Die Agrarier, was sie versprechen und was sie sind [[Mutmaßl. Verf.: Johannes Franz von Miquel]. Reprint 2019 ed.] 9783111666952, 9783111282206


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German Pages 28 Year 1876

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Table of contents :
Die Agrarier, was sie versprechen und was sie sind. Einleitung
I. Was die Agrarier versprechen
II. Wer sind die Agrarier?
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Die Agrarier, was sie versprechen und was sie sind [[Mutmaßl. Verf.: Johannes Franz von Miquel]. Reprint 2019 ed.]
 9783111666952, 9783111282206

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Die Agrarier,

was sie versprechen und was sie sind.

Berlin. Verlag von G. Reimer.

1876.

Die Agrarier,

ums sie nersprechen unö was sie sind. Die Agrarier oder

die

„Steuer- und Wirthschastsrefor-

ntet", wie sie sich jetzt nennen, sind schon vor 3 Jahren in den Wahl­ Damals unterlagen sie überall. Heute kommen sie mit

kampf getreten.

verstärkten Anstrengungen wieder.

Sie haben ein Programm mit

neun Punkten aufgestellt, durch welches der Landmann gewonnen wer­

den soll.

In dem Programm ist Wahres

und Uebertriebenes

durcheinander gemengt.

und

Falsches,

Erreichbares

Was wahr und erreichbar

daran ist, erstreben auch die von ihnen befeindeten Parteien; das Uebertriebene gehört ihnen allein.

Doch wir wollen das Programm Punkt

für Punkt unbefangen prüfen; und erst nachdem wir es geprüft, wollen wir fragen, wer

denn die Führer und Sprecher der Agrarier sind.

Denn die wahren Ziele einer Partei erkennt man nicht an den all­

gemeinen Sätzen, die sie zur Lockung von Anhängern aufstellt, sondern daran, wie die Leiter bisher politisch gestanden und gewirkt haben.

I. Was die Agrarier verspreche«. Ihr Programm. Die Agrarier versprechen

Punkt 1 u. 2.

eine große Steuerreform.

Sie wollen

74 Millionen Steuern, die Hälfte aller directen Staatssteuern abschaf­ fen. In dem Punkte 1 u. 2 ihres Programms ist die Hauptforderung: »Die Doppelbesteuerung,

Gewerbesteuer

liegt,

welche in

ist zu

und Wege geben sie nur

an,

der Grund-,

beseitigen".

Gebäude- und

In Betreff der Mittel

daß das Renten-Einkommen

1*

stärker

4 herangezogen,

die Steuerumgehungen

des Geldkapitals verhindert

werden müßten.

Die sämmtlichen direkten Steuern des preußischen Staats betragen 148% Million Mark.

Mill.),

Davon bilden die Grundsteuer (nahezu 40

16 Mill.) und

die Gebäudesteuer (nahezu

die Gewerbe­

steuer (17% Mill., zu welcher letzteren man eigentlich noch bahn- und Bergwerkabgaben

Hälfte, die Klassensteuer

die Eisen­

die eine größere

hinzurechnen müßte),

(41% Mill.) und die Einkommensteuer

(29% Mill.) die andere kleinere Hälfte.

Jene größere Hälfte wollen

die Agrarier streichen.

Man kann im gewissen Sinne jene ersteren drei Steuern, weil sie neben der Klassen- und Einkommensteuer bezahlt werden müssen, eine

Doppelbesteuerung nennen.

Erst wird der Reinertrag des Gutes ab­

geschätzt und der Besitzer muß davon,

ohne Rücksicht auf die Verschul­

dung, die Grundsteuer bezahlen, dann bezahlt er noch von der Gesammt­ heit seines Einkommens die Einkommen- oder Klassensteuer.

Nur gilt

dasselbe auch von dem Hausbesitzer oder dem Gewerbtreibenden der Stadt. Der Hausbesitzer bezahlt die Gebäudesteuer ohne Rücksicht auf die Hy­ potheken, und wird dann noch nach seinem Einkommen abgeschätzt; jeder Gewerbetreibende ist in demselben Fall,

neben der Klassen-

er muß

und Einkommensteuer die Gewerbesteuer bezahlen,

die nach

dem Um­

fang seines Geschäftes und der darin arbeitenden Personen ohne Rück­

sicht darauf bemessen wird, ob er mit eigenem oder fremdem Geld, mit Gewinn oder Verlust arbeitet.

Die Grundsteuer wird überwiegend von dem platten Land, die Gebäude- und Gewerbesteuer überwiegend von den Städten getragen.

Wenn

also

diese Art

der Besteuerung eine

so ist sie keine Ueberbürdung

Ueberbürdung

des platten Landes,

ist,

sondern sie trifft

Stadt und Land, Grundbesitz und Gewerbe gleichmäßig. Noch mehr.

Summe begrenzt.

Die Grundsteuer ist für alle Zeit auf eine feste

Als 1866 die neuen Provinzen hinzukamen, setzten

die Liberalen es gegen die Regierung durch, daß sie auch dort fixirt wurde.

Die Grundsteuer steigt nicht mit der steigenden Bodenkultur

und der sich ausdehnenden bebauten Bodenfläche. Gewerbesteuer dagegen sind

nicht

fixirt.

Die Gebäude- und

Sie wachsen mit der Zahl

und dem Miethswerth der Häuser, mit der Zahl und dem Umfang der gewerblichen Anlagen. Die überwiegend ländliche Steuer bleibt stehen, die überwiegend städtischen Steuern nehmen zu von Jahr zu Jahr. Die Grundsteuer von nicht ganz 40 Mill. Mark wird von der Gebäudeund Gewerbesteuer mit zusammen 33% Mill. Mark bald übertroffen sein.

5 Schwerlich hat irgend eine Partei eine Vorliebe für diese drei

Steuern.

Es giebt überhaupt keine Steuer, die an sich erwünscht und

angenehm wäre, ja kaum eine, die im wirklichen Leben sich so vertheilen ließe,

daß sie alle Leute

gerecht träfe.

Insbesondere die Grund­

steuer ist uralt, die Liberalen haben sie wahrlich nicht erfunden.

Nur

haben sie dafür gesorgt, daß die Schulter des Bauern sie nicht allein

zu tragen habe. hunderten

Sie haben den adligen Großgrundbesitz, der seit Jahr­

alle Lasten auf Bauern und Bürger abgewälzt hatte,

zwungen mitzubezahlen.

ge­

Sie haben die Steuerfreiheit des Ritters,

die Überlastung des Bauern, die Ungleichmäßigkeit unter den Provinzen beseitigt.

Aber wer die drei Steuern aufheben will,

Ersatz

liegt.

muß angeben, wo der

Die agrarischen Führer vermeiden es,

die Steuerauf­

hebungen, die sie verlangen, in Zahlen auszudrücken. Denn sie wissen, so einfältig ist kein Landmann,

daß er glauben sollte,

die preußische

Regierung und nun gar eine conservative Regierung würde 74 Mill. Steuern ohne Ersatz aufgeben. Von einem solchen Ersatz sprechen sie nicht

gern. Darum lehnten sie einen Antrag ab, den der Freiherr v. Thün gen

in der Februarversammlunz zu Berlin stellte. Dieser wollte offen aus­ sprechen: Es ist unter Beseitigung aller übrigen directen Steuern eine

allgemeine Einkommensteuer einzuführen, wobei zwischen fundi rtem

und nicht fundirtem Einkommen zu unterscheiden ist.

Die Agrarier

zogen es vor, nur die Aufhebung der Doppelbesteuerung zu verlangen, denn das gäbe, wie einer der Herren meinte, einen größeren Anreiz, sich ihnen anzuschließen. Von den neuen Lasten, welche gegen die alten einzutauschen seien, von einer bloßen Steuerreform wollten sie

nicht reden.

Der Plan, alle direkten Steuern in eine allgemeine Einkommen­ steuer mit Unterscheidung des fundirten und des unfundirten Einkom­ mens zu verwandeln, ist ernster Erwägung werth. Wären alle Steuer­ zahler in ihren Angaben lauter wie Gold, oder ließen sich die Ver­

hältnisse bei Allen klar durchschauen, so wäre der Plan der einzig rich­ tige.

Aber leider ist beides in dieser unvollkommenen Welt nicht der

Fall, und für diese unvollkommene Welt machen wir die Steuergesetze. Aber wohlan, setzen wir den Fall, wir wollten die drei Steuern ab­

schaffen

und sie auf die Klassen- und Einkommensteuer werfen.

Die

liberale Mehrheit des Abgeordnetenhauses hat diese beiden Steuern be­ reits zu Gunsten des armen und zu Ungunsten des reichen Mannes

geändert.

Sie hat

die untersten Stufen der Klassensteuer befreit

und die G esammt last der Steuerzahler unter

1000 Thlr. Einkom-

6 men auf eine feste Summe begrenzt, so daß diese minder begüterten Klassen mit der zunehmenden Bevölkerungsziffer, und dem, wie wir zu Gott doch

hoffen, auch wieder zunehmenden wirthschaftlichen Gedeihen von Jahr zu Jahr erleichtert werden.' Sie hat dagegen die Steuergrenze nach oben für die reichen Leute aufgehoben, die Stufen nach oben vermehrt, so daß die

Millionäre jetzt nach dem Maaße ihres Einkommens und über das frü­ here höchste Maß hinaus bezahlen müssen.

Doch dies nur beiläufig und

zur Beleuchtung des nichtswürdigen Schwindels, als seien die Liberalen

Genug,

die Klassen-

und Einkommensteuer beträgt zusammen 71 Mill. Mark.

Sie müßte

Vertreter des Großkapitals und der Börsenwelt.

also mehr als verdoppelt werden. Der kleine Mann mit 4 oder 6 Thlr.

müßte jetzt 8 oder 12,

der Mittelstand mit 30 bis 60 Thlr. müßte

jetzt 60 bis 120 Thlr. mindestens bezahlen.

Noch mehr aber, es ent­

spricht der einfachsten Gerechtigkeit, daß das Einkommen,

welches nur

von der Arbeit, von dem Kopf oder der Hand abhängt,

welches mit

dem Tode des Arbeitenden für die Familie erlischt, ger besteuert

Grundbesitz,

wird,

als

dasjenige

Einkommen,

erheblich gerin­

welches

einem Haus oder Werthpapieren beruht,

Tode des Besitzers für die Familie bleibt.

auf

einem

und nach dem

Im letzteren Fall müssen die

Procente der allgemeinen Einkommensteuer höher gestellt werden,

im erstern.

Das Einkommen

als

auf der Grundlage eines dauernden

Besitzes muß man stärker heranziehen als das ohne solche Grundlage. Oder, anders ausgedrückt, es muß neben der allgemeinen und für Alle gleichen Einkommensteuer eine Vermögenssteuer eingeführt werden.

Mithin bekommen wir die heutige Grund- und Gebäudesteuer in ande­

rer Form, nämlich als Vermögens- oder fundirte Einkommenssteuer wieder, nur würde sie dann nicht wie die Grundsteuer fixirt, sondern beweglich und im Großen und Ganzen von Jahr zu Jahr steigend sein.

Oder will Jemand behaupten, die Grundsteuer sei doch 9% Pro­

cent, und so hoch könne die Vermögenssteuer

niemals

kommen? —

Jeder ehrliche Landmann giebt zu, daß die Grundsteuer zwar dem Namen

nach 9% Procent des Reinertrages, in Wirklichkeit aber nur 4% Procent desselben beträgt.

Die Angaben, als müsse der Landmann, im Gegen­

satz zum Städter, 14, ja wie neulich ein Agrarier in einem Provinzial­ blatt behauptete,

sogar 20 Procent Steuer

entrichten,

sind nur auf

die Unwissenden berechnet, die überhaupt niemals in ihrem Leben ihre Einnahmen und ihre Steuern verglichen haben.

Es bleibt jetzt nur noch eins übrig — die Besitzer von Werthpapieren,

das Renten einkommen,

das Großkapital.

Gewiß, sie

sollen zu der erhöhten Einkommensteuer oder zur Vermögenssteuer

7 genau so herangezogen werden,

wie die Anderen.

nur mit Couponschneiden beschäftigen,

Ja,

wenn sie sich

und in der Welt nichts mehr

durch tüchtige Arbeit nützen,

so sollten sie für ihren Müßiggang noch

eine Extrasteuer

Aber vergeblich forscht man in den Ver­

entrichten.

handlungen der „Steuer- und Wirthschaftsreformer" nach irgend einem

wodurch

Aufschluß, welches denn nun die wirksamen Maßregeln seien,

der Besitzer von Werthpapieren zur vollständigen Angabe derselben ge­

zwungen werden kann.

Zinstragende Obligationen sind doch nun ein­

mal leichter zu verstecken, als ein Gutsbesitz, ein Haus oder eine Fabrik. Es giebt ja in einzelnen kleinen Staaten Strafmaßregeln,

z. B. bei

Erbfällen, die einigen Erfolg haben, aber einen vollen Erfolg hat keine dieser Maßregeln.

Ja, die Hand auf das Herz! — wer von den Gutsbe­

sitzern auf dem Lande giebt denn sein Einkommen und die Zinsen sei­

ner Werthpapiere auf Heller und Pfennig an? volle Steuer zu 3 Procent,

Wer bezahlt denn die

außer den Beamten,

deren Gehalt offen

liegt, und etwa den Geschäftsleuten, die ein Interesse haben, ihren Cre­ dit nicht durch zu geringe Angaben zu schädigen?

Die Liberalen aber,

welche eine gerechte und gleichmäßige Behandlung aller Stände wollen,

werden jeder Maßregel zustimmen, wodurch die Steuerzahler,

insbe­

sondere auch der Rentier und der Capitalist, zur ehrlichen Angabe ihres Vermögens gezwungen werden.

gehen,

Sie werden hierin genau soweit

als die Landbevölkerung in ihrem eigenen Interesse gehen will.

Denn die Liberalen sind aus allen Ständen zusammengesetzt, aus großen und kleinen Grundbesitzern, aus Beamten, Gewerbtreibenden u. s. w.,

und zwar aus jeder dieser Klassen weit mehr, Aber selbst wenn es möglich wäre,

als aus Capitalisten.

jeden Rentier zur vollen Steuer

heranzuziehen, so würde damit doch schwerlich ein erheblicher Theil der

Grund-, Gebäude- und Gewerbesteuer gedeckt werden können. Denn es giebt in Deutschland lange nicht so viel reiche Leute, als in Frankreich oder Eng­

land.

Die Rothschilds sind

sehr

dünn

gesäet.

heute noch ein verhältnißmäßig armes Land,

und

Deutschland ist bis es ist lediglich eine

Uebertreibung der agrarischen Wortführer, wenn sie dem Landmann vor­ spiegeln, daß in den deutschen Großstädten die Millionäre wie die Pilze emporgeschossen wären. Die Agrarier meinen: wenn man etwas erreichen will, muß man viel fordern.

Das ist aber nicht immer wahr. Wer Ueber triebenes ver­

langt, reizt den Widerstand der anderen Bevölkerungsklassen und erreicht

nichts. Statt die Aufhebung der Steuern ohne Nachweis eines Er­ satzes zu fordern, sollte man die Grund- und Gebäudesteuer theilweise und allmählig für die kommunalen Zwecke zu gewinnen suchen.

Die-

8 ser Gedanke ist von den Liberalen wiederholt erwogen, insbesondere in

den letzten Jahren, als es sich um die Ausstattung der Provinzen und Kreise mit eigenen Geldmitteln handelte.

Aber statt eines Antheils an

der Grundsteuer bot der Finanzminister eine Rente aus den Staats-

Einnahmen, und man mußte zugestehen,

daß dies für die Provinzen

und Kreise, besonders für die weniger wohlhabenden und dünn bevöl­

kerten

vortheilhafter sei.

Denn die Rente wird nach dem gemischten'

Maßstab von Flächenraum und Bevölkerung vertheilt, der Grundsteuer­

antheil dagegen wäre in den reichen Gegenden höher, in den armen ge­

Was die erwähnte „Rente" betrifft, so meinen wir

ringer ausgefallen. damit Folgendes:

Rechnet man von den bedeutenden Summen, welche

der Staat durch die Dotationsgesetze von 1873 und 1875 den Provin­

zen resp. Kreisen überwiesen hat, diejenigen ab,

wofür die Provinzen

zugleich bestimmte, bisher vom Staat getragene Ausgaben über­ nehmen mußten, so bleibt noch ein jährlicher Betrag von 13,981,000

Mark übrig, welchen sie ohne solche Gegenleistung Dies ist eine Rente,

welche der Staat

ihnen

bekommen haben.

zur Förderung

ihrer

kommunalen Zwecke und zur Erleichterung der Kosten der Selbstverwal­ tung dargeboten hat.

Sie bedeutet in ihrer Wirkung dasselbe, als wäre

den Provinzen eine ebenso große Summe von der Grund- und Ge­ bäudesteuer überwiesen, nur daß die Bertheilung

in dem Maaße,

als

es gelingt,

gerechter ist.

die Staatsbedürfnisse

Aber

durch andere

Einnahmen zu decken, wird es auch möglich sein, Theile der Grund- und Gebäudesteuer für die Kommunen freizulassen, sowie die Gewerbesteuer

zu reformiren. Das ist eine Aufgabe der Zukunft und eine gemeinsames Interesse von Stadt und Land.

Punkt 3.

Im Punkt 3 ihres Programms erklären die Agrarier:

Grundlage des Freihandels stehend,

„Auf der

sind wir Gegner der Schutz­

zölle, behandeln jedoch die Eingangszölle und Consumtionsstcuern als eine offene Frage."

Sie verlangen dann eine Steuer auf den Börsen-

umsatz und die ausländischen Werthpapiere, und eine Revision der

Stempel- und Taxgesetzgebung. Ursprünglich lautete die Nr. 3 ganz

anders.

Sie fing mit dem

Satz an: „Alle Schutzzölle sind zu beseitigen".

Aber die hoch-

conservativen Herren in der Versammlung meinten, man dürfe einen solchen Satz aus politischen Gründen nicht hineinbringen. Noch nie seien die

Verhältnisse für die conservative Partei so günstig gewesen, wie jetzt.

9 Um

möglichst

viel Conservative aus der Wahlurne hervorgehen zu

lassen, dürfe man die rheinische und süddeutsche Industrie nicht

gegen sich aufbringen.

Aus

diesem Grunde wurden alle Eingangs­

zölle für eine offene Frage erklärt.

Der Agrarier kann also nach sei­

nem Programm auchallenfallsfürdieFortdauerdes Zolls auf

landwirthschaftliche Maschinen stimmen.

Da sieht man doch

deutlich, wie der Hauptzweck der agrarischen Führer nicht die Beseitigung

der landwirthschaftlichen Beschwerden, sondern die Sammlung von

möglichst viel Stimmen für die

politische Partei

der Altconser-

vativen ist. Gegen die sogenannte Börsensteuer ist principiell kein Liberaler.

Die nationalliberale Partei am wenigsten bestreitet den Satz, daß die Steuern gerecht und gleichmäßig auf alle Werthe gelegt werden sollen.

Aber sie will neue Steuern nur bewilligen, wenn sie zur Herabsetzung älterer Steuern dienen, oder wenn sie zur Bestreitung der Staats­

ausgaben

durchaus nöthig sind.

Darum haben

die Liberalen 1869

das Land vor einer ganzen Reihe neuer Steuern — Branntweinsteuer,

Petroleumssteuer, Tabakssteuer, Börsensteuer u. s. w. — bewahrt, und

darum haben sie 1875 die Brausteuer und Börsensteuer abgelehnt. Die Mehrheit des Reichstags wies nämlich im vorigen Herbst nach, daß die

Reichsregierung Mittel und Reservefonds genug habe, um alle Aus­

gaben ohne neue Steuern und auch ohne Erhöhung der Beiträge der Einzelstaaten zu bestreiten. Aber bei dieser Gelegenheit wie in frühe­ ren Jahren haben die Redner der nationalliberalen Partei darauf hin­ gewiesen, daß die Stempelsteuer reformirt, im ganzen Reich gleich­

mäßig gemacht, daß der hohe Stempel beim Besitzwechsel von Grund­ stücken und Häusern, der in Preußen 1 Procent beträgt, herabgesetzt, und zu diesem Zweck der Ertrag einer künftigen Börsen­ steuer verwandt werden müsse. Die Regierung hat auch bereits erkannt, daß sie neue Steuern nur erhält, wenn sie die alten, zu sehr

drückenden vermindert,

und besonders daß eine neue Reichssteuer nur

durch eine solche Reform der gesammten Stempelgesetzgebung zu errei­ chen ist.

Das Finanzministerium macht

schon die Vorbereitungen

zu

Also was die Agrarier fordern, ist von den Liberalen schon in Fluß gebracht. Zum Ersatz für den Ausfall wird insbesondere die dem Plan.

sogenannte Börsensteuer dienen müssen; d. h. die Steuer, welche die Werth­

papiere bei ihrem Eintritt in das Inland

oder bei ihrer ersten Aus­

gabe heranzieht, und außerdem jeden Schlußzettel über Kauf und Verkauf an der Börse trifft. Der Ertrag der Börsensteuer war von der Regierung im vorigen^Jahr übrigens nur aus 2% Millionen Tha-

10 Auch in andern Ländern, wo sie eingeführt ist, bringt sie

(er geschätzt.

Das liegt an einem Umstand,

wenig ein.

den keine Gesetzgebung än­

dern kann, nämlich an der Beweglichkeit des Kapitals.

Besteuert man

z. B. die ausländischen Werthpapiere zu hoch, so kann der Capitalist sie bei Londoner Banquiers kaufen und aufbewahren lassen. Steigert man die Abgabe bei Kauf und Verkauf, so wird mündlich abgeschlosien

und der Schlußzettel vermieden.

von

den

Außerdem werden alle diese Abgaben

berufsmäßigen Börsenleuten auf das Publikum abgewälzt.

Wer ein Paar Hundert Thaler erspart hat und anlegen will, betreffende Abgabe zu tragen.

hat

die

Wer den Auftrag zu Kauf oder Ver­

kauf an der Fonds- und Getreidebörse giebt, hat die Unkosten zu decken.

Die eigentlichen Spieler an der Börse zahlen erfahrungsmäßig von der Steuer das Wenigste.

Das alles schließt aber allerdings nicht aus, daß wir die Börsen­ steuer als Steuer auf die Anlage des Kapitals in mobilen Werthen und

auf den Besitzwechsel derselben einführen und deren Erträge zur

Erleichterung

der,

auf dem Grundbesitz

liegenden Stempelsteuer ver­

wenden müssen. Pnnkt 4 behandelt

das

Eisenbahnwesen.

Die Agrarier wollen Staats­

bahnen statt der Privat bahnen und die Aufhebung „ aller Differen­

tialtarife".

Aber sie erklären sich gegen die Reichsbahnen.

„Der

Besitzstand der einzelnen Staaten soll nicht berührt werden".

Hier sieht man wieder, wie die Agrarier, ober« doch ihre Führer keine wirthschaftliche,

sondern eine politische Partei sind.

Bekanntlich

hat Fürst Bismarck in diesem Winter den Plan ausgestellt, die Haupt­ eisenbahnlinien, zunächst die des preußischen Staats, an das Reich zu

bringen.

Dieser Plan entsprang aus der mehrjährigen Erfahrung, daß

eine wirksame Aufsicht über die Bahnen in den verschiedenen Staaten, eine Vereinfachung und Gleichmäßigkeit des Tarifs nicht möglich sei,

so lange das Reich selbst keinen Eisenbahnbesitz d. h. keinen Hebel zur Ein­

wirkung auf die Bahnen der Einzelstaaten habe. rier,

Wer, wie die Agra­

alle Privatbahnen beseitigen und nur Staatsbetrieb einführen

will, muß aus wirthschaftlichen Gründen auch für den Uebergang aller

Bahnen auf das Reich sein. Denn die Vereinfachung des Tarifwesens, die Berücksichtigung der wirthschaftlichen Interessen der Nation, die Besei­

tigung der Differentialtarife ist doch weit leichter zu erreichen, wenn die deutschen Bahnen in der Einen Hand des Reichs, als wenn sie in den vielen Händen der Einzelstaaten sind.

Diese Folgerung wür-

11 den die Agrarier, wenn sie nur die wirthschaftliche Beschädigung durch

die bisherigen Eisenbahnmißstände im Auge hätten, sicher gezogen haben. Statt dessen

haben sie sich in ihrem

Programm gegen die Bis-

marck'sche Vorlage, für welche die nationalliberale Partei im Land­

tag fast ohne Ausnahme stimmte,

erklärt und nur einzelne Männer,

z. B. Graf Udo Stollberg, sind von dem Programm abgewichen. Woher

kommt diese auffällige Stellung der „Steuer- und Wirthschaftsreformer" ?

Weil sich in ihren Reihen auch der particularistische Adel des Königreich Sachsens, der welfische Adel von Hannover, der kur­ fürstliche Adel von Hessen u. s. w. befinden, und weil diese Bun­

desgenossen und Gegner des Reichs nicht verletzt werden sollten. Es geht also hier, wie bei dem Freihandel; die Macher der Partei,

die altconservativen Führer,

geben ihre eigenen wirthschaftlichen

Dort verstecken sie ihren Freihandel, um die Groß­

Grundsätze Preis.

industriellen zu ködern, hier verläugnen sie den einheitlichen Staats­ betrieb, um die Particularisten und Clericalen in den neuen Provinzen

und in den Mittelstaaten nicht zu verlieren.

Das ist der wirkliche

Grund; Alles andere, z. B. daß man bei den Eisenbahnen decentralisiren müsse, ist Vorwand.

Denn wenn ein und

dieselbe Regierung,

nämlich die preußische, alle Eisenbahnen Preußens und der mit ihm

im Gemenge liegenden Kleinstaaten, d. h. etwa 16,000 Kilometer gut verwalten kann, so kann auch ein und dieselbe Regierung noch

den

Rest, etwa 8000 Kilometer hinzunehmen, und die sämmtlichen 24,000

Kilometer in ganz Deutschland gut verwalten.

Die nationalliberale Partei will ebenso wenig wie die Bismarck'sche Vorlage,

Staatsbahnen machen,

alle Bahnen zu

großen, durchgehenden Linien.

sondern nur die

Sind diese im Besitz des Staates, so hat

derselbe die Macht, alle wünschenswerthen Verbesserungen im Eisen­ bahnwesen durchzusetzen.

Reichsverfassung

in

Die

erster Linie

Eisenbahnen

sollen

als öffentliche,

im Sinne der

der

wirthschaft­

lichen Thätigkeit der ganzen Nation dienende Straßen angesehen wer­ den.

Sie sollen nicht zur Ausbeutung für eine einzelne Klasse

Privatleuten

dienen.

von

Dieser Character der Eisenbahnen als öffent­

licher Straßen ist seit einer Reihe von Jahren von der nationallibe­

ralen Partei energisch hervorgehoben.

Sie erkennt auch den mit den

Differentialtarifen getriebenen Mißbrauch an, Kind nicht mit dem Bade ausschütten.

nur will sie das

Das Interesse des Landwirths

verlangt garnicht, daß alle Differentialtarife, sondern es verlangt nur, daß diejenigen Frachtunterschiede beseitigt werden, welche die auslän­ dische Production auf Kosten der inländischen begünstigen, welche

12 willkührlich den einen Platz vor dem anderen bevorzugen, und dadurch die deutschen Erwerbsverhältnisse stören.

Bahnen

Wenn also z. B. die deutschen

mit den russischen oder französischen an Billigkeit wetteifern,

damit sie die Frachtgüter behalten, die sonst auf fremden Schienenwegen oder Wasserstraßen zu gleich niedrigen Preisen befördert werden, so ist da­

gegen nichts zu sagen; wenn sie aber beispielsweise das Getreide von Pesth nach Amsterdam billiger fahren, als nach Köln oder nach Minden, und

wenn sie in Folge deß das ganze, in Westphalen zur Ausfuhr nach Hol­

land getriebene Mehlgeschäft zu Grunde richten, so ist das ein Eingriff in

das deutsche Wirthschaftsleben,

Eisenbahnen haben nicht das Recht, der ausländischen,

der

verhindert werden muß.

Die

durch geringere Frachtsätze, die sie

durch höhere Frachtsätze,

die sie der inländi­

schen Production auferlegen, die natürlichen Verhältnisse unserer Land­

wirthschaft und Industrie zu stören.

Wenn mit Hülfe der deutschen

Bahnen englische Schienen von Antwerpen nach der Schweiz billiger transportirt werden, als deutsche Schienen von Rheinland und West­

phalen nach der Schweiz, wenn das russische Getreide in Massen von 10,000 Kilo auf der Ostbahn billiger befördert wird,

als das in­

ländische Getreide auf derselben Bahn bei gleich großen Entfernun­ gen, so sind das Begünstigungen des Auslandes, die nur enthüllt zu

werden

brauchen,

seitigung verlangt.

damit

jeder verständige

deutsche Mann

vorgekommen sein sollten.

Also besonders billige Tarife, wenn sie nicht

Einzelnen, sondern Allen zu Gute kommen,

werflich;

ihre Be­

Schlimm genug, wenn sie sogar auf Staatsbahnen

sind an sich nicht ver­

verwerflich aber ist jeder Differentialtarif,

der den auslän­

dischen Erzeugnissen gegenüber den inländischen sogar auf dem in­

ländischen Markt eine Prämie giebt und der im Inland selbst wider

die Natur den entfernteren Ort vor dem näheren bevorzugt.

In die­

sem Urtheil stimmen wohl die meisten Liberalen mit den einsichtsvoll­

sten Vertretern der Landwirthschaft, z. B. mit dem Generalsecretär des landwirthschaftlichen

Centralvereins in Ostpreußen Hr. Kreiß-Gruen-

wehr überein, der auch alle diese Mißstände ausheben,

aber nicht wie

die Agrarier das Kind mit dem Bade ausschütten will.

Punkt 5. Die Agrarier fordern: Papiergeld auszugeben, gebühre nur dem Reich, die Banknoten-Privilegien seien zu beseitigen. Diese Forderungen sind veraltet. Die bunte Menge des Papier­

geldes der Einzelstaaten, die wilden Scheine von Reuß, Schwarzburg, Lippe u. s. w. sind seit Zähren verschwunden, es giebt nur noch Reichs-

13 Kassenscheine, die auf eine feste, sich allmälig vermindernde Summe be­

grenzt und von denen den Einzelstaaten ein bestimmter Antheil zuge­ wiesen ist. Ebenso sind durch das Reichsbankgesetz und die Gründung der

Reichsbank die Privatzettelbanken theils schon beseitigt, theils ist ihre Beseitigung

und

vorbereitet

geldwirthschaft

ist

Dank

Die

Reichsbank

übt,

jedoch

für

aber, die

sichergestellt.

unserer

welche

durch Baar

Münz-

daS

greuliche

Die und

Recht

Bankreform

Papier­

vorbei.

der

Banknotenausgabe

nicht gedeckten

Noten über eine

bestimmte Grenze hinaus 5 pCt. Steuer bezahlen muß, ist zwar eine selbstständige Anstalt,

an der das Privatcapital aus guter Gründen

mit betheiligt ist, steht aber unter der Aufsicht und der Leitung des

Reiches.

Der Reichskanzler selbst ist der Vorsitzende

der Aufsichtsbe­

hörde, des Bank-Kuratoriums, das außerdem aus 4 Mitgliedern besteht, von denen eines der Kaiser und drei der Bundesrath wählt. Die Lei­ tung und Verwaltung der Bank wird von dem Direktorium ge­

übt, dessen Präsident und dessen Mitglieder vom Kaiser auf Vorschlag des Bundesraths ernannt werden.

Dieses Directorium hat bei seiner

Verwaltung überall den Vorschriften und Weisungen des Reichskanzlers

Folge zu leisten.

Es ist muhin durch die Einrichtung der Reichsbank

dafür gesorgt, daß sie keinen einseitigen Interessen, sondern der Wohl­ fahrt

des gesammten Volks zu dienen hat.

Von Banknoten-Privi­

legien im Sinne der Ausbeutung durch Privatinteressenten ist nicht

mehr die Rede.

Was also die Agrarier verlangen, haben die Liberalen

in Gemeinschaft mit der Reichsregierung bereits ausgeführt.

Punkt 6—8. In diesen Nummern wird eine durchgreifende Reform des Aktien­

gesetzes vom 11. Juni 1870, eine Revision der Gewerbeordnung und desUnterstützungswohnsitzgesetzes und ein wirksamer Rechtsschutz für die Verträge zwischen Arbeitern und Arbeitgebern verlangt.

Die genannten Gesetze stammen aus der Zeit von 1867—70.

Sie

sind von einer überwiegend conservativen Regierung vorgelegt und von einem Reichstag beschlossen, in welchem die Liberalen nicht die Mehrheit

hatten. Auch die conservative Seite des Reichstags stimmte größtentheils da­ für. Es ist also thöricht, die Liberalen allein dafür verantwortlich zu machen. In dem Aktiengesetz vom 11. Juni 1870 besteht die wesentlichste Neue­

rung darin,

daß für die Bildung von Aktiengesellschaften (mit Aus­

nahme der Eisenbahngesellschaften) die Genehmigung der Behörden auf­

gehoben wurde. Daß diese Neuerung an dem Schwindel, der 1871— 73 getrieben wurde, nicht die Hauptschuld trägt, beweist unser Nachbar-

14 Denn dort war die Staatsgenehmigung beibehal­

staat Oesterreich.

ten, und doch war der Schwindel mindestens eben so arg als bei uns.

Keine Behörde ist im Stande zu übersehen,

eine Baugesellschaft,

ob

eine Fabrik oder ein sonstiges Unternehmen, welches auf Aktien gegrün­

det werden soll,

solide

oder unsolide betrieben werden wird.

Nicht

einmal die Gründergewinne wären unmöglich gemacht, wie man ja an

manchen, von der Regierung concessionirten Eisenbahngesellschaften sieht. Und wenn auch ein Theil der Schwindler mit dem Concessionsgesuch

zurückgewiesen wäre, so konnte dafür das Publikum um so mehr durch andere Unternehmungen geschädigt werden, welche die Concession erhielten, also gleichsam von der Staatsbehörde als solide empfohlen waren. Das

was allein gegen den Leichtsinn, die Gewissenlosigkeit und den Betrug helfen kann, — scharfe Strafgesetze, strenge Verantwortung der Grün­

der,

Verwaltungsräthe und

Direktoren,

gebung vor dem 11. Juni 1870 nicht. der Jahre 1871—73 dazu, um

hatte auch die ältere Gesetz­ Es gehörten die Erfahrungen

diese Lücken klar zu legen.

Sie sind

von der liberalen Partei schon lange vor dem Agrarierprogramm öffent­

lich bezeichnet.

Schon Anfang

1873

einer ihrer Führer

beantragte

Untersuchung des Unwesens bei den Eisenbahngründungen, und das Er­

gebniß dieser Untersuchungskommission war u. A., daß das Aktiengesetz reformirt werden müsse.

Die Regierung ist dann abermals in diesem

Winter durch einen von den Liberalen ausgegangenen Antrag zu jener

Reform aufgefordert worden. Gesetzes

so

Die Schwierigkeit ist nur, die Netze des

zu flechten, daß eine unehrliche Unternehmung nicht hin-

durchschlüpfen, eine ehrliche dagegen sich frei bewegen kann. Darüber sind schon Dutzende von Schriften geschrieben. Die Agrarier aber haben bisher

nicht den mindesten Beitrag zur Lösung der Frage geliefert. Die Freizügigkeit und die Gewerbefreiheit sind alte preu­

ßische Einrichtungen.

In Altpreußen sowie in Sachsen und anderen

norddeutschen Staaten besaß jeder unbescholtene arbeitsfähige Mann

das Recht, Wohnort und Niederlassung zu wählen.

Im norddeutschen

Bunde wurde dieses Recht lediglich auf alle Reichsbürger ausgedehnt. Aus den Verhandlungen der »Steuer- und Wirthschaftsreformer" geht her­

vor, daß die agrarischen Großgrundbesitzer nicht übel Lust hätten, Freizügigkeit des kleinen Mannes zu beschränken.

die

Sie beschwerten sich

darüber, daß die Kinder der kleinen Leute erst auf ihre Kosten ernährt

und in der Schule unterrichtet würden und dann den Ort verließen. Diese Großgrundbesitzer können die schöne Zeit nicht vergessen, wo der

Bauer und die ganze Dorfgemeinde an die Scholle gefesselt war,

für

den Herrn frohnden mußte und ohne seine Erlaubniß das Dorf nicht

15 Die Verständigeren sahen freilich ein, daß es einen

verlassen konnte.

bösen Eindruck aus den deutschen Reichsangehörigen machen

wenn man ihm das Recht beschränken wollte, rung im deutschen Vaterland zu suchen,

Klagen

wurden also

auf

würde,

seine Arbeit und Nah­

wo er sie finden kann.

den Unterstützungswohnsitz

Viele Agrarier wollten denselben ganz aufheben.

Die

beschränkt.

Wer seinen Geburts­

ort verlasse, solle sterben und verderben, wenn er krank und arbeitsun­

geworden sei.

fähig

Ein Herr von Zitzewitz meinte, man müsse sich

Amerika zum Muster nehmen. hin Du willst,

Da heiße es: Du kannst hinziehen, wo­

aber auch sterben,

wo Du willst.

Und das nennen

diese menschenfreundlichen Herren: »die Volkswirthschaft auf christliche

Grundlagen stellen!" Den UntcrstützungSwohnsitz ganz aufheben, den und Altersschwachen, das unmündige Kind lediglich der Privatwohlthätigkeit anheimgeben, und wo diese nicht hilft, sie ver­

Kranken

kommen und verhungern lassen, — das können nur hartgesottene

Egoisten Vorschlägen.

Nichtig ist aber, daß die einzelnen Paragraphen

des Unterstützungswohnsitz-Gesetzes einer neuen Prüfung bedürfen.

Die Bestimmung,

daß der neue Unterstützungswohnsitz erst durch zwei­

jährigen Aufenthalt nach zurückgelegtem 24sten Lebensjahre erworben ist eine Beschwerung der Landgemeinden zu Gunsten

werden kann,

Die jungen Leute männlichen und weiblichen Geschlechts,

der Städte.

die mit dem 18—20 ften Lebensjahr Arbeit oder Dienst in den Städten

suchen,

dürfen nicht, im Fall der Krankheit oder sonstigen Arbeitsun­

fähigkeit, bis zum 26sten Jahre ihrer Heimathsgemeinde zur Last fallen.

Seitdem das Alter der Volljährigkeit auf 21 Jahr herabgesetzt ist, wird eö billig sein,

auch hier eine Aenderung eintreten zu lassen

und dem

Ort, wo Jemand nach dem Listen Lebensjahr ein Jahr lang sich aus­ gehalten und gearbeitet hat, die Unterstützungspflicht aufzuerlegen. Da­ mit ist, glauben wir, der Punkt getroffen, wo einer wirklich gerechten Be­

schwerde abgeholfen werden muß. Auch

die

Gewerbefreiheit bestand in Altpreußen

seit 1810.

In den Jahren 1845 und 1849 wurden zwar Versuche zur Beschrän­

kung gemacht, aber mit schlechtem Erfolg für das Handwerk selbst. Seit 1860 stellten sich eine große Zahl deutscher Staaten,

darunter

Sachsen, Baiern, Baden, Oldenburg, die thüringischen Staaten, Braun­ schweig,

Nassau, Bremen auf den Boden der Gewerbefreiheit und die

preußische Regierung führte sie 1867 durch Verordnung in den neuen

Provinzen ein.

Die deutsche Gewerbefreiheit von 1869

ist wesentlich

nach dem Vorbilde des gewerbreichen Königreichs Sachsen geschaffen. Wer unseren Handwerkern einredet, die Gewerbe-Ordnung sei an ihrem

16 schlechten Fortkommen schuld, der täuscht entweder sie oder sich selbst. In Frankreich und England besteht die Gewerbefreiheit seit einem Jahr­

hundert und länger, und Niemand denkt daran,

wenn schlechte Zeiten

die alte Abhängigkeit der Gewerbetreibenden von der Concession

sind,

der Behörden, die Zünfte, die Zwangs- und Bannrechte, die Beschrän­

kung der Meisterzahl und der gewerblichen Niederlassung als Heilmittel empfehlen zu wollen.

leidet, in

Die Uebel, an denen unser Handwerkerstand

liegen viel tiefer: sie liegen in dem modernen Großbetrieb und

der social-demokratischen Vergiftung der Arbeiter; nicht das Gesetz,

sondern nur die äußerste Thätigkeit sowie

die freie Vereinigung der

Meister zur Vorbereitung neuer, Meister und

Gehülfen

fassender Organisationen kann die Uebel heilen.

Das Wahlprogramm

zusammen­

der „selbstständigen Handwerker" redet zwar von Revision der Gewerbe-

aber

Ordnung,

verlangt

es

ohne bestimmte Punkte zu bezeichnen. Errichtung von Gewerbekammern,

die

Im Uebrigen

von gewerblichen

Mittelschulen, von Fortbildungsschulen, ein Patentgesetz zum Schutz der

Erfindungen und die Sicherung der deutschen Arbeit auf dem heimi­ schen Markt — lauter Dinge,

die bis auf den letzten, etwas dunkeln

und vielleicht im Sinne der Schutzzöllner gemeinten Punkt unverfäng­ lich sind und von den Liberalen,

tionscommission des werden.

wie ein neulicher Bericht der Peti­

Abgeordnetenhauses

beweist,

durchaus

vertreten

Die Gewerbe-Ordnung selbst ist ein so umfassendes Gesetz,

daß manches darin mit der Zeit sich wohl als herausstellen kann. Hausirgewerbes,

verbesserungsbedürftig

In dem Lehrlingswesen, in der Freilassung des

des Gastwirthschaftsbetriebs

u. s. w. mag

Einzelnes

wohl geändert werden können, aber damit wird dem Handwerkerstand nicht in dem geholfen, worüber er klagt.

Arbeitsame Gesellen, gehor­

same Lehrlinge, Menschen, die ihre Ehre in der Tüchtigkeit ihrer Arbeit suchen, kann leider nicht blos das Gesetz schaffen.

Graf Udo Stollberg

war denn auch so ehrlich, bei dieser Gelegenheit in der Agrarier-Ver­ sammlung zu Berlin zu sagen: Ich habe von vielen Seiten die Be­ hauptung aufstellen hören, die Gesetze müßten revidirt werden, aber es

hat noch Niemand gesagt, „wie sie revidirt werden sollen " mann verspricht,

verschaffen,

Wer Jeder­

ihm einen „ausreichenden Nahrungsstand" zu

der treibt es wie die Quacksalber und Wunderdoctoren, die

in den Zeitungen jeden Kranken zu heilen versprechen. Ueber den Contraktbruch zwischen dem Arbeiter und Arbeitgeber

hat der Reichstag wiederholt verhandelt. Mehrheit nicht entschließen können,

Er hat sich bis jetzt in seiner

denselben unter allen Umständen

kriminell zu bestrafen, obwohl auch viele Liberale dafür waren. Die

17 Gegner sagten: Wenn der Schneider mir den versprochenen Rock nicht

so wird er deshalb nicht kriminell bestraft;

liefert,

Arbeiter bestrafen,

weil

kann ich also den

er mir die versprochene Arbeit nicht leistet,

vorausgesetzt, daß dadurch nicht, wie z. B. bei einem verabredeten Fort­

gehen

der Arbeiter während

der Erndte,

die allgemeinen Interessen

gefährdet werden? Aus den Berathungen des Landwirthschaftsraths geht

hervor,

daß auch dort die Ansichten über die strafrechtliche Verfol­

gung des Contraktbruchs getheilt waren.

wirth,

Was hilft es auch dem Land­ und er ihn

wenn der Arbeiter ihm in der Erndte davonläuft,

dafür nach drei Monaten ins Gefängniß bringen kann?

Darum ging

im Landwirthschaftsrath wie im Reichstag überwiegend die Meinung

dahin, Maßregeln zu treffen, wodurch der ländliche Arbeiter nicht zur Bestrafung gebracht, aber zur Erfüllung seiner vertragsmäßigen Pflicht sofort gezwungen werden könne.

Die Agrarier scheinen dasselbe zu

wollen, leider verrathen sie aber nicht, wie man das praktisch am besten ausführt.

Und das ist gerade die Hauptsache. Wie kann ich den fort­

laufenden Knecht oder Arbeiter auf das Kornfeld, das eben geschnitten werden soll,

wieder zurückholen und ihn zwingen,

daß er mir nun

und mich nicht boshaft beschädigt?

Mit allgemeinen

ordentlich dient,

Redensarten wird diese Frage nicht beantwortet.

Punkt 9. Die Agrarier wollen hier etwas abschaffen, was seit Jahrtausenden

besteht, nämlich das römische Recht.

Sie wollen für den ländlichen

Grundbesitz eine andere Verschuldungsform und ein anderes Erb­

recht einführen.

Da dieser Theil des Programms bei den Agrariern

selbst auf großen Widerstand gestoßen ist,

und ihre Wortführer zuge­

er werde wohl erst in Jahrzehnten und Jahrhunderten erreicht

stehen,

so können wir ihn billig bei Seite lassen.

werden,

Nur in Betreff

des Erbrechts sei Einiges zur Verdeutlichung bemerkt.

Was von den

ziemlich unklaren Gedanken der agrarischen Wortführer auf diesem Ge­ biet richtig ist,

hat die Mehrheit des Abgeordnetenhauses schon 1874

durch das Gesetz über das Höferecht in der Provinz Hannover durch­

geführt.

Sie hat jedem Hofbesitzer das Recht gegeben, seinen Hof ein­

tragen zu lassen und dadurch zu bestimmen,

daß der Erbe des Hofes

nach Abzug der etwaigen Schulden ein Dritttheil des Hofswerthes vor­ weg erhält, und in die übrigbleibenden zwei Dritttheil der Erbschafts­

masse mit den Geschwistern oder sonstigen Erben zu gleichen Theilen geht.

Aber der Besitzer des Hofes ist zu dieser, die Erhaltung der Höfe

bezweckenden Erbschastsordnung nicht gezwungen, sondern er kann frei

i

18 seinen Hof eintragen und löschen lassen.

Das Verfügungsrecht ist

ihm nicht beschränkt; wenn er will, kann er testamentarisch anders thei­

Die Agrarier wollen dagegen die Theilbarkeit

len.

Fideicommissen

die

gesetzlich

auf­

Sie wollen insbesondere alle großen Güter zu untheilbaren

heben.

großen

Güter

Die

machen.

fordern umgekehrt, daß aller

Fideicommisse

Diese Theilbarkeit wird theils

und Lehne theilbar werden.

schaftlich

Liberalen

unter Beseitigung

den Vortheil haben,

wirth-

daß die allzu umfangreichen Flächen

besser cultivirt werden, theils wird sie den Bauernhöfen Schutz gewäh­ Denn große untheilbare Güter haben stets die Tendenz, die mitt­

ren.

leren und kleineren Besitzthümer zu verschlingen.

In England z. B.

hat der adlige Grundbesitz allmählich alle Bauern gelegt; es giebt dort,

mitAusnahme weniger Landstriche, nur noch Großgrundbesitzer und Pächter. Wenn diese Pläne der agrarischen Führer zur Ausführung gelangten, so würden wir bald in mecklenburgische Zustände hineingerathen. Es würde

dann nur noch große Besitzer und ein ländliches Proletariat geben. Die Auswanderung, welche jetzt glücklicher Weise stillsteht, würde von Neuem

beginnen und die zurückbleibenden kleinen Leute und Arbeiter, auch die

fleißigsten und ordentlichsten, demokratie werden.

würden sämmtlich Anhänger der Social­

Denn diese hat nach den bisherigen Erfahrungen

vorzugsweise da Boden gefaßt, wo ein ländlicher Mittelstand nicht besteht.

II.

Wer sind die Agrariers Wie es mit dem Programm der Agrarier steht, haben wir gesehen. Was darin berechtigt und durchführbar ist, ist nicht neu und wird be­

reits von den Liberalen erstrebt;

was darin neu ist,

ist nicht durch­

führbar oder geradezu verkehrt. Aber bei einer Partei kommt es auf

das Programm allein nicht an, sondern auch auf die Personen. Das Papier ist geduldig. Um den ehrlichen Landwirth, der sich unter

dem Druck schlechter Zeiten befindet,

zu gewinnen,

kann man Vieles

versprechen und fordern, was nachher wieder vergessen wird,

der Zweck,

nämlich die Wahl gewisser Leute, erreicht ist.

wenn

Wer steht

an der Spitze der Agrarier in dem alten Preußen? Es ist der

altconservative Theil des Adels, welcher Preußen von 1821 bis 1848,

und dann wieder von 1850 ab beherrscht hat.

größten Theil die altansässigen Familien,

Es sind zum

die zur Zeit der Kurfürsten

19

und ersten Könige gegen die ausgleichende, auch dem Bauer und Bür­ ger gerechtwerdende Fürstengewalt ankämpften, die zur Zeit des Reichs­ freiherrn von Stein

gegen die Befreiung der Bauern arbeiteten,

Es ist die kleine, aber zähe und mächtige Partei,

hintertrieben. nach

den

Stillstand

Freiheitskriegen

in

die

Fortschritt in Preußen zum

die in den zwanziger Jahren jene Kreis-Ord­

brachte,

nungen schuf,

den inneren

die

den Erlaß einer Verfassung

zur Zeit der Humboldt und Hardenberg

denen jeder Ritter Virilstimmrecht hatte und die

Landgemeinden und Städte mit ihrer Stimmenzahl verschwanden, jene Provinzial-Ordnungen machte,

die

in welcher die Standesherren und

Ritter an Zahl den Städten und den Landgemeinden zusammen mindestens

gleichgestellt

waren.

Es

ist

die Partei,

welche die natürliche Ent­

wickelung Preußens so blind hemmte und durchkreuzte,

daß die Revo­

lution von 1848 kam; welche unter der Führung der „Kreuz-Zeitung" den Staat des alten Fritz nach Olmütz und Bronzell führte;

welche

dann seit 1850 eine so wilde Reaction trieb, daß wir ohne die Weis­ heit und Mäßigung unseres jetzigen Regenten einer zweiten Revolution

entgegen getrieben wären.

Was hat diese Partei, so lange sie regierte,

im Interesse der Landwirthe jemals gethan?

Sie hat bis 1860 die

Grundsteuerfreiheit der Ritter behauptet, und jeder Ausgleichung

zäh widerstrebt. Sie hat jede Verbesserung der Kreis- und Pro­ vinz ialordnung verhindert, bis endlich die Liberalen im Jahre 1872 den

Landgemeinden durch die neue Kreisordnung die ihnen gebührende Vertre­ tung schafften. Sie hat 1856 Landgemeindeordnungen und Städteordnun­

gen geschaffen, die dasSchlechteste an Gesetzgebung sind, was jemals in Preu­ ßen in die Gesetzsammlung kam. Ihre landwirthschaftlichen Minister leisteten gar nichts. schen Sinne knechten.

Die Schule ließ sie versumpfen und im pfäffi­

Nicht bloß die Lehrer, auch viele Geistliche ließ daß sie hungern mußten. Die Oberho­

sie in so dürftigem Gehalt,

heit des Staates über die römische Kirche gab sie gedankenlos preis,

während die alten Kurfürsten und Könige sie stramm festgehalten hat­ ten, und legte so den Keim zu dem späteren Kulturkampf. In Summa, sie hatte Preußen in den inneren Dingen, mit alleiniger Ausnahme der

Armee, welche der besonderen Pflege des Fürstenhauses sich erfreute, so zurückgebracht,

daß,

als nun die große Wendung von 1866 kam, auf

allen Gebieten gleichzeitig die Versäumnisse nachgehvlt werden mußten. Da liegt der Grund für die Gesetzesmacherei,

für die allgemeine Um­

wälzung, welche man heute den Liberalen vorwirft. Hätte die altkon­ servative Adelspartei nicht kurzsichtig blos an ihre Privilegien gedacht,

hätte sie das Vernünftige zur rechten Zeit gewollt,

den Aufbau von 2*

20 Gemeinde, Kreis und Provinz im Sinne der Stein'schen Reformen in so würde die mühselige Arbeit der neuen Ver­

die Hand genommen,

waltungsreformen nicht in dieselbe Zeit gefallen sein, wo uns die Ver­

größerung Preußens und die Gründung des deutschen Reichs so viele andere schwere Aufgaben stellte.

Das einzige Verdienst, welches sich der altländische Adel während die Schöpfung

seines Regiments in den 50ger Jahren erwarb, war

des Herrenhauses mit den 90 Vertretern des alten und befestig­

ten Grundbesitzes. auch nur den

Aber sobald Preußen wirthschaftlich und politisch sobald es z. B.

bescheidensten Schritt vorwärts thun,

1860 die Steuerfreiheit der Rittergüter abschaffen oder die Anfänge einer verbesserten Kreisvertretung machen wollte,

mußte das junkerliche

Gebäude sofort durch Berufung neuer Mitglieder seitens der Regierung Sonst wissen die Bürger und Bauern von kei­

umgewandelt werden.

ner Leistung der Junkerpartei im Interesse von Land oder Stadt zu erzählen.

Und diese Partei, welche weder für das politische,

noch für das

materielle Wohl des Landes je etwas geleistet hat, wirft den Liberalen

Vernachlässigung oder Schädigung der Landesinteressen vor! Die Liberalen

haben ja nicht regiert, sondern ein Ministerium, das überwiegend kon­ servativ ist. Allerdings haben sie aber mit demselben zusammenge wirkt, die Last der Gesetzesarbeit besonders in den letzten 5 Jahren vorzugs­

weise getragen und

die Regierung hat ihre Forderungen und An­

träge berücksichtigen müssen.

Und nun wollen wir noch in einigen Zü­

gen nachweisen, was im Unterschied von jener Zeit des Junkerregiments

in diesen letzten 5 Jahren für die materiellen Interessen, Erleichterung der Steuerzahler,

für

für die

Landeskulturzwecke,

für

Schule und Kirche u. s. w. durch das Zusammenwirken der Re­ gierung mit den Liberalen geschehen ist.

Seit 1871 ist die Steuerlast des Landes um 31% Millionen

Mark erleichtert.

An dieser Erleichterung haben alle Klassen Theil

genommen, besonders aber auch giebt sich auf folgende Weise:

das platte Land.

Jene Summe er-

1) Die Klassensteuer

wurde theils

für die untersten Stufen aufgehoben, theils in ihrer Gesammtheit fest

begrenzt;

dies kostete der Staatskaste 7%

Millionen

Mark.

2) Die

Aufhebung der Erbschaftssteuer zwischen Ehegatten und die Ermä­ ßigung anderer Stempelabgaben machte etwa !- Mill. Mark. Verzicht auf die Erhebung des

ergab 4%

Millionen Mark.

Schlacht st euer durch

Chansseegeldes 4) Bei

die Klassensteuer

3) Der

auf Staatsstraßen

dem Ersatz der

Mahl- und

trat eine Erleichterung

von

21 1% Millionen Mark ein. 5) Verschiedene Ermäßigungen bei der Ge­ werbesteuer ergaben l1/« Millionen Mark. 6) Die Aufhebung der Kalender- und Zeitungssteuer belief sich auf 3% Mill. Mark. 7) Endlich trat der Staat an die Provinzen und Kreise bedeutende jährliche Summen ab. So durch das Gesetz von 1873 zur Durchfüh­

rung der Kreisordnung 3 Millionen Mark und zur Ausstattung der Provinzialverbände 9 Millionen Mark. Ferner durch das Gesetz von 1875weitere 7,^440,000 Mark, gegen Uebernahme gewisser bisher vom Staat übernommenen Verpflichtungen, und 15 Millionen Mark gegen Ueber­ nahme der Verwaltung und Unterhaltung der Staatschausseen. Diese letz­ tere Summe wurde auf Andrinzen der Liberalen noch um 4 Millionen er­ höht. Die Gesammtsumme, um welche die vom Staat 1873 und l875 gewährten Geldmittel die bisherigen Leistungen des Staats für die entsprechenden Zwecke übersteigen, beträgt 13,981,000 Mark. Dieser Betrag ist zwar keine directe Steuererleichterung; aber wenn die Provinzen all die wirthschaftlichen Interessen, welche sie mit Hülfe dieser Summe befriedigen können, aus eigenen Mitteln fördern wollten, so müßten sie so viel mehr an Communalsteuern aufbringen. Insofern kann die Summe indircct als Steuererleichterung aufgeführt werden. — Dazu kommt nun noch dieHerabsetzung oderÄufhebung verschiedener Zölle, insbesondere der für die Landwirthschaft so wichtigen Eisenzölle. Fer­ ner die Verminderung der Kosten bei dem Auseinandersetzungsver­ fahren und in Grundbuchsachen. Diese auf Millionen sich be­ laufenden Erleichterungen haben wir bei der obigen Ziffer nicht in An­ rechnung gebracht. Dabei geschah aber seit 1871 für alle Cultur- und Bildungs­ zwecke außerordentlich viel mehr als früher. Große Summen wurden für solche Landesculturzwecke bestimmt, welche früher karg bedacht und zum Theil schwer vernachlässigt waren. Im Etat des Handelsmini­ steriums ward im Jahre 1875 an außerordentlichen Ausgaben für Kanäle, Schleusen und Häsen, zur Regulirung der Wasserstra­ ßen, zur Verbesserung der Seehäfen und der Schifffahrtsver­ bindungen, zum Bau von Straßen, Brücken u. s. w. die höchst bedeutende Summe von 25'/, Millionen Mark ausgesetzt. In dem lau­

fenden Jahre ließen die ungünstigeren finanziellen Verhältnisse eine gleich hohe Bewilligung nicht zu; sie war auch nicht nöthig, da es der Bauverwaltung nicht gelungen war, die vorjährige Summe für die beabsich­ tigten Unternehmungen völlig zu verwenden. Aber es wurden doch auch in diesem Jahr für die obigen Zwecke reiche Geldmittel im Betrage

22 von 10 Millionen Mark zur Verfügung gestellt.

Die Agrarier wollen,

daß das Eisenbahnwesen in die Hand des Staates komme.

Nie­

mals, seitdem es Schienenwege giebt, ist für die Stärkung und Er­ weiterung des staatlichen Bahnnetzes, für den Bau neuer Linien, für den Ankauf von Privatbahnen oder den Erwerb ihrer Verwaltung

und ihres Betriebes

so viel geschehen,

und besonders als seit 1872

als in den letzten zehn Jahren

geschehen ist.

In allen Provinzen der

Monarchie und vorzugsweise auch in den östlichen ist ein Netz neuer Bah­ nen theils gezogen, theils in Angriff genommen; ein immer größerer Procentsatz

wie

landwirthschaftlichen

der

der

gewerb-

handel­

und

treibenden Bevölkerung,

die früher von dem Eisenbahnverkehr abge­

schnitten war,

jetzt

nießen.

genießt

seine Vortheile

oder wird

In den Jahren 1865 und 1868 wurden

sie bald

113 Millionen,

ge­

in

den Jahren 1872 bis 1875 wurden 613 Millionen Mark für Eisen­ bahnen bewilligt.

Die Gesammtheit des für die Staatsbahnen gewähr­ Leider

ten Kredites beträgt in diesem Jahrzehnt 726 Millionen Mark.

fehlte es unserer Bauverwaltung an Kräften, um die beschlossenen Bau­

ten rasch durchzuführen, obwohl dies in den Jahren 1874 — 1875 für unsere leidende Industrie besonders erwünscht gewesen wäre.

Es sind

von den gewährten Krediten in das Jahr 1876 noch 439’4 Millionen zur Verwendung übergegangen.

Dazu sind nun noch in diesem Jahre

neue Mittel gewährt, theils um wichtige Bahnlinien, wie Halle-Cassel und Halle-Sorau-Guben

anzukaufen,

oder unter Vorbehalt des späte­

ren Ankaufs in staatlichen Betrieb zu nehmen; theils um Landstrichen, die wie die holsteinischen Marschen sich aus eigenen Kräften Eisenbahn­ straßen zum

bauen,

in

erleichterten Absatz ihrer

landwirthschaftlichen

diesen Anstrengungen zu unterstützen.



Produkte

In das

land-

wirthschaftliche Ministerium kam nach dem Rücktritt der altkonser­

vativen Minister ein reges Leben.

Man sah sofort, daß

wenn in die­

ser Verwaltung bisher wenig geleistet war, dies an der geringen Fähig­ keit der früheren Leiter gelegen hatte.

Im Jahre

1876

wurden

für

landwirthschaftliche Zwecke aller Art im ordentlichen Etat etwa VA Mill. Mark mehr ausgesetzt als 1873. schaftlicher Schulen eifrig gefördert

für erhöht.

Man hat die Errichtung landwirth-

und die Beihülfen des Staats da­

An Prämien zur Förderung der Pferdezucht, an Geldmit­

teln zur Hebung der Zucht anderer landwirthschaftlicher Thiergattunzen, sowie im Interesse der Fischerei, ist mehr aufgewendet als früher. Die Summen für Landesmeliorationen und Deichbauten

sind im Wachsen.

Sämmtliche außerordentliche Verwendungen für die Landwirthschaft be­ trugen 1873 nur 1%, zwei Jahre später dagegen 5'/- Millionen Mark.

23 Sehr wichtig ist auch eine Anzahl auf diesem Gebiet zu Stande ge­

kommener Gesetze. Das Fischereigesetz beugt dem regellosen, die Gewässer verödenden Fischfang vor, das Waldschutzgesetz wird sehr wirksam gegen die

Waldverwüstung sein. DieGesetze über das Kostenwesen in Auseinander­ setzungssachen und über die Berichtigung der Grundbücher vermindern

die Kosten bei den Separationen und Ablösungen.

Erwähnt fei noch

der im Werk befindliche Bau eines landwirthschaftlichen Museums und einer Maschinenhalle. In der Forstverwaltung wurden zum Erwerb von Oed- und

Haideländereien,

bis

Sandfchollen und Sandäckern

150,000 Mark ausgegeben,

1871

höchstens

seit 1874 jährlich mehr als eine Million.

Was die Bewaldung solcher Flächen

für die Landwirthschaft bedeutet,

wie sie Versandungen und Versumpfungen abwendet, klimatisch vortheilhaft

wirkt, weiß jeder der etwas davon versieht. Von dem Forstareal, welches

zu Acker- und Wiesenbenutzung geeignet ist, sind seit 1870 11,000 Hecta-

ren an Servitutberechtigte abgetreten, 66,000 Hectaren sind seitdem und zwar meist in kleinen Parzellen verpachtet — ein besonders wichtiges

Mittel, um der Auswanderung ländlicher Arbeiter oder ihrem Weggehen in die Städte entgegenzuwirken.

Für den Wegebau in den Forsten, für

die Abgabe von Forstpflanzen an Private und Gemeinden,

für das

Forstunterrichtswesen ist bedeutend mehr als früher geschehen. Ganz besonders auffällig ist der Unterschied im Schulwesen.

So

lange der altconservative Herr v. Mühler Cultusminister war, blieb die

wie sie seit

Beihülfe des Staats für Unterrichtszwecke so dürftig,

Jahrzehnten gewesen war.

Die Gesammt - Ausgaben des Staatshaus­

halts für Schule und Kirche betrugen bis 1872 nur 21'/, Mill. Mark; bis

1876 haben sie sich auf 44% Mill. Mark erhöht,

verdoppelt.

Der einsichtsvolle Landmann weiß,

d. h. sich mehr als

daß die bessere Doti-

rung aller Unterrichtsanstalten, auch der Universitäten, Gymnasien und

Realschulen ihm zu Gute kommt,

selbst wenn er

seine

Kinder

nicht

dahin schickt; denn jeder Fortschritt in den Wissenschaften fördert, wenn auch

auf Umwegen,

den rationellen Betrieb der praktischen Gewerbe.

Aber jene Verdoppelung der Ausgaben ist vorzugsweise der Volks­ schule zu Gute gekommen.

Im Jahre 1868 gab der Staat für daS

Volksschulwesen nur einen Zuschuß von 3% Mill. Mark, 1872 nur von 5% Mill. Mark;

bis 1876 hat sich

dieser Zuschuß auf

18% Mill.

Mark gesteigert, also im Vergleich zu jenen beiden Jahren verfünffacht beziehungsweise verdreifacht. Von diesen Zuschüssen ist den größeren Städten fastgarnichtszuTheilgeworden; nur von den3/4Mill.

Mark, die für Seminarien ausgegeben wurden, haben sie ihren Nutzen

24 sonst trägt der Staat, da sie selbst leistungsfähig sind und

gehabt;

ausreichende, nach dem Dienstalter steigende Gehälter an ihren vielklassigen Elementarschulen zahlen können, zur Unterhaltung dieser letz­ teren nicht bei. Jener obige Mehrzuschuß von 12% Mill. Mark kommt

fast

also

ausschließlich

den

Landgemeinden

und

den kleinsten

Städten zu Gute; um so viel brauchen sie an Communalsteuern weniger zu zahlen.

Freilich wurden

selbst herangezogen, Leistungsfähigkeit.

die Gemeinden außerdem noch

und nicht immer mit voller Berücksichtigung ihrer In

dieser Hinsicht muß das Unterrichtsgesetz, das

für das nächste Jahr verheißen ist, gleichmäßige Regeln feststellen, was darüber hinausgeht, muß der Staat tragen

die

Alterszulagen

bisher

für die Wenn

gewähren.

wieder zur Macht käme,

aber

und

besonders muß

in ausreichenderem

jetzt

die

preußische

dann wehe dem Unterrichtsgesetz,

Maaße

er als

Junkerpartei

und wehe

die dann noch auf Erhöhung der Staatszuschüsse für

den Gemeinden,

die Schule,

Lehrer

und

auf gesetzliche Begrenzung der Rechte und Pflichten

zwischen Gemeinde und Staat rechneten!

Ja, alles orthodoxe Christen­

thum der Conservativen hat nicht gehindert,

daß

man Tausende von

Geistlichen darben ließ, bis endlich 1873 und 1875 unter Mitwirkung

der Liberalen zusammen fast 3 Mill. Mark ausgesetzt wurden, um die Gehälter der Geistlichen überall bis auf 800 Thlr. zu bringen.

Da

bei dieser Gehaltserhöhung die Gemeinden vielfach durch Zwangsmittel

genöthigt wurden, auch ihrerseits beizusteuern, so hat die liberale Partei gefordert und auch durchgesetzt, daß auf solche Zwangsmaßregeln in Zu­ kunft verzichtet wird,

und sie hat bei dem Gesetz,

Synodalordnung genehmigt wurde,

durch welches die

Bestimmungen eingeführt,

wonach

die Erhöhung des Pfarrgehalts künftig von dem freien Beschluß der Gemeindevertretung abhängt. Ebenso hat sie dafür gesorgt, daß die Synoden für allgemeine und provinzielle Zwecke nicht beliebig Kirchen­ steuern beschließen können,

dabei an sehr

sondern

enge Grenzen ge­

bunden sind.

Was

die

außerordentlichen Mehraufwendungen für Culturzwecke

betrifft, nur noch Eins.

Man wende uicht etwa ein:

1871 die französischen Milliarden!

Ihr hattet nach

Diese Milliarden dienten größten-

theils zur Bezahlung der Kriegsanleihen

Antheil, den Preußen davon bekam,

und zu Reichszwecken.

Den

hat es fast ausschließlich zur stär­

keren Schuldentilgung und zu Eisenbahncrediten verwandt; es hat seit

1871 statt der 94 Millionen Mark, verpflichtet war, 410 Mill.

zu deren Tilgung es planmäßig

Mark abbezahlt.

Vorzugsweise nur die

25 Zinsersparnisse sind uns bei der reichlicheren Förderung

der geistigen

und der Kulturinteressen ;u Hülfe gekommen.

Die altpreußischen Adligen, die an der Spitze der Agrarbewegung stehen, werden sagen: sie seien heute auch andere Leute geworden, als

sie früher waren.

Allein die unbefangensten Männer, die selbst nicht

zu den Liberalen gehören und die für die Landwirthschaft in Vereinen und Kongressen ganz besonders thätig sind, urtheilen anders.

einmal

Die agrarischen Führer haben die Interessen der Landwirthschaft u. A. da­ durch schwer geschädigt, daß sie in den „landwirthschaftlichen Kongreß" Un­

frieden und Spaltung brachten.

Erst schied der Vorsitzende, Ritterguts­

besitzer v. Benda aus, dann bekam auch der hochangesehene, gemäßigt-

conservative süddeutsche Fürst Hohenlohe-Langenburg, der versuchsweise

das Präsidium übernommen hatte, vor

ihrem Treiben einen solchen

Widerwillen, daß er den Vorsitz sehr bald niederlegte, schieden andere

und

bewährte Freunde der Landwirthschaft,

mit ihm

Freiherr von

Rabenau, Freiherr v. d. Goltz, Wagner, Griepenkerl, Scipio u. s. w.

aus.

Einer dieser Männer, Freiherr v. d. Goltz, bekannt durch

Arbeiten auf dem Gebiet socialer

und

wirthschaftlicher Fragen,

seine fällt

soeben in der Zeitschrift Eoncordia (Nr. vom 24. Juni) folgendes Ur­ theil über die Agrarier:

„Die Agrarpartei vertritt lediglich die Interessen der Großgrund­

besitze r und zwar, wie ich hinzusetzen muß, nicht die wirklichen,

Sie hat kein Verständniß

sondern die vermeintlichen. für

die Interessen

des

Standes

der

mittleren

kleinen Grundbesitzer und noch viel weniger

für

und die

der arbeitenden Klasse; sie verkennt vollständig den Zusam­

menhang zwischen der Landwirthschaft nnd der Industrie und daß

das Gedeihen Beider sich gegenseitig bedingt.

Das Streben der

Agrarpartei geht dahin, die großen Grundbesitzer zu dem

Stande zu machen, dessen Interessen und Wünsche für die wirtschaftliche Politik des Staates lediglich maß­

gebend sein sollen.

Durch diese ihre Einseitigkeit und ebenso

durch die Art ihres Auftretens hat sie sich die Sympathien nicht blos der Glieder aller übrigen Berufsarten, sondern der Mehr­

Mit ganz geringen Ausnahmen setzt sich die Agrarpartei aus Großgrundbesitzern des

zahl der Landwirthe selbst verscherzt.

nordöstlichen Deutschlands

zusammen,

und

auch

letztere wollen

nur in ihrer geringen Minderzahl von den Agrariern etwas wis­ sen.

Von den in weiteren

Landwirthen gehören blos

sehr

Kreisen bekannten norddeutschen wenige zu den Mitgliedern der 3

•26 Vereinigung der Steuer- und Wirthschaftsreformer.

Daß letztere

überhaupt so viel Theilnahme noch gefunden, liegt lediglich daran,

daß das landwirthschaftliche Gewerbe einige begründete Beschwer­

den, welche in dem Programm der Agrarier andeutungsweise Aufnahme gefunden haben, allerdings geltend machen kann. Manche der zur Agrarpartei gehörenden Landwirthe sind derselben

sicherlich nur aus dem Grunde beigetreten,

weil sie hoffen, auf

diese Art am ehesten eine Abhilfe ihrer gerechten Beschwerden zu erreichen.

Das Ziel der die Agrarpartei beherrschenden Männer Letztere sind die geistigen,

ist aber offenbar ein ganz anderes.

zum Theil wohl auch die leiblichen Verwandten derjenigen Män­ ner, welche nach Beendigung der Freiheitskriege eine Reaction ge­

gen die preußische Agrargesetzgebung der Jahre 1807 — 11,

und

zwar nicht ohne Erfolg, ins Leben riesen, sowie derjenigen, welche

wiederum nach dem Jahre 1850 eine rückläufige Bewegung unse­ rer politischen und wirthschaftlichen Entwickelung herbeizuführen wußten.

Ein volles Verständniß für die Bestrebungen und Ziele

der Agrarier ist nur zu gewinnen, wenn man sie unter dem Ge­

sichtspunkt einer politischen Partei betrachtet, welche sich wohl

bewußt ist, daß große politische Macht und großer wirthschaftlicher Besitz sich stets gegenseitig bedingen." Dieses Urtheil stimmt mit dem unserigen wörtlich überein.

Hin­

zuzufügen ist nur, daß diese altpreußische Partei es nicht verschmäht hat,

mit den Vertretern des Particularisrnus in Sachsen,

den Herren

von Zehmen und v. Erdmannsdorff, mit den Welfen in Hannover, den Herren v. Lenthe, v. Hammerstein, Graf Knyphausen und mit dem kur­

fürstlichen Adel in Hessen Allianz zu schließen. besitzer

zu

gehören

der

nationalliberalen

Die hannöverschen Hof­

Partei,

und haben

hier

für den Bauernstand so günstigen, neuen hannö­ verschen Ablösungsgesetzen, die Welfen dagegen fühlen sich einig mit mitgeholfen an den

den altpreußischen Junkern, die jedenfalls an der Einheit Deutschlands Unter den Nationalliberalen befinden sich die Vertre­

unschuldig sind.

ter der hessischen Landkreise, die für eine gerechte Ablösung der Weide-

und Holzberechtigungen der Gemeinden kämpfen, die Gegner in diesem Kampf, die Standesherren und Ritter Hessens, sind bei den Agrariern,

üeberall tritt der Gegensatz der Landgemeinden und jener agrarischen Großgrundbesitzer unseres

Adels

und

(von denen zu unserer Freude die Mehrzahl

unsere

bedeutendsten

übrigens fernhalten) — hervor.

Großgrundbesitzer

sich

Hätten wir für Altpreußen jetzt auch

Ablösungsgesetze zu berathen gehabt,

so würde sich der Gegensatz auch

27 Deutlich

hier gezeigt haben.

erkennbar war er noch kürzlich bei der

Verhandlung des Herrenhauses über die Parcellirung von Domä­ nen.

Die Liberalen des Abgeordnetenhauses hatten in einer früheren die Staatsregierung möge thunlichst auf die Bil­

Session beschlossen:

dung kleinerer und größerer bäuerlicher Stellen aus den Do­ mänenländereien Bedacht nehmen, wo die wirthschaftlichen und lo­

kalen Verhältnisse dies rathsam erscheinen ließen. Agrariern nicht nach ihrem Sinn.

burg-Beetzendorf,

beantragte,

Das war den

Einer ihrer Führer, Graf Schulen­

mit dem Verkauf von Domänengrund­

stücken zur Herstellung von Bauernwirthschaften

nur in solchen Fällen

vorzugehen, wo der beabsichtigte Erfolg mit Sicherheit vorauszusehen

sei.

Das heißt natürlich dem Weitergehen des Finanzministers auf je­ Einhalt gebieten,

nem heilsamen Weg

denn für die volle

Sicher­

heit des Erfolgs kann die Verwaltung nicht im Voraus einstehen.

Es

soll also weder der ländliche Arbeiter Gelegenheit haben, sich ein Stück

Land zu kaufen,

noch der Bauernstand Gelegenheit,

von Parcellen zu stärken.

sich durch Zukauf

Einer der Herren meinte:

„Gelingt es ein­

mal einem ländlichen Tagelöhner, sich selbstständig zu machen, so gehen seine Söhne in die Stadt und betreiben

also eigentlich nicht sein.

ein Handwerk".

Da haben wir den Junker,

Das sollte

der mit Sehn­

sucht an die schöne Zeit der alten Dienstpflicht und Unfreiheit der Land­

Wenn solche Männer auch

leute zurück denkt.

das große Wort zu

führen

im Abgeordnetenhaus

hätten, was würde dann wohl aus der

neuen Landgemeinde-Ordnung

werden,

die in den nächsten Jah­

ren berathen werden muß, und die die Selbstständigkeit und das Recht der Bauerngemeinde schützen soll gegenüber dem Uebergewicht der großen Grundbesitzer und der Gutsbezirke!

Alle Welt ruft heute nach Interessenvertretung! Gewiß ist es nöthig, daß im Abgeordnetenhaus und Reichstag alle Berufsklassen durch Män­

ner vertreten sind, welche aus praktischer Erfahrung die Bedürfnisse der

einzelnen Klassen kennen. Ein so wichtiger Berufszweig, wie der landwirthschaftliche,

bedarf besonders der Vertretung durch tüchtige Männer,

hat ihm daran auch nicht gefehlt.

daß die Abgeordneten

es

Niemals aber darf man vergessen,

nach ihrer verfassungsmäßigen Pflicht Vertreter

des ganzen Volkes sind. Wenn das eine Interesse sich leidenschaftlich und gehässig gegen das andere kehrt, dann ist die Folge, daß selbst die­ jenigen Ansprüche gefährdet werden,

die an sich gerechtfertigt sind.

Wer Wind säet, wird Sturm erndten.

Wer den Haß zwischen Stadt

und Land schürt,

wer die Männer,

die voller Aufopferung und nach

ihrer besten Ueberzeugung in den Parlamenten für die allgemeine Wohl-

28 fahrt des Landes gewirkt haben, verleumdet und beschimpft, wie es nicht

sondern

bloß in der „Landeszeitung,"

sogar in

den

sammlungen zu Berlin und Breslau geschehen ist,

agrarischen Ver­

wer an dem Ton

der Gemeinheit und Unbildung Gefallen findet, in welchem jenes Organ die Liberalen angreift

oder

wer nicht

öffentlich sich davon lossagt —

der wundere sich nicht, wenn er Hah und Erbitterung erweckt und wenn als deren Retter er sich aufwirft, schädigt statt

er die Landwirthschaft, ihr zu helfen.

Die Geschichte des mittleren und kleinen Grundbesitzes ist eine Ge­ schichte des Kampfes, bei welchem die Liberalen dem Landmanne gegen

den Adel zu seiner Befreiung halfen.

Also nicht in einem feindseligen

Sinne gegen den Landmann ist es gemeint,

heute hervorheben,

wenn dieselben Liberalen

daß über jeder einseitigen Interessenvertretung die

Interessen der Gesammtheit und des Staats stehen! Es ist traurig,

daß man diese Wahrheit immer wieder den altpreußischen Junkern zu­ rufen muß, aber ihr Gesichtskreis ging von Alters her nie über ihren Stand hinaus, deshalb nennt man sie eben Junker.

Wir Liberalen könnten

ja wenn wir nur unser persönliches Wohlsein

im Auge hätten,

zufrieden damit sein,

daß

parlamentarischen Arbeit

die Agrarier die

uns

abnehmen

wollen.

und

das Interesse des Landes gebieten uns,

das

Bündniß

der

halben

und

ganzen

sehr

fast erdrückende Last der Aber die Pflicht

mit

aller

Kreuzritter

Energie

den

mit

Par-

tikularisten der neuen Provinzen und der Kleinstaaten zu bekämpfen, mit

aller

Energie

der

sumpfung verschuldet,

Partei

entgezenzutreten,

welche

den Schutt aufgehäuft hat, mit

wegräumung wir seit so viel Jahren beschäftigt sind.

die

Ver­

dessen Hin­

Der Unterschied

zwischen- den Liberalen und der Großgrundbesitzer-Partei ist einfach der:

Jene arbeiteten ohne zu regieren, arbeiten.

Möge

der

Landmann

in

diese will regieren,

seinem

eigenen

wohl hüten, ihr zu diesem Regiment zu verhelfen! —

Druck von Roienldal