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German Pages 169 [172] Year 1936
H. HARTLEB / DEUTSCHLANDS ERSTER THEATERBAU
DEUTSCHLANDS ERSTER THEATERBAU EINE GESCHICHTE DES THEATERLEBENS UND DER ENGLISCHEN KOMÖDIANTEN UNTER LANDGRAF M O R I T Z DEM G E L E H R T E N VON H E S S E N - K A S S E L
VON
HANS HARTLEB
WALTER DE GRUYTER & CO. VORMALS G. J. GÖSCHEN'SCHE VERLAGSHANDLUNG — J. GUTTENTAG. VERLAGSBUCHHANDLUNG — GEORG REIMER — KARL J. TRÜBNER — VEIT & COMP.
BERLIN UND LEIPZIG 1936
D i e vorliegende
Untersuchung
wurde
im März 1 9 3 4 von
der
Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität in München
als Dissertation
der Gelehrte
von
unter dem
Hessen-Kassel
als
Titel: Förderer
»Landgraf Moritz der
Englischen
Komödianten und Erbauer des ersten deutschen T h e a t e r s * genommen.
Begutachter:
Prof. Dr. H. II. Borcherdt,
Geheimrat Prof. Dr. W . Brecht,
Korreferent:
Geheimrat
Dr. C . v. Kraus.
J+vlitr
Archiv-Nr. " i
Druck Ton Walter de Gniyter & Co., Berlin W 35 Printed in German?
an-
Referent: Prof.
Vorwort. Die vorliegende Untersuchung befaßt sich mit jener schnell vorübergegangenen theatralischen Episode, die den Kasseler Hof des Landgrafen Moritz von Hessen eine Bedeutung einmaliger Art für die deutsche Theatergeschichte erlangen ließ. Mußte den Bemühungen des Landgrafen um die Wende des 16. zum 17. Jahrhundert auch ein nachwirkender Erfolg versagt bleiben, so ist ihr sichtbarstes Ergebnis doch für alle Zeiten bemerkenswert: Der Bau des ersten deutschen Theaters. Es kann heute kein Zweifel mehr darüber bestehen, daß das von Moritz errichtete Ottonium tatsächlich das erste, ausschließlich zu theatralischen Zwecken aufgeführte Gebäude Deutschlands gewesen ist. V o r der Erbauung das Ottoniums kannte man in Deutschland kein Theater in unserem Sinne; m a n begnügte sich bis zu dieser Zeit für Theateraufführungen mit mehr oder weniger provisorisch hergerichteten Sälen. So wichtig nun auch das Ottonium schon seiner historischen Erstmaligkeit wegen für die deutsche Theatergeschichte ist, so unklar war doch das Bild, das man sich von diesem Hause machte. Mangel an Material und das fast völlige Fehlen aller zeitgenössischen Nachrichten hinderten bisher die Wissenschaft an einer Rekonstruktion des ersten deutschen Theaters. Ich begrüßte es darum ganz außerordentlich, daß mir eine glückliche Fügung im Marburger Staatsarchiv eine Reihe von Dokumenten in die Hände spielte, die sich als sehr bedeutsam für die Erforschung der Geschichte jenes Kasseler Theaterbaus erwiesen. Schien das vorhandene Material zunächst auch zu lückenhaft, um allein mit seiner Hilfe das Ottonium anschaulich rekonstruieren zu können, so förderte weitere Nachsuche im Marburger Staatsarchiv doch eine so bedeutende Zahl von Briefen, Rechnungen und Bauberichten zu Tage, d a ß mich die Kenntnis dieser Dokumente und eingehende Vergleichung mit den wenigen, uns erhalten gebliebenen, zeitgenössischen Nachrichten in die Lage setzte, das Bild des ersten deutschen Theaters zu entwerfen, wie ich es heute der Öffentlichkeit vorlege. D a ß dies Bild noch kein ganz vollständiges sein kann, ist durch die Unvollständigkeit des im Marburger Staatsarchiv aufgefundenen Materials begründet.
VI Ein großer Teil der für die Baugeschichte des Ottoniums wichtigen Aktenstücke enthielt gleichzeitig Nachrichten über das Auftreten der Englischen Komödianten in Kassel, die — vom Landgrafen Moritz lebhaft unterstützt — im Theaterleben der hessischen Hauptstadt eine wesentliche Rolle spielten. Die besondere Bedeutung, die das Auftreten der fremden Schauspieler für die Entwicklung eines deutschen Nationaltheaters hatte, kann heute nicht mehr bezweifelt werden. Waren es doch die Englischen Komödianten, die das deutsche Volk zuerst mit einem artverwandten Drama, dem Werk Shakespeares und seiner Vorgänger, bekannt machten. Ich hielt es darum für notwendig, auch diese Nachrichten in meine Untersuchung mit einzubeziehen, zumal der innere Zusammenhang zwischen dem Wirken der Engländer am Kasseler Hofe und der Errichtung des Ottoniumtheaters durch Landgraf Moritz durchaus gegeben war. Aus alledem erwuchs für meine Arbeit die Notwendigkeit einer Zweiteilung. Ihr erster Teil befaßt sich mit dem Wirken der Englischen Komödianten am Kasseler Hof, ohne sich freilich ganz auf die hessische Hauptstadt zu beschränken. Die Engländer durchstreiften Deutschland in allen Richtungen; es mußte darum auch ihr Wirken in anderen Städten berücksichtigt werden, soweit es für die Aufhellung ihrer Kasseler Tätigkeit von Bedeutung war. Das »Kasseler Repertoire« der Englischen Komödianten, wie ich es am Schluß des ersten Teiles aufgestellt habe, konnte überhaupt nur durch Vergleichung, vornehmlich mit ihren Darbietungen in Frankfurt am Main und in Graz, gewonnen werden. — Der zweite Teil meiner Arbeit gibt dann die Baugeschichte des Ottoniums und den Versuch einer Rekonstruktion dieses ersten deutschen Theaters. Was noch nicht eindeutig bestimmbar war, wird wohl mit fortschreitender Erschließung der reichen Dokumentensammlung des Marburger Staatsarchivs seine Aufklärung finden. Wenn ich die Schreibung »Ottonium« der gebräuchlichen »Ottoneum« vorzog, so geschah dies darum, weil das Theater nicht nur von seinem Erbauer eben als »Ottonium« bezeichnet wurde, sondern weil es diesen Namen auch inschriftlich über einem seiner Portale trug 1 ). — Die benutzte Literatur ist im Verlauf der Untersuchung nach den Nummern angegeben, unter denen sie im Literaturverzeichnis aufgeführt ist. Ich darf an dieser Stelle meinem verehrten Lehrer, Professor Dr. Borcherdt in München, meinen besonderen Dank für seinen immer bereiten Rat und für die tatkräftige Hilfe aussprechen, mit denen er meine Arbeit gefördert hat. Daß die Untersuchung in dem vorliegenden Rahmen erscheinen konnte, danke ich der Unterstützung des Herrn ') a. u. S. 124.
VII Landeshauptmanns vom Oberpräsidium in Kassel und des Herrn Oberbürgermeisters der Stadt Kassel. Besonders verpflichtet bin ich den Herren des Staatsarchivs in Marburg, des Städtischen Archivs in Frankfurt a. M., des Brandenburgisch-Preußischen Hausarchivs in Berlin und des Steiermärkischen Landesregierungsarchivs in Graz, deren Entgegenkommen mir meine Arbeit sehr erleichtert hat. Auch der Leitung des Theatermuseums in München, der Intendanz des Kasseler Staatstheaters, den Direktionen der Staatsbibliothek in Berlin, der Staatsbibliothek in München, der Nationalbibliothek in Wien, der Landesbibliothek in Kassel, der Murhardtbibliothek in Kassel, des Britischen Museums in London und der Königlichen Bibliothek in Rom bin ich zu Dank verpflichtet. Danken darf ich auch Fräulein Helene Orthmann in Berlin, die in liebenswürdiger Weise die Korrektur der Druckbogen übernommen hat. Für Auskunft und Rat verbunden bin ich endlich den Herren Bruno Jakob in Kassel, Paul Heidelbach in Kassel, Dr. Hölk in Berlin, Dr. Körner in Marburg, Dr. Halm in München, Prof. Dr. Hartl in München, Prof. Dr. Maurer in Erlangen, Stewart Thomas in London, Prof. Dr. Zeller in Breslau, Prof. W. Hartleb in Breslau, Dr. Rudolph in Lübeck, Prof. Dr. Keller in Münster/Westfalen und Dr. Ludwig in Berlin. Berlin-Westend, im November 1935.
Dr. Hans Hartleb.
Inhalt. Seite
Vorwort
V
Einleitung
i
1. T e i l : Englische Komödianten in Kassel 1. Englische Komödiantentruppen in Kassel 2. Das Kasseler Repertoire der englischen Komödianten
ia 69
2. T e i l : Das Ottonium in Kassel, Deutschlands erstes Theatergebäude
86
Anhang
144
Literaturverzeichnis
149
Orts- und Namen-Register
160
Einleitung. i. Landgraf Moritz und das Theater. D a ß Landgraf Moritz von Hessen den Beinamen eines »Gelehrten« erhielt, war nicht nur ein Zeichen höflicher Achtung, die ihm die nachfolgenden Geschlechter zollten. Er empfing diesen Namen in einem weit edleren Sinne, und er trägt ihn vor der Geschichte mit dem schönen und selbstverständlichen Recht, das ihm seine Leistung als Förderer nicht nur, sondern auch als Mitarbeiter der Wissenschaft erworben hat. Wir sind nicht ohne Grund mißtrauisch gegen die überschwenglichen Lobeshymnen, die voreilige Höflinge ihren Herren gesungen haben. Aber bei diesem Fürsten haben wir nicht die Uberschätzung eines Verdienstes zu fürchten, dessen Maßstab etwa nur nach der fürstlichen Person seines Trägers aufgestellt wurde; vielmehr scheint es fast, als sei dieser Landgraf von Hessen, der als Fürst wie als Mensch den großen Erscheinungen seiner Zeit zuzuzählen ist, bisher von zu wenigen noch wirklich gewürdigt worden. Die mangelnde Einsicht seiner Stände, die geringen Mittel seines armen Landes, die harte Zeit, in die er hineingeboren wurde, ja, seine eigene Familie, hinderten ihn, seine weitschauenden Pläne zu dem Abschluß zu bringen, der ihm auch nach außen hin die besondere Wertung verschafft hätte; diejenige Wertung, die dem Ernst seines Wollens und der Bedeutung seiner Persönlichkeit zukommt. Ist im Rahmen dieser Untersuchung auch nicht die Möglichkeit gegeben, die große staatsmännische Bedeutung des Landgrafen zu würdigen, so mag es doch erlaubt sein, seine geniale Veranlagung wenigstens anzudeuten, die ihn beispielsweise — zu Anfang des 17. Jahrhunderts! — an ein deutsches Reichsheer denken ließ, das, dem Einfluß der vielen kleinen und größeren Fürsten entrückt, das Ansehen und die Macht des gesamten Reiches vertreten und stärken sollte. Wie weit er mit solchen Gedanken seiner Zeit vorausgeeilt war, muß nicht betont werden. Es ist darum begreiflich, wenn ihm der Durchschnitt seiner Zeitgenossen auf diesen Wegen nicht zu folgen vermochte. Doch die Weitblickenden unter ihnen versagten ihm ihre Anerkennung nicht. Heinrich IV. von Frankreich erkannte in ihm den überlegenen Staatsmann und zeichnete ihn durch schöne Beweise seiner Hochachtung und Hartleb,
Deutschlands erstes T h e a t e r .
1
2 Freundschaft aus. Eine bedeutsame Korrespondenz — von den Historikern noch bei weitem nicht ausgenutzt — verband den französischen König mit dem hessischen Landgrafen während vieler Jahre 1 ). Als kluger Schlichter politischer Streitigkeiten genoß Moritz einen solchen Ruf, daß selbst Kaiser Rudolph II. ihn ersuchte, die Differenzen zwischen ihm und seinem Bruder, dem König Mathias von Ungarn, beizulegen. Wenn er trotz dieses Ansehens und trotz der zentralen Lage seines Landes nicht mehr nach außen zu wirken vermochte, so erklärt sich das einmal aus einem gewissen Mangel an diplomatischer Geschicklichkeit, der mit der Unbeständigkeit seines Temperaments verbunden war, zum andern aus der Ungunst der allgemeinen politischen Verhältnisse, die zu meistern es anderer Mittel bedurfte, als sie einem Landgrafen von Hessen zu Gebote standen; denn seit der Aufteilung des Landes, durch die Landgraf Philipp die Position seiner Nachfolger so empfindlich und für immer geschwächt hatte, waren den hessischen Fürsten Grenzen gezogen, die ihren Machtbereich entscheidend einschränkten. Moritz hat sich lange gegen die mannigfachen und großen Schwierigkeiten zur Wehr gesetzt, die ihn im zweiten Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts immer gefahrlicher bedrängten. Und als er im Jahre 1627 zu Gunsten seines Sohnes abdankte, gab er mit dieser Handlung ein Zeichen der Gesinnung, die ihn ein Leben lang die eigene Person hinter die Erfordernisse seines Landes hatte stellen lassen. Seine Fehler — und sie sind zahlreich — sind leichter zu richten, als sie, unter den besonderen Umständen, denen er ausgeliefert war, zu vermeiden gewesen wären. Zum Teil leiten sie sich von der sehr scharfen Betonung seiner reformierten Gesinnung her, die ihm in kurzer Zeit die lutherischen Fürsten Deutschlands zu Gegnern machte. Hinzu kam eine gewisse Starrheit des Willens, eine absolutistisch gewendete Grundeinstellung, ein fast übermäßig ausgeprägter persönlicher Stolz, die ihm jede Nachgiebigkeit schwer machten und jene Elastizität nicht zuließen, die ihm bei der dauernden Fluktuation aller deutschen Machtverhältnisse so notwendig gewesen wäre. Der Charakter dieses Fürsten war aus den widerstrebendsten Elementen seltsam gemischt. Mit einer leidenschaftlichen — wenn auch mehr vom Kopf als vom Herzen bestimmten — Energie, die ihn, bei der Verfolgung hoher Ziele, Meinung und Willen anderer gering achten machte, verband sich eine persönliche Empfindlichkeit, die, oft bis zur Eitelkeit gesteigert, ihn auch die leisesten Verstöße gegen seine Würde mit einer Peinlichkeit empfinden ließ, die seinem leicht entJ
) Rommel hat diesen hochinteressanten Briefwechsel herausgegeben (Nr. 199).
3 zündlichen Jähzorn stete Nahrung gab. In der Einstellung zu religiösen, künstlerischen und politischen Grundfragen seiner Zeit weit voraus, vermochte er sich doch dem Genius seines Jahrhunderts niemals zu entziehen. Das erklärt sich wohl aus einer eigenartigen Kälte, j a Nüchternheit des Gemüts, die seine leidenschaftlichsten Bestrebungen oft auf eine unvorhergesehene Weise noch in ihrem Entstehen zerstörte. Eis scheint, daß solche Nüchternheit, dem hessischen Fürstenhause sowohl wie dem hessischen Volke ohnehin eigentümlich, sein Wesen grundsätzlich bestimmt habe, während seine Leidenschaften zwar nicht völlig aber doch zu einem Teil das Produkt seiner Geistesbildung waren und eben darum mit seiner Persönlichkeit keine ganz harmonische Einheit bildeten. Selbst sein lebhaftes Temperament vermochte dieser Nüchternheit niemals für lange Zeit Herr zu werden. Es war zu sprunghaft, besaß zu wenig dauernde Glut, um den Landgrafen auch nur zeitweise von den herabstimmenden Einflüssen des Alltags unabhängig zu machen. Die innere Unbeständigkeit ließ diesen geistigsten unter den deutschen Fürsten seiner Zeit politisch wie menschlich scheitern. Diese Unbeständigkeit wirkte sich in der Vielheit der von ihm ergriffenen Geistesrichtungen ebenso aus, wie im Verhältnis zu den Menschen seiner Umgebung. Er fand — und nicht nur als Fürst — Freunde; aber er vermochte nicht , sie sich zu erhalten. Die er, von plötzlichem Impuls getrieben, hob, ließ er, einer Laune, einem augenblicklichen Überdruß folgend, nur zu bald wieder fallen. Sein Wissen — und wie mancher seiner Zeitgenossen erlag dieser Gefahr — ging zu viele Wege. Uberall war er interessiert. Er lernte Hebräisch, Griechisch und Lateinisch, Italienisch, Französisch und Englisch, Holländisch, Spanisch und Ungarisch. Er versuchte sich sogar am Persischen. Er schrieb eine deutsche Sprachlehre, eine lateinische Poetik und ein französisches Wörterbuch. Er hatte bedeutende mathematische, astronomische und chemische Kenntnisse. Er war ein nicht unerfahrener Architekt, er war auch Jurist und schließlich ein Kriegswissenschaftler von hohem Rang. Immer hat er sich bemüht in die philosophischen Systeme des Altertums wie auch in die seiner Zeit einzudringen. Aber dies alles, das große Gebiet der Wissenschaft genügte ihm noch nicht. Er wollte auch die Künste schöpferisch meistern. So komponierte, so dichtete und zeichnete er. Und indem der Landgraf nach so vielen Seiten aussah, verlor er den sicheren Weg unter den Füßen. Eine große und in Wahrheit tragische Persönlichkeit erlitt er das deutsche Schicksal des Alleswollenden, der an der Vielheit seiner Ziele, an der Maßlosigkeit seiner Wünsche scheitert. Nirgends ruhig verweilend, erfaßte er von allem mehr die äußere Form als den 1*
4 inneren Gehalt. Wenn er sich wissenschaftlich weitgehender zu erfüllen vermochte als künstlerisch, so lag das vornehmlich an jener Nüchternheit, jener plötzlich hervortretenden Kälte des Gefühls, die ihn hinderten, ein Künstler im hohen Sinne des Wortes zu sein. Seine bedeutende Intelligenz machte ihn im Verein mit seinem sehr regen geistigen Interesse zu einem glänzenden Repräsentanten der Geistesbildung seiner Zeit, die eben ihre Befriedigung nicht so sehr in der Tiefe ab vielmehr in der Breite der beherrschten Wissensgebiete suchte. Seine künstlerischen Produktionen mußten dagegen bei aller Sicherheit im Technischen ohne eigentliches Leben bleiben. Am bedeutendsten sind noch die durch meisterliche Formbeherrschung ausgezeichneten musikalischen Schöpfungen; sie lassen ahnen, was er — bei größerer Beständigkeit des Strebens und stärkerer Intensität des Fühlens — etwa hätte erreichen können. Seine Dichtungen jedoch, von denen uns allerdings nur spärliche Reste geblieben sind, halten sich ganz innerhalb des konventionellen Rahmens. Der Entwurf zu dem Drama »Otto der Schütz«, den Edward Schröder dem Landgrafen zuschreibt, ist ein bloßes Scenarium und läßt, soweit das in solchem Falle überhaupt möglich ist, originelle Züge nicht erkennen 1 ). Das wahrscheinlich von Moritz stammende »Prämium Pietatis«, das noch im Zusammenhang mit dem Repertoire der englischen Komödianten kurze Erwähnung finden wird 2 ), zeigt — wenn auch geschickt und theatralisch wirksam gearbeitet — ebenfalls keine eigentümliche Note. Es wäre darum abwegig, wollte man, wie das wiederholt geschehen ist, dem Landgrafen als künstlerischem Schöpfer eine Bedeutung zuschreiben, die ihm in Wahrheit nicht zukommt. Seine tatsächliche Bedeutung für die Kunst liegt nicht so sehr in dem, was er selbst geschaffen hat, als vielmehr in dem feinen Verständnis, mit dem er seinen Hof zu einer Pflegestätte künstlerischer Bestrebungen machte, mit dem er es verstand, junge Talente zu erkennen und sie an den rechten Platz zu stellen. Moritz war es, der gelegentlich einer Reise Heinrich Schütz als 13jährigen Singknaben in Weißenfels entdeckte, der den Jüngling in Marburg wissenschaftlich und in Venedig musikalisch bilden ließ. Der Dietrich von dem Werder, den deutschen Nachschöpfer des »Orlando furioso«, jahrelang in hoher Stellung und als Freund an seinem Hofe hielt. Er war es auch, der sich um die Entwicklung und Ausbildung des bedeutenden Kupferstechers, Geographen und Historikers Wilhelm Dilich hochverdient machte. Sein Hof bot den Schaffenden weitgehende Freiheit. Die es ihm wert schienen, erhielten von ihm die Mittel zu ausgedehnten Bildungsreisen. 1
) Edward Schröder hat den Entwurf herausgegeben und erläutert (Nr. ao8). ) s. u. S. 71 und 82.
2
5 Mit einem besonderen Sinn für repräsentative Pracht begabt, die doch niemals ein durch echten Geschmack bedingtes schönes Maß überschreiten durfte, schuf er den Kasseler Hof zu einem der glänzendsten in Deutschland. Seinen Festen gab er mit bedeutendem Formgefuhl Haltung und großen Stil, und zur selben Zeit, da l'Ermite als florentinischer Gesandter das wüste und gedankenlose Amüsiertreiben des Dresdener Hofes überlegen bewitzelt 1 ), da eine Unzahl deutscher Hofhaltungen in maßlosen Trinkgelagen ihre Befriedigung finden, entwickelt der Kasseler Hof eine glänzende und sehr kultivierte Form festlichen Lebens, die, deutlich am italienischen Vorgang gebildet, sich trotzdem zu schönem Eigendasein durchzuringen vermag. Die Kasseler Inventionen gewinnen sich europäischen Ruf*), und sehr schnell wird der hessische Hof ein Treffpunkt reisender Gelehrter und Künstler aus aller Welt. Italienischer, französischer und englischer Einfluß überschneiden und durchdringen einander, ohne doch je den Landgrafen zu gedankenloser Nachahmung des Fremden verleiten zu können. Ein Kreis bedeutender Talente sammelt sich um Moritz. In solcher Umgebung kann es nicht fehlen, daß sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf das Theater — nicht notwendigerweise auf das Drama — lenkt. Schon Wilhelm IV., des Landgrafen Vater, hatte ganz im Sinne der Pädagogen, die in gelegentlichen Theateraufführungen der Schüler die Möglichkeit sahen, ein freies, ungezwungenes Betragen, deklamatorische Kunst und die Beherrschung fremder Sprachen zu fördern, darauf gedrungen, daß auch bei der Erziehung seines Sohnes diese Möglichkeiten genutzt wurden. So schreibt er am 6. Juni 1584 von Ems aus an Moritz s ), er solle für die bevorstehende Ankunft des Kurfürsten von Sachsen in Kassel die »Orationes der Altten Helden« 4 ) zusammen mit einigen Kameraden, — »doch das sie solche vom Adell seyen« — auswendig lernen und dem kurfürstlichen Gast im Kostüm vorführen. »Und woltten Insondheitt gern, das ihr die Orationes Teutsch, Undt Lateinisch auswendig lerntett, damit ihr sie in welch sprach man woltt, agiren köntett.« Im Marburger Staats-Archiv sind einige Aufzeichnungen aus dem Jahre 1570, also aus der Regierungszeit Wilhelms IV., erhalten, die sich auf theatralische Darstellungen beziehen 6). So heißt es: »5. Febr. Denen so die Comediam Esdrae agirt haben — 10 Thl.« Und »7. Sept. Denen, so die Comediam Josepham im Schl(oß) agirt haben — 10 Thl.« ') In seinem »Iter Germanicum« (Nr. 192), S. 322. ) Wilhelm Dilich hat sie uns in zwei großen Bilderwerken ausführlich geschildert (Nrn. 190 u. 191). 3 ) Der Brief wird im M. St. A. aufbewahrt: Nachlaß Landau. 4 ) Dazu s. u. S. 31. ») M. St. A. Nachlaß Landau.
!
6 Diese an sich unbedeutenden Notizen bezeugen doch, daß schon in Moritz'Jugendzeit die Vorführung von »Comedien« am Kasseler Hofe nichts Ungewöhnliches war. Auch in Schmalkalden, wo der junge Prinz mit seinem Vater verschiedentlich am »Hirschessen« *) teilnahm, hatte er Gelegenheit, von Bürgern der Stadt veranstaltete theatralische Aufführungen zu sehen. Dies früh geweckte Interesse wuchs mit den Jahren und nächst der Musik galt des Landgrafen vornehmste Neigung in künstlerischen Dingen dem Theater. Wie sehr mußte ihn daher eine Kunstübung anziehen, die das Theatralische mit dem Musikalischen verband! Eine solche Kunstübung aber wurde von den englischen Komödianten gepflegt, die im letzten Viertel des 16. Jahrhunderts das Festland auf ausgedehnten Wanderzügen zu durchstreifen begannen. Diese fremden Schauspieler neigten schon darum dazu, der Musik in ihren Darbietungen einen besonderen Platz einzuräumen, weil diese Kunst in ihrer Wirkung keinerlei Einschränkung unterworfen ist, wohingegen das Drama sich eines Mediums bedient, das an die Grenzen seines jeweiligen Entstehungslandes gebunden ist, des Wortes. Es war daher in den ersten Jahren ihres Auftretens in Deutschland das natürliche Bestreben der englischen Komödianten, ihre Aufführungen der Schau, der Revueform also, anzunähern: Musik, Tanz und Akrobatik überwucherten das Wort. Die Pantomime ward ein ständiges Hilfsmittel zur Verdeutlichung der Situationen. Es ist sicher, daß eine Form des Theaters, die das Gewicht des Dramas solchermaßen verschob, eben dies Drama in den Grundlagen seiner Existenz empfindlich erschüttern mußte. Vor das herrschende Wort, das eine Idee mehr oder weniger klar entwickelt, trat die Buntheit einer sehr bewegten Darstellung. Und diese Entwertung des Wortes war j a im 16. Jahrhundert keine so ungewöhnliche Erscheinung. Es soll hier diese Tatsache nur angedeutet werden. Der Wunsch, das antike Drama zu erneuern, hatte die Oper ins Leben gerufen, die das Wort der großen leidenschaftlichen Theatergeste opferte. Und im Lied verschob sich das Schwergewicht wachsend vom Text zur Musik 2 ). Wenn die englischen Komödianten das Wort hinter die Buntheit ihrer Darstellung zurücktreten ließen, so beförderten sie gerade damit ihren Erfolg in Deutschland sehr wesentlich. Darum vermag auch nur eine schöne Illusion zu dem Glauben zu verleiten, daß vornehmlich die großen Werke eines Greene und Marston, eines Marlowe oder gar Shakespeare unser deutsches Publikum damals erschüttert hätten. Sie haben hinter den Sensations- und Kriminalstücken, hinter den Dazu s. die Anmerkg. »Hirschessen« auf S. 24. *) Daraufweist Günther Müller in seiner »Gesch. d. dtsch. Liedes« hin (Nr. 246, S. 6).
7 Reißern 1 ) zurücktreten müssen, und wenn sie einmal gespielt wurden, so blieb von ihnen nicht viel mehr als das rohe Gerüst der Handlung. Wir müssen freilich zugeben, daß selbst diese englischen »Reißer« — man denke doch an Kyds »Spanish Tragedy« oder an die dem Lily zugeschriebene »Warning for Faire Women« 2) — den gleichzeitigen deutschen Erzeugnissen in allem, was dramatischen Aufbau und Entwicklung von Charakteren anlangt, außerordentlich überlegen waren. Auch ist nicht zu bezweifeln, daß die Darstellung der Engländer an einem Hofe wie es der Kasseler, vor einem Fürsten wie es Moritz war, bezähmter, maßvoller, kurz im eigentlichen Sinne wesenhafter sich vollzog, als vor dem breiten Publikum der großen Handelsstädte. Dennoch dürfen wir uns nicht scheuen, einzugestehen, daß die oben genannten Elemente des reinen Theaters, des bewegten, bunten Spektakels, die geeignet waren, die Aufmerksamkeit vom dramatischen Kern abzuziehen, auch in Kassel ihre Rolle gespielt haben werden. Obwohl es nicht die besten Truppen waren, die hinüber auf das Festland gingen, war der Erfolg der englischen Komödianten in Deutschland bedeutend. Er gründete sich vornehmlich auf die oft sehr brutalen Effekte ihrer Darstellung. Und wenn ihnen auch der gelehrte Moritz seinen Beifall nicht versagte, so war sicher nicht der Sinn für die große Form des Dramas das Vorherrschende in seinem Verhältnis zu den fremden Schauspielern. Allein eine völlig gleichgültige Rolle spielte das Drama in diesem Verhältnis auch nicht. Denn es kann nicht übersehen werden, daß eben das neue englische Drama der Wende vom 16. zum 17. Jahrhundert in hohem Maße solche Eigenschaften besaß, die ihm im evangelischen Deutschland, besonders aber bei einer Persönlichkeit von der Prägung des Landgrafen Moritz, Sympathien erwerben konnten. Denn auch das englische Drama dieser Zeit gibt sich niemals völlig einem ekstatischen Rausche hin; es bewahrt immer einen sehr nüchternen Zusammenhang mit dem Wirklichen, der sich selbst im Aufschwung der mitreißendsten Leidenschaften durch eine nahezu sachlich zu nennende Ironie anzuzeigen pflegt, die — weit entfernt, die Wirkung der dargestellten Leidenschaften abzuschwächen — die') Wenn die modernen Begriffe des »sensationellen Kriminalstücks«, des »Reißers« hier befremden sollten, so darf daran erinnert werden, daß die große Epoche des englischen Theaters neben den Meisterwerken tatsächlich eine bedeutende Zahl von Schauspielen hervorgebracht hat, die sich nach Art und Gattung sehr wohl mit diesen modernen Begriffen decken. *) Die »Spanish Tragedy« ist 1925 in der Folge der Malone Society Reprints herausgekommen (Nr. 116). — Wenn Clarence in seinem ausgezeichneten Nachschlagewerk englischer Bühnenstücke (Nr. 939) Lily, den Hauptvertreter des Euphuismus, als Autor der »Warning« nennt, so dürfte er damit einigem Unglauben begegnen. Simpson hat das wirkungsvoll gearbeitete Stück 1878 herausgegeben (Nr. 117).
8 selben womöglich noch erschütternder zur Geltung kommen läßt. Es ist dies eine Art, das Leben dichtend zu gestalten, die einer aus Nüchternheit und Gefühlsstärke so seltsam gemischten Natur, wie Moritz sie besaß, allerdings in hohem Maße zusagen, und die seiner von den Lehren der reformierten Kirche bestimmten Weltanschauung ganz besonders entsprechen mußte. In diesen englischen Dramen wurde endlich einmal die verstandesmäßige Konstruktion des deutschen Schuldramas auf eine höchst lebensvolle Weise durchbrochen, und wenn die englischen Komödianten die Hochform auch nicht einwandfrei zur Darstellung zu bringen vermochten, so haben sie sie doch nicht völlig entstellen können. Daß eine aus so entgegengesetzten Elementen gebildete Dramenform ein Volk beeindruckte, das, wie das deutsche, von jeher der Vielseitigkeit bis zur Selbstaufgabe ergeben war, das erst in dem Versuch, alle Möglichkeiten zu erschöpfen, ein künstlerisches Genügen finden konnte, wie es sich andern Völkern schon im Verfolg einer ausgeprägten und in ihrer Stärke einseitigen Kunstrichtung bot, ist natürlich kein Zufall. Moritz empfing die fremden Schauspieler freundlich und forderte sie mit allen Mitteln. Ihre Existenz wird es nicht zuletzt gewesen sein, durch die er zum Bau eines Komödienhauses, des ersten selbständigen Theaterbaus in Deutschland überhaupt, angeregt wurde. Rund 20 Jahre — von 1593 bis 1613 — blieben sie in mehr oder weniger enger Beziehung zu seinem Hofe; wenn sich später in Kassel keine Spuren mehr von ihnen finden, so liegt das daran, daß die bedrohliche Zuspitzung der politischen Verhältnisse, wachsende Sorgen im Lande und in der eigenen Familie den Landgrafen zwangen, die Vergnügungen am Hofe auf ein Mindestmaß einzuschränken. Das Einzige, was ihm blieb, waren wohl die Aufführungen der Hofschüler, die weit geringere Mittel erforderten als die kostspielige Unterhaltung einer ganzen englischen Truppe, und endlich die Konzerte seiner Hofkapelle, die er sich selbst in den schwersten Zeiten seines Lebens zu erhalten verstand 1 ). Im Augenblick ihres Auftretens schon sich anbahnende bedeutsame Folgen fiir die Entwicklung des deutschen Theaters hat die Tätigkeit der landgräflichen englischen Komödianten nicht gehabt. Sie hat selbst in Kassel nur wenige sichtbare Spuren hinterlassen. Es entstanden damals am hessischen Hofe unter dem Einfluß der Engländer allerdings ein paar deutsche Dramen. Darunter auch eigene Arbeiten des Landgrafen, die uns leider zum größten Teil verloren gegangen sind, wenn sich nicht noch die eine oder die andere in der reichen Dokumenten*) Ernst Zulauf hat die Geschichte der Hessischen Hof-Kapelle bis auf die Zeit des Ldgr. Moritz behandelt (Nr. 204).
9 Sammlung des Marburger Staats-Archivs finden sollte. Was uns von diesen unter englischem Einfluß entstandenen Kasseler Dramen blieb, ist ein »Fortunatus« 1 ), der in die berühmte, 1620 in Leipzig herausgekommene Sammlung »Englischer Comedien und Tragedien« Aufnahme fand. Vom gleichen Autor besitzen wir auch noch ein Drama »Ariodante und Ginevra«, das bei der Besprechung des Kasseler Repertoires der englischen Komödianten Erwähnung finden wird 2 ). Das Stück wurde zweifellos in Anlehnung an die Engländer geschrieben. Ein anderes von dem Einfluß der englischen Schauspieler auf das geistige Leben der hessischen Hauptstadt zeugendes Dokument ist des Arztes Johannes Rhenanus deutsche Bearbeitung von Anthony Brewers »Lingua«, die er 1610 in einer »Speculum aistheticum« benannten handschriftlichen Fassung dem Landgrafen widmete s ). Die nicht zu leugnende Bedeutung der Engländer liegt darin, daß sie zum ersten Mal den Gedanken des Berufsschauspiclertums nach Deutschland trugen, daß sie an die Stelle eines unbeholfenen Dilettantismus eine entwickelte Technik, eine sprachliche und gestische Durchbildung setzten, daß ihre Bühne sich nicht mehr rein illustrierend sondern aktiv schaffend betätigte. Hätten sich ihrer aber die Fürsten nicht angenommen, so wären sie schnell genug auf das Niveau marktschreierischer Seiltänzertruppen abgesunken; den meisten von ihnen blieb dies Schicksal ohnedies nicht erspart. Die wenigen aber, die in ein festes Verhältnis zu den deutschen Fürstenhöfen traten, waren in der Lage, ihre Leistungen doch auf einiger Höhe zu erhalten, dem Volke eine gewisse Schauspielkunst zu zeigen und damit den Boden für die deutschen Wandertruppen vorzubereiten, und diese Wandertruppen haben in ihren ältesten Vertretern alle mehr oder weniger von den Engländern gelernt. Gewiß neben Positivem auch Unsitten. Aber die Engländer haben doch erst einmal einen Begriff von den Möglichkeiten darstellerischer Kunst nach Deutschland gebracht, wie sie vor ihrem Auftreten nirgends auch nur geahnt worden waren. Und sie waren es auch, die als Erste die deutschen Dichter mit einer dramatischen Form bekannt machten — mag ihre Darstellung diese Form immerhin verzerrt haben — die dem deutschen Drama ein Vorbild wurde und von Lessing als höchster Trumpf im Kampf gegen dem deutschen Wesen ungemäße Einflüsse ausgespielt werden sollte. Blieb das Kasseler Wirken der Engländer nur Episode, so hatte es doch eine Zeit lang den Anschein, als solle in dieser im Herzen des Reiches gelegenen Stadt, die einen der glänzendsten Höfe in ihren Mauern l ) Von Paul Harms ausführlich besprochen (Nr. 907). ») s. u. S. 8a. 3 ) Manuskript in der K. L. B. Signatur: Mscr. theatr. 4°2.
10 sah, deren geistiges Leben unter einem klugen und menschlichen Fürsten einen schönen Aufstieg zu nehmen begann, die ein Sammelplatz bedeutender künstlerischer Persönlichkeiten war, als solle hier das deutsche Theater erweckt werden, als solle sich hier jene schöne Begeisterung entzünden, die Vorbedingung für die Schaffung eines nationalen Dramas ist. Die Verhältnisse schienen günstig — allein sie schienen es nur! Das Auftreten der Engländer wies allerdings neue Wege. Sie brachten das lebendige Drama zumindest in seinen Keimen vor einem Kreise geistiger Menschen zur Darstellung, aus dem sich die eine oder andere Persönlichkeit hätte lösen können, fähig, die von den Fremden gebrachte Lehre sinnvoll auf die deutschen Gegebenheiten anzuwenden. Allein die Jahre einer schönen theatralischen Blüte gingen vorüber und hinterließen kaum auch nur eine Spur. Man hat sich daran gewöhnt, den Ausbruch des 30jährigen Krieges dafür verantwortlich zu machen. Die Ursachen lagen jedoch tiefer: Wie sich der Landgraf in seinem geistigen Wollen zersplitterte, wie er nichts völlig zu Ende tat, so haftete auch seinem Interesse für das Drama etwas Spielerisches an. Es lenkte sich mehr auf gepflegte Unterhaltung, mehr auf das glänzend Dekorative als auf die gründliche Erkenntnis und Durchdringung einer von den Engländern neu belebten Dichtungsform. Und was die Kasseler theatralischen Unternehmungen von Anfang an unfruchtbar machte, war ihr besonderer Mangel an Volkstümlichkeit. Der Landgraf selbst war eine Herrennatur, seine Weltanschauung war absolutistisch gerichtet. Tatsächlich war er nie eine populäre Erscheinung. Die Mauer, die ihn und seinen Hof vom Bürger trennte, war hoch und unübersteiglich. Und sein Theater mußte umsomehr eine höfische Angelegenheit bleiben, als es in einem Volksstamm wie dem hessischen auf keine besondere Resonanz rechnen konnte, dessen Fähigkeiten in wesentlich anderen Bezirken liegen, als in denen der Fantasie, des Traumes und der Dichtung. So war also gerade in Kassel der Boden für ein deutsches Drama keineswegs bereitet. War er dies schon in normalen Zeiten nicht, so noch viel weniger in einer durch endlose kriegerische Wirren gestörten Epoche. Zumal diese Epoche von schweren religiösen Streitigkeiten erfüllt war, die von vornherein einen großen Teil des geistigen Interesses für konfessionelle Fragen absorbierten. Wenn darum die kurze Theaterblüte Kassels so schnell und folgenlos verging, so lag die Schuld daran nicht allein bei Moritz und nicht allein bei seinem Volk. Sie lag auch nicht allein beim 30jährigen Krieg. Alles wirkte zusammen, um einen Keim zu vernichten, der sich zu früh hervorgewagt hatte. Und die innere Notwendigkeit dieses Vorgangs kann nicht bezweifelt werden. Sicher aber bleibt die Episode des Auftretens englischer Komödianten
11 am Kasseler Hofe wert, verzeichnet und in ihren Einzelheiten so weit aufgehellt zu werden, wie die überlieferten Nachrichten das erlauben. Denn Kassel war einer der bedeutendsten Stützpunkte der fremden Schauspieler, und diese hatten ein Interesse am Theater in Deutschland geweckt, das künftighin niemals mehr völlig verloren ging, das auch vom 30jährigen Krieg nicht zerstört werden konnte. Landgraf Moritz hat die Engländer mit dem ganzen Gewicht seines Ansehens und seiner Macht gefördert. Aber dabei allein ließ er es nicht bewenden. Er errichtete sich ein eigenes Theater, das erste überhaupt in Deutschland, und bewies damit, wie weit er den deutschen Fürsten seiner Zeit in der Erkenntnis von Bedeutung und Wichtigkeit des Theaters vorausgeeilt war x ). Während sich der erste Teil der folgenden Untersuchung mit dem Wirken der englischen Komödianten in Kassel befaßt, wird der zweite die Geschichte des vom Landgrafen Moritz erbauten Ottoniums geben und gleichzeitig den Versuch einer Rekonstruktion dieses ältesten deutschen Theaters unternehmen. ') Im Anhang (S. 144) finden sich drei Charakteristiken des Landgrafen, die, von einem Deutschen, einem Engländer und einem Franzosen stammend, interessante Beiträge zur Erkenntnis der bedeutenden Persönlichkeit dieses Fürsten darstellen.
i. Teil.
Englische Komödianten in Kassel, i. Englische Komödiantentruppen in Kassel. Es scheint in diesem Zusammenhange sinnvoll, ganz kurz auf die interessante Tatsache hinzuweisen, daß schon im Jahre 1417 — zu welcher Zeit es bereits ein, wenn auch noch bescheidenes, Berufsschauspielertum in England gab — englische Schauspieler in Deutschland aufgetreten sind. In diesem Jahre nämlich veranstalteten die englischen Bischöfe, die zum Konzil nach Konstanz gekommen waren, mit ihren aus der Heimat mitgebrachten Schauspielern vor dem Kaiser Sigismund eine Aufführung geistlicher Stücke, von der uns Lenfant in seiner Geschichte des Konzils berichtet *) : •Les Anglois se signalèrent entre les autres par un spectacle nouveau, ou au moins inusité jusqu'alors en Allemagne. C e fut une Comédie sacrée que les Evêques Anglois firent représenter devant l'Empereur le Dimanche 31 de Janvier, sur 'la naissance du Sauveur', sur '1 'arrivée des Mages' et sur 'le massacre des Innocens'. Ils avoient déjà fait représenter la même Piece quelques jours auparavant en presence des M a gistrats de Constance & de quantité de personnes de distinction, afin que les Acteurs fussent mieux en état de faire bien leur rôle devant l'Empereur.«
Verdient ein so frühes Auftreten englischer Schauspieler in Deutschland als Kuriosum festgehalten zu werden, so ist ihm doch keine nachwirkende Bedeutsamkeit zuzusprechen. Erst das Ende des 16. Jahrhunderts brachte uns jene langdauernde und oft gescholtene Berührung mit englischer Schauspielkunst, die durch das Auftreten der englischen Komödianten bezeichnet wird. Das erste bis heute nachweisliche Erscheinen dieser englischen Komödianten in Deutschland fallt in das Jahr 1585; in diesem Jahre nämlich spielte, wie aus den Stadtrechnungen vom 19. Juli hervorgeht, eine englische Truppe in Leipzig: >5 Thaler den englischen Spielleuten, so ufm Rathaus ihr Spiel mit Springen und allerlei Kurzweil getrieben 1 ).«
Chambers s ) hält es für möglich, daß sich diese Nachricht auf die 1)
Nr. 30. Tome second. S. 440. *) Veröffentlicht von Grabau (Nr. 22, S. 311) und Witkowski (Nr. 50, S. 441). ') In seiner ausgezeichneten »Elizabethan Stage«. (Nr. IO, Vol. II, S. 272).
13 gleiche Truppe bezieht, die 1585 in Helsingör unter so ungewöhnlichem Andrang im Rathaushofe spielte, daß eine Mauer einstürzte. Im gleichen Jahre 1585 kamen englische Komödianten an den dänischen Hof, von wo aus sie 1586 unter sehr günstigen Bedingungen in den Dienst des sächsischen Kurfürsten traten, der ab Neffe des Dänenkönigs rege Beziehungen zu Dänemark unterhielt 1 ). Diese Truppe war mit Empfehlungen des Earl of Leicester versehen, der in England einer der mächtigsten Schützer und Förderer des Schauspielerstandes war. Er hatte schon im Jahre 1585, in dem er als Führer der von Elisabeth den Holländern zur Unterstützung ihres Aufstandes gegen Philipp II. von Spanien gesandten Truppen in die Niederlande ging, Komödianten mit sich geführt, die nach ihrer Rückkehr nach England sicherlich dazu beigetragen haben, die Unternehmungslust der vielen Schauspieler, die sich in London infolge des künstlerischen Uberangebots nur mühsam durchschlagen konnten, auf die günstigen und noch ganz ungenutzten Möglichkeiten des Kontinents hinzulenken. Und von nun an ergießt sich eine Flut wandernder englischer Komödiantentruppen auf das Festland, die erst in den Wirren des 30jährigen Krieges zum Stillstand kommt. Bereits im Jahre 1590 finden wir zum ersten Male den Mann auf dem Festland, der vor allen berufen und befähigt war, englische Schauspielkunst in Deutschland heimisch zu machen: Robert Browne. Brownes Truppe ist die eigentliche Urtruppe, aus der sich fast alle später in Deutschland herumziehenden Truppen loslösten, zu der ausnahmslos alle in mehr oder weniger enger Beziehung standen. Browne hat sich auch in seiner Heimat einen Namen erworben, aber immer wieder zog er in den drei Decennien seiner Hauptwirksamkeit — zwischen 1590 und 1620 — hinaus in ein Land, das ihm umso mehr Schwierigkeiten in den Weg legte, als es dem ihm bisher nahezu völlig fremden Stand des Berufsschauspielers keinerlei Sympathie entgegenbrachte. Indessen verfügte er über ein bedeutendes organisatorisches Talent, das ihm und den von ihm geführten Truppen ganz außerordentlich zustatten kam und ihn zu einem der erfolgreichsten Schauspielerprincipale der Zeit machte. Dagegen scheint seine darstellerische Kunst ein tüchtiges Mittelmaß nicht überschritten zu haben, denn in seiner Heimat hatte er große persönliche Erfolge als Schauspieler nicht zu verzeichnen. In London, das gerade damals so überaus reich an bedeutenden schauspielerischen Persönlichkeiten war, konnte sich auf die Dauer nur das große Talent behaupten. Das gute Mittelmaß mußte unter einem darstellerischen Uberangebot leiden, das sehr viele Schauspieler in Belegt von Bolte (Nr. 7, S. 101) und — zweimal — von Cohn (Nr. I i , S. X X I I I und Nr. 12, S. 247).
14 dauernder Not und wirtschaftlicher Abhängigkeit erhielt. Ein sprechendes Dokument für die trostlosen Lebensumstände solcher mittleren Talente ist der Brief, in dem Richard Jones den berühmt gewordenen Darsteller des Marloweschen Faust, Edward Alleyn, um einen Vorschuß bittet, um seine verpfändeten Kostüme auszulösen: »... some tymes I have a shillinge a day, and some tymes nothinge.. Collier, der den Brief in den »Alleyn Papers« 1 ) veröffentlichte, wie auch Cohn 8) setzen ihn in die Zeit um 1591. Chambers s ) dagegen verlegt ihn mit guten Gründen in die Nähe des Jahres 1615. Doch das sind Erwägungen, die in unserem Zusammenhang nur von sekundärer Bedeutung sind. Das, worüber das Dokument Wesentliches aussagt, die Not nämlich eines großen Teiles der Schauspielerschaft in London, war um 1590 ebenso wirklich wie um 1615. Es ist also nur verständlich, daß Browne seine Heimat um der Möglichkeiten einer noch nicht praktisch erprüften, darum aber umso lockenderen Fremde willen aufgab. Ein Ereignis von besonderer Härte zudem mag ihm die baldige Rückkehr ins Vaterland verleidet haben: im August des Jahres 1593 starben in Shoreditch, einer Londoner Vorstadt, seine Frau und seine ganze Familie an der Pest, die um die Wende des 16. Jahrhunderts in London besonders verheerend auftrat 4 ). Robert Browne gehörte schon 1583 zusammen mit den oben genannten Jones und Alleyn zur Truppe des Lord Worcester. Wie erwähnt, finden wir ihn im Jahre 1590 zum ersten Male auf dem Festland. Er tritt, so geht es aus den Stadtrechnungen hervor, am 7. Oktober dieses Jahres in Leyden auf 8 ): »Betaelt aen ROBERT BRONY, Engelsman ende zyne medehulpers, tsamen vyftien guldens, over gelycke somme hem toegevoucht voor t verthoonen ende speelen van verscheyden comedien ende historien, mitsgaders t doen van verscheyden sprongen, by hem zoo voor Burgermeestren als voor de gemeente descr stede verthoont, blijckende by de Ordonnance van dato VII Oct. 1590. X V gl.« Es ist bemerkenswert, daß schon bei diesem ersten Festlandsbesuch Brownes seiner akrobatischen Fertigkeit Erwähnung getan wird, einer Fertigkeit, die in der Betätigung der englischen Komödianten überhaupt einen ungemein breiten Raum einnahm, wie auch das Musikalische, das den Aufführungen eine besondere Note verlieh. Das AkrobatischArtistische und das Musikalische vereinte sich zu einer ausgeprägten und nachweislichen Pflege des Pantomimischen, ein Umstand, der um so weniger verwunderlich ist, als die englischen Komödianten wenigstens >) *) 3 ) *) 5 )
Nr. 66, S. 19. Nr. i i , S. XXVIII—XXIX. Nr. 10, Vol. II, S. 287. Nr. 10, Vol. II, S. 277. Veröffentl. von Elsevier, Nr. 17, S. 7.
15 in den ersten J a h r e n ihres Auftretens an eine ihren Zuschauern unverständliche Sprache gebunden waren; sie mußten in der Pantomime darum ein geradezu ideales Mittel erblicken, sich ihrem Publikum verständlich zu machen. Die zweite Festlandsreise Brownes fallt mit überaus großer Wahrscheinlichkeit nicht, wie noch C o h n 1 ) annahm, in das J a h r 1591, sondern vielmehr erst in das J a h r 1592. Von dieser Reise ist uns nämlich ein Paß erhalten geblieben, der Browne und seinen Gefährten von Lord Howard ausgestellt wurde, und der gleichzeitig ein sehr freundliches Empfehlungsschreiben darstellt. Dieser Paß trägt zwar die Jahreszahl 1 5 9 1 ; da aber zu dieser Zeit in England offiziell nach Marienjahren 2 ) gerechnet wurde, so ergibt sich als Reisejahr 1592, eine Auffassung, die auch von Chambers 3 ) und Herz 4) vertreten wird. Das für die Geschichte der englischen Komödianten besonders wichtige Dokument ist so oft veröffentlicht worden, daß ich es mir versagen könnte, es hier noch einmal zum Abdruck zu bringen, wäre nicht die merkwürdige Tatsache zu verzeichnen, daß sowohl Cohn 5 ) wie auch Chambers 6) — zwei Hauptstützen der über die englischen Komödianten erschienenen Literatur — den Paß in einer Form wiedergegeben haben, die dem von van den Berg schon 1857 abgedruckten Original 7 ) insofern nicht völlig entspricht, als sie einen kleinen aber sehr wichtigen Passus vermissen läßt. Das mag darauf zurückzuführen sein, daß Cohn die wenigen Worte in der von ihm benutzten van den Bergschen Wiedergabe übersehen hat, worauf Chambers den auf solche Art entstellten Paß von Cohn übernahm. Es handelt sich, wie gesagt, nur um wenige Worte, aber diese sind für eine sinnvolle Interpretation des Schriftstückes von Wichtigkeit; im Folgenden sind sie g e s p e r r t gedruckt: »Messieurs, comme les presents porteurs R O B E R T B R O W N E , J E H A N BRADSTRIET, THOMAS SAXFIELD, RICHARD JONES, avec l e u r s c o n s o r t s , e s t a n t s m e s j o u e u r s et s e r v i t e u r s , ont deliberé de faire ung voyage en Allemagne, avec intention de passer par les pais de Zelande, Hollande et Frise, et allantz en Ieur dict voyape d'exercer leurs qualitez en faict de musique, agilitez et joeuz de commedies, tragedies et histoires, pour s'entretenir et fournir a leurs despen>) Nr. 1 1 , S. X X I X . *) Das Marienjahr ist die Jahresform, in der das Jahr am 25. März (Mariae Verkündigung) beginnt. Der 10. Februar 1592 liegt also in dem Marienjahr 1591, das am 25. März 1591 unserer Jahresrechnung beginnt, um erst am 24. März 1592 zu schließen. Die Zeit zwischen dem 1. Jan. und dem 24. März 1592 unserer Rechnung fällt also noch in das Marienj. 1591. ») Nr. 10, Vol. II, S. 274. 4 ) In seiner Arbeit über »Englische Schauspieler und englisches Schauspiel zur Zeit Shakespeares in Deutschland«. Nr. 26, S. 8. ») Nr. I i , S. X X V I I I — X X I X . •) Nr. 10, Vol. II, S. 274. 7 ) Nr. 2, I., S. 41—42.
16 ses en leur dict voyage. Cestes sont partant pour vous requérir monstrer et prester toute faveur en voz pais et Jurisdiction», et leur octroyer en ma faveur vostre ample passeport soubz le seel des Estatz, afin que les Bourgmestres des villes estants soubz voz jurisdictions, ne les empeschent en passant d'exercer leur dictes qualitez par tout. Enquoy faisant, je vous en demeureray a tous obligé, et me treuverez très apparaillé a me revencher de vostre courtoisie en plus grand cas. De ma chambre a la court d'Angleterre ce X° jour de Febvrier 1591. Vostre très affecsioné a vous fayre plaisir et sarvis, C. Howard.« Zunächst also besagt die von Cohn übersehene Stelle, daß die vier Hauptakteure eine größere Truppe mit sich führten. Z u m andern, daß sie in den Diensten des Lord Howard standen, ein Umstand, den Chambers noch als nicht gegeben ansieht. Die Annahme des Marienjahres für die Datierung des Passes erfahrt eine Bestätigung dadurch, daß die Brownesche Truppe im Jahre 1592 in Arnhem erwähnt wird. Da nun der von Howard ausgestellte Paß ausdrücklich Deutschland als Reiseziel der Truppe nennt, während »Zelande, Hollande et Frise« nur passiert werden sollen, so scheint es verfehlt, anzunehmen, daß sich die Truppe vom Februar 1591 an bis hinein in das Jahr 1592 in Holland aufgehalten habe. Arnhem liegt auf dem Wege nach Deutschland und ist sicher von der Truppe nicht allzu lange nach ihrer Ankunft auf holländischem Boden berührt worden. Die Bestätigung ihres Arnhemer Auftretens findet sich in den »Arnhemschen Oudheden« *) : »Zy verschildcn 00k van 'Robert Bruyn, Johan Bradsdret, Thomas Saxwiell, Richardus Jonas, vnd Everhart Sauss Muisickers und Historispeelders alhier tot Arnhem in 1592 mit patent van s. Ex. gecomen synde', en welken van't Hof ende Rekenkamer XII. a. vereerd wierden.« Diese Bemerkung, die j a deutlich auf des Lord Howard Empfehlungsschreiben hinweist, verzeichnet unter den Führern der Truppe einen neuen Namen: Everhart Sauß. Der fur England ungewöhnliche Vorname Everhart deutet darauf hin, daß es sich hier um einen Kontinentalen, wahrscheinlich einen Holländer gehandelt hat. Daß die wandernden Engländer für ihre Zwecke verwendbare Einheimische oft und gern in ihre Truppen aufnahmen, ist erwiesen. Man denke an die Engländer, die im November 1601 in Münster spielten 2 ). Sie bedienten sich zwar der englischen Sprache, hatten aber einen deutschsprechenden Narren bei sich, der dem Verständnis der Zuschauer nachhelfen mußte. Man konnte einheimische Hilfskräfte zudem als Dolmetscher und Führer, vor allem aber als Verfasser der Bittgesuche an den Rat der Städte wie an die Fürsten verwenden. ' ) Nr. 25, S. 244. Dazu s. die 1856 von Janssen herausgegebenen »Münsterischen Chroniken«. 28, S. 174.
2)
Nr.
17 Welch bedeutende Rolle dem musikalischen Element auch in der Browneschen Truppe zufiel, geht aus der Arnhemschen Nachricht hervor, die sie zuerst als »Muisickers«, dann erst als »Historispeelders« bezeichnet. Auch Howards Paß nennt zuerst die »musique«, um dann eine sehr klare Kennzeichnung der Fähigkeiten der Truppe zu geben: »musique, agilitez et joeuz de commedies, tragedies et histoires«. Da haben wir also als erstes die Musik. Dann folgen allgemeine Kunstfertigkeiten, die tänzerische und akrobatische Künste umfassen. Dann erst wird die Schauspielkunst genannt, die sich wieder in das Spielen von Komödien, Tragödien und Historien unterteilt. Diese wenigen Worte umreißen knapp, doch mit aller nur wünschbaren Deutlichkeit das ganze Gebiet, dessen Beherrschung damals vom englischen Schauspieler gefordert wurde. Und sie zeigen — was gar nicht genug betont werden kann — wie sehr die Darstellungskunst der Engländer vom Tänzerisch-Musikalischen her bestimmt war. Diese Seite, bei der, dem Volkscharakter entsprechend, das groteske Element besonders hervorgetreten sein wird, wurde von den im Auslande auftretenden Truppen womöglich noch viel stärker betont, da diese in ihrer Kunstpflege ganz natürlicherweise eine Ausdrucksmöglichkeit bevorzugen mußten, deren Wirkung, nicht an die Grenzen der Sprache gebunden, sich ungehindert vor jedem Publikum entfalten konnte. Da der Howardsche Paß am 10. Februar 1592 ausgefertigt worden ist, so wird das Arnhemer Auftreten der Truppe für die letzten Februartage, vielleicht auch für den Lauf des Monats März anzunehmen sein. Aus den oben angeführten Gründen ist ein ausgedehnter Aufenthalt in Holland nicht glaubhaft. Wir können also vermuten, daß die Truppe Brownes im März 1592 in Deutschland eintraf. Nun stammt aber die erste Nachricht aus Deutschland, die wir mit einiger Sicherheit auf die Brownesche Truppe beziehen können, erst vom August des Jahres 1592 und zwar aus Frankfurt am Main. Wir hätten also eine Zeit von rund fünf Monaten, während derer sich die Truppe mit großer Wahrscheinlichkeit bereits in Deutschland aufhielt, ohne daß wir bisher Näheres von ihrem Aufenthaltsort in Erfahrung zu bringen vermochten. Es besteht allgemein die Ansicht, daß die Engländer diesen Zeitraum an einem Fürstenhofe zubrachten, als den die überwiegende Mehrheit der Forscher den herzoglich-braunschweigischen Hof zu Wolfenbüttel bezeichnet. Herz geht sogar so weit zu behaupten, daß Browne mit seiner Truppe einer Einladung des Herzogs Heinrich Julius gefolgt sei. Das läßt sich indessen mit den uns überlieferten Nachrichten nicht beweisen. Sicher ist nur, daß der Herzog ») Nr. 26, S. 8. Hartleb,
D e u t s c h l a n d s erstes Theater.
2
18 früh mit englischen Komödianten in Berührung gekommen ist. Wahrscheinlich hatte er schon während der Reisen, die ihn kurz vor seiner Thronbesteigung — 1589 — an verschiedene deutsche Höfe führten, wie auch während seiner Hochzeitsfeierlichkeiten in Kopenhagen im Februar 1590Gelegenheit, Aufführungen englischer Komödianten beizuwohnen. Eine Reihe seiner Dramen, die unverkennbar unter englischem Einfluß entstanden sind, ließ der Herzog 1593/94 im Druck erscheinen. Dieser Umstand spricht allerdings dafür, daß sich Brownes Truppe im Sommer 1592 an seinem Hofe aufhielt, zumal gerade aus diesem Jahre Meldungen über das Auftreten anderer englischer Truppen in Deutschland nicht vorliegen. Zu dieser Zeit war der Kasseler Hof noch nicht, was er erst unter der Regierung des Landgrafen Moritz werden sollte: eine Pflegestätte der Künste. Moritz bestieg erst am 26. August 1592 den Thron, zu einer Zeit also, zu der sich die Brownesche Truppe wahrscheinlich in Frankfurt befand. Doch wie dem auch sei: die Möglichkeit, daß die Truppe während des Sommers 1592 Kassel besuchte und dort auftrat, ist nicht völlig von der Hand zü weisen. Auf jeden Fall muß es aber für dieses Jahr mangels jeder beweiskräftigen Nachricht bei bloßen Annahmen bleiben. Am 30. August 1592 wurde in Frankfurt englischen Komödianten Spielerlaubnis gewährt. Können wir auch nicht mit Sicherheit behaupten, daß es sich bei diesem Frankfurter Auftreten englischer Komödianten um die Truppe Brownes gehandelt hat 2 ), so spricht doch die Wahrscheinlichkeit in hohem Maße dafür, zumal wir — wie schon bemerkt — für diese Zeit von keiner anderen englischen Truppe in Deutschland eine Nachricht besitzen. Das Aufsehen, das die fremden Schauspieler in Frankfurt erregten, beschreibt uns ein interessanter zeitgenössischer Bericht des Engländers Fynes Moryson, der ganz Europa bereiste und sich gerade während der Herbstmesse des Jahres 1592 in der alten Reichsstadt aufhielt. Dieser Bericht ist so bezeichnend für die deutschen Theaterverhältnisse der Zeit wie auch für die Art l
) Heinrich Julius vermählte sich mit einer Tochter des dänischen Königs und wurde damit der Schwager des späteren Königs Jakob I. von England. *) Elisabeth Mentzel behauptet allerdings in ihrer »Geschichte der Schauspielkunst in Frkf. a. M.« (Nr. 33, S. 22—23), daß bei dieser Gelegenheit Browne als Führer genannt werde. Eine Nachprüfung der von ihr angegebenen, im Frkf. Stadt-Archiv aufbewahrten Quellen ergibt indessen, daß sowohl die Ratsprotokolle wie auch das Bürgermeisterbuch nur eine Truppe englischer Komödianten ohne jegliche Namensnennung erwähnen. Leider enthält die im Übrigen sehr verdienstvolle und eine Menge interessanten Materials bringende Arbeit Mentzels, auf die sich fast die gesamte, über das Auftreten der englischen Komödianten in Deutschland erschienene Literatur stützt, eine große Menge solcher Ungenauigkeiten, die offenbar aus dem Bestreben der Autorin entstanden sind, bloße Vermutungen als erwiesene Tatsachen darzustellen. Es ist darum auf jeden Fall angebracht, alle von Mentzel aufgestellten Behauptungen auf ihre Stichhaltigkeit hin genau zu prüfen.
19 u n d Weise der v o n den englischen K o m ö d i a n t e n veranstalteten A u f führungen, d a ß es angebracht erscheint, ihn hier anzuführen, z u m a l er meines Wissens bisher in der einschlägigen deutschen Literatur noch nicht veröffentlicht worden i s t : »Germany hath some fewe wandring Comeydians, more deseruing pitty then prayse, for the serious parts are dully penned, and worse acted, and the mirth they make is ridiculous, and nothing lesse then witty (as I formerly haue shewed). So as I remember when some of our cast despised Stage players came out of England into Germany, and played at Franckford in the tyme of the Mart, hauing wether a Complete number of Actours, nor any good Apparcll, nor any ornament of the Stage, yet the Germans, not understanding a word they sayde, both men and wemen, flockcd wonderfully to see thrire gesture and Action, rather then heare them, speaking English which they understoode not, and pronowncing peeces and Patches of English playcs, which my selfe and some English men there present could not heare without great wearysomencs. Yea my selfe Comming from Franckford in the Company of some cheefe marchants Dutch and Flemish, heard them often bragg of the good markett they had made, only Condoling that they had not the leasure to heare the English players.« Allerdings: Deutlicher kann man k a u m die Schwächen einer solchen wandernden Komödiantentruppe im fremden L a n d aufzeigen, als das Moryson seinen Landsleuten gegenüber getan hat. A b e r gerade d a r u m ist dieser kurze Bcricht besonderer Beachtung wert; er geht weit über lokale Bedeutsamkeit hinaus, weil wir das, was er geißelt, sicherlich als typisch für den Durchschnitt der wandernden T r u p p e n annehmen dürfen. D i e erste Bemerkung über die wenigen »wandring Comeydians«, die Deutschland besitzt, können wir ohne Zweifel auf deutsche Wanderkömocliantcn beziehen, wie es solche — wenn auch in der allerprimitivsten Erscheinungsform und sicher in sehr geringer Z a h l — auch schon v o r dem Auftreten der Engländer in Deutschland gegeben hat. Es m a g sich dabei oft um Puppenspieler gehandelt haben. W i e bedeutungsvoll ist aber das, was Moryson über die Kunst seiner Landsleute berichtet; schon das erste Attribut, das er ihnen zuteilt, ist schonungslos: »our cast despised Stage players«, die also, die in der H e i m a t infolge ihrer Unfähigkeit keinen R a u m mehr finden können. W e d e r besitzen sie die notwendige Z a h l von Schauspielern, noch einen auch nur einigerm a ß e n ausreichenden Kostümfundus, »nor any ornament of the Stage«. U n d dann hebt er sehr deutlich hervor, was ihnen Wirksamkeit verleiht: nicht das Wort, denn das versteht ihr deutsches P u b l i k u m j a doch nicht; dies Publikum will vielmehr »see theire gesture a n d Action, rather then heare them, speaking English which they understoode not«. ])
Nr. 54, Booke IIII, Chapter I.
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Die Gebärdensprache, die »Action«, die Handlung also erregt das Hauptinteresse, wobei die Betonung auf Handeln im Sinne des vielfaltigen, sichtbaren Geschehens liegt, das in ständigem Wechsel keine Entspannung des Interesses aufkommen läßt. — Und was fuhren sie vor? »peeces and Patches«, Flickwerk also nur der englischen Stücke, den rohen Abklatsch, das effektvolle Zerrbild einer Gattung, die jenseits des Kanals zu so eigenartiger und schöner Blüte gediehen war. Das aber war ein Übelstand, der notwendig in dem Augenblick eintreten mußte, in dem das Wort, das eigentliche Medium dichterischen Ausdrucks, entwertet wurde. Und das Wort wurde — wiederholt ward darauf hingewiesen — entwertet, als man es in ein fremdes Land und damit vor ein Publikum verpflanzte, das nicht einmal den Buchstabensinn der Sprache des Dichters zu verstehen vermochte. Solchermaßen jeglicher Fessel entbunden, frei von der überwachenden Aufmerksamkeit eines hörenden und verstehenden Zuschauers, mußte eine Verrohung des Sprachlichen, eine Entartung der Form eintreten, die von den englischen Werken kaum noch einen schwachen Schimmer ließ. Im Augenblick, da das Wort seine dominierende Stellung verlor, verschob sich das Schwergewicht vom Hörbaren zum Schaubaren. Das Organ des Zuschauers ist nicht mehr — wie das bei der besonderen Artung der Bühne in England tatsächlich der Fall war — das Ohr, sondern das Auge. In diesem Moment verliert das Dichterische seine Vormachtstellung; das Theatralische triumphiert; das Drama sinkt ab zur Revue. Der Text ist nur noch Vorwand, das lärmende sinnliche Geschehen Selbstzweck. Und darin offenbart sich die große Gefahr, die mit den englischen Komödianten über das deutsche Theater hereinbrach. Es dauerte freilich nicht so lange, bis sich die fremden Akteure der deutschen Sprache bemächtigten. Aber da war es wohl schon zu spät. Das deutsche Publikum, das wir uns um diese Zeit ohnehin nicht eben empfindlich für die Wirkungen des reinen Dichterischen vorstellen dürfen, dieses Publikum hatte sich mit seinem derben Sinn für reales Geschehen bereits zu sehr an die drastisch übersteigerte Darstellungsweise der Engländer gewöhnt. Und es hätte auf Seiten der fremden Schauspieler schon eines ungewöhnlichen sittlich-künstlerischen Einsichtsvermögens bedurft, um sie zu einem darstellerischen Maßhalten zu veranlassen, das ihnen schließlich doch nur das Mißvergnügen des Publikums und somit eine Verringerung ihrer ohnehin nicht üppig zu nennenden Einnahmen gebracht hätte. Qualitätsunterschiede wird es natürlich auch bei den englischen Komödianten gegeben, und ein geistig so interessierter Hof, wie der des Moritz in Kassel, wird nur auf feinere Reize reagiert haben, ab etwa das bunt zusammengewürfelte Publikum der Frankfurter Messen.
21 Wenn Morysons Schilderung, die sich mit großer Wahrscheinlichkeit auf die Brownesche Truppe bezieht, so hart ausgefallen ist, muß doch bedacht werden, daß dieser Mann aus einem Lande kam, das sich einen starken schauspielerischen Stil, ein ungewöhnlich lebendiges Theater bereits geschaffen hatte, während Deutschland bis dahin auf diesem Gebiete dem eindeutigsten Dilettantismus ausgesetzt gewesen war. Moryson mißt mit einem Maß, das, in England wohl angebracht, doch in dem Deutschland dieser Zeit gar keinen würdigen Gegenstand finden konnte. Und eben darum ist vieles, was er — mit dem Auge des Engländers betrachtet — als Rückschritt empfindet, in Deutschland doch noch immer ein Fortschritt. Es soll nicht versucht werden, die Übelstände mit Stillschweigen zu übergehen, die uns die englischen Komödianten neben vielem Positivem zweifellos beschert haben. Es bleibt dennoch ihr großes und niemals wegzuleugnendes Verdienst, daß sie Deutschland mit den Vorzügen eines eigenstämmigen Schauspielerstandes bekannt gemacht haben. Sie haben damit den deutschen Truppen, die sich überall nach dem großen Kriege bildeten, den Boden bereitet. Daß Deutschland — wie so oft im Laufe seiner Entwicklung — die fremde Anregung auf einen sehr selbständigen Nenner zu bringen vermochte und seinen Lehrmeister späterhin weit überflügelte, ist sein eigenes, daß es aber diese bedeutsame Anregung überhaupt erhielt, das bleibende Verdienst der Engländer. Der Browneschen Truppe muß als mildernder Umstand zudem die Tatsache zugebilligt werden, daß sie in dem Jahre, in dem Moryson sie sah, ihre erste große Deutschlandreise machte, daß ihre unzulänglichen Mittel sicher zu einem großen Teil auf die Ungewißheit dieses ersten Ausfluges in eine nahezu unbekannte Welt zurückzuführen waren. So tadelt Moryson zum Beispiel die Mängel im Kostümlichen. Wir wissen, in welcher Weise später gerade hier Wandel geschaffen wurde. Später nämlich fiel man häufig in das andere Extrem einer unmäßigen Prunkentfaltung. Eine kurze, aus dem Beginn des 17. Jahrhunderts stammende Bemerkung des Olorinus Variscus belehrt uns darüber *): »Ja da muß mannichmal dreyerley Sammet unterschiedlicher Farben zu einem Wammes genommen / unnd durchgeschnitten werden / das man es sehen kan: Da müssen die Kragen mit Perlen besetzet werden / und wird ein solcher Pracht gesehen / daß sie einher gehen / wie die Englischen Comödienspieler in Theatro.«
Von Frankfurt aus begab sich Browne mit seinen Gefährten wahrscheinlich nach Köln, wo er im Oktober spielte. Eine Nachricht vom 2. November 1592, die aus Köln stammt, besagt nämlich 2 ): ') In seiner »Ethographia Mundi«. Nr. 55, Kap. 14. ') Von Cohn veröffentlicht. Nr. 12, S. 247.
22 »Alß die Englische Spielleutt nach verlauffener Zeit, Inen lenger Zeit zu spielen begert, ist Inen abzuschlagen.« Daß die Truppe gleichsam im Zuge der die Frankfurter Messe verlassenden Fremden die breite Heerstraße längs des Rheins hinab nach Köln zog, hat viel Wahrscheinlichkeit für sich. Dann bleibt Browne bis zum Sommer 1593 mit seiner Truppe verschollen. Die Möglichkeit, daß er auf den Streifzügen dieser ungeklärten neun Monate Kassel besuchte, wo der junge Landgraf Moritz inzwischen ein allen Künsten freundlich gesinntes Regiment aufgerichtet hatte, besteht. Doch läßt sich ein Beweis mit dem bis heute entdeckten urkundlichen Material nicht erbringen. Jedenfalls finden wir im August 1593 eine Truppe unter »Ruberto Gruen« in Nürnberg, der der Rat der Stadt eine urkundliche Bestätigung ihres Aufenthaltes mitgibt »jnmassen die statt Franckfurth jhnen auch eine geben« 1 ). Dieser Hinweis darauf, daß die Truppe bereits in Frankfurt gespielt hat, legt die Vermutung nahe, daß es sich hier um Browne und seine Gesellen handelt. Eine Namensverwechslung von »Browne« und »Gruen« wäre, da beide Namen gleichzeitig Farbbegriffe bezeichnen, denkbar, in einer Zeit zumal, die es mit den Eigennamen nicht allzu genau zu nehmen pflegte. Eine andere Möglichkeit wäre die, daß dieser Gruen niemand anders war, als das später so berühmt gewordene Mitglied der Browneschen Truppe: John Green. Jedenfalls petitioniert Browne am 28. August 1593 in Frankfurt. Er will mit seiner Truppe »geistliche Komödien in englischer Sprache« aufführen, die »einer von ihnen selbst erfunden« hat. Am 30. August heißt es dann, daß »Robert Braun, Thomas Sachsweil und J o h a n Bradenstreit et Consorten die Comödia von Abraham und Lotli und vom Untergang von Sodom und Gomora beneben anderen Künsten«
zur Darstellung bringen wollen 2 ). Die Notwendigkeit, sich für ihre Zwecke eigene Komödien zu schreiben, wird sich der Truppe von selbst aufgedrungen haben. Die Stücke, die man aus London mitgebracht hatte, waren häufig genug viel zu sehr vom Sprachlichen abhängig, als daß man sie in Deutschland mit der Aussicht auf auch nur einigen Erfolg hätte darstellen können. Es galt also, sich handlungs- und ereignisreiche Stücke zu verfertigen, die allein mit vorwiegend pantomimischen Mitteln zu verständlicher Darstellung zu bringen waren. Es lag nahe, zu solchem Zweck biblische Themen zu wählen, die ja von vornherein auf allgemeines Verständnis rechnen konnten. Mit den »anderen Künsten« sind, wie gewöhnlich, Musik, Tanz und akrobatische Intermezzi gemeint. J
) Trautmann, Nr. 44, S. 115—116. ') Mcntzel, Nr. 33, S. 25. Quellenprüfung ergab die Richtigkeit des Zitats.
23 N a c h diesem Frankfurter Gastspiel scheint sich die T r u p p e aufgelöst zu haben. R i c h a r d Jones m a g , w e n n er die Gesellschaft nicht e t w a schon früher verlassen hatte, seinen W e g n a c h E n g l a n d g e n o m m e n haben. N a m e n t l i c h w i r d er im A u g u s t 1593 in F r a n k f u r t nicht m e h r genannt, w a s z w a r für seine Entfernung spricht, tatsächlich a b e r n o c h kein Beweis d a f ü r ist, d a ß er der T r u p p e z u dieser Z e i t nicht m e h r angehörte. A u f j e d e n F a l l ist er i m S p ä t s o m m e r 1594 in E n g l a n d nachzuweisen; im S e p t e m b e r dieses Jahres wird er n ä m l i c h in Henslowes T a g e b u c h e r w ä h n t 1 ) . V o n 1594—96 gehörte er z u r T r u p p e der »Admiral's men«; 1597 zu den »Pembroke's men« u n d v o n 1 5 9 7 — 1 6 0 2 wieder z u d e n Schauspielern des L o r d A d m i r a l 2 ). T h o m a s Sackville u n d J o h n Bradstrcet g i n g e n — n a c h C h a m b e r s A n n a h m e 3 ) — a n den Wolfenbütteler H o f des Herzogs Heinrich Julius. D i e T a t s a c h e , d a ß u m diese Z e i t die komische Figur in den S t ü c k e n des Herzogs einen Namenswechscl vollzieht — sie heißt n u n nicht m e h r J o h a n C l a n t sondern J o h a n Bouset — und d a ß diese neue B e z e i c h n u n g Bouset v o n Sackville z u m B ü h n e n n a m e n gewählt wird, ist f ü r C h a m b e r s ' T h e o r i e natürlich noch kein Beweis. D e n n der B o u s e t - T y p u s m u ß j a nicht unbedingt unter d e m E i n f l u ß Sackvilles entstanden sein; es besteht a u c h die umgekehrte Möglichkeit, d a ß Sackville seinen N a m e n d e m v o m H e r z o g selbständig geschaffenen T y p anglich. Diejenige Person aber, der unser besonderes Interesse gehört, R o b e r t Browne nämlich, ist für etwa ein J a h r weder in D e u t s c h l a n d n o c h in E n g l a n d nachweisbar. D a wir nun aus d e m J a h r e 1594 die ersten N a c h richten über englische K o m ö d i a n t e n a m Kasseler Hofe besitzen, so besteht die Möglichkeit, d a ß Browne schon i m S p ä t s o m m e r 1593 in die Dienste des L a n d g r a f e n trat. H i n z u k o m m t , d a ß M o r i t z a m 24. September 1593 seine erste E h e mit A g n e s G r ä f i n v o n Solms schloß. Diese H o c h z e i t w u r d e mit d e m G l ä n z e gefeiert, d e n M o r i t z ü b e r h a u p t in seiner H o f h a l t u n g , besonders aber bei festlichen Anlässen z u entfalten liebte. Zahlreiche deutsche Fürsten n a h m e n a n d e n Festlichkeiten T e i l . U n d es wäre sehr begreiflich, w e n n die K o m ö d i a n t e n , die g e r a d e in dieser Zeit ihre Frankfurter T ä t i g k e i t beendeten, die G e l e g e n h e i t einer so glänzenden V e r s a m m l u n g , die ihnen in j e d e r B e z i e h u n g schöne Möglichkeiten eröffnete, w a h r g e n o m m e n hätten. V o m Landgrafen konnten sie sich ohnedies eines freundlichen E m p f a n g s versehen, u n d wenn Sackville und Bradstreet tatsächlich nach W o l f e n b ü t t e l z u g e h e n beabsichtigten, so lag j a Kassel direkt an i h r e m W e g e . D a r u m hat die V e r m u t u n g viel f ü r sich, d a ß B r o w n e , S a c k v i l l e u n d Von Collier herausgegeben. ») Nr. 10, Vol. II, S. 324. s) Nr. 10, Vol. II, S. 275.
Nr. 68, S. 66.
24 Bradstreet mit ihren Leuten im September 1593 den Kasseler Hof besuchten, um dann für einige Zeit in des Landgrafen Dienste zu treten. Vielleicht auch zogen Sackville und Bradstreet weiter nach Wolfenbüttel und nur Browne blieb mit einem Teil der Truppe in Kassel zurück. Indessen läßt sich diese Annahme bis heute noch nicht belegen, weil die ersten Nachrichten über englische Komödianten, die im Zusammenhang mit Kassel stehen, äußerst knapp sind und gar keine Namen nennen. Die erste Nachricht stammt aus Schmalkalden und zwar aus dem Jahre 1594*); ein genaueres Datum fehlt. In diesem Jahre spielten englische Komödianten auf dem Schlosse, der Wilhelmsburg, in Schmalkalden. Indessen ist die ungefähre Datierung dieses Ereignisses möglich. Daß die Engländer aus eigenem Antrieb die kleine Stadt besuchten, die ihnen keine besonderen Verdienstmöglichkeiten bot und außerdem an keiner der großen Durchgangsstraßen gelegen war, ist nicht anzunehmen, zumal uns im Laufe der gesamten Schmalkaldener Theatergeschichte die fremden Schauspieler außer in den Jahren 1594 und 1595 niemals begegnen 4 ). Vielmehr ist es nahezu sicher, daß sich die Engländer im Gefolge des Landgrafen Moritz befanden, der alljährlich in der Zeit vom Juni bis zum August einmal nach Schmalkalden kam, und zwar zum Hirschessen3), bei welcher Gelegenheit regelmäßig Theateraufführungen stattfanden. Wir dürfen also das Auftreten der Engländer in Schmalkalden im Jahre 1594 für den Zeitraum zwischen Juni und August annehmen; befanden sie sich aber — woran kaum noch zu zweifeln ist — im Gefolge des Landgrafen, so mußten sie bereits im Dienste dieses Fürsten stehen. In dieser Ansicht werden wir durch einen Brief bestärkt, der die Anwesenheit englischer Komödianten in Kassel für den Dezember 1594 ') Habicht: »Ein halbes Jahrhundert aus dem Theaterleben Schmalkaldens«. Nr. 160, S. 23. l ) Wenn Nadler in seiner Literaturgeschichte (Nr. 2:2, S. 472) noch 1621 englische Komödianten in Schmalkalden annimmt, so beruht das offenbar auf Mißverständnis der Tatsache, daB 1621 dort vor dem Landgr., seinen Gästen und dem Rat eine Komödie»Vom Herrn Christo,wie er im Tempel dispudirt« aufgeführt wurde (dazu s. Nr. 160, S. 27), bei der aber, wie es scheint, nicht engl. Kom. sondern nur Bürger der Stadt mitwirkten. ') Das »Hirschessen« ist auf einen alten Brauch zurückzuführen, dessen Entstehung in Geisthirts Chronik (Nr. 157, IV. Buch, S. 129) beschrieben wird: »Es hatte Graff Heinrich X I I I . zu Henneberg GraffJohannes I. Sohn aus sonderbarer Gunst gegen den Rath u. Stadt Schmalkalden krafft eines teutschen besiegelten Briefs ao. 1379 datirt, Versprochen, jährlich einen Hirsch in das Rathhauß liefern zulassen, den er u. seine Erben ewiglich liefern wolte«. Ab die Stadt 1583 an Hessen fiel, war Ldgr. Wilhelm diplomatisch genug, den alten Brauch zu bestätigen und regelmäßig selbst zur Feier des Hirschessens nach Schmalk. zu kommen. Moritz folgte, nachdem er zur Regierung gelangt war, dem Vorbild des Vaters.
25 belegt. Dieser Brief — von Wülcker publiziert*) — wird noch heute im Marburger Staats-Archiv aufbewahrt; er ist vom Schreiber selbst nicht datiert, aber eine unverkennbar gleichzeitige Hand hat am Rande des Schriftstücks die Worte verzeichnet; »Im Monatt Decembris Anno 94«. Es wird hier der wichtigste Teil des Schreibens nach dem Original wiedergegeben: »Dürchleüchtiger Hochgeborner Fürst, gnediger Her, Demnach E. F. G. Comediantenn der Engellender Alß nemblich zwey Lautenistenn ich ein Zeitlang Undt in die funffczehenn wochenn in meiner behaüsung geherbriget, sie aber Itzünder Aüßzüziehenn, unndt ihr Losamant In andere orter Züschlagenn in willens, Unndt ich dan vonn ihnen verstendigt, das E. F. G. sie aüß qüittirenn unndt das Herbrig gelt (. welches einem Jedernn eine woche — 3 albus unndt in allem — 3 fl. 12 albus tregt.) erlegenn woltenn, So habe ich solches E. F. G., ihrem der Engellender begehrenn nach, Zur nachrichtüng verstendigenn unndt sie der gelegenheit berichtenn wollenn. . . E. F. G. Underthenigster
gehorsamer
Ludwig Brockmann Burger undt schuster alhier zu Caßel.«
Chambers 2 ) hält es für möglich, daß einer der beiden Lautenisten der berühmte John Dowland 3) gewesen sei. Da der Schuster aber eingangs auf des Fürsten »Comediantenn« hinweist, ist es möglich, daß er nur zwei, einer größeren Truppe englischer Komödianten zugehörige Lautenisten beherbergte, eben der Truppe nämlich, die den Landgrafen im Sommer des gleichen Jahres nach Schmalkalden begleitet hatte. Daß die Engländer nahezu immer Musiker mit sich führten, ist erwiesen; ganz sicher aber wird das bei einer Truppe der Fall gewesen sein, die in des überaus musikliebenden Landgrafen Diensten stand. Das folgende Jahr 1595 bringt ebenfalls eine Nachricht aus Schmalkalden, die zweifellos wieder mit einer Reise des Landgrafen zum Hirschessen in Verbindung zu bringen ist. Diesmal findet sich sogar eine detaillierte Meldung über die Art des Auftretens der Engländer. Einer von ihnen nämlich ist »in Paul Merkerts Hof gesprungen und die Wand rauff gelaufen« 4). Dieser Hinweis, so flüchtig er ist, ist doch bezeichnend für die Stellung, die der Akrobatik, den verblüffenden körperlichen Kunststücken, in der Darstellungsweise der englischen Komödianten zukam. Im Laufe des Jahres 1595 oder in der ersten Hälfte von 1596 muß Robert Browne nach England gegangen sein, denn im August 1596 >) ») ) 4 )
3
Nr. 51, S. 361. Nr. 10, Vol. II, S. 277. Von Shakespeare im »Passionate Pilgrimi gefeiert. Nrn. 26, S. 13 und 160, S. 24.
26 traf er als Begleiter des Grafen Lincoln, des Abgesandten der Königin Elisabeth zur Taufe ihres Patenkindes, der Landgrafentochter Elisabeth, wieder in Kassel ein. Es muß hier auf die Möglichkeit hingewiesen werden, daß das überhaupt der erste Besuch Brownes am Kasseler Hofe war. Das ist allerdings nicht sehr wahrscheinlich; da aber nicht bewiesen werden kann, daß er schon 1593 in des Landgrafen Dienste trat, muß diese Möglichkeit immerhin eingeräumt werden. In diesem Falle wäre dann Browne im Spätsommer 1593 wieder nach England zurückgekehrt. Eine solche Annahme würde freilich unsere ganze oben entwickelte Hypothese vom Wirken Brownes am Kasseler Hofe hinfällig machen. Nun scheint aber gerade der Umstand, daß Browne sich in Begleitung des Earl of Lincoln befand, dafür zu sprechen, daß er den Kasseler Hof bereits aus eigener Anschauung kannte und demnach erst 1595/96 nach England zurückgekehrt war. Als ein mit den Verhältnissen der hessischen Hauptstadt Vertrauter, mußte Browne für Elisabeths Gesandten einen wertvollen Führer im fremden Land bedeuten. Wie dem aber auch sei, ob nun Browne selber am Kasseler Hofe weilte oder nicht: eine englische Truppe stand in diesen Jahren nachweislich in Moritz' Diensten. Das geht sowohl aus den oben angeführten Nachrichten wie auch aus einem Schreiben hervor, das der Landgraf am 18. März 1596 an seinen Prager Agenten Johannes Lucanus richtete. Rommel l ) und ihm folgend die ganze spätere Literatur haben diesen Brief irrtümlicherweise in das Jahr 1595 verlegt. Ich gebe hier das nicht unwichtige Schriftstück genau nach der im Marburger Staatsarchiv aufbewahrten zeitgenössischen Kopie des Originals wieder: »Ersamcr Lieber getrewer, Wir mögenn euch gnediger meinung nicht Verhaltenn, Das unns jegenwertige unsere Comoedianten Undertheniglich angelangt unndt gebettenn, wir ihnenn gnediglich erleubenn woltenn, Damit sie auch an andere ortter Verreisen unndt etzliche Comoedias agiren mochten», wann wir nun solchem ihrem suchenn raumb unndt Stadt gebenn, Alsts ist ann euch unser gnedigs begehrenn, I m fall bemelte Unsere Comoedianten uff solcher ihrer Reise sich auch naher Prag b e gebenn, unndt des orts etzliche Comoedias agiren würdenn, Ihr ihnenn alßdann soviel müglich güte beforderung anzeigenn wollet, darmit sie vorkommenn unndt gehöret werdenn datum Cassel A m 18. M a r t i j A n n o 96. Moritz L Z
Hessenn.
Ann Johannem Lucanum Z u Prag *).«
Die Nachrichten über das Prager Theaterwesen dieser Zeit gründen sich leider nur auf Vermutungen 3 ). Immerhin hat die Annahme ') In seiner »Geschichte von Hessen«. Nr. 198, S. 402, Anmerkung 122. *) M. St. A. Nachlaß Landau. *) s. dazu Teubers »Gesch. d. Prager Theaters«, Nr. 170.
27 manches für sich, daß die englischen Komödianten des Landgrafen tatsächlich im J a h r e 1596 Prag besuchten. Denn im J u l i dieses Jahres finden wir die »fürstlich Hessischen diener und comoetianten« in Nürnberg 1 ). Und es ist sehr wohl möglich, daß der Anlaß dieses Besuches die Rückreisc von Prag nach Kassel war, die ohne einen bedeutenden Umweg zu erfordern, über die reiche Handelsstadt genommen werden konnte. Ende August dürfen wir die Truppe wieder in Kassel vermuten, wo um diese Zeit die überaus prächtigen Feierlichkeiten zur Taufe der Prinzessin Elisabeth, der ersten Tochter von Moritz und Agnes, stattfanden 2 ), zu welcher Gelegenheit viel fremde Fürstlichkeitcn und eine Menge Volks aus der weiteren Umgebung der hessischen Hauptstadt nach Kassel kamen. Z u dieser Taufe sandte auch Elisabeth von England als Patin der kleinen Prinzessin eine mit kostbaren Geschenken versehene Gesandtschaft, die, wie schon erwähnt, von dem Earl of Lincoln geführt wurde 3 ). I m Gefolge des Grafen befanden sich nach Rommel 4) »Robert Brown und J o h n Wobstei«. Handelt es sich bei erstcrcm ganz ohne Zweifel um unsern Robert Browne, so ist eine eindeutige Klarimg der Persönlichkeit Wobstcrs — natürlich als Webster zu lesen! — nicht möglich. D a er von Rommel zusammen mit Browne genannt wird, ist mit Bestimmtheit anzunehmen, daß er, sofern er nicht selber Komocliant war, doch in nahen Beziehungen zu den Kreisen der Komodiantcn stand. Nun beginnt vom J a h r e 1598 ab ein Schauspieler George Webster aus England am Kasseler Hofe eine urkundlich nachweisbare, bedeutsame Rolle zu spielen; es bestellt darum die Möglichkeit, d.iß es sich hier schon um diesen Schauspieler gehandelt hat, der dann entweder gleich in den landgräflichcn Dienst trat oder aber auf Grund seines jetzigen Besuches im J a h r e 1598 angestellt wuide. Eine Verwechslung von Vornamen — noch dazu von ungewöhnlichen ausländischen —• ist um diese Zeit nichts Seltenes. Zumal Websters Vorname als »Jorge« dem Deutschen angeglichen wurde, und die Ähnlichkeit der verwandten Klangbilder eine Verwechslung von John und Jorge nicht eben ungewöhnlich erscheinen läßt. Möglich ist es aber auch, daß es sich bei diesem Webster um J o h n Webster, den Dramatiker und berühmten J
) Nr- 44. S. 117.
*) In Dilichs schon oben genannten Inventionsbeschreibungen geschildert: Nrn. 190 und 1 9 1 . ' ) Es bei in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, daß im Gegensatz zur bisherigen Annahme die Taufe schon am 27. J u l i — offenbar als Nottaufe — stattgefunden hatte, daß man aber die Feierlichkeiten bis zur Ankunft des Earl of Lincoln, der am 24. August in Kassel eintraf verschob. Dieser Umstand geht aus Edward Monings, eines Begleiters von Lincoln, Reisebeschreibung hervor, die, im Besitz des Britischen Museums, bisher in Deutschland unbekannt war: Nr. 197. 4 ) Nr. 198, S. 390, Anmerkung m .
28 Verfasser von »The white Devil« und »The Duchess of Malfi« gehandelt hat. Es kann sehr wohl sein, daß der Dichter die Gelegenheit benutzte, unter dem Schutze Lincolns ein fremdes Land kennen zu lernen, zumal der Hof des Landgrafen auch in England als ein allen Künstlern offener bekannt war. Daß außer Browne und Webster auch noch weniger namhafte Vertreter des englischen Theaters sich im Gefolge des Grafen befanden, scheint sicher in einer Zeit, in der man sich auf Reisen — besonders bei so offiziellen Anlässen — mit einem Prunk zu umgeben liebte, der sich vor allem in der Zahl der mitgenommenen Diener kundgab. Und daß englische Schauspieler ihre Herren oft auf das Festland begleiteten, ist uns j a bereits aus dem Beispiel des Earl of Leicester bekanntx). Im Oktober und November des Jahres 1596 unternahm Landgraf Moritz eine größere Reise. Nach zweiwöchigem Verweilen in Schmalkalden vom 13. bis zum 27. Oktober begab er sich über Gotha, Erfurt, Weimar, Naumburg und Leipzig, noch einige kleinere Städte berührend, nach Berlin, wo er sich vom 15. bis zum 22. November aufhielt, um dann über Spandau, Brandenburg und Mühlhausen, nach einem wahrscheinlich längeren Aufenthalt in Netra bei Eschwege, nach Kassel zurückzukehren. Die Engländer begleiteten den Landgrafen nach Schmalkalden, nahmen aber an der weiteren Reise offenbar nicht teil, da sich sämtliche Hinweise aus dem erhaltenen Ausgaberegister *) nur auf die Zeit in Schmalkalden beziehen. Diese wenigen und kurzen Notizen, die sämtlich aus dem Oktober 1596 stammen, mögen hier Platz finden: 1. »6 albus dem kleinen engellender aufm frawen Zimmer zu einem pahr schuh.« (15. Okt.) 2. >8 groschen Egmond für ein paar schuh«. (15- Okt.) 3. »1 goldgulden für ein pahr leibfarben strumpf, Egmondt dem engeilender.« (23. Okt.) 4. >9 goldgulden einem engeil endischen Springer.« (23. Okt.) 5. »12 groschen 6 $ dem kleinen engellender Dinekenclo im frawzimmer für ein pahr leibfarben strumpf.« (25. Okt.) 6. »25 sonnenkronen Egmondt zur abfertigungk in Engellandt.« (25. Okt.) 7. »20 thaler mehr Ihmb zu abbezahlung seiner schulden.« (25. Okt.) 8. »5 Thaler dem Irrlender zur abfertigungk.« (26. Okt.) ») 1. o. S. 13. 4 ) M. St. A. Sammelmappe: »Engl. Komöd. am Hofe des Ldgr. Moritz. 1596—1608«.
29 Die Nummern 6 und 8 lassen eine teilweise Auflösung der Truppe möglich erscheinen. Die in Deutschland bleibenden Komödianten werden sich unter Brownes Führung auf Reisen begeben haben, was umso wahrscheinlicher ist, als Moritz der Truppe während seiner langen Abwesenheit j a doch nicht bedurfte. Sicher aber blieb die Komödiantengesellschaft auch weiterhin in den Diensten des Landgrafen; das geht unzweideutig aus einem Brief hervor, den Moritz am 27. Dezember 1596 aus Allendorf an der Werra an seinen Kammermeister Johann Heugel in Kassel richtet*): »Sagt den Englendern ahn, das sie vff den heiligen 3 könig abendt sollen sampt Ihren comediis vndt musica nach Milsungen kommen vndt uffwarten.«
Die Truppe bleibt während des ganzen Winters 1596/97 in hessischen Diensten, denn schon aus dem März und April 1597 sind uns neue Nachrichten überliefert. Zu dieser Zeit hielt sich der Landgraf in seinem Schlosse in Melsungen, unweit Kassel, auf, und es ist darum anzunehmen, daß sich die folgenden Notizen, die einem von Elias Hamberger vom 3. März bis zum 2. Mai 1597 geführten Ausgabenregister entnommen sind 2 ), in der Mehrzahl auf Melsungen beziehen: 1. »Meister Hanß dem Schneider zugestellt 10 albus darvor er Nestelnschnüre und anderes so zur Comedie gebraucht worden gekauft.« (15. März) 2. »Hanß Schencken vor die dielen darvon das gerüst der Comedien gemacht worden auch lohn der Zimmerleuthe, auch ein par schu dem Narren. Item war ein Messingen blechlein und seitten zur bogensehnen zugestellet. 4 Thaler 22 albus 3 i",. 1 ( 1 5 . März) 3. »Henrichen Geller, Meiner gnedigen fürstin und frawen Schneider, wegen Wüllen und leines Tuch so zur Comedi ist verbraucht unnd Meister Hansen dem Schneider zugestellt worden lautt Zettels geliefert 6 fl. 25 alb. 3 ^j.« (23. März) 4. »Eckhardt Senger geben, das gelt so er die Zeit hero vor Clinton den Engellender außgelegt, lautt Zettels 31 alb. • (31. März) 5. »Auf bevelch Meines g. fursten und Herrn dem Engellender Johann Saßling uf sein besoldung zu gestalt 20 thaler.« ( 1 3 . Apr.)
Die Nummern 4 und 5 nennen uns zwei bisher ganz unbekannt gewesene Namen englischer Komödianten. Indessen ist es möglich, daß es sich bei dem »Engellender Clinton« der Nr. 4 gar nicht um einen Schauspieler sondern vielmehr um einen vornehmen Gast des Landgrafen gehandelt hat. Monings 3 ) berichtet nämlich, daß sich der Earl of Lincoln auf seiner Kasseler Reise von seinem Sohne, Edward Clinton, J
) Von Duncker veröffentlicht. Nr. 15, S. 265. *) M. St. A. Sammelmappe: »Engl. Komöd. am Hofe des Ldgr. Moritz. 1596—1608«. 3 ) In der schon oben genannten (S. 27, Anm. 3) Reisebeschreibung.
30 begleiten ließ. Die Möglichkeit, daß dieser Clinton längere Zeit am hessischen Hofe verblieb, scheint umso eher gegeben, als sich ohnehin ständig eine Anzahl vornehmer junger Ausländer zur Vollendung ihrer höfischen Ausbildung in Kassel aufhielt. — Ob der »Engeilender J o hann Saßling« der Nr. 5 mit einem späterhin öfters genannten »ausreitter« Goßling identisch ist, war nicht festzustellen. Daß ein englischer Komödiant am Hofe eines deutschen Fürsten seinen Beruf wechselte, kam häufig vor, und auch dieser Fall wäre darum nicht verwunderlich. Wahrscheinlicher aber ist es, daß es sich bei diesem Saßling um den Komödianten J a n Haßligt gehandelt hat. Eine solche Vcrschreibung des fremden Namens ist durchaus denkbar. Über Haßligt ist sehr wenig bekannt. In den zahlreichen Schauspiclerlisten der englischen Literatur wird er niemals genannt. Und nur ganz zufallig gelang es, in einer Sammelmappe des Marburger Staatsarchivs auf einem halb zerrissenen Zettel etwas über ihn zu entdecken Dieser Zettel ist undatiert und offenbar nur zu einer flüchtigen Notiz benutzt worden. Da steht zu lesen: »Das uns Gewertiger J a n Haßligt ein Zcitllang für ein Comoedianten fleißig gedienet, U n d N u h m c h r seiner gelegenheitt nach sich wiederumb an andere ortter umb meherr erfahrung willen hinbegeben uns underthenig angelangt, und« H i e r reißt d i e N o t i z u n v e r m i t t e l t a b . D a r u n t e r steht: »Das uns Gegenwerttiger J a n Haßligt auß Engcllandt, ein Zeitlang für ein Comoedianten gedienet, sich auch die Zeit über so er bey uns gewesen fleißig und fromblich verhalten wie solches einem trewen Diener wol anstehet und gebüretc
womit auch diese zweite Notiz abbricht. Das ist alles, was wir über Haßligt hören. Es wurde nur wiedergegeben, um einen Anhaltspunkt für den Fall zu geben, daß man künftighin in anderem Zusammenhang auf diesen Namen stößt. Daß Moritz schon im Jahre 1597 über einen offenbar beträchtlichen Fundus von Kostümen und Waffen für seine Komödianten verfügte, geht aus den Briefen hervor, die er im Februar dieses Jahres mit seinem Oheim, dem Landgrafen Ludwig I V . von Hessen-Marburg wechselte 2 ). Zu dieser Zeit beabsichtigte nämlich Ernst Graf zu Solms »mit seiner gcselschafTt« die »Comoedic mitt den Alten Potentaten« an Ludwigs Hofe zur Aufführung zu bringen. Daraufhin bat Ludwig den Moritz, ihm die »dartzu gehörige waffenn, Harnisch unndt Kleydungen, uff arth In vor Zeitten die Alttcn potentaten gezieluett unndt bewaffenet gewesenn« für die beabsichtigte Aufführung zu überlassen. Moritz kam diesem Wunsche auf das liebenswürdigste entgegen und stellte M . St. A . Nachlaß Landau: »Komödie. II. fol. Bl. 1570/1656«. ' ) M. St. A . »Correspondenz L. Moritz mit Landgr. Ludwig I V .
1597«.
31 selbst sein K o m m e n in Aussicht mit der Bitte, L u d w i g möge »die C o m medianten die Comoedie also memoriren laßen, damitt w i r uffn fall wir zu E . L . komen unsere augenn Hiernehist auch darin belustigenn mögen«, eine Bemerkung,
die eine wohlwollende
Kennerschaft
der
Theaterdinge verrät. Es m a g sich bei dem hier aufgeführten Stück um die »Orationes der Altten Helden«,
ein
von j e d e m dramatischen L e b e n weit entferntes
Erzeugnis, gehandelt haben, das der junge L a n d g r a f Moritz im S o m m e r des J a h r e s
1 5 8 4 gelegentlich der Anwesenheit des sächsischen
Kur-
fürsten in Kassel schon einmal zusammen mit einigen Hofschülern zur A u f f ü h r u n g gebracht hatte
I n dieser sogenannten K o m ö d i e schildern
die acht großen Helden A l e x a n d e r , Hannibal, Scipio, Caesar, Constantin, Carolus M a g n u s , Scanderbeg und M a h o m e t der Reihe nach ihre T a t e n , bei welcher Gelegenheit sich jeder als den Größten darzustellen wünscht 2 ) . Es scheint hier angebracht, zwei erhaltene Anstellungsverträge
eng-
lischer Komödianten zu untersuchen, die beide leider keinerlei D a t u m tragen, beide aber offenbar aus der gleichen Zeit stammen. hat die im M a r b u r g e r Staatsarchiv einmal veröffentlicht 3 ). Philip K i n g s m a n .
Könnecke
aufbewahrten Urkunden
schon
Die eine betrifft R o b e r t Browne, die andere
W e g e n der großen Bedeutung, die diesen beiden
U r k u n d e n gerade im R a h m e n
unserer Untersuchung zukommt,
er-
scheint es notwendig, sie beide hier noch einmal zum A b d r u c k
zu
bringen 4 ). Z u n ä c h s t also der Vertragsbrief für Browne: »Wir Moritz von Gottes gnaden Landtgrave zu Hessen Grave zu Catzenelnbogcnn Dictz Ziegenhain und Nidda etc. T h u n kundt hiran öffentlichen bekenennde, das wir unsern Lieben getreuen Robertum Braun vor unsern Diener Comocdianten unnd Musicum gncdiglichen besteht, uff: unnd angenommen habenn, unnd thun das gegenwerttig inn unnd ') s. o S. 5. ! ) Wilhelm Kirchhoff hat die Komödie anläßlich der Kasseler Aufführung »auß einer Lateinischen Prosa in eine schöne Comoedien . . . mit Rithmis < , ins Deutsche übersetzt. Im 5. Bande seines »Wend Unmuth« hat er sie veröffentlicht. Nr. 243, S. 130 ff. ») Nr. 29, S. 8 5 - 8 6 . 4 ) Ein an sich nicht bedeutungsvoller Umstand scheint Könnecke bei seiner Veröffentlichung nicht bekannt gewesen zu sein: Der Vertrag für Kingsman nämlich findet sich im M. St. A. in zwei Fassungen; in der von ihm wiedergegebenen und in einer zweiten, ein wenig erweiterten. Die letztere wird in einer Sammelmappe aufbewahrt, die den Titel fuhrt: »Theater u. Komödianten zu Cassel unter Lg. Moritz 1594—1617«. Die von Könnecke veröffentlichte Fassung dagegen wie auch den Anstellungsvertrag Brownes finden wir unter dem Stichwort: »Bestallungen, Comoedianten. 1596—1600?« In meiner Wiedergabe der Verträge stimmt also der Brownes mit Könneckes Publikation überein, während der Kingsmans in der — nur um ein Weniges — erweiterten Fassung zum Abdruck gelangt. Der durch Sclirägdi uck hervorgehobene Schlußsatz im Kingsman-Vertrag fehlt bei Könnccke. Weitere kleine Abweichungen im Text wurden nicht berücksichtigt, da sie den Sinn nicht beeinträchtigen.
32 mitt Crafft dis briffs dergestalt unnd also, das er unser Diener Comoediant unnd Musicus sein, Auch jeder Zeitt schuldig unnd bereitt sein soll, uff unser erfordernn unnd begeren neben seiner geselschafft unns allerley Artt Lustiger Comoedien, Tragoedien, unnd Spiele wie wir dieselben enttweder selbst erfinden unnd ihme angebenn werden, oder er vor sich wissen oder erfinden wurtt, Anstellen unnd halten, auch sowohl in Musica Vocali als Instrumentali wie auch in allen Andern Sachen darinnen wir Ihnen geubtt erfahren, unnd dinlich wissen guttwillig unnd unverdrossen gebrauchen Lassenn, darneben soll er Auch schuldig sein unnss uff unser begeren ein oder mehr Knaben wie wir ihme dieselben jederzeitt undergeben werden, ess seyen gleich in oder Auslendische, Abzurichtenn, damitt wir sie uffn fall unserm Lüsten nach gebrauchen können, deswegen wir den ihme jederzeitt ein sondere begnadigung thun lassen wollen. Dessgleichen soll er auch die Zeitt über er in unsser bestallung sein württ ohne unssere ausstrückliche bewilligung oder erlaubnuss nitt verreissen, sondern da er seiner gelegenheitt nach verreissen wolte solchs jederzeitt mitt unsserm vorwissen thun und sonstet unss treu holt gehorssamb und gewerttig sein, unsem schaden jederzeitt treulich warnen, frommen unnd bestes werben, unnd ins gemein Alles das jenige Aussrichten thun unnd lassen solle, wass ein getreuer diener seinem herrn zu thun schuldig unnd Pflichtig ist. Inmassen er unns solchs gelobtt, einen leiblichen Eydt zu Gott und seinem heyligenn wortt geschworen, unnd dessen sein Reverssbrieff ubergeben hatt. Darentjegen unnd von solchs seines dinstes wegen, wollen wir ihme järlichs und eines jeden jars besonder, Aldieweill diesse bestallung weren wurtt zur Jarbesoldung vor sich unnd zwen Knaben An gelde gülden durch unsern N. und dan Jares zwey ehrnekleider sowohl vor Ihnen als für zwen jungen wie wir Ihnen diselben jederzeitt verordnen werden. Darzu an statt einer haussbestallung N. durch unssere Küchenmeister und Fruchtschreiber handtreichen und geben lassen, Ohne geverde. Dess zu urkundt haben wir unns mitt eigen handen underschrieben unnd unser fürstlich Secret hieruff trucken unnd gebenn lassen zu Cassel den «.
Und nun Kingsmans Vertrag:
»Wir Moritz vonn Gottes gnaden Lanthgrave zue Hessenn Grave zue Catzenelnbogenn, Dietz, Zigenhain undt Nidda etc. Thun kundt hirann öffentlich bekennende das wir unsernn Libenn getreuenn Philips Kinigßmann vor unsernn diner undt Gomoedianten genediglichenn besteldt. Uff: undt angenommen habenn, Undt thun das Jegenwertig in Undt mit craft disses brieves dero gestaldt undt AIsso, das er unser diner undt Comoediant sein soll, uf unser erfordernn undt begehren, nebenn seiner geselschaft uns allerley artt Lüstiger comoedien Tragoedien Spile undt dergleichenn, wie wir dieselbenn entweder selbst erfindenn, undt ihme Angebenn werdenn, oder er vor sich wissenn undt erfindenn wirdt, anstellenn undt halttenn, auch in allen andernn sachenn, darinnen wir ihnen geübt, erfarenn, undt dinlich wissen, guthwillig undt unverdrossenn gebrauchenn Lassenn, Nebenn dissem soll er Jederzeit, wan wir ihme ein Argument oder Inhaldt einer neuen comoedien oder Historien sagenn werdenn, schüldig sein dieselbig in seiner Sprach zu transponiren, undt Zu einer comiedien oder Spill zuzurichten, undt sonstet uns treu, holdt, gehorsamb, undt gewertig sein, unsernn schaden Jederzeit treulich warnenn, frommen Undt bestes werbenn, undt ins gemein alles das Jenige
33 thun, aussrichtenn undt Lassenn solle, was ein getreuer Diner U n d t comoediant seinem Herrnn Zuthun schüldig U n d t Pflichtig ist, Inmassen er uns solches gelobt, einenn Leiblichenn E y d t zu Gott undt seinem heiligenn wortt geschworenn, U n d t dessenn seinen Reuerschbrieff ubergebenn hatt. Darentiegen undt vonn solches seines Dinstes wegenn, Wöllenn wir ihme Järlichs Undt eines Jedenn J a r s besondernn Aldieweill disse bestallung werenn wirdt, Z u Jarbesoldung an gelde Cost undt Kleidung dasjenige was ihme U n d t andern seines gleichenn in einem sonderbarenn V o n Uns underschriebenen Verzeichnus verordnet, durch andere Unsere darzu verordnete gebenn U n d t handtreichenn Lassenn, ohne gevehrde, Das Zu Uns undt habenn wir Uns mit eigenn Henden Undersckribenn, Undt unser Fürstlich Secret hiruff trückenn Undt gebenn Laßenn Zu Caßell.t
Diese beiden Bestallungsbriefe sind von einem großen Teil der einschlägigen Literatur irrtümlich als ein einziges Dokument aufgefaßt worden, in dem — wie man annahm — beide Schauspieler zusammen verpflichtet wurden. Das beruht offenbar auf einem Mißverständnis. Könnecke betont lediglich l ), daß beide Konzepte von Kanzleihänden entworfen wurden, die in der landgräflichen Kanzlei während der 90 er Jahre des 16. Jahrhunderts häufig nachzuweisen sind. Tatsächlich scheinen beide Dokumente vom gleichen Schreiber ausgeführt worden zu sein. Daß die beiden Verträge aus demselben Zeitraum stammen, ist nicht zu bezweifeln. Aber das schließt einen Unterschied ihrer Entstehungszeiten von wenigen Jahren nicht aus. Auch die Formen der Verträge sind — bei aller Gleichheit in den großen Zügen — in Einzelheiten von einander abweichend. Außerdem handelt es sich bei beiden Konzepten nur um einstweilige Entwürfe, was verschiedene Veränderungen und Zusätze im Text beweisen. Nun findet sich in beiden Verträgen der Passus: »neben seiner geselschaft«. Das erweckt den Anschein, als seien sowohl Browne wie auch Kingsman Chef je einer eigenen Gesellschaft gewesen. Dieser Umstand würde ein Wirken beider zu gleicher Zeit und am gleichen Ort zumindest zweifelhaft erscheinen lassen. Wären sie beide zusammen Führer einer einzigen Truppe gewesen, so hätte man ihnen wohl auch einen gemeinsamen Vertrag ausgefertigt. Die ihnen beiden zugewiesenen Tätigkeitsbereiche scheinen nach dem Wortlaut der Dokumente doch so gleichartig, daß ein organisches Ineinandergreifen ihrer Aufgaben kaum denkbar ist. Ein solcher Widerspruch fände mit der Annahme verschiedener Wirkungszeiten seine Klärung. Demgegenüber könnte man jedoch wieder darauf hinweisen, daß jedem der beiden Komödianten-Führer allerdings eine ihm eigentümliche Aufgabe zugewiesen wurde. Browne soll Instrumental- und Vokalmusik pflegen. Kingsman i) Nr. 29, S. 87. H a r t l e b , Deutschlands erstes Theater.
3
34 soll die neuen ihm vom Fürsten mitgeteilten Komödien und Historien ins Englische übersetzen. Man sieht, das Für und Wider läßt eine eindeutige Entscheidung, die sich nur auf den Wortlaut der Verträge gründen könnte, nicht zu. Zumal eine derartige Entscheidung auch die Mentalität einer anderen Zeit in Rechnung ziehen müßte, eine Mentalität, die sich selbstverständlich auch in der Formung solcher Verträge geäußert hat. Wir müssen darum die Entscheidung der Frage: »Haben Browne und Kingsman gemeinsam oder zu verschiedenen Zeiten am Hofe des Landgrafen Moritz gewirkt?« einer späteren Zeit überlassen, die vielleicht auf Grund neuer Dokumentenfunde dazu fähig sein wird. Nehmen wir eine getrennte Wirksamkeit an, so würde der Brownesche Vertrag in die Zeit seiner ersten Kasseler Anwesenheit 1593/94 oder aber in das Jahr 1596 zu setzen sein, in dem er, wie berichtet, mit dem Earl of Lincoln an den Kasseler Hof kam. Für den Vertrag Kingsmans würden sich dann ebenfalls die verschiedensten Möglichkeiten ergeben. Er könnte in das Jahr 1594 fallen, wenn wir nämlich Browne um diese Zeit schon in England annehmen; er wäre aber ebenso gut zu einem späteren Zeitpunkt — selbstverständlich innerhalb der 90 er Jahre — denkbar. Bei einem gemeinsamen Wirken von Browne und Kingsman könnten die Verträge ebenfalls im Jahre 1594 abgeschlossen sein. Denn die Möglichkeit besteht immerhin, daß Kingsman schon zu dieser Zeit Mitglied der Browneschen Truppe war. Die erste authentische Nachricht über ihn stammt aus Straßburg und zwar aus dem August 1596 1 ). Könnecke, der den Standpunkt gleichzeitiger Wirksamkeit der beiden Führer vertritt, nimmt für die Zeit der Vertragsausfertigung das J a h r 1598 an, in welchem Browne und Kingsman als zu einer Truppe gehörig von Duncker genannt werden 2 ). Aber auch diese Annahme ist angreifbar: In diesem Jahre nämlich trägt Kingsman den Vornamen Robert, während der Kingsman unseres Vertrages Philip heißt. Eine Vornamensverwechslung durch die Kanzleibeamten wäre allerdings möglich. Aber wir haben die Existenz eines Robert sowohl wie eines Philip Kingsman — vielleicht waren sie Brüder? —• zu eindeutig bezeugt, als daß wir hier an eine solche Verwechslung glauben könnten. Philip begegnet uns 1615 in London, wo er zusammen mit Ralph Reeve, Robert Jones und Philip Rosseter die Erlaubnis zum Bau eines neuen Theaters erhielt 3). Robert dagegen ließ sich als Kaufmann in Straßburg nieder, wo man ihm 1618 das Bürgerrecht verlieh 4 ). ') *) 3 ) «)
Nr. Nr. Nr. Nr.
14, S. 114. 15, S. a66. 77. 26, S. 15.
35 Fassen wir also zusammen: Als Zeit für die Ausfertigung der Anstellungsverträge — seien sie nun zu verschiedenen Zeiten oder zusammen entstanden — kommen die Jahre 1593, 1594, 1595, 1596 und 1598 mit einiger Wahrscheinlichkeit in Frage. Eine genaue Datierung auf Grund des heute zur Verfügung stehenden Materials ist nicht möglich. Betrachten wir zunächst das, was beiden Dokumenten gemeinsam ist. Komödien, Tragödien und Spiele sollen aufgeführt werden. Neben der Pflicht, solche Schauspiele zur Darstellung zu bringen, sollen sich beide Führer »auch in allen andern Sachen, darinnen« sie »geubtt« und »erfahren« sind, »guttwillig unnd unverdrossen gebrauchenn lassenn«. Dieser Passus bezieht sich auf die nun schon mehrfach erwähnten Fertigkeiten der Engländer im Akrobatisch-Artistischen und Tänzerischen. O b damit auch andere, sich aus der Gelegenheit ergebende, Hofdienste gemeint sind, ist nicht zu sagen, jedoch mit einem ziemlichen Maß von Bestimmtheit anzunehmen. Fragen wir uns nun, um welche Stücke es sich bei den befohlenen Komödien und Tragödien gehandelt haben könnte, so sind als erstes die aus London mitgebrachten Repertoirestücke zu nennen, unter denen wiederum solche den Vorrang eingenommen haben werden, die den Zuschauer durch reichbewegte Handlung zu fesseln vermochten. Allerdings wird dies Moment an einem kultivierten Hofe, wie es der Kasseler damals war, keine so vordringliche Rolle gespielt haben, wie etwa an dem gerade um diese Zeit sehr verrohten Dresdener Hofe oder gar vor dem breiten Publikum der großen Handelsstädte. Über eine weitere Gruppe von Stücken werden wir aber ebenfalls durch die Verträge belehrt: Es sind Stücke, »wie wir dieselbenn . . . selbst erfindenn«, Stücke also, die Moritz selbst schrieb, und ferner solche, wie Browne und Kingsman sie »vor sich wissenn undt erfindenn« sollen. Darunter befindet sich die große Zahl von Gelegenheitsschöpfungen, wie sie zu den wechselnden Festlichkeiten des Hofes gebraucht wurden. Untersuchen wir nun das, was jeder Vertrag für sich gesondert aufweist: Browne wird nicht nur zum Diener und Komödianten sondern auch zum »Musicus« angenommen, der Vokal- und Instrumentalmusik pflegen soll. Es wurde schon darauf hingewiesen, welche entscheidende Rolle die Musik bei den englischen Komödianten spielte; besonders aber wurde bei den am Kasseler Hof tätigen Komödiantentruppen Wert auf das musikalische Element gelegt, weil Moritz, der sich selbst immer, auch in Notzeiten, ein für damalige Verhältnisse ungewöhnlich großes Orchester hielt, von jeher die Musik besonders geliebt hatte. — Sehr interessant ist auch der Umstand, daß Browne »ein oder mehr Knaben wie wir ihme dieselben jederzeitt undergeben werden, es seyen gleich in oder Ausslendische Abzurichtenn, damitt wir sie uffn fall 3*
36 unsernn Lüsten nach gebrauchen können« gehalten sein soll. Das ist nichts anderes, als eine primitive Vorform der Schauspielschule, die sich freilich von der modernen dadurch unterscheidet, daß sie die Musik in ihren Unterrichtsplan nicht nur einbezieht, sondern dieser einen sehr bedeutenden — vielleicht den bedeutendsten — Platz einräumt. Offenbar wollte sich der Landgraf von den fremden Schauspielern unabhängig machen, indem er einen Stamm einheimischer Kräfte heranbilden ließ. — Endlich wird Browne zur Bedingung gemacht, daß er nicht ohne »ausstrückliche Bewilligung oder erlaubnuss« verreisen solle. Doch stellt man ihm für etwaige Fälle diese Erlaubnis bereitwilligst in Aussicht. Kingsman wurde im besonderen dazu verpflichtet, neue Komödien und Historien nach Ansage des Landgrafen in seine Sprache zu übertragen, »undt Zu einer comoedien oder Spill zuzurichten«, das heißt, sie ins Englische zu übersetzen. Den Grund, der den Landgrafen veranlaßte, von ihm vorgeschlagene Dramen-Inhalte in englischer statt in deutscher Sprache ausfuhren zu lassen, können wir keineswegs in jener sinnlosen Nachahmungssucht fremder Form erblicken, wie sie im späteren 17. Jahrhundert in Deutschland und besonders an den Fürstenhöfen allgemein wurde. Dafür bürgt nicht nur seine sehr nationale Gesinnung sondern auch seine Vorliebe für die deutsche Sprache, die ihn, schon ehe er 1623 Mitglied der Fruchtbringenden Gesellschaft geworden war, mit besonderer Energie für ihre Hebung und Pflege eintreten ließ x ). Es werden darum vorwiegend ästhetische Erwägungen gewesen sein, die den Landgrafen zu seinem Schritt bestimmten. Kingsmans Vertrag wurde, wie wir sahen, jedenfalls im letzten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts abgeschlossen, zu einer Zeit also, zu der die englischen Schauspieler mit den Verhältnissen des Festlandes bei weitem noch nicht so vertraut waren, wie in den Jahren ihrer Hauptwirksamkeit; zu dieser Zeit hatten sie sich die deutsche Sprache zweifellos erst sehr unvollkommen angeeignet. Es ist darum begreiflich, daß sie durch den Gebrauch dieser noch nicht gemeisterten Sprache in ihren Wirkungsmöglichkeiten empfindlich eingeschränkt wurden. Dem Landgrafen kam es aber darauf an, das neue und sehr lebendige Theater der Fremden wirklich zu genießen. Und dieser Genuß wurde ihm durch Aufführungen in englischer Sprache, die er und ein großer Teil der Hofgesellschaft nahezu vollkommen beherrschten, nicht nur nicht im mindesten verkürzt, sondern sogar gesteigert, weil sich eben bei diesen Aufführungen die Schauspieler am ungezwungendsten bewegen konnten. ») j. dazu Bartholds »Geschichte der Fruchtbringenden Gesellschaft«. Nr. 235, S. 325.
37 Bis mindestens zur Mitte des Jahres 1598 befand sich die Brownesche Truppe im Dienste des Landgrafen Moritz.
Das beweisen die Eintra-
gungen, die sich in dem hochinteressanten Ausgaberegister Johann Eckels zum täglichen Verlag des Landgrafen Moritz von 1598 finden '). Der genaue Titel des für die Geschichte der englischen Komödianten am Kasseler Hofe bedeutsamen Schriftstückes lautet: »Register de Anno etc. 1598. W a ß ich Johann Ekhel zu Meines gn. F. und Herrn, Herrn Moritzen Landgraffen zu Hessen etc. däglichen Verlag dieses obgemelten 1598 Jars eingenommen und außgeben Wie hiernach folge«.« Es werden hier nur die
im Rahmen unserer Untersuchung
essierenden Notizen gebracht;
sie beziehen
sich
sämtlich
inter-
auf
das
Jahr 1598: 1. »20 Thaler Jorge Webster dem Englender uff die reise gen Heidelbergk zugestelt« ( U m den 26. Apr. in Laubach oder Ziegenhain.) 2. »16. thlr. uff Ihrer fgn. befehl Meister Braun zugeschickt gen Cassel.« (7. Mai in Rotenburg.) 3. »3 fl. vor 6 ehlen weiß W ü l l e n T u c h , den Englendern zu Comedien Kleidern.« (18. Mai in Rotenburg.) 4. »2 Thaler 4 albus Meister Braun zu schellen, . . . leder und anderes zur Comedien.« (19. Mai in Rotenburg.) 5. »4 Thaler 17 albus Johann Hil dafür er das weisse geckskleid machen lassen.« (19. Mai in Rotenburg.) 6. »i Thaler Henning Platner vor 7 Tartschen den Englendern zur Comedien 2 ).« (20. M a i in Rotenburg.) 7. »300 fl. dem Cammermeister Heugel in sein Hauß gebracht am Pfingstmontag, die Englender damit abzufertigen.« (6. Juni in Rotenburg.) 8. »50 thlr. Johann Hil zu gesteh uff Ihrer fgn. befehl.« (12. Juni in Rotenburg.) 9. »20 Thaler den Englender Jungen uff Ihrer f. g. befehl zugestelt.« (13. Juni in Rotenburg.) 10. »216 dicke Thaler 24 albus Georgen Webster dem Englender uff Ihrer f. g. befehl geben.« (23. Juni in Rotenburg.) 11. »250 Thaler Jorge Webster der Englender bekomen.« (9. Juli in Kassel?) 12. »100. thlr. Johann Hil bekommen uff Ihrer fgn. befehl.« (9. Juli in Kassel?) 13. »20. thlr. Philippo zugestelt, dem Englender damit Hendschen zu bezahlen.« (10. A u g . in Rotenburg.) 14. »12 Thaler dem Englischen Kramer vor Hendschen.« (19. Aug. in Kassel?) *) M. St. A. *) Die Tartsche ist ein kleiner, länglicher Leder-, ursprünglich ein großer, den ganzen Körper bedeckender Schutzschild.
38 15- »i Thaler Robert der Englische Jung gewonnen mit dem flitschbigen.« (28—30. Sept. in Kassel?) 16. »1 Thaler Zweyen Englenders Jungen.« (28—31. Sept. in Kassel?) 17. »i Thaler dem Schmalkalder restituirt, so er auß gelegt vor leuchten zur Commedy.« (6. Okt. in Schmalkalden?) 18. »1. dicken Thaler den Englendern Jungen zu Weschelon.« (7. Nov. in Kassel?) 19. »1 thaler Robert dem Englischen Jungen zu schuhen.« (30. Nov. in Zapfenburg?) 20. »12 fl. Gerhart dem Engelender zu Holtzgeld.« (30. Nov. in Zapfenburg?) 21. »50 Thaler dem welschen J a n uff Ihrer f. g. befehl zu gesteh. ')« (12. Dez. Kassel? Melsungen?)
Das ist eine Fülle von interessantem Material, und es ist notwendig, diese vielen Einzelmeldungen, soweit das möglich ist, in den großen Zusammenhang einzuordnen. Betrachten wir zunächst die Nummern 1, 1 o und 1 1 . Alle drei beziehen sich auf jenen Jorge oder Georg Webster, von dem schon im Zusammenhang mit der Gesandtschaft des Earl of Lincoln die Rede war 2 ). Es handelt sich also entweder um den damals in Kassel eingetroffenen John Webster oder um einen erst später in hessische Dienste getretenen Schauspieler. Im ersten Falle wäre anzunehmen, daß sich Webster im Laufe der in Kassel verbrachten Zeit allmählich von einer mehr untergeordneten Stellung zu seiner jetzigen Bedeutung emporgeschwungen hätte. Denn in der Zwischenzeit haben wir nichts von ihm gehört, während die hier angeführten Summen keinen Zweifel darüber lassen, daß Webster jetzt einen wichtigen Posten ausfüllt. Nehmen wir aber an, daß jener John Webster von 1596 der Dramatiker war, so könnte sich unser Georg Webster erst in der Zwischenzeit, also etwa im Laufe des Jahres 1597, in Kassel eingefunden haben. Wesentlicher ist es indessen, daß diese drei Meldungen eine Annahme widerlegen, die sich seit dem Vorgang Elisabeth Mentzels 3) in der Literatur verbreitet hat. Mentzel nämlich behauptet, Browne habe sich nach Auszahlung von 300 Gulden durch Kammermeister Heugel auf Einladung des Kurfürsten Friedrich IV. von der Pfalz zusammen mit Robertus Kingsman und Robertus Ledbetter an den Heidelberger Hof begeben. Sie stützt diese Behauptung mit einem von ihr wiedergegebenen Bittschreiben englischer Komödianten 4) an den 1
) •welsch« bezeichnet nach Grimm zwar im allgem. Menschen u. Dinge romanischer Eigenart, oft aber auch nur überhaupt d. fremde Herkunft. Es ist darum möglich, daß hier nicht ein italienischer Seiltänzer sondern ein engl. Narr gemeint ist. J ) s. o. S. 27. 3 ) Nr. 33, S. 44. 4 ) Nr. 33, S. 46—47. Mentzels Kopie wurde mit dem im Fr. St. A. aufbewahrten Original (R. S. März 1601) verglichen.
39 Frankfurter Rat, das vom 12. März 1601 datiert ist. In dieser Supplikation heißt es: »Edell Ernveste Hoch vnd Wolwayse Acht pare vnd Fürsichtige E. E. vnd F. E. W . . . . Was gestalt vngefarlich vor anderthalb Jaren als wir von Heidelberg anhero genahet an E. E. vnd F. E. W. wir zu endts namhafte vmb günstige gestattung vnd zulaßung, das wir alhie etliche ./. comedia vnd Tragedia aus denn Historiis agiren vnd halten mögten, supplicirendt gelangen lassen haben, das würdt denselben noch in vnentfallenem andencken sein.« Sie bitten mit Berufung auf dies vor eineinhalb Jahren gegebene Versprechen zugelassen zu werden und unterzeichnen sich als: »E. E. vnd F. E. W. Vnderthenige vnd vnterdienstgeflissene Robertus Browne Robertus Kingman Robertus Ledbetter.« Tatsächlich geht aus diesem Schreiben hervor, daß Browne, Kingsman und Ledbetter im J a h r e 1599, von Heidelberg kommend, etwa im Oktober in Frankfurt um Spielerlaubnis gebeten hatten. Mit welchem Recht aber Mentzel aus diesem Umstand den Schluß zieht, daß die drei Komödiantenführer mit ihrer Truppe bereits 1598 in Heidelberg aufgetreten seien, bleibt unerfindlich. Und völlig irrig endlich ist die Folgerung, die sie aus diesem — zumindest unbeweisbaren — Heidelberger Gastspiel des Jahres 1598 ableitet. Sie sagt nämlich weiterhin aus, daß Webster seine 20 Taler zur Reise nach Heidelberg darum erhalten habe, weil seine schon dort weilenden Gesellen Browne, Kingsman und Ledbetter ihn »seines großen komischen Talentes wegen« zum Gastspiel berufen hätten. Webster, von dessen schauspielerischen Fähigkeiten wir nicht die allergeringste Nachricht besitzen, das Charakteristikum eines bedeutenden komischen Talentes anzuhängen, erscheint reichlich gewagt. Von der gleichen mangelnden Genauigkeit zeugt aber die Behauptung, daß Webster nach Heidelberg gereist sei, um bei Browne zu gastieren. Setzen wir selbst den Fall, daß Browne, Kingsman und Ledbetter wirklich im Jahre 1598 in Heidelberg aufgetreten seien, so läßt sich doch die Unrichtigkeit der auf Webster bezüglichen Behauptung unschwer beweisen: A m 26. April 1598 erhält Webster 20 Taler um nach Heidelberg zu reisen (S. 59, Nr. 1). Im J u n i spätestens ist er von dieser Reise zurückgekehrt, denn am 23. dieses Monats finden wir ihn in Rotenburg (S. 60, Nr. 10). Sehen wir uns nach dem Verbleiben Brownes in der Zwischenzeit um. A m 7. Mai ist er nachweislich in Kassel (S. 59, Nr. 2). A m 19. des gleichen Monats in Rotenburg (S. 59, Nr. 4). A m 6. J u n i werden die von Mentzel angeführten 300 Gulden von Kammermeister
40 Hcugel den Engländern ausgezahlt (S. 60, Nr. 7). Allerfrühestens also könnte Browne seine vermeintliche Heidelberger Reise am 6. Juni von Rotenburg aus angetreten haben. Zu dieser Zeit aber stand Webster schon wieder vor der Rückkehr oder war sogar schon wieder zurückgekommen. Ein Umstand, der die Illusion eines Webster-Gastspiels bei Browne in Heidelberg zerstört. Wenn nun die Engländer am 6. Juni mit 300 Gulden abgefertigt werden, so will das nicht mit Sicherheit sagen, daß sie entlassen wurden. Es sei zugegeben, daß Browne in diesem Jahre keine Erwähnung mehr findet, daß — nach der Größe der ihnen überwiesenen Summen zu urteilen — offenbar Georg Webster und Johann Hill die führenden Persönlichkeiten waren (S. 60, Nrn. 8, 10, 1 1 , 12). Eine tatsächliche Entfernung Brownes vom Kasseler Hof beweist das aber immer noch nicht. Denn selbst wenn Browne auf Reisen gegangen sein sollte, wurde doch die Truppe des Landgrafen noch nicht aufgelöst. Diejenigen Notizen, die sich auf englische Komödianten beziehen, laufen bis zum 30. November 1598 (S. 61, Nr. 20). Und wenn am 10. August ein gewisser Philipp genannt wird (S. 60, Nr. 13), so besteht eine ziemliche Wahrscheinlichkeit dafür, daß es sich hier um Philip Kingsman gehandelt habe. Das läßt neue Zweifel an einer gemeinsamen Reise von Browne und Kingsman nach Heidelberg entstehen, zumal sich, wie schon erwähnt, außer der Mentzelschen Behauptung für eine solche 1598 stattgefundene Reise nirgends ein Anhaltspunkt finden läßt. Tatsächlich bleibt also nur eine Reise Websters nach Heidelberg zu verzeichnen, die von Ende April bis etwa Mitte Juni des Jahres 1598 gedauert hat. Aber auch die übrigen Mitteilungen des Eckeischen Verzeichnisses sind nicht ohne Interesse. Die Nummern 9, 15, 16, 18 und 19 beweisen das Vorhandensein von Knaben oder Jünglingen bei den englischen Truppen. Diese jungen Leute benutzten offenbar die Gelegenheit praktischer Ausbildung, die noch dazu mit dem Kennenlernen fremder Länder verbunden war. Außerdem hatten sie die Frauenrollen zu spielen, da es Schauspielerinnen bei den Truppen — ebenso wie in England selbst — um diese Zeit noch nicht gab. — Nr. 21 bezieht sich entweder auf den englischen Narren oder aber auf einen Schauspieler romanischer Herkunft. Es sei hier noch eine bemerkenswerte Resolution des Landgrafen angeführt, die nur das Datum »Am 19 Novembris«, leider aber keine Jahreszahl trägt 1 ). Sie stammt aus Schmalkalden und könnte sehr wohl in das J a h r 1598 fallen; die Jahre 1596 und 1597 kommen für die *) M. St. A. »Theater und Komödianten zu Cassel unter Lg. Moritz 1594—1617«.
41 Entstehung dieser Resolution darum nicht in Betracht, weil in diesen beiden Jahren der Landgraf im November nachweislich nicht in Schmalkalden weilte. Die Resolution lautet: »Nach dem wir Unsere Commedianten Zu dem wohlgebornen Unserm lieben Vettern Graff Johan Zu Nassaw gnediglichen abgefertigett, so beuehlen wir hiemitt allen unnd Jeden Unsernn Beamften so hiermitt ahn troffen werden, das sie gedachten Commedianten zu tag unnd nacht mitt acht Pferden Vorspan darvon sie dann vier vor eine Gutschen, unnd die Andernn vier In einem wagen, darauff sie Ihre Instrumenta Unnd anders haben unnd fuhrenn mügenn, Zum sonderlichsten und schleunigsten verschaffett, damitt sie hierdurch nicht gehindertt unnd ufgehalten werden, Das thun wir unns also In gnaden gewißlich versehen, Signatum Schmalkalden under Unsern Zu undt ufgedruckten F. Secret Siegell Am 19 Novembris.« Dieses Dokument beweist eine Schätzung und loyale Behandlung, wie sie den englischen Komödianten — auch nach vielen andern Zeugnissen — am Hofe des Landgrafen Moritz stets zuteil wurde. Für das J a h r 1599 besitzen wir sehr wenig urkundliches Material. Es existiert ein Brief des Landgrafen vom August 1599, der an einen ungenannten Hofbeamten gerichtet ist: »Unser Rath Und lieber getrewer. Es ist An dich Unser gn befehl das Du unsern Comedianten den Engelendern ansagest sich Zu uns mit ihren Musicalischen Instrumenten, demnegsten anhero Zuverfügen. Auch die Vorsehung thust das sie mit wagen und Pferden versehen werden damit sie und Auch Ihre Instrumenta vortkommen können Des Versehen wir uns Und sind Dir mit gn wolgewogen 4 Augusti, Ao. 99. 1)« Wahrscheinlich bestellt hier der Landgraf seine Komödianten auf eines der in der Nähe der Hauptstadt gelegenen Schlösser. Wichtig ist das Dokument insofern, als es die Existenz einer festangestellten Truppe am Kasseler Hofe auch für das J a h r 1599 beweist. Gleichzeitig ist es eine Bestätigung mehr für die besondere Rolle, die das Musikalische bei den englischen Komödianten und vor allen bei denen des Landgrafen Moritz spielte. Die erwähnte Truppe ist mit einem hohen Maße von Wahrscheinlichkeit die gleiche, auf die sich die Nachrichten des Jahres 1597 beziehen. Sie wird nach wie vor unter Browne gestanden haben, dem jetzt noch George Webster und Johann Hill zur Seite getreten sind. Dafür spricht die Tatsache, daß wir Browne zu dieser Zeit an keinem andern der vielen deutschen Plätze erwähnt finden, die die englischen Komödianten zu besuchen pflegten. Er wird also vom August 1596 an bis mindestens zur Mitte des Jahres 1599 in einem ununterbrochenen Dienstverhältnis zu Landgraf Moritz gestanden haben. Doch scheint dies mit dem Jahre 1599 vorläufig zu Ende gegangen zu sein. Aus dem oben auszugsweise wiedergegebenen Frankfurter Supplikationsschreiben 1
) M. St. A. »Theater und Komödianten zu Cassel unter Lg. Moritz 1594—1617«.
42 geht j a hervor 1 ), daß Browne wahrscheinlich im Spätsommer 1599 in Heidelberg gespielt und um den Oktober des gleichen Jahres in Frankfurt um Spielerlaubnis gebeten hat. Ob er von dort noch einmal nach Kassel zurückgekehrt ist, bleibt sehr fraglich, denn schon am 22. Dezember petitioniert »Robertus Braun der Englische Comoediant sambt noch 12 personen« in Straßburg 2 ). Die Truppe spielt bis gegen Ende Januar dort. Wäre Browne zu dieser Zeit noch in den Diensten des Landgrafen gestanden, so hätte er sicher die Gelegenheit benutzt, sich als »fürstlich hessischer Komödiant« zu bezeichnen, ein Ehrentitel, der ihn aus dem gemeinen Haufen der wandernden Komödianten herausgehoben und ihm beim R a t der Stadt nur genützt hätte. Aber noch ein anderer Umstand spricht für Brownes Fortgang vom Kasseler Hofe. Chambers nämlich berichtet über Brownes Auftreten in Straßburg und sagt dazu 3 ): »Browne was their leader at their arrival, but he then seems to have left them and returned to England, where he came to Court as manager of the Earl ofDerby's men during the winters of 1599—1600 and 1600—1.« Selbstverständlich kann Browne keinesfalls früher als Ende Januar wieder in England eingetroffen sein, da wir ihn j a noch am 22. Dezember namentlich in Straßburg erwähnt finden. Im übrigen scheint es einigermaßen unverständlich, warum Browne seine Truppe so weit nach Süden hinabgeführt haben sollte, wenn er beabsichtigte, sie so schnell wieder zu verlassen. Wollen wir also nicht ungewöhnliche und zwingende Gründe annehmen, die ihn zu solchem Entschluß trieben, so ist es wahrscheinlicher, daß er erst nach Beendigung des Straßburger Gastspieles in seine Heimat zurückkehrte. — Auf jeden Fall aber blieb eine Truppe, zu der wahrscheinlich einige Mitglieder der Browneschen Gesellschaft gehörten, unter George Webster und J o h n Hill weiter im Dienste des Landgrafen Moritz. In der Ostermesse von 1600 finden wir die »Fürstliche hessische Comoedianten auß Engelland« in Frankfurt. Sie treten anonym auf. Die Namen »Webster, Hüll und Machin« — von letzterem wird später noch die Rede sein — werden trotz Mentzels gegenteiliger Behauptung weder im Bürgermeisterbuch noch in den Ratsprotokollen genannt. Indes sind ohne Zweifel Webster und Hill die Führer der hessischen Truppe bei diesem Frankfurter Gastspiel gewesen. Das ist j a nur die selbstverständliche Folgerung aus den zum Jahre 1599 gemachten Ausführungen. Und tatsächlich bestätigt auch eine Nürnberger Nachricht diese Vermutung. Von Frankfurt aus zog die hessische Truppe nämlich nach ') s. o S. 39. Nr. 14, S. 115—116. ) Nr. 10, Vol. II, S. 27&—279.
3 ) 3
43 Nürnberg, wo wir in einem vom
12. April 1600 datierten Sitzungs-
bericht des Rates eine Eintragung über sie finden *):
»Den vier Englischen comoedianten Jorgen Webser, Johann Hill, Bernhard Sandt vnd Reinharden Matschin, soll man vergünstigen, das sie jre comoedias vnd spiel 14 tag alhie agiren mögen, dieweil das volckh sonst vffs landt laufft*) vnd jr gelt v(er) zehrt vnd nachdem sie einem Erb. Rhat zu vorderst jrer historien eine sehen lassen wollen, dem Erb. Georgien) Starckh anzaigen, eine bünn, wie zuuor auch gesehen, Jm Augustinercloster auffrichten zulassen.« Tatsächlich sind also Webster und Hill die Führer der Truppe. Neben ihnen werden noch zwei neue Mitglieder genannt: ein Bernhard Sandt — vielleicht ein Deutscher? — und jener Reichard Machin, der sich später zum Hauptführer der hessischen Truppe aufschwingen sollte. In den Stadtrechnungen vom 23. April findet sich eine bezeichnende Bemerkung über die dem Rat gegebene Extravorstellung: »Den Englischen spielleuten, als sie ein música und commedia im Augustinercloster gehalten, verehrt fl. 24.«
Diese kurze Notiz ist ein neuerlicher Beweis für die Eigenbedeutung, die dem musikalischen Element gerade bei der hessischen Truppe zukam. Trautmann 3) hält es für denkbar, daß es sich bei den englischen Komödianten, die im Oktober 1600 in Ulm und in München spielten, vielleicht um unsere Truppe gehandelt habe. Das liegt natürlich im Bereich der Möglichkeit. Immerhin bleibt zu bedenken, d a ß das einen Aufenthalt der Gesellschaft in Süddeutschland von knapp 7 Monaten voraussetzen würde. Und diese Zeitspanne scheint sehr reichlich bemessen. Dies Wenige ist alles, was sich über das Ergehen der hessischen Truppe im Jahre 1600 feststellen ließ. Dafür sind uns aber aus dem Jahre 1601 eine Reihe besonders interessanter Nachrichten erhalten. Da sind zunächst die persönlichen Ausgaben für den Landgrafen aus dem täglichen Kammerverlag von 1601, unter denen sich manches für unsere Untersuchung Wichtige findet4): 1. »200 f. Reichart Lautenist dem Engländer ein halbe jarsbesoldung uff rechnung zugestelt.« (3. März) 2. »8 thlr. H a n ß Hessen geben, so die Englender hirbevor Ihme schuldig noch vor Herbrigs, brottgeld und Wartung eines in seiner kranckheitt.« (17. März) Nr. 44, S. 119. Diese Bemerkung bezieht sich darauf, daß Komödiantentruppen, denen man das Spielen in der Stadt verweigert hatte, sich an der Stadtgrenze niederließen und damit das Volk veranlaßten, sein Geld außerhalb der Stadt auszugeben. 3) Nr. 44, S. 120. 4) M. St. A. »Rechnungen über d. täglichen Kammerverlag. (Cabinet d. Lg. Mor.) 1596—1619.«
2)
44 3- »6 thlr. dem Welschen J a n vor ein Vogelhauß so mein gn: fürstin fraw von Ihm bekommen. 1 )« (5. Mai) 4. »2. thlr. auch dem welschen J a n bezalt vor seiden spitzen vor Meinen gn: fürsten und Herrn hibeuor braucht 1 ).« (5- Mai) 5. »12. thlr. Reichard Machin Englender Z u Lautenseitten zugestelt.« (Um den 20. Okt.) 6. »20. thlr. Mein gn:f: und herr Reichart Machin dem Englender und dem Wirker Zur Hochtzeit verehrt.« (28. Okt.) 7. »12. thlr. Meine gn: Fürstin und fraw zu denselben Hochtzeiten verehrt.« (28. Okt.) 8. »20. thlr. Den beiden Englendern von Wolffenbüttel J a n Buset und J a n dem Dantzer.« (6. Nov.) 9. »12. thlr. Ihre fgn: dem Englischen musico Kupfferschleger verehrt.« (7. Nov.)
Die Nummern 1, 5 und 6 enthalten die ersten Kasseler Nachrichten über Reichard Machin, der hier als »Lautenist« bezeichnet wird; da Machin wohl schon im Jahre 1600 unter den führenden Persönlichkeiten der Truppe eine Rolle spielte, ist es von Wichtigkeit darauf hinzuweisen, daß einer der Führer ein Musiker war, bei dem das Schauspielerische wahrscheinlich erst in zweiter Reihe kam. — Besondere Bedeutung kommt der Nr. 8 zu, die die Anwesenheit J a n Busets in Kassel für den November 1601 bezeugt. Dieser Buset war kein anderer als Thomas Sackville, Brownes Gefährte aus dem Jahre 1592. Sackville war schon früh in ein festes Dienstverhältnis zum Herzog Heinrich Julius von Braunschweig getreten, der in Wolfenbüttel residierte; er hatte — das wurde schon erwähnt 2 ) — den Namen der komischen Person aus des Herzogs Stücken zu seinem Bühnennamen gemacht. Er unternahm mit seiner Truppe, ebenso wie Browne, Reisen, die ihn durch ganz Deutschland führten, und es ist wohl anzunehmen, daß er auch in Kassel öfters auftrat. Jedenfalls sind diese vom März bis zum November 1601 reichenden Aufzeichnungen wiederum Beweis für die unerschütterte Stellung der englischen Komödianten am Kasseler Hofe. Gegen Ende März 1601 trifft die hessische Truppe in Frankfurt ein und setzt, wie gewöhnlich, ein schriftliches Gesuch an den Rat auf, das so bezeichnend ist, daß es hier im vollständigen Wortlaut wiedergegeben sei 3 ): 1 2 3
) Dazu siehe S. 38, Anm. 1. ) Siehe oben S. 23. ) Fr. St. A. R. S. vom März 1601.
45 »Edele, Ehrnueste Hochgelartc, Vorsichtige Unnd Weyße, Grosgunstige gebietende Herren. Nachdem Ehrueste Insonders großgunstige Herren, nunmehr Z u unters c h i e d n . . . Jarns gehaltenns Meßen dieselbige U n ß , des Durchleuchtiges Hochgebornns Fürstens U n d Herrns, Herren Mauritij, Landgrauens zu Heßens, bestellens Comoedianten, mit sonderbaren Gunsten (deßes wir unß nicht genugsam bedanken können.) Zugelaßen, hiesigen U n d dem Außlandischen V o l c k , Unsar Comoetias Und Tragoetias, nach gelegenheit der Zeitt Z u exhibiren, U n d sehen Z u laßen, dannenher, U n d Weil wir verhoffentlich darinnen nichts agirt, so erbar: oder Hofflichkeytt Z u wieder, oder sonsten ärgerlich und nicht vielmehr in gemeinem Leben erbawelich werr, haben wir, in erinnerung deroselbes anzeigten großes Gunstes, U n ß unter winden dörffen, abermahls E. E. U n d F. W. gehörender Unterthanigkeit anzusinnen U n d gelangen Z u laßen, Untern dienstliches weyßes bittende, dieselbige geruhen Unß, auch in dieser Abermahls beuorstehcnden hochprivilegirtten Fastenmeße, Unsere, neben erlustirung, nutzbarliche T r a g : und Comoedias vorm Volck öffentlich zu halten ebenmäßig Zuuerstatten, Deßen wir erbietig und gefließen sein wollen, nichtzit schandbars oder ärgerliches auffs Theatrum und schaw Platz zubringen, sondern Vermittelst gottlicher genaden menigliches Clagelons zu stellen. Deßelbn Uns E. F. Und F. W. in Unterdinstwilligkeit, auf Zutragende gelegenheitt Jederzeitt Zuuerschulden, wollen wir sampt U n d sonders Immerdar bereit gefunden werden, deroselbigen großgunstigen willfhariges Antworth erwarttendt. E. E. U n d F. W . Unterthenige Reichard Machin, Johann Hill, Georg Webster U n d andere Fürstliche Heßische Comoedianten auß Engellandt.« Inzwischen ist also Machin zum ersten Führer aufgerückt. A m 26. März 1601 beantwortet der Rat das Gesuch zustimmend 1 ): •Als ettliche in supplicatione Unnderschribene Engelländische Comoedianten gepetten, daß man Inen dise Meß Uber etliche comoedias Z u spilen, vergünstigen wolle. Soll man Irer pitt statt geben.« Diese Erlaubnis zeugt für eine gewisse Schätzung der hessischen Truppe, die allerdings zu bedeutendem Teil auf das gute Verhältnis des Frankfurter Rates zum Landgrafen Moritz zurückzuführen ist, den er durch ein Abweisen seiner »Hofschauspieler« nicht vor den Kopfstoßen wollte. Es waren nämlich schon vor der hessischen zwei englische Schauspielergesellschaften zugelassen worden. Die eine am 17. und die andere am 24. März. Die am 17. zugelassene Truppe hatte schon am 12. petitioniert. Sie wollte »Comedia und Tragedia aus denn Historijs agiren« und erwartete noch »Johannen ßuscheten und noch anderer in unserer Companey gehörige Commedianten mehr« 2 ). Diese Truppe wurde ») Fr. St. A. Bgmb. ») Fr. St. A. R. S.
46 von Robert Browne, Robert Kingsman — vielleicht der Bruder unseres Philip Kingsman! — und Robert Ledbetter geführt. Da sie sich mit Sackville — Johann Buschet — und noch anderen zu ihr gehörenden Komödianten vereinigen will, könnte es möglich sein, daß Browne damals in braunschweigischen Diensten stand, sofern nicht etwa Sackville diesen gerade verlassen und sich Browne angeschlossen hatte. — Die am 24. März zugelassene Truppe nennt sich »Zwölff Engellender gewesene Diener des Königes äuß Perschia legatten . . . H: Antonio Schurley« 1 ). In der Herbstmesse 1601 spielt die hessische Truppe wieder in Frankfurt. Machin, Hill und Webster petitionieren am 1. September unter Hinweis auf die ihnen vom Landgrafen gewährte Erlaubnis, ihre Stücke auch andern Ortes zur Aufführung bringen zu dürfen 2 ). Im Januar 1602 sind die Engländer in Kassel noch nachweisbar, wie aus einer Notiz in dem von Johann Eckel »Zu Meins gn: f. und Herrn Teglichen Verlag« geführten Register hervorgeht s ). Leider ist nur ein kleiner Teil dieses Registers erhalten geblieben. Die betreffende Notiz lautet: »600. fl. Den Englendern Zu besoldung geben« und stammt vom 25. Januar 1602. Sie deutet in keiner Weise auf eine etwaige Entlassung der Engländer hin. Auf der Frankfurter Ostennesse ist die hessische Truppe diesmal nicht gewesen; wohl aber gibt uns das Gesuch einer anderen Truppe, die auf dieser Messe spielte, einen Beweis für die Beliebtheit und für das Ansehen, deren sich die hessischen Hofkomödianten in Frankfurt erfreuten; eine Beliebtheit, die wohl auf ihre besonderen musikalischen Leistungen, daneben auch auf größeren Glanz ihrer Kostüme — sie verfügten natürlich über andere Mittel als die ganz vom Zufall abhängigen, auf ständiger Wanderung begriffenen Truppen, die nicht wie sie eine feste Hofstellung inne hatten — zurückzuführen ist. Zwischen dem 25. Februar und dem 2. März 1602 nämlich petitioniert in Frankfurt eine Truppe, die sich einfach »Die Englische Comoedianten« nennt 4 ). In ihrem Gesuch sagen diese Schauspieler, daß sie gekommen seien » . . . in willens, Do es unnß durch E. E. unnd F. W. vergünstiget werden köndte, biß daß die andern Englische Comoedianten von Caßell kommen, tüchtige unnd liebliche Comoedien zu haltten, auch do dieselben Caßelische vielleicht außbleyben würden, solche actiones biß durch die Meß zu continuiren...« ») Fr. St. A. R. S. ) Fr. St. A. R. S. 3 ) M. St. A. »Rechnungen über d. täglichen Kammerverlag. (Cabinet d. Ldgr. Mor.) a
1596—1619.«
4
) Fr. St. A. R. S.
47 Nach diesen Worten muß der R u f der Kasseler Truppe sowohl bei ihren eigenen Kollegen wie auch beim Publikum ein beträchtlicher gewesen sein. — Nun heißt es in dem gleichen Gesuch: » . . . wie wir dann auch ebener maßen vor Zweyen Jahren dergleichen Comoedias alhier agiret unndt gehaldten. . . ')« V o r genau zwei Jahren aber, nämlich zur Ostermesse 1600, hatten die Kasseler in Frankfurt gespielt. Das deutet auf die Möglichkeit, daß in dieser Truppe sich wenigstens einige ehemals in hessischen Diensten gestandene Schauspieler befanden. Jedoch ist diese Annahme darum nicht sehr sicher begründet, weil die »zwey Jahre« j a vielleicht auch nur bedeuten, daß die Truppe irgendwann einmal im Laufe des Jahres 1600, und zwar nicht unbedingt zur Ostermesse, in Frankfurt spielte. — Jedenfalls wird die Supplikation am 2. März zusagend beantwortet mit der Anweisung, »daß Sy vor dem ersten glait nit spilen thuen« 2 ). A m 3. oder 4. März bittet die Truppe den Rat, schon vor der Messe spielen zu dürfen, und wieder heißt es: » . . . sind wir wie hiebeuor anerpotten, wann die andere Company von Caßell kommen, abzuziehen willig... 3)« Die Kasseler sind aber nicht gekommen; sonst hätte sich in den musterhaft geführten und gesammelten Rats-Supplikationen oder im Bürgermeisterbuch etwas über ihr Auftreten finden lassen 4 ). Wenn Chambers behauptet 5 ), daß im J a h r e 1602 ein großer Teil der Truppe aus den Diensten des Landgrafen ausgetreten sei, so bezieht er sich offenbar auf die hessische Chronik Wilhelm Buchs 6 ). In dieser Chronik, die Buch im Auftrage des Landgrafen Georg I. von Hessen-Darmstadt, des jüngsten Sohnes Philipps des Großmütigen, schrieb, und die mit dem J a h r e 1625 endet, heißt es von Moritz: »Anno 1602 hat er die Engländer alle mit einander von sich gejagt und des Springens und Tanzens müde geworden.« Duncker hat überzeugend nachgewiesen '), warum dieser Chronik das Zeugnis einwandfreier sachlicher und verläßlicher Berichterstattung nicht zugebilligt werden kann. Persönliche und religiöse Ursachen waren es, die den Autor gegen Moritz einnahmen und vor allem das Treiben der englischen Komödianten am Kasseler Hofe verurteilen ließen: l
) Trotzdem behauptet Mentzei (Nr. 33, S. 49), die Truppe habe »offenbar zum 1. Male in Frankfurt« gespielt(!). ») Fr. St. A. Bgmb. 3 ) Fr. S t . A . R . S. *) Es mag von Interesse sein, zu erfahren, daß am 18. März 1602 französische Komödianten, die schon »zu mehrmalen alhier gewesen« unter Johann le Boeuff zugelassen wurden (Fr. St. A. Bgmb.). ») Nr. 10, Vol. I I , S. 279. •) Diese Chronik wird handschriftl. in Darmstadt aufbewahrt. Eine Abschrift liegt in der Kasseler Landesbibliothek unter d. Sign.: »Ms. hass. 2° 154«. ' ) Nr. 15, S. 267.
48 »Sobald er aber an die regierung kam, hat er sich durch etliche verfuhren lassen, da er sich alsbald in der religion merken that *) auch ein groß Geld durch die verfluchte Engländer, deren er eine ziemliche Anzahl gehalten, und sie stattlich in Essen und Trinken, Kleidung und anderen Sachen unterhalten, da sie dann allerhand Comoedien, welche dieser Fürst selbst gedichtet, des Tages agiret, und sich mit Springen und Tanzen geübt ihrer Gewohnheit nach, desgleich auch in Musicis und allerley Saitenspiel, daß last in der Rentkammer nichts mehr in Vorrath geblieben.«
Das ist eine sehr interessante Schilderung von der Art der Tätigkeit, die die englischen Komödianten am Kasseler Hofe ausübten. Sie spielten vom Landgrafen selbst geschriebene Komödien »des Tages«, sie übten sich in Tanz, Akrobatik und Musik. Die scharfe Ablehnung der englischen Komödianten überhaupt, die aus dem Ganzen spricht, ist der Ausdruck einer besonderen persönlichen Antipathie des Verfassers gegen solche Art künstlerischer Betätigung. Die gleiche Antipathie wird den Chronisten auch bei der Bemerkung über die im Jahre 1602 erfolgte Verjagung der englischen Komödianten geleitet haben. Es ist ausgeschlossen und stünde zudem in völligem Widerspruch zu dem vor- und nachherigen Verhalten des theaterliebenden Fürsten, daß die Truppe 1602 kurzweg den Laufpaß erhielt. Es mag sein, daß ein Teil der Truppe entlassen wurde, schon darum, weil sich der Landgraf von Ende Juni bis Anfang November des Jahres infolge seiner großen Frankreichreise außer Landes aufhielt 2 ). Moritz sorgte stets — bei aller Liebe zu sinnvoller Prachtentfaltung — für Ersparnisse und Einschränkungen des Hofhaltes, wenn solche sich als nötig erwiesen. Auf jeden Fall jedoch blieb die hessische Komödiantentruppe wenigstens im Kern auch im Jahre 1602 erhalten! Daß die Engländer in des Landgrafen Diensten blieben, sei es auch in verminderter Zahl, das beweist allein schon das Gesuch der »Fürstlich heßischen Comedianten«, die, laut Bürgermeisterbuch, am 7. April 1603 in Frankfurt zugelassen wurden. In diesem Gesuch 3 ) heißt es nämlich: » . . . Nachdem... unß fürstlichen Heßischen Comoediant und Agenten auß Engelland, genediglichen Verstattet und zugelaßen worden, In den Zuruckverflossenen Messen Unßere Comoedias Und Tragoedias auffs Theatrum zubringen, Undt dem Volck zuzeygen, dardurch es Verhoffentlich mehr gebeßert, Alß geärgert worden... So gelangt an E. E Unßer... Pitt, Dießelbige geruhen unss... zuerlauben, Unßere Comoedias und Tragoedias aufFdem gewohnlichen Schauwblatze zubringen.. E. E. und F. W. Unterthanige >) Moritz war überzeugt reformiert, Buch dagegen lutherisch eingestellt. *) Von Rommel beschrieben. Nr. 199, S. 53 ff. ») Fr. St. A. R. S.
49 Reichard Machino, Und Georg Webster, Vor sich und ihre geßellen, Fürstliche heßische Comedianten.« Tatsächlich spricht dies Gesuch dafür, daß die Kasseler Truppe auch in der Herbstmesse von 1602 in Frankfurt spielte. Sollte Buchs völlig unbelegbare Behauptung einen wahren Kern enthalten, so scheint der Kassel für immer oder doch für längere Zeit verlassende Teil der Truppe dem Johann Hill gefolgt zu sein, der hier ja nicht mehr genannt wird, während Machin und Webster nach wie vor in Moritz' Diensten verblieben. Zur Ostermesse 1603 spielte neben der hessischen noch die am 31. März zugelassene Truppe von Robert Browne, der nicht mehr in des Landgrafen Diensten stand . Und bei dieser Gelegenheit ereignete sich das Unikum, daß beide Truppen nicht etwa begannen, einander verschärfte Konkurrenz zu machen, sondern vielmehr beschlossen, gemeinsam zu spielen. Das mag seinen Grund in den alten Beziehungen gehabt haben, die die beiderseitigen Führer miteinander verbanden, wird aber im wesentlichen auf die sehr vernünftige Einsicht zurückzuführen sein, daß gemeinsame Arbeit beiden Teilen mehr Chancen zu bieten vermochte als ein Wettstreit um die Gunst des Publikums. In einem undatierten Gesuch an den Rat 2 ) — es wird in die Mitte des April 1603 zu setzen sein — bittet man gemeinsam, den Eintrittspreis erhöhen zu dürfen, weil man mit vereinten Kräften ja auch mehr zu bieten im Stande sei. Ich bringe dies Gesuch hier wenigstens auszugsweise, weil es auf Seiten der hessischen Truppe zum erstenmal einen neuen Namen nennt, der später noch von Wichtigkeit sein wird: » . . . nach dem durch gluck alhie in dieser löblichen weitberumbten keiserlichen freyen Stadt Franckfurt 2 Companien angelangt, versch Comedien zu agiren... haben wir unter uns beschloßen unsere Comedien desto mehr zu zieren, alle beide Companien zusammen in einem Hause zu agiren und dieweill den 30 personen zusammen auch grosser unkostung drauff gehen wurde, als bitten wir E. E. unterthenig. an der thur für gengen und sittzen alle mitteinander ein batzen zunemen.. . E. E. unterthenige Robertus Braun
sampt seinen gesellen Rudolphus Reeffe Reichard Machin sampt ihren gesellen.« Der hier zum erstenmal genannte »Reeffe« ist jener Ralph Reeve, der später lange Zeit als Rudolphus Riveus die hessische Truppe führte 3 ). l ) Fr. St. A. Bgmb. ') Fr. St. A. R. S. 3 ) Wenn Mentzel (Nr. 33, S. 50—51) behauptet, daß zu dieser Zeit zusammen mit
H a r 11 e b , Deutschlands erstes Theater.
4
50 Cohn hält es für möglich '), daß die hessische Truppe in der Zeit von Mai bis Juli 1603 in Köln auftrat, eine Vermutung, die er allerdings nicht zu belegen vermag. Die Mentzelsche Behauptung, daß sich Machin mit einigen Gesellen nach der Ostermesse 1603 in die Dienste des Markgrafen Christian Wilhelm von Brandenburg, Administrators von Magdeburg, begeben habe, wurde schon von Chambers bezweifelt und läßt sich auch tatsächlich nicht belegen. Für die Zeit zwischen Ostermesse 1603 und Herbstmesse 1606 sind wir in Bezug auf die englische Schauspielertruppe des Landgrafen Moritz leider nur auf Vermutungen angewiesen. Machin, Webster und Reeve — auch Hill, sofern er nicht, wie auf Seite 49 angedeutet, den Dienst des hessischen Fürsten schon 1602 verlassen hatte — werden wohl noch einige Zeit in hessischen Diensten geblieben sein, müssen diese aber — wenigstens zum Teil — im Laufe des Jahres 1604 verlassen haben. Das beweisen uns zwei bemerkenswerte, von Crüger veröffentlichte 2 ) Straßburger Aufzeichnungen. Da ist zunächst ein Beschluß des Straßburger Rates vom 1 1 . Mai 1605: »Richard us Mechinus von London alß Englischer Comoediant, der sey mit 16 personen angelangt, die hetten 24 schöner Comedien tragoedien vnd pastoral, die sie gantz zuchtig in andern Stetten vermög Irer vrkunden gespielt, auch 4 Jar lang bey landgraff Moritzen gehalten, furnemblich der vrsachen dz sie ein solche Musicam haben, dergleichen nit baldt zu finden. Bitten also alhie auch zu erlauben. Erkant: Man soll Inen Ir begeren abschlagen.« Machin weist hier auf sein vierjähriges Dienstverhältnis zum Landgrafen Moritz hin. Nun können wir ihn als Mitglied der hessischen Truppe zum erstenmal im April 1600 in Nürnberg nachweisen 3 ), was natürlich nicht ausschließt, daß er schon früher zu den hessischen Komödianten gehört haben könnte. Spätestens also muß er im Laufe des Jahres 1604 aus des Landgrafen Diensten ausgetreten sein; wahrscheinlich wird er das schon 1603 getan haben. Und ihm ist sicher ein Teil der hessischen Truppe gefolgt. Dafür zeugt eine zweite Straßburger Nachricht 4 ): »Rudolphus Riuius sampt 15 Personen Englischer Comoedianten b r i n g t . . . für. dz sie vff 24 Comoedien, seyen 4 J a r lang bey dem Landtgraffen gewesen, u. d (iewei) 1 der Comoedien vil, begerten sie morgen anzufahen, Browne Thomas Blackreude und Joh. Fheer — von Chambers mit »Thomas Blackwood and John Thare, late of Worcester's men« identifiziert (Nr. 10, Vol. II, S. 280) — auftraten, so muß betont werden, daß sich für diese Behauptung in den Frkf. Quellen kein Beleg finden läßt. Denn die Brownesche Truppe unterzeichnet sich in ihrem Gesuch (R. S., März 1603) nur als »Robert Braun, Und andere Englische Comedianten alhie residirende«. J ) Nr. 12, S. 251—252. s ) Nr. 14, S. 116—117. 3 ) Siehe oben S. 43. *) Nr. 14, S. 1 1 7 .
51 bitten Ihnen ein solches zu bewilligen, hetten ein Instrumental Music von siben personen. Erkandt: Man soll Ihnen willfahren außerhalb des Sontags, von einer Person 3 creüzer.« Selbstverständlich handelt es sich bei diesem vom 19. Juni 1605 stammenden Gesuch um die gleiche Truppe, die die Supplikation vom 11. Mai eingereicht hatte. Das beweist die in beiden Schriftstücken angegebene gleiche Zahl von »24 Comoedien«; das beweisen auch der beiderseitige Hinweis auf die vier beim Landgrafen abgedienten Jahre und endlich die Tatsache, daß »Rudolphus Riobe undt Richardus Makum Englische comeodianten« am 12. März 1605 gemeinsam als Führer einer Truppe beim Frankfurter Rat petitionierten 1 ). Wir dürfen also annehmen, daß Machin und Reeve 1603/04 aus dem Dienste des Landgrafen Moritz austraten. Allerspätestens muß das im Sommer 1604 geschehen sein, denn die am 4. September 1604 unter »Rudolf Riue« in Frankfurt petitionierenden englischen Komödianten bezeichnen sich schon nicht mehr als hessische Schauspieler, wie sie das doch sonst zu tun pflegten 8 ). Der Grund, der den Straßburger Rat veranlaßte, der Truppe am 19. Juni die Spielerlaubnis zu gewähren, nachdem er sie ihr erst am 11. Mai verweigert hatte, ist wohl darin zu suchen, daß Moritz gegen den 26. Mai 1605 in Straßburg weilte und dort für seine ehemaligen Komödianten ein gutes Wort einlegte. Für unsere Untersuchung besonders bedeutsam ist auch hier wieder der in beiden Dokumenten sich findende Hinweis auf die hervorragende Leistungsfähigkeit der Truppe im Musikalischen. Wir konnten also feststellen, daß Machin und Reeve um 1603/04 die Dienste des Landgrafen Moritz verlassen haben. Webster und Hill — letzterer falls er nicht schon 1602 gegangen war — haben sich ihnen keinesfalls angeschlossen, da wir ihre Namen in keiner der vielen erhaltenen Petitionen der Machin-Reeve Truppe genannt bekommen. Beide verschwinden von nun an überhaupt völlig aus unseren Quellen. Webster mag noch einige Zeit in hessischen Diensten geblieben und dann nach England zurückgekehrt sein, wo wir allerdings weder von ihm noch von Hill jemals wieder etwas hören. Möglicherweise sind beide bald verstorben. Nachdem sich solchermaßen die von Webster, Hill, Machin und Reeve geleitete hessische Truppe in alle Winde zerstreut und aufgelöst hatte, wurde sie in Kassel offenbar sehr bald durch eine andere Truppe ersetzt, deren Führer Robert Browne, John Green und Robert Ledbetter — ') Fr. St. A. R. S. In dem Gesuch wird betont, daß die Truppe »in teutscher sprach« spielt. 2 ) Fr. St. A . R. S.
4*
52 mit Ausnahme vielleicht Greens — schon früher zum Kasseler Hof in Beziehung gestanden hatten. Dafür, daß diese Schauspielergesellschaft sehr bald nach dem Abgang der obengenannten Truppe in Kassel einzog, zeugt ein Gesuch an den Frankfurter Rat vom 26. August 1606 » . . . Nachdem ein Ehrw. hochweiser Rath dieser weitberumbten K a y . Reichs Stat des durchleuchtigen hochgebornen Fürsten U n d Herrens, Herren Mauritij Landtgrauens Z ü Hessen Unsers genedigen Herren, Unß Unterschiedlicher Zeitten gnedigst ertheyleter Und E . E . und F . W . Unterthaniglich praesentirter Interceßionsschreiben, in den nechst auff einander abgewichenen Jaren Fasten Und Herbstmeßen... großgunstig erlaubet... hat, Unsere anhero brachtte kunstliche Tragoedj Und Comoetias, dem Außländischen und Inhaymischen Volck zu exhibiren...» bittet m a n , »daß e i n . . . Hochweiser Rath alhier, in dieser . . . Meß Unsers gnedigen Fürsten und Herrens Verschiedenen Vorpittschreiben U n ß noch einen Alß den andern wegen großgunstig... verstatten w e r d e . . . unßere comedi und Tragedie zu agiren und züspielen... Robert Braun, Johan Grün, Robert Lebetter Undt andere Fürstliche Heßische Comoedianten.«
Dies Gesuch erbringt den Beweis dafür, daß die Truppe in den letzten Jahren in Frankfurt gespielt hat und zwar in ihrer Eigenschaft als fürstlich hessische Gesellschaft, denn sie ist j a der ihr von Moritz »Unterschiedlicher Zeitten gnedigst ertheyleter . . . Interceßionsschreiben« wegen »in den nechst auff einander abgewichenen Jaren Fasten Und Herbstmeßen« zugelassen worden. Das bedeutet praktisch, daß Browne im Laufe des Jahres 1604, wenn nicht schon 1603 von neuem in des Landgrafen Dienste eingetreten ist. Von John Green hören wir hier zum erstenmal, wenn wir ihn nicht — wie schon oben angedeutet 2 ) — mit dem 1593 in Nürnberg nachzuweisenden Ruberto Gruen identifizieren wollen. Robert Ledbetter — dies ist die richtige Schreibweise, wenn auch das Gesuch »Lebetter« sagt — wurde schon einmal in Gesellschaft Brownes genannt 3). Die hessische Truppe scheint um diese Zeit etwa 14 Personen stark gewesen zu sein, denn am 21. Juni 1606 wurde Robert Browne in Straßburg zugelassen, wobei er in seinem Gesuch angab, daß »Iren 14 personen hie seyen« 4). Wie sehr Moritz sich für seine Schauspieler einsetzte, beweist nicht nur >) Fr. St. A. R. S. ) Siehe oben S. 22. ) Siehe oben S. 39. Ledbetter wird in engl. Schauspielerlisten nur einmal erwähnt: im Scenarium der 1597 von den Lord Admiral's men viermal gegebenen Tragödie »Frederick and Basilea«, in der er mehrere kleine Männerrollen spielte (Nr. 3 1 , S.69).