.452 Im November 1932 wurde Ott zum Sturmführer und endgültig mit der Führung der Geschäfte des Standartenarztes der 11. SS-Standarte betraut. Im Juni 1933 erfolgte seine Beförderung zum SS-Hauptsturmführer. Verstärkung erhielt Ott im Sommer 1932 durch den Beitritt des Wiener Arztes Fritz EulerRolle in die Schutzstaffel.453 Als erster Wiener SS-Angehöriger wurde der 21-jährige 449 Der Oberste SA-Führer, Erlaß Nr. 4  : Sanitätswesen für SA und SS v. 22. 4. 1931, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 450 Die Bezeichnung für das Sanitätspersonal der SS hatte nach Erlaß des OSAF „Sanitätsmann“ zu heißen, wäh­rend der „häßliche und sprachlich unmögliche Ausdruck ‚Sanitäter‘ (…) verboten“ war, ebd. 451 SA-Sanitätsbefehl Nr. 2 v. 16. 11. 1932, ebd. 452 BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Ott, vgl. auch Otts Kurzbiografie, S. 39f., 596f. 453 BArch (ehem. BDC), RS  : Fritz Euler-Rolle.

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Bankbeamte Michael Pistor zum Sanitätsmann ausgebildet.454 Pistor war kurz nach seinem älteren Bruder Emil im Mai 1932 in die NSDAP und SS eingetreten und wurde von Ott im Juli 1932 zum Sanitätsscharführer vorgeschlagen. Er blieb nur wenige Monate Otts Stab zugeteilt, bis er im November 1932 zum Verwaltungsführer der Standarte ernannt wurde. Auf der bereits erwähnten Führerbesprechung Mitte Juni 1931 diskutierten die Spitzen der SS auch über den Aufbau des Sanitätswesens und einer SS-Ärzteorganisation.455 Im Vordergrund standen dabei eugenische Maßnahmen für die SS. Möglichst rasch sollten Ärzte „zuerst mit der SS in nähere Verbindung“ kommen und „von dieser bearbeitet werden“, sich der SS anzuschließen, um einen kleinen Sanitätstrupp ausbilden und jeder Standarte einen SS-Arzt zur Verfügung stellen zu können. Mittels ärztlicher Reihenuntersuchungen, „dem 1. Glied in der Rassen-Auslese“, sollte der „Gefährdung des Trupps durch Psychopathen und Epileptiker“, Geschlechtskranke, Homosexuelle und sonstige chronisch Kranke entgegengewirkt werden. Diese Maßnahme sollte nach SS-Richtlinien untaugliche Personen davon abhalten, überhaupt um Aufnahme anzusuchen. Sechs Monate nach dem Führertreffen ordnete Himmler die Überprüfung aller bisher aufgenommenen SS-Männer und der zukünftigen Bewerber an.456 Binnen zweier Monate hatten die SS-Ärzte die gesamte Mannschaft zu untersuchen, wofür sog. „Mula’s“ (Mannschafts-Untersuchungs-Listen) ausgegeben wurden, in denen „die Gesichtspunkte, nach denen die SS-Ärzte“ ihre Untersuchungen durchzuführen hatten, detailliert aufgelistet waren. Zur Durchführung des Befehls wurde ein eigener „Dienstweg für die Mula’s“ eingerichtet. Die Ergebnisse waren über Himmler an den Reichsarzt-SS weiterzuleiten, der sie einer nochmaligen Überprüfung unterzog, und wurden danach von der Reichsstatistik-SS ausgewertet. Über den ReichsarztSS gelangten die Mula’s dann über den „Sanitäts Dienstwege“ wieder zurück an den zuständigen SS-Arzt, der diese „nach einer laufenden Liste“ nicht nur „in Schnellheftern (zeitlich geordnet) aufzubewahren“ hatte, sondern auch laufend auf dem neuesten Stand halten musste. In die Mula’s waren nicht nur Verwundungen und Unfälle einzutragen, sondern auch alle weiteren Erkrankungen, wofür ein eigenes „SS-KrankenMelde-Buch“ anzulegen war. Bereits aufgenommene SS-Männer, die als untauglich befunden worden waren, konnten bis zur endgültigen Entscheidung Himmlers auf eigene Verantwortung in der SS bleiben.457 454 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Michael Pistor. 455 Führerbesprechung v. 13. u. 14. 6. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934. 456 SS-Befehl A-Nr. 1 v. 24. 1. 1932, ebd. 457 Der RFSS, Verteiler V v. 4. 10. 1932, ebd., Zl. 1720.

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Abb. 33: 1. Reihe re., 2. v. re. Michael Pistor, daneben Hans Rahn und Johann Ziegler, ganz li. Franz Mazanek beim Abtransport der Verwundeten am „Simmeringer Blutsonntag“, 16.10.1932, FAA

Inwieweit der kleine Sanitätsstab der Wiener Standarte Himmlers Befehlen restlos nachkommen konnte, ist unbekannt, jedoch gab der im Oktober 1931 in die SS eingetretene Anton Stadler in einem 1934 in Dachau angefertigten Fragebogen an, dass er in Wien von Euler-Rolle ärztlich untersucht und eine Mula ausgestellt worden sei  ;458 ebenso wie Boris Plachetka,459 der von einem gewissen Dr. Lindner460 untersucht worden war. Keinen Hinweis gibt es darauf, dass die Wiener SS der Ende 1931 von Himmler erlassenen „Verlobungs- und Heiratsgenehmigung“ nachgekommen wäre, nach der auch die zukünftigen Ehefrauen von SS-Angehörigen auf ihre „rassische“ und „erbgesundheitliche“ Tauglichkeit überprüft werden sollten.461 Laut Befehl 458 WStLA, GAW  : Anton Stadler, Zl. 9.288. 459 Fragebogen v. 22. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Lang (= Boris Plachetka). 460 Innerhalb der Wiener Standarte konnte nur ein Medizinstudent namens Helmut Lindner (geb. 1912) ausfin­dig gemacht werden, der im März 1933 in die Wiener SS eingetreten war, Karteiblatt von Helmut Lindner, WStLA, GAW  : Otto Dokoupil, Zl. 39.121. 461 Longerich (2008), S. 136f.

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des RFSS hätten ab 1. Jänner 1932 alle SS-Angehörigen eine „Heiratsgenehmigung“ einholen müssen.462 Die Anträge sollten durch das neu gegründete „Rasseamt“ unter der Leitung Richard Walther Darrés bearbeitet werden, das auch ein „Sippenbuch“ für alle SS-Angehörigen anzulegen hatte. Longerichs Annahme, dass dieser Erlass zunächst nur ein „Akt politischer Symbolik“ war und „in größerem Umfang“ erst nach 1933 umgesetzt wurde, ist zuzustimmen.463 Der erste Hinweis auf eine gezielte „rassenpolitische“ Schulung der Wiener SS findet sich in einem Eintrag im Trupp-Tagebuch des SS-Mannes Eduard Zambaur,464 nach dem Anfang Mai 1933 ein Vertreter des „Rasse- und Siedlungsamtes“465 während eines Standartenappells einen Vortrag „über die rassischen Aufgaben der SS“ hielt und „die Anschaffung von rassekundlichen Schriften sowie die Aufstellung von Vertrauensmännern in Rassefragen“ empfahl. 4.1.4 Das Reiterkorps

Im Sommer 1932 begann die Wiener SS mit dem Aufbau eines SS-Reiterkorps,466 wobei Abschnittsführer Graeschke gleich eine „Reiterstandarte Wien-Burgenland“ plante.467 Die sog. „Braune Reiterschar“ ging auf eine Initiative des Parteigenossen und Reitlehrers Friedrich Frauendorffer zurück und setzte sich zunächst aus Parteigenossen, SA- und SS-Männern zusammen, die Frauendorffer im Reitinstitut Holzer im Wiener Prater unterrichtete. Zum Führer der SS-Reitertruppe wurde der dreißigjährige Telegrafenassistent und SS-Truppführer Leopold Anderka ernannt.468 Anderka war im Dezember 1930 in die NSDAP eingetreten, hatte sich zunächst in der NS-Betriebszellenorganisation (NSBO) engagiert, bevor er sich im Juni 1931 der SS anschloss. Vor seiner Bestellung zum Leiter des Reiterkorps hatte er die Führung des SS-Motorsturms innegehabt. Als ehemaliger Wehrturner übernahm er nach seiner Flucht nach Deutschland die Leitung des Sportreferats der SS-Sammelstelle. Die „Braune Reiterschar“ trat erstmals beim Festzug am Wiener Gautag im Oktober 1932 in Erscheinung. Am 13. Februar 1933 beantragte der SS-Abschnitt VIII bei 462 Der Befehl ist abgedr. bei d’Alquen (1939), S. 9f. 463 Ebd., S. 138. 464 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 3. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 465 Zum Rasse- und Siedlungshauptamt der SS vgl. ausf. Heinemann (2003). 466 Schreiben von Alfred Bigler an den Reichsführer-SS v. 13. 2. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 467 Alois Kneisl an den Führer des Sturmbanns I/24 v. 27. 9. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 468 BArch (ehem. BDC), SSO, PK  : Leopold Anderka.

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Abb. 34: Die „Braune Reiterschar“ auf der Wiener Ringstraße anlässlich der „Anschlusskundgebung“ am 9. 10. 1932, FAA

Himmler endgültig die Genehmigung, die Reitabteilung in die 11. SS-Standarte zu übernehmen. „Im dienstlichen Bedarfsfall“ standen der SS 170 Pferde des Reitinstituts zur Verfügung.469 4.1.5 Der Fliegersturm

Das SS-Fliegerkorps war vom Nationalsozialistischen Fliegerkorps (NSFK) unabhängig, jedoch befürwortete Himmler, dass die Mitglieder der SS-Fliegerstürme auch dem NSFK beitraten.470 Die Angehörigen der noch in Aufstellung begriffenen Flie469 Schreiben des Führers des SS-Abschnitts VIII an den Reichsführer-SS v. 13.  2.  1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 470 SS-Befehl-D-Nr. 1 v. 14. 1. 1932, BArch/NS 19, Zl. 1934. Dem NSFK, das am 1. Jänner 1932 errichtet wor­den und der OSAF unterstellt war, unterstanden „alle Vereine und Organisationen der Partei, die sich mit dem Flugwesen beschäftigten und den Flugsport betreiben“. Als Präsident des NSFK fungierte Hermann Göring, die Korpsführung hatte der Chef des SA-Stabes inne, Verordnungsblatt der Obersten SA-Führung v. 30. 11. 1931, in  : Adolf Hit­ler. Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte, Bd. 4/Teil 1, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag.

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gerstürme mussten geschlossen an den Appellen eines SS-Verbandes, nach Möglichkeit des SS-Motorsturms, teilnehmen. Pro Abschnitt sollte zunächst ein Fliegersturm aufgestellt werden.471 Die ersten Schritte zur Aufstellung eines Fliegersturms setzte die Wiener SS im Frühjahr 1932, als der Parteigenosse und langjährige Sekretär des Aeroklubs, Hugo Sykora,472 der als Oberstleutnant und Kampfflieger im Ersten Weltkrieg gedient hatte, von einem nicht näher genannten SS-Führer aufgefordert wurde, „die Grundlagen zur Aufstellung einer flugtechnischen Abteilung auszuarbeiten“. Die Idee fand mit Sicherheit Anklang bei Gauleiter Frauenfeld, der im Ersten Weltkrieg selbst als Leutnant dem Fliegerkorps der k.u.k. Armee angehört hatte. Im Herbst wurde die Aufstellung dann von Josef Fitzthum weiterbetrieben, der ebenfalls als Kampfflieger im Kriegseinsatz gewesen war und als Führer der Fliegerkompanie des Edelweiß-Korps abgerüstet hatte. Fitzthum beauftragte nun jedoch den ehemaligen k.u.k. Hauptmann Karl Franz Grimme, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht der SS angehört haben dürfte, mit der Aufstellung des Fliegersturms. Zunächst wurden jedoch weder Grimme noch Sykora zum Führer des SS-Fliegersturms ernannt, sondern der Fliegerhauptmann Friedrich Bistritschan, der gemeinsam mit Max (Graf von und zu) Arco-Zinneberg 1932 die „Flugdienst G.m.b.H.“ gegründet hatte. Während Grimme als dessen Adjutant und Führer der Wiener SS-Flieger fungierte, zog sich Sykora gekränkt zurück und verweigerte aus Protest gegen seine Zurücksetzung die weitere Zahlung des Mitgliedsbeitrages.473 Am 4. ­Dezember 1932 wurden dem neuen Staffelführer bei einem Appell die in Betracht gezogenen künftigen SS-Flieger vorgestellt.474 Im April 1933 verunglückte Bistritschan bei einem Flug­­zeugabsturz tödlich,475 woraufhin Grimme endgültig die Führung des österreichi­ schen SS-Fliegersturms übernahm.476 Ob und inwieweit der österreichische SS-Fliegersturm jemals in Aktion trat, ist unbekannt. Von Bedeutung für die Geschichte der Wiener SS ist vielmehr die Funktion Karl Franz Grimmes, der nach dem Parteiverbot zum kommissarischen Führer des SS-Abschnitts VIII ernannt wurde.477 471 SS-Befehl-D-Nr. 3 v. 18. 3. 1932, BArch/NS 19, Zl. 1934. 472 Sprengelkassier Friedrich Pechotsch an die Bezirksleitung Landstrasse der NSDAP, o. D., ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 473 Sprengelkassier Friedrich Pechotsch an die Bezirksleitung Landstrasse der NSDAP v, o. D., ebd. 474 Der Führer des SS-Abschnitts VIII an die 11. SS-Standarte v. 25. 11. 1932  ; Der Führer der 11. SSStan­darte an den SS-Abschnitt VIII v. 10. 12. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206GD. 1/1933. 475 Vgl. dazu die Zeitungsberichterstattung v. 19. u. 20. 4. 1933. 476 BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Franz Grimme. 477 Alfred Rodenbücher an den Chef des SS-HA v. 4. 9. 1935  ; Antrag auf Verleihung der Medaille zur Erinne­rung an den 13. März 1938, ebd.

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Neben den genannten Verbänden zählte auch die Geldverwaltung zu den Sonderformationen der Wiener SS. Im Herbst 1932 wurde dann mit Otto Gustav Wächter noch ein Rechtsreferent für die Standarte bestellt. Damit hatte die Wiener SS im Frühjahr 1933 die von der RFSS geforderte Organisationsstruktur zumindest in Ansätzen erreicht. 4.2 Aktions- und Verlaufsformen der Gewaltausübung der Wiener SS im Sommer 1932

Bis Frühjahr 1932 war die Wiener SS kaum in Erscheinung getreten. Erst durch Graeschkes Umstrukturierungsmaßnahmen, die rasche Erhöhung des Mitgliederstandes und die nun einsetzende gezielte Ausbildung ihrer Mitglieder entwickelte sich die Wiener SS zunehmend zu einer einsatzstarken Spezialtruppe der Wiener NSDAP, die ganz wesentlich zu deren Radikalisierung beitragen sollte. In der Bundeshauptstadt kam es nach den Wahlen fast täglich zu Zusammenstößen zwischen NationalsozialistInnen und ihren politischen GegnerInnen. Ab Sommer 1932 wurde die Straße in einem bis dahin unbekannten Ausmaß zum Austragungsort der politischen Auseinandersetzungen, zum Ort der Politisierung und der aggressiven Grenzüberschreitung. In der radikalisierten Atmosphäre der Zwischenkriegszeit steigerte sich die Spirale der Gewalt immer weiter und verwischten sich die Grenzen zwischen legalem politischem Handeln und krimineller Aktivität zunehmend. So beschrieb der österreichische Kommunist Josef Meisel, wie er als Jugendlicher den Zusammenstoß mit der Staatsgewalt, Verhaftungen und Gefängnisstrafen als Alltagserfahrung wahrnahm  :478 „Attacken der berittenen Polizei mit gezogenem Säbel auf uns waren eigentlich schon Gewohnheit. Nicht wenige von uns haben mit dem flachen Säbel Hiebe bekommen, die gar nicht so ohne gewesen sind. Und es hat zu den Selbstverständlichkeiten gehört, daß man verhaftet wurde. Man wurde zwar bald freigelassen, aber es war die Regel, daß die Funktionäre des Kommunistischen Jugendverbandes ihre Polizeistrafen bekommen haben, auch für wildes Plakatieren (…). Die Polizisten, wenn sie uns gesehen haben, haben schon von weitem geschrieen  : ‚Sie brauchen nicht rennen, Meisel, wir haben Sie schon aufgeschrieben  !‘ Und dann folgte natürlich die Strafe. So habe ich im Jahre 1929 festgestellt, daß ich bereits nahezu 30 Polizeistrafen gehabt habe, ein Junge mit 18, 19 Jahren, der ich damals gewesen bin. Lauter kleine Strafen, also 12 Stunden, 24 Stunden oder Geldstrafen, die eben nicht bezahlt 478 Meisel (1985), S. 13.

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werden konnten und daher abgesessen werden mußten. Und das haben wir auch mit einer Selbstverständlichkeit getan, das hat uns nichts ausgemacht.“

Die wiederholten Versuche, eine Entwaffnung der paramilitärischen Verbände zu erreichen, waren am Widerstand der Heimwehren gescheitert. Im April 1932 hatte Minister Franz Bachinger die Verhandlungen mit den von den politischen Parteien in das Abrüstungskomitee entsandten Delegierten wieder aufgenommen, um eine gesetzliche Grundlage zur Entwaffnung zu schaffen.479 Am 19. April sprach sich Heimwehrführer Starhemberg gegen die Entwaffnungsaktion aus,480 nachdem bereits zuvor der Landesführer der Tiroler Heimwehr, Richard Steidle, mit dem Argument, dass „das Staatswesen (…) nicht in Ordnung, und die Exekutive (…) ihrer Aufgabe nicht immer gewachsen“ seien, den Vorschlag abgelehnt hatte.481 Nach dem tödlichen Zusammenstoß in Liesing machte die Wiener SS Ende Juni 1932 wieder auf sich aufmerksam und verursachte ihren ersten größeren medialen Skandal, als am 30. Juni eine Gruppe SS-Angehöriger unter der Leitung von Truppführer Max Peschke zusammen mit einem Trupp SA-Männer, angeführt von Anton Puhr und Bezirksrat Franz Wanek, den in der Hermesvilla untergebrachten noblen Country Club im Lainzer Tiergarten überfiel.482 4.2.1 Der Überfall auf den Country Club

Nach Angaben des Klubsekretärs hatten gegen halb elf Uhr abends zwei unbekannte junge Männer „in herausforderndem Ton Bier“ verlangt,483 waren jedoch mit dem Hinweis, dass nur Klubmitglieder bewirtet werden, abgewiesen worden. Etwa fünf 479 Das am 17. Juni 1930 in Kraft getretene sog. „Antiterrorgesetz“ war letztlich eine „harmlose Novelle zum Waffenpatent“, das weitgehend wirkungslos blieb, Wiltschegg (1985), S. 54f. Es sah vor, dass, falls es die öffentliche Sicherheit erfordere, auf Anordnung des Bundeskanzlers der Besitz und das Tragen von Waffen und Munitionsgegenständen „nach Maßgabe der erkannten Notwendigkeit zeitweilig und unter Umständen auch nur für bestimmte Orte oder Personen Beschränkungen unterworfen oder ganz eingestellt werden“ konnte. Auch den Landeshauptleuten „außerhalb des örtlichen Wirkungsbereiches von Bundespolizeibehör­den“ wurde das Recht, bei „Gefahr im Verzug“ eine derartige Anordnung zu treffen, zugestanden. Über­tretungen konnten mit Verfall der Waffen oder Munitionsgegenstände, einer Geldstrafe von 2.500 Schilling oder Arrest von drei Tagen bis zu drei Monaten bestraft werden, BGBl. 178/1930 v. 17. 6. 1930. 480 NFP v. 19. 4. 1932, S. 4 („Ablehnende Antwort des Heimatschutzes an Minister Bachinger“). 481 NFP v. 2. 4. 1932, S. 3 („Dr. Steidle über die Entwaffnungsaktion“). 482 Vgl. dazu Botz (1983), S. 189  ; ÖSTA/AdR, Berichte der PDion Wien v. 1. 7., 5. 7., 7. 7., 29. 7. 1932  ; NFP, RP, AZ, Der Abend, Kl. Bl. v. 1. 7. bis 7. 7. 1932. 483 NFP (Abendblatt) v. 1. 7. 1932, S. 2 („Der Hakenkreuzüberfall in Lainz“).

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Minuten später überfielen ca. vierzig Nationalsozialisten den Klub, während sich eine größere Gruppe im Park verborgen hielt  ;484 insgesamt ging die Polizei von etwa hundert Beteiligten aus.485 Die Gäste, darunter der rumänische und argentinische Gesandte, der italienische Militärattaché sowie weitere Mitglieder des diplomatischen Korps und der Wiener Gesellschaft, hatten sich nach dem Abendessen auf die Terrasse begeben, als der Trupp, bewaffnet „mit Knüppeln, Stöcken und Blendlaternen im Sturmschritt (…) unter den Rufen ‚Deutschland erwache  !‘, ‚Juda verrecke  !‘ “, die Terrasse stürmte und „wahllos gegen Herren und Damen“ losprügelte.486 Gläser, Flaschen und Sessel kamen als Wurfgeschosse zum Einsatz, etwa zwanzig Personen wurden zumeist am Kopf getroffen und mehrere Gäste leicht verletzt. Der rumänische Gesandte, der sich den Nazis entgegenstellte, wurde über die Stufen der Terrasse gestoßen. Der Klubsekretär konnte dem Überfall schließlich ein Ende bereiten, indem er zwei Warnschüsse aus seiner Pistole abfeuerte. Daraufhin gab der Anführer den Befehl zum Abmarsch und empfahl sich den Gästen mit den Worten  : „Ein Andenken an die Nationalsozialisten.“487 Am Tag darauf verhaftete die Wiener Polizei Max Peschke, Anton Puhr und den SA-Mann Leopold Glas, der im Country Club arbeitete. Franz Wanek entzog sich durch seine Flucht nach Deutschland dem Zugriff der Polizei. Die Wiener NSDAP stritt kategorisch ab, dass der Überfall von Nationalsozialisten durchgeführt worden sei, und behauptete, die Kommunisten wären dafür verantwortlich. Anton Puhr legte nach längerem Leugnen schließlich ein Geständnis ab und erklärte gegenüber der Polizei, dass die „Veranlassung zu dieser Aktion (…) gewesen (sei), dass man den Nationalsozialisten in letzter Zeit vielfach den Vorwurf gemacht habe, sie gingen nur gegen die armen Juden vor, dagegen würden die reichen Juden von ihnen verschont. Durch die Veranstaltung dieses Angriffes (…) habe man den Beweis liefern wollen, daß dieser Vorwurf unberechtigt sei“.488 Peschke und Glas leugneten, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein, und wurden enthaftet, die Erhebungen gegen sie jedoch weitgeführt. Am 20. August wurde Peschke für seinen Einsatz belohnt und zum SS-Sturmführer befördert.489 Ende August kehrte Wanek wieder nach Wien zurück, wurde für kurze Zeit in Untersuchungshaft genommen und gegen ihn sowie Anton Puhr Anklage wegen Hausfriedensbruchs und gegen einige Nationalsozialisten Anklage wegen Gefähr484 NFP v. 4. 7. 1932, S. 4 („Der Ueberfall auf den Country Club“). 485 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 5. 7. 1932. 486 Ebd., S. 1. 487 RP v. 2. 7. 1932, S. 7 („Die Hakenkreuzler-Heldentat in Lainz“). 488 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 5. 7. 1932. 489 BArch (ehem. BDC), PK  : Max Peschke.

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dung der körperlichen Sicherheit und leichter Körperverletzung erhoben.490 Darunter befand sich u.a. auch Hans Strobl, einer der ersten SA-Führer Österreichs, der bereits 1923 bei dem blutigen Zusammenstoß zwischen rechtsradikalen paramilitärischen Formationen und Sozialdemokraten im niederösterreichischen Spillern einen „Ordner-Trupp“, so die Bezeichnung der Vorläuferorganisation der SA, angeführt hatte.491 Wie auch in späteren Fällen waren die Aussagen der Verdächtigen so präzise aufeinander abgestimmt, dass der Großteil der Täter nicht ermittelt werden konnte. 4.2.2 Die Schießerei anlässlich des „Klebinder-Prozesses“

Anlass zu einer Schießerei bot der am 25. Juni 1932 stattfindende Prozess gegen die beiden Nationalsozialisten Alfred Posch und Stefan Stafa,492 die im April den Zeitungsherausgeber Ernst Klebinder verprügelt hatten.493 Am frühen Morgen des Prozesstages marschierte die nationalsozialistische AnhängerInnenschaft vor dem Gericht auf und versuchte, die Gänge des Gerichtsgebäudes zu besetzen, die von der Sicherheitswache geräumt werden mussten. Klebinder hatte vor Prozessbeginn seinen Anwalt gewechselt, da sich die Angeklagten in einer früheren Verhandlung geweigert hatten, die Fragen seines damaligen jüdischen Anwalts zu beantworten.494 Die Verhandlung verlief für die Angeklagten durchaus positiv, da Stafa mangels Beweisen freigesprochen wurde und der bereits mehrfach wegen Raufereien mit politischen Gegnern „beanständete“ Posch eine Geldstrafe von nur zwanzig Schilling erhielt. Strafmildernd dürfte sich die Aussage des Kriminalbeamten Hermann Narosny ausgewirkt haben.495 Aufgrund der Veröffentlichung hatte die Bundes-Polizeidirektion nämlich einen bevorstehenden Überfall auf Klebinder befürchtet und den Kriminalbeamten in das Café geschickt, um „einen Anschlag (…) zu vereiteln“. Dieser sagte vor Gericht aus, dass Posch an Klebinder herangetreten sei, ihn nach seinem Namen gefragt, mit den Worten „Ich habe Ihnen etwas zu übergeben“ die Hundepeitsche aus der Tasche hervorgezogen und Klebinder geschlagen habe. Gleichzeitig erklärte er aber, dass dies „nicht gezielte Schläge“ gewesen seien. Klebinder war im Prozess als Privatkläger aufgetreten und hatte ein symbolisches Schmerzensgeld von einem Schilling 490 RP v. 8. 9. 1932, S. 9 („Der Ueberfall auf den Country Club“). 491 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Strobl. Bei dem Zusammenstoß wurde der 16-jährige unbeteiligte Arbeiter Karl Kowarik erschossen, vgl. Botz (1983), S. 100–102. 492 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 179.412-GD. 1/1932  ; Die Stimme v. 1. 7. 1932, S. 2 („Eine Woche Hakenkreuz“). 493 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 15. 4. 1932. 494 RP v. 26. 6. 1932, S. 11 („Krawall in der Leopoldstadt“). 495 Ebd.

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verlangt, das von Verteidiger Bernwieser sofort erlegt wurde. Während des Prozesses hatte Klebinder auf seine zahlreichen karitativen Tätigkeiten verwiesen. „Gleich nach der Verhandlung“, so die jüdische Wochenzeitung Die Stimme,496 „wollten Hakenkreuzler Herrn Klebinder offenbar den Dank für seine Arbeit im Dienste der christlichen Wohltätigkeit abstatten“. Die laut Stimme bewaffneten Nazis verfolgten den Wagen Klebinders, bis sie schließlich von der Polizei gestoppt wurden. Während der Verhandlung kam es auf der Straße rund um das Gerichtsgebäude zu antisemitischen Ausschreitungen, in deren Verlauf jüdische Passanten angepöbelt wurden. Kurz nach 13 Uhr entwickelte sich dann auf der Augartenstraße eine Rauferei zwischen mehreren Nationalsozialisten und einer gegnerischen Gruppe,497 in deren Verlauf der Student Oskar Riessberger498 angeblich von dem jüdischen Kaufmann Moritz Gruschka misshandelt wurde und dessen Anhänger „tätlich“ gegen die Nationalsozialisten vorgingen. Daraufhin schoss der SS-Mann Ferdinand Schmid mit einer Mauserpistole auf Gruschka und verletzte diesen am Oberarm.499 Nach Eintreffen der Sicherheitswache brachte sein SS-Kamerad Josef Krcil die Pistole in Sicherheit, wurde aber von der Polizei ausgeforscht. Ein Jahr später sollten Schmid und Krcil dann mit Bombenanschlägen beschäftigt sein,500 Oskar Riessberger mehrfach in Gefängnissen und Anhaltelagern interniert501 und Alfred Posch in Deutschland zum Führer des Stabssturmes der „Österreichischen Legion“ ernannt werden.502 Allen wurde nach ihrer Flucht nach Deutschland die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt. Ferdinand Schmid wurde im Herbst 1932 wegen dreier Delikte zu insgesamt elf Tagen Haft verurteilt.503 Aber auch die Angelegenheit Klebinder war noch lange nicht abgeschlossen. Nachdem Der Abend in seinem Verhandlungsbericht nämlich die beiden Angeklagten als „Nazibanditen“ bezeichnet hatte, zeigten die beiden nun Klebinder wegen Ehrenbeleidigung an. Am 22. August fand der Prozess gegen den Heraus496 Die Stimme v. 1. 7. 1932, S. 2 („Eine Woche Hakenkreuz“). 497 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 25. 6. 1932. 498 Riessberger war seit 1928 als Sportreferent des Gaus Wien und seit 1930 als Hauptabteilungsleiter der HJ aktiv, BArch (ehem. BDC), PK  : Oskar Riessberger. 499 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 25. 6. 1932  ; NFP v. 26. 6. 1932, S. 9 („Politische Prügeleien in der Oberen Donaustraße“)  ; WSMZ v. 27.  6.  1932, S.  5 („Politik und Rowdietum“)  ; Die Stimme v. 1. 7. 1932, S. 2 („Eine Woche Haken­kreuz“). 500 Zu den Bombenanschlägen der Wiener SS im Juni 1933 s. Kapitel 11.1. 501 BArch (ehem. BDC), PK  : Oskar Riessberger  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Oskar Riessberger. 502 Schreiben von Ferdinand Langer an das Gauschatzamt/Mitgliedschaftswesen der NSDAP Gau Wien v. 18. 9. 1943, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch. 503 Josef Fitzthum an Gauinspekteur Josef Neumann v. 17. 10. 1932, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien.

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geber statt,504 der zu einer Geldstrafe von nicht weniger als 200 Schilling verurteilt wurde, da, so die Urteilsbegründung des Richters, „mit dem Wort ‚Nazibanditen‘ (…) der Rahmen einer berechtigten Kritik weit überschritten worden (sei). Banditen sind Menschen, denen jede Ehre abgesprochen wird. Derartige Vorfälle, wie der Ueberfall auf Regierungsrat Klebinder seien zu verurteilen, doch ereignen sie sich im politischen Kampfe wiederholt und man könne Menschen, die daran teilnehmen, nicht gleich als Banditen bezeichnen.“ 4.2.3 Der Überfall auf das sozialdemokratische Parteiheim in Eisenstadt

Drei Tage nach dem Überfall auf den Country Club brach die Wiener SS am 3. Juli zu einem „Deutschen Tag“ nach Eisenstadt auf. Die Wahl des Ortes „mag“, so die Reichspost, „seinen besonderen Grund“ darin gehabt haben, dass „aus dem Briefe eines führenden Nationalsozialisten aus München an den Budapester ‚Magyarsag‘505 (…) die Absichten der Hitlerpartei hinsichtlich des Burgenlandes“ in Erfahrung gebracht wurden.506 Laut Gendarmeriekorrespondenz hatten die SozialdemokratInnen bereits einige Tage vor dem Aufmarsch der Nationalsozialisten einen Flugzettel in Eisenstadt verteilt und im Anschlagkasten des sozialdemokratischen Landesparteisekretariats aufgehängt, in dem sie Hitler beschuldigten, das „Burgenland an Ungarn ausliefern zu wollen“.507 Am Samstag hatten sich bereits ca. 500 SA- und SS-Angehörige aus Wien, Niederösterreich und dem Burgenland zu einem Fackelzug eingefunden,508 bei dem sich keine gewalttätigen Zwischenfälle ereigneten. Am Tag darauf wurde ein Appell und Umzug abgehalten, an dem sich etwa tausend NationalsozialistInnen beteiligten. Die Kundgebungen verliefen zunächst friedlich, bis eine Gruppe NationalsozialistInnen am Lokal des sozialdemokratischen Landesparteisekretariats vorbeikam, im Anschlagkasten besagten Flugzettel entdeckte und den Kasten zertrümmerte. Der herbeigerufene Polizeioffizier drückte seinen Unmut darüber, dass er „wegen so kleiner Lappalien“ herbeigerufen werde, mit den Worten aus  : „Na ja, da müsste ich ja vor jedes Haus eine Wache stellen (…).“509 Kurz darauf versuchte eine Gruppe Nationalsozialisten das Haus zu stürmen, woraufhin sich die etwa zwanzig dort postierten Schutzbündler im Gebäude verschanzten und einen Warnschuss abgaben. 504 WSMZ v. 22. 8. 1932, S. 4 („20 Schilling und 200 Schilling. Zwei Urteile  : zweierlei Maß“). 505 Eine konservativ-legitimistische ungarische Tageszeitung. 506 RP v. 4. 7. 1932, S. 3 („Zusammenstöße zwischen den beiden Sozialistenparteien in Eisenstadt“). 507 Ebd. („Das aufregende Plakat – Rohheiten der Exzendenten“). 508 Vgl. dazu die Berichterstattung in AZ, RP, NFP, Kl. Bl. v. 4. 7. 1932. 509 Botz (1983), S. 199.

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Die Nationalsozialisten drückten daraufhin das Tor ein, und die Polizei nahm den Schuss „zum Anlaß“, um das Gebäude zu besetzen, jedoch gelang es ihr nicht, die Nationalsozialisten aus dem Haus zu drängen. Daraufhin wurden aus der Wohnung des Hausbesorgers weitere Schüsse abgegeben.510 Ein Wiener SA-Mann wurde am Unterarm getroffen und leicht verletzt. Auch die Polizeiverstärkung konnte die Menge vorerst nicht unter Kontrolle bringen, die das Haus mit Steinen beschoss. Die Krawalle breiteten sich nun in alle Stadtteile aus, woraufhin der stellvertretende Landeshauptmann, der Sozialdemokrat Norbert Leser, in Begleitung des Gendarmerievizedirektors Kucynski und des Landesamtsdirektors Heger in die Stadt eilte, um sich über die Lage zu informieren. Nachdem sie von natio­nalsozialistischen Schlägertrupps erkannt worden waren, wurden auch sie von diesen verprügelt.511 Leser konnte schließlich dem Mob entkommen, und Polizei, Gendarmerie sowie einer Bundesheerabteilung gelang es, den Platz vor dem Parteiheim abzuriegeln. Am Ende des Tages waren vier Schutzbündler und drei Nationalsozialisten schwer und eine große Anzahl Personen leicht verwundet worden. Leser hatte acht Kopfverletzungen, eine starke Schwellung am Auge und mehrere Rissquetschwunden erlitten, Kucynski und Heger waren leicht verletzt worden. Ein Teil der Räumlichkeiten des Parteiheimes war von den Nationalsozialisten demoliert, sämtliche Fenster der Vorderfront und das Haustor zertrümmert worden. Insgesamt wurden etwa dreißig Personen zum Polizeikommissariat überstellt, davon sieben Mitglieder des Republikanischen Schutzbundes. Gegen vier von ihnen wurde Anzeige wegen Übertretung des Waffenpatents erstattet, jedoch konnte der Schütze selbst nicht eruiert werden. Ein Kommunist wurde wegen Nichtfolgeleistung und Widersetzlichkeit festgenommen, die übrigen am folgenden Tag wieder freigelassen.512 Aus den Polizei- und Zeitungsberichten geht nicht hervor, ob Wiener SS-Mitglieder direkt an den Ausschreitungen beteiligt gewesen waren. Ähnlich wie bei zwei vorangegangenen schweren Zusammenstößen zwischen nationalsozialistischen und sozialdemokratischen AnhängerInnen in Hötting und Linz am 27.  Mai griff die Polizei auch in Eisenstadt zum Schutz der NationalsozialistInnen gegen die SozialdemokratInnen ein. So durchsuchte sie auf „Verlangen der SA.-Männer, die sich innerhalb eines Polizeikordons (…) beinahe als ‚Hilfspolizisten‘ aufspielen konnten“, das Parteiheim. Auch grüßten einzelne Polizisten mit dem „Hit510 Laut Neuer Freier Presse fielen ein bis zwei, laut Reichspost fünf bis sechs Schüsse, NFP v. 4. 7. 1932, S. 3 („Schwere Zusammenstöße in Eisenstadt“)  ; RP v. 4. 7. 1932, S. 3 („Zusammenstöße zwischen den beiden Sozialistenparteien in Eisenstadt“). 511 RP v. 4. 7. 1932, S. 3 („Zusammenstöße zwischen den beiden Sozialistenparteien in Eisenstadt“). 512 NFP v. 5. 7. 1932, S. 5 („Die Zusammenstöße in Eisenstadt“).

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ler-Gruß“.513 Während sich die christlichsoziale Reichspost noch am 4.  Juli darüber empört hatte, dass sich die NationalsozialistInnen als „Schauplatz ihrer neuesten Heldentat (…) ausgerechnet die Stadt, in der der unsterbliche Sänger der österreichischen Hymne seine letzte Ruhestätte gefunden hat“, ausgesucht hätten,514 griff sie am Tag darauf in einem grotesken Artikel die SozialdemokratInnen an und sah die „Schuldfrage (…) bereits gelöst“. Die vor dem Parteihaus postierten Schutzbündler hätten die Nationalsozialisten „in ordinärer Weise beschimpft“, Leser habe „seine Verletzungen erlitt(en), als er trotz der Warnung der Polizei sich in den Raufhandel mengte“, es sei „unverantwortlich“, dass der sozialdemokratische Abgeordnete Anton Probst dem Polizeidirektor „vorwirft, er habe sein Verlangen zum Schutz des Parteihauses mit lächerlichen Redensarten abgelehnt“ und sei „zum Schluß noch verhaftet worden“.515 In der Mitteilung des Polizeikommissariats Eisenstadt fanden sich diese Behauptungen jedoch nicht bestätigt.516 In einem Bericht – vermutlich an das Sekretariat der sozialdemokratischen Parlamentsfraktion – schilderte Probst, der sich im Parteiheim befunden hatte und „die offensichtlich auf eine massive Abwehr drängenden eigenen Leute nur mit Mühe von ihrem Vorhaben zurückhalten konnte“,517 die Taktik der NationalsozialistInnen gegenüber der Staatsgewalt  : „Ich stand beim Haustor, als das Militär angerückt kam. Ein Nazi-Sozi rief leise  : ‚Pfui  ! Maschinengewehr‘, was allerdings scheinbar von den übrigen Nazi-Sozi nicht gutgeheißen wurde, da sie sofort in einem Chor ausriefen  : ‚Heil Reichswehr, Heil Polizei‘.“518 Eine Auseinandersetzung mit der Staatsgewalt war für die NationalsozialistInnen auch gar nicht nötig, bot doch die Person des Eisenstädter Polizeidirektors Benno Braitenberg519 die beste Garantie für ein freundliches Verhalten der Polizei gegenüber der NSDAP. In seinen Memoiren „Männer müssen kämpfen  !“ beschrieb Braitenberg 1938, inzwischen zum SS-Sturmbannführer aufgestiegen, dass er „trotz der Proteste verschiedener Nazifresser (…) die Sicherheitsmaßnahmen ziemlich stark ein/schränkte“ und vor dem sozialdemokratischen Parteiheim nur einen einzigen Posten aufstellte. Dieser, ein illegaler Nationalsozialist, der „vermutlich im Einvernehmen mit der SA. stand“, „verließ (bedauerlicherweise) (…) seinen Platz,

513 Botz (1983), S. 199. 514 RP v. 4. 7. 1932, S. 3 („Zusammenstöße zwischen den beiden Sozialistenparteien in Eisenstadt“). 515 RP v. 5. 7. 1932, S. 7 („Die Ausschreitungen in Eisenstadt“). 516 WZ v. 5. 7. 1932, S. 2 („Schwere politische Zusammenstöße in Eisenstadt“). 517 Botz (1983), S. 199. 518 Undatierter Bericht von Anton Probst, Wiener Stadt- und Landesbibliothek (= WStLB), TagblattArchiv, Mappe „Zusammenstöße NS-SP“ zit. n. Botz (1983), S. 199. 519 Braitenberg (1938), S. 27.

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worauf es zu Reibereien kam (…)“.520 Wie massiv die Polizei, insbesondere in Wien, bereits unterwandert war, sollten die folgenden Monate noch zeigen. 4.2.4 Der SS-Einsatz beim Film- und Funkfest der NSDAP

Aber auch die Wiener ParteigenossInnen selbst bekamen bald die Gewalttätigkeit der SS am eigenen Leib zu spüren. Die vorangegangenen Einsätze hatten das Selbstbewusstsein und die Überheblichkeit innerhalb der Elitetruppe der Partei enorm gesteigert, sodass sie ihre polizeilichen Kompetenzen gegenüber den Politischen Funktionären und der SA zu überschreiten begann. Nicht nur in Wien, sondern auch andernorts setzte sich die SS über ihren Befugnisbereich hinweg, wie etwa in Innsbruck,521 wo der dortige SS-Führer Klimesch in Konflikt mit Gauleiter Franz Hofer geraten war. Dieser hatte den Aufbau der SS zunächst tatkräftig unterstützt, bis Klimesch sie als „eine Art Sittenpolizei“ einzusetzen begann, führende ParteigenossInnen „auf allen ihren Wegen“ beschatten ließ und schließlich aus der Partei ausgeschlossen wurde. Aber auch die oberste SS-Führung diskutierte bereits wenige Monate, nachdem die SS ihre organisatorische Selbstständigkeit erhalten hatte, über eine mögliche Ausdehnung ihrer Kompetenzen gegenüber der Politischen Führung und der SA. So erklärte der Führer der SS-Gruppe Ost im Juni 1931 auf der bereits erwähnten Führerbesprechung unter Hinweis auf die „Stennes-Krise“,522 dass er insofern „über das Ziel von RFSS hinaus (gehe)“, dass „die SS (…) in kritischen Situationen in der Lage sein (muss), aus ihrer Führung heraus auch politische Aufgaben zu erfüllen, wenn ihr diese gestellt werden“. Sollte „irgendein Bezirk (…) Schweinereien“ machen und die Organisation daran zer520 Braitenberg wurde 1896 im vorarlbergischen Bezau geboren und besuchte das Jesuiten-Pensionat „Stella matutina“ in Feldkirch, wo er mit Kurt Schuschnigg befreundet war. 1914 meldete er sich zunächst zum Standschützenbataillon Innsbruck und legte wenig später die Kriegsmatura ab. Die Absolvierung eines Of­fi zierkurses lehnte er ab, um nicht „den Krieg an der Front (zu) versäumen“. Er meldete sich zum Kaiserjä­gerregiment, wurde 1915 schwer verletzt, bat trotz einer Beinamputation um seine Weiterverwendung in der Armee und kämpfte danach noch zweimal im Feld. 1918 rüstete er als Oberleut­nant ab, absolvierte zwischenzeitlich das Studium der Rechtswissenschaften und schloss sich der Tiroler Kompanie des Freikorps „Bund Oberland“ an, mit dem er an den Kämpfen in Schlesien teilnahm. 1918/19 schloss er sich als eines der ersten Mitglieder der Tiroler Heimwehr an. 1924 setzte sich Braitenberg für die Schaffung eines Poli­zeikommissariats in Eisenstadt ein, das er nach dessen Gründung leitete. Ein erklärtes Feindbild stellte für ihn die Arbeiterbewegung dar. Am 10. Jänner 1925 drang er zusammen mit mehreren bewaffneten Gen­darmerie- und Kriminalbeamten in das Rathaus ein und beschlagnahmte vom sozialistischen Bürgermeister, einem Freund Bela Kuns, polizeiliche Unterlagen und insbesondere Meldedaten. 1933 schloss sich Braiten­berg der NSDAP an, vgl. Braitenberg (1938). 521 Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Kt. 4876. 522 Führerbesprechung v. 13. u. 14. 6. 1931, BArch/NS 19, Zl. 1934.

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brechen, so habe die SS auf Befehl „die Partei-Arbeit zu übernehmen“. Die SS-Führer müssten dann befähigt sein, „massgebende, politische Führer voll ersetzen zu können“. Ebenso könne es „sehr leicht eintreten, dass plötzlich ein SS-Führer als SA-Führer eingesetzt wird, wenn letzterer irgendwelchen Mist gemacht hat und kein SA-Führer zur Stelle ist“. Demnach müsse ein SS-Führer vorübergehend „auch die Aufgaben der SA lösen können“. Er habe sich somit „auch über den Zweck und das Ziel der SA im klaren (sic  !) (zu) sein. Alles natürlich nur befehlsgemäss, von oben herab.“ Ähnlich wie in Innsbruck begann sich auch die Wiener SS als Sittenpolizei aufzuspielen und schritt rigoros gegen – ihrer Auffassung nach – ungebührliches Verhalten von ParteigenossInnen ein, wie etwa am Film- und Funkfest der Wiener NSDAP am 10. Juli 1932. Die Geschehnisse rund um die Veranstaltung sind aus mehreren Gründen von Interesse  : Zum einen zeigen sie, wie wenig geschlossen die braunen Reihen letztlich waren und P.O., SA und SS durchaus nicht im Gleichschritt marschierten – eine auch für manchen einfachen Parteigenossen neue Erfahrung. Zum anderen wird deutlich, dass die SS-Männer in der Ausführung ihrer Befehle auch vor Gewaltanwendungen gegen ihre eigenen ParteigenossInnen in keiner Weise zurückschreckten und sich ihr brutales Vorgehen nicht wesentlich von jenem im Straßenkampf gegen die politische Gegnerschaft eingesetzten unterschied. Als Rechtfertigung für ihre Handlungsweise verwiesen die SS-Männer auf ihre Kampfeinsätze, in denen sie ihr Leben riskiert hatten. Schlussendlich liegen über keine andere Aktion der Wiener SS so zahlreiche Berichte vor, die darüber hinaus nicht von Polizei oder der gegnerischen Presse verfasst wurden, sondern sowohl von Angehörigen der SS, SA und P.O. als auch von einfachen Parteigenossen523 stammen. Die mangelhafte Organisation des Festes, vor allem aber das brutale Vorgehen der SS verursachten einen Skandal innerhalb der Wiener NSDAP und zogen zahlreiche Beschwerden nach sich. In einem späteren Bericht an die Propagandaabteilung bezeichnete der Wiener Gauschatzmeister das Fest als „das Ungeheuerlichste(,) was jemals verbrochen wurde“.524 Die Veranstaltung im Restaurant Knorr am Schafberg war vom stellvertretenden Gaupropagandaleiter Karl Alkhofer525 und seinem Mitarbeiter Egon Kott526 gemein523 Es liegt keine Stellungnahme einer Frau vor. 524 Der Gauschatzmeister an die H.A. IV (Propaganda) des Gaus Wien v. 25.  7.  1932, ÖSTA/AdR, ­BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 525 Karl Alkhofer war im Juli 1931 in die NSDAP aufgenommen worden und übernahm zunächst die Führung des Propagandistentrupps der Bezirksgruppe Wieden. 1932 wurde er zum stellvertretenden Propagandaleiter des Gaus Wien und zum Verlagsleiter der NS-Zeitschrift „Der Notschrei“ ernannt, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Karl Alkhofer  ; GAW  : Karl Alkhofer, Zl. 52.663. 526 Egon Kott war Hauptschriftleiter der Gau-Presse Wien, BArch (ehem. BDC), PK  : Richard Frauenfeld.

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sam mit der NS-Filmstelle organisiert und als „lustiges Sommerfest“ geplant worden, um „mit dem erzielten Reingewinn den Tonfilm ‚Deutsches Turnen‘ mit Gauleiter Frauenfeld“ zu finanzieren und „der Filmstelle ein gewisses Betriebskapital zu sichern“.527 In den Räumlichkeiten des Restaurants Knorr wurden „unter humoristische(n) Devisen“ diverse Unterhaltungsmöglichkeiten geschaffen, wie etwa die „Funkstation U 7“, die „Funkstation Do X“,528 ein Kaffeehaus und eine Heurigenschenke. Im Garten fanden „Tanzvorführungen der Turnerinnen des Hütteldorfer Turnvereines“, „Vorführungen der Gauspielschar“, „der Meidlinger Kücken (sic  !)“ und ein Auftritt der Tänzerin und Parteigenossin Appiano statt. Für die Kinder wurde „Das tapfere Schneiderlein“ aufgeführt, und die HJ hatte auf der Wiese ein Lager aufgeschlagen, wo sie Spiele veranstaltete. Im Kaffeehaus war die „Funkstation Do X“ eingerichtet worden, wo die Gauspielschar Volkslieder zum Besten gab und zwei Parteigenossen auf der Zither spielten, während im Bauernstüberl das Schrammelquartett auftrat. Der Wintergarten, umfunktioniert zur „Funkstation U 7“, diente als Tanzdiele, wo auch Bäckereien und Schnaps verkauft wurden. Das Fest sollte am Abend mit einer Filmvorführung auf der Wiese und einem „Bunten Abend“ im Saal fortgesetzt werden. Auf dem Programm standen „Heitere Gedichte“, ein „Illuionsakt“ (sic  !), „Tanzvorträge“, „Heitere Mundartdichtung“, „Heitere Vorträge“, Auftritte des „Meisterhumoristen“ Karl Prinz und der Louise Prinz, „der beliebten Alt-Wien Darstellerin“. Den Schlusspunkt des „Bunten Abends“ bildete die Aufführung des Nestroy-Stückes „Frühere Verhältnisse“.529 Es sollte also je nach Alter und Geschmack allen BesucherInnen etwas geboten werden. Ein Konzept, das allerdings gründlich schiefgehen sollte. Für den Ordnungsdienst war eine SS-Abteilung des Sturms 1/I/11 angefordert worden, wofür Standartenadjutant SS-Haupttruppführer Josef Reuschauer die Trupps 1 und 2 eingeteilt hatte.530 Reuschauers Entscheidung zeugte von wenig Feingefühl, setzte er für das „lustige Sommerfest“ doch gerade jene beiden Trupps ein, die unter der Führung von zwei der brutalsten Schläger der Wiener SS standen, die ihre Einsatzbereitschaft bereits in Liesing tatkräftig unter Beweis gestellt hatten  : Wieder einmal waren Leo Libardi und Gustav Lorenz im Einsatz. Als dienstälterem Truppführer war Libardi auch das Kommando über die Abteilung übertragen worden. Die Streitigkeiten begannen bereits zu Beginn des Festes, da laut einem Bericht von Reuschauer nicht wie „bei allen vorangegangenen Veranstaltungen (…) uns gut 527 Nichtunterfertigter Bericht der Propagandaabteilung über das Fest „Film und Funk“ v. 10. 7. 1932, ebd. 528 Am 24. Mai 1932 war das damals größte Verkehrsflugschiff, das „Dornier Do X“, nach einer Weltumflie­ gung in Berlin gelandet. 529 Programm des „Bunten Abend“ im Rahmen des Festes „Film und Funk“ v. 10. 7. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 530 Protokoll von SS-Haupttruppführer Josef Reuschauer v. 18. 7. 1932, ebd.

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bekannte S.A. Stürme“, sondern „ein gänzlich fremder“ Dienst hatte, der sich weigerte, die SS-Führer und älteren SS-Männer passieren zu lassen.531 Die NS-Filmstelle hatte drei SA-Stürme angefordert, von denen zwei der Standarte 24 angehörten,532 deren Sturmbannführer Walter Könitzer in einem ausgesprochen gespannten Verhältnis zur SS stand, wie seine zahlreichen Beschwerden über die SS zeigen. Libardi begab sich daraufhin zu Karl Alkhofer,533 der ihm mitteilte, „daß die S.S. nur die ihnen zugewiesenen Ein- und Ausgänge passieren“ dürfe. Libardi lehnte dies strikt ab und erklärte, „daß die im Dienst stehende S.S. überall durchzulassen“ sei. Weiteren Ärger gab es, als die Turnerinnen auf der Wiese „einen Reigen tanzten“ und die SS eine Absperrung einrichtete.534 Nach dem Ende der Vorführung wurde die SS jedoch nicht davon verständigt, dass sie abtreten konnte, und verblieb weiterhin gehorsam auf ihrem Platz. Nachdem plötzlich über Lautsprecher verkündet wurde, dass „die weiteren Vorführungen hinter einer neu aufgezogenen S.A. Absperrung stattfänden (…), (rannten) die Besucher natürlich von der SS. zur S.A. Absperrung und alles höhnte und lachte über die plötzlich einen leeren Platz absperrende SS“.535 Die ohnedies bereits gereizte Stimmung verschärfte sich weiter aufgrund der Geschehnisse in der Tanzdiele „Funkstation U  7“, die im Laufe des Nachmittags zum Hauptschauplatz der Auseinandersetzungen werden sollte. Dort wurde nämlich laut Angabe von SS-Truppführer Lorenz „zu moderner Musik und regelrechtem Barbetrieb modern getanzt“,536 und nach Hans Smirtschek, Führer des SS-Sturms 3/I/11, ging es zu „wie auf einem Zuhälterball“.537 Über die angeblich „skandalösen“ Zustände empörten sich aber auch einige ältere Parteigenossen, allen voran Gauredner Josef Krebs. Nach einem Bericht des Inhabers der Firma „Heinzelmännchen“, Heinz Männchen, einem Mitarbeiter der NS-Filmstelle,538 hatte diese aufgrund eines Beschlusses der „Leitungssitzung“ die Genehmigung erhalten, dass neben Walzer und Marschmusik auch Tango, Englischer Walzer und Boston „gestattet“ waren, wobei die letzteren Platten „gewissermaßen zensuriert“, also nur im Wintergarten, abgespielt werden durften. Die Platten waren von einer „arischen Firma“ zur Verfügung gestellt worden,539 die aber nicht die vereinbarte Stückzahl geliefert hatte, insbesondere waren zu wenig 531 Ebd. 532 Der Führer der Untergruppe Wien Eugen Werkowitsch an die SA-Gruppenführung Österreich v. 22. 7. 1932, ebd., Kt. 19. 533 Protokoll von SS-Truppführer Leo Libardi, o. D., ebd., Kt. 4. 534 Protokoll von SS-Truppführer Gustav Lorenz v. 19. 7. 1932, ebd. 535 Protokoll von SS-Haupttruppführer Josef Reuschauer v. 19. 7. 1932, ebd. 536 Protokoll von SS-Truppführer Gustav Lorenz v. 19. 7. 1932, ebd. 537 Protokoll von SS-Sturmführer Hannes Smirtschek v. 15. 7. 1932, ebd. 538 Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd. 539 Nichtunterfertigter Bericht der Propagandaabteilung über das Fest „Film und Funk“ v. 10. 7. 1932, ebd.

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Märsche und Walzer vorhanden. Die Platten waren zuvor darauf geprüft worden, „ob es sich nicht um eine Jazzmusik handle“, und die Anstoß erregenden Platten (Foxtrott) „ausrangiert“ worden. Als ein Mitarbeiter der Firma Siemens im Übertragungswagen „irrtümlich“ auf der Wiese einen zensurierten Foxtrott abspielte, löste dies „allgemeine Entrüstung“540 aus. Die Darbietung wurde daraufhin umgehend „unterbunden“, und alle Platten, auf denen sich auf einer der beiden Seiten aus NS-Sicht anstößige Musik befand, mussten endgültig „ausgesondert“ werden. In der „Funkstation U  7“ tanzten nun aber laut Bericht der Propagandaabteilung zur Marschmusik „einige Paare (…) auch Schritte, bezw. Figuren (…), die man als moderne Abb. 35: Josef Reuschauer, ca. 1938, WStLA Tanzfiguren ansprechen könnte“,541 dabei habe es sich aber keinesfalls um „obszöne, den Anstand verletzende und eventuell Anstoss erregende Bewegungen“ gehandelt. Ganz anders empfanden dies einige ältere Parteigenossen, allen voran Gauredner Krebs, der auf dem Tanzboden erschien und gegen das vermeintlich wilde Treiben protestierte. Dem „leidenschaftlichen Nichttänzer“ Heinz Männchen zufolge entsprach die tänzerische Leistung zwar nicht seinen ästhetischen Vorstellungen,542 da „viele keine Ahnung vom Tanzen hatten und nur nach eigenen Ideen die Musik für körperliche Schwitzkuren ausnützten“, jedoch fand er das Verhalten von Krebs ob der schlechten Leistung der Tänzer „umso lustiger“, da Krebs „im Tone eines Moralpredigers dieses harmlose Herumspringen laut geißelte“. Auch Männchen betonte „ausdrücklich (…), daß keine unanständigen Bewegungen ausgeführt wurden“. War schon das „für Fremde gelinde gesagt merkwürdig anmutende Benehmen des Pg. Krebs befremdend, so wirkte das Kommende“ auf Männchen „unbedingt abstoßend“. Die Tanzenden 540 Der Führer der Untergruppe Wien Eugen Werkowitsch an die SA-Gruppenführung Österreich v. 22. 7. 1932, ebd., Kt. 19. 541 Nichtunterfertigter Bericht der Propagandaabteilung über das Fest „Film und Funk“ v. 10.  7.  1932, ebd., Kt. 4. 542 Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd.

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hatten nämlich „aus der Harmlosigkeit der ganzen Sache (…) die gestrenge Pauke nicht allzu ernst genommen“ und fröhlich weitergetanzt. Die von nun „vorkommenden Störungsversuche ließen“ Männchens Einschätzung nach „an der Planmäßigkeit nicht zweifeln“. Inzwischen war nämlich SS-Haupttruppführer Reuschauer auf „eine Ansammlung“ älterer Parteigenossen im Garten aufmerksam geworden, die ihm von den skandalösen Vorgängen im U 7 berichteten.543 Er begab sich daraufhin mit einigen SS-Männern „in dieses aufgezäumte Beisel (…) und war geradezu überrascht, wie dort bei einem Jazzgewinsel auf Schallplatten ‚geschoben‘ wurde“. Zu allem Überdruss wurden Reuschauer und seine Mannen von dem ahnungslosen Kassier auch noch aufgefordert, Eintritt zu bezahlen.544 Völlig konträr schilderte der „Dienststellenleiter von U  7“, Emanuel Müller, das Eintreffen der SS auf dem Tanzboden.545 Laut seinem Bericht „stürzten plötzlich einige S.S. Männer mit einem Schaarführer (sic  !) an der Spitze in den Saal und forderten die Tänzer auf, auch S.A. Männer, den Tanz sofort einzustellen mit dem Bemerken  : ‚Oes A…löcher  ! Wir hauen euch alles z’samm(,) wenn ihr modern tanzt.‘ “ Woraufhin der „Dienststellenleiter den Schaarführer (sic  !) (frug)(,) in wessen Auftrage er handle“ und zur Antwort bekam  : „Das geht sie (sic  !) einen Dreck an. Wir haben Dienst und dulden nur das, was uns gutdünkt.“ Männchen zufolge seien die SS-Männer „geschickt worden (…), (um) den Betrieb zu stören, weil angeblich ‚Jüdische‘ Tänze getanzt würden“,546 worüber er sich besonders empörte, da „es einer Beleidigung der Gäste gleich(kommt)“, „die ausgelassenen Sprünge eigener Erfinderlaune der Gäste zum Marschtempo als jüdische Tänze zu stempeln“. Außerdem hätte einer „der Eindringlinge“ auch noch gerufen, „man soll gleich Huren einladen“. Beschwerde brachten später auch einige in ihrem Tanzvergnügen gestörte SA-Männer und Parteigenossen ein,547 die angeblich von einem SS-Mann mit „Es Arschlöcher, was wollts ihr, Ihr seits (sic  !) ja erst 2 Tage bei der S.A“ beschimpft wurden. Auch hätten die SSMänner gedroht, wenn „noch einmal diese modernen Tänze gespielt würden, würde alles krumm und klein geschlagen“. Abschließend stellten die SA-Männer noch fest, dass es „für die betreffenden S.S. Leute (…) keinen Unterschied zwischen modernen Tänzern (sic  !) (gibt)“. Ganz anders beschrieb Smirtschek die Vorfälle im U 7  : So sei „ein diensthabender SS-Mann, der einem in Uniform modern tanzenden SA-Mann dies verwies(,) von den anwesenden SA. Männern und veranstaltenden Pg. in ordinärster und nicht wiederzu543 Protokoll von SS-Haupttruppführer Josef Reuschauer v. 19. 7. 1932, ebd. 544 Ebd.; Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd. 545 Bericht von Emanuel Müller v. 12. 7. 1932, ebd. 546 Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd. 547 Beschwerde von SA-Scharführer Wilhelm Hösner et. al., o. D., ebd.

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gebender Weise beschimpft“ worden,548 außerdem „stürzten sich“ laut Lorenz „(sofort) S.A. Männer in Uniform und Zivil, sowie auch weibliche Teilnehmer dieser fraglichen Vergnügung“ auf die SS-Männer und „drängten sie unter Beschimpfungen und Drohungen aus dem Raume“.549 Alle Vermittlungsversuche seitens der U-7-Mannschaft blieben ergebnislos,550 da Männchen zufolge seitens der SS „immer wieder betont (wurde), daß ‚wir nicht unsere Schädel einhauen ließen (sic  !), damit von anderen modern getanzt würde, die erst jetzt dazukamen, – wo die anderen gewesen wären, als wir in Liesing waren, wo es einen Toten gab – es kümmert Abb. 36: Leo Libardi, ca. 1932, UBW uns nichts, was der Gau beschließt, hier wird nicht modern getanzt.‘ u. dgl. Der sich als Anführer gehabende(,) wies alle Augenblicke auf seine Uniform, man sehe daraus(,) wer er sei, und ließ mit sich nicht vernünftig reden.“ SS-Haupttruppführer Reuschauer wiederum gab an,551 dass „ein Herr Klaus von der Filmstelle“ ihm erklärt hätte, „dass erstens diese Tänze alle älter seien als ich selbst und zweitens auf die Parteifreunde Rücksicht genommen werden müsste, die sonst wo anders hingingen, um modern tanzen zu können“. Reuschauer erwiderte darauf, dass „wir Nationalsozialisten (…) keine Kompromisse (kennen) und (…) alle Volksgenossen in deutschen Geiste (sic  !) erziehen (sollten)“, er sich „einen grossen Dreck um Leute (kümmere), die in einer Zeit, wo unsere Bewegung täglich einige Tote aufzuweisen habe, nichts eiligeres (sic  !) zu tun hätten, als modern zu tanzen“. Daraufhin habe er mit seinen Männern den Raum verlassen. In der Zwischenzeit hatte sich aber Gauredner Krebs gemeinsam mit dem Hernalser Bezirksrat zur Festleitung begeben und diese aufgefordert,552 „das moderne Tanzen zu verbieten, da es gegen die Grundsätze des Nationalsozialismus verstösst“. 548 Protokoll von SS-Sturmführer Hannes Smirtschek v. 15. 7. 1932, ebd. 549 Protokoll von SS-Truppführer Gustav Lorenz v. 19. 7. 1932, ebd. 550 Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd. 551 Protokoll von SS-Haupttruppführer Josef Reuschauer v. 19. 7. 1932, ebd. 552 Bericht von Gauredner Josef Krebs v. 12. 7. 1932, ebd.

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Nachdem die Festleiter Alkhofer und Kott erklärt hatten, „dass einige moderne Tänze (…) von der Festleitung bewilligt worden wären“, erwiderte Krebs, dass es ihm „als Nationalsozialisten gleichgültig ist(,) was bewilligt wurde, da es unserer kulturellen Bedeutung wiederspricht (sic  !), müssen die Tänze verboten werden“. Krebs marschierte zur Tanzdiele zurück, „liess die Musik abbrechen und gab das Verbot bekannt“. Sein Verhalten rechtfertigte er damit, dass er „bloss“ seine „Pflicht als Redner und Nationalsozialist erfüllt“ habe und dafür „jederzeit (…) voll und ganz ein(stehe)“. Obwohl ab diesem Zeitpunkt angeblich keine „moderne“ Musik mehr gespielt wurde, hinderte dies laut U-7-Dienststellenleiter Müller die SS nicht daran, sich noch weitere drei Mal als Sittenpolizei aufzuspielen und für „Ordnung zu sorgen“  :553 „Immer wenn einige Gäste sich wieder eingefunden hatten(,) setzte der Wirbel von neuem ein“, bis schließlich „das Tanzen ganz eingestellt“ wurde, „weil alle Gäste diese eigenartigen Auftritte satt hatten und sich nicht mehr in den Saal getrauten. Trotzdem Niemand (sic  !) tanzte, denn es waren nur mehr einige Leute dienstlich anwesend und ein Marsch gespielt wurde, erklärte die S.S., welcher sich jetzt auch einige Gäste zugesellt hatten (welche im Allgemeinen über die mod. Tänze schimpften), zur Aufrechterhaltung der Ordnung den Saal besetzen zu müssen. Schließlich wurde, um den ewigen Stänkereien ein Ende zu bereiten(,) der Saal von S.A.-Leuten geschützt.“ Währenddessen spielten sich im Saal des Restaurants ebenso unschöne Szenen ab. Da die Lautsprecheranlage des Übertragungswagens der Firma Siemens nicht mehr funktionierte, konnte die Festleitung keine Anweisungen mehr über den Ablauf des weiteren Programms geben.554 Daraufhin erteilte ein Mitglied der Festleitung Truppführer Libardi den Auftrag, den Saal vor Beginn des „Bunten Abends“ zu räumen, da für diesen eigene Eintrittskarten ausgegeben worden waren und die Karten der nachmittäglichen Veranstaltung nicht mehr galten. Zur Durchführung des Auftrags „marschierte“ Libardi „mit 20 S.S. Männern und 4 Scharführern in den Saal“,555 in dessen Mitte er „Aufstellung“ nahm, „die anwesenden Parteigenossen und S.A. Männer (ersuchte)(,) den Saal zu verlassen“, und ihnen erklärte, dass sie eine neue Karte lösen müssten und ihnen erst danach „wieder Einlaß gewährt würde“. Er habe seine Ansprache „je dreimal“ wiederholt und sei schließlich, nachdem die Gäste keine Anstalten machten, seiner Aufforderung Folge zu leisten, mit seinen Scharführern zu den Tischen gegangen und habe die Anwesenden nochmals „ersucht“, den Saal zu verlassen. Nachdem aber der Großteil der Gäste bereits für beide Veranstaltungen bezahlt 553 Bericht von Emanuel Müller v. 12. 7. 1932, ebd. 554 Nichtunterfertigter Bericht der Propagandaabteilung über das Fest „Film und Funk“ v. 10. 7. 1932, ebd. 555 Protokoll von SS-Truppführer Leo Libardi, o. D., ebd.

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und sich die besten Plätze gesichert hatte, weigerten sie sich, den Saal zu verlassen. Libardi suchte nun den diensthabenden SA-Truppführer auf, um ihn zu bitten, der SA den Befehl zum Verlassen des Saales zu geben, was teilweise auch erfolgte. Weiters vereinbarten sie, dass die gesamte diensthabende SA und SS freien Eintritt zum „Bunten Abend“ erhalten sollte. Nachdem die SS-Männer bereits „volle 15 Minuten angetreten“ im Saal herumgestanden waren, verlor Libardi die Geduld und ging „zur Räumung über“. Während die Gäste nun mehr oder weniger freiwillig den Saal verließen, sei laut Libardi ein SA-Mann in Zivil gegen die SS „tätlich“ geworden, „woraufhin ihn einige S.S. Männer packten(,) zur Tür trugen und ihn etwas zu tun frei ließen“. Während der Räumung sei es SS-Truppführer Lorenz zufolge556 „trotz grösster Höflichkeit der SS. Männer (…) zu wüsten Beschimpfungen“ gekommen, „die die Besucher gegen die SS. ausstiessen, unterstützt von den S.A. Männer (sic  !), die tätlich gegen die SS. vorgingen“. Ganz anders schilderten einige Gäste das Geschehen. So beschwerte sich der Sprengelleiter der Bezirksgruppe Leopoldstadt,557 dass „die Räumung des Saales durch die S.S. (…) ohne vorherige Verständigung und Begründung (…) brutal ausgefallen (ist). Einzelne Pgn. weinten.“ Heinrich Gold, Oberkontrolleur der Oesterreichischen Nationalbank und Mitglied der dortigen NS-Betriebszelle,558 befand sich in Begleitung zweier befreundeter Familien, die er „nach langwierigem Bemühen zum Parteianschluß bewog(en)“ hatte, ebenfalls im Saal und wurde von der SS „faktisch hinausgeworfen“. Angeblich durften jedoch die Begleitpersonen der SS-Männer im Saal bleiben,559 was wiederum von Libardi vehement bestritten wurde.560 Nach Ansicht eines Besuchers sei es völlig überflüssig gewesen, den Saal gewaltsam zu räumen, hätte es doch völlig ausgereicht, die Karten zu kontrollieren und bei jenen Gästen, die nachzahlen wollten, den Eintritt zu kassieren.561 Nach Räumung des Saales besetzte die SS die Eingänge und begann mit der Kontrolle der Eintrittskarten für den „Bunten Abend“, jedoch weigerten sich viele Besucher, „einen neuen Eintritt zu bezahlen“, und mussten von der SS „zurückgewiesen“ werden.562 Nach dem Einlass übergab Libardi den Dienst bei den Eingängen wieder an die SA, die nun die Ablöse vornahm, indem sie die SS mit „Putzt’s Euch, draht’s

556 Protokoll von SS-Truppführer Gustav Lorenz v. 19. 7. 1932, ebd. 557 Bericht des Sprengelleiters der Bezirksgruppe Leopoldstadt v. 11. 7. 1932, ebd. 558 Bericht von Heinrich Gold v. 12. 7. 1932, ebd. 559 Bericht von Josef Kubesch v. 14. 7. 1932, ebd. 560 Protokoll von SS-Truppführer Leo Libardi, o. D., ebd. 561 Bericht von Josef Kubesch v. 14. 7. 1932, ebd. 562 Protokoll von SS-Truppführer Leo Libardi, o. D., ebd.

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Euch. Jetzt kommen wir“ begrüßte.563 Laut Angaben von Reuschauer „stiess“ die SA die SS „unter allen möglichen Anpöbelungen“ sogar aus dem Saal564 und verwehrte ihr den Einlass zum „Bunten Abend“.565 Auch die zuvor diensthabenden SS-Männer wurden von der SA aufgefordert, Eintritt zu bezahlen.566 Fast zu einer Schlägerei kam es dann, als Hans Smirtschek567 in Zivil und in Begleitung seiner Frau Einlass zum „Bunten Abend“ begehrte und von der SA abgewiesen wurde, da nur seine Frau eine Eintrittskarte hatte.568 Smirtschek stand jedoch als SS-Führer der freie Eintritt zu. Auf seine „in höflichem Tone erfolgte Vorstellung“, so Smirtschek, habe ihm der SA-Posten erwidert, dass er ihn zwar kenne, ihn aber trotzdem nicht hineinlassen dürfe. Weiters sei das nun herbeigerufene Mitglied der Festleitung, Ludwig Vedra, „gleich ausfallend“ gegen ihn geworden und habe ihm erklärt, dass er „schon im Jahre 1921 Pg. gewesen (sei), zu welcher Zeit“ Smirtschek „noch in den Windeln gelegen wäre“. Daraufhin verlor Smirtschek, ein alter Kampfgenosse Horst Wessels und Urgestein der Bewegung, endgültig die Beherrschung und drohte Vedra damit, „dass er ihn auf der Stelle zusammenschlagen werde“. Seine „berechtigte Erregung“ begründete er damit, dass er schon „vor 15 Jahren von cechischen Legionären angeschossen wurde, seit 1919 im nat(ional)soz(ialistischen) Jugendbund Iglau, seit 1923 in der Partei als Mitglied tätig war, viele Geld- und gerichtliche Strafen“ aufgrund seiner Parteizugehörigkeit „zu tragen hatte und vor den Staatsanwalt gezerrt“ worden sei. Vedra, seinerseits Propagandistentruppführer, Bücherwart und Bezirksrat der NSDAP,569 stellte die Sachlage naturgemäß anders dar. Er habe sich, nachdem er „bei der Ausgangsseite Nord-Ost Lärm“ gehört hatte, dorthin begeben und „bemüht (…), die Ursache dieses Lärmes zu ergründen“. Er sah, wie sich ein Zivilist „unter Ausnützung seiner ganzen Körperkraft gegen den diensthabenden S.A.-Mann warf“, sich „Eintritt in den Saal erzwingen wollte“ und „es (…) nicht (unterliess), fortwährend den S.A. Mann zu beschimpfen und mit dem Niederschlagen zu drohen“. Er habe ihn daraufhin „ersucht (…), wenn er wirklich N.S. wäre, doch Disziplin zu halten und derlei Drohungen zu unterlassen, da ihm „nun dieses Geschimpfe nicht geeignet erschien, bei Pg. und Fremden Ansehen zu erwerben“. Vedra habe zur Schlichtung des 563 Protokolle von SS-Truppführer Libardi, SS-Truppführer Lorenz und SS-Sturmführer Smirtschek, ebd. 564 Protokoll von SS-Haupttruppführer Josef Reuschauer v. 19. 7. 1932, ebd. 565 Protokoll von SS-Truppführer Leo Libardi, o. D., ebd. 566 Protokoll von SS-Truppführer Gustav Lorenz v. 19. 7. 1932, ebd. 567 Smirtschek war zu diesem Zeitpunkt noch SS-Truppführer, war jedoch mit der Führung des Lehrsturms der Wiener SS beauftragt und unterzeichnete auch als SS-Sturmführer. 568 Protokoll von SS-Sturmführer Hans Smirtschek v. 15. 7. 1932, ebd. 569 Bericht von Ludwig Vedra, o. D., ebd.

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Streits einen diensthabenden SS-Mann „um Intervention“ ersucht, sei damit aber „an den Unrechten gekommen“, da ihn dieser trotz Funktionärsarmbinde und Uniformierung anbrüllte, wie er „es wagen könne, ihm Aufträge zu erteilen“. Daraufhin habe Smirtschek dem SS-Mann den Befehl gegeben, Libardi herbeizuholen, was dieser zum „grössten Erstaunen“ Vedras auch „bereitwilligst“ tat. Nachdem Vedra Smirtschek neuerlich sein Verhalten vorgeworfen hatte, drohte dieser ihm, ihn „zusammen zu hauen. Er habe schon zuviel für die Partei gelitten, zuviel geblutet, im Kerker gesessen(,) um sich von einem so jungen Nationalsozialisten(,) wie ich wäre, belehren zu lassen und drohte neuerlich, falls ich ihn nicht sofort einlasse, mich in Grund und Boden zu schlagen,“ Erst beim Erscheinen Libardis gab sich Smirtschek Vedra zufolge als SS-Führer zu erkennen und wäre, hätte er dies früher getan, „wahrscheinlich ohne weiters seitens der S.A“ eingelassen worden, was laut Smirtschek eben nicht der Fall gewesen war. Einigkeit herrschte hingegen bei allen Beteiligten über die mangelhafte Organisation der Abendveranstaltungen. So fühlten sich die Gäste des „Bunten Abends“ durch die aus dem Garten hereintönende Musik und die auf der Wiese stattfindende Filmvorführung gestört. Letztere wurde wiederum „als ganz und gar ungenügend“ bezeichnet  ;570 man habe von dem Film „nur Schattenbilder zu sehen“ bekommen.571 Der Probelauf für die „Freiluft-Tonfilm-Aufführung“ hatte nämlich in einem geschlossenen Raum stattgefunden, wo alles bestens geklappt hatte.572 Nachdem ein Ingenieur der Firma Zeiss-Icon auch noch erklärt hatte, dass der NSDAP aus der Aufführung keinerlei Kosten erwachsen würden, und diese wiederum „die Wirkung auf die Masse“ ausprobieren wollte, wurde die Aufführung des Films beschlossen. Laut nachträglicher Feststellung hätte „beim besten Willen niemand ahnen“ können, dass „die Vorführung im Freien gegenüber der ausgezeichneten Vorführung im Raume derart miserabel sein würde“. Darüber hinaus stellte sich später dann auch noch heraus, dass die Aufführung doch mit Kosten verbunden war. Gegen halb zehn Uhr abends wurde Libardi schließlich zu Alkhofer zitiert, der ihm angeblich „so von oben herab (erklärte)(,) die S.S. könne nach Hause gehen“.573 Nach dem Ende der Filmvorführung habe er mit seinen Männern geschlossen die Veranstaltung verlassen, woraufhin der Wirbel erst richtig losgegangen sei. Zu allem Überfluss traten am Abend nämlich ausgerechnet die SS-Musikanten im hart umkämpften U 7 auf,574 wo die Situation dann endgültig eskalierte. Nachdem es laut Männchen näm570 Nichtunterfertigter Bericht der Propagandaabteilung über das Fest „Film und Funk“ v. 10. 7. 1932, ebd. 571 Protokoll von SS-Haupttruppführer Josef Reuschauer v. 19. 7. 1932, ebd. 572 Nichtunterfertigter Bericht der Propagandaabteilung über das Fest „Film und Funk“ v. 10. 7. 1932, ebd. 573 Protokoll von SS-Truppführer Leo Libardi, o. D., ebd. 574 Protokoll von SS-Truppführer Gustav Lorenz v. 19. 7. 1932, ebd.

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lich „so weit“ gekommen war,575 „daß die SS auf Festleitungsbefehl abtreten mußte(,) (…) verstieg sich diese so weit, daß auf ein Kommando ein Sturm auf den Eingang des Wintergartens gemacht werden sollte“. Er habe sich gerade vor dem Eingang befunden „und mußte selbst einen SS Mann am Arm zurückreißen“. Schließlich gelang es „mit Hilfe der SA(,) den Trupp abzuweisen“. Die Gäste waren „natürlich unter diesen Umständen längst“ geflüchtet. Völlig ahnungslos über die nachmittäglichen Vorfälle im U 7 hatte sich auch Heinrich Gold mit seinen frisch angeworbenen ParteigenossInnen zum Tanzboden begeben.576 Nach seinem Bericht dürften zwei vermutlich ebenso ahnungslose Tanzpaare den Anlass für die kriegerischen Auseinandersetzungen gegeben haben, die „modern getanzt“ und damit den Unwillen eines Funktionärs erregt hatten. Ein SS-Führer gab daraufhin „den Befehl zum ‚räumen‘ und (…) die S.S. Leute (stürmten) auf die ahnungslosen Zuschauer in einer Art ein, welche absolut ungebührlich war“. So wurden zwei von Golds Begleitern „brüsk gestossen und auf die Frage eines derselben, was denn um Gotteswillen los sei, wurde ihm gesagt ‚wenn Ihnen was nicht recht ist, tragen wir Sie hinaus‘ “. Männchen vermutete,577 dass es „vielleicht nur dem Auftauchen dreier Polizeileute in der Nähe zu verdanken“ war, „wenn es schließlich nicht zum Bruderkrieg zwischen SS und SA kam“. Das „lustige Sommerfest“ endete in einem Desaster. In den folgenden Tagen hagelte es zahlreiche Beschwerden von allen Seiten  : Leo Libardi übte heftige Kritik an der Organisation der Veranstaltung.578 So konnte etwa nicht ermittelt werden, wer das Fest eigentlich organisiert hatte, da sich sowohl Alkhofer als auch Kott als Veranstalter ausgaben. Smirtschek hielt es wiederum für „notwendig, der SA. sowie Veranstaltern derartiger Feste verstehen zu geben, dass die SS. kein Prügelknabe für schlecht organisierte Feste sei und ihnen in entsprechender Weise eindringlich vor Augen zu halten, w e r und w a s die SS. ist.“579 Außerdem würden „diese sich oft wiederholenden, die SS. durch die SA. vor den Parteigenossen herabwürdigenden Vorfälle, Durchbrechung des Gelöbnisses der Parteidisziplin und der Schweigepflicht Aussenstehenden gegenüber über Vorfälle in der Partei, der SS. und SA. (…) in erster Linie empfindlich die Interessen der Bewegung (schädigen)“. Gustav Lorenz empörte sich darüber,580 dass „alle diese Vorfälle (…) von S.A. Leuten und Parteigenossen dazu benützt (wurden), gegen die SS. in ärgster Form zu hetzen. Es schwirrte nur von Gerüchten, in denen zusammengedroschene (sic  !) Frauen und Kinder vorkamen und an allem waren wir 575 Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd. 576 Bericht von Heinrich Gold v. 12. 7. 1932, ebd. 577 Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd. 578 Protokoll von SS-Truppführer Leo Libardi, o. D., ebd. 579 Protokoll des SS-Sturmführers Hannes Smirtschek v. 15. 7. 1932, ebd., Herv. i. Orig. 580 Protokoll von SS-Truppführer Gustav Lorenz v. 19. 7. 1932, ebd.

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schuld.“ Außerdem „herrscht(e)“ bei dem „fremden S.A. Sturm“, der den Dienst versah, „anscheinend die Manier (…), auf die SS. loszugehen“. Der Sprengelleiter der Bezirksgruppe Leopoldstadt übte Kritik an den verschiedenen Eintrittspreisen,581 was von den Gästen als „die reinste Wurzerei“ angesehen worden sei, die ihrem Unmut durch Bemerkungen, wie die „machens ja a nöt anders wie die andern“, „da wäre ich gleich in a Kino ganga“ oder „mir wern ja ärger behandelt wia dö Komunisten (sic  !)“ Luft gemacht hätten. Auch Gauredner Krebs erklärte,582 dass „das Fest, das an Regiefehlern mehr als genug aufzuweisen hatte, (…) alles eher als im nationalsozialistischen Sinne gehalten (war)“. Für Heinrich Gold583 wiederum „war das Fest (leider) durch das Auftreten der S.S. (Hernals) absolut nicht dazu angetan, der Partei neue Freunde zuzuführen. Die Organisationsfehler des Festes liessen sich entschuldigen, nicht aber das gelinde gesagt ‚scharfe‘ Vorgehen der S.S. Männer gegen Parteigenossen und Freunde der Partei. Die Art und Weise, wie die S.S. ‚Ordnung‘ machte(,) paßt in eine Versammlung mit kommunistischen Störern, nicht aber in ein Fest von Gleichgesinnten.“ Er habe „bei dieser Gelegenheit (übrigens) bemerkt, daß sich die S.S. Leute auch der S.A. gegenüber nicht gerade kameradschaftlich benommen haben(,) und fand das Benehmen der S.S. ungeteilte Ablehnung. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen“, betonte er, dass er es „begreiflich finde, wenn die S.S. Männer auf Ordnung und Zucht schauen(,) aber es ist dem Werbegedanken sicherlich abträglich, wenn sie zwischen Freunden und Anhängern der Partei und marxistischen Plattenbrüdern keinen Unterschied zu machen wissen“. Auch Parteigenosse Kubesch merkte an,584 dass er glaube, „ohne der S.S. näher treten zu wollen und ihre Verdienste zu schmälern, (…) daß man doch einen Unterschied machen muß, ob man in einer Versammlung ist, wo Gegner Unruhe stiften wollen, oder ob man sich auf einem eigenen Fest (…) befindet. (…) Wir wollen als Volksbewegung in allem mit gutem Beispiele glänzen (sic  !), so dürfen wir unseren Gegnern, von welchen gewiß so mancher draußen war, so etwas nicht vorführen, wo es beinahe zu einer Rauferei zwischen der S.S. und S.A. gekommen wäre, sonst heißt es dann  : ‚Nazi unter sich  !‘ “ Laut Bericht des „Dienststellenleiters von U 7“, Emanuel Müller,585 lasse sich der „Eindruck“, den die „Disziplinlosigkeit der S.S. auf die zahlreichen Gäste machte, (…) am besten durch die Bemerkung ‚wenn solche unglaublichen Zustände jetzt schon in der Partei herrschen, wie wird es erst im Dritten Reich zugehen‘ “ kennzeichnen. 581 Bericht des Sprengelleiters der Bezirksgruppe Leopoldstadt v. 11. 7. 1932, ebd. 582 Bericht von Gauredner Josef Krebs v. 12. 7. 1932, ebd. 583 Bericht von Heinrich Gold v. 12. 7. 1932, ebd. 584 Bericht von Josef Kubesch v. 14. 7. 1932, ebd. 585 Bericht von Emanuel Müller v. 12. 7. 1932, ebd.

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Ähnliche Kritik hatte auch Heinz Männchen vernommen.586 So habe ein Gast zu seinem Begleiter gesagt  : „Na, wenn es so im dritten Reich aussehen wird, dann ist mir was anderes schon lieber.“ Propagandisttruppführer Ludwig Vedra bat darum,587 „alles zu veranlassen, um solche Auftritte für die Zukunft hintanzuhalten (sic  !), umsomehr (sic  !), als gestern die Erregung durch diverse Fehlgriffe der S.S. ohnehin bis zur Siedehitze gesteigert war“. Am 25.  Juli 1932 teilte ein aufgebrachter Gauschatzmeister der Abteilung „Propaganda“ mit,588 dass „die Organisation (…) eine derartige (war), dass sie mit der Genauigkeit einer Nationalsozialistischen Organisation nichts zu tun hatte“. Die Partei hätte „durch die Behandlung der Pg. und Gäste mit S.S. Fäusten (…) sicherlich zahlreiche Spender und Besucher unserer Veranstaltungen verloren. (…) Das Groteske an der ganzen Sache ist, dass jeder der Beteiligten die Verantwortung ablehnt.“ Neben dem Imageschaden bilanzierte das Fest mit einem finanziellen Verlust von über 920 Schilling. Die Vorfälle auf dem Schafberg dürften bis zur SA-Oberführung nach Linz vorgedrungen sein, da Eugen Werkowitsch, der Führer der Wiener SA, ausführliche „Erhebungen“ durchführte und die Ergebnisse der Gruppenführung Österreich meldete.589 So zahlreich die Kritik an der SS auch gewesen war, hatte sie doch einen kleinen Erfolg erzielt. Als schlagkräftiges Instrument im Kampf gegen die politischen Gegner war sie breiteren Parteikreisen als unbedingt einsatzfähig bekannt geworden. Das brutale Verhalten der SS beim Fest der Filmstelle stellte keinen Einzelfall dar. Auch bei Werbeversammlungen übten SS-Angehörige auf potenzielle neue Mitglieder eine abschreckende Wirkung aus, da sie ihre polizeilichen Pflichten für die Bewegung allzu genau nahmen. Im April 1932 beschwerte sich etwa ein Student einer solchen Versammlung,590 auf der neben Frauenfeld auch der Gründer der österreichischen ­NSDAP, Richard Suchenwirth, sprach, über das rüde Benehmen eines SS-Mannes. Der Interessent war mit einem kurz zuvor in die NSDAP eingetretenen Bekannten zu der Versammlung gekommen und hatte die Reden mitgeschrieben. Am Ende der Versammlung forderte ihn ein SS-Mann auf, ihm seine Notizen auszuhändigen. Nachdem der Student ihm dies verweigerte, erklärte er, dass er „keine Widerrede (dulde)“ und Personen anwesend seien, die ihn „von Gegnern her (sic  !) zu kennen“ glauben. Auch seine Bekanntschaft mit Suchenwirth änderte nichts daran, dass der Student seine Mitschrift aushändigen musste. In einer Eingabe an die Gauleitung stellte er 586 Bericht von Heinz Männchen v. Juli 1932, ebd. 587 Bericht von Ludwig Vedra, o. D., ebd. 588 Der Gauschatzmeister an die H.A. IV (Propaganda) des Gaus Wien v. 25. 7. 1932, ebd., Kt. 4. 589 Der Führer der Untergruppe Wien Eugen Werkowitsch an die SA-Gruppenführung Österreich v. 22. 7. 1932, ebd., Kt. 19. 590 Schreiben an die „Geehrte Gauleitung“ v. 14. 4. 1932 (Unterschrift unleserlich), ebd., Kt. 6, Herv. i. Orig.

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klar, dass er seine Notizen „freiwillig“ herausgegeben habe, obwohl es dem Gesetz nach „jedermann freisteht, sich in einer öffentlichen Versammlung Notizen zu machen, sie beliebig zu verwerten und er auf keine Weise zur Herausgabe solcher Notizen verhalten werden kann“. Der eigentliche Grund für seine Beschwerde galt jedoch der „Art des Vorgehens Ihrer S.S.“ im Allgemeinen, die über „keine Amtsgewalt“ verfüge, und im Speziellen gegen das Verhalten des betreffenden SS-Mannes, der „seine Fragen und Aufforderungen (nicht nur) in scharfem, fast drohendem Ton (stellte)“, sondern ihm auch „Verdächtigungen ins Gesicht (warf ), ohne auf meine Frage nach seinen Anhaltspunkten einzugehen“. Und das, obwohl durch sein Verhalten als auch aufgrund der Bestätigung der „leitenden Parteimänner“ klar ersichtlich war, dass er kein Gegner, sondern eine „zu einer Werbeversammlung erschienene Privatperson“ war. Falls der SS-Mann tatsächlich auf Befehl gehandelt habe, sei eine „solche Truppe keine Empfehlung für eine mit geistigen Mitteln kämpfende Idee“.

5. Das Verhältnis der Wiener SS zu SA und Politischer Leitung

Das rasche Anwachsen der SS bedeutete für die SA einen erheblichen Verlust der Macht, welche sie nicht ohne Weiteres aufzugeben bereit war. So hatte Hermann Reschny bereits im Juli 1931 die SA „zum wiederholtenmale (sic  !)“ darauf „aufmerksam“ machen müssen, „dass die SS zum Ordnerdienst bei Parteiveranstaltungen berufen ist“ und „den Anordnungen von SS-Männern bei diesen Gelegenheiten (…) daher widerspruchslos Folge zu leisten (ist). Auch von SA-Führern  !“591 Mit Misstrauen verfolgte die SA den Aufbau der SS-Einheiten und die Abwerbung von Männern aus ihren Reihen. Anfang Februar 1932 war der Übertritt von einer Brachialorganisation zur anderen neu geregelt worden.592 Ab diesem Zeitpunkt war außer dem „Einverständnis der beiderseitigen Sturmführer“ auch jenes „des einschlägigen SA-Gruppenführers und des Reichsführers SS erforderlich“. Eine Aufnahme in die neue Formation durfte erst drei Monate nach Stellung des Ansuchens erfolgen. In der Praxis verliefen die Abwerbungsaktionen aber alles andere als vorschriftsmäßig. Insbesondere der Führer des Sturmbanns I/24, Walter Könitzer, beschwerte sich wiederholt über das Vorgehen der SS593 und den „unstatthafte(n) Uebertritt“ von SA-Männern zur Schutzstaffel, der „das ohnehin schlechte Verhältnis zwischen SA und SS vollends zunichte (…) machen“ würde. Die SS betreibe, so Könitzer, eine „rücksichtlose Zersetzungsarbeit“594 und werbe „unter völliger Missachtung aller bezüglichen Befehle der zuständigen SA Dienststelle, teilweise mit i n f a m e n Mitteln in den Reihen der SA“. Auf die SA wirke sich „das Bewusstsein, diesem Treiben schutzlos preisgegeben zu sein, (…) niederschmetternd“ aus. Anlass zu Streitigkeiten gab u.a. die angebliche Nichteinhaltung der dreimonatigen Sperrfrist durch die SS, die übertrittswillige SA-Männer sofort als 591 SA-Befehl Nr. 11 der Gruppe Österreich, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 18. 592 Abschrift des SA-Befehls Nr. 2 der Gruppenführung Österreich v. 4. 2. 1932, ebd., Kt. 19. 593 Der Führer des Sturmbanns I/24 Walter Könitzer an die Gruppenführung Österreich v. 25. 4. 1932, ebd. Nach Longerich (2008), S. 131, kam es auch in Deutschland zu Beschwerden der SA über die „wenig kameradschaftliche Art der Werbung“ seitens der SS, da diese „permanent“ versuchte, die „besten“ SA-Männer für sich zu gewinnen, wie etwa in Hamburg, wo sich die SA über die „unerhört wühlende Werbetätigkeit“ der SS beschwerte, Longerich (2003), S. 150. Ebenso wie in Wien führten neben der SA auch die Parteigenossen Beschwerde gegen das überhebliche Verhalten der SS, das den Eindruck entstehen lasse, „als Nationalsozialist zweiter Klasse betrachtet“ zu werden, ebd. 594 Vierteljahresbericht v. April–Juni 1932 des Führers des Sturmbanns I/24 Walter Könitzer v. 30. 6. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

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Anwärter in ihre Reihen aufgenommen hätte. Weiters habe Könitzer zufolge ein SAMann für seinen Austritt aus der Formation rein „private Gründe“ angegeben, war jedoch wenig später als Mitglied des SS-Spielmannszugs wieder in Erscheinung getreten. Könitzer sah sich „verpflichtet, darüber Meldung zu machen“, da die Vorfälle „im einzelnen SA Mann ein gewisses Minderwertigkeitsgefühl (…) erzeugen“ könnten. Prinzipiell konnte die SA den Übertritt zur SS zwar nicht verhindern, allerdings durch schikanöse Maßnahmen durchaus erschweren. So brachte im Mai 1932 ein SA-Scharführer Beschwerde bei der Gruppenführung ein,595 da sein Überstellungsansuchen vom Sturmbann  I/24 nicht angenommen worden war. Könitzer rechtfertigte sein Vorgehen damit, dass das Ansuchen „zurückgewiesen“ werden musste, „weil es in der äusseren Form sowie im Papiermass vorschriftswidrig war“. Das Gezänk zwischen den beiden Formationen um die Aufnahme neuer Bewerber zeigt etwa ein Fall, der sich ebenfalls im Mai 1932 zutrug. Wiederum war Walter Könitzer darin involviert, der darüber auch Hermann Reschny Bericht erstattete.596 Demzufolge hatte der SA-Truppführer Bretschneider den Anwärter Karl Kovar, der „bereits über den National-Sozialismus aufgeklärt und zum Sturm angeworben worden war“, zu einer Versammlung ins Gasthaus Lembacher mitgenommen. Da der Geldverwalter noch nicht eingetroffen war, wurde Kovar angewiesen, auf diesen zu warten. Die „Wartezeit“ benutzte Könitzer zufolge der SS-Mann Klinger, „um den SA-Anwärter (…) von seiner Absicht, in die SA einzutreten, abzubringen, dagegen jedoch für die SS zu werben“. Nachdem er „dies konstatiert“ hatte, gab Könitzer Truppführer Bretschneider den Befehl, Klinger darauf „aufmerksam zu machen, dass Karl Kovar bereits für die SA geworben sei“. Auch Kovar erklärte gegenüber Könitzer, „in die SA eintreten zu wollen, da er bekannte Jugendfreunde beim Sturm 1/24“ hatte. Daraufhin sei Könitzer zufolge der SS-Mann Klinger an ihn herangetreten und habe ihn „im Beisein einiger SA Männer an(geschrien)  : ‚Sie, ich mache Sie darauf aufmerksam, unterrichten Sie den Mann über die SS nicht falsch, ich habe diesen bereits unterrichtet.‘ “ Nachdem Klinger der Aufforderung Könitzers, „den geschlossenen SA Dienstraum zu verlassen, nicht Folge leistet, befahl dieser einem SA-Mann, „den SS Mann aus dem Dienstraum zu führen“, woraufhin Klinger mehr oder minder freiwillig den Raum verließ. Anfang September 1932 beschwerte sich auch der Führer der Wiener Untergruppe, SA-Oberführer Eugen Werkowitsch, bei Reschny597 über das präpotente Auftreten von SS-Angehörigen, die „bei sämtlichen Veranstaltungen der SA in bürgerlicher Klei595 Der Führer des Sturmbanns I/24 Walter Könitzer an die Gruppenführung Österreich v. 4. 5. 1932, ebd. 596 Der Führer des Sturmbanns I/24 Walter Könitzer an den Führer der Gruppe Österreich v. 24. 5. 1932, ebd. 597 Der Führer der Untergruppe Wien Eugen Werkowitsch an die Gruppenführung Österreich v. 2. 9. 1932, ebd.

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dung erscheinen und dort Kontrollen ausüben“. Die SS würde ständig „behaupte(n) (…), daß sie diesen Dienst auf Befehl durchführe“, sei „aber nie bereit, Dokumente über einen derartigen Auftrag vorzuweisen“. Es gehe, so der empörte Oberführer weiter, „durchaus nicht an, daß sich SS (sic  !) eine Kontrolle über die SA anmaßt“. Falls eine solche Anordnung tatsächlich notwendig sein sollte, etwa zur Ausforschung von Spitzeln, so dürfte die SS-Führung für diese Aufgabe „nur einwandfreieste SS-Männer (…) betrauen, aber nicht (…) SS-Männer in den SA-Versammlungen herumschicken, die seinerzeit (…) aus der SA wegen schlechten Benehmens ausgeschlossen wurden“. Weiters habe die Untergruppe „beobachtet“, dass Standartenführer Peschel „gerade in letzter Zeit von SS-Männern belästigt“ worden sei. So etwa von dem SSMann Hanreich,598 der es eben „im besonderen (…) auf Belästigungen des Standartenführers Peschel abgesehen zu haben“ schien.599 Nach diesem Bericht dürfte die SS auch gegen die Anordnung, dass ausgeschlossene Männer nicht in die jeweils andere Formation übernommen werden durften, verstoßen haben. Peschel scheint zumindest bei einzelnen SS-Angehörigen wenig beliebt gewesen zu sein, da auch der Stabsführer der Wiener SA Heinz Cohrs bei einer Versammlung im Währinger Bräuhaus, zu der einige SS-Männer in Zivil erschienen waren und „scheinbar eine Kontrolle durchführen wollten“, ebenfalls „beobachtet“ hatte, wie nach dem Ende seiner Rede „sich ein SS-Mann an den Tisch des Standartenführers Peschel (begab) und (…) ihn in etwas eigenartiger Weise (ersuchte), eine Runde Bier für die SS zu spenden“, was dieser „kurz und entschieden“ ablehnte. Darüber hinaus werde die SS „immer noch instruiert (…), dass ein Scharführer der SS gleichzustellen ist mit einem Truppführer der SA, ein SS-Truppführer mit einem SA-Sturmführer usw., daß also der SS-Führer in seiner Stellung immer gleichbedeutend ist mit dem nächsthöheren (sic  !) SA-Führer“. Gewaltigen Ärger innerhalb der SA verursachte dann im Herbst 1932 die Übernahme des SA-Reitertrupps durch die SS. Im November 1931 hatten einige SA-Männer den Reitlehrer und SA-Angehörigen Friedrich Frauendorffer gebeten, ihnen Reitunterricht zu erteilen, woraufhin dieser Kurse im Reitinstitut Holzer im Wiener Prater abhielt. Im Mai 1932 war die Gruppe auf dreißig Mann angewachsen, und Frauendorffer stellte bei der SA-Führung ein Ansuchen um Aufstellung eines Reitersturms,600 was von Sturmführer Alois Kneisl unterstützt wurde,601 der den Leopoldstädter SA-Sturm 2/24 kommandierte. Dieser hielt es nämlich „schon lange“ für ein „hohe(s) Ziel“, „wenn der Bewegung in Wien eine SA-Formation zur Verfügung stehe nach der Art der Alarmabteilung 598 Vermutlich handelte es sich dabei um Jakob Hanreich. 599 Der Führer der Untergruppe Wien Eugen Werkowitsch an die Gruppenführung Österreich v. 2. 9. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 600 Friedrich Frauendorffer an die Gausturm-Führung der S.A. (Gausturm Wien) v. 12. 5. 1932, ebd. 601 Alois Kneisl an den Führer des Gausturms Wien v. 21. 5. 1932, ebd.

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der Polizei“, und die Gründung eines „Sportsturms“ vorschlug. Prater und Lobau würden sich „für allerlei Sport und Exerzieren“ bestens eignen, um „eine kampfsportlich tadellos durchgebildete Truppe“ heranzubilden. Kneisl erwartete bei einem baldigen Start des Programms einen „Erfolg (…) bereits in der nächsten Kampfperiode im Herbst“. Insbesondere müssten Lehrer für „Leichtathletik, Boxen, Ringen, Jiu-Jitsu, Schwimmen und Rettungsschwimmer“ gefunden werden sowie ein „militärische(r) Führer“ für eine Reitformation. Im Juni sprach dann Frauendorffer bei SA-Stabschef Oskar Türk602 wegen der Gründung eines Reitersturms vor, der sich dahingehend äußerte,603 dass „ein Reitersturm (detachierte Abtlg.) (…) nur dann Wert hätte, wenn ausser den Reitern auch die Pferde als Eigentum vorhanden wären“. Aufgrund der „Aeusserung“ einer „so massgebende(n) Persönlichkeit“ erstellte Frauendorffer eine Analyse der Situation und kam zu dem Schluss, „dass die Möglichkeit zu einer solchen Durchführung gegeben (sei)“. Im Mai 1932 fand dann „eine öffentliche Reitervorführung im Dienstkleid unter Anwesenheit des Gruppenführers, des Gausturmführers, beider Stäbe, sowie des Oberführers Du Moulin statt“.604 Die Vorführung scheint nicht sehr erfolgreich verlaufen zu sein, da „in weiterer Folge (…) die Sturmaufstellung zunächst verschoben (wurde)“. Ende September meldete dann ein aufgebrachter Alois Kneisl seinem Sturmbannführer Könitzer, dass Frauendorffer, nachdem auch eine Vorsprache bei SA-Oberführer Werkowitsch ergebnislos geblieben war, Mitte August „Fühlung“ mit der SS aufgenommen habe und „diese auch (…) beim Abschnittsführer (Graeschke, CR) (fand), der von der Gründung einer ‚SS-Reiterstandarte Wien-Burgenland‘ sprach und Frauendorffer mit einem Teil der Vorarbeiten beauftragte“. Auf Befehl des damaligen Führers der Standarte Anton Ziegler wurden die Männer auch „tatsächlich (…) sofort von der SS (…) mit Beschlag belegt und zum SS-Dienst und Fernbleiben beim SA-Dienst angehalten“.605 Kneisl bat nun, dass die SA-Führung erstens die „Zugehörigkeit dieser Organisation und ihrer Männer“ kläre und zweitens „den sportlichen Reitbetrieb in Aufsicht“ nehme, da er „verschiedentliche(s) Interesse“ daran in Kreisen der SA wahrgenommen habe. Die Bemühungen der SA scheinen ergebnislos verlaufen zu sein, da die SS sich die Braune Reiterschar längst einverleibt hatte. Im Oktober 1932 versuchte der reichsdeutsche SA-Führer Karl Léon Graf Du Moulin-Eckart unmittelbar nach seiner Übernahme der Untergruppe Wien, der SA 602 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 457. 603 Friedrich Frauendorffer an die Gausturm-Führung der S.A. Wien v. 20. 6. 1932, ebd. 604 Alois Kneisl an den Führer des Sturmbanns I/24 v. 27. 9. 1932, 1932, ebd. 605 Kneisl nennt an dieser Stelle neben Ziegler auch einen „Sturmbannführer Steurer“, der jedoch in den Dienstal­terslisten der Schutzstaffel (DAL) 1934–1944 nicht aufscheint. Auch in den sonstigen Quellen fehlt jeder Hinweis auf die Existenz eines Sturmbannführers dieses Namens. Die namensgleichen Angehö­rigen der Wiener SS, Kurt und Johann Steurer, hatten keine Führerstellung inne.

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eine Sonderbehandlung durch die Gauleitung Wien zu sichern, um den niedrigen Mitgliederstand zu steigern. Nach Moulin-Eckarts Ansicht hatte die Gauleitung nämlich ihre Redner dazu verpflichtet,606 in allen Versammlungen „unbedingt für die SA zu werben“. Bisher hätten aber nur wenige Redner die Werbung für die SA kurz erwähnt, obwohl deren Stand „weit unter dem Durchschnitt“ liege. Die Gauleitung wies seine Beschwerde zurück und stellte klar,607 dass sie die Redner keineswegs „verpflichtet“ habe, für die SA zu werben, sondern diese lediglich die „Tätigkeit“ für beide Brachialformationen in ihrer Rede „hervorheben“ sollten. Ausdrücklich wies sie die Bezirksleitungen nochmals an, während der Pausen oder vor Schluss der Versammlung Werbung für einen Beitritt in die SA, SS, HJ oder die Zivilorganisation (Z.O.) zu machen. Eine Sonderstellung erhielt die SA nicht. Ein kleiner Triumph für die SA stellte zumindest der „Lauf quer durch Hernals“ im September 1932 dar, bei dem sie sich gegen SS und Deutschen Turnerbund durchsetzen konnte und dadurch „einen sportlichen und propagandistischen Erfolg erzielte“.608 Streitigkeiten zwischen den paramilitärischen Gliederungen verursachte auch die Zuteilung von Lebensmittelpaketen. So berichtete der Leiter des Bezirks Fünfhaus im Februar 1933,609 dass er „einmal der Frauenschaftsleiterin die Weisung“ gegeben habe, „bei Verteilung der Esspakete auch der SS einiges zukommen zu lassen“ und damit „bei dem sztg. (SA-)Sturmführer Pg. Kerbel schön“ angekommen sei, der ihm mitteilte, dass er sich „nur um den zuständigen (SA-)Sturm zu kümmern“ habe. Penibel darauf bedacht, dass nicht die Konkurrenzformation übervorteilt werden könnte, beäugten die Brachialorganisationen die Zuteilungen durch die P.O. Nachdem etwa die SA aufgrund einer einmalig getroffenen Vereinbarung Gratis-Spendenscheine für die Sanität erhalten hatte, forderte auch die SS ebensolche für ihre Sanität.610 „Es werde gebeten“, so Standarten-Geldverwalter Herbert Toth-Sonns, „diesen der SA gegenüber gepflogenen Modus auch gegenüber der SS gelten zu lassen“. Er hoffe, dass sich „das bisher immer der SS gegenüber gezeigte Entgegenkommen auch auf diesen Fall erstrecken“ werde. Ein steter Stein des Anstoßes zwischen den Brachialformationen und der Politischen Leitung bildete die Sammlung von Spenden. Nach der „Dienstanweisung für Ortsgruppen und Stützpunkte vom 1. Juni 1931“ durften die Untergliederungen 606 Der Führer der Untergruppe Wien Léon Graf Du Moulin-Eckart an die GL Wien v. 12. 10. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 607 Der Gauinspekteur an die Untergruppe Wien der SA v. 17. 10. 1932, ebd. 608 Vierteljahresbericht des Führers der Untergruppe Wien an die Oberste S.A. Führung v. 8. 10. 1932, ebd., Kt. 19. 609 Bezirksleiter Pichler an den Gauinspekteur v. 3. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2. 610 Der Verwaltungsführer d. 11. SS-Standarte an die H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Gross-Wien v. 14. 5. 1933, ebd., Kt. 1.

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Sammlungen nur noch mit ausdrücklicher Erlaubnis der Politischen Leitung durchführen.611 Ausgenommen davon war, wie bereits erwähnt, die Werbung von Fördernden Mitgliedern der SS. Kurz vor den Wahlen im April 1932 ordnete auch Gauleiter Frauenfeld Maßnahmen gegen „das Ueberhandnehmen des völlig unkontrollierten Spendensammelns“ an.612 Sammlungen waren ab diesem Zeitpunkt nur noch mittels „einheitlich für alle Teile der Bewegung herausgegebenen Spendenscheinen“ gestattet, über deren Ausgabe die Gau-Kasse Aufzeichnungen zu führen hatte. Jede unbefugte Sammeltätigkeit war „nicht nur zu unterlassen, sondern auf das strengste (sic  !) zu untersagen, da die Gauleitung gegen Zuwiderhandlung mit allen ihr zur Verfügung stehenden Disziplinarmitteln vorgehen wird“. Personen, die gegen die Anordnung verstießen, mussten sofort zur Anzeige gebracht werden. Weiters wurde auf sie eine Art „Kopfgeld“ ausgesetzt, da jene „Gliederungen bezw. Parteigenossen, durch die die Ergreifung unbefugter Sammler erfolgt“ war, „Anspruch auf die Hälfte der beschlagnahmten Beträge“ hatten, die „zu einem beliebigen Zweck innerhalb der Partei verwendet bezw. zur Verfügung gestellt werden“ konnten. Die Jagd auf unbefugte Sammler der jeweiligen Konkurrenzgliederung war damit eröffnet und wurde von den ParteigenossInnen auch eifrig betrieben. Die finanzielle Kontrolle über die Spendensammlungen brachte der P.O. eine erhebliche Machtausdehnung gegenüber ihren Gliederungen, da sie jederzeit den Geldhahn auf- oder zudrehen konnte, und trug nicht dazu bei, das Klima innerhalb der Bewegung zu verbessern. Exemplarisch für die zahlreichen Beschwerden über die illegale Sammeltätigkeit von SS-Männern ist etwa ein Bericht eines Dienststellenleiters vom April 1933 an die Kassenverwaltung des Gaus über „die verbotswidrige Sammlung (…) und die hiebei bedauerlicherweise vorgekommene Disziplinarwidrigkeit von S.S. Männern gegen einen politischen Führer“.613 Dieser hatte bei einem Konzert der NSDAP auf dem Heldenplatz einen Zivilisten ohne Armbinde und Parteiabzeichen aufgefordert, das unerlaubte Spendensammeln einzustellen, woraufhin sich der Mann als SS-Angehöriger auswies und erklärte, „dass die S.S. sammle, wo und wie es ihr gut erscheine“. Als der Dienststellenleiter sich mit ihm zur Klärung der Sachlage zu einem SS-Führer aufmachte, übergab der Mann die Sammelbüchse „blitzschnell“ einem neben ihm gehenden Zivilisten, der damit davonlief, jedoch aufgehalten werden konnte. Der Dienststellenleiter brachte den „Flüchtling“ daraufhin zu zwei diensthabenden 611 Auszug aus dem Partei-Verordnungsblatt, Folge 17 v. 15. 2. 1932, abgedruckt in  : SS Dienst-Vorschrift für F.M.-Geldverwaltungen, ebd., Kt. 6. 612 Rundschreiben der GL Wien, o. D. (ca. März/April 1932, CR), ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 613 Schreiben eines Dienststellenleiters (Unterschrift unleserlich) an die H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Wien v. 21. 4. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1.

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SS-Männern und forderte diese auf, den Geflohenen „zwecks Klarstellung des Falles festzunehmen“. Nachdem sich nun jedoch herausstellte, dass es sich bei dem unbefugten Spendensammler um einen SS-Kameraden und bei dem „Flüchtling“ sogar um einen SS-Scharführer handelte, dachten die SS-Männer gar nicht daran, dem Auftrag des Politischen Leiters nachzukommen. Als dieser sie um „Klarstellung des Vorfalles ersuchte, nahmen die S.S. Leute“ gegen ihn „Stellung“, wobei ihm einer der beiden erklärte  : „Hätten Sie mich, gesetzten Fall ich wäre Sammler gewesen, beanständet, so hätte ich Sie ohneweiters geohrfeigt.“ Laut einem Schreiben von Gauinspekteur Neumann an die Standarte hatte sich auch der Wiedner Bezirksleiter Rudolf Murauer darüber beschwert,614 dass es „immer und immer wieder vor(kommt), dass S.S. Leute mit verbotenen Spendenlisten (…) sammeln und wenn sie dann auf das Ungesetzliche ihrer Handlungsweise aufmerksam gemacht werden, sich in wegwerfender Art über politische Leiter äussern“. Darüber hinaus würden „selbst anwesende S.S. Führer (…) das renitente Vorgehen (unterstützen) und schädigen so schwer die Autorität der politischen Leiter“. Die SS wurde daraufhin von der „Gauleitung ersucht, durch entsprechende Schulung der S.S. Leute solche unliebsamen Vorfälle in Hinkunft vermeiden zu helfen“, außerdem werde über die Bezirksleitung Wieden gegen einen SS-Mann die Aufnahme eines USchla-Verfahrens beantragt werden. Insbesondere in Wieden scheinen die Konflikte zwischen Politischer Leitung und SS gravierend gewesen zu sein,615 da Sturmbannadjutant Max Plobner im Februar 1933 in einem Schreiben an den SS-Abschnitt VIII im Zusammenhang mit „Gehässigkeitsaktionen“ gegen die Schutzstaffel explizit auf die „Einstellung der Bezirksgruppe Wien-Wieden“ hinwies, ohne jedoch genauer auf die Vorfälle einzugehen. Die Anzeigen gegen illegale Sammler zeigen aber auch, dass so mancher Funktionär noch im März 1933 über die Organisationsstrukturen der SS völlig uninformiert war. So meldete ein bei einer Kundgebung im Nordwestbahnhof eingesetzter Kontrolleur der Zivilorganisation,616 dass sich, während er „einige S.A. Leute beim Vertreib von Spendenscheinen und Münzenverkauf (beanständete)“, ein SS-Mann namens Milan Maskowitz „von SS 22/IV/XX/XVII“ eingemischt habe und ihm „unter ziemlichem Aufsehen (erklärte)“, dass er „nur Zivilperson sei und einem Uniformierten überhaupt nichts zu verbieten habe“. Im Zuge der Einleitung eines USchla-Verfahrens stellte sich dann heraus, dass Maskowitz gar nicht der NSDAP angehörte.617 614 H.A. Ib (Gauinspekteur Neumann) des Gaus Wien an die 11. SS-Standarte v. 1. 4. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 615 Max Plobner an den SS-Abschnitt VIII v. 27. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 616 Meldung von Leopold Huber, Z.O. Wien 17., sowie H.A. II (Kassenverwaltung) an H.A. VIII (USchla) des Gaus Wien v. 20. 3. 1933, ebd. 617 USchla an die H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Wien v. 5. 5. 1933, ebd.

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Abb. 37: Spendenliste der GV des Sturmbanns 1/11, 1932, WStLA

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Aufgrund der ständigen Geldknappheit der Brachialformationen blieb das unbefugte Spendensammeln letztlich ein ungelöstes Problem. Im Juni 1932 stellte beispielsweise SA-Sturmbannführer Könitzer fest,618 dass der Sturmbann aufgrund dieser Maßnahme „vor dem Ruin“ stehe. Daraufhin ließ Könitzer „einige tausend SA Bausteine in Münzenform prägen“, dessen Verkauf im Gausturmbereich von der Politischen Leitung genehmigt wurde, jedoch mussten zwanzig Prozent des Nettobetrags an die Gaukassa abgeführt werden. Auch die Bewilligung der Gauleitung, bei „Aussenstehenden“ zu sammeln, brachte wenig Besserung der Lage. Eine Stellungnahme des Führers der SA-Standarte 4, Alois Peschel,619 die ebenso auf die Situation der SS zutraf, zeigt die Kluft, die sich zwischen Politischer Leitung und den Brachialformationen gebildet hatte, und die Dominanz der P.O. Zum einen waren Spendensammlungen außerhalb der Parteiveranstaltungen behördlich verboten und Peschel bereits einmal dafür bestraft worden, zum anderen verfügten SA und SS über keine Mitgliederverzeichnisse, sehr wohl jedoch die Politischen Leiter. Man könne doch, so Peschel, „von keinem Sturmführer verlangen (…), dass er weiss, wer im Bezirk Pg. ist und wer nicht“. Hingegen seien „von der Gauleitung Kräfte mit einem Gehalt von 200 S eingestellt, die nur die Aufgabe haben für die Partei sammeln zu gehen. Kommt dann der SA-Mann zu einem Gutgesinnten mit der Bitte um eine Spende, dann heisst es, es täte ihm leid(,) aber er habe schon gegeben. Es ist daher selbstverständlich, dass von dieser Regelung nicht die geringste finanzielle Besserstellung der SA erwartet werden darf.“ Die finanzielle Lage sah Ende September 1932 weiterhin katastrophal aus. So stellte Könitzer fest,620 dass sich die Finanznot der SA „durch alle Verfügungen der letzten Zeit nicht gelöst hatte“ und „die Einschränkungen und Sammelverbote (…) sowie das Verbot(,) Parteigenossen für die SA in Anspruch zu nehmen(,) (…) ruinös für die SA“ seien. Andererseits konnten sich aber auch die Politischen Leiter gegen die Sammelwut der verschiedenen Parteistellen, die wiederum aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage davon abhängig waren, kaum erwehren. Es sei „für ausreichende Schröpfung (…) gesorgt“, kritisierte etwa der Leiter des Bezirks Fünfhaus die Spendentätigkeit der Parteigenossen und machte darauf aufmerksam,621 dass „die Zahl der Beschwerden seitens der Versammlungsbesucher (…) sich auch demnach mehrt“. Zur Lösung des Problems schlug er einen Aufteilungsschlüssel vor, der von der zentralen Leitung 618 Vierteljahresbericht v. April–Juni 1932 des Führers des Sturmbanns I/24 Walter Könitzer v. 30. 6. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 619 Alois Peschel an die SA-Untergruppe Wien v. 5. 9. 1932, ebd. 620 Vierteljahresbericht v. Juli–September 1932 des Führers des Sturmbannes I/24 Walter Könitzer v. 30. 9. 1932, ebd. 621 Bezirksleiter Pichler an den Gauinspekteur v. 3. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1.

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erstellt und kontrolliert werden sollte. Zumindest in einigen Bezirken wurde schließlich zwischen P.O. und SA die Vereinbarung getroffen, dass der Sturmbann von der Bezirksgruppe einen fixen monatlichen Betrag erhalten und im Gegenzug auf alle Anteil- und Sammelrechte verzichten sollte.622 Aber auch daran hielt sich die SA nicht durchgehend.623 Ob eine ähnliche Vereinbarung auch mit der SS getroffen wurde, ist nicht bekannt. Die Beschwerden der Politischen Leiter über die illegalen Geldbeschaffungsaktionen der militanten Gliederungen dürften sich nach den vorliegenden Berichten die Waage gehalten haben und von den Führern beider Formationen nur halbherzig geahndet worden sein. Im Falle der SS wogen Disziplinlosigkeiten ihrer Mitglieder aufgrund ihrer Stellung als Eliteorganisation aber weitaus schwerer. So forderte der Brigittenauer Bezirksleiter,624 dass von der SS als der „Polizei der Bewegung“ die Einhaltung der Disziplin umso mehr verlangt werden und sich die Bewegung „unter allen Umständen“ auf sie „verlassen“ können müsse. Die SS dürfe „daher auch nicht an Ansehen innerhalb der P.O.“ verlieren. Gegen Ende des Jahres 1932 begannen sich die Disziplinlosigkeiten der Brachialformationen gegenüber den Politischen Leitern deutlich zu verschärfen. So brachte der Bezirksgeschäftsführer der Leopoldstadt Beschwerde gegen einen SA-Mann ein,625 der zusammen mit seinen Kameraden und einem SS-Mann „durch besonders lautes Reden“ die Vorträge bei der Julfeier des Bezirks gestört hatte. Als ihm der Geschäftsführer in seiner „Empörung“ über ihr Verhalten erklärte, dass er sie „durch die S.S. hinauswerfen“ lasse, erhielt er von dem SAMann zur Antwort, dass „dann (…) die ganze Politische hinaus(fliegt)“. Er brauche sich auf seine „silbernen Tressen nichts einbilden“. Ein in disziplinärer Hinsicht denkbar schlechtes Vorbild für seine Männer stellte aber auch Josef Fitzthum selbst dar, der sich im Februar 1933 aufgrund einer Anzeige des Parteimitglieds Theodor Fischer vor dem USchla der Wiener Gauleitung zu verantworten hatte.626 Fitzthum hatte sich während einer Diskussion zwischen SS-Leuten und Parteifremden abschätzig über den Parteiideologen Alfred Rosenberg geäußert, den Pg. Fischer wiederum verteidigt hatte. Fitzthum hatte Fischer daraufhin seine „Hoheitszeichen“ heruntergerissen. Nach Ansicht Gauleiter Frauenfelds sei 622 Jahresbericht 1932 der Bezirksgruppe Hietzing v. Jänner 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 3. 623 Bezirksleiter Pichler an den Gauinspekteur v. 3.  2.  1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1  ; H.A. II (Kassenver­waltung) an die H.A. VIII (USchla) des Gaus Wien v. 20. 3. 1933, ebd. 624 Schreiben des Leiters der Bezirksgruppe Brigittenau an die H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Wien v. 2. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 625 Beschwerde des Geschäftsführers des Bezirks Leopoldstadt v. 28. 12. 1932, ebd., Kt. 20. 626 WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193.

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Fitzthums Verhalten „als vielleicht ein etwas zu scharfer Übergriff zu rügen“, doch wäre „gerade dieser Übergriff durch die ganze Lage umso entschuldbarer, als Parteifremde Zeugen der gegen die S.S. Leute gerichteten Stellungnahmen des Pg. Fischer waren“. In seinem Urteil kam Frauenfeld, ebenfalls ein Intimfeind Rosenbergs, zu dem nicht überraschenden Schluss, dass es „erwiesen (erscheint), dass Fischer sich auf die Seite des unbestrittenermassen nicht der N.S.D.A.P. angehörenden und ebenso unbestrittenermassen jüdisch aussehenden Rosenberg und gegen die S.S. Leute gestellt hat, dies noch dazu in Gegenwart anderer parteifremder Personen“. Während Fitz­ thum freigesprochen wurde, erteilte Frauenfeld Fischer eine Verwarnung. Fitzthums Verhalten sei zwar „nicht vollkommen einwandfrei und etwas derb gewesen“, jedoch hätte Fischer entweder die Gaststätte verlassen oder sich „auf die Seite der S.S. (…) stellen“ müssen. Alltägliche Streitigkeiten zwischen ParteigenossInnen und SS-Angehörigen, mit denen sich die Wiener Gauleitung zu befassen hatte, illustriert etwa der Fall Kröppelt versus Schulz, der gleichzeitig auch Einblick in den komplizierten Dienstweg zwischen der P.O. und ihren Gliederungen gibt. Im März 1933 beschwerte sich der Parteigenosse Josef Kröppelt bei der Gauleitung Wien über das ungebührliche Benehmen seines Nachbarn, des SS-Scharführers Anton Schulz.627 Dieser habe nämlich „schon des öfteren (sic  !) mit Freunden im betrunkenen Zustande in den späten Nachtstunden (randaliert)“, sich Geld ausgeborgt, welches er „dann in Rum umgesetzt“ habe, sei „in der Folge davon (…) herumgepoltert“ und habe „ein Benehmen an den Tag (ge)legt, das sich mit der Würde eines S.S.-Mannes ganz und gar nicht vereinbaren lässt“, vor allem auch im Hinblick darauf, „dass derselbe Mann über kurz oder lang dazu berufen sein soll(,) für die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung zu sorgen“. Als „geradezu empörend“ bezeichnete Kröppelt einen „Vorfall“, der „wie geschaffen“ dazu sei, „uns Feinde zu werben“. Schulz habe nämlich seinen „ruhig“ auf der Straße sitzenden Hund nicht nur „mit Fußtritten (bearbeitet)“, sondern ihn auch noch „im weiten Bogen auf die Straße (ge)schleudert“, wobei er „selbstverständlich (…) wieder betrunken“ war. Und das, obwohl „die N.S.D.A.P. u.a. auch für ein Tierschutzgesetz eintritt  !“ Letztlich könne „man von diesem Mann kein anderes Benehmen erwarten, bezeichnete er sich doch Kröppelt „gegenüber mit Rücksicht auf seine Zugehörigkeit zur S.S. als L a n d s k n e c h t   !  !  !“. Abschließend bat Kröppelt die Gauleitung, Schulz „zur Verantwortung (zu) ziehen“, da er „sonst im Wiederholungsfalle rücksichtslos gegen ihn vorgehen müsste“. Der Fall wurde nun auf dem Dienstweg über Gauinspekteur Josef Neumann an SSSturmbannführer Anton Ziegler, der interimistisch die Wiener SS führte, da Fitzthum 627 Josef Kröppelt an die GL Wien v. 3. 3. 1933, ÖSTA,/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4, Herv. i. Orig.

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gerade im Landesgericht einsaß, weitergeleitet. Ziegler ordnete an, dass Schulz „vorzunehmen und zu bestrafen“ sei.628 In seiner Stellungnahme führte Schulz als Grund für Kröppelts feindseliges Verhalten an,629 dass dessen Mutter und Tante mit seiner Mutter „ständig (…) in Streitigkeiten verwickelt“ seien. Er bestritt, ständig betrunken zu sein und Geld auszuborgen, um es „in Rum anzulegen“. Den Hund musste er deshalb treten, weil er „nicht den mindesten Wert auf Hundeflöhe lege“, er hätte ihm aber „nur einen Fusstritt“ verpasst. In einem Gespräch mit Kröppelt habe er sich zwar als „Landsknecht“ bezeichnet, jedoch nur zur Erklärung, warum er sein Amt als „Ortsgruppenpropagandaleiter VIII“ zurückgelegt habe. Er entstamme nämlich „einem Soldatengeschlecht“ und könne „daher nicht längere Zeit irgendwelcher Tätigkeit(,) die sich hinter Schreibtischen abspiele(,) nachkommen“. Außerdem lehne er es ab, „jemandem(,) der vor kurzer Zeit noch schwarz, dessen Angehörige rot waren und die lediglich aus Konjunktur plötzlich sich als Anhänger der N.S.D.A.P. erklären(,) irgend ein (sic  !) Urteil über meine Person zuzubilligen“. Eine Ehrenbeleidigungsklage habe er nicht eingebracht, um nicht der „jüdischen Presse“ das „Vergnügen“ zu bereiten, über Streitigkeiten von Parteigenossen zu berichten und „die Genugtuung für eine Beleidigung von dem Urteil eines Gerichtes oder eines jüdischen Richters abhängig zu machen“. Er „hole“ sich „Genugtuung“ dort, wo für ihn „Satisfaktion zu holen“ sei. Auf dem Dienstweg wurde das Schreiben von Schulz dann über den Adjutanten des Sturmbanns I/11 an den Adjutanten der Standarte, von dort an die Gauleitung und über die Bezirksleitung an Kröppelt weitergeleitet. Dieser verfasste zwar eine neuerliche Stellungnahme, in welcher er auf seinem Standpunkt beharrte,630 jedoch scheint der Fall danach ad acta gelegt worden zu sein. Ein weiterer Streitpunkt zwischen SS und P.O. betraf SS-Angehörige, die bei der Politischen Leitung in Ungnade gefallen waren und auf deren Geheiß aus der SS ausgeschlossen werden sollten. Damit überschritt die Politische Führung jedoch ihre Kompetenzen gegenüber der SS. Eine diesbezügliche Forderung wies Sturmbann­ adjutant Max Plobner in einem Schreiben an den Abschnitt auch „energisch“ zurück,631 „da es Ueberheblichkeit ist, eine diesbezügliche Forderung zu stellen“, und die SS „in disziplinärer Hinsicht nur ihren Dienststellen (untersteht)“. Er bat die Abschnittsführung, „eine Meldung an die vorgesetzte RFSS“ zu richten, und zwar „zur endgiltigen Abstellung dieser mehr als ungeziemlichen Einmengung und noch mehr vollkommen ungerechtfertigten Forderung“. Die Politische Führung konnte entweder ein Partei628 Beilage zum Schreiben von Josef Kröppelt an die GL Wien v. 3. 3. 1933, ebd. 629 Anton Schulz an den Sturmbann I/11, o. D., ebd. 630 Josef Kröppelt an die GL Wien v. 12. 4. 1933, ebd. 631 Max Plobner an den SS-Abschnitt VIII v. 27. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1, Herv. i. Orig.

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ausschlussverfahren einleiten oder den zuständigen Einheitsführer um Überprüfung des Falles bitten, hatte jedoch nicht das Recht, an eine ihrer Gliederungen die Forderung zu stellen, ein Mitglied aus derselben auszuschließen. 5.1 Die Disziplinarstraf- und Beschwerdeordnung der SS

Nach der „SS Disziplinarstraf- und Beschwerdeordnung“632 waren „SS- und Parteischädigendes Betragen in- und außerhalb des Dienstes sowie ehrenrühriges und eine niedrige Gesinnung offenbarendes Verhalten“ zu bestrafen sowie all jene „Handlungen und Unterlassungen, die gegen die „soldatische Zucht und Ordnung“ oder „den kameradschaftlichen Zusammenhalt“ verstießen. Gegen SS-Führer sah die SS-Disziplinarordnung folgende Strafmaßnahmen vor  :633 1. einfacher Verweis, 2. förmlicher Verweis, 3. strenger Verweis, 4. zeitlich begrenztes Verbot des Tragens des SS-Dienstanzuges, 5. zeitlich begrenzter Entzug des Zivilabzeichens, des Totenkopfes und der Armbinde, 6. Degradation zu einem niederen Dienstgrad, 7. Degradation zum SS-Mann, 8. Ausschluss aus der SS auf Zeit, 9. dauernder Ausschluss aus der SS, 10. Ausstoßung aus der SS. Die Strafen, die unter Punkt 8 bis 10 fielen, waren mit gleichzeitiger Degradation verbunden, die Ausstoßung aus der SS bedingte darüber hinaus die Einleitung eines Parteiausschlussverfahrens. Aus der Partei ausgeschlossene SS-Angehörige wurden „selbsttätig“ auch aus der SS ausgeschlossen, ohne dass dafür ein gesondertes SS-Verfahren eingeleitet werden musste. Gegen SS-Unterführer konnte neben den bereits genannten Strafen noch die „Auferlegung gewisser Dienstverrichtungen außer der Reihe (z. B. Strafwache)“ verhängt werden. SS-Männer hatten darüber hinaus „zum Rapport oder Appell in bestimmtem Anzug“ zu erscheinen. Ein einfacher Verweis erfolgte ohne Zeugen, während der förmliche Verweis vor den versammelten SS-Führern bzw. diesen und den Unterführern oder vor dem gesamten Sturm erteilt wurde. Der strenge Verweis wurde durch einen Tagesbefehl verlautbart, im Diensttagebuch eingetragen und beim Dienstappell verlesen. Gleichermaßen erfolgte die Bestrafung für die Strafen unter Punkt 4 bis 10.634 Degradation, Ausschluss und Ausstoßung wurden durch SS-Befehl bekannt gegeben. Die Verhängung von Strafen stand nur Führern eines Verbandes vom Sturm aufwärts zu und war auf den Befehlsbereich beschränkt.635 Hingegen war jeder SS-Führer 632 SS Disziplinarstraf- und Beschwerdeordnung, S. 5f., ebd., Kt. 6. 633 Ebd., S. 8f. 634 Ebd., S. 10. 635 Ebd., S. 7.

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„unabhängig von seiner Dienststellung und Strafbefugnis berechtigt“,636 einen im Dienstgrad oder Dienstalter unter ihm stehenden Führer oder SS-Mann bei offensichtlichem Treuebruch, Feigheit, ausdrücklicher Dienstverweigerung oder grober Beleidigung eines diensthabenden SS-Führers sofort vom Dienst zu entheben. Jeder Führer eines Sturms war verpflichtet,637 ein Strafbuch zu führen, in das die gegen Angehörige seines Sturms verhängten Strafen einzutragen waren. Ebenso hatten die übergeordneten Dienststellen zu verfahren, wobei der Führer eines Sturmbanns nur die Strafen von Angehörigen seines Stabes, und zwar vom SS-Mann bis zum SSHaupttruppführer, zu erfassen hatte, während der Führer einer Standarte neben dem Strafbuch für die Angehörigen seines Stabes vom SS-Mann bis zum SS-Haupttruppführer noch ein zweites Buch über die Strafen des gesamten Führerkorps der Standarte anlegen musste. Gleiches galt für die Abschnitts- und Gruppenführer. Je nach Schweregrad der Bestrafung konnte bei „guter dienstlicher und straffreier Führung“ die Strafe nach drei Monaten (einfacher Verweis) bzw. zwei Jahren nach der Verhängung (Ausschluss auf Zeit) gelöscht werden.638 Im Falle einer Versetzung eines Bestraften zu einer anderen Dienststelle war ein „listenmäßiger Auszug aus dem Strafbuch“ an den neuen Einheitsführer zu übersenden.639 Den Betroffenen stand mit Ausnahme der dauerhaft Ausgeschlossenen bzw. Ausgestoßenen ein Beschwerderecht zu, das „auf dem Dienstwege zur Entscheidung an jenen Führer zu richten“ war, „der der nächstübergeordnete Disziplinarvorgesetzte des Führers“ war, der die Strafe verhängt hatte.640 Dauerhaft Ausgeschlossene oder Ausgestoßene konnten einen Einspruch an den RFSS richten. Ein Rapport im Dienstanzug wurde etwa dann verhängt, wenn der SS-Mann mit verschmutztem Dienstanzug zum Appell erschienen war.641 Bei zweimaligem Zuspätkommen zum Dienst war ein förmlicher, bei eigenmächtiger Entfernung vom Sturm während eines Aufmarsches ein strenger Verweis zu erteilen. Ein dauerhafter Ausschluss aus der SS erfolgte etwa bei Unterschlagung von Geldern. Zumindest vereinzelt dürften die Wiener SS-Führer beim Vorliegen eines Fehlverhaltens ihrer Männer gegenüber Vertretern der P.O. disziplinäre Maßnahmen ergriffen haben. So erteilte etwa Sturmbannführer Karl Pichl zwei SS-Männern aufgrund eines nicht näher erwähnten „Vorgehens“ gegen ein Mitglied der Gauleitung „einen 636 Ebd., S. 9. 637 Ebd., S. 11. 638 Ebd., S. 13. 639 Ebd., S. 15. 640 Ebd., S. 16. 641 Ebd., o.S. (Muster eines Strafbuchblattes „Strafbuch des 2/I/61“).

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strengen Verweis sowie 14 Tage Spiegelentzug“.642 Nachdem jedoch die militanten Formationen die Bevorzugung der Politischen Leiter hinsichtlich der Möglichkeit, Spendensammlungen vorzunehmen, als Ungerechtigkeit ansahen, dürften innerhalb der SS Strafen aufgrund solcher Vergehen nur halbherzig erfolgt sein. Verschärft wurden die Konflikte zwischen der P.O. und ihren Gliederungen noch durch die steigende Arbeitslosigkeit infolge der Weltwirtschaftskrise, da viele ParteigenossInnen nicht mehr den vollen Mitgliedsbeitrag bezahlen konnten und die Gaukassa dementsprechend leer blieb.643 Gleichzeitig brachten der organisatorische Ausbau und die finanzielle Ausstattung der P.O., aber auch den Brachialorganisationen zahlreiche Vorteile, insbesondere durch die sozialen Leistungen der NS-Fürsorge.

642 Karl Pichl an den Gau Wien v. 4. 3. 1933, ebd., Kt. 1. 643 So konnte die 52. SS-Standarte im Mai 1933 nur etwas mehr als die Hälfte der vorgeschriebenen Beiträge von ihren Mitgliedern einheben, Abrechnung der SS-Beiträge für den Monat Mai 1933 der 52. SS-Standarte v. 23. 5. 1933, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien.

6. Die sozialen Betreuungsmaßnahmen der Wiener NSDAP

Ab 1932 begann die Wiener NSDAP ihre Fürsorgemaßnahmen weiter auszubauen und ein umfangreiches Programm an sozialen Maßnahmen für ihre Mitglieder zu organisieren, das mit einer immensen Arbeitsleistung der Parteimitglieder, insbesondere der NS-Frauenschaft, durchgeführt wurde. Neben der Ausgabe von Sachspenden, der Gewährung von Mietzuschüssen und dem Ausbau von Heimen wurden bedürftige ParteigenossInnen massenhaft von der NS-Frauenschaft verpflegt und mit Essenspaketen beteilt, die Verwundeten- und Krankenhilfe geschaffen und medizinische Spezialprogramme initiiert. Neben der politischen Einstellung waren insbesondere für die große Zahl an Arbeitslosen somit auch die Sozialleistungen, welche die Gauleitung Wien für ihre Mitglieder organisierte, ein Anreiz zum Eintritt in die Partei oder eine ihrer Gliederungen. Ende Dezember 1932 waren in ganz Österreich fast 450.000 Menschen ohne Beschäftigung, davon entfielen 42 Prozent auf die Bundeshauptstadt.644 1933 stieg die bundesweite Zahl an Erwerbslosen auf 580.000 Personen an, von denen nur sechzig Prozent eine Arbeitslosenunterstützung erhielten.645 Im „Roten Wien“ hatte sich die budgetäre Lage jedoch nicht nur durch die Weltwirtschaftskrise, sondern auch durch die von der bürgerlichen Regierung im Jänner 1931 erlassene 7. Abgabenverteilungsnovelle dramatisch verschärft.646 Bis zu diesem Zeitpunkt war Wien aufgrund seiner Sonderstellung als Bundesland und Gemeinde hinsichtlich der Ertragsanteile an den mit dem Bund gemeinsamen Steuern und Abgaben begünstigt gewesen und hatte mit 28 Prozent der österreichischen Gesamtbevölkerung mehr als die Hälfte der ausgeschütteten Ertragsanteile erhalten.647 Mit der 7. Abgabenverteilungsnovelle ging die Bundesregierung teilweise vom „abgestuften Bevölkerungsschlüssel“ ab, wodurch die Ertragsanteile für Wien „beträchtlich gekürzt“ wurden.648 Aufgrund der Neuverteilung sanken diese zwischen 1930 und 1933 von 137,6 Millionen Schilling im Jahr auf knapp fünfzig Millionen. Hatten diese 1930 noch 71,31 Schilling pro Kopf der Bevölkerung ausgemacht, betrugen sie 1931 nur noch 49,55 und lagen 1933 bei 28,83 644 Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung 1932 (1933), S. 44. 645 Benczak (1984), S. 41. 646 Vgl. dazu ausf. Melinz/Ungar (1996). 647 Ebd., S. 39. 648 Ebd., S. 40.

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Schilling.649 Der „finanzielle Marsch“650 auf das „Rote Wien“ erreichte im März 1933 nach Ausschaltung des Parlaments durch die Regierung Engelbert Dollfuß’ einen Höhepunkt,651 als Wien im Zuge von Dollfuß’ Notverordnungspolitik 36 Millionen Schilling als „Lastenausgleich“ an den Bund zu zahlen hatte. Der massive Einnahmenverlust ging aber laut Angabe des späteren austrofaschistischen Bürgermeisters Richard Schmitz aus dem Jahr 1935 auch darauf zurück,652 dass „der Finanzausgleich 1931 auf einem Irrtum“ seitens der Stadt Wien beruht hatte, die „damals größere Zugeständnisse machte, als durch die Wirtschaftskrise und die kommende Entwicklung gerechtfertigt“ gewesen wäre. Die von der bürgerlichen Regierung erlassenen Maßnahmen gegen das sozialdemokratisch regierte Wien riefen aber auch bei einem Teil der Wiener christlichsozialen PolitikerInnen Kritik hervor. So erklärte Leopold Kunschak in einer Sitzung des Wiener Klubvorstandes am 25. April 1933,653 dass die Wiener Sozialdemokratie „in der Vergangenheit“ zwar „schwer gesündigt“ habe, dass man ihr „aber heute (…) eine sinnlose Vergeudung nicht vorwerfen (könne). Die Gemeinde ist heute arm.“ Weiters musste die Gemeinde Wien infolge der Wirtschaftskrise auch starke Einnahmenverluste verkraften, die zwischen 1929 und 1933 von 490 auf 370 Millionen Schilling zurückgingen.654 Ihre Politik zielte auf die „Hebung des Lebensniveaus der breiten Massen der Bevölkerung mittels Reformen in den Bereichen Wohlfahrtswesen, Wohnung und Bildung“ ab,655 indem Wien auf gewinnorientierte Führung der städtischen Unternehmungen verzichtete und „damit Gas, Wasser, Strom und öffentliche Verkehrsmittel als notwendige Bedürfnisse des täglichen Lebens“ interpretierte und „nicht als Quelle fiskalischer Einnahmen“. Zu den größten Ausgabenposten des Gemeindebudgets gehörte neben dem Wohnhaus- und Siedlungsprogramm das Wohlfahrtswesen,656 das Ende der 1920er-Jahre alle anderen Ausgaben überstieg und 1932 bereits mehr als ein Viertel der Gesamtausgaben ausmachte. Allerdings bedeutete diese Steigerung „keine höhere Dotierung des Wohlfahrtswesens, da die Aufwendungen auf diesem Sektor 1933 um 18,5 % 649 Ebd., S. 19. 650 Robert Danneberg (1930), Der finanzielle Marsch auf Wien. Rede des Abgeordneten Robert Danneberg im Nationalrat am 18. Dezember 1930 über die Abgabenverteilung, Wien, zit. n. Melinz/Ungar (1996), S. 19. 651 Vgl. dazu Kane (1980), S. 169f. 652 WZ v. 19. 12. 1934, zit. n. Ungar/Melinz (1996), S. 40. 653 ÖSTA/AdR, CSP Wien, Sitzung des Wiener Gemeinderat-Klubs v. 25. 4. 1933, zit. n. Melinz/Ungar (1996), S. 20. 654 Melinz/Ungar (1996), S. 40. 655 Ebd., S. 38. 656 Ebd., S. 47.

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niedriger als 1930“ lagen. Hatten die Ausgaben 1931 noch 113 Millionen Schilling betragen, machten sie 1933 nur noch ca. 91 Millionen aus. Gleichzeitig stieg die Zahl der Fürsorgebedürftigen stetig an. Die Erste Republik hatte die am alten Heimatrecht von 1863 orientierten Armengesetze übernommen, deren Durchführung in die Kompetenz der Länder fiel und je nach Bundesland unterschiedlich geregelt war. Die Armenunterstützung war weiterhin an das Subsidiaritätsprinzip gebunden, wodurch die Bedürftigen kein Recht auf eine bestimmte Art oder eine laufende Unterstützung hatten. Die Gemeinden waren dadurch nicht zu einer Armenversorgung verpflichtet, „wenn und insolange der Bewerber tatsächlich das zum Leben Notwendige“ hatte.657 Armenversorgung hatten sie nur dann zu leisten, wenn der Bedürftige nicht in der Lage war, für seinen Unterhalt selbst zu sorgen. „Die Option auf Armenfürsorge war“, wie Melinz und Ungar feststellen,658 somit „als Nothilfe konstruiert“. Nach den für die NSDAP erfolgreichen Landtags- und Gemeinderatswahlen rückte auch die Neuverteilung der Fürsorgeräte659 in den Blickpunkt der Diskussion, die eine Schlüsselposition bei der Vergabe von Zuschüssen innehatten und deren Zahl sich nach den jeweiligen Wahlergebnissen richtete. Frauenfelds Ende 1931 angestellte Prognose über die zu erreichende Zahl der Fürsorgeräte war aufgrund des Wahlausganges weit überschritten worden und schuf für die NSDAP weitreichende Möglichkeiten der Mitbestimmung über die Vergabe der Zuschüsse, was die Sozialdemokratische Partei mit allen Kräften zu verhindern versuchte. Ende der 1920er-Jahre belief sich die Zahl der Fürsorgeräte, die ihre Funktion ehrenamtlich ausübten, auf über 6.000. Nach den Wahlen versuchte Robert Danneberg im September 1932, eine Einigung über die Neuregelung der Fürsorgeräte mit der Christlichsozialen Partei zu erreichen. Bei einer im Oktober 1932 abgehaltenen Sitzung des Wiener Parteivorstandes wurde beschlossen, die Funktionsperiode der Fürsorgeräte und Fürsorgeinstitutsvorsteher bis Mai 1933 zu verlängern. Danneberg stellte sich dabei auf den Standpunkt, dass die Wahl der Fürsorgeräte lediglich eine „Nachwahl“ für ausgeschiedene Fürsorgeräte, aber keine Neuwahl sei. Damit wurde die Bestellung von nationalsozialistischen Fürsorgeräten verhindert, und die NSDAP hatte keine Möglichkeit, Einfluss auf die Vergabe von Unterstützungen zu nehmen.660 Infolgedessen begann die Gauleitung ihrerseits mit dem massiven Ausbau des parteiinternen Fürsorgewesens, das sie binnen weniger Monate in beeindruckender 657 Ebd., S. 10. 658 Ebd., S. 10. 659 Vgl. dazu ausf. ebd., S. 52–55. 660 Im Mai 1933 brachte die SDAP dann einen Antrag auf Bestellung der Fürsorgeräte durch den Stadtsenat unter dem Vorwand ein, das Verfahren damit zu vereinfachen. Laut dem Referat des Gemeinde­rats Jalkotzky sei „(e)in Proporz (…) nicht vorgesehen und wird auch nicht eingehalten werden“, wogegen die NSDAP Protest einlegte, NFP v. 20. 5. 1933, S. 5 („Keine Nationalsozialisten als Fürsorgeräte“).

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Weise organisierte, und schufen die Parteimitglieder, insbesondere jene der NSFrauenschaft,661 ein umfassendes Sozialhilfeprogramm. Mit der Errichtung des NSWohlfahrtsreferats des Gaus Wien, das am 1. Jänner 1933 seine Tätigkeit aufnahm,662 wurde die NS-Fürsorge dann einheitlich organisiert und als zentrale Stelle für alle Wohlfahrtsangelegenheiten der verschiedenen Parteidienststellen und ihrer Gliederungen eingerichtet.663 Die Leitung übernahm Robert Schmied, während die NS-Frauenschaft als „Vollzugsorgan des Wohlfahrtsamtes“ fungierte,664 welches die Verteilung der Sach- und Geldspenden im Einvernehmen mit dem Gau-Wohlfahrtsreferenten vornahm. Die Spendensammlungen der NS-Frauenschaft durften „nur für Hilfstätigkeit, also Ausbau von Heimen, Verpflegung, Verwundeten- und Gefangenenhilfe usw. verwendet werden“. Geldbeträge wurden zwar nicht an Unterstützungsbedürftige ausbezahlt,665 jedoch gewährte das Wohlfahrtsreferat Mietzuschüsse. Ein eigener Fonds wurde für die Verwundeten- und Krankenhilfe geschaffen. Das NS-Wohlfahrtsreferat legte über alle hilfsbedürftigen ParteigenossInnen Erhebungsformulare an,666 welche nach einem Punktesystem den Grad der Bedürftigkeit dokumentierten. Mitglieder der SA, SS, Z.O. sowie Kolporteure von NS-Zeitungen erhielten dabei die höchste Grundeinstufung,667 wodurch ein aktives Engagement in der Partei oder einer ihrer Gliederungen besonders für Personen ohne Beschäftigung attraktiv wurde. Nach Abschluss der Erhebungen durch das Wohlfahrtsreferat erhielten die Bedürftigen einen Fürsorgeschein, auf dem die entsprechende Punktezahl angeführt war. Mittels Zuweisungsscheinen konnten sie dann ärztliche Behandlungsscheine sowie Speise-, Kleider-, Lebensmittel- und Freitischmarken erhalten. Der zu erbringende Eigenerlag für die diversen Fürsorgeleistungen betrug jeweils zwischen zehn Groschen und einem Schilling. Weiters hatten sie Arbeitsleistungen für die ­NSDAP zu verrichten. So wurde für ein Mittagessen Arbeitszeit von drei Tages- oder einer Nachtstunde veranschlagt. Damit stand der NSDAP ein ständiges Kontingent an Personen zur Verfügung, die für sie Arbeiten zu verrichten hatten.668 661 Zur NS-Frauenschaft vgl. ausf. Gehmacher (1998). 662 Wohlfahrtsreferat an den Bezirksredner der NSDAP Drosendorf Franz Suchy v. 25. 2. 1933, ÖSTA/ AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 20. 663 Arbeitsrichtlinien der Wohlfahrtsreferenten, o. D., ebd. Das Wohlfahrtsreferat unterstand der H.A. III (Organisation und Parteiaufbau), s. Anhang „Organigramm der Gauleitung Wien“, S. 610. 664 Wohlfahrtsreferat o. D., ebd., Kt. 19. 665 SA-Befehl Nr. 5 des Führers der Untergruppe Wien v. 13. 9. 1932, ebd. 666 Gaurundschreiben Nr. 7 v. 17. 3. 1933, ebd., Kt. 4. 667 Richtlinien für die Bemessung fürsorgebedürftiger Parteigenossen der H.A. III d. LL Österreich, Abt. Wohl­fahrtswesen v. Jänner 1933, ebd., Kt. 20. 668 Ob und inwieweit darunter auch die Teilnahme an Parteiveranstaltungen, wie etwa Aufmärschen und Ver­sammlungen, fiel, konnte bisher nicht festgestellt werden.

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Weitere Unterstützung konnten nationalsozialistische ParteigenossInnen vom Verband „Völkische Nothilfe“ erhalten,669 dem neben der Großdeutschen Volkspartei zahlreiche völkische Organisationen und Vereinigungen angehörten und dem die NSDAP 1932 beigetreten war.670 Die „Völkische Nothilfe“ vergab ähnlich wie das NS-Wohlfahrtsamt Hilfsleistungen nach einem Punktesystem. Darüber hinaus stellte sie aber auch kurzfristige Geldunterstützungen zur Überbrückung von Notsituationen zur Verfügung, die den Betroffenen etwa die Möglichkeit gaben, wieder ins Erwerbsleben einzusteigen.671 Dem NS-Wohlfahrtsreferat unterstand die Finanzierung der gesamten Ausspeisung der hilfsbedürftigen ParteigenossInnen. Für die Durchführung war die NSFrauenschaft zuständig, die Speise-(Freitisch-)Marken ausgab, die je nach Bedürftigkeit in zwei Kategorien gestaffelt waren. Weiters sammelte das Wohlfahrtsreferat Sachspenden und legte ein Altkleiderdepot an. Das diesbezügliche Protokollbuch vom Winter 1932 gibt Einblick in das Ausmaß der Not  : So wurden zwischen 9. und 16. Dezember 1932 über 450 Sachspenden an Bedürftige ausgegeben.672 Die Bezirksfrauenschaft hatte in ihrem Bezirk auch für „Obdach“ von bedürftigen Mitgliedern zu sorgen.673 Für die Mitglieder der Brachialorganisationen wurden eigene SA- und SS-Heime eingerichtet,674 wofür die Zustimmung des Wohlfahrtsreferenten sowie des jeweiligen Einheitsführers eingeholt werden musste. Die Ärzte der Brachialformationen hatten die Heime auf ihre Brauchbarkeit zu inspizieren. Die Heimordnung musste vom Wohlfahrtsreferenten bewilligt werden, der auch regelmäßige Inspektio­ nen durchführte.675 In den Heimen wurden, soweit die Möglichkeit dazu bestand, Küchen eingerichtet, in denen die Frauenschaft die Mahlzeiten zubereitete und für die Verpflegung der Männer sorgte.

669 Punkteschema für die Bemessung der Fürsorgebedürftigkeit des Verbandes „Völkische Nothilfe“ v. Jänner 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 20. 670 Gehmacher (1998), S. 181. Im Vorstand saß neben der großdeutschen Abgeordneten Marie Schneider auch der nationalsozialistische Bundesrat Leo Haubenberger. Den Ehrenvorsitz hatte der Feldmarschall d. Res. Karl Bardolff übernommen, Völkische Nothilfe an den NS-Wohlfahrtsreferenten v. 18. 2. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 20. 671 So erhielt beispielsweise ein Fotograf, der seinen Fotoapparat versetzen musste, jedoch nachweislich Ar­beitsaufträge erhalten hatte und ein Darlehen zur Auslösung des Apparats benötigte, eine finanzielle Unter­stützung, um seine Berufstätigkeit wiederaufnehmen zu können, Völkische Nothilfe an Gau­ inspek­teur Neumann v. 14. 1. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 672 Protokollbuch „Sachspenden“ des Gaus Wien 1932, ebd., Kt. 4. 673 Rundschreiben Nr. 1 der NS-Frauenschaft, o. D., ebd., Kt. 2. 674 Arbeitsrichtlinien der Wohlfahrtsreferenten, o. D., ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 20. 675 Gaurundschreiben Nr. 7 v. 17. 3. 1933, ebd., Kt. 4.

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Nach einem Bericht der für den 6., 11. und 20. Bezirk zuständigen Bezirksgruppe 18 der NS-Frauenschaft676 waren im Jänner 1933 in den dortigen neun SA-Küchen 20.766 Mahlzeiten zubereitet,677 385,40 Kilogramm an Lebensmittelpaketen, 1.126 Versammlungsbrote ausgegeben sowie weitere 2.405 private Mittagstische organisiert worden. In den neun Nähstuben arbeiteten jeweils zehn bis zwölf Frauen, die mehr als 690 Kleidungsstücke ausbesserten und verteilten. Ähnliches vermeldete der Wohlfahrtsreferent über die Tätigkeit der NS-Frauenschaft in Hernals,678 die im Jänner 1933 insgesamt 948 Portionen Mittagessen abgegeben hatte, von denen 839 mit durchschnittlich dreißig Groschen bezahlt und die restlichen unentgeltlich zur Verfügung gestellt worden waren. In Zusammenarbeit mit dem NS-Ärztebund hatte das Wohlfahrtsreferat neben der Erfassung der „arischen und parteigenössischen Ärzte nach Fächern (und) Spitälern“ die Errichtung und „Sicherung“ der ärztlichen Behandlung und bei „erhöhter Bereitschaft“ auch die „Sicherstellung eines ärztlichen Dienstes“, falls SA und SS dazu nicht in der Lage waren, zu übernehmen.679 Der medizinische Dienst umfasste weiters die Organisation der Zahntechniker, Krankenschwestern, Heilgehilfen und Kindergärtnerinnen etc.680 Für SA- und SS-Pflegerinnen wurden eigene Pflegekurse sowie ein SAund SS-Labe- und Pflegedienst eingerichtet. Die Bezirkswohlfahrtsreferenten organisierten gemeinsam mit den Bezirks-Ärzteobmännern die ärztlichen Beratungen, die über sog. „Behandlungsscheine“ vom Wohlfahrtsreferat bezogen werden konnten und entweder in den Privatpraxen oder in der Bezirksstelle abgehalten wurden.681 Darüber hinaus führte die NSDAP kurzfristige Hilfsprogramme durch, wie etwa im Jänner 1933 die vierwöchige Aktion „Zahnhilfe“, für die sich „fast alle N.S. Zahntechniker“ zur Verfügung stellten, um arbeitslosen und ausgesteuerten Parteimitgliedern, SA-, SS- und Z.O.-Männern ihre Hilfe anzubieten.682 Ein weiteres Aufgabengebiet des NS-Wohlfahrtsreferats umfasste die Gefangenenhilfe, die sowohl juristische Beratungen als auch die Verpflegung der Häftlinge während der Untersuchungshaft sowie die Unterstützung von deren Angehörigen umfasste.683 Laut einem Befehl von SA-Stabschef Röhm vom Oktober 1932 musste 676 Monatsbericht der NS-Frauenschaft d. 18. Bezirks, Jänner 1933, ebd., Kt. 3. 677 Frühstück  : 2.431 Portionen, Mittagessen 12.461 Portionen, Abendessen 5.874 Portionen. 678 Meldung des Wohlfahrtsreferats des 17. Bezirks an den Gau-Wohlfahrtsreferenten v. 6. 2. 1933, ebd., Kt. 3. 679 Arbeitsrichtlinien der Wohlfahrtsreferenten, o. D.; Aufgaben des Gesundheits- und Wohlfahrtsamtes, o. D.; ebd., Kt. 20. 680 Gesundheits- und Wohlfahrtsamt, o. D., ebd. 681 Gaurundschreiben Nr. 7 v. 17. 3. 1933, ebd., Kt. 4. 682 Untergruppen SA-Befehl Nr. 2 v. 19. 1. 1933, ebd., Kt. 19. 683 Arbeitsrichtlinien der Wohlfahrtsreferenten, o. D., ebd., Kt. 20. Unklar ist, ob die Parteianwälte diese

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Abb. 38: Gefangenenhilfe des Wohlfahrtsamtes des Gaus Wien für Franz Hansmann, Franz Mazanek und Boris Plachetka, 1933, WStLA

jeder Gau einen SA- und SS-Gruppenrechtsberater einsetzen. Für die Wiener SS übernahm in der Folge Otto Gustav Wächter, für die SA Georg Ettingshausen684 diese Funktion ehrenamtlich übernahmen oder einen zumindest geringfügigen Kosten­ersatz für ihre Arbeit erhielten. 684 Ettingshausen gehörte seit 1930 der SA an, in der er bis 1938 zum Standartenführer aufstieg. 1931 trat er der NSDAP bei, war Mitglied des NS-Juristenbundes, Rechtsberater im Gau Wien und der Obergruppe Öster­reich. Nach dem Juliputsch flüchtete er nach Deutschland und wurde 1936 der österreichischen Staatsbür­gerschaft für verlustig erklärt. Ab ca. 1935 war er beim Amtsgericht in München beschäftigt und neben­amtlicher Führer der SA-Sammelstelle, für die er als Referent für Einbürgerungs- und Ehrenkreuzangele­genheiten tätig war. Nach dem „Anschluss“ kehrte Ettingshausen nach Wien zurück, war kurzfristig Präsi­dent der Wiener Rechtsanwaltskammer und Gauobmann des NSJuristenbundes. 1940 wurde er zur Wehr­macht eingezogen, WStLA, GAW  : Georg Ettingshausen, Zl. 3.356, 10.327  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Georg Ettingshausen.

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Funktion, während Alois Bernwieser685 für die Rechtsbetreuung der Partei zuständig war.686 Neben den sozialen Betreuungsmaßnahmen für alle Parteimitglieder erhielten SSAngehörige noch weitere Vergünstigungen und die Möglichkeit, sich ein wenig Taschengeld zu verdienen. Beispielsweise wurden der SS-Standarte als Gegenleistung für Ordnerdienste Freikarten-Kontingente für Parteiveranstaltungen, wie etwa für das Film- und Funkfest am Schafberg, überlassen, die sie an die Mannschaft verteilten.687 Das SS-Führerkorps hatte wiederum freien Zugang zu allen geschlossenen und öffentlichen kulturellen Veranstaltungen der NSDAP.688 Im Unterschied zum Wachdienst im „Adolf-Hitler-Haus“ erhielten die SS-Männer für Bereitschaftsdienste neben dem Fahrt- auch ein Verpflegungsgeld ausbezahlt.689 Verdienstmöglichkeiten für SS-Mitglieder boten auch die Instandsetzungs- und Renovierungsarbeiten im „Adolf-HitlerHaus“, mit denen die Wiener NSDAP im Herbst 1931 begann. So wurden etwa an Walter Turza oder Julius Pfaffenmayers Vater lukrative Aufträge vergeben.690 Auch in der Gastwirtschaft des „Adolf-Hitler-Hauses“ wurden nach einer Anordnung von Gauleiter Frauenfeld SA- und SS-Männer bevorzugt als Aushilfskellner angestellt, die im Bedarfsfall auch als Verstärkung der ständigen Hauswache eingesetzt werden

685 Bernwieser war während des Ersten Weltkriegs bei der Militäranwaltschaft des Militärkommandos Wien stationiert gewesen. Seit 1926 arbeitete er als Rechtsvertreter für die NSDAP, trat aber erst 1930 in die Partei ein, für die er auch in der Landesleitung und als Führer des NS-Juristenbundes in Wien tätig war. Im Sommer 1934 flüchtete er nach Deutschland und wurde 1936 aus Österreich ausgebürgert. Im Jänner 1938 trat er in die SS ein und wurde sofort zum Sturmbannführer ernannt. Nach dem „Anschluss“ kehrte Bern­wieser nach Wien zurück und gehörte als nebenamtlicher Führer zunächst dem Stab des Personal-Haupt­amtes an. Im April 1939 erfolgte seine Beförderung zum Obersturmbannführer. Ab 1941 war er der 11. SS-Standarte zugeteilt, WStLA, GAW  : Alois Bernwieser, Zl. 5.954  ; BArch (ehem. BDC), DS/Reichsstatthalterei Bayern  ; WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Alois Bernwieser. 686 Auswärtigen politischen Flüchtlingen durfte höchstens 48 Stunden Unterkunft gewährt werden. Im Falle der Notwendigkeit einer weiteren Unterbringung durfte diese nur mit Einwilligung des Wohlfahrtsreferenten in Absprache mit dem zuständigen Einheitsführer geschehen. Auch waren politische Flüchtlinge „grundsätz­lich getrennt von SA. und SS. unterzubringen“, Arbeitsrichtlinien der Wohlfahrtsreferenten, o. D., ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 20. 687 Protokoll von Josef Reuschauer über das Fest „Film und Funk“ v. 19. 7. 1932, ebd., Kt. 4. 688 Bericht von Hannes Smirtschek an den SS-Sturmbann  I/11 über das Fest „Film und Funk“ v. 15. 7. 1932, ebd. 689 So stellte etwa im April 1933 der Adjutant der 11. SS-Standarte Josef Reuschauer dem Gau Wien für Essen und Fahrgeld für vier SS-Bereitschaften zu je zwanzig Mann 131,20 Schilling in Rechnung  ; 11. SS-Standarte an die Hauptkassa des Gaus Wien v. 29. 4. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 690 Walter Turza an den Verein „Braunes Haus“ v. 5. 2. 1932, H.A. II (Kassenverwaltung) an Josef Pfaffen­ mayer v. 8. 8. 1932, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien.

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konnten.691 Davon profitierte aber auch der von der Wiener NSDAP zum Ankauf des „Adolf-Hitler-Hauses“ gegründete „Verein Braunes Haus“, dem die Gastwirtschaft gehörte, wie die Streitigkeiten zwischen dem SS-Mann Alfred Hrubesch und dem Gastwirt des „Adolf-Hitler-Hauses“, Fritz Rothmund (von Burgwall), bzw. dem „Verein Braunes Haus“ zeigen,692 da die Einstellung von zumeist nichtausgebildeten Angehörigen der Brachialformationen als Hilfskräfte, wie im Fall Hrubesch, denen keine Bezahlung nach dem Kollektivvertrag zustand, eine durchaus kostengünstige Lösung darstellte. Altverdiente bzw. besonders verlässliche SS-Männer erhielten auch einen Posten in der Parteiorganisation,693 wie etwa Franz Mazanek als Hausmeister und Heizer im „Adolf-Hitler-Haus“, Karl Pichl in der Kartothek der Gauleitung, Boris Plachetka als diensthabender Führer der SS-Hauswache oder Max Peschke als Telefonist bei der Landesleitung. Weitere Verdienstmöglichkeiten bzw. Aushilfsarbeiten erhielten SSMänner etwa auch in den Stammkneipen von ParteigenossInnen. Wie vielfältig die Hilfsleistungen der NSDAP und ihrer ParteigenossInnen an Angehörige der Brachialformationen waren, illustrieren die Zuwendungen an den SS-Mann Hans Rahn,694 der praktisch von der Partei durchgefüttert wurde. Im November 1930 hatte der damals 18-Jährige seinen Posten als Handelsangestellter verloren. Rahns Vater, ein ehemaliger Wachtmeister und Fechtlehrer der InfanterieKadettenschule, war ebenfalls seit Jahren arbeitslos und lebte mit seiner Frau und den sieben Kindern in bitterster Armut.695 Rahn hatte sich im August 1930 der HJ angeschlossen, war kurz darauf Mitglied der NSDAP geworden und über die SA im Juni 1932 zur SS gekommen. Hilfe seitens der Partei erhielt er über die Ausspeisungen

691 Anordnung von Alfred Eduard Frauenfeld v. 10.  11.  1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 692 Die zahlreichen diesbezüglichen Schreiben befinden sich im WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 693 Franz Mazanek bezog ein monatliches Gehalt von 160 Schilling und freies Quartier im „AdolfHitler-Haus“, Bericht des Kommissariats Mariahilf v. 27.  5.  1935, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsver­fahren Franz Mazanek. Boris Plachetka und Karl Pichl erhielten vom Gau Wien einen Wochenlohn von etwa vierzig Schilling, die als Torposten angestellten SS-Männer Franz Hansmann und Franz Tüchler 37,20 Schilling plus Verpflegung und der als Kellner beschäftigte Josef Mojka bekam 25 Schilling wöchentlich, H.A. IIa (Kassenverwaltung) an die Wiener Vereinskassa v. 7. 6. 1933, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien  ; Einvernahme von Franz Tüchler durch das LGfS v. 25. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4343/33. 694 BArch (ehem. BDC), PK, RS  : Hans Rahn  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37, A 47  : Ausbürgerungsverfahren Johann Rahn. 695 BArch (ehem. BDC), PK  : Olga Rahn.

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der NS-Frauenschaft,696 das Kleiderdepot der Wiener NSDAP697 sowie durch einen Mietzuschuss.698 Zeitweise nahm sich auch der Besitzer des Cafés Wegenstein, wo der SS-Sturm Wieden-Margarethen, dem Rahn angehörte, sein Stammlokal hatte und das zu einer Art Ersatz-Zuhause für Rahn geworden war, seiner an. Bei Heinrich Wegenstein, der selbst Mitglied der SS war, konnte sich Rahn, der „fast täglich“ in das Lokal kam, als Aushilfskellner sein Mittagessen verdienen.699 Aufgrund der umfassenden Hilfsmaßnahmen wurde die NSDAP für die stetig steigende Zahl von Erwerbslosen interessant  ; gerade auch für die Masse an jungen Arbeitslosen, deren Karrierewünsche aufgrund der Krise enttäuscht worden waren und die sich von den „alten“ Parteien ab- und der NSDAP zuwandten. Die Fürsorgeleistungen seitens des Wohlfahrtsreferats konnten als Entschädigung für den geleisteten Parteidienst interpretiert werden und stellten keine Almosen dar. Somit machte die bevorzugte Behandlung von Mitgliedern der Brachialorganisationen durch die NSFürsorge diese gerade für arbeitslose junge Männer attraktiv, die sich durch einen Eintritt in die SA und SS einen Vorteil verschaffen konnten, dafür aber auch ihre körperliche Sicherheit aufs Spiel setzten. Mit der Errichtung der Verwundeten- und Gefangenenhilfe des Gaus sowie der Hilfskasse der österreichischen Landesleitung übernahm die NSDAP zwar die Versorgung ihrer im Kampfeinsatz verwundeten oder verhafteten Mitglieder, konnte jedoch bei Weitem nicht alle Kosten abdecken. Die Hilfskasse (Abteilung II H) war eine parteiinterne Einrichtung, die der Kassenverwaltung der österreichischen Landesleitung unterstand.700 Sie stellte keine Versicherung im eigentlichen Sinne dar, sondern diente zur Unterstützung von „im Parteidienste verletzten oder verunglückten Parteimitgliedern“. Die Beiträge mussten von allen Angehörigen der paramilitärischen Verbände obligatorisch eingezahlt werden. Für arbeitslose Mitglieder, die den Hilfskassenbeitrag nicht aufbringen konnten, hatte der Wohlfahrtsreferent Paten zu suchen, welche die Beiträge übernahmen. Unterstützungen aus der Hilfskasse wurden bei Unfällen gewährt, „die das angemeldete Mitglied in der Zeit vom Verlassen der Wohnung, um an Veranstaltungen, Märschen und Uebungen der Partei teilzunehmen, bis zur Rückkehr von diesen in 696 Abschrift der Einvernahme von Johann Rahn durch die Polizeidirektion Salzburg v. 22.  6.  1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33. 697 Eintrag in das Protokollbuch „Sachspenden“ v. 9. 12. 1932, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 4. 698 Zahlungs-Anweisung des NS-Wohlfahrtsreferats an die Gau-Kasse v. 27. 4. 1933, ebd., Kt. 1. 699 Zeugenvernehmung von Heinrich Wegenstein durch das LGfS v. 8. 2. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32. 700 Richtlinien der Hilfskasse der NSDAP Österreich, o.  D., ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 18.

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die Wohnung erleidet“, und „bei Unfällen (…), die durch Racheakte und Ueberfälle wegen Zugehörigkeit zur N.S.D.A.P. (…) zugefügt werden, auch wenn sie nicht im Parteidienst erlitten“ wurden. Die Hilfskasse kam nur für „persönliche Schäden“, jedoch nicht für Sachschäden auf. Bei Todesfällen wurden bis zu 3.300,– Schilling an die erbberechtigten Hinterbliebenen, bis zu 8.500,– Schilling bei hundertprozentiger Invalidität und bis zu 4.250,– Schilling bei fünfzigprozentiger Invalidität, ansonsten eine tägliche Unterstützung von fünf Schilling ausbezahlt. Weiters kam die Hilfskasse für Verdienstausfälle auf, jedoch nicht für Transport-, Krankenhaus-, Arzt‑, Arzneioder Kurkosten. Ab Sommer 1932 wurden sowohl das Budget der NS-Fürsorge des Wiener Gaus als auch die Hilfskasse der österreichischen NSDAP durch die 11. SS-Standarte über die Maßen belastet. Grund dafür war neben den steigenden Ansuchen um Verwundetenund Gefangenenhilfe vor allem ein Autounfall der Wiener SS während einer Dienstfahrt nach Drosendorf,701 wo die örtliche NSDAP am 30. Juli 1932 einen „Deutschen Tag“ veranstaltete.702 Zum Saalschutz war der Sturmbann von Josef Fitzthum abkommandiert worden. Während ein Teil der SS-Männer bereits mit SS-Sturmführer Peschke, der die Funktion des Quartiermeisters übernommen hatte, vorausgefahren war, kam Fitzthum mit ca. vierzig SS-Männern in einem Lastwagen nach. Kurz vor der Ankunft in Drosendorf wurde den SS-Männern „die Weisung zum Fertigmachen und (…) Singen gegeben“,703 als plötzlich die Bremsen versagten, der Wagen ins 701 Der Kampfruf v. 6.  8.  1932, S.  3 („Das Autounglück von Drosendorf“)  ; WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 702 Die für die Veranstaltung zuständige NSDAP-Bezirksleitung in Horn hatte Fitzthum kurz zuvor „über­raschend“ gebeten, fünfzig SS-Männer zum Saalschutz stellig zu machen. Dieser ersuchte daraufhin Roman Müllner, ein Mitglied der SS-Motorstaffel, sein Lastauto für die Fahrt zur Verfügung zu stellen. Müllner hatte zwar bereits drei Wochen zuvor für die Wiener Heimwehr um eine polizeiliche Bewilligung angesucht, mehr als neun Personen transportieren zu dürfen, aber noch keinen positiven Bescheid erhalten. Nachdem das Lastauto darüber hinaus auch für Personentransporte ungeeignet war, versuchte Fitzthum, eine andere Transportmöglichkeit zu finden, was ihm jedoch nicht gelang. So bat er am Tag der Veranstaltung Müllner, die Fahrt doch durchzuführen, da er seine Männer bereits nach Floridsdorf bestellt hatte und sie aufgrund ihrer Uniform als Nationalsozialisten erkenntlich und deshalb „dorten gefährdet“ waren. Weiters benötigte er, da viele seiner Männer arbeitslos waren und sich das Fahrtgeld nicht leisten konnte, eine billige Fahrgelegenheit. Fitzthum sicherte Müllner zu, die volle Verantwortung für die Fahrt zu übernehmen, und erklärte, dass diese „im Interesse der Partei notwendig“ sei. Müllner holte nun die versammelten SS-Männer in Strebersdorf ab, die „nicht in Wien gesehen werden (sollten), da die Fahrt eigentlich verboten war“, Schreiben von Josef Fitzthum v. 30. 7. 1932, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33  ; Aussage von Josef Fitzthum vor dem LGfS Wien I v. 16. 10. 1933, ebd.; Aussage von Roman Müllner vor dem LGfS Wien I v. 16. 10. 1933, ebd.; Schreiben eines Mitglieds der Landesführung des Wiener Heimatschutzes an „Freund Baudin“ v. 19. 7. 1932, ebd. 703 Der Kampfruf v. 6. 8. 1932, S. 3 („Das Autounglück von Drosendorf“).

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Schleudern kam, über eine Böschung stürzte, sich mehrmals überschlug und erst durch den Aufprall gegen ein Wohnhaus gestoppt wurde. Der SS-Mann Karl Ramlehner starb noch an der Unglücksstelle, Leo Libardi erlag auf dem Weg ins Krankenhaus seinen schweren Verletzungen. Vier SS-Männer wurden zu Vollinvaliden, weitere 28 zum Teil schwer verletzt.704 Ein Teil der Verunglückten war monatelang nicht einsatzfähig, wie etwa Gustav Lorenz, der sich nach einem dreimonatigen Spitalsaufenthalt ein halbes Jahr lang nur mithilfe eines Gehstocks fortbewegen konnte  ;705 oder Franz Langauer, Felix Fahnl und Franz Dworschak, die der Wiener Polizei ebenfalls als radikale Nationalsozialisten bekannt waren. Libardi und Ramlehner wurden im „Adolf-Hitler-Haus“ aufgebahrt und am 4. August beerdigt.706 Die Gauleitung Wien verhängte bis 9. August Parteitrauer und untersagte außer rein politischen Versammlungen alle Veranstaltungen. Der Unfall in Drosendorf riss nicht nur ein tiefes Loch in die ohnedies nicht üppig gefüllten Kassen der NS-Fürsorge und der Hilfskasse, sondern führte auch zu Konflikten mit der SS, die sich aufgrund der ausbleibenden bzw. unzureichenden Zahlungen an die verwundeten Kameraden im Stich gelassen fühlte und versuchte, deren Inte­ ressen zu wahren. Im Oktober 1932 zahlte der Gau Wien zunächst einen Teil „der zu erwartenden Leistung der Hilfskasse“ an mehrere verletzte Männer aus, da „die armen Teufeln (…) nicht warten können, bis seitens der Hilfskasse finanzielle Nothilfen erfolgen“.707 Ende November überwies die Hilfskasse der Gauleitung 1.500,– Schilling der ausgelegten Gelder und einen gleichhohen Betrag an SS-Stabsführer Walter Turza.708 Ausständig blieben aber weiterhin die Kosten für die Krankentransporte und den Spitalsaufenthalt, die etwa bei einem schwerverletzten SS-Mann bis März 1933 allein über 1.600,– Schilling ausmachten.709 Nachdem im Februar 1933 die Krankenhausrechnungen von vier gänzlich mittellosen SS-Männern noch immer nicht bezahlt 704 Zur Liste der Verletzten s. Urteil des LGfS Wien I v. 16. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 705 BArch (ehem. BDC), SSO  : Gustav Lorenz. Laut einem von Johannes Sachslehner zitierten Antrag von Amon Göth für die Verleihung des Blutordens gab dieser darin an, dass er in Drosendorf schwer verletzt worden sei, Sachslehner (2008), S. 27. Weder in Göths sonstigen Personalunterlagen noch in den zahlrei­chen Akten des Wohlfahrtsamtes des Gaus Wien über den Unfall, des LGfS Wien I oder den Zeitungsbe­richten konnte ein diesbezüglicher Hinweis aufgefunden werden. 706 Der Kampfruf v. 6. 8. 1932, S. 3 („Das Autounglück von Drosendorf“), ebd. v. 13. 8. 1932, S. 9 („Der letzte Gang“). 707 H.A. IIa (Kassenverwaltung) des Gaus Wien an die H.A. II der LL Österreich v. 30. 10. 1932, WStLA, Gauar­chiv Wien, Kt. 2. 708 H.A. IIa (Kassenverwaltung) des Gaus Wien an die H.A. II der LL Österreich v. 30. 11. 1932, ebd. 709 Krankenkasse der gewerbl. Hilfsarbeiter (Gesellen) bei den Genossenschaften der Fleischhauer, Fleischsel­cher u. Pferdefleischhauer in Wien an die Kanzlei Dr. Richard Fuchs v. 19. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33.

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worden waren, schrieb der Verwaltungsführer der 11. SS-Standarte, Herbert TothSonns, an das Wohlfahrtsamt des Gaus,710 dass es zwar „hundertmal richtig sein (mag), dass ein rechtlicher Anspruch der bei diesem Anlass Verletzten an die Hilfskasse in Linz nicht vorhanden ist“, jedoch sei es „ebenso unbestritten (…), dass sich der Unfall im Dienste der Partei zugetragen hat“. Sollten „die näheren Umstände dieser ganzen Sache den Gegnern der N.S.D.A.P. zu Ohren kommen (…), hätten diese das beste Propagandamittel gegen die Bewegung, das sie sich wünschen könnten. Schon aus diesem Grunde erscheint eine baldige positive Regelung dieser Angelegenheit mehr als geboten.“ Nachdem gegen einen der Verletzten bereits ein Exekutionsverfahren eingeleitet worden war und der Vater eines Betroffenen „aus der Sache ein Politikum zu machen (drohte)“, wurde „um dringendste Erledigung der Angelegenheit ersucht“. Das zugrundeliegende Problem bestand darin, dass die Hilfskasse aufgrund ihrer Richtlinien für keine „Unfälle von Kraftfahrern und deren Beifahrern, auch wenn die Benutzung im Dienste der Bewegung erfolgte“, aufkam.711 Weiters war durch sie nur der Verdienstausfall gedeckt, aber nicht die sonstigen anfallenden Kosten, wie etwa Krankenhaustransporte und -aufenthalte. Im April 1933 ersuchte wiederum der NSDAP-Bezirksleiter von Horn „im Inte­resse des Ansehens der Bewegung“, die Krankenhaus- und Transportkosten schleunigst zu bereinigen.712 Daraufhin bat Toth-Sonns die Gauleitung erneut, der Hilfskasse in Linz „die Unmöglichkeit ihres unnachgeblichen Standpunktes (…) nochmals ganz energisch vor Augen zu führen“.713 Außer der „Zuwendung“ durch den Gau Wien hatten die Verletzten nicht „die geringste Unterstützung“ erhalten, und auch die versprochene Abfertigung der arbeitsunfähig gewordenen SS-Männer war bisher nicht ausbezahlt worden. Die Hilfskasse könne sich, so der Geldverwalter weiter, „doch nicht auf den gleichen Standpunkt stellen, den eine private Institution in so einem Falle vielleicht einnehmen würde (…), sondern muss bedenken, dass sie eine Einrichtung zum Wohle der Parteigenossen und kein auf Gewinn eingestelltes Unternehmen ist“. Die Unterstützung der invaliden SS-Männer seitens des Wohlfahrtsreferats des Gaus Wien mit ca. dreißig bis vierzig Schilling monatlich reichte kaum zum Leben. Auch Libardis Mutter erhielt vom Gau Wien zweimal eine kleine finanzielle Zuwendung, ihr Ansuchen um Auszahlung einer Rente wurde hingegen abgelehnt.714 710 Verwaltungsführung i. Stab d. 11. SS-Standarte an das Wohlfahrtsamt des Gaus Gross-Wien v. 19. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 711 Richtlinien der Hilfskasse der NSDAP, o. D., ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 18. 712 Bezirksleitung Horn der NSDAP an die GL für NÖ d. NSDAP v. 3.  4.  1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 713 FM-GV i. Ber. d. 11. SS-Standarte an die GL Gross-Wien v. 10. 4. 1933, ebd. 714 Wohlfahrtsreferat des Gaus Wien an die NSDAP Ortsgruppe Merano v. 1. 4. 1933, 7. 4. 1933, ebd.

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Die Gauleitung unterstützte den Standpunkt der SS gegenüber der Landesleitung und schlug dieser vor,715 den SS-Männern eine einmalige größere Abfindung auszubezahlen. Gleichzeitig betonte sie, dass „der Gau Wien ausser Stande sei(,) den Kameraden aus eigenen Mitteln eine dauernde Unfallrente zu gewähren“, er jedoch „selbstverständlich (…) trachten“ werde, diese bei einer allfälligen Anstellung besonders zu berücksichtigen. Anfang Mai 1933 war das Schicksal der invaliden SS-Männer seitens der Hilfskasse noch immer nicht geklärt. Inzwischen waren „einige dieser Leute als Diener oder Ordonnanz in den diversen Abteilungen des Gaues angestellt“ worden, womit „der Gau Wien (…) sein übriges getan“ habe.716 Hinsichtlich der noch immer unbezahlten Transport-, Verpflegungs- und Krankenhauskosten schlug die Gauleitung vor, nachdem sie „absolut unschuldig zum Handkuss gekommen“ sei, dass es „zumindest angezeigt (wäre), auch den Gau Niederösterreich, auf dessen Boden das Unglück passierte, zu einer entsprechenden Leistung heranzuziehen“. Ob die invaliden SS-Männer bzw. die Gläubiger bis zum Parteiverbot ihr Geld erhielten, ist unbekannt. Die SS war bereits im September 1932, nachdem Gau- und Landesleitung die in Drosendorf verletzten SS-Kameraden ihrer Ansicht nach so schmählich im Stich gelassen hatten, zur Selbsthilfe geschritten, indem sie unbefugte Sammlungen durchführte. So ließen im September 1932 zwei SS-Männer in Zivil im Auftrag ihres Sturmführers anlässlich einer Versammlung in der Engelmann-Arena Spendenbüchsen herumgehen.717 Als der Gauschatzmeister dagegen einschritt und die Büchsen im Beisein eines SS-Truppführers konfiszierte, „(benahmen) sich die beiden Sammler nicht besonders diszipliniert, (…) waren dieselben nicht zu beruhigen, lehnten die Aufforderung näher zu kommen (…) ab und schimpften und maulten, obwohl ständig in ihrer unmittelbaren Nähe das Gedränge der abziehenden Versammlungsbesucher war, weiter“. Auf die Bemerkung des Gauschatzmeisters gegenüber dem Truppführer, dass er „die Angelegenheit selbstverständlich zur Anzeige bringen werde, erwiderte“ ihm „derselbe noch“, „er sei im Recht (sic  !)“, „der Stunk“ solle „endlich auffliege(n) und die Behandlung der Opfer von Drosendorf ans Tageslicht komm(en), deren Familien buchstäblich hungern“. Der Gauschatzmeister wies diese Anschuldigungen zurück, da die Gaukassa trotz der bereits erschöpften Mittel die verlangten Unterstützungen angewiesen habe, und bat die Gauleitung um Einziehung der restlichen Büchsen und Spendenlisten. 715 H.A. IIa (Kassenverwaltung) des Gaus Wien an die H.A. II der LL der NSDAP v. 18. 1. 1933, ebd., Kt. 2. 716 H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Wien an die LL Österreich, z. Hd. Landesleiter Proksch v. 2. 5. 1933, ebd. 717 H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Wien an die H.A. Ib (Gauinspekteur Neumann) v. 8. 9. 1932, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien.

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Im Gegensatz zur rigiden Haltung der Hilfskasse der Landesleitung zeichnete sich die Bevölkerung von Drosendorf und Umgebung durch ausgesprochene Hilfsbereitschaft aus. Ein nicht unbeträchtlicher Teil der Wiener hilfsbedürftigen ParteigenossInnen profitierte in der Folge von dem Autounfall, da die EinwohnerInnenschaft anbot, den Gau Wien „durch Spenden jeglicher Art“ zu unterstützen,718 und im Winter 1932 tausende Kilos an Lebensmitteln sammelte, die sie dem Wohlfahrtsreferat zur Ausspeisung der hilfsbedürftigen Wiener NationalsozialistInnen zur Verfügung stellte. Wie so oft kam es aber auch dabei zu Querelen über den Abtransport und die Verteilung der Spenden zwischen der Politischen Leitung und ihren Gliederungen, die sich einen regelrechten Wettlauf um die Abholung der Lebensmittel lieferten. Die Nase vorn hatte in diesem Fall die SS. Die Verteilung der Spenden führte dann wiederum zu Konflikten zwischen den Bezirksgruppen Hernals und Währing, in die sich neben der Frauenschaft auch noch die SA einmischte, während das Verhalten der für den Abtransport eingeteilten SS-Männer wiederum die niederösterreichischen Funktionäre auf den Plan rief. Anlass der Auseinandersetzungen war, dass der Parteigenosse Richard Lanik von der Hernalser Frauenschaft gebeten worden war, neben seinem „Vertrieb von Hitlerbüsten auf der Provinz (…) auch Lebensmittel aufzutreiben“.719 Lanik willigte ein, und es gelang ihm, in Drosendorf und drei weiteren Ortschaften durch den dortigen Ortsgruppenleiter und die NS-Bauernschaft „Lebensmittel (…) sicherzustellen“. Laut Bericht Rosa Scheiblichs von der NS-Frauenschaft Hernals erhielt Lanik „die schriftliche Zusage für ca.  8.000–10.000 kg Lebensmittel (einige 1.000  kg Kartoffel, 20 Säcke Mehl, ca. 100 kg Fett, sowie Hülsenfrüchte und Fleisch) bestätigt vom Bauernschaftsführer“.720 Einen Monat später erkundigte sich dann der Hernalser Bezirksgruppenleiter nach dem Verbleib der Lebensmittel,721 worauf ihm Lanik erwiderte, „dass Drosendorf doch nicht auf eigene Kosten die Lebensmittel auch noch zustellen“ werde. Als Lanik nun beim Ortsgruppenleiter wegen der Lebensmittel nachfragte, erfuhr er, dass SSSturmführer Peschke diese für die Hietzinger Ortsgruppe bereits abgeholt, aber die der Hernalser Bezirksgruppe versprochene Ration angeblich nicht abgeführt hatte. Auch sei es nach Laniks Bericht zu Beschwerden seitens des niederösterreichischen 718 Bezirksgruppe Hernals an SA-Standartenführer Schuckat v. 13. 12. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NSParteistel­len, Kt. 20. 719 Mündliche Berichterstattung des Pg. Richard Lanik, Beilage zum Schreiben der Bezirksgruppe Hernals an den Standartenführer Schuckat v. 13. 12. 1932, ebd. 720 Rosa Scheiblich, NS-Frauenschaft Bezirksgruppe Hernals, an SA-Standartenführer Schuckat v. 13. 12. 1932, ebd. 721 Mündliche Berichterstattung des Pg. Richard Lanik, Beilage zum Schreiben der Bezirksgruppe Hernals an den Standartenführer Schuckat v. 13. 12. 1932, ebd.

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Bezirksleiters und des Drosendorfer Ortsgruppenleiters gekommen, da sich Peschke und seine Mitfahrer während ihres Einsatzes „sehr tadelhaft benommen“ hätten,722 indem sie „über den Durst tranken“ und „mit Pistolen herum (schossen)“. In Antendorf musste der NS-Bauernführer „(sogar) die Mädchen“ vor den rabiaten Wiener SS-Männern „in Schutz nehmen, weil man ihnen Gewalt antun wollte“. Die Hernalser Frauenschaft erhielt im November von der Bezirksgruppe Hietzing nur die Verständigung, „gegen Erlag von S 92,– 1.350 kg Kartoffel, ungefähr 20 kg Mehl, Kraut, sowie Gerste (zu) erhalten, die keineswegs dem geforderten Betrag entspr(o)chen“ hätten.723 Daraufhin wurde Lanik beauftragt, zumindest die restlichen Lebensmittel für die Hernalser Gruppe in Sicherheit zu bringen, zog aber neuerlich den Kürzeren, da er kurz vor der Abfahrt erfuhr, dass die SS mit Bewilligung der Gauleitung gerade dabei sei, weitere 6.000 Kilo Lebensmittel zu verladen.724 Nach einem Bericht der NS-Frauenschaft Hernals legte SA-Standartenführer Schuckat bei der Untergruppe Wien Beschwerde über die angeblich ungerechte Verteilung der Lebensmittel ein und forderte,725 dass „der grösste Teil“ derselben von der Bezirksgruppe Währing an die Frauenschaft Hernals „zurückgestellt“ werden müsste, da die Spenden „zur Ausspeisung der SA und Pg. dringend benötigt“ werden. Der Untersuchungsbericht des Wohlfahrtsreferats stellte hingegen fest,726 dass „nach Abschluss aller Erhebungen (…) nun mitgeteilt werden (kann), dass bei Belieferung, wie auch bei der Verteilung der Lebensmittel Unzukömmlichkeiten gröblicher Art nicht vorgekommen sind und diese Aktion ihren Zweck im Grossen und Ganzen erfüllt“ habe. Es habe sich um einen „Fehler in der Verteilungsart“ gehandelt, „was aber nur auf die damalige mangelhafte Organisation zurückzuführen“ sei. Lebensmittel gingen vor allem an die Arbeiterbezirke, der bürgerliche Bezirk Hietzing, der die Transportkosten übernommen hatte, erhielt jedoch den größten Anteil. In seinem Bericht ging das Wohlfahrtsreferat zwar nicht auf das angebliche skandalöse Verhalten von Peschke und seinen Männern ein, kritisierte dafür aber, dass hinsichtlich „des Ankaufes eines Schweines durch Pg. Peschke (…), festgestellt worden (ist), dass hier eine Handlungsweise vorliegt, die eines anständigen Menschen überhaupt und eines Nationalsozialisten insbesondere unwürdig ist und auf das strengste verurteilt werden muß“. Er habe aufgrund dieses Vorfalls ein USchla-Verfahren eingeleitet. Dieses dürfte, sofern es überhaupt eingeleitet wurde, im Sande verlaufen sein. 722 Ebd. 723 Rosa Scheiblich, NS-Frauenschaft Bezirksgruppe Hernals, an SA-Standartenführer Schuckat v. 13. 12. 1932, ebd. 724 Mündliche Berichterstattung des SS-Scharführers Johann Kronister v. 4. 2. 1933, ebd. 725 Standartenführer Schuckat an die Untergruppe Wien v. 15. 12. 1932, ebd. 726 Wohlfahrtsreferat an den Bezirksredner der NSDAP Drosendorf Franz Suchy v. 25. 2. 1933, ebd.

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Aber auch das Verhältnis zwischen Frauenschaft und SA scheint nicht allerorts so harmonisch verlaufen zu sein, wie zwischen Schuckat und Scheiblich. Im September 1932 beschwerte sich der Führer des SA-Sturmbanns i/4, Hans Riedel, bei seinem Standartenführer über den „Feldwebeljargon“ der NS-Frauenschaftsleiterin Rauchbauer.727 „Selbst“ er, der „vom Militär her gerade nicht verwöhnt“ sei, „(musste) über diesen Ton bei einer Frauenorganisation staunen“. Er ersuchte die Standartenführung, „geeignete Schritte einzuleiten(,) um ein derart S.A.-feindliches und schädigendes Frauenschafts-Mitglied aus leitender Stelle zu entfernen(,) da nicht nur die S.A. des Bezirkes(,) sondern auch der Grossteil der Bez. Frauenschaft ein weiteres Zusammenarbeiten mit einer so gehässigen Person ablehnt“. Hingegen dürfte die SS mit Parteigenossin Rauchbauer besser ausgekommen sein, die im März 1933 vorschlug, eine eigene „SS-Fürsorge-Stelle“ einzurichten.728 Sturmbannführer Mazanek bat darauf­hin die „sehr geschätzte Frauenschaft“, sich mit Rauchbauer „direkt ins Benehmen“ setzen zu dürfen, da aufgrund der wirtschaftlichen Lage „viele Kameraden bei den oft wiederkehrenden Bereitschaften im ‚Adolf-Hitler-Haus‘ einer Verpflegung dringend bedürfen“. Mazaneks Anfrage stellte wohl auch einen Versuch dar, den Beschwerden Frauenfelds über die SA- und SS-Männer in der Gastwirtschaft des „Adolf-Hitler-Hauses“ zumindest im Bereich der SS entgegenzuwirken. Im November 1932 hatte Frauenfeld nämlich das Benehmen der SA- und SS-Männer, die sich in der Gastwirtschaft aufhielten, als „ein diesen Betrieb schädigendes Verhalten“ kritisiert, da sie „ganze Tische besetzten“, ohne etwas zu konsumieren, bei den Kellnern Schulden machten und diese „oft um die Zeche glatt prell(t)en“.729 Sowohl für die Gastwirtschaft, die Eigentum der Partei war und die Einnahmen dringend benötigte, als auch für die oftmals arbeitslosen Männer stellte die Situation ein Dilemma dar. Einerseits standen im „AdolfHitler-Haus“ noch keine größeren Aufenthaltsräume zur Verfügung, andererseits konnte sich die Mehrzahl der Männer eine Konsumation in der Gastwirtschaft kaum leisten und nützte ihr „Braunes Heim“, um Kameraden zu treffen, der Langeweile zu entkommen und die Zeit bis zum nächsten Einsatz totzuschlagen. Der SS-Mann Franz Lapitza brachte die Situation vieler SS-Männer auf den Punkt, als er in seinem Lebenslauf angab, dass er zwar schon während seiner Militärdienstzeit für die SS tätig gewesen war, sich aber erst nach seiner Abrüstung und der darauffolgenden Arbeitslosigkeit „überhaupt nur mehr der Partei (widmete)“.730 Die kontinuierlichen Treffen und SS-Dienste boten Schutz vor Vereinzelung und Vereinsamung, das propagierte 727 Der Führer des Sturmbanns I/4 an die Standarte 4 v 2. 9. 1932, ebd., Kt. 19. 728 Franz Mazanek an die Frauenschaft der Bezirksleitung Simmering v. 27. 3. 1933, ebd., Kt. 4. 729 Anordnung von Alfred Eduard Frauenfeld v. 10. 11. 1932, ebd. 730 BArch (ehem. BDC), RS  : Franz Lapitza.

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Die sozialen Betreuungsmaßnahmen der Wiener NSDAP

Kameradschaftsideal förderte den Zusammenhalt innerhalb der Gruppe und befriedigte das Gemeinschaftsbedürfnis ebenso wie das Einschwören auf ein gemeinsames Feindbild. Durch den Eintritt gerade in die prestigeträchtige SS erhielten die jungen Arbeitslosen jene Anerkennung, die sie im Berufsleben nicht mehr finden konnten. Die ständige Mobilisierung und permanente Beschäftigung für die SS förderte das Selbstbewusstsein der arbeitslosen Männer, die vom Erwerbsleben ausgeschlossen waren, und wirkte integrierend für eine Generation, die sich ohne Zukunftschancen und planbare Lebensperspektive am Rande der Gesellschaft wiederfand. Aber auch innerhalb der SS waren den Aufstiegschancen für die überwiegende Zahl der SS-Mitglieder ab Mitte 1932 Grenzen gesetzt. Ab diesem Zeitpunkt stiegen neben den bereits altgedienten SS-Mitgliedern nur noch SS-Männer in das Führerkorps der Wiener Standarte auf, die eine höhere Ausbildung hatten bzw. gut situiert waren, als Offiziere gedient hatten oder einem Studium nachgingen. Das Fußvolk der SS konnte sich zumindest gewisse Versorgungsmöglichkeiten und kurzfristige Beschäftigung durch die Partei sichern und der Langeweile ihres Alltags entfliehen. Peter Longerichs Feststellung, dass die ständige Beschäftigung der SA-Männer im täglichen Dienst der Bewegung und die „bis zum Bürgerkrieg gesteigerten gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den politischen Gegnern (…) zur Entstehung eines besonderen ‚Frontgeistes‘, eines starken SA-Gruppenbewußtseins (führten)“, trifft ebenso auf die SS zu. Die gemeinsame Kampferfahrung festigte den Zusammenhalt innerhalb der Wiener SS, wirkte motivierend und anspornend und führte zu immer brutaleren Aktionsformen, die mit Beförderungen und sozialer Unterstützung belohnt wurden. Gleichzeitig löste dies aber auch Konkurrenzkämpfe und Eifersüchteleien sowohl innerhalb des Führerkorps als auch der Mannschaft aus.

7. Der heiße Herbst 1932

7.1 Die Reorganisation der Wiener SS im Herbst 1932

Mit der Expansion der Wiener SS begannen sich im Herbst 1932 die Probleme aufgrund des gravierenden Führermangels und des ständigen Einsatzes für die Partei zu häufen. Laut dem Bericht über die Entstehung und Entwicklung des österreichischen SS-Abschnitts731 zeigten sich angeblich nun Walter Turzas „vollkommene(r) Mangel an Organisationstalent“ und seine Unfähigkeit, „einen größeren Verband zu führen“. Weiters wurde die Wiener SS durch die „Unterstellung selbst der kleinsten SS-Formation ausserhalb Wiens“ unter die 11. Standarte „über alle Maßen belastet und die Mitglieder verweigerten zunehmend die Zusammenarbeit mit der Abschnittsleitung“. Als Folge davon wurde die niederösterreichische SS im Winter 1932 endgültig von der Wiener Standarte getrennt. Laut dem Bericht war im Frühsommer 1932 die „Situation im Abschnitt eine unhaltbare geworden“,732 da dieser nur noch in Wien über eine „gut disziplinierte SS“ verfügte und aus einigen verstreuten Staffeln im übrigen Bundesgebiet bestand, die mit der Abschnittsführung entweder in überhaupt keinem oder nur „sehr lose(n)“ Kontakt standen. Auch die Klagen der Politischen Leitung sowie der SA über „Uebergriffe der führerlosen SS“ mehrten sich. Mit der Ernennung Graeschkes versuchte Himmler, den chaotischen Abschnitt wieder unter Kontrolle zu bringen. Die von Graeschkes unter „Hochdruck“733 betriebene Werbeaktion für die SS, wodurch die Mitgliederzahl binnen weniger Wochen um das Dreifache gehoben werden konnte, wirkte sich für die SS jedoch nicht nur positiv aus, sondern erleichterte auch ihre Unterwanderung durch Spitzel der Gegnerschaft. Gleichzeitig bedeutete Graeschkes Ernennung einen erheblichen Machtverlust für Walter Turza, dessen geplante Übersiedelung zum Abschnittsstab nach Linz aus finanziellen Gründen nicht durchgeführt werden konnte und der von der Führungsspitze isoliert in Wien verblieb. Aber nicht nur innerhalb der Abschnittsführung, sondern auch des Führerkorps der Wiener Standarte setzte nun ein Umstrukturierungsprozess 731 Bericht über den „SS Abschnitt VIII, seine Entstehung und Entwicklung bis Herbst 1932“ v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 732 Ebd. 733 Schreiben der 37. SS-Standarte an den SS Abschnitt VIII v. 8.  2.  1933 über die „Entwicklung der 37. SS-Standarte“, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933.

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ein, der auf einer Führersitzung unter Himmlers Leitung am 25. und 26. September 1932 im Gasthaus Lembacher in Wien und mit den Führerernennungen am 30. Jänner 1933 seinen Abschluss fand.734 Dies betraf auch die Führung der Wiener SS selbst, die seit Juni 1932 kommissarisch von Anton Ziegler kommandiert wurde.735 Aber auch Ziegler konnte sich nur noch wenige Monate auf dieser Position halten, bis er im September 1932 von Josef Fitzthum abgelöst wurde. Fitzthum war 1931 der NSDAP, jedoch erst Anfang April 1932 der SS beigetreten, in der er innerhalb kürzester Zeit einen rasanten Aufstieg nahm. In einem späteren Bericht an den SS-Abschnitt schilderte Fitzthum wortreich seine Befindlichkeiten nach dem Zusammenbruch der Monarchie und seinen Werdegang in der NSDAP, für die er sich mit missionarischem Eifer betätigte, um das „Evangelium“ Adolf Hitlers unter das Volk zu bringen.736 734 Ähnliches lässt sich auch bei den Standarten in den Bundesländern feststellen, wo ebenfalls am 25. September 1932 zahlreiche neue Führer ernannt wurden, wie etwa Eduard Duttenhofer (SS-Nr. 5.058), Paul Helle (SS-Nr. 10.528), Anton Wohlrab (SS-Nr. 32.852), Wilhelm Schwarz (SS-Nr. 41.938) und Carl (von) Pichl (SS-Nr. 51.935) zu Sturmführern, Hanns (von) Feil (SS-Nr. 41.937), Otto Schatzmayr (SS-Nr. 2.677) und Karl Taus (6.789) zu Sturmhauptführern. Weitere Ernennungen er­folgten hier jedoch, mit Ausnahme von Emil Langguth (SS-Nr. 3.871), bereits am 24. Dezember 1932, als Feil zum Sturmbannführer, Pichl zum Sturmhauptführer und Eberhard Quirsfeld (SS-Nr. 23.029) sowie Jo­sef Fritz (SS-Nr. 17.229) zu Sturmführern befördert wurden. Am gleichen Tag erfolgte auch die Bestellung der Führer der neugegründeten 52. SS-Standarte, die der nun zum Sturmhauptführer ernannte Richard Kaa­serer kommandierte, und der Otto Bayer (SS-Nr. 19.618), Hans Hiedler (SS-Nr. 49.389) sowie Emil Talbot Pistor (SS-Nr. 37.494) als Sturmführer angehörten. 735 Laut einem Bericht der HA II der GL Wien hatte ein gewisser Haring die Standarte vor Ziegler geführt, HA II, Betreff  : Franz Josef Langeder gegen N.S.D.A.P., o. D. (ca. Oktober 1932, CR), WStLA, GL Wien, Kt. 1. Harings Identität konnte nicht ermittelt werden. Aus einem Schreiben von Thomas Schabel an das VA-SS in München vom Dezember 1932 geht hervor, dass ein SS-Angehöriger namens Haring degradiert und aus der SS ausgeschlossen worden war, SS-VA VIII/Thomas Schabel an das VASS v. 30. 12. 1932, ebd., Kt. 6. 736 Josef Fitzthum an den SS-Abschnitt VIII v. 24. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. Laut seinem Bericht hatte Fitzthum in den ersten Nachkriegsjahren seine „ganze freie Zeit“ zunächst mit „schöngeistigen Interessen“ und der „Pflege“ seiner „schriftstellerischen Begabung“ verbracht. „Unbeirrt durch die jüdische Lärmliteratur“ habe er „nach den Grundsätzen bewährter Ueberlieferung gearbeitet und Dinge geschaffen“, mit denen er „nach der nationalen Revolution nur wegen“ seiner „langen Haft (Fitzthum war unmittelbar vor Abfassung des Berichts mehrere Monate inhaftiert gewesen, CR) noch nicht hervorgetreten“ sei. Aus seinem „abgeschiedenen Leben“ wurde er schließlich von seinem Bruder Max, einem SA-Sturmbannführer, „aufgescheucht“, der ihn 1929 „mit dem Kampfe Adolf Hitlers bekannt (machte)“. Dies entfachte in ihm eine solch „flammende Begeisterung“, dass er zu seinem „Volke zurück(fand)“. Er verschrieb sich daraufhin „mit ganzem Herzen“ der Bewegung, „legte die Feder beiseite“ und wurde „ein fanatischer Verfechter“ des „Evangeliums“ Adolf Hitlers. Von nun an war niemand mehr vor Fitzthums missionarischem Eifer sicher  : „Kollegen, Professoren und Schüler“ seines Dienstorts, „die Beamten des Ministeriums, der übrigen gewerblichen Lehranstalten, die Gewerbetreibenden und Künstler (…), die Kammern und Genossenschaften (…) fanden ihn eines Tages verwandelt, als anderen Menschen“, da er ihnen „nach schweigsamsten Jahren (…) nun so

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Abb. 39: Anton Ziegler (vorne rechts) bei einem Marsch der Wiener SS, 1932, FAA

entflammt gegenüber trat“. Er „erzielte bald befeuernde Erfolge“, wurde Betriebszellenorganisator und „überrannte“ binnen drei Monaten „in der Schule alle Widerstände“, führte der Bewegung auch aus dem Ministerium sowie den Zellen anderer gewerblicher Lehranstalten „zahlreiche neue Streiter zu“ und machte sich in weiterer Folge über „Privatbetriebe“ her, um dort ebenfalls „Zellen zu schaffen“. Dem nicht genug, setzte der joviale Fitzthum, von seinen Freuden auch „Joschi“ genannt, seinen Aktionismus in den von ihm „frequentierten Gaststätten“ fort, wo er zunächst das „Personal“ und dann auch noch gleich die Gäste und GastwirtInnen bekehren wollte. Ebenso suchte er fremde Betriebe „aufs Geratewohl“ auf, stellte sich bei Arbeitsschluss ans Tor und missionierte für das neue Deutschland. Während der Wahlen 1931 rannte er durch unzählige „Häuser (…) stockauf und -ab“ und „füllte die Briefkästen mit selbst erworbenem Werbematerial“. Auch der Strand der Alten Donau blieb von Fitzthum nicht verschont. Im Sommer verließ er nämlich seine „Stadtklause“ und übersiedelte dorthin, wo er so „manche Unruhe am Strande“ verursachte, „insbesondere im roten Massenbad“, und „manche Auseinandersetzung zu bestehen“ hatte. Auf seinem „Weg übersteigerter Kampfesfreude“ erwachte „der alte Soldatengeist“ in ihm, und er gliederte sich daraufhin „als einfacher Streiter“ in die „Reihen der SS“ ein. In einen „Rausch der Hingabe an die Bewegung“ ob all der „Kameradschaft, Opfertreue und Begeisterung“ versetzte ihn dann der Linzer Gausturmtag, „die Erinnerungen“ an seine „Kompagnie erwachten lebendig im Herzen, der Zauber des Frontkampfes erfasste“ ihn wieder, und „alle Hemmungen (fielen)“ nun von ihm ab.

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Der heiße Herbst 1932

Einen ähnlichen Karriereverlauf verzeichnete auch Richard Kaaserer, der sich vom Steirischen Heimatschutz kommend im Februar 1932 der NSDAP und Mitte Juli desselben Jahres der SS angeschlossen hatte. Kaaserer übernahm nun das Kommando über den Sturmbann i/11, bis er im Dezember 1932 zum Führer der 52. SS-Standarte ernannt wurde. Seine Nachfolge trat dann Karl Pichl an, der im Herbst nach einer mehrmonatigen krankheitsbedingten Beurlaubung wieder nach Wien zurückgekehrt war. Mit der Ernennung von Boris Plachetka, Max Plobner, Hans Smirtschek, Hans Mußil und Karl Heinz Urban zu Sturmführern war die Aufstellung des neuen Führerkorps der Wiener SS am 30. Jänner 1933 beendet. 11. Standarte

Josef FITZTHUM ab 9. 1932

I/11

Anton ZIEGLER

Josef FITZTHUM ab 8. 1932

1/I/11

Karl PICHL i.V. Teimel & Libardi

Hans MUßIL ab 9. 1932

2/I/11

Max PESCHKE

Hans SMIRTSCHEK ab 1. 1933

3/I/11

Hans SMIRTSCHEK

Truppführer Gustav LORENZ ab 2. 1933

II/11

Franz MAZANEK

1/II/11

Max PLOBNER

2/II/11

Karl Heinz URBAN

3/II/11

Emil Talbot PISTOR bis 11. 1932

Richard KAASERER ab 9. 1932

Karl PICHL ab 11. 1932

unbekannt

III/11

Boris PLACHETKA

1/III/11

Scharführer ­STROBL738

Scharführer Ferdinand SCHMID vor 6. 1933

2/III/11

SS-Scharführer Leopold TEIMEL738

Haupttruppführer ­Ludwig STIGLER vor 1. 1933

3/III/11

unbekannt

737 738

Tabelle 13  : Das Führerkorps der 11. SS-Standarte nach der Dienststellung ab Herbst 1932

Die Neuorganisation der SS ab Herbst 1932 ging so weit, dass Fitzthum zwischen der „alten“ und der „neuen“ SS unterschied,739 aber etwa auch Boris Plachetka auf 737 Die Identität dieses Scharführers konnte nicht ermittelt werden. 738 Leopold Teimel trat im Herbst 1932 aus der SS aus. 739 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza.

Die Reorganisation der Wiener SS im Herbst 1932

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Abb. 40: Josef Fitzthums Bestellungsdekret zum beauftragten Führer der Wiener SS, 1932, WStLA

einem Führerfragebogen im Winter 1932 angab, dass er der „Partei, SA, alte SS, SS“ angehört habe bzw. angehöre.740 Die Probleme zwischen der „alten“ und „neuen“ SS sollten nicht lange auf sich warten lassen. In einem späteren Bericht meldete Fitzthum an die RFSS,741 dass die „wiederholten Aenderungen und Berufungen neuer Führer“ die alte SS in der „Meinung (ge)wiegt“ hätten, „sie werde durch die neuen Elemente in den Hintergrund gedrängt – was in einzelnen Fällen vollkommen berechtigt war“. Weiters wurde die „alte“ SS „bei den Umformierungen bewusst (…) unter die neue SS vermengt, um den gegenseitigen Zusammenhang zu zerreissen“. Fitzthums Bericht zufolge machte sich aufgrund „der von der Reichsführung SS angeordnete(n) Auffüllung der Wiener Schutzstaffel“ auch ein „sehr fühlbare(r) Führermangel“ sichtbar, der „mit wiederholten Umgruppierungen und Führerum- und Neubesetzungen verbunden war“. Mit der Reorganisation der SS waren zum Teil noch sehr junge Männer in das 740 BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Lang (= Boris Plachetka). 741 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza.

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Führerkorps aufgestiegen. Insbesondere der erste Sturmbann wies mit dem 22-jährigen Mußil, dem 24-jährigen Smirtschek und dem 25-jährigen Gustav Lorenz742 noch sehr junge Führer auf, während das Alter der Sturmführer von Franz Mazaneks Sturmbann – Max Plobner, Karl Heinz Urban und Emil Talbot Pistor – mit 26 bis 31 Jahren um einiges höher lag. Im Spätherbst 1932 übernahm der erst 25-jährige Boris Plachetka dann sogar die kommissarische und ab Jänner 1933 die definitive Führung des selbstständigen Sturmbanns Iii/11. Neben Turza hatte aber auch Anton Ziegler einen erheblichen Machtverlust hinnehmen müssen, der nur noch als Führer der Motorstaffel und Stellvertreter Fitz­ thums fungierte. Die Entmachtung der alten Führer und Unterführer brachte in der Folgezeit zahlreiche Probleme mit sich, da vor allem Walter Turza den Verlust seiner Position nicht kampflos hinnahm und versuchte, sich mit der SA-Führung gegen Walter Graeschke zu verbünden. So gab er in einem Brief an Himmler zu,743 dass seine Entmachtung und die gegen ihn „gebrachten Unkameradschaftlichkeiten“ ihn dermaßen hatten „erzittern“ lassen, dass er sich der SA-Führung anvertraut habe, indem er „sein übervolles Herz dem Gruppenführer Reschny und dessen Adjutanten (Rudolf, CR) May744 (…) aus(schüttete)“ und ihnen über die angeblichen Beschimpfungen der SA durch Walter Graeschke berichtete. Als „wahrer Nationalsozialist“ hätte er „immer das Gesamtinteresse der Bewegung vor Augen (gehabt) und wollte daher vermeiden, dass das bisher gute Einvernehmen zwischen SA und SS zerstört werde“, da „das Verhalten zwischen den zwei Gliederungen“ ohnedies „bereits ein sehr gespanntes“ sei. Nachdem auch noch bei der Überprüfung seiner Geschäftsgebarung des Abschnitts Unregelmäßigkeiten aufgedeckt worden waren, die Turza in einem Brief an Himmler zum Teil eingestand, und Himmler am Tag vor dem SS-Führertreffen in Wien von Turzas Äußerungen gegenüber Reschny und May erfahren hatte, wurde er am Tag darauf seines Postens als Stabsführer enthoben und durfte nur noch als Referatsleiter im Abschnittsstab mitarbeiten. Von der Führerbesprechung wurde er ausgeschlossen. Mit der Etablierung der „neuen“ SS begann sich aber auch die sozioökonomische Zusammensetzung des Führerkorps ebenso wie jene der Mannschaft zu verändern, die zunehmend für die höheren Bildungsschichten attraktiv wurde. Wie schon 1931 erhielt sie weiterhin zahlreichen Zulauf aus der Studentenschaft,745 zu der nun ver742 Die Ernennung von SS-Truppführer Gustav Lorenz, der mit der Führung des Lehrsturms 3/I/11 beauftragt war, zum Untersturmführer erfolgte erst nach seiner Flucht nach Deutschland. 743 Walter Turza an Adolf Hitler v. 20. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 744 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 432. 745 In diesen Zeitraum fällt etwa der Eintritt von Ernst Chlan (später Führer des SD-Leitabschnitts Wien), Fritz Euler-Rolle (später Führer der Sanitätsabteilung des Oberabschnitts Donau), Siegfried Seidl (später Kommandant des KZ Theresienstadt), Herbert Kraßnig (später Leiter der Kriminalpoli-

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armte frühere Adelige und/oder ehemalige Frontoffiziere hinzukamen  : Dies trifft etwa auf Günther Mark (von) Traisenthal,746 einen ehemaligen k.u.k. Oberleutnant und nunmehrigen Staatsbeamten bei der Österreichischen Tabakregie, und seinen Bruder Arnold,747 einem diplomierten Hotel- und Fremdenverkehrsfachmann, zu oder auf Hauptmann a. D. Karl Franz Grimme,748 der als Beamter der Krankenversicherungsanstalt der Bundesangestellten arbeitete, auf Emil Talbot749 und Michael (von) Pistor,750 die Söhne des Kammeramtsdirektors Erich (von) Pistor, sowie auf Gabriel (von) Dreger,751 Eduard (von) Zambaur,752 Otto Gustav (von) Wächter,753 den Sohn eines ehemaligen Generals und Ministers, oder auf Hermann (von) Lütgendorff-Gyllenstorm.754 Aber auch beim gut situierten Bürgertum stieß die SS durchaus auf Interesse, wie etwa die Eintritte von Ludwig Stigler,755 dem Sohn des Universitätsprofessors für Physiologe an der Hochschule für Bodenkultur, Robert Stigler,756 von Rudolf Ammersin,757 dessen Familie eine Sodawasserfabrik besaß, oder von Robert Bandera,758 dessen Vater Eigentümer der bekannten Wiener Gasthäuser Großer Neuburg-Keller und Klosterhof war, zeigen. Diese Entwicklung wirkte sich auch förderlich auf die Motorisierung der Wiener SS aus  : So fungierten etwa Bandera ab 1933 bis zu seiner endgültigen zeieinsatztruppe in Znaim), Otto Schmid (später Obersturmbannführer der Waffen-SS) oder Reinhard Spitzy (später Attaché, Adjutant und persönlicher Referent von Außenminister Ribbentrop). 746 Günther Mark-Traisenthal war Anfang der 1930er-Jahre der NSDAP und SA beigetreten und fungierte spätes­tens ab September 1932 als Scharführer des SS-Sturms 3/I/11.  Vor seiner Flucht nach Deutschland im Juli 1934 gehörte er als SS-Haupttruppführer dem Stab der 11. SS-Standarte an, war Adjutant des Sturm­banns III/11 und Führer einer Terrorgruppe. Nach seiner Flucht nach Deutschland wurde er wieder zur SA überstellt und lehrte an einer Artillerieschule. Aufgrund seiner Verehrung einer jüdischen Frau wurde er im September 1935 vom Disziplinargericht aus der SA ausgeschlossen. Sein Ausschluss aus der NSDAP erfolgte erst im Juni 1940, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Günther Mark-Traisenthal  ; WStLA, GAW, Zl. 33.649  ; BArch (ehem. BDC), PK, SA-P  : Günther Mark-Traisenthal  ; vgl. dazu auch Schafranek (2011), S. 239–261. 747 BArch (ehem. BDC), RS  : Arnold Mark-Traisenthal. 748 BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Franz Grimme. 749 BArch (ehem. BDC), RS, SSO  : Emil Talbot Pistor. 750 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Michael Pistor. 751 BArch (ehem. BDC), RS  : Gabriel (von) Dreger. 752 Vgl. ausf. Weber (2004), S. 353–355, S. 359. 753 ÖSTA/AdR, GA  : Otto Gustav Wächter, Zl. 130.802  ; BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Gustav Wächter. 754 Stammblatt von Hermann (von) Lütgendorff-Gyllenstorm, WStLA, GAW  : Otto Dokoupil, Zl. 39.121. 755 BArch (ehem. BDC), SSO  : Ludwig Stigler. 756 Zu Robert Stigler vgl. Hubenstorf (1989), S. 261. 757 BArch (ehem. BDC), SSO  : Rudolf Ammersin. 758 BArch (ehem. BDC), PK, RS  : Robert Bandera.

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Flucht nach Deutschland im Oktober 1934759 als Führer eines Motorradsturms und Ammersin bis zum Parteiverbot als Stabsführer der Motorstaffel.760 Vereinzelt schlossen sich auch ehemalige Heeresangehörige der SS an,761 die zum Teil an den späteren Terroraktionen der SS aktiv beteiligt sein sollten, wie etwa Gustav Rieger,762 Johann Knögler,763 Franz Buschta,764 Friedrich Löffler,765 Walter (von) Leubuscher766 oder Franz Lapitza.767 Die Netzwerke, die sich nun innerhalb der SS zu bilden begannen, illustriert etwa der Fall des SS-Scharführers Fritz Götzl,768 des Sohnes eines Richters, der als Grafiker bei der Österreichischen Tabakregie arbeitete und nach seiner Flucht nach Deutschland Edith Gerbing769 heiratete. Diese wiederum war als Sekretärin im „Adolf-Hitler759 Bandera befand sich zwischen Juli und Anfang November 1933 zu Ausbildungszwecken im SS-Lager Da­chau und im Lager der „Österreichischen Legion“ in Lechfeld, wo für einige Monate auch der SSSturmbann untergebracht war, und kehrte danach wieder nach Wien zurück, BArch (ehem. BDC), RS  : Robert Bandera. 760 Vernehmung von Josef Fitzthum durch das LGfS v. 10. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4343/33  ; Zeugen­vernehmung von Rudolf Amersin (sic  !) durch das LGfS v. 12. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Leopold Amersin (sic  !). 761 Der Großteil des Offizierskorps des österreichischen Bundesheeres war deutschnational eingestellt und lehnte die „bolschewistische“ SDAP ebenso ab wie die „klerikale“ Christlichsoziale Partei, Staudinger (1969), S.  133. Die Großdeutsche Volkspartei wurde ab 1932, wie auch die dramatischen Verluste bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen zeigen, fast vollständig von der NSDAP absorbiert, eine Tendenz, die sich auch hinsichtlich des Offizierskorps feststellen lässt, ebd., S.  141. Als Mandatare für die NSDAP zogen etwa Oberstleutnant Rudolf Saliger und Hauptmann Josef Leopold in den niederösterreichischen Landtag ein, in die Gemeindevertretung in Villach Major Hubert Klausner, in Klagenfurt Oberleutnant Josef Gollé und in Stockerau Major Heinrich Thym, ebd., S. 138. In Wien musste die 1. Maschinengewehrkompanie des Infanterie-Regiments 4 aufgelöst werden, nachdem ihre Propagandatätigkeit für die NSDAP bemerkt worden war. Die Soldaten wurden zu neuen Infanterieregimentern versetzt, und auch in anderen Einheiten fanden Versetzungen statt, „die aber nicht immer den gewünschten Erfolg zeitigten“, ebd., S. 143. An der „Meuterei“ war etwa auch Franz Lapitza beteiligt, BArch (ehem. BDC), RS  : Franz Lapitza. Auch das Stadtkommando Wien stellte fest, dass im Oktober 1932 zahlreiche Bundesheerangehörige an Aufmär­schen der NSDAP teilnahmen. Im November ging die GföS davon aus, dass in Bruck-Neudorf und Kaiser­steinbruch sechzig Prozent der Soldaten sowie vierzig Prozent der Offiziere und Unteroffiziere nationalsozialis­tisch gesinnt waren bzw. mit der NSDAP sympathisierten, Staudinger (1969), S. 145. 762 BArch (ehem. BDC), PK, RS, SSO  : Hugo Meixner (= Gustav Rieger)  ; PK  : Gustav Rieger  ; WStLA, GAW  : Gustav Rieger, Zl. 116.404. 763 BArch (ehem. BDC), PK, RS  : Johann Knögler. 764 BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Buschta. 765 BArch (ehem. BDC), PK, SSO, RS  : Friedrich Löffler  ; WStLA, GAW, Friedrich Löffler, Zl. 114.301. 766 BArch (ehem. BDC), PK  : Walter Leubuscher  ; ÖSTA/AdR, GA  : Walter Leubuscher, Zl. 132.591. 767 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Franz Lapitza  ; WStLA, GAW, Franz Lapitza, Zl. 5.789. 768 BArch (ehem. BDC), PK, RS  : Fritz Götzl. 769 BArch (ehem BDC), RS  : Fritz Götzl.

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Haus“ und nach dem Verbot der NSDAP bis zum Juliputsch in Otto Gustav Wächters Kanzlei beschäftigt, bis sie ebenfalls nach Deutschland ging. Ihr Bruder Herbert Gerbing770 war 1928 der HJ beigetreten und kam über die SA im Dezember 1933 zur SS. Nach dem Anschluss gehörte Gerbing der von Adolf Eichmann geleiteten „Zentralstelle für jüdische Auswanderung“ an.771 Die zahlenmäßig schnelle Auffüllung der Wiener SS war aufgrund ihres großen Aktionsradius, der nicht nur die Bundeshauptstadt, sondern auch Niederösterreich umfasste, dringend geboten, da sich die SS ab Sommer 1932 im Dauereinsatz befand und regelmäßig auch zum Führerschutz nach Niederösterreich abberufen wurde. Nach einem Bericht Fitzthums befand er sich selbst „fast jeden 2. Sonntag“ auf Dienstfahrt mit der SS.772 Gleichzeitig rüstete sich die als politische Kraft erstarkte Wiener ­NSDAP für eine regelrechte Versammlungsschlacht im Herbst 1932, und die P.O. benötigte in der immer gewalttätiger werdenden politischen Atmosphäre eine starke SS für den Führerschutz. So waren der Zeitpunkt der Reorganisationsmaßnahmen und jener der von Himmler abgehaltenen Führertagung auch nicht zufällig gewählt, sondern fanden wenige Tage vor Beginn des Gautages in Wien statt. Die politischen Gewalttaten in Deutschland im Zuge der Reichstagswahl, wo inzwischen bürgerkriegsähnliche Zustände herrschten und allein zwischen 16.  Juni und 17. Juli 1932 im gesamten Reichsgebiet 99 Menschen bei politischen Auseinandersetzungen getötet und 1.125 Personen verletzt worden waren,773 sollten auch ihre Auswirkungen auf Österreich haben. Schlaglicht dieser Radikalisierung in Deutschland war insbesondere der sog. „Blutsonntag von Altona“ am 16. Juli, als die NSDAP einen „Werbemarsch“ durch das als „Klein-Moskau“ bekannte Arbeiterviertel veranstaltete und sich die KPD zum Gegenschlag rüstete. Allein an diesem Tag starben 18 Menschen,774 nachdem zuvor bei einem nationalsozialistischen Überfall auf ein Gewerkschaftshaus zwei Landarbeiter getötet und kurz darauf die Leiche eines vermissten KPD-Funktionärs aufgefunden worden waren. Mit dem sog. „Preußenschlag“ setzte Reichspräsident Paul von Hindenburg am 20. Juli 1932 per Verordnung einen Reichskommissar für das Land Preußen ein und gab die Absetzung der geschäftsführenden Regierung bekannt, womit die Staatsgewalt in Preußen auf die Reichsregierung überging.775 Am Wahlwochenende kam es laut sozialdemokratischen Angaben 770 BArch (ehem. BDC), RS  : Herbert Gerbing. 771 Ebd.; vgl. dazu auch ausf. Safrian (1997)  ; Rabinovici (2000), S. 14–20. 772 Aussage von Josef Fitzthum vor dem LGfS v. 16. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 773 Winkler (1990), S. 654. 774 Ebd., S. 650f. 775 Vgl. dazu ausf. ebd., S. 646–680.

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nochmals zu 22 Toten und 158 Verletzten.776 In der Nacht nach der Wahl verübten die 4. SS-Standarte am 1. August unter dem Kommando von Paul Moder in Altona und Umgebung sowie die 18. SS-Standarte in Königsberg zahlreiche Bombenanschläge. Während den Königsberger Attentätern die Flucht nach Österreich gelang, wo sie von der österreichischen SS in Linz versteckt wurden,777 mussten sich vierzig SSMänner der Altonaer SS vor dem Sondergerichtshof778 verantworten. Das Gericht sprach 25 von ihnen schuldig,779 darunter auch Horst Strathmann,780 auf dessen Funktion im Zusammenhang mit der österreichischen SS in Deutschland noch ausführlich eingegangen wird.781 Als Sieger der Wahl ging die NSDAP hervor, die im Vergleich zur Reichstagswahl im September 1930 ihre Gewinne auf 37,4 Prozent verdoppeln konnte und somit als stimmenstärkste Partei mit 230 Sitzen im Reichstag vertreten war. SPD und KPD kamen zusammen nur noch auf 222 Sitze, während die liberalen und gemäßigten rechten Parteien782 93 Sitze verloren hatten.783 Aus Protest gegen die blutigen Kämpfe in Deutschland rief die österreichische Kommunistische Partei Anfang September zu einer „Antifaschistischen Woche“ und einer „Antifaschistischen Kampffront“ auf, woraufhin es zu zahlreichen Krawallen, vor allem in Leoben, Graz und Hallein,784 mit mehreren Toten und Verletzten kam. Am 7. September veranstaltete wiederum die Wiener NSDAP eine Versammlung in der Engelmann-Arena, bei der Frauenfeld und der deutsche Reichstagsabgeordnete Hermann Weißkopf gegen „das Schandurteil von Beuthen“ protestierten,785 den Besuch 776 Ebd., S. 683f. 777 Ergänzung zur eidesstattlichen Erklärung v. 15. 1. 1938 von Walter Turza, BArch (ehem. BDC), PK  : Wal­ter Turza  ; Walter Turza an Heinrich Himmler v. 24. 3. 1939, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. Mitte September wurden die vier SS-Männer von der Linzer Polizei festgenommen, Kl. Bl. v. 16. 9. 1932, S. 1 („Die Königsberger Nazi-Bombenwerfer in Linz verhaftet“). Es handelte sich dabei um die SS-Ange­hörigen Paul Majora, Walter Plöw und Walter Kreschinski sowie laut Arbeiter-Zeitung um einen gewissen Marienfeld, dessen Identität bisher nicht ermittelt werden konnte, vgl. AZ v. 27. 1. 1933, S. 3 („Die viertau­send Handgranaten des Herrn Frauenfeld“). 778 Die Sondergerichte waren aufgrund einer am 6. Oktober 1931 erlassenen Notverordnung des Reichs­ präsiden­ten von der Reichsregierung in den vom politischen Terrorismus besonders bedrohten Bezir­ ken installiert worden und sollten durch beschleunigte Verfahren eine rasche Aburteilung der Täter ermöglichen, gegen die kein Rechtsmittel eingelegt werden konnte, Winkler (1990), S. 699. 779 Sozialdemokratischer Pressedienst v. 17. u. 18. 11. 1932 (http  ://library.fes.de, Stand  : 1. 2. 2010). 780 BArch (ehem. BDC), SSO  : Horst Strathmann. 781 S. Kapitel 14.3.1. 782 Deutsche Volkspartei, Deutsche Staatspartei und Christlichsozialer Volksdienst, Reichspartei des deutschen Mittelstandes und übrige Kleinparteien. 783 Winkler (1990), S. 684. 784 Vgl. Botz (1983), S. 358. 785 RP v. 9. 9. 1932, S. 5 („Achtung – Goebels kommt  !“). In Beuthen waren fünf Nationalsozialisten, die einen Arbeiter in Potempa erschlagen hatten, zum Tode verurteilt worden, vgl. dazu Kluke (1957), S. 279–297.

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Joseph Goebbels’ in Wien ankündigten und Frauenfeld die Ausschreibung von Neuwahlen forderte.786 Am Wochenende breiteten sich die Gewalttätigkeiten dann auch auf Niederösterreich aus, wo es in mehreren Orten, u.a. auch unter Beteiligung der Wiener SS, zu Krawallen kam. Am 11. September war Fitzthum nämlich zusammen mit Franz Mazanek und 37 SS-Männern nach Bruck an der Leitha in Niederösterreich aufgebrochen, wo Neuwahlen für die Gemeindevertretung stattfanden und der Bezirksleiter der dortigen NSDAP, Sekyra, die SS um Unterstützung gebeten hatte.787 Dort angekommen, nahm die örtliche Gendarmerie der Wiener SS-Truppe zwar ihre „mitgebrachten Peitschen, Ochsenziemer und sonstigen Geräte“ ab,788 sie wurde jedoch von Sekyra umgehend wieder mit Waffen versorgt. Die Wahlen verliefen zunächst friedlich, wobei die SDAP ihre Stimmen behaupten und die KPÖ erstmals ein Mandat gewinnen konnte, während die Christlichsoziale Arbeitsgemeinschaft die Hälfte ihrer Mandate an die NSDAP verlor. Die sozialdemokratischen AnhängerInnen versammelten sich nun auf dem Hauptplatz, wo es zu ersten Zusammenstößen zwischen den gegnerischen Gruppen kam, die jedoch von der Gendarmerie schnell unterbunden werden konnten. Nach einer Intervention eines sozialdemokratischen Nationalrats bei der Bezirkshauptmannschaft, dass die nicht in Bruck wohnhaften NationalsozialistInnen entfernt werden sollten, wurden die im NS-Parteilokal „Zur Linde“ versammelten auswärtigen NSDAP-AnhängerInnen von der Gendarmerie zur Bahn eskortiert. Auch Fitzthum begab sich daraufhin in Begleitung zweier SS-Männer zur Gendarmeriewache, um vor Abfahrt seiner Mannschaft die Herausgabe der beschlagnahmten Waffen zu verlangen. Auf dem Weg dorthin stießen sie mit einer Gruppe KommunistInnen zusammen. Einem kurzen Wortgefecht folgte die unvermeidliche Schlägerei, in deren Verlauf der SS-Mann Ernst Demmer von dem Kommunisten Josef Berner niedergestochen und schwer verwundet wurde. Als die in Sekyras Haus wartenden SS-Männer von dem Vorfall erfuhren, eilten sie den Kameraden zur Hilfe. Die weiteren Kampfhandlungen forderten ein weiteres Opfer auf Seiten der SS, als Karl Heinz Urban von dem ehemaligen Nationalsozialisten Eduard Slezak, der sich inzwischen der Kommunistischen Partei angeschlossen hatte, und von seinen früheren Kameraden erkannt worden war, niedergestochen und lebensgefährlich verletzt wurde. Weitere sechs Personen erlitten leichte Hiebwunden.789 Am 786 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 9. 9. 1932. 787 NFP (Abendblatt) v. 9. 10. 1933, S. 6 („Nach der Brucker Gemeinderatswahl“) und 10. 1. 1933, S. 8 („Mes­serangriffe von Kommunisten. Nach der Gemeinderatswahl in Bruck an der Leitha“)  ; AZ v. 10. 1. 1933, S. 8 („Nazifeme und Messerstiche“). 788 NFP (Abendblatt) v. 9. 10. 1933, S. 6 („Nach der Brucker Gemeinderatswahl“). 789 Vgl. dazu die Presseberichte in der NFP, RP, AZ, NZ, WSMZ v. 12. u. 13. 9. 1932.

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10. Jänner 1933 wurden Slezak und Berner zu vier bzw. drei Monaten schweren Kerkers verurteilt.790 Während Karl Heinz Urban Ende Jänner für seinen Einsatz mit der Ernennung zum Sturmführer belohnt wurde,791 erhielt Demmer seine Belobigung von Hitler höchstpersönlich, der ihm neben einem Bild mit Widmung auch ein Schreiben mit „Grüsse(n) und Wünsche(n) zur baldigen Genesung“ zukommen ließ.792 Aufgrund der schweren Unruhen während der Wahlen verhängte die niederösterreichische Landesregierung am 18. September ein mehrwöchiges Aufmarschverbot,793 während Wien einem turbulenten Herbst entgegensah. Dort bereitete sich die NSDAP auf ihren Gauparteitag vor, der einen neuen Höhepunkt der gewalttätigen Aktivitäten bringen sollte. Die Provokationen steigerten sich insofern, als die NationalsozialistInnen – ganz nach deutschem Vorbild – nun „Propagandamärsche“ in den Hochburgen der ArbeiterInnenbewegung veranstalteten, die zumeist übergangslos in gewalttätige Auseinandersetzungen übergingen. Den Auftakt machte zunächst ein Lauf „Quer durch Hernals“,794 mit dem der Besuch von Joseph Goebbels, der am 19.  September in der Hernalser Engelmann-Arena vor ca. 13.000 AnhängerInnen sprach,795 gebührlich gefeiert wurde. In Hernals war es bereits im März bei der Einweihung eines NS-Heimes zu blutigen Schlägereien zwischen Kommunisten und Nationalsozialisten gekommen, wobei ein Kommunist niedergeschossen und schwer verletzt worden war.796 Im Juni hatte neuerlich ein Nationalsozialist auf einen „Marxisten“ geschos790 NFP v. 10. 1. 1933, S. 8 („Messerangriffe von Kommunisten. Nach der Gemeinderatswahl in Bruck an der Leitha“), Kl.  Bl. v. 9.  1.  1933, S.  5 („Nach der Brucker Gemeinderatswahl“). Aber auch für Demmer hatten die Kämpfe in Bruck noch ein gerichtliches Nachspiel  : Als er am 30. Oktober 1932 den Tross Frauen­felds ins Burgenland begleitete, fanden sich während einer Tankpause in Bruck einige ParteigenossIn­nen ein, die sich beim Auto des Gauleiters versammelten. Nachdem die Gendarmerie von der Landesregie­rung den Auftrag erhalten hatte, dass die ins Burgenland fahrenden NationalsozialistInnen auf der Durch­fahrt keine Demonstration abhalten durften, schritten Gendarmerieinspektor Weigelhofer und seine Kolle­gen dagegen ein. In Weigelhofer erkannte Demmer jenen Inspektor, durch dessen Schuld er bei den Ge­meinderatswahlen verletzt worden sei, Kl. Bl. v. 19. 5. 1933, S. 10 („Wenn der Herr Stadtrat Frauenfeld tankt“.). Demmer wurde am 22.  Mai 1933 wegen Beleidigung einer Amtsperson zu zehn Schilling Geld­strafe verurteilt, Strafverfügung des BG Margarethen v. 22. 5. 1933, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien. 791 BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Heinz Urban. 792 Anmerkung des Blockleiters Buchsbaum, Personalbogen von Ernst Demmer, NSDAP, Gau Wien v. 29. 2. 1940, WStLA, GAW  : Ernst Demmer, Zl. 110.190. 793 NFP v. 18. 9. 1932, S. 9 („Das Aufmarschverbot in Niederösterreich“). 794 Botz (1983), S. 202. Bei den Gemeinderatswahlen hatte die NSDAP in Hernals 17 Prozent der Stimmen erhal­ten und somit durchschnittlich abgeschlossen, war jedoch nur knapp hinter den Christlich­ sozialen geblieben. 795 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 19. 9. 1932  ; NFP v. 19. 9. 1932, S. 1 („Göbbels spricht in Wien“). 796 WSMZ v. 14. 3. 1932, S. 4 („Blutige Schlägerei in Hernals“).

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sen.797 Die KPÖ reagierte entsprechend auf die „große sportliche Veranstaltung“798 der ­NSDAP, an der sich auch der Deutsche Turnerbund beteiligte, und hielt als Gegenveranstaltung einen „Roten Bummel“ ab. Laut Polizeibericht hatte die KPÖ auch „die Weisung ausgegeben“,799 den Lauf „unter allen Umständen und mit allen Mitteln(,) so auch durch Sabotageakte zu verhindern“. Dementsprechend streuten unmittelbar vor Beginn der Veranstaltung ein jugendlicher Kommunist und ein Sozialdemokrat Schuhnägel auf der Laufroute aus. Im Zuge der Veranstaltung kam es zu lautstarken Demonstrationen seitens der linken GegnerInnenschaft, gegen welche die Sicherheitswache energisch einschritt und sich auch „genötigt“ sah, „vom Gummiknüttel Gebrauch zu machen“. Einem Passanten, der angeblich „den Weisungen“ der Wache „nicht Folge (leistete), (musste) (…) die Verhaftung angedroht werden“. Nachdem sich herausgestellt hatte, dass es sich dabei um niemand Geringeren als Karl Renner handelte, wurde „von jeder weiteren Amtshandlung Abstand genommen“, wobei der Bericht der Bundes-Polizeidirektion den Präsidenten des österreichischen Nationalrats als „Wiener Gemeinderat“ bezeichnete. Die Propagandaveranstaltung verlief für die NSDAP letztlich enttäuschend und endete mit einem Defizit von 1.200 Schilling.800 7.2 Der Gauparteitag der Wiener NSDAP

Goebbels’ Auftritt in Wien stellte eine Art „Generalprobe“ für den dreitägigen Gautag dar, zu dem die deutsche und österreichische NS-Prominenz ihr Kommen angesagt hatte.801 Nachdem die NSDAP verkündet hatte, dass Wien zu einer „Braunen Stadt“ werden müsse, und ihre ParteigängerInnen aufgefordert hatte,802 die feierlichen Tage in brauner Uniform zu begehen oder sich zumindest mit dem Parteiabzeichen zu zeigen, erklärten die SozialdemokratInnen den Nazi-Gautag zum antifaschistischen „Blauhemdentag“, während die KPÖ bereits am 28.  September ihre Auftaktveran797 NFP (Abendblatt) v. 27. 6. 1932, S. 3 („Ein Schuß bei einem politischen Zusammenstoß in Hernals“)  ; WSMZ v. 27. 6. 1932, S. 3 („Nazi schießen wieder.“). 798 SA-Befehl Nr. 5 v. 13. 9. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 799 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 19. 9. 1932. 800 Josef Sandig an die LL der NSDAP, z. Hd. Landesleiter Proksch v. 21. 4. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 801 So etwa Gregor Strasser, Ernst Röhm, Hermann Göring, Hans Frank, der schlesische Gauführer Helmuth Brückner sowie Landesleiter Proksch, Landesinspekteur Habicht und die Gauleiter aus den Bundesländern, NZ v. 27. 9. 1932, S. 2 („Eine politisch bewegte Woche“). 802 NFP v. 26.  9.  1932, S.  3 („Die Sozialdemokraten und der nationalsozialistische Parteitag“)  ; RP v. 29. 9. 1932, S. 3f. („Die Wiener Blau- und Braunhemdentage“, „Die Parolen der ‚Antifaschistischen Ak­tion‘ “)  ; Kl. Bl. v. 29. 9. 1932, S. 2 („Wir greifen die Faszisten an, wo wir sie sehen  !“).

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staltung zur „Antifaschistischen Woche“ einläutete und für die kommenden Tage die Parole ausgab  : „Wir greifen die Faszisten an, wo wir sie sehen  !“ Als Reaktion auf die Untersagung einer geplanten NSDAP-Veranstaltung am Karlsplatz durch die Bundes-Polizeidirektion803 gab die Gauleitung bekannt, dass sie keine Verantwortung für ihre Kundgebungen übernehmen könne und am 2.  Oktober, dem Tag des jüdischen Neujahrsfestes, einen „Spaziergang durch die Straßen Wiens veranstalten“ wolle, bei dem auch Julius Streicher sprechen sollte.804 Dadurch bekäme „das deutsche nationalsozialistische Wien Gelegenheit, (…) sich an den vielen geschlossenen Läden von der erschreckenden Verjudung dieser Stadt zu überzeugen“.805 Nach längeren Verhandlungen mit dem dadurch beunruhigten Polizeipräsidenten Franz Brandl lenkte die NSDAP schließlich ein und gab „alle gewünschten Garantien“ für einen „ruhigen und gesetzmäßigen Verlauf der Veranstaltungen“ ab.806 Statt des angekündigten Spaziergangs wurde ihr eine Feier auf dem Heldenplatz gestattet. Unmittelbar vor dem großen Kampftag gab Sicherheitsminister Hermann Ach am 27. September angeblich aus gesundheitlichen Gründen seinen Rücktritt bekannt und begründete seinen Schritt damit,807 „daß die Leitung des Sicherheitswesens in einer Zeit, in der die politischen Gegensätze sich so verschärft haben und Zusammenstöße zwischen Anhängern der verschiedenen Parteien so häufig geworden sind, in eine kräftigere Hand gelegt werden“ solle. Achs Rücktritt dürfte nicht ganz freiwillig erfolgt sein, da Bundeskanzler Dollfuß später erklärte,808 dass er „auf Grund von Beobachtungen“, die er „selbst gemacht habe (…), (die) Vertrauensfrage“ gegenüber Ach „nicht mehr verantworten“ hatte können, ohne auf nähere Details einzugehen. Dollfuß übernahm nach Achs Demissionierung selbst die Agenden des Sicherheitsressorts.809 Am 29.  September begannen nun die mehrtägigen Festivitäten,810 die zunächst recht ruhig verliefen. Als erster deutscher Redner traf Gregor Strasser in Wien ein und wurde von Gauleiter Frauenfeld am Westbahnhof in Empfang genommen. Zu ersten größeren Ansammlungen von NationalsozialistInnen und ihrer GegnerInnenschaft kam es dann vor dem Hotel „Mariahilf“, in dem Strasser abgestiegen war.811 Am Abend sprach dieser vor ca. 10.000 AnhängerInnen in der Engelmann-Arena. Nach803 Abschrift des Bescheids der BPD Wien an die GL Wien der NSDAP v. 27.  9.  1932, ÖSTA/AdR, Bericht der BPD Wien v. 27. 9. 1932. 804 NFP v. 28. 9. 1932, S. 2 („Verbot der nationalsozialistischen Kundgebung auf dem Karlsplatz“). 805 DÖTZ v, 28. 9. 1932, S. 4  ; ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 28. 9. 1932. 806 NFP v. 29. 9. 1932, S. 4 („Die nationalsozialistischen Kundgebungen“). 807 NFP v. 27. 9. 1932, S. 2 („Der Rücktritt des Ministers Ach“). 808 Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 20. 10. 1932, in  : Goldinger (1980), S. 20. 809 Ministerratsprotokoll (= MRP) Nr. 826 v. 29. 9. 1932, Bd. VIII/1, S. 566. 810 Zu den Vorfällen am Gauparteitag vgl. ausf. Botz (1983), S. 200f. 811 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 30. 9. 1932.

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dem Frauenfeld am Ende der Veranstaltung erklärt hatte,812 dass der Republikanische Schutzbund „den Gürtel beim Westbahnhofe besetzt (halte), um die Abreise Gregor Strassers zu verhindern“, und „es (…) daher notwendig sein (werde), dass der Vaterländische Schutzbund die Strasse säubere“, versuchte „die Mehrheit der Versammlungsteilnehmer“ zum Westbahnhof zu gelangen, was die Sicherheitswache mit der Abriegelung der Mariahilfer Straße verhindern konnte. In der Nacht kam es dann in mehreren Bezirken, vor allem in Mariahilf, zu vereinzelten Zwischenfällen. Umso turbulenter verlief der folgende Tag, wo es „an verschiedenen Stellen (…) zwischen gegnerischen Gruppen zu Streitigkeiten (kam), die vielfach auch in Tätlichkeiten ausarteten“.813 Der erste Zwischenfall ereignete sich, als mehrere Sozialdemokraten einen uniformierten Postbeamten, der ein Hakenkreuzabzeichen angesteckt hatte, verprügelten. Bereits in den frühen Nachmittagsstunden besetzte ein großes Wacheaufgebot der Polizei die Mariahilfer Straße, berittene Polizei patrouillierte durch die zur Gumpendorfer Straße führenden Quergassen rund um das „Adolf-Hitler-Haus“ und das sozialdemokratische Verbandsheim in der Königseggasse. Trotz des enormen Sicherheitsaufgebots schritt die Polizei allerdings nicht dagegen ein, dass kurz vor 16 Uhr ein größerer Trupp NationalsozialistInnen durch die Königseggasse auf das sozialdemokratische Verbandsheim losmarschierte. Der eingeplante Krawall ließ nicht lange auf sich warten, und wenig später gingen die ersten Scheiben des Verbandsheims zu Bruch, woraufhin die gegnerischen Parteien aufeinander losstürmten. Als sich die Polizei schließlich entschloss, einen Kordon zwischen den gegnerischen Gruppen zu bilden, fielen die ersten Schüsse. Aus dem „Adolf-Hitler-Haus“ eilten daraufhin mehrere hundert NationalsozialistInnen zum Verbandsheim, „S.A.- und S.S.-Männer rissen die Überschwünge herunter und stürzten im vollen Lauf los“,814 um das Haus zu stürmen. Auch Frauenfeld und Gemeinderat Hugo Mühlberger ließen sich die Prügelei nicht entgehen. Kurz darauf fielen aus dem Verbandsheim zwei Revolverschüsse, wodurch ein Inspektor der Sicherheitswache verletzt wurde. Während sich die Sicherheitswache noch vor dem Verbandsheim abmühte, gingen bereits in der Kasernengasse die nächsten Schaufensterscheiben zu Bruch, die Geschäftsleute ließen in aller Eile ihre Rollbalken herunter. Die Wache trieb daraufhin alle auf der Straße befindlichen Personen über die Kasernengasse und den Loquaiplatz zur Gumpendorfer Straße hinunter, wo nun ebenfalls mehrere Schüsse fielen. Das Verbandsheim in der Königseggasse wurde in weitem Umkreis von der Polizei abgeriegelt. In der Folge kam es rund um das „Adolf812 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 216.467-GD. 2/1932  ; ÖSTA/AdR, Berichte der PDion Wien v. 29. 9. bis 3. 10. 1932 sowie die Zeitungsbe­richterstattung v. 29. 9. bis 2. 10. 1932. 813 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 1. 10. 1932. 814 DÖTZ v. 1. 10. 1932, S. 3.

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Hitler-Haus“ und das sozialdemokratische Verbandsheim zu weiteren Zwischenfällen. Eine in beiden Häusern durchgeführte Waffensuche blieb ergebnislos. Wie die Krawalle letztlich begonnen hatten, bleibt unklar, da sich der amtliche Polizeibericht, die Augenzeugenschilderungen und Zeitungsreportagen weitgehend widersprechen.815 Ihre Fortsetzung fanden die Tätlichkeiten wenig später im Wiener Gemeinderat. Die nationalsozialistischen Mandatare waren aufgrund der Krawalle in Mariahilf mit einiger Verspätung im Rathaus eingetroffen, und Frauenfeld erklärte nun im „Namen der nationalsozialistischen Fraktion, daß auf Grund der Vorfälle in den Straßen Wiens, die durch sozialdemokratische Parteigänger hervorgerufen worden seien, die Nationalsozialisten nicht in der Lage sind, an dieser Sitzung weiter teilzunehmen“ und „mit den Vertretern von Messerstechern und Plattenbrüdern zusammenzusitzen“.816 Als die Nationalsozialisten mit erhobenem rechtem Arm und „Heil-Hitler“-Rufen den Saal verließen, kam es zwischen einem nationalsozialistischen und einem sozialdemokratischen Mandatar zu einem Handgemenge, woraufhin die Nationalsozialisten Gummiknüttel und Stahlruten hervorzogen und auf die sozialdemokratischen Mandatare losgingen, die sich hinter die Bänke zurückzogen und sich „mit Tintenfässern, Aschenschalen, Zündsteinen, Wassergläsern und ähnlichen Gegenständen, mit Pultdeckeln und Schubladen“ zur Wehr setzten. Auf nationalsozialistischer Seite wurden fünf, auf sozialdemokratischer drei Mandatare verletzt.817 Am Abend ereigneten sich weitere gewalttätige Auseinandersetzungen in Mariahilf, wo Nationalsozialisten und Sozialdemokraten etwa vor dem Lokal des Holzarbeiterverbandes aufeinander einschlugen und auch mehrere Schüsse abgefeuert wurden. Zur gleichen Zeit kam es in der Liniengasse zu einem Raufhandel zwischen Heimwehrleuten und Schutzbündlern. Auch in Ottakring, Simmering und anderen Wiener Bezirken ereigneten sich zahlreiche Zusammenstöße, wobei „mit Gummiknütteln bewaffnete SA-Leute durch die Arbeiterviertel fuhren, prompt von ‚Marxisten‘ angehalten und in eine Rauferei verwickelt wurden“.818 Am dritten Tag des „Hemdenkrieges“819 wurden die Kämpfe mit kleineren Schlägereien fortgesetzt. In mehreren Wiener Gemeindebauten fanden Protestveranstaltungen der SozialdemokratInnen gegen den Gautag statt, an denen etwa 17.000 Personen teilnahmen.820 Als am frühen Abend eine größere Gruppe Schutzbündler von 815 Die verschiedenen Darstellungen sind abgedruckt in der NFP v. 1. 10. 1932, S. 4. 816 NFP v. 1. 10. 1932, S. 5 („Lärm- und Prügelszenen im Wiener Gemeinderat“). 817 RP v. 1. 10. 1932, S. 1 („Wüste Raufereien im Wiener Gemeinderat“)  ; ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 30. 9. 1932. 818 Botz (1983), S. 201. 819 RP v. 1. 10. 1932, S. 6 („Raufereien und Schießereien in den Wiener Straßen“). 820 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 217.365-GD. 2/1932.

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einer Versammlung im Winarskyhof nach Floridsdorf heimging, kam es zu einem Zusammenstoß mit nationalsozialistischen Motorradfahrern. Zunächst schoss ein Nationalsozialist mit dem Revolver auf die Schutzbündler  ; als die Wache einschritt, feuerte ein Schutzbündler drei Schüsse auf einen Wachebeamten ab. In Floridsdorf wurden eine Auto- und Motorradeskorte, die den Reichstagspräsidenten Hermann Göring in Empfang nehmen sollten, von einem gegnerischen „Steinbombardement“ empfangen, auch mehrere Revolverschüsse wurden abgefeuert. Frauenfelds Chauffeur SS-Scharführer Friedrich Raduziner erlitt dabei Gesichtsverletzungen, als er gegen den Randstein fuhr.821 Wenige Stunden nach dem Unfall marschierte Raduziner durch die Mariahilfer Straße,822 wo er einen Sozialdemokraten laut Polizeibericht mit einer Hundspeitsche,823 laut Zeitungsbericht mit „eine(m) kräftigen Faustschlag“824 misshandelte, da sich dieser gegenüber seiner Frau abfällig über Raduziners Gesichtsverletzung geäußert hatte. Raduziner wurde zwar „wegen vorsätzlicher leichter Körperverletzung und Störung der Ordnung festgenommen, jedoch nach Befragen wieder entlassen, da er der Polizei erklärte, „angeblich einen dringenden Weg“ zu haben.825 Am 19.  Jänner 1933 musste sich Raduziner wegen Körperverletzung vor Gericht verantworten. Er gab zwar zu,826 den Mann geschlagen zu haben, bestritt aber, ihn beschimpft zu haben, da er sich „alles immer mit den Fäusten aus(mache)“, wie er Richter Fischer mitteilte. Dies hatte er schon im Juni 1932 unter Beweis gestellt,827 als er einen Sozialdemokraten geohrfeigt hatte, der ihm vor dem nationalsozialistischen Heim in der Schottenfeldgasse eine „Einladung“ zu einer antifaschistischen Versammlung der Sozialdemokratischen Arbeiterjugend überreichen wollte. Fischer verurteilte ihn zu zwanzig Schilling Geldstrafe – Raduziners zweite Verurteilung an diesem Tage. Unmittelbar zuvor war er nämlich bereits wegen Falschaussage mit einem Monat bedingten Arrest bestraft worden, nachdem ihm sein SS-Kamerad Franz Wegenstein versehentlich ins Bein geschossen hatte und Raduziner gegenüber der Polizei angege-

821 RP v. 2. 10. 1932, S. 8 („Abermals Schießereien“). 822 ÖSTA/AdR, GA  : Friedrich Raduziner (= Friedrich Oberhofer), Zl. 237.387  ; NFP v. 20. 1. 1933, S. 9 („Der Leibchauffeur des Gauleiters Frauenfeld“)  ; AZ v. 30. 12. 1932, S. 4 („Eine Lüge mit besonders kurzen Beinen“)  ; Kl.  Bl. v. 20.  1.  1933, S.  10 („Wir stellen vor  : Herr Raduziner, Leibchauffeur des Frauenfeld“). 823 ÖSTA/AdR, GA  : Friedrich Raduziner (= Friedrich Oberhofer), Zl. 237.387. 824 NFP v. 20. 1. 1933, S. 9 („Der Leibchauffeur des Gauleiters Frauenfeld“). 825 Evidenzeintrag der BPD Wien, ÖSTA/AdR, GA  : Friedrich Raduziner (=  Friedrich Oberhofer), Zl. 237.387. 826 Kl. Bl. v. 20. 1. 1933, S. 10 („Wir stellen vor  : Herr Raduziner, Leibchauffeur des Frauenfeld“). 827 Evidenzeintrag der BPD Wien, ÖSTA/AdR, GA  : Friedrich Raduziner (=  Friedrich Oberhofer), Zl. 237.387.

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ben hatte, dass er von „Marxisten“ angegriffen worden sei.828 Während sich also Raduziner durch die Straßen Wiens prügelte, wurde der Gautag mit einer Versammlung im Konzerthaus fortgesetzt, wo Frauenfeld und Habicht zu ihren AnhängerInnen sprachen und Letzterer „Wien als deutsche Stadt apostrophierte, die von Juden und Marxisten gesäubert werden müsse“.829 Nachdem Hans Frank Hitlers Wünsche überbracht hatte, begaben sich die TeilnehmerInnen zur Engelmann-Arena in Hernals, wo sich etwa 15.000 AnhängerInnen versammelt hatten.830 Gleichzeitig hielt auch die KPÖ eine Kundgebung im Gasthaus Stalehner im gleichen Bezirk ab, was zu einem Großeinsatz der Polizei führte, die alle Straßen räumte und mit einem enormen Sicherheitsaufgebot einen Kordon zwischen die gegnerischen Gruppen zog, wobei die Wachleute bei der Durchsetzung ihres Auftrags auch so manchen unbeteiligten Passanten verprügelten.831 Am 2. Oktober endete der Gautag mit einer Großkundgebung auf dem Heldenplatz, wo sich etwa 15.000 AnhängerInnen eingefunden hatten und die Nazitruppen an Göring, Röhm, Streicher und Frank vorbeidefilierten.832 Nachdem die deutschen NS-Größen noch das „AdolfHitler-Haus“ besichtigt hatten, fuhren sie am Nachmittag aus Wien ab.833 Währenddessen kam es in der Leopoldstadt, wo ein Großteil der Wiener Juden und Jüdinnen lebte, zu einem Überfall auf das Café Sperl, das anlässlich des jüdischen Neujahrsfestes zu einem Bethaus umfunktioniert worden war. Zur Zeit des Mittagsgebets, als etwa hundert Personen ihre Andacht verrichteten, erhielt die Besitzerin des Caféhauses einen anonymen Telefonanruf, der sie von einem bevorstehenden

828 Am 19. Oktober 1932 hatte Wegenstein, der ebenfalls im „Adolf-Hitler-Haus“ als Chauf­feur angestellt war, Raduziner beim Herumspielen mit einer Pistole ins Bein geschossen. Raduziner gab bei seiner polizeilichen Einvernahme im Spital an, dass er von einem unbekannten Mann überfallen worden sei und es sich möglicherweise um ein „marxistisches“ Attentat handle. Nachdem jedoch die weiteren polizeilichen Erhebungen ergaben, dass der Schuss aus nächster Nähe abgegeben worden war, gestanden die beiden schließlich ihre Falschaussage. Der bereits mehrfach vorbestrafte Wegenstein wurde zu zehn Tagen unbedingten Arrest verurteilt. NFP v. 20. 1. 1933, S. 9 („Der Leibchauffeur des Gauleiters Frauenfeld“)  ; AZ v. 30. 12. 1932, S. 4 („Eine Lüge mit besonders kurzen Beinen“)  ; Kl. Bl. v. 20. 1. 1933, S. 10 („Wir stellen vor  : Herr Raduzi­ner, Leibchauffeur des Frauenfeld“)  ; ÖSTA/AdR, GA  : Friedrich Raduziner (= Friedrich Oberhofer), Zl. 237.387  ; WStLA, GAW  : Franz Wegenstein, Zl. 231.100. 829 Neck (1976), S. 99. 830 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 3. 10. 1932. 831 So wurde etwa am 14. Dezember 1932 ein unbeteiligter Spielwarenfabrikant, der seine Frau von der Tramwayhaltestelle abholen wollte, von einem Polizisten verprügelt. Das Gericht sprach ihn zwar vom Verdacht der Aufreizung frei, verurteilte ihn aber wegen Wachebeleidigung und Nichtfolgeleistung zu 48 Stunden bedingten Arrest, Kl. Bl. v. 14. 12. 1932, S. 10 („Der tollgewordene Gummiknüttel“). 832 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 3. 10. 1932. 833 NFP v. 3. 10. 1933, S. 2 („Abschluß des nationalsozialistischen Gautages“).

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nationalsozialistischen Überfall unterrichtete.834 Der Anrufer verlangte die sofortige Räumung des Bethauses, da es „sonst (…) in den nächsten zehn Minuten von den Nationalsozialisten gesäubert“ werde. Die Besitzer schickten daraufhin einen Boten zur Polizeistube, da vor dem Bethaus keine Wache aufgestellt worden war, obwohl das Polizeipräsidium am Vortag öffentlich bekannt gegeben hatte, „daß alle jüdischen Bethäuser unter besonderen Polizeischutz gestellt und dadurch jeder nationalsozialistische Angriff unmöglich gemacht sei“. Gegen halb zwei  Uhr fuhr ein Auto mit ca. zehn mit Gummiknütteln und Stahlruten bewaffneten Nationalsozialisten vor, die „sofort im Laufschritt gegen das improvisierte Bethaus vorstürmten“.835 Gleichzeitig traf ein Lastauto mit etwa dreißig uniformierten Nationalsozialisten vor dem Haus ein, in dem das Parteilokal des jüdisch-marxistischen Zirkels „Poale Zion“ sowie die Sozialistische Arbeiterjugend ihren Sitz hatten. Als aus dem Haus „ein Pfuiruf gegen die Nazi ertönte, sprangen zehn Braunhemden herab und schlugen blindwütig auf die Passanten, die zufällig auf der Straße gingen, los“. Laut Arbeiter-Zeitung standen vor dem Hotel „Bayrischer Hof“, wo die Nazis „hemmungslos mit ihren Knütteln jüdisch aussehende Leute niederschlugen, (…) drei Wachleute mit dem Wacheinspektor Nr. 921“, die „den Prügelszenen ruhig zu(schauten) (…) und keinen Finger gegen die Braunhemden (rührten)“.836 Als die Nationalsozialisten das Bethaus zu stürmen versuchten und dessen Fensterscheiben einschlugen, stellten sich ihnen laut Bericht Der Stimme mehrere „beherzte Männer, darunter einige Mitglieder des Sportklubs Hakoah“, entgegen, die „mangels anderer Waffen, auf die Hakenkreuzler mit geschwungenen Sesseln los(gingen)“.837 Der amtliche Bericht der Polizei wich von diesen Schilderungen hingegen gänzlich ab838 und folgte der Darstellung der NSDAP-Presse.839 Demnach seien vom Heldenplatz heimkehrende NationalsozialistInnen von politischen GegnerInnen beschimpft worden und „auf das Gerücht hin, dass nationalsozialistische Parteigänger in der Grossen Sperlgasse (…) misshandelt worden seien“, dorthin geeilt.840 Angeblich fielen zwei Schüsse aus dem Café Sperl, woraufhin die Nationalsozialisten in das Kaffeehaus einzudringen versuchten, in dem „kurz vorher eine jüdische Andachtsübung beendet worden war“. Die noch im Lokal befindlichen Personen hätten den Angriff 834 Ebd. („Nationalsozialistischer Ueberfall auf ein Leopoldstädter Bethaus“). 835 Die Stimme v. 6. 10. 1932, S. 1f. („Der Nazisturm auf das Bethaus am Neujahrstage“). 836 AZ v. 3. 10. 1932, S. 1 („Nazibanditen demolieren ein jüdisches Bethaus“). 837 Die Stimme v. 6. 10. 1932, S. 1f. („Der Nazisturm auf das Bethaus am Neujahrstage“). 838 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 3. 10. 1932  ; NFP v. 3. 10. 1932, S. 3 („Die Darstellung der Poli­zei“). 839 DÖTZ v. 4. 10. 1932, S. 3 („Ueberfall nicht auf, sondern aus dem jüdischen Bethaus  !“). 840 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 3. 10. 1932.

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abgewehrt und auch die Sicherheitswache sei sofort eingeschritten und habe alle Nationalsozialisten, die „das Kaffeehaus betreten hatten(,) sowie ihre vor dem Lokale angesammelten Gesinnungsgenossen“ verhaftet und durch die aufgebrachte Menge zum Wachzimmer eskortiert. Laut Bericht der DÖTZ841 waren einige Parteigenossen in der Pfarrgasse von „Schützbündlern und jüdischem Pratergesindel angegriffen“ worden, hätten sich in ein Haus geflüchtet und von dort die SS-Bereitschaft aus dem „Adolf-Hitler-Haus“ zu Hilfe gerufen. Die SS-Mannschaft dürfte unter dem Kommando von Richard Kaaserer gestanden sein, der am gleichen Tag in der Sperlgasse von einem Lastauto überfahren wurde842 und sich einen Knöchelbruch zuzog.843 Als die SS zehn Minuten später,844 noch vor der Polizei, eintraf und die „Kameraden (…) befreite“, kam sie am Café Sperl vorbei, von wo „sich die Juden abermals auf die Nationalsozialisten (stürzten) und sowohl aus dem Café als auch aus einer gegenüberliegenden Weinstube geschossen wurde, woraufhin die SS „das jüdische Mordnest (säuberte)“. 42 Personen wurden festgenommen, darunter 33 Nationalsozialisten, die wegen Verbrechens des Hausfriedensbruchs, boshafter Sachbeschädigung, Körperverletzung, Übertretung des Waffenpatents und Störung der Ordnung arretiert wurden. Nach Einschreiten des SSAnwalts Otto Gustav Wächter wurden alle Nationalsozialisten am Tag darauf wieder freigelassen.845 Insgesamt elf Personen wurden bei den Krawallen in der Leopoldstadt verletzt.846 Die steigende Gewalt gegen die jüdische Bevölkerung führte im Herbst 1932 zur Gründung mehrerer jüdischer Selbstschutzverbände.847 Nach behördlichen Angaben trugen im Verlauf des Gautages 97 NationalsozialistInnen und PassantInnen, 16 „MarxistInnen“ und 17 Wachebeamte zumeist leichte Verletzungen davon, je ein Schutzbündler, Polizist, ein Nationalsozialist und Passant wurden schwer verwundet.848 Die Polizei nahm 192 Sozialdemokraten, 64 Nationalsozialisten, 19 Kommunisten und 13 Personen ohne Parteizugehörigkeit fest.849 Laut 841 DÖTZ v. 4. 10. 1932, S. 3 („Ueberfall nicht auf, sondern aus dem jüdischen Bethaus  !“). 842 BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer. 843 Boris Plachetka an das Wohlfahrtsamt des Gaus Wien, o. D., WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 844 DÖTZ v. 4. 10. 1932, S. 3 („Ueberfall nicht auf, sondern aus dem jüdischen Bethaus  !“). 845 Ebd. 846 NFP v. 3. 10. 1932, S. 3 („Die Darstellung der Polizei“). 847 In Wien bestanden Anfang November 1932 der „Jüdische Wehrsport- und Schützenverein Haganah“, der „Bund jüdischer Frontsoldaten“ und der „Jüdische Schutzverband“. Letzterer war am 4. Oktober 1932 gegründet worden und sollte als Dachorganisation für alle jüdischen Wehrsport-, Turn- und Sportvereine fungier, Bericht der BPD Wien v. 4. 11. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, 22/Wien, Zl. 231.208/1932, Kt. 5176. 848 Botz (1983), S. 201. 849 Neck (1976), S. 99. Ob sich unter den Verhafteten auch Frauen befanden, ist unbekannt.

Die innenpolitische Entwicklung im Oktober 1932

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Botz war die Polizei zumeist aufseiten der NSDAP eingeschritten, erwies sich jedoch als nicht stark genug, um „die weit verstreuten Kampfherde“ kontrollieren zu können.850 21 Personen, davon 16 Marxisten, wurden dem Gericht eingeliefert.851 Trotz der zahlreichen Ausschreitungen war der Gautag relativ glimpflich verlaufen, hatte jedoch die ohnedies schon gespannte Situation enorm aufgeheizt. Aber nicht nur auf der Straße standen die Fahnen seit Anfang Oktober auf Sturm, auch auf der politischen Bühne hatte sich die Situation inzwischen dramatisch verschärft, nachdem die Regierung Dollfuß den ersten Schritt zur Ausschaltung des Parlaments gesetzt hatte. 7.3 Die innenpolitische Entwicklung im Oktober 1932

Während sich die NSDAP auf den Straßen Wiens blutige Kämpfe mit der linken Gegnerschaft lieferte, erließ Justizminister Kurt Schuschnigg am 1.  Oktober 1932 eine Verordnung über die Haftung der für den Zusammenbruch der Credit-Anstalt Verantwortlichen aufgrund des Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes (KwEG).852 Am Tag darauf verteidigte Dollfuß bei einer Bauerntagung in Niederösterreich nicht nur die Handlungsweise der Regierung,853 sondern kündigte an, dass die Regierung durch das KwEG „ohne vorherige endlose parlamentarische Kämpfe sofort gewisse dringliche Maßnahmen in die Tat umsetzen“ könne, was „zur Gesundung unserer Demokratie wesentlich beitragen“ werde. Damit legte Dollfuß öffentlich die weitere Ausschaltung des Parlaments als neuen Regierungskurs fest. Dies bedeutete, so die Neue Freie Presse,854 dass das KwEG der Regierung auch künftighin „die Handhabe zu einer Art kleinen Diktatur (…) bieten“ werde. Am gleichen Tag veröffentlichte das Neue Wiener Journal einen Beitrag von Dollfuß’ juristischem Berater Robert Hecht,855 der feststellte, dass die im KwEG „erteilten Vollmachten (…) inhaltlich keine Ausnahmen (kennen), (…) zeitlich unbeschränkt (und) von der Mitwirkung eines parlamentarischen Ausschusses unabhängig (sind) (…)“.856 Der 850 Botz (1983), S. 201. 851 Neck (1976), S. 99  ; NFP v. 3. 10. 1932, S. 3 („21 Exzedenten dem Landesgericht eingeliefert“). 852 Vgl. dazu die Diskussion im Ministerrat, MRP Nr. 827 v. 30. 9. 1932, Bd. VIII/1, S. 579–593. Zum „Konstitu­ierungsprozeß“ des Austrofaschismus vgl. u.a. Huemer (1975)  ; Berchtold (1998)  ; Tálos/Manoschek (2005)  ; Kerekes (1966)  ; Gulick (1976)  ; Staudinger (1975)  ; Eichstädt (1955)  ; Gedye (1947)  ; Winkler (1935). 853 RP v. 4. 10. 1932, S. 2 („Zielbewußt und unbeirrt vorwärts  !“). 854 NFP (Abendblatt) v. 4. 10. 1932, S. 1 („Not und Notverordnungsrecht“). 855 Hecht schuf die juristische Konstruktion zur Legitimation des politisch gewünschten VO-Rechtes der Bundes­regierung unter Zugrundelegung des KwEG, vgl. ausf. Huemer (1975). 856 Neues Wiener Journal v. 2. 10. 1932, zit. n. Berchtold (1998), S. 685.

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sozialdemokratische Parteivorstand legte Protest gegen die CA-Verordnung ein, die zwar den sozialdemokratischen Forderungen inhaltlich entsprach, jedoch aufgrund der verfassungswidrigen Anwendung des KwEG getroffen worden war. Er kündigte an, die Verordnung rückwirkend wieder aufheben zu wollen, und forderte die „rascheste“ Außerkraftsetzung des KwEG.857 Die Sozialdemokratie geriet ab diesem Zeitpunkt zwischen alle Fronten – zum einen durch die seit Mai 1932 an der Regierung beteiligte faschistische Heimwehr, die eine zunehmend schwächer werdende Christlichsoziale Partei unter Druck zu setzen begann, zum anderen durch den permanenten Straßenkampf mit der aufstrebenden NSDAP. Damit wurde die bisherige starke Stellung der sozialdemokratischen Opposition im Nationalrat außerparlamentarisch immer weiter eingeengt und zurückgedrängt. Dollfuß’ Ankündigung, mit der weiteren Anwendung des KwEG das Parlament auszuschalten, und Robert Hechts Ausführungen über deren Rechtmäßigkeit rüttelten an der letzten Bastion der Sozialdemokratie.858 Der Ruf nach dem autoritären Staat und der Abschaffung von Parteienstaat und Demokratie ging aber nicht nur von der Heimwehr aus, sondern fand auch in Kreisen der Christlichsozialen Partei Gehör. Darüber hinaus war die Sozialdemokratie im ständigen Kleinkrieg mit der NSDAP gefangen, die immer unverblümter von Polizei und Justiz geschützt wurde. Die für die bürgerlichen Parteien katastrophal verlaufenden Landtags- und Gemeinderatswahlen hatten das Parteiensystem grundlegend verändert. Die CSP hatte damit in den Landtagen der Bundesländer, außer im nach wie vor sozialdemokratisch regierten Wien, die Mehrheit ebenso verloren wie die Bundesregierung ihre Majorität im Bundesrat. Der Antrag der Sozialdemokratischen Partei auf Auflösung des Nationalrates und Ausschreibung von Neuwahlen, dem sich die Großdeutsche Volkspartei anschloss, brachte die Regierung, die über keine ausreichende parlamentarische Mehrheit verfügte, in „allergrößte Verlegenheiten“.859 Nachdem Dollfuß, der nach der Demissionierung der Regierung Buresch am 6. Mai 1932 mit der Regierungsbildung beauftragt worden war, vergeblich versucht hatte, die Großdeutsche Volkspartei zum Eintritt in die Regierung zu gewinnen, wurde nun „(d)ie bis dahin unbedeutende Heimwehrfraktion (…) zum Zünglein an der Waage“.860 Gegen einen Eintritt des Heimatblocks in die Regierung hatten sich aber auch Teile der CSP sowie der Landbund ausgesprochen, während die Bundesführung der Heimwehr sich nur dann bereit 857 Vgl. Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung 1932 (1933), S. 25–29  ; NFP v. 4. 10. 1932, S. 4 („Die Sozialdemokraten gegen Berufung auf das kriegswirtschaftliche Ermächtigungsgesetz“)  ; MRP Nr. 828 v. 5. 10. 1932, Bd. VIII/1, S. 596f. 858 Kykal/Stadler (1976), S. 54. 859 Winkler (1935), S. 15. 860 Ebd.

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erklärt hatte, in die Regierung einzutreten, wenn diese einem deutlichen Rechtskurs zustimme. Auch innerhalb der Heimwehr, deren Spaltung in einen deutsch-nationalen und katholisch-italienischen Teil sich anzukündigen begann, lehnte ein Teil eine Regierungsbeteiligung ab. Nachdem Walter Pfrimer aus Protest über einen möglichen Eintritt in die Regierung aus der Heimwehr ausgetreten war, spaltete sich der Steirische Heimatschutz von der Bundesführung ab. Starhemberg gelang es schließlich, Dollfuß die Stimmen des Heimatblocks zu sichern. Am 20. Mai wurde die Regierung Dollfuß, eine Koalition aus CSP, Heimatblock und Landbund, angelobt, die jedoch nur über eine Stimme Mehrheit im Nationalrat verfügte und einen klaren Rechtsruck bedeutete. Neben dem vom Heimatblock bestellten Minister Guido Jakoncig (Handel) übernahm mit Hermann Ach ein der Heimwehr nahestehender Minister die Sicherheitsagenden, der Landbund war mit Vizekanzler Franz Winkler und Landwirtschaftsminister Franz Bachinger vertreten. Die erste große Belastungsprobe hatte die Regierung Dollfuß mit der Unterzeichnung der Lausanner Protokolle im Juli 1932 zu bestehen.861 Nach der Ablehnung des deutsch-österreichischen Zollunionsvertrags durch den Haager Gerichtshof im März 1931 und dem Zusammenbruch der Credit-Anstalt, der damals größten Bank Mitteleuropas, im Juni 1931, für welche die Regierung eine Haftung von 500 Millionen Schilling übernehmen musste, war Österreich zunehmend unter ausländischen, insbesondere französischen Druck geraten. Aufgrund der explodierenden Arbeitslosenzahlen machten die veranschlagten Unterstützungszahlungen nicht 37, sondern achtzig bis hundert Millionen Schilling aus. Das Haushaltsdefizit belief sich mittlerweile auf 268 Millionen Schilling. Am 15.  Juli unterzeichnete Dollfuß die Lausanner Protokolle, womit Belgien, Großbritannien und Frankreich Kredite in der Höhe von 300 Millionen Schilling garantierten, während Österreich weitere zehn Jahre auf einen Anschluss an Deutschland verzichtete. Am 17. August wurde der Vertrag mit knapper Mehrheit gegen die Stimmen der SDAP und der Großdeutschen Volkspartei vom Nationalrat angenommen. Nach dem Rücktritt Hermann Achs forderte der Heimatblock vehement die Ernennung des Wiener Heimwehrführers Emil Fey, einem entschiedenen Befürworter des faschistischen Kurses, über dessen Bestellung bereits zwei Wochen vor Achs Demissionierung Spekulationen die Runde gemacht hatten.862 Während der Heimatblock mit dem Austritt aus der Regierung drohte, sollte Fey nicht ernannt werden, stellte sich der Landbund massiv dagegen und lehnte auch den Vorschlag Starhembergs, Fey 861 Vgl. dazu ausf. Klingenstein (1965). 862 RP v. 16. 9. 1932, S. 3 („Sensationsgier macht erfinderisch“)  ; NFP v. 18. 10. 1932, S. 4 („Maßnahmen der Regierung“).

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zum Staatssekretär zu bestellen, ab.863 Dollfuß und Winkler vereinbarten daraufhin, Feys Ernennung einige Tage hinauszuzögern, um Zeit für weitere Verhandlungen über einen Regierungseintritt der Großdeutschen VP zu gewinnen, „um so Rückendeckung gegenüber den weitausgreifenden Bestrebungen der Heimwehren zu erlangen“.864 Als vorläufigen Kompromiss übernahm Dollfuß selbst die Sicherheitsagenden. Zu diesem Zeitpunkt hatte die Regierung Dollfuß „keineswegs (…) ein klares Programm in Richtung Etablierung einer neuen Herrschaftsform“, erst ihr nunmehriger Versuch, durch Einschränkung von Parlament, demokratischen (Wahl-)Rechten und politischer Opposition durch Verordnungen aufgrund des KwEG sollte „zum Katalysator für den Weg in den Austrofaschismus“ werden.865 Einen weiteren Schritt in diese Richtung setzte Dollfuß nach den Vorfällen vom 16.  Oktober 1932, die ihm den nötigen Anlass dafür boten, erste Maßnahmen zur Einschränkung der Rechte der politischen Opposition zu ergreifen. 7.4 Der „Simmeringer Blutsonntag“ und seine Folgen

Am 16.  Oktober hielten fast alle politischen Parteien Veranstaltungen in Wien ab. So hatte der Heimatschutz ein Treffen der Bundesführung einberufen und die CSP den ersten Wiener christlichsozialen Volkstag in der Engelmann-Arena organisiert. Die NSDAP veranstaltete anlässlich des ersten Bezirkstags der Simmeringer NSDAP einen Umzug, woraufhin die KPÖ zu einem „Roten Bummel“ während des Umzuges der NationalsozialistInnen in den betreffenden Straßen aufrief. Der Schutzbund hatte gemeinsam mit der Sozialistischen Jungfront eine antifaschistische Kundgebung in der Leopoldstadt angesetzt. Den Auftakt zum politischen Aktionstag bestritt der Heimatschutz, der bereits am Samstagabend in der Engelmann-Arena ein Führertreffen abhielt, zu dem er mit finanzieller Unterstützung der Regierung866 „so ziemlich alles, worüber sie in ganz Österreich noch verfügte, nach Wien (holte)“.867 In seiner Rede rechtfertigte Starhemberg die „unbedingt notwendig“ gewesene Regierungsbeteiligung der Heimwehr,868 da nur dadurch „ein Abrutschen des Kurses nach links verhindert“ werden konnte. Der Heimatschutz habe, so Starhemberg weiter, die Aufgabe, „letzten Endes einmal 863 Winkler (1935), S. 22. 864 Ebd. 865 Tálos/Manoschek (2005), S. 12. 866 Neck (1976), S. 100. 867 Wiltschegg (1985), S. 70. 868 NFP v. 16. 10. 1932, S. 10 („Das Führertreffen des Heimatschutzes. Reden gegen das Parlament“).

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in Oesterreich womöglich die alleinige Führung im Staat zu ergreifen“, und „das politische Programm, das wir in Oesterreich durchzusetzen haben, ist, daß die Regierung sich möglichst unabhängig vom Parlamente macht. (Stürmische Heilrufe).“ Die Heimwehr „verlange“ von der Regierung, dass sie „jede verfassungsrechtlich mögliche Gelegenheit ergreift, um unabhängig vom Parlamente das Notwendige vorzukehren“. „Es gehe“ nach Starhemberg „nicht an“,869 „daß die Regierung in einer Zeit der Not von einer Zufallsmehrheit abhängig sei. (…) Die Regierung möge mit dem vaterländischen Volke regieren und führen, wenn es sein muß auch ohne Parlament.“ Der Heimatschutz dürfe „sich unter keinen Umständen den Luxus einer Uneinigkeit erlauben, solange der Schutzbund schlagfertig dasteht. Unsere Hauptforderung geht dahin, in der Regierung unseren Einfluß erfolgreich dafür einzusetzen, daß endlich einmal der Schutzbund zum Verschwinden gebracht wird.“ Als weiterer Redner trat Nationalratsabgeordneter Odo Neustädter-Stürmer auf, der als „staatspolitisches Ziel“, die „Umwandlung des Parteienstaates in einen Ständestaat“ propagierte.870 Das KwEG gebe der Regierung „die Möglichkeit, auch ohne das Parlament dringende Maßnahmen zu treffen. Heute steht die Regierung gegen die Marxisten stark da, wie noch keine, heute brauchen wir uns nicht mehr vor einer sozialdemokratischen Obstruktion zu fürchten. Je mehr sie obstruieren, umso besser  : dann machen wir es eben mit einer Notverordnung. (Stürmische Heilrufe). Der Kurs geht nach rechts, und bevor Sie in Ihre Heimat reisen, werden Sie hiefür den Beweis erhalten.“871 Neustädter-Stürmer sollte recht behalten. Am Vormittag des 16. Oktober eröffnete dann der Obmann der Wiener Christlichsozialen Partei, Robert Krasser, den Wiener Volkstag und propagierte die Rettung Österreichs durch die Christlichsoziale Partei  :872 „Das ganze Gebäude des modernen liberalen Staates, der alle organische Verbindung mit dem Volkstum verloren hat, ist ins Wanken geraten, Liberalismus, Materialismus und Sozia­ lismus haben die ganze europäische Kultur innerlich ausgehöhlt und schließlich auch die Wirtschaft bis an den Rand des Abgrundes geführt. In solcher Situation genügt die bloße Abwehr und die immerwährende Vertagung der Entscheidungen nicht mehr. Die Zeit ist reif, an eine völlig Neuordnung der Gesellschaft, Staat und Wirtschaft (sic  !) zu denken. (…) Wir wollen daher auch keinen Zweifel aufkommen lassen, daß wir an der Erhaltung und Konservierung der heutigen zum Teil himmelschreienden Verhältnisse kein wie immer 869 RP v. 16. 10. 1932, S. 4 („Das Führertreffen des Heimatschutzes“). 870 Ebd. 871 NFP v. 16. 10. 1932, S. 10 („Das Führertreffen des Heimatschutzes. Reden gegen das Parlament“). 872 RP v. 17. 10. 1932, S. 2 („Der Wiener christlichsoziale Volkstag“).

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geartetes Interesse haben und daß wir entschlossen sind, mit all den liberalen und sozialistischen Ideen und Illusionen, die nun einmal unser ganzes staatliches und völkisches Leben so unheilvoll beeinflußt haben, energisch Schluß zu machen.“

Anschließend verkündete Dollfuß „voll Zuversicht ein österreichisches Kredo“873 und versprach, „das ganze Leben der Oeffentlichkeit mit den Grundsätzen katholischen Glaubens zu durchdringen“.874 Die Abschlussrede hielt Leopold Kunschak,875 der als „Einer aus der großen Zeit“ an den damaligen „Kampf“, der „gegen die Uebermacht des Liberalismus, gegen die Ueberwucherung des jüdischen Geistes in Kultur und Wirtschaft, gegen Ungerechtigkeit und Ausbeutung (ausgetragen wurde)“ und an die alte Luegerparole – „Gut christlich, gut deutsch, gut österreichisch allerwege  !“ – erinnerte.876 Krasser beendete die Veranstaltung mit den Worten  : „Und nun hinaus auf die Wälle, hinaus in die Schützengräben  ! Es lebe der Kampf  ! Es lebe der Sieg  !“877 Danach eilte Dollfuß zum Heldenplatz, wo die Heimwehr mit dem Segen der katholischen Kirche über den Ring marschierte und „an einem sichtlich beeindruckt(en)“ Dollfuß vorbeidefilierte, während der in Begleitung des Kanzlers erschienene, wenig Heimwehr-freundliche Minister Buresch von dieser beschimpft wurde und bald das Feld räumte.878 Starhemberg wiederholte in seiner Ansprache die Notwendigkeit des Zweifronten-Kampfes gegen den „Marxismus“ und „die Auswüchse des verantwortungslos gewordenen Parlaments“ und versicherte Dollfuß der Solidarität des Heimatschutzes.879 Währenddessen hielten die SozialdemokratInnen in der Leopoldstadt ihre antifaschistische Veranstaltung ab. Hintergrund der Versammlung war die zwei Tage zuvor bekannt gegebene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Wien, die Untersuchung gegen jene 33 Nationalsozialisten einzustellen, die beim Sturm auf das jüdische Bethaus am 2. Oktober verhaftet worden waren. Laut Bericht der Neuen Freien Presse hatte die Staatsanwaltschaft die Gauleitung der NSDAP darüber verständigt, dass die falschen Personen verhaftet worden seien und „zu der Zeit, als die Nationalsozialisten durch die Sperlgasse zogen, das Café nicht mehr religiösen Andachten gedient“ hätte.880 873 Ebd. 874 NFP (Abendblatt) v. 17.  10.  1932, S. 5 („Dr. Dollfuß über die Lockerung der Devisenbewirtschaftung“). 875 RP v. 17. 10. 1932, S. 1 („Der Wiener christlichsoziale Volkstag“). 876 Zu Kunschaks antisemitischer „Ostjudenhetze“ vgl. Hoffmann-Holter (1995), S. 160ff. 877 RP v. 17. 10. 1932, S. 1 („Der Wiener christlichsoziale Volkstag“). 878 Wiltschegg (1985), S. 70. 879 NFP v. 17. 10. 1932, S. 3 („Der Heimwehraufmarsch“)  ; RP v. 17. 10. 1932, S. 4 („Die Heldenehrung des Heimatschutzes“). 880 NFP v. 15. 10. 1932, S. 6 („Der Ueberfall auf das Café Sperl“).

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Abb. 41: Heimwehr-Kundgebung am 16.10.1932, in der Mitte Emil Fey, li. daneben Rüdiger Starhemberg, BPD Wien

Am Tag darauf veröffentlichte die Zeitung jedoch „auf Ersuchen“, „daß der Beschluß der Staatsanwaltschaft auf Einstellung der Untersuchung (…) keine wie immer geartete Begründung enthalte“.881 Nicht eingestellt wurden hingegen die Verfahren gegen jene jüdischen AnrainerInnen, die ihrer Empörung über den nationalsozialistischen Angriff Luft gemacht hatten und in der Folge wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bzw. Einmengung in eine Amtshandlung angezeigt worden waren. In den folgenden Monaten wurden sie vor Gericht gestellt und zum Teil auch verurteilt.882 Als Reaktion darauf hatten der Republikanische Schutzbund und die Sozialistische Jungfront zu einer antifaschistischen Kundgebung aufgerufen,883 bei welcher der so881 NFP v. 16. 10. 1932, S. 10 („Der Ueberfall auf das Café Sperl“)  ; vgl. dazu auch Kl. Bl. v. 16. 10. 1932, S. 21 („Der Wirbel vor dem jüdischen Bethaus“)  ; RP v. 16. 10. 1932, S. 6 („Der Wirbel in der Sperlgasse“). 882 S. dazu S. 244–250. 883 Kl. Bl. v. 16. 10. 1932, S. 2 („Der Kampf der Jungen“).

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zialdemokratische Bezirksobmann der Leopoldstadt, Nationalratsabgeordneter Hermann Fischer, sowie Nationalratsabgeordneter Karl Heinz und Gemeinderat Ernst Papanek als Redner auftraten. Die NSDAP marschierte am Vormittag wiederum in Simmering ein, um „auch hier den roten Terror zu brechen“, wie die DÖTZ verkündete.884 Simmering war eine der Hochburgen der Wiener ArbeiterInnenbewegung, wo die NSDAP nur wenige AnhängerInnen hatte. Bei den Gemeinderatswahlen im April 1932 hatte die NSDAP bloß 7,2 Prozent der Stimmen erhalten, während sie in den übrigen Bezirken durchschnittlich 17,4 Prozent erreicht hatte, womit sie in diesem Bezirk das schlechteste Ergebnis überhaupt aufwies.885 Nachdem eine am 6. September in Simmering veranstaltete Demonstration „einen sehr kläglichen Verlauf“ genommen hatte,886 wurden diesmal ParteigenossInnen aus allen Bezirken mobilisiert, um, wie es ein nationalsozialistischer Aufruf an alle Wiener Parteimitglieder verkündete,887 „die hart ringende Bezirksgruppe zu unterstützen und dem marxistischen Mordgesindel die Luft an feigen Überfällen ein für allemal zu nehmen“. Der als Demonstration gegen die Sozialdemokratie geplante Umzug führte an mehreren Gemeindebauten, die mehrheitlich von SozialdemokratInnen bewohnt waren, vorbei, und auch das sozialdemokratische Parteiheim in der Drischützgasse befand sich mitten im Aufmarschgebiet. Obwohl die Polizei zuvor versichert hatte, Vorkehrungen zur Vermeidung von Zusammenstößen getroffen zu haben, war der tatsächlich aufgebotene Stärkestand bei Weitem nicht ausreichend. Am Abend zuvor hatte der sozialdemokratische Bezirksvorsteher dem Leiter des Simmeringer Bezirkspolizeikommissariats versichert, dass er auf seine Parteigenossen eingewirkt habe und der Umzug wohl ruhig verlaufen werde, allerdings werde er selbst von Nationalsozialisten bedroht. Zum Schutz des Parteiheims war, wie nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre üblich, eine bewaffnete Abteilung des Republikanischen Schutzbundes einberufen worden. Neben Gauleiter Frauenfeld hatte sich auch Landesinspekteur Theo Habicht in Simmering eingefunden, um bei der Veranstaltung eine Rede zu halten. Die Polizei versuchte zwar, die gegnerischen Parteien getrennt zu halten, jedoch kam es immer wieder zu kleineren Plänkeleien. Als die Spitze des Zuges bereits das Brauhaus, wo die Abschlusskundgebung stattfinden sollte, erreicht hatte, begann auch vor dem Parteiheim in der Drischützgasse, dessen Zugangsstraßen nicht abgeriegelt worden waren, 884 Sten. Prot., 4. GP, S. 2666 (verlesen aus der DÖTZ durch Karl Seitz), zit. n. Botz (1983), S. 202. 885 Vgl. dazu ausf. Rudolf (1976)  ; Botz (1983), S. 202–207. 886 Neck (1976), S. 101. 887 Botz (1983), S. 202.

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Abb. 42: Aufmarsch der NSDAP am „Simmeringer Blutsonntag“, li. neben der SA-Kette Max Grillmayr (mit SSKappe), dahinter SS-Mann Anton Doblreiter (m. hellem Mantel und Schirmkappe), FAA

eine Rauferei. Zwar zogen sich die Schutzbündler beim Eingreifen der Polizei in das Gebäude zurück, jedoch drängten weitere NationalsozialistInnen in die Gasse nach. Die Wachebeamten liefen der Menge voraus, um die Gasse abzusperren, als plötzlich ein Schuss fiel, durch den der Sicherheitswachebeamte Karl Tlasek tödlich verletzt wurde. Der erste Schuss dürfte aus dem Parteiheim erfolgt sein, möglicherweise unter dem „Eindruck“, dass ein „Sturm auf das Arbeiterheim“ bevorstehe.888 Nach Rudolf Neck könnte er aber auch „durch Ungeschicklichkeit ausgelöst“ worden sein.889 Über die nachfolgenden Ereignisse können aufgrund der weit divergierenden Darstellungen keine gesicherten Angaben gemacht werden. Jedenfalls begann, nachdem die ersten Schüsse gefallen waren, eine zwanzig Minuten andauernde Schießerei zwischen den Schutzbündlern im Parteiheim und einigen hinter Bäumen und Gartenbänken verschanzten Nationalsozialisten. Später eröffnete auch die Polizei das Feuer. Die Natio888 Ebd., S. 205. 889 Neck (1976), S. 102.

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nalsozialisten Josef Staller und Otto Sennhofer sowie eine unbeteiligte Passantin, die von einem Polizeigeschoss getroffen worden war, starben, weitere 75 Personen wurden zum Teil schwer verwundet.890 Um die nachdrängenden ParteigenossInnen vom Sturm des Parteihauses abzuhalten, bildete die SS, die wie üblich den Ordnungsdienst verrichtete, eine Kette und verhinderte so ein noch größeres Blutbad.891 Schließlich stürmte die Polizei das Parteiheim und besetzte das Gebäude, wobei sie „überaus brutal“ vorging, indem sie die sich widersetzenden Schutzbündler mit Gummiknütteln schlug, den um Vermittlung bemühten sozialdemokratischen Bezirksrat Georg Medwed durch einen Säbelhieb schwer verwundete und das Parteiheim vollständig demolierte.892 Besonders tragisch für die SozialdemokratInnen war der Tod des Rayoninspektors Karl Tlasek, welcher der sozialdemokratisch gesinnten Freien Gewerkschaft angehört hatte.893 Massive interne Kritik übte der Führer der SA-Standarte 24 am Verhalten der SS,894 die sich angeblich „ganz unmöglich und undiszipliniert (…) benommen“ habe und ihm „die Arbeit ganz ohne zu wollen (ohne böse Absicht  !) nicht nur erschwert hat, sondern durch unüberlegte Einzelaktionen sich direkt an den Vorkommnissen mitschuldig gemacht hat“. Er könne „hier keinen einzelnen Führer der in Dienst gestellten SS-Abteilungen herausgreifen  : bis auf wenige Ausnahmen unmöglich undiszipliniert“. In einem späteren Artikel nannte die Arbeiter-Zeitung SS-Sturmführer Hans Mußil als „Revolverschützen von der Drischützgasse“,895 wobei aus den vorliegenden Quellen keine Beteiligung Mußils an dem Feuergefecht hervorgeht. Fest steht jedoch, dass er an vorderster Front mitgewirkt hatte, da er im SS-Verordnungsblatt vom November 1932 für sein „Verhalten“ am Gauparteitag und in Simmering belobigt wurde.896 Der „Simmeringer Blutsonntag“ gab der Regierung den willkommenen Anlassfall, um einerseits eine verschärfte Gangart gegen die Sozialdemokratie und insbesondere 890 Botz (1983), S. 359. 891 Bericht von Oskar Mayr über die „Simmeringer Vorfälle“ v. 17. 10. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NSParteistel­len, Kt. 20. 892 Neck (1976), S. 103  ; Botz (1983), S. 203f. 893 Neck (1976), S. 104. 894 Ebd.; Bericht des Führers der SA-Standarte 24 an den Führer der Untergruppe Wien über den Bezirkstag in Simmering v. 16. 10. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 895 Am 16. Mai 1933 berichtete die Arbeiter-Zeitung, dass der eigentliche Täter gegenüber seiner Mutter angeb­lich die Tat eingestanden habe, Neck (1976), S.  104  ; vgl. dazu auch NFP (Abendblatt) v. 15. 5. 1933, S. 4 („Die Erschießung des Wachmannes Tlasek in Simmering“)  ; Kl. Bl. v. 16. 5. 1933, S. 4 („Dem Mörder des Wachmannes Tlasek auf der Spur“). Am Tag darauf meldete die Neue Freie Presse dann, dass die polizeiliche Untersuchung gegen den Verdächtigen wegen „Unstichhaltigkeit der Gerüchte“ eingestellt worden war, NFP v. 16. 5. 1933, S. 7 („Der Erschießung des Wachmannes Tlasek fälschlich beschuldigt“). 896 BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Mußil.

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Abb. 43: Hans Mußil beim Abtransport der Verletzten am „Simmeringer Blutsonntag“, 16.10.1932, FAA

den Republikanischen Schutzbund einzuleiten sowie gleichzeitig die Heimwehr zu stärken. Am 17. Oktober ernannte Dollfuß Emil Fey zum Staatssekretär für das Sicherheitswesen. Fey, ein im Ersten Weltkrieg hoch dekorierter Offizier, verkörperte den Typ des ewigen Frontsoldaten und „starken Mannes, der für Ruhe und Ordnung sorgen könne, was Fey auch nicht müde wurde, zu betonen“.897 In den folgenden Monaten provozierte Fey die Sozialdemokratie, wo immer er konnte, und wurde zum Schrittmacher der antidemokratischen Maßnahmen der Regierung. Noch am Tag seiner Bestellung ordnete er für Wien ein Aufmarsch- und Versammlungsverbot für die an den Simmeringer Zusammenstößen beteiligten Parteien, also SDAP, KPÖ und NSDAP, an und „eröffnete damit den Reigen der gesetz- und verfassungswidrigen Gewaltmaßnahmen“.898 Die SDAP empörte sich über das einseitig verhängte Aufmarschverbot, das direkt von Fey und nicht vom eigentlich dafür zuständigen Sicher-

897 Wiltschegg (1985), S. 70. 898 Ebd., S. 71.

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heitsminister Dollfuß verhängt worden war,899 als „dreiste(n) Verfassungsbruch“.900 Per Erlass wurde Landeshauptmann Seitz darüber hinaus aufgetragen, alle Rekurse gegen Versammlungsverbote abzuweisen.901 Gegenüber der Wiener Polizeidirektion war das Verbot nur als vorübergehende Maßnahme angekündigt worden,902 um den ruhigen Ablauf der Beerdigung der Opfer von Simmering zu gewährleisten.903 Feys Ernennung führte nicht nur bei der politischen Opposition zu aufgebrachten Reaktionen, sondern war auch innerhalb der Christlichsozialen Partei umstritten. In der Sitzung des Klubvorstandes, die erst drei Tage nach seiner Bestellung stattfand, zeigte sich insbesondere Nationalratsabgeordneter Franz Spalowsky empört sowohl über Feys Bestellung, da er diesen als Menschen „ohne Gesinnung“ bezeichnete,904 als auch über das eigenmächtige Vorgehen von Dollfuß, der den Klubvorstand davon nicht in Kenntnis gesetzt hatte. „Ein solcher Fall von Brüskierung“, so Spalowsky, „ist bisher noch nicht vorgekommen“. Weiters kritisierte er, dass bereits in den Sonntagszeitungen die Erklärung Neustädter-Stürmers anlässlich des Treffens der Heimführer veröffentlicht worden sei.905 Aber auch Vizekanzler Winkler, der, um einen Austritt der Heimwehr aus der Regierung zu verhindern, schließlich doch der Ernennung Feys zugestimmt hatte, bestand auf die Einschränkung,906 dass er selbst bei Dollfuß’ Abwesenheit dessen Vertretung als Sicherheitsminister übertragen erhielt. Dollfuß verteidigte sein Vorgehen damit,907 dass er nach den gescheiterten Verhandlungen mit den Deutschnationalen auf den Heimatblock angewiesen gewesen sei. Neustädter-Stürmers Rede „war begreiflich“, so Dollfuß weiter,908 „weil sonst schon am Montag eine andere Heimwehrleitung“ gewählt worden wäre.909 Spalowsky kritisierte auch scharf das von Fey erlassene einseitige Aufmarschverbot,910 warf ihm hinsichtlich des Weisungsrechtes „Amtsmißbrauch“ vor und merkte an, dass „wir (…) sehen (werden), welche Wirkung ein Aufmarsch der Heimatblöckler haben wird“. Aus Dollfuß’ 899 NFP v. 20. 10. 1932, S. 6 („Das partielle Aufmarschverbot“). 900 Jahrbuch der öst. Arbeiterbewegung 1932 (1933), S. 32. 901 Ebd. 902 MRP Nr. 832 v. 3. 11. 1932, Bd. VIII/2, S. 25. 903 NFP v. 18. 10. 1932, S. 3 („Die Maßnahmen der Regierung“). 904 Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 20. 10. 1932, in  : Goldinger (1980), S. 21. 905 Ebd., S. 25f. 906 Winkler (1935), S. 22. 907 Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 20. 10. 1932, in  : Goldinger (1980), S. 23. 908 Ebd., S. 26. 909 Bei der am Sonntagnachmittag abgehaltenen internen Führerbesprechung des Heimatschutzes war die bishe­rige Führung einstimmig bestätigt worden, vgl. RP v. 17. 10. 1932, S. 4 („Die Heldenehrung des Heimat­schutzes“). 910 Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 20. 10. 1932, in  : Goldinger (1980), S. 25.

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Erwiderung geht nicht klar hervor, ob der Erlass ohne sein Wissen angeordnet worden war. Er erklärte zu Spalowskys Wortmeldung lediglich,911 dass er „verantwortlich für die Handlungen des Fey“ sei, „nicht ein(sehe), daß die Sozi alle regierungstreuen Elemente unter Druck setzen“ und „auch ein Unterschied gemacht werden (kann) zwischen staatstreuen und nicht staatstreuen Elementen“. Es liege „kein Amtsmißbrauch vor. Auch bezüglich des Fey nicht.“ Am 17. Oktober erschienen Gauleiter Frauenfeld, der neu ernannte reichsdeutsche Führer der Wiener SA Moulin-Eckart sowie die NS-Landtagsabgeordneten Hugo Mühlberger und Wolfgang Scholz im Bundeskanzleramt und forderten von Dollfuß die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes, die Beschlagnahme sämtlicher Waffen, die Durchsuchung aller sozialdemokratischen Einrichtungen und die sofortige Aufhebung des Aufmarschverbotes. Laut nationalsozialistischer Darstellung erklärte Dollfuß, „daß durch die Untersuchung einwandfrei festgestellt worden sei, daß die Schuld für die gestrigen Vorfälle in Simmering bei den Sozialdemokraten liege“.912 Auch die Vertreter des Wirtschaftsverbandes der Bundessicherheitswache sprachen am gleichen Tag bei Dollfuß vor und verlangten „die sofortige Auflösung aller Selbstschutzverbände, vor allem des Republikanischen Schutzbundes, sowie die Durchsuchung der Sekretariate und Arbeiterheime der sozialdemokratischen Partei nach Waffen“.913 Der Schutzbund sei „wie eine Militärmacht ausgerüstet“ und die Waffen seien „dazu bestimmt (…), gegen die staatlichen Exekutivorgane verwendet zu werden“.914 Weiters forderten sie eine „ausgiebige Standesvermehrung bei den Exekutivbeamten, Anpassung in den Waffen der Exekutive an die Kampfmittel der illegalen Formationen und Modernisierung der technischen Ausrüstung“. Dollfuß versicherte, daß er „schon in den nächsten Tagen die erforderlichen Maßnahmen treffen werde“.915 Am Tag danach erklärte die Bundesleitung des Heimatschutzes in einer Sitzung, wie sie sich die Standesvermehrung der Exekutive künftig vorstelle.916 Es werde „von der Regierung (erwartet), daß sie in Zukunft nötigenfalls die vaterländischen Kräfte des Heimatschutzes an der Seite der Staatesexekutive gegen alle die roten Umsturzversuche einsetzen und angesichts des Versagens des Parlaments auch vor außerordentli911 Ebd., S. 26. 912 AZ v. 18. 10. 1932, S. 3 („Die Wahrheit über Simmering“)  ; NFP v. 18. 10. 1932, S. 3 („Die Abordnung der Nationalsozialisten“). 913 NFP v. 18. 10. 1932, S. 3 („Beamtenschaft und Sicherheitswache“). 914 WZ v. 18.  10.  1932, S.  6 („Die Sicherheitswachebeamten für die Auflösung aller Selbstschutzverbände“). 915 Ebd. 916 NFP v. 19. 10. 1932, S. 4 („Der Heimatschutz für außerordentliche Maßnahmen“)  ; RP v. 19. 10. 1932, S. 4 („Der Heimatschutz zur Unterstützung der Staatsexekutive“).

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chen Maßnahmen, wie zum Beispiel der Anwendung des kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetzes nicht zurückschrecken wird. Wenn die Regierung energisch auf diesem Wege vorwärtsschreitet, dürfe sie der Unterstützung des Heimatschutzes jederzeit sicher sein.“917 Die Verstärkung der Polizei durch die Heimwehr war allerdings alles andere als im Sinne des Wiener Polizeipräsidenten Brandl, dessen Verhältnis zu Fey sich in den folgenden Monaten wenig harmonisch gestalten sollte. Am 17. Oktober hielt der Republikanische Schutzbund unter der Leitung von Julius Deutsch eine Versammlung ab, in der Deutsch erklärte, dass sich der Schutzbund immer für die Abrüstung der Selbstschutzverbände eingesetzt habe, diese aber für alle zu gelten habe. Er habe „(hundertmal bewiesen), daß er den Bürgerkrieg nicht wünscht“.918 In seinem ersten Auftritt im Ministerrat setzte Fey am 18. Oktober seine Hetze gegen den Republikanischen Schutzbund fort und versuchte, die Möglichkeit einer Auflösung auszuloten.919 So gestalte sich die Lage aufgrund der „gesteigerte(n) Rührigkeit“ der Sozialdemokraten „ziemlich kritisch“, da diese den Schutzbund „in militärischer und organisatorischer Hinsicht möglichst schlagfertig zu machen“ versuchten, weiters habe die „wüste Agitation (…) die Stimmung (…) außerordentlich radikalisiert“ und „Führer und Parteileitung“ hätten diesen „nicht mehr fest in der Hand“. In Wien verfüge der Schutzbund über 30.000–40.000 Mann, von denen etwa 18.000 mobil seien, „die Lage spitze sich (…) täglich zu und wenn die Regierung nicht von einem plötzlichen Angriff überrascht werden wolle, müsse mit einer groß angelegten Entwaffnungsaktion gegen den Schutzbund vorgegangen werden“. Das Versammlungsverbot „reiche“ vorerst aus, um die Kontrolle zu behalten, jedoch könne es „die große Gefahr (…) nicht bannen“. Heeresminister Vaugoin stellte hingegen fest, dass er nicht mit einem Angriff des Schutzbundes rechne, jedoch bestehe die Möglichkeit, dass „ihnen die Leute aus der Hand kommen“. Bisher habe er „den Sozi 70.000 Gewehre und 705 MGs weggenommen“, sie erhielten jedoch regelmäßig Nachschub aus der Tschechoslowakei. Im Gegensatz zu Fey wies er auch auf die Waffenlieferungen an die NSDAP aus Deutschland hin, hielt aber die bisherigen Maßnahmen für „zweckmäßig“ und sprach sich ebenfalls dafür aus, dass „unbedingt ehestens und möglichst überraschend zu einer durchgreifenden Waffenbeschlagnahme geschritten werden (müsse)“. Ob Vaugoin damit auch die NSDAP meinte, geht aus dem Sit917 Dies war seit der Verfassungsreform 1929 möglich, da der Artikel 10  (7) Polizei und Gendarmerie das Recht einräumte, zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit „sonstige Wach­körper“ zu errichten und zu organisieren, sie zu bewaffnen und ihnen das „Recht auf Waffengebrauch“ zu gestatten. 918 NFP v. 19. 10. 1932, S. 3 („Abgeordneter Deutsch über die Simmeringer Vorfälle“). 919 MRP Nr. 830 v. 18. 10. 1932, Bd. VIII/1, S. 639–641.

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zungsprotokoll nicht hervor. Jakoncig wiederum forderte „eine scharfe Handhabung“ des Pressegesetzes, allenfalls dessen „Verschärfung“ aufgrund des KwEG, woraufhin Schuschnigg einwandte, dass dies nur durch „Einführung der Präventivzensur“ möglich sei, und seinerseits vorschlug, „eine Reform der Schwurgerichtsbarkeit“ durchzuführen. Am 20. Oktober setzte sich Seitz gegen die Angriffe auf die SDAP sowie die einseitigen Maßnahmen gegen sie zur Wehr und brachte eine dringliche Anfrage über „den Verfassungsbruch (…) durch (die) missbräuchliche Anwendung“ des KwEG, die Ernennung „eine(s) Putschisten (…) zum Staatssekretär“ und die Verletzung „der Gleichheit vor dem Gesetz“ durch „das für Wien erlassene einseitige Versammlungsverbot“ ein.920 In einer zweistündigen „brillante(n), alle Register der sarkastischen Ironie, des beißenden Spottes, des prophetischen Pathos wie der Drohung mit der unwiderstehlichen, auch militärischen Gewalt der Arbeiterklasse, ziehenden Rede“ demonstrierte Seitz, so Adam Wandruszka, „seine geistige und rhetorische Überlegenheit in jeder Weise“.921 Scharf verurteilte er das parteiische Verhalten der Polizei und vor allem der Justiz, die zur „Dirne“ der Politik geworden sei.922 Als Dollfuß ihm daraufhin zurief, seine Ausdrucksweise zu mäßigen, antwortete Seitz „mit einer in belehrendem Ton vorgetragenen Darlegung, daß es sich hier um einen durchaus gebräuchlichen Topos handle“923 und er „an die erotische Bedeutung des Wortes eigentlich nicht gedacht (habe), sondern nur an eine soziale Erscheinung(,) und bedaure, (…) die Phantasie des Herrn Bundeskanzlers zu sehr erregt (zu) habe(n)“.924 Unter Protest verließ Dollfuß daraufhin die Regierungsbank, gefolgt von seinem Kabinett und den Abgeordneten der Regierungsparteien. Nachdem Seitz seine Rede beendet hatte, kehrte der Kanzler in den Saal zurück und teilte mit, dass es unter seiner Würde sei, eine Antwort zu geben. Am Tag darauf stand ein von der Großdeutschen Volkspartei und den Sozialdemokraten eingebrachter Misstrauensantrag auf der Tagesordnung.925 Die Debatte eskalierte endgültig, als Otto Bauer die „dieswöchige Gesinnung“ des Kanzlers kritisierte und Dollfuß ihm daraufhin vorwarf, „ständig ein Bolschewik“ zu sein, „der sich nur zur Diktatur des Proletariats, niemals ehrlich zur Demokratie bekennt  !“ Bauer trat daraufhin vor die Regierungsbank und erwiderte, dass er „vor jedem, der ehrlicher Bolschewik ist, Achtung, für Leute, die jede Woche eine andere Gesinnung haben, 920 WZ v. 21. 10. 1932, S. 1 („Nationalrat. 102. Sitzung v. 20. Oktober“). 921 Wandruszka (1982), S. XII. 922 Die Rede ist abgedr. in  : WZ v. 22. 10. 1932, S. 3–6 („Nationalrat. Fortsetzung des Sitzungsberichtes v. 20. d. M.“). 923 Wandruszka (1982), S. XII. 924 WZ v. 22. 10. 1932, S. 5 („Nationalrat. Fortsetzung des Sitzungsberichtes v. 20. d. M.“). 925 WZ v. 22. 10. 1932, S. 6–8 („103. Sitzung v. 21. Oktober“).

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Verachtung“ empfinde. Dollfuß beschwerte sich bei Renner, dass Bauer ihn als „Gesinnungslumpen“ bezeichnet habe, und warf Renner vor, keinen Ordnungsruf erlassen zu haben. Die Diskussionen fanden ein abruptes Ende, als der Abgeordnete des Heimatblocks Fritz Lichtenegger seinem Kollegen Hainzl nacheiferte926 und ein Tintenfass gegen Bauer schleuderte. Handelsminister Jakoncig versuchte zwar, ihn zurückzureißen und rasch alle auf der Ministerbank befindlichen Gegenstände wegzuräumen, die sich als Wurfgeschosse eignen könnten, jedoch gelang es Lichtenegger, noch ein zweites Tintenfass zu ergreifen und gegen die sozialdemokratischen Abgeordnetenbänke zu werfen. Die Sitzung musste unterbrochen werden. Renner sah sich genötigt, aufgrund der „wüste(n) Szenen und offenkundig(n) Gewalt“ eine Obmännerkonferenz einzuberufen. Nach Wiederaufnahme der Sitzung wurde der Misstrauensantrag abgelehnt. Dollfuß erklärte bei einer Sitzung des christlichsozialen Klubvorstandes, dass er „nicht ins Parlament gehe“, solange die Angelegenheit des von Renner nichterteilten Ordnungsrufes nicht aus der Welt geschafft worden sei.927 Die Beschwerden der SozialdemokratInnen gegen die NSDAP-freundliche Einstellung der Exekutive hatten sich nach den Landtagswahlen zu häufen begonnen. Die Linke warf der Polizei vor, bei politischen Auseinandersetzungen scharf gegen SozialdemokratInnen vorzugehen, jedoch die NationalsozialistInnen, sofern sie überhaupt Verhaftungen vornehme, mit geringen Polizeistrafen zu belegen bzw. unbestraft wieder auf freien Fuß zu setzen. In seiner Antrittsrede am 2. Oktober reagierte der neu ernannte Polizeipräsident Brandl928 auf die Vorwürfe der Sozialdemokratie, indem er betonte, dass er an Schobers Grundsatz der überparteilichen Stellung der Polizei festhalten werde.929 Es sei zwar „jedermanns Recht (…), sich den ihm sympathischen Gruppen anzuschließen“, jedoch müsse der Polizist im Dienst seine „Sympathien zurückstellen“. Weiters kritisierte er, dass „in der letzten Zeit (…) die Tätigkeit der Polizisten oft nicht genug hoch eingeschätzt worden (ist)“. Nach Elisabeth Winkler wurden polizeiliche Maßnahmen gegen SozialdemokratInnen tatsächlich weitaus häufiger 926 Hainzl, bereits wegen leichter Körperverletzung und Ehrenbeleidigung vorbestraft, war drei Tage zuvor zu 300 Schilling Geldstrafe verurteilt worden, da er während einer Sitzung des Nationalrates einen Zündstein gegen Otto Bauer geschleudert und diesen am Kopf verletzt hatte. Schon im Dezember 1931 war Hainzl von Nationalratspräsident Renner für sein Benehmen gerügt und ermahnt worden, keine Waffen in den Na­tionalrat mitzunehmen, da er während einer Debatte angeblich einen Revolver gezogen hatte, NFP v. 19. 10. 1932, S. 8 („Der Zündsteinwurf des Abgeordneten Hainzl“). 927 Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 8. 11. 1932, in  : Goldinger (1980), S. 31. Die Aussprache zwischen Dollfuß und Renner fand am 9. November statt, WZ v. 10. 11. 1932, S. 3 („Die Zwischenrufe des Nationalrates Dr. Bauer“). 928 Brandl war seit 1930 kommissarischer Leiter der Wiener Bundes-Polizeidirektion. 929 NFP v. 4. 10. 1932, S. 3f. („Programmrede des Polizeipräsidenten Dr. Brandl“).

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angewendet,930 wie etwa die Beschlagnahme von Presseartikeln, und auch hinsichtlich der Verhaftungen zeigt sich, dass „bei ‚politischen‘ Anlässen gleich welcher Art (…) die Verhaftungen von Sozialdemokraten und Nationalsozialisten in keiner Relation standen“. Brandls Ausführungen und seine Kritik über die seiner Ansicht nach ungerechtfertigten Angriffe auf die Polizei unmittelbar nach dem Gauparteitag riefen den Protest der Sozialdemokratie hervor. Am 8.  Oktober 1932 beschwerte sich die Vertrauensmännerkonferenz der Sozialdemokratischen Partei bei Bürgermeister Seitz über das „parteiische“ Vorgehen zahlreicher Wiener Polizeibeamten und verabschiedete eine Resolution, in der sie „auf das leidenschaftlichste gegen das Vorgehen vieler Polizeiorgane der Wiener Bundespolizei“ Protest einlegte und Seitz aufforderte,931 „bei der Bundespolizeidirektion diesen Protest auf das nachdrücklichste zu vertreten und ein gerechtes, unparteiisches Verhalten zu fordern“. Am 25.  Oktober veröffentlichte dann die „Vereinigung österreichischer Richter und der Verband der österreichischen Staatsanwälte“ eine Entschließung,932 in der sie Seitz’ „Ausfall gegen die österreichische Justiz“ als „rhetorische Entgleisung mit Entrüstung und Entschiedenheit zurück(wies). „Es ist sehr bedauerlich, daß ein langjähriger Parlamentarier, der als erster Bürger Wiens spricht, in unverantwortlicher Weise einen Angriff gegen Richter und Staatsanwälte unternimmt, deren Unantastbarkeit von keinem objektiv Denkenden bisher im Ernst angezweifelt wurde – dies um so mehr, als derartige Aeußerungen zu Missdeutungen und abträglichen Meinungen über Organe der Rechtspflege Anlaß geben könnten. Beide Standesvereinigungen wissen ihre Mitglieder von jeglichem Verdachte missbräuchlicher Amtsführung frei.“

In seiner Erwiderung stellte Seitz fest,933 dass er „in seiner Rede ausdrücklich die unbefangene und unantastbare korrekte Amtsführung der überwiegenden Zahl der österreichischen Justizfunktionäre festgestellt“ habe. Wie schon im Nationalrat führte Seitz mehrere schwere, durch die Heimwehr verursachte Zwischenfälle an, die Tote und Verletzte gefordert hatten und in denen die Justiz keine bzw. unzureichende Ermittlungen vorgenommen hatte. „Nur wenige Fälle habe ich angeführt. Hunderte ließen sich anfügen“, fuhr Seitz fort, und er sehe „jedenfalls das scharfe Wort ‚Dirne‘ mit 930 Winkler (1983), S. 98. Winkler stützt sich dabei auf einen Aktenbestand des Wiener Landesgerichts, der jedoch nicht näher beschrieben ist. Weiters führt sie keine Belege für ihre Einschätzung an. 931 Kl. Bl. v. 9. 10. 1932, S. 5 („Klagen über die Parteilichkeit der Polizei. Eine Erklärung des Bürgermeis­ ters“)  ; vgl. auch RP v. 9. 10. 1932, S. 3 („Sozialdemokratische Attacke auf die Wiener Polizei“)  ; NFP v. 9. 10. 1932, S. 7 („Beschluß der sozialdemokratischen Vertrauensmännerkonferenz“). 932 NFP v. 25. 10. 1932, S. 4 („Ein Protest der Richter und Staatsanwälte“). 933 NFP v. 26. 10. 1932, S. 5 („Der Protest der Richter und Staatsanwälte“).

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Tatsachen belegt, vor allem mit der Tatsache der ungleichen Behandlung von Gesetzesverletzungen“. Es würde ihn „freuen (…), wenigstens nun nachträglich eine gleichartige Behandlung der Justizfälle zu erwirken und wenn sie mir dadurch Gelegenheit böten, meine Meinung zu revidieren. Bis dahin stehe ich zu ihr.“

8. Die Reaktion der Justiz auf die nationalsozialistische Gewalt 8.1 Nationalsozialisten und „Marxisten“ vor den Wiener Gerichten

Karl Seitz’ Kritik an Justiz und Polizei war zwar verständlich, bedeutete aber letztlich, dass politische Delikte vermehrt mit zweierlei Maß gemessen wurden. Ab Herbst 1932 lässt sich in vielen Fällen ein zunehmend parteiisches Verhalten bei der überwiegenden Zahl der Wiener Richterschaft feststellen, die zum Teil tendenziöse Urteile fällte und deren Gangart sich gegen „Marxisten“ merklich verschärfte, während Anhänger der NSDAP mit auffallender Milde rechnen konnten.934 Aufgrund der zahlreichen mehr oder minder schweren Fehlurteile in politischen Prozessen beschloss der sozialdemokratische Parteitag, eine „Evidenzführung über Klassenjustiz“ anzulegen.935 Registriert werden sollten alle politisch motivierten Vergehen gegen SozialdemokratInnen und KommunistInnen, die erhobenen Anklagen und Urteile, gegen politische Gegner der Linken unterlassene Anklagen sowie Freisprüche oder milde Urteilssprüche. Während für die nationalsozialistische Unterwanderung im Bereich der Exekutive, insbesondere für die Zeit nach der Ausschaltung des Parlaments, Untersuchungen vorliegen,936 fehlen bislang Analysen zur Justizpraxis am Ende der Ersten Republik. In einer ersten Durchsicht wurde die Gerichtssaalberichterstattung hinsichtlich politisch motivierter Straftaten im Zeitraum von Anfang April 1932 bis Ende Juni 1933 untersucht und davon über 160 Gerichtsprozesse einer Analyse unterzogen. 937 Die Untersuchung bestätigt die von der Sozialdemokratie vorgebrachten Beschwerden über die parteiische Einstellung der Wiener Richter- und Staatsanwaltschaft und die Verharmlosung sowie Inschutznahme nationalsozialistischer Täter. Anhand der Verhandlungen gegen „Marxisten“ lässt sich der Ablauf der tätlichen Auseinandersetzungen nachvollziehen. Diese begannen meist mit Provokationen seitens der Nationalsozialisten, die etwa in Gemeindebauten eindrangen oder eine Prügelei anzettelten. Beim Eintreffen der Wache erstatteten die Nationalsozialisten Anzeige wegen angeblicher Gewalttätigkeiten, woraufhin die Wache die „Marxisten“ entweder zu zerstreuen begann oder gleich verhaftete. Verärgerte Äußerungen über die Hand934 Für den Untersuchungszeitraum konnte keine wegen einer politischen Auseinandersetzung angeklagte Frau festgestellt werden. 935 Holtmann (1978), S. 55. 936 Winkler (1983)  ; Mähner (1990). 937 Eine umfassende Arbeit zu dieser Thematik befindet sich in Vorbereitung.

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lungsweise der Wache wurden als Amtsbeleidigung, Einmengung in eine Amtshandlung oder Auflaufen geahndet. So betraf der Großteil der Prozesse gegen „Marxisten“ auch nicht Delikte, die gegen Nationalsozialisten, sondern angeblich gegen Polizeibeamte begangen worden waren. Gleichzeitig kann festgestellt werden, dass etwa im Bereich der Wiener SS ein Groß­teil der Angreifer überhaupt nicht der Staatsanwaltschaft angezeigt bzw. mit geringen Geldstrafen polizeilich abgemahnt wurde oder gewalttätige Aktionen von Nationalsozialisten erst gar nicht vor Gericht verhandelt wurden, da die Täter angeblich nicht ausgeforscht werden konnten bzw. die Staatsanwaltschaft die Untersuchung einstellte. Dies betraf etwa das Verfahren gegen jene unbekannten Täter, die in Eisenstadt den stellvertretenden Landeshauptmann Norbert Leser misshandelt hatten.938 Bis Juni 1933 fand kein Verfahren wegen des Überfalls auf den Country Club statt. Auch dieser Fall dürfte eingestellt worden sein,939 da sich in der Zusammenstellung der Evidenzeinträge der Wiener Polizei über Hans Strobl, einen der Anführer, zwar ein Vermerk über die Anzeige der Staatsanwaltschaft an das Landesgericht, jedoch keiner über eine Gerichtsverhandlung oder etwaige Verurteilung auffinden lässt. Bereits erwähnt wurde die Einstellung des Verfahrens gegen jene Nationalsozialisten, die am jüdischen Neujahrstag das Café Sperl überfallen hatten. Ein parteiisches Verhalten der Wiener Richterschaft lässt sich auch hinsichtlich „marxistischer“ EntlastungszeugInnen feststellen, die im Gegensatz zu nationalsozia­ listischen zumeist gar nicht vor Gericht zugelassen wurden. So beantragte etwa der Verteidiger von vier Sozialdemokraten,940 die im April 1932 einen nationalsozialistischen Propagandatrupp davon abhalten wollten, ihren Gemeindebau mit Naziparolen anzuschmieren, die Vernehmung mehrerer Zeugen, woraufhin er von Richter Guntram Wenger mit der Frage konfrontiert wurde, ob „das auch Sozialdemokraten“ seien. Nachdem der Verteidiger erklärt hatte, dass er sich „gegen diese Frage (verwahre)“ und um Protokollierung bat, wies Wenger ihn zurecht und stellte fest, dass er sich „solche Vorwürfe (verbitte)“. Er lehnte den Antrag des Verteidigers ab und verurteilte die Angeklagten. Im Sommer 1934 wurde Wenger „wegen Bemerkungen hochverräterischer Art“ dann selbst dem Landesgericht eingeliefert.941 Auch dem Diensteid von Wachebeamten wurde in Prozessen gegen „Marxisten“ unbedingter Glaube geschenkt, dieser jedoch im Falle von nationalsozialistischen Beschuldigten immer wieder angezweifelt. Fragen der Verteidiger an nationalsozialistische ZeugInnen nach ihrer politischen Ein938 RP v. 21. 1. 1933, S. 8 („Der Ueberfall auf den Landeshauptmannstellvertreter“). 939 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Strobl. Im Wiener Stadt- und Landesarchiv befin­det sich kein diesbezüglicher Akt des Landesgerichts. 940 Kl. Bl. v. 8. 6. 1932, S. 10 („Hakingerwirbel in einem Gemeindebau“). 941 Kl. Bl. v. 1. 8. 1934, S. 7 („Landesgerichtsrat Wenger verhaftet“).

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stellung wurden von der Richterschaft als irrelevant abgewiesen, während dies bei „marxistischen“, sofern sie überhaupt zugelassen wurden, sehr wohl geschah. Die ersten Prozesse über Vorfälle im Zuge der Landtagswahlen 1932 betrafen zunächst harmlose Delikte, insbesondere Nazi-Schmierereien, wobei die Beschuldigten allesamt freigesprochen bzw. die Bewohner von Gemeindebauten, die sich dagegen zur Wehr gesetzt hatten, vor Gericht gestellt wurden. So hatten Nationalsozialisten etwa am 24. April in einem Gemeindebau in der Graumanngasse versucht, die Hauswände zu beschmieren, und wurden daraufhin von den BewohnerInnen hinausgeworfen. Sie erstatteten Anzeige bei der Polizei, die bei ihrer Nachschau den sozialdemokratischen Hauptvertrauensmann des Hauses wegen Einmengung in eine Amtshandlung verhaftete und bei der Staatsanwaltschaft anzeigte. Am 2. Juli wurde dieser vom Bezirksrichter Rudolf Delapina zu zwei Tagen Arrest bedingt verurteilt. 942 Ähnlich verlief auch der Prozess gegen drei „Marxisten“, die im Karl-Marx-Hof gegen eine Gruppe Natio­nalsozialisten eingeschritten waren und sich am 9. August 1932 vor Oberlandesgerichtsrat Alois Osio, der auch den Vorsitz im Schattendorfprozess im Juli 1927 geführt hatte, zu verantworten hatten. Vor Gericht gab der 52-jährige Gustav A. an, dass er hinausgelaufen sei und zu den Nationalsozialisten gesagt habe  : „Ihr könnts nichts als Häuser anschmieren  !“ Daraufhin sei er sofort verhaftet worden. Als „Dauerzeuge“ der Staatsanwaltschaft trat Oberwachmann Weber auf, der gegen alle drei Beschuldigten aussagte. Zwar hatten sich damals einige hundert Personen dort angesammelt, eine Verwechslung schloss er jedoch kategorisch aus. Osio lehnte die Vernehmung von Entlastungszeugen ab und verurteilte einen Angeklagten zu drei Tagen strengen Arrests bedingt auf zwei Jahre und zwei Angeklagte zu je 24 Stunden Arrest bedingt auf ein Jahr.943 Einen ganz anderen Verlauf konnte ein Verfahren allerdings nehmen, wenn ein Nationalsozialist vor Gericht stand, wie etwa der zwanzigjährige Student und Wiener SS-Mann Albert Hagmüller. Am 17. April war ein Wachebeamter in der Wiedner Hauptstraße auf eine größere Ansammlung von Nationalsozialisten aufmerksam geworden, die mit Lederriemen auf einen am Boden liegenden Mann einprügelten.944 Darunter befand sich auch Hagmüller, der zusammen mit fünf weiteren Personen verhaftet wurde. Hagmüller hatte bei seiner Festnahme einen Riemen in der Hand und sein Hemd wies Blutspritzer auf. Der verprügelte Privatbeamte Walter Lehnert musste aufgrund seiner Verletzungen ins Spital transportiert werden. Am 27. Mai fand im Bezirksgericht Margarethen die Verhandlung gegen Hagmüller wegen schwerer Körperverletzung statt. Der Beschuldigte 942 Kl. Bl. v. 2. 7. 1932, S. 10 („Die Hakinger verschweinen Häuser“). 943 Kl. Bl. v. 9. 8. 1932, S. 10 („Hakinger stänkern – Sozialdemokraten werden verurteilt  !“). 944 Kl. Bl. v. 28. 5. 1932, S. 10 („Wehrt euch gegen die Hakingerpest“).

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leugnete, an dem Überfall beteiligt gewesen zu sein. Lehnert identifizierte Hagmüller jedoch eindeutig als jenen Mann, der ihn mit einem Lederriemen, an dessen Ende eine eiserne Schnalle befestigt war, geschlagen hatte. Auch der Wachmann bezeugte, dass er, als er am Tatort eintraf, Hagmüller mit dem Riemen in der Hand gesehen habe. Laut Zeitungsbericht erklärte nun der Verteidiger, dass es „bei Aufmärschen immer üblich“ sei, „den Riemen in der Hand zu haben, (…) damit man parat“ sei. Richter Karl Piska sprach Hagmüller aus Mangel an Beweisen frei und begründete sein Urteil damit, dass bei einer Menge von dreißig bis vierzig Personen in Uniform eine Verwechslung nicht ausgeschlossen sei. Zum Zeitpunkt der Verhandlung war gegen Hagmüller bereits ein weiteres Verfahren beim Bezirksgericht Hietzing anhängig, da er am 12. Mai, also zwei Wochen vor Prozessbeginn, ein Wahlplakat beschädigt hatte.945 In den polizeilichen Evidenzeinträgen findet sich auch in diesem Fall keine Verurteilung. Hagmüller dürfte somit neuerlich freigesprochen bzw. gar nicht erst vor Gericht gestellt worden sein.946 Piska, der seit 1919 der Burschenschaft „Ostmark“ angehörte, war seit Herbst 1931 Mitglied der NS-Betriebszellenorganisation und trat im März 1933 der NSDAP bei.947 945 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Albert Hagmüller. 946 Auch Hagmüllers Vater, Ministerialrat im Bundesministerium für soziale Verwaltung, war kein Unbekann­ter, fungierte er doch als Zellenobmann der NSDAP im Ministerium. Im Februar 1933 wurde Hagmüller jun. wegen Störung der Ordnung neuerlich zur Anzeige gebracht, da er einen Passanten als „Sau-Jud“ be­schimpft hatte, und polizeilich mit acht Schilling oder 18 Stunden Arrest bestraft. Das Straferkenntnis konnte ihm jedoch nicht mitgeteilt werden, da er sein Studium seit Mai 1933 in Deutschland fortsetzte. In den folgenden Jahren kam Hagmüller immer wieder nach Österreich zurück und wurde 1934 neuerlich we­gen Störung der Ordnung mit zehn Schilling bestraft. Nachdem er bereits mehrmals unbefugt nach Deutschland ausgereist war, wurde er im Juni 1935 aus Österreich ausgebürgert, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Albert Hagmüller. Im November 1936 erfuhr die österreichische Gesandt­schaft in Berlin, dass Hagmüller verhaftet worden sei und sich im KZ Sachsenhausen befinde, ÖSTA/AdR, Österreichische Vertretungsbehörden (= ÖVB)/Gesandtschaft Berlin, Zl. 35.987-13/1936, Kt. 32. Im De­zember 2009 wurde ein Teilnachlass von Albert Hagmüller versteigert. Laut dem Katalogtext war Hagmül­ler 1933 in die LSSAH aufgenommen worden, aus der er 1934 zur Fortsetzung seines Studiums im Rang eines Hauptscharführers stehend wieder ausschied. Nachdem er Beamte des Studentenhilfswerks beschul­digt hatte, Studentenunterstützungen nicht weitergeleitet zu haben, wurde Hagmüller vom Studium relegiert und ins Lager der österreichischen SS nach Ranis abkommandiert. 1936 wurde er aus der SS aus­geschlossen, da er das Lager eigenmächtig verlassen hatte, nachdem sein Ansuchen um Fortsetzung des Studiums abschlägig behandelt worden war. Hagmüller wurde im KZ Sachsenhausen interniert, nach Inter­ventionen wurde die „Schutzhaft“ 1937 jedoch in eine „Besserungshaft“ umgewandelt. Nach seiner Entlassung konnte er sein Studium weiterführen, das er als Diplom-Ingenieur abschloss. 1939 wurde er zur Wehrmacht eingezogen und stieg bis 1945 in den Rang eines Hauptmanns auf, Auktionshaus Andreas Thies (2009), 41. Auktion  : Orden und Auszeichnungen, militärhistorische Antiquitäten, geschichtliche Sammlungsge­genstände, Auktion v. 11. und 12. 12. 2009, o. O., S. 298 (www.andreas-thies.de, Stand  : 7. 2. 2010). 947 Zu Piska vgl. ausf. Stadler (2007), S. 344f.

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Zwei Tage nach den Simmeringer Zusammenstößen stand der Nationalsozialist und Oberrevisor des Franz-Josefs-Spitals, Rudolf Eisenbock, der von einem Polizisten beim verbotenen Plakatieren überrascht worden war und diesen mit einem Schlagring zu Boden geschlagen hatte, vor dem Berufungsgericht. Eisenbock war zu einer Woche Arrest verurteilt worden und hatte ebenso wie der Staatsanwalt gegen das Urteil berufen. Der Staatsanwalt zog nun jedoch seine Berufung zurück, und Richter Adolf Neuwirth revidierte das Urteil trotz der Aussage des unter Diensteid stehenden Polizisten auf eine bedingte Geldstrafe von 140 Schilling.948 Am 12. November wurden zwei Schutzbündler, die angeblich einen Wachmann geschlagen hatten, wegen öffentlicher Gewalttätigkeit angeklagt. Der Schöffensenat unter dem Vorsitz Richter Osios verurteilte einen Angeklagten zu einem Monat, den zweiten aufgrund seiner Jugend zu 14 Tagen schweren Kerkers.949 Am 26. Oktober wurde ein Tischlergehilfe, der die Mauer des Westbahnhofs mit der Parole „Für Freiheit und Brot“ beschmiert hatte, von Richter Rudolf Delapina wegen boshafter Beschädigung fremden Eigentums zu drei Tagen Arrest und zum Ersatz von zehn Schilling an die Bundesbahnverwaltung verurteilt.950 Im Gegensatz dazu wurden aufgrund des gleichen Delikts angeklagte Nationalsozialisten freigesprochen.951 Zumindest fragwürdig war auch so mancher von der Staatsanwaltschaft bestellte Belastungszeuge gegen angeklagte Schutzbündler. So trat etwa im Simmeringer Prozess der 22-jährige Student der Rechtswissenschaften und spätere SS-Angehörige Anton Findenigg als Belastungszeuge auf,952 obwohl er im Oktober 1932 im Zuge einer Schlägerei zwischen politischen Gegnern im Justizpalast verhaftet worden war.953 Bei seiner gerichtlichen Einvernahme am 3. Jänner 1933 erklärte er, dass er „seit dem 15. Juli 1927 zu seinem Selbstschutz einen Schlagring aus Aluminium“ mit sich trage.954 Als weiterer Zeuge der Anklage fungierte im Simmeringer Prozess auch 948 Kl. Bl. v. 20. 10. 1932, S. 10 („Heilig ist der Hakenkreuzler“). 949 RP v. 12. 11. 1932, S. 14 („Wieder zwei Schutzbündler vor Gericht“). 950 Kl. Bl. v. 26. 10. 1932, S. 9 („Es gibt nicht zweierlei Recht in Österreich …“). 951 So etwa am 21. 4. 1932, 11. 5. 1932 und 25. 8. 1932, vgl. dazu die Zeitungsberichterstattung. Eine Aus­­ nahme stellte Richter Rudolf Kunze dar, der „Marxisten“ und Nationalsozialisten gleichermaßen frei­ sprach. 952 NFP v. 18. 3. 1933, S. 11 („Alle Zeugenbeweise im Simmeringer Prozeß zugelassen“)  ; AZ v. 18. 3. 1933, S. 9 („Der Naziangriff auf das Simmeringer Arbeiterheim“). 953 NFP v. 19. 10. 1932, S. 3 („Große Rauferei im Justizpalast“)  ; WZ v. 21. 10. 1932, S. 5 („Politische Rauferei im Justizpalast“)  ; NFP v. 4. 1. 1933, S. 6 („Politischer Raufexzess im Justizpalast“). 954 NFP v. 4.  1.  1933, S.  6 („Politischer Raufexzess im Justizpalast“)  ; Kl. Bl. v. 4.  1.  1933, S.  10f. („Der Überfal­lene wird verurteilt“). Am 12. Juni 1933 wurde Findenigg bei Unruhen nächst der Universität fest­­genommen, da bei ihm mehrere Steine und zwei Flaschen Petroleum vorgefunden wurden. Er gab zu, dass er die Gegenstände mitgenommen hatte, um Fenster und Auslagenscheiben zu zertrümmern,

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der 25-jährige SA-Mann Josef Sedlacek,955 der an der Schießerei beteiligt gewesen war. Laut einer Abschrift seiner Evidenzeinträge stand er in der Präsidialevidenz der Bundes-Polizeidirektion Wien „wiederholt (…) in Vormerkung“ und war laut seinen Einträgen im Strafregisteramt956 zwischen 1924 und 1931 vier Mal wegen Vagabundierens, Diebstahls, öffentlicher Gewalttätigkeit und Beleidigung obrigkeitlicher Personen, körperlicher Beschädigung im Raufhandel und Gefährdung der körperlichen Sicherheit gerichtlich verurteilt worden. Der von der Staatsanwaltschaft als Zeuge für den Simmeringer Prozess beantragte 22-jährige SA-Mann Roland Hasenöhrl wurde dann doch nicht vor Gericht einvernommen, nachdem er wenige Tage vor Prozessbeginn selbst als Angeklagter vor Gericht gestanden hatte.957 Hasenöhrl war wegen Betrugs, Diebstahls und Erpressung bereits mehrfach vorbestraft. Anfang 1932 trat er in die NSDAP und SA ein und wurde zum Kassierstellvertreter einer SA-Truppe ernannt. Diese zeigte ihn nun wegen Veruntreuung an, da er einkassierte Spendengelder nicht abgeführt hatte. Vor Gericht verteidigte er sich damit, dass er die Gelder nur für Parteizwecke verwendet habe, indem er sich einen Revolver und, nachdem dieser von der Polizei beschlagnahmt worden war, einen zweiten sowie eine Uniform gekauft und den Rest als Aufwandsentschädigung für seine Ausgaben verwendet habe. Hasenöhrl, der bereits mehrmals in der psychiatrischen Anstalt „Am Steinhof“ behandelt worden war, wurde von der SA zum Einsatz nach St. Pölten und Simmering abkommandiert und mit dem Argument „Geh vor, dir kann nichts passieren, du warst schon am Steinhof“ auch „immer in die erste Linie geschickt“. Die Frage seines Verteidigers, ob er glaube, dass die Anzeige gegen ihn aus politischen Gründen erfolgt sei, da er von den Simmeringer Vorfällen wusste, bejahte der Angeklagte. Der Verteidiger erklärte daraufhin, dass Hasenöhrl täglich mit Staatssekretär Fey im Ministerium konferiert habe und die Anzeige aus politischen Gründen erfolgt sei. Hasenöhrl wurde zu sechs Monaten schweren Kerkers verurteilt. Die Staatsanwaltschaft verzichtete auf seine Einvernahme im Simmeringer Prozess. Aber auch das Verhalten der Nationalsozialisten vor Gericht begann sich zu diesem Zeitpunkt zu ändern, da diese nun unter Duldung der Richterschaft mit Abzeichen und/oder Uniform, die Hand zum Hitlergruß erhoben, in die Gerichtssäle einzogen. ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933. Ein Jahr später wurden bei ihm 2½ Kilogramm Zünd­kapseln und Zündschnüre beschlagnahmt, Auszug aus dem Situationsbericht der GföS v. Juni 1934, ÖSTA/AdR, BKA-AA, Neues Politisches Archiv (= NPA), Liasse Dtld. I/12, Zl. 55.516-13/1934, Kt. 118. 955 AZ v. 19. 3. 1933, S. 9 („Der Naziüberfall auf das Simmeringer Arbeiterheim“). 956 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Josef Sedlacek. 957 RP v. 2. 3. 1933, S. 8 („Einer von der ‚Sturmabteilung  !‘“)  ; Kl. Bl. v. 2. 3. 1933, S. 10 („Steinhof – SA – Landes­gericht“).

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So etwa auch beim Simmeringer Prozess, bei dem die nationalsozialistischen Belastungszeugen „entweder S.A.-Uniform oder wenigstens unter dem Mantel das Braunhemd trugen“.958 Das Ersuchen der Verteidiger, die Parteiabzeichen zu entfernen, blieb zumeist unbeachtet, wie beispielsweise durch Richter Delapina, der einen derartigen Antrag des Verteidigers schlichtweg ignorierte.959 Zu einem „bemerkenswerten Zwischenfall“ kam es laut Neuer Freier Presse am 1. März 1933,960 als Richter Alfred Amtmann einen jugendlichen Nationalsozialisten als Zeugen aufrief, der in SA-Uniform, „geschmückt mit Sturmabzeichen und Hakenkreuz“, vor Gericht erschien, woraufhin der Verteidiger vor seiner Einvernahme beantragte, dass er das Hakenkreuz-Abzeichen ablegen solle, da im Gerichtssaal jede Politik auszuschalten sei. Amtmann lehnte den Antrag mit der Begründung ab, er könne „niemanden zwingen, das Hakenkreuz abzulegen, ebenso wenig, wie ich jemanden zwingen könnte, das Zeichen mit den drei Pfeilen im Gerichtssaal nicht zu tragen. Meinetwegen kann sich jeder aufhängen, was er will.“ Innerhalb der Wiener Richterschaft waren es vor allem die beiden Richter Theodor Mayer-Maly, der dem Bezirksgericht I zugeteilt war, und Landesgerichtsrat Josef Standhartinger, der hauptsächlich Presseprozesse verhandelte, die dem Rechtsruck innerhalb der Justiz nicht nachgaben. So schritt Standhartinger rigoros gegen antisemitische Ausfälle der NS-Presse ein, die nicht nur zu drastischen Geldstrafen verurteilt wurde, sondern auch seine ausführlichen Urteilsbegründungen abzudrucken hatte. Mehrere Urteile Mayer-Malys gegen Nationalsozialisten wurden von seinen Kollegen im Berufungsverfahren allerdings wieder aufgehoben bzw. das Strafmaß deutlich reduziert. So verurteilte Mayer-Maly am 25. Jänner 1933 den NS-Bezirksrat Bruno Schuster und den SA-Führer Anton Thür wegen Einmengung in eine Amtshandlung zu je dreißig Schilling Geldstrafe oder drei Tagen Arrest.961 Die beiden hatten im Dezember 1932 einen Wachmann mit Fußtritten traktiert, der versucht hatte, einen Nationalsozialisten daran zu hindern, ein sozialdemokratisches Plakat herunterzureißen. MayerMaly folgte den Aussagen des Wachmanns und wies die Aussagen von 18 nationalsozialistischen Zeugen in seiner Urteilsbegründung damit zurück, dass „die Aussagen von Demonstranten, die selbst bei der strafbaren Handlung mitgetan hätten, und die nur durch einen Zufall nicht selbst angeklagt worden seien, nicht sehr glaubhaft erscheinen“. Im April 1933 wurde das Urteil vom Berufungsgericht wieder aufgehoben, da Richter Rudolf Kunze nun den Aussagen der Zeugen und nicht jener des unter Dienst958 NFP v. 17. 3. 1938, S. 8 („Wachebeamte und Nationalsozialisten über die Simmeringer Ausschreitungen“). 959 Kl. Bl. v. 30. 10. 1932, S. 18 („Das Naziabzeichen und der Herr Richter“). 960 NFP v. 2. 3. 1933, S. 9 („Jeder kann sich aufhängen, was er will.“). 961 Kl. Bl. v. 25. 1. 1933, S. 10 („Nazi leisten der Polizei keinen Widerstand“).

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eid aussagenden Wachmanns folgte.962 Im März 1935 trat Kunze der NSDAP bei,963 für die er u.a. als Blockwart, als Rechtsberater im Rassenpolitischen Amt des Gaus Wien und kommissarischer Gauführer des NS-Rechtswahrerbundes Wien fungierte. Nach dem „Anschluss“ wurde er zum Landesgerichtsdirektor des Landesgerichts für Strafsachen Wien und später zum Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts Wien ernannt. Das Volksgerichtsverfahren gegen ihn wurde 1946 eingestellt. Auch politische Äußerungen wurden von Mayer-Maly sofort unterbunden, wie etwa in der Verhandlung gegen den Sohn des sozialdemokratischen Bezirksrates Peter Seleskovic,964 der von nationalsozialistischen Studenten in der Universität verprügelt worden war. Seleskovic hatte versucht, durch eine Glastür ins Freie zu gelangen, die dabei zu Bruch gegangen war, wodurch sich der Nationalsozialist Walter Resek an der Hand verletzt hatte. Dieser hatte Seleskovic wegen Körperverletzung angezeigt, der sich infolgedessen nun vor Gericht verantworten musste. Der Beschuldigte legte dem Gericht ein amtsärztliches Parere vor, in dem mehrere Rissquetschwunden und Schwellungen bestätigt waren, und auch die nationalsozialistischen Belastungszeugen gaben vor Gericht zu, dass er von ihren Parteigenossen verfolgt worden sei. Als der angeblich Geschädigte Walter Resek den Gerichtssaal in SA-Uniform betrat und die Hand zum Hitlergruß erhob, wurde er von Mayer-Maly gerügt und ihm im Wiederholungsfall eine Disziplinarstrafe angedroht. Der Angeklagte wurde wegen begründeter Notwehr freigesprochen. Massive Kritik seitens der linken Opposition rief gleichfalls hervor, dass in jenen Fällen, bei denen die Angeklagten aufgrund von Notwehrhandlungen freigesprochen worden waren und die Gerichte festgestellt hatten, dass zuvor ein Angriff durch Natio­ nalsozialisten stattgefunden hatte, die Staatsanwaltschaft keine Verfahren gegen die tatsächlichen Täter einleitete. In über 160 Fällen konnte nur ein Verfahren ermittelt werden, wo ein Richter der Staatsanwaltschaft nahelegte, die vorgeblichen Zeugen als Täter vor Gericht zu stellen. Bezeichnenderweise handelte es sich dabei um Richter Standhartinger.965 962 Kl.  Bl. v. 4.  4.  1933, S.  10 („Der Diensteid gilt nichts“). Bruno Schuster, der im Oktober 1928 der NSDAP beigetreten war, hatte seine Kampfkraft bereits beim Zionistenkongress und bei den Schlägereien anlässlich des Films „Im Westen nichts Neues“ unter Beweis gestellt. Nach dem Verbot der NSDAP wurde er mehr­fach verhaftet und befand sich insgesamt 385 Tage in Polizei- und Untersuchungshaft sowie im Anhaltela­ger Wöllersdorf. Im Juni 1935 flüchtete er nach Deutschland und trat im Jänner 1937 der SS bei, BArch (ehem. BDC), SSO  : Bruno Schuster  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Bruno Schuster. 963 Zu Kunze vgl. ausf. Stadler (2007), S. 327f. 964 NFP v. 25. 11. 1932, S. 9 („Die letzten Studentenkrawalle an der Universität“)  ; Kl. Bl. v. 25. 11. 1932, S. 10 („Drei gegen einen“). 965 Kl. Bl. v. 24. 1. 1933, S. 10 („Rechter oder linker Daumen  ?“).

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Während die Sicherheitskräfte ihre Suche nach den Waffendepots des Republikanischen Schutzbundes intensivierten und beinahe täglich die Lokale der Sozialdemokratie im gesamten Bundesgebiet überprüften, verlagerten die NationalsozialistInnen mangels der Möglichkeit, ihre Krawalle „unter freiem Himmel“ stattfinden zu lassen, die Kämpfe unter weitgehender Duldung des Rektorats vermehrt an die ohnedies hart umkämpften Universitäten. Besonders in Wien und Innsbruck966 hatten die NationalsozialistInnen viele AnhängerInnen unter den Studierenden.967 Die Situation für jüdische HörerInnen hatte sich bereits im Herbst 1931 massiv verschärft, nachdem die vom Akademischen Senat beschlossene Studentenordnung, die eine nach „Abstammung und Muttersprache“ getrennte Vertretung vorsah, im Juni 1931 vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben worden war.968 Nach der Statistik der Universität Wien für das Wintersemester 1931/32969 betrug der prozentuelle Anteil der jüdischen Studierenden insgesamt 18,83 Prozent. Am stärksten waren jüdische Studierende an der Medizinischen Fakultät mit 31,3 Prozent vertreten, gefolgt von der juristischen mit 16,8 und der philosophischen mit 14,25 Prozent. An der TU waren von den 3.412 Studierenden 408 Juden und Jüdinnen. Die Proteste der Israelitischen Kultusgemeinde gegen die unhaltbar gewordenen Zustände an den Universitäten brachten keine Besserung der Lage. So hob etwa der damalige Unterrichtsminister Emmerich Czermak nach einer Vorsprache des Präsidenten und der beiden Vizepräsidenten der Israelitischen Kultusgemeinde im November 1931 wegen der ständigen Übergriffe auf jüdische Studierende in einer amtlichen Verlautbarung „die Bemühungen der deutschen Studentenschaft hervor, trotz einzelner unliebsamer Vorfälle(,) die Ruhe und den ungestörten Studienbetrieb an den Hochschulen aufrecht zu erhalten(,) und richtete an die Deputation das Ersuchen, auch auf die Kreise der jüdischen Studenten dahin zu wirken, daß ihrerseits jeder Anlaß zur Entstehung neuer Unruhen vermieden werde“.970 Die zionistische Wochenzeitung Die 966 Vgl. dazu ausf. Gehler (1989), S. 263–288. 967 Carsten (1977), S. 184. 968 Am 20.  März 1930 beschloss der Akademische Senat der Universität Wien eine Studentenordnung, die Rek­tor Wenzel Gleispach am 8.  April kundmachen ließ. Dadurch war mithilfe der konservativen Professo­renschaft und der Deutschen Studentenschaft eine nach „Abstammung und Muttersprache“ getrennte Stu­dierendenvertretung geschaffen worden. Die vier Studierendengruppen waren „verschiedenberechtigt“, da nur die Deutsche Studentenschaft ein Koalitionsrecht besaß, nicht aber die nichtdeutschen und gemischten Studierendennationen sowie all jene Studierenden, die keiner Nation angehörten. Im Juni 1931 hob der Verfassungsge­richtshof die Studentenordnung aus formalrechtlichen Gründen wieder auf, vgl. Fenz (1979), S. 125–145  ; Lichtenberger-Fenz (1990). 969 Die Stimme v. 24. 3. 1932, S. 10 („Der jüdische Hochschüler“). 970 NFP v. 25. 11. 1931, S. 4 („Die Vorgänge an der Wiener Universität“)  ; Die Stimme v. 26. 11. 1931, S. 1 („Studentenrecht oder legalisierter Terror“).

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Stimme protestierte dagegen, dass Czermak „die jüdische Studentenschaft (verleumdet), wenn er, wenn auch nur andeutungsweise, die jüdischen Studenten der Ruhestörung bezichtigt“.971 Auch die „Union österreichischer Juden“ erhob in einem Telegramm an die Bundesregierung „schärfsten Einspruch gegen die Einführung einer auf dem Grundsatz der sogenannten Volksbürgerschaft aufgebauten Studentenordnung“ und verwahrte sich insbesondere dagegen, dass in dem amtlichen Kommuniqué von „jüdischer Volkszugehörigkeit“ gesprochen wurde, da sie darin einen Verstoß gegen die österreichische Verfassung sah, die nur die Terminologie „österreichische Staatsbürger jüdischen Glaubens“ kenne.972 Zwei Tage später jagten nationalsozialistische Studierende jüdische und sozialistische HörerInnen aus der Aula der Universität über die Freitreppe auf die Ringstraße und besetzten die Rampe und den Gehsteig vor der Universität. Als sich die Hinausgedrängten zur Wehr setzten, wurden sie von den Nationalsozialisten über die Ringstraße auf das gegenüberliegende Trottoir vertrieben. Der herbeigeeilten Polizeiverstärkung gelang es, die Ruhe wiederherzustellen. Zwei sozialistische Studenten wurden verletzt, zwei Nationalsozialisten verhaftet. An den Krawallen war laut Zeugenaussagen als Führer der Sturmtruppe auch Hans Mußil beteiligt, der bereits im Juli anlässlich von Hochschulkrawallen verhaftet und nach §§ 81, 153 StG (öffentliche Gewalttätigkeit und schwere körperliche Beschädigung) angezeigt, aber nie vor Gericht gestellt worden war.973 Nach dem „Simmeringer Blutsonntag“ intensivierten sich ab Herbst 1932 die Kämpfe an den Universitäten neuerlich. Den Auftakt machten am Vormittag des 17. Oktober Überfälle von nationalsozialistischen Studenten an der TU auf jüdische und sozialistische Studierende. Wenig später kamen auch angeblich „universitätsfremde Elemente in die Aula“, die unter dem Schlachtruf „Rache für Simmering“ den „Auftakt zu unerhörten Szenen“ gaben.974 Mit Gummiknüppeln, Messern und Stahlruten bewaffnet gingen die Nationalsozialisten auf die Studierenden los und schlugen auf am Boden liegende Hörer ein. Als sich „mehrere Pedellen (…) der angegriffenen Studenten annahmen“, wurden auch diese verprügelt. Der Rektor ordnete die sofortige Räumung der Aula an. Vor der TU hatte bereits ein größeres Aufgebot der Sicherheitswache das Gebäude von allen Seiten zerniert. Der nationalsozialistische Überfall forderte zwölf Schwerverletzte. Zur gleichen Zeit kam es auf dem Gang vor der philosophischen Fakultät der Haupt­universität zu Zusammenstößen, wo größere Gruppen Nationalsozialisten durch 971 Die Stimme v. 26. 11. 1931, S. 1 („Studentenrecht oder legalisierter Terror“). 972 NFP v. 26. 11. 1931, S. 5 („Das Studentenrecht und die jüdische Studentenschaft“). 973 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Musil (sic  !). 974 NFP (Abendblatt) v. 17. 10. 1932, S. 4 („Schwere Ausschreitungen an der Technik“).

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Abb . 44    : Ausschreitungen an der Universität Wien, 1931, BPD Wien

die Gänge zogen und Studierende misshandelten, von denen acht verletzt wurden.975 Die vor der Universität postierte Wache eilte, als aus der Aula Hilferufe auf die Straße drangen, auf die Rampe, einige Wachebeamten betraten auch den vorderen Teil der Aula, zogen sich aber, als wieder Ruhe eingetreten war, auf die Rampe zurück. Rektor Othenio Abel, laut der jüdischen Wochenzeitung Die Stimme „selbst ein notorischer Hakenkreuzler“,976 der ebenso wie die ehemaligen Rektoren Wenzel Gleispach und Hans Übersberger von der NSDAP mit „Ehrenkarten“ für Parteiveranstaltungen beteilt wurde,977 war mittlerweile in der Aula erschienen und goss noch Öl ins Feuer, indem er den HörerInnen mitteilte, dass er eine Rektorenkonferenz einberufen habe, „die sofort tagen und gegen die Simmeringer Vorfälle Beschlüsse fassen werde“.978 Nachdem der Kreisleiter der Deutschen Studentenschaft, Theodor Blahut,979 ebenfalls zu den Stu975 NFP (Abendblatt) v. 17. 10. 1932, S. 4 („Nationalsozialistische Krawalle an der Technik“). 976 Die Stimme v. 20. 10. 1932, S. 2 („Die Hakenkreuzexzesse an den Wiener Hochschulen“). 977 Alfred Eduard Frauenfeld an die H.A. II v. 28. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 978 NFP v. 18. 10. 1932, S. 5 („Sperrung aller Wiener Hochschulen“)  ; WZ v. 18. 10. 1932, S. 6f. („Unruhen auf den Hochschulen“). 979 Zu Blahut vgl. Gehmacher (1994), S. 182, 191.

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dentInnen gesprochen hatte, räumten die NationalsozialistInnen die Universität. Wenig später beschloss die Rektorenkonferenz „insbesondere zum Protest gegen die gestrigen Vorfälle“, die Sperre der Wiener Hochschulen auf drei Tage. Diese würde erst dann aufgehoben werden, wenn „die Bundesregierung ausreichende Sicherheiten gegeben hat, daß sich derartige Vorfälle, wie sie sich gestern in Simmering ereignet haben, nicht wiederholen“. Abel „ersuch(te) die deutsche Hörerschaft, Ruhe zu bewahren“ und ihn dadurch in seinem „energischen Bestreben zu unterstützen“. Der sozialistische Hochschulausschuss protestierte in einer Note an Abel, „daß sich durch dessen einseitige parteipolitische Denunziation die Hochschulreaktion in das nationalsozialistische Lager begeben habe und um so schärfer bekämpft werden werde“. Die hinsichtlich nationalsozialistischer Überfälle auf jüdische und sozialistische Studierende ansonsten recht zurückhaltende Reichspost kritisierte das Vorgehen des Rektors ebenfalls scharf, denn „so sehr die Entrüstung“ über Simmering auch „gerechtfertigt ist, kann es nicht die Aufgabe einer Rektorenkonferenz sein, Forderungen und Drohungen, wie Schließung der Hochschulen, an die Regierung zu stellen“. 980 Nach einer „Aussprache“ mit Dollfuß musste Abel die Universität für Inskriptionen, Prüfungen und InstitutsmitarbeiterInnen gegen Vorweisung einer entsprechenden Legitimation wieder öffnen. Abel hatte damit praktisch das Fanal zum Angriff gegeben. Als er am 20. Oktober „nach neuerlicher Rücksprache mit den Vertretern der Deutschen Studentenschaft“ die Sperre der Universität wieder aufhob,981 dem sich auch die übrigen Rektoren anschlossen, kam es zu tagelang andauernden nationalsozialistischen Krawallen an den Universitäten. Am 22. Oktober 1932 gaben Gleispach und Übersberger den beiden in Simmering erschossenen Nationalsozialisten die letzte Ehre, indem sie beim Leichenzug die chargierten Wiener Burschenschafter anführten.982 Wie ernst Abel seine Zusicherung, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, tatsächlich meinte, macht ein Vorfall am 26. Oktober deutlich, als drei Mitglieder des jüdischen Hochschulausschusses, die wegen der letzten Ausschreitungen beim Rektor vorsprechen wollten, von nationalsozialistischen Studenten bedroht wurden und nur unter dem Schutz des Oberpedells zum Rektorat gebracht werden konnten.983 Abel versicherte ihnen, dass er für die Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung sorgen werde. Als die Studenten nach Ende der Unterredung die Kanzlei verlassen wollten, teilte ihnen der Direktor der Rektoratskanzlei mit, dass sich eine große Zahl Nationalsozialisten angesammelt hätte. Der Pedell erklärte,984 „daß sich inzwischen in der Aula die ganze S.S. 980 RP v. 18. 10. 1932, S. 6 („Die Wiener Hochschulen auf drei Tage geschlossen“). 981 NFP (Abendblatt) v. 20. 10. 1932, S. 1 („Die Wiedereröffnung der Hochschulen“). 982 DÖTZ v. 23. 10. 1932, S. 2 („Die Aufbahrung im Adolf-Hitler-Haus“). 983 NFP v. 26. 10. 1932, S. 5 („Neue Unruhen an der Universität“). 984 Die Stimme v. 27. 10. 1932, S. 1 („Der Hakenkreuzterror an der Wiener Universität“).

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und S.A. der Hakenkreuz-Studenten, ungefähr 300 an der Zahl, versammelt hätten und daß er – wortwörtlich so – für das Leben der drei Personen nicht garantieren könnte“. Der Rektor bot daraufhin an, die drei Vertreter von mehreren Pedellen ins Freie geleiten zu lassen, was diese „als lächerlich und entwürdigend“ ablehnten, „da sie als Vertreter eines Teiles der Wiener Studentenschaft sich nicht wie zum Tode verurteile Neger durch einen nach Lynchjustiz dürstenden Mob eskortieren lassen könnten“. Die Studenten saßen stundenlang in der Kanzlei fest, da immer wieder Pedellen versicherten, dass es unmöglich für sie sei, das Rektorat zu verlassen. Am späten Nachmittag wurden sie schließlich über eine Geheimtreppe durch eine Hinterpforte aus der Universität ins Freie geschmuggelt. In der Aula war zwischenzeitlich ein jüdischer Student durch Hiebe auf den Kopf schwer, ein weiterer leicht verletzt worden.985 Im Physiologischen Institut stürmten NationalsozialistInnen kurz vor Beginn der Vorlesung Hofrat Arnold Durigs den Hörsaal, riefen in den Saal  : „Schon wieder alles voll  ! Wir bodenständigen Hörer können keinen Platz finden“  !, und trieben daraufhin mittels Hundspeitschen und Fausthieben jüdische und sozialistische Studierende aus dem Hörsaal. Die schweren Ausschreitungen breiteten sich wenig später auf die Gänge aus und fanden im Anatomischen Institut986 sowie im Hauptgebäude eine Fortsetzung. Insgesamt wurden 18 Studierende verletzt.987 War die Misshandlung jüdischer und sozialistischer HörerInnen inzwischen Teil des studentischen Alltags geworden, was die Verantwortlichen mit halbherzigen Erklärungen und der zeitweiligen Schließung der Hochschulen quittierten, ließen sich die Krawalle Ende Oktober nicht mehr einfach ignorieren. „Nun ist die Bescherung da“, verkündete die Neue Freie Presse am 27. Oktober in ihrem Leitartikel und berichtete, 985 NFP v. 26. 10. 1932, S. 5 („Neue Unruhen an der Universität“). 986 Ein Grund für die zahlreichen Übergriffe nationalsozialistischer Studierender gerade am Anatomischen Insti­tut war, dass oft nicht genügend Leichen für den Unterricht zur Verfügung standen und die nationalso­ zialistischen Studierenden sich auf den Standpunkt stellten, dass „kein Jude eine christliche Leiche anrüh­ren“ dürfe, solange sie selbst „kein Leichenmaterial zu Studienzwecken beisteuern“. Aufgrund der religiö­sen Vorschriften musste jedoch ein jüdischer Verstorbener binnen eines Tages bestattet werden, Anonymes und undatiertes Schreiben, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 20. Weiters war im Juni 1932 der jüdische Professor Ernst Peter Pick zum Dekan der Medizinischen Fakultät gewählt worden. Die deutsche Studentenschaft hatte daraufhin ein Flugblatt in Umlauf gebracht, in dem sie gegen Picks Ernennung protestierte und erklärte, dass sie „nach wie vor (…) auf ihrem 1923 kundgetanen Standpunkt (steht), daß Professoren jüdischer Volkszugehörigkeit akademische Würdestellen nicht bekleiden dürfen“. Pick solle „bedenken“, dass er „sich an einer deutschen Hochschule befinde(t) und daß die deutschen Studenten als ihre Führer nur deutsche Lehrer anerkennen  !“, NFP v. 26. 6. 1932, S. 9 („Die Deutsche Studentenschaft gegen den neuen Dekan der medizinischen Fakultät“)  ; RP v. 26. 6. 1932, S. 11 („Ruhe auf der Wiener Universtität“). 987 NFP (Abendblatt) v. 26. 10. 1932, S. 2 („Schlägerei im Physiologischen Institut“)  ; NFP v. 27. 10. 1932, S. 3 („Neuerliche Schließung der Universität“).

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dass „die widerlichen Prügeleien an der Universität, die leider zu einer Art sportlichen Veranstaltung unverantwortlicher Elemente geworden sind, (…) nicht nur zu einer neuerlichen Schließung der Hochschule geführt, sondern auch eine hochnotpeinliche diplomatische Aktion zur Folge gehabt“ hätten.988 Aufgrund der Vorfälle hatten sich nämlich vier verprügelte amerikanische Studenten an ihren Gesandten gewandt, der bei Dollfuß Beschwerde einlegte. Rektor Abel wurde nun unverzüglich zu Unterrichtsminister Anton Rintelen zitiert, der ihm androhte, bei Wiederholung derartiger Vorfälle eine Sistierung der akademischen Privilegien vorzunehmen. Abel musste sich dafür verbürgen, für Ruhe und Sicherheit zu sorgen und sich persönlich beim amerikanischen Gesandten zu entschuldigen. Noch am Abend berichtete er am Ende eines von der deutschen Studentenschaft organisierten Vortrags von Gleispach zum Thema „Aufgaben des Akademikers in der Volksgemeinschaft“ über die Ankündigungen Rintelens und fand nun – endlich – die richtigen Worte  : „Deutsche Geburt und Volkszugehörigkeit geben noch nicht das Recht, auf alles andere herabzusehen.“ Auch Gleispach „verurteilte (…) die Vorfälle aufs schärfste“ und erklärte,989 er „(missbillige) (…) die Anschauung, daß an der Universität nur deutsche Studenten studieren sollen, (…) da man fremdes Volkstum kennen lernen und studieren müsse“. Die „deutschen“ müssten „den Wettbewerb mit den fremdvölkischen Studenten im Studium aufnehmen und den Ehrgeiz haben, dort die ersten zu sein. (…) Eine Überfremdung unserer Hochschulen sei allerdings nicht wünschenswert, sie sei abzuwehren. Man dürfe dabei aber nur mit geistigen Waffen kämpfen. Ausschreitungen irgend welcher Art könnten nie ein Mittel sein, um das zu erreichen, was wir wollen, das müsse der Redner den deutschen Studenten in dieser ernsten Stunde als Freund sagen. (…) Wenn wir (…) weiterhin an der Freundschaft zu Ihnen festhalten, so könnte der Anschein entstehen, als ob wir solches Vorgehen billigen. Diesen Anschein können wir nicht entstehen lassen. (…).“

Die Protestnote des amerikanischen Gesandten war jedoch nur der Beginn der diplomatischen Peinlichkeiten, da kurz darauf auch der rumänische und der polnische Gesandte eine Protestnote mit beigefügten ärztlichen Attesten über die Misshandlungen ihrer an den Wiener Hochschulen studierenden StaatsbürgerInnen an das Bundeskanzleramt richteten.990 Die Neue Freie Presse kritisierte neuerlich das bisherige lasche Vor988 NFP (Abendblatt) v. 27. 10. 1932, S. 1 („Die Folgen der Universitätsskandale“), WZ v. 28. 10. 1932, S. 4 („Die Vorfälle an der Wiener Universität“). 989 WZ v. 28. 10. 1932, S. 4 („Die Vorfälle an der Wiener Universität“). 990 NFP v. 28. 10. 1932, S. 2 („Intervention des rumänischen Gesandten beim Bundeskanzleramt“)  ; ebd., 29. 10. 1932, S. 5 („Protestnote der polnischen Gesandtschaft gegen die Insultierung von Studenten“).

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gehen der Verantwortlichen und stellte fest,991 dass „die Inländer (…) nach den bisher gemachten Erfahrungen vogelfrei (sind). Sie dürfen geprügelt werden, ohne daß denen, die Fausthiebe oder Fußtritte austeilen, aus solcher Betätigung erhebliche Unannehmlichkeiten erwachsen. Hingegen hat der fremde Student in Hinkunft den Anspruch darauf, unbehelligt seinen Studien nachgehen zu dürfen. Was bei Einheimischen keineswegs so selbstverständlich ist, wie man glauben sollte. Wenn das nächste Mal die Tür der Universitätsbibliothek oder eines Hörsaales aufgerissen wird und der Schlachtruf ertönt  : ‚Juden hinaus  !‘, so gilt das natürlich bloß für die hiesigen.“

Genau dies trat nach Öffnung der Universität auch ein, als am 3. November nationalsozialistische Studierende im Anatomischen Institut Flugzettel verteilten, in denen die jüdischen HörerInnen aufgefordert wurden, den Hörsaal nicht zu betreten, sondern sich auf die Galerie zu begeben, um Zwischenfälle zu vermeiden. Vor der Tür waren Posten aufgestellt, die nur Juden und Jüdinnen mit ausländischer Staatsbürgerschaft in den Hörsaal einließen.992 Um die Sicherheit der StudentInnen zu gewährleisten, wurden zwar ein Legitima­ tionszwang eingeführt und die Pedellen durch einen Ordnerdienst verstärkt, aber erst die Überfälle auf katholische Studierende durch Nationalsozialisten in den folgenden Wochen führten zu einem energischen Einschreiten gegen die Deutsche Studentenschaft. Die ersten Krawalle ereigneten sich ab Mitte November an den Universitäten in Graz, Innsbruck und Leoben. In Wien eskalierte die Situation am 2. Dezember während des Kreistages der Deutschen Studentenschaft.993 Die „Störungen“ hatten „zunächst noch inoffiziellen Charakter“, als die „Waffenstudenten“ am Eröffnungstag das Studentenfreikorps (Heimwehr) und den Cartell-Verband (CV) mit Schmährufen bedachten, sie mit faulen Eiern bewarfen und den Ruf „Ohne Juda, ohne Rom bauen wir Alldeutschlands Dom“ anstimmten. Nach Abschluss des Samstagsbummels überfielen dann uniformierte nationalsozialistische Studenten die CV-Anhänger und schlugen mit Stahlruten, Gummiknütteln und anderen Waffen auf ihre Gegner ein. Auch die von Rektor Abel zur Unterstützung der Universitätsschutzwache abgestellten SA-Studenten hieben „auf die ‚Katholen‘ ein, solange (noch) einer da war“. Unter den zahlreichen Verletzten befanden sich nicht nur alle katholischen Studentenschaftsführer, sondern auch der Sohn von Bundespräsident Wilhelm Miklas. 991 NFP v. 28. 10. 1932, S. 4 („Prügel, ausschließlich für Inländer“). 992 NFP v. 3. 11. 1932, S. 3 („Wiedereröffnung der Universität“). 993 RP v. 4. 12. 1932, S. 7f. („Wüste Ausschreitungen an der Wiener Universität“), NFP v. 4. 12. 1932, S. 4 („Die deutsche Studentenschaft gesprengt“).

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Der Vorstand der katholischen deutschen Studentenschaft fasste aufgrund der Vorfälle den Entschluss, ihren Mitgliedern den Austritt aus der Deutschen Studentenschaft aufzutragen und eine katholische deutsche Hochschülerschaft zu schaffen. Vom Rektorat der Universität wurde nun sogar ein Untersuchungsausschuss eingesetzt, der die Vorfälle überprüfen sollte.994 Die „völkische Front“ und der NS-Studentenbund wurden beauftragt, bis zum Abschluss der Untersuchung die Geschäfte des Deutschen Studentenbundes weiterzuführen. Den Amtswaltern der katholischen Studentenschaft, die zur Liquidierung ihrer Ämter die Räumlichkeiten der Deutschen Studentenschaft betreten wollten, wurde dies von uniformierten Nationalsozialisten verboten. Der Rektor verfügte nach Protest der katholischen StudentInnen die Schließung der Räumlichkeiten.995 Die ersten Prozesse im Zusammenhang mit den Ausschreitungen an der Wiener Universität nach Aufhebung der Studentenordnung durch den Verfassungsgerichtshof hatten im Frühjahr 1932 stattgefunden und zu überraschenden Urteilen geführt. Lässt sich im Einzelfall als Entlastung für Fehlurteile in Prozessen gegen „Marxisten“ noch ins Feld führen, dass die Rekonstruktion des Tathergangs für die Justiz aufgrund der ständigen tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen paramilitärischen Gruppen oftmals nicht oder nur schwer zu bewerkstelligen war, zeigen jene Fälle, in die Juden/Jüdinnen involviert waren, die entschieden pronationalsozialistische und antisemitische Einstellung der Wiener Justiz. 8.2 Juden und Nationalsozialisten vor Wiener Gerichten

Am 6. April 1932 fand vor einem Schöffensenat unter Vorsitz des Landesgerichts­ rates Osio ein Prozess über die damaligen Unruhen statt. Angeklagt waren weder Nationalsozialisten noch „Marxisten“, sondern ein jüdischer Student, der sich angeblich nicht schnell genug entfernt hatte und von einem Wachmann daraufhin festgenommen wurde. Osio verurteilte den Studenten zu zwei Tagen bedingten Arrests.996 Ebenfalls verurteilt wurde ein jüdischer Student,997 der im September 1931 bei Krawallen an der Universität von einem Nationalsozialisten mit den Worten „stinkender Saujud“ beschimpft und angerempelt worden war. Im darauffolgenden Handgemenge riss er ihm das Abzeichen ab und beschädigte dabei ein Knopfloch des Mantels. Der Student 994 WZ v. 6. 12. 1932, S. 4 („Die deutsche Studentenschaft aufgelöst“). 995 NFP v. 6. 12. 1932, S. 3 („Die Amtsräume der ‚Deutschen Studentenschaft‘ gesperrt“). 996 Kl. Bl. v. 6. 4. 1932, S. 11 („Juden haben schnell zu gehen“). 997 Kl. Bl. v. 12. 4. 1932, S. 10 („Ein Hakinger will achtzig Schilling“).

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wurde wegen Sachbeschädigung zu fünf Schilling Geldstrafe verurteilt, im April 1932 jedoch vom Berufungsgericht wegen berechtigter Notwehr freigesprochen. Anlässlich der Studentenunruhen im Jänner 1932998 wurde ein jüdischer Student verhaftet, der mit seinem Freund von einer 15-köpfigen Nazi-Truppe verfolgt worden war. Während sein Freund entkommen konnte, wurde er zu Boden geworfen und mit Schlägen auf den Kopf und Fußtritten misshandelt, was von einem zufällig anwesenden Universitätsprofessor beobachtet wurde. Nachdem sich einer der Nationalsozialisten auf die Brust des Misshandelten gesetzt hatte, zog dieser ein Messer und verletzte den Angreifer. Im Juni 1932 musste sich das jüdische Opfer wegen leichter Körperverletzung vor Gericht verantworten und wurde wegen Notwehrüberschreitung zu vierzig Schilling Geldstrafe oder 24 Stunden Arrest bedingt verurteilt. Ende Mai 1932 musste die Wiener Universität aufgrund zahlreicher gewalttätiger Ausschreitungen nationalsozialistischer Studierender geschlossen werden, die sich für die blutigen Zusammenstöße zwischen Nationalsozialisten und Sozialdemokraten in Hötting bei Innsbruck am 27. Mai, in deren Verlauf ein Nationalsozialist getötet worden war,999 rächen wollten. Nach Abgabe einer Loyalitätserklärung der „Führer der studentischen Gruppen aller Parteirichtungen (…) gegen ein Uebergreifen politischer Auseinandersetzungen auf den akademischen Boden“ wurde der Lehrbetrieb am 3. Juni wiederaufgenommen.1000 Während es am Tag der Wiedereröffnung an der Hauptuniversität ruhig blieb, veranstalteten die NationalsozialistInnen an der TU, die nicht geschlossen worden war, einen wüsten Krawall.1001 Auslöser der Ausschreitung war ein in der Nacht angebrachter Kiosk der sozialistischen Studentenschaft, der neben Ausschnitten aus Parteiblättern auch ein Plakat gegen Frauenfeld enthielt. Unter der Parole „Rache für Innsbruck“ stürmten die NationalsozialistInnen am Vormittag den vor dem Gebäude angebrachten Kiosk. In der TU selbst begannen die Krawalle zunächst in einem Hörsaal, wo jüdische und sozialistische HörerInnen aus dem Saal geprügelt und mehrere Studierende verletzt wurden. Die Unruhen gingen dann vor der Technik weiter, wo inzwischen ein starkes Wacheaufgebot eingetroffen war, und weiteten sich auf den gegenüberliegenden Resselpark aus. Dort entrissen mehrere Nationalsozialisten dem Fotografen der linksliberalen Tageszeitung Der Abend, der Aufnahmen von den Schlägereien gemacht hatte, seinen Apparat, schlugen damit auf ihn ein und fügten ihm eine klaffende Kopfwunde zu. Ein herbeieilender Wachebeamte war nicht schnell genug zur Stelle, um zu verhindern, dass die Gewalttäter den am Boden liegenden Fo 998 NFP v. 23. 6. 1932, S. 9 („Die Schlägerei an der Hochschule für Welthandel“).  999 Vgl. dazu ausf. Botz (1983), S. 196–198. 1000 NFP v. 3. 6. 1932, S. 5 („Die Wiedereröffnung der Universität“). 1001 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion v. 30. 5. 1932  ; NFP (Abendblatt) v. 3. 6. 1932, S. 1 („Ausschreitungen an der Technik“).

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tografen weiter verprügelten. Erst als die Wachebeamten die Gummiknüttel zogen, konnte er befreit und von der Rettungsgesellschaft versorgt werden. Nach zweistündigem Kampf beruhigte sich die Lage. Die jüdischen und sozialistischen Studierenden hatten mittlerweile das Gebiet rund um die TU verlassen. Am 7. September mussten sich nun drei nationalsozialistische Studenten vor Richter Karl Piska, der auch im Fall Hagmüller den Vorsitz geführt hatte, verantworten.1002 Hubert Kluhs, Otto Cerny und Marius Hutter waren wegen leichter Körperverletzung und Kluhs darüber hinaus wegen boshafter Sachbeschädigung angeklagt. Kluhs und Hutter gaben zwar zu, bei der Schlägerei anwesend gewesen zu sein, sich jedoch nicht aktiv daran beteiligt zu haben. Cerny gab an, dass er während der Tumulte im Frühstückssaal zugegen war. Trotz der Aussagen von vier Belastungszeugen sprach Piska alle Angeklagten frei. Bei Kluhs und Hutter könnte „ihre Täterschaft nicht mit Sicherheit erwiesen werden“,1003 bezüglich Cerny meinte er, dass dieser dem Fotografen zwar „eine Ohrfeige gegeben habe, doch begründe dies noch nicht den Tatbestand der leichten Körperverletzung“. Die „Rache“ für Hötting bekamen aber auch die BewohnerInnen der Judengasse zu spüren. Diese war bereits am 24. Mai während der Ausschreitungen anlässlich der kons­ tituierenden Gemeinderatssitzung von einem Trupp Nationalsozialisten gestürmt worden. Sechs Tage später zettelte eine größere Gruppe nationalsozialistischer Studierender, die nach einer Demonstration vom Hohen Markt in die Judengasse eingedrungen waren, erneut eine Schlägerei an.1004 Die Geschäftsleute waren diesmal scheinbar besser vorbereitet und schlossen „auf die Rufe  : ‚Hakenkreuzler kommen  !‘ (…) rasch ihre Geschäfte, ließen die Rollbalken herab und versammelten sich auf der Straße“. Die Polizei hatte zwar inzwischen den Eingang vom Hohen Markt in die Judengasse abgeriegelt, jedoch drangen mehrere Nationalsozialisten vom Fleischmarkt und der Sterngasse in die Judengasse ein, wo es zu einer wüsten Prügelei kam. „Merkwürdigerweise“, so die zionistische Wochenzeitung Die Stimme, „kam auch diesmal die Polizei zu spät“.1005 Verhaftet wurde der jüdische Kaufmann Nathan Asrilen, der sich mit einer Stange ge1002 NFP v. 8. 9. 1932, S. 11 („Die Studentenunruhen vor der Technik“)  ; Kl. Bl. v. 8. 9. 1932, S. 10 („Wenn die Raufbolde Nazi sind“). 1003 NFP v. 8. 9. 1932, S. 11 („Die Studentenunruhen vor der Technik“). Nach dem Verbot der NSDAP wurde Marius Hutter wegen politischer Demonstrationen an der TU neuerlich verhaftet und im Anhaltelager Kaisersteinbruch interniert, aus dem er am 3. März 1934 flüchtete. Nach seiner Flucht nach Deutschland übernahm er die Reichsführung des Arbeitskreises Österreich der deutschen Studenten. Im September 1935 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Marius Hutter  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Marius Hutter. Hubert Kluhs wurde nach dem Verbot der NSDAP im Anhaltelager Wöllersdorf interniert. Meinen Dank für diesen Hinweis an Mag.a Pia Schölnberger. 1004 NFP v. 8. 10. 1932, S. 10 („Nationalsozialisten in der Judengasse“). 1005 Die Stimme v. 2. 6. 1932, S. 1 („Hakenkreuz-Terror“).

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gen die Angreifer zur Wehr gesetzt hatte. Am Tag darauf nahmen die NationalsozialistInnen die Konstituierung der Bezirksvertretung der Inneren Stadt zum Anlass, um erneut in die Judengasse einzumarschieren, wurden aber diesmal von der Polizei daran gehindert. Am 17. Juli fand der erste Prozess zu den Vorfällen in der Judengasse statt. Angeklagt war der jüdische Kaufmann Moritz Steiner.1006 Dieser hatte, als am 24. Mai eine Gruppe NationalsozialistInnen die Judengasse stürmte, einen Feueralarm ausgelöst, weshalb er sich vor Richter Hans Bäcker wegen Betrugs und Sachbeschädigung verantworten musste. Der Angeklagte bestritt, den Feueralarm ausgelöst zu haben, jedoch sagte ein Zeuge gegen ihn aus. Nach den möglichen Gründen, warum Steiner diese Tat begangen haben könnte, antwortete der Zeuge, dass er dies wohl „aus Furcht (…) vor den Demonstranten“ getan habe. Bäcker fragte Steiner daraufhin, ob er „nicht gestehen (wolle)“, worauf der Kaufmann erneut abstritt, den Feuermelder eingeschlagen zu haben. Hätte er es getan, so würde er dies auch zugeben, „denn es wäre ja kein Verbrechen und nur zum Schutze der Judengasse gewesen“. Der Richter stellte sich jedoch auf den Standpunkt, dass „die Feuerwehr (…) zum Feuerlöschen da (ist), nicht zum Schutz vor Demonstranten“, und verurteilte Steiner zu nicht weniger als zehn Tagen Arrest. In der Urteilsbegründung führte er an, dass kein Milderungsgrund vorgelegen habe. Drei Wochen zuvor hatte Bäcker im Verfahren gegen die Nationalsozialisten Stafa und Posch,1007 die den Redakteur Klebinder verprügelt hatten, Stafa freigesprochen und Posch zu zwanzig Schilling Geldstrafe verurteilt. Am 8. Oktober stand dann Nathan Asrilen wegen leichter Körperverletzung vor Gericht, da er während des nationalsozialistischen Überfalls auf die Judengasse den 31-jährigen Philosophiestudenten Ernst Meißner mit einer Rollbalkenstange geschlagen hatte.1008 Obwohl sich die Zeugenaussagen widersprachen, wurde Asrilen zu vierzig Schilling oder acht Tagen Arrest verurteilt.1009 Hingegen wurde der Nationalsozialist Wilhelm Hohenacker aufgrund widersprüchlicher Zeugenaussagen von Richter Kunze freigesprochen.1010 Hohenacker hatte am 24. Mai bei einer Prügelei mit jüdischen PassantInnen auf der Augartenbrücke den Handelsangestellten David Z. geschlagen, der 1006 Die Stimme v. 21.  7.  1932, S.  7 („Eine Woche Hakenkreuz“)  ; Kl.  Bl. v. 17.  7.  1932, S.  18 („Der Hakingerwirbel in der Judengasse“). 1007 RP v. 26. 6. 1932, S. 11 („Krawall in der Leopoldstadt“), vgl. dazu S. 104, 138. 1008 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion v. 30. 5. 1932  ; Kl. Bl. v. 21. 6. 1932, S. 11 („Heil Hitler  ! Haut’s den Saujuden nieder  !“)  ; ebd. v. 20. 9. 1932, S. 10 („Dem Nazi geschieht nichts …“). 1009 NFP v. 8. 10. 1932, S. 10 („Nationalsozialisten in der Judengasse“)  ; Kl. Bl. v. 8. 10. 1932, S. 10 („Wirbel in der Judengasse“). 1010 Kl. Bl. v. 21. 6. 1932, S. 11 („Heil Hitler  ! Haut’s den Saujuden nieder  !“)  ; Kl. Bl. v. 20. 9. 1932, S. 10 („Dem Nazi geschieht nichts …“).

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mit einer Gehirnerschütterung und Blutergüssen am linken Auge in die Unfallstation gebracht werden musste und zum Zeitpunkt des Prozesses noch immer unter ärztlicher Behandlung stand. Zu dreißig Schilling Geldstrafe oder drei Tagen Arrest verurteilt wurde hingegen der Nationalsozialist Josef Reisp, der ebenfalls am 24. Mai einen jüdischen Schneider mit einer Hundepeitsche verprügelt hatte.1011 Während die Staatsanwaltschaft, wie bereits erwähnt, am 15. Oktober die Untersuchung gegen die im Zuge des Überfalls auf das jüdische Bethaus in der Sperlgasse verhafteten Nationalsozialisten eingestellt hatte, wurden die damals verhafteten Juden Ende 1932 vor Gericht gestellt. Verurteilt wurde etwa der durch eine Fußprothese körperlich behinderte Jona Leitner, ein Anrainer, der in seiner Erregung über die Gewaltaktion einen Sessel aus dem Fenster seiner Wohnung auf die Straße geworfen hatte, ohne dabei jemanden zu treffen.1012 Gegen Leitner war zunächst ohne Anordnung einer Verhandlung im kurzen Wege eine Polizeistrafe von dreißig Schilling oder drei Tagen Arrests erlassen worden. Nach der Einstellung der Verfahren gegen die Nationalsozialisten berief Leitner. Richter Amtmann verurteilte ihn daraufhin „unter Anwendung äußerster Milde“ zu einer Geldstrafe von fünf Schilling oder zwölf Stunden Arrest. Eine Woche später fand ein weiterer Prozess im Zusammenhang mit den Vorfällen um das Bethaus statt.1013 Vor Gericht stand der Angestellte Egon W., der sich wegen Einmengung in eine Amtshandlung zu verantworten hatte. Dieser hatte die Verhaftung eines Freundes beobachtet, der gegen die im Auto der Sicherheitswache befindlichen Nationalsozialisten demonstriert hatte. Laut Aussage Egon W.s hatte die Polizei diese geschützt und sei „gegen die Passanten, die nicht fortgehen wollten, mit dem Gummiknüttel losgegangen“. Egon W. meldete sich als Zeuge für seinen Freund und ging danach in ein Kaffeehaus. Dort habe ihn „(n)ach einer Weile“ ein Wachmann aufgesucht, der ihn zu sich rief und ihm erklärte, dass er ihn wegen Einmengung in eine Amtshandlung anzeigen müsse. Der Angeklagte wurde freigesprochen, da nach Richter Franz Narz „eine Einmengung und Störung der Amtshandlung nicht erwiesen werden konnte“. Auch nach dem Verbot der NSDAP stießen jüdische Angeklagte auf wenig Milde bei der Wiener Richterschaft. So mussten sich im Oktober 1933 zwei jüdische Studenten vor dem Schöffensenat unter dem Vorsitz von Richter Johann Powalatz wegen eines Vorfalls vom 9. Mai verantworten.1014 An diesem Tag war es wie so oft zu einem nationalsozialistischen Überfall auf „marxistische“ und jüdische StudentInnen im Ana1011 Kl. Bl. v. 25. 9. 1932, S. 17 („Ein feiner Vertreter des ‚Dritten Reiches‘ “). 1012 NFP v. 15. 12. 1932, S. 14 („Nationalsozialisten als Bethausstürmer“)  ; ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 3. 10. 1932. 1013 Kl. Bl. V. 22. 12. 1932, S. 11 („Polizei und Hakenkreuzler“). 1014 NFP v. 20. 10. 1933, S. 8 („Studenten springen aus dem Fenster“)  ; AZ v. 20. 10. 1933 („Naziüberfall im Anatomischen Institut“).

Juden und Nationalsozialisten vor Wiener Gerichten

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tomischen Institut gekommen. Vor Gericht erklärte der Angeklagte Hans P.,1015 dass er das Gebäude nicht hatte verlassen können, da „nationale Studenten“ die Ausgänge und die Aula besetzt hielten, die „mit Glassplittern, Stahlruten und anderen Waffen“ auf ihre GegnerInnen einschlugen. P. wurde zusammen mit weiteren StudentInnen in das Röntgenzimmer des Instituts abgedrängt, wo sie sich „verbarrikadierten“. Als die NationalsozialistInnen in das Zimmer einzudringen versuchten, blieb den Eingeschlossenen nichts anderes übrig, als aus dem Fenster zu springen. Einigen Studenten gelang es,1016 ein vorbeifahrendes Feuerwehrauto anzuhalten und eine Feuerwehrleiter an sich zu nehmen, um ihre noch eingeschlossenen KommilitonInnen aus dem Gebäude zu befreien. Dagegen schritt aber die Sicherheitswache ein, die „die Rückstellung der Leiter an die Feuerwehr veranlaßte und die Straße von den (…) angesammelten Hochschülern und Passanten säuberte“. Auch P.,1017 dem durch einen Sprung aus dem Gebäude die Flucht gelungen war, versuchte, seinen KommilitonInnen, die über eine Leiter eine Studentin heruntertragen wollten, zu Hilfe zu eilen, wurde jedoch von dem Wachmann Johann Mahac daran gehindert, der mit dem Gummiknüttel auf ihn einschlug. P. setzte sich daraufhin mit seiner Tasche und einem Sesselbein zur Wehr und konnte schließlich in eine Straßenbahn flüchten. Ein dort postierter Wachmann stieß ihn jedoch wieder herunter, und P. wurde neuerlich von Mahac verprügelt und in der Folge wegen Verbrechens der öffentlichen Gewalttätigkeit verhaftet. Ebenfalls in Haft genommen und wegen versuchter öffentlicher Gewalttätigkeit angezeigt wurde der Medizinstudent Chaskel St., der als Zeuge des Vorfalls mit auf die Wachstube gegangen war. Insgesamt waren dreißig Personen, darunter auch mehrere ausländische HochschülerInnen, verletzt worden.1018 Drei Studenten hatten sich durch einen Sprung auf die Straße so schwere Knöchelbrüche zugezogen, dass sie ins Krankenhaus abtransportiert werden mussten. Die NationalsozialistInnen zogen dann vom Anatomischen Institut „in geschlossenem Zug“ zum Hauptgebäude der Universität weiter, wo sie in der Aula neuerlich „Zusammenstöße mit politischen Gegnern (provozierten)“. Weitere fünf Studenten wurden dabei verletzt, drei davon schwer. Anschließend sammelte sich der Mob vor der Votivkirche, wo sie von der Polizei abgedrängt wurden, jedoch über die Herrengasse wieder zur Votivkirche vordringen konnten und dort „mit erhobenen Armen das Deutschlandlied sangen“. Ein Überfallskommando der Polizei konnte die DemonstrantInnen schließlich vertreiben und mehrere Verhaftungen vornehmen. Insgesamt wurden neun nationalsozialistische, ein sozialdemokratischer und die beiden 1015 NFP v. 20. 10. 1933, S. 8 („Studenten springen aus dem Fenster“). 1016 NFP (Abendblatt) v. 9. 5. 1933, S. 1 („Schwere Studentenkrawalle in Wien“). 1017 NFP v. 20. 10. 1933, S. 8 („Studenten springen aus dem Fenster“). 1018 NFP (Abendblatt) v. 9. 5. 1933, S. 1 („Schwere Studentenkrawalle in Wien“)  ; NFP v. 10 5. 1933, S. 5 („Trau­rige Bilanz der gestrigen Hochschulkrawalle“).

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Die Reaktion der Justiz auf die nationalsozialistische Gewalt

jüdischen Studenten festgenommen.1019 Am 20. Oktober verurteilte Richter Powalatz den jüdischen Studenten P. „unter Zubilligung mildernder Umstände“ zu einem Monat schweren Arrests bedingt auf zwei Jahre, Chaskel St. wurde freigesprochen.1020 Powalatz trat im Juni 1937 der NSDAP bei,1021 nachdem er bereits zuvor der Landesleitung der NSDAP Strafakten angeklagter Nationalsozialisten übermittelt hatte. Auch an so manchem Richter scheinen die sich häufenden politischen Straftaten nicht spurlos vorübergegangen zu sein. Im November 1932 erlitt ein mit „politischen Strafsachen befasst(er)“ Untersuchungsrichter des Straflandesgerichts Wien „infolge Arbeitsüberlastung“ einen Nervenzusammenbruch und musste einen mehrwöchigen Erholungsurlaub antreten.1022 Dass sich die Gewalttätigkeiten in Wien immer weiter steigerten, war somit zu einem nicht geringen Teil auch auf den massiven Rechtsruck innerhalb der Wiener Polizei und Justiz zurückzuführen. Bereits Anfang Juli 1932 hatte die Wiener Sonn- und MontagsZeitung die Justiz nach den Erfahrungen bei den Landtags- und Gemeinderatswahlen sowie den Zwischenfällen im Country Club, den Prügeleien im Wiener Landtag und in Eisenstadt in einem Leitartikel dazu aufgefordert, endlich zu reagieren  :1023 „Die hakenkreuzlerischen Rowdys haben die Schlacht im Country Club gewonnen, aber Oes­terreich hat sie verloren. Auch nach dieser Heldentat wird Deutschland nicht erwachen und wird Juda nicht verrecken, aber Wien und Oesterreich werden jämmerlich zugrunde gehen, wenn unsere Richter und Staatsanwälte nicht erwachen und dem Treiben des entfesselten Rowdytums nicht ehebaldigst ein gründliches Ende setzen. Noch ist es nicht zu spät, noch ist es möglich, Oesterreichs guten Ruf im Ausland zu retten, (…) aber wir dürfen uns nicht darüber täuschen, daß Wien von einer Gefahr bedroht ist, die unabsehbare Folgen nach sich ziehen kann. (…) Dieses gewissenlose, verbrecherische Spiel mit dem Feuer darf nicht länger geduldet werden.“

Die SozialdemokratInnen vertrauten schon längst nicht mehr auf ein unparteiisches Verhalten von Polizei und Justiz und schritten schließlich zur Selbsthilfe. Nach dem „Simmeringer Blutsonntag“ begann die Arbeiter-Zeitung ein ganzes Netzwerk an Spitzeln in die Wiener SS einzuschleusen und trug durch ihre Zersetzungsarbeit mit dazu bei, dass zumindest der Anschlag der SS auf das Kaufhaus Gerngroß im Dezember 1932 aufgeklärt werden konnte. 1019 NFP v. 10. 5. 1933, S. 5 („Traurige Bilanz der gestrigen Hochschulkrawalle“). 1020 NFP v. 20. 10. 1933, S. 8 („Studenten springen aus dem Fenster“). 1021 Zu Powalatz vgl. ausf. Stadler (2007), S. 345–347. 1022 NFP v. 9. 11. 1932, S. 4 („Nervenzusammenbruch eines Richters“). 1023 WSMZ v. 4. 7. 1932, S. 4 („Country Club und Wiener Landtag“).

9. Die Krise der Wiener SS im Winter 1932

Im Herbst 1932 standen die österreichische NSDAP und ihre Gliederungen weitgehend unter deutscher Kontrolle.1024 Landesinspekteur Theo Habicht hatte inzwischen das Kommando über die P.O. übernommen, während der wenig durchsetzungsstarke Landesleiter Alfred Proksch nur noch als Randfigur fungierte. Wichtige Funktionen in der Landesleitung hatte er seinen Vertrauten übertragen, wie etwa den reichsdeutschen Abteilungsleitern Friedrich Steinert und Gerhard Weyh. Der Kärntner Gau unterstand mit Hans vom Kothen ebenfalls einem Reichsdeutschen. Als Führer der Wiener SA war der Münchner Moulin-Eckart bestellt worden, die 4. SA-Standarte sollte wenig später der Reichsdeutsche Otto Schuckat übernehmen. Mit Heinz Cohrs hatte Moulin-Eckart einen weiteren Landsmann zum neuen Stabsleiter der Wiener SA ernannt. Der österreichische SS-Abschnitt stand mit Walter Graeschke und Walter Turzas Nachfolger Alfred Bigler als neuem Stabschef ebenfalls unter deutscher Führung, während der gebürtige Düsseldorfer Karl Taus ab Juli 1932 die steirische SS-Standarte kommandierte. Diese Entwicklung stieß durchaus nicht bei allen österreichischen ParteigenossInnen auf Zustimmung, wurde aber auch von der ArbeiterZeitung mit Spott registriert und in ihren regelmäßigen polemischen Berichten ausgiebig ausgeschlachtet. Innerhalb der Wiener SS begannen zu diesem Zeitpunkt aufgrund des weiteren Ausbaus des Abschnitts VIII, der partiellen Entmachtung der alten Führer und der Schaffung der ersten hauptamtlichen Posten eifersüchtige Rivalitäten, Neid und Missgunst um sich zu greifen. Gefördert wurde diese Entwicklung auch durch Walter Graeschke, dessen wenig diplomatisches Auftreten und überzogene Ansprüche zu Spaltungserscheinungen und Grabenkämpfen führten. So hatte Graeschke nach seiner Ernennung massiven Druck hinsichtlich der Werbung von Fördernden Mitgliedern ausgeübt, die wie bereits erwähnt nach den Ergebnissen einer Führerbesprechung im Frühjahr 1932 im österreichischen Abschnitt am niedrigsten lagen.1025 Dabei hatte Graeschke allerdings nicht nur das Wohl des Abschnitts, sondern auch seine eigenen Interessen im Auge. Im Sommer erließ er einen Befehl, nach dem jede Standarte je tausend Schilling

1024 Vgl. dazu Jagschitz (1976), S. 25. 1025 GV-Rundschreiben VIII/2 v. 1. 5. 1932, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6.

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Die Krise der Wiener SS im Winter 1932

für den Abschnitt aufzubringen hatte,1026 und rief mit der Anschaffung eines neuen Abschnittswagens erheblichen Unmut in Teilen der österreichischen SS hervor, wobei er sich auch „gegen den berechtigten Standpunkt des Abschnittsgeldverwalters“ Franz Weilguny durchsetzte. Der Wagen war für den Betrag von mindestens 4.366,– Schilling vom Abschnitt angekauft worden und musste nun in Monatsraten von je 200,– Schilling abbezahlt werden.1027 Weiters hatte die österreichische SS neben der Erhaltung und dem Betrieb des Wagens auch für die monatlichen Gehälter von Graeschke,1028 seinem Stabsführer sowie die „regelmässige(n) Zuwendungen“ an den als „Vertrauensmann“ des SS-Verwaltungsamtes fungierenden Sturmhauptführer Albert Rundspaden1029 sowie Scharführer Wilhelm Reimond aufzukommen. Auch bei der alten Führung machte sich Graeschke durch seine arrogante Haltung zunehmend unbeliebt. So beschwerte sich Walter Turza darüber,1030 dass dieser gleich bei den ersten Dienstfahrten zur Vorstellung der einzelnen Staffeln „sich bei jedem Appell (…) in meiner Anwesenheit abfällig über das Bestehende“ geäußert habe, „ohne Rücksicht, zu nehmen, dass mir ohne jede finanzielle Unterstützung mehr zu schaffen einfach unmöglich war“. Die Unwissenheit des neuen Abschnittsführers über alte Rivalitäten wurde auch dazu benutzt, offene Rechnungen zu begleichen, wie etwa von Franz Weilguny,1031 der im November 1931 aus nicht näher bezeichneten Gründen Turza zur Anzeige gebracht hatte. Dieser war jedoch vom damaligen Abschnittsführer Waldeck-Pyrmont rehabilitiert worden. Laut Turzas Berichten begann Weilguny nun bei Graeschke gegen ihn zu intrigieren.1032 So habe er sich mit Graeschke „solange aufs Beste (verstanden), bis es einer kleinen Klique (sic  !) von unehrlichen Widersachern unter der Führung Weilgunys gelang, Dr. Graeschke für sich zu gewinnen und gegen mich einzustellen und ich weiter erkennen musste, dass Dr. Graeschke nicht das ist, was ich mir von einem preussischen SS-Führer vorstellte“. Graeschkes unvorsichtiges Auftreten rief schnell die Wiener Presse auf den Plan. Im August veröffentlichte die von Ernst Klebinder herausgegebene Zeitung Der Morgen einen für die SS wenig erfreulichen Artikel über „Hitlers neue(n) Statthalter in Wien“.1033 Graeschke, der von der Wiener Gauleitung als Redakteur1034 und 1026 Liquidationsbericht von Franz Weilguny v. 28. 2. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 1027 Walter Graeschke an Heinrich Himmler v. 22. 7. 1932, ebd. 1028 Liquidationsbericht von Franz Weilguny v. 28. 2. 1933, ebd. 1029 Franz Weilguny an das SS-VA VIII v. 15. 1. 1932, ebd. 1030 Walter Turza an Adolf Hitler v. 20. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1031 Walter Turza an Adolf Hitler v. 20. 11. 1932, ebd. 1032 Walter Turza an Adolf Hitler v. 20. 11. 1932, ebd. 1033 Der Morgen v. 22. 8. 1932, S. 1f. („Hitlers neuer Statthalter in Wien“). 1034 Ebd.

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Abb. 45: 1. Reihe v. li: Walter Oberhaidacher, Walter Graeschke und Theo Habicht beim Begräbnis des SS-Mannes August Aßmann in Graz, 7.9.1932, FAA

„Informatoriker“1035 der DÖTZ ausgegeben worden war, nahm nämlich in dieser Eigenschaft an einer für die Presse veranstalteten Gratisfahrt zur Eröffnung eines Varietétheaters in Budapest teil. Dabei hätten sich Graeschke und seine Begleiter bei dem vom Theater gesponserten Abendessen „skandalös benommen“, indem sie statt der einen zur Verfügung gestellten Flasche Wein „eine beträchtliche Anzahl“ sowie alle Zigarren und Zigaretten an sich gerafft hatten. Auch die Arbeiter-Zeitung amüsierte sich wiederholt darüber,1036 dass der Führer der österreichischen SS als „arischer Aufputz dem Festessen beigewohnt“ habe, „das ein jüdischer Varietédirektor einer fast ausschließlich jüdischen Journalistengesellschaft veranstaltet“ habe, und sich „beim Judenschmaus“ mit seinen Begleitern „als Tischnachbar der ‚Asiaten‘ bei Paprikahuhn und Fächertorte königlich (amüsiert)“ habe. Weiters hätten Graeschke und seine Begleiter in angeheitertem Zustand „mehr erzählt, als es ihrer Partei guttun

1035 AZ v. 20. 11. 1932, S. 5 („Rebellion im Nazilager“). 1036 Ebd.

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(sic  !)“ würde.1037 Am Tag darauf hielt Graeschke, statt am vorgesehenen Besuch der St.-Stephans-Prozession teilzunehmen, Besprechungen mit ungarischen Nationalsozialisten ab, was ihn dann jedoch nicht daran „hinderte, (…) bei der Abfahrt sehr erregt nach dem Rest seiner Weinflaschen zu suchen, die ihm im Hotel scheinbar abhanden gekommen waren. Auch jetzt hatte der S.S. Führer weit mehr von dem guten ungarischen Wein getrunken als er vertragen konnte und erzählte ganz freimütig von seinen Aufgaben und seinen Zielen in Oesterreich.“ Graeschkes Verhalten rief sofort Himmler auf den Plan,1038 der zwar den „Hetzartikel“ und die darin „gemachten Vorwürfe“ gegen Graeschke „als leere Phantasie- und Hetzgebilde“ abtat, sich allerdings genötigt sah, seinem Abschnittsführer „den wohlwollenden Rat“ zu geben und es „ihm gleichzeitig zur Pflicht“ zu machen, „alles zu vermeiden, was auch nur den geringsten Anlass zur Kritik geben könnte“. Dass Graeschke auch dem österreichischen Wein durchaus zusprach, geht aus anderen Berichten hervor, wie etwa aus einer Stellungnahme der Grazer SS. Diese hatte ihm vorgeworfen, sich zu bereichern, woraufhin Himmler von dem mit der Führung des Sturmbanns III/38 beauftragten SS-Truppführer Richard Heiss und seinem Geldverwalter Erich Wieseler forderte,1039 dass für diese „(Behauptung) umgehend Bericht (…)“ erstattet werde. Heiss meldete daraufhin an Himmler,1040 dass Graeschke anlässlich einer Besichtigung der Grazer Schutzstaffel am 28. August von Wieseler achtzig Schilling verlangt habe, da ihm aufgrund eines „Autodefekts bei München (…) die Barmittel ausgegangen seien“. Der Geldverwalter habe ihm nicht nur die Gelder ausgehändigt, sondern auch die „Kosten für die Unterbringung des Autos, des Autofahrers und Adjutanten“ waren von der Grazer SS übernommen worden. Die geliehenen Gelder habe Graeschke dann zum Teil „zur Bestreitung verschiedener Auslagen gelegentlich des Besuches mehrerer Lokale (…) verwendet“. Heiss könne aber „(u)eber die weitere rein private Verwendung des Betrages“ keinen „Nachweis (…) erbringen, da Dr. Graeschke obige Lokal (sic  !) allein besuchte“. Innerhalb der Grazer SS scheint es zu diesem Zeitpunkt bereits zu massiven Problemen gekommen zu sein. So berichtete Weilguny am 30. September 1932,1041 dass „(d)urch die Zwischenfälle in Graz (…) die besten GV’s und SS-Männer abgesprungen“ seien. Welche Ursachen dem Konflikt zugrunde lagen, ist unbekannt.1042 Über die 1037 Der Morgen v. 22. 8. 1932, S. 1f. („Hitlers neuer Statthalter in Wien“). 1038 Heinrich Himmler an Walter Graeschke v. 24. 8. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Graeschke. 1039 Heinrich Himmler an Sturmbannführer Richard Heiss v. 8. 9. 1932, ebd. 1040 Der Führer des SS-Sturmbanns III/38 Richard Heiss an Heinrich Himmler v. 13. 9. 1932, ebd. 1041 Bericht von Franz Weilguny v. 30. 9. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 1042 Auch in Eduard G. Staudingers Darstellung über die „Entwicklung des Nationalsozialismus in Graz von seinen Anfängen bis 1938“ findet sich kein Hinweis dazu. Danach bestanden 1932 in der Stei-

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weitere Zuspitzung der Lage berichtete dann die Arbeiter-Zeitung Mitte November 1932,1043 nach der, ausgelöst durch „verschiedene Skandale“ über Geldunterschlagungen Ende Oktober, eine „Meuterei“ in der Grazer SS stattgefunden habe. Angeblich wäre es in SS-Lokalen zu „schwere(n) Raufereien zwischen Führern und Geführten“ gekommen, woraufhin das „oberste Kommando (…) eingreifen musste und mehrere Chargen, unter ihnen den ersten Sturmführer Raischek (auch Reischek, CR), degradieren“ musste. Der Großteil der SS und SA habe sich jedoch hinter Reischek gestellt und damit gedroht, „den Dienst zu verweigern“. Graeschkes Versuch, die Angelegenheit zu klären, sei gescheitert und er „aus Graz hinausgejagt“ worden. Die „Folge dieses Aufruhrs“, der auch die Grazer Polizei zum Einschreiten veranlasst habe, sei „die von München befohlene Auflösung der Grazer SS“ gewesen. Inwieweit der Bericht der damals bereits sehr gut informierten Arbeiter-Zeitung den Tatsachen entsprach, ist unklar, jedoch drückte auch Walter Turza in einem Brief vom 5. Dezember sein Bedauern darüber aus,1044 dass „Reischek sich hat übernehmen lassen“, verurteilte jedoch eine von diesem vorgenommene „Veröffentlichung“ als „Dummheit“. Reischeks Vorgehen sei zwar vom „rein menschlichen Standpunkt“ verständlich, habe aber die Partei geschädigt. Ein Grund für die zahlreich auftretenden Probleme gerade im Bereich der Geldverwaltung dürfte in der Gründung des SS-Verwaltungsamtes des österreichischen Abschnitts gelegen haben, die auch innerhalb der Wiener SS zu chaotischen Zuständen führte. 9.1 Die Errichtung des SS-Verwaltungsamtes VIII

Im Herbst 1932 wurde mit der Errichtung des Verwaltungsamtes des Abschnitts VIII (SS-VA VIII) das erste Verwaltungsamt der Schutzstaffel überhaupt geschaffen.1045 Die österreichische SS diente somit als Versuchsballon für die Reichsführung, was die Turbulenzen erklärt, die in der österreichischen Geldverwaltung bald herrschen ermark nur zwei SS-Einheiten in Graz und Leoben mit 32 bzw. 17 SS-Männern, Staudinger (1988), S. 54. Bis Mai 1933 hatten sich laut einem Bericht der 38. SS-Standarte bis zu diesem Zeitpunkt SS-Einheiten in Graz, Leoben, Judenburg, Liezen, Schladming und Bruck an der Mur gebildet, Abschrift einer Meldung des SS-Sturmbanns II/38 v. 3. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 1043 AZ v. 20. 11. 1932, S. 5 („Rebellion im Nazilager“). 1044 Walter Turza an Kamerad Rumpf v. 5.  11.  1932 (recte  : 5.  12.  1932, CR), WStLA, GAW  : Walter Turza, Zl. 87.942. Der Brief wurde nach dem am 1. Dezember erfolgten Ausschluss von Walter Graeschke abgefasst. 1045 Josef Spacil an den Untersuchungsführer des SS-Oa Österreich v. 27. 5. 1938, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny.

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sollten. Das VA VIII unterstand dem am 15. Juli 1932 in München eingerichteten Verwaltungsamt der SS, das die Reichsgeldverwaltung ersetzte, die im Oktober 1932 endgültig aufgelöst wurde.1046 Zum Chef des gesamten Verwaltungsamtes der SS ernannte Himmler den Kaufmann und SS-Standartenführer Gerhard Schneider. Die Einrichtung des VA VIII lief nicht ohne Personalstreitigkeiten ab, da sich zunächst Franz Weilguny, der die Geldverwaltung seit Gründung der SS ehrenamtlich geführt hatte, Hoffnungen auf den hauptamtlichen Posten des Führers der Abschnittsverwaltung gemacht hatte. In einem Schreiben vom 2. Oktober an Schneider versicherte er,1047 falls er „die Vollmacht“ erhalten sollte, das „geplante Verwaltungsamt in Österreich einzurichten, (…) für eine reibungslose Durchführung der Neuorganisierung (garantieren)“ könne. Er habe bereits „diesbezügliche Vorschläge (…) ausgearbeitet“ und bitte „um die Aufforderung(,) nach München zu kommen“, um „die Sache persönlich (…) durchzubesprechen“. In den folgenden Wochen nahm der Ton zwischen Weilguny und Schneider jedoch deutlich an Schärfe zu. So wies Weilguny in einem Schreiben an Schneider vom 14. Oktober etwa den Vorwurf „einer Einmischung in höhere Befugnisse“ energisch zurück und verteidigte seine Geldverwalter, die beschuldigt wurden, „Eigenbrötlerei“ zu betreiben.1048 Unklar bleibt, ob Weilguny schließlich selbst auf das Amt des Führers des VA VIII verzichtete oder ausgebootet wurde. Jedenfalls schlug er am 20. Oktober den bisherigen Geldverwalter der 11. SS-Standarte Thomas Schabel für diesen Posten vor,1049 der bereits einen Tag später unter gleichzeitiger Ernennung zum SS-Hauptsturmführer mit der Errichtung des VA VIII beauftragt und als hauptamtlicher Führer eingesetzt wurde.1050 Weilguny erhielt am gleichen Tag seine Beförderung zum SS-Sturmbannführer und sollte die Liquidierung der bisherigen Geldverwaltung durchführen, nach deren Abschluss „ein Gelddepot“ für den Abschnitt sowie eine SS-Zeugmeisterei einrichten und „fallweise Überprüfungen der SS-GV-Stellen“ vornehmen.1051 Die Umstellung der Verwaltung ging im Herbst 1932 im Chaos unter, vor allem weil wichtige Befehle nur an einen Teil der zuständigen Stellen weitergeleitet und die Kompetenzabgrenzungen nicht klar geregelt worden waren. Zum Sündenbock für praktisch alle Fehler, die im Zuge der Umstellung passierten, wurde Franz Weilguny gestempelt. Aber auch das Verhältnis zwischen Weilguny und Schabel verschlechterte 1046 Longerich (2008), S. 145. 1047 Franz Weilguny an den Chef des SS-VA v. 2. 10. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 1048 Franz Weilguny an den Chef des SS-VA v. 14. 10. 1932, ebd. 1049 Franz Weilguny an Heinrich Himmler v. 14. 12. 1932, ebd. 1050 Heinrich Himmler an Thomas Schabel v. 21. 10. 1932, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1051 Franz Weilguny an Heinrich Himmler v. 17. 3. 1938, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny.

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sich zusehends, bis Weilguny Mitte Dezember 1932 Himmler mitteilte,1052 dass er seinen Vorschlag, „Schabel zum Leiter des Verwaltungsamtes VIII zu ernennen, (…) hiermit zurück(ziehe)“. Die Protegierung Schabels sei „der erste Fehlvorschlag“, den er „in der SS gemacht habe“, und er bat darum, ihm „diesen Missgriff nicht zu sehr anzukreiden“. Am 21. Jänner 1933 wurde Weilguny „wegen fortgesetzter Nichtbefolgung dienstlicher Befehle“ degradiert und aus der SS ausgeschlossen.1053 Nachdem über ihn Gerüchte wegen angeblicher Unterschlagungen in Umlauf gekommen waren und ihm mit einer Anzeige bei der Staatsanwaltschaft gedroht worden war, weigerte er sich, ohne Prüfung seines Abschlussberichtes durch einen unabhängigen Sachverständigen seine Unterlagen herauszugeben.1054 Trotz seines Ausschlusses führte Weilguny die Liquidation der Abschnittsgeldverwaltung akribisch zu Ende und unterrichtete Himmler am 28. Februar 1933 von deren Abschluss.1055 Nach dem „Anschluss“ legte Weilguny Beschwerde gegen seinen Ausschluss ein. Nachdem es ihm während der Illegalität gelungen war, die gesamten Liquidationsunterlagen an seinem Arbeitsplatz in der Oesterreichischen Nationalbank zu verstecken, wurden diese nun vom neu ernannten Führer des Verwaltungsamtes des Oberabschnitts Donau, Josef Spacil, überprüft und für korrekt befunden. Weilguny wurde nach seiner Wiederaufnahme in die SS zum Standartenführer befördert. Aber auch ein Teil der GV legte im Zuge der Umstellung ihre Funktion zurück. So berichtete Weilguny Ende September/Anfang Oktober,1056 dass bis auf vier alle GV der 11. SS-Standarte aus ihrem Amt ausgeschieden seien und bereits fünf höhere GV im Abschnitt ihren Rücktritt eingereicht hatten, die nicht einsahen, „warum ihnen die Verwaltung der Gelder aus der Hand“ genommen und sie „degradiert“ werden sollten. Der wahre Verursacher der chaotischen Zustände dürfte nach einhelliger Meinung der Chef des SS-Verwaltungsamtes Schneider gewesen sein. Laut Weilguny war Schneider „stets eine Quelle des Ärgers“ gewesen,1057 Spacil wiederum warf ihm „lügenhaftes Benehmen“ vor1058, und Schabel zufolge „entwickelte“ sich Schneider „mehr und mehr zu einem abschreckenden Beispiel“.1059 Im März 1934 wurde Schneider dann wegen Unterschlagung aus der SS ausgeschlossen. 1052 Franz Weilguny an Heinrich Himmler v. 14. 12. 1932, ebd. 1053 Heinrich Himmler an Franz Weilguny v. 21. 1. 1933, ebd. 1054 Franz Weilguny an Heinrich Himmler v. 23. 1. 1933, ebd. 1055 Franz Weilguny an Heinrich Himmler v. 28. 2. 1933, ebd. 1056 Bericht von Franz Weilguny v. 30. 9. 1932  ; ders. an den Chef des SS-VA v. 2. 10. 1932, ebd. 1057 Vernehmungsniederschrift von Franz Weilguny v. 24. 5. 1938, ebd. 1058 Josef Spacil an den Untersuchungsführer des SS-Oberabschnitts Österreich v. 27. 5. 1938, ebd. 1059 Lebenslauf von Thomas Schabel zum Ansuchen v. 31. 10. 1939, BArch (ehem. BDC), SSO  : Thomas Scha­bel.

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Aber auch Thomas Schabel erwies sich als gänzlich ungeeignet für die Führung des österreichischen Verwaltungsamtes, da er mit seiner egozentrischen und taktlosen Persönlichkeit nicht nur Weilguny, sondern bald auch Josef Fitzthum und einen Teil der Wiener SS vor den Kopf stieß. Schabels Karriere endete kurz und unbedauert mit dem Verbot der NSDAP im Juni 1933. Auch nach dem „Anschluss“ erhielt er trotz mehrfacher Eingaben weder eine Anstellung im Staatsdienst noch in der Partei oder einer ihrer Untergliederungen. In einer im Oktober 1939 verfassten, 23 Seiten umfassenden Darstellung seines Lebensweges1060 klagte er über seine „traditionelle Pechserie“, seine „unzulänglichen Vorgesetzten“, die „nicht gekannte Qual“, die ihm die Arbeit als Geldverwalter der 11. SS-Standarte bereitet hatte, bevor er die Leitung der Geldverwaltung des Abschnitts VIII übernahm, über die „ungenügend vorhandene(n) Mitarbeiter“, dass ihm seine „Arbeit“ durch seine „Vorgesetzten nicht leicht gemacht wurde“ etc. Schabel hatte für die Übernahme der Führung des Verwaltungsamtes seinen luk­ rativen Posten als Leiter der Wiener Verkaufsabteilung der Firma Swift & Comp., die Nahrungs- und Futtermittel für den Weltmarkt erzeugte und verwertete, aufgegeben.1061 Neben der Auswahl aller Vertreter und Agenten für die europäischen Niederlassungen der Firma unterstanden Schabel auch die Errichtung von Treuhand- und Kommissionslagern sowie die Überwachung der gesamten Verkaufstätigkeit. Als Chef des SS-Verwaltungsamtes begann er nun, dieses wie eine Firma aufzuziehen, ohne Rücksicht darauf, dass nur die wenigsten Verwaltungsführer über die für diese Aufgabe notwendige Ausbildung verfügten und ihren Dienst freiwillig in ihrer Freizeit, oftmals neben Beruf und Familie, leisteten. Seine unrealistischen Vorstellungen über den Aufbau und die Organisation des Verwaltungsamtes zeigten sich etwa im November 1932, als er den Platzmangel für die SS und das Verwaltungsamt bemängelte und vorschlug, ein neues Mietobjekt für die SS zu suchen, nachdem der Plan, das VA VIII nach Linz zu verlegen, wieder aufgegeben worden war.1062 Für das Verwaltungsamt sowie die Standarten Wien und Niederösterreich wären nach Schabels Berechnungen insgesamt elf Zimmer anzumieten, weitere Räumlichkeiten müssten für die drei Wiener Sturmbanne in ihrem jeweiligen Bereich geschaffen werden.1063 Zu dieser Zeit konnte die Wiener Standarte allerdings nicht einmal die Miete inklusive Betriebskosten und Telefon in der Höhe von ca.  190,– Schilling für ihre 2½ Zim1060 Ebd.; ders. an das SS-Personalhauptamt v. 31. 10. 1939, ebd. 1061 Ansuchen um Einstellung von Thomas Schabel v. 31. 10. 1939, ebd. 1062 So schrieb Thomas Schabel am 14. November 1932 an das SS-VA, dass „die Übersiedlung nach Linz (…) nach der letzthin erhaltenen Mitteilung wohl gegenstandslos (ist)“, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. Bis zum Parteiverbot hatte das SS-VA VIII seinen Sitz in Schabels Wiener Wohnung. 1063 Thomas Schabel an das SS-VA v. 23. 11. 1932, ebd.

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mer im „Adolf-Hitler-Haus“ bezahlen.1064 So bat der Verwaltungsführer der 11. SSStandarte, Herbert Toth-Sonns,1065 im März 1933 den „Verein Braunes Haus“, „mit Rücksicht auf die damals von der SS im Braunen Haus geleisteten, über das normale Mass des Dienstes hinausgehenden Arbeiten die Zinsbeiträge vom April 1932 bis Juli 1932 per insgesamt S 359,38 zu streichen“. Der Restbetrag von 316,29 Schilling sollte in monatlichen Raten von fünfzig Schilling abbezahlt werden. Die Kassenverwaltung genehmigte den Vorschlag und verbuchte die Stundung als Spende des Gaus an die Standarte.1066 Im Monat darauf war die SS jedoch nicht einmal in der Lage, zumindest die Rate zu bezahlen, und bat wiederum um Stundung der vereinbarten Gelder. Ihm sei „bewusst“, so Toth-Sonns,1067 „dass es keinen guten Eindruck macht, wenn man bei Ratenzahlungen gleich die erste Rate schuldig bleibt“, jedoch sei der „Zins des abgelaufenen Monates wieder ausserordentlich hoch“ gewesen und durch die „plötzlich notwendig gewordene Abreise des SS-Sturmbannführers Ziegler nach München“1068 ein „unvorhergesehenes Ereignis“ eingetreten. Die Gauleitung möge „das ehrliche Bestreben, mit dem Gau in finanziellen Dingen in Ordnung zu kommen, daraus (…) ersehen, dass sie die fälligen Zinsbeträge nun immer regelmäßig bezahlt“. Zur Besserung der finanziellen Lage der SS konnte Fitzthum im Mai 1933 bei der Gauleitung erreichen,1069 dass die SS für die Abgabe von Spendenscheinen statt der üblichen zwanzig Prozent nur zehn erlegen musste und der Restbetrag vorläufig gestundet bzw. später als Spende des Gaus gutgeschrieben wurde. Auf Graeschkes Druck setzte innerhalb der österreichischen SS zwar eine „gewaltige“ Werbeaktion zur Gewinnung von Fördernden Mitgliedern ein, wodurch sich die Einnahmen der SS binnen kurzer Zeit deutlich erhöhten, was jedoch nicht den Standarten zugute kam. Nach einer bereits erwähnten Aufstellung Weilgunys wurde der Abschnitt VIII Ende September 1932 von 2.400 Fördernden Mitgliedern unterstützt, wovon 630 auf Wien entfielen.1070 Im Mai 1933 hatte die SS ihre FM-Beiträge dann bereits auf 6.629,70 Schilling steigern können,1071 wobei der Beitrag der Wiener FM bei 1.624 Schilling lag. Nach dem im Jänner 1932 erlassenen SS-Kassenbefehl Nr. 5 sollten die SS-Dienststellen von den FM-Anteilen nur noch fünfzig Prozent an die 1064 Zinsberechnung per Dezember 1932 für die 11. SS-Standarte v. 3. 2. 1933, ebd., Kt. 5. 1065 Verwaltungsführung des Stabes der 11. SS-Standarte an die Kassenverwaltung des Gaus Wien v. 4. 3. 1933, ebd., Kt. 1. 1066 Kassenverwaltung des Gaus Wien an die 11. SS-Standarte v. 15. 3. 1933, ebd. 1067 FM-GV i. Ber. d. 11. SS-Standarte an den Verein „Braunes Haus“ v. 22. 4. 1933, ebd. 1068 Über die Gründe für Zieglers Flucht nach München s. S. 315–317. 1069 H.A. II (Kassenverwaltung) an die 11. SS-Standarte v. 18. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 1070 „FM-Stände am 31. 9. 1932“, Aufstellung von Franz Weilguny für das SS-VA v. 19. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 1071 SS-VA VIII an das SS-VA v. 31. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 4.

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Reichsgeldverwaltung abführen müssen.1072 Davon erhielt der jeweilige Sturmbann 15 Prozent, dessen Stürme zehn und die SS-Trupps 25 Prozent der Anteile. Dies traf allerdings nicht auf die österreichischen Standarten zu, die noch im Mai 1933 einen fixen monatlichen Etat von 300,– Schilling zugewiesen erhielten.1073 Dadurch konnten die Standarten keinen Profit aus ihrer Leistungssteigerung ziehen, da dieser ausschließlich dem Verwaltungsamt des Abschnitts und dem SS-Verwaltungsamt in München zugute kam. Im Mai 1933 musste die Wiener SS somit von ihren 1.624,– Schilling an FM-Beiträgen 1.324,– Schilling an die SS-Verwaltung abführen. Bei einem Mitgliederstand von ca.  400 Mann blieben ihr von den SS-Beiträgen etwa 120,– Schilling, achtzig hatte sie an das SS-VA abzugeben. Insgesamt stand ihr somit die magere Summe von ca. 420,– Schilling zu, während über 1.400,– Schilling der SS-Verwaltung zuflossen. Nachdem jedoch achtzig Prozent der Wiener SS-Männer arbeitslos waren und wohl nicht die vollen SS-Beiträge leisten konnten, musste sie vermutlich mit einer geringeren Summe ihr Auslangen finden. Weiters besaß sie nach der Verlegung des Abschnittssitzes nach Linz im Sommer 1932 keinerlei Mobiliar mehr, da dieses ebenfalls nach Linz abtransportiert worden war.1074 Ihren Etat konnten die Dienststellen durch Spenden und den Verkauf von SSWerbepostkarten u. dgl. geringfügig aufbessern. Die Karten wurden um fünfzig Groschen verkauft, von denen der Dienststelle, welche die Karte verkauft hatte, dreißig Groschen blieben, während zwanzig für die Herstellung bezahlt werden mussten.1075 Verschuldet war jedoch nicht nur die Wiener Standarte bei der Gauleitung, sondern auch die einzelnen SS-Einheiten hatten Probleme, ihre Ausstände bei den Bezirksgruppen zu begleichen. So konnte der II. Sturmbann „trotz wiederholter Urgenzen“ seine Schulden bei der Bezirksgruppe Wieden nicht bezahlen,1076 woraufhin der Gauschatzmeister einen Teil der an die Standarte gezahlten „Zuwendung“ für eine Veranstaltung in der Engelmann-Arena zur Tilgung heranzog. Im Gegensatz zu dem geringen Etat der SS-Standarten nahm sich Schabels Gehalt geradezu fürstlich aus. Mit einer „Dienstaufwandsentschädigung“ von monatlich 1072 SS-Kassenbefehl Nr. 5 der Reichsgeldverwaltung SS v. 24. 3. 1931, ebd., Kt. 4. 1073 SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 31. 5. 1933, ebd., Kt. 6. 1074 Walter Graeschke an den RFSS v. 22. 7. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 1075 SS-VA VIII/Thomas Schabel an die FM im Bereich der 11., 37., 38. und 52. SS-Standarte v. 10. 3. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. Im Mai 1933 wurde die Herstellung von SS-Halbschillingen geplant, was jedoch nicht mehr verwirklicht worden sein dürfte. Davon wären auf die Herstellungskosten acht Groschen entfallen, während pro verkauftem Stück das VA VIII zwei, die Standarte zehn und die verkaufende Dienst­stelle dreißig Groschen erhalten hätten sollen, SS-VA VIII an das SS-VA v. 19. 5. 1933, ebd. 1076 H.A. II an das VA der 11. SS-Standarte v. 6. 5. 1933, ebd., Kt. 1.

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600,– Schilling verdiente er wesentlich mehr, als der gesamten Wiener SS als Etat zur Verfügung stand.1077 Im Vergleich dazu erhielt Turza 1932 als Stabsführer des Abschnitts 150,– Schilling1078 und auch sein Nachfolger Alfred Bigler bekam lediglich eine bescheidene „Aufwandsentschädigung“, der sein „Vater eine kleine Zulage hinzufügt(e)“.1079 Darüber hinaus führte Schabel die Arbeiten nicht alleine durch,1080 da seine Frau „täglich mindestens 8 Stunden für das SS-Verwaltungsamt VIII und die FM-Geldverwaltung i. Ber. d. 11. und 52. SS-Standarte arbeitete, um den Betrieb bei diesen Dienststellen aufrechterhalten zu können“. Aufgrund der weitgehend vollständig erhalten gebliebenen Akten des SS-VA VIII lässt sich Schabels tägliche Arbeit detailliert nachvollziehen, die ab März 1933 ausschließlich in der Verwaltung der FM lag. Bis zu diesem Zeitpunkt war das Verwaltungsamt nicht nur für die FM-, sondern auch für die SS-Beiträge zuständig gewesen,1081 danach wurden die beiden Bereiche voneinander getrennt, und die Standarten übernahmen selbstständig die Verwaltung der SS-Beiträge. Den größten Teil der Arbeit des Verwaltungsamtes hatten letztlich die FM-Geldverwalter in den einzelnen Dienststellen zu leisten, die unentgeltlich für die SS arbeiteten, während Schabels Stärke im Delegieren lag, wie etwa eine Werbeaktion im Frühjahr 1933 zeigt. Schabel hatte diese zur Entschuldung der österreichischen SSStandarten gestartet1082 und in der Folge angeordnet, dass sich die gesamte SS, „vom Führer bis zum letzten SS-Anwärter verpflichtet“, ihre Arbeit in den folgenden vier Wochen hauptsächlich darauf zu verwenden. Die Standarten erhielten nun den Auftrag, für die nachgeordneten Dienststellen einen „Werbeplan“ auszuarbeiten,1083 der es ermöglichen sollte, „jedes Land, jeden Bezirk, jede Gemeinde, jeden Ort und in Grosstädten (sic  !) jeden Häuserblock zu erfassen, ohne dass hiebei die Kräfte zersplittert oder an einem Ort doppelt eingesetzt werden, während andere Orte unbearbeitet bleiben“. Außerdem hatte an alle FM ein „Rundschreiben“ zu ergehen, in dem diese um eine einmalige Spende „in der Mindesthöhe eines Monatsbeitrages“ gebeten wurden. Alle FM-GV-Dienststellen mussten einen Werbetext „in Form eines maschinengeschriebenen Konzeptes“ von nicht mehr als dreißig Maschinenschriftzeilen 1077 SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 25. 2. 1933, ebd., Kt. 6. 1078 Walter Turza an Heinrich Himmler v. 25. 10. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1079 Personal-Bericht und Beurteilung von Ernst Bach für Alfred Bigler v. 2. 3. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Bigler. 1080 SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 25. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1081 SS-VA VIII/Thomas Schabel an die Verwaltungsführer d. 11. und 52. SS-Standarte und d. FM-GW i. Ber. d. 37. und 38. SS-Standarte, ebd. 1082 SS-Verwaltungsamt VIII/Thomas Schabel an die FM-GV i. Ber. der 11., 37., 38. und 52. SS-Standarte v. 9. 2. 1933, ebd. 1083 Ebd.

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verfassen, die Schabel dann „auf ihre Brauchbarkeit“ prüfen und „die besten Punkte zur Abfassung des endgültigen Werbebriefes verwende(n)“ wollte. Das endgültige Rundschreiben hatten die FM-GV im Bereich der einzelnen Standarten zu vervielfältigen und an ihre nachgeordneten Dienststellen weiterzuleiten, die am 4. März mit dem Versand zu beginnen hatten. Die einlangenden Geldbeträge mussten auf das Konto des FM-Geldverwalters der jeweiligen Standarte eingezahlt werden, die am 27.  März das Ergebnis „nach Dienststellen getrennt und summarisch“ dem SS-VA VIII zu melden und „von dem eingegangenen Bruttobetrag (…) gleichzeitig 30 % an das SS-Verwaltungsamt VIII mit beiliegenden Erlagschein (…) abzuführen“ hatten. Die verbleibenden siebzig Prozent durften die Standarten „lediglich zur Entschuldung der eigenen und nachgeordneten Dienststellen (…) verwenden“. Am 31. März sollten nach Schabels Vorstellung „sämtliche Schulden bei allen Dienststellen getilgt“ sein. Außerdem „erwartet(e)“ er, dass „jede Dienststelle bis Ende März 5 FM und bis Ende April 6 FM pro SS-Angehörigen (sic  !) aufweisen“ könne. Am 24.  Februar 1933 sandte Schabel das Werberundschreiben den StandartenFM-GV mit der Weisung zu,1084 dass der „Versandt (sic  !) (…) an die nachgeordneten Dienststellen (…) mit klaren und eindeutigen Weisungen zu erfolgen“ habe und alle jene „Dienststellen, welche dieser Anordnung nicht lückenlos nachkommen, (…) anher zu melden“ seien, um sie „rücksichtslos zur Verantwortung“ zu ziehen. Die Werberundschreiben mussten spätestens am 4. März, zwei Tage vor der deutschen Reichstagswahl, verschickt werden, da Schabel davon ausging, dass dieser Termin „wie kein anderer Zeitpunkt geeignet“ sei, um „den höchstmöglichen Erfolg für das Werberundschreiben zu gewährleisten“.1085 Fast die gesamte Arbeit der aufwendigen Werbeaktion hatten somit die FM-GV und die Standarten durchzuführen, während Schabel selbst nicht einmal in der Lage bzw. willens war, ohne deren Hilfe das Rundschreiben an die Fördernden Mitglieder zu verfassen. Das Ergebnis der aufwendigen Aktion fiel mit insgesamt 400,– Schilling ausgesprochen mager aus.1086 Die meisten Spenden hatte die Wiener SS mit 123,– Schilling erhalten. Schabel führte als hauptsächliche Gründe für die geringe Spendenleistung die „geschwächte finanzielle Lage der österreichischen Bevölkerung im Allgemeinen“, die „vielfache(n) Belastungen der FM der SS“ sowie die „vollkommen zerrüttete politische Lage“ an. Im Mai 1933 schlug er dem SS-VA dann als Anreiz zur Steigerung der FM-Mitglieder vor,1087 dass jene Standarten, deren FM-Inkasso über 2.000,– Schil1084 SS-VA VIII/Thomas Schabel an die FM-Geldverwaltung i. Ber. d. 11., 37., 38. und 52. SS-Standarte v. 24. 2. 1933, ebd. 1085 SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 6. 4. 1933, ebd. 1086 Ebd. 1087 SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 31. 5. 1933, ebd.

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ling lag, neben ihrem Etat eine Prämie von „stets 20 % des FM-Aufkommens im Standartenbereich“ erhalten sollten.1088 Aber auch die Arroganz der Geldverwalter sowie der Kassenverwaltung der Wiener Gauleitung gegenüber den einfachen SS-Männern, die über keine kaufmännische Ausbildung verfügten, jedoch bereitwillig in ihrer Freizeit Spenden sammelten, dürfte das Verhältnis zwischen den Mannschaftsdienstgraden und den Verwaltungsführern nicht eben gebessert haben. So hatte ein SS-Mann, der die Beiträge von Fördernden Mitgliedern einzukassieren hatte, eine Spende für den Gau Wien erhalten. Nachdem ihm jedoch die Bestätigungsmarken ausgegangen waren, musste er einen Beleg ausstellen, der nicht ordnungsgemäß ausgefüllt war. Der GV der Standarte, Herbert Toth-Sonns, sandte den Beleg nun mit folgendem Kommentar an die Gauleitung  :1089 „Bedauerlicherweise ist die SS nicht in der Lage, zu solchem Dienst nur Arbeiter der Stirn zu verwenden, die über die Form einer rechtsgültigen Zahlungsbestätigung unterrichtet sind. Es wird aber Sorge getragen werden, dass auf Zahlungsbestätigungen zumindest das Datum vermerkt wird.“ Diese Erklärung stieß bei der Gauleitung auf taube Ohren.1090 Sie teilte der Standarte mit, „dass derartige Bestätigungen, von wem immer sie ausgestellt werden, ausgeschlossen verwendet werden dürfen“ und diese nur mit Marken, Spendenscheinen oder Bestätigungsblocks erfolgen dürften. Hingegen sei „(e)ine andere Art der Bestätigung (…) absolut unzulässig, da abgesehen von dem schlechten Eindruck(,) den eine derartige Bestätigung auf den Spender hervorruft (sic  !), auch der Gau derartige Beschwerden dann zur Austragung erhält“. Die Ernennung von Thomas Schabel zum Chef des SS-VA VIII dürfte bei der Wiener SS insgesamt auf wenig Begeisterung gestoßen sein, da er ja zuvor bereits als Geldverwalter der 11. SS-Standarte fungiert und seine dortige Tätigkeit rückblickend als „nicht gekannte Qual“ bezeichnet hatte.1091 Die Probleme zwischen Schabel und Fitzthum bzw. Teilen der Wiener SS hatten wohl schon während Schabels damaliger Tätigkeit begonnen und eskalierten dann im Winter 1932/33. Auslöser der Konflikte war u.a. der Geldverwalter des Sturms 2 /11/11. Im Sommer 1932 stellte Schabel nämlich bei diesem Sturm „Unregelmäßigkeiten, unsagbare Faulheit und Falschmeldungen

1088 Z. B. für 2.000 Schilling Inkasso eine Prämie von 100 Schilling, für 2.100 Schilling eine für 120 Schilling etc. 1089 FM-Geldverwaltung i. Ber. d. 11. SS-Standarte an die H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Wien v. 17. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 1090 H.A. II (Kassenverwaltung) des Gaus Wien an die 11. SS-Standarte v. 22. 2. 1933, ebd. 1091 Lebenslauf von Thomas Schabel zum Ansuchen v. 31. 10. 1939, BArch (ehem. BDC), SSO  : Thomas Scha­bel.

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Die Krise der Wiener SS im Winter 1932

des zuständigen Geldverwalters SS-Anwärters Rudolf Matschnig“ fest.1092 Auf einer Führerbesprechung hatte er „das Vorgehen und Verhalten“ von Matschnig „vor den versammelten Führern und Unterführern erläutert und scharf gerügt“ sowie dessen sofortigen Ausschluss und die Neubesetzung seiner Dienststelle gefordert. Laut Darstellung Schabels habe Fitzthum seine „Ausführungen (…) beifällig aufgenommen“ und den „sofortige(n) Ausschluß Matschnigs versprochen“. Etwa zehn Wochen später erfuhr jedoch Schabel, inzwischen mit der Errichtung des SS-VA VIII betraut, dass Matschnig nicht ausgeschlossen worden war, er vielmehr „unter Umgehung des Dienstweges“ eine Beschwerde über ihn bei Fitzthum eingebracht hatte, die dieser mit einem Schabel „unbekannten Kommentar“ an den SS-Abschnitt Linz weitergeleitet hatte. Nachdem der Fall dem Abschnittsführer bekannt geworden war, hatte Fitzthum, so Schabel in seinem Bericht, erklärt, dass „es sich dabei um ein Missverständnis (handle)“ und „er (…) in der Zwischenzeit vergessen (habe), daß der anzeigende SS-A(nwärter) Matschnig mit dem gerügten und auszuschließenden SS-A(nwärter) identisch sei“. Schabel empörte sich nun darüber, dass sein „pflichtgemäßes Vorgehen“, indem er einen „Skandalfall in einer Führerversammlung zur Kenntnis brachte und von dem komm(issarischen) Standartenführer die Zusicherung sofortiger Abstellung erhielt, (…) nachher von letzterem benützt (wurde), um eine Beschwerde“ über ihn, „ohne Verständigung irgendeiner Geldverwaltungsdienststelle an die höchste Dienststelle des SSAbschnitts VIII weiterzuleiten, anstatt gegen den Schädling vorzugehen. Dieses Vorgehen“ werde „hier zumindest als schleierhaft empfunden“. Tatsächlich war Fitzthums Vorgehen völlig korrekt. Das Problem für Schabel bestand vielmehr darin, dass er als Standarten-GV zwar der Dienstvorgesetzte der Geldverwalter war, diese aber „in disziplinärer Hinsicht“ dem Führer des Verbandes, in dessen Bereich sie Dienst verrichteten, unterstanden1093 und er somit kein Verfügungsrecht über die Geldverwalter hatte. Dieses Problem sollte im Dezember 1932 im Zuge der Spitzelaffäre1094 innerhalb der SS zu weiteren heftigen Konflikten zwischen Schabel und Fitzthum führen. Matschnig, der als Sturm-GV vom Führer seiner aktiven Einheit eingesetzt worden war, stand laut Dienstvorschrift das Recht zu, Beschwerde gegen seine Absetzung bei seinem vorgesetzten Sturmführer einzulegen, der die Beschwerde über den Dienstweg dann weiterleitete. Aus Schabels Stellungnahme zu Matschnigs Beschwerde geht jedoch hervor, worum sich der Konflikt tatsächlich drehte. Schabel hegte nämlich einen tiefen Hass gegen die Tschechen. So hatte er nach der Übernahme der Abschnittsverwaltung mit der Muste1092 SS-VA III/Thomas Schabel an das SS-VA (Meldung Nr.  3 betr. Sturmbannführer Fitzthum) v. 6. 1. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1093 SS Dienst-Vorschrift für F.M.-Geldverwaltungen, ebd. 1094 S. S. 301–304.

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rung „geeigneter F.M.-Geldverwalter“ begonnen und gegenüber dem SS-Verwaltungsamt erklärt,1095 dass diese nach beruflicher, charakterlicher, „rassischer“, disziplinärer und geistiger Eignung zu erfolgen habe. Und unter die Kategorie „rassisch minderwertig“ fielen nach Schabels Vorstellungen auch die Tschechen. Nachdem die Bestellung der Geldverwalter den Führern der aktiven Einheit und nicht dem Standarten-GV,1096 also Schabel, zufiel, war Matschnig „auf dem Dienstwege von seinem aktiven Führer zum Geldverwalter vorgeschlagen“ worden,1097 den Schabel nun loszuwerden versuchte. So gab er selbst zu, dass er Matschnig auf der genannten Führerbesprechung „als Schwein, Lügner und Betrüger“ bezeichnet hatte, und hielt diese „persönliche Überzeugung (…) voll und ganz aufrecht“, obwohl er „ohne weiteres zugebe, dass eine mildere Bezeichnung diplomatischer und vielleicht auch richtiger gewesen sei“. In einem weiteren Bericht bestritt er,1098 obwohl er ihm in einem früheren Schreiben „Unregelmäßigkeiten“ und „Falschmeldungen“ vorgeworfen und als „Schädling“ tituliert hatte, ihn der „Unterschlagung der FM-Beiträge bezichtigt“ zu haben. Weiters erklärte er nun, dass von „einer persönlichen Abneigung gegen Matschnig (…) von vornherein keine Rede sein“ könne. Obwohl er aus seiner „persönlichen Abneigung gegen die Tschechen nie ein Hehl gemacht (habe) und auch nie machen werde“, lasse er sich „in Personalfragen (…) lediglich von sachlichen Gesichtspunkten leiten“. Weiters gab er zu, dass es „ohne weiteres möglich“ sei, dass er geäußert hätte, „wie kann man nur Matschnig heißen“. Schabel dürfte sich mit seinem Tschechenhass vermutlich wenige Freunde, dafür umso mehr Feinde in der Wiener SS gemacht haben. Turza, Mazanek, Plachetka und Smirtschek, um nur einige Wiener SS-Führer mit tschechischen Wurzeln zu nennen, waren wohl wenig erfreut darüber, von Schabel als „rassisch minderwertig“ eingestuft zu werden. Die ständigen Streitigkeiten zwischen Fitzthum und Schabel führten schließlich dazu, dass Fitzthum sich nach anderen Finanzierungsmöglichkeiten für die Wiener SS umsah. 9.2 Die Unterwanderung der Wiener SS durch die Arbeiter-Zeitung

Nach den gewalttätigen Auseinandersetzungen im Herbst 1932 und der häufig aufseiten der NationalsozialistInnen stehenden Exekutive und Justiz schlug die Arbeiter1095 SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 26. 10. 1932, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1096 Nach der Trennung der Verwaltung der SS-Beiträge von jenen der FM fiel die Auswahl der FM-GV in Schabels Zuständigkeitsbereich. 1097 Bericht von Thomas Schabel über die „Aussage zur Beschwerde Matschnig, vom 25. November 1932“ v. 21. 2. 1933, ebd. 1098 Bericht von Thomas Schabel über die „Aussage zum Protokoll Matschnig vom 21. Februar 1933“ v. 21. 2. 1933, ebd.

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Die Krise der Wiener SS im Winter 1932

Zeitung im November 1932 eine neue Taktik ein. In einem „Generalangriff auf die SS“1099 begann sie, höchst erfolgreich die Wiener Standarte mit Spitzeln zu unterwandern und die internen Geschehnisse in polemischen Berichten der breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Dass die Zeitung ihre Aufmerksamkeit auf die SS richtete, lag nach Fitzthum darin begründet,1100 dass „die 11. SS-Standarte sowohl während der Gautagung, als auch in Simmering dem Gegner ihre Qualität handfest vor Augen geführt hatte“. Wenngleich nicht alle Angaben der Arbeiter-Zeitung auch den Tatsachen entsprachen, so wird die doch weitgehende Authentizität der Artikel sowohl durch einen von Josef Fitzthum am 17. Jänner 1933 angefertigten „Bericht über das Spitzelwesen in der 11. SS-Standarte“ als auch durch weitere Aktenbelege bestätigt.1101 Die Infiltration der SS war für die Arbeiter-Zeitung aufgrund der Unzufriedenheit eines Teils der „alten“ SS und der rasch erfolgten Auffüllung der Truppe nicht allzu schwer zu bewerkstelligen gewesen. So hatte Fitzthum noch im November im Kampfruf die „Deutsche(n) Jünglinge und Frontsoldaten“ zum Eintritt in die SS aufgefordert und gleichzeitig um Spenden für die Schutzstaffel gebeten,1102 obwohl sich zu diesem Zeitpunkt bereits ein „sehr fühlbare(r) Führermangel“ bemerkbar gemacht hatte, der dem „Einreissen des Spitzeltums“ dann ebenfalls Vorschub leisten sollte.1103 Über Wochen hinweg war die Führung der Wiener SS mit der fieberhaften Suche nach den Verrätern beschäftigt, um die ausgesprochen peinliche Artikelserie zu beenden. In seinem abschließenden Bericht über das Spitzelwesen attestierte Fitzthum den Verrätern, dass sie „(a)lle (…) besonderen Diensteifer an den Tag legten“, „die ihnen gestellten Aufgaben (restlos erfüllten) und (…) sich in das Vertrauen der Truppe zu schleichen (wussten), indem sie sich ausserdem als gute Kameraden aufspielten“. Die an Klatsch und Tratsch gewöhnte Wiener LeserInnenschaft erfuhr nun über die Arbeiter-Zeitung vom regelmäßigen Appell-Spektakel der Wiener SS und Fitzthums verzweifelten Kampf um die Ehre der SS. Letztlich konnte Fitzthum die Vorgänge um die Infiltrierung der SS weitgehend, aber nicht vollständig aufdecken. So blieb etwa ungeklärt, ob alle Spitzel miteinander in Kontakt gestanden waren oder unabhängig voneinander operiert hatten. Als „Hauptspitzel“ konnte schließlich der SS-Anwärter Ditmar entlarvt werden, der vom Redakteur der Arbeiter-Zeitung Rittmann angeworben worden und „unmittelbar“ mit der Zeitung in Kontakt gestanden war. Ab Anfang Dezember 1932 wurde Ditmar, ein laut Fitzthum „immer unauffällig gebliebene(r)“ SS-Angehöriger aus Max Peschkes Hietzinger Sturm 2 /1/11 unter seinem Rufnamen 1099 Josef Fitzthum an den SS-Abschnitt VIII v. 24. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 1100 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1101 Ebd. Die dem Bericht ursprünglich angeschlossenen zwanzig Beilagen befinden sich nicht mehr im Akt. 1102 Der Kampfruf v. 12. 11. 1932, S. 6 („Deutsche Jünglinge und Frontsoldaten  !“). 1103 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza.

Die Unterwanderung der Wiener SS durch die Arbeiter-Zeitung

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„Burli“ von der Arbeiter-Zeitung zum besonders gewaltbereiten SS-Mann stilisiert, „der in der ganzen Partei als der ‚wüsteste Knochen der SS.‘ bezeichnet und gerühmt“ und „von der SS. als gefährlicher Raufer gefürchtet“ werde.1104 Ungeklärt blieb, ob ein weiterer SS-Mann aus dem Sturm ebenfalls für die Arbeiter-Zeitung spioniert hatte. Eine zweite Gruppe von Spitzeln kam aus dem Bereich der Geldverwaltung. So hatte der GV des Leopoldstädter Sturms 1 /111/11, SS-Scharführer Barwig, gemeinsam mit dem SS-Mann Kopp diesen kontaminiert.1105 Die beiden waren aus Berlin gekommen und gehörten der abtrünnigen Gruppe um Walter Stennes an. Über ihre Bekanntschaft mit dem SS-Mann Ferdinand Schmid hatten sie sich in den Sturm einschmuggeln, „an ausgezeichnete Kameraden der alten SS heran(machen)“ und dort „eine oppositionelle Stimmung (züchten)“ können. In den Verdacht geriet auch der SS-Mann Paier, der „vom Gau als Polizeispitzel“ verwendet wurde und sich ebenfalls auffällig häufig „zum Dienst im Hitlerhaus“ gemeldet hatte, wo er „offenbar im Einvernehmen mit Barwig und zugegebenermassen Papier mit Gauaufdruck aus dem Journalzimmer entwendet“ hatte. Als weiterer Spitzel fungierte der GV der Motorstaffel, SS-Scharführer Klötzl, der zusammen mit dem Führer des 1. Sturms der Motorstaffel Wedam die SS unterwandert hatte. Im Stab der Standarte operierte der Sturmführer Walther Kiesel,1106 der es laut Fitzthum „ausgezeichnet verstand, alle hinters Licht zu führen“ und die besondere Gunst von Abschnittsführer Graeschke genoß.1107 Zwar konnte Kiesel seine Spitzeltätigkeit bis zuletzt nicht lückenlos nachgewiesen werden,1108 laut „Burli“ hatte er jedoch „unbedingt“ Spitzeldienste geleistet. Während sich die Arbeiter-Zeitung zuvor insbesondere auf Skandale innerhalb der P.O. konzentriert hatte, begann am 20.  November eine Artikelserie über die wenig ruhmreichen Vorkommnisse in der SS. Den Auftakt machte ein Beitrag über den Ausschluss Walter Turzas aus der Schutzstaffel. Turza hatte in den Wochen nach seiner Degradierung aus seiner Wut und Empörung kein Hehl gemacht und verschiedentlich damit gedroht, Interna preiszugeben. Daraufhin teilte Himmler am 12. Oktober dem Rechtsreferenten des SS-Abschnitts VIII, Ernst Kaltenbrunner, mit,1109 dass Turza sich „in erpresserisch(er) Weise geäussert“ habe. So hätte er, im Falle, dass er nicht „wunschgemäss befördert“ werde, angekündigt, dass er „Aktionen der Behörde anzei1104 AZ v. 2. 12. 1932, S. 2 („Neues aus dem Nazisumpf“). 1105 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1106 Ebd. Kiesel gehörte nicht dem Führerkorps der Wiener SS an, sondern jenem des VA VIII. 1107 Beschreibung der Geldverwalter im SS-Abschnitt VIII (nach dem Stande vom 30. 9. 1932) von Franz Weil­guny, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 1108 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1109 Heinrich Himmler an Ernst Kaltenbrunner v. 12. 10. 1932, ebd.

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gen“ werde, die von der Linzer Standarte „zur Verschleierung von Vorfällen in Königsberg unternommen worden seien“. Angeblich hatte Turza die Königsberger SSMänner, die nach der Verübung von Bombenanschlägen nach Linz geflüchtet waren, an die Polizei verraten,1110 was sich später allerdings als falsch herausstellen sollte. Am 25.  Oktober teilte Turza Himmler mit,1111 dass er seinen „ungewollt(en) Fehltritt“ hinsichtlich der Unterschlagung von Geldern „aufrichtig (bedauere)“, und bat darum, da er seine Stellung als „Hilfskraft“ im Abschnitt als „furchtbar erniedrigend und hart“ empfand, um „Rückversetzung zur Truppe“. Laut Arbeiter-Zeitung1112 hatte Turza wenig später in München „über die Verluderung der österreichischen Partei Klage geführt und erklärt (…), daß das Wirken bestimmter Führer die Bewegung ruiniere und in absehbarer Zeit zugrunde richten würde“. Die Partei werde „von Leuten, die nur mit Lautsprechern ausgerüstet sind (womit offenkundig Frauenfeld gemeint war, Red.), nach Hochstaplerart geführt (…)“. Als Turza am 26.  Oktober nach Wien zurückkehrte und sofort beurlaubt wurde,1113 gab Fitzthum den SS-Männern Max Grillmayr, Franz Kunze und Hans Spitt den Auftrag, ihn zu überwachen.1114 Nachdem sich am 5.  November der Adjutant der Gruppenstaffel Österreich, SA-Standartenführer Hans Löwe-Langer,1115 auch noch beim SSAbschnitt darüber beschwert hatte, dass Turza ein Darlehen nicht zurückgezahlt habe und weitere finanzielle Ungereimtheiten festgestellt worden waren, befahl Himmler am 7. November den sofortigen Ausschluss Turzas aus der SS und NSDAP.1116 Am 9. No1110 In der Nacht vor der Reichstagswahl am 31. Juli 1932 war es zu zahlreichen Gewalttaten der NSDAP gekom­men, u.a. auch in Königsberg, wo Nationalsozialisten auf das Otto-Braun-Haus, in dem auch die Königsberger Volkszeitung untergebracht war, und auf das Gebäude der Königsberger Hartungschen Zeitung Brandbombenanschläge verübten sowie den Chefredakteur der Königsberger Volkszeitung niederschossen, vgl. dazu die Berichterstattung in der RP, NFP, WZ v. 1. 8. 1932. Am 15. September 1932 wurden die SS-Männer Paul Majora, Walter Plöw, Walter Kreschinski und ein gewisser Marienfeld wegen Verstoß gegen die Meldevorschriften in Linz verhaftet, AZ v. 27. 1. 1933, S. 3 („Die viertau­ send Handgranaten des Herrn Frauenfeld“). Dabei stellte sich heraus, dass es sich um die gesuchten Bombenattentäter handelte, Kl.  Bl. v. 16.  9.  1932, S.  1 („Die Königsberger Nazi-Bombenwerfer in Linz“). Vgl. weiters AZ v. 27. 1. 1933, S. 3 („Im Linzer Lan­desgericht gehts (sic  !) Naziverbrechern gut  !“). Laut einem späteren Bericht von Turza erfolgte die Verhaf­tung der Königsberger Bombenwerfer aufgrund einer Unachtsamkeit von Graeschke  ; Walter Turza an Hein­rich Himmler v. 24. 3. 1939, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1111 Walter Turza an Heinrich Himmler v. 25. 10. 1932, WStLA, GAW  : Walter Turza, Zl. 87.942. 1112 AZ v. 20. 11. 1932, S. 5 („Rebellion im Nazilager“). 1113 Walter Turza an die LL der NSDAP v. 14. 1. 1933, WStLA, GAW  : Walter Turza, Zl. 87.942. 1114 Protokoll von Max Grillmayr v. 10. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1115 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 428f. 1116 BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. Der sofortige Ausschluss Turzas aus der NSDAP wurde am 14. 12. 1932 vom Landes-USchla bestätigt, Alfred Proksch an Walter Turza v. 14. 12. 1932, WStLA, GAW  : Walter Turza, Zl. 87.942.

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vember berichtete der zu diesem Zeitpunkt noch ahnungslose Turza in einer privaten Besprechung mit SS-Sturmhauptführer Rundspaden über eine „spätere Dienstverwendung, dass er mit der Behandlung seiner Person in gar keiner Weise zufrieden wäre, (…) aufs ganze (gehen werde), wenns (sic  !) nicht legal gehe, dann illegal, ihm wäre es gleich, das ganze würde ein Ende mit Schrecken nehmen“. Darüber hinaus wurde ihm nun auch unterstellt, mit einem sozialdemokratischen Fürsorgerat in Kontakt zu stehen und „längere Zeit verhandelt“ zu haben.1117 Am 11. November erhielt Turza ein „Dienstschreiben“ von der Standartenführung,1118 in dem er aufgefordert wurde, zu dem am Tag darauf stattfindenden Appell „im Dienstanzuge“ zu erscheinen. Der ahnungslose Turza glaubte daraufhin, dass ihm „eine Standarte zugeteilt werde“. Der Appell fand nach dem Aufmarsch anlässlich des Staatsfeiertages am Lenauboden statt, wo laut Arbeiter-Zeitung1119 „von den 580 SS-Männer(n) (…) nur 238 Mann erschienen“ waren. Die Männer mussten sturmund sturmbannweise Aufstellung vor Fitzthum nehmen, der sie, so die AZ, wegen des „kläglichen Verlauf(s) des Aufmarsches (…) ordinär beschimpfte“ und „mit ‚Scheißkerlen, Schweinebande‘ und ähnlichen hitler-braunen Titularen nur so herumwarf“. Später erschienen auch Graeschke und in seiner Begleitung der neue Stabsführer Alfred Bigler, zuletzt traf Walter Turza ein. Fitzthum und Graeschke nahmen vor der Front Aufstellung, „die SS-Leute (…) Habtachtstellung an“, während Turza „drei Schritte hinter den Führern“ zu stehen hatte. In seiner Ansprache „erhob“ Graeschke „schwerste Anschuldigungen“ gegen den verblüfften Turza. Zu seinem „grössten Entsetzen“ wurde er „vor der angetretenen SS auf brutale Art und Weise degradiert.1120 Nach dem Bericht der Arbeiter-Zeitung „schnauzte“ Graeschke ihn an,1121 ob er sich „freiwillig degradieren lasse“, was Turza „empört verneinte“. Daraufhin „stürzten sich fünf ausgesuchte und für diesen Zweck bereitgestellte kräftige Gestalten“ auf ihn und „rissen ihm die Kragenaufschläge und Armdistinktionen herunter, wobei ein Stück Uniformstoff mitging, so daß er nach dieser Prozedur zerfetzt dastand“. Turza „wehrte sich, so gut er konnte“, und versuchte, die SS-Leute zu mobilisieren, das Treiben zu beenden, woraufhin „etwa fünfzig bis sechzig Männer mißmutig die Stiefelabsätze zusammenschlugen, um gegen das widerwärtige Schauspiel zu demonstrieren“. 1117 Bericht von Alfred Bigler an den Reichsführer-SS, 18. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. Bigler bezog sich dabei auf das Überwachungsprotokoll von Grillmayr, der jedoch nur festgestellt hatte, dass Turza sich zu dem Haus begeben hatte. Wen Turza dort aufsuchte, konnte nicht festgestellt wer­den, da die in Betracht kommenden Wohnparteien nicht anwesend waren. 1118 Walter Turza an Adolf Hitler v. 20. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1119 AZ v. 20. 11. 1932, S. 5 („Rebellion im Nazilager“). 1120 Walter Turza an Adolf Hitler v. 20. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1121 AZ v. 20. 11. 1932, S. 5 („Rebellion im Nazilager“).

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Graeschke erteilte daraufhin den Befehl, Turza hinauszuwerfen, trat nochmals vor die SS-Männer und „erklärte kurz und scharf, er habe Auftrag, gegen alle Schädlinge, Verräter und Denunzianten in der Bewegung rücksichtslos vorzugehen“, und es läge „ihm nichts daran, auch die ganze SS aufzulösen“. Ebenso „wie in Graz werde er auch in Wien Ordnung machen“, und außerdem gäbe es in Deutschland „genug brauchbare, tüchtige und ausgesuchte Leute, die sich für die Zwecke der SS. besser eigneten“. Am 22. November versuchte Fitzthum mit einem Appell am Lenauboden,1122 dem Unmut und der Verunsicherung, die sich in Teilen der Truppe bemerkbar machten, entgegenzuwirken, indem er „entsprechende Aufklärung“ über die Gründe für den Ausschluss Turzas gab und „unter vollkommene(r) Würdigung der Gefühle der alten SS diese aufforderte, den Verkehr mit Turza unter allen Umständen zu brechen und der Führung die Treue zu halten“. Gleichzeitig drohte er allen, die weiterhin Kontakt mit Turza halten würden, „mit rücksichtslosem Ausschluss“ und betonte weiters, dass Turza die Möglichkeit zum Einspruch habe. Nach Fitzthums Einschätzung „zeitigte“ der Appell eine „offenbar gute Wirkung“.1123 Nachdem die Arbeiter-Zeitung den Bericht über den Appell veröffentlicht hatte, stand für die Standartenführung fest,1124 dass sich „innerhalb der SS (…) Elemente befänden, die dem Blatte Spitzeldienste leisteten“. Der nächste große Wurf gelang der Zeitung am 29. November, als sie exklusiv über eine Besprechung der obersten Führung der NSDAP in Linz berichtete.1125 Dort wurde angeblich „nun sehr viel über die Maulfwurfsarbeit der ‚Spitzel der Wienzeile‘ gejammert und von Abwehrmaßnahmen in der eigenen Doppelreihe gesprochen“. Allerdings „fehlten (…) auch nicht Stimmen, die darauf verwiesen, daß die Unzufriedenheit (…) erst mit dem Einsetzen ‚ausländischer‘ (preußischer, Red.) Methoden um sich griff“, wogegen Theo Habicht sich in seinem „eigenen sowie im Namen (…) der übrigen braunen Sendlinge aus dem Ausland (verwahrte)“. Danach ließ die AZ ihre Bombe platzen und verkündete, dass Graeschke als Abschnittsführer der österreichischen SS abberufen werde, der zu diesem Zeitpunkt ebenso wie auch die gesamte österreichische SS-Führung noch völlig ahnungslos darüber war. Tatsächlich ernannte Himmler am Tag der Veröffentlichung des Beitrags den Chef des SS-Hauptamtes Ernst

1122 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1123 Tatsächlich reichte Turza in den folgenden Wochen bei Hitler und Himmler zahlreiche Bitten um Rehabilitation ein, die allesamt ungehört blieben. Auch Hitlers Halbschwester, Angela Raubal, sandte an Himmler ein Unterstützungsschreiben für Turza, das ebenfalls keine Änderung der Lage brachte, Angela Raubal an Heinrich Himmler v. 19. 12. 1932  ; Heinrich Himmler an Angela Raubal v. 21. 12. 1932, ebd. 1124 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, ebd. 1125 AZ v. 29. 11. 1932, S. 2 („Die ‚Schweinerei‘ bei den Nazi ärger als bei der Heimwehr“).

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Bach zum interimistischen Führer des österreichischen Abschnitts.1126 Graeschkes Absetzungsbefehl unterschrieb er überhaupt erst zwei Tage später.1127 Himmlers Personalentscheidung war dringend notwendig, herrschten doch in der österreichischen SS mittlerweile unhaltbare Zustände. So warf SS-Sturmhauptführer Rundspaden laut einem Bericht von Schabel1128 dem Chef des SS-Verwaltungsamtes Schneider und Schabels Frau vor, sich ungebührlich verhalten zu haben, was Schabel entschieden zurückwies, und Schneider bat, „vom Faustrecht Gebrauch machen zu dürfen“. Schabel meldete wiederum, dass ihm Rundspaden selbst „ungefragt“ erzählt habe, während eines Besuches in Wien „in Gesellschaft einer Dame um 6 Uhr früh infolge Volltrunkenheit in einem Rinnsal gesessen und unfähig gewesen“ zu sein, „allein nach Hause zu gehen“. Energisch forderte Schabel „die Vereinigung von Dreckseelen (…) mit Stumpf und Steile auszurotten“. Dies hinderte ihn jedoch nicht daran, noch am gleichen Tag Schneider zu berichten,1129 dass er „von Leuten der 11. SS-Standarte gehört“ habe, dass „Fitzthum dem Dr. Graeschke eine Angestellte seines Büros ‚zugeführt‘ haben soll“, jedoch entziehe es sich seiner Kenntnis, „ob Dr. Graeschke die 1126 Heinrich Himmler an Ernst Bach v. 29. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Ernst Bach. 1127 Heinrich Himmler an Walter Graeschke v. 1. 12. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Graeschke. Laut einer Mitteilung Himmlers an die SA-Gruppe Österreich hatte er Graeschke „auf seinen Antrag als Führer des SS-Abschnitts VIII entho­ben“, Heinrich Himmler an die SA-Gruppe Österreich v. 1. 12. 1932, ebd. Graeschke wurde gleichzeitig mit seiner Enthebung zur Disposition der SS-Gruppe Ost gestellt, wo er aber, falls überhaupt, nur kurze Zeit blieb, Personalbefehl von Heinrich Himmler v. 1.  12.  1932, ebd. In einem Schreiben an Himmler vom 13.  Jänner 1933 gab Graeschke Verwaltungsführer Schneider die Schuld an seiner Absetzung, indem er ihm „üble Machenschaften“ vorwarf, wodurch er „weiten Kreisen gegenüber in ein eigenartiges Licht gekommen“ sei. Er forderte seine „volle Rehabilitierung“, die nur in seiner „Wiedereinsetzung unter Bestrafung des Herrn Schneider“ erfolgen könne. Weiters warf er Bach vor, dass dieser „durch einen psychologisch sehr unge­schickten Abschnittsbefehl (…) der gesamten Oesterreichischen SS (sic  !) meine ‚Enthebung‘ von dem Ab­ schnittsführerposten bekannt gegeben“ habe, wodurch er den „Eindruck gewinnen“ musste, dass Himmler ihm „nicht die Fähigkeiten zum Abschnittsführer zutraue“. Graeschke beabsichtigte nun, nach Österreich zurückzukehren, da er sich „noch nicht alt genug fühle, in dem grossen Kampf abseits zu stehen“, und seine „alten österreichischen Kameraden und Freunde“ würden ihn als „einfachen Pg. oder SA-Mann“ kaum „weniger schätzen“. Nachdem dafür und für seinen „nun gegen Herrn Schneider einsetzenden Kampf“ seine Stellung in der SS hinderlich sein dürfte, wäre sein Austritt aus der SS unumgänglich, Walter Graeschke an Heinrich Himmler v. 13. 1. 1933, ebd. Am 24. Jänner gab Himmler seinem Ansuchen statt und wünschte ihm „für die Zukunft und (…) weitere Arbeit im Interesse der Bewegung das Beste“, Heinrich Himmler an Walter Graeschke v. 24. 1. 1933, ebd. Graeschke kehrte im Jänner 1933 nach Österreich zurück und arbei­tete fortan in der österreichischen Landesleitung mit, Bescheinigung v. 8. 3. 1941, ebd. Am 5. Dezember 1933 wurde er wieder in die Schutzstaffel aufgenommen und gleichzeitig zum SS-Oberführer befördert. 1128 Bericht von Thomas Schabel an das SS-VA v. 11. 1. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1129 Meldung von Thomas Schabel an das SS-VA v. 11. 1. 1933, ebd.

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‚Zufuhr‘ einer Dame verlangt hat oder nicht“, dies könnte „selbstverständlich nur einer der Beteiligten einwandfrei feststellen“. Am 8.  Dezember 1932 berichtete Schabel an SS-Verwaltungsführer Schneider,1130 er habe dem Adjutanten des Reichsführers mitgeteilt, dass „75 % der Wiener Staffel (…) das Ausscheiden des Oberführers Dr. Graeschke mit Freuden begrüßt“ hätten. Eine Woche später teilte wiederum Weilguny Himmler mit,1131 dass er seine Unterstützung für Schabel zurückziehe, und entschuldigte sich für „diesen Missgriff“. Eifrig streute auch Walther Kiesel Gerüchte über tatsächliche oder vermeintliche Verfehlungen hoher SS-Führer aus. So meldete er am 3. Dezember,1132 dass Schneider nach einem gemeinsamen Besuch der Bar „Femina“ mit Abschnittsführer Graeschke in einem Café „sich ein Mädchen nahm, ihr 5 Mark gab und sie dann später in das Hotel“ mitnahm, der Portier sie jedoch nicht hineingelassen habe. Zuvor hatte Kiesel schon gegen Turza intrigiert, über den er am 20. November berichtete,1133 dass er nach seinem Ausschluss „eine Unterredung von längerer Dauer mit dem Redakteur“ der sozialistischen Zeitung Das Kleine Blatt gehabt habe. Turza wurde daraufhin von Fitzthum unter Bewachung gestellt und erhielt Besuch von SS-Männern, die ihn im Auftrag der Standartenführung aushorchen sollten. Nachdem Turza angegeben hatte, dass Karl Regnemer ihn kontaktiert hatte, geriet auch dieser in den Verdacht, als Spitzel tätig zu sein. Der mit der Führung des Sturms 1 /111/11 beauftragte Julius Schwab vermutete wiederum,1134 dass Fitzthums Adjutant, Josef Reuschauer, sich als Spitzel betätige, und meldete dem Abschnittsführer, dass dieser zwar „der engste Vertraute von Fitzthum“ sei, seinen Kameraden aber erzählt habe, „er müsse mit Fitzthum abends mitgehen und aufpassen, da dieser sonst(,) wenn er etwas mehr getrunken hat(,) alles ausplaudert im Gasthaus“. Ernst Bach, der laut Arbeiter-Zeitung im Ersten Weltkrieg ein österreichisches Bataillon kommandiert hatte und „daher als geeignet“ galt, „mit den schlappen Oesterreichern fertig zu werden“,1135 sollte nun Ruhe in den völlig aufgelösten Abschnitt bringen und wurde dazu mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet. Laut einem Befehl Himmlers1136 durfte er „alle Massnahmen, die ihm geeignet erscheinen, die Aufbauarbeit der SS im Bereich des Abschnitts zu fördern und hemmende Einflüsse zu beseitigen, im Namen des Reichsführers-SS (…) treffen und in gleicher Weise Befehle in Vertretung des Reichsführers-SS (…) geben“. 1130 Thomas Schabel an Standartenführer Schneider v. 8. 12. 1932, ebd. 1131 Franz Weilguny an Heinrich Himmler v. 14. 12. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Weilguny. 1132 Meldung von Walther Kiesel v. 3. 12. 1932, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1133 Bericht von Walther Kiesel v. 20. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1134 Julius Schwab an Oberführer Bach v. 9. 2. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Maxa. 1135 AZ v. 16. 12. 1932, S. 3 („Bei den Nazi wird kräftig gestohlen“). 1136 Heinrich Himmler an Ernst Bach v. 29. 11. 1932, BArch (ehem. BDC), SSO  : Ernst Bach.

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Nach ersten Anfangsschwierigkeiten schaffte es Bach relativ rasch, die Führung der österreichischen SS wieder in den Griff zu bekommen. Im Gegensatz zu Graeschke wurden über ihn auch keine Gerüchte über angebliche Eskapaden bekannt.1137 Nach Turzas Absetzung begann er den am 9. September ernannten Stabsführer Alfred Bigler1138 als Nachfolger aufzubauen. Nach der positiven Beurteilung seines engsten Mitarbeiters scheint das Verhältnis zwischen ihnen sehr gut gewesen zu sein. So bezeichnete er Bigler als „zuverlässig(en) und pflichttreu(en)“ Abb. 46: Ernst Bach, ca. 1918, BArch Mitarbeiter und durchsetzungsfähige „Soldatennatur“, der sein „volles Vertrauen“ genieße. Bach, dessen Funktion in Österreich nur als interimistische Lösung vorgesehen war, bereitete jedoch nicht nur Bigler auf die Übernahme des Abschnitts vor, sondern traf auch eine für die SS kluge Personalentscheidung, indem er Bigler den 49-jährigen österreichischen Rittmeister a.  D. Carl (von) Pichl,1139 einen erfahrenen 1137 Der zum Zeitpunkt seiner Ernennung 54-jährige Bach stammte aus dem westfälischen Herford und hatte zunächst eine Offizierslaufbahn eingeschlagen. Im Ersten Weltkrieg kämpfte er ab 1914 an der Front und schied 1924 als Major und Ausbildner der Infanterieschule München aus dem Heeresdienst aus. Wie auch Himmler verlegte sich Bach danach auf die Tierzucht und bewirtschaftete eine Geflügelfarm in Fürstenfeldbruck. Im November 1931 schloss er sich der SS an und wurde im Jänner 1932 zum Chef des SS-Hauptamtes ernannt. Im Dezember 1932 erfolgte seine Beförderung zum SSOberführer, BArch (ehem. BDC), SSO  : Ernst Bach. 1138 Bigler, 1898 in München geboren, hatte sich nach Beendigung der Schulzeit 1916 freiwillig zum Reichsheer gemeldet und die letzten zwei Kriegsjahre an der Westfront gekämpft. Nach Ende des Krieges wurde er als Leutnant entlassen und durchlief eine Ausbildung zum Diplomkaufmann. 1921 schloss er sich der Marinebrigade Erhardt an, wo er als Oberleutnant bis 1923 eine Batterie führte. Darüber hinaus war er ab 1923 auch bei der 5. Batterie des Reichswehrartillerieregiments 7 als Zugführer eingeteilt. Im gleichen Jahr trat er der von Ernst Röhm geführten Reichskriegsflagge bei und war Gründungsmitglied des deutsch-völkischen Offiziersbundes. Im Frühjahr 1932 wurde er Mitglied in der NSDAP und SS. Nachdem er im Mai seine Anstellung bei der Staatsbrauerei Weihenstephan verloren hatte, widmete er sich ganz dem Dienst in der SS. Bigler wurde im September 1932 vorläufig nur mit der Wahrung der Geschäfte des Stabsführers beauftragt. Seine definitive Ernennung erfolgte erst ein Jahr später, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Bigler. 1139 BArch (ehem. BDC), SSO  : Carl (von) Pichl. Der Vorname Pichls weist unterschiedliche Schreibweisen auf. Er selbst unterzeichnete durchgehend mit „Carl“.

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und besonnenen ehemaligen Berufsoffi­ zier, zur Seite stellte, der einerseits von Bigler geschätzt und andererseits auch von der österreichischen SS respektiert wurde. Währenddessen setzte die ArbeiterZeitung ihre Berichterstattung über die Wiener SS fort und veröffentlichte einen Bericht über eine im Oktober abgehaltene Führersitzung der Standarte,1140 in der Schabel über die Veruntreuung von Geldern durch die Verwaltungsführer berichtet hatte, Fitzthum „gegen die Disziplinlosigkeit in der SS los(zog)“ und angeblich erklärt hatte, dass die „eingerissene ‚Schweinerei‘ (…) kaum noch Abb. 47: Alfred Bigler, ca. 1933, BArch von der Heimwehr übertroffen werden (könne)“.1141 Am 2.  Dezember konnten die LeserInnen dann „Neues aus dem Nazisumpf“ erfahren,1142 wie über einen „heftige(n) Zusammenstoß“ zwischen SA-Standartenführer Alois Peschel mit SAMännern im „Adolf-Hitler-Haus“, der die Absetzung Peschels zur Folge gehabt habe, und über eine Prügelei zwischen zwei Hietzinger SA-Führern. Tatsächlich wurde Peschel kurz darauf durch den reichsdeutschen SA-Führer Otto Schuckat ersetzt.1143 Weiters veröffentlichte die Arbeiter-Zeitung einen Bericht über die Überfälle der SS-Hauswache auf die im „Adolf-Hitler-Haus“ wohnende jüdische Familie Spielmann,1144 die seit Wochen von der NSDAP terrorisiert wurde, und nannte darin Anton Doblreiter,1145 der als SS-Posten im „Adolf-Hitler-Haus“ angestellt war, als jenen SS-Mann, der bereits am 3. November einen Überfall auf die Wohnung der Familie begangen habe. Doblreiter wurde von der Polizei zwar der Tat verdächtigt, konnte jedoch nicht überführt werden. Die Berichte der Arbeiter-Zeitung, die immer wieder auf Doblreiters Aktivitäten hinwies, trugen sicherlich dazu bei, dass zumindest ein 1140 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1141 AZ v. 29. 11. 1932, S. 2 („Die ‚Schweinerei‘ bei den Nazi ärger als bei der Heimwehr“). 1142 AZ v. 2. 12. 1932, S. 2 („Neues aus dem Nazisumpf“). 1143 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1144 Vgl. dazu Steele (1992), S. 460–462. 1145 Eidesstattliche Erklärung von Anton Doblreiter v. 22.  9.  1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Anton Doblrei­ter.

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Anschlag auf die Familie Spielmann im Jänner 1933 aufgeklärt werden konnte. In der Silvesternacht war nämlich neuerlich das Vorzimmerfenster der Familie eingeschlagen und der Eingang zur Wohnung „beschmutzt“ worden.1146 Doblreiter, bei dem man einen Schlagring vorgefunden hatte, wurde als Verdächtiger verhaftet und gestand schließlich „nach langem Leugnen“, die Tat begangen zu haben. Er wurde am 2. Jänner der Staatsanwaltschaft Wien angezeigt und zu zwei Tagen Arrest verurteilt.1147 Am 3.  Dezember erschien dann ein Abb. 48: Anton Doblreiter, ca. 1938, WStLA „Bericht aus dem braunen Verbrechernest“, in dem die Arbeiter-Zeitung eine Prügelei im Hof des „Adolf-Hitler-Hauses“ öffentlich machte. Demnach hatte „eine Debatte über die bekanntgewordenen Parteiskandale in eine(r) Rauferei“ zwischen SS- und SA-Männern geendet, da „mehrere SS-Männer den aus Deutschland eingewanderten militärischen Führern die Schuld an den Zerwürfnissen in der Partei gaben“, woraufhin sich ein SS-Mann „auf einen Kameraden (stürzte) und der Wirbel (…) los (ging). Mehrere SS- und SA-Männer wälzten sich im nächsten Augenblick auf dem Boden“, bis schließlich die „SS-Hauswache der Balgerei ein Ende (machte), indem sie die Kampfgenossen auf die Straße setzte“. Der Bericht dürfte auf wahren Begebenheiten beruht haben, da Doblreiter vom Kommissariat Mariahilf, in dessen Rayon das „Adolf-Hitler-Haus“ lag,1148 am 3. Dezember angezeigt worden war, weil er einen Mann „aus dem Hause hinausgeworfen“ hatte, wodurch dessen „körperliche Sicherheit gefährdet war“.1149 Doblreiter wurde am 4. Jänner 1933 vom Bezirksgericht I zu fünf Schilling Geldstrafe bzw. 24 Stunden Arrest verurteilt. In den folgenden Tagen konnte die SS dann kurzfristig aufatmen, da die ArbeiterZeitung sich vermehrt wieder der P.O. zuwandte und u.a. verkündete, dass Gauleiter Frauenfeld sich kurz vor seinem Parteieintritt 1929 im jüdischen Rothschild-Spital 1146 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 4. 1. 1933. 1147 Vormerkung der Flüchtlings-Überprüfungsstelle Graßlfing v. 22. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : An­ton Doblreiter. 1148 Doblreiter wohnte damals im 13. Bezirk, ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 4. 1. 1933. 1149 Strafverfügung des BG I v. 4. 1. 1933, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien.

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hatte behandeln lassen.1150 Am 6. Dezember erklärte sie dann,1151 dass sich ihre „Ankündigung“ über Graeschkes Abberufung bestätigt habe, und stellte auch gleich den neuen Abschnittsführer und seinen Adjutanten vor, die am Abend zuvor „Einzug im Wiener Hitler-Haus gehalten“ hätten. Es handle sich dabei um zwei „ausrangierte reichsdeutsche Parteirecken“, die „im hinteren Gastzimmer der Kantine (…) (den) Nazigenerale(n) Pichl, Fitzthum, Mazanek, Plachetka, Anderka und andre(n) P(artei) g(enossen)“ vorgestellt wurden. Eine Woche später berichtete die Arbeiter-Zeitung, dass die Spitzelaffäre erste Konsequenzen gezeitigt habe.1152 So sei den Brachialorganisationen mitgeteilt worden, „daß bis auf weiteres die Befehlsausgabe in der bisher üblichen Form entfällt“ und nur noch „von Mann zu Mann (…) verbreitet (wird)“, um zu verhindern, „daß die Arbeiter-Zeitung davon Kenntnis (…) erhält“. Zur Demonstration, wie „unzureichend diese Vorsichtsmaßnahmen“ seien, brachte sie einen Bericht über den am 9. Dezember abgehaltenen Standartenappell am Lenauboden, bei dem Bach der Wiener Standarte als Nachfolger des „von uns davongejagten Herrn Dr. Gräschke (sic  !)“ vorgestellt wurde. Bach habe sich „auf seine Art“ präsentiert und „in schnoddriger Art“ angekündigt, „er habe die Aufgabe übernommen, in die Truppe einen andern Geist hineinzubringen. Die Oesterreicher seien ihm zu schlapp.“ Danach seien mehrere Degradierungen und Ausschlüsse durchgeführt worden. Darunter befand sich auch Walther Kiesel,1153 der zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht als Spitzel entlarvt worden war.1154 Allerdings hatten Fitzthum und Anton Ziegler bei einem „zufälligen Gespräch“ entdeckt, dass Kiesel „eine ganze Reihe von Gerüchten“ verbreitet hatte und „auf diesem Wege die Führer gegenseitig misstrauisch und verschlossen (ge)macht“ hatte. Nach Beendigung der „Gerichtsszene“ habe Bach dann eine „Ansprache“ gehalten, „die nichts andres als 1150 AZ v. 4.  12.  1932, S.  3 („Nazigauleiter Frauenfeld im jüdischen Spital“)  ; vgl. dazu auch die AZBerichte v. 5. 12. 1932, S. 1  ; 6. 12. 1932, S. 3  ; 8. 12. 1932, S. 3  ; 18. 12. 1932, S. 2f.; 28. 12. 1932, S. 2 und 3. 1. 1933, S. 3. Ein weiterer Artikel widmete sich dem SA-Sturmführer und Zellenobmann der Wiener NSDAP Filip, der an seinem Dienstort Gelder unterschlagen hatte  ; AZ v. 4. 12. 1932, S. 6 („SA-Führer, Zellenobmann und Propagandaleiter der Nazi – ein Dieb“)  ; AZ v. 6. 12. 1932, S. 3 („Der diebische Sturmführer erst jetzt abgesetzt“). Mitte Dezember erschien ein Bericht über die angebliche Hilfestellung des Gaugeschäftsführers Erwin Schaffar für einen aus Thüringen ausgewiesenen jüdischen Wiener Kaufmann beim dortigen Gauleiter Fritz Sauckel  ; AZ v. 10. 12. 1932, S. 3 („Die Wiener Hitler-Partei eine Agentur für reiche Juden“). Ein weiterer Artikel behan­delte den Diebstahl von Geldern des Landespressechefs der österreichischen NSDAP, Raimund Haintz, bei seinem früheren jüdischen Arbeitgeber  ; AZ v. 11. 12. 1932, S. 3 („Pg. Kusička – Raimund – Haintz“). 1151 AZ v. 6. 12. 1932, S. 3 („Dr. Graeschke verläßt Oesterreich“). 1152 AZ v. 13. 12. 1932, S. 2 („Die Arbeiter-Zeitung macht im Hitler-Haus Ordnung“). 1153 SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 13. 12. 1932, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1154 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza.

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Drohungen enthielt“,1155 und angekündigt, dass die SS-Führer „mit erhöhter BefehlsGewalt ausgestattet werden, die sie gegen jeden, der des braunen Hemdes unwürdig sei, auf der Stelle gebrauchen würden“. Weiters habe er „wörtlich“ erklärt, dass „ ‚diese Sauwirtschaft, die bis jetzt in der Wiener Formation herrschte, (…) ein Ende nehmen (muß). Was man da hört, ist für die ganze Bewegung untragbar“, und er „werde mit dem eisernen Besen mal tüchtig durchgreifen.‘ “ Nach Ende des Appells „bemächtigte sich der Zurückgebliebenen“, so der Bericht, „gleich eine „neue Aufregung“, da einem SS-Mann sein neuer Pelzmantel gestohlen und stattdessen ein „schäbiger, abgerissener Mantel“ zurückgelassen wurde. Daraufhin sei die Tür abgesperrt und eine Durchsuchung durchgeführt worden, die lediglich zutage gefördert habe, dass einem weiteren SS-Mann die Geldbörse gestohlen worden sei. Verdächtigt wurde der Sturmbann I, woraufhin Hauptsturmführer Pichl „sichtlich verärgert (…) eine Gardinenpredigt (…) wegen der sich in der letzten Zeit häufenden Kameradschaftsdiebstähle“ habe halten müssen. Der Mantel sei jedem SS-Mann gezeigt worden, der „bei seiner Parteiehre erklären (mußte), ob er sein Eigentum sei oder ob er ihn als Mantel eines Kameraden erkenne“. Die „Generalmusterung“ verlief laut Arbeiter-Zeitung ergebnislos, jedoch waren zu dem Appell von den 280 Mann auch nur 118 erschienen. Bei einem weiteren Appell, der sich „zum Tribunal (verwandelte)“, mussten sich der Arbeiter-Zeitung zufolge fünf SS-Männer „zum Rapport“ bei Fitzthum und „den aufgenordeten Sturmbannführern Mazanek und Plachetka“ melden.1156 Hintergrund war eine Anzeige des Spitzels Ditmar gegen den Parteigenossen Schweizer, den er beschuldigte, eine Handtasche gestohlen zu haben. Nachdem sich Haupttruppführer Rudolf Kronister für Schweizer eingesetzt hatte, erklärte Ditmar, „die Zeugenschaft des Kronister sei nicht maßgebend, da dieser bei dem Unterhaltungsabend ‚besoffen wie ein Schwein‘ gewesen sei und nicht wusste, was sich um ihn herum begab“. Ditmar sei „für diese Charakterisierung eines Vorgesetzten (…) an Ort und Stelle“ mit dem vierzehntägigen Entzug seines Scharführerzeichens und des Diensthemdes bestraft worden. Zuvor hatte die Arbeiter-Zeitung1157 über die Auflösung des Trupps 3 im Sturm 2 /1/11 und die Degradierung von Anton Doblreiter berichtet, nachdem dieser bei ­einer Veranstaltung der NSDAP im November den Erlös des Verkaufs von Ehrenkarten veruntreut und nur „einen lächerlich geringen Betrag“ an die Standarte abgeliefert hätte. Dem „verdatterten Trupp“ habe er „eingeschärft (…)  : ‚Jungens, ihr habt über die Ehrenkarten die Goschen zu halten  !‘, was als Beweis dafür gilt, daß die Verwendung 1155 AZ v 16. 12. 1932, S. 3 („Bei den Nazis wird kräftig gestohlen“). 1156 Ebd. 1157 AZ v. 13. 12. 1932, S. 2 („Die Arbeiter-Zeitung macht im Hitler-Haus Ordnung“).

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des Betrages aufklärungsbedürftig ist“. Doblreiter, dessen „finanzielle Verfehlungen“ der Hietzinger Bezirksleiter in seinem Jahresbericht bestätigte,1158 wurde zum SSMann degradiert, jedoch nicht aus der SS ausgeschlossen,1159 der Trupp 3 aufgelöst. Über weitere Diebstähle in den Reihen der SS erfuhren die LeserInnen dann am 16. Dezember. Diesmal wandte die Arbeiter-Zeitung ihre Aufmerksamkeit einer Versammlung in der Josefstadt zu, wo „eine hochnotpeinliche Untersuchung gegen den Sturmbannführer Kaaserer, dem die Verantwortung für das parteischädigende Tun seiner Leute aufgehalst werden soll“, eingeleitet worden sei. Hintergrund der Affäre war laut Artikel eine Anzeige des SA-Standesführers Gottfried Pfeifer, derzufolge „der Erlös einer großen Versammlungsschnorrerei (…) bis auf fünf Schilling verschwunden“ sei. Nachdem sowohl Kaaserer als auch Pfeifer den Bericht der Arbeiter-Zeitung dementiert hatten, trat diese den Wahrheitsbeweis an und veröffentlichte am 8. Jänner die faksimilierte Anzeige des Bezirksleiters an die Gauleitung.1160 Zu diesem Zeitpunkt zeichneten sich für die Standartenführung bereits mehrere Spuren zu den Spitzeln ab, jedoch fehlten weiterhin ausreichende Beweise. Fest stand, dass zumindest einer der Spitzel aus dem Standartenstab kommen musste, da die Berichte in der Arbeiter-Zeitung „Kenntnisse voraussetzten, die den SS Kameraden in der Front kaum geläufig sein konnten“.1161 Die Führung stellte daraufhin sowohl den eigenen Stab als auch jene Führer der Truppe,1162 die zu Turzas Freundeskreis zählten, unter Beobachtung. Von einer umfangreichen „Veranstaltung von Verhören“ nahm Fitzthum hingegen „Abstand“, da er befürchtete, dass dadurch „der Grossteil der Verdächtigen entwischt wäre“. Ins Visier der SS-Führung geriet Mitte November zunächst der SS-Mann Kopp, über den ein „völlig einwandfreier SA-Scharführer“ gemeldet hatte, dass dieser „in einem Gespräche mit ihm Oppositionelle (sic  !) Tendenzen kundgab“. Fitzthum verwickelte Kopp daraufhin in ein „zwangloses Gespräch“, in dem er aber seine „Bedenken hinweg (…) scheuchen“ konnte. Zumindest funktionierte das Informationsnetz zwischen SS und Polizei noch klaglos, da ein Wachmann dem SS-Posten im „Adolf-Hitler-Haus“ mitteilte,1163 dass ein mit ihm befreundeter Wachmann von einem Chauffeur erfahren habe, dass dieser ei1158 Jahresbericht 1932 der Bezirksgruppe Hietzing, o.  D. (ca.  Jänner 1933, CR), ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Partei­stellen, Kt. 3. 1159 Doblreiter war mit Wirkung vom 15.  September 1932 zum Scharführer ernannt worden, BArch (ehem. BDC), SSO  : Anton Doblreiter. Nach seiner Degradierung wurde er zunächst zum Sturm 1/III/11 und im April 1933 wieder zum Sturm 2/I/11 versetzt, WStLA, GAW  : Anton Doblreiter, Zl. 56.104. 1160 AZ v. 8. 1. 1933, S. 3 („Die Josefstädter Nazi gegen fremde Schnorraktion“). 1161 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1162 Ebd. 1163 Ebd.

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nen SS-Mann „in der Nähe des Hittlerhauses (sic  !) zu einer Fahrt in die Arbeiterzeitung (sic  !) aufgenommen habe“. Der Fahrgast habe zuvor „in einer Telefonzelle einen Anruf getätigt“ und ihm aufgetragen, vor dem Vorwärtshaus „dreimal zu huppen (sic  !), dann werde das Tor sich öffnen“, was „auch tatsächlich zu(traf )“. Nachdem die Standartenführung den Chauffeur ausfindig gemacht hatte, wurde dieser zu verschiedenen Appellen mitgenommen, konnte aber seinen Fahrgast nicht identifizieren, „obwohl er besonders auf ‚Burli‘ verwiesen wurde“, der später zugab, tatsächlich der Fahrgast gewesen zu sein. Zu diesem Zeitpunkt war für Fitzthum weder das Ausmaß des Spitzel-Netzwerks absehbar noch lagen ihm ausreichende Beweise vor, um einen Zugriff riskieren zu können. Klage über den inzwischen katastrophalen Zustand der SS führte auch Gauleiter Frauenfeld, der Theo Habicht am 16. Dezember mitteilte,1164 dass sich zu den „neuen Veröffentlichungen in der A.Z. (…) noch sehr bedauerliche Vorfälle (gesellt)“ hätten, „die sich nachts im Hitlerhaus zwischen S.S. Wache und S.S. Führern abgespielt haben“. Über die genauen Vorfälle schwieg sich Frauenfeld jedoch aus. All dies hätte ihn zu dem Entschluss gebracht, noch einige Tage abzuwarten, „um Aufsehen zu vermeiden“ und dann „die S.S. Wache aufzulösen und eine Hauswache aus der P.O. aufzustellen“. Weiters wolle er mit Bach und Fitzthum wegen einer „Aufnahmesperre in die S.S. und die Auflösung einzelner Formationen sprechen“. Indessen versuchte Bach, der sich am 16. Dezember ebenfalls in Wien befand,1165 Himmler zu beruhigen, der fest auf ihn setzte und davon „überzeugt“ war, dass Bach „die Schwierigkeiten“, die es im Abschnitt gäbe, „lösen“ werde.1166 Die fieberhafte Suche nach den Spitzeln und das mittlerweile in der Truppe herrschende Misstrauen hatten den Betrieb in der SS praktisch lahmgelegt und belasteten überdies noch das ohnedies geringe Budget der Standarte, da „nächtelange Beobachtungen, wiederholte Ueberraschungsfahrten und Beihilfen für hungernde, Tag und Nacht Dienst tuende SS-Kameraden (…) auf der Tagesordnung (standen)“.1167 Hinzu kam, dass die an permanente Aktionen gewöhnte SS sowohl durch das Spitzelwesen als auch durch das von Fey erlassene Aufmarschverbot zur Untätigkeit verdonnert war. Darüber hinaus hatte Fey am 2. Dezember noch ein allgemeines Versammlungsverbot für die Weihnachtszeit erlassen und angeordnet,1168 dass von 11. Dezember 1932 bis einschließlich 8. Jänner 1933 alle öffentlichen Versammlungen und Aufzüge sowohl 1164 Alfred Eduard Frauenfeld an Theo Habicht v. 16. 12. 1932, ÖSTA/AdR, NS-Parteistellen, Kt. 6. 1165 Bach sandte an diesem Tag aus Wien ein Schreiben an Himmler, BArch (ehem. BDC), SSO  : Ernst Bach. 1166 Heinrich Himmler an Ernst Bach v. 16. 12. 1932, ebd. 1167 Josef Fitzthum an den SS-Abschnitt VIII v. 24. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 1168 WZ v. 3. 12. 1932, S. 2 („Versammlungsverbot für die Weihnachtszeit“).

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unter freiem Himmel als auch in geschlossenen Räumen wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und des öffentlichen Wohles ausnahmslos verboten waren. Während sich die größeren Krawalle nun verstärkt auf die Universitäten konzentrierten, hatte die SS mit der Terrorisierung der im „Adolf-Hitler-Haus“ wohnenden jüdischen Familie Spielmann begonnen und dabei auch den Einsatz neuer Kampfmittel erprobt. Am 11.  November erstattete Norbert Spielmann Anzeige bei der Polizei, nachdem in seine Wohnung Tränengas eingeleitet und die Türschlösser verbarrikadiert worden waren.1169 Unter Verdacht stand der SS-Truppführer Roman Greylinger, gegen den die polizeiliche Untersuchung Anfang Februar 1932 mangels Beweisen wieder eingestellt wurde.1170 Die Tränengasexperimente der SS fielen mit der Aufnahme des ehemaligen Korporals des Bundesheeres, Walter Leubuscher, in die SS zusammen, der im Herbst 1932 als militärischer Experte in den Stab der 11. SS-Standarte berufen worden war. Am 29.  Oktober meldete Fitzthum dem Abschnitt VIII,1171 dass Leubuscher „den Gasschutzkurs des Regimentes absolviert“ habe und „in allen Gasschutzfragen vollkommen bewandert (…) und geeignet wäre, eine allgemeine und auch eine besondere Unterweisung der SS auf diesem Gebiete durchzuführen. Mit der allgemeinen Unterweisung könnte sofort begonnen werden.“ Der „Lehrplanvorschlag“ werde dem Abschnitt am 31.  Oktober vorgelegt werden. Nach der kurz darauf durchgeführten Aktion gegen die Familie Spielmann verübte die nun in „Gasschutzfragen“ unterwiesene SS sechs Wochen später ihren ersten konspirativ geplanten Terroranschlag. 9.3 Vom Straßenkampf zur terroristischen Aktion – Der Tränengasanschlag auf das Kaufhaus Gerngroß

Mitte Oktober 1932 schlug der SS-Mann Max Grillmayr Fitzthum vor,1172„dass es vielleicht angebracht wäre(,) einmal in einem grösseren jüdischen Warenhaus einige Stinkbomben zu werfen, um auf diese Art die arischen Käufer von einem Besuche der jüdischen Kaufhäuser abzuschrecken, was den arischen Geschäftshäusern zu gute kommen könnte“. Dieser Plan wurde von Fitzthum genehmigt, woraufhin Grillmayr mit den nötigen Vorbereitungen begann. 1169 Vgl. dazu die Zeitungsberichterstattung in der AZ, NFP, RP, Kl. Bl. v. 11. u. 12. 11. 1932. 1170 RP v. 5. 2. 1933, S. 12 („Die Bosheitsakte im Braunen Haus“). 1171 Josef Fitzthum an den SS-Abschnitt VIII v. 29.  10.  1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 1172 Vernehmung von Josef Fitzthum durch das LGfS v. 8. 2. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32.

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Grillmayr, im „Braunen Haus“ unter dem Spitznamen „Fleck“ bekannt,1173 war 1930 über die Schulzgruppe zur Hitlerbewegung gestoßen und hatte sich nach einer kurzen Dienstzeit in der SA im Dezember 1931 der SS angeschlossen.1174 Er gehörte zwar Mazaneks Sturmbann an, war jedoch seit November „für besondere Aufträge“1175 von Fitzthum „zur Verwendung der Standarte“ abkommandiert worden.1176 Im Zuge der Spitzelaffäre war Grillmayr mit der Überwachung u.a. von Turza beauftragt worden und galt in der NSDAP, nachdem er „bei der S.S. eine Spitzelangelegenheit“ hatte aufklären können, als Abb. 49: Max Grillmayr, ca. 1936, BArch „Hausdetektiv“ der SS.1177 Der Anschlag sollte am 18.  Dezember, dem sog. „Goldenen Sonntag“, verübt werden, an dem die Einkaufshäuser zur Ankurbelung des Weihnachtsgeschäftes geöffnet hatten. Traditionell fanden sowohl in Deutschland als auch in Österreich in der Weihnachtszeit und speziell an diesem Tag antisemitische Propagandaaktionen gegen jüdische Geschäftsleute statt. So berichtete die Bundes-Polizeidirektion Wien im Dezember 1931, dass die NSDAP während der „Weihnachtswochen (…) durch Flugzettel sowie in Versammlungen eine rege Propaganda gegen die Einkäufe in ‚jüdischen Warenhäusern‘ entfaltet“ habe.1178 Auch im Jahr darauf stellte die Polizei in den Wochen vor Weihnachten „eine erhöhte Agitation“ der Wiener NSDAP fest,1179 die in Versammlungen, durch ihre Parteipresse und mittels Flugzettel „die arische Bevölkerung Wiens“ aufforderte, nicht in jüdischen Geschäften einzukaufen. Am 16. Dezember berichtete sie über ein „verstärktes“ Einsetzen der antisemitischen Aktionen. Am Tag darauf rief ein Parteimitglied bei der „Julfeier“ im Gasthaus „Zur schönen Schäferin“ öffentlich die Versammelten auf, sich 1173 Vernehmung von Franz Hansmann durch das LGfS v. 6. 1. 1933, ebd. 1174 BArch (ehem. BDC), PK, RS  : Max Grillmayr  ; WStLA, GAW  : Max Grillmayr, Zl. 114.650, 286.368. 1175 Einvernahme von Max Grillmayr durch das S.B. v. 27. 12. 1932, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32. 1176 Ebd. 1177 Einvernahme von Max Grillmayr durch das S.B. v. 25. 12. 1932, ebd. 1178 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 119.907-GD. 2/1932, Herv. i. Orig. 1179 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 19. 12. 1932.

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am „Goldenen Sonntage mit angestecktem Parteiabzeichen in die Mariahilferstrasse zu begeben und dort vor die Geschäftsauslagen zu stellen“. In der Nacht wurden in Wien-Neubau die Auslagenscheiben mehrerer Geschäfte mit Farbe beschmiert und durch „eine ätzende Flüssigkeit beschädigt“. Am „Goldenen Sonntag“ verteilten nationalsozialistische Propagandatrupps insbesondere in der Inneren Stadt sowie im 4., 6. und 7. Bezirk Flugzettel mit der Aufschrift „Kauft nicht bei Juden“. In Hernals marschierten am Nachmittag nationalsozialistische Trupps vom Heim des „Vaterländischen Schutzbundes“ „offenbar einer dort ausgegebenen Weisung gemäss einzeln und in kleinen Gruppen“ zum Kaufhaus Krupnik, wo sie „in lärmender Weise (…) demonstrier(t)en“. Grillmayr hatte etwa acht Tage vor dem Anschlag mit der Vorbereitung für den Anschlag auf das Kaufhaus Gerngroß begonnen und bei SA-Führer Hauptmann a. D. Hans Geister angefragt,1180 ob er ihm nicht „irgend ein Stink- oder Reizgas (…) verschaffen“ könnte, „da er etwas vorhabe“. Geister schien insofern der richtige Mann zu sein, als er früher der bestens ausgerüsteten Heimwehr angehört hatte, und tatsächlich befand sich in seinem Besitz eine noch aus früheren Heimwehrbeständen stammende volle Flasche Tränengas. Diese übergab er nun Grillmayr,1181 erkundigte sich aber angeblich nicht nach dem näheren Grund, da ihm „bekannt“ war, „dass die SS-Leute häufig zu Spezialaktionen in kleinen Trupps herangezogen werden“, und er annahm, dass Grillmayr „die Flüssigkeit zu Versammlungssprengungen“ benötige. Am Abend begann Grillmayr im Heizungskeller des „Adolf-Hitler-Hauses“ mit den Vorbereitungen, die für ihn nicht schmerzlos abliefen,1182 da er einen Teil der Flüssigkeit ausschüttete. Letztlich gelang es ihm, ca. 35 Glasphiolen zu befüllen. Die Leitung des Gerngroß-Attentats hatte Franz Mazanek übernommen,1183 dessen Sturmbann den größten Teil der ausgewählten Männer stellte. Aber auch aus dem von Barwig unterwanderten Sturm 1 /111/11 wurden Ferdinand Schmid und Otto Sild, die am „Goldenen Sonntag“ ihren Wachdienst im Parteiheim verrichteten, rekrutiert. Nachdem Grillmayr Fitzthum am späten Vormittag über den Stand der Vorbereitungen informiert hatte, beauftragte er zur Mittagszeit den SS-Wachposten Franz Hansmann, ihm für das beabsichtigte Attentat „einige verlässliche Kameraden stellig zu machen“.1184 Vom „Hitler-Haus“ aus wurden nun Boten ausgeschickt, darunter auch 1180 Einvernahme von Hans Geister durch das S.B. v. 23. 1. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32  ; zu Geister vgl. ausf. Schafranek (2011), S. 290–314. 1181 Vernehmung von Hans Geister durch das LGfS v. 3. 2. 1933, ebd. 1182 Einvernahme Max Grillmayr durch das S.B. v. 25. 1. 1932 (recte  : 1933, CR), ebd. 1183 ÖStA/AdR, GA  : Franz Mazanek, Zl. 343.390. 1184 Einvernahme von Franz Hansmann durch das S.B. v. 6. 2. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32.

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Hans Rahn, der dem Kameraden Hugo Fleißner eine Verständigung überbrachte,1185 wonach sich dieser gegen halb drei Uhr in weiblicher Begleitung im „Adolf-HitlerHaus“ einfinden sollte. Fleißner selbst sollte die Nachricht zwei weiteren Kameraden übermitteln, die er jedoch nicht antraf. Im „Adolf-Hitler-Haus“ waren die Vorbereitungen inzwischen in die entscheidende Phase getreten. In der Standartenkanzlei hatte Max Grillmayr auf dem Schreibtisch die Phiolen ausgebreitet, der Stiegenaufgang war unter Bewachung gestellt worden, und nur Personen, die eine Verständigung erhalten hatten, durften das Stockwerk noch betreten. Die ausgewählten SS-Männer versammelten sich in der Standartenkanzlei, wo sie von Grillmayr ihre Instruktionen und je zwei Tränengasphiolen erhielten.1186 Während die Propagandatrupps schon Stunden zuvor die Mariahilfer Straße mit antisemitischen Streuzetteln überflutet hatten, marschierten die SS-Männer gegen halb vier Uhr einzeln oder in kleinen Gruppen, zum Teil in weiblicher Begleitung, auf Umwegen zu dem wenige Minuten entfernten Kaufhaus Gerngroß, um dort Punkt vier Uhr den Anschlag durchzuführen. Allerdings wurde die Aktion durch die Disziplinlosigkeit eines Kameraden gestört, der den vereinbarten Zeitpunkt nicht abwarten konnte und sich „bereits 10 Minuten vor 16 Uhr einer Tränengasphiole entledigt(e)“.1187 Daraufhin brach unter der Kundschaft des Warenhauses eine Massenpanik aus, bei der mehrere Personen leicht verletzt wurden. Am Abend versammelten sich die am Anschlag beteiligten bzw. eingeweihten SS-Männer des Sturms 1 /11/11 im Gasthaus „Zur schönen Schäferin“ in der Gumpendorfer Straße, jene des Sturms 2 /11/11 im Gasthaus Wegenstein in der Margarethenstraße, wo Rahn und Fleißner zum Auslüften auf die Gasse geschickt werden mussten, da ihre Kleidung noch dermaßen mit Tränengas kontaminiert war, dass sich im Gastraum ein penetranter Gestank ausbreitete. Die polizeiliche Untersuchung des Anschlags wurde zunächst vom Kommissariat Neubau durchgeführt, das noch am „Goldenen Sonntag“ eine Hausdurchsuchung im „Adolf-Hitler-Haus“ vornahm, die ohne Ergebnis blieb. Am Tag darauf beschränkten sich die Ermittlungen darauf, Auskünfte über die Herstellung und den Vertrieb von Stink- und Tränengasbomben einzuholen.1188 Am Abend langte dann eine anonyme Mitteilung eines wohl informierten Informanten beim Kommissariat ein, in dem mitgeteilt wurde,1189 dass das Attentat von einer SS-Abteilung bereits Wochen zuvor geplant worden sei, als „Oberleiter der Aktion (…) ein gewisser Fitzthum“ und 1185 Einvernahme von Hugo Fleißner durch das S.B. v. 22. 1. 1933, ebd. 1186 Einvernahme von Otto Sild durch das S.B. v. 23. 1. 1933, ebd. 1187 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 24. 1. 1933. 1188 Bericht des Kommissariats Neubau v. 19. 12. 1932, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32. 1189 Bericht des Kommissariats Neubau v. 19. 12. 1932, 21.30 Uhr, ebd.

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als „zweiter Hauptakteur ein gewisser Mazanek, genannt der ‚Eiserne‘ “1190 fungiert habe. Weiters kämen „in Betracht (…) ein gewisser Tüchler, genannt ‚Gummiaffe‘, ein Boris Plachetka (…), ferner ein gewisser Spitt, welcher durch seine auffallende Größe kenntlich“ sei, sowie „als Täter (…) ein gewisser Hansmann (…)“. Alle Genannten seien „als äußerst radikale Elemente bekannt“. Angeblich sei das Tränengasattentat auf die Familie Spielmann „die Generalprobe für das Gerngroß-Attentat gewesen“ und das Tränengas „von einem arbeitslosen Chemiker in Ober St. Veith hergestellt worden“. Am Tag darauf veröffentlichte die Arbeiter-Zeitung einen umfangreichen Artikel über die angeblichen Hintergründe des Attentats,1191 die von der Polizei weitgehend verworfen werden sollten. Darin nannte die Arbeiterzeitung zahlreiche Details über die Planung und Durchführung des Anschlags, die sich später nur zum Teil als richtig herausstellen sollten. Die Überprüfung der Angaben der Arbeiter-Zeitung übernahmen die beiden Kriminalbeamten Friedrich Schultes und Karl Prieler, von denen Letzterer der Ortsgruppe Gersthof 2 angehörte, in der die nationalsozialistischen Kriminal- und Sicherheitswachebeamten organisiert waren, und die 1934 an der Planung des Juliputsches beteiligt sein sollte.1192 Dementsprechend ergebnislos verliefen dann auch die nur halbherzig betriebenen „Nachforschungen“. So machte sich Prieler erst gar nicht die Mühe, die von der Arbeiter-Zeitung genannten SS-Männer ausfindig zu machen. Seine Untersuchung beschränkte sich darauf,1193 die Namen der diensthabenden SS-Wache und P.O.-Führer zu notieren, wobei er angeblich nur bei einem Teil auch die Vornamen eruieren konnte. Von den 23 in dem Zeitungsbericht genannten Nationalsozialisten überprüfte Prieler fünf in den Mitgliederverzeichnissen der Gauleitung, die laut seinem Bericht dort nicht aufschienen. Am Tag darauf wurden dann Ermittlungen gegen Karl Pichl aufgenommen, der laut Arbeiter-Zeitung in den Anschlag eingeweiht war. Die Einvernahme und Hausdurchsuchung hatte der Kriminalbeamte Franz Kamba übernommen,1194 womit die Chancen für die SS, ungeschoren davonzukommen, noch weiter gestiegen waren. Kamba gehörte nämlich seit Herbst 1931 ebenfalls der Ortsgruppe Gersthof 2 an und sollte später maßgeblich am Juliputsch beteiligt sein. Auch diese Nachforschungen blieben ohne Ergebnis. Unterdessen waren Fitzthum, Plachetka, Hansmann, Mazanek und der SS-Mann Ernst 1190 Mazanek hatte nach dem Ersten Weltkrieg der „Eisernen Division“ angehört. 1191 AZ v. 20. 12. 1932, S. 1 („Der braune Aufmarschplan für den Goldenen Sonntag“). 1192 Niederschrift der Aussage von Karl Prieler zur „Volkerhebung im Juli 1934“ v. 15. 5. 1938, WStLA, GAW  : Konrad Rotter, Zl. 52.448. 1193 Meldung des Kommissariats Neubau/Karl Prieler v. 20.  12, 1932, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/1932. 1194 Meldungen von Franz Kamba zu Karl Pichl v. 21. 12. 1932, ebd.

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Demmer am Kommissariat einvernommen worden, die bis auf Mazanek alle ein Alibi aufweisen konnten. Hingegen wurden die in der Anzeige genannten SS-Männer Spitt und Tüchler nicht befragt. Fitzthum gab zwar zu,1195 sich mit einer Bekannten zur fraglichen Zeit im Kaufhaus Gerngroß befunden zu haben, er sei aber nur deshalb dorthin gegangen, weil er auf der Mariahilfer Straße „sehr viele Parteigenossen (…) getroffen“, „auch die zahlreich weggeworfenen Zettel wahrgenommen“ und ihn „ein unbestimmtes Gefühl“ beschlichen habe, „dass möglicherweise irgend eine Keilerei entstehen könnte“. Das Kaufhaus habe er aber auch deshalb aufgesucht, um „allenfalls wahrzunehmen, ob Mitglieder unserer Partei dort einkaufen“. Entschieden bestritt er, etwas mit dem Anschlag zu tun oder davon gewusst zu haben, „dass unsere Partei mit einem derartigen Anschlag offiziell irgend etwas zu tun hat“. Am gleichen Tag wurden Mazanek, Plachetka und Hansmann festgenommen. Letztere gaben sich gegenseitig ein Alibi, indem sie erklärten, zusammen mit ihren Frauen in Plachetkas Wohnung Karten gespielt zu haben.1196 Obwohl Hansmann bei Tüchlers Eltern wohnte und diese zu seiner Person einvernommen wurden,1197 unterließ es die Polizei, die Gelegenheit zu nutzen, um sie auch gleich über ihren ebenfalls unter Verdacht stehenden Sohn einzuvernehmen. Auch Ernst Demmer konnte ein Alibi vorweisen,1198 die Hausdurchsuchung in seiner Wohnung brachte nur einen Gummiknüttel zum Vorschein. Mazanek versicherte wiederum, dass er sich zur fraglichen Zeit im Heizungskeller sowie in seiner Wohnung und in der Kantine des „Adolf-Hitler-Hauses“ aufgehalten habe. Im Zuge der Durchsuchung des Heizungskellers fand die Polizei in einem von ihm benutzten Schrank 24 Gewehrpatronen, zwei Patronentaschen sowie je einen Totschläger, Stahlhelm und Lederknüttel.1199 Eine neue Entwicklung trat nun insofern ein, als eine Hausmeisterin Anzeige erstattete, dass sie am „Goldenen Sonntag“ in der Toilette ihres Wohnhauses in der Bürgerspitalgasse Tränengas gerochen habe, was auch andere HausbewohnerInnen bestätigten.1200 Die Polizei stellte daraufhin fest, dass der „einzige (bekannte) Natio1195 Einvernahme von Josef Fitzthum durch das Kommissariat Neubau v. 20. 12. 1932, ebd. 1196 Einvernahme von Franz Hansmann und Boris Plachetka durch das Kommissariat Neubau v. 20. 12. 1932, ebd. 1197 Bericht des Kriminalbeamten-Referats (= Krb. Ref.) zur Befragung von Kajetan Tüchler v. 20. 12. 1932 u. 24. 12. 1932, ebd. 1198 Einvernahme von Ernst Demmer durch das Kommissariat Neubau v. 20. 12. 1932  ; Bericht des Krb. Ref. über Ernst Demmer v. 20. 12. u. 22. 12. 1932, ebd. 1199 Bericht des Kommissariats Neubau an die St.A. Wien I v. 22. 12. 1932, ebd. 1200 Bericht des Kommissariats Neubau, o. D.; Einvernahme von Leopold und Marie Enzensäumer durch das Kommissariat Neubau v. 20. 12. 1932  ; Einvernahme von Marie Malick durch das Kommissariat Neubau v. 21. 12. 1932, ebd.

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nalsozialist“ im Hause Gustav Gödel war.1201 Durch seine Frau Emilie1202 bestanden direkte Verbindungen zum „Adolf-Hitler-Haus“, da ihre Schwester Marie mit dem Pächter der dortigen Gastwirtschaft, Friedrich Rothmund (von Burgwall),1203 verheiratet war und sie ihrer Schwester fallweise aushalf. Freundschaftliche Beziehungen pflegte das Ehepaar Gödel u.a. mit Mazanek, Plachetka, Hansmann und anderen Mitgliedern der NSDAP. Laut Aussage der Hausbesorgerin1204 hatte sich am „Goldenen Sonntag“ ein unbekannter Bursche um ca.  elf Uhr den Toilettenschlüssel ausgeborgt, sich längere Zeit auf der Toilette aufgehalten und bei seiner Rückkehr „höhnisch“ gelacht. Sie kontrollierte daraufhin die Toilette, konnte aber nichts Verdächtiges entdecken. Erst am Nachtmittag stellte sie ebenso wie weitere HausbewohnerInnen fest, dass in der offenen Toilette ein „furchtbare(r) Gestank“ herrschte und ihre Augen tränten. Die Befragung von Emilie Gödel ergab dann, dass Max Grillmayr seit Oktober 1932 als Untermieter bei ihr wohnte, er aber bereits aus Wien verschwunden war. Gustav Gödel konnte zwar für die fragliche Zeit ein Alibi vorweisen, wurde jedoch nun ebenfalls festgenommen. Unterdessen suchten Prieler und Schultes die am „Goldenen Sonntag“ diensthabenden SS-Wachen auf, die allesamt erklärten, nichts gesehen oder gehört zu haben. Weitere Erhebungen in diese wie auch in alle anderen Richtungen wurden nicht mehr durchgeführt. In ihrem Bericht an die Staatsanwaltschaft über die Aussagen der Angestellten des Kaufhauses Gerngroß und der am „Goldenen Sonntag“ dort diensthabenden Kriminalbeamten konnte das Kommissariat Neubau ebenfalls keine näheren Hinweise über die dortigen Vorgänge geben,1205 die zur Ausforschung der Täter hätten führen können. Auch dies verwundert nicht, da sich unter den Kriminalbeamten auch Johann Kollross befand, der 1940 zum ersten Kommandanten des „Zigeunerlagers“ Lackenbach ernannt werden sollte. Am gleichen Tag übergab das Kommissariat der Staatsanwaltschaft seinen abschließenden Ermittlungsbericht über das „von unbekannten Tätern“ begangene Attentat.1206 Laut dem Bericht seien die Verhafteten zwar dringend verdächtig, jedoch konnten keine Beweise für ihre Täterschaft erbracht werden. Das Kommissariat er1201 Bericht des Kommissariats Neubau v. 21. 12. 1932, ebd. Gustav Gödel gehörte seit August 1932 der NSDAP an, BArch (ehem. BDC), PK  : Gustav Gödel. 1202 Emilie Gödel war im Oktober 1932 der NSDAP beigetreten, BArch (ehem. BDC), PK  : Emma Gödel. 1203 Fritz Rothmund war seit 1927 Mitglied der NSDAP, BArch (ehem. BDC), PK  : Fritz Rothmund (Edler von Burgwall). 1204 Einvernahme von Marie Malick durch das Kommissariat Neubau v. 21.  12.  1932, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/1932. 1205 Bericht des Kommissariats Neubau an die St.A. Wien I v. 22. 23. 1932, ebd. 1206 Bericht des Kommissariats Neubau an die St.A. Wien I v. 22. 12. 1932, ebd.

Vom Straßenkampf zur terroristischen Aktion – Der Tränengasanschlag auf das Kaufhaus Gerngroß

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stattete gegen Mazanek, Hansmann, Plachetka, Gödel, Fitzthum und Grillmayr die Anzeige, die mit Ausnahme von Fitzthum dem Gefangenenhaus des Landesgerichts eingeliefert wurden, während die Suche nach Grillmayr fortgesetzt wurde, ebenso wie über einen an dieser Stelle erstmals genannten Verdächtigen namens „Geist“ oder „Geister“. Allerdings wurde bis Jänner 1933 kein Versuch unternommen, die Identität des Verdächtigen tatsächlich festzustellen, obwohl der Wiener Polizei seit spätestens Ende November 1932 bekannt war, dass ein gewisser Hauptmann a. D. Hans Geister Mitglied der NSDAP und SA-Führer war.1207 Gegen diesen war nämlich im November die Amtshandlung wegen Übertretung gegen das Kriegesgerätegesetz eingeleitet worden. Am 24.  Dezember übermittelte die Bundes-Polizeidirektion einen „streng vertraulichen“ Bericht an die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit, in dem sie feststellte,1208 dass sie „behufs Ausforschung der an dem Anschlage im Kaufhause ‚Gerngroß‘ beteiligten Personen die Erhebungen mit allem Nachdrucke durchgeführt“ und „alle ihr zugegangenen vertraulichen Anzeigen sowie auch die Mitteilungen der ‚Arbeiterzeitung‘ vom 20. Dezember 1932 eingehend überprüft“ habe. Es hätte sich dabei jedoch herausgestellt, dass „diese Mitteilungen grösstenteils den Tatsachen nicht entsprachen“. Insgesamt wurden über dreißig Personen „einer eingehenden Perlustrierung unterzogen“. Am 24.  Dezember konnte Max Grillmayr in Oberösterreich ausgeforscht werden.1209 Er wurde nach Wien überstellt und am Tag darauf im Sicherheits-Bureau einvernommen. Dort erklärte er,1210 dass ihn am 16. Dezember ein flüchtig bekannter Reichsdeutscher mit den Worten angesprochen habe  : „Fleck (…), da hast eine Bombe. Am Sonntag um 4 Uhr ist mal eine größere Sache bei Gerngroß. Mach’ deine Sache gut.“ Grillmayr habe „aus dem Sinn seiner Rede“ geschlossen, „daß die Bombe bei Gerngroß wegzuwerfen ist“. Er habe „die Bombe genommen, (…) sie eingesteckt“ und selbst „überhaupt nichts gesagt“. Er beteuerte aber, dass er „bestimmt nicht bei Gerngroß gewesen“ sei, da er „zugestandenermaßen wirklich zu feig war, die Bombe wegzuwerfen“, „insbesonders aus Rücksicht“ auf seine „geschäftlichen Angelegenheiten“, habe er „doch die Absicht, in Heiligenblut (…) eine Garage zu errichten“. Die Bombe habe er am fraglichen Sonntag um ca. dreiviertel vier in der zur Wohnung des Ehepaares Gödel gehörenden Toilette vernichtet. 1207 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 28. 11. 1932. 1208 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg, 22/Wien, Zl. 250.682-GD. 1/1932. 1209 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 252.815-GD. 1/1932. 1210 Einvernahme von Max Grillmayr durch das S.B. v. 25.  12.  1932, 16 Uhr, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/1932.

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Im Abschlussbericht des Sicherheits-Bureaus zur Causa Grillmayr,1211 unterfertigt vom obersten Chef Otto Steinhäusl persönlich, hieß es dann, dass der ominöse Reichsdeutsche ein „Hittlerbärtchen (sic  !)“ getragen habe, der Führer der Wiener SS ein gewisser „Fritz (sic  !) Fitzthum“ sei und gegen den SS-Mann „Karl (sic  !) Dobereiter (sic  !)“ und Konsorten wegen des Tränengasanschlages auf die Familie Spielmann Anzeige erstattet wurde. Grillmayr und Emilie Gödel wurden ebenfalls dem landesgerichtlichen Gefangenenhaus überstellt. Nachdem die von vornherein nur aus Vermutungen bestehenden Anzeigen der Polizei mehr als dürftig waren und diese keine weiteren Erhebungen durchführte, wurden Anfang Jänner alle Verhafteten wieder auf freien Fuß gesetzt.1212 9.4 Das Ende der Spitzelaffäre und die Aufklärung des Gerngroß-Anschlages

Während Polizei und Justiz ihre Arbeit längst eingestellt hatten, setzte die ArbeiterZeitung ihre Zersetzung der SS umso erfolgreicher fort und veröffentlichte am 24. Dezember einen Artikel,1213 den Josef Fitzthum später als „Trumpf in der Artikelreihe“1214 bezeichnete. Die Arbeiter-Zeitung hatte nämlich festgestellt,1215 dass „die Befehlsausgabe fast gänzlich eingestellt“ worden sei und den „SS- und SA-Leuten (…) nur noch die belanglosesten dienstlichen Weisungen mitgeteilt“ worden waren. Die Zeitung stellte sich nun, wie sie voll Spott verkündete, als Informationsdienst für die Parteigliederungen zur Verfügung und präsentierte der Öffentlichkeit ein Schreiben Himmlers an den SS-Abschnitt VIII, in dem nun auch offiziell die Absetzung Graeschkes und das „Ausscheiden“ Turzas bekannt gegeben wurde, sowie einen Befehl von Bach vom 20. Dezember, nach dem „bis auf weiteres“ eine Aufnahmesperre für die Wiener Standarte verfügt wurde, die Wache im „Adolf-Hitler-Haus“ nur noch „besonders bewährte SS-Männer“ übernehmen durften und eine „Einstellung als SS-Anwärter (…) nur bei einwandfrei nachgewiesener Parteizugehörigkeit nach Aufhebung der Aufnahmesperre in Frage“ käme. Jene SS-Anwärter, die „diese Forderungen nicht 1211 S.B. an die St.A. Wien I v. 27. 12. 1932, ebd. 1212 Steeles Behauptung, dass die SS mit den Verhaftungen im Dezember 1932 „gewissermaßen enthauptet“ („effectively decapitated“) wurde und mit dieser „plötzlichen und schnellen Abfuhr“ („sudden and sharp rebuff“) während Frauenfelds Amtszeit keine prominente Rolle mehr übernahm, entbehrt jeder Grundlage, Steele (1992), S. 473. 1213 AZ v. 24. 12. 1932, S. 3 („Oberkommando München bestätigt die Mitteilungen der Arbeiter-Zeitung“). 1214 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1215 AZ v. 24. 12. 1932, S. 3 („Oberkommando München bestätigt die Mitteilungen der Arbeiter-Zeitung“).

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erfüllt(en)“, waren „außer Dienst zu stellen“ und ihre „Wiedereinstellung“ dürfe „erst bei nachgewiesener Parteizugehörigkeit“ erfolgen. Fitzthum, der die Befehle erst „mit einem Tag Verzögerung“ erhalten hatte,1216 erfuhr somit aus der Arbeiter-Zeitung von den anstehenden Veränderungen in seiner Standarte und entschloss sich, diese erst nach den Weihnachtsferien unter gleichzeitiger Bekanntgabe der Spitzel zu verlautbaren, um sich nicht völlig zu blamieren. Inzwischen hatte sich nämlich der Verdacht gegen weitere SS-Männer verdichtet,1217 da Fitzthum am 21. Dezember die bereits ins Visier der Standartenführung geratenen SS-Männer Kopp und „Burli“ in dem nahe des „Adolf-Hitler-Hauses“ gelegenen Gasthaus Hammer im vertraulichen Gespräch gesehen hatte, die auf sein Erscheinen „verlegen“ reagierten und das Lokal „sehr rasch“ verließen. Nachdem Kopp sehr häufig mit den SS-Männern Barwig und Paier gesehen worden war, „lenkte sich“ der Verdacht nun auch auf diese beiden. Ihre Überprüfung ergab, dass sie sich auffällig häufig zum Nachtdienst im „Adolf-Hitler-Haus“ gemeldet hatten. Kurz darauf wurde in der Geschäftsstelle der Standarte eine Straßenbahnlegitimation von „Burli“ und darin ein Artikel der Arbeiter-Zeitung entdeckt. Die Nachforschungen ergaben, dass dieser in der Nacht zuvor verbotenerweise in der Kanzlei geschlafen und wiederum Barwig den Nachtdienst versehen hatte. Zur Überführung der Spitzel rief Fitzthum am 2. Jänner einen Standartenappell ein, „um den Verdächtigen den Verrat glatt an den Kopf zu werfen“. Allerdings wurde der „Gang der Entlarvung gestört“, da Hauptspitzel „Burli“ nicht zu dem Appell erschienen war. Zwei Tage später veröffentlichte die Arbeiter-Zeitung einen Bericht über das abgehaltene „Braune Standgericht“,1218 der – wie Fitzthum später eruieren konnte – von Scharführer Klötzl stammte.1219 Laut dem Artikel1220 eröffnete Fitzthum den Appell mit „einer scharfen Ansprache, mit Vorwürfen über die Lässigkeit der SS-Leute“, verlas dann den bereits am 24.  Dezember in der Arbeiter-Zeitung veröffentlichten SSBefehl von Abschnittsführer Bach und gab die Neuaufstellung der SS-Hauswache bekannt. Im Anschluss daran hielt Fitzthum eine „Brandrede“ über das angeblich unmögliche Verhalten von Angehörigen „der Elitetruppe“, die sich „besaufen und dann in der Bewegung herumstänkern und randalieren“ würden, womit er auf einen Vorfall, der sich in der Silvesternacht ereignet haben soll, zu sprechen kam  : So seien „SSLeute und Führer in ein SA-Heim eingedrungen“ und hätten „in ihrem Übermut Lampen und Hitler-Bilder mit ihren Pistolen heruntergeschossen“. Es sei „wie in einer 1216 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1217 Ebd. 1218 AZ v. 4. 1. 1933, S. 3 („Braunes Standgericht“). 1219 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1220 AZ v. 4. 1. 1933, S. 3 („Braunes Standgericht“).

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Schießbude im Wurstelprater zugegangen“. Fitzthum habe sich darüber gewundert, warum die Männer, wenn sie „schon so unternehmungslustig sind, (…) nicht lieber in ein Schutzbundheim oder in ein Judenhaus (gehen) und (…) dort Schießübungen ab(halten)“. Nach diesen einleitenden Worten folgte der eigentliche Anlass des Appells  : „das Strafgericht über die ‚entlarvten Verräter‘ “. Fitzthum zog – so die ArbeiterZeitung – nun „eine Liste hervor und verlas die Namen von achtzehn SS-Männern, die sich in der Mitte des Karrees in einer Linie aufstellen mußten“, jedoch fehlten laut Arbeiter-Zeitung nicht nur „Burli“, sondern insgesamt „ein Drittel“ der Verlesenen. Dem Artikel zufolge versuchte der aufgerufene Klötzl, sich „aus der Linie (zu) entfernen“, wurde aber „von den nacheilenden Posten, die alle Ausgänge besetzt hielten, (…) gefaßt, zu Boden geschlagen und zurückgeschleppt“. Danach befahl Fitzthum den vermeintlichen Delinquenten, die Hände hoch zu nehmen, und erteilte Hans Mußil den Befehl  : „Sturmführer Musil (sic  !), walten Sie ihres Amtes  !“, der die Verräter daraufhin durch „eine Abteilung“ „visitieren“ ließ, was angeblich folgendermaßen ablief  : „Die SS.-Leute stürzten sich, wie Henkersknechte auf die ihnen Ausgelieferten, rissen an ihnen herum und rasch war ein erbitterter Kampf zwischen den Kameraden im Gange. Musils (sic  !) Hausknechten gelang es, zum Teil erst nach Gebrauch von Gummiknüttel und Stahlruten, den Sieg über die andern zu erringen. Die ihnen abgenommenen Sachen wurden auf die Bühne getragen und dort peinlich genau überprüft. Mehr als die zehn eroberten Pistolen und Hundspeitschen fanden Notizbücher, Brieftaschen und Papierzettel Beachtung (…).“1221

Nach der Durchsuchung der beschlagnahmten Effekten habe Fitzthum angedroht, dass keiner der Beschuldigten „den Saal (…) lebend verlassen“ werde, „wenn er nicht die Auftraggeber nennt“, und er bedauerte, „daß wir hier noch nicht Einrichtungen wie in Deutschland haben (Feme  ! Red.), um diese Spione kurzerhand zu erledigen“. Danach sei Fitzthum „in seinem staatsanwaltschaftlichen Uebereifer (…) das Geständnis (entschlüpft), daß auch er (Fitzthum) von der ganzen Gerngroß-Aktion gewußt habe und darum verhaftet wurde“. Nach erfolgter Degradierung und Ausschluss der Männer aus der SS sei es zu weiteren unschönen Szenen gekommen, als nach Ende der „Henkerzeremonie die Abgeurteilten Anstalten“ getroffen hätten, „den Richtplatz zu 1221 Die folgenden Angaben der Arbeiter-Zeitung weichen hinsichtlich der Identität der Spitzel von Fitz­ thums Bericht ab. So soll Fitzthum als vermeintlichen Hauptverräter einen Sturmbann-Geldverwalter namens Zak beschuldigt haben, der seine Straßenbahnlegitimation im „Adolf-Hitler-Haus“ verloren hatte, wobei die Zeitung anmerkte, dass „wir mit dem Pg. Zak nicht das Geringste zu tun gehabt haben“, AZ v. 4. 1. 1933, S. 3 („Braunes Standgericht“). Nach Fitzthums ei­genen Angaben handelte es sich dabei jedoch um SS-Anwärter Ditmar, genannt „Burli“, Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza.

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verlassen“, „sechzig ausgewählte SS.-Leute über sie herfielen“ und auf sie einschlugen, „bis sich alle blutend auf dem Boden wälzten“. Danach seien „weitere Exekutionen“ wegen „Diebstähle(n), Trunkenheitsexzesse(n) und Spitzelverdachts“ vorgenommen worden. Zuletzt wurde laut Artikel noch der Führer des 1. Sturms der Motorstaffel, Wedam, von Fitzthum einvernommen, dem vorgeworfen worden sei, „sich in einem verdächtigen Trachtenverein“ herumgetrieben zu haben, bei dessen Verhör Fitzthum jedoch den Kürzeren zog. Wedam, „ein alter Nazi, der in der Bewegung schon zu einer Zeit bekannt war, da der Standartenführer noch gar nicht auf Hitler schwor“, habe dem „verdatterten“ Fitzthum nämlich vorgehalten, dass es „(f )rüher (…) besser (war), als wir noch wenige waren“. Damals habe die Arbeiter-Zeitung „nichts von uns erfahren, jetzt ist es aber bei uns nicht mehr auszuhalten. Jeder verdiente Mann wird schon als Verräter bezeichnet  !“ Er habe dagegen protestiert, „von jungen Lausejungen (…) wie ein Verbrecher visiert“ zu werden, und sich darüber entrüstet, dass so etwas „nicht einmal in der alten Habsburgerarmee möglich gewesen“ sei. Daraufhin habe Fitzthum das „peinliche Gespräch“ beendet und die Standarte abtreten lassen. Nach Fitzthums Bericht1222 wurde bei dem Appell ein Teil der Spitzel aus der SS ausgeschlossen, Klötzl und Wedam wurden aber nur kurz verhört und vorläufig vom Dienst suspendiert. Bei ihm hatte der Appell „den Eindruck“ hinterlassen, „dass die Ueberführung der Beschuldigten nicht restlos gelungen sei“. Den peinlichen Bericht in der Arbeiter-Zeitung bezeichnete er als „absurd“. Immerhin räumte Hans Mußil bei der polizeilichen Befragung zu den Vorgängen bei dem Appell ein,1223 dass er den „Befehl zur Leibesvisitierung (…) gegeben hätte“, bestritt aber, dass es dabei zu Misshandlungen gekommen wäre. Ebenso wenig hätte Fitzthum angedroht, dass die Leute „den Saal nicht lebend verlassen“ würden, sollten sie nicht ihre Auftraggeber nennen, und auch die Behauptung, dass „Pistolen und Hundspeitschen gefunden wurden, sei unrichtig“. Nach dem wenig erfolgreichen Appell begab sich Fitzthum „mit einigen Kameraden in den Hubertuskeller“,1224 wo sie „(z)u ihrem grössten Erstaunen (…) ‚Burli‘ (…) in Gesellschaft einiger Herren (trafen)“. Dieser wurde sofort „ ‚verhaftet‘(,) per Auto in das Hitlerhaus gebracht und dort einem strengen Verhör unterzogen. Nach 2 Stunden legte er das (…) Geständnis ab.“ Am Tag darauf wurde auch Barwig aus seiner Wohnung „gelockt“ und ebenfalls ins „Adolf-Hitler-Haus“ zum Verhör geschafft, das „von 8 Uhr abends bis 3 Uhr Früh“ dauerte, bis er schließlich „zusammen (brach) 1222 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1223 Evidenzeintrag zu Hans Mußil, Pr. Zl. IV-336/21/33, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Musil (sic  !). 1224 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza.

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und gestand(,) Stennes-Mann zu sein“. Nach Fitzthums Vermutung hatte der suspendierte Geldverwalter Klötzl der Arbeiter-Zeitung den Bericht über den abgehaltenen Appell zukommen lassen, da er am Tag danach in einem Gasthaus „in trunkenem Zustande unverschämt ausfällig gegen die Führung sowie gegen die Bewegung überhaupt“ wurde und ankündigte, dass er „der Arbeiterzeitung von dem Appell Mitteilung (…) machen“ werde. Auch gegenüber Schabel habe er sich „(a)ehnlich“ verhalten. Am Abend nach der Veröffentlichung des Artikels in der Arbeiter-Zeitung erschien der tollkühne Klötzl dann auch noch im „Adolf-Hitler-Haus“, nahm allerdings, nachdem er „befehlsgemäss in die Standarte zitiert“ worden war, „jäh Reissaus (sic  !) und konnte unter dem Schutz der Polizei entkommen“. Klötzl wurde ebenso wie Wedam aus der SS ausgeschlossen. Letzterer war nämlich vom „politischen Nachrichtendienst“ überwacht worden, der festgestellt hatte, dass Wedam nicht nur in „einer roten Siedlung“ wohnte, sondern auch dort trotz Uniformierung „unbehelligt“ blieb und „von roten Genossen mit ‚Freundschaft‘ gegrüsst“ wurde. Weiters brachte der Nachrichtendienst (ND) in Erfahrung, dass rote Genossen ihn als Spitzel bezeichnet hatten. Zahlreiche weitere SS-Mitglieder wurden nun „festgenommen“. Die Vernehmungen wurden von rund fünf bis acht SS-Führern vorgenommen, da „ein engerer Kreis infolge der Tag auf Tag folgenden Verhöre physisch nicht in der Lage gewesen wäre“ diese durchzuführen. „Ausserdem sollten damit“, so Fitzthum weiter, „die Verhörten eingeschüchtert werden. 10 Tage hindurch dauerten die Einvernahmen Nacht für Nacht, einmal bis 5 Uhr Früh, an.“ Nach Darstellung des am 9. Jänner als SS-Wache eingeteilten Hugo Fleißner wurden während der Durchführung der Verhöre im „Adolf-Hitler-Haus“ „besonders strenge Weisungen erteilt“.1225 So durfte nach zehn Uhr abends niemand mehr ohne Fitzthums Erlaubnis das Stiegenhaus betreten, und in der Standartenkanzlei fand eine „ziemlich erregt(e) Besprechung“ statt, die etwa bis drei Uhr morgens andauerte und an der neben Fitzthum noch sein Adjutant Franz Maxa, Standesführer Josef Reuschauer, die SS-Führer Kaaserer, Mazanek, Plachetka, Hansmann und Mußil sowie weitere, insgesamt etwa zwanzig Personen teilnahmen. Fitzthum stellte in seinem Bericht zwar fest,1226 dass er sich nicht sicher sei, ob tatsächlich alle Spitzel entlarvt werden konnten, jedoch erschien über die Verhöre kein Artikel mehr in der ArbeiterZeitung, die danach – mit einer Ausnahme – nur noch über bereits stattgefundene SS-Aktivitäten berichtete. Barwigs Verhalten nach seinem Ausschluss zeugt von der Kaltschnäuzigkeit der Spitzel. Dieser kassierte nämlich laut einem Bericht von Anton Ziegler weiterhin 1225 Einvernahme von Hugo Fleißner durch das S.B. v. 22. 1. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32. 1226 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza.

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„unter dem Titel ‚Gefangenenhilfe‘ bei den Parteigenossen“ Spenden ein.1227 Er sei Ziegler zufolge deswegen zwar schon von der Polizei verhaftet worden, die ihn aber bald wieder freiließ, obwohl bereits eine Anzeige wegen Betrugs erstattet worden war. Während im „Adolf-Hitler-Haus“ noch die hochnotpeinlichen Verhöre durchgeführt wurden, ereilte die NSDAP der nächste Skandal, der auch für die Wiener Polizei höchst unangenehm werden sollte. Anfang Jänner hatte nämlich der Parteigenosse Hubert Dobrovsky, der Geschäftsführer der Kosmetikartikelfirma Thiosept, die ihren Sitz in der Millergasse 40 nahe dem „Adolf-Hitler-Haus“ hatte, festgestellt,1228 dass sich im Lagerraum der Firma Sprengstoffe befanden. Als kaufmännischer Leiter der Firma fungierte niemand Geringerer als Kurt Barisani,1229 der Führer des Wiener NSKK. Am 9.  Jänner erstattete Dobrovsky um neun  Uhr morgens telefonisch eine anonyme Anzeige bei der Polizei. Nachdem diese eine Stunde später noch immer nicht aufgetaucht war, rief er nochmals beim Kommissariat an. Als auch dieser Anruf keinen Erfolg zeitigte, verständigte Dobrovsky schließlich die Redaktion der Arbeiter-Zeitung. Bei der später stattfindenden Gerichtsverhandlung begründete er seine Handlungsweise damit,1230 dass er sich „gedacht“ habe, „wenn schon die Polizei die Sprengstoffe nicht wegschaffen will, so sollen sie die Schutzbündler wegtragen“. Als sich die Polizei schließlich doch zur Firma Thiosept bequemte, stellte sie dort insgesamt 42 Kilogramm Sprengstoff, „zwei Fläschchen mit bedenklichem Inhalte, eine Schachtel mit Pulver, sowie zwei Leuchtpatronen“ sicher. Im später angefertigten Bericht der Polizeidirektion an den Bundeskanzler hieß es dann, dass sie selbst „in Erfahrung gebracht“ habe,1231 dass bei der Firma Thiosept „Sprengmittel in größeren Mengen eingelagert seien“, und gegenüber der Presse wurde erklärt, dass die Polizei nach Einlagen der anonymen Mitteilung „sofort“ eine Hausdurchsuchung vorgenommen habe.1232 Laut den polizeilichen Ermittlungen stammte der Sprengstoff aus den Dynamitfabriken Blumau-Felixdorf und St. Lambrecht, war im Oktober und November 1932 an das Zeuglager der Schieß- und Sprengmittelmonopolstelle in Innsbruck geliefert und von dort nach Wien geschmuggelt worden. Hinsichtlich des Inhalts der beiden Fläschchen ergaben die Untersuchungen, „daß es sich um ein bisher unbekann1227 Anton Ziegler an den Gau Wien v. 14. 1. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4  ; H.A. I an Karl Krüger v. 22. 2. 1933 sowie Beschluss des USchla der Bezirksgruppe II v. 22. 2. 1933, ebd., Kt. 20. 1228 NFP v. 4. 3. 1932, S. 9 („Die Ammonitfunde in der Millergasse“). 1229 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 396. 1230 Ebd. 1231 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 10. 1. 1933, vgl. auch AZ v. 11. 1. 1933, S. 1 („Ein großes Spreng­stofflager der Nazi entdeckt“)  ; AZ v. 12. 1. 1933, S. 4 („Die Ammonitbanditen“). 1232 AZ v. 11. 1. 1933, S. 1 („Ein großes Sprengstofflager der Nazi entdeckt“).

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tes, außerordentlich leicht explodierbares Zündstoffpräparat handelt(e)“.1233 Barisani wurde verhaftet und ins Wiener Landesgericht eingeliefert. Wenige Tage nach Abschluss des Verhörmarathons der SS-Führung nahmen aber auch die bereits eingestellten Ermittlungen der Polizei über den Gerngroß-Anschlag eine überraschende Wende. Am 18.  Jänner erhielt nämlich das Sicherheits-Bureau eine brisante vertrauliche Mitteilung über das Attentat,1234 die detaillierte Angaben über die Durchführung und die daran beteiligten SS-Angehörigen enthielt und mit Sicherheit aus dem engsten Kreis der Wiener SS, vermutlich von einem ausgeschlossenen SS-Mann, stammte. Darin wurde nicht nur mitgeteilt, dass Grillmayr am Tag vor dem Attentat im Heizungskeller des „Adolf-Hitler-Hauses“ verdächtige Vorbereitungen getätigt hatte, was auch von der SS-Hauswache bemerkt worden sei, sondern dass Franz Mazanek darüber informiert gewesen sein müsse, da der Keller auch als Heizhaus diente. Weiters seien am „Goldenen Sonntag“ gegen drei Uhr nachmittags sechs bis zehn Männer aus der Standartenkanzlei gekommen, die allesamt dem Sturmbann II angehörten, welcher die Bezirke Wieden, Margarethen und Mariahilf umfasste, darunter auch Hugo Fleißner, der bei seinem Weggehen seinen SS-Siegelring und eine polizeiliche Vorladung bei der Hauswache abgegeben habe. Die Männer hätten sich in Richtung Mariahilfer Straße entfernt. Neuerlich kamen die Untersuchungen nur schleppend in Gang. Die erste Amtshandlung wurde erst am 20. Jänner eingeleitet, indem die bereits zuvor vom Kommissariat Neubau überprüften Vormerkungen im Dienstbuch des „Adolf-Hitler-Hauses“ über die SS-Wachen vom 17. und 18. Dezember nochmals untersucht wurden. Das Sicherheits-Bureau ging nun aber davon aus, dass die Einträge „nachträglich abgeändert, bezw. gefälscht“ worden waren.1235 Fast drei Tage nach Einlangen der Mitteilung über Hugo Fleißner wurde dieser am 21. Jänner verhaftet. Fleißner, ein arbeitsloser zwanzigjähriger Handelsangestellter, der seinen Angaben zufolge nur widerwillig an dem Anschlag mitgemacht hatte, da für ihn die Aussicht bestand, durch einen christlichsozialen Fürsprecher beim Bundesheer unterzukommen, und dessen Vater bereits einen Schlaganfall erlitten hatte, legte noch am gleichen Tag ein umfassendes Geständnis ab. Die Polizei nahm aufgrund seiner Aussagen zahlreiche Verhaftungen vor. Betroffen waren hauptsächlich die SS-Männer von Karl Heinz Urbans Sturm (2 /11/11), während Max Plobners Männer sich weitgehend aus der Affäre ziehen konnten, vermutlich weil an den Untersuchungen gegen diesen Sturm wiederum Franz Kamba beteiligt war. Bis auf Franz Hansmann, der an der Verteilung der Tränengasphiolen beteiligt gewesen 1233 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 11. 1. 1933. 1234 Meldung des S.B. v. 18. 1. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32. 1235 Amtsvermerk des S.B. v. 20. 1. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32.

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war, wurde nur noch ein weiterer SS-Angehöriger dieses Sturms vor Gericht gestellt, der aber freigesprochen wurde. Währenddessen hatte aber auch Bundespräsident Miklas interessante Post vom ehemaligen Schatzmeister der Wiener Gauleitung, Walter Turek, erhalten, der mit brisanten Interna über die Finanzierung der Durchführung von Versammlungssprengungen durch die Politische Organisation aufwartete. Turek hatte Anfang September seine Funktion und sein Bezirksratsmandat aus Protest über die finanzielle Geschäftsführung des Gaus Wien zurückgelegt und war Anfang November aus der Partei ausgetreten.1236 In einem offenen Brief rechtfertigte er sein Vorgehen und erklärte, dass sich der Schuldenstand allein für das „Adolf-Hitler-Haus“ und die Gastwirtschaft am 10. August auf 350.000 Schilling belaufen hätte. Weiters protestierte er dagegen, dass die Führer die einfachen Parteimitglieder verraten würden, kritisierte Frauenfelds überzogene Machtansprüche und das sich ausbreitende Bonzentum in der NSDAP. Er habe „erkannt, daß der Sozialismus für die Partei nur ein Aushängeschild ist“, und forderte die „Sozialisten“ in der NSDAP zum Parteiaustritt auf, um „in Oesterreich dem bürgerlichen Spuk der Hitler-Partei ein Ende“ zu bereiten, „ehe es zu spät ist“. Im Jänner wandte Turek sich nun an den Bundespräsidenten,1237 um ihm „(a)nlässlich der Vorfälle im Warenhaus Gerngross“ mitzuteilen, dass die verhafteten „jungen Burschen (…) unschuldig (sind)“, da „in der N.S.D.A.P. Hitlerbewegung (…) nichts ohne Anordnung (geschieht)“. Nachdem die verantwortlichen Führer nicht bereit seien, „ihre Kameraden zu decken“, sehe er sich „daher gezwungen“, sich „dieser unschuldigen Burschen anzunehmen“. Nachdem er seit September 1932 nicht mehr der Gauleitung angehöre und im November aus der Partei ausgetreten sei, könne er über den Anschlag selbst zwar „nichts berichten“, sehr wohl aber über die Art und Weise, wie solche Aktionen organisiert werden, die er auch selbst „mitgemacht habe“. Turek berichtete nun, dass 1931 sowohl anlässlich der Aufführung des Films Im Westen nichts Neues als auch im Zuge einer Aktion wiederum im Kaufhaus Gerngroß Stinkbomben geworfen worden waren. Organisiert wurden diese Aktionen von zwei Mitarbeitern des Gaus, „die sich selbst wieder ihre Mitarbeiter auswählten“. Er hätte „einem der beiden Herren die Auslagen für Chemikalien aus der Gaukasse vergütet“, wobei es sich nur „um geringe Beträge“ gehandelt hätte, „da Stinkbomben billig herzustellen sind“. Als Schatzmeister seien ihm jedoch „derartige Auslagen (…) unangenehm“ gewesen, und er habe daraufhin 1236 Darstellung von Walter Turek über seinen Rück- und Austritt v. 5. 12. 1932, Beilage zu einem Schreiben von Theo Habicht an die GL Wien v. 16. 12. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 6  ; AZ v. 30. 12. 1932, S. 3 („Ein Naziführer über den Nazisumpf“). 1237 Abschrift eines Briefes von Walter Turek an Wilhelm Miklas v. 12. 1. 1932 (recte  : 1933, CR), WStLA, GAW  : Anton Doblreiter, Zl. 56.104.

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„monatlich einen kleinen Betrag auf ein Privatkonto eingezahlt“, um von „derartigen Angelegenheiten nichts mehr wissen“ zu müssen. Nachdem diese Anschläge „durch Mitarbeiter des Gaus Wien unter Mitwissen einzelner Gauleitungsmitglieder organisiert“ worden waren, müsse er „annehmen, dass es auch diesesmal (sic  !) nicht nur ausführende Stellen, sondern auch anordnende Stellen gegeben hat“. Er verurteilte das Verhalten der verantwortlichen Führer, die „ihre Kameraden (…) decken“ müssten und sie nicht „sitzen lassen“ und selbst die „Entrüsteten spielen“ dürften. Abschließend bat er Miklas, seine „Aussage als Entlastung für die Verhafteten entgegenzunehmen“ und sich seiner „Kameraden anzunehmen“, die „nur verhetzt und verführt“ worden seien. Auch Turek wurde nun unter Bewachung der SS gestellt und dafür Anton Doblreiter ausgewählt,1238 der „stundenlang in der Nähe“ seiner Wohnung „herum(stand)“, „hinter Haustoren“ auf ihn wartete, den „Trambahnen“ nachlief, die Turek benutzte und glaubte, ihm „unbemerkt“ nachspüren zu können. Turek stellte ihn im März 1933 deswegen schriftlich zur Rede. Neben der Abschrift seines Briefes an den Bundes­ präsidenten übermittelte er ihm auch einen Auszug aus einem Schreiben vom 25. Jänner an den Wiener Polizeipräsidenten, den er davon in Kenntnis gesetzt hatte, dass er „durch verlässliche Bekannte (…) gestern verständigt (wurde), dass innerhalb der NSDAP das Gerücht verbreitet wird“, er hätte „die Verhaftung der Gerngross­attentäter (sic  !) veranlasst“. Turek stritt dies kategorisch ab und erklärte weiters, dass „(a)uch Fitzthum (…) als Anstifter nicht in Frage (kommt)“. Er kenne die Partei nur „allzu gut“ und wisse deshalb, dass „(j)eder S.A. und S.S. Mann, der ohne Befehl der politischen Organisation eine solche Aktion durchführt, (…) sofort aus der Partei ausgeschlossen werden (würde)“. Weiters bat er den Polizeipräsidenten, „bei den kommenden Gerichtsverhandlungen als Zeuge vernommen (zu) werde(n)“. Turek lag mit seiner Einschätzung sicherlich richtig. Nach der Organisationsstruktur der NSDAP war es schlichtweg unmöglich, dass ein Standartenführer ohne Zustimmung der Politischen Führung eine solche Aktion eigenmächtig planen konnte, die Vorbereitungen auch noch im Parteiheim durchgeführt wurden, und dies zu einem Zeitpunkt, als die SS bei Frauenfeld ohnedies schon in Ungnade gefallen war, der bereits Maßnahmen mit Habicht diskutiert hatte. Darüber hinaus war es bereits im November 1932 zu einer Verstimmung zwischen der Propagandaabteilung des Gaus und der SS gekommen. Diese teilte der Standartenführung am 21. November nämlich mit,1239 dass ihr von der Bezirksgruppe Leopoldstadt gemeldet worden sei, dass

1238 Walter Turek an Pg. Doppelreiter (sic  !) v. 13. 3. 1933, WStLA, ebd. 1239 H.A. VIIa (Werbung) des Gaus Wien an die 11. SS-Standarte v. 22. 11. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Partei­stellen, Kt. 19.

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am 14. November eine Versammlung der „Ostmärkischen Sturmscharen“1240 angeblich „laut Gauauftrag durch die S.S. gesprengt“ worden war. Da der Propagandaabteilung, „als einzig berechtigtem Auftraggeber in solchen Fällen, von einem derartigen Gauauftrag nichts bekannt“ war, bat sie „um eheste Aufklärung“. Mit Sicherheit kann somit angenommen werden, dass der Anschlag auf das Kaufhaus Gerngroß von Frauenfeld genehmigt und auch von der P.O. finanziert worden war. Am 28. März 1933 fand dann der mit Spannung erwartete Prozess vor dem Wiener Landesgericht statt, nachdem sich in den vergangenen Tagen und Wochen im Zusammenhang mit Gerichtsverhandlungen gegen Nationalsozialisten bereits merkwürdige Dinge ereignet hatten. So musste sich Kurt Barisani am 3. März vor Landesgerichtsrat Osio verantworten.1241 Barisani bekannte sich nicht schuldig und bezichtigte Dobrovsky, die Sprengstoffe „eingeschmuggelt“ zu haben. Es sei völlig ausgeschlossen, so Barisani in seiner Aussage, dass das Ammonit „für ihn“ bestimmt gewesen sei, da laut Befehl „unseres Führers (…) jeder SA-Mann, der im Dienst steht, diesen Dienst ohne Waffe versehen muß“ und die NSDAP „keine Straßenkämpfe mit Handgranaten führen (könne), weil das absolut gegen unsere Idee“ sei. Nachdem Dobrovsky in seiner Zeugenaussage über seine vergeblichen Anrufe bei der Polizei berichtet hatte, begann der Staatsanwalt seinen eigenen Zeugen anzugreifen.1242 Um Dobrovskys Glaubwürdigkeit zu überprüfen, wurden weitere Zeugen vorgeladen und der Prozess vertagt. Barisani wurde bis zur Fortsetzung der Verhandlung gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt. Der Prozess wurde am 4. April fortgesetzt,1243 Barisani von der Anklage wegen Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz freigesprochen und lediglich wegen des Besitzes eines Totschlägers zu dreißig Schilling Geldstrafe verurteilt. Mitte April 1933 übersiedelte er nach Deutschland1244 und begann, die Organisation des Waffen- und Sprengstoffschmuggels nach Österreich aufzubauen.1245 Am Tag vor dem Gerngroß-Prozess musste sich dann Hans Geister vor dem Bezirksgericht I wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz verantworten. Auch Geister wurde freigesprochen,1246 da Landesgerichtsrat Rudolf Kunze die Ansicht vertrat, „daß der Besitz von drei Gewehren und zwei Bajonetten (…) für einen ehemaligen 1240 Ein 1930 gegründeter katholischer paramilitärischer Wehrverband unter der Führung von Kurt Schusch­nigg, vgl. dazu ausf. Reich (2000). 1241 NFP (Abendblatt) v. 3. 3. 1933, S. 4 („Die Ammonitfunde in der Millergasse“). 1242 NFP v. 4. 3. 1933, S. 9 („Die Ammonitfunde in der Millergasse“). 1243 AZ v. 4. 4. 1933, S. 6 („Das Ammonitlager des Naziführers“). 1244 Eidesstattliche Erklärung von Kurt Barisani v. 18. 12. 1935, BArch (ehem. BDC), PK  : Margarethe Barisani. 1245 Protokoll der Vernehmung von Hans Röhrich betr. Kurierverbindung am 27.  7.  1934 und Verfälschung der Biografie von Franz Hiebl, zit. n. Schafranek (2006), S. 281, S. 288. 1246 NFP v. 28. 3. 1932, S. 9 („Heute Prozeß wegen des Tränengasattentats“).

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Abb. 50: Empfang der verurteilten Attentäter des Gerngroß-Anschlags nach ihrer Entlassung aus dem Wiener Landesgericht durch Gauleiter Frauenfeld und NSSympathisantInnen: Bildmitte A. E. Frauenfeld, M. Grillmayr, J. Fitzthum, unbek., Otto Gustav Wächter, Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB)

Frontoffizier nicht als ein Besitz von Waffen in größerer Menge angesehen werden könne“. Aufgrund der vorangegangenen Prozesse standen die Chancen, auf ein wohlwollendes Verhalten des Gerichts zu treffen, für die Gerngroß-Attentäter somit durchaus günstig.1247 Von den zahlreichen Verdächtigen waren letztlich nur noch zehn Angeklagte übrig geblieben, die bei der Hauptverhandlung ihrer früheren Aussagen größtenteils wieder zurückzogen, während Fitzthum die Verantwortung für die Aktion übernahm und erklärte, dass die SS-Männer auf seinen Befehl hin gehandelt hätten. Auch Grillmayr bekannte sich schuldig, die Aktion vorbereitet zu haben. Als einziger Angeklagter gab der Medizinstudent Alois Ringl zu, eine Tränengasphiole geworfen zu haben, jedoch sei ihm gesagt worden, dass es sich dabei um eine Stinkbombe handle. Verurteilt wurden schließlich Fitzthum (zweieinhalb Monate), Grillmayr (zwei Monate), Hansmann (vier Wochen), Rahn und Ringl (je drei Wochen). Am 29. März 1933 versammelten sich einige hundert ParteigenossInnen vor dem Landesgericht, um den aus der Haft entlassenen Gerngroß-Attentätern ihre „Ovationen“ entgegenzubringen.1248 Erschienen war auch Gauleiter Frauenfeld, der in einem Motorkordon gemeinsam mit den Enthafteten in das „Adolf-Hitler-Haus“ fuhr. Die begeisterte Menge versuchte, sich den Automobilen anzuschließen, wurde aber von der Sicherheitswache zerstreut. Die Demonstrationen setzten sich dann in mehreren Bezirken fort. Laut Aktenvermerk der Wiener Polizei erhielt Fitzthum nach seiner 1247 Zum Prozess vgl. Protokoll der Hauptverhandlung (=  Hv) v. 28.  3.  1933  ; Beratungsprotokoll v. 29. 3. 1933  ; Urteil des LGfS Wien I v. 29. 3. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 8210/32. 1248 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 30. 3. 1933.

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Verurteilung von der Partei 500 Schilling Vergütung und begab sich auf einen 14-tägigen Erholungsurlaub.1249 9.5 Die Lage der Wiener SS nach dem Ende der Spitzelaffäre

Nach Aufklärung der Spitzelaffäre wurden gravierende organisatorische und personelle Einschnitte vorgenommen. Bereits am 21. Dezember hatte Bach eine Aufnahmesperre für die Wiener Standarte verhängt.1250 Die Aufnahme in die SS wurde ab diesem Zeitpunkt strikt reglementiert, und die Anwärter wurden hinsichtlich ihrer Tauglichkeit einer genauen Prüfung unterzogen. Weiters wurde der Wachdienst im „Adolf-HitlerHaus“ „von Seite des Gaues in ein streng geordnetes Geleise gebracht“,1251 für den ein „ständige(r) Führer“ eingesetzt wurde und der nur noch „von einer kleinen Auswahl verlässlicher SS-Kameraden bestritten“ werden durfte. Aufgelöst wurde wegen Führermangels der Spielmannszug, und aus dem von Max Peschke kommandierten Sturm 2 /1/11 wurden alle Anwärter entlassen und die SS-Führer und Männer vorerst beurlaubt, „so dass der Sturm praktisch vorläufig zu bestehen aufgehört“ hatte.1252 Nach Fitzthums Bericht erschien es ihm „(i)m Falle einer Wiederaufstellung“ des Sturms „unumgänglich, keinen der bisherigen Führer heranzuziehen“.1253 Hingegen stellte er in Aussicht, dass den „(b)ewährten SS-Anwärtern“ der Wiedereintritt genehmigt werden könnte. Auch der Bezirksleiter der Hietzinger NSDAP übte massive Kritik an dem Sturm seines Bereichs und insbesondere an Sturmführer Max Peschke,1254 der seiner Ansicht nach zwar „sicherlich zu den charakterfestesten und treuesten Nationalsozialisten (gehört)“, dessen „Begabung für administrative Arbeiten“ allerdings „leider eine schwache“ sei. Dadurch sei der Sturm,

1249 Evidenzeintrag zu Josef Fitzthum v. 31. 3. 1933, Pr. Zl. IV-6892/12 v. 1932, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl.  291.193. Während Fitzthums Verhaftung führte Anton Ziegler vertretungsweise die Standarte. Yergers Angabe, dass Fitzthum die Führung nur bis März 1933 innehatte, ist ebenso falsch wie seine Annahme, dass Ziegler diese von März bis August 1933 kommandierte, Yerger (1997), S. 97, 174. Ganz im Gegenteil suchte Ziegler im April um Überstellung zur SA an und trat im Mai zu dieser über. 1250 Ernst Bach an die GL Wien v. 9. 3. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 1251 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1252 Max Peschke wurde nach Wiederaufstellung des Sturms nicht wieder eingesetzt und arbeitete bis zum Partei­verbot als Telefonist bei der Landesleitung, BArch (ehem. BDC), PK  : Max Peschke. 1253 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1254 Jahresbericht 1932 der Bezirksgruppe Hietzing v. Jänner 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 3.

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vor allem nachdem „der letzte Haupttruppführer Gerbing1255 auch zeitlich zu stark behindert war, in adm(inistrativer) Hinsicht in Unordnung“ geraten. Weitere Gründe1256 für den Zustand des Sturms sah er im Fehlen eines geeigneten Exerzierbodens, was seine „Tätigkeit (…) behinderte und ein volles Erfassen der neu hinzukommenden Leute fast unmöglich machte“. Diese Verhältnisse hätten mit dazu beigetragen, „dass ein Trupp (Breitensee) einigermaßen zersetzt wurde. Ueberdies liess sich der dortige Truppgeldverwalter S.S. Scharführer Doblreiter finanzielle Verfehlungen zu Schulden kommen, welche diese Zersetzung beschleunigten“, den er „infolge der finanziellen Unzukömmlichkeiten bei der S.S. als vollkommen ungeeignet zu der von ihm innegehabten Stelle in der Gau-Standesführung“ einschätzte. Aber auch Geldverwalter Klötzl und andere Angehörige der Motorstaffel des Bezirks waren an der „Zersetzung beteiligt“ gewesen. Kritik übte der Bezirksleiter auch am zögerlichen Vorgehen der Standartenführung. Er habe im Fall Klötzl bereits im August Bericht an die Standartenführung erstattet, aber auch in allen anderen Fällen „wurde leider seitens der Standarte der S.S. nicht genügend rasch durchgegriffen“. All dies hätte zur Auflösung des Sturms geführt, jedoch sei „das Material gut“ und eine „eheste Neuaufstellung vielleicht blos (sic  !) aus den S.S. Männern“ wäre „dringend zu wünschen, wobei auch der bisherige Sturmführer Peschke, wenngleich er auch für einen S.S. Sturmführer Zähigkeit besitzt, falls er einen guten Haupttruppführer zur Seite bekäme, in seiner bisherigen Verwendung verbleiben könnte, sonst aber bestimmt als Truppführer verwendet werden kann“. Weiters stellte der Bezirksleiter fest, dass sich „(i)m allgemeinen (…) sowohl bei der S.S. als auch bei der S.A. ein Mangel an gedienten und militärisch durchgebildeten Pg. bemerkbar“ mache. Aufgelöst wurde zwischenzeitlich der Sturmbann  III, der von Winter bis April 1933 nur noch als Sturm weitergeführt und völlig neu aufgestellt werden musste. Der Zustand des Sturmbanns während der Spitzelaffäre zeigt, wie erfolgreich sich die Zersetzungsarbeit der Arbeiter-Zeitung gestaltete, die zu ständigen Ab- und Versetzungen führte, was wiederum Rivalitäten und Streitigkeiten im Führerkorps hervorrief. Gleichzeitig war Verschwörungstheorien Tor und Tür geöffnet. Mit allen möglichen Gerüchten und Verdächtigungen wurden Intrigen gesponnen, um Rivalen zu verdrängen. So kolportierte etwa Scharführer Julius Schwab, dass der Standesführer der Standarte, Josef Reuschauer,1257 den er als den angeblich „bestgehasste(n) Mann 1255 Vermutlich handelte es sich dabei nicht um Herbert Gerbing, der seinen eigenen Angaben zufolge erst im Dezember 1933 in die SS eintrat. Möglicherweise war damit Walter Gerbing gemeint, der 1938 der 89. SS-Standarte angehörte. 1256 Jahresbericht 1932 der Bezirksgruppe Hietzing v. Jänner 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 3. 1257 Julius Schwab an Ernst Bach v. 9. 2. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Maxa.

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der Staffel“ bezeichnete und der bei „allen Kameraden unbeliebt“ sei, von vielen Kameraden als Spitzel verdächtigt werde. Reuschauer konnte den Spitzelverdacht letztlich nicht mehr loswerden. Noch vor dem Verbot der NSDAP wurde er außer Dienst gestellt und aus der SS ausgeschlossen.1258 Auch seine Internierung im Anhaltelager Wöllersdorf änderte nichts an dem mangelnden Vertrauen in seine Person. Nach dem „Anschluss“ wurde der Fall erneut geprüft und Reuschauer nach der Feststellung, dass die Anschuldigungen unbegründet und sein Verhalten in der Verbotszeit einwandfrei gewesen waren, wieder in die SS aufgenommen. 1941 wurde Reuschauer neuerlich aus der SS und 1943 wegen Unterschlagung auch aus der Partei ausgeschlossen. Nach Aufklärung der Spitzelaffäre eskalierte aber auch der schon seit Längerem schwelende Machtkampf zwischen Fitzthum und Verwaltungsführer Schabel. So hatte Fitzthum nach der Abschnittsführertagung im September 1932 tausend „Werbeplakate“ für die SS bestellt,1259 dies aber laut einem Bericht des FM-GV im Bereich der Standarte, Michael Pistor, ohne Verständigung der GV veranlasst. Nachträglich wurde vereinbart,1260 dass die GV bei Lieferung hundert Schilling beisteuern, danach aber keine weiteren Zahlungen leisten würde. Mitte Dezember bat Fitzthum die FMGV aber um die Zahlung von 200 Schilling, was unter Hinweis auf die frühere Abmachung abgelehnt wurde. Nachdem auch eine neuerliche Bitte Fitzthums um Zahlung des Betrags von der FM-GV zurückgewiesen worden war, erklärte er nach einem Telefongespräch mit Pistor, dass er beabsichtige, „unter diesen Umständen die Führung der 11. SS-Standarte niederzulegen“. Schabel gab daraufhin Pistor die Anweisung,1261 den Betrag „ohne Präjudiz für die Regelung der Angelegenheit“ auszubezahlen, um Fitzthum „vor Schwierigkeiten und ev. Geldverlusten zu bewahren“. Die Standarte hatte bis 27. Dezember einen „begründete(n) Vorschlag zur endgültigen Bereinigung“ der Angelegenheit an das SS-VA VIII zu erstatten. Aufgrund von Fitzthums zweitägiger Verhaftung im Zuge der Gerngroß-Affäre wurde der Termin bis 30. Dezember verlängert.1262 Am 31. Dezember teilte nun Michael Pistor mit, dass der „Auftrag (…) nicht vollzogen werden (konnte)“, da das seinerzeitige Schreiben des Verwaltungsamtes nicht mehr vorhanden war.1263 Inzwischen 1258 Josef Reuschauer änderte im Mai 1938 seinen Namen auf Reischauer, BArch (ehem. BDC), PK  : Josef Reu­schauer, BArch (ehem. BDC), RS  : Josef Reischauer  ; WStLA, GAW  : Josef Reischauer, Zl. 150.826  ; ÖSTA, AdR, GA  : Josef Reischauer, Zl. 125.886. 1259 Josef Fitzthum an den SS-Abschnitt VIII v. 24. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 1260 FM-GV i. Ber. d. 11. SS-Standarte/Michael Pistor an das SS-VA VIII v. 19. 12. 1932, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1261 SS-VA VIII/Thomas Schabel an die 11. SS-Standarte v. 21. 12. 1932, ebd. 1262 Ebd. 1263 FM-GV i. Ber. d. 11. SS-Standarte/Michael Pistor an das SS-VA VIII v. 31. 12. 1932, ebd.

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hatte sich aber der Verdacht erhärtet, dass das „Spitzeltum verhältnismässig stark in der Geldverwaltung Platz“ gegriffen hatte, was von Fitzthum auf die zwei Monate zuvor erfolgte „vollkommene Lostrennung derselben von der Führung der Truppe zurückgeführt“ wurde.1264 So hatte Fitzthum inzwischen die beiden FM-GV Barwig und Klötzl als Spitzel ausforschen können und zur Aufklärung der Affäre einen Appell einberufen. Pistor bat ihn daraufhin, mit der Enthebung der beiden so lange zu warten, bis diese ordnungsgemäß ihre Monatsabrechnung durchgeführt hätten.1265 Nachdem die Standartenführung nicht einmal mehr in der Lage war, der Mannschaft die längst erlassenen Befehle der obersten SS-Führung zur Kenntnis zu bringen, und täglich damit rechnete, dass die Gerngroß-Attentäter entlarvt werden könnten, ignorierte Fitzthum Pistors Ersuchen und schloss die beiden aus der SS aus. Infolgedessen legte Pistor „schärfste(n)“ Protest „gegen eine solche Nichtbeachtung der Interessen der FM-GV“ ein, da aufgrund dieser „übereilten Maßnahme“, von der die FM-GV nicht in Kenntnis gesetzt worden sei, die Abrechnung für den Monat Dezember „besonders erschwert“ wurde. Er bat darum, Fitzthum „dahingehend zu instruieren“, „dass er nicht gegen die Interessen der FMGV i.Ber.d. 11. SS-Standarte arbeite“. Schabel verlor daraufhin völlig die Beherrschung und richtete zwischen 5. und 6. Jänner nicht weniger als acht Beschwerdeschreiben über Fitzthum an das Verwaltungsamt in München. Darüber hinaus übermittelte er in diesem Zeitraum neben dem sonstigen Schriftverkehr mindestens zwanzig erlassene Tagesbefehle an die dortige Dienststelle. Zwischen 1. Jänner und 6. Februar schickte er weitere 216 Tagesbefehle nach München und überschwemmte die FM-Führer mit zahllosen Befehlen und Anweisungen. Mit „Meldung Nr.  1 betr. Sturmbannführer Fitzthum“ beschwerte sich Schabel darüber,1266 dass er bis dato kein Dienststellenverzeichnis der 11. SS-Standarte erhalten habe. Dadurch sei „die Aufstellung der FM-Geldverwalter i.  Ber.  d.  11. SSStandarte wesentlich erschwert“ und „die reibungslose Ingangsetzung der Dienstvorschrift (…) sowie des Verwaltungsamtes nahezu unmöglich gemacht (worden), da hiezu sowohl dem SS-Verwaltungsamt VIII als auch der Verwaltung des Stabes der 11. SS-Standarte die aktiven Dienstellen und deren Führer wenigstens bis zum Sturmführer und Haupttruppführer herunter bekannt sein müssen“. In seiner zweiten Meldung kritisierte er,1267 dass „die Beurlaubungen, Überstellungen und Streichungen von Angehörigen der 11. SS-Standarte ohne jede Fühlungnahme oder Verständigung 1264 Bericht von Josef Fitzthum v. 17. 1. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Turza. 1265 FM-GV d. 11. SS-Standarte/Michael Pistor an das SS-VA VIII v. 4.  1.  1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6, Herv. i. Orig. 1266 1. Meldung des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 5. 1. 1933, ebd. 1267 2. Meldung des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 5. 1. 1933, ebd.

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der FM-Geldverwalterstellen oder des SS-Verwaltungsamtes“ durchgeführt wurden, wodurch „das Inkasso von Rückständen aller Art (…) sowie aller anderen Schulden der betreffenden SS-Männer unmöglich gemacht“ werde. Die dritte Meldung betraf den bereits erwähnten „Skandalfall“ Rudolf Matschnig.1268 Meldung Nummer 4 hatte die SS-Werbeplakate zum Inhalt.1269 Fitzthum hatte nämlich auch den von Schabel festgesetzten Termin am 30. Dezember verstreichen lassen, ohne eine Stellungnahme abzugeben, und laut Schabel dem FM-GV der Standarte, Michael Pistor, erklärt, „daß ihm niemand etwas zu befehlen habe und er im übrigen die Bewilligung der RFSS zum Ankauf der Werbeplakate“ habe. Außerdem hätte er in dieser Angelegenheit bereits eine Beschwerde an den Abschnitt gerichtet. Dieses Vorgehen empfand Schabel „als Bösartigkeit (…), die sowohl der Dienstvorschrift widerspricht, als auch jeder Kameradschaftlichkeit, die von dem Führer einer Standarte erwartet werden darf“. Fitzthum hätte ihm „ins Gesicht“ geschlagen, indem er, statt die „ihm zuteil gewordene Unterstützung anzuerkennen, eine hier noch unbekannte Beschwerde an den SS-Abschnitt VIII, Linz, abgab“. Schabels fünfte Meldung betraf den Ausschluss von Klötzl und Barwig,1270 worüber er nicht nur keine Verständigung erhalten habe, sondern Fitzthum gegenüber FM-GV Pistor auch erklärt habe, dass bei dem Appell „zwei Geldverwalter fliegen werden“, dies jedoch Schabel nicht mitgeteilt werden dürfe. Dieses Verhalten lasse „sich mit keiner Dienstvorschrift und bestimmt nicht mit den Interessen der Schutzstaffel in Einklang bringen“. Meldung Nummer 6 betraf den am 2. Jänner aufgelösten Spielmannszug,1271 dessen Männer auf die Sturmbanne aufgeteilt werden sollten. Schabel ereiferte sich nun vier Tage nach dessen Auflösung, dass die „Aufteilung bezw. Überstellung der Leute (…) bis heute nicht durchgeführt“ worden sei. Auch in dieser Angelegenheit wurde er von Fitzthum „als nicht vorhanden betrachtet und vor eine vollzogene Tatsache gestellt, deren Folgen noch nicht abzusehen“ seien. Am gleichen Tag reichte Schabel gleich nochmals eine Beschwerde darüber ein, von der Auflösung des Spielmannszugs nicht unterrichtet worden zu sein.1272 In einer weiteren Beschwerde vom selben Tag rechtfertigte er sein Vorgehen damit,1273 dass dies „die einzige Möglichkeit“ sei, „einen weiteren Zusammenbruch einer mühsam aufgebauten Organisation und möglicherweise noch schwerwiegendere Folgen zu verhindern“. Nachdem die Standartenführung aus je einem Führer, Adjutanten, Standesführer, SS-Mann zur beson1268 3. Meldung des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 6. 1. 1933, ebd. 1269 4. Meldung des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 6. 1. 1933, ebd. 1270 5. Meldung des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 6. 1. 1933, ebd. 1271 6. Meldung des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 6. 1. 1933, ebd. 1272 1. Schreiben des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 6. 1. 1933, ebd. 1273 2. Schreiben des SS-VA VIII/Thomas Schabel betr. Josef Fitzthum an das SS-VA v. 6. 1. 1933, ebd.

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deren Verwendung, einer Schreibkraft sowie Ordonnanzen verfügte, sei „zweifellos die Möglichkeit gegeben, ihren Dienstpflichten auch dem SS-Verwaltungsamt VIII gegenüber nachzukommen“. Schabel vergaß dabei jedoch, dass der gesamte Stab im Gegensatz zu ihm die Arbeiten unentgeltlich in der Freizeit erledigte. Weiters erklärte er, dass es ihm aufgrund der Urlaubszeit und der Entfernung nach Linz noch nicht möglich gewesen sei, mit Abschnittsführer Bach in „persönliche Fühlungnahme“ zu treten, und bat darum, dass die Verwaltungsführung in München „dem SS-Verwaltungsamt VIII und seinen nachgeordneten Dienststellen das Arbeiten mit der Führung der 11. SS-Standarte (…) ermöglichen“ möge.1274 Schabels zahlreiche Beschwerden stießen bei Himmler weitgehend auf taube Ohren. Am 6. Februar verfügte er hinsichtlich des „Ausschluss(es) von im Verwaltungsdienst tätigen Angehörigen der SS“ nur,1275 dass vor „Ausspruch“ des Ausschlusses die „zuständige Befehlsstelle anzuhalten“ sei, „alle Bücher und sonstigen Unterlagen wie den Barbestand vor Aussprechung des Ausschlusses sicherzustellen“ und danach dem VA VIII einzureichen. Die alleinige Disziplinargewalt über die FM-GV blieb somit bei der aktiven Führung, die als „zuständige Befehlsstelle“ die Sicherstellung der Unterlagen durchzuführen hatte, während Schabels Zuständigkeitsbereich auf die finanziellen Angelegenheiten beschränkt blieb. Anfang März hatte sich die Situation innerhalb der SS dann so weit beruhigt, dass die Aufnahmesperre für SS-Anwärter wieder aufgehoben werden konnte. Nach einer Absprache zwischen dem Wiener Gauinspekteur Neumann und Abschnittsführer Bach am 8. März benötigten alle SS-Anwärter ab diesem Zeitpunkt eine Bescheinigung ihres Blockwarts über ihre „Eignung zum SS-Mann“. Im Falle, dass der Anwärter diesem nicht bekannt war, musste dies „deutlich zum Ausdruck“ gebracht werden.1276 Neben der Befürwortung durch die politische Führung verlangte die SS-Führung von SS-Anwärtern darüber hinaus noch „die Nennung von zwei ihr als durchaus nationalsozialistisch gesinnt bekannten Persönlichkeiten“.1277 Damit wurden – zumindest – im Bereich der Wiener SS die seit Gründung der Schutzstaffel vorgeschriebenen restriktiven Aufnahmekriterien bindend.

1274 1. Schreiben des SS-VA VIII/Thomas Schabel an das SS-VA v. 6. 1. 1933, ebd. 1275 Heinrich Himmler an das SS-VA VIII v. 4. 2. 1933, ebd. 1276 Ernst Bach an die GL Wien v. 9.  3.  1933  ; Gaurundschreiben Nr.  7. v. 17.  3.  1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 1277 Ebd.

10. Die Wiener SS auf dem Weg in die Illegalität

In den Monaten vor der Ausschaltung des Parlaments hatte auf den Wiener Straßen weitgehende Ruhe geherrscht. Dies war zum einen durch das von Fey verhängte Aufmarsch- und Versammlungsverbot, zum anderen durch die prekäre finanzielle Situation der Wiener NSDAP bedingt, da sich die mittlerweile tief verschuldete Gauleitung die kostenintensiven Schlachten kaum mehr leisten konnte. So teilte Frauenfeld dem Landesschatzmeister Friedrich Werbik Mitte Februar mit,1278 dass er es „infolge der Erschöpfung unserer finanziellen Mittel (…) in der letzten Zeit vermieden habe, durch Strassenzusammenstösse mit den Behörden die Zahl der zu Unterstützenden zu vermehren, da ich derartige Aktionen nur mache, wenn ich wenigstens den elementarsten Pflichten der Verantwortung nachkommen kann“. Zu diesem Zeitpunkt musste die Gefangenenhilfe des Gaus seit Wochen nicht nur die Aufbesserung der Verpflegung für die zahlreichen in Untersuchungshaft befindlichen SS-Männer, die des Anschlags auf das Kaufhaus Gerngroß verdächtigt wurden, bezahlen, sondern hatte auch die Versorgung ihrer zumeist mittellosen Angehörigen zu übernehmen. Aber auch der Brachialrhetorik der NS-Presse wurden finanzielle Grenzen gesetzt, nachdem insbesondere Landesgerichtsrat Standhartinger zahlreiche und zum Teil außerordentlich hohe Geldstrafen gegen die Parteipresse verhängt hatte. In Reaktion darauf ordnete Frauenfeld im Jänner an,1279 dass aufgrund der „in letzter Zeit in untragbare(m) Ausmaß sich häufenden Gerichtsstrafen“ von Redakteuren des Kampfrufs alle „Schriftleiter die volle Verantwortung für jeden Artikel“ zu tragen und für mögliche Geldstrafen selbst aufzukommen hatten. Hinzu kamen die rückgängigen Einnahmen bei Parteiversammlungen aufgrund der explodierenden Arbeitslosenzahlen. Hatte schon in den Monaten zuvor so manche NSDAP-Veranstaltung negativ bilanziert, wie etwa das Filmfest am Schafberg mit 900 Schilling oder der Stafettenlauf in Hernals im September mit 1.200 Schilling,1280 so wurden die Veranstaltungen Anfang 1933 zu einem reinen Verlustgeschäft für die Partei. Im Februar schlossen die vier in diesem Monat abgehaltenen großen NSDAP-

1278 Alfred Eduard Frauenfeld an den Landesschatzmeister Friedrich Werbik v. 14. 2. 1933, ebd., Kt. 6. 1279 Alfred Eduard Frauenfeld an die Schriftleiter des „Kampfrufs“ v. 13. 1. 1933, ebd. 1280 Josef Sandig an die LL Österreich v. 21. 4. 1933, ebd., Kt. 4.

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Die Wiener SS auf dem Weg in die Illegalität

Versammlungen mit einem Minus von fast 200 Schilling ab,1281 obwohl neben den Eintrittsgeldern auch eine Wahlspende eingehoben worden war. Von den insgesamt 1.576 BesucherInnen entfiel fast die Hälfte auf sog. „Halbzahler“, die nur den herabgesetzten Eintrittspreis bezahlen konnten. Zum anderen wirkte sich, wie etwa der Hietzinger Bezirksleiter feststellte, auch die erfolgreiche Kampagne der Arbeiter-Zeitung negativ auf die ParteianhängerInnen aus.1282 Seiner Ansicht nach sei die „Allgemeinstimmung der Parteigenossen bis in den Beginn des November eine sehr gute gewesen. Seither machte sich ein schwacher, stimmungsmässiger Rückschlag geltend, bedingt durch die gleichzeitige etwas rückläufige Tendenz im Reich und die Verleumdungsoffensive der Gegner.“ Die Finanznot der Partei wirkte sich auch auf den Einsatz der Mitglieder der Brachialorganisationen aus. Insbesondere für die arbeitslosen bzw. schlecht verdienenden Angehörigen der SA und SS bedeutete der Parteieinsatz ein nicht abschätzbares Risiko, da weder die Hilfskasse der Landesleitung noch das Wohlfahrtsamt des Gaus in der Lage waren, die volle Höhe der Kosten bei Verletzungen zu übernehmen. So waren bspw. im April 1932 dem SS-Truppführer Karl Regnemer bei einer Schlägerei während des Musikumzuges in Favoriten die Zähne eingeschlagen worden.1283 Regnemer hatte als Ersatz für den Verdienstentgang zwar hundert Schilling von der Hilfskasse erhalten, jedoch waren die Kosten für den Zahnersatz im Jänner 1933 noch immer nicht beglichen worden. Diese beliefen sich auf 390 Schilling, was Regnemer von seinem „ausserordentlich geringen Wochenlohn“ nicht finanzieren konnte. Im Jänner 1933 bat schließlich die Hauptabteilung IIa des Gaus Wien die H.A. II der LL, eine „Vergütung für den durch die Verletzung entstandenen Schaden zu gewähren“. Aber auch die Wiener SS konnte mit ihrem niedrigen Etat einen geordneten Dienstbetrieb nicht aufbauen, ganz abgesehen von der dazu benötigten Ausstattung, den erforderlichen Diensträumen, Fahrzeugen etc. Aufgrund der hohen Arbeitslosenrate innerhalb der SS hing Fitzthum zufolge „der Bestand der S.S. tatsächlich von Zuwendungen von privater Seite ab“.1284 Diese wurden ab Sommer 1932 unfreiwilligerweise von der Kunstgewerbeschule übernommen, wo Fitzthum als Sekretär angestellt war. Damit unterstand ihm auch die gesamte finanzielle Gebarung, die am Jahresende einer nur oberflächlichen Überprüfung unterzogen wurde. Bis Juni 1933 unterschlug 1281 Schreiben an die H.A. VII v. 21. 2. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 1282 Jahresbericht 1932 der Bezirksgruppe Hietzing v. Jänner 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 3. 1283 H.A. IIa (Gau-Standesführer Hölzl) an die H.A. der LL der NSDAP v. 7. 1. 1933, WStLA, Gau­ archiv Wien, Kt. 2. 1284 Einvernahme von Josef Fitzthum durch das LGfS Wien I v. 29. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33.

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Fitzthum mindestens 13.300 Schilling an seinem Arbeitsplatz,1285 um die Löcher in den leeren Kassen der SS zu stopfen, und rechtfertigte sein Vorgehen später folgendermaßen  : „Und weil die Deckung des Abgangs anfangs nicht schwer und später immer wieder leicht hinaus zu schieben war, und weil die fortschreitenden Erfolge einen Sieg der Bewegung immer näher zu rücken schienen, versanken meine Bedenken in dem Bewusstsein, dass ich ein Gut der Gesamtheit zum späteren Nutzen ihrer selbst verwende.“ Finanziert wurden damit u.a. Spenden, Werbematerial, Fahrtkosten und der Ankauf von Waffen für die SS. In einem späteren Bericht an den Abschnitt rechtfertigte Fitzthum sein Vorgehen damit, dass er einen nicht unerheblichen Teil seines Verdienstes der SS zur Verfügung gestellt habe, sich die Ausgaben jedoch insbesondere während der Spitzelaffäre „ganz beträchtlich (steigerten)“ und seine „Bemühungen zur Reinigung und Erhaltung der SS“ ohne seinen Griff in die Kasse „gescheitert“ wären. Nachdem „immer (…) deutlich(er) wurde“, dass „der Endkampf in Oesterreich nicht ohne Gewalt ablaufen werde“ und Fitzthum damit rechnete,1286 dass dieser „vielleicht schon im Frühjahr dieses Jahres abheben könne“, stand auch das „Streben nach Waffen“ nun „bei allen Formationen obenan“. Zur Schießausbildung der SS besorgte etwa Walter Leubuscher im Mai 1933 zwei Mannlichergewehre,1287 lehnte aber den Ankauf von fünfzig Kilogramm Patronen und weiteren Waffen angeblich ab. Im Jänner 1933 erhielt Fitzthum von einem ungarischen Waffenhändler das Angebot, zehn Maschinengewehre für die SS anzuschaffen. Fitzthum konnte „der Lockung dieses Antrages nicht widerstehen“ und versuchte, nach der Inspektion der Waffen die dafür nötigen 6.000 Schilling zunächst ohne Angabe von Gründen bei Frauenfeld aufzutreiben, was ebenso ergebnislos verlief wie seine Nachfragen bei der Geldverwaltung des Abschnitts. Nachdem die Waffen inzwischen auch einer SA-Formation angeboten worden waren, musste Fitzthum „raschest“ handeln und bediente sich wieder einmal im Tresor der Kunstgewerbeschule. Die militärische Aufrüstung der SS scheiterte dann aber an der Gerngroß-Affäre, da Fitzthum den Händlern zwar die Gelder aushändigte, jedoch kurz vor der Übergabe verhaftet wurde. Zunächst wähnte er die Waffen in Sicherheit, da ihn einer der Waffenhändler noch im Landesgericht aufsuchte und über die Aufbewahrung der Waffen beruhigte. Als Fitzthum nach fast zehnwöchiger Haft entlassen wurde, waren die Händler samt den Gewehren verschwunden. Mit der „Machtergreifung“ der NSDAP in Deutschland sollten die finanziellen Sorgen der österreichischen NSDAP im Frühjahr 1933 dann ein schnelles Ende finden. 1285 Bericht von Josef Fitzthum an den SS-Abschnitt VIII v. 24. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 1286 Ebd. 1287 Vernehmung von Walter Leubuscher durch das S.B. v. 18. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33.

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Nach Ausschaltung des Parlaments begann sich die NSDAP auf die verschärfte innen- und außenpolitische Lage einzustellen. Aus der Abschrift einer nicht unterfertigten und undatierten „Anregung“ gehen die Vorschläge über mögliche Vorbereitungsmaßnahmen „für den Fall weiterer Einschränkungen der Parteiarbeit oder Verbotes der Partei“ hervor, die zum Teil auch umgesetzt wurden.1288 Der erste Abschnitt des Schriftstücks befasste sich mit der Gründung von „Auffangorganisationen“, mit der sofort begonnen werden sollte. Diese Tarnorganisationen sollten „möglichst unpolitische, wirtschaftliche oder vaterländische Ziele verfolgen“ und dienten vor allem dem Zweck, Mitgliedsbeiträge einzukassieren, die Parteiangehörigen „weiter in Evidenz zu erhalten“ und „sie zur Steuer-Leistung an die Partei heranzuziehen, bezw. sich ihrer für gedeckte politische Aktionen zu bedienen“. Für die Parteiorganisationen wurde ebenfalls die Gründung von Tarnvereinen vorgeschlagen. So sollten etwa die Brachialorganisationen als Sportvereine fortgeführt werden. Der zweite Teil des Schriftstücks beinhaltete die „Neuregelung der Propaganda, die vorsah, dass die öffentlichen Kundgebungen durch „die intensivste Werbearbeit von Mann zu Mann“ ersetzt werden müssten. Weiters sei die „die Lügenabwehr der Partei (zu) verstärk(en)“ und eine „Zentral-Stelle“ in Wien einzurichten. Ein „Verbindungs-Dienst bezw. ein Alarm-Apparat“ sollte Chiffren-Schlüssel und Deckadressen erstellen, um Geheimnachrichten von der Parteizentrale an die Dienststellen und umgekehrt weiterzuleiten. Ein „Geheim-Sender“ könnte in den Pausen der RAVAG verschlüsselte Nachrichten an die Radiohörer senden. Überlegt wurde weiters, einen stärkeren Sender an der österreichischen Grenze und in Bayern zu errichten. Der letzte Teil setzte sich mit „Schutzmassnahmen“ für das Vermögen und Eigentum der Partei sowie für die Presse auseinander. Dafür sei es „dringendst geboten“, dass die Geldverwaltung umgehend „in eine private Form gebracht wird“. So sollten alle Postsparkassen- und Bankkonti „harmlose Namen“ erhalten oder Deckkonten angelegt werden. Ebenso sei bei „Häuser(n), Zeitung(en) u. dgl.“ zu verfahren. Die „Bezieher-Kartei“ der Parteizeitungen sollte in zweifacher Form angelegt und an einem geheimen Ort in Verwahrung und Evidenz gehalten werden. Für den Fall eines Verbots der Parteipresse seien neu­ trale Blätter zu gründen. Anfang April 1933 ordnete die österreichische Landesleitung „die restlose Einreihung aller wehrfähigen Parteigenossen“ zwischen zwanzig und 42 Jahren in die SA an.1289 Die Blockwarte hatten alle infrage kommenden Parteigenossen aufzusuchen und sie „eindringlichst unter Hinweis auf die Notwendigkeit der Mitarbeit eines jeden Parteigenossen zum Eintritt in die S.A. zu bewegen“. In die aktive SA waren alle NS1288 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 1289 Gaurundschreiben Nr. 8 des Gaus Wien v. 8. 4. 1933, WSTLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2.

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Mitglieder bis zum 35. Lebensjahr aufzunehmen, ausgenommen waren die Politischen Leiter inklusive der Blockwarte sowie all jene, „die aus beruflichen oder sonstigen Gründen (…) Schaden erleiden“ könnten. Letztere waren ebenso wie die älteren Parteigenossen zum Eintritt in die SA-Reserve aufzufordern.1290 Hingegen blieben für die SS auch weiterhin die restriktiven Aufnahmebestimmungen in Kraft. Am 1. Juni 1933 verfügte die Gauleitung Wien dann, dass die Bezirksleiter mindestens einmal im Monat die neu eingetretenen Parteimitglieder, jedoch nicht mehr als vierzig Personen, zu einem speziellen Werbeabend einladen sollten,1291 an dem neben den Politischen Leitern des Bezirks auch zwei Führer des Bezirkssturms und zwei SA-Männer teilzunehmen hatten, um die eingeladenen Parteigenossen „zur aktiven Mitarbeit“ in der P.O. oder SA „zu veranlassen“. Zu diesem Zeitpunkt waren etwa vierzig Prozent der Wiener ParteigenossInnen in der SA, SS oder PO organisiert.1292 Weiters galt ab April 1933 eine verpflichtende Teilnahme von allen SA- und SS-Männern bei Mitgliederversammlungen, jedoch mussten die örtlichen höchsten SA- und SS-Führer davon rechtzeitig benachrichtigt werden, um ihren Arbeitsplan entsprechend einteilen zu können.1293 Auch Ernst Bachs Rückkommandierung nach Deutschland verzögerte sich aufgrund der innenpolitischen Situation. So stellte Himmler das von Bach Anfang März eingereichte Gesuch um Enthebung von der Abschnittsführung zurück,1294 da dieser „in Anbetracht der augenblicklichen politischen Verhältnisse“ den Abschnitt noch bis 31. März weiterführen sollte.1295 Am 1. April beauftragte er dann auf Bachs Vorschlag hin Alfred Bigler mit der Leitung des Abschnitts, der aber weiterhin auch die Stabsführung beibehielt.1296 Innerhalb der Wiener SS versuchte die Standartenführung ab 1290 Im Falle einer Weigerung, in die SA oder SA-Reserve einzutreten, hatte der Blockwart die Gründe dafür auf der Rückseite des Aufnahmegesuches zu notieren. Alle Parteigenossen, die einen SA-Eintritt ablehnten, waren ebenso wie die Aufgenommenen bis spätestens 15. April vom Blockwart dem vorgesetzten Sprengelleiter zu melden. Auf dem Dienstweg wurden die gesammelten Aufnahmeanträge dann an die Abteilung Ic des Gaus eingesendet, ebd. 1291 Dienstanweisung des Gaus Wien v. 1. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. 1292 Ebd. 1293 Gaurundschreiben Nr. 11 des Gaus Wien v. 1. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2. 1294 Ernst Bach an Heinrich Himmler v. 2. 3. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Bigler. 1295 Heinrich Himmler an den SS-Abschnitt VIII v. 11. 3. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Ernst Bach. 1296 Heinrich Himmler an den SS-Abschnitt VIII v. 20. 3. 1933, ebd. Bach scheint bei der österreichischen SS sehr geschätzt worden zu sein, da laut einem Schreiben von Thomas Schabel „allseits der Wunsch“ bestand, ihm anlässlich seines Ausscheidens „durch eine kleine Erinnerung Freude zu bereiten“, und Schabel eine Sammlung zur Anfertigung eines Erinnerungsringes an seine Zeit in Öster­reich anregte, Thomas Schabel an „Lieber Kamerad“ v. 9. 3. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. Yergers Angabe, dass Bach den Abschnitt bis Juni 1933 führte und von Rodenbücher abgelöst wurde, ist falsch, Yerger (1997), S. 130.

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Die Wiener SS auf dem Weg in die Illegalität

Frühjahr, durch gezielte Programme die weitgehend fehlende militärische Ausbildung der Männer auszugleichen und sie auf den erhofften „Endkampf“ vorzubereiten. 10.1 Die Forcierung der militärischen Ausbildung der Wiener SS im Frühjahr 1933

Nach dem Ende der Spitzelaffäre konnte Josef Fitzthum, der sich während des Gern­ groß-Prozesses vor seine Männer gestellt und die Verantwortung für die Aktion übernommen hatte, endgültig seine Führerschaft untermauern und begann nun mit einem zum Teil erneuerten Führerkorps, ein militärisches Ausbildungsprogramm umzusetzen. Erste Schritte in diese Richtung hatte Fitzthum bereits im Herbst 1932 mit der Bestellung Walter Leubuschers zum militärischen Ausbildner der Wiener SS gesetzt. Leubuscher hatte bis Ende 1932 beim Bundesheer gedient,1297 war zum Flugzeugführer ausgebildet worden und befand sich zuletzt in der Heeresschule in Enns. Sein Ausscheiden aus dem Bundesheer begründete er damit, dass ihm aus politischen Gründen weitere Aufstiegschancen und die Aufnahme in das Offizierskorps verwehrt worden seien. Tatsächlich scheint jedoch weniger seine politische Einstellung als vielmehr seine mangelnde Leistung den Ausschlag für sein vorzeitiges Karriereende im Bundesheer gegeben zu haben. So hatte Leubuscher das Realgymnasium nur mit „genügendem Erfolg“ absolviert und begann „über Bestimmung seines Vaters“ zunächst eine Mechanikerlehre.1298 Diese brach er nach sechs Monaten ab, trat ins Bundesheer ein und wurde als Abiturient zur Heeresschule in Enns zugelassen. Aufgrund ungenügender Leistungen blieb ihm jedoch ein weiterer Aufstieg versagt, obwohl sich Leubuscher mit Sicherheit auf ausreichend familiäre Schützenhilfe hätte stützen können. So hatte nicht nur sein Vater als Major in der k.u.k. Armee gedient, sondern auch sein Onkel, Generalmajor Johann Sagburg, der Kommandeur der Steirischen Brigade,1299 verfügte über einflussreiche Beziehungen. Noch vor seinem Austritt aus dem Heer schloss sich Leubuscher der SS an und arbeitete danach als Aushilfskraft in der Eierund Butterhandlung seines Vaters.1300 Auf Leubuschers Unterrichtsplan für die SS standen u.a. Instruktionen für den „Felddienst“, über „Gefechtsformen“ und das „Verhalten beim Strassenkampfe bei in1297 Zeugeneinvernahme von Walter Leubuscher durch das LGfS v. 11. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1298 Bericht der BPD Wien v. 15. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33. 1299 Einvernahme von Walter Leubuscher durch das S.B. v. 27. 6. 1933, WStLA, LG Wien I, Vr 6203/33. 1300 Sagburg war von April 1930 bis 31. Juli 1933 Kommandeur der 5. Brigade Steiermark, vgl. dazu auch Berger Waldenegg (1998), S. 368.

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neren Unruhen“.1301 Die militärischen Lehrkurse sollten teils von Fitzthum, teils von Leubuscher durchgeführt und auch die einzelnen SS-Führer im Rahmen eines besonderen zehnwöchigen Arbeitsplans militärisch geschult werden. Laut den späteren Vernehmungsprotokollen von Fitzthum1302 und Leubuscher1303 stand in den ersten fünf Wochen nur die Durcharbeitung der Dienstvorschriften der S.S. und S.A. auf dem Lehrplan, danach sollte Leubuscher „mit den militärischen Dingen im engeren Sinne beginnen“.1304 Fitzthum zufolge kam es jedoch nicht mehr zur Durchführung des militärischen Trainings, und außerdem hatte sich nach Aussage Leubuschers1305 „bei näherer Besprechung ergeben“, dass das von ihm „zur Verfügung gestellte Material für die militärische Ausbildung der SS. Männer wenig geeignet war“, da es „dem österr(eichischen) Militär entnommen“ war, während die Organisationen der SS. auf deutsch-militärischer Grundlage beruht(en)“. Allerdings geht aus dem Trupp-Tagebuch des SS-Mannes Eduard Zambaur hervor, dass spätestens im Frühjahr 1933 zumindest ein Teil des Programms sehr wohl auf dem Übungsplan der SS stand.1306 Wie sich die militärische Ausbildung der Männer ab Anfang April 1933 gestaltete, beschrieb Zambaur in seinem Tagebuch. Der erste Eintrag betraf eine Geländeübung im Truppverband, die am 2. April abgehalten wurde. Von Zambaurs 38-köpfigem Trupp hatte sich an diesem Sonntag etwa die Hälfte der SS-Männer um acht Uhr früh an der Endstation Hütteldorf eingefunden. Von dort brach die Truppe zur Kasgrabenhütte auf, wo sie in zwei „Unterabteilungen“ eingeteilt wurde und mit ihrer Wehrsportübung begann. „Trupp a“ erhielt den Auftrag, in Richtung Laab am Walde abzumar­schieren, dem „Trupp b“ etwa zehn Minuten später folgte. Fitzthums Mannen des „Trupps a“ übersprangen nun mehrmals die Mauern des Lainzer Tiergartens, um „einen Hinterhalt zu beziehen und von dort aus den vorüberziehenden Trupp b zu überfallen“, versteckten sich „in einer vorzüglich geduckten Stellung“ im „übermannshohen Gestrüpp“ und hinter Baumstämmen, schickten Aufklärungspatrouillen los, rückten in „Schützenreihen und Schützenketten“ vor, nahmen „Umgehungsmanöver“ vor, liefen „geduckt“ durch den Wald und starteten schließlich eine „Umzingelung“, indem ein Teil des Trupps „(i)m Laufschritt 1301 Evidenzeintrag der PDion Wien, Pr. Zl. IV-4066 v. 33, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1302 Einvernahme von Josef Fitzthum durch das S.B. v. 13. 6. 1933 sowie Vernehmung durch das LGfS v. 11. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1303 Einvernahme von Walter Leubuscher durch das S.B. v. 14. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33  ; Zeugenvernehmung desselben durch das LGfS v. 13. 7. 1933, ebd., Vr 4345/33. 1304 Einvernahme von Josef Fitzthum durch das S.B. v. 13. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1305 Zeugenvernehmung von Walter Leubuscher durch das LGfS v. 13. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1306 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 2. 4. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

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den Gegner zu überholen“ und „in der Flanke zu fassen“ versuchte. Der durchgeführte „Sturmangriff“ erfolgte allerdings „zu spät, da die Übung bereits durch den Truppführer, der als Schiedsrichter fungierte, abgeblasen worden war“, nachdem die Vorausabteilung des „Trupps a“ „plötzlich dem Gros von Trupp b gegenüberstand und, die günstige Situation ausnützend, von der Flanke her einen Feuerüberfall unternahm und den Gegner so aufrollen konnte“. Danach marschierte der wieder vereinigte Trupp nach Laab am Walde ab, wo im Wirtshaus Dopplinger Rast genommen wurde. Auf dem Rückmarsch wurde kurz vor Kalksburg eine neuerliche Übung abgehalten und „die verschiedenen Gefechtsformationen (Schützenreihe, Schützenkette, Schützenrudel) praktisch durchgenommen und geübt, sowie die Verständigung des Führers mit der Gruppe durch die verschiedenen Handzeichen erklärt und durchgeführt“. Nach einer kurzen Exerzierübung trat der Trupp auf der Straße an und setzte seinen Heimmarsch fort, der gleich auch als Propagandamarsch genutzt wurde, indem die SS singend durch die Ortschaften marschierte, wo sie „vielfach mit freudigem Hitlergruß empfangen“ wurde. Um halb fünf Uhr erreichten sie die Stadtgrenze, wo der Dienst für die nächsten Tage bekannt gegeben, „nach dem Kommando ‚Wegtreten‘ “ die Übung beendet und per Straßenbahn die Heimfahrt angetreten wurde. In seinem Resümee kam Zambaur zu dem Schluss, dass „die Übung (…) durch die musterhafte Disziplin und den vorbildlichen Eifer der Truppe ein sehr schönes und lehrreiches Arbeiten ermöglichte(,) (d)er Gefechtsmarsch (…) sich in bester Ordnung (vollzog)“, die Übung „als sehr gut gelungen betrachtet werden“ könne und „eine gute Vorbereitung auf Übungen in größeren Verbänden (bildete)“. Am 6. April fand dann am Lenauboden ein Standartenappell der SS statt,1307 der erste, den Fitzthum nach wochenlanger Haft wieder selbst abhielt. Dort sprach er den im Zuge des Gerngroß-Anschlags „mannhaft im Kerker ausgeharrt(en)“ Kameraden „seine Anerkennung“ aus, kündigte ein Zweimonatsprogramm zur Ausbildung der SS an und „appelliert(e) an die eifrigste Mitarbeit aller Führer und SS Männer, damit dieses Programm lückenlos und zur Gänze durchgeführt werden kann“. Der Appell wurde „nach Abschreiten der Front und nach nochmaligen anerkennenden, sowie anspornenden Worten an die angetretene Standarte“ geschlossen. Bei den in den folgenden Wochen abgehaltenen vier Trupp- und Sturmappellen wurden Zambaur und seine Kameraden im Gewehrexerzieren und Schießen ausgebildet sowie in „die geschichtliche Entwicklung der Handfeuerwaffen“ eingeführt. Die nächste größere Wehrsportübung von Zambaurs Trupp fand am 30. April1308 in Hadersdorf-Weidlingau statt, wo sich die SS-Männer wiederum sonntags um 1307 Ders. v. 6. 4. 1933, ebd. 1308 Ders. v. 30. 4. 1933, ebd.

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acht  Uhr trafen. In einem Steinbruch wurden Exerzierübungen abgehalten und „sämtliche Formen und Formveränderungen des Trupps“ trainiert, wobei das Kommando aus Übungszwecken „(zeitweise) einzelnen Scharführern (…) überlassen“ wurde. Weiters standen auf dem Trainingsprogramm Wurfübungen mit Handgranaten-Attrappen im Stehen, Liegen und in der Hocke. Nach Zambaurs Feststellung waren „die Wurfleistungen der Truppe (…) zeitweise sehr gut“. Um zwölf Uhr wurde die Übung beendet und „in Marschformation, zeitweise unter Gesang“ ging es zurück nach Hütteldorf, wo bei der Stadtbahnstation „nach kurzer Befehlsübergabe weggetreten“ wurde. Abends war der Trupp dann als Versammlungsschutz im Konzerthaus eingeteilt. In den vier Tagen zwischen Abb. 51: Trupp-Tagebuch von Eduard Zambaur, 30. April und 3. Mai waren Zambaur und ÖSTA seine Kameraden aufgrund der Feierlichkeiten rund um den 1. Mai im Dauereinsatz und absolvierten allein sechs SS-Dienste. Zu einem kleinen Zwischenfall kam es am 1. Mai,1309 als der zwanzigköpfige Trupp „die politischen und Betriebszellen-Führer, welche zum Tag der nationalen Arbeit nach Berlin“ abflogen, zum Flugfeld Aspern begleitete und auf der Rückfahrt „in der Mariahilferstraße (…) marxistischer Mob den Gauleiter zu überfallen (versuchte)“. Daraufhin sprang die „SS (…) aus ihrem Wagen“ und trieb „das rote Gesindel innerhalb weniger Minuten auseinander, nicht ohne dasselbe mit dem Schulter-Riemen ,gestreichelt‘ zu haben“. Aus Zambaurs Trupp-Tagebuch lässt sich die Intensivierung der militärischen Ausbildung der SS in den folgenden Monaten ablesen. So fanden im April jeweils montags ein Trupp- und dienstags ein Sturmappell statt sowie an zwei Sonntagen Geländeübungen. An zwei Abenden war der Trupp für den Versammlungsschutz eingeteilt. Bei den Sturmappellen wurden neben Exerzier- und Schießübungen auch Vorträge über das Verhalten bei Verhaftungen und Einvernahmen durch Polizei oder Unter1309 Ders. v. 1. 5. 1933, ebd.

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suchungsrichter durchgenommen sowie über die Anwaltshilfe informiert. Von Mai bis Anfang Juni steigerten sich die Aktivitäten der Wiener SS dann ernorm. So stand Zambaurs Trupp ab diesem Zeitpunkt permanent im Einsatz und absolvierte allein im Mai 21 SS-Dienste. Den Startschuss dazu hatte Fitzthum bei einem Standartenappell am 3.  Mai im Gasthaus „Zum Grünen Tor“ mit der Anordnung des „10-WochenPlans“ gegeben.1310 Damit sollte die Standarte „sämtliche, noch vorhandene Lücken in der Gesamt-Ausbildung (…) innerhalb von 10 Wochen intensivster Ausbildungs- und Übungsarbeit auf den höchsterreichbaren Stand (…) bringen (sic  !)“, um sich „als eine bestens ausgebildete, höchstdisziplinierte und in jeder Beziehung schlagkräftige EliteTruppe“ präsentieren zu können. Fitzthum „betont(e) die Wichtigkeit dieser Maßnahme und ermahnte alle Führer und Kameraden, durch hundertprozentige Mitarbeit am 10-Wochen-Plan diesem zu einem vollen Erfolg zu verhelfen“. Danach hielt Thomas Schabel noch eine Rede über die finanzielle Lage der SS und erklärte, dass auch die „Geld- und Sammel-Aktion (…) einen wichtigen Bestandteil“ des „10-WochenPlans“ bilde.1311 Im Anschluss daran hielt ein Vertreter des Rasse- und Siedlungsamtes einen Vortrag „über die rassischen Aufgaben der SS“ und empfahl „die Anschaffung von rassekundlichen Schriften sowie die Aufstellung von Vertrauensmännern in Rassefragen“. Die besondere Bedeutung dieses Appells wurde durch das Erscheinen von Gauleiter Frauenfeld unterstrichen, der gegen 22  Uhr eingetroffen war, um „über die politische Lage zu sprechen“. Darin wies er auf „die wichtigen Aufgaben der SS im Rahmen des Parteiganzen hin und ermahnt(e) gleichzeitig zu hingebungsvoller Arbeit, damit der Endsieg errungen werden“ könne. Der Appell wurde mit „3fachem Sieg-Heil auf den Obersten Führer und dem Horst-Wessel-Lied“ geschlossen. Zu diesem Zeitpunkt rechnete Frauenfeld bereits mit einem baldigen Einschreiten der Regierung gegen die Brachialorganisationen, wie er auf einer Kundgebung Anfang Mai in München erklärt hatte.1312 Aufgrund der verschärften Maßnahmen hatte die SS diesen Appell als Versammlung anmelden und jedem SS-Mann eine persönliche schriftliche Einladung zukommen lassen müssen. Für Zambaur blieb der Appell auch deshalb als „bemerkenswert“ in Erinnerung, da die Standarte aufgrund des kurz darauf erlassenen Uniformverbots „zum letzten Male (…) in ihrem braunen Ehrenkleid angetreten war“. In Reaktion darauf notierte er in sein Tagebuch  : „Jetzt erst recht  !  !“ Die „Adjustierung“ der SS bestand nun aus „Weißhemd, schwarze(r) Hose, Stiefel(n), teil1310 Ders. v. 3. 5. 1933, ebd. 1311 Über eine Beteiligung Zambaurs oder seines Trupps an den Werbeaktionen des SS-VA VIII ist in seinem Tagebuch nichts vermerkt. 1312 RP v. 10. 5. 1933, S. 3 („Frauenfeld spekuliert auf Revolution“).

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weise alte(n) Gehröcke(n), alte(m) Zylinder“. Als bei einer Versammlung in den Sofiensälen am 10. Mai der Vortrag von Theo Habicht unterbrochen werden musste, da die Polizei nun auch „die Weißhemden wegen Staatsgefährlichkeit beanständet“ hatte, „entledigt(en) sich SA und SS der Hemden“ und versahen „den Dienst mit nacktem Oberkörper, die Krawatte um den bloßen Hals“.1313 Nachdem das Uniformverbot sich fortan auch auf das weiße Hemd erstreckte, musste die SS neuerlich ihre Adjustierung ändern und trug nun über dem weißen Hemd einen schwarzen Rock und dazu einen schwarzen Binder. Mit Erlass des „10-Wochen-Plans“ begann die Wiener SS mit einem exzessiven Schießtraining, das nicht nur im Rahmen der Appelle durchgeführt wurde, sondern für das nun auch spezielle Trainingseinheiten, u.a. auf dem Schießplatz des Deutschen Turnerbundes in Kagran, angesetzt waren. So absolvierte Zambaurs Trupp zwischen 16. und 30. Mai insgesamt sechs Waffenübungen.1314 Wie schnell in der SS mittlerweile zur Waffe gegriffen wurde, geht aus einem von Sturmbannführer Anton Ziegler verfassten Bericht über einen „Zwischenfall“ in Orth an der Donau hervor.1315 Am 1. April war der Reitertrupp der 11. Standarte unter der Führung von Leopold Anderka zu einem Übungsritt nach Orth an der Donau aufgebrochen, wo die dortige Ortsgruppe bereits das Eintreffen der Wiener Kameraden erwartete. Nachdem der Ritt sowohl als Übung als auch zu Werbezwecken durchgeführt wurde, waren die Männer in voller Uniformierung angetreten, was Ziegler zufolge eine „hervorragende Propagandawirkung“ hervorrief, da die Staffel allerorts „lebhaft begrüsst“ wurde. Inzwischen hatten in Orth aber auch die „Marxisten“, verstärkt durch Wiener Genossen, Aufstellung genommen, um den Trupp ihrerseits in Empfang zu nehmen, und angeblich „öffentlich die Bemerkung fallen“ gelassen, „heute werden die Nazi noch was erleben“. Am Abend traf auch Ziegler in Begleitung von vier Kameraden der Wiener Motorstaffel in Orth ein und begab sich sofort zu den Kameraden in das örtliche Gasthaus, wo sich die ParteigenossInnen versammelt hatten. Nach Zieglers Bericht „schlich“ vor dem Gasthaus „allerlei Gesindel herum(,) jedoch getraute sich die Meute noch nicht anzubinden, wir waren ihnen noch zu viele“. Als die Nationalsozialisten nach Eintreten der Sperrstunde das Gasthaus in Begleitung „einiger Damen“, darunter auch die „Basen von Strumpfbannführer (sic  !) Fitzthum“, verließen, tauchten aus der Dun1313 Vgl. dazu auch Hartlieb (1939), S. 45. 1314 Tagebucheinträge von Eduard Zambaur v. 15.–30.  5.  1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1315 Abschrift eines „Bericht(s) über die Vorfälle in Orth a.d. Donau am 2. April 1933 (ein Uhr früh)“ von Anton Ziegler v. 5. 4. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. Der folgende Abschnitt folgt – falls nicht anders angegeben – Zieglers Darstellung, Herv. i. Orig.

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kelheit plötzlich einige Gestalten auf. Laut einer Telephondepesche des Bezirkspolizeikommandos Floridsdorf ereignete sich,1316 nachdem die NationalsozialistInnen die Gaststätte verlassen hatten, folgender Wortwechsel mit den „Marxisten“  : „Beim Passieren des Meierhofeinganges standen dort 8 Sozialdemokraten. Ein Nationalso­zialist sagte beim Vorbeigehen ‚nau was ist’s mit Hitler‘, ein Sozialdemokrat sagte darauf ‚bist du vielleicht Hitler  ?‘ Der Nationalsozialist gebrauchte daraufhin das Götz-Zitat und der Sozialdemokrat erwiderte, ‚das kannst du auch machen.‘ Kurz darauf fielen mehrere Schüsse.“ Laut Zieglers Bericht hatte er nach dem plötzlichen Auftauchen der „Marxisten“ Anderka zu den noch beim Gasthaus weilenden Kameraden geschickt. Als Anderka „unter Beobachtung von mir“, so Ziegler, an den Männern vorbeikam, wurde er von diesen „sofort angeflegelt“. Daraufhin eilten „die anderen SD-Kameraden (sic  !) und Pg.“ ihm nach, woraufhin ein Wortgefecht zwischen den gegnerischen Parteien entstand. „Die Basen Fitzthums“ baten „ängstlich“ darum weiterzugehen, nur Ziegler blieb zurück und beobachtete, „wie sich eine Gestalt von der Truppe loslöste und einige Schritte gegen meine Kameraden machte“. Da er in der Dunkelheit „nichts genaues wahrnehmen“ konnte, „riss“ er seine „Pistole hervor“ und feuerte „einige Schüsse gegen den Mann“ ab, den er, wie sich später herausstellte, schwer verletzte. Laut Gendarmeriebericht1317 hatte Ziegler aus einer Distanz von 18 Schritt fünf Pistolenschüsse abgegeben, wovon vier Geschosse eine Gartenmauer und eines den Unterschenkel des „Marxisten“ Franz Vybiral trafen. Der Nachtwächter, der sich in der Nähe des Gasthauses befand, vernahm später noch einen weiteren Schuss. Die Gendarmeriebeamten des Postens eilten daraufhin an den Tatort, wo sich Vybirals Kameraden und der Gemeindearzt bereits um den Verletzten kümmerten. Wenig später wurden Ziegler und Genossen von der Gendarmerie angehalten. Waffen konnte die Gendarmerie keine mehr sicherstellen. Auf dem Gendarmerieposten stellte Ziegler „die Sache gleich so dar(  :) wir seien an all den Vorgängen unschuldig(,) da sich zur Zeit des Angriffes allerhand Gesindel am Tatort herum getrieben hatte, es ist wahrscheinlich(,) dass in der Finsternis ein Marxist die Schüsse abgegeben hat und in der Wut seinen eigenen Genossen getroffen hat“. Ziegler wurde wenig später entlassen, da laut „Erhebungen“ festgestellt worden war, dass „ein Kleiner in Uniform geschossen hat“ und Ziegler aufgrund seiner Körpergröße1318 nicht in Betracht kam. Er verständigte daraufhin den Anwalt der 1316 Telefondepesche des Bezirksgendarmeriekommandos Floridsdorf an die GföS v. 2. 4. 1933, ÖSTA/ AdR, Bericht der PDion Wien v. 2. 4. 1933. 1317 Bericht der Niederösterreichischen Landesamtsdirektion an die GföS v. 3. 4. 1933, ebd. v. 3. 4. 1933. 1318 In Zieglers Gauakt wird seine Körpergröße mit 1,86 Metern angegeben, WStLA, GAW  : Anton Ziegler, Zl. 812.

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SS, Otto Gustav Wächter, flüchtete aber, ohne Wächters Eintreffen abzuwarten, nach Deutschland. Seine Flucht begründete er mit dem Zusammenbruch des Reitlehrers des SS-Korps, der bei seiner Abführung auf den Gendarmerieposten aus Sorge um den Verlust seines Arbeitsplatzes einen „Herzkrampf“ erlitten hatte und möglichst bald befreit werden musste. Ziegler beauftragte nun Anderka, so lange „mit seiner eventuellen Aussage auszuharren (…)“, bis er „deutsches Gebiet erreicht habe“. Er flüchtete nach München, wo er einige Tage abwartete. Die Polizei bezweifelte zwar die Angaben der Nationalsozialisten, dass Vybiral durch einen seiner eigenen Kameraden angeschossen worden sei,1319 jedoch gelang es Wächter, die übrigen Nationalsozialisten freizubekommen, gegen die Anzeige wegen schwerer Körperverletzung erstattet wurde. Das Verfahren verlief dann wieder einmal im Sande. Nachdem sowohl die deutschen als auch österreichischen Zeitungen, darunter auch „gegnerische“ Blätter, übereinstimmend von einem marxistischen Feuerüberfall auf Nationalsozialisten berichtet hatten,1320 begab sich Ziegler nach Rücksprache mit Bigler „sofort wieder nach Wien, um die Sache aus der Nähe zu betrachten“. Seine Hoffnung, dass ihm „die Aufrechterhaltung dieser Meinung auch weiterhin gelingt“, sollte sich erfüllen. Mit der nationalsozialistischen Machtübernahme in Deutschland standen die Tore für österreichische Parteimitglieder, die wegen politischer Straftaten aus Österreich flüchten mussten, offen und verminderte sich das Risiko, gefasst zu werden, ganz erheblich. „Dieses ständige Freigehen von jeder Strafe, das häufig unter Mithilfe treuloser Polizei- und Gendarmeriebeamter vor sich ging, führte“, so der damals in Wien tätige britische Journalist G. E. R. Gedye,1321 „unter der Jugend des Landes zu einer Verherrlichung des Verbrechens.“ Die linke Opposition war für rechte Kreise bereits weitgehend vogelfrei, und Angriffe der NSDAP auf die „marxistische“ Opposition kamen den Regierungsparteien, zumindest den Christlichsozialen und der Heimwehr, entgegen, wobei die Heimwehr der NSDAP selbst vorwarf, die Regierung im antimarxistischen Kampf nicht genügend zu unterstützen.1322 In diesem Zeitraum lassen sich auch die ersten Überstellungen bzw. Übertritte von österreichischen SS-Männern zu deutschen Einheiten feststellen. So ging etwa Karl Urf im Februar 1933 nach Deutschland und gehörte ab März der 3. SS-Standarte in Nürnberg an. Dort war er zur besonderen Verwendung des Polizeipräsidenten und 1319 Bericht der Niederösterreichischen Landesamtsdirektion an die GföS v. 3.  4.  1933, ÖSTA/AdR, ­Bericht der PDion Wien v. 3. 4. 1933. 1320 Bisher konnten in den überregionalen „gegnerischen“ Zeitungen keine diesbezüglichen Hinweise aufgefun­den werden. 1321 Gedye (1947), S. 71. 1322 NFP v. 12. 5. 1933, S. 5 („Scharfe Worte des Ministers Fey“).

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SS-Oberführers Erasmus Freiherr von Malsen-Ponickau zugeteilt,1323 dem Kommandanten der SS-Hilfspolizei in München, die anfänglich auch für das KZ Dachau zuständig war. Spätestens ab Juni 1933 verrichtete Urf regulären Wachdienst im KZ Dachau.1324 Der Wiener SS-Mann Franz Kopp, der laut Zambaur „eine Zeit lang der Wiener Schutzstaffel angehört hatte“,1325 wurde im März in Berlin, „wo er im Horst-Wessel-Sturm diente, in Ausübung seines Dienstes“ angeblich von Kommunisten erschossen. Roman Greylinger1326 und Josef Ginthör1327 wurden im Mai 1933 zur „Leibstandarte-SS ‚Adolf Hitler‘ “ abkommandiert. Auch finanziell begann sich die Machtübernahme der NSDAP in Deutschland langsam auf die österreichische SS auszuwirken. So setzte Himmler am 19. April 1933 die Entschädigungssätze von Angehörigen des SS-Abschnitts VIII für Dienstreisen innerhalb Österreichs neu fest.1328 SS-Männer bis einschließlich Haupttruppführer erhielten für eine Dienstreise ab nun zehn, bei Übernächtigung 15 Schilling, während SS-Führer 15 bzw. zwanzig Schilling erhielten. Diese Regelung dürfte vermutlich bei der Führertagung, die Mitte April in München stattfand und an der auch Wiener SS-Führer teilnahmen, ausgehandelt worden sein. Laut Fitzthum1329 konnte die SS nach der Machtübernahme „auf jede Unterstützung aus Deutschland rechnen (…), umsomehr (sic  !) als die besonders schwierige finanzielle Lage der Wiener S.S.“ und seine „hingebungsvolle Tätigkeit für die Partei, der Reichsführung wohlbekannt war“. Aufgrund der zahlreichen Verordnungen der Regierung gegen die Oppositionsparteien, wie etwa der Einführung einer Art Vorzensur für Zeitungen oder dem weitgehenden Verbot von politischen Versammlungen und politischer Propaganda,1330 war der Aktionsradius der NSDAP weitgehend eingeschränkt worden. Die Parteimitglieder versuchten daraufhin, jedes Auftreten für Propagandazwecke zu nutzen und den 1323 Vgl. Grieser (1974), S. 309  ; Klee (2007), S. 388. 1324 BArch (ehem. BDC), RS  : Karl Urf  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Karl Urf. 1325 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 6. 4. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1326 BArch (ehem. BDC), SSO  : Roman Greylinger  ; WStLA, GAW  : Roman Greylinger, Zl. 11.764  ; vgl. auch den Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 11. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1327 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Josef Ginthör. 1328 Der RFSS, Tgb. Nr. 36.161 v. 19. 4. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 6. 1329 Vernehmung von Josef Fitzthum durch das LGfS v. 29. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1330 Auch bei genehmigten Versammlungen war jede Äußerung über die politische Lage und Kritik an der Regierung verboten worden. So wurde etwa am 22. März 1933 ein Vortrag des nationalsozialistischen Gemeinderats Walter Riehl wegen „politischer Propaganda“ aufgelöst, nachdem er erklärt hatte, „dass die Nationalsozialisten an den derzeiti­gen politischen Verhältnissen in Oesterreich kein Interesse hätten und man mit ihnen machen könne, was man wolle, sie eventuell auch einsperren könne (…)“, ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 22. 3. 1933.

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auferlegten Einschränkungen mit permanentem propagandistischem Aktionismus entgegenzuwirken. So berichtete etwa Eduard Zambaur, wie die SS beim Rückmarsch von ihren Geländeübungen den Heimmarsch als Propagandaaktion benutzte und singend durch die Ortschaften zog. Weiters schilderte er, dass die Rückkehr vom Flugfeld Aspern in die Stadt mit einer „kleine(n) Propagandaauffahrt über Gürtel und Mariahilferstraße verbunden“ wurde. Ebenso wurde der Übungsritt der SS nach Orth für Propagandazwecke benutzt. Die politische Radikalisierung nahm im Frühling 1933 immer gewalttätigere Formen an, wodurch die Gefahr bestand, dass die Befehlsgewalt der Führer der Brachialorganisationen unterminiert werden könnte. So schritt etwa der Führer der 37. SSStandarte, Hanns Feil, rigoros gegen „wilde“ Aktionen einzelner SS-Männer ein.1331 Ende Februar schwor er seine Mannschaft auf unbedingten Gehorsamszwang ein und erklärte, dass er „in Zukunft jede Aktion gegen politische Gegner, die von einzelnen SS-Männern ohne vorherige Meldung bei ihren Vorgesetzten durchgeführt wird, (verbiete)“. Eine Nichtbefolgung ziehe den sofortigen Ausschluss aus der SS nach sich. Ein „lehrreiche(r) Einzelfall innerhalb der Standarte“ veranlasse ihn, darauf hinzuweisen, dass „die SS (…) eine wohldisziplinierte Formation innerhalb der Bewegung (ist)“, der „Einzeleinsatz“ jedes SS-Mannes „nur über ‚Befehl‘ “ zu erfolgen habe und „Aktionen“ verboten seien, die „eigenmächtig von Leuten durchgeführt“ werden, „denen die nötige Ueberlegung und Belehrung fehlt“. Diese würde „den Gegner nicht (schädigen)“, sondern „ihm wertvolles Propagandamaterial gegen uns (liefern)“. Es werde „noch viele Gelegenheiten geben, Tapferkeit, Kühnheit und Entschlossenheit zu zeigen. Diese wertvollen Eigenschaften eines Soldaten werden aber nur dort zum Endsieg führen, wo als oberster Grundsatz ‚der unbedingte Gehorsam‘ steht“. Das Ansteigen der politischen Gewalt lässt sich aus den monatlichen Berichten der Wiener Polizeidirektion ablesen, wobei diese aufgrund der zunehmenden Unterwanderung der Exekutive durch die NSDAP und vor allem auch aufgrund der Vorgänge rund um den Wiener Polizeipräsidenten kritisch zu hinterfragen sind. Franz Brandl, der bei Dollfuß bereits aufgrund seiner positiven Stellungnahme zum Aufmarsch der Sozialdemokratie anlässlich des Staatsfeiertages in Ungnade gefallen war, wurde nach der Besetzung des Parlaments von diesem zwangspensioniert.1332 Unmittelbar darauf 1331 Vertrauliches Rundschreiben des Führers der 37. SS-Standarte an die Führer der SS-Sturmbanne und SS-Stürme v. 25. 2. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933, Herv. i. Orig. 1332 Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 22.  3.  1933, in  : Goldinger (1980), S.  197f.; MRP Nr. 859 v. 17. 3. 1933, Bd. VIII/2, S. 480–483. Brandl hatte zuvor sowohl mit Bürgermeister Seitz als auch Schutzbundführer Julius Deutsch konferiert, Fey gezwungen, die im ehemaligen Gebäude des Ackerbauministeriums zusammengezogene 1.400 Mann starke Heimwehrmannschaft abzuziehen, auf einem schriftlichen Befehl zur Besetzung des Parlaments bestanden und seine Beamten verspätet

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trat er am 27. März 1933 der NSDAP bei,1333 ebenso wie der bereits im Ruhestand befindliche ehemalige Zentralinspektor der Wiener Sicherheitswache Wladimir Tauber.1334 Nach den Monatsberichten der Polizei ereigneten sich zwischen Anfang Februar und März 21 „kleinere Zusammenstöße“ zwischen politischen Gegnern,1335 bei denen 34 Personen, davon ein Nationalsozialist, angehalten wurden. Im Folgemonat kam es laut Wiener Polizeidirektion,1336 abgesehen von „Vorfällen anlässlich der Demonstrationsbummel“, zu 56 kleineren Zusammenstößen zwischen politischen Gegnern, bei denen in elf Fällen nationalsozialistische Parteigänger als Angreifer ausgeforscht wurden. Die Zahl der anlässlich von Demonstrationsbummeln verhafteten Personen geht aus dem Bericht nicht hervor, jedoch nahm die Wiener Polizei etwa am 25. März bei einem nationalsozialistischen Bummel allein 45 Parteigänger fest.1337 Laut Polizeibericht vom 3. Mai hatten sich in den vergangenen vier Wochen vierzig Zusammenstöße zwischen politischen Gruppen ereignet, gegen 54 Personen war eine Amtshandlung eingeleitet worden.1338 Nach Erlass des Uniformverbots wurden dann an einem einzigen Tag gleich doppelt so viele Personen verhaftet. So zählte die Polizei etwa am 7. Mai,1339 als die Nationalsozialisten in zahlreichen Bezirken einen Bummel gegen das Uniformverbot veranstalteten und „vielfach“ im weißen Hemd und Krawatte, „vereinzelt“ auch in Frack und Zylinder oder mit nacktem Oberkörper auftraten, 107 Anhaltungen. Neben Prügeleien mit der Sicherheitswache wurde im Augarten im 2. Bezirk auch „ein jüdisch aussehender Passant von nationalsozialistischen Parteigängern misshandelt, ohne dass er jedoch verletzt worden wäre“. Auch Zambaurs Trupp1340 war dorthin kommandiert, vgl. Gedye (1947), S. 78f.; Winkler (1983), S. 180–187  ; Mähner (1990), S. 35f.; NFP v. 16. 3. 1933, S. 6 („Bereitschaft der Heimwehren“)  ; NFP (Abendblatt) v. 16. 3. 1933, S. 2 („Die Auflösung der Heimwehrbereitschaft in Wien“). 1333 Franz Brandl, Warum ich Nationalsozialist wurde, in  : Der Kampfruf am Montag v. 27.  3.  1933, S.  2  ; NFP v. 17.  3.  1933, S.  1 („Demission des Polizeipräsidenten Brandl“)  ; NFP (Abendblatt) v. 17. 3. 1933, S. 1 („Der Eindruck der Demission Dr. Brandls“)  ; Frauenfeld (1978), S. 87. 1334 Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 3. 5. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 247. 1335 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 4. 3. 1933. 1336 Ebd. v. 4. 4. 1933. 1337 Ebd. v. 25. 3. 1933. 1338 Ebd. v. 3. 5. 1933. Verletzungen, die durchgehend leichteren Grades wa­ren, erlitten dabei 19 Natio­ nalsozialisten, acht Sozialdemokraten und ein Kommunist sowie vier Mitglieder des Wiener Heimatschutzes. Als Täter konnten in acht Fällen Nationalsozialisten, in 29 Sozialdemokraten, in zwei Kommunisten und in einem Fall ein Mitglied des Wiener Heimatschutzes eruiert werden. 54 an den Vorfällen beteiligte Personen wurden von der Sicherheitswache angehalten und der entsprechenden Amtshandlung zugeführt. 1339 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 7. 5. 1933. 1340 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 7. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

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an diesem Tag in voller Adjustierung bestehend „aus Weißhemd, schwarze Hose, Stiefel, teilweise alte Gehröcke, alte Zylinder“, zur Demonstration nach Wieden abkommandiert worden, wo es zu „kleine(n) Reibereien mit der Wache“ und Verhaftungen kam. Im Mai erfolgten auch die ersten kleineren Sprengstoffanschläge mit Papierböllern und Feuerwerkskörpern. Zunehmend liefen bei den Sicherheitsbehörden Berichte über Waffentransporte aus Deutschland nach Österreich ein. 10.2 Die Zuspitzung der deutsch-österreichischen Verhältnisse im Mai 1933

Neben den zunehmenden innenpolitischen Spannungen mit der österreichischen NSDAP kühlte auch das außenpolitische Klima der österreichischen Regierung zu Deutschland merklich ab und erreichte mit der provokanten Ankündigung des bayrischen Justizministers und Reichsjustizkommissärs Hans Frank, am 13. Mai an einer Konferenz des österreichischen NS-Juristenbundes teilnehmen zu wollen, einen ersten Tiefststand. Frank wurde aufgrund einer im März im deutschen Rundfunk gehaltenen Hetzrede gegen die österreichische Regierung als „unerwünschte“ Person angesehen.1341 Die österreichische Regierung hatte daraufhin über ihren Gesandten in Berlin, Stephan Tauschitz, Protest eingelegt, die Note war jedoch vonseiten Deutschlands ebenso wie mehrmalige Urgenzen unbeantwortet geblieben. Frank wiederum berief sich auf eine angeblich im Jänner ausgesprochene Einladung von Schuschnigg, was dieser dementierte.1342 Nachdem es keine Möglichkeit gab, Franks Einreise zu verhindern, wurde eine strenge polizeiliche Überwachung angeordnet und ihm nur einer der geplanten Auftritte gestattet.1343 1341 Darin hatte er angedroht, dass die deutsche NSDAP „für den Schutz ihrer Parteigenossen in Oesterreich sorgen und Ordnung in Oesterreich machen werde“, sollte die Regierung Dollfuß die Freiheit der österreichischen NSDAP weiter einschränken, NFP v. 16. 5. 1933, S. 4 („Diplomatische Schritte in Wien und Berlin“). 1342 RP v. 10. 5. 1933, S. 3 („Herr Dr. Frank ist nicht eingeladen“)  ; WZ v. 11. 5. 1933, S. 3 („Keine Einladung des bayrischen Justizministers“)  ; vgl. auch Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte (1934), S. 19–22. 1343 Als Beweis dafür, dass die österreichische Regierung im Gegensatz zu Deutschland gegen Beleidigungen des deutschen Reichskanzlers und der deutschen Reichsregierung durch österreichische politische Gegne­rInnen energisch einschritt, wurden regelmäßig Schriftleiter der linken Opposition wegen dieses Vergehens zumeist mit bis zu 200 Schilling, im Nichteinbringungsfall mit 14 Tagen Arrest bestraft. So etwa Alois Pipe­reger am 7. April, wobei er zu drei Tagen Arrest und (  !) einer Geldstrafe von 200 Schilling, im Nichtein­bringungsfalle mit weiteren zehn Tagen Arrest bestraft wurde, oder Karl Weninger und Franz Wanek im Juni 1933, ÖSTA/AdR, Berichte der PDion Wien v. 9. 4., 9. 6., 15. 6. 1933.

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Die Wiener SS auf dem Weg in die Illegalität

Die Tage vor Franks Besuch waren äußerst turbulent verlaufen, nachdem Dollfuß eine Umbildung seines Kabinetts vorgenommen und dabei Emil Fey zum Minister für das Sicherheitswesen ernannt sowie alle bevorstehenden Wahlen bis 31. Oktober für nichtig erklärt hatte. Während den Oppositionsparteien keine politischen Versammlungen und Propagandaaktionen mehr gestattet waren, verkündete die Reichspost am 12. Mai, dass die Bundesleitung der Christlichsozialen Partei ihre erste Sitzung über die Vorbereitungsarbeiten für den Werbemonat Juni abgehalten habe. Am gleichen Tag erhielt der reichsdeutsche Gauleiter von Kärnten, Hans vom Kothen, „wegen unliebsamer politischer Tätigkeit“, „Aufreizung und Schmähung der Bundesregierung“, samt dem aus Jugoslawien stammenden zweiten Gauführer Kauders, den Abschiebungsbescheid aus Österreich.1344 Gleichzeitig modifizierte die Regierung auch das generelle Aufmarschverbot dahingehend, dass nun „besonders patriotische und staatsfördernde Veranstaltungen“ davon ausgenommen waren,1345 und schuf damit die rechtliche Grundlage für den bevorstehenden Heimwehraufmarsch anlässlich der Türkenbefreiungsfeier. Waren der NSDAP bei dieser Feierlichkeiten zwei Versammlungen am Abend des 13. Mai gestattet worden, durfte die Sozialdemokratie, deren traditioneller Maiaufmarsch zwei Wochen zuvor verboten worden war, in jedem Bezirk ein Platzkonzert in den „Gartenhöfen der Gemeindehäuser“ abhalten, während die Heimwehr mit weitgehender finanzieller Unterstützung der Regierung aus dem ganzen Bundesgebiet Zehntausende Mitglieder nach Wien karrte.1346 Am Tag vor Franks Eintreffen in Österreich trat Fey dann vor die Presse, um die ohnedies bereits mehr als gespannte Situation noch weiter zu verschärfen. So erklärte er,1347 wie „tief bedauerlich“ es sei, „daß es Kreise gibt, die sich ‚national‘ und ‚antimarxistisch‘ nennen und die dennoch der Regierung bei ihrem Kampf gegen den Bolschewismus und für eine Gesundung der Wirtschaft in den Rücken fallen“. Die Nationalsozialisten hätten sich „in der letzten Zeit (…) geradezu unglaublich(es)“ geleistet. In Deutschland mag „der Nationalsozialismus (…) vielleicht am Platze sein und manches Gute geleistet haben, in Oesterreich gebärden sich jedoch die Nationalsozialisten ausgesprochen staats- und wirtschaftsfeindlich und wenden Methoden an, deren Rezept sie offenbar aus Moskau beziehen  !“ Bisher habe die Regierung es „vermieden gegen eine, sich ‚national‘ nennende Partei vorzugehen“, jedoch wäre „ein weiteres Tolerieren der bisherigen Zustände (…) unverantwortlich“ und man werde mit dem „braunen Bolschewismus energisch Schluß“ machen. Unter die durchaus positiv zu bewerten1344 NFP v. 13. 5. 1933, S. 4 („Die Ausweisung des Gauleiters v. Kothen“)  ; RP v. 13. 5. 1933, S. 1 („Auswei­ sung ausländischer Agitatoren aus Kärnten“). 1345 RP v. 14. 5. 1933, S. 1 („Ausnahmen vom Aufmarschverbot statthaft“). 1346 NFP v. 12. 5. 1933, S. 3 („Sozialdemokratische Platzkonzerte“). 1347 NFP v. 12. 5. 1933, S. 5 („Scharfe Worte des Ministers Fey“).

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den deutschen Maßnahmen fielen für das Regierungsorgan Reichspost auch die Bücherverbrennungen am 10. Mai. Ihrem Bericht1348 zufolge hatte der „Schutzverband deutscher Schriftsteller in Oesterreich“ mit Sitz in Berlin in einem Telegramm an den österreichischen Gesandten „dringend Schutz- und Hilfsmaßnahmen gegen Bücherverbrennungen österreichischer Autoren“ erbeten. Nach Ansicht der Reichspost sei „es (…) etwas viel, was da (…) verlangt“ werde  : „Daß die nationale Bewegung in Deutschland das Volk von dem namenlosen ­Bücherschmutz

und dem Gift befreien will, die seit dem Umsturz sich als Literatur auftun durfte, entspricht gesunden Instinkten. Daß ein Remarque darunter ist, der mit seinem Schandbuch ‚Im Wes­ ten nichts Neues‘ den größten deutschen Bucherfolg des letzten Vierteljahrhunderts errang, beweist nichts dagegen, sondern höchstens dafür  ; denn jener Erfolg zeigte bereits in erschreckendem Maße die um sich greifende Zersetzung der sittlichen Kräfte der Nation. Die Reihe der zum Feuertod verurteilten Bücher weist auch sonst keine auffallenden Namen auf. Die da betroffen werden, stehen nicht umsonst auf der Proskriptionsliste. Oesterreichern, die sich in dem Reigen jener gewissen Literaten eingefunden haben, steht kein Recht auf eine Ausnahmestellung zu. Uebrigens  : Wo war der ‚Schutzverband deutscher Schriftsteller in Oesterreich‘, als Glöckel katholische und vaterländische Autoren aus den Wiener Schulbibliotheken hinauswarf  ?“

Von den Bücherverbrennungen wurden sowohl von der Reichspost als auch der amtlichen Wiener Zeitung nur noch in einer gleichlautenden Kurzmeldung berichtet.1349 Von Regierungsseite erfolgte keine Stellungnahme. Am 13. Mai traf nun Frank gemeinsam mit dem preußischen Landtagspräsidenten Hanns Kerrl, dem preußischen Staatsrat und Ministerialdirektor Roland Freisler und weiteren deutschen Gästen auf dem Flugfeld in Aspern ein, wo sie von 2.000 begeisterten AnhängerInnen begrüßt wurden. Im Auftrag der Regierung teilte der Wiener Vizepolizeipräsident Frank mit, dass sein Besuch nicht erwünscht sei. Abends fand dann in der Engelmann-Arena die nationalsozialistische Türkenbefreiungsfeier statt, die dermaßen überfüllt war, dass gleichzeitig im Gasthaus Stalehner eine Parallelversammlung abgehalten wurde. In seiner Ansprache kündigte Frank den Besuch Hitlers in Österreich in den kommenden Wochen an, „ob erwünscht oder unerwünscht“. Insgesamt wurden die beiden Veranstaltungen von 14.000 NationalsozialistInnen besucht. 1348 RP v. 9. 5. 1933, S. 4 („Ein österreichischer Protest gegen die Bücherverbrennung in Berlin“). 1349 Diese lautete  : „Auf dem Opernplatz wurden gestern von den Studenten mehr als 20.000 eingesammelte undeutsche Bü­cher den Flammen übergeben. Reichsminister Dr. Göbbels betonte in seiner Rede, daß das Zeitalter eines überspitzten jüdischen Intellektualismus zu Ende sei. Morgen soll sich aus diesen Trümmern ein neuer Geist siegreich erheben, den wir tragen.“ WZ v. 12.  5.  1933, S.  6 („Studenten als Bücherverbrenner“)  ; RP v. 12. 5. 1933, S. 2 („Die Bücherverbrennung in Berlin“).

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Am Tag darauf beging dann die Heimwehr ihre Türkenbefreiungsfeier, zu der laut Zeitungsberichten 40.000 Mann nach Wien gekommen waren. Infolge der zahlreichen Ausschreitungen während des Aufmarsches wurden 409 NationalsozialistInnen angehalten.1350 Insgesamt nahm die Polizei 530 Verhaftungen vor. Zahlreiche Gruppen von Heimatschützern wurden bereits bei ihrem Anmarsch zu den Sammelplätzen von nationalsozialistischen Schlägertrupps überfallen und zum Teil nicht unerheblich verletzt. Da Frank und die reichsdeutschen Funktionäre den Heimwehraufmarsch teils vom Hotel Mariahilf, teils vor der Oper verfolgten,1351 versuchten die NationalsozialistInnen nach Kräften, dort ihre starke Präsenz zu zeigen. Auch Eduard Zambaur hielt in seinem Tagebuch die „‚herzliche Begrüßung‘ der ‚Türken‘ auf der Mariahilferstraße“ fest,1352 wo den Nationalsozialisten die „mehrmalige Zerstreuung durch die zahlreich und mit Karabiner, Bajonett und Stahlhelm ausgerüstete ‚Türkische Scharwache‘ “ gelungen sei und „zahlreiche Verhaftungen“ vorgenommen wurden. Die BesucherInnenzahl der von der Sozialdemokratischen Partei veranstalteten angeblich 51 Freiheitsfeiern konnte nicht festgestellt werden, da die diesbezüglichen Angaben zwecks Aufrechterhaltung der Ruhe, Ordnung und Sicherheit der Zensur zum Opfer fielen.1353 Vor seiner Abreise aus Wien hielt Frank in der deutschen Gesandtschaft noch ­einen Journalistenempfang ab, bei dem er u.a. mitteilte, dass er sich „am schwersten betroffen gefühlt habe“, als ihm die Regierung mitteilte, dass sein Besuch „denkbar unerwünscht“ sei. Es sei selbstverständlich, dass „die Reichsregierung diesen unfreundlichen Akt nicht stillschweigend hinnehmen“ kann.1354 Auch in einer am nächsten Tag abgehaltenen Rede in Graz deutete er mögliche Sanktionen an,1355 indem er erklärte, dass „(…) die Reichsdeutschen (…) Oesterreich so lange meiden (würden), bis Genug­ tuung geleistet werde“. Neuerlich legte die österreichische Regierung Beschwerde gegen Frank ein und erhielt von Außenminister Konstantin von Neurath die Zusage einer Untersuchung des Falles.1356 Weiters ersuchte sie, dass Frank „möglichst bald zurückkehren“ möge, „widrigenfalls die Bundesregierung genötigt wäre, Vorsorge zu treffen, daß derartiges sich nicht wiederholen könne“. Wenige Stunden später erschien 1350 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 154.426-GD. 2/1933  ; vgl. auch die Zeitungsberichterstattung v. 14. 5. 1933. 1351 NFP v. 15. 5. 1933, S. 4 („Journalistenempfang bei Dr. Frank“). 1352 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 14. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1353 Vgl. dazu die geweißten Stellen in der WSMZ v. 15. 5. 1933, S. 4 („Freiheitsfeiern der Sozialdemokraten“). 1354 NFP v. 15. 5. 1933, S. 4 („Journalistenempfang bei Dr. Frank“). 1355 NFP v. 16. 5. 1933, S. 1 („Diplomatischer Zwist Wien–Berlin“). 1356 NFP v. 16.  5.  1933, S.  4 („Diplomatische Schritte in Wien und Berlin“)  ; RP v. 16.  5.  1933, S.  1 („Diplomati­sche Auseinandersetzungen Wien–Berlin“).

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Abb. 52: Hans Frank mit A. E. Frauenfeld bei seiner Ankunft auf dem Flughafen Aspern, 13. 5. 1933, BPD Wien

der deutsche Gesandte in Wien, Kurt Rieth, im Bundeskanzleramt, um seinerseits eine deutsche Beschwerde über Franks Behandlung auf dem Flugfeld in Aspern zu übermitteln. Die österreichische Regierung wies diese mit dem Hinweis zurück, dass nationalsozialistische Funktionäre, die ihren Besuch nicht auf dem üblichen diplomatischen Wege ankündigen und nur zum Zweck politischer Agitation nach Wien kämen, als Privatleute angesehen würden. Darüber hinaus weigerte sich Dollfuß, dazu Stellung zu nehmen, solange die deutsche Regierung nicht auf seine Protestnote aufgrund von Franks Rundfunkrede reagiert habe. Am 16.  Mai fuhr Frank von Graz nach Salzburg weiter, wo ihm an der Stadtgrenze mitgeteilt wurde,1357 dass er das Bundesgebiet möglichst rasch verlassen solle. Am Abend kehrte er schließlich nach München zurück. Eine Ausweisung Franks aus Österreich1358 fand jedoch nicht statt.1359 Abgeschafft wurde am 17.  Mai hingegen 1357 NFP (Abendblatt) v. 16. 5. 1933, S. 2 („Die Heimreise Dr. Franks“)  ; RP v. 16. 5. 1933, S. 4 („Die Rück­reise von Justizminister Dr. Frank“). 1358 Vgl. u.a. Petersen (1973), S. 190  ; Botz (1983), S. 215. 1359 Nach dem Ausweisungsrecht hätte dies gemäß § 2 Abs. 5 Schubgesetz erfolgen müssen. Die Regie­ rung hatte lediglich über die Behörden Frank selbst als auch auf dem üblichen diplomatischen Weg die

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Hans vom Kothen,1360 dessen Rekurs abgewiesen worden war und der das Bundesgebiet sofort verlassen musste. Gleichzeitig kündigte die Reichspost an, dass Habicht das gleiche Schicksal drohe. Weiters gab Fey am 16. Mai bekannt,1361 dass aufgrund der zahlreichen Ausschreitungen seitens der NSDAP beim Heimwehraufmarsch überlegt werde, SA und SS aufzulösen und das „Tragen von Abzeichen, die eine radikale politische Einstellung zum Ausdruck bringen, zu verbieten“. Darunter würden sowohl das Hakenkreuz als auch das Dreipfeilabzeichen fallen. Diese Maßnahme sei einerseits zur Herstellung der „innere(n) Befriedung“, andererseits wegen der befürchteten Beeinträchtigung des Fremdenverkehrs notwendig. In den folgenden Tagen schränkte die Regierung die verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte der Oppositionsparteien weiter ein. Am 19. Mai trat die Fahnenverordnung (BGBl. 186/1933) in Kraft, die bei Zuwiderhandlung eine Geldstrafe von bis zu 2.000 Schilling oder Arrest von bis zu drei Monaten vorsah, wobei die Strafen auch nebeneinander verhängt werden konnten. Am 23. Mai wurde per Verordnung der Verfassungsgerichtshof (BGBl. 191/1933) praktisch ausgeschaltet. Ungeachtet bzw. aufgrund der Maßnahmen der Regierung hatte die NSDAP immer mehr Auftrieb erhalten. Wie bereits erwähnt hatten sich die Führer des „Steirischen Heimatschutzes“ am 9.  März dazu entschlossen,1362 sich mit der NSDAP in einer „Großdeutschen Front“ zu verbünden. Dieser traten Anfang April die Kärntner Heimwehr und der Tiroler „Bund Oberland“ bei. Am 16. April legten Landesleiter Proksch, der Ehrenvorsitzende der „Völkischen Nothilfe“ Feldmarschall d. Res. Karl von Bardolff,1363 der Führer des Steirischen Heimatschutzes Konstantin Kammerhofer, der Obmann des Deutschen Turnerbundes Klaudius Kupka und als Vertreter der Großdeutschen Volkspartei Sepp Straffner „ein Bekenntnis zum großen deutschen Vaterland ab“. Am 22.  April schloss der Deutsch-österreichische (steirische) Heimatschutz eine Kampfgemeinschaft (Liezener Abkommen) mit der NSDAP.1364 Reichsregierung um baldige Abreise ersucht. Zum Ausweisungsrecht vgl. ausf. Reiter (2000), S. 357– 366. 1360 RP v. 17. 5. 1933, S. 4 („Die Abschaffung des Gauinspekteurs Kothen“). 1361 NFP v. 16. 5. 1933, S. 5 („Pläne zur Einschränkung von politischen Streitigkeiten“)  ; NFP (Abendblatt) v. 16. 5. 1933, S. 1 („Wahrscheinliche Auflösung der S.A. und S.S.“). 1362 Hartlieb (1939), S. 28  ; über die Versuche zur Bildung einer nationalen Front vgl. ausf. Rosar (1971). 1363 Bardolff hatte unmittelbar nach Ausschaltung des Parlaments ebenso wie Rektor Abel und seine Kollegen Gleispach und Uebersberger am 6. März demonstrativ an der großen Kundgebung der ­NSDAP in der Nordwestbahnhalle teilgenommen, ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 7. 3. 1933. 1364 Nach dem Wortlaut des Abkommens bekannte sich der Deutsch-österreichische Heimatschutz „unter voller Wahrung der organisatorischen Selbständigkeit (…) zu Hitler (…)“. Zur „Herstellung völliger Übereinstim­mung in der Beurteilung und Behandlung aller politischer Fragen“ sollten die Führer des Heimatschutzes und der NSDAP „im gegenseitigen Einvernehmen die notwendigen Weisungen heraus

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Laut Wladimir von Hartlieb1365 folgten diesem Beispiel Ende April der Kreistag der Deutschen Angestelltengewerkschaft und mehr als „30 Ortsgruppen des noch zu Starhemberg stehenden oberösterreichischen Heimatschutzes“.1366 Am 15.  Mai schloss die Großdeutsche Volkspartei nach langen Verhandlungen ein Kampfbündnis mit der NSDAP.1367 Wenige Wochen zuvor hatten die Großdeutschen bei den GeminderatsErgänzungswahlen in Innsbruck am 23. April 1933,1368 den letzten freien Wahlen bis 1945, eine vernichtende Niederlage erlitten. Als Sieger war die NSDAP hervorgegangen, die aufgrund der enormen Mobilisierung der NichtwählerInnen und des fast vollständigen Abdriftens der ehemaligen WählerInnen der Großdeutschen Volkspartei (1931  : 12,6 %, 1933  : 2 %) 36,1 Prozent der Stimmen erhielt (1931  : 3 %). Die Verluste der CSP blieben mit zwei Prozent gering, während die SDAP über ein Sechstel ihrer ehemaligen WählerInnenschaft verlor (1931  : 30 %, 1933  : 23,9 %). Von der Zersplitterung des bürgerlichen Lagers profitierte faktisch zunächst die Sozialdemokratie, wie sich etwa bei der Bürgermeisterwahl am 12. Mai in Innsbruck zeigte, praktisch wurde das Land jedoch aufgrund der politischen Pattsituation kaum mehr regierbar. So wurde in Innsbruck der christlichsoziale Bürgermeister Franz Fischer abgewählt.1369 In einer Stichwahl erhielt der bisherige sozialdemokratische Vizebürgermeister Hans Untermüller 15 Stimmen, Gauleiter Hofer die 13 Stimmen der nationalsozialistischen und großdeutschen WählerInnen, während auf Fischer nur noch zwölf Stimmen entfielen. Untermüller lehnte die Wahl jedoch mit der Begründung ab, dass er „nicht die Macht hätte, sein Programm durchzuführen, weil er gegen den geschlossenen Widerstand der antimarxistischen Gemeinderäte anzukämpfen hätte“. geben“, jedoch be­stand kein „Unterstellungsverhältnis (…), wohl aber (…) im Hinblick auf das gemeinsame große Ziel für beide Teile die Pflicht zu enger, reibungsloser Zusammenarbeit unter restloser Ausschaltung aller persönli­cher Gegensätze und kleiner Eifersüchteleien“. Um auch die „Herstellung völliger Übereinstimmung in der Beurteilung und Behandlung von Wehrfragen“ gewährleisten zu können, sollten aus den „höheren Einhei­ten“ der Führung der SA, SS und der militärischen Führung des Heimatschutzes „wechselseitig ständige Vertreter in die Stäbe ihrer höheren Einheiten“ entsendet werden. Zur Erreichung der „größtmögliche(n) (…) Schlagkraft beider Organisationen“ sollte „die faktische Gliederung ihrer Einheiten bei Wahrung ihrer traditionellen Sondereinheiten in eine übereinstimmende Form gebracht“ werden, Rintelen (1941), S. 153–155  ; Abschrift der Ausführungsbestimmungen zu dem Abkommen vom 22.  4.  1933 zwischen der NSDAP Österreichs und dem Deutsch-österreichischen (steirischen) Heimatschutz, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 1365 Hartlieb (1939), S. 29. 1366 Vgl. dazu auch die NFP v. 16. 5. 1933, S. 5 („Die Nationale Front“)  ; RP v. 16. 5. 1933, S. 3 („ ‚Kampfgemeinschaft‘ gegen Oesterreich“). 1367 Vgl. Ackerl (1975), S. 121–129  ; Pauley (1988), S. 86. Dort ist auch das Protokoll des Abkommens abge­druckt, ebd., S. 357f. 1368 Vgl. Hänisch (1998), S. 110–112. 1369 NFP v. 12. 5. 1933, S. 1 („Ergebnislose Bürgermeisterwahl in Innsbruck“).

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Dollfuß’ Gegenstrategie bestand nun in der Bildung der „Vaterländischen Front“ am 20. Mai, seiner Abstellung der Propaganda auf die großdeutsche Sendung Österreichs sowie dem Bekenntnis zur Selbstständigkeit des Landes.1370 Damit wählte er, wie Lajos Kerekes feststellt, „(s)tatt die Demokratie kampfentschlossen zu verteidigen, (…) den selbstmörderischen Kurs eines ‚Konkurrenzfaschismus‘ “.1371 Mit der Absage aller Wahlen, der Ankündigung, dass es keine Volksvertretung in der bisherigen Form mehr geben werde, der aufgrund des KwEG erlassenen Maßnahmen gegen die Oppositionsparteien bei gleichzeitigem Einsetzen eines gewaltigen Propagandafeldzuges der Regierungsparteien und der Abstellung der Propaganda auf Österreichs deutsche Sendung hatte Dollfuß im Mai 1933 den Zweifrontenkrieg endgültig eröffnet. So trug er Kerekes zufolge1372 „in der Außenpolitik (…) durch die ständige Betonung von Österreichs deutscher Mission und deutschem Charakter selbst dazu bei, daß die Sache der österreichischen Unabhängigkeit von einer europäischen Frage zur Familienangelegenheit der Deutschen, beziehungsweise zum Handelsobjekt zwischen Hitler und Mussolini wurde“. Spätestens nach dem 10. Mai 1933 war klar, dass die österreichische NSDAP – zumindest vorerst – keine Möglichkeit mehr hatte, über freie Wahlen in die Regierung zu kommen. Am 26.  Mai setzte Hitler „Deutschlands Beziehungen zu Österreich“ auf die Tagesordnung der Ministerbesprechung.1373 Dort erklärte er den versammelten Ministern  : 1370 Richard Schmitz auf der Sitzung des Klubvorstandes der CSP v. 2.  5.  1933, in  : Goldinger (1980), S. 245. 1371 Kerekes (1966), S. 114. Exemplarisch dafür steht etwa eine Rede von Dollfuß am 20. Mai vor den niederösterreichischen Jungbauern, die da lautete  : „Das deutsche Volk in Oesterreich hat durch Jahrhunderte das Gesamtdeutschtum geführt, das deutsche Volk in Oesterreich war Träger des Deutschtums im mitteleuropäischen Raum. Auch heute wieder, wie vor vielen hundert Jahren, hat das deutsche Volk in Oesterreich eine besondere Mission. Wir Oesterreicher haben die große und heilige Aufgabe, im Interesse des Ansehens des Gesamtdeutschtums in der Welt zu beweisen, daß es im Donauland und im Alpenland deutsche Menschen gibt, die deutsche Kultur und deutsches Wesen vertreten, ohne sich mit Methoden zu identifizieren, wie sie anderwärts in Erscheinung treten. Wir haben darüber hinaus auch die große deutsche Aufgabe, ein Land zu erhalten, in dem sich auch heute noch die katholische Lebensauffassung kultur- und staats- und gesellschaftsgestaltend auswirken kann. Die Zusammenfassung von Deutschtum und religiöser Weltgestaltung hat gerade bei uns in Oesterreich im Laufe der Jahrhunderte zu einer Entwicklung geführt, die Höhepunkte der deutschen Kultur darstellen. Schließlich haben wir auch die Aufgabe, Mittler zu sein zwischen anderen deutschen Gebieten in Europa und den übrigen Nationen.“ NFP v. 21. 5. 1933, S. 7 („Dr. Dollfuß über die deutsche Mission Oesterreichs“). 1372 Kerekes (1966), S. 163. 1373 Aufzeichnung des Oberregierungsrats Hans Thomsen (Reichskanzlei)  : Auszüge aus der Niederschrift über die Ministerbesprechung vom 26. 5. 1933, in  : Akten zur deutschen Auswärtigen Politik (= ADAP) (1971), Serie C, Bd. I/2, S. 481–485.

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Abb. 53: Veranstaltung der „Vaterländischen Front“, 1. Reihe, 2. v. li. Engelbert Dollfuß, re. daneben Emil Fey, 1933, BPD Wien

„Nachgiebigkeit und Verhandlungsbereitschaft unsererseits wird von der jetzigen österreichischen Regierung nur dazu benutzt werden, um der nationalen Opposition in Österreich den Wind aus den Segeln zu nehmen. Ihr Ziel ist, den deutschen Nationalgedanken aus Österreich auszutreiben und an seine Stelle den österreichischen Gedanken zu setzen. Die Gefahr ist groß, daß Deutschland dadurch endgültig 6 Millionen Menschen verliert, die einem Verschweizerungsprozeß entgegen gehen. Die österreichische Regierung hat in der letzten Zeit Handhaben genug gegeben, um den Kampf aufzunehmen. Selbstverständlich muß dies in politisch klügster Form geschehen (…).“

Er ordnete an, dass nun wirtschaftliche Maßnahmen ergriffen werden müssten, die „zum Zusammenbruch der Regierung Dollfuß und zu Neuwahlen führen“ sollten, aus denen sich „die innere Gleichschaltung Österreichs ergeben würde, auch ohne daß ein äußerer Anschluß nötig“ sein werde. Die Gesetzesvorlage über die Erteilung eines Sichtvermerkes zu Reisen nach Österreich, für den 1.000,– RM ent-

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richtet werden sollten, war „beschleunigt auszuarbeiten“.1374 Die „Motivierung“ der „Maßnahme“1375 müsse sich „darauf beschränken (…), daß Deutschland es bedauere, wenn durch österreichische Maßnahmen Reisen von Deutschen nach Österreich verhindert würden. Die Reichsregierung habe sich aber zu ihrer Maßnahme entschließen müssen, da sie auch nicht den Schatten eines Verdachtes auf sich fallen lassen wolle, als ob sie dem österreichischen Volk durch den Verkehr von deutschen Reisenden in Österreich Auffassungen aufoktroyieren wolle, die der jetzigen österreichischen Regierung nicht genehm seien“.

Gleichzeitig mit der Ankündigung des Sichtvermerkzwangs sollte sofort „die Propaganda der NSDAP einsetzen“, mit der „in Hunderttausenden von Flugblättern das österreichische Volk auf die Beweggründe der Maßnahme hin(zu)weisen“ war. Am 29.  Mai wurde das „Gesetz über die Beschränkung von Reisen nach der Republik Österreich“ verkündet, das mit 1. Juni in Kraft trat. Am 31. Mai beschloss die österreichische Regierung ebenfalls die Einführung einer Ausreisebewilligung für Deutschland, für die allerdings nur eine Gebühr von fünf Schilling zu erlegen war. Nach der Untersuchung von Gustav Otruba verteilte sich der Ausfall der Gäste aus Deutschland regional sehr unterschiedlich, allerdings liegen dazu nur widersprüchliche Situationsberichte aus den Bundesländern vor. Nach einer Sonderstatistik des Bundesamtes für Statistik für die Monate Juni bis inklusive September 1933, die etwa 63 Prozent der gesamten Fremdenverkehrsmeldungen betraf, gingen die Gästezahlen insgesamt um 33,3 Prozent zurück. Am stärksten betroffen waren Tirol (54,5 %), Vorarlberg (52,6 %) und Salzburg (38,7 %).1376 Mit der Verhängung der „1000-Mark-Sperre“ trat der Kampf der NSDAP in eine neue Phase, die zunächst mit wirtschaftlichen und propagandistischen Maßnahmen begann und kurz darauf mit terroristischen Mitteln fortgesetzt wurde.

1374 Bereits am 3. April 1933 war die Einführung eines Ausreisesichtvermerks für Reisen Reichsdeutscher nach Österreich eingeführt worden, Otruba (1976), S. 115  ; Jagschitz (1976), S. 47. 1375 Laut einem Bericht des österreichischen Gesandten Tauschitz hatte Außenminister Neurath in einer Unterredung den „Flaggenerlaß und das Abzeichenverbot“ als eigentliche Ursache für diese Maßnahme angeführt, Bericht von Stephan Tauschitz an Engelbert Dollfuß, zit. n. Otruba (1976), S. 127. Eine Zusammenfassung der verschiedenen Interpretationen über den Auslöser, der zur Verhängung der „1000-Mark-Sperre“ führte, gibt Otruba (1976), S. 157f. 1376 Otruba (1976), S. 148.

Die Wiener SS auf dem Weg in den Untergrund

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10.3 Die Wiener SS auf dem Weg in den Untergrund

Ab Ende März 1933 rechnete die NSDAP damit, dass ihr Verbot unmittelbar bevorstand. So erging zu diesem Zeitpunkt ein Befehl an die SS, dass sie aufgrund der politischen Lage ihre Lokale sofort zu räumen hätte.1377 Weiters begann Fitzthum wöchentlich eine Führerbesprechung abzuhalten,1378 in der das Arbeitsprogramm der SS für die kommende Woche besprochen wurde. Die Treffen fanden zunächst im Heim der Betriebszellenorganisation in der Marchettigasse statt, die letzten beiden Besprechungen im Juni im „Adolf-Hitler-Haus“. Laut Fitzthums Angaben nahmen daran allerdings, angeblich aus Platzgründen, nur noch die Sturmbann- und Sturmführer teil. Die Besprechungen betrafen „die Ausbildung der SS Männer“, „und zwar einerseits in militärischer Richtung und anderseits in der Richtung ihrer Aufgabe als Ordnungsund Sichergruppe (sic  !)“. Mittlerweile hatte die SS neben der Standartenkanzlei im „Adolf-Hitler-Haus“ auch eine geheime Geschäftsstelle eingerichtet, deren Adresse bisher unbekannt ist.1379 Am 21.  Mai hielt Franz Mazanek die letzte Geländeübung seines Sturmbanns ab.1380 Frühmorgens traf sich Zambaurs Trupp in Pötzleinsdorf und marschierte um sieben Uhr in Richtung Jägerwiese ab, wo der Sturmbann zusammentraf. Verborgen im Wald führten Mazanek und sein Adjutant Heinrich Vados eine Inspektion durch, bevor der Sturmbann zu einem „Gefechtsmarsch“ in Richtung Hermannskogel aufbrach, um Abdeckungs- und Angriffsübungen durchzuführen. Um halb ein Uhr erreichte der Sturmbann die Wildgrube, wo nach einer kurzen Rast und anschließender Besprechung die Übung „abgeblasen“ wurde und die Stürme einzeln den „Rückmarsch“ antraten. In der Woche darauf bestand das Training der SS fast ausschließlich aus Schießübungen. So führte Zambaurs Trupp drei Schießübungen durch, die er in seinem Tagebuch mit einer Ausnahme nicht kommentierte. Nur am 28. Mai stellte er nach einer Schießübung in Kagran fest,1381 dass die „Leistungen des Trupps (…) im großen und ganzen zufriedenstellend“ gewesen seien. Spätestens am 30. Mai gingen in Wien die Besprechungen über den Beginn des Terrorfeldzugs der österreichischen NSDAP in die entscheidende Phase.1382 Nach den 1377 Schreiben der Bezirksgruppe Neubau an die GL Wien v. 2. 5. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1. 1378 Vernehmung von Josef Fitzthum durch das LGfS v. 11. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1379 Ebd. 1380 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 21. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1381 Ders. v. 28. 5. 1933, ebd. 1382 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 175.773-GD. 1/1933  ; Evidenzeinträge zu Josef Fitzthum, Pr. Zl.  IV-4066 v. 1933, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl.  291.193  ; WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33.

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Die Wiener SS auf dem Weg in die Illegalität

polizeilichen Untersuchungen fanden an diesem Tag zwei Besprechungen über die Terroraktionen statt. Die erste wurde im Café „Roter Hahn“ im 3. Bezirk abgehalten. Seitens des SS-Abschnitts nahmen daran Alfred Bigler, der Führer der Motoroberstaffel des SS-Abschnitts, Carl Pichl, einer der engsten Mitarbeiter Biglers, und der Chef des Verwaltungsamtes Gerhard Schneider teil, die SA hatte Standartenführer Otto Schuckat entsandt. Aus Deutschland war noch ein gewisser Kapitänsleutnant Kraus eingetroffen, der allerdings bisher nicht identifiziert werden konnte. Ebenso ist unklar, ob SS-Oberführer Georg Aumeier, der frühere Adjutant Himmlers und Leiter der Kartothekabteilung im Stab des RFSS an der Organisation der Terroraktionen beteiligt war. Zum Zeitpunkt der Anschläge im „Adolf-Hitler-Haus“ war dieser als Buchhalter „zur besonderen Verwendung“ tätig.1383 Von der Wiener Standarte kamen zumindest Josef Fitzthum, Walter Leubuscher, Max Grillmayr und Hubert Kölblinger,1384 der ehemalige Führer der Wiener SA, der an diesem Tag auch als neuer Adjutant Fitzthums eingeführt wurde, zu dem Treffen. Ein zweites Treffen fand noch am gleichen Tag im Café Sperl statt. Die „Initiative“ der Durchführung der Anschläge übernahm Franz Mazanek,1385 die militärische und organisatorische Leitung wurde Walter Leubuscher und Max Grillmayr übertragen. Es kann als gesichert angenommen werden, dass sofort nach den Treffen mit den Vorbereitungen für die Zusammenstellung der Terrortruppen begonnen wurde. So tauchten noch am gleichen Abend Grillmayr und Leubuscher erstmals bei einem Appell des Trupps von Eduard Zambaur auf, um dort laut dessen Tagebucheintrag eine durch Fitzthum befohlene „Inspektion“ vorzunehmen.1386 Die Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit begann zu diesem Zeitpunkt, ihre Nachforschungen zu intensivieren und ließ am 29.  Mai im gesamten Bundesgebiet Hausdurchsuchungen in Parteilokalen und in den Wohnungen von Führern der NSDAP „wegen des Verdachtes einer gegen die staatliche und wirtschaftliche Selbständigkeit Österreichs gerichtete feindselige Tätigkeit“ vornehmen.1387 Zwischen 30. Mai und 1. Juni ordnete die Wiener Polizeidirektion die Durchsuchung von 59 Parteilokalen und 26 Privatwohnungen an, darunter auch die Wohnungen mehrerer SS-Führer. Fündig wurden sie bei Josef Fitzthum, in dessen Wohnungen eine geladene Pistole entdeckt wurde. Hingegen verliefen die Nachforschungen bei Anton Ziegler ergebnislos. Karl Heinz Urban, der zum Zeitpunkt der Polizeiaktion gerade den Appell seines Sturms abhielt, wurde rechtzeitig gewarnt und brach den Appell wegen 1383 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933  ; BArch (ehem. BDC), SSO  : Georg Aumeier. 1384 BArch (ehem. BDC), SSO, PK  : Hubert Kölblinger  ; WStLA, GAW  : Hubert Kölblinger, Zl. 183.452. 1385 ÖSTA/AdR, GA  : Franz Mazanek, Zl. 343.390. 1386 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 30. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1387 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 2. 6. 1933.

Die Wiener SS auf dem Weg in den Untergrund

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„Aushebungsgefahr“ vorzeitig ab.1388 Insgesamt fiel die Aktion der Wiener Polizei dürftig aus. Beschlagnahmt wurden neun Militärgewehre, zwanzig Patronen, zwei Bajonette, eine Pistole, mehrere verbotene Hiebwaffen, 40.000 Exemplare Flugschriften und Streuzettel und diverse Schriftstücke der Gauleitung Wien sowie Instruktionen betreffend die Ausbildung der Mitglieder des „Vaterländischen Schutzbundes“. Die erste Durchsicht der Schriftstücke ergab keine Anhaltspunkte dafür, dass die NSDAP „eine gegen die staatliche und wirtschaftliche Selbständigkeit Österreichs gerichtete oder sonst nach den Strafgesetzen zu ahndende Tätigkeit entfaltet“. Am 2. Juni hielt Mazanek den letzten Appell seines Sturmbanns ab und nahm dabei zahlreiche Anwärter in die SS auf.1389 Fünf Tage später wurden die Appelle aufgrund der „sich immer mehr verdichtenden Auflösungsgefahr (…) bis auf weiteres“ abgesagt.1390 Die einzelnen Trupps mussten sich ab diesem Zeitpunkt mindestens einmal pro Woche in einem Gasthaus oder Café treffen, während jede Schar ebenfalls einmal wöchentlich an „verborgenen Orten, gewöhnlich in der Wohnung des Scharführers oder in der eines Kameraden“ zusammenkam. Am 7. Juni verschwand die Wiener SS endgültig in den Untergrund.

1388 Tagebucheintrag von Eduard Zambaur v. 31. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1389 Ders. v. 2. 6. 1933, ebd. 1390 Ders. v. 7. 6. 1933, ebd.

Exkurs  : Die innen- und außenpolitische Entwicklung Österreichs nach der Ausschaltung des Parlaments

Im März 1933 änderte sich mit der Wahl Hitlers zum Reichskanzler, der Ausschaltung des österreichischen Parlaments und dem darauffolgenden „Staatsstreich in Raten“1391 durch die Regierung Dollfuß die politische Lage schlagartig. Zum Verständnis der komplizierten innen- und außenpolitischen Situation nach der Ausschaltung des Parlaments soll an dieser Stelle auf die dadurch bedingten komplexen Veränderungen eingegangen werden. Am 4. März fand im Nationalrat eine Abstimmung statt, bei der aufgrund eines abstimmungstechnischen Fehlers eine heftige Debatte entbrannte, in deren Verlauf alle drei Präsidenten ihre Funktion zurücklegten. Da die Geschäftsordnung keine Regelung für einen derartigen Fall vorsah, war das Parlament nicht mehr handlungsfähig, und die Regierung konnte mit dieser von ihr als „Selbstausschaltung“ bezeichneten Geschäftsordnungspanne ihre bereits lang gehegte Absicht in die Tat umsetzen und fortan ohne das lästig gewordene Parlament mittels rechtswidriger Notverordnungen gemäß dem Kriegswirtschaftlichen Ermächtigungsgesetz regieren.1392 Unmittelbar darauf begann sie, mit zahlreichen Verordnungen gegen die Oppositionsparteien deren verfassungsmäßig gewährleisteten Rechte einzuschränken.1393 Nachdem der Dritte Nationalratspräsident, der Großdeutsche Sepp Straffner, am 9. März eine Sitzung des Nationalrats für den 15. März einberufen hatte, ließ Dollfuß das Parlament von Kriminalbeamten besetzen und verhinderte den Zusammentritt des Nationalrats. Aufgrund der vorangegangenen Wahlen und der veränderten Verhältnisse in Deutschland musste die Christlichsoziale Partei annehmen, im Falle von Neuwahlen als drittstärkste Partei hinter die Sozialdemokratie und die NSDAP zurückzufallen.1394 Am 9.  März rechtfertigte der Klubvorstand der Christlichsozialen Partei die Ausschaltung des Parlaments mit der Befürchtung, „aus unserer Stellung hin1391 Huemer (1975), S. 157ff. 1392 Zur Ausschaltung des Parlaments vgl. u.a. Lang (1972)  ; Huemer (1975)  ; Berchtold (1998)  ; Fröschl/ Zoitl (1984)  ; Wohnout (1993). 1393 Vgl. dazu ausf. Ilse Reiter (2012). 1394 Carl Vaugoin in der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 7. 3. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 136.

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ausgeworfen (zu) werden“ (Michael Paulitsch),1395 dass „Neuwahlen (…) heute ein Debakel (bedeuten) würden“ (Sylvester Leer),1396 die Partei „hinweggefegt“ werde (Richard Schmitz),1397 dem Wunsch, „endlich diesen Leuten den Herrn zeigen“ zu können ( Josef Hollersbacher)1398 und der Hoffnung, dass „(d)ieser Weg zu einem guten Ende der Partei und für Österreich (…) führen“ werde (Engelbert Dollfuß).1399 Nach Justizminister Schuschnigg sei die Ausschaltung des Parlaments notwendig, „nicht um den Bestand der Regierung, sondern um den Bestand der Christlichsozialen Partei in Österreich“ zu retten.1400 Mit ihrer Angst vor Machtverlust rechtfertige die Christlichsoziale Partei „die Außerkraftsetzung der Grundrechte der Bevölkerung“, wie Franz Spalowsky in dieser Sitzung feststellte, der sich damit als Einziger gegen die neue Regierungspolitik wandte.1401 Aber auch der Minister für soziale Verwaltung Josef Resch trat am 11. März zurück, da er den „neuen Kurs“ nicht mitmachen wolle und könne.1402 Als erste Maßnahmen der Regierung wurde am 7.  März die Pressefreiheit, wie von Schuschnigg seit Oktober des Vorjahres angekündigt, durch eine Art Vorzensur (Vorlagepflicht) eingeschränkt (BGBl. 41/1933) und der Rundfunk praktisch gleichgeschaltet, da dieser nun im Dienst der Regierung und der ihr angehörenden Gruppen stand.1403 Am 13. März wurde ein allgemeines Vereinsverbot erlassen (BGBl. 55/1933). Am 14. März wurden die Geschwornengerichte reformiert (BGBl. 80/1933), die nun aus sechs Geschwornen und einem Gerichtshof bestanden. Dieser konnte die Entscheidung der Geschwornen aussetzen und die Akten dem Obersten Gerichtshof vorlegen, der den Fall dann an ein neues Geschwornengericht zu verweisen hatte.1404 Die Regierung verteidigte die Maßnahmen als „Staatsnotstand“, für den es allerdings keinen Anlass gab. So stellte auch der damals noch als Vizekanzler der Regierung angehörende Franz Winkler im Rückblick fest, dass es sich keineswegs um eine Bedrohung der Souveränität des Staates gehandelt habe, sondern „um einen Notstand der am Ruder befindlichen Regierung“.1405 Mit der Gleichsetzung von Regierung und 1395 Sitzung des Klubvorstands der CSP gemeinsam mit den Landeshauptleuten v. 9. 3. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 145. 1396 Ebd., S. 151. 1397 Ebd., S. 153. 1398 Ebd., S. 156. 1399 Ebd., S. 156. 1400 Ebd., S. 145f. 1401 Ebd., S. 144. 1402 Winkler (1935), S. 50. 1403 Ebd., S. 58 1404 Vgl. dazu Reiter (2007), S. 89–111. 1405 Winkler (1935), S. 61.

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Staat wurde nach dem Selbstverständnis der Regierung Dollfuß nun jede gegen sie geäußerte Kritik als Staatsfeindlichkeit gewertet und dementsprechend bestraft. Nach Peter Huemer hatte die Regierung am 4.  März noch „kein gründlich ausgearbeitetes antiparlamentarisches Programm“.1406 Vorrangiges Ziel in dieser kurzen ersten Phase war die Gewinnung von Zeit, um, wie Carl Vaugoin es ausdrückte, „eine Art Gegenrevolution gegen das Jahr 1918“ einzuleiten.1407 Die Christlichsoziale Partei versuchte nun, ihre geschwächte Position wieder zu festigen und die Ausschreibung von Neuwahlen zu verhindern, um eine Verfassungsreform auf den Weg zu bringen. Geplant war, mit einer Änderung der Verfassung und der Nationalratsgeschäftsordnung die Befugnisse des Nationalrats zugunsten jener der Regierung einzuschränken und das Notverordnungsrecht des Bundespräsidenten auszubauen. Diese Vorstellungen entsprachen ganz jenen der Industriellen,1408 die bereits im Jänner 1932 eine Abordnung zu Sondierungsgesprächen mit Dollfuß’ Vorgänger Bundeskanzler Buresch entsandt hatten, um die Möglichkeit der Aufhebung bzw. Einschränkung der demokratischen Rechte auszuloten. Aber auch Italien und Ungarn hatten seit Sommer 1932 ihr Interesse an der österreichischen Innenpolitik intensiviert. Damit war die Position der von beiden Staaten unterstützen Heimwehr gestärkt worden, von der sich Mussolini eine Ausschaltung der Sozialdemokratie erwartete und glaubte, damit dem Plan zur Errichtung eines autoritären Staates in Österreich einen entscheidenden Schritt näher gekommen zu sein.1409 Nach ihrem Eintritt in die Regierung sollte die Heimwehr das Zünglein an der Waage werden, womit Dollfuß „den Weg der Konzessionen (betrat)“, den auch die noch „folgenden österreichischen Regierungen nie mehr verlassen konnten“.1410 Zwei Wochen nach Bildung des Kabinetts Dollfuß hatte am 9. Juni 1932 die entscheidende Unterredung zwischen Mussolini und Starhemberg über den neuen Weg in Rom stattgefunden,1411 bei der sich Mussolini dezidiert für die Unabhängigkeit Österreichs aussprach, da es sonst „keine Ordnung mehr in Zentraleuropa geben werde“.1412 Anlass der Gespräche war die Diskussion über die Putschpläne der Heimwehr, die für den Fall, dass im Herbst doch Wahlen durchgeführt werden sollten und es danach zu einer Koalition zwischen Sozialdemokratie und Christlichsozialen kommen würde, 1406 Huemer (1975), S. 243. 1407 RP v. 7. 4. 1933, S. 2 („Der Abbau der Staatsverderber geht weiter. Minister Vaugoin über Arbeit und Pläne der Regierung“). 1408 Vgl. Haas (1979), S. 97–126. 1409 Collotti (1984), S. 149–164. 1410 Kerekes (1966), S. 105. 1411 Vgl. dazu ausf. Kerekes (1966), S. 105–120  ; Petersen (1973), S. 81. 1412 Starhemberg (1942), S. 94.

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ausgearbeitet worden waren. Die Vorbereitungen sollten bis Frühherbst „gerade unter dem Schild der gegenwärtigen, heimwehrfreundlich zu nennenden Regierung getroffen werden“,1413 wofür Starhemberg zur Aufrüstung der Heimwehr 15.000 Infanteriegewehre und 200 bis 250 Maschinengewehre von Mussolini benötigte. Dieser stimmte Starhembergs Vorschlägen1414 ebenso zu wie wenige Tage später auch der ungarische Reichsverweser Miklós Horthy. Nach der Unterzeichnung der Lausanner Protokolle fanden in Wien am 24. Juni weitere Geheimbesprechungen zwischen Starhemberg, dem wenige Tage zuvor aus Deutschland zurückgekehrten ehemaligen Stabschef der Heimwehr Major Pabst, Heimwehrminister Jakoncig sowie dem italienischen Geschäftsträger und dem Sekretär der ungarischen Gesandtschaft statt.1415 Die vorherrschende Ansicht war, dass Dollfuß sich keine vier Wochen mehr halten könne, die Krise unmittelbar nach seiner Rückkehr aus Lausanne ausbrechen und Dollfuß daraufhin eine Koalition mit der Sozialdemokratie eingehen werde. Zur Verhinderung dieser Koalition wurden „zwei Gegenaktionen vorbereitet“. Im Falle der tatsächlichen Bildung einer „rot-schwarzen“ Koalition sollten der christlichsoziale Unterrichtsminister Anton Rintelen und die beiden Heimwehrminister Jakoncig und Ach auf einer Ministerratssitzung die Machtübergabe fordern und damit Bundespräsident Miklas zwingen, Rintelen mit der Kabinettsbildung zu beauftragen, „der gestützt auf die mobilisierte Exekutive und auf die Kraft der Heimwehr in schnellem Tempo die rechtsorientierte Verfassungsreform durchführen würde“. Laut dem ungarischen Gesandten in Wien, Lajos Ambrózy, vom 25. Juni hatte General Gustav Geng die Unterstützung des Putsches durch die Armee zugesagt. Der Plan sollte in zwei Wochen umgesetzt werden. Jakoncig und seine Verbündeten sollten „in der Ministerratssitzung die Übergabe der Macht fordern, die Widerstand leistenden Minister verhaften, das Parlament und die wichtigeren öffentlichen Gebäude besetzen, die sozialdemokratischen Führer gefangen nehmen“.1416 Den militärischen Teil der Aktion sollten Offizierseinheiten und die Heimwehr durchführen. Auch Sicherheitsminister Ach hatte zugesichert, die von Mussolini versprochenen Waffen an die Heimwehr verteilen zu wollen. Würde es jedoch zu keiner „rot-schwarzen“ Koalition kommen, sollte die Heimwehr bis Ende September militärisch vollkommen ausgerüstet werden und nach Ende der „Vorbereitungs- und Fundierungsarbeit“ die Übernahme der Regierung durch Rintelen erzwingen.1417 1413 Kerekes (1966), S. 106. 1414 Die Waffen sollten über den italienischen Gesandten Giacinto Auriti und die staatliche Waffenfabrik in Lichtenwörth an die Heimwehr geliefert und von dort an diese verteilt werden. 1415 Vgl. dazu Kerekes (1966), S. 108f.; Collotti (1984), S. 161. 1416 Akten des ungarischen Außenministeriums res.pol. 1932-20-392, zit. n. Kerekes (1966), S. 108. 1417 Ebd., S. 109.

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Hinsichtlich der Einstellung der NSDAP erklärte Pabst gegenüber ungarischen Diplomaten,1418 dass seine „Anwesenheit hier (…) die sicherste Bürgschaft dafür (ist), daß im gegebenen Augenblick die Nazis mitmarschieren werden“, er diese Mission „unter der Bedingung übernommen“ habe, dass Heimwehr und NSDAP „auf gleichem Wege gehen“ werden und er dies bereits mit den deutschen Nationalsozialisten geregelt habe. Die österreichische NSDAP bräuchte noch Jahre, um die Macht zu erobern, und da ein „Anschluss“ Österreichs an Deutschland aus außenpolitischen Gründen nicht infrage komme, sei nur eine österreichisch-ungarisch-italienische Vereinigung möglich, der sich später auch Deutschland anschließen würde. Wie vorhergesehen riefen die Unterzeichnung der Lausanner Protokolle und das damit verbundene Anschlussverbot eine Regierungskrise hervor. Auch Starhemberg lehnte noch im Juli 1932 die Annahme der Protokolle ab und nährte damit die Hoffnung der NSDAP auf Neuwahlen. Kurz darauf vollzog er, nach einer Unterredung mit dem ehemaligen Bundeskanzler Ignaz Seipel, eine Kehrtwende und sprach sich nun für deren Annahme aus. Im Gegenzug erhielt er von Dollfuß die Zusicherung, dass die Christlichsoziale Partei keine Koalition mit der Sozialdemokratie eingehen werde. Ein weiterer Grund für Starhembergs Entscheidung, den Regierungskurs weiter mitzutragen, bestand aber auch in den massenhaften Übertritten von Heimwehrleuten zur ­NSDAP und dem Sieg der deutschen Nationalsozialisten bei den Reichstagswahlen im Juli. Am 23. August wurden die Lausanner Protokolle vom Nationalrat angenommen. Das zunehmende Einschwenken von Dollfuß auf die Position der Heimwehr zeigte sich im Oktober 1932 mit der erstmaligen Anwendung des KwEG, dieser „erste(n) quasi diktatorische(n) Maßnahme“,1419 der aufgrund der Drohung der Heimwehr, aus der Koalition auszusteigen, erfolgten Ernennung Emil Feys zum Staatssekretär für das Sicherheitswesen, dem einseitig verhängten Aufmarschverbot gegen die Oppositionsparteien, der permanenten Suche nach Waffen des Republikanischen Schutzbundes und der militärischen Aufrüstung der Heimwehr. Gleichzeitig verstärkte sich im Herbst 1932 die außenpolitische Einflussnahme durch Italien und Ungarn, die nun direkten Kontakt zu Dollfuß aufnahmen. Unmittelbar nach seiner Ernennung erklärte der neue ungarische Ministerpräsident Gyula Gömbös am 4. Oktober gegenüber Mussolini,1420 er „(messe) in außenpolitischer Beziehung (…) der österreichischen Frage“, mit der er sich „auf das intensivste (sic  !) im Einverständnis mit Italien beschäftigen möchte, die größte Bedeutung bei“. In den 1418 Ebd. Nach Jagschitz entsprang „diese Initiative in erster Linie der rührigen Vermittlung“ von Pabst, die jedoch keine Unterstützung in der österreichischen Landesleitung fand, Jagschitz (1976), S. 56. 1419 Adolf Merkl (1932), Legitime Diktatur  ? in  : Wiener Neueste Nachrichten v. 4. 10. 1932, zit. n. Huemer (1984), S. 106. 1420 Akten des ungarischen Außenministeriums res.pol. 1932-23-545, zit. n. Kerekes (1966), S. 116.

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folgenden Jahren zielte die ungarische Außenpolitik neben der Erreichung einer Revision der Friedensverträge auf die Errichtung eines Vier-Mächte-Blocks zwischen Deutschland, Italien, Ungarn und Österreich ab, was nur unter Ausschaltung der Sozialdemokratie geschehen konnte. Im Oktober 1932 ging Mussolini davon aus, dass Hitler in Kürze die Macht übernehmen und sich das europäische Kräfteverhältnis damit grundlegend verändern werde. Ein Anschluss Österreichs an Deutschland lag alles andere als in Mussolinis Interesse, der deshalb Gömbös mitteilte,1421 dass die „Rettung“ Österreichs ein „erstrangiges italienisches Anliegen sei“. Gömbös, der ebenfalls kein Interesse an einer deutschen Machtausdehnung hatte, schloss sich der italienischen Position an, glaubte allerdings, dass ein Anschluss Österreichs nur verzögert, aber nicht auf Dauer verhindert werden könne. Auch Mussolini schloss sich diesem Argument schließlich an. In seiner realistischen Einschätzung der europäischen Lage ging er davon aus,1422 dass es 1938 zu einem neuen Weltkrieg kommen werde. Italien und Ungarn hätten nun sechs Jahre Zeit, „alle unsere Dinge in unserem Hause (…) innen wie außen (in Ordnung)“ zu bringen. In den folgenden Monaten versuchte Mussolini in Kooperation mit Ungarn, ein enges wirtschaftliches und politisches Bündnis mit Österreich zu schließen. In wirtschaftlicher Hinsicht war beabsichtigt,1423 Österreich in eine „Zollunion (zu) zwingen“, und in politischer Hinsicht „unterstrich“ auch Gömbös1424 „erneut die Notwendigkeit, in Österreich einer Regierung an die Macht zu verhelfen, die ehrlich zur engen Zusammenarbeit mit Italien und Ungarn bereit sei“. Die beiden Staatschefs einigten sich darauf,1425 „die Heimwehr und das österreichische Heer zur positiven organisatorischen Arbeit anzuregen, damit der österreichischen Regierung zur Durchführung ihres Willens eine entsprechende Brachialgewalt zur Verfügung steht“. Am 12. Oktober setzte Mussolini den ersten Schritt für ein engeres Wirtschaftsbündnis, indem er Dollfuß neuerliche Gespräche über den Abschluss einer Zollunion mit Italien und Ungarn anbot.1426 Neben den wirtschaftlichen Aspekten zielte Mussolini aber auch auf die Schaffung eines Konsultationspakts mit Österreich und Ungarn

1421 Ebd., S. 118. 1422 István Antal, Erinnerungen des ehemaligen Staatssekretärs im Ministerpräsidium, Manuskript, Geschichtswissenschaftliches Institut an der Ungarischen Akademie der Wissenschaften, zit. n. ebd., S. 119. 1423 Ebd., S. 119. 1424 Akten des ungarischen Außenministeriums res.pol. 1932-23-621, zit. n. ebd., S. 119. 1425 Ebd., S. 119. 1426 Haas (1984), S. 78.

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ab.1427 Unmittelbar vor einem Treffen zwischen Mussolini und Gömbös drang der ungarische Ministerpräsident auf ein Gespräch mit Dollfuß, das am 6. und 7. November in Ungarn stattfand und mit dem die österreichische Position hinsichtlich einer Zollunion sondiert werden sollte. Diese wurde von der österreichischen Regierung strikt abgelehnt, die sich stattdessen für einen weiteren Ausbau des im Februar 1932 mit Italien unterzeichneten Präferenzvertrags aussprach.1428 In seinem Gespräch mit Gömbös dürfte Dollfuß einer verstärkten Koalition zwischen Christlichsozialer Partei und Heimwehr zugestimmt haben, da der ungarische Gesandte in Wien in seiner Mitteilung an Dollfuß über die italienisch-ungarischen Gespräche berichtete,1429 dass die beiden Staaten „mit Freude die auf ein Zusammenarbeiten der christlichsozialen Partei mit den Heimwehren gerichtete Entwicklung der Politik des Herrn Bundeskanzlers (begrüßen) und (…) diese Entwicklung gerne fördern (werden) (…)“. Die direkte Kontaktaufnahme mit Dollfuß dürfte auf der Einschätzung Mussolinis und Gömbös’ basiert haben, dass die Heimwehr zu schwach sei, um einen Machtwechsel herbeizuführen, weshalb sie in Rom beschlossen, Dollfuß zu unterstützen, „wenn nötig auch mit illegalen Mitteln“, während die Heimwehr „in Kooperation mit dem Bundesheer einer österreichischen Rechtsregierung als Brachialgewalt zu dienen“ hätte.1430 Gemeinsam wollten sie Dollfuß „zur faschistischen innenpolitischen Umbildung jede Unterstützung (…) gewähren“.1431 Die erste diesbezügliche Aktion seitens Italiens und Ungarns endete allerdings in einem diplomatischen Fiasko, nämlich der sog. „Hirtenberger Waffenaffäre“.1432 Am 8. Jänner 1933 berichtete nämlich die Arbeiter-Zeitung, dass fünfzig Eisenbahnwaggons mit Gewehren und Maschinengewehren von Verona in Hirtenberg eingetroffen waren.1433 Von den gelieferten Waffen sollte ein Teil in Österreich bleiben und an 1427 So notierte der Präsident des Völkerbundrates, Pompeo Aloisi, am 28. Oktober in seinen Tagebuch, dass Mussolini „mit Österreich und Ungarn einen Vertrag schließen (möchte), der die Übereinstimmung bestimmter politischer Grundanschauungen erklärt und der die Bindung erhält, den gleichen Leitlinien zu folgen“. Damit wären die beiden Staaten verpflichtet, Italien in politischen Fragen „zu konsultieren“, Petersen (1973), S. 317. 1428 Die drei Staaten sollten sich mit Ausnahme jener Produkte, für die ein besonderes Interesse des jeweiligen Staates bestand, eine allgemeine Begünstigung gewähren, wodurch man, so Karl Haas, „dem freien Warenverkehr zwischen den drei Staaten sehr nahe gekommen“ wäre, Haas (1984), S. 77f. 1429 Schreiben des ungarischen Gesandten in Wien, undat., zit. n. Haas (1984), S. 90. 1430 Haas (1984), S. 80. 1431 Kerekes (1966), S. 113. 1432 Vgl. dazu Kerekes (1966), S. 121–125  ; Petersen (1973), S. 97–99  ; Gedye (1947), S. 68–70  ; Leichter (1964), S. 160–162  ; Binder (1995), S. 278–292. 1433 Dabei handelte es sich nicht um den ersten Fall eines illegalen Waffenschmuggels, da bereits 1928 ein illegaler Waffentransport von Italien nach Ungarn über den St. Gotthard zu schweren diplomatischen Konflikten mit den Staaten der Kleinen Entente geführt hatte, Kerekes (1966a), S. 15.

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Starhembergs Heimwehr verteilt, der andere nach Ungarn weitertransportiert werden. Frankreich und die Staaten der Kleinen Entente sahen darin eine Verletzung des Friedensvertrags von St-Germain. Die österreichische Regierung rechtfertigte die Übernahme des Transports als Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, da die Waffen in Österreich angeblich nur repariert werden sollten. Nachdem die Staaten der Kleinen Entente am 23. Jänner eine Untersuchung der Affäre vor dem Völkerbundrat in Genf verlangt hatten, schalteten sich auch die Gesandten Englands und Frankreichs ein, die von Dollfuß eine Erklärung verlangten. Am 3. Februar übermittelte Dollfuß seine schriftliche Antwort und stellte fest, dass die Lieferung von ca. 50.000 Gewehren und ca. 200 Maschinengewehren ohne Wissen der Regierung erfolgt sei. Diese Antwort reichte der französischen Regierung nicht aus. Sie verlangte den unverzüglichen Rücktransport, eine Untersuchung, ob ein Teil der Waffen nicht bereits nach Ungarn abtransportiert worden war, und eine eidesstattliche Erklärung von Dollfuß. Sollte er den Forderungen nicht binnen zwei Wochen nachkommen, kündigte Frankreich an, den Fall vor den Völkerbund zu bringen. Ebenso stellte die tschechoslowakische Regierung ihre Absicht infrage, sich an der gerade in Verhandlung befindlichen Finanzanleihe für Österreich zu beteiligen. Eine weitere peinliche Entwicklung nahm die Affäre, als der Generaldirektor der Bundesbahn den Führer der Eisenbahnergewerkschaft Berthold König mit 150.000 Schilling zu bestechen versuchte, damit die Eisenbahner die Waffen heimlich nach Ungarn weitertransportierten. Die Regierung dementierte neuerlich jegliche Mitwisserschaft und distanzierte sich von dem Bestechungsversuch.1434 Die Diskussionen über die Affäre brachen mit dem Machtwechsel in Deutschland dann abrupt ab. Die Waffen blieben in Österreich, und ihre Verteilung wurde im März 1934 in einer Geheimklausel zu den „Römischen Protokollen“ geregelt. Aus dieser geht hervor, dass die Zahl der Waffen bei Weitem höher lag, als von Dollfuß angegeben. Ein Teil war bereits im Frühjahr 1933 nach Ungarn abtransportiert worden, der verbliebene Rest von 84.000 Gewehren und 980 Maschinengewehren wurde je zur Hälfte zwischen Österreich und Ungarn aufgeteilt. Die ersten Schritte zur Etablierung eines autoritären Regimes gehen somit auf den Herbst 1932 und die verstärkte Abhängigkeit der Christlichsozialen Partei von der Heimwehr und deren Verbündeten Italien und Ungarn zurück. „Aus diesen geheimen Verhandlungen“ ab Anfang Oktober „resultierten“ nach Lajos Kerekes1435 „jene umwälzenden Ereignisse in der Ära der Ersten Republik, die in der Hirtenberger Waffenaffäre, der ‚Endabrechnung‘ mit der Linken im Februar 1934 und schließlich in 1434 Vgl. dazu auch die Diskussion des Klubvorstands der CSP v. 12. 1. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 55f. 1435 Kerekes (1966), S. 119f.

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der Verwirklichung des faschistischen Ständestaates gipfelten. Das alles war im Programm in Rom aufgestellt worden.“ Die einzige Möglichkeit der Christlichsozialen Partei, sich aus dieser Umklammerung zu befreien, wäre die Ausschreibung der vom Nationalrat am 12. Mai 1932 bereits beschlossenen und im Herbst nochmals auf das Frühjahr 1933 verschobenen Neuwahlen gewesen, was die Christlichsoziale Partei aufgrund des voraussehbaren Wahldebakels auf jeden Fall verhindern wollte. Nach Karl Haas’ Schlussfolgerung1436 „(hatte) nicht die mit der nationalsozialistischen Bedrohung verstärkte Orientierung der österreichischen Außenpolitik nach dem faschistischen Italien hin in Österreich zu einem Herrschaftssystem geführt (…), das hier als bürgerliche Diktatur bezeichnet werden soll, sondern daß gerade umgekehrt die Etablierung und Stabilisierung dieses spezifischen gesellschaftlichen und politischen Systems in Österreich durch das Dollfußregime die verstärkte Anlehnung an das faschistische Italien nachgerade bedingte“.

Die gegen die politische Opposition erlassenen Maßnahmen dienten unmittelbar nach der Ausschaltung des Parlaments der Christlichsozialen Partei dazu, wieder an Boden zu gewinnen, die Verfassung zugunsten eines autoritären Kurses zu verändern und die Machtstellung der Sozialdemokratie zurückzudrängen bzw. diese auszuschalten. Gleichzeitig sollte der zunehmende Einfluss der NSDAP auf die (klein-)bürgerlichen Schichten eingedämmt werden. In der ersten Phase nach der Ausschaltung des Parlaments wandte sich der Kampf der Regierung allerdings in erster Linie gegen die Arbeiterbewegung. Ein Verbot der NSDAP oder ihrer Brachialorganisationen stand zu diesem Zeitpunkt nicht zur Diskussion, sondern erst, nachdem keine Einigung über eine mögliche Koalition und über die Ausschreibung von Neuwahlen erzielt werden konnte und daraufhin der Terrorismuskampf der NSDAP gegen die Regierung begann. Die Gefahr eines äußeren Anschlusses Österreichs an Deutschland war zu diesem Zeitpunkt gering, und zwar zum einen aufgrund der breiten außenpolitischen Front. Sowohl die Westmächte als auch die Kleine Entente, Ungarn und Italien waren sich in dieser Frage völlig einig, und auch Hitler erklärte am 26. Mai 1933 in einer Ministerbesprechung,1437 dass diese Frage nicht aktuell sei. Sein Ziel war es vielmehr, durch Neuwahlen „die innere Gleichschaltung“ Österreichs herbeizuführen, „ein äußerer Anschluß“ sei nicht nötig. „Eine Genehmigung Italiens“ zur Anschlussfrage, so 1436 Haas (1984), S. 81. 1437 Aufzeichnung des Oberregierungsrats Hans Thomsen (Reichskanzlei)  : Auszüge aus der Niederschrift über die Ministerbesprechung vom 26. 5. 1933, in  : ADAP (1971), Serie C, Bd. I/2, S. 483f.

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Hitler weiter, „wird man mit Vorteilen auf anderen Gebieten bezahlen müssen. Sie ist aber nicht akut, da die Genehmigung des Anschlusses auch von der Zustimmung der anderen Signaturmächte des Friedensvertrags abhängig und nicht zu erwarten ist.“ Zum anderen befand sich die österreichische NSDAP zwar im Aufschwung, hatte aber keineswegs die Mehrheit der Bevölkerung hinter sich. Nachdem Dollfuß eine Koalition mit der Sozialdemokratie jedoch strikt ablehnte, hätte die CSP im Falle von Neuwahlen eine Koalition mit der NSDAP eingehen müssen, um an der Macht zu bleiben, wodurch mit Unterstützung Deutschlands der Anschluss von innen allmählich vollzogen worden wäre. Tatsächlich destabilisierte die Regierung Dollfuß aufgrund ihres Bündnisses mit der faschistischen Heimwehr im Mai 1932, der zunehmenden Abhängigkeit von Italien und der damit verbundenen strikten Ablehnung jeglicher Kooperation mit der Sozialdemokratie sowie ihres Einschwenkens auf einen autoritären Regierungskurs und der Bekämpfung der Demokratie die österreichische Innenpolitik vollständig. Diese Politik der Destabilisierung führte zu einer entscheidenden Schwächung der Widerstandsfähigkeit des Staates, zu einem Staatsnotstand.1438 „Sofern nämlich die Wahrung der Unabhängigkeit und Selbständigkeit Österreichs sein (Dollfuß, CR) und seiner Bündnispartner Hauptziel gewesen wäre und nicht die Ausschaltung der Arbeiterbewegung“, so Karl Stuhlpfarrer,1439 „dann hätte er dieses Ziel in einem breiten Bündnis mit der Arbeiterbewegung mit sehr viel größeren Erfolgschancen angehen können. Es ist sein Konzept der Errichtung der Diktatur in Österreich, daß er diese Konstellation ausschloß.“ Dollfuß’ Kurs schwankte zunächst noch zwischen den Forderungen der Heimwehr nach sofortiger Ausschaltung der Arbeiterbewegung und dem gemäßigten Kurs des Landbundes, der seine Haltung gegenüber der Sozialdemokratie auch dazu benutzte, um die Machansprüche der Heimwehr zurückzudrängen. Die Spannungen zwischen Landbund und Heimwehr in dieser Frage waren bereits im November 1932 im Zuge der Diskussion um die Zulassung des sozialdemokratischen Aufmarsches anlässlich des Staatsfeiertages deutlich zutage getreten, wo Fey sowohl gegen Winkler als auch den Wiener Polizeipräsidenten Brandl den Kürzeren gezogen hatte.1440 Nach der Aus1438 Winkler (1935), S. 61. 1439 Stuhlpfarrer (2005), S. 325. 1440 Winkler hatte sich damals für eine „beschränkte Gestattung der Aufmärsche“ ausgesprochen und betont, dass er keine „Auseinandersetzung mit den Sozialdemokraten“ wolle, die 42 Prozent der WählerInnen hinter sich hätten, „während der Rest in eine Unzahl von Parteien zersplittert sei“. Auch Brandl sah im Aufmarsch der Sozialdemokratie keine Gefahr, wies aber explizit auf die Aggressivität der Nationalsozialisten hin. Ein Verbot des sozialdemokratischen Aufmarsches interpretierte Brandl als „Kriegserklärung“, als eine „tödliche Provokation“, die „nur mit Blut durchgesetzt werden könnte“. Die Regierung

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schaltung des Parlaments begannen neuerlich Diskussionen um ein Verbot des Republikanischen Schutzbundes. Am 25. März 1933 wurde auf Wunsch Winklers eine Mehrheitsparteienbesprechung über ein diesbezügliches Verbot abgehalten, nachdem im Ministerrat mehrere Diskussionen darüber ohne Ergebnis geblieben waren. Dort erklärte Winkler,1441 dass sich die Regierung zwar „über die Ziele (einig)“ sei, jedoch müsse sie „auch in der Anwendung der Methode einig werden“. Die Auflösung des Schutzbundes interpretierte Winkler nicht als eine bloße Vereinsauflösung, sondern als einen „erheblich politische(n) Akt“, der zu einem Scheitern der Verfassungsreform führen könnte. Während Winkler weiterhin daran glaubte, dass nach der Verfassungsreform „das Parlament wieder in Aktion treten“ werde und zur schnellen Umsetzung einer solchen Reform die Stimmen der Opposition notwendig seien, betonte Odo Neustädter-Stürmer, dass der Heimatschutz das Parlament „nicht (…) ausschalten“ wolle, es aber „falsch“ sei, „zu glauben“, dass „wir (…) das Parlament wieder zusammen (setzen) nur mit einigen Verbesserungen der Geschäftsordnung“, sondern die Verfassungsreform müsse derart gestaltet sein, „daß sich das Kräftespiel vollkommen verändert“. Die drei Regierungsparteien müssten sich in „irgendeine(r) Form der Zusammenarbeit oder Verschmelzung für Neuwahlen“ finden. Von diesem Standpunkt aus gesehen gäbe es „keinen Grund, warum man nicht den Vernichtungskrieg gegen den Marxismus rücksichtslos führen soll. Wenn wir ihn nicht führen, schwächen wir uns. Die Sozi in ähnliche politische Machtstellungen aufrücken lassen, wie sie bisher möglich waren, dann werden wir das andere Ziel, gegen NS aufzukommen, nicht erreichen. Denn dann werden uns die NS überrennen. (…) Wir können den Nationalso„müsse sich darüber klar werden, ob sie Krieg führen wolle“. Fey hingegen kritisierte, dass das Verbot nur eine „zeitlich nicht befristete Übergangsmaßnahme“ zur Setzung weiterer Schritte gegen die Linken dargestellt habe. In Übereinstimmung mit Fey sprach sich auch Rintelen für die Auflösung des Republikanischen Schutzbundes aus, während Jakoncig dafür eintrat, endlich „einen wirklichen Autoritätsstaat zu machen“. Schuschnigg wiederum forderte neben einem generellen Aufmarschverbot „wirksame Schritte gegen die Presse“ ein. Winkler durchkreuzte daraufhin die Pläne der Scharfmacher, indem er erklärte, dass der Landbund zur Sozialdemokratie „ein leidliches Verhältnis“ unterhalte, das auch unter den Regierungen Buresch und Ender und bis zur Erlassung der Notverordnung zum Kabinett Dollfuß bestanden habe. Bis dahin sei es möglich gewesen, „mit Hilfe der Sozialdemokratie das Parlament arbeitsfähig zu erhalten“, da diese sich „wiederholt zu einer Verständigung über legislatorische Maßnahmen bereit gezeigt hätte“. Er verstehe sich als „Verständigungspolitiker“, und auch in diesem Fall müsse „im Interesse der Erhaltung einer produktiven legislatorischen Tätigkeit“ die Verständigung gesucht werden. Weiters kritisierte er, dass „eine förmliche Verfolgungspsychose“ gegenüber der Sozialdemokratie bestehe, und nachdem die „Zeit für eine Entwicklung nach Links nicht günstig sei“, habe die Sozialdemokratie überhaupt kein Interesse daran, „den Zusammenbruch des Staates herbeizuführen“, Ministerratssitzung v. 3. 11. 1932, MRP, VIII/2, S. 16–56  ; vgl. dazu Winkler (1983), S. 99f. 1441 Sitzung des Klubvorstands der CSP gemeinsam mit den Landeshauptleuten v. 25. 3. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 201–215.

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zialismus in Österreich schlagen, indem wir ihn ,überhitlern‘. (…) Man braucht keine Vorbehalte im Kampf gegen den Marxismus zu machen.“ Die Christlichsoziale Partei wiederum erachtete weitere Maßnahmen gegen die Sozialdemokratie, wie etwa die Bestellung eines Regierungskommissärs für das „Rote Wien“, noch nicht als aktuell, trat aber ebenfalls für die Auflösung des Schutzbundes ein. Auch Dollfuß war sich über die Zukunft des Parlaments zu diesem Zeitpunkt nicht im Klaren. Bundespräsident Miklas war laut den Notizen von Richard Schmitz vom 7.  März damals noch davon ausgegangen,1442 dass „die Parlamentskrise in vierzehn Tagen behoben sein werde“, während Dollfuß mit sechs bis acht Wochen rechnete. Inzwischen war er jedoch zu der Ansicht gekommen,1443 dass eine „grundlegend neue Verfassung (…) lange dauern“ werde  : „Heute sich vorzulügen, dieses Parlament überhaupt nicht mehr zusammentreten zu lassen, ist absolut verfrüht.“ Der „Marxismus“ sei, so Dollfuß weiter, „Schritt für Schritt (…) in die Knie zu zwingen“. Die Regierung könne „die braune Welle (…) nur auffangen, wenn wir das, was die Nazi versprechen und in Deutschland getan haben, was ohnehin gemildert wird durch verschiedene Richtungen bei uns, selber machen, nur dann wird es gelingen, einem Großteil der Sozi-Mitglieder beizubringen, daß sie keine Macht mehr haben und werden weggehen von den Sozi.“ Am 31. März wurde der Republikanische Schutzbund aufgelöst.1444 In den ersten Wochen nach der Ausschaltung des Parlaments konnten Christlichsoziale und Heimwehr aufgrund der ablehnenden Haltung von Winkler ihren strikten Kurs gegen die Sozialdemokratie also nur mit Mühe durchsetzen. Aber auch die außenpolitische Situation gestaltete sich im Frühjahr 1933 ausgesprochen schwierig und ließ nur eine beschränkte innenpolitische Handlungsfähigkeit der Regierung zu. So hatten Frankreich, aber auch die Tschechoslowakei,1445 die in Lausanne zugesicherten Gelder 1442 Weinzierl (1974), S. 118  ; zur Position von Miklas vgl. ausf. Lang (1972). 1443 Engelbert Dollfuß auf der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 25. 3. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 212. 1444 Vgl. dazu Rothländer (2010)  ; Vlcek (1971), S. 308–315  ; McLoughlin (1990). 1445 In einem Gespräch mit dem österreichischen Gesandten Ferdinand Marek erklärte der tschechoslowakische Außenminister Eduard Beneš am 25. April, dass für Österreich nun „die einzigartige Gelegenheit gegeben (wäre), die Neutralisierung des Landes durchzuführen“. Aufgrund der bisherigen Situation „konnte und wollte“ man „(e)inem Österreich, dessen Anschluß man jeden Moment fürchten mußte, (…) nichts geben  ; ein garantiert selbständiges Land werde jedoch von seinen Nachbarn alles haben können“. Auf den Einwand Mareks, dass Deutschland einem neutralen Österreich kaum zustimmen werde, erwiderte Beneš, „daß er davon gar nicht so fest überzeugt sei und daß schließlich im Falle(,) als alle anderen Staaten (sic  !) die österreichische Selbständigkeit und Neutralität verbürgen würden, Deutschland ja gar nichts dagegen machen könnte (…). Der Minister sei fest überzeugt, (…), daß wir auch in wirtschaftlicher Hinsicht im Verhältnis zu den Nachbarn so manches erzielen könnten“, Bericht von Ferdinand Marek an Engelbert Dollfuß v. 25. 4. 1933, zit. n. Hummelberger (1975), S. 36. Aber Beneš glaubte auch, dass „der Kampf gegen 2 Fronten auf die Dauer kaum durchzuhalten“ sei, und die Regierung werde letztlich

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noch nicht zur Verfügung gestellt und ebenso war unklar, ob die „Hirtenberger Waffenaffäre“ tatsächlich beendet war oder sich die Regierung nicht doch noch vor dem Völkerbund verantworten musste. Im Falle einer Ablehnung der von Frankreich versprochenen Gelder wäre ein Anschluss an Deutschland tatsächlich kaum zu verhindern gewesen. So hatte Hitler, wie er Gömbös im Juni 1933 mitteilte,1446 in Absprache mit deutschen Industriellen noch vor Abschluss der Verträge Dollfuß angeboten, den von Frankreich zugesicherten Kredit zur Verfügung zu stellen, was Dollfuß jedoch sofort dazu benutzt hätte, um auf Frankreich Druck für eine schnelle Flüssigmachung der Anleihe auszuüben, während er mit Deutschland überhaupt keine Verhandlungen darüber führte. Die Regierung benötigte die Gelder aufgrund der katastrophalen Wirtschaftslage dringend und musste sich alle Wege offenlassen, um keinen der möglichen Finanzgeber allzu sehr vor den Kopf zu stoßen. Für das Verbot der Sozialdemokratie benötigte sie einen Anlassfall, um vor dem Ausland, vor allem hinsichtlich Frankreichs und der Tschechoslowakei, ein Betätigungsverbot rechtfertigen zu können. Einfacher war dagegen der Kampf gegen die in Österreich nur sehr schwache Kommunistische Partei. Zur Untermauerung ihres strikt antimarxistischen Kurses ließ die Regierung am 27. April den Parteivorstand sowie zahlreiche Funktionäre verhaften und untersagte am 26. Mai der KPÖ als erster österreichischer Partei jede Betätigung (BGBl. 200/1933).1447 Im Gegensatz zum Verhandlungsboykott gegenüber der Arbeiterbewegung begannen sofort nach der Ausschaltung des Parlaments auf höchster Ebene Gespräche mit der NSDAP.1448 Den Anfang machte zunächst die Heimwehr, wenige Wochen später trat auch die Christlichsoziale Partei in Verhandlungen mit der NSDAP ein. Am 10.  März erklärte Starhemberg auf einer geheimen Führertagung der Heimwehr in Linz,1449 dass er eine Einigung mit der NSDAP für notwendig halte, da die Heimwehr in dieser Situation ansonsten zugrunde gehen würde, und falls „seine Person ein Hindernis“ darstellen sollte, dass „die Nationalsozialisten Frontkameraden werden, (…) er gern zurück(trete)“.1450 „die eine oder andere Front in ihre Reihen aufnehmen müssen. Gefährlich schiene es (…), dies mit den Nationalsozialisten zu tun“, welche die Regierung „verschlingen würden“, ebd., S. 40. 1446 Akten des ungarischen Außenministeriums 1933-Wiener Gesandtschaft 13/fön, zit. n. Kerekes (1966), S. 111. 1447 Zum Betätigungsverbot vgl. Reiter (2010a), S. 136.  1448 Eine zusammenfassende Darstellung über die Gespräche gibt Bauer (2006). 1449 Staudinger (1975), S. 74. 1450 Es ist anzunehmen, dass Starhembergs Rücktrittsangebot auf den am Tag zuvor erfolgten Entschluss des „Steirischen Heimatschutzes“ zurückging, seinen Namen in „Deutsch-österreichischen (steirischen) Heimatschutz“ umzuändern, seine Arbeit auf das gesamte Bundesgebiet auszudehnen und sich mit der NSDAP in einer „Großdeutschen Front“ zu verbünden, Hartlieb (1939), S. 28.

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Zwischen Ende März und Anfang April fanden laut den Aufzeichnungen von Richard Schmitz dann auch von Dollfuß autorisierte Verhandlungen zwischen Vertretern der Christlichsozialen Partei und der NSDAP statt.1451 Im Unterrichtsministerium trafen über Verbindung des niederösterreichischen Gauleiters Josef Leopold zu Karl Buresch bzw. durch Vermittlung von Unterrichtsminister Rintelen1452 aufseiten der Christlichsozialen Rintelen, Schuschnigg und Buresch1453 mit Habicht und Proksch zusammen. Die NS-Führer forderten eine „Ausschiffung der Heimwehr und eventuell (des) Landbund(es)“, die Durchführung von Neuwahlen, wobei sie unabhängig vom Wahlausgang aus außenpolitischen Gründen einen christlichsozialen Bundeskanzler akzeptieren würden. Die Christlichsozialen lehnten diese „Untreue gegenüber bisherigen Verbündeten“ ab, woraufhin die Nationalsozialisten mitteilten, dass es „Heimwehrführer gäbe, die nicht so zimperlich seien und mit ihnen über Ausschiffung der Christlichsozialen redeten“.1454 Auf der Sitzung des Klubvorstands der Christlichsozialen am 6. April 1933 berichtete Dollfuß,1455 dass seitens der NSDAP „nicht nur zur Heimwehr, sondern auch zu anderen Organisationen Fühlung gesucht wird“ und sie „zu uns her auf verschiedenen Wegen Fäden (spinnen)“. Er lehnte es strikt ab, „Heimwehr und Landbund aufgeben“ zu müssen, und glaubte nicht, dass die NSDAP „den Kampf gegen die bürgerlichen Parteien aufgeben“ werde. Kunschak, der von Verhandlungen mit der NSDAP bereits gerüchteweise erfahren hatte, warnte „entschieden davor (…), sich darauf einzulassen“.1456 Auf der gleichen Sitzung teilte Dollfuß weiters mit, dass „(d)er Auftrieb in der Heimwehrbewegung so stark“ geworden sei, dass dadurch „Gefahren entstehen könnten“, und er deshalb „dem Problem der Notpolizei nähertreten“ werde, „um die Sache in die Hand zu bekommen“. Damit konnte sich Heeresminister Vaugoin gegen Fey durchsetzen,1457 der seit März die Eingliederung der Heimwehrverbände als „Assistenzkörper“ in die Exekutive verlangt hatte. Vaugoin erreichte, dass die „Assistenzkörper“ dem Militär und damit seinem Verfügungsrecht unterstellt sowie nicht nur Heimwehrverbände aufgenommen wurden, sondern alle regierungsnahen Organisationen. 1451 Weinzierl (1974), S. 128f.; Schuschnigg (1937), S. 240–242. 1452 Rintelen (1941), S. 216. 1453 Laut Winkler bestand das Komitee aus Vaugoin, Buresch und Rintelen, Winkler (1935), S. 54. Nachdem Kontakt der NSDAP zur CSP von Josef Leopold hergestellt wurde, der seit 1932 in ständigem Kampf mit Vaugoin stand, dürfte Winklers Angabe auf einem Irrtum beruhen. Zur Auseinandersetzung zwischen Leopold und Vaugoin vgl. Jedlicka (1974), S. 143–161. 1454 Notizen von Richard Schmitz v. 8. 4. 1933, zit. n. Weinzierl (1974), S. 129. 1455 Engelbert Dollfuß auf der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 6. 4. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 217. 1456 Leopold Kunschak auf der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 6. 4. 1933, in  : Ebd., S. 224. 1457 Staudinger (1969), S. 165f.

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Am Tag vor der Sitzung hatte im Auftrag Starhembergs wiederum ein Treffen zwischen dem Salzburger Heimwehrpolitiker Franz Hueber und seinem Schwager Hermann Göring in Berlin stattgefunden.1458 Nach einer späteren Mitteilung von Dollfuß1459 sollten „im Einvernehmen mit Italien“ eine Diktaturregierung, „eine sogenannte nationale Konzentration unter Führung Jakoncig“ aus NSDAP, Steirischer Heimwehr und den nationalen Gruppen der Heimwehr gebildet und Neuwahlen ausgeschrieben werden. Diese Pläne wurden laut einer Aktennotiz von Schmitz auch vom Vatikan unterstützt. In einer Unterredung am 11.  April mit Schmitz riet auch der deutsche Zentrumspolitiker Prälat Georg Schreiber der Regierung „dringend“ zu einer „,volksdeutschen‘ Politik“,1460 einem Besuch in Berlin und der baldigen Abhaltung von Neuwahlen. Hitlers Position zum „Anschluss“ gab Schreiber folgendermaßen wieder  : „Nichts tun, um den Gedanken zu töten, alles zu tun, um zu verhindern, daß er ein aktuelles Problem werde.“ Aufgrund dieser beunruhigenden Entwicklungen entschloss sich Dollfuß am 11. April unter dem Vorwand, Konkordatsgespräche führen zu wollen,1461 zu einem ersten Treffen mit Mussolini und dem Papst in Rom.1462 Die außenpolitischen Verbindungen zu Italien, aber auch Ungarn, liefen zu diesem Zeitpunkt noch weitgehend über die Heimwehr, die zu einer reinen Empfehlsempfängerin Mussolinis geworden war.1463 Weiters musste sich Dollfuß mit Mussolini darüber verständigen, inwieweit dieser die Eigenständigkeit Österreichs gegenüber Deutschland und ihn selbst unterstützen werde. Ein weiterer Grund für den plötzlichen Besuch bestand darin, dass sich Hermann Göring und Vizekanzler Franz von Papen zu diesem Zeitpunkt ebenfalls in Rom befanden. Zwar hatte Italien den Machtantritt Hitlers 1933 begrüßt, jedoch bestanden zwischen den deutschen und italienischen Machthabern Differenzen über die Frage der Vorherrschaft im Donautal. Auch die ungarische Regierung hatte die „Machtergreifung“ Hitlers sehr positiv aufgenommen, begann aber aufgrund der Befürchtung, dass Deutschland seine Politik gegenüber Ungarn zum Vorteil Italiens un1458 Staudinger (1975), S. 74  ; Winkler (1935), S. 54. 1459 Engelbert Dollfuß auf der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 6. 4. 1933, in: Goldinger (1980), S. 217. 1460 Notizen von Richard Schmitz v. 11. 4. 1933, zit. n. Weinzierl (1974), S. 130f. 1461 Winkler (1935), S. 51. 1462 Am Tag zuvor hatte die Regierung den „von der Kirche so vehement bekämpften Glöckelerlass“ aus dem Jahre 1919, der den Zwang zu religiösen Übungen und zur Teilnahme am Religionsunterricht für SchülerInnen und LehrerInnen aufgehoben hatte, für gesetzwidrig erklärt, Hanisch (2005), S. 74  ; vgl. dazu auch WZ v. 16. 4. 1933, S. 4 („Obligate religiöse Übungen an den Schulen“). 1463 So notierte Pompeo Aloisi am 14. Februar 1933 in sein Journal  : „In Kürze (…) wird Prinz Starhemberg kommen, um unsere Befehle für die Entwicklung der österreichischen Lage abzuholen“, Collotti (1934), S. 162f.

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terordnen könnte, eine Schaukelpolitik zwischen den beiden Mächten. Mit Hinblick auf die Schaffung eines Vier-Mächte-Paktes hatte Gömbös schon am 28. Februar Papen mitgeteilt,1464 dass es im deutschen Interesse liegen müsste, „die österreichischen Nationalsozialisten aufzufordern, Dollfuß zu unterstützen, denn dadurch könnten die gesamten rechten Kräfte zusammengefasst und die bedrohliche Linke zerschlagen werden“.1465 Gleichzeitig versuchte die ungarische Regierung, der Gefahr eines uneingeschränkten Einflusses Deutschlands in Mitteleuropa durch enge Beziehungen mit Italien entgegenzuwirken. In Rom konnte Mussolini die Befürchtungen Dollfuß’ zerstreuen, dass sich Heimwehr und NSDAP mit Unterstützung Italiens ohne ihn auf eine diktatorische Regierung einigen könnten. In seinem Bericht vor dem Klubvorstand1466 am 20. April „interpretierte“ er, wie Karl Stuhlpfarrer feststellt, „daher die italienische Unterstützung zur faschistischen Umgestaltung Österreichs (…), aber auch das italienische Interesse an der österreichischen Selbständigkeit ganz auf seine Person“,1467 da Mussolini in seiner „Person den Bundeskanzler eines selbständigen Staates begrüßt“ habe. Weiters habe ihm dieser auch die Unterstützung gegenüber der Heimwehr zugesichert und erklärt,1468 dass „seine Einstellung zu den deutschen Nazi (…) nicht auf Österreich ab(färben)“ werde. Österreich sei somit gegenüber der NSDAP „innen- und außenpolitisch vollkommen rückenfrei“ und könne mit seiner Unterstützung rechnen. Über Papen und den italienischen Staatssekretär Fulvio Suvich sei ihm übermittelt worden, dass Göring ihn davon benachrichtigen wolle, „daß die Christlichsozialen und NS in Österreich zusammengehen (…) und Neuwahlen machen“ müssten. Über Suvich ließ er daraufhin Göring ausrichten, dass er weiterhin an seinen Koalitionspartnern festhalten werde und Neuwahlen „ausgeschlossen“ seien. Eine Zusammenarbeit der NSDAP sei „als viertes Glied unter Ausschluß ihrer Bedingungen“ möglich, und er sei „über ein gutes Verhältnis zum Reich“ gesprächsbereit. Göring habe daraufhin auf „seinen Besuch“ verzichtet. Im Falle, dass Papen Außenminister werden sollte, 1464 Kerekes (1966a), S. 16. 1465 Zwischen 6. und 18. März unternahm auch der ehemalige ungarische Ministerpräsident István Bethlen, einer der „erfahrensten und in außenpolitischen Fragen am besten unterrichteten Vertreter“ Ungarns, eine inoffizielle Reise nach Deutschland, wo er mit Hitler, Papen, Außenminister Neurath und Kriegsminister Werner von Blomberg zusammentraf und die Befürchtung aussprach, dass die zunehmende Agitation der österreichischen NSDAP Dollfuß zu einer Annäherung an die Kleine Entente bringen könnte, ebd., S. 17. 1466 Engelbert Dollfuß auf der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 20. 4. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 231  ; vgl. dazu auch Winkler (1935), S. 51f. 1467 Stuhlpfarrer (2005), S. 325. 1468 Engelbert Dollfuß auf der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 20. 4. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 231.

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so Dollfuß weiter, sei er „bereit, ihm einen Besuch zu machen. Heute kann ich ruhig einen Besuch in Deutschland machen. Daß der zweite deutsche Staat in Europa den ersten deutschen Staat in Österreich besucht.“ Auch Josef Aigner berichtete darüber,1469 dass „wir nichts zu befürchten haben wegen eines Einfalls. Es deckt sich mit einer Meldung via Braunes Haus Linz (…)“, und Streeruwitz sprach sich für Verbesserung des Klimas zu Deutschland aus  : „Wir müssen trachten, bei allem antinazistischen Kurs eine gute Beziehung zu halten. Wenn niemand mehr da ist, der die Lage hält, dann draußen der Bolschewismus. Zumindest publizistisch sollte man das Spöttische unterlassen. Wir müssen die guten Beziehungen zu Deutschland halten. Scharf gegen NS, aber absolut das Deutsche nicht untergehen lassen.“ Vaugoin blieb bei seiner Devise,1470 dass „gegen beide Fronten (…) unser Krieg zu führen (ist)“, und auch Dollfuß schloss sich dieser Sichtweise an  :1471 Seine Taktik sei zunächst „scharf gegen die Sozi“ gegangen, danach habe er „einen Augenblick nicht gewußt“, ob er „nicht zwischen Mühlsteinen“ sei. Jetzt sei es „(s)elbstverständlich, daß wir jederzeit auch den Nationalsozialismus bekämpfen“. Zwischen 1. und 3. Mai kam es dann auf Initiative von Habicht zu einem Vieraugengespräch mit Dollfuß. Im Klubvorstand berichtete dieser von Habichts Angebot,1472 eine Koalition nicht nur mit der Christlichsozialen Partei, sondern auch unter Führung von Dollfuß zu schließen und Neuwahlen im Herbst abzuhalten. Laut Habicht seien Heimwehr und Landbund „wesentlich schwächer geworden“ und „keine politische Rea­lität mehr“. Eine Zusammenarbeit sei zwar möglich, aber sie hätte, so Habicht, „kein Recht“, sich an einer österreichischen Regierung zu beteiligen. Neuerlich erklärte er, dass auch bei einem Wahlsieg der NSDAP die Christlichsozialen aus außenpolitischen Gründen den Kanzler stellen würden. Er zeigte sich mit Dollfuß’ Kurs durchaus zufrieden, „weil die abgefallenen Sozi Nazi werden“, worauf Dollfuß antwortete  : „Ich bin so Antimarxist, daß ich auch das in Kauf nehme.“ Nach Habichts Meinung könnte es zwischen NSDAP und Christlichsozialen „nur Krieg oder Frieden“ geben, und auch das Verhältnis Deutschlands zu Österreich werde „wesentlich davon abhängen. Handelspolitik  !“ Dollfuß erklärte ihm abschließend, dass er das Angebot „überschlafen“ wolle, und bat ihn, wenn er nach Wien komme, ihn wieder zu „besuchen“. Habicht kündigte daraufhin an, dass er in den „nächste (n) Tage(n) wiederkommen“ werde. Im Klubvorstand vertrat Dollfuß die Ansicht, dass „(n)ach Neuwahlen (…) ein Zusammengehen notwendig sein, sich ergeben, möglich sein (wird)“, jedoch sei er „in der 1469 Ebd., S. 236. 1470 Ebd., S. 238. 1471 Ebd., S. 239. 1472 Engelbert Dollfuß auf der Sitzung des Klubvorstands der CSP v. 3. 5. 1933, in  : Goldinger (1980), S. 241f.

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gegenwärtigen Lage“ der Meinung, dass, „so freundlich das Angebot aussehen möchte gegenüber der Christlichsozialen Partei, dieses Angebot auf Koalition nicht in Frage kommen kann. Die Antwort ist etwas schwer. (…) Wenn die NS bereit sind, zur Stärkung des antimarxistischen Kurses einzutreten, daß man unter Umständen diskutieren könnte. Strikt nein zu sagen, halte ich nicht für gut, sondern sozusagen Bedingungen stellen  : Verstärkung des antimarxistischen Kurses ja, aber …“ Habichts Angebot stieß beim Klubvorstand, der eine Koalition mit der NSDAP grundwegs ausschloss, auf breite Ablehnung. Laut Franz Winkler1473 gingen die Verhandlungen zwischen den im März eingesetzten Verhandlergruppen der Christlichsozialen und NSDAP auch noch im Mai weiter, wobei Dollfuß „wiederholt durch Besprechungen mit Habicht (…) ein(griff )“ und die Christlichsozialen der NSDAP eine Koalition mit zwei Ministerposten anboten. Die Verhandlungen scheiterten jedoch aufgrund Habichts Forderung nach „rascheste(r) Ausschreibung von Neuwahlen“. Während der Regierung nach der Ausschaltung des Parlaments eine klare Richtung also noch weitgehend fehlte, begannen sich nach Dollfuß’ Romreise die Konturen des zukünftigen Regierungskurses immer deutlicher abzuzeichnen, der das Ende des Parteienstaates und der Volksvertretung durch direkte Wahl bereits ankündigte und in der am 1. Mai 1934 proklamierten Verfassung seinen Abschluss finden sollte. Dollfuß’ Ziel war es ab diesem Zeitpunkt, alle antidemokratischen bürgerlichen und faschistischen Strömungen in der nach dem Führerprinzip organisierten „Vaterländischen Front“ zu bündeln und die zersplitterten Kräfte so zu einer großen Massenbewegung zu vereinen. Dies bedeutete aber auch das Ende der Christlichsozialen Partei. Treibende Kraft hinter diesem Konzept war Kurt Schuschnigg, der bereits 1931 die Aufgabe des Parteienstaates gefordert hatte. Aber auch das Regierungsorgan Reichspost rief sofort nach Ausschaltung des Parlaments am 12. März zur Bildung einer „Vaterländischen Kampffront“1474 auf. Hinter Bundesparteiobmann Carl Vaugoin sammelten sich wiederum all jene, die am Bestand der Christlichsozialen Partei festhalten wollten. So erklärte Vaugoin auf dem niederösterreichischen Landesparteitag, dass „wir unsere Parteibezeichnung nicht auf(geben)  ! Nein, es bleibt bei christlichsozial  !“1475 Diese Fragen dominierten dann auch den Parteitag der Christlichsozialen, der zwischen 5. und 7. Mai in Salzburg stattfand. In seinem Referat1476 setzte sich Vaugoin vehement für den eigenständigen Weiterbestand der Christlichsozialen Partei ein. Er stellte fest, dass die Partei sich in den letz1473 Winkler (1935), S. 54. 1474 Staudinger (1969), S. 177. 1475 Neuigkeitsweltblatt v. 3. 5. 1933, zit. n. Staudinger (1969), S. 177. 1476 RP v. 7.  5.  1933, S.  2 („Der Bericht des Parteiobmanns“). Eine Rekonstruktion der Protokolle des Parteitages unternahm Kriechbaumer (2006), S. 425–464.

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ten acht Wochen „gesammelt, sich erst railliert, erst das Selbstvertrauen zurückgewonnen“ habe, worauf nun „aufgebaut“ werden könne. Vaugoin forderte, dass „(d)er Monat Juni (…) vom Parteitag als der allgemeine Angriffsmonat der christlichsozialen Partei erklärt werden (soll)“. In Bezug auf eine Verfassungsänderung vertrat er die Ansicht, dass der „größte Fehler unserer Verfassung, der so viel Unglück über die Denkweise und damit auch über die Wirtschaft des Volkes gebracht hat“, darin liege, „dass in keinem der Artikel etwas von unserem Herrgott drinnen steht“.1477 Ganz anders äußerte sich hingegen Dollfuß über die Zukunft der Partei, als er in seiner Rede ankündigte,1478 dass es in der nächsten Zeit „nicht so sehr um Parteiinteressen“ gehen werde, „sondern dass alle, die bereit sind und jahrelang bereit waren, unser Vaterland zu erhalten, mit uns gemeinsam die vaterländische Front bilden und dass diese alle, stärker als bisher, sich dieser Tatsache bewußt sein müssen“. Die Partei dürfe „die nächste Entwicklung (nicht) nur aus der Optik der nächsten Wahlen (sehen), für die wir noch lange Zeit haben“, sondern müsse sich „bewusst“ sein, „dass wir jeden Freund begrüßen müssen, der bereit ist, mit der Christlichsozialen Partei die österreichische Front zu bilden und Österreichs Zukunft zu gestalten“. Hinsichtlich der künftigen Verfassung erklärte er, dass darin „auch die Schaffung einer berufsständischen Körperschaft (eingebaut werden soll), die nicht nur ja oder nein zu sagen haben wird, sondern in allen Fragen der wirtschaftlichen Gesetzgebung das primäre Gesetzgebungsrecht besitzen wird, allerdings nicht in der bisher parlamentarischen Form, sondern so, wie die Wirtschaftskreise, die in dieser Körperschaft vertreten sind, positive Arbeit leisten, wird sie rasch und präzise arbeiten müssen. Das Parlament wird sich nur mehr mit Fragen von staats- und kulturpolitischer Bedeutung zu befassen haben. (…) Das Volk soll zur Gesetzgebung herangezogen werden.“

1477 Diese Ausführungen setzte Vaugoin dann folgendermaßen fort  : „Nehmen Sie nur den Artikel I, in dem es heißt  : ‚Alles Recht geht vom Volke aus.‘ Das ist eine Überheblichkeit sondergleichen. Eine Missachtung. Die Vollmacht, die die Menschen haben, muss vom Herrgott gegeben sein und der Herrgott hat es gefügt, dass Völker ohne Führer, die entscheiden, auf die Dauer nicht existieren können. Die derzeitige Regierung unter Führung des christlichsozialen Bundeskanzlers, in der christlichsoziale Minister entscheidende Ämter innehaben, hat jetzt die Macht, wie durch eine Fügung Gottes, in größerem Maße in der Hand. (…) den Zeitpunkt, wann die neue Verfassung reif ist, die wohl durchdacht und wohl überlegt sein soll, weil sie Grundlagen auch in unserer ganzen Auffassung des Staates und in seiner ganzen Verwaltung ändern muss, werden wir bestimmen.“ Ebd. 1478 „Die politische Lage Österreichs“, Referat von Engelbert Dollfuß am 6. Parteitag der Christlichsozialen Partei, in  : Kriechbaumer (2006), S. 442–451  ; RP v. 7. 5. 1933, S. 7f. („Bundeskanzler Dr. Dollfuß über die politische Lage“).

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Auch Schuschnigg1479 sah die „Aufgabe der christlichsozialen Partei in der Umwandlung von einer Partei zur ‚katholisch-österreichischen Bewegung‘ “ und forderte, dass die Parteifunktionäre ihre Aktivität für die zu bildende „Vaterländische Front“ einsetzen müssten. Es gehe „nicht in erster Linie um die Partei, sondern um Österreich, und zwar um das katholisch geführte Österreich“. Die „Formaldemokratie“1480 sei „absolut bankrott“ und müsse „daher liquidiert werden“. Ebenso notwendig wie „die Reform des Staates und der Demokratie“ sei aber auch die „Reform der Partei und ihrer Methoden“. Die Partei müsse die „Kernzelle der vaterländischen Front“ werden und dazu „ihre eigenen Kader sammeln und zur Disziplin und insbesondere zur Führergefolgschaft erziehen“. Im Juni wurden dann sowohl für die Partei als auch die „Vaterländische Front“ Werbeveranstaltungen durchgeführt. Allerdings hatte Vaugoin am Parteitag ein „Notrecht“ durchgesetzt, „um die straffe Führung der Propagandaveranstaltungen zu gewährleisten  ; bei Werbeveranstaltungen selbst sollte jede Diskussion verhindert werden“.1481 Die von Vaugoin genannten „Vorbereitungen“ zur Durchführung ihres Generalangriffs bedeuteten aber auch die zunehmende Einschränkung der Rechte der Oppositionsparteien. Dementsprechend war bereits am 26.  April ein Plakatierungsverbot (BGBl. 155/1933) erlassen worden, am 4. Mai folgte ein Uniformverbot (BGBl. 164/1933), am 10. Mai wurden alle angesetzten Wahlen in die Landtage und Ortsgemeindevertretungen bis 31. Oktober 1933 ausgesetzt (BGBl. 172/1933). Ebenfalls am 10.  Mai wurden „Maßnahmen betreffend die öffentlich-rechtlichen Bundesangestellten“ erlassen, die einen Diensteid auf die Regierung abzulegen hatten (BGBl. 173/1933), am 15. Mai wurde Emil Fey zum Minister für Sicherheitsfragen und der Landbündler Vinzenz Schumy, von dem bereits bekannt war, dass er in Verhandlungen

1479 „Neue Wege zum alten Ziel. Die nächsten Aufgaben der Christlichsozialen Partei“, Referat von Kurt Schuschnigg am 6. Parteitag der Christlichsozialen Partei, in  : Kriechbaumer (2006), S. 451–458  ; RP v. 8. 5. 1933, S. 1f. („Neue Wege zum alten Ziel. Bundesminister Schuschnigg über die nächsten Aufgaben der christlichsozialen Partei“). 1480 Darunter verstand Schuschnigg „das bloße mechanische Summieren und Nichtwägen der Stimmen, die theoretische und praktische Anerkennung der anonymen Masse als letzte Instanz. Daraus folgt zwangsläufig die Lähmung der Regierung und Lähmung jeder persönlichen Führung und das Erschlagen jedes Verantwortungsbewusstseins eines Führers, weil er letzten Endes immer wieder auf irgendein Kollektiv sich berufen kann. Der Parlamentarismus, aufgebaut auf dieser Scheindemokratie, musste im Ernstfall versagen. (…) Wenn wir uns im Gegensatz zu dieser Schein- und Formaldemokratie zur wirklichen echten Demokratie bekennen, so bekennen wir uns auch zu einer gesunden Volksvertretung, die arbeitsfähig ist, die aber so gestaltet sein muss, dass sie eben den ihr zukommenden Aufgabenkreis tatsächlich bewältigen kann“, Kriechbaumer (2006), S. 453. 1481 Staudinger (1969), S. 181.

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mit der NSDAP stand,1482 zum Innenminister ernannt. Am 19. Mai erließ die Regierung ein Fahnenverbot (BGBl. 186/1933) und verfügte über Gauleiter Frauenfeld ein Redeverbot.1483 Als am 19. Mai nun alle Oppositionsparteien ihre Fahnen einzuholen hatten, ließ Dollfuß die neue Fahne der Christlichsozialen Partei hissen  : das Kruckenkreuz, das in der Folge auch von der „Vaterländischen Front“ übernommen wurde. Anlass waren die großen Feierlichkeiten zum ersten Jahrestag seines Amtsantritts in den Sofiensälen, die mit dem neuen Parteisymbol, dem österreichischen Wappen mit dem Schwert in Kreuzesform, festlich geschmückt waren.1484 Die Feierlichkeiten eröffnete der Wiener Parteiobmann Robert Krasser,1485 der kräftig die Werbetrommel für die neue Front rührte und seine Vorstellung von der deutschen Sendung Österreichs kundtat  : „Oesterreich, die Ostmark war seit seiner Gründung ein lebenswichtiges Organ der deutschen Sendung in Europa. (…) Es war bisher die eigentliche Schwäche des österreichischen Deutschtums, daß es aus lauter krankhafter Furcht, sich nur ja nicht vor dem nationalen Chauvinismus bloßzustellen, vielfach auf eine selbständige Vertretung des deutschen Interesses verzichtete und damit auch das Bewußtsein der eigenen Sendung und der nationalen Verantwortung vergaß.“

In dieser „entscheidenden Stunde“ habe sich Österreich „selbst wiedergefunden und kämpft nun für seine Freiheit und Unabhängigkeit, um mit unserem Oesterreichertum auch das Deutschtum in Oesterreich und besonders auch in den Nachfolgestaaten vor unabsehbarem Schaden zu bewahren“. Abschließend erklärte Krasser, dass „wir uns (mit Begeisterung) in die Reihen der vaterländischen Front (stellen), deren stärkstes und verlässlichstes Bollwerk wir sein wollen“, und erklärte an Dollfuß gewandt, dass die Wiener Christlichsoziale Partei „einig und geschlossen hinter dir (steht), sei unser Führer, wir folgen dir“. Danach hielt Richard Schmitz „eine Huldigungsstunde“ für Dollfuß ab, der hierauf „im Triumph“ in den Saal getragen wurde, wo laut Reichspost 1482 So berichtete Richard Schmitz am 3. Mai dem Klubvorstand der CSP über ein Gespräch mit Schumy  : „Die Entscheidung des Übertritts zu den NS hat er auf ein halbes Jahr vertagt. Er hat zuversichtlich geäußert, die Landbunddörfer wieder von den NS zu säubern“, Goldinger (1980), S. 246. Nach Winkler hatte Schumy zwei Tage vor seinem Eintritt in die Regierung mit Habicht verhandelt, „um sich die Rückendeckung“ der NSDAP zu sichern. Am Tag seiner Ernennung erhielt er von Habicht „die zweite Absage“, Winkler (1935), S. 55. 1483 Hartlieb (1939), S. 45. 1484 RP v. 20. 5. 1933, S. 3 („Oesterreich über alles, wenn es nur will  !“)  ; NFP v. 20. 5. 1933, S. 4 („Vaterländische Kundgebung der christlichsozialen Partei“). 1485 RP v. 20. 5. 1933, S. 3 („Wir wollen ein freies, selbständiges Oesterreich  ! Der Wiener Parteiobmann an alle vaterländisch gesinnten Oesterreicher“).

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Abb. 54: Das mit den Fahnen der „Vaterländischen Front“ verhüllte und mit einem Bildnis von Engelbert Dollfuß versehene Republikdenkmal, 1934, BPD Wien

„Tausende auf den Augenblick warteten, wo der Führer zu ihnen sprechen sollte“.1486 Dollfuß stellte in seiner Rede den Konflikt mit der österreichischen NSDAP in den Mittelpunkt,1487 kritisierte aber auch scharf die deutsche Außenpolitik und betonte die Eigenständigkeit des deutschen Österreich  : „Wir Oesterreicher, wir Deutsche (…) wollen nichts, als das Land, das wir von unseren Vätern ererbt haben, erhalten und nach unserem Willen, nach dem Willen unseres Volkes gestalten. (…) Wir haben ein Erbgut zu bewahren, das von Jahrhunderten deutscher Geschichte und deutscher Kultur zeugt.“ Und weiters erklärte Dollfuß, dass es „(i)n der neuen Verfassung (…) die Volksvertretung, die bisher bestanden hat, nicht mehr geben (wird). Wir werden die neue Verfassung aufbauen auf neuen Grundlagen und zurückgreifen auf die alten Gedankengänge der christlich-deutschen Staatsauffassung  ; wir werden den Staat neu aufbauen auf der Grundlage christlicher Weltanschauung und Gestaltung.“ Am Tag darauf wurde die Gründung der „Vaterländischen Front“ proklamiert,1488 mit der alle Personen und Organisationen unabhängig davon, ob sie einer der Re1486 RP v. 20. 5. 1933, S. 3 („Oesterreich über alles, wenn es nur will  !“). 1487 RP v. 20. 5. 1933, S. 4 („Es beginnt die dritte Aera der christlichsozialen Partei  !“). 1488 RP v. 21. 5. 1933, S. 5 („Hinein in die Vaterländische Front  !“). Zur „Vaterländischen Front“ vgl. ausf. Bärnthaler (1971)  ; Reichhold (1985)  ; Kriechbaumer (2002)  ; ders. (2005).

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gierungsparteien angehörten, zur Unterstützung der Regierung organisatorisch geeint werden sollten.1489 Die „Vaterländische Front“ war „auf dem Führerprinzip aufgebaut, Führer der Front bin ich selbst“, stellte Dollfuß am 22. Juli 1933 gegenüber Mussolini fest.1490 Der „überparteiliche Charakter“, so Dollfuß weiter, sollte „jede Parteipolitik“ ausschließen, jedes Mitglied hatte „als Patriot seinen Beitritt zu vollziehen und sich in der ‚Front‘ zu betätigen. Der Ausschluss von Verfechtern des Klassen- und Kulturkampfes schliesst naturgemäß auch die Aufnahme von Sozialdemokraten und Kommunisten aus.“ Die „Vaterländische Front“ war mit ihrem „Führerkult“, dem „Prinzip autoritärer Entscheidungen, Kruckenkreuz in Anlehnung an das Hakenkreuz“ nach „faschistischem Muster“ nach Vorbild des italienischen Partito Nazionale Fascista und der NSDAP aufgebaut, allerdings fehlte ihr „in der Entstehungsphase jede eigenständige inhaltliche Zielsetzung, die über die ‚Idee Österreichs‘ hinausging“.1491 Alle Angehörigen der Front, „die dem Vaterland dienen wollen“, sollten so zu „einer großen schlagkräftigen Armee“ zusammengefasst werden, „gebunden nur durch das eine große, gemeinsame Ziel  : Oesterreich und sein Lebensrecht, Oesterreich und seine Lebenspflicht für die Erfüllung seiner Sendung im mitteleuropäischen Raum zum Wohl des gesamten Deutschtums. (…) Heil Oesterreich  ! Heil Dollfuß, dem Führer  !“ Mit der Einführung der „1000-Mark-Sperre“ verstärkte Hitler-Deutschland zunächst mittels wirtschaftlicher Maßnahmen den Druck auf das Dollfuß-Regime und startete gleichzeitig einen massiven Propagandafeldzug, bis sich im Juni 1933 endgültig der terroristische Kurs der NSDAP durchsetzte. Am 9. Juni kündigte der nationalsozialistische Bundesrat Franz Schattenfroh „unter lebhafter Zustimmung seiner

1489 In dem regelmäßig in der Reichspost veröffentlichten Aufruf zum Eintritt in die „Vaterländische Front“ wurde jeder Hinweis auf den Katholizismus vermieden, um auch die protestantische und jüdische Bevölke­rung zu einem Eintritt zu bewegen. Laut einem Polizeibericht hielt die Israelitische Kultusgemeinde zwi­schen Ende Mai und Anfang Juni „unter Teilnahme prominenter Vertreter der Wiener Juden eine Sitzung“ ab, um die Frage zu diskutieren, ob die „Juden die Regierung Dollfuß unterstützen könnten“, wobei neben der „finanziellen“ auch eine „politische“ Unterstützung in Betracht gezogen wurde. „Die politische Unterstützung“, so der Bericht weiter, „soll darin bestehen, dass jedes einzelne Mitglied der Kultusge­meinde aufgefordert werden soll, der (…) ‚Vaterländischen Front‘ beizutreten. Es wurde darauf verwiesen, dass die Juden nicht in Massen, sondern einzeln beitreten sollen, damit die Christlichsozialen als antisemiti­sche Partei nicht durch den korporativen Beitritt der Juden ‚kompromittiert‘ werden.“ Situationsbericht des Bundespolizeikommissariats Wiener Neustadt v. 8. 6. 1933, ÖSTA/AdR, Berichte der PDion Wien, Kt. 29. Zum katholischen Antisemitismus in der Zwischenkriegszeit vgl. Königseder (2005), S. 54–65  ; Pauley (2002), S. 241–259  ; Staudinger (2002), S. 261–423  ; Maderegger (1973)  ; Rütgen (1989); Wohnout (1994), S. 3–16. 1490 Engelbert Dollfuß an Benito Mussolini v. 22. 7. 1933, in  : Maderthaner/Maier (2004), S. 31f. 1491 Tálos/Manoschek (2005a), S. 145.

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Fraktionskollegen“1492 der Regierung „den Kampf bis aufs Messer“1493 an. Zwei Tage später verübte der deutsche Nationalsozialist Werner Freiherr von Alvensleben zusammen mit österreichischen Parteianhängern ein Revolverattentat auf den Innsbrucker Landesrat und Führer der Tiroler Heimwehr Anton Steidle. Am 12. Juni setzte sich der terroristische Flügel der NSDAP endgültig durch.

1492 Wohnout (2004), S. 84. 1493 Stenographische Protokolle des Bundesrates der Republik Österreich, 198. Sitzung, 9. 6. 1933, S. 2244f., zit. n. ebd.

11. Der Terrorismus der Wiener SS im Sommer 1933

Der 12.  Juni 1933 begann für die Wiener Polizei mit einem Routineeinsatz,1494 als sich gegen halb zehn Uhr vormittags nationalsozialistische StudentInnen vor der Universität, dem Rathaus und Parlament versammelten, um „unter lautem Geschrei“, vorwiegend „Deutschland erwache  !“ und „Schmährufen gegen die Regierung“,1495 zum Bundeskanzleramt und auf den Rathausplatz zu ziehen. Als die Demonstrationen „größeren Umfang anzunehmen (schienen)“, setzte die Polizei ein Überfallsauto und berittene Einheiten zur „energische(n) Räumung“ der Ringstraße ein, löste die Demonstration auf und riegelte die Universität in weitem Umkreis ab. Gegen halb elf Uhr versuchten die StudentInnen, in „Schwarmlinien“ die Polizeisperren zu durchbrechen und von der Ringstraße zur Universität zu gelangen, konnten aber „durch das energische Eingreifen der Sicherheitswache“ zum Rathauspark zurückgedrängt werden, wo sie die Parkanlagen besetzten.1496 Zwar leisteten die NationalsozialistInnen weiterhin Widerstand, wobei „vor allem Studenten (…) die Anführer spielten und ihre Anhänger aufstachelten“, wurden jedoch durch den Einsatz der „Gummiknüttel der Wache (…) eines Besseren (belehrt)“.1497 Die anfangs „recht wilde Demonstration“ flaute langsam in „einen ruhigeren Bummel“ ab. Als auf der Ringstraße „nichts mehr auszurichten war“, setzten sich die „gröblichen Ausschreitungen“1498 nun in der Wiener Innenstadt fort, wo NationalsozialistInnen die Fensterscheiben des Anzeigenbüros des Neuen Wiener Tagblattes in der Schulerstraße zertrümmerten, in der Stadion- und Doblhofgasse Knallfrösche und in der Kärntnerstraße faule Eier in die Geschäftsräume der Konditorei Gerstner schleuderten. Auch vor dem Stephansplatz und dem Heldenplatz kam es zu lautstarken Demonstrationen.1499 Um die Mittagszeit begannen sich die Krawalle vom Zentrum in die äußeren Bezirke auszubreiten. Ausgangspunkte der tumultartigen Demonstrationen waren die Umgebung der Hochschulen für Welthandel und für Bodenkultur im 18. und 19. Bezirk, wo in der Felix-Mottl-Straße die Fensterscheiben mehrerer Villen mit Steinen 1494 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933. 1495 RP v. 13. 6. 1933, S. 2 („Verbrecherische politische Anschläge in Wien“). 1496 8-Uhr-Blatt v. 12. 6. 1933, S. 2 („Fortwährende Krawalle an den Hochschulen“). 1497 RP v. 13. 6. 1933, S. 2 („Verbrecherische politische Anschläge in Wien“). 1498 RP v. 12. 6. 1933, S. 2 („Verbrecherische Anschläge in Wien“). 1499 RP v. 13. 6. 1933, S. 2 („Verbrecherische politische Anschläge in Wien“).

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Abb. 55: Sicherheitswachebeamter vor dem Neuen Wiener Tagblatt, 12.6.1933, BPD Wien

eingeschlagen und im 18. Bezirk die Schaufenster des jüdischen Geflügelgeschäfts Albert Brunner zertrümmert wurden. Im 17. Bezirk entzündete ein Kunde im jüdischen Delikatessengeschäft Deutsch am Elterleinplatz eine Reizgasphiole. Der anfängliche Routineeinsatz der Polizei endete schlagartig, als um halb zwölf Uhr mittags in Meidling eine Bombe im Geschäft des jüdischen Juweliers Norbert Futterweit explodierte. Der Juwelier kam bei dem Versuch, die Bombe aus dem Geschäft zu entfernen, ums Leben. Ein Passant starb am nächsten Tag an den Folgen seiner Verletzungen, neun weitere Personen wurden verletzt, fünf davon schwer.1500 Kurz darauf ging der nächste Bombenalarm bei der Polizei ein, nachdem im Kaffeehaus in der Produktenbörse in der Leopoldstadt eine in einem Koffer versteckte Bombe entdeckt worden war. Diese war gegen halb elf Uhr mittags, zur Zeit des stärksten Börseverkehrs, von zwei jungen Männern in das Kaffeehaus gebracht wor1500 Laut Polizeibericht waren bereits zwei Monate zuvor in Futterweits Geschäft „eine Phiole mit übelriechen­der Flüssigkeit abgelegt und vor kürzerer Zeit einer der bekannten nationalsozialistischen Klebezettel ‚Kauft nicht bei Juden‘ an dem Portale angebracht worden“, ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933.

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den, die zwar die Sprengschnur entzündet hatten, die Bombe jedoch nicht zur Explosion bringen konnten. Bei der Entschärfung des Sprengkörpers stellten die Sachverständigen fest,1501 dass sie „nicht weniger als 8 Kilogramm brisanten Sprengstoff (enthielt) und ihre Explosion (…) die Wirkung einer Granate aus einem schweren Geschütz gehabt“ hätte. In der Nacht kam es in verschiedenen Wiener Bezirken zu weiteren Terroranschlägen mit Böllerangriffen.1502 Gegen ein  Uhr früh explodierte in Favoriten, Laaer Straße  20, eine Infanteriegranate in einem Pfadfinderheim. In den frühen Morgenstunden erschütterte ein weiteres schweres Bombenattentat auf das jüdische Kaufhaus „H.A.K. (Haus Abb. 56: Das zerstörte Portal des Juweliergeschäfts aller Kleinigkeiten)“ den 4. Wiener GeFutterweit, 12.6.1933, BPD Wien meindebezirk. Ebenso wie das Geschäft des Juweliers Futterweit stand auch das Kaufhaus HAK bereits seit längerer Zeit auf der schwarzen Liste der NSDAP. So waren die Fensterscheiben des Warenhauses schon in den Wochen zuvor mit antisemitischen Parolen und Hakenkreuzen beschmiert worden, nachdem der „Verkauf billiger Kartoffeln die Gegnerschaft hakenkreuzlerischer Gewerbetreibender erweckt“ hatte.1503 Am Tag vor dem Anschlag hatten zwei junge Männer die Geschäftsräume in Augenschein genommen, sich durch die Kaufräume führen lassen, dabei „abfällige Bemerkungen“ über die angebotenen Waren gemacht und „in der Grammophonabteilung (…) das Horst-Wessel-Lied (verlangt). Als die Verkäuferin erklärte, daß das Geschäft solche Platten nicht führe, zogen die Burschen schimpfend ab.“ Die Bombe war zwischen dem Gitter und dem Portal des Eingangs von zwei jungen Männern hinterlegt worden, die kurz vor der Explosion mit einem Taxi geflüchtet waren. Die Sprengwirkung der Bombe, die bei ihrer Explosion die Wirkung eines Schrapnells entwickelte, war derart gewaltig, dass sie nicht nur das Kaufhaus zerstörte, sondern 1501 RP v. 19. 6. 1933, S. 3 („Die Beweiskette gegen die Bombenwerfer schließt sich“). 1502 Zu den Anfängen der Terrorpolitik der NSDAP vgl. weiters Braunbuch (1933)  ; Botz (1983). 1503 Kl. Bl. v. 14. 6. 1933, S. 2 („Das Warenhaus von Nazibanditen zertrümmert“).

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Abb. 57: In der Produktenbörse aufgefundener Sprengkörper, 12. 6. 1933. Aus: Das Braunbuch

Abb. 58: Außenansicht des Kaufhauses HAK nach dem Bombenanschlag, 13. 6. 1933, BPD Wien

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auch die Rollbalken und Fensterscheiben des gegenüberliegenden Geschäftes durchschlug. Im Laufe der folgenden Tage kam es im gesamten Bundesgebiet zu weiteren Anschlägen, wobei die TerroristInnen1504 sich nun zunehmend auf Brandstiftungen mittels Hartspiritus verlegten. In Hernals wurde ein Heimwehrmann auf offener Straße erschossen, die Fensterscheiben jüdischer Geschäfte wurden zertrümmert, die Schlüssellöcher von Geschäftsläden mit Gips und Straßenbahnschienen mit Zement ausgegossen. In Meidling wurde eine weitere Bombe sichergestellt, die zwischen der Schönbrunner Allee und der Mauer des Schönbrunner Schlosses hinterlegt worden Abb. 59: Die zerstörte Wohnung der Familie Neszi in war.1505 Am 27. Juni sprengte sich der der Herbeckstraße, 27.6.1933, BPD Wien SS-Mann Kurt Kowarik beim Bombenbasteln mit dem Hitlerjungen Wilhelm Neszi selbst in die Luft.1506 Kowarik überlebte schwer verletzt, während Neszi kurz darauf verstarb. Die Wiener Bombenanschläge läuteten eine bis dahin unbekannte Gangart und „eine neue Methode des Kampfes“1507 ein. Der von Gerhard Botz als „Zusammenstoß“Terrorismus1508 bezeichnete gewaltsame Aktivismus der vergangenen Jahre wurde nun durch konspirativ geplante Anschläge abgelöst. Der Wiener Polizei gelang es binnen weniger Tage nach Verübung der Bombenattentate, einen Teil der Täter ausfindig zu machen. Die Spur führte, wie so oft in den vergangenen Jahren, zur Wiener SS. 1504 Zwar konnten im Zusammenhang mit den Wiener Anschlägen im Sommer 1933 keine weiblichen TäterInnen ausfindig gemacht werden, jedoch waren in die Terrorismusaktionen der niederösterreichischen SS-Mitglieder des BdM verwickelt. Zu den sog. „Hitler-Jungfrauen“ vgl. ausf. Gehmacher (1994), S. 321–323. 1505 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 172.206-GD. 1/1933. 1506 Bericht der BPD Wien an die GföS v. 18. 7. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 188.191GD. 1/1933  ; NFP v. 28. 6. 1933, S. 4 („Bombenexplosion in einer Währinger Wohnung“). 1507 Jagschitz (1976), S. 31. 1508 Botz (1983), S. 111.

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11.1 Die Terroranschläge der Wiener SS im Juni 1933

Die letzten Planungen zur Durchführung der Bombenanschläge hatten am 9. Juni begonnen, also zwei Tage nachdem die SS in den Untergrund gegangen war. Wie schon beim Gerngroß-Attentat rekrutierten sich die Attentäter aus dem 1. und 2.  Sturm von Franz Mazaneks und dem 1. Sturm von Boris Plachetkas Sturmbann. Ihren späteren Aussagen zufolge hatten die involvierten Stürme am Abend des 9. Juni in ihren Stammkneipen Appelle abgehalten, wo ihnen von ihren Führern mitgeteilt wurde, dass am kommenden Montag „Aktionen“ stattfinden sollten. Nähere Details seien allerdings noch nicht bekannt gegeben worden. Angeführt wurden die Terrortruppen von Unterführern, die über militärische Vorkenntnisse verfügten bzw. sich als routinierte Straßenkämpfer bereits bewährt hatten und am Tag vor den Anschlägen die Örtlichkeiten auskundschafteten. Die Bomben selbst dürften erst wenige Stunden vor den Attentaten geliefert worden sein. Hinsichtlich des Anschlags auf das Kaufhaus HAK steht fest, dass die beiden hauptverantwortlichen SS-Männer unmittelbar mit der Politischen Leitung des Bezirks zusammenarbeiteten und auch zwei nicht der SS angehörende Parteimitglieder dafür anwarben. Auch in späteren Fällen erfolgte die Aufstellung von Terrortruppen, die von SS-Männern geleitet wurden, zumindest teilweise in Absprache mit bzw. auf Anordnung der Politischen Leitung, die auch diese sog. „T-Truppen“ finanzierte. So gab Anton Doblreiter nach seiner Flucht nach Deutschland an,1509 dass er „auf Veranlassung“ von Gauinspekteur Josef Neumann im November 1933 von Sturmbannführer Mazanek „für den T-Trupp von der Staffel beurlaubt“ wurde. Doblreiter, der vor dem Parteiverbot im „Adolf-Hitler-Haus“ angestellt war, bezog auch weiterhin sein Gehalt von Neumann, ein Teil davon wurde für die Miete einer „illegalen Wohnung“ in der Girardigasse aufgewendet. Bis August 1935 wurde Doblreiter nach eigenen Angaben ca. 13 bis 15 Mal wegen politischer Delikte verhaftet und flüchtete aufgrund einer weiteren Anzeige wegen Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz schließlich nach Deutschland. Ein Teil der Terrorgruppen dürfte, wie schon Jagschitz feststellte, somit als eigenständige „militärische“ Organisation neben den Brachialorganisationen operiert haben.1510 Der Anschlag auf das Juweliergeschäft Futterweit war von Mitgliedern des von Max Plobner geführten Sturms 1 /11/11 durchgeführt worden. Die Leitung der Aktion

1509 Vormerkung der Flüchtlings-Ueberprüfungsstelle Graßlfing v. 22.  8.  1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : An­ton Doblreiter. 1510 Jagschitz (1975), S. 16.

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hatte der Obsthändler und SS-Truppführer Gustav Rieger,1511 ein erfahrener Frontkämpfer des Ersten Weltkrieges, übernommen. Aus seinem Trupp wurden weiters der Zuckerbäckergehilfe Franz Bedenik,1512 der arbeitslose Kellner Josef Krcil1513 und der ebenfalls arbeitslose Buchbindergehilfe Hans Thajer1514 ausgewählt. Die Zusammenstellung der Gruppe hatte am 9. Juni im Meidlinger Gasthaus Bogner in der Schönbrunner Allee stattgefunden.1515 Am Tag darauf wurden bei einer weiteren Besprechung die Terrorziele festgelegt. Am 12. Juni traf sich die Gruppe vor einem Gasthaus in der Schönbrunner Straße,1516 wo Rieger eine Bombe an Krcil und Thajer übergab, während er selbst sich gemeinsam mit Bedenik mit einer zweiten Bombe zur Schönbrunner Schloßstraße aufmachte. Krcil und Thajer gingen danach zur Meidlinger Hauptstraße 16, wo Thajer die Lunte der Bomben anzündete und Krcil den Sprengkörper in das Juweliergeschäft schleuderte.1517 In der Zwischenzeit deponierten Rieger und Bedenik die zweite Bombe in der Schönbrunner Schloßstraße 26 in der Nähe der 1511 Nachdem Gustav Rieger in Deutschland den Decknamen Hugo Meixner annahm und gleichzeitig sein Geburts­datum änderte, ist sein tatsächliches Alter nicht gesichert. Rieger wurde zwischen 1898 und 1900 geboren. Der ehemalige Patrouillenführer der k.u.k. Armee hatte sich 1921 der Deutschen Arbeiterpartei, der Vorläuferorganisation der NSDAP, angeschlossen, war 1925 als Mitglied des „Freikorps Roßbach“ an den Kämpfen in Mödling beteiligt gewesen und im Oktober 1932 in die SS aufgenommen worden. Wenig später übernahm Rieger die Führung des SS-Trupps in Meidling, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürge­rungsverfahren Gustav Rieger  ; BArch (ehem. BDC), SSO, PK, RS  : Hugo Meixner (= Gustav Rieger)  ; WStLA, GAW  : Gustav Rieger, Zl. 116.404  ; AZ v. 10. 12. 1948, S. 4 („Sühne für den Mord an dem Juwe­lier Futterweit“). 1512 Bedenik (geb. 1913) war im Jänner 1929 der HJ beigetreten und kam über die SA im April 1932 zur SS. Im gleichen Jahr wurde er auch Mitglied der NSDAP, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Franz Bedenik. Er nahm in Deutschland den Decknamen Josef Pertz an, BArch (ehem. BDC), PK, RS  : Jo­sef Pertz. 1513 Im Wiener Fahndungsblatt wurde er auch unter dem Namen Kreil gesucht, Zentralpolizeiblatt der Bundes-Poli­zeidirektion in Wien v. 19. 7. 1933, Nr. 4.724. Nach seiner Flucht aus Österreich wurde er im September 1933 aus Österreich ausgebürgert, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Josef Krcil. In Deutschland änderte er seinen Namen auf Karl Graf, AZ v. 15. 1. 1947, S. 3 („Der Mord an dem Juwelier Futterweit“)  ; AZ v. 16. 1. 1947, S. 3 („Lebenslänglicher Kerker für Karl [sic !] Krcil“). 1514 Thajer (geb. 1911) gehörte seit Dezember 1932 der NSDAP an, sein Eintrittsdatum in die SS geht aus den bisher zugänglichen Akten nicht hervor, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Thajer  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Hans Thajer. 1515 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl.  175.773-GD. 1/1933  ; NFP v. 31.  8.  1933, S.  3 („Das Bombenatten­tat auf den Juwelier Futterweit“). 1516 RP v. 26. 6. 1933, S. 10 („Die Wiener Bombenwerfer“)  ; NFP v. 25. 6. 1933, S. 5 („Aufklärung des Bombenan­schlages auf den Juwelier Futterweit“)  ; AZ v. 25. 6. 1933, S. 1 („Das Meidlinger Mordattentat aufgeklärt“)  ; NFP v. 31. 8. 1933, S. 3f. („Das Bombenattentat auf den Juwelier Futterweit“)  ; RP v. 1. 9. 1933, S. 8 („Der Bombenanschlag in der Meidlinger Hauptstraße“), NFP v. 1. 9. 1933, S. 8f. („Vier Jahre schweren Kerkers im Bombenprozeß“). 1517 AZ v. 15. 1. 1947, S. 3 („Der Mord an dem Juwelier Futterweit“).

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Schlossmauer, welche jedoch „infolge unsachgemässer Behandlung“ der Zündschnur nicht explodierte1518 und am Tag darauf von einem Passanten entdeckt wurde.1519 Während Rieger, Bedenik und ­Krcil noch am Tag des Anschlags nach Deutschland flüchteten, blieb Thajer in Wien und erschien unmittelbar nach Verübung des Anschlags planmäßig bei seinem Nachhilfelehrer. Dieser gab bei seiner polizeilichen Einvernahme an,1520 dass ihm an seinem Schüler nichts Verdächtiges aufgefallen und Thajers Verhalten „ganz ruhig“ gewesen sei. Im Zuge der Untersuchung fand die Polizei in seinem Besitz dann auch noch einen Armeerevolver auf, den er sich im Mai angeschafft hatte. Ein Grund für seine Sorglosigkeit Abb. 60: Gustav Rieger, n. 1938, BArch und seinen Verbleib in Wien dürfte wohl darin begründet gewesen sein, dass sein Vater,1521 ein Mitglied der NSDAP-Ortsgruppe Gersthof 2, als Polizeibeamter in Wien beschäftigt war und auch Thajer selbst über zweieinhalb Jahre als Polizeihilfskraft im Wald- und Forstamt gearbeitet hatte. Am 1. September 1933 wurde er zu vier Jahren Kerkerhaft verurteilt.1522 Anfang April 1937 ging er, nach Verbüßung drei Viertels seiner Strafe inzwischen bedingt entlassen, ebenfalls über die deutsche Grenze.1523 Auch der interimistisch von Ferdinand Schmid geführte Sturm 1 /111/11 hielt am 9.  Juni im Gasthaus „Weiße Rose“ einen Appell ab, wo die Aktion erstmals besprochen wurde.1524 Das Kommando für den Anschlag hatten die beiden Truppführer Hans

1518 NFP v. 26. 6. 1933, S. 5 („Aufklärung des Bombenanschlages auf den Juwelier Futterweit“). 1519 NFP v. 14. 6. 1933, S. 4 („Ein neuer Bombenfund nächst der Schönbrunner Schloßgartenmauer“). 1520 RP v. 1. 9. 1933, S. 8 („Der Bombenanschlag in der Meidlinger Hauptstraße“). 1521 BArch (ehem. BDC), PK  : Johann Thajer sen. 1522 RP v. 1. 9. 1933, S. 8 („Der Bombenanschlag in der Meidlinger Hauptstraße“)  ; NFP v. 1. 9. 1933, S. 8f. („Vier Jahre schweren Kerkers im Bombenprozeß“). 1523 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Thajer. 1524 Vgl. dazu die Presseberichterstattung v. 22. 6., 16. 8., 17. 8. 1933.

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Ziegler1525 und Hugo Kary1526 übernommen. Während Ziegler die Bombe in die Leopoldstadt bringen sollte, fiel Kary gemeinsam mit den beiden ehemaligen Heeresangehörigen Franz Lapitza1527 und Johann Knögler1528 die Aufgabe zu, die Bombe im Café Produktenbörse zu deponieren. Die Leitung der „Abdeckungsmannschaft“ übernahm mit dem ehemaligen Heeresangehörigen Rudolf Fröhlich1529 einer der ältesten Nationalsozialisten Wiens. Lapitza und Fröhlich hatten sich beim Bundesheer kennengelernt, wo sie gemeinsam im Infanterieregiment Nr. 4, das weitgehend von Nationalsozialisten unterwandert war und im Frühjahr 1932 wegen „Meuterei“ aufgelöst werden musste, ihren Wehrdienst abgeleistet hatten.1530 Die Aktion wurde somit, ebenso wie der Anschlag auf das Juweliergeschäft Futterweit, von militärisch erfahrenen SS-Männern geleitet. Nach der Besprechung der Führungsgruppe rief Hans Ziegler die Männer des Sturms zusammen und eröffnete ihnen, dass für Montag eine „Aktion“ geplant sei. Der Mannschaft wurde zu diesem Zeitpunkt angeblich nur mitgeteilt, dass die Fenster des Cafés mit Steinen eingeschlagen werden sollten. Fröhlich rekrutierte nun mehrere Freiwillige, insbesondere arbeitslose junge Männer, für die „Abdeckungsmannschaft“ bzw. wurden diese durch Los gezogen,1531 die den Befehl erhielten, sich Montag Früh an der Ecke Heinestraße und Josefinengasse einzufinden. 1525 Der arbeitslose Schuhmachergehilfe Hans Ziegler (geb. 1906) gehörte seit 1925 der NSDAP und dem „Bund Oberland“ an und trat nach einer kurzen Dienstzeit in der SA 1930 in die SS ein. Nach seiner Flucht nach Deutschland nahm Ziegler den Decknamen Hans Huber an, den er im August 1938 wieder ablegte, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Huber  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Ziegler  ; ÖSTA/AdR, GA  : Hans Huber, Zl. 273.363. 1526 Der Sportartikelarbeiter Hugo Kary (geb. 1903), der ebenfalls einem nicht näher bekannten Freikorpsver­band angehört hatte, war im Jänner 1931 der NSDAP beigetreten und nach einer kurzen Dienstzeit in der SA im Juni 1932 zur SS übergewechselt. In Deutschland änderte er seinen Namen auf Kurtner, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hugo Kary  ; WStLA, GAW  : Hugo Kary, Zl. 2.688, Hugo Kurt­ner, Zl. 14.515  ; BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Hugo Kurtner. 1527 Franz Lapitza (geb. 1907) war im September 1930 der NSDAP und zwischen August und Oktober 1932 der SS beigetreten, BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Franz Lapitza  ; WStLA, GAW  : Franz Lapitza, Zl. 5.789. 1528 Johann Knögler (geb. 1906) hatte sich im September 1931 der SA angeschlossen. Im April 1932 trat er zur SS über und wurde im gleichen Monat Parteimitglied, BArch (ehem. BDC)  : PK, RS  : Hans Knögler  ; ÖSTA/AdR, GA  : Johann Knögler, Zl. 97.668. 1529 Rudolf Fröhlich (geb. 1905) war seit 1922 Mitglied der NSDAP, hatte sich allerdings während seiner Dienst­zeit im Bundesheer vorschriftsmäßig aus der Partei abgemeldet, war jedoch weiterhin in der „Deut­schen Wehr“ und SA organisiert gewesen. Nach Ende seiner Militärzeit trat er wieder der Partei bei und kam 1931 zur Wiener SS. WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Rudolf Fröhlich  ; WStLA, GAW  : Rudolf Fröhlich, Zl. 277.985  ; BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Rudolf Fröhlich  ; ÖSTA/AdR, GA  : Rudolf Fröhlich, Zl. 67.043. 1530 BArch (ehem. BDC), RS  : Franz Lapitza  ; Staudinger (1969), S. 143. 1531 RP v. 17. 8. 1933, S. 9 („Der versuchte Bombenanschlag auf die Produktenbörse“).

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Abb. 61: li. Hans Ziegler am „Simmeringer Blutsonntag“, re. Franz Mazanek mit dem durchschossenen Parteibuch eines schwerverletzten SA-Mannes, 16.10.1932, FAA

Am Sonntagvormittag trafen die Anführer im Brigittenauer SS-Heim zusammen, um die letzten Einzelheiten der Aktion zu besprechen und die Örtlichkeit auszukundschaften, wobei nun überlegt worden sei, das Café durch mit Benzin gefüllte Flaschen in Brand zu stecken, aber auch erstmals über die Deponierung eines Sprengkörpers diskutiert wurde. Danach kehrte die Gruppe zu einem feuchtfröhlichen Zusammensein im Gasthaus Eisler in der Leopoldsgasse gegenüber dem Polizeikommissariat ein, wo Schmid auf dem Heimweg „einen Auftritt mit einem Passanten“ hatte und verhaftet wurde.1532 Unklar ist, ob der bereits amtsbekannte Schmid die Verhaftung bewusst herbeigeführt hatte, um sich der Aktion zu entziehen. Seine Kameraden trafen sich jedenfalls am Montagvormittag an der Ecke Heine- und Taborstraße. Nach den späteren Aussagen der Attentäter habe Ziegler, der die Bombe in einem Koffer

1532 Einvernahme von Ferdinand Schmid v. 5. 11. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Ferdinand Schmid.

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Abb. 62: Hugo Kary, ca. 1935, WStLA

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Abb. 63: Franz Lapitza, 1937, BArch

bei sich trug, ihnen nun erstmals mitgeteilt,1533 „daß doch etwas anderes für die Aktion geschickt worden sei“ und sie einen Bombenanschlag verüben würden. Ziegler, Kary, Lapitza und Johann Knögler marschierten daraufhin zu Ferdinand Schmid und, nachdem dieser nicht auffindbar war, weiter zur Wohnung der Eltern des Kameraden Franz Kadletz. Dort wurde das Attentat „nun ganz offen (…) besprochen“, die Bombe „einer nochmaligen Ueberprüfung“ unterzogen und der Koffer für den Anschlag präpariert, indem Kary und Ziegler ein Loch in den Koffer schnitten und ein Stück der Zündschnur probeweise in Brand steckten. Danach begab sich die Gruppe einzeln zur Produktenbörse. Knögler, der gemeinsam mit Kary und Lapitza die Bombe im Café deponieren sollte,1534 redete sich allerdings damit heraus, nicht gut genug gekleidet zu sein, und schloss sich dem „Wirbel“ vor der Universität an. Unterdessen hatte Fröhlich mit seiner „Abdeckungsmannschaft“ gegenüber dem Kaffeehaus „Aufstellung“ genommen. Gegen viertel 11 Uhr deponierten Kary und Lapitza die Bombe im Kaffeehaus und stärkten sich noch mit einer Tasse Kaffee, bevor Kary die Zündschnur in Brand steckte, während Lapitza Wache hielt. Danach verließen sie „schleunigst das Lokal“ und begaben sich zur Urania, wo sie mit

1533 RP v. 17. 8. 1933, S. 9 („Der versuchte Bombenanschlag auf die Produktenbörse“). 1534 Ebd.

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Abb. 64: Friedrich Görtler, ca. 1935, WStLA

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Abb. 65: Johann Knögler, n. 1938, BArch

der „Abdeckungsmannschaft“ zusammentrafen.1535 Dort mussten sie „mit Bedauern“ feststellen, dass das Attentat „ohne Erfolg geblieben war“ und Fröhlich „seinen Unmut mit den Worten (äußerte)  : ‚Die Trotteln hätten die Bombe auf Beton gelegt, dadurch sei der Sprengstoff nicht losgegangen.‘ “ Laut dem Gutachten des Sprengstoffsachverständigen hatte die Bombe eine doppelt so hohe Sprengkraft wie jene, die im Juweliergeschäft Futterweit zur Explosion gebracht worden war.1536 Im Falle einer Explosion wäre „die ganze Passage von der Mohrenstraße bis zur Taborstraße gefährdet gewesen“ und „die Wirkung (…) bis zum Wohntrakte nach der Seite der Barmherzigen Brüder zu spüren“ gewesen.1537 Dass die Bombe nicht explodiert war, führte er auf den „unsachgemäßen Transport“ und die „nervöse Hantierung mit dem Koffer“ zurück. Im Zuge der Aufklärung des Anschlags stellte die Polizei dann auch noch fest, dass zwei der Beteiligten einen Überfall auf die Breitenseer Militärkaserne geplant hatten, um für die SS Gewehre zu beschaffen. Die Aktion war von dem 19-jährigen Privatbeamten Friedrich Löffler und seinem Scharführer, dem gleichaltrigen Mittelschüler Friedrich Görtler, vorbereitet worden. Löffler hatte im Juni von der SS-Führung den 1535 NFP (Abendblatt) v. 16. 8. 1933, S. 4 („Der Bombenanschlag im Café Produktenbörse“). 1536 AZ v. 18. 8. 1933, S. 2 („Fünf Bombenbanditen verurteilt“). 1537 WZ v. 18. 8. 1933, S. 5 („Schwerer Kerker für die Bombenleger“).

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Auftrag erhalten, sich bei dem neu aufgestellten Schutzkorps der Heimwehr zu melden, und Skizzen von der Kaserne angefertigt. Gemeinsam mit Görtler, der die Schule geschwänzt hatte, um den Anschlag auf das Café Produktenbörse nicht zu versäumen, begann Löffler dann die Aktion vorzubereiten. Während Ziegler, Kary und Schmid die Flucht nach Deutschland gelang, wurde der Großteil der übrigen Attentäter wenige Tage später von der Polizei verhaftet. Lapitza, Kadletz, Johann Knögler und Fröhlich wurden des Verbrechens gegen das Sprengstoffgesetz für schuldig erkannt und zu schweren Kerkerstrafen zwischen zwei Jahren und 18 Monaten verurteilt, Friedrich Görtler erhielt drei Monate Kerkerstrafe. Mathias Knögler, Franz Sehner und Josef Pötzl wurden freigesprochen, da sie an der entscheidenden Vorbesprechung nicht teilgenommen und nur Aufpasserdienste geleistet hatten. Friedrich Löffler wurde wegen des geplanten Waffendiebstahls in der Breitenseer Kaserne zu sechs Monaten schweren Kerkers verurteilt.1538 Im Oktober 1934 kehrte Ferdinand Schmid aus Deutschland zurück und wurde nun ebenfalls vor Gericht gestellt. Bei seiner Vernehmung bestritt er jegliche Beteiligung an dem Anschlag.1539 Er habe zwar an der Besprechung im Gasthaus „Weiße Rose“ teilgenommen, sei jedoch in den Anschlag auf die Produktenbörse nicht eingeweiht gewesen, da er sich beim Gerngroß-Attentat nicht bewährt habe. Nachdem er kurz zuvor zum provisorischen Führer des SS-Sturms ernannt worden war, erscheint diese Aussage nicht glaubwürdig. Schmid wurde im März 1935 zu einem Jahr schweren Kerkers verurteilt, allerdings nur wegen seiner unbefugten Ausreise nach Deutschland sowie seiner Zugehörigkeit zum SS-Hilfswerk und nicht wegen des Attentats auf das Café Produktenbörse.1540 Der Anschlag auf das Kaufhaus HAK wies hinsichtlich der Organisation und Auswahl der Attentäter mehrere Unterschiede zu den anderen Bombenlegungen auf. So wurde der Plan nicht im Rahmen eines Appells gefasst und die dafür ausgewählten Terroristen waren erst kurz zuvor der SS beigetreten. Auch diese Gruppe traf sich am Abend des 9. Juni und hielt im Café Zauninger in Favoriten ein konspiratives Treffen ab, bei dem der 31-jährige arbeitslose Kellner Robert Jatsch,1541 der 36-jährige arbeits1538 NFP (Abendblatt) v. 22. 9. 1933, S. 4 („Geplanter Waffenraub in Breitensee  ?“). 1539 Fortsetzung der Einvernahme von Ferdinand Schmid v. 5.  11.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürge­rungsverfahren Ferdinand Schmid. 1540 Schwurgerichtsprozess gegen Ferdinand Schmid v. 6. 3. 1935, WStLA, LGfS Wien I, Vr 7506/34. 1541 Jatsch (geb. 1902) lebte in Deutschland mehrere Jahre unter der Identität des Wiener SA-Führers Hans Strobl, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Robert Jatsch  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Ro­bert Jatsch  ; BArch/R 3001, Zl. 169.347  ; WStLA, GAW  : Robert Jatsch, Zl. 78.113, 32.432, 78.120, 77.854. Teile von Roberts Jatschs Akten finden sich unter jenen von Hans Strobl, WStLA, GAW  : Hans Strobl, Zl. 28.152, 28.135.

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lose Maschinenbauer Ernst Happach1542 und der 24-jährige Verwaltungsbeamte Ferdinand Langer1543 mit der Planung begannen.1544 Happach und Jatsch gehörten seit Mitte der 1920er-Jahre der NSDAP an, in der Happach seit vielen Jahren in der P.O. und Jatsch in der SA aktiv gewesen waren. Im März bzw. April 1933 traten sie als SS-Anwärter dem von Karl Heinz Urban kommandierten SS-Sturm 2 /11/11 bei. Jatsch, der bereits wegen Taschendiebstahls und Körperverletzung mehrfach vorbestraft war, galt als äußerst gewaltbereiter Schläger, der sich auch an seinem früheren Arbeitsplatz „gegen seine Kollegen sehr brutal“ verhalten hatte.1545 Bei der Politischen Leitung war er Abb. 66: Ernst Happach, Zentralpolizeiblatt, 1933, BPD Wien als einer der „aktivsten Kämpfer der Bewegung, (…) der jederzeit voll und ganz seine Pflicht erfüllte“,1546 und als „stets (…) einsatzbereiter und zuverlässiger Mitarbeiter“1547 bekannt. Weiters unterschied sich diese Gruppe insofern von den beiden anderen, als mit Ferdinand Langer und dem Taxifahrer Otto Zwonek zwei Parteigenossen an dem Anschlag beteiligt waren, die nicht der SS angehörten. Langer, der den Transport der Bombe übernommen hatte, war 1925 erstmals der NSDAP beigetreten und hatte sich nach der Parteispaltung 1929 der Hitlerbewegung angeschlossen. Gleichzeitig war Langer, der aufgrund einer Kinderlähmung keinen aktiven SA-Dienst leisten konnte, als Hornist im SA-Musikzug tätig. In den Evidenzen der Wiener Polizei stand er „als radikaler Nationalsozialist“ in Vormerkung.1548 Im Gegensatz zu seinen beiden arbeitslosen Parteigenossen hatte Langer als Verwaltungsbeamter einen gut bezahl1542 Nach seiner Flucht aus Österreich nahm Happach den Decknamen Hans Pernreiter an, BArch (ehem. BDC), PK, SSO, OPG-NA  : Ernst Happach  ; BArch (ehem. BDC), RS  : Hans Pernreiter (=  Ernst Happach). 1543 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Ferdinand Langer  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Ferdi­nand Langer  ; WStLA, GAW  : Ferdinand Langer, Zl. 33.258, 142.438. 1544 WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33  ; vgl. dazu weiters die Presseberichte v. 22. 6. und 14. 9. 1933. 1545 Bericht der Krb. Ref. v. 16. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33. 1546 Bestätigung von Viktor Blahut v. 18. 11. 1942, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch. 1547 Bestätigung von Friedrich Schnell v. 14. 1. 1943, ebd. 1548 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Ferdinand Langer.

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ten Posten bei der Arbeiter- und Unfallversicherungsanstalt für Niederösterreich und wurde von seinem jüdischen Vorgesetzten als „äusserst tüchtiger und taktvoller Beamte(r)“ beschrieben,1549 „der gegen jedermann, ohne Rücksicht auf Religion gleich freundlich“ gewesen sei und „sich in keinerlei politische Gespräche“ eingelassen habe. Zwonek war wiederum seit vielen Jahren mit Jatsch befreundet und 1933 der NSDAP beigetreten.1550 Ungeklärt ist, ob Zwonek, der als Fahrer angeworben worden war, von Beginn an in das Attentat eingeweiht war. Happach hatte am Vormittag des 12. Juni die Bombe ausgehändigt bekommen, die er in den Rosensälen dem nationalsozialistischen Kolporteur Adolf Menzel, einem der Mitbegründer der österreichischen Hitlerbewegung, übergab, der diese wiederum im Geschäft des Sattlermeisters Johann Cizek, dem Blockwart und Sprengelleiter der NSDAP Favoriten, deponierte. Am Nachmittag wurde die Bombe dann von Ferdinand Langer abgeholt, der sie zunächst in seine Wohnung und abends zum vereinbarten Treffpunkt ins Gasthaus Schramm brachte. Dort warteten Jatsch und Zwonek bereits auf ihn, während sich Happach noch im Café Wortner, dem Stammlokal der Wiedner NSDAP, befand. Nachdem auch Happach im Gasthaus Schramm eingetroffen war, unternahm er gemeinsam mit Jatsch und Zwonek eine „Rekognoszierungsfahrt“1551 zur Heimwehrkaserne in Favoriten, die als ein mögliches Attentatsziel ins Auge gefasst worden war. Aufgrund der starken Bewachung der Kaserne wurde der Plan wieder fallen gelassen, und Happach begab sich nochmals ins Café Wortner, während die übrigen Attentäter in einem anderen Gasthaus auf ihn warteten. Nach seinem Eintreffen kehrte die Gruppe in mehrere Kaffeehäuser ein, wo sie einige Flaschen Bier konsumierte, Langer sich die Wartezeit mit einer Dame vertrieb und Jatsch auf einer Wirtshausbank einschlief. Um 2 Uhr morgens brachen sie dann zum Kaufhaus HAK auf. Unterwegs verließ Langer seine Kameraden gemeinsam mit seiner Begleiterin und quartierte sich in einem Hotel ein. Während Happach die Bombe vor dem Kaufhaus deponierte, fungierte Jatsch als Aufpasser. Gemeinsam flüchteten sie dann in Zwoneks Taxi vom Tatort. Nachträglich vermutete Jatsch, dass Happach1552 ihn „bei dieser Gelegenheit aus dem Weg räumen“ wollte, „um sich seiner Mitwisserschaft zu entledigen“. Happach hatte ihn nämlich, nachdem er die Bombe hinterlegt hatte, beauftragt, diese „zu richten“, und „ihm eingeredet“, „dass die Zündschnur viel längere Zeit brauche“. Jatsch befolgte seine Anweisung nicht und flüchtete sofort vom Tatort. Unmittelbar darauf explodierte die Bombe. 1549 Bericht des Krb. Ref. v. 19. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33. 1550 WStLA, GAW  : Otto Zwonek, Zl. 126.026, 53.715. 1551 Einvernahme von Ferdinand Langer durch das S.B. v. 19. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33. 1552 Einvernahme von Rudolf Bauer durch das S.B. v. 17. 6. 1933, ebd.

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Abb. 67: Robert Jatsch, Zentralpolizeiblatt, 1933, BPD Wien

Jatschs Verdacht dürfte nicht unbegründet gewesen sein, da Happach ihn nach dem Attentat „im Stich“ ließ und sich mit dem bereitgestellten Geldbetrag von 2.000 Schilling sowie den gefälschten Dokumenten aus dem Staub machte.1553 In den folgenden Tagen gelang es Jatsch, mithilfe einiger befreundeter Parteigenossen und Familienmitglieder seine Flucht zu organisieren. Am 15.  Juni ging er bei Passau über die deutsche Grenze. Im Unterschied zu den übrigen Attentätern wurde er sofort von der Polizei verhaftet, da er ohne Pass die Grenze überschritten hatte und einen Revolver ohne Waffenschein bei sich trug.1554 Jatsch wurde zu je einer Woche Gefängnis verurteilt und sollte nach Verbüßung der Strafe aus Deutschland abgeschafft werden. Dies konnte auf Intervention des niederösterreichischen Landtagsabgeordneten Walter Rentmeister, der in der Zwischenzeit ebenfalls in Passau eingetroffen war, noch rechtzeitig verhindert werden. Aber auch Happachs Aufenthalt in Deutschland verlief nicht ohne Probleme. So erhob die SA-Obergruppe VIII Anfang Oktober 1933 beim Präsidium der Politischen Polizei in Erfurt Einspruch gegen die Verhaftung Happachs,1555 dem die Veruntreuung von Geldern zur Last gelegt wurde. Mit Hinweis auf dessen verdienstvolle terroristische Tätigkeit für die österreichische NSDAP wurde Happachs Auslieferung nach Österreich verhindert. Während Happach und Jatsch also die Flucht nach Deutschland gelungen war, verhaftete die Polizei Langer und Zwonek. Im September 1553 Bericht des S.B. an die St.A. Wien I v. 18. 6. 1933, ebd. 1554 WStLA, GAW  : Robert Jatsch, Zl. 77.854  ; BArch/R 3001, Zl. 169.347.  1555 WStLA, GAW  : Hugo Kary, Zl. 2.688.

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1933 wurde Langer zu zehn Monaten,1556 Zwonek zu drei Monaten schweren Kerkers verurteilt.1557 Die Verhaftung von Jatsch zeigt, dass sich die deutschen Behörden im Juni 1933 noch nicht auf die veränderte Situation eingestellt hatten. Wenig später wurden die deutschen Grenzstellen dann durch SA- und SS-Mannschaften verstärkt. In Reichenhall stationierte die SA in einer Kaserne rund 120 Männer und richtete in Laufen den Sitz des Standartenkommandos ein. Allein in der Gegend zwischen Laufen und Schellenberg waren laut einer Meldung der Polizeidirektion Salzburg vom 15.  Juli 1933 ca. 3.000 SA bzw. SS-Mannschaften zusammengefasst worden.1558 Aber auch in Österreich war der Sicherheitsapparat auf den neuen politischen Kurs noch nicht vorbereitet, wie ein Schreiben des Sicherheitsbüros der Bundes-Polizeidirektion Wien vom 26. Juli 19331559 an die Polizeidirektion in München zeigt. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass die Terroranschläge mit massiver Unterstützung und Billigung des Deutschen Reiches durchgeführt worden waren, fragte die Bundes-Polizeidirektion Wien bei den deutschen Kollegen um Amtshilfe an und „beehrte“ sich, „das Ersuchen zu stellen, nach den flüchtigen Personen zu forschen und sie im Betr(et)ungsfalle wegen Verbrechen nach dem Sprengstoffgesetz zu verhaften“. Der „größte Teil“ der genannten Personen war, wie „durch die hierämtlichen Erhebungen (…) festgestellt“ worden war, nach Bayern geflüchtet, „während die übrigen Täter und Mitschuldigen hier verhaftet wurden“. Weiters teilte die Wiener Polizei mit, dass „im Falle“ der Verhaftung der Gesuchten ein Auslieferungsbegehren gestellt werden würde. Nach einer zusammenfassenden Darstellung über den Hergang der Anschläge gab die Polizeidirektion auch gleich die Namen und ausführlichen Täterbeschreibungen inklusive Lichtbildern bekannt und bat um Benachrichtigung „von dem Ergebnisse der Forschung“ der deutschen Kollegen. Am 7. August teilte die Bayrische Politische Polizei in München der Bundes-Polizeidirektion Wien mit,1560 dass die 1556 WStLA, LGfS Wien I, Vr. 6203/33. Langer wurde nach Verbüßung seiner Strafe in der Haftanstalt Stein weitere acht Monate im Anhaltelager Wöllersdorf interniert, aus dem er aufgrund einer tuberkulösen Er­krankung am 18. Dezember 1934 nach Abgabe einer Loyalitätserklärung entlassen wurde. Zehn Tage später flüchtete auch er über die deutsche Grenze, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Ferdinand Langer  ; WStLA, GAW  : Ferdinand Langer, Zl. 33.258. 1557 WSTLA, GAW  : Otto Zwonek, Zl.  126.026. Anfang Juli 1933 war das Kaufhaus HAK neuerlich Ziel eines Anschlags, als nationalsozialistische Attentäter eine Fensterscheibe einschlugen, NFP v. 8. 7. 1933, S. 4 („Abermals nächtlicher Hakenkreuzunfug“). 1558 ÖSTA/AdR, BKA-AA, NPA, Liasse Deutschland I/12 E, Kt. 116. 1559 Schreiben des S.B. der BPD Wien an die Polizeidirektion in München v. 26. 7. 1933, WStLA, GAW  : Hugo Kary, Zl. 2.688. 1560 Bericht der BPD Wien an die GföS v. 27. 8. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 204.129GD. 1/1933.

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„Nachforschungen nach den flüchtigen Personen (…) bis jetzt ergebnislos“ geblieben seien, jedoch sei die „Ausschreibung in Deutschen Steckbriefregistern“ veranlasst worden. Unterdessen hatte sie die Informationen bereits an die inzwischen nach München verlegten Dienststellen der österreichischen NSDAP weitergeleitet, und die österreichischen Behörden sahen bald davon ab, aufgrund der Nutzlosigkeit ihrer Anfragen weitere Auslieferungsanträge zu stellen. Mit den Wiener Bombenanschlägen war die latente politische Krise im Sommer 1933 zum offenen Konflikt ausgebrochen. Die Regierung reagierte auf den Terrorismus der NSDAP mit scharfen Gegenmaßnahmen. Noch am Abend des 12.  Juni wurden alle Wiener nationalsozialistischen Parteidienststellen, Bezirkslokale und SA-Heime von der Polizei geschlossen und unter Bewachung gestellt. Um eine einheitliche Führung der Sicherheitsbehörden zu garantieren, ernannte die Regierung am 12. Juni Sicherheitsdirektoren in den Ländern (BGBl. 226/1933), denen nun die Sicherheitsagenden, zuvor Sache der Landeshauptleute, übertragen wurden und die direkt dem Bundeskanzleramt bzw. Sicherheitsminister Emil Fey unterstanden. Im gesamten Bundesgebiet gingen die Sicherheitsbehörden mit Massenverhaftungen gegen die Führer und SympathisantInnen der NSDAP vor und verhängten zum Teil drastische Gefängnisstrafen und Geldbußen.1561 Der „Verbotserlaß“ des Heeresministeriums, der kurz darauf auch auf alle Bundesangestellten ausgedehnt wurde,1562 untersagte allen Heeresangehörigen jegliche Betätigung in der NSDAP.1563 Für sachdienliche Hinweise zur Aufklärung der Bombenanschläge setzte die Polizeidirektion eine Belohnung von 5.000 Schilling aus.1564 Gauleiter Frauenfeld blieb nach dem Parteiverbot zunächst noch auf freiem Fuß und sprach gemeinsam mit den Landtagsabgeordneten Walter Riehl und Kurt Hanke am 13.  Juni sowohl bei Bundespräsident Miklas als auch bei Vizekanzler Winkler vor. Er bestritt, in die terroristischen Aktivitäten involviert gewesen zu sein, die er bedauerte.1565 In Linz verhaftete die Polizei unterdessen Theo Habicht, der trotz der ablehnenden Haltung der österreichischen Regierung zum Presseattaché der Gesandtschaft bestellt worden war,1566 und die Führer der österreichischen Landesleitung.1567 Als Reaktion auf die Verhaftung Habichts veranlasste Göring die Festnahme und Ausweisung des Presseattachés der österreichischen Gesandtschaft in Berlin, Erwin 1561 RP v. 15. 6. 1933, S. 7 („Im Kampf gegen die Unruhestifter“). 1562 WZ v. 14. 6. 1933, S. 1 („Schärfster Widerstand der Regierung“). 1563 RP v. 13. 6. 1933, S. 4 („Die geplanten Maßnahmen gegen Terrorakte“). 1564 NFP v. 15. 6. 1933, S. 6 („Eine Reihe von Sabotageakte in Wien“). 1565 WZ v. 14. 6. 1933, S. 1 („Nationalsozialistische Vorsprache beim Bundespräsidenten“). 1566 Kurt Rieth an das Auswärtige Amt v. 14. 6. 1933, BArch/R 43II, Zl. 1475. 1567 WZ v. 14. 6. 1933, S. 2 („Ruhiger Verlauf der Aktion gegen die Nationalsozialisten“).

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Wasserbäck.1568 Habicht und Alfred Bigler wurden in den folgenden Tagen ebenso wie all jene ausländischen nationalsozialistischen Führer und Anhänger der NSDAP, die in Österreich keinem geregelten Erwerb nachgingen, aus dem Bundesgebiet ausgewiesen.1569 Am 19. Juni ereignete sich ein weiterer schwerer Anschlag in Krems, wo zwei arbeitslose Nationalsozialisten zwei Handgranaten auf eine Abteilung Hilfspolizisten warfen und dabei einen Mann töteten und 30 Personen zum Teil schwer verletzten. Bei seinem Verhör gab einer der Attentäter an,1570 „es sei im Programm der NSDAP festgelegt, daß die Polizei und Gendarmerie unausgesetzt zu beschäftigen und zu beunruhigen sei, bis dieselbe mürbe werde und sich der Partei anschließe“. Am selben Tag wurde der NSDAP jede Betätigung in Österreich verboten (BGBl. 240/1933), der „Vaterländische Schutzbund“ und der „Steirische Heimatschutz“ aufgelöst.1571 11.2 Die Wiener SS in der Illegalität

Habicht hatte noch kurz vor dem Verbot der österreichischen NSDAP die Landesleitung nach München verlegt, die zunächst im Hotel Reichsadler in der Herzog-Wilhelm-Straße 32, ab 1934 in der Arcisstraße 30 ihr Quartier bezog und großzügig von der deutschen Regierung unterstützt wurde.1572 Auch die Abschnittsführungen der österreichischen SA und SS wurden nach Hermann Reschnys Flucht bzw. Alfred Biglers Ausweisung ebenso wie der Großteil der Gauleitungen nach München verlegt.1573 Frauenfeld, der sich vergeblich um ein Ausreisevisum nach Deutschland bemüht hatte, 1568 RP v. 15. 6. 1933, S. 1f. („Verhaftung, Enthaftung und Abberufung unseres Presseattachés in Berlin“). Hit­ler hatte bereits am 9. Juni angeordnet, dass im Falle einer Ausweisung von Habicht oder Cohrs aus Öster­reich Wasserbäck aus Deutschland ausgewiesen werden sollte, Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Hans Hermann Völ­ckers v. 9. 6. 1933, abgedr. in  : ADAP (1971), Serie C, Bd. I/2, S. 542. 1569 Bis Anfang Dezember 1933 wurden 312 reichsdeutsche Staatsangehörige aus Deutschland ausgewiesen, St.B. an die Abt. 13 pol./AA v. 2. 12. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-AA, NPA, Liasse Deutschland I/12 E, Kt. 116. 1570 Jagschitz (1976), S. 31. 1571 Bescheid der GföS v. 19. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 154.426-GD. 2/1933. 1572 Vgl. Jagschitz (1976), S. 32f. 1573 Nur Karl Scharizer ließ sich mit der Salzburger Gauleitung in Freilassing nieder, Andreas Bolek führte die oberösterreichische Gauleitung von Passau aus, während Hans vom Kothen nach einem kurzen Intermezzo in Tarvis aufgrund diplomatischer Interventionen Österreichs die Kärntner Gauleitung ebenfalls nach Mün­chen verlegte, Jagschitz (1975), S.  13. Der Gauleiter von Tirol und Vorarlberg, Franz Hofer, richtete die Gauleitung nach seiner Befreiung aus der Haft im September 1933 in München ein, wo auch Kurt Pfeil für den im Anhaltelager Wöllersdorf internierten Josef Leopold interimistisch die niederösterreichische Gau­leitung führte, Jagschitz (1976), S. 33.

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wurde am 24. Juni gemeinsam mit seinem Bruder Eduard, seinem Stellvertreter Gauinspekteur Josef Neumann und seinem Chauffeur Friedrich Raduziner beim Versuch, nach Italien auszureisen, in Villach angehalten und unter polizeilicher Bewachung nach Wien zurückgebracht.1574 Im Mai 1934 flüchtete auch er nach München. Habicht nützte das Verbot der österreichischen NSDAP, um praktisch die Führung der Landesleitung zu übernehmen.1575 Als seinen Bevollmächtigten in Österreich ernannte er Otto Gustav Wächter. Eine Schlüsselposition für die illegale Landesleitung in Österreich nahm SS-Sturmführer Max Peschke ein,1576 der auch nach dem Parteiverbot bis zur Volksabstimmung im April 1938 im Dienst derselben stand. In der Illegalität erhielt Peschke den „strengsten Befehl, sich nach außen hin jeder Parteitätigkeit zu enthalten, selbst für den Kreis seiner engsten Kameradschaft“, während in seinem Gartenhaus im 13. Bezirk die Kanzlei der illegalen Landesleitung sowie die Geschäftsführung und Organisationsleitung der österreichischen NSDAP untergebracht wurden. Überdies befand sich im Haus seiner Frau zeitweise die Druckerei für die Wiener Ausgabe des Österreichischen Beobachters. Allerdings geht aus den vorliegenden Quellen der Zeitpunkt der Unterbringung der Landesleitung in Peschkes Gartenhütte nicht hervor. Die nationalsozialistischen Terroranschläge waren nach Jagschitz1577 erst kurz vor dem Parteiverbot von „substantielle(r) Bedeutung“ für die nationalsozialistische Politik geworden und erfolgten auf direkte Anordnung von Habicht bzw. mit seiner aktiven Zustimmung. Auch Hitler erhoffte sich davon „ein rasches Zusammenbrechen der Abwehrfront der österreichischen Regierung“. Gleichzeitig stellten die permanenten Anschläge ein effektives Propagandamittel dar, womit die von der Regierung in ihrer Bewegungsfreiheit inzwischen völlig eingeschränkte Partei sich den öffentlichen Raum wieder aneignete. Indem die TerroristInnen das gesamte Bundesgebiet in den Ausnahmezustand versetzten, verschafften sie sich mit dieser „extremsten Form der Propaganda“1578 eine ständige Präsenz in der Öffentlichkeit, die enorme mediale Aufmerksamkeit auf sich zog und die Hilflosigkeit der Regierung zeigte. Dementsprechend hatte der Terrorfeldzug der NSDAP am Tag der Eröffnung der Weltwirtschaftskonferenz in London, an der auch Dollfuß teilnahm, begonnen und sollte auch der internationalen Öffentlichkeit demonstrieren, dass die Regierung die Lage nicht mehr im Griff hatte. 1574 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 25. 6. 1933. 1575 Alfred Proksch wurde mit der Führung der Geschäftsstelle der Landesleitung in München betraut. 1576 Stellungnahme des kommissarischen Landesschulinspektors für Niederdonau v. 29. 6. 1938, BArch (ehem. BDC), PK  : Max Peschke. 1577 Jagschitz (1975), S. 12. 1578 Botz (1983), S. 262.

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Abb. 68: Sprengstoffsuche der Wiener Polizei auf Bahngleisen, 1934, BPD Wien

Ab Sommer 1933 wurde die terroristische Bedrohung zur täglichen Erfahrung.1579 Neben den Anschlägen auf jüdische Geschäftsleute und regierungsfreundlich gesinnte Personen und Einrichtungen begannen mit der Sprengung von Bahngleisen, Stromund Telefonmasten bald auch die Angriffe auf die Infrastruktur des Landes. Beliebt war auch die Deponierung von Sprengkörpern in Briefkästen und Fernsprechzellen. So wurden zwischen 13. und 24. Juni in Wien 50 öffentliche Telefonautomaten beschädigt,1580 Straßenbahnschienen mit Zement ausgegossen, zahlreiche Verkaufshütten in Brand gesteckt, ein Abfallhaufen am Hakoah-Sportplatz angezündet, Fensterscheiben eingeschlagen, Phiolen mit ätzender Flüssigkeit in Briefkästen geworfen, Firmenschilder und die Vaterländische Wandzeitung mit Lackfarben und Teer beschädigt. Im Juli 1933 verstärkten sich neben den terroristischen Aktionen auch die natio­ nalsozialistischen Propagandamaßnahmen, wie etwa Schmieraktionen auf Plakaten 1579 Zum Beginn des NS-Terrorimus vgl. Braunbuch (1933)  ; Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte (1934)  ; Botz (1983)  ; Kastner (2002)  ; Neugebauer (2004)  ; Garscha (2005). 1580 Bericht der BPD Wien an die GföS v. 25. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 175.773GD. 1/1933.

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und Hauswänden, die massenhafte Verteilung von Abzeichen, das Abbrennen von Hakenkreuzen auf Berggipfeln und das Hissen von Hakenkreuzfahnen. Der Abwurf von Propagandamaterial aus deutschen Flugzeugen1581 und die Hetzreden Habichts1582 im deutschen Rundfunk gegen die österreichische Regierung veranlassten Dollfuß, außenpolitische Unterstützung in London, Paris und Rom zu suchen. Zwar untersagte Hitler im August 1933 „nach außen hin“ den terroristischen Kampf, hinderte jedoch Habicht in keiner Weise daran, diese Form der Politik weiterzuführen.1583 Lediglich die Flugzeugpropaganda wurde verboten und Habicht veranlasst, seine Abb. 69: NSDAP-Transparent mit der Aufschrift Rundfunkansprachen ein wenig zu mä- „Juda verrecke“ an einem Schornstein, ca. 1933/1934, BPD Wien ßigen.1584 Am 6. Juli 1933 berichtete die Reichspost, dass in Wien „allnächtlich 700 bis 800 Personen, die den Polizeibeamten verdächtig erschienen, angehalten (werden)“.1585 Neben den bereits zuvor genannten Delikten wurden nun auch Bombenattrappen ausgelegt, was nach einem Bericht der Neuen Freien Presse „bei manchen Personen eine direkte Bombenpsychose“ hervorrief, wodurch sich die ohnedies überlastete Wiener Polizei noch mit falschen Anzeigen beschäftigen musste bzw. diese gezielt ausgestreut wurden.1586 Aufgrund der „Gleichartigkeit aller in Wien verübten Terrorakte“ schloss die Polizei,1587 dass die Anschläge „planmässig“ von Unterführern des Vaterländischen Schutzbundes „inszeniert“ worden seien, die wiederum von einer „zentralen Leitung“ ihre Anweisungen erhielten.1588 1581 Vgl. Jagschitz (1975), S. 14f. 1582 Vgl. auch Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte (1934), S. 25–30. 1583 Jagschitz (1975), S. 16. 1584 Außenminister Konstantin von Neurath an Staatssekretär Bernhard von Bülow v. 4. 8. 1933 über eine Unterredung mit Hitler, abgedr. in  : ADAP (1971), Serie C, Bd. I/2, S. 710. 1585 RP v. 6. 7. 1933, S. 4 („Verschärfter nächtlicher Sicherungsdienst in Wien“). 1586 NFP v. 15. 6. 1933, S. 6 („Eine Reihe von Sabotageakte in Wien“). 1587 Bericht der BPD Wien an die GföS v. 18. 7. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 188.191GD. 1/1933. 1588 Diese Annahme stützte auch eine bei einem Nationalsozialisten aufgefundene Aufzeichnung, in der

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Die terroristischen Aktivitäten der NSDAP führten zu weiteren autoritären Maßnahmen des Dollfuß-Regimes. Am 7.  Juli erließ die Regierung eine Verordnung zur Abwehr wirtschaftlicher Schädigungen durch Terrorakte (BGBl. Nr. 195/1933) und dehnte damit die Befugnisse der Polizei weiter aus, die praktisch den Gerichten gleichgestellt wurden. Begründet wurde die Maßnahme damit, dass die gerichtlichen Verfahren zu lange dauerten. Bei allen Terror- und Sabotageakten,1589 „gleichviel ob sie aus politischen Beweggründen begangen und ob sie gerichtlich strafbar sind oder nicht“, wurde nun ein Verwaltungsstrafverfahren eingeleitet, das „ausschließlich Freiheitsstrafen“ von drei bis sechs Monaten Arrest vorsah. Darunter fielen Sprengstoffattentate ebenso wie das Werfen von Knallfröschen, aber „insbesondere auch die Komplott- und Bandenbildung“. Eine Strafmilderung bzw. das Absehen von einer Strafe konnte nur die Berufungsbehörde im Gnadenwege aussprechen. Mit dieser Kompetenzverschiebung sollten langwierige Gerichtsverfahren vermieden, die Täter einer schnellen Bestrafung zugeführt werden und der Ineffizienz der gerichtlichen Untersuchungen entgegen gewirkt werden. Ein Beispiel dafür war etwa der Fall des 24-jährigen arbeitslosen Kunstspenglers und SS-Angehörigen Anton Stadler. Dieser hatte im Zuge der Demonstrationen am 12.  Juni die Scheiben des Geflügelgeschäfts Albert Brunner eingeschlagen und war auf frischer Tat von der Polizei festgenommen worden.1590 In seiner Wohnung fand die Polizei „eine Menge Revolverpatronen, Flugzettel, 1 dolchartiges Messer, 1 Hundspeitsche und anderes Material“ vor. Stadler war 1925 im Alter von 16 Jahren der HJ und im Oktober 1931 der NSDAP und SS beigetreten.1591 1927 hatte ihn das Wiener Jugendgericht wegen „politischen Schießen(s)“ bestraft,1592 1932 war er an einem Überfall auf jüdische Geschäftsleute im 2. Bezirk beteiligt gewesen und hatte zwischen 1931 und 1933 mehrere „kleinere Polizeistrafen“ erhalten.1593 Nach der Attacke auf das Geflügelgeschäft wurde Stadler bis 8. Juli in Untersuchungshaft genommen und danach auf freien Fuß gesetzt. Vor Beginn der Verhandlung erhielt er den Befehl, aus Österreich zu flüches hieß  : „Polizei durch anonyme Anzeigen beunruhigen, Funkdienst Rosenhügel und Bisamberg sabotieren, Gas, Wasser, Licht, Strom, Brücken nicht. Sturmführer immer erreichbar. Deckname für Telefonverkehr. Jude, Minister, Hippo (Hilfspolizist, CR), Heimwehrmann, vogelfrei. Versammlungen stören. Bei Parteiverbot schläft S.A. – bei Nacht Arbeit. Plakatieren – Montag 9 Uhr 30‘ Demonstration – Republik – Universität – Eier, harte Aepfel, Steine, ohne Abzeichen schleudern. Hietzinger Cottage-Fenster 10–10 Uhr 15  !“, Ebd. 1589 Runderlass der GföS v. 12. 7. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 248.020-GD. 2/1933. 1590 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Anton Stadler. 1591 WStLA, GAW  : Anton Stadler, Zl. 9.032, 9.288. 1592 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Anton Stadler. 1593 Eidesstattliche Erklärung von Anton Stadler v. 20. 10. 1937, WStLA, GAW  : Anton Stadler, Zl. 9.288.

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ten, und verschwand über die deutsche Grenze. Am 27. September 1933 schrieb ihn die Wiener Polizei im Fahndungsblatt zur Verhaftung aus. Im November 1934 wurde Stadler die österreichische Bundesbürgerschaft entzogen. Die massenhaften Grenzübertritte österreichischer NationalsozialistInnen nach Deutschland führten am 16. August 1933 zum Erlass der Verordnung über den Verlust der österreichischen Bundesbürgerschaft (BGBl. 369/1933).1594 Am gleichen Tag erging die Verordnung über die Beschlagnahme und den Verfall des Vermögens von Parteien, denen jede Tätigkeit untersagt war (BGBl. 368/1933).1595 Am 23. September erließ die Regierung dann die Verordnung über die „Anhaltung staatsgefährdender Per- Abb. 70: Anton Stadler, n. 1935, WStLA sonen“ (BGBl. 431/1933), wonach Verdächtige ohne weiteres Verfahren auf unbestimmte Zeit in Anhaltelagern interniert werden konnten.1596 Innerhalb der österreichischen NSDAP herrschte durchaus keine Übereinstimmung über den neuen terroristischen Kurs, der zu einer Auseinandersetzung zwischen dem „gemäßigten“ Flügel der NSDAP um Walter Riehl und dem radikalen um Theo Habicht führte. Riehl hatte sich bereits Mitte Mai gemeinsam mit Anton Rintelen, den Universitätsprofessoren Othmar Spann und Wenzel Gleispach sowie dem Prinzen Coburg, dem Heimwehrführer Albrecht Alberti und dem ehemaligen Bundeskanzler Ernst Streeruwitz bei der Gründung einer „Ständischen Gesellschaft“, die zum „Neuaufbau des Gemeinwesens nach ständischen Gesichtspunkten“ führen sollte,1597 1594 Vgl. dazu ausf. Reiter (2010), S. 845–854  ; dies. (2010a), S. 137–143  ; dies. (2006a), S. 193–218  ; dies. (2006), S. 173–176  ; Rothländer (2010a), S. 855–865  ; dies. (2010b), S. 143–152  ; dies. (2007), S. 21– 25. 1595 Vgl. dazu Reiter/Rothländer/Schölnberger (2009), S. 48–54. 1596 Vgl. dazu ausf. Jagschitz (1975a), S. 128–151  ; Zodl (1999), S. 239–250  ; Reiter/Rothländer/Schölnberger (2009), S. 48–54  ; Schölnberger (2010), S. 1–4  ; dies. (2010a), S. 190–211  ; Bauer (2010), S. 825– 836. 1597 NFP v. 17. 5. 1933, S. 5 („Gründung einer Ständischen Gesellschaft“).

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engagiert. Vermutlich kurz nach dem Parteiverbot nahm er auch Kontakt zum ungarischen Gesandtschaftsrat in Wien auf und erklärte diesem,1598 dass die Mehrzahl der österreichischen Parteimitglieder sowohl „die gewaltsamen deutschen Methoden gegenüber Österreich“ als „auch einen Teil der in Deutschland getroffenen Maßnahmen (ausgenommen jene gegen die Juden) (mißbillige) und den Anschluß auf lange Zeit nicht für vertretbar (hielte)“. Riehl bat die ungarische Regierung, Hitler über die Lage „aufzuklären und ihn zur Mäßigung zu überreden“, da der „gemäßigte“ Teil der österreichischen NSDAP dazu nicht in der Lage sei und zu „Verrätern oder Feiglingen gestempelt“ werden würde. Eine „Einigung“ zwischen Österreich und Deutschland war nach Riehls Einschätzung „nur durch einen von außen kommenden, objektiven Rat (…) möglich“. Weiters legte er sowohl einen Text für eine Botschaft von Gömbös an Hitler vor, der die Warnung enthielt, dass der verstärkte deutsche Druck auf Österreich zu einer Annäherung an die Tschechoslowakei und Frankreich führen könnte, als auch eine von Gömbös an Dollfuß. Darin schlug Riehl vor, dass Dollfuß seine Zustimmung über die Bildung einer „Deutschen Front“ zwischen der österreichischen NSDAP und dem Landbund geben sollte, um dieses Bündnis in die „Vaterländische Front“ einzugliedern. „Nach gründlicher Abwägung“ lehnte die ungarische Regierung die Vermittlungsrolle ab. Riehls Versuch einer Zurückdrängung des Einflusses der deutschen NSDAP und der Stärkung des „gemäßigten“ Flügels in Österreich endete im August 1933 mit seinem Ausschluss aus der Partei.1599 Der Großteil des Führerkorps der Wiener SS flüchtete nach Beginn des terroristischen Kurses der NSDAP nicht nach Deutschland. So hatte Josef Fitzthum, der seiner Truppe „ein Beispiel des Ausharrens geben“ wollte und in Österreich geblieben war, auch seine „Unterführer (…) mit Handschlag zum gleichen Verhalten verpflichtet“.1600 Diese folgten seinem Vorbild und setzten in den folgenden Jahren, zum Teil bis zum „Anschluss“, ihren Kampf in Wien fort. Die Mitglieder des Führungskorps traten die Flucht nicht grundlos an, sondern erst dann, wenn sie aufgrund schwerer Delikte eine langjährige Haftstrafe zu befürchten hatten bzw. nach Wiedereinführung der Todesstrafe ihr Leben riskierten, sie aufgrund der ständigen Polizeiüberwachung für die SS von keinem Nutzen mehr waren oder die Aktivitäten der Truppe gefährdet hätten. In den ersten Tagen nach Beginn der Anschlagserie verhaftete die Polizei mit wenigen Ausnahmen fast das gesamte Führerkorps der Wiener SS1601 und führte in den 1598 Kerekes (1966), S. 140. 1599 WSMZ v. 28. 8. 1933, S. 2 („Dr. Riehls Ausschluß aus der NSDAP“)  ; NFP v. 28. 8. 1933, S. 3 („Dr. Riehl aus der nationalsozialistischen Partei ausgeschlossen“). 1600 Josef Fitzthum an den SS-Abschnitt VIII v. 24. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 1601 So wurden am 13.  Juni neben Fitzthum noch Hans Mußil, Emil Talbot Pistor und Thomas Schabel festgenom­men. Am Tag darauf erfolgten die Verhaftungen von Franz Mazanek, Karl Pichl, Karl

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folgenden Wochen zahlreiche Einvernahmen durch, die allesamt ergebnislos blieben. Ein Teil der Anführer wurde bereits wenige Tage später wieder freigelassen, der Rest dann Mitte Juli. Im Unterschied zum Gerngroß-Attentat hatten die SS-Führer ihre Alibis für den Fall eines gerichtlichen Nachspiels sorgfältig vorbereitet und konnten alle Verdächtigen Zeugen für die fraglichen Tage aufbieten. Letztlich gelang es der Wiener Polizei nicht, die Drahtzieher der Anschläge zu verhaften und die Organisationsnetzwerke aufzudecken, wobei es dafür sehr wohl Hinweise gegeben hätte. Ein Problem hinsichtlich der polizeilichen Ermittlungen lag darin begründet, dass die einzelnen Attentate zu isoliert voneinander untersucht wurden und offenbar keine Sonderkommission eingesetzt worden war, die allfällige Verbindungen zwischen den einzelnen Fällen und den Aussagen der Verdächtigen hätte ziehen können. Darüber hinaus war der Sicherheitsapparat aufgrund der ständigen terroristischen Aktionen völlig überlastet und wurde von nationalsozialistischen Polizeibeamten ständig sabotiert, da in die Untersuchungen über die Bombenanschläge mehrere Kriminalbeamte involviert waren, die später zum Teil maßgeblich am Juliputsch beteiligt sein sollten. So waren etwa Franz Kamba und Florian Preissegger an den Ermittlungen über den Anschlag auf das Kaufhaus HAK beteiligt,1602 Franz Toyfl an jenen über eine mögliche Beteiligung von Karl Pichl,1603 Franz Hansmann und Franz Tüchler,1604 Johann Steinberger an jenen gegen Heinrich Vados.1605 In das Verfahren gegen die SS-Männer Walter Leubuscher und Hans Muschik war nicht nur der nationalsozialistische Kriminalbeamte Karl Dietrich involviert, der noch dazu mit der Untersuchung gegen die angeblichen Drahtzieher der Anschläge beauftragt worden war, sondern auch der Rechtsanwaltsanwärter Robert Scheickl. Dieser arbeitete unter dem Decknamen „Dr. Schindler“ für den NS-Nachrichtendienst und war als einer der Schriftführer dem zuständigen Untersuchungsrichter zur Seite gestellt worden.1606 Im Wiener Landesgericht fertigte Scheickl eifrig Abschriften von Gerichtsakten für den Heinz Ur­ban, Heinrich Vados, Ernst Weigensamer, Max Peschke, Franz Tüchler und Franz Hansmann, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. Boris Plachetka konnte sich seiner Verhaftung entziehen und ging wenige Tage nach den Anschlägen über die deutsche Grenze. 1602 WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33. 1603 WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1604 WStLA, LGfS Wien I, Vr 4343/33. 1605 WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1606 WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33. Scheickl war nach dem „Anschluss“ in der von Otto Gustav Wächter geleiteten Abteilung im Amt des Reichstatthalters in Österreich als Referent für Länder und Gemeinden zuständig, Geschäftsverteilungsplan des Amtes des Reichsstatthalters und des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten v. 22. 7. 1938, Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 12813, zit.  n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag.

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Nachrichtendienst an, bis er nach dem Juliputsch schließlich entdeckt wurde.1607 Den Vorsitz in seinem Fall führte wiederum Johann Powalatz, der auch Strafakten der Landesleitung der NSDAP übergab.1608 Dementsprechend gut informiert war die NSDAP über den Verlauf der polizeilichen und gerichtlichen Ermittlungen. Insbesondere der Fall Vados, Mazaneks Adjutant, zeigt, dass wichtige Spuren nicht wahrgenommen wurden. So langte die erste Anzeige beim Kommissariat Mariahilf über eine mögliche Beteiligung von Vados an den Anschlägen am Abend des 13. Juni ein,1609 derzufolge in der Nacht von 12. auf 13. Juni in der Parterrewohnung des Hauses Hirschengasse 19 bis morgens um 3 Uhr „ein reger Verkehr (ge)herrscht“ habe und dieser laut „Meinung“ der Auskunftsperson mit dem Anschlag auf das Kaufhaus HAK in Verbindung stünde. Die Polizei stellte daraufhin fest, dass sich die Angaben auf die Wohnungen von Tüchler und Hansmann bezogen, die nur durch eine nachträglich eingebaute Mauer voneinander getrennt waren. Weiters wurde vertraulich mitgeteilt, dass um 3 Uhr früh Tüchler, Hansmann, Plachetka, Fitzthum und Vados die Wohnung verlassen hatten.1610 Bei seiner Einvernahme gab Vados selbst an,1611 dass er am Nachmittag des 12. Juni mit Mazanek im „Adolf-Hitler-Haus“ zusammengetroffen und spätestens um 21 Uhr von seiner Schrebergartenhütte in das etwa 30 Minuten entfernte Café Wortner in die Wiedner Hauptstraße aufgebrochen sei, wo er bis gegen Mitternacht geblieben war. Dort habe er den Wiedner Bezirksleiter Rudolf Murauer getroffen, der ebenfalls zugab, sich „in den späteren Abendstunden“ mit zahlreichen Nationalsozialisten dort befunden zu haben.1612 Gleichfalls sagten auch Otto Zwonek und Ferdinand Langer aus, dass Ernst Happach vor dem Anschlag mehrfach das Café Wortner aufgesucht hatte und auch nach seiner „Rekognoszierungsfahrt“ neuerlich dorthin gegangen sei. In den Polizeiberichten tauchte das Café zwar regelmäßig als zentraler Treffpunkt der NSDAP in Wieden auf, in dem fast ausschließlich SympathisantInnen der Bewegung verkehrten, jedoch geht aus den vorliegenden Quellen nicht hervor, dass die Möglichkeit erwogen wurde, dass es als Hauptquartier für die Attentäter gedient haben könnte. Auch die auffallende Nähe zu Gauleiter Frauenfelds Wohnung, der nur einen kurzen Fußweg entfernt wohnte, wurde nicht angesprochen. Weder in den Untersuchungsakten zu Vados noch zu jenen über den Anschlag auf das Kaufhaus HAK findet sich 1607 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934. 1608 Stadler (2007), S. 200, 346. 1609 Meldung des Kommissariats Mariahilf v. 13. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4343/33. 1610 Abschrift des Aktenvermerks der S.B. v. 15. 6. 1933, ebd. 1611 Vernehmung von Heinrich Vados durch das LGfS v. 5. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1612 Zeugenvernehmung von Rudolf Murauer durch das LGfS v. 11. 7. 1933, ebd.

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ein Hinweis, dass die Polizei diese Verbindung wahrgenommen hätte, obwohl ihr zu diesem Zeitpunkt bereits bekannt war, dass drei der vier Attentate von Mitgliedern von Mazaneks Sturmbann durchgeführt worden waren, Happach und Jatsch diesem ebenfalls angehörten und mit Sprengelleiter Johann Cizek auch ein Politischer Leiter unmittelbar in den Bombenanschlag verwickelt war. Weiters brachte die Polizei in Erfahrung, dass Walter Leubuscher1613 und der SS-Mann Hans Muschik, die am Abend des 12. Juni Grillmayr und Krcil zur Flucht nach Deutschland verhalfen, unmittelbar vor ihrer Abfahrt aus Wien noch im Café Wortner gewesen waren, um sich dort zumindest mit dem ebenfalls in die Aktion verwickelten SS-Mann Herbert Burgstaller zu treffen.1614 Auch waren bei einer Hausdurchsuchung in Vados’ Wohnung zwei Infanteriegeschützgeschosse „als Schreibtischdekoration“ aufgefunden worden, die von der gleichen Machart waren wie jene bei den Sprengstoffanschlägen verwendeten,1615 und die Vados angeblich als „Kriegserinnerung“ aufgehoben hatte. Vados und Mazanek wurden im Juli wieder auf freien Fuß gesetzt. Unentdeckt blieb auch das enge Netzwerk des Sprengstoffschmuggels zwischen der Wiener und niederösterreichischen SS-Standarte. So waren am 13. Juni im Zuge der Schließung des Salzburger „Braunen Hauses“ Leubuscher und Muschik1616 dort angehalten worden,1617 die ihren Angaben zufolge gemeinsam als „Eier- und Butterhändler“ tätig waren.1618 Nachdem bei Leubuscher neben drei Pistolen noch 62 Stück Munition, je ein Dolch und Stilettmesser, bei Muschik eine Pistole und ein Magazin mit Munition aufgefunden worden waren und die beiden sich „in auffallende Widersprüche“ verstrickten, wurden sie verhaftet.1619 Bei seiner polizeilichen Einvernahme sagte Muschik zunächst aus, dass ihn Leubuscher am Morgen des 12. Juni „zur Mitreise“ überredet hatte, und er vermutete, dass dieser „auf der Flucht nach Deutschland begriffen gewesen sei“. Leubuscher gab hingegen an, dass er aus Innsbruck gekommen sei. Am gleichen Tag erhielt die Bundes-Polizeidirektion Salzburg einen Anruf von einem Rechtsanwalt namens Dr. Wester aus Freilassing, der sich nach den Gründen der Verhaftung der beiden erkundigte, wobei er mitteilte, dass die beiden nur einen Ausflug machen wollten. Die weiteren Erhebungen ergaben, dass der Anruf nicht aus 1613 Vernehmung von Walter Leubuscher durch das LG Wien I v. 18. 7. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33. 1614 Einvernahme von Herbert Burgstaller durch das S.B. v. 13. 6. 1933, ebd. 1615 Bericht der BPD Wien an die St.A. Wien I v. 15. 6. 1933, ebd. 1616 Muschik gehörte seit Jänner 1932 der SS an, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Muschik. 1617 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933  ; RP v. 15. 6. 1933, S. 7 („Im Kampfe gegen die Unruhe­stifter“). 1618 NFP v. 15. 6. 1933, S. 6 („Eine Reihe von Sabotageakte in Wien“). 1619 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933.

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Freilassing, sondern vom bayrischen Zollamt in Hammerau erfolgt war. Während die Polizei eine Hausdurchsuchung bei Muschiks Mutter in Wien vornahm, tauchte dort der Spediteur Herbert Burgstaller auf, der angab, dass ihm sein Kamerad Muschik telefonisch den Auftrag erteilt habe, dessen Mutter „wegen seiner Abwesenheit (zu) beruhigen“. Nachdem sich Muschik allerdings in Salzburg in Haft befand, stand für die Polizei fest, dass der Anruf durch eine Mittelsperson erfolgt sein musste und Burgstallers Angaben falsch waren. Burgstaller wurde sofort verhaftet, ohne dass die Polizei zu diesem Zeitpunkt wusste, dass er seit Oktober 1932 der SS angehörte und im Stab der Standarte aktiv war.1620 Leubuscher und Muschik wurden „aufgrund des dringenden Verdachte(s), mit den letzten Sprengstoffattentaten irgendwie in Zusammenhang zu stehen“, verhaftet und nach Wien überstellt.1621 Leubuscher gab schließlich zu,1622 dass sich im Auto nicht nur Muschik, sondern auch Max Grillmayr und ein weiterer Mann befunden hatten, die kurz vor Salzburg ausgestiegen waren und später ebenfalls zum „Braunen Haus“ nachkommen sollten. Laut Angabe von Grillmayr handelte es sich dabei um Josef Krcil.1623 Grillmayr hatte noch am 12. Juni von Fitzthum den Befehl erhalten, sofort nach Bayern zu flüchten, und Krcil, der im Auftrag eines Parteifunktionärs in einer Weinstube auf ihn wartete, mit nach Salzburg genommen und über die Grenze geschmuggelt.1624 Wenige Tage später brachte die Wiener Polizei in Erfahrung, dass Grillmayr „bei der Vorbereitung aller in Wien verübten und versuchten Bombenanschläge eine führende Rolle gespielt“ hatte.1625 Bei seiner Einvernahme gab Leubuscher u.a. zu Protokoll,1626 dass die entscheiden­ den Besprechungen für die Wiener Bombenanschläge am 30.  Mai stattgefunden hatten, und nannte als angebliche Organisatoren den aus Deutschland stammenden Wiener SA-Standartenführer Otto Schuckat sowie zwei weitere Reichsdeutsche, die sich als Kapitänleutnant Kraus und von Pichl1627 vorgestellt und Verbindung mit den Wiener SS-Führern gesucht hätten. Laut Leubuscher sei dies misslungen, woraufhin sich Grillmayr bereit erklärt habe, die Bombenattentate durchzuführen. Die drei 1620 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Herbert Burgstaller. 1621 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 16. 6. 1933 1622 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 175.773-GD. 1/1933. 1623 Max Grillmayr an den SS-Abschnitt VIII v. 1. 2. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 1624 AZ v. 15. 1. 1947, S. 3 („Der Mord an dem Juwelier Futterweit“). 1625 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl. 175.773-GD. 1/1933. 1626 WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33  ; S.B. an die St.A. Wien I v. 27. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33  ; Bericht der BPD Wien an die GföS v. 25. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Wien, Zl.  175.774.-GD. 1/1933  ; Niederschrift der Vernehmung von Walter Leubuscher v. 7.  7.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Vrlbg., Zl. 300.678-St.B./1935. 1627 Tatsächlich war Pichl österreichischer Staatsbürger.

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genannten Reichsdeutschen hätten auch das notwendige Material zur Verfügung gestellt. Leubuschers Taktik, die bereits Grillmayr im Zusammenhang mit dem Gerngroß-Prozess versucht hatte, bestand somit darin, die Verantwortung auf nicht näher bekannte reichsdeutsche SS-Führer bzw. bereits nach Deutschland geflüchtete SSAngehörige zu schieben. Leubuschers Angaben sind jedoch mit Vorsicht zu interpretieren, da dieser bei der Wiener Polizei1628 ebenso als „Schwätzer und Phantast bekannt“ war, „der von einem starken Geltungsbedürfnis beherrscht“ werde, wie später auch bei der SS „als pathologischer Lügner und Hochstapler“.1629 Vermutlich aus Unwissenheit belastete Leubuscher neben bereits nach Deutschland übersiedelten SSAngehörigen, wie etwa Karl Urf, Josef Maireder oder Jakob Hanreich, auch SS-Führer, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht geflüchtet waren bzw. unter Verdacht standen. Dies betraf etwa neben Hans Smirtschek auch Richard Kaaserer und Amon Göth, die Leubuscher zufolge von den Reichsdeutschen als mögliche Kandidaten für Terroraktionen genannt worden waren.1630 Smirtschek wurde daraufhin festgenommen und bis 13.  Juli im Landesgericht inhaftiert. Anfang August wurde zwar das Verfahren aus Mangel an Beweisen eingestellt, dafür aber ein Abschaffungsverfahren eingeleitet, da Smirtschek tschechoslowakischer Staatsbürger war. Am 19. Juni flüchtete auch Smirtschek nach Deutschland, wo er fortan unter dem Decknamen Hannes (auch Hans) Hauch lebte.1631 Auch in Smirtscheks Fall lassen die nachfolgenden Ereignisse den Verdacht zu, dass er ebenfalls in die Organisation größerer Terrorattentate verwickelt war. So mussten sich im Juni 1934 die Wiener SS-Männer Karl Kerschbaumer und Gustav Swatschina vor dem Standgericht verantworten,1632 nachdem in Kerschbaumers Wohnung neben Tränengasphiolen noch „mit hochbrisantem Sprengstoff (…) gefüllte Lehmkugeln, ferner Zündschnüre, Sprengkapsel und Papierböller“ entdeckt worden waren. Die Sprengstoffe sollten u.a. bei einer Sonnwendfeier des Heimatschutzes zum Einsatz kommen. Vor Gericht sagte Swatschina aus,1633 dass ihm der inzwischen geflüchtete Smirtschek „Sprengkörper und Bomben gefährlicher Art angetragen“, er allerdings „nur die ungefährlichen Sachen behalten“ habe. Hinge1628 Bericht der BPD Wien an das St.B. v. 2. 1. 1935, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Vrlbg., Zl. 300.678St.B./1935. 1629 NSDAP-Flüchtlingshilfswerk/Johann Kaiblinger v. 9.  8.  1937, BArch (ehem. BDC), PK  : Walter Leubu­scher. 1630 BPD Wien an die St.A. Wien I v. 22. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 5356/33  ; Vernehmung von Walter Leubuscher durch das LG Wien I v. 30. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33. 1631 BArch (ehem. BDC), PK  : Hannes Hauch (= Johann Smirtschek). 1632 NFP v. 30. 6. 1934, S. 4 („Zwei Nationalsozialisten vor dem Standgericht“). 1633 RP v. 1. 7. 1933, S. 13f. („Vor dem Standgericht“).

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gen hielt der Gerichtssachverständige die mit Sprengstoff gefüllten Lehmkugeln für „brisanter als Dynamit“. Kerschbaumer und Swatschina wurden zu je fünf Jahren schweren Kerkers verurteilt. Am 20.  September 1933 wurde Leubuscher zu fünf Monaten einfachen Kerker verurteilt,1634 Muschik mangels Beweisen freigesprochen, der sich bei dem mit der NSDAP sympathisierenden und späteren Parteigenossen Richter Johann Powalatz auch noch seine Pistole abholen durfte.1635 Letztlich hatten Leubuschers zum Teil falsche Aussagen dazu geführt, dass die Polizei ihr Hauptaugenmerk auf ihn richtete. Bis zuletzt war sie völlig ahnungslos darüber, dass ihr mit Muschik jener SS-Mann in die Hände gefallen war, der das Sprengstoffdepot der niederösterreichischen SS verwaltete. So gab Kaaserers Adjutant Amon Göth später an, dass es ihm gelungen sei, „sämtliche Sprengmittelvorräte, welche durch die Verhaftung des SS Mannes Hans Muschik in Verlust geraten wären, (zu) bergen und sodann dieselben ihrer weiteren Verwendung zuzuführen“.1636 Göth war nach dem Parteiverbot von Kaaserer damit beauftragt worden,1637 „im Rahmen der 52. SS Standarte die notwendigen Aktionen zu organisieren und die dazu nötigen Sprengstoffmengen zu beschaffen“. Ebenso wie die Wiener SS hatte auch Kaaserer in Niederösterreich ab Mitte Mai mit der Terrorausbildung der Standarte begonnen, „Kurse über Bombenwerfen“ und mehrere Besprechungen über die Durchführung der Aktionen abgehalten.1638 Etwa eine Woche nach den Terrorattentaten der Wiener SS startete auch in Niederösterreich eine Anschlagserie unter Führung der SS. Die Sprengstoffe waren etwa im Raum Perchtoldsdorf-Liesing um den 17. Juni ausgegeben worden.1639 Zwei Tage später ordnete Kaaserer bei Führerbesprechungen in Rodaun und in einem Kaffeehaus in Mariahilf den Beginn der terroristischen Anschläge der niederösterreichischen SS an. Der Auftakt der Attentatsserie hatte bereits wenige Stunden zuvor mit dem Anschlag auf die Kremser Hilfspolizisten begonnen, dem zahlreiche weitere Anschläge, wie etwa das Bombenattentat auf die Zweigbahn Liesing–Kaltenleutgeben oder die Lokalbahn Wien–Baden folgten. Noch am 20. Juni verlautbarte die Neue Freie Presse in ihrem Abendblatt, dass die Kremser 1634 NFP (Abendblatt) v. 19. 9. 1933, S. 4 und NFP v. 20. 9. 1933, S. 10 („Der Chauffeur des Fluchtautos Max Grillmayers (sic  !)“)  ; RP v. 20. 9. 1933, S. 8 („Die Helfershelfer Grillmayers (sic  !) vor Gericht“). 1635 Ebd. Nach dem „Anschluss“ wurde Muschik für seinen Einsatz belohnt und erhielt neben der „Arisierung“ der Schlösselgarage noch eine Wohnung im 3. Bezirk zugewiesen, Walzer/Templ (2001), S. 195. 1636 Antrag auf Verleihung der Medaille zur Erinnerung an den 13.  März 1938 von Amon Göth v. 18. 2. 1939, WStLA, GAW  : Amon Göth, Zl. 91.944. 1637 Lebenslauf von Amon Göth, o. D. (ca. 1941, CR), BArch (ehem. BDC), SSO  : Amon Göth. 1638 NFP (Abendblatt) v. 17. 8. 1933, S. 4 („Aufdeckung nationalsozialistischer Betätigung in Baden“)  ; AZ v. 29. 9. 1933, S. 5 („Einer von der Oesterreichischen Legion“). 1639 RP v. 29. 9. 1933, S. 8 („Ein geplanter Anschlag auf die Villa des Ministers a. D. Heinl“).

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Polizei zwei der drei Attentäter auf die Hilfspolizisten festgenommen hatte.1640 Dabei handelte es sich um den SA-Scharführer Herbert Mosel, der von seinem Bruder Heinrich, der ebenfalls der NSDAP angehörte, insgesamt fünf Handgranaten erhalten und den Anschlag gemeinsam mit einem gewissen Adolf Weichselbaum1641 ausgeführt hatte.1642 Dieser war der Polizei auch unter seinem Decknamen „Scheibenpflug“ bekannt und inzwischen bereits nach Deutschland geflüchtet.1643 Aufgrund von Indizien ging die Polizei davon aus, dass zumindest noch ein weiterer Mann an dem Anschlag beteiligt gewesen war. Wenige Stunden nach der Veröffentlichung verhaftete die Polizei am 21. Juni um 5 Uhr früh den Wiener SS-Mann Hans Rahn in Salzburg und fand bei seiner Leibesvisitation mehrere verdächtige Aufzeichnungen vor.1644 Aus diesen ging hervor, dass Rahn als Kurier der Wiener und niederösterreichischen SS fungierte. So enthielten die Notizen u.a. neben Angaben über die Neulengbacher SA und SS auch Mitteilungen folgenden Inhalts  : „Prof. Mitter, (…) wöchentlich 1 kg bis 8. Juli, Walter Mechnizka, wöchentlich 1  kg bis 8.  Juli (…), Gieburg, 2 wöchentl. ¼ kg (…), Matschinger, ½ kg (…)“. Nachdem sich Rahn „des Oefteren in Widersprüche verwickelte“,1645 riet die Polizeidirektion Salzburg unter Hinweis auf seine Beteiligung am Gerngroß-Anschlag den Wiener Kollegen, „die Angaben Rahn’s mit Vorsicht aufzunehmen“, und überstellte ihn nach Wien. Bei den nachfolgenden Verhören bediente sich Rahn der gleichen Taktik,1646 die Ferdinand Schmid im Zusammenhang mit dem Gerngroß-Prozess so erfolgreich angewandt hatte, indem er bei jeder Aussage eine andere Version seiner Geschichte präsentierte, die Behörden auf zahlreiche falsche Fährten führte, bis keine seiner Angaben mehr auf ihre Richtigkeit hin überprüft werden konnten. So erklärte er bei seiner ersten Einvernahme durch die Salzburger Polizei, dass er am 15. Juni die elterliche Wohnung verlassen habe und zu Fuß nach Wiener Neustadt und von dort zum Semmering gewandert sei. Genächtigt hätte er im Freien und könne für den Zeitraum kein Alibi vorweisen. Auf der Wanderschaft sei er von Parteigenossen unterstützt worden. Nach1640 NFP (Abendblatt) v. 20. 6. 1933, S. 1 („Verhaftung und Geständnis der Kremser Attentäter“). 1641 Im Zentralpolizeiblatt wird Weichselbaums Vorname mit „Alfred“ angegeben, Zentralpolizeiblatt Nr. 107, Zl. 4203 v. 30. 6. 1933, Archiv der Bundes-Polizeidirektion Wien. 1642 RP v. 29. 8. 1933, S. 8 („Die Kremser Handgranatenwerfer vor Gericht“). 1643 Ausschreibung von Alfred Weichselbaum alias Scheibenpflug im Zentralpolizeiblatt Nr. 107, Zl. 4203 v. 30. 6. 1933, Archiv der Bundes-Polizeidirektion Wien. 1644 Abschrift des Berichts der Bundessicherheitswache Salzburg v. 21. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33. 1645 Abschrift der Polizeidirektion Salzburg an die Polizei-Direktion Wien v. 22. 6. 1933, ebd. 1646 Vernehmung von Johann Rahn v. 21.  6.  1933, Fortsetzung der Vernehmung o.  D. (vermutlich 22. 6. 1933, CR) und v. 23. 6. 1933, ebd.

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dem er im Radio von der Auflösung der SA und SS gehörte hatte, wäre er nach Wien zurückgekehrt. Von seiner Braut, deren er Namen er nicht nennen wollte, habe er das Reisegeld nach Salzburg erhalten, um dort seine Großtante zu besuchen. Danach wollte er nach Berchtesgaden fahren, wo Freunde aus Wien, deren Namen er sich ebenfalls zu nennen weigerte, auf ihn gewartet hätten, mit denen er den Watzmann besteigen wollte. Auch hoffte er, in Berchtesgaden „Hitler (…) zu sehen“.1647 Am Tag darauf änderte Rahn seine Angaben und gab nun zu Protokoll, dass er am 15. Juni von dem Kremser SS-Mann Walter Widner gebeten worden sei, nach Krems zu fahren, um dort einen gewissen Ernst Happach Abb. 71: Hans Rahn, 1934, WStLA zu identifizieren. Er sei am Nachmittag mit dem Fahrrad dorthin aufgebrochen und habe Happach als Mitglied seines Sturms „agnosziert“.1648 Daraufhin wurde am 24.  Juni Walter Widner einvernommen,1649 der sich gerade wegen Störung der öffentlichen Ordnung im Gefangenenhaus Krems befand. Dieser bestätigte, dass er Rahn gebeten habe, nach Krems zu fahren. Laut Aussage von Widner sei Happach bei Rahns Eintreffen jedoch bereits abgereist gewesen und konnte nicht identifiziert werden. Bei seiner neuerlichen Einvernahme änderte dann Widner gleichfalls seine Aussage und erklärte nun, dass sich Happach doch noch in Krems aufgehalten habe und von Rahn identifiziert worden sei. Weiters gab er an, dass er bei seiner Rückkehr aus Wien am 15. Juni im Zug nach Krems Richard Kaaserer getroffen habe, der sich in Begleitung eines „sehr grossen Mannes“ befand. Dabei dürfte es sich vermutlich um Amon Göth gehandelt haben.1650 Aber auch Rahn hatte inzwischen seine Aussage über seinen weiteren Aufenthalt abgeändert.1651 Er habe sich nun doch nicht auf Wanderschaft befunden, sondern von 15. bis 20. Juni in Krems aufgehalten, 1647 Vernehmung von Johann Rahn o. D. (vermutlich 22. 6. 1933, CR), ebd. 1648 Einvernahme von Johann Rahn durch das S.B. v. 23. 6. 1933, WStLA, ebd. 1649 Einvernahme von Walter Widner durch die Kriminalpolizei Krems v. 24. 6. 1933, ebd. 1650 Göths Körpergröße betrug 1,93 Meter. 1651 Einvernahme von Johann Rahn durch das S.B. v. 23. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33.

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wo er bei einem Kameraden namens Friedrich Scheibenpflug nächtigte. Und in Berchtesgaden erwarteten ihn keine Wiener, sondern Kremser Kameraden zur Besteigung des Watzmanns. Zum Zeitpunkt von Rahns Aussage suchte der gesamte österreichische Sicherheitsapparat jenen Mann, der laut Reichspost „Das schwerste Mordverbrechen seit dem Bestand der Republik“ verübte hatte,1652 nämlich Adolf Weichselbaum alias Scheibenpflug, der die zweite Handgranate auf den Trupp der Kremser Hilfspolizisten geworfen hatte. Die Untersuchung gegen Rahn über seinen Aufenthalt in Krems wurde nur hinsichtlich des Verfahrens gegen Ernst Happach und dem Anschlag auf das Kaufhaus HAK weitergeführt. Unter den Akten findet sich kein Hinweis darauf, dass die Polizei ihn auch in Zusammenhang mit dem Anschlag auf die Hilfspolizisten in Krems verhörte. So verwundert es nicht, dass der im Prozess gegen die Brüder Mosel den Vorsitz führende Richter dort erklärte  :1653 „Adolf Scheibenpflug ist der Weichselbaum. Weshalb der sich so nennt – wissen wir nicht.“ Im September 1933 wurde Rahn eine Strafe wegen Störung der Ordnung von ursprünglich zehn Schilling auf drei Schilling herabgesetzt.1654 Im gleichen Monat ging er nach Deutschland, wo er ein neues Betätigungsfeld fand  : im Totenkopfverband des KZ Oranienburg.1655 Am 23. Juli 1933 verlautbarte Das Kleine Blatt,1656 dass es nach einer Mitteilung der Sicherheitsdirektion für Niederösterreich „als sehr wahrscheinlich (gilt)“, dass Kaaserer „nicht nur die Bombenanschläge in Berndorf, Pottenstein, Mödling und Pfaffstätten, sondern auch den Handgranatenüberfall auf die Hilfspolizisten in Krems angestiftet hat“. Eine Vernehmung Kaaserers konnte nicht mehr durchgeführt werden, da auch er sich mittlerweile in Deutschland befand. Wenig später folgte ihm sein Adjutant Amon Göth nach. Dieser war im Juli 1933 „ins Altreich“ geflüchtet, nachdem ein unter seiner Leitung geplanter Mordanschlag auf Emil Fey gescheitert war.1657 Am 19. Juli schrieb die Polizei Göth zur Verhaftung aus, allerdings wegen des Verdachts mit den Bombenanschlägen in Wien in Zusammenhang zu stehen.1658 Bekannt war ihr zu diesem Zeitpunkt bereits, dass er als Führer der Motorstaffel der niederösterreichischen SS fungierte. Im Auftrag Alfred Biglers übernahm Göth nun u.a. „den Transport der für 1652 RP v. 20. 6. 1933, S. 1 („Das schwerste Mordverbrechen seit dem Bestand der Republik“). 1653 RP v. 29. 8. 1933, S. 8 („Die Kremser Handgranatenwerfer vor Gericht“). 1654 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Rahn. 1655 BArch (ehem. BDC), RS  : Hans Rahn. 1656 Kl. Bl. v. 23. 7. 1933, S. 11 („Kaaserer hat das Kremser Attentat angestiftet“). 1657 WStLA, GAW  : Amon Göth, Zl. 91.944. 1658 Ausschreibung von Amon Göth im Zentralpolizeiblatt Nr. 120, Zl. 4724 v. 19. 7. 1933, Archiv der BPD Wien.

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Österreich bestimmten Kurzwellensender“1659 und wurde nach seiner Rückkehr nach Österreich im Oktober 1933 von der Staatspolizei verhaftet. Göths Verhaftung dürfte in Zusammenhang mit der Festnahme des Stabsführers der Wiener Motorstaffel, Rudolf Ammersin, erfolgt sein. Dieser war im Herbst 1933 festgenommen worden,1660 nachdem er sich im August unbefugt nach Deutschland begeben hatte, um dort seinen Bruder Leopold zu besuchen, der sich bei der „Österreichischen Legion“ im Lager Lechfeld befand. Von Lechfeld waren die Brüder nach München gefahren, wo sie aus einem Münchner Hotel einen Koffer abholten, der „einem gewißen (sic  !) Göd, VI., Mollardgasse wohnhaft“, der polizeilich bekannten Adresse Göths, gehörte und den sie „über Ersuchen dieses Göd“ nach Österreich bringen sollten. Allerdings habe, so Ammersin, der Koffer nur Kleidungsstücke enthalten, „die seinerzeit von Göd bei seinem Besuche in München im Frühjahr d.J. in dem genannten Hotel“ aus ihm „nicht bekannten Grunde zurückgelassen worden waren“. Göth wurde mangels Beweisen zu Weihnachten 1933 aus der Haft entlassen und flüchtete unmittelbar danach ins Deutsche Reich. Nach seinen Angaben kam es danach zu nicht näher bezeichneten „ernsten Differenzen“ mit Bigler, der Göth daraufhin „außer Dienst“ stellte.1661 Ob gegen Ammersin ein Strafverfahren eingeleitet wurde, geht aus den bisher aufgefundenen Akten nicht hervor.1662 Trotz massenhafter Festnahmen und Internierungen in den Anhaltelagern gelang es den Sicherheitsbehörden nicht, das dichte Organisationsnetzwerk der Wiener SS 1659 WStLA, GAW  : Amon Göth, Zl. 91.944. 1660 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Leopold Amersin (sic  !). 1661 Lebenslauf von Amon Göth, o. D., BArch (ehem. BDC), SSO  : Amon Göth. Sachslehner datiert den Kon­flikt mit Bigler fälschlicherweise auf das Jahr 1937, Sachslehner (2008), S. 31. Aber auch Göths Angaben stimmen mit den übrigen Quellen nicht überein. Laut seinen Ausführungen hatten die Streitigkeiten erst nach Weihnachten 1933 stattgefunden, nachdem er aus der Haft entlassen und wieder nach Deutschland zurückgekehrt war. Allerdings war Bigler bereits am 2. Dezember 1933 zum Oberabschnitt Nord versetzt worden, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Bigler. Seine Nachfolge trat Alfred Rodenbücher am 15. Dezember 1933 an, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. Der Konflikt zwischen den beiden dürfte sich somit bereits im Herbst 1933, also vor Göths Verhaftung in Wien, zugetragen haben. Am 31.Oktober 1936 wurde Bigler auf eigenen Wunsch aus der SS entlassen, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Bigler. Auch Sachslehners Behauptung, unter Igno­ranz der ihm vorliegenden Quellen, dass Göths Beschwerde „gegen seine Entlassung“ aufgrund von Biglers Austritt aus der SS „gegenstandslos“ geworden wäre, ist nicht korrekt, Sachslehner (2008), S. 31. So befand sich Göth von ca. Dezember 1933 bis Herbst 1939 nicht im Stand der SS. Erst nach Einbringung eines Wiederaufnahmegesuches wurde er im Oktober 1939 neuerlich in die SS aufgenommen und entsprechend den nunmehrigen Dienstgraden zum Unterscharführer zurückgestuft, Der Stabsführer des SS-Abschnitts XXXI/Julius Kopp an den Oberabschnitt Donau v. 23. 10. 1939, WStLA, GAW  : Amon Göth, Zl. 91.944. 1662 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Leopold Amersin (sic  !)  ; BArch (ehem. BDC), SSO  : Rudolf Ammersin. Der unter der Mikrofilmrolle RS/A 75 angeführte Akt des Rasse- und Siedlungsamtes zu Rudolf Ammersin konnte im Bundesarchiv Berlin nicht aufgefunden werden.

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zu zerschlagen. Ebenso blieb ihr ein Teil des höchsten Führerkorps der Standarte bis zuletzt verborgen, wie etwa die Funktion von Max Plobner, der seit 1932 als Sturmführer fungierte, 1934 Mazaneks Sturmbann übernahm und als Kommandant der Wiener SS die Standarte in den „Anschluss“ führte.1663 Über ein Jahr lang wurde etwa auch Anton Ziegler nicht beanstandet, der im Juli 1933 illegal nach Deutschland geflüchtet war. Ziegler kam laut einem Polizeibericht „in der Nacht vom Letzten auf den Ersten eines jeden Monates“ nach Wien, um sich weiterhin in seiner Wohnung seine Pension abzuholen. Allerdings sei er „am letzten Julitage (1934, CR) (…) nicht mehr gekommen“. Die „durchgeführte ununterbrochene Beobachtung in der Zeit von 31. Juli 1934, 18 Uhr bis 2. August 1934, 12 Uhr blieb ergebnislos und (es) erscheint“, so die Meldung des Kriminalbeamten, „unwahrscheinlich, dass Ziegler im Laufe dieses Monates noch kommt“. Erst am 8.  August 1934 leitete die Wiener Polizei das Ausbürgerungsverfahren gegen Ziegler ein, der mit ihrem Wissen seit über einem Jahr jeden Monat illegal die deutsche Grenze überschritten hatte. Eine Ausreisebewilligung hatte Ziegler nämlich nicht erhalten. Mit Bescheid vom 15.  September 1934 wurde er als Angehöriger der „Österreichischen Legion“ ausgebürgert. Ebenso dilettantisch nahmen sich auch die jahrelang von der Polizei gegen Hans Mußil, einen der radikalsten Wiener SS-Männer der Zwischenkriegszeit, durchgeführten Nachforschungen aus.1664 Mußil war erstmals im Februar 1927 im Alter von 16 Jahren während eines „Volkskampfs Bummels“ in der Kärntner Straße verhaftet „und dem Amte überstellt“ worden. Nach einer Beschwerde seines aufgebrachten Vaters „wegen der angeblich ungerechtfertigten Anhaltung“ seines Sohnes wurde das Verfahren eingestellt. Im November 1927 vermerkte die Polizei seine Teilnahme am Reichsparteitag der NSDAP in Nürnberg. 1928 wurde Mußil anlässlich der Demonst­ ration gegen die Aufführung von Ernst Kreneks Oper „Jonny spielt auf“ verhaftet und zu 20 Schilling Geldstrafe bzw. 48 Stunden Arrest verurteilt. Im Juli 1931 nahm die Bundes-Polizeidirektion Wien ihn bei Krawallen an der Universität Wien fest und erstattete Anzeige bei der Staatsanwaltschaft Wien  I wegen öffentlicher Gewalttätigkeit. Im November des gleichen Jahres war er laut Zeugenaussagen neuerlich an Zusammenstößen zwischen nationalsozialistischen und jüdischen StudentInnen an der Wiener Universität beteiligt. Alle Verfahren wurden wieder eingestellt. Bewaffnet mit einer Hundepeitsche machte Mußil sich am 4. April 1932 zum Gausturmtag der österreichischen NSDAP nach Linz auf. Im Juli 1932 stand er im Verdacht der „eventuellen Beteiligung“ am Überfall der Nationalsozialisten auf den „Country Club“ im 1663 ÖSTA/AdR, GA  : Max Plobner, Zl. 228.620  ; BArch (ehem. BDC), SSO, RS, PK  : Max Plobner. 1664 Evidenzeinträge der Wiener Polizei zu Hans Mußil, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Musil (sic  !).

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Tiergarten Lainz. Im November wurde er im SS-Verordnungsblatt für seinen Einsatz am Gauparteitag in Wien und bei den Zusammenstößen in Simmering besonders belobigt.1665 Im März 1933 war er im 4. Bezirk im Einsatz, wo er bei einem Zusammenstoß mit sozialdemokratischen AnhängerInnen angehalten wurde.1666 Sechs Wochen später leitete er laut vertraulicher Mitteilung „bei der Stiege des Cafe Casa piccola“ den „verursachten Wirbel zusammen mit Oskar Riesenhuber und forderte die anwesenden P(artei)g(enossen) zur Durchbrechung der Kette der S(icherheits) W(ache) auf“. Anlässlich der Bombenanschläge wurde er am 13. Juni von der Polizeidirektion Wien nach §§ 58 b und 60, 61, 65 b, 76, 81, 85 a und b StG und nach §§ 4 und 5 Sprengstoffgesetz angezeigt. Bei seiner Vernehmung hinsichtlich einer möglichen Teilnahme an den Studentendemonstrationen am 12. Juni erklärte Mußil den Beamten des Sicherheits-Bureaus, dass er, während der nationalsozialistische Mob lautstark im Resselpark demonstriert hatte, sich dort der Zeitungslektüre gewidmet hätte.1667 Am 25. Juli befand er sich bereits wieder auf freiem Fuß. Nach dem Verbot der NSDAP war Mußil in den folgenden Monaten unzählige Male Gegenstand polizeilicher Untersuchungen und stand im Verdacht, Terroraktionen zu organisieren.1668 In keinem Fall gelang es der Polizei oder wollte es ihr auch nicht gelingen, Mußil zu überführen. Im Mai 1934 wurde er schließlich verhaftet, um in einem Anhaltelager interniert zu werden. Nach fünftägiger Haft setzte ihn die Polizei wieder auf freien Fuß, nachdem sich der christlichsoziale Abgeordnete Leopold Kunschak persönlich für ihn eingesetzt hatte. Laut Polizeivermerk ließ auch „der seelische Zustand der Mutter des Verhafteten (…) die Befürchtung eines Selbstmordes zu“. Diese war ebenso wie Mußils Schwester im Juli 1926 der NSDAP beigetreten. Ab 1942 durften sich die beiden mit dem Goldenen Ehrenzeichen der Partei schmücken.1669 Inzwischen hatte Mußil längst die Führung des I. Sturmbanns der Wiener SS übernommen. Dies erfuhr am 19. September auch ein Beamter des Kommissariats Währing1670 von einem wegen Verdachts der verbotenen Betätigung „beamtshandelten“ Mitglied der NSDAP. Als das Kommissariat Hernals am 3. Oktober den Namen des Zeugen in Erfahrung bringen wollte, konnte sich der Währinger Kollege nicht 1665 Stammkarte von Hans Mußil, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Mußil. 1666 Evidenzeinträge der Wiener Polizei zu Hans Mußil, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Musil (sic  !). 1667 Vernehmung von Hans Musil (sic  !) durch das S.B., WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1668 Evidenzeinträge der Wiener Polizei zu Hans Mußil, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Musil (sic  !). 1669 BArch (ehem. BDC), PK  : Leopoldine Mußil. 1670 Amtsvermerk des Kommissariats Währing v. 19. 9. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Aus­bürgerungs­ verfah­ren Johann Musil (sic  !).

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mehr an diesen erinnern, obwohl „er ihn eindringlichst befragt“ hatte.1671 Ein schriftlicher Bericht lag offensichtlich nicht vor. Mittlerweile war Mußil untergetaucht. Seine Meldedaten stellten sich als fingiert heraus. Sein Pass war ihm nicht abgenommen worden. Nach dem Krieg wurde im Zuge von Mußils Volksgerichtsprozesses bekannt, dass er an einem Waffendiebstahl am Laaerberg, an Sprengstoffattentaten und am Juliputsch beteiligt gewesen sein soll. Der Nachweis konnte jedoch nicht geführt werden, da das übergebene Belastungsmaterial nicht mehr auffindbar war.1672 Im August 1934 übernahm Mußil die Führung der 11. Standarte und im November die des Abschnitts I der österreichischen SS. Im gleichen Monat erfolgte seine Beförderung zum Obersturmführer, im Februar 1935 zum Hauptsturmführer.1673 Mehrmals überquerte er heimlich die Grenze nach Deutschland, bis er am 2. März 1935 in Großgmain von einer Schutzkorpspatrouille angehalten und aufgrund seines Passes identifiziert wurde. Während der Eskorte zum Gendarmerieposten unternahm er einen Fluchtversuch, wurde durch einen Steckschuss verwundet und gelangte schwer verletzt über die deutsche Grenze.1674 Laut Mitteilung eines bayerischen Zollkommissärs an seine österreichischen Kollegen sollte er „nun für immer in Deutschland bleiben“.1675 Das gegen Mußil eingeleitete Ausbürgerungsverfahren blieb vorerst erfolglos, da einerseits die Schutzkorpsmänner, die Mußils Passkontrolle vorgenommen hatten, sich im April nicht mehr imstande sahen, eine Personenbeschreibung abzugeben und andererseits seine Lebensgefährtin eine Ausreisebewilligung nach Deutschland erhalten hatte. Die Überwachung von Mußils Post blieb dementsprechend ergebnislos. Den Beweis für die Aberkennung der österreichischen Staatsbürgerschaft lieferte Mußil dann selbst, als er dem Wiener Magistrat in provokanter Weise am 31. August 1935 eine Aufenthaltsbestätigung des Bürgermeisters der Stadt Dachau übermittelte,1676 in dem mitgeteilt wurde, dass der „Hauptsturmführer der Schutzstaffel Johannes Evangelist Clemens Maria Mußil (…) seit 25. August 1935 hier (…) wohnhaft“ sei. Am 8. Oktober 1935 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft aberkannt. Bis zu seiner Flucht nach Deutschland war Mußil von der Wiener Polizei mit 25 Schilling Geldstrafe und fünf Tagen Arrest bestraft worden und hatte im Juni 1933 ca. fünf Wochen in Untersuchungshaft verbracht.1677 1671 Bericht des Kommissariats Hernals v. 3. 10. 1934, ebd. 1672 WStLA, Vg 1326/47, Volksgerichtsverfahren gegen Hans Mußil. 1673 BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Mußil. 1674 Bericht der SS-Grenzüberwachung Abschnitt Reichenhall v. 2. 3. 1935, ebd. 1675 Bericht des Gendarmeriepostenkommandos Großgmain an die BPD Wien v. 6.  3.  1935, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Hans Musil (sic  !). 1676 Abschrift der Aufenthaltsbestätigung von Hans Mußil des Bürgermeisters der Stadt Dachau v. 31. 8. 1935, ebd. 1677 Eidesstattliche Erklärung von Hans Mußil im Flüchtlingsüberprüfungslager Graßlfing v. 23. 1. 1936, ÖSTA, AdR, GA  : Hans Mußil, Zl. 336.310  ; WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33.

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Ähnlich erfolglos blieben zahlreiche Untersuchungen gegen Wiener SS-Männer. Eine Besonderheit stellte Mußils Fall insofern dar, als er im Unterschied zum Großteil der SS-Führer in keinem Anhaltelager interniert wurde. Einen empfindlichen Rückschlag für die Wiener SS bedeutete hingegen der Schuldspruch gegen Josef Fitzthum. Dieser war kurz nach seiner ersten Verhaftung am 13. Juni wieder auf freien Fuß gesetzt worden, aber wenige Tage später neuerlich von der Polizei wegen des Verdachts der Mitwisserschaft an den Bombenanschlägen und Veruntreuung von Geldern der Kunstgewerbeschule festgenommen worden. Am 16. Oktober wurde Fitzthum vom Landesgericht Wien wegen der Unterschlagung von über 13.000 Schilling an seinem Arbeitsplatz zu einem Jahr schweren Kerkers verurteilt.1678 Die Standarte führte zunächst Karl Pichl und ab 24. Juni vertretungsweise Hubert Kölblinger, bis Himmler im August 1933 einen neuen Führer für die Wiener SS bestellte. Seine Wahl fiel auf den bis dahin völlig unbekannten 44-jährigen Maschinenbauingenieur Georg Hof.1679 Dieser war erst Ende April 1933 in die NSDAP und SS eingetreten und zunächst als SS-Mann in der 52. Standarte aktiv.1680 Am 11. August beförderte ihn Himmler zum SS-Truppführer und betraute ihn mit Wirkung vom 23.  August mit der Führung der Wiener SS.1681 Hof hatte im Ersten Weltkrieg als Oberleutnant der k.u.k. Armee an der Front gekämpft, war drei Mal verwundet worden und gehörte von 1922 bis zu seinem Parteieintritt mehreren Freikorpsverbänden an. Seine überraschende Ernennung dürfte vor allem aufgrund seiner beruflichen Stellung erfolgt sein. Hof war nicht nur sehr vermögend, sondern hatte 1927 eine Firma, die Zählermessgeräte für Treibstoff- und Gasanlagen herstellte, gegründet, die ihren Sitz in Budapest hatte und die er als geschäftsführender Direktionsrat leitete. Die Firma unterhielt Geschäftsverbindungen mit halb Europa, und Hof befand sich ständig auf Reisen. Darüber hinaus war er als beratender Ingenieur für Firmen in Deutschland und der Schweiz tätig. Seine berufliche Stellung gab Hof somit das geeignete Alibi für seine politische Tätigkeit. So bereiste er in den Wochen vor seiner Ernennung fast das gesamte Bundesgebiet, angeblich um die heimischen Gaswerke zu besuchen, unterbrochen durch Abstecher ins jugoslawische Maribor und in die Tschechoslowakei.1682 Darüber hinaus war Hof aber auch für die Behörden zu diesem Zeitpunkt ein noch völlig unbeschriebenes Blatt, was sich jedoch rasch ändern sollte. Wenige Tage nach seiner Ernennung verlor er nämlich Ende August seine Brieftasche, die bei der 1678 Urteil des LGfS gegen Josef Fitzthum v. 16. 10. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33. 1679 BArch (ehem. BDC), SSO  : Georg Hof  ; WStLA, GAW  : Karteiblatt Georg Hof. 1680 Quittung der 52. SS-Standarte an Georg Hof v. 28. 4. 1933, Archiv des Parlaments, Gauarchiv Wien. 1681 BArch (ehem. BDC), SSO  : Georg Hof. 1682 Georg Hof an die BPD Wien v. 16. 11. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Georg Hof.

Die Wiener SS in der Illegalität

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Wiener Polizei abgegeben wurde.1683 Darin befand sich neben mehreren Schreiben der SS-Abschnittsführung VIII auch sein Ernennungsdekret zum neuen Führer der 11. SS-Standarte. Hof flüchtete sofort aus Österreich nach Budapest, wo er zeitweise auch seinen ständigen Wohnsitz im Hotel Gellert aufschlug. Im Herbst 1933 kehrte Max Grillmayr trotz des Verbots der SS-Abschnittsleitung nach Wien zurück und begann, gemeinsam mit Fitzthums Bruder Karl1684 und Otto Gustav Wächter1685 die Befreiung Josef Fitzthums aus dem Wiener Landesgericht zu planen.1686 Dieser sollte zunächst mit Diphtherie infiziert werden, zeigte sich jedoch erstaunlich resistent gegen das Virus. Nachdem Grillmayr drei Bazillenkulturen ins Landesgericht eingeschmuggelt hatte und Fitzthum noch immer keine Krankheitssymptome zeigte, wurde nun ein prominenter Facharzt engagiert, der einen Abstrich vornahm und im bakteriologischen Institut ein Privatgutachten anfertigen ließ. Ein Verbindungsmann fälschte den Befund, und Fitzthum wurde am 13. Jänner 1934 in die Infektionsabteilung des Kaiser-Franz-Josef-Spitals verlegt. Dort ging der steckbrieflich gesuchte Grillmayr, dessen Foto immer wieder in den Zeitungen veröffentlicht worden war, als Arzt verkleidet bereits seit Wochen ein und aus und schmuggelte Fitzthum unmittelbar nach seiner Ankunft aus dem Spital. Zwar hatte die Kriminalpolizei sofort mit Spürhunden die Verfolgung aufgenommen, die jedoch durch den von Grillmayr ausgestreuten Pfeffer die Spur nicht finden konnten. Während Fitz­ thum in Wien versteckt blieb, fuhr Grillmayr nach Passau, besorgte einen falschen Pass, den die bayrische politische Polizei am Grenzposten mit dem österreichischen Einreisestempel versah, während der diensthabende österreichische Kollege an seinem Schreibtisch eingeschlafen war. In Wien nahm Grillmayr Kontakt mit Kameraden im Polizeipräsidium auf, die ihn mit Fitzthums Steckbrief versorgten und ihm am 17.  Jänner den Rat gaben, sofort über Tarvis zu flüchten, da die Kriminalpolizei an diesem Tag wegen des Besuchs des italienischen Staatssekretärs Suvich an der ungarischen und tschechoslowakischen Grenze sehr in Anspruch genommen wäre. Am 22. Jänner 1934 trafen Fitzthum und Grillmayr in München ein.

1683 Aktenvermerk des Büros für Organisation und Kontrolle (BfO) v. 9. 4. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Georg Hof. Ein anderer Bericht datiert den Verlust der Brieftasche auf November 1933, jedoch wird auch auf Hofs Ausbürgerungsbescheid der Zeitpunkt seiner Flucht mit Sommer 1933 an­geführt. 1684 BArch (ehem. BDC), PK  : Karl Fitzthum. 1685 ÖSTA/AdR, GA  : Otto Gustav Wächter, Zl. 130.802. 1686 Die Durchführung der Befreiungsaktion beschrieb Grillmayr in einem ausführlichen Bericht, Max Grillmayr an den SS-Abschnitt VIII v. 1. 2. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum  ; vgl. dazu auch Schafranek (2011), S. 209f.

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Der Terrorismus der Wiener SS im Sommer 1933

Die nationalsozialistische Unterwanderung hatte aber auch vor den Justizwachebeamten nicht haltgemacht. Im August 1933 war bereits der Tiroler Gauleiter Franz Hofer in einer spektakulären Aktion befreit worden, im April 1934 verhalf ein Wachmann in Wels einem nationalsozialistischen Kameraden zur Flucht, im Mai desselben Jahres brachte ein Wachebeamter fünf Nationalsozialisten statt ins Anhaltelager Wöllersdorf ins Deutsche Reich.1687 Im April 1934 befreite der nationalsozialistische Wachmann des Linzer Gefangenenhauses, Karl Dobler, nicht nur zwei Nationalsozialisten, sondern auch den Linzer Schutzbundführer Richard Bernaschek und dessen Parteifreunde Otto Huschka und Franz Schlagin.1688 Die Untersuchung förderte zutage, dass Doblers politische Einstellung ebenso bekannt war wie jene des Direktors des Gefangenenhauses und die vorgesetzten Stellen auch von der Polizei darüber informiert worden waren. Gegen Dobler war zuvor bereits ein Disziplinarverfahren durchgeführt worden, das aufgrund mangelnder Beweise wieder eingestellt worden war. Ungeachtet dessen war Dobler weiterhin mit der Überwachung politischer Häftlinge betraut worden. Dementsprechend wetterte ein aufgebrachter Emil Fey über die Unterwanderung der Justizwache und erklärte,1689 dass die Befreiung Bernascheks, eines der prominentesten politischen Häftlinge des austrofaschistischen Regimes, „eine europäische Blamage“ darstelle. In den folgenden beiden Monaten unternahm Fitzthum mehrmals „Propagandareisen“ durch Österreich1690 und hielt sich laut Mitteilung der Budapester Stadthauptmannschaft seit Februar unter dem Decknamen Alfred Falkenberger wiederholt in Budapest auf. Dort wohnte er ebenso wie Hof und Grillmayr, der den Decknamen Martin Auer angenommen hatte, im Hotel Gellert.1691 Laut Personalbericht des SS-Oberabschnitts Donau vom 7. Mai 1934 hatte Hof zu diesem Zeitpunkt seinen Hauptwohnsitz in dem Hotel aufgeschlagen und war im „Nachrichtendienst für die Bewegung in Budapest tätig“.1692 Ab März 1934 wurde Budapest zum Treffpunkt jener Nationalsozialisten, die maßgeblich an der Durchführung des Juliputsches beteiligt sein sollten.

1687 Kykal/Stadler (1976), S. 105. 1688 Während Bernaschek Deutschland wieder verließ, blieben Schlagin und Huschka im Reich, wo Letzterer in der SS Karriere machte. 1689 MRP Nr. 936 v. 6. 4. 1934, Bd. VIII/6, S. 348  ; vgl. dazu ausf. Kykal/Stadler (1976), S. 105–109. 1690 Evidenzeintrag der BPD Wien, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1691 Ebd. 1692 Personal-Bericht und Beurteilung von Georg Hof durch den OaD v. 7. 5. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Georg Hof.

Die Aufstellung des SS-Oberabschnitts Donau und der Abschnitt VIII unter Karl Franz Grimme

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11.3 Die Aufstellung des SS-Oberabschnitts Donau und der Abschnitt VIII unter Karl Franz Grimme

Nach der Flucht von Abschnittsführer Alfred Bigler wurde auch die Führung der österreichischen SS nach München verlegt, die ab Mitte September 1933 für kurze Zeit in der Theresienstraße 311693 und danach in der Briennerstraße 54 untergebracht war. Am 15. Dezember übernahm der ehemalige Oberbootsmann der Reichsmarine SS-Brigadeführer Alfred Rodenbücher die Leitung des Abschnitts.1694 Gleichzeitig wurde als neuer Stabsführer SS-Standartenführer Karl Schuster bestellt,1695 dessen Dienstantritt sich „unter wenig günstigen Voraussetzungen“ vollzog. So hatte Schuster von Himmler den persönlichen Befehl erhalten, sich umgehend beim Abschnitt in München Abb. 72: Alfred Rodenbücher, n. 1933, BArch zu melden. Dort eröffnete er dem bisherigen Stabsführer, dem Linzer Sturmführer Wilhelm Schwarz,1696 dass er seine Funktion übernehmen werde, der darüber überhaupt nicht informiert war. Schuster sollte nun nach Bremen abkommandiert werden, erhielt aber zwei Tage später bei gleichzeitiger Enthebung von Schwarz seine 1693 Führungsstab des RFSS, Verteiler III v. 14. 9. 1933, BArch/NS 19, Zl. 4041. 1694 BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. Yergers (1997), S. 69, Angabe, dass Rodenbücher den Abschnitt VIII ab Juni 1933 übernahm, ist ebenso wenig korrekt wie seine Annahme, dass sich das Hauptquartier in Linz befand und Rodenbücher im Mai 1934 nach dem Tod von Dollfuß von dort nach Deutschland zurückkehrte. 1695 Karl Schuster an den RFSS v. 21. 6. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Schuster. 1696 Wilhelm Schwarz (geb. 1904) war im Frühjahr 1932 der 37. SS-Standarte beigetreten (SS-Nr. 41.938) und im September des gleichen Jahres zum SS-Sturmführer ernannt worden. Laut einem Bericht der BPD Wien fungierte er nach der Übernahme des Abschnitts durch Alfred Bigler als dessen Adjutant, flüchtete nach dem Parteiverbot mit diesem nach München und führte dort den gesamten Nachrichtendienstes des OaD, Bericht der BPD Wien an das St.B. v. 2. 1. 1935, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/ Vrlbg., Zl. 300.678-St.B./1935. Yergers (1997), S. 131, Angabe, dass der Stab von Obersturmführer Franz Schwarz geführt wurde, ist nicht richtig.

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definitive Beauftragung. Nachdem Schwarz weiterhin im Stab der Abschnittsführung verblieb und auch alle anderen Mitarbeiter aus Linz stammten, trat laut Schuster „eine verständliche innere Ablehnung des eingedrungenen Reichsdeutschen seitens der Stabsangehörigen“ ein, wodurch „(n)ur ein schrittweises Bodengewinnen (…) möglich (war)“. Auch die räumliche Unterbringung und Ausstattung der Abschnittsführung war alles andere als ausreichend, rechnete die SS doch zu diesem Zeitpunkt noch mit einem schnellen Ende der Regierung Dollfuß und betrachtete die Verlegung des Abschnitts nur als vorübergehende Maßnahme. Der Abschnittsführung standen lediglich zwei „unzureichende Dienstzimmer“ zur Verfügung, die sich Rodenbücher und Schuster mit ihrem siebenköpfigen Stab teilen mussten, bis im April „bessere Voraussetzungen geschaffen“ wurden. Die „Geheimakten“ der österreichischen SS waren in einem einfachen Rollladenschrank aufbewahrt, da der bestellte Schlüsselschrank wochenlang nicht eintraf. Im Juni 1934 verfügte die Stabswache nicht einmal über ausreichend Kästen und Tische. Einem Bericht Rodenbüchers1697 zufolge hatte die SS bis Jänner 1934 „keinen Pfennig, bis April monatlich nur RM 400,--“ und danach den Standarten-Etat erhalten,1698 „ausgenommen“ der Familienunterstützungen, die „organisatorisch nicht in Ansatz zu bringen“ waren. Am 15.  Februar 1934 wurde der Abschnitt VIII zum SS-Oberabschnitt Donau (OaD) umgewandelt.1699 Als seinen Bevollmächtigten in Österreich setzte Rodenbücher den Führer der SS-Fliegerstaffel, SS-Hauptscharführer Karl Franz Grimme, ein. Dieser hatte nach dem Parteiverbot zunächst als Verbindungsführer1700 und Leiter des Kurierdienstes der 11. und 52. Standarte fungiert und war danach von Rodenbücher zum Führer des Abschnitts VIII bestimmt worden,1701 dessen Sitz in Wien eingerichtet wurde. Die Bestellung Grimmes, der ebenso wie Fitzthum und Frauenfeld als Fliegeroffizier im Ersten Weltkrieg gekämpft hatte, dürfte die enge Verbindung zwischen der Politischen Organisation und der SS in Wien noch weiter gefestigt haben, die Gauleiter Frauenfeld als „vorzüglich“ beschrieb.1702 1697 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. 1698 Die Höhe des Standarten-Etats für das Jahr 1934 konnte nicht eruiert werden. Nach der Haushaltsplanung 1935 war der Etat vom Sturm bis zum Oberabschnitt folgendermaßen aufgeteilt  : Sturm 112,– RM, Sturmbann 765,– RM, Standarte 1910,– RM, Abschnitt 3.692,– RM, Oberabschnitt 14.100,– RM, Haushaltsplanung 1935 für die allgemeine SS, BArch/NS 3, Zl. 465. 1699 Der RFSS, Verteiler I v. 15. 2. 1934, BArch/NS 19, Zl. 4042. Yergers (1997), S. 85 Angaben, dass der Abschnitt in Leoben aufgestellt wurde, ursprünglich den Namen „Österreich“ trug und von dort aus geführt wurde, sind falsch. 1700 BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Franz Grimme. 1701 Alfred Rodenbücher an den Chef des SS-Hauptamtes v. 4. 9. 1935, ebd. 1702 Frauenfeld (1978), S. 113.

Die Aufstellung des SS-Oberabschnitts Donau und der Abschnitt VIII unter Karl Franz Grimme

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Als seinen Adjutanten ernannte Grimme den Architekten Frank Schläger, weitere enge Mitarbeiter waren Erhard Hammerand1703 und der SSHaupttruppführer der österreichischen SS-Fliegerstaffel, der Feldpilot Anton Wolf.1704 Hauptverantwortlich für die Organisation des Kurierdienstes1705 zwischen den österreichischen Standarten und dem OaD waren ab spätestens Anfang Juni 1934 der Wiener SSHauptscharführer Hans Speer1706 und der Linzer Bundesbahnoberrevident Karl Eberhardt.1707 Während Speer für die Standarten Wien, Steiermark und Niederösterreich zuständig war, übernahm Eberhardt den Kurierdienst für die oberösterreichische, Salzburger und Kärntner Abb. 73: Karl Franz Grimme, 1937, BArch SS. Über Eberhardt wurden die Berichte an den reichsdeutschen Bahnbeamten Karl Röschinger nach Salzburg weitergeleitet, der sie Wilhelm Schwarz in München übermittelte.1708 Dieser gab sie wiederum an Hauptsturmführer Anton Wohlrab 1703 ÖSTA/AdR, GA  : Karl Franz Grimme, Zl.  332.035. Hammerand war nach seiner Flucht nach Deutschland in der Reichspropagandaabteilung beschäftigt, Walter (2005), S.  449. 1940 wurde er Direktor des Hotels Bristol, in dem Schläger gemeinsam mit dem Architekten und SS-Angehörigen Franz Kaym im Jahr zuvor das Reisebüro der Lufthansa und den Einbau einer Bar vorgenommen hatte, Architekturzentrum Wien, www.architektenlexikon.at/de/286.htm (Stand  : 26. 4. 2010). 1704 ÖSTA/AdR, GA  : Karl Franz Grimme, Zl. 332.035  ; Bericht über die Aussage von Alfred Hadwiger, o. D. (ca. Juli 1934, CR), ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 1705 Vgl. dazu auch Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte (1934), S.  42–44  ; Schafranek (2006), S. 102f., 108. 1706 Speer war seit März 1931 Mitglied der NSDAP. Der Zeitpunkt seines Eintritts zur SS konnte nicht ermittelt werden. Im Jänner 1937 trat er auf eigenen Antrag aus der SS aus, BArch (ehem. BDC), PK  : Hans Speer. 1707 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl.  220.611-St.B./1934   ; ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 311.351-St.B./1937. Eberhardt gehörte seit ca. 1927 der NSDAP (Nr. 50.655) und seit etwa 1932 der SS (Nr. 58.068) an, wurde nach seiner Flucht nach Deutschland 1936 zum SS-Untersturmführer ernannt und stieg bis Ende des Krieges zum SS-Standartenführer auf, Dienstaltersliste der Schutzstaffel (= DAL) 1936–1938, 30. 1. 1944. Vgl. auch Hauch (2001), S. 393f., 400. 1708 Bericht der BPD Linz an den St.A. beim Militärgericht Linz v. 19. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg.,

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weiter.1709 Als Erkennungswort diente den Verbindungsmännern Grimmes Vorname „Franz Karl“.1710 Mit SS-Truppführer Maximilian Graf von und zu Arco-Zinneberg hatte Grimme für den Posten des Verbindungsführers des Abschnitts zum OaD den idealen Mann gewinnen können.1711 Arco-Zinneberg war spätestens seit Sommer 1933 für die SS im Einsatz1712 und dürfte über Grimmes Vorgänger, den im April 1933 tödlich verunglückten ersten Führer der österreichischen SS-Fliegerstaffel Friedrich Bistritschan, zur SS gekommen sein, mit dem er 1932 die „Flugdienst G.m.b.H.“ gegründet hatte.1713 Arco-Zinneberg wurde 1908 in München als Sohn von Joseph Maria Graf von und zu Arco-Zinneberg und Wilhelmine Prinzessin von Auersperg geboren, war reichsdeutscher Staatsbürger, verbrachte aber den Großteil seines Lebens in Wien. Der überaus wohlhabende junge Graf, u.a. Teilhaber des Bankhauses Topolansky,1714 machte sich zunächst als Rennfahrer einen Namen,1715 bevor er sich der Sportfliegerei zuwandte. Seine rechtsradikale Einstellung teilte er mit einem seiner Verwandten, Anton Graf von Arco-Valley, der 1919 den bayerischen Ministerpräsidenten Kurt Eisner erschossen hatte.1716

41/2, Zl. 311.351-St.B./1937. Laut einem Konfidentenbericht vom Jänner 1935 wurde Schwarz als Leiter des ND von einem Sturmführer namens Griek abgelöst, dessen Identität bisher nicht festgestellt werden konnte, Be­richt der BPD Wien an das St.B. v. 2. 1. 1935, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/ Vrlbg., Zl. 300.678-St.B./1935. 1709 Vernehmung von Karl Eberhardt durch die Polizeidirektion Linz v. 2. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. Der aus Salzburg stammende Baumeister Anton Wohlrab gehörte dem Stab des Hilfswerkslagers Dachau an, DAL 1934. 1710 Vernehmung von Karl Eberhardt durch die Polizeidirektion Linz v. 2. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 1711 ÖSTA/AdR, GA  : Karl Franz Grimme, Zl. 332.035. 1712 Nach seiner Verhaftung hatte Walter Leubuscher im Juni 1933 der Polizei auch Arco-Zinnebergs Namen genannt und musste sich nach seiner Flucht nach Deutschland dafür bei diesem entschuldigen, Niederschrift der Vernehmung von Walter Leubuscher v. 7. 7. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/ Vrlbg., Zl. 300.678-St.B./1935. 1713 NFP v. 19. 4. 1933, S. 5 („Schweres Unglück bei Mariazell“)  ; NFP (Abendblatt) v. 19.4.1933, S. 4 („Der Flugzeugabsturz bei Mariazell“)  ; RP v. 20.  4.  1933, S.  5 („Der Flugzeugabsturz von Mariazell. Ein zweites Todesopfer“). Nach Bistritschans tödlichem Absturz wurde das Flugunternehmen an ­Ileana Habsburg ver­kauft, Rob Mulder, www.europeanairlines.no/Arcticles_Austria_220105.htm (sic  !) (Stand  : 26. 4. 2010). 1714 NFP (Abendblatt) v. 20. 5. 1937, S. 1 („Graf Max Arco-Zinneberg tödlich abgestürzt“). 1715 So gewann er u.a. das Semmering-, Gaisberg-, Arlberg- und Kesselberg-Rennen, Kl. Bl. v. 21. 5. 1937, S. 6 („Todessturz eines Pfingstfliegers“). 1716 Hitzer (1988).

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Ihre gemeinsame Leidenschaft für die Fliegerei gab Grimme und Arco-Zinneberg, die auch in unmittelbarer Nähe zueinander wohnten,1717 das geeignete Alibi für ihre illegale politische Tätigkeit. Als reichsdeutscher Staatsbürger mit direkter Verbindung zum ehemaligen österreichischen Hochadel, der an sportlichen Fliegerwettbewerben im In- und Ausland teilnahm, stand für Arco-Zinneberg die österreichische Grenze nach Deutschland weit offen. Auch der Wohnsitz der Familie in München, das prunkvolle Palais Arco-Zinneberg am Wittelsbacherplatz 1, lag geradezu ideal für die SS, nämlich mitten im Machtzentrum der NSDAP und nur einen kurzen Fußmarsch vom Sitz des OaD entfernt.1718 Mit Grimmes Bestellung hatte nicht nur das zuvor bedeutungslose Fliegerkorps an Einfluss gewonnen, sondern setzte die SS-Führung, wie auch schon Georg Hofs Bestellung gezeigt hatte, ganz auf ehemalige Offiziere der k.u.k. Armee, die zumeist erst kurze Zeit der SS angehörten. Diese Entwicklung setzte sich nach Fitzthums Befreiung weiter fort. Im Februar 1934 kam er nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in Deutschland „mit besonderem Auftrag“ Himmlers nach Wien zurück1719 und unternahm unter dem Decknamen Alfred Falkenberger als angeblicher Vertreter der Münchner Firma Kustermann1720 in den folgenden Monaten mehrere „Propagandareisen“ durch Österreich.1721 Zwar blieb Georg Hof auch nach Fitzthums Befreiung weiterhin formal beauftragter Führer der Wiener SS, praktisch wurden jedoch keine Entscheidungen ohne Fitzthums Einverständnis getroffen1722 und auch in der Korrespondenz des OaD wurde er als Führer der Wiener Standarte bezeichnet. Darüber hinaus waren seine Entscheidungskompetenzen weiter gefasst, als es die Dienstordnung der SS üblicherweise zuließ. So ernannte er ohne Rückfrage mit dem OaD seinen Stellvertreter Hubert Kölblinger,1723 der von Rodenbücher drei Wochen später nur 1717 Beide wohnten im 3. Bezirk  : Grimme in der Bechardgasse 17, Arco-Zinneberg in der Rechten Bahngasse 28. 1718 Der Stammsitz der Familie befand sich auf Schloss Maxlrain in der Gemeinde Tuntenhausen bei Bad Aib­ling. 1719 Lebenslauf von Josef Fitzthum, o. D. (nach 12. 1940), BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 1720 Abschrift der Vernehmung von Josef Fitzthum v. 10.  4.  1934, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1721 Evidenzeintrag der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl. IV-15188 v. 1934, ebd. 1722 So hatte der aus der SS ausgeschlossene Franz Maxa am 15. Jänner einen Antrag auf Wiederaufnahme in die SS gestellt. Laut einem Schreiben des Abschnitts VIII vom 17. Jänner, also jenem Tag, an dem Fitzthum nach Deutschland flüchtete, sollten bis zu dessen Eintreffen in München keine weiteren Schritte unternom­men werden. Am 26. Jänner lehnte Fitzthum Maxas Wiederaufnahme ab. Erst nach Fitzthums neuerlicher Verhaftung wurde Maxa wieder in die SS aufgenommen, BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Maxa. 1723 Notiz zu einem Antrag von Alfred Rodenbücher v. 30. 4. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hubert Kölblin­ger.

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Der Terrorismus der Wiener SS im Sommer 1933

noch bestätigt wurde. Ebenso wie Grimme war auch Kölblinger von Fitzthum für die SS angeworben worden und genoss dessen volles Vertrauen, da Kölblinger während des Ersten Weltkriegs unter Fitzthums Kommando bei den Kaiserjägern an der Front gekämpft hatte.1724 Eine zweite Seilschaft ehemaliger Frontkämpfer des Kaiserjägerregiments begann sich innerhalb des Nachrichtendienstes der SS und P.O. zu bilden. Ab diesem Zeitpunkt rückten SS-Mitglieder in entscheidende Positionen innerhalb der P.O. auf, wodurch sich die Zusammenarbeit zwischen P.O. und SS noch enger gestaltete. Gleichzeitig begann die Wiener SS ihren Einfluss auf Kosten der SA auszudehnen und erhielt dabei die Unterstützung von Gauleiter Frauenfeld. Dies zeigte sich insbesondere bei der Aufstellung der zweiten Wiener SS-Standarte.

1724 Einvernahme von Hubert Kölblinger durch das S.B. v. 22. 6. 1933, WStLA, LGfS Wien I, Vr 4349/33.

12. Die Entwicklung der Wiener SS vor dem Juliputsch

12.1 Die Aufstellung der 89. SS-Standarte

Im März 1934 wurde mit der Aufstellung der 89. SS-Standarte die zweite Wiener SS-Staffel gegründet, womit der SS nun ein kampfstarker Spezialverband zur Verfügung stand. Der Großteil der SS-Männer der neuen Standarte setzte sich nämlich aus Mitgliedern des ehemaligen „Deutschen Soldatenbundes“ zusammen, der unter der Führung des ehemaligen Heeresangehörigen Fridolin Glass stand. Seit spätestens Anfang 1933 hatte die Anwerbung von Soldaten des Bundesheeres einen Schwerpunkt der Arbeit der österreichischen NSDAP gebildet. So war Ende Jänner 1933 von der österreichischen Landesleitung der Auftrag an die Gauleitungen ergangen,1725 ihre Propaganda innerhalb des Bundesheeres sofort und ohne Rücksicht auf andere Werbeaktionen zu intensivieren und in der „nächste(n) Zeit alle Mittel in die Propaganda beim Bundesheer zu stecken“. Daraufhin begannen die Vorstandsmitglieder des „Deutschen Soldatenbundes“ in Wien, Fridolin Glass, Franz Holzweber und Otto Planetta, mit einer intensiven Werbekampagne unter den Kameraden.1726 Bei zwei Zusammenkünften nationalsozialistischer Heeresangehöriger Anfang Juni 1933 im NSDAP-Parteiheim des 7. Bezirks forderte Glass die Versammelten auf,1727 „bei einem allfälligen militärischen Einschreiten gegen die Nationalsozialisten“ den Gehorsam zu verweigern. Im Falle einer politisch bedingten Entlassung sicherte er ihnen die Unterstützung der Partei zu. Nachdem die Sicherheitsbehörden von dem Treffen erfahren hatten, wurden die Vorstandsmitglieder Glass, Planetta, Holzweber und Leo­ pold Stumwöhrer am 9. Juni verhaftet, 67 Angehörige aus dem Bundesheer entlassen und der „Deutsche Soldatenbund“ aufgelöst.1728 Die entlassenen Heeresangehörigen formierten sich unter der Führung von Glass zur sog. „Militärstandarte“, die in loser Verbindung zur SA stand und von dieser auch finanziert wurde.1729 Nach Glass’ An1725 LL Österreich (H.A. III) an die Gauleitungen (H.A. III) v. 23. 1. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/ gen, Zl. 172.206-GD. 1/1933. 1726 Jagschitz (1976), S. 81. 1727 Bericht der BPD Wien v. 9. 6. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 167.599-GD. 1/1933. 1728 ÖSTA/AdR, Bericht der PDion Wien v. 10. 6. 1933. 1729 Zu den Auseinandersetzungen zwischen Glass und der SA-Führung vgl. ausf. Schafranek (2006), S. 33–39.

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gaben kam es allerdings zu keiner engeren Zusammenarbeit mit der SA, welche die „Militärstandarte“ weitgehend ignorierte.1730 Unter Umgehung der SA nahm Glass Anfang 1934 Kontakt zur SS auf und begann über die Überführung seiner Männer in die Schutzstaffel zu verhandeln. Der Vorschlag dazu dürfte von Gauleiter Frauenfeld gestammt haben. Als Vertreter der Bundesheerangehörigen war Glass auch Mitglied der österreichischen Landesleitung und zählte Frauenfeld zufolge zu seinem „engste(n) Mitarbeiterkreis“.1731 Nachdem Frauenfeld von Verhandlungen zwischen Glass und SA-Führer Reschny erfahren hatte, „stoppte er dies sofort“ und erklärte, „daß weder die Zusammensetzung der SA in Österreich noch die Person Hermann Reschnys“ ihm „die Gewähr böten, daß diese Elite-Organisation eine angemessene Behandlung erfahren würde“. Stattdessen schlug er ihm vor, sich der SS anzuschließen, zu der Frauenfeld „vorzügliche Verbindungen“ hatte. Auch Glass bestätigte in einem Bericht,1732 dass sein Eintritt in die SS nach „mündliche(r) Aussprache“ mit seiner „örtlichen, politischen Instanz (Gauleiter Frauenfeld)“ erfolgt war. Nach der Untersuchung von Hans Schafranek müsste diese Unterredung Anfang Jänner 1934 stattgefunden haben, da sich Frauenfeld danach im Anhaltelager Wöllersdorf befand.1733 Die Verhandlungen zwischen Glass und der SS-Führung dürften ebenfalls noch in diesem Monat stattgefunden haben, da der Polizeibeamte Alfred Baubin, der sich mit dem sog. „Polizeisturm“ ebenfalls der 89. SSStandarte anschloss, in einem Bericht an Rodenbücher erklärte,1734 dass er Glass „im Januar 1934 als aktiver Polizeibeamter bei seiner Fahrt ins Reich begleitet“ und nach seiner Rückkehr „die aktivsten Kameraden zum Eintritt in die SS auf(gefordert)“ habe. Die ersten organisatorischen Schritte zur Aufstellung des Polizeisturms innerhalb der 89. SS-Standarte setzte Baubin laut einem Bericht der Staatspolizeileitstelle München im Februar 1934.1735 In weiterer Folge gelang es Glass,1736 trotz der „politischen Bindung an die SA (…) nach einer Vorsprache bei dem (…) Chef des SS-Hauptamtes, SS-Gruppenführer 1730 Fridolin Glass an den OaD, eingel. am 6.  4.  1934  : Verhaftung  ; Bericht von Fridolin Glass, o.  D., Beilage zum Schreiben des OaD an die SA-Obergruppe XI v. 7. 4. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann). 1731 Frauenfeld (1978), S. 112f. 1732 Bericht von Fridolin Glass, o.  D., Beilage zum Schreiben des OaD an die SA-Obergruppe XI v. 7. 4. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann), Herv. i. Orig. 1733 Schafranek (2006), S. 37. 1734 Alfred Baubin an Alfred Rodenbücher v. 12.  3.  1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Baubin (= Alfred Keller). 1735 Geheime Staatspolizei/Staatspolizeileitstelle München v. 12.  3.  1937 an Alfred Rodenbücher v. 12. 3. 1937, ebd. 1736 Historische Kommission (1965), S. 68.

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Wittje, die Militärstandarte im Frühjahr 1934 der SS zur Verfügung (zu) stellen“. Der genaue Zeitpunkt der Unterredung konnte bisher nicht eruiert werden,1737 jedoch wurde Glass am 1. März 1934 als SS-Anwärter registriert.1738 Seinen Angaben zufolge löste er am 16.  März die angeblich nur „lose Vereinbarung“ mit der SA und wurde zwei Tage später als SS-Mann1739 in die Schutzstaffel aufgenommen.1740 Am 22.  März traf er in Budapest zu einer Unterredung mit Josef Fitzthum ein.1741 Unmittelbar danach dürften Glass und Fitzthum nach MünAbb. 74: Fridolin Glass, n. 1934, BArch chen abgereist sein. So stellten zwei nach dem Krieg verfasste Berichte der Polizeidirektion Wien fest,1742 dass Fitzthum „bei den Besprechungen im Bezug auf die Gründung der 89. SS-Standarte mit Heinrich Himmler und Fridolin Glass, welche in München stattfanden(,) teil(nahm)“. Reschny, der Glass’ Verhalten als Verrat ansah, ließ diesen am 24.  März von der Baye­rischen Politischen Polizei (BPP) kurzfristig wegen „Meuterei“ verhaften.1743 Nach seiner Freilassung wurde Glass am 28. März in Dachau ärztlich untersucht1744 und von Fitzthum als SS-Führer vorgeschlagen, der auch selbst Glass’ Führer-Proto1737 Laut Schafranek begleitete Baubin im März 1934 Glass zu Verhandlungen über die Überstellung der „Militär­standarte“ in die SS nach Berlin, Schafranek (2006), S. 106. Allerdings findet sich in keinem Bericht von Baubin und Glass ein Hinweis darauf, dass im März eine Reise nach Berlin stattgefunden hätte. Die einzige diesbe­zügliche Angabe taucht in dem bereits erwähnten Bericht von Baubin über die gemeinsame Reise im Jänner 1934 „ins Reich“ auf, Alfred Baubin an Alfred Rodenbücher v. 12. 3. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Baubin (= Alfred Keller). 1738 SS-Stammkarten-Abschrift von Fridolin Glass, BArch (ehem. BDC), SSO  : Fridolin Glass (= Kurt Merk­mann). 1739 Beförderung des SS-Mannes Glass zum SS-Sturmführer durch RFSS v. 28. 3. 1934, ebd. 1740 Fridolin Glass an den OaD, eingel. am 6. 4. 1934, ebd. 1741 Telefonische Mitteilung aus Budapest an die BPD Wien, Evidenzeinträge der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl. IV-6606 v. 1934, S.B. 4093 v. 1935, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1742 Bericht der Polizeidirektion Wien v. 10.  5.  1946 und 7.  3.  1947, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1743 Schafranek (2006), S. 34  ; BArch (ehem. BDC), SSO  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann). 1744 SS-Mannschafts-Untersuchungsliste von Fridolin Glass v. 28. 3. 1934, ebd.

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koll unterzeichnete.1745 Noch am gleichen Tag wurde Glass zum Sturmführer ernannt und mit der Führung der neuen Standarte beauftragt.1746 Die Aufstellung erfolgte somit unter Beteiligung Fitzthums und im Einvernehmen mit der politischen Leitung. Die SS rechtfertigte ihr Vorgehen gegenüber der SA damit,1747 dass zwar nach dem Parteiverbot „sämtliche sogenannte aktive Einheiten der SA-Obergruppe XI unterstellt“ wurden, die damit jedoch „nicht ein Teil der SA (wurden), sondern (…) selbständig (blieben)“. Glass’ Verhaftung verschärfte das ohnedies bereits strapazierte Verhältnis zwischen den beiden Formationen noch weiter. So ersuchte Rodenbücher Anfang April die österreichische SA-Führung „um Rückäusserung“,1748 „was die SAObergruppe XI veranlasste, so gegen einen verdienten Kämpfer der Bewegung vorzugehen“. Am 10. Mai teilte die SA-Obergruppe dem OaD mit,1749 dass sie „von Ihrem (sic  !) Standpunkt nicht ab(geht)“, dass Glass „zu dem Zeitpunkt seines sogenannten ‚Eintritts‘ in die SS“ der SA angehört habe. Sie betrachte Glass weiterhin als „Deserteur“ und habe „ihn damals entsprechend behandelt“. Allerdings „verzichtet (sie) derzeit aus Gründen allgemeiner Natur, dem Glass weiterhin die verdiente Behandlung zuteil werden zu lassen  ; die derzeitige Behandlung, über die Glass Beschwerde führt, war jedoch die ihm von Rechtswegen zukommende. Weitere Erklärungen hat die Obergruppe zu diesem Falle nicht zu geben.“ Schafraneks Annahme,1750 dass Glass den OaD umgangen und Rodenbücher dies als „Brüskierung“ aufgefasst habe, ist also ebenso wenig haltbar wie seine Annahme, dass Glass sich „eine besonders wirkungsvolle Unterstützung“ für den Juliputsch „von seinen neuen Vorgesetzen nicht erwarten“ konnte. Den Gründen, warum diese ausblieb, lagen, wie noch ausgeführt wird, ganz andere Probleme im OaD zugrunde. Ebenso war es keineswegs eine „etwas ungewöhnliche Konstruktion“,1751 dass Glass sich als Führer einer Standarte zunächst nur „mit dem bescheidenen Rang eines Sturmführers begnügen musste“. Ausschlaggebend dafür war vielmehr, dass Glass nicht definitiv ernannt, sondern nur mit der Führung der Standarte beauftragt worden war. Dies stellte einen entscheidenden Unterschied hinsichtlich des Dienstgrades dar und musste im gesamten Schriftverkehr durchgehend angeführt werden. So hatte Karl Franz Grimme als beauftragter Führer des SS-Abschnitts VIII nur den Rang eines Hauptscharfüh1745 Führer-Fragebogen von Fridolin Glass, o. D. (vermutl. 28. 3. 1934, CR), ebd. 1746 Der RFSS v. 28. 3. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann). 1747 Historische Kommission (1965), S. 68. 1748 Alfred Rodenbücher an die SA-Obergruppe XI v. 7.  4.  1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann). 1749 Obergruppe VIII (sic  !) an den OaD v. 9. 5. 1934, ebd. 1750 Schafranek (2006), S. 33. 1751 Ebd., S. 36.

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rers inne1752, und Georg Hof befehligte die 11. Standarte als Truppführer. Mit Wirkung vom 10. April 1934 wurde er mit der Führung der Motorstandarte beauftragt und zehn Tage später zum Obertruppführer ernannt. Auch sein Nachfolger Hubert Kölblinger war nur Truppführer, als er zum stellvertretenden Führer der 11. Standarte ernannt wurde. Seine Beförderung zum Sturmführer erfolgte erst am 27. April 1934. Nach dem Juliputsch führte mit Hans Mußil zumindest ein Untersturmführer die Standarte, der also den gleichen Rang wie Glass innehatte.1753 Auch eine automatische Angleichung des Dienstranges kam bei Glass, der in der SA keine Führerstellung innegehabt hatte, bei seinem Eintritt in die SS nicht infrage. Weiters bestand in der Illegalität keine automatische Koinzidenz zwischen dem Dienstgrad des Führers und der Stärke der Einheit. Aufgrund der zahlreichen Verhaftungen musste der Führerwechsel rasch erfolgen, und es war notwendig, dass SS-Angehörige mit Dienstgraden, die nicht dem Stärkestand der jeweiligen Einheit entsprachen, das Kommando übernahmen. Typisch dafür war etwa die Übergabe der Führung der oberösterreichischen SS an Heinrich Weithner nach der Flucht des bisherigen Führers Hanns Feil im Juli 1934. Wenige Wochen später wurde auch Weithner verhaftet, dessen Ernennung zum Untersturmführer erst 1936 erfolgte.1754 Ebenso wenig ist Jagschitz’ Annahme zuzustimmen,1755 dass die beiden Standarten in einem Konkurrenzverhältnis zueinander gestanden seien, Glass’ „Eigenmächtigkeit (…) nicht nur zu Spannungen mit der SA, sondern auch mit der älteren in Wien befindlichen SS-Standarte 11 (führte)“ und man „diese Isolation als Ursache für die Tatsache berücksichtigen müsse, daß sich Glass nicht um eine Zusammenarbeit mit anderen nationalsozialistischen militärischen Formationen bemühte“. Ganz im Gegenteil bedeutete die Aufstellung der 89. SS-Standarte für die militärisch notorisch schwache 11. Standarte einen enormen Machtgewinn gegenüber der SA und wurde dementsprechend von deren Führung gefördert. Auch die Aufgabenverteilung zwischen den beiden Standarten vor und während des Juliputsches sollte ganz dem Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten entsprechen. So übernahm die 89. Standarte das militärische Kommando, während die 11. Standarte maßgeblich in die Vorbereitungen, insbesondere im ND, involviert war und ein Ablenkungs- bzw. Sicherungsmanöver am 1752 Laut einem Schreiben von Alfred Rodenbücher sollte Grimme Anfang Juni 1934, als er bereits als Abschnitts­führer eingesetzt war, für die Ernennung zum Hauptsturmführer vorgeschlagen werden. Seine Beförderung erfolgte dann erst nach seiner Flucht 1935 nach Deutschland, und zwar rückwirkend mit 1. Juni 1934, Alfred Rodenbücher an den Chef des SS-Hauptamtes v. 4. 9. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Franz Grimme. 1753 Zur Einführung der neuen Dienstrangbezeichnungen, s. S. 42f. 1754 DAL 1938. 1755 Jagschitz (1976), S. 81.

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Michae­lerplatz sowie die Festnahme von Bundespräsident Miklas organisierte. Aber auch Fitzthums positives Verhältnis zu Glass sollte nach dem „Anschluss“ ungebrochen fortbestehen.1756 Den Aufnahmedaten in den Personalakten der Angehörigen der 89. SS-Standarte zufolge dürfte die Übernahme der Militärstandarte in die SS Anfang April erfolgt sein.1757 Ab diesem Zeitpunkt begann die 11. SS-Standarte, geeignete Männer an diese abzugeben. So beschrieb etwa der SS-Mann Ferdinand Bauer,1758 dass er Anfang 1932 in die 11. SS-Standarte in Wien aufgenommen worden war und „bei der Aufstellung der SS-Sta(ndarte) 89 (…) im April 1934 zu dieser überwiesen“ wurde. Ebenso gelagert war der Fall des SS-Mannes Herbert Guzmann,1759 der seit Juni 1933 der SS angehörte und vor dem Putsch ebenfalls zur 89. SS-Standarte überstellt wurde. Auch die später justifizierten SS-Männer der 89. SS-Standarte Franz Leeb, Ludwig Maitzen und Erich Wohlrab waren schon 1932 der Wiener SS beigetreten, Otto Planetta war 1933 zum SS-Sturmführer ernannt worden.1760 Josef Domes, der während des Putsches 1756 So befürwortete Fitzthum Glass’ Antrag auf Verleihung des Blutordens bzw. sah eine diesbezüg­liche „Ausnahmebehandlung“ als „gerechtfertigt“ an. In seiner Stellungnahme schrieb er über Glass  : „Zwar nur 1 Monat + 20 Tage Haft, aber es liegt ungewöhnlicher Einsatz für die Bewegung vor  : Führer der Juliputschisten, um ein Haar dem Galgen entkommen. – Sowohl vor als nach dem Verbot immer in vorderster Reihe gekämpft. – Vorbildlicher Charakter. – Ausnahmebehandlung gerechtfertigt.“ Antrag auf Verleihung des Blutordens von Fridolin Glass, o. D. (eingel. b. Gau Wien am 8. 8. 1939), ÖSTA/ AdR, GA  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann), Zl. 253.483. Auch nach dem Juliputsch bemühte sich Fitzthum um Verständigung zwischen den zerstrittenen Führern der 89. Standarte. So erstattete etwa die Gendarmerieexpositur im Anhaltelager Wöllersdorf am 12. Jänner 1935 Strafanzeige wegen des Verbrechens des Hochverrates gegen ihn, nachdem Aufzeichnungen über die Neuorganisation der 89. SS-Standarte aufgefunden worden waren, aus denen hervorging, dass Fitzthum „einen Bericht an die Reichsführung der SS weitergege­ben haben dürfte und sich auch an einem Schlichtungsverfahren zwecks Herstellung der Einigkeit unter den ehem. SS-Führern und Männern hervorragend beteiligt hat“, Evidenzeintrag der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl. IV-1826/3 v. 1935, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1757 BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Benitzky, Leopold Köberl, Hans Bauer, Alfred Baubin (= Alfred Keller), Willibald Akamphuber, Franz Grondinger, Richard Heberlein, Rudolf Klenert, August Theodor Blaha  ; ebd., RS  : Othmar Glatter, Richard Heberlein sowie Siegberth Graf, WStLA, GAW  : Siegfried Seidl, Zl. 50.899. 1758 Vermerk über die Aussage von Ferdinand Bauer durch die Abteilung IP in Berlin v. 17.  10.  1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Leopold Köberl. 1759 WStLA, GAW  : Heribert (sic  !) Guzmann, Zl. 12.240, 43.083. 1760 Zusammenstellung der biografischen Daten von Franz Leeb, Ludwig Maitzen, Erich Wohlrab und Otto Pla­netta, BArch/NS 19, Zl.  602. Dementsprechend erhielt die 11.  Standarte nach dem „Anschluss“ auch den Namen „Planetta“ verliehen. Zunächst wurde auch überlegt, vier Stürme der Standarte nach Leeb, Maitzen, Wohlrab und dem ebenfalls justifizierten Josef Hackel zu benennen, dessen Eintrittsdatum in die SS bisher nicht eruiert werden konnte. Die 89. Standarte wurde nach Franz Holzweber benannt, drei Stürme sollten die Namen der hingerichteten SS-Männer Hans Domes,

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die Bereitstellung der Waffen an den Sammelplätzen leitete und am Überfall auf die Radio Verkehrs AG (RAVAG) beteiligt war, hatte sich 1933 der Wiener SS angeschlossen.1761 Franz Macfelda, der 1933 von der SA zur SS übergetreten war,1762 wurde ebenfalls zur 89. Standarte überwiesen und erhielt den Befehl, während des Putsches mit seinen „Leuten der SS 89“ den Ring vom Burgtheater bis zum äußersten Burgtor zu besetzen. Zumindest vereinzelt waren SS-Männer der 11. Standarte, die nicht überstellt worden waren, auch an der Besetzung des Bundeskanzleramtes beteiligt, wie etwa Herbert Burgstaller, der sich dabei verletzte und eine Sepsis zuzog, die drei schwere Operationen zur Folge hatte.1763 Neben dem Soldatenbund wurden der Abb. 75: Feldpostkarte der 11. und 89. SS-Standarte, n. 1939, WStLA 89. Standarte noch aktive Bundesheerangehörige, die Reste mehrerer Freikorpsverbände und der „Polizeisturm“ unter der Führung des Kanzlei-Adjunkts der Polizei­ direktion Wien Alfred Baubin und seines Kollegen Paul Bazelt1764 angegliedert.1765 Dies erschwerte das ohnedies schon konfliktträchtige Verhältnis zwischen den Kriminal- und Wachebeamten einerseits und den Kollegen des Innendienstes andererseits noch weiter. Ende 1930 hatte der Wiener Kriminalbeamte und spätere NSDAPErich Schredt und Ernst Feike erhalten, die allesamt direkt in die 89. Standarte eingetreten waren , „Verzeichnis der in der Ostmark gemordeten SS-An­gehörigen“, Kommandoamt der Allgemeinen SS, 1941, ebd. Letztlich erhielten aber nur die beiden Standarten die Namen von Planetta und Holzweber. 1761 WStLA, GAW  : Josef Domes, Zl. 39.430 und Karteikarten  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Josef Domes. Ob Do­mes ebenfalls zur 89. SS-Standarte überstellt wurde, ist aufgrund der vorliegenden Akten nicht feststellbar. Das Kommando über die Aktion hatte sein Bruder Hans Domes inne, der einen Sturmbann der 89. Stan­darte führte und im August 1934 hingerichtet wurde. 1762 BArch (ehem. BDC), PK  : Franz Macfelda. 1763 Lebenslauf von Herbert Burgstaller, o. D., BArch (ehem. BDC), RS  : Herbert Burgstaller. 1764 Bazelt war 1930 in die NSDAP eingetreten und von 1932 bis 1934 als Zellenobmann der NSB, Sektion Poli­zei, aktiv, Fragebogen und Lebenslauf von Paul Bazelt, Datum unleserlich, BArch (ehem. BDC), SSO  : Paul Bazelt. 1765 Jagschitz (1976), S. 81.

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Landtagsabgeordnete Konrad Rotter nämlich von der Gauleitung Wien den Auftrag erhalten,1766 „eine eigene Organisation, in welcher nur Polizisten der Exekutive erfasst werden sollten, zu schaffen“. Im gleichen Jahr gründete er die Bezirksgruppe Gersthof 2, die der Gauleitung Wien direkt unterstand. Zur Stärkezahl der Gruppe liegen unterschiedliche Angaben von Rotter vor, die 1933 zwischen 1.0001767 und 1.5001768 Mitglieder betragen haben soll. Die Werbung innerhalb der Polizei hatte, wie ab Jänner 1933 auch innerhalb der Heeresangehörigen, einen Schwerpunkt der Arbeit der österreichischen NSDAP gebildet. So waren auf Anordnung der Landesleitung die einzelnen Gaue verpflichtet, „die Spezialpropaganda in der Exekutive“ finanziell zu unterstützen.1769 Nach eigener Darstellung hatte Rotter angeblich nur den Auftrag erhalten, die Exe­kutivbeamten zu organisieren, dann aber über Zustimmung der Gauleitung „auch eine kleine Anzahl von Kanzlei- und Verwaltungsbeamten in der Stärke von 30 Personen in die Gruppe aufgenommen“.1770 Baubin stellte hingegen fest,1771 dass Rotter die Polizeibeamten des Innendienstes bewusst ignoriert und auf deren Mitarbeit keinen Wert gelegt habe. So hatte auch Baubin gleich nach Gründung der Ortsgruppe Gersthof Rotter seine Mitarbeit angetragen, der darauf aber erst gar nicht reagiert hätte. Baubin gründete daraufhin im Mai 1932 die Polizeiorganisation der Nationalsozia­ listischen Beamtenschaft (NSB), Polizeigruppe Innendienst, die unter seiner Leitung stand. Auch diese neue Dienststelle nahm Rotter angeblich nicht zur Kenntnis. Nach der Zusammenfassung aller österreichischen Heeres-, Polizei und Gendarmerieangehörigen durch die Landesleitung1772 wurde Baubin dann als Landesgruppenleiter der NSB zu dieser überstellt und war nach dem Parteiverbot „illegal in Sonderverwendung des Gaus Wien“ im Nachrichtendienst tätig.1773 Baubins Kontakt zu Glass reichte somit spätestens in das Jahr 1933 zurück, als beide in der Landesleitung als Vertreter der Landesgruppe der Polizei- bzw. Heeresangehörigen der NSB aktiv waren, und setzte sich in der Illegalität im Rahmen der Gauleitung fort. 1766 Abschrift des Lebenslaufs von Konrad Rotter, o. D., BArch (ehem. BDC), SSO  : Konrad Rotter. 1767 Bericht von Konrad Rotter v. 30.  8.  1934, WStLA, Volksgerichtsverfahren Wien gegen Hermann Reschny, zit. n. www.kurt-bauer-geschichte.at (Stand  : 26. 4. 2010). 1768 Abschrift des Lebenslaufs von Konrad Rotter, o. D., BArch (ehem. BDC), SSO  : Konrad Rotter. 1769 LL Österreich/Theo Habicht an den Gau Wien (H.A. II) v. 13. 4. 1933, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 2. 1770 Bericht von Konrad Rotter v. 30.  8.  1934, WStLA, Volksgerichtsverfahren Wien gegen Hermann Reschny, zit. n. www.kurt-bauer-geschichte.at (Stand  : 26. 4. 2010). 1771 Alfred Baubin an Alfred Rodenbücher v. 12.  3.  1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Baubin (= Alfred Keller). 1772 Ebd. 1773 Lebenslauf von Alfred Baubin v. 13. 8. 1934, ebd.

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Baubins Angaben über seine politische Tätigkeit und die NSB sind nicht gesichert, da er im Zeitraum von 15 Monaten verschiedene Versionen darüber verfasste  : So trat er nach einem Bericht der Ortsgruppe Wien-Gersthof 2 bei, die nur Exekutivbeamte umfasste,1774 ein anderes Mal wiederum gehörten der Gruppe „alle Beamtenkategorien“ an.1775 Nach Gründung der NSB waren in dieser „nach 7 Monaten 51 %“,1776 laut einem anderem Bericht erst „innerhalb eines Jahres 50 %“1777 der Angehörigen des Innendienstes organisiert. Seine Bestellung zum Referenten der Landesleitung für die österreichische Polizei erfolgte entweder 14 Tage1778 oder einen Monat1779 vor dem Parteiverbot, könnte aber auch im März 1934 (sic  !)1780 vonstatten gegangen sein. Eine „Auslese“ der NSB wurde zu Beginn des Jahres 1934,1781 am 1.  April1782 oder im Mai 19341783 in die 89. Standarte überführt. Auch die Zahl der Übertritte dieser „Auslese“ stieg mit jedem weiteren Bericht stetig an  : Waren es im August 1934 noch 861784 Mann gewesen, wurden daraus im November ca. 1001785 und im August 1935 dann 110.1786 Innerhalb der 89. Standarte führte der „Polizeisturm“ unter Baubins Leitung den ND nun „als SS Dienst“ weiter.1787 Aber nicht nur der Übertritt der NSB in die SS verschlechterte das Verhältnis zu Rotter, der Baubins Leuten sogar den Parteiausschluss androhte,1788 sondern auch Glass’ Versuch,1789 die Bezirksgruppe Gersthof der 89. Standarte einzuverleiben, lieferte weiteren Konfliktstoff. In der Folgezeit gelang es nicht, ein „enges Arbeitsverhältnis“ zwischen Rotter und Glass herzustellen.1790

1774 Eidesstattliche Erklärung v. 29. 11. 1934, ebd. 1775 Alfred Baubin an Alfred Rodenbücher v. 12. 3. 1935, ebd. 1776 Lebenslauf v. 13. 8. 1934, ebd. 1777 Lebenslauf v. 12. 1. 1935, ebd. 1778 Lebenslauf v. 13. 8. 1934, ebd. 1779 Alfred Baubin an Alfred Rodenbücher v. 12. 3. 1935, ebd. 1780 Lebenslauf v. 27. 8. 1935, ebd. 1781 Alfred Baubin an den SD des RFSS/Oberabschnitt Süd v. 8. 1. 1935  ; Lebenslauf v. 12. 1. 1935, ebd. 1782 Eidesstattliche Erklärung v. 9. 11. 1934, ebd. 1783 Lebenslauf v. 13. 8. 1934, ebd. 1784 Ebd. 1785 Eidesstattliche Erklärung v. 29. 11. 1934, ebd. 1786 Lebenslauf v. 27. 8. 1935, ebd. 1787 Lebenslauf v. 13. 8. 1934, ebd. 1788 Alfred Baubin an Alfred Rodenbücher v. 12. 3. 1935, ebd. 1789 Abschrift des Lebenslaufs von Konrad Rotter, o. D., BArch (ehem. BDC), SSO  : Konrad Rotter. 1790 Alfred Baubin an Alfred Rodenbücher v. 12.  3.  1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Baubin (= Alfred Keller).

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12.2 Der Stärkestand der österreichischen SS im Juli 1934

Der Abschnitt VIII hatte vor dem Parteiverbot die Standarten 11 (Wien), 52 (Niederösterreich und nördliches Burgenland), 37 (Oberösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg) und 38 (Steiermark, südliches Burgenland, Kärnten und Osttirol) umfasst.1791 Bis 1934 wurden weitere vier Standarten aufgestellt, und zwar in Wien, Tirol und Vorarlberg, Salzburg und Kärnten. Die Nummerierung der Standarten wich – zumindest vor dem Juliputsch – in einigen Fällen von der ursprünglichen und nach dem „Anschluss“ wieder gebräuchlichen ab. So erhielt etwa die oberösterreichische Standarte nun die Nummer 76 (früher 37). Insgesamt wies die österreichische SS am 31.  Juli 1934 einen Mitgliederstand von 8.798 SS-Männern auf.1792 In einem Brief an Himmler vom 21. Juli 1934 gab Rodenbücher den Stärkestand des OaD allerdings mit 9.450 SS-Mitgliedern an.1793 Möglicherweise bezog sich die Differenz von 1.152 auf jene bereits nach Deutschland geflüchteten bzw. zur kurzfristigen Ausbildung dorthin abkommandierten SS-Männer.1794 Weiters meldete Rodenbücher, dass der OaD am 1.  Jänner 1934 nur 4.980 Mann umfasst und sich somit binnen eines halben Jahres fast verdoppelt hätte. Die Zahl der bestätigten SS-Mitglieder betrug im Jänner 1934 lediglich 949 Männer und stieg bis Juli 1934 auf 1.752 an.1795 Der niedrige Stand an Bestätigten lag darin begründet, dass die Männer in der Illegalität keiner unnötigen Gefahr ausgesetzt werden sollten und der OaD die Aufnahmepapiere nicht einforderte. So umfasste etwa die oberösterreichische SS am 20.  Juli 1934 nach einer beim kommissarischen Standartenführer beschlagnahmten Stärkemeldung 42 SS-Männer und 958 SS-Anwärter.1796 1791 Vernehmung von Richard Kaaserer durch die BPD Linz v. 8. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/ gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 1792 Aufstellung „O.Ab. Donau – Letzter Stand per 31. Juli 1934“, BArch/NS 33, Zl. 182. 1793 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. 1794 Oftmals war den Männern aufgrund der Einleitung von Ausbürgerungsverfahren durch die österreichischen Behörden eine Rückkehr nicht mehr möglich. 1795 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. 1796 Bericht der BPD Linz an den St.A. beim Militärgericht in Linz v. 19. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 311.351-St.B./1937. Die Standarte gliederte sich damals in drei Sturmbanne und zwölf Stürme  : Sturm­bann I  : Linz Nord (Sturm 1), Linz Süd (Sturm 2), Urfahr (Sturm 3), Steyr (Sturm 4)  ; Sturmbann  II  : Wels (Sturm 5), Peuerbach (Sturm 6), Ried (Sturm 7), Braunau (Sturm 8)  ; Sturmbann III  : Vöcklabruck (Sturm 9), Schwanenstadt (Sturm 10), Gmunden (Sturm 11) und Ischl (Sturm 12).

Der Stärkestand der österreichischen SS im Juli 1934

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Einer Angabe Baubins zufolge umfasste die 89. SS-Standarte im Frühjahr 1934 rund 400 Mitglieder,1797 während eine Aufstellung des OaD von Ende Juli die Mitgliederstärke mit 725 SS-Männern bezifferte.1798 Zum gleichen Zeitpunkt zählte die 11. Standarte 989 SS-Angehörige, womit sie ihren Stärkestand seit März 1933 mehr als verdoppelt hatte.1799 Nach der Aufstellung vom 31. Juli 1934 wies der OaD folgende Mitgliederzahl auf  : Einheit Stab des OaD

Stärkestand

Sitz per 31. 7.1934

27 (ab 31. 8.: 16)

Wien (recte  : München, CR)

Abschnitt VIII

7

Wien

11. Standarte

989

Wien

38. Standarte

1.199

Graz

52. Standarte

1.692

Krems

89. Standarte

725

Abschnitt XXXI

Wien

1

Salzburg

37. Standarte1800

999

Innsbruck

76. Standarte1801

1.094

87. Standarte

817

90. Standarte

607

1802

Linz Salzburg Klagenfurt

Kommandierte SS-Männer

70



SS-Flieger

71



Gesamt

8.798

Tabelle 14  : Stärkestand des Oberabschnitts Donau, Stand vom 31. Juli 19341803 1800 1801 1802

1797 Jagschitz (1976), S. 81. 1798 Aufstellung „O.Ab. Donau – Letzter Stand per 31. Juli 1934“, BArch/NS 33, Zl. 182. 1799 Nach einer vertraulichen Mitteilung, die im Juli 1934 beim BKA eingegangen war, umfasste die 89. Standarte etwa 1.500 SS-Männer. Diese Angabe dürfte jedoch nicht den Tatsachen entsprochen haben, wie auch der Großteil der übrigen Informationen falsch war. So wurde die 11. Standarte von einem gewissen „Szypien“ geleitet. Gemeint war damit SS-Hauptscharführer Karl Sypien, der Ende 1933 den Sturm 2/II/11 von Karl Heinz Urban übernommen hatte und diesen während der Illegalität führte, BArch (ehem. BDC), RS, SSO  : Karl Sypien. Weiters fungiere als Adjutant Grimmes ein Prinz Windischgrätz, während Grimme die „Militärstandarte für Wien, Niederösterreich und Burgenland“ kom­mandiere, Bericht v. 17. 7. (1934), ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 1800 Vor dem Juliputsch und nach dem „Anschluss“ trug die Standarte die Nummer 87. 1801 Vor dem Juliputsch und nach dem „Anschluss“ trug die Standarte die Nummer 37. 1802 Vor dem Juliputsch und nach dem „Anschluss“ trug die Standarte die Nummer 76. 1803 Aufstellung „O.Ab. Donau – Letzter Stand per 31. Juli 1934“, BArch/NS 33, Zl. 182.

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Die Entwicklung der Wiener SS vor dem Juliputsch

Die SA verfügte nach Schafraneks Schätzung zu diesem Zeitpunkt über annähernd 30.000 Männer in Österreich und fast 10.000 österreichische Legionäre in Deutschland.1804 Folgt man dieser Schätzung und setzt sie mit den Angaben Rodenbüchers über die Stärke der SS in Beziehung, dann lag das Stärkeverhältnis zwischen SA und SS nicht wie vorgeschrieben bei 10  : 1, sondern bei ca. 10  : 4. Damit stellt sich die Frage, warum die SS trotz ihrer zahlenmäßigen Stärke während des Juliputsches mit Ausnahme Wiens kaum bzw. überhaupt nicht in Erscheinung trat. Weiters herrscht in der umfangreichen Literatur über den Juliputsch1805 die Ansicht vor, dass auch die 11. SS-Standarte keine Rolle im Zusammenhang mit dem Putsch spielte, ohne dass dies näher untersucht worden wäre. Auch die Frage, warum Himmler offensichtlich nicht in die entscheidenden Vorbereitungen involviert war, wurde bisher nicht gestellt. Im folgenden Abschnitt soll diesen spezifischen Fragen nachgegangen werden, während bereits bekannte Fakten über die Vorbereitungen und den Ablauf des Juliputsches nur skizziert werden. 12.3 Der Beginn der Verschwörung

Der erste Plan für einen nationalsozialistischen Putsch wurde im Juli 1933 von dem Kompaniekommandanten der Alarmabteilung Josef Heischmann und dem Major des Bundesheeres Rudolf Selinger entwickelt, in den auch die Polizeibeamten Leo Gotzmann, Paul Hönigl und Viktor Friedrich1806 eingeweiht waren. Wenig später unterrichtete die Gruppe Konrad Rotter und den Kriminalbeamten Franz Kamba, der dem BKA zugeteilt war, von ihrem Vorhaben.1807 Die Aktion sollte ursprünglich im Herbst 1933 stattfinden, wurde jedoch immer wieder verschoben.1808 Anfang 1934 plante wiederum Hermann Reschny, mit der Legion in Österreich einzufallen,1809 der sich dann die SA-Einheiten in Österreich anschließen sollten. Nach Intervention von Außenminister Neurath untersagte Hitler allerdings die weiteren Vorbereitungen. Rotter, 1804 Schafranek (2006), S. 71. 1805 Vgl. dazu u.a. Auerbach (1964)  ; Jedlicka/Neck (1975a)  ; Jagschitz (1976)  ; Bauer (2003)  ; Schafranek (2006)  ; Klösch (2007) sowie die Dokumentationen Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julire­volte (1934)  ; Bericht der Historischen Kommission des Reichsführers SS (1965)  ; zur Außenpolitik vor dem Juliputsch vgl. Ross (1966)  ; Kerekes (1966)  ; Petersen (1973)  ; Michalka (1978)  ; Haas (1984)  ; Stuhlpfarrer (2005) sowie die Edition Akten zur deutschen Auswärtigen Politik (1973), Serie C, Bde. II/1–2, Bd. III/1. 1806 Friedrich starb während der Februarkämpfe 1934. 1807 Die Denkschrift Rotters über die Vorbereitung und Durchführung des Putsches ist abgedr. bei Schafranek (2006), S. 233–266. 1808 Historische Kommission (1965), S. 66f.; Jagschitz (1976), S. 70. 1809 Jagschitz (1976), S. 70.

Der Beginn der Verschwörung

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der mittlerweile auch die Wiener Gauleitung von seinen Plänen in Kenntnis gesetzt hatte, versuchte unterdessen, seine Mitverschwörer auszumanövrieren und selbst die Initiative zu ergreifen.1810 Ende Februar fuhr er in Begleitung des Wiener Gauorganisationsleiters Franz Petrak zu einem Treffen mit Habicht und Reschny nach München, um sie von seinem Vorhaben zu unterrichten. Habicht erteilte ihm zwar eine vorläufige Absage,1811 begann aber nun, ebenso wie Reschny, seine eigenen Putschpläne zu entwickeln. Inzwischen hatte auch Fridolin Glass durch Selinger von der Aktion erfahren,1812 der seinerseits sowohl die SA als auch Konrad Rotter zu hintergehen begann. Die Hauptverantwortlichen für die Planung und Durchführung des Putsches waren schließlich Theo Habicht, Otto Gustav Wächter, der Stabsleiter der österreichischen Landesleitung Rudolf Weydenhammer und Fridolin Glass. Zwischen September 1933 und Jänner 1934 hatten zahlreiche Verhandlungen und Vermittlungsversuche zwischen der NSDAP und der Regierung stattgefunden, die größtenteils ohne Wissen oder Auftrag von Dollfuß geführt worden waren und zu keinen neuen Ergebnissen geführt hatten.1813 Ab Februar 1934 trat Rudolf Weydenhammer1814 dann in engeren Kontakt zum ehemaligen Unterrichtsminister Anton Rintelen, der inzwischen zum Gesandten in Rom bestellt worden war. Die Gespräche wurden bei einem Treffen der beiden am 7. und 8. März in Rom fortgesetzt.1815 Dabei erklärte sich Rintelen „bedingungslos bereit (…), (sich) den Weisungen des Landesinspekteurs Habicht zu unterstellen“.1816 Auch Finanzminister Buresch schien „im Sinne Rintelens tätig zu sein“ und hatte „zwecks eingehender Rücksprache“ seinen Besuch in Rom für Ostern angekündigt, ebenso wie der Vorsitzende des Landbundes Franz Winkler.1817 Habicht intensivierte daraufhin seine Verhandlungen mit den Führern des Landbundes, der im September 1933 aus der Regierung ausgeschieden war.1818 Aber auch die Wiener SA begann zu diesem Zeitpunkt die Wehrformation des Landbundes, die sog. „Grüne Front“, als Tarnorganisation zu benutzen.1819 So traten zahlreiche 1810 Schafranek (2006), S. 104. 1811 Jagschitz (1976), S. 72  ; Schafranek (2006), S. 104. 1812 Historische Kommission (1965), S. 67. 1813 Vgl. dazu ausf. Jagschitz (1976), S. 60–65, sowie Langoth (1951), S. 106–166. 1814 Zur Biografie Weydenhammers vgl. Jagschitz (1976), S. 76. 1815 Ross (1966), S. 197. 1816 Aufzeichnung des Stabsleiters der LL Österreich der NSDAP Rudolf Weydenhammer v. 7. und 8. 3. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 560f. 1817 Ross (1966), S. 310. 1818 Vgl. dazu Schafranek (2006), S. 59–63. 1819 BPD Wien an die St.A. Wien v. 22. 12. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Mark Günther-Traisenthal.

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Die Entwicklung der Wiener SS vor dem Juliputsch

Mitglieder des NSKK unter der Führung von Helmuth Dachs,1820 dem Adjutanten des Führers der Wiener SA Oskar Türk, geschlossen der „Grünen Front“ bei, die nach außen hin unter dem Kommando von Kornelius Zimmer stand. Laut Polizeibericht begann sich die Verbindung zwischen NSKK und „Grüner Front“ im März 1934 wieder aufzulösen, als sich ein Teil dieser NSKK-Mitglieder zu einer SA-Terrorgruppe zusammenschloss. Zimmer selbst fiel am 14. Juli 1934 einem Fememord zum Opfer.1821 Bei einem Treffen mit Habicht in Zürich im März 1934 unterstellte Winkler den Landbund der NSDAP. Zu diesem Zeitpunkt dürften auch die ersten Vereinbarungen über die Zahlung von Geldern der Landesleitung an den Landbund stattgefunden haben,1822 die dann vom ehemaligen Leiter der Rechtsschutzstelle des Landbundes Oskar Reichenauer von München nach Wien gebracht wurden. Gleichzeitig nahmen Habicht und Wächter vorsichtigen Kontakt zu Fey auf,1823 der sich in der Folgezeit weiter intensivierte1824 und den auch Rintelen für „den stärksten Machtfaktor“ hielt. Mitte März schlug Hitler einen „neuen Kurs“1825 in der Österreich-Politik ein und verhängte zunächst ein Rede- und Propagandaverbot.1826 Am 16.  März erklärte er gegenüber Außenminister Neurath,1827 daß „wir weder den Anschluß wünschten noch Österreich gleichzuschalten beabsichtigten. Worauf es ankäme, sei, sich einzuschal1820 WStLA, GAW  : Helmuth Dachs, Zl. 21.013, 30.648, 276.340  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Helmuth Dachs  ; zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 400. 1821 Als Täter wurden nach dem Krieg die SA-Angehörigen Leopold Masterer, Franz Kurka und Anton Heinrich Sztojkovits (auch Sztojkovics) entlarvt. Sztojkovits wurde im Jänner 1949 vom Wiener Volksgericht zu fünf Jahren schwerer, verschärfter Kerkerhaft verurteilt. Masterer und Kurka waren bereits im Krieg gefallen, AZ v. 12.  1.  1949, S.  4 („Erinnerung an einen Fememord“). Sztojkovits erhielt nach seiner Flucht nach Deutschland den Decknamen „Schütze“, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Anton Heinrich Sztojkovits. Der zu­nächst verdächtigte Eduard Floch war an der Tat unbeteiligt, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungs­verfahren Eduard Floch  ; WStLA, GAW  : Eduard Floch, Zl. 21.852  ; 296.365  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Eduard Floch. Nach Schafranek war der „eigentliche Anstifter bzw. Organisator“ des Fememordes Mark Günther-Traisenthal, der unentdeckt blieb, vgl. dazu ausf. Schafranek (2011), S. 239–276. Sztojkovits wurde bereits im Dezember 1949 wieder bedingt entlassen, ebd., S. 242f. 1822 Bericht der BPD Wien an die St.A. Wien v. 6. 9. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Franz Winkler. 1823 Aufzeichnung des Stabsleiters der LL Österreich der NSDAP Rudolf Weydenhammer v. 7. und 8. 3. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 560f. 1824 Jagschitz (1976), S. 64. 1825 Ministerialdirektor Gerhard Köpke an Kurt Rieth v. 15. 3. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 598  ; vgl. dazu ausf. Ross (1966), S. 184–197. 1826 Jacobsen (1968), S. 785. 1827 Aufzeichnung von Ministerialdirektor Gerhard Köpke vom 16. 3. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 600f.

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ten. Der Zeitpunkt hiefür sei aber noch nicht gekommen.“ Es müsste sich erst noch herausstellen, wer sich „als der Stärkste erweise, wer in der Lage sei, die Regierung wirklich zu führen“ und „mit einer solchen, die Lage tatsächlich meisternden Regierung werde man alsdann Fühlung nehmen müssen und sie in ihren Bemühungen um Herbeiführung geordneter Verhältnisse unterstützen“. Nachdem Deutschland im Februar eine Zusatzvereinbarung zum deutsch-ungarischen Handelsvertrag unterzeichnet1828 und der italienische Botschafter in Berlin, Vittorio Cerruti, im Namen seiner Regierung am 12. März Neurath mitgeteilt hatte,1829 dass Italien „sowohl beim österreichischen Problem wie auch bei der Donaufrage keine Lösung anstrebe, die eine antideutsche Spitze haben könnte“, sah die deutsche Regierung dem Treffen zwischen Mussolini, Gömbös und Dollfuß am 13.  März in Rom mit Gelassenheit entgegen. Dementsprechend schlug der Abschluss der „Römischen Protokolle“ am 17.  März „(w)ie eine Bombe“ in Berlin ein.1830 Mussolini hatte zwar seinen lang gehegten Plan über den Abschluss eines Zollunionsvertrags aufgrund der ablehnenden Haltung von Dollfuß und Gömbös aufgeben müssen,1831 jedoch sein seit Herbst 1932 anvisiertes Vorhaben über den Abschluss eines Konsultativpaktes weiterverfolgt. Am 13. März trafen Dollfuß und Gömbös in Rom ein. Gömbös stimmte mit Mussolini darin überein, dass die Unabhängigkeit Österreichs durchaus im Interesse Ungarns läge, und forderte, dass das Treffen mit „konkreten Ergebnissen“ enden müsse.1832 Dazu sei es notwendig, „die außenpolitische Linienführung Österreichs“ zu klären,1833 da ihm Informationen vorlägen, dass Dollfuß sich die Verbindung zu Frankreich und der Tschechoslowakei offenhalte und jene „zu uns nur zum Schein pflege“. Dollfuß’ Lage habe sich nach den Februarkämpfen zwar gefestigt, jedoch wurden „die Chancen des Erfolges über die Roten nicht ausgenützt“, und auch die „Vaterländische Front“ habe „keinen realen wirtschaftlichen Inhalt“. Dadurch sei „die deutsche Anziehungskraft bestehen geblieben“. Mussolini und Gömbös einigten sich darauf, dass ein Anschluss Österreichs an Deutschland ausgeschlossen sei, jedoch konnte Gömbös mit Rücksicht auf Deutschland, das er als Verbündeten gegen die Revisionsansprüche der Tschechoslowakei brauchte, nicht so bestimmt dagegen auftreten. Weiters war er davon überzeugt, dass Deutschland auch aus außenpolitischen Gründen „den Anschluß nicht forcieren werde“. Gömbös’ erklärtes Ziel war weiterhin 1828 Das Auswärtige Amt an Staatssekretär Hans-Heinrich Lammers v. 13. 3. 1934, in  : ebd., S. 588–591. 1829 Konstantin von Neurath an die Botschaft in Rom v. 13. 3. 1934, in  : ebd., S. 582. 1830 Petersen (1973), S. 323. 1831 Vgl. dazu ausf. Petersen (1973), S. 312–327  ; Haas (1984)  ; Stuhlpfarrer (2005). 1832 Petersen (1973), S. 320. 1833 Aufzeichnungen über die Unterredung zwischen Mussolini und Gömbös v. 13. 3. 1934, zit. n. Kerekes (1966a), S. 115.

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der Abschluss eines Vierer-Paktes mit Deutschland, bei dem Österreich „die Rolle des Verbindungsstaates spielen würde“. In den folgenden drei Tagen widersetzte sich Dollfuß, wie schon zuvor, vehement Mussolinis Forderung nach Abschluss des Konsultativpaktes,1834 „kapitulierte“ aber am 16. März und stimmte diesem unter weitreichenden wirtschaftlichen Zugeständnissen seitens Italiens schließlich voll und ganz zu. In den „Römischen Protokollen“ wurde eine engere Beziehung zwischen den drei Ländern beschlossen,1835 die sich „zur Akkordanz ihrer Politik, zur Pflege des gegenseitigen Einvernehmens und zu konformem Vorgehen“ sowie „zu gemeinsamen Beratungen, die jeweils eine Seite verlangen konnte, (verpflichteten)“. Gömbös betonte aber,1836 dass Ungarn sich auch weiterhin die Möglichkeit freundschaftlicher Beziehungen zu Deutschland offenhalten werde, und lehnte es entschieden ab, Österreichs Unabhängigkeit vertraglich festzuhalten. Im Ministerrat streifte Dollfuß nur kurz die politischen Vereinbarungen und erklärte,1837 dass es sich „eben nur um ein Protokoll, nicht um einen Pakt (handle)“, das „im wesentlichen nichts enthalte, was nicht bereits in den Freundschaftsverträgen mit Italien und Ungarn festgelegt sei“. In einem dem Ministerrat vorgelegten „Bericht über die Römer Reise“1838 wurde der Konsultativpakt nur als „freiwillige gegenseitige Verpflichtung zur freundschaftlichen Fühlungnahme über jene Fragen, die jeweils die beiden Staaten gemeinsam interessieren“, interpretiert. Und weiters hieß es dort  : „Natürlich werden solche Freundschaftsverträge oft bloß unterzeichnet und bleiben ein Stück Papier, d.h. sie werden in der Praxis nicht gehandhabt, wodurch sie selbstverständlich wertlos sind.“ Die deutsche Regierung, die mit keinem positiven Ergebnis des Treffens gerechnet hatte, wurde vom Ausgang der Gespräche völlig überrascht. So hatte Goebbels noch am 17. März in sein Tagebuch notiert, dass „nicht allzu viel herauszukommen“ scheine.1839 Umso größer war die Verärgerung Berlins über die Unterzeichnung der Protokolle, über die das Auswärtige Amt „falsch informiert und hinter das Licht geführt worden“ sei.1840 Wenige Tage nach der Unterzeichnung betonte Mussolini in einer Rede die unbedingte Notwendigkeit der österreichischen Unabhängigkeit und unterstrich das Protektorat Italiens über Österreich. 1834 Petersen (1973), S. 320. 1835 Karl Haas (1984), S. 84  ; vgl. auch Stuhlpfarrer (2005), S. 322–336. 1836 Kerekes (1966a), S. 19. 1837 MRP Nr. 931 v. 23. 3. 1934, Bd. VIII/6, S. 295. 1838 Beilage B zum MRP Nr. 931 v. 23. 3. 1934, Bd. VIII/6, S. 307. 1839 Tagebucheintrag von Goebbels v. 17. 3. 1934, S. 386f, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 1840 Staatssekretär von Bülow an Ulrich von Hassel v. 19. 3. 1934, zit. n. Petersen (1973), S. 324.

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Aber auch nach Abschluss der Protokolle versuchten italienische Kreise weiterhin, bei Mussolini Stimmung gegen Dollfuß zu machen. So sprach sich etwa der italienische Militärattaché in Wien, Oberstleutnant Umberto Fabbri, für eine Übernahme der Kanzlerschaft durch Anton Rintelen aus und berichtete regelmäßig seinem deutschen Kollegen Wolfgang Muff über den Stand der Dinge.1841 Mitte April fand in Rom und Zürich eine zweite Verhandlungsrunde der österreichischen Landesleitung der NSDAP mit Rintelen, Winkler und dem Vorsitzenden der Großdeutschen Volkspartei Hermann Foppa statt.1842 In Rom erklärte Rintelen gegenüber Weydenhammer,1843 dass Bundespräsident Miklas „im Fall gewaltsamer Ereignisse von irgendwelcher Seite“ wegen des ständig schwankenden Kurses von Dollfuß „gegebenenfalls jeder anderen Regierung heute ebenfalls seinen Segen geben würde“.1844 Er sprach sich für einen „harten, eventuell sogar gewaltsamen Kurs“ aus,1845 da „ohne etwas Brutalität gegenüber der österreichischen und italienischen Regierung (…) schwerlich eine Beschleunigung zu erwarten sei“. Während Stabschef Weydenhammer weitere Verhandlungen mit Rintelen in Rom führte, hielt Habicht am 14. und 15.  April in Zürich Gespräche mit Winkler und Foppa ab.1846 Winkler unterbreitete Habicht dabei den Vorschlag, dass er zu einem Bündnis mit der NSDAP bereit sei, sofern er in der künftigen Regierung die Führung der agrarischen Agenden übertragen bekomme. Laut Angaben von Winklers Stellvertreter Franz Bachinger hatte sich Habicht dem Vorschlag gegenüber durchaus nicht ablehnend gezeigt.1847 Weitere Unterredungen führten Winkler, Bachinger und Reichenauer dann Ende Mai mit Weydenhammer und Wächters Stellvertreter, dem Patentanwalt Hanns Blaschke, im Wiener Prater. Seit spätestens Anfang Juni 1934 flossen dem Landbund und ihm nahe stehenden Zeitungsunternehmen 170.000 Schilling seitens der NSDAP zu. Weitere 380.000–400.000 Schilling dürfte der Landbund bereits zuvor für sein Fernbleiben an der Sitzung des Nationalrats am 30. April erhalten haben, als das sog. „Ermächtigungsgesetz“ beschlossen wurde. So berichtete Weydenhammer,1848 dass es „in schwierigen Verhandlungen mit Vizekanz1841 Jedlicka (1975), S. 50  ; Ross (1966), S. 209. 1842 Ross (1966), S. 208. 1843 Ebd. 1844 Zum gespannten Verhältnis zwischen Miklas und Dollfuß vgl. ausf. Lang (1972). 1845 AA Pol 29 Ö geh., Bd. 1 E 452.806-13, zit. n. Jedlicka (1975), S. 50. 1846 Ross (1966), S. 208  ; Jagschitz (1976), S. 77. 1847 Bericht der BPD Wien an die St.A. v. 6. 9. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Franz Winkler  ; vgl. dazu auch Schafranek (2006), S. 59–63. 1848 Bericht von Rudolf Weydenhammer über die Erhebung der Nationalsozialisten am 25.  7.  1934 in Wien, o. D., BArch/NS 26, Zl. 634. Ein 1938 von Habicht verfasstes Schreiben über die Verhandlungen in Zürich ist abgedr. bei Schafranek (2006), S. 61.

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ler a.D. Winkler, Minister Bachinger etc. gerade noch gelang, dass für die österreichische neue Verfassung sich keine legale Parlaments-Mehrheit fand“. Die Sitzung des „Rumpfparlaments“1849 hatte deutlich gezeigt, dass Habichts Plan, ein Bündnis der NSDAP mit den Großdeutschen, die ja bereits im Mai 1933 ein Kampfbündnis mit den Nationalsozialisten geschlossen hatten, dem Landbund und jenen Kreisen der CSP, die hinter Rintelen und Buresch standen, zu bilden, durchaus Chancen auf Erfolg hatte. Zu diesem Zeitpunkt fehlte der NSDAP aber noch der Schulterschluss mit Teilen der Heimwehr. Am 27. April führte Winkler zufolge Starhembergs ehemaliger Pressechef Bodo Kaltenböck in dessen Auftrag und unter Umgehung von Habicht Gespräche mit Reschnys Stabschef Hans Kirchbach in München.1850 Auf der Tagesordnung stand ein Friedensschluss zwischen der Heimwehr und SA, der auf 1849 Am 30. April 1934 hatte der christlichsoziale zweite Nationalratspräsident Rudolf Ramek nämlich eine Sitzung des „Rumpfparlaments“ zusammengerufen, um die unterbrochene Sitzung vom 4. März 1933 wiederaufzunehmen. Nach Eröffnung der Sitzung gab Ramek bekannt, dass die Stimmen der Abgeordneten der seit Februar 1934 verbotenen SDAP als erloschen gelten. Der großdeutsche Abgeordnete Ernst Hampel meldete sich sodann zu Wort und bat um Klärung, ob der Dritte Nationalratspräsident Straffner berechtigt gewesen sei, die am 15. März 1933 einberufene Sitzung, deren Zusammentritt bekanntlich im Auftrag der Regierung von der Kriminalpolizei verhindert worden war, zu beenden oder fortzusetzen. Wäre dies nicht der Fall, hätte auch Ramek kein Recht, das Parlament einzuberufen. Ramek wies die Ausführungen Hampels zurück und erklärte die gerade einmal zehn Minuten dauernde Sitzung für geschlossen. Nach weiteren zehn Minuten wurde eine neue Sitzung eröffnet, um eine Vorlage der Bundesregierung betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über außerordentliche Maßnahmen im Bereich der Verfassung bekannt zu geben. Die Vorlage wurde dem Verfassungsausschuss zugewiesen, der eine dreißig Minuten dauernde „gründliche“ Beratung vornahm. Nach Wiederaufnahme der Sitzung wurde auf Vorschlag Rameks der Bericht des Verfassungsausschusses auf die Tagesordnung gestellt und gleichzeitig auf die Drucklegung und 24-stündige Auflagefrist verzichtet. Hampels Aufzählung der Verstöße gegen die Geschäftsordnung wies Ramek zurück. Auch der Vorsitzende der Großdeutschen, Herman Foppa, erhob Einspruch gegen den Verfassungsbruch und wurde von Ramek mit einem Ordnungsruf bestraft. Nachdem aber eine Verfassungsänderung nur mit einer Zweidrittelmehrheit der abgegebenen Stimmen bei Anwesenheit der Hälfte der Mitglieder stattfinden konnte, stellte Hampel den Antrag auf Auszählung der Stimmen. Formal wurde nun festgestellt, dass von den vorgeschriebenen 83 Abgeordneten nur 76 ihre Stimme abgegeben hatten, da die zehn Abgeordneten des Landbundes ferngeblieben und von den acht Abgeordneten des Nationalen Wirtschaftsblocks (Großdeutsche) nur sechs erschienen waren, um die Beschlussfähigkeit zu verhindern. Von den abgegebenen Stimmen hatten 74 für die Vorlage, zwei (Hampel und Foppa) dagegen gestimmt. Obwohl keine Beschlussfähigkeit vorlag, verkündete Ramek, dass die Zweidrittelmehrheit gegeben und die Vorlage angenommen sei. Hampels Bitte, sich nochmals zur Geschäftsordnung äußern zu dürfen, lehnte Ramek ab, woraufhin Hampel zusammen mit Foppa die Sitzung verließ. Am 1. Mai wurde die schon zuvor mittels KwEG-Verordnung in Kraft gesetzte autoritäre „Mai-Verfassung“ nochmals verlautbart, Fischer (1984), S.  100–102  ; vgl. dazu weiters Winkler (1935), S.  121, 127f. 1850 Winkler (1935), S. 141  ; zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 420.

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einer Konferenz in Wien am 3. Mai unter Anwesenheit von Starhemberg unterzeichnet werden sollte. Wie vereinbart traf Kirchbach an diesem Tag auch in Wien ein, jedoch wurden die „Besprechungen (…) von einer Stunde zur anderen verschoben“ und schließlich von Starhemberg abgesagt, nachdem Dollfuß dagegen Einspruch erhoben hatte. Allerdings erfuhr Starhemberg aufgrund seiner Kontaktaufnahme mit der SA von Feys Verhandlungen mit der Landesleitung der NSDAP. Fey hatte nach der Niederschlagung der Februarkämpfe eine enorme Popularitätssteigerung für sich verbuchen können,1851 was sowohl den seit Langem schwelenden Konflikt mit Starhemberg um die Führung der Heimwehr weiter angefacht, als auch bei Dollfuß für Misstrauen gesorgt hatte. In der Folge schloss sich Starhemberg eng an Dollfuß an und stellte sich gemeinsam mit ihm gegen Fey. Am 1. Mai wurde Fey seines Postens als Vizekanzler enthoben, den nun Starhemberg übernahm. Parallel zu den Bündnisverhandlungen Habichts in Zürich setzte Hitler die österreichische Regierung mit der Anordnung weiterer wirtschaftlicher Maßnahmen unter Druck. Am 18.  April erklärte er sich bei einer Unterredung mit Habicht zur Kürzung von Importen aus Österreich bereit.1852 Nach einer Sitzung mit Habicht notierte Goebbels am 28. April in sein Tagebuch,1853 dass „wir (…) da jetzt stärker eingreifen (werden). Sonst regiert der Dilettantismus.“ Zwei Tage später beschloss der interministerielle Ausschuss die Beschränkung der Einfuhr von Holz, Obst und Schlachtvieh aus Österreich.1854 Ende Mai begannen dann die Vorbereitungsarbeiten für den Putsch konkretere Formen anzunehmen. Inzwischen war auch Gauleiter Frauenfeld nach Deutschland geflüchtet, der Anfang Juni gemeinsam mit Habicht um Vorsprache bei Hitler ersuchte, um ihm „die Bitte der österreichischen Parteigenossen“ vorzutragen,1855 die Frage der Befehlsgewalt zu klären.1856 Gleichzeitig führte Wächter in Berlin Gespräche mit mehreren hochrangigen Beamten des Auswärtigen Amtes, wo er über die Zuspitzung der politischen Lage,1857 die zunehmende Radikalisierung innerhalb der NSDAP, die Uneinheitlichkeit der Führung und die eigenmächtige Handlungsweise 1851 Vgl. dazu ausf. Oswald (1964), S. 115–121. 1852 Aufzeichnung des Gesandtschaftsrats Hermann Hüffer v. 19. 4. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 739f. 1853 Tagebucheintrag von Joseph Goebbels v. 11. 4. 1934, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 1854 Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrats Robert Ulrich v. 30. 4. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 770f. 1855 Frauenfeld (1978), S. 110. 1856 Vgl. dazu Ross (1966), S. 212–217. 1857 Aufzeichnung des Legationsrats Cecil von Renthe-Fink v. 29.  5.  1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 833  ; Ross (1966), S. 214–216.

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der SA berichtete. Auch er wies nachdrücklich auf die Notwendigkeit einer klaren Führungslinie hin.1858 Es müsse „schleunigst Besserung“ geschaffen werden,1859 und „zwar durch Zentralisierung sämtlicher in Österreich selbst und außerhalb Österreichs für den Nationalsozialismus tätigen Kräften“. Er sei sich mit Habicht „in allen diesen Dingen (…) vollkommen einig“, aber „selbstverständlich“ könne „das erlösende Wort in dieser Beziehung nur der Führer selbst sprechen“. Laut einer Aussage Görings im Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozess berichtete Habicht bei einem Treffen mit Hitler am 6. Juni,1860 dass das Bundesheer einen Sturz der Regierung plane. Hitler habe darauf erwidert, dass zwar für die Parteigliederungen nach wie vor ein Putschverbot bestehe, „daß sich die Partei aber eventuell auch an einer neuen Regierung beteiligen“ könne, was von Habicht dahingehend interpretiert wurde, dass Hitler sich möglichen Putschvorbereitungen nicht entgegenstellen werde.1861 Kurz nach der Unterredung mit Habicht zitierte Hitler aber auch SAFührer Reschny und General Walter von Reichenau, den Chef des Wehrmachtsamtes der Reichswehr, zu sich, die ebenso wie der Militärattaché in Wien, Wolfgang Muff, einen bewaffneten Aufstand des Bundesheeres im Gegensatz zu Habichts Auffassung für ausgeschlossen hielten. Ab Mitte Mai brach über das gesamte Bundesgebiet eine Terrorismuswelle der NSDAP herein, die „an Breite und Dauer alles, was Österreich seit 1918 an ­politischer Gewaltsamkeit je erfahren hatte“, übertraf.1862 Zu diesem Zeitpunkt hatte die Partei die Weisung ausgegeben,1863 dass ein „scharfes Vorgehen“ mit „ständig steigenden Terrormassnahmen“ geplant sei, die nicht nur Sprengstoffanschläge, sondern auch die Beseitigung „missliebiger Personen“ umfassten. Wenige Tage vor der Zusammenkunft zwischen Hitler und Mussolini am 14. und 15.  Juni in Stra bei Venedig veränderte sich der Charakter der nationalsozialistischen Terrorismusakte. So stellt Botz

1858 Bericht von Ministerialdirektor Gerhard Köpke v. 31. 5. 1934, zit. n. Historische Kommission (1965), S. 232–236  ; Aufzeichnung von Gesandtschaftsrat Hermann Hüffer v. 8. 6. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. II/2, S. 869  ; vgl. auch Jagschitz (1976), S. 78. 1859 Bericht von Ministerialdirektor Gerhard Köpke v. 31. 5. 1934, zit. n. Historische Kommission (1965), S. 234. 1860 Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg (IMH), Bd. IX, S. 330f., zit. n. Jagschitz (1976), S. 78. Frauen­feld berichtete, dass er und Habicht Anfang Juni zu einem Treffen mit Hitler angemeldet waren, jedoch von Ernst Röhm gebeten wurden, ihm den Vortritt zu lassen. Nach Frauenfeld war es die letzte Begegnung Röhms mit Hitler, die am 4. Juni stattfand, Frauenfeld, (1978), S. 110f. 1861 Jagschitz (1976), S. 78. 1862 Botz (1983), S. 259. 1863 Bericht von Berndt von Gregory, Führer der SA-Standarte 5, über die Ereignisse im Standartengebiet am 25. und 26. Juli 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084, fol. 24.

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ein „drastisch(es)“ Nachlassen der „meist nur lautstarken Böllerdetonationen“ fest,1864 während die „schwerwiegenden Sprengstoffexplosionen“ zunahmen. Laut dem Bericht eines österreichischen Kriminalbeamten soll es zu diesem Zeitpunkt bereits zu Unterstellungsproblemen innerhalb der NSDAP gekommen sein. So hätte die SS bei einer Besprechung nationalsozialistischer Gruppen in Pressburg am 13. Juni, also einen Tag vor Beginn der Unterredungen in Stra, erklärt,1865 dass sie möglichen Anweisungen zur Einstellung von Terrorismusakten nach dem Treffen zwischen Hitler und Mussolini nicht Folge leisten und „auf eigene Verantwortung handeln“ werde. Möglicherweise fand das Treffen aber auch in Bozen statt,1866 da laut einem anderen Konfidentenbericht Max Grillmayr am 12.  Mai aus München dorthin aufbrach, um mehrere „wichtige Besprechungen“ mit Wiener Parteigenossen abzuhalten, u.a. auch mit Alfred Baubin. Im Mittelpunkt des Treffens in Stra1867 sollte die Österreichfrage stehen. Am Tag vor der Zusammenkunft übermittelte Weydenhammer aus Rom noch einen Bericht an Habicht, der in Abschrift auch direkt an Hitler und Neurath erging. Laut Weydenhammer1868 hatte er „aus ersten italienischen Staatsmännern nahestehenden Quellen (…) in Erfahrung gebracht“, dass Mussolini bei Hitler „noch einen Versuch für Dollfuß machen“ werde, was Hitler vermutlich ablehnen werde. Weiters sei Mussolini von italienischen Kreisen am Tag zuvor neuerlich mitgeteilt worden, dass nur ein „kleiner Teil der österreichischen Bevölkerung hinter dieser Regierung steht und daß das Festhalten an Dollfuß und Starhemberg nur zu einer Verstärkung des Hasses breiter österreich(ischer) Bevölkerungsmassen gegen den Schirmherrn dieser Regierung, Mussolini, und Italien führt“. Es herrsche die Ansicht vor, Mussolini habe „Dollfuß wahrscheinlich schon innerlich fallen gelassen“.1869 Auch seien die Beziehungen von Dollfuß zu Frankreich „intimer als in Rom u(nd) Berlin bisher angenommen wurde“. So habe sich Dollfuß „nach Paris gewendet und die Zusage erhalten, daß der franz(ösische) Außenminister einen Besuch in nächster Zeit in Wien macht“. Der Deutschland wenig wohlgesonnene italienische Staatssekretär Suvich sähe der Begegnung zwischen Hitler und Mussolini „mit sehr geteilten Gefühlen“ entgegen und setze sich dafür ein, dass Mussolini Verhandlungen zwischen Hitler und Dollfuß 1864 Botz (1983), S. 265  ; vgl. dazu auch Schafranek (2006), S. 83–86. 1865 Jagschitz (1976), S. 80. 1866 ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Vrlbg., Zl. 300.678.-St.B./1935. Zuvor war auch Pressburg neben Wien und Budapest als Treffpunkt zur Diskussion gestanden, die Grillmayr jedoch zu unsicher erschienen. 1867 Vgl. dazu ausf. Ross (1966), S. 218–223  ; Petersen (1973), S. 344–354. 1868 Aktennotiz von Rudolf Weydenhammer v. 13. 6. 1934, BArch/NS 51, Zl. 21. 1869 Auch Fabbri hatte am 4. Juni gegenüber Muff erklärt, dass aus Rom bereits „die Weisungen ergangen“ seien, „sich nicht mehr allzu stark für die Regierung Dollfuß zu engagieren … Die Stellung Rintelens in Rom (habe) sich sehr befestigt“, Wolfgang Muff an das Auswärtige Amt v. 5. 6. 1934, zit. n. Petersen (1973), S. 343f.

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befürwortet“. Suvich hoffe damit, „die Situation von Dollfuß noch für längere Zeit zu retten, womit der Duce jedoch nicht ernstlich rechnet“. Hingegen hinge Mussolini stärker an Starhemberg, „doch dürfte hier Festigkeit in der Ablehnung Erfolg haben“. Österreichische Kreise hätten Mussolini „sehr gebeten, bei Hitler gegen Habicht, den sie als ihren gefährlichsten u(nd) auch im Lande einflussreichsten Gegner bezeichnen, vorzugehen“, ohne dass ein Erfolg „ernstlich erwartet“ werde. Es sei „dringend notwendig, daß von unserer Seite nicht der Name v(on) Rintelen erwähnt, sondern dies als eine inneröster(reichische) Angelegenheit bezeichnet wird“. In Stra legte Hitler eine fünf Fragen umfassende Stellungnahme über die Österreichfrage vor, die von Mussolini zur Kenntnis genommen wurde. Darin war festgehalten,1870 dass ein Anschluss Österreichs an Deutschland ausgeschlossen sei, der österreichische Bundeskanzler eine unabhängige Persönlichkeit sein müsse, die keiner der heute streitenden Parteien angehören dürfe, Wahlen abgehalten und die NSDAP an der Regierung im Verhältnis zum Wahlergebnis beteiligt werden und alle Österreich anlangenden Angelegenheiten im Einvernehmen zwischen Deutschland und Italien entschieden werden müssten. Euphorisch notierte Goebbels in seinem Tagebuch über Hitlers nachfolgenden Bericht  :1871 „Mittags der Führer. (…) Erzählt von Venedig. Mussolini von ganz großem Eindruck auf ihn. Beide haben sich freundschaftlichst ausgesprochen. 1) Österreich  : Dollfuß weg  ! Neuwahlen unter einem neutralen Vertrauensmann. Einfluß der Nazis nach Stimmenzahl. Wirtschaftsfragen werden von Rom und Berlin gemeinsam erledigt. Beide einverstanden. Wird Dollfuß mitgeteilt werden.“ Auch nach Alfred Rosenbergs Tagebucheintrag1872 glaubte Hitler, „der noch ganz berauscht“ war von seinem Treffen mit Mussolini, hinsichtlich der Wahl des neuen österreichischen Bundeskanzlers freie Hand zu haben. Bereits am 17. Juni forderte der Völkische Beobachter dementsprechend die Bildung einer Regierung unter Führung Rintelens.1873 Hitler leitete daraufhin einen „neuen 1870 Aufzeichnung von Außenminister Konstantin von Neurath v. 15. 6. 19334, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. III/1, S. 10. 1871 Tagebucheintrag von Joseph Goebbels v. 18.  6.  1934, S.  65, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 1872 Tagebucheintrag von Alfred Rosenberg v. 11. 6. 1934 (sic  !), abgedr. in  : Seraphim (1964), S. 39. Über Hitlers Bericht notierte Rosenberg Folgendes  : „Österreich. H.(itler) habe mit rücksichtsloser Offenheit gesprochen  ; Dollfuß sei ein Volksverräter, er würde in Österreich auch mit Bomben und Granate arbeiten. M.(ussolini)  : Was schlagen Sie vor  ? H.(itler)  : Absetzung v.(on) Dollfuss, unparteilichen Regierungschef, Neuwahlen. Beteiligung der NSDAP im Verhältnis zum Ergebnis an der Regierung. Anschluß nicht akut. M.(ussolini)  : Akzeptiert  ! H.(itler) betrachtet dies als großen Erfolg, wenigstens würde kein Konflikt mit I.(talien) wegen Österreich eintreten. Gleichberechtigung. M.(ussolini) unumwundene Zustimmung“, ebd., Herv. i. Orig.; vgl. auch Ross (1966), S. 225, 313f. 1873 Jedlicka (1975), S. 51.

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Kurs“,1874 eine „Politik der Balance“, ein, um die „Machtergreifung und eine Annexionspolitik gegenüber Österreich außenpolitisch abzubauen“. Auch Frauenfeld berichtete,1875 dass Hitler nach seiner Rückkehr aus Italien nicht über die österreichische Frage verhandeln wollte, da er „sich mit Mussolini geeinigt habe, in innerpolitische Vorgänge Österreichs ebenso wenig einzugreifen wie Mussolini es tun würde und er könne daher nicht dieses Abkommen verletzen“, indem er Frauenfelds „Wunsch, in die Befehlsgewalt in Österreich einzugreifen, nachkommt“. Gleichzeitig steigerten sich die Terroranschläge in Österreich immer weiter, und die Planung des Juliputsches trat wenige Tage nach Hitlers Rückkehr in die entscheidende Phase. Nach Ludwig Jedlicka lässt sich dies auf Hitlers „vielschichtige“ Strategie in der Österreichfrage zurückführen,1876 die „er jeweils gegenüber seinen Gesprächspartnern – Auswärtiges Amt, Wehrmacht, Partei etc. geschickt verschleierte“. Am 25.  Juni fand in Zürich „die grundlegende Besprechung“ zwischen Habicht, Wächter, Weydenhammer und Glass statt, bei der Glass nach Aufforderung Habichts seinen Plan zur Durchführung des Putsches vorlegte.1877 Dieser sah die Besetzung des Bundeskanzleramtes und die Festnahme des dort tagenden Ministerrates vor, der gezwungen werden sollte, eine „möglichst getarnte Regierung einzusetzen“. Gleichzeitig sollten das Gebäude der RAVAG und die Telefonzentrale in Wien überfallen werden. Nach der Erstürmung der RAVAG sei sofort die Meldung zu senden, dass Dollfuß zurückgetreten und Anton Rintelen mit der Bildung einer neuen Regierung betraut worden sei. Die Verlautbarung sollte den Startschuss für den Aufstand in den Bundesländern geben. Auf Wächters „ausdrückliche“ Nachfrage,1878 „was mit der SA sei“, erklärte ihm Habicht, dass er sich mit dieser nicht in Verbindung setzen dürfte, da diese „selbständig geführt und auf das gegebene Stichwort hin zentral durch Obergruppenführer Reschny eingesetzt“ werde. Er beauftragte Glass, sofort nach Wien zurückzukehren und „für alle Fälle“ die Aktion vorzubereiten, wegen der Waffenlieferung mit Weydenhammer in engem Kontakt zu bleiben und vor allem Verhandlungen mit höheren Offizieren des Bundesheeres sowie dem Kriminalbeamten und früheren Leiter der Alarmabteilung der Wiener Polizei, Leo Gotzmann, zu führen.

1874 Jagschitz (1976), S. 79. 1875 Frauenfeld (1978), S. 111. 1876 Jedlicka (1975), S. 47. 1877 Historische Kommission (1965), S. 71f.; Ross (1966), S. 231f.; Bericht von Rudolf Weydenhammer, o. D., BArch/NS 26, Zl. 634. Zur detaillierten Planung und Durchführung des Juliputsches in Wien vgl. ausf. Jagschitz (1976). 1878 Otto Gustav Wächter an das Oberste Parteigericht der NSDAP, ca. 31. 5. 1938, abgedr. in  : Auerbach (1964), S. 210.

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Dieser Plan stimmte in allen wichtigen Details mit jenem überein, der im Sommer 1932 von der Heimwehr in Kooperation mit italienischen und ungarischen Diplomaten entwickelt worden war. Auch dieser sah vor,1879 dass Rintelen und die damaligen Heimwehrminister Jakoncig und Ach auf einer Sitzung des Ministerrates die Machtübergabe fordern und damit Miklas zwingen sollten, Rintelen mit der Kabinettsbildung zu betrauen. Widerstand leistende Minister waren zu verhaften, das Parlament und die öffentlichen Gebäude mit Unterstützung der Armee unter General Geng von der Heimwehr zu besetzen.1880 Zu diesem Zeitpunkt begann aber auch Fey erste Vorbereitungen für einen Putsch gegen Dollfuß zu treffen. Am 18.  Juni fuhr er nach Budapest,1881 um die Haltung Ungarns im Falle eines Staatsstreiches gegen Dollfuß zu sondieren, und berief sich dabei auf das „vorsichtige Wohlwollen“ von Umberto Grazzi, dem Legationssekretär der italienischen Gesandtschaft in Wien. Nach dem Treffen in Zürich begannen Habicht und seine Mitverschwörer nach und nach Informationen weiterzugeben, allerdings unter gänzlichem Ausschluss der SA. So kontaktierte Glass nach seiner Rückkehr Konrad Rotter, der damit erfuhr, dass ihm nur noch eine untergeordnete Funktion zugedacht war. Er vereinbarte daraufhin in Absprache mit dem Wiener Gauinspektor und Stellvertreter Frauenfelds, Josef Neumann, ein Treffen mit Habicht in Breslau,1882 zu dem vermutlich aufgrund einer Panne auch Reschny erschien.1883 Rotter meldete seine „Bedenken gegen den Putsch“, insbesondere hinsichtlich der fehlenden „Rückendeckung“, an,1884 erwähnte aber mit keinem Wort die Rolle der 89. Standarte,1885 wodurch Reschny auch weiterhin keine Information über die konkreten Putschpläne erhielt. Da Reschny die Bedenken Rotters teilte, erklärte auch Habicht, um den Kontrahenten im Ungewissen zu lassen, dass die Zeit für eine solche Aktion noch nicht gekommen sei, setzte aber hinter Reschnys Rücken seine Pläne unbeirrt fort. Währenddessen begann auch die 11. SS-Standarte mit ihren Vorbereitungen zur Durchführung eines Ablenkungs- bzw. Sicherungsmanövers während des Putsches. Beauftragt wurden die beiden engsten Mitarbeiter Habichts und Wächters im ND der 1879 Akten des ungarischen Außenministeriums res.pol. 1932-20-392, zit. n. Kerekes (1966), S. 108  ; vgl. dazu Kapitel Exkurs, S. 334–357. 1880 In seinen Memoiren wies Rintelen auf diesen Zusammenhang hin, indem er schrieb  : „Die Möglich­ keit, mit einer Regierungsbildung betraut zu werden, war schon in den Jahren 1932 und 1933 an mich herangetreten  : Über Bestreben des damals noch ungeteilten Heimatschutzes und sodann über Wunsch Theo Habichts.“ Rintelen (1941), S. 306. 1881 Ross (1966), S. 229  ; Jagschitz (1976), S. 65. 1882 Historische Kommission (1965), S. 76. 1883 Schafranek (2006), S. 106f. 1884 Historische Kommission (1965), S. 76. 1885 Schafranek (2006), S. 107.

Der Nachrichtendienst der österreichischen Landesleitung und der Wiener SS vor dem Juliputsch

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Landesleitung und der SS  : Otto Begus und Ludwig Stigler. Nachdem bereits im Sommer 1933 mit Wächter ein Mitglied der Wiener SS von Habicht zu seinem Bevollmächtigten in Österreich bestellt worden war, wurde der Kontakt zwischen P.O. und SS ab diesem Zeitpunkt noch enger gestaltet. So stand der ND in Wien und später in München unter der Leitung des SS-Angehörigen Otto Begus. Im Jänner 1934 wurde im Auftrag der Landesleitung ein zweiter ND in Budapest aufgebaut, der vom Führer der österreichischen Motorstaffel Carl Pichl und dem damals noch beauftragten Führer der 11. Standarte Georg Hof geleitet wurde. Die beiden von der Landesleitung eingerichteten und unter Führung von SS-Männern stehenden Nachrichtendienste arbeiteten mit dem von Ludwig Stigler geführten ND der Wiener SS zusammen. 12.4 Der Nachrichtendienst der österreichischen Landesleitung und der Wiener SS vor dem Juliputsch 12.4.1 Der Nachrichtendienst in Wien und München

Der nach dem Parteiverbot eingerichtete Nachrichtendienst der österreichischen Landesleitung wurde von dem Wiener Kriminalbeamten und früheren Adjutanten Starhembergs1886 Otto Begus geführt. Dieser hatte sich 1932 der NSDAP angeschlossen, war aber auf Anraten Frauenfelds wegen seiner beruflichen Stellung nicht formal in die Partei eingetreten.1887 Seine Position benutzte er zur Verhinderung von Hausdurchsuchungen und zur Unterdrückung von Verfahren gegen NationalsozialistInnen. Seit Juli 1933 gehörte Begus der Wiener SS an und begann, den ND der Landesleitung gemeinsam mit dem Wiener Rechtsanwalt Fritz Thaler,1888 dem ehemaligen PresseChef Starhembergs,1889 aufzubauen. Thaler hatte nach seinem Studium die Konsularakademie besucht,1890 1928 die amerikanisch-europäische Informations-Agentur „Ameia“ gegründet und stellte seine Kenntnisse in Sachen Informationsbeschaffung 1886 Begus hatte mit dem „Bund Oberland“ an den Kämpfen in Schlesien teilgenommen, wo er Starhem­ bergs militärischer Vorgesetzter war, dessen Adjutant er später wurde. Durch Vermittlung des ehemaligen Stabschefs der Heimwehr, Major Pabst, wurde Begus 1929 in den Polizeidienst aufgenommen, Die Stunde v. 15. 11. 1930, S. 4 („Starhembergs Adjutant“)  ; Neues Wiener Tagblatt v. 6. 3. 1934, S. 10f. („Die Be­schuldigungen gegen Dr. Begus“)  ; BArch (ehem. BDC), SSO, PK  : Otto Begus. 1887 Begus kämpfte jahrelang vergeblich um seine rückwirkende Aufnahme in die NSDAP und wurde dabei von Frauenfeld unterstützt. Er wurde erst 1940 in die Partei aufgenommen, BArch (ehem. BDC), PK  : Otto Be­gus  ; ÖSTA/AdR, GA  : Otto Begus, Zl. 199.579. 1888 Thaler war am 1. Juni 1933 der NSDAP beigetreten, BArch (ehem. BDC), PK  : Fritz Thaler. 1889 Fortsetzung des Vierteljahresberichtes des Führers des Sturmbanns III/24 v. 1. 7. 1932, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19. 1890 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Thaler.

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nun auch dem ND zur Verfügung. Begus und Thaler arbeiteten eng mit dem ND der vom Architekten und SS-Haupttruppführer Ludwig Stigler geleiteten 11. SS-Standarte zusammen,1891 der die „Münchener Nachrichtenstelle der SS“ belieferte.1892 Begus’ Informationen für die NSDAP stammten insbesondere aus Kreisen der Heimwehr und der Sicherheitsbehörden. Gemeinsam mit Thaler hatte er innerhalb der Wiener Polizei ein hochkarätiges Informantennetzwerk installiert, für das vor allem die Polizeikommissare Benno Braitenberg1893 und Rudolf Brunner als Verbindungsmänner fungierten.1894 Die Kontakte innerhalb der Gruppe, die überwiegend aus Tirol stammten, aber auch jene zu höchsten Regierungskreisen gingen auf ihre Militär- und Studienzeit zurück.1895 Während Begus über Starhemberg beste Kontakte zur Heimwehr unterhielten, hatte Braitenberg gemeinsam mit Schuschnigg das Internat besucht und stand mit dem „Bundesbruder“ nach wie vor in Verbindung.1896 Braitenberg war 1933, nachdem er „aus seiner Sympathie für den Nationalsozialismus kein Hehl“ gemacht und sich geweigert hatte, seinen Untergebenen den Eintritt in die „Vaterländische Front“ zu empfehlen,1897 seines Postens als Polizeipräsident von Eisenstadt enthoben und strafweise nach Wien versetzt worden. Dort amtierte er, obwohl bereits als nationalsozialistischer Sympathisant bekannt, als stellvertretender 1891 Ludwig Stigler wurde 1906 als Sohn des bekannten Nationalsozialisten und Physiologen der Hochschule für Bodenkultur Robert Stigler geboren. 1923 schloss er sich dem „Vaterländischen Schutzbund“ und wäh­rend seines Architekturstudiums der „Deutschen Burschenschaft“ an. Weiters war er Mitglied im „Verband deutsche Wehr“, im Studentenfreikorps der Heimwehr „vor deren Abschwenken zum antinationalen Lager“ sowie im „Bund Oberland“. 1931 trat er in die NSDAP und SS ein und wurde im März 1933 zum SS-Ober­truppführer ernannt. Im September 1933 wurde der bereits mehrfach polizeilich bestrafte Stigler wegen sei­ner Arbeit für den ND zu vier Monaten Gefängnis verurteilt und flüchtete im März 1934, um einer weiteren Verhaftung zu entgehen, nach Deutschland  , Arch (ehem. BDC), SSO  : Ludwig Stigler  ; zu Robert Stigler vgl. Hubenstorf (1989), S. 261. 1892 Neues Wiener Tagblatt v. 5. 3. 1934, S. 7 („Schwere Beschuldigungen gegen Dr. Begus“). 1893 Braitenberg wurde nach dem „Anschluss“ zum SS-Sturmbannführer ernannt. In der DAL 1938 wird er fälschlicherweise unter dem Namen Breitenbach-Zennenberg geführt. 1930 wurde er zum SSOber­sturmbannführer ernannt, DAL v. 1. 10. 1944. 1894 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934  ; Vernehmung von Rudolf Bruner (sic  !) v. 9. 8. 1934, ebd. Brunner gehörte seit Dezember 1930 der Bezirksgruppe Gersthof 2 an, BArch (ehem. BDC), PK  : Rudolf Brunner. 1895 Begus und Brunner hatten im Ersten Weltkrieg gemeinsam im Kaiserjäger-Regiment gedient und zusammen mit Thaler und Braitenbergs Bruder an der Universität Innsbruck studiert, während Begus zusammen mit Brai­tenberg im „Bund Oberland“ in Schlesien gekämpft hatte, Vernehmung von Otto Begus v. 14. 8. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Thaler  ; Vernehmung von Rudolf Bruner (sic  !) v. 13. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172-St.B./1934. 1896 Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Tha­ler. 1897 Pichler (1984), S. 98, 105–109.

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Leiter des Passamtes, einem nach Erlass der Ausbürgerungsverordnung im August 1933 wichtigen strategischen Posten für die NSDAP. „Sonderbarerweise“, stellte Braitenberg später in seinen Memoiren fest,1898 „hatte man mir ein Referat zugeteilt, in dem ich viel helfen konnte  : Ausreisesichtvermerke für Deutschland. Es gab viel Arbeit, aber interessanten Dienst.“ Ein weiterer wichtiger Konfident innerhalb der Polizei war Leo Gotzmann, der von Beginn an in die Putschpläne eingeweiht war.1899 Dieser hatte bis August 1933 die Alarmabteilung der Sicherheitswache geleitet und wurde im Zuge einer Versetzungsaktion von Wachebeamten, die als nationalsozialistische Sympathisanten galten,1900 dem Kommissariat Wieden zugeteilt. Nachdem aber laut Winkler von den über tausend Beamten der Alarmabteilung nur ca. vierzig versetzt worden waren,1901 ist diese Aktion „eher als Alibihandlung denn als disziplinäre Maßnahme zu werten“. Die Regierung stand der breiten Unterwanderung der Wiener Polizei weitgehend machtlos gegenüber,1902 u.a. auch weil die mittlerweile verschärften Disziplinarvorschriften, wenn überhaupt, dann nur eine äußerst milde Anwendung fanden. So wurde auch bei einer Konferenz der Leiter der Polizeikommissariate im Juni 1934 die „nationalsozialistische Terrorwelle in unmittelbaren Zusammenhang mit dem nicht funktionierenden Sicherheitsapparat gebracht“. Gotzmann war wiederum über die Burschenschaft der „Ghibellinen“ mit dem Leiter der Staatspolizei Herbert Hedrich befreundet.1903 Im Sommer 1933 berichtete ein Vertreter des deutschen Auswärtigen Amtes über Hedrich,1904 dass er ihn „als nationalen Mann (kenne) und (wisse), daß er in der Staatspolizei eine Reihe von Gesinnungsgenossen hat. Es ist daher glaubhaft, daß es Dr. Hederich (sic  !) schwer gefallen ist, scharfe Maßnahmen gegen die NSDAP zu ergreifen. Mit Frauenfeld hält Dr. Hederich (sic  !) direkte Verbindungen aufrecht (…).“ Weiters habe Hedrich dem Diplomaten ein „möglichst schonend(es)“ Vorgehen gegen die NSDAP zugesichert. Auch nach Hedrichs vorzeitiger Pensionierung im Oktober 1933 konnte die NSDAP auf Konfidenten in der Staatspolizei zählen, wie etwa auf den „Spitzenagenten“ Franz 1898 Braitenberg (1938), S. 245. 1899 Bericht der BPD Wien v. 27. 12. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Julius Meer­gans-Medeazza (sic  !). 1900 Winkler (1983), S. 135f. Zur Unterwanderung der Wiener Polizei durch die NSDAP vgl. auch Mähner (1990), S. 81–84. 1901 Winkler (1983), S. 136. 1902 Ebd., S. 268. 1903 1941 wurde Gotzmann zum Wiener Polizeipräsidenten bestellt und Hedrich zu seinem Stellvertreter er­nannt, Wetz (1971), S. 108. 1904 Bericht über die Besprechungen mit amtlichen Stellen in Wien, in der Zeit von 24. Juni bis 3. Juli 1933, NA, Microcopy No. 120, R-2863, fr. E 452507ff., zit. n. Winkler (1983), S. 261.

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Sonnleithner,1905 der Informationen der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit weiterleitete und „durch falsche Befehle Teile des Sicherheitsapparates lahmlegte“.1906 Laut einer Standesmeldung vom Februar 1933 gehörten der Polizeizelle des NSB im Bundeskanzleramt 140 Polizeibeamte an, von denen 27 Parteimitglieder waren.1907 Im September 1933 wurden Ludwig Stiglers illegale Aktivitäten von der Wiener Polizei aufgedeckt.1908 Unter dem in seiner Wohnung sichergestellten Schriftenmaterial fand sich auch ein Hinweis auf einen Konfidenten bei der Polizei, der in Kontakt zur Heimwehr und zu Starhemberg selbst stand. Dieser hatte etwa vierzig Nationalsozialisten vor bevorstehenden Hausdurchsuchungen gewarnt und für die NSDAP Kontakte zur Staatspolizei geknüpft. Aufgrund der vorliegenden Beweise konnte Begus überführt und vor Gericht gestellt werden, was nach der Untersuchung von Winkler einen Ausnahmefall innerhalb der Wiener Polizei bildete. Begus und Stigler wurden zu mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt.1909 Nach ihrer Entlassung gingen beide im März 1934 nach München. In Wien blieb vorerst noch Fritz Thaler, der den ND weiterführte. Ummittelbar nach einem Treffen hochrangiger im ND tätiger SS-Führer mit Fitz­ thum und Glass zu Ostern in Budapest kam Wächter am 4. April nach München, um mit Begus zu konferieren.1910 Dieser wurde daraufhin von Habicht mit der Führung des ND in München betraut,1911 dessen „gesamte Leitung“ ab nun in seinen Händen lag.1912 Allerdings hatte Wächter sich „vorbehalte(n), über die ihm persönlich zukommenden Informationen gewisser heikler Natur selbst dem Landesinspekteur Habicht Mitteilung zu machen“.1913 In der letzten Phase vor dem Putsch erging angeblich eine Order von Weydenhammer, nach der Begus nur nach vorheriger Absprache mit ihm 1905 Jagschitz (1976), S.  38  ; Bericht der BPD Wien v. 27.  12.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsver­fahren Julius Meergans-Medeazza (sic  !). 1906 Jagschitz (1976), S. 38. 1907 NSB Gau Wien, Standesmeldung für den Monat Feber 1933 v. 15. 2. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NSPartei­stellen, Kt. 1. 1908 Vgl. dazu ausf. Winkler (1983), S. 268–272. 1909 Die Stunde v. 15. 11. 1930, S. 4 („Starhembergs Adjutant“)  ; Neues Wiener Tagblatt v. 6. 3. 1934, S. 10f. („Die Beschuldigungen gegen Dr. Begus“). 1910 Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Tha­ler. 1911 Abschrift eines Zeugnisses von Theo Habicht für Otto Begus v. 20. 1. 1938, ÖSTA/AdR, GA  : Otto Begus, Zl. 199.579  ; Zeugenbefragung von Rudolf Pavlu durch die Abwicklungsstelle der LL Österreich, o. D. (ca. 1937, CR), BArch (ehem. BDC), PK  : Otto Bersch  ; Vernehmung von Otto Begus v. 14. 8. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Thaler. 1912 Stellungnahme von Robert Pavlu, o. D. (ca. Juli 1937, CR), BArch (ehem. BDC), PK  : Otto Bersch. 1913 Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Tha­ler.

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Verbindung zu Glass aufnehmen durfte.1914 Der ND arbeitete unter dem Deckmantel der „Deutschen Treuhand- und Revisionsgesellschaft“ (TG) und hatte seinen Sitz in der Briennerstraße 55 in München.1915 Auch Stigler hatte mittlerweile wieder einen Nachrichtendienst der SS in München installiert, der eng mit jenem von Thaler und Begus kooperierte. Mitarbeiter von Stiglers ND waren etwa die SS-Männer Robert (von) Meißl, Leopold Spranz und Pius Bruckner. Im Frühjahr 1934 wurde auch Thaler der Boden in Wien zu unsicher, und er bereitete seinen Absprung nach Deutschland vor, wurde jedoch kurz davor festgenommen. Seine ausgezeichneten Verbindungen zur Polizei machten sich nun bemerkbar. Thaler wurde nämlich von zwei Kriminalbeamten der Staatspolizei in die Bundes-Polizeidirektion am Schottenring „bezüglich weiterer Behandlung überstellt“.1916 Während er dort laut Polizeibericht „unter Aufsicht der Sich(erheits) Wachebeamten auf dem Gange bis zur Einvernahme warten mußte, flüchtete er gegen die Mittagszeit von dort und konnte infolge seiner Flucht nach Deutschland hier nicht mehr ausgeforscht werden“. Thaler übersiedelte ebenfalls nach München, wo er weiterhin mit Begus zusammenarbeitete. Auf der Suche nach einem Nachfolger für Thaler schlug Wächters Stellvertreter Hanns Blaschke1917 den Oberbuchhalter der Steyrwerke Otto Bersch vor,1918 der bereits 1933 in der Hauptabteilung „Wirtschaft“ der Landesleitung Österreich tätig gewesen war.1919 Bersch wurde daraufhin zum neuen Leiter des ND in Wien ernannt, in dem auch Blaschke mitarbeitete. Als wichtigste Mitarbeiter des ND und „besondere Vertrauensleute“ Wächters fungierten sein Stabschef Rudolf Pavlu1920 und der Rechtsanwalt Julius Meerganz (von) 1914 Ebd. 1915 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28.  8.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl.  241.172-St.B./1934  ; Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfah­ren Fritz Thaler. Der ND lief bis zu seiner Auflösung am 31. Juli 1935 unter dem Decknamen der TG weiter, Schreiben des SD-Leitabschnitts Wien an das Gaupersonalamt der GL Wien v. 23. 9. 1940, ÖSTA/AdR, GA  : Otto Begus, Zl. 199.579. 1916 Meldung der BPD Wien v. 15. 12. 1936, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Thaler. Die im Zusammenhang mit dem Ausbürgerungsverfahren gegen Thaler verfasste Meldung wurde von dem Kriminalbeamten Karl Prieler verfasst, der ebenfalls am Juliputsch beteiligt gewesen war, jedoch unerkannt blieb, WStLA, GAW  : Konrad Rotter, Zl. 52.448. 1917 Blaschke war im November 1931 der NSDAP beigetreten. Ab April 1938 gehörte er der SS an und wurde direkt zum Sturmbannführer befördert. Nach dem „Anschluss“ wurde er zunächst Vize-, später Bürger­meister von Wien, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hanns Blaschke. 1918 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934. Bersch wurde im März 1933 Mitglied der NSDAP, BArch (ehem. BDC), PK  : Otto Bersch. 1919 Zeugenbefragung von Rudolf Pavlu durch die Abwicklungsstelle der LL Österreich, o. D. (ca. 1937, CR), BArch (ehem. BDC), PK  : Otto Bersch. 1920 Pavlu gehörte seit Mai 1931 der NSDAP und seit November 1938 der SS an. Er war nach dem

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Medeazza,1921 welche die Berichte aus dem Kreis der Politiker und Ämter übernahmen und sie an Bersch weiterleiteten.1922 Die einlaufenden Nachrichten wurden entweder in den „Deutschen Klub“ oder an den „Österreichischen Burgenverein“ gesendet und durch Kuriere an Bersch weitergeleitet.1923 Der Sitz des Nachrichtendienstes befand sich in der Wohnung des ehemaligen Kassiers des Soldatenbundes Franz Riegler im 10. Bezirk.1924 Als Kanzleileiter des ND fungierte der ehemalige 1. Schriftführer des Soldatenbundes, Franz Hörwarthner. Die beiden hatten sowohl Abschriften für Begus als auch „Gleichschriften“ über die nach München abgegangenen Informationen für Wächter anzufertigen.1925 Personell bestand somit auch eine enge Verbindung zwischen dem ND und der 89. SS-Standarte. Vermutlich dürfte gerade dies einer Vereinheitlichung des ND im Wege gestanden sein, da Konrad Rotters Gersthofer Gruppe in Distanz zu Glass stand und ihren eigenen ND betrieb. Deren Nachrichten wurden auch nicht direkt an Bersch übermittelt, sondern ausschließlich Wächter ausgehändigt, der sie über Pavlu an Bersch weiterleiten ließ. Ebenso wie Rotter führte aber auch Baubin seinen ND fort, der seine Informationen wiederum direkt an Begus nach München ablieferte. Zusammen mit dem ND der SS operierten im Zusammenhang mit dem Juliputsch somit vier Nachrichtendienste. Besonders eifrig betätigte sich auch der Staatsarchivar Paul Heigl im „Anschluss“ in der von Wächter geleiteten Abteilung im Amt des Reichstatthalters in Österreich als dessen persönlicher Referent tätig. Nach Wächters Ernennung zum Gouverneur von Galizien wurde Pavlu zum Stadthauptmann von Krakau ernannt. 1940 erfolgte seine Beförderung zum SSObersturmbannführer der Allgemeinen SS. 1943 wurde er zur Waffen-SS eingezogen und gehörte bis Kriegsende der 3. SS-Panzerdivision „Totenkopf“ an, BArch (ehem. BDC), SSO  : Rudolf Pavlu  ; Geschäftsverteilungsplan des Amtes des Reichsstatthalters und des Ministeriums für innere und kulturelle Angelegenheiten v. 22.  7.  1938, Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 12813, zit.  n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 1921 Meerganz trat im Jänner 1932 in die NSDAP ein, war bis zum Parteiverbot Landesgeschäftsführer des NS-Juristenbundes und Rechtsberater der SA-Untergruppe Wien. Im Juni 1933 trat er aus der SA aus und ar­beitete fortan für die LL Österreich. Nach dem Juliputsch flüchtete er nach Deutschland und schloss sich der SS an, BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Julius Meerganz v. Medeazza  ; WStLA, GAW Julius Meerganz von Medeazza, Zl. 133.729, 10.589 sowie Karteikarten  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsver­fahren Julius Meergans-Medeazza (sic  !). 1922 Bericht der BPD Wien v. 27. 12. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Julius Meer­gans-Medeazza (sic  !)  ; Vernehmung von Otto Bersch v. 11. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172-St.B./1934. 1923 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934. 1924 Aktenvermerk des St.B. v. 13. 9. 1934  ; Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ebd. 1925 Bericht der BPD Wien v. 27. 12. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Julius Meer­gans-Medeazza (sic  !).

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ND,1926 der sowohl mit Braitenberg in Kontakt stand und den ND von Bersch belieferte, darüber hinaus aber auch „in eigener Regie“ Nachrichten an Begus in München direkt übersandte.1927 Ein Versuch, den ND straffer zu organisieren, wurde bei einem Treffen zwischen Begus, Bersch und Stigler im Mai 1934 in Prag unternommen.1928 Die Unterredung endete ergebnislos, da Wächters Mitarbeiter eifersüchtig über ihre Konfidenten wachten. So versuchten Bersch und Begus die Kontaktleute des jeweils anderen in Erfahrung zu bringen, die jedoch keiner von beiden nennen wollte. Einer vertraulichen Mitteilung der Bundes-Polizeidirektion Wien zufolge standen auch Begus und Max Grillmayr in engem Kontakt zueinander. So hatten die beiden nach der neuerlichen Verhaftung von Fitzthum1929 bei einem Treffen am 23. April in Pressburg jegliche Aktionen zu dessen Befreiung untersagt und sich „diese Aktion (…) selbst vorbehalten“.1930 Ebenso zeigte sich Grillmayr über Thalers Tätigkeit im ND informiert.1931 Ebenso wie Stigler und Begus sollte auch Grillmayr direkt am Juliputsch beteiligt sein.1932 Kein Kontakt bestand hingegen zwischen den Nachrichtendiensten der P.O. und SS zu jenem der SA. In einem Bericht vom 23. Juli 1934 schilderte der Wiener SAUnterführer Johann Donner das konfliktträchtige Verhältnis zwischen der SA und dem ND  :1933 „Der ND kann nur dann mit einer tätigen Mithilfe der SA rechnen, (…) wenn die SA im ND nicht mehr eine Spitzelorganisation gegen sich selbst erblickt, die nur Verdächtiges sieht, Schlechtes annimmt und sich dadurch verhaßt macht.“

1926 Vernehmung von Franz Hörwarthner v. 8. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934  ; Bericht der BPD Wien v. 27. 12. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Julius Meergans-Medeazza (sic  !). Heigl wurde nach dem „Anschluss“ Leiter der Österreichischen National­bibliothek, vgl. dazu ausf. Hall/Köstner/Werner (2004)  ; Hall/Köstner (2006). In der DAL 1938 wird er fälschlicherweise unter dem Namen Dr. Peter Heigl geführt. 1927 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934. 1928 Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Tha­ler. 1929 Vgl. dazu Kapitel 12.5. 1930 Evidenzeintrag der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl. IV-4812/1 v. 1934, WStLA, GAW  : Josef Fitz­thum, Zl. 291.193. 1931 Schreiben des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks/Mitgliedschaftswesen an Alfred Eduard Frauenfeld v. 16. 3. 1937, BArch (ehem. BDC), PK  : Fritz Thaler. 1932 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934. 1933 „Blitz“ (= Johann Donner) an Brigadeführer T.(ürk) v. 23. 7. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934, zit. n. Carsten (1977), S. 235. Schafranek zufolge war „Blitz“ der Deckname Donners, Schafranek (2006), S. 102.

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Umgekehrt warfen „die PO(,) SS und Parteigenossenschaft“ der SA vor,1934 „in den unheilschwangeren Wochen vor dem 30. Juni („Röhm-Putsch“, CR), den ungeheuren Versuch unternommen zu haben, die PO und SS planmässig zu konterminieren (sic  !)  !“ Das von Wächter und seinen Mitarbeitern organisierte Spionagenetzwerk reichte im Sommer 1934 vom ehemaligen albanischen Honorarkonsul bis zum Wiener Lederhosenerzeuger. Der ND sammelte hauptsächlich Informationen1935 „wirtschaftlicher Natur über Industriekreise, Banken, Bundesbahnen, D.D.S.G., Steuer und Budgetangelegenheiten (…), über Polizei und Bundeskanzleramt (…), nach Wöllersdorf eingelieferte Personen, über verhängte Polizeistrafen, über Terrorakte, u. dgl.“. Während der bereits erwähnte Rechtsanwaltsanwärter Robert Scheickl im Landesgericht für Strafsachen Wien I Abschriften von Gerichtsakten anfertigte,1936 beschaffte ein im Bundeskanzleramt beschäftigter Heimwehrmann für Stiglers ND per Nachschlüssel die Unterlagen aus dem Büro des Chefs des staatspolizeilichen Evidenzbüros General Maximilian Ronge.1937 Weiters richtete Pavlu einen sog. „Warnungsdienst“ ein, der ParteigenossInnen über ihre bevorstehende Verhaftung informieren sollte. Nach dem Juliputsch flog das ganze Unternehmen auf, da Bersch in einer Kiste nicht nur zahllose Unterlagen gehortet, sondern darüber hinaus auch noch ein Journalbuch angelegt hatte, das von der Polizei beschlagnahmt wurde. Über vierzig Mitarbeiter und Informanten des ND wurden im Zuge der Untersuchung verhaftet.1938 12.4.2 Der Nachrichtendienst in Budapest

Anfang 1934 wurde ein weiterer, von der Landesleitung initiierter ND in Budapest aufgezogen, der unter der Führung des nach Deutschland geflüchteten Führers der österreichischen SS-Motorstaffel Carl Pichl stand. Dieser hatte am 6. Jänner 1934 beim SS-Abschnitt um Beurlaubung angesucht,1939 um „einer Einladung zur Betätigung im 1934 „Blitz“ (= Johann Donner) an Brigadeführer T.(ürk) v. 23. 7. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 1935 Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Tha­ler. 1936 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934. 1937 Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Tha­ler. Zum Evidenzbüro und zur Biografie Ronges vgl. Jagschitz (1978), S. 86f.; Moritz/Leidinger/Jagschitz (2007). 1938 Abschrift eines Berichts der BPD Wien v. 28. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 241.172St.B./1934  ; Zeugenbefragung von Rudolf Pavlu durch die Abwicklungsstelle der LL Österreich, o. D. (ca. 1937, CR), BArch (ehem. BDC), PK  : Otto Bersch. 1939 Carl Pichl an den SS-Abschnitt VIII v. 6. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Carl (von) Pichl.

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aussenpolitischen Geheimdienste der Partei folgeleisten (sic  !) zu können“. Als „vorläufigen Dienstort“ gab er Budapest an, wohin er beste Kontakte unterhielt. Als ehemaliger Berufsoffizier der k.u.k. Armee war Pichl nach Ende des Krieges als Verbindungs­­of­ fizier für das ungarische Kriegs- bzw. Außenministerium in verschiedenen EntenteKommissionen tätig gewesen und glaubte deshalb, aufgrund „gewisser Verbindungen, Erfahrungen & Sprachkenntnisse1940 der Partei im neuen Arbeitsgebiet nützlich sein“ zu können. Angeworben wurde Pichl von Walter Graeschke,1941 der im Dezember 1933 wieder in die SS aufgenommen worden und bis August 1934 sowohl als Führer zur besonderen Verwendung im Stab des RFSS als auch in der österreichischen Landesleitung aktiv war.1942 Ab diesem Zeitpunkt wurde die ungarische Hauptstadt zu einem operativen Stützpunkt der Wiener SS und zum Treffpunkt jener Nationalsozialisten, die maßgeblich an der Durchführung des Juliputsches beteiligt sein sollten. Ebenso wie Carl Pichl hielt sich auch Fitzthum seit Februar 1934 häufig in Budapest auf,1943 wo er laut Auskunft der Budapester Stadthauptmannschaft mit dem Stabschef des Steirischen Heimatschutzes, Hanns Rauter, „ständig in Fühlung“ stand. Rauter selbst erklärte Ende März gegenüber einem ungarischen Journalisten,1944 „er sei schon wiederholt hier gewesen“, seine Besuche hätten jedoch nur Privatcharakter gehabt, da „mehrere seiner deutschen Landsleute, zumeist Ingenieure, bei ungarischen Industrieunternehmungen in Verwendung“ stünden. Einer dieser Ingenieure dürfte Georg Hof gewesen sein, der ebenso wie Fitzthum, Max Grillmayr und Carl Pichl im Hotel Gellert sein Quartier genommen hatte, wo er laut einem SS-Personalbericht vom 7. Mai 19341945 nicht nur seinen Hauptwohnsitz bezogen hatte, sondern auch im „Nachrichtendienst für die Bewegung (…) tätig“ war. Im März hielt sich auch Glass in der ungarischen Hauptstadt auf und verließ laut Bericht der Budapester Stadthauptmannschaft1946 am 22. März gemeinsam mit Fitz­ thum und Grillmayr „plötzlich“ das Hotel Gellert, „so dass Karl Pichl (sic  !) (…) ihre Zimmerrechnung bezahlen musste“.1947 1940 Pichl sprach fließend ungarisch und französisch, zum „Ortsgebrauch“ beherrschte er noch englisch, italie­nisch und kroatisch. 1941 Alfred Rodenbücher an den RFSS v. 5. 4. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Carl (von) Pichl. 1942 BArch (ehem. BDC), SSO  : Walter Graeschke. 1943 Evidenzeinträge der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl. IV-6606 v. 1934, 4093 v. 1935, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1944 Bericht der Österreichischen Gesandtschaft in Budapest an den Bundeskanzler v. 31. 3. 1934, ÖSTA/ AdR, BKA-AA, NPA, Liasse Deutschland I/12 E, Kt. 117. 1945 BArch (ehem. BDC), SSO  : Georg Hof. 1946 Evidenzeinträge der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl. IV-6606 v. 1934, 4093 v. 1935, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1947 Fitzthum und Grillmayr, der in Budapest unter dem Decknamen „Martin Auer“ auftrat, wohnten

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Zu Ostern 1934 versammelte sich dann eine illustre Runde in Budapest, die permanent von der ungarischen Polizei überwacht wurde. Am 29. März war Georg Hof eingetroffen,1948 für den Carl Pichl bereits ein Zimmer im Hotel Gellert reserviert hatte. Während seines mehrtägigen Aufenthalts befand sich Hof in ständiger Gesellschaft von Pichl und Grillmayr und traf auch mit Fitzthum zusammen. Glass, der zu diesem Zeitpunkt mit einem Pass lautend auf den Namen „Friedrich Keller“ reiste,1949 war gleichfalls nach Budapest gekommen,1950 um mit Fitzthum zu konferieren.1951 Im „Parkhotel“ hatte wiederum Hanns Rauter, der „von mehreren jungen Leuten begleitet“ wurde,1952 Quartier bezogen,1953 um mit dem steirischen Gauleiter Walter Oberhaidacher die Eingliederung des Steirischen Heimatschutzes in die NSDAP zu besprechen.1954 Weitere Treffen in Budapest fanden zwischen Rauter und Glass1955 sowie danach bei der Witwe des Feldmarschalls Plepps, BPD in Wien an das Besondere Stadtamt  I v. 12. 7. 1935, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Georg Hof. 1948 Ebd. 1949 Der Deckpass war am 27. März 1934 von der Polizeidirektion München ausgestellt worden, Abschrift einer Meldung v. 24. 1. 1936, ÖSTA/AdR, GA  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann), Zl. 253.483. 1950 Jagschitz (1976), S. 81. 1951 Schafranek (2006), S. 36. 1952 Auszug aus dem Pressebericht der Zeitung „Mai Nap“ Nr. 71/4 v. 29. 3. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-AA, NPA, Li­asse Dtld. I/12, Kt. 117. 1953 Österreichische Gesandtschaft in Budapest an Bundeskanzler Dollfuß v. 31. 3. 1934, ebd. 1954 Der Steirische Heimatschutz (Hasch) war am 22. April 1933 ein Bündnis mit der SA eingegangen (Liezener Abkommen) und hatte am 23.  November 1933 im Venediger Abkommen „die etappenweise Vereinigung“ des Hasch mit der NSDAP beschlossen. Die zu den SA-Stäben übertretenden Hasch-Führer sollten „ent­sprechende SA-Dienstgrade“ von der Obergruppe teils auf Antrag bei der Obersten SA-Führung, teils, so­weit sie selbst dafür zuständig waren, auf eigene Verfügung erhalten. Hanns Rauter war im Juni 1933 nach München gekommen, wohin auch die Stabsleitung des Heimatschutzes verlegt wurde, während Konstantin Kammerhofer und August Meyszner in Österreich blieben. Unmittelbar nach seiner Ankunft nahm ihn Ha­bicht, obwohl Rauter nicht Parteimitglied war, in die Landesleitung auf und übertrug ihm wenig später auch die Führung des „Kampfringes der Deutsch-Österreicher im Reich“. Reschny berief Rauter nach dem Ve­nediger Abkommen zwar in seinen Stab, verlieh ihm jedoch nur den Rang eines Obersturmbannführers. Der gekränkte Rauter ließ sich daraufhin von der SA zur Landesleitung beurlauben. In der Steiermark übernahm Kammerhofer die Führung der obersteirischen SA-Brigade, was Schafranek zufolge „(wahrscheinlich) für Verdruss“ sorgte. Am 2. März 1934 wurde in München in einem zweiten Abkommen zwischen der Gau­leitung Steiermark, der österreichischen Landesleitung und dem Hasch die Aufnahme der Heimatschützer als „gleichberechtigte und vollwertige Parteigenossen“ in die NSDAP beschlossen, wobei die „restlose Ein­gliederung“ mit dem Tag der Verlautbarung in Kraft treten sollte. Dazu beriefen der steirische Gauleiter Oberhaidacher und Hanns Rauter zu Ostern 1934 das Treffen in Budapest ein, wo nach „Rauters nachvollziehbarer Interpretation“ die „restlose Eingliederung“ des Hasch in die NSDAP erfolgte, Schafranek (2006), S. 19–24. 1955 Jagschitz (1976), S. 80.

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Fitzthum statt.1956 Rauter wurde am 31. März in seinem Hotel von einem Journalisten aufgestöbert und reiste noch am selben Tag aus Budapest ab, während seine „größtenteils im Hotel Gellert“ wohnenden „Gesinnungsgenossen (…) einstweilen noch“ dort verblieben und polizeilich überwacht wurden.1957 Pichl intervenierte schließlich gegen die ständigen Nachstellungen der ungarischen Sicherheitskräfte und verließ am 5. April gemeinsam mit Hof und Grillmayr Budapest.1958 Am gleichen Tag verlängerte Rodenbücher seine Freistellung für die Landesleitung.1959 Pichl kehrte ebenso wie Hof nach Budapest zurück, wo sie weiterhin im ND tätig waren. Die Agitationen der SS-Führer in Budapest waren der ungarischen Polizei ebenso wenig verborgen geblieben wie den österreichischen Sicherheitskräften die verstärkten nationalsozialistischen Aktivitäten an der österreichisch-ungarischen Grenze. Anfang Juni 1934 erging daher ein Schreiben der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit an alle Sicherheitsdirektoren,1960 wonach laut einem „aus absolut seriösen Quellen“ stammenden Bericht die „Fäden von außen her (…) nicht mehr direkt von Deutschland und Österreich, sondern via Budapest nach Wien und von Laibach nach Marburg, Graz und Villach (laufen)“. Die NSDAP sei gerade im Begriff, drei „Hauptterrorgruppen“ aufzustellen, deren „Kurierdienst (…) über Budapest“ organisiert sei. Auch hätten zu Pfingsten in Budapest Verhandlungen zwischen dem Wiener SA-Brigadeführer Rudolf May und Vertretern des radikalen Flügels der Pfeilkreuzlerbewegung stattgefunden. Diese unterhalte wiederum in einem Hotel in Wien-Mariahilf unter dem Decknamen „Casanova“ einen Verbindungsdienst zu österreichischen Nationalsozialisten.1961 Am 9. Juli meldete die Gestapo an Rudolf Heß und das Auswärtige Amt,1962 dass „auf Anregung des österreichischen Bundeskanzleramtes von den ungarischen Behörden eine Kontrolle aller nach Ungarn einreisenden Personen eingeführt“ wurde, „die sich ausschliesslich auf namhafte österreichische sowie deutsche führende Persönlichkeiten 1956 Evidenzeintrag der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl.  IV-6606 v. 1934, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 1957 Österreichische Gesandtschaft in Budapest an Bundeskanzler Dollfuß v. 31.  3.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-AA, NPA, Liasse Dtld. I/12, Kt. 117. 1958 Königlich ungarische Oberstadthauptmannschaft Budapest an die BPD Wien v. 12. 6. 1935, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Georg Hof. 1959 Alfred Rodenbücher an den Chef des SS-Amtes v. 5. 4. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Carl (von) Pichl. 1960 GföS an alle Sicherheitsdirektoren v. 2. 6. 1934, abgedr. in  : Historische Kommission (1965), S. 219– 221. 1961 Bisher konnten keine Quellen aufgefunden werden, welche diese Angaben bestätigen. 1962 Geheimes Staatspolizeiamt an den Verbindungsstab der NSDAP/Auswärtiges Amt v. 9. 7. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 10.432, zit.  n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag.

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der NSDAP. erstreckt“. Darüber hinaus wurden „den ungarischen Grenzstellen Beamte der österreichischen politischen Polizei als sogenannte ‚Politische Berater‘ beigegeben“, die „über umfassende Kenntnisse hinsichtlich aller bekannten deutschen und österreichischen führenden Persönlichkeiten der NSDAP. (verfügen). Wie genau die Grenzstellen arbeiten, beweist eine hier vorliegende Liste aus Budapest über eingereiste nationalsozialistische Führer.“ Am 17. Juli schritt die ungarische Regierung – sicherlich auch aufgrund der regen Tätigkeit der österreichischen NSDAP in Budapest – gegen die Aktivitäten der ungarischen Nationalsozialisten ein. Sie verbot den ungarischen nationalsozialistischen Parteien die Organisation militärischer Formationen und ordnete die „sofortige Einstellung solcher bereits bestehender Formationen“ an.1963 12.5 Die Übernahme der 11. SS-Standarte durch Hubert Kölblinger

Kurz nach dem Ostertreffen in Budapest kehrte Josef Fitzthum am 8. April nach Wien zurück und wurde am Tag darauf verhaftet.1964 Da er darauf beharrte, Alfred Falkenberger zu sein, und die Polizei es verabsäumt hatte, ihm anlässlich seiner zahlreichen Festnahmen Fingerabdrücke abzunehmen, konnte seine Identität zunächst nicht festgestellt werden. Diese konnte schließlich sein Zahnarzt eruieren.1965 Fitzthum hatte vor seiner Verhaftung noch die Frage seines Stellvertreters klären können und wenige Tage zuvor einen Kampfgefährten aus Kriegstagen, den SS-Obertruppführer Hubert Kölblinger, dazu ernannt.1966 Während eines Aufenthaltes Kölblingers in München Ende April1967 bestätigte Rodenbücher die Bestellung und bat um dessen Beförderung zum Sturmführer, da seiner Ansicht nach Kölblingers „Bestätigung zum S.S. Führer (…) politisch notwendig“ sei.1968 Ob sich dies auf die Ernennung von Fridolin Glass zum Sturmführer bezog oder Kölblingers Position gegenüber der SA gestärkt werden sollte, geht aus dem Schreiben nicht hervor. Hubert Kölblinger1969 war 1897 als Sohn eines Postoberoffizials in Wien geboren worden. Nach der Matura hatte er sich 1915 als Freiwilliger zum Kriegsdienst ge1963 RP v. 18. 7. 1934, S. 4 („SA-Verbot in Ungarn“). 1964 Evidenzeintrag des Sicherheitsbüros der BPD Wien, S.B. Zl. 996 v. 1934, WStLA, GAW  : Josef Fitz­ thum, Zl. 291.193. 1965 Volkszeitung v. 17. 4. 1934, S. 4 („Josef Fitzthum am Gebiß erkannt“). Im Februar 1936 flüchtete er dann neuerlich aus der Haft. 1966 Laut seinem Stammrollen-Auszug dürfte er um den 1.  April herum bestellt worden sein, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hubert Kölblinger. 1967 Lebenslauf von Hubert Kölblinger v. 23. 4. 1934  ; ebd. 1968 Beförderungsvorschlag für Hubert Kölblinger von Alfred Rodenbücher v. 25. 4. 1934, ebd. 1969 Lebenslauf von Hubert Kölblinger v. 23. 4. 1934, ebd.

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meldet und war dem 1. Tiroler Kaiserjäger-Regiment überstellt worden. Nach Absolvierung der Offiziersschule bat er um sofortige Versetzung an die Front, wo er bis Kriegsende 21 Monate lang, zeitweise auch unter Fitzthums Kommando im Einsatz gestanden, durch einen Lawinenabgang verschüttet und zwei Mal verwundet worden war. Im Februar 1919 hatte er als hoch dekorierter Leutnant mit 25-prozentiger Invalidität abgerüstet, war im Jahr darauf in den Staatsdienst übernommen worden und hatte zuletzt als Rechnungsoberrevident in der niederösterreichischen Landesregierung gearbeitet. Im Dezember 1922 war Kölblinger Abb. 76: Hubert Kölblinger, 1936, BArch der NSDAP und im Jänner 1923 der Wiener SA beigetreten und hatte im Winter 1924/25 „nach Rücksprache“ mit Hitler mit seiner etwa 320 Mann umfassenden SA-Mannschaft „den stärksten Kampf um die Unterstellung der österreichischen NSDAP unter die Führung Hitlers“ begonnen. Laut Kölblinger war seine „Abteilung wohl die erste größere Abteilung in Österreich, die das Braunhemd (…) und den Hauptanteil an der Gründung der Hitlerbewegung trug“. Nachdem sich auch „die übrige SA“ unter Reschnys Führung der Hitlerbewegung angeschlossen hatte, wurde Kölblinger zum Führer der Wiener SA und zum Standartenführer ernannt. Diese Funktionen legte er 1928 nach Streitigkeiten mit Reschny „freiwillig“ nieder. Hintergrund des Zerwürfnisses war, dass Kölblinger sich „strikt“ gegen „jegliche(s) Zusammengehen mit der Heimwehr, insbesonders mit Starhemberg“ ausgesprochen hatte und ihm die damalige Haltung der SA-Oberführung „alles andere als (…) eindeutig“ erschienen war.1970 Auch nach seinem Rücktritt hatte Kölblinger weiterhin als einfacher SA-Mann der Formation angehört, „bei der SA damals alle Saalschlachten und sonstigen Zusammenstöße mit den Marxisten“ mitgemacht und war dabei zwei Mal verletzt worden. Im Juli 1929 hatte er um Beurlaubung auf unbestimmte Zeit vom SA-Dienst angesucht und war der P.O. beigetreten. Bis 1933 war Kölblinger u.a. als Ämtergruppenleiter der NSB, Gauredner, Bezirksrat und Fraktionsführer sowie Sprecher der NSDAP des 12. Bezirks aktiv gewesen. Im Mai 1970 Zur Annäherung der NSDAP an die Heimwehr s. Kapitel 2.2.

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Die Entwicklung der Wiener SS vor dem Juliputsch

1933 hatte er sich infolge der verschärften politischen Situation erneut zum aktiven Dienst in der SA gemeldet. Nachdem „(d)ie Erledigung (…) auf sich warten ließ“, hatte er beschlossen, „den Aufforderungen der SS Führer in Wien“ nachzugeben, und war der Schutzstaffel beigetreten. Kölblinger war sofort mit der Wahrung der Geschäfte der Standarte betraut worden und hatte nach der kurzfristigen Verhaftung fast des gesamten Führerkorps im Juni 1933 für einige Tage auch das Kommando über die Wiener SS übernommen. Im Oktober 1933 war er verhaftet und nach ca. dreißigtägiger Haft aus dem Staatsdienst entlassen worden. Nach den vorangegangenen Streitigkeiten um die Aufstellung der 89. SS-Standarte trug Kölblingers Ernennung sicherlich nicht zu einem verbesserten Verhältnis zur SA bei. Nach der damaligen Lage der Wiener SS war Kölblinger der Mann der Wahl, was aber gleichzeitig bedeutete, dass damit ein Intimfeind Reschnys das Kommando übernahm. Im Unterschied zu seinen Vorgängern Fitzthum und Hof, die sich erst in den 1930er-Jahren der NSDAP angeschlossen hatten, gehörte Kölblinger bereits seit mehr als einem Jahrzehnt der NSDAP an und hatte sich ab 1924 für die Unterstellung der österreichischen NSDAP unter Hitler stark gemacht, mit dem er auch in persönlichem Kontakt gestanden war. Darüber hinaus war er als Politischer Leiter fest in der P.O. des Wiener Gaus verankert und hatte den Aufbau der SA ab 1923 entscheidend mitbestimmt. Das große Interesse der SS-Führer an Kölblingers Aufnahme in die Standarte ist sicherlich auch darauf zurückzuführen, dass der Großteil, ebenso wie zahlreiche Unterführer und Teile der Mannschaft, unter seinem Kommando in der SA aktiv gewesen war und ihn seit vielen Jahren kannte. Als Kölblinger die Standarte übernahm, befand sich beinahe das gesamte Führerkorps der Wiener SS im Gefängnis oder Anhaltelager bzw. wurde kurz darauf verhaftet. Auf freiem Fuß waren nur noch Max Plobner, Hans Mußil und Julius Pfaffenmayer, der von 1934 bis 1938 den I.  Sturmbann führte, während Plachetka, Smirtschek und Schmid bereits nach Deutschland geflüchtet waren. Auch Kölblinger wechselte nach seiner ersten Verhaftung ständig seinen Wohnsitz und ging nach der Übernahme der Standarte ebenso wie Fridolin Glass auf Befehl Rodenbüchers endgültig in den Untergrund.1971 Kölblingers Frau arbeitete fortan unter dem Schutz eines nationalsozialistischen Kriminalbeamten im „Verbindungsdienst“ der SS.1972 Zu seinem Adjutanten ernannte Kölblinger den Exportkaufmann Max Führer, der nach seiner Rückkehr aus Brasilien im Februar 1971 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher  ; Hubert Kölblinger an den Chef des Personalamtes v. 6. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hubert Kölblinger  ; Abschrift eines nicht unterfertigten Schreibens eines Politischen Leiters des Gaus Wien an Hu­bert Kölblinger v. 2. 12. 1938, WStLA, GAW  : Hubert Kölblinger, Zl. 183.452. 1972 BArch (ehem. BDC), PK  : Emma Kölblinger.

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1934 der NSDAP und SS beigetreten war.1973 Führer dürfte in direktem Kontakt zur 89. SS-Standarte gestanden haben, da er nach seiner Flucht nach Deutschland als Zeugen für seine Tätigkeit während seiner Zeit in Wien u.a. Fridolin Glass nannte. Die enge Zusammenarbeit der beiden Standarten schlug sich aber auch im Kurierdienst der SS nieder, für den Hans Speer zuständig war.1974 Wenige Tage nach Beginn des Juliputsches in Wien wurde dann die neu aufgestellte Terrorgruppe der 89. Standarte mit jener der 11. vereinigt und unter deren Kommando gestellt.

1973 Hubert Kölblinger an das NSDAP-Flüchtlingshilfswerk v. 16.  2.  1938, BArch (ehem. BDC), PK  : Max Führer. 1974 Lagebericht für die Standarten 11, 52, 89 und den selbstständigen Sturmbann 152 (182) von S 44 (Hans Speer) an S 18 (OaD) v. 1. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934.

13. „… im Gefecht“ – Die Rolle der SS während des Juliputsches

Am 10. Juli gingen die Vorbereitungen für den Putsch in die letzte Phase. Zunächst informierte Habicht die Gauleiter von Vorarlberg-Tirol (Hofer), Salzburg (Scharizer, der gleichzeitig auch kommissarisch den Gau Oberösterreich leitete), Wien (Frauenfeld) und der Steiermark (Oberhaidacher) von dem Putschplan.1975 Laut Angaben von Oberhaidacher verneinten die Gauleiter einstimmig die Möglichkeit einer erfolgreichen Durchführung der Aktion. Habicht erteilte daraufhin die Anweisung,1976 „in kürzester Frist“ Informationen in ihren Gauen einzuholen, „vorsichtige Fühlungsnahme“ mit Vertretern des Bundesheeres und der Polizei herzustellen und auf diese Einfluss zu nehmen. Am Tag darauf traf Weydenhammer in Rom mit Rintelen zusammen,1977 der darauf drängte, dass der Putsch noch vor Ende Juli stattfinden sollte. Nachdem Glass am 16. Juli über seine angeblich erfolgreichen Besprechungen mit hohen Vertretern der Wiener Polizei, vor allem mit Gotzmann und dem Leiter der Kriminalpolizei der Wiener Bundes-Polizeidirektion Otto Steinhäusl, Bericht erstattet hatte,1978 sah Habicht den Zeitpunkt für die Durchführung der Aktion für gekommen.1979 Als Termin wurde der 24. Juli fixiert, an dem die letzte Sitzung des Ministerrates vor der Sommerpause stattfinden sollte. Noch in der Nacht informierten Habicht, Wächter, Glass und Weydenhammer den Wiener Gauleiter Frauenfeld, Hermann Reschny und einen Abgesandten des Oberleutnants des Bundesheeres Adolf Sinzinger über den konkreten Ablauf des Putsches.1980 Reschny erfuhr nun erstmals von den tatsächlichen Plänen der Landesleitung und der SS. 1981 Umgehend sagte er seine Teilnahme zu und 1975 Schafranek (2006), S. 69. 1976 Ebd., S. 69f. 1977 Bericht von Rudolf Weydenhammer, o. D., BArch/NS 26, Zl. 634  ; Historische Kommission (1965), S. 72f. 1978 Historische Kommission (1965), S. 75f.; Bericht von Rudolf Weydenhammer, o. D., BArch/NS 26, Zl. 634. 1979 Schafranek (2006), S. 70. 1980 Historische Kommission (1965), S.  76  ; Bericht von Rudolf Weydenhammer, o.  D., BArch/NS 26, Zl.  634. Die Historische Kommission des Reichsführers SS wies Sinzinger als Stabschef des Stadtkomman­dos Wien aus. Tatsächlich war er nur Angehöriger der Militärabteilung der 1. Brigade, Jagschitz (1976), S. 83. 1981 Historische Kommission (1965), S. 77.

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Abb. 77: Kundmachung über die Verhängung der Todesstrafe, Wien, November 1933, BPD Wien

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versprach seinerseits, alle Vorbereitungen für den Aufstand der SA in den Bundesländern zu treffen. In München wurden sodann unter dem Vorsitz Habichts und der Anwesenheit Reschnys die Gauleiter über die Durchführung des Putsches informiert. Sowohl Oberhaidacher als auch Scharizer äußerten sich skeptisch, konnten sich aber nicht durchsetzen. In Wien eröffnete Glass dem überraschten Rotter, dass er von Habicht „unwiderruflich“ mit der Aktion betraut worden sei.1982 Auch Rotter sagte seine Teilnahme endgültig zu, ebenso wie Franz Kamba,1983 der beauftragt wurde, den genauen Zeitpunkt der Ministerratssitzung zu eruieren. In einem späteren Bericht erklärte Kamba, dass er mit den von Glass „getroffenen Maßnahmen (…) nicht einverstanden“ gewesen sei, was er ihm „auch wiederholt erklärt“ hätte. Überhaupt scheint Kambas Meinung über Glass nicht sehr hoch gewesen zu sein, bezeichnete er ihn doch als „außerordentlich geschickt“ agierenden „Angeber“, von dem er „nicht viel (hielt)“. Unterdessen nahm Dollfuß eine Regierungsumbildung vor und stellte am 10. Juli ein „Kampfkabinett“ auf, das insbesondere auf die Entmachtung von Fey abzielte. Dieser hatte bereits am 1. Mai sowohl mit dem Verlust des Postens des Vizekanzlers als auch mit der Erhebung der „Vaterländischen Front“ zur Staatspartei einen deutlichen Macht- und Prestigeverlust hinnehmen müssen. Durch die Eingliederung der Wehrfront, der die Heimwehr angehörte, in die „Vaterländische Front“ hatte die Heimwehr nämlich ihre formale Existenz als autonomer Selbstschutzverband verloren. Angeblich war Fey auch nicht mehr bereit, den verschärften Kurs der Regierung gegen die NSDAP mitzutragen. Nachdem nämlich bereits im November 1933 die Todesstrafe für Mord, Brandlegung und öffentliche Gewalttätigkeit durch boshafte Beschädigung fremden Eigentums (BGBl. 505/1933) (wieder) eingeführt und im Mai 1934 auf Sprengstoffdelikte ausgeweitet worden war (BGBl. II 31/1934), erfolgte am 12. Juli eine weitere einschlägige Verschärfung. Mit dem Gesetz „zur Abwehr politischer Gewalttaten“ (BGBl. II 119/1934) konnten bereits die Herstellung, Anschaffung, der Besitz oder die Überlassung von Sprengstoffen mit dem Tod geahndet werden. Dies betraf auch Anschläge auf die Infrastruktur, wie etwa die Zerstörung von Bahngleisen und Telefonmasten. Am 19. Juli ließ Fey einem Vertreter der Wiener Gauleitung mitteilen,1984 dass er sich durch Dollfuß’ „Politik (…) in die Rolle des Henkers gegenüber Sozialisten und Nationalsozialisten gedrängt“ fühle und „auch in Zukunft keinen Maßnahmen gegen 1982 Denkschrift von Konrad Rotter, o. D. (1935, CR), zit. n. Schafranek (2006), S. 236. 1983 Vernehmungsniederschrift von Franz Kamba v. 21. 5. 1938, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Baubin (= Alfred Keller). 1984 Bericht über eine Unterredung mit Fritz Lahr v. 19. 7. 1934, AA, Gesandtschaft Wien Geheim-Akten 49.384, Bd. 60-72 (E 270.870-78), zit. n. Jagschitz (1976), S. 65.

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(nationalsozialistische, CR) Parteimitglieder zustimmen werde“. Mit der Kabinettsumbildung hatte Fey nun auch das Sicherheitsressort verloren, blieb aber auf Druck von Odo Neustädter-Stürmer als Minister ohne Portefeuille in der Regierung und wurde mit dem imposant klingenden Titel „Generalstaatskommissär für außerordentliche Sicherheitsmaßnahmen zur Bekämpfung staatsfeindlicher Bestrebungen in der Privatwirtschaft“ abgespeist. Dollfuß übernahm neben dem Ministerium für Landwirtschaft auch jenes für Landesverteidigung und das Sicherheitsressort. Inwieweit Fey am Juliputsch beteiligt war, konnte bisher nicht festgestellt werden. Allerdings nahm er am 19. Juli über seinen Vertrauten Fritz Lahr,1985 den stellvertretenden Führer der Wiener Heimwehr und Vizebürgermeister von Wien, Verhandlungen mit einem Vertrauensmann der Wiener Gauleitung auf und bot eine enge Zusammenarbeit an. Er wolle in etwa zwei bis vier Wochen mit einem bevollmächtigten Vertreter Hitlers weitere Gespräche führen, bitte sich nur aus, dass die Heimwehr „im Falle einer Gleichschaltung bestehen bleiben könne“. Auch Otto Begus1986 hatte im Juni 1934 Verhandlungen „mit einem Vertrauensmann bezw. engeren Mitarbeiter des Ministers Fey (…) wegen eines allfälligen Friedensschlusses mit der NSDAP“ geführt. Eine weitere Verbindung zu Fey stellte der Gerichtsmediziner Philipp Schneider her,1987 der während des Krieges dem Bataillonskommandanten Fey zeitweise zugeteilt gewesen war. Laut Baubin hätte Schneider im Auftrag Himmlers Gespräche mit Fey geführt,1988 während er selbst nach dem „Anschluss“ erklärte, ab Juli 1934 im Sicherheits- und Nachrichtendienst der 89. SS-Standarte tätig gewesen zu sein, und als Zeugen dafür Hanns Blaschke und Otto Steinhäusl nannte.1989 Allerdings brach Schneiders Kontakt zu Fey kurz vor dem Putsch ab.1990 Frauenfeld berichtete wiederum, dass er vom Propagandaministerium 200.000 Reichsmark für die Landesleitung erhalten hatte,1991 die über die Schweiz an Fey transferiert werden sollten, zum Zeitpunkt des Putsches aber noch nicht ausbezahlt worden waren. Jagschitz beschreibt Feys Verhalten während des Putsches als „undurchsichtig“ und „zwiespältig“,1992 er sei „zwischen Loyalität und Verlockung der Macht (schwankend) (…) im Augenblick der Entscheidung ratlos“ gewesen und habe mit „halber Überzeugung und halber Ener1985 Ross (1966), S. 234f.; Jagschitz (1976), S. 65. 1986 Vernehmung von Otto Begus v. 14.  8.  1934, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Fritz Tha­ler. 1987 Oswald (1964), S. 138. Zur Biografie Schneiders und dessen Rolle im Zusammenhang mit dem Juliputsch vgl. Arias (2009), S. 14–21. 1988 Oswald (1964), S. 138. 1989 Arias (2009), S. 18. 1990 Oswald (1964), S. 138. 1991 Frauenfeld (1978), S. 119. 1992 Jagschitz (1976), S. 103.

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gie“ gehandelt. Umso entschlossener agierten hingegen Rintelen und Winkler unterstützt von Finanzminister Buresch. 13.1 Die Vorbereitungen der 11. SS-Standarte auf den Juliputsch

In Wien bereitete die 11. SS-Standarte im Rahmen des Juliputsches zwei Aktionen vor. Die erste betraf ein Ablenkungsbzw. Sicherungsmanöver am Michaelerplatz.1993 Dort sollte sich am 24. Juli eine kleine Gruppe der 11. SS-Standarte, die zum Teil auch dem Nachrichtendienst der Landesleitung angehörte, einfinden, um einen Handgranatenanschlag auf den vorbeifahrenden Wagen von Dollfuß zu verüben. Das Kommando über die Vorbereitungsmaßnahmen hatte Ludwig Stigler übernommen, während Otto Begus den Anschlag selbst leiten sollte. Mit den Vorbereitungsarbeiten beauftragte Stigler den in Wien studierenden reichsdeutschen SS-Mann Arend Lang, den späteren Leiter der Abteilung „Erb- und Abb. 78: Pius Bruckner, ca. 1938, WStLA Rassenpflege“ des Wiener Hauptgesundheitsamtes.1994 Dieser hatte „die äussere Lebensweise“ des Bundeskanzlers,1995 den Zeitpunkt, zu dem Dollfuß üblicherweise „das Bundeskanzleramt zu betreten und zu verlassen pflegte“, auszukundschaften und „im übrigen für die Vorbereitungen zur Durchführung des Planes“ zu sorgen. Die Auswahl der SS-Männer übernahm Pius Bruckner,1996 der auch für die TG arbeitete. 1993 Historische Kommission (1965), S. 44–46  ; Jagschitz (1976), S. 88. 1994 Vgl. dazu Czech (2006). 1995 Historische Kommission (1965), S. 44. 1996 Bruckner war bereits wiederholt wegen nationalsozialistischer Betätigung verhaftet worden. Bei den Unru­hen am 1. Mai 1933 wurde er im Märzpark verwundet und 1934 wegen Böllerwerfens zu vier Monaten Arrest verurteilt. Nach seiner Flucht aus Österreich erfolgte im November 1934 die Aberkennung seiner österreichischen Staatsbürgerschaft, WStLA, Gauarchiv Wien, Kt. 1  ; ebd., GAW  : Pius Bruckner, Zl. 12.028  ; ebd., M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Pius Bruckner.

Die Vorbereitungen der 11. SS-Standarte auf den Juliputsch

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Ausgewählt wurden die SS-Männer Michael Pistor,1997 Alfred Mallinger,1998 Anton Frühwirth,1999 Franz Ostermayer2000 und Walter Köhler2001 sowie Otto Rothstock2002 und Friedrich Angerbauer,2003 die zu diesem Zeitpunkt vermutlich nicht der SS angehörten. In den Tagen vor dem Putsch führte der Trupp mehrere Besprechungen durch und beschloss folgenden Plan  :2004 Die Gruppe sollte zwischen der Ausfahrt des Bundeskanzleramtes am Ballhausplatz und dem Michaelerplatz Aufstellung nehmen, wo 1997 Michael Pistor war zum damaligen Zeitpunkt Stabsscharführer des Sturms 3/II/11, BArch (ehem. BDC), SSO  : Michael Pistor. 1998 Alfred Mallinger gehörte seit Oktober 1932 der NSDAP und SA an. Zwischen Mai und Juni 1934 trat er zur SS über. Nach seiner Flucht nach Deutschland befand er sich in den Lagern der österreichischen SS in Da­chau, Waischenfeld und Schleißheim. Im Juli 1935 wurde ihm die österreichische Staatsbürgerschaft entzo­gen, BArch (ehem. BDC), PK  : Alfred Mallinger  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Alf­red Mallinger. 1999 Frühwirth flüchtete nach dem Juliputsch nach Dachau und wurde Mitte Juni 1935 aus Österreich ausgebür­gert, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Anton Frühwirth. 2000 Ostermayer befand sich nach seiner Flucht nach Deutschland zunächst in der Fränkischen Schweiz (vermut­lich im Lager Waischenfeld) und ab spätestens Sommer 1935 in Dachau. Im August 1935 wurde er aus Österreich ausgebürgert, WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürgerungsverfahren Franz Ostermayer  ; ebd., GAW  : Franz Ostermayer, Zl. 310.254. 2001 Walter Köhler gehörte 1935 als SS-Hauptscharführer der SS-Grenzüberwachung/Abschnitt Passau an, WStLA, GAW  : Walter Köhler, Zl. 189.199  ; ebd., GAW  : Friedrich Steiner, Zl. 27.952. 2002 Rothstock hatte sich 1921 der NSDAP angeschlossen und gehörte seit 1923 der Wiener SA an. Am 10. März 1925 erschoss er den jüdischen Schriftsteller und Sexualaufklärer Hugo Bettauer  ; vgl. dazu ausf. Hall (1978)  ; Botz (1983), S. 133–137, 407f. Nach der Parteispaltung trat Rothstock im Oktober 1930 wieder der NSDAP bei, aus der er aufgrund seiner vehementen Kritik an Frauenfeld im Jänner 1933 ausge­schlossen worden war, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 4. Rothstock war über seinen Parteiausschluss angeblich nicht informiert und arbeitete in der Illegalität im ND mit. Als Zeugen dafür gab er Max Grill­mayr und Otto Begus an, Otto Rothstock an das NSDAP-Flüchtlingshilfswerk/Mitgliedschaftswesen v. 15. 6. 1937, BArch (ehem. BDC), PK  : Otto Rothstock. Nach seiner Flucht nach Deutschland wurde er im Jänner 1936 aus Österreich ausgebürgert  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Otto Roth­stock. Im Dezember 1941 wurde er rückwirkend mit 1. Mai 1938 wieder in die NSDAP aufgenommen. Laut Botz (1983), S. 137f. war Rothstock später Mitglied der Waffen-SS. 2003 Angerbauer war im Februar 1933 aus der NSDAP ausgeschlossen worden, da er Gelder unterschlagen hatte und diese wegen seiner Arbeitslosigkeit erst nachträglich zurückzahlen konnte, GL Wien/ Frauenfeld an Friedrich Angerbauer v. 8. 3. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 20. In einem Personal-Fragebogen gab er an, dass er in der Illegalität in der „SS und Ter­rorgruppe in Wien“ aktiv gewesen war. Nach seiner Flucht nach Deutschland Ende August 1934 war er bei der SS in Dachau und wurde nach dem „Anschluss“ vermutlich wieder in die Partei aufgenommen. Spätestens 1942 gehörte er als SS-Hauptscharführer dem SD-Leitabschnitt in Prag an, BArch (ehem. BDC), RS  : Friedrich Angerbauer. 2004 Historische Kommission (1965), S. 44.

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„… im Gefecht“ – Die Rolle der SS während des Juliputsches

Dollfuß’ Wagen auf dem am Michaelerplatz befindlichen Parkplatz von zwei Autos „eingekeilt und am Weiterfahren gehindert werden, und daraufhin (…) ein Bündel Handgranaten gegen den Wagen geschleudert werden“ sollte. Allerdings hatte Begus, vermutlich in Absprache mit Stigler, noch einen weiteren Plan ausgearbeitet, in den die Gruppe nicht eingeweiht war. Die zweite Aktion betraf die Verhaftung von Bundespräsident Miklas und Abb. 79: Walter Köhler, n. 1934, WStLA wurde von Max Grillmayr, Standartenarzt Walter Ott und seinem Bruder Rudolf durchgeführt. Walter Ott hatte bereits Ende Juni über den reichsdeutschen Arzt und SS-Angehörigen Kurt Albrecht2005 ein fingiertes Telegramm mit der Nachricht erhalten, nach Deutschland zu kommen, wo er in Berlin mit Grillmayr zusammentraf.2006 Vermutlich am 21. Juli kam Grillmayr nach Wien und quartierte sich zeitweise in der Wohnung Otts ein. Möglicherweise war Grillmayr zunächst auf Dollfuß angesetzt gewesen2007, und erst nachdem um den 18. Juli herum bekannt geworden war,2008 dass Bundespräsident Miklas überraschend zu seinem Sommerurlaub nach Velden aufgebrochen war, von Wächter beauftragt worden, die Aktion zur Verhaftung des Bundespräsidenten auszuarbeiten. Nach Grillmayrs Eintreffen fuhr Ott sofort zum Rudern in die Kuchelau, wohin ihm später auch sein Bruder Walter nachfolgte. In den Tagen vor dem Putsch hielten sich im Radius von ca. sechs Kilometern die Brüder Ott im Kuchelauer Hafen und Glass mit den Führern der 89. Standarte in ihrem Hauptquartier in der Klosterneuburger Strandbadsiedlung auf,2009 während Wächter im Klubhaus des Rudervereins Donauhort in Nussdorf nächtigte, der wiederum seinen zweiten Standplatz in der Kuchelau hatte. Nach den Angaben von Grillmayrs Lebensgefährtin und späterer Ehefrau dürfte 2005 Kurt Albrecht wurde im April 1936 zum SS-Untersturmführer befördert und gehörte der SS-Sani­ tätsabteilung an, DAL 1938. 2006 Vgl. dazu die Presseberichterstattung vom 10.  bis 13.  1.  1935 über den Militärgerichtshofsprozess gegen die Brüder Ott sowie Schafranek (2011), S. 208–211. 2007 Josef Fitzthum an „Fräulein Käthe Post“ v. 24. 7. 1934, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 2008 Laut Rotter hatte ihn Glass bei einer Unterredung am 18. oder 19. Juli davon in Kenntnis gesetzt, dass sich Miklas in Velden befinde und eine Aktion zu seiner Festnahme geplant sei, Denkschrift von Konrad Rotter, o. D. (1935, CR), abgedr. b. Schafranek (2006), S. 237. 2009 Bericht von Rudolf Weydenhammer, o. D., BArch/NS 26, Zl. 634  ; Jagschitz (1976), S. 87f.

Der Mordplan der SA gegen Engelbert Dollfuß

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Ott sich im Gegensatz zu seinen Angaben vor Gericht aber nicht durchgehend in der Kuchelau befunden haben. Sie berichtete später,2010 dass Ott und Grillmayr in den Tagen vor dem Juliputsch „sehr oft“ bei ihr gewesen seien. In der Nacht vom 23. auf den 24. Juli wurde Grillmayr von Wächter nach Nussdorf „zum Auftragsempfang“ bestellt und von Weydenhammer gemeinsam mit den Brüdern Ott um 2  Uhr nachts „nach Velden in Marsch gesetzt“.2011 Am Morgen des 24.  Juli folgte ihnen der ehemalige Bundesrat Franz Schattenfroh, der Miklas persönlich kannte und von Wächter „zur Überwachung der Veldener Aktion“ dorthin abkommandiert worden war.2012 13.2 Der Mordplan der SA gegen Engelbert Dollfuß

Reschnys sofortige Zusage, sich an dem hinter seinem Rücken von der Landesleitung und der SS ausgeheckten Putschplan zu beteiligen, überrascht, war doch die österreichische SA-Führung, wie Schafranek feststellt,2013 „weder imstande noch willens, binnen kürzester Frist einen bewaffneten Aufstand zu realisieren“. Einen Machtfaktor in der Steiermark stellte der militärisch gut ausgebildete Heimatschutz dar, der laut Angaben des Landesgendarmeriekommandos Steiermark Ende Mai 1933 über 186 Ortsgruppen mit 15.207 Mitgliedern verfügte. Etwa 3.000 Mann hatten sich nach dem Liezener Abkommen vom Heimatschutz abgespalten und Starhemberg angeschlossen.2014 Der Steiermark kam in den Putschplänen eine entscheidende Bedeutung zu, da nach der Besetzung des Bundeskanzleramtes und der Verkündung der erfolgreichen Aktion im Rundfunk der Aufstand in den Bundesländern beginnen und nach erfolgter Machtübernahme Gauleiter Frauenfeld mit steirischen SA-Formationen sowie „die Legion unter Führung Reschnys konzentrisch gegen die Hauptstadt vormarschieren sollten“.2015 Schon in den Wochen vor dem „Röhm-Putsch“ hatte nach dem Bericht des Wiener SA-Führers Donner2016 eine „Kluft“ zwischen Partei, SA und SS bestanden und 2010 Protokoll aufgenommen mit Elisabeth W., o. D., Beilage zu einem Schreiben von Max Grillmayr an das NSDAP-Flüchtlingshilfswerk v. 29. 3. 1935, ÖSTA/AdR, GA  : Max Grillmayr, Zl. 95.617. Grillmayr stattete ihr kurz vor der Abfahrt nach Klagenfurt noch einen Besuch in ihrer Wohnung in der Wiedner Hauptstraße ab, ebd. 2011 Bericht von Rudolf Weydenhammer, o. D., BArch/NS 26, Zl. 634. 2012 Bericht der BPD Wien an die St.A. I in Wien v. 29. 9. 1934, Pr.Zl. IV-1062/6/34, ÖSTA/AdR, BKAI, allg., 22/Wien, Kt. 5183  ; Jagschitz (1976), S. 87. 2013 Schafranek (2006), S. 85. 2014 Ebd., S. 19. 2015 Denkschrift von Konrad Rotter, o. D. (1935, CR), zit. n. Schafranek (2006), S. 237. 2016 „Blitz“ (= Johann Donner) an Brigadeführer T.(ürk) v. 23. 7. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934.

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bei der österreichischen SA waren ständig sich widersprechende Nachrichten von der politischen Leitung und der SA-Führung in München eingetroffen. Dies habe „nicht nur immer wieder eine heillose Verwirrung angerichtet, sondern auch das gefährlichste aller Übel heraufbeschworen  : Zweifel an der Zielsicherheit der Führung“. Nur wenn sich die drei Organisationen „endlich einmal vertragen“ würden, so Donner weiter, könne die Geschlossenheit der Bewegung gesichert werden. Ähnlich schilderte auch der Führer der steirischen SA-Standarte  5, Berndt von Gregory,2017 den wochenlangen „ständigen Kampf mit der politischen Leitung, welche immer wieder andere Weisungen an die SA“ gab, bis „schließlich (…) der S.A. überhaupt verboten (wurde), der politischen Leitung von unseren Weisungen und Absichten Mitteilung zu machen“. SA, politische Leitung, NSBO und SS hätten nicht „das doch allen gemeinsame Endziel zu erkämpfen gedacht“, sondern waren vielmehr „nach eigenem Gutdünken und nur von der einen Angst beseelt, dass ja die Nebenorganisationen nichts von den eigenen Absichten merkten“. Auf einer Besprechung der steirischen SA-Standartenführer, die etwa zwei Wochen vor dem Putsch in Leoben stattfand,2018 wurde festgestellt, „dass eine Revolution nur auf legalem Weg /neue Regierung/ durchgeführt werden“, die SA „höchstens örtliche Kämpfe mit Hilfskorps und Teilen der Gendarmerie“ ausfechten könne und die Bewaffnung und Ausbildung völlig mangelhaft sei. So fehle etwa die Munition für die Maschinengewehre und die Gewehre waren in einer „fragliche(n) Verfassung“. Als unbedingt notwendig erachteten die SA-Führer die Beteiligung der Österreichischen Legion. Am 19. Juli stellte Gregorys Bericht zufolge der steirische SA-Oberstaffelführer Johann Welser fest, dass sich die gesamte österreichische SA in einem katas­ trophalen Zustand befinde und nicht einsatzbereit sei.2019 Nichtsdestotrotz erhielt Gregory am 23.  Juli vom Judenburger Gaubezirksleiter die Verständigung,2020 dass „in den kommenden 14 Tagen aller Voraussicht nach der Umsturz erfolgen würde“. Als Reschny seine Zustimmung gab, musste ihm also klar gewesen sein, dass die SA weitgehend nicht einsatzbereit und vor allem auch die Reaktion des Bundesheeres noch ungeklärt war. 2017 Bericht von Berndt von Gregory v. Oktober 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084, fol. 24. 2018 Ebd., fol. 25. 2019 So sei „Kärnten (…) nicht vollständig vorbereitet und erkläre, in gewissen seiner besten Gebiete durch Führermassenverhaftungen aktionsunfähig zu sein /  !/ Salzburg verhielte sich überhaupt passiv, desgleichen Tirol und Vorarlberg /  !/, in Niederösterreich, Wien, Burgenland und in grossen Teilen Oberösterreichs wäre eine Aktion vorderhand überhaupt nicht zu erwarten. Graz und Mittelsteier sowie bessere Teile Oberösterreichs brauchten mindestens noch 14 Tage bis 4 Wochen Vorbereitungszeit. Auch einige Teil der Brigade Obersteier, unserer eigenen Brigade, wären nicht handlungsfähig“, ebd., fol. 27. 2020 Ebd., fol. 29.

Der Mordplan der SA gegen Engelbert Dollfuß

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Abb. 80: v.r.n.l. Hermann Reschny, A. E. Frauenfeld und Oskar Türk bei einer Wahlkampfkundgebung der ­Wiener NSDAP, 17. 4. 1932, FAA

Bereits im Mai hatte Reschny von seinem Stellvertreter in Österreich, Oskar Türk, davon erfahren, dass Habicht und Glass einen Putsch vorbereiteten,2021 und in den folgenden Wochen deren Pläne zu durchkreuzen versucht. So wurde der Wiener SAFührer Franz Hamburger, der als angeblicher Konfident des Nachrichtendienstes der Heimwehr laufend falsche Nachrichten zur Irreführung der österreichischen Behörden weitergab, von ihm beauftragt, die Namen von Wächter, Glass und Weydenhammer zu verraten. Hamburgers Mitarbeiter Leopold Schaller übergab daraufhin deren Lebensläufe sowie ein Passfoto von Glass der Heimwehr und den Behörden. Schaller sollte „auf diese 3 Personen besonders aufmerksam (…) machen und ihre Gefährlichkeit (…) unterstreichen“,2022 jedoch gab der Leiter der Generaldirektion für die öffent2021 Jagschitz (1976), S. 91. 2022 Niederschrift betr. Denunziation der NS-Putschplaner durch die österreichische SA-Führung, Aussage von Viktor Sauer v. 1. 4. 1935, abgedr. bei Schafranek (2006), S. 268  ; vgl. dazu auch Otto Gustav Wächter an das Oberste Parteigericht der NSDAP, ca.  31.  5.  1938, abgedr. in  : Auerbach (1964), S. 210, 214–217.

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liche Sicherheit, Friedrich d’Elvert, 2023 erst Ende Juni das „Signalement“ von Glass aus und ließ ihn zur Verhaftung ausschreiben. Im Juni begann Reschny sodann, einen Plan zur Ermordung von Dollfuß auszuarbeiten, was letztlich ganz im Sinne Hitlers war, der seit Herbst 1933 alle Versuche von Dollfuß, unmittelbar mit ihm zu verhandeln, abgelehnt und auch in Stra gegenüber Mussolini betont hatte, dass dieser durch eine „neutrale“ Person ersetzt werden müsse. Einen Ausgleich mit Dollfuß lehnte Hitler kategorisch ab. Mit der Ermordung Dollfuß’ hätte Reschny gleich mehrere Ziele erreichen können, nämlich die von Hitler anvisierte Neubesetzung des Bundeskanzlerpostens realisieren, den Plan Habichts und der SS durchkreuzen, die Stellung der SA festigen und ihre Beteiligung an einem Aufstand verhindern. Als Reschny am 16. Juli den konkreten Plan und Zeitpunkt des Putsches erfuhr, begann er sofort sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Die SA-Führung hatte bereits im Juni die Attentäter ausgewählt und dafür Robert Jatsch und den SA-Sturmführer Hans Schreiner bestimmt, die Dollfuß „beseitigen“ sollten.2024 Über die beabsichtigte Durchführung des Attentats sind keine Details bekannt, jedoch dürfte der damalige Führer des Stabssturms der Legion Alfred Posch in die Vorbereitungen unmittelbar involviert gewesen sein.2025 Sowohl Jatsch als auch Posch hatten vor ihrer Flucht aus Österreich der SS angehört und waren in Deutschland wieder zur SA überstellt worden.2026 Nachdem Reschny bereits im Juni den Auftrag an Jatsch und Schreiner erteilt hatte, dürfte das Attentat schon länger in Vorbereitung gewesen, jedoch überhastet gestartet worden sein, als Reschny von Habichts Unternehmen Kenntnis erhalten hatte. Am 21. Juli wurden Jatsch und Schreiner jedenfalls nach Wien abkommandiert.2027 In sei2023 Jagschitz (1976), S. 92. 2024 Entwurf eines Schreibens von Robert Jatsch an das Gauschatzamt des Gaus Wien v. 10. 4. 1943, Beilage zu ei­nem Schreiben an Friedrich Schnell v. 9. 4. 1943, WStLA, GAW  : Robert Jatsch, Zl. 77.854  ; Robert Jatsch an das Gauschatzamt des Gaus Wien v. 13. 4. 1943, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch. 2025 Schreiben von Ferdinand Langer an die Gauleitung Wien/Gauschatzamt-Mitgliedschaftswesen v. 18. 9. 1943, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch. 2026 Jatsch war nach seiner Flucht kurzfristig in Dachau stationiert und wurde laut seinen Angaben „im Zuge der allgemeinen Übersiedlung (…) nach Lechfeld und schließlich nach München zur Gruppe“ überstellt, Robert Jatsch an das Gauschatzamt Wien (Mitgliedschaftswesen) v. 10. 4. 1943, WStLA, GAW  : Robert Jatsch, Zl. 77.854. Er führt keine Gründe für seine Überstellung zur SA an. Möglicherweise wurde er aufgrund seiner zahlreichen kriminellen Vorstrafen als SS-unwürdig angesehen. 1939 brachte er ein Gesuch um Straftilgung ein, das von Reschny und Walter Rentmeister unterstützt wurde. Das Verfahren zog sich zwei Jahre lang hin und wurde 1941 endgültig abgelehnt, BArch/R 3001, Zl. 169.347. 2027 Hilfswerk Nordwest (HWNW) an den Führer der SA-Sammelstelle v. 18. 1. 1937, WStLA, GAW  : Hans Strobl, Zl. 28.135.

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ner Zeugenaussage vor dem Wiener Volksgericht gab Reschny nach Ende des Krieges an, dass er am 22. Juli Türk den Auftrag erteilt habe, keinesfalls am Putsch teilzunehmen.2028 Ob dies eine Schutzbehauptung war, ist unklar, jedoch erscheint der Befehl vor dem Hintergrund des Mordplans durchaus logisch, da mit dem Attentat der von P.O. und SS geplante Putsch ja verhindert werden sollte. In Wien warteten bereits Reschnys sorgfältig ausgewählte Mitverschwörer, nämlich der von Frauenfeld nicht nur entmachtete, sondern in einer Diffamierungskampagne verleumdete ehemalige Gauorganisationsleiter Viktor Blahut und der ebenso erniedrigte und aus der Partei ausgeschlossene Gründer der österreichischen SS Walter Turza. Die in tiefster Feindschaft sowohl zur politischen Führung als auch zur SS stehenden Männer boten für Reschny die Garantie für eine verlässliche Durchführung seines Planes, da sie ihrerseits im Falle eines Gelingens der Aktion vollständig rehabilitiert gewesen wären. Ebenfalls in den Mordplan eingeweiht dürfte der ehemalige Bezirksleiter von Favoriten Friedrich Schnell gewesen sein, der Mitte Mai 1933 seine Funktion zurückgelegt hatte.2029 Viktor Blahut war im Oktober 1926 in die NSDAP eingetreten und leitete bis 1931 die Geschäftsführung des Gaus Wien.2030 Ab Jänner 1927 gehörte er auch der SA an, für die er ebenso wie für die Partei als Redner fungierte. Nach der Übernahme der Gauleitung durch Frauenfeld stand dieser in ständigem Konflikt mit Blahut, den er in seinen Memoiren später als „wackere(n), aber kleine(n) Mann“, der gänzlich unfähig gewesen sei, charakterisierte.2031 Blahut wurde vom Kreis um Frauenfeld zunehmend diffamiert und 1931 seines Amtes enthoben.2032 Nachdem Frauenfeld Blahut in einer Versammlung als Polizeispitzel,2033 der angeblich für 400 Schilling einen Parteigenossen verraten habe, bezeichnet und Parteianwalt Bernwieser „in einem beim Gewerbegericht eingebrachten Schriftsatz ähnliche Behauptungen aufgestellt“ hatte, reichte Blahut eine Ehrenbeleidigungsklage gegen die beiden ein, die er jedoch im Dezember 1932 wieder zurückzog. Die Hetzkampagne gegen ihn fand selbst in einem Bericht 2028 Schafranek (2006), S. 112. 2029 Rundschreiben des Gaus Wien Nr. 12 v. 15.  5.  1933, Archiv der Bundes-Polizeidirektion Wien, ­NSDAP-Akten. 2030 Nach seinem „Antragschein zum Erwerb des Ehrenzeichens der alten Parteimitglieder der NSDAP“ war Blahut laut „alte(r) Karte“ im Oktober 1926 eingetreten, während sein Mitgliedsbuch das Eintrittsdatum mit 16. September 1927 angibt, BArch (ehem. BDC), PK  : Viktor Blahut. 2031 Frauenfeld (1978), S. 31. 2032 Laut einem Schreiben der Gauleitung an den Reichs-USchla v. 7. 9. 1931 war Blahut bereits damals aufgrund des Beschlusses des Gau-USchlas aus der NSDAP ausgeschlossen worden, jedoch dürfte er dagegen erfolgreich Einspruch erhoben haben, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 6. 2033 NFP v. 18. 12. 1932, S. 9 („Wieder eine zurückgezogene Beleidigungsklage bei den Nationalsozialisten“).

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der Bundes-Polizeidirektion ihren Niederschlag, die allerdings alle Gerüchte über ihn entschieden zurückwies.2034 Blahut wurde 1932 zwar von Frauenfeld aus der Partei ausgeschlossen,2035 dieser machte seine Entscheidung aber wenige Monate später wieder rückgängig. In Wien angekommen, wurde Schreiner bei Blahut untergebracht, der bereits mit den Vorbereitungen für das Attentat begonnen und „verschiedene Möglichkeiten“ erkundet hatte,2036 während Jatsch bei Turza wohnte. Der Gruppe gelang es nicht mehr, die Pläne Habichts zu durchkreuzen. Lapidar erklärte Jatsch später,2037 dass „(a)us den bekannten Gründen (…) unser Vorhaben illusorisch (wurde)“. Jatsch kehrte daher im August nach München zurück und wurde zunächst auf „Hitler-Urlaub“ geschickt. Über Jahre hinweg lebte er unter der Identität des Wiener SA-Führers Hans Strobl, der ebenfalls nach Deutschland geflüchtet war, im Reich.2038 1937 wurde die Gestapo darauf aufmerksam, dass mit der Identität von Hans Strobl etwas nicht stimmte. Das Hilfswerk Nordwest (HWNW), die damalige Bezeichnung 2034 So hieß es unmittelbar nach Blahuts Absetzung in einem internen Bericht an die GföS, dass Blahut „plötz­lich seines Postens enthoben wurde“ und „als Grund für diese Massnahme (…) in Kreisen der Wiener Nati­onalsozialisten erzählt (wird), man sei dahinter gekommen, dass Blahut mehrmals vorbestraft sei – dies ent­spricht übrigens den Tatsachen – und der Wiener Polizei ‚Spitzeldienste‘ geleistet habe. Viktor Blahut be­antwortete diese Massnahmen damit, dass er mit Enthüllungen drohte und seinen Uebertritt zu den Kom­munisten ankündigte. Der Vollständigkeit halber sei angeführt, dass Blahut, ein wie schon erwähnt persön­lich nicht einwandfreier, sehr radikalter aber allem Anscheine nach ehrlich überzeugter Nationalsozialist, niemals im Dienste der Wiener Bundes-Polizeidirektion gestanden ist.“ Bericht der BPD Wien an die GföS v. 22. 7. 1931, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 177-951-GD. 2/1931. 2035 Schreiben des Landes-USchla an Viktor Blahut v. 10. 5. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt.  4. Aus Blahuts Parteikorrespondenz geht nicht hervor, dass er aus der NSDAP ausgeschlossen wurde, vermut­lich langte eine diesbezügliche Meldung der Gauleitung Wien erst gar nicht bei der Reichsleitung ein, BArch (ehem. BDC), PK  : Viktor Blahut. 2036 Entwurf eines Schreibens von Robert Jatsch an das Gauschatzamt des Gaus Wien v. 10. 4. 1943, Beilage zu ei­nem Schreiben an Friedrich Schnell v. 9. 4. 1943, WStLA, GAW  : Robert Jatsch, Zl. 77.854  ; Robert Jatsch an das Gauschatzamt des Gaus Wien v. 13. 4. 1943, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch. 2037 Robert Jatsch an das Gauschatzamt des Gaus Wien v. 13. 4. 1943, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch. 2038 Im September 1935 wurde der SA-Sammelstelle mitgeteilt, dass eine Einbürgerung von Jatsch „unter falschem Namen (…) mit Rücksicht, daß ein solcher Vorgang zu schwerwiegenden Situationen führen könnte, unmöglich (ist), ebenso eine nach Namensänderung erfolgte Einbürgerung. Hingegen steht es dem Sturmmann Hans Strobl frei, seinen richtigen Namen Robert Jatsch wieder aufzunehmen u. unter diesem seine Einbürgerung zu begehren. (…) Auf jeden Fall kann jedoch dem Sturmmann Hans Strobl recte Robert Jatsch eine Bescheinigung der SA-Sammelstelle ausgefolgt werden, die ihn vor künftigen Belästigungen seitens der deutschen Behörden schützt“, Gutachten der SA-Sammelstelle v. 20. 9. 1935, WStLA, GAW  : Hans Strobl, Zl. 28.135.

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für die Österreichische Legion, wurde daraufhin aufgefordert, die genauen Daten über Jatschs und Strobls Aufenthaltsorte bekannt zu geben. Dieses teilte dem Führer der SA-Sammelstelle Neu Aubing mit,2039 dass Jatschs „Aufenthalt im Stabe (…) vom 21. Juli bis Ende Oktober 1934 insoferne eine Unterbrechung (erfuhr), als er über Geheimauftrag der damaligen Obergruppe XI vom 21. Juli bis 22. August 1934 auswärts war“. Die nachfolgende Untersuchung zur Feststellung der Identität von Hans Strobl endete im Chaos, woraufhin alle Legionäre mit gleichem Namen inklusive Robert Jatsch überprüft werden mussten und im Legionärsakt des „echten“ Hans Strobl Aktenstücke eines Tiroler Legionärs mit gleichem Namen ebenso eingeordnet waren wie jene von Robert Jatsch. Von 1935 bis 1944 kämpfte Jatsch, der infolge seiner Arbeitslosigkeit seine Mitgliedsbeiträge nicht regelmäßig hatte bezahlen können, zunächst um die Zuerkennung seiner alten Mitgliedsnummer und später um die Verleihung des Goldenen Ehrenzeichens der NSDAP. Nachdem niemand daran Interesse hatte, dass die geheime Aktion der SA bekannt wurde, erwähnte Jatsch in seinen zahlreichen Eingaben den Mordauftrag mit keinem Wort. Auch Viktor Blahut, der sich ebenfalls völlig bedeckt hielt und vor allem auch Walter Turzas Beteiligung nicht erwähnte, unterstützte seine Bemühungen. Seine Formulierungen fielen dementsprechend vage aus. So schrieb er etwa,2040 dass ihm im „Jahre 1934“ gemeinsam mit Jatsch und Schreiner „ein Auftrag erteilt“ worden sei, den er mit den beiden durchführen sollte, die dafür „illegal von der Legion nach Wien befohlen (wurden)(,) um den Auftrag auszuführen. Der 25.  Juli 1934 hat mich, sowie die beiden Kameraden dieses Auftrages entledigt.“ Turza, der 1937 wieder in die SS aufgenommen worden war, hütete sich davor, seine Aktivitäten preiszugeben, die ihm den Kopf gekostet hätten.2041 Erst 1943, als Jatsch nochmals wegen der „leidige(n) Ehrenzeichenangelegenheit“ beim Gauschatzamt ein Ansuchen stellte,2042 berichtete er von seinem Auftrag, „Dollfuß zu beseitigen“.2043 Das Goldene Ehrenzeichen wurde ihm nicht gewährt.2044

2039 HWNW/Abt. Gericht an den Führer der SA-Sammelstelle Neu Aubing v. 18.  1.  1937, WStLA, GAW  : Hans Strobl, Zl. 28.135. 2040 Viktor Blahut an das Gauschatzamt v. 21. 6. 1943  ; Bestätigung von Viktor Blahut v. 18. 11. 1942, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch. 2041 BArch (ehem. BDC), PK, SSO, OPG-NA  : Walter Turza. 2042 Robert Jatsch an Friedrich Schnell v. 9. 4. 1943, WStLA, GAW  : Robert Jatsch, Zl. 77.854. 2043 Robert Jatsch an das Gauschatzamt Wien (Mitgliedschaftswesen) v. 10. 4. 1943, ebd. 2044 Am 28.  Oktober 1944 entschied das Gauschatzamt der Gauleitung Wien, dass der Fall Jatsch „als nicht rest­los geklärt anzusehen ist“ und „zurückgestellt werden (muss)“, Abschnittsleiter Brunnbauer an das Gau­schatzamt der GL Wien v. 28. 10. 1944, BArch (ehem. BDC), PK  : Robert Jatsch.

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13.3 Hitlers Zustimmung zur Durchführung des Juliputsches

Es kann als gesichert angesehen werden, dass Hitler am 22. Juli 1934 seine Zustimmung zum Putsch gegeben hat, und die österreichische NSDAP „nicht auf eigene Faust (handelte)“.2045 Dazu liegen zwei aus völlig unterschiedlicher Provenienz stammende Quellen vor, die ihrem Inhalt nach übereinstimmen. Die erste stammt von Joseph Goebbels,2046 die zweite von dem steirischen SA-Führer Berndt von Gregory. So notierte Goebbels am 24. Juli über eine am 22. Juli stattfindende Besprechung mit Hitler  :2047 „Sonntag  : beim Führer General v. Hammersteins Nachfolger, Gen(eral) v. Reichenau, dann Pfeffer, Habicht, Reschny. Österreichische Frage. Ob es gelingt  ? Ich bin skeptisch.“ Im Oktober 1934 verfasste Berndt von Gregory nach seiner Flucht aus Österreich im jugoslawischen Flüchtlingslager Varaždin einen umfassenden Bericht über seine Beteiligung am Juliputsch. Darin hielt er fest,2048 dass er am 23. Juli in Judenburg sowohl von seinem zuständigen Gaubezirksleiter Walter Rafelsberger als auch von seinem stellvertretenden SA-Brigadeführer „die überraschende und schwerwiegende Eröffnung (erhielt), dass in den kommenden 14 Tagen aller Voraussicht nach der Umsturz erfolgen würde. In der Art jedoch, wie bisher immer besprochen. Nach Veränderung der Regierung, Wiederzulassung der Partei und zwar mit Wissen des Militärs und höherer Gendarmerie.“ Nachdem in den vorangegangenen Wochen und Monaten ständig widersprüchliche Angaben der P.O. und SA über durchzuführende Aktionen eingelaufen waren und aufgrund des Führertreffens vom 19. Juli, bei dem der unzureichende Ausbildungsund Ausrüstungsstand der SA festgestellt worden war, misstraute Gregory der Anordnung und fragte bei Rafelsberger nach. Dieser erklärte ihm daraufhin, dass er sich am Tag zuvor selbst in München befunden und dort erfahren habe, dass Hitler den Putsch abgesegnet habe. Um den 20. Juli hatte nämlich Gauleiter Oberhaidacher ohne Wissen Habichts ein Treffen der Kreis- und Bezirksleiter der steirischen NSDAP in München einberufen,2049 an dem auch Rafelsberger teilnahm. Am 22. Juli befand sich dieser noch in München und berichtete Gregory gegenüber „wörtlich“ von den dortigen Ereignissen  :2050

2045 Longerich (2008), S. 187. 2046 Ebd. 2047 Tagebucheintrag von Joseph Goebbels v. 24.  7.  1934, S.  83, zit.  n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2048 Bericht von Berndt von Gregory v. Oktober 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084, fol. 29. 2049 Schafranek (2006), S. 94. 2050 Bericht von Berndt von Gregory v. Oktober 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084, fol. 29.

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„Ehe ich gestern abend – Sonntag – München verliess, erfuhr ich noch, dass Habicht und Heß, mit dem Flugzeug aus Berlin zurückgekehrt seien, wo sie den Führer um die Genehmigung des österreichischen Revolutionsplanes ersucht hätten. Der Führer habe den ausgearbeiteten Plan selbst überprüft und noch von einem Fachmanne untersuchen lassen. Das Ergebnis wäre, dass er seine Zustimmung erteilt hätte.“

Am 24. Juli bestätigte auch der stellvertretende Führer der SA-Brigade Ober­steier­ mark,2051 der gerade aus München kam, gegenüber Gregory „im wesentlichen (sic  !) alles, was ich über die bevorstehende Aktion von seiten der politischen Leitung und der Brigadeführung erfahren hatte“. Dies „bestärkte“ ihn „in der Ueberzeugung, dass an dem geplanten Umsturze so viel Kräfte auf Seiten der Staatsbehörden mitarbeiteten, dass ein glatter Verlauf der Revolution in kürzester Zeit und ohne wesentliche Zusammenstösse gewährleistet sei“. Aber nicht nur innerhalb der österreichischen NSDAP löste der angeordnete Putschplan Verwirrung und Skepsis aus, sondern auch außenpolitisch waren die Positionen Deutschlands und Italiens hinsichtlich der Österreichfrage weiterhin ungeklärt, da Hitlers und Mussolinis Interpretation des in Stra unterzeichneten Fünf-Punkte-Papiers nicht übereinstimmten.2052 In den Wochen nach dem Treffen hatte Hitlers anfängliche Euphorie über seine Gespräche mit Mussolini eine merkliche Dämpfung erfahren. War Hitler damals noch davon ausgegangen, dass Mussolini seine Zustimmung zur Absetzung von Dollfuß gegeben hätte, zeigten die nun einlangenden Berichte des Auswärtigen Amtes, dass Mussolini diese Ansicht nicht teilte. Am 16.  Juni hatte Außenminister Neurath in einem Runderlass über die Sprachregelung zu dem Treffen festgehalten,2053 dass Hitler „ein Paktieren mit der gegenwärtigen (österreichischen, CR) Regierung ablehnt, dagegen Verständigung mit neuer Regierung unter neutraler Bezeichnung als erwünscht bezeichnet, ferner Neuwahlen gefordert“ habe. Mussolini hätte dem „nicht widersprochen, Abmachungen wurden nicht getroffen. Beide waren sich einig, daß die österreichische Frage kein Hindernis für den Ausbau der deutsch-italienischen Beziehungen bilden dürfe.“ Am 21. Juni meldete der deutsche Botschafter in Rom über ein Gespräch mit Suvich,2054 dass nach Mussolinis Ansicht der Realisierung der in Stra besprochenen fünf Punkte 2051 Ebd. 2052 Vgl. dazu ausf. Ross (1966), S. 222–228  ; Petersen (1973), S. 354–359. 2053 Runderlaß des Reichsministers des Auswärtigen Amtes Konstantin von Neurath v. 16. 6. 1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Band III/1, S. 18. 2054 Ulrich von Hassel an das Auswärtige Amt v. 21. 6. 1934, ebd., S. 63.

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„erst näher getreten werden könne, nachdem eine Periode der Beruhigung eingetreten sei (…). Man könne es schließlich Dollfuß, der im übrigen nichts weniger als antideutsch sei und eine Verständigung dringend wünsche, nicht übel nehmen, wenn er sich mit allen Mitteln verteidige und angesichts der ihm gegenüber angewandten Kampfmethoden keine Neigung habe, seinerseits die Initiative zu Verhandlungen zu ergreifen“.

Drei Tage später langte ein Bericht des deutschen Gesandten in Wien ein,2055 demzufolge Dollfuß in naher Zukunft Mussolini in Riccione besuchen werde. Rieth ging davon aus, dass das Treffen, sofern es sich nicht nur um eine „Tendenznachricht“ handle, auf Dollfuß’ Wunsch vereinbart worden sei. In den folgenden Wochen bestätigte sich, dass die Absetzung von Dollfuß für Mussolini keineswegs beschlossene Sache war und er dessen Forderung auf Einstellung der nationalsozialistischen Terrorismusaktionen als Vorbedingung für die Einleitung von Verhandlungen unterstützte. Die deutsche Regierung hingegen verwies auf die in Punkt 2 angeführte Einsetzung eines neutralen Regierungschefs. Dementsprechend ließ Neurath über den deutschen Botschafter in Rom, Ulrich von Hassel, mitteilen,2056 dass „wir eine Lösung der österreichischen Frage mit Dollfuß (…) nach wie vor für unmöglich (halten)“. Nach einem Gespräch mit Mussolini berichtete dieser über die offensichtlich abweichende Auffassung der in Stra verfassten fünf Punkte.2057 Während die deutsche Regierung davon ausgehe, dass es sich hierbei „um ein von den beiden Regierungen angenommenes Programm“ handle, fasse es Mussolini lediglich als Information über „die deutsche Ansicht“ auf und stelle sich auf den Standpunkt, dass er „seine Übereinstimmung mit derselben nicht ausdrücklich angesprochen habe“. Neurath brachte Hassels Schreiben kurz darauf auch Hitler zur Kenntnis, der keine besonderen Anweisungen erteilte und erklärte,2058 „daß in der österreichischen Frage Eile nicht notwendig sei“. Aber auch Neurath und Ministerialdirektor Gerhard Köpke stimmten dahingehend überein,2059 dass die in Venedig „formulierten 5 Punkte nicht etwa eine Vereinbarung der beiden Regierungschefs darstellen“, es aber „andererseits (…) uns zu weit zu gehen (scheint), wenn die Italiener jetzt so tun, als wenn sie von diesen 5 Punkten lediglich als von einer Zusammenfassung der deutschen Ansicht Kenntnis genommen hätten. Aber diese Frage steht jetzt nicht zur Diskussion“. Der „springende Punkt“ sei vielmehr die Haltung Deutschlands zu den terroristischen Ak2055 Kurt Rieth an das Auswärtige Amt v. 24. 6. 1934, ebd., S. 82. 2056 Konstantin von Neurath an die Botschaft in Rom v. 4. 7. 1933, ebd., S. 118. 2057 Ulrich von Hassel an das Auswärtige Amt v. 5. 7. 1935, ebd., S. 127. 2058 Aufzeichnung von Gesandtschaftsrat Curt Heinburg v. 9. 7. 1934, ebd., S. 127. 2059 Ministerialrat Gerhard Köpke an Ulrich von Hassel v. 16. 7. 1934, ebd., S. 167f.

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tionen in Österreich und dass in „dieser Hinsicht (…) mit Dollfuß zu einer Verständigung in der österreichischen Frage nicht zu kommen sein wird“. Mussolinis Interpretation über das in Stra unterzeichnete Papier stimmte letztlich mit den Aufzeichnungen Neuraths überein. Dieser hatte am 15. Juni nach der Vorlage des Papiers durch Suvich selbst darüber festgehalten,2060 dass „die nachstehenden Punkte (…) von italienischer Seite als Stellungnahme des Reichskanzlers zur österreichischen Frage schriftlich niedergelegt“ wurden. Lediglich der „Wortlaut“ des Papiers wurde von Mussolini und Hitler „als zutreffend bezeichnet“. Ihre Unterschrift unter die fünf Punkte bedeutete keine bindende Abmachung, wie Hitler zunächst angenommen hatte. Nachdem sich in den folgenden Wochen herausgestellt hatte, dass sich Mussolini nicht an die Einhaltung der fünf Punkte gebunden fühlte, stand es nun aber auch Hitler offen, ob er sich mit diesem über die österreichische Politik ins Einvernehmen setzen wollte. Ausdrücklich hatte er unter Punkt 5 erklärt  :2061 „Die Österreich anbelangenden Angelegenheiten sollen im Einvernehmen zwischen Deutschland und Italien entschieden werden.“ Mussolinis Interpretation folgend konnte Hitler dies als Vorschlag der deutschen Seite auslegen, die keine verpflichtende Zusage enthielt. Als sich Anfang Juli herausstellte, dass tatsächlich ein Treffen zwischen Dollfuß und Mussolini vereinbart worden war,2062 drängte auch Rintelen bei seinem Treffen mit Weydenhammer am 11. Juli auf die baldige Durchführung des Putsches. Seiner Auffassung nach könnte das Treffen die Freundschaft zwischen Dollfuß und Mussolini wieder bekräftigen und die deutschen Interessen gefährden. Weiters befürchtete er, für Dollfuß in Rom zu gefährlich und nach Berlin versetzt zu werden. Darüber hinaus hatte Mussolini seine freundschaftlichen Beziehungen zu Dollfuß noch weiter untermauert, indem er auch dessen Familie nach Riccione einlud,2063 wohin Dollfuß am 25. Juli ebenfalls aufbrechen sollte. Am 24.  Juli versammelten sich Habicht, Frauenfeld, der Tiroler Gauleiter Hofer und einige andere politische Leiter im Münchner Hotel Regina, um auf den Beginn der großen „Volkserhebung“ zu warten.2064 In der Hoffnung auf einen erfolgreichen Putsch stand auch schon ein Sonderflugzeug bereit, um die Landesleitung nach Wien zu bringen. Wer zu diesem Zeitpunkt noch fehlte, war ein Vertreter der SS.

2060 Aufzeichnung ohne Unterschrift (Konstantin von Neurath), o. D. (15. 6. 1934, CR), ebd., S. 13. 2061 Ebd., Herv. CR. 2062 Vgl. dazu Ross (1966), S. 234. 2063 Vgl. dazu Sheperd (1961), S. 277f. 2064 Jagschitz (1976), S. 96.

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„… im Gefecht“ – Die Rolle der SS während des Juliputsches

13.4 Himmlers Personalrochaden und der Abbruch der SS-Befehlslinien im Juli 1934

Während sich die Führer der österreichischen NSDAP also in München versammelten, erhielt Josef Fitzthum ein Schreiben, das er am 24. Juni (  !) an Rodenbücher gesandt hatte, mit dem Vermerk „unbestellbar“ ins Wiener Landesgericht zurückgeliefert. Völlig ahnungslos über die in den vergangenen Wochen stattgefundenen Vorgänge im OaD verfasste Fitzthum noch am gleichen Tag einen weiteren Brief an Rodenbücher, aus dem hervorging, dass die Befehlslinien zum Oberabschnitt in München abgebrochen waren. Im OaD hatte sich das anfänglich recht gute Verhältnis zwischen Rodenbücher und seinem Stabsführer Schuster im Juni 1934 nämlich in sein Gegenteil verkehrt. So warf Rodenbücher Schuster vor,2065 sich wie ein Bürokrat zu benehmen, die SSMänner nicht richtig anzuweisen und die besondere Situation der Flüchtlinge nicht genügend zu berücksichtigen. Die Situation eskalierte, nachdem am 19. Juni der Rollladenschrank, in dem sich die österreichischen Geheimakten befanden, aufgebrochen und der Abschnittswagen durch den Verwaltungsführer unerlaubt entwendet und zu Schrott gefahren worden war. Darüber hinaus hatte Rodenbücher angenommen, dass Hans Loritz, der die Führung und Ausbildung der in Dachau stationierten österreichischen SS-Männer übernommen und mit dem sich Rodenbücher ebenfalls zerstritten hatte, seines Postens enthoben worden sei. Als Loritz wieder in Dachau auftauchte, musste Rodenbücher verärgert feststellen,2066 dass dieser bei seiner unerwarteten Rückkehr „ziemlich begeistert empfangen wurde“. Nach Schusters Darstellung2067 hatte ihm Rodenbücher „jegliche Befehlsgewalt“ abgesprochen und wachte eifersüchtig über sein Informationsmonopol. Schusters Ernennung zum Stabsführer des OaD dürfte aber insbesondere wegen dessen Erfahrungen im Nachrichtendienst erfolgt sein,2068 hatte er doch im Gegensatz zu Rodenbücher im Ersten Weltkrieg als Leutnant dem Offizierskorps angehört und eine Sonderausbildung als Nachrichtenoffizier durchlaufen. Schuster zufolge musste er zwar „während der häufigen Dienstreisen“ Rodenbüchers dessen Vertretung übernehmen,2069 war aber „wenig orientiert über Besprechungen u. Verhandlungen mit SA-Pol(itischer Leitung) oder anderen SS-Dienststellen“. Dadurch habe „die Stellvertretung“, so 2065 Schreiben von Alfred Rodenbücher an das SS-Amt v. 20. 6. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Schus­ter. 2066 Karl Schuster an den RFSS v. 21. 6. 1934, ebd. 2067 Ebd. 2068 SS-Stammrollen-Auszug, BArch (ehem. BDC), ebd. 2069 Karl Schuster an den RFSS v. 21. 6. 1934, ebd.

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Schuster weiter, „neben der übrigen Arbeit nicht zu den erfreulichen Aufgaben“ gezählt. Am 20. Juli reichte er nach einem neuerlichen Streit sein Rücktrittsgesuch ein und verfasste einen ausführlichen Bericht an den RFSS. Am 14. Juli traf Himmler eine folgenschwere Entscheidung, indem er völlig überraschend und ohne Angabe von Gründen Rodenbücher als Leiter des OaD absetzte und sofort beurlaubte.2070 Nach seiner Rückkehr sollte Rodenbücher den SS-Abschnitt Münster übernehmen, dessen bisheriger Führer, Wilhelm Koppe,2071 wiederum den OaD leiten sollte. Als Grund für seine Absetzung vermutete Rodenbücher, dass Loritz und Schuster bei Himmler gegen ihn intrigiert hatten.2072 Nachdem aber Koppe im Ersten Weltkrieg als Generalstabsoffizier gedient hatte, dürfte Himmlers Entscheidung auch aufgrund von dessen Kenntnissen erfolgt sein. Wie sich wenig später nämlich herausstellte, glich der zwischen dem OaD und den österreichischen Standarten organisierte Kurierdienst mehr einem jugendlichen Ferienspiel als einem professionell aufgezogenen Verbindungsdienst. Aus Andeutungen von Gruppenführer Curt Wittje schloss Rodenbücher,2073 dass Himmler seine Abberufung damit begründet hatte, dass er in Österreich von der Polizei gesucht werde und „nicht mehr im Sinne der SS dort arbeiten könne“.2074 Nachdem Rodenbücher nur noch die Führung eines Abschnitts übertragen werden sollte, interpretierte er dies „als schwere Bestrafung“ und fühlte sich in seiner „Ehre (…) verletzt“. Am 21. Juli verfasste er ein Rechtfertigungsschreiben an Himmler und bat um seinen Abschied aus der SS. Darin berichtete er, dass er bei der Übergabe des OaD am 14. Juli seinem „(Nachfolger), getreu dem Befehl, (…) alle Mittel und Wege gezeigt (habe), den Dienst in Österreich zu tun, damit die SS dieselbe Entwicklung beibehält wie bisher“. Als „ganz unverständlich“ kritisierte er „die Forderung, dass Koppe mit 2070 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher  ; vgl. dazu auch Jagschitz (1976), S. 96  ; Schafranek (2006), S. 218. In seinem später verfassten Lebenslauf gibt Rodenbücher als Entlassungsdatum den 10. Juli an  ; Lebenslauf von Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1946, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher. 2071 Zur Biografie Koppes vgl. Birn (1986)  ; Schulz/Wegmann/Zinke (2005), S. 552–562. 2072 In einem Gespräch mit Baubin 1967 nannte Rodenbücher Loritz und den Tiroler Gauleiter Hofer als jene Männer, „die bei Himmler gegen ihn ‚gekurbelt‘ “ hätten, Bericht von Alfred Baubin über seine „Rückspra­che mit Alfred Rodenbücher am 23. September 1967“ v. 2. 10. 1967, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher. In sei­nem Schreiben an Himmler im Juli 1934 nannte er Hofer nicht. 2073 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. 2074 Rodenbücher hatte bis Juni 1934 acht Inspektionsreisen nach Österreich unternommen und bei seinem letz­ten Besuch auch das Führer- und Unterführerkorps der 89. SS-Standarte in der Roßbachhütte bei Kloster­neuburg inspiziert, Bericht von Alfred Baubin über seine „Rücksprache mit Alfred Rodenbücher am 23.  September 1967“ v. 2.  10.  1967, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher  ; Schafranek (2006), S. 222.

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PO und SA keine Fühlung nehmen dürfe“ und „Schuster nach aussen die Führung (zu) übernehmen“ habe. Nachträglich sollte sich allerdings herausstellen, dass Rodenbücher seinem Nachfolger eben nicht „alle Mittel und Wege gezeigt“ hatte, „den Dienst in Österreich zu tun“. Weder aus Rodenbüchers noch Schusters oder Koppes SS-Akten geht hervor, dass eine Änderung in ihrer Dienststellung zwischen dem 14. Juli und dem Juliputsch erfolgt war.2075 Fraglich ist somit, ob Koppe überhaupt seine neue Stellung antrat. Anzunehmen ist vielmehr, dass sich ebenso wie Rodenbücher im Urlaub befand. Himmler hatte nämlich „für die Zeit vom 1. bis 31. Juli 1934 die gesamte SS beurlaub(t)“2076 und angeordnet, dass in dieser Zeit „jeder SS-Dienst (…) zu ruhen“ habe. Nur die Stabsangehörigen vom Sturmbann aufwärts traten ihren Urlaub erst am 9. Juli an und hatten in den Tagen zuvor „etwaige Rückstände restlos aufzuarbeiten“. Danach waren die Stäbe lediglich mit einem „Führer vom Dienst“ besetzt. Ausgenommen davon waren die kasernierten Hundertschaften, die KZ-Lagerwachen und die Angehörigen der SS-Führerschule Bad Tölz. Damit stellt sich die Frage, ob sich der Stab des OaD in den Wochen vor dem Putsch ebenfalls im Urlaub befand und nur durch einen „Führer vom Dienst“ geleitet wurde. Der genaue Zeitpunkt, zu dem Himmler vom Putsch informiert wurde, ist unbekannt. Auffallend ist, dass er in den vorliegenden Quellen keinerlei Erwähnung findet, obwohl der Wiener SS eine zentrale Funktion während des Putsches zukam. Sein erster Befehl erreichte die österreichischen Standarten überhaupt erst am 25. Juli,2077 die zu diesem Zeitpunkt – mit Ausnahme Wiens – völlig unvorbereitet waren.2078 Als der Aufstand begann, waren die SS-Führer in den Bundesländern gänzlich ahnungslos darüber, was in der Bundeshauptstadt gerade vonstatten ging und hatten keine ernsthaften Vorbereitungen für die Aktion getroffen. Merkwürdig erscheint auch, dass Himmler vom Tiroler Gauleiter Hofer2079 und nicht von der Landesleitung über den bevorstehenden Putsch informiert wurde. Vermutlich dürfte er erst am 24. Juli Kenntnis davon erhalten haben, da er an diesem Tag Rodenbücher auf seinen Besitz am 2075 Laut der „Dienstlaufbahn“ Schusters war er bis 15. August 1934 Stabsführer des OaD, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Schuster. Rodenbücher war bis 24. Juli 1934 mit der Führung beauftragt und wurde an diesem Tag zum definitiven Führer ernannt, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. Koppe war bis 23. 8. 1934 Führer des SS-Abschnitts XVII und wurde dann zum Oa Südwest versetzt, SS-Stammrolle Wilhelm Koppe, BArch (ehem. BDC), SSO  : Wilhelm Koppe. 2076 Der RFSS, Verteiler V v. 23. 5. 1934, BArch/NS 19, Zl. 4042. 2077 Bericht der BPD Linz an den Staatsanwalt beim Militärgericht Linz v. 19.  8.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 311.351-St.B./1937. 2078 Vgl. dazu Kapitel 13.5. 2079 Schafranek (2006), S. 218.

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Tegernsee2080 bestellte und diesem eröffnete, dass er wieder – und diesmal definitiv – zum Führer des OaD ernannt werde. Darüber hinaus „bevollmächtigte“ er ihn,2081 in seinem Auftrag mit Habicht und Reschny „die Aufgaben der SS und Ihrer (sic  !) selbst in Österreich bindend zu besprechen“. Rodenbücher hatte sich sofort nach München ins Hotel Regina zu begeben und bei Habicht zu melden. Als dieser am Nachmittag dort eintraf, informierte ihn Habicht über den Putsch und verlangte, dass er „sofort aus einem SS-Fonds ö. S. 25.000,– (zu) beschaffen“ habe.2082 Nach erfolgreicher Durchführung der Aktion sollte Rodenbücher mit der gesamten Landesleitung Österreich nach Wien fliegen. Gegen 18 Uhr traf bei der Landesleitung dann die Nachricht ein, dass die „Generalversammlung“, also die Sitzung des Ministerrates, auf den folgenden Tag verschoben worden war.2083 Währenddessen musste ein – vermutlich zutiefst beunruhigter – Josef Fitzthum nach Erhalt seines an Rodenbücher nicht zustellbaren Briefes annehmen, dass es Probleme mit der Verbindung zum OaD gab. Nachdem er in seinem Brief vom 24. Juli Rodenbücher die gesamte Durchführung des Putschplans mitteilte und auch über die Aktion in Velden Bescheid wusste, musste Fitzthum noch unmittelbar vor Beginn des Putsches darüber informiert worden sein. Fitzthums zurückgesandter Brief vom 24.  Juni war an die Deckadresse „Hilde Schletterer, Luisenstraße  12“ in München gerichtet gewesen. Diese lag mitten im Machtzentrum der Münchner NSDAP, nur wenige Schritte vom damaligen Sitz des OaD in der Briennerstraße entfernt. Seinen Brief vom 24. Juli sandte Fitzthum an eine weitere Deckadresse, nämlich an „Fräulein Käthe Post, Starnberg bei München“.2084 Nachdem sowohl aus dem Inhalt als auch hinsichtlich der Adresse hervorgeht, dass der Brief getarnt war, dürfte der Kassiber aus dem Landesgericht geschmuggelt worden sein. Dem Poststempel zufolge wurde er in Wien aufgegeben und per Eilpost nach Starnberg gesendet. Der genaue Zeitpunkt der Aufgabe und Ankunft des Briefes ist aufgrund des weitgehend unleserlichen Poststempels nicht mehr eruierbar, jedoch dürfte er am 26. Juli in Starnberg eingetroffen sein. Fitzthum begann seinen Brief mit der Feststellung,2085 dass

2080 Lebenslauf von Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1946, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher. 2081 Heinrich Himmler an Alfred Rodenbücher v. 24. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher, Herv. CR. 2082 Bericht von Alfred Baubin über seine „Rücksprache mit Alfred Rodenbücher am 23. September 1967“ v. 2. 10. 1967, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher  ; Jagschitz (1976), S. 96. 2083 Jagschitz (1976), S. 97. Rintelen war darüber von Buresch informiert worden, Historische Kommission (1965), S. 79. 2084 Josef Fitzthum an „Fräulein Käthe Post“ v. 24. 7. 1934, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 2085 Ebd., Herv. CR.

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„über seinerzeitigen Wunsch des Gen(eral)Dir(ektors) Büchenroder (=  Rodenbücher, CR) (…) ich alle für die Firma bestimmte Post an ihn persönlich richten (soll). Begreiflicherweise habe ich aber hier mein Adressenmaterial nicht zur Hand und da ich auch die Anschrift des Frl. Hilde Schletterer mit ‚Luisenstraße 12‘ offenbar falsch im Gedächtnis behalten habe, denn mein Brief vom 24. Juni kam ‚unbestellbar‘ zurück, so werden Sie wohl verzeihen, wenn ich, gnädiges Fräulein, mich an Sie wende mit der Bitte, zwei dringende Anliegen an den Herrn Gen(eral)Dir(ektor) weiterzuleiten, der Sie ja sehr ins Herz geschlossen hat.“

Fitzthum war zum Zeitpunkt des Putsches somit nicht darüber informiert, dass Rodenbücher den Abschnitt nicht mehr leitete, und übermittelte seine Nachrichten direkt an ihn und nicht an den OaD. Völlig unglaubhaft ist, dass er seine wichtigste Kontaktadresse zu seinem unmittelbaren Vorgesetzten falsch im Gedächtnis behalten haben soll. Im Folgenden kam Fitzthum auf angebliche Geldprobleme zu sprechen, indem er schrieb  : „Es ist selbstverständlich, daß infolge meiner Verhaftung mein Gehalt von Seiten der Firma Kustermann eingestellt wurde. Ich hatte auch noch einige Mittel bei der Verhaftung bei mir, wenn auch nicht viel – der Rest blieb in Budapest. Nun aber komme ich in die Klemme, denn einiges Kleingeld brauche ich trotz allem. Von meinen Angehörigen kann ich nichts verlangen  ; sie haben selbst kaum das Dürftigste. Daher bitte ich, nur für die Monate August bis Dezember (ich bekam zu meiner Kerker- noch eine 3 monatliche Arreststrafe) vorschriftsweise je 25 RM, zusammen also 125 RM, flüssig machen zu wollen u. zw. in Einem zu Handen meiner Braut, Lilly Toplak, Wien XIII., Hütteldorferstraße 145/10.“

Fitzthums Angaben stimmten mit seiner tatsächlichen Haftstrafe überein. Nachdem aber am Tag nach seiner Festnahme bereits seine Lebensgefährtin von seiner Inhaftierung informiert war,2086 Wächter als Fitzthums Rechtsbeistand freien Zugang zu seinem Mandanten hatte und der Nachrichtendienst sowohl in München als auch in Budapest mit Angehörigen der 11. SS-Standarte besetzt war, ist es völlig auszuschließen, dass Rodenbücher keine Kenntnis von Fitzthums Haftstrafe hatte. Auch der Hinweis auf die in Budapest befindlichen Mittel kann sich nicht auf wichtige Unterlagen bezogen haben, da sie längst von Pichl und Hof in Sicherheit gebracht worden wären. Vielmehr dürfte Fitzthum darauf hingewiesen haben, dass er keine Verbindung mehr zur „Firma“, also zum OaD, hatte („infolge meiner Verhaftung [wurde] mein Gehalt von Seiten der Firma Kustermann eingestellt“), dass jedoch die Verbindung nach 2086 Aus einem Evidenzeintrag der BPD Wien geht hervor, dass Fitzthum am 10. April 1934 einen Brief an sie abschickte, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193.

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Wien und Budapest aufrecht war. Ebenso unglaubwürdig ist, dass Fitzthum am Tag des Putsches in erster Linie an seinen persönlichen finanziellen Problemen interessiert war. Fitzthums Bitte, „vorschriftweise je 25 RM zusammen also 125 RM, flüssig machen zu wollen u. zw. in Einem“, dürfte sich vielmehr auf eine mit der Landesleitung vereinbarte Geldleistung der SS von 25.000 Schilling bezogen haben, die Habicht bei Rodenbüchers Eintreffen im Hotel Regina sofort eingefordert hatte, und darauf, dass ein wesentlich höherer Betrag noch ausständig war, der sofort „in Einem“ überwiesen werden sollte. Im Anschluss daran kam Fitzthum auf die Durchführung des Putsches zu sprechen  : „Ferner bitte ich, mir, ebenfalls, gegen künftige Verrechnung, durch eine Münchener Buchhandlung unmittelbar hierher ins Gericht folgende militärische Werke übermitteln zu wollen  : 1) ‚Der Infanterist‘, 2) ‚Die neue Gruppe‘, 3) ‚Die Gruppe im Gefecht‘. Den Titel des 4. Werkes kennt Herr Ing. Steigler (Ing. Ludwig Stigler, CR). Wollen Sie ihn bitte darum fragen. – Wenn Sie mir diesen Liebesdienst erweisen wollten und mir auch ein paar Zeilen widmen würden, wäre ich Ihnen sehr dankbar. Die Erfüllung meiner Bitte würde mir die Haft viel erträglicher machen.“

Aufgrund Fitzthums Hinweis auf Ludwig Stigler steht fest, dass er nicht nur weitreichende Kenntnisse betreffend den genauen Ablauf, sondern auch über die führenden Akteure des Putsches hatte und die Aktion am Michaelerplatz in direktem Zusammenhang mit diesem stand. So könnte sich der „Infanterist“ auf die Aktion Miklas bezogen haben, mit der „neuen Gruppe“ die neu aufgestellte 89. SS-Standarte und mit der „Gruppe im Gefecht“ der Aufstand der SA gemeint gewesen sein. Seinen Brief setzte Fitzthum folgendermaßen fort  : „Wie geht es Ihnen  ? Ich hoffe Sie wohlauf u. guter Dinge. Was macht unser ganzer Starnberger Kreis  ? Empfehlungen dem Herrn Gen(eral)Dir(ektor) Büchenroder u. Prokuristen Schuster, wie allen übrigen Damen u. Herren  ! Was macht Ihre Nachbarin, die Baronesse  ? (möglicherweise Grillmayr, CR) Betreut Sie noch immer die kleine Exzellenz  ?2087 (Dollfuß, CR) Oder eine andere Verwandte, etwa die gelästerte Frau von Velden  ? (Miklas, CR) Ihr einen besonders herzlichen Handkuß, wenn ich auch ob ihrer Schönheit ihren Namen vergaß  ! Haben Sie das Frl. Kriminalrat samt Anhang unter die Haube gebracht  ? (vermutlich Steinhäusl, CR) Sehr interessiert mich auch, was die schlimmen Jungen unseres reschen Starnberger Lehrers2088 machen (Reschny, CR). Mußte einer von ihnen die Rute kosten  ? („Röhm2087 Anspielung auf Dollfuß’ geringe Körpergröße. 2088 Hermann Reschny war Volksschullehrer.

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Putsch“, CR) Ein tolles Volk  ! In meiner Firma (11. SS-Standarte, CR) möge man auch noch alle übrigen Herren, insbesondere die des Lager- u. Außendienstes herzlich Grüßen. Die Umstände meiner Verhaftung wissen Sie wohl alle aus den Blättern und vom Hörensagen, nicht  ? Sorgen meinethalber (sic  !) braucht sich niemand zu machen. Ich bin gesund, munter und arbeite an meinen in den letzten Jahren vernachlässigten schriftstellerischen Fragmenten. Sollte sich eine rechtliche Frage ergeben  : mein Anwalt ist Dr. Otto Gustav Wächter, Wien IV, Margaretenstraße 47.“

Fitzthum war zum Zeitpunkt des Putsches also auch nicht darüber informiert, dass Schuster bereits im Juni seines Amtes enthoben worden war. Seine letzten Informa­ tionen dürfte er um den 18.  Juli erhalten haben, als feststand, dass sich Miklas in Velden befand. Unklar bleibt, warum sein Brief vom 24. Juni nicht in München angekommen war bzw. ob er noch vor Rodenbüchers Enthebung in München eintraf und von diesem bewusst gegenüber Himmler unterschlagen, dann aber von ihm an Fitzthum zurückgesandt wurde. Möglicherweise kam der Brief auch wesentlich später in München an, da die Polizei Fitzthums Post nicht nur überwachte, sondern auch Abschriften davon anfertigte.2089 Fitzthum berichtete später über die weitreichende Kooperationsbereitschaft der Wachmannschaften,2090 stand aber zu dieser Zeit, nachdem er bereits einmal entflohen war, in einer Einzelzelle unter besonderer Bewachung.2091 Fest steht, dass Fitzthum zumindest seine letzten Nachrichten an Rodenbücher nicht über den Kurierdienst der SS abwickelte, sondern an ein speziell für diesen eingerichtetes „persönliches“ Postfach sandte. Aber auch Abschnittsführer Grimme war völlig ahnungslos hinsichtlich der Turbulenzen, die sich zwei Wochen zuvor im OaD abgespielt hatten, wartete ebenso erfolglos auf Nachrichten von Rodenbücher und war über dessen Absetzung nicht informiert worden. So meldete Grimme nach seiner Flucht nach Deutschland an die SS-Sammelstelle,2092 dass Verbindungsführer Arco-Zinneberg, der 2089 So etwa von einem Brief an seine Lebensgefährtin, Evidenzeintrag der BPD Wien zu Josef Fitzthum, Pr. Zl. IV-9330 v. 1934, WStLA, GAW  : Josef Fitzthum, Zl. 291.193. 2090 Bericht von Josef Fitzthum über „Beispiele für das Verhalten der Exekutive, der Richterschaft, der Aerzte­schaft und der Schwestern“, o. D. (ca. 9. 1936, CR), Beilage zum Schreiben der SS-Sammelstelle an die Chef-Adjutantur des Reichsführers SS v. 30. 9. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. Der Bericht war von Fitzthum in der Hoffnung auf einen neuerlichen Putsch verfasst worden und muss dementspre­chend kritisch hinterfragt werden. 2091 Braitenberg (1938), S. 286. 2092 Karl Franz Grimme an die SS-Sammelstelle München, o.  D. (nach 7.  1935, CR), BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Franz Grimme.

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„etwa anfangs Juni 1934 mit Meldungen an den SS-Oberabschnitt Donau im München abgefertigt wurde, (…) bei seiner Rückkehr nach Wien Befehle (überbrachte) und meldete (…), daß Gruppenführer Rodenbücher sich lobend über die Arbeit der Kameraden der SSFliegerstaffel in Österreich ausgesprochen habe und ihm zugleich mitteilte, daß Beförderungen des Führers des Staffels (sic  !) und der einzelnen Sturmführer, wie auch des Adjutanten und des Verbindungsführers vom SS-Oberabschnitt bereits im Zuge seien. Eine schriftliche Bestätigung dieser mündlichen Meldung kam bis zu meiner am 27.  Juli 1934 erfolgten Verhaftung nicht in meine Hände.“

In einem Schreiben vom September 1935 an den Chef des SS-Hauptamtes bat Rodenbücher,2093 „die im Juni 1934 bekanntgegebene Beförderung“ Grimmes „bestätigen zu wollen“, und gab dort die unsinnige Erklärung ab, dass die Beförderungspapiere „auf dem Kurierweg heraus kommen“ sollten. „Da solche Beförderungen für in Österreich befindliche Führer nicht üblich waren, sollte infolge seiner hervorragenden Führereigenschaften Grimme zur Beförderung zum Hauptsturmführer vorgeschlagen werden. Die Ereignisse des 25. Juli 1934 und die sofortige Verhaftung Grimmes haben dies vereitelt.“ Ganz im Gegenteil zu Rodenbüchers Angaben wurden zu diesem Zeitpunkt ständig Führerernennungen vom OaD vorgenommen. Aufgrund von Himmlers Personalrochaden in den Wochen vor dem Putsch und des zumindest als zweifelhaft zu bezeichnenden Verhaltens von Rodenbücher waren die Befehlslinien der österreichischen SS zum OaD in den Wochen vor dem Putsch vollständig abgebrochen. 13.5 Die Aktionen der 11. SS-Standarte während des Juliputsches

Als eine „Anhäufung von Dilettantismus“ bezeichnet Gerhard Jagschitz die Durchführung des Juliputsches.2094 So stand am Nachmittag des 24. Juli bereits fest, dass die „Aktion Miklas“ aufgrund der Verhaftung der Brüder Ott in Klagenfurt gescheitert war.2095 Entkommen konnte hingegen Max Grillmayr, der zusammen mit dem Klagenfurter SS-Mann Franz Pacher die Aktion vorbereitet hatte, und diese gemeinsam mit einer Gruppe SS- und SA-Männer durchführen hätte sollen. Laut einem Bericht des Führers des Sturmbanns III/89,2096 Hans Bauer, hatte Grillmayr die Aktion ab2093 Alfred Rodenbücher an den Chef des SS-Hauptamtes v. 4. 9. 1935, ebd. 2094 Jagschitz (1976), S. 87. 2095 Vgl. dazu Jagschitz (1976), S. 97  ; Historische Kommission (1965), S. 131 sowie Schafranek (2011), S. 208–216. 2096 Historische Kommission (1965), S. 131.

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gebrochen, nachdem ihm telegrafisch aus Wien mitgeteilt worden war, dass er nichts mehr unternehmen solle. Wann dieses Telegramm in Klagenfurt eintraf, ist unbekannt. Allerdings erhielt die SA-Brigade Kärnten am 25. Juli um 23 Uhr eine Funkdepesche von Reschny, der völlig verspätet anordnete  :2097 „Kärnten Bundespräsident Miklas in Velden verhaften.“ Zu diesem Zeitpunkt befand sich Miklas aber schon längst auf dem Weg nach Wien.2098 Nach der Verschiebung des Ministerrates mussten die Wiener Verschwörer einige Änderungen in ihrer Planung vornehmen.2099 Verabredet wurde nun, dass sich ca. 140 SS-Männer ab zwölf Uhr in der Bundesturnhalle in der Siebensterngasse zur Uniformierung und Bewaffnung einfinden und dreißig Minuten später Richtung Bundeskanzleramt abfahren sollten. Um 13 Uhr sollte der Überfall auf das Bundeskanzleramt und gleichzeitig die Besetzung der RAVAG und des Telegrafenamtes erfolgen. Als die SS zum Bundeskanzleramt fuhr, war die Sitzung jedoch bereits unterbrochen worden, nachdem der Polizeibeamte Johann Dobler den Putsch verraten hatte2100 und Fey um elf Uhr darüber informiert worden war. Dieser unterrichtete den Bundeskanzler erst über eine Stunde später davon,2101 dass eine Aktion im Gange sei, woraufhin dieser die Sitzung um 12.15 Uhr unterbrach und die Minister aufforderte, das Bundeskanzleramt zu verlassen.2102 Danach zog sich Dollfuß mit Fey und den Staatssekretären für Sicherheit (Carl Karwinsky) und Heerwesen (Wilhelm Zehner) in sein Amtszimmer zurück. Fey hatte inzwischen einen Kriminalbeamten in die Siebensterngasse geschickt, der bis halb ein  Uhr drei Meldungen erstattete, dass sich dort zahlreiche uniformierte Soldaten, Polizisten und Zivilisten eingefunden hätten. Karwinsky befahl daraufhin Polizeipräsident Eugen Seydel,2103 einige Kriminalbeamte in die Siebensterngasse zu schicken. Nach einer nochmaligen Nachfrage Karwinskys bei Seydel, ob seine Anordnung befolgt worden sei, musste ihm dieser berichten, dass bereits zuvor eine Nachricht eingelangt war, derzufolge am Michaelerplatz ein Attentat auf Dollfuß stattfinden sollte. Seydel hatte daraufhin „den ganzen Apparat der Polizeidirektion auf den Michaelerplatz eingestellt“ und hätte nun „kein Auto gehabt, um es in die Siebensterngasse zu entsenden“. Als endlich doch noch einige Kriminalbeamte in der Siebensterngasse eintrafen, gelang es ihnen nur noch, den letzten Wagen 2097 Schafranek (2006), S. 200. 2098 Gedächtnisniederschrift des Bundespräsidenten Miklas über den 25. Juli 1934, abgedr. in  : Historische Kom­mission (1965), S. 207. 2099 Zur Durchführung des Putsches in Wien vgl. ausf. Historische Kommission (1965)  ; Jagschitz (1976). 2100 Jagschitz (1976), S. 100. 2101 Ebd., S. 101–106. 2102 MRP Nr. 954 v. 25. 7. 1934, Bd. VIII/7, S. 633. 2103 Bericht des Staatssekretärs Carl Karwinsky, zit. n. Historische Kommission (1965), S. 263.

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zu stoppen, in dem sich Glass befand, der den Beamten jedoch entkommen konnte.2104 Die Putschisten stürmten somit führerlos das BKA, wo vermutlich Otto Planetta den tödlichen Schuss auf Dollfuß abgab. Glass’ und Wächters Versuche, doch noch in das Gebäude eingelassen zu werden, scheiterten. Dass der Überfall auf das BKA so problemlos ablief, hatten die Putschisten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Otto Begus zu verdanken. Nach Angaben der SS-Männer Arend Lang und Pius Bruckner hatte die letzte Besprechung „zwischen einigen Beteiligten“,2105 die das Attentat auf dem Michaelerplatz durchführen sollten, am 23. Juli stattgefunden. Wie der Putsch war auch diese Aktion zunächst für den 24. Juli angesetzt gewesen und wurde ebenfalls auf den folgenden Tag verschoben. Begus hatte sich bei der letzten Besprechung die Anschriften „einiger Kameraden erbeten“, worüber „man (…) sich gewundert (habe), (…) da es im allgemeinen im Interesse der Sicherheit vermieden wurde, sich Anschriftenmaterial zu verschaffen (…)“. Unter anderem notierte sich Begus auch die Adresse von Friedrich Angerbauer. Als dieser sich am 25.  Juli auf den Weg zum Michaelerplatz machte, wurde er von einem unbekannten Mann angesprochen,2106 der ihm „auf den Kopf zusagte, dass er (…) sich an der Aktion gegen Dollfuss beteiligen wolle“. Er forderte ihn auf, sich mit ihm in einem Mietauto zum Michaelerplatz zu begeben, wo sich jedoch noch keiner der Kameraden eingefunden hatte. Daraufhin fuhren sie zur Siebensterngasse und von dort weiter zum Deutschen Volkstheater, wo der Unbekannte ausstieg und Richtung Siebensterngasse ging. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich dort die 89. Standarte zu sammeln begonnen. Nach dem Bericht der „Historischen Kommission“ kehrte der Unbekannte nach etwa dreißig Minuten zu Angerbauer zurück und fuhr mit ihm zum Schwedenplatz weiter, wo er ihm Folgendes mitteilte  : „Es sei eine andere Aktion gegen das Bundeskanzleramt geplant. Es seien auch bereits einige Minister vom Bundeskanzleramt weggefahren, und deshalb sei es unbedingt notwendig, dass Dollfuss im Bundeskanzleramt zurückgehalten werde, deshalb soll er, Angerbauer, bei der Polizei-Direktion eine Anzeige erstatten, dass am Michaelerplatz ein Anschlag auf den Bundeskanzler erfolgen werde.“ Nachdem Angerbauers Nachricht bei der Polizei eingetroffen war,2107 entsandte Seydel den gesamten Sicherheitsapparat der Wiener Polizei zum Michaelerplatz und konnte Karwinskys Auftrag, das Bundeskanzleramt zu sichern, nicht durchführen. Sowohl Bruckner als auch Lang gingen davon aus, dass Begus jener Unbekannte war, 2104 Ebd., S. 107f. 2105 Historische Kommission, S. 46. 2106 Ebd., S. 44f. 2107 Ebd., S. 86  ; Jagschitz (1976), S. 109f.

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der Angerbauer angesprochen hatte. Nachdem sich die Abfahrt der 89. Standarte aus der Siebensterngasse um 15 Minuten verzögert hatte, dürfte die Verwirrung rund um die Michaelerplatz-Aktion die Besetzung des Bundeskanzleramtes überhaupt erst möglich gemacht haben. Aufgrund von Fitzthums Brief steht fest, dass diese Aktion, geplant von Stigler und durchgeführt von Begus, in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Putsch stand. Aber auch Franz Schattenfroh war nach dem Scheitern der „Aktion Miklas“ am 25. Juli bereits wieder aus Kärnten zurückgekehrt.2108 Nach den Angaben des Regierungsrates Theodor Rauch von der Bezirkshauptmannschaft Hietzing hatte er diesen während seiner Mittagspause gemeinsam mit dem SA-Anwalt Georg Ettingshausen, einem ehemaligen Regimentskameraden Rauchs, auf dem Michaelerplatz angetroffen, denen „diese Begegnung sichtlich unangenehm gewesen sei“. Schattenfroh selbst gab an, sich erst um zwei  Uhr nachmittags dort aufgehalten zu haben. Warum die 1938 eingesetzte Historische Kommission des RFSS diese Zusammenhänge nicht feststellte und offenbar weder Stigler noch Begus einvernahm, bleibt offen. Ebenso wie die „Aktion Miklas“ scheiterte auch die Besetzung der RAVAG.2109 Der SS gelang es zwar, die dort postierten Polizei- und Heimwehrkräfte zu überrumpeln, das Gebäude kurzfristig zu besetzen und einen kurzen Funkspruch über Dollfuß’ Rücktritt zu senden, jedoch wurde während des Feuergefechts eine Senderöhre zerstört. Die Putschisten konnten den Sender nicht mehr in Betrieb nehmen, und auch Hanns Blaschke, der eine Erklärung der neuen Regierung verlesen sollte, gelangte nicht mehr in das Gebäude. Hingegen konnte der Generaldirektor der RAVAG von einer zweiten – den Putschisten unbekannten – Sendeanlage die Polizei informieren und die Ausschaltung des Bisambergsenders erreichen. Wenig später wurden die Putschisten von der Polizei überwältigt. Nach dem Scheitern des RAVAG-Überfalls wurde der Überfall auf das Telegrafenamt erst gar nicht mehr durchgeführt. Neben Feys undurchsichtigem Verhalten wirft aber auch das Vorgehen der in Freiheit befindlichen Minister Fragen auf, wie etwa über die abweichenden Angaben über den Beginn des Ministerrats und die daran teilnehmenden Kabinettsmitglieder. Über die Sitzung liegen zwei Stenogramme der Schriftführer, ein Konzept und die Reinschrift des Verhandlungsprotokolls vor.2110 Im Unterschied zu den späteren Angaben sowohl von Staatssekretär Karwinsky und Justizminister Eugen Berger Waldenegg 2108 Bericht der BPD Wien an die St.A. I in Wien v. 29. 9. 1934, Pr.Zl. IV-1062/6/34, ÖSTA/AdR, BKAI, allg., 22/Wien, Kt. 5183. 2109 Historische Kommission (1965), S. 128–130. 2110 ÖSTA/AdR, BKA, MRP 1. Republik, Protokoll Nr. 954 v. 25. 7. 1934, Kt. 222. Das Typoskript ist iden­tisch mit der gedruckten Version, MRP Nr. 954 v. 25. 7. 1934, Bd. VIII/7, S. 632f.

Die Aktionen der 11. SS-Standarte während des Juliputsches

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Abb. 81: Der Kampf um die RAVAG, 25. 7. 1934, BPD Wien

als auch von Rotter und Weydenhammer begann die Sitzung nicht um elf Uhr,2111 sondern mit einer Stunde Verspätung. Weiters war die Präsenzliste bis auf den im Urlaub befindlichen Starhemberg von allen Regierungsmitgliedern unterzeichnet bzw. ihre Namen, wie auch sonst üblich,2112 von den Schriftführern als anwesend gekennzeichnet worden.2113 Auch Kurt Schuschniggs Name wurde von den Schriftführern mit einem Anwesenheitsvermerk versehen, dieser fehlt jedoch sowohl im Konzept als auch in der Reinschrift des Verhandlungsprotokolls und in der gedruckten Fassung, während er im Stenogramm vermerkt ist. Möglicherweise sind diese Abweichungen auf Fehler der Schriftführer zurückzuführen. Allerdings blieb in der Literatur bisher unberücksichtigt, dass nicht nur Fey nach der Kabinettsumbildung am 10. Juli einen Machtverlust hatte hinnehmen müssen, sondern auch Schuschnigg, der als Justizminister abgesetzt worden war. An seine Stelle war mit dem Heimwehrführer Egon Ber2111 Bericht des Staatssekretärs Carl Karwinsky, zit.  n. Historische Kommission (1965), S.  260  ; Berger Waldenegg (1998), S.  393  ; Denkschrift von Konrad Rotter, o.  D. (1935, CR), zit.  n. Schafranek (2006), S. 239  ; Bericht von Rudolf Weydenhammer, o. D., BArch/NS 26, Zl. 634. 2112 Meinen herzlichen Dank für die Recherchehilfe an Mag.a Pia Schölnberger. 2113 Dies betraf neben Schuschnigg noch Dollfuß, Fey und Justizminister Berger Waldenegg.

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ger Waldenegg ein Vertrauensmann von Starhemberg eingesetzt worden. Nach den Memoiren von Berger Waldenegg und Dollfuß’ Tochter Eva2114 stand Schuschniggs endgültige Entmachtung unmittelbar bevor. So berichtete Berger Waldenegg,2115 dass vor Starhembergs Abreise nach Italien eine geheime Besprechung zwischen diesem mit Dollfuß und dem Führer der „Vaterländischen Front“, Karl Maria Stepan, abgehalten worden war, die „in Aussicht genommen“ hätten, Schuschnigg nach Starhembergs Rückkehr auch als Unterrichtsminister abzusetzen und ihn mit einer hohen Richterstelle zu betrauen. Ungeklärt ist weiters die Verwicklung von Finanzminister Buresch in den Juliputsch. Aber auch das Verhalten der Minister gegenüber Bundespräsident Miklas mutet zumindest merkwürdig an. Nach Verlautbarung der RAVAG-Meldung über die Übernahme der Kanzlerschaft durch Rintelen versammelten sich gegen halb drei Uhr2116 die Minister Schuschnigg, Neustädter-Stürmer und Stockinger sowie Staatssekretär Zehner im Heeresministerium, zu denen wenig später auch Buresch und Staatssekretär Ulrich Ilg hinzukamen, während Berger Waldenegg im Justizministerium verblieb.2117 Dort wurde sofort ein „Rumpfministerrat“ abgehalten, in dessen Verlauf bekannt wurde, dass sich Rintelen in Wien befand. Um 15 Uhr beauftragte Schuschnigg nicht die Polizei, sondern den Chefredakteur der Reichspost Friedrich Funder damit, Rintelen ins Heeresministerium zu bringen.2118 Zu diesem Zeitpunkt war bereits bekannt, dass nicht nur ein Überfall auf das Bundeskanzleramt und die RAVAG stattgefunden hatte,2119 sondern auch in der Steiermark „lokale Unruhen ausgebrochen“ waren und in Innsbruck der Polizeistabshauptmann Franz Hickl erschossen worden war. Trotzdem kam über Stunden hinweg kein Kabinettsmitglied auf die Idee, Bundespräsident Miklas, dem ja im Übrigen auch der Oberbefehl über das Bundesheer zustand, zu verständigen, um einen provisorischen Regierungschef einzusetzen.2120 Im Gegensatz zu seinen späteren Angaben nahm Schuschnigg keineswegs „sofort telephonisch Verbindung“ mit Miklas in Velden auf,2121 sondern dieses Gespräch fand 2114 Dollfuß (1994), S. 311. 2115 Berger Waldenegg (1998), S. 392. 2116 Angaben von Kurt Schuschnigg, Historische Kommission (1965), S. 115. 2117 Bericht des Bundesministers Odo Neustädter-Stürmer über die Ereignisse am 15.  Juli 1934, ebd., S. 149. 2118 Funder (1957), S. 215. 2119 Angaben von Kurt Schuschnigg, zit. n. Historische Kommission (1965), S. 115. 2120 Gemäß Art. 81 Abs. 2 der Verfassung 1934 hatte nämlich der Bundespräsident bei gleichzeitiger Verhinderung von Bundeskanzler und Vizekanzler ein Mit­glied der Bun­des­regierung mit der Vertre­tung des Bundes­kanzlers zu betrauen. Meinen Dank an ao. Univ.-Prof.in Dr.in Ilse Reiter-Zatloukal. 2121 Angaben von Kurt Schuschnigg, Historische Kommission (1965), S. 116.

Der versäumte Putsch – Die Lage der SS in den Bundesländern

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vielmehr erst „in den späteren Nachmittagsstunden“2122 und nach Eintreffen Rintelens im Heeresministerium statt.2123 Miklas hingegen hatte sofort nach Sendung der RAVAG-Meldung vergeblich versucht, Kontakt zum Bundeskanzleramt herzustellen, und im Innenministerium nur die Auskunft erhalten, dass Näheres nicht bekannt sei. „Auf diese nichtsagende Auskunft hin“ kontaktierte er sodann die Wiener Polizeidirektion und erfuhr von Seydel, dass das Bundeskanzleramt überfallen worden sei. Daraufhin verständigte er die Kärntner Landesregierung und erfuhr dort, dass sich der Landeshauptmann bei einem Empfang befinde. Miklas bat nun den Kärntner Landesamtsdirektor, „alle Maßnahmen zum Schutze des Landes Kärnten zu veranlassen“, da „möglicherweise weitere illegale Handlungen in den Bundesländern“ ausbrechen könnten, und sich mit den Landesregierungen in den anderen Bundesländern in Verbindung zu setzen. Nachdem Miklas „von Wien weiter keine Nachricht erhielt, auch nicht von der Präsidentschaftskanzlei, die mich sonst gewiß angerufen hätte“, kontaktierte er neuerlich die Wiener Polizeidirektion. Dort teilte ihm Vizepolizeipräsident Michael Skubl das Gerücht mit, „Dollfuß sei zurückgetreten und Rintelen bilde eine neue Regierung“. Miklas reagierte empört auf diese Nachricht, indem er erklärte, dass er „auch davon etwas wissen (müßte) und protestierte gegen einen solchen Vorgang“. Nebenbei erklärte ihm Skubl dann, dass „(ü)brigens (…) soeben der Polizeipräsident Seydel ins Landesverteidigungsministerium hinüber gefahren (sei), wo ein Ministerrat stattfinde“. Erst zu diesem Zeitpunkt erfuhr Miklas, dass sich einige Minister in Freiheit befanden, worauf er „indigniert (bemerkte)  : ‚Und niemand wendet sich in einem solchen Augenblick, in dem die Regierung ohne Oberhaupt ist – der Kanzler in der Gewalt von Aufrührern, der Vizekanzler ausser Landes – an den Bundespräsidenten.‘ “ Er beauftragte Skubl, dass ihn „sogleich einer der Herren Minister, wo möglich Dr. Schuschnigg, anrufen soll“, was dieser ca.  zehn Minuten später auch tat. Nachdem Miklas ihn interimistisch zum Bundeskanzler ernannt hatte, fuhr er abends aus Velden ab und traf um sechs Uhr morgens in Wien ein. 13.6 Der versäumte Putsch – Die Lage der SS in den Bundesländern

Die Aktionen der SS in den Bundesländern beschränkten sich während des Putsches im Wesentlichen auf lokale Aktionen, bei denen sich die SS der SA anschloss, sofern 2122 Gedächtnisniederschrift des Bundespräsidenten Miklas über den 25. Juli 1934, ebd. S. 202–210. Die folgen­den Angaben beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf diesen Bericht. 2123 Bericht des Bundesministers Odo Neustädter-Stürmer über die Ereignisse am 15.  Juli 1934, ebd., S. 150.

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überhaupt eine „Erhebung“ stattfand.2124 Die SS-Standarten verfügten während des Juliputsches weder untereinander noch zum Oberabschnitt über ein funktionierendes Verbindungsnetz, hatten keine Aufstandspläne ausgearbeitet und auch keine ausreichenden Waffenbestände oder finanzielle Mittel angelegt, um sich an dem Aufstand beteiligen zu können. Die Planlosigkeit, mit der die SS in den Putsch ging, zeigt ein am 1. August von der Linzer Polizei beim SS-Kurier Karl Eberhardt sichergestelltes Konvolut von Nachrichten an den OaD. Diese hatten sich zwischen 1. Juni und 1. August bei den Standarten angesammelt und sollten nun mit zum Teil zweimonatiger Verspätung dem OaD übermittelt werden. Darin meldete etwa der Führer des steirischen Sturmbanns 11/38,2125 dass „(g)rössere Aktionen (…) ja untersagt (sind) bis 28. Juli und ausserdem fehlt uns der Sprengstoff, um wesentlichen Schaden ausführen zu können“. Der Verbindungsführer der steirischen Standarte, Norbert Scharnagl, hatte am 23. Juli drei Berichte verfasst, in denen er dem OaD mitteilte, dass es „sehr günstig“ wäre,2126 wenn in der „hiesigen Gauleitung (…) ein für uns verläßlicher“ Funker arbeiten würde. In diesem Falle könnte er nämlich „in den wichtigsten Angelegenheiten von Ihnen selbst über diesen Weg rasche Anordnungen bekommen“. Es würden nämlich „oft (…) durch Po. und Sa Anordnungen und Annahmen“ bei ihm eintreffen, „die in keiner Weise der Sachlage hier entsprechen“. Weiters bat er darum, dass der OaD die Politische Leitung veranlassen möge,2127 der SS die „notwendigen Geldmittel (…) entsprechend des Vorganges in den anderen Gauen (…) zur Verfügung“ zu stellen. Der Etat der Stürme reiche „nicht einmal für den Dienstbetrieb“. In seinem letzten Schreiben vom 23. Juli berichtete er dann über die regen Aktivitäten der Kameraden der anderen Gliederungen  :2128 „Überhaupt herrscht, mit Ausnahme bei uns(,) überall eine Nervosität, als wie (sic  !) wenn schon morgen eine Änderung kommen würde.“ Als Eberhardt am 25.  Juli „von den Ereignissen in Wien erfuhr“,2129 machte er sich sofort zu seinem Verbindungsmann Karl Röschinger nach Salzburg auf, der ihm folgenden Befehl übergab  : „Die SS hat nur dann auf den Plan zu treten, wenn eine Regierungsumbildung derart erfolgt, daß auch die Nationalsozialisten darin vertreten sind. In diesem Falle soll sich die SS. der Exekutive zur Verfügung stellen, andernfalls 2124 Zum Juliputsch in den Bundesländern vgl. insbes. Bauer (2003)  ; Jagschitz (1976)  ; Etschmann (1984)  ; zur Steiermark Schafranek (2006)  ; zu Deutschlandsberg Wolf (2008)  ; zum Lavanttal Klösch (2007). 2125 Tätigkeitsbericht II/38 über den Trupp Frohnleiten, Peggau und Gratkorn, o. D., ÖSTA/AdR, BKAI, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 2126 38/Tgb. No. 24 von S 84 (Norbert Scharnagl) an S 18 (OaD) v. 23. 7. 1934, ebd., Herv. i. Orig. 2127 38/Tgb. No. 25 von S 84 (Norbert Scharnagl) an S 18 (OaD) v. 23. 7. 1934, ebd. 2128 38/Tgb. No. 26 von S 84 (Norbert Scharnagl) an S 18 (OaD) v. 23. 7. 1934, ebd. 2129 Bericht der BPD Linz an den Staatsanwalt beim Militärgericht Linz v. 19.  8.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 311.351-St.B./1937.

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hat sie vorläufig nichts zu unternehmen.“ Eberhardt fuhr daraufhin nach Linz zurück und schickte seinen Sohn nach Wien, um Hans Speer, den Kurier der 11., 89., 38. und 52. SS-Standarte, zu informieren und ihn aufzufordern, umgehend nach Linz zu kommen. Speer traf am Abend in Linz ein und erfuhr um zehn Uhr, als der Putsch in Wien längst gescheitert war, von den Anweisungen des OaD. Am späteren Nachmittag des 26. Juli hatten dann alle von Speer betreuten Standarten die Anweisung über ihr Verhalten während des Putsches erhalten. Währenddessen unterrichtete Eberhardt ebenfalls erst am 26. Juli den Führer der oberösterreichischen SS, Heinrich Weithner (von) Weithenturn, von dem Befehl und fuhr am Tag darauf nach Klagenfurt, um den Führer der 90. SS-Standarte, Otto Schatzmayr, von dem inzwischen zwei Tage alten Befehl zu unterrichten. Am Tag darauf traf er wieder in Linz ein. Inzwischen hatte aber Speer am 28.  Juli einen „durch Sonderkurier“ überbrachten Befehl vom OaD in München erhalten,2130 in dem angeordnet worden war, dass „mit verschärften Aktionen vorzugehen sei“. Speer schickte daraufhin einen Kurier nach Linz, der Eberhardt von dem neuen Befehl in Kenntnis setzte. Daraufhin fuhr Eberhardt am 29. Juli neuerlich nach Klagenfurt, um Schatzmayr davon zu informieren, konnte diesen aber nicht antreffen und machte sich unerledigter Dinge wieder auf den Rückweg. Am 30. Juli suchte er erneut Röschinger in Salzburg auf, der ihm mitteilte,2131 dass der „ursprüngliche Befehl aus München (…) nicht abgeändert worden sei und keinerlei Aktionen derzeit unternommen werden dürfen“. Nachdem Speer am 31. Juli wieder bei Eberhardt in Linz eingetroffen war, entbrannte zwischen den beiden eine „erregte Auseinandersetzung“ darüber, welcher Befehl nun tatsächlich in Kraft war. Während Eberhardt sich auf Röschingers Befehl berief, vertrat Speer die gegenteilige Ansicht, dass „verschärft“ vorgegangen werden müsse. Dass Hitler bereits am 27. Juli die Einstellung aller Kämpfe anbefohlen hatte, war weder nach Linz noch nach Wien vorgedrungen. Im Abschnitt VIII herrschte somit das reinste Chaos. Die erste Verständigung aus München erreichte die einzelnen Standarten erst einen Tag nach Beginn des Putsches und enthielt keine näheren Anweisungen. Die Standarten verfügten über keinen Funkkontakt zum OaD und hatten noch nicht einmal eine sichere Telefonverbindung untereinander aufgebaut. Alle Kurierdienste mussten daher persönlich durchgeführt werden, und die Befehle trafen so mit tagelanger Verzögerung ein. Ein Plan, wie sich die SS der Exekutive zur Verfügung stellen sollte, existierte ebenfalls nicht. 2130 Lagebericht für die Standarten 11, 52, 89 und den selbstständigen Sturmbann 152 (182) von Hans Speer (S 44) an den OaD (S 18) v. 1.  8.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl.  220.611St.B./1934. 2131 Bericht der BPD Linz an den Staatsanwalt beim Militärgericht Linz v. 19.  8.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 311.351-St.B./1937.

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Unterdessen hatte Himmler auf den unhaltbaren Zustand reagiert und zwischen 25. und 26. Juli2132 Richard Kaaserer von der Politischen Bereitschaft in Ellwangen zum OaD nach München abkommandiert, der die abgebrochenen Verbindungslinien wieder aufbauen sollte. Auf den ersten Blick ist Himmlers Wahl nachvollziehbar, da Kaaserer zwischen Juli und Dezember 1933 die Führung der österreichischen SSMänner in Deutschland inne gehabt hatte2133 und dadurch wohl noch am besten über die Situation bei den einzelnen Standarten informiert war. Andererseits wurde Kaaserer als Anstifter aller von der niederösterreichischen SS verübten Bombenanschläge im Sommer 1933 inklusive des Anschlags auf die Kremser Hilfspolizisten seit Juli 1933 steckbrieflich gesucht und rangierte an oberster Stelle der Fahndungslisten der österreichischen Sicherheitsbehörden. Er verfügte somit nur über einen geringen Handlungsspielraum. Darüber hinaus hatten sich Kaaserers Dienstvorgesetzte in Deutschland durchgehend negativ über seine Leistungen geäußert und sich bereits jene Probleme anzudeuten begonnen, die sich in den folgenden Jahren weiter manifestieren sollten. So war Kaaserer im Zuge von Rodenbüchers Bestellung zum Abschnittsführer von diesem beurlaubt worden,2134 dem Kaaserers „Verbleiben in seiner bisherigen Dienststelle“ als „nicht mehr tragbar“ erschienen war. Kaaserer wurde daraufhin zur Politischen Bereitschaft nach Ellwangen versetzt. Am 16. Juli 1934 meldete der Führer des dortigen SS-Oberabschnitts Hans Prützmann jedoch an Himmler,2135 dass er sich „gezwungen (sieht), Reichsführer-SS zu berichten, daß eine weitere Verwendung des Obersturmbannführers bei der Pol. Bereitschaft mangels Eignung unmöglich ist“. Kaaserer wurde – wieder einmal – beurlaubt. Ein Grund für seine „mangelnde Eignung“ bestand darin, dass er Alkoholprobleme hatte und wenig verlässlich war. In den folgenden Jahren häuften sich die Beschwerden über ihn, und während Kaaserers Zeit als Ausbildungsoffizier der Waffen-SS rief sein brutales Vorgehen gegen die eige­nen Rekruten sogar die Sicherheitspolizei auf den Plan. Himmlers Entscheidung stellte letztlich einen verzweifelten Versuch des RFSS dar, sich aus dieser unhaltbaren Lage zu befreien. Nach Rodenbüchers Angaben2136 hatte Himmler „in Erwartung einer 2132 Über den Zeitpunkt von Kaaserers Kommandierung zum OaD liegen widersprüchliche Angaben vor. Laut einem Schreiben der Politischen Bereitschaft in Ellwangen ging der Befehl Himmlers am 26. Juli um 19.30 Uhr dort ein, woraufhin Kaaserer am 27. Juli Ellwangen verlassen und sich beim OaD gemeldet habe, Schreiben der 2. Standarte der Politischen Bereitschaft an den Oa Südwest v. 28. 8. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer. Kaaserer selbst gab hingegen an, dass er bereits am 25. Juli auf Befehl Himmlers zum OaD abkommandiert wurde und sich am 26. Juli bei Rodenbücher meldete, Bericht von Richard Kaaserer v. 13. 1. 1938, ebd. 2133 Heinrich Himmler an Richard Kaaserer v. 26. 7. 1933, ebd. 2134 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 13. 12. 1933, ebd. 2135 Hans Prützmann an Heinrich Himmler v. 16. 7. 1934, ebd. 2136 Alfred Rodenbücher an die SS-Sammelstelle v. 23. 3. 1937, ebd.

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Änderung der Verhältnisse in Österreich“ Kaaserer nur „als Kurier nach Österreich geschickt“ und die Kommandierung war „im Zusammenhang mit den Ereignissen des 24./25. Juli 1934 in Österreich (erfolgt)“.2137 Kaaserer wiederum erklärte später,2138 dass er „mit der Aufgabe der Reorganisierung der SS in Österreich nach Österreich entsandt“ worden war. Kaaserer, der seit März 1934 unter dem Decknamen „Rudolf Kurth“ in Deutschland lebte, dürfte sich ab 28. Juli in Österreich befunden haben und war möglicherweise jener Sonderkurier, der Speer die Anordnung über die Durchführung „verschärfter Aktionen“ überbracht hatte. Am 31. Juli traf er in Linz ein, wo er sich bei Eberhardt danach erkundigte, „ob der Nachrichtendienst funktioniere“,2139 und die Auskunft erhielt, dass dieser die Sendungen von Speer übernehme und an Röschinger in Salzburg weiterleite, „der Nachrichtendienst also gut“ arbeite. Nachdem bei der Linzer Polizei eine vertrauliche Mitteilung eingetroffen war, dass bei Eberhardt, der „als fanatischer Anhänger der NSDAP in Evidenz“ stand, „ständige Zusammenkünfte von Nationalsozialisten stattfinden“, setzten die Sicherheitsbehörden dem „gut“ funktionierenden Nachrichtendienst ein jähes Ende. Eberhardt, Speer, Scharnagl, die Kuriere der 52. SS-Standarte und Kaaserer wurden sofort verhaftet. Laut Kaaserers eigenen Angaben hatte er sich dies „selbst eingebrockt“2140 und noch drei Stunden zuvor „auf Frau u. Gottbergs2141 Wohl“ getrunken.2142 Auch Rodenbücher stellte später fest,2143 dass Kaaserer „infolge ungenügender Vorsicht verhaftet worden“ war. Die Übergabe der Berichte hatte, obwohl Eberhardt und Speer ab 25. Juli drei Mal zusammengetroffen waren, erst am 1. August stattgefunden. Aufgrund der zahlreichen Nachrichten ging die Polizei davon aus, dass die SS „einen gut organisierten Kurierdienst (…) aufrecht erhalten“ habe. Tatsächlich waren nach Angaben von Eberhardt in den vergangenen zwei bis drei Wochen weder Nachrichten über Röschinger an den OaD geschickt noch von diesem welche übergeben worden. Auch gibt es keine Hinweise darauf, dass die SS außer dem Befehl vom 25. Juli, demzufolge sie sich ruhig zu verhalten und erst im Falle, dass eine neue Regierung an die Macht kommen sollte, der Exekutive zur Verfügung zu stellen habe, weitere Ins2137 Alfred Rodenbücher ans den Verwaltungschef der SS v. 15. 3. 1937, ebd. 2138 Bericht von Richard Kaaserer v. 13. 1. 1938, ebd. 2139 Bericht der Polizeidirektion Linz v. 2.  8.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl.  220.611St.B./1934. 2140 Richard Kaaserer an „Kurt“ v. 11. 8. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer. 2141 Kurt von Gottberg war Kaaserers Vorgesetzter bei der Politischen Bereitschaft in Ellwangen. 2142 Richard Kaaserer an einen „Liebe(n) Kamerad(en)“ v. 11. 8. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer. 2143 Alfred Rodenbücher an die SS-Sammelstelle v. 23. 3. 1937, ebd.

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truktionen erhalten hatte. Wie dilettantisch sich die Vorbereitungen zur Ausführung des Befehls gestalteten, zeigen die Aktivitäten der 76. Standarte in Oberösterreich. Nachdem am 23.  Juli Standartenführer Hanns Feil geflüchtet und sein Stellvertreter Alfred Schützenhofer am 26. Juli verhaftet worden war,2144 hatte der Beamte der Steyr-Werke Heinrich Weithner, ein ehemaliger Absolvent der Artillerieakademie in Traiskirchen, die Führung der Standarte übernommen. Am gleichen Tag wurde Weithner, wie bereits erwähnt, um 19 Uhr von Eberhardt über den Befehl aus München in Kenntnis gesetzt. Er stellte daraufhin „(s)ofort Einvernahme“ mit der SABrigade Oberösterreich her und berief ein Treffen der Linzer SS-Führer ein, um das weitere Vorgehen gegenüber den Sicherheitsbehörden zu besprechen. Als „Wortführer“ trat dabei der Handelsangestellte Franz Müller auf, der über seinen Bruder,2145 einem Stabsrittmeister beim Landesgendarmeriekommando, als „Verbindungsmann“ zur Sicherheitsdirektion und Gendarmerie fungierte. Laut den Angaben des Führers des Sturmbanns I/76, Viktor Flessl, hatte Müller erklärt, dass zwanzig SS-Männer „die Gendarmeriekaserne besetzen müssten und dort mit Waffen beteiligt würden. Die so bewaffneten SS Leute würden dann auf einen bereitgestellten Kraftwagen gebracht und müssten unter Begleitung von Gendarmen eine Patrouillenfahrt Richtung Ottensheim unternehmen.“ Daraufhin befahl Weithner seinem Adjutanten, zwanzig SS-Männer stellig zu machen. Um 22.30 fand sich die Gruppe zu einem neuerlichen Treffen auf einer Parkbank am Hessenplatz ein. Dort meinte Müller nun, „daß er noch weitere Leute brauche, die in analoger Weise wie bei der Gendarmerie die Sicherheitsdirektion besetzen müssen“. Neuerlich wurden Boten losgeschickt, um weitere zwanzig SS-Männer zu alarmieren. „Plötzlich“ eröffnete ihnen Müller aber dann, dass die Aktion vielleicht nicht ganz so problemlos vonstatten gehen würde  : „Es könnte bei der Gendarmeriekaserne eventuell zu einem Feuergefecht kommen, doch sei nichts zu befürchten, da dort ohnehin ein von einem Nationalsozialisten bedientes Maschinengewehr postiert sei.“ Damit waren die Vorbereitungsmaßnahmen der SS-Führung für den Überfall auf die Linzer Gendarmeriekaserne und Sicherheitsdirektion beendet. Weithner erteilte noch den Auftrag, dass im Falle des Einmarsches der Legion in den Linzer Vororten „Sprengungen zur Beunruhigung der Bevölkerung zu veranstalten“ seien, worauf Flessl erwiderte, „daß keine Sprengstoffe vorhanden seien und er sich zu derartigen Aktionen nicht hergebe“. Nach dem Treffen beschlossen Weithners Führer hinter seinem Rücken „überhaupt nichts zu unternehmen“ und hoben die Bereitschaft 2144 Situationsbericht der Standarte 76 von Heinrich Weithner v. 23. 7. bis 31. 7. 1934, ÖSTA/AdR, BKAI, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 2145 Die folgenden Angaben beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf den Bericht der BPD Linz an den Staatsanwalt beim Militärgericht Linz v. 19. 8. 1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 311.351-St.B./1937.

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ihrer Männer wieder auf. In einem späteren Bericht an den OaD meldete Weithner großspurig und jenseits der realen Verhältnisse, dass nach Meldung des „Verbindungsmannes“ der „Großteil“ der Gendarmerie und Sicherheitswache „auf unserer Seite (sei)“ und der SS „Waffen, Stahlhelme und Mäntel und die für den Abtransport nötigen 4 Lastautos samt Fahrer (…) zur Verfügung (stehen). (…) Zeitpunkt des Beginnes der Aktion und Art der Bewaffnung (…) wird noch bekannt gegeben.“ In der Nacht vom 26. auf den 27.  Juli erhielt Weithner von der SA „wiederholt Nachrichten(,) welche nicht zu kontrollieren waren, immer aber sehr optimistisch gefärbt waren“.2146 Danach habe der Angriff im Oberen Mühlviertel, im Innviertel und in Salzburg bereits begonnen und auch die Legion schon die Grenze überschritten. Um ein Uhr nachts fiel dann auch noch der Sender der SA-Brigade aus. Nachdem in Linz Ruhe herrschte, machte sich Weithner „zu einer persönlichen Rekognoszierungsfahrt nach Salzburg“ auf, wo entgegen den Meldungen der SA „vollkommene Ruhe“ herrschte. Weiters erhielt er dort die Mitteilung, dass die SS an der Grenze postiert sei und den Befehl habe, die Legion nicht nach Österreich einmarschieren zu lassen. Nichtsdestotrotz sei „mit der Waffenausgabe begonnen“ worden und werde „Salzburg mittags angeblich losschlage(n)“. Nachdem bis halb vier  Uhr kein Aufstand erfolgt war und „gleichzeitig mit dem Angriffsbefehl (…) auch ein gegenteiliger Befehle und zwar ‚alles einstellen‘ eingetroffen war“, machte sich Weithner wieder auf den Heimweg. „Rekognosziert“ wurde noch die Situation in Ischl und Gmunden, wo er erfuhr, dass am Vortag lokale Aktionen in Bad Goisern und Laakirchen stattgefunden hatten, ansonsten überall Ruhe herrsche. Nach Linz zurückgekehrt, stellte er „sofort wieder Verbindung“ zur SA her und erhielt abends um halb elf Uhr die Meldung, dass „ca. 5 km nordwestlich von Linz ca. 500 SA Männer eingeschanzt liegen“. Bei seiner Nachschau konnte er jedoch keine SA-Männer entdecken. Laut dem Bericht der Bundes-Polizeidirektion Linz hatte diese bereits in der Nacht zum 27. Juli etwa 150 SA-Männer, die am Pöstlingberg und in der Umgebung Bereitschaft hielten, in Haft genommen.2147 Am 29.  Juli erhielt Weithner dann in der Früh den Befehl,2148 dass Terroraktionen durchzuführen seien, und benachrichtigte persönlich bzw. durch Adjutanten die Sturmbanne, wobei in Ried niemand erreicht werden konnte, da „fast der ganze Sturm“ verhaftet worden war. Am gleichen Tag hob Weithner die Bereitschaft auf, nur die „Terrorgruppe“ habe „schärfste Aktionen durchzuführen“, jedoch blieb in 2146 Situationsbericht der Standarte 76 von Heinrich Weithner v. 23. 7. bis 31. 7. 1934, ÖSTA/AdR, BKAI, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 2147 Bericht der BPD Linz an den Staatsanwalt beim Militärgericht Linz v. 19.  8.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 311.351-St.B./1937. 2148 Situationsbericht der Standarte 76 von Heinrich Weithner v. 23. 7. bis 31. 7. 1934, ÖSTA/AdR, BKAI, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934.

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Oberösterreich weiterhin alles ruhig. Die Einnahme der Linzer Gendarmeriekaserne gelang dann vier Jahre später. Am 11. März 1938 wurde sie von der Linzer SS unter Weithners Führung besetzt. Auch in Kärnten kam es zu keinen geschlossenen Kampfhandlungen der SS. So sammelten sich in Wolfsberg, wo die SA in heftigem Kampf stand, zwar die SS-Männer am Schlossberg, griffen aber nur vereinzelt ein.2149 Obwohl in der Steiermark der SS-Scharführer Hans Bachler als Verbindungsmann der SA-Brigade eingesetzt und der Führer des SS-Sturmbanns II/38, Obersturmführer Paul Helle, der Brigadeführung als Ordonnanzoffizier zugeteilt waren, hatte die SS auch dort keine Vorbereitungen getroffen.2150 So berichtete Berndt von Gregory,2151 dass am 25. Juli um 20 Uhr der Judenburger SS-Sturmführer Karl Förster bei ihm erschien, „die Bereitstellung der S.S. (meldete) und (…) weitere Weisungen (erbat)“. Gregory erteilte „sofort den Befehl, die Gendarmerie und Stadtwache zu besetzen und gab zugleich“ seiner „Verwunderung darüber Ausdruck, weshalb für diese doch ganz selbstverständlichen Aktionen noch keine Befehle vorlägen. Sturmführer Förster verliess den Gasthof sofort wieder, um den Angriff (…) durchzuführen“. Währenddessen hatte der mit der Organisation des Angriffs auf die Gendarmerie „seit Wochen“ betraute „Terrorgruppenführer“ Karl Menzinger2152 des SA-Sturmbanns I um 19.45 Uhr bereits den Alarmbefehl an seine Männer ausgegeben. Von Gregory über seinen Auftrag instruiert, erschien Förster mit ca. 24 SS-Männern beim Sammelplatz der Terrorgruppe, entfernte sich aber noch vor dem Angriff wieder von dieser. Außerdem tauchte die SS „vollkommen ohne Waffen“ auf und musste von der SA mit Gewehren, Pistolen und einem MG ausgerüstet werden. Der SS-Führer Meislitzer erhielt den Auftrag,2153 die Verhandlungen mit der Gendarmerie zu führen bzw. zu erklären  : „Im Namen der Deutschen Revolution haben wir die Macht im Staate übernommen, sie sollen sich ergeben oder die Terrorgruppe bereitet den Kampf vor.“ Meislitzer marschierte daraufhin zur Gendarmerie, wo bereits die Terrorgruppe Menzinger Aufstellung genommen hatte. Nachdem Meislitzer „so leise (sprach), dass (…) fast niemand etwas hörte“ und sich die Gendarmerie „anschickte, Meislitzer und noch einige zu verhaften, anstatt sich zu ergeben“, eröffnete die Terrorgruppe das Feuer. Daraufhin „lief“, laut Menzinger, „die S.A. (…)

2149 Klösch (2007), S. 91. 2150 Schafranek (2006), S. 130f. 2151 Bericht von Berndt von Gregory v. Oktober 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084, fol. 4. 2152 Bericht von Terrorgruppenführer Karl Menzinger über den „Angriff auf das Gendarmeriegebäude in Juden­burg am 25. Juli“ v. 13. 8. 1934, ebd. 2153 Bericht von SA-Truppführer Franz Pawlik, ebd.

Der versäumte Putsch – Die Lage der SS in den Bundesländern

483

samt der S.S. davon“.2154 Um 21 Uhr meldete Förster an Gregory,2155 dass der Angriff auf die Gendarmerie „missglückt“ und ein SA-Mann getötet worden sei und es einige Verletzte gäbe. Nach der Untersuchung von Gerald M. Wolf über den Juliputsch im Bezirk Deutschlandsberg kam es auch dort zu keinen geschlossenen Aktivitäten von SS-Einheiten.2156 Nur vereinzelt beteiligten sich einige wenige SS-Männer am Aufstand der SA. In Innsbruck verübte am Tag des Juliputsches im Auftrag der Gauleitung eine SSTerrorgruppe einen Mordanschlag auf den Polizeistabshauptmann Franz Hickl,2157 der jedoch „schon Monate zuvor publizistische Morddrohungen“ erhalten hatte.2158 Der gleiche Terrortrupp hatte bereits am 30.  Juni geplant, Dollfuß anlässlich eines Besuches in Innsbruck zu ermorden. Laut einem aus einer „absolut seriösen Quelle“ stammenden Bericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vom 2. Juni an alle Sicherheitsdirektoren hatten bereits damals hinsichtlich der Aufstellung von Terrortruppen „mit Rücksicht auf die Empfindlichkeit Italiens Sonderpläne“ für Tirol bestanden.2159 Die gemeinschaftlich geplanten und durchgeführten Terroraktionen zwischen Gauleitung und SS weisen darauf hin, dass die Verbindung zwischen PO und SS hier sehr eng gewesen sein dürfte. So wurde auch Himmler durch den Tiroler Gauleiter Hofer vom Putsch informiert, der wiederum über beste Verbindungen zur Landesleitung verfügte, da Rudolf Weydenhammer vor seiner Bestellung zum Stabsleiter der Landesleitung stellvertretender Gauleiter von Tirol gewesen war. Währenddessen übte sich Rodenbücher in München in unverdrossenem Optimismus über den Verlauf des Putsches. So berichtete Franz Hamburger, der am 26. Juli von Wien nach München entsandte Vertrauensmann der SA, dass seine Argumente über die Aussichtslosigkeit der Fortführung des Putsches „gar keinen Eindruck“ auf Rodenbücher gemacht hätten.2160 Ganz im Gegenteil „drang“ dieser darauf, dass Hamburger umgehend nach Wien zurückkehren solle, „um den Angriff zu veranlassen“. Hamburger erwiderte ihm, dass er als SA-Mann nur einen Befehl Reschnys entgegennehmen könne. Dieser befand sich gemeinsam mit Habicht bei Hitler in Bayreuth und gab telefonisch sein Einverständnis, fügte jedoch hinzu, er könne „in dieser Frage nicht mehr frei entscheiden“. 2154 Bericht von Terrorgruppenführer Karl Menzinger v. 13. 8. 1934, ebd. 2155 Bericht von Berndt von Gregory v. Oktober 1934, ebd., fol. 5. 2156 Wolf (2008). 2157 Jagschitz (1976), S. 165, 173. 2158 Schafranek (2006), S. 187. 2159 Staatspolizeiliches Büro an die Sicherheitsdirektoren v. 2. 6. 1934, abgedr. in  : Historische Kommission (1965), S. 219–221. 2160 Militärgerichtsverfahren gegen Franz Hamburger, zit. n. Schafranek (2006), S. 209.

484

„… im Gefecht“ – Die Rolle der SS während des Juliputsches

Am 27. Juli flogen Himmler und Rodenbücher im Sonderflugzeug zu Hitler nach Bayreuth,2161 wo Rodenbücher eigenen Angaben zufolge „einen Bericht über die Lage in Österreich“ zu erstatten hatte. Dieser dürfte recht dürftig ausgefallen sein. So musste er Hitler erklären, dass er „ohne Kenntnis einer geplanten Aktion“ sei und seine „Unterrichtung“ sich nur auf die „eingetroffenen widersprechenden Meldungen der vergangenen 2 Tage über Verluste und die angebliche Lage in Österreich, die von den politischen Leitungen der Gaue herausgegeben wurden“, beschränke. Über andere Nachrichten verfüge er nicht, und er habe auch „keinen Überblick“ über den Verlauf des Putsches. Eine „weitere Fortführung des Kampfes“ erachtete er als „verbrecherisch“, da dies nur „ein nutzloses Blutopfer“ fordern würde. Hitler befahl daraufhin die Einstellung der Kämpfe.2162 2161 Lebenslauf von Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1946, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher  ; Jagschitz (1976), S. 180. 2162 Über den Inhalt des Gesprächs gibt bisher nur der von Rodenbücher nach dem Krieg verfasste Lebenslauf Auskunft, der jedoch kritisch zu hinterfragen ist, da etwa seine Schilderung über seinen Austritt aus der SS zum Teil nicht korrekt wiedergegeben ist, zum Teil doch sehr beschönigt wurde. Rodenbücher war im Juni 1939 zum Führer des neu augestellten Oberabschnitts Alpenland sowie zum dortigen SS- und Polizeiführer ernannt worden. Nachdem er bald in zahlreiche Streitigkeiten verwickelt war, enthob ihn Himmler im Mai 1941 von diesem Posten und ernannte ihn zum SS- und Polizeiführer in Riga. Eine Dienststellung, die Rodenbücher allerdings nie antrat, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. Aus seinem Schriftwechsel mit Himmler als auch aus seinem späteren Lebenslauf geht hervor, dass er daraufhin mehrfach um seine Entlassung aus der SS und Aufhebung seiner uk-Stellung bat, „um zum Kriegsdienst in der Marine einrücken zu können“ und damit „den Weg frei zu bekommen“ für seine „Pflichterfüllung als Soldat und Nationalsozialist“, Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 25. 7.1941, BArch/NS 19, Zl. 787, vgl. auch Lebenslauf v. Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1938, IfZ, Pers. Rodenbücher. Am 25. September 1941 wurde das SS-Führungshauptamt von Himmlers Persönlichem Stab davon unterrichtet, dass Rodenbücher „vor etwa 10 Tagen“ mit Himmler im Führungshauptquartier „eine Rücksprache“ gehabt habe und Himmler im Zuge dessen „Rodenbücher freigegeben und zugesagt“ habe, „die uk-Stellung aufheben zu lassen“. Dies sei seitens des SS-Führungshauptquartiers „sofort zu veranlassen“, Brandt/Persönlicher Stab des RFSS an das SS-Führungshauptquartier v. 25. 9. 1941, BArch/NS 19, Zl. 787. Hingegen erklärte Rodenbücher in seinem Lebenslauf, dass Himmler noch am 27. September „(n)ach verschiedenen Angeboten hoher Geldbeträge, des Ranges als Generalleutnant der Polizei und nach Ablauf eines halben Jahres des Ranges als General der Polizei, zweier Kraftwagen und Sondervergünstigungen bezüglich freier Besuchsreisen zur Familie“ seinen „Einsatz als SS- und Polizeiführer in Kiew (verlangt)“ habe. Nachdem Rodenbücher an seinem Entschluss festgehalten habe, musste Himmler schließlich seine Entlassung genehmigen, Lebenslauf v. Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1938, IfZ, Pers. Rodenbücher. In der Folge stellte sich dann allerdings heraus, dass Rodenbücher gar nicht zur Marine überzutreten wollte, was er in seinem Lebenslauf verschweigt, sondern sich stattdessen um den „Erwerb“ einer Lederfabrik in der Südsteiermark bemühte, was von Himmler umgehend abgelehnt wurde, der sich darüber hinaus sehr erstaunt zeigte, dass Rodenbücher nun doch nicht zur Marine zum Fronteinsatz wollte, Persönlicher Stab des RFSS an SS-Gruppenführer Greifelt v. 10. 19.1941  ; Der Reichskommissar für die Festigung Deutschen Volkstums an den RFSS/Persönlicher Stab v. 10. 11. 1941, BArch/NS 19, Zl. 787. In einem

Der versäumte Putsch – Die Lage der SS in den Bundesländern

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Rodenbücher wurde für seine Loyalität gegenüber Himmler reich belohnt. Nach seiner definitiven Bestellung zum Führer der österreichischen SS in Deutschland wurde er Anfang August auch zum Leiter des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks (FHW) und der Abwicklungsstelle der Landesleitung ernannt. Im September 1934 erfolgte seine Beförderung zum SS-Gruppenführer, womit er zusammen mit Sepp Dietrich und Kurt Daluege zu jenen drei frühen SS-Führern aus der obersten Führungsriege zählte, die es beim Militär „nicht zum Offizier gebracht hatten“.2163 Nach dem „Anschluss“ ordnete Himmler Ende April 1938 die Bildung einer Kommission zur Untersuchung des Juliputsches und der Feststellung der „Schuldigen sowohl auf nationalsozialistischer wie auf gegnerischer Seite“ an.2164 Als Vorsitzender der Kommission wurde Gruppenführer Wilhelm Koppe bestellt, der zum Zeitpunkt des Putsches Führer des OaD und somit ein Garant dafür war, dass die Vorgänge im OaD und der SS in Österreich mit Sicherheit nicht zur Sprache kamen. Die Arbeit der Kommission drückt wohl Jagschitz’ Freud’sche Fehlleistung am besten aus,2165 der im Zusammenhang mit der Aktenlage darüber schreibt  : „Die umfangreichen Bestände der 1938 eingerichteten Historischen Kommission des Reichsführers-SS – in gleichem Maße der Aufklärung wie der Verwirrung dienend – sind vermutlich vernichtend (  !), lediglich der (…) Abschlußbericht ist mit einigen Korrespondenzen erhalten.“ Gleichzeitig wurden auf Anordnung von Heß die vorübergehend eingestellten Verfahren des Obersten Parteigerichts gegen am Juliputsch Beteiligte wieder aufgenommen.2166 Obwohl Hitler bereits im Mai 1938 „die gesamte Untersuchung“ über den Juliputsch verboten hatte, führte die SS-Kommission ihre Arbeit noch bis Jänner 1939 fort, wobei sich ihre Untersuchungen vor allem auf die Vorgänge im Bundeskanzleramt, die zur Ermordung von Engelbert Dollfuß geführt hatten, konzentrierten.

Brief vom Mai 1942 an den Chef von Himmlers Persönlichem Stab, Karl Wolff, erklärt Rodenbücher dann auch noch, dass er „die Einberufung zur Marine weder gewünscht noch betrieben habe“, diese „zwangsweise durch die Aufhebung der u.k. Stellung“ gekommen sei, „(z)wei Versuche, einen privaten Beruf zu ergreifen, (…) auf Wunsch des RFSS aufgegeben werden (mußten)“ und er „(d)urch die Aufhebung der u.K. Stellung (…) zum Kriegsdienst einberufen worden“ sei, Alfred Rodenbücher an Karl Wolff v. 14. 5. 1942, BArch/NS 19, Zl. 787. 2163 Longerich (2008), S. 143. 2164 Historische Kommission (1965), S. 35. 2165 Jagschitz (1976), S. 10. 2166 Ebd., S. 196  ; Otto Gustav Wächter an das Oberste Parteigericht der NSDAP, ca. 31. 5. 1938, abgedr. in  : Auerbach (1964), S. 207.

14. Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

14.1 Die österreichische SS im Lager Lechfeld

Nach der Verlegung der österreichischen Parteiführung und der massenhaften Flucht österreichischer NationalsozialistInnen nach Deutschland hatte die österreichische Landesleitung in München eine Flüchtlingssammelstelle im Hotel Reichsadler eingerichtet.2167 Gleichzeitig hatten auch die österreichischen Brachialformationen damit begonnen, ihre Mitglieder an zentralen Stellen zusammenzufassen. Eine Sammelstelle für SS-Flüchtlinge wurde in Passau organisiert, die zunächst von Boris Plachetka geleitet und wenig später von Carl Pichl übernommen wurde, der von Juni bis Dezember 1933 als Verbindungsführer in Passau stationiert war.2168 Die ersten österreichischen SS-Flüchtlinge wurden zunächst nach Dachau überstellt und der Wachmannschaft des Konzentrationslagers zugeteilt. Als Führer der Wiener SS-Männer fungierte anfangs Max Grillmayr, der kurz darauf von Plachetka abgelöst wurde.2169 Anfang Juni 1933 befanden sich ca.  dreißig österreichische SS-Männer als Lagerwache im KZ Dachau.2170 In den folgenden Wochen stieg diese Zahl auf mehrere hundert an, was eine neue Unterbringungsmöglichkeit erforderlich machte. Inzwischen hatte die österreichische SA-Führung Anfang Juni im Lager Klosterlechfeld (auch Lechfeld) bei Augsburg die sog. Österreichische Legion aufgestellt,2171 in die nun die österreichische SS integriert werden sollte. Mitte Juli wurde die SS dorthin abkommandiert und am 26. Juli Richard Kaaserer von Himmler mit der Füh2167 BArch (ehem. BDC), PK  : Franz Fischer. 2168 SS-Stammrollen-Auszug, BArch (ehem. BDC), SSO  : Carl (von) Pichl  ; Bericht des Gendarmerie­ postenkom­mandos Wals v. 3. 5. 1935 über die Vernehmung von Rudolf Kvas, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 331.625-St.B./1935. 2169 Max Grillmayr an den SS-Abschnitt VIII v. 1. 2. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. Grill­mayr erhielt in der Folge von KZ-Kommandant Theodor Eicke „Sonderaufgaben“ zugewiesen, wie etwa die „Erkundung der Stimmung im Dachauer Konzentrationslager“, über die Grillmayr auch einen Bericht für Himmler und die Politische Polizei in München verfasste. 2170 Franz de Martin an Wilhelm Stumpf v. 18. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer. 2171 Zur Österreichischen Legion vgl. Bokisch/Zirbs (1940)  ; Holzmann (1981)  ; Schafranek (2011); Schafranek/Hurton (2008)  ; Moritz (2009)  ; Vogel (1973)  ; Wanner (1986)  ; Byl (1988). Zur Gründung des Lagers Lechfeld vgl. ausf. Holzmann (1981), S. 67–69, sowie Schafranek (2011), S. 29–45, und Vogel (1973).

Die österreichische SS im Lager Lechfeld

487

rung der im Lager befindlichen österreichischen SS-Männer und der Bildung eines SS-Sturmbanns beauftragt.2172 Laut einem Bericht der Wiener Polizei teilte Kaaserer seiner Frau über seine Tätigkeit in Lechfeld mit,2173 dass er „Beschäftigung genug habe und in seinem Element sei“. In Lechfeld war inzwischen auch Anton Ziegler eingetroffen, der dort als Adjutant des Lagerführers fungierte.2174 Anlässlich einer Inspektion Himmlers im August 1933 gab Ziegler ihm „die Versicherung (…), als ehemaliger Staffelmann, jederzeit für die SS einzutreten“, und „bekräftigte“ dies „durch Handschlag, in Gegenwart mehrerer höherer SA-Führer“.2175 Das Experiment, SA und SS in einer gemeinsamen Legion zu vereinigen, sollte in den folgenden Monaten jedoch gründlich schiefgehen. Nach einem Bericht des niederösterreichischen SS-Führers Franz de Martin versuchte die SA-Führung,2176 „die gesamte SS aufzusaugen“, was diese durch „oft nicht militärisches Arbeiten“ verhindern konnte. Auch Walter Leubuscher, der selbst allerdings nie in Lechfeld stationiert war,2177 berichtete, dass Reschny anlässlich des Reichsparteitages die SS in SA2172 Heinrich Himmler an Richard Kaaserer v. 26. 7. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer. 2173 Bericht des BfO v. 5. 9. 1933, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Richard Kaaserer. 2174 Anton Ziegler an die RFSS v. 13. 2. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Anton Ziegler. In den folgenden Jahren war Ziegler Verwaltungsführer des Lagers Wöllershof, Lagerführer in Reichersbeuern, Bad-Aibling, Mönchröden und Bad Godesberg. Zuletzt leitete er das HJ-Lager Hochland, bis er sich 1937 beurlauben ließ und seine Wiederaufnahme in die SS beantragte. 1938 nahm Himmler ihn unter Zuerkennung seiner alten SS-Nummer und seines früheren Dienstgrades wieder in die SS auf, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Anton Ziegler  ; BArch (ehem. BDC), SA, PK  ; WStLA, GAW  : Anton Ziegler, Zl. 812. 2175 Anton Ziegler an die Reichsführung SS v. 13. 2. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Anton Ziegler. 2176 Franz de Martin an Wilhelm Stumpf v. 18. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer. 2177 Diese Angaben basieren auf Leubuschers 1937 verfasster Abrechnung mit der NSDAP, die unter dem Titel „Der große Irrtum“ erschien. Einschränkend muss hierzu erwähnt werden, dass die von Leubuscher in Form eines Augenzeugenberichts verfasste Schrift zum Großteil auf Angaben aus dritter Hand beruhen. So be­schrieb er die Anfänge im Lager Lechfeld, während er selbst noch seine Gefängnisstrafe in Wien absaß. Leubuscher kam erst Ende November 1933 nach Deutschland, als sich die österreichische SS bereits wieder in Dachau befand. Nachdem ihn sowohl Hugo Kary als auch Hans Smirtschek als Verräter gemeldet hatten, wurde Leubuscher angeblich eine Woche vor Weihnachten im KZ Dachau interniert und im Beisein von Kaaserer und Emil Talbot Pistor verhört. Zu diesem Zeitpunkt befand sich Kaaserer jedoch bereits beim Oberabschnitt Südwest. Nach seiner Freilassung verrichtete Leubuscher seinen Dienst bei der österreichi­schen SS. Im Juni 1934 wurde er, nachdem Otto Begus ihn als Polizeispitzel angezeigt und sich die im Juni 1933 von der Wiener Polizei mit Leubuscher aufgenommenen Verhörprotokolle verschafft hatte, neuerlich verhaftet und wenig später aus der SS und Partei ausgeschlossen. Er ging zunächst in die Schweiz und nach Italien, wo er mehrere gut bezahlte Zeitungsartikel über Deutschland verfasste und Anfang Juli per Flug­zeug nach Wien zurückkehrte. In der Folgezeit stand Leubuscher unter ständiger Bewachung der Wiener SS, vgl. dazu Leubuscher (1937, 1937a)  ; ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Vrlbg., Zl.  300.678-St.B./1935  ; BArch (ehem. BDC), PK  : Walter Leubuscher  ; ÖSTA/AdR, GA  : Walter Leubuscher, Zl. 132.591.

488

Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

Uniformen aufmarschieren lassen wollte, was eine „Auseinandersetzung“ zwischen Reschny und Kaaserer „vor der Front“ zur Folge gehabt hätte. Die angeblich anfangs „sehr gute (Kameradschaft)“ zwischen den beiden Formationen fand durch die „Bekleidungsfrage“ ein rasches Ende. Im Oktober 1933 war die Situation in Lechfeld unhaltbar geworden. Ein weiterer Grund für die Probleme dürfte darin bestanden haben, dass die SS der SA befehlsmäßig unterstellt war. Einem Bericht des SS-Anwärters Karl Schmalzhofer zufolge hatte er angeblich von einem SA-Sturmführer den Befehl erhalten,2178 dem Waffenmeister, ebenfalls ein SS-Angehöriger, „beim Laden der Pistolen, Instandsetzen und Schussfertigmachen der Maschinengewehre behilflich zu sein“. Nachdem Schmalzhofer vermutete, dass sich diese Maßnahme gegen die SS richten könnte, erkundigte er sich beim Bereitschaftssturm über den Grund der Anordnung. Dort wurde ihm mitgeteilt, „dass im Notfalle der Bereitschaftssturm sofort mit den von uns (…) schussfertig gemachten Waffen bewaffnet wird, um auf die SS zu schiessen“. Auch Beschimpfungen zwischen SA- und SS-Männern scheinen durchaus üblich gewesen zu sein. So meldete etwa SS-Sturmführer Hans Greiderer,2179 der vermutlich dienstälteste österreichische SS-Mann überhaupt, dass er von SA-Männern mit „Du blöder Hund, schau, dass du weiterkommst“ angeredet wurde, sie ihm Ohrfeigen angedroht und ihn als „Hund“, „SS-Schlawiner“ und „Kommunistenbürscherl“ bschimpft hätten. Der SS-Mann Oskar Neumann übte aber auch Kritik an Abschnittsführer Bigler,2180 der angeblich 14 SS-Männer, die es „wegen der Schikanen der SA-Lagerführung nicht mehr aushielten“ und um Versetzung zur Lagerwache nach Dachau ersucht hatten, von der Politischen Polizei verhaften habe lassen. Die versuchte Vereinnahmung der SS geht auch aus dem Erinnerungsbuch über die Legion der beiden SA-Männer Otto Bokisch und Gustav Zirbs hervor,2181 die an keiner Stelle die Stationierung der SS in Lechfeld erwähnen. Auch nahmen sie in einer Aufstellung über die ersten Legionäre keine Trennung zwischen SA- und SSMitgliedern vor. Zieglers Angaben2182 zufolge befanden sich im August 1933 etwa 3.500 Mann, davon 500 SS-Männer, in Lechfeld, während de Martin berichtete,2183 dass es „im wahrsten Sinne des Wortes (gelang)(,) ca. 1.000 Mann österr(eichische) 2178 Auszug aus einem Protokoll des SS-Anwärters Karl Schmalzhofer, Lager Dachau v. 17.  10.  1933, BArch/NS 23, Zl. 1084. 2179 Auszug aus einem Schreiben des SS-Sturmführers (Hans) Greiderer v. 22. 6. 1934, ebd. 2180 Auszug aus einem Schreiben des SS-Mannes Oskar Neumann v. 28. 10. 1933, ebd., Zl. 1070. 2181 Bokisch/Zirbs (1940), S. 29–62. 2182 Anton Ziegler an die Reichsführung SS v. 13. 2. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Anton Ziegler. 2183 Abschrift eines Briefes von Franz de Martin an Wilhelm Stumpf v. 18. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer.

Die österreichische SS im Lager Lechfeld

489

SS als SS zu erhalten“ und vor der Überführung in die SA zu bewahren. Rodenbücher zufolge waren bis Dezember 1933 ca. 1.100 SS-Männer nach Deutschland geflüchtet.2184 SS-Angehörige n = 492 Steiermark

SS-Angehörige nach Prozenten

SA-Legionäre 1933–1938 n. Schafranek2185 n = 12.010

108

22,0 %

21,6 %

Salzburg

80

16,3 %

9,5 %

Niederösterreich

72

14,6 %

13,4 %

Oberösterreich

68

13,8 %

14,4 %

Tirol

43

8,7 %

11,2 %

Wien

362185

7,3 %

10,3 %

Kärnten

27

5,5 %

14,8 %

Burgenland

2

0,4 %

1,5 %

Vorarlberg

2

0,4 %

3,4 %

55

11,2 %

Bundesland unbek. 2185 2186

Tabelle 15  : Verteilung der österreichischen SS-Angehörigen im Lager Lechfeld nach Bundesländern im Vergleich zu SA-Legionären 1933–1938

Anhand der von Bokisch/Zirbs zusammengestellten Listen „der ersten Legionäre“ im Lager Lechfeld2187 konnten 492 SS-Angehörige ermittelt werden. Der SS-Sturmbann umfasste vornehmlich die Stürme 2 bis 14,2188 jedoch konnten nach dieser Aufstellung auch zahlreiche SS-Männer in den Stürmen 41 bis 44 und in anderen Einheiten der Legion, wie etwa im Artillerie-Sturmbann, im Artillerie-Nachrichten- und FunkerSturm, bei der Sanität oder den Pionieren, ermittelt werden. Die Zusammenstellung 2184 Lebenslauf von Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1946, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher. 2185 Schafranek (2011), S. 48. 2186 Hans Smirtschek und Franz Kunze (geb. 3.  1.  1905, SS-Nr. 14.864) waren tschechoslowakische Staatsbürger, gehörten aber beide seit 1931 der Wiener SS an und wurden in die Statistik aufgenommen. 2187 Bokisch/Zirbs (1940), S. 29–62. 2188 Vermutlich bestanden diese Stürme ausschließlich aus SS-Angehörigen, jedoch konnte die SS-Mitgliedschaft im Zuge der Untersuchung nur bei 72 Prozent definitiv festgestellt werden. Schafranek (2011) führt unterschiedliche Zahlen über die Stärke der SS im Lager Lechfeld an. So heißt es an einer Stelle, dass die SS-Männer „zuletzt vier Stürme (445 Mann) bildeten“ (S. 38), an einer anderen nimmt er wiederum an, dass 500 SS-Angehörige „zeitweilig“ der Legion angehörten (S. 50). Aufgrund der zitierten Angaben von Rodenbücher und de Martin muss jedoch davon ausgegangen werden, dass der tatsächliche Stärkestand weit darüber lag.

490

Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

von Bokisch/Zirbs ist mit Sicherheit lückenhaft, da etwa Max Grillmayr, der bis zur Überstellung nach Dachau die Leitung der Lagerpolizei innehatte,2189 in dieser Aufstellung nicht enthalten ist. Auch Richard Kaaserers Funktion wurde nicht erwähnt. Leubuschers Angabe, dass die Stürme in den „ersten Legionsmonate(n)“ im Lager Lechfeld nach Bundesländern zusammengefasst waren, traf für die SS nicht zu.2190 Die 1933 zahlenmäßig meisten SS-Männer in Lechfeld kamen aus der Steiermark, aus Niederösterreich und Salzburg. Im Vergleich zur Untersuchung von Schafranek2191 über die zwischen 1933 und 1938 geflüchteten und in die Österreichische Legion eingetretenen SA-Angehörigen ergibt sich eine weitgehende prozentuale Übereinstimmung hinsichtlich des letzten Wohnortes der österreichischen SA- und SS-Männer in Deutschland. Nur für Salzburg und vor allem Kärnten lassen sich größere Unterschiede feststellen, wobei insbesondere in Kärnten die Dominanz der SA doch gravierend gewesen zu sein scheint. Im Verhältnis zur männlichen Wohnbevölkerung nach der Volkszählung 19342192 war vor allem die Salzburger SS weit überrepräsentiert, gefolgt von SS-Angehörigen aus der Steiermark, aus Tirol und Oberösterreich. Nach der Untersuchung von Schafranek über die Legionsangehörigen im Vergleich zur gesamten Wohnbevölkerung (also auch der weiblichen) waren ebenfalls Salzburger Legionäre deutlich überrepräsentiert, gefolgt von jenen aus Kärnten, Tirol und Vorarlberg.2193 SS-Angehörige n = 492

SS-Angehörige nach Prozenten

17–20 Jahre

102

20,7 %

21–25 Jahre

281

57,1 %

26–30 Jahre

  80

16,3 %

31–35 Jahre

  20

  4,1 %

36–40 Jahre

   8

  1,6 %

41–45 Jahre

   0

  0,0 %

45–50 Jahre

   1

  0,2 %

Tabelle 16  : Altersstruktur der österreichischen SS-Angehörigen im Lager Lechfeld

2189 Max Grillmayr an den SS-Abschnitt VIII v. 1. 2. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 2190 Leubuscher (1937), S. 51 2191 Schafranek (2011), S. 48. 2192 Bundesamt für Statistik (Bearb.) (1935), Die Ergebnisse der österreichischen Volkszählung vom 22. März 1934, Wien  : Bundesstaat – Textheft  ; Niederösterreich (Heft 1)  ; Wien (Heft 3)  ; Oberösterreich (Heft 5)  ; Salzburg (Heft 6)  ; Steiermark (Heft 7)  ; Kärnten (Heft 8)  ; Tirol (Heft 9)  ; Vorarlberg (Heft 10)  ; Burgenland (Heft 11). 2193 Schafranek (2011), S. 49.

Die österreichische SS im Lager Lechfeld

491

Österreichische SS-Angehörige im Lager Lechfeld nach dem letzten bekannten Wohnort im Vergleich zur männlichen Wohnbevölkerung nach der Volkszählung 1934 900000

120

800000 100 700000 600000

80

500000 60 400000 300000

40

200000 20 100000 0

0 Stmk.

Slzbg.





T

W

SS-Angehörige im Lager Lechfeld (n = 438)

Nach der Altersstruktur entfiel mit über 57 Prozent mehr als die Hälfte der österreichischen SS-Männer in Lechfeld auf die Altersgruppe der 21- bis 25-Jährigen. Fast 21 Prozent hatten die damals von der SS vorgeschriebene Altersgrenze von 21 Jahren nicht erreicht. Ebenso wie die SA trug auch die SS im Lager Lechfeld das Edelweiß auf dem Kragenspiegel der Uniform,2194 das sie nach der Trennung von der Legion im Winter 1933 wieder ablegte. Die SS-Männer erhielten nach de Martin in Lechfeld eine „reine Stosstruppmäßige (sic  !)“ Ausbildung.2195 Die „Hauptbetätigung“ bestand in „Übungen

Ktn.

Bgld.

Vrlbg.

männliche Wohnbevölkerung

Abb. 82: Leo Spranz im Lager Lechfeld, 20. 10. 1933, WStLA

2194 Bokisch/Zirbs (1940), S. 14. 2195 Abschrift eines Briefes von Franz de Martin an Wilhelm Stumpf v. 18. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer.

 

492

Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

für Hindernisnehmen und -bau, Sprengungen, Handhabung von Masch(inen)-Pistole und Mauserpistole (…) sowie militärische Verwendung mit kleinen und kleinsten Gruppen“, die sich „meist“ aus „4 Gewehrschützen, 1 M(aschinen)-Pi(stolen) Mannschaft und 2 Handgranatenwerfern“ zusammensetzten.2196 Anfang November endete das Experiment einer gemeinsamen Österreichischen Legion, und die SS wurde wieder nach Dachau verlegt und dort das erste SS-Hilfswerkslager errichtet. 14.2 Die Errichtung des SS-Hilfswerkslagers Dachau

Das Hilfswerkslager (HWL) wurde zwar separiert vom KZ geführt, jedoch zeigen Briefe von Wiener SS-Männern in die Heimat, dass diese Trennung nicht so strikt gehandhabt wurde, sich österreichische SS-Angehörige auch auf dem Gelände des KZ aufhielten und Kontakt zu den Häftlingen hatten. Laut dem Brief eines Wiener SSMannes vom Jänner 1934 standen der SS zu dieser Zeit zehn Schlafräume mit einem Belag von je hundert Mann sowie ein großer Tages- und Aufenthaltsraum zur Verfügung.2197 Nach Adolf Eichmanns Angaben wohnte die österreichische SS „in einem riesigen ehemaligen Munitionsverladungsschuppen, aus Zement und Eisen gebaut“, in dem die SS-Männer „drei Stück übereinander (schliefen)“.2198 Von der österreichischen SS „gänzlich getrennt“ untergebracht waren 500 als KZ-Wachmannschaft eingesetzte bayerische SS-Männer.2199 Als Deckadresse erhielt die österreichische SS die Anschrift „Deutsche Werke Dachau 222“. Zunächst wohnten auch die Führer und verheirateten SS-Männer im Lager selbst,2200 was sich im Laufe der Zeit jedoch durch den verstärkten Zuzug der Angehörigen änderte und den Wohnungsmarkt in Dachau belastete. So erklärte der Dachauer Bürgermeister im November 1934,2201 dass die österreichischen Angehörigen „freiwillig“ höhere Mieten als die Ortsansässigen bezahlen würden, was zu einer „Katastrophe auf dem Dachauer Wohnungsmarkt“ führe. In ihren Propagandabriefen in die Heimat berichteten die SS-Männer unerlaubterweise und somit nur in seltenen Fällen über die Situation der KZ-Häftlinge, deren 2196 Zur Bewaffnung der Legionäre vgl. Holzmann (1981), S. 81f. 2197 Abschrift eines Briefes von Johann Fischlinger v. 14. 1. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Fischlinger. 2198 Verhör von Adolf Eichmann durch Polizei-Hauptmann Avner W. Less im Sommer 1960, zit.  n. Richardi (1998), S. 111f. 2199 Abschrift eines Briefes von Johann Fischlinger v. 14. 1. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Fischlinger. 2200 Bericht von Anton Wohlrab v. 26. 2. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Pöttinger. 2201 Bürgermeister Lambert Friedrich an Innenminister Adolf Wagner v. 27. 11. 1934, zit. n. Steinbacher (1994), S. 99f.

Die Errichtung des SS-Hilfswerkslagers Dachau

493

Behandlung sie in den höchsten Tönen lobten. Im November 1933 schilderte etwa ein Wiener SS-Mann an einen Freund in Wien über eine im Radio übertragene Rede Hitlers Folgendes  :2202 „Wir hörten die Rede im Lager zugleich mit den Gef(angenen). Das zu sehen möchte ich manchen der verbissensten Marx(isten) von Herzen gönnen. Von uns ist es ja selbstverständlich, daß wir weg waren. Aber Gefang(ene) weinen zu sehen, teils aus Begeisterung

und viele aus tiefer Reue über ihren fanatischen Haß und brutalen Kampf, den Sie (sic  !) diesen wirklichen Volksführer (sic  !), seinen Ideen und seinen Mitkämpfern gegenüber anwandten. Es haben ja auch die Gefang(enen) Ihr (sic  !) Wahlrecht unter vollster Wahlfreiheit ausüben können.2203 Aber nur die Arbeiter selbst. Kein Jude und kein Bonze bekam dieses Recht. 92 % aller Stimmen im Reich gehörten dem Führer. Kommentar dazu überflüssig. Ich wünsche den N.S. in Österreich nur, daß sie im Konz(entrations) Lag(er) in Wöllersd(orf ) so gut behandelt werden wie hier. Alles andere ist Lüge, nur dazu gemacht, um den Juden, Bonzen und marx(istischen) Organisationen Ihre (sic  !) überflüssige Existenz verlängern zu helfen. (…).“

Im nationalsozialistischen Sprachgebrauch wurden die austrofaschistischen Anhaltelager durchgehend mit den deutschen Konzentrationslagern gleichgesetzt, was sowohl in der Heimat als auch im Deutschen Reich zu gänzlich falschen Vorstellungen über die Situation und das Ausmaß an Gewalt und Unterdrückung in den jeweiligen Lagern führte. So gab etwa ein SS-Mann in einem Brief an seine Mutter eine fantastische Schilderung über die Zustände im KZ  :2204 „Das ganze Lager ist eingezäumt und am Tor strenge Kontrolle. Die Häftlinge sind durch eine besonders hohe Mauer von uns getrennt, auf welcher noch einige Reihen Stacheldraht angebracht sind, welcher Nachts elektrisch geladen ist. Abgesehen hievon geht es aber den Häftlingen sehr gut. So sollte zum Beispiel einer vor Weihnachten entlassen werden (mit vielen anderen) und der wollte auf keinen Fall raus. Er ist dann aber doch entlassen worden. Da hat er sich zum Tor gestellt und die Internationale gesungen, woraufhin er wieder in Haft genommen wurde. Ist das nicht gut  ?“

2202 WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren August Schörkmaier. 2203 Reichstagswahl vom 12. November 1933 und Volksabstimmung über den Austritt Deutschlands aus dem Völkerbund. 2204 Abschrift eines Briefes von Johann Fischlinger v. 14. 1. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Fischlinger.

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Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

Mit der Ernennung von Alfred Rodenbücher zum neuen Führer des SS-Abschnitts VIII2205 wurde Richard Kaaserer seiner Funktion enthoben.2206 Als neuer Führer des SS-Hilfswerks wurde Hans Loritz eingesetzt,2207 mit dem Rodenbücher wenig später ebenso in Streitigkeiten verwickelt war wie mit seinem Stabsführer Schuster. Nach Darstellung Rodenbüchers hatte er Loritz Anfang Dezember den Befehl erteilt,2208 „einen Tagesdienstplan und sein beabsichtigtes Ausbildungsprogramm vorzulegen“. Loritz wiederum stellte sich auf den Standpunkt, dass der Ausbildungsplan von Rodenbücher selbst aufgestellt werden sollte. Laut Walter Leubuscher2209 übernahm Loritz anfangs tatsächlich die Ausbildung der österreichischen SS, wobei dies jedoch nur wenige Wochen gedauert haben kann. Während eines Krankenurlaubs von Loritz wurden am 15. Februar auf Anordnung Himmlers fünf Offiziere der preußischen Landespolizei ins HWL Dachau versetzt,2210 die in weiterer Folge unter der Führung des SS-Sturmbannführers Herbert Ranfft die Ausbildung der österreichischen SSMänner übernahmen.2211 Weiters wurden einige Ausbildner der LSSAH zum Parade- und Exerzierdienst zum Hilfswerk abkommandiert, die bei den Österreichern allerdings in keinem hohen Ansehen gestanden sein dürften. So berichtete etwa Franz de Martin,2212 dass diese „außer reinem Gardedienst praktisch militärisches und vor allem Gefechtsdienst gar nicht (sic  !) konnten“ und auch wegen ihres „überheblichen Gehaben(s)“ auf Ablehnung stießen. Die österreichischen SS-Männer seien „mit diesen Zierpuppen auch bald fertig geworden“, und letztlich habe sich gezeigt, dass mit „tatsächlichem Können letzten Endes jeder zu schlagen“ sei. Laut Leubuscher waren die Männer der LSSAH „zur besonderen Verwendung“ (z.b.V.) zum HWL abkommandiert worden,2213 wodurch die Abkürzung unter den Österreichern zum geflügel2205 In Rodenbüchers SS-Akt finden sich widersprüchliche Angaben zum Zeitpunkt seiner Ernennung. So wurde er laut Stammrollen-Auszug am 2. Dezember, dem Eintrag in der Dienstlaufbahn zufolge erst am 15. Dezember, mit der Führung des Abschnitts VIII beauftragt. Nach seinem Ernennungsschreiben setzte ihn Himmler bereits mit Wirkung vom 30.  November als Abschnittsführer ein, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. 2206 Alfred Rodenbücher an den RFSS v. 13. 12. 1933, BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer. 2207 Vgl. dazu Tuchel (1991), S. 383f. 2208 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. 2209 Leubuscher (1937), S. 47. 2210 Abschrift des Dienstleistungszeugnisses von Herbert Ranfft durch Alfred Rodenbücher v. 3. 4. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Herbert Ranfft. Ursprünglich waren sechs Polizeioffiziere abkommandiert worden, wovon einer dann zur Politischen Bereitschaft des KZ Dachau überstellt wurde. 2211 BArch (ehem. BDC), SSO  : Herbert Ranfft. Neben Ranfft kamen noch Günther Neicke, Rudolf Friedrich, Reinhold Märker und Erich Schneider zur österreichischen SS. 2212 Franz de Martin an Wilhelm Stumpf v. 18. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer. 2213 Leubuscher (1937), S. 48.

Die Errichtung des SS-Hilfswerkslagers Dachau

495

Abb. 83: HWL Dachau, 1934. Aus: Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte, S. 32

ten Wort wurde und die Bedeutung „zur besonderen Verblödung“ erhielt. Angeblich befanden sich unter den abkommandierten Unteroffizieren der LSSAH auch Österreicher, die „sich besonders bemühten, ihren Landsleuten das Leben schwer zu machen“. Nach Rodenbüchers Bericht2214 kam es zwischen Ranfft und Loritz zu keinen „schärfere(n) Unstimmigkeiten“, jedoch „(kreuzten sich) disziplinare Massnahmen (…) an verschiedenen Stellen“ und machten ein Eingreifen Rodenbüchers notwendig. Weiters zeigte sich, dass „die Stelle des Lagerführers eine Verlängerung des Dienstweges bedeutete und den Betrieb erschwerte“. Nach Loritz’ Versetzung nach Esterwegen im Juli 1934 wurde Ranfft neben seiner Funktion als Ausbildungsleiter auch zum Führer des HWL Dachau bestellt. Nach der Verlegung aus dem Lager Lechfeld trugen die österreichischen SS-Männer statt des Kragenspiegels der Legion den Ärmelstreifen des Oberabschnitts Donau. Dieser wurde nach dem Juliputsch und der Auflösung des OaD durch jenen der SS-Sammelstelle ersetzt. Die Versorgung der österreichischen SS-Männer wurde von der Kommandantur des KZ Dachau übernommen, der das HWL in der Anfangszeit auch in administrativer Hinsicht unterstand. Allerdings wurde die österreichische SS während des „RöhmPutsches“ auch befehlsmäßig Michael Lippert, dem Führer der Wachmannschaft des KZ Dachau, unterstellt. Die Anzahl der HWL-Angehörigen, die am „Röhm-Putsch“

2214 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 21. 7. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher.

496

Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

beteiligt waren, ist unbekannt. Nach einer späteren Aussage Lipperts2215 wurde ihm am 29.  Juni von KZ-Kommandant Theodor Eicke im Auftrag Himmlers befohlen, sich mit einer Truppe „umgehend einsatzbereit zu machen“, und hatte gegen 17  Uhr den Einsatzbefehl erhalten. Zur „Einsatzgruppe Lippert“ zählten neben zwei Kompanien des Wachbataillons Dachau und einer Kompanie der Landespolizei München auch zwei Kompanien des SS-Hilfswerks.2216 Die Einsatzgruppe wurde nach Bad Wiessee abkommandiert und der LSSAH unter der Führung von Sepp Dietrich unterstellt, erhielt aber am nächsten Tag den Befehl, nach München zurückzukehren. Fest steht, dass zumindest einzelne Angehörige der österreichischen SS am „Röhm-Putsch“ beteiligt waren. So beAbb. 84: Felix Fahnl, Dachau, 31. 5. 1934, WStLA richtete Hans Smirtschek,2217 dass er am 30.  Juni als SS-Führer der politischen Polizei zugeteilt war und „bei dieser Aktion (s)einen Mann gestellt“ habe. Auch Hugo Kary2218 „(fand) am 30. Juni 1934 beim Sonderkommando in München Verwendung“ und wurde für seinen Einsatz von Werner Best, dem Führer des SD-Oberabschnitts Südwest,2219 dafür „besonders belobigt“. Aus den Akten österreichischer SS-Angehöriger geht nicht hervor, dass sie während des Juliputsches in Alarmbereitschaft versetzt worden wären. Abkommandiert wurden hingegen zumindest Teile der LSSAH. So berichtete der Wiener SS-Mann 2215 Aufzeichnungen Michael Lipperts v. 15. 5. 1952, zit. n. Tuchel (1991), S. 179. 2216 Nach Weidinger handelte es sich dabei um das „Hilfswerk Schleißheim“, das zu dieser Zeit aber noch gar nicht existierte, Weidinger (1967), S. 27. 2217 Lebenslauf von Hannes Smirtschek, BArch (ehem. BDC), PK  : Hannes Smirtschek. 2218 Fragebogen zur Erlangung der Heiratsgenehmigung von Hugo Kurtner, o. D. (ca. März 1935, CR), BArch (ehem. BDC), RS  : Hugo Kurtner (= Hugo Kary). 2219 Best stellte die Todeslisten für den Raum Baden-Württemberg und Bayern zusammen und nahm in den Tagen vor der Mordaktion an den entscheidenden Besprechungen der SS-Führung in Berlin teil. Am 30. Juni koordinierte er von der Zentrale der Bayerischen Politischen Polizei im Wittelsbacher Palais aus die Aktionen der SS im süddeutschen Raum, Herbert (2001), S. 144.

Die Errichtung der SS-Sammelstelle

497

Josef Ginthör,2220 der bereits im Mai 1933 in die LSSAH aufgenommen worden war, dass sie aus dem SS-Lager Jüterborg nach München eingeflogen wurden, in den folgenden Tagen in Dachau stationiert waren bzw. Grenzdienst in Kufstein zu verrichten hatten. 14.3 Die Errichtung der SS-Sammelstelle

Nach dem Juliputsch wurde der OaD völlig umstrukturiert. Zunächst ordnete Hitler am 3. August 1934 die sofortige Auflösung der Landesleitung Österreich an,2221 der ab diesem Zeitpunkt ebenso wie den Untergliederungen der Partei jede Verbindung nach Österreich „bei schwersten Strafen untersagt“ war. Rodenbücher wurde neben der Führung der österreichischen SS in Deutschland auch die Leitung des neu errichteten NSDAP-Hilfswerks für Flüchtlinge und Hinterbliebene übertragen. Ebenso musste die Abwicklung der Landesleitung im Einvernehmen mit ihm erfolgen,2222 die, wie auch die Parteigliederungen, ihr gesamtes Vermögen zu übergeben hatte. Für die bisherigen Angehörigen der Landesleitung sollte „entsprechend gesorgt“ werden, was zunächst eine Gehaltsminderung bedeutete,2223 da die Politischen Leiter kurz zuvor ihre Gehälter nach Vorbild der SA erhöht hatten. Der Stellvertreter des Führers, Rudolf Heß, bat nun darum, ihre Gehälter „wieder einem normalen Mass an(zu)gleichen“. Die SA-Obergruppe XI und der SS-Oberabschnitt Donau wurden nach außen hin ebenfalls aufgelöst, aber unter neuem Namen weitergeführt. Ihr Zuständigkeitsbereich umfasste allerdings nur noch die in Deutschland befindlichen österreichischen SA- und SS-Männer. Der OaD wurde nun in die SS-Sammelstelle umgewandelt und unterstand weiterhin Himmler, die Österreichische Legion erhielt die Bezeichnung „Hilfswerk Nordwest“ und wurde weiterhin von Reschny befehligt. Im Unterschied zur SS blieben aus der Legion ausgeschiedene SA-Männer im Beurlaubtenstand des HWNW, Überstellungen zu deutschen SA-Einheiten scheinen, wenn überhaupt, nur vereinzelt vorgekommen zu sein. Zwar konnten auch österreichische SA-Angehörige in die reichsdeutsche SA aufgenommen werden,2224 wenn sie „ordnungsgemäss in Ehre abgemustert“ hatten, eine Bescheinigung darüber vorweisen konnten und die deutsche Reichsbürgerschaft erhalten hatten, inwieweit dies allerdings gängige Praxis war, ist 2220 Josef Ginthör an seine Mutter v. 5. 8. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Josef Ginthör. 2221 Der Stellvertreter des Führers v. 3. 8. 1934, BArch/R 187, Zl. 303. 2222 Anordnung des Stellvertreters des Führers v. 3. 8. 1934, ebd., Zl. 305. 2223 Martin Bormann an Reichsschatzmeister Schwarz v. 9. 8. 1934, ebd., Zl. 303. 2224 Abschrift einer Anordnung von SA-Stabschef Viktor Lutze v. 8. 2. 1935, BArch/R 187, Zl. 302.

498

Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

bislang unbekannt. Im Gegensatz zur SA gab es innerhalb der SS-Sammelstelle keinen Beurlaubtenstand und diese war als Teil der deutschen SS unmittelbar der RFSS unterstellt. Ins Zivilleben entlassene SS-Angehörige wurden als nebenamtliche Mitglieder in die deutschen Einheiten übernommen. Der Sitz der SS-Sammelstelle befand sich wie zuvor auch jener des OaD weiterhin in München, erhielt aber ein neues Quartier in der Karlstraße 8/III, direkt neben dem der Reichsführung-SS.2225 1934 unterhielt die Sammelstelle auch einen von Hanns Feil geführten Außenposten in Dachau, der aber im Laufe des Jahres 1935 aus dem Schrifttum verschwindet. Danach existierte nur noch die SS-Sammelstelle in München, der die Führung und Verwaltung der gesamten österreichischen SS in Deutschland unterstand. Bis September 1934 wurde das HWL Dachau völlig umstrukturiert und schließlich aufgelöst.2226 Ab diesem Zeitpunkt wies die SS folgende Gliederung auf  : Erstens stellte die SS-Sammelstelle im Dezember 1934 zwei Stürme auf  : den Sturm 1 im SS-Lager Waischenfeld in der Fränkischen Schweiz und den Sturm 2 im SS-Lager Ranis in Thüringen. Zweitens wurde im Herbst 1934 der SS-Sturmbann II/ SS 1 als „aktives Bataillon“ aufgestellt und drittens das HWL II in Schleißheim bei Dachau eingerichtet, das nach der Auflösung des HWL Dachau ohne Nummerierung fortgeführt wurde. Aus den Akten österreichischer SS-Männer geht hervor, dass – vermutlich erst um 1936 – ein dritter Sturm der Sammelstelle gebildet wurde, der jene SS-Männer umfasste, die im NSDAP-Flüchtlingshilfswerk in Berlin beschäftigt waren. Einem Protokoll zufolge bestand das „Führerkorps der SS-Sammelstelle (Kommando Berlin)“ aus Rodenbücher, den inzwischen zur SS übergetretenen und im FHW angestellten ehemaligen Führern des Steirischen Heimatschutzes, Hanns Rauter, August Meyszner und Konstantin Kammerhofer, sowie den Untersturmführern Alfred Reeh und Franz Maxa.2227 Das Führerkorps der SS-Sammelstelle umfasste zunächst 31 SS-Führer und stieg bis 1937 auf 87 an.2228 Dem Stab der SS-Sammelstelle gehörten, soweit er aus den diversen Personalakten rekonstruiert werden konnte,2229 zwischen 1935 und 1938 folgende SS-Führer an  :

2225 Schlamm (2005), S. 417. 2226 Lebenslauf von Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1946, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher. 2227 Vorschlagsprotokoll für Gustav Lorenz v. 14. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Gustav Lorenz. 2228 S. Anhang, S. ***. 2229 Vorschlagsprotokolle u.a. für Franz Maxa v. 30. 3. 1935, Alfred Baubin v. 7. 1. 1937, Karl Rubatscher v. 7. 1. 1937, Franz Lapitza v. 16. 5. 1938, alle BArch (ehem. BDC), SSO  : Maxa, Baubin, Lapitza, Rubat­scher.

Die Errichtung der SS-Sammelstelle Stab

499 1935

1937

1938

Führer

Alfred Rodenbücher

Alfred Rodenbücher

Alfred Rodenbücher

Stabsführer

Hanns Feil

Albert Lohmann

Albert Lohmann

Adjutant

Robert Schweiger

Julius Dieckmann

Julius Dieckmann

Verwaltungsführer

Theodor Slipek

Theodor Slipek

Theodor Slipek

Stv. Verwaltungsführer

Rudolf Hofstätter

Rudolf Hofstätter

Rudolf Hofstätter

Verwaltungsreferent

Walter Bruno

Motorreferent

Hubert Kirinschitz

Fürsorgereferent

Otto Huschka

Otto Huschka

Referent VI u. P II

Hugo Kurtner

Hugo Kurtner

Leopold Anderka

Leopold Anderka

Sportreferent Vertrauenspersonalreferent

Josef Lindthaler

Tabelle 17  : Stab der SS-Sammelstelle 1935–1938

Über die Stärke der „SS-Sammelstelle Dachau“ liegen nur für die Monate Februar bis Mai 1935 konkrete Zahlen vor, wobei unklar ist, ob in diese Statistik auch die beiden Stürme der Sammelstelle in den Lagern Waischenfeld und Ranis einbezogen wurden  :2230 28. 2. 1935

31. 3. 1935

30. 4. 1935

31. 5. 1935

SS-Männer

641

  929

  976

779

SS-Anwärter

273

  187

  197

119

Gesamt

914

1116

1173

898

Tabelle 18  : Stärkestand der „SS-Sammelstelle Dachau“

Der Sturmbann II/SS  1 umfasste Ende Jänner 1935 insgesamt 1.545 SS-Männer, davon 365 SS-Anwärter.2231 Im Februar 1935 betrug die Zahl der österreichischen SS-Angehörigen im HWL Dachau und im Sturmbann II/SS 1 somit 2.459 SS-Angehörige. Allerdings geht aus der Stärkemeldung der SS nicht hervor, ob das „Hilfslager Rummelsburg“, wo auch ein österreichisches SS-Familienlager eingerichtet worden war, ebenfalls zur SS-Sammelstelle zu zählen ist oder es sich dabei um ein HWL der deutschen SS handelte.2232 Ende Jänner 1935 befanden sich in diesem Hilfslager 2230 Gesamtstärkemeldung der SS, Februar–Mai 1935, BArch/NS 19, Zl. 1472. 2231 Gesamtstärkemeldung der SS, Februar 1935, ebd. Rodenbüchers Angaben weichen von den offiziellen Zahlen ab. So seien ihm zufolge bis Frühjahr 1935 nur 800–1.000 SS-Flüchtlinge zur VT überstellt worden, Lebenslauf von Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1946, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher. 2232 Die HWL der österreichischen SS wurden getrennt von jenen der deutschen geführt. Letztere hatte

500

Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

158, Ende Mai 138 SS-Männer. Die Zahl der bereits in deutsche Einheiten versetzten Männer ist unbekannt. Laut dem Bericht eines Konfidenten gab Hanns Rauter diesem gegenüber die Stärke der SS im Jänner 1935 mit 4.600 Mann an,2233 was zu hoch gegriffen sein dürfte, da auch Rodenbücher in seinem nach dem Krieg verfassten Lebenslauf die Gesamtzahl aller bis 1938 geflüchteten SS-Angehörigen mit 3.500 bezifferte.2234 Insgesamt konnten 1.721 nach Deutschland geflüchtete österreichische SS-Angehörige ermittelt werden, jedoch ist diese Zahl sicherlich nicht repräsentativ, da der Schwerpunkt der Untersuchung auf der 11. SS-Standarte lag. Somit ist die im Folgenden angeführte Tabelle über die Verteilung der SS-Angehörigen, bei denen der letzte Wohnort in Österreich vor ihrer Flucht bekannt ist, auch nur als vorläufiges Ergebnis zu betrachten  : n = 1.312

SS-Angehörige

Steiermark

257

Salzburg

145

Niederösterreich

170

Oberösterreich

162

Tirol

  99

Wien

354

Kärnten

105

Burgenland

   6

Vorarlberg

  14

Tabelle 19  : Verteilung der österreichischen SS-Angehörigen in Deutschland 1933–1938 nach Bundesländern

Alle nach Österreich geflüchteten SS-Männer wurden nach ihrer Überprüfung der Sammelstelle überwiesen und von dort zu einer zumindest mehrere Wochen dauernden militärischen Ausbildung in einem der beiden Stürme der SS-Sammelstelle überwiesen. Danach blieben sie entweder bei den Stürmen, wurden zur SS-Sammelstelle nach München, zum HWL Schleißheim oder dem NSDAP-Flüchtlingshilfswerk Berlin, zur VT oder in eine deutsche SS-Einheit überführt. Der Übertritt zu einer deutschen SS-Einheit war allerdings nur dann gestattet, wenn der österreichische SSHimmler im Juni 1934 einrichten lassen, um erwerbslose SS-Männer neben einer gründlichen Ausbildung im SS-Dienst bei der Wiedereingliederung ins Berufsleben zu unterstützen, Der RFSS v. 12. 6. 1934, BArch/NS 19, Zl. 4042. 2233 Bericht II v. 22. 1. 1935, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30412, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2234 Lebenslauf von Alfred Rodenbücher v. 13. 3. 1946, IfZ Wien, Pers. Rodenbücher.

Die Errichtung der SS-Sammelstelle

501

Angehörige bereits die reichsdeutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatte.2235 Noch in Ausbildung stehende junge SS-Männer waren auch gemeinsam mit HJ-Angehörigen untergebracht, wie etwa im „HJ-Heim für auslandsdeutsche Schüler und Lehrlinge“ in Göttingen.2236 Jeder SS-Mann, der im österreichischen Zentralpolizeiblatt zur Verhaftung ausgeschrieben war, musste auf Befehl Himmlers eine neue Identität annehmen. So wurde in Absprache mit der Bayerischen Politischen Polizei im März 1934 vereinbart,2237 dass der gesuchte SS-Angehörige „für die Zeit, als (sic  !) die Ausschreibung im Polizeiblatt weiter besteht, einen ihm passenden Namen“ erhalten sollte und „in Zukunft keinesfalls unter seinem richtigen Namen irgendwo zur Meldung gelangen“ durfte. Im Falle einer trotzdem erfolgten Verhaftung war sofort der OaD bzw. der Österreichische Sonderbeauftragte des OSAF zu kontaktieren, „damit die Freilassung des Betreffenden unverzüglich erfolgen“ konnte. Dem Betroffenen „war ein neuer Ausweis unter neuem Namen auszustellen“, und auch gegenüber den Behörden musste dieser „falsche Name“ angegeben werden. Nicht alle Flüchtlinge, die zur SS-Sammelstelle überwiesen wurden, hatten schon vor ihrer Flucht der Schutzstaffel angehört. So wurden jüngere Flüchtlinge entweder zur SA oder SS oder nach Wunsch und Eignung zur Sammelstelle der Politischen Leiter überstellt und auf den Ordensburgen der NSDAP, der Kaderschmiede für die zukünftige Politische Führung, geschult.2238 Auch suchten SA-Männer aufgrund des seit dem „Röhm-Putsch“ zunehmend sinkenden Einflusses der SA und der besseren Aussichten um Überstellung zur SS an. Das prominenteste Beispiel innerhalb der Wiener SS stellte SA-Sturmbannführer Walter Firlich dar,2239 der seit April 1933 die SA-Standarte 24 geführt hatte und 1935 nach Deutschland geflüchtet war. Im Sommer 1936 bat Firlich um Überstellung zur SS und wurde dafür Anfang Juli 1936 „ehrenvoll“ aus der SA entlassen. Firlichs Aufnahme in die SS erfolgte unter Beibehaltung seines Dienstgrades im September 1936.

2235 Anordnung von Franz Flesch v. 29. 9. 1937, BArch/R 187, Zl. 302. 2236 Vgl. dazu Meumann (1997), S. 103–112. Zur Flucht österreichischer HJ- und BdM-Mitglieder vgl. ausf. Geh­macher (1994, 1996). 2237 Abschrift eines Schreibens des Österreichischen Sonderbeauftragten des OSAF an den OaD, o. D. (ca. März 1934, CR), BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Kaaserer. 2238 Alfred Rodenbücher an den Stab des Stellvertreters des Führers v. 25. 11. 1937, in  : Akten der ParteiKanz­lei, Reg. 12216, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, OnlineDB, K. G. Saur-Verlag. 2239 BArch (ehem. BDC), PK, SSO  : Walter Firlich  ; zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 405.

502

Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

14.3.1 Der 1. Sturm der SS-Sammelstelle im Lager Waischenfeld

Im Dezember 1934 wurde der 1. Sturm der SS-Sammelstelle nach Waischenfeld verlegt. Die kleine, 775 EinwohnerInnen zählende Stadt in der Fränkischen Schweiz gehörte zum Bezirk Ebermannstadt2240 und war vor allem durch Landwirtschaft und Handwerk geprägt. Waischenfeld wies eine nur schlecht ausgebaute Infrastruktur auf, so existierte keine direkte Zugverbindung in die nächstgelegene größere Stadt Bayreuth. Auch die Straßenverbindung war miserabel und wegen Zahlungsunfähigkeit musste in den 1930er-Jahren der Postkraftverkehr zeitweise eingestellt werden. Im November 1932 bezeichnete die lokale Bezirkszeitung, der Wiesent-Bote, Waischenfeld als „wahre Verkehrswüste“.2241 Im katholisch dominierten Waischenfeld hatte sich die Bayerische Volkspartei bei den letzten freien Wahlen im März 1933 mit 59 Prozent der Stimmen gegen die NSDAP behaupten können, die nur 29 Prozent erreichte. Insbesondere durch die Aktivitäten des örtlichen Stadtpfarrers Michael Schütz, der Thomas Greif zufolge die „Symbolfigur des politischen Katholizismus in Waischenfeld“ war,2242 wurde der Ort „zum Schauplatz der größten Niederlage der NSDAP im Landkreis“. Der Pfarrer zeigte sich dabei überaus wehrhaft und schreckte auch vor schlagkräftigen Abwehrmaßnahmen nicht zurück. So war er bereits 1930 dem NSDAP-Landtagsabgeordneten und späteren Gauleiter Hans Schemm bei einer Wahlkampfversammlung lautstark entgegengetreten und hatte am Tag darauf bei einer von ihm selbst organisierten Kundgebung Schemm und dessen Anhängerschaft von seinen katholischen Jungmännern gewaltsam aus dem Saal entfernen lassen. Nach der „Machtergreifung“ wurde der Apotheker Benedikt Spörlein zum NSDAP-Ortsgruppenleiter und Bürgermeister von Waischenfeld bestellt. Mit Johann Popp war inzwischen ein aus Sicht der NSDAP moderaterer Pfarrer nach Waischenfeld entsandt worden. Verbindung zur Parteiprominenz bestand über die beiden Nichten des völkischen Dichters Dietrich Eckart, dem früheren Hauptschriftleiter des Völkischen Beobachters, die in der kleinen Stadt wohnten. Im März 1934 gelang es Spörlein, möglicherweise durch Vermittlung der Eckart’schen Nichten, eine Lösung für das „Sorgenkind“ der Stadt,2243 das ehemalige fürstbischöfliche Kastenamt, zu finden. Die teure Immobilie war jahrelang fast unbenutzt geblieben, da sich die Stadt, die zum Notstandsgebiet gehörte, die notwendigen Umbauarbeiten 2240 Zu den folgenden Ausführungen vgl. ausf. Greif (2000), S. 17–39. 2241 Ebd., S. 19. 2242 Ebd., S. 20. 2243 Ebd., S. 19.

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nicht leisten konnte. Am 16. März 1934 berichtete der Wiesent-Bote2244 über den Ankauf des Gebäudes durch die SS, die das Kastenamt als Lager für mehr als 400 SS-Männer nutzen wollte. Im November begannen die Umbauarbeiten an dem Gebäude, das am 9. Dezember von 230 österreichischen SS-Männern bezogen wurde.2245 Nach Greif befanden sich zeitweise bis zu 400 Mann in dem Lager. Den Transport von Dachau nach Waischenfeld leitete der steirische Sturmbannführer Paul Helle, der auch für kurze Zeit die Führung des Lagers übernahm.2246 In den folgenden Monaten kam es zu zahlreichen Wechseln in der Führung des Lagers. So wurden einem Bericht von Leo Arbter zufolge, der ebenfalls kurzfristig die Führung übernommen hatte, bis September 1935 insgesamt sieben Lagerführer abberufen.2247 Im März 1936 wurde mit dem reichsdeutschen Horst Strathmann dann ein neuer Lagerführer definitiv bestellt. Nach einem von den österreichischen Behörden beschlagnahmten Brief eines in Waischenfeld stationierten SS-Mannes vom Jänner 1935 scheint die Ausbildung im Lager sehr eintönig verlaufen zu sein,2248 da vor allem Exerzierübungen, und zwar von 8 bis 11 und 13 bis 15 Uhr, abgehalten wurden. Nachmittags standen dann Schießübungen „am Maschinengewehr, leichten Maschinengewehr oder am Gewehr“ auf dem Programm. Wie auch die zahlreichen Führerwechsel zeigen, scheint sich das Lagerleben – zumindest zu Beginn – wenig harmonisch gestaltet zu haben. So berichtete Arbter, dass im Lager „Intrige und Verleumdung (…) Trumpf“ seien.2249 Die Waischenfelder Bevölkerung bereitete den österreichischen SS-Männern zunächst einen „jubelnden Empfang“,2250 erhoffte sie sich doch von der Errichtung des Lagers eine Besserung der wirtschaftlichen Notlage. Wenige Tage nach Weihnachten revanchierte sich die SS für den freundlichen Empfang mit der Verteilung von Geschenken an Kinder und Senioren.2251 Die positive Stimmung schlug jedoch bereits wenige Wochen später in ihr Gegenteil um, als sich herausstellte, wer da in Waischenfeld einmarschiert war. Der überwiegende Teil der zumeist noch sehr jungen SS-Männer hatte sich aktiv im Terrorkampf gegen den katholischen Austrofaschismus engagiert und setzte nun seinen Kampf gegen den Katholizismus in der tief religiösen 2244 Ebd., S. 25. 2245 Ebd., S. 27. Die anfängliche Belagszahl wird auch durch einen Bericht des späteren Lagerführers Leo Arb­ter bestätigt, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154. 2246 Vernehmung von Herbert Ranner durch die BPD Linz v. 7. 2. 1935, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 41/2, Zl. 230.664-St.B./1934. 2247 Protokoll von Leo Arbter v. 18. 9. 1935, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154. 2248 Der Gesandte in Berlin an das Österreichische Generalkonsulat München v. 13. 2. 1935, ÖSTA/AdR, ÖVB/Gesandtschaft Berlin, Zl. 205/1935, Kt. 20. 2249 Protokoll von Leo Arbter v. 18. 9. 1935, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154. 2250 Kaspar Kraus an die Reichskanzlei v. 23. 4. 1935, BArch/R 43II, Zl. 1203. 2251 Greif (2000), S. 28  ; Protokoll von Leo Arbter v. 18. 9. 1935, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154.

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Provinzstadt weiter fort. Die Situation in Waischenfeld eskalierte unmittelbar, nachdem die SS ihr neues Domizil bezogen hatte, da der Pfarrer dem Lagerführer das naive Angebot unterbreitete, jeden Sonntag einen „Sondergottesdienst“ für die SS-Männer abzuhalten.2252 Damit war Arbter zufolge „der Haß gegen alles(,) was den schwarzen Rock trug, entflammt“. Darüber hinaus waren die neu in Deutschland eintreffenden SS-Männer zum Teil direkt nach ihrer Entlassung aus dem Gefängnis oder Anhaltelager geflüchtet und wurden nach ihrer Überprüfung sofort den Lagern der Sammelstelle überwiesen. Mit dem Terror im Kopf trafen sie in dem verschlafenen Waischenfeld ein, wo sie die Herren zu sein glaubten und ihre bewährten Kampfmethoden auf die Bevölkerung anwandten. Auch hatten die SS-Männer die zurückliegenden Erlebnisse oftmals noch nicht verarbeitet. In den Personalberichten tauchen häufig Hinweise auf die schlechte psychische Verfassung, vor allem depressive Verstimmungen, auf. Typisch dafür ist etwa ein Bericht des Wiener SS-Mannes und ehemaligen Heeresangehörigen Georg Nowy, der bis zum Juliputsch Ausbildungsleiter der 89. Standarte und an der Besetzung des Bundeskanzleramtes beteiligt gewesen war.2253 Nach seiner Flucht aus dem Anhaltelager Wöllersdorf nach Deutschland wurde Nowy nach Ranis verlegt. Seinen seelischen Zustand beschrieb er im November 1935 seinem ehemaligen Führer Fridolin Glass folgendermaßen  :2254 „Hier angekommen mußte ich trotz festen Willen (sic  !) einsehen, dass meine Nerven und mein seelischer Zustand durch meine 15 m(ona)t(i)ge Haft und deren Verhältnisse dort mehr gelitten haben, als dass ich ein Lager- und Militärleben durchhalten könnte. Vergesslichkeit, keine Konzentration meiner Gedanken, keinerlei Weitblick u.v.m. gaben zu dem Entschluß Anlass, bei der (…) durch Gruppenf(ührer) Rodenbücher stattgefundenen Besichtigung des Lagers, um meine Beurlaubung zu bitten, da ich mich eben aus vorerwähnten Gründen nicht für den mil(itärischen) SS Dienst geeignet betrachte. Die Bitte wurde abgeschlagen, habe 2–3 Monate im Lager Ranis zu bleiben (…). Alle Begründungen meiner Bitte halfen nichts, aber dafür wurde der SS-Ustuf. Stocker2255 beauftragt, mir an die Hand zu gehen und mir SSGeist beizubringen. Darüber bilde Dir selbst ein Urteil, wenn man mir SS-Geist beibringen soll, der ich als 89er gekämpft, einigemale (sic  !) dem Tod in die Augen geschaut und all das durchgemacht, was man wo anders nicht glauben, nicht verstehen kann(,) aber in Österreich eben möglich und Tatsache ist. Waren wir doch immer wieder die Kanzlermörder der Mordstandarte 89.“ 2252 Protokoll von Leo Arbter v. 18. 9. 1935, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154. 2253 Fridolin Glass an den RFSS/Chefadjutantur v. 3. 12. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Fridolin Glass (= Kurt Merkmann). 2254 Georg Nowy an Fridolin Glass v. 27. 11. 1934 (recte  : 1935), ebd. 2255 Adalbert Stocker.

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Nach jahrelangen Entbehrungen erhielten die SS-Männer – oftmals zum ersten Mal überhaupt in ihrem Leben – eine ausreichende Entlohnung, was in der krisengeschüttelten Region rund um Waischenfeld sicherlich auch zu neidischen Reaktionen führte. Die finanzielle Situation hatte sich nach der Vereinheitlichung der Flüchtlingsversorgung im August 1934 wesentlich gebessert. Während etwa ein Wiener SS-Mann noch im Jänner 1934 darüber berichtete,2256 dass er über keinerlei finanzielle Mittel verfüge und nicht einmal das Geld für eine Briefmarke in der Tasche hatte, war die Entlohnung danach eine durchaus passable. So erhielten die SS-Männer in Waischenfeld Anfang 1935 alle zehn Tage 6,50 RM und an den Feiertagen zusätzlich 50,– RM.2257 Im Herbst 1937 lag das monatliche Gehalt eines einfachen Staffelmannes dann schon bei 230,– RM,2258 was sich in häufigen Gasthausbesuchen und ausreichendem Bierkonsum niederschlug. Hinter den Auseinandersetzungen dürfte, wie ein Bericht des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken andeutet,2259 aber auch männliches Konkurrenzgehabe um die weibliche Gunst gestanden haben. Laut Thomas Greif heirateten mehrere österreichische SS-Männer in Waischenfeld ein und blieben nach Kriegsende dort beheimatet.2260 Einem Beschwerdebrief eines Gastwirts zufolge kam es bereits unmittelbar nach dem Einzug der SS in Waischenfeld zu ersten „Übergriffen“ durch die SS,2261 wodurch „die Begeisterung der Bevölkerung sich statt zu heben, anfing zu leiden und zu senken“. So hatte laut Pfarrer Popp am ersten Weihnachtsfeiertag ein vermutlich betrunkener SS-Mann in der Gastwirtschaft Pulvermühle ein Kruzifix von der Wand genommen, „um damit seinen Spott zu treiben“.2262 Als sich der Gastwirt dem SS-Mann entgegenstellte, „sang der SS-Mann gemeinsam mit seinen Kameraden einige sittlich nicht einwandfreie Worte“. Weiters fielen die SS-Männer sowohl innerhalb als auch außerhalb des Lagers durch das Singen von kirchen- und religionsfeindlichen Liedern auf,2263 was die Lagerleitung nach Protesten seitens des Pfarrers und der Bevölkerung 2256 Abschrift eines Briefes von Johann Fischlinger v. 14. 1. 1934, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürgerungsverfahren Johann Fischlinger. 2257 Der Gesandte in Berlin an das Österreichische Generalkonsulat München v. 13. 2. 1935, ÖSTA/AdR, ÖVB/Gesandtschaft Berlin, Zl. 205/1935, Kt. 20. 2258 Schreiben des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks an die SS-Sammelstelle München v. 6. 9. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hermann Baierlein. 2259 Bericht des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken v. 8. 5. 1935, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 318f. 2260 Greif (2000), S. 38. 2261 Kaspar Kraus, Ortsgruppenleiter des Reichseinheitsverbands des deutschen Gaststättengewerbes, an die Reichskanzlei v. 23. 4. 1935, BArch/R 43II, Zl. 1203. 2262 Greif (2000), S. 29. 2263 Ebd., S. 29f.

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untersagte. Weitere Provokationen gegen die katholische Kirche ereigneten sich in einem Gasthaus in Hubenberg, wo zwei SS-Leute auf den Papst und die Religion schimpften und eine Schlägerei noch rechtzeitig durch die Lagerwache verhindert werden konnte. Arbter wiederum beschrieb die Bevölkerung Waischenfelds als eine „mit ganz wenigen Ausnahmen, (…) an Inzucht reiche, aber geistig vollkommen degenerierte Gesellschaft, die nur vom beten (sic  !) und Bier lebt“.2264 Außerdem begann sich die SS nach Arbters Bericht der Waischenfelder „Jugend anzunehmen“, die jeden Freitag im Lager bewirtet wurde. Auch führten die Unterführer mit den männlichen Jugendlichen Exerzierübungen durch. DaAbb. 85: Leo Arbter, 1935, WStLA gegen schritt wiederum der Pfarrer ein, der „indirekt den Jungens den Verkehr“ mit der SS „verbot“, wodurch, so Arbter, „diese rein erzieherische Aufgabe zunichte gemacht“ wurde.2265 Nachdem die Lagerleitung trotz der sich häufenden Provokationen und Übergriffe durch die SS-Männer nicht eingriff und die Zusammenarbeit mit der örtlichen Gendarmeriestation verweigerte, schaltete das Bezirksamt die Politische Leitung und die BPP ein. Anlass zu dieser Maßnahme hatten zwei SS-Männer gegeben, die im Fluss Wiesent mit Pistolen bewaffnet Jagd auf Forellen gemacht hatten. Die beiden waren zwar vom Sohn des Fischwasserbesitzers gestellt worden, der es aber nicht gewagt hatte, sich ihnen zu nähern, geschweige denn nach ihren Namen zu fragen. Eine von der Gendarmerie gewünschte Gegenüberstellung lehnte die Lagerleitung ab. Am 3.  Jänner berichtete wiederum das Bezirksamt Ebermannstadt, dass „verschiedene Klagen“ gegen die SS ergangen seien,2266 da „(e)inige SS-Leute (…) schulpflichtige Mädels nach Hause begleiten und mit ihnen verkehren (wollten)“. Dem Bürgermeister von Nankendorf hätten sie „mit Schutzhaft“ gedroht. 2264 Protokoll von Leo Arbter v. 18. 9. 1935, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154. 2265 Ebd., Herv. i. Orig. 2266 Monatsbericht des Bezirksamts Ebermannstadt v. 3. 1. 1935, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 153.

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Zu schweren Ausschreitungen kam es in den Osterfeiertagen,2267 an denen kein „Tag verging(,) ohne daß sich Zugehörige der hießigen (sic  !) S.S. raufend und unter gröblichster nächtlicher Ruhestörung an der hier zeitlebens friedlichen Gesamtbevölkerung vergriff. Zwei Abende spielten hiebei eine blutige Rolle.“ So wurden am Ostersonntag zwei Einwohner „bis zur Krankenhausfähigkeit zerstochen und zerschlagen“, einem „flüchtenden Teil von Bewohnern (…) ihre Sonntagskleider förmlich vom Leibe gerissen“. Die Feriengäste hatten aufgrund der Ausschreitungen die Stadt fluchtartig verlassen, da sie sich „an Leib und Leben gefährdet fühl(t)en“. Laut Bericht des Bezirksamtes sei es „zu einem wahren Landfriedensbruch“ gekommen,2268 bei dem einige Zivilisten schwere Verletzungen davontrugen, ein Arbeiter sogar lebensgefährlich verwundet wurde. „Es macht den Anschein“, so der Bericht weiter, „daß einfach jeder beknüttelt wird, der irgendeinem SS-Mann nicht passt. Die Wirtschaft wurde zum Teil demoliert. Der Oberstaatsanwalt ist mit der Angelegenheit bereits beschäftigt. Die BPP ist verständigt. Bezeichnend ist ein Ausspruch eines SS-Mannes, der erklärt hat, daß die SS selbst die Politische Polizei sei und die Gendarmerie nichts zu sagen habe.“ Die Gewalteskalationen hatten damit begonnen,2269 dass am Ostersonntag der Arbeiter Georg Brendel, ehemaliger SPD-Ortsgruppenleiter in Waischenfeld, in der Gardill’schen Gastwirtschaft mit einigen „einheimischen Burschen“ das sog. Räuberlied, ein in der Gegend bekanntes Volkslied, gesungen hatte. Die in der Gastwirtschaft anwesenden SS-Männer hatten sich durch eine Strophe des Liedes, in der es hieß  : „Es gibt fürwahr kein schön’res Leben auf der ganzen weiten Welt als ein Straßenräuberleben (…). Kommt ein Jud’ daher gezogen, fallen wir ihn an ums Geld“, provoziert gefühlt, „da sie der Meinung waren, das Lied sei auf sie gemünzt“. Angeblich hatte der „Edelkommunist“ Brendel bereits früher geäußert, dass die SS-Kaserne „angezündet oder in die Luft gesprengt (gehöre)“. Der ebenfalls anwesende Obersturmführer Hörhann wurde daraufhin von seinen Leuten ersucht, Brendel aus der Gastwirtschaft entfernen zu lassen, da es sonst „zu einer Rauferei“ kommen würde, was Hörhann umgehend veranlasste. Auf dem Heimweg wurde Brendel zu Boden geschlagen und erlitt dabei eine Gehirnerschütterung sowie vermutlich auch eine leichte Gehirnblutung. Am Ostermontag setzten sich die Ausschreitungen dann in der Kaspar Krauß’schen Wirtschaft fort, wo es zu einem Streit zwischen dem Waischenfelder Josef Hofknecht und zwei SS-Männern kam. Zwischen Hofknecht bzw. seinen Brüdern hatten schon 2267 Kaspar Kraus an die Reichskanzlei v. 23. 4. 1935, BArch/R 43II, Zl. 1203. 2268 Monatsbericht des Bezirksamts Ebermannstadt v. 4. 5. 1935, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 156f. 2269 Die folgende Darstellung bezieht sich auf den Prozessakt der Großen Strafkammer des Landgerichts Bay­reuth v. 9. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SS-Liste A 1.

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zuvor mehrere „Reibereien“ mit den Österreichern stattgefunden. Am Ostermontag hatte Hofknecht dann angeblich den SS-Mann Josef Gusenbauer provoziert, der darauf­hin die SS-Wache herbeirief, ins Gasthaus ging, Hofknecht von hinten packte und ihm drohte, dass „man ihn auf die ‚Fotze‘ schlagen würde“. Der herbeigeeilte Wirt forderte die SS-Leute zum Verlassen des Lokals auf, nachdem die übrigen Gäste versichert hatten, dass Hofknecht die Österreicher nicht provoziert hatte. Abends wurde dann die zweite Runde der Streitigkeiten eingeläutet, als SSScharführer Otto Huber und SS-Unterscharführer Josef Weinzierl in die Gastwirtschaft kamen und einen Waischenfelder Einwohner namens Schrüfer darüber auszufragen begannen, warum er am Geburtstag des Führers nicht sein Haus beflaggt habe. Dieser erklärte ihnen, dass sein Haus „im selbst (gehöre)“ und niemanden etwas angehe. Anschließend begannen die SS-Leute über den Pfarrer herzuziehen, worauf Schrüfer ihnen erwiderte, dass er „mit seiner S.A. hinter dem Führer, aber auch hinter seinem Pfarrer (stehe), der sein Seelsorger sei u. vier Jahre im Felde gestanden habe“. Als Schrüfer jede weitere Diskussion mit ihnen verweigerte, begannen sich die SSMänner nun mit dem Sohn des Wirtes anzulegen. Der Gastwirt verständigte darauf­ hin die Lagerwache, „von der er den Bescheid erhielt, wenn er nochmals wegen so einer Sache die Wache hole, dann werde er schon schauen, was ihm selbst passiere“. Nach Aufforderung der Wache verließen Huber und Weinzierl das Lokal. Wenig später erschienen fünf andere SS-Männer in der Gastwirtschaft. Gleichzeitig wurde vor dem Lokal „ein auffälliges Verhalten von SS.-Leuten bemerkt“, die in Trupps auf und ab gingen und sich an Straßenecken versammelten. Als Josef Hofknecht nun ebenfalls die Gastwirtschaft aufsuchte, stürzte sich der SS-Mann Gusenbauer auf ihn, schlug ihn zu Boden und schleifte ihn aus dem Lokal, wo er von den draußen wartenden SS-Männern weiter verprügelt wurde. Als Schrüfer sich empört über den Angriff äußerte, schlug ihm der SS-Mann Alfred Mallinger ein Bierglas über den Kopf. Kurz darauf stürzte Gusenbauer zur Tür herein und schleifte auch Schrüfer nach draußen, der nun ebenfalls verprügelt wurde. Während des „allgemeinen Tumultes“ in der Gastwirtschaft schleuderte der SS-Mann Walter Bieley einen Stuhl auf die Gäste, während sein Kamerad Hermann Gumilar „durch Herumfuchteln mit dem Dolch an der Türe den einheimischen Gästen den Ausgang versperrte“ und „schließlich mehrere Stühle gegen die im Gastzimmer anwesenden Gäste (warf )“. Einem Teil der Gäste gelang es, über die Küche aus dem Lokal zu entkommen, ein anderer Teil suchte „hinter dem Ofen und unter den Tischen Deckung“. Hofknecht trug fünf Stichverletzungen am Kopf davon, musste acht Tage das Bett hüten und war zwei Wochen „arbeitsbeschränkt“. Schrüfer hatte eine schwere Schnittwunde, zahlreiche Quetschwunden, zwei gesplitterte Rippen und eine „erhebliche Kontusion des Brustkorbes“ erlitten und war drei Wochen lang krankgeschrieben. Der am Tag zuvor malträtierte Brendel be-

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fand sich zwei Wochen im Krankenhaus. Angeblich erholte er sich nicht mehr von seinen Verletzungen und starb zwei Jahre später an deren Folgen.2270 Am 9. August verurteilte das Landgericht Bayreuth Bieley, Gumilar, Mallinger und Weinzierl zu je vier Wochen, Gusenbauer zu sechs Wochen Gefängnis. Drei SS-Männer wurden freigesprochen. Vor Gericht hatten sich die „Zeugen bei ihren Aussagen eher ängstlich u(nd) zurückhaltend“ gezeigt. Nach Ansicht des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken dürften die Übergriffe aber nicht rein politisch, sondern auch durch „Weibergeschichten“ motiviert gewesen sein.2271 Für weiteren Ärger sorgten die SS-Männer, als sie „mit Trommeln und Pfeifen“ die Bittprozession und den Gottesdienst störten“ und sich „öffentlich betont abfällig über religiöse Dinge (äußerten)“.2272 Weiters wurden ortsansässige Männer „willkürlich (…) bedroht und verhaftet“, sogar „über Nacht in ihre Kaserne“ eingesperrt und misshandelt, Obstbäume gefällt und ein landwirtschaftliches Fahrzeug demoliert. Als in der Nacht vom 7. auf den 8. Juni zwei Statuen des Heiligen Johannes von Nepomuk zerstört wurden, rief dies „helle Empörung“ bei der Einwohnerschaft hervor. In der gleichen Nacht wurde ein Christusrelief von einem Haus entwendet und in den Fluss geworfen, konnte aber von dem örtlichen HJ-Führer wieder geborgen werden. Die Gendarmerie verhaftete drei SS-Männer, darunter wiederum Hermann Gumilar sowie Heinz Tetmayer und Franz Verhass. Bei seiner Einvernahme begründete Verhass die Tat damit,2273 dass der am Nachmittag stattgefundene „katholische Umzug“ bei ihnen „noch nach wirkte“ und „die Erinnerung an die in der Heimat noch schmachtenden Kameraden und an die brutalen und gemeinen Unterdrückungen, die wir selbst erleiden mußten(,) hoch“ gekommen seien und sie deshalb „beschlossen“ hätten, „um uns wenigstens etwas Luft machen zu können, der Sta(t)ue den Kopf abzuschlagen. Eine rasche Aufwallung, die Gumilar gleich in die Tat umsetzte.“ Noch am 8. Juni ordnete der Stabsführer der SS-Sammelstelle Hanns Feil an,2274 dass die drei SS-Männer unter Bewachung der SS-Sammelstelle in München überstellt und von dort ins KZ Esterwegen eingeliefert wurden, da sie gegen den Befehl des Lagerführers verstoßen und „das Ansehen der SS aufs schwerste (sic  !) geschädigt“ hätten und „(d)urch die Tat Anlaß gaben, der Innen-Außenpolitik (sic  !) des deutschen Reiches Schwierigkeiten zu bereiten“. 2270 Greif (2000), S. 30. 2271 Bericht des Regierungspräsidenten von Ober- und Mittelfranken v. 8. 5. 1935, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 318f. 2272 Greif (2000), S. 30. 2273 Einvernahme von Heinz Tetmayer durch das HWL Waischenfeld v. 8. 6. 1935, WStLA, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154. 2274 Schreiben des SS-Hilfswerkslagers Waischenfeld v. 8. 6. 1935, WStLA, GAW  : Leo Arbter, Zl. 184.154.

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Aufgrund mehrerer Proteste des Erzbischöflichen Ordinariats und Beschwerden des Bezirksamtes wurden der stellvertretende Gauleiter, die Landespropagandastelle des Gaus Bayerische Ostmark sowie ein Beamter der BPP eingeschaltet, denen es gelang, den Vorstand des Bezirksamtes zu beruhigen. Aber auch Himmler dürfte für Beruhigung gesorgt haben, da das Bezirksamt in den folgenden Monaten meldete,2275 dass „man von Verfehlungen der Lagerinsassen nichts mehr hört“. Vor dem Hintergrund der Vorfälle in Waischenfeld erging am 20.  September 1935 schließlich ein Befehl Himmlers,2276 in dem er auf seinen Befehl vom 15. Oktober 1934 verwies, nach dem allen SS-Angehörigen „jede führende Tätigkeit“ in „irgendeiner weltanschaulichen religiösen Gemeinschaft“ verboten sei. Gleichzeitig brachte er die „nach wie vor (…) als oberste(r) Grundsatz für die SS“ geltende Anordnung des Stellvertreters des Führers vom 13. Oktober 1933 in Erinnerung, in der die Glaubensfreiheit verankert war. Aus diesem Grund „dulde“ er es nicht, dass „von irgend einem SS-Angehörigen die Ansichten und Ueberzeugungen anderer deutscher Volksgenossen, die ihnen heilig sind, verspottet oder verlästert werden“. Mit dem Befehl untersagte Himmler im Grunde Übergriffe all jener Art, die sich in den Monaten zuvor in Waischenfeld zugetragen hatten, wobei vor allem die gefällten Bäume den Zorn des Reichsführers hervorriefen  : „Hierzu gehört auch das Singen von Liedern, die konfessionelle Dinge durch den Schmutz ziehen oder kirchliche Einrichtungen und Bräuche verspotten. Ebenso sehr wie wir heute noch empört sind, daß vollkommen unnötiger Weise die Bäume, die unseren Ahnen nicht als Götter, sondern als Werk Gottes heilig waren, von Unberufenen gefällt wurden, ebenso sehr hielte ich es für verabscheuungswürdig, wenn auch nur ein SS-Mann in die Barbarei dieser Unberufenen zurückfallen und irgendetwas, was irgendeiner Konfession heilig ist (sei es ein Bild, eine Statue, ein Gebäude oder ähnliches) auch nur mit dem Finger berühren würde. SSAngehörige, die hier zuwiderhandeln, werde ich, weil sie ungeeignet für die Gemeinschaft und den Orden der SS sind, aus der SS ausschließen.“

Himmlers Verärgerung war sicherlich nicht nur auf die zahlreichen Proteste verschiedenster Seiten zurückzuführen und darauf, dass die Interna des SS-Lagers vor einem öffentlichen Gericht zur Sprache gekommen waren, sondern vor allem auch dadurch bedingt, dass Waischenfeld als Versuchslabor für eine von Himmlers Lieblingsideen installiert worden war, nämlich die Errichtung von Neubauerndörfern. Die böswillige Vernichtung der Scholle passte dabei so gar nicht in das Programm des Reichsfüh2275 Greif (2000), S. 32. 2276 Der RFSS, Verteiler V, SS-Befehl v. 20. 9. 1935, BArch/NS 19, Zl. 3901.

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rers-SS. Allerdings hatten die SS-Angehörigen auch keine Ahnung, welch hohe Ziele Himmler verfolgte. Am 1. Dezember 1934 stattete er Waischenfeld höchstpersönlich einen etwa vierstündigen Besuch ab, um das Lager zu inspizieren.2277 Am 15.  März 1936 ging Himmlers Experiment in die nächste Phase über, als Hauptsturmführer Horst Strathmann nach Waischenfeld abkommandiert wurde. Dieser war nicht nur als einfacher Lagerführer bestellt, sondern „als Führer des ersten zu errichtenden Neubauerndorfes“ auserkoren worden.2278 Davon sollte er „jedoch vorläufig nicht in Kenntnis“ gesetzt werden, „da seine endgültige Freigabe davon abhängt, wie er sich in der jetzt angeordneten Verwendung macht“. Strathmann dürfte aus verschiedenen Gründen für diese Aufgabe ausgewählt worden sein. Beruflich brachte er als diplomierter Landwirt die nötigen Voraussetzungen mit, um als erster Führer der Neubauerndörfer in die Geschichte der SS einzugehen. Aber auch seine Erfahrungen mit Bombenanschlägen und Kerkerhaft waren durchaus vergleichbar mit jenen der österreichischen SS-Terroristen. So war Strathmann an führender Stelle an den Bombenanschlägen in Altona im Herbst 1932 beteiligt gewesen und dafür zu fünf Jahren Zuchthaus verurteilt worden. Aber auch die in Strathmann gesetzten Hoffnungen sollten sich nicht erfüllen, und Himmlers Experiment drohte schon zu Beginn zum Scheitern verurteilt zu sein. Waischenfeld fand nämlich keine Gnade vor Strathmanns Augen, der die Stadt als „Drecksnest, Tuberkuloseloch u.  ä. zu bezeichnen pflegte“.2279 Bereits im Frühjahr 1936 befürchteten die BewohnerInnen „gar die Absetzung des Bürgermeisters Spörlein“, der u.a. aufgrund von Strathmanns Beschimpfungen seiner Stadt im Zwist mit diesem lag. Nach Greif2280 „fühlte sich“ der amtierende Bezirksamtsvorstand „im Zusammenhang mit diesem Konflikt gar gedrängt, vorsorglich der BPP die politische Untadeligkeit (sic  !) Spörleins zu versichern“. Auch Himmlers Befehl über die Achtung der Religionsfreiheit stieß bei Strathmann auf wenig Resonanz. So berichtete der Bezirksamtsvorstand von Ebermannstadt am 9. April,2281 dass nach seinem Eintreffen „die religiöse Hetze in außerordentlichem Umfang wieder aufgenommen wurde“. In Mitleidenschaft gezogen wurde Anfang Juli2282 auch das nahe Waischenfeld gelegene Greifenstein, wo eine Franziskanerstatue in der Kapelle des Schlossparks vom Podest genommen und in eine Ecke verfrachtet sowie das Kruzifix durch ein Exemplar des 2277 Greif (2000), S. 32f. 2278 Personalkanzlei des RFSS an das RuS-HA v. 16. 3. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Horst Strathmann. 2279 Ebd., S. 33. 2280 Ebd., S. 34. 2281 Ebd., S. 33f. 2282 Monatsbericht des Bezirksamts Ebermannstadt v. 3. 8. 1936, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 175.

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Schwarzen Korps ersetzt worden waren, das sich ausführlich mit den Sittlichkeitsvergehen des Franziskanerordens befasste. Die Täter konnten zwar nicht gefasst werden, jedoch herrschte in der Bevölkerung die Ansicht vor, dass die Täter im SS-Lager zu finden seien, nachdem kurz vor dem Vorfall auf dem jüdischen Friedhof bei Heiligenstadt 13 Grabsteine umgeworfen und zum Teil beschädigt worden waren. Sowohl die Kreisleitung als auch sonstige Parteidienststellen sprachen sich dafür aus, dass das Lager baldmöglichst aufgelöst werden“ sollte. Diesem Wunsch schloss sich auch das Bezirksamt „voll und ganz an“, da zu „befürchten“ sei, „daß es immer wieder zu Unruhen“ kommen werde. Die Situation in Waischenfeld eskalierte Ende Juli 1936 dann erneut.2283 Am Abend des zweiten Jahrestages des Juliputsches hatte der inzwischen zum Sturmbannführer beförderte Strathmann in Begleitung von ca. vierzig zum Teil uniformierten SS-Männern einen Ausflug „zum Zwecke der Unterhaltung“ in das 17 Kilometer entfernte Muggendorf unternommen. Nach den Schilderungen Strathmanns als auch unbeteiligter Zeugen kam es zu keinen nennenswerten Zwischenfällen, bis auf eine „kleine Meinungsverschiedenheit“ zwischen einem Ortsansässigen und einem SS-Mann, „die aber sofort wieder beigelegt wurde“. Der Gendarmerie-Oberkommissar2284 beurteilte die Situation allerdings ganz anders  : So hätten die SS-Leute „in angetrunkenem Zustand in einer Wirtschaft in Muggendorf die einheimischen Gäste als ‚Lumpen‘ und ‚Schwarze‘ laut beschimpft, was sich am nächsten Tag bei Ortseinwohnern und Kurgästen herumsprach und Empörung auslöste“. Am Tag darauf fanden sich neuerlich etwa zwanzig SS-Männer in Muggendorf ein, darunter auch Sturmbannführer Strathmann. Gegen 23 Uhr gab Strathmann den Befehl zum Aufbruch, übergab dem Oberscharführer Ferdinand Frankenstein das Kommando über die SS-Männer und fuhr mit dem Motorrad voraus, während die Mannschaft noch auf dem Marktplatz auf einige Nachzügler wartete. Dort hatten sich mehrere kleine Gruppen Einheimischer angesammelt, die sich „missfällig über das Verhalten der SS-Männer am Vortage äußerten“ und über den neuerlichen Lärm beschwerten. Die Ermahnungen eines herbeigerufenen Gendarmeriebeamten riefen wiederum den Unmut eines SS-Mannes hervor, der sich weigerte, seinen Namen zu nennen, und dem Gendarmen, als dieser ihn verhaften wollte, einen Tritt in den Bauch versetzte. Der Gendarm ging daraufhin zur Gendarmeriestation, zog sich seine Uniform an und kehrte zum Marktplatz zurück. Dort verhinderte er die Abfahrt der SS, 2283 Die folgenden Ausführungen beziehen sich, sofern nicht anders angegeben, auf die Abschrift e­ ines Berichts der Bayerischen Politischen Polizei an den RFSS und Chef der Deutschen Polizei v. 31. 7. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Horst Strathmann. 2284 Bericht des Gendarmerie-Oberkommissars Aecker v. 27. 7. 1935 an das Bezirksamt über die Vorfälle in Mug­gendorf, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 175f.

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zog aufgrund der „drohende(n) Haltung“ der SS-Männer seinen Säbel und verletzte dabei mehrere von ihnen. Daraufhin begann „eine allgemeine Rauferei“, an der sich auch Einheimische „infolge der schon seit längerer Zeit bestehenden Spannung“ beteiligten. Ein Teil der SS-Mannschaft fuhr nach Waischenfeld zurück und berichtete Strathmann, dass der Stabsscharführer Blasius Kraiter „erstochen und noch einige SSMänner schwer verletzt“ worden seien, woraufhin sich Strathmann mit einem mit Gewehren und Stahlhelmen ausgerüsteten SS-Trupp nach Muggendorf aufmachte. Dort angekommen versuchte er zunächst erfolglos, bei der Gendarmeriestation jenen Beamten ausfindig zu machen, der seine Männer verletzt hatte, der aber von seinem Vorgesetzten inzwischen „entfernt“ worden war, da man seine Verhaftung durch die SS befürchtete. Nachdem Strathmann festgestellt hatte, dass die Verletzungen der SS-Männer „harmloserer Natur als angenommen“ waren und er bei der Gendarmeriestation neuerlich ergebnislos den Namen des Gendarmen in Erfahrung zu bringen versucht hatte, begab er sich zu dem angeblichen „Rädelsführer“ des Aufruhrs, einem Gastwirt namens Würffel. Als die SS vor dessen Haus auftauchte, ergriff dieser die Flucht, woraufhin Strathmann die Haustür gewaltsam öffnen ließ. Würffel sen. wurde unter Bewachung eines SS-Mannes im Hausflur zurückgelassen, wo er angeblich „mit dem Gesicht gegen die Wand und vor vorgehaltenem Gewehr stehen“ musste, was seitens der SS bestritten wurde, während Strathmann das Haus durchsuchen ließ. Das Gerücht, die SS habe auf Würffel jun. geschossen, wurde von der BPP später widerlegt. Diese stellte „einwandfrei“ fest, dass dem Chauffeur des SS-Wagens auf dem Marktplatz „aus Versehen die Pistole auf das Straßenpflaster fiel, wobei sich ein Schuß löste“. Nachdem Würffel jun. entkommen war, setzte Strathmann seine Jagd auf einen weiteren „Rädelsführer“, den Hausdiener Brendel, fort.2285 Dieser wurde nun von der SS verhaftet und in einer Arrestzelle des Lagers eingesperrt. Nach Strathmanns Befehl sollte die SS ihn „unangetastet“ lassen, „im Falle eines Fluchtversuches“ aber „scharf (…) schießen“. Brendel wurde nach seiner Einvernahme durch Strathmann am Tag darauf entlassen und von Oberscharführer Frankenstein nach Muggendorf zurückgefahren. Kurz vor der Ortschaft stieß Frankenstein ausgerechnet „auf den von seiner Flucht zurückgekehrten Würffel jun.“. Frankenstein forderte ihn sogleich auf, in den Wagen einzusteigen, da er „sich verpflichtet (glaubte), diesen zur Gend(armerie) Station verbringen zu müssen“. Während Würffel laut Frankenstein der Aufforderung „ohne weiteres“ nachgekommen sei, schilderte dieser die Sachlage ganz anders. So habe Frankenstein ihn „mit vorgehaltenem Revolver mit den Worten  : ‚Sie sind im Na2285 Ob es sich dabei um einen Verwandten des bereits im Jahr zuvor misshandelten Waischenfelder Arbeiters Brendel handelte, lässt der Bericht offen.

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men unseres Führers Adolf Hitler verhaftet‘, gezwungen“, in den Wagen einzusteigen. Würffels Angaben wurden auch von Brendel bestätigt. Auf dem Marktplatz versuchte Würffel dann neuerlich die Flucht zu ergreifen, wurde aber von Frankenstein zurückgehalten und schließlich vom Gendarmeriestationsführer befreit. Nachdem sich sowohl die Gendarmeriestation als auch die Bevölkerung von Muggendorf „durch diese Vorfälle terrorisiert (fühlte) und weitere Überfälle (be­ fürch­tete),2286 trafen am 27.  Juli Beamte der Landeskriminalpolizeistelle Nürnberg in Muggendorf ein und leiteten die Untersuchung der Vorfälle ein. Am Tag darauf erstattete der Bezirksamtsvorstand einen Bericht an die Gauleitung Bayerische Ostmark. In Waischenfeld bzw. Muggendorf waren inzwischen auch Beamte der BPP und der Verwaltungsführer der Sammelstelle, SS-Obersturmbannführer Theodor Slipek, eingetroffen,2287 der die „SS-mäßigen Untersuchungen“ durchführen sollte. Slipek verhängte für die Zeit der Durchführung der Erhebungen Kasernenarrest für das L ­ ager und befahl, dass die SS-Männer 14 Tage lang die Stadtgrenze von Waischenfeld nicht verlassen und Muggendorf ein halbes Jahr lang nicht betreten durften. Der Gauleiter „bedauerte die Vorfälle außerordentlich“, vor allem auch, weil Muggendorf schon in der „Kampfzeit der Bewegung“ eine „Hochburg“ der NSDAP gewesen sei, und bat um Verlegung des SS-Lagers. Der Kriminalinspektor der BPP kam am Ende der Untersuchung zu der Auffassung, dass es sich bei Strathmann um „eine soldatisch einwandfreie und prächtige Persönlichkeit und Führernatur“ handle, „die lediglich in der menschlich begreiflichen Erregung zu den schweren Überschreitungen ihrer Befugnisse kam“. Abschließend gab die BPP zu bedenken, „ob im staatspolitischen Interesse eine strafrechtliche Austragung der Angelegenheit tragbar erscheint“, vertrat aber die Ansicht, dass „eine disziplinäre Ahndung der Vorfälle (…) am Platze“ sei. Strathmann wurde im November 1936 von Himmler mit einem strengen Verweis bestraft2288 und vorübergehend zum Rasse- und Siedlungs-Amt versetzt. Das Amtsgericht Bamberg verurteilte ihn am 12. November wegen Amtsanmaßung und Freiheitsberaubung zu drei Monaten, Frankenstein wegen Amtsanmaßung und Nötigung zu sechs Wochen sowie den Unterscharführer Leopold Schmalzbauer wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt zu 14 Tagen Gefängnis. Mitte Februar ordnete Himmler an,2289 dass Strathmann wieder nach Waischenfeld zurückzukehren habe. Er sollte aber „ohne jede vorherige Ankündigung plötz2286 Bericht des Gendarmerie-Oberkommissars Aecker v. 27. 7. 1935 an das Bezirksamt über die Vorfälle in Mug­gendorf, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 175f. 2287 Abschrift eines Berichts der Bayerischen Politischen Polizei an den RFSS und Chef der Deutschen Polizei v. 31. 7. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Horst Strathmann. 2288 Heinrich Himmler an Horst Strathmann v. 3. 11. 1936, ebd. 2289 Karl Wolff an Oswald Pohl v. 19. 2. 1937, ebd.

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lich wieder“ dort erscheinen, „damit keine Gegenaktion vorbereitet werden“ könne. Außerdem sollte für ihn „ohne jede Namensnennung (…) eine anständige Wohnung in Waischenfeld“ gefunden werden. Am 20. März wurde Strathmann folglich wieder nach Waischenfeld versetzt. Sein „abermaliges Auftreten“ habe laut einem im November verfassten Bericht des Gendarmerie-Kreisinspekteurs bei den Einheimischen „begreiflicherweise Aufsehen (erregt) und gab auch Anlaß zu Kritik“.2290 Allerdings hätte sich Strathmann in den vergangenen Monaten bemüht, „durch straffe Führung des Lagers die vorangegangenen Vorkommnisse vergessen zu machen“. Dies war nicht allzu schwierig zu bewerkstelligen, nachdem sich im März 1937 nur noch etwa 35 und im November 17 SS-Männer in dem Lager befanden.2291 Laut Bericht der Gendarmeriestation vom April 1938 wurde das Lager,2292 „das so häufig Anlaß zu Auseinandersetzungen gegeben hatte, nach dem Anschluß Österreichs am 27. 3. 38 aufgelöst“. Greif zufolge fand die offizielle Schließung am 27. April 1938 statt.2293 14.3.2 Der 2. Sturm der SS-Sammelstelle in Ranis

Im Gegensatz zu der lautstarken, gewalttätigen Präsenz, mit der die SS im katholischen Waischenfeld auftrat und die kleine Stadt und die umliegenden Ortschaften über Jahre hinweg in Angst und Schrecken versetzte, scheint sich die SS im Lager Ranis in Thüringen völlig ruhig verhalten zu haben. Ebenso wie Waischenfeld zählte die Stadt nur wenige hundert EinwohnerInnen und lag eingebettet in die grüne Landschaft Thüringens. Die nächste größere Stadt war das etwa 13 Kilometer entfernte Pößneck, das sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts zur bedeutendsten Industriestadt des Herzogtums Sachsen-Meiningen entwickelt hatte. Obwohl sich zahlreiche Wiener SS-Männer in Ranis befanden, scheint ihr Aufenthalt keine größeren Eindrücke hinterlassen zu haben. So konnte über die Situation im Lager, dessen Geschichte weitgehend im Dunkeln liegt, bisher kein Bericht aufgefunden werden. In den Briefen österreichischer SS-Männer in die Heimat taucht das Lager unter dem Decknamen „Haus der Erholung“ auf.2294 Der Zeitpunkt der Errichtung des Lagers, das sich an der Pößneckerstraße 49 befand, ist unbekannt. Gesichert ist, dass Anfang Juni 1935 der reichsdeutsche ehemalige Reichsbahnobersekretär Ober2290 Mitteilung des Generalstaatsanwalts beim Landgericht Bamberg an das Bezirksamt Ebermannstadt v. 27. 11. 1936, zit. n. Broszat/Fröhlich (1987), S. 176. 2291 Greif (2000), S. 38. 2292 Broszat/Fröhlich (1987), S. 205. 2293 Greif (2000), S. 38. 2294 So etwa in einem Brief von Alfred Wagner an seinen Vater v. Juli 1936, WStLA, M.Abt. 116, A 37  : Ausbürge­rungsverfahren Alfred Wagner.

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sturmführer Bernhard Bartelt die Lagerleitung übernahm.2295 Im Herbst 1935 wurde kurzfristig der ehemalige Kanzlist der Bundes-Polizeidirektion Wien, Untersturmführer Richard Heberlein,2296 vermutlich in Vertretung von Bartelt, mit dem Kommando betraut. Dieser führte das Lager bis Anfang Dezember 1935 und wurde danach in der SS-Grenzüberwachung und ab 1937 bei der Gestapo-Grenzpolizei eingesetzt.2297 Als Stellvertreter von Bartelt fungierte ab Frühjahr 1935 Gustav Rieger. In Deutschland hatte Rieger den Decknamen Hugo Meixner angenommen und übernahm nach Bartelts Überstellung zum SD-Hauptamt die Führung des Lagers. Zuvor hatte Meixner bereits den Bausturm des HWL Schleißheim geführt,2298 der in seinem Lebenslauf auch angab,2299 Lagerleiter in Dachau und Waischenfeld gewesen zu sein. Im Mai 1936 wurde Meixner als Sachbearbeiter zum NSDAP-Flüchtlingshilfswerk versetzt. Wer das Lager danach übernahm, ist nicht bekannt. Als stellvertretender Lagerführer war seit 1936 der steirische Obersturmführer Adalbert Stocker eingesetzt, der möglicherweise nach Meixners Abgang die Führung übernahm. Nach dem Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes für den Zeitraum von 1. Oktober 1936 bis 28. Februar 1937 lag die „Gesamtstärke“ der SS-Männer in den Lagern Ranis und Waischenfeld bei 300 Mann.2300 14.3.3 Die Aufstellung des „aktiven Bataillons“ II/SS 1

Im Herbst 1934 wurde mit einem Teil der Angehörigen des HWL Dachau der Sturmbann II/SS 1 aufgestellt und der Verfügungstruppe (VT), der späteren Waffen-SS, eingegliedert. Im internen Sprachgebrauch wurde die Einheit auch das „aktive Bataillon“ genannt, während Himmler den Verband durchgehend als Sturmbann bezeichnete.

2295 BArch (ehem. BDC), SSO  : Bernhard Bartelt. 2296 Heberlein hatte der Polizeigruppe von Alfred Baubin angehört und bis zum Juliputsch eine Polizeimotorrad­staffel der 89. Standarte geleitet. Nach dem Putsch stellte Heberlein gemeinsam mit Karl Wendl und Hans Zach den Polizeisturmbann als Sturmbann IV der 89. Standarte auf, den er nach der Verhaftung von Wendl auch leitete. Im März 1935 flüchtete er aufgrund des Verrats mehrerer Angehöriger der Standarte nach Deutschland, BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Richard Heberlein. 2297 Während seiner Zeit als Grenzschutzbeamter führte Heberlein den Decknamen Rudolf Sänger. 2298 Bericht von Anton Wohlrab, Beilage zu einem Schreiben an Alfred Rodenbücher v. 26. 2. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Pöttinger. 2299 Lebenslauf von Hugo Meixner, o. D., BArch (ehem. BDC), PK  : Hugo Meixner (= Gustav Rieger). 2300 Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes für die Zeit vom 1.  10.  1936 bis 28.  2.  1937, in  : Regimekri­tik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten, hrsg. v. Heinz Boberach in Zu­sammenarbeit mit dem Bundesarchiv, Dok. Rk 251, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag.

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Die Richtlinien zur Aufstellung der VT2301 waren nach einer Entscheidung Hitlers am 14. September 1934 von Reichswehrminister Werner von Blomberg in Absprache mit Himmler erlassen worden, womit die Existenz einer stehenden, von der Reichswehr unabhängigen bewaffneten Truppe innerhalb der SS anerkannt worden war. Auf diese Weise war den bewaffneten Einheiten der SS nun ein offizieller Status zuerkannt worden, nachdem bereits unmittelbar nach der Machtübernahme mit der Aufstellung bewaffneter Einheiten, der sogenannten Stabswache sowie den Totenkopfverbänden (TV), begonnen worden war. Die erste Stabswache, die rund 120 Mann umfasst hatte, war auf persönlichen Befehl Hitlers im März 1933 als seine persönliche Leibwache in Berlin unter dem Kommando von Sepp Dietrich2302 als „ein Organ unmittelbarer Führergewalt“ errichtet worden. Sie übernahm die Bewachung der Reichskanzlei und erhielt am Reichsparteitag im September 1933 von Hitler den offiziellen Namen „Leibstandarte-SS ‚Adolf Hitler‘ “. Die LSSAH war somit der unmittelbaren Kontrolle Himmlers und der NSDAP entzogen und als selbstständige militärische Truppe aufgestellt worden. Damit hatte sich Hitler de facto seine persönliche Prätorianergarde geschaffen, die über Partei und Staat stand, sowohl zu seiner persönlichen Verfügung als auch für militärische Zwecke sowie politischen Terror einsetzbar war und in der „parteigebundene Interessen mit Aufgaben der staatlichen Exekutive“ zusammenflossen.2303 Bis 1934 bildeten sich innerhalb der Abschnitte und Oberabschnitte der Allgemeinen SS weitere fünf bewaffnete Stabswachen,2304 die sogenannten Politischen Bereitschaften, als eine Art „Privattruppe“ der jeweiligen SS-Abschnittsführer. Die Politischen Bereitschaften übernahmen im Laufe der Zeit die Funktion einer der Landespolizei unterstellten Hilfspolizei und erhielten dadurch „eine provisorische staatliche Legitimation“. Eine weitere bewaffnete SS-Formation waren die von Eicke Ende 1933 aufgestellten SS-Totenkopfverbände, die Wachmannschaften der Konzentrationslager. Nachdem die LSSAH und die TV während des „Röhm-Putsches“ ihre Nützlichkeit für eine Hitler direkt unterstellte bewaffnete Truppe bewiesen hatten, erhielt die SS nicht nur ihre organisatorische Selbstständigkeit im Rahmen der NSDAP, sondern auch die Genehmigung für den Aufbau einer militärischen Truppe innerhalb der SS. Nach dem „Röhm-Putsch“ wurden die TV der Kontrolle der Allgemeinen SS entzogen, wodurch nun drei militärische Formationen der SS bestanden, die den Kern der 2301 Diese sind abgedruckt bei Hausser (1966), S. 232. 2302 Wegner (2006), S. 82. 2303 Ebd., S. 81  ; vgl. auch Höhne (1995), S. 407. 2304 Die ersten Stabswachen wurden in München, Ellwangen, Arolsen, Hamburg und Wolterdingen aufgestellt, Wegner (2006), S. 81.

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mit Erlass vom 24. September 1934 geschaffenen VT bildeten. Für die Aufstellung der VT wurden die politischen Bereitschaften mit der Leibstandarte zusammengeschlossen, während die TV vorerst noch ihre Eigenständigkeit behielten, neben der Bewachung der Konzentrationslager auch für die Ausbildung von Angehörigen der Allgemeinen SS zuständig waren und im Kriegsfall als „Polizeiverstärkung“ eingesetzt werden sollten.2305 Die SS gliederte sich Ende 1934 somit in die VT, die TV und die Allgemeine SS.2306 Der Aufbau der VT, mit der das „Waffenmonopol“ der Reichswehr durchbrochen wurde,2307 war von Beginn an von Spannungen aufgrund von Himmlers Streben nach einer großen militärischen Truppe und der ablehnenden Haltung der Reichswehr bestimmt, die auch in den Blomberg-Richtlinien ihren Niederschlag fanden. Zwar genehmigte Hitler die Aufstellung von drei bewaffneten SS-Regimentern, lehnte jedoch eine Zusammenfassung dieser SS-Verbände zu einer geschlossenen Division mit Pionier- und Artillerie-Einheiten ab.2308 Die VT, deren Aufgabe zunächst in der Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit bestand, besoldungsmäßig und dienstrechtlich jedoch der Wehrmacht gleichgestellt war, sollte von der Reichswehr nur für den Kriegsfall auf einen militärischen Einsatz vorbereitet werden. Zugestanden wurde der SS jedoch die Aufstellung einer zweiten, bis zu 25.000 Mann umfassenden bewaffneten Truppe, die bei Bedarf als Verstärkung der Politischen Polizei eingezogen und bewaffnet werden durfte, sowie die Errichtung von drei Führerschulen zur Ausbildung des militärischen Nachwuchses. Nach Bernd Wegner2309 war „(d)ie Verantwortung des Verteidigungsministers für die Vorbereitung der VT auf ihre militärische Verwendung im Kriege – seitens der Reichswehr als Kontrollmaßname verstanden – (…) auch für die SS von Vorteil, sicherte sie doch der neu geschaffenen Truppe das für deren allgemeine Anerkennung erforderliche Ausbildungsniveau, das ohne Unterstützung des Heeres zu erreichen der Verfügungstruppe wohl kaum gelungen wäre“. Probleme bereiteten der VT auch die Kompetenzkämpfe mit den Abschnittsführern der Allgemeinen SS,2310 die weiterhin Einfluss auf die VT nahmen. Diese konnten die VT im Bedarfsfall, „bei Notständen“ oder „zu besonderen Veranstaltungen“ he2305 Die Totenkopfverbände bestanden zunächst aus den nummerierten Sturmbannen oder Bataillonen Oberbay­ern (I), Elbe (II), Sachsen (III), Ostfriesland (IV) und Brandenburg (V) und wurden 1937 zu drei Standarten oder Regimentern (Oberbayern, Brandenburg, Thüringen), die in Dachau, Oranienburg (Sachsenhausen) und Frankenberg stationiert waren, umgebildet, Stein (1967), S. XVIII. 2306 Zu den „SS-Truppen“ vgl. ausf. Buchheim (1999), S. 160–182. 2307 Wegner (2006), S. 88. 2308 Höhne (1995), S. 408. 2309 Wegner (2006), S. 87f. 2310 Ebd., S. 98.

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ranziehen und die VT musste durch die zeitweise Bereitstellung von Ausbildnern und Gerätschaften auch die Ausbildung der Allgemeinen SS und der Hitlerjugend unterstützen. Darüber hinaus stand den Oberabschnittsführern weiterhin die Überwachung der Ausbildung der SS-Männer betreffend „Gemeinschaftsleben“ und „Dienstbetrieb der VT im großen“ zu, „soweit sie sich auf den Geist der Truppe“ bezogen.2311 Sie durften zwar nicht in die Ausbildungsmaßnahmen selbst eingreifen, hatten jedoch das Recht, „Feststellungen grundsätzlicher Art, wozu auch das Versagen von Führern im Rahmen der Schutzstaffel gehört(e)“ über den Chef des SS-Hauptamtes dem RFSS zu melden. Damit war von Beginn an der Doppelcharakter der VT bestimmt, die als militärischer und politisch-weltanschaulicher Verband ein „politisches Soldatentum“ schaffen und „die Vorhut einer nationalsozialistischen Armee“ bilden sollte.2312 Dementsprechend wurde der weltanschaulichen Schulung in den Führerkursen der VT breiter Raum eingeräumt. Der Sturmbann II/SS  1 wurde unmittelbar nach dem Erlass vom 24.  September aufgestellt,2313 wobei mit der Auslese bereits im Sommer 1934 begonnen worden war.2314 2311 Ebd., S. 99. 2312 Stein (1967), S. 14. 2313 Der II/SS  1 gehörte, wie der spätere SS-Obersturmbannführer und Historiograf der SS-Division „Das Reich“ Otto Weidinger fälschlicherweise angibt, zu keiner Zeit dem HWL Schleißheim an, wie auch der Großteil seiner sonstigen Ausführungen über die „Vorgeschichte“ des II/SS 1 nicht korrekt ist, Weidinger (1967), S. 25–29. So existierte ein „Hilfswerk Österreich“ zu keiner Zeit, der II/SS 1 ging aus dem HWL Dachau hervor und ist nicht identisch mit dem HWL Schleißheim, das parallel zum II/SS 1 im Herbst 1934 errichtet wurde. „Rotenbücher“ (sic  !) leitete im Sommer 1933 nicht die Dienststelle der österreichischen SS. Die österreichischen Behörden führten keine „automatisch(e)“ Ausbürgerung durch. Die SS wurde von Lechfeld nicht direkt nach Prittlbach überführt. Die Forderung der Auflösung der Legion erfolgte nicht erst durch Mussolini nach dem Juliputsch, sondern bereits seit Sommer 1933 durch die österreichische Regie­rung. Die Schnelleinbürgerungen in Deutschland wurden in erster Linie nicht wegen der Staatenlosen durchgeführt, sondern wegen jener SS-Männer, die noch österreichische Staatsbürger waren, um außenpoli­tischen Problemen vorzubeugen. Nicht alle Österreicher des II/SS 1 wurden sofort eingebürgert, sondern das Verfahren konnte bis zu zwei Jahre lang andauern. Die Polizeioffiziere wurden nicht Ende März 1934 „abberufen“, sondern traten aufgrund von Streitigkeiten im Februar aus der SS aus. Die Aufstellung des II/SS 1 erfolgte nicht, weil das Hilfswerkslager beim Aufmarsch am Reichsparteitag im September 1934 bei Hitler so großen Beifall gefunden hatte und er Himmler daraufhin den Vorschlag unterbreitete, es in die VT und dem SS-Regiment 1 in München einzugliedern, das nun die Bezeichnung II/SS 1 erhielt. Die Rekrutie­ rungen begannen schon im Sommer 1934, und der II/SS 1 unterstand zunächst der SS-Sammelstelle und wurde erst im März 1935 auf Wunsch von Rodenbücher von ihr getrennt. 2314 Eichmanns spätere Angabe, dass er einem „Bataillon des Regiments ‚Deutschland‘ “ angehört habe, kann nicht stimmen, da er am 1. Oktober 1934 zum SD übertrat und das Bataillon erst zu diesem Zeitpunkt auf­gestellt wurde, Verhör von Adolf Eichmann durch Polizei-Hauptmann Avner W. Less im Sommer 1960, zit.  n. Richardi (1998), S.  111f. Darüber hinaus erhielt die Standarte  1 erst am Reichsparteitag 1935 den Namen „Deutschland“ von Hitler verliehen.

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Bis Ende Jänner 1935 umfasste der Sturmbann 1.545 österreichische SS-Männer, davon 365 SS-Anwärter.2315 Am 7. November 1934 wurde der mittlerweile zum Obersturmbannführer ernannte Herbert Ranfft zum Führer des II/SS 1 bestellt.2316 Der Standort des II/SS 1 befand sich ebenfalls in Dachau und verblieb dort auch noch nach Eröffnung des Übungslagers am 1.  September 1935.2317 Nachdem dieses laut Himmlers Anordnung „ausschliesslich“ für die Ausbildungszwecke der Allgemeinen SS bestimmt war, sollte der Sturmbann nur noch „vorübergehend“ im Übungslager Dachau untergebracht werden. Danach wurde er ins Lager Prittlbach verlegt. Der genaue Zeitpunkt der Verlegung konnte allerdings bisher nicht eruiert werden. Mit Einführung der allgemeinen Wehrpflicht am 1.  Oktober 1934 wurde der Dienst in der VT als Ableistung der Wehrpflicht anerkannt. Die Mannschaften hatten sich für vier, die Unterführer für zwölf Jahre zu verpflichten. Die Verpflichtungsdauer für SS-Führer lag bei 25 Jahren, wobei sie ihren Dienstvertrag noch verlängern konnten.2318 Dementsprechend hatten SS-Männer bei ihrer Antragstellung um Aufnahme in die Junkerschule, der Offiziersschule der VT, eine Erklärung abzugeben, dass sie „den Dienst in der Schutzstaffel als Lebensberuf anstrebe(n)“.2319 Die Dienstgrade der Allgemeinen SS hatten keine Gültigkeit in der VT. Maßgeblich war ausschließlich die militärische Qualifikation, wodurch etwa ein Führer der Allgemeinen SS als einfacher SS-Mann in die VT aufgenommen werden konnte. Rechnung getragen wurde jedoch der früheren militärischen Ausbildung, wie etwa in der ehemaligen k.u.k. Armee oder dem Bundesheer. Allerdings lassen sich bei den ersten in die VT eingetretenen österreichischen SS-Führern doch erhebliche Unterschiede zwischen Theorie und Praxis feststellen. So behielten die 1934/35 eingetretenen Wiener SS-Führer auch ohne vorherige militärische Ausbildung ihre Dienstgrade der Allgemeinen SS bei. Ein weiteres Auslesekriterium für den Eintritt in die VT stellte die Höchstaltersgrenze von 23 Jahren dar.2320 Von 433 österreichischen Mannschaftsdienstgraden bzw. Unterführern, die 1935 dem Sturmbann II/S 1 angehörten, hatten 249, also mehr als die Hälfte, diese bereits überschritten.2321 Gleiches 2315 Gesamtstärkemeldung der SS, Februar 1935, BArch/NS 19, Zl. 1472. 2316 BArch (ehem. BDC), SSO  : Herbert Ranfft. Die SS-Dienstaltersliste 1934 nennt auch Hanns Feil als Führer des II/SS 1, der jedoch von November 1934 bis Oktober 1935 Stabsführer der SS-Sammelstelle war, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hanns Feil. 2317 Der RFSS, Verteiler IV v. 18. 9. 1935, BArch/NS 3, Zl. 564. 2318 Weidinger (1967), S. 20. 2319 Erklärung von Sylvester Stadler v. 5. 6. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Sylvester Stadler. 2320 Der RFSS, Verteiler V v. 29. 8. 1934, BArch/NS 19, Zl. 4042. Diese Anordnung betraf die „Politische Bereit­schaft“ und hatte auch nach Aufstellung der VT weiterhin Gültigkeit, Wegner (2006), S. 135. 2321 Zusammenstellung der zwischen April und Dezember 1935 dem II/SS 1 angehörenden österreichischen SS-Männern, BArch (ehem. BDC), SS-Liste A 20.

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gilt für die erforderlichen „rassischen Merkmale“,2322 die nach einer Fünf-PunkteSkala unterteilt waren und von „rein nordisch“ bis zur „Vermutung außereuropäischen Bluteinschlags“ reichten. Nach Wegner waren nur als „rein nordisch“ oder „überwiegend nordisch und fälisch“ beurteilte SS-Männer zum Eintritt in die VT berechtigt. Ganz im Gegensatz dazu wurden in den österreichischen Sturmbann II/SS  1 bei Weitem nicht nur nach NS-Vorstellung „rassereine“ Kandidaten aufgenommen. So wurde etwa der „ausgeglichene Mischling mit dinarischem Einschlag“ Hans Orasche sogar zum Rasse-Referenten des II/SS 1 bestellt,2323 und auch Boris Plachetka entsprach nicht den Aufnahmekriterien der VT  :2324 Zum einen wurde er als „fast rein ostisch“ bewertet, zum anderen hatte er zum Zeitpunkt seines Eintritts in die VT das 27. Lebensjahr längst überschritten. Nichtsdestotrotz wurde Plachetka als Obersturmführer in die VT aufgenommen, wo er in der Folge zum Obersturmbannführer aufstieg. Die Möglichkeit, eine Offizierslaufbahn in den Junkerschulen der VT einzuschlagen, bedeutete für viele die Chance auf einen beruflichen Neuanfang. Die SS-Junkerschulen2325 waren im Zuge der von Hitler am 24. September erlassenen Richtlinie über die Aufstellung einer SS-Verfügungstruppe gegründet worden und hinsichtlich ihrer militärischen Ausbildung den Kriegsschulen der Reichswehr angeglichen. Die Vorauswahl der Anwärter für die SS-Junkerschulen wurde in den jeweiligen Stammeinheiten getroffen. Die Anwärter mussten eine Aufnahmeprüfung ablegen, bei der minimales Allgemeinwissen sowie militärische Grundkenntnisse abgefragt wurden. Der Großteil der Wiener SS-Männer, die zwischen 1934 und 1937 die Junkerschulen der VT absolvierten, hatten aufgrund der wirtschaftlichen Notlage die Schule bzw. eine höhere Ausbildung abbrechen und einen ihren Karrierewünschen nicht entsprechenden Zivilberuf ergreifen müssen. Die überwiegende Zahl hatte Jahre der Arbeitslosigkeit durchlebt bzw. sich mit Aushilfsjobs durchs Leben geschlagen. Der Sturmbann II/SS  1 sollte nur wenige Monate im Verband der SS-Sammelstelle bleiben. Am 18.  Dezember stellte Rodenbücher ein Gesuch an Himmler,2326 „das Bataillon II SS 1 dem SS-Oberabschnitt Süd zuzuteilen“. Als Grund führte er an, dass ihm aufgrund seiner zahlreichen Funktionen „(t)rotz eifrigsten Bemühens“ nicht genügend Zeit bleibe, um sich ausreichend um die Ausbildung und den Dienst des Bataillons kümmern zu können“. Weiters hätten in letzter Zeit „die Disziplin des 2322 Wegner (2006), S. 136. 2323 BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Orasche. 2324 BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Lang (= Boris Plachetka). 2325 Vgl. dazu ausf. Wegner (2006), S. 149–171  ; Schulze-Kossens (1987). 2326 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 18. 12. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher.

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Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

Führerkorps und das Auftreten der Mannschaften (…) Anlass zu schriftlichen und mündlichen Klagen gegeben“. So erklärte er gegenüber Himmler, dass es sich bei den verantwortlichen Führern, also den ehemalige Polizeioffizieren, um „keine SS-Führer, die im Dienste der SS gross geworden sind“, handle, „sondern um Führer, die durch ihre Anforderungen als Ausbilder etwas überheblich geworden sind“. Allerdings umfasste das Führungskorps der anderen Einheiten der VT ebenfalls zahlreiche ehemalige Polizeioffiziere, womit die Situation im II/SS  1 keine Ausnahme darstellte.2327 Es war also – wieder einmal – zu Problemen zwischen Rodenbücher und seinen Untergebenen gekommen. Der Grund für die Unstimmigkeiten dürfte weniger in der Arroganz der Polizeioffiziere, sondern vielmehr in Rodenbüchers Nichteignung für diese Aufgabe gelegen haben, verfügte er doch als Oberbootsmann (= Oberfeldwebel) über keine Offiziersausbildung. Weiters war es angeblich aber auch zu Problemen mit dem I. Sturmbann der Standarte 1 gekommen. Diese war am 1. Oktober 1934 aus der Politischen Bereitschaft hervorgegangen und in München unter der Führung des Majors der Bayerischen Landespolizei Georg Ritter von Hengl stationiert. Damit stand der I. Sturmbann der SS 1 unter dem Kommando des Oberabschnitts Süd, der II. Sturmbann unter jenem der SS-Sammelstelle. Nach Rodenbüchers Bericht scheint es zwischen der Führung der beiden Sturmbanne Schwierigkeiten gegeben zu haben. Als Lösung schlug er Himmler vor,2328 dass mit der „einheitlichen Unterstellung beider Bataillone unter den Befehl des Oberabschnitts Süd (…) die bisherigen Rivalitäten ausgeglichen werden“ könnten. Eine „einheitliche Führung“ könnte auch die Möglichkeit schaffen, „den Ausbildungsstand beider Bataillone abzuwägen, und sie kann die notwendigen Ermahnungen und Belehrungen ergehen lassen. Insbesondere können Klagen über das Auftreten dieser aktivierten Männer innerhalb des Oberabschnitts geklärt werden.“ So sei „(d)urch das systematische Melden von angeblich schlechtem Benehmen Angehöriger des II. Bataillons (…) die Kameradschaft dieser beiden Bataillone erheblich gestört worden.“ Weiterhin unter seiner Leitung sollten die beiden Hilfswerkslager und die SS-Sammelstelle bleiben.

2327 Wegner (2006), S. 173, zufolge fungierten Mitte 1935 in der Standarte 1 je ein aktiver und ein ehemaliger Hauptmann der Landespolizei als Bataillonskommandeure. Die Kompanien wurden von drei Offizieren des „alten Heeres“, einem ehemaligen österreichischen Offizier, drei ehemaligen Feldwebeln des Reichsheeres und einem Führer der Allgemeinen SS befehligt. Möglicherweise handelte es sich bei dem österreichi­schen Offizier um Fritz (von) Scholz, der den 8. Sturm des II/SS 1 führte, Stellenbesetzung der SS-Verfü­gungstruppe II/SS 1, Dachau v. 30. 9. 1935, BArch/NS 34, Zl. 84. 2328 Alfred Rodenbücher an Heinrich Himmler v. 18. 12. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher.

Die Errichtung der SS-Sammelstelle

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Am 22. Dezember gab Himmler der Bitte Rodenbüchers nach2329 und teilte ihm mit, dass er eine diesbezügliche Verfügung erlassen werde. Die ehemaligen Polizeioffiziere dürften über diese Maßnahme nicht informiert worden sein, da es Mitte Jänner 1934 zu erheblichen Unstimmigkeiten mit der SS-Führung kam. Nach einem Bericht von Hanns Feil, dem Stabsführer der SS-Sammelstelle Dachau, hatte Gruppenführer Waldeck-Pyrmont,2330 der damalige Führer des Gruppenstabs, am 17. Jänner eine Besichtigung im Lager Schleißheim angekündigt, was sich jedoch als „Irrtum“ he­ rausstellte, da er „eigentlich das aktive Bataillon“ inspizieren wollte. Nach einer wenige Minuten dauernden Inspektion des Lagers Schleißheim begab sich Waldeck-Pyrmont zum Bataillon II/SS 1, wo laut Feil „alles übergenau besichtigt und inspiziert wurde“ und sich die peinliche Situation ergab, dass ein nicht erschienener Bataillonsführer als krank gemeldet wurde, der wenig später allerdings auftauchte und sich über seine eigene Krankmeldung nicht informiert zeigte. Am gleichen Tag war auch vom Oberabschnitt Süd ein „Kriegsspiel“ angesetzt worden, an dem die Führer des II/SS 1 sowie Hanns Feil teilzunehmen hatten. Unmittelbar vor Beginn wurde den Kommandeuren des Bataillons vom Führer des Oberabschnitts Süd, Ernst Heinrich Schmauser, über Auftrag von Wittje mitgeteilt, dass sie doch nicht teilnehmen dürften. Die Kommandeure verabschiedeten sich daraufhin und trafen im Vorraum mit Wittje und WaldeckPyrmont zusammen. Nach Feils Darstellung wurde er selbst von den beiden freundlich und mit Handschlag begrüßt, während Ranfft von Wittje „sehr ernst und offiziell (…) (anscheinend ohne Händedruck) (begrüßt)“ wurde. Feil teilte daraufhin der Sammelstelle in München mit, dass „die Herren von der Polizei sehr böse“ seien und das Verhalten „als ein Affront (sic  !) des Wittje auf(fassen)“ würden. Sie hätten sich besprochen und Feil wissen lassen, dass sie am folgenden Tag „bei Wittje ihren Abschied einreichen würden“. Tatsächlich bat Ranfft am Tag darauf um die Aufhebung seiner Abkommandierung zur SS und seine Rückkehr zur Landespolizei. Ebenso nahmen auch die übrigen Polizeioffiziere ihren Abschied aus der SS und schieden mit Wirkung vom 15. Februar aus.2331 Im März wurde das Bataillon II/ SS 1 dem SS-Oberabschnitt Süd in München eingegliedert und unter das Kommando von Karl Demelhuber gestellt. Der Großteil der Männer wurde auf die Bataillone I 2329 Heinrich Himmler an Alfred Rodenbücher v. 22. 12. 1934, ebd. 2330 Bericht über einen Anruf der SS-Sammelstelle München von Obersturmbannführer Feil v. 18. 1. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Herbert Ranfft. 2331 Märker hatte die SS bereits Anfang Dezember 1934 wieder verlassen. Die Polizeioffiziere scheinen in der SS-Dienstaltersliste 1934 nicht auf, da die Regelung ihrer Besoldungs- und Versorgungsansprüche erst nach deren Veröf­fentlichung erfolgte. Die Dienstaltersliste 1935 nennt als Grund für ihren Austritt die Überstellung zum Reichsheer, jedoch kehrten zumindest Ranfft und Neicke zur Polizei zurück. Letzterer trat im Juni 1937 wieder der SS bei, BArch (ehem. BDC), SSO  : Günther Neicke.

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Die österreichische SS in Deutschland 1933–1938

und II aufgeteilt.2332 Dies bedeutete die vollständige Trennung von der SS-Sammelstelle. Als einzige österreichische Formation überhaupt wurden die Angehörigen der VT somit von der österreichischen Führung getrennt und geschlossen einer deutschen Einheit eingegliedert. Bisher konnten 810 Österreicher ermittelt werden, die bis zum „Anschluss“ in die II/SS 1 eintraten bzw. in diese überstellt wurden.2333 Bei 465 SS-Männern konnte der letzte Wohnort festgestellt werden, wobei die Verteilung innerhalb der Bundesländer folgendermaßen gestaltet war  : SS-Angehörige

%

Steiermark

128

27,5 %

Salzburg

  69

14,8 %

Niederösterreich

  68

14,6 %

Oberösterreich

  82

17,6 %

Tirol

  44

  9,5 %

Wien

  29

  6,2 %

Kärnten

  40

  8,6 %

Burgenland

   1

  0,2 %

Vorarlberg

   3

  0,7 %

n = 465

Tabelle 20  : Verteilung des Sturmbanns II/SS 1 nach Bundesländern

14.3.4 Das SS-Hilfswerkslager Schleißheim bei Dachau

Das HWL II Schleißheim wurde Ende Oktober 1934 errichtet.2334 Als Lagerführer wurde zunächst der Sturmbannführer Anton Wohlrab eingesetzt, dem Hubert Kölblinger und zuletzt Obersturmführer Georg Wiesinger nachfolgten. Laut der von den österreichischen Behörden beschlagnahmten Post wurde das Lager unter der Deck­ adresse „Pension Marienheim“ geführt. Bis Mitte Dezember war das HWL Schleißheim provisorisch in der großen Halle des KZ Dachau untergebracht, wo mangels geeigneter Räumlichkeiten Führer und Mannschaften nach Stürmen geordnet zusammen wohnten. Am 12. Dezember übersiedelte das HWL II in die bisherigen Räume des HWL Dachau.2335 2332 Alfred Rodenbücher an Adolf Prützmann/Führer des SS-Oa Südwest v. 3.  8.  1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Hansmann. 2333 Nicht eingerechnet wurden jene SS-Führer, die als Führer der Allgemeinen SS militärische Führerkurse bei der VT absolvierten. 2334 Bericht von Anton Wohlrab v. 26. 2. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Pöttinger. 2335 Ebd.

Die Errichtung der SS-Sammelstelle

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Das HWL Schleißheim gliederte sich Anfang 1935 in folgende vier Stürme  : Der Sturm 1 umfasste alle Rekruten und unterstand Obersturmführer Emil Langguth. Der Sturm 2 stellte die Wachmannschaft und bestand aus all jenen SS-Angehörigen, die ihre militärische Ausbildung bereits im Lager Lechfeld bzw. Dachau absolviert hatten. Mit der Führung war Untersturmführer Hans Pöttinger betraut, der sich bereits 1928, also lange vor Aufstellung der österreichischen SS, der Schutzstaffel angeschlossen hatte. Pöttinger, der schon in Österreich keine Prügelei ausgelassen hatte, sollte hinfort noch mehrmals Anlass zu Kritik geben. In einem Personalbericht wurde er als „herrisch, leicht aufgebracht“ und als „hemmungsloser Draufgänger“ beschrieben,2336 dessen „Auftreten in und außer Dienst (…) zeitweise zu wünschen übrig“ ließ. Seine Ernennung verdankte er dem Umstand, dass zu dieser Zeit noch auf altgediente SSMänner Rücksicht genommen wurde. Pöttinger eignete sich zwar keineswegs für diese Stellung,2337 jedoch wurde von seiner Enthebung zunächst abgesehen, „um eine Kränkung des alten Kämpfers zu verhindern“. Nach dem Juliputsch änderte sich diese Einstellung dann zunehmend. Der Sturm 3 umfasste alle Dienstuntauglichen und entsprach dem früheren „kommandierten Sturm“. Seine Leitung übernahm der Steirer Josef Lindthaler. Sturm 4 stand unter dem Kommando von Gustav Rieger. Er war als Bausturm eingesetzt und für die Arbeiten auf dem Übungslager Schleißheim zuständig. Im HWL Schleißheim waren im Laufe der Jahre dann vor allem SS-Männer untergebracht, die für den militärischen Dienst ungeeignet waren bzw. nicht oder nur mit Mühe in andere Dienststellen oder in Zivilberufe vermittelt werden konnten. In einem Bericht vom Dezember 1936 schilderte der aus Leoben stammende SS-Untersturmführer Josef Lindthaler die Zustände im HWL Schleißheim wenig positiv.2338 So wurde bis auf zwei Tage in der Woche nur noch Arbeitsdienst verrichtet, und das Führerkorps lag zahlenmäßig weit überproportional zu jenem der Mannschaftsstärke. Dementsprechend fühlte sich Lindthaler „von Tag zu Tag überflüssiger (…), wenn man berechnet, daß auf einen Stand von rund 60 Mann vier Führer fallen und mit diesen Männern nur Arbeitsdienst verrichtet wird“. Und weiters beklagte er dort  : „Durch das die Verhältnisse (sic  !) im SS-H.W.L. Schleißheim so sind, daß mit den Männern den ganzen Tag und seit 9 Monaten auch die ganze Woche nur mehr Arbeitsdienst verrichtet wird und dem einzelnen sonst gar nichts geboten wird, was einen (sic  !) etwas Geist einflößen könnte und man nebenbei in betracht (sic  !) zieht, daß weit und breit kein Haus steht und 2336 Personal-Bericht und Beurteilung v. 7. 5. 1934, ebd. 2337 Bericht von Anton Wohlrab, Beilage zu einem Schreiben an Alfred Rodenbücher v. 26. 2. 1935, ebd. 2338 Josef Lindthaler an Alfred Rodenbücher v. 7. 12. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Lindthaler.

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die Verbindung nach München auf ganz geringe Möglichkeiten beschränkt ist, so ist es kein Wunder(,) wenn der einzelne Mann auf einen derartigen Wurstigkeitsstandpunkt angelangt ist, wo es dann schon schwer ist, auf einen Mann einen Einfluß auszuüben(,) um ihn hoch zu halten, wo ja keinem irgend eine geistige Nahrung oder sonstige Zerstreuung geboten wurde. Ja(,) es war nicht einmal Zeit für einen Sport und schon gar keine Rede von einem Sportabzeichen. Andererseits muß aber auch gesagt werden, daß nach dem SS. H.W.L. Schleißheim fast nur jene Männer eingewiesen wurden, deren Führung nicht immer die Beste war. Und wie tief die Moral im Lager gesunken war, kann wohl auch das bezeugen, wenn man bedenkt, daß im Lager Schleißheim in der Zeit von 7 Monaten bei 40 Disziplinarstrafen und darunter noch bei 5 Ausschlüssen und Austritten aus der Schutzstaffel, verhängt wurden, und das bei einem durchschnittlichen Stand von cirka 90 Mann. In einem anderen Falle ist man über die schlechte Führung von Männer (sic  !) einfach darüber hinweggegangen, weil man sie für gewisse Arbeiten dringend benötigte. Nachdem ich (…) immer bestrebt war, in Ihrem Sinne, mein Gruppenführer, zu handeln, nämlich (sic  !) daß die Männer in den zivilen Beruf überführt werden sollen, war ein richtiges Zusammenarbeiten mit dem Lagerführer nicht immer möglich.“

Nachdem Lindthaler im Zuge von Streitigkeiten mit Lagerführer Georg Wiesinger Selbstanzeige erstattet und um Entlassung in den Zivilberuf angesucht hatte, wurde seiner Bitte schließlich Rechnung getragen. Nach einer Ausbildung als Verwaltungsführer wurde er zum 2. SS-Totenkopf-Verband nach Brandenburg und nach dem „Anschluss“ als Verwaltungsführer zum SS-Totenkopf-Verband Österreich versetzt. Ähnlich wie in Waischenfeld fielen auch Angehörige des HWL Schleißheim in der Öffentlichkeit mehrmals unangenehm auf. So berichtete die SS im Mai 1935 über eine antisemitische Demonstration in München,2339 dass sich unter den Demonstranten „eine große Menge Pöbel“, „verbrecherische Elemente und lichtscheues Gesindel“ befunden habe(n), „das jede Unruhe benützt, um aus seinen Löchern hervorzukriechen“. Wie sich nachträglich herausstellte, hatte die etwa 200 Mann starke Gruppe fast ausschließlich aus Angehörigen des HWL Schleißheim und anderer Parteigliederungen bestanden. Im Jänner 1935 kam es in der Dachauer Gastwirtschaft „Zum Kraisy“ zu einer Schlägerei zwischen Angehörigen des HWL und Ortsansässigen, nachdem ein SSAnwärter gehört haben wollte,2340 dass sich einige Gäste über die Österreicher folgendermaßen geäußert hatten  : „Das sind alles Ausländer (Österreicher), was wollen

2339 Kershaw (1979), S. 293. 2340 Aussage von Friedrich P. v. 24. 1. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Pöttinger.

Die Errichtung der SS-Sammelstelle

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die überhaupt bei uns  !“ Nach den Angaben des Wirts2341 hatten die SS-Männer ihn „sofort“ nach ihrem Erscheinen in der Gaststube „zu hänseln begonnen“. So habe einer der Männer bemerkt, er sei „ein sauberer Wirt“, worauf ein zweiter SS-Mann antwortete, dass er „nicht ganz sauber(,) wohl aber recht warm angezogen sei“. Danach hätten sie einen Gast, der sich mit „Guat Nacht, beianand“ verabschiedet und auf ihren Hitler-Gruß nur damit reagiert hatte, dass er zwar „seine rechte Hand zum deutschen Gruß erhob (…), aber nichts dazu sagte“, zur Rede gestellt, „ob er denn nicht wisse(,) wie er zu grüßen habe“. Nach einem Wortgefecht zwischen den SS-Männern und einigen Gästen rief der Wirt schließlich zwei im Nebenzimmer sitzende SS-Männer herbei, die den Streit vorerst schlichten konnten. Nach Verlassen der Gastwirtschaft tauchten die Österreicher eine Stunde später neuerlich auf und drohten dem Wirt, der sie nicht in die Gaststube lassen wollte, „in die Wirtschaft hineinzuschießen“. Mit Unterstützung seiner Gäste gelang es diesem, die SS-Männer aus dem Lokal zu schaffen, wobei angeblich ein SS-Mann geohrfeigt wurde. Nachdem sich weitere SS-Männer vor dem Lokal versammelt hatten, eskalierte die Situation dann mit dem Auftauchen des Sturmführers Pöttinger, der einen kriegsinvaliden Gast beschimpfte und ihm ins Gesicht schlug, wodurch die Schlägerei gänzlich entbrannte. Mit einem achttägigen „Ausgangsentzug“ durch Lagerführer Kölblinger endete ein „Kameradschaftsabend“ des HWL Schleißheim im Dachauer Gasthaus Hörhammer.2342 Für die ca. 400 SS-Männer hatte die Lageführung etwa 700 Liter Freibier zur Verfügung gestellt. Nachdem die Männer bereits am Nachmittag ihr Abendessen erhalten hatten, standen sie nach Beginn der Veranstaltung „bald unter der Wirkung des ausgiebigen Bierkonsums“, wobei „der rückwärtige Teil“ des Saals „besonders reichlich bei der Bierzustellung bedacht (wurde), da der vordere Saalteil für die Bierträger (…) schwer zugänglich war“. Nachdem zwei betrunkene SS-Angehörige Silberbestecke gestohlen und ihre Kameraden im Kaffeehaus Belster die Zeche von etwa 40,– RM geprellt hatten, ordnete Kölblinger die Bestrafung des gesamten Lagers an. Der schwerwiegendste Vorfall ereignete sich aber im Zusammenhang mit vier öster­reichischen SS-Männern der VT.2343 In der Nacht des 29. Dezember 1937 war es in der Dachauer Straße zu einem Zusammenstoß zwischen den SS-Männern und drei Soldaten des Infanterieregiments 61 gekommen, der „in eine regelrechte Schlägerei auf der Straße ausartete“. Einer der Soldaten zog während der Prügelei sein Seitengewehr und stach damit auf zwei SS-Männer ein. Der Tiroler Sturmmann Hans 2341 Bericht des Bezirksführers Dachau an das Bezirksamt Dachau v. 10. 1. 1935, ebd. 2342 Bericht von Alfred Baubin an die SS-Sammelstelle v. 5. 5. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Baubin (= Alfred Keller). 2343 Bericht der Kriminalpolizeistelle München v. 29. 12. 1937, BArch (ehem. BDC), SS-Liste A 2.

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Riedhart wurde dabei so schwer verletzt, dass er kurz nach seiner Einlieferung in das Krankenhaus verstarb. Nach den bisherigen Kenntnissen dürften sich 1937 nur noch einige wenige SSMänner in den Lagern der SS-Sammelstelle bzw. beim HWL befunden haben. Der Großteil war bereits in die deutsche SS integriert bzw. in den Zivilberuf entlassen worden und nur noch nebenamtlich in der SS aktiv.

15. Die Gründung des NSDAP-Hilfswerks für Flüchtlinge und Hinterbliebene nach dem Juliputsch

Die Auflösung der österreichischen Landesleitung und die Bestellung Rodenbüchers zum Leiter der Abwicklungsstelle derselben sowie des NSDAP-FHW im August 1934 bedeuteten die völlige Entmachtung der nach Deutschland geflüchteten österreichischen Politischen Leiter. Zwar versuchten sie, ebenso wie Hermann Reschny, weiterhin ihren Einfluss auf die Politik der NSDAP in Österreich geltend zu machen und ihre alten Führerstellungen wiederzuerlangen, stießen damit jedoch bei Hitler auf kategorische Ablehnung. Ende April 1935 setzte Rudolf Heß die ehemaligen Politischen Leiter über die „endgültige Entscheidungen des Führers“ in Kenntnis.2344 Darin erneuerte Hitler seinen bereits im August 1934 erlassenen Befehl über die unbedingte Nichteinschaltung von in Deutschland befindlichen österreichischen Stellen bzw. Funktionären in österreichische Fragen. Weiters lehnte er ihren Wunsch ab, die Leitung des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks einem ehemaligen österreichischen Politischen Leiter zu übertragen bzw. zumindest einzelne Leiter an maßgeblicher Stelle mitarbeiten zu lassen. Im August 1935 ordnete er an,2345 dass die ehemaligen österreichischen Politischen Leiter sofort die deutsche Reichsbürgerschaft, falls sie diese noch nicht erlangt hatten, annehmen mussten. Danach würden sie „ihre bisher innegehabten Dienstränge zurückerhalten“, ohne jedoch wieder in ihrer alten Funktion eingesetzt zu werden. Nach dem Juliabkommen 1936 beantragte der frühere Tiroler Gauleiter Franz Hofer2346 die „Dienstrangwiederzuerkennung für die ehemaligen Politischen Leiter Österreichs“. Auch dieser Vorstoß fand keine Zustimmung bei Hitler.2347 Nicht so rigoros gehandhabt wurde hingegen die Mitarbeit von ehemaligen Politischen Leitern im FHW, da Rodenbücher diese auch in Führungspositionen zur Mitarbeit heranzog. 2344 Rudolf Heß an alle ehem. P.O. der aufgelösten LL und GL der NSDAP. in Österreich v. 26. 4. 1935, BArch/R 187, Zl. 303, Herv. i. Orig. 2345 Der Stellvertreter des Führers an den Reichsorganisationsleiter der NSDAP, Robert Ley, v. 28. 8. 1935, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 21257, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2346 Der Stabsleiter/Martin Bormann an den Stellvertreter des Führers v. 6. 8. 1936, in  : Akten der ParteiKanzlei der NSDAP, Reg. 21866, ebd., Herv. i. Orig. 2347 Der Stellvertreter des Führers/Martin Bormann an Reichsleiter Ley v. 20.  8.  1936, in  : Akten der Partei-Kanz­lei der NSDAP, Reg. 21866, ebd., Herv. i. Orig.

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Die Gründung des NSDAP-Hilfswerks für Flüchtlinge und Hinterbliebene nach dem Juliputsch

Allerdings mussten sie 1937 auf Veranlassung von Heß auch aus der Führung des FHW ausscheiden,2348 dessen Leitung „ausschließlich an Reichsdeutsche“ übergeben wurde. Bis zur Auflösung der Landesleitung war die Flüchtlingshilfe für jene politischen Flüchtlinge, die nicht der SA oder SS angehörten, länderweise unterschiedlich organisiert worden.2349 In Bayern fiel diese beispielsweise in die Zuständigkeit der NSVolkswohlfahrt (NSV) und des Winterhilfswerks, die jedoch „nur vorübergehend eingeschaltet“ waren. Aber auch nach der Errichtung des FHW gab es keine zentrale Stelle,2350 welche die Angelegenheiten aller österreichischen Flüchtlinge übernommen hätte. So existierten neben dem FHW in München (Hoffmannstraße  37) und Berlin (Victoriastraße  6)2351 noch das HWNW mit Sitz in München (Gabelsbergerstraße 29)2352 und die SS-Sammelstelle, die ihren Standort ebenfalls in München (Karlsplatz 8/III) bezogen hatte.2353 Das FHW war somit für die Betreuung aller zivilen Flüchtlinge zuständig2354 und organisierte aufgrund von Rodenbüchers Doppelfunktion als Führer des FHW und der österreichischen SS in Deutschland auch die finanzielle Abwicklung der SS-Sammelstelle. Hingegen blieb das HWNW völlig autonom gegenüber dem FHW. Die SA-Männer wurden erst nach ihrer Abrüstung aus dem HWNW dem FHW zugewiesen, um in Zivilberufe vermittelt zu werden. 2348 Ausführung von Alfred Rodenbücher, Aktennotiz über eine Sitzung v. 9.  3.  1937, BArch/R 187/ Zl. 302. 2349 Der Reichsminister des Innern, Aufzeichnung einer Besprechung zur österreichischen Flüchtlingsfrage v. 25. 1. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 30093, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2350 Rundschreiben Nr. 159/35 von Martin Bormann v. 2.  8.  1935, BArch/R 187, Zl.  303a. Zu den Hilfsmaßnah­men von NSDAP-Mitgliedern in Österreich bzw. zur Unterstützung von Angehörigen geflüchteter Natio­nalsozialistInnen vgl. Williams (1981), Langoth (1951). 2351 Die Niederlassungen des FHW befanden sich im September 1934 zunächst in der Karlstraße  5 in München und in der Danzigerstraße 62 in Berlin, Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Ar­beitslosenversicherung an die Herren Präsidenten der Landesarbeitsämter v. 8. 9. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30207, zit.  n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K.  G. Saur-Verlag. Spätestens im November 1934 übersiedelte die Münchner Niederlassung endgültig in die Hoffmannstraße 37, während sich der Berliner Sitz vorerst in der Lützowstraße 107/108 befand, Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenver­sicherung an die Herren Präsidenten der Landesarbeitsämter v. 30. 11. 1934, ebd. 2352 Holzmann (1981), S. 71. 2353 Die Dienststellen des RFSS befanden sich seit 1935 in der Karlsstraße 10 und wurden 1938 auf die Karlsstraße 8 ausgeweitet, Schalm (2005), S. 417. 2354 Bericht von Alfred Rodenbücher über die „Organisation des NSDAP-Flüchtlingshilfswerkes“ (= Bericht Rodenbücher, FHW) v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4.

Grundzüge der deutschen Politik gegenüber den österreichischen Flüchtlingen

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Die Betreuung der Flüchtlinge durch das FHW konnte sowohl „offen“ als auch „geschlossen“ erfolgen.2355 Ersteres bedeutete, dass die Flüchtlinge individuell betreut wurden. Darunter fielen all jene Parteimitglieder, die eine führende Stellung in Österreich innegehabt, sich „durch ihren ganz besonderen Einsatz für die Bewegung bezw. durch ganz besonders große wirtschaftliche Verluste“ verdient gemacht hatten oder aufgrund „ihres Gesundheitszustandes und Alters nicht in der Lage“ waren, „LagerAufenthalt“ zu nehmen. Ebenso wie die SA und SS richtete nämlich auch das FHW Hilfswerkslager ein, die von der Abteilung Ib (Lagerangelegenheiten) organisiert wurden und in Frauen-, Männer- und Familienlager unterteilt waren.2356 Der Großteil der Flüchtlinge befand sich in „geschlossener“ Betreuung in einem dieser Lager. Nachdem mit einer baldigen Rückkehr der österreichischen Flüchtlinge nach dem Juliputsch nicht mehr gerechnet werden konnte, begannen sich die deutschen Staats- und Parteistellen eingehend mit der Flüchtlingsfrage zu befassen. Laut dem Bericht eines Konfidenten hatte Hanns Rauter diesem im Jänner 1935 erklärt, dass sich ca. 42.000 geflüchtete ÖsterreicherInnen in Deutschland befinden würden.2357 15.1 Grundzüge der deutschen Politik gegenüber den österreichischen Flüchtlingen 15.1.1 Die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus

Während die deutsche NSDAP vor dem Juliputsch den Zuzug insbesondere von SAund SS-Männern zur militärischen Ausbildung nach Deutschland gefördert hatte, begann sie danach sowohl aus außen- als auch arbeitsmarktpolitischen Rücksichten die Aufnahme von österreichischen Flüchtlingen zu begrenzen. Als Voraussetzung für eine Aufnahme in Deutschland mussten die Flüchtlinge nun nachweislich von den 2355 Ebd. 2356 Im Mai 1936 zählte das FHW zwölf Lager in Middelburg, Ahrensbök, Mihla, München (Giselastraße) Furth-Deisenhofen, Rummelsburg, Weißensee bei Berlin, Bad Schandau, Dießen am Ammersee, Bischofsried, das Mädchenheim Berlin und das Überprüfungslager Graßlfing, Bericht Rodenbücher, FHW v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4. Anfang 1937 existierten nur noch die Lager Furth (Frauenlager), Rummelsburg (Familienla­ger) sowie Middelburg (Männerlager) mit einer Belagszahl von zusammen 1.494 Flüchtlingen. Das FHW-Lager Mihla a.  d. Werra war mittlerweile aufgelöst worden, Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes für die Zeit vom 1. 10. 1936 bis 28. 2. 1937, in  : Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten, Dokument rk 251, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2357 Bericht II v. 22. 1. 1935, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30412, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag.

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Die Gründung des NSDAP-Hilfswerks für Flüchtlinge und Hinterbliebene nach dem Juliputsch

österreichischen Behörden verfolgt werden. Konnten die verlangten Voraussetzungen nicht erbracht werden, büßte der Flüchtling sein „Recht“ ein, „am schließlichen Sieg der österreichischen NSDAP teilzuhaben“,2358 und wurde nicht in die Betreuung des FHW oder der Parteigliederungen aufgenommen. Laut einem von der Polizei in Judenburg beschlagnahmten Flugblatt an alle Dienststellen der NSDAP vom 22. Jänner 1935 mussten die Flüchtlinge einen „triftigen Grund“ haben bzw. eine Genehmigung der Parteileitung für ihre Flucht vorweisen können, da sie andernfalls aus Deutschland abgeschoben wurden. Damit sollte, so die Begründung im Rundschreiben, der weitere Zustrom von Parteimitgliedern nach Deutschland „eingedämmt“ werden, „da im bevorstehenden Endkampf jeder Mann dringend gebraucht werde“.2359 Auch innerhalb der SS wurde die Genehmigung zur Flucht nach Deutschland streng reglementiert. So bat im Juli 1934 der damalige Führer des SS-Sturms 4 /1/11, Ernst Sengseis,2360 dass der in Deutschland befindliche SS-Anwärter Helmut Riedl wieder nach Österreich zurückgeschickt werde. Diesem war vom Regierungskommissär an der Hochschule für Bodenkultur in Wien angedroht worden, dass er im Falle eines neuerlichen Sprengstoffanschlags auf die Hochschule ins Anhaltelager Wöllersdorf gebracht werde. Riedl war „daraufhin vom Sturm beurlaubt“ worden und verbrachte in weiterer Folge seinen dreiwöchigen Urlaub bei Verwandten in München. Sengseis ersuchte nun darum, dass Riedl keine Bewilligung zum „Eintritt in die Legion“ erhalte und nach Ablauf seines Urlaubs nach Wien zurückgeschickt werde, da seiner Ansicht nach Riedls Befürchtung, in Wöllersdorf interniert zu werden, „grundlos“ sei und die Standarte „jeden Mann brauche“. Nach einem Bericht der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit2361 vom November 1935 wurden ab Sommer nur noch Flüchtlinge, die in Österreich eine mindestens zweieinhalbjährige Strafe zu erwarten hatten, aufgenommen. Dieses Strafmaß ist sicherlich zu hoch angesetzt, denn aufgenommen wurden auch weiterhin Flüchtlinge, die eine kürzere Gefängnisstrafe bzw. Anhaltehaft verbüßt hatten und in Österreich keine Arbeit mehr finden konnten. Allerdings durften sie nur mit Billigung oder im Auftrag der Politischen Leiter bzw. der Führer der jeweiligen Gliederung aus Österreich flüchten bzw. mussten im Fahndungsblatt der österreichischen Polizei, auch wegen Delikten mit weitaus geringerem Strafmaß, zur Verhaftung ausgeschrieben sein. Als politische Flüchtlinge wurden erstens „Partei- und Volksgenossen deutscher 2358 Bericht eines Gestapo-Angehörigen über die Situation in Österreich v. Ende August 1934, National Archi­ves, T-120, R. 2889/E 454322-24, zit. n. Pauley (1988), S. 145. 2359 Lagebericht der GföS vom Februar 1935, DÖW, Nr. 6184a. 2360 Dienstzettel des Führers des SS-Sturms 4/I/11, SS-Nr. 37.533 (=  Ernst Sengseis) v. 18.  7.  1934, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 220.611-St.B./1934. 2361 Lagebericht der GföS von Mitte November 1935, DÖW, Nr. 6184a.

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Abstammung“ anerkannt,2362 die Gefahr liefen, durch einen Verbleib in Österreich „eine schwere Kerkerstrafe zu erhalten“. Zweitens fielen jene darunter, die bereits eine längere Haftstrafe oder Anhaltung in Österreich verbüßt hatten und aus gesundheitlichen oder wirtschaftlichen Gründen nicht mehr in der Lage waren, „in der Heimat auszuharren“. Und drittens wurden jene als politische Flüchtlinge anerkannt, die aufgrund ihres jahrelangen Einsatzes für die NSDAP jegliche wirtschaftliche Existenz verloren hatten. Das FHW hatte alle Flüchtlinge auf ihre Betreuungswürdigkeit hin zu prüfen. Darunter fielen die Feststellung der Parteizugehörigkeit bzw. einer Mitgliedschaft innerhalb der Parteigliederungen, die „Art des Einsatzes für die Bewegung“, die verbüßten Haft- bzw. Anhaltestrafen, die wirtschaftliche Lage vor und nach dem Parteiverbot sowie „das Vorleben in jeder Hinsicht“, wie etwa die Feststellung von kriminellen Strafen. Eine Nichtanerkennung des Flüchtlingsstatus bedeutete anfangs jedoch nicht die sofortige Abschiebung, sondern besagte nur, dass sie keine Unterstützung durch das FHW erhielten. So schrieb ein Wiener Parteigenosse,2363 der 1935 aus wirtschaftlichen Gründen ohne Ausreisebewilligung nach Deutschland emigriert war, nicht als politischer Flüchtling anerkannt wurde und somit auch keine Unterstützung seitens des FHW erhielt, in einem Brief an seine Frau, dass er sich „ja nicht zuerst ein Jahr einsperren lassen“ könne „um herzukommen“. Unterstützung erhielt er hingegen vom „Hilfsbund der Deutschösterreicher im Reich“, dem früheren „Kampfring“. Anfang 1937 umfasste dieser 350 Ortsgruppen mit 14.000 Mitgliedern und fungierte auch als Unterstützungsverein für österreichische Flüchtlinge.2364 Mit Runderlass vom 6.  Juli 1936 erließ das Reichsministerium des Innern eine detaillierte Regelung über die Behandlung der österreichischen politischen Flüchtlinge, die auch die Unterstützungsmodalitäten regelte.2365 Ab diesem Zeitpunkt durften anerkannte politische Flüchtlinge aus Österreich nur noch durch das FHW oder das HWNW unterstützt werden. Aus der Unterstützung schieden alle jene Personen 2362 Bericht Rodenbücher, FHW v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4. 2363 Abschrift eines Briefes von Leo Schefcik, o.  D. (ca.  Juli 1935, CR), WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürge­rungsverfahren Leo Schefcik. 2364 Zweck des Vereins war neben der Unterstützung der Flüchtlinge „durch Vorträge, Versammlungen, Öster­reich-Ausstellungen, gesellige und künstlerische Veranstaltungen, Herausgabe von Zeitungen und derglei­chen die Förderung des heimatlichen Brauchtums und die Aufklärung der wirtschaftlichen und politischen Sendung Österreichs“, Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes für die Zeit vom 1. 10. 1936 bis 28. 2. 1937, in  : Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten, Do­kument rk 251, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2365 Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an die Herren Präsiden­ten der Landesarbeitsämter v. 8. 9. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30207, ebd.

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aus, die in der Wehrmacht oder im Arbeitsdienst eingestellt worden waren, eine Arbeitsstelle oder sonstige entgeltliche Beschäftigung erhalten hatten oder die unter die gesetzlichen Vorschriften der Arbeitslosenunterstützung fielen. Flüchtlinge, die nach Ansicht des FHW „einer bevorzugten Behandlung nicht mehr würdig“ waren, jedoch aufgrund ihrer politischen Straftaten in Österreich nicht abgeschoben werden konnten, wurden der öffentlichen Fürsorge zur Unterstützung überlassen. Die geleisteten Kosten hatte das FHW zu übernehmen. Nach dem Juliabkommen 1936 erfolgte eine dahingehende Verschärfung der Vorschriften,2366 dass nur noch NationalsozialistInnen, die mindestens zwei Jahre in Gefangenschaft gewesen und nach der Amnestie nach Deutschland gekommen waren, durch das FHW betreut wurden. Mit der Bestellung Rodenbüchers zum Führer des FHW hatte die SS, mit Ausnahme der SA-Angehörigen, indirekt auch die Kontrolle über die Flüchtlinge im Reich übernommen. Alle Versuche der SS, auch das HWNW – zumindest in finan­ ziellen Belangen – unter ihren Einfluss zu bekommen, sollten in den folgenden Jahren allerdings scheitern. Dagegen musste das FHW all jene SA-Männer in Betreuung nehmen, die aus dem aktiven Dienst des HWNW ausgeschieden waren, was Rodenbücher anfänglich zu verhindern versuchte. So beschwerte sich der Stabsführer der OSAF im November 1934 darüber,2367 dass Rodenbücher angeblich die „aus der Legion wegen körperlicher Gebrechen oder Alters ausscheidenden österreichischen SA-Männer nicht übernehmen wolle“. Dies entspreche nicht den in Hitlers Anwesenheit getroffenen Vereinbarungen. Auch der Chef des Stabes hielt daran fest, „dass alle in das Flüchtlingshilfswerk übergehen, die nicht in der SA bleiben wollen, für den SA-Dienst zu alt sind oder diesen aus körperlichen Gründen nicht aushalten können“. Das HWNW sollte all diese Personen im Lager Egmating, eventuell auch in Redwitz in der Nähe von München zusammenziehen und „geschlossen“ an das FHW überweisen. Ebenso wurde hinsichtlich jener SS-Männer verfahren, die vom FHW in Zivilberufe vermittelt worden waren. Im Gegensatz zu den SA-Angehörigen, die im Beurlaubtenstand des HWNW verblieben, wurden die SS-Männer jedoch nach ihrem Ausscheiden aus der SS-Sammelstelle als nebenamtliche Mitglieder in die deutschen SS-Einheiten übernommen.

2366 Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes für die Zeit vom 1. 10. 1936 bis 28. 2. 1937, in  : Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten, Dokument rk 251, ebd. 2367 Stabsführer der Obersten SA-Führung Otto Marxer an Alfred Rodenbücher v. 13. 11. 1934, BArch/R 187, Zl. 306.

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15.1.2 Die Finanzierung der Flüchtlingsfürsorge

Bis Dezember 1934 war die Finanzierung der österreichischen Flüchtlingshilfe nicht einheitlich geregelt2368 und überaus kompliziert organisiert. So forderte bis zu diesem Zeitpunkt 1. das FHW seine benötigten Mittel für das zivile Hilfswerk sowie für das „charikative“ (sic  !) in Österreich beim Stellvertreter des Führers an, 2. beantragte die Abwicklungsstelle der SA-Obergruppe XI bzw. die OSAF die Gelder für die SA beim Reichsministerium des Innern, während 3. die RFSS die Mittel für die österreichische SS durch den Führer der Sammelstelle ebenfalls beim Stellvertreter des Führers anforderte, und 4. die von den Hilfswerkslagern der SA und SS beantragten Geldmittel über das Etatamt in München zur Auszahlung gebracht wurden, das seinerseits die geforderten Beträge für die reichsdeutsche SA beim Reichsministerium des Innern beantragte, in deren Anforderung gleichzeitig auch die Mittel für die Obergruppe XI aufgeführt waren. Zur Vereinfachung der komplizierten Instanzenzüge fanden im Dezember 1934 die entscheidenden Besprechungen über die zukünftige Abwicklung der Finanzierung der Flüchtlingshilfe statt. Auf Wunsch von Heß sollten fortan alle finanziellen Angelegenheiten durch das Reichsministerium für Finanzen übernommen und die Gelder von diesem zur Auszahlung und Verrechnung gebracht werden. Dieses sollte die für das FHW notwendigen Gelder dem Reichsinnenministerium überweisen, das die Mittel von einer zentralen zuständigen Stelle aus dem FHW zu überweisen hatte. Dies lehnte das Reichsministerium für Finanzen jedoch ab, das stattdessen vorschlug, dass „die ressortmässige Verwaltung der Geldmittel dem Reichs-Innenministerium zu übertragen“ sei, „da ein direktes Geldgeben durch den Reichs-Finanzminister an eine nichtstaatliche Stelle haushaltsmässig nicht möglich ist“. Dem zustimmend schlug das Reichsministerium des Innern vor, dass „eine zentrale Hilfswerkstelle“ geschaffen werden sollte, „über die alle Geldmittel in österreichischen Belangen (zu) laufen“ hatten. Diese Stelle sollte sowohl die Versorgung der SA-, SS- und Zivilflüchtlinge als auch der Hinterbliebenen übernehmen, indem sie die vom Reichsministerium des Innern überwiesenen Gelder an die Untergliederungen weiterleitete und auch für die korrekte Abrechnung verantwortlich zeichnete. Die Gliederungen der österreichischen Flüchtlingsfürsorge sollten „daher alle Anträge auf Zuweisung von Mitteln an diese zentrale Stelle geben“, während jene Mittel, die nach Österreich überwiesen werden sollten, ausschließlich in die Kompetenz des Stellvertreters des Führers zu fallen hatten. Diese Regelung hätte allerdings bedeutet, dass die SA in finanzieller Hinsicht unter den Einfluss einer „zen2368 Alfred Rodenbücher an den Stellvertreter des Führers und Reichsminister Rudolf Heß v. 18. 2. 1934, ebd., Zl. 306.

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tralen Hilfswerksstelle“, nämlich des FHW unter Rodenbüchers Leitung, gekommen wäre. Der Vorschlag stieß daher bei der SA auf dementsprechenden Widerstand. Umgehend reagierte Reschny auf die Pläne und erhielt dabei Unterstützung durch Hitler. Auf dessen Anordnung hin wurde der Vorschlag dahingehend abgeändert,2369 dass „die Zuständigkeit von Gruppenführer Rodenbücher (…) beschränkt“ wurde und die SA weiterhin ihre finanzielle Unabhängigkeit behielt. Nachdem damit die Einrichtung einer zentralen Hilfswerksstelle gescheitert war, musste nun auch der Instanzenweg abgeändert werden. Die Gelder wurden fortan über das Reichsministerium für Finanzen an das Reichsinnenministerium überwiesen, das sie wiederum dem Reichsschatzmeister der NSDAP überwies, von wo aus sie getrennt an das HWNW und das FHW weitergeleitet wurden. Über Letzteres flossen dann auch die Gelder für die SS. Darüber hinaus wurde die SA „(b)efehlsmäßig“ Stabschef Viktor Lutze und das FHW dem Stellvertreter des Führers unterstellt. Der Etat der beiden großen Hilfswerke wurde vom Haushaltsamt der NSDAP erstellt.2370 Nach der Untersuchung von Maurice Williams2371 lag der Etat der Flüchtlingshilfe 1935 bei 20 Millionen RM, wovon das FHW knapp zehn Millionen erhielt, während der Rest zwischen dem HWNW und kleineren Projekten aufgeteilt wurde.2372 Im Jahr darauf legte das FHW einen Budgetvorschlag von 9,8 Millionen RM vor, das HWNW beantragte zwölf Millionen und die Flüchtlingshilfe für Österreich benötigte zwei Millionen. Die Kosten für das FHW lagen 1937 bei 9,6 Millionen RM, der im Reichshaushalt vorgesehene Etat für die Flüchtlingshilfe belief sich weiterhin auf 20 Millionen RM.2373 Insgesamt betreute das FHW von seiner Gründung bis zum März 1937 einer Aussage Rodenbüchers zufolge 21.000 österreichische Flüchtlinge. Im Februar 1937 meldete das Gestapa,2374 dass das FHW „bis zum gegebenen Zeitpunkt“ noch ca. 12.500 Flüchtlinge in Betreuung habe, die aber zum größten Teil bereits eine Arbeitsstelle 2369 Aufzeichnung des Vortragenden Legationsrates Cecil von Renthe-Fink v. 20.  12.  1934, abgedr. in  : ADAP (1973), Serie C, Bd. III/2, S. 736. 2370 Bericht von Alfred Rodenbücher v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4. 2371 Williams (1981), S. 234  ; vgl. dazu auch Gehmacher (1996). 2372 Nach Schafranek belief sich der Etatplan für das HWNW für das Jahr 1935 auf beinahe 15 Millionen RM, jedoch dürfte der tatsächlich ausgezahlte Betrag, wie aus der Untersuchung von Williams hervorgeht, doch deutlich niedriger ausgefallen sein, Schafranek (2011), S. 168. 2373 Ausführung von Alfred Rodenbücher, Aktennotiz über eine Sitzung v. 9.  3.  1937, BArch/R 187, Zl. 302. 2374 Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes für die Zeit vom 1. 10. 1936 bis 28. 2. 1937, in  : Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten, Dokument rk 251, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag.

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hätten. Etwa tausend Studierende, die vom FHW finanziert wurden, befanden sich an Mittelschulen und Universitäten. Im Februar 1937 waren laut Gestapa2375 noch etwa 6.000 SA-Männer in 15 Lagern des HWNW untergebracht. Außerdem unterhielt dieses noch eine Führerschule in Aurich und organisierte in Berlin-Zehlendorf fortlaufend Ausbildungskurse für den Gemeindedienst. Laut Gestapa „führt(e)“ das HWNW „nach wie vor ein so ausgesprochenes Eigenleben, daß ein vollständiger Einblick in seine Organisation nicht genommen werden kann“, jedoch seien „in nächster Zeit (…) wesentliche Veränderungen zu erwarten, als (sic  !) die Angehörigen desselben innerhalb des Vierteljahresplanes in Arbeit vermittelt werden sollen“. Vor dem „Anschluss“ unterhielt das HWNW noch 13 Hilfswerkslager.2376 Mit Anordnung von Heß vom 16.  April 1937 trat auch innerhalb der Führung des FHW insofern eine Änderung ein, als Rodenbücher als Leiter des FHW SS-Obergruppenführer Werner Lorenz, dem Leiter der Volksdeutschen Mittelstelle, unterstellt wurde2377 und gleichzeitig auch die „hilfswerkmässige Betreuung der sudetendeutschen Flüchtlinge“ übernahm.2378 Im Herbst 1937 wurden dem FHW vom Reichsschatzminister dann „einschneidende“ Kürzungen „auferlegt“.2379 Gleichzeitig startete Rodenbücher einen neuerlichen Versuch, die Finanzen des HWNW unter die Kontrolle des FHW zu bringen.2380 Bei einer Sitzung mit hochrangigen Staats- und Parteifunktionären erklärte er, dass „das Unglück (…) die flüchtlingsmäßige Behandlung der Flüchtlinge (sei), die der SA., also dem Hilfswerk Nord West unterstehen. Diese Lager bilden einen Staat im Staat. Dabei sei festzustellen, dass die österreichischen Flüchtlinge, die in den SA.Lagern sind, nicht einmal polizeilich gemeldet seien.“ Am 13. Juli 1937 ordnete Hitler bei einer Besprechung am Obersalzberg an, dass der Leiter der Zentralstelle für die wirtschaftspolitische Organisation der NSDAP, SS-Gruppenführer Wilhelm Keppler, mit allen Österreich betreffenden Fragen betraut werde,2381 womit Rodenbücher und 2375 Lagebericht des Geheimen Staatspolizeiamtes für die Zeit vom 1. 10. 1936–28. 2. 1937, in  : Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten, Dokument rk 251, ebd. 2376 HWNW/Verwaltungs-Amt an die Oberste SA-Führung v. 16. 7. 1938, BArch/R 187, Zl. 302. 2377 Der Stellvertreter des Führers, Anordnung Nr. 50/37 v. 16. 4. 1937, BArch/NS 6, Zl. 226  ; zur Volksdeutschen Mittelstelle vgl. ausf. Lumans (1993). 2378 Alfred Rodenbücher an den Reichsschatzmeister Franz X. Schwarz v. 21. 4. 1937, BArch/R 187, 303a. 2379 Alfred Rodenbücher an den Stab des Stellvertreters des Führers v. 25. 11. 1937, in  : Akten der ParteiKanz­lei, Reg. 12216, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, OnlineDB, K. G. Saur-Verlag. 2380 Ausführung von Alfred Rodenbücher, Aktennotiz über eine Sitzung v. 9.  3.  1937, BArch/R 187, Zl. 302. 2381 Zu Kepplers Funktion vgl. ausf. Rosar (1971).

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Reschny hinsichtlich der Organisation der Flüchtlingshilfe diesem direkt unterstellt wurden.2382 Am 22. Juli berichtete Keppler gegenüber Heß,2383 dass bei einer Besprechung über die Etatschwierigkeiten des FHW diskutiert worden sei, dass im Falle von Einsparungen diese „vielleicht am besten bei der Österreichischen Legion tragbar“ wären. In den folgenden Wochen versuchte Reschny mit aller Macht den Einfluss Kepplers, der ja wie Rodenbücher der SS angehörte, zurückzudrängen. So beschwerte sich Keppler im August über die Vorgangsweise des HWNW.2384 Nachdem das FHW nämlich aufgrund der massiven Kürzungen gezwungen war, seine Arbeit einzuschränken, hatte das HWNW „einzelne Arbeitsgebiete der Betreuung – scheinbar aus eigner Machtvollkommenheit – an sich gerissen“. Im Oktober 1937 verfügte die Reichsleitung, dass das HWNW seine Gelder nicht mehr direkt von Reichsschatzmeister Franz Xaver Schwarz erhalten solle,2385 sondern die monatlichen Etatanforderungen bei Keppler zu stellen habe. Damit verlor das HWNW seine finanzielle Autonomie, denn erst nach „Prüfung und Genehmigung“ der Forderungen des HWNW durch Keppler wurden diese dem Reichshaushaltsamt übermittelt. Darüber hinaus ordnete Hitler an,2386 dass das HWNW nun noch als eine Art „Rahmenformation“ weiterbestehen und sein Stand auf etwa 1500 SA-Männer reduziert werden solle, die aber „jederzeit in der Lage“ sein müssten, einer Wiedereinberufung Folge leisten zu können. Die noch in den Lagern des HWNW befindlichen Männer sollten „möglichst umgehend in den Arbeitsprozess eingegliedert werden“. Weiters genehmigte Hitler die Abhaltung einer jährlich zweiwöchigen „Reserveübung“. Die neu nach Deutschland kommenden SA-Männer dürften nur noch drei bis sechs Monate lang im HWNW ausgebildet und würden dann ebenfalls in den Arbeitsprozess eingegliedert werden. Nach Kepplers Wunsch hätten aber auch die zivilen Flüchtlinge „nicht allzu lang in den Lagern“ des FHW zu verbleiben. Weiters sollte Rodenbücher nun neben der Schulung der zivilen auch jene der abgerüsteten SA-Männer des HWNW übernehmen. Statt wie bisher seien diese nicht mehr in ihren eigenen, also vom HWNW eingerichteten, sondern in „allgemeinen Bildungsstätten der Polizei, der Kommunalbeamten etc.“ zu schulen. Auch das Flüchtlingsüberprüfungslager, das 2382 Kepplers offizielle Bestellung erfolgte auf Anordnung von Heß am 14. September 1937, RL der ­NSDAP an das HWNW v. 26. 10. 1937, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 12270, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag  ; vgl. dazu auch Schafranek (2011), S. 321–325. 2383 Wilhelm Keppler an Rudolf Heß v. 22. 7. 1937, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 22463, ebd. 2384 Wilhelm Keppler an Werner Lorenz v. 18. 8. 1937, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 22521, ebd. 2385 Reichsleitung der NSDAP an das HWNW v. 26. 10. 1937, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 12270, ebd. 2386 Bericht von Hauptamtsleiter Damson über eine Unterredung mit Reichshauptleiter Keppler und Stabsleiter Saupert am 13. 10. 1937, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 22634, ebd.

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bisher vom FHW geführt wurde, sollte nun Keppler direkt unterstellt werden, der „zu seiner Beratung aus den beiden Flüchtlingshilfswerken Kenner der österreichischen Verhältnisse hinzuziehen“ wollte. Mit diesen Maßnahmen glaubte Keppler die „Gesamtausgaben für den österreichischen Fragenkomplex“, inklusive der Unterstützung von NSDAP-Angehörigen und/oder ihren Angehörigen auf zehn Millionen RM, also um die Hälfte, senken zu können. Inwieweit diese Regelungen noch zum Tragen kamen, ist ungewiss, da auch Keppler auf den hartnäckigen Widerstand Reschnys stieß. So hatte sich dieser Anfang November 1937 noch immer nicht zu einem Treffen mit Keppler bereit gefunden, da er „offensichtlich“ dessen „Beauftragung ihm gegenüber noch anzweifle“.2387 Reschny wurde schließlich auch von Heß’ Stabsleiter Martin Bormann über die Bestellung Kepplers unterrichtet. Wenige Monate später wurde die Neuregelung der Flüchtlingsfrage dann obsolet. 15.1.3 Die Einbürgerungspraxis

Auf Anordnung Hitlers musste die Einbürgerung der österreichischen Flüchtlinge durch ein „beschleunigte(s) Verfahren“ möglichst rasch durchgeführt werden, wobei diese aufgrund ihrer schlechten finanziellen Lage von der Verwaltungsgebühr befreit waren.2388 Während die SS bereits 1934 mit der massenhaften Einbürgerung ihrer österreichischen Angehörigen begonnen hatte,2389 fand erst im Sommer 1935 eine groß angelegte „Einbürgerungsaktion“ sowohl für die vom FHW betreuten zivilen Flüchtlinge als auch für jene des HWNW statt. Alle SA-Angehörigen,2390 welche die deutsche Reichsbürgerschaft annehmen wollten, hatten dies der SA-Sammelstelle in der Franziskanerstraße 6 in München zu melden. Die Einbürgerung erstreckte sich auch auf die Ehefrauen und Kinder, in Ausnahmefällen sogar auf die Lebensgefährtinnen. Für die Einbürgerung der SA-Angehörigen wurde eine enge Zusammenarbeit zwischen dem Innenministerium,2391 den staatlichen Stellen und der SA-Sammelstelle in München vereinbart. Die Regierung von Oberbayern übernahm, unabhängig vom jeweiligen Standort der einzelnen Lager, die zentrale Behandlung aller Einbürgerungs2387 Aktennotiz von Wilhelm Keppler über seine Besprechung mit Martin Bormann v. 2. 11. 1937, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 22643, ebd. 2388 Stabsleiter Martin Bormann an den Stellvertreter des Führers v. 21. 10. 1935, in  : Akten der ParteiKanzlei der NSDAP, Reg. 21355, ebd. 2389 Abwicklungsstelle der LL Österreich an die Reichsleitung der NSDAP/Reichsschatzmeister Schwarz v. 18. 10. 1935, BArch/R 187, Zl. 303. 2390 HWNW, Befehl Nr. 101 v. 22. 8. 1935, ebd., Zl. 302. 2391 Der Reichs- und Preußische Minister des Innern an den Chef der Reichskanzlei v. 2. 11. 1935, ebd.

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anträge, während die für den Aufenthaltsort zuständigen Einbürgerungsbehörden nur die Aushändigung der Urkunden vornahmen. Am 9. September 1935 hatten insgesamt 7.747 SA-Angehörige einen Einbürgerungsantrag gestellt, für die bis 16. Oktober bereits 5.800 Einbürgerungsurkunden ausgestellt worden waren. Die Gesamtzahl der von dieser Einbürgerungsaktion Betroffenen ist unbekannt, da die Familienangehörigen nicht gesondert angeführt wurden. Einem Schreiben des HWNW vom Juli 1938 zufolge hatte das Verwaltungsamt der Legion die „Abwicklung“ von über 10.000 SA-Führern und SA-Männern sowie von mehr als 1.500 Familien durchgeführt.2392 Die Einbürgerung der vom FHW betreuten zivilen Flüchtlinge erfolgte in der Form, dass das Innenministerium den Einbürgerungsantrag an die Regierung, die ihn wiederum an das FHW weitergab, das den Akt dann an die Gestapo zur Überprüfung weiterleitete. Laut einer Mitteilung des Mitarbeiters des FHW Franz Maxa waren Ende 1935 etwa 10.000 österreichische „Parteigenossen“ bereits eingebürgert,2393 in den zwölf Hilfswerkslagern befanden sich noch ca. 5.000 Nichtparteigenossen. Diese Angaben dürften sich nicht auf das HWNW bezogen haben, das sowohl die Einbürgerung als auch die Parteimitgliedschaft der SA-Männer selbstständig regelte, sondern betrafen offenbar nur die zivilen Flüchtlinge. Über die Zahl der Einbürgerungen innerhalb der SS liegen keine Angaben vor. Erst nach Erlangung der deutschen Reichsbürgerschaft konnten Mitglieder der SA oder SS in die deutschen Einheiten übernommen werden, jedoch zeigt die Überstellung von SS-Flüchtlingen in die VT, dass diese Praxis nicht allzu streng gehandhabt wurde, da auch österreichische Staatsbürger noch vor ihrer Einbürgerung in Deutschland in diese aufgenommen wurden. Nach dem Juliabkommen änderte Deutschland seine Einbürgerungsstrategie. So bat die deutsche Gesandtschaft in Wien,2394 dass die „weitere Abwanderung“ von österreichischen Staatsangehörigen nach Deutschland „tunlichst zu verhindern“ sei. Die von der Kanzlei des Führers bereits angeordnete Einstellung von noch anhängigen Einbürgerungsverfahren österreichischer politischer Flüchtlinge „möge als richtungsgebend für die Behandlung aller Einbürgerungsanträge von Österreichern sein“. 15.1.4 Die Arbeitsmöglichkeiten für österreichische Flüchtlinge

Nach dem Scheitern des Juliputsches richtete sich das Deutsche Reich auf einen langfristigen bzw. dauerhaften Aufenthalt der österreichischen Flüchtlinge ein. Dies 2392 HWNW/Verwaltungs-Amt an die Oberste SA-Führung v. 16. 7. 1938, ebd. 2393 Akten-Notiz, Unterschrift unleserlich v. 16. 12. 1935, ebd., Zl. 303. 2394 Schreiben von Martin Bormann v. 28. 9. 1936, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 31066, zit.  n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, On­line-DB, K. G. SaurVerlag.

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bedeutete auch, dass diese möglichst rasch in den Arbeitsprozess integriert werden mussten. Anfang September 1934 stellte sich nach einem Bericht der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung2395 der „Kampfring der Deutschösterreicher“ „bei der Aktion zur Unterbringung der Flüchtlinge in Deutschlande“ dem FHW „zur Verfügung“, und auch die Reichsanstalt selbst sagte ihre Unterstützung zu. Zunächst sollten in einer „Arbeitsvermittlungsaktion“ ca. tausend vom FHW betreute Flüchtlinge vermittelt werden, darunter auch „eine beschränkte Anzahl weiblicher Flüchtlinge“. Der Kampfring übernahm dabei die Vermittlung sowie für ein bis zwei Monate die kostenlose Unterbringung und Verpflegung der Flüchtlinge. Währenddessen hatten sich diese beim zuständigen Arbeitsamt zu melden, das „sofort“ einen Bewerbungsbogen anlegen und eine Arbeitnehmerkarte ausfüllen musste. Mit dieser Unterstützungsmaßnahme verfolgte die Reichsanstalt aber durchaus auch eigene Interessen. Zwar sollten die Flüchtlinge nämlich soweit als möglich in ihrem erlernten Beruf untergebracht werden, nachdem aber „die Vermittlungsabteilungen verpflichtet“ waren, die Aktion „möglichst schnell“ durchzuführen, hatten sie „in jedem Einzelfalle zu prüfen, inwieweit auch eine Unterbringung in berufsfremder Arbeit möglich“ war. Insbesondere sollte „bei den Jugendlichen an Unterbringungsmöglichkeiten in der Landwirtschaft (Landhilfe)“ gedacht werden und „(d)ie Unterbringung in Großstädten (…) nach Möglichkeit unterbleiben“. In Absprache mit dem FHW sollte jeder „unbegründete(n) Arbeitsverweigerung“ mit Nachdruck nachgegangen und „bei wiederholter unberechtigter Arbeitsverweigerung“ das FHW unverzüglich verständigt werden. Flüchtlinge, die „durch eigenes grobes Verschulden ihre Arbeitsstelle verloren“ hatten, mussten vom FHW „in besondere eigene Betreuung“ genommen werden. Ende November 1934 waren von den tausend für die Arbeitsvermittlung vorgesehenen Flüchtlingen rund 300 untergebracht worden.2396 Danach hatten die Landes­ arbeitsämter „vorerst“ nach der Zahl ihrer Arbeitsamtsbezirke österreichische Flüchtlinge aufzunehmen, wobei durchschnittlich auf jedes Arbeitsamt ein Flüchtling entfallen musste. Ausgenommen davon waren Notstandsgebiete, und „in Städten mit Zuzugssperre“, worunter etwa Berlin, Hamburg und Bremen fielen, durfte nur „gegebenenfalls die Zustimmung zur Einstellung“ erteilt werden. Mit dieser Maßnahme sollten nach Wunsch der Reichsanstalt2397 jene österreichischen Flüchtlinge, die vom 2395 Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an die Herren Präsiden­ten der Landesarbeitsämter v. 8. 9. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30207, ebd. 2396 Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an die Herren Präsiden­ten der Landesarbeitsämter v. 30. 11. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30207, ebd. 2397 Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an das FHW v. 30. 11. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30207, ebd.

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FHW „nicht in die Vermittlungsaktion einbezogen“ worden waren, „baldmöglichst von der freien Arbeitssuche ausgeschaltet werden“. Weiters erschien es der Reichsanstalt „notwendig, andere behördliche und Parteidienststellen, die österreichische Flüchtlinge auf Grund ihrer Vorsprache vielfach Empfehlungsschreiben für die Unterbringung ausstellen, von dem neu eingeleiteten Verfahren zu unterrichten, damit eine wirkungsvolle Durchführung ohne Störung gesichert ist“. In der weiteren Folge durften nur noch diejenigen politischen Flüchtlinge eine Arbeitserlaubnis oder einen Befreiungsschein erhalten,2398 die einen Flüchtlingsausweis des FHW besaßen. Österreichische Flüchtlinge,2399 die sich ohne Flüchtlingsausweis unerlaubt in Deutschland aufhielten, durften nicht eingestellt werden. Die vom FHW zur Arbeitsvermittlung vorgeschlagenen Flüchtlinge wurden von der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung auf die infrage kommenden Landesarbeitsämter verteilt,2400 die, soweit möglich, die Flüchtlinge in geeigneten Arbeitsstellen unterzubringen hatten. Im Juli 1936 teilte das Arbeitsministerium schließlich mit, dass die Aktion „im wesentlichen befriedigend“ verlaufen sei und die Unterbringung laut Rückmeldung der Landesarbeitsämter „je nach Lage des Arbeitseinsatzes in den verschiedenen Bezirken reibungslos vor sich geht“. Für spezielle Berufsgruppen führte das FHW auch „Sonderaktionen“ durch.2401 15.1.5 Die Regelung der Parteimitgliedschaft

Einen schier unglaublichen Aufwand, der zeitweise schon groteske Züge annahm, zog die Überprüfung der Parteimitgliedschaft nach sich, was unter den österreichischen Flüchtlingen zu erheblichem Unmut führte. Nachdem die Mitgliedskartei der österreichischen Landesleitung nicht nach Deutschland gebracht worden war, fehlten in 2398 Anlage eines Besprechungsstückes des FHW v. 4. 12. 1936 zu einem Schreiben von Alfred Rodenbücher an das Auswärtige Amt v. 3. 12. 1936, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 31152, ebd. 2399 Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an die Präsidenten der Landesarbeitsämter v. 31. 5. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 30144, ebd. 2400 Der Reichs- und Preußische Arbeitsminister an den Reichs- und Preußischen Minister des Innern v. 8. 7. 1936, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 30997, ebd. 2401 Darunter fielen 1) Staats- und Parteibeamte, Ärzte, Lehrer und Ingenieure, 2) die Einzelvermittlung und indivi­duelle Betreuung von Parteiinvaliden, Kriegsbeschädigten, Schauspielern, Schriftleitern und Schrift­stellern, 3) selbständige Gewerbetreibende und Handwerker, 4) alleinstehende Frauen und Mädchen, weib­liche Angestellte und Arbeiterinnen, 5) SA- und SS-Männer, die als Werkspolizisten, Wachen etc. unter­gebracht werden sollten, 6) Saisonarbeiter wie Maurer, Zimmerer etc. sollten im Winter als Fabriksarbeiter verwendet werden, 7) „Umschulungsmöglichkeiten für die zu vermittelnden Berufe“, Bericht Rodenbücher, FHW v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4.

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zahlreichen Fällen Unterlagen in der Mitgliedskartei der Reichsleitung. Weiters waren die Anmeldungen infolge des Parteiverbots vielfach nicht mehr ordnungsgemäß abgewickelt worden. Oftmals waren die Flüchtlinge auch erst nach dem 19. Juni 1933 der Partei beigetreten, hatten ihre Parteiunterlagen in der Illegalität vernichtet oder in der Heimat zurückgelassen bzw. diese waren von den österreichischen Behörden beschlagnahmt worden. Aufgrund einer Verfügung der Reichsleitung der NSDAP durften aber nur jene das Parteiabzeichen tragen, die in der Reichskartei als Mitglieder gemeldet und im Besitz eines Parteibuches waren. So beschwerte sich etwa der SS-Mann Josef Marktl beim Adjutanten von Rudolf Heß, Hauptmann Fritz Wiedemann, im Münchner „Braunen Haus“ über seine Behandlung im Deutschen Reich.2402 Marktl stammte aus dem kleinen Kärntner Gebirgsdorf Gnesau und war angeblich im Juni 1932 von dem örtlichen Truppführer in die SA und NSDAP aufgenommen worden. Während des Juliputsches war er aktiv an den Kämpfen in Feldkirchen beteiligt gewesen, flüchtete danach über die deutsche Grenze und absolvierte in den SS-Lagern Dachau, Ranis und Waischenfeld seine Ausbildung. Nachdem „man hier“, so Marktl, „soviel von Mitgliedsnummern, Parteibuch usw.“ sprach, erkundigte er sich nun im „Braunen Haus“ über seine eigene Mitgliedsnummer. Im November 1935 erhielt er die Mitteilung, dass er gar nicht in der Partei gemeldet war, sich aber als Parteianwärter vormerken lassen konnte. Seiner Empörung darüber machte Marktl in einem Brief an Wiedemann Luft, dem er Folgendes mitteilte  : „Ich, der ich mit einer Selbstverständlichkeit das Parteiabzeichen getragen habe, ja gar nichts anderes gekannt habe, solange ich lebe, wo ich Heimat und alles verlassen musste, ich soll jetzt hingehen und um Vormerkung bitten, ein Hohn ist das, gerade so(,) als ob ich bis jetzt ein Komunist (sic  !) gewesen wäre und mich gebessert hätte. Hätte ich nicht so viel auf dem Kerbholz, wie man sagt, heute lieber wie morgen fahre ich nach Oesterreich zurück, denn zu Hause wartet Arbeit auf mich. Ja noch mehr. Mein Vetter ist Ortsgruppenleiter in meiner Heimat. Mein Onkel (…) sitzt auf sieben Jahre verurteilt in der Karlau bei Graz, desgleichen mein Verwandter (…) und verschiedene andere aus meinem Heimatdorf. Mein alter 68 jähriger Vater wurde ausser zu verschiedenen Strafmandaten finanzieler (sic  !) Art heuer am 20. April als Geisel ins Gefängnis geworfen und ich soll hier im dritten Reich hingehen und bitten um Vormerkung(,) da ‚gegen eine Aufnahme keine Bedenken‘ sind. Für mich ist das ein Hohn.“

Marktl, der davon ausging, dass seine Beschwerde wirkungslos bleiben würde, täuschte sich gewaltig. Vom „Braunen Haus“ wurde sein Schreiben nämlich an Rodenbücher 2402 Josef Marktl an Hauptmann Wiedemann v. 5. 11. 1935, BArch/R 187, Zl. 302.

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weitergeleitet und gelangte über diesen an Hitler persönlich. In einem Begleitschreiben berichtete Rodenbücher darüber,2403 dass zahlreiche österreichische Flüchtlinge in der Annahme, dass sie bei der Reichsleitung gemeldet seien, das Parteiabzeichen tragen, ohne je zur Anmeldung gelangt zu sein. Die Abwicklungsstelle der Landesleitung führe „eine grosse Anzahl“ von österreichischen Parteigenossen, deren Mitgliedschaft durch Bestätigung früherer Dienststellen in Österreich oder aufgrund eidesstattlicher Zeugenerklärungen nachgewiesen sei, die aber nicht mehr angemeldet werden konnten. Aufgrund der verfügten Mitgliedssperre wurde auch diesen die Aufnahme in die NSDAP verwehrt und ihr entsprechendes Ansuchen an den Reichsschatzmeister abgelehnt. Dies betraf etwa auch den späteren General der Waffen-SS, Sylvester Stadler. Dieser war im Mai 1933 in die NSDAP und SS eingetreten,2404 im August des gleichen Jahres zur Ausbildung nach Deutschland befohlen und daraufhin von der Bezirkshauptmannschaft Judenburg ausgebürgert worden.2405 Nachdem Stadlers Eintritt nicht der Reichsleitung gemeldet worden war, wurde seine Mitgliedschaft nicht anerkannt. Stadler wurde erst nach Lockerung der Aufnahmesperre am 1. Mai 1937 mit der Mitgliedsnummer 4,159.018 in die Partei aufgenommen.2406 Zur Organisation der Parteimitgliedschaft der österreichischen Flüchtlinge war innerhalb der Abwicklungsstelle der Landesleitung die Abteilung für Mitgliedschaftsangelegenheiten (Abt. II) eingerichtet worden, die dem FHW unterstand und zunächst von Franz Maxa und danach von Herbert Parson geleitet wurde.2407 Jeder Flüchtling musste zunächst einen Fragebogen zur Überprüfung der Parteimitgliedschaft ausfüllen und diesen der Reichsleitung übermitteln,2408 die feststellte, ob eine Meldung eingelangt war. Im positiven Falle wurden die ParteigenossInnen in den Stand der Abwicklungsstelle aufgenommen. Hatten die Betroffenen noch die österreichische Staatsbürgerschaft inne, erhielten sie nur eine „parteiamtliche Mitgliedschaftsbestätigung ausgestellt“, da ihre Mitgliedschaft aufgrund einer Anordnung des Reichsschatzmeisters zu „ruhen“ hatte. Die bereits eingebürgerten Flüchtlinge wurden, wenn sie beim Flüchtlingshilfswerk, beim HWNW oder der SS-Sammelstelle hauptamtlich beschäftigt oder bereits in Zivilberufe vermittelt worden waren, ihren zuständigen reichsdeutschen NSDAPOrtsgruppen überwiesen. Dies bedeutete, dass etwa Gustav Rieger als hauptamtli2403 Alfred Rodenbücher an Adolf Hitler v. 26. 11. 1935, ebd., Zl. 303. 2404 Lebenslauf von Sylvester Stadler v. 5. 6. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Sylvester Stadler. 2405 Bescheid der BH Judenburg über die Ausbürgerung von Sylvester Stadler v. 8. 9. 1933, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/Stmk., Kt. 5136. 2406 Personal-Fragebogen von Sylvester Stadler v. 25. 1. 1938, BArch (ehem. BDC), PK  : Sylvester Stadler. 2407 Aktennotiz über die Sitzung v. 9. 3. 1937, gez. Dr. Hämmerle, BArch/R 187, Zl. 302. 2408 Bericht Rodenbücher, FHW v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4.

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cher Lagerführer in Ranis der dortigen Ortsgruppe zugeteilt wurde, während die zur Ausbildung in Ranis befindlichen SS-Angehörigen bei der Abwicklungsstelle geführt wurden. Die hauptamtlichen Mitarbeiter im Stab der SS-Sammelstelle gehörten wiederum der zuständigen Münchner Ortsgruppe an, während die Mitglieder des HWL Schleißheim ebenfalls bei der Abwicklungsstelle geführt wurden. War eine Anmeldung bei der Reichsleitung nicht eingelangt,2409 mussten die ParteigenossInnen zur Anerkennung ihrer Mitgliedschaft „einwandfreie Unterlagen ihrer zuständigen Ortsgruppen bezw. Bezirksleiter beibringen“. Konnten diese nicht erbracht werden, mussten mindestens „zwei glaubwürdige Zeugen namhaft“ gemacht werden, welche die Mitgliedschaft bestätigten. Oftmals forderte die Reichsleitung aber noch weitere ZeugInnen an, prüfte mehrfach die Angaben und trug durch einen ungeheuren Aufwand zur Verschleppung der Fälle bei. Das FHW richtete weiters ein sog. „Vertrauensmännernetzwerk“ ein, das im Oktober 1936 mehr als 1.100 nach Deutschland geflüchtete ehemalige österreichische Politische Leiter umfasste.2410 Zusätzlich zu den ZeugInnen musste nun jeder Einzelfall noch von drei Vertrauensmännern geprüft werden.2411 Die ParteigenossInnen, die laut ZeugInnenaussagen bereits der NSDAP beigetreten, aber noch nicht bei der Reichsleitung gemeldet worden waren, wurden nach erfolgter Überprüfung von der Abwicklungsstelle in Evidenz genommen und bei Aufhebung der Mitgliedschaftssperre der Reichsleitung zur Aufnahme vorgeschlagen. Im April 1936 war bei etwa 6.000 ParteigenossInnen die Mitgliedsnummer überprüft worden, ca. 7.000 standen in Vormerkung. Laut Rodenbücher war die Parteimitgliedschaft jedoch „(b)ei den meisten Flüchtlingen (…) irgendwie nicht in Ordnung“.2412 Die Mitgliedschaftsfälle waren nach folgenden drei Gruppen unterteilt  :2413 1. Beitritt zur NSDAP in Österreich bis zum 19.  Juni  1933, 2. Beitritt zur NSDAP in Österreich in der Zeit zwischen 19.  Juni 1933 und 4. August 1934 (Auflösung der Landesleitung Österreich der NSDAP im Reich), 3. Beitritt zur NSDAP in Österreich nach dem 4. August 1934. Auf Vorschlag Rodenbüchers sollten die der Gruppe 1 zugeordneten Flüchtlinge,2414 die bereits die deutsche Staatsbürgerschaft erhalten hatten, von der Reichsleitung aufgenommen, die zweite Gruppe aber erst nach Lockerung der Mitgliedssperre berücksichtigt werden. 2409 Bericht Rodenbücher, FHW v. 22. 4. 1936, ebd. 2410 Alfred Rodenbücher an die Kanzlei des Stellvertreters des Führers v. 10.  10.  1936, BArch/R 187, Zl. 303. 2411 Ausführung von Alfred Rodenbücher, Aktennotiz über eine Sitzung v. 9. 3. 1937, ebd., Zl. 302. 2412 Ausführung von Alfred Rodenbücher, Aktennotiz über eine Sitzung v. 9. 3. 1937, ebd. 2413 GL Franz Hofer an den Reichskommissar für Österreich, GL Bürckel v. 29. 4. 1938  ; Bericht des Leiters des Amtes für Mitgliedschaftswesen, Pg. Parson, Pg. Dr. Hämmerle v. 24. 6. 1938, ebd., Zl. 303. 2414 Akten-Notiz, Unterschrift unleserlich v. 16. 12. 1935, ebd.

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Der Vorschlag scheiterte jedoch am Widerstand von Reichsschatzmeister Schwarz, der an der Aufnahmesperre kategorisch festhielt. Im Juni 1937 durften immerhin ca. 300 beim FHW vorliegende Aufnahmeanträge von ehemaligen österreichischen HJAngehörigen durch die Ortsgruppe „Mitglieder-Sammelstelle“ der Reichsleitung vorgelegt werden.2415 Im Oktober 1936 schlug Rodenbücher infolge des Juliabkommens vor, dass die „Abwicklungsstelle der Landesleitung Österreich“ in „Mitgliedschaftschaftsamt im NSDAP-Flüchtlingshilfswerk“ umbenannt werde,2416 „um jeden Anschein von Zusammenhängen zwischen dem Reich und der ehemaligen NSDAP Österreichs auszuschalten“. Das Aufgabengebiet des Mitgliedschaftsamtes sollte die gesamte „parteiorganisatorisch(e)“ Betreuung der Flüchtlinge im Reich übernehmen. Am 1. Februar 1937 erfolgte dann die Auflösung der Abwicklungsstelle der Landesleitung, und die abschließende Durchführung der Abwicklung wurde dem „Mitgliedschaftsamt des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks“ übertragen.2417 Die Leitung des Amtes übernahm der ehemalige Gauleiterstellvertreter Herbert Parson.2418 Im Frühjahr 1937 erhielt das Amt die neue Bezeichnung „Ortsgruppe Mitgliedersammelstelle“, die direkt Reichsschatzmeister Schwarz unterstellt war, wodurch die Reichsleitung die Ortsgruppe übernahm. Parson fungierte ab diesem Zeitpunkt als Geschäftsführer der Mitgliedersammelstelle, während der ehemalige Tiroler Gauleiter Hofer die Leitung übernahm. Bis April 1938 bearbeitete die Ortsgruppe ca. 25.000 Mitgliedschaftsfälle,2419 wovon rund 12.000 abgeschlossen werden konnten, während bei ca. 13.000 die Mitgliedschaft weiterhin nicht geregelt war. Aus außenpolitischen Rücksichten wurde das Aufnahmedatum für jene, die nach dem Parteiverbot in die NSDAP eingetreten waren, „generell“ mit 1.  Juni 1933 festgesetzt.2420 Für die rückwirkende Aufnahme jener österreichischen Flüchtlinge, die vor dem Parteiverbot in die NSDAP eingetreten waren und deren Nachweis anerkannt worden war, hatte die Reichsleitung Nummern zwischen 100.000 bis 1,630.000 reserviert. All jene, die zwischen 19. Juni 1933 und 4. August 1934, also der Auflösung der Landesleitung, beigetreten waren, erhielten eine Parteinummer aus 2415 Der Reichsschatzmeister an Alfred Rodenbücher v. 8.  6.  1937, in  : Akten der Partei-Kanzlei der ­NSDAP, Reg. 22211, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2416 Alfred Rodenbücher an die Kanzlei des Stellvertreters des Führers v. 10.  10.  1936, BArch/R 187, Zl. 303. 2417 Abschrift eines Schreibens von Alfred Rodenbücher, o. D. (nach 2. 1937, CR), BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Rodenbücher. 2418 Alfred Rodenbücher an den Reichsschatzmeister Franz X. Schwarz v. 21. 4. 1937, BArch/R 187, 303a. 2419 GL Franz Hofer an den Reichskommissar für Österreich, GL Bürckel v. 29. 4. 1938, ebd., Zl. 303. 2420 Der erste aufgenommene Parteigenosse war der Mitarbeiter des ND der Landesleitung Fritz Thaler, der die Nummer 3,290.002 erhielt, BArch (ehem. BDC), PK  : Fritz Thaler.

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dem reservierten Nummernblock 3,290.001 bis 3,390.000.2421 Bei einem großen Teil der Flüchtlinge, die bei der Mitglieder-Sammelstelle in Evidenz gehalten wurden, erfolgte die Aufnahme erst nach dem „Anschluss“. Auch Schafranek kommt in seiner Untersuchung zur Österreichischen Legion zu dem Ergebnis, dass bis Mai 1933 „eine sehr enge personelle Verknüpfung von NSDAP- und SA-Mitgliedschaften bei den Legionären festzustellen ist“,2422 nach dem Parteiverbot „jedoch sofort ein drastischer Rückgang der neuen Doppelmitgliedschaften“ einsetzte und etwa „im August 1933 (…) nur mehr jedes dritte neue SA-Mitglied zugleich der politischen Organisation“ beitrat.2423 Daraus folgert er die „Thesen“ ab,2424 dass erstens nach dem Parteiverbot „die bis dahin enge Verknüpfung zwischen SA und NSDAP (…) schlagartig zu zerbröckeln (beginnt)“ und die „Verselbständigkeitstendenzen innerhalb der SA (…) in der Illegalität ein sehr starkes Ausmaß an(nehmen)“. Zweitens habe sich das „wiederholt betonte ‚Nebeneinander‘ (bei den Vorbereitungen zum Juliputsch 1934 tendenziell sogar ‚Gegeneinander‘) von illegalen Befehlsketten, Kommunikationslinien und terroristischen Aktivitäten (…) nicht nur, (…) auf der Führungsebene“ abgespielt, „sondern (…) ab der Illegalisierung (…) auch weite Teile der jeweiligen Mitgliedschaft erfasst“. Unberücksichtigt lässt er dabei aber sowohl die oben angeführten Probleme hinsichtlich der Überprüfung der Mitgliedschaften und deren Anerkennung durch die Reichsleitung als auch die von der Partei verhängte Aufnahmesperre. Nach dem „Anschluss“ wurde die Aufnahme in die Partei dann für all jene er­ leichtert,2425 die vor dem Parteiverbot bei der ehemaligen Landesleitung der ­NSDAP zur Anmeldung gelangt waren, da der Großteil der Aufnahmescheine und die Kartei wieder aufgefunden werden konnte und somit zur Nachprüfung zugänglich war.

2421 Alfred Rodenbücher an Reichsschatzmeister Franz X. Schwarz v. 21. 4. 1937, BArch/R 187, Zl. 303a. 2422 Schafranek (2011), S. 60. 2423 Ebd., S. 63. 2424 Ebd., S. 63f. 2425 Bericht des Leiters des Amtes für Mitgliedschaftswesen, Pg. Parson, Pg. Dr. Hämmerle v. 24. 6. 1938, ebd., Zl. 303.

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15.2 Die Aufgaben der SS im Rahmen des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks 15.2.1 Die Kontrollstellen

Um „unerwünschte Elemente von Deutschland fernzuhalten,2426 wurden 1934 Kon­ trollstellen zur Überprüfung der Flüchtlinge eingerichtet. Im Mai 1934 existierten in München (Arcisstraße 30) und in Berlin (Wilhelmstraße 70a) zwei solcher Kontrollstellen. Alle nach Deutschland eingereisten ÖsterreicherInnen, die sich als politische Flüchtlinge ausgaben, mussten sich bei einer dieser Stellen melden. Nach Anerkennung ihres Flüchtlingsstatus erhielten sie einen Flüchtlingsausweis ausgestellt und wurden in der Kartei der Landesleitung, Abteilung Fürsorge, geführt. Die Kontrollen erfolgten nach Bokisch und Zirbs Anfang 1934 nur „oberflächlich“, wodurch nicht nur politische Flüchtlinge, sondern auch „Elemente (…) aus Abenteuerlust und dergleichen“ Aufnahme in den Flüchtlingslagern fanden.2427 Während des Juliputsches ordnete die deutsche Regierung bis 31. Juli eine Grenzsperre nach Österreich an und verfügte danach,2428 dass die aus Österreich kommenden Flüchtlinge zu entwaffnen und in „Ehrenhaft“ zu nehmen seien. Ebenso sollte mit Kurieren, die mit dem Juliputsch „unmittelbar oder mittelbar in Zusammenhang“ standen, verfahren werden. Jede Festnahme musste umgehend der BPP und den im Bereich der Grenzpolizeistellen liegenden Gendarmeriestationen und Grenz-Übergangsstellen gemeldet werden. Die Gendarmeriestationen hatten danach wiederum das vorgesetzte Bezirksamt in Kenntnis zu setzen. Da mit einer baldigen Rückkehr der österreichischen Flüchtlinge nach dem gescheiterten Juliputsch nicht mehr gerechnet werden konnte, wurden nun Pläne ausgearbeitet, wie die bisherige oberflächliche Überprüfung der Flüchtlinge durch wirksamere Methoden ersetzt werden könnte. So ging Mitte August 1934 der österreichische Sonderbeauftragte der OSAF Oberführer Erich Rudzki2429 davon aus,2430 dass sich in der Österreichischen Legion ca. 25 Prozent „unsaubere Elemente“ befinden würden. Er habe bereits Reinhard Heydrich darüber informiert, dass „die Säuberung der österr(eichischen) Hilfswerklager (…) unumstößlich erforderlich“ sei. Die Österrei2426 Der Präsident der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung an die Präsidenten der Landesarbeitsämter v. 31. 5. 1934, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 30144, zit.  n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K.  G. SaurVerlag. 2427 Bokisch/Zirbs (1940), S. 167. 2428 Fernschreiben der Bayerischen Politischen Polizei v. 31. 7. 1934, BArch/R 43II, Zl. 1478. 2429 Zu seinen biografischen Eckdaten vgl. Hurton (2011), S. 446. 2430 Der österreichische Sonderbeauftragte der Obersten SA-Führung an die Bayerische Politische Polizei Mün­chen v. 19. 8. 1934, BArch/NS 23, Zl. 1070.

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chische Legion sei zu einem „merkwürdigen Gebilde herangewachsen“, der Legionär sei „weder Militär noch politischer Soldat, sondern ein Mittelding zwischen beiden“. Um diesem Übel abzuhelfen, habe er Heydrich vorgeschlagen, die SA „in kleine sturmbannweise aufgezogene Lager, nach landsmannschaftlichen Grundsätzen“ zusammenzufassen, was in der Folge auch geschah. Zuvor war bereits in Lechfeld ein Straflager für Österreichische Legionäre „auf besonderen Wunsch der Bayrischen Politischen Polizei“ errichtet worden.2431 Nach der Darstellung von Bokisch und Zirbs wurde im Herbst 1934 eine „gründlichst“ vorgenommene „Säuberung“ der Flüchtlingslager „von allen politisch unverlässlichen und asozialen Elementen“ durchgeführt. Inzwischen war auch ein „Anlauflager“ für die neu eintreffenden SA-Männer in Reichersbeuern in der Nähe von Bad Tölz geschaffen worden,2432 das der Gestapo unterstand und für eine Belagsstärke von 300 Mann eingerichtet worden war. Zur Überprüfung der Neuzugänge wurde der Gestapo ein „in österreichische Verhältnisse eingeweihter Angehöriger der SA zugeteilt“. Im Jänner 1935 richtete das HWNW dann die SA-Sammelstelle ein, die in engstem Kontakt zur BPP jeden neu zugehenden Flüchtling zu überprüfen hatte.2433 Aber erst im August 1935 wurde die Überprüfung der Flüchtlinge dann einheitlich geregelt und dem FHW übertragen. Der Grund für diese Maßnahme geht aus einem Rundschreiben von Martin Bormann hervor,2434 der darin kritisierte, dass die „Flüchtlingseigenschaft“ von jeder Stelle „nach verschiedenen Richtlinien (…) bejaht oder verneint“ werde. Zur Vereinheitlichung der Überprüfung wurde daraufhin das Flüchtlingsüberprüfungslager Graßlfing eingerichtet, das auch die deutschen Dienststellen „von der Sorge um die österreichischen Flüchtlinge“ befreien sollte. Alle männlichen Flüchtlinge, die noch keinen Flüchtlingsausweis erhalten hatten, waren „unverzüglich“ nach Graßl­ fing „in Marsch zu setzen“. Weibliche Flüchtlinge wurden an das FHW in München überstellt. Vor der Überweisung nach Graßlfing wurden den Flüchtlingen sämtliche Dokumente abgenommen und diesen ein sogenannter „Überstellungsausweis“ ausgehändigt. Bei arbeitslosen Flüchtlingen, die einen Flüchtlingsausweis erhalten hatten, „aber Hilfe suchend im Reich angetroffen“ wurden, musste jene Stelle, die den Ausweis ausgestellt hatte (FHW, HWNW oder SS-Sammelstelle), kontaktiert werden. Das „Zugangs- und Überprüfungslager“ Graßlfing bestand aus der Lagerführung und -verwaltung sowie einer Überprüfungskommission. Mit der Lagerleitung wurde 2431 Die folgenden Angaben beziehen sich auf Bokisch/Zirbs (1940), S. 167–170. 2432 Der Stabsführer des Obersten SA-Führers an den Chef des Stabes v. 25.  10.  1934, BArch/R 187, Zl. 306. 2433 Hermann Reschny an die Oberste SA-Führung v. 14. 1. 1935, ebd. 2434 Der Stellvertreter des Führers/Stabsleiter Martin Bormann, Rundschreiben Nr. 159/35 v. 2. 8. 1935, BArch/NS 6, Zl. 220.

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Die Gründung des NSDAP-Hilfswerks für Flüchtlinge und Hinterbliebene nach dem Juliputsch

der inzwischen nach Deutschland geflüchtete und zum SS-Hauptsturmführer beförderte Hans Mußil betraut.2435 Die Überprüfungskommission setzte sich aus je einem Vertreter des FHW, der SA- und SS-Sammelstelle und der BPP zusammen.2436 Verlief die Überprüfung positiv, wurden die Männer in die Betreuung der Hilfsorganisationen übernommen und erhielten einen Flüchtlingspass. Im FHW selbst wurde die sogenannte Ermittlungsabteilung (I P) eingerichtet, in deren Aufgabengebiet die „Wahrnehmung krimineller, parteischädigender und spionagepolizeilicher Handlungen durch Flüchtlinge vor ihrer Flucht aus Österreich wie auch während ihres Aufenthaltes im Reiche“ fiel. Die Abteilung hatte über alle Flüchtlinge ein eigenes Karteiblatt anzulegen, „das in polizeilicher Hinsicht lückenlose Auskunft über den Flüchtling“ geben sollte. Eigene Dezernate für österreichische Angelegenheiten wurden auch innerhalb der BPP (II  1  C  Ö)2437 und des Gestapa (II 1 C 4) geschaffen. Der Leiter der Abteilung I P und seine Mitarbeiter gehörten dem SD an2438 und arbeiteten eng mit diesem zusammen, wobei der Leiter der Abteilung I P gleichzeitig auch als Leiter des Dezernats „II 1 C Ö“ der BPP fungierte. Ab April 1934 übernahm Franz Josef Huber, der spätere Chef der Staatspolizei-Leitstelle Wien, die Leitung des Dezernats „II 1 C 4“ des Gestapa, wo etwa auch Franz Kamba oder der Salzburger Humbert Achamer-Pifrader, der spätere Stellvertreter von Huber in der Staatspolizei-Leitstelle Wien, beschäftigt waren.2439 Bei der BPP waren etwa die mittlerweile der SS beigetretenen ehemaligen Wiener Polizeibeamten Florian Preissegger oder Franz Rudischer, der die NSDAP-Flüchtlings-Überprüfungskommission in München leitete, beschäftigt.2440 In das Aufgabengebiet der Abteilung I P fiel auch die polizeiliche Überwachung der Lager des FHW. So war etwa Hans Smirtschek als „Führer des SS-Kommandos 2435 BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Mußil. 2436 Zum Lager Graßlfing vgl. ausf. Bokisch/Zirbs (1940), S.  169  ; Bericht Rodenbücher, FHW v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4. 2437 Zumindest bis 1935 lief das für österreichische Flüchtlinge zuständige Dezernat der BPP unter der Nummer „II 2 C“. 2438 Dazu zählte etwa auch Alfred Baubin, der nach Angaben Rodenbüchers „1.500 kriminellen und moralisch minderwertigen Flüchtlingen die Flüchtlingseigenschaft aberkannt und sie über die österreichische Grenze zurückgestellt“ hatte, Schreiben von Alfred Rodenbücher an den Chef der Personalkanzlei des RFSS v. 21. 11. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Alfred Baubin (= Alfred Keller). Baubin, gegen den Heydrich an­geblich „eine persönliche Abneigung“ hatte, wurde 1936 zum FHW abkommandiert. Laut Rodenbücher hatten „Quertreibereien“ zu „Spannungen“ geführt, die eine Zusammenarbeit zwischen dem SD einerseits und der Gestapo andererseits „untragbar“ machten. Vermutlich dürften die Streitigkeiten zwischen Baubin und der Gruppe um Konrad Rotter in Deutschland ihre Fortsetzung gefunden haben, da diese inzwischen der Gestapo angehörten, ebd. 2439 Mang (2004), S. 115. 2440 BArch (ehem. BDC), SSO  : Franz Rudischer.

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Dachau“ im Hilfswerkslager Veddel in Hamburg eingesetzt,2441 während Ernst Brückler, der spätere Mitarbeiter Adolf Eichmanns beim „Judenreferat“ des SD, 1936 als SSWachmann im Familienlager des FHW im thüringischen Mihla stationiert war.2442 Eine weitere vom FHW finanzierte Einrichtung zur Abwehr von „Massenauswanderungen“ stellte die sog. Grenz-SS dar, die vermutlich ab Mai 1936 in allen „SSAngelegenheiten“ direkt Himmler und in allen „polizeilichen Grenzangelegenheiten den Grenzkommissaren“ und damit der BPP unterstand. Die Grenz-SS hatte alle aus nichtpolitischen Gründen geflüchteten Personen einzuvernehmen und danach „sofort wieder formlos über die Grenze“ zurückzustellen. Alle anderen Personen wurden direkt nach Graßlfing überwiesen. Aufgrund ihrer Kenntnisse der österreichischen Verhältnisse waren auch hier zahlreiche SS-Flüchtlinge beschäftigt, wie etwa der bereits erwähnte Richard Heberlein2443 oder die Wiener SS-Angehörigen Hans Ziegler2444 und Walter Köhler.2445 Ab 6. Juli 1936 wurde durch einen Runderlass des Reichsinnenministers „über die Behandlung österreichischer politischer Flüchtlinge“ das Vorgehen der Behörden detailliert geregelt.2446 Danach waren alle Personen, die im Reichsgebiet angetroffen wurden und sich als politische Flüchtlinge ausgaben, zur nächsten Polizeibehörde zu bringen. Damit sollte das „Herumvagabundieren und Belästigen von reichsdeutschen Dienststellen durch die im Reich herumziehenden Österreicher vermieden“ und gleichzeitig erreicht werden, dass „tatsächlich nur politisch einwandfreie Leute hier im Reiche sich aufhalten können“.2447 Hatten die Aufgegriffenen keinen gültigen Reisepass, so war zwar von einer „vorläufigen Festnahme wegen Paßvergehens abzusehen“,2448 jedoch wurden ihnen Ausweispapiere, mitgeführte Gelder, Wertpapiere etc. abgenommen, ein Vernehmungsprotokoll angefertigt und sie nach Graßlfing geschickt. Weibliche Flüchtlinge waren zur Überprüfung ins Frauenlager des HWL in Furth bei Deisenhofen zu überstellen. Die aufgenommene Verhandlungsniederschrift wurde dann der Staatsanwaltschaft mit der Mitteilung übersandt, dass die Person als Flüchtling anerkannt oder abgelehnt worden war. Bei Nichtzuerkennung des Flücht2441 BArch (ehem. BDC), PK  : Hans Smirtschek. 2442 BArch (ehem. BDC), RS  : Ernst Brückler. 2443 BArch (ehem. BDC), SSO  : Richard Heberlein. 2444 BArch (ehem. BDC), SSO  : Hans Ziegler (= Hans Huber). 2445 Schreiben von Walter Köhler an die SS-Grenzüberwachung München, WStLA, GAW  : Friedrich Steiner, Zl. 27.952. 2446 Runderlass des RMdI v. 6. 7. 1936, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30735, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-DB, K. G. Saur-Verlag. 2447 Anlage eines Besprechungsstückes des FHW v. 4. 12. 1936 zu einem Schreiben von Alfred Rodenbücher an das Auswärtige Amt v. 3. 12. 1936, in  : Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, Reg. 31152, ebd. 2448 Runderlass des RMdI v. 6. 7. 1936, in  : Akten der Partei-Kanzlei, Reg. 30735, ebd.

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lingsstatus wurde eine Strafe wegen Verstoßes gegen die Passvorschriften verhängt, der Betroffene der BPP (Dezernat II 1 C Ö) übergeben, die im Einvernehmen mit der Polizeidirektion München das weitere Vorgehen veranlasste. Personen, die im Besitz gültiger Reisepapiere waren, wurden „formlos“ über die Grenze abgeschoben, bei Vorliegen eines Auslieferungsantrages gaben die deutschen Behörden diesem statt. Personen, die als politische Flüchtlinge anerkannt worden waren,2449 erhielten vom FHW einen Flüchtlingsausweis und wurden in ein Lager des HWL, der SA oder SS eingewiesen. Dort hatten sie umgehend einen Meldeschein auszufüllen und an die zuständige Behörde zu schicken, eine „persönliche Vorladung“ erfolgte nicht. Die Lagerleitungen hatten ein Verzeichnis anzulegen, in dem alle Ein- und Abgänge einzutragen waren und das den polizeilichen Behörden auf Verlangen vorzulegen war. Flüchtlinge ohne Reisepapiere erhielten einen gebührenfreien Fremdenpass, der ihnen von einem Beamten des Passamtes persönlich im Lager ausgehändigt wurde, welcher die Angaben gemeinsam mit der Lagerleitung durch „Inaugenscheinnahme“ zu überprüfen hatte. Mit Ausstellung des Fremdenpasses erhielten die im Lager befindlichen Flüchtlinge gleichzeitig eine ebenfalls gebührenfreie Aufenthaltserlaubnis. Flüchtlinge, die sich in keinem Lager befanden, hatten sich persönlich bei der zuständigen Passbehörde zu melden. Diese Personen erhielten eine Aufenthaltserlaubnis „für denjenigen Ort (…), an welchem dem Flüchtling auf Grund der Abmachungen des Flüchtlings-Hilfswerkes (…) mit der Reichsanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung eine Arbeit zugewiesen worden“ war. Die Aufenthaltserlaubnis durfte „nur für den an der Reichsgrenze gelegenen Grenzstreifen von 20 km Breite oder beim Vorliegen besonderer Bedenken in einzelnen Fällen versagt werden“. 15.2.2 Die Straflager

Im Dezember 1933 wurde im Einvernehmen mit der BPP und der SA das erste Straf­ lager, das sogenannte Arbeitslager Lechhausen bei Augsburg, eingerichtet,2450 das einerseits zur Disziplinierung von renitenten politischen Flüchtlingen und andererseits dazu dienen sollte, „solche Elemente“, die SA-Führer Reschny zufolge „des braunen Ehrenkleides unwürdig sind (…), ausfindig zu machen und kaltzustellen“. Nachdem „(d)iese Kaltstellung“ zumeist nicht durch Abschiebung über die Grenze erfolgen konnte, da die Flüchtlinge gegenüber den österreichischen Behörden „Einblick 2449 Ebd., Herv. i. Orig. 2450 Hermann Reschny an die OSAF v. 17. 9. 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084  ; Holzmann (1981), S. 71f.; Schafranek (2011), S. 174–184.

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(…) in die Ausrüstungsverhältnisse, den Stand und die Ausbildung“ der Legion bzw. „in deutsche Wehrverhältnisse überhaupt“ geben könnten, wurde Lechhausen „nach Muster eines Konzentrationslagers eingerichtet“. Die Säuberung der österreichischen SA und SS wurde SA-Brigadeführer Hans Löwe-Langer und SS-Obersturmführer Emil Langguth übertragen.2451 Im Sommer 1934 langten mehrfach Beschwerden bei der OSAF ein, die zu einer Überprüfung des Lagers führten. In einem Bericht bestritt Reschny, dass es bis auf wenige Ausnahmefälle zu Misshandlungen von Insassen gekommen sei. Ganz im Gegenteil seien zwei SA-Truppführer, „die sich im Anbrüllen der Insassen gefielen“, ihres Dienstes enthoben worden. Reschny zufolge wurde das Lager täglich von Beamten der Polizeidirektion Augsburg kontrolliert und auch von der BPP inspiziert. Im September 1934 gab der Adjutant von Heß, Hauptmann Wiedemann, der BPP den Auftrag, die Beschwerdeführer einzuvernehmen, und veranlasste die Besetzung des Straflagers, nachdem bekannt geworden war, dass die Häftlinge mit schweren Prügelstrafen, Dunkelarrest und Essensentzug bestraft worden waren.2452 Laut dem Fürsorgereferenten der SA, Obertruppführer Friedrich Hofbauer, hatte aber auch SSObersturmführer Langguth, der öfters mit dem Sonderbevollmächtigten des OSAF, Hans Röhrich, das Lager inspiziert hatte, die „Insassen dadurch zur Verzweiflung“ gebracht, „daß er einzelnen Leuten sagte  : ‚Sie bleiben 2 Monate, Sie bleiben noch 12 Monate‘ und zu einigen (…)  : ‚Sie werden erschossen‘.“ Hofbauer zufolge „bestätigten“ sich bei der Überprüfung die „Angaben der Beschwerdeführer (…) in vollem Umfange“, und das Straflager wurde in der Folge aufgelassen.2453 Im Oktober 1934 wurde daraufhin eine „Kommission zur Säuberung der SA von ungeeigneten Elementen“ eingesetzt,2454 der SA-Oberführer Rudzki (SA-Sondergericht), je ein Vertreter des Obersten Parteigerichts und der P.O., ein Regierungsrat namens Brunner von der Gestapo sowie Reschny und sein Stabsführer angehörten. Am 20. November 1934 untersagte der Stabsführer der OSAF, Otto Marxer, die Anwendung der bisher praktizierten Strafen und erklärte,2455 dass die „überaus zahlreichen Missgriffe und offenen Verfehlungen in der bisherigen Strafdisziplin (…) zum grössten Teil die Schuld an der Misstimmung unter den Männern der österr. Legion und an dem Schwinden des Vertrauens der Mannschaft zu ihren Führern (tragen)“. 2451 Bokisch/Zirbs (1940), S. 168. 2452 Oberführer Rudzki an den Stabsführer der OSAF v. 19. 11. 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084. 2453 SA-Obertruppführer Friedrich Hofbauer an das Personalamt der OSAF v. 9. 1. 1935, ebd. 2454 Stabsführer der OSAF Otto Marxer an den Chef des Stabes v. 25. 10. 1934, BArch/R 187, Zl. 306. 2455 Der Chef des Stabes der OSAF an den Führer der Gruppe Reschny v. 20. 11. 1934, BArch/NS 23, Zl. 1084.

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Alle „nicht einwandfreien Legionäre“ wurden ab nun in Sammeltransporten nach Esterwegen bei Pappenburg überwiesen,2456 wo neben dem KZ auch ein „Erziehungslager“ für österreichische Flüchtlinge eingerichtet worden war. Alte oder körperlich Gebrechliche kamen ins Lager Egmating, das dem FHW, also Rodenbücher, unterstand. Nach Bokisch und Zirbs wurden straffällig gewordene SA-Männer auch in die später eingerichteten Straflager in Mönchröden und Coburg überwiesen, die dem FHW unterstanden.2457 Dass eine Überstellung ins Arbeitslager Esterwegen auch im dortigen KZ enden konnte, zeigt etwa der Fall des Wiener Polizeibeamten Rudolf Allram. Dieser hatte sich 1932 der NSDAP angeschlossen und gehörte der Ortsgruppe „Gersthof 2“ an.2458 Aufgrund des Verrats eines Polizeikameraden wurde Allram im Juli 1934 verhaftet und mit sieben Wochen Arrest bestraft. Im September flüchtete er nach Deutschland, wo er der SA beitrat und ins Lager Bad Aibling abkommandiert wurde. Nachdem Gerüchte in Umlauf gekommen waren, dass Allram seine Kameraden verraten hätte, wurde er festgenommen und in die Franziskanerkaserne der SA in München eingeliefert. Am 1.  Oktober langte dann bei der SA ein wenig positiver Bericht seines früheren Vorgesetzten, Konrad Rotter, über ihn ein.2459 Darin führte Rotter an, dass der als Sprengelleiter eingesetzte Allram nach dem Parteiverbot jede Parteitätigkeit eingestellt habe, „ohne den Mut zu finden(,) seine Funktion zur Verfügung zu stellen“. Er habe „den Sprengel (vernachläßigt)“, weshalb er von ihm abgesetzt worden war, jedoch sei Rotter inzwischen mitgeteilt worden, dass Allram „in der letzten Zeit“ wieder mit „Blockwartarbeiten“ betraut gewesen war. Weiters würde „das Gerücht verbreitet“, dass er Mitgliedsbeiträge unterschlagen habe, was aber bislang nicht überprüft werden konnte. Er werde von seinen Kameraden nicht nur „als Feigling bezeichnet“, sondern sein „sträfliches fahrläßiges Verhalten“ habe auch dazu geführt, dass er zahlreiche Parteigenossen in Gefahr brachte, indem er „grundlos“ die Namenslisten von Parteigenossen mit sich führte, was zur Verhaftung von 13 Kameraden geführt habe. Nach Rotters Einschätzung sei damit „bewiesen“, dass Allram „kein nationalsozialistischer Kämpfer ist“. Überdies sei er ohne „trifftigen (sic  !) Grund ins Reich geflüchtet“, da er seine Strafe ja bereits verbüßt hatte, und werde aufgrund seines Verhaltens sowohl von ihm selbst als auch „von seinen Kameraden abgelehnt“. Nichtsdestotrotz bat Rotter darum, dass Allram „gesondert Verwendung finden möge, die dem Stand eines Wiener Polizeiwachmannes entspricht“. Am 2. Oktober stellte 2456 Vgl. dazu ausf. Knoch (2005), S. 532–570. 2457 Bokisch/Zirbs (1940), S. 167. 2458 WStLA, GAW  : Rudolf Allram, Zl. 30.008, 20.204. 2459 Bericht von Konrad Rotter v. 1. 10. 1934, WStLA, GAW  : Rudolf Allram, Zl. 20.204.

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der österreichische Sonderbeauftragte des OSAF, Oskar Grazer, fest,2460 dass es aufgrund von Rotters Bericht keine „Veranlassung zur Anhaltung des Allram im österreichischen Arbeitssturm“, also einem Strafsturm, gebe und dieser in ein SA-HWL zu überstellen sei. Allrams Ansuchen, als Rechtsreferent Verwendung zu finden, wurde zwar abgelehnt, jedoch konnte er in der Folgezeit einen Schulungskurs für den Innendienst absolvieren. Mitte April 1935 wurde Allram aber plötzlich von der BPP verhaftet und „als Schutzhäftling der Polizeidirektion München überstellt“.2461 Nach einem Schreiben seines Standartenführers dürfte er „voraussichtlich nicht mehr zurückkommen“.2462 Inzwischen waren nämlich einige Kameraden von Allram ebenfalls nach Deutschland geflüchtet und hatten Anzeige gegen ihn erstattet. Bei seiner Einvernahme durch die BPP gab er dann zu,2463 völlig grundlos die Namen mehrerer Kameraden verraten und Parteigelder unterschlagen zu haben. Aufgrund seiner „langen SA-Dienstzeit“ konnte er jedoch nicht mehr nach Österreich abgeschoben werden. Allram wurde daraufhin in das Gefangenenhaus Stadelheim eingeliefert und aus der SA ausgeschlossen.2464 Weiters verfügte das HWNW seine Überstellung in das Erziehungslager Esterwegen,2465 was laut Schreiben der BPP am 22. Mai 1935 auch erfolgte.2466 Im September stellte die SA dann Nachforschungen bei der BPP über den Verbleib von Allram an, da er nicht im Stand des Erziehungslagers aufschien. Nachdem diese ergebnislos geblieben waren, bat SA-Oberführer Rudzki die Kommandantur des KZ um Auskunft,2467 da Allram auf der Liste der „Österreichischen Besserungshäftlinge (…) vermisst“ werde. Diese teilte dem HWNW am 5. Oktober mit,2468 dass Allram „als Schutzhäftling hier eingeliefert wurde und (…) somit in der Liste der Besserungshäftlinge nicht enthalten sein“ könne. Statt im Erziehungslager war Allram also im KZ gelandet. Nachdem sich in seinem Akt keine weiteren diesbezüglichen Schreiben befinden, dürfte für die SA die Sache damit erledigt gewesen sein. Nach der Auflösung des KZ Esterwegen im Sommer 1936 wurden die Strafhäftlinge im KZ Sachsenhausen interniert. 2460 Oskar Grazer an die Abwicklungsstelle der Obergruppe XI (Österreich) v. 2. 10. 1934, ebd. 2461 Schreiben der BPP II 2 C an das HWNW v. 16. 5. 1935, ebd. 2462 Der Führer der Standarte NW 4 an das HWNW v. 7. 5. 1935, ebd. 2463 Schreiben der BPP II 2 C an das HWNW v. 16. 5. 1935, ebd. 2464 Ob er auch aus der Partei ausgeschlossen wurde, geht aus dem Akt des Obersten Parteigerichts nicht hervor, BArch (ehem. BDC), OPG-NA  : Rudolf Allram. 2465 Strafverfügung des HWNW gegen Rudolf Allram v. 17.  5.  1935, WStLA, GAW  : Rudolf Allram, Zl. 20.204. 2466 BPP an das HWNW v. 24. 9. 1935, ebd. 2467 SA-Oberführer Rudzki an die Kommandantur des KZ Esterwegen v. 4. 10. 1935, ebd. 2468 Kommandantur des KZ Esterwegen an das HWNW v. 5. 10. 1935, ebd.

16. Exemplarische Karriereverläufe österreichischer SS-Männer in Deutschland

Im Unterschied zur SA begann nach dem Juliputsch ein Verschmelzungsprozess zwischen den ins Reich geflüchteten österreichischen SS-Angehörigen und den ­deutschen Einheiten. Von den 67 Wiener SS-Führern der 11. SS-Standarte, die bis 1937 in das Führerkorps aufgenommen worden und nicht bei der SS-Sammelstelle beschäftigt waren, wurden im Laufe der Jahre zwanzig zu deutschen Einheiten der ­Allgemeinen SS versetzt. Weiters befanden sich im SD-HA neun SS-Führer, sechs in der VT, vier im SS-Hauptamt und je zwei bei den Totenkopf-Verbänden und im Rasse- und Siedlungshauptamt. Aber auch innerhalb des NSDAP-Flüchtlingshilfswerks waren die österreichischen SS-Angehörigen mit verschiedenen Aufgaben betraut. Der Rest verblieb bis zuletzt bei der SS-Sammelstelle. Besonders begehrt scheint für die SS-Männer eine Anstellung im Rasse- und Siedlungshauptamt gewesen zu sein, wohin laut dem niederösterreichischen SS-Führer Otto Bayer „nur ausgesprochene Protektionskinder hinkommen sollten“.2469 Ende Mai 1935 wurden auf Ansuchen Theodor Eickes 130 SS-Männer aus der SS-Sammelstelle in die Totenkopfverbände übernommen,2470 darunter auch mehrere Wiener SS-Angehörige, wie etwa Robert Bandera, Hans Rahn, Franz Tischer, Heinrich Gradl oder Ernst Brückler. Aus einem Brief eines Salzburger SS-Mannes, der zum Wachdienst ins KZ Columbiahaus in Berlin-Tempelhof abkommandiert worden war,2471 geht hervor, dass diese Überstellungen wenig begehrt gewesen sein dürften. Der damals 18-jährige Johann L. schrieb nämlich im September 1935 an seine Eltern, dass er „einen sehr schweren Dienst“ habe, „mit einem Bein im Arrest und mit einen (sic  !) in der Freiheit“ stehe, denn schon „(e)in kleines Wachvergehen“ könne „drei Tage Dunkel (sic  !)“ zur Folge haben. Er sei „der jüngste von unserer Kompagnie“ und müsse „mit dem Gefangenen (sic  !) sehr vorsichtig sein, (…) den Kopf immer hoch tragen, den (sic  !) sonst ist man der verspielte (sic  !)“. Er verdiene 64,– RM im Monat, sein Sold werde aber in nächster Zeit auf 95,– RM erhöht. Nachdem er sich selbst verpflegen 2469 Otto Bayer an Wilhelm Stumpf, o. D. (1935, CR), BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer. 2470 Lebenslauf von Robert Bandera v. 7. 9. 1936, BArch (ehem. BDC), RS  : Robert Bandera. 2471 Abschrift eines Briefes v. Johann L., angefertigt am 12. 9. 1935, ÖSTA/AdR, BKA-I, allg., 22/gen., Zl. 361.085-St.B./1935.

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müsse, bekomme er nach Abzug aller Steuern „ca. in 10 Tagen so 5–6 Mark heraus“. L. sah den Dienst im KZ nicht als Dauerstelle an und ging davon aus, „wahrscheinlich Soldat (zu) werden“. Falls dies nicht möglich sei, habe er aber „in späteren Jahren anspruch (sic  !) auf eine Staatsanstellung“. Im Gegensatz zu den Mannschaften schieden nur wenige Wiener SS-Führer aus dem hauptamtlichen Dienst aus. Der Eintritt in einen Zivilberuf bedeutete aber nicht, dass diese keinen SS-Dienst mehr leisteten. Innerhalb der SS muss vielmehr zwischen ehrenamtlichen, nebenamtlichen (gegen geringe Bezahlung) und hauptamtlichen (gegen feste Anstellung) SS-Angehörigen unterschieden werden.2472 So waren etwa mehrere Wiener SS-Männer nebenamtlich bei der Flugsicherung eingesetzt, wie etwa der SS-Mann Anton Stadler, der auch nach seiner Entlassung in den Zivilberuf weiter in der SS-Unterkunft der Flugwache Rotenburg wohnte und dort seinen SS-Dienst verrichtete.2473 Auch die Sportreferenten in den Standarten der Allgemeinen SS waren zumeist nebenamtlich beschäftigt. Eine wichtige Funktion erhielten nach Beginn des Krieges die Fürsorgereferenten, die sowohl die Betreuung der SS-Männer (Zuteilung von Geschenkspaketen für Verletzte, Standesführung, Zusendung wichtiger Dokumente etc.) als auch im Falle einer Verletzung oder des Todes eines SS-Mannes jene der Angehörigen übernahmen. Hinsichtlich des Karriereverlaufs der Mitglieder des Wiener Führerkorps kann festgestellt werden, dass die meisten Gründer der Wiener SS einen Karrierebruch zu verzeichnen hatten, da sie aufgrund ihrer früh erworbenen hohen Dienstgrade nicht mehr den neuen Anforderungen der SS genügten und ihr weiterer Aufstieg in der Hierarchie der SS dementsprechend gering war. Die Entwicklung, die sich im Herbst 1932 innerhalb der 11.  SS-Standarte bereits abgezeichnet hatte, sollte sich auch in Deutschland fortsetzen  : Aufstiegschancen hatten letztlich nur noch drei Gruppen  : SS-Angehörige, die über eine fundierte Ausbildung verfügten, die im Ersten Weltkrieg als Offiziere gedient hatten oder die noch sehr jungen SS-Männer. Überraschend ist, dass der frühe SS-Eintritt demgegenüber ebenso zweitrangig war wie der Einsatz für die Bewegung. Von besonderer Bedeutung war letztlich aber auch die Protektion durch hochrangige SS-Führer. Das Stagnieren des weiteren Aufstiegs bzw. die Überstellung in Zivilberufe öster­ reichischer SS-Männer in Deutschland bedeutete aber nicht, dass für diese nicht entsprechend gesorgt worden wäre, da sowohl die SS-Sammelstelle als auch das FHW eifrig darum bemüht waren, die SS-Angehörigen so gut wie möglich unterzubringen. Dies genügte jedoch insbesondere den Mitgliedern des ersten Führerkorps der Wiener 2472 Der Chef des SS-Amtes/Curt Wittje, Verteiler V v. 30. 8. 1934, BArch/NS 19, Zl. 4042. 2473 WStLA, GAW  : Anton Stadler, Zl. 9.288.

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SS bei Weitem nicht. Die hohen und vor dem Hintergrund ihrer beruflichen Möglichkeiten oftmals überzogenen Ansprüche werden aber ebenso wie die kaum verhaltenen Zornesausbrüche über ihre angeblich schlechte Behandlung erst vor dem Hintergrund des Aufstiegs der Führer des Steirischen Heimatschutzes verständlich. Hanns Rauter, August Meyszner und Konstantin Kammerhofer2474 waren nämlich nach ihrer Flucht nach Deutschland der SS beigetreten und im Februar 1935 direkt zu SS-Oberführern befördert worden. Damit hatten sie mit Ausnahme von Karl Taus, Grimmes Nachfolger als Führer des SS-Abschnitts VIII,2475 das gesamte österreichische SS-Führerkorps um Längen überrundet.2476 Aber nicht nur innerhalb der SS, sondern auch bei den ehemaligen Politischen Leitern der österreichischen NSDAP, allen voran Walter Oberhaidacher, führte der Aufstieg der Heimatschützer zu aufgebrachten Reaktionen.2477 So gelang es Oberhaidacher, die kollektive Aufnahme der ehemaligen Heimatschützer in die NSDAP zu verhindern,2478 die seiner Stellungnahme nach „erst im Frühjahr 1933 (…) ihr Herz für den Nationalsozialismus entdeckt“ hatten und denen durch das FHW „parteiamtliche Mitgliedsausweise“ ausgestellt worden waren, obwohl Reichsschatzmeister Schwarz dies „ausdrücklich untersagt“ hatte. Berücksichtigt werden muss dabei auch, dass aufgrund der Aufnahmesperre der Reichsleitung eine große Zahl an ParteigenossInnen, die wesentlich länger der Partei angehörten, nur in Evidenz stand, während die Mitglieder des ehemaligen Heimatschutzes nun rückwirkend in die Partei aufgenommen werden sollten. Unmut erregte weiters, dass die Heimatschützer führende Positionen innerhalb des FHW übernahmen, während die Politischen Leiter davon weitgehend ausgeschlossen wurden. Dementsprechend dürfte auch die Steiermark bei der Beteiligung von Hilfsgeldern bevorzugt worden sein. So lag der steirische Gau mit 26,5 Prozent der nach Österreich transferierten Unterstützungsgelder „deutlich an der Spitze“.2479 Aber auch unter den EmigrantInnen wurde Kritik an der steirischen Führung im FHW laut. So 2474 Vgl. Birn (1986)  ; Schulz/Wegmann/Zinke (2005), S. 433–440. 2475 Die Beförderung von Taus zum Oberführer erfolgte wenige Tage vor jener der Heimatschutz-Führer. Zu Taus’ Funktion als Führer des Abschnitts VIII vgl. die allerdings nicht immer zuverlässigen Angaben bei Black (1991), S. 97–100, sowie BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Taus. 2476 Nach der SS-Dienstaltersliste 1935 rangierte als nächsthöherer österreichischer SS-Führer Hanns Feil, der im April 1935 zum SS-Standartenführer befördert worden war, weit hinter den ehemaligen Führern des Steirischen Heimatschutzes. Der bereits im November 1934 zum SS-Oberführer ernannte Karl Maria Wiligut (= Karl Weisthor) verrichtete als Ehrenführer keinen aktiven SS-Dienst, vgl. Longerich (2008), S. 293–295. 2477 Vgl. dazu ausf. Schafranek (2006), S. 16–32. 2478 Walter Oberhaidacher an die Reichsleitung der NSDAP/Reichsschatzmeister Franz X. Schwarz v. 1. 12. 1935, BArch/R 187, Zl. 303. 2479 Schafranek (2006), S. 23.

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bezeichnete der Wiener Flüchtling Leo Schefcik im Sommer 1935 Kammerhofer als „Kapo“ und berichtete weiters  :2480 „Es gibt Leute hier(,) die tragen Gelder weg(,) das ist ganz ungeheuer (…), aber alle diese sind Steirer und, da beim (Hilfs-)Werk lauter Steirer sind, kommen (…) nur diese in Betracht. (…) Was man unten an Entgegengekommen gefunden hat(,) vermisst man dort bei unseren Landsleuten. So etwas hast Du nicht gesehen(,) die Behandlung von Nichtsteirern. Hingegen findet man (…) seitens der deutschen Behörden liebevolles, höflichstes und korrektes Entgegenkommen.“

Auch Otto Begus machte seinem Ärger über den Karrieresprung der Heimatschützer in einem sarkastischen Brief an Hanns Rauter Luft.2481 Hintergrund des Streits zwischen den beiden war, dass Begus, der im April 1935 gerade einmal zum SS-Untersturmführer befördert worden war, ein Ansuchen um eine höhere Unterstützung gestellt hatte, das vom FHW abgelehnt worden war, und sich Rodenbücher geweigert hatte, dessen Frau zu empfangen. Weiters waren der nach wie vor aktiven Treuhandgesellschaft (TG),2482 also dem ND, Begus zufolge „(innerhalb weniger Stunden) schon zum Zweitenmal (sic  !) in schikanöser Weise die Möbel ausgeräumt“ worden. In seinem Brief sprach er Rauter daraufhin mit dem katholischen Vornamen „Johannes“ an, beförderte ihn gleich selbst zum Obergruppenführer – also drei Dienstränge über Rauters tatsächlichem Rang – und teilte ihm weiters mit  : „Wir sind die Letzten, die sich auf Verdienste um die NSDAP in Österreich berufen, wir können uns aber ruhig sagen, dass wir uns, was diese Frage anbelangt(,) manchem an die Seite stellen können, der da oder dort unverhältnismässig raschest Karriere gemacht hat.“ Auch Hubert Kölblinger, der ja bereits 1928 aufgrund der Annäherung der SA an die Heimwehr die Führung der Wiener SA niedergelegt hatte, empörte sich über den kometenhaften Aufstieg der Heimatschützer. In einer Niederschrift über eine Unterredung mit Kölblinger hielt der Personalchef des RFSS, Oberführer Kurt Schmitt, dessen Kritik fest. Darin notierte er, dass Kölblinger „kein Verständnis dafür“ habe, „dass Heimatschützler (sic  !), die bis zum Venediger Abkommen 1933 abseits gestanden bezw. Gegner gewesen seien, Verwendung fänden“. Als Beispiel hatte Kölblinger den Heimatschützer Hubert Erhart angeführt. Dieser war nämlich ebenfalls im Februar 1935 in die 2480 Abschrift eines Briefes von Leo Schefcik, o.  D. (ca.  Juli 1935, CR), WStLA, M.Abt. 116, A  37  : Ausbürge­rungsverfahren Leo Schefcik. 2481 Otto Begus an Hanns Rauter v. 15. 5. 1935, ÖSTA/AdR, GA  : Otto Begus, Zl. 199.579. 2482 Die TG unterstand dem Forschungsamt des Reichsluftfahrtsministeriums und wurde Ende Juli 1935 aufge­löst. Weitere Mitarbeiter der TG waren Walter Graeschke und Max Grillmayr, Lebenslauf von Otto Begus v. 23. 1. 1938, ebd.

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SS aufgenommen und direkt zum SS-Sturmbannführer befördert worden, während Kölblinger selbst als ehemaliger Führer einer SS-Standarte am 1. Jänner 1935 nur zum Obersturmführer ernannt worden war.2483 Kölblinger sei der „Ansicht“, so Schmitt weiter, „dass auf den Dienststellen Berlin und München (des FHW, CR) alte SSAngehörige bezw. Pgg. verwandt werden sollten“ und nicht die neu aufgenommenen Steirischen Heimatschützer. Ebenso sparte auch Hauptsturmführer Karl Pichl, dessen eigener Karriereverlauf in Deutschland so gar nicht seinen Vorstellungen entsprach, nicht mit Kritik an den Verhältnissen innerhalb des FHW und der SS-Sammelstelle. 16.1 Karl Pichl

Karl Pichl hatte, wie der Großteil des Führerkorps der 11.  Standarte, lange Zeit in Wien ausgeharrt und war mit kürzeren Unterbrechungen von Juni 1933 bis Oktober 1934 fast ständig in Haft oder im Anhaltelager gewesen. Pichl, der sich während seiner Wehrdienstzeit beim österreichischen Bundesheer eine Lungenverletzung zugezogen hatte und 1928 mit 35- bis 45-prozentiger Invalidität ausgeschieden war, litt auch in der Folgezeit unter seiner schweren Verletzung. So hatte er einen Großteil des Jahres 1932 in einer Lungenheilanstalt verbracht. Während seiner Anhaltehaft im Lager Wöllersdorf erkrankte er an Tuberkulose und wurde schließlich auf ärztliche Veranlassung als haftunfähig entlassen. Fortan musste er sich zunächst täglich, danach ein bis vier Mal pro Woche, bei der Polizei melden. Um seine Kameraden nicht zu gefährden, wurde dem amtsbekannten Pichl jede weitere Betätigung für die SS untersagt. Seine Anstellung in der Registratur im „Adolf-Hitler-Haus“ hatte Pichl nach dem Verbot der NSDAP verloren, der in der Folge unter tristen Bedingungen in Wien lebte. Anfang Jänner 1936 erhielt er schließlich den Auftrag, nach Deutschland zu flüchten. Pichls Ankunft bereitete der SS-Sammelstelle einiges Kopfzerbrechen, denn weder konnte sie über seine Position als Mitbegründer der SS in Österreich noch über seinen jahrelangen Diensteinsatz und seine langen Haftstrafen hinwegsehen. Andererseits war Pichl durch seine Erkrankung körperlich beeinträchtigt und brachte nicht die geeigneten Voraussetzungen für den aktiven Dienst mit. Auch erschien es wenig passend, den Hauptsturmführer in seinem erlernten Beruf als Gärtnergehilfe oder Hilfsarbeiter einzusetzen, für höhere Bürotätigkeiten war Pichl aufgrund seiner fehlenden Ausbildung aber auch nicht geeignet. Darüber hinaus hatte er sofort nach seiner Ankunft um einen Rapport bei Himmler angesucht, den er von früher noch persönlich kannte, hatte ihn dieser ja gemeinsam mit Turza immerhin mit der Aufstellung der ersten 2483 Diesen Dienstgrad erreichte Kölblinger erst im Jänner 1937.

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österreichischen SS-Einheit beauftragt. Auch reaktivierte er nun in Deutschland seine alte Verbindung zu Karl Wolff, dem Chef des Persönlichen Stabes des RFSS, mit dem er, als erster österreichischer SS-Führer überhaupt, 1932 den Lehrgang in der RFSSSchule absolviert hatte. Nachdem Pichl seine Anliegen somit an höchster Stelle deponiert hatte, musste die SS-Sammelstelle mit dem schwierigen Fall dementsprechend behutsam umgehen. Pichl wurde zunächst nach Ranis abkommandiert, wo inzwischen der ehemalige Wiener Scharführer Gustav Rieger die Lagerleitung übernommen hatte und zum Obersturmführer befördert worden war. Nachdem die Sammelstelle „Schonung“ empfohlen hatte,2484 weil Pichl „sich angeblich schwach fühlte“, wurde er sofort unter Beobachtung des Lagerarztes gestellt, der ihn „vorsichtshalber“ gleich ins Krankenhaus überwies. Dort konnte zwar kein „aktiver Krankheitsprozeß“ festgestellt werden, allerdings empfahl der behandelnde Arzt trotzdem eine prophylaktische Heilverschickung und behielt ihn bis zu seiner Überweisung im Krankenhaus. Umgehend beantragte die Sammelstelle den gewünschten Kuraufenthalt bei der NS-Volkswohlfahrt, die ebenso umgehend eine „vorläufig“ vier- bis sechswöchige Kur organisierte. Zwei Wochen nach Beginn brach Pichl diese mit der Begründung, einen Führerlehrgang besuchen zu müssen, ab und kehrte ins Lager Ranis zurück. Wenige Tage später erhielt er eine zweiwöchige Beurlaubung nach Berlin, um seine „Heiratsformalitäten“ regeln zu können. Pichl hatte sich nämlich im März 1935 von seiner Frau getrennt2485 und wollte nun seine Lebensgefährtin, mit der er bereits in Wien zusammengelebt hatte, heiraten. Aufgrund der österreichischen Gesetzgebung konnten jedoch römisch-katholisch Verheiratete nur von „Tisch und Bett“ getrennt werden und sich erst nach dem Tod des Ehepartners wiederverheiraten. Hingegen bestand für die in Deutschland eingebürgerten österreichischen Flüchtlinge die Möglichkeit, die Ehe endgültig trennen zu lassen. Dafür musste die bereits in Österreich getrennte Ehe in Deutschland nochmals geschieden werden.2486 Ohne rechtsgültige Scheidung nach den deutschen gesetzlichen Bestimmungen durfte Pichl aber mit seiner Braut nicht zusammenleben, da es Rodenbücher zufolge „ein wildes Zusammenleben im Reiche nicht gibt“.2487 Er versuchte deshalb, möglichst schnell auch in Deutschland geschieden zu werden, um nicht „mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen“, wofür ihm jedoch die nötigen Mittel fehlten. 2484 Aktenvermerk v. Rosler/FHW v. 5. 1. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Pichl. 2485 BArch (ehem. BDC), RS  : Karl Pichl. 2486 Meinen herzlichen Dank für die Klärung dieser komplexen rechtlichen Frage an Univ.-Prof.in Dr.in Ilse Reiter-Zatloukal, vgl. dazu Reiter-Zatloukal (2010a). 2487 Alfred Rodenbücher an den Chef des Persönlichen Stabes v. 8. 1. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Pichl.

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In Berlin meldete sich Pichl nun bei Rauter und eröffnete ihm, dass „ein Kuraufenthalt gar nicht notwendig gewesen sei“.2488 Dieser schickte ihn umgehend in die Charité zu einer letzten Untersuchung, die aufgrund der Osterferien aber nicht mehr abgeschlossen werden konnte. Pichl kehrte daraufhin für einige Tage nach Ranis zurück und sollte nach Rauters Befehl am 20. April zur weiteren Untersuchung wieder in die Charité zurückkommen. Diesen ignorierte Pichl jedoch und brachte dafür am 26. April beim Lager Ranis ein Gesuch „um baldige Überstellung in einen Zivilberuf“ ein, in welchem er als Grund sein Lungen-, Nieren- und Nervenleiden anführte. Auch der Lagerarzt bestätigte, dass „Pichl wegen allgemeiner Körperschwäche und hochgradiger Nervenschwäche zur Zeit truppenuntauglich“ sei, woraufhin die Lagerführung beim FHW neuerlich um Unterbringung in einer Heilstätte ansuchte. Nachdem Pichl Anfang Mai wieder in Berlin aufgetaucht war, musste er die anbefohlene Untersuchung in der Charité doch noch hinter sich bringen, die ergab, dass weder eine Erkrankung vorliege noch eine Heilstättenbehandlung notwendig sei. Zur Absicherung wurde Pichl auch noch zu einem SS-Arzt geschickt, der die Ergebnisse der Charité bestätigte, jedoch „einen seelischen depressiven Zustand“ konstatierte. Am 12. Mai wurde Pichl von Wolff empfangen, der ihm angeblich anbot, dass er sich „jederzeit“ um Unterstützung an ihn wenden könne.2489 Unmittelbar darauf wurde er zu einem „Sonderkurs“ nach Ellwangen geschickt, den er „krankheitshalber“ drei Wochen vor Kursende wieder abbrechen musste. Mit Wirkung vom 1. Juni wurde er zum Führer im Stab der SS-Sammelstelle ernannt, gleichzeitig erfolgte die Anforderung aller Unterlagen, um Pichls Überstellung in den Zivilberuf durchführen zu können. Zur selben Zeit bat Pichl um ein Darlehen von 300,– RM, um die Anwaltskosten für seine Scheidung bezahlen und seine neue Lebensgefährtin heiraten zu können. Mitte Juli begann sich das FHW um einen geeigneten Posten für Pichl umzusehen,2490 was „von vornherein auf ziemlich Schwierigkeiten (stieß), da P. von Beruf Gärtner“ war und „auch hierbei nur für Dekoration in Frage gekommen wäre“. Aufgrund seiner Militärdienstzeit und seiner „Karteiarbeiten bei der Gauleitung Wien“ fragte das FHW daraufhin bei der Deutschen Arbeitsfront (DAF) und beim Postministerium um einen Posten für ihn an, führte „eine Reihe von Vermittlungsversuchen“ durch, jedoch wurde „seine Unterbringung (…) von vorneherein abgelehnt“. Anfang August teilte die Sammelstelle Pichl dann mit, dass sein Darlehen nicht bewilligt werde, er sich „selbst einen Zivilberuf zu beschaffen hätte“ und sein bisheriger Lohn im Zuge von „Ersparungsmaßnahmen“ von 90,– RM auf 59,– RM im Monat herabgesetzt wer2488 Aktenvermerk v. Rosler/FHW v. 5. 1. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Pichl. 2489 Karl Pichl an Karl Wolff v. 10. 8. 1936, ebd. 2490 Bericht des FHW, Unterschrift unleserl. v. 7. 1. 1937, ebd.

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den würde. Damit lag Pichl weit unter dem für Hauptsturmführer vorgesehenen Sold der Allgemeinen SS,2491 der 1935 für ledige Führer je nach Ortsklasse zwischen 310,– und 370,– RM pro Monat betrug, während seine Entlohnung nicht einmal jener eines SS-Anwärters entsprach. Pichl beschwerte sich daraufhin bei Wolff,2492 dass weder Rodenbücher noch die Sammelstelle „ihr Versprechen“ gehalten hätten und er nicht annehme, „daß dies im Interesse d. Reichsführung SS oder überhaupt im Sinne unseres Führers liegt, daß alte Kämpfer eine derartige Behandlung erfahren“. Er habe den Eindruck gewonnen, dass man „uns alte Kämpfer zwingen (…) wolle, betteln zu gehen“, während man „für die Herren, die vor 3 Jahren noch auf uns einschlugen und uns als braune Pest bezeichneten (…) im N.S.D.A.P. Flüchtlingshilfswerk allerdings bessere Plätze vorgesehen zu haben“ scheine. Damit waren natürlich die ehemaligen Führer des Steirischen Heimatschutzes gemeint. Hauptamtlich in der SS tätigen Oberführern stand nämlich ein Sold zwischen 700,– und 800,– RM (verheiratete) bzw. 650,– und 750,– RM (ledige) zu, und das Gehalt der beim FHW befindlichen ehemaligen Heimatschützer dürfte in diesem Bereich gelegen haben. Nachdem Rodenbücher „nicht daran zu denken“ scheine, so Pichl weiter, ihm in seiner „Notlage zu helfen“, und er „sich jetzt nicht wieder zurückdrängen“ lassen könne, ersuchte er Wolff um Unterstützung, da er „im Reich noch nicht die nötigen Verbindungen“ habe. Er würde es wegen seiner „angegriffenen Gesundheit“ bevorzugen, im Kanzleidienst Verwendung zu finden, und ersuchte Wolff auch um Hilfe bei der Beschaffung des Darlehens. Dieser nahm erst Ende Dezember zu Pichls Ansuchen Stellung, der inzwischen bereits einen Posten bei der Reichsleitung der NSDAP in Berlin erhalten hatte. Dort bezog er ein Bruttogehalt von 245,– RM,2493 hatte weiters vom FHW ein „Übergangsgeld“ von 180,– RM gewährt bekommen, während üblicherweise nur „höchstens RM 120“ ausbezahlt wurden. Auch war er von diesem eingekleidet worden, was „überhaupt nur in Ausnahmefällen bei besonders verdienten SS-Führern oder Parteigenossen durchgeführt“ wurde.2494 Pichls Eignung für den Posten dürfte sich in Grenzen gehalten haben,2495 da er laut Mitteilung der Reichsleitung „noch zu viel der Führung“ benötige, „es ihm augenblicklich ziemlich dreckig (gehe) und das Wasser (…) ihm schon bis an den Hals (reiche)“. Man bringe zwar „seiner persönlichen Lage (Scheidung usw.) (…) durchaus 2491 Haushaltsplanung 1935 für die Allgemeine SS, BArch/NS 3, Zl. 465. 2492 Karl Pichl an Karl Wolff v. 10. 8. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Pichl. 2493 Bericht des FHW, Unterschrift unleserl. V. 7. 1. 1937, ebd. 2494 Nach dem Bericht über die „Organisation des NSDAP-Flüchtlingshilfswerkes“ wurde für alle Flüchtlinge ein „Bekleidungskonto“ angelegt und mussten die FHW-Lager alle zehn Tage Bericht über die Kleiderausfol­gung erstatten, Bericht Rodenbücher, FHW v. 22. 4. 1936, BArch/NS 51, Zl. 4. 2495 Bericht des FHW, Unterschrift unleserl. V. 7. 1. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Pichl.

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Verständnis entgegen“, jedoch sei ihm bereits mitgeteilt worden, dass eine Lohnerhöhung nur „bei entsprechender Leistungssteigerung in Frage“ komme. Pichl sei kein „besonders hervorragender Mitarbeiter (…), werde sich aber schon einfinden, da die gestellten Anforderungen an sich die geringsten seien“. In einem Schreiben an Wolff bezeichnete Rodenbücher ihn als „eingebildete(n) Kranke(n)“,2496 dessen „Launen“ das FHW sowie die Sammelstelle „(m)it Langmut und Geduld (…) gerecht zu werden versucht“ habe. Nach einer Aufstellung des FHW2497 hatte Pichl zwischen 7. Jänner und 5. November 2.829,– RM erhalten, abzüglich Lohn und Verpflegung betrug die Zuwendung des FHW für Kleidung, Unterstützungsgelder etc. somit 1.589,– RM. Für die Schaffung einer neuen Existenz war diese Summe sicherlich nicht ausreichend und lag unter dem Zweimonatsgehalt eines verheirateten Oberführers. Auch Wolff konnte Pichl weder einen besser bezahlten Job noch das erbetene Darlehen verschaffen, teilte ihm jedoch mit, dass er Rodenbücher ersucht habe, sich seiner „anzunehmen und nach Möglichkeit“ seinem „Wunsche zu entsprechen“.2498 Obwohl Rodenbücher umgehend erklärte, dass Pichls Wünschen längst „entsprochen“ worden sei,2499 blieb Wolff hartnäckig und bat ihn neuerlich um „Mitteilung(,) ob es angebracht erscheint, sich des Pichl fördernd anzunehmen“.2500 Dieser wollte nämlich nun wieder hauptamtlich zur SS zurückkehren und zum Grenzdienst versetzt werden, nachdem er inzwischen als „Sortierer“ im Reichsarchiv der DAF gelandet war und wieder geheiratet hatte. Dort bezog er ein Gehalt von 205,– RM zuzüglich sozialer Zulagen,2501 wodurch er nach Rodenbüchers Ansicht „in der Lage“ sei, „mit seiner Frau den Lebensunterhalt zu bestreiten“. Zumindest einen Teil der Anwaltskosten hatte das FHW dann doch übernommen, um ihn „von den drückendsten Schulden“ zu befreien. Eine Versetzung zu den Grenz- und Wacheinheiten scheiterte in der Folgezeit ebenso wie eine Verwendung bei der Gestapo. Mit dem „Anschluss“ änderte sich Pichls Situation schlagartig. Bereits am 16. März ließ er sich für zwei Wochen nach Wien beurlauben. Anfang Dezember 1938 wurde er zur Gauleitung Salzburg versetzt und kehrte im Mai 1940 endgültig nach Wien zurück. Dort erhielt er einen Posten als Oberkontrolleur bei der Reichsversicherungsanstalt und wurde im April 1942 als Verwaltungsinspekteur zum Beamten auf Lebenszeit ernannt. Im September des gleichen Jahres erfolgte Pichls Beförderung zum 2496 Alfred Rodenbücher an den Chef des Persönlichen Stabes v. 8. 1. 1937, ebd. 2497 Aufstellung des FHW, Beilage zum Schreiben von Alfred Rodenbücher an den Chef des Persönlichen Sta­bes v. 8. 1. 1937, ebd. 2498 Karl Wolff an Karl Pichl v. 28. 1. 1937, ebd. 2499 Alfred Rodenbücher an Karl Wolff v. 29. 1. 1937, ebd. 2500 Karl Wolff an Alfred Rodenbücher, o. D., ebd. 2501 Alfred Rodenbücher an den RFSS/Der Chef des Persönlichen Stabes v. 20. 7. 1937, ebd.

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Sturmbannführer. In der Folgezeit war er in der Stammabteilung der 89. SS-Standarte nebenamtlich in der Fürsorge- und Betreuungsabteilung aktiv. Seine Einberufung wurde zunächst aufgrund seines Gesundheitszustandes zurückgestellt. In den folgenden Jahren wurde er drei Mal zur Waffen-SS eingezogen und als untauglich sofort wieder ausgeschieden. Im Sommer 1944 gelang es dann, ihn doch noch zur WaffenSS zu überstellen, obwohl der inzwischen wieder in Amt und Würden eingesetzte alte Kamerad Walter Turza dies mit aller Kraft zu verhindern versuchte und ihn mehrmals zum Führer einer Standarte der Allgemeinen SS vorschlug. Nichtsdestotrotz musste Pichl am 1. August 1944 endgültig einrücken und wurde als SS-Schütze zur LSSAH nach Berlin versetzt, wo er sich laut Schreiben vom Jänner 1945 zwar „seit Monaten im Lazarett“ befand,2502 wenig später aber seine Beförderung zum Rottenführer der Waffen-SS erfolgte. Inzwischen hatte der Oberabschnitt Donau jedoch Pichls Rücküberstellung nach Wien erreicht, und Pichl wurde am 31. März in Marsch gesetzt.2503 Ob er dort noch vor der Befreiung der Stadt durch die Rote Armee eintraf, ist ungewiss. Trotz seiner so zahlreichen angeblich schweren Krankheiten war Pichl ein langes Leben beschieden  : Er verstarb 1994 im Alter von 88 Jahren in Wien. 16.2 Heinrich Weitzdörfer

Ähnlich schwierig gestaltete sich lange Zeit auch der Deutschland-Aufenthalt von Heinrich Weitzdörfer, der im November 1933 zum Obersturmführer ernannt worden war. Nach Verbüßung von drei Wochen Haft sowie verschiedenen Polizeistrafen und seiner Entlassung aus der Bundeskrankenkasse, wo er bis Jänner 1934 beschäftigt gewesen war, flüchtete er im November 1934 nach Deutschland, um sich der neuerlichen Verhaftung zu entziehen. Der damals 28-jährige Weitzdörfer wurde zunächst zur SSSammelstelle überstellt und danach zum II/SS 1 nach Dachau versetzt, wo er seine Ausbildung absolvieren sollte. Von dort wurde der „alte Kämpfer und sehr alte Staffelmann“ wegen „völliger Ungeeignetheit“ wieder zur Sammelstelle zurücküberwiesen.2504 Im Juli 1935 versuchte Rodenbücher, Weitzdörfer „mit dem Dienstbetrieb in der SS vertraut zu machen“, und schickte ihn auf einen Führerlehrgang bei der VT in Arolsen. Die Beurteilung des Lehrgangsleiters fiel ebenfalls wenig positiv aus. Dieser bescheinigte ihm immerhin,2505 dass Menschenverstand „vorhanden“ sei, Wissen und 2502 SS-Führungshauptamt an das SS-Personalamt v. 3. 1. 1945, ebd. 2503 Sonderausweis für Karl Pichl v. 30. 3. 1945, WStLA, GAW  : Karl Pichl, Zl. 101.811. 2504 Personal-Bericht von Alfred Rodenbücher v. 28. 8. 1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Heinrich Weitz­ dörfer. 2505 Personal-Bericht von Wilhelm Goecke v. 29. 7. 1935, ebd.

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Bildung dem „kleine(n) Durchschnitt“ entsprächen, sein Auffassungsvermögen zwar mangelhaft sei, er sich „aber Mühe (gibt)“. Vor der Front könne er sich nicht durchsetzen, außerhalb der Dienstzeit sei er ein „guter Gesellschafter, vergisst jedoch(,) dass er Soldat ist“. „Gefestigt“ war hingegen seine nationalsozialistische Weltanschauung. Nachdem ihm „praktische Erfahrung“ im SS-Dienst fehlte, seine Unterrichtsleistung unterdurchschnittlich war und er an einer Herzkrankheit litt, kam der Lehrgangsleiter zur dem wenig überraschenden Schluss, dass Weitzdörfer „im Aussendienst nicht verwendbar“ sei. Obergruppenführer Friedrich-Wilhelm Krüger zeigte mehr Milde und beschrieb ihn als „ehrliche(n) Charakter“,2506 der „etwas weich gegen sich selbst“ sei, über keine militärischen Kenntnisse und Erfahrungen verfüge und „trotz seines Alters als Führer ungeeignet“ sei. Er empfahl, ihn weiterhin im „Bürodienst unter Aufsicht“ zu verwenden. Die SS-Sammelstelle stand nun vor dem Problem, dass Weitzdörfer für den militärischen Dienst nicht infrage kam, der Sammelstelle jedoch die finanziellen Mittel fehlten, um ihn als Obersturmführer im „unteren Bürodienst“ einzusetzen. Rodenbücher kam somit zum Schluss, dass „seine Unterbringung im bürgerlichen Leben versucht werden“ sollte.2507 Dagegen sprach jedoch, dass Weitzdörfer für Frau und Kind sorgen musste und auf das „SS-Einkommen angewiesen“ war.2508 Zwischen Jänner und Ende August 1935 hatte er bereits 2.230,– RM an Zuwendungen bekom­men,2509 und im Gegensatz zu Pichl erhielt er mit 230,– RM netto den üblichen Lohn eines Obersturmführers.2510 Nachdem auch das SS-Hauptamt mitgeteilt hatte, dass keine Etatstelle zur Verfügung stehe und eine Anstellung beim FHW aufgrund von Weitzdörfers angeblich „ungerechtfertigte(n) hohe(n) Gehaltsansprüchen“ nicht zustande gekommen war,2511 schickte ihn Rodenbücher zu einer „psychotechnischen Prüfung“ des Arbeitsamtes.2512 Während zahlreiche Teilnehmer diese problemlos bestanden, schnitt Weitzdörfer nur mit der „Note 3–4“ ab und wurde vom Arbeitsamt nicht berücksichtigt. Obwohl Rodenbücher dem SS-Hauptamt mitteilte, dass Weitzdörfer nun den „Bescheid“ erhalten sollte, sich „um weitere Vermittlung im Zivilberuf (zu) bemühen“, wurde er für fünf Monate in ein „Umschulungslager“ der SS geschickt. 2506 Personal-Bericht von Friedrich-Wilhelm Krüger v. 29. 7. 1935, ebd. 2507 Personal-Bericht von Alfred Rodenbücher v. 28. 8. 1935, ebd. 2508 Personal-Bericht von Wilhelm Goecke v. 29. 7. 1935, ebd. 2509 Personal-Bericht von Alfred Rodenbücher v. 28. 8. 1935, ebd. 2510 Eidesstattliche Erklärung von Heinrich Weitzdörfer v. 21.  10.  1935, ÖSTA, AdR, GA  : Heinrich Weitzdör­fer, Zl. 173.493. 2511 Alfred Rodenbücher an das SS-Hauptamt v. 11.  12.  1935, BArch (ehem. BDC), SSO  : Heinrich Weitz­dörfer. 2512 Aktenvermerk v. 22. 11. 1935, ebd.

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Nach Absolvierung des Kurses bat die Sammelstelle dann das SS-Personalamt,2513 für seine hauptamtliche Verwendung zu sorgen, da er sich nun als Sachbearbeiter für einen mittleren Stab eignen würde. Außerdem habe er sich „eine weitere hauptamtliche Verwendung in der SS auf Grund“ seiner „im Kampf in Österreich unter Beweis gestellten Opferbereitschaft verdien(t)“. Ausschlaggebend für die Bemühungen der Sammelstelle und des SS-Hauptamtes, Weitzdörfer weiterhin in der SS zu behalten, war letztlich aber nicht seine Kampfbereitschaft, denn die hatte Pichl in weit höherem Maße unter Beweis gestellt. Im Unterschied zu diesem war Weitzdörfer aber gerade Vater geworden und eine Überstellung in einen Zivilberuf hätte möglicherweise die Trennung der Familie zur Folge gehabt, was Himmlers Zuchtgedanken für die SS gänzlich widersprach.2514 Nachdem sich auch Oberführer Kurt Schmitt auf den Standpunkt gestellt hatte, dass Weitzdörfer in der SS verbleiben müsse, wurden neue Möglichkeiten für seine Verwendung gesucht. Im Jänner 1936 trat dann eine überraschende Wende ein. Weitzdörfer war nämlich für fünf Monate zum SS-Abschnitt XVII nach Weimar abkommandiert worden, wo er keinen unteren Bürodienst abgeleistet, sondern gleich die vertretungsweise Führung eines Sturmbanns übernommen hatte. Nachdem seine nunmehrige Beurteilung im Gegensatz zu seinen früheren sehr positiv ausfiel, wurde er als hauptamtlicher Fürsorgereferent zum Oberabschnitt Rhein versetzt. Im Juli 1937 erfolgte seine Ernennung zum Hauptsturmführer. Weitzdörfer blieb auch nach dem „Anschluss“ in Deutschland beim Oberabschnitt Rhein. Weitzdörfers Fall ist insofern typisch für die Lebenssituation österreichischer SSAngehöriger in der ersten Phase nach der Flucht, da in den Personalberichten ihre persönliche Lebenssituation oft nur am Rande Erwähnung findet und den ersten anfänglichen negativen Beurteilungen dann weitaus positivere folgten. So wurde etwa von der SS-Sammelstelle nicht in Zusammenhang gebracht, dass Weitzdörfer bereits zehn Monate vor seiner Flucht entlassen worden war, aber seine Flucht nach Deutschland mit dem Beginn der Schwangerschaft seiner Frau zusammenfiel. Im Reich angekommen, musste er sich nicht nur in einem fremden Land zurechtfinden, sondern auch binnen kürzester Zeit einen Berufswechsel vornehmen, hatte die Finanzierung für die Übersiedelung seiner Frau, die in Wien geblieben war, zu organisieren und ohne familiären Rückhalt eine neue Existenz zu gründen. Zu diesem Zeitpunkt galt das Interesse der deutschen Einheitsführer ihren eigenen arbeitslosen Männern, die sie sowohl in der SS als auch in Zivilberufen unterzubringen hatten. Dies änderte sich 2513 Theodor Slipek an den Chef des SS-Personalamtes v. 27. 5. 1936, ebd. 2514 So mussten die SS-Führer etwa bei ausbleibender oder längerer Kinderlosigkeit in peinlichen Berichten Rechnung darüber ablegen, warum kein Nachwuchs gezeugt worden war.

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erst im Laufe der Jahre. So war die Arbeitslosigkeit innerhalb der SS bis Jänner 1937 auf 0,4 Prozent gesunken2515 und die deutschen SS-Einheiten hatten inzwischen selbst offene Posten zu vergeben. Dementsprechend ging etwa im August 1937 eine Anfrage des Adjutanten der 49.  SS-Standarte bei der Sammelstelle ein,2516 in der mitgeteilt wurde, dass „sehr dringend eine Hilfskraft“ gesucht werde. Nachdem es „im Gebiet der 49. SS-Standarte keine erwerbslosen SS-Angehörigen“ mehr gäbe, war „jede Rundfrage nach einem geeigneten Mann erfolglos“ geblieben. Er sei selbst Österreicher und würde sich „sehr freuen“, wenn er es „einem österr. SS-Kameraden ermöglichen könnte, diese Stelle anzunehmen“. 16.3 Gustav Lorenz

Von Vorteil konnte für SS-Angehörige auch eine Überstellung zum FHW sein. So war Oberscharführer Gustav Lorenz2517 im Juli 1935 nach Verbüßung von 76 Polizeistrafen, sieben Monaten Anhaltehaft in Wöllersdorf2518 und drei Monaten Gerichtsund Polizeihaft nach Deutschland geflüchtet, um seiner neuerlichen Internierung in Wöllersdorf zu entgehen. Im Parteieinsatz hatte er sich eine Wirbelsäulenverletzung, Gehirnerschütterung und zwei Messerstiche zugezogen. Nach der Vorstellung der SS konnte er somit eine vorbildhafte Kampfbereitschaft vorweisen. Lorenz wurde zunächst dem HLW Schleißheim zugeteilt, wo er seine militärische Ausbildung und einen Unterführerlehrgang absolvierte. Seine längst überfällige Beförderung in das Führerkorps der SS blieb aber weiterhin aus, obwohl Lorenz ja bereits im Februar 1932 mit der Führung eines Sturms beauftragt worden war und mittlerweile das Goldene Ehrenzeichen der NSDAP verliehen bekommen hatte. Im August 1934 war er lediglich zum Hauptscharführer ernannt worden. Nachdem Lorenz am 1. Juli 1935 zum FHW versetzt worden war, schlug ihn das dortige Führerkorps nach sechs Wochen zum Untersturmführer vor. Am 15. September erfolgte seine Ernennung. Lorenz durchlief danach mehrere Dienststellen, bis er 1937 endgültig zur 78. SS-Standarte in Wiesbaden versetzt wurde, wo er auch nach dem „Anschluss“ blieb und zum Sturmbannführer aufstieg. 2515 Schreiben der Hauptabteilung ZK/F an das SS-Personalamt v. 13.  1.  1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hubert Kölblinger. Allerdings stieg laut diesem Bericht die Konkurrenz – insbesondere in München – auf Posten in der Partei oder bei staatlichen Stellen. 2516 Der Adjutant der 49. SS-Standarte an die SS-Sammelstelle v. 18. 8. 1937, BArch (ehem. BDC), SSO  : Her­mann Baierlein. 2517 BArch (ehem. BDC), SSO, RS  : Gustav Lorenz  ; ÖSTA/AdR, GA  : ders., Zl. 242.526. 2518 Lorenz war der erste österreichische SS-Mann, der in Wöllersdorf interniert worden war.

Das Patronagesystem innerhalb der SS und Karriereverläufe ehemaliger Offiziere der k.u.k. Armee

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16.4 Das Patronagesystem innerhalb der SS und Karriereverläufe ehemaliger Offiziere der k.u.k. Armee

Hinsichtlich der Angehörigen der 11. SS-Standarte lässt sich feststellen, dass ihrem Parteieinsatz in Österreich seitens der deutschen SS-Führung wenig Bedeutung beigemessen wurde. Inwieweit dies nur für die Wiener SS zutrifft, lässt sich aufgrund des Forschungsdefizits hinsichtlich der übrigen Standarten nicht feststellen. Das Problem für die Wiener SS-Angehörigen stellte vor allem das Fehlen ihrer alten Führungsspitze in Deutschland dar. So war Walter Turza längst ausgeschlossen worden, Anton Ziegler zur SA übergetreten, Hubert Kölblinger erst im Frühjahr 1933 in die SS aufgenommen worden. Franz Mazanek und Karl Pichl brachten wiederum nicht die geeigneten beruflichen und militärischen Voraussetzungen mit, um als starke Fürsprecher für ihre Männer und Unterführer auftreten zu können. Die Situation für die alte Garde änderte sich erst mit dem Eintreffen von Josef Fitzthum im Februar 1936 in Deutschland, der sich zunächst bei Himmler und in der Folge auch bei Rodenbücher für jene Männer verwendete, die sich im Parteieinsatz in Österreich besonders verdient gemacht hatten. Fitzthums Einfluss zeigte sich insbesondere hinsichtlich des Karriereverlaufs von Max Grillmayr. Obwohl sich Grillmayr wie kein anderer Wiener SS-Mann von Beginn an für die terroristischen Aktionen der SS eingesetzt hatte, blieb sein Kampf für die NSDAP zunächst weitgehend unbelohnt. So stand er vor dem Juliputsch noch im Rang eines Hauptscharführers, obwohl Fitzthum bereits im Februar 1934 darum angesucht hatte,2519 ihn in das Führerkorps aufnehmen zu wollen. Erst ein Jahr später erfolgte dann seine Ernennung zum Untersturmführer. Grillmayrs Dienststellung bis 1936 ist nur fragmentarisch eruierbar, da sein SS-Offiziersakt nicht aufgefunden werden konnte und diese auch nicht aus seinen anderen Personalakten2520 oder der Dienstaltersliste 1935 hervorgeht.2521 Laut Angabe von Otto Begus arbeitete er im Sommer 1935 ebenfalls bei der TG.2522 Ein weiterer Grund für die nur lückenhaft mögliche Rekonstruktion besteht darin, dass Grillmayr ganz im Gegensatz zur üblichen Praxis keinerlei Aufhebens über seine zahlreichen Aktivitäten und seine Funktionen machte und diese in seinen diversen Lebensläufen und Fragebögen auch nicht der Erwähnung wert fand. Eine Ausnahme bildete ein Unterstützungsgesuch Grillmayrs 2519 Schreiben von Josef Fitzthum v. 4. 2. 1934, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 2520 BArch (ehem. BDC), RS, PK  : Max Grillmayr  ; WStLA, GAW  : ders., Zl. 286.368, 114.650  ; ÖSTA/ AdR, GA  : ders., Zl. 95.617. 2521 Auch über seine bisher bekannten Decknamen konnte kein SSO-Akt von Grillmayr aufgefunden werden. 2522 Lebenslauf von Otto Begus v. 23. 1. 1938, ÖSTA/AdR, GA  : Otto Begus, Zl. 199.579.

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Exemplarische Karriereverläufe österreichischer SS-Männer in Deutschland

im März 1935 beim FHW,2523 das er im Zusammenhang mit der Übersiedelung seiner Lebensgefährtin und ihres gemeinsamen Kindes nach Deutschland stellte. Darin bat er um eine einmalige Zuwendung von 200,– RM und einen monatlichen Pflegebetrag von 75,– RM für seine Braut und das Kind. Er habe bislang, so Grillmayr, „ohnehin noch nie die Hilfe des Flüchtlingshilfswerkes in Anspruch genommen“. Erst als Fitzthum neuerlich die Flucht nach Deutschland gelang, wurde Grillmayrs Karriere angekurbelt. Anfang März erfolgte sogleich seine Ernennung zum Obersturmführer und im September zum Hauptsturmführer, was Rodenbücher pflichtschuldig an Fitzthum meldete.2524 Bis Juli 1938 kletterte Grillmayr die Karriereleiter bis zum Obersturmbannführer hinauf, wurde nach dem „Anschluss“ zum Ratsherrn der Stadt Wien sowie zum Direktor und Verwaltungsrat der Ankerbrotfabrik ernannt und beteiligte sich an der „Arisierung“ der „Vinzenz Wagner Lack- und Farbenfabrik“ in Wien-Stadlau.2525 Fitzthum setzte sich in der Folge für zahlreiche weitere alte SS-Männer ein.2526 So bat er etwa darum, dass einem Ansuchen von Scharführer Josef Krcil, dem Bombenattentäter auf das Juweliergeschäft Futterweit, stattgegeben werde, der unter dem Decknamen Karl Graf in Deutschland lebte. Laut Fitzthum befand sich Krcil in Schleißheim und wollte wieder als Kellner arbeiten bzw. als Ordonnanz in das HWL aufgenommen werden. In seinem Brief „erlaub(t)e“ sich Fitzthum, „daran zu erinnern, dass Graf seinerzeit das folgenschwerste Attentat in Wien ausgeführt hat und seither unter schweren seelischen Depressionen leidet“. Falls nichts Negatives gegen ihn vorliege, wäre er „dankbar“, wenn Rodenbücher „seinem Ansuchen nach Möglichkeit gerecht werden“ würde. Ebenso machte er sich für die Beförderung der Hauptscharführer Friedrich Raduziner, Franz Hansmann und Franz Tüchler stark, die er „wegen ihrer beispielgebenden Haltung in und ausser der Haft seit dem Verbot“ in einem Bericht an Himmler „anerkennend hervorgehoben“ hatte. Alle drei waren erst im Sommer 1936 nach Verbüßung jahrelanger Haftstrafen bzw. Anhaltungen nach Deutschland geflüchtet und wurden später mit dem „Blutorden“ ausgezeichnet. Zuletzt bat er um Beförderung von Sturmbannführer Franz Mazanek, Untersturmführer Leopold Anderka und eines Hauptscharführers namens Hussek. Anderka lag ihm „besonders am Herzen“, da er „ein selten anständiger uralter Kämpfer (…), bienenfleissig und ernst“ sei, der sich seines „Wissens (…) gekränkt und zurückgesetzt fühlt“. Während Anderka in der SS-Hierarchie bis zum Obersturmbannführer aufstieg, blieb Raduzi2523 Max Grillmayr an das FHW v. 29. 3. 1935, ÖSTA/AdR, GA  : Max Grillmayr, Zl. 95.617. 2524 Alfred Rodenbücher an Josef Fitzthum v. 30. 9. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum. 2525 WStLA, GAW  : Max Grillmayr, Zl. 286.368  ; ÖSTA/AdR, GA  : ders. Zl. 95.617. 2526 Auszugsweise Abschrift eines Briefs von Josef Fitzthum an Alfred Rodenbücher v. 14. 7. 1936, BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum.

Das Patronagesystem innerhalb der SS und Karriereverläufe ehemaliger Offiziere der k.u.k. Armee

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ner trotz Verleihung des „Blutordens“ bis zuletzt Hauptscharführer. Hansmann und Tüchler waren bereits 1935 von Karl Heinz Urban, dem damaligen Führer der 11. SSStandarte, zu Untersturmführern ernannt worden, was von Rodenbücher nur noch bestätigt wurde. Eine weitere Beförderung erfolgte nicht mehr. Ähnlich verlief auch die Karriere der Bombenattentäter vom Juni 1933, die zum überwiegenden Teil nicht in das Führerkorps aufgenommen wurden. Ohne Karriereknick setzten hingegen die ehemaligen Offiziere der k.u.k. Armee wie beispielsweise Hubert Kölblinger und Karl Franz Grimme ihre Laufbahn in Deutschland fort, wenngleich nicht in einem ebenso raschen Tempo wie die Steirischen Heimatschützer. So wurde Kölblinger nach seiner Flucht zum Adjutanten des HWL Schleißheim sowie im Mai 1935 zum Lagerführer ernannt und kam über das Oberamt Nordost und Süd 1937 zur Schutzpolizei, wo er zum Oberstleutnant der Schutzpolizei und zum SS-Obersturmbannführer befördert wurde. Die ausschlaggebenden Gründe für seine Ernennung fasste Polizeipräsident Obergruppenführer Karl von Eberstein folgendermaßen zusammen  :2527 „(…) alter Kämpfer, Träger des Goldenen Ehrenzeichens, SS-Sturmbannführer, Abiturient, früher österreichischer Beamter, Frontsoldat, während des Weltkrieges Leutnant in einem Kaiserjägerregiment (…), 3 monatige(r) Lehrgang bei der Polizeioffizierschule Berlin-Köpenick“. Kölblinger „erfüllt(e)“ Eberstein zufolge somit „alle Bedingungen“. Gleiches galt für Grimme, der zunächst als Ausbildungsreferent eingesetzt war, bis er ab Jänner 1937 die Führung der 22. SS-Standarte im oberschlesischen Beuthen übernahm. Ab November 1938 fungierte er als Stabsführer des Abschnitts XIII in Stettin und wurde danach zu den Totenkopf-Standarten in Danzig, Wien und Norwegen versetzt. 1941 war er einige Monate lang Befehlshaber der Waffen-SS in Norwegen. Grimme starb 1942 an den Folgen einer Kriegsverletzung als Standartenführer der Allgemeinen SS und Obersturmbannführer der Waffen-SS. Außer für die VT bzw. Waffen-SS bestand keine Dienstverpflichtung in der SS. Jedem SS-Angehörigen stand es somit frei, auf eigenen Antrag aus der SS entlassen zu werden. Weiters mussten SS-Mitglieder ihren Wehrdienst nicht automatisch bei der Waffen-SS ableisten. Zahlreiche, auch hohe und höchste, SS-Führer dienten in der Wehrmacht. Prominente Beispiele sind etwa die SS-Sturmbannführer Hans Smirtschek, Heinz Korb, Otto Begus, Leopold Köberl,2528 Standartenführer Fridolin Glass, Brigadeführer Hanns Blaschke, der zwar nicht im Fronteinsatz stand, je2527 Karl von Eberstein an den Chef der Ordnungspolizei Kurt Daluege v. 25.  4.  1938, BArch (ehem. BDC), SSO  : Hubert Kölblinger. 2528 Köberl war ab Februar 1935 beauftragter Führer der 89. SS-Standarte und nach dem „Anschluss“ bis Novem­ber 1938 beauftragt mit der Führung der 11. Standarte, BArch (ehem. BDC), SSO  : Leopold Köberl.

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Exemplarische Karriereverläufe österreichischer SS-Männer in Deutschland

doch als Oberleutnant der Reserve bei der Wehrmacht und nicht der Waffen-SS war, SS-Hauptsturmführer Hans Bauer, Führer des III/89. während des Juliputsches, oder Obersturmbannführer Walter Ott. Nach einem „mit Vorbehalten aufzunehmenden Vergleich“ des Inspekteurs für Statistik der SS waren 1942 von den Angehörigen der Allgemeinen SS 51.650 zur Waffen-SS und 117.895 zur Wehrmacht eingezogen worden.2529 Die gesamte Waffen-SS umfasste zu diesem Zeitpunkt 246.717 SS-Angehörige. Allerdings konnten Angehörige der Allgemeinen SS nach Kriegsbeginn automatisch zu den verstärkten Totenkopfstandarten eingezogen werden. Dafür hatten die Einheiten der Allgemeinen SS in ihrer Kartei ein Kontingent an SS-Angehörigen unter dem Vermerk „für die verstärkten SS-Totenkopfstandarten sichergestellt“ und als „Freigestellte“ zu führen.2530 Im Mobilisierungsfall2531 waren sie nach der Notdienstverordnung vom 15. Oktober 1938 (RGBl. I S 1441) als Polizeiverstärkung zu den Totenkopfverbänden einzuberufen und hatten dieser zur „Vermeidung“ der in der 2. Verordnung zur Durchführung des Vierteljahresplanes vom 5. November 1936 (RGBl. I S 936) „angedrohten Strafen Folge (zu) leisten“. Mindestens zwei nach Deutschland geflüchtete Wiener SS-Angehörige suchten auf eigenen Antrag um Entlassung aus der SS an. Dies betraf Untersturmführer Ferdinand Matznetter, welcher der 89. Standarte und im Reich bis 1936 dem Stab der SS-Sammelstelle angehört hatte, sowie Hans Rahn. Dieser war nach seiner Flucht nach Deutschland 1933 ebenfalls bei der SS-Sammelstelle und von Mai 1935 bis ­April 1936 Wachmann im KZ Oranienburg.2532 Danach wurde er zur Umschulung ins Lager Ranis versetzt und gehörte ab 1937 als nebenamtlicher Scharführer der 44. SSStandarte an. Im September 1938 wurde er vom SS-Abschnitt XXXI (Wien) wegen Übertritts zur Politischen Leitung aus der SS entlassen. Der Großteil der bisher ermittelten 109 nach Deutschland geflüchteten und bis Ende 1938 ins Führerkorps aufgenommenen Wiener SS-Angehörigen kehrte nach dem „Anschluss“ nach Österreich zurück. Zwei waren mittlerweile gestorben, einer aus der SS ausgeschlossen worden. In den deutschen Einheiten der Allgemeinen SS verblieben nach dem „Anschluss“ 21 SS-Führer, in die VT waren sechs eingetreten, einer in die TV. Dem Stab des RFSS gehörte ein SS-Führer an, im SS-Hauptamt sowie im Rasse- und Siedlungs-Hauptamt waren je fünf beschäftigt. Zwei waren dem damaligen „Abschnitt Österreich“, dem späteren „Oberabschnitt Donau“, zugeteilt 2529 Der Inspekteur für Statistik an den Reichsführer-SS v. 1. 3. 1943, BArch/NS 19, Zl. 2097. 2530 Der Führer des OaD an die 89. SS-Standarte v. 2. 4. 1940, WStLA, GAW  : Heribert (sic  !) Guzmann, Zl. 12.240. 2531 Der Führer des OaD an die Polizeidirektion Wien v. 2. 4. 1940, ebd. 2532 BArch (ehem. BDC), RS  : Hans Rahn.

Das Patronagesystem innerhalb der SS und Karriereverläufe ehemaliger Offiziere der k.u.k. Armee

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und einer zur neu aufgestellten 94. SS-Standarte in Leoben versetzt worden. 55 wurden zu Einheiten der Allgemeinen SS nach Wien überstellt. Auch von den Mannschaftsdienstgraden und Unterführern kehrte ein Großteil nach Österreich zurück. Der Wiener SS standen somit ein Korps zur Verfügung, das über Jahre hinweg in allen Einheiten der deutschen SS bestens geschult worden war.

17. Ausblick auf die Neuformierung der österreichischen SS nach dem „Anschluss“

Am Morgen des 12. März 1938 traf Himmler in Wien ein und befahl noch am gleichen Tag die „öffentlich(e)“ Wiederaufstellung des SS-Abschnitts VIII, der gleichzeitig zum Oberabschnitt Österreich erhoben wurde.2533 Dieser umfasste „das Gebiet von Gesamt-Österreich“ und wurde in die Abschnitte VIII (Linz), XXXI (Wien), XXXV (Graz) und XXXVI (Innsbruck) unterteilt. Zum Führer des Oberabschnitts wurde Ernst Kaltenbrunner ernannt, der seit Jänner 1937 den Abschnitt VIII kommandiert hatte.2534 Am 23. März 1938 gehörten dem Oberabschnitt insgesamt 11.560 SS-Angehörige an,2535 wovon 1.344 SS-Männer auf die 11. und 779 auf die 89. SSStandarte entfielen. Unmittelbar nach dem „Anschluss“ begann die Neueinkleidung der SS-Angehörigen, die in Wien an einem historischen Kampfort der NSDAP stattfand – in der Aula der Universität.2536 Der Oberabschnitt Österreich gliederte sich im März 1938 in neun Fußstandarten mit folgendem Stärkeverhältnis  :

Einheit

Standort

Abschnitt VIII

Stärke Linz

Stab

15

37. SS-Standarte

Linz

1.891

52. SS-Standarte

Krems

1.781

2533 SS-Befehl Verteiler V v. 12. 3.1938, BArch/NS 19, Zl. 3901. 2534 Vgl. dazu ausf. Black (1984). 2535 Stärke des SS-Oberabschnitts Oesterreich v. 23. 3. 1938, BArch/NS. 33, Zl. 182  ; s. dazu auch die im Anhang angeführte Aufstellung über die Stärke des Abschnitts Österreich vom 29. April 1938, S. 611. Die Arbeitslosenrate innerhalb der SS betrug zu diesem Zeitpunkt vierzig Prozent, Stärke des SSOberabschnitts Oesterreich v. 29. 4. 1938, BArch/NS. 33, Zl. 182. 2536 Leopold Köberl an den SS-Abschnitt XXXI v. 18. 10. 1938, WStLA, GAW  : Max Führer, Zl. 204.214.

Ausblick auf die Neuformierung der österreichischen SS nach dem „Anschluss“ Einheit

Standort

Abschnitt XXXI

575 Stärke

Wien

Stab

7

SS-Burgenland2537 ehem. 9. SS-Standarte2538

Eisenstadt Baden b. Wien

11. SS-Standarte

Wien

89. SS-Standarte

Wien

Abschnitt XXXV

565 937 1.344 779 Graz

Stab

10

38. SS-Standarte

Graz

90. SS-Standarte

Klagenfurt

Abschnitt XXXVI

1.650 526 Innsbruck

Stab

16

76. SS-Standarte

Salzburg

87. SS-Standarte

Innsbruck

GESAMT

802 1.238 11.560

2537 2538

Tabelle 21  : Stärkestand des SS-Oberabschnitts Österreich, Stand vom 23. März 1938 2539

In den folgenden Monaten wurde die 9. Standarte aufgelöst und der 89. SS-Standarte eingegliedert. Eine neue Standarte (94.) wurde in Leoben gegründet, die dem SSAbschnitt XXXV unterstellt war. Weiters wurden jedem Abschnitt neben den Fußstandarten je eine Pioniereinheit (Pi. 14),2540 eine Nachrichteneinheit (Na. 14) und ein Kraftfahrsturm (K. 8)2541 angegliedert. Bis August 1938 war im Oberabschnitt die 18. SS-Reiterstandarte mit neun Stürmen aufgestellt worden, die ca. 400 SS-Männer 2537 Der Sturmbann Burgenland wurde von Helmut Breymann nach seinem Beitritt zur SS im Au­gust 1935 aufgestellt, aus dem später die SS-Standarte 10 hervorging, BArch (ehem. BDC), RS, SSO  : Helmut Breymann  ; WStLA, GAW  : ders., Zl. 88.861. 2538 Die 9. SS-Standarte wurde zunächst als selbstständiger Sturmbann mit Sitz in Baden aufgestellt und von Otto Bayer kommandiert. Nach dessen Verhaftung im Sommer 1933 wurde der Sturmbann durch Verhaftungen und Flucht zahlenmäßig dezimiert, nach Bayers Entlassung Anfang 1935 seinen Angaben zufolge auf einen Stand von über 1.000 Mann gebracht und zur 9. SS-Standarte umstrukturiert  ; Einvernahme von Otto Bayer durch den SD, undat. (18. 2. 1936), BArch (ehem. BDC), SSO  : Otto Bayer  ; Otto Bayer an Alfred Rodenbücher v. 1. 6. 1936, ebd. Gesichert ist weiters, dass Karl Heinz Urban ab 9. November 1937 bis zum „Anschluss“ die Standarte führte, BArch (ehem. BDC), SSO  : Karl Heinz Urban. 2539 BArch/NS 33, Zl. 182. 2540 SS-Oberabschnitt Österreich an den Chef des SS-Hauptamtes/SS-Führungsamt v. 2. 6. 1938, BArch/ NS 33, Zl. 182. 2541 Wien (1/K 8), Graz (2/K 8), Linz (3/K 8) und Innsbruck (4/K 8), Der Inspekteur des Kraftfahrwesens der SS an den Chef des Führungsamtes v. 25. 10. 1938, BArch/NS 33, Zl. 182.

576

Ausblick auf die Neuformierung der österreichischen SS nach dem „Anschluss“

umfasste.2542 Am 24.  Juni 1938 erhielt der Oberabschnitt erneut den Namen SSOberabschnitt Donau mit Sitz in Wien.2543 Diesem wurde auch die 99. SS-Standarte in Znaim angeschlossen. Mit Wirkung vom 1. Juni 1939 wurde das Gebiet des Oberabschnitts Donau aufgeteilt und ein zweiter Oberabschnitt unter der Bezeichnung „Alpenland“ mit Sitz in Salzburg aufgestellt,2544 der von Alfred Rodenbücher kommandiert wurde. Dem neuen Oberabschnitt waren die Abschnitte XXXV (Graz) und XXXVI (Innsbruck) sowie die Pioniereinheit 15 und der Kraftfahrsturm 15 mit je zwei Stürmen unterstellt. Weiters wurde ihm ein Teil der 125. SS-Standarte mit Sitz in Marburg an der Donau zugeteilt. Die Macht im Wiener Abschnitt übernahm mit Konstantin Kammerhofer ein ehemaliger Führer des Steirischen Heimatschutzes, der die alten Seilschaften der Wiener SS mit aller Kraft zu bekämpfen begann. Zunächst wurde Max Plobner, der die Standarte in den „Anschluss“ geführt hatte, abgesetzt. Als neuer Führer wurde im Mai kurzfristig Leopold Köberl ernannt, der zuvor die 89. Standarte kommandiert hatte und im November des gleichen Jahres von dem Burgenländer Helmut Breymann abgelöst wurde. Karl Heinz Urban, der die Standarte von 1935 bis 1937 geführt hatte, wurde zur Neuaufstellung der 99. SS-Standarte nach Znaim versetzt. Ungebrochen war hingegen die Macht Josef Fitzthums, der sofort nach dem „Anschluss“ zum Vizepolizeipräsidenten von Wien ernannt wurde und um den sich die alten SS-Angehörigen weiterhin scharten. Die wild wuchernden „Arisierungs“-Geschäfte der Wiener SS gaben Kammerhofer dann den geeigneten Anlass, die alte Vetternwirtschaft endgültig zu zerschlagen und Fitzthums Abkommandierung aus Wien zu erreichen.2545 Am 1. März 1944 schloss sich schließlich der Kreis der Geschichte der Wiener SS, als mit Walter Turza ihr Gründer zumindest vertretungsweise wieder die Führung der 11. Standarte übernahm.

2542 Die Stürme befanden sich in Wien (1/R. 18), Hainburg (2/R. 18), Bruck a.d. Leitha (3/R. 18), Golz im Burgenland (4/R. 18), zunächst Ebreichsdorf, ab Oktober 1938 Unterwaltersdorf (5/R. 18), Klein Venedig bei Grafenstein (6/R. 18), St. Veit a.d. Glan (7/R. 18), Riegelfeuer b. Amstetten (8/R. 18) und Linz (9/R. 18), Der Inspekteur der SS-Reiterei an das Führungshauptamt v. 25. 8. 1938  ; SS-Oberabschnitt Donau an den Chef des SS-Hauptamtes v. 5. 10. 1938, BArch/NS 33, Zl. 182. Laut einem Schreiben des Chefs des Führungshauptamtes vom Juni 1938 war die Aufstellung der Reiterstürme dadurch „erschwert“, dass die Bewerber „in keiner Weise den rassischen Bedingungen“ entsprechen würden, Der Chef des Führungshauptamtes an den Inspekteur der SS-Reiterei v. 20. 6. 1938, ebd. 2543 SS-Befehl Verteiler V v. 24. 6. 1938, BArch/NS 33, Zl. 182. 2544 Der Chef des SS-Hauptamtes v. 25. 4. 1939, BArch/NS 33, Zl. 182. 2545 BArch (ehem. BDC), SSO  : Josef Fitzthum  ; ebd., NS 19, Zl. 807.

Schluss

Ungeachtet des Stellenwertes, den die SS im Terrorapparat des NS-Regimes einnahm, und der großen Zahl an wissenschaftlichen Arbeiten, die inzwischen dazu vorliegen, sind die Entstehungsgeschichte und Frühzeit der Schutzstaffel nur wenig erforscht. Dies gilt insbesondere für regionale Studien, wie etwa auch für Wien, wo über die Parteiorganisation selbst ebenfalls keine Untersuchungen vorliegen. Eine isolierte Betrachtung der Entstehung der Wiener SS ohne Berücksichtigung ihrer Stellung im Gesamtgefüge der Partei und losgelöst von den politischen innen- und außenpolitischen Entwicklungen erschien somit zu kurz gegriffen und bedeutete auch eine intensive Beschäftigung mit Aufbau und Organisation der Wiener Gauleitung. Als die Wiener SS im März 1930 von einer Handvoll SA-Männern gegründet wurde, stellte sie alles andere als eine Eliteorganisation dar und spielte auch in den folgenden Jahren eine gänzlich unbedeutende Rolle innerhalb der Partei. Der Wiener SS-Sturm 77 wurde zwar im März 1931 zum Sturmbann I formiert und im Juni des gleichen Jahres die 11. Standarte aufgestellt, jedoch hatte die Wiener SS die dafür erforderliche Stärkezahl nicht einmal annähernd erreicht. Erst ab Frühjahr 1932 begann sich diese Situation merklich zu verändern. Ausschlaggebend dafür war einerseits, dass die SS Anfang 1931 hinsichtlich Organisation und Aufgabenbereich vollständig von der SA getrennt wurde und sich von deren Dominanz befreien konnte, und andererseits der rasante Aufstieg der Partei, die nun zur Durchführung ihrer Propagandaschlachten eine schlagkräftige Sicherungstruppe benötigte. Auch in Deutschland verfügte die SS Anfang 1931 nur über eine geringe Mitgliederzahl, was sich im Laufe des Jahres rasant verändern sollte. Im Vergleich dazu setzte die Entwicklung, zumindest in Wien, erst nach den erfolgreichen Landtags- und Gemeinderatswahlen im Frühjahr 1932 ein. Wenige Monate später übernahm auch ein hauptamtlicher SS-Führer das Kommando über den Abschnitt, der nun nicht mehr von Deutschland aus geleitet wurde. Dies ermöglichte es der SS, eine professionell geführte Organisation aufzubauen, wenngleich auch weiterhin die ganz überwiegende Mehrheit des Führerkorps der SS nebenamtlich tätig war. Die Wiener SS bildete zunächst keinen Anziehungspunkt für ehemalige Offiziere oder Angehörige höherer Bildungsschichten, und auch aus den Reihen der Freikorpsverbände erhielt sie kaum Zulauf. Attraktiv wurde sie allerdings bereits ab 1931 für die radikale Studentenschaft. Eine Veränderung des sozialen Gefüges der SS lässt sich ab

578

Schluss

Mitte 1932 feststellen, als die ersten ehemaligen Offiziere der k.u.k. Armee und Angehörige des gut situierten Bürgertums in die SS eintraten. Nichtsdestotrotz rekrutierte sich die Masse der SS auch weiterhin aus – oftmals arbeitslosen – Angehörigen proletarischer und kleinbürgerlicher Schichten, die das Fußvolk der SS bildeten und deren Aufstiegschancen enge Grenzen gesetzt waren. Parallel damit setzte auch die allmähliche Entmachtung der alten Führungsgruppe ein, welche die zunehmenden Anforderungen, die an die SS gestellt wurden, nicht mehr erfüllen konnte. Gleichzeitig begann sich nun der Elitegedanke innerhalb der SS herauszubilden, was sich sowohl in den Auseinandersetzungen mit Funktionären der Politischen Organisation als auch mit der SA niederschlug. Letztere verfolgte mit Misstrauen das stetige Anwachsen der Konkurrenzorganisation, die ihr Mitglieder abzuwerben versuchte und deren Einfluss immer weiter zunahm. Schon von Beginn an marschierten die Bataillone der Partei durchaus nicht im Gleichschritt, sondern waren in ständige Rivalitätskämpfe verwickelt  ; eine Entwicklung, die mit dem „Röhm-Putsch“ im Juni 1934 ihren Abschluss finden sollte. In der Frühzeit der Wiener Standarte spielten die Vorschriften der Münchner Reichsleitung über die Auswahlkriterien für eine Aufnahme in die SS kaum eine Rolle. So wurde das geforderte Alterslimit ständig unterschritten, die erforderlichen körperlichen Kriterien blieben eine Nebensächlichkeit und auch der direkte Eintritt in die SS ohne vorherige Parteizugehörigkeit war in Wien gängige Praxis. Dadurch konnte die SS ihre Mitgliederzahlen sprunghaft steigern und wies im Sommer 1932 bereits einen überraschend hohen Organisationsgrad auf, was sich auch am Aufbau ihrer Sonderformationen zeigte. Neben der politischen Einstellung spielten für die große Zahl junger Arbeitsloser, die sich der SS anschlossen, aber sicherlich auch die sozialen Fürsorgemaßnahmen der Partei eine nicht unbedeutende Rolle, da die Mitglieder der Brachialorganisationen eine bevorzugte Behandlung erhielten. Die rasche Auffüllung der SS führte jedoch im Winter 1932 zu einer massiven Krise innerhalb der SS, da aufgrund der großzügig gehandhabten Aufnahmemodalitäten zahlreiche Spitzel der Sozialdemokratie die Wiener Standarte unterwandern konnten. Erst danach wurden SS-Anwärter einer strengen Überprüfung unterzogen und die Aufnahme in die SS deutlich verschärft. Mit dem Eintritt ehemaliger Offiziere und der zunehmenden Radikalisierung der politischen Verhältnisse begann die Wiener SS ab Herbst 1932 die militärische Ausbildung ihrer Mitglieder zu forcieren, aber auch weiterhin blieb ihre militärische Stärke aufgrund des geringen Zulaufs ehemaliger Soldaten, die vornehmlich im Deutschen Soldatenbund organisiert waren, notorisch schwach. Im Rahmen der wöchentlich stattfindenden Appelle fanden regelmäßig Schieß- und Exerzierübungen statt, am Wochenende wurden Geländeübungen im Truppverband unternommen und dabei

Schluss

579

Gefechtsformationen ebenso trainiert wie der Umgang mit Handgranaten. In diesen Zeitraum fällt auch der Beginn der Durchführung konspirativ geplanter Terroranschläge der Wiener SS. Die erste derartige Aktion wurde im Dezember 1932 auf das Kaufhaus Gerngroß verübt. Mittlerweile stieß die NSDAP nicht nur innerhalb des Wiener Polizeiapparats, sondern auch der Justiz auf immer breitere Sympathie, die zum Teil tendenziöse Urteile fällte. Aber erst die von der Wiener SS durchgeführten Bombenanschläge im Sommer 1933 zeigten das ganze Ausmaß der Radikalisierung ihrer Mitglieder, womit die Wiener Standarte ganz entscheidend zur Durchsetzung des terroristischen Kurses der ­NSDAP beitrug, der kurz darauf zum Verbot der Partei und ihrer Gliederungen führte. In der Illegalität setzte sich in Wien die enge Zusammenarbeit zwischen der Politischen Leitung und der SS innerhalb des Nachrichtendienstes fort. Aber auch entscheidende politische Funktionen wurden nun von SS-Angehörigen übernommen. Eine ganz erhebliche militärische Verstärkung erhielt die SS in Wien im April 1934 mit der Aufstellung der 89. SS-Standarte, die sich ausschließlich aus Heeresangehörigen und Polizeibeamten zusammensetzte. Die Aufstellung der neuen SSFormation wurde von der Führung der 11. Standarte unterstützt, die in der Folgezeit auch geeignete Mitglieder aus ihren eigenen Reihen an die neue Standarte abgab. Dementsprechend war auch die Aufgabenverteilung zwischen den beiden Standarten vor und während des Juliputsches, die ganz dem Rahmen ihrer jeweiligen Möglichkeiten entsprach. So wurden Mitglieder der 11. Standarte für Einzelaktionen eingesetzt, während die 89. Standarte als militärische Formation geschlossen zum Einsatz kam. In den Juliputsch in Wien waren somit beide SS-Standarten involviert, während die SS in den Bundesländern – sofern überhaupt – kaum in Erscheinung trat. Obwohl den beiden Wiener Standarten eine so entscheidende Rolle während des Juliputsches zufiel, war Himmler – nach den vorliegenden Quellen – nicht in die letzten entscheidenden Vorbereitungen involviert gewesen. Aufgrund von Himmlers Personalentscheidungen war der österreichische Oberabschnitt zum Zeitpunkt des Putsches unbesetzt und waren die Befehlslinien zwischen der SS-Führung in München und den österreichischen Standarten abgerissen, deren Bewaffnung und finanzielle Ausstattung völlig unzureichend waren und die nicht einmal ein funktionierendes Verbindungsnetz untereinander aufgebaut hatten. Die nach dem Parteiverbot ins Reich geflüchteten österreichischen SS-Angehörigen wurden zunächst gemeinsam mit der SA im Lager Lechfeld untergebracht und waren der Österreichischen Legion eingegliedert. Dieser Versuch einer Zusammenfassung der beiden paramilitärischen Organisationen scheiterte aufgrund der zahlreichen Konflikte zwischen den Parteigliederungen und führte im November 1933 zur Gründung des SS-Hilfswerkslagers Dachau. Nach dem Juliputsch wurde zur Orga-

580

Schluss

nisation der österreichischen SS-Flüchtlinge die SS-Sammelstelle eingerichtet und neben den SS-Stürmen in Waischenfeld und Ranis noch das Hilfswerkslager Schleißheim gegründet. Mit der Aufstellung des Sturmbanns II/SS 1 wurde ein Teil der SSFlüchtlinge in die Verfügungstruppe, die spätere Waffen-SS, überführt, der Ende 1934 geschlossen der deutschen SS eingegliedert wurde. Weiters fand durch die zahlreichen Überstellungen von österreichischen SS-Angehörigen in deutsche Einheiten ein Verschmelzungsprozess zwischen der österreichischen und deutschen SS statt. Erst nach dem Juliputsch, als feststand, dass mit einer baldigen Rückkehr der österreichischen Flüchtlinge nicht mehr gerechnet werden konnte, begannen sich die deutschen Staats- und Parteistellen eingehend mit der Flüchtlingsfrage zu befassen. Gelöst musste vor allem die Zuerkennung des Flüchtlingsstatus, die Finanzierungsstrategien und Fürsorgemaßnahmen sowie die Arbeitsmöglichkeiten für österreichische Flüchtlinge werden. Gravierende Probleme bereitete der Reichsleitung der Partei die Regelung der Mitgliedschaft, die zum Teil bis zum „Anschluss“ nicht geklärt werden konnte. Innerhalb des für die Betreuung der Flüchtlinge eingerichteten Hilfswerks waren österreichische SS-Flüchtlinge für die Kontrollstellen und Straflager zuständig. Der Einsatz für die Bewegung in Österreich stellte für die SS-Flüchtlinge ebenso wenig wie der frühe Eintritt in die Schutzstaffel eine Garantie für weitere Aufstiegschancen innerhalb der SS dar. Die Entwicklung, die sich im Herbst 1932 innerhalb der 11. SS-Standarte bereits abgezeichnet hatte, setzte sich auch in Deutschland fort. Weitere Aufstiegschancen hatten letztlich nur noch SS-Angehörige, die über eine fundierte Ausbildung verfügten, die im Ersten Weltkrieg als Offiziere gedient hatten oder die noch sehr jungen SS-Männer. Nach dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich kehrte der Großteil der Wiener SS-Angehörigen wieder in ihre Heimatstadt zurück, wodurch der SS ein bestens geschultes Korps zur Verfügung stand.

Anhang

Kurzbiografien Ammersin, Rudolf Geb. 6. 11. 1908 in Wien, röm.-kath. Matura. Vater Fabrikant. Berufsangaben  : Landwirt, n. 1938 Sodawasserfabrikant. Heirat 1934, 1 Kind. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,085.310. 1932 SS, Nr. 309.058. 1933 Stabsführer der Motorstaffel. Nach 1938 „Arisierung“ Sodawasserfirma, Vorbesitzer Alfred Flatter. Allg. SS  : 1938  : b.m.d.F. d. Kraftfahrsturms (1/K 8) in Wien, 11. 1939–8. 1940 SS-Totenkopf-Standarte Kraftfahrkorps. Ab 1942 zum Heereswirtschaftslager der Waffen-SS Wien II versetzt. Allg. SS  : Untersturmführer 25.7. 1938. Waffen-SS  : zuletzt Oberscharführer d. Reserve. Gest. 10.11. 1968 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; SSO  : Josef Fitzthum. Anderka, Leopold Geb. 7. 5. 1903 in Wien, evang. Volks-, Bürger- und Fortbildungsschule. Berufsangaben  : Mechaniker, vor Flucht Bundesbeamter (Fernsprechamt). Heirat 1930, 5 Kinder. Wehrturner. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 361.931. 1931 NSBO. 1931 SS, Nr. 8.860. 1933–1934  : 7 Monate Anhaltelager. 8. 1934 Deutschland, 11. 1934 Ausbürgerung, 1. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1934–1937 Sportreferent der SS-Sammelstelle. 1938 Rückkehr nach Wien. 1938–1942 F. d. Nachrichtensturmbanns 14 (Wien). Waffen-SS Ausbildung 10.–12. 1935 IV/SS-Deutschland. 4.–11. 1940 SS-Totenkopf-Nachrichten Ersatz-Abteilung Nürnberg. 11. 1942–9. 1943 beim Stab Oa Ukraine. 10. 1943, SS-Kavallerie Ausbildungs- und Ersatz-Abteilung. 10. 1943– 11. 1944 SS-Kavallerie-Division. 11. 1944 SS-Nachrichten-Ersatz-Abteilung Eichstädt. Allg. SS  : Untersturmführer 9. 11. 1934, Obersturmführer 13. 9. 1936, Hauptsturmführer 12. 9. 1937, Sturmbannführer 20. 4. 1939, Obersturmbannführer 9. 11. 1942. Waffen-SS (Reserveführer)  : Untersturmführer 9. 11. 1940, Obersturmführer 21.6. 1944. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK. Arbter, Leo Geb. 25. 4. 1908 in Wien, röm.-kath. Vater Beamter. Matura, Graphische Lehr- und Versuchsanstalt. Berufsangabe  : kaufmännisches Gewerbe in verschiedenen Großbetrieben, nach 1938  : angestellt beim Staatskommissar in der Privatwirtschaft, Abteilung Prüfstelle für kommissarische Verwalter  ; Geschäftsführer und Prokurist des Abbruchunternehmens Fa. H. Schu & Co., Hoch- und Tiefbau KG (beauftragt mit dem Abbruch des Leopoldstädter Tempels nach dem Novemberpogrom, u.a. „Arisierungen“ der Firmen Wilhelm Löwy, Brünn, Israel Schüller & Bruder, Brünn, zuständig für die „Abwrackungsaktionen“ im gesamten Generalgouvernement). Heirat 1937.

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1930 NSDAP, Pg.-Nr. 363.345. 1930 SS, Nr. 4.228. 8. 1933 Deutschland, 1. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1937  : KZ Dachau, Lechfeld, HWL Dachau, Waischenfeld, Ranis, Schleißheim, 2/SS „Nürnberg“, 3. Sturm SS-Sammelstelle, FHW Berlin (stellvertretender Leiter der Abt. Arbeitsvermittlung). 7. 1938  : Rückkehr nach Wien. 1938–1945  : Stammabteilung 89. SS-Standarte  ; 10. 1940  : Volksdeutsche Mittelstelle, Umsiedlung, Abt. Verwaltung  ; 1941  : Stabshauptamt des Reichskommissars für die Festigung deutschen Volkstums  ; 1943  : Stabskompanie der Waffen-SS beim Stabshauptamt. Allg. SS  : Untersturmführer 6. 1935, Degradierung zum SS-Mann 8. 10. 1935, Untersturmführer 11.9. 1938, Obersturmführer 9.11. 1941, Hauptsturmführer 9. 11. 1943. Waffen-SS (Fachführer)  : Untersturmführer 15. 9. 1942, Obersturmführer 1. 4. 1943, Waffen-SS (Reserve)  : Oberscharführer 16. 9. 1943. Gest.  1991 in Wien. Quellen  : WStLA/GAW, Zl. 184.154. Bandera, Robert Geb. 14. 2. 1912 in Wien, röm.-kath. Vater Gaststättenbesitzer. Höhere Fachschule für Hotel und Gastgewerbe, Praktika in Paris und London. Berufsangabe  : Gastwirt (Führung der väterlichen Gastwirtschaft). Heirat ca. 1939. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,088.719. 1932 SS, Nr. 58.044. 7–11. 1933 Ausbildung in Lechfeld und Dachau. Rückkehr nach Österreich. 1933–1934 Sturmführer eines Motorradsturms d. 11. SS-Standarte. 1933–1934  : 3½ Monate Polizei- und Untersuchungshaft (LG Wien). 10. 1934 Deutschland, deutsche Reichsbürgerschaft. 10. 1934–5. 1935  : FHW Dachau. 5. 1935–7. 1938  : SS-Totenkopfstandarte „Sachsen“ (KZ Sachsenburg), Zugführer III/Totenkopfverband „Sachsen“. Antrag auf Entlassung als hauptamtlicher F., F. in der Stammabt. 11. St. (ehrenamtlich). „Arisierung“ Fa. Siegmund Winter und P.M. Mounier & Co. (Weinbrennerei und Weingrosshandel und Sektkellerei). Waffen-SS  : 1939 SS-Kaserne Linz-Ebelsberg, F. d. 6/4. SS-Infanterieregiments (ab 1941 im Verband der 2. SS-Infanteriebrigade an der Ostfront). Allg. SS  : Untersturmführer 9. 11. 1936. Waffen-SS (Reserveführer)  : Untersturmführer, Obersturmführer 10. 1941. Gest. 2. 11. 1941 in Maluska, Sowjetunion (gefallen). Quellen  : BArch (ehem. BDC), PK, RS  ; SSO  : Josef Fitzthum. Baubin, Alfred (= Alfred Keller) Geb. 8.6. 1903 in Wien, röm.-kath. Vater Polizeibezirksinspekteur. Matura. Berufsangabe  : Polizeiadjunkt. Verheiratet, geschieden 1940. 1923–1925  : DNSAP. 1924–1927  : Deutsche Wehr. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 301.147. 1932 Gründer der NSB in der Polizeidirektion Wien, Innendienst. Leiter der NSB-Polizei Wien, Referent der Landesleitung Österreich E 2 (Polizei Wien), 4. 1934 SS, Nr. 222.922. Juliputsch. 7. 1934 Deutschland, deutsche Reichsbürgerschaft 1. 1935. 1934–1938  : 89. SS-Standarte, SS-Kommandantur Dachau, beim SS-Beauftragten der bayerischen Flüchtlingskommission München, HWL Dachau und Schleißheim, 3. Sturm der SS-Sammelstelle, FHW Berlin, SD-HA, SS-Sammelstelle. 4. 1938–30.1. 1939  : kommandiert z. Oa Mitte, SD, ab 31. 6. 1939  : RSHA. Allg. SS  : Untersturmführer 15. 9. 1935, Obersturmführer 20.4. 1936, SS-Hauptsturmführer 30. 1. 1937, SSSturmbannführer 30. 1. 1939, SS-Obersturmbannführer 9.11. 1940. Gest. 1976 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO.

Kurzbiografien

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Bedenik, Franz (= Josef Pertz) Geb. 4. 3. 1912 oder 1913 in Wien, röm.-kath. Fachschule für Konditoren, 1930 Geselle. Berufsangabe  : Zuckerbäckergehilfe, ab 1932 arbeitslos. 1929–1930 HJ. 1930–1932 SA. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,082.273. 1932 SS, Nr. 37.487. 1933 Bombenanschlag Futterweit. 6. 1933 Deutschland, 9. 1933 Ausbürgerung, 6. 1935 wegen Minderjährigkeit aufgehoben, 3. 1937 deutsche Reichsbürgerschaft. 6. 1933–12. 1934 Lechfeld, HWL Dachau. Waffen-SS  : 12. 1934–1939 II/SS 1, II/SS-Deutschland, 4. Maschinengewehrkompanie SS-„Nürnberg“, ab 30. 3. 1938 4. SS-Standarte „3“ Wien, 4/SS-Regiment „Der Führer“ der SS-Division „Das Reich“ (Radetzkykaserne). Waffen-SS  : zuletzt SS-Scharführer. Gest. 21. 1. 1939 in Wien (Selbstmord). Quellen  : BArch (ehem. BDC), RS, PK. Begus, Otto Geb. 25. 9. 1899 in Bozen, röm.-kath. Matura. Erster Weltkrieg  : 1916–1918 4. Tiroler Kaiserjäger-Regiment und -Sturmbataillon, zuletzt Fähnrich. Jusstudium Innsbruck, 1924 Dr. jur. Berufsangabe  : Kriminalkommissar, 1933 strafweise entlassen, n. 1938  : Regierungsrat. Heirat 1925, 3 Kinder. 1920–1921 Selbstschutz-Sturmformation Innsbruck. 1921–1932 Bund Oberland (5. 8. 1921 Teilnahme an den Kämpfen in Schlesien), 1930 Adjutant von Starhemberg. 1932 NSDAP (informell), Aufnahme  : 1934, Pg.-Nr. 3,354.998. 1933 SS, Nr. 189.613. 1933 ND der Landesleitung Österreich, im Stab d. RFSS. 1933–1934 6 Monate Haft im LG Wien. 4. 1934 Deutschland, ND der LL, vor Juliputsch Rückkehr nach Wien. Juliputsch. 8. 1934–2. 1935 6 Monate schwerer Kerker. 2. 1935 Deutschland, 7. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 8. 1935–4. 1936 Abessinien, Sudan. Rückkehr n. Deutschland. Ab 4. 1936 nebenamtlicher SSF b. SS-Hauptamt, b. SS-Personal-Hauptamt, b. Stab Oa Alpenland. Ab 4. 1936  : Kriminalkommissar in Frankfurt a. M. 7. 1938  : Kriminalkommissar bei der Staatspolizeileitstelle Salzburg. Wehrmacht  : 11. 1939 Feldpolizeikommissar bei der Geheimen Feldpolizei (GFP) in den Niederlanden, Frankreich, Rumänien, Bulgarien, Griechenland. 2. 1943 SD-Ausland Abt. VI F. 8. 1943 SD-Ausland Abt. VI S (Sabotage) in Griechenland. Ab 6. 1944 in Italien. Blutorden 1941. Allg. SS  : Untersturmführer 20.  4. 1935, Obersturmführer 20. 4. 1938, Hauptsturmführer 30. 1. 1942, Sturmbannführer 9. 11. 1943. Wehrmacht  : Hauptmann d. Reserve. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK  ; ÖSTA/GA, Zl. 199.579  ; WStLA/GAW, Zl. 52.548. Burgstaller, Herbert Geb. 9. 9. 1906 in Eggenberg, Stmk., röm.-kath. Vater Bundesbahninspekteur. Volks-, Bürger- und Gewerbeschule. Berufsangabe  : Spediteur, nach 1938  : Kaufmann, Betriebsführer. Heirat 1940. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 902.699. 1932 P.O.  : Blockwart. 1932 SS, Nr. 80.398. 1933 Adjutant bei der 11. SS-Standarte. 1933–1938  : 5 Monate Gefängnis und mind. 6 Monate Anhaltung. Juliputsch. 1936  : Befreiung von Josef Fitzthum. „Arisierung“  : beteiligt am Konsortium Fitzthum bei der „Arisierung“ der Firma Schüller & Co. 1938 (nebenamtlich)  : beim Stab Abschnitt XXXI (Wien), Stammabt. Donau, Bez. Wehrmacht  : 8. 1939–9. 1940, zuletzt Unteroffizier. Waffen-SS (Fachführer für das SS- und Polizeiwesen)  : ab 5. 1942, 7. 1944 b. HSSPF Adriatisches Küs-

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tenland. Allg. SS  : Untersturmführer 1.3. 1935, Obersturmführer 7.3. 1936, Hauptsturmführer 20. 4. 1939. Waffen-SS (Fachführer)  : Hauptsturmführer 1.7. 1944 (direkt ernannt). Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; Venus/Wenck (2004), S. 676. Chlan, Ernst Geb. 24. 12. 1912 in Triest. Vater Hofrat. Matura. Studium der Wirtschaftswissenschaften. Promotion an der Hochschule für Welthandel. Berufsangabe  : Kaufmann, nach 1938  : SS-Führer (SSF). Heirat 1942. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,305.055. 1931 SS, Nr. 46.118. Vor Juliputsch mehrfach in Deutschland. 1938 (hauptamtlich)  : Abschnitt XXXI (Wien), 5. 1939 SD-HA, ab 1941 F. des SD-Leitabschnitts Wien. Quelle  : WStLA/GAW, Zl. 63.500. Demmer, Ernst Geb. 27. 5. 1909 in Wien, evang. Eltern unbekannt (beide zw. 1911 u. 1913 verst.). Fürsorgeanstalt der Stadt Wien. Tischlerlehre, Mechanikerkurs. Berufsangabe  : Kraftwagenlenker. Ab 1932 arbeitslos, n. 1938  : Kraftfahrer beim Reichstatthalter und Garagenbesitzer. Heirat 1936, 1 Kind. 1928–1931 SA. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 512.132. 1931 SS, Nr. 37.478. 1931–1935 mehrere politische Vorstrafen, insgesamt 15 Monate Haft und Anhaltung. 5. 1935 Deutschland. 1935 Ranis, Kraftwagenfahrer beim FHW. 3. 1938 Rückkehr nach Österreich, „Arisierung“ einer Garage im 19. Bezirk. Nebenamtlicher SS-Dienst 89. SS-Standarte. Ab 7. 1939 Wehrmacht  : ArtillerieRegiment 262. Allg. SS  : Hauptscharführer 10. 5. 1935. Quellen  : BArch (ehem. BDC), RS  ; WStLA/GAW, Zl. 7.963, 96.784, 107.789, 110. 190. Doblreiter, Anton Geb. 29. 12. 1903 in Grafenbach, NÖ, röm.-kath. Ausbildung zum Drogisten. Berufsangaben  : Drogist, Beamter, Hilfsarbeiter, selbstständiger Kaufmann, Angest. bei der Gaustandesführung und als SS-Wachmann im „Adolf-Hitler-Haus“, n. 1938  : Kinobesitzer. Heirat 1929, 1 Kind. 12. 1930 oder 1. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 780.922. 1931 SS, Nr. 22.997. 1933 F. einer TerrorTruppe. 1933–1935  : ca. 13–15 politische Strafen, ca. 9 Monate Polizeigefängnis und 8½ Monate Anhaltung. 8. 1935 Deutschland, 9. 1935 Ausbürgerung, 3. 1936 deutsche Reichsbürgerschaft. 1935–1936 Waischenfeld, 7. 1936 42. SS-Standarte (nebenamtlich), SS-Wache am Flugplatz Berlin-Reinickendorf (Bauleitung Regiment General Göring). 10. 1936 Stab d. RuS-HA, Sippenamt (hauptamtlich). 1938 Rückkehr nach Österreich. „Arisierung“ des Kinos „Lustspielthea­ter“ (gem. m. Johann Knögler), „Arisierung“ der Wohnung Rechtsanwalts Wilhelm Popper. 10. 1938 Misshandlung von jüdischen Passanten, Anzeige durch „arische“ Passanten, Untersuchung durch die Gestapo vermutlich eingestellt. 1. 12. 1938  : Enthebung auf eigenen Wunsch als hauptamtlicher F., ehrenamtlicher F. beim RuS-Führer im Oa Donau. Blutorden 1940. Allg. SS  : Untersturmführer 20. 4. 1938, Obersturmführer 10. 9. 1939, Hauptsturmführer 9. 11. 1941. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; WStLA/GAW, Zl.  56.104, 258.409  ; Safrian/Witek (2008), S. 93–97  ; Walzer/Templ (2001), S. 161.

Kurzbiografien

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Dworschak, Franz Geb. 17. 1. 1912 in Wien, röm.-kath. Schlosserlehre. Berufsangabe  : Schlossergehilfe, ca. ab 1931 arbeitslos, in Deutschland Absolvierung von Hochschulkursen, n. 1938  : Stellenleiter im Amt für Volksgesundheit (NSV, GL Wien), 1940 Angestellter beim Chef des Distrikts Krakau (Otto Gustav Wächter), Abt. Arbeit im Amt Flüchtlingswesen. Heirat 1939, 1 Kind. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 782. 196. 1932 SS, Nr. 32.830. 1934  : 2 Monate Polizei- und gerichtliche Haft, 6 Monate Anhaltung. 12. 1934 Deutschland, 7. 1935 Ausbürgerung. 7. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1938 HWL Dachau, Waischenfeld, Ranis, FHW Berlin, Stab d. SS-Sammelstelle. 6. 1938  : b. Stab XXXI (Wien), Stammabt. Donau, Bez. 11 (nebenamtlich). 5. 1939  : Kurzfristige Festnahme durch die Gestapo (Verdacht der homosexuellen Betätigung). 1940 Krakau. 6. 1940 bewaffneter Raubüberfall auf einen Juden, Untersuchung durch die Sicherheitspolizei, 26. 5. 1940 Selbstmord vor Einvernahme durch die Sicherheitspolizei. Allg. SS  : Untersturmführer 1. 5. 1938. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; ÖSTA/AdR, Staatspolizeileitstelle Wien, Tagesrapport Nr. 2 v. 4. und 5. 4. 1939. Fahnl, Felix Geb. 18. 11. 1912 in Wien, röm.-kath. Volks- und Bürger- und Fachschule. Berufsangabe  : Maschinenschlosser, ab 5. 1932 arbeitslos, 8. 1933–9. 1933  : Freiwilliger Arbeitsdienst. Heirat 1940, 1 Kind. 1927–1930 HJ. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 300.303. 1930–1931 P.O., Zellenleiter Wien-Fünfhaus. 1930–1932 SA. 1932 SS, Nr. 43.691. 1933  : Polizeistrafe wegen nationalsoz. Betätigung. 9. 1933 Deutschland, 11.  1934 Ausbürgerung, deutsche Reichsbürgerschaft.  1933–1934   : Lechfeld, HWL Dachau. Waffen-SS  : 1934–1935  : SS-VT Dachau, 1935–1936  : Junkerschule Braunschweig. Ab 2. 1936  : SD-Unterabschnitt Braunschweig, Hilfsreferent, später Sachbearbeiter („Sachkenner der katholischen Kirche“). Sp. 10. 1940  : SD-Abt. II B (Gegner). 1940 SD-Einsatz-Kommando in Paris. Sp. 1943  : Leiter des SD-Referats III  D (Wirt., Handel, Industrie) beim Befehlshaber des Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes in Oslo. Allg. SS  : Untersturmführer 10. 9. 1939, Obersturmführer 9. 11. 1940. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; Bohn (2000), S. 212. Fitzthum, Josef Geb. 14. 9. 1896 in Loimersdorf, NÖ, röm.-kath. Vater Gutsbeamter. Militärakademie. Matura. Berufsangabe  : Kanzleihilfskraft, später Sekretär der Bundesgewerbeschule, nach 1936  : SSF. Heirat 1937, 3 Kinder. Erster Weltkrieg  : 1916–1918 Kaiserjägerregiment, Fliegerkompanie des Edelweiß-Korps, 1. 1919 abgerüstet als Hauptmann. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 363.136. 1930 oder 1931  : Gaubetriebszellenleiter. 1932 SS, Nr. 41.936. 1932 F. e. Sturms im 1/11., F. d. Sturmbanns 1/11., 9. 9. 1932 b.m.d.F. d. 11. SS-Standarte. 1932 Anschlag auf das Kaufhaus Gerngroß, 1933 zu 2½ Wochen Haft verurteilt. Ab 6. 1933 Untersuchungshaft, zu einem Jahr schweren Kerker verurteilt. Am 13. 1. 1934 befreit, Flucht nach Deutschland. 13. 2. 1934 als Sonderbeauftragter Himmlers in Österreich, mehrmalige Reisen nach Österreich und Ungarn. 4. 1934 verhaftet, bis 2. 1936 ständig in Kerker-

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haft, Arrest und Anhaltung, neuerliche Befreiung durch SS-Angehörige, Flucht nach Deutschland, 4. 1936 Ausbürgerung. 1936–1938 (hauptamtlich)  : SS-Sammelstelle, Ausbildung bei der VT  : SS-Standarte („Germania“), 11. 1936 SD-Oa Main und SD-Unterabschnitt Trier, 1. 1937 F. d. 58. SS-Standarte (Köln-Aachen), 10. 1937 SD-HA (zur Einarbeitung in den Sicherheits- und Gestapo-Dienst nach Bernau, Leipzig, Dresden und Schlesien versetzt). 1938 Rückkehr nach Wien. 3. 1938 Ernennung zum Vizepolizeipräsidenten von Wien, 6. 1938 Reichstagsabgeordneter, 5. 1939 Ratsherr der Stadt Wien. 1. 1940 Blutorden. 3. 1940 Dienstenthebung und Einleitung eines Parteigerichtsverfahrens wegen Bereicherung. Waffen-SS (Reserve)  : 4. 1939 9. SSTotenkopf-Standarte (Danzig, Brünn), 5. 1940 15. SS-Totenkopf-Standarte (Płock), 6. 1930 F. d. Sturmbanns III/15. Totenkopfstandarte, 11. 1940 Bataillonsführer-Lehrgang in Amsterdam, 1. 1941 Bataillonskommandeur in der 4. SS-Totenkopf-Standarte (Den Haag), 7. 1941 b.m.d.F. d. SS-Infanterie-Regiments 4, 8. 1941 b.m.d.F. d. I. Bataillons des SS-Infanterie-Regiments 5, 9. 1941 Kommandeur des I. Bataillons d. SS-Infanterie-Regiments 4, 4. 1932 b.m.d.F. d. Freiwilligen-Legion „Flandern“, 4. 1942 stv. Kommandeur d. 2. SS-Infanterie-Brigade, ab 9. 1942 aktives Dienstverhältnis der Waffen-SS und gleichzeitig Ernennung zum Kommandeur der SSFreiwilligen-Legion „Nederland“, 11. 1943 Beauftragter des RFSS beim Bevollmächtigten des Deutschen Reiches in Albanien, 8. 1944 HSSPF Albanien, 10. 1944 Deutscher Bevollmächtigter General in Albanien, 1. 1945 F. d. Kampfgruppe „Fitzthum“, 1. 1945 Kommandeur d. 18. SSFreiwilligen-Panzer-Grenadier-Division „Horst Wessel“. Allg. SS  : Sturmbannführer 25. 9. 1932, Obersturmbannführer 9. 11. 1933, Standartenführer 7. 3. 1936, Oberführer 12. 3. 1938. WaffenSS (Reserve)  : Hauptsturmführer 1. 4. 1940, Sturmbannführer 30. 1. 1941, Obersturmbannführer 20. 4. 1942. Waffen-SS (aktiver Dienst)  : Obersturmbannführer 24.9. 1942, Standartenführer 9. 11. 1942, Brigadeführer und Generalmajor der Polizei und Waffen-SS 30. 1. 1943, Gruppenführer und Generalleutnant der Polizei und Waffen-SS 1. 8. 1944. Gest. 10. 1. 1945 Kriegslazarett Wiener Neudorf (an den Folgen eines Autounfalls). Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK, RS  ; NS 19, Zl.  807  ; WStLA/GAW, Zl.  291. 193  ; M.Abt. 116, A 37  ; Birn (1986), S. 283–288, 333  ; Schulz/Wegmann (2003), S. 315–320  ; Preradovich (1987), S. 94–98. Fröhlich, Rudolf Geb. 18. 3. 1905 in Wien, röm.-kath. Vater Finanzwachebeamter. Volks-, Bürger- und Handels­ schule. Berufsangabe  : Handelsangstellter, Internat. Zollspedition, 1923–1929 Bundesheer (Telegrafist), 1929–1932 Kanzleikraft, Hilfsarbeiter, Verkäufer. Ab 10. 1932  : arbeitslos, n. 1938  : Vertragsangestellter im Amt der Reichsstatthalterei Österreich, Regierungs-Oberinspektor bei der Internat. Zollspedition/Reichsstatthalterei von Tirol und Vorarlberg. Heirat 1939, 3 Kinder. 1922–1934 Deutscher Schulverein „Südmark“.  1922–1926 DNSAP. Ab 1924 Deutscher Turnerbund. 1922–1926 SA. 1926–1930 Deutsche Wehr. 1930 NSDAP (Hitlerbewegung), Pg.-Nr. 301.100. 1931 SS, Nr. 22.988. 1933 Anschlag auf das Café Produktenbörse, 15 Monate Untersuchungshaft und verschärfter schwerer Kerker (Einzelhaft) in der Strafanstalt Stein. 1. 1935 Deutschland, 6. 1935 Ausbürgerung, deutsche Reichsbürgerschaft. Allg. SS  : 2. 1935–11. 1936  : HWL Dachau, Waischenfeld und Ranis. 11. 1936–9. 1938 Lastkraftwagenlenker und Büroangestellter in Stettin, 9. SS-Standarte, SS-Funker (nebenamtlich), Zugführer beim SS-Sturm 1 des

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Nachrichtensturmbanns 14 (Wien) (nebenamtlich). 7. 1938 Rückkehr nach Österreich. „Wiedergutmachung“ von 2.000,–  RM. Wehrmacht  : West- und Ostfeldzug, 8. 1939–10. 1941 (bei der Feldtruppe 10. 1939–8. 1940), 4. 1942 beim Gebietskommissar Sluzk (Generalkommissariat Minsk). Waffen-SS  : Ausbildung in der Nachrichtenschule d. W-SS, wegen Nichteignung ausgeschieden. 7. 1943 SS-Nachrichten-Ausbildungs- und Ergänzungs-Abt. 2 Nürnberg, SS-Oa Donau XVII als Funker (Ausbildner für Unteroffiziere). 7. 1944  : SS-Nachrichten-AusbildungsAbt. 1 Nürnberg. Blutorden 1939. Allg. SS  : Untersturmführer 30. 1. 1942. Waffen-SS  : Unterscharführer d. Reserve. Wehrmacht  : Unteroffizier. Quelle  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; ÖSTA/GA, Zl. 67.043  ; WStLA/GAW, Zl. 277.985, 236.585. Glass, Fridolin Geb. 14. 10. oder 14. 12. 1910 in Lemberg, evang. Vater Unteroffizier. Matura. Berufsangabe  : Heeresangehöriger, 7. 1933 entlassen. Heirat 1936. 1923  : Deutscher Turnerbund. 1928  : Gauführer des Deutschen Mittelschülerbundes, ab 1929 Vertreter desselben in der Landesleitung der NSDAP, Organisationsleiter des NS-Schülerbundes. 10. 1927 (auch 1930) bis 1931  : HJ. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 440.452. 1931 mit der Organisation des NS-Soldatenbundes im Gau Wien beauftragt, 1932 Landessoldatenführer im Stab der LL Österreich, Herbst 1932  : Mitbegründer des Deutschen Soldatenbundes, ab Frühjahr 1933 in der Bundesführung desselben (2. Kassaprüfer). 1934 SS, Nr. 155.767. Juliputsch. 8. 1934 Deutschland. 1934–1938  : b.m.d.F. d. 89. SS-Standarte, Stabsführer d. Abschn. XII, SSSammelstelle, SS-Abschnitt XXIX. 7. 1938 Rückkehr nach Wien. 1938 SS-Abschnitt XXXI (Wien), 5.–11. 1939  : Gaupropagandaleiter in Wien, Ratsherr der Stadt Wien. „Arisierung“  : Betriebsführer der „Vereinigten chemischen Fabriken“ Kreidl. Heller & Co. 1940  : Sonderführer bei der Luftwaffenpropagandakompanie IV. 6. 1942  : SS-Hauptamt. 8. 1942  : SS-Kriegsberichterstatter-Abteilung. Allg. SS  : Untersturmführer 28.3. 1934, Sturmbannführer 3.9. 1934, SSStandartenführer 25. 7. 1938, SS-Oberführer 30.1. 1943 (posthum). Waffen-SS (Reserveführer)  : Untersturmführer 22. 6. 1942. Gest. 21. 2. 1943 Ostfront (gefallen). Quellen  : ÖSTA/GA, Zl. 253.483  ; BArch (ehem. BDC)  : SSO  ; SSO  : Josef Fitzthum  ; WStLA/ GAW, Zl. 5.696, 53.673, 295.309  ; Felber/Melichar/Priller/Unfried/Weber (2004), S. 111. Görtler, Friedrich Geb. 6.4. 1915 in Wien, röm.-kath. Vater Oberinspekteur d. ÖBB. Matura. Berufsangabe  : Mittelschüler, nach 1938  : Angestellter bei der Ostmärkischen Beamtenkrankenfürsorgeanstalt, sp. 1944  : Student der Veterinärmedizin. Heirat vor 1942, 1 Kind. 1931 HJ. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,301.903. 1932 SS, Nr. 275.466. 1933 Anschlag auf das Café Produktenbörse und geplanter Überfall auf die Breitenseer Kaserne, 3 Monate Kerker. 9. 1935 Deutschland. Allg. SS  : 9. 1935–4. 1936 Waischenfeld, FHW Berlin, 4.–11. 1936  : Italien  ; 11. 1936–10. 1938 HWL, FHW Berlin, 75. SS-Standarte (Berlin), 42. SS-Standarte (Berlin). 10. 1938  : Rückkehr nach Österreich, überstellt zur 11. SS-Standarte. Allg. SS  : zuletzt SSOberscharführer. Wehrmacht  : Leutnant. Quellen  : WStLA/GAW, Zl. 5.819, 45.892, 59.796  ; BArch (ehem. BDC), PK.

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Göth, Amon Geb. 11. 12. 1908 in Wien, röm.-kath. Vater  : Buchhändler. Matura. Berufsangabe  : Verlagsbuchhändler, selbständiger Verleger. 1. Heirat 1934, Scheidung 1936, 2. Heirat 1938, 3 Kinder (1 verstorben). 1925–1926/1927   : Jugendgruppe der NSDAP. 1927–1930 Steirischer Heimatschutz Wien, Zugführer der 5. Kompanie. 1929–1930 SA. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 510.764. Ende 1930/Anfang 1931 SS, Nr. 43.673. Sturm 1/1/11. SS-Standarte, 1932 Stab der 11. SS-Standarte, 1. 1933 Überstellung zur 52. SS-Standarte (Adjutant und F. d. Motorstaffel). Ca. Herbst 1933 außer Stand gesetzt. 1.12. 1939  : Wiederaufnahme in die SS. 3. 1940 Sonderkommando des RFSS als Verwaltungsführer in Kattowitz (Einsatzführung Ost Oberschlesien). 1941 Kassenverwalter bei der Volksdeutschen Mittelstelle, Umsiedlungskommando Kattowitz. 4. 1942 beim HSSPF Ost, 10/11. 1942 Stab des HSSPF Ost, 2. 1943–9. 1944  : Kommandant des KZ Plaszow, 4. 1944 Reserveführer im SS-Wirtschafts- und Verwaltungs-Hauptamt, 9. 1944  : Verhaftung durch die Gestapo. Allg. SS  : Untersturmführer 9.11. 1941, SS-Hauptsturmführer 20.4. 1943. Waffen-SS (Fachführer für das SS- und Polizeiwesen)  : Untersturmführer 11.8. 1942, Hauptsturmführer 1. 8. 1943. Gest. 13. 9. 1946 in Krakau (hingerichtet). Quellen  : WStLA/GAW, Zl. 91.944  ; BArch (ehem. BDC), SSO, PK  ; Sachslehner (2008). Gratzenberger, Karl Geb. 21. 11.1894 in Wien. Berufsangabe  : Buchdrucker. Inhaber der Druckerei Lang & Gratzenberger Wien. Verheiratet, 2 Kinder. Erster Weltkrieg  : 1914–1917  : Infanterieregiment, russische Kriegsgefangenschaft, Flucht. 1918  : Infanterieregiment, zuletzt Feldwebel. 1923 DNSAP. 1923 SA.  1926 NSDAP, Pg.-Nr. 51.623. 1926–1933 P.O.  : Ortsgruppenleiter, Landesredner, Gemeinderat der NSDAP Wien, Landtagsabgeordneter. 1931 SS, Nr. 6.170. 1933–1938 wiederholt in Polizeihaft, 8 Monate Anhaltung, n. 1938  : Ratsherr der Stadt Wien  ; Landes-Handwerksmeister. 1938–1945 b. Stab OaD (ehrenamtlich). Allg. SS (Ehrenführer)  : Untersturmführer 23.3. 1938, Obersturmführer 11.9. 1938, Standartenführer 9.11. 1942. Gest. 2.3. 1976 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), PK  ; WStLA/GAW, Zl.  6.170  ; Felber/Melichar/Priller/Unfried/Weber (2003), S.  581, 710  ; Mejstrik/Garstenauer/Melichar/Prenninger/Putz/Wadauer (2004), S. 444  ; Ellmauer/John/Thumser (2004), S. 95  ; Pawlowsky/Leisch-Prost/Klösch (2004), S. 461  ; Preradovich (2008), S. 295. Greylinger, Roman Geb. 17. 4. 1912 in Wien, röm.-kath. Höhere Fachschule für Drogisten. Beruf  : Drogist, ab 1932 arbeitslos, n.  1938  : Gauausbildungsleiter in der GL Wien. Heirat 1941. 1926–1930 HJ. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 301.128. 1930 SS, Nr. 3.718. 5. 1933 Deutschland, 4. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1938  : LSSAH, Ordensburg Vogelsang, SS-Sammelstelle. 1938 Rückkehr n. Wien. Allg. SS  : 1938–1939 Stab SS-Abschnitt XXXI (Wien), 89. SS-Standarte (nebenamtlich), 8. 1939  : SS-Totenkopfverband. Waffen-SS  : 1940–1941 SS-Regiment „Der Führer“ der SS-Division „Das Reich“, SS-Division „Wiking“, LSSAH. 10. 1941–1. 1943 u.k. gestellt für den Sonderstab R (Rosenberg). Waffen-SS  : 1943–1945 LSSAH, SS-Sturmge-

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schütz Ausbildungs- und Ersatzabteilung. Allg. SS  : Untersturmführer 20. 4. 1938. Waffen-SS (Reserveführer)  : Obersturmführer 9.11. 1943. Quelle  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; WStLA/GAW, Zl. 11.764  ; 263.100. Grillmayr, Max Geb. 1. 8. 1908 in Vordernberg, röm.-kath. Vater Adjunkt der ÖBB. Technische Lehranstalt. Matura. Berufsangabe  : Techniker, Transportfahrer, Mechaniker, sp. 1932 arbeitslos, n. 1938  : Betriebsführer Direktor und Verwaltungsrat Ankerbrotfabrik, Betriebsführer. Heirat 1936, 4 Kinder. 1928–1930 NSDAP (Schulz-Richtung). 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 196.393.  1930–1931 SA. 1931 SS, Nr. 37.496. 1932 Anschlag auf das Kaufhaus Gerngroß, 1933 zu 2 Monaten Haft verurteilt. Organisator der Bombenanschläge v. 12./13. 6. 1933. 6. 1933 Deutschland, 9. 1933 Ausbürgerung, deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1938  : KZ Dachau, Lechfeld, HWL Dachau, RuS-HA, ab 1938 nebenamtl. 1938 Rückkehr n. Wien, Ratsherr der Stadt Wien, „Arisierung“ der Vinzenz Wagner Lack- und Farbenfabrik Wien-Stadlau. Allg. SS  : Untersturmführer 10. 3. 1935, Obersturmführer 7. 3. 1936, Hauptsturmführer 13. 9. 1936, Sturmbannführer 20.  4. 1938, Obersturmbannführer 25. 7. 1938. Waffen-SS (Reserve)  : Dienstgrad unbekannt. Gest. 23.  5. 1942 Charkow (gefallen). Quelle  : BArch (ehem. BDC), PK, RS  ; ÖSTA/GA, Zl.  95.617  ; WStLA/GAW, Zl.  52.545, 114.560, 142.584, 286.368  ; Felber/Melichar/Priller/Unfried/Weber (2003), S. 234. Grimme, Karl Franz Geb. 13. 12.1890 in Prerau, Mähren, evang. Vater Beamter im Handelsministerium. Infanterie-Kadettenschule Wien-Breitensee. Matura. 10 Semester Studium der Rechtswissenschaften (Absolutorium, kein Abschluss). Berufsangaben  : 1910–1914  : Kärntner Infanterieregiment 7, Zugführer und Rekrutenausbilder.  1914–1918  : Zug- und Kompanieführer b. d. Infanterie, Ausbildung z. Flugzeugführer, Beobachteroffizier und Fliegerkompaniekommandant an der russischen und italienischen Front, zuletzt Hauptmann. 1919–1920 Leiter der Liquidierungskommission für Fotomaterial Wiener Neustadt, Adjutant des Fliegerhorstes Wiener Neustadt, Kriegswucheramt der Bundes-Polizeidirektion Wien, 1920 abgerüstet, 1920  : Kontrollbeamter im Büro für Luftfahrangelegenheiten des BM für Verkehr, Delegierter bei der Sachdemobilisierung zur Wahrung der Interessen des Büros f. Luftfahrangelegenheiten. 1922–1934 Beamter der Krankenversicherungsanstalt für Bundesangestellte in Wien. Heirat 1928, keine Kinder. 1919–1930 Frontkämpfervereinigung Oberst Hiltl, Bund Oberland. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 360.303. 1930 P.O.  : Sprengelleiter, Standesführer, BZO-Leiter, Referent für Sozialversicherungsangelegenheiten der Fachgruppenleitung. 1932 SS, Nr. 46.095. 1930–1934 Adjutant d. Fliegerstaffel im Abschnitt VIII, F. d. Fliegersturms d. 11. Standarte, F. d. Fliegerstaffel im OaD, Verbindungsoffizier und kdt. F. d. Abschnitts VIII. 1933–1934  : 6 Wochen Polizeiarrest, 4 Monate militärgerichtliche Untersuchungshaft, 3½ Monate Anhaltung. 7. 1935 Deutschland, 9. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1934–1942  : SS-Sammelstelle, Ausbildungsreferent b. Abschnitt XIV (Oppeln), F. d. 22. Standarte (Schwerin), Stabsführer d. Abschnitt XIII (Stettin). Waffen-SS  : 1940–1942 Bataillonskommandeur der 9. SS-Totenkopf-Standarte Danzig, F. d. III/13. SS-Totenkopf-Standarte (Wien), F. II/7. Totenkopf-Standarte (Norwegen), Befehlshaber der Waffen-SS „Nord“, Kommandeur d. III/6. SS-Infanterieregiments, Kommandeur

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d. Stabsquartiers d. Kommandostabes d. RFSS, Kommandeur des Begleit-Bataillons d. RFSS, SS-Führungshauptamt/Kriegsgeschichtliche Forschungsabteilung Oranienburg. Allg. SS   : Hauptsturmführer 1. 6. 1934 (direkt befördert), Sturmbannführer 13. 9. 1936, Obersturmbannführer 12. 9. 1937, Standartenführer 11.9. 1938. Waffen-SS (Reserveführer)  : Sturmbannführer 1. 2. 1940. Gest. 2. 10. 1942 in Berlin (SS-Lazarett). Quelle  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; ÖSTA/GA, Zl. 332.035. Hansmann, Franz Geb. 7. 8. 1905 in Wien, röm.-kath. Vater Bauunternehmer. Volksschule, 2 Jahre Privatunterricht, ab 1926 im Geschäft des Vaters. Berufsangaben  : Bauschreiber, Maurer, Hilfsarbeiter, Wachmann im „Adolf-Hitler-Haus“, n. 1938 Kinobesitzer. 1927 NSDAP, Pg.-Nr. 53.373. 1927–1931 SA. 6. 1931 SS, Nr. 19.611. 1932 Anschlag auf das Kaufhaus Gerngroß, 1933 zu 4 Wochen Haft verurteilt. 1933–1936  : 16½ Monate im Anhaltelager Wöllersdorf, 4 Monate Untersuchungshaft. Ende 6./Anfang 7. 1936 nach Deutschland. 1936–1938  : Stab d. SS-Sammelstelle, Ranis, Stammabteilung Mitte Bezirk 59, 59. SSStandarte „Loeper“ (bis 11. 1936 hauptamtlich). 3. 11. 1936–5. 6. 1938  : Zugführerstellvertreter des Werkschutzes bei den Junkerswerken (Flug- und Motorenwerke AG), Schönebeck/Elbe. 6. 1938  : Rückkehr nach Wien. „Arisierung“  : Geschäftsführer des Admiral- und SchikanederKinos. Ab 1938  : Stab Abschnitt XXXI, Stammabteilung Donau, Stammabteilung 89. SS-Standarte (nebenamtlich). Blutorden. Waffen-SS  : 15. 11. 1939–14. 9. 1940 und ab 1. 1941. Allg. SS  : SS-Untersturmführer 9. 11. 1935. Waffen-SS (Reserve)  : SS-Rottenführer. Quellen   : WStLA, M.Abt.  116, A  37   ; LGfS Wien I, Vr 4343/33   ; GAW, Zl.  78.365, 103.432 ,277.746  ; BArch (ehem. BDC)  : PK, SSO  ; Walzer/Templ (2001), S. 162. Happach, Ernst (= Hans Pernreiter) Geb. 25.6./7.1897 in Wien, evang. Vater Werksführer. Berufsangabe  : Maschinenbauer, arbeitslos, n. 1938  : Kinobesitzer („Arisierung“ des Tivoli-Kinos). Mehrmals verheiratet, 4 Kinder. 5./9. 1926 NSDAP, Pg.-Nr. 51.572. HJ Eintrittsdatum unbekannt.  1926  : P.O. 3. 1933 SS, Nr. 273.462. 1933 Anschlag auf das Kaufhaus HAK. 6. 1933 Deutschland, 5. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. Ab 1. 11. 1934 SS-Dienst  : Sanitätsstaffel SS-Lazarett Dachau, SS „Nürnberg“ Sanitäts-Abteilung, SS-Lazarett Berlin, ab 29.1. 1938  : Sanitätsstaffel der SS-VT München-Dachau (Verwaltung). Waffen-SS  : SS-Untersturmführer 15.5. 1941, SS-Obersturmführer 20. 4. 1943. Quellen  : BArch (ehem. BDC), unter Happach  : PK, SSO, OPG-NA  ; unter Pernreiter  : RS, SSO  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  ; LGfS Wien I, Vr 6203/33  ; GAW Karteikarte  ; Safrian/Witek (2008), S. 236. Hof, Georg Geb. 15. 7.1889 in Wien, röm.-kath. Matura. Berufsangabe  : Maschinenbauingenieur, Werksdirektor. 1. 10. 1910–30. 9. 1911 k.u.k. Armee. Erster Weltkrieg  : 7. 1914–3. 1919  : Feldkommando 45  ; 1. Feld-Artillerie-Regiment 122  ; Luftschiffsabteilung. 3 Mal verwundet. Zuletzt  : Oberleutnant. Geschieden, 2 Kinder.

Kurzbiografien

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1921–1933  : Freikorps (keine weiteren Angaben vorhanden). 1933 NSDAP. 1933 SS, Nr. 80.396, 52. SS-Standarte. 23. 8. 1933  : b.m.d.F. d. 11. SS-Standarte. Sommer 1933 nach Deutschland, 5. 1934 Ausbürgerung. 1933–1936  : b.m.d.F. d. Motor-Standarte 8, ND Budapest, SS-Sammelstelle. Allg. SS  : Untersturmführer 17. 5. 1934, Obersturmführer 1. 6. 1936. Gest. 21. 8. 1936 in Berlin. Quellen  : WStLA, M.Abt. 116, A 37  ; BArch (ehem. BDC)  : SSO. Hranitzky, Herbert Geb. 26. 5. 1910 in Zara, Italien. Fachschule. Berufsangaben  : technischer Zeichner, Magazinleiter, n. 1938  : Gaureferent d. Gaus Wien, Kaufmann. Heirat 1935, 3 Kinder. 1926–1928  : HJ. 1928 NSDAP, Pg.-Nr. 90.252.  1929–1930  : SA. 1930 SS, Nr. 2.280. 1933–1935  : Ausland. 6. 1935 nach Deutschland. SS-Lager Ranis. 6. 1938 Rückkehr nach Wien, „Arisierung“ der Firma Kardos & Klein, Textilien, Inhaber eines Geschäfts für Papier- und Bürobedarf.  1938  : b. Stab d. Abschnitts XXXI (Wien), Stammabt. Donau, Bez. 11 (nebenamtlich). WaffenSS  : 11. 1939–8. 1940  : 8. SS-Totenkopf-Infanterieregiment Radom. Allg. SS  : bis 1. 1. 1942 F. im Nachrichtensturmbann 14 (Wien), dann Stammabt. 11, u.k. gestellt für die Flugmotorenwerke Ostmark. Waffen-SS  : ab 8. 1944. Allg. SS  : Untersturmführer 9. 11. 1937, Obersturmführer 20. 4. 1938. Waffen-SS (Reserve)  : zuletzt Oberscharführer. Gest. 4. 3. 1945 in Wien (SSLazarett). Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; WStLA/GAW, Zl. 220.063  ; Priller (2008), S. 126. Kaaserer, Rudolf (= Rudolf Kurth) Geb. 21. 8. 1896 in Triest, röm.-kath. Früh verwaist (Mutter 1910, Vater 1913 verst.). Militär-Unter- und Oberrealschule, Theresianische Militärakademie. Matura. Erster Weltkrieg  : 1916–1918 zunächst in Zagreb stationiert, danach an der russischen Front, verletzt durch Gasvergiftung. 1918–1919 Kärntner Abwehrkampf als Verbindungsoffizier und Parlamentär aktiv. 1919–1922 Kriegsministerium, abgerüstet als Hauptmann. 1922–1933 in verschiedenen Berufen tätig, u.a. als Korrespondent, Tarifeur, Prokurist, Vertreter, selbstständiger Reklameunternehmer. Heirat 1930, 2 Kinder. 1918 Frontkämpfervereinigung.  1922–1925 Bund Oberland. 1927–1930 Steirischer Heimatschutz. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,087.778. SS 1932, Nr. 46.104. 9. 1932 b.m.d.F. d. 1/11. SSStandarte, 12. 1932 b.m.d.F. d. 52. SS-Standarte. 6. 1933 Deutschland, 9. 1933 Ausbürgerung, 1. 1934 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1934  : Lechfeld, Oa Südwest b. d. Politischen Bereitschaft Ellwangen. 7. 1934 Rückkehr nach Österreich. 8. 1934  : Verhaftung, 3 Monate Arrest, 7 Jahre schwerer Kerker i. d. Strafanstalt Stein. 10. 1937 im Zuge eines Gefangenenaustauschs nach Deutschland abgeschafft. Allg. SS  : 1937 F. im RuS-HA, 9. 1938 Schulungsleiter des OaD, 1939 RuS-HA, Stabsführer d. SS-Ab. XXXII (Augsburg), RuS-HA/Chef des Sippenamtes. Waffen-SS  : 1942 Gebirgsjäger-Ersatz-Bataillon „Nord“, SS-Division „Prinz Eugen“, SS-Kraftfahr-Ersatz-Abt., Aufstellungsstab der Lettischen SS-Freiwilligen-Division, SS-Panzer-Grenadier-Ausbildungs- und Ersatz-Bataillon 10, F. beim Stab RFSS, SS-Personal-HA, kommandiert zum HSSPF Adriatisches Küstenland, kommandiert zum HSSPF Nord. Blutorden 1940. Allg. SS  : Sturmführer 25.9. 1932, Sturmhauptführer 24. 12. 1932, Sturmbannführer 9. 3. 1933, Obersturmbannführer 9.11. 1933, Standartenführer 21. 6. 1938, Oberführer 9. 11. 1940. Waffen-

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SS (Reserveführer)  : Hauptsturmführer 20. 6. 1942, Sturmbannführer 18. 10. 1942. Gest. 1. 1947 in Belgrad (hingerichtet). Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; WStLA/GAW, Zl.  87.706  ; M.Abt. 116, A  37  ; Heinemann (2003), S. 622  ; Preradovich (2008), S. 281–285. Kary, Hugo (= Hugo Kurtner) Geb. 29. 11. 1903 in Wien, röm.-kath. Vater Straßenbahnvorarbeiter, gest.  1921. Volks,- Bürgerund Handelsschule. Berufsangabe  : Sportartikelarbeiter, nach 1938  : Referent in der Vermögensverkehrsstelle. Heirat 1935. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 1,205.856. 1931–1932 SA. 1932 SS, Nr. 63.071. 1933 Anschlag auf das Café Produktenbörse. 6. 1933 Deutschland, 11. 1933 Ausbürgerung, 4. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft.  1933–1938  : Stab der SS-Sammelstelle.  1938 b. Stab Abschnitt XXXI (Wien), Stammabt. Donau, 11. Standarte (nebenamtl.). „Arisierung“ Etablissement „Zum Schwender“ (gem. m. Franz Buschta). 1939–1940 Totenkopf-Verband Krakau. Waffen-SS  : 1941–1942 4. SS-Totenkopf-Standarte „Ostmark“, 1942–1943 SS-Panzerjäger Ersatzabteilung, 1943 SSUnterführerschule Posen-Treskau, 1944 Panzer-Jägerschule Janowitz, 1945 32. SS-Freiwilligen-Grenadierdivision 30. Januar, SS-Panzerjäger-Ausbildungs- und Ersatz-Abteilung. Allg. SS  : Untersturmführer 20. 4. 1935, Obersturmführer 20. 4. 1936, Hauptsturmführer 11. 9. 1938. Waffen-SS (Reserveführer)  : Untersturmführer 30.1. 1941, Obersturmführer 9.11. 1942, Hauptsturmführer 9. 11. 1944. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; SSO  : Josef Fitzthum  ; WStLA/GAW, Zl.  2.688, 14.515  ; Felber/Melichar/Priller/Unfried/Weber (2003), S. 405–411. Knögler, Johann Geb. 27. 5. 1906 in Feldkirchen, OÖ, röm.-kath. Vater Zimmermann. 1919–1925 Zimmermannslehre bei seinem Vater. Berufsangaben  : 1925–1931 Bundesheer (Pionier), Matrose, Kraftfahrer, ca. 1932 arbeitslos, n. 1938 Kinobesitzer. Heirat 1938, 3 Kinder. 1928 Deutscher Soldatenbund. 1931 SA. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 899.102, 1932 SS, Nr. 37.517.  1933 Anschlag auf das Café Produktenbörse. Freispruch wegen Minderbeteiligung. 1933–1935 Polizeihaft und gerichtliche Untersuchungshaft, 6 Monate Anhaltung. Deutschland 5. 1935, deutsche Reichsbürgerschaft. 1935–1938 HWL Dachau und Waischenfeld, FHW-Lager Middelburg, Sicherheitskommando in Berlin (SS-Wachmann im Kriegsministerium). 1938 Rückkehr nach Wien. „Arisierung“ des Lustspieltheaters (gem. m. Anton Doblreiter). Blutorden. Waffen-SS  : ab 6. 1939. Allg. SS  : Hauptscharführer. Waffen-SS (Reserve)  : Rottenführer. Quellen  : BArch (ehem. BDC), PK, RS  ; WStLA/GAW, Zl. 91.668  ; ÖSTA/GA, Zl. 97.668  ; Walzer/Templ (2001), S. 161. Knögler, Mathias Geb. 25. 10. 1913 in Audorf b. Feldkirchen, OÖ, röm.-kath. Vater Zimmermann. Bäckerlehre. Berufsangabe  : Bäcker, ab 2. 1933 arbeitslos, n. 1938  : Kriminalassistent Gestapo-Grenzpolizei. Heirat 1939. 1932 HJ, 1933 NSDAP, Pg.-Nr. 1,388.489, 1933 SS, Nr. 275.480. Anschlag auf das Café Pro-

Kurzbiografien

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duktenbörse. 1933–1935  : 6 Wochen Polizeihaft, 4 Monate Gefängnis, 6 Monate Anhaltung. 6. 1935 nach Deutschland, deutsche Reichsbürgerschaft. 1935–1937  : Ranis und Waischenfeld, Sicherheitskommando in Berlin (SS-Wachmann im Kriegsministerium), 3. 1938 Gestapo Grenzpolizeischule, bei „Anschluss“ Gestapo-Grenzpolizei Gmünd, 1939 SD-OaD (GestapoGrenzpolizeiposten Bruck a. d. Leitha). Allg. SS  : zuletzt Oberscharführer. Quellen  : BArch (ehem. BDC), RS, PK  ; WStLA/GAW, Zl. 267.614. Kölblinger, Hubert Geb. 30. 6.1897 in Wien, röm.-kath. Vater Postoberoffizial. Matura. Berufsangabe  : Rechnungsoberrevident der niederösterreichischen Landesregierung. Heirat 1923, 2 Kinder. Erster Weltkrieg  : 15.10. 1915–28.02. 1919 Tiroler Kaiserjäger, zuletzt  : Leutnant. 1922 DNSAP. 1926 NSDAP, Pg.-Nr. 51.309. 1923–1928 SA. 1928–1933 P.O.  : Bezirksrat, Beamtenschaftsführer, Gauredner NSBO. 1933 SS, Nummer 191.550. 5. 1933 b.m.d.F. d. Geschäfte d. Standarten-Adjutanten, 27. 4. 1934  : b.m.d.F. d. 11. SS-Standarte. 7. 1934 nach Deutschland, 12. 1934 deutsche Reichsbürgerschaft. 1934–1938  : Adjutant des HWL Schleißheim, F. des HWL Schleißheim, Oa Nordost, SS-Sammelstelle, Stab Oa Süd (hauptamtlicher Adjutant, dann Fürsorgereferent), Stab Oa Rhein (Fürsorgereferent), Stab Oa Süd. 6. 1937  : Polizeidirektion Ludwigshafen, 10. 1937 Polizeischule Berlin-Köpenick, Schutzpolizei München. 5. 1938 Rückkehr nach Wien, Kommandeur des Ausbildungsstabes der Schutzpolizei in Wien, Leiter der Polizeidirektion Innsbruck, ab 9. 1941 im auswärtigen Polizeieinsatz  : SSPF von Mogilew, 3. 1943– 7. 1944  : Kommandeur des SS-Polizeiregiments 19. Allg. SS  : Untersturmführer 27. 4. 1934, Obersturmführer 1. 1. 1935, Hauptsturmführer 30. 1. 1936, Sturmbannführer 30. 1. 1937, Obersturmbannführer 11.9. 1938. Polizei  : Hauptmann der Schutzpolizei 23. 6. 1937, Major der Schutzpolizei 20. 4. 1938, Oberstleutnant der Schutzpolizei spätestens 3. 1944. Gest. 8. 9. 1956. Quellen  : WStLA, M.Abt. 116, A  37  ; GAW, Zl.  183.452  ; BArch (ehem. BDC), SSO, PK  ; Klemp (2005). Korb, Heinz Geb. 12. 8. 1911 in Linz, röm.-kath. Vater  : Buchhändler. Matura, Studium der Medizin (ohne Abschluss), Buchhändler. Heirat 1938. 1928–1930 HJ. 1929 NSDAP, Pg.-Nr. 115.631. 1930–1931 SA. 1931 SS, Nr. 8.436. 1933–1938  : SS-Scharführer 1/1/11., Sturmführer 3/iii/11., Sturmbannadjutant I/37. SS-Standarte (Linz), 1936  : Sturmbannführer I/37., nach „Anschluss“ SD-HA, F. des SD-Unterabschnitts Oberösterreich, RSHA. Allg. SS  : Untersturmführer 9.11.9135, Obersturmführer 9. 11. 1937, Hauptsturmführer 30. 1. 1938, Sturmbannführer 13. 3. 1938. Wehrmacht  : ab 6. 1940, zuletzt Leutnant. Quelle  : BArch (ehem. BDC), SSO. Langauer, Franz Geb. 9. 7. 1907 in Wien, evang. Matura. Vater Lehrer. Technische Hochschule (ohne Abschluss). Berufsangabe  : technischer Zollbeamter, nach 1938 Personalabteilungsleiter beim Reichsluftschutzbund. Heirat 1934, 4 Kinder.

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1931 NSDAP, Pg.-Nr. 611.983. 1930–1932 P.O.  : Zellenobmann d. NSBO, später der NS-Beamtenschaft.  1931 SS, Nr. 22.989. 1932  : b.m.F.d.G.d. Adjutanten im Sturmbann iii/11., danach gleiche Funktion im Sturmbann 1/11., 1933 Adjutant des Sturmbanns 111/11. 1933–1935  : 22 Wochen Arrest und Anhaltung, Entlassung aus Staatsdienst. 11. 1935 Deutschland, 2. 1936 Ausbürgerung, 3.  1936 deutsche Reichsbürgerschaft.  1935–1938   : Ranis, SS-Sammelstelle, FHW Berlin. Rückkehr nach Wien. 10. 1938 Stammabt. Donau 11. St. (nebenamtlich). WaffenSS  : 1940 SS-Division „Das Reich“. 1941 SD, 6. Kompanie Bad Schmiedeberg. Waffen-SS  : 1941–1942 SS-Division „Das Reich“, 1942–1943 LSSAH, 1943–1945 SS-HA. Allg. SS  : Untersturmführer 15.10. 1934, Obersturmführer 1. 3. 1935, Hauptsturmführer 11. 9. 1938. WaffenSS (Reserveführer)  : Untersturmführer 1. 9. 1942, Obersturmführer 7. 11. 1943. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37. Lapitza, Franz Geb. 17.7. 1907 in Wien, röm.-kath. Vater Privatbeamter. Volks-, Bürger- und Handelsschule. Berufsangabe  : Handelsangestellter, 1927–1933 Bundesheer (Infanterist), Handelsangestellter, n. 1938  : Reichsstatthalterei, danach Kaufmann (Teilhaber einer Papierfabrik). Heirat 1938, 2 Kinder. Deutsche Soldatengewerkschaft, Mitgl.-Nr. 16. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 301.617. 1932 SS, Nr. 281.089. 1933–1937 Anschlag auf das Café Produktenbörse, 2 Jahre schwerer Kerker, ca. 17 Wochen Arrest, 6 Monate Anhaltung, 10 Jahre Arbeitsverbot. 4. 1937 nach Deutschland. 1937– 1938  : Ranis, 3. Sturm d. SS-Sammelstelle  : FHW Berlin, 1. SS-Standarte (München), FHW Berlin. 1938 Rückkehr nach Wien, „Arisierung“  : Teilhaber der Papierfabrik „Haumer & Co“. 1938  : Stammabt. Donau 11. SS-Standarte, 1939  : 11. SS-Standarte, Ausbildungsreferent d. 111/11. SS-Standarte (nebenamtlich). Blutorden 1940. Wehrmacht  : ab 8. 1939. Allg. SS  : Untersturmführer 1. 4. 1938, Obersturmführer 30. 1. 1943. Wehrmacht  : Leutnant. Gest. 1947 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; WStLA/GAW, Zl. 5.780. Löffler, Friedrich Geb. 3. 11. 1913 in Wien, röm.-kath. Vater  : Oberkapitän der DDSG. Volks- und Fachschule. Berufsangabe  : Privatbeamter, Kaufmann, Bautechniker, nach 1938 SSF. 1. Heirat 1938, ca. 1939 geschieden, 2. Heirat 1943, 3 Kinder. 1930–1932 Deutsche Wehr. 1932 SS, Nr. 202.900. 1933 NSDAP, Pg.-Nr. 1,485.109. 1933  : 6 Monate schwerer Kerker wegen der Planung eines Waffenraubes in Breitenseer Kaserne. 3. 1934 nach Deutschland. Waffen-SS  : ab 1934 5/ii SS-Deutschland, Kommandantur des Übungslagers Dachau, Inspektion SS-VT, SS-Verwaltungsführer, Haushalt und Bauten, Bauleitung der Waffen-SS in Klagenfurt, Bauinspektion der Waffen-SS Ostraum Süd in Kiew, Verwaltungsführer der SS-Division „Das Reich“, beim HSSPF Russland Süd, Bauinspektion der Waffen-SS und Polizei, 16. SS-Panzer-Grenadier-Division „RFSS“. Waffen-SS  : Untersturmführer 30. 1.  1941, Obersturmführer 1.11. 1943. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK, RS  ; WStLA/GAW, Zl. 114.301, 237.713.

Kurzbiografien

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Lorenz, Gustav Geb. 19. 2. 1907 in Wien, röm.-kath. Vater  : Eisenbahner, 1907 gest. Volks- und Mittelschule, Elektrikerlehre, Fortbildungsschule zum Elektrotechniker (ohne Abschluss). Berufsangaben  : Elektriker, Maschinist, Beifahrer, Magazineur, ab 1931 meistens arbeitslos, n.  1938  : SSF. Heirat 1937, 1 Kind. 1922 DNSAP, NSJ, SA. 1923–1926 Freikorps Roßbach. 1926–1931 SA.  1928  : NSDAP, Pg.Nr. 82.302. 1931 SS, Nummer 10.509. 2. 1933  : b.m.d.F. d. 3/1/11. SS-Standarte. Bis 6. 1933  : 76 Polizeistrafen, 6. 1933–7. 1934  : 11 Monate Anhaltung, Gerichts- und Polizeistrafen. 7. 1934 nach Deutschland, 12. 1934 deutsche Reichsbürgerschaft. 1934–1938  : Stab SS-Sammelstelle, HWL Schleißheim, 3. Sturm SS-Sammelstelle, FHW Berlin, RuS-HA, Stab Oa Rhein, Fürsorgereferent Oa Rhein, b.m.d.F. d. I/78. SS-Standarte (Wiesbaden). 6. 1938  : Rückkehr nach Wien, 11. 1942  : 78. SS-Standarte (Wiesbaden). Sonderbeauftragter bei der Organisation Todt in Frankreich. Allg. SS  : Untersturmführer 15. 8. 1935, Obersturmführer 30. 1. 1937, Hauptsturmführer 30. 1. 1938, Sturmbannführer 9.11. 1942. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; ÖSTA/GA, Zl. 242.526. Maxa, Franz Geb. 25. 7. 1905 in Lemberg. Vater Oberfeldwebel, dann Bundesbeamter. Berufsangabe  : Privatbeamter. 1. Heirat 1933, Scheidung 1936, 2. Heirat, 2 Kinder. 1921–1926 DNSAP. 1921–1930 SA. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 440.399. NSBO Fachgruppenleiter. 1931 SS, Nr. 14.859. 1932 Adjutant im Sturmbann 1/11. SS-Standarte. 1932–1933 Adjutant 11. SS-Standarte. 1933 aus SS ausgeschlossen. 10. 1933 nach Deutschland, 2. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1934  : Wiederaufnahme in die SS. 1934–1945 (hauptamtlicher F.)  : SSSammelstelle, Referent Oa Rhein, Personalreferent Oa Rhein, Personalreferent Oa Weichsel, Stabsführer Oa Weichsel, Stabsführer Absch. XXXXI (Weichsel), Waffen-SS  : Stabskompanie b. HSSPF Russland Süd  ; b. HSSPF Schwarzes Meer (Stalino), Kampfgruppe Prützmann. Allg. SS  : Untersturmführer 20.  4. 1935, Obersturmführer 9.11. 1936, Hauptsturmführer 30. 1. 1937, Sturmbannführer 30. 1. 1939, Obersturmbannführer 1.2. 1941. Waffen-SS (Fachführer)  : Hauptsturmführer 26. 8. 1942 (direkte Ernennung), Sturmbannführer 9. 1944. Quellen  : BArch (ehem. BDC), PK, RS, SSO  ; WStLA/GAW, Zl. 186.592. Mazanek, Franz Geb. 11. 2. 1901 in Wien, röm.-kath. Vater Schlosser. Schlosserlehre. Berufsangaben  : Schlossergehilfe, arbeitslos, Hausbesorger, Heizer und F. der Hauswache im „Adolf-Hitler-Haus“, arbeitslos, n. 1938 Betriebsführer. Heirat 1927, 3 Kinder. 1918–1919 Schlesischer Grenzschutz „Eiserne Division“, 35. Deutsche Reichswehrbrigade, Abwehrkämpfe im Baltikum. Bundesheer (Zeitraum unbekannt). 1926/1927 NSDAP, Pg.-Nr. 51.474. 1926–1930 SA Innsbruck, Stoßtrupp Wien, Sturm 33/Wien, Sturm 10/Tirol. 1930 SS, Nr. 3.131. 1930 Scharführer im Sturm 2/77 Wien, 1931 F. d. 2/1/11. SS-Standarte, 1932 F. d. 11/11. 1932 1. Lehrgang der RFSS-Schule München. Militärische Leitung des Anschlags auf das Kaufhaus Gerngroß und der Bombenattentate des 12./13. Juni 1933. Vor Parteiverbot mehrere Polizeistrafen. 1933–1935  : ca. 18 Monate Anhaltung, Untersuchungs- und Polizeihaft. 5. 1935 nach Deutschland, 8. 1935 Ausbürgerung, 10. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1935–1938

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Anhang

(hauptamtl. F.)  : SS-Sammelstelle, Oa Elbe, F. d. II/23. SS-Standarte (Main). 1938 Rückkehr nach Wien, nebenamtlicher F. b. Stab Abschnitt XXXI (Wien). „Arisierung“ der Firma Alexander Bach, Wien. Blutorden. Waffen-SS  : 1940  : 13. SS-Totenkopf-Standarte (Wien), SS-Division „Wiking“. Allg. SS  : Sturmführer 16. 2. 1932, Sturmhauptführer 25. 9. 1932, Sturmbannführer 15. 9.  1935. Waffen-SS (Reserve)  : zuletzt Unterscharführer. Gest. 27. 8. 1964 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK  ; ÖSTA/GA, Zl. 343.390  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  ; GAW, Zl. 5.589  ; Priller (2008), S. 126. Mußil, Hans Geb. 29. 4. 1910 in Wien, röm.-kath. Vater Insp. d. Gaswerke. Matura, Studium der Rechtswissenschaften (ohne Abschluss), SSF. Heirat 1935, 1 Kind. 1926–1929 SA. 1926–1928 NSDAP, Pg.-Nr. 51.400. 1926–1929/1930–1931 Stahlhelm.  1930 NSDAP, Pg.-Nr. 300.728. 1930–1931 stv. Propagandaleiter. 1930–1931 SA-Reserve. 1931 SS, Nr. 8.435. 1932–1935  : b.m.d.F. d. Sturms 1/1/11. SS-Standarte, F. d. i/11., 10.8. 1934 F. d. 11. SS-Standarte, 18. 11. 1934 F. d. Abschnitts I der österreichischen SS. 3. 1935 nach Deutschland, 10. 1935 Ausbürgerung, 9. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft.  1935–1938  : SS-Sammelstelle, F. d. Lagers Graßlfing, Adjutant und Personalreferent der 2. SS-Standarte (Frankfurt a. M.). 6. 1938  : Rückkehr nach Wien. Allg. SS  : 6. 1938 Adjutant und Personalreferent des Abschnitts XXXV (Graz), 3. 1939 b.m.d.F. d. III/89. SS-Standarte. 2.2. 1940 Blutorden. 24.7. 1941  : wegen fahrlässiger Tötung (Verkehrsunfall) vom SS-und Polizeigericht zu 4 Monaten Gefängnis verurteilt, Strafe in „Festungsstrafe“ umgewandelt und bis Kriegsende ausgesetzt, überstellt zur Waffen-SS, 6. 6. 1944 Straferlass. Waffen-SS (Reserveführer)  : 9. 1941 Ergänzungsamt der Waffen-SS, 10. 1941 Nachschub der SS-Totenkopf-Division, 12. 1941 SS-Totenkopf-Infanterie-Bataillon III Brünn, Führer-Sonderlehrgang Radolfszell, ab 9. 1942 SS-Gebirgsjäger-Regiment „Prinz Eugen“. Allg. SS  : Untersturmführer 10. 1. 1933, Obersturmführer 9.11. 1934, Hauptsturmführer 18. 2. 1935, Sturmbannführer 30. 1. 1943, Obersturmbannführer 20. 4. 1944. Waffen-SS (Reserveführer)  : Untersturmführer 20.4. 1941, Obersturmführer 27.12. 1939, Hauptsturmführer 6. 10. 1941. Gest. 20. 6. 1988 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS, PK  ; ÖSTA/GA, Zl. 336.310  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  ; Volksgerichtsverfahren 1326/47. Ott, Walter Geb. 15. 3. 1906 in Wien, evang. Vater Oberprokurist des Wiener Bankvereins. Matura, Studium der Medizin. Promotion 1930. Sekundararzt im Kaiser-Franz-Josef-Spital, des Orthopädischen und des Arbeiterunfall-Krankenhauses, n. 1938 Leiter der Gruppe II/8 (Volksgesundheit) im Ministerium für innere und kulturelle Angelegenheiten, Landesführer und Stabsführer der Landesstelle XVII in Wien des Deutschen Roten Kreuzes. Heirat 1939, 4 Kinder. 1929 NSDAP, Pg.-Nr. 116.961. Deutscher Schulverein Südmark (Daten unbekannt). 1. 1930 Mitbegründer des NS-Ärztebundes. 1931–1932 SA, stv. Gruppenarzt der SA-Gruppe Österreich. Bis 1932 Heimatschutz. 1. 1932 SS, Nr. 46.085. Bis 9. 1932 Sturmbannarzt, 11. 1932 b.m.d.F.d.G.d. Standartenarztes d. 11. SS-Standarte. 1934 Juliputsch (Aktion Miklas), 1. 1935 vom Militärgerichtshof Wien zu lebenslänglichem schwerem Kerker verurteilt. Bis 7. 1936 Strafanstalt Garsten,

Kurzbiografien

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dann Begnadigung mit fünf Jahren Bewährung. 10. 1936 n. Deutschland.  1936–1938  : SS-Lager Ranis, F. beim Stab d. SS-Sammelstelle, F. im Stab RuS-HA (Abteilungsleiter im Sippenamt). Schiffsarzt in Hamburg. Sp. 6. 1938  : Rückkehr n. Wien. Bis 1945 nebenamtl. SS-Führer  : 6. 1938 F. b. St. Oa Österreich, F. b. St. Oa Donau, 1. 1939 F. b. St. Personal-HA. Ab 7. 1940 nebenamtlich. 5. 1942 b. St. Führer-HA (Sanitätsamt). 6. 1939 Ratsherr der Stadt Wien. Blutorden. 7. 1940 Luftwaffe, Stabsarzt Luftwaffen-Lazarett Wien. Allg. SS  : Sturmführer 9.11. 1932, Sturmhauptführer 12.6. 1933, Sturmbannführer 20.4. 1937, Obersturmbannführer 25.7. 1938. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; Jagschitz (1976), S.  87, 97  ; Historische Kommission (1965), S. 130–132  ; Schafranek (2011), S. 208–218. Peschke, Max Geb. 5. 6. 1904 in Wien, evang. Vater Fabriksbeamter. Volks-, Bürger- und Gewerbeschule. Berufsangaben  : 1922–1928 Bundesheer (Meldereiter), Fleischhauer und Selcher, Telefonist bei der Landesleitung der NSDAP Österreich, n. 1938 Sekretär beim Landesschulrat für Wien und Niederdonau (Beamter auf Lebenszeit). Heirat 1926, 1 Kind. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 198.230. 1930 SS, Nr. 4.387. 1932 Überfall auf den Country Club, b.m.d.F. d. Sturms 2/i/11., beurlaubt zur Landesleitung. 1933–1938  : im Dienst der Landesleitung, insgesamt 4 Monate Untersuchungs- und Polizeihaft. Nach „Anschluss“ F. beim Stab d. Abschnitts XXXI (Wien). Allg. SS  : Sturmführer 20.8. 1932, Obersturmführer rückwirkend m. 5. 7. 1938 (posthum). Gest. 6. 7. 1938 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK  ; WStLA, LGfS Wien I, Vr 4345/33  ; Walzer/Templ (2001), S. 165. Pfaffenmayer, Julius Geb. 29.  7. 1900 in Wien, röm.-kath. Vater Fabrikant. Volks- und Bürgerschule, Gärtnerlehre. Erster Weltkrieg  : 2.–10. 1918 Kriegsfreiwilliger, Sappeur-Bataillon, Fronteinsatz. Kaufmannslehre, Anstellung in der väterlichen Fabrik, n. 1933 arbeitslos 1. Heirat 1933, Scheidung 1942, 2. Heirat 1943, 2 Kinder. 1925 DNSAP. 1927 NSDAP, Pg.-Nr. 51.419. 1925–1930 SA. 1930 SS, Nr. 5.053. F. des Spielmanns-Zuges der 11. SS-Standarte. 1934–1938  : F. d. 1/11. 1933–1938  : 25 Verhaftungen, zwischen 11 und 13 Monate Kerker und Anhaltung. „Arisierung“  : „Schuhhaus Austria“ (Siegfried Boritzer). 5. 1938–1. 1939  : b.m.F. d. i/11. (hauptamtl.), ab 1. 1939 Stammabt. 11. Standarte (nebenamtl.), sp. 1942 SS-Ansiedlungsstab der Volksdeutschen Mittelstelle Litzmannstadt. Allg. SS  : Untersturmführer 11.9. 1934, Obersturmführer 11. 9. 1936, Hauptsturmführer 1. 7. 1937. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; SSO  : Josef Fitzthum  ; Venus/Wenck (2004), S. 309, 553, 675  ; Safrian/Witek (2008), S. 192f. Pichl, Karl Geb. 24.3. 1906 in Wien, röm.-kath. Volks-, Bürger- und Fachschule, Gärtnerlehre. Berufsangaben  : Privatbeamter, Dekorationsgärtnergehilfe, 1926–1928 Bundesheer, Kanzleihilfskraft b. d. Gauleitung Wien, nach 1938 Oberkontrolleur bei der Reichsversicherungsanstalt als Verwaltungsinspekteur (Beamter auf Lebenszeit). Heirat 1933, Scheidung 1936, 2. Heirat 1937, 2 Kinder.

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1923–1924/1926 Bund Oberland. 1923/1924–1928 (mit Unterbrechung während der Mi­lit­ är­­zeit) DNSAP. 1926–1928 Deutsche Soldatengewerkschaft. 1929 NSDAP, Pg.-Nr. 83.267. 1924/1926–1930 SA. 1930 SS, Nr. 2.257. 1930 von Himmler mit der Aufstellung der SS in Wien beauftragt. 1931 F. im SS-Sturm 77, 1931–1933 F. des Sturmbanns i/11. SS-Standarte, 1932 1. Lehrgang der RFSS-Schule München. 1933–1935  : mind. 15 Wochen Untersuchungs- und Polizeihaft, 5 Monate Anhaltung. 1. 1936 nach Deutschland, 5. 1936 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1938  : Ranis, Stab d. SS-Sammelstelle, Stammabt. Ost, Bez. 75 (Spree) (nebenamtlich), Überstellung in den Zivilberuf  : Reichsleitung der NSDAP. 1938 Rückkehr nach Wien. Allg. SS  : 1938–1940  : Stammabt. Donau, 89. SS-Standarte (nebenamtlich). Waffen-SS  : 5.–6. 1940  : 13. SS-Totenkopf-Standarte (Wien), krankheitshalber abgerüstet. Allg. SS  : Fürsorge- und Betreuungsabteilung der Stammabt. Donau, Bezirk 89. SS-Standarte (nebenamtlich). Waffen-SS  : 8. 1944 Ergänzungsstelle Donau XVII der Waffen-SS, Wach-Bataillon der SS-Panzer-Division „LSSAH“. Allg. SS  : Sturmführer 31. 3. 1931, Sturmhauptführer 16. 2. 1932, Sturmbannführer 9. 11. 1942. Waffen-SS (Reserve)  : Schütze. Gest. 1994 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; WStLA/GAW, Zl. 53.788, 101.811. Pistor, Emil Talbot Geb. 14. 8. 1906 in Wien, evang. Vater Kammeramtsdirektor, Sekretär der NÖ Handels- und Gewerbekammer. Fachhochschule für Elektrotechnik. Matura. Berufsangaben  : Kaufmann, SSF. Heirat 1934, 1 Kind. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 900.216. 1932 SS, Nr. 37.494. 1932–1933  : Adjutant 11/11. SS-Standarte, F. des Sturms 3/1/11., Adjutant 111/11, 11. 1932 Überstellung zur 52. SS-Standarte (Verwaltungsführer und FM-Geldverwalter der Standarte). 8. 1933 nach Deutschland, 12. 1934 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1938  : Lechfeld (Adjutant des Ausbildungskurses), HWL Dachau (Verwaltungsführer). Waffen-SS  : 11. 1934–4. 1936  : II/SS 1. Allg. SS  : 4. 1936 F. im Verwaltungsamt Oa Main, 8. 1937  : Verwaltungsführer der 45. SS-Standarte (Oppeln). Waffen-SS ab 3. 1940  : SS-Polizei-Division, Leiter der Truppen-Wirtschaftslager der Waffen-SS Radom und Lublin, 1944 V. SS-Gebirgs-Korps, SS-Freiwilligen-Gebirgsjäger-Regiment 14 „Skanderberg“. Allg. SS  : Untersturmführer 7. 2. 1933, Obersturmführer 12.8. 1934, Hauptsturmfüh­ rer 10. 9. 1939, Sturmbannführer 9. 11. 1944. Waffen-SS (Reserveführer)   : Obersturmführer 1. 3. 1940, Hauptsturmführer 1.8. 1940, Sturmbannführer 9. 11. 1944. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS. Pistor, Michael Geb. 8. 8. 1912 in Amlach b. Lienz, evang. Vater Kammeramtsdirektor, Sekretär der NÖ Handels- und Gewerbekammer. Volksschule, 7 Klassen Gymnasium. Berufsangabe  : Bankbeamter, 1934 entlassen, nach 1938 Mitarbeiter der Stiftung Deutsches Auslandswerk Wien. Heirat 1939, 2 Kinder. 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,084.389. 1932 SS, Nr. 37.507. 1932–1935  : FM-GV im Bereich d. 11. SS-Standarte, Sanitätsscharführer, Standarten-Verwaltungsführer im Stab 111/11., Stabsscharführer 2/111/11., Stabsscharführer 3/11/11., Fürsorgereferent 11/11. 1. 1935 Deutschland. 1935– 1940  : Sportreferent d. SS-Sturms 2/16. SS-Standarte (Breslau), SS-Sportgemeinschaft Berlin

Kurzbiografien

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(Mittelstreckenläufer), SS-Wachmann bei der Bauleitung des Regiments General Göring, Stab SS-HA, RuS-HA, Stab von SS-Obergruppenführer Lorenz als Sekretär der zwischenstaatlichen Verbände in Wien, Stab Personal-HA, Referent des Führungsstabes des Deutschen Roten Kreuzes, Kreisstelle Wien-Ost, Stab Abschnitt XXXI, Wehrmacht  ; ab 15. 4. 1940 KraftfahrErsatz-Abteilung 17, Gebirgsjägerregiment, zuletzt  : Oberjäger. Gest. 25. 11. 1942 in Welikije Luki, Sowjetunion (gefallen). Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS. Plachetka, Boris (= Franz Lang) Geb. in St. Petersburg, röm.-kath. Vater Konsul, Kaufmann. Gymnasium, Bürgerschule, Handelsakademie (ohne Abschluss). Berufsangaben  : Beamter, Vertreter, Schlosser, Monteur, Hilfsarbeiter, Bauarbeiter, SS-Wache im „Adolf-Hitler-Haus“. Heirat 1931, 3 Kinder. 1923–1924 Ordner-Trupp. 1924 Mitbegründer der „Bauer-Jugend“ in Wien. 1924–1926 DNSAP und NSDAJ. 1925–1930 SA. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 441.135. 1931 SS, Nr. 8.853. 1932 kommissarischer F. d. Geschäfte d. Adjutanten im Sturmbann 11/11. SS-Standarte, F. d. selbst. Sturmbanns bzw. Sturms iii/11. 6. 1933 Flucht nach Deutschland, 11. 1933 Ausbürgerung, 1. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1934   : KZ Dachau, Lechfeld, HWL Dachau. Waffen-SS  : ab 11. 1934 8./SS-Deutschland  ; 12./SS-Deutschland, 1937 Junkerschule Bad Tölz, 9. 1938  : Kommandierung als Kompanie-Chef, 10. 1941  : SS-Infanterie-Ersatz-Bataillon „Westland“, 4. 1942  : SS-Truppen-Übungsplatz Debica, 4. 1942  : SS-Division „Wiking“, 11. 1942  : I/SS-Freiwilligen-Panzer-Grenadier-Regiment 49, 4. SS-Panzer-Grenadier-Brigade „Niederland“, 1944–1945  : SS-Regiment 49, SS-Panzer-Grenadier-Ersatz- und Ausbildungs-Bataillon 11, SS-Panzer-Abteilung 11 „Hermann von Salza“, SS-Feld-Ersatz-Bataillon 11, Kommandeur d. Feldersatz-Bataillons „Nordland“. Allg. SS  : Sturmführer 25.9. 1932, Obersturmführer 9.11. 1933, Hauptsturmführer 12.9. 1937. Waffen-SS   : Obersturmführer 1.11. 1934, Hauptsturmführer 9.1. 1937, Sturmbannführer 9.11. 1942, Obersturmbannführer 9.11. 1944. Quelle  : BArch (ehem. BDC), SSO. Plobner, Max Geb. 14. 2. 1902 in Wien, evang. Gymnasium (ohne Anschluss), Fachschule. Berufsangaben  : Bautechniker, 1927–1938 Expedient bei einer Papierwarenfirma, nach 1938 Betriebsführer. Verheiratet, 1936 Witwer, 2. Heirat 1938, 1 Kind. 1916–1918 Wiener Jungschützenkorps. Ab 1920 schlagende Verbindung „Markomannia“. 1918–1925 Großdeutsche Volkspartei. 1925 DNSAP, P.O. (Schriftwart in der Ortsgruppe Mariahilf-Neubau). 1925–1931 SA. 1926 NSDAP, Pg.-Nr. 51.421. Ab 1926  : verschiedene Funktionen in der Ortsgruppe Mariahilf-Neubau. 1931 SS, Nr. 5.050. 1931–1938  : 5. 1931 b.m.d.F. e. SS-Gruppe im 1. Sturm 1/11. Standarte, 1932–1934  : F. d. Sturms 1/11/11., 1934–1937  : F. ii/11., 2. 1937–6. 1938  : F. der 11. SS-Standarte. „Arisierung“  : Götzendorfer mechanische Weberei Rudolf Mautner gemeinsam mit Pg. Rauer  ; Zuweisung der Villa von Karl Jaray (19., Langackerg. 22). Ab 6. 1938 (nebenamtlich)  : Stab SS-Abschnitt XXXI (Wien), ab 1940  : b.m.d.F. d. Stamm­abteilung, Bezirk 11, 1944 Inspekteur der Stammabt. OaD. Allg. SS: Untersturm-

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führer 30. 1. 1933, Obersturmführer 9. 11. 1934, Hauptsturmführer 9.11.1936, Sturmbannführer 9. 11. 1937, Obersturmbannführer 30. 1. 1944. Quellen  : ÖSTA/GA Zl. 228.620  ; BArch (ehem. BDC), SSO, RS, PK  ; SSO  : Josef Fitzthum. Pötzl, Josef Geb. 5. 2. 1912 in Wien, röm.-kath. Vater 1914 in Russland gefallen. 1918 Vollwaise. Volks-, Bürger- und Handelsschule. Berufsangabe  : Kontorist, lange Zeit nur Aushilfsjobs, nach 1938  : Beamter im Wiener Magistrat (Ostmärkische Volksfürsorge Lebensversicherungs AG). 1. Heirat 1939, Witwer 1943, 2. Heirat 1944, keine Kinder. 1925–1929 NSDAJ, HJ. 1925–1929 DNSAP. 1929 NSDAP, Pg.-Nr. 117.535. 1929–1930 P.O.  : Amtswalter. 1. 1930 SA. 12. 1930 SS, Nr. 5.839. 1933–1938  : insgesamt 12½ Wochen Untersuchungs- und Polizeihaft. 1934–1940  : F. e. Sturms d. 11. SS-Standarte, OaD. 1. 1940  : Einsatzverwaltungsführer der Volksdeutschen Mittelstelle (Umsiedlung), 1. 1942 Führung der Einsatzverwaltung Niederdonau, 8. 1942 Stabskompanie der Waffen-SS b. Hauptamt d. Volksdeutschen Mittelstelle (Fachführer für „Volkstumsarbeit“)  : Einsatzverwaltungsführer des Gaus Niederdonau (zuständig für 90 Lager der Volksdeutschen Mittelstelle), sp. 4. 1944 F. der Einsatzverwaltung der Volksdeutschen Mittelstelle im Gau Baden. Allg. SS  : Untersturmführer 9. 11. 1935, Obersturmführer 30. 1. 1943. Waffen-SS (Fachführer)  : Untersturmführer 15. 10. 1942. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS. Rahn, Johann Geb. 10. 9. 1912 in Wien, röm.-kath. Vater Wachmeister und Reitlehrer. Volks, und Bürgerschule, 1 Klasse Gymnasiums, Handelsschule. Berufsangabe  : Handelsangestellter, ab 11. 1930 arbeitslos. 1930–1932 HJ. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 689.429. 1932 SA. 1932 SS, Nr. 43.712. Bis Flucht nach Deutschland mehrere Polizeistrafen und Untersuchungshaft. 1932 Anschlag auf das Kaufhaus Gerngroß, 1933 zu 4 Wochen Haft verurteilt. 9. 1933 Deutschland, 6. 1935 Ausbürgerung. 1933–1935  : HWL Dachau 1935–1936  : SS-Wachmannschaft im KZ Oranienburg, 1936  : Ranis, 44. SS-Standarte (Eberswalde). 23. 9. 1938 Entlassung vom SS-Abschnitt XXXI (Wien) wegen Übertritts zur Politischen Leitung. Allg. SS  : Scharführer. Gest. 1988 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), RS, PK  ; WStLA, LGfS Wien I, Vr 6203/33. Regnemer, Karl Geb. 10. 2. 1910 in Wien, röm.-kath. Schlosserlehre. Volks-, Bürger- und Fachschule. Ausbildung zum Baukonstrukteur und Maschinenschlosser. Berufsangaben  : Magazineur, Schlosser, nach 1938  : Angestellter im Elektrizitätswerk der Gemeinde Wien. Verheiratet, 3 Kinder. 1924 Freikorps Schlageter. 1925–1926 DNSAP. 1926 HJ. 1927–1930 SA. 1927–1928 PO  : Sprengelleiter. 1928 NSDAP, Pg.-Nr. 81.700. 1930 SS, Nr. 5.836. F. des Spielmannszuges der 11. SS-Standarte, Geldverwalter des Musik- und Spielmannszuges, nach Parteiverbot F. eines Sturmbanns und verschiedener SS-Terrortruppen. 6. 1938  : F. des SS-Sturms 2/11. SS-Standarte. Mehrere Strafen wegen ungebührlichen Verhaltens. 6. 8. 1940  : neuerlich wegen ungebührlichen Verhaltens (Trunkenheit und Prügelei) zu 3 Tagen Arrest und einjährigem Alkoholverbot be-

Kurzbiografien

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straft, 5. 1941–5. 1942  : SS-Totenkopfsturmbann KZ Mauthausen. 4. 1942  : überstellt zum Ergänzungsamt der Waffen-SS zum Aufbau der Allg. SS in Flandern. 10. 1941  : vom SS- und Polizeigericht Den Haag mit 14 Tagen Stubenarrest (Sachbeschädigung) bestraft. Waffen-SS  : 5. 1942   : SS-Gebirgsjäger-Ersatz-Bataillon „Nord“. Allg. SS   : Untersturmführer 9. 11. 1934, Obersturmführer 9. 11. 1937. Waffen-SS (Sonderführer)  : Untersturmführer 7. 5. 1941. WaffenSS (Reserve)  : Schütze. Gest. 22.1. 1976 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; WStLA/GAW, Zl. 5.577, 280.469, 246.564, 163.905. Reuschauer, Josef (= Josef Reischauer) Geb. 1. 8. 1908 in Wien, röm.-kath. Vater Polizeibeamter. Volks- und Bürgerschule, Kaufmännische Fortbildungsschule, Fachschule für Stenographie, Maschinenschreiben, Buchhaltung. Berufsangaben  : Praktikant, Lagerist, Kontorist, ab 1928 arbeitslos, Aushilfsarbeiten als Stundenbuchhalter, Stenotypist, Monteur, Radiotechniker, nach 1938  : Leiter einer Schuhabteilung. Heirat 1939. 1923 DNSAJ. 1925 DNSAP. 1928 oder 1930–1934 NSDAP, Pg.-Nr. 82.419. 1930 SS, Nr. 2.655. 1938 NSDAP (Wiedereintritt). 1941 Ausschluss aus der SS (Unterschlagung). 1943 Ausschluss aus der NSDAP. 1932 Adjutant i/11., Adjutant der 11. SS-Standarte, Standesführer der Standarte. Vor Parteiverbot wegen Spitzelverdachts außer Dienst gestellt. 1933–1938  : ca. 3 Monate Polizeihaft, 6 Monate Anhaltung, nach 1938  : Stabsscharführer im SS-Sturm 11/11. Standarte. Sp. 1942  : Wehrmacht. Allg. SS  : Hauptscharführer. Quellen  : BArch (ehem. BDC), PK; ÖSTA/GA, Zl. 125.886  ; WStLA/GAW, Zl. 150.826. Rieger, Gustav (= Hugo Meixner) Geb. 28. 6. 1898 oder 1900 in Brunn am Gebirge, NÖ, röm.-kath. Vater Hausbesitzer. Volks-, Bürger- und Fachschule für Weinbau und Obstgärtnerei, nach 1938  : Inhaber des Hietzinger Strandbades. Verheiratet, Scheidung 1932, 2. Heirat 1942. Erster Weltkrieg  : Patrouillenführer. 1916–1918. Kriegsgefangenschaft. 1924–1926 Freikorps Roßbach. DNSAP. 1931 oder 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 1,306.204. 1932 SS, Nr. 80.403. 6. 1933 F. des Meidlinger Terrortrupps. 6. 1933 nach Deutschland, 10. 1933 Ausbürgerung, 1. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1938  : KZ Dachau, Lechfeld, HWL Dachau, Lagerführer im HWL Schleißheim, Dachau, Ranis und Waischenfeld. 5. 1936–3. 1937  : Sachbearbeiter im FHW, 3. 1937  : F. der Lager für ausländische Arbeitskräfte in Leisnig (Sachsen) und Fischendorf. 1938 Rückkehr nach Wien. Ab 1938  : Werkschutzleiter, Sicherheitsleiter beim Flugmotorenwerk Ostmark. 6. 1938–1940  : b. Stab d. Abschnitts XXXI (Wien), Stammabteilung Donau, 89. SSStandarte, 11. 1940  : Stammabt. Donau, 11. SS-Standarte. Allg. SS  : Untersturmführer 14. 6. 1934, Obersturmführer 15. 9. 1935, Hauptsturmführer 30. 1. 1938. Gest. 28. 6. 1990 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK, RS  ; WStLA/GAW, Zl.  116.404  ; Böhmer/Faber (2003), S. 451. Schmid, Ferdinand Geb. 31. 10. 1908 in Znaim, röm.-kath. Vater Portier. Berufsangabe  : Elektrotechniker, Schweißer, sp. 9. 1932 arbeitslos.

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Anhang

1931 oder 1932 NSDAP, Pg.-Nr. 444.244. 1931 SS, Nr. 10.510. 1930–1933  : mehrfach bestraft. 1933 b.m.d.F. d. Sturms 1/111/11. SS-Standarte. 6. 1933 nach Deutschland, 9. 1933 Ausbürgerung. 1933–1934  : KZ Dachau, Lechfeld, HWL Dachau. 1934 Rückkehr nach Österreich. 1935  : vom LGfS Wien I zu einem Jahr schweren Kerker verurteilt. Weiteres Schicksal unbekannt. Allg. SS  : letzter bekannter Dienstgrad Scharführer. Quellen  : WStLA/GAW  : Hugo Kary, Zl. 2.688  ; M.Abt. 116, A 37  ; LGfS Wien, Vr 8210/32, Vr 7506/34. Seidl, Siegfried Geb. 24. 8. 1911 in Tulln, NÖ, röm.-kath. Vater Friseur, gefallen im Ersten Weltkrieg. Gymnasium. Abbruch des Studiums der Rechtswissenschaften. Berufsangaben  : Nachhilfelehrer, Heizer, Studium der Philosophie. Nach 1941  : Promotion zum Dr. phil., Beamter beim Dünnrohrverband Wien, SSF. Heirat 1939, 3 Kinder. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 300.738. 1931 SA, P.O.  : Sprengelleiter. 1932 SS, Nr. 46.106. 1933 Verwaltungsführer des Sturmbanns 111/11. SS-Standarte. 6. 1939 Leiter der Werkschutzwache Herrenholz, Austro-Fiat Flugmotoren GmbH. 12. 1939  : Inspekteur der Sicherheitspolizei und des SD Wien. 1. 1940  : RSHA, zugeteilt dem SD-Leitabschnitt Posen, Umwandererzentrale Lodz, 10. 1941  : mit dem Aufbau des Lagers Theresienstadt beauftragt, 11. 1941–7. 1943  : Kommandant des KZ Theresienstadt, 7. 1943  : Leiter der Lager-Gestapo im Aufenthaltslager Bergen-Belsen, KZ Mauthausen  : Vorbereitung der Deportation der ungarischen Juden, 6. 1944  : versch. Einsatzorte in Ungarn zur Erfassung der jüdischen Bevölkerung und „Arisierung“ ihres Vermögens, 9. 1944 stv. Leiter des SS-Sondereinsatzkommandos Außenstelle Wien (Kontrolle über die in Wien und NÖ eingesetzten Zwangsarbeitslager für Juden). Allg. SS  : Untersturmführer 10. 9. 1939, Obersturmführer 20. 4. 1941, Hauptsturmführer 9. 11. 1942. Gest. 4.2. 1947 in Wien (hingerichtet). Quellen  : BArch (ehem. BDC), RS  ; WStLA/GAW, Zl. 50.899, 246.207  ; Fedorovič (2003). Smirtschek, Hans (= Hannes/Hans Hauch) Geb. 24. 5. 1908 in Hagg, NÖ, röm.-kath, tschechoslowakischer Staatsbürger. Vater Stadtgarteninspektor. Volks-, Bürger- und Handelsschule in Wien. 1929–1930 Militärdienst in der Tschechoslowakei. Berufsangabe  : Handelsangesteller, ab 9. 1932 arbeitslos, nach 1938  : SSF. Heirat 1934, 4 Kinder. 1923 DNSAJ. 1927 HJ. 1928 NSDAP, Pg.-Nr. 82.412. 1931 SS, Nr. 7.234. 1931–1932 Ausbildner des Lehrsturms d. 11. SS-Standarte, 1932 b.m.d.F. d. Sturms 3/1/11., 1933 b.m.d.F. d. Sturms 2/1/11. Ab 1929 mehrere politische Strafen, 1933 ca. 3 Wochen Untersuchungshaft. Abschaffung aus Österreich. 7. 1934 nach Deutschland, 12.9135 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1938  : Lechfeld, HWL Dachau. Beteiligt am „Röhm-Putsch“. F. des SS-Kommandos Dachau im Lager des FHW Veddel b. Hamburg. 1938 Rückkehr nach Österreich. Allg. SS (hauptamtlich)  : 6. 1938 94. SS-Standarte (Leoben), ab 2. 1939 F. d. Sturmbanns II/37. SS-Standarte (Linz). Wehrmacht  : ab 10. 1939, 11. 1939–12. 1941 an der Front, danach im Kriegsministerium. Allg. SS  : Untersturm­ führer 30. 1. 1933, Obersturmführer 12. 8. 1934, Hauptsturmführer 9. 11. 1936, Sturmbannführer 30.1. 1943. Wehrmacht (Reserve)  : Oberleutnant. Quellen  : BArch (ehem. BDC), PK  ; WStLA/GAW, Zl. 7.234  ; LGfS Wien I Vr 5356/33.

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Stadler, Anton Geb. 6. 3. 1909 in Wangen, Dtld., evang. Volksschule, Spenglerlehre. Berufsangabe  : Kunstspenglergehilfe, seit 1932 arbeitslos, nach 1933  : SS-Wachmann. 1925–1926 DNSAJ. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 685.016. 1931 SS, Nr. 19.612. 1933  : 3 Wochen Arrest. 8. 1933 nach Deutschland, 11. 1934 Ausbürgerung, 12. 1934 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1936  : HWL Dachau, Ranis. 1. 1936  : Entlassung in den Zivilberuf  : Bauleitung Rotenburg/Hannover. 1936–1938 (nebenamtlich)  : 88. SS-Standarte (Bremen), 55. SS-Standarte (Verden). 1938 Rückkehr nach Österreich. Allg. SS  : 1938 11. SS-Standarte. Waffen-SS  : 1940 12. SS-Totenkopf-Verband (Posen), 15. SS-Totenkopf-Verband (Płock), 1940 SS-TotenkopfWachbataillon Oranienburg. 1941  : Kommandanturstab des SS-Truppenübungsplatzes Dubica, sp. 1945 16. SS-Panzergrenadierdivision RFSS. Allg. SS  : Oberscharführer. Waffen-SS: Oberscharführer. Quellen  : WStLA/GAW, Zl. 9.288, 9.032  ; M.Abt. 116, A 37. Stigler, Ludwig Geb. 27. 5. 1906 in Bozen, röm.-kath. Vater Universitätsprofessor. Matura. Studium der Architektur, Diplomingenieur. Berufsangabe  : Architekt. Heirat 1939. Deutsche Wehr, Studentenfreikorps der Heimwehr, Bund Oberland. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 685.631.  1932 SS, Nr. 37.529. 1933 b.m.d.F. d. Sturms 2/111/11. 1933  : 6 Monate Untersuchungshaft und schwerer Kerker. 1933–1935 F. im ND der SS. 1935 Deutschland.  4. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft.  1935–1939  : HWL Dachau, Stammabt. Ost (Berlin), Bezirk 5, 6. SS-Standarte (nebenamtlich). Architekt der Deutschen Arbeitsfront. Wehrmacht   : ab 12. 1939. Allg. SS  : Untersturmführer 20. 4. 1935, Obersturmführer 20. 4. 1937. Wehrmacht  : Oberleutnant. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  : Ludwig Stigler, Franz Maxa, Richard Kaaserer  ; WStLA/ GAW, Zl. 52.556. Thajer, Hans Geb. 25. 7. 1911 in Wien. Vater Oberoffizial der Polizeidirektion Wien. Volks-, Bürger- und Fachschule (Buchbinderei). Berufsangaben  : Buchbindergehilfe, Polizeihilfskraft, ab 11. 1932 arbeitslos. Heirat ca. 1937. 1931 NSDAP, Pg.-Nr. 689.878. SS vor 1933, keine SS-Nummer ermittelbar. 1933 Anschlag auf das Juweliergeschäft Futterweit. 1933 zu 4 Jahren schweren Kerkers verurteilt, nach Verbüßung von zwei Dritteln der Haftzeit in der Strafanstalt Stein entlassen. 4. 1937 nach Deutschland. 1937–1938 Ranis, Sachbearbeiter im FHW Berlin. 1938 Rückkehr nach Wien. Kanzleibeamter der Reichsstatthalterei. Gest. 1990 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), PK  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37. Tüchler, Franz Geb. 4. 6. 1905 in Wien, röm.-kath. Vater Schuhmachermeister. Volks-, Bürger- und Gewerbeschule. Berufsangabe  : Mechanikergeselle, 1926–1928 arbeitslos, Hilfsarbeiter, Schlosser, Wachmann im „Adolf-Hitler-Haus“, nach 1938 Angestellter. Verheiratet, 2 Kinder.

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1919–1922 SDAP (Sozialistische Arbeiterjugend). 1925–1926 HJ. 1926–1931 SA. 1929 (auch 1926 und 1928) NSDAP, Pg.-Nr. 83.262. 1931 SS, Nr. 8.847. 1933–1936  : 2 Monate Untersuchungshaft, 15½ Monate Anhaltung. 7. 1936 nach Deutschland. 1936–1938  : b. Stab SS-Sammelstelle, Angestellter b. FHW. 1938 Rückkehr nach Wien. Blutorden. Allg. SS  : 1938 b. Stab Abschnitt XXXI (Wien), Stammabt. 11, 1939 Nachrichtensturmbann 14 (Wien), ab 1942 b. Stab Oa Ost. Allg. SS  : Untersturmführer 9.11. 1935. Waffen-SS  : Sturmmann. Gest. 1971 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; WStLA, M.Abt. 116, A 37  ; LGfS Wien I, Vr 4343/33. Turza, Walter Geb. 4. 8.1890 in Olbersdorf, Österreichisch-Schlesien, röm.-kath. Vater Beamter. Volks- und Bürgerschule. Technikum. Berufsangaben  : Elektrotechniker, Geschäftsinhaber, arbeitslos, nach 1938  : SSF. Heirat 1920, 1 Kind. 1911–1913 k.u.k. Armee. Erster Weltkrieg  : 1914–1918 Elektrosappeur, russische und italienische Front, abgerüstet als Zugführer. 1924 DNSAP. 1925–1929 SA. 1926–1932 NSDAP, Pg.Nr. 51.282. 1930–1932 SS, Nr. 1.746. 1937 NSDAP, SS. 1930 F. des SS-Sturms 77, 1931 Führung des Sturmbanns Wien, 1931 b.m.d.F. d. 11. SS-Standarte und Verwaltungsführer der 38. SS-Standarte (Graz), 6. 1932 Stabsführer des SS-Abschnitts VIII, 9. 1932 abgesetzt, Hilfskraft im Abschnitt VIII, 11. 1932 aus SS und NSDAP ausgeschlossen. 1937 Wiederaufnahme in die SS und Partei. 12. 1937 nach Deutschland, Anstellung in einem Ingenieurbüro. „Arisierung“ von Liegenschaften in Oberhausen und Weidlingau. Allg. SS (ab 1938 hauptamtlich)  : 1937 OaD, 5. 1938 b.m.d.F. d. Sturmbanns 11/11., 12. 1938 OaD  : Inspekteur der Stammabt., stv. F. der 18. SS-Reiterstandarte (Wien), 1. 1944 zusätzlich mit der Vertretung der Führung der 11. und 89. SS-Standarte betraut, 7. 1944 F. d. 89. SS-Standarte. Allg. SS  : Sturmführer 28.4. 1930, Sturmbannführer 1. 3. 1931, Standartenführer 19. 6. 1931, Untersturmführer 12. 9. 1937, Hauptsturmführer 14. 3. 1938, Sturmbannführer 11. 9. 1938, Standartenführer 1. 9. 1938, Oberführer 24. 4. 1944. Gest. 8. 2. 1961 in Bad Ischl. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, PK, OPG-NA  ; WStLA/GAW, Zl.  87.942, 89.659, 273.860  ; Preradovic (1987), S. 281–285. Urban, Karl Heinz Geb. 17. 10. 1901 in Wien, evang. Vater Tischlermeister. Volks- und Bürger- und Gewerbeschule, Ausbildung zum Drogisten und Seifensieder. Berufsangabe  : Drogist, 1915–1934  : Angestellter und Leiter eines kosmetischen Laboratoriums, 1. 1935 arbeitslos Heirat 1938, 3 Kinder. 1921–1927 DNSAP, 1921–1927 Ordnertrupp, SA. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 300.668. 1930–1931 P.O.  : Blockwart, Sprengelleiter. 1931 SS, Nr. 17.113. 1931 F. eines Trupps, ca. 1931 b.m.F. eines Sturms d. 11. SS-Standarte, 1932 F. d. SS-Sturms 2/11/11., 1933 F. d. Sturmbanns 111/11., 1. 2. 1935 F. d. 11. SS-Standarte, 11. 1937 F. d. 9. SS-Standarte (Baden b. Wien). 1933–1938  : 8 Wochen Untersuchungshaft, 3 Monate Kerkerstrafe, ca. 8 Monate Anhaltelager, nach 1938  : Wiedergutmachung von RM 2.000,–. Allg. SS  : ab 6. 1938 (hauptamtlich)  : b.m.d.F. d. 89. SS-Standarte, 1.12. 1938  : b.m.d.F. d. 99. SS-Standarte (Znaim). 1940 Blutorden. Waffen-SS  : 2. 1942  : SS-Infanterie-Bataillon Ost, 1. 1943  : Kommandostab RFSS, 2. SS-Infanterie-Brigade, 12. 1943  : 4. SS-Freiwilligen-Panzer-Grenadier-Division „Nord“, 12. 1943  : SS-Panzerjäger-

Kurzbiografien

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Ausbildungs- und Ersatz-Abteilung 1. Allg. SS  : Sturmführer 30. 1. 1933, Obersturmführer 9. 9. 1934, Hauptsturmführer 7. 3. 1936, Sturmbannführer 9. 11. 1937, Obersturmbannführer 30. 6. 1939. Waffen-SS (Reserveführer)  : Untersturmführer 9. 9. 1942, Obersturmführer 4. 1. 1944. Gest. 1991 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; ÖSTA/GA, Zl. 247.522  ; WStLA/GAW, Zl. 89.657, 136.889, 273.855. Veigl, Franz Geb. 9. 5. 1906 in Moosbrunn, NÖ, röm.-kath. Vater Magazineur. Volks- und Bürgerschule, Taschnerlehre. Berufsangaben  : Taschner, Chauffeur, lange Zeit arbeitslos, 2. 1933 Magazineur in einer Pfandleihe, 6. 1933 entlassen, 15 Monate arbeitslos, bis zum „Anschluss“ Hilfskraft, nach 1938  : Angestellter bei der Vermögensverkehrsstelle. 1928 NSDAP, Pg.-Nr. 83.598. 1928 SA. 1931 SS, Nr. 5.052. 1933–1938  : 3 Mal in Untersuchungshaft. 1934–1935 Verwaltungsführer des Sturmbanns 11/11., 1935–1938  : Verwaltungsführer d. 11. SS-Standarte, 1938–1940  : hauptamtlicher Referent der 11. SS-Standarte. Waffen-SS  : 2.–8. 1940 Ausbildung beim Regiment „Der F.“ der SS-Division „Das Reich“. 9. 1940  : Volksdeutsche Mittelstelle Kattowitz, Einsatzverwaltung Gau Oberschlesien (Leiter der Personalabteilung und Reisekostenabrechnungen), ab 11.  1942  : F. im Stab der Volksdeutschen Mittelstelle. Allg. SS  : Untersturmführer 19. 10. 1934, Obersturmführer 9. 11. 1937, Hauptsturmführer 9. 11. 1941. Waffen-SS (Reserve)  : Unterscharführer. Gest. 1989 in Wien. Quelle  : BArch (ehem. BDC), SSO. Wächter, Otto Gustav Geb. 8. 7. 1901 in Wien, röm.-kath. Vater Heeresminister a.D. Matura. Studium der Rechtswissenschaften. Promotion Dr. jur. 1924. Berufsangabe  : Rechtsanwalt. Heirat 1932, 6 Kinder. 1919 Deutsche Wehr. 1923 SA. 1923 DNSAP. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 301.093. P.O.  : Block-, Zellen- und Gauamtsleiter (Abt. II Staatsaufbau), Hauptamtsleiter der LL Österreich. 1932 SS, Nr. 235.338. 1932 Rechtsreferent der 11. SS-Standarte. 1933–1934 Stellvertreter von Landesinspekteur Habicht in Österreich. 1934 Juliputsch. 8. 1934 nach Deutschland. 9. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1934–1936 SS-Sammelstelle, Leiter des Rechtsamtes des FHW, 9. 1936 beurlaubt zum SD-HA, 2. 1937 SS-Sammelstelle. 1938 Rückkehr nach Wien. Ab 6. 1938 (nebenamtlich)  : bei Stab d. OaD, ab 10. 1942 b. Stab Oa Ost, ab 12. 1944 Stab RFSS. 5. 1938 Staatskommissar für besondere Verwaltungsangelegenheiten (Abt. II) beim Amt des Reichsstatthalters in Österreich, 11. 1939 Chef des Distrikts Krakau, 1. 1942 Gouverneur des Distrikts Galizien und Oberbereichsleiter des Distriktstandortführers der NSDAP in Galizien, 1944 Chef der Militärverwaltung des bevollmächtigten Generals der deutschen Wehrmacht in Italien und Höchster SS- und Polizei-F. Heeresgruppe B. Allg. SS  : Untersturmführer 10. 3. 1935, Obersturmführer 1. 6. 1935, Obersturmbannführer (direkt befördert) 30. 1. 1937, Standartenführer 30. 1. 1938, Oberführer 9. 11. 1938, Brigadeführer 9. 11. 1939, Gruppenführer 16. 5. 1944. Gest. 1949 in Rom. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; ÖSTA/GA, Zl.  130.802  ; WStLA/GAW, Zl.  228.521  ; Preradovich (2008), S. 128–137.

606

Anhang

Weigensamer, Ernst Geb. 19. 10. 1903 in Wien, röm.-kath. Vater Kunstglasermeister. Volks- und Bürgerschule. Marine-Maschinenbauschule in Pola, Glasergeselle, ab 2. 1932 arbeitslos, nach 1938  : kommissarischer Verwalter, Mitinhaber eines Delikatessengeschäftes. Heirat 1929. Militärisches Knabenfort und Jungschützen. 1920 Freikorps Roßbach. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 362.278. 1930 SS, Nr. 5.051.  1931 F. der motorisierten Verbindungsschar. 1932 F. des Motorsturms 11/11. Standarte. 7. 1934 F. des Sturms 8/11/11. 1933–1938  : 7 Wochen Untersuchungshaft, bis 1938 zahlreiche Verhaftungen. Nach 1938  : 89. SS-Standarte, Stammabteilung 11 (ehrenamtlich), 3. 1939 Fahnenjunker im Nachrichtensturmbann 14 (Wien). Waffen-SS  : 1940 Führer-Anwärterlehrgang der SS-Totenkopf-Nachrichten-Ersatz-Abteilung Nürnberg ohne Abschluss, u.k. gestellt. Allg. SS  : Untersturmführer 9. 11. 1934, Obersturmführer 12. 9. 1937. Gest. 1961 in Wien. BArch (ehem. BDC), SSO, RS  ; Felber/Melichar/Priller/Unfried/Weber (2003), S. 635. Weilguny, Franz Geb. 16. 8. 1903 in Wien, evang. Vater Kaufmann. Handelsakademie. Matura. Berufsangabe  : Kaufmann (Beamter in der Oesterreichischen Nationalbank), nach 1938  : Reichsbankrat, SSF. 1. Heirat 1926, Scheidung, 2. Heirat, 5 Kinder. 1922 DNSAP. 1923 SA. 1927 NSDAP, Pg.-Nr. 53.774. 1927–1930 P.O.  : Ortsgruppen-Kassenwart. 1930 SS, Nr. 2.390. 1930 GV d. SS-Sturms 77, 1931 Sturmbann-GV, GV der 11. und 38. SS-Standarte, GV des Abschnitts VIII, 1932 z.b.V. des RFSS (VA-SS). 21. 1. 1933 aus SS ausgeschlossen. 1934–1938  : NSBO-Vertrauensmann. 1. 9. 1938 Wiederaufnahme in die SS. 10. 1938 Stab des SS-Abschnitts XXXVI (Innsbruck), 12. 1938 Stab des OaD, ca. 1939  : Volksdeutsche Mittelstelle Kattowitz (Abt. Umsiedlung) Einsatzverwaltungsführer für den Gau Schlesien. 1941 Waffen-SS, SS-Wirtschafts- und Verwaltungs-HA. 5. 1944  : Beauftragter für die Schädlingsbekämpfung für den Bereich des HSSPF Donau. Allg. SS  : Sturmführer 1. 4. 1931, Sturmhauptführer 1. 10. 1931, Sturmbannführer 21. 10. 1932, Obersturmbannführer 11. 9. 1938, Standartenführer 9. 11. 1941. Waffen-SS (Reserve)  : Schütze. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; ÖSTA/GA, Zl.  49.029  ; WStLA/GAW, Zl.  140.747, 214.468  ; Volksgerichtsverfahren Vr 5212/47  ; Preradovich (2008), S. 327f. Weitzdörfer, Heinrich Geb. 10. 2. 1906 in Wien, röm.-kath. Vater Oberrechnungsrat des Postsparkassenamtes. Handelsakademie. Berufsangabe  : Kaufmann in der Bundeskrankenkasse, 1. 1934 entlassen. Heirat 1933, 4 Kinder. 1923 SA. 1926 NSDAP, Pg.-Nr. 51.286, SS 12. 1929 oder 2. 1930, Nr. 2.259. 1930 Gruppenführer im SS-Sturm 77, 1931 F. des Sturms 2/1/11, 1932  : F. im Stab des SS-Abschnitts VIII, 12. 1932 überstellt zur 52. SS-Standarte. 1933–1934  : 3 Wochen Untersuchungshaft und 4 Tage Arrest, 14 Hausdurchsuchungen. 11. 1934 nach Deutschland. 12. 1934 deutsche Reichsbürgerschaft. Ab 1934 (hauptamtlich)  : HWL Dachau. Waffen-SS  : 7 Monate Ausbildung II/SS 1 und II/SS  2. Allg. SS  : 1936 b. St. SS-Sammelstelle, 11. 1936 vertretungsweise Führung des I/19.

Kurzbiografien

607

SS-Standarte (Münster), ab 1.6. 1937 Referent Oa Rhein, ab 1939 Fürsorgereferent Oa Rhein. Waffen-SS  : Ergänzungsstelle Weichsel der Waffen-SS. Allg. SS  : Untersturmführer 21. 2. 1932, Obersturmführer 9. 11. 1933, Hauptsturmführer 1.7. 1937. Waffen-SS (Reserve)  : Scharführer. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO  ; ÖSTA/GA, Zl. 173.493. Ziegler, Anton Geb. 9. 12.1897 in Wien, röm.-kath. Volks-, Bürger- und Fachschule (Elektrotechniker). Berufsangaben  : Elektrotechniker, Archivar, Skontist, nach 1938  : Betriebsführer. Heirat 1921, 1 Kind. Erster Weltkrieg  : 1915–1918, abgerüstet als Korporal. 1918–1919 Volkswehr. 1926 HJ. 1927 NSDAP, Pg.-Nr. 54.891. 1927–1930 P.O.  : Blockwart, Zellenleiter, Ortsgruppenleiter. 8. 1929 SA. 5. 1930–5. 1933 SS, Nr. 2.658. 5. 1933–10. 1938 SA. 10. 1938–1945 SS. 3. 1931 Adjutant des Sturmbanns 1/11., 8. 1931 F. des Sturmbanns 1/11., 6. 1932 b.m.d.F. d. 11. SS-Standarte. 11. 1932 b.m.d.W.d.G. des Motorstaffelführers, 12. 1932 F. der Motorstaffel. 5. 1933 Übertritt zur SA, Inspektor der SA-Untergruppe Wien, F. d. 99. SA-Standarte. 7. 1933 nach Deutschland, 9. 1934 Ausbürgerung, deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1937 Österreichische Legion/ HWNW  : Verwaltungsführer des Lagers Wöllershof, Lagerführer in Reichersbeuern, BadAibling, Mönchröden und Bad Godesberg, Leiter des HJ-Lagers Hochland. 12. 1937 dauerhaft beurlaubt, 13. 3. 1938-24.4. 1938 wieder im Aktivstand der Österreichischen Legion. 10. 1938 Wiederaufnahme in die SS. Rückkehr nach Wien. „Arisierung“  : Firma Lourie & Co. (Hartholzfabrik), Danubius GesmbH. in Wien und Windischgarsten. 1938–1945 (nebenamtlich)  : SS-Abschnitt XXXI (Wien), ab 6. 1943  : Stabskompanie der Waffen-SS beim Hauptamt der Volksdeutschen Mittelstelle. Allg. SS  : Sturmführer 31. 3. 1931, Sturmbannführer 8. 1931, Obersturmbannführer 1. 10. 1938. Gest. 1990 in Wien. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO, SA, PK  ; SSO  : Josef Fitzthum  ; WStLA/GAW, Zl. 812  ; M.Abt. 116, A 37  ; Felber/Melichar/Priller/Unfried/Weber (2003), S. 635f. Ziegler, Hans (= Huber, Hans) Geb. 11. 12. 1906 in Unter-Dürnbach, NÖ, röm.-kath. Vater ÖBB-Angestellter. Volksschule, Schuhmacherlehre, Besuch der gewerblichen Fortbildungsschule (ohne Abschluss). Berufsangaben  : Schuhmachergeselle, Hilfsarbeiter, arbeitslos, Transportarbeiter, ab 1932 erneut arbeitslos, nach 1938  : Werkschutzführer. Heirat 1930, 2 Kinder. 1925 DNSAP. 1925–1929 Bund Oberland. 1926–1930 NSDAJ. 1930 NSDAP, Pg.-Nr. 117.183. 2. 1930 SA. 10. 1930 SS, Nr. 4.389. 1932 F. des Trupps 1 im Sturm 1/111/11. 1933 Anschlag auf das Café Produktenbörse. 6. 1933 nach Deutschland, 9. 1933 Ausbürgerung, 1. 1935 deutsche Reichsbürgerschaft. 1933–1935  : KZ Dachau, Lechfeld, HWL Dachau, Stab d. SS-Sammelstelle, 1935–1936 F. vom Dienst im Flüchtlingsüberprüfungslager Graßlfing, 1936–1938 Wachführer der Flugwache Bad Aibling, Grenz- und Wacheinheit Bad Aibling, F. des Sturms 4 d. 34. SSStandarte (München). 1938 Rückkehr nach Österreich, 1939 F. des Sturms 1 der 94. SS-Standarte (Leoben), ab 1939  : Werkschutzführer der Alpine Montangesellschaft Donawitz. Allg. SS  : Untersturmführer 9. 11. 1935, Obersturmführer 20.4. 1937, Hauptsturmführer 9. 11. 1940. Quellen  : BArch (ehem. BDC), SSO Hans Huber (= Hans Ziegler)  ; ÖSTA/GA, Zl. 273.363  ; WStLA/GAW, Zl. 28.295  ; M.Abt. 116, A 37.

608

Satzungen des Vaterländischen Schutzbundes 2546

2546 ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

Anhang

Dienstgradverzeichnis und Rangabzeichen ab 28. November 1931

609

Dienstgradverzeichnis und Rangabzeichen ab 28. November 19312547 Dienstgrad

Dienstgradabzeichen

Chef des Stabes

Goldener Stern mit Eichenkranz, Goldschnur um Kragen, Spiegel, Mützenaufschlag und -deckel

Obergruppenführer

Goldenes dreiblättriges Eichenlaub, Goldschnur um Kragen, Spiegel, Mützenaufschlag und -deckel

Gruppenführer

Silbernes dreiblättriges Eichenlaub, Silberschnur um Kragen, Spiegel, Mützenaufschlag und -deckel

Oberführer

Goldenes bzw. silbernes zweiblättriges Eichenlaub, Gold- bezw. Silberschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel (Gruppenstabsführer auch um Mützenaufschlag)

Standartenführer

Goldenes bzw. silbernes Eichenlaub auf linkem Spiegel (Standartenführer als Untergruppenführer sowie bei höheren Stäben auf beiden), Gold- bezw. Silberschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Sturmbannführer

4 Gold- bezw. Silbersterne auf linkem Spiegel, Gold- bezw. Silberschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Sturmführer

3 Gold- bezw. Silbersterne auf linkem Spiegel, Zweifarbenschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Truppführer

2 Gold- bezw. Silbersterne auf linkem Spiegel, Zweifarbenschnur um Kragen

Scharführer

1 Gold- bezw. Silberstern auf linkem Spiegel, Zweifarbenschnur um Kragen

Reichsarzt

Gruppenführer

Goldenes dreiblättriges Eichenlaub, goldener Äskulapstab an den äußeren Seiten der Spiegel, Goldschnur um Kragen, Spiegel, Mützendeckel und -aufschlag

Gruppenarzt Oberarzt

Oberführer

Goldenes zweiblättriges Eichenlaub auf linkem, goldener Äskulapstab auf rechtem Spiegel, Goldschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Oberapotheker

Oberführer

Goldenes zweiblättriges Eichenlaub auf linkem, goldenes „A“ auf rechtem Spiegel, Goldschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel Goldenes Eichenlaub auf linkem, goldener Äskulapstab auf rechtem Spiegel, Goldschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Standartenarzt

Sturmbannarzt

Ebs.

Apotheker

Sturmbannführer

Ebs., nur auf rechtem Spiegel an Stelle des Äskulapstabs goldenes „A“

Gruppengeldverwalter

Standartenführer

Silbernes Lorbeerblatt auf beiden Spiegeln, Silberschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Reichszeugmeister Untergruppengeldverwalter Zeugmeister

Gezacktes goldenes Blatt auf beiden Spiegeln, Goldschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel Standartenführer

Goldenes bzw. silbernes Lorbeerblatt auf linkem Spiegel, Goldbezw. Silberschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel Gezacktes goldenes Blatt auf linkem Spiegel, „ZM“ auf rechtem Spiegel, Goldschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

2547 Der Oberste SA-Führer, Erlaß Nr. 4 v. 28. 11. 1931, ÖSTA/AdR, BKA-I, NS-Parteistellen, Kt. 19.

610

Anhang

Dienstgrad

Dienstgradabzeichen

Standartengeldverwalter

Sturmbannführer

4 goldene bezw. silberne Dreiecksterne auf linkem Spiegel, Gold- bezw. Silberschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Sturmbanngeldverwalter

Sturmführer

3 goldene bezw. silberne Dreiecksterne auf linkem Spiegel, Zweifarbenschnur um Kragen, Spiegel und Mützendeckel

Sturmgeldverwalter

Truppführer

2 goldene bezw. silberne Dreiecksterne auf linkem Spiegel, Zweifarbenschnur um Kragen

Angehörige der Zeugmeisterei

Abzeichen der SA- bezw. SS-Dienstgrade auf dem rechten Spiegel, Umrandung von Kragen, Spiegel und Mützendeckel entsprechend diesem Dienstgrad  ; karminrote Schnur

Organigramm der Gauleitung Wien der NSDAP 1932/1933 Hauptabteilung I  : Leitung Ia

Gauleiter

Alfred Eduard Frauenfeld

Ib

Gauinspekteur

Josef Neumann

Ic

Gaugeschäftsführer

Erwin Schaffar

Abteilungsleiter IIa

Gauschatzmeister

Herbert Hruban

Abteilungsleiter IIb

Gau-Standesführer

Johann Hölzl

Hauptabteilung III  : Organisation und Parteiaufbau

Leitung

Dr. Herbert Zuchristian

Hauptabteilung II  : Kassenverwaltung

Abteilung IIIA/a

Ing. Franz Petrak

Abteilung IIIA/b

Wolfgang Scholz

Wohlfahrtsreferent Abteilung IIIB/b

Dr. Robert Schmied Kommunal-Politik

Eduard Frauenfeld

Hauptabteilung IV  : Wirtschafts-Politik

Eduard Frauenfeld

Hauptabteilung V  : Landwirtschaft

Dr. Kurt Hanke

Hauptabteilung VI  : Betriebszellen

Erich Priemer

Hauptabteilung VII  : Werbung

Karl Wagner

Abteilung VIIa

Egon Kott

Abteilung VIIb

Josef Binder

Abteilung VIIc

Georg Schwab

Abteilung VIIP

Hans Nowak

N.S. Filmstelle

Fritz Hofbauer

Hauptabteilung VIII. Untersuchungs- und SchlichtungsAusschuss

Dr. Walter Ilz

Stärkestand des SS-Oberabschnitts Oesterreich, Stand vom 29. April 1938

611

Stärkestand des Führerkorps des HWL Dachau bzw. der SS-Sammelstelle 1934

1935

1936

1937

 1

 1

 1

 1

Standartenführer

 1

 2

 1

Obersturmbannführer

 1

Gruppenführer Oberführer

 3

Sturmbannführer

 1

 3

 8

Hauptsturmführer

 3

 4

 8

 5  8

Obersturmführer

12

11

19

20

Untersturmführer

14

39

48

49

GESAMT

31

60

86

87

Stärkestand des SS-Oberabschnitts Oesterreich, Stand vom 29. April 19382548 2549 2550

SS-Abschnitt VIII Stab

Linz 15

37. SS-Standarte

1.891

52. SS-Standarte

1.781

SS-Abschnitt XXXI Stab

Linz Krems Wien

7

11. SS-Standarte

1.318

89. SS-Standarte

1.388

Wien

Standarte Wiener Neustadt (neu)2549

1.337

Wiener Neustadt

SS-Abschnitt XXXV Stab

Graz 10

38. SS-Standarte

1.100

90. SS-Standarte

700

Standarte Leoben (neu)2550

Leoben Innsbruck

16

76. SS-Standarte

802

87. SS-Standarte

1.237

GESAMT

Graz Klagenfurt

1.000

SS-Abschnitt XXXVI Stab

Wien

Salzburg Innsbruck

12.602

2548 BArch/NS 33, Zl. 182. 2549 Die Standarte wurde nicht aufgestellt, sondern als Sturmbann II der 89. Standarte eingegliedert. Die drei Sturmbanne waren somit aufgeteilt auf Wien (I/89.), Niederösterreich (II/89.) und das nördliche Burgenland (III/89.). Die Sturmbanne II und III umfassten das Gebiet der ehemaligen 9. SSStandarte, die in der Illegalität aufgestellt worden war, SS-Oberabschnitt Österreich an den Chef des SS-HA v. 12. 5. 1938, BArch/NS 33, Zl. 182. 2550 Sie erhielt die Nummer 94.

612

Anhang

Die Führer der 11. SS-Standarte 1931–1945 19.06. 1931

00.06. 1932

Walter TURZA

00.06. 1932

09.09. 1932

Anton ZIEGLER

09.09. 1932

23.08. 1933

Josef FITZTHUM

13.06. 1933

24.06. 1933

Karl PICHL

in Vertretung

24.06. 1933

23.08. 1933

Hubert KÖLBLINGER

in Vertretung

23.08. 1933

10.04. 1934

Georg HOF

25.04. 1934

00.07. 1934

Hubert KÖLBLINGER

10.08. 1934

09.11. 1934

Hans MUßIL

09.11. 1934

15.02. 1937

Karl-Heinz URBAN

16.02. 1937

01.05. 1938

Max PLOBNER

01.05. 1938

01.11. 1938

Leopold KÖBERL

01.11. 1938

00.00. 1940

Helmut BREYMANN

00.00. 1940

31.01. 1944

Otto WINTER

in Vertretung

Walter TURZA

in Vertretung

01.03. 1944

Quellen und Literatur

1. Ungedruckte Quellen Archiv des Parlaments Gauarchiv Wien Archiv der Bundespolizeidirektion NS-Akten Bildarchiv Bundesarchiv Berlin (BArch) NS 3 SS-Wirtschafts-Verwaltungshauptamt NS 6 Partei-Kanzlei der NSDAP NS 19 Persönlicher Stab Reichsführer-SS NS 23 Sturmabteilungen NS 26 NSDAP-Hauptamt NS 33 SS-Führungshauptamt NS 34 SS-Personalhauptamt NS 43 Außenpolitisches Amt der NSDAP NS 45 Parteidienststellen der NSDAP außerhalb des Gebietes der BRD NS 51 Kanzlei des Führers der NSDAP (Dienststelle Bouhler) R 43II Reichskanzlei R 187 Sammlung Schumacher R 3001 Reichsjustizministerium Berlin Document Center (BDC) SS-Listen A 1–A 23 Diversa-Akten (DS) Alois Bernwieser (Reichsstatthalterei Bayern, B 50) MF-Rolle DS/J 35 Oberstes Parteigericht (OPG) Herbert Obwurzer (G 141) Oberstes Parteigericht-Nachtrag (OPG-NA) Rudolf Allram (A 1), Ernst Happach (A 20), Walter Turza (A 60)

614

Quellen und Literatur

SA-Personalakten Viktor Band (20), Günther Mark-Traisenthal (D 274), Alfred Posch (110b), Anton Ziegler (D 298, B 345) SS-Mannschaftsakten (SM) Friedrich Angerbauer (A 17), Anton Behmer (A 66), Johann Braidt (B 39), Hans Breinreich (B 50), Johann Kropetz (K 29), Arthur Löffler (L 45), Oskar Riesenhuber (P 124) SS-Offiziersakten (SSO) Willibald Akamphuber (10), Rudolf Ammersin (13), Leopold Anderka (13), Franz Augsberger (20), Georg Aumeier (21), Ernst Bach (23), Hermann Baierlein (30), Bernhard Bartelt (34), Alfred Baubin (=  Alfred Keller) (39), Hans Bauer (40), Otto Bayer (46), Alois Bazalka (46), Paul Bazelt (46), Otto Begus (52), Josef Benitzky (56), Alfred Bigler (69), August Theodor Blaha (74), Friedrich Blaha (74), Theodor Blahut (74), Hanns Blaschke (75), Gottlieb Blecha (75), Helmut Breymann (106), Herbert Burgstaller (122), Franz Buschta (124), Josef Ditmar (155), Anton Doblreiter (157), Franz Dworschak (166), Karl Dworschak (166), Felix Fahnl (195), Alfred Fasching (197), Hanns Feil (200), Ernst Fick (204), Walter Firlich (207), Josef Fitzthum (210, 211), Franz Fröhlich (227), Rudolf Fröhlich (227), Josef Ginthör (14a), Fridolin Glass (=  Kurt Merkmann) (16a), Maximilian Görtler (19a), Amon Göth (20a), Josef Goliasch (22a), Heinrich Gradl (26a), Walter Graeschke (26a), Roman Greylinger (31a), Johann Grießler (32a), Karl Franz Grimme (32a), Franz Grondinger (34a), Konrad Großberger (37a), Franz Gruber (39a), Franz Haas (46a), Friedrich Habacht (46a), Jakob Hanreich (61a), Franz Hansmann (62a), Otto Hansmann (62a), Ernst Happach (= Hans Pernreiter) (62a), Richard Heberlein (72a), Friedrich Herzig (93a), August Herzog (93a), Friedrich Höng (104a), Georg Hof (105a), Anton Horak (116a), Herbert Hranitzky (118a), Adolf Hrubesch (118a), Hans Huber (= Hans Ziegler) (118a), Richard Kaaserer (145a), Viktor Gerold Kaspar (156a), Hubert Kern (164a), Rudolf Klenert (176a), Leopold Köberl (190a), Hubert Kölblinger (191a), Wilhelm Koppe (200a), Heinz Korb (200a), Hugo Kurtner (= Hugo Kary) (232a), Rudolf Laager (234a), Franz Lang (=  Boris Plachetka) (238a), Franz Langauer (239a), Franz Lapitza (243a), Hans Lederer (249a), Adolf Leibezeder (252a), Josef Lindthaler (265a), Friedrich Löffler (271a), Gustav Lorenz (276a), Herbert Lusum (285a), Franz Maxa (301, 302), Franz Mazanek (304a), Julius Meerganz-Medeazza (305a), Hugo Meixner (= Gustav Rieger) (307a), Johann Muschik (341a), Hans Mußil (342a), Franz Nebenführ (345a), Günther Neicke (345a), Johann Orasche (258a), Walter Ott (361a), Robert Pavlu (367a), Max Peschke (370a), Julius Pfaffenmayer (374a), Carl (von) Pichl (379a), Karl Pichl (379a), Emil Talbot Pistor (381a), Michael Pistor (381a), Max Plobner (384a), Johann Pöttinger (386a), Josef Pötzl (386a), Alfred Proksch (394a), Johann Proksch (394a), Herbert Ranfft (6b), Karl Regnemer (14b), Oskar Richter (28b), Alfred Rodenbücher (38b), Hans Röhrich (39b), Konrad Rotter (50b), Karl Rubatscher (51b), Franz Rudischer (51b), Thomas Schabel (64b), Josef Schachl (64b), Wilhelm Scheffler (73b), Bruno Schuster (119b), Karl Schuster (119b), Otto Sild (137b), Otto Somann (142b), Hans Spitt (146b), Karl Spitt (146b), Sylvester Stadler (148b), Ludwig Stigler (161b), Horst Strathmann (164b), Karl Sypien (171b), Karl Taus (174b), Franz Tüchler (192b), Walter Turza (193b), Karl Heinz Urban (200b), Franz Veigl (203b), Oskar Völker (207b), Otto Gustav Wächter (213b), Ernst Weigensamer (228b), Franz Weilguny (228b), Heinrich Weitzdörfer (233b), Anton Ziegler (21c)

Quellen und Literatur

615

Akten des Rasse- und Siedlungsamtes (RS) Robert Bandera (A 207), Ernst Brückler (A 5222), Helmut Breymann (A 5192), Herbert Burgstaller (A 5307), Ernst Demmer (A 5448), Gabriel Dreger (B 18), Fritz Euler-Rolle (B 254), Josef Fitzthum (F 332), Karl Fitzthum (B 394), Rudolf Fröhlich (B 524), Herbert Gerbing (B 5121), Josef Ginthör (B 5170), Othmar Glatter (B 5182), Fritz Götzl (B 5232), Heinrich Gradl (B 5264), Walter Graeschke (B 5270), Max Grillmayr (B 5317), Richard Heberlein (C 122), Wilhelm Hofbauer (C 447), Julius John (C 5190), Raimund Kaufmann (C 5332), Johann Knögler (D 2), Mathias Knögler (D 2), Franz Kunze, Hugo Kurtner (= Hugo Kary) (D 444), Rudolf Laager (D 463), Alfred Lapitza, RS (D 536), Franz Lapitza (D 536), Friedrich Löffler (D 5130), Gustav Lorenz (D 5161), Karl Ludewig (D 5188), Alfred Mallinger (D 5326), Arnold Mark-Traisenthal (D 5349), Franz Maxa (D 5416), Julius Meerganz-Medeazza (D 5419), Robert Meißl (D 5445), Hugo Meixner (= Gustav Rieger) (D 5453), Walter Müller (E 165), Hans Mußil (E 197), Walter Nechvàtal (E 229), Hans Pernreiter (= Ernst Happach) (E 519), Josef Pertz (= Franz Bedenik) (E 522), Julius Pfaffenmayer (E 559), Karl Pichl (E 5032), Emil Talbot Pistor (E 5065), Michael Pistor (E 5065), Max Plobner (E 5085), Josef Pötzl (E 5103), Erwin Proksch (E 5186), Johann Proksch (E 5186), Hans Rahn (E 5247), Josef Reischauer (= Josef Reuschauer) (E 5363), Adolf Schittenhelm (F 332), Siegfried Seidl (F 5251), Otto Sild (F 5326), Josef Smutny (F 5356), Sylvester Stadler (A 137), Karl Sypien (G 146), Karl Heinz Urban (G 390), Karl Urf (G 393), Ernst Weigensamer (G 5059) Parteikorrespondenz (PK) Leopold Anderka (A 54), Emmerich Appenroth (A 72), Viktor Band (A 182), Robert Bandera (A 182), Kurt Barisani (A 188), Margarethe Barisani (A 188), Otto Begus (A 254), Otto Bersch (A 311), Theodor Blahut (A 364), Viktor Blahut (A 364), Rudolf Brunner (B 110), Günther Dertil (B 275), Hans Domes (B 355), Josef Domes (B 355), Anton Findenigg (C 188), Walter Firlich (C 195), Josef Fitzthum (C 223), Karl Fitzthum (C 223), Max Fitzthum (C 223), Norbert Fitzthum (C 223), Eduard Floch (C 236), Alfred Eduard Frauenfeld (C 280), Eduard Frauenfeld (C 280), Richard Frauenfeld (C 280), Anton Freilinger (C 285), Johann Freilinger, (C 285), Josef Freilinger (C 285), Franz Fröhlich (C 328), Max Führer (C 350), Walter Führer (C 350), Leander Gerzhofer (D 40), Othmar Glatter (D 66), Emma Gödel (D 87), Gustav Gödel (D 87), Friedrich Görtler (D 96), Amon Göth (D 98), Fritz Götzl (D 105), Karl Gratzenberger (D 149), Oskar Grazer (D 163), Max Grillmayr (D 173), Raimund Haintz (E 100), Franz Hansmann (D 370), Ernst Happach (= Hans Pernreiter) (D 372), Alfred Hotwagner (F 47), Marius Hutter (F 101), Walter Ilz (F 111), Erasmus Janwars (F 164), Robert Jatsch (F 168), Harald Kanz (F 270), Hellmuth Kanz (F 270), Hermann Kanz (F 270), Johann Knögler (G 67), Mathias Knögler (G 67), Emma Kölblinger (G 117), Hubert Kölblinger (G 117), Erich Körner (G 137), Ferdinand Langer (H 31), Hans Lederer (H 65), Walter Leubuscher (H 115), Arthur Löffler (H 182), Friedrich Löffler (H 182), Herbert Lusum (H 249), Franz Macfelda (H 260), Hans Leo Malleczek (H 358), Alfred Mallinger (H 358), Günther Mark-Traisenthal (R 51), Johann Matauschek (= Johann Matouschek) (H 406), Otto Matauschek (= Otto Matouschek) (H 406), Franz Maxa (I 1), Franz Mazanek (I 2), Hugo Meixner (= Gustav Rieger) (I 27), Hans Mußil (I 234), Leopoldine Mußil (I 234), Josef Neumann (I 286), Jo­sef Pertz (= Franz Bede-

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Quellen und Literatur

nik) ( J 31), Max Peschke ( J 34), Stefanie Peschke ( J 34), Max Plobner (I 234), Johann Proksch ( J 208), Friedrich Raduziner (= Friedrich Oberhofer) ( J 252), Hans Rahn (O 3), Margarethe Rahn (O 3), Olga Rahn (O 3), Josef Reischauer (= Josef Reuschauer) (O 97), Oskar Riessberger (O 194), Friedrich Rothmund (K 77), Marie Rothmund (K 77), Otto Rothstock (K 77), Otto Rüdeger (K 94), Adolf Schittenhelm (P 80), Hermann Sild (L 284), Otto Sild (L 284), Hannes Smirtschek (= Hans Smirtscheck, Hannes/Hans Hauch) (L 310), Maria Smirtschek (L 310), Johann Speer (L 348), Sylvester Stadler (L 385), Hans Strobl (M 73), Leopold Teimel (M 144), Hans Thajer (M 157), Hans Thajer sen. (M 157), Fritz Thaler (M 157), Walter Turza (R 93), Heinrich Vados (S 11), Anton Ziegler (U 113), Johann Zogelmann (U 157) Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes Filmarchiv Austria Hakenkreuz über Österreich Institut für Zeitgeschichte Wien (IfZ) Pers. Rodenbücher, Mappe I Österreichisches Staatsarchiv (ÖSTA) Archiv der Republik (AdR) Bundeskanzleramt Inneres (BKA-I) Allgemein, Signaturenreihe (allg.) 22/gen. 22/Wien 22/Vrlbg. 22/Stmk. 41/2 NS-Parteistellen NS-Bewegung Berichte der Bundes-Polizeidirektion Wien (Berichte der PDion) Gauakten (GA) Leopold Anderka (183.455), Otto Begus (199.579), Rudolf Fröhlich (67.043), Fridolin Glass (253.483), Max Grillmayr (95.617), Karl Franz Grimme (332.035), Karl Gschladt (235.205), Friedrich Höng (247.481), Hans Huber (= Johann Ziegler) (273.363), Franz Kunze (193.661), Walter Leubuscher (132.591), Gustav Lorenz (242.526), Franz Mazanek (343.390), Hans Mußil (336.310), Max Peschke (222.229), Max Plobner (228.620), Friedrich Raduziner (= Friedrich Oberhofer) (237.387), Josef Reischauer (= Josef Reuschauer) (125.886), Seidl, Siegfried (337.472), Otto Sild (237.470), Karl Heinz Urban (247.552), Oskar Völker (335.447), Oskar Völker (335.447), Otto Gustav Wächter (130.802), Franz Weilguny (140.747), Heinrich Weitz­dörfer (172.493) Staatspolizeileitstelle Wien Zivilakten der NS-Zeit

Quellen und Literatur

617

Auswärtiges Amt (AA) Österreichische Vertretungsbehörden im Ausland (ÖVB) Neues Politisches Archiv (NPA) Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA) Gauarchiv Wien Gauakten Wien (GAW) Karl Alkhofer (52.663), Rudolf Allram (30.008, 20.204), Leo Arbter (184.154), Kurt Barisani (2.859, 30.160), Otto Begus (52.548), Alois Bernwieser (5.954), Otto Bersch (126.689), Otto Bokisch (16.309, 76.293, 76.378, 76.629, 238.444, 256.541, 18.668), Helmut Breymann (88.861), Pius Bruckner (12.028), Adolf Brückner (15.477), Ernst Chlan (62.500), Hans Cserny (162.599), Helmuth Dachs (21.013, 30.648, 276.340), Ernst Demmer (7.963, 96.784, 107.789, 110. 190), Anton Doblreiter (56.104, 258.409), Otto Dokoupil (39.121, 95.150, 123.771, 259.604), Josef Domes (39.430), Karl Eschlböck (72.189), Georg Ettingshausen (3.356, 10.327), Josef Fitzthum (291. 193), Eduard Floch (21.852, 296.365), Rudolf Fröhlich (12.453, 56.370, 236.585, 277.985), Max Führer (204.214), Walter Führer (204.212), Josef Ginthör (103.419), Fridolin Glass (= Kurt Merkmann) (5.696, 53.673, 295.309), Friedrich Görtler (5.819, 45.892, 59.796), Amon Göth (91.944), Karl Gratzenberger (77.915), Roman Greylinger (11.764), Johann Grießler (11.788), Max Grillmayr (52.545, 142.584, 114.650, 286.368), Stefan Gruß (77.874), Karl Gschladt (101.176, 139.860, 286.296), Heribert (sic  !) Guzmann (12.240, 43.083), Raimund Haintz (145.568), Robert Hanisch (139.468), Franz Hansmann (78.365, 103.432), Ernst Happach (=  Hans Pernreiter) (25.697), Johann Hauch (=  Hans Smirtschek) (198.363), Fritz Höng (240.498), Herbert Hranitzky (220.063), Hans Huber (= Hans Ziegler) (28.295), Walter Ilz (150.290), Robert Jatsch (32.432, 77.854, 78.113, 78.120), Richard Kaaserer (87.706), Otto Käfinger (3.458), Hugo Kary (2.688), Johann Knögler (355.170), Mathias Knögler (267.614), Leopold Köberl (5.477), Walter Köhler (89. 199), Hubert Kölblinger (183.452), Heinz Korb (32.867), Herbert Kraßnig (6.433), Rudolf Kühnel (293.297), Franz Kunze (193.661), Hugo Kurt­ner (= Hugo Kary) (14.515), Ferdinand Langer (33.258, 142.438), Franz Lapitza (5.789, 48.704), Friedrich Löffler (114.301, 237.713), Kurt Ludewig (195.747), Günther Mark-Traisenthal (33.649), Franz Maxa (186.592), Leopold Mazakarini (289.651), Franz Mazanek (5.589), Julius Meerganz-Medeazza (10.589), Franz Ostermayer (310.254), Karl Pichl (53.788, 101.811), Maximilian Poeckh (141.132), Josef Pötzl (265.213), Karl Regnemer (5.577, 163.905, 200.438, 246.564, 280.469), Josef Reischauer (= Josef Reuschauer) (150.826), Gustav Rieger (116.404, 231.004), Oskar Riesenhuber (130.008), Hans Röhrich (26.538, 35.024), Konrad Rotter (52.448), Alfred Schneeberger (114.394), Siegfried Seidl (11.202, 50.899, 246.207), Anton Stadler (9.032, 9.288), Friedrich Steiner (27.952), Ludwig Stigler (52.556), Ernst Strauch (195.093), Hans Strobl (28.152, 28.135), Walter Turza (87.942, 89.659, 273.860), Karl Heinz Urban (89.657, 136.889, 273.855), August Vorel (221.525), Otto Gustav Wächter (228.521), Franz Wegenstein (231.100), Franz Weilguny (49.029), Anton Ziegler (812), Hans Ziegler (= Hans Huber) (28.295), Otto Zwonek (53.715, 126.026, 260.483) Karteikarten  : Kurt Barisani, Otto Bersch, Theodor Blahut, Karl Denk, Rudolf Fröhlich, Anton Frühwirth,

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Quellen und Literatur

Norbert Gella, Josef Ginthör, Heinrich Gradl, Johann Grießler, Walter Hanner, Baldur Heinzl, Georg Hof, Robert Jatsch, Otto Hans Kadlovsky, Otmar Kolbesen, Herbert Kraßnig, Ferdinand Langer, Alfred Mallinger, Georg Marz, Franz Mazanek, Julius Meerganz-Medeazza, Hans Muschik, Hans Mußil, Alfons Nick, Jakob Oswald, Karl Regnemer, Gustav Rieger, Konrad Rotter, Otto Schmid, Alfred Schneeberger, Otmar Sekyra, Ernst Strauch, Hans Strobl, Fritz Thaler, Franz Verhass, Oskar Völker, Kurt Wilhelm Waneck Landesgericht für Strafsachen Wien (LGfS) LGfS Wien I, Vg 8210/32 LGfS Wien I, Vg 4343/33 LGfS Wien I, Vr 4345/33 LGfS Wien I, Vr 4349/33 LGfS Wien II, Vr 4869/33 LGfS Wien I, Vr 5356/33 LGfS Wien I, Vr 6203/33 LGfS Wien I, Vr 2062/34 LGfS Wien I, Vr 7506/34 Magistratsabteilung 116, A 37 (M.Abt.) Leopold Amersin (sic  !), Franz Bedenik, Alois Bernwieser, Pius Bruckner, Helmuth Dachs, Ernst Demmer, Georg Ettingshausen, Johann Fischlinger, Josef Fitzthum, Eduard Floch, Alfred Eduard Frauenfeld, Rudolf Fröhlich, Anton Frühwirth, Josef Ginthör, Albert Hagmüller, Georg Hof, Marius Hutter, Walter Ilz, Robert Jatsch, Richard Kaaserer, Hugo Kary, Josef Krcil, Ferdinand Langer, Günther Mark-Traisenthal, Alf­red Mallinger, Franz Mazanek, Julius Meer­gans-Medeazza (sic  !), Hans Musil (sic  !), Josef Neumann, Franz Ostermayer, Johann Rahn, Gustav Rieger, Oskar Riessberger, Otto Roth­stock, Leo Schefcik, Ferdinand Schmid, August Schörkmaier, Bruno Schuster, Josef Sedlacek, Anton Stadler, Hans Strobl, Anton Heinrich Sztojkovits, Hans Thajer, Fritz Thaler, Karl Urf, Alfred Wagner, Franz Winkler, Anton Ziegler, Johann Ziegler (= Hans Huber), Johann Ziegler II. Volksgericht Wien (Vg) Vg 1326/47, Volksgerichtsverfahren gegen Hans Mußil Vg 5212/47, Volksgerichtsverfahren gegen Franz Weilguny Wiener Stadt- und Landesbibliothek Tagblatt-Archiv Internet Bericht von Konrad Rotter v. 30. 8. 1934, WStLA, Volksgerichtsverfahren Wien gegen Hermann Reschny, zit. n. www.kurt-bauer-geschichte.at (Stand  : 26. 4. 2010).

Quellen und Literatur

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2. Gedruckte Quellen Dokumentensammlungen und Quelleneditionen Akten der Partei-Kanzlei der NSDAP, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-Datenbank, K. G. Saur-Verlag. Akten zur deutschen Auswärtigen Politik (1971), Serie C  : 1933–1934, Bd. I–III, Göttingen. Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte, hrsg. aufgrund amtlicher Quellen vom Bundeskommissär für Heimatdienst, Wien 1934. Bericht der Historischen Kommission des Reichsführers SS, Die Erhebung der österreichischen Nationalsozialisten im Juli 1934, Wien/Frankfurt/Zürich 1965. Das Braunbuch. Hakenkreuz gegen Österreich, hrsg. v. Bundeskanzleramte, Büro des Bundesministers für Sicherheitswesen, Wien 1933. Bundesamt für Statistik (Hrsg.) (1935), Die Ergebnisse der österreichischen Volkszählung v. 22. März 1934, H. 1, Wien  : Bundesstaat – Textheft  ; Niederösterreich (Heft 1)  ; Wien (Heft 3)  ; Oberösterreich (Heft 5)  ; Salzburg (Heft 6)  ; Steiermark (Heft 7)  ; Kärnten (Heft 8)  ; Tirol (Heft 9)  ; Vorarlberg (Heft 10)  ; Burgenland (Heft 11). Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs 1934/35 und 1939/40, hrsg. v. Hans-Günther Seraphim, München 1964. Bundesgesetzblatt Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P., Stand vom 1. Oktober 1934, bearb. v. d. Personalabteilung des Reichsführers-SS, München 1934. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P., Stand vom 1. Juli 1935, bearb. v. d. Personalkanzlei des Reichsführers-SS, Berlin 1935. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P., Stand vom 1.  Dezember 1936, bearb. v. d. Personalkanzlei des Reichsführers-SS, Berlin 1936. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P., Stand vom 1.  Dezember 1937, bearb. v. d. SS-Personalkanzlei, Berlin 1937. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P., Stand vom 1. Dezember 1938, mit Berichtigungsheft  : Stand vom 15. Juni 1939, bearb. v. d. SS-Personalkanzlei, unveränd. Nachdruck der Ausgaben Berlin 1938 und 1939, hrsg. v. Brün Meyer, Osnabrück 1996. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P. (SS-Oberst-Gruppenführer – SS-Standartenführer), Stand vom 20. April 1942, hrsg. v. SS-Personalhauptamt, Berlin 1942. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P. (SS-Oberst-Gruppenführer – SS-Standartenführer), Stand vom 30. Januar 1944, hrsg. v. SS-Personalhauptamt, Berlin 1944. Dienstaltersliste der Schutzstaffel der NSDAP (SS-Obersturmbannführer und SS-Sturmbannführer), Stand vom 1. Oktober 1944, hrsg. v. SS-Personalhauptamt, Berlin 1944. Hitler, Adolf, Reden, Schriften, Anordnungen. Februar 1925 bis Januar 1933, hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte, Bd. 4/Teil 1, München 1992, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-Datenbank, K. G. Saur-Verlag. Goebbels, Joseph, Tagebücher, hrsg. v. Elke Fröhlich, Teil I  : Aufzeichnungen von 1923–1941, München 2006, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-Datenbank, K. G. Saur-Verlag.

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Quellen und Literatur

Kriechbaumer, Robert (Hrsg.) (2002), Ein Vaterländisches Bilderbuch. Propaganda, Selbstinszenierung und Ästhetik der Vaterländischen Front 1933–1938 (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg  ; 17), Wien/Köln/Weimar. Kriechbaumer, Robert (Hrsg.) (2005), Österreich  ! und Front Heil  ! Aus den Akten des Generalsekretariats der Vaterländischen Front. Innenansicht eines Regimes (=  Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg  ; 23), Wien/Köln/Weimar. Kriechbaumer, Robert (Hrsg.) (2006), „Dieses Österreich retten …“. Die Protokolle der Parteitage der Christlichsozialen Partei in der Ersten Republik (= Schriftenreihe des Forschungsinstitutes für politisch-historische Studien der Dr.-Wilfried-Haslauer-Bibliothek, Salzburg  ; 27), Wien/Köln/Weimar. Landesleitung Oesterreich der NSDAP (Hitlerbewegung) (Hrsg.) (1932), Das Dienstbuch der NSDAP. Oesterreichs (Hitlerbewegung), bearb. v. Theo Habicht, Wels. Landtagswahlen (Gemeinderatswahlen) für Wien, Landtagwahlen für Niederösterreich und Salzburg v. 24. April 1932, in  : Statistische Nachrichten 6 (1932). Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-Datenbank, K. G. Saur-Verlag. Nürnberger Dokumentendatei, Erschließungskartei zu den Beweisdokumenten der Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse aus dem Institut für Zeitgeschichte, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-Datenbank, K. G. Saur-Verlag. Bundes-Polizeidirektion (Hrsg.) (1927), Weissbuch. Ausschreitungen in Wien am 15. und 16. Juli 1927, Wien. Protokolle des Klubvorstandes der Christlichsozialen Partei 1932–1934, hrsg. v. Walter Goldinger (= Studien und Quellen zur Österreichischen Zeitgeschichte  ; 2), Wien 1980. Protokolle des Ministerrates der Ersten Republik 1918–1938, Abt. VIII, Kabinett Dr. Engelbert Dollfuß, Bd. 1–7, bearb. v. Gertrude Enderle-Burcel, Wien, 1981–1986. Regimekritik, Widerstand und Verfolgung in Deutschland und den besetzten Gebieten, hrsg. v. Heinz Boberach in Zusammenarbeit mit dem Bundesarchiv, zit. n. Nationalsozialismus, Holocaust, Widerstand und Exil 1933–1945, Online-Datenbank, K. G. Saur-Verlag. Zentralpolizeiblatt der Bundes-Polizeidirektion in Wien. Periodika 8-Uhr-Blatt Der Abend Arbeiter-Zeitung (AZ) Deutsch-Österreichische Tageszeitung (DÖTZ) Jahrbuch der österreichischen Arbeiterbewegung Der Kampfruf Kampfruf am Montag Das Kleine Blatt (Kl. Bl.) Der Morgen

Quellen und Literatur

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Morgenblatt Neue Freie Presse (NFP) Neue Zeitung (NZ) Neues Wiener Tagblatt Reichspost (RP) Das Schwarze Korps Die Stimme Volkszeitung Wiener Sonn- und Montags-Zeitung (WSMZ) Wiener Zeitung (WZ) Memoiren und Selbstzeugnisse Berger Waldenegg, Egon und Heinrich (1998), Biographie im Spiegel. Die Memoiren zweier Generationen, unter red. Miatrbeit u. m. einleitenden Bemerkungen v. Georg Christoph Berger Waldenegg, Wien/Köln/Weimar. Bokisch, Otto/Zirbs, Gustav A. (1940), Der Österreichische Legionär. Aus Erinnerungen und Archiv, aus Tagebüchern und Blättern, mit zahlreichen Aufnahmen aus dem Bildarchiv der Österreichischen Legion, Wien. Braitenberg, Benno von (1938), Männer müssen kämpfen  ! Leipzig. Dollfuß, Eva (1994), Mein Vater. Hitlers erstes Opfer, München. Frauenfeld, Alfred E. (1978), Und trage keine Reu’. Vom Wiener Gauleiter zum Generalkommissar der Krim. Erinnerungen und Aufzeichnungen, Leoni. Funder, Friedrich (1957), Als Österreich den Sturm bestand. Aus der Ersten in die Zweite Republik, 3. Aufl., Wien/München. Gedye, George Eric Rowe (1947), Die Bastionen fielen. Wie der Faschismus Wien und Prag überrannte, Wien. Hannak, Jacques (1952), Im Sturm eines Jahrhunderts, Wien. Hausser, Paul (1966), Soldaten wie andere auch. Der Weg der Waffen-SS, Osnabrück. Langoth, Franz (1951), Kampf um Österreich. Erinnerungen eines Politikers, Wels. Leichter, Otto (1964), Glanz und Elend der Ersten Republik. Wie es zum österreichischen Bürgerkrieg kam, Wien/Köln/Stuttgart/Zürich. Leubuscher, Walter (1937), Der große Irrtum. Ein Beitrag zur Geschichte der nationalsozialistischen Bewegung in Österreich, Wien/Basel. Leubuscher, Walter (1937a), Ein Besuch bei den illegalen „Legalen“, in  : Wiener Stadt-Stimmen v. 12. 6. 1937, S. 1f. Meisel, Josef (1985), „Jetzt haben wir Ihnen, Meisel  !“ Kampf, Widerstand und Verfolgung eines österreichischen Antifaschisten (1911–1945), hrsg. v. Verein Kritische Sozialwissenschaft und Politische Bildung (= Biografische Texte zur Kultur- und Zeitgeschichte  ; 2), Wien. Rintelen, Anton (1941), Erinnerungen an Österreichs Weg, München. Roßbach, Gerhard (1950), Mein Weg durch die Zeit. Erinnerungen und Bekenntnisse, Weilburg-Lahn. Schuschnigg, Kurt (1937), Dreimal Österreich, Wien.

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Abkürzungen

AA Auswärtiges Amt ADAP Akten zur deutschen auswärtigen Politik AdR Archiv der Republik AZ Arbeiter-Zeitung BArch Bundesarchiv Berlin BDC Berlin Document Center BdM Bund deutscher Mädchen BfO Büro für Organisation und Kontrolle BG Bezirksgericht BGBl. Bundesgesetzblatt BKA-AA Bundeskanzleramt-Auswärtiges Amt BKA-I Bundeskanzleramt-Inneres BPD Bundespolizeidirektion BPK Bundespolizeikommissariat BPP Bayerische Politische Polizei CSP Christlichsoziale Partei CV Cartell-Verband DAF Deutsche Arbeitsfront DAL Dienstaltersliste der Schutzstaffel der N.S.D.A.P. DÖTZ Deutsch-Österreichische Tageszeitung DNSAP Deutsche Nationalsozialistische Arbeiterpartei DS Diversa-Akten FAA Filmarchiv Austria FHW NSDAP-Hilfswerk für Flüchtlinge und Hinterbliebene FM Fördernde Mitglieder der SS FM-GV Geldverwalter für Fördernde Mitglieder der SS GA Gauakten GAW Gauakten Wien GD Generaldirektion GföS Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit GL Gauleitung GRUSA Gruppenbefehl der SA GV Geldverwalter, Geldverwaltung der SS H.A. Hauptabteilung HJ Hitlerjugend Hv Hauptverhandlung

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HW Heimwehr, Heimatwehr HWL Hilfswerkslager HWNW Hilfswerk Nord-West i.A. im Auftrag i.Ber. im Bereich IfZ Institut für Zeitgeschichte Wien i.V. in Vertretung Kl. Bl. Das Kleine Blatt k. u. k. kaiserlich und königlich KPÖ Kommunistische Partei Österreichs Krb. Ref. Kriminalbeamten-Referat KwEG Kriegswirtschaftliches Ermächtigungsgesetz IMH Internationaler Militärgerichtshof Nürnberg LGfS Landesgericht für Strafsachen LL Landesleitung der österreichischen NSDAP LSSAH Leibstandarte-SS „Adolf Hitler“ M.Abt. Magistratsabteilung m.d.F.b. mit der Führung beauftragt MF Microfilm MRP Ministerratsprotokoll MRS Ministerratssitzung MST Motorstürme Mula Mannschafts-Untersuchungslisten MZ Musikzug ND Nachrichtendienst NFP Neue Freie Presse NÖ Niederösterreich NPA Neues Politisches Archiv NSB Nationalsozialistische Beamtenschaft NSBO Nationalsozialistische Betriebszellenorganisation NSDAJ Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterjugend NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSFK Nationalsozialistisches Fliegerkorps NSKK Nationalsozialistisches Kraftfahrkorps NSStB Nationalsozialistischer Studentenbund NSV Nationalsozialistische Volkswohlfahrt NZ Neue Zeitung OaD Oberabschnitt Donau ÖVB Österreichische Vertretungsbehörden im Ausland ÖSTA Österreichisches Staatsarchiv OL Oberleitung OÖ Oberösterreich

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OPG Oberstes Parteigericht OPG-NA Oberstes Parteigericht Nachträge OSAF Oberster SA-Führer PDion Polizeidirektion Pg. Parteigenosse Pgn. Parteigenossin PK Parteikorrespondenz P.O. Politische Organisation RAVAG Radio Verkehrs AG RFSS Reichsführer-SS RGVSS Reichsgeldverwaltung-SS RM Reichsmark RP Reichspost RS Akten des Rasse- und Siedlungsamtes S Schilling SA Sturmabteilung S.B. Sicherheitsbureau der Bundes-Polizeidirektion Wien SD Sicherheitsdienst SDAP Sozialdemokratische Partei Slg. Sammlung SM SS-Mannschaftsakten S.O. Studentenorganisation SS Schutzstaffel SSF SS-Führer SS-HA SS-Hauptamt SSM SS-Mann SSO SS-Offiziersakten SS-Oa SS-Oberabschnitt SS-OaD SS-Oberabschnitt Donau SS-VA SS-Verwaltungsamt St.A. Staatsanwaltschaft SZ Spielmannszug TG Treuhand- und Revisionsgesellschaft TU Technische Universität TV Totenkopfverband UBW Universitätsbibliothek Wien USchla Untersuchungs- und Schlichtungsausschuss VA Verwaltungsamt Vg Volksgericht VGA Verein für Geschichte der Arbeiterbewegung VO Verordnung VP Volkspartei

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Vr Verfahren VT Verfügungstruppe WSMZ Wiener Sonn- und Montags-Zeitung WStLA Wiener Stadt- und Landesarchiv WZ Wiener Zeitung Z.O. Zivilorganisation

Abkürzungen

Abbildungen Bundesarchiv Berlin (BArch)  : 2–3, 5–8, 11, 13, 27, 29, 46, 47, 49, 60, 63, 65, 72, 73, 74, 76 Bundeskanzleramt, Büro des Bundesministers für Sicherheitswesen (Hg.), Das Braunbuch. Hakenkreuz gegen Österreich, Wien  : Verlag der österreichischen Staatsdruckerei, 1933, o.S.  : 57 Bundes-Polizeidirektion Wien (BPD Wien)  : 17, 20, 21, 22, 28, 41, 44, 52, 53, 54, 55, 56, 58, 59, 66, 67, 68, 69, 77, 81 Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes (DÖW)  : 12 Filmarchiv Austria (FAA) / Hakenkreuz über Österreich  : 4, 9, 15, 23, 24, 30, 32, 33, 34, 39, 42, 43, 45, 61, 80 Der Kampfruf, Bilder-Sonderfolge, 1. Jg., 1. 5. 1931, S. 5 (Privatbesitz)  : 14 Österreichisches Staatsarchiv (ÖSTA)  : 51 Österreichische Nationalbibliothek (ÖNB)  : 50 Universitätsbibliothek Wien (UBW )  : 25, 36 Wiener Stadt- und Landesarchiv (WStLA)  : 1, 10, 16, 18–19, 26, 31, 35, 37, 38, 40, 48, 62, 64, 70, 71, 75, 78, 79, 82, 84, 85 Beiträge zur Vorgeschichte und Geschichte der Julirevolte, hrsg. aufgrund amtlicher Quellen vom Bundeskommissär für Heimatdienst, Wien 1934, S. 32  : 83

Tabellen

Tabelle   1 Tabelle   2 Tabelle   3 Tabelle   4 Tabelle   5 Tabelle   6 Tabelle   7 Tabelle   8 Tabelle   9 Tabelle 10 Tabelle 11 Tabelle 12 Tabelle 13 Tabelle 14 Tabelle 15 Tabelle 16 Tabelle 17 Tabelle 18 Tabelle 19 Tabelle 20 Tabelle 21

„Vordienstzeiten“ der Wiener SS-Angehörigen 1930 Dienstränge der SS 1930–1945 Karriereverlauf des ersten Führerkorps der Wiener SS bis 1945 Das Führer- und Unterführerkorps der 11. SS-Standarte von Juni 1931 bis Dezember 1931 Die Organisation der Allgemeinen SS ab 1931 Organisation und Stärkestand der 11. SS-Standarte, März 1933 Eintrittsalter der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932 Berufsstruktur der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932 Geburtsorte der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932 Konfessionszugehörigkeit der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932 Personenstand der Wiener SS-Angehörigen 1930–1932 Aufnahme von Wiener SS-Angehörigen 1930–1932 in das SS-Führerkorps bis 1945 Das Führerkorps der 11. SS-Standarte nach der Dienststellung ab Herbst 1932 Stärkestand des Oberabschnitts Donau, Stand vom 31. Juli 1934 Verteilung der österreichischen SS-Angehörigen im Lager Lechfeld nach Bundesländern im Vergleich zu SA-Legionären 1933–1938 Altersstruktur der österreichischen SS-Angehörigen im Lager Lechfeld Stab der SS-Sammelstelle 1935–1938 Stärkestand der „SS-Sammelstelle Dachau“ Verteilung der österreichischen SS-Angehörigen in Deutschland 1933–1938 nach Bundesländern Verteilung des Sturmbanns II/SS 1 nach Bundesländern Stärkestand des SS-Oberabschnitts Österreich, Stand vom 23. März 1938

Personenverzeichnis

(Nicht aufgenommen wurden Namen, die unmittelbarer Bestandteil von Literaturangaben sind.)

Abel, Othenio  239–244, 382 Ach, Hermann  204, 213, 337, 428 Achamer-Pifrader, Humbert  550 Aigner, Josef  350 Akamphuber, Willibald  410, 614 Alberti, Albrecht  381 Albrecht, Kurt  450 Albrecht, Leopold  120 Alkhofer, Karl  144–146, 150, 153f., 617 Allram, Rudolf  554f., 613, 617 Aloisi, Pompeo  340, 348 Alvensleben, Werner Freiherr von  357 Ambrózy, Lajos  337 Ammersin, Leopold  198, 392, 618 Ammersin, Rudolf  125, 197f., 392, 581, 614 Amtmann, Alfred  235, 248 Anderka, Leopold  132, 276, 315–317, 499, 570, 581, 614–616 Angerbauer, Friedrich  449, 471f., 614 Appiano, NS-Parteigenossin  145 Arbter, Leo  24, 503f., 506, 509, 581f., 617 Arco-Valley, Anton Graf von  402 Arco-Zinneberg, Joseph Maria Graf von und zu 402 Arco-Zinneberg, Maximilian Graf von und zu  134, 402f., 468 Asrilen, Nathan  246f. Auersperg, Wilhelmine (Prinzessin von) (verh. Arco-Zinneberg) 402 Aumeier, Georg  332, 614 Auriti, Giacinto  337 Baar, Franz  110, 112 Bach, Ernst  261, 271–273, 276f., 279, 288f., 299f., 304, 309, 614

Bachinger, Franz  136, 213, 421f. Bachler, Hans  482 Bäcker, Hans  247 Baierlein, Hermann  505, 568, 614 Band, Viktor  614f. Bandera, Robert  125, 197f., 556, 582, 615 Bardolff, Karl  177, 326 Barisani, Kurt  103, 293f., 297, 615, 617 Bartelt, Bernhard  516, 614 Barwig, SS-Scharführer  267, 282, 289, 291f., 302f. Baubin, Alfred (= Alfred Keller)  115, 406f., 410– 413, 415, 425, 434, 446f., 463, 465, 498, 516, 527, 550, 582, 614 Bauer, Ferdinand  410 Bauer, Hans  410, 469, 572, 614 Bauer, Max  34 Bauer, Otto  91f., 225f. Bauer, Rudolf  372 Bayer, Otto  75, 192, 486–488, 491, 494, 556, 575, 614 Bazelt, Paul  411, 614 Bedenik, Franz (= Josef Pertz)  364f., 583, 615f., 618 Begus, Otto  429f., 432–436, 447–450, 471f., 487, 559, 569, 571, 583, 614–617 Beneš, Eduard  345 Benitzky, Josef  410, 614 Berchtold, Josef  21f., 49f., 67 Berger Waldenegg, Eugen  472–474 Bernaschek, Richard  398 Berner, Josef  201f. Bernwieser, Alois  92, 139, 180, 455, 613, 617f. Bersch, Otto  432–436, 615, 617 Best, Werner  496 Bethlen, István  349

644 Bieley, Walter  508f. Bigler, Alfred  132, 251, 261, 269, 273f., 309, 317, 332, 376, 391f., 399, 488, 614 Binder, Josef  610 Bistritschan, Friedrich  134, 402 Blaha, August Theodor  410, 614 Blahut, Theodor  239, 614f., 617 Blahut, Viktor  371, 455–457, 615 Blaschke, Hanns  421, 433, 447, 472, 571, 614 Blomberg, Werner von  349, 517f. Bokisch, Otto  486, 488–491, 548–550, 553f., 617 Bolek, Andreas  376 Bormann, Martin  497, 529f., 539f., 549 Braitenberg, Benno  142f., 430f., 435, 468 Brandl, Franz  204, 224, 226f., 319f., 343 Brendel, Georg  507f. Brendel, Hausdiener in Muggendorf  513f. Bretschneider, SA-Truppführer  159 Breymann, Herbert  575f., 612, 614f., 617 Bruckner, Pius  433, 448, 471, 617f. Brückler, Ernst  551, 556, 615 Brückner, Helmuth  203 Brunner Alfred/Albert  359, 380 Brunner, Rudolf  430, 615 Bruno, Walter  499 Buch, Walter  92 Bülow, Bernhard von  379, 420 Bürckel, Josef  545f. Buresch, Karl  86, 212, 216, 336, 344, 347, 417, 422, 448, 465, 474 Burgstaller, Herbert  385f., 411, 583f., 614f. Buschta, Franz  198, 592, 614 Cerny, Otto  246 Cerruti, Vittorio  419 Chlan, Ernst  196, 584, 617 Cizek, Johann  372, 385 Cohrs, Heinz  160, 251, 376 Czermak, Emmerich  237f. D’Elvert, Friedrich  454 D’Elvert, Heinrich  89 Dachs, Helmuth  418, 617f. Daluege, Kurt  485, 571 Damson, Wilhelm  538 Danneberg, Robert  120, 174f. Darré, Walther  132

Personenverzeichnis

De Martin, Franz  486–489, 491, 494 Delapina, Rudolf  231, 233, 235 Demelhuber, Karl  523 Demmer, Ernst  58, 201f., 284f., 584, 615, 617f. Deutsch, Julius  224, 319 Dieckmann, Julius  499 Dienelt, Walter  24, 58 Dietrich, Karl  383 Dietrich, Sepp  44f., 48, 62f., 111, 485, 496, 517 Ditmar, SS-Anwärter  266f., 277, 279, 289–291 Dobler, Johann  470 Dobler, Karl  398 Doblreiter, Anton (auch Dobereiter, Doppelreiter)  219, 274f., 277f., 288, 295f., 300, 363, 584, 592, 614, 617 Dobrovsky, Hubert  293, 297 Dollfuß, Engelbert  174, 204, 211–214, 216, 221– 223, 225f., 240, 242, 319, 321f., 325, 328–330, 334–356, 377, 379f., 382, 399f., 417, 419–421, 423, 425–428, 438f., 446–448, 450f., 453–455, 457, 459–461, 467, 470–475, 483, 485 Domes, Hans  410, 615 Domes, Josef  410f., 615, 617 Donner, Johann  435f., 451f. Dreger, Gabriel  197, 615 Durig, Arnold  241 Duttenhofer, Eduard  192 Dworschak, Franz  184, 585, 614 Eberhardt, Karl  401f., 476f., 479f. Eberstein, Karl von  571 Eckart, Dietrich  502 Ehrhardt, Hermann  34 Eichmann, Adolf  199, 492, 519, 551 Eicke, Theodor  486, 496, 517, 556 Eisenbock, Rudolf  233 Eisner, Kurt  402 Ender, Otto  344 Erhart, Hubert  559, 560 Ettingshausen, Georg  92, 113, 179, 472, 617f. Euler-Rolle, Fritz  129, 131, 196, 615 Fabbri, Umberto  421, 425 Fahnl, Felix  184, 496, 585, 614 Feike, Ernst  411 Feil, Hanns  192, 319, 409, 480, 498f., 509, 520, 523, 558, 614

Personenverzeichnis

Fey, Emil  95, 213f., 217, 221–224, 234, 279, 305, 317, 319, 322, 326, 329, 338, 343f., 347, 353, 375, 391, 398, 418, 423, 428, 446f., 470, 472f. Fiedler, Johann  110, 112 Filip, SA-Sturmführer  276 Findenigg, Anton  233, 615 Firlich, Walter  501, 614f. Fischer, Franz, Bürgermeister von Innsbruck  327 Fischer, Franz, NSDAP-Mitglied  486 Fischer, Hermann  120, 218 Fischer, Richter  207 Fischer, Theodor  167f. Fischlinger, Johann  492f., 505 Fitzthum, Josef (= Alfred Falkenberger)  30, 40–42, 69, 72, 80, 125, 134, 139, 167f., 183, 192–196, 198f., 201, 258f., 263–272, 274, 276–285, 287–292, 296, 298f., 301–303, 306f., 310–312, 314–316, 318, 331f., 382, 384, 386, 396–398, 400, 403f., 407f., 410, 432, 435, 437–440, 442, 450, 462, 465–468, 472, 486, 490, 569f., 576, 581–583, 585–587, 592, 597, 600, 607, 612, 614f., 617f. Fitzthum, Karl  397, 615 Fleißner, Hugo  283, 292, 294 Flessl, Viktor  480 Floch, Eduard  418, 615, 617f. Foppa, Hermann  421f. Förster, Karl  482f. Frank, Hans  203, 208, 321–325 Frankenstein, Ferdinand  512–5134 Frauendorffer, Friedrich  132, 160f. Frauenfeld, Alfred Eduard  25, 41, 53, 67, 94–104, 116, 118, 120, 122f., 134, 145, 156, 163, 167f., 175, 180f., 189, 200–202, 204–208, 218, 223, 239, 245, 268, 275f., 279, 288, 295–298, 305, 307, 314, 320, 354, 375f., 384, 400, 404, 406, 423f., 427–429, 431, 435, 444, 447, 449, 451, 453, 455f., 461, 610, 615, 618 Frauenfeld, Eduard  610, 615, 618 Frauenfeld, Richard  144, 615 Freisler, Roland  323 Frick, Wilhelm  100 Friedrich, Lambert  492 Friedrich, Rudolf  494 Friedrich, Viktor  416 Frisch, Hans  92 Fritz, Josef  192

645 Fröhlich, Rudolf  366, 368–370, 586f., 614–618 Frühwirth, Anton  449, 617f. Fuchs, Paul  104 Führer, Max  442f., 615, 617 Funder, Friedrich  474 Futterweit, Norbert  113, 359f., 363–366, 369, 386, 570, 583, 603 Gärtner, Ludwig  96, 302 Geister, Hans  282, 287, 297f. Geng, Gustav  337, 428 Gerbing, Edith  199 Gerbing, Herbert  199, 300, 615 Gerbing, Walter  300 Ginthör, Josef  108f., 318, 497, 614f., 617f. Glas, Leopold  137 Glass, Fridolin (= Kurt Merkmann, Friedrich Keller)  405–410, 413, 417, 427f., 432–434, 437f., 440, 442–444, 446, 450, 453f., 471, 503, 571, 587, 614, 616f. Gleispach, Wenzel  237, 239f., 242, 326, 381 Gödel, Emilie  286–288, 615 Gödel, Gustav  286f., 615 Goebbels, Joseph  97, 201–203, 323, 420, 423, 426, 458 Goecke, Wilhelm  565f. Gold, Heinrich  151, 154f. Gollé, Josef  198 Gömbös, Gyula  338–340, 346, 349, 382, 419f. Göring, Hermann  90, 133, 203, 207f., 348f., 375, 424 Görtler, Friedrich  369f., 587, 615, 617 Göth, Amon  44, 72, 184, 387f., 390–392, 558, 614f., 617 Gottberg, Kurt von  479 Götzl, Fritz  198f., 615 Gotzmann, Leo  416, 427, 431, 444 Gradl, Heinrich  556, 614f., 618 Graeschke, Walter  23, 122, 132, 135, 161, 191, 196, 251–255, 259f., 267–273, 276, 288, 437, 559, 614f. Graf, Siegberth  410 Grazer, Oskar  555, 615 Grazzi, Umberto  428 Gregory, Berndt von  424, 452, 458f., 482f. Greiderer, Hans  488 Greifelt, Ulrich  484

646 Greylinger, Roman  24, 280, 318, 588f., 614, 617 Griek, SS-Sturmführer  402 Grießler, Johann  120, 614, 617f. Grillmayr, Max (= Martin Auer)  219, 268f., 280– 283, 286–288, 294, 298, 332, 385, 386–388, 397f., 425, 435, 437–439, 449–451, 467, 469, 486, 490, 559, 569f., 589, 615–617 Grimme, Karl Franz  134, 197, 399–404, 408f., 415, 468f., 558, 571, 589f., 614, 616 Grolig, Anton  120 Grölman, Wilhelm  98–101 Grondinger, Franz  410, 614 Gruschka, Moritz  139 Gumilar, Hermann  508f. Gusenbauer, Josef  508f. Guzmann, Herbert  410, 572, 617 Habicht, Theo  94f., 102, 203, 208, 218, 251, 253, 270, 279, 295f., 315, 326, 347, 350f., 354, 375–377, 379, 381, 412, 417f., 421–429, 432, 438, 444, 446, 453f., 456, 458f., 461, 465, 467, 483, 605 Habsburg, Ileana  402 Hackel, Josef  410 Häfner, Heinrich  125 Hämmerle, Dr.  544f., 547 Hagmüller, Albert  231f., 246, 618 Haintz, Raimund  118, 276, 615, 617 Hainzl, Sepp  91, 226 Hamburger, Franz  453, 483 Hammerand, Erhard  401 Hammerstein-Equord, Kurt von  458 Hampel, Ernst  422 Hanke, Kurt  120, 375, 610 Hanreich, Jakob  109, 160, 387, 614 Hansmann, Franz  55, 109, 179, 181, 281f., 284– 287, 292, 294, 298, 383f., 570f., 590, 614f., 617 Happach, Ernst (= Ernst Pernreiter)  371–373, 384f., 390f., 590, 613–615, 617 Haring, SS-Angehöriger  192 Hasenöhrl, Roland  234 Hassel, Ulrich von  420, 459, 460 Haubenberger, Leo  177 Heberlein, Richard  410, 516, 551, 614f. Hecht, Robert  211f. Hedrich, Herbert  431 Heger, Landesamtsdirektor  141

Personenverzeichnis

Heidenreich, Leopold  24, 26 Heigl, Paul  434f. Heinburg, Curt  460 Heinl, Eduard  113, 338 Heinz, Karl  218 Heischmann, Josef  416 Heiss, Richard  254 Helle, Paul  192, 482, 503 Hengl, Georg Ritter von  522 Heß, Rudolf  439, 459, 485, 497, 529f., 535, 537–539, 543, 553 Heydrich, Reinhard  548–550 Hiedler, Hans  192 Hiltl, Hermann  98, 589 Himmler, Heinrich  21–23, 27, 30, 34, 36, 47, 51, 57, 59, 61, 63, 68, 73f., 92, 96, 115, 125f., 128, 130–133, 143, 191f., 196, 199f., 252, 254, 256f., 260f., 267f., 270–273, 279, 288, 304, 309, 318, 332, 396, 399f., 403, 408f., 414, 416, 437, 442, 447, 462–465, 467–469, 472, 478, 483–487, 494–497, 500f., 510–512, 514, 516–523, 530, 551, 560, 567, 569f., 570, 572, 574, 579, 585, 589, 598 Hitler, Adolf  21, 45, 50f., 65, 74, 96, 99, 102, 104, 106, 140, 192, 196, 202, 208, 252, 254, 269f., 291, 316, 323, 326, 328, 334, 339, 342f., 346, 348f., 356, 376f., 379, 382, 390, 416, 418, 423–427, 441f., 447, 454, 456, 458–461, 477, 483–485, 493, 497, 514, 517–521, 527, 529, 534, 536–539, 544 Höng, Fritz  25, 614, 616 Hösner, Wilhelm  148 Hof, Georg  396–398, 403, 409, 429, 437–439, 442, 466, 590f., 612, 614, 618 Hofbauer, Friedrich, NS-Filmstelle Wien  610 Hofbauer, Friedrich, SA-Obertruppführer  553 Hofer, Franz  143, 327, 376, 398, 444, 461, 463, 483, 545f. Hofknecht, Josef  507f. Hohenacker, Wilhelm  247 Hölzl, Johann  120, 306, 610 Holzweber, Franz  405, 410 Hönigl, Paul  416 Hörhann, Karl  507 Horthy, Miklós  337 Hranitzky, Herbert  23, 591, 614, 617 Hruban, Herbert  610

Personenverzeichnis

Hrubesch, Alfred  181, 614 Huber, Franz Josef  550 Huber, Leopold  164 Huber, Otto  508 Hueber, Franz  90, 99, 348 Hüffer, Hermann  423f. Hühnlein, Adolf  125 Huschka, Otto  398, 499 Hutter, Mario  246, 615, 618 Ilg, Ulrich  474 Ilz, Walter  102, 610, 615, 617f. Jakoncig, Guido  213, 225f., 337, 344, 348, 428 Jalkotzy, Alois  120 Jatsch, Robert  139, 370–374, 385, 454, 456f., 615, 617f. Kaaserer, Richard (= Rudolf Kurth)  41f., 44, 78, 192, 194, 210, 278, 292, 387f., 390f., 414, 478f., 486–488, 490, 494, 501, 591f., 603, 614, 617f. Kadletz, Franz  368, 370 Kaiblinger, Johann  387 Kaltenböck, Bodo  422 Kaltenbrunner, Ernst  267, 574 Kamba, Franz  284, 294, 383, 416, 446, 550 Kammerhofer, Konstantin  88, 326, 438, 498, 558f., 576 Kapp, Wolfgang  34 Karl, Eduard  111, 113 Karl, NSDAP-Gaupropagandaleiter  66 Karwinsky, Carl  470–473 Kary, Hugo (= Hugo Kurtner)  366, 368, 370, 373f., 487, 496, 499, 592, 602, 614f., 617f. Kauders, Gauführer  322 Kaym, Franz  401 Keppler, Wilhelm  537–539 Kerbel, SA-Sturmführer  162 Kerrl, Hanns  323 Kerschbaumer, Karl  387f. Kiesel, Walther  267, 272, 276 Kirchbach, Hans  422f. Klaus, Mitarbeiter der NS-Filmstelle  149 Klebinder, Ernst  104, 138–140, 247, 252 Klimesch, Innsbrucker SS-Führer  143 Klinger, SS-Mann  159 Klötzl, SS-Scharführer  267, 289–292, 300, 302f.

647 Kluhs, Hubert  246 Kneisl, Alois  132, 160f. Knögler, Johann  198, 366, 368–370, 584, 592f., 615, 617 Knögler, Mathias  370, 592, 615, 617 Köberl, Leopold  410, 571, 574, 576, 612, 614, 617 Köhler, Walter  449f., 551, 617 Kölblinger, Emma  442, 615 Kölblinger, Hubert  25, 39, 332, 396, 403f., 409, 440–443, 524, 527, 559f., 568f., 571, 593, 612, 614f., 617 Kollross, Johann  286 König, Berthold  341 Könitzer, Walter  95f., 122f., 146, 158f., 161, 166 Köpke, Gerhard  418, 424, 460 Kopp, Franz  318 Kopp, SS-Mann  267, 278, 289 Koppe, Wilhelm  463f., 485, 614 Korb, Heinrich  107, 109–115, 571, 593, 614, 617 Kothen, Hans vom  251, 322, 326, 376 Kott, Egon  144, 150, 154, 610 Kovar, Karl  159 Kowarik, Karl  138 Kowarik, Kurt  109, 138, 362 Kraiter, Blasius  513 Krasser, Robert  215f., 354 Kraßnig, Herbert  196, 617f. Kraus, Kapitänsleutnant  332, 386 Kraus, Kaspar  503, 505, 507 Krcil, Josef (= Karl Graf )  139, 364f., 385f., 570, 618 Krebs, Josef  146f., 149f., 155 Krenek, Ernst  37f., 393 Kreschinski, Walter  200, 268 Kronister, Johann  188 Kronister, Rudolf  277 Kröppelt, Josef  168f. Krüger, Friedrich-Wilhelm  566 Krüger, Karl  293 Kubesch, Josef  151, 155 Kucynski, Gendarmerievizedirektor  141 Kugelmayer, Levino  95 Kun, Béla  143 Kunschak, Leopold  174, 216, 347, 394 Kunze, Franz  125, 268, 489, 615–617 Kunze, Rudolf  233, 235f., 247, 297 Kupka, Klaudius  326

648 Kurka, Franz  418 Kvas, Rudolf  486 Lahr, Fritz  446f. Lammers, Hans-Heinrich  419 Lang, Arend  448, 471 Langauer, Franz  184, 593f., 614 Langer, Ferdinand  371–374, 384, 454, 615, 617f. Langguth, Emil  192, 525, 553 Lanik, Richard  187f. Lapitza, Franz  189, 198, 366, 368, 370, 498, 594, 614f., 617 Leeb, Franz  410 Lehnert, Walter  231f. Leitner, Jonas  248 Leopold, Josef  198, 347, 376 Leser, Norbert  141f., 230 Leubuscher, Walter  61, 198, 280, 307, 310f., 332, 383, 385–388, 402, 487, 490, 494, 615f. Libardi, Leo  24, 26, 46, 107–113, 145f., 149–154, 184f., 194 Lichtenegger, Fritz  226 Lindner, Dr.  131 Lindner, Helmut  131 Lindthaler, Josef  499, 525f., 614 Lippert, Michael  495f. Löffler, Friedrich  198, 369f., 594, 614f., 617 Lohmann, Albert  499 Lorenz, Gustav  46, 107–110, 145f., 149, 151–155, 184, 194, 196, 498, 537, 568, 595, 614–616 Lorenz, Werner  537f., 599 Loritz, Hans  462f., 494f. Löwe-Langer, Hans  268, 553 Ludendorff, Erich  34, 45 Lütgendorff-Gyllenstorm, Hermann  197 Lutze, Viktor  497, 536 Macfelda, Franz  411, 615 Mackensen, August von  29 Maireder, Josef  387 Maitzen, Ludwig  410 Majora, Paul  200, 268 Mallinger, Alfred  449, 508f., 615, 618 Malsen-Ponickau, Erasmus von  318 Männchen, Heinz  146–149, 153f., 156 Marek, Ferdinand  345 Marienfeld, SS-Angehöriger  200, 268 Märker, Reinhold  494, 523

Personenverzeichnis

Marktl, Josef  543 Mark-Traisenthal, Arnold  197, 615 Mark-Traisenthal, Günter  197, 614f., 617f. Marxer, Otto  534, 553 Maskowitz, Milan  164 Masterer, Leopold  418 Matschnig, Rudolf  263–265, 303 Maxa, Franz  272, 292, 300, 403, 498, 540, 544, 595, 603, 614f., 617 May, Rudolf  30, 196, 439 Mayer-Maly, Theodor  235f. Mayr, Oskar  220 Mazanek, Franz  24, 30f., 34, 46, 54, 59, 131, 179, 181, 189, 194, 196, 201, 265, 276f., 281f., 284– 287, 292, 294, 331–333, 363, 367, 382, 384f., 393, 569f., 595f., 614–618 Mazanek, Frieda (geb. Gontarski)  31 Medwed, Georg  220 Meerganz-Medeazza, Julius (von)  431–435, 614f., 617f. Meislitzer, SS-Führer  482 Meißl, Robert (von)  433, 615 Meißner, Ernst  247 Menzel, Adolf  372 Menzinger, Karl  482f. Meyszner, August  86, 438, 498, 558 Miklas, Wilhelm  243, 295f., 337, 345, 375, 410, 421, 428, 450f., 467–470, 472, 474f., 596 Mojka, Josef  181 Mosel, Heinrich  389, 391 Mosel, Herbert  389, 391 Moulin-Eckart, Karl Léon Graf Du  161f., 223, 251 Mühlberger, Hugo  205, 223 Müller, Emanuel  148, 150, 155 Müller, Franz  480, 488 Müllner, Roman  183 Muff, Wolfgang  421, 424f. Murauer, Rudolf  164, 384 Muschik, Hans  383, 385f., 388, 614, 618 Mußil, Hans  37f., 43f., 194, 196, 220f., 238, 290–292, 382, 393–396, 409, 442, 550, 596, 612, 614–616, 618 Mußil, Leopoldine  37, 394, 616 Mussolini, Benito  86, 90, 328, 336–340, 348f., 356, 419–421, 424–427, 454, 459–461, 519

Personenverzeichnis

Narosny, Hermann  138 Narz, Franz  248 Neicke, Günther  494, 523, 614 Neszi, Wilhelm  362 Neumann, Josef  139, 164, 168, 177, 186, 304, 363, 377, 428, 610, 618 Neumann, Oskar  488 Neurath, Konstantin von  324, 330, 349, 379, 416, 418f., 425f., 459–461 Neustädter-Stürmer, Odo  215, 222, 344, 447, 474f. Neuwirth, Adolf  233 Nowak, Hans  610 Nowy, Georg  504 Oberhaidacher, Walter  253, 438, 444, 446, 458, 558 Orasche, Hans  521, 614 Osio, Alois  231, 233, 244, 297 Ostermayer, Franz  449, 617f. Ott, Rudolf  450f., 469 Ott, Walter  39f., 58, 128–130, 450f., 469, 572, 596f., 614 Pabst, Waldemar  86, 90, 337f., 429 Pacher, Franz  469 Paier, SS-Anwärter  267, 289 Papanek, Ernst  218 Papen, Franz von  348f. Parson, Herbert  544–547 Pavlu, Rudolf  432–434, 436, 614 Pawlik, Franz  482 Peschel, Alois  27, 76, 93, 122, 160, 166, 274 Peschke, Max  24, 35, 43, 46, 136f., 181, 183, 187f., 194, 266, 299f., 377, 383, 597, 614, 616 Peschke, Stefanie  35, 616 Petrak, Franz  417, 610 Pfaffenmayer, Julius  24, 126f., 180, 442, 597, 614f. Pfeffer von Salomon, Franz  50, 458 Pfeifer, Gottfried  278 Pfeil, Kurt  376 Pfrimer, Walter  85, 91, 93, 213 Pichl, Carl (von)  192, 273, 332, 386, 429, 436– 439, 466, 486, 614 Pichl, Karl  23f., 28f., 31, 45f., 107f., 171f., 181, 194, 276f., 284, 382f., 396, 560–567, 569, 597f., 612, 614f., 617

649 Pichler, NSDAP-Bezirksleiter  162, 166f. Pick, Ernst Peter  241 Pipereger, Alois  321 Piska, Karl  232, 246 Pistor, Emil Talbot  130, 192, 194, 196f., 382, 487, 598f., 614f. Pistor, Erich  197 Pistor, Michael  130f., 197, 301–303, 449, 598f., 614f. Plachetka, Boris (= Franz Lang)  33f., 53–55, 78, 131, 179, 181, 194–196, 210, 265, 276f., 284– 287, 292, 363, 383f., 442, 486, 521, 599, 614 Planetta, Otto  405, 410f., 471 Plobner, Max  24, 36f., 46, 59, 164, 169, 194, 196, 294, 363, 393, 442, 576, 599, 612, 614–616 Plöw, Walter  200, 268 Pohl, Oswald  514 Popp, Johann  502, 505, 584 Posch, Alfred  104, 138f., 247, 454, 614 Pöttinger, Johann  73, 492, 516, 524–527, 614 Pötzl, Josef  24, 370, 600, 614f., 617 Powalatz, Johann  248, 250, 384, 388 Preissegger, Florian  383, 550 Prieler, Karl  284, 286, 433 Priemer, Erich  610 Prinz, Karl  145 Prinz, Louise  145 Probst, Anton  142 Proksch, Alfred  94, 98–102, 186, 203, 251, 268, 326, 347, 377, 614 Prützmann, Hans  478, 524, 595 Puhr, Anton  136f. Quirsfeld, Eberhard  192 Raduziner, Friedrich (= Friedrich Oberhofer) 207f., 377, 570, 616 Rafelsberger, Walter  458 Rahn, Hans  131, 181f., 283, 298, 389–391, 556, 572, 600, 615f., 618 Rahn, Olga  181, 616 Ramek, Rudolf  422 Ramlehner, Karl  184 Ranfft, Herbert  494f., 520, 523, 614 Ranner, Herbert  503 Raubal, Angela  270 Rauch, Theodor  472

650 Rauchbauer, NS-Frauenschaftsleiterin  189 Rauter, Hanns  86, 88, 99, 437–439, 498, 500, 531, 558f., 562 Reeh, Alfred  498 Regnemer, Karl  24, 58, 126f., 272, 306, 600f., 614, 617f. Reichel, Hauptmann  95 Reichenau, Walter von  424, 458 Reichenauer, Oskar  418, 421 Reimond, Wilhelm  252 Reischek, SS-Sturmführer (auch Raischek)  255 Reisp, Josef  248 Renner, Karl  203, 226 Renthe-Fink, Cecil von  423, 536 Rentmeister, Walter  373, 454 Reschny, Hermann  25, 92–94, 98, 122f., 158f., 196, 376, 406f., 412, 416f., 422, 424, 427f., 438, 441f., 444, 446, 451–455, 458, 465, 467, 470, 483, 487f., 497, 529, 536, 538f., 549, 552f. Resek, Walter  236 Reuschauer, Josef (= Reischauer, Josef )  23, 145– 149, 152f., 180, 272, 292, 300f., 601, 615–617 Ribbentrop, Joachim von  109, 197, 497 Riedel, Hans  189 Riedhart, Hans  528 Riedl, Helmut  532 Rieger, Gustav (= Hugo Meixner)  198, 364f., 516, 525, 544, 561, 601, 614f., 617f. Riegler, Franz  434 Riehl, Walter  318, 375, 381f. Riesenhuber, Oskar  128, 165, 394, 614, 617 Riessberger, Oskar  139, 616, 618 Rieth, Kurt  325, 375, 418, 460 Rintelen, Anton  94, 242, 337, 344, 347, 381, 417f., 421f., 425–428, 444, 448, 461, 465, 474f. Rittmann, AZ-Redakteur  266 Rodenbücher, Alfred  134, 309, 392, 399f., 403, 406–409, 412–414, 416, 437, 439f., 442, 462– 469, 478f., 483–485, 489, 494f., 497–501, 504, 516, 519, 521–525, 529–531, 533–538, 542– 547, 550f., 554, 559, 561, 563–566, 569–571, 575f., 614, 616 Röhm, Ernst  47, 50, 178, 203, 273, 424, 436, 451, 468, 495f., 501, 517, 578, 602 Röhrich, Hans  297, 553, 614, 617 Ronge, Maximilian  436 Röschinger, Karl  401, 476f., 479

Personenverzeichnis

Rosenberg, Alfred  167f., 426, 558 Rothmund (von) Burgwall, Fritz  57, 181, 286, 616 Rothmund, Marie  286, 616 Rothstock, Otto  449, 616, 618 Rotter, Konrad  284, 412f., 416f., 428, 433f., 446, 450f., 473, 550, 554f., 614, 617f. Rubatscher, Karl  498, 614 Rudischer, Franz  550, 614 Rudzki, Erich  548, 553, 555 Rundspaden, Albert  252, 269, 271 Sagburg, Johann  310 Saliger, Rudolf  198 Sandig, Josef  203, 305 Sauckel, Fritz  276 Schabel, Thomas  34f., 43, 66, 68, 71, 192, 256– 258, 260–265, 271f., 274, 276, 292, 301–304, 309, 314, 382, 614 Schaffar, Erwin  276, 610 Schafhauser, Karl  107, 109, 111–114 Schaller, Leopold  453 Scharizer, Karl  27, 376, 444, 446 Scharnagl, Norbert  476, 479 Schattenfroh, Franz  100f., 356, 451, 472 Schatzmayr, Otto  21, 192, 477 Schefcik, Leo  533, 559, 618 Scheibenpflug, Friedrich  389, 391, 648 Scheiblich, Rosa  187–189 Scheickl, Robert (= „Dr. Schindler“)  383, 436 Schemm, Hans  502 Schirach, Baldur von  27 Schläger, Frank  401 Schlagin, Franz  398 Schmalzbauer 514 Schmalzhofer, Karl  488 Schmauser, Ernst Heinrich  523 Schmid, Ferdinand  139, 194, 267, 282, 365, 367f., 370, 389, 442, 601f., 618 Schmid, Otto  197, 618 Schmied, Robert  176, 610 Schmitt, Kurt  559f., 567 Schmitz, Richard  174, 328, 335, 345, 347f., 354 Schneider, Erich  494 Schneider, Gerhard  256f., 271f., 332 Schneider, Marie  177 Schneider, Philipp  114f., 447 Schnell, Friedrich  371, 454–457

Personenverzeichnis

Schober, Johannes  90, 226 Scholz, Fritz (von)  522 Scholz, Wolfgang  223, 610 Schreck, Julius  21, 49, 57 Schredt, Erich  411 Schreiber, Georg  348 Schreiner, Hans  454, 456f. Schrüfer, Einwohner von Waischenfeld  508 Schuckat, Otto  123, 187–189, 251, 274, 332, 386 Schütz, Michael  502 Schützenhofer, Alfred  480 Schultes, Friedrich  284, 286 Schulz, Anton  168f. Schulz, Karl  22 Schumy, Vinzenz  90, 353f. Schuschnigg, Kurt  143, 211, 225, 297, 321, 335, 344, 347, 351, 353, 430, 473–475 Schuster, Bruno  235f., 614, 618 Schuster, Karl  399f., 462–464, 467f., 494, 614 Schwab, Georg  610 Schwab, Julius  272, 300 Schwarz, Franz Xaver  497, 537–539, 546f., 558 Schwarz, Wilhelm  192, 399–402 Schweizer, Parteigenosse  277 Sedlacek, Josef  234, 618 Sehner, Franz  370 Seidl, Siegfried  196, 410, 602, 615f. Seipel, Ignaz  86, 89f., 338 Seitz, Karl  218, 222, 225, 227, 229, 319 Sekyra, NSDAP-Bezirksleiter  201, 618 Seleskovic, Peter  236 Selinger, Rudolf  416f. Sengseis, Ernst  532 Sennhofer, Otto  220 Seydel, Eugen  470f., 475 Sild, Otto  24, 282f., 614–616 Sinzinger, Adolf  444 Skribenski, Major a. D.  98f. Skubl, Michael  475 Slezak, Eduard  201f. Slipek, Theodor  499, 514, 567 Smirtschek, Johann (auch Smirtscheck) (= Hannes/Hans Hauch)  35f., 44, 46, 58, 72, 109, 146, 148f., 152–154, 180, 194, 196, 265, 387, 442, 487, 489, 496, 550f., 571, 602, 616f. Sobolak, NSDAP-Bezirksleiter  67 Sonnleithner, Franz  432

651 Spacil, Josef  66, 255, 257 Spann, Othmar  381 Speer, Hans  401, 443, 477, 479, 616 Spielmann, Norbert  274f., 280, 284, 288 Spitt, Hans  268, 284f., 614 Spitzy, Reinhard  197 Spörlein, Benedikt  502, 511 Spranz, Leopold  433, 491 Stadler, Anton  131, 380f., 557, 602f., 617f. Stadler, Sylvester  520, 544, 614–616 Stafa, Stefan  104, 138, 247 Staller, Josef  220 Standhartinger, Josef  235f., 305 Starhemberg, Ernst Rüdiger  90, 95f., 99, 136, 213–217, 327, 336–338, 341, 346, 348, 422f., 425f., 429f., 432, 441, 451, 473f., 583 Steidle, Richard  85, 136, 357 Steinberger, Johann  383 Steiner, Moritz  247 Steinert, Friedrich  251 Steinhäusl, Otto  288, 444, 447, 467 Stennes, Walter  45, 50f., 143, 267, 292 Steurer, Johann  161 Steurer, Kurt  161 Stigler, Ludwig  194, 197, 429f., 432f., 435f., 448, 450, 467, 472, 603, 614, 617 Stigler, Robert  197, 430 Stocker, Adalbert  504, 516 Stockinger, Fritz  474 Straffner, Sepp  326, 334, 422 Strasser, Gregor  91f., 99, 101, 203–205 Streeruwitz, Ernst  88, 90, 350, 381 Streicher, Julius  204, 208 Strobl, Hans  138, 194, 230, 370, 454, 456f., 616–618 Stumwöhrer, Leopold  405 Suchenwirth, Richard  22, 118, 120, 156 Suchy, Franz  176, 188 Suvich, Fulvio  349, 397, 425f., 459, 461 Swatschina, Gustav  387f. Sykora, Hugo  134 Sypien, Karl  415, 614f. Sztojkovits (auch Sztojkovics), Anton Heinrich (= Schütze)  418, 618 Tauber, Wladimir  320 Taus, Karl  192, 251, 558, 614

652 Tauschitz, Stephan  321, 330 Teimel, Leopold  24, 107–113, 194, 616 Tetmayer, Heinz  509 Thajer, Hans  364f., 603, 616, 618 Thajer, Hans sen.  365, 616 Thaler, Fritz  429f., 432f., 435f., 447, 546, 616, 618 Thomsen, Hans  328, 342 Thür, Anton  235 Thym, Heinrich  198 Tischer, Franz  556 Tlasek, Karl  219f. Toth-Sonns, Herbert  162, 185, 259, 263 Toyfl, Franz  383 Tüchler, Franz  55, 69, 181, 284f., 383f., 570f., 603f., 614 Tüchler, Kajetan  285 Türk, Oskar  161, 418, 435f., 451, 453, 455 Turek, Walter  295f. Turza, Anna (geb. Weixleder)  27 Turza, Walter  21, 23f., 26f., 29, 33, 45f., 73, 75, 122, 180, 184, 191, 194–196, 200, 251f., 255, 261, 265–270, 272–274, 276, 278, 281, 288– 292, 299, 302, 455–457, 560, 565, 569, 576, 604, 612–614, 616f. Übersberger, Hans  239f., 326 Ulrich, Robert  423 Untermüller, Hans  327 Urban, Karl Heinz  25, 38f., 59, 128, 165, 194, 196, 201f., 294, 332, 371, 383, 415, 571, 575f., 604f., 612, 614–617 Urf, Karl  317f., 387, 615, 618 Vados, Heinrich  331, 383–385, 616 Valentin, Alexander  112, 115 Vaugoin, Carl  90, 96, 224f., 334, 336, 347, 350–353 Vedra, Ludwig  152f., 156 Veigl, Franz  24, 46, 605, 614 Verhass, Franz  509, 618 Vybiral, Franz  316f. Wächter, Otto Gustav  72, 102, 135, 179, 197, 199, 210, 298, 317, 377, 383, 397, 417f., 421, 423, 427–429, 432–436, 444, 450f., 453, 466, 468, 471, 485, 585, 605, 614, 616f. Wagner, Adolf  492

Personenverzeichnis

Wagner, Alfred  515, 618 Wagner, Karl  610 Wagner, Vinzenz  570, 589 Waldeck-Pyrmont, Josias zu  45, 96, 252, 523 Wallisch, Koloman  88, 91 Wanek, Franz  136f., 321 Wasserbäck, Erwin  376 Wedam, SS-Scharführer  267, 291f. Wegenstein, Franz  208, 617 Wegenstein, Heinrich  182 Weichselbaum Adolf (auch Alfred) (= Scheibenpflug)  389, 391 Weigensamer, Ernst  24, 124f., 383, 606, 614f. Weilguny, Franz  23, 31–33, 46, 66, 71, 252, 254– 260, 267, 272, 606, 615–618 Weinzierl, Josef  508f. Weißkopf, Hermann  201 Weithner (von) Weithenturn, Heinrich  409, 477, 480–482 Weitzdörfer, Heinrich  23, 32, 46, 565–567, 569, 606, 615f. Welser, Johann  452 Wendl, Karl  516 Wenger, Guntram  230 Weninger, Karl  321 Werbik, Friedrich  305 Werkowitsch, Eugen  146f., 156, 159–161 Wessel, Horst  36, 152 Wester Dr.  385 Weydenhammer, Rudolf  417f., 421, 425, 427, 432, 444, 450f., 453, 461, 473, 483 Weyh, Gerhard  251 Widner, Walter  390 Wiedemann, Fritz  543, 553 Wieseler, Erich  254 Wiesinger, Georg  524, 526 Wiligut, Karl Maria (= Karl Weisthor)  558 Winkler, Franz  90, 213f., 222, 227, 335, 343–345, 347, 351, 354, 375, 417f., 421f., 431f., 448, 618 Wittje, Curt  407, 563, 523, 557 Wohlrab, Anton  192, 401f., 492, 516, 524f. Wohlrab, Erich  410 Wolf, Anton  401 Wolff, Karl  485, 514, 561–564 Würffel, Gastwirt in Muggendorf  513f. Zach, Hans  516

Das Patronagesystem innerhalb der SS und Karriereverläufe ehemaliger Offiziere der k.u.k. Armee

Zak, SS-Angehöriger  290 Zambaur, Eduard  13, 59, 64f., 132, 197, 311–315, 318–320, 324, 331–333 Zehner, Wilhelm  470, 474 Ziegler, Anton  23f., 29f., 44–46, 58, 75, 112f., 125, 161, 168f., 192–194, 196, 259, 276, 292f., 299, 315–317, 332, 393, 487f., 569, 607, 612, 614–618

653

Ziegler, Johann (= Hans Huber)  24, 128, 131, 165, 365–368, 370, 551, 607, 614, 616–618 Ziegler, Johann II  24, 618 Zimmer, Kornelius  418 Zirbs, Gustav  486, 488–491, 548–550, 553f. Zuchristian, Herbert  610 Zwonek, Otto  371–374, 384, 617

PETER GATHMANN, MARTINA PAUL

NARZISS GOEBBELS EINE PSYCHOHISTORISCHE BIOGR AFIE

Joseph Goebbels (1897–1945) war einer der einflussreichsten Politiker des NS-Regimes und einer der Hauptverantwortlichen für den Holocaust. Diese Biografie nähert sich der Persönlichkeit Goebbels mit den Mitteln der Psychohistorie und sucht in den Erlebnissen seiner Kindheit und Jugend die Wurzeln für die späteren politischen Entscheidungen.

„In dieser psychohistorischen Biografie versuchen die Autoren Goebbels quasi posthum auf die Couch zu legen. Und das gelingt ihnen auf weite Strecken in beeindruckender Weise.“ (Profil) Dass sie [die psychohistorische Analyse] zu beeindruckenden Ergebnissen führen kann, zeigen insbesondere die Kapitel über Goebbels Abhängigkeit von Hitler – eine faszinierende Studie über eine „narzisstische Verschmelzung“, in der der Aufstiegshungrige seine Erweckung und Erlösung erlebt. (Frankfurter Rundschau) 2009. 298 S. 16 S. S/W-ABB. GB. M. SU. 155 X 235 MM. ISBN 978-3-205-78411-1

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Michael Wladika

Hitlers Vätergener ation die Ursprünge des nationalsozialisMUs in der k.U.k. Monarchie

Wenn man den Nationalsozialismus aus dem Lauf der Geschichte löst, ist eine Sichtweise auf die gesellschaftlichen Umwälzungen des 19. Jahrhunderts weitgehend versperrt. Es wird dabei übersehen, dass der „Gemeinwille“ des Volkes sich eine mit nationalen Mythen und Kulten aufgeladene Ersatzreligion schuf, die dazu beitrug, den Folgen einer überhitzten Industrialisierung eine „heile Welt“ entgegenzusetzen. Dieser neue alte politische Stil ließ aber den unentbehrlichen Hintergrund für den Nationalsozialismus entstehen. Der Nationalsozialismus österreichischer Provenienz nahm lange vor Hitler im vom Nationalitätenkampf erschütterten Nordböhmen des Jahres 1903 seinen geistigen Ursprung und stellte mit dem im NS-Staat hochdekorierten Theoretiker Rudolf Jung in dessen 1919 erschienenem Hauptwerk „Der nationale Sozialismus“ schon früh ein demokratisches System gegenüber einem charismatischen Führerstaat in Frage. 2005. Xii, 675 s. 34 s/W-abb. gb. M. sU. 170 X 240 MM. isbn 978-3-205-77337-5

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